Survival Guide Psychiatrie

Das Buch führt praxisorientiert und konsequent den Assistenzart durch die Hindernisse im ersten Jahr der Psychiatrie. Es beantwortet zahlreiche organisatorische Fragen und ist der Rote Faden, der Anfängern zu Beginn ihrer Berufszeit die Unsicherheit nehmen soll.

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Doris Krüger

Survival Guide Psychiatrie

Survival Guide Psychiatrie

Doris Krüger

Survival Guide Psychiatrie Mit 8 Abbildungen

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Doris Krüger Berlin, Germany

ISBN 978-3-662-57372-3 ISBN 978-3-662-57373-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; d ­ etaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be­rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffent­lichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die ­Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © deblik Berlin Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

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Vorwort Dieses Buch dient als „roter Faden“ zu Beginn der Psychiatrie und versteht sich als Handbuch in diesem Fach. Das Ziel ist es, angehenden Psychiatern und denen die ihr Psychiatriejahr leisten müssen, eine ­Orientierung über das vor allem am Anfang manchmal unübersicht­ liche Fach zu geben. Das Buch vermittelt in übersichtlichen Kapiteln die Basiskenntnisse über die unterschiedlichen Therapierichtungen, Teamfähigkeit, sowie die Fähigkeiten der Anamneseerstellung und der Behandlung von akuten Patienten. Es richtet sich damit in erster Linie an Berufsanfänger in der Psychiatrie oder an Studierende, die sich schon mal mit diesem Fach auseinandersetzen wollen. Es ersetzt allerdings nicht das Lernen aus Fachbüchern. Auch die Me­ dikamentenschemata dienen als Empfehlung. Deren Formulierung wurde mit großer Sorgfalt beachtet. Allerdings kann für diese Angaben und wie auch für die anderen klinischen Empfehlungen in diesem Buch keine Gewähr übernommen werden. Medikamentenschemata und ­deren Dosierung, sowie die Therapien müssen immer auf den einzel­ nen Patienten abgestimmt werden. Bei Unsicherheiten können und sollten Sie immer den Facharzt (in den meisten Fällen Ihr Oberarzt) hinzugezogen werden. Der besseren Lesbarkeit spreche ich in diesem Buch von Patienten und Ärzten usw., wobei selbstverständlich auch Patientinnen und Ärztinnen usw. gemeint sind. Dieses Buch soll dazu dienen, Ihnen den Einstieg in die Psychiatrie zu erleichtern und einen roten Faden zu bilden. Dennoch können auch Fragen unbeantwortet bleiben oder Sie haben Anmerkungen dazu, wie Sie es anders gelernt haben oder handhaben würden. Wenn das der Fall sein sollte, so teilen Sie das mir bitte mit. Ansonsten wünsche ich viel Spaß beim Lesen dieses Buches, viel ­Freude bei Ihrer Arbeit mit den Patienten und viel Spaß in der Psy­ chiatrie. Bedanken möchte ich mich vor allem bei meinem oberärztlichen Men­ tor Herrn Dr. med. K. Pieper, der einen Großteil meiner Ausbildung mitgetragen bzw. ausgehalten hat, sowie bei Frau Dr. med. Rühl-Ober­ mayer, die mich mit viel Empathie und häufig einem kleinen Schubs begleitet hat.

VI

Vorwort

Auch möchte ich Antonia Hope für ihre hilfreichen Anmerkungen und guten Kommentare zu dem Buch danken. Last but not least möchte ich Frau Scheddin und Frau Bauer vom Sprin­ ger-Verlag für ihre immer freundliche und geduldige Zusammenarbeit mit mir besonders danken. Sie nahmen dieses Buch herzlich auf. Doris Krüger Juni 2018

VII

Inhaltsverzeichnis 1 Grundlegendes und ­Wissenswertes . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Der erste Arbeitstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Arbeitszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Tätigkeitsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.4 Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.5 Schweigepflicht und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.6 Korruptionsschutz bzw. Antikorruptionsgesetz . . . . . . . . 9 1.7 Sich selbst strukturieren – Formulieren von Zielen und Festlegen von Prioritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1.8 Therapieren lernen – oder wie ticken Sie? . . . . . . . . . . . 16 1.9 Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.1 Sender-Empfänger-Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2 Verbale und non-verbale Kommunikation . . . . . . . . . . . 41 3 3.1 3.2

Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen oder wie passt mein Patient in das Gesundheitswesen? . 49 Möglichkeiten der Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Wer bezahlt was? – GKV, PKV, Kosten­erstattungsprinzip oder doch alles selbst? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

4 Organisation einer p ­ sychiatrischen Station . . . . . . . . . 63 4.1 Pflegepersonal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4.2 Stationsalltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 5 Patientenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.1 Aufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5.2 Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 5.3 Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5.4 CIRS- oder Fehlermanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 6 Basic Skills . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6.1 Wundbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2 Kanülen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.3 Blutentnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.4 Anamnese und psychopathologischer Befund . . . . . . . . 81

VIII

Inhaltsverzeichnis

7 Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 7.1 Zwangsunterbringung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.2 Zwangsmedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7.3 Fixierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7.4 Stationsschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 7.5 Intoxikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 7.6 Spezielle psychiatrische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 7.7 Exkurs: neurologische Notfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 8 Notfallmedikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 8.1 Wichtige Psychopharmaka für den Notfall . . . . . . . . . . . 133 8.2 Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 8.3 Erregungszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 8.4 Verwirrtheitszustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8.5 Stuporöse Zustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8.6 Psychopharmakaassoziierte Notfälle . . . . . . . . . . . . . . 142

9

Gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

9.1 9.2 9.3

§ 1906 BGB – zivilrechtliche Unterbringung . . . . . . . . . . 149 PsychKG – öffentlich-rechtliche Unterbringung . . . . . . . . 151 Strafrechtliche Unterbringung nach den Maßregeln der Besserung und Sicherung (StGB) . . . . . . . . . . . . . . . 153

10

Ausblick: das neurologische Jahr . . . . . . . . . . . . . . . 157

11

Die Facharztprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

1

1

Grundlegendes und ­Wissenswertes 1.1

Der erste Arbeitstag   – 2

1.2

Arbeitszeit  – 3

1.3

Tätigkeitsbereiche   – 4

1.4

Arbeitsvertrag  – 5

1.5

Schweigepflicht und Datenschutz  – 8

1.6

Korruptionsschutz bzw. Antikorruptionsgesetz  – 9

1.7

Sich selbst strukturieren – Formulieren von Zielen und Festlegen von Prioritäten  – 10

1.8

Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?   – 16

1.9

Stress  – 32

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_1

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

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1.1

Der erste Arbeitstag

Nun geht‹s endlich los – Ihr erster offizieller Arbeitstag als Arzt. Sie begin­ nen einen neuen Lebensabschnitt und haben das schützende Umfeld des Studiums hinter sich gelassen. Mit dem Abschluss des Studiums haben Sie die theoretischen Fähigkei­ ten erworben, Patienten zu behandeln. In der klinischen Praxis nehmen nun Verantwortung und Anspruch zu. In der Regel wird man Sie zu Beginn noch etwas schonen, doch spätestens nach ein bis zwei Wochen dürfte der „Welpenschutz“ vorbei sein. Schauen Sie sich in „Ihrer“ neuen Klinik gut um. Wie ist Ihr zukünf­ tiger Arbeitsplatz organisiert? Welche Abteilungen gibt es? Ist es ein Fach­ klinikum? Ist es ein gemischtes Krankenhaus mit Rettungsstelle? Das ist für spätere Dienste wichtig zu wissen. Wer ist der Träger der Klinik – konfessionell, kommunal oder privat? Wer leitet die Klinik? Wer sind die Chefärzte? Das kann man meist im Vorfeld auf den Internetseiten herausfinden, sodass Sie sich vorab einen guten Überblick verschafft haben sollten. Wenn Sie schon wissen in welche Abteilung/welche Station Sie kommen, dann sollten Sie sich auch hierüber informieren. Wer ist Oberarzt/-ärztin? Welchen einen Schwerpunkt hat dieser (TP; VT)? Schließlich ist es der Oberarzt, von dem Sie in Zukunft etwas lernen können. ??Wohin am ersten Arbeitstag? Die meisten Arbeitstage in einer Klinik fangen mit einer Frühbesprechung an. Sollte das bei Ihnen nicht der Fall sein, dann erkundigen Sie sich bitte vorher, wohin Sie müssen. Meist ist hier das Chefarztsekretariat der richtige Ansprechpartner. In den meisten Kliniken werden Sie an Ihrem ersten Tag vom Chefarzt (oder dessen Stellvertreter) begrüßt und ihren Kollegen vorgestellt. Da müssen Sie durch. Wenn Sie zu denjenigen gehören, die sich ungern vorstellen, dann üben Sie dies. Natürlich wollen Ihre Kollegen Sie kennenlernen.

In der Regel erhalten Sie einen „Laufzettel“, anhand dessen Sie am Ende des Tages verschiedene Punkte abgearbeitet haben sollten. Das unterscheidet sich allerdings von Klinik zu Klinik. Meist wird ein Kollege Ihnen alles erklären und Sie durch Ihren ersten Arbeitstag begleiten.

1.2 · Arbeitszeit

3

1

??Was brauchen Sie? Meist einen Kittel – sonst müssen Sie einen eigenen mitbringen. Sie bekommen einen PC-Zugang, wobei sich die IT-Abteilungen auch hier enorm unterscheiden können, sodass dies manchmal mehrere Tage dauern kann. Seien Sie auf jeden Fall höflich, aber hartnäckig. Sie bekommen einen Schlüssel – vergessen Sie nicht: Anders als in rein somatischen Krankenhäusern gibt es in der Psychiatrie geschlossene Abteilungen. Schließen Sie hinter sich ab. In den modernen Krankenhäuser gibt es meist automatisch schließende Türen, doch Sie wollen Ihren ersten Arbeitstag nicht mit einer Großfahndung beginnen, nur weil Sie vergessen haben, hinter sich abzuschließen. Sie erhalten außerdem ein Namensschild – Gratulation jetzt gehören Sie dazu.

Erwarten Sie nicht, dass Sie zu Beginn alles gleich meistern werden. Das wird schon. Erwarten Sie auch nicht, dass die Patienten Sie auf Anhieb in ihr Herz schließen – immerhin sind Sie in der Psychiatrie und nicht jeder Patient möchte dort sein. Für den Anfang ist es (fast) egal, wo Sie beginnen. Es ist überall neu und Sie werden überall lernen. Allerdings gibt es einige Stationen, auf denen man nicht unbedingt gleich zu Beginn und ohne Vorerfahrung als Assis­ tenzarzt anfangen sollte. Das mag jeder für sich entscheiden, doch über­ legen Sie sich, ob Sie für Stationen mit dem Schwerpunkt PTBS oder Bor­ derline-/Persönlichkeitsstörungen oder die Forensik ausreichend stabil sind. Sollten Sie auf einer solchen Station anfangen, dann suchen Sie sich frühzeitig eine gute Supervision bzw. zumindest eine Balintgruppe. Es ist zwar schön, wenn Sie ein gutes Umfeld mit Freunden haben, die Ihnen zuhören, doch die wenigsten möchten die Vergewaltigungserleb­ nisse oder Suizidphantasien ihrer Patienten hören und können adäquat damit umgehen. Achten Sie auf sich. Vielleicht hilft Ihnen auch ein Hobby, wenn es auf Arbeit mal wieder zu viel wird, um mit dem Stress umzugehen. 1.2

Arbeitszeit

??Warum ist das so wichtig? So aufregend der erste Arbeitsplatz für Sie sein mag, so normal und unaufgeregt ist das für Ihren Arbeitgeber. Auch wenn das niemand gerne hören möchte, doch in den modernen Kliniken sind Sie nicht der erste Assistent und auch nicht der letzte. Daher ist es gut, wenn im Vorfeld alles schriftlich geregelt ist. Die beiden wichtigen Bereiche ­Arbeitszeit und Gehalt werden im Arbeitsvertrag geregelt.

4

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Das Thema „Arbeitszeit“ ist in den Krankenhäusern ein besonderes ­Thema. Im Krankenhaus kann man als Arzt nicht immer nach Stechuhr arbeiten – auch wenn in einigen Krankenhäusern elektronische Arbeitszeit­ erfassungssysteme existieren. Es gibt immer mal einen Notfall oder etwas anderes, das einen zwingt, länger in der Klinik zu bleiben und somit Über­ stunden zu machen. Erkundigen Sie sich, wie man an ihrem Arbeitsplatz damit umgeht. Werden die Überstunden übernommen? Gibt es einen Frei­ zeitausgleich? Werden sie ausgezahlt? Mit dem Thema werden Sie definitiv in den nächsten Jahren konfron­ tiert werden. Bislang ist auch keine einheitliche Regelung getroffen worden. Mit verschiedenen Trägern/Krankenhäusern wurden durch den Marbur­ ger Bund Modifikationen ausgehandelt. Dieser Prozess hat lange gedauert und ist noch nicht abgeschlossen, da bislang nicht alle Krankenhausträger eingegliedert sind und Tarifverträge haben. Am Anfang sollten folgende Punkte aus dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) wichtig sein: 44 Werktägliche Arbeitszeit liegt bei 8 Stunden 44 Wöchentliche Arbeitszeit von 42 Stunden darf nicht überschritten werden 44 Bereitschaftsdienst wird voll auf die Arbeitszeit angerechnet. Spätestens nach dem ersten Monat werden Sie sich mit der Arbeitszeit auseinandersetzen. Dann nämlich, wenn Sie Ihre Stunden nachweisen müssen. Egal nach welchem System gearbeitet wird, werden Ungereimthei­ ten nicht gerne gesehen. Dies gilt auch für Überstunden, die ja eigentlich gar nicht anfallen dürfen. Lassen Sie sich am besten in der ersten Woche alles genau erklären. 1.3

Tätigkeitsbereiche

kkPraxen Laut Ärztekammer darf ein Teil der Facharztausbildung in einer Praxis absolviert werden. Erkundigen Sie sich unbedingt vorher, ob der Arzt die notwendige Weiterbildungsberechtigung für den Zeitraum, den Sie ein­ planen, besitzt. Sonst arbeiten Sie zwar schon, aber es wird Ihnen nicht angerechnet. Am besten schauen Sie auf der Website der zuständigen Ärz­ tekammer nach oder rufen direkt dort an. kkRehaklinik Auch wenn mancher Akut-Mediziner über die Arbeit in einer Rehaklinik die Nase rümpfen mag, kann es dort sehr interessant sein. Auch haben Sie

1.4 · Arbeitsvertrag

5

1

für die Patienten (bzw. Rehabilitanden) in der Regel mehr Zeit. In der Re­ habilitation läuft alles ein wenig langsamer ab. Das bedeutet nicht automa­ tisch, dass die Qualität darunter leidet. Hier gilt das Gleiche wie für Praxen: Bitte überprüfen Sie im Vorfeld, ob eine Fortbildungsberechtigung vorliegt. kkKlinik Die meisten werden in einer Klinik ihre Tätigkeit beginnen. Auch hier kann sich das Tätigkeitsfeld erheblich unterscheiden. Ist es ein Fachklini­ kum? Ist es ein „normales“ Klinikum mit Rettungsstelle, in dem die Psych­ iatrie eine eigene Abteilung darstellt? Schauen Sie sich am besten im Vorfeld die örtlichen Gegebenheiten an. Welche Verkehrsverbindung gibt es? Müssen Sie Bahn-/Busverbindungen beachten? Gehört die Klinik zur Gruppe der kommunalen Krankenhäuser oder ist der Träger ein privater Klinikkonzern? Viele denken, dass der Unter­ schied nicht so groß sein kann. Das stimmt allerdings nur bedingt. Zum einen gibt es Gehaltsunterschiede zwischen kommunalen Krankenhäusern und Klinikkonzernen und zum anderen kann man vorsichtig in den Raum stellen, dass ein Konzern auch im Gesundheitswesen wirtschaftliche Inte­ ressen hat. Ein Krankenhaus eines sozialen/kirchlichen Trägers zahlt (meist) weniger Gehalt, doch ist in den meisten Fällen der Umgang mit den Menschen (mit den Mitarbeiten und auch mit den Patienten) etwas anders. Dies ist natürlich auch von Ihren Kollegen und von den einzelnen Mitar­ beitern abhängig. 1.4

Arbeitsvertrag

Ihre Arbeitszeit inklusive der Probezeit, Ihr Gehalt und Ihr Urlaubsan­ spruch sowie Dienstregelungen und vieles andere werden ihn Ihrem Ver­ trag geregelt. In vielen Fällen handelt es sich um Tarifverträge – wenn nicht, wird das meist im Vorfeld angekündigt. Diesen Vertrag lesen Sie sich bitte aufmerksam durch – auch Nebenabreden und evtl. Fußnoten. Im Zweifels­ fall wird auf genau diesen Vertrag und das von Ihnen gegebene Einver­ ständnis hingewiesen. In der Regel beginnen Sie mit einer Probezeit von ca. sechs (in man­ chen Fällen drei) Monaten; daran schließt ein befristetes Beschäftigungs­ verhältnis unterschiedlicher Dauer an. In manchen Kliniken umfasst das Verhältnis ihre gesamte Psychiatriezeit (also ca. 4 Jahre – ohne das Neuro­ logie-Jahr) mit sog. Weiterbildungsverträgen und in anderen Kliniken ­erhalten Sie einen Vertrag für zwei Jahre. Dies kann Vor- und Nachteile haben. Auf der einen Seite binden Sie sich nicht gleich zu lange an einen

6

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Arbeitgeber und haben erstmal etwas Zeit diesen kennenzulernen. Auf der anderen Seite kann dies aber auch Unsicherheiten hervorrufen. Planen Sie rechtzeitig ein Gespräch mit Ihrem Chef ein, wenn Sie einen Zwei-Jahres-Vertrag haben, damit Sie wissen, ob das Beschäftigungsver­ hältnis darüber hinaus weiterbesteht oder nicht. kkGehalt Lassen Sie uns über das Geld reden. Wissen Sie, was Sie am Ende des Mo­ nats als Gehalt erhalten? Was Ihnen zusteht? Was u.a. der Marburger Bund damit zu tun hat? Ihr Gehalt sollte über einen Tarifvertrag bestimmt werden. Dies gilt für Assistenzärzte, Fachärzte sowie für die Oberärzte und den Stellvertreter der Klinikleitung. Chefärzte werden meist außertariflich bezahlt. Diese vier Tarifgruppen werden mit Ä1 bis Ä4 bezeichnet, die dann wiederum in verschiedene Gehaltsstufen unterteilt sind, und stellen den Versuch dar, Ärzte nach Leistung zu bezahlen. Die Stufen werden in Abhängigkeit von der Berufszugehörigkeit entgolten. Sie gehören als Assistenzarzt im ersten Jahr der Gruppe Ä1 Stufe 1 an (. Tab. 1.1). Auf der Website des Marburger Bundes (www.marburger-bund.de) können die jeweils aktuellen Tarifver­ träge eingesehen und verglichen werden. In Deutschland gibt es unterschiedliche Tarifverträge für kommunale Kliniken, Universitätskliniken und private Klinikkonzerne. Die gängigsten Tarifverträge sind der Tarifvertrag für kommunale Krankenhäuser (TVÄrzte VKA) und der Tarifvertrag der Universitätskliniken (TV Ärzte TdL). Daneben gibt es zahlreiche Tarifverträge von privaten Klinikkonzernen, z.B. Asklepios oder den Helios-Kliniken. Die folgende Tabelle gibt beispielhaft das Brutto-Gehalt in Euro pro Monat wider (. Tab. 1.1). Bei allen Tarifverträgen richten sich die einzelnen Stufen nicht nach der Weiterbildungszeit in einem bestimmten Fach, sondern nach der ärzt­ lichen Berufserfahrung. Sollten Sie nach z.B. 2 Jahren das Krankenhaus oder das Fach wechseln (z.B. in die Neurologie), so fangen Sie nicht bei Stufe 1 an, sondern machen dann weiter bei Stufe 2 bzw. Stufe 3. Der Ar­ beitgeber macht nicht immer zwangsläufig darauf aufmerksam, da er in Stufe 1 ja deutlich weniger bezahlen muss. Die genannten Gehälter sind Bruttobeträge. Zu dem Grundgehalt kommen Zulagen durch Bereitschafts- und Rufdienste. Diese können in Abhängigkeit von den geleisteten Stunden und der Verrechnung mit dem Freizeitausgleich sehr variabel ausfallen. Das klingt erstmal gar nicht schlecht. Das ist allerdings auch erst das Bruttogehalt. Das Bruttogehalt verringert sich durch die Abzüge, die Ihr Arbeitgeber in Abhängigkeit von Ihrer Steuerklasse einbehält und weiter­

1

7

1.4 · Arbeitsvertrag

.. Tab. 1.1 Brutto-Gehalt Entgeltgruppe

Stufe 1

Stufe 2

Stufe 3

Stufe 4

Stufe 5

Stufe 6

Ä1 Assis­ tenzarzt

4.585,38

4.845,29

5.030,92

5.352,72

5.736,37

5.886,00

Ä2 Facharzt Ä3 Oberarzt Ä4 Ltd. Oberarzt

1. Jahr

2. Jahr

3. Jahr

4. Jahr

5. Jahr

6. Jahr

6.051,96

6.559,4

7.004,94

7.255,3

7.391,79

 7.580,43

4. Jahr

 5. Jahr

 6. Jahr

1. Jahr

2. Jahr

3. Jahr

7.580,43

8.025,97

8.663,34

1. Jahr

4. Jahr

7. Jahr

8.917,07

9.554,43

10.061,84

1. Jahr

4. Jahr

7. Jahr

leitet (u.a. Lohnsteuer). Hinzu kommen die Abzüge für Sozialversicherun­ gen (Renten-; Arbeitslosen-; Kranken- und Pflegeversicherungen). Sollten Sie eine private Krankenversicherung besitzen, so erhalten Sie von Ihrem Arbeitgeber einen bestimmten Zuschuss für die monatlichen Beiträge und müssen diesen zusammen mit Ihrem eigenen Anteil an die private Kran­ kenkasse weiterleiten. Weiterhin werden der Solidaritätszuschlag und ggf. die Kirchensteuer abgezogen. Im Monat zur Verfügung haben Sie die Summe nach Zulagen und Abzügen. Hintergrundinformation Junge Ärzte und Medizinstudenten trafen sich 1947 in Marburg, um sich über die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen Gedanken zu machen. Der Marburger Bund wurde gegründet. In seiner Geschichte erstritt er unter anderem, dass Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit zu bewerten sind (2003), was für die Anrechnung der Höchstarbeitszeit, Regelung von Ruhephasen und Dienstvergütung von Belang ist. Auch wurde auf Initiative des MB der „Arzt im Praktikum“ abgeschafft, sodass Sie nun als Berufseinsteiger als vollwertiger Arzt angesehen und auch so bezahlt werden. Der Marburger Bund gilt als „Ärztegewerkschaft“ und handelt u.a. mit den Arbeitgebern Tarifverträge aus. Dies soll aufzeigen, dass Sie als Arzt nicht alleine dastehen, sondern eine ganze Gewerkschaft hinter sich haben, die sich für verbesserte Arbeitsbedingungen auch einsetzt.

kkRentenversicherung Als Assistenzarzt sind Sie angestellt, damit sind Sie in der Bundesversiche­ rungsanstalt für Angestellte oder in der Landesversicherungsanstalt pflichtversichert. Auf Antrag können Sie sich allerdings auch davon be­

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

8

freien lassen und Mitglied in einem berufsständischen Versorgungswerk – in diesem Fall die Ärzteversorgung – werden. Hier werden die Rentenbei­ träge langfristig angelegt und gelten als „sicher“, daher gehören die meisten Ärzte einem solchen Versorgungswerk an. kkHaftpflicht Die Berufshaftpflichtversicherung ist eine absolute Notwendigkeit. Ich wünsche dies niemanden, aber stellen Sie sich vor, Ihnen unterläuft ein Behandlungsfehler und ein Patient nimmt ernsthaften Schaden. Die Mit­ arbeiter werden von der Klinik abgesichert, sodass Sie gegen Schäden, die im Sie Dienst und/oder grob fahrlässig jemanden zugefügt haben sollten, abgesichert sind. Wichtig ist nun zu klären, ob in Ihrem Arbeitsvertrag eine abgeschlossene Berufs-/oder Betriebshaftpflichtversicherung enthalten ist und das solch eine mit Arbeitsantritt in Ihrer Klinik abgeschlossen wurde. Außerdem ist es wichtig abzuklären, ob diese Versicherung auch Tätigkei­ ten außerhalb der Klinik abdeckt. Dies wird bei der Konsilliarpsychiatrie und Noteinsätzen bedeutsam. Praxistipp Eine Berufshaftpflichtversicherung ersetzt keine Rechtsschutzversicherung. Klären Sie, ob Sie eine haben.

1.5

Schweigepflicht und Datenschutz

Als Arzt verpflichten Sie sich zur Verschwiegenheit. Die Patienten ver­ trauen Ihnen und erzählen Ihnen im Rahmen einer psychotherapeutischen Therapie Dinge, die sie meist nicht mal ihren Familienmitgliedern offen­ baren. Daher ist vor allem für Sie als Psychiater die ärztliche Schweige­ pflicht ein sehr hohes Gut. Neben der ärztlichen Schweigepflicht (§203 StGB) und der Berufsord­ nung (MBO) sind die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) wichtig. Hier geht es um patientenbezogene Daten, die als schützenswert zu betrachten sind. Im Kern sollten Sie wissen, dass alle Patientendaten nur zum Zweck der jeweiligen Aufgabenerfüllung dienen sollen, außer der Pa­ tient stimmt Ausnahmen zu. Dies ist im Alltag nicht immer leicht umzusetzen. Als Psychiater erfah­ ren Sie manchmal Schicksale, die Sie ggf. nicht mehr loslassen und die Sie mit sich nach Hause nehmen. Ihr Umfeld oder Ihr Partner interessiert sich für das, was Sie so alles erleben. Daher ist auch im privaten Bereich beson­

1.6 · Korruptionsschutz bzw. Antikorruptionsgesetz

9

1

dere Aufmerksamkeit geboten. Manchmal lassen sich durch Krankheitsbil­ der und Schicksale Rückschlüsse auf die Person ziehen, auch wenn Sie den Namen verschweigen. Da ist dann selbst eine Stadt ein Dorf. 1.6

Korruptionsschutz bzw. Antikorruptionsgesetz

Seit 2016 ist das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheits­ wesen in Kraft, was auch niedergelassene Ärzte betrifft. Das Gesetz gegen Korruption ist 2005 erlassen worden. Sie als zukünftiger Facharzt, aber auch jetzt schon als Assistenzarzt sollten sich damit auseinandergesetzt haben, um mögliche Fallstricke zu kennen. Das Antikorruptionsgesetz wendet sich gegen Bestechung bzw. Bestechlichkeit bei Ärzten durch bspw. die Pharmaindustrie. Das Gesetz ist im StGB festgelegt:

ŮŮ § 299a StGB Bestechlichkeit im Gesundheitswesen ŮŮ Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder ŮŮ ŮŮ ŮŮ

die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufs einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er 1. bei der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von ­Medizinprodukten, 2. bei dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizin­ produkten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind, oder bei der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial einen anderen im inländischen oder ­ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Bestraft werden können, diejenigen, die bestochen worden sind, aber auch diejenigen, die bestochen haben. Korrupten Ärzten, Apothekern, aber auch Pflegekräften oder Physiotherapeuten drohen bis zu 3 Jahren Haft, in be­ sonders schweren Fällen sogar fünf Jahre. Wenn ärztliche Kollegen Geld oder andere Zuwendung dafür erhalten, dass sie z.B. bestimmte Medikamente verschreiben, dann ist das nicht nur korrupt, sondern schädigt den Ruf des gesamten Berufsstandes. Also ­passen Sie auf, wer Ihnen Ihre Fortbildung finanziert oder wer Ihnen da Geschenke anbietet. Rechtlich erfüllen allerdings nicht nur von diversen Industrien gesponserte Fortbildungen den Tatbestand der Korruption, sondern auch schon jedes Präsent, das über 5 Euro hinausgeht. Sichern Sie

10

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

sich ab, indem Sie von Ihrem Chef oder der Personalverwaltung eine schriftliche Genehmigung einholen, sollten Sie zu einer durch Dritte be­ zahlten Fortbildung eingeladen werden. 1.7

Sich selbst strukturieren – Formulieren von Zielen und Festlegen von Prioritäten

Sich selbst strukturieren gehört mit zum Alltag eines Arztes dazu. Viele denken, dass man dies schon gelernt hat, da man immerhin das Studium geschafft hat, dazu sämtliche Praktika, Famulaturen und Prüfungen. Ein klares „Jein“ ist wohl eher die Antwort. In der Assistenzarztzeit gibt es (meistens) niemanden mehr, der Ihnen vorschreibt, was als erstes gelernt werden muss oder welche Ziele Sie am Ende des ersten Jahres erreicht haben sollten. Wie viele Anamnesen haben Sie dann schon geschrieben? Haben Sie Angehörigen- oder Balintgruppen besucht? Die Universität hat bisher alles strukturiert, das merken Sie spätestens, wenn Sie sich ans Lernen setzen. kkStrukturierung der eigenen Weiterbildung Wer macht sich am Anfang schon Gedanken darüber, wo die Reise hin­ geht? Man möchte Psychiater werden und den Patienten in seinem Leid verstehen und dieses lindern können, oder? Doch es ist sinnvoll, sich recht früh über seine Ziele im Klaren zu sein und auch seine Präferenzen ab­ schätzen zu können. Schließlich möchte man auch nicht in Prag landen, wenn man nach Paris wollte (nichts gegen Prag, eine wunderschöne Stadt. Aber Sie verstehen das Bild.). Das müssen Sie am Ende u.a. nachweisen können: 1. Behandlung von ambulanten Patienten  Laut Ausbildungskatalog wird von Ihnen verlangt, dass Sie eine bestimmte Anzahl von Aufnahmen ge­ macht und Patienten behandelt haben. Diese Behandlungen sollten nicht nur im stationären Rahmen erfolgen, versuchen Sie, auch ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie es ist, wenn der Patient im ambulanten Setting zu Ihnen kommt. Solche Patienten treffen Sie in der Regel in einer PIA (Psychiatri­ schen Institutsambulanz), allerdings meist nicht gleich im ersten Jahr der Assistenzarztzeit. Befassen Sie sich aber rechtzeitig mit solchen Patienten, da in der Regel (je nach Verfahren) eine Psychotherapie durchaus 50 Stun­ den dauern kann (bei einer Stunde pro Woche können Sie sich ausrechnen, wie viel Zeit Sie brauchen). Diese Zeit wird gegen Ende Ihrer Ausbildung sonst sehr knapp.

1.7 · Sich selbst strukturieren

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1

Praxistipp Sehen Sie sich nach Möglichkeiten zur Behandlung ambulanter Patienten im zweiten oder dritten Lehrjahr um.

2. Anamnese  Wie sieht so eine Anamnese überhaupt aus? Im Studium haben Sie die unterschiedlichsten Anamnesestile kennengelernt. Von einer sehr kurzen und knappen Anamnese in der Chirurgie bis hin zu einer teilweise ausufernden Anamnese manch enthusiastischer Psychosomati­ ker. Die Anamnese inklusive dem psychopathologischen Befund gehört zu den Kernelementen in der Psychiatrie. Psychiatrie und Psychotherapie ge­ hören zu den „redenden Fächern“: Wir reden mit den Patienten bzw. die Patienten reden mit uns. Wir können und müssen zwar viele somatische Diagnosen ausschließen und nüchterne Werte gewinnen, doch das Verste­ hen des Patienten in seinem soziokulturellen und biografischen Kontext basiert u.a. auf der Krankheitsgeschichte. Dafür erheben Sie eine Anam­ nese. Wie diese aufgebaut sein kann wird in ▶ Abschn. 6.4 eingehender betrachtet. 3. Supervision  Auch wenn zum Thema Supervision umfangreiche Litera­ tur existiert, gibt es bislang keine einheitliche Definition der Supervision, ebenso existiert kein einheitliches Vorgehen im Sinne einer konkreten Technik. Vielmehr wird die Supervision durch die therapeutische Orien­ tierung, der Vorlieben und der Erfahrung des Supervisors bestimmt sein. Kurz gesagt bedeutet Supervision aber, dass jemand von außen einen Blick auf das wirft, was zwischen Ihnen und Ihrem Patienten vorgeht. An­ ders formuliert, ist es eine Art von Beratung für die Mitarbeiter. In der Supervision lernen die Mitarbeiter – als Gruppe oder Einzeln –, ihr Han­ deln zu prüfen und dann zu verändern. Dazu werden mit dem Supervisor Ziele vereinbart. Die Inhalte können die eigentliche Arbeit, die Dynamik zwischen dem Mitarbeiter und dem Patienten, die Zusammenarbeit im Team oder in der Klinik (Organisation) sein. Das Ziel der Supervision ist häufig die Verbesserung der beruflichen Kompetenz der Beteiligten und damit auch die Verbesserung von betrieblichen Abläufen. Supervision wird hauptsächlich in medizinischen, sozialen, therapeu­ tischen und pädagogischen Bereichen angewandt. Der Supervisor besitzt in der Regel eine entsprechende Ausbildung oder zumindest eine Quali­ fikation. Je nach Ausrichtung werden unterschiedliche Schwerpunkte ­gesetzt und eher analytisch, tiefenpsychologisch, klientenzentriert, syste­ misch usw. gedacht.

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Wenn eine Supervision erfolgreich ist, sollte sie ein Team oder den Einzelnen u.a. in die Lage versetzen mit teilweise sehr anstrengenden Ar­ beitsbedingungen umgehen zu können und diese für die Beteiligten zu erleichtern. Arten der Supervision Fallsupervision

Hierbei kommen Vertreter verschiedener Berufe oder eines Teams zusam­ men, um einen Patienten zu besprechen. Ziele sind zumeist die Entlastung der Betreuenden und die Verbesserung der Betreuung/Umgang mit dem Betroffenen. Die Gruppe ist dabei der Spiegel, wo Ressourcen und Kon­ flikte deutlich und entsprechende Lösungen gefunden werden. Der Betrof­ fene/Patient ist nicht anwesend. Beispiel: Patient auf einer Therapiestation. Es treffen sich Pflegekräfte, Ergotherapeuten, Sozialarbeiter, Oberarzt und Assistenzärzte. Einzelsupervision

Hier wird die Situation des Supervisanden im Einzelgespräch mit dem Supervisor besprochen. Inhalte sind meist das persönlichen Verhalten und die Werte, Gedanken, Gefühle und Erfahrungen des Supervisanden dem Patienten gegenüber. Im Vergleich zur Gruppensupervision ist es hier oft leichter, auch intimere Fragen einzubringen. Gruppensupervision

Hier können Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Institutionen oder auch Berufsfeldern aufeinandertreffen. Unter der Anleitung eines Super­ visors tauschen sie sich über ihre Erfahrungen und Schwierigkeiten aus. Ein großer Vorteil der Gruppensupervision besteht darin, dass die Teilneh­ mer die Möglichkeit haben, über ihren Tellerrand hinauszuschauen, da hier Erfahrungen aus den verschiedensten Bereichen zusammenkommen. Die Gruppe dient als Spiegel, wo Ressourcen oder Konflikte deutlich und anschließend Lösungen gefunden werden können. Teamsupervision

In diesem Setting steht der Umgang der Teammitglieder miteinander im Vordergrund. Der Inhalt einer Teamsupervision kann die Zusammenarbeit sein, aber auch Prozesse, Werte oder Ziele des Teams. Der Vorteil liegt dar­ in, dass das Erarbeitete gemeinsam in die Praxis umgesetzt werden kann. Intervision

Bei Intervision supervidieren sich die Teilnehmer gegenseitig ohne Super­ visor.

1.7 · Sich selbst strukturieren

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Ablauf der Supervision Der genaue Ablauf hängt vom Einzelfall ab, generell können folgende Phasen unterschieden werden: 55Identifizierung des Problems: Was ist der Anlass der Supervision? Welche Probleme sollen angesprochen werden? 55Informationssammlung: Welche Informationen benötigt der Supervisor, um sich ein Bild vom Problem des Supervisanden zu machen? 55Bearbeitung: Welche Lösungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung? 55Auswertung: Zu welchem Schluss kommen Supervisor und Supervisand? Welche Auswirkungen hat dies?

Trotz der unterschiedlichen Techniken und Herangehensweisen stellt jede Supervision eine persönliche Bereicherung für den Supervisanden dar. 4. Balintgruppen  Balintgruppen können als Arbeitsgruppen von unge­

fähr acht bis zwölf Ärzten verstanden werden, die sich unter psychothera­ peutischer Leitung regelmäßig treffen. Dabei werden in der Regel als schwierig empfundene Patienten besprochen. Das Ziel hierbei ist, eine verbesserte Arzt(Therapeut)-Patienten-Beziehung herzustellen. Die Idee dahinter ist, dass eine bessere Beziehung zu einem besseren Verständnis und letztendlich zu einer verbesserten Behandlung führen soll. Die Methode der „Balintarbeit“ wurde nach dem ungarischen Psy­ chiater Michael Balint (1896–1970) benannt. Er führte zunächst „Fallkon­ ferenzen“ mit Sozialarbeitern und später „Diskussionsseminare“ mit Haus­ ärzten durch. Ab Mitte der 1950er-Jahre wurde im British Medical Journal über diese besondere Methode der ärztlichen Weiterbildung berichtet. Das Kernelement der Balintgruppen-Arbeit ist der freie Bericht über ein Fallbeispiel. Eines der Gruppenmitglieder berichtet über einen Patien­ ten und seine Begegnung mit diesem. Im Anschluss untersucht die Gruppe gemeinsam die daraus erkennbare Arzt-Patienten-Beziehung. Dem Kon­ zept liegt das psychodynamische Krankheitsverständnis der Psychoanalyse zugrunde. Hierbei werden vor allem die Phänomene von Übertragung und Gegenübertragung; Regression, Abspalten, Verschieben, Reaktionsbildung etc. besonders beachtet. Zwei wichtige Fragen lauten also: Was macht der Patient mit dem Arzt? Was macht der Arzt mit dem Patienten? Wichtig ist die Abgrenzung zur Selbsterfahrung. Es geht nicht darum das Gruppenmitglied mit seiner eigenen Vergangenheit und der daraus resultierenden Dynamik mit bestimmten Patientengruppen zu analysie­ ren, sondern immer um die Beziehung zwischen Arzt und Patient.

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

5. Autogenes Training, PMR  Die klassischen Entspannungsverfahren. Nicht nur für Patienten zu empfehlen, laden sie durchaus auch zum Eigen­ gebrauch ein. Manche Therapeuten können nach einem stressigen Arbeits­ tag oder einer intensiven Therapiesitzung mit Hilfe von AT oder PMR wieder „runterkommen“. Das Autogene Training und die Progressive Mus­ kelrelaxation sind als Kassenleistung anerkannt. Das Ziel dieser Entspan­ nungsverfahren ist eine umfassende körperliche, aber auch seelische Ent­ spannung. Allgemein können Entspannungsverfahren im Rahmen einer nieder­ schwelligen Intervention als einzelne Verfahren eingesetzt werden. Aller­ dings bietet sich meist eine Kombination mit der eigentlichen psycho­ therapeutischen Therapie an. Die Anwendung der Verfahren ist dort ­angebracht, wo bspw. erhebliche innere oder körperliche Anspannung abgebaut werden soll, z.B. bei Ängsten und Phobien, bei Schlafstörungen, dysphorischer Stimmung, Nervosität, Stress aber auch bei Schmerzpatien­ ten mit oder ohne Muskelverspannungen. 1. Autogenes Training 44 Konzentrierte Selbstentspannung 44 Autosuggestive Methode zur Körperbeeinflussung 44 Die Standardübungen (sog. Unterstufe) werden im Liegen oder in der sog. Droschkenkutscherhaltung durchgeführt. 44 Mittels Suggestionssätze werden geübt: 55Ruhegefühl („Ich bin ruhig“) 55Schweregefühl („Arme und Beine sind schwer“) 55Wärmegefühl („Arme und Beine warm durchströmt“) 55Atemeinstellung („Es atmet mich“) 55Herzregulation („Herz schlägt ruhig/regelmäßig“) 55Regulation der Bauchorgane („Sonnengeflecht strömend warm“) 55Einstellung des Kopfgebietes („Stirn angenehm kühl“)

Um die Suggestion wieder zurückzunehmen (Desuggestion), gibt es die Formel: „Arme fest, einatmen, ausatmen, Augen wieder auf “. Die Unterstufe kann zur sog. Oberstufe führen, wo meditative Übun­ gen durchgeführt werden. 2. Progressive Muskelrelaxation (PMR) 44 Die PMR ist eine Methode, die durch Anspannung und eine an­ schließende Entspannung zu einer Muskelentspannung führen soll. Hierdurch wird neben der körperlichen auch eine psychische Ent­ spannung angestrebt. 44 Nacheinander werden die einzelnen Muskelpartien in einer bestimm­ ten Reihenfolge zunächst angespannt, dann wird die Muskelspan­ nung kurz gehalten und im Anschluss wird die Spannung wieder

1.7 · Sich selbst strukturieren

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g­ elöst. Die Konzentration wird dabei auf den Wechsel zwischen Anund Entspannung gerichtet. Zugleich soll der Patient auf die Empfin­ dungen achten, die mit diesen unterschiedlichen Zuständen einhergehen. 44 Ziel sind, die Muskelanspannung zu lösen, und eine verbesserte ­Körperwahrnehmung. 44 Der Patient soll außerdem lernen eine muskuläre Entspannung her­ beizuführen, wenn dieser es möchte. 44 Durch die körperliche Entspannung können auch Unruhe und/oder Erregung reduziert werden. Nicht jedes Entspannungsverfahren ist für jeden Patienten geeignet. Bei Patienten mit psychosenahen Zuständen oder Patienten, die zu Dissozia­ tion neigen, ist z.B. das autogene Training nicht unbedingt das Entspan­ nungsverfahren der ersten Wahl. Probieren Sie für sich verschiedene Verfahren aus, um selbst Unter­ schiede zu spüren. 6. Selbsterfahrung  Es gibt keine Vorgabe, ob die Selbsterfahrung im Ein­

zel – oder in einem Gruppensetting durchgeführt werden sollte. Dies ist ganz allein Ihre Entscheidung und persönlicher Präferenz geschuldet. ­Beides kann sehr interessant und lehrreich sein. Für die Facharztprüfung brauchen Sie insgesamt mindestens 150 Stunden unter einem anerkannten Therapeuten. Überprüfen Sie hier unbedingt vorher, ob derjenige, der die Selbsterfahrung leitet, von der Ärztekammer anerkannt ist. Es ist Ihnen überlassen, ob Sie die Selbsterfahrung zu Beginn, in der Mitte oder gegen Ende Ihrer Ausbildung beginnen. Sie hängt auch von der Therapie-Richtung ab, für die Sie sich letztendlich entscheiden. Tiefenpsy­ chologisch und analytisch ausgerichtete Kollegen werden ihre Selbsterfah­ rung ebenfalls tiefenpsychologisch/analytisch durchführen müssen, wobei die Verhaltenstherapeuten eine verhaltenstherapeutische Selbsterfahrung machen. Viele entscheiden sich bereits im ersten Ausbildungsjahr für den Be­ ginn ihrer Selbsterfahrung. Dies ist insofern sinnvoll, da Sie bereits mit schwierigen Patienten konfrontiert werden und je besser Sie wissen, wie Sie ticken, desto besser können Sie mit schwierigen Arzt(Therapeut)-Patien­ ten-Beziehungen umgehen. In der Selbsterfahrung geht es vor allem um die Reflexion des Selbster­ lebens. Wenn Sie beispielsweise mit einem bestimmten Typus von Patien­ ten immer wieder Probleme haben, sollten Sie an dieser Stelle das eigene Erleben und Handeln unter dem Blickwinkel Ihrer eigenen Biografie be­ trachten und hinterfragen.

Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

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7. Lumbalpunktionen  Sie brauchen den Nachweis, dass sie eine Reihe von Lumbalpunktionen durchgeführt haben. Am besten lassen Sie sich diese direkt vom supervidierenden Neurologen bestätigen. 8. Gutachten  Wenn in einer Sache Unklarheiten bestehen, dann werden

Sachverständige zu Rat gezogen. Dieser Sachverständige sind irgendwann Sie. Jemanden begutachten, das heißt jemanden unter bestimmten Frage­ stellungen zu betrachten. Anders als in der Praxis oder dem Stationsdienst sind die gutachterlich tätigen Ärzte verpflichtet, dem Gericht Antworten zu geben und stehen hierbei nicht unter Schweigepflicht. Das sollte man als Gutachter dem zu Begutachtenden zu Beginn mitteilen. Es gibt verschiedene Arten von Gutachten: 1. Betreuungsgutachten 2. Sozialgerichtliche Gutachten 3. Forensische Gutachten Diese werden – je nach Aufwand – unterschiedlich vergütet. Zu Beginn werden Sie eher nichts mit Gutachten zu tun haben, aber es schadet nicht, sich mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. Praxistipp Überprüfen Sie, was der Katalog der jeweiligen Ärztekammer verlangt. Schauen Sie, ob Ihr Arbeitgeber Ihnen ein „Logbuch“ mit auf dem Weg gibt, damit Sie in Ihrer Ausbildung einen Überblick über die bereits ­geleisteten Ausbildungsinhalte und die, die noch zu erbringen sind, besitzen.

Sie werden als Psychiater nicht nur Medikamente verschreiben, sondern auch therapeutisch wirken. Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit den gängigen Therapieverfahren, die in Deutschland von den Kassen aner­ kannt werden. Natürlich gibt es zahlreiche Mischformen und andere Ver­ fahren, wobei an dieser Stelle auf die entsprechende Literatur verwiesen wird. Im ersten Jahr sollten Sie sich einen Überblick über die gängigen Verfahren verschafft haben. 1.8

Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

Das Schöne an unserem Beruf ist, dass wir etwas mit Worten verändern können. Hierfür gibt es verschiedene Psychotherapieverfahren, die in

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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Psychotherapieverfahren

von den Kassen anerkanntes Verfahren

wissenschaftlich anerkanntes Verfahren

andere Verfahren

Psychoanalyse TP VT

Gesprächspsychotherapie

Psychodrama etc.

..Abb. 1.1 Psychotherapieverfahren

Deutschland zugelassen und anerkannt sind (. Abb. 1.1). In der täglichen Praxis werden sie jedoch selten in ihrer reinen Form durchgeführt, viel häufiger begegnet man Mischformen. Wichtig ist, dass die Beziehung zwi­ schen Patient und Therapeut gut und tragfähig ist. kkVerhaltenstherapie Die Verhaltenstherapie ist eines der gesetzlichen Krankenkassen anerkann­ ten Verfahren. Sie kommt im Einzel-, Paar-, Familien- und im Gruppen­ setting sowohl im stationären, teilstationären als auch im ambulanten ­Setting zum Einsatz. Gegen Ende der 1950er-Jahre entwickelte sich die Verhaltenstherapie als eigenständiges psychotherapeutisches Verfahren. Sie entstand aus der Anwendung experimentalpsychologischer Prinzipien auf klinische Pro­ bleme bzw. Fragestellungen. Vornehmlich basiert sie auf empirischen ­Untersuchungen zu Lernprozessen und der Erforschung beobachtbaren Verhaltens und war eng mit der Entwicklung der klinischen Psychologie verbunden. Die innerpsychischen Prozesse wurden im Sinne einer „BlackBox“ zunächst nicht berücksichtigt. Die Verhaltenstherapie machte einen enormen Entwicklungssprung, als ab den 1960er-Jahren zwei Bedingungen aufeinandertrafen: 44 Zunehmende Erfolge der Grundlagenforschung zu lerntheoretischen Erklärungen klinischer Phänomene 44 Zunehmende Kritik an der geringen Effektivität der vorhandenen psychotherapeutischen Verfahren (vorerst tiefenpsychologische Ver­ fahren) und deren mangelhafter empirischer Basis

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Bewältigungsstrategien angeborene Vulnerabilität (genetische Vorbelastung etc.) Belastungen (z.B. kritische Lebensereignisse)

Frühsymptome Schutzfaktoren

psychische Erkrankung

Therapie; sich Unterstützung holen

soziale Kontextfaktoren ..Abb. 1.2  Multifaktorielle Genese

Zu etwa der Zeit wurden Berichte aus England, den USA und Südafrika unabhängig voneinander veröffentlicht, die über große Erfolge bei der Be­ wältigung von Ängsten mittels lernpsychologischer Maßnahmen berichte­ ten. Dies zusammen mit den beiden anderen Faktoren gab den Anstoß für die weitere Entwicklung der Verhaltenstherapie. Oft unterschätzen Kliniker die Bedeutung schützender und salutoge­ ner Prozesse. Dafür überschätzen sie die Bedeutung pathogener Bedingun­ gen. Darüber hinaus setzen die unterschiedlichen Therapeuten bzw. Be­ rufsgruppen unterschiedliche Schwerpunkte. Die Verhaltenstherapie kon­ zentriert sich neben den auslösenden auch auf die aufrechterhaltenden Faktoren. In der modernen Psychiatrie wird von einer multifaktoriellen Genese psychischer Erkrankungen ausgegangen (. Abb. 1.2). jjVulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell Das Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell (. Abb. 1.3) erklärt die Krank­ heitsmanifestation als ein Zusammenspiel aus einer angeborenen und/oder erworbenen Vulnerabilität und hinzukommenden Stressoren sowie auf der anderen Seite protektiven Faktoren (z. B. positiv unterstützende Umge­ bungsfaktoren und erfolgreiche Bewältigungsstrategien wie soziale Kom­ petenz und Problemlösefähigkeiten; . Abb. 1.3). Im Verlauf der 1960er-Jahre basierte die Entwicklung der Verhaltens­ therapie auf der parallel laufenden Entwicklungen zur Erforschung des Lernens auf der Basis von klassischen oder operanten Theorien, aber auch von kognitiven Ansätzen, die implizites Lernen in den Vordergrund rück­

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1 Krankheit

Schwelle Stress

Coping Stress

Vulnerabilität

Vulnerabilität

..Abb. 1.3 Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell

ten. Ergebnisse von Wolpe, Eysenck, A. Bandura und schließlich auch F. Kanfer prägten in dieser Zeit diesen therapeutischen Ansatz. Es wurden immer mehr auch die intrapsychischen und nicht mehr nur die unmittel­ bar beobachtbaren Prozesse im Individuum miteinbezogen. Sozialpsycho­ logische Lerntheorien (z.B. Lernen am Modell), menschliche Informa­ tionsverarbeitungstheorien und kognitive Modelle wurden zur Erklärung menschlichen Verhaltens immer öfter mit einbezogen (kognitive Wende). jjKognitive Wende Auch als die „zweite Welle der Verhaltenstherapie“ bezeichnet, wurde ­wesentlich von A.T. Beck und A. Ellis begründet, die mit ihren Ansätzen u.a. für die Behandlung depressiver Störungsbilder einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Anzumerken ist, dass beide Therapeuten aus der psycho­ analytischen Richtung kamen. Beck entwickelte am Beispiel der Depression (aber auch der Angst- und Zwangsstörung) die Theorie typischer depressiver Gedanken. Letztendlich gehört das von A. Lazarus begründete multimodale verhaltenstherapeuti­ sche Verfahren zu den drei Verfahren, welche die Wandlung zur kognitiven Verhaltenstherapie einleiteten (oder auch „kognitiv-behaviorale Thera­ pie“). Lazarus vertrat die Ansicht, dass neben dem eigentlichen Verhalten auch Wahrnehmung, Affekte, Vorstellungen, interaktionelle Variablen und Kognition für die Veränderung von Verhalten wichtig sind.

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Meichenbaum erweiterte die kognitive Therapie um seine Theorien zur Selbstinstruktion. Praxistipp Kognitive Modelle erklären Verhalten als Konsequenz überdauernder Vorstellungen, Wahrnehmungen oder Denkmuster. Mittels Analyse (der Denkmuster), Reattribuierung (Ersetzen dysfunktionaler Kognition durch realitätsgerechter, angemessener Kognition) und Selbstinstruk­ tion sollen dysfunktionale Denkmuster und Wahrnehmungen verändert werden. Zu den kognitiven Verfahren gehören: 55Rational-emotive Therapie nach A. Ellis 55Kognitive Therapie nach A. T. Beck 55Selbstinstruktionsverfahren nach D. W. Meichenbaum

jj3. Welle Nach den lerntheoretischen Ursprüngen und der kognitiven Wende ist seit einigen Jahren die sogenannte dritte Welle der Verhaltenstherapie etabliert, in die u.a. Konzepte von Achtsamkeit und Akzeptanz mit einbezogen ­werden. Darüber hinaus werden biologische, behaviorale, kognitive und psychodynamische Ansätze unter Betrachtung des therapeutischen und sozialen Umfeldes beachtet. Zahlreiche Entwicklungen zeigen den Versuch, schulenübergreifend unterschiedliche, wirksame Behandlungskomponenten in den therapeuti­ schen Ansatz zu integrieren. So verband die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) nach Klerman und Weissman Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie mit Kom­ ponenten verschiedener Therapieverfahren zu einem multidimensiona­ len  Therapieansatz. Die Betonung liegt hierbei auf den interpersonalen Bezügen. Zur dritten Welle gehören Psychotherapieformen, die von der An­ nahme ausgehen, dass frühere traumatische oder sehr intensive Erfahrun­ gen den Beziehungsaspekt und/oder die emotionale Erfahrung prägen und diese in den Vordergrund rücken. Hierzu gehören: 44 Cognitive Behavioural Analysis System of Psychotherapy (CBASP) nach J. McCollough zur Behandlung chronischer Depression 44 Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) nach M. Linehan 44 Schematherapie nach J. E. Young zur Behandlung von Persönlich­ keitsstörungen

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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1

Auch Behandlungsverfahren, die versuchen fernöstliche Traditionen in die kognitiven Therapieansätze zu integrieren, gehören zu dieser Welle. Beispiele hierfür sind: 44 Mindfulness based Cognitive Therapy (MBCT) nach u.a. Z. Segal 44 Akzeptanz- und Commitment-Therapie nach S. C. Hayes Die genannten Therapieformen verbindet der Versuch, störungsspezifi­ sche und individualisierte Vorgehensweisen durch eine Verschmelzung verschiedener Schulen und eine Erweiterung der vorhandenen Programme um neue Ansätze zu etablieren. jjModelle Die Verhaltenstherapie betrachtet Störungen als Ergebnis von Lernprozes­ sen. Grundlagen hierfür sind die Theorien des Lernens, die sich in Kondi­ tionierungsmodelle (klassisch und operante Konditionierung) sowie kog­ nitive Lernmodelle (Lernen am Modell und kognitives Lernen) unterteilen lassen. Der Begriff der klassischen Konditionierung ist untrennbar mit I. Pawlow (1849–1936) und J. Watson (1878–1958) verbunden. Die Pawlow­ schen Experimente hatten vornehmlich den konditionierten Speichelreflex bei Hunden zum Inhalt. Watson übertrug das Prinzip der klassischen Kon­ ditionierung dann auf den Menschen. jjTherapie mit VT Es existieren verschiedene therapeutische Techniken und Behandlungs­ strategien in der Verhaltenstherapie, die miteinander kombinierbar sind. Grundlage der Therapie ist immer eine konkrete Therapieplanung mit ver­ haltenstherapeutischer Diagnostik. Dazu gehören auch die Lerngeschichte des Patienten sowie eine Verhaltens- und Problemanalyse auf der Symp­ tomebene. Die Funktionsanalyse erfasst die Funktion der Symptomatik für den Patienten selbst, aber auch für seine Umwelt. Bei der Verhaltensanalyse hat sich das SORKC-Modell durchgesetzt (. Abb. 1.4). Ein Stimulus (S) bringt beim Organismus (O) eine Reaktion (R) hervor. Es folgen Konsequenzen (K). Die Kontingenz (C) beeinflusst zusammen mit der Konsequenz das Ausbilden und/oder Aufrechterhalten des Verhaltens/der Reaktion (R). Für spezielle Erkrankungen wurden im Verlauf auch Therapiemanuale entwickelt, die spezielle Therapieprogramme enthalten und unterschiedli­ che Techniken der VT kombinieren.

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Stimulus z.B. Fahrstuhl

Organismus erhöhte Angstbereitschaft Reaktion Herzrasen Angst

Kontingenz

Konsequenz

Reduktion der Angst Vermeidung

..Abb. 1.4 SORKC-Schema

kkTiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie gehört wie die Psycho­ analyse zu den sogenannten psychodynamischen Psychotherapien. Hier besteht das Behandlungsprinzip in einer Bearbeitung unbewusster ­Konflikte, die u.a. zu krankheitswertigen psychischen Störungen führen können. Die Therapie findet unter Berücksichtigung von Übertragung und Gegenübertragung sowie Widerstand statt. Je nach Verfahren ist der Fokus eher auf die Vergangenheit oder dem Arbeiten im Hier und Jetzt gerichtet. Auch sind die einzelnen Sitzungen in Abhängigkeit vom Verfahren eher unstrukturierter (Mittel: freie Assoziation) oder stärker strukturiert (Mit­ tel: Fokussierung). Der Therapeut kann je nach gewähltem Verfahren mit Interventionstechniken aktiver oder aber zurückhaltender eingreifen. In diesem Verfahren wird die unbewusste Psychodynamik aktuell wirksamer neurotischer Konflikte unter Berücksichtigung von Übertra­ gung, Gegenübertragung und Widerstand behandelt. Merkmal ist ein so­ genanntes konfliktzentriertes Vorgehen. Die Regression des Patienten wird eingeschränkt und das Behandlungsziel wird begrenzt. Die Frequenz der Sitzungen ist im Vergleich zur Psychoanalyse deut­ lich niedriger – gewöhnlich einmal in der Woche. Die Stundenzahl ist ­deutlich reduziert. Auch sitzen sich Therapeut und Patient gegenüber. Die Couch wird hier nicht verwendet. Da die tiefenpsychologische Therapie mit verschiedenen Mitteln arbeitet und es Überschneidungen mit der Psy­ choanalyse gibt, werden im Folgenden einige Begriffe erklärt, die in beiden Richtungen relevant sind. jjÜbertragung Die Bilder, die wir uns von Menschen in der Gegenwart machen, werden von inneren Bildern beeinflusst, die aus unserer Wahrnehmung anderer Personen entstanden sind. Das bedeutet, dass frühere Beziehungen in ge­

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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genwärtigen Beziehungen partiell miterlebt werden. Auch frühere Kon­ flikte können in einer neuen Beziehung eine Rolle spielen. Die Übertragung ist die Neuinszenierung verinnerlichter früher Erfah­ rungen in der gegenwärtigen Beziehung. Anders gesagt bedeutet Übertra­ gung also, dass eine frühere Beziehungserfahrung (und/oder ein Bild) mit einer Person auf eine andere Person „übertragen“ wird („So wie Sie mich grad ansehen, sind Sie wie meine Mutter/mein Vater“). jjGegenübertragung Zur Übertragung gehört die Gegenübertragung, d.h. eine Übertragung von Seiten des Therapeuten. Übertragung und Gegenübertragung sind einer­ seits eine Einheit, weil sie aufeinander hinweisen, und andererseits ein ­Widerspruch, weil sie getrennt voneinander gehalten werden müssen. Interaktive Gegenübertragung kann auf verschiedene Arten stattfinden: 44 Der Therapeut erkennt die unbewussten affektiven Beziehungs­ angebote nicht. 44 Der Therapeut nimmt die Beziehungsangebote wahr und reagiert wie ein empathischer Laie auf Sie. Folgt offen dem Beziehungsangebot. 44 Der Therapeut nimmt das Beziehungsangebot wahr und reagiert nun reziprok. Empfindet es aber als unangemessen und kann sich aber nicht dagegen wehren. Agiert nun seine Gegenübertragung aus, ohne es zu merken. Dies ist eine der häufigsten Form des Scheiterns unter gut ausgebildeten Therapeuten. 44 Der Therapeut nimmt das Beziehungsangebot wahr. Kann dies als fremdinduziertes Gefühl wahrnehmen und in sich aufbewahren („contain“), um dann anders zu antworten, als das Erzwungene vor­ gibt. Der Therapeut zeigt die Affekte, die dem Patienten fehlen. Das Verstehen ist an das Wiedererleben der fehlenden Affekte zuerst im Therapeuten gebunden. jjWiderstand Eigentlich doch widersprüchlich, wenn ein Patient, der aktiv Hilfe auf­ sucht, Widerstand in der therapeutischen Arbeit leistet, oder? Frei nach Freud (1900): „Alles was die Fortsetzung der Arbeit stört, ist Widerstand.“ Der Patient sucht Hilfe und macht in der therapeutischen Arbeit die Erfahrung, dass der Prozess der Veränderung ängstigen kann, da das bis dahin erreichte Gleichgewicht eine gewisse Stabilität bzw. Sicherheit bietet, auch wenn es mit schweren Einbußen von innerer oder äußerer Bewe­ gungsfreiheit einhergeht. Aufgrund dieses Gleichgewichts werden unbe­ wusst Ereignisse erwartet. Das Gleichgewicht trägt erheblich zur Reduk­ tion von Unsicherheit und Angst bei. Nun kommen Sie als Therapeut und rütteln an diesem Gleichgewicht. Der auftretende Widerstand hat die

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

Funktion, das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, sodass der Patient weni­ ger Angst haben muss. Daher gilt: 44 Der Widerstand ist Teil des therapeutischen Prozesses. 44 Er auf die bewusst angestrebten, aber unbewusst befürchteten Ver­ änderungen bezogen. Widerstand kann alles sein, was die therapeutische Arbeit behindern kann. Es kann das Zuspätkommen des Patienten sein oder aber das Verliebtsein in den Therapeuten/Therapeutin. Er kann, 44 Schweigen, 44 Versäumen von Stunden, 44 „Missverstehen“ aller Äußerungen des Therapeuten, 44 Abbruch der Therapie sein. Sehen Sie den Widerstand aber nicht als etwas an, was Sie nun unbedingt „aufbrechen“ müssen. Nehmen Sie ihn mit in die Therapie. Klären Sie, wie und warum der Widerstand auftritt, und nehmen Sie an dieser Stelle wahr, dass der Patient Veränderungen will, aber diese auch fürchtet. jjDeutung Die Deutung gehört essentiell zum therapeutischen Prozess. Deuten bedeu­ tet nach Greenson (1973, S. 109), einen unbewussten oder vorbewussten Vorgang bewusst zu machen. Daher ist das Deuten quasi das Kernstück der Behandlungstechnik. Im klassischen Sinne wird das Deuten als Offenlegung von unbewussten Inhalten verstanden. Es ist auch von aufdeckender Arbeit zu sprechen. Alles, was der Patient in der Stunde mitbringt –, also seine Er­ lebnisse, Erfahrungen oder auch Begegnungen mit anderen Menschen, sind zwar bewusste Äußerungen, enthalten aber auch unbewusste Botschaften. Diese unbewussten Inhalte können verschiedene Dimensionen bein­ halten. So geht es bei Patienten mit einer Strukturpathologie um Grund­ gefühle und basale Befindlichkeiten. Hier dient das Deuten dazu, Ich-Zu­ stände und Gefühlszustände der Patienten in Worte zu fassen und diese aus der Latenz oder aus dem Unbewussten bewusst zu machen. Bei anderen Patienten steht eher eine Konfliktpathologie im Vorder­ grund, also unbewusste Konfliktszenen bzw. verdrängte Konflikte. Deu­ tungen heben diese unbewussten Beziehungserfahrungen (Konflikte) ins Bewusstsein. Der Therapeut fungiert quasi als Übersetzer für den Patienten. Ziel der Deutung ist, dass der Patient einen Zugang zu Dingen erhält, die über das bewusste Verständnis von sich selbst hinausgeht.

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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Die klassische Strategie der Deutung besteht im Wesentlichen aus drei Schritten: 1. Konfrontation: Der Therapeut macht den Patienten einfühlsam auf ein bestimmtes Phänomen aufmerksam. 2. Klärung: Durch Fragen kann dieses Phänomen geklärt werden. Zur Klärung gehören alle Interventionen, die zum Verständnis des Phänomens beitragen. 3. Interpretation: Der Therapeut kann dem Patienten das Phänomen ­interpretieren und erklären, wozu dieses dienen könnten. Es gibt verschiedene Arten der Deutungen: 44 Inhaltsdeutung 44 Übertragungsdeutung 44 Widerstandsdeutung Aber auch Nichtdeuten ist im therapeutischen Arbeiten wichtig. Sie wer­ den es im Behandlungssetting erleben und auch selbst ausprobieren, wann eine Deutung gut und förderlich ist und wann sie sich mit Deutungen zu­ rückhalten sollten. kkDer Therapeut – also: Sie Ein sehr wichtiger Aspekt im Rahmen der Behandlung mit dieser Methode sind Sie selbst. Als Therapeut sind Sie der Wirkfaktor. Hierfür ist die Hal­ tung des Therapeuten essentiell. Dieser sollte 44 nicht moralisierend, 44 neutral, 44 abstinent (therapeutische Abstinenz) 44 konfliktorientiert sein 44 und ein biopsychosoziales Verständnis mitbringen. Was geschieht nun in einer Therapie? Hier sind Überschneidungen zwi­ schen der tiefenpsychologischen Psychotherapie und der Psychoanalyse zu sehen. Der Patient kommt zu einem Therapeuten... ...und nimmt diesen aufgrund früherer Erfahrungen und der unbe­ wussten Erwartungen zunächst als das wahr, was der Herstellung und der Wiederholung seiner Wahrnehmungsidentität dient. Durch Interpretation entfaltet bzw. gestaltet sich im weiteren Verlauf die Übertragung in der therapeutischen Beziehung. Dann wiederholt sich aber nicht alles, da durch die Deutungen des Therapeuten die Selbsterkenntnis des Patienten gefördert wird. Hierbei soll

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

es zur Überwindung unbewusster Widerstände kommen und der Patient erlangt neue Einsichten. Diese Einsichten können dann beim Patienten eine Wirksamkeit entfalten und in sein Erleben eingreifen. Das Erleben wird im Vorgang des Durcharbeitens verändert, was sich dann im Alltag fortsetzt. Diese Veränderungen führen u.a. zu neuen Erfahrungen, welche vom Patienten wahrgenommen werden. Symptome werden „nicht mehr gebraucht“ und verschwinden. Oder auch anders formuliert: Indem der Patient frühere Beziehungs­ erfahrungen mit dem Therapeut als Gegenüber durchlebt und dieser ­unbewusste Übertragungen deutet, erlangt der Patient (im Besten Falle) die Möglichkeit sich Konflikte bewusst zu machen, sodass sich immer wieder­ holende Verhaltensmuster aufgebrochen werden können. Auch wenn sich das zu Beginn der Ausbildung immer ein wenig ab­ strakt anhört, macht es in der Praxis doch einen unglaublichen Spaß. ­Spätestens dann, wenn Sie merken, dass Sie mit Ihren Deutungen etwas bewegen. kkDie „klassische“ Psychoanalyse Eine Couch und dahinter – außerhalb des Blickfeldes – der Analytiker – das (oder so ähnlich) ist das klassische Bild von der Psychoanalyse. Die Psychoanalyse gehört zu den psychodynamischen Verfahren und wird in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen als Pflicht­ leistung anerkannt. Sie wird im ambulanten sowie im stationären bzw. teil­ stationären Bereich eingesetzt. 1900 gilt als das Geburtsjahr der Psychoanalyse, als Sigmund Freuds (1856–1939) „Die Traumdeutung“ erschien. Obwohl der Beginn auch auf 1895 datiert werden kann, wo er „Entwurf einer Psychologie“ ausarbeitete und mit J. Breuer zusammen die „Studien über Hysterie“ herausgab. Der Psychoanalyse zugrunde liegt die Annahme, dass unbewusste Konflikte, die in der frühen Eltern-Kind-Beziehung verwurzelt sind, durch eine ­aktuelle Psychodynamik die zugrunde liegende neurotische Struktur des Patienten bedingen. Eine derart ausgerichtete Therapie soll diese unbe­ wussten Konflikte bewusst machen, sodass der Patient zu einer tieferen Einsicht in die Ursachen seines Leides gelangen kann. Die von Freud entwickelten Ideen und Gedanken sind in verschiedene Therapieformen eingeflossen, die nicht nur psychoanalytisch ausgerichtet waren. Ferner beeinflussen sie die Art, wie Kinder in der Schule und der Familie erzogen werden. Die Psychoanalyse hat das Denken und Verstehen des Menschen in der westlichen Welt im 20. Jahrhundert zutiefst geprägt.

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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jjModelle der psychoanalytischen Therapie nach S. Freud: 44 Topografisches Modell mit Unterbewusstsein, Vorbewusstsein und Bewusstsein 44 Im Vorbewusstsein vorhandene Inhalte sind dem Bewusstsein recht leicht zugänglich 44 Das Unterbewusstsein ist der Sitz der Triebe. Inhalte aus dem Unter­ bewusstsein sind nicht leicht zugänglich und kommen unter be­ stimmten Umständen ins Bewusstsein, z.B. „sich versprechen“ („Freudscher Versprecher“) oder in Träumen. 44 Struktur-/Instanzenmodell 44 Entwicklungspsychologisches Modell j jDas Instanzenmodell Dieses Modell dürfte (fast) jedem ein Begriff sein. Hiernach setzt sich die menschliche Psyche aus drei Instanzen zusammen: Ich, dem Es und dem Über-Ich. Es: Das Es agiert nach dem Lustprinzip, d.h. der sofortigen Bedürfnis­ befriedigung. Es ist der Sitz der unbewussten Triebe, die sich durch z.B. Affekte, Impulse oder Vorstellungen äußern. Ich: Das Ich ist der Vermittler zwischen den Trieben, dem Über-Ich und der Realität. Zumeist hat es die Aufgabe der Kompromissbildung zwi­ schen den Instanzen und der Realität. Das Ich kann daher Impulse aus dem Es verändern, einschränken oder ganz zurückweisen, was als Ich-Zensur bezeichnet wird. Diese Abwehr wurde später durch Anna Freud anhand verschiedener Abwehrmechanismen detailliert beschrieben. Über-Ich: Das Über-Ich stellt die moralische Instanz dar. Hier finden sich verinnerlichte Normen, Werte und Ideale (u.a. Ich-Ideal). Kennzeichnend für diese Richtung ist die Vorstellung von Triebimpulsen („Triebtheorie“). Freud beschrieb zuerst die Dualität von Thanatos und Eros, die er als Motor allen Handelns ansah. Die Annahme lautet, dass das Kind diese beiden Triebe in sich trägt, allerdings auf die Verwirklichung solcher sexuellen (und aggressiven) Impulse verzichten lernen muss, die nicht mit den Moralvorstellungen der Eltern übereinstimmen. Dieser Ver­ zicht gelingt jedoch häufig nicht. Aufgrund der Angst vor der zu erwarten­ den Strafe durch die Eltern kommt es nun zu einer Verdrängung. Die ver­ drängten Triebimpulse sind allerdings nicht weg, sondern geben Anlass zur Phantasiebildung, in denen der ursprüngliche Triebimpuls mehr oder weniger gut zu erkennen ist bzw. verborgen ist. Das heranwachsende Kind verinnerlicht die elterlichen Gebote und Forderungen, sodass sich allmäh­ lich Über-Ich, Ich und Es als psychische Strukturen herausbilden und so die Triebimpulse regulieren. Allerdings wird ein großer Teil der Wahrneh­ mung und des Handelns noch immer von den unbewussten Phantasien

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

geleitet. Wenn der Aufforderungscharakter der äußeren Realität stark ge­ nug ist, kann es zu einem Durchbruch des verdrängten Triebs kommen, der in einem Symptom gebunden wird. Dieses stellt dann den Kompromiss aus dem verdrängten Triebwunsch und dem vorhandenen Über-Ich dar. Dementsprechend ist anzumerken, dass der Mensch ein konfliktträch­ tiges Wesen ist. Unzählige unterschiedliche Situationen fordern die kindli­ chen Triebwünsche und die elterlichen Normen heraus. Über-Ich und Es prallen aufeinander und unser Ich muss vermitteln (Denken Sie daran, wenn Sie morgens aufstehen müssen und eigentlich noch schlafen wollen). Angelehnt an dieses Strukturmodell können auch neurotische Störun­ gen als Ausdruck von Schwierigkeiten auf der Ich-/Über-Ich- oder EsEbene verstanden werden. So kann das Ich beispielsweise schwach ausge­ bildete sein und zwischen den beiden anderen Instanzen nur defizitär vermitteln, oder aber das Über-Ich ist zu rigide oder das Es ist zu stark. Im Zuge dieser Konflikte treten Abwehrmechanismen auf, die zur Unterdrü­ ckung von Triebimpulsen oder aber zu Ersatzbildungen führen. Nach der klassischen Psychoanalyse können die ins Unbewusste abge­ wehrten Triebimpulse durch indirekte Methoden wie freie Assoziation, Traumdeutung oder Hypnose dem Bewusstsein wieder zugänglich ge­ macht werden. Abwehrmechanismen: 55Verdrängung: „Das habe ich total vergessen...“ 55Isolierung: „Ich empfinde keine Wut...“ 55Verleugnung: „Ich bin überhaupt nicht wütend!!!“ 55Projektion: „Du bist echt sauer...“ („Ich nicht...“) 55Verschiebung: „Ich bin wütend auf den Patienten.“ (und nicht auf meinen Oberarzt, der ist gefährlicher...) 55Rationalisierung: „Ich habe das Auto zerstört, weil es rot war.“ 55Sublimierung: „Ich komponiere eine Oper über das Thema Wut.“

Es gibt zahlreiche Abwehrmechanismen. Diese sind nicht nur wichtig, da­ mit Sie in Prüfungen mit Wissen glänzen können, sondern helfen auch den Patienten besser zu verstehen. Wichtig ist, dass dies keine bewusst einge­ setzten Verhaltensweisen sind, sondern unbewusste Vorgänge, die das Ich des Patienten vor Verletzungen schützen sollen. In einem bestimmten Le­ bensabschnitt waren bestimmte Abwehrmechanismen sinnvoll. Später, wenn sie dann Schwierigkeiten bereiten, kann man sich überlegen, wie damit umgegangen werden kann. Freud ist nicht nur für sein Instanzenmodell bekannt, sondern hat auch postuliert, dass jeder Mensch als Kind psychosexuelle Phasen durchläuft.

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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Störungen in diesen Phasen können sich im Verlauf des späteren Lebens in Form psychischer Erkrankungen zeigen. jjPhasen nach Freud: Orale Phase (1. Lebensjahr)  In dieser Phase steht der Lustgewinn durch (Nahrungs-)Aufnahme im Vordergrund. Das Kind ist ganz auf sich fixiert. Es lernt, die Mutter und andere Menschen als Objekte in seine Welt zu in­ tegrieren (Abgrenzung Selbst-/Objekterleben). „Oraler Charakter“: selbstbezogen, gierig, fordernd, passiv-abhängig, Tendenz zu oraler Bedürfnisbefriedigung (Essen, Trinken, Rauchen). ­Viele Patienten aus dem Suchtbereich erfüllen die Kriterien. Anale Phase (2.–3. Lebensjahr)  Das Kind beherrscht seinen Schließmus­ kel. Lustgewinn durch den Vorgang der Defäkation oder durch das Zu­ rückhalten der Verdauungsendprodukte. Ein wesentliches Merkmal ist das Autonomiestreben. „Analer Charakter“: pedantisch, geizig. Patienten mit Zwangsstörun­ gen oder aber auch Anorektiker passen in diese Kategorie. Ödipale Phase (4.–5. Lebensjahr)  In dieser Phase steht das Genital im Mittelpunkt der Befriedigung. Die Beziehung zu den Eltern ist durch den „Ödipuskomplex“ (Mädchen: „Elektrakomplex“) gekennzeichnet. „Ödipaler Charakter“: hysterisch, geltungsbedürftig. Patienten mit his­ trionischen Störungen, Phobien, sexuellen Störungen fallen hierunter. Latenzphase (6. Lebensjahr bis Pubertät)  Wendung der Interessen auf

die Außenwelt.

Genitale Phase (ab Pubertät)  Entwicklung des reifen Sexualtriebs mit

genitaler Triebbefriedigung. Die einzelnen Phasen sollte man sich allerdings nicht als starr und nacheinander ablaufend vorstellen; vielmehr gehen sie fließend ineinander über oder verlaufen teilweise nebeneinander. Wenn das alles nicht optimal verlaufen ist, dann treten Symptome oder Erkrankungen (z.B. Depressionen) auf. In der therapeutischen Beziehung hat dann der Patient die Möglichkeit, Entwicklungs- oder strukturelle ­Defizite auszugleichen und mitgebrachte Konflikte besser zu lösen. Ziel ist es, eine „Nachreifung“ der Persönlichkeit zu bewirken. Eine Möglichkeit besteht darin, durch Regression Zugang zu den unbewussten Inhalten zu erhalten.

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

jjWeiterentwicklung Im Laufe der Zeit wurden die Theorien von Freud aufgegriffen und weiter­ entwickelt. So entwickelte bzw. beeinflusste Anna Freud die als „Ich-Psy­ chologie“ bekannte Theorie, die sie mit „Das Ich und die Abwehrmecha­ nismen“ begründete. Im Vergleich zur Triebtheorie liegt der Schwerpunkt der Ich-Psycholo­ gie auf den Abläufen der Ich-Funktionen. Übersetzt sind das überwiegend kognitive Kompetenzen, durch die unbewusste Triebimpulse und Wünsche an ihrer augenblicklichen Abfuhr gehindert und der sozialen Umständen angepasst werden. Zu diesen gehören u.a.: 44 Realitätswahrnehmung 44 Anpassung 44 Abwehr 44 Erinnern 44 Urteilen Die Beziehung und der Beziehungskontext werden in der Objektbezie­ hungstheorie als übergeordnet angesehen. Die Triebtheorie wird noch als  wichtiger Einfluss anerkannt, jedoch liegt in dieser Theorie der ­Schwerpunkt auf den Beziehungen. Objektbeziehungstheoretiker sind z.B. Michael Balint oder Donald Winncott. Sie sehen, dass das Verstehen des Menschlichen nicht durch die Dominanz der sexuellen und aggressi­ ven Triebe zu finden ist, sondern durch die Beziehung zu anderen Men­ schen. Erst durch die Beziehung eines Menschen zu einem anderen Mensch wird der Mensch zum Menschen. Schlussfolgernd ist das ent­ scheidende Motiv eines kleinen Kindes die Suche nach einem beschützen­ den Elternteil. Bei den Objektbeziehungstheoretikern rücken die von Freud vernach­ lässigten Beziehungen von Mutter-Kind und Vater-Kind in den Vorder­ grund der Betrachtung. Der Konflikt zwischen Es, Ich und Über-Ich weicht einer inneren Welt von verinnerlichten Interaktionsszenen und der Selbstund Objektrepräsentanz. Eine Weiterentwicklung der Objektbeziehungstheorie stellt dann die Schule von Melanie Klein dar. Es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, alle Richtungen und Weiterentwicklungen beschreiben zu wollen. Allerdings lohnt es sich, sich mit den unterschiedlichen Schulen auseinanderzusetzen. Was ist nun Psychoanalyse und wohin steuert diese? Es wird keine einheitliche Antwort auf diese Frage geben – außer dass die Analyse das ist, was Sie als Therapeut daraus machen. Jeder (gute) Therapeut wird mit seinen eigenen Stärken (und Schwächen) bei seinem Patienten wirken und seine „Technik“ an seine Patienten anpassen können.

1.8 · Therapieren lernen – oder wie ticken Sie?

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Das ist doch das Spannende an diesem Beruf: Dass wir nicht nur i­rgendein Schema abarbeiten, sondern uns immer wieder neu auf Situa­ tionen und Beziehungen einstellen können und dürfen und müssen. kkWeitere Therapiemodelle jjGesprächspsychotherapie – klientenzentrierte Psychotherapie Die Gesprächspsychotherapie gehört wie die Gestalt- und Logotherapie sowie die emotionsfokussierte Therapie (EFT) zu den humanistischen Therapien. Dieser Therapieansatz wurde von dem amerikanischen Therapeuten Carl R. Rogers entwickelt. In den Mittelpunkt stellte er die Person und ihre persönliche Entwicklung und nicht primär das Problem. Seine Annahme lautet, dass jeder Mensch eine Vorstellung von dem entwickelt, was er ist und wie er auf seine Umwelt wirkt (Selbstkonzept). Rogers ging davon aus, dass die Beziehung zwischen Patient und Therapeut den zentralen Ansatz für eine Therapie darstellt. Die emotionale Ebene, die Körpersprache und das gegenseitige Wohlwollen stehen im Vordergrund. Grundlage der Me­ thode von Rogers sind systemische Beobachtungen und Erkenntnisse aus Psychotherapien und Beratung, die sich als hilfreich erwiesen haben. Da vor allem die Beziehung zwischen Therapeut und Patient zentrale Bedeu­ tung besitzt, werden einige Anforderungen an den Therapeuten und seine Grundhaltung gestellt. Der Therapeut sollte 44 authentisch, 44 positiv wertschätzend, 44 empathisch, 44 kongruent sein. Zu den zentralen Techniken gehören: 44 Aktives Zuhören 44 Förderung der Selbstexploration des Patienten Die Selbstexploration muss nicht nur verbal erfolgen, sondern kann auch durch spielerische oder kreative Techniken gefördert werden. Die Ge­ sprächstherapie kann sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden. Sie wurde zwar vom wissenschaftlichen Beirat seit 2002 anerkannt, ist bislang allerdings keine Pflichtleistung der gesetzlichen Krankenkassen. jjFamilien- und Paartherapie In dieser Form der Therapie steht eine gestörte Beziehung und/oder Kom­ munikation in der Familie oder der Partnerschaft im Mittelpunkt. Die psy­ chopathologischen Eigenschaften werden hierbei nicht als Problem des Individuums angesehen, sondern als Manifestation einer gestörten Inter­

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

aktion innerhalb des Systems (Familie/Partnerschaft). Das heißt, Probleme können sich zwar bei einem Individuum zeigen, haben aber dort nicht ihre Ursache. Innerhalb dieser Therapieform gibt es die unterschiedlichen An­ sätze (VT, psychodynamisch, systemisch). Verhaltenstherapeutischer Ansatz: Vor allem das gegenseitige Ver­ stärken von Verhalten wird analysiert und bearbeitet; teilweise auch die Erwartungen und die kognitiv-emotionalen Muster. Es sollen neue Kom­ petenzen aufgebaut werden. Psychodynamischer Ansatz: Hierbei werden die Wiederholungen ­alter Muster herausgearbeitet. Systemischer Ansatz: Dieser Ansatz ist vor allem ressourcenorientiert. Es gibt zahlreiche therapeutische Verfahren, deren Anwendungsgebiet allgemein und eher umfassend oder aber eher bezogen auf bestimmte ­Störungsbilder sein können. Sie an dieser Stelle jedoch alle detailliert zu beschreiben, würde den Rahmen dieses Buches deutlich sprengen. Für den Interessierten gibt es allerdings zahlreiche Institute oder Einrichtungen, an denen die verschiedenen Therapieformen gelehrt werden. Einige Beispiele für Therapieformen oder therapeutische Techniken sind: 44 Systemische Therapie oder Familientherapie 44 Gestalttherapie 44 Psychodrama 44 Körpertherapie 44 Mal- und Kunsttherapie 44 Musiktherapie 44 Tanztherapie 44 Logotherapie 44 Feedbackverfahren 44 Neurolinguistisches Programmieren (NLP) Lassen Sie sich durch die Vielzahl der Verfahren nicht verwirren. Sie wer­ den im Verlauf Ihrer Ausbildung merken in welche Richtung Sie „ticken“ und durch den Kontakt mit den Patienten werden Sie auch wissen, welche Art Therapeut Sie sind. Nutzen Sie das erste Jahr in der Psychiatrie, um sich ein Stück weit Klarheit zu verschaffen, welche therapeutische Richtung Ihnen liegt. Oder ob das Ganze nicht doch zu seltsam ist und Sie lieber in die Chirurgie wechseln... 1.9

Stress

Vielleicht ein wenig verfrüht, ein eigenes Kapitel zum Thema „Stress“ zu verfassen, aber wenn Sie irgendwann Oberarzt (oder was auch immer) sind

1.9 · Stress

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und unter „Burnout“ leiden, ist es ein wenig zu spät, sich erst dann damit zu beschäftigen. Es gibt verschiedene Arten von Stress. Den positiven (Eustress) Stress und den negativen (Disstress). Wichtig ist, dass Sie über das Empfinden von negativem oder positivem Stress selbst entscheiden können, denn da­ mit besitzen Sie einen Handlungsspielraum. In unterschiedlichen Situation können wir das Gefühl haben, vor einem unlösbaren Problem zu stehen, was negativen Stress nach sich zieht, oder aber wir fühlen uns durch ein Problem motiviert und empfinden dieses als prinzipiell lösbar, was positi­ ven Stress auslöst. Bei positivem Stress sind Sie konzentriert und hochmotiviert. Hier ist der Stress eine wichtige Triebfeder des Erfolgs. In solchen Situationen kön­ nen Sie die Herausforderung sogar genießen. Bei negativem Stress fühlen Sie sich der Situation ausgeliefert und hilflos. Sie sehen keine Möglichkei­ ten zu handeln und fühlen sich überfordert. Langfristig ist dies der Stress, der oft krank macht. Stress zu vermeiden wird nicht funktionieren. Vor allem in dem Beruf, den Sie sich ausgesucht haben, ist er quasi vorprogrammiert. Disstress wird auftreten wenn unvorhergesehene Dinge (z.B. Notfälle) geschehen, sodass dieser einfach nicht zu umgehen sein wird. Eustress benötigen wir, damit wir uns gut fühlen, uns Herausforderungen stellen können und er treibt uns an. Die Kunst besteht darin, eine Balance zwischen dem Arbeitsleben, dem privaten Leben, der Fortbildung, den eigenen Hobbys und der Familie und Freunden zu finden. Das gleicht häufig einem Drahtseilakt. Was können Sie also gegen Stress tun? kkSport „Früher habe ich Sport gemacht, heute habe ich keine Zeit.“ Vielleicht kennen Sie ja auch diesen oder andere Sätze. Häufig ist es der körperliche Ausgleich, der geopfert wird, wenn die Anforderungen im Alltag zuneh­ men. Doch für unser Wohlbefinden ist genau dieser körperliche Ausgleich wichtig. Es ist nachgewiesen, dass Bewegung glücklich macht. Ganz egal, ob Sie in einem Fitnessstudio Geräte ärgern, in einem Kurs umherhüpfen oder einfach dem griechischen Sport folgen und einige Kilometer laufen. By the way: Schach gilt hier nicht. Das macht zwar auch Spaß, aber gehört nicht zu den Sportarten, wo die Beteiligten sich viel bewegen. Unser Körper ist ein intelligentes System. Was nicht gebraucht wird, wird abgebaut. Das bedeutet, unser Körper adaptiert. Wer nur im Büro­ stuhl sitzt, dessen Rückenmuskulatur bildet sich zurück und Rücken- und Nackenschmerzen sind die Folge. Auch das Herz-Kreislauf-System passt sich an, was bedeutet, dass die Durchblutung sich verschlechtert. Störun­ gen sind programmiert. Da können Sie noch so viel Denkarbeit leisten,

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Kapitel 1 · Grundlegendes und ­Wissenswertes

wenn die Durchblutung nicht mitmacht, ist auch die Denkleistung schlech­ ter als sie sein könnte. Also machen Sie was. Suchen Sie sich Trainingspart­ ner, mit denen Sie sich gegenseitig motivieren können. Buchen Sie einen Kurs, dem Sie sich verpflichtet fühlen und zu dem Sie dann auch gehen. jjEntspannung Es gibt mehrere Entspannungsverfahren, die nicht nur für Patienten gut sind – erstaunlicherweise kann man diese auch selbst anwenden. Zu den Verfahren gehören das Autogenen Training und die Progressive Muskel Relaxation nach Jacobsen (PMR). Das Autogene Training wurde von dem Psychiater J.H. Schultz ent­ wickelt. Das Prinzip ist das der konzentrierten Selbstentspannung bei ­innerer Wahrnehmung. Leitsätze wie: „Mein Arm wird schwer“ folgen ­diesem Prinzip. Durch diese Autosuggestion wird gelernt sich zu entspan­ nen, um so funktionelle oder vegetative Beschwerden zu bessern bzw. zu lindern. Zu Anfang ist es gut, dieses Verfahren unter professioneller Anlei­ tung zu erlernen. Die PMR wurde von dem Arzt E. Jacobsen entwickelt. Das Kernprinzip ist, dass nach einer maximalen Anspannung die Entspannung folgt. Hier­ bei werden verschiedene Muskelgruppen des Körpers nacheinander be­ wusst für eine bestimmte Zeit angespannt und dann wieder bewusst ­entspannt. Auch hier ist es zu Beginn sinnvoll, sich das Verfahren von ­einem erfahrenen Therapeuten erklären zu lassen. Dann können Sie die PMR im Alltag regelmäßig einsetzen. Nicht jeder mag beide Verfahren. In der Regel ist die PMR schneller zu erlernen und für den Einstieg ganz gut geeignet. Aber seien Sie neugierig. Probieren Sie verschiedene Verfahren aus und entscheiden dann, welches für sie am besten passt. Für beide Entspannungsmethoden gibt es verschiedene Manuale, ­Kurse oder Anleitungen. jjLicht Licht – vor allem Sonnenlicht – führt zur Produktion von Vitamin D. Die­ ses Vitamin ist ein Depressionskiller. Der Mensch ist einfach sehr vom Licht abhängig. Man steht morgens auf und das UV-Licht trifft unmittelbar auf die Rezeptoren der Netzhaut. Das Tageslicht besitzt einen hohen Blau­ anteil. Solches Licht bringt Sie in den „Wach-Modus“. In einem solchen Licht kann man besser und konzentrierter arbeiten. Allerdings ist solch ein blau-lastiges Licht auch in Stromsparlampen, LED-Lampen oder Leucht­ stoffröhren vorhanden. Tagsüber (oder im Winter in der „dunklen“ Jahres­ zeit“) ist solch ein Licht ja in Ordnung, aber dieses Licht ist auch im Fern­ seher, im PC-Monitor, in Smartphones, Laptops etc. vorhanden. Gehören

1.9 · Stress

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Sie nun zu den Menschen, die abends mit solchen Geräten noch arbeiten, dann sagt deren Licht „aktiv sein“, es ist „Tag“ und die Einschlafprobleme sind vorprogrammiert. Achten Sie auf das Licht und wann Sie es einsetzen. Abends weniger blaues Licht oder schalten Sie zumindest den „NightShift-modus“ ein, den viele Geräte schon besitzen. Am besten ist es, wenn Sie vor dem Schlafengehen einen gleichförmigen Ablauf („Ritual“) einfüh­ ren (wie es bei Kindern immer angestrebt wird – zur gleichen Zeit ins Bett, eine Geschichte etc.). jjErnährung Viel zu tun auf der Arbeit. Einige Notfälle versorgt, dann unzufriedenen Patiente, dann hatte der Kollege noch etwas, dann hat der Oberarzt noch etwas auszusetzen. So kann auch mal ein Arbeitstag aussehen. Manche fangen an, dann abends das Glas Wein zu trinken um „runterzukommen“ oder essen aus Frust eine ganze Tafel Schokolade. Beides werden Sie ­irgendwann spüren, was dann wiederum Stress verursacht. Investieren Sie früh genug in Ihre Ernährung. Das heißt nicht, dass Sie zum Veganer wer­ den müssen, sondern schlicht, dass Sie auf das, was Sie zu sich nehmen achten. jjFreunde – fachfremd Verbringen Sie Zeit mit Freunden. Am besten mit Menschen, die nichts mit Ihrem eigenen Beruf zu tun haben. Das hilft sehr gut, den eigenen Blick auf die Dinge zu hinterfragen und manches noch mal anders zu verstehen. jjAuszeiten Für uns als Ärzte ist eine Auszeit meist unverplante Zeit. Doch für die Gesundheit spielen Pausen eine bedeutende Rolle. Auf Anspannung erfolgt Entspannung. Spätestens in der PMR lernt man dies. Nutzen Sie das Wis­ sen, was Sie ihren Patienten vermitteln. Bauen Sie sich Auszeiten in Ihren Alltag ein. Belohnen Sie sich auch mal selber für eine z.B. besonders stres­ sige Woche und nehmen sich für das Wochenende etwas Schönes vor.

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Kommunikation 2.1

Sender-Empfänger-Modelle  – 38

2.2

Verbale und non-verbale Kommunikation   – 41

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_2

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Kapitel 2 · Kommunikation

Kommunikation ist etwas, das wir im täglichen Leben unser Leben lang tun. Als Arzt haben Sie intensiv mit Menschen und deren Sorgen und Pro­ blemen zu tun. Sie werden jeden Tag unterschiedliche Gesprächssituatio­ nen erleben: Sie werden sich mit Kollegen austauschen, Sie werden mit Patienten eine Anamnese durchführen, Angehörige aufklären, mit einem anderen Patienten den Behandlungsverlauf besprechen, mit der Pflegekraft sprechen usw. In all diesen Situationen sind Sie in unterschiedlichen Rollen mit ­unterschiedlichen Erwartungen konfrontiert. Die Angehörigen erwarten von Ihnen kompetenten Rat und Hilfestellung, bei dem Patienten sind Sie Behandler. Bei der Pflegekraft sind Sie weisungsbefugt und geben dem Team eine Richtung. Und all das sind Sie... Kommunikation ist kein Hexenwerk. Im Prinzip beruht Kommunika­ tion auf dem Senden und Empfangen von Botschaften. Sie funktioniert allerdings nur, wenn die Botschaft verstanden wird. Dieses Verstehen liegt auf beiden Seiten. Zum einen muss der Sender verstehen, die Botschaft verständlich zu gestalten, und zum anderen muss der Empfänger bereit sein, die Botschaft tatsächlich verstehen zu wollen. Hierbei wird deutlich, dass die zwischenmenschliche Kommunikation an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Werden diese nicht beachtet, kommt es zu Irrtümern, Missverständnissen oder gar Konflikten. Zu jeder Kommunikation gehören vornehmlich zwei Ebenen: 44 Sach- oder Inhaltsebene: Hier wird z.B. über Projekte, Termine, ­Organisationsprobleme und Ziele gesprochen. 44 Beziehungsebene: Hier geht es um das Verhältnis zwischen Per­ sonen und darum, wie miteinander gesprochen wird, wobei Emo­ tionen, Erwartungen, Ängste, Sympathien und Antipathien in den Kommunikationsprozess einfließen. Im Bereich der Kommunikation gibt es zahlreiche Forschungen und Rich­ tungen. Zwei wegweisende und noch immer aktuelle Kommunikationsfor­ scher sind Paul Watzlawik und Schulz von Thun. 2.1

Sender-Empfänger-Modelle

kkSender-Empfänger-Modell nach P. Watzlawik Paul Watzlawik hat Ende der 1960er-Jahre fünf Regeln menschlicher ­Kommunikation aufgestellt, die er Axiome nannte. Diese Regeln gelten noch heute als wichtige Grundsätze der Kommunikation. Anhand dieser Axiome hat P. Watzlawik u.a. die zwischenmenschliche Beziehung von

2.1 · Sender-Empfänger-Modelle

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2

Sender und Empfänger beleuchtet. Anders formuliert hat er das, was zwi­ schen dem Sender einer Nachricht und dessen Empfänger geschieht, näher betrachtet. Als Therapeut und Psychoanalytiker interessierte Watzlawik, wie das menschliche Beziehungssystem funktioniert (so wie uns als Psych­ iater und Therapeuten ebenfalls). Die Beschäftigung mit diesem Thema hat ihn zu seiner Theorie über die menschliche Kommunikation geführt. jj5 Axiome 1. Man kann nicht nicht kommunizieren (das bekannteste Axiom). 2. Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt – wobei letzterer den ersten bestimmt. 3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung. 4. Kommunikation ist immer auch nicht-sprachlich (also: non-verbal). 5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär. kkSchulz von Thun Schulz von Thun hat sich mit dem Sender und dem Empfänger der Nach­ richten auseinandergesetzt. Im Mittelpunkt seiner Betrachtung steht die Nachricht, die der Sender an den Empfänger sendet. Eine Nachricht ist in seinem Verständnis ein vielseitiges Paket mit sprachlichen und nichtsprachlichen Anteilen und kann gleichzeitig viele Botschaften enthalten. Jeder Sender, ob er dies beabsichtigt oder nicht, sendet potenziell vier ver­ schiedene Informationen: 1. Sachinformation: reiner Informationsgehalt 2. Beziehungsinformation: welche Beziehung zum Gegenüber 3. Appelinformation: Was will der Sender, das der Empfänger tut? 4. Selbstoffenbarungsinformation: Was gibt der Sender von sich preis? Aber nicht nur der Sender sendet potenziell auf diesen vier Ebenen – der Empfänger einer Nachricht hört auch potenziell auf vier Kanälen. Er hört sozusagen mit vier Ohren: 1. Sachohr – Worüber informiert mich der Andere? 2. Beziehungsohr – Wie steht der Andere zu mir? 3. Appellohr – Was möchte der Andere von mir? 4. Selbstaussageohr – Was erfahre ich über den Anderen? Nun sind diese „Ohren“ nicht gleichmäßig ausgebaut. Mancher hört mehr den Informationsgehalt der Nachricht und bei manchen Menschen ist das Beziehungsohr sehr empfindlich. Dementsprechend gestaltet sich die Kommunikation. Treffen zwei Menschen aufeinander, von denen der eine eher Sachinformationen sendet und der andere eher auf dem Beziehungs­ ohr wahrnimmt, kann es zu Störungen der Kommunikation kommen.

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Kapitel 2 · Kommunikation

Kommunikation ist eben nicht nur ein reiner Informationsaustausch. Die Beziehungsebene der Personen, die miteinander kommunizieren, be­ einflusst das Gelingen der Kommunikation wesentlich. Übung Versuchen Sie einmal, Ihre Art der Kommunikation zu reflektieren. Wie verändert sie sich, wenn Sie mit Pflegepersonal oder Ihrem Oberarzt kommunizieren? Wie zeigen Sie non-verbal, wenn Sie jemanden nicht leiden können? Auf welchem „Ohr“ hören Sie eher?

Die Beziehungsebene ist u.a. gekennzeichnet durch: 44 die emotionale Beziehung von Sender und Empfänger zueinander 44 die Einschätzung der fachlichen Kompetenz des Kommunikations­ partners 44 die Einstellung zum Gegenstand der Kommunikation 44 die subjektive Bedeutung der Kommunikationspartners zueinander 44 die eigene Selbsteinschätzung. Diese Faktoren beeinflussen entscheidend die kommunikativen Beziehun­ gen. Von ihnen hängen die Bereitschaft zum Zuhören, die Akzeptanz erhal­ tener Informationen und die Bereitschaft zum Informationsaustausch ab. Das klingt etwas abstrakt. Aber stellen Sie sich nun vor, Sie wollen Ihren Patienten von der Richtigkeit einer bestimmten Behandlung überzeugen. Da können die Informationen noch so plausibel sein, der Patient wird der Empfehlung nicht folgen, wenn er Ihnen nicht vertraut und nicht zuhören will. Wenn Sie umgekehrt eine deutliche Antipathie gegenüber ihren ­Kommunikationspartner verspüren, müssen Sie das nicht unbedingt laut sagen – es wird auch non-verbal kommuniziert. Jede bewusste und unbewusste Information wird durch die Einstellung zu sich und zu Ihrem Kommunikationspartner beeinflusst. Jede gegebene Information wird durch die subjektive Interpretation des Empfängers ge­ filtert. Das bedeutet auch: Je mehr eine Information von der Beziehung der Kommunizierenden beeinflusst wird, umso schwieriger wird ein sachlicher Informationsaustausch.

2.2 · Verbale und non-verbale Kommunikation

2.2

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Verbale und non-verbale Kommunikation

ŮŮ „Ein Blick sagt mehr als tausend Worte.“ Körpersprache, Mimik, Gestik, Stimmmodulation und die gesprochene Information werden zumeist als Einheit wahrgenommen. Non-verbale Kommunikation kann Gesprochenes entweder bekräftigen oder abschwä­ chen oder im Gegensatz zum Gesagten stehen. Teilweise wirkt es auch vollkommen deplatziert – denken Sie an „parathymes Verhalten“, bei dem ein sehr grausamer Sachverhalt (verbale Information) z.B. mit einem Lä­ cheln vorgetragen werden kann. Wenn Kommunikationsprozesse nicht reibungslos verlaufen, kommt es zu Kommunikationsstörungen. Um der Störung entgegenwirken zu kön­ nen, ist es hilfreich, die Ursachen herauszufinden. Auch wenn es manchmal schwer fällt: Schauen Sie hierzu nicht nur beim anderen. Zur Kommunika­ tion gehören mindestens zwei. kkPatienten, Angehörige und Kollegen jjPatienten Der Umgang mit Patienten erfordert wie überall – in der Psychiatrie jedoch im Besonderen – ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl. Auch sollte man nicht davon ausgehen, dass jeder Patient gerne und freiwillig zur Be­ handlung kommt. Anders als bei einer körperlichen Erkrankung oder Einschränkung, die eine Behandlung durch den Arzt (oder Notaufnahme) notwendig macht, ist die Psychiatrie noch immer mit vielen Vorurteilen behaftet. Im Erstkon­ takt mit dem Patienten haben Sie die Gelegenheit, Unsicherheiten oder Ängste abzubauen. Seien Sie empathisch. Signalisieren Sie, dass Sie ge­ meinsam mit dem Patienten nach einer Möglichkeit suchen, sein Leid zu lindern, und dass Sie der kompetente Ansprechpartner im richtigen Klini­ kum sind, den Ihr Patient braucht. Auch variiert die Kommunikation, je nachdem mit welcher Patienten­ gruppe Sie es zu tun haben werden. Mit einer älteren, distinguierten und etwas depressiven Patientin auf der Geronto-Station werden Sie anders sprechen, als mit dem 22-jährigen Drogenabhängigen im Maßregelvollzug. So unterschiedlich die Patienten sein werden, so verschieden sind auch Ihre Erwartungen und Vorstellungen an Sie. Sie sollen kein Chamäleon sein und alle Erwartungen erfüllen, doch versuchen Sie, Ihr Gegenüber dort abzuholen, wo dieser sich befindet. Versuchen Sie sich einzufühlen und die Welt aus seiner Warte zu verste­ hen. Bei der älteren Dame könnten Sie wahrscheinlich wie eine Tochter/ ein Sohn sein – hier müssen Sie manchmal Grenzen setzen und sich als

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Kapitel 2 · Kommunikation

Arzt und Behandler durchsetzen. Bei dem Patienten aus dem Maßregel­ vollzug werden Sie erstmal jemand sein, der nicht unbedingt positiv be­ setzt ist – dementsprechend wird derjenige reagieren. Lassen Sie sich nicht provozieren, bleiben Sie sachlich und höflich. Auch hier ist es wichtig, Grenzen zu setzen und dem Patienten deutlich zu machen, dass sie nicht daran interessiert sind, sich auf einen Machtkampf einzulassen, sondern ihn zu behandeln. Egal wo Sie als Arzt eingesetzt werden, Sie werden fast nie dem Patien­ ten auf einer Ebene begegnen. Durch den fachlichen Vorsprung alleine entsteht ein Gefälle. Der Patient kommt zu Ihnen (oder wird gebracht) und benötigt Hilfe, Sie können diese (im besten Fall) geben. Dadurch entsteht eine vollkommen ungleiche Rollenverteilung. Um dieses Ungleichgewicht zu mindern, benötigen Sie eine Grundhaltung: Nehmen Sie den Patienten so, wie er ist. Respektieren Sie ihn. Geben Sie ihm Führung und schließen Sie gleichzeitig ein Bündnis mit Ihm, um gegen die Krankheit anzugehen. Sie werden als Psychiater belächelt, beschimpft, angefleht, bespuckt, aber auch freundlich und dankbar behandelt werden. Es kann ein Wechselbad sein, doch wenn es Ihnen gelingt, die Mechanismen, die dahinter liegen, zu verstehen, dann wird es leichter sein, damit umzugehen. Bei Ihrer medizi­ nischen Tätigkeit sollten Sie sich nicht durch persönliche Befindlichkeiten lenken lassen. Diagnostik muss gemacht werden, egal ob der Patient schwierig ist oder nicht. Sonst finden Sie den pathologischen Narzissten plötzlich auf der ITS wieder. Darüber hinaus leisten Sie als Psychiater auch therapeutische Arbeit, die sich deutlich von der medizinisch/diagnostischen Tätigkeit unterschei­ det. Hier geht es um Beziehungsaufbau und das Schließen eines therapeu­ tischen Bündnisses. Das mag in manchen Fällen schwierig sein, da persönliche Meinungen, Moralvorstellungen und ethische Prinzipien auch Sie als Therapeuten ge­ prägt haben mögen, doch hier kann die Supervision enorm helfen. Wenn Sie sich mit Ihren Persönlichkeitsfacetten (vielleicht sogar Schwachstel­ len...) gut kennen, dann sind Sie an diesen Stellen weniger empfindlich und können einen Umgang damit erlernen. Dennoch begegnen uns im thera­ peutischen Leben manchmal Patienten, mit denen wir keinen Umgang finden. Hier ist es wichtig, dass Sie authentisch sind und im schlimmsten Fall besprechen Sie das weitere Vorgehen mit Ihrem zuständigen Oberarzt. Therapeutisch müssen Sie nicht mit jedem Patienten arbeiten (z.B. kann nicht jeder mit Pädophilen arbeiten). Im Verlauf der Zeit finden Sie die Patienten, die zu Ihnen passen, bzw. die Patienten finden Sie. Schauen Sie sich, z.B. anhand der verfügbaren Literatur, verschie­denste Arten und Techniken der Gesprächsführung an. Blicken Sie über den Tel­ lerrand auch in andere Berufsgruppen und lernen, wie Sprache eingesetzt

2.2 · Verbale und non-verbale Kommunikation

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werden kann. Sie haben einen Beruf, in dem Sie mittels Sprache helfen können. Lernen Sie den Umgang mit Ihrem Werkzeug. Praxistipp Bleiben Sie neugierig.

jjAngehörige Die Angehörigen machen sich in erster Linie Sorgen um ihren Sohn oder ihre Tochter, Mutter oder Vater. Vielleicht machen sie sich auch Vorwürfe. Doch die meisten von ihnen bringen Unsicherheit und auch Angst mit. Manche verbergen dies hinter allzu hochgesteckten Erwartungen oder überzogenen Ansprüchen (z.B. 15 Jahre Raubbau des Köpers mit Drogen­ konsum innerhalb von fünf Tagen vollständig zu heilen). Von Ihnen wird erwartet, dass Sie die Sorgen nehmen können. Seien Sie hierbei ehrlich und transparent. Treffen Sie keine Aussagen, die Sie nicht erfüllen können (z.B. „Ich verspreche Ihnen, in drei Tagen ist die Psychose vorbei“). Das ist nicht nur gelogen, sondern fällt Ihnen mit Sicherheit auch auf die Füße und Sie verlieren das Vertrauen der Angehö­ rigen. Nehmen Sie die Angehörigen erst einmal vorbehaltlos an. Achten Sie aber auch auf Stolperfallen. Manche Angehörige wollen Informationen erhalten, die ihnen nicht zustehen. Überprüfen Sie vor dem Gespräch mit Angehörigen, ob eine Auskunftssperre vorliegt. Dann sprechen Sie mit den Angehörigen im Beisein des Patienten. Praxistipp Sprechen Sie zusammen mit dem Patienten. Nicht über ihn.

Erklären Sie das Krankheitsbild und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt. Im Gegensatz zu den somatischen Fächern, wo es vornehmlich darum geht, die Bedenken der Verwandten aufzufangen und zu mildern, kann es in der Psychiatrie vorkommen, dass Sie als behandelnder Arzt und Thera­ peut ungefiltert in die gesamte Familiendynamik mit einbezogen werden. Manchmal brechen jahrelang bestehende Konflikte offen aus oder aber (z.B. im gerontopsychiatrischen Bereich) es geht um das Geld, das die Fa­ milie erben kann, wenn der Angehörige einen Betreuer bekommt und ins Heim geht.

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Kapitel 2 · Kommunikation

Daher seien Sie im Umgang mit Angehörigen immer achtsam. In be­ sonders heiklen Fällen führen Sie ein Gespräch unter Zeugen (z.B. Pflege­ kraft oder Sozialdienstmitarbeiter). Oder Sie bitten Ihren Oberarzt hinzu­ zukommen. Allerdings treten diese Fälle glücklicherweise eher selten ein. Häufiger haben Sie es mit ganz „normalen“ Angehörigen zu tun, die einfach nur wissen wollen, wie es dem Familienmitglied geht. Weisen Sie auf die Möglichkeiten von Angehörigengruppen (wenn diese existieren) hin. Viele Angehörige fühlen sich mit den psychischen Erkrankungen der Familienmitglieder überfordert und vor allem allein. Das kann sich im Rahmen einer Angehörigengruppe ändern. Auch der Hinweis auf soziale Medien und Foren kann hilfreich sein. Besprechen Sie rechtzeitig, wie Sie auch schwierige Gespräche durch­ führen. Wie überbringen Sie z.B. eine Todesnachricht? Wie klären Sie über ein schweres Krankheitsbild auf? Machen Sie sich hierüber im Vorfeld Gedanken, damit Sie in den entsprechenden Situationen den Angehörigen die Stütze sein können, die diese dann benötigen. jjKollegen Zu Beginn weiß man über sein Gegenüber ziemlich wenig – um nicht zu sagen: nichts. Dennoch entwickeln wir recht schnell ein bestimmtes Bild aufgrund unbewusster bzw. nur wenig bewusster Erfahrungswerte. Ähn­ lich wie Patienten es tun, stecken wir unsere Mitmenschen in Schubladen. „Der hat genau die gleiche Haltung wie mein Onkel, also wird er auch ge­ nau den gleichen Charakter haben.“ So oder so ähnlich läuft das dann ab. Leider nimmt man sich mit dieser Methode die Möglichkeit den anderen wertfrei kennenzulernen. Im Verlauf der Selbsterfahrung lernen ange­ hende Therapeuten auch, Phänomenen wie „Übertragung“ und „Gegen­ übertragung“ kennen und damit umzugehen. Achten Sie einmal im Alltag ­darauf, wie sie ihre Mitmenschen einschätzen und was genau Sie schluss­ endlich zu Ihrem Urteil kommen lässt. Die Kommunikation mit den Kollegen kann sich auf verschiedenen Ebenen abspielen. Sie treffen sich fachlich, kollegial oder aber persönlich. Auf der fachlichen Ebene diskutieren Sie medizinische Sachverhalte. ­Kollegial werden Sie um Dienste und die Aufteilung der Stationsarbeit diskutieren; um die Verteilung der Urlaubstage und wer wen wann und wo vertreten wird. In der Ausbildung stehen Sie noch unter „Welpenschutz“ und dürfen Fragen stellen. Tun Sie das. Anders als in anderen medizinischen Fächern habe ich die „Konkurrenzsituation“ unter den Kollegen weniger ausgeprägt erlebt, zumindest unter den Assistenzärzten. Viele der Kollegen wollen sich austauschen und Wissen erlangen und sie alle teilen das Interesse an den

2.2 · Verbale und non-verbale Kommunikation

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Patienten. Als Neuling ist der Altersunterschied zu Ihren Kollegen manch­ mal recht groß, was auch eine ganz andere berufliche und private Soziali­ sation bedeutet. Da kann es schon passieren, dass ganze Lebenswelten mit all ihren Vorstellungen und Einstellungen aufeinander prallen. Auch hier gilt: Nehmen Sie Ihr Gegenüber, so wie es ist. Haben Sie Respekt vor den unterschiedlichen Ansichten. Seien Sie nicht „duckmäu­ serisch“, sondern authentisch. Wenn Sie etwas nicht verstehen oder nach­ vollziehen können, dann fragen Sie bei passender Gelegenheit nach. jjDas Team Als Psychiater sind Sie wie nahezu jeder Arzt (zumindest in einer Klinik) auf ein Team angewiesen. So wie eine erfolgreiche Behandlung die Leistung jedes Teammitglieds ist, so werden auch tragische Verläufe von einem gut funktionierenden Team aufgefangen. Es kann sehr hilfreich sein, wenn Sie nach einer erfolglosen Reanimation nachts im Dienst jemanden haben, der mit Ihnen eine Tasse Tee oder Kaffee trinkt. Umgekehrt kann es einfach toll sein, wenn Sie eine erfolgreiche Behandlung im Team reflektieren können. Eine Position in einem Team zu finden, kann eine Herausforderung darstellen. Mit wachsender Berufserfahrung wird auch das ein wenig leich­ ter werden; aber neu in ein Team hineinzukommen ist immer aufregend und ungewohnt. Zu Beginn Ihrer Berufskarriere ist alles neu und irgendwie doch nett. Der Chef lässt einen in Ruhe und der Oberarzt erklärt noch vieles. Spätes­ tens wenn Sie die ersten Dienste hinter sich gebracht haben, ist der Welpen­ schutz vorbei. Die ersten Feuerproben ebenfalls und das Pflegeteam hat Sie ausgetestet. Auch wenn es in vielen Kliniken heißt, dass flache Hierarchien vor­ herrschen – sie sind vorhanden. In der Medizin existieren nun mal unter­ schiedliche Ebenen. Das aber auch zu recht. In der Regel haben Oberärzte mehr Erfahrung als ihre Assistenten und leiten diese durch manch unru­ higes Fahrwasser. Wie funktioniert nun so ein Team-Prozess? Ebenso wie bei der Kom­ munikation gibt es unterschiedliche Prozesse und auch unterschiedliche Rollen in einem Team. Damit meine ich nicht die offensichtlichen Rollen, wie Pfleger oder Praktikant. Jedes Team – ob nun in der Arbeitswelt oder in der Freizeit – besitzt typische funktionierende Rollen. Hierzu gehören: 44 Aufgabenrolle: Diese Person hat den fachlichen Fortschritt der Gruppe/des Teams im Blick und achtet darauf, dass er erlangt wird. 44 Gruppenerhaltungsrollen: Diese Personen kennen jeden Geburtstag und wollen alles harmonisch haben. Sie sind wichtig für das Klima ­einer Gruppe, allerdings muss ihnen nicht unbedingt das fachliche Vorwärtskommen wichtig sein.

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Kapitel 2 · Kommunikation

44 Spannungsanzeiger: Diese Menschen brechen die Harmonie einer Gruppe. Sie sprechen Dinge an, die sich sonst keiner zu erwähnen traut. Sie äußern Kritik und weisen auf Störungen hin. Auch wenn Sie teilweise für Unruhe in einem Team sorgen können, sind diese Menschen wichtig, weil ohne sie Fehler möglicherweise nicht er­ wähnt werden. Praxistipp Was sind Sie für ein Teammitglied? Neigen Sie eher zur Gruppenerhaltungsrolle und wollen alles ruhig und harmonisch? Oder finden Sie sich bei den anderen Rollen wieder?

Neben den einzelnen Rollen in einem Team unterliegt dieses auch einem Entwicklungsprozess. Sie kommen entweder in ein über Jahre gewachsenes Team oder es hat sich gerade neu gebildet. Oder es wird oft neu gemischt und Sie lernen neben der Pflegekraft aus dem Pool-System den Kollegen, der als Springer arbeitet, kennen und müssen selbst vertretungsweise in anderen Stationen arbeiten. Unabhängig davon entwickeln sich Teams. Sie durchlaufen vier Phasen, die fließend ineinander übergehen. Die vier Phasen starten mit Ihnen als neues Mitglied des Teams. Phase 1 – „Forming“  In dieser Phase kennen sich die Gruppenmitglieder

noch nicht. Die Menschen sind höflich, zurückhaltend und versuchen das Gegenüber einzuschätzen. Die Stimmung ist noch oft unpersönlich und eher vorsichtig.

Phase 2 – „Storming“  Hier entsteht Raum für Klärungen. Die einzelnen

Mitglieder haben sich nun etwas näher kennengelernt; Konflikte werden deutlicher. Unterschiedliche Standpunkte treffen aufeinander.

Phase 3 – „Norming“ (Orientierungsphase)  Nach dem Aufeinanderpral­ len von unterschiedlichen Interessen in Phase 2 entstehen in dieser Phase die Spielregeln. Ziele werden abgesprochen und es kommt (im besten Fall) zur Einigung der unterschiedlichen Teammitglieder. Phase 4 – „Performing“  In dieser Phase ist die Gruppe ideenreich und

flexibel. Die Mitglieder kennen sich und haben gemeinsame Ziele erreicht. Es geht aber auch um Abschied von einzelnen Mitgliedern und dessen Gestaltung.

2.2 · Verbale und non-verbale Kommunikation

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2

Psychiatrische Teams durchlaufen diese Prozesse ebenso wie jede an­ dere Gruppe. Zusammenfassend kann man feststellen, dass ein Team aus einer großen Gruppe und kleineren „Cliquen“ besteht (Subgruppen), die wiederum aus unterschiedlichen fachlichen Richtungen kommen können und sich variabel zusammensetzen. Auch die Gewichtung der einzelnen Mitglieder kann wechseln. Den­ noch ist die Kernaufgabe jedes Teams (auch der Cliquen) das Lösen kom­ plexer Aufgaben (z.B. Patientenversorgung/-behandlung), wofür zielge­ richtetes Handeln notwendig ist. Dafür ist es wichtig, sich gegenseitig ein Stück weit zu kennen und einen Zusammenhalt schaffen. kkTeammitglieder in der Psychiatrie jjPflegepersonal Das Pflegepersonal hat direkten Patientenkontakt. In diversen Praktika dürften Sie den Alltag der Pflege und deren Aufgaben ein wenig kennen­ gelernt haben. Es ist wichtig, die Pflege nicht nur wahrzunehmen, sondern in ihrer Aufgabe auch zu respektieren. Auch wenn Sie als Arzt fachlich woanders stehen, sind die Pflegekräfte unerlässlich für eine Station. Sie kümmern sich nicht nur um die Patienten, sondern fangen auch vieles im Vorfeld ab. Sie sollten weder unterwürfig sein noch dem Pflegepersonal arrogant „von oben“ begegnen. Das eine fördert, dass die Pflege Sie nicht ernst nimmt, und das andere deren Abneigung. Erledigen Sie Ihre Aufgaben gewissenhaft. Scheuen Sie sich nicht da­ vor, auch einmal anzupacken und seien Sie verlässlich. Versuchen Sie nicht krampfhaft, eigene Defizite zu kaschieren. Diese werden eh bemerkt. Ver­ suchen Sie, die Pflegekräfte als Ihre Verbündeten zu gewinnen. Ein Dienst kann allen Beteiligten trotz Anstrengung auch Spaß machen, wenn man ihn mit Menschen gestaltet, mit denen man gerne zusammenarbeitet. jjAssistenzärzte Ihre Kollegen und Ihre wichtigste Bezugsgruppe. Sie teilen mit ihnen die Aufgaben und Pflichten. Sie vertreten sich gegenseitig und diskutieren, wer wann in den Urlaub geht. Sie können sich gegenseitig unterstützen. Treten dennoch Konflikte auf, so sollte die Professionalität im Vordergrund ste­ hen. Konflikte lassen sich lösen oder sollten beendet werden. jjOberärzte Die Oberärzte sind fachlich Ihre ersten Ansprechpartner. Je nach Klinikum supervidieren sie Ihre Arbeit und fördern Sie in Ihrer Entwicklung. Sie tragen und „ertragen“ Ihre Anamnesen, Ihre Fallberichte, Ihre Visiten, Ihre Versuche des Verstehens der Psychodynamik von Patienten und einen Teil Ihrer Ausbildung.

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Kapitel 2 · Kommunikation

Der Oberarzt wendet all das, was Sie noch lernen wollen, oft schon jahrelang selbst an. Das heißt, dass Sie neben einem fachlich kompetenten Arzt auch vor einem guten Therapeuten stehen. Im besten Fall respektiert er Ihre Grenzen. Spätestens, wenn er Sie supervidiert, werden Ihre Prinzi­ pien, Moralvorstellungen und persönliche Einstellungen hinterfragt. Wie ein guter Therapeut, weiß aber auch ein guter Oberarzt, Sie durch persön­ liche Unsicherheiten zu leiten und Sie auch vor sich selbst zu schützen (z.B. „Sie wollen neben dem sechsten Borderliner jetzt auch noch Patient Xy behandeln? Wie geht es Ihnen damit?“). Oberärzte bringen Sie zum Über­ denken Ihrer Ansichten und helfen, ein manchmal allzu hartes Urteil über andere (z.B. Patienten) abzumildern. Es ist normal, dass das Idealbild eines Oberarztes in der Realität nur extrem selten zu finden ist. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Dem­ entsprechend wird auch das Verhältnis zu Ihnen gestaltet werden. Zwang­ hafte Oberärzte werden Ihnen wahrscheinlich weniger Freiheiten lassen als andere. Eher ängstlich-dependente Oberärzte werden wahrscheinlich nichts ohne offizielle Genehmigung vom Chef durchführen. Wichtig ist hierbei immer: Seien Sie geduldig. Versuchen Sie zu lernen – und wenn es das ist, wie man es nicht macht. jjChefarzt Der Kontakt zum Chefarzt ist in der Regel recht rar. Allerdings wird das Klinikum durch den Chefarzt geprägt. Als Führungskraft prägt er den Stil, in dem ein Klinikum geleitet wird, und wie sein Team aus Oberärzten zu­ sammengesetzt ist. Zu Beginn sind die wichtigsten Berührungspunkte die Visiten. Seien Sie gut vorbereitet und kennen Sie ihre Patienten. Tragen Sie sachlich knapp das Wichtigste vor. Kein Chef mag ausufernde Erzählun­ gen, wenn noch mehrere Stationen oder Termine auf ihn warten. Jeder Vorgesetzte sieht es gerne, wenn eine Visite gut läuft, und jeder hat seinen persönlichen Schwerpunkt. Wenn ihr Chef eine Vorliebe für Pharmakolo­ gie hat, dann kennen Sie sich mit den Medikamenten aus und lernen am besten das CYP-System gleich mit dazu (am Ende sollten Sie es sowieso können). Achten Sie auf die Fragen, die er Ihnen stellt. Nehmen Sie Hin­ weise auf Lerninhalte ernst. Wenn Sie Lerndefizite haben, ärgern Sie sich nicht darüber, dass Sie sie haben, sondern nehmen den Hinweis an und schließen Sie die Lücke. Ein Feedback muss nicht immer mit der eigenen Selbsteinschätzung harmonieren. Auch muss einem der Stil des Chefarztes nicht passen. Sollte hierbei eine zu große Diskrepanz entstehen und Sie können überhaupt nicht miteinander arbeiten, so können Sie immer noch gehen.

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3

Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen oder wie passt mein Patient in das Gesundheitswesen? 3.1

Möglichkeiten der Behandlung  – 50

3.2

Wer bezahlt was? – GKV, PKV, Kosten­ erstattungsprinzip oder doch alles selbst?  – 57

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_3

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Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

Unser Gesundheitssystem ist ein gegliedertes Versorgungssystem. Je nach Krankheitsbild und dessen Schweregrad inkl. Hilfebedarf nehmen Patien­ ten verschiedene Angebote aus dem Versorgungssystem in Anspruch. Grob eingeteilt gibt es: 44 ein professionelles Hilfssystem 44 ein nichtprofessionelles Hilfesystem Das nichtprofessionelle Hilfesystem umfasst u.a. Selbsthilfegruppen, Nach­ barschaftshilfen etc. Das professionelle Hilfesystem besteht aus nichtspe­ zialisierten Vorfeldeinrichtungen und spezialisierten Kernfeldeinrich­ tungen. Zu den Vorfeldeinrichtungen gehören u.a. allgemeine Gesundheitsund Sozialversorgungseinrichtungen, z.B. Hausärzte, Sozialbehörden etc. Zu den Kernfeldeinrichtungen gehören ambulante Einrichtungen wie ­niedergelassene Ärzte und der Sozialpsychiatrische Dienst (SPD(i)) sowie die stationären und die komplementären/rehabilitativen Einrichtungen wie Wohnheime, Tagesstätte oder Werkstätte. 3.1

Möglichkeiten der Behandlung

In Deutschland können psychische Erkrankungen ambulant, teilstationär oder stationär behandelt werden. In der stationären Behandlung gibt es zwei unterschiedliche Arten von Kliniken: 44 Zum einen die Kliniken mit einem regionalen Versorgungsauftrag für krankenhausbehandlungsbedürftige Menschen. Das bedeutet auch, dass diese Klinik eine regionale Aufnahmeverpflichtung für gesetz­ lich nach BGB oder PsychKG/UGB untergebrachte Patienten besitzt (7 Kap. 9). Außerdem müssen diese Kliniken psychiatrische Notfälle mit einer verpflichtenden 24-h-Facharztverfügbarkeit (im Hinter­ grund) aufnehmen können. 44 Zum anderen gibt es die Krankenhäuser ohne eine Versorgungs­ verpflichtung. Sie wählen aus, welche Patienten sie aufnehmen und welche nicht. Privatkliniken oder kleinere rehabilitativ ausgerichtete Kliniken gehören u.a. in diese Kategorie. Ein bedeutender Unterschied besteht darin, dass im letzteren Fall eine Krankenkasse oft die Kostenübernahme ablehnen kann. kkStationär Hierunter werden vollstationäre und teilstationäre Behandlungen gezählt. Die vollstationäre Behandlung kann auf verschiedene Art erfolgen:

3.1 · Möglichkeiten der Behandlung

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44 freiwillig und geplant, also elektiv 44 als Notfalleinweisung 44 als Bewährungsauflage 44 als Zwangseinweisung Indikation für die vollstationäre Behandlung sind eindeutig Notfälle: Pa­ tienten, die eigen- oder fremdgefährdend sind, die sich suizidieren wollen oder die gegen ihren Willen untergebracht werden. Auch Patienten mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Wahrnehmung, der Affektivität oder der Sinnesverarbeitung, was ein Aufsuchen oder die kontinuierliche Behandlung im ambulanten oder teilstationären Setting unmöglich macht. Ebenfalls kann eine komplexe psychopharmakologische Behandlung, die im ambulanten/teilstationären Setting nicht durchführbar ist, eine vollsta­ tionäre Behandlung rechtfertigen. Eine kurative Behandlung eines Patienten, der nicht unter die genann­ ten Punkte fällt, kann vollstationär, teilstationär oder auch ambulant erfol­ gen. Hierzu gibt es noch keine allgemein gültigen Abgrenzungskriterien. Hinweis Als Arzt in einem Krankenhaus sind Sie verpflichtet, zu überprüfen, ob die Indikation für eine vollstationäre Behandlung besteht. Wenn eine Indikation für eine ambulante oder rehabilitative Behandlung ­besteht, dann darf der Patient unter Umständen nicht ins Krankenhaus aufgenommen werden. Im Zweifelsfall fragen Sie den erfahrenen Fachkollegen.

kkTeilstationäre Behandlung Es gibt unterschiedliche Arten der teilstationären Behandlung. Die Unter­ schiede liegen u.a. in der Indikation. So ist sie z.B. nach Entlassung aus dem vollstationären Rahmen wichtig, wenn eine erste Stabilisierung erreicht worden ist, aber eine alleinige ambulante Behandlung noch nicht ausreicht. Umgekehrt, wenn das ambulante Setting nicht mehr ausreicht, aber eine vollstationäre Behandlung noch nicht indiziert ist und das Krankheitsbild die teilstationäre Behandlung zulässt. kkPsychiatrische Tagesstätte und Sozialpsychiatrisches Zentrum Diese bieten u.a. Hilfe bei der Bewältigung von Krisen und besitzen ein tagesstrukturierendes Angebot. Zumeist gibt es keine ärztliche Versorgung. Ziele: 44 Unterstützung psychisch Kranker in Freizeitgestaltung und Tages­ strukturierung

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Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

44 Förderung der Selbstständigkeit 44 Koordination von Hilfsangebote kkSozialpsychiatrischer Dienst Im SPD(i) ist ein multiprofessionelles Team tätig. Hierzu gehören Psy­ chiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Pflegefach­ kräfte. Zumeist ist der SPD den Gesundheitsämtern angegliedert und ­kostenfrei. Bietet: 44 „aufsuchende Hilfe“, d.h. die Mitarbeiter machen Hausbesuche 44 Klärung von z.B. Klinikeinweisung 44 im Notfall auch eine sofortige Unterbringung nach PsychKG/UGB 44 Beratungsangebote für Betroffene aber auch Angehörige 44 Hilfe bei der Vermittlung zu anderen psychosozialen/fachärztlichen Diensten kkAmbulante psychiatrische Pflege (APP) oder Häusliche Krankenpflege (HKP) Die die ambulante psychiatrische Pflege oder auch Häusliche Kranken­ pflege unterstützt psychisch Erkrankte in der Bewältigung ihres Alltags. Diese Patienten benötigen trotz der meist vorhandenen ambulanten Be­ handlung ergänzende Hilfe. Das Ziel hierbei ist, eine stationäre Behand­ lung zu verhindern oder aber zu verkürzen. Bei der APP ist der Beziehungsaufbau zum Patienten sehr wichtig. Krisen sollen frühzeitig erkannt und Maßnahmen daraufhin rechtzeitig eingeleitet werden. Eine APP ist nur für bestimmte psychische Erkrankun­ gen verordnungsfähig. Der behandelnde Arzt darf eine APP verordnen, die dann als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse von dieser genehmigt wird. Voraussetzungen für eine APP: 44 Vorliegen einer fachärztlich gesicherten ICD-10(F)-Diagnose 44 Behandlungsplan vom Pflegedienst und verordnenden Arzt erstellt 44 Das Ziel der Behandlung sollte in einem bestimmten Zeitraum (4 Monate) erreichbar sein. kkAmbulant: Nervenärzte, Psychiater Die Erstbetreuung psychisch Erkrankter sowie die Koordination von ­medizinischer, sozialer und psychiatrischer Hilfe liegen zumeist in den Händen der Hausärzte bzw. der niedergelassenen Allgemeinmediziner. Hier findet oftmals der Erstkontakt statt. Daher ist es umso wichtiger, dass auch All­gemeinmediziner psychische Störungen erkennen können, um adäquate Hilfestellung leisten zu können.

3.1 · Möglichkeiten der Behandlung

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3

Nervenarzt: Nervenärzte haben den FA für Psychiatrie und den FA für Neurologie gemacht. Zumeist liegt ihr Schwerpunkt im somatischen Be­ reich. FA für Psychiatrie und Psychotherapie: Psychiater haben ihre Assis­ tenzarztzeit mindestens ein Jahr in der Neurologie und mindestens vier Jahre in der Psychiatrie verbracht (Kombinationen mit anderen Fächern lasse ich hier außen vor). Im niedergelassenen Bereich können sie sich rein therapeutisch um Patienten kümmern, sie können den Schwerpunkt auf das psychiatrische Tätigkeitsfeld (mit u.a. der Verschreibung von Psycho­ pharmaka) legen oder eine Kombination beider Bereiche anbieten, wobei die Anzahl von Therapiestunden vorgegeben wird. Die ambulante Psychotherapie kann u.a. von Psychiatern mit der ­Spezialisierung Psychotherapie und von niedergelassenen Psychologen ge­ leistet werden. kkPsychiatrische Institutsambulanz Die PIA bietet ein multiprofessionales, ambulantes Behandlungsangebot an und ist zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt. PIAs können ent­ weder ein Verbund unterschiedlicher Fachabteilungen (z.B. Psychiatrie und Neurologie) oder aber eine eigene Abteilung in einer psychiatrischpsychotherapeutischen Fachklinik sein. Die PIA: 44 ein multiprofessionelles, ambulantes Versorgungsangebot 44 umfasst ein multiprofessionelles Team aus Fachärzten 44 dient der Versorgung psychisch kranker Menschen, die aufgrund der Art, Schwere oder Dauer der Erkrankung oder einer zu großen ­Entfernung keine andere geeignete Versorgungseinrichtung auf­ suchen können 44 ist v.a. für chronisch kranke Patienten, bei denen eine kontinuierliche Behandlung notwendig ist 44 Patienten werden meist nach einer stationären Behandlung über­ nommen oder von Vertragsärzten überwiesen. kkBetreutes Wohnen Unter dem Begriff werden verschiedene Wohnformen verstanden und ­zusammengefasst. Die Betreuung der Betroffenen kann unterschiedlich intensiv ausfallen und von einigen Stunden in der Woche bis zu einer ganz­ täglichen Wohnform in therapeutischen Wohngemeinschaften reichen. Das betreute Wohnen kann direkte Hilfe im sozialen/häuslichen Umfeld des Betroffenen leisten und ist indiziert, wenn die Erkrankung besonders schwer oder ein chronischer Verlauf zu verzeichnen ist.

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Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

Ziele: 44 Tagesstruktur 44 Stabilisierung des Betroffenen 44 Unterstützung bei der Alltagsbewältigung und der Erledigung von notwendigen Dingen 44 Vermeidung/Verkürzung von vollstationären Klinikaufenthalten 44 Förderung von Selbstständigkeit Voraussetzungen: 44 ärztlicher Bericht 44 Sozialhilfegrundantrag und Antrag auf Wohnunterstützung 44 Vorliegen einer „seelischen Behinderung“ damit Hilfebedarf 44 Hilfeplan k kRehabilitation Für die Leistungen der Rehabilitation sind unterschiedliche Rehabilita­ tionsträger mit verschiedenen Schwerpunkten zuständig. 44 GKV 44 Rentenversicherungsträger 44 Bundesagentur für Arbeit 44 Unfallversicherungsträger 44 soziale Versorgungsträger und Träger der Sozial- und Jugendhilfe Deutschland verfügt über ein einzigartiges Netz von Kliniken und RehaEinrichtungen mit hohen Qualitätsstandards. Doch was bedeutet Rehabi­ litation? Das primäre Ziel einer Rehabilitation ist es, Menschen, die unter den Folgen von Behinderungen oder Krankheiten leiden, weitestgehend wieder in ihren körperlichen, geistigen oder sozialen Zustand wie vor der Krank­ heit zu versetzen oder aber die Einschränkung auf ein Minimum zu redu­ zieren. Der Betroffene soll wieder ein möglichst selbstständiges Leben führen und aber auch wieder aktiv am Berufsleben teilnehmen können. Beispiele für eine Rehabilitationsindikation: 44 Erkrankungen des Bewegungsapparates (orthopädische Rehabilitation) 44 psychische Erkrankungen, z. B. Schizophrenie (psychiatrische ­Rehabilitation) 44 Herzinfarkt (→ kardiologische Rehabilitation) 44 Schädel-Hirn-Trauma (→ neurologische Rehabilitation) 44 Wirbelsäulenverletzungen (→ neurologische/sportmedizinische ­Rehabilitation) 44 Krebserkrankungen (onkologische Rehabilitation)

3.1 · Möglichkeiten der Behandlung

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3

44 psychosomatische Erkrankungen, z.B. Ess- oder somatoforme ­Störungen (psychosomatische Rehabilitation) 44 Sprach- und Schluckstörungen (neurologische Reha) 44 Sucht (Drogentherapie) Als wichtiger Bestandteil im deutschen Gesundheitswesen gliedert sich die Rehabilitation in drei Bereiche: 44 medizinische 44 berufliche 44 soziale Rehabilitation jjMedizinische Rehabilitation Diese Art der Rehabilitation soll dem Betroffenen helfen, seinen ursprüng­ lich körperlichen Zustand soweit wie möglich wieder zu erlangen. Er soll wieder aktiv am gesellschaftlichen und beruflichen Leben teilnehmen kön­ nen. Betroffene mit chronischen Krankheiten sollen ein weitestgehend selbständiges Leben führen können; die Einschränkungen sollen dabei soweit wie möglich reduziert werden. jjBerufliche Rehabilitation oder „Teilhabe am Arbeitsleben“ „Reha vor Rente“ ist der Grundsatz, dem die berufliche Rehabilitation folgt. Hierbei sollen Betroffene mit Einschränkungen wieder in das Erwerbs­ leben integriert werden, z.B. Menschen, die bisher eine körperlich an­ spruchsvolle Arbeit ausgeübt haben und aufgrund von Krankheit nicht mehr dazu in der Lage sind. Umschulungen, Weiterbildungen, berufliche Trainingsmaßnahmen oder aber auch Werkstätten für Menschen mit Be­ hinderung gehören zu den Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation. jjSoziale Rehabilitation oder „Teilhabe in der Gemeinschaft“ Diese Reha umfasst alle Leistungen, die dem Betroffenen ein Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Wenn es möglich ist, sollte sie auch unabhän­ gig von Pflege machen. Hierzu gehören betreutes Wohnen, Wohnungs­hilfe, Tagesstätten oder Haushaltshilfen. Auch technische Hilfsmittel oder heil­ pädagogische Leistungen und/oder Förderungen sind Bestandteile der sozialen Reha. jjAmbulant vs. stationäre Rehabilitation Rechtlich sind die Rentenversicherungsträger in der Lage, ambulante Re­ habilitationen durchzuführen. Welche Reha-Art erfolgt, hängt von ver­ schiedenen Faktoren ab. Natürlich u.a. vom Schweregrad der Erkrankung und den Lebensumständen des Patienten. Es wird versucht, die Rehabilita­ tion wohnortnah durchzuführen, sofern sich eine geeignete Einrichtung in

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Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

der Nähe des Wohnortes des Patienten befindet. Auch sollte der Patient körperlich in der Lage sein, an einer ambulanten Reha teilzunehmen. Die ambulante Rehabilitation ersetzt nicht die stationäre Maßnahme. Vielmehr sollte die ambulante Rehabilitation die Wohnortnähe berück­ sichtigen und kann unter Umständen auch berufsbegleitend durchgeführt werden. kkSelbsthilfegruppen Die Selbsthilfegruppe gehört nicht zur klassischen Behandlung von Patien­ ten. Sie kann allerdings – wenn sie gut funktioniert – eine tragende Säule sein. Selbsthilfegruppen gibt es für fast alle Krankheitsbilder. Manche da­ von überschneiden sich mit somatischen Selbsthilfegruppen – z.B. Parkin­ songruppen. Es gibt Gruppen, die von den Betroffenen geleitet werden, was z.B. in diversen Suchtgruppen der Fall ist, und es gibt Gruppen die von Fachkräften geleitet werden (z.B. von Therapeuten, Sozialpädagogen, Psy­ chiatern etc.). Darüber hinaus existieren für viele Krankheitsbilder Selbsthilfegrup­ pen für Angehörige. Was wir nicht vergessen sollten ist, dass viele Ange­ hörige – ebenso wie der Patient meist selber – unter der Erkrankung des Betroffenen leiden. Dies sogar manchmal – wie im Falle der Manie – stär­ ker als der Betroffene. Sei es als Mutter oder Vater eines schweren Border­ liners, als Angehöriger eines Suchterkrankten oder eines Familienmitglieds mit Demenz – die meisten Angehörigen sind mit den psychischen Erkran­ kungen vollkommen überfordert. Gewalt – verbaler oder physischer Natur – kommt leider in diesen Familien nicht selten vor. Die sonst so freundliche Frau schlägt ihren de­ menzkranken Ehepartner, weil dieser wieder mal etwas vergessen hat. Der alkoholkranke Partner verprügelt seine Lebensgefährtin, weil sie ihn kriti­ siert hat. Wenn Sie jetzt denken, dass seien Klischees, haben Sie nur zum Teil Recht. Die Erfahrung bestätigt dies leider. Selbsthilfegruppen für An­ gehörige können helfen, da sie vermitteln, mit den Gefühlen von Hilflosig­ keit, Wut, Trauer und Überforderung nicht alleine zu sein und damit einen Großteil der Familiendynamik auffangen können. In manchen Fällen ge­ ben sie auch konkrete Hilfestellungen, z.B. wo welche Formulare zu finden sind oder wie man bestimmte Anträge stellen kann. Mit Einzug der sozialen Medien finden sich zunehmend Selbsthilfe­ gruppen im Internet und auf diversen Plattformen. Hier kann man entwe­ der eine Gruppe finden, die zu einem passt, oder aber selbst den Anstoß zum Gründen einer solchen Gruppe geben. Es lohnt sich immer wieder, Angehörige auf diese Möglichkeiten hinzuweisen.

3.2 · Wer bezahlt was?

3.2

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Wer bezahlt was? – GKV, PKV, Kosten­ erstattungsprinzip oder doch alles selbst?

Willkommen im Versorgungssystem Deutschlands. Als angehender Psy­ chiater sind Sie nun ein Teil dieses Systems. Wie Sie das bewerten wollen, überlasse ich Ihnen. Aber vergleichen Sie einmal Ihre Einstellung zu Beginn Ihrer Ausbildung und an deren Ende. Es ist interessant – glauben Sie mir. In Deutschland existiert ein großes Angebot zur Versorgung psychisch erkrankter Menschen. Auch wenn es einem oft nicht so vorkommt, ist das Versorgungssystem vielfältig. Die stationäre Psychiatrie ist ein kleiner Bau­ stein in diesem System. Es fängt bei der Information und Aufklärung zu psychischen Erkrankungen an und umfasst neben Früherkennungsmaß­ nahmen und Prävention auch Maßnahmen zur Diagnostik und Therapie. Dazu gibt es Beratungsstellen, Betreuungseinrichtungen, Hilfe bei Krisen und die medizinische und soziale Rehabilitation. Das Versorgungssystem ist in Deutschland differenziert und sektorisiert und die einzelnen Bau­ steine sind nicht immer trennscharf voneinander zu unterscheiden und es kommt zu einer gewissen Unübersichtlichkeit. Die Vernetzung und Koor­ dination medizinischer Versorgungssektoren sind teilweise schlichtweg schlecht und die Kommunikation ebenfalls. Aus dem Ganzen resultiert häufig eine regionale Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Das bedeutet, dass Patienten in dem einen Bundesland psychosoziale Angebote finden und in dem anderen nicht. Vor allem im Bereich der Rehabilitation ist der Begriff „wohnortnah“ teilweise sehr weit gefasst. Seit dem Jahr 2000 wurde mit dem Gesundheitsreformgesetz versucht, dem mit der integrierten Versorgung als sektorenübergreifende Versor­ gungsform entgegenzuwirken. Dieses Vorhaben wurde 2004 mit dem ­Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung weiter­ entwickelt. Allerdings umfasst die integrierte Versorgung nur Leistungen nach SGB V. Das bedeutet, dass für psychisch Erkrankte wichtige Behand­ lungsmodule nicht übernommen werden. Bevor wir zu den einzelnen Strukturen zur Versorgung unserer Patien­ ten kommen, lassen Sie uns einen Blick auf die Versicherung werfen, die in Deutschland am häufigsten vertreten ist und die damit für den Großteil der Kosten aufkommt: die GKV. Praxistipp Die Kranken- und die Rentenversicherung sind zwei Leistungsträger im System der sozialen Sicherung. Leistungsansprüche an die Sozialleistungsträger haben meist nur die Versicherten.

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Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

kkGKV – gesetzliche Krankenversicherung Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist grundsätzlich verpflich­ tend für alle Personen. Zusammen mit der Arbeitslosen-, der Renten-, Unfall- und der Pflegeversicherung bildet die GKV das deutsche Sozialver­ sicherungssystem. Die GKV hat zur Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhal­ ten, wiederherzustellen oder aber den Gesundheitszustand zu bessern. Dies bedeutet, dass Krankheitsbeschwerden gelindert werden. Im fünften Band des Sozialgesetzbuchs (SGB V) sind der Umfang und die Begrenzung des Leistungsanspruchs festgelegt, die alle Versicherten als grundsätzlich gleichen Leistungsanspruch besitzen. Hiernach müssen Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Die Beitragsbemessung der GKV richtet sich nach dem persönlichen Einkommen. Die private Krankenversicherung hingegen richtet ihren Bei­ tragssatz u.a. nach Alter, Geschlecht und Gesundheitsstatus. Ziel der GKV ist eine Abdeckung eines allgemeinen Lebensrisikos des Versicherten. jjLeistungen der GKV Die Leistungen werden von den Krankenkassen nach dem Sachleistungs­ prinzip erbracht und sind im SGB V festgeschrieben. Diese umfassen z.B.: 44 Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten 44 Leistungen bei Krankheit 55Krankenbehandlung 55ärztliche Behandlung inklusive Psychotherapie 55zahnärztliche und kieferorthopädische Behandlung 55Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Heil- und Hilfs­ mitteln 55häusliche Krankenpflege 55Haushaltshilfe 55Krankenhausbehandlung 55Leistungen zur medizinischen Rehabilitation 55Soziotherapie 55stationäre und ambulante Hospizleistungen 55Belastungserprobung und Arbeitstherapie 55Krankengeld 44 Fahrkosten, z.B. für Krankentransporte 44 Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, soweit diese dazu ­dienen, eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen oder zu mindern. 44 Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft

3.2 · Wer bezahlt was?

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3

44 Leistungen zur Verhütung von Krankheiten und deren Verschlimme­ rung sowie zur Empfängnisverhütung, bei Sterilisation und bei Schwangerschaftsabbruch jjKrankenkassen Die Krankenkassen regeln ihren Haushalt eigenverantwortlich. Die Aufga­ ben einer Krankenkasse werden ebenfalls nach den Maßgaben des SGB V festgelegt. Die gesetzliche Krankenkasse muss Pflichtleistungen erbringen, die gesetzgeberischen Leistungsvorgaben entsprechen. Arten der Krankenkasse: 44 Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK): Sie existieren für abgegrenzte Regionen 44 Betriebskrankenkasse (BKK): kann von einem Arbeitgeber mit ­mindestens 1000 Versicherungspflichtigen gegründet werden 44 Innungskasse (IKK): kann von Handwerksinnungen mit mindestens 1000 Versicherungspflichtigen gegründet werden 44 Knappschaft (KBS): ursprünglich nur für Arbeitnehmer des Bergbaus 44 Ersatzkassen (EK): entstanden aus Selbsthilfevereinigungen 44 Landwirtschaftliche Krankenkasse (LKK): für Landwirte und ihre ­Familien jjMitgliedschaft In der GKV kann der Krankenversicherungsschutz als Pflichtmitglied­ schaft, über eine Familienversicherung oder als freiwillige Versicherung bestehen. Die Mitgliedschaft eines versicherungspflichtigen Beschäftigten beginnt mit dem Eintritt in das Beschäftigungsverhältnis und endet mit Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis ebenfalls endet. Außerdem endet es durch den Tod des Mitglieds. jjPsychotherapie Wie schon dargestellt, gehört die Psychotherapie ebenfalls zur Leistung der GKV. Jährlich werden hierfür mehrere hundert Millionen Euro an die psy­ chologischen Psychotherapeuten ausgeschüttet. Die stationäre Psychiatrie kostet ungefähr vier Milliarden Euro. Auch hier findet Psychotherapie statt. Denken Sie daran, wenn Sie nachts im Dienst jemanden aufnehmen. Hier sind Sie die Schnittstelle. Sie fangen schon im Erstkontakt den Patienten auf. Für den weiteren Therapieverlauf kann solch ein erster Kontakt essen­ tiell sein. Weitere Punkte und Aufgabenkreise der GKV finden Interessierte auf der Website des Dachverbandes: https://www.gkv-spitzenverband.de/

60

Kapitel 3 · Struktur von Gesundheitssystem und Krankenhauswesen

kkPKV – private Krankenversicherung Die private Krankenversicherung ist im deutschen Gesundheitswesen er­ gänzend oder auch anstelle einer gesetzlichen Krankenversicherung mög­ lich. Dies ist das Prinzip des zweigliedrigen bzw. dualen Krankenversiche­ rungssystems. Die privaten Krankenversicherungen sind privatwirtschaftliche Unter­ nehmen, die Krankenversicherungen verkaufen. Hierbei wird die private Krankenversicherung in Form von Aktiengesellschaften und Versiche­ rungsvereinen betrieben. Ihre Grundlage bilden rechtlich gesehen das ­Unternehmensrecht, das Versicherungsaufsichtsgesetz und das Versiche­ rungsvertragsgesetz. Die Krankenversicherung kommt in Form eines pri­ vatrechtlichen Vertrags zustande. Der Patient – also der Versicherungsnehmer – hat die Pflicht zur Zah­ lung der im Vertrag vereinbarten Beiträge. Er hat das Recht auf die Ver­ tragsleistung bei Eintritt des Versicherungsfalls. Im Vergleicht zu der GKV, deren Träger u.a. Körperschaften des öffent­ lichen Rechts sind, unterstehen die Versicherer der PKV mit Sitz in Deutschland der Finanz- und Rechtsaufsicht (Bundesanstalt für Finanz­ dienstleistungsaufsicht). Eine private Krankenversicherung kommt für Menschen in Betracht, die nicht nach dem §5 SGB V in der GKV pflichtversichert sind. Dazu gehören: 44 Selbstständige 44 Freiberufler 44 Beamte, Richter 44 Arbeiter, Angestellte oder freiberuflich tätige Künstler oder Journa­ listen, mit einem Bruttoeinkommen oberhalb der Versicherungs­ pflichtgrenze (2018: 59.400 €) Grundlage für einen solchen Vertrag ist das individuelle Risiko. Hier ist u.a. wichtig: 44 Eintrittsalter und Gesundheitszustand vor Vertragsbeginn 44 Berufsgruppe 44 zu versichernde Leistung Sollten nun bei dem Patienten bestimmte Krankheitsrisiken bzw. bereits eine Erkrankung vorliegen, kann die Versicherung einen Risikozuschlag oder einen Leistungsausschluss vereinbaren. Bei ungünstiger finanzieller Lage des Patienten kann die Versicherung den Antrag auf private Kranken­ versicherung ablehnen. Ein Wechsel von der PKV zur GKV ist unter bestimmten Vorausset­ zungen möglich: https://www.pkv.de/themen/krankenversicherung/sofunktioniert-die-pkv/wer-kann-sich-privat-versichern/

3.2 · Wer bezahlt was?

61

3

kkKostenerstattungsprinzip Neben den Kassenzulassungen existieren weitere Möglichkeiten, Patienten psychotherapeutisch zu behandeln, was dann trotzdem von den Kassen bezahlt wird. Zumindest war das Kostenerstattungsverfahren in den letzten Jahren eine Möglichkeit vieler Therapeuten, auch ohne Kassensitz Patien­ ten zu behandeln. Dies wird allerdings zunehmend schwerer, da die Kassen vermehrt darauf achten, dass Patienten rechtzeitig einen Therapieplatz bei einem zugelassenen Therapeuten erhalten. Grundsätzlich müssen gesetzliche Krankenkassen (GKV) eine flächen­ deckende, bedarfsgerechte und wohnortnahe Versorgung ihrer Versicher­ ten gewährleisten. Darüber hinaus müssen sie rechtzeitig für die notwen­ dige Behandlung ihrer Versicherten sorgen. Falls ein Patient trotz angemessener Suchaktivitäten bei einem nieder­ gelassenen Psychotherapeuten nur nach einer unzumutbar langen Warte­ zeit einen Therapieplatz findet, ist die GKV nun aber nicht in der Lage, diesen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen (rechtzeitig). In diesen Fällen hat der Patient das Recht, sich die notwendige Leistung selbst zu beschaffen. Die Kosten, die ihm schließlich durch diese selbst beschafften Leistungen entstehen, muss die GKV erstatten. Dieser Anspruch ist in § 13 Absatz 3 SGB V gesetzlich geregelt und gilt gegenüber allen GKVen. Der Patient muss zuerst möglichst viele von den Kassen zugelassenen Psychotherapeuten in Wohnortnähe kontaktierten und diese nach einem freien Behandlungsplatz fragen. Er erbringt dann den Nachweis, dass keine rechtzeitige Behandlung bei einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung möglich war. Hierfür führt der Patient ein Protokoll. Hat der Patient meh­ rere Therapeuten kontaktiert, muss er der Krankenkasse schriftlich mittei­ len, das kurzfristig kein Therapiebeginn möglich ist, und die Kasse bitten, ihm im Rahmen einer zeitlichen Frist einen Psychotherapeuten zu nennen. An dieser Stelle haben die Krankenkasse ihre Abläufe enorm optimiert. Da dies vor einigen Jahren noch nicht gut funktioniert hatte, wurden eher Kostenerstattungen genehmigt. Da die Kassen nun viele Therapeuten nen­ nen können, ist das Verfahren kaum mehr zu verwenden. kkRentenversicherung Die Rentenversicherung umfasst u.a. Leistungen aus dem Rehabilitations­ bereich. Das Ziel hierbei ist es, den Betroffenen für das Erwerbsleben ent­ weder zu stabilisieren oder wieder in dieses einzugliedern. Es gibt zwar die Möglichkeit auch im ambulanten Rahmen eine Reha­ bilitation durchzuführen, doch werden Reha-Maßnahmen v.a. in einem stationären Rahmen betrieben. Die Voraussetzung für solch eine Rehabili­ tation ist, dass u.a. eine ausreichende Vorversicherungszeit bestand und dass diese Rehabilitation zu einer Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit oder einer wesentlichen Besserung dieser führt (7 Abschn. 3.1).

63

4

Organisation einer ­psychiatrischen Station 4.1

Pflegepersonal  – 65

4.2

Stationsalltag  – 66

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_4

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Kapitel 4 · Organisation einer p ­ sychiatrischen Station

Jede Station und jede Abteilung eines Krankenhauses bilden einen eigenen kleinen Mikrokosmos. Die Psychiatrie bildet da keine Ausnahme – im Gegenteil. Die einzelnen Stationen trennen mitunter Welten. Sie können auf einer somatisch ausgerichteten Station arbeiten und sich vornehmlich um Alkoholentzüge oder Demenzen kümmern oder sie können auf einer rein therapeutisch ausgerichteten Station sein, wo das Abweichen bestimmter Laborwerte schon Verzweiflung bei der Pflege auslöst, während dies auf der anderen Station niemanden aufregt. Es kann sein, dass sie als Stationsarzt durchgehend auf der Station präsent sein, sich um die Vitalwerte ihrer Patienten kümmern und vor allem Angehörigengespräche führen müssen, z.B. auf einer Demenzstation, oder Sie werden durch Gruppentherapien, Einzelgespräche, Supervision, Tätigkeit in der Institutsambulanz einen zergliederten Tagesablauf haben. Meistens liegt das Arbeiten in vielen Kliniken irgendwo dazwischen. Wie genau Ihr neuer Arbeitsplatz aussieht, hängt vom Haus ab – ist es eine einzelne Station zwischen der Inneren und der Urologie, liegt die Psychiatrie etwas abseits oder handelt es sich gar um ein Fachklinikum? Ist es im Pavillonstil aufgebaut oder als Bettenhaus. Es ist natürlich auch von den Anforderungen der Klientel und des Behandlungskonzepts abhängig: Schwer demente Patienten haben andere Bedürfnisse an die bauliche und personelle Ausstattung als junge Erwachsene mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Grundsätzlich muss zwischen geschlossenen, fakultativ offenen und offenen Stationen unterschieden werden. Lassen Sie sich die Schließanlage inklusive Notknopf etc. zeigen. Behalten Sie den Schlüssel immer bei sich (nicht im Gespräch auf den Tisch legen, nicht offensichtlich in der Kitteltasche etc.) und lassen Sie keine Ihnen unbekannte Personen aus einer geschlossenen Station heraus! Auch nicht, wenn sie behauptet, Besuch, Konsiliarius, Richter oder was auch immer zu sein. Im Zweifel gibt Ihnen das Pflegepersonal Auskunft. Die meisten Kliniken gliedern die psychiatrischen Stationen nach Krankheitsbildern auf: Sucht, Gerontopsychiatrie, Psychosen, Psycho­ therapie etc. Andere Systeme kommen zwar vor, sind aber eher die Aus­ nahme. Je somatischer das Krankheitsbild ist (z.B. Gerontopsychiatrie, Sucht), desto mehr ähnelt die Station einer peripheren somatischen Station. Sie besitzt also Patientenzimmer mit Klingeln, Pflegebetten, reinen und unreinen Arbeitsraum, Dienstzimmer und Aufenthaltsraum für das Pflege­ personal, Arztzimmer und für die Patienten meist einen Speise- und einen Therapieraum. Auf den Akutstationen gibt es meist eine Möglichkeit zur räumlichen Abschirmung und Überwachung (z.B. Krisenzimmer, TimeOut-Room). Diese Räume sind zumeist besonders ausgestattet – kein Mobiliar mit Verletzungsgefahr, „weiche“ Wände, besondere Fensterscheiben oder Ähnliches. Ist der Klinik ein Maßregelvollzug angeschlossen, so gibt

4.1 · Pflegepersonal

65

4

es für diesen ebenfalls besondere Sicherheitsvorschriften, die Sie sich schon zu Beginn ihrer Ausbildung eingehend erklären lassen sollten. Zumeist sind besondere Ein- und Ausgangsschleusen zu beachten, besondere Not­ alarmsysteme etc. Psychotherapiestationen ähneln oft eher einem Wohnbereich mit normalen Betten und zusätzlichen Aufenthalts- und Gemeinschafts­ räumen. In diesem Bereich soll möglichst wenig „Krankenhausatmo­ sphäre“ entstehen. In manchen Kliniken befindet sich das Arztzimmer direkt auf der ­Station, in manchen auch etwas abgelegen. Beides hat Vor- und Nachteile. Liegt das Zimmer außerhalb, lässt es sich etwas abgeschotteter arbeiten. Befindet sich das Zimmer direkt auf der Station, ist man im Notfall schneller vor Ort und bekommt auch sonst mehr vom Stationsgeschehen mit. 4.1

Pflegepersonal

Ein entscheidender Faktor für das reibungslose Arbeiten auf einer Station ist der Kontakt zum Pflegepersonal. Machen Sie die Pflege zu Ihrem Partner. Sie und der Patient profitieren davon – und letztendlich das Klima auf Station. Sie sollten die Personalstrukturen der Station gut kennen. Auch das Personal, das „auf Station“ kommt – Ergo-, Musik-, Gestalttherapeuten etc. – sollten Sie kennen und respektieren. In diesem Gefüge, das oftmals schon seit Jahren besteht, sollten Sie Ihren Platz finden. Wichtig ist Ihr Auftreten. Respekt und Höflichkeit den anderen gegenüber sollten selbstverständlich sein. Auch wenn Sie es vielleicht nicht gerne hören, aber so manche erfahrene ältere Schwester hat mehr Erfahrung als ein junger Assistenzarzt – auch im Umgang mit schwierigen Patienten. Das Pflegepersonal hat schon so manchen Assistenzarzt kommen und gehen sehen. Sie sind nicht der erste und auch nicht der letzte Neuankömmling, der dort eingesetzt wird. Jeder, der in ein Team kommt, muss sich seinen Platz erarbeiten und das braucht Geduld und Zeit. Insbesondere als Berufsanfänger können Sie viel vom Pflegepersonal lernen – es gibt wenig, was eine Psychiatrieschwester kurz vor dem Rentenalter noch nicht gesehen hat. Vergessen Sie aber auch nicht: Sie sind weisungsbefugt und verantwortlich – nur weil etwas „hier schon immer so war“, heißt dies nicht automatisch, dass es richtig ist. Im Zweifelsfall halten Sie Rücksprache mit Ihrem Oberarzt. Sehen Sie sich um und versuchen Sie herauszufinden, mit welchem Typ Mensch Sie es zu tun haben. Viele Schwestern und Pfleger haben sich im Laufe ihrer Dienstjahre besondere Fähigkeiten angeeignet und verfügen über ein gewisses Maß an speziellem Fachwissen. Fragen Sie sie. Zu Beginn der Assistenzarztzeit kön-

66

Kapitel 4 · Organisation einer p ­ sychiatrischen Station

nen Sie einfach noch nicht alles wissen und können – und das wissen auch die anderen. Seien Sie nicht zu stolz, sich dies einzugestehen und andere um Hilfe zu bitten. Spätestens bei Notfällen brauchen Sie sie ohnehin. Ein Hinweis für den Anfang: Ich kenne kein Team, das sich nicht über eine Art Einstand freut. Ein Kuchen, ein Frühstück oder was Ihnen sonst einfällt, kann Hemmungen und Hürden am Anfang abbauen. Zeigen Sie den anderen, dass Sie sich freuen, nun in diesem Team mitarbeiten zu können. Fortbildungskurse, spezielle Visiten, Stationssupervisionen sind in ­jeder Klinik unterschiedlich geregelt. Im Allgemeinen gibt es auf jeder Station eine Leitung (meist als „Stationer“ bezeichnet) und mindestens eine stellvertretende Leitung. Auch jede Schicht hat eine Leitung – ist der Stationer im Dienst übernimmt er auch die Schichtleitung. Wenn nicht, muss dies zumindest eine exami­nierte Pflegekraft sein. Oftmals ist die Station auch nur durch eine examinierte Gesundheits- und Krankenpflegekraft und ansonsten durch Altenpfleger, Heilerziehungspfleger, Pflegehelfer, Schüler und Praktikanten besetzt. Im Bereitschaftsdienst ist die Schichtleitung Ihr bester Ansprechpartner, weil diese in der Regel einen guten Überblick über „ihre“ Station hat. Psychotherapiestationen arbeiten oft mit dem Konzept der sog. Bezugspflege. Das bedeutet, dass eine Pflegekraft nur für bestimmte Patienten zuständig und deren primäre Bezugsperson im Stationsalltag ist. Neben der Pflege arbeiten weitere Berufsgruppen wie Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und andere mit den Patienten. Hier lohnt ein Austausch. Sie erhalten ein vollständigeres Bild, wenn Sie die Ansichten und Erfahrungen dieser Therapeuten kennen. Außerdem kann es einfach sehr lehrreich sein, wenn Sie sich anhören, wie von unterschiedlichen Seiten mit demselben Patienten gearbeitet wird. Auch gehören Reinigungskräfte und Servicepersonal zu den meisten Stationen dazu. Sie arbeiten meist im Hintergrund, sind aber für eine Station ebenso essentiell wie alle anderen Mitarbeiter. Seien Sie sich nicht zu schade, freundlich zu ihnen zu sein. Diese Menschen leisten ebenfalls enorme Arbeit und freuen sich genau wie Sie, wenn ihre Leistung anerkannt wird. 4.2

Stationsalltag

In der Regel beginnt Ihr Stationsalltag mit dem Betreten des Klinikums. Ob Sie sich gleich auf die Akten, Patienten oder in Ihr Arztzimmer stürzen, bleibt Ihnen überlassen. Aber zumeist ist es gut, am Morgen bei der Pflege vorbeizuschauen. Fragen Sie nach, ob etwas Besonderes in der vergangenen

4.2 · Stationsalltag

67

4

Nacht geschehen oder was neu für diesen Tag geplant worden ist. Trinken Sie einen Tee oder einen Kaffee mit Ihrem Team und dann gehen Sie weiter. Meist folgt die Blutentnahme auf der Station. Im Anschluss folgen Aufnahmen, Entlassungen, Visiten, Therapien oder was auch immer der Plan für den Tag vorgibt. kkVisite Egal in welchem psychiatrischen Bereich Sie eingesetzt sind, werden Visiten stattfinden. Der grobe Plan sieht zumeist einmal wöchentliche Oberarztvisiten sowie einmal in der Woche eine Stationsarztvisite und/oder ggf. Kurvenvisite vor. Hinzu kommt im regelmäßigen Abstand die Chefarzt­visite. Während der Visite gilt es, den Patienten zu besprechen. Manche Oberärzte ziehen es vor, die Patienten zu sich kommen zu lassen, oder aber mit Ihnen und einer Pflegekraft von Zimmer zu Zimmer zu gehen. Egal wie – Sie sollten Ihre Struktur haben. In der Oberarztvisite stellen sie kurz (!) den Patienten vor und besprechen dann den aktuellen Behandlungsstand. Im Anschluss erklären Sie Ihre Behandlungsstrategie. Wie genau die Visite letztendlich abläuft, liegt sehr an der Persönlichkeit Ihres Oberarztes. Aber es macht sich immer gut, das Krankheitsbild und die Medikation des Patienten zu kennen. Je strukturierter Sie vorgehen, desto eher halten Sie den Zeitplan ein und provozieren weniger kritische Nachfragen. Dokumentieren Sie die Visite in der Patientenakte mit dem zu dem Zeitpunkt bestehenden psychopathologischen Befund. Sie bringen Ihre Arbeitgeber in Erklärungsnot, wenn Sie enthusiastisch schreiben: „Dem Patienten geht es vollkommen gut...“, „Die Medikation wirkt...“ und den Patienten hierbei teilweise über Wochen behandeln. Da wird der MDK schon kritisch draufschauen. Verstehen Sie mich nicht falsch – Sie sollen nichts Falsches schreiben, aber dokumentieren Sie eher, warum eine Behandlung sinnvoll ist und wo der Patient noch Schwierigkeiten hat (z.B.: „...hintergründig angespannt...“, „Patient zeigt sich ambivalent bezüglich...“, „...vermindert modulationsfähig und affektiv herabgestimmt...“). Es soll auch für Dritte deutlich werden, warum auch weiterhin eine Behandlungsindikation besteht. Die Chefarztvisite wird meist vorher angekündigt. Bereiten Sie sich bitte darauf vor. Die meisten Chefärzte mögen klare Antworten und eine klare Patientenvorstellung, z.B. Zimmer 2, Bett 1 (oder: am Fenster, an der Tür...), Frau XY, Alter, Beruf, aufgenommen am, weil...; Symptome, Verdachtsdiagnose, durchgeführte therapeutische und diagnostische Maßnahmen, ggf. durchgeführte rechtliche Maßnahmen, ggf. medikamentöse Behandlung und dann das Relevante für die Weiterbehandlung mit Behandlungsplan und -ziel.

68

Kapitel 4 · Organisation einer p ­ sychiatrischen Station

Gegen Ende der Assistenzarztzeit kann solch eine Chefarztvisite auch zu einer Vorbereitung auf die Facharztprüfung umgewandelt werden. Sehen Sie das nicht als „Strafe“ oder ein „Ärgern“, sondern vielmehr als ­Möglichkeit und Chance, Ihr Wissen zu testen. Im Zweifelsfall wissen Sie hinterher, was Sie noch lernen müssen. Hinweis Versuchen Sie, Ihre Stationsvisiten in einem Zug durchzugehen – a­ ußer es passieren Notfälle. Es gibt nichts Mühsameres, als nach Unterbrechungen ständig den roten Faden wieder aufnehmen zu müssen. Hier können nur allzu leicht auch Fehler passieren. Gewichten Sie ­Informationen und strukturieren Sie Ihre Übergaben.

Gegen Ende des Arbeitstages sollten Sie noch einmal bei der Pflege vorbeischauen, um eventuell notwendige Unterschriften, abschließende Fragen oder Ähnliches zu klären.

69

5

Patientenmanagement 5.1

Aufnahme  – 70

5.2

Dokumentation  – 71

5.3

Aufklärung  – 73

5.4

CIRS- oder Fehlermanagement   – 75

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_5

70

5.1

Kapitel 5 · Patientenmanagement

Aufnahme

Das Aufnahmeprozedere von Patienten ist von Haus zu Haus verschieden. Die elektive Aufnahme von Patienten kann über eine zentrale Aufnahme erfolgen oder aber direkt auf der Station. Die Notaufnahmen erfolgen ­zumeist über die Rettungsstelle, einer zentralen Aufnahme oder aber auch direkt auf Station. Einen Notfall sollten Sie sich sofort ansehen und klären: 1. Warum ist es ein Notfall 55Suizidalität? 55Eigen-/Fremdgefährdung? 55drohender/stattgehabter Krampfanfall im Entzug? 2. Ist dieser Notfall von somatischer Seite auf Ihrer Station zu behandeln? 55schwere Schnittverletzungen? 55unklare Mischintoxikation mit Koma? 3. Sind im Vorfeld alle somatischen Untersuchungen gelaufen? 55nach Erhängen z.B. Sono der Halsgefäße, um Schäden auszu­ schließen 4. Ordnen des Ablaufs der Aufnahme 55Welche Maßnahmen müssen Sie sofort ergreifen, welche später? 5. Somatische Stabilisierung, Notfallmedikation, Rechtsgrundlagen ­klären. Ab Punkt fünf sollte die Aufnahme dann ihren „gewohnten“ Gang gehen. Wenn sich die Hektik etwas gelegt hat, versuchen Sie ggf. Informationen i.S. einer möglichen Fremdanamnese zu erhalten. Bei Patienten, mit denen Sprachbarrieren bestehen, müssen Dolmetscher hinzugezogen werden. Fragen Sie, ob es eine Liste mit Telefonnummern regelmäßig eingesetzter Dolmetschers gibt, oder ob jemand aus der Pflege die Sprache des Patienten spricht. Wenn ein Patient elektiv zur Aufnahme kommt, lassen Sie am besten zuerst die Pflege ihren Teil der Aufnahme absolvieren. Die Zeit können Sie nutzen, um im Computersystem nachzusehen, ob der Patient in der Klinik bereits bekannt ist. Wenn ja, können Sie dem bereits Informationen über evtl. in der Vorgeschichte verschriebene Medikamente oder Diagnosen entnehmen und mit der aktuellen Situation in der Aufnahme abgleichen. Für die eigentliche Aufnahme überlegen Sie sich einen für Sie stim­ migen Ablauf. Bewährt hat sich, die körperliche Untersuchung nach der Anamnese durchzuführen. Überfallen Sie Ihre Patienten nicht gleich zu Beginn mit gezücktem Stethoskop oder bereitgestelltem BlutentnahmeSet.

5.2 · Dokumentation

71

5

Am besten beginnen Sie den in 7 Kap. 6 beschriebenen Ablauf, indem Sie sich vorstellen. Eine genaue Zeitvorgabe für eine Aufnahme gibt es nicht. Die Anamnese kann sehr aufwendig sein (z.B. bei komplextraumatisierten Psychotherapiepatienten) oder aber eher kurz (z.B. wiederholte Aufnahme eines Abhängigkeitserkrankten auf der Suchtstation). In beiden Fällen sollten Sie sich aber strukturieren, damit Sie nicht Gefahr laufen, etwas zu übersehen, oder aber ausufernd und letztendlich verwirrt ihre Aufnahme zu machen. Im Anschluss an die Anamnese folgt die körperliche Untersuchung. Danach wird der Patient wieder an die Pflege übergeben. Für Sie folgt – wenn Sie es nicht gleichzeitig zur Aufnahme getan haben – die Dokumentation (7 Abschn. 5.2). Dokumentieren Sie unabhängig von der Station oder der Situation, ob der Patient sich glaubhaft von Suizidalität distanzieren kann oder nicht und ob er freiwillig bleibt. Auf die Dokumentation in das Computersystem folgen das Ansetzen der Medikation und der anstehenden Untersuchungen. Ein Drogenscreening ist sinnvoll, bei verschiedenen Medikamenten auch das Bestimmen des Medikamentenspiegels. Ein Labor sollte am besten am selben Tag erfolgen, ein EKG spätestens am nächsten. Hinsichtlich einer Bildgebung erfragen Sie die Maßgaben Ihres Hauses. 5.2

Dokumentation

Auch wenn man sich als Arzt eher mit allem anderen beschäftigen will als mit dem manchmal doch als lästig empfundenen Papierkram, muss an dieser Stelle die Wichtigkeit der ärztlichen Dokumentation betont werden. Zum einen dient die Dokumentation Ihnen und Ihren Kollegen dazu, Ihr ärztliches Handeln chronologisch nachvollziehbar zu machen. Warum Sie in welcher Situation welches Medikament an- oder abgesetzt haben, sollte auch nach mehreren Tagen verständlich sein. Auch wenn Sie es sich vielleicht merken können, spätestens nach mehreren Monaten haben Sie es wieder vergessen. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt Fragen auftauchen, hilft Ihnen die Dokumentation. Auch hilft sie Kollegen im Dienst, die sonst nicht auf Ihrer Station sind, Ihre Schritte nachzuvollziehen. Zum anderen ist in Deutschland eine zunehmende Tendenz von ­Regressforderungen seitens der Krankenkassen und auch der Patienten erkennbar. Die Gerichte erkennen zumeist nur das an, was schriftlich festgehalten wurde. Da können Sie sich in der Anamnese und den anschließenden Untersuchungen noch so viel Mühe gegeben haben, es gilt leider: „Was nicht dokumentiert ist, wurde nicht gemacht.“

72

Kapitel 5 · Patientenmanagement

Gewöhnen Sie sich am besten auch hier einen Ablauf mit Datum, Uhrzeit, Text und Unterschrift an. Investieren Sie zu Beginn Ihrer Assistenzzeit Zeit in eine strukturierte Anamnese und Befunderhebung sowie deren Dokumentation, um möglichst schadensfrei Ihren Beruf ausüben zu können. Dies wird vor allem in Krisensituationen wichtig und kann Ihnen vor Gericht im Zweifelsfall viel ersparen. Die Dokumentation endet nicht mit der Aufnahme. Auch das Dokumentieren des Krankheitsverlaufs gehört zu Ihren Aufgaben. Die Dokumentation kann auch nicht an Pflegekräften delegiert oder durch deren Pflegedokumentation ersetzen werden, sondern ist von Ihnen zu erledigen. Sie sollen schließlich die ärztlichen Entscheidungsabläufe nachvollziehbar darstellen und nicht jeder Pflegekraft müssen diese verständlich sein. Zusätzlich sollten Sie sich angewöhnen, auch Besonderheiten – z.B. Aufklärungsgespräche, Angehörigengespräche, Gespräche mit Richtern und deren Entschlüsse – zu dokumentieren. Schreiben Sie keine Romane, sondern nachvollziehbar, wenn nötig in Stichpunkten und versehen mit Datum und Zeitangabe. Sollten Sie mit der Entscheidung eines Kollegen – auch eines Oberarztes – überhaupt nicht einverstanden sein, bitten Sie diesen, seine Entscheidung und sein Vorgehen selbst zu dokumentieren. Wenn Sie mit den Entscheidungen nicht einverstanden sind, dann ist es hinterher schwer zu erklären, wenn es doch Ihre Unterschrift trägt. Die Dokumentation schließt mit der Epikrise ab, die zeitnah fertig sein sollte. Einen Kurzbrief mit den Diagnosen und der zum Entlassungszeitpunkt verordneten Medikamenten bekommt der Patient am Entlassungstag mit, damit die nachfolgenden Behandler über alles Wesentliche informiert sind. Hierfür kann man sich auf seinem Computersystem Vorlagen anfertigen, die dann ziemlich schnell abzuarbeiten sind. Akzeptieren Sie Dokumentation als integralen Bestandteil Ihres ­Berufs. Praxistipp Fertigen Sie sich Word-Dokumente an, die alle wichtigen Punkte strukturiert umfassen: Aufnahme, Anamnese, Entlassung. Schauen Sie sich Epikrisen von erfahrenen Kollegen an. Wenn Sie Textbausteine verwenden, achten Sie bitte darauf, ob der ­Inhalt auf den Patienten zutrifft. Es könnte sonst zu Verwirrung beim Kollegen führen und es ist nicht angenehm, wenn Textbausteine als solche eindeutig zu erkennen sind.

5.3 · Aufklärung

5.3

73

5

Aufklärung

Auch als Psychiater sind Sie zur Aufklärung verpflichtet. Nach ständiger Rechtsprechung ist jeder ärztliche Heileingriff, der die körperliche Integrität berührt, tatbestandlich eine Körperverletzung. Daher spielt die Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes bei Arzthaftungsprozessen eine wichtige Rolle. Sie bewahrt den Arzt u.a. davor, mit seinem Eingriff eine strafbare Körperverletzung zu begehen. Hierzu zählen nicht nur Opera­ tionen! Als Körperverletzungen gelten auch therapeutische und diagnostische Maßnahmen, z.B. Lumbalpunktionen, Bildgebungen, Medikamenteneinstellung oder -umstellungen. Im Zweifelsfall alles, was Sie mit Ihrem Patienten anstellen. Medizinische Maßnahmen können nur im Konsens durchgeführt werden, also wenn der Patient dem ärztlichen Handeln aus freiem Willen zustimmt. In der Psychiatrie gilt das genauso, wie in allen anderen medizinischen Fachbereichen. Allerdings haben es Psychiater manchmal etwas schwerer, da nicht alle Patienten ihren freien Willen so äußern können und durch die psychischen Erkrankungen sich selber (oder andere) gefährden. Eine 42-jährige schizophrene Patientin mit ausgeprägtem Vergiftungswahn und schwer einstellbarem Hypertonus lehnt die medikamentöse Behandlung ab. Zuvor hat sie selbstständig ihre antipsychotische Medikation abgesetzt, anschließend die antihyperntensive. Die Blutdruckkrisen verarbeitet sie als Zeichen dafür, dass das „Gift“ schon angefangen hat zu wirken.

Hier kann man gut sehen, dass die Patientin aufgrund der psychischen Erkrankung nicht mehr klar einschätzen kann, dass die antihypertensive Medikation notwendig ist. In solchen Fällen klären Sie, ob eine Betreuung mit dem Aufgabenbereich „Gesundheitsfürsorge“ vorliegt. Wenn nicht, sollten Sie eine Eilbetreuung einrichten. In solch einem Fall besprechen Sie mit Ihrem Oberarzt das weitere Vorgehen mit ggf. dem Einleiten einer Zwangsmedikation (weiteres Vorgehen: 7 Kap. 9). Gibt es eine schriftliche Patientenverfügung? Dann ist ein Gespräch mit dem Betreuer/Bevollmächtigten zu führen, um den Patientenwillen festzustellen. Wenn zwischen Ihnen als Arzt und dem Betreuer/Bevollmächtigtem kein Einvernehmen über den (mutmaßlichen) Patientenwillen besteht, muss letztendlich das Betreuungsgericht entscheiden. Ist der Patient aufklärungsfähig, gelten folgende Grundlagen: 44 Jeder ärztliche Eingriff ist tatbestandlich eine Körperverletzung. 44 Wenn der Eingriff ohne Einwilligung erfolgte, kommt es für einen Schadenersatzanspruch des Patienten nicht mehr auf das Vorliegen

74

Kapitel 5 · Patientenmanagement

eines Behandlungsfehlers an, der gesamte Heileingriff wird dann rechtswidrig und führt zu einer Haftung. 44 Maßstab für die Aufklärung ist die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts, der Patientenautonomie und der Entscheidungsfreiheit des Patienten. 44 Die Aufklärung muss rechtzeitig vor der Behandlung erfolgen. 44 Eine Einwilligung ist nur dann entbehrlich, wenn der Eingriff zur Abwendung einer drohenden Gefahr für den Patienten (z.B. Notfall) sofort durchgeführt werden muss und die Einholung einer Einwilligungserklärung nicht möglich ist. 44 Aufgeklärt werden muss auch über Alternativen. 44 Der Patient muss für eine wirksame Einwilligung die notwendige Willensfreiheit und Urteilskraft besitzen, um die Tragweite seiner ­Erklärung erkennen und das Für und Wider abzuwägen zu können. 44 Der Patient erhält eine Kopie des Aufklärungsbogens. 44 Sie dokumentieren alles. Im Prinzip ist die Aufklärung recht einfach. Gehen Sie transparent vor. Erklären Sie Ihrem Patienten die spezifischen Risiken, die Chancen und den Nutzen sowie das Behandlungsziel und mögliche Alternativen. Das gilt für diagnostische wie auch für alle anderen Maßnahmen. Wenn ein Patient einwilligungsfähig ist und er vollumfassend aufgeklärt wurde, aber trotzdem die Behandlungsmaßnahme (z.B. ein Medikament) ablehnt, können Sie einen Kollegen bitten, noch einmal mit dem Patienten zu sprechen. Prinzipiell ist jedoch der Wille des Patienten zu respektieren. Versuchen Sie nicht, ihn zu überreden, sondern versuchen Sie zu verstehen, warum er die Maßnahme ablehnt. Sollten Ängste im Vordergrund stehen, kann versucht werden diese abzubauen. Lehnt ein Patient eine Maßnahme trotz aller Aufklärung ab, klären Sie ihn über die möglichen Konsequenzen auf. Die Entscheidungsfreiheit und die Autonomie des Patienten besitzen immer Vorrang. Er darf auch gegen alle Vernunft alles ablehnen, was er möchte, sofern er die Konsequenzen abschätzen kann. Dokumentieren Sie die Ablehnung und auch Ihre Aufklärungsarbeit. Bei der Aufklärung fremdsprachiger Patienten müssen Sie sicherstellen, dass der Patient Ihre Aufklärung nachvollziehen kann. Ansonsten muss eine sprachkundige Person hinzugezogen werden (z.B. Angehörige, Mitarbeiter, Dolmetscher).

5.4 · CIRS- oder Fehlermanagement

5.4

75

5

CIRS- oder Fehlermanagement

Fehler können überall passieren, sei es aus mangelnder Erfahrung, mangelndem Wissen oder ähnlichem. Wichtig ist, wie damit dann umgegangen wird. kkKonzept CIRS bedeutet „Critical Incident Reporting System“: Berichtssystem über kritische Vorkommnisse. Es handelt sich um ein Berichtssystem zur anonymisierten Meldung von kritischen Ereignissen in der Luftfahrt und seit 2014 im Gesundheitswesen. Hierbei wird eine Unterscheidung zwischen aktivem und latentem Versagen bzw. einem Personen- und einem Systemversagen vorgenommen. Die Einführung eines Fehlermeldesystems im Gesundheitswesen ­wurde durch das SGB V ab 2014 festgelegt. Die Krankenhäuser müssen einen Beauftragten für das Risikomanagement sowie ein Beschwerde­ management für Patienten einrichten. In einfach zugänglichen und handhabbaren Fehlermeldesystemen soll Gesundheitspersonal über kritische Zwischenfälle anonym und sanktionsfrei melden können. CIRS ist damit ein Instrument zur Verbesserung der Patientensicherheit. Die entsprechenden Systeme arbeiten im Internet oder allein auf dem Postweg zum sicheren Schutz der Daten. Hintergrundinformation Forschungen hierzu sind u.a. als „Schweizer-Käse-Modell” bekannt. ­Sicherheitsvorkehrungen werden hierbei mit den Scheiben eines Schweizer Käses verglichen, die zu mehreren Ebenen hintereinander liegen. Fehler, die im täglichen Leben passieren, gelangen durch ein Loch und werden in einem funktionierenden Sicherheitssystem durch die Scheibe dahinter aufgefangen. Wenn dieses Sicherheitssystem aus welchen Gründen auch immer (z.B. Planungsfehler, mangelnde ­Ressourcen etc.) versagt, kann sich ein Loch über viele Ebenen hinweg erstrecken und als Folge zu einem kritischen Ereignis führen.

kkDurchführung Der Berichtende (Arzt, Pfleger, Sanitäter etc.) füllt anonymisiert ein Online-Formular über den Vorfall aus. Er kann bereits Lösungsvorschläge mit angeben, um ein erneutes Auftreten dieses kritischen Ereignisses zu verhindern. Anschließend bewerten Experten des CIRS (z.B. Fachärzte, Lehrsanitäter) den Vorfall und geben nun ihrerseits Lösungsvorschläge ab. Der

76

Kapitel 5 · Patientenmanagement

Vorfall wird anschließend im CIRS-Portal veröffentlicht, um anderen die Möglichkeit zu geben, aus Fehlern zu lernen. Es geht in erster Linie um das „Lernen aus Fehlern“ und nicht darum, jemanden „anzuschwärzen“. Mit solchen Fehlermeldesystemen soll eine neue Kultur im Umgang mit Fehlern in medizinischen Berufen etabliert werden.

77

6

Basic Skills 6.1

Wundbehandlung  – 78

6.2

Kanülen  – 80

6.3

Blutentnahme  – 80

6.4

Anamnese und psychopathologischer Befund   – 81

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_6

78

Kapitel 6 · Basic Skills

Je nachdem in welchem Bereich Sie eingesetzt werden, können die von Ihnen verlangten „Basic Skills“ variieren. Blutentnahmen, Wundversorgung und das Legen von Kanülen sollten Sie auf jeden Fall auch in der Nacht können. Erste Hilfe versteht sich von selbst. Ebenfalls essentiell sind die Anamnese und der psychopathologische Befund, den Sie beim Patienten erheben. Hier werden die Weichen für die diagnostischen Entscheidungen und die therapeutischen Maßnahmen gestellt. 6.1

Wundbehandlung

Sollten Sie als Assistenzarzt in der Psychiatrie Wunden versorgen müssen, sollten Sie sich grob auch mit den unterschiedlichen Versorgungs- und Verbandsmaterialien auskennen: 44 Antiseptika 44 Inaktive Wundauflagen 44 Aktive Wundauflagen 44 Vakuumversiegelung kkAntiseptika Bei nichtinfizierten Wunden ist eine Säuberung mit einem Antiseptikum nicht indiziert. Bei jeder primär heilenden Wunde ist eine Säuberung mit sterilem Kochsalz absolut ausreichend. Antiseptika werden nur bei infizierten Wunden eingesetzt. Zu den gängigen zählen: 44 Octenidin/Phenoxyethanol (z.B. Octenisept) 44 PVP-Iod-Präparate (z.B. Betaisodona) Diese Substanzen können auch auf Schleimhäuten angewendet werden, können jedoch zu allergischen Reaktionen führen. >>Cave: Jod bei Schilddrüsenerkrankungen.

kkInaktive Wundauflagen Konventionelle Auflagen, z.B. Mullkompressen, werden als inaktive Wundauflagen bezeichnet, weil sie das Wundmilieu nicht beeinflussen. Sie liegen nur auf der Wunde und nehmen die Sekrete auf. Inaktive Wundauflagen schaffen kein spezifisches Mikromilieu auf zellulärer Ebene. Sie werden bei jeder nichtinfizierten Wunde verwendet, die serös sezerniert. Ihre Vorteile liegen in der relativ einfachen Handhabung und ihrer hohen Saugkraft. Außerdem sind sie kostengünstig. Ein sehr wichtiger Nachteil ist allerdings, dass die Wundauflage mit dem Wundgrund ver-

6.1 · Wundbehandlung

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6

klebt, sobald dieser austrocknet. Daher werden sie bei sekundär heilenden Wunden nicht eingesetzt. Praxistipp Wenn der Wundverband am Wundgrund klebt und Sie müssen ihn wechseln, befeuchten Sie die Auflage mit sterilem Kochsalz und warten, bis sie sich löst. Es gibt auch sogenannte nichthaftende Wundauflagen: Gazeverbände oder z.B. Silikonwundauflagen. Alternativ können Wunden (primär und sekundär heilende) mit selbstklebenden Folienverbänden aus Polyurethan abgedeckt werden. Diese können mehrere Tage über der Wunde belassen werden.

kkAktive Wundauflagen Anders als inaktive Wundauflagen verändern diese Wundauflagen das Wundmilieu und beschleunigen die Wundheilung. Dies geschieht unter Erhaltung einer feuchten Wundumgebung. Hierbei erfüllen die aktiven Wundauflagen unterschiedliche Anforderungen: 44 Absorption von Exsudat inklusive Keime und Detritus 44 Schaffung eines feuchten Wundmilieus 44 Förderung der Granulation 44 Schutz vor Sekundärinfektionen 44 Atraumatischer Verbandswechsel Es werden verschiedene Gruppen unterschieden. Silberverbände kommen bei stark infizierten oder verschmutzten Wunden zum Einsatz. Sie bestehen aus zwei Schichten eines silberbeschichteten Polyethylennetzes. Im Kontakt mit der Extrazellularmatrix werden Silberkristalle freigesetzt, die dann Bakterien und/oder andere Mikroorganismen wie Pilze inaktivieren. Die sogenannten bioaktiven Wundauflagen beeinflussen Komponenten des Extrazellularraums. Sie werden bei Wunden, bei denen auch nach längerer Behandlung keine Heilung zu erkennen ist, eingesetzt. Diese Art der Wundauflage muss immer mit einem Sekundärverband abgedeckt werden. Sie bestehen u.a. aus Hyaluronsäure, Kollagenprodukten und anderen Wachstumsfaktoren. Hierdurch soll die chemotaktische Wanderung von Zellen (insbesondere von Fibroblasten) in die Wunde gefördert werden, um wiederum die Angioneogenese zu fördern, was die sekundäre Wundheilung beschleunigt.

Kapitel 6 · Basic Skills

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kkVakuumverband Der Vakuumverband wird bei vielen sogenannten Problemwunden verwendet, vor allem bei großen, sekundär heilenden Wunden. Das System besteht aus einem schwarzen Polyurethanschwamm, der der Wunde angepasst ist, einer wasserdampfdurchlässigen Folie, die die Wunde fixiert, und einer Drainage, die mit der Vakuumpumpe verbunden ist. Sollte solch ein System notwendig sein, arbeiten Sie eng mit einem Chirurgen zusammen. 6.2

Kanülen

Kanülen können (fast) überall gelegt werden. Wenn Sie keinen Zugang in der Ellenbeuge bekommen, dann suchen Sie sich einen anderen. Nicht schön, aber manchmal unerlässlich ist der Hand- oder auch der Fußrücken. Es ist manchmal zum Verzweifeln, wenn man den Drogenpatienten vor sich hat, der sich Heroin überall gespritzt hat und nun „keine Vene“ mehr aufweist, oder aber die seit Jahren dialysepflichtige ältere Dame, deren Venen einfach wegplatzen, sobald man sie einfach nur anschaut. Mit der Zeit werden Sie auch bei problematischen Gegebenheiten einen Zugang legen können. Eine gute Faustregel ist: Halten Sie nach drei Fehlversuchen inne. Erklären Sie Ihrem Patienten, dass die Venenverhältnisse schwierig sind und Sie ihm nun wirklich keine Schmerzen zufügen wollen. Wenn Sie partout keinen Zugang bekommen, dann bitten Sie einen Kollegen, Ihnen zu helfen – es ist keine Schande. Schlimmer ist es, wenn Sie den Patienten mehr als zehnmal stechen und immer noch keinen Zugang bekommen haben. Vergessen Sie bitte nicht, die Kanüle hinterher sicher zu fixieren. Dafür existiert ein durchsichtiges Pflaster. Wenn nicht, dann um die Punktionsstelle zwei Längs- und zwei Querpflaster anbringen. Praxistipp Machen Sie sich mit dem Legen eines Zugangs in diversen anatomischen Regionen vertraut. Im Notfall sollte dies sitzen.

6.3

Blutentnahme

Das Gleiche gilt auch für die Blutentnahme. Bis auf einige Kontraindika­ tionen ist es fast überall möglich, Blut zu entnehmen. Die heutigen modernen Systeme saugen das Blut automatisch in die Röhrchen, sodass Sie nur

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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noch die Vene treffen müssen. Achten Sie in allen Fällen auf die Hygiene. Tragen Sie Handschuhe und desinfizieren Sie das Areal. Achten Sie darauf, dass die Handgriffe automatisiert werden, sodass Sie im Notfall nicht mehr darüber nachdenken müssen. Scheuen Sie sich nicht, aus unterschiedlichen anatomischen Regionen Blut zu entnehmen. 6.4

Anamnese und psychopathologischer Befund

Anamnese und psychopathologischer Befund zählen zu den Kernelementen der psychiatrischen Arbeit. Seien Sie neugierig und bewahren Sie sich das Interesse an der Geschichte des Patienten für die weitere Arbeit. Der Mensch, der Ihnen gegenübersitzt, merkt in der Regel schnell, ob Sie sich wirklich für ihn interessieren oder ob Sie nur einfach Ihren Job machen. Die erste Begegnung mit einem Patienten erfordert immer besondere Aufmerksamkeit, unabhängig davon, ob sie in der stationären, konsiliarischen oder ambulanten Situation stattfindet. Für Sie als aufnehmender Arzt in der Psychiatrie ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass solch eine Begegnung immer asymmetrisch ist. Der Patient hat vielleicht noch nie Kontakt zu einem Psychiater oder der Psychiatrie gehabt und befindet sich nun in einer von ihm als hilflos oder krisenhaft empfundenen Lebenssituation. Auch wenn psychische Erkrankungen zunehmend in das Bewusstsein der Gesellschaft rücken und die Stigmatisierung abnimmt, ist der Weg zu einem Psychiater noch immer schwerer, als der zu einem Hausarzt. Der Patient hat sich überwunden oder wurde von seinen Angehörigen gedrängt, zu Ihnen zu kommen. In der Regel wurde das Internet im Vorfeld nach Informationen abgesucht und man hat sich seine Symptome zu einem Krankheitsbild zusammengereimt. Allerdings sind die meisten Patienten dadurch noch unsicherer. Kann man ihnen überhaupt helfen? Gibt es überhaupt eine Erklärung für ihre Beschwerden? Solch ein Patient trifft nun auf Sie. Jemanden vom Fach. Oder anders gesagt: Er trifft auf einen Profi. Für den Profi sind solche Aufnahmen längst Routine geworden und gehören zum beruflichen Alltag. Damit sind schon drei wesentliche Kon­ trastpunkte in einer solchen Gesprächssituation vorhanden. Auf der einen Seite die individuelle Aufnahmesituation und der berufliche Alltag. Das zusammengelesene und manchmal sogar falsche Laienwissen und das berufliche Fachwissen. Nicht zu unterschätzen: Der Patient sucht Hilfe auf und kommt zu Ihnen von dem er erhofft diese Hilfe zu erhalten. Wenn Sie im Laufe der Zeit merken, dass Sie vom beruflichen Alltag ergriffen werden, hilft es manchmal, sich dieser speziellen Situation immer

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Kapitel 6 · Basic Skills

wieder neu bewusst zu werden. So kann der beschriebene Kontrast etwas abgemildert werden. Versuchen Sie wertfrei in der Situation zu sein. Das heißt nicht, dass Ihnen alles vollkommen egal ist, was Ihnen der Patient erzählt, sondern nur, dass Sie sich mit Ihren eigenen Werten und Moralvorstellungen zurückhalten, um den Patienten etwas besser verstehen zu können. Stellen Sie sich das Erstgespräch vor, in dem Sie über Symptome sprechen sollen, die Ihnen unangenehm oder sogar peinlich sind und für die Sie sich schämen (Halluzinationen, Orientierungsstörungen, Gedächtnisprobleme), dann hilft es nicht, wenn Sie jemand dafür verurteilt. In diesem Zusammenhang einige Worte zur räumlichen Gestaltung. Oft wird die Umgebung, in der ein Erstgespräch stattfindet, unterschätzt. Es macht allerdings einen deutlichen Unterschied, ob solch ein Gespräch in einer lauten, überfüllten Notaufnahme oder in einem ruhigen Untersuchungszimmer stattfindet, in dem vielleicht sogar eine Pflanze steht. Selbst die Sitzordnung in diesem Untersuchungsraum ist nicht zufällig. Beim ­allerersten Kontakt mit Ihrem Patienten wissen Sie nicht, in welcher Situation er sich befindet. Es klingt zwar immer ein wenig paranoid, aber ist nur professionell, wenn Sie sich von Anfang an auf die Möglichkeiten vorbe­reiten, dass der ängstlich-traurige Patient plötzlich aggressiv-tätlich oder suizidal dekompensieren kann. Das bedeutet u.a., dass Sie den Pa­ tienten nicht zwischen sich und die einzige Tür setzen oder dass Sie den exotischen Brieföffner und die scharfe Schere nicht unbedingt offen herumliegen lassen sollten. Diese können gegen Sie verwendet werden oder der Patient verletzt sich schneller damit, als sie den Notknopf drücken können. Schaffen Sie sich einen Raum, in dem eine ruhige Gesprächsatmo­ sphäre herrscht. Beziehen Sie den Patienten mit ein und fragen Sie „ob das in Ordnung“ ist, wenn es trotzdem etwas quirliger zugeht. In der Psychiatrie werden Sie auf unterschiedlichste Situation treffen, in denen Sie eine Anamnese bzw. ein psychiatrisches Aufnahmegespräch führen müssen. So hängt das Ausmaß der Strukturierung durch den Arzt wesentlich vom Anlass und dem Ziel des Gesprächs ab. Ein Aufnahmegespräch in der Nacht in einer Notfallsituation wird sich vorrangig um eine schnelle Abklärung der akuten Symptomatik und der Einschätzung der Gefahrenlage bemühen. Dahingegen wird viel mehr Zeit in einem therapeutischen ­Gespräch im Rahmen einer z.B. tiefenpsychologischen Anamnese zur Verfügung stehen. Zwischen diesen beiden Extremen existieren die verschiedensten Facetten eines psychiatrischen Gesprächs. Ihre Aufgabe ist es, die Gesprächsführung den unterschiedlichen Situationen anzupassen. Allerdings gibt es nicht „die richtige Gesprächsführung“. Sie werden ein Gefühl

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

für die Situation entwickeln und für das, was angemessen und in diesem Moment wichtig ist. Jedoch werden Sie als Untersucher in einem Gespräch immer drei Aufgaben haben: 44 Gewinnen von Informationen 44 Herstellung einer therapeutischen Beziehung 44 Strukturierung des Gesprächs Stellen wir uns eine Erstgesprächssituation vor. Sie als Untersucher werden sich zuerst vorstellen. Dann werden Sie vielleicht darauf hinweisen wieviel Zeit Ihnen für das Gespräch zur Verfügung steht und was das Ziel dieses Gesprächs ist (meist: Situation und Beschwerden besser zu verstehen, dann die Diagnose zu stellen und anschließend die ersten therapeutischen Maßnahmen zu besprechen). Ideal ist es, Handy und andere Telefone auszustellen. Sollte dies nicht möglich sein, weisen Sie den Patienten darauf hin, dass Sie z.B. dienstlich angeklingelt werden können. Wenn Sie sich Notizen machen, dann erklären Sie dem Patienten denn Sinn Ihrer Aufzeichnungen. Bei Untersuchungen von Patientinnen durch einen männlichen Arzt ist es zu empfehlen, eine weibliche Person (Krankenschwester, Pflege­ fachangestellte etc.) hinzuzuziehen. Ebenso umgekehrt. Zumindest ist dies für die erste Abklärung zu empfehlen, bis deutlich ist, dass keine Gefahr vom Patient droht und dass aber auch der Patient sich nicht von Ihnen bedroht fühlt. Praxistipp 55Vorstellung von sich als Untersucher mit Funktion etc. z.B. Psychiater, Arzt) 55Vorstellung von anderen anwesenden Personen („Das ist Schwester ...“) 55evtl. Erklärung, warum das Diensthandy klingeln könnte 55Erklärung, warum Dinge aufgeschrieben werden 55Was ist Ziel des Gesprächs? 55ggf. erklären wieviel Zeit zur Verfügung steht

Zu Beginn des Gesprächs sollte Sicherheit vermittelt werden. Der Patient soll das Gefühl haben, mit seinen Beschwerden am richtigen Ort zu sein. Er sollte Gewissheit haben, dass Kompetenz vorhanden ist und dass ein Weg gefunden wird, seine Probleme zu lösen. Nun ist genau diese Sicherheit im Auftreten vor allem für junge Kollegen keine Selbstverständlichkeit.

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Kapitel 6 · Basic Skills

Vielleicht hilft es Ihnen, wenn Sie sich bewusst machen, dass es nicht Ihr Ziel ist, beim Patienten Zweifel an der möglichen Hilfestellung zu wecken. Auch werden Sie (hoffentlich) zuerst bei erfahrenen Kollegen mitlaufen und durch den Oberarzt supervidiert. Hierdurch erhalten Sie einen Eindruck von den unterschiedlichen Stilen der Untersucher. Wenn Sie dann selbstständig Patienten aufnehmen, sollten Sie auch die Sicherheit auszustrahlen, die die Institution, in der sie arbeiten, geben kann. Hinweise für Gesprächssituationen 55Vermittlung von Sicherheit und Kompetenz 55 Zugewandte Haltung und Aufmerksamkeit seitens des Untersuchers 55„Aktives“ Zuhören 55Vermittlung von Hoffnung 55Zeigen Sie Interesse durch nonverbale Äußerungen. 55Lassen Sie dem Patienten Raum, über seine Beschwerden zu reden. 55Gezieltes Nachfragen 55Holen Sie den Patienten mit ins Boot: gemeinsames Interesse ­daran, seine Probleme gemeinsam zu lösen. 55Im Erstgespräch: keine Verurteilung („Na da hätten Sie aber...“) 55Vermeidung von Konfrontation

Während des Gesprächs sollten Sie Fachausdrücke so gut es geht vermeiden. Versuchen Sie, mit dem Patienten in der Alltagssprache zu kommunizieren. Fragen sollten einfach formuliert sein. Vage oder doppeldeutig zu interpretierende Fragen bitte vermeiden. Seien Sie aufmerksam und achten Sie darauf, ob die Fragen Ihr Gegenüber überfordern oder belasten. Hinweise für Fragen 55Eindeutig formulieren 55Einfache Fragen stellen 55Verwenden von Alltagssprache 55Vermeiden von Fachausdrücken

Nach den einleitenden Worten erfolgt die Anamnese. Es wird unterschiedlich gehandhabt, ob die Anamnese mit kurzen geschlossenen Fragen oder aber einer offenen Frage begonnen wird. Ich beginne gern mit einer offenen Frage, z.B.: „Was führt Sie zu uns?“ oder „Was ist der Grund, dass Sie zu uns kommen?“ und gehe dann im Verlauf der Anamnese zu geschlossenen Fragen über. Neben dem Gewinnen von Informationen dient die Anamnese vor allem dem Aufbau einer tragfähigen Arzt-Patienten-Beziehung.

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

kkAllgemein Anamneseerhebung Zur Anamnese gehören: 44 Soziodemografische Daten: Name, Alter, Geschlecht Familienstand, Beruf usw. 44 Krankheitsanamnese inklusive Medikamentenanamnese 44 Familienanamnese 44 Ggf. Fremdanamnese: durch z.B. Familienmitglieder, früher behandelnde Ärzte. Hierbei können wertvolle Informationen gewonnen werden. >>Cave: Schweigepflichtsentbindung beachten.

Die Krankheitsanamnese bezieht sich auf das aktuelle Beschwerdebild, das den Patienten zu Ihnen geführt hat. Hierbei fragen Sie nach: 44 Aktuellen Symptomen 44 Somatischen Symptomen, z.B. Schlafstörungen, Schmerzen etc. 44 Reihenfolge bzw. der Krankheitsentwicklung 44 Auslösesituationen 44 Verstärkungsfaktoren 44 Aktuelle oder langfristige Konflikte 44 Einschneidende Lebensereignisse 44 Bisherige Behandlungen 44 Subjektiver Grad der Beeinträchtigung 44 Suizidalität kkPsychopathologischer Befund Der psychopathologische Befund ist das Kernstück der psychiatrischen Untersuchung. Bedeutenden Einfluss auf die Beschreibung der Psychopathologie h ­ atte der Psychiater K. Jaspers (1883–1969), der mit seinem Werk „Allgemeine Psychopathologie“ die Psychopathologie zu einem eigenen Wissenschaftsgebiet erhob. Er betonte, dass psychische Vorgänge über Äußerungen des Patienten, aber nicht direkt beobachtbar seien. Zugleich unterstrich er die Wichtigkeit klar abgrenzbarer Begrifflichkeiten bei der Beschreibung des menschlichen Erlebens. Die psychopathologischen Symptome oder auch Leitsymptome psychischer Erkrankungen konzentrieren sich auf das Erleben und das Verhalten des psychisch erkrankten Menschen (Psychopathologie: „Lehre vom Leiden der Seele“). Die meisten Symptome können vom Patienten selbst berichtet werden. Jedoch gibt es Symptome, die nur durch Außenstehende zu beobachten sind.

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Kapitel 6 · Basic Skills

Diese Erfassung der Leitsymptome dient der Anfertigung des psychopathologischen Befundes. Dieser gibt das Querschnittsbild der psychischen Verfassung und des Verhaltens des Patienten zum Zeitpunkt der Untersuchung wider. Der psychopathologische Befund stellt die Grundlage für therapeutische und diagnostische Maßnahmen dar. Daher sind nicht nur die pathologischen Auffälligkeiten zu beschreiben, sondern das gesamte – „gesunde“ und auffällige – Erleben und Verhalten soll erfasst werden. Auch das, was fehlt, sollte erfasst werden. Praxistipp Auch wenn mit verschiedenen Instrumenten gute Hilfsmittel existieren, Symptome zu Syndromen zusammenzufassen, vermeiden Sie es, Patienten in eine Schublade zu stecken. Versuchen Sie nicht, den ­Patienten in die „ICD-10-Schublade“ zu stecken oder ihn dahingehend „passend“ zu machen. Damit würden Sie vieles einfach übersehen. ­Diese Hilfsmittel sind umgekehrt zu nutzen.

Zur Erfassung des psychopathologischen Befundes hat sich das AMDPSystem als diagnostisches Hilfssystem etabliert. Mit seiner Hilfe werden die wichtigsten psychopathologischen Symptome erfasst. AMDP steht für „Arbeitsgemeinschaft zur Methodik und Diagnostik in der Psychiatrie“. Es gehört zu den Fremdbeurteilungsverfahren und beinhaltet die Erhebung von Anamnese, psychischem und somatischem Befund. Mit dem psychischen Befund sollen die wichtigsten psychopathologischen Symptome abgedeckt werden. Die wichtigsten Merkmalsbereiche sind: 44 Bewusstseinsstörungen 44 Orientierungsstörungen 44 Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen 44 Formale Denkstörungen 44 Befürchtungen und Zwänge 44 Wahn 44 Sinnesstäuschungen 44 Ich-Störungen 44 Störung der Affektivität 44 Psychomotorische Störungen und Antriebsstörungen 44 Zirkadiane Besonderheiten 44 Suizidalität 44 Andere Störungen (selbstschädigendes Verhalten, Krankheitseinsicht, sozialer Rückzug etc.)

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

jjBewusstseinsstörungen Unterschieden werden quantitative und qualitative Bewusstseinsstörungen. Quantitative Bewusstseinsstörungen bezeichnen Störungen der ­Vigilanz; unterteilt in: 44 benommen – verlangsamt 44 somnolent – schläfrig, leicht erweckbar 44 soporös – nur durch starke Reize erweckbar 44 komatös – nicht erweckbar Qualitative Bewusstseinsstörungen bezeichnen Veränderungen des

­ ewusstseins; unterteilt in: B 44 Bewusstseinstrübung – Zusammenhänge gehen verloren 44 Bewusstseinseinengung – Umfang des Bewusstseins ist eingeengt, z.B. wie beim Fokussieren auf ein bestimmtes Erleben oder Thema 44 Bewusstseinsverschiebung – z.B. subjektives Gefühl der Intensitätssteigerung bzgl. der Wahrnehmung

jjOrientierungsstörungen Diese Störungen können sich auf Zeit, Ort, der Person und der Situation beziehen. jjAufmerksamkeits-, Auffassungs- und Gedächtnisstörungen Diese Störungen lassen sich durch Beobachtung und/oder Angaben des Patienten oder eine Fremdanamnese explorieren. Die Aufmerksamkeit und die Auffassung müssen alle Informationen aus der Umwelt sichten und in seiner Bedeutung einstufen. Praxistipp Prüfung der Auffassung: Sprichwörter („Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“) Fabeln Bildergeschichten Gemeinsamkeiten und Unterschiede (z.B. Zwerg und Kind)

jjFormale Denkstörungen Hierbei handelt es sich um Störungen des Denkablaufs („wie“ wird gedacht?), also im Sinne von Geschwindigkeit, Stringenz und Kohärenz des Gedankenablaufs. Sie können sich u.a. an der Kommunikation mit dem Patienten deutlich zeigen.

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Kapitel 6 · Basic Skills

Praxistipp Die erschwerte Exploration eines Patienten ist ein wichtiges Merkmal und kann auf den Schweregrad einer formalen Denkstörung hinweisen.

Die Geschwindigkeit kann subjektiv verlangsamt oder gesteigert sein. Die Gradlinigkeit des formalen Denkens kann umständlich (viel Nebensächliches wird erwähnt), perseverierend (der Patient bleibt thematisch an einer Sache haften), eingeengt (wenige Themen) oder aber auch zerfahren sein. jjBefürchtungen und Zwänge Die inhaltlichen Denkstörungen werden unterschieden in wahnhafte und nicht-wahnhafte Denkstörungen und sind von den formalen Denkstörungen abzugrenzen. Inhaltliche Denkstörungen zeichnen sich durch einen abnormen Denkinhalt aus und weisen auf Störungen in der Realitätskon­ trolle hin. Befürchtungen und Zwänge gehören zu den nicht-wahnhaften inhaltlichen Denkstörungen. Befürchtungen sind oftmals Sorgen, können sich aber bis zur massiven Angst ausweiten. Zwänge können Gedanken oder Handlungen sein, die sich gegen inneren Widerstand aufdrängen und von dem Betroffenen als unangemessen bzw. unsinnig erkannt werden. Sie sind oftmals verbunden mit dem Gefühl der Unausweichlichkeit und der Machtlosigkeit des eigenen willentlichen Widerstrebens. Sie sind nur schwer zu unterdrücken. Hierbei tritt oft Angst auf. Beispiele für Zwänge: 44 Waschzwang 44 Kontrollzwang 44 Zwangsideen 44 Zwangsvorstellungen jjWahn Ist ein Mensch wahnhaft so besitzt er eine nicht zu korrigierende, falsche Beurteilung der Realität, an die er mit subjektiver Gewissheit festhält. Dies tritt erfahrungsunabhängig auf. Kriterien für Wahn: 44 Unkorrigierbarkeit 44 subjektive Gewissheit 44 Unmöglichkeit des Inhalts

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

Es existieren inhaltliche und formale Wahnmerkmale. Zu den formalen Wahnmerkmalen gehören: 44 Wahnstimmung 44 Wahngedanken 44 Wahneinfälle 44 Wahnwahrnehmung 44 systematisierter Wahn 44 Wahndynamik Mit inhaltlichen Wahnmerkmalen wird der Wahn thematisch ausgebaut: 44 Beziehungswahn 44 Beeinträchtigungs-/Verfolgungswahn 44 Eifersuchtswahn 44 Schuldwahn/Versündigungswahn 44 Größenwahn 44 Verarmungswahn 44 hypochondrischer Wahn Praxistipp Bei Patienten mit Wahn auch an Intoxikationen (Drogen, Alkohol etc.) denken. Auch eine Reihe somatischer Ursachen, z.B. Enzephalitis, kann Wahn auslösen.

Der Wahn tritt (meist) nicht einfach über Nacht auf. Häufig ist ein Verlauf erkennbar: Zu Beginn steht eine erste Verunsicherung durch einzelne „Anzeichen“. Dann kommt die Wahnstimmung, auf die Wahngedanken folgen. Wenn keine Therapie erfolgt, kann sich die Symptomatik bis hin zu einem ausgeprägten Wahnsystem ausweiten. Praxistipp Auch wenn sich manche Gegebenheit sehr skurril anzuhören mag, ist eine Realitätsprüfung – wenn durchführbar – immer gut. Schon manche „Wahngedanken“, z.B. „Ich werde durch die Polizei verfolgt. Sie ­beobachten mich“, haben sich als tatsächlich wahr herausgestellt. ­Damit hat der Patient zwar immer noch ein Problem, aber zumindest keinen Wahn.

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Kapitel 6 · Basic Skills

jjSinnestäuschungen Im Wahrnehmungsprozess gibt es verschiedene Schritte. Umweltsignale werden in Sinnesreize umgesetzt. Durch Rezeptoren erfolgt eine Über­ setzung in „neuronalen Code“. Diese codierte Information wird durch Neurone weitergeleitet und ggf. modifiziert. In den entsprechenden kortikalen Zentren wird die Information schließlich interpretiert. Während dieses Prozesses kann es an zahlreichen Ansatzpunkten zu Störungen kommen. Zu den Sinnestäuschungen gehören: 44 Illusionen: Fehlwahrnehmung (Verkennungen) von vorhandenen Objekten 44 Halluzinationen: Sinnestäuschung ohne externe Reizquelle 44 Pseudohalluzinationen: Halluzinationen, bei denen der Trugcharakter erkannt wird Halluzinationen können sämtliche Sinne betreffen. jjIch-Störungen Versuch einer Definition des „Ich“: Wir haben das Bewusstsein einer klaren Grenze zwischen „Ich“ und „Wo-Ich-nicht-mehr-bin“ zwischen „Innen“ und „Außen“. Das „Ich“ macht den wachen, bewusstseinsklaren Menschen aus, der um sich selbst weiß, sich als gestimmt, gerichtet, wahrnehmend, wünschend, bedürftig, getrieben, verlangend, fühlend, denkend, handelnd in der Kontinuität seiner Lebensgeschichte erfährt. Ich-Störungen beschreiben Veränderungen oder den Verlust der IchVerbundenheit, bei denen es einer Durchlässigkeit zwischen dem „Innen“ und dem „Außen“ kommt. Unterschieden werden psychotische Ich-­ Störungen und Entfremdungserlebnisse, die auch ohne psychotischen ­Zustand auftreten können. Entfremdungserlebnisse sind Störungen des Einheitserlebens, wie die Phänomene der Derealisation („Das ist alles wie in einem Theater“, „Das ist alles gar nicht echt“) und Depersonalisation („Das war ich nicht“). Entfremdungserleben wird nicht als „von außen gemacht“ erlebt. Im Gegensatz hierzu werden psychotische Ich-Störungen häufig als von außen gemacht empfunden (hier werden die Grenzen zwischen Ich und der Umwelt als durchlässig empfunden). Zu den Ich-Störungen gehören: 44 Derealisation 44 Depersonalisation 44 Gedankenentzug 44 Gedankenausbreitung

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

44 Gedankeneingebung 44 andere Fremdbeeinflussungserlebnisse jjStörungen der Affektivität Diese Störungen finden sich bei den meisten psychischen Erkrankungen. Die Grenze zwischen dem gesunden Erleben und der Psychopathologie ist hierbei besonders unscharf. Manches „schwappt“ Ihnen als Untersucher schon deutlich entgegen, doch einige Störungen sollten auch gezielt erfragt werden. Patienten mit Störungen der Affektivität zeigen häufig folgende Attribute: 44 ratlos 44 Gefühl der Gefühllosigkeit 44 hoffnungslos 44 ängstlich 44 euphorisch 44 dysphorisch, gereizt 44 klagsam, jammerig 44 innerlich unruhig jjAntriebs- und psychomotorische Störungen Antriebsstörungen zeigen sich in der Aktivität und der Energie des Menschen. Psychomotorische Störungen betreffen den Bewegungsablauf. Diese Art der Störung ist meist schon durch Beobachtung im Gespräch zu erkennen und kann sich durch Folgendes äußern: 44 manieriert/bizarr: Bewegungen/Handlungen erscheinen ver­schroben, posenhaft verschnörkelt 44 theatralisch 44 Parakinesen: qualitativ abnorme, meist komplexe Bewegungen 44 Stereotypien: Äußerungen auf sprachlichem und motorischem Gebiet, die längere Zeit in immer gleicher Form wiederholt zu werden 44 Verbigerationen: Wortstereotypien 44 Katalepsie: Haltungsstereotypien jjZirkadiane Besonderheiten Hierbei sind Schwankungen in der Befindlichkeit und im Verhalten des Patienten innerhalb von 24 h gemeint, die meistens bei affektiven Störungen auftreten (Morgenmüdigkeit, abends mehr niedergeschlagen usw.).

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Kapitel 6 · Basic Skills

jjAndere Störungen Hierzu gehören: 44 Störung des Sozialverhaltens 44 Aggressivität 44 Suizidalität 44 Selbstschädigendes Verhalten 44 Fehlende Krankheitseinsicht 44 Eigen-/Fremdgefährdung Beispiel für einen (kurzen) psychopathologischen Befund (gesund): Der Betroffene zeigt sich wach, bewusstseinsklar, freundlich im Erstkontakt. Er zeigt sich zeitlich, örtlich, situativ und autopersonell vollständig orientiert. In Aufmerksamkeit und Konzentration keine Auffälligkeiten. In der Auffassung erscheint er ungestört. Sprichwörter können erklärt werden. Es werden drei von drei Begriffen erinnert. Kein Anhalt für Gedächtnisstörungen. Der formale Gedankengang erscheint ungestört. Kein Anhalt für Ängste, Zwänge, Sinnestäuschungen, produktiv-psychotisches Erleben, Wahn, Ich-Störungen. Affektiv schwingungs- und auslenkungsfähig. Stimmung wird als euthym ­beschrieben. Psychomotorisch keine pathologischen Auffälligkeiten. Krankheitsverständnis und -einsicht vorhanden. Kein Anhalt für Aggressivität oder selbstschädigendes Verhalten. Klar und glaubhaft von Suizidalität distanziert. Die Suchtanamnese zeigt sich leer.

Dieses Beispiel soll als „roter Faden“ dienen. Mit der Zeit werden Sie ihren eigenen Stil entwickeln und ihren eigenen Befund schreiben. kkKörperliche Untersuchung Neben der Anamnese und der Erhebung des psychopathologischen Befundes gehört die körperliche Untersuchung des Patienten am besten gleich im Anschluss dazu. Diese dient zur Erfassung somatischer Begleiterkrankungen bzw. zur Abklärung einer somatischen Ursache der psychischen Beschwerden. Die körperliche Untersuchung umfasst eine allgemein-internistische und eine neurologische Untersuchung. jjAllgemein-internistische Untersuchung 44 Allgemein- und Ernährungszustand 44 Beurteilung der Haut und Schleimhäute 44 Auffälligkeiten: Verletzungen, Narben, Tätowierungen etc. 44 Kopf-Hals-Bereich 44 Wirbelsäule: physiologisch gekrümmt? Auffälligkeiten? Operationen? Klopfschmerz

6.4 · Anamnese und psychopathologischer Befund

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6

44 Lymphknoten 44 Schilddrüse 44 Thorax: Inspektion und Perkussion 44 Auskultation der Lunge 44 Herz und Halsgefäße 44 Blutdruck und Puls 44 Abdomen: Druckschmerz? Palpation von Leber, Milz 44 Nierenlager: Klopfschmerz 44 Extremitäten: frei beweglich? Gelenke geschwollen? Beispiel für einen allgemeinen Aufnahmebefund (gesund) Der Patient zeigt sich in einem guten Allgemein- und Ernährungszustand; Größe: 170 cm; Gewicht 70 Kg. Der Kopf- und Halsbereich zeigt sich frei beweglich. Zunge feucht, Haut und sichtbare Schleimhäute gut durchblutet. ­Rachenring reizlos; Zahnstatus: saniert; Schilddrüse nicht vergrößert tastbar, keine Exsikkosezeichen, Thorax ist symmetrisch, keine Ödeme, keine Zyanose, keine Leberhautzeichen. Die Gelenke zeigen sich allseits frei beweglich. ­Muskulatur altersgerecht entwickelt. Pulse allseits tastbar. Haut warm. Wirbelsäule physiologisch gekrümmt, kein KS; Schmerzen werden negiert. Cor: keine path. Herzgeräusche, Herztöne rein, rhythmisch Pulmo: VAG bds, keine RG, kein Giemen od, Brummen, Lungengrenzen bds. atemverschieblich; sonorer Klopfschall Abdomen: Bauchdecke weich, Peristaltik in allen vier Quadranten vorhanden, kein DS, kein LS, Leber und Lien nicht vergrößert tastbar Nierenlager frei

jjNeurologische Untersuchung Am besten legen Sie sich ein Schema bereit, an das Sie sich halten. So besteht am wenigsten die Gefahr, dass wichtige Punkte übersehen werden. Ich selbst fange immer im Kopf-Hals-Bereich an und „arbeite“ mich dann neurologisch durch. Das ist zwar manchmal sehr schematisch, aber in hektischen Situationen vergesse ich dafür auch nicht, z.B. die Reflexe zu prüfen. Folgende Punkte sind zu beachten: 44 Liegt eine Bildgebung (CT, MRT) vor? 44 Prüfung der Beweglichkeit des Kopfes 44 Kalottenklopfschmerz 44 Überprüfung Hirnnervenstatus 44 Überprüfung von Motorik und Kraft, Armhalteversuch ggf. Bein­ halteversuch 44 Überprüfung Feinmotorik 44 Überprüfung der Koordination: Finger-Nase-Versuch; Diadocho­ kinese etc.

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Kapitel 6 · Basic Skills

44 Stand- und Gangprüfung mit Romberg, Unterberger-Tretversuch 44 Reflexstatus: Fremd- und Eigenreflexe; immer im Seitenvergleich ­beurteilen 44 Sensibilität 44 Überprüfung Nervendehnungszeichen 44 Beurteilung der Sprache Beispiel für einen neurologischen Aufnahmebefund (gesund) Eine aktuelle Bildgebung des Kopfes lag nicht vor. Kein Meningismus. Keine Apraxie, keine Aphasie. Kein Neglect. Pupille bds. rund, mittelweit, direkte und konsuelle Pupillenlichtreaktion prompt, Augenfolgebewegung glatt, kein pathologischer Nystagmus, Visus nicht korrigiert; NAP frei; Zahnstatus saniert; restl. Hirnnervenstatus ohne patholog. Auffälligkeiten; Kraftgrad ohne pathologische Auffälligkeit; Keine Kopfschmerzen, kein Kalottenklopfschmerz. Kein Tremor, kein Rigor. Sensibilität ohne pathologische Auffällig­ keiten. Keine Kloni, FNV ohne pathologische Auffälligkeit; Diadochokinese unauffällig; Feinmotorik ohne pathologische Auffälligkeit Armhalteversuch unauffällig. Beinhalteversuch unauffällig. Standprüfung unauffällig. Einbeinstand beidseits durchführbar ohne pathologische Auffälligkeit; Romberg, Unterberger, Seiltänzergang ohne pathologische Auffälligkeiten; Gang ohne pathologische Auffälligkeit. Reflexe seitengleich auslösbar; kein Babinski, kein Lasègue

Die Beispiele erheben keinen Anspruch auf absolute Vollständigkeit. Je nach Klinik oder Arbeitsplatz werden Sie unterschiedliche Gewichtungen kennenlernen und sich mit der Zeit Ihren eigenen Stil aneignen. Für den Anfang können diese Beispiele allerdings als Hilfestellung dienen.

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7

Notfälle 7.1

Zwangsunterbringung  – 99

7.2

Zwangsmedikation  – 99

7.3

Fixierung   – 102

7.4

Stationsschließung  – 104

7.5

Intoxikation   – 104

7.6

Spezielle psychiatrische Notfälle   – 107

7.7

Exkurs: neurologische Notfälle   – 122

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_7

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Kapitel 7 · Notfälle

Wichtig in Notfällen: Zuerst den eigenen Puls fühlen! Sie sind nun der

Experte und als solcher sollten Sie in Ausnahmesituationen Ruhe und ­Souveränität ausstrahlen. Das ist vor allem zu Beginn manchmal leichter gesagt als getan. Wenn Ihnen ein psychotischer Patient entgegengerannt kommt und droht sie umzubringen, seien Sie gewiss, dass es dann auch manchmal erfahrenen Kollegen schwer fällt, ruhig zu bleiben. Zum Glück passiert das nicht in jedem Dienst. Zuerst machen Sie sich mit der Örtlichkeit und den Gepflogenheiten ihrer Klinik vertraut. Bevor Sie einen eigenen Dienst antreten, laufen Sie am besten bei einem erfahrenen Kollegen mit. Klären Sie vorab folgende Fragen:

44 Wo finde ich welche Formulare? 44 Wie funktioniert die Informationskette? (Wen muss ich wann ­informieren? Meist den Hintergrund und die Station) 44 Wo finden sich Notfallmedikamente? 44 Welche Telefonnummern brauche ich? (ein kleines Notizbuch hilft hier Wunder, wenn man schnell den Giftnotruf braucht) 44 Wo finden sich die Dokumente für Unterbringung, Zwangsmaß­ nahmen oder Eilbetreuung -> und was muss ich hier tun? 44 Wo ist die Akte des – bereits bekannten– Patienten und was steht drin? Anders als in somatischen Fächern sind Notfälle in der Psychiatrie manch­ mal sehr diffus beschrieben und es wird Ihre Aufgabe sein, herauszufinden, was mit dem Patienten eigentlich los ist. Typisch ist ein Anruf mit dem Hinweis: „Der Patient hat einen Erregungszustand“ oder so ähnlich. Manchmal ist der anrufende Kollege aufgeregter als der Patient. Auch hier gilt – Ruhe ausstrahlen. Einige grundlegende Regeln sollten Sie im Kontakt mit dem Patienten beachten. 44 Achten Sie auf Ihren Rücken – es klingt ein wenig paranoid, aber beim Betreten einer Station (v.a. wenn es sich um eine geschlossene Station oder den Maßregelvollzug handelt) sollten Sie darauf achten, ob Patienten versuchen, von der Station zu fliehen oder Ihnen zu dicht kommen können. 44 Achten Sie beim persönlichen Kontakt mit dem Patienten darauf, dass Sie ausreichend Ausweichmöglichkeiten haben – seien Sie wenn mög­ lich nicht allein mit erregten Patienten, haben Sie die Tür im Rücken, achten Sie auf ein Notfallsystem (gibt es in Ihrer Klinik einen bestimm­ ten „Notrufknopf “, den Sie im äußersten Fall drücken können?). 44 Achten Sie auf „gefährliche“ Dinge, die der Patient einsetzen könnte – Stühle, Tische, Vasen oder Ähnliches, die er nach Ihnen werfen

7 · Notfälle

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7

könnte (mir flog mal ein kompletter Tisch entgegen…) und seien Sie darauf gefasst, dann zur Seite treten zu können. 44 Versuchen Sie Ruhe auszustrahlen. In vielen Fällen beruhigt das auch den Patienten und die Pflegekräfte. Falsch verstandene Autorität oder besonders harsches Auftreten verschlimmert hingegen fast immer die Situation. 44 Besuchen Sie – falls angeboten – das sog. Deeskalationstraining. Hier lernt man in Grundzügen den Umgang mit schwierigen Situationen. 44 Spielen Sie nicht den Helden. Wenn der Patient Waffen haben sollte (z.B. Messer), halten Sie Abstand. Zunächst sollten Sie eine Einschätzung der unmittelbaren Gefahr für den Patienten vornehmen. Besteht eine akute vitale Gefährdung (ist der Patient stuporös, komatös oder Ähnliches…)? Bestehen Gefahren für den Unter­ sucher und andere Beteiligte? Noch einmal: Fordern Sie ggf. Unterstützung an, halten Sie sich einen Fluchtweg offen und das Pflegepersonal sollte anwesend oder zumindest in unmittelbarer Rufweite sein. Bauen Sie eine ruhige, deeskalierende Atmo­ sphäre auf, die ein vertrauensvolles Gespräch ermöglicht. Die Gesprächsfüh­ rung sollte bei Ihnen liegen. Geben Sie klare und eindeutige Anordnungen. Versuchen Sie eine sichere und ruhige Gesprächs- und Untersuchungs­ situation zu schaffen. Kurzexkursion Deeskalation Glücklicherweise ist es oft möglich, eine Situation ohne Zwangsmaßnahmen zu entschärfen. Wie können Sie das anstellen? Beispiele: 55Weisen Sie den Patienten darauf hin, dass sein Verhalten bedrohlich erlebt wird (z.B. „Sie sind zu dicht“ oder „Sie kommen mir zu nah“ oder schlicht „Sie wirken bedrohlich auf mich“). Als nächstes könnten Sie fragen, was der Patient braucht, um ruhiger zu werden. 55Bieten Sie ihm eine Zigarette an (oder wenn Sie selbst nicht ­rauchen, die Möglichkeit, eine zu rauchen). 55Medikamente anbieten 55Das Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt verschieben (sofern möglich) 55Ggf. die Örtlichkeit wechseln.

Wenn der Patient bereit ist, mit Ihnen zu sprechen, geht es weiter. Am Anfang steht die Anamnese. Versuchen Sie Kontakt mit dem Patienten herzustellen und stellen Sie sich zuerst vor.

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Kapitel 7 · Notfälle

Wenn eine Anamnese nicht möglich ist (bei deliranten und dementen Patienten zum Beispiel ist das in der Regel etwas schwierig), sollten Sie eine Fremdanamnese und eine Verhaltensbeobachtung durchführen. Wenn der Patient von einem Notarzt, Sanitäter oder der Polizei ge­ bracht worden ist, sollten diese Menschen solange vor Ort bleiben, bis die Situation halbwegs übersichtlich für Sie geworden ist. Nicht immer sind die Polizisten begeistert, wenn der Arzt meint, sie sollten noch bleiben, aber die Aussagen können oftmals sehr hilfreich sein. Wenn Bekannte, Freunde oder Verwandte den Patienten bringen, dann führen sie die Fremdanamnese mit ihnen durch. Zur Anamnese/Fremdanamnese gehört immer (!) eine Suchtanam­ nese, aber in der Regel wird zum Beispiel der Genuss von Alkohol gerne verschwiegen oder bagatellisiert, ebenso wie der Gebrauch von Cannabis, diversen Modedrogen und vor allem Benzodiazepinen. Diese müssen aktiv erfragt werden. Seien Sie hartnäckig. Fragen Sie nach und erklären Sie gleichzeitig, dass Sie nicht von der Polizei sind, sondern als Arzt eine ­adäquate Einschätzung vornehmen müssen. Je nach Situation und Durch­ führbarkeit erfolgen eine Atemalkohol- und eine Urinkontrolle durch das Pflegepersonal. Vergessen Sie nicht, auch pflanzliche Drogen in Betracht zu ziehen. Stechapfel-Tee, Fliegenpilze oder Engelstrompete sind nicht selten. In die­ sen Fällen arbeiten Sie mit der Intensivstation zusammen und erkundigen sich für das weitere Vorgehen beim Giftnotruf. Zur Suchtanamnese gehört immer auch eine Medikamentenanam­ nese. Achten Sie hierbei auch auf mögliche Interaktionen bestimmter ­Medikamente, da diese nicht selten delirante Zustände auslösen können. Verschaffen Sie sich einen Überblick – bei stationären Patienten ­schauen Sie nach den Bedarfsmedikamenten – welche Medikamente sind z.B. bei Erregungszuständen vorgesehen? Wenn keine Angaben: 7 Kap. 8. Bei ambulanten Patienten, die eben eingeliefert worden sind, fragen Sie nach Allergien. Wenn eine Deeskalation nicht möglich sein sollte, werden in der ­Psychiatrie Zwangsmaßnahmen durchgeführt. Hierbei steht immer die Abwendung der möglichen Eigen- oder Fremdgefährdung im Vorder­ grund. Praxistipp Zusätzlich zur Erstuntersuchung in Notfallsituationen gehört: 55Klärung, ob Vorstellung eigenmotiviert oder fremdmotiviert 55Vormedikation (am besten auch fremdanamnestisch)?

7.2 · Zwangsmedikation

99

7

55Erhebung körperlicher/internistisch/neurologischer und psychischer Befund 55Einschätzung von Suizidalität 55Beurteilung des Erscheinungsbildes

7.1

Zwangsunterbringung

Jede Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen ist eine Freiheits­ beraubung und stellt einen Verstoß gegen das Grundrecht der Menschen dar. Die Freiheit einen Betroffenen darf nur auf Grundlage eines Gesetzes und einer richterlichen Entscheidung entzogen werden (Art. 2 Abs. 2 GG und Art. 104 Abs. 1 GG). Es gibt unterschiedliche Arten der Unterbringung: 44 nach Betreuungsrecht (BGB) 44 nach dem Landesrecht (PsychKG) 44 nach dem Strafrecht (StGB) Ausführlicher werden diese Aspekte in 7 Kap. 9 beschrieben. Praxistipp Durch die Unterbringung eines Patienten ergibt sich nicht automatisch das Behandlungsrecht gegen den Willen des Patienten. Außerhalb von Notfällen bieten weder die unterbringungsrechtlichen noch die betreuungsrechtlichen Vorschriften nach Landesrecht eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für eine Zwangsbehandlung. Zahlreiche ­Diskussionen werden geführt, ob die Zwangsbehandlung sogar als verfassungswidrig zu erklären ist, so dass noch von gesetzlicher Seite einige Neuregelungen zu erwarten sind.

7.2

Zwangsmedikation

Eine Zwangsmedikation darf als kurzfristige Notfallmedikation nach § 21 PsychKG zur unmittelbaren Gefahrenabwehr ärztlich angeordnet werden. Sie ist dem Patienten (wenn keine Gefahr im Verzug ist) vorher anzukün­ digen und zu begründen. Zumeist ist eine Zwangsmedikation oftmals mit der Notwendigkeit einer Fixierung verbunden (7 Abschn. 7.3). Hierzu zie­

100

Kapitel 7 · Notfälle

Ist der Patient einwilligungsfähig? Ja

Nein

Entscheidung muss respektiert werden

Stimmt Patient der Behandlung zu? Ja

Nein

Werden folgende Kriterien erfüllt? – drohender erheblicher gesundheitlicher Schaden wird durch Behandlung abgewendet – erwarteter Nutzen überwiegt zu erwartenden Schaden – keine andere zumutbare Maßnahme verfügbar

Nein

Ja

Liegt Unterbringung in geschlossener Einrichtung vor? Liegt richterliche Entscheidung vor? Liegt ggf. Entscheidung von gesetzlichen Betreuer vor? Ja Zwangsbehandlung nach § 1906 durchführbar

Nein Zwangsbehandlung nur nach § 34 StGB (oder ggf. PschKG verschied. Länder)

..Abb. 7.1 Zwangsbehandlung

hen Sie bitte eine ausreichende Anzahl (möglichst geschulter) von Pflege­ kräften hinzu. Die unmittelbare Gefährdungssituation und den Verlauf der Zwangs­ medikation dokumentieren Sie lückenlos. Die Dokumentation soll für Dritte (z.B. weiterbehandelnde Kollegen, Betreuer und/oder Richter) nach­ vollziehbar sein. Eine Unterbringung nach PsychKG oder nach §1906 BGB rechtfertigt allein nicht die Zwangsmedikation (. Abb. 7.1). Gerechtfertigt ist eine Zwangsmedikation wenn:

7.2 · Zwangsmedikation

101

7

44 ein rechtfertigender Notstand vorliegt. 44 eine unmittelbare akute Selbst- und/oder Fremdgefährdung vorliegt. 44 akute Fluchtgefahr besteht. 44 ein Selbsttötungsversuch zu verhindern ist, oder wenn von dem ­Patienten eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit einer ­anderen Person ausgeht. 44 zuvor alle anderen Versuche einer therapeutischen Aufklärung/Über­ zeugung über die Dringlichkeit der Medikation gescheitert sind. jjZur Dokumentation Die Dokumentation bzw. ärztliche Stellungnahme muss dem Richter die medizinische Notwendigkeit der medikamentösen Behandlung und der Zwangsausübung verdeutlichen. Die ärztliche Stellungnahme zur Ge­ nehmigung einer Zwangsmaßnahme muss umgehend an das zuständige Betreuungsgericht gefaxt werden. Hierzu dokumentieren Sie bitte (nur ein roter Faden. Klären Sie im Vorfeld ggf. interne Dokumente Ihrer Klinik): 44 Diagnosen 44 Aufnahmesituation 44 Konkrete Selbst- und/oder Fremdgefährdung im Vorfeld, während und nach der Aufnahme 44 Bisheriger Behandlungsverlauf 44 Aus der psychischen Symptomatik resultierende Gefährdung 44 Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit des Patienten 44 Unfähigkeit, die Notwendigkeit einer medikamentösen Behandlung zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln 44 Bisherige Versuche, den Betreuten von der Notwendigkeit einer ­medikamentösen Behandlung zu überzeugen 44 Aktueller psychopathologischer Befund (vom Tag der Antragstel­ lung), aus dem die Behandlungsnotwenigkeit und die Einsichts­ unfähigkeit nachvollzogen werden kann 44 Notwendigkeit der Zwangsmedikation, um einen drohenden erheb­ lichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden 44 Begründung, dass der erhebliche gesundheitliche Schaden durch ­keine andere dem Patienten zumutbare Maßnahme abgewendet ­werden kann 44 Begründung, dass der zu erwartende Nutzen der Zwangsmedikation die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt 44 Beabsichtigte Medikation mit Präparategruppe und Dosisbereich 44 Voraussichtliche Dauer der Zwangsmedikation

102

Kapitel 7 · Notfälle

7.3

Fixierung

Die Fixierung als Zwangsmaßnahme stellt einen massiven Eingriff in die Freiheit des Patienten dar und sollte nur angewandt werden, wenn zuvor alle anderen Versuche einer Deeskalation gescheitert sind. Juristisch ist eine mechanische Fixierung gerechtfertigt, bei: 44 einer unmittelbaren akuten Selbst- und/oder Fremdgefährdung 44 einem rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB Die Fixierung darf nur ärztlich angeordnet werden und ist (wenn nicht unmittelbare Gefahr im Verzug ist) dem Patienten vorher anzukündigen und zu begründen. Wenn Sie einmal die Entscheidung zu einer Fixierung getroffen haben, sollten Sie die Vorbereitungen dafür treffen. Die folgenden Punkte dienen als Hilfestellung. Bitte informieren Sie sich vor Ihren ersten Dienst, wie die Fixierung in Ihrer Klinik durchgeführt wird. kkVorbereitung der Fixierung: 44 Fordern Sie genügend möglichst geschulte (und auch männliche) Pflegekräfte an. 44 Lassen (oder bereiten) Sie das Fixierungsmaterial und das Bett vor (-bereiten). 44 Entfernen Sie aus dem Raum, in dem die Fixierung stattfinden soll, alle gefährlichen Gegenstände (Glasgegenstände, Vasen, Besteck, Spritzen, kantige Möbel etc.). 44 Bereiten Sie sich auf die Fixierung vor: Legen Sie alle Gegenstände, die gegen Sie verwendet werden können, ab (z.B. Schals, Schlüssel­ bund, Ringe, große Ohrringe, Uhren etc.) 44 Bereiten Sie – falls notwendig – alle Medikamente vor. 44 Falls notwendig: Bereiten Sie Spritzen, Blutentnahmeset etc. im ­Vorfeld vor 44 Sprechen Sie mit den zusammengerufenen Pflegekräften den Ablauf der Fixierung ab. 44 Bestimmen Sie im Vorfeld einen Situationsmanager 44 Wenn z.B. die Polizei mitbeteiligt ist, klären Sie im Vorfeld, wer die Fixierung leitet. 44 Schützen Sie Unbeteiligte. Wenn weitere Patienten im Zimmer ­anwesend sein sollten, so bitten Sie sie hinaus.

7.3 · Fixierung

103

7

kkDurchführung In der Regel findet eine sog. 5-Punkt-Fixierung statt. Lassen Sie sich das Set vor einer solchen akuten Situation in Ruhe durch einen erfahrenen Kollegen oder einer Pflegekraft einmal komplett erklären. Die Fixierung erfolgt am besten mit mind. 6 Pflegefachkräften: eine Pflegekraft für den Kopf und jeweils eine für jede Extremität sowie eine als feste Ansprechperson für den Patienten. Die meisten Patienten sind von dem Personalaufgebot soweit beein­ druckt, dass sie sich freiwillig hinlegen. Wenn dem nicht so ist, müssen alle hinzugezogenen Kräfte auf das Signal des Situationsmanagers jeweils eine Extremität ergreifen. Wenn der Patient liegt, wird er im Bett fixiert. Die Person, die den Kopf fixiert, muss darauf achten, ob der Patient beißt. Spätestens nach der Fixierung muss die rechtliche Grundlage geklärt werden. Praxistipp Die Notwendigkeit einer Fixierung ist ausführlich zu dokumentieren. Mindestens alle 4 h sollte die Notwendigkeit überprüft werden und ist ebenfalls als Verlauf zu dokumentieren. Eine durchgehende Fixierung über einen längeren Zeitpunkt ist nur mit einer richterlichen Genehmigung zulässig. Wenn die Voraussetzungen wegfallen, ist die Fixierung unverzüglich aufzuheben.

kkDefixierung Nach Rücksprache können Sie die Defixierung anordnen. Auch hier gilt: Seien Sie vorsichtig. Nehmen Sie ausreichend Personal zur Defixierung mit, falls der Patient nach erfolgter Defixierung doch noch nicht so ruhig ist, wie es im ersten Moment den Anschein hatte. Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung und auch den psychopatholo­ gischen Befund des Patienten. Im Anschluss führen Sie mit dem Patienten ein Gespräch. kkAndere Freiheitsentziehende Maßnahmen (z.B. Bettgitter, Schlafsack, Gleitstuhl etc.) Bettgitter, Gleitstühle oder Schlafsäcke etc. sind als freiheitsentziehende Maßnahmen zu betrachten. Auch diese sind von Ihnen als Arzt anzuord­ nen (und entsprechend zu dokumentieren). Diese dürfen angeordnet werden, wenn: 44 der einsichtsfähige Patient dies selbst wünscht 44 eine akute Notsituation besteht

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Kapitel 7 · Notfälle

44 ein richterlicher Beschluss nach vorheriger Einwilligung des ­Betreuers (oder Vorsorgebevollmächtigter) vorliegt. Ohne Gerichtsbeschluss dürfen solche Maßnahmen durchgeführt werden, wenn Gefahr im Verzug ist (d.h. wenn z.B. ein dementer Patient unmittel­ bar aus dem Bett zu fallen droht und daher eine akute Eigengefährdung besteht). 7.4

Stationsschließung

Eine Stationsschließung darf nur ärztlich angeordnet werden. Auch die Schließung ist in regelmäßigen Abständen zu dokumentieren und die Not­ wendigkeit zu überprüfen. Eine Stationsschließung ist zulässig, wenn bei dem Patienten eine a­ kute Selbst- und/oder Fremdgefährdung oder eine akute Fluchtgefahr besteht. Hierzu lesen Sie bitte das in Ihrer Region geltende Gesetz nach. Sollte eine Station vorübergehend geschlossen werden, so benötigen Sie dafür entweder eine schriftliche Freiwilligkeitserklärung der Patienten (Aufklärung erfolgt häufig im Vorfeld per Hausordnung und Unterschrift) oder eine richterliche Unterbringung nach UGB/PsychKG oder § 1906 BGB. 7.5

Intoxikation

In der Psychiatrie werden Sie es immer wieder mit Intoxikationen zu tun haben. Auch im Verdachtsfall stellt jede Intoxikation mit psychotropen Substanzen eine Notfallsituation dar, die eine internistische Überwachung und Behandlung erfordert. Zusätzlich sollte bei einem Verdacht auf eine Intoxikation auch der Giftnotruf bzw. die örtliche Giftinformationszen­trale (regional/überregional) kontaktiert werden. Schreiben Sie sich die Telefon­ nummern vor Ihrem ersten Dienst auf. Die notwendigen Erstmaßnahmen sollten einem psychiatrisch tätigen Arzt vertraut sein: 44 Einschätzung des Patienten 44 Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der Vitalfunktionen: 55Bewusstsein (Ansprechbarkeit, Schutzreflexe) 55Atmung (mit ggf. Intubation und Beatmung) 55Kreislauf (Schockbehandlung/Reanimation)

7.5 · Intoxikation

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7

Zu den Erstmaßnahmen gehört parallel die Anamnese zur Art und Dosis der eingenommenen Substanz(en). Wenn möglich, sollten auch Angehö­ rige/Dritte im Sinne einer Fremdanamnese befragt werden. Wichtig sind hierbei auch Hinweise zu Abschiedsbriefen, Medikamentenschachteln, Spritzbesteck etc. Die Therapie sollte sofort begonnen werden, da häufig rasch progre­ diente und schwere Verläufe vorkommen. Der Patient sollte durch einen Rettungsdienst bzw. Notarzt auf eine geeignete internistische Station ver­ legt bzw. aufgenommen werden, wobei kontinuierliches Monitoring und ggf. intensivmedizinische Interventionen fortgeführt werden. Die Therapie umfasst: 1. Erstmaßnahmen (s. oben) 2. ggf. die primäre Detoxifikation:  Nur bei bewusstseinsklaren oder intu­

bierten Patienten durchführen und wenn der Zeitpunkt der Einnahme bekannt ist. Hierzu gehören: 44 induziertes Erbrechen (z.B.: Ipecacuanha- Sirup < 1 h nach Einnahme) 44 ggf. Magenspülung (bei kurz zurückliegender Einnahme von ­Substanzen, die nicht an Aktivkohle binden, z. B. Alkohol) 44 Aktivkohle (sinnvoll < 1 h nach Einnahme)

3. Symptomatische Therapie:  Hierzu gehört die Behandlung vegetativer und/oder zentraler Komplika­tionen: 44 Blutdruckregulation 44 Flüssigkeitsausgleich 44 Elektrolyt-/Azidoseausgleich 44 Sedierung 44 Temperatusausgleich 44 Antikonvulsive Behandlung 4. ggf. Gabe von Antidota  Wenn bekannt ist, womit der Patient sich into­

xikiert hat, können Antidota gegeben werden, z.B.: 44 Flumazenil: BZD-Intoxikation 44 Naloxon: Opioatintoxikation 44 Biperiden: Cholinomimetika-Intoxikation

5. Sekundäre Detoxifikation  Diese erfolgt zumeist nach Klinikaufnahme.

Hierzu gehören: 44 Forcierte Diurese 44 Ggf. Hämodialyse bzw. -perfusion

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Kapitel 7 · Notfälle

Folgende Auflistung gibt eine knappe Übersicht über gängige Substanzen, die im Dienst im Zuge einer Intoxikation zu erwarten sein können: Cannabis:  Intoxikationszeichen: 44 Verlangsamung 44 Mydriasis 44 formale Denkstörung 44 Inadäquater Affekt 44 Ich-Störung Alkohol  Intoxikationszeichen:

44 Foetor alcoholicus 44 Enthemmung/Gereiztheit 44 Nystagmus 44 Dysarthrie 44 Ataxie 44 gestörtes Gangbild 44 ggf. epileptische Anfälle 44 Stürze 44 Vigilanzminderungen bis hin zum Koma 44 Ateminsuffizienz 44 Arrhythmien etc.

Opiate  Intoxikationszeichen: 44 psychomotorische Verlangsamung 44 Miosis 44 Obstipation Kokain  Intoxikationszeichen:

44 Unruhe 44 (psychomotorische) Erregung 44 Hypervigilanz 44 Tachykardie 44 Hypertonie

Amphetamine  Intoxikationszeichen:

44 Ähnlich wie Kokain 44 Formale Denkstörungen 44 Psychotische Symptome

7.6 · Spezielle psychiatrische Notfälle

107

7

Halluzinogene  Intoxikationszeichen: 44 Unruhe/Erregung 44 Halluzinationen 44 wahnhafte Symptomatik „Liquid Ecstasy” (Gammahydroxybuttersäure)  Intoxikationszeichen:

44 Unruhe 44 Wahrnehmungsstörungen 44 Erbrechen 44 Krampfanfälle 44 Schwere Sedierung

Benzodiazepine  Intoxikationszeichen:

44 Schläfrigkeit bis hin zum Koma 44 Ataxie 44 Sturzneigung 44 Muskelhypotonie 44 Dysarthrie 44 Atemdepression 7.6

Spezielle psychiatrische Notfälle

Im Folgenden wird kurz auf einige spezielle psychiatrische Notfälle einge­ gangen (zu Medikamenten 7 Kap. 8). kkDystonien Die Dystonie ist eine Bewegungsstörung mit langanhaltenden unwillkür­ lichen Kontraktionen der quergestreiften Muskulatur. Diese führt häufig zu abnormen Haltungen oder verzerrenden, repetitiven Bewegungen. Die Klassifikation der Dystonie erfolgt nach ätiologischen und phänomenolo­ gischen Aspekten. In der Psychiatrie interessieren uns in erster Linie Dystonien (oder Frühdyskinesien), die durch antidopaminerge Substanzen (also u.a. neuro­ leptikainduziert) auftreten können, v.a. verursacht durch klassische Anti­ psychotika, z.B. Haloperidol. Diese treten entweder zu Beginn einer Neu­ roleptika-Therapie auf oder aber wenn eine Aufdosierung oder Umstellung erfolgte.

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Kapitel 7 · Notfälle

Praxistipp Das Antiemetikum Metoclopramid kann ebenfalls zu Dyskinesien ­führen.

Phänomenologisch zeigen sich Dystonien und Dyskinesien durch: 44 Athetotische oder choreatiforme Bewegungen 44 Schlundkrämpfe (können zum Bolustod führen!) 44 Torticollis 44 Krampfartiges Herausstrecken der Zunge 44 Rumpfdystonie 44 Blickkrämpfe (okulogyre Krise) 44 Dystonie der Kaumuskulatur (Trismus) etc. In leichten Fällen kann ein Wechsel des Antipsychotikums helfen. kkAkute Erregung Die akute Erregung kann unterschiedlichste Ursachen haben. Versuchen Sie nach einer Situations- und Gefahrenabschätzung (Eigen- oder Fremd­ gefährdung; sind Waffen vorhanden?) eine Fremdanamnese durchzufüh­ ren, da Sie in der Regel kaum eine Anamnese mit dem Patienten durchfüh­ ren können. Differenzialdiagnosen bei akuter Erregung: 44 Alkohol: 55Intoxikation 55Delir 44 Drogen: 55Intoxikation 44 Manie: 55Rededrang 55gereiztes/aggressives Verhalten 44 Psychose/exazerbierte Schizophrenie: 55Wahn 55Ich-Störungen 55bizarres Verhalten 44 Demenz: 55teilweise wahnhaftes Erleben 55Desorientierung 44 Delir bei Demenz: 55nesteln 55fluktuierende Symptomatik

7.6 · Spezielle psychiatrische Notfälle

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44 Angststörungen: 55teilweise mit Hyperventilation 55Panikattacke 44 Persönlichkeitsstörung: 55impulsiv 55selbstverletzendes Verhalten 55dissoziativ kkLithiumintoxikation Lithium wird u.a. bei schweren depressiven Störungen und/oder zu deren Phasenprophylaxe bei manischen oder bei bipolaren Störungen eingesetzt. Die therapeutische Breite ist recht gering. In der Therapie wird ein Plasma­ spiegel von 0,6–1,2 mmol/l angestrebt. Eine Lithiumintoxikation kann akzidentiell oder im Rahmen einer ­suizidalen Handlung auftreten. Auch Kalium- oder Kochsalzmangel (bei Diarrhoe, starken Schwitzen oder durch Diuretika) sowie Nierenfunk­ tionsstörungen können zu einer Intoxikation führen. >>2–3 Tage vor einer Operation oder einer Narkose muss Lithium ­abgesetzt werden.

jjSymptome Intoxikationszeichen können schon ab einem Spiegel von 1,0 mmol/l auf­ treten, spätestens ab 1,5 mmol/l. Diese sind: 44 Schwindel 44 Psychomotorische Verlangsamung 44 Konzentrationsstörungen 44 Abgeschlagenheit 44 Vigilanzminderung 44 Grobschlägiger Tremor der Hände („flapping tremor“) 44 Gastrointestinale Störungen (z.B. Übelkeit, Erbrechen) 44 Koordinationsstörungen, 44 Dysarthrische Sprache 44 Myoklonien Später: 44 Hyperrelexie 44 Rigor 44 Zerebrale Krampfanfälle 44 Schock 44 Bewusstseinstrübung bis zum Koma 44 Herz-Kreislauf-Stillstand

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Kapitel 7 · Notfälle

kkDelir Das Delir ist ein akut einsetzendes organisches Psychosyndrom mit Stö­ rung des Bewusstseins, der Orientierung und der Kognition. Ein Delir ist immer ein Notfall! Zu den häufigsten Ursachen gehören: 44 Demenz 44 Dehydration 44 Elektrolytstörungen 44 Anämie 44 Infekte 44 Psychotrope Substanzen und deren Entzug oder Intoxikation mit ihnen 44 Medikamente Fast alle Medikamente können potenziell ein Delir auslösen oder begüns­ tigen, insbesondere jedoch Anticholinergika, L-Dopa, trizyklischen Anti­ depressiva, Antibiotika, Opiate und Kortison. Nicht immer ist auf Anhieb eine konkrete Ursache zu finden – doch danach zu suchen lohnt sich auf jeden Fall. Zumeist sind zu Anfang recht einfache Maßnahmen hilfreich – z.B. Flüssigkeitszufuhr bei dementen Patienten. Grundsätzlich kann allerdings jeder Patient von einem Delir betroffen sein und es sollte bei z.B. post­ operativen Patienten, bei Medikamenteneinstellung und –umstellung, während einer ITS-Behandlung, bei Schlafentzug, bei einer Kortison-Stoß­ therapie als Diagnose in Betracht gezogen werden, wenn plötzliche Be­ schwerden auftreten. Der Verdacht auf ein Delir besteht bei: 44 Akutem Beginn 44 Fluktuierendem Verlauf 44 Quantitativer und qualitativer Bewusstseinsstörung 44 Neu aufgetretenen Orientierungsstörungen 44 Suggestibilität (von leerem Blatt ablesen oder „Fadenprobe“) 44 Halluzination (z.B. Käfer oder anderes Krabbelzeug) 44 Neu aufgetretener Störung der Psychomotorik Es wird zwischen einem hyperdynamen und einem hypodynamen Delir unterschieden. Oft wechseln sich aber auch Phasen beider Formen ab. Das hypodyname Delir kann allerdings leicht übersehen werden, da der Patient antriebsarm oder lethargisch ist. Er zieht sich eher zurück und ist im Kontakt kaum erreichbar. Oftmals fällt ein ruhiger, antriebsarmer älterer Mensch weniger auf, als wenn er aggressiv ist und schreit. Achten Sie daher auch auf solche Veränderungen. Wenn Sie einen Patienten z.B. auf der gerontopsychiatrischen Station haben, der vor einigen Tagen noch

7.6 · Spezielle psychiatrische Notfälle

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munter über den Flur lief und das dann plötzlich nicht mehr macht, versu­ chen Sie herauszufinden, ob etwas Pathologisches vorliegt. Das hyperdyname Delir ist leichter als Veränderung wahrzunehmen. Die Patienten fallen oft durch psychomotorische Unruhe (charakteristi­ sches „Nesteln“ der Hände oder eine erhebliche Laufleistung über den ­Stationsflur), floride Halluzinationen, Verkennen der Situation mit ent­ sprechenden Fehlhandlungen, aber auch durch affektive Symptome wie Angstzustände und aggressive Durchbrüche auf. Praxistipp Durch den oftmals fluktuierenden Verlauf kommt es vermeintlich ­immer wieder zu einer Besserung des Zustandes. Der Patient „klart auf“. Hier nicht vorschnell die Medikation beenden, sondern vorsichtig reduzieren und beobachten.

Maßnahme zur Delirbehandlung: 44 Suche und Behandlung der Ursache 44 Entfernung der Noxe 44 Flüssigkeitsgabe 44 Infektbehandlung 44 Absetzen nicht benötigter Medikamente 44 Medikation (7 Kap. 8) In vielen Kliniken (z.B. chirurgischen Stationen) wird versucht, präventiv gegen ein Delir zu arbeiten: 44 Reizreduktion – aber bitte keine umfassende Abschirmung 44 Orientierungshilfen – große Uhr, Kalender, Patientenzimmer deut­ lich kennzeichnen 44 Vermeidung von Polypharmazie 44 Flüssigkeitsbilanzierung 44 Infektprävention (möglichst keine Dauerkatheder etc.) 44 Konstante Umgebung und Bezugspersonen (besonders bei Kindern und gerontopsychiatrischen Patienten) Es ist nicht immer leicht, ein Delir von einer Demenz zu unterscheiden, zumal beides häufig gemeinsam auftreten kann. Anhaltspunkte sind: Delir: 44 Plötzlicher Beginn 44 Fluktuierender Verlauf 44 Bewusstseinsstörungen 44 Optische Halluzinationen häufig

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Kapitel 7 · Notfälle

44 Suggestibilität 44 Ansprechen auf hochpotente Neuroleptika 44 Häufig ein konkreter Auslöser Demenz: 44 Schleichender Beginn 44 Langsame Progredienz 44 Relativ linearer Verlauf 44 Optische Halluzinationen seltener und weniger floride Meist sistiert ein Delir – wenn es adäquat behandelt wird – innerhalb we­ niger Tage. Unbehandelt besteht die Gefahr eines tödlichen Verlaufs. kkWernicke-Enzephalopathie und Korsakow-Syndrom Die Wernicke-Enzephalopathie ist die klinische Manifestation eines Vita­ min-B1-Mangels (Thiamin). Dieser Mangel führt zu Läsionen im Bereich des Thalamus und Hypothalamus, der Corpora mammillaria, periäqua­ duktal, des Bodens des vierten Ventrikels sowie des Kleinhirnwurms – alles wichtige Strukturen des Gehirns. Ätiologisch kommt prinzipiell jede Mangelernährung infrage, die länger als ungefähr 2 Wochen anhält. Besonders gefährdet sind alkoholabhängige Patienten, da sie neben der verminderten Aufnahme vitaminreicher Nah­ rung auch einen erhöhten Thiaminverbrauch, eine meist schlechtere Resorp­ tion und eine eingeschränkte hepatische Speicherkapazität auf­weisen. Darüber hinaus häufig betroffen sind Patienten mit: 44 Essstörungen 44 Demenz 44 Vergiftungswahn 44 Nach bariatrische Operationen In somatischen Fachbereichen kommen weitere schwere Krankheitsbilder als potenzielle Ursache infrage (z.B. Sepsis, Verbrennungen etc.). jjSymptomatik Beschrieben wird die klassische Trias aus: 1. Bewusstseinsstörung (in schweren Fällen bis zum Koma) 2. Augenbewegungsstörung 3. Ataxie Dieses Vollbild ist jedoch eher selten. Häufiger finden Sie im klinischen Alltag eine distal betonte, axonale Polyneuropathie, Fieber und unspezifi­ sche gastrointestinalen Symptome.

7.6 · Spezielle psychiatrische Notfälle

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jjBehandlung Sollten Sie den begründeten Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie haben, sollten Sie nicht lange auf Laborergebnisse warten, sondern mög­ lichst zeitnah mit einer i.v.-Substitution von Thiamin beginnen. Der Pa­ tient profitiert deutlich. Sollten Sie nicht richtig liegen, hat der Patient ei­ nige Vitamine intravenös erhalten. Sprechen Sie allerdings zuvor mit Ihrem zuständigen Oberarzt. Erklären Sie Ihre Verdachtsdiagnose und dann han­ deln Sie. Unbehandelt kann eine Wernicke-Enzephalopathie tödlich verlaufen; überlebende Patienten entwickeln oftmals ein Korsakow-Syndrom, meist mit der F10.6 („Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: amnes­ tisches Syndrom“) verschlüsselt. Die wegweisende Symptomatik ist hier eine anterograde Amnesie mit ausgeprägter Konfabulationstendenz, erhöhter Suggestibilität und ausge­ prägter Orientierungsstörung. Typischerweise ist das Immediatgedächtnis ungestört. Eine grundsätzliche Heilung ist nicht mehr möglich. Fast immer benötigen diese Patienten einen Betreuer und müssen schlussendlich in spe­ zialisierten Einrichtungen leben. Im Vordergrund steht hierbei, ein ­stabiles, sicheres Umfeld mit möglichst konstanten Bezugspersonen zu schaffen, in dem der Patient sich orientieren und leben kann, ohne sich oder andere zu gefährden. Von psychiatrischer Seite sind eventuelle ­Komorbiditäten wie depressive Erkrankungen und Schlafstörungen zu b ­ ehandeln. kkPsychose Psychotische Störungen – ob sie nun neu oder im Rahmen einer Sucht­ erkrankung auftreten oder eine Exazerbation einer bekannten psychoti­ schen Störung sind – stellen einen Notfall dar. Sie sind u.a. gekennzeichnet durch den Verlust oder zumindest die Beeinträchtigung der Ich-Grenzen. Diese Situation ist für die Patienten oftmals sehr beängstigend. Sie spüren den Verlust ihrer Ich-Grenzen im Sinne „Etwas Schlimmes passiert mit mir“, können dies aber oft nicht be­ nennen. Meist spüren sie diffus, wie ihnen die Realität entgleitet oder wie sie die Kontrolle verlieren. Irgendetwas ist seltsam ... die Leute sind so ­anders ... die Menschen reden über mich... Wenn Sie sich einmal vorstellen, wie sich das anfühlt, dann erhalten Sie einen kleinen Eindruck, wieviel Angst dies auslösen kann. Hinzu können Phoneme kommen. Mancher Patient mit einer existie­ renden Schizophrenie kann sich über Jahre hinweg gut mit „seinen“ Stim­ men arrangieren. Doch sollte dieses Phänomen das erste Mal auftreten, so macht es fast immer große Angst. Phoneme können in Form von Akoasmen – also schlichtweg Geräu­ schen (z.B. Klopfen, Schritte, Türklingeln etc...) – oder Stimmen vor­

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kommen. Stimmen können männlich oder weiblich sein, einzeln oder zu mehreren vorkommen. Sie können u.a. kommentieren oder dialogisieren. Häufig sind negative Inhalte i.S. von abwertenden Kommentaren („Du bist nichts wert...“ oder deutlich abfälligere Worte) vorhanden. Sie sollten immer nach Stimmen mit imperativem Charakter fragen. Solche Stimmen können Patienten zu den grausamsten Dingen auffordern. Ein Charakteristikum für Erkrankungen aus dem schizophrenen For­ menkreis ist das „Gefühl des Gemachten“. Das heißt, dass der Patient die Symptomatik als willentlich von Jemanden oder Etwas herbeigeführt emp­ findet. Zumeist wird die Einweisung – durch die Familie, den Rettungsdienst oder gar die Polizei – in die Psychiatrie ebenfalls als sehr angstbesetzt emp­ funden. Ob der Patient bereits Psychiatrieerfahrung hat oder nicht. Neben den Vorurteilen fürchten sie manchmal notwendige Fixierungen oder die Unterbringung. Allerdings sind viele psychotische Patienten für den festen Rahmen, den die Psychiatrie ihnen bieten kann, auch dankbar, da dieser äußere Halt die Angst reduzieren und ihnen einen Halt in der Realität bieten kann. Wenn nun ein solcher Patient zu Ihnen zur Aufnahme kommt oder aber in der Klinik psychotisch dekompensiert, sollten Sie ihn bis auf wei­ teres als eigengefährdend betrachten. Überprüfen Sie auch die Fremd­ gefährdung. Sie kennen den Inhalt und die tatsächlich empfundene ­Bedrohlichkeit des Erlebens des Patienten nicht. Zumeist sind auch die Steuerungsfähigkeit und die Absprachefähigkeit herabgesetzt. Sorgen Sie für eine möglichst ruhige Umgebung. Bleiben Sie aber den­ noch nicht mit dem Patienten allein. Beachten Sie die Grundregeln der Deeskalation und bleiben Sie so gelassen wie möglich. Klären Sie den Patienten auf und schaffen Sie Vertrauen: 44 „Wir kennen dieses Krankheitsbild“ 44 „Das kommt häufig vor“ 44 „Sie sind richtig hier – gut, dass sie so schnell reingekommen sind, es ist unangenehm, aber es lässt sich behandeln...“ Hören Sie dem Patienten zu und zeigen Sie Interesse an den Inhalten. Ver­ suchen Sie vorsichtig eine Realitätsprüfung durchzuführen, ohne das Erle­ ben des Patienten zu bewerten. Sätze wie: „Das ist Unsinn“ oder „Das kann nicht sein...“ führen nur zu einem Streitgespräch und bringt Sie nicht wei­ ter. Nehmen Sie Ihren Patienten in seinem Erleben ernst.

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Praxistipp Auch wenn der Patient bislang alle Medikation abgelehnt hat, können Sie dennoch in das Gespräch Lorazepam exp. oder Diazepam flüssig mitnehmen. Bieten Sie es bei passender Gelegenheit an. Vor einer Medikation hilft es manchmal, dem Patienten eine Zigarette anzubieten.

Wie auch immer die Situation sein sollte: Greifen Sie nicht zu Lügen oder Versprechungen, die Sie nicht halten können. Viele Psychotiker sind sehr feinfühlig und werden Sie dahingehend entlarven. Damit hätten Sie das Vertrauen des Patienten verspielt. Womit Sie rechnen müssen ist, dass diese Patienten teilweise sehr grenzüberschreitend sein können und auch Ihnen sehr persönliche Fragen stellen werden. Das gehört zum Krankheitsbild und sollte Sie als angehen­ den Psychiater nicht aus der Bahn werfen. Achten Sie auf Ihre Grenzen und machen Sie diese freundlich deutlich, z.B.: „Es geht jetzt um Sie und nicht um mich.“ Klare Grenzen sind hier wichtig. Praxistipp Versuchen Sie nicht wie bei einem Neurotiker mit ständigen Gegenfragen zu reagieren. Das verunsichert meist einen akuten Psychotiker und führt in der Regel zu vermehrten Chaos.

Um die akute Situation zu beherrschen, beachten Sie Folgendes: 44 Reizabschirmung 44 Eigen-/Fremdgefährdung? 44 Ggf. Fixierung, Zwangsmedikation 44 Freiwilligkeit klären, ansonsten Überprüfen ob Betreuung vorhanden ist 44 Ggf. Unterbringung 44 Medikation: Für die ersten Tage sind Sie mit Lorazepam 0,5-0,5-1-1 und beispielsweise Risperidon 1-0-0-1 oder Ähnlichem auf einem ­guten Weg. 44 Wenn Vorerfahrungen mit Medikation bestehen, fragen Sie den ­Patienten, was bisher am besten war. 44 Stationsgebot und Sichtkontrollen, bis Sie und das Team ein Gefühl für den Patienten haben 44 Unbedingt Labor und Drogenscreening 44 Bei Erstmanifestation: cMRT und Lumbalpunktion erwägen.

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Kapitel 7 · Notfälle

kkEntzug Ein wesentliches Kriterium für die Diagnose einer Suchterkrankung ist das Auftreten von Entzugssymptomen. Je nachdem, was der Patient im Vorfeld konsumiert hat, treten unterschiedliche Entzugssymptome auf. Substanzen, die direkt oder indirekt an einem der GABA-Rezeptoren wirken, haben die Eigenschaft, die Krampfschwelle zu erhöhen. Wenn ­diese Substanzen nun nicht mehr eingenommen werden, fällt die pharma­ kologische Hemmung weg. Der Patient ist gefährdet, einen Krampfanfall zu erleiden. Substanzen die hierfür u.a. in Frage kommen sind: 44 Alkohol 44 Benzodiazepine 44 Clomethiazol 44 „Z-Medikamente“ (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon ) 44 Pregabalin 44 Barbiturate Neben der Krampfgefahr können im Entzug Delire auftreten. Am häufigsten treten vegetative Symptome wie Schwitzen, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe, Tremor auf. Bei Blutdruckschwankungen mit Blut­ druckspitzen müssen Sie v.a. auf vorbelastete Patienten achten. Eine Entzugsbehandlung richtet sich in erster Linie nach der Schwere des Entzugs und danach, ob der Patient im Vorfeld bereits delirante Zu­ stände und/oder Krampfanfälle im Entzug erlebt hatte. 44 Beim Erstkontakt mit einem Patienten, der unter Entzugssymptomen leidet, führen Sie eine Anamnese und Fremdanamnese durch (wenn beides machbar ist). 44 Fragen Sie hierbei, wie viel Alkohol in welcher Zeit getrunken wurde. 44 Führen Sie eine körperliche Untersuchung durch. 44 Legen Sie eine Flexüle. 44 Nehmen Sie Blut ab und screenen Sie es auch auf Drogen. 44 Substituieren Sie Vitamin B 1, B 6 und B12. 44 Ausgleich von Elektrolytstörungen (Hyponatriämie bitte unbedingt langsam substituieren, ansonsten besteht die Gefahr einer zentralen pontinen Myeolinolyse). 44 Ausgleich des Flüssigkeitshaushalts. 44 Überwachung der Vitalparameter. Der Patient sollte nach einem festen Schema (in der Regel zu Beginn alle zwei Stunden) standardmäßig überwacht werden. Neben dem Erfassen der Entzugssymptome werden RR und Puls gemessen. Beginn und Dauer einer medikamentösen Behandlung können abhän­ gig von der Symptomatik oder unabhängig von der Symptomatik als festes

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Schema angesetzt werden. Je nachdem wie Ihre Klinik bei Entzügen vor­ geht, kommen verschiedene Medikamente in Betracht: Distraneurin (Clomethiazol) – max. 24 Kapseln pro Tag  Bei unkompli­

ziertem Verlauf und wenn keine Krampfanfälle bekannt sind. Sowie keine Kontraindikationen für Distraneurin bestehen (z.B. kardiopulmonale Be­ gleiterkrankungen).

Diazepam – max. 80 mg pro Tag  Verwendbar bei bekannten Krampf­ anfällen und/oder im Vorfeld stattgehabten Deliren, bei einer gleichzeitig bestehenden COPD, bei Distraneurinunverträglichkeit. Lorazepam  Verwendbar bei Unverträglichkeit auf Diazepam und eher bei

gerontopsychiatrischen Patienten.

Carbamazepin  Initial können 400–800 mg gegeben werden. Verwendbar

bei starken VES und Krampfanfallsgefahr bei einem Alkoholspiegel von über 2 Promille. Verwendbar, wenn der Alkoholspiegel noch zu hoch für eine Distraneurin-/oder Diazepammedikation ist. Bei AES und hypertonen Blutdruckkrisen können Sie Metroprolol, ­Nifedipin oder Clonidin geben. Entsprechende Schemata sprechen Sie bitte mit Ihrem Oberarzt ab. Manche Kliniken führen fast nur Entzüge mit Carbamazepin durch, man­ che nur mit Distraneurin. Schauen Sie aber auch mal über den Tellerrand und eignen sich andere Vorgehensweisen an. Exkurs Opiatenzug Der Opiatentzug ist ausgesprochen unangenehm, aber nicht vital ­bedrohlich. Zu den Symptomen gehören u.a.: Unruhe bei gleichzeitiger Müdigkeit, Niesen, Gähnen, Lakrimation, Rhinorrhö, unspezifische gastronintestinale Beschwerden, Kälteempfinden, Tachykardie, Hypertonie und Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Sollte Ihre Klinik einen opiatgestützen Entzug anbieten, dosieren Sie dies nach den in Ihrem Haus üblichen Vorgaben. Die bekanntesten Substitute sind Methadon und Polamidon. Auch hier überprüfen Sie die Laborparameter und screenen den Patienten auf andere Drogen. Des Weiteren überprüfen Sie auf Infektionskrankheiten wie Hepatitis, HIV, TBC (ggf. Syphillis).

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Kapitel 7 · Notfälle

kkPanikattacke Grundsätzlich kann jeder Mensch – auch der psychisch gesunde – eine Panikattacke als Ausdruck einer Überforderung oder Überreizung erlei­ den. Eine Panikattacke kann voll ausgebildet sehr dramatisch wirken, ist aber glücklicherweise nicht gefährlich. Eine isolierte Panikattacke wird aber von vielen Patienten als akut bedrohlich erlebt, was zur Vorstellung in Rettungsstellen führt. Lässt sich die Problematik dort nicht hinreichend klären, wird der Patient oftmals in die Psychiatrie geschickt oder gleich verlegt. Darauf reagiert der Patient verständlicherweise meist verunsichert und auch gekränkt („Ich bin doch nicht verrückt“). Die Panikattacke ist zu unterscheiden von der Panikstörung – also der episodisch paroxysmalen Angst –, die ein psychiatrisches Krankheitsbild mit wiederkehrenden Panikattacken und dazwischen liegender Erwar­ tungsangst und entsprechend hohem Leidensdruck darstellt. Panikattacken können mit oder ohne konkreten Auslöser auftreten, oder aber der Auslöser ist dem Patienten nicht immer bewusst. Meist werden bei der Panikattacke die vegetativen körperlichen Symp­ tome als sehr vordergründig erlebt. Der Patient leidet dann unter z.B. Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Atemnot und/oder Übelkeit und attribuiert diese Angst, die ja eigentlich Auslöser der körperlichen Symptome ist, als deren Folge („Natürlich habe ich Angst – offensichtlich stimmt ja etwas mit meinem Herz nicht und Luft bekomme ich auch keine...“). Die Zunahme der Angst führt dann wiederum zur Steigerung der Symptome. Das Ganze kann sich zu einem „Teufelskreislauf der Angst“ entwickeln. In einer Panikattacke haben sich als hilfreich erwiesen: 44 Reizabschirmung (dies beinhaltet auch: ängstlich besorgte Angehö­ rige bitten zu gehen) 44 Aufklärung: „Sie haben eine Panikattacke. Das ist sehr unangenehm aber glücklicherweise ungefährlich.“ 44 Gesprächsangebote machen, dabei Realitätsbezug schaffen: „Was ­befürchten Sie? Ist das schon mal passiert? Was schätzen Sie? Wie wahrscheinlich ist das?“ 44 Im „Hier und Jetzt“ zu bleiben: „Hier sind Sie in einer Klinik. Hier passiert Ihnen nichts.“ 44 Atemtechnik gemeinsam mit dem Patienten anwenden: „durch die Nase ein-, durch den Mund ausatmen...“, Lippenbremse erklären, evtl. Visualisierung „als würden Sie eine Kerze langsam ausblasen“ 44 Bei Hyperventilation: Tüte zum Zurückatmen anbieten und erklären wie das geht 44 Bei Erstmanifestation: EKG und Drogenscreening 44 Sehr viel Ruhe ausstrahlen

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Ein Wort zu Medikamenten. Es wird immer wieder vorkommen, dass Pa­ tienten nach Benzodiazepinen fragen („Tavor hilft mir da schon ... das nehme ich schon seit Jahren“). Medikamente nur in Ausnahmefälle geben! Der Patient „lernt“ hierbei wie in der Konditionierung, dass die Symptome mit z.B. Benzodiazepinen schnell weggehen. Ihr Patient kann das Kupieren einer Panikattacke mit Benzodiazepinen als eine angenehme Erfahrung erleben, was dann wiederum bei entsprechender Disposition den Grund­ stein zu einer Suchterkrankung legen kann. Es wird keine Selbstwirksam­ keit im Sinne: „Ich kann das selber in den Griff kriegen“ erlebt. Die Ein­ schätzung des Patienten, krank und behandlungsbedürftig zu sein, wird durch Medikamente nur verstärkt. kkAkute Belastungsreaktion Über kurz oder lang werden Sie im Dienst, in der Rettungsstelle oder aber auch im ambulanten Bereich auf Patienten treffen, die als Folge eines trau­ matisierend erlebten Ereignisses vollkommen erschüttert sind. Hierbei können die unterschiedlichsten Dinge als Auslöser in Betracht kommen. Wann etwas als traumatisierend erlebt wird, ist individuell stark unter­ schiedlich und u.a. abhängig von den eigenen Erfahrungen und dem Kul­ turkreis. Nehmen Sie auf jeden Fall Ihren Patienten ernst. Versuchen Sie nicht, das Erlebte zu bagatellisieren, vielleicht hat der Patient Ihnen auch noch nicht alles anvertraut und Sie verbauen sich dann dauerhaft den Zu­ gang zu ihm. Praxistipp Die akute Belastungsreaktion ist eine vorübergehende Störung aufgrund einer außergewöhnlich schweren Belastung.

Die akute Belastungsreaktion setzt unmittelbar nach dem Ereignis ein und bildet sich in der Regel innerhalb von Stunden oder wenigen Tagen zurück. Oftmals fühlen die Patienten sich wie betäubt. Desorientierung oder eine Bewusstseinseinengung können auftreten. Die Patienten können dann nachfolgend Angstsymptome, depressive Symptome oder auch eine erheb­ liche Überaktivität und Aggressivität entwickeln, ohne dass eines der Symp­tome länger vorherrscht. Auch dissoziative Phänomene können auf­ treten. Für das eigentliche Trauma kann eine Amnesie auftreten. Reagieren Sie daher nicht ungläubig, wenn ein Patient Ihnen sagt, dass er sich an nichts erinnern kann. Vegetative Symptome können ebenfalls das klinische Bild begleiten. Versuchen Sie im Erstkontakt keine Traumatherapie. Das wäre in die­ ser Situation vollkommen unangemessen. Meist sind stützende Gespräche

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Kapitel 7 · Notfälle

mit Informationen zu dem, was dem Patienten gerade geschieht, ausrei­ chend. Sollten suizidale Krisen auftreten, ist eine stationäre Aufnahme erforderlich. Hinsichtlich Beruhigungsmittel gibt es unterschiedliche Ansichten. Die einen lehnen Sie vollständig ab und andere wollen dem Patienten ­diese nicht vorenthalten. Machen Sie es davon abhängig, wie stark die Sympto­ matik ausgeprägt ist und ob der Patient adäquate Bewältigungsstrategien entwickelt. Besprechen Sie dies mit Ihrem Oberarzt. kkSelbstverletzendes Verhalten Für viele Menschen ist es schwer nachzuvollziehen, warum sich jemand selbst verletzt. Auch viele Ärzte und tun sich schwer damit. In manchen Teams ruft solch ein Verhalten sehr heftige negative Reaktionen hervor (z.B. „Die will ja eh nur Aufmerksamkeit“). In manchen Kliniken ist es üblich, diesen Patienten wortlos Verbands­ material zu geben und die Situation nicht weiter zu beachten. In anderen Kliniken gilt das selbstverletzende Verhalten als Regelverstoß, da es als therapiegefährdend angesehen wird. Unabhängig davon sollen Sie als be­ handelnder Arzt die Situation handhaben und mit diesen Patienten einen Umgang entwickeln können. Wichtig hierbei ist, dass die Situation nicht eskalieren sollte. Wichtige Schritte:

1. Beurteilen Sie die Schwere der Verletzung. Können Sie selbst oder das Pflegepersonal die Wunde versorgen? Muss der Patient chirurgisch vorgestellt werden? 2. Klären Sie, ob es sich tatsächlich um eine Selbstverletzung handelt oder um einen misslungenen Suizidversuch (Stimmung, Motiv, ­Abschiedsbriefe etc.). 3. Gehen Sie wie es in Ihrem Haus üblich ist vor. Besprechen Sie dies mit Ihrem Oberarzt. Häufig wird selbstverletzendes Verhalten mit der Borderline-Persönlich­ keitsstörung in Verbindung gebracht. Damit liegen Sie meist richtig, aber nicht immer. Nicht jeder Patient, der sich selbst verletzt, ist von dieser Störung betroffen und umgekehrt weist nicht jeder Borderliner die „klas­ sischen“ horizontalen Schnitten am Unterarm auf. Doch warum tun sich Menschen so etwas an? Als Motiv kommen u.a. infrage: 44 Abbau unerträglicher innerer Anspannung 44 Zurück in die Realität finden 44 Sich wieder spüren können 44 „Innere Leere“ bekämpfen

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44 Dissoziative Zustände beenden 44 Angriff auf bedrohlich Introjekte 44 Wendung der Aggression gegen sich selbst 44 Ersatzhandlung für Suizid Wenn Sie nun zu einem Patienten gerufen werden, bei dem „noch nichts“ geschehen ist (das selbstverletzende Verhalten ist noch nicht aufgetreten, droht aber durchgeführt zu werden), machen Sie deutlich, dass Sie es sehr schätzen, dass der Patient sich rechtzeitig gemeldet hat. Betrachten Sie es als Vertrauensbeweis, wenn jemand bereit ist, mit Ihnen über diese The­ matik zu reden. Es ist nicht so, dass die Patienten gerne darüber reden. Meist ist die Thematik äußerst schambesetzt. Machen Sie auch eindeutig klar, dass Sie das Verhalten des Patienten aus seiner Sicht nachvollziehen können („Ich kann verstehen, dass Sie grad wütend sind...“). Fragen Sie, ob sich der Patient aus vorhergehenden Therapien bereits „Skills“ angeeignet hat und ob er diese anwenden kann. Solche Skills stam­ men aus dem verhaltenstherapeutischen Setting und dienen dazu, den Handlungsdruck zu reduzieren. Der Patient lernt also, mit seinen negativen Emotionen anders umzugehen. Was sich eher ungünstig auswirkt, ist die Gabe von Benzodiazepinen. Natürlich lösen diese im ersten Moment die Spannung, schaden dem Pa­ tienten aber auf lange Sicht gesehen erheblich. Ob Sie nun selber verhaltenstherapeutisch oder aber psychodynamisch ausgerichtet arbeiten, ist in solch einer Situation nicht wirklich relevant. Wenn Sie selbst tiefenpsychologisch orientiert oder analytisch arbeiten, werden Sie bei fremden Patienten oder im Dienst in solchen Situationen bitte nicht den Widerstand oder Ähnliches deuten. Auch hier schadet es nicht, pragmatisch vorzugehen. Welche Skills kennt der Patient? Was hat die Situation ausgelöst? Was kann die Anspannung reduzieren? Beispiele für Skills: 44 starke Gerüche (Ammoniak) 44 Pfefferkörner zerkauen 44 Chilischoten essen 44 Kältepacks 44 Gummiband schnipsen Gehen Sie gemeinsam mit dem Patienten sein Skill durch („Wie ist der Geruch?“, „Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Ammoniak“, „Was geschieht, wenn Sie ihn riechen?“ etc.). Gehen Sie nicht wertend vor. ­Häufig genug fühlen sich die Patienten bereits abgewertet und zu Beginn empfin­ den die meisten auch das Anwenden der Skills als lächerlich. Bleiben Sie zusammen mit Ihrem Patienten dran.

Kapitel 7 · Notfälle

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jjMedikation Überprüfen Sie, ob eine Antibiose oder eine Analgesie erforderlich ist. Fragen Sie, ob Tetanusschutz besteht. Off-Label hat sich die Behandlung mit Hydroxizin bewährt. Auch niederpotente Neuroleptika können als ­Alternative gegeben werden. Praxistipp Sollte Ihr Team auf solche Patienten mit enormen Widerstand („selber Schuld“, „Das muss der aushalten“ etc.) reagieren, thematisieren Sie dies bei passender Gelegenheit. Meist ist es Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit, was die Pflegekräfte dem Patienten gegenüber empfinden. Nehmen Sie dies ernst, da hier sonst sehr ungünstige Entwicklungen entstehen können. Sollte ein anderes Team Ihnen z.B. im Dienst solchermaßen einem ­Patienten präsentieren, führen Sie Ihren ärztlichen Auftrag aus und ­besprechen Sie dies mit dem zuständigen Kollegen.

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Exkurs: neurologische Notfälle

Auch in der Psychiatrie sollten Sie die Glasgow Coma Scale kennen (7 Kap. 12). Als angehender Psychiater können Ihnen auch außerhalb der Neuro­ logie neurologischen Notfällen begegnen. Diese sollten Sie definitiv erken­ nen und dann auch handeln können. kkEpileptischer Anfall – Status epilepticus Nicht nur in der Neurologie begegnen uns Krampfanfälle. Auch auf der Suchtstation können immer wieder Entzugskrampfanfälle auftreten. 44 Partiell fokale Anfälle 55einfache fokale Anfälle 55komplex fokale Anfälle 44 Generalisierte Anfälle 55Absencen 55myoklonische Anfälle 55akinetische 55Grand mal 44 Nicht klassifizierbare Anfälle 55idiopathisch 55symptomatisch 55kryptogen 55Gelegenheitsanfälle

7.7 · Exkurs: neurologische Notfälle

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Exemplarisch werden der Grand-Mal und der Status epilepticus beschrie­ ben. Grand-Mal  Im Vorfeld kann sich ein tonisch-klonischer Anfall mit einer

Vorahnung oder auch selten mit einer „Aura“ ankündigen. Der tonisch-klonische Anfall beginnt in der Regel mit einer Sekunden andauernden tonischen Verkrampfung. Hierbei kommt es häufig zu einem Zungenbiss und in Folge der Relaxation zum Stuhl- oder Harnabgang. Darauf folgt die klonische Phase, die mehrere Minuten (ca. 3–4) andauern kann. Kennzeichnend sind die klonischen Muskelzuckungen, wobei Zun­ genmyoklonien dazu führen können, dass der Speichel zu Schaum geschla­ gen wird. Im Anschluss folgt ein mehrminütiger Terminalschlaf. Daneben lassen sich noch rein tonische und rein klonische Anfälle abgrenzen. Alle Formen gehen mit einer Bewusstseinsstörung und einer postikta­ len Amnesie für den Anfall einher. Ausfallserscheinungen, sog. Todd-Sym­ ptomatik, können postiktal vorkommen. jjDiagnostik Der Anfall sistiert in der Regel nach wenigen Minuten (es sollten weniger als 5 Minuten sein!) und bedarf meist keiner akuten medikamentösen Therapie. Zur Diagnostik gehören eine ausführliche Anamnese – des Patienten selbst und der Person, die den Anfall beobachtet hat. Folgende Punkte sind wichtig: 44 Bewusstseinslage 44 Ablauf der Symptomatik (Wo begannen die Zuckungen?) 44 Aura 44 Harn-/Stuhlabgang 44 Verletzungen 44 Müdigkeit mit ggf. Terminalschlaf 44 Dauer des Anfalls 44 Postiktale Reorientierungsstörungen 44 Familienanamnese 44 Lebensführung Zusätzlich 44 EEG (in jedem Fall abzuleiten) bzw. EEG mit Provokationsmethoden 44 Bildgebung 55cCT/MRT 55SPECT/PET 55Angiografie 44 Labor: 55bei Epilepsie meist CK- und Prolaktin-Erhöhung

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Kapitel 7 · Notfälle

jjDifferenzialdiagnose Differenzialdiagnostisch muss ein tonisch-klonischer Anfall von einem psy­ chogenen Anfall und der Synkope abgegrenzt werden. Die Synkope geht typischerweise mit „Schwarzwerden“ vor Augen, Schwindel, Tinnitus oder Speichelsekretion einher, während der epileptische Anfall aus der Ruhe auf­ tritt. Bei der Synkope driften die Bulbi häufig nach oben und es kommt eher nicht zu einem Harn-/Stuhlabgang. Auch fehlt meist ein Zungenbiss. Bei psychogenen Anfällen: 44 Augen meist geschlossen 44 Kein Bewusstseinsverlust 44 Zumeist keine Amnesie 44 Keine Verletzung 44 Kein Zungenbiss 44 Kein Urin- und/oder Stuhlabgang (kein sicheres Kriterium) 44 Prolaktinbestimmung – bei Epilepsie erhöht kkStatus epilepticus >>Cave: Ein Status epilepticus ist immer ein neurologischer Notfall.

Während der einzelne Anfall selbstlimitierend ist, ist der Status das serielle Auftreten epileptischer Anfälle, ohne dass es zwischenzeitig zu einem Ab­ klingen der epileptischen Aktivität kommt. Sollte ein Grand-mal-Anfall länger als fünf Minuten andauern, so ist dieser ebenfalls als ein Status epi­ lepticus anzusehen. >>Nach initialer notärztlicher Therapie ist eine intensivneurologische Weiterbehandlung erforderlich.

Vor Eintreffen des Arztes ist eine rektale Gabe von Bezodiazepinen sinn­ voll. Legen eines Zugangs, am besten legen Sie zwei. jjTherapie 44 Lagerung 55Schutz vor Selbstgefährdung 55Freihalten der Atemwege 55Entfernen von Zahnersatz (wenn möglich) 55Nichts in den Mund stecken! 44 Überwachung von Atmung und Herzaktionen, RR-Überwachung, Temperaturmessung 44 Thiamin 100 mg i.v. bei V.a. einen alkoholassoziierten Status 44 Glukose nur bei V.a. Hypoglykämie 44 Unter Beatmungsbereitschaft medikamentöse antikonvulsive ­Therapie: initial

7.7 · Exkurs: neurologische Notfälle

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55Lorazepam 0,1 mg/kg KG i.v. (2mg/min, max. 10 mg) oder 55Diazepam 0,25 mg/kgKG i.v. 5 mg/min, max. 30 mg) oder 55Clonazapam 1–2 mg i.v. (0,5 mg/min; max. 6 mg) >>Lorazepam muss gekühlt aufbewahrt und zur Injektion verdünnt werden.

Falls der Status damit nicht zu durchbrechen ist, erfolgt die parenterale Gabe von Phenytoin. 44 Phenytoin-Infusionskonzentrat 15–20 mg/kg KG i.v. > 55 Wenn ein i.v.-Zugang nicht verfügbar ist: Diazepam 10–20 mg Rektiole rektal wiederholen bei Fortbestand des Status. Der Patient benötigt dann einen zentralnervösen Zugang. 55 Wenn i.v.-Zugang vorhanden, diesen gut sichern. Phenytoin kann gewebsnekrotisch sein. Spätestens bei i.v.-Gabe von Benzodiazepinen sollte der Patient auf der Intensivstation sein. Sie als Assistenzarzt sollten definitiv notärztliche/neurologische ­Hilfe anfordern, wenn sich ein Status abzeichnet. Wenn sich ein ­Status abzeichnet, informieren Sie Ihren Hintergrund/Oberarzt, ­rufen neurologische Hilfe und legen die Zugänge.

kkSchlaganfall Dieser Notfall kann Ihnen im klinischen Alltag überall begegnen, vor allem im gerontopsychiatrischen Bereich oder auch in suchtmedizinischen Ab­ teilungen. Merken Sie sich: „Time ist Brain“. Definition Der Schlaganfall ist ein primär klinisch definiertes, polyätiologisches Syndrom, das durch ein plötzlich einsetzendes, fokal-neurologisches Defizit vaskulärer Ursache gekennzeichnet ist.

Differenzialdiagnosen:

44 Epileptischer Anfall mit Todd’scher Parese 44 Akute Hypoglykämie 44 Dissoziative Störung 44 Migräneattacke mit Aura 44 Akute entzündliche ZNS-Erkrankung

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Kapitel 7 · Notfälle

Zunächst müssen wie bei jedem medizinischen Notfall der Bewusst­ seinszustand (inkl. GCS), die Vitalparameter und Blutzuckerwert erfasst werden. Gleichzeitig erfassen Sie fremdanamnestisch (Pflegepersonal oder andere) den Ablauf (was ist wann wie geschehen?). Im Anschluss muss die klinisch die Diagnose „Schlaganfall“ gestellt werden. Hierzu wird u.a. die NIHSS (National Institute of Health Stroke Scale) verwendet (7 Kap. 12). In der Notfallsituation informieren Sie Ihren Hintergrund bzw. zustän­ digen Oberarzt sowie die Neurologie. Initial müssen die folgenden Funktionen immer geprüft werden: 44 Fazialisparese: Lachen, Grimmassieren, Zähne zeigen lasen 44 Armparese: Armhalteversuch 44 Sprechen: Gegenstand benennen lassen Zugleich überprüfen Sie: 44 Lichtreaktion der Pupillen 44 Blickparese: Augenbewegung links und rechts 44 Visusstörung: rechtes und linkes Gesichtsfeld überprüfen 44 Beinparese: Beinhalteversuch 44 Hemihypästhesie Wenn sich der Verdacht auf einen Schlaganfall erhärtet, muss die Frage geklärt werden, ob eine Lysetherapie infrage kommt. 44 Hierzu ist der Zeitpunkt des Symptombeginns entscheidend (3-h- bzw. 6-h-Fenster). 44 Wie ausgeprägt ist die Symptomatik? 44 Gibt es Kontraindikationen für die Lysetherapie? Zu diesem Zeitpunkt sollte definitiv die Neurologie involviert sein und der Patient befindet sich auf dem Weg zur Bildgebung. >>Jeder Verdacht auf einen Schlaganfall ist ein Notfall. Und wenn Sie nachts um 3:00 Uhr zu einem Patienten gerufen werden, der z.B. ­einen hängenden Mundwinkel, verwaschene Sprache und einen hängenden Arm aufweist, dann schieben Sie ihn zum cCT/MRT und schließen einen Schlaganfall aus! Nicht erst bis zum nächsten Tag zur Übergabe warten. Da kann es zu spät sein.

Vor der Bildgebung erfolgt die laborchemische Diagnostik: In der Notfall­ situation müssen Blutbild, Quick, INR und PTT; Elektrolyte, Blutzucker, CK und Kreatininwert sowie Troponin bestimmt werden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter sollte eine Schwangerschaft ausgeschlossen werden. Die Bildgebung erfolgt nicht nur, weil man heutzutage beeindruckende Bilder erhält, sondern dient wegweisend zur Therapieentscheidung.

7.7 · Exkurs: neurologische Notfälle

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Sie als psychiatrischer Assistenzarzt im ersten Jahr sollten (sofern Sie nicht auf der Neurologie angefangen haben) keine Lysetherapie durchfüh­ ren. Lassen Sie sich die verschiedenen Möglichkeiten von einem erfahre­ nen Neurologen erklären. Erstellen Sie sich einen Ablaufplan, damit Sie im Notfall nichts vergessen. kkBlutung? Stellen Sie sich vor: Sie werden in den gerontopsychiatrischen Bereich ge­ rufen. Ein Patient ist gestürzt. Das kann in jedem Dienst passieren. Wie gehen Sie vor? 44 Zuerst verschaffen Sie sich einen Überblick über die Situation. 44 Fremdanamnese: fragen Sie das Pflegepersonal, was geschehen ist. 44 Vitalzeichenkontrolle (siehe GCS) 44 Überprüfen Sie, soweit es geht, den Hirnnervenstatus, z.B.: Ist eine Pupillendifferenz vorhanden? 44 Sind äußere Anzeichen einer Verletzung zu erkennen? Hämatome, Blutungen, Frakturen? Wenn sich der Verdacht erhärtet, dass der Patient auf den Kopf gestürzt ist, führen Sie eine Bildgebung durch, um eine Blutung auszuschließen. Dann sind erstmal die Neurologen dran. Wenn eine Blutung ausge­ schlossen ist, behandeln Sie den Patienten weiter auf Ihrer Station. Sollte der Patient einige Zeit später eintrüben, dann denken Sie an den vorange­ gangenen Sturz und schieben ihn erneut durch die Bildgebung. Manche Blutungen zeichnen sich erst später ab. kkGuillain-Barré-Syndrom (GBS) Das GBS ist ein neurologisches Krankheitsbild, das gefährlich werden kann, wenn es nicht rechtzeitig erkannt wird. Es handelt sich um eine ent­ zündliche Erkrankung der aus dem Rückenmark hervorgehenden Nerven­ wurzeln (Radikulitis). Das GBS kann mit typischerweise an den Beinen beginnenden Lähmungserscheinungen einhergehen, die sich bis zur Atem­ lähmung ausbreiten können. Die Ursache ist wahrscheinlich eine auto­ immune Zerstörung der isolierenden Myelinschicht. Bei ca. 2/3 der Patien­ ten lassen sich vorausgegangene Infektionen nachweisen. Es gibt 3 Ausprägungen: 1. Akute entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) 2. Akute motor-axonale Neuropathie (AMAN) 3. Akute motor-sensorische axonale Neuropathie (AMSAN)

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Kapitel 7 · Notfälle

Das GBS kann: 44 akut (Progredienz < 4 Wochen) 44 subakut (Progredienz 4–8 Wochen) 44 chronisch (> 8 Wochen) auftreten. jjSymptomatik Beim GBS stehen die motorischen Symptome im Vordergrund: 44 Innerhalb weniger Tage sich rasch entwickelnde Schwäche 44 Kontinuierliche Verschlechterung 44 Typisch: Lähmung steigt von Beinen über Rumpf und Arme zum Kopf. 44 Symmetrische Lähmung/Schwächung der Muskulatur 44 Nach längstens vier Wochen ist das Maximum der Erkrankung ­erreicht. >>Cave: Lähmung der Atem-/Schluckmuskulatur. Erfordert intensiv­ medizinische Therapie; ggf. künstliches Koma.

44 Ausmaß der Lähmungserscheinungen ist sehr variabel 44 MER nach einigen Tagen abgeschwächt bis erloschen 44 Störung der Tiefensensibilität führt zur Stand- und Gangataxie 44 Hirnnervenbefall am ehesten in Form ein- oder beidseitiger Fazialis­ schwäche Wesentlich ist auch die Beteiligung des vegetativen Nervensystems mit Über- oder Unterfunktion des Sympathikus und Parasympathikus. Mögli­ che Symptome sind hierbei: 44 Schneller Anstieg oder Abfall des Blutdrucks 44 Tachykardie oder Bradykardie mit Frequenzstarre 44 Blasen- und Darmstörungen, z.B. paralytischer Ileus 44 Vermehrtes Schwitzen jjDiagnostik und Therapie Sollten Sie den Verdacht auf ein GBS haben, holen Sie sich einen Neurolo­ gen mit an Bord. Die Diagnostik erfolgt u.a. anhand einer Liquorpunktion. 44 Nach der ersten Woche im Liquor cerebrospinalis typische Eiweiß­ vermehrung bei normaler Zellzahl (zytoalbuminäre Dissoziation). 44 Die Nervenleitgeschwindigkeit der peripheren Nerven ist deutlich vermindert. 44 Nachweis von Antikörpern gegen das Gangliosid GM1 44 Bei Miller-Fisher-Syndrom gegen Gangliosid GQ1b 44 Erregernachweis in Sputum oder Stuhl oder durch serologische ­Reaktion

7.7 · Exkurs: neurologische Notfälle

129

7

Die Therapie hängt vom Verlauf und der Symptomatik ab. Bei einer recht­ zeitigen Diagnosestellung ist eine vollständige Heilung möglich. Leichte Verlaufsformen: prophylaktische Maßnahmen (Pneumonie-, Ulkus-, Thrombose- und Kontrakturprophylaxe). Bei schwereren Verlaufsformen: Immuntherapie Zusätzliche Therapie: 44 Schmerzbehandlung 44 Symptomatische Therapie der autonomen Funktionsstörungen, z.B. der Blutdruckregulationsstörungen oder der Herzfrequenz Falls erforderlich Intubation und Beatmung: 15–30% der Erkrankten wer­ den beatmungspflichtig. Im Anschluss erfolgt meist eine Frührehabilitation. Spätestens wenn die Verdachtsdiagnose GBG bestätigt worden ist, sollte der Patient in der Neurologie sein. Dieser kurze Überblick über mögliche (neurologische) Notfälle ersetzt keinesfalls die Lektüre von weiterführender Fachliteratur, sondern soll als roter Faden dienen. Im Notfall holen Sie sich immer Rat von Ihrem Ober­ arzt, einem erfahrenen Kollegen oder einem Neurologen.

131

8

Notfallmedikation 8.1

Wichtige Psychopharmaka für den Notfall  – 133

8.2

Suizidalität  – 137

8.3

Erregungszustände   – 139

8.4

Verwirrtheitszustände  – 141

8.5

Stuporöse Zustände  – 141

8.6

Psychopharmakaassoziierte Notfälle   – 142

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_8

132

Kapitel 8 · Notfallmedikation

Psychiatrische Notfälle treten entweder in Ausnahmesituationen bei psy­ chisch ansonsten gesunden Menschen oder aber als Zuspitzung im Rah­ men einer Krise bei psychiatrischer Grunderkrankung auf. Medikamentös wird vor allem syndromgerichtet behandelt. Ist bislang keine Grund­ erkrankung bekannt, ist das zunächst der beste Weg, um den Patienten zu unterstützen. Durch Verlaufsbeobachtungen und diagnostische Maßnah­ men sollten dann allerdings weitere Informationen gewonnen werden, um die Therapie ggf. anzupassen. Wie Sie einem psychiatrischen Notfall begegnen, haben Sie in 7 Kap. 7 erfahren. Für die Auswahl von Psychopharmaka sind u.a. folgende Punkte wichtig: 44 Kurze Wirklatenz 44 Gute Verträglichkeit (und Zulassung) 44 Hohe Wirksamkeitswahrscheinlichkeit in Bezug auf die Symptomatik 44 Gute Applizierbarkeit Hinweis Die in diesem Kapitel beschriebenen Medikamente stellen eine Auswahl dar, die der Unterstützung dienen soll. Es entbindet nicht von der Pflicht (ja, das ist es wirklich) sich auf dem Gebiet der Psychopharmakologie fortzubilden. Die Notfallmedikation muss sitzen. Das heißt, Sie müssen nachts um vier geweckt werden können und das Ganze beherrschen.

kkSyndrome 44 Suizidalität 44 Akute Belastungsreaktionen 44 Psychomotorische Erregungszustände 44 Intoxikation mit u.a.: 55Drogen 55Psychopharmaka 55andere Medikamenten 44 Stupuröse, dissoziative, apathische oder katatone Zustände

8.1 · Wichtige Psychopharmaka für den Notfall

8.1

133

8

Wichtige Psychopharmaka für den Notfall

kkAntipsychotika jjHaloperidol (Haldol) Applikationsform: 44 i. m. akut 44 oral als Festform oder als Lösung/Tropfen Indikation: 44 psychotische Zustände 44 delirante Zustände 44 psychomotorische Erregung (schwerer/schwerster Ausprägung) Dosis: i.m/p.o.: bei Erwachsenen: 5–10 mg; bei älteren Menschen vorsich­ tiger dosieren: zunächst 0,5–1,5 mg Zusatz: 44 nicht mehr als 100 mg/4h oral, nicht mehr als 60 mg/24h i. m. 44 Wiederholung ggf. alle 30 Minuten 44 Monitorüberwachung bei hohen Dosen erforderlich 44 QTc-Zeit-Verlängerung möglich 44 hohes EPS-Risiko 44 kombinierbar mit BZD jjRisperidon (Risperdal) Applikationsform: 44 oral als Festform oder als Lösung/Tropfen 44 als Schmelztablette Indikation: 44 Schizophrenie 44 manische Episode 44 zur Kurzzeitbehandlung von anhaltender Aggressivität bei mäßig bis schwerer Alzheimer-Demenz (bis 6 Wochen) Dosis: 44 initial 1–2 mg 44 bei älteren Menschen (bei Demenz): 0,25–1 mg 44 Höchstdosis: 12 mg Zusatz: 44 EPS-Risiko 44 orthostatische Hypotonie möglich

134

Kapitel 8 · Notfallmedikation

44 QTc-Zeit-Verlängerung möglich 44 antipsychotisch-beruhigende Eigenschaften, auch bei Jugendlichen und Älteren jjZuclopenthixolacetat (Ciatyl-Z) Applikationsform: 44 i.m. 44 oral als Festform oder als Lösung/Tropfen Indikation: 44 Initialbehandlung von akuten Psychosen, Manien 44 Exazerbation von chronischen Psychosen Dosis: i.m.: 50–150 mg Zusatz: 44 1- bis 2-malige Wiederholung alle 2–3 Tage 44 Frühdyskinesien möglich 44 QTc-Zeit-Verlängerung möglich 44 EPS-Risiko vorhanden 44 Kurzzeitdepot jjOlanzapin (Zyprexa) Applikationsform: 44 i. m. 44 Schmelztablette 44 orale Festform Indikation: 44 psychomotorische Erregung bei Schizophrenie und Manie 44 psychotische Zustandsbilder Dosis: 44 i. m.: initial 2,5–5 mg, max. 20 mg 44 p. o.: 10–20 mg 44 maximal 20 mg/24h, max. 3 Tage Zusatz: 44 Wiederholung alle 30 Minuten möglich 44 QTc-Zeit-Verlängerung möglich 44 keine Empfehlung für eine Kombination mit BZD 44 schnelle Umstellung auf orale Applikation anstreben

8.1 · Wichtige Psychopharmaka für den Notfall

135

8

jjMelperon (Eunerpan) Applikationsform: oral als Festform oder als Lösung/Tropfen Indikation: 44 Unruhe 44 psychomotorische Erregung (leicht bis mittelgradig) Dosis: 50–100 mg Zusatz: 44 nicht mehr als 400 mg/24h 44 bei geriatrischen und internistisch multimorbiden Patienten 44 gut sedierende Eigenschaft (weniger antipsychotisch) 44 QTc-Zeit-Verlängerung möglich 44 ausgeprägte orthostatische Hypotonie möglich jjDipiperon (Pipamperon) Applikationsform: oral als Festform oder als Lösung/Tropfen Indikation: 44 psychomotorische Erregung 44 Schlafstörung (v.a. bei älteren Patienten) Dosis: 40–120 mg Zusatz: 44 nicht mehr als 360 mg/24h 44 gut sedierende Eigenschaft (weniger antipsychotisch) 44 fehlende anticholinerge Nebenwirkungen (gut für ältere Patienten ge­ eignet) jjPromethazin (Atosil) Applikationsform: 44 oral als Festform oder als Lösung/Tropfen 44 i. v. 44 i. m. Indikation: Unruhe und Erregung im Rahmen psychiatrischer Grunder­ krankungen Dosis: i. m./i. v.: 25 mg, Wiederholung nach 2 h möglich Zusatz: 44 maximal 200 mg/d bei schweren Unruhezuständen 44 bei i.v.-Applikation Kontrolle von RR und Atmung 44 schmerzhafte Extravasate 44 Achtung bei Kombination mit Alkohol oder anderen Psycho­harmaka (u.a. Antidepressiva) – hier kardiale NW, Delir, Senkung der Krampf­ schwelle 44 gute sedierende Eigenschaft

136

Kapitel 8 · Notfallmedikation

kkBenzodiazepine jjLorazepam (Tavor) Applikationsform: 44 oral als Festform 44 als Schmelztablette 44 i. v. 44 i. m. Indikation: 44 psychomotorische Erregung 44 als Adjuvans bei stärkerer Agitation (z.B. mit Haloperidol) 44 Angstzustände 44 (u.a. dissoziativer) Stupor 44 katatone Zustände Dosis: 44 i.m./i.v.: 0,5–1 mg 44 p.o.: 1–2,5 mg Zusatz: 44 gut steuerbar und recht kurze HWZ 44 Hypotonie möglich 44 bei i.v.-Applikation: Atemsuppression möglich (i.v.-Applikation lang­ sam durchführen) 44 als Schmelztablette gut einsetzbar jjDiazepam Applikationsform: 44 oral als Festform oder als Lösung/Tropfen 44 i. v. 44 i. m. Indikation: 44 Spannungs- und Erregungszustände 44 Angstzustände 44 Krampfanfälle Dosis: 44 i. m./i. v.: 10–20 mg 44 p. o.: 5–10 mg

8.2 · Suizidalität

137

8

Zusatz: 44 maximal 60 mg/d 44 Hypotonie möglich 44 bei i.v.-Applikation: Atemsuppression möglich (i.v.-Applikation sehr langsam durchführen) 44 Achtung: Thrombophlebitis möglich >>Bei BZD immer das Suchtpotenzial beachten.

jjAkineton Applikationsform: 44 p.o. 44 i.v. Indikation: 44 Torticollis 44 neuroleptikainduzierte EPMS Dosis: 5–10 mg Zusatz: maximal 20 mg/d jjAH3 (Hydroxyzin) Applikationsform: orale Festform Indikation: bei (bekannter) Borderline-Erkrankung: Druck, sich selbst zu verletzen Dosis: 25 mg Zusatz: kein Suchtpotenzial berichtet 8.2

Suizidalität

Suizidalität ist ein ernstzunehmendes Symptom vieler psychiatrischer Er­ krankungen. Grundsätzlich steht hier immer die richtige Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Zu empfehlen ist eine Kombination aus pharmakologischer und psychotherapeutischer Behandlung. Die psy­ chische Betreuung hat während eines solchen Notfalls immer einen hohen Stellenwert.

138

Kapitel 8 · Notfallmedikation

Praxistipp Je nach Politik in Ihrer Klinik: Prüfen Sie, ob eine engmaschige Betreuung, eine Sitzwache, eine Unterbringung, ggf. Fixierung (7 Kap. 7) oder aber eine andere Handlungsweise indiziert ist. Dokumentieren Sie Ihre Entscheidung. Besprechen Sie dies immer mit Ihrem Oberarzt oder im Dienst mit dem Hintergrund und dokumen­ tieren Sie dies ebenfalls. Darüber hinaus ist der dann aktuelle psychopathologische Befund des Patienten zu dokumentieren.

Die medikamentöse Therapie ist abhängig von der Grunderkrankung. Medikation bei: 44 Psychotischen Angst-/Erregungszuständen: 55konsequente antipsychotische Behandlung 55zusätzlich z.B. Lorazepam 2–4 mg (kann die Suizidalität lindern) 44 Depressive Erkrankung: 55zunächst BZD, z.B. Lorazepam 55antidepressive Pharmakotherapie nachfolgend, in der Notfall­ situation zunächst zweitrangig 55bei zusätzlich bestehenden psychotischen Zuständen: antipsycho­ tische Medikation 44 Suchterkrankungen: 55bei akuter Intoxikation: zunächst stationäre Behandlung zur Ent­ giftung mit ggf. Unterbringung >>Bevor Sie BZDs geben, klären Sie, welche Art von Intoxikation vorliegt. Wieviel Promille bringt der Patient bei Alkoholerkrankung mit?

44 Persönlichkeitsstörungen: 55passagere Gabe von BZD 55niedrig dosiertes Antipsychotikum Das Vorgehen nach einem Suizidversuch richtet sich nach dem klinischen Bild. Im Vordergrund können somatisch-medizinische Maßnahmen ste­ hen und anschließend das Sichern und Überwachen vitaler Funktionen. Entgiftungen und Wundversorgungen haben Vorrang. >>Wenn der Patient zum Aufnahmezeitpunkt und bis zur fachpsychiatrischen Evaluation und damit zur Entwarnung keine Auskunft geben kann, ist er als suizidal anzusehen und entsprechend zu behandeln (z.B.: Sitzwache, ggf. Unterbringung etc.).

8.3 · Erregungszustände

139

8

Praxistipp Bei Patienten mit schweren Depressionen: Bei der Gabe von Anti­ depressiva darauf achten, ob zu Beginn eine stimmungsaufhellende Wirkung eintritt und nachfolgend der Antrieb gesteigert wird oder ob die Medikation zuerst den Antrieb steigert und erst später die Stimmung gesteigert wird. Einige Antidepressiva können als unerwünschte Wirkung suizidalen Gedanken hervorrufen. Klären Sie den Patienten darüber auf, da diese Gedanken zumeist als sich aufdrängend und eher fremd erlebt werden. Lassen Sie Ihren Patienten damit nicht allein.

8.3

Erregungszustände

kkManie oder Psychose Folgende Medikamente können in Betracht gezogen werden: 44 Risperdal 1–2 mg als Schmelztablette 44 Haloperidol 5–10 mg als Tropfen oder i.m. 44 Diazepam 5–10 mg als Tropfen oder i.v. 44 Lorazepam 1–2,5 mg als exp. 44 Amilsulprid-Saft 200–400 mg 44 Olanzapin 5–15 mg als Schmelztablette 44 Zuclopenthixolacetat 50–150 mg i.m. >>Lorazepam nicht in Kombination mit Olanzapin geben.

kkBei Konsum von psychotropen Substanzen (auch Alkohol) 44 Haloperidol 5–10 mg als Tropfen oder i.m. >>BZDs sind zu vermeiden, wenn Sie nicht wissen, um welche Substanzen es sich bei der Intoxikation handelt. Erst ab einer bestimmten Promillegrenze dürfen sie bei Alkohol überhaupt gegeben werden – > Atemdepression. Antipsychotika vom Phenothiazin-Typus (Levomepromazin, Promazin etc.) sind zu meiden, da hierunter das Risiko für Krampfanfälle steigen kann.

140

Kapitel 8 · Notfallmedikation

kkBei Depression, reaktiven Erregungsständen oder Panikattacken 44 Lorazepam 0,5–2,5 mg als exp. 44 Promethazin 25–50 mg als Tablette oder Tropfen 44 Chlorprothixen 15–50 mg als Tablette kkBei dementen, älteren Patienten Hier ist der somatische Zustand des Patienten zu beachten. Flüssigkeitszu­ fuhr ist essentiell. 44 Pipamperon 20–40 mg als Saft 44 Melperon 15–50 mg als Saft 44 Risperidon 0,25–1 mg 44 Zuclopenthixol 1–3 Tropfen >>Eine Gabe von BZDs bei älteren Patienten kann zu einer paradoxen Reaktion führen. D.h. dass ihr älterer Patient nach z.B. Tavor-Gabe richtig aufdrehen kann.

kkDelirantes Syndrom Manifeste Delire sind in der Regel intensivüberwachungspflichtig. Halten Sie hier immer Rücksprache mit Ihrem Oberarzt. Grundsätzlich sollte eine internistische Basistherapie mit kardialer Stabilisierung, ggf. Elektrolytaus­ gleich und Flüssigkeitszufuhr bei Exsikkose erfolgen. >>Keine anticholinergen Medikamente, da sie das delirante Syndrom verstärken können.

kkAlkoholentzugsdelir 44 Internistische Überwachung inklusive Monitoring von RR, HF, ­Sauerstoffsättigung, EKG und einer Ein- und Ausfuhrbilanz stellt die Grundlage dar. 44 Ein cCT/cMRT zum Ausschluss eines subduralen Hämatoms ist zu erwägen. 44 Zumeist ist eine parenterale Flüssigkeitszufuhr notwendig (z.B. Elektrolytinfusionslösung 153 2 × 500 ml). 44 Ebenfalls 2 × 500 ml G 5%ig (glukosehaltige Lösung). 44 Dazu parenteral (!) täglich Vitamin B 1 (200 mg), Vitamin B 6 und Vitamin B 12 als Ampulle substituieren. >>Die Vitamingabe vor (!) Gabe der Glukose beginnen, sonst Gefahr ­einer akuten Wernicke-Enzephalopathie.

Grundlage der weiteren Therapie kann z.B. Gabe von Diazepam sein.

8.5 · Stuporöse Zustände

141

8

Praxistipp Zeichen einer Wernicke-Enzephalopathie: 55Verwirrtheit 55Ataxie 55Augenmotilitätsstörungen Zur Prophylaxe/Therapie täglich eine Ampulle VitaminB1 (200 mg) über mind. 5 Tage.

8.4

Verwirrtheitszustände

Hier steht die Abklärung der Ursache für die Verwirrtheit im Vordergrund, um eine Therapieentscheidung treffen zu können. 8.5

Stuporöse Zustände

Auch hier steht die Abklärung organischer Ursachen/Intoxikationen im Vordergrund. Wenn eine organische (internistisch-neurologisch etc.) Ur­ sache inkl. Intoxikation ausgeschlossen wurde, kann folgende Medikation in Betracht kommen: kkDissoziativer Stupor 44 Lorazepam 1–2,5 mg als exp. kkStupor und/oder Katatonie bei Schizophrenie 44 intial Lorazepam 44 wenn Tavor ohne Wirkung: Haloperidol oder Risperdal 44 als letzte Möglichkeit: Elektrokrampftherapie (EKT) kkDepressiver/manischer Stupor 44 initial Lorazepam 44 nach Abklingen stimmungsstabilisierende Medikation (antidepressiv/ antimanisch) kkStupor unbekannter Genese (aber Ausschluss von organischen Ursachen inkl. Intoxikation) 44 Lorazepam 1–2,5 mg als exp. 44 ggf. auch Diazepam als Infusion

Kapitel 8 · Notfallmedikation

142

44 bei ausbleibenden Erfolg: 55Versuch mit Haloperidol 5–10 mg 55Versuch mit einer EKT, wenn ein malignes neuroleptische Syn­ drom und eine Enzephalitits ausgeschlossen sind 44 bei einer perniziösen Katatonie: Volumensubstitution, zusätzlich Kühlung, intensivmedizinische Behandlung 8.6

Psychopharmakaassoziierte Notfälle

Auch wenn Psychopharmaka sehr hilfreiche Medikamente sind, können sie auch teilweise sehr schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Schauen Sie bei einem Notfall immer, ob der Patient Psychopharmaka erhält. Diese Art der Notfälle treten glücklicherweise nicht allzu häufig auf, doch sollten Sie sie auf dem Schirm haben und sie auch erkennen können. kk(akute) extrapyramidalmotorische Symptome (EPMS) Können vor allem nach Gabe von Neuroleptika auftreten. Medikation: 44 Biperdien als i.v. 44 alternativ Tiaprid 300–1000 mg Praxistipp Es gibt gewisse Patientengruppen, die aufgrund der von ihnen als angenehm empfundenen Wirkung Biperiden immer wieder verlangen.

kkZentrales anticholinerges Syndrom Das zentrale anticholinerge Syndrom kann vor allem durch Antidepressiva, aber auch durch Neuroleptika (z.B. Clozapin) ausgelöst werden. jjSymptomatik: 44 Periphere anticholinerge Symptome: 55trockene Haut/Schleimhäute 55Hypertonie 55Mydriasis 55Harnverhalt 55Obstipation bis zu paralytischen Ileus 55tachykarde Herzrhythmusstörungen

8.6 · Psychopharmakaassoziierte Notfälle

143

8

44 Zentrale Wirkung: 55agitierte Verlaufsform mit deliranter Symptomatik 55Desorientiertheit 55Verwirrtheit 55ggf. Sinnestäuschungen 55motorische Unruhe/Agitation 55Dysarthrie 55zerebrale Krampfanfälle Es ist allerdings auch eine sedative Verlaufsform mit Somnolenz und Koma möglich. jjTherapie 44 Absetzen der vermuteten anticholinergen Substanz 44 Ggf. Benzodiazepine und/oder Antipsychotika 44 Bei Persistenz Rücksprache mit Neurologie bezüglich ITS-Aufnahme 44 Ggf. Applikation 2–4 mg Physostigmin i. m. (oder langsam i. v. und ggf. als Dauerinfusion 2–4 mg pro Stunde weiterlaufen lassen, aller­ dings nur unter intensivmedizinischer Bedingung mit kontinuierli­ chem Monitoring und Möglichkeit der assistierten Beatmung möglich) Weiterhin symptomatische Therapie, z. B. bei Hypotonie, Herzrhythmus­ störungen, Elektrolytentgleisung oder Krampfanfällen, prüfen. kkMalignes neuroleptisches Syndrom Das maligne neuroleptische Syndrom ist eine extrem seltene Nebenwir­ kung einer Neuroleptikatherapie, allerdings ist es unter jeder Substanz möglich. Es tritt typischerweise ungefähr zwei Wochen nach Beginn der Antipsychotikatherapie ein. Die Symptome entwickeln sich innerhalb von 24–72 h und es ist potenziell letal. jjSymptomatik Extrapyramidale Störungen: 44 Rigor 44 Akinesie 44 Dys-/Hyperkinesien 44 Stupor 44 Fluktuierende Bewusstseinsstörungen bis zum Koma Obligate Symptomatik: 44 Rigor 44 Hyperthermie

144

Kapitel 8 · Notfallmedikation

Fakultativ: EPS wie Akinese, Hyperkinesien Es können auch autonome Funktionsstörungen mit Tachykardie, Hyper­ tonus, Tachypnoe/Dyspnoe, Hautblässe oder -rötung, Hypersalivation, Hyperhidrose oder Harninkontinenz auftreten. jjLabor: 44 CK-Erhöhung 44 ggf. Transaminasenerhöhung 44 ggf. Erhöhung der alk. Phosphatase 44 ggf. Leukozytose 44 ggf. metabolische Azidose 44 ggf. Myoglobinurie mit drohender Rhabdomyolyse jjTherapie 44 Absetzen aller Antipsychotika 44 Kühlung 44 Parenterale Flüssigkeitszufuhr 44 Intensivüberwachung Weitere medikamentöse Behandlung auf der ITS:

44 Dantrolen i.v. 2,5 mg/kg KG (ggf. danach Dauerinfusion bis zu 10 mg/kg KG/24 h i.v. und anschließend 2,5 mg/kg KG/24 h i.v) 44 alternativ: 55Bromocriptin (Pravidel) 10–30 mg/24 h (bis 60 mg/24 h) 55Amantadin i.v. 200–400 mg/24 h oder 55Lorazepam 2–4 mg/24 h i.v./i.m. (maximal 7,5 mg/24 hz) Wenn keine Besserung eingetreten ist: EKT. kkZentrales Serontoninsyndrom Hier kommt es zu Neben- bzw. Wechselwirkungen von Pharmaka mit ­serotonerger Wirkung (SSRI; TZA aber auch Kokain, Amphetamine und auch Lithium). Es ist potenziell lebensbedrohlich und tritt innerhalb der ersten 24h auf, wenn Medikamente angesetzt, appliziert, kombiniert wur­ den oder die Dosis erhöht worden ist. jjSymptomatik 44 Fieber 44 Neuromuskuläre Symptome mit Hyperrigidität, Hyperreflexie, Kloni und Tremor

8.6 · Psychopharmakaassoziierte Notfälle

145

8

44 Psychopathologische Auffälligkeiten: 55Desorientiertheit 55Verwirrtheit 55teilweise Erregungszustände Andere Symptome möglich: 44 Übelkeit 44 Erbrechen 44 Diarrhoe 44 Krampfanfälle 44 Herzrhythmusstörungen 44 Multiorganversagen 44 Koma Wichtig: Trias aus

1. Fieber 2. neuromuskulärer Symptomatik 3. psychopathologischen Auffälligkeiten

jjTherapie Absetzen der Medikation. Bei Persistenz: Rücksprache mit Neurologie bzw. ITS und Verlegung dorthin zur Weiterbehandlung. Weitere medizinische Behandlung nur in Rücksprache mit ITS bzw. Neurologie und Vorstellung dort. Medikation: bei Persistenz: Cyproheptadin (Peritol): 4–8 mg bis 0,5 mg/kg KG/24h.

147

9

Gesetzliche Grundlagen 9.1

§ 1906 BGB – zivilrechtliche Unterbringung   – 149

9.2

PsychKG – öffentlich-rechtliche Unterbringung   – 151

9.3

Strafrechtliche Unterbringung nach den Maßregeln der Besserung und Sicherung (StGB)  – 153

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_9

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Kapitel 9 · Gesetzliche Grundlagen

Ein wichtiges Kapitel im Beruf des Psychiaters ist das der Gesetzgebung. Im ersten Ausbildungsjahr werden Sie vielleicht noch nicht allzu viel mit Gut­ achten oder Unterbringungen zu tun haben. Aber allein schon für die ­Dienste erleichtert es ungemein, wenn Sie sich im Paragraphendschungel auskennen. Spätestens, wenn Sie einem Richter gegenüberstehen, der über eine Unter­ bringung zu entscheiden hat, sollten Sie sich Ihrer Sache sicher sein. Nicht jeder kann die Psychiatrie gut leiden. Durch das, was Psychiater zum Schutz des Patienten, aber auch dessen Umgebung tun dürfen und müssen, hat die Institution einen teilweise verklärten und mystifizierten Ruf erhalten. Psychiater führen Zwangsmaßnahmen durch, fixieren Pa­ tienten, füllen sie mit Psychopharmaka ab und können Gedanken lesen (etwas, was wir mit Psychologen gemein haben). Aber ernsthaft. Unter gewissen Voraussetzungen ist es Psychiatern im Rahmen von Zwangsmaßnahmen erlaubt, Grundrechte der Patienten zu verletzen, vor allem in der notfallpsychiatrischen Behandlung. Diese Grundrechte sind u.a. das Recht auf körperliche Unversehrtheit (bei Zwangsbehandlungen) und das Recht auf Freiheit (bei Unterbringung ge­ gen den Willen des Patienten). Die Einschränkung dieser Grundrechte ist an enge rechtliche Rahmen­ bedingungen gebunden. Zwangsmaßnahmen und Zwangsbehandlungen sind immer wieder Thema der Gesetzgebung. In einigen Bundesländern wird die Frage der Sinnhaftigkeit von Zwangsmaßnahmen grundsätzlich diskutiert und es wird überlegt, diese gänzlich abzuschaffen. Überprüfen Sie, welche Gesetze für Ihren Bereich in Ihrem Bundesland gelten.

Patient: Unterbringung? Eigengefährdung? Betreuer vorhanden?

Fremdgefährdung? Betreuer nicht vorhanden?

vorrangig Unterbringung nach § 1906 BGB? duch Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigten

Genehmigung vorrangig oder nachrangig duch Amtsgericht einholen

..Abb. 9.1  Unterbringung – rechtliche Grundlage

nach PsychKG/UGB

Unterbringung durch Amtsgericht

9.1 · § 1906 BGB – zivilrechtliche Unterbringung

149

9

Exkurs: Ärztliche Schweigepflicht Behandelnde Ärzte unterstehen grundsätzlich der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 StGB), auch wenn sie als Zeuge vor Gericht geladen werden. Sie können nur mit ausdrücklichem Einverständnis des Patienten von der Schweigepflicht entbunden werden. Verstöße gegen die Schweigepflicht können straf-, zivil-, arbeits- und standesrechtlich geahndet werden. Aber: Gemäß § 34 StGB existiert eine sogenannte Offenbarungsbefugnis (keine Offenbarungspflicht!), die sich bei einem rechtfertigenden Notstand ergibt. Bei akuter Gefährdung eines höherwertigen Rechtsguts und nach Güterabwägung kann ein rechtfertigender Notstand gegeben sein. Zur Abwehr einer unmittelbar konkreten Gefahr für Leib und Leben eines Menschen besteht eine Offenbarungspflicht (!) vertraulicher Daten, wenn durch diese Offenlegung die Gefahr abgewendet werden kann.

Je nach Situation existieren unterschiedliche Arten der Unterbringung, die auch unterschiedliche rechtliche Schritte nach sich ziehen (. Abb. 9.1). 44 Zivilrechtlich nach dem Betreuungsrecht § 1906 BGB 44 Öffentlich-rechtlich nach dem Unterbringungsgesetz (UGB) oder dem Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) der Länder 44 Strafrechtlich nach den Maßregeln der Besserung und Sicherung 9.1

§ 1906 BGB – zivilrechtliche Unterbringung

Hier ist das Betreuungsrecht wirksam. Die Voraussetzung für diese Art der Unterbringung ist das Vorhandensein einer rechtlichen Betreuung mit dem Aufgabenkreis Aufenthaltsbestim­ mung/Gesundheitsfürsorge oder einer Vorsorgevollmacht, die auf den § 1906 Bezug nimmt. Diese Art der Unterbringung ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist. Das bedeutet, dass eine Unter­ bringung, die ausschließlich zur Abwendung einer Fremdgefährdung er­ folgt, unter diesem Paragraphen nicht möglich ist. Vom Ablauf her sollte – wenn es möglich ist – der Unterbringung nach BGB der Vorzug gegeben werden, da hierbei der Betreuer mit ein­ geschaltet wird, der die Bedürfnisse und Interessen des Betreuten kennen sollte.

150

Kapitel 9 · Gesetzliche Grundlagen

Die Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer erfolgt, 1. wenn aufgrund einer psychischen Krankheit, geistigen oder seeli­ schen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, 2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen ­Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heil­ behandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, der ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann. Der Betreute kann aufgrund einer psychischen Krankheit oder ­geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ­Unterbringung nicht erkennen und/oder nicht nach dieser Einsicht handeln. Anders formuliert heißt das, dass diese Art der Unterbringung bei Betreu­ ten notwendig wird, wenn bei diesem aufgrund seiner (psychischen) Er­ krankung die Gefahr einer Selbstgefährdung vorliegt (der Betroffene sich selber töten will) oder eine medizinische Maßnahme notwendig ist, die eine Unterbringung erfordert und der Betroffene diese aufgrund seiner Erkrankung nicht einsehen oder nach dieser Einsicht handeln kann. >>Eine alleinige fehlende Behandlungsbereitschaft rechtfertigt keine Unterbringung gegen den Willen des Betroffenen. Es muss eine erhebliche und konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Betreuten vorliegen.

Gründe für die Unterbringung nach BGB:

44 Suizidalität 44 Erhebliche Selbstverletzung 44 Delirante Zustände 44 Desorientiertheit 44 Verweigerung von Nahrungs- und/oder Medikamenteneinnahme aufgrund einer psychischen Erkrankung (z.B. bei Vergiftungswahn) kkAblauf Liegt eine Eigengefährdung vor? Wenn ja, überprüfen, ob ein Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“ vorhanden ist, oder aber ob eine Vorsorgevollmacht besteht, die den Fall einer Unterbringung erwähnt. Wenn keine Eigengefährdung, aber eine Fremdgefährdung vorliegt: das PsychKG anwenden. Der Betreuer willigt in die Unterbringung ein und beantragt beim zu­ ständigen Betreuungsgericht die Genehmigung der Unterbringung. Neben der Einwilligung des Betreuers ist auch die Genehmigung des Betreuungs­ gerichts erforderlich. Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden,

9.2 · PsychKG – öffentlich-rechtliche Unterbringung

151

9

wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unter­ bringung dem Betreuungsgericht anzuzeigen. Das Gericht entscheidet nach Einholen eines ärztlichen Gutachtens – hier kommen Sie ins Spiel. In der Regel schreibt das ärztliche Gutachten ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder zumindest ein sachver­ ständiger Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie. Nach dem ärztlichen Gutachten kommt die persönliche Anhörung des Betroffenen. Gleichzeitig bestellt das Gericht einen Verfahrenspfleger, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. Praxistipp Fragen Sie erfahrene Kollegen oder ihren Oberarzt, ob Sie sich Unterbringungsanträge vor Ihrem ersten Dienst durchlesen können. Schreiben Sie sich die wichtigsten Telefonnummern und Faxnummern (vom zuständigen Amtsgericht) auf.

9.2

PsychKG – öffentlich-rechtliche Unterbringung

Das Psychisch-Kranken-Gesetz (PsychKG) ist Landesrecht. Bitte erkundi­ gen Sie sich, wie dieses Gesetz in Ihrem Bundesland geregelt ist. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung nach dem Unterbringungsge­ setz (UGB) bzw. dem PsychKG kann wie das BGB zum Schutz und Wohl des Betroffenen erfolgen, aber auch zum Schutz Dritter bzw. „bedeutender Rechtsgüter anderer“. Indikation zur Unterbringung nach PsychKG (mit gewissen Unter­ schieden in den verschiedenen Bundesländern): 44 Es besteht eine konkrete und unmittelbare Eigen- und/oder Fremd­ gefährdung. 44 Diese ist auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen. 44 Sie kann nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen abgewendet werden. Eine Unterbringung ist immer das letzte Mittel und darf nicht außerhalb der Verhältnismäßigkeit stehen. Auch über die öffentlich-rechtliche Unterbringung entscheidet ein Richter nach persönlicher Anhörung des Betroffenen und dem Vorliegen eines ärztlichen Gutachtens (hier sind wieder Sie gefragt). Im Regelfall steht die richterliche Entscheidung vor der Durchführung der Unterbringung. Dies ist allerdings in der Realität nicht immer möglich.

152

Kapitel 9 · Gesetzliche Grundlagen

So gibt es für den Fall, dass bei einer akuten Gefahr die richterliche Ent­ scheidung nicht abgewartet werden kann, die Möglichkeit der sofortigen (vorläufigen) Unterbringung. Ehrlich gesagt, ist dies in der Klinik fast die Regel. Sie werden kaum die Zeit haben, bei einem Betroffenen mit akuter Eigen- und Fremdgefährdung zuerst den Richter zu informieren und den ganzen Prozessablauf abzuwarten, ehe Sie handeln. Bei akuter Eigen- oder Fremdgefährdung ist es möglich, durch die öf­ fentlichen Behörden (je nach Bundesland unterschiedlich: Ordnungsamt, Polizei etc.) auch ohne gerichtliche Entscheidung eine sofortige Unterbringung zu erwirken. Hierbei ist die Voraussetzung das Vorliegen eines ärztlichen Gutachtens (in der Regel ein psychiatrisches), das eine persön­ licher Untersuchung und die Begründung der Unterbringung beinhaltet und das nicht älter als vom Vortag ist. Die anordnenden Stelle und die aufnehmende Einrichtung müssen dem zuständigen Amtsgericht die Un­ terbringung unverzüglich melden und diese auch beantragen. Das Gutachten sollte neben der konkreten Schilderung des Sachver­ halts (Aufnahme, unter welchen Umständen etc.) die Diagnosen und die Darstellung der Eigen- und/oder Fremdgefährdung beinhalten. Beschrei­ ben Sie auch, dass andere Maßnahmen (z.B. freiwillige Behandlung des Betroffenen) nicht durchführbar sind und die Unterbringung daher nicht abwendbar ist. Des Weiteren sind die Maßnahmen, die für erforderlich gehalten werden, zu benennen (z.B. Medikation etc.). Spätestens bis zum Ablauf des auf die Unterbringung folgenden Tages muss die richterliche Entscheidung über die vorläufige Unterbringung er­ folgen (je nach Bundesland unterschiedlich). Ansonsten darf der Betrof­ fene nicht länger gegen seinen Willen untergebracht sein. Auch wenn das Gericht nach der Anhörung des Betroffenen keine Unterbringung anord­ net, ist der Betroffene (gegen ärztlichen Rat) zu entlassen. Praxistipp An dieser Stelle ein wichtiger Hinweis: Egal wie, hier ist die Dokumentation extrem wichtig. Auch unter Zeitdruck, schwierigen Situationen, nervlicher Anspannung etc. dokumentieren Sie alles. Wenn der Richter nicht einverstanden ist, dokumentieren Sie, dass Sie Argumente hervorgebracht haben und dass dennoch keine Unterbringung angeordnet wurde. Im schlimmsten Fall tut der Betroffene sich selbst oder anderen etwas an und es muss nachvollziehbar sein, dass Sie alles Mög­ liche zum Wohl des Betroffenen getan haben.

Bei einer Aufnahme nach UGB/PsychKG muss der Betroffene über seine Rechte und Pflichten mündlich und schriftlich informiert werden. Auch

9.3 · Strafrechtliche Unterbringung

153

9

muss ein Behandlungsplan erstellt werden. Zusätzlich muss täglich (also fort­ laufend) schriftlich dokumentiert und überprüft werden, ob die Vorausset­ zungen für diese Unterbringung weiterhin vorliegen. Wenn die Vorausset­ zungen nicht mehr vorliegen, muss das Amtsgericht informiert werden. Die Entlassung aus der Unterbringung erfolgt durch die gericht­liche Anordnung. 9.3

Strafrechtliche Unterbringung nach den Maßregeln der Besserung und Sicherung (StGB)

Die Unterbringung nach dem Strafgesetzbuch erfolgt bei psychisch kran­ ken Straftätern. Hier steht der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund (daneben auch die der Behandlung und dann Wiedereingliederung des Täters). Auch die Unterbringung nach den Maßregeln zur Besserung und Sicherung orientiert sich an dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. § 62 StGB Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (...) darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Tat sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.

Es gibt unterschiedliche Arten der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung:

44 einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. 126a StPO 44 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB 44 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB 44 Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB Der Vollzug der Maßregel ist im Maßregelvollzugsgesetz des jeweiligen Bundeslandes geregelt. In den Bundesländern, in denen kein solches Ge­ setz existiert, regeln Abschnitte des UGB bzw. des PsychKG den Vollzug der Maßregel. kkEinstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen ­Krankenhaus § 126a StPO Ist eine Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB wahrscheinlich, kann – wenn es die öffentliche Sicherheit erfordert – bereits eine einstweilige Unterbrin­ gung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 126a StPO gerichtlich angeordnet und durch die Staatsanwaltschaft veranlasst werden.

154

Kapitel 9 · Gesetzliche Grundlagen

kkUnterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Kranken­ haus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm, infolge seines Zustands, erhebliche rechtswidrige Taten zu erwar­ ten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Voraussetzungen für die Unterbringung nach § 63

44 Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit (§ 20 bzw. § 21 StGB) 44 fortbestehende Gefährlichkeit 44 aufgrund einer psychischen Erkrankung Die Dauer einer Unterbringung nach § 63 ist zunächst unbefristet (bzw. auf die bestehende Gefährlichkeit begrenzt). Die Unterbringungsvoraussetzungen sind in regelmäßigen Abständen – mindestens jährlich – von der unterbringenden Maßregelvollzugsklinik zu prüfen. Daneben verpflichtet das Gesetz des jeweiligen Bundeslandes, in bestimmten Abständen (unterschiedlich in den Bundesländern gehand­ habt) die Untergebrachten durch externe Begutachter dahingehend zu be­ gutachten, ob eine Entlassung angeregt werden kann. kkUnterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB Diese Art der Unterbringung ist für suchterkrankte Täter gedacht. Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbrin­ gung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hangs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

9.3 · Strafrechtliche Unterbringung

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9

Voraussetzung zur Unterbringung nach § 64:   Suchtkranker Rechtsbre­

cher, der 44 den Hang hat, alkoholische oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, 44 eine Straftat begangen hat, die auf diesen Hang zurückgeht oder im Rausch begangen wurde, 44 behandlungsfähig ist.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, erfolgt die Unterbringung in ei­ ner auf Suchtmedizin spezialisierten psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik. Die Überprüfung der Unterbringungsvoraussetzungen erfolgt min­ destens halbjährlich; die Unterbringung ist in der Regel auf insgesamt zwei Jahre begrenzt. kkSicherungsverwahrung gem. § 66 StGB Die Sicherungsverwahrung dient ausschließlich dem Schutz der Allge­ meinheit vor gefährlichen Tätern mit dem Hang zu erheblichen vorsätz­ lichen Straftaten und daher fortbestehender Gefährlichkeit („Hangtäter“). Hierbei meint der Begriff „Hang“ ein Persönlichkeitsmerkmal im Sinne eines tief verwurzelten Verhaltensmusters oder eine tief verwurzelte Nei­ gung. Die Sicherungsverwahrung kann zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe an­ geordnet werden. Hierbei ist der Täter für seine Taten voll verantwortlich (also nicht vermindert schuldfähig oder schuldunfähig). Einwilligungsfähigkeit Dem Psychiater wird immer wieder die Frage nach der Einwilligungs­ fähigkeit des Betroffenen gestellt. Dies ist bitte nicht mit der Geschäftsfähigkeit zu verwechseln. Die Einwilligungsfähigkeit ist z.B. bei der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen entscheidend. Zumeist stellt sich diese Frage, wenn ein Patient eine ärztliche Maßnahme ablehnt, die der Arzt für notwendig erachtet. Zur Überprüfung können folgende Kriterien herangezogen werden: 55Verständnis der Maßnahme: Was ist bei dem Betroffenen geplant? 55Informationsverarbeitung: Welche Risiken birgt die Maßnahme? 55Welche Konsequenzen hat eine Ablehnung der Maßnahme? 55Entscheidungsfindung: Was möchte der Betroffene?

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Ausblick: das neurologische Jahr

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_10

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Kapitel 10 · Ausblick: das neurologische Jahr

Das neurologische Jahr. Es gibt angehende Psychiater, die sich wirklich darauf freuen, und solche, die es nicht tun. Allen gemeinsam ist: Sie kommen nicht darum herum. Wo Sie das neurologische Jahr absolvieren, bleibt allerdings Ihnen überlassen. Sie dürfen (überprüfen Sie dies im aktuellen Katalog Ihrer zuständigen Ärztekammer) es im ambulanten Bereich tun, in einer RehaEinrichtung mit neurologischem Schwerpunkt oder in einer Klinik mit Akut-, Beatmungsstationen und dem ganzen Paket der somatischen Medizin. Oftmals ist das neurologische Jahr auch das Nadelöhr auf dem Weg zum Facharzt. Einige Fragen sollten Sie schon zu Beginn Ihrer Assistenzarztzeit klären: 44 Ist das Neurojahr im Weiterbildungskonzept Ihrer Klinik geregelt? 44 Wenn Sie sich später entscheiden, es woanders zu machen – besteht diese Möglichkeit? Auch sollten Sie sich überlegen, wann Sie das neurologische Jahr durchführen wollen. 44 Zu Beginn: Hierfür spricht, dass die somatischen Kenntnisse noch frisch aus dem Studium und dem PJ vorhanden sind. Auch können Sie später in der Psychiatrie die somatischen Fälle und neurologischen Notfälle besser und schneller angehen. Sie haben es dann hinter sich. 44 Sie werden in der Neurologie nicht als Psychiater „abgestempelt“. Viele Kollegen haben doch erhebliche Vorurteile. 44 Dagegen spricht, dass Sie als angehender Psychiater in einem Fach starten müssen, das Ihnen vielleicht gar nicht so liegt. 44 In der Mitte: Das ist sicher eine gute Option. Sie haben psychiatrische Erfahrung gesammelt und sind hinsichtlich der somatischen Medizin noch gut in der Materie. Allerdings ist es manchmal schwer, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Psychiatrische Weiterbildungsinhalte (z.B. Psychotherapieteil) lassen sich nicht immer gut aufteilen. Ambulante Patienten müssen ggf. extern behandelt werden, die Super­ vision ist zeitlich schwierig. Es ist zwar alles machbar, erfordert aber viel Organisation. 44 Zum Schluss: Der Psychiatrieteil ist erledigt und abgeschlossen (im besten Fall). Die eigene Entwicklung ist (hoffentlich) auch ein ganzes Stück vorangeschritten, sodass Sie nun Dienste überstehen können, mit auswärtigen Oberärzten diskutieren, sich in Vertretungssituationen zu organisieren wissen und eine schnelle und gute Epikrise über unbekannte Patienten aus dem Ärmel schütteln können. Ein enormer Nachteil allerdings ist, dass Sie nicht aus dem psychiatrischen Alltag in die Facharztprüfung gehen. Das bedeutet, dass Sie im Stoff bleiben

10 · Ausblick: das neurologische Jahr

159

10

müssen, was nicht immer leicht fällt, wenn Sie ein Jahr in der Somatik gewesen sind. Des Weiteren sind Sie nicht mehr der erfahrene Assistent, sondern wieder ein Neuling. Erneut werden Sie und Ihre Fähigkeiten geprüft. Doch wenn Sie alles gut machen, haben Sie Ihre alte Rolle schneller wieder als Ihnen vielleicht lieb ist. Neben dem „Wann“ sollten Sie sich auch Gedanken über das „Wo“ machen. 44 Im „eigenen Haus“: Der Vorteil ist hierbei, dass die Strukturen, die Kollegen, das System usw. bekannt sind. Das bietet erstmal Sicherheit, kann aber auch ganz klar ein Nachteil sein. Manchmal konkurrieren Kollegen jahrelang um die Rotation. Es lohnt sich auch einfach, einen anderen Träger und andere Strukturen kennenzulernen. 44 Akutklinik: Diese Beschreibung trifft meist auf das eigene Haus zu. Der Vorteil besteht darin, dass sie akute Krankheitsbilder kennenlernen. Die Aufnahmeberichte, die Liegezeiten und die Epikrisen sind eher kurzgefasst. Auch finanziell lohnt es sich eher, da meistens nach Tarif bezahlt wird. Der Nachteil ist, dass dieses Arbeiten nicht jedem liegt. Neben dem teilweise sehr hohem Arbeitsaufkommen geht es hier ans Eingemachte. Es kann sehr belastend sein, wenn Patienten nicht überleben oder aber erhebliche Schäden zurückbehalten. 44 Rehaklinik: Hier ist der Vorteil, dass die meisten Patienten gesundheitlich stabil sind. Im Vorfeld wurde einiges an Diagnostik gemacht, die Aufnahmen werden in der Regel geplant und die Dienste sind deutlich ruhiger. Das Spektrum der Krankheitsbilder ist vielfältiger. Die neurologische Rehabilitation wird nicht nur von Schlaganfall­ patienten, sondern auch von Patienten in Anspruch genommen, die u.a. auf einer ITS waren und schwere Folgeschäden erlitten haben (CIP/CIM). Dann sind Kenntnisse zur Kardiomyopathie, Nieren­ versagen, Atelektase, Aortenaneurysma und verschiedene onkologische Erkrankungen gefragt. Dies kann eine Bereicherung fachlicher Kenntnisse sein. 44 Die Rehabilitation wird in verschiedene Phasen eingeteilt: 55B mit Beatmung – wie eine ITS 55B für Schwerstbetroffene – häufig Patienten mit Trachealkanülen, PEG und Monitorpflicht 55„normale“ B-Phase – stabilere Patienten mit hohem Aufwand, die u.a. mindestens sechsmal wöchentlich gesehen werden müssen 55Phase C mit deutlich gesünderen, selbständigeren Patienten 55AHB – Patienten, die wieder arbeitsfähig werden sollen 44 Ein Nachteil der Rehabilitation ist, dass meist deutlich untertariflich bezahlt wird. Der bürokratische Aufwand hingegen ist höher ­(wochenlange Liegezeiten ergeben lange Epikrisen!).

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Kapitel 10 · Ausblick: das neurologische Jahr

44 Niederlassung: Einige niedergelassene Neurologen verfügen über eine Weiterbildungsermächtigung (unbedingt vorher prüfen, ob diese aktuell ist und für den erforderlichen Zeitraum gilt). Eindeutiger Vorteil ist, dass Sie keine Dienste haben, dafür eine geregelte Arbeitszeit und ein meist freundliches, entspanntes Arbeiten. Auch hier ist der Nachteil die deutlich geringere Bezahlung. Solche Stellen sind auch eher selten. Egal wo und wann Sie Ihr Neurojahr absolvieren, es kann auch für angehende Psychiater sehr lehrreich sein und Spaß machen. Schieben Sie es nicht allzu lange auf. Sie wollen schließlich Ihren Facharzt machen und dafür brauchen Sie nun mal die Neurologie.

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Die Facharztprüfung

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0_11

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Kapitel 11 · Die Facharztprüfung

Alle wichtigen Stationen sind durchlaufen, sämtliche Stempel erhalten, Sie sind durch die Balint-Gruppe und die Selbsterfahrung gekommen – kennen sich nun von innen und von allen Seiten und haben die erforderlichen Voraussetzungen seitens der Ärztekammer erfüllt. Nun können Sie sich endlich für die Facharztprüfung anmelden. Die Landesärztekammern jedes Bundeslandes informieren, welche ­Voraussetzungen jeder mitbringen muss. Es lohnt sich, rechtzeitig anzufangen zu lernen – das wissen Sie wahrscheinlich aus dem Studium. Dann haben Sie zum Schluss noch genügend Puffer, um Dinge zu widerholen. Es gibt auch Seminare, die auf die Prüfung vorbereiten. Je nachdem, was für ein Lerntyp Sie sind, lernen Sie allein für sich oder lassen sich abfragen. Wenn möglich fragen Sie vorher nach, ob es Protokolle von vorhergehenden Prüfungen gibt. Es kann manchmal sehr hilfreich sein, wenn man vorher einen Eindruck vom Fragestil der Prüfer bekommt. Wenn Sie zu denjenigen gehören, die nicht lernen brauchen: Gratulation, dann können Sie einfach so zur Prüfung gehen – alle anderen: Fangen Sie früh genug an zu lernen. Besorgen Sie sich ein gutes und übersichtliches Buch. Für den Fachbereich Psychiatrie gibt es zwei gute Bücher zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung, beide finden Sie im Literaturverzeichnis. Gehen Sie jeden einzelnen F-Bereich durch – alles kann abgefragt werden. Neben der Psychiatrie sollten Sie damit rechnen, dass auch neurologisches Fachwissen abgefragt werden kann. Schauen Sie sich CTs und MRTs an (Aufbau etc.) und beschreiben Sie das, was Sie im Bild sehen. Strukturieren Sie diese Angaben, sodass zuletzt eine klare Aussage steht. Schauen Sie sich EEGs noch einmal an und lernen Sie die Basisfakten. Es kann Ihnen passieren, dass Sie in der Prüfung gefragt werden, inwieweit sich EEGs bei bestimmten Erkrankungen verändern, oder dass Sie ein EEG generell beschreiben müssen und wo es eingesetzt wird. Für die Neurologie empfiehlt sich ein Blick in den großen Berlit oder verwandte Literatur, in der die neurologischen Krankheitsbilder gut beschrieben werden. Ähnlich sollten Sie für die Pharmakologie vorgehen, wo der „Benkert“ als Standardwerk gilt. Zu guter Letzt. Planen Sie auch in der Lernphase Pausen ein. Einen Tag nicht lernen, kann den Kopf wieder frei für den weiteren Lernstoff machen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg.

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Serviceteil Literatur

– 174

Sachverzeichnis

– 177

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Krüger, Survival Guide Psychiatrie https://doi.org/10.1007/978-3-662-57373-0

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Serviceteil

kkCheckliste für die ersten drei Monate: 44 Erhalten von Schlüsseln, Telefon, interne Telefonliste 44 EDV-Zugangsdaten (Passwort etc.) 44 Betriebsarzt; ggf. Impfungen 44 Kennenlernen der Kollegen und des Klinikgeländes 44 Ablauf im Klinikum 55Mittagskonferenzen? 55Übergabestandards 44 Vorgehen bei Notfällen 55Notrufkette der Klinik 55Wo ist der Notfallkoffer (Standort/Ausrüstung)? 55Notfallmaßnahmen, Reanimationsstandards 55Umgang mit Patienten (Selbst-/Fremdgefährdung) 44 Weiterbildungen hinsichtl. Notfallmaßnahmen 44 Sicherheitsregeln der Klinik (Notfallknöpfe, Sicherheitstüren etc.) 44 Vorgehen bei Fixierung 44 Umgang mit Außenstehenden (Polizei, Behörden, Presse etc.) 44 Vertrautmachen mit dem Tagesablauf: Visitenzeiten etc. 44 Vertrautmachen mit dem Kodiersystem (ICD-10) 44 Kennenlernen des Aufnahmeprozedere von Patienten 44 Kennenlernen der klinikinternen Standards 44 laufen Sie im Dienst einmal mit kkGutachten Im Folgenden eine Vorlage als Beispiel für ein Betreuungsgutachten 44 Anrede Richter/Richterin (wenn der Name bekannt ist) 44 Gutachtenauftrag vom, Aktenzeichen 44 Bezeichnung als Gutachten 44 Name, Vorname, Geburtsdatum, wohnhaft (hier die Ihnen bekannten Patientendaten) 44 derzeitiger Aufenthaltsort des Patienten (bspw.: Station A des Klinikum B in Z, Tel.-Nr. 0000111) 1. Art und Umfang der genutzten Gutachtenquellen 55Informationen durch Angehörige 55Vorhergehende Epikrisen 55Eigene Untersuchung am... 2. Biografische Angaben: für das Verständnis der lebensgeschichtlichen Zusammenhänge, die für das Gutachten relevant sind 3. Vorgeschichte 44 Darstellung warum Betreuung 44 Relevante durchgeführte Diagnostik

Serviceteil

165

44 Wie, wann und in welchem Zustand kam der Patient in die Klinik? – Freiwillig? Durch wen veranlasst? 44 Auffälligkeiten 44 Welche Defizite fallen auf? 4. Diagnosen: ICD10 und ausgeschrieben 5. Psychopathologischer Befund: ausführlich: Es muss klar werden, ­welche Einschränkungen vorhanden sind 6. Zusammenfassende Beurteilung 55Betreuung ja/nein 55Aufgabenkreise 55Einwilligungsvorbehalt 55Unterbringung? 55Einschätzung zeitlicher Rahmen: Wie lange wird dieser Zustand anhalten? 7. Nachteile durch Anhörung für Patienten zu erwarten? 8. Angabe wer die Betreuung übernehmen wird 55mit Name, Geburtsdatum, Verwandtschaftsverhältnis, wohnhaft, Telefonnummer 55wenn kein Angehöriger, dann welcher gesetzlicher Betreuer schon Kontakt hatte 55sonst welcher Betreuungsverein Damit dürften Sie zumindest erst einmal nichts falsch machen. Schreiben Sie strukturiert und klar. Bitte keine endlosen Bandwurmsätze.

Wie erstellt man einen Bericht für eine tiefen­ psychologisch fundierte/analytische Therapie bei Erwachsenen? Die folgenden Angaben sind nur als kleiner Impuls zu verstehen, wenn Sie andere Vorlagen haben, dann verwenden Sie bitte diese. Das Ganze ist auch für die VT modifizierbar (mit den dementsprechenden Änderungen...) kkErstkontakt mit dem Patienten/Spontanangaben Was führt den Patienten zu Ihnen? Warum jetzt und nicht früher schon?/ später? Freiwillig und selbstmotiviert...oder auf Anraten von der Familie... Schilderung der Problematik seitens des Patienten und der aufgetretenen Symptomatik. Ggf. auch fremdanamnestische Angaben.

166

Serviceteil

1. lebensgeschichtliche Entwicklung 55körperliche und psychische Entwicklung 55soziale Entwicklung (Beruf, Bildung; gab es in Übergangs­ situationen Krisen?) 55Familienanamnese 2. Krankheitsanamnese mit ggf. früher schon durchgeführten Therapien 3. Psychischer Befund zum Zeitpunkt der Berichtserstellung 55emotionaler Kontakt, Persönlichkeit 55erkennbare Abwehrmechanismen 55psychopathologischer Befund 4. Somatischer Befund 5. Psychodynamik: Hier kommt der interessante Teil. Darstellung der neurotischen Entwicklung und des intrapsychischen neurotischen Konfliktes. Dann die daraus resultierende Symptomatik 6. Diagnosen (F-Diagnosen) zum Zeitpunkt der Berichtserstellung 7. Zielsetzung der Therapie und Behandlungsplan 55hier begründen Sie bitte Ihre Wahl der Behandlungsform und ­deren Anwendung 55Der Zusammenhang zwischen der Art der Erkrankung und dem was Sie vorschlagen. 55Es müssen Therapien vorgeschlagen werden, die von den Krankenkassen anerkannt werden. Alle anderen können Sie zwar mit dem Patienten besprechen, aber können nicht Bestandteil des ­Behandlungsplanes sein, was Sie in einem Bericht schreiben. 8. Zuletzt: Prognose unter Berücksichtigung der Verlässlichkeit, der ­Lebensbewältigung etc. des Patienten

Wie füllt man einen Notfallschein aus Situation: Patient kommt akut und will nicht bleiben (keine stationäre Aufnahme) 1. Datenvorerfassung (u.a. Chipkarte) wie bei stationären Patienten (meist durch das Pflegepersonal erfasst) 1. mit Einweisungsschein: vorstationäre Behandlung abrechnen 2. ohne Einweisungsschein: Notfallschein abrechnen Zu 1.1. Lassen Sie sich das bitte in Ihrer Klinik erklären, da das von Klinik zu Klinik unterschiedlich gehandhabt wird

Serviceteil

167

Zu 1.2 Notfallschein: 44 Erfassen des Patienten 44 Notfallschein, wenn aus ärztlicher Sicht deutlich wird, dass der ­Patient nicht bleiben wird. Lassen Sie sich bitte einen Vordruck davon zeigen. 44 Auf den Notfallschein gehören: 55Name 55Krankenkasse 55Wohnort 55Kassennummer 55Geb. Datum 55Datum des Behandlungstages 55Unterschrift des Pat. und des Arztes mit Stempel 44 Diagnosen: ICD-10-Kodierung 44 Befunde/Therapie: Was habe ich mit dem Patienten gemacht und warum (kurz) 44 → diese Verschriftung nur auf der Kopie! 44 Tag/Monat: Datum und Entlassungsuhrzeit 44 EBM/GOÄ-Nummern (Gebührenordnung) Die Pauschale für Notfälle hat die Nr.: 02110 (auch für neurologische ­Untersuchungen); ansonsten schauen Sie bitte die einzelnen GOÄ-Nr. nach (in der Regel haben Kliniken für die häufigsten eine Liste).

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Serviceteil

Glasgow Coma Scale Ein absolutes Muss. Das sollten Sie wirklich im Schlaf können (. Abb.1).

Bewusstseinslage (Vigilanz)

0 = wach (unmittelbar antwortend) 1 = benommen (aber durch geringe Stimulation zum Befolgen von Aufforderungen, Antworten oder Reaktionen zu bewegen) 2 = somnolent (bedarf wiederholter Stimulation um aufmerksam zu sein) oder soporös (bedarf starker oder schmerzhafter Stimula- tion zum Erzielen von Bewegungen) 3 = Koma (antwortet nur mit motorischen oder vegetativen Reflexen oder reagiert gar nicht, ist schlaff und ohne Reflexe)

1b

Orientierung

Frage nach Monat und Alter 0 = beide Fragen richtig beantwortet 1 = eine Frage richtig beantwortet 2 = keine Frage richtig beantwortet

1c

Befolgung von Aufforderungen

Aufforderung die Augen und die nicht paretische Hand zu öffnen und zu schließen 0 = beide Aufforderungen richtig befolgt 1 = eine Aufforderung richtig befolgt 2 = keine Aufforderung richtig befolgt

Blickbewegungen (Oculomotorik)

0 = normal 1 = partielle Blickparese (wenn die Blickrichtung von einem oder beiden Augen abnormal ist, jedoch keine forcierte Blickdeviation oder komplette Blickparese besteht, e. g. Augenmuskelparese), Anmerkung: auch bei unzureichender Kooperation 1 Punkt 2 = forcierte Blickdeviation oder komplette Blickparese (die durch Ausführen des oculocephalen Reflexes z. B. auch bei komatösen Patienten nicht überwunden werden kann)

1a

2

3

4

Gesichtsfeld

Facialisparese

0 1 2 3

= = = =

keine Einschränkung partielle Hemianopsie komplette Hemianopsie bilaterale Hemianopsie (Blindheit oder corticale Blindheit); bei Koma, falls beidseits keine Schreckreaktion auslösbar Anmerkung: bei fehlender Beurteilbarkeit 0 Punkte 0 = normal 1 = gering (abgeflachte Nasolabialfalte, Asymmetrie beim Lächeln) 2 = partiell (vollständige oder fast vollständige Parese des unteren Gesichts) 3 = vollständig auf einer oder beiden Seiten (fehlende Bewegungen unterer und oberer Teil des Gesichts)

..Abb. 1  Glasgow Coma Scale

169

Serviceteil

5

6

7

8

Motorik Arme

Motorik Beine

0 = kein Absinken (der Arm wird über 10 Sekunden in der 90º/45º Position gehalten) 1 = Absinken (der Arm wird zunächst bei 90º/45º gehalten, sinkt aber im Verlauf von 10 Sekunden ab) 2 = Anheben gegen Schwerkraft möglich (der Arm kann die 90º/45º Position nicht erreichen oder halten, sinkt auf die Liegefläche ab, kann aber gegen Schwerkraft angehoben werden) 3 = kein (aktives) Anheben gegen Schwerkraft (der Arm fällt nach passivem Anheben sofort auf die Liegefläche) 4 = keine Bewegung Anmerkung: bei Amputation oder Gelenkversteifg. 0 Punkte 0 = kein Absinken (das Bein bleibt über 5 Sekunden in der 30º Position) 1 = Absinken (das Bein sinkt am Ende der 5 Sekunden- periode, berührt aber die Liegefläche nicht) 2 = aktive Bewegung gegen die Schwerkraft (das Bein sinkt binnen 5 Sekunden auf die Liegefläche ab, kann aber gegen die Schwerkraft gehoben werden) 3 = kein (aktives) Anheben gegen die Schwerkraft (das Bein fällt nach passivem Anheben sofort auf die Liegefläche) 4 = keine Bewegung Anmerkung: bei Amputation oder Gelenkversteifg. 0 Punkte

links

rechts

links

rechts

Extremitätenataxie

0 = fehlend 1 = in einer Extremität vorhanden 2 = in zwei Extremitäten vorhanden Anmerkung: wird bei Verständigungsschwierigkeiten oder Plegie als fehlend (0 Punkte) gewertet, wird bei Angabe von Koma (siehe Skala 1a) als fehlend (0 Punkte) gewertet

Sensibilität

0 = normal (kein Sensibilitätsverlust) 1 = leichter bis mittelschwerer Sensibilitätsverlust (Patient empfindet Nadelstiche auf der betroffenen Seite als stumpf oder er nimmt diese nur als Berührung wahr) 2 = schwerer bis vollständiger Sensibilitätsverlust (Patient nimmt die Berührung von Gesicht, Arm u. Bein nicht wahr; auch bei Koma)

..Abb. 1 (Fortsetzung)

170

9

10

11

Serviceteil

Sprache

0 = normal (keine Aphasie) 1 = leichte bis mittelschwere Aphasie (deutliche Einschränkung der Wortflüssigkeit oder des Sprachverständnisses, keine relevante Einschränkung von Umfang oder Art des Ausdruckes, die Einschränkung des Sprachvermögens und/oder des Sprachverständnisses macht die Unterhaltung schwierig bis unmöglich) 2 = schwere Aphasie (die Kommunikation findet über fragmentierte Ausdrucksformen statt, der Untersucher muss das Gesagte in großem Umfang interpretieren, nachfragen oder erraten, der Untersucher trägt im wesentlichen die Kommunikation) 3 = stumm, globale Aphasie (Sprachproduktion oder Sprachverständnis nicht verwertbar, auch bei Koma)

Dysarthrie

0 = normal 1 = leicht bis mittelschwer (der Patient spricht zumindest einige Worte verwaschen und kann nur mit Schwierigkeiten verstanden werden) 2 = schwer, anarthrisch (die verwaschene Sprache des Patienten ist unverständlich und beruht nicht auf einer Aphasie) Anmerkung: bei Intubation o. ä. 0 Punkte

Neglect

0 = keine Abnormalität 1 = visuelle, taktile, auditive oder personenbezogene Unaufmerk- samkeit oder Auslöschung bei Überprüfung von gleichzeitiger bilateraler Stimulation in einer der sensiblen Qualitäten 2 = schwere halbseitige Unaufmerksamkeit, kein Erkennen der eigenen Hand oder Orientierung nur zu einer Seite des Raumes Anmerkung: bei fehlender Beurteilbarkeit 0 Punkte

..Abb. 1 (Fortsetzung)

Summe:

171

Serviceteil

Äquivalenzdosen ausgewählter Benzodiazepine (. Tab. 1) .. Tab. 1  Äquivalenzdosen ausgewählter Benzodiazepine Substanz

Äquivalenzdosis

Umrechnungsfaktor auf Diazepam

Diazepam

10 mg

1

Alprazolam

0,5–1 mg

10

Lorazepam

2

5

Oxazepam

20–40 mg

0,5

Weitere gute Listen finden Sie im Benkert

172

Serviceteil

NIHSS (neurologische Befunderhebung; . Abb. 12.2) Augen öffnen Kriterium

Einstufung

Punkzahl

Spontan geöffnet

Beobachtet ✔

Spontan

4

Auf Ansprache oder lautes Rufen



Auf Geräusch

3

Auf Fingerspitzen-Stimulus



Auf Druck

2

Öffnen zu keiner Zeit, keine verfälschenden Einflüsse



Nicht vorhanden

1

Verschlossen aufgrund lokaler Umstände



Nicht beurteilbar

NT

Beste Sprachantwort Kriterium

Einstufung

Punkzahl

Korrekte Angabe von Name, Ort und Datum

Beobachtet ✔

Orientiert

5

Desorientiert, aber verständliche Kommunikation



Verwirrt

4

Verständliche Einzelwörter



Wörter

3

Nur Stöhnen, Ächzen



Laute

2

Keine hörbare Antwort und keine verfälschenden Einflüsse



Keine

1

Intubation oder andere verfälschende Einflüsse vorhanden



Nicht beurteilbar

NT

Beste motorische Antwort Kriterium

Einstufung

Punkzahl

Befolgt zweiteilige Aufforderung

Beobachtet ✔

Befolgt Aufforderungen

6

Bringt Hand über Clavicula auf Kopf-/ Hals-Stimulus



Lokalisiert

5

Beugt Arm schnell im Ellenbogen, Merkmale nicht vorherrschend abnormal



Beugt normal

4

Beugt Arm, Merkmal eindeutig vorherrrschend abnormal



Beugt abnormal

3

Streckt Arm im Ellenbogen



Streckt

2

Keine Bewegung von Armen und keine verfälschenden Einflüsse



Keine

1

Lähmung oder andere verfälschende Einflüsse vorhanden



Nicht beurteilbar

NT

..Abb. 12.2  NIH Stroke Scale (die Angaben bei komatösen Patienten sind zur Hilfestellung hervorgehoben)

173

Serviceteil

Stellen für physische Stimulation Druck auf...

Fingerspitzen

Trapezius

Foramen supraorbitale

Merkmale von Beugereaktionen

Abnormales Beugen

Normales Beugen

Langsam, Stereotyp Arm über Brust Unterarm rotiert Daumen eingeschlagen Bein streckt

Schnell, variabel Arm weg vom Körper

..Abb. 12.2 (Fortsetzung)

174

Serviceteil

Literatur Argelander H (20110) Das Erstinterview in der Psychotherapie. 10. Auflage. ­Darmstadt: Wissenschaftliche Buch Gesellschaft Benkert O, Hippius H (Hrsg.) (2018) Kompendium der Psychiatrischen Pharmakotherapie.12. Aufl., Springer, Heidelberg Berlit P (2011) Klinische Neurologie. 3. Aufl., Springer, Heidelberg Berzewski H (2009) Der psychiatrische Notfall. Springer, Berlin Heidelberg Bohus M (2009) Borderline-Persönlichkeitsstörung. In: Margraf J, ­Schneider S (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Springer, Berlin Heidelberg, S 533–562 Chang SS, Stuckler D, Yip P, Gunnell D (2013) Impact of 2008 global economic crisis on suicide: time trend study in 54 countries. BMJ 347: f5239 Clarkin JF, Yeomans F E, Kernberg OF (2008) Psychotherapie der Borderline-­Persönlichkeit. Manual der Psychodynamischen Therapie. 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und N ­ ervenheilkunde (DGPPN) – Taskforce Patientenautonomie (2016) Eckpunkte für die Regelung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern – mit Erläuterungen. Nervenarzt 87: 311–314 Deutsche Rentenversicherung (DRV) (2015) Reha-Bericht, Berlin; http:// www.deutsche-rentenversicherung. de/ Dreßing H, Habermeyer E (Hrsg.), begründet von Venzlaff U, Foerster K

(2015) ­Psychiatrische Begutachtung. Ein praktisches Handbuch für Ärzte und Juristen. Elsevier, München Ebert D (2011) Psychiatrie systematisch. UNI-MED Verlag, Bremen Schüttelkopf EM (2013) Lernen aus Fehlern: Wie man aus Schaden klug wird. Haufe, Freiburg Fähndrich F, Stieglitz R-D (2016) Leit­ faden zur Erfassung des psycho­ pathologischen Befundes. Halb­ strukturiertes Interview anhand des AMDP-Systems. Hogrefe, Göttingen Faller K et al. (2009) Konflikte selber lösen. Verlag an der Ruhr, Mülheim Fenger H, Holznagel I, Neuroth B, Gesenhues S (2013) Schadensmanagement für Ärzte, 2. Aufl. Springer, Heidelberg Füller I (2005) Gesetzliche Krankenversicherung: Die Leistungen der Kassen – Ihre Ansprüche als Patient. Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Gerd R (2009) Strukturbezogene Psychotherapie: Leitfaden zur psycho­ dynamischen Therapie struktureller Störungen 2. Aufl. Schattauer, Stuttgart Glasl F (2004) Konfliktmanagement Freies Geistesleben , Stuttgart Gutzmann H, Kühl KP, Göhringer K (2000) Das AGP-System. Manual zur Dokumentation gerontopsychiatrischer Befunde. Hogrefe, Göttingen Haug HJ, Kind H (2008) Psychiatrische Untersuchung. Ein Leitfaden für Studierende, Ärzte und Psychologen in Praxis und Klinik. Springer, Berlin Heidelberg Hoffmann SO, Hochapfel FR (2009) Neurotische Störungen und Psy-

Literatur

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175

Möller HJ, Laux G (2015) Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. 6. Aufl. Stuttgart: Thieme Müller MJ, Lange-Asschenfeldt C (2012) Pharmakotherapie psychiatrischer Notfallsituationen. In: Gründer G, Benkert O (Hrsg.) Handbuch der Psychopharmakotherapie. Springer, Heidelberg, S 1123–1136 Nedopil N (2012) Forensische Psychiatrie Klinik, Begutachtung und Behandlung zwischen Psychiatrie und Recht. 4. Aufl. Thieme, Stuttgart Neu P (2016) Akutpsychiatrie. Das Notfall-Manual. Schattauer, Stuttgart OPD, Arbeitskreis OPD (2014). OPD-2 Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik: Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. 3. Auflage. Bern: Huber Payk TR (2015) Psychopathologie: Vom Symptom zur Diagnose. 4. Aufl. Springer, Berlin Heidelberg Püschel E (2010) Selbstmanagement und Zeitplanung. Schöningh, Paderborn Reischies FM (2007) Psychopathologie: Merkmale psychischer Krankheitsbilder und klinische Neurowissenschaft. Springer Berlin Rössler H, Rüther W (2005) Orthopädie und Unfallchirurgie, 19. Aufl. Elsevier, München Schmidtke A, Schaller S (2009) Suizidalität. In: Margraf J, Schneider S (Hrsg.) Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd 2. Springer, Berlin Heidelberg, S 175–186 Schneider F (Hrsg.) Facharztwissen Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, 2. Aufl. Springer, Heidelberg Schneider F, Frister H, Olzen D (2015) Begutachtung psychischer Störungen. ­Springer, Heidelberg

176

Serviceteil

Schultz JH (2004) Das original Übungsheft für das autogene Training. Anleitung vom Begründer der Selbstentspannung. 24. Aufl. TRIAS, Stuttgart Schulz Von Thun F (2011) Miteinander reden. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek Seiwert LJ (2010) Das neue 1x1 des Zeitmanagement, 9. Aufl. Gräfe und Unzer, München Strauss B, Hohagen F, Caspar F (Hrsg.) (2007) Lehrbuch der Psychotherapie. 2 Bde. Hogrefe, Göttingen Walter M, Lang U (2015) Psychiatrische Notfälle: Erstmaßnahmen – Einweisungs­richtlinien – Fallbeispiele. Beck, München WHO „World Alliance for Patient Safety“: WHO Draft Guidelines for Adverse Event Reporting andLearning Systems - From Information to Action. als pdf Wolfersdorf M (2006) Suizidalität. In: Stoppe G, Bramesfeld A, Schwartz F-W (Hrsg.) Volkskrankheit Depression? Bestandsaufnahme und Perspektiven. Springer, Berlin Heidelberg, S 287–304 Wolfersdorf M, Bronisch T, Wedler H (2008) Suizidalität: Verstehen, Vorbeugen, ­Behandeln. Roderer, Regensburg Wolfersdorf M, Etzersdorfer E (2011) Suizid und Suizidprävention. Kohlhammer, Stuttgart Wolfersdorf M, Schneider B, Schmidtke A (2015) Suizidalität: ein psychiatrischer Notfall, Suizidprävention: eine psychiatrische Verpflichtung. Nervenarzt 86: 1120–1129 Wöller W, Kruse J (2018) Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie; Basisbuch und Praxisleitfaden. Schattauer, Stuttgart

177

A–H

Sachverzeichnis

A Abwehrmechanismen 28 Affektivitätsstörungen 91 Ambulante psychiatrische Pflege (APP) 52 AMDP-System 86 Anamnese 11, 81, 84 Antikorruptionsgesetz 9 Antipsychotika 133 Antiseptika 78 Antriebsstörungen 91 Arbeitsvertrag 3, 5 Arbeitszeit 4 Aufklärung 73 Aufmerksamkeitsstörungen 87 Aufnahme 70 Autogenes Training 34

B Balintgruppen 13 Belastungsreaktion 119 Benzodiazepine 136 Berufshaftpflichtversicherung 8 Betreutes Wohnen 53 Bewusstseinsstörungen 87 Blutentnahme 80 Blutung 127

C Critical Incident Reporting System 75

D Datenschutz 8 Deeskalation 97 Defixierung 103

Delir 110, 140 Demenz 112, 140 Denkstörungen 87 Depersonalisation 90 Depression 139, 140 Derealisation 90 Dokumentation 71, 72 Dyskinesien 108 Dystonie 107

E Einwilligungsfähigkeit 155 Entspannungsverfahren 14, 34 Entzug 116 Epileptischer Anfall 122 Erregung, akute 108 –– Differenzialdiagnosen 108

F Facharztprüfung 162 Fehlermanagement 75 Fixierung 101 Frühdyskinesien 107

G Gedächtnisstörungen 87 gesetzliche Krankenversicherung 58 Gesprächspsychotherapie 31 Grand-Mal 123 Guillain-Barré-Syndrom 127 Gutachten 16

H Halluzinationen 90

178

Serviceteil

I

N

Ich-Psychologie 30 Ich-Störungen 90 Instanzenmodell 27 Interpersonelle Psychotherapie 20 Intervision 12 Intoxikation 104 –– Amphetamine 106 –– Benzodiazepine 107 –– Cannabis 106 –– Ecstasy 107 –– Halluzinogene 107 –– Kokain 106 –– Opiate 106

Notfall 70 Notfallmedikation 132

K Kanülen 80 Kernfeldeinrichtungen 50 Kognitive Modelle 20 Kommunikation 38 –– vier Ebenen 39 Körperliche Untersuchung 92 Körperverletzung 73 Korsakow-Syndrom 113 Kostenerstattungsprinzip 61 Krampfanfall 122 Krankenkassen 59

L Licht 34 Lithiumintoxikation 109 Lumbalpunktionen 16

M Malignes neuroleptisches Syndrom 143 Manie 139 Marburger Bund 7 Maßregelvollzug 153

O Offenbarungsbefugnis 148 Offenbarungspflicht 148 Orientierungsstörungen 87

P Panikattacke 118 Panikattacken 140 Panikstörung 118 Pflegepersonal 65 Phasen nach Freud 29 Phoneme 113 private Krankenversicherung 60 Psychiatrische Institutsambulanz 53 Psychoanalyse 26 psychopathologischer Befund 81, 85 Psychose 113, 139 Psychotherapie 53, 59 Psychotherapieverfahren 16

R Rehabilitation 54 Rehaklinik 4 Rentenversicherung 7, 61

S Schizophrenie 113, 141 Schlaganfall 125 Schulz von Thun, Kommunikation 39 Schweigepflicht 148 Selbsterfahrung 15 Selbsthilfegruppe 56 Selbstverletzendes Verhalten 120

179

Sachverzeichnis

Sender-Empfänger-Modell 38 Sicherungsverwahrung 155 Sinnestäuschungen 90 SORKC-Modell 21 Sozialpsychiatrischer Dienst 52 Sozialpsychiatrisches Zentrum 51 Stationsschließung 104 Status epilepticus 124 Stress 33 Stupor 141 Suizidalität 137 Supervision 11, 13

T Tätigkeitsbereiche 4 Teamentwicklung, Phasen 46 tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie 21

U Unterbringung 148, 149 –– Entziehungsanstalt 154 –– PsychKG 151 –– strafrechtlich 153 –– zivilrechtlich 149

V Vakuumverband 80 Verhaltenstherapie 17 Verwirrtheit 141 Visite 67 Vitamin-B1-Mangel 112 Vorfeldeinrichtungen 50 Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Modell 18

I–Z

W Wahn 88 Watzlawik, Kommunikation 38 Wernicke-Enzephalopathie 112, 140 Wundauflagen 79 Wundbehandlung 78

Z Zentrales anticholinerges Syndrom 142 Zentrales Serontoninsyndrom 144 Zwänge 88 Zwangsbehandlung 148 Zwangsmaßnahmen 98 Zwangsmedikation 99 –– Dokumentation 100 Zwangsunterbringung 99

Smile Life

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