Sie nannten sich Der Wiener Kreis

Dieses Buch zeichnet Geschichte und Denkansätze des Wiener Kreises nach, des Gelehrtenzirkels, der aus dem Geistesleben des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist. Anknüpfend an Russell und Einstein versucht ein Team von Mathematikern, Naturwissenschaftlern und Philosophen die Grundlagen einer wissenschaftlichen Weltauffassung zu legen, im scharfen Gegenwind der reaktionären Politik der Zwischenkriegsjahre. Anschaulich, einfach und einprägsam stellt Karl Sigmund eine der spannendsten Episoden der radikalen Moderne dar - einer Episode, die vom Nationalsozialismus zerstört wurde, aber im angelsächsischen Exil reiche Früchte trug. Viele der damals angerissenen Fragen haben heute noch ihre Auswirkungen: Es führt eine Linie von der symbolischen Logik Carnaps und Gödels zur Informatik, und die wissenschaftliche Weltauffassung ist so selbstverständlich geworden, dass wir sie kaum mehr wahrnehmen. Ein Buch für alle an der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts Interessierten, das naturwissenschaftlich und geisteswissenschaftlich orientierte Leserinnen und Leser in gleichem Maß anspricht. Die zweite Auflage enthält viel neues Material , etwa über die sensationell spannende Flucht Otto Neuraths über den Ärmelkanal, oder über die Laufbahnen von Friedrich Adler und Otto Pölzl (der„Leibpsychiater“), die den Wiener Kreis über Jahrzehnte begleiteten. Auch sind wichtige Seiten über Einstein, Turing und Brouwer dazugekommen. Douglas Hofstadter, der Autor von "Gödel, Escher, Bach", hat ein Nachwort zu dieser Neuauflage verfasst.


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Karl Sigmund

Sie nannten sich Der Wiener Kreis Exaktes Denken am Rand des Untergangs 2. Auflage

Sie nannten sich Der Wiener Kreis

Karl Sigmund

Sie nannten sich Der Wiener Kreis Exaktes Denken am Rand des Untergangs 2., wesentlich erweiterte Auflage Mit einem Nachwort von Douglas Hofstadter

Karl Sigmund Universität Wien Wien, Österreich

ISBN 978-3-658-18021-8 https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5

ISBN 978-3-658-18022-5 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2015, 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Textgestaltung: Bea Laufersweiler Verantwortlich im Verlag: Ulrike Schmickler-Hirzebruch Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

INHALTSVERZEICHNIS

1

Der Wiener Kreis auf den Punkt gebracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

2

Die streitbaren Zwillinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3

Der Wiener Kreis dreht eine Proberunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

4

Der Kreis kommt ins Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

5

Der Wendepunkt des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

6

Der Zirkel macht sich einen Namen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

7

Der Wiener Umkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

8

Der Parallelkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .188

9

Der Kreis läuft heiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

10

… und dann kommt die Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .242

11

Der Endpunkt des Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .264

12

Fluchtpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

13

Nachhall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .322



Nachwort von D.R. Hofstadter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351



Nachwort und Danksagung von K. Sigmund. . . . . . . . . . . . . . . 358

Literaturnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .360 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .368 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 Namensindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

1

„Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zu wiederholten Malen ‚Ich weiß, dass das ein Baum ist‘, wobei er auf einen Baum in unserer Nähe zeigt. – Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: ‚Dieser Mensch ist nicht verrückt. Wir philosophieren bloß.‘“

Ludwig Wittgenstein

„Wenn wir das Fenster aufmachen und uns die Leute auf der Straße hören, landen wir entweder im Gefängnis oder im Irrenhaus.“

Hans Hahn

3

ERSTES KAPITEL

Der Wiener Kreis auf den Punkt gebracht

„MIDNIGHT IN VIENNA” Ich müsste eigentlich ein Künstler sein, um der Geschichte des Wiener Kreises gerecht zu werden. Das bin ich leider nicht. Aber gern wär ich’s schon. Denn dann würde ich Sie wie Woody Allen in ein Taxi locken, um Ihnen meine Fassung von Midnight in Vienna zeigen. Wenn es Ihnen gefällt, könnten wir öfter solche Fahrten unternehmen. Reservieren Sie mir ein paar Abende! Beim Verlassen des Taxis fänden Sie sich jedes Mal in der Vergangenheit wieder, an irgendeiner Stelle der traurig-schönen Geschichte meiner Heimatstadt Wien. Meist würden Sie in den Zwischenkriegsjahren landen, aber gelegentlich auch in den grauen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, mit der Filmmusik vom Dritten Mann im Hintergrund. Und am Anfang ginge es sogar bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, begleitet von einem rauschenden Walzer aus der Fröhlichen Witwe. Leider wird es mir nicht möglich sein, Sie bei Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka abzusetzen, oder bei Otto Wagner und Adolf Loos, oder bei Doktor Freud und Doktor Schnitzler. Auf diese Herren werden wir höchstens flüchtige Blicke werfen, durch die Fenster eines hell erleuchteten Kaffeehauses. In meinem Film sind sie nur Randfiguren. Denn das gestehe ich am besten gleich, noch bevor Sie in mein Taxi steigen: Meine Hauptdarsteller sind allesamt Philosophen. Sie sind selten einer Meinung und reden häufig aneinander vorbei, aber was sie alle vereint ist ein leidenschaftliches Interesse an der Wissenschaft. Sollten Sie jetzt, nach dieser Eröffnung, noch immer bereit sein, sich mitnehmen zu lassen, dann lassen Sie mich kurz schildern, was Sie erwartet: 5 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_1

Schwadron Collection, Foto H. Hoffmann Uni Archiv Univ. Wien

Uni Archiv Univ. Wien

Moritz Schlick (1882-1936)

Hans Hahn (1879-1934)

Otto Neurath (1882-1945)

Im Jahr 1924 gründen ein Philosoph, Moritz Schlick, ein Mathematiker, Hans Hahn, und ein Sozialreformer, Otto Neurath, einen philosophischen Zirkel in Wien. Moritz Schlick und Hans Hahn sind Professoren an der Universität Wien, Otto Neurath Direktor des Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums. Ab 1924 trifft sich der Zirkel regelmäßig an Donnerstagabenden in einem kleinen Hörsaal in der Boltzmanngasse, um philosophische Fragen zu diskutieren: Wodurch zeichnet sich wissenschaftliche Erkenntnis aus? Haben metaphysische Aussagen einen Sinn? Worauf beruht die Gewissheit von logischen Sätzen? Wie ist die Anwendbarkeit der Mathematik zu erklären? „Die wissenschaftliche Weltauffassung“, so verkündet das Manifest des Wiener Kreises, „ist nicht so sehr durch eigene Thesen charakterisiert, als vielmehr durch die grundsätzliche Einstellung, die Gesichtspunkte, die Forschungsrichtung.“ Der Zirkel will wissenschaftlich philosophieren, ohne Gerede von unergründlicher Tiefe und bedeutungsschwangerer Weltabgewandtheit: „In der Wissenschaft gibt es keine ‚Tiefen‘: Überall ist Oberfläche: Alles Erlebte bildet ein kompliziertes, nicht immer überschaubares, oft nur im Einzelnen fassbares Netz. Alles ist dem Menschen zugänglich; und der Mensch ist das Maß aller Dinge.“ Der Wiener Kreis steht in der Tradition von Ernst Mach und Ludwig Boltzmann, zwei Physikern, die um die Jahrhundertwende an der Universität Wien Philosophie gelehrt haben. 6

Bea Laufersweiler

Ludwig Boltzmann (1844-1906)

Ernst Mach (1838-1916)

Bald werden die Diskussionen des Wiener Kreises durch den kurz zuvor erschienenen Tractatus logico-philosophicus dominiert, ein Büchlein, das Ludwig Wittgenstein während des Ersten Weltkriegs als Frontoffizier geschrieben hat. Wittgenstein hat sich nach dem Krieg von seinem riesigen Erbe getrennt und lebt als Volksschullehrer in Niederösterreich. Durch die Gespräche mit ausgewählten Mitgliedern des Wiener Kreises kehrt er allmählich wieder zur Philosophie zurück. Mit angestaubten philosophischen Lehrmeinungen will der Wiener Kreis nichts zu tun haben:

Cambridge Univ. Archive

Die Vorbilder des Wiener Kreises sind der Physiker Albert Einstein, der Mathematiker David Hilbert und der Philosoph Bertrand Russell.

Ludwig Wittgenstein (1889-1951)

„Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine Rätsel. Die Klärung der traditionellen philosophischen Probleme führt dazu, dass sie teils als Scheinprobleme entlarvt, teils in empirische Probleme umgewandelt und damit dem Urteil der Erfahrungswissenschaft unterstellt werden. In dieser Klärung von Problemen und Aussagen besteht die Aufgabe der philosophischen Arbeit, nicht aber in der Aufstellung eigener ‚philosophischer‘ Aussagen.“ Zum Wiener Kreis stößt glänzender Nachwuchs, wie etwa der Philosoph Rudolf Carnap, der Mathematiker Karl Menger oder der Logiker Kurt Gödel, 7

Princeton Univ. Library

Institut Wiener Kreis Institut Wiener Kreis

Karl Menger (1902-1985)

der das Grenzgebiet zwischen Mathematik und Philosophie entscheidend prägen wird. Auch Karl Popper ist eng mit dem Wiener Kreis verbunden, obwohl er nie zu den Sitzungen eingeladen wird. Rasch wird der Zirkel zur Hochburg des Logischen Empirismus. Führende Köpfe in Prag, Berlin, Warschau, Cambridge und Harvard greifen die Themen auf. Ab 1929 tritt der Zirkel an die Öffentlichkeit, über eigene Zeitschriften, Tagungen, Bücher und Vorlesungsreihen. Am Beginn dieser Phase steht ein Manifest:

Kurt Gödel (1906-1978)

Institut Wiener Kreis

Rudolf Carnap (1891-1970)

Karl Popper (1902-1994)

Die Wissenschaftliche Weltauffassung ist kein Gründungsdokument – den Schlick-Zirkel gibt es bereits seit fünf Jahren –, saber so etwas wie ein Taufschein. Der von Neurath vorgeschlagene Name „Wiener Kreis“ ist neu. Er soll positive Assoziationen wecken (wie „Wiener Wald“ oder „Wiener Walzer“). Die Schrift dient als Manifest, nicht nur für eine philosophische Schule, sondern für eine gesellschaftspolitische Ausrichtung. „Wir erleben, wie der Geist der wissenschaftlicher Weltauffassung in steigendem Maße die Formen persönlichen und öffentlichen Lebens, des Unterrichts, der Erziehung, der Baukunst durchdringt, die Gestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens nach rationalen Grundsätzen leiten hilft. Die wissenschaftliche Weltauffassung dient dem Leben und das Leben nimmt sie auf.“ 8

Institut Wiener Kreis

Die Verfasser des Manifests gehören zum linken Flügel der Gruppe und machen kein Hehl aus ihrer Absicht, die Gesellschaft gründlich zu reformieren. Der von Mitgliedern des Wiener Kreises im Jahr 1928 gegründete Verein Ernst Mach widmet sich der „Verbreitung der wissenschaftlichen Weltauffassung“ und engagiert sich an der Seite des sozialdemokratischen Roten Wien im politischen Kampf um die Stadt, besonders im Bildungsund Siedlungsbereich.

Der Wiener Kreis erstmals im Druck

„COFFEE AND CIGARS“ Rasch werden Wiener Kreis und der Verein Ernst Mach zum roten Tuch für die antisemitischen und reaktionären Strömungen in der Stadt und an der Universität. Das politische Umfeld wird zunehmend feindselig. In dieser zweiten, öffentlichen Phase kommt es zur schrittweisen Auflösung des Wiener Kreises. Carnap zieht als Professor nach Prag, Wittgenstein nach Cambridge. Neurath kann nach dem Bürgerkrieg von 1934 österreichischen Boden nicht mehr betreten. Hahn stirbt im selben Jahr unerwartet an den Folgen einer Krebsoperation. Gödel muss sich mehrfach in Nervenheilanstalten zurückziehen. Schlick wird 1936 im Hauptgebäude der Universität von einem ehemaligen Studenten erschossen. Menger und Popper emigrieren bald darauf, angewidert von der öffentlichen Stimmung. Die meisten Mitglieder des Wiener Kreises verlassen Wien, noch bevor es zu den sogenannten Säuberungen nach dem „Anschluss“ kommt. Als Nachzügler gelangt Gödel im Kriegsjahr 1940 über die Sowjetunion und Japan in die USA. Emigration und Internationalisierung gehen Hand in Hand. Der inzwischen weltbekannte Wiener Kreis verliert seine Wiener Wurzeln. 9

In der Nachkriegszeit kann der Wiener Kreis in Wien nicht mehr Fuß fassen. Doch bleibt er weiter weltweit wirksam, und ist aus der Geistesgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nicht wegzudenken. Er hat so diverse Fächer wie die analytische Philosophie, die formale Logik, die Quantenphysik und die Wirtschaftswissenschaften beeinflusst. So lassen sich etwa die Computeralgorithmen, die heute unser Leben bestimmen, in direkter Linie auf die Untersuchungen Kurt Gödels über Logik und Berechenbarkeit zurückführen; und die Symbole, die auf allen Flughäfen der Welt die Besucherströme lenken, leiten sich von Otto Neuraths Bildersprache her. Mord und Selbstmord, Liebschaften und Nervenzusammenbrüche, politische Verfolgungen und Vertreibung haben alle ihren Platz in der schillernden Geschichte des Wiener Kreises, doch den roten Faden bilden die geistigen Auseinandersetzungen. Der Zirkel verwirklicht keineswegs das von einigen angestrebte „denkerische Kollektiv“. Die handelnden Personen verfolgen gemeinsame Ziele, doch ihre Beziehungen werden von leidenschaftlichen Kontroversen geprägt. Am Anbeginn steht, an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert, eine vielbeachtete Auseinandersetzung zwischen Mach und Boltzmann im Sitzungssaal der Wiener Akademie der Wissenschaften. Es geht um die Frage: „Gibt es Atome?“ Am Ende steht, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, ein erbitterter Streit zwischen Popper und Wittgenstein bei einem Kamingespräch in Cambridge. Da geht es um die Frage: „Gibt es philosophische Probleme?“ Im knappen halben Jahrhundert zwischen diesen beiden Disputen spielte Wien in der Philosophie eine ähnliche richtungsweisende Rolle, wie einst in der Musik; und in diesem goldenen Zeitalter der österreichischen Philosophie nimmt der Wiener Kreis eine zentrale Stellung ein – ein leuchtendes Fanal exakten Denkens vor einem Hintergrund von manischer Blödheit und rohem Fanatismus. Unsere unerschrockenen Philosophen waren sich sehr wohl bewusst, auf dem abschüssigen Deck eines sinkenden Dampfers zu stehen. Das verlieh ihren Diskussionen umso mehr Dringlichkeit. Es ging um die Grenzen des Wissens, und die Zeit war so knapp! Die ersten Musiker der Bordkapelle verstauten bereits ihre Instrumente. Heute scheint der Untergang schon sehr weit zurück zu liegen. Gegenwärtig halten Millionen von Wissenschaftlern und hundert Millionen aus ihrem Umfeld die wissenschaftliche Weltauffassung für eine Selbstverständlichkeit. Auf Drängen geben sie zu, dass diese Weltauffassung bedroht werStufen zum Wiener Kreis: die elegische Strudlhofstiege ist nur wenige Schritte vom Treffpunkt des Zirkels entfernt  10

den kann: etwa durch religiöse Fundamentalisten aller Glaubensrichtungen, durch die mediale Massenverdummung, oder einfach durch ein zunehmendes Desinteresse der breiteren Öffentlichkeit an der Wissenschaft. Verglichen mit all den anderen Gefahren, die uns bedrohen, scheint die Gefährdung der wissenschaftlichen Weltauffassung vermutlich nicht sehr akut. Aber wie die Geschichte des Wiener Kreises beweist, kann sich das sehr rasch ändern. Die gesamte Saga vom Aufstieg und Fall des Wiener Kreises umspannt bloß ein halbes Jahrhundert. Ein Wiener Kellner könnte alles in seinem Kaffeehaus hautnah miterlebt haben, sozusagen aus der ersten Reihe fußfrei. Als ein junger piccolo hätte er dem gewichtigen Hofrat Ernst Mach, dem Liebling der walzertrunkenen Kaiserstadt, einen Einspänner serviert, selbstverständlich mit Schlag (nicht mit Sahne!); und als ältlicher, schon etwas gebeugter Oberkellner hätte er mit dem grimmig blickenden Ludwig Wittgenstein, der im abgetragenen Mantel an einem Tischchen sitzt, die Nachkriegsqualität des Ersatzkaffees beklagt. Wenn ich ein Jim Jarmush wäre, würde ich die ganze Geschichte von der Warte des Kellners aus erzählen, in einem spritzigen Episodenfilm namens Coffee and Cigars. Aber leider bin ich kein Künstler – bloß ein ältlicher, schon etwas gebeugter Professor, der im Schatten des Wiener Kreises aufgewachsen ist.

Österr. Nationalbibliothek, Foto Otto Preschnofsky (1931)

Und daher erzähle ich Ihnen einfach, wie es wirklich gewesen ist.

11

ZWEITES KAPITEL

Die streitbaren Zwillinge Wien 1895 -1906: Berühmter Physiker als Philosoph geheuert. Ernst Mach kommt Philosophie entgegen; untersucht Schockwellen, Wissenschaftsgeschichte, Drehschwindel und andere Empfindungen. Verwirft das Ding an Sich. Verwirft das Ich. Verwirft Atome und den absoluten Raum. Wird von walzerseligem Wien gefeiert. Tritt nach Schlaganfall zurück. Physiker Ludwig Boltzmann springt ein. Behauptet, dass Atome unverzichtbar sind; dass Unordnung zunimmt; dass er sein eigener Nachfolger ist. Vergleicht Metaphysik mit Migräne, leidet an beidem, erhängt sich. Selbstmord war absehbar, meint Mach.

EIN STUDENT BERUFT SEINEN PROFESSOR Die Weichen für den Wiener Kreis wurden schon im Jahre 1895 gestellt, als man einen Physiker auf eine Lehrkanzel für Philosophie an die Wiener Universität berief. Der Physiker hieß Ernst Mach. Im neunzehnten Jahrhundert hatten sich die Trennwände zwischen den akademischen Disziplinen verhärtet, und die akademischen Hierarchien versteift. Dass ein in Ehren ergrauter Naturwissenschaftler philosophisch zu dilettieren begann, mochte noch angehen; doch dass er eine philosophische Lehrkanzel übernahm, ohne je über Kantianer oder Scholastiker examiniert worden zu sein, schien schon allerhand. Es ließ sich anfangs gut an. Die Stelle war Mach gewissermaßen auf den Leib geschneidert; aber wenig später musste er sie zurücklegen, gelähmt durch einen Schlaganfall. Machs Vorlesung übernahm ein anderer Physiker, Ludwig Boltzmann. Auch das währte nicht lang, denn Boltzmann erhängte sich. Es sah ganz danach aus, als wäre eine schöne neue Tradition – nämlich Physiker mit Philosophievorlesungen zu betrauen – im Keim erstickt worden. Doch stellte sich heraus, dass dem nicht so war. Innerhalb weniger Jahre hatten die zwei weltberühmten Physiker durch ihre Passion für die Philosophie eine Generation von Studierenden geprägt. Das machte die beiden zu den Urvätern des Wiener Kreises. 12 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_2

Archiv Oe Akad. Wiss

Ernst Mach

Ludwig Boltzmann

In Aussehen und Lebensweg gab es viele Ähnlichkeiten zwischen Boltzmann und Mach. Sie waren gleichermaßen korpulent, die Bärte struppig, die Brillen randlos. Sie hatten bei denselben Professoren studiert und gleichermaßen früh ihre ersten Erfolge erzielt. Vor allem aber – beide gingen keiner philosophischen Kontroverse je aus dem Weg. Besonders gern traten sie, bei aller kollegialen Wertschätzung, gegeneinander an. Ihre leidenschaftliche Debatte über die Realität der Atome ging in die Wissenschaftsgeschichte ein. Ungewöhnlich ist bereits die Vorgeschichte von Machs Berufung. Sie ging von einem Studenten aus. Dieser promovierte denn auch prompt bei Mach. Ziemlich irregulär! Der Student Heinrich Gomperz (1878-1942) war freilich nicht irgendwer: Der junge Mann hatte Beziehungen. Die Familie Gomperz zählte zu den reichsten und prominentesten Familien Wiens, auf Augenhöhe mit den Rothschilds, Wittgensteins, Liebens oder Ephrussis – den fabelhaft reichen jüdischen Dynastien von Wiens liberaler „Gründerzeit“. Die Habsburger Doppelmonarchie (also das österreichische Kaiser- und das ungarische Königreich) war fest etabliert, und erlebte einen kolossalen Wirtschaftsaufschwung. Die neuen Oligarchen residierten in luxuriösen Stadtpalästen, meist auf der Ringstraße gelegen, Wiens repräsentativem Boulevard. Dazu kamen schlossähnliche Landsitze und private Schlafwägen, glanzvolle Bälle, von Johann Strauß arrangiert, plüschige Logen in Gustav Mahlers Hofoper und Mausoleen aus feinstem Marmor in Wiens riesigem Zentralfriedhof. Man kann von der Belle Époque sagen, was man will, aber damals zahlte es sich wirklich aus, Millionär zu sein. 13

Oe Akad. Wiss

Raunen in der Akademie der Wissenschaften: Theodor Gomperz und Ernst Mach

Heinrichs Vater Theodor Gomperz (1832-1912) hatte den ihm vorgezeichneten Weg zum Bankier oder Industriellen verlassen und es vorgezogen, sich ganz seinen privaten Studien zu widmen; einen Doktorgrad zu erwerben, war für ihn nicht nötig gewesen. Theodor Gomperz reüssierte auch ohne Promotion, wurde früh als einer der führenden Altphilologen Europas anerkannt, zum Mitglied der kaiserlich-königlichen Akademie der Wissenschaften gewählt und als ordentlicher Professor an die Universität Wien berufen. Seine dreibändige Geschichte der antiken Philosophie, Griechische Denker, galt über viele Jahrzehnte als Standardwerk. Gomperz père war aber nicht nur an den Vorsokratikern interessiert, sondern auch an neuzeitlichen Denkern wie Auguste Comte (1798-1857) und John Stuart Mills (1806-1873). Diese Positivisten, wie sie sich nannten, scherten sich wenig um hergebrachte religiöse oder metaphysische Lehren. Keine heiligen Schriften oder mystischen Einsichten: nur harte wissenschaftliche Fakten zählten. Dieses Streben nach einem radikal neuen Zugang skanda14

lisierte nicht wenige der Gralshüter von philosophischen Traditionen, zu denen etwa die Naturtheologie des heiligen Thomas zählte, die Metaphysik von Immanuel Kant oder der Idealismus von Friedrich Hegel. Und so schossen diese Gralshüter zurück. Worte wie „positivistisch“, „materialistisch“, „utilitaristisch“ erlangten schnell einen abwertenden Beigeschmack. Sie standen für seelische Verflachung und eine erbärmliche Unfähigkeit, den Tiefsinn der Idealisten auszuloten. Doch Theodor und Heinrich Gomperz hatten keine Berührungsängste vor umstürzlerischen Gedanken; der von aller Schulphilosophie unberührte Zugang von Ernst Mach faszinierte die beiden. Ein Vortrag, den der weltbekannte Experimentalphysiker in Wien hielt, gab den Ausschlag für seine Berufung. Jahre später schrieb Gomperz fils, inzwischen selbst schon Dozent, an Ernst Mach: „Als Sie Anfang der Neunzigerjahre hier in Wien – ich glaube auf der Naturforscherversammlung – Ihren Vortrag über Kausalität hielten, gab mir mein Vater eines Abends diesen Vortrag zu lesen. Am nächsten Morgen gab ich denselben mit den Worten zurück: ‚Da wäre ja der Philosoph, den ihr für die dritte philosophische Lehrkanzel sucht‘. Mein Vater griff diesen Gedanken auf und verfolgte ihn, wie Sie wissen, weiter, und so bin ich in gewissem Sinn als Student Mitursache für Ihre Berufung geworden.“ Angeregt durch seinen Sohn, wandte sich Vater Gomperz sogleich an Ernst Mach, den er von den Sitzungen der k.k. Akademie der Wissenschaften gut kannte: „Sehr geehrter Herr College – ich nahe Ihnen heute mit einer Bitte sehr ungewöhnlicher Art, auf die ich eine umgehende Antwort zu erbitten so frei bin. Es ist in spontaner Übereinstimmung in mir und einigen Collegen der lebhafte Wunsch aufgetaucht, Ihnen wenigstens die Frage vorzulegen, ob jedes Bemühen aussichtslos wäre, Sie für eine der hier teils erledigten, teils bald in Erledigung kommenden Lehrkanzeln zu gewinnen.“ Die artige Anfrage hatte Erfolg: Ernst Mach übernahm die eigens für ihn neu benannte Lehrkanzel für Geschichte und Theorie der induktiven Wissenschaften an der Universität Wien. Der Schritt von der Physik zur Philosophie war, wie er selbst schrieb, in Machs Lebensweg längst vorgezeichnet gewesen: „Meine Lebensaufgabe war es, von seiten der Naturwissenschaft der Philosophie auf halbem Wege entgegenzukommen.“ 15

MACH MACHT SICH EINEN NAMEN

„Diese klar und verhältnismäßig leicht geschriebene Schrift verschlang der 15-jährige Junge mit Begierde. Sie machte einen gewaltigen Eindruck auf ihn, zerstörte den naiven Realismus des Jungen und gewann sein Interesse für die Erkenntnistheorie und vernichtete durch den Einfluss des Metaphysikers Kant alle Neigung zur Metaphysik bei ihm. – Vom Kantschen Idealismus kam ich bald ab. Das ‚Ding an sich‘ erkannte ich noch als Knabe als eine unnütze metaphysische Erfindung, als eine metaphysische Illusion.“

Archiv Oe Akad. Wiss

Ernst Mach kam 1838 bei Brno, damals Brünn, zur Welt. Er wuchs in Untersiebenbrunn auf, einer kleinen Ortschaft nahe bei Wien, die so bäuerlich war, wie der Name klingt. Sein Vater, ursprünglich ein Lehrer, betrieb dort eine Landwirtschaft und unterrichtete seine Kinder oft selbst. Als Zehnjähriger wurde Ernst Mach in ein Internat ins niederösterreichische Benediktinerstift von Seitenstetten geschickt. Bald stellte sich heraus, dass das kränkliche Kind den Anforderungen des Gymnasiums nicht gewachsen war. So kehrte Ernst nach Untersiebenbrunn zurück. Den Mittelschulstoff der Unterstufe konnte ihm zur Not auch der Vater vermitteln; und da nebenher noch viel Freizeit blieb, lernte Ernst auch das Tischlerhandwerk. Beim Stöbern in den Büchern des Vaters stieß der Halbwüchsige auf ein Buch mit einem sonderbaren Titel: Prolegomena zu einer künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können. Der Autor hieß Immanuel Kant. Dieser Moment wurde entscheidend, wie Mach später mehrfach festhielt. In seinen Worten:

Ernst Mach

Eine herzhafte Opposition zu Kant sollte später alle Denker des Wiener Kreises auszeichnen. Besonders beliebt war der Preuße in Wien nie gewesen. Die Österreicher hatten sich, in Otto Neuraths Worten, den Umweg über Kant erspart. Erst Karl Popper, der sich gern gefallen ließ, als die „offizielle Opposition“ zum Wiener Kreis zu gelten, Ein Bericht an die Akademie: Erinnerungen Ernst Machs  16

17

Archiv Oe Akad. Wiss

sollte Kant wieder Recht geben - gelegentlich. Wie der Zufall es wollte, war auch Popper bei einem Tischler in die Lehre gegangen. Bald nach seiner Begegnung mit der Metaphysik versuchte es der junge Ernst Mach wieder mit einem Gymnasium – diesmal bei den Piaristen im mährischen Kremsier (heute Kromeriz). Dieser zweite Versuch verlief wesentlich besser: „Das einzig Unangenehme waren die ewigen religiösen Exerzitien, welche übrigens das Gegenteil von dem erzielten, was sie beabsichtigten.“ Mit 17 maturierte Mach und inskribierte Mathematik und Physik an der Universität Wien. Dort hatte das physikalische Institut zu einem Höhenflug angesetzt, gestützt auf das Wirken von Christian Doppler (1803-1853), Johann Loschmidt (1821-1893) und Josef Stefan (1835-1893). Diese Blüte war umso erstaunlicher, als es davor keine besonders bemerkenswerte Tradition gegeben hatte. Die Wiener Universität war jahrhundertelang von Jesuiten dominiert gewesen, und die Habsburger förderten eher die Musik als die exakten Naturwissenschaften. Bezeichnenderweise wurde in Wien erst im Jahre 1847 eine Akademie der Wissenschaften gegründet – ein paar Jahrhunderte nach Florenz, London oder Paris. Das intensive Lobbying von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716), der ja selbst eine Ein-Mann-Akademie gewesen war, hatte nichts genutzt. Erst mit dem aufziehenden Liberalismus konnten sich die wissenschaftlichen Talente der Donaumonarchie entfalten. Aber dann ging es rasch. Der junge Ernst Mach gehörte zu diesen Talenten. Schnell fiel er am Institut durch seinen Einfallsreichtum auf, und durch seine handwerkliche Geschicklichkeit, die er wohl der Tischlerlehre verdankte. Noch als Student konstruierte er einen Apparat, der den Doppler-Effekt überzeugend demonstrierte – also dass ein Ton höher wird, wenn sich die Schallquelle rasch nähert. Mach montierte eine Pfeife auf eine senkrechte Scheibe und ließ diese rotieren; die Höhe des Pfeiftons schwoll auf und ab oder blieb unverändert, je nachdem, wo der Beobachter stand. Mit 22 Jahren erwarb Ernst Mach das Doktorat. Schon im Jahr darauf wurde er Dozent, erhielt also das Recht, an der Universität zu lehren. Bereits mit 26 wurde Mach in Graz ordentlicher Professor, erst für Mathematik, dann für Physik. Dort heiratete er im Jahr 1867; aus der Ehe stammten fünf Kinder. Im selben Jahr 1867 wurde der noch nicht dreißigjährige Mach auf die Lehrkanzel für Experimentalphysik in Prag berufen, wo er fast dreißig Jahre lang wirkte, bis zu seiner Übersiedlung nach Wien. Prags deutschsprachige Universität, die noch einige Jahre älter war als die Wiens, wurde nach dem „Ausgleich“ von 1867, der den Ungarn innenpolitische Unabhängigkeit zugestand, vom Nationalitätenstreit heftig aufgewühlt. Die Tschechen verlangten 18

Wikimedia Commons Wikimedia Commons

Geschoss, aufgenommen von Mach

Flug durch die Schallmauer

gleiche Rechte. Der liberale Mach bekam die wachsenden Spannungen besonders in seinen Jahren als Dekan und als Rektor zu spüren. Er setzte sich für die Neugründung einer zweiten, tschechischen Universität ein und gegen eine Teilung der alten Alma Mater Carolina – letztlich vergebens. Im Labor erwarb sich Mach vor allem durch seine Untersuchungen über Schockwellen einen Namen. Das gilt im buchstäblichen Sinn: „Mach zwei“ ist gleichbedeutend mit „doppelter Schallgeschwindigkeit“. Die Experimente machten ihn zum Pionier der wissenschaftlichen Fotografie. Es gelang ihm Gewehrkugeln in Flug zu fotografieren – zu einer Zeit, als Porträtaufnahmen oft verwackelt waren, weil minutenlanges Stillsitzen nicht jedermanns Sache war. Machs Aufnahmen von Strömungslinien und Schockwellen faszinierten die Zeitgenossen und inspirierten noch Jahrzehnte später die italienischen Futuristen bei ihren Versuchen, rasche Bewegung möglichst sinnfällig darzustellen. HINTER DEM SCHNÜRBODEN Noch viel mehr als seine Experimente waren es aber Machs Gedanken zur Grundlegung der Physik, die ihn weltbekannt machen sollten. Wie Karl Popper später schrieb: „Nur wenige Männer haben auf die geistige Entwicklung des 20. Jahrhunderts einen ähnlich großen Einfluss gehabt wie Ernst Mach. Mach beeinflusste die Physik, die Physiologie, die Psychologie, die Wissen19

Deutsches Museum München Wikimedia Commons

Schockwellen, skizziert vom Physiker Mach

Tempo, gemalt vom Futuristen Balla

schaftslehre und die reine (oder spekulative) Philosophie. Er beeinflusste Albert Einstein, Niels Bohr, Werner Heisenberg, William James, Bertrand Russell – um nur einige zu nennen.“ Wissenschaftler, die philosophieren, und Philosophen, die Wissenschaft treiben, hat es viele gegeben. Doch Mach ragte heraus. Er wurde zum Pionier einer neuen Disziplin: der Wissenschaftsphilosophie. Für Ernst Mach bot die Wissenschaft selbst den Anlass zum Philosophieren. Die Naturwissenschaften konnten nicht länger als Steckenpferd vereinzelter Träumer und Grübler gelten; sie waren im Lauf des vergangenen Jahrhunderts zu einem Generationen umspannenden, weltweiten Unterfangen geworden, zur Triebkraft hinter der Industriellen Revolution. Wenn nun der Fortschritt der Menschheit auf den Naturwissenschaften gründete, worauf gründeten die Naturwissenschaften? Die Frage nach den Grundlagen aller Erkenntnis war und ist eine der ewigen Fragen der Philosophie. Wieso weiß ich, dass dort ein Baum steht? Dass Napoleon gelebt hat? Dass ein Hund Schmerz verspüren kann? Bei Mach ging es um Handfesteres, nämlich um die Grundlagen der wissenschaftlichen Erkenntnis, jener stetig wachsenden, hart umkämpften Erkenntnis, die allen gehört und die jeden betrifft. Er befasste sich damit in drei Büchern: Die Mechanik in ihrer Entwicklung (1883), Die Principien der Wärmelehre (1896) und Die Principien der physikalischen Optik (posthum 1921). Wie begründet man physikalische Begriffe wie „Kraft“, „Wärme“, „Entropie“? Was ist Materie? Wie misst man Beschleunigung? Mach untersuchte diese Fragen von Grund auf, von den einfachsten Beobachtungen ausgehend, 20

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Mechanik, erklärt von Ernst Mach

Mit Machs Hexenstuhl wird der Gleichgewichtssinn untersucht

durch kritische Analyse der historischen Wurzeln. Er hatte die enge Verbindung von Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte bereits erkannt. Der erste Absatz im Vorwort der Mechanik in ihrer Entwicklung kommt ohne Umschweife zur Sache: „Vorliegende Schrift ist kein Lehrbuch zur Einübung der Sätze der Mechanik. Ihre Tendenz ist vielmehr eine aufklärende oder, um es noch deutlicher zu sagen, eine anti-metaphysische.“ Und Mach fährt fort: „Der Kern der Gedanken der Mechanik hat sich fast durchaus an der Untersuchung sehr einfacher besonderer Fälle mechanischer Vorgänge entwickelt. Die historische Analyse der Erkenntnis dieser Fälle bleibt auch stets das wirksamste und natürlichste Mittel, jenen Kern bloßzulegen, ja man kann sagen, dass nur auf diesem Wege ein volles Verständnis der allgemeinen Ergebnisse der Mechanik zu gewinnen ist.“ Damals wie heute versuchen die Lehrbücher, Studierende möglichst schnell auf den letzten Stand zu bringen – State of the Art. Will man aber die Werkzeuge kritisch untersuchen, also die Begriffe und die Methoden, dann hilft es, zu wissen, wie sie sich entwickelt haben. Machs Zugang zur Physik war also historisch. Andrerseits interessierte ihn die Philosophiegeschichte nur mäßig. Moderne Zeiten waren angebrochen. Es schien am besten, völlig neu zu beginnen, von Grund auf. 21

Mit psychologischer Sorgfalt analysiert Mach Begriffe wie etwa den der physikalischen Kraft, ein Begriff, der allen vertraut erscheint und doch erst spät entwickelt wurde: „Werfen wir noch einen Blick auf den Kraftbegriff. – Die Kraft ist ein Umstand, welcher Bewegung im Gefolge hat. – Diejenigen bewegungsbestimmenden Umstände, die uns am besten bekannt sind, sind unsere eigenen Willensakte, die Innervationen. Bei den Bewegungen, welche wir selbst bestimmen, empfinden wir stets einen Druck. Dadurch stellt sich die Gewohnheit her, jeden bewegungsbestimmenden Umstand als etwas einem Willensakt verwandtes und als einen Druck darzustellen.“ Überall im riesigen Universum walten physikalische Kräfte verschiedenster Art. Ist es nicht sonderbar, den Begriff der Kraft auf Körperempfindungen zurückzuführen, die wir erstmals als Kleinkind verspüren? Andrerseits, was sollten wir sonst tun? „Die Versuche, diese Vorstellung als subjektiv, animistisch, unwissenschaftlich zu beseitigen, missglücken uns immer. Es kann auch nicht nützlich sein, wenn man seinen eigenen natürlichen Gedanken Gewalt antut.“ Mach führte also die physikalischen Begriffe auf unmittelbar gegebene Empfindungen, also Sinneseindrücke, zurück und kam dadurch aus philosophischen Gründen zur Physiologie. Auch in diesem Fach stieß er auf eine Goldader. Er entdeckte einen neuen Sinn, den Gleichgewichtssinn, und erweiterte so die Liste der fünf Sinne – Sehen, Hören, Riechen, Tasten, Schmecken – die sich seit Aristoteles nicht geändert hatte. Mach lokalisierte den Gleichgewichtssinn im Innenohr. Das gelang ihm etwa zeitgleich mit Josef Breuer (1842-1925), jenem Wiener Arzt, der später gemeinsam mit Sigmund Freud die Psychoanalyse begründete. Die Arbeiten Breuers und Machs wurden von Robert Baranyi (1876-1936) an der Universität Wien fortgesetzt, der dafür mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet wurde. Warum ausgerechnet Wien so ein fruchtbarer Boden für die Untersuchung des Drehschwindels war? Es kann doch nichts mit dem Walzer zu tun haben, oder? SPARSAM DENKEN Die Wissenschaft hat sich auf Erfahrungstatsachen zu beschränken, aber sie besteht natürlich nicht im bloßen Sammeln von Fakten. Ihre Aufgabe ist die übersichtliche Darstellung des Tatsächlichen. Im Vordergrund steht für Mach die Denkökonomie: Es geht darum, möglichst viel mit möglichst gerin22

gem Aufwand zu beschreiben. Newtons Gravitationsgesetz etwa fasst unzählige Phänomene zusammen, vom Fall eines Apfels bis zur Bahn des Mondes. Mach schreibt: „Alle Wissenschaft hat Erfahrungen zu ersetzen oder zu ersparen durch Nachbildung und Vorbildung von Tatsachen in Gedanken, welche Nachbildungen leichter zur Hand sind als die Erfahrung selbst und diese in mancher Beziehung vertreten können. Diese ökonomische Funktion der Wissenschaft, welche deren Wesen ganz durchdringt, wird schon durch die allgemeinsten Überlegungen klar. Mit der Erkenntnis des ökonomischen Charakters verschwindet auch alle Mystik aus der Wissenschaft.“ Mach ist radikal: Für ihn liefern Theorien lediglich denkökonomische Hilfen, keine Erklärungen. Er sieht in den Naturgesetzen nur subjektive Vorschriften für unsere Erwartungen und in der Kausalität nichts als eine regelmäßige Verknüpfung der Vorgänge, eine funktionelle Abhängigkeit, die keine zusätzliche „Erklärung“ liefert: „Den Denkmitteln der Physik, den Begriffen Masse, Kraft, Atom, welche keine andere Aufgabe haben, als ökonomisch geordnete Erfahrung wachzurufen, wird von den meisten Forschern eine Realität außerhalb des Denkens zugeschrieben. Ja, man meint, dass diese Kräfte und Massen das eigentlich zu Erforschende seien, und wenn diese einmal bekannt wären, dann würde alles aus dem Gleichgewicht und der Bewegung dieser Massen sich von selbst ergeben.“ Aber Vorsicht: hier verwechselt man die Wirklichkeit mit ihrer Darstellung, meint Ernst Mach. Kraft, Masse, Atom sind bloße Begriffe – geistige Werkzeuge. „Wenn jemand die Welt nur durch das Theater kennenlernen würde und nun hinter die mechanischen Einrichtungen der Bühne käme, so könnte er wohl auch meinen, dass die wirkliche Welt eines Schnürbodens bedürfe. – So dürfen wir auch die intellektuellen Hilfsmittel, die wir zur Aufführung der Welt auf der Gedankenbühne gebrauchen, nicht für Grundlagen der wirklichen Welt halten.“ Die ökonomischen Grundsätze betreffen nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Lehre: „Die Mitteilung der Wissenschaft durch den Unterricht bezweckt, einem Individuum Erfahrung zu ersparen durch Übertragung der Erfahrung eines anderen Individuums.“ 23

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Flaschenzug in Machs Mechanik

Schnürboden mit Flaschenzügen

Mach selbst hatte in der Schule einige unglückliche Erfahrungen gemacht, und so war es nur natürlich, wenn er sie anderen ersparen wollte. Er verfasste ein Lehrbuch für die Mittelschule (das allerdings erst nach zähem Ringen vom zuständigen k.k. Ministerium approbiert wurde) und engagierte sich vehement in schulpolitischen Fragen. Zeitlebens setzte er sich dafür ein, dass „die raffiniert ausgedachten Schranken fallen, durch welche wissbegierige begabte reifere Menschen, welche den systematischen Weg verfehlt haben, in barbarischer Weise von Bildungsmitteln, Bildungsstätten und gelehrten Berufen ferngehalten werden.“ Der Unterricht war für Mach Aufklärung: „Ich werde auf keinen Widerspruch stoßen, wenn ich sage, dass der Mensch ohne eine wenigstens elementare mathematische und naturwissenschaftliche Bildung ein Fremdling bleibt in der Welt, in der er lebt, ein Fremdling in der Kultur der Zeit, die ihn trägt.“ Nicht nur wissenschaftliche Theorien, sondern auch der Schulunterricht bargen die Gefahr, das Denken im Schnürboden abstrakter Begriffe zu verwickeln und zu verfangen wie eine Fliege im Spinnennetz: „Ohne Zweifel wird sich durch den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht noch vielmehr erreichen lassen, wenn noch eine 24

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Der „zerbrochene“ Stift

etwas natürlichere Methode in Gebrauch kommt. Hierzu gehört, dass die Jugend nicht durch verfrühte Abstraktion verdorben wird. – Man kann den Abstraktionsprozess kaum wirksamer stören, als wenn man ihn verfrüht in Anspruch nimmt.“ Und an anderer Stelle schreibt Mach: „Ich kenne nichts Schrecklicheres als die armen Menschen, die zu viel gelernt haben. Was sie besitzen, ist ein Spinnengewebe von Gedanken, zu schwach, um sich darauf zu stützen, aber kompliziert genug, um zu verwirren.“ Dieses Spinnengewebe wollte Mach wegräumen. 25

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Machs „Ich“ betrachtet sich selbst

DAS ICH UND SEINE EMPFINDUNGEN Das philosophische Hauptwerk von Ernst Mach erschien 1886: Die Analyse der Empfindungen. Es hebt an mit Antimetaphysischen Vorbemerkungen, die zum Halali auf das „Ding an sich“ blasen, und überhaupt auf das Ding, auf die Substanz. Wertloser Ballast! Überflüssige Abstraktion ohne Verbindung zu den Sinnesorganen. Ernst Mach lässt nur die vergängliche Erscheinung gelten. Sein Empirismus ist radikal: Alles Wissen beruht auf Erfahrung, und alle Erfahrung auf Wahrnehmungen, also letztlich auf Sinneswahrnehmungen – den „Empfindungen“ Machs. „Farben, Töne, Wärmen, Drücke, Räume, Zeiten usw. sind in mannigfaltiger Weise miteinander verknüpft, und an dieselben sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Aus diesem Gewebe tritt das relativ Festere und Beständigere hervor, es prägt sich dem Gedächtnisse ein, und drückt sich in der Sprache aus. Als relativ beständiger zeigen sich zunächst räumlich und zeitlich verknüpfte Komplexe von Farben, Tönen, Drücken usw., die deshalb besondere Namen erhalten, und als Körper bezeichnet werden. Absolut beständig sind solche Komplexe keineswegs.“ Die Sinneswahrnehmungen eines solchen Komplexes können sich verschieben wie die farbigen Steinchen eines Kaleidoskops: 26

„Tauchen wir einen Bleistift schräg ins Wasser, so sehen wir ihn geknickt. Man sagt: Der Bleistift scheint geknickt, ist aber in Wirklichkeit gerade. Was berechtigt uns aber, eine Tatsache der anderen gegenüber für Wirklichkeit zu erklären und die andere zum Schein herabzudrücken?“ Wieso hat hier das Tasten ein Vorrecht gegenüber dem Sehen? Warum soll das Feste mehr Bestand haben als der Augenschein? Die Körper, die wir wahrnehmen, bestehen in regelmäßigen Verbindungen von Sinnesdaten. Es gibt nicht außerdem noch einen Gegenstand, der unabhängig von den Empfindungen existiert, ein „Ding an sich“. „Wir kennen also nur die Erscheinung. Das Ding an sich nicht. Also nur die Welt unserer eigenen Empfindung. Dann können wir auch nicht wissen, ob es ein Ding an sich gibt. Es hat keinen Sinn, davon zu sprechen.“ Und das führt zum nächsten, beunruhigenden Gedanken: Ebenso wenig wie das Ding an sich existiert das Ich selbst. „Als relativ beständig zeigt sich ferner der an einen besonderen Körper (den Leib) gebundene Komplex von Erinnerungen, Stimmungen, Gefühlen, welcher als Ich bezeichnet wird. – Das Ich ist so wenig absolut beständig als die Körper.“ Mach kommt immer wieder auf dieses Thema zurück, beherrscht von einem prägenden Erlebnis: „An einem heißen Sommertage im Freien erschien mir einmal die Welt samt meinem Ich als eine zusammenhängende Masse von Empfindungen, nur im Ich stärker zusammenhängend.“ Wäre Mach Mystiker gewesen, so hätte ihm das Stoff für eine Erleuchtung geliefert. Doch als nüchterner Naturwissenschaftler fertigte er stattdessen eine scherzhafte Zeichnung an, „die Selbstbetrachtung des Ichs“ darstellend. Das Ich sind Empfindungen. Dahinter steht – nichts. Überhaupt nichts. Und weiter gibt‘s nichts zu sagen. „‚Ich empfinde Grün‘ will sagen, dass das Element Grün in einem gewissen Komplex von anderen Elementen (Empfindungen, Erinnerungen) vorkommt. Wenn ich aufhöre, Grün zu empfinden, wenn ich sterbe, so kommen die Elemente nicht mehr in der gewohnten geläufigen Gesellschaft vor. Damit ist alles gesagt. Das Ich ist unrettbar.“ Die geflügelte Formel vom „unrettbaren Ich“ machte bei den Dichtern 27

Jung-Wiens bald Furore. Machs Welt ohne Substanz, die ganz auf Sinneseindrücken beruht, war eine impressionistische, also in vollstem Einklang mit dem Geist der Zeit. In der nahegelegenen Berggasse sezierte ein zigarrenrauchender Sigmund Freud die Seele, indem er sorgsam die Assoziationen seiner Patienten verfolgte, einschließlich seiner selbst, also des „Chefpatienten“, wie er gern sagte. Hugo von Hofmannsthal, das Wunderkind von Jung-Wien, besuchte Machs Vorlesungen. Arthur Schnitzler übernahm in seinen „inneren Monologen“ die Auffassung von Ernst Mach und löste das Ich in Assoziationsketten und Empfindungsknäuel auf. Die Malerei hielt Schritt. Man malte nicht mehr Dinge, sondern Licht. Egon Friedell fand eine knappe Formel für die Impressionisten: „Mit einem Wort: Sie malten Mach.“ In den Wiener Salons des Fin de Siècle wurde der Gelehrte mit dem Prophetenhaupt geradezu umschwärmt. Seine Kleidung mochte etwas nachlässig sein und sein Bart ungepflegt – aber das Original-Genie erkannte man doch gleich und ließ sich gern von ihm seine Philosophie erklären. Für sein kulturbeflissenes Wiener Publikum – die Künstler und Kritiker, Gräfinnen und Mätressen, Kunstmäzene und Gründerväter – fand Mach genau die passenden Worte. „Wenn ich sage ‚Das Ich ist unrettbar‘, so meine ich damit, dass es nur in der Einfühlung des Menschen in alle Dinge, in alle Erscheinungen besteht, dass dieses Ich sich auflöst in allem, was fühlbar, hörbar, sichtbar, tastbar ist. Alles ist flüchtig: Eine substanzlose Welt, die nur aus Farben, Konturen, Tönen besteht. Ihre Realität ist ewige Bewegung, chamäleonartig schillernd.“ Der Literat Hermann Bahr war hingerissen: „Hier habe ich ausgesprochen gefunden, was mich die ganzen drei Jahre her quält: ‚Das Ich ist unrettbar‘. Es ist nur ein Name. Es ist nur eine Illusion. Es ist ein Behelf, den wir praktisch brauchen, um unsere Vorstellungen zu ordnen. Es gibt nichts als Verbindungen von Farben, Tönen, Wärmen, Drücken, Räumen, Zeiten, und an diese Verknüpfungen sind Stimmungen, Gefühle und Willen gebunden. Alles ist in ewiger Veränderung.“ GAR KEIN PHILOSOPH Nicht nur die vornehme Wiener Gesellschaft war von den Ideen Machs fasziniert. Vielmehr erreichte er besondere Prominenz unter den Marxisten: Nicht wenige sahen in seinem Werk einen neuen Zugang zum Materialismus; besonders die Austromarxisten zeigten sich dafür empfänglich. Lenin sah sich genötigt, diese Abweichler zur Räson zu bringen. Er verfasste ein Buch 28

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gegen die Irrlehre. Materialismus und Empiriokritizismus erschien 1908. „Unsere Machisten stecken alle tief im Idealismus“, lautete sein Bannfluch. Mach muss der Vorwurf, ein Idealist zu sein, sicherlich überrascht haben. Aber wer die Materie in Bündel von Empfindungen auflöst, macht sich Lenin weist Friedrich Adler zurecht keine Freunde unter den Materialisten. Zu den von Lenin bekämpften „Machisten“ zählte auch der junge theoretische Physiker und Austromarxist Friedrich Adler (1879-1960). Er war der Sohn des Gründers der österreichischen Sozialdemokratischen Partei, Viktor Adler, und ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Zehn Jahre nach Lenins Buch antwortete Friedrich Adler mit einem eigenen: Ernst Machs Überwindung des mechanischen Materialismus. Er schrieb das Buch in einer Todeszelle. Doch mehr darüber später. Denn dieser Friedrich Adler wurde zwar kein Mitglied des Wiener Kreises, aber die Nebenhandlung, die sich um ihn dreht, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Geschichte des Kreises. Drei Jahre nach seiner Berufung an die Wiener Universität erlitt Mach während einer Eisenbahnfahrt einen Schlaganfall, der ihn halbseitig lähmte. Seinen rechten Arm und sein rechtes Bein konnte er nie wieder bewegen. Immer wieder versuchte er, seine Vorlesungstätigkeit wieder aufzunehmen. Doch im Jahr 1901 musste er krankheitsbedingt seine Professur niederlegen. Das Angebot, in den Adelsstand erhoben zu werden, lehnte er ab: Es vertrug sich nicht mit seiner demokratischen Gesinnung. Gegen die Ernennung zum lebenslangen Mitglied des Herrenhauses konnte er nichts einwenden. Zeitgleich zog auch Gomperz sen. ins Herrenhaus ein, sein altvertrauter Freund. Trotz seiner Lähmung blieb Mach geistig so rege wie immer. Er ließ sich eine Schreibmaschine für die linke Hand anfertigen, und blieb weiterhin in lebhafte Auseinandersetzungen mit den besten Wissenschaftlern seiner Zeit verwickelt, so etwa mit Boltzmann, Planck oder Einstein. Denn Machs Auffassungen waren zwar von bestechender Eleganz, aber sie warfen doch viele Fragen auf, wie etwa: Wenn die Welt nur aus Erlebnissen besteht, wie verhält 29

es sich dann mit der Existenz von Dingen, die nicht wahrgenommen werden? Mach hatte einige Mühe, sich gegen Vorwürfe des Solipsismus zu wehren – ausgerechnet er, der Verkünder des unrettbaren Ichs. BOLTZMANNS FORMEL

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Ernst Mach war nicht der erste Physiker, der das Ich hinterfragte. Schon hundert Jahre davor hatte Georg Lichtenberg (1742-1799) in ganz ähnlichem Sinn gemeint, dass man besser „es denkt“ als „ich denke“ sagen sollte; und Machs Wiener Kollege Ludwig Boltzmann vertrat dieselbe Ansicht, wenn er sich mokierte über Ludwig Boltzmann „die sonderbare Meinung, dass wir denken können, was wir wollen“. – Die Schicksale und Gedanken von Boltzmann und Mach waren eng miteinander verflochten. Ludwig Boltzmann, im Jahr 1844 in Wien geboren, stammte aus ähnlich bescheidenen Verhältnissen wie Ernst Mach. Der Vater, ein Steuerbeamter, wurde bald nach Ludwigs Geburt ans Linzer Finanzamt versetzt. Der Knabe fiel durch seine Begabungen auf, insbesondere in Mathematik und Musik. Auch der kleine Boltzmann wurde, wie der junge Mach, privat unterrichtet, bevor er ins Gymnasium kam. Sein Klavierlehrer war gerade dabei, sich als Linzer Domorganist einen Namen zu machen – ein gewisser Anton Bruckner. Als Ludwig fünfzehn war, starb sein Vater. Die Erbschaft der Witwe ging ganz in der Erziehung der Kinder auf. Nach Ludwigs Matura zog die Familie wieder nach Wien. Dort studierte der junge Boltzmann Mathematik und Physik, promovierte im Jahr 1866 und habilitierte sich, genau wie Mach, bereits als Dreiundzwanzigjähriger. Aber seine Neigung wandte sich eher der theoretischen als der experimentellen Physik zu. Später sollte er witzeln: „Ich verachte das Experiment wie ein Bankier das Kleingeld.“ Sein Professor Josef Stefan drängte ihn dazu, die physikalischen Abhandlungen von James Clerk Maxwell zu lesen, und händigte ihm auch gleich ein englische Grammatik aus, denn damals konnte Boltzmann noch kein Wort Englisch. Der junge Mann lernte rasch. Bereits seine zweite Arbeit, Über 30

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Boltzmann wirbt und überzeugt

die mechanische Bedeutung des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, war bahnbrechend. Hier trat ein Physiker auf den Plan, der Maxwells Untersuchungen zu Elektromagnetismus und Thermodynamik verstehen und weiterführen konnte. Mit 25 wurde Boltzmann als Ordinarius für mathematische Physik nach Graz berufen. 1875 ging er als Professor für Mathematik nach Wien, doch blieb er dort nur drei Jahre; dann übernahm er die Lehrkanzel für Experimentalphysik in Graz, für die sich übrigens auch Mach beworben hatte. Offenbar verachtete Boltzmann Experimente nicht wirklich; doch darüber hinaus gab es für ihn noch einen weiterer Grund, nach Graz zurückzukehren. Bereits bei seinem früheren Grazer Aufenthalt hatte er nämlich Henriette von Aigentler kennengelernt, die sich lebhaft für Mathematik und Physik interessierte. Boltzmann bewirkte, dass sie Vorlesungen an der Universität besuchen durfte. Sein Einsatz war nicht ganz selbstlos: Im Jahr 1875 suchte er schriftlich um Henriettes Hand an. Er schrieb ihr: „So wenig ich glaube, dass die kalten und unerbittlichen Konsequenzen der exakten Naturwissenschaften irgendwie auf das Gemüt hemmend wirken sollen und können, so ziemt es doch uns Vertretern derselben, in unseren Handlungen nur besonnener Überlegung, nicht momentanen Stimmungen zu folgen.“ 31

Als Mathematikerin werden Sie Zahlen, die ja die Welt beherrschen, nicht unpoetisch finden. Ich beziehe gegenwärtig jährlich 2400 fl Gehalt. Jährlich 800 fl ist meine Aktivitätszulage. Kollegiengeld und Prüfungstaxen betrugen im Vorjahr etwa 1000 fl; diese letzte Einnahme ist jedoch nicht sicher. – Die Summe scheint zwar nicht klein und wird zur Führung des Haushalts genügen; allein sie reicht bei der enormen Teuerung nicht aus, um Ihnen viele Zerstreuungen und Vergnügungen bieten zu können.“ Boltzmanns schriftlicher Antrag wurde erhört. Aus der Ehe stammten fünf Kinder – wie bei der Familie Mach. Die nächsten fünfzehn Jahre in Graz sollten sich auch wissenschaftlich als die produktivsten von Boltzmann erweisen. Er wurde zu einem der Begründer der kinetischen Gastheorie, die einen mechanischen Zugang zur Thermodynamik liefert. Das war ein physikalischer Fortschritt ersten Ranges; philosophisch bedeutsam wurde Boltzmanns Theorie aber, weil sie bot, was Mach einer Theorie gar nicht zubilligen wollte – nämlich eine Erklärung. Laut Boltzmann bestehen Gase aus Teilchen (nämlich ein- oder mehratomigen Molekülen), die wie Billardkugeln aufeinanderprallen – umso heftiger, je höher die Temperatur – und auf die Gefäßwände einen Druck ausüben. Die Boltzmann-Gleichung beschreibt, wie sich die Verteilung von Teilchen in einem Medium ändert. Sie ist zur Grundlage der statistischen Mechanik geworden und aus der modernen Technik, etwa von Halbleitern, nicht mehr wegzudenken. Nun sind die Gasteilchen keine Billardkugeln, und außerdem „verstehen“ wir ja auch nicht wirklich, was beim Zusammenprall zweier solcher Kugeln vor sich geht. Also könnte man sich damit abfinden, dass die Gastheorie keine Erklärung liefert, sondern nur ein Bild. Aber sind die Teilchen im Gefäß nicht doch mehr als ein Bild? Und versteht man denn durch die Teilchenbewegung nicht besser, was den Druck bewirkt? Sogar die rätselhafte Entropie, die für ein geschlossenes System immer zunimmt, wurde erklärbar. Es ist die Wahrscheinlichkeit des Zustands, also die „Unordnung“ des Systems. Dass die Unordnung mit der Zeit zunimmt, verwundert ja niemanden: Wir können es in jedem Kinderzimmer erleben. Mach blieb unbeeindruckt: „Wenn sich die Molekularhypothese mit der Entropie verträgt, ist das gut für die Hypothese, nicht für den Hauptsatz über Entropie“. Der habe die Hypothese nicht nötig. In Machs Augen bestand die Aufgabe einer Theorie ausschließlich darin, beobachtbare Größen wie etwa Druck oder Temperatur miteinander zu verbinden. Boltzmanns statistischer Zugang zur Thermodynamik stellte einer Grenzüberschreitung dar. 32

Außerdem warf die neue Theorie allerhand knifflige Fragen auf. Wenn die Unordnung mit der Zeit wächst, hat die Zeit eine Richtung, ganz im Gegensatz zum Raum. Wenn beispielsweise alle Moleküle in einer Hälfte des Gefäßes sind, werden sie sich rasch auf das ganze Gefäß aufGasmoleküle suchen das Weite teilen, sobald man die Trennwand entfernt. Dass sich später wieder alle in einer Hälfte versammeln, das hat noch niemand beobachtet. So wurden gegen Boltzmanns Auffassung bald zwei schwerwiegende Bedenken erhoben, die auch heute noch keine allgemein und unbeschränkt akzeptierte Antwort gefunden haben: der Umkehr- und der Wiederkehreinwand. Der Umkehreinwand stammte von Boltzmanns väterlichem Freund und Mentor Josef Loschmidt (1821-1895): Die Gleichungen der Mechanik, die den Zusammenprall der Billardkugeln beschreiben, zeichnen keine Zeitrichtung aus, lassen also grundsätzlich zu, dass die Zeit rückwärts abläuft wie in einem verkehrt abgespulten Film. Wie kommt dann die Zeit zu ihrem Pfeil? Der Wiederkehreinwand stammt vom deutschen Mathematiker Ernst Zermelo (1871-1953). Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit muss sich jeder Zustand, der einmal angenommen wird, im Lauf der Zeit wiederholen. Daher müssen die Teilchen irgendwann wieder in ihre Hälfte zurück. Bloß tun sie es nicht! Solch knifflige Fragen können selbst das ruhigste Naturell erschüttern – und ruhig war Boltzmann keineswegs. PROFESSOR UNRAST Boltzmann hatte Zeit seines Lebens unter extremen Gemütsschwankungen zu leiden; er führte das scherzhaft auf die Tatsache zurück, dass er in der Nacht zum Aschermittwoch zur Welt gekommen war, also zwischen Fasching und Fastenzeit. – Mit zunehmendem Alter steigerte sich seine Unrast immer mehr. Sein nervlicher Zustand wurde besorgniserregend. Er nahm eine Professur in Berlin an, nur um sie gleich darauf niederzulegen, und wenig später erneut sein Interesse daran zu bekunden. 1890 folgte er einem Ruf nach München, kurz darauf einem nach Wien. Im Jahr 1900 übernahm er nach langem Zögern eine Lehrkanzel in Leipzig. 1902 ging es wieder zurück nach Wien. Boltzmann wurde bei dieser Gelegenheit sein eigener Nachfolger, wie er selbst ausführte: 33

„Man pflegt die Antrittsvorlesung stets mit einem Lobeshymnus auf den Vorgänger zu eröffnen. Diese hie und da beschwerliche Aufgabe kann ich mir heute ersparen, bin ich doch gegenwärtig mein eigener Vorgänger.“ Die Obrigkeit sah Boltzmanns „job hopping“ nicht ganz so heiter. Dieses Mal hatte Boltzmann dem Kaiser Franz Josef ehrenwörtlich versprechen müssen, keinen Ruf außerhalb Wiens mehr anzunehmen. Mit dem Übersiedeln war es vorbei. Aber Boltzmanns Reiselust blieb ungebrochen; unter anderem besuchte er Konstantinopel, Smyrna, Algier und Lissabon, und dreimal die USA. Über seinen Aufenthalt an der neugegründeten Stanford University verfasste einen launigen Bericht, Die Reise eines deutschen Professors nach El Dorado. Weltweit war Boltzmann nun als führender theoretischer Physiker anerkannt, die Ehrendoktorate häuften sich. Zwei seiner Grazer Mitarbeiter, nämlich Walther Nernst (1864-1941) und Svante Arrhenius (1859-1927), sollten später den Nobelpreis erhalten. Zu seinen Wiener Schülern zählten die fesselnde Lise Meitner (1878-1968), die später Mitentdeckerin der Uranspaltung wurde, sowie die Theoretiker Paul Ehrenfest (1880-1933) und Philipp Frank (1884-1966). DIE GROSSE DEBATTE Die Wege von Mach und Boltzmann haben sich oft gekreuzt. Obwohl der eine Experimentator war und der andere Theoretiker, kam es unausweichlich zu Rivalitäten. So wurde 1874 Ernst Mach in die Österreichische Akademie gewählt, aber nicht Ludwig Boltzmann, der auch zur Wahl gestanden war; wogegen 1894 Boltzmann die Lehrkanzel für Physik an der Universität Wien erhielt, und nicht Mach, der auch sein Interesse angemeldet hatte. Die beiden Physiker schätzten einander hoch, doch ihr höflich-kollegiales Verhältnis konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie meist unterschiedlicher Ansicht waren. Das trat besonders in ihrer berühmten Debatte über die Realität der Atome hervor. Gibt es Atome wirklich oder sind es nur geistige Hilfsmittel, so etwa wie der Begriff eines Punkts? Die Kontroverse polarisierte die Welt der Physik und Chemie. Nobelpreisträger wie Wilhelm Ostwald (aufseiten Machs) oder Max Planck (aufseiten Boltzmanns) schalteten sich ein. Karl Popper sollte später schreiben: „Boltzmann und Mach hatten beide eine große Anhängerschaft unter den Physikern, und sie waren in einen fast tödlichen Kampf verstrickt. Es war ein Kampf über das Forschungsprogramm der Physik.“ 34

„Ein fast tödlicher Kampf“ ist gewiss übertrieben. Doch hitzig war die Debatte allemal. Boltzmann brauchte Atome für seine Thermodynamik, und schrieb ein leidenschaftliches Plädoyer Über die Unentbehrlichkeit der Atomistik in der Naturwissenschaft. Da aber Atome nicht direkt wahrnehmbar sind, fasste Ernst Mach sie als Modelle auf, als geistige Konstrukte, nicht viel anders als das Ding an sich. Wenn die Rede auf Atome kam, pflegte Mach zu fragen: „Ham’s schon mal eins g’sehn?“. Heute erlaubt es die Nanotechnologie, Atome in gewisser Hinsicht tatsächlich zu „sehen“; in dieser Hinsicht ist die Debatte längst entschieden. Aber im Kern drehte sie sich nicht um eine physikalische, sondern um eine philosophische Angelegenheit, und die ist noch keineswegs überholt. Bei der Streitfrage, ob es Atome gibt, ging es weniger um die Atome, als vielmehr um den Sinn von „es gibt“. BOLTZMANNS „NATURFILOSOFI“ Als klar wurde, dass Mach nach seinem Schlaganfall keine Vorlesungen mehr halten konnte, begann eine großangelegte Suche nach einem Nachfolger. Sie gestaltete sich als sehr schwierig. Daher übernahm im Jahr 1903 Boltzmann zwar nicht die Lehrkanzel, aber doch die Vorlesung von Ernst Mach. Angesichts der offen ausgetragenen Differenzen zwischen den beiden mochte man darin eine gewisse Ironie erblicken. Doch begründete der Schritt jene Tradition, die den Wiener Kreis erst möglich machen sollte: Boltzmann war nun schon der zweite Physiker, der an der Wiener Universität über Philosophie vortrug. Boltzmanns Antrittsvorlesung im Oktober 1903 wurde ein gewaltiger Erfolg. Die Zeitungen berichteten, dass der Andrang lebensgefährlich war und das Publikum bis hinaus auf die Straße stand. Selbst der alte Kaiser Franz Josef wurde daraufhin neugierig und lud Boltzmann zu einer Privataudienz ein. In den einführenden Worten seiner Antrittsvorlesung kam Boltzmann sogleich auf seinen Vorgänger zu sprechen – und nicht bloß, weil das so Gepflogenheit war. Boltzmann hielt sich nicht lange mit Artigkeiten auf („Mach besonders zu loben, hieße Eulen nach Athen tragen“), bevor er zur Sache schritt: „Und so glaube ich, Professor Mach am besten zu ehren, wenn ich zur Weiterentwicklung seiner Ideen das meinige beitrage.“ Um zu begründen, warum er Machs Philosophie-Vorlesung übernommen hatte, kam Boltzmann sofort auf die Atomdebatte zu sprechen: 35

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„Ich habe bisher nur eine einzige Abhandlung philosophischen Inhalts geschrieben, und wurde hierzu durch einen Zufall veranlasst. Ich debattierte einmal im Sitzungssaal der Akademie auf das lebhafteste über den unter den Physikern gerade wieder akut gewordenen Streit über den Wert atomistischer Theorien mit einer Gruppe von Akademikern, unter denen sich Hofrat Professor Mach befand. – In jener Gruppe von Akademikern sagte Mach plötzlich lakonisch: ‚Ich glaube nicht, dass Atome existieren‘. Dieser Ausspruch ging mir im Kopf herum.“

Boltzmann übernimmt Machs Philosophievorlesung (gezeichnet von Karl Przibram)

In der Frage der Atome mochten die beiden Physiker verschiedener Meinung sein, aber in ihrer Ablehnung der Metaphysik gaben sie einander nichts nach. „Bin ich nur mit Zögern dem Rufe gefolgt, mich in die Philosophie hineinzumischen, so mischten sich desto öfter Philosophen in die Naturwissenschaften hinein. Bereits vor langer Zeit kamen sie mir ins Gehege. Ich verstand nicht einmal, was sie meinten, und wollte mich daher über die Grundlehren aller Philosophie besser informieren.“ Boltzmann Waffe war die Keule, nicht das Florett: „Um gleich aus den tiefsten Tiefen zu schöpfen, griff ich zu Hegel; aber welch unklaren, gedankenlosen Wortschwall sollte ich da finden! Mein Unstern führte mich von Hegel zu Schopenhauer…“ Schopenhauer war damals in Wien höchst populär. Boltzmann griff ihn frontal an und machte Furore. Doch als er sich im Laufe des Semesters den Grundlagen der Mathematik zuwandte, kostete ihn das viele Hörer. „Meine Philosophievorlesungen“, schrieb er später, „hatten nicht den erhofften Erfolg. Ich sprach über Mengenlehre, nichteuklidische Geometrie, und Ähnliches. Das war meinen Hörern zu mathematisch, und viele schieden aus.“ Boltzmann sah keine Alternative: „Was dem Menschen das Gehirn, ist der Wissenschaft die Mathematik.“ 36

Warum aber die Mathematik für die Physik so nützlich ist, lässt sich nicht leicht verstehen. Die Richtigkeit mathematischer Sätze hängt ja nicht von Sinneseindrücken ab. Wie ist das mit Machs radikal empiristischem Standpunkt vereinbar? „Keine Gleichung“, so Boltzmanns Einwurf, „stellt irgendwelche Vorgänge absolut genau dar, jede idealisiert sie, hebt Gemeinsames heraus und sieht von Verschiedenem ab, geht also über die Erfahrung hinaus.“ Atome oder Differentialgleichungen sind abstrakte Begriffe, die „über die Erfahrung hinaus“ gehen. Das machte sie in Machs Augen suspekt. Aber Boltzmann litt nicht an derlei Skrupeln. Dazu war er viel zu pragmatisch. Auch konnte ihn Machs Auffassung von Wissenschaft als „Gedankenökonomie“ nicht überzeugen. Boltzmann veröffentlichte nur wenige philosophische Schriften, in erster Linie seine Prinzipien der Naturfilosofi (mit dem Titel machte er sich über eine damals akute Rechtschreibreform lustig). Die Mitschriften seiner Vorlesungen sind erst achtzig Jahre nach seinem Tod erschienen. Viele der Gedanken muten erstaunlich modern an, etwa sein Interesse an der Sprachanalyse oder an der Evolutionstheorie (Boltzmann wollte „der Darwin der unbelebten Materie“ werden). Mehr als ein Jahrzehnt vor Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie spekulierte Boltzmann bereits über die Möglichkeit, dass der Raum gekrümmt ist. Seine Studierenden fassten das in ein Distichon: „Tritt der gewöhnliche Mensch auf den Wurm, so wird er sich krümmen; Ludwig Boltzmann tritt auf; siehe, es krümmt sich der Raum.“ Boltzmanns Auftreten mochte auf seine Hörer majestätisch wirken; doch er rang mit der Philosophie, krümmte sich unter ihrer Last und sah die Metaphysik trotz all seiner harschen Worte über die Metaphysiker durchaus nicht als überwunden an. Er litt an ihr wie an einer Krankheit: „Die Metaphysik scheint einen unwiderstehlichen Zauber auf den Menschengeist auszuüben, der durch alle misslungenen Versuche, ihren Schleier zu heben, nicht an Macht einbüßt. Der Trieb, zu philosophieren, scheint uns unausrottbar angeboren zu sein.“ AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEM HEIL Boltzmann wusste, dass die Angewohnheit, die Dinge in Fragen zu stellen, normalerweise zwar gesund ist, aber auch zur obsessiven Beschäftigung mit Pseudo-Problemen führen kann, ähnlich wie bei einem kleinen Kind „dem der Saugtrieb so zur Gewohnheit wird, dass es später am leeren Kautschuk saugt.“ So kann beispielsweise der instinktive Drang, immer nach einer Ursache zu fragen, schließlich dazu führen, dass man nach der Ursache vom 37

Gesetz von Ursache und Wirkung sucht. Und das geht offensichtlich zu weit. Aber wer sagt uns, mit welchem Schritt wir zu weit gegangen sind? – Die Philosophie? – Schön wär’s, meint Boltzmann. „Welche Definition der Philosophie drängt sich mir mit innerem unwiderstehlichen Zwange auf? Da empfand ich stets wie einen drückenden Alp das Gefühl, dass es ein unauflösbares Rätsel sei, wie ich überhaupt existieren könne, dass eine Welt existieren könne und warum sie gerade so und nicht irgendwie anders sei. Die Wissenschaft, der es gelänge, dieses Rätsel zu lösen, schien mir die größte, die wahre Königin der Wissenschaften, und diese nannte ich Philosophie.“ Doch leider, diese Königin war im Exil. Ihre Rätsel haben keine Lösung. Und doch hören sie nicht auf, uns zu plagen: „Ich gewann immer mehr an Naturkenntnis, ich nahm die Darwinsche Lehre in mich auf und ersah daraus, dass es eigentlich verfehlt ist, so zu fragen, dass es auf diese Frage keine Antwort gibt; aber die Frage kehrte immer mit gleich zwingender Gewalt wieder. Wenn sie unberechtigt ist, warum lässt sie sich dann nicht abweisen? Daran knüpfen sich unzählige andere: Wenn es hinter den Wahrnehmungen noch etwas gibt, wie können wir auch nur zu Vermutungen davon gelangen? Wenn es nichts dahinter gibt, würde dann eine Marslandschaft wirklich nicht existieren, wenn kein belebtes Wesen je imstande ist, sie wahrzunehmen? Wenn alle diese Fragen sinnlos sind, warum können wir sie nicht abweisen, oder was müssen wir tun, damit sie endlich zum Schweigen gebracht werden?“ Das quälte Boltzmann mehr als alles andere. Nicht genug, dass es keine vernünftige Antworten gibt. Die Fragen selbst sind unvernünftig! Warum können wir dann nicht aufhören, sie uns zu stellen? „Meine gegenwärtige Lehre ist total verschieden von der, dass gewisse Fragen außerhalb der Grenzen des menschlichen Erkennens fielen. Denn nach letzterer Lehre liegt darin ein Mangel, eine Unvollkommenheit des menschlichen Erkenntnisvermögens, während ich die Existenz dieser Fragen, dieser Probleme, selbst für eine Sinnestäuschung halte. Bei oberflächlichem Nachdenken überrascht es freilich, dass, nachdem die Sinnestäuschung erkannt ist, der Drang, jene Fragen zu beantworten, nicht aufhört. Die Denkgewohnheit ist zu mächtig, als dass sie uns losließe.“ „Es geht hier geradeso wie mit den gewöhnlichen Sinnestäuschungen, die auch noch fortbestehen, nachdem ihre Ursache erkannt ist. Daher 38

Bea Laufersweiler

das Gefühl der Unsicherheit, der Mangel an Befriedigung, welcher den Naturforscher ergreift, wenn er philosophiert.“

Philosophischer Beichtvater: Franz Brentano (1838-1917)

Unsicherheit! Ein Denker, der die Kontrolle über seine Gedanken verliert, streift an den Wahnsinn. Boltzmann war nicht mehr imstande, den Grübelzwang abzuschütteln. Seine Neurasthenie nahm immerfort zu. Er schlief schlecht. Seine Kurzsichtigkeit war so extrem, dass er beim Klavierspielen drei Brillen übereinander schieben musste. Kopfschmerzen, Erschöpfungszustände, Depressionen, und eine schreckliche Unrast machten Boltzmann das Leben zur Last und das Philosophieren zur Qual.

In seiner philosophischen Not wandte sich Boltzmann an Franz Brentano (1838-1917), der einst katholischer Priester gewesen war, also ein Seelenbeistand aus Profession. Brentano war ein charismatischer Denker von prachtvollem Aussehen, die romantische Verkörperung eines Philosophen. Als Brentano heiratete, hatte er seine Stelle an der Wiener Universität niederlegen müssen, zur großen Bestürzung seiner Studenten, die ihn außerordentlich schätzten. Zu Brentanos Anhängern hatte auch ein vorwitziger junger Medizinstudent namens Sigmund Freud gezählt. In einer seiner Vorlesungen führte Brentano aus, dass es keinen Sinn mache, vom Unbewussten zu reden. Der junge Medizinstudent merkte sich das und machte sich darüber einige Gedanken. Aber wenngleich Freud die Behauptung anzweifelte, an seiner Bewunderung für den Professor änderte das nichts. Übrigens war es Brentanos freigewordene Lehrkanzel gewesen, die Ernst Mach nach ihrer Umbenennung übernommen hatte. Brentano, dessen Frau aus der Wiener Bankiersfamilie Lieben stammte, philosophierte als Privatdozent weiter; auf ein Salär war er nicht angewiesen. Doch als seine Frau starb, verließ er das glitzernde Palais Todesco auf der Ringstraße, und ließ sich an einem Hügel außerhalb von Florenz nieder. Allmählich ließ seine Sehkraft nach Boltzmann suchte philosophischen Rat bei ihm; er schrieb an Brentano: 39

„Der unwiderstehliche Drang zum Philosophieren ist wie der Brechreiz bei Migräne, der etwas auswürgen will, wo nichts ist.“ Doch trotz der Übelkeit war es Boltzmann nicht möglich, damit aufzuhören: „Die hohe, die majestätische Aufgabe der Philosophie ist es, die Dinge klar zu machen, um endlich die Menschheit von dieser schrecklichen Migräne zu heilen.“ Immer öfter musste Boltzmann Vorlesungen krankheitshalber ausfallen lassen. Auch Kuren halfen nichts. Seiner Frau schrieb er aus dem Sanatorium „Ich schlafe schlecht und bin völlig außer mir vor Traurigkeit. Wenn mich jemand abholen würde, würde ich sofort abreisen. Sie lassen mich nicht alleine fort. Bitte komm, Mama! Oder veranlasse, dass jemand kommt. Bitte hab Mitleid und frage niemanden anderen um Rat, sondern entscheide selbst. Bitte verzeih mir alles!“ Im Sommersemester 1906 musste Boltzmann alle Vorlesungen absagen. Am 5. September dieses Jahres, während eines Aufenthalts an der Adriaküste in Duino, wo später Rilke seine Elegien schreiben sollte, erhängte er sich mit einem kurzen Strick an einem Fensterkreuz. Sein alter Rivale Ernst Mach hatte ihn überlebt. In einem Nachruf, den der gelähmte Gelehrte für Die Zeit verfasste, stand: „In informierten Kreisen wusste man, dass Boltzmann wahrscheinlich nie mehr seine Professur ausüben konnte. Man sprach davon, wie notwendig es war, ihn unter medizinischer Aufsicht zu halten, denn er hatte bereits früher Selbstmordversuche unternommen.“ Und Franz Brentano schrieb an Mach über ihrer beider Nachfolger Boltzmann, der ihnen in den Tod vorausgegangen war: „Diesem wissenschaftlich hochbegabten Mann mangelte es weder an philosophischen Interessen noch an reinster Wahrheitsliebe. Und doch, zu welchen absonderlichen Spekulationen gelangte er nicht? Sie selbst wissen sicherlich viel über ihn, aber nicht so viel wie ich, wenn es stimmt, was er mir sagte, dass ich das erste menschliche Wesen sei, das die Geduld gehabt hätte, ihn zu Ende zu hören.“ ABGANG MIT CHARON Alt, gelähmt, und zunehmend schwerhörig, überlebte Ernst Mach seinen jüngeren Rivalen um zehn Jahre. Das letzte große Werk, das noch zu Machs Lebzeiten erschien, hieß Erkenntnis und Irrtum. Es basierte auf Machs früheren philosophischen Vorlesungen. Mach schreibt darin, er sei „gar kein Philosoph, sondern Naturforscher“ 40

Uni Bibliothek Univ. Wien Wik imedia Co mm

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„Am Ende der Nerwenkraft angekommen“

Felsküste bei Duino

und seine Absicht sei „nicht etwa eine neue Philosophie einzuführen, sondern eine alte abgestandene aus derselben zu entfernen“. Dieselbe hygienische Absicht wird später von Wittgenstein und dem Wiener Kreis immer wieder geäußert. Und es klingt wie ein Vorgriff auf Karl Popper und die evolutionäre Erkenntnistheorie, wenn Mach schreibt: „Der Naturforscher kann zufrieden sein, wenn er die bewusste psychische Tätigkeit des Forschers als eine methodisch geklärte, verschärfte und verfeinerte Abart der instinktiven Tätigkeit der Tiere und Menschen wiedererkennt, die im Natur- und Kulturleben täglich geübt wird.“ 41

Deutsches Museum München

Ernst Mach: Notizen mit der linken Hand

Vielleicht sind die Naturwissenschaftler weiser als die Philosophen, denn sie wissen, wann es nicht mehr weiter geht. „Die Wissenschaft ist fast mehr durch das gewachsen, was sie zu ignorieren verstand, als durch das, was sie berücksichtigt hat.“ In seinen Notizbüchern, die er nunmehr mit der linken Hand schreiben musste, hielt er immer wieder seine Grundgedanken fest: „Das Ziel der Naturwissenschaft: Die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander.“ „Das Ich ändert sich. Es verändert und erweitert, verengt sich. Es ist überhaupt nicht immer da. Und nicht in den unglücklichsten Momenten.“ „Empfindungen sind die gemeinsamen Elemente aller möglichen physischen und psychischen Erlebnisse. Eine Reihe von störenden Scheinproblemen fällt hiermit weg.“ Das Wort „Scheinproblem“ sollte später von den Denkern des Wiener Kreises gern verwendet werden. Es klingt fast wie Carnap, wenn Mach notiert: 42

„Ausschalten von Scheinproblemen. – Verzicht auf Unsinn ist keine Resignation.“ Sein Gebrechen ertrug Ernst Mach, der Philosoph des „unrettbaren Ich“, mit heiterer, fast buddhistischer Abgeklärtheit. Ein Besucher schrieb: „Ich stand einem Heiligen gegenüber, der die letzten Reste der Erdenschwere überwunden hatte und aus dessen Augen die unbeirrbare Güte des Allesverstehenden strahlte.“ Auch der amerikanische Psychologe William James (1842-1910), der Begründer des philosophischen Pragmatismus, war von seiner Begegnung mit Mach begeistert: „Ich glaube nicht, dass mir je irgendwer einen so starken Eindruck reinen Genies vermittelt hat.“ Im Jahr 1913 zog Ernst Mach zu seinem Sohn nach München. Als er der Österreichischen Akademie der Wissenschaften seine Adressänderung bekannt gab, schloss er mit den Worten: „Charon, der alte Schalk, wird mich bald an einen Ort bringen, der noch keine Adresse beim Weltpostverein hat.“

Archiv Oe Akad. Wiss

1916 verstarb Ernst Mach im Alter von 78 Jahren. In seinem Nachruf pries Einstein die „grandiose Einseitigkeit“ Machs und fügte hinzu, dass „diejenigen, welche sich für Gegner Machs halten, kaum wissen, wieviel von Machscher Betrachtungsweise sie sozusagen mit der Muttermilch eingesogen haben.“

Archiv Oe Akad. Wiss

Ein Weltweiser meldet sich ab

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DRITTES KAPITEL

Der Wiener Kreis dreht eine Proberunde 1906-1914: Junge Fans von Mach und Boltzmann gründen ein Science Café. Auf der Tagesordnung: Einstein, Russell, Hilbert. Alt-Wien entdeckt Moderne, nennt sich Jung-Wien. Freud, Schnitzler, Klimt schauen zuunterst nach. Bekannter Schriftsteller warnt: Wir stehen in der Luft. Geheimdienst assistiert eigenem Spionageoberst beim Suizid.

DER WALZER DER ZIRKEL Um 1910 herum belebten unzählige Gesprächszirkel die Salons und Kaffeehäuser Wiens. Manche sollten bestimmenden Einfluss auf die Moderne des zwanzigsten Jahrhunderts ausüben. Kunst, Wissenschaft und Gesellschaftsreform entfachten erregte Debatten und erhitzten die nervösen Gemüter. Es scharten sich Kreise um Sigmund Freud, um Karl Kraus, um Gustav Klimt, um Victor Adler oder Arthur Schnitzler. Man diskutierte künstlerische, sozialpolitische und wissenschaftliche Themen: Fragen der Schulreform, des modernen Dramas, der Stadtplanung, der Frauenemanzipation, des Zionismus oder der Kunstgeschichte. Zwischen den Gruppen herrschte ein lebhafter gedanklicher und personeller Austausch. Besonders häufig waren philosophische Zirkel. Dazu gehörte etwa der Sokratiker-Kreis, der sich um jenen Heinrich Gomperz bildete, der den Anstoß für die Berufung Ernst Machs nach Wien gegeben hatte. In diesem Kreis spielten die Mitglieder mit verteilten Rollen die platonischen Dialoge durch. – Andere Kreise befassten sich mit Kant, Kierkegaard oder Tolstoi. Viele dieser Diskussionszirkel waren Ableger der rührigen Philosophischen Gesellschaft an der Universität Wien. Diese Gesellschaft hatten Schüler von Franz Brentano gegründet, als Reaktion auf dessen erzwungenen Rücktritt als Professor. Brentano selbst hielt den Eröffnungsvortrag und gab gleich die Linie vor, nämlich „weg von der traditionellen deutschen Schulphilosophie!“. Letztere bezeichnete er ohne weitere Umschweife als pathologisch. 44 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_3

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Heinrich Gomperz sitzt Egon Schiele Modell

Universität Wien um 1910

Eine tiefsitzende Aversion gegen die Systeme der deutschen Idealisten im Kielwasser Kants zog sich wie ein roter Faden durch die österreichische Philosophie. Schon lange vor Brentano schrieb der Mathematiker und Philosoph Bernhard Bolzano (1781-1848), der übrigens ebenfalls Priester gewesen war, und der ebenfalls seinen Lehrstuhl hatte aufgeben müssen: „Deutsche! Wann werdet ihr von einer Verirrung, welche euch euren Nachbarn nur ungenießbar und lächerlich macht, endlich zurückkehren?“ Ungenießbar. – Boltzmann stieß in dasselbe Horn, wenn er vor der Philosophischen Gesellschaft auftrat. So begann er seinen Vortrag Über eine These Schopenhauers mit dem angriffslustigen Hinweis, dass er ihn ursprünglich anders betiteln wollte, nämlich Beweis, dass Schopenhauer ein geistloser, unwissender, Unsinn schmierender, die Köpfe durch hohlen Wortkram von Grund auf und auf immer degenerierender Philosophaster sei. Damit gab er Schopenhauer etwas von dessen eigener Arznei zu kosten: denn Schopenhauer hatte eben diese Worte verwendet, um die Schriften Hegels anzugreifen. Nicht dass Boltzmann auch nur einen Deut für Friedrich Hegel übrig hatte. 45

DER URKREIS Unter den Gelehrten, die sich in der Philosophische Gesellschaft scharten, befanden sich einige junge Wissenschaftler, die sich gern in diversen Kaffeehäusern Wiens zum Gedankenaustausch versammelten. Um 1910 war dieser Zirkel nur einer unter vielen. Im Nachhinein aber erkennt man, dass diese kurzlebige Gruppe das Bindeglied war zwischen Mach und Boltzmann einerseits, und dem Wiener Kreis andrerseits. Damals hätte das niemand ahnen können. Denn diese jungen Leute waren aufstrebende Wissenschaftler, wollten in ihren Fächern Karriere machen, und sahen sich keineswegs als Erben einer philosophischen Tradition, geschweige denn als Philosophen. Aber sie waren in der Stadt von Mach und Boltzmann aufgewachsen, und das sollte sie lebenslang prägen. Boltzmann und Mach. – Obwohl Mach das Musterbild eines Weisen war und Boltzmann das genaue Gegenteil, beeinflussten sie im gleichen Maß die kleine Clique von jugendlichen Denkern. „Seltsam genug, aber in Wien waren alle Physiker Anhänger von Mach und Boltzmann. Es war nicht so, dass man wegen Mach irgendeine Abneigung gegen Boltzmanns Atomtheorie hatte.“

„Ich gehörte zu einer Gruppe von Studenten, die sich jeden Donnerstag abend in einem der alten Wiener Kaffeehäuser traf. Wir blieben bis Mitternacht und noch länger und diskutierten Probleme der Wissenschaft und Philosophie. Unsere Interessen waren weit gestreut, aber wir kehrten immer wieder zu unserem Hauptproblem zurück: Wie können wir die traditionelle Vieldeutigkeit und Unverständlichkeit der Philosophie vermeiden? Wie können wir die größtmögliche Wiederannäherung von Philosophie und Wissenschaft herbeiführen? Unter ‚Wissenschaft‘ verstanden wir nicht nur die Naturwissenschaft, sondern immer auch die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften. Die aktivsten Mitglieder unserer Gruppe, die auch 46

Sammlung Gerald Holton

Das schrieb Philipp Frank (1884-1966), der seine Dissertation unter eben jenem Ludwig Boltzmann begonnen hatte und sie erst nach dessen Freitod abschließen konnte. Ein halbes Jahrhundert später beschrieb Frank diesen ersten Wiener Kreis, der manchmal als der „Urkreis“ bezeichnet wird:

Der junge Philipp Frank

am regelmäßigsten teilnahmen, waren außer mir der Mathematiker Hans Hahn und der Nationalökonom Otto Neurath.“ Jahrzehnte später sollten Hahn und Neurath die Gründungsväter des Wiener Kreises werden. Sie werden also in dieser Geschichte Hauptrollen übernehmen. Aber vorderhand waren sie bloß Nachwuchswissenschaftler mit einem Hang für die Philosophie. Hans Hahn (1879-1934) war der Sohn eines Wiener Hofrats. Er hatte in Wien studiert und in Göttingen, dem Mekka der Mathematik, als postdoc ein paar Semester verbracht, ebenso wie Philipp Frank. Otto Neurath (18821945) war der Sohn eines Wiener Professors. Den Großteil seiner wirtschaftsund gesellschaftswissenschaftlichen Studien hatte er in Berlin absolviert. Er war es, der dafür sorgte, dass der Urkreis die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften nie aus dem Gesichtskreis verlor. Neurath und Hahn waren in Wien in dieselbe Schule gegangen. Otto, der immer ein Auge für das schöne Geschlecht hatte, konnte Hahns Schwester Olga (1882-1937) nicht übersehen, ein kluges Mädchen, das sich in den Kopf gesetzt hatte, eine der ersten Mathematikstudentinnen Wiens zu werden. Ottos Zuneigung war mehr als nur ein Flirt. Als Olga mit 22 Jahren erblindete, und in einen Abgrund schwärzester Depression versank, übernahm es Otto, sie wieder empor zu stimmen. Er organisierte für sie mathematische Privatstunden und ermöglichte ihr so das Doktorat. Über diesen ersten Wiener Kreis ist nur wenig bekannt; vermutlich gehörte auch Richard von Mises (1883-1953) dazu, der Maschinenbau an der technischen Hochschule in Wien studierte. Der junge Mann strotzte vor Selbstbewusstsein. In einem Gutachten über seine Doktorarbeit hieß es: „Die im Stile einer Offenbarung verfasste Abhandlung ist eine unbescheidene Zumutung an den Berichterstatter.“ Bescheidenheit hin oder her – die jungen Leute aus dem sogenannten Urkreis waren alle darauf aus, sich in ihren Fächern einen Namen zu machen; daneben teilten sie das Interesse an den gemeinsamen Grundlagen wissenschaftlicher Erkenntnis, und studierten alles, was die Philosophie dazu beitragen konnte. Außerdem waren sie sämtlich jüdischer Herkunft. Sie mussten daher des wachsenden Antisemitismus in Wien gewahr sein, der Sigmund Freud, Stefan Zweig und Arthur Schnitzler bis in ihre Träume hinein verfolgte und den Schriftsteller Theodor Herzl (1860-1904) zum Zionisten machte. Es waren durchaus nicht nur Juden, die den zunehmenden Rassismus beklagten. „Werden sich diese Zustände unter einem künftigen Kaiser ändern?“ fragte sich der alte und nun schon fast blinde Brentano in einem Brief an den alten und fast 47

tauben Mach. Nichts macht es wahrscheinlich, fügte er hinzu, wenn nicht etwa die Tatsache, dass Österreich das Reich der Unwahrscheinlichkeiten ist. Alle Mitglieder des Urkreises gehörten auch zur Philosophischen Gesellschaft der Universität Wien: Hans Hahn seit 1901, Philipp Frank seit 1903, Otto Neurath seit 1906 und Olga Hahn seit 1908. Die jungen Denker des Urkreises nahmen mit Feuereifer am anti-metaphysischen Kreuzzug der Philosophischen Gesellschaft teil. Zwar waren sie keine Berufsphilosophen, aber das störte niemanden. Auch als Kaffeehausphilosophen waren sie in der Wiener Philosophischen Gesellschaft hochwillkommen. Sie konnten dort Vorträge halten oder an Diskussionen teilnehmen, wann immer ihnen danach zumute war. Die Gesellschaft wurde so zu ihrem zweiten Zuhause – oder besser, zu ihrem dritten, denn das zweite war ja doch das Kaffeehaus. Die kleine Gruppe um Hahn, Neurath und Frank zerstreute sich bald in alle vier Winde. Ihr Urkreis war nur eine Randerscheinung der Wiener Moderne gewesen. Der kleine Zirkel wäre heute vergessen, wenn er nicht zwanzig Jahre später wieder auferstanden wäre. ALBERT EINSTEIN

„Die letzten Grundlagen unserer Naturerkenntnis erfahren durch Einstein eine viel tiefer gehende Umgestaltung als durch Kopernikus. […] Der Führer, der einen gangbaren Weg zu diesen Gipfeln zeigte, ist Albert Einstein. Er reinigte durch eine erstaunlich scharfsinnige Analyse die fundamentalsten Begriffe der Naturwissenschaft von Vorurteilen, die durch all die Jahrhunderte unbemerkt geblieben waren.“ (Moritz Schlick)

Foto: Schmutzer, Oe Nationalbibliothek

Von den Diskussionen, die den Urkreis bis spät in die Nacht an die Kaffeehaustische fesselte, fehlt jedes schriftliche Zeugnis. Nicht einmal das Kaffeehaus ist mit Bestimmtheit bekannt. Aber die Tagesordnung lässt sich leicht

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erraten. Sie lautete: Heinrich Hertz, Henri Poincaré, David Hilbert, Bertrand Russell. In den Jahren um und nach 1900 entwickelte sich die Wissenschaftstheorie in einem atemberaubenden Tempo. Und außerdem gab es da noch diesen jungen Mann aus Bern, der gerade die Physik auf den Kopf stellte – Albert Einstein. Einstein (1879-1955) hatte in seinem annum mirabilis 1905 dafür gesorgt, dass die Streitfrage, die Mach und Boltzmann entzweit hatte – ob die Atome nun existieren oder nicht – fortan kein Diskussionsthema mehr war. Sehen konnte man die Atome zwar noch immer nicht, aber ernsthaft bezweifeln ließen sie sich kaum mehr. Dazu hatte Albert Einstein keine neuen Geräte benutzt. Er hatte nur nachgedacht – und zwar über die altbekannte Brownsche Bewegung. Robert Brown (1773-1858) war ein schottischer Botaniker gewesen, dem 1827 beim Mikroskopieren aufgefallen war, dass kleine Teilchen, die in Flüssigkeiten oder Gasen schweben, unregelmäßige Zitterbewegungen durchführen – fast so als seien sie belebt. Das waren sie aber nicht. Brown veröffentlichte seine Beobachtungen, aber konnte sich keinen Reim darauf machen. Einstein vermutete, dass die Bewegung der kleinen Teilchen durch unablässige Zusammenstöße mit den noch viel kleineren Atomen oder Molekülen der umgebenden Flüssigkeit, oder des Gases, verursacht werden. – Es gelang ihm, aus den Irrfahrten der im Mikroskop sichtbaren Teilchen präzise Aussagen über die Größe und Geschwindigkeit der unsichtbaren Atome herzuleiten; das genügte, um sich ein Bild von ihnen zu machen. Die anschließenden Experimente des französischen Physikers Jean-Baptiste Perrin (1870-1942) ließen keine Zweifel mehr zu. Damit war die Debatte zwischen Mach und Boltzmann so gut wie entschieden. Mach leistete zwar noch hinhaltenden Widerstand, aber das Wort „Atomhypothese“ wurde bald nur mehr von Wissenschaftshistorikern gebraucht. Im Jahr nachdem Einstein die Brownsche Bewegung erklärt hatte starb Ludwig Boltzmann. Ob er je erfuhr, dass sein Glaube an die Atome nunmehr bestätigt war, scheint ungewiss. Ironie der Wissenschaftsgeschichte: Ein Wiener Physiker namens Marian Smoluchowski (1872-1917), der eine Stelle an der Universität von Lemberg angenommen hatte (später Lwow in Polen, heute Lviv in der Ukraine), war unabhängig von Einstein zu denselben Schlüssen gekommen. In seinen letzten Jahren hatte Boltzmann mehr Zeit in der Philosophischen Gesellschaft als in Physikseminaren verbracht. Er spürte, dass die Hochblüte der klassischen Physik vorüber war. Elektronen, Röntgenstrahlen, und insbesondere die rätselhafte Radioaktivität kündigten eine Umwälzung an. Sie sollte Einsteins Revolution werden, mehr als die jedes anderen. 49

Albert Einstein war etwa im gleichen Alter wie die jungen Wissenschaftler des Urkreises – ein eigenwilliger junger Mann, der aus seinem Münchner Gymnasium vor dem Abitur freiwillig ausgeschieden war, und der sowohl seine deutsche Staatsbürgerschaft als auch seine jüdische Religion aufgegeben hatte. Im Jahr 1900 erwarb er am Polytechnikum in Zürich, der heutigen ETH, ein Diplom als Fachlehrer für Mathematik und Physik. Er gab Privatunterricht, mit mäßigem Erfolg: „Ich wollte einen Hauslehrer und keinen Sokrates“, soll ein entnervter Kunde gesagt haben bevor er Einstein den Laufpass gab. Schließlich erhielt der arbeitslose junge Physiker über Vermittlung eines Freunds eine Anstellung als technischer Experte dritter Klasse beim Patentamt in Bern. Dort explodierte sein Genie im Jahr 1905. In kurzer Folge veröffentlichte er bahnbrechende Arbeiten, nicht nur über die Brownsche Bewegung, sondern auch über die Relativitätstheorie und über die verstörend verrückte Idee, dass Licht aus Teilchen bestand. Einstein selbst hielt diesen Gedanken für den revolutionärsten, den er je hatte. Jedermann wusste, dass Licht aus Wellen bestand. Zahllose Experimente hatten das bestätigt. Es war die krönende Theorie des neunzehnten Jahrhunderts. Einstein war sich seiner Häresie bewusst, die auf nichts gründete als auf einer vagen Analogie und einigen mathematischen Überlegungen. Deshalb schlug er am Ende seiner Arbeit, Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichts betreffenden heuristischen Gesichtspunkt, drei mögliche Versuche vor, seine Hypothese von „Lichtquanten“ zu testen. Einer der Versuche bezog sich auf den fotoelektrischen Effekt. Aus Metallplatten werden Elektronen herausgeschleudert, wenn man sie mit Licht bestrahlt – doch sonderbarerweise nur dann, wenn die Wellenlänge des Lichts klein genug ist. Das ging just aus jenen Experimenten von Heinrich Hertz hervor, mit denen die Wellennatur des Lichts endgültig bestätigt worden war. Ansonsten aber lieferten die Messungen etwas ganz anderes, als es Einstein vorhersagte. Der blieb bei seiner Theorie. Die Versuche müssten eben wiederholt werden, meinte er. Siebzehn Jahre später sollte er für seine Erklärung des fotoelektrischen Effekts den Nobelpreis bekommen. Zunächst aber stieß er damit auf blankes Unverständnis. Selbst die rasch wachsende Schar seiner Bewunderer war sich einig, dass er hier über das Ziel geschossen war. Nur sehr langsam setzte sich die Einsicht durch, dass Albert Einstein Recht gehabt hatte, und sich die Physiker nicht ein, sondern zwei Bilder von dem machen müssen, was man Licht nennt; sowohl Lichtteilchen als auch Lichtwellen sind zu seiner Beschreibung nötig. Was aber ist Licht wirklich? Erklären ließ sich diese Doppeldeutigkeit nicht. Doch war ja schon Ernst Mach der Meinung gewesen, dass Erklärung 50

nicht das Ziel einer physikalischen Theorie sei. Einstein sprach daher auch nur von einem „heuristischen Gesichtspunkt“, also einem Hilfsmittel, und hütete sich, über die „wirkliche Natur“ des Lichts zu spekulieren. Viel rascher konnte Einsteins Relativitätstheorie die Fachwelt überzeugen. Schon in früheren Zeiten hatte Galileo Galilei erkannt, dass sich die Geschwindigkeit eines Körpers nur in Bezug auf einen anderen Körper messen lässt, also relativ zu diesem Körper. Die Messung braucht ein Bezugssystem. In verschiedenen Bezugssystemen, die sich relativ zueinander bewegen, sind die Geschwindigkeiten verschieden. Das leuchtet ein: was in einem Bezugssystem ruht, bewegt sich im anderen. Doch Messungen hatten erstaunlicherweise erwiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht vom Bezugssystem abhängt, in dem sie gemessen wird. Nicht weniger erstaunlich ist es, dass die klassische Theorie des Elektromagnetismus unterscheidet, ob ein Magnet bezüglich eines elektrischen Stromleiters bewegt wird, oder der Leiter bezüglich des Magneten. Es handelte sich doch um denselben Vorgang, nur von anderer Warte aus betrachtet. Hier stimmte etwas nicht. Diese Anomalien führte Einstein zu einer Revision des Begriffs der Gleichzeitigkeit. Denn um ihre Messungen zu vergleichen, müssen Beobachter ihre Uhren synchronisieren, also Signale austauschen, und Signale brauchen Zeit. Berücksichtigte man das, so änderten sich sämtliche Gleichungen der klassischen Physik. Der „Äther“, also jene Substanz, in der sich die Lichtwellen ausbreiten, verschwand aus den Theorien – er löste sich buchstäblich in Nichts auf – und obwohl man nicht vom „absoluten Raum“ sprechen konnte, so doch von einer absoluten Geschwindigkeit, nämlich der des Lichts im leeren Raum. Als Folgerung ergab sich die berühmteste Formel der Welt, E=mc2 , die Energie E, Masse m und Lichtgeschwindigkeit c miteinander verbindet. Das alles fand Einstein ohne jegliche Apparatur heraus. Und so umwälzend seine Theorien auch schienen, so verwurzelt waren sie doch in der Wissenschaftsphilosophie ihrer Zeit, in den Gedanken von Mach, Hertz und Poincaré. Der frühverstorbene Heinrich Hertz (1857-1894), dem der Nachweis der elektromagnetischen Wellen gelungen war, hatte im Jahr seines Todes Die Prinzipien der Mechanik veröffentlicht, die ebenso bahnbrechend wirkten wie zehn Jahre davor Ernst Machs Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Hertz strich dabei die Rolle mathematischer Modelle zur Beschreibung von wissenschaftlichen Tatsachen hervor; ein anschauliches, mechanistisches Verständnis war gar nicht vonnöten – rechnen musste man können, rechnen und messen, das reichte. Noch weiter gingen die Überlegungen, die der führende französische Mathematiker Henri Poincaré (1854-1912) in seinem Buch La Science et l’Hypo51

thèse entwickelt hatte. Die Naturgesetze seien demzufolge freie Schöpfungen des menschlichen Geistes, die dazu dienen, zuverlässige Beziehungen zwischen den beobachteten Tatsachen herzustellen. Mehrere Modelle können dieselben Beobachtungen beschreiben; auf welches System man sich dabei einigt, ist Abmachungssache, also Konvention, und hängt nur davon ab, was einfacher und zweckmäßiger erscheint. Begriffe wie „Kraft“ oder „Ladung“ werden durch die Art bestimmt, wie sie gebraucht werden. Die Frage, was dahinter steckt, ist eine metaphysische Überflüssigkeit. So ist die Theorie eines absolut ruhenden Äthers durchaus mit den physikalischen Beobachtungen vereinbar, sofern man annimmt, dass sich bewegte Maßstäbe in der Bewegungsrichtung verkürzen und bewegte Uhren langsamer laufen. Die Relativitätstheorie ist allerdings weitaus eleganter und praktischer als die Äthertheorie; sie ist die Konvention, auf die man sich schließlich geeinigt hat. Es scheint wie eine Ironie der Wissenschaftsgeschichte, dass Henri Poincaré eines der besten Beispiele für seine Auffassung lieferte. Er war nahe daran, die Relativitätstheorie noch vor Einstein zu begründen, aber baut stattdessen dann doch die Äthertheorie aus – und dies, obwohl er geschrieben hatte: „Unzweifelhaft wird die Äthertheorie einmal als nutzlos verworfen werden.“ Das bewahrheitete sich fast ehe die Tinte getrocknet war. DAVID HILBERT Allen physikalischen Theorien ist gemeinsam, dass sie auf mathematischen Modellen beruhen. Aber worauf beruhen die Sätze der Mathematik? Sie sind durch streng logische Schlüsse aus Axiomen hergeleitet, also aus Sätzen, die man als gegeben ansieht. – Fragt sich nur: gegeben wodurch? Zur Zeit Euklids galten die Axiome der Geometrie als unmittelbar einsichtig, also gegeben durch die Evidenz der Anschauung. Doch die Anschauung kann auch trügerisch sein. Außerdem hatten schon die Griechen bemerkt, dass eines von Euklids Axiomen nicht unbedingt so einsichtig ist wie die anderen. Dieses Axiom, das sogenannte Parallelenaxiom, besagt, dass es in der Ebene zu jeder Geraden G und jedem nicht auf G liegendem Punkt P genau eine Gerade durch P gibt, die G nirgendwo schneidet, die also parallel zu G ist. Nun sind Geraden unendlich lang, daher nicht überschaubar; wie kann man also sicher sein, dass sie sich nicht doch irgendwo schneiden, weit jenseits unseres Gesichtskreises? Jahrtausende hindurch versuchten Geometer, auf dieses problematische Axiom zu verzichten, indem sie es aus den anderen, weit anschaulicheren Axiomen herleiten wollten. Sie hatten keinen Erfolg, und im neunzehnten Jahr52

P

G

Parallel – ja oder nein?

hundert wurde allmählich klar, dass sie keinen Erfolg haben konnten. Das Parallelenaxiom lässt sich nicht beweisen. Wenn man es durch die Behauptung ersetzt, dass jede Gerade durch den Punkt P die vorgegebene Gerade G schneidet, erhält man eine andere, nichteuklidische Geometrie. Die ist zwar verschieden von der gewohnten euklidischen Geometrie – so ist die Winkelsumme jedes Dreiecks jetzt größer als 180 Grad – , aber sie ist um nichts weniger schlüssig. Vom logischen Standpunkt aus sind beide Geometrien gleichberechtigt. Ähnliches gilt, wenn man von der Behauptung ausgeht, dass durch P mehrere Geraden gehen, die G nicht schneiden. Dann ist die Winkelsumme jedes Dreiecks kleiner. Die Geometrie ist nicht vorgegeben als eine zwingende „Form unserer Anschauung“ im Sinn von Kant. Ihre Axiome haben nichts mit Anschauung zu tun. Was man sich unter Punkten und Geraden vorstellt, ist Privatangelegenheit. Darauf kommt es in der Mathematik nicht an. Worauf es ankommt, ist vielmehr, wie sich Punkte und Geraden zueinander verhalten. Dieser Gesichtspunkt wurde besonders von David Hilbert (1862-1943) propagiert, dem führenden Mathematiker seiner Zeit. Er stammte aus Königsberg, der Stadt von Immanuel Kant. Hilbert war nicht als Wunderkind aufgefallen. Er bekannte: „Ich hab mich in der Schule nicht besonders mit Mathematik beschäftigt, denn ich wusste ja, dass ich das später tun würde.“ Und das tat er dann auch - mit souveräner Zielsicherheit: Ob in Algebra und Zahlentheorie oder in Analysis und angewandter Mathematik, überall erzielte er bahnbrechende Resultate. 1895 wurde er nach Göttingen berufen, und baute dort als Nachfolger der mathematischen Titanen Gauß und Riemann ein Institut auf, das über Jahrzehnte hinweg die Mathematik und theoretische Physik entscheidend prägte. Hilberts Grundlagen der Geometrie wurden exemplarisch für die moderne Auffassung einer mathematischen Theorie. In voller Strenge und ohne Bezug zur Anschauung begründete er die euklidische Geometrie axiomatisch. 53

Archiv Oe Akad. Wiss

„Nachdem manche Vorarbeit geleistet war, hat David Hilbert es unternommen, die Geometrie auf einem Fundamente aufzubauen, dessen absolute Sicherheit nirgends durch Berufung auf die Anschauung gefährdet ist.“ (Moritz Schlick)

Die Grundbegriffe wurden nicht festgelegt, sondern nur ihre wechselseitigen Beziehungen. Euklids Axiom „Ein Punkt ist, was keine Ausdehnung hat“ wird demgemäß überflüssig; nicht so aber das Axiom „Je zwei Punkte liegen auf einer Geraden“. Die Frage, was Punkte und Geraden eigentlich sind, hat ebenso wenig Sinn wie die Frage, was Schachfiguren eigentlich sind: Worauf es ankommt, sind die Regeln, die sie verknüpfen. Hilberts markiger Ausspruch, „statt Punkt, Gerade, Ebene können wir ebenso gut Tisch, Stuhl, Bierglas sagen“, wurde in mathematischen Gesprächsrunden zum geflügelten Wort. In der Physik lief es nicht viel anders; das Ideal einer physikalischen Theorie eifert dem geometrischen Vorbild nach. An die Stelle der Axiome treten jetzt möglichst wenige, möglichst einfache Grundgesetze, die gewisse Begriffe verbinden. Aus ihnen lassen sich durch logische Schlüsse Folgerungen ziehen. Doch im Unterschied zur Mathematik will die Physik etwas über die Wirklichkeit aussagen. Daher müssen die Begriffe mit messbaren Größen zusammenhängen, und die Folgerungen müssen durch Beobachtungen überprüft werden können. So tritt neben die mathematische Geometrie auch eine physikalische, die etwas aussagt über den „real existierenden Raum“, also etwa über die Ecken, Kanten, und Flächen von starren Körpern. Man kann beispielsweise Dreiecke aus Metallstäben bauen und ihre Winkelsumme messen. Sollte sich herausstellen, dass diese Summe von 180 Grad abweicht, dann bleiben allerdings zwei Möglichkeiten offen: Unser Raum ist nicht euklidisch – oder unsere Metallstäbe entsprechen keinen Geraden. Insofern bleibt es reine Abmachungs54

Cambridge Univ. Archive

„Die Methode seines [Bertrand Russells] Philosophierens kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Es ist nach meiner festen Überzeugung die Methode der Zukunft, die einzige Methode, durch welche das Leibnizsche Ideal verwirklicht werden kann, die Strenge der Mathematik (Russell ist bekanntlich Mathematiker) in die Behandlung philosophischer Fragen einzuführen.“ (Moritz Schlick)

sache, wofür man sich entscheidet. Wieder läuft es hinaus auf die Frage nach der zweckmäßigeren Konvention, also der günstigeren Vereinbarung. Wie lässt sich die Physik nun aber in diesem Sinn axiomatisch aufbauen? Oder die Wahrscheinlichkeitslehre? Das waren zwei der Fragen, mit denen Hilbert die mathematische Welt herausforderte. Auf dem Internationalen Kongress der Mathematiker in Paris, der im Jahr 1900 stattfand, stellte Hilbert eine Liste von insgesamt 23 Problemen vor, deren Lösung er vom heranbrechenden Jahrhundert erhoffte; von diesen Problemen sind manche noch immer ungelöst. BERTRAND RUSSELL Die Mathematik hatte im 19. Jahrhundert eine gnadenlose Disziplinierung erfahren. Dieser neuen Strenge wurde nicht nur die Anschaulichkeit geopfert: Das logische Schlussfolgern selbst kam an die Kandare. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass die aristotelische Logik nicht ausreichte für die Bedürfnisse der Mathematiker. So arbeiteten der Brite George Boole (1815-1864), der Deutsche Richard Dedekind (1831-1916) und der Italiener Giuseppe Peano (1858-1932) eine symbolische Logik aus, um darin auch die kompliziertesten mathematischen Beweise zu formalisieren. Derjenige, der es darin am weitesten brachte, war der Logiker Gottlob Frege (1848-1925) mit seiner Begriffsschrift. Auch der junge Bertrand Russell (1872-1970) hatte es sich zum Ziel gesetzt, die Mathematik auf der Logik zu begründen, und die Logik durch formale Kalküle zu mathematisieren. 55

Russell entdeckt seinParadox: eine Szene aus Logicomix (von A. Doxiadis und C.Papadimitriou)

Russell entstammte einer britischen Aristokratenfamilie; sein Großvater war zweimal Premierminister gewesen. Der kleine Bertie wuchs als Vollwaise bei seiner streng religiösen Großmutter auf, und wurde privat unterrichtet. Dann studierte er Mathematik in Cambridge. Lange plagten ihn Ängste vor einer erblichen Geisteskrankheit – es hatte solche Fälle in seiner Familie gegeben. Die Rettung vor Selbstmordgedanken fand er in den Gewissheiten der Mathematik. Doch um 1902 entdeckte Bertrand Russell ein Paradox, das eben diese Gewissheiten in Frage stellte – und zwar ausgerechnet in der Mengenlehre, auf der alle mathematischen Theorien beruhen. Mengen sind Zusammenfassungen von Elementen. Diese Elemente können ihrerseits wieder Mengen sein (so wie ein Ordner seinerseits Ordner enthalten kann). Manche Mengen enthalten sich selbst als Element (etwa die Menge aller Mengen, die in weniger als hundert Buchstaben definiert werden; sie wird durch weniger als hundert Buchstaben definiert), manche Mengen enthalten sich nicht (etwa die Menge aller Katzen: sie ist keine Katze). Wie steht es nun mit der Menge X aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten? Enthält X sich selbst? Wenn ja, dann nein; und wenn nicht, dann doch. Denn wenn sich X nicht selbst enthält, dann ist X ja gemäß der Definition von 56

X eines der Elemente von X, enthält also sich selbst; und wenn umgekehrt X sich selbst enthält, dann ist es kein Element von X, enthält sich selbst also nicht. Hier ein ähnliches Paradox, das vom deutschen Philosophen Kurt Grelling (1886-1942) stammt – einem Berliner, der mit dem Wiener Kreis eng verbunden war und der in Auschwitz ermordet wurde. Ein Wort heißt selbstbezüglich, wenn es auf sich selbst zutrifft. So ist das Wort „kurz“ selbstbezüglich, denn es ist kurz. Das Wort „lang“ ist dagegen unselbstbezüglich. Das Wort „dreisilbig“ ist selbstbezüglich, denn es hat drei Silben. Das Wort „viersilbig“ ist unselbstbezüglich, denn es hat nicht vier Silben. Ist das Wort „unselbstbezüglich“ selbstbezüglich? Wenn ja, dann nein; und wenn nicht, dann doch. Russell selbst illustrierte sein Paradox mit dem Beispiel eines Barbiers, der alle Männer im Dorf rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert er sich selbst? Wenn ja, dann nein; und wenn nicht, dann doch. Als Bertrand Russell sein Paradox dem Logiker Frege mitteilte, war dieser wie vom Donner gerührt: Sein ganzes Gedankengebäude geriet ins Wanken. Der zweite Band von Gottlob Freges Grundgesetzen der Arithmetik war just im Erscheinen begriffen; es war zu spät, etwas daran zu ändern. Frege konnte nur mehr ein Nachwort beifügen. Es ist bis heute ein Monument intellektueller Aufrichtigkeit: „Einem wissenschaftlichen Schriftsteller kann kaum etwas Unerwünschteres begegnen, als dass ihm nach Vollendung einer Arbeit eine der Grundlagen seines Baues erschüttert wird.“ Die sogenannte Typentheorie von Russell, und andere, heute weiter verbreitete Zugänge zur Mengenlehre, erlaubten es bald, das Paradox der Selbstbezüglichkeit zu überwinden. Mit seinem im Jahr 1903 erscheinenden Buch The Principles of Mathematics wurde der dreißigjährige Russell zum bekanntesten Logiker seiner Zeit. Die Botschaft des Buchs lautete: Die Mathematik beruht auf Logik und sonst auf gar nichts. Gemeinsam mit Alfred North Whitehead (1861-1947) machte sich Russell daran, dies in allen Einzelheiten auszuführen; ihr gemeinsam verfasstes dreibändiges Werk Principia Mathematica erschien zwischen 1910 und 1913. Es wurde zur Bibel der mathematischen Grundlagenforschung. Unter anderem enthält das Buch den Beweis, dass 1+1=2 gilt – allerdings erst auf Seite 362 des zweiten Bandes. Das Russellsche Paradox war also gezähmt, aber die Verunsicherung, die es ausgelöst hatte, blieb bestehen. Konnte man gewiss sein, dass nicht irgendwo noch andere, unentdeckte Widersprüche lauerten? Was helfen die schönsten logischen Beweise, wenn die Logik selbst nicht verlässlich ist? 57

Russell Archive McMaster Univ.

Eine von ca 5000 Manuskriptseiten der Principia Mathematica, stark verblichen

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(Nachlass Rudolf Carnap, Pittsburgh)

Rudolf Carnaps Mitschrift zu Gottlob Freges Vorlesung „Begriffschrift II“ aus dem Sommersemester 1913

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Henri Poincaré beschrieb das in einem Gleichnis: Der Mathematiker ist wie ein Hirte, der seine Herde vor den Wölfen schützt, indem er einen hohen Zaun um sie zieht. Doch wie, wenn sich ein Wolf innerhalb der Umzäunung versteckt hält? Daher lautete eines von Hilberts 23 Problemen für das neue Jahrhundert: Wie lässt sich beweisen, dass die Mathematik keinen Widerspruch in sich birgt? DER URKREIS MACHT SICH AUF DIE OCHSENTOUR Russell und Poincaré, Planck, Hilbert und Einstein: Um die philosophischen Umstürze, die mit diesen Namen verbunden waren, drehten sich die Kaffeehausdiskussionen des Urkreises. Doch bald löste sich die Runde auf: Hans Hahn wurde 1911 nach Czernowitz berufen, Philipp Frank 1912 nach Prag, und Richard von Mises bereits 1908 nach Straßburg. Junge Wissenschaftler müssen bereit sein, dem Ruf aus der Ferne zu folgen, sofern ihnen an ihrer Laufbahn etwas liegt. Das galt natürlich auch für Albert Einstein. Sein erster Karriereschritt war klein: Er führte ihn vom Patentamt in Bern (wo er inzwischen zum technischen Experten zweiter Klasse avanciert war) nach Zürich an die Universität. Dort übernahm Einstein eine außerordentliche Professur. Der gleichaltrige Wiener Friedrich Adler (1879-1960) wäre auch für die Stelle in Frage gekommen, doch er hatte zugunsten seines überragenden Kollegen und Studienfreundes darauf verzichtet. Eigentlich hätte dieser Friedrich Adler ein Mitglied des ersten Wiener Kreises, also des Urkreises, sein können. Nur hielt er sich zur dafür passenden Zeit nicht in Wien auf, da ihn sein Vater Viktor Adler, der Gründer der österreichischen Sozialdemokratischen Partei, zum Studieren nach Zürich geschickt hatte. Dort erwarb Friedrich Adler das Lehramtsdiplom für Mathematik und Physik am Polytechnikum, so wie Einstein, und machte sich als theoretischer Physiker einen Namen. Er schien zunächst etwas wie ein Doppelgänger von Einstein zu sein. „Unsere Entwicklung verlief ziemlich parallel“, schrieb er seinem Vater Viktor Adler. Die beiden jungen Leute hatten denselben Doktorvater (der beide gelegentlich zur Verzweiflung trieb). Sie heirateten im selben Jahr, jeweils eine Studentin aus Osteuropa. Sie lebten in Zürich im selben Haus in der Moussonstraße. Ihre Kinder spielten viel miteinander und die Ehepaare besuchten einander oft. Beide, Einstein wie Adler, verehrten Ernst Mach. Ähnlich wie Ernst Mach nicht an Atome glaubte, so glaubte Friedrich Adler nicht an Elektronen – die sind ja noch kleiner und noch schwieriger zu sehen als Atome. 60

Im Jahr 1911 wurde Albert Einstein von Zürich weg an die Lehrkanzel für theoretische Physik in Prag berufen, also ans ehemalige Institut von Ernst Mach. Zum Nachfolger in Zürich wünschte er sich Friedrich Adler; doch diesen zog es in die Politik, obwohl sein Vater dringend abwinkte. Friedrich Adler kehrte nach Wien zurück und engagierte sich in der Sozialdemokratie. Die Physik hängte er an den Nagel: Seine Auffassungen darüber, so schrieb er säuerlich, seien „den anderen Physikern unzugänglich“. Bevor Einstein seine Prager Professur antrat, musste er eine Religionszugehörigkeit angeben – welche, blieb ihm überlassen, aber irgendeine musste es sein; Franz Josef, der alte Monarch, beharrte darauf. Einstein entschied sich, „israelitisch“ anzugeben. Er arbeitete bereits damals an der Erweiterung seiner Relativitätstheorie. Seine spezielle Relativitätstheorie befasste sich mit Bezugssystemen, die sich mit gleichförmiger Geschwindigkeit zueinander bewegen; die allgemeine Relativitätstheorie sollte auch beschleunigte Bewegungen umfassen. Nun sind Beschleunigungen mit Kräften verbunden. Dabei mochte es sich, so Einsteins verwegene Vermutung, um Gravitationskräfte handeln – denn im Schwerefeld der Erde fallen alle Körper gleich schnell. Ein doppelt so schwerer Körper unterliegt zwar der zweifachen Anziehungskraft, ist aber doppelt so schwer zu beschleunigen, was sich genau kompensiert. Das kann kein Zufall sei, dachte sich Einstein. Die Geometrie, nämlich die Änderung des Bezugssystems, hat also irgendetwas mit der Physik, nämlich der Schwerkraft, zu tun. Aber was? Einstein kämpfte jahrelang mit diesem Problem. Bald erfuhr er, dass sich auch David Hilbert damit befasste; und dieser war zweifellos der bessere Mathematiker. Doch Einstein ließ nicht locker. Hatte nicht schon Ernst Mach behauptet, dass die Trägheit eines Körpers von den Fixsternen abhängt, also von der Verteilung der Massen im Raum? Das schien ein Fingerzeig zu sein. Als Albert Einstein nach Wien reiste, um die für seine Prager Professur nötigen Unterschriften zu leisten, benutzte er die Gelegenheit und suchte den alten Ernst Mach in dessen Vorstadtwohnung auf. Der gelähmte und schwerhörige Gelehrte empfing ihn mit ungeduldiger Neugier: Schon längst hatte er den jungen Entdecker der neuen Relativitätstheorie kennen lernen wollen. Natürlich ging es bei diesem Treffen um die „Atomhypothese“, und auch um Wissenschaftstheorie. Waren die allgemeinen Gesetze der Physik wirklich nur möglichst ökonomische Zusammenfassungen von Beobachtungen? Einstein war sehr beruhigt, als er hörte, dass Mach das Wort „ökonomisch“ nicht im psychologischen, sondern im logischen Sinn auffasste. Denn das kam seiner Auffassung von einer physikalischen Theorie näher, als alles was er in 61

Machs Schriften gefunden hatte. So schieden die beiden Wissenschaftler im besten Einvernehmen. Am selben Nachmittag besuchte Einstein auch Viktor Adler, den berühmten Vater seines Studienfreunds Friedrich. Albert Einstein hielt es nur drei Semester in Prag, obwohl die Teilnahme an den Fakultätssitzungen, wie er scherzhaft bemerkte, oft einen Theaterbesuch ersparten. Als er die Stadt verließ, gab er öffentlich bekannt, dass er hier – entgegen anderslautender Gerüchte – keinerlei Antisemitismus erlebt hatte. Das war sein erster Auftritt als Sprecher seines „Stammes“ (wie er sich ausdrückte). Im Jahr 1912 kehrte Albert Einstein nach Zürich zurück, diesmal auf eine ordentliche, also „volle“ Professur, und bald darauf zog er ans KaiserWilhelm-Institut in Berlin. Sein großer Förderer Max Planck unterstützte aufs Wärmste die Aufnahme Einsteins in die preußische Akademie der Wissenschaften. Dass Einstein mit seiner Hypothese über die Lichtquanten übers Ziel geschossen war, dürfe man ihm nicht verdenken, schrieb Planck. Denn ohne Risiko gäbe es keine Neuerung. Boltzmanns Schüler Philipp Frank, diese Stütze des ersten Wiener Kreises, wurde zum Nachfolger Albert Einsteins in Prag, auf dessen Befürwortung hin. Franks Freund, der Mathematiker Hans Hahn, war schon vor ihm von Wien weg berufen worden, als außerordentlicher Professor der Universität im fernen Czernowitz, fast an der Grenze des Habsburgerreichs. – In späteren Jahren sollte die Frage, ob dieser Schmelztiegel der Völker nun zur Ukraine, zu Polen oder zu Rumänien gehörte, lang umstritten bleiben; damals war Czernowitz die Hauptstadt des Herzogtums Bukowina, und gehörte somit zu den Kronländern Habsburgs. So einfach war das, Schmelztiegel hin oder her! Der junge Professor Hahn konnte unbesorgt heiraten. Seine Auserwählte war Lilly Minor, die neben Hahns Schwester Olga zu den ersten Wienerinnen zählte, die das Doktorat der Mathematik erworben hatte. Hahns Berufung an die k.k. Franz-Josef-Universität in Czernowitz war ein erster Schritt auf der damals üblichen Ochsentour oder, wie es offiziell hieß, dem cursus honorum durch die Provinzen. Im Idealfall sollte dieser Weg aufstrebende Wissenschaftler, die sich bewährten, über Etappen wie Graz oder Prag an eine Lehrkanzel in Wien führen. Auch Schauspieler mussten sich in ähnlicher Weise bis zum Burgtheater hochdienen; naturgemäß blieben dabei viele auf der Strecke, Professoren wie Mimen. Der junge Hans Hahn scheint an einer Rückkehr an die Wiener Universität nicht gezweifelt zu haben. Am Abschiedsabend im Kaffeehaus kündigte 62

Deutsches Museum München

Einstein an Mach: „Glänzende Bestätigung“

er seinen Freunden an, dass er dann die donnerstäglichen Diskussionen wieder aufleben lassen würde, und zwar „unter Heranziehung eines Universitätsphilosophen“. So sollte es auch geschehen, fünfzehn lange Jahre danach. 63

Uni Bibliothek Univ. Wien Privatbesitz

Die Philosophie (Deckenbild Klimts)

Menschlicher Schädel (Röntgenaufnahme)

DIE WIENER MODERNE Naturgemäß blieben die Fragen, die den Urkreis bewegten, einem größeren Publikum fremd. Bestenfalls nahm die Öffentlichkeit Zeitungsartikel wahr mit reißerischen Überschriften wie die der Neuen Freien Presse: „Die Minute in Gefahr – eine mathematische Sensation.“ Da ging es um die Relativitätstheorie. Auch sonst bot die Wissenschaft alle erdenklichen „Sensationen“ für die radikal moderne Generation, die vor dem Ersten Weltkrieg heranwuchs. Der technische Fortschritt hatte zu atemberaubenden Neuerungen geführt. Funksignale verbanden die Kontinente miteinander; Röntgenstrahlen erlaubten Einblick in lebende Körper; Maschinen, schwerer als Luft, trugen tollkühne Piloten in die Höhe. Zugleich aber waren die Grundlagen der Wissenschaften immer unzugänglicher und abstrakter geworden, und ihre möglichen Anwendungen immer bedrohlicher. Etwas von diesem tief sitzenden Unbehagen kam in den berühmten Fakultätsbildern zum Ausdruck, die Gustav Klimt zwischen 1900 und 1907 für die Wiener Universität geschaffen hatte. Diese Gemälde riefen einen Sturm der Empörung hervor; sie zeigten nackte Männer und Frauen, die wie in Trance durch eine unheimliche Leere 64

alle: Oe Nationalbibliothek

Architektur, Malerei, Musik und Literatur – der Akademische Verband ist immer am Puls der Zeit 65

schwebten. Klimt war beauftragt worden, den Triumph des Lichts über die Finsternis darzustellen. Man erwartete sich eine optimistische Verherrlichung des Fortschritts. Was Klimt stattdessen malte war seine höchst persönliche, geschockte Reaktion auf die schreckliche Botschaft aller wissenschaftlichen Umwälzungen. Der Mensch ist nicht das Maß aller Dinge. Ganz und gar nicht! Die Menschheit ist nur eine zufällige Randerscheinung in einer unvorstellbar riesigen und ungeheuerlich fremden Welt. Das malte Klimt – und Wien hatte seinen Skandal. Die Wogen gingen hoch, und die Zeitungen warfen sich genussvoll in die Schlacht. Der Kunsthistoriker Wickhoff (1853-1909) hielt vor der Philosophischen Gesellschaft einen Vortrag über die Bilder, mit dem schlichten Titel: Was ist hässlich? – Wickhoff verteidigte Klimt; doch die Mehrzahl seiner professoralen Kollegen erkannte in Klimts Darstellung ihre Wissenschaft nicht wieder und lehnte seine dämonischen Deckengemälde ab. Viele von ihnen, darunter auch Boltzmann, unterschrieben Protestpetitionen. Schließlich kaufte Gustav Klimt die Bilder zurück, unterstützt von privaten Gönnern; zu ihnen gehörte auch der Vater Ludwig Wittgensteins. Klimt nahm nie wieder einen Staatsauftrag an. – Seine berühmten Fakultätsbilder kennt man heute nur mehr aus Reproduktionen: Sie wurden in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs von abziehenden SS-Truppen zerstört, in einem apokalyptischen Feuerwerk. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war die moderne Kunst nicht weniger aufregend als die Wissenschaft; die intellektuelle Jugend Wiens konnte sie in vollen Zügen genießen. Viele der spannendsten Veranstaltungen fanden im Akademischen Verband für Literatur und Musik statt. Diese Gruppe von Studierenden war bei jeder Kontroverse dabei, egal ob es sich um das LoosHaus, Schönbergs Zwölftonmusik oder Oskar Kokoschkas rabiate Schöpfungen drehte. Die Diskussionen des Urkreises haben vor diesem kulturell hochtourigen Hintergrund stattgefunden. Die Künstler saßen nur einen Kaffeehaustisch weiter, sozusagen. So war etwa Hans Hahns jüngere Schwester Luise eine Malerin, und Philipp Franks Bruder Josef Architekt. Die jungen Wissenschaftler befanden sich im Gleichklang mit der künstlerischen Aufbruchsstimmung des neuen Jahrhunderts. Die schnörkellose Geradlinigkeit der modernen Weltauffassung äußerte sich in Literatur und Architektur ebenso wie in den Wissenschaften. Ornament und Pathos galten als suspekte Überbleibsel der Vätergeneration; man war jetzt sachlich, praktisch, und glattrasiert. Vollbärte und Korsetts gehörten zu den Requisiten der Vergangenheit.

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DIE WISSENSCHAFT MIT DEM BÖSEN BLICK Auch der junge Literat Robert Musil (1880-1942) gehörte zu dieser wissenschaftsbegeisterten Generation; für Sentimentalitäten hatte er nichts übrig. Er liebte die Unerbittlichkeit der Mathematik, die er als „Wissenschaft mit dem bösen Blick“ bezeichnete. Zwischen der Lektüre von je zwei deutschen Romanen, so schlug er vor, möge man mindestens ein Integral ausrechnen, um abzumagern.

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Robert Musil hatte in Brünn (heute Brno) ein Ingenieurstudium absolviert und dabei nicht nur eine solide Ausbildung in Mathematik erhalten, sondern diese auch von ihrer angenehmsten Seite kennen gelernt. Er hatte sich nämlich, wie er später schrieb, „Elsa von Czuber ausgesucht, um sie zu lieben“, die Tochter eines Mathematikprofessors. Daraus wurde allerdings nichts: Elsa (die in Wahrheit Berta hieß – und was hätte der Dr. Freud zu dieser Fehlleistung gesagt!), also das Fräulein von Czuber wandte sich einem anderen zu. Sie heiratete einen Erzherzog, der ihretwegen auf Titel und Apanage verzichtete. Die Zeiten waren modern, aber die Operette nie fern. Robert Musil verließ Kakanien, wie er das kaiserlich-königliche Staatsgebilde der k.k.Monarchie nannte, und studierte in Berlin Mathematik, Physik, Philosophie und Psychologie; er promovierte im Jahr 1908. Seine Dissertation befasste sich mit der Beurteilung der Lehren Machs und beginnt mit den Zeilen:

Robert Musil und sein Erstling

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„Das Wort des Naturforschers wiegt schwer, wo immer heute erkenntnistheoretische oder metaphysische Fragen von einer exakten Philosophie geprüft werden. Die Zeiten sind vorbei, wo das Bild der Welt in Urzeugung dem Haupte des Philosophen entsprang.“ Dr. Musil wurde allerdings kein „Naturforscher“. Noch während seines Studiums hatte er einen Roman geschrieben, Die Verwirrungen des Zöglings Törless. Törless Zu den Verwirrungen des Zöglings zählte das „Rätsel der imaginären Einheit, 67

einer Größe, mit der man rechnen kann, obwohl bewiesen ist, dass es sie nicht gibt“. Dieser Romanerstling fand beachtlichen Erfolg. Daraufhin lehnte Musil das Angebot einer Assistentenstelle an der Grazer Universität ab, um sich ganz seiner Schriftstellerei zu widmen. Doch die literarische Laufbahn kam nicht recht in die Gänge, und Musil nahm schließlich eine Stelle als Bibliothekar an der Technischen Hochschule in Wien an. Zum Schreiben blieb da Zeit genug. Aber bald fühlte sich Robert Musil unwohl. Ein junger Psychiater namens Otto Pötzl (1877-1962), der noch öfter in diesen Seiten auftauchen wird, diagnostizierte Neurasthenie. Musil verließ seine Stelle als Bibliothekar und kehrte nach Berlin zurück. Dort arbeitete er für den berühmten S. Fischer Verlag und versuchte einen unbekannten Prager Autor zu überzeugen, eine Erzählung, die dieser eingereicht hatte, zu modifizieren. Musil hatte damit keinen Erfolg. Die sonderbare Erzählung hieß Die Verwandlung, und der Prager Autor Franz Kafka. Im Jahr 1913 veröffentlichte Musil seinen Essay Der mathematische Mensch, ein frühes Zeugnis der mathematischen Grundlagenkrise, die Bertrand Russell ausgelöst hatte. Musil beschrieb zunächst die wesentliche Rolle mathematischer Überlegungen hinter all den technischen Errungenschaften, die den Alltag beherrschen, um dann fortzufahren: „Plötzlich kamen die Mathematiker – jene, die ganz innen herumgrübelten – darauf, das etwas in den Grundlagen der ganzen Sache absolut nicht in Ordnung zu bringen sei; tatsächlich, sie sahen zuunterst nach und fanden, dass das ganze Gebäude [der Mathematik] in der Luft stehe. Man muss daraufhin annehmen, dass unser Dasein bleicher Spuk ist; wir leben es, aber eigentlich nur auf Grund eines Irrtums, ohne den es nicht entstanden wäre. Es gibt heute keine zweite Möglichkeit so fantastischen Gefühls wie die des Mathematikers.“ Das Ganze steht in der Luft – Musil scheint zu beschreiben, was Klimts Figuren verspüren, die verloren durch den Kosmos driften. Aber zum Glück gibt es kühle Köpfe, die Bodenhaftung bewahren. Oder, um mit Robert Musil fortzufahren: „Diesen intellektuellen Skandal trägt der Mathematiker in vorbildlicher Weise, das heißt mit Zuversicht und Stolz auf die verteufelte Gefährlichkeit seines Verstandes.“ „Man wende nicht ein, dass Mathematiker außerhalb ihres Fachs banale und blöde Köpfe sind, ja dass sie selbst ihre Logik im Stich lässt. 68

Dort ist es nicht ihre Sache und sie tun auf ihrem Gebiet das, was wir auf unsrem tun sollten. Darin besteht die beträchtliche Lehre und Vorbildlichkeit ihrer Existenz; eine Analogie sind sie für den geistigen Menschen, der kommen wird.“ Dass etwas „in den Grundlagen der ganzen Sache absolut nicht in Ordnung zu bringen“ war, verspürte auch der Autor Hugo von Hofmannsthal (1874-1929), das einstige Wunderkind von Jung-Wien. Er schrieb: „Unsere Epoche kann nur auf Gleitendem ausruhen und ist sich bewusst, dass es Gleitendes ist, wo andere Generationen an das Feste glaubten.“ Im selben Jahr, als Musil über den mathematischen Menschen schrieb, erschütterte ein Spionagefall, der sich nicht mehr vertuschen ließ, die k.k. Monarchie. Es kam nämlich heraus, dass der für Spionageabwehr zuständige Oberst Redl in Wirklichkeit ein Spion Russlands war. Dieser Offizier hatte also die dienstliche Aufgabe gehabt, sich selbst zu bekämpfen. Oder, um Henri Poincarés Metapher vom Hirten, der seine Herde einzäunt, noch einmal zu verwenden: ja, es war ein Wolf mit eingezäunt worden. Und zwar hatte sich der Schäferhund als dieser Wolf entpuppt. Als die grausliche Affäre ans Licht kam, legte ein wohlmeinender Offizierskollege Redls diskret eine Pistole auf dessen Tisch, ohne weiteres Wort. Dann verließ er das Zimmer. Jetzt war es also Redls Aufgabe, sich selbst hinzurichten. Das tat er auch prompt, und hinterließ durch den Abgang viele offenen Fragen. Eine dieser offenen Fragen wurde noch nie gestellt: Gab es im österreichischen Heeresnachrichtendienst, dem sogenannten Evidenzbüro, nun also doch eine „zweite Möglichkeit so fantastischen Gefühls wie die des Mathematikers“? Denn sah man dort „zuunterst nach“ – um Musils Worte zu verwenden – so fand man doch auch, „dass das ganze Gebäude in der Luft stand“. Jedenfalls führte der Skandal um den Obersten Redl dem Wiener Publikum sinnfällig vor Augen, dass absolute Sicherheit eine Chimäre war. Das Fundament Kakaniens war längst schon im Gleiten begriffen.

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VIERTES KAPITEL

Der Kreis kommt ins Rollen Wien-München-Berlin 1914-1922: Niederlagen und Revolutionen. Einstmaliger Einstein-Doppelgänger Friedrich Adler erschießt k.k. Premierminister. Einstein verfasst Gnadengesuch. Adler will Einstein widerlegen. Kriegsversehrter Hans Hahn übernimmt MathematikLehrkanzel in Wien, erneuert jugendliche Affäre mit Philosophie. Otto Neurath von Münchner Gerichtshof verurteilt: Beihilfe zum Hochverrat . Neurath plädiert für Umbau von Schiffen auf offener See, wird nach Wien deportiert. Berliner Einstein-Protégé Moritz Schlick sieht schwarz für Österreichs Zukunft, klatscht in die Hände und übernimmt Wiener Kreis.

NEUE DIMENSIONEN Wer den Boden unter den Füßen verliert, klammert sich ans Erstbeste. Die k.k. Heeresleitung klammerte sich an ihre alten Kriegspläne, obwohl bekannt war, dass die Russen sie kannten. Vielleicht dachten die Generalstäbler, dass die Russen, die ja wussten, dass die Österreicher seit einem Jahr wussten, dass die Russen alles über Österreichs Pläne wussten, damit rechneten, dass die Österreicher sie jetzt ändern würden. Um die Armeen des Zaren zu düpieren, brauchte man also nur an den alten Aufmarschplänen festhalten. Doch die Überraschung gelang nicht nach Wunsch. Noch ehe die Truppen ihre Stellung bezogen, krachte die Ostfront zusammen. Die Stadt Czernowitz wurde bereits nach wenigen Kriegswochen von russischen Truppen besetzt. Hans Hahn verlor im Spätsommer 1914 sowohl sein Haus als auch seine Stellung an der Franz-Josephs-Universität; seine Frau Lilly suchte mit ihrer kleinen Tochter Nora Zuflucht in Wien. Hahn wurde zur k.k. Armee eingezogen und kam an der italienischen Front zum Einsatz. Ein Schuss verwundete ihn schwer. Bis an sein Lebensende steckte eine Kugel in seinem Rückgrat, so nahe am Rückenmark, dass die Ärzte es nicht wagten, sie zu entfernen. Nach einem monatelangen Spitalsaufenthalt entließ die Armee den Invaliden. 70 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_4

Doch trotz dieser trüben Aussichten nahm der kriegsversehrte Hans Hahn seine mathematischen Untersuchungen von Räumen mit unendlich vielen Dimensionen wieder auf; hier hatte sich ein neues Gebiet aufgetan. Hahn wurde zu einem der Begründer der Funktionalanalysis. Nun scheinen schon vier Dimensionen abstrus genug. Doch die Mathematiker waren ja nicht länger an die Anschauung gefesselt. Im zweidimensionalen Raum wird ein Punkt durch zwei Koordinaten, also zwei Zahlen gegeben. Im dreidimensionalen durch drei. Wenn ein Raumpunkt durch seine Koordinaten ersetzt wird, geht die Anschaulichkeit des Raums verloren, gewissermaßen seine Tiefe, aber für die Rechnungen spielt das keine Rolle. Statt zwei oder drei Zahlen kann man nun genauso gut vier zulassen, oder hundert. Das erlaubt es, Räume mit beliebig vielen Dimensionen zu untersuchen, sogar mit unendlich vielen: Ein Punkt entspricht dann einfach einer Folge von Koordinaten, die nicht abbricht. In diesen Räumen kann man auf die übliche Art Längen und Winkel definieren, und Geometrie betreiben. Die Rechnungen ersetzen die Anschauung, oder besser gesagt, sie helfen ihr weiter; denn man stellt sich ja doch etwas vor unter dem, worüber man tagtäglich nachdenkt. Das Sonderbarste daran war, dass sich diese Funktionalanalysis als höchst nützlich für die Physik erwies. Das galt schon für Boltzmanns Physik, die „klassische“ statistische Mechanik. Der Zustand eines Gases mit 1023 Molekülen lässt sich durch einen Punkt im 6x1023-dimensionalen Raum auffassen, denn jedes einzelne Molekül wird bestimmt durch seine Position im dreidimensionalen Raum und durch seine Geschwindigkeit, also zusätzlichen drei Dimensionen. – Noch wertvoller wurde diese neue Analysis, die Folgen und Funktionen als Punkte auffasst, in der im Entstehen begriffenen Quantenphysik. Für den Kriegsinvaliden Hans Hahn begann sich das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Im Jahr 1917 berief man ihn als Professor nach Bonn. Dort traf er wieder auf seinen Freund aus Czernowitzer Tagen, den brillanten Ökonomen Josef Schumpeter (1883-1950). Im Gegensatz zu den meisten seiner Zunft war Schumpeter vom Wert exakter Methoden fest überzeugt. Er hatte in jungen Jahren sogar einen Essay geschrieben Über mathematische Methoden in der theoretischen Ökonomie. Heimisch wurde Hahn am Rhein aber nicht, trotz der Exzellenz der Bonner Universität. Die pazifistischen Flugschriften, die er dort verteilte, trugen auch nicht gerade zu seiner Beliebtheit bei den deutschen Behörden bei. Doch Hahn hatte bereits den nächsten Ortswechsel im Visier. An der Wiener Universität sollte demnächst eine Lehrkanzel für Mathematik vakant werden. Hier bot sich eine goldene Gelegenheit, Hahns philosophischen Zirkel, also den alten Urkreis, wie einst geplant neu aufleben zu lassen. 71

Boerhave Mus. Leiden Uni Bibliothek Univ. Wien

Hans Hahn wird in Czernowitz von der Philosophie umgarnt

NAHEZU UNTREU GEWORDEN Hans Hahn entstammte der sogenannten zweiten Wiener Gesellschaft. Er war in dem kultivierten Milieu des Fin de Siècle aufgewachsen, das Arthur Schnitzler so trefflich beschreibt: geistreiche Plaudereien in literarischen Salons, hell erleuchtete Kaffeehäuser voll größenwahnsinniger Künstler, erfrischende Wochenenden in Villen am Semmering und verstohlene Augenkontakte bei musikalischen Soiréen. Hahns Vater hatte seine Laufbahn als Journalist und Musikkritiker begonnen, und es bis zum Chef des Telegraphen-Correspondenz-Bureaus gebracht. Er nahm damit einen Spitzenplatz in der Beamtenhierarchie ein, da die Telegraphie damals die schnellste Nachrichtenübermittlung bot, gewissermaßen das Nervensystem der weitläufigen Monarchie. Wenn man den k.k. Amtskalender aufschlug, der penibel alle Staatsdiener auflistete, fand man als ersten Namen den von Hahns Vater. Nach dem Wunsch des Papas sollte Hans Hahn Rechtswissenschaft studieren, doch nach einem Jahr wechselte er zur Mathematik. Er inskribierte mehrere Semester in Straßburg und München, bevor er an die Wiener Universität zurückkehrte. Sowohl bei seiner Promotion als auch bei der Habilitation war der rastlose Ludwig Boltzmann sein Prüfer. Schon damals äußerte sich Hahns bemerkenswerte Fähigkeit, Talente anzuziehen. Sein erster Freundeskreis an der Universität wurde als „die untrennbaren Vier“ bekannt. Neben Hans Hahn gehörten zu diesem Studenten-Quartett: Gustav Herglotz (1881-1953), der Astronomie und Mathematik inskribiert hatte und später in Leipzig und Göttingen Professor wurde, 72

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Paul Ehrenfest

Hans Hahn und Heinrich Tietze

Die untrennbaren Vier:

Gustav Herglotz

Heinrich Tietze (1880-1964), ein ungewöhnlich vielseitiger Mathematiker, später Professor in München, und Paul Ehrenfest (1880-1933), ein ehemaliger Mitschüler von Herglotz, der bei Boltzmann mit einer Dissertation über die Mechanik von Heinrich Hertz promovierte. Nach dem Freitod Boltzmanns wurde an dessen statt der junge Paul Ehrenfest damit beauftragt, einen Artikel über die statistische Mechanik zu schreiben, und zwar für die damals im Werden begriffene Enzyklopädie der mathematischen Wissenschaften. Dieser Aufsatz wurde zu einem Klassiker der Physik. Doch da sich Ehrenfest, anders als Einstein, standhaft weigerte, einer Religion beizutreten, kam er für eine Professur in Österreich nicht in Frage. So lebte und forschte er ge73

meinsam mit seiner Frau Tatjana fünf Jahre lang ohne feste Anstellung in St. Petersburg. Dann wurde er, auf Empfehlung von Einstein, auf eine Lehrkanzel für theoretische Physik nach Leiden berufen. In den Niederlanden durfte ein Professor nach Herzenslust Freigeist sein. Auch Hahn widerfuhr die Auszeichnung, um einen Artikel für die Enzyklopädie gebeten zu werden. Er schrieb ihn gemeinsam mit Ernst Zermelo (1871-1953), einem Schüler von Hilbert. – Zermelo, der mit seinem Wiederkehreinwand einst Boltzmann unlösbare Schwierigkeiten beschert hatte, war es gelungen, das Russellsche Paradox noch vor Russell zu entdecken. (In den Wissenschaften wird ein Resultat häufig nach dem benannt, der es als Letzter entdeckt). Durch Zermelo wurde Hahn auf den neuesten Stand bezüglich der Grundlagen der Mathematik gebracht. Zwanzig Jahre später sollte das Früchte tragen. Auch nachdem sich die Laufbahnen der untrennbaren Vier getrennt hatten, blieb der Gedankenaustausch rege. 1909 schrieb Hahn seinem Freund Pavel Ehrenfest nach St. Petersburg: „Im vergangenen Jahr bin ich innerlich der Mathematik nahezu untreu geworden, umgarnt von den Reizen der – Philosophie. Bei Poincaré, Mach, Hertz fängt es herrlich an, dann kommt Kant, und unaufhaltsam weiter geht‘s bis zu Aristoteles und Konsorten. Heute kommt es mir ganz absurd vor, die Geringschätzung, mit der unsere Fachgenossen über diese Leute sprechen; die glauben vielfach wirklich, dass ein Mann, dessen Name nach fast 2000 Jahren noch wirksam ist wie am ersten Tag, nur läppischen Unsinn geschrieben habe.“ An anderer Stelle vertraut Hahn Ehrenfest an: „Ich bin Gemütserregungen wenig zugänglich. Einem Freund, der so weit ist wie du, gestehe ich es: Ich habe hie und da Ehrfurcht gespürt bei meinen flüchtigen Leseversuchen in der aristotelischen Metaphysik – und viel Bedauern, dass mir jede Möglichkeit fehlt, diese Sachen durchzugrübeln.“ Im Wien der Zwanzigerjahre schuf sich Hahn diese „Möglichkeit zum Durchgrübeln“. Die Konkurrenz für die freigewordene Professur war gewaltig gewesen, aber zu guter Letzt erging die Berufung an ihn. Und Hahn ließ sich nicht zweimal bitten. EINE NEUE ART DER ROMANTIK Wien 1920: Die Stadt hatte viel von ihrem Glanz verloren. Es gab keinen Kaiser mehr, und das Vielvölkerreich war zerfallen. Die grandiosen Vorhaben eines Kanals bis zur Ostsee und eines U-Bahn-Netzes, beide im Jahr 1914 in Angriff genommen, hatten kriegsbedingt eingestellt werden müssen. 74

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Professor Hahn und sein Wirkungskreis, das Institutsgebäude nächst der Strudlhofstiege

Wien wurde als „Wasserkopf“ bezeichnet – die allzu große Hauptstadt einer allzu kleinen Alpenrepublik, die nach allgemeinem Urteil als lebensunfähig galt. Mit dem Krieg war der große Hunger gekommen, und während der bitteren Nachkriegsjahre geblieben. Die Maler Gustav Klimt und Egon Schiele waren gestorben, und ebenso Otto Wagner, der die Architektur des Vorkriegs-Wien geprägt hatte. Seuchen, vor allem die spanische Grippe, hatten die Einwohnerschaft dezimiert. Der Staatshaushalt war heillos zerrüttet. Daran konnte auch Hahns ehemaliger Kollege Joseph Schumpeter als kurzfristiger Staatssekretär für Finanzen nichts ändern. Für viele schien es das Ende der Welt. Karl Kraus schrieb ein bitter-satirisches Stück, Die letzten Tage der Menschheit. Es galt als unspielbar. Der Autor hatte es „einem Marstheater zugedacht“. Hahn musste sich von der prächtigen Villa am Semmering trennen, die er von seinem Vater geerbt hatte. Immerhin, der Familie blieb noch ein Haus in Neuwaldegg, einer der besten Wohngegenden Wiens. Zum Wienerwald war es ein Katzensprung. Die Kaffeehäuser waren voll wie je, und die Philharmoniker hatten das Musizieren nicht verlernt. Hahn pflegte ihre Konzerte mit der Partitur in der Hand zu verfolgen. Nicht umsonst war sein Vater, der selige Hofrat, einst ein Musikkritiker gewesen. Auch die Universität bewahrte ihre Strahlkraft. Hahns Kollegen Wilhelm Wirtinger (1865-1945) und Philipp Furtwängler (1869-1914) waren weltberühmte Mathematiker. Doch Furtwängler war gelähmt, Wirtinger taub, beide um die zwanzig Jahre älter als Hahn und nur allzu froh, dem neuberufenen Kollegen etwas von ihren Bürden zu übertragen. 75

Das neue Universitätsgebäude für Physik, Chemie und Mathematik war gerade noch vor Kriegsbeginn fertiggestellt worden; es lag an der Boltzmanngasse, unweit der Strudlhofstiege, „glatt und verschlossen“, wie der Romanautor Heimito von Doderer schrieb, „unbegreiflichen Inhalts.“ Für ihn hauchte das Haus „etwas von jener neuen Art von Romantik, die gerade von den allerexaktesten Wissenschaften am meisten ausgeht.“ – Doderer gehörte zu jener „verlorenen Generation“, die jetzt die Hörsäle überflutete. Es fehlte an Kohle, um die Räumlichkeiten zu heizen, und an Papier, um die Monatshefte zu drucken. Erst eine Spende der reichen Familie Wittgenstein erlaubte das Wiedererscheinen der Zeitschrift, nach jahrelanger Verzögerung. Alle Kontakte zum Ausland waren abgebrochen. Die Gehälter reichten bestenfalls bis zur Monatsmitte. Dem Staat drohte der Bankrott. Die Notenpressen liefen heiß. Die Inflation explodierte. Kurzum, für die Neugründung eines philosophischen Zirkels sahen die Vorzeichen wenig rosig aus. Aber Hans Hahn, ein hochgewachsener Mann, der stets mit lauter Stimme sprach, ließ sich nicht so leicht von seinem Plan abbringen. Zu seiner Seite hatte er einen Mitstreiter, der noch größer und lauter war, ein veritabler Hüne: Sein Freund von Schulzeit her, Otto Neurath, war ebenfalls nach Wien zurückgekehrt. Besser gesagt, er war zurück geschafft worden. DAS PROBLEM MIT DEM LUSTMAXIMUM Hahn hatte Deutschland verlassen, um einem ehrenvollen Ruf an seine Wiener Alma Mater zu folgen. Neurath hingegen wurde als politischer Häftling über die bayrische Grenze nach Österreich abgeschoben. – Als Gründer und Präsident eines kurzlebigen Zentralwirtschaftsamts hatte er unter zwei Räteregierungen versucht, die „Vollsozialisierung“ in Bayern einzuführen, und war gescheitert, buchstäblich mit Bomben und Granaten. Die Reichswehr hatte dem Experiment ein jähes und blutiges Ende bereitet. Ein Hang zur Sozialisierung war Otto Neurath schon in die Wiege gelegt worden. Sein Vater Wilhelm hatte es aus ärmlichen Verhältnissen zum Professor für Volkswirtschaftslehre und Statistik an der Wiener Hochschule für Bodenkultur gebracht. Unentwegt übte Wilhelm Neurath beißende Kritik am liberalen Wirtschaftssystem. Wettbewerb verursachte in seinen Augen Überproduktion und damit Verschwendung, Krise und Not. Ein Vertrauter von Otto Neuraths Vater, der unkonventionelle Josef Popper (1838-1921), der übrigens ein enger Freund auch von Ernst Mach war, stieß in dasselbe Horn. Dieser Popper, der seine Schriften mit „Lynkeus“ zeichnete, nach der Figur des Türmers in Goethes Faust, vertrat mit missi76

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onarischem Eifer die damals höchst ungewöhnliche Ansicht, dass der Staat dafür zu sorgen hatte, dass seine Bürger nicht verhungerten. Popper-Lynkeus verfasste utopische Sozialentwürfe, und veröffentlichte sie unter so griffigen Titeln wie Das Recht zu leben und die Pflicht zu sterben. Durch ihn wurde der heranwachsende Otto Neurath zum Anhänger einer geldlosen Planwirtschaft. Nach zwei Semestern Mathematik und Philosophie an der Universität Wien zog es Otto Neurath um 1903 nach Berlin, eine unvergleichlich dynamische Metropole, die vor Kraft und Selbstvertrauen strotzte. Man brauchte kein Deutscher zu sein Die Mähne ist rot: Otto Neurath um zur Überzeugung zu kommen, dass das anbrechende Jahrhundert das deutsche Jahrhundert sein würde. In Berlin studierte Neurath Nationalökonomie und Geschichte und erwarb 1906 das Doktorat mit einer Arbeit über die Wirtschaft der Antike, und insbesondere jener Kulturen, die vom Tauschhandel statt vom Geldverkehr lebten. Doch als sein Vater starb, lernte Otto Neurath die „geldlose Wirtschaft“ von ihrer unangenehmsten Seite her kennen. Um über die Runden zu kommen, musste er einen Teil seiner 13.000 ererbten Bücher verkaufen und ein Mittellosigkeitszeugnis ausfüllen. In Wien nahm Otto Neurath im Jahr 1907 eine Stelle als Lehrer an der Neuen Wiener Handelsakademie an. In den Kaffeehausdebatten des Urkreises war er es, der dafür sorgte, dass die Geisteswissenschaften nicht zu kurz kamen; er legte auch gern in der Philosophischen Gesellschaft seine Ansichten dar. In seinem Vortrag über Das Problem des Lustmaximums vertrat der Feuerkopf einen radikalen Utilitarismus. Zur selben Zeit stellte damals Sigmund Freud sein berühmtes Lustprinzip in der Mittwochsgesellschaft vor. Doch im Gegensatz zu Freud war Otto Neurath an den innersten Winkeln der menschlichen Seele nur mäßig interessiert. Für ihn zählten Gesellschaften mehr als Individuen. Gesellschaften seien daran zu beurteilen, wie sehr es ihnen gelinge, die „Gesamtlust“ zu optimieren; sollte es diesbezüglich verschiedene Meinungen geben, dann müsse wohl der Kampf darüber entscheiden, „welche 77

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Otto Neurath, Anna Schapire und die erblindete Olga Hahn

Anschauung über die beste Lebensordnung zum Sieg kommen soll.“ Der großgewachsene junge Mann mit der roten Mähne und dem wilden Bart fiel überall auf, auch in der Damenwelt. Schon als kecker Gymnasiast hatte er mit der damals berühmten schwedischen Autorin Ellen Key (18491926) eine schwärmerische Beziehung begonnen. Im Jahr 1907 heiratete er Anna Schapire (1877-1911), eine marxistische Frauenrechtlerin, die sechs Jahre älter war als er. Arthur Schnitzler beschrieb sie in seinen Tagebüchern kurz und bündig als „Philosophie treibende Russin“. Es lag ein Hauch von Bohème in ihrem Verhältnis zu Otto, und es endete tragisch: Anna starb bei der Geburt ihres Sohnes Paul. Ein halbes Jahr später heiratete Otto Neurath wieder; seine zweite Frau war eine ehemalige Jugendfreundin – die mittlerweile erblindete Olga Hahn. Gemeinsam verfassten sie einige Arbeiten über Olgas engeres Fachgebiet, die mathematische Logik. Olga konnte allerdings unmöglich die Pflege von Ottos Söhnchen Paul übernehmen: der Bub musste die ersten zehn Jahre seines Lebens in Kinderheimen verbringen und bekam während dieser Zeit seinen umtriebigen Vater fast nie zu Gesicht. 78

Ab dem Jahr 1909 begründete Otto Neurath in einer Reihe von Arbeiten die sogenannte Kriegswirtschaftslehre. Kriege waren viel zu häufig und zu einschneidend, um bloß als lästige Störung der Marktwirtschaft gelten zu können. Für Neurath verkündeten sie das unausweichliche Nahen einer zentralisierten Planwirtschaft. In Kriegszeiten finden sich zahlreiche Beispiele dafür, dass Geld seinen Wert verliert und dem Tauschhandel weicht. Anschauungsmaterial zur Kriegswirtschaftslehre gab es genug, und das sogar in Österreichs Hinterhof: die Balkankriege lösten einander ab 1912 in rascher Folge ab. Neurath sah seine Disziplin völlig wertfrei als „eine Wissenschaft wie die Ballistik, die ebenfalls unabhängig davon ist, ob man für oder gegen die Verwendung von Kanonen eintritt“. Der unkonventionelle junge Soziologe hatte Erfolg: Die Kriegswirtschaftslehre mauserte sich zu einem vielbeachteten Nischenfach. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, ausgelöst durch österreichische Schnitzer im eigenen Hinterhof, erfuhr Neuraths Studiengebiet naturgemäß einen gewaltigen Aufschwung. Doch erst nach zwei Jahren Felddienst wurde er ins Kriegsministerium abkommandiert, als Abteilungsleiter des Komitees für Kriegswirtschaft. Auch beim deutschen Verbündeten wurde man auf Neurath aufmerksam, und ernannte ihn zum Gründungsdirektor eines Kriegswirtschaftsmuseums in Leipzig. Das Museum sollte dokumentieren, wie wichtig Wirtschaftspläne sind. - Alle zwei Wochen pendelte Neurath während des letzten Kriegsjahres zwischen Wien und Leipzig; gewissermaßen im Vorübergehen wurde er zusätzlich Privatdozent in Heidelberg. Es hieß, dass der berühmte Max Weber, ein führender Soziologe seiner Zeit, große Stücke auf ihn hielt. Im August 1918 eröffnete die erste Ausstellung in Neuraths Leipziger Museum ihre Pforten. Sie wurde auch die letzte Ausstellung: Denn ihr Thema, nämlich die Wirtschaftsblockade, die der Feind über Deutschland verhängt hatte, zeigte Wirkung. Die Zentralmächte brachen zusammen, und das Museum sperrte für immer zu. DER PLAN DER PLÄNE Im Kriegsende und in der Novemberrevolution erblickte Neurath die Gelegenheit, mit der Vollsozialisierung endlich Ernst zu machen. Das Gröbste hatte man ja bereits hinter sich, behauptete er; nun brauchte man bloß noch die staatlich verwaltete Kriegswirtschaft auf eine Produktion für die Friedenszeit umzustellen. Seine Pläne präsentierte Otto Neurath zunächst in Sachsen, mit wenig Zuspruch. In Bayern dagegen stellte sich wider Erwarten Erfolg ein. Dort hat79

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Otto Neurath plant die Vollsozialisierung, Otto Bauer gibt sie auf

te zwar die Revolutionsbewegung bei den Wahlen im März 1919 eine kräftige Abfuhr erlitten, und ihr Führer war einem Attentat zum Opfer gefallen, aber die Soldaten- und Arbeiterräte ließen sich davon nicht beirren. In München kam eine sozialistisch geführte Regierung zum Zug; diese beauftragte Neurath damit, ein Zentralwirtschaftsamt zu errichten, um die Vollsozialisierung in die Tat umzusetzen. Mitten in einem unbeschreiblichen politischen Chaos ging Neurath mit Feuereifer daran, den „Plan der Pläne“ auszuarbeiten. Er machte damit auch weiter, als sich in Bayern in rascher Folge zwei kurzlebige kommunistische Räteregierungen an die Macht putschten. Es waren politische Eintagsfliegen. Mit ihrem Ende überzog eine Verhaftungswelle München. Neuraths Untersuchungshaft dauerte etwa so lang wie seine Tätigkeit für das Zentralwirtschaftsamt: sechs Wochen. Die Verteidigungslinie für den Prozess war klar vorgegeben. Neurath stellte sich als unpolitischen Verwaltungsbeamten und reinen „Gesellschaftstechniker“ dar. Zahlreiche Zeugen, darunter Neuraths blinde Frau Olga, die das aberwitzige Treiben in München miterlebt hatte, bezeugten Neuraths lautere Absichten. Der Industrielle Walther Rathenau, der Soziologe Max Weber sowie Otto Bauer, die führende Gestalt der österreichischen Sozialdemokraten, versuchten, Otto Neurath durch Stellungnahmen zu entlasten. 80

Bauer beispielsweise, der mit Neurath in der Kriegswirtschaftskommission gedient hatte, schrieb an das Gericht: „Er hat mit dem besten Gewissen nacheinander dem k.k. Kriegsministerium, einer bürgerlich-sozialistischen Koalitionsregierung und einer Räterepublik dienen können, denn er bildete sich ein, jede dieser Regierungen könne so gut wie die andere seine ‚gesellschaftstechnischen‘ Pläne durchführen lassen.“ EIN STREITHENGST KEHRT HEIM Das freundliche Gutachten von Otto Bauer konnte die Verurteilung von Otto Neurath nicht verhindern: Es setzte 18 Monate Festungshaft, wegen Beihilfe zum Hochverrat. – Dabei konnte Neurath von Glück reden, nur der Beihilfe und nicht des Hochverrats selbst beschuldigt zu werden, denn das hätte ihn den Kopf kosten können. Gleich nach der Verurteilung Neuraths leitete nun Otto Bauer, der das Außenressort von Deutsch-Österreich übernommen hatte, Demarchen bei der bayerischen Regierung ein, um den politischen Häftling frei zu bekommen. Der behördliche Hickhack dauerte einige Monate. Neurath nützte diese Zeit, um ein Buch zu schreiben: Der Anti-Spengler. Oswald Spenglers Kulturgeschichte Der Untergang des Abendlands hatte im Jahr 1918 in der deutschsprachigen Welt ein ungeheures Echo gefunden; seine Sicht des organischen Aufblühens und Vergehens der Hochkulturen traf punktgenau den Nerv der Zeit – schließlich waren gerade drei Kaiserreiche zu Fall gekommen. Viele Menschen hatten ihren Glauben an den Fortschritt verloren. Sie sahen schon die asiatischen Horden vor den Toren, und erwarteten ein blutiges Ringen um die Weltherrschaft. Für Götterdämmerungen dieser Art war aber Neurath nicht zu haben. Er wehrte sich vehement gegen Spenglers Vision des Verfalls und Zusammenbruchs. Gegen Untergänge lässt sich etwas unternehmen, davon war Otto Neurath überzeugt. Im Anti-Spengler schrieb er (und auch später noch oft): „Wie Schiffer sind wir, die auf offenem Meer ihr Schiff umbauen müssen, ohne je von unten frisch anfangen zu können. Wo ein Balken weggenommen wird, muss gleich ein neuer an die Stelle kommen, und dabei wird das übrige Schiff als Stütze verwendet. So kann das Schiff mithilfe der alten Balken und angetriebener Holzstücke vollständig neu gestaltet werden – aber nur durch allmählichen Umbau.“ Die Metapher war keineswegs neu. Schon die alten Griechen hatten sie verwendet, um zu fragen: wenn all Planken des Schiffs ersetzt worden sind, 81

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Theseus und die Argonauten bauen um.

eine nach der anderen, ist dann das Schiff noch dasselbe oder ist es ein neues? Doch Neurath verwendete das Gleichnis nicht für ein sophistisches Rätsel sondern als Sinnbild für das unermüdliche menschliche Ringen. Ein „allmählicher Umbau“ wie in dem Schiffer-Gleichnis, das war es auch, was die österreichischen Sozialdemokraten mit dem verbliebenen Rest des zerstückelten Donaureichs vorhatten. Doch die Koalitionsregierung kam nur langsam weiter; allmählich verpuffte der Schwung ihrer Sozialisierungskommission. Otto Bauer legte den Vorsitz nieder; auch vom Außenressort trat er zurück, das ihm erlaubt hatte, in Deutschland zugunsten Neuraths zu intervenieren. Sein Einsatz war erfolglos geblieben. Österreichs Staatskanzler Karl Renner (1870-1950) setzte die Abschiebung Neuraths zu guter Letzt doch durch. Die österreichische Regierung gab eine Garantie ab, dass der Schubhäftling Neurath künftig nicht gegen die bayrische Regierung agitieren würde. Otto Neurath verpflichtete sich ebenfalls dazu. Er musste ehrenwörtlich versprechen, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen. Die bayrische Regierung wollte sicher gehen, den Zugereisten losgeworden zu sein. „Ein aus Österreich berufener Demagoge“, so beschrieb ihn der deutsche Historiker Karl von Müller. Als Fußnote der Geschichte sei vermerkt, dass dieser Historiker bald darauf der Partei eines österreichischen Demagogen ganz anderen Zuschnitts beitrat. Doch damals, im Jahr 1919, diente der Ex-Gefreite Adolf Hitler in München noch als gänzlich obskurer Vertrauensmann in der Reichswehr. In jener Zeit entdeckte er auch in den Hinterzimmern von Brauhäusern sein Talent für die Demagogie. Fünf Jahre später sollte er, wie einst Otto Neurath, von einem Münchner Gericht zu Festungshaft verurteilt werden, für seine Rolle im Bürgerbräu-Putsch. Abschieben konnten die Bayern Hitler freilich nicht. Die österreichische Regierung wehrte sich mit allen Mitteln dagegen. So viel als Fußnote. 82

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Geschäftspost: Robert Musil will Otto Neuraths Anti-Spengler veröffentlichen

Der Verzicht auf jede weitere politische Betätigung in Deutschland dürfte Neurath nicht allzu schwer gefallen sein, denn in Österreich gab es genug zu tun. Mit Feuereifer warf er sich ins Gefecht. „Hat ein Notizbuch mit sehr vielen Eintragungen“, schreibt Robert Musil über den Otto Neurath jener Tage. „Erledigtes wird ordentlich ausgestrichen. Ist anscheinend mit den Gedanken immer anderswo. Zieht dann schnell irgendeine Liebenswürdigkeit aus der Tasche; empfehlen Sie mich bitte ihrer Frau Gemahlin – trotzdem wir vor einer Viertelstunde mit ihr beisammen waren. – Ist jetzt sehr viel auf den Beinen, knüpft nach allen Seiten Verbindungen an.“ Charakterisiert wurde Neurath von Musil mit den Worten: „Etwas Kathederstreithengst. Aber mit einer sprengenden Energie.“ Das liebste Ziel von Neuraths sprengenden Attacken war und blieb die Metaphysik. In ihr sah er nur eine reaktionäre Vernebelung, egal ob sie sich als philosophischer Idealismus oder klerikale Offenbarung verkleidete. Neurath wurde nicht müde, dagegen zu kämpfen; und sein Streitgenosse und Schwager Hans Hahn war Anfang 1921 wieder mit von der Partie. 83

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Großer Bahnhof: Einstein besucht Wien

EIN PHILOSOPH À LA CARTE Den beiden Freunden würde es nicht mangeln an neuem Stoff für philosophische Debatten. Seit den Tagen des Urkreises hatte sich vieles ereignet. Hilbert, Russell, und Einstein waren nicht müßig gewesen – das allein hätte schon Anlass genug gegeben, die einstigen Kaffeehausdiskussionen über Wissenschaftsphilosophie jetzt, in den Nachkriegsjahren, wiederzubeleben. Aber einer fehlte noch: Jener Universitätsphilosoph, den sich Hahn für den neuen Gesprächszirkel wünschte. Er mochte Adolf Stöhr (1855-1921) im Sinn gehabt haben, den Nachfolger Machs. Bei ihm hatte Hahns Schwester Olga ihre Doktorarbeit über Logik geschrieben. Auch Stöhr war ursprünglich Physiker gewesen, wie Boltzmann und Mach. Seine Gedanken gingen in die Richtung einer Sprachanalyse. Es klingt wie ein Vorgriff auf Wittgenstein, wenn er schreibt: „Gäbe es keine Worte, dann gäbe es auch keinen Unsinn, schlimmstenfalls Fehler“. Dieser Stöhr wäre zweifellos ein Zugewinn für den Zirkel gewesen. Doch mittlerweile war er unheilbar erkrankt und konnte nicht mehr unterrichten. Zwei Ordinariate für Philosophie waren schon vorher vakant gewesen; die Berufungskommission dafür war bereits eingesetzt. Jetzt fiel ihr auch die 84

Regelung der Nachfolge Stöhrs zu. Hahn gelang es, der Kommission beizutreten. Die Gelegenheit schien verheißungsvoll. Stellte sich bloß die Frage: Wer sollte für die Berufung vorgeschlagen werden? Hahn befand sich in der glücklichen Lage, gewissermaßen „ganz oben“ Rat einholen zu können – bei niemand anderem als Albert Einstein, und das auf dem Kahlenberg oberhalb Wiens. Einstein, der theoretische Physiker, der wie ein verträumter Geigenvirtuose wirkte, war mittlerweile zur Zelebrität geworden. In Wien sollte er im Jänner 1921 neben zwei Vorträgen vor Fachpublikum auch einen vor allgemeiner Hörerschaft halten. Der Andrang war gewaltig. Die Hochschulen hatten kein Auditorium, um eine solche Zahl von Zuhörern zu fassen. Auch die Wiener Urania war zu klein. Einstein sprach daher im großen Saal des Wiener Konzerthauses. Die Eintrittskarten wurden sogar am Schwarzmarkt gehandelt. Der Physiker schlug die andächtigen Zuhörer in seinen Bann. Erst nachdem er den Saal wieder verlassen hatte, begriffen sie, dass der Vortrag zu Ende war. Der Applaus setzte verspätet ein, „war aber umso stürmischer“, wie die Presse bemerkte. Zu dem großen Anlass war auch Philipp Frank, der Nachfolger Einsteins in Prag, nach Wien gereist. Einstein kannte er gut. Die drei Freunde Frank, Neurath und Hahn, die einst, vor dem Krieg, die drei Stützen des Urkreises gewesen waren, luden Albert Einstein zu einem Spaziergang auf den beliebtesten Aussichtsberg Wiens. Es war fast unausweichlich, dass das wissenschaftliche Quartett auf jenen Mann zu sprechen kam, der schon damals als der „Hausphilosoph“ von Albert Einstein galt, nämlich Moritz Schlick. Der war zwar ein Berliner – „traurig, aber wahr“, sollte Schlick später scherzen – aber er erwies sich als der ideale Mittelpunkt für das, was bald zum Wiener Kreis wurde. ÖDIPUS MACHT SCHLAGZEILEN Einige Jahre vor dem Spaziergang am Kahlenberg hatte Einstein bereits ein Buch von Schlick nach Österreich geschickt, an jenen Wiener Physiker, der ihm am nächsten stand und früher, in Zürich, fast als sein Doppelgänger gelten konnte – Friedrich Adler. In der Geschichte vom Wiener Kreis ist Adler nur eine Randfigur, aber keine, die man übersehen kann. Nachdem sich Adler von seiner akademischen Laufbahn verabschiedet hatte, war er nach Wien zurückgekehrt, als Sekretär der Sozialdemokratischen Partei. Seine Genossen nannten ihn bald „den Logiker“, weil er seinen Überzeugungen stets kompromisslos folgte, wohin sie ihn auch führen mochten. Und so geschah es auch am Höhepunkt des Ersten Weltkriegs, im Herbst 85

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Friedrich Adler bei der Tat und vor Gericht

1916. Die Logik verlangte, dass Friedrich Adler den k.k. Ministerpräsidenten erschoss, den Grafen Karl von Stürgkh (1859-1916). Der Graf hatte den Notstand erklärt, um das Parlament zu entmachten. In Friedrich Adlers Sicht blieb kein legaler Weg mehr offen, um eine absolutistische Herrschaft zu verhindern. Adler hatte Schillers Schauspiel Wilhelm Tell schon als Kind im Burgtheater gesehen, und seine Jahre in der Schweiz hatten seinen Enthusiasmus für den legendären Tyrannenmörder nicht gedämpft. Am Morgen des 21. Oktobers 1916 rief Friedrich seine Mutter an und richtete ihr aus, dass sie fürs Mittagessen nicht mit ihm rechnen sollte. Dann ordnete er seinen Schreibtisch und machte sich auf ins Restaurant Meißl und Schadn, ein Wiener Innenstadtlokal, das gleichermaßen renommiert war für sein Rindfleisch und seine adelige Klientel. Es war stadtbekannt, dass der Premierminister hier mittags zu speisen pflegte. Nachdem Adler sich davon überzeugt hatte, dass sein Opfer bereits eingetroffen war, wählte er einen nahegelegenen Tisch und bestellte ein dreigängiges Menü, um seine Nerven zu beruhigen. Dann zahlte er und entsicherte diskret die Pistole, die er in seiner Rocktasche trug. 86

Nun ergab sich eine kleine Verzögerung, verursacht durch die Gegenwart einer Dame an einem Nachbartisch. Adler bestellte einen Kaffee und wartete geduldig, eine gefühlte Ewigkeit lang, bis sie endlich den Raum verließ. Dann stand er auf, stürzte zum Tisch des Premierministers und jagte ihm mehrere Kugeln in den Kopf. Offizieren, die in nächster Nähe saßen, blieb nicht einmal die Zeit um nach ihren Säbeln zu greifen. Nach einem kurzen Handgemenge händigte Adler seine Waffe aus und ließ sich widerstandslos festnehmen. Er hatte seine Brillen verloren, aber nicht seine Kaltblütigkeit. Einem Polizeioffizier, der ihn nach dem Motiv seiner Tat fragte, antwortete er kühl, dass ihn das nichts anginge. Er, Adler, würde seine Erklärung an passender Stelle vortragen – vor Gericht. Vom Augenblick seiner Festnahme an bestand Adler darauf, dass er für seine Tat voll verantwortlich war. „Ich habe diesen Mord nicht in Geistesverwirrung begangen“, sagte er dem Untersuchungsrichter und später auch seinen Richtern. Sein Ziel sei es gewesen, „die Menschen zum Denken zu bringen“. Wenn er bloß lauthals gerufen hätte: „Nieder mit dem Absolutismus! Wir wollen den Frieden!“, so hätte man ihn nicht gehört – die Zensur wäre eingeschritten. Aber seine Schüsse, die hatte man gehört, und daher würden auch seine Worte vor Gericht gehört werden müssen. Aber würde es zu einer Gerichtsverhandlung kommen? Adlers Alptraum war es, statt dessen in eine Irrenanstalt eingewiesen zu werden. In diesem Fall wäre seine Tat sinnlos gewesen. Friedrich Adler brauchte unbedingt einen Prozess. Adlers Familie hingegen sah nur eine Möglichkeit, ihn vor dem Galgen zu retten: nämlich ihn für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Dann gäbe es keinen Prozess. Dann würde er überleben. Um zu beweisen, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, nahm Friedrich Adler in der Untersuchungshaft seine physikalischen Untersuchungen wieder auf. Er schrieb ein Buch über Ernst Mach. Manchmal arbeitete er die ganze Nacht durch. Sein Vater Viktor Adler versuchte die Obrigkeit zu überzeugen, dass es gerade diese manische Hyperaktivität war, die bewies, dass sein Sohn non compos mentis war. Eine psychiatrische Untersuchung bestätigte die Diagnose des Vaters: „Hypomanie“, hieß es da, und „zirkuläre Neurose“. Es hatte genug Geisteskranke in der Familie gegeben. Die Experten listeten penibel elf Fälle auf, verteilt über fünf Generationen. Doch fügten sie hinzu, dass Friedrich Adler selbst nicht geisteskrank war, sondern bloß ein Fanatiker. Einer der Experten, die mit dem Fall betraut wurden, war der Psychiater Julius Wagner-Jauregg (1857-1940). Zehn Jahre später sollte er den Nobelpreis erhalten, für seine Methode, Syphilis mittels Malaria zu bekämpfen. Zur Zeit des Mords war er gerade damit beschäftigt, Kriegsneurosen mittels Elek87

troschock zu bekämpfen. Sein Rivale Sigmund Freud gab widerwillig zu, dass die Methode gelegentlich funktionierte. Freud selbst unterließ es, in den Fall Friedrich Adler hineingezogen zu werden. Vielleicht wegen der allzu großen Nähe? Tatsächlich, seine inzwischen weltberühmte Adresse – Berggasse 19 – war einst die von Viktor Adler gewesen. Und Viktor Adler, übrigens selbst ein ehemaliger Psychiater, kam sogar in einem der Träume vor, die Freud in seiner Traumdeutung analysiert hatte. Die Welt ist klein, besonders aber Wien. Doch unter den gegenwärtigen Umständen überließ es Sigmund Freud seinen Epigonen, den Vater-Sohn Konflikt in der Familie Adler zu analysieren. Die ließen sich nicht lange bitten. Es war ja wirklich ganz einfach: Friedrich Adlers unbewusster Wunsch, den Vater zu töten, verwandelte sich durch Verschiebung in den Wunsch, den pater patriae zu töten, also den Kaiser. Und da der Kaiser nicht so leicht zu erreichen war, so bot sich als die nächstbeste Lösung die Ermordung von dessen Ministerpräsidenten. Ein ganz klares Beispiel einer Ersatzhandlung, was denn sonst? Wer hinter dem Attentat ein ideologisches oder ethisches Motiv vermutete musste hoffnungslos naiv sein. Albert Einstein zum Beispiel. EIN EXZESS DES MATHEMATISCHEN Tatsächlich: sobald Einstein von dem Attentat gehört hatte, setzte es sich für seinen ehemaligen Freund ein, „dessen Selbstverleugnung ihn eigentlich in die Tinte gebracht hat“. Einstein entwarf sogar ein Gnadengesuch an den Kaiser. Das war jetzt ein neuer Kaiser, denn der sechsundachtzigjährige Franz Joseph war wenige Wochen nach der Ermordung seines Premierministers verstorben. Sein Nachfolger, der dreißigjährige Karl der Erste, der auch der Letzte auf dem Thron werden sollte, eignete sich wenig für die Rolle eines pater patriae. Am Ende schickte Einstein sein Gnadengesuch doch nicht ab; er verzierte es mit ein paar Kritzeleien und bedeckte dann die Rückseite mit kosmologischen Formeln. Doch er bot sich als Charakterzeuge für Friedrich Adler an, und forderte auch Adlers ehemalige Kollegen aus dem Züricher Institut dazu auf. Außerdem gab Einstein der Vossschen Zeitung ein ausführliches Interview, in dem er die Selbstlosigkeit seines ehemaligen Kommilitonen lobte und erzählte, wie Adler im Jahr 1909 sein Ansuchen für eine Professur zurückgezogen hattezugunsten eines Kandidaten, „der in wissenschaftlicher Hinsicht bei weitem den Vorzug verdiente“. (Einstein erwähnte nicht, dass er selbst dieser Kandidat gewesen war.) Friedrich Adler wiederum verbrachte seine Tage und Nächte in der Untersuchungshaft mit Versuchen, die spezielle Relativitätstheorie seines ehemali88

gen Kollegen zu widerlegen. In einem Zustand permanenter Euphorie kam er zur Überzeugung, dass er einen besseren Zugang gefunden hatte, der auf der Wahl von besonderen Bezugssystemen beruhte. Er war überzeugt, dass ihm damit „die Vollendung der Mechanik“ geglückt war. Als Friedrich Adler von seiner Zelle aus schrieb, dass er eine Entdeckung gemacht habe, „von der nicht zu viel gesagt ist, wenn man sie als die größte bezeichnet, die beim gegenwärtigen Stand der Physik möglich war“, übermittelte sein Vater diese Nachricht an den Psychiater Wagner-Jauregg als ein weiteres Indiz für geistige Verwirrung. Wagner-Jauregg verständigte umgehend seine Assistenten – darunter Otto Pötzl, den jungen Psychiater, der einst Robert Musils Neurasthenie diagnostiziert hatte – und suchte Friedrich Adler nochmals in der Haftanstalt auf. Der Gefangene war zutiefst gekränkt. „Ich vertraue dir als einem Freund“, schrieb er an seinem Vater, „und du schickst mir die Psychiater.“ Die Bemühungen Viktor Adlers, das Leben seines Sohnes zu retten, seien nichts als Versuche, die eigenen politischen Interessen durchzusetzen! Um Friedrich Adler zu kalmieren, mussten Vater und Verteidiger versprechen, die Zurechnungsfähigkeit Friedrich Adlers nicht mehr in Frage zu stellen. Übrigens hatten die Psychiater auch keinerlei Anlass gefunden, ihre Diagnose zu revidieren. Fanatisch, aber nicht geisteskrank. Bei der Gerichtsverhandlung war Friedrich Adler in Hochform. Als erstes erklärte er den Prozess für verfassungswidrig. Er sehe also keinerlei Anlass, seine Tat zu rechtfertigen. Aber erklären wolle er sie doch. Das war ja die Absicht hinter dem Attentat gewesen. Er hatte die Tat begangen weil sie ihm erlauben würde, vor der Öffentlichkeit darzulegen, warum er sie begangen hatte. Das mag paradox klingen, hat aber doch seine eigene Logik. Adlers Verteidigungsrede dauerte sechs lange Stunden. Zunächst beschrieb er, ganz Physiker, den Perspektivwechsel, der nötig gewesen war, um vom ptolemäischen zum kopernikanischen Weltsystem zu kommen. „Müssen wir uns das anhören?“, fragte der Richter. „Ja“, so die kühle Antwort Dr. Adlers, „denn wir leben heute im Zeitalter der Relativität“. Dann setzte er gnadenlos seinen Gedankengang fort. Sie, sagte er zum Richter, unterteilen die Menschheit in Nationen. Ich, der Angeklagte, unterteile sie in Klassen. Dazu bedarf es eines Perspektivwechsels – so wie er kürzlich in Russland stattgefunden hatte, im Februar 1917, während Friedrich Adler in der Untersuchungshaft auf seinen Prozess gewartet hatte. Das rührte an eine offene Wunde. Der Keim, der die russischen Arbeiter und Soldaten infiziert hatte, konnte leicht das Niemandsland überqueren und auch in Österreich Fuß fassen. „Reden Sie nicht zum Fenster hinaus!“, sagte der Richter verärgert. Aber Adler ließ sich nicht stoppen. Schritt für Schritt führte er den Gerichtshof durch seinen Beweis, dass Graf Stürgkh ihm durch 89

die Aufhebung der Verfassung gar keinen anderen Ausweg gelassen hatte, als zur Tat zu schreiten. Im Zug von Adlers Verteidigungsrede wurde auch klar, dass seine Tat weniger ein Protest gegen die k.k. Regierung gewesen war als gegen das allzu zahme Verhalten der sozialdemokratischen Opposition. Er hatte sich geschämt für Österreich, sagte Friedrich Adler, und auch geschämt für seinen Vater. Es wurde klar, dass er beide aus tiefstem Herzen liebte. Die Ödipus-Story war also gar nicht so abwegig gewesen. Und tatsächlich war es dem ganzen Land nach dem Tod des alten Kaisers klar geworden, dass jetzt Viktor Adler die letzte Vaterfigur war. Und was sagte der Zeuge Viktor Adler über den Angeklagten? „Er war und ist für mich der liebste Mensch!“. Was die politische Lage betrifft: „Wer bei gewissen Dingen nicht den Verstand verliert, der hat keinen zu verlieren.“ Der schwache Witz war offensichtlich ein Versuch, den Sohn zu bitten, ihm die Beiziehung der Psychiater zu vergeben. Viktor Adler fuhr fort, dem Gericht zu erklären, dass die Tat seines Sohnes „auf einen Exzess des Mathematischen“ zurückzuführen sei, einen Exzess, den er, der Vater, niemals für möglich gehalten hätte. Friedrichs einziges Laster sei „die Übertreibung der Tugend“. Viktor Adler erwähnte auch, dass ihm Einstein berichtet hatte, dass sich sein Sohn gelegentlich zutraue, „Bäume auszureißen“. Und außerdem, so der Vater, „wenn ein Mathematiker seine Linien zieht, dann glaubt er fest an seine Linien.“ Dann ließe er sich nicht mehr beirren. Als der Richter den Angeklagten fragte, ob er denn nie an die Auswirkungen seiner Tat auf seine Eltern und Kinder gedacht hatte, antwortete Friedrich Adler sehr von oben herab, dass ein Attentat zugegebenermaßen seine problematischen Seiten habe; „aber die Meinung, dass geschichtliche Taten nur von kinderlosen Waisen gemacht werden dürfen“, läge doch jenseits aller Diskussion. – So macht man sich bei Gericht keine Freunde. Vom ersten bis zum letzten Moment des Prozesses war es klar, dass Friedrich Adler fest mit dem Todesurteil rechnete. Er bekam es auch. Dr. Friedrich Adler wurde zum Tod durch den Strang verurteilt. Doch der junge Monarch ließ Gnade walten, und verfügte statt der Hinrichtung eine achtzehnjährige Haft. Von seiner Zelle in der Strafanstalt Stein aus, an der Donau oberhalb Wiens, konnte der Gefangene seine Korrespondenz mit Albert Einstein fortsetzen. Er entwarf sogar ein Experiment, um die spezielle Relativitätstheorie zu widerlegen. Einstein erklärte ihm geduldig warum es undurchführbar war. Einem anderen Freund, Michele Besso (18731955), schrieb Einstein im Vertrauen, dass Friedrich Adler „ein ziemlich ste90

riler Rabbinerkopf“ sei. „Reitet den Machschen Klepper bis zur Erschöpfung.“ – Schon möglich, antwortete Besso, aber der alte Klepper hat auch dir gut gedient. Und obwohl Einstein von Adlers Physik wenig hielt, bewunderte er doch dessen Selbstlosigkeit. „Ich bin schon neugierig“, schrieb er dem Gefangenen aufmunternd, „wer von uns zuerst dazu kommt, den anderen zu besuchen.“ Im Herbst 1918 ordnete Kaiser Karl die Freilassung Friedrich Adlers an. Es war eine Versöhnungsgeste in Richtung der Sozialdemokraten. Angeblich schickte Karl sogar sein offizielles Gefährt, das Hofautomobil, um Friedrich Adler heimzuführen. Im Fonds der luxuriösen Limousine saß sein Vater: er wollte der erste sein, der seinen „Buben“ in der Freiheit begrüßte. Es war die Rückkehr eines Helden. Friedrich Adlers mochte physikalisch auf der falschen Spur gewesen sein, aber sein politisches Kalkül ging voll auf. In den ersten Tagen nach dem Attentat war er noch von der Linken als „Unseliger“ verdammt worden (wie konnte er nur seinem Vater das antun!), aber bald darauf wurde er als Märtyrer seiner pazifistischen Überzeugungen gefeiert. Die Presse hatte in allen Einzelheiten über seinen Prozess berichten können. Die Zensur war zahnlos geworden, und wenige Tage nach Adlers Verurteilung wurde auch der Reichsrat wieder einberufen. Noch während Friedrich Adler im Gefängnis saß, boten ihm die österreichischen Kommunisten die Führung ihrer Partei an. Sein alter Freund Leo Trotzki (1879-1940) wollte ihn zum Ehrenkommandierenden der Roten Armee ernennen, und kein geringerer als Lenin schlug vor, dass er den Ehrenvorsitz über den Petrograder Sowjet übernahm: anscheinend war er gewillt, ihm seine notorische Schwäche für Machsches Gedankengut zu verzeihen. Aber Friedrich Adler hielt wenig von der Politik der Bolschewiken, und blieb den Sozialdemokraten seines Vaters treu. Just am Tag vor der Ausrufung der Republik Deutsch-Österreich verschied Viktor Adler. Diese neue Republik bestand im Wesentlichen aus dem deutschsprachigen Teil des Habsburgerreiches und umfasste etwa ein Achtel von dessen Gesamtbevölkerung. Fast alle von ihnen wollten sich Deutschland anschließen, doch das ließen die alliierten Mächte nicht zu. Die Republik Deutsch-Österreich musste das „Deutsch“ aus ihrem Namen streichen und versprechen, sich niemals mit dem großen Nachbarn aus dem Norden zu vereinen. Die zwei Bücher, die Adler im Gefängnis geschrieben hatte – Ernst Machs Überwindung des Materialismus und Systemzeit, Ortszeit, Lokalzeit – wurden innerhalb weniger Wochen im Vorwärts-Verlag gedruckt, doch dann hörte man nicht mehr viel von ihnen. Im Gegensatz dazu wurde das Protokoll von Adlers Verhandlung Vor dem Ausnahmegericht zu einem Bestseller, bald in Dutzende von Sprachen übersetzt und mehrfach neu aufgelegt. Es ist im91

mer noch eine faszinierende Lektüre – eine Art von Wilhelm Tell 2.0. Arthur Schnitzler hätte es nicht viel besser machen können. Die ersten allgemeinen Wahlen nach dem Krieg brachten der Sozialdemokratischen Partei den Platz eins, wenn auch nur mit knappem Vorsprung. Parteichef war jetzt Otto Bauer. Friedrich Adler, plötzlich die unbestrittene moralische Instanz der Partei, wurde ins Parlament gewählt. Als er von einem kommunistischen Umsturzversuch erfuhr, konnte er die Arbeitervertreter in einer flammenden Rede umstimmen. Das geschah ausgerechnet in jenen hektischen Tagen, als Otto Neurath in München der Prozess gemacht wurde. Zur Physik kehrte Friedrich Adler nicht mehr zurück. Aber er las noch das Buch, das ihm Albert Einstein in die Haftanstalt Stein geschickt hatte: Raum und Zeit, verfasst von Moritz Schlick – jenen Mann, der nun nach Wien berufen wurde auf die verwaiste Lehrkanzel Ernst Machs. ZWISCHEN EPIKUR UND EINSTEIN Moritz Schlick war 1882 in Berlin zur Welt gekommen. Sein Vater, ein wohlhabender Kaufmann, betrieb ein Geschäft für Kämme und Elfenbein. Schlicks Familie führte sich väterlicherseits auf einen böhmischen Adelsstamm zurück, mütterlicherseits auf einen preußischen Freiheitsdichter, Moritz von Arndt. Im Alter von sechs Jahren erkrankte Schlick an Scharlach und Diphterie; die Nachwirkungen plagten ihn sein Leben lang. Er war ein schwächliches Kind, aber ein ausgezeichneter Schüler. Schon früh las er Kant, und kam zu ähnlichen Schlüssen wie der Knabe Ernst Mach: Kants Metaphysik konnte ihn nicht überzeugen. Der achtzehnjährige Moritz Schlick schrieb: „Als ich so das Todesurteil der theoretischen Philosophie ausgesprochen, drängte mich das Leben, mich in die wichtigste aller praktischen Weisheiten zu vertiefen: In die Betrachtung des Menschen und des Menschlichen, die ich stets weniger für eine Philosophie als für eine Naturwissenschaft gehalten habe.“ Nach der Reifeprüfung erhielt Schlick ein Exemplar von Ernst Machs Mechanik geschenkt, was er später gern als Wink des Schicksals deutete. Schlick studierte Physik, hauptsächlich in Berlin, und verfasste beim berühmten Max Planck seine Doktorarbeit Über die Reflexion des Lichts in einer inhomogenen Schicht. Später schrieb er: „Ich wandte mich der Physik aus philosophischem Bedürfnis und in philosophischem Geiste zu.“ Im Jahr 1904 promovierte Schlick summa cum laude. Er galt als der Lieb92

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lingsschüler Max Plancks, neben seinem Freund, dem um ein Jahr älteren Max von Laue. Dieser sollte schon mit fünfunddreißig für seine Arbeiten zur Kristallstruktur den Nobelpreis für Physik erhalten, einige Jahre vor Planck. Eine Karriere als Physiker war jedoch nicht, was Schlick anstrebte. „Sie entsprach nicht meiner Natur“, wie er erkannte. Schon als Mittelschüler hatte er mit der Niederschrift eines philosophischen Werks begonnen, das er 1907 als Fünfundzwanzigjähriger fertig stellte. Der Titel lautete: Philosophie der Jugend: Moritz Schlick Lebensweisheit. Versuch einer Glückseligkeitslehre. Auch wenn sich Schlick schon bald darauf von seinem, wie er meinte, etwas grobschlächtigen Stil distanzierte, der sich allzu stark an das Vorbild Nietzsches anlehnte, ist das Werk weit mehr als eine Jugendsünde. Schlick sollte auf seine so früh entwickelten Gedanken immer wieder zurückkommen. In seinen Schriften und Vorlesungen propagierte er zeitlebens eine Epikureische Ethik der Güte im Gegensatz zur Kant‘schen Ethik der Pflicht. Während der junge Philosoph noch an seiner Glückseligkeitslehre arbeitete, lernte er in einem Heidelberger Mädchenpensionat die amerikanische Pastorentochter Blanche Guy Hardy kennen. Das junge Mädchen schrieb ihm einige Wochen später offenherzig: „Mein lieber Dr. Schlick, Sie haben mich vermutlich längst vergessen, aber versuchen Sie bitte, mich in Erinnerung zu rufen, damit ich mich nicht allzu verlegen fühlen muss.“ Blanche schloss mit den Worten: „Sollte dieser Brief Ihnen unkonventionell vorkommen, so verzeihen Sie bitte mit dem Kommentar: ‚Sie ist Amerikanerin‘.“ Schlick antwortete bald. Er hatte die Amerikanerin nicht vergessen, und begann nun, ihr den Hof zu machen. Ein Jahr später (Blanche war inzwischen in die USA zurückgekehrt) hielt Schlick schriftlich um ihre Hand an. Im Oktober 1907 wurde geheiratet, in Massachusetts. Schlicks Lebensweisheit erschien zur selben Zeit. In den folgenden Jahren versuchte Schlick, sich als Philosoph zu profilieren. Er hielt seine psychologischen Kenntnisse für verbesserungswürdig und inskribierte das Fach als Gasthörer in Zürich. Sein Versuch, sich dort mit einer Schrift Über den Begriff der Wahrheit zu habilitieren, schlug aber fehl, angeblich weil einer der dortigen Professoren auf den bloßen Namen Mach schon allergisch reagierte. Schlick erfuhr von seiner Ablehnung wenige Wochen nach der Geburt seines Sohnes. Nun versuchte er sein Glück in Kiel, und 93

beide: Archive Vienna Circle Foundation

Das Ehepaar Schlick zuhause und unterwegs

dann in Gießen, wieder ohne Erfolg. Schlicks Vater wurde allmählich ungeduldig. Erst im Sommer 1911 war es dann endlich soweit: Die Universität von Rostock, einem Hafenstädtchen an der Ostsee, ernannte Moritz Schlick zum Dozenten der Philosophie – die akademische Laufbahn konnte beginnen. Zu einer entscheidenden Weichenstellung kam es im Winter desselben Jahres: Schlicks Freund und ehemaliger Studienkollege, Max von Laue, schlug ihm vor, sich mit Einsteins Relativitätstheorie zu befassen: „Sie sind doch wie vielleicht kein anderer Ihrer Fachgenossen in der Physik bewandert. Würde das Problem Ihnen nicht ganz besonders gut liegen?“ Schlick schob die Arbeit an seinem geplanten Werk Der Neue Epikur beiseite – er sollte es niemals vollenden. Max von Laue hatte ganz recht: Einsteins Theorie bot Gelegenheit, Immanuel Kants Gedanken von einer neuen Warte aus zu hinterfragen. Sind Raum und Zeit tatsächlich a priori gegebene Formen der Anschauung? Warum führt dann die Raumzeit der Relativitätstheorie zu so verblüffenden Schlussfolgerungen, die ganz konträr zu unserer Anschauung sind? Ein Beispiel ist das sogenannte Zwillingsparadox, das Max von Laue untersucht hatte: Schickt man einen Zwilling mit hoher Geschwindigkeit durch das 94

Oe Nationalbibliothek

Max von Laue macht Schlick einen Vorschlag

All, und kehrt er von der Tour wohlbehalten zurück, so ist er dann jünger als sein daheimgebliebener Zwillingsbruder. Es schien klar: Einsteins Ideen stellten eine Goldmine für Erkenntnistheoretiker dar. Wegen seiner Krankengeschichte war Schlick noch in Friedenszeiten von der Deutschen Armee als „dauernd dienstuntauglich“ eingestuft worden; in den ersten Kriegsjahren konnte er daher als Philosoph intensiv weiterarbeiten. Für die rar gewordenen Rostocker Studenten hielt er Vorlesungen zu den Grundlagen der Mathematik. Vor allem aber widmete er sich seiner Abhandlung Die philosophische Bedeutung des Relativitätsprinzips. Als er im Jahr 1915 sein Manuskript an Albert Einstein schickte, reagierte dieser mit Begeisterung:

„Die Arbeit gehört zu dem Besten, was bisher über Relativität geschrieben worden ist.“ Und weiter: „Das Vertrauen auf die apodiktische Gewissheit der synthetischen Urteile a priori wird schwer erschüttert durch die Erkenntnis der Ungültigkeit auch nur eines einzigen dieser Urteile.“ Innerhalb weniger Jahre wurde Moritz Schlick zum philosophischen Sprachrohr Albert Einsteins – zu einer Zeit, als dessen Ideen noch heftig umstritten waren. Die dramatischen Ereignisse um die Geburt der allgemeinen Relativitätstheorie bekam Schlick hautnah mit. „ZWEI WIRKLICHEN KERLEN ZUR FREUDE“ Die Feldgleichungen, die Raum und Masse verbinden, entdeckten David Hilbert und Albert Einstein fast zur gleichen Zeit – noch heute diskutieren Wissenschaftshistoriker die Einzelheiten dieses mathematischen Wettlaufs. Im Sommer 1915 hatte sich Einstein als Hausgast bei Hilbert in Göttingen aufgehalten, und an der dortigen Universität mehrere Vorträge gehalten. Daran schloss sich eine rege wissenschaftliche Korrespondenz. Ende Novem95

ber überschlugen sich die Ereignisse: beide Wissenschaftler reichten ihre Arbeiten über die Grundgleichungen der Physik ein. Einsteins Arbeit erschien zuerst und erwähnt Hilbert mit keinem Wort. Hilbert wiederum hatte sein Manuskript noch einmal zurückgezogen und modifiziert. In den Druckfahnen desselben fehlt ein halbes Blatt, von unbekannter Hand säuberlich weggeschnitten. Dieser Sachverhalt bietet bis heute Verschwörungstheorien Raum. Was stand auf dem fehlenden Schnipsel Papier? Die beiden Gelehrten schätzten einander zu sehr, um den Prioritätsstreit hochzuspielen; aber eine Verstimmung war vorübergehend entstanden. Einstein konnte an Hilbert jedoch schon bald darauf schreiben: „Gegen das damit verbundene Gefühl der Bitterkeit habe ich gekämpft, und zwar mit vollständigem Erfolge.“ Es wäre schade, fügte er hinzu, wenn „zwei wirkliche Kerle“ sich nicht gegenseitig zur Freude gereichten. Die Theorie, um die Einstein viele Jahre gerungen hatte, war vollendet, die Gravitation mit der Geometrie schlüssig verbunden. „Die Raumzeit ergreift die Masse und sagt ihr, wie sie sich bewegen soll; und die Masse ergreift die Raumzeit und sagt ihr, wie sie sich krümmen soll“, fasste der Physiker J.A. Wheeler später zusammen.

Noch während des tragischen und sinnlosen „Kriegs, um den Krieg zu beenden“ schrieb Moritz Schlick ein kleines Buch mit dem Titel Raum und Zeit, eine glasklare Einführung in die Relativitätstheorie. 1917 war er für „garnisonsdienstfähig“ befunden worden. Soldaten wurden im deutschen Kaiserreich langsam knapp. Schlick diente in der Physikalischen Abteilung auf einem Flugplatz in der Nähe Berlins.

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All dies geschah während eines Krieges von noch nie gesehener Grausamkeit, dem Tag für Tag tausende zum Opfer fielen, zermalmt, vergast oder zerfetzt. Er frage sich manchmal, schrieb Schlick, ob die Historiker in ferner und hellerer Zukunft auf die Frage, wann denn der Weltkrieg stattgefunden habe, antworten würde: „Der große Krieg? Ach ja, der wütete zu jener Zeit, als Albert Einstein seine Relativitätstheorie vollendete.“

Fanpost beflügelt: Moritz Schlick (hier im Kreis von Kollegen) erhält einen Brief von Albert Einstein  96

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Einstein beglückwünschte Schlick zu seinem Buch: „Ihre Darlegung ist von unübertrefflicher Klarheit und Übersichtlichkeit. Sie haben sich um keine Schwierigkeit herumgedrückt, sondern den Stier bei den Hörnern gepackt, alles Wesentliche gesagt und alles Unwesentliche weggelassen. Wer Ihre Darlegung nicht versteht, ist überhaupt unfähig, einen derartigen Gedankengang aufzufassen.“ In immer neuen Auflagen von Raum und Zeit konnte Schlick den Triumph von Einsteins Theorie dokumentieren; ihr endgültiger Durchbruch fand im Jahr 1919 statt, als zwei englische Expeditionen die Krümmung der Lichtstrahlen in der Nähe der Sonne nachwiesen. Einstein hatte diese Wirkung der Schwerkraft schon 1912 vorausgesagt. Die Abweichung der Lichtstrahlen kann aber nur bei totaler Sonnenfinsternis beobachtet werden. Die nächste war für das Jahr 1914 vorhergesagt. Deutschland hatte eine Expedition vorbereitet, doch der Weltkrieg machte einen Strich durch die Rechnung. Jetzt hatte der ehemalige Kriegsgegner die Theorie Einsteins glänzend bestätigt. Auch Max von Laue war überrascht. Selbst er, ein Bewunderer Einsteins und führender Experte in der speziellen Relativitätstheorie, hatte der „rein philosophischen Begründung“ der allgemeinen Relativitätstheorie misstraut. Darin steckte seiner Meinung nach zu viel Mach. Die Äquivalenz aller Bezugssysteme, gleichgültig wie sie sich zueinander bewegten, war doch weiter nichts als eine Wunschvorstellung. Noch 1913 hatte Max von Laue an Moritz Schlick geschrieben: „Zum Glück lässt sich eine der unmittelbarsten Folgerungen [aus der allgemeinen Relativitätstheorie], die Krümmung der Lichtstrahlen in der Nähe der Sonne, schon bei der nächsten Sonnenfinsternis prüfen. Dann wird diese Theorie wohl eines seligen Todes sterben.“ Die Theorie starb nicht, sondern wurde weltweit zur Sensation. Max von Laue gab es Schlick gegenüber offen zu: in der Zwischenzeit habe er sich mit der allgemeinen Theorie anfreunden können, „und zwar gerade unter dem Eindruck Ihrer kleinen Schrift.“ EIN PAAR BREITENGRADE SÜDLICHER Schlicks Ansehen stieg rapide, bei Physikern wie bei Philosophen. Er wurde, wie Walter Rathenau schrieb, der „Evangelist der Relativitätstheorie“. Hilbert lud ihn zu Vorträgen nach Göttingen. Der spätere Nobelpreisträger Max Born schrieb an Schlick: „Wir bilden nun eine Gemeinde, die Ihren Propheten gefunden hat – ich hoffe, dass Sie diese ehrenvolle Stellung annehmen.“ 98

Die alte Hansestadt Rostock wurde für Moritz Schlick zu klein. Mit seiner Allgemeinen Erkenntnislehre hatte er im Jahr 1918 ein eindrucksvolles Werk abgeliefert; mit einem derartigen Wälzer im Schriftenverzeichnis konnte man getrost eine Philosophieprofessur anstreben. Schlick bat Einstein, ihm behilflich zu sein, „der Rostocker Schläfrigkeit“ zu entkommen, und die Fachwelt darauf aufmerksam zu machen, „dass hier oben im Norden ein Philosophiedozent mit leidlich gesundem Menschenverstand sitzt, der nichts lieber tun würde, als seine Tätigkeit um ein paar Breitengrade südlicher zu verlegen.“ Einstein war gern behilflich. Zwar schlug eine angepeilte Berufung nach Zürich fehl, und Schlick musste zunächst mit einer Professur in Kiel vorlieb nehmen, was breitengradmäßig keine Verbesserung darstellte; aber bald darauf kam der Ruf nach Wien. Im Herbst 1922 konnte Schlick übersiedeln. Hahn hatte in der Berufungskommission eine wichtige Rolle gespielt und in der Fakultät um Unterstützung für Schlick geworben. Die Paketlösung, auf die man sich für die drei philosophischen Lehrkanzeln einigte, wirkt geradezu salomonisch: Man wählte einen Physiker, einen Psychologen und einen „richtigen“ Philosophen. Schlick wurde auf die Lehrkanzel für Naturphilosophie berufen, gewissermaßen als der Nachfolger von Ernst Mach (obwohl sich die Nummerierung der Lehrkanzeln geändert hatte). Seine Wahl war nicht unumstritten: 10 Gegenstimmen von 42 bezeugten einen Vorbehalt in der Fakultät. Aber schließlich hatte selbst ein Albert Einstein in der Gelehrtenwelt Gegner. Auf die Lehrkanzel für Psychologie, damals ein Zweig der Philosophie, wurde Karl Bühler (1879-1963) berufen, der bald darauf, gemeinsam mit seiner Frau Charlotte (1893-1974) und seinem Mitarbeiter Egon Brunswik (1903-1955), ein Wiener Psychologisches Institut von Weltgeltung aufbaute. Schließlich wurde Robert Reininger (1869-1955) für die Geschichte der Philosophie berufen. Es bedeutete für den jungen Familienvater Schlick kein geringes Risiko, in das krisengebeutelte Wien der Nachkriegszeit und der Inflationsjahre zu übersiedeln. Sein Freund Max von Laue, der in Österreich Urlaub gemacht hatte, schrieb ihm: „Ich habe dort die Erfahrung gemacht, dass man sich über die Preise nicht unterhalten kann. Während man einen Satz darüber ausspricht, steigen sie schon wieder erheblich, sodass man nicht die Wahrheit sagen kann.“ Schlick berichtete an Albert Einstein: „Es wird mir doch recht schwer, nach Wien zu gehen, nicht nur, weil 99

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Moritz Schlick und die Schwingtür zum Zirkel

die Zukunft in Österreich so dunkel aussieht. – Aber das Wiener Klima ist besser und die Aufgaben für einen philosophischen Lehrer sind größer.“ Eine wichtige Rolle bei den Berufungsverhandlungen spielte die Wohnsituation. Zu guter Letzt zog die inzwischen vierköpfige Familie in eine großbürgerliche Wohnung, bestens gelegen an der eleganten Prinz-Eugen-Straße. Schon die Fahrt stadteinwärts zur Universität war ein Genuss: Die Straßenbahnlinie D führt am Belvedere und am Schwarzenberg-Palais vorbei, bevor sie in die Ringstraße mit ihren Prunkbauten und Alleebäumen biegt. Dort entfaltet sich das ganze Touristen-Menu: erst die Oper, dann die Hofburg, die großen Museen, das Parlament und schließlich, an der letzten Haltestelle vor der Universität, das gotische Rathaus und der Renaissance-Bau des Burgtheaters. Genau genommen neo-gotisch und neo-Renaissance – aber zweifellos prunkvoll. Insgesamt eine zehnminütige Lektion in Architekturgeschichte, in Marmor und Granit geklotzt. Stadtauswärts hingegen hatte es Schlick nur wenige Schritte bis zum Südbahnhof, von wo es nach Kärnten, Italien oder an die dalmatinische Küste ging, traumhafte Reiseziele für den sonnenhungrigen Schlick. Einem ehemaligen Lehrer schrieb er dazu später: 100

„Besonders genießen wir die schöne Lage Wiens: Die Osterferien verbringe ich meist an der Adria oder in Süditalien, während des Sommers sind wir meist in den Kärntner Bergen, und den Herbst bringe ich fast regelmäßig im nördlichen Italien zu.“

Institut Wiener Kreis

Schlicks Wiener Vorlesungen hatten sofort großen Erfolg. Einsteins Ruhm färbte auf ihn ab. Außerdem war er in den Wochen vor seinem Wiener Dienstantritt in den Genuss einer besonderen Auszeichnung gekommen. Die illustre Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte gedachte Friedrich Waismann im Jahr 1922 ihr hundertstes Jahrestreffen besonders glanzvoll zu gestalten, und hatte Albert Einstein, inzwischen Nobelpreisträger, für den Hauptvortrag eingeladen. Unmittelbar daran anschließend sollte ein philosophischer Vortrag folgen, gehalten von Moritz Schlick. Doch dann, mitten während der Vorbereitungen zum Kongress, fiel der deutsche Außenminister Walter Rathenau dem Anschlag einer Geheimorganisation namens Consul zum Opfer. Es kursierten Gerüchte, dass auch Einsteins Name auf einer schwarzen Liste stand; als Pazifist und Jude war er längst ein Hassobjekt rechtsradikaler Fanatiker geworden. Ein Vortrag dieses „Undeutschen“ vor der Gesellschaft Deutscher Naturforscher mochte Anlass für einen Fememord bieten. Vorsichtshalber beschloss Einstein, seinen Auftritt abzusagen. An seiner Stelle legten zwei Hauptvortragende Einsteins Theorie dar. Max von Laue sprach über Die Relativitätstheorie in der Physik und Moritz Schlick über Die Relativitätstheorie in der Philosophie. So hatte Professor Planck, der das Jahrestreffen organisierte, die Genugtuung, dass seine beiden ehemaligen Lieblingsschüler die Hauptredner waren. Max und Moritz. Jetzt, scherzte er, konnte niemand mehr behaupten, dass die Relativitätstheorie bloß jüdische Propaganda sei.

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102 Institut Wiener Kreis

SCHLICKS ZIRKEL Die Prominenz ihres neuen Professors imponierte natürlich den Wiener Studierenden; sie strömten in Scharen zu seinen Veranstaltungen. Ein Gasthörer schrieb: „Professor Schlicks Vorlesungen fanden in einem riesigen Hörsaal statt, dicht gefüllt mit Studentinnen und Studenten. Ein zufälliger Besucher seines Seminars kann sich glücklich schätzen, wenn er nicht mit dem Fensterbrett Genüge finden muss.“ Schlicks Popularität stieg ihm aber nicht zu Kopf. Karl Menger schrieb später in seinen Erinnerungen: „Als ich 1923 einige von Schlicks Vorlesungen besuchte und dann an einem seiner Seminare teilnahm, machte er auf mich den Eindruck eines extrem kultivierten, etwas introvertierten Menschen. Er war sehr aufrichtig und bescheiden, fast schüchtern. Meine Bewunderung für seine Aufrichtigkeit vertiefte sich, als ich ihn in späteren Jahren näher kennen lernte. - Was den Eindruck extremer Bescheidenheit in seinem Umgang mit Studierenden erweckte, war aber nur Schlicks manchmal übertriebene Höflichkeit. Während er immer bereit war, seine eigenen Ansichten zu korrigieren und zu lernen, war er tatsächlich völlig selbstsicher. Wenn bei näherer Bekanntschaft mit Schlick eine Spur des ursprünglichen Zweifels an seiner Selbstsicherheit verblieb, so lag das an seiner Neigung, manche Menschen zu verehren.“ Doch diese „Neigungen“ Schlicks galten nur solchen, die sie auch verdienten, erklärte Menger: „Er hatte Physik bei Planck studiert und verehrte Einstein. Danach folgte eine Periode der tiefsten Bewunderung für David Hilbert. Später faszinierte ihn Russell.“ Rasch scharten sich hochbegabte Studentinnen und Studenten um Moritz Schlick, wie etwa Friedrich Waismann (1896-1959), schon etwas gehobenen Semesters; der junge Pole Marcel Natkin (1904-1963), mit Künstlergehabe; die fleißige Rose Rand (1903-1980), offenbar bettelarm; oder der hochaufgeschossene Herbert Feigl (1902-1988). Dieser schrieb Schlick begeistert, dass er erst aus dessen Vorlesungen erfahren habe, was es bedeute, wissenschaftlich zu philosophieren. Schlick fachte diese Begeisterung noch weiter an, als er Feigl eine Privataudienz bei Einstein vermittelte. Feigl und Waismann, den Schlick als wissenschaftliche Hilfskraft angestellt hatte, bedrängten ihren Professor bald, ein Privatissimum zu organisie Moritz Schlick (mit Badeschuhen) und Herbert Feigl (ohne) 103

ren. Das stimmte bestens mit der Absicht Hans Hahns überein, die alte wissenschaftsphilosophische Gesprächsrunde gemeinsam zu reanimieren. Der Schlick-Zirkel entstand. Rasch wurden regelmäßige Treffen vereinbart. Sie fanden jeden zweiten Donnerstagabend statt, so wie damals im Urkreis. Diesmal aber sollte es nicht bei einer Kaffeehausrunde bleiben. Das Mathematische Institut stellte einen kleinen Hörsaal zur Verfügung. Der Raum lag gleich neben Hahns Dienstzimmer, im Erdgeschoß des neuen Universitätsgebäudes „glatten, unbegreiflichen Inhalts“. – Für das Kaffeehaus blieb nachher noch Zeit genug. Das „Josephinum“ lag über die Straße. Schlick lud die Teilnehmer zum Privatissimum ein und leitete die Sitzungen; Karl Menger berichtet: „Die Gruppengröße schwankte zwischen zehn und zwanzig im Lauf der Jahre. Während jedes akademischen Jahres blieb die Zusammensetzung im Wesentlichen dieselbe, mit Ausnahme der auswärtigen Gäste.“ Zur alten Garde aus den Vorkriegsjahren, nunmehr in ihren frühen Vierzigern, gehörten Hans Hahn, Otto Neurath und dessen Frau Olga, die Schwester von Hahn, sowie Viktor Kraft, ein Philosoph, der an der Universitätsbibliothek angestellt war. Philipp Frank reiste häufig von Prag an, das jetzt, nach dem Krieg, zum Ausland gehörte, zu einem Land mit zungenbrecherischem Namen – Tschechoslowakei. Nochmals Karl Menger: „Der Raum war mit Sesselreihen und langen Tischen angefüllt, zu einer Tafel ausgerichtet. Wenn keine Sitzung stattfand, wurde er als Lesesaal verwendet. Die ersten, die eintrafen, schoben einige Tische und Sessel von der Tafel weg, die die meisten Sprecher benutzten. In dem so gewonnenen Raum ordneten sie die Sessel in einem Halbkreis an. Ein langer Tisch wurde für jene freigehalten, die Bücher mitbrachten, oder rauchen wollten, oder mitschrieben.“ Die Studierenden stammten etwa zu gleichen Teilen aus den Gebieten der Mathematik und der Philosophie; meist wussten sie selbst noch nicht, wo sie einzuordnen waren. Etwas älter als sie waren Felix Kaufmann (1895-1949) und Edgar Zilsel (1891-1944), beide ebenfalls aus dem Graubereich zwischen Mathematik und Philosophie. Zilsel hatte sich als Gymnasiallehrer beurlauben lassen, um eine philosophische Habilitation vorzubereiten. Kaufmann war schon Dozent, unterrichtete Rechtsphilosophie, und verdiente sein Geld als Repräsentant der Anglo-Iranian Oil-Company, viel beneidet um diese Position. 104

Karl Menger, der wenig später zu dem Kreis stieß, beschreibt die Treffen so: „Die Teilnehmer standen in informellen Gruppen herum, bis Schlick in die Hände klatschte. Dann endeten die Gespräche, jeder nahm einen Platz ein, und Schlick, der üblicherweise an einem Tischende nahe bei der Tafel saß, verkündete das Thema des abendlichen Vortrags oder des Berichts oder der Diskussion.“ Auf der Tagesordnung waren zunächst die üblichen Verdächtigen, salso Einstein, Hilbert und Russell. Doch bald kam es zu einer unerwarteten Wende: Das Thema wurde fortan von einer schmalen Broschüre bestimmt, verfasst von einem völlig unbekannten Dorfschullehrer – freilich einem mit klangvollem Namen.

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FÜNFTES KAPITEL

Der Wendepunkt des Kreises Wien 1923-1928: Zwei deutsche Jungstars, Rudolf Carnap und Kurt Reidemeister, stoßen zum Wiener Kreis. Reidemeister geht bald wieder. Carnap widmet sich Aufbau der Welt. Moritz Schlick will Philosophie überwinden. Ludwig Wittgenstein sucht nach Grenzen des Denkens. Junger Millionenerbe erschüttert Russell, kauft Kanone, verzichtet auf Riesenvermögen. Sein Traktat schlägt Schlick-Zirkel in Bann, verkündet: Die Logik sagt nichts aus. Wittgenstein bricht zehnjähriges Schweigen und holt Doktorat nach.

DIE WENDE Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus prägte den SchlickZirkel in seinen frühen Jahren. „Das Interesse des Wiener Kreises“, notierte Karl Menger, „verschob sich von der Analyse der Empfindungen zur Analyse der Sprache, von Mach zu Wittgenstein.“ Auch Moritz Schlick ortete eine „Wende der Philosophie“. Wittgensteins orakelhafter Text faszinierte den Schlick-Zirkel, und polarisierte von Beginn an. Denn nicht alle Mitglieder stimmten den Thesen der knappen Abhandlung zu. So witterte Neurath hinter den meisten Sätzen Wittgensteins Metaphysik – in seinen Augen eine philosophische Todsünde. Doch Hahn und Schlick waren tief beeindruckt. 1927 schrieb Schlick an Albert Einstein, dass er sich von der neuen Wende „nichts geringeres verspreche als eine gänzliche Reform – nämlich eine völlige Überwindung, Entbehrlichmachung – der Philosophie.“ Der geheimnisumwobene Wittgenstein hielt sie alle auf Abstand. Dabei lebte er unweit von Wien: Im bodenständigsten Niederösterreich unterrichtete er die Kinder von Bauern und Kleinhäuslern. Erst nach Jahren willigte er Treffen mit ausgewählten Mitgliedern des Wiener Kreises zu. Im Jahr 1926 hatte er sich genötigt gesehen, den Schuldienst aufzugeben. Er war zu oft zu jähzornig gewesen, und die Hand saß ihm locker. 106 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_5

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Lehrer Wittgenstein (ganz rechts) mit Schulklasse im Ottenthal

„Nur kein transzendentales Geschwätz“, so schrieb er einmal, „wenn alles so klar ist wie eine Watschen.“ – Da bezog er sich allerdings auf die Philosophie, wo Watschen manchmal segensreich sind. Was sagt die Logik über die Welt aus? Wie wirkt sich die Sprache auf unser Denken aus? Welche Stellung nimmt die Philosophie ein? – Die spröden Sentenzen von Wittgensteins Tractatus, zugleich rätselhaft und glasklar, elektrisierten den Wiener Kreis. Sie waren auf eigenwillige Weise nummeriert, um ihren Platz im gedanklichen Astwerk zu zeigen. Zweimal ging der SchlickZirkel den Text Satz für Satz durch; das nahm mehrere Semester in Anspruch. Die erste Lektüre wurde durch Kurt Reidemeister angeregt, die zweite durch Rudolf Carnap. Die beiden jungen Deutschen waren früh zum Kreis gestoßen, der eine von Hans Hahn nach Wien eingeführt, der andere von Moritz Schlick. Bei Reidemeister blieb es eine kurze Visite, doch Carnap entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem Bannerträger des Kreises. REIDEMEISTERS BEWEGUNGEN Kurt Reidemeister (1893-1971) stammte aus Braunschweig. Sein Studium der Mathematik und der Philosophie in Freiburg, München, Marburg und Göttingen wurde durch den Kriegsdienst jäh unterbrochen. Im Jahr 1920 promovierte er an der neugegründeten Universität von Hamburg. Hans Hahn wurde früh auf ihn aufmerksam, und erreichte, dass Reidemeister schon im 107

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Jahr 1922 nach Wien berufen wurde, und zwar als außerordentlicher Professor für Geometrie – das, obwohl er noch nicht einmal die Lehrbefugnis besaß und erst drei Artikel veröffentlicht hatte. In Wien kam der muntere junge Professor sowohl bei den Kollegen als auch bei den Studierenden großartig an. So schrieb ein neunzehnjähriger Kommilitone an Karl Menger, dass in der Mathematischen Gesellschaft noch nie so viel gelacht worden sei wie jüngst bei einem Vortrag Kurt Reidemeisters. Während seiner knappen drei Jahre in Kurt Reidemeister Wien errichtete Reidemeister das Fundament der (1893-1971) mathematischen Knotentheorie. – Knoten hatten seit Jahrtausenden Künstler und Grübler in ihren Bann gezogen, sie waren zum Sinnbild kniffliger Fragen geworden. Wie kann man Knoten „lösen“? Wie kann man sie klassifizieren? Kann man etwa die linke in die rechte Kleeblattschlinge stetig überführen, ohne sie zu zerreißen? (Man kann es nicht, aber das ist nicht leicht zu beweisen.) Die Knotentheorie ist in unserer Zeit ein zentrales Gebiet der Mathematik geworden. Am Ausgangspunkt dieser Entwicklung stand die Theorie der ReidemeisterBewegungen, die das Erscheinungsbild eines Knoten verändern, aber nicht seine Struktur.

Die rechte und die linke Kleeblattschlinge

Irischer Knoten

Es war Reidemeister, der auf das Büchlein von Ludwig Wittgenstein gestoßen war, darüber einen Vortrag hielt und vorschlug, es im Schlick-Zirkel eingehend zu diskutieren. Damit leitete er für diesen Kreis eine Wende ein. Aber bald darauf nahm der Knotenmeister einen Ruf nach Königsberg an, auf einen Lehrstuhl jener Universität, die Kant und Hilbert hervorgebracht hatte. 108

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Der junge Rudolf Carnap misst Mykonos aus

So blieb Reidemeister für den Wiener Kreis lediglich eine Episode. Doch Kurts Schwester Marie, die ihn 1924 in Wien besuchte, sollte hier Wurzeln schlagen, bezaubert von Otto Neuraths elefantösem Charme. DER AUFBAU VON CARNAP Wie Reidemeister hatte auch Carnap den Krieg in voller Länge durchgedient – ein Sachverhalt, der den üblichen Ablauf einer wissenschaftlichen Laufbahn gehörig ins Stocken bringen kann. Sein Doktorat konnte Carnap erst mit dreißig machen. Doch als er bald darauf nach Wien übersiedelte, hatte er bereits das Manuskript seiner Habilitationsschrift im Reisegepäck, die zu einem Klassiker der Philosophie des zwanzigsten Jahrhunderts werden sollte. Rudolf Carnap wurde im Jahr 1891 bei Wuppertal geboren. Seinen Vater verlor er früh. Sein Onkel war der berühmte Archäologe Wilhelm Dörpfeld, ein Nachfolger des Troja-Ausgräbers Heinrich Schliemann. Carnap konnte deshalb schon als Gymnasiast die griechischen Ausgrabungsstätten vermessen. Er begann mit dem Studium der Mathematik, Physik und Philosophie in Freiburg. Dann übersiedelte er mit der Mutter nach Jena. Dort lehrte jener mathematische Logiker Gottlob Frege, der mit seiner Begriffsschrift neue Maßstäbe der Exaktheit gesetzt hatte, und eben dadurch zum Opfer von Russells Paradox geworden war. Freges Lehrveranstaltungen fanden nur wenig Anklang, den meisten galten sie als viel zu abstrus. Carnap übernahm es, zu jeder Vorlesungsstunde jene drei Hörer herbei zu trommeln, die für eine ordnungsgemäße Abhaltung der Veranstaltung nötig sind. 109

Oe Nationalbibliothek, Foto: Emil Tasch

Der junge Carnap war nicht nur Logiker, sondern auch ein begeistertes Mitglied des sogenannten Sera-Kreises. Dieser sein erster Kreis verkörperte einen besonders romantisch beseelten Zweig der Jugendbewegung. Wie so viele seiner Generation sah Carnap in den Ausflügen, Liederabenden und Sonnwendfeiern die Vorboten einer neuen Gesellschaft, die auf Liebe und Gemeinschaftssinn aufbauen würde.

Gottlieb Frege (1848-1925)

Zum Kriegsdienst meldete sich Carnap freiwillig – auch das wie so viele seiner Generation. Vor 1914 hatte der schwärmerische „Wandervogel“ eine bewaffnete Auseinandersetzung geradezu herbei gesehnt. Dann kam er an die Front und wurde verwundet. Das letzte Kriegsjahr verbrachte er als Physiker in Berlin. Die patriotische Begeisterung war verraucht. Zunehmend engagierte sich Carnap als Pazifist, und schrieb verbotene Friedensaufrufe für die Fliegenden Blätter der Untergrundliteratur. Außerdem wurde der junge Soldat Vater. Im Jahr 1917 hatte er Elisabeth Schöndube geheiratet, die Tochter eines nach Mexiko ausgewanderten Deutschen und einer Mexikanerin. Nach dem Krieg verbrachte Carnap mit Elisabeth ein halbes Jahr bei seinen Schwiegereltern in Übersee; weiterer Nachwuchs stellte sich ein. Es wurde Zeit, beruflich Fuß zu fassen. Carnaps Doktorarbeit Der Raum hatte das Interesse von Moritz Schlick erweckt. Mehr noch imponierte ihm Carnaps Plan einer großangelegten Habilitationsschrift, worin gezeigt werden sollte, wie unser Bild der Wirklichkeit aus Sinneserfahrungen konstituiert werden kann, und zwar durch rein logische Operationen. Dieser Zugang verband den Empirismus eines Ernst Mach mit der mathematischen Logik von Bertrand Russell. Noch als Student hatte Carnap an Russell geschrieben, um sich nach einem kostengünstigen Exemplar der monumentalen Principia Mathematica zu erkundigen. Die deutsche Währung war ja kollabiert. Russell hatte kein Restexemplar mehr zur Verfügung; stattdessen antwortete er dem damals noch völlig unbekannten jungen Deutschen mit dreißig handgeschriebenen Seiten, bedeckt mit den wichtigsten Formeln seines Werks. Carnap sah in der Logik von Frege und Russell ein Werkzeug für die gesamte Philosophie. Er schrieb: 110

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Carnap wird Logiker

„Es ist historisch verständlich, dass die neue Logik zunächst nur im engeren Fachkreise der Mathematiker und Logiker Beachtung gefunden hat. Ihre hervorragende Bedeutung für die gesamte Philosophie wird nur von wenigen geahnt; ihre Auswertung auf diesem weiten Feld hat kaum erst begonnen. Wenn die Philosophie willens ist, den Weg der Wissenschaft (im strengen Sinn) zu betreten, so wird sie auf dieses durchgreifend wirksame Mittel zur Klärung der Begriffe und zur Säuberung der Problemsituationen nicht verzichten können.“ Carnaps persönliche „Problemsituation“ war die fehlende Lehrbefugnis. Für eine akademische Laufbahn galt sie als unerlässlich. Von einem Freund wurde er auf die Möglichkeit hingewiesen, an der Wiener Universität Privatdozent zu werden. So sondierte Carnap bei Schlick; der sagte alsbald seine volle Unterstützung zu und schrieb zurück:

„Ich hatte Gelegenheit, mit einem mathematischen Kollegen, der die Psychologie der Fakultät sehr gut kennt, über die Sache zu reden, und dieser meint, dass wir mit Ihnen gar keine Schwierigkeiten haben würden, da die bekannten Hinderungsgründe, die sonst bei der Majorität Anstoß zu erregen pflegen, bei Ihnen gänzlich wegfallen. Wir dürfen also gute Hoffnungen hegen.“ Der „mathematische Kollege“ war natürlich Hans Hahn; und zu den „bekannten Hinderungsgründen“ zählten eine jüdische Herkunft und marxistische Überzeugungen. – Nach dem verlorenen Krieg sahen es viele deutschnationale Professoren, inzwischen die Mehrheit in der Fakultät, gewissermaßen als ihre Pflicht an, die Hochschulen vor den „Ungeraden“ zu bewahren; am schutzlosesten waren junge Wissenschaftler vor ihrer Habilitation. Und Wissenschaftlerinnen kamen sowieso nicht in Frage, über wenig war man sich einiger. Gerade um die Zeit, als Carnap nach Wien kam, vereitelten die „bekannten Hinderungsgründe“ die Habilitation von Edgar Zilsel, einem Mitglied des Wiener Kreises. Was Otto Neurath anbelangt, so versuchte dieser erst gar 111

nicht, an der Wiener Universität Fuß zu fassen. Seine Dozentur war ihm von der Heidelberger Universität aberkannt worden, mit der fadenscheinigen Begründung, dass er seine Lehrverpflichtungen nicht erfüllt hatte. Das war im Jahr 1919 geschehen, gleich nach dem ruhmlosen Ende der Räterepublik. In Wien, soviel wusste Neurath, wäre sein Ansuchen um eine Lehrbefugnis von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen. Doch bei Carnap lag die Sache anders. Da seine sozialistischen Flugschriften in Österreich nicht gelandet waren, und sich an seiner Herkunft nichts aussetzen ließ, konnte er, wie von Hahn prophezeit, problemlos Privatdozent an der Universität Wien werden. Seine Habilitationsschrift gilt heute als ein Hauptwerk der analytischen Philosophie. Auf Schlicks Vorschlag hin hatte Carnap sie betitelt als Der logische Aufbau der Welt, obwohl es eher um den logischen Aufbau der Wissenschaft ging – und zwar jeder empirischen Wissenschaft, mochte sie sich nun mit physischen oder mit psychischen Vorgängen befassen. Carnap hatte eine Methode entwickelt, die alle Aussagen auf die Elementarerlebnisse zurückführt, die auf den jeweiligen Beobachter einströmen: „Die Begriffe des Gebietes werden aus geeignet zu wählenden Grundbegriffen schrittweise definiert und dadurch in einen Stammbaum der Begriffe geordnet; die Aussagen des Gebietes werden aus geeignet zu wählenden Grundaussagen schrittweise deduziert und dadurch in einen Stammbaum der Aussagen geordnet.“ Der Cocktail aus Russell und Mach kam im Schlick-Zirkel hervorragend an. Die Zuneigung war wechselseitig. Carnap erinnerte sich noch Jahrzehnte später in seiner philosophischen Autobiografie: „Meine Interessen und meine grundlegenden philosophischen Ansichten stimmten mit denen des Wiener Kreises mehr überein als mit jeder anderen Gruppe, die ich je traf.“ Einen Großteil seines Werks Der logische Aufbau der Welt hatte Carnap schon fertiggestellt, bevor er nach Wien zog. Nicht so den Schluss. Der allerletzte Satz des Buches, zeigt, wie schnell sich Carnap hier geistig eingelebt hatte. Denn mit diesem Satz zitierte er das schon damals in Wien geflügelte Wort: „Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“ Diesen Satz hatte Ludwig Wittgenstein an den Schluss seines Tractatus logico-philosophicus gesetzt.

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MYTHOS MIT DRACHEN Wittgensteins Leben trägt romanhafte Züge; er gehört zu jenen Gestalten, die Legenden umkreisen wie Falter das Licht. Keine zehn Jahre nach dem Tractatus stellte ein deutscher Mathematiker auf einem Kongress die Frage, ob sich denn hinter dem Mythos Wittgenstein, auf den sich der Wiener Kreis immer wieder bezog, überhaupt ein wirklicher Mensch verberge. Die Frage war ironisch gemeint; aber manches über Wittgenstein klang in der Tat beinah märchenhaft. Wittgensteins Vater Karl war einer der vermögendsten Männer Europas gewesen; er spielte als „Stahlbaron“ in der k.k. Monarchie eine ähnliche Rolle wie Krupp in Deutschland oder Carnegie in den Vereinigten Staaten. Aus reichem Wiener Haus stammend, riss er als Achtzehnjähriger mit falschem Pass aus – nach Amerika. Zwei Jahre lang schlug er sich drüben als Kellner, Geigenspieler und Barkeeper durch. Dann kehrte Karl Wittgenstein nach Österreich zurück, keineswegs reumütig. Er studierte ein Jahr an der Technischen Hochschule in Wien und avancierte dann rasch vom technischen Zeichner in einem böhmischen Walzwerk zu einem Leitbild der österreichischen Gründergeneration. Es hört sich an wie die bekannte Geschichte „vom Tellerwäscher zum Millionär“ – ungewöhnlich daran war jedoch, dass Karl in New York Teller wusch und in Wien zum Millionär wurde. Im Jahr 1898 zog sich Karl Wittgenstein, obwohl erst knapp über fünfzig, aus sämtlichen Industrieunternehmen zurück und unternahm eine einjährige Reise rund um die Welt. Nach seiner Rückkehr wurde er ein schillernder Kunstmäzen, der Hauptfinancier der Secession, spendabler Förderer des Architekten und Designers Josef Hoffmann (1870-1956), der Komponisten Johannes Brahms (1833-1897) und Gustav Mahler (1860-1911) und des Malers Gustav Klimt (1862-1918). – Der Satiriker und Journalist Karl Kraus (18741936) verabscheute Karl Wittgenstein als den Inbegriff des Kapitalisten. Ludwig Wittgenstein war das jüngste der acht Kinder des Stahlbarons; der kleine Luki, wie er genannte wurde, hatte Privatlehrer, eine eigene Werkbank und ein eigenes Pferd. Der herrische Vater hegte eine heftige Abneigung gegen öffentliche Schulen und verfolgte eigenwillige Ideen bei der Ausbildung seiner fünf Söhne (von denen drei Selbstmord begehen sollten). Erst mit vierzehn wurde Ludwig in eine öffentliche Schule geschickt. Er kam ins Realgymnasium nach Linz – in dieselbe Schule, wenngleich nicht in dieselbe Klasse wie der fast auf den Tag gleichaltrige Adolf Hitler (1889-1945), der aus einfacheren Verhältnissen stammte und bald darauf die Schule verließ, um Künstler zu werden. 113

Neue Pinakothek München Cambridge Univ. Archive

Entree im Haus Wittgenstein

Ludwigs Schwester Margarete, gemalt von Gustav Klimt

In Linz maturierte Wittgenstein im Jahr 1906, mit durchgehend mäßigen Noten. Er wollte bei Boltzmann studieren. Dessen Artikel Über Luftschifffahrt – 1894 verfasst, also fast zehn Jahre vor dem ersten Flug der Gebrüder Wright – hatte ihn fasziniert. Boltzmann erwartete sich nur wenig von Luftschiffen, die leichter als Luft waren; sie erschienen ihm als zu schwerfällig. Stattdessen propagierte er „dynamische Flugmaschinen“, schwerer als Luft, die durch Schrauben angetrieben wurden (das Wort „Propeller“ war damals noch nicht erfunden). Je nachdem ob die Schrauben horizontal oder vertikal ausgerichtet waren, handelte es sich bei den Flugapparaten also um „Helikoptere“ oder „Aeroplane“ (diese Worte existierten damals schon). Wieso, fragte Boltzmann, sollten solche dynamischen Fluggeräte nicht bei uns hier in Wien entwickelt werden? Immerhin, so argumentierte er mit entwaffnender Logik, seien ja auch die Zauberflöte und Neunte Symphonie hier entstanden. „Das sollen sie uns nachmachen in der ganzen übrigen Welt, wenn sie’s können!“ Boltzmann schloss seinen Aufsatz mit der Bemerkung, dass außer der Erfindungskraft und der Begeisterung nur noch eins nötig wäre, nämlich Geld. Ob der junge Wittgenstein daran dachte, dass in seinem Fall das Geld kein Problem darstellen würde? Erfinderisch und begeistert war er jedenfalls, und so entschloss er sich schon früh, einen Flugdrachen zu konstruieren und mit einer Antriebsschraube auszustatten. Leider kamen ihm andere 114

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Ludwig mit Drachen und Freund

Patent Wittgensteins

zuvor: noch bevor er 1906 maturierte, hoben die ersten Aeroplane ab. Ganz wie Boltzmann es vorausgesagt hatte, schlug die Eroberung der Lüfte die Welt in Bann. Eine neue Dimension hatte sich aufgetan, mit unbegrenzten Herausforderungen. Im Spätsommer des Jahres 1906 beging Boltzmann Selbstmord. So immatrikulierte Wittgenstein nicht in Wien, sondern an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg. Dort erwarb er im Jahr 1908 sein Diplom. Dann setzte er seine aeronautischen Studien in Manchester fort, entwarf Flugdrachen und erhielt ein Patent für einen Propeller. Doch zunehmend interessierte sich der junge Ingenieur für die hinter der Aerodynamik steckende Mathematik; und, da er sehr gründlich war, auch für die hinter der Mathematik steckende Logik. Er reiste zu Gottlob Frege nach Jena, und dieser riet ihm, bei Bertrand Russell in Cambridge zu studieren – natürlich ohne zu ahnen, was er seinem englischen Kollegen damit einbrockte. Im Herbst 1911 traf Wittgenstein erstmals auf Russell. Das Treffen sollte für beide Männer von entscheidender Bedeutung werden. „DER NÄCHSTE GROSSE SCHRITT IN DER PHILOSOPHIE“ Die Beziehung zwischen den beiden Denkern begann etwas holprig, wie Briefe Bertrand Russells verraten: 115

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Bertrand Russell

G.E. Moore

„Mein deutscher Freund droht, beschwerlich zu werden, starrsinnig und widerborstig, aber nicht blöd, glaube ich.“ (19. Okt. 1911) „Mein deutscher Freund ist, glaube ich, ein Narr.“ (2. Nov. 1911) „Mein grimmiger Deutscher ist eisern gewappnet gegen alle Angriffe der Vernunft – es ist wirklich ziemliche Zeitvergeudung, mit ihm zu sprechen.“ (16.Nov.1911) Doch dann schlug der Wind um: „Mein Deutscher hat mich heute gefragt ob ich glaube, dass er fürs Philosophieren ein völlig hoffnungsloser Fall ist, und ich sagte ihm, dass ich es nicht weiß, aber glaube, dass nicht.“ (27. Nov. 1911) Spät, aber doch erfuhr Russell, dass sein Deutscher in Wirklichkeit Österreicher war, und reagierte, wie es sich Österreicher nur wünschen können: „Ich beginne ihn zu mögen, er ist literarisch, sehr musikalisch, mit angenehmen Umgangsformen (da Österreicher) und, wie ich glaube, wirklich intelligent.“ (29. Nov. 1911) Irgendwann fragte der junge Österreicher Bertrand Russell, ob er ihn für einen absoluten Idioten hielte. Wenn ja, dann würde er, Wittgenstein, ein Aeronaut werden; wenn nein, dann Philosoph. Russell bat ihn um einen Probeaufsatz. „Sobald ich den ersten Satz gele116

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Protokoll von Wittgensteins Vortrag in Cambridge

sen hatte“, schrieb er später, „war ich überzeugt, dass Wittgenstein ein Genie war, und versicherte ihm, dass er auf keinen Fall Aeronaut werden sollte.“ So wurde der dreiundzwanzigjährige Ingenieur Anfang 1912 Student am Trinity College in Cambridge. Bald danach war auch der zweite große Philosoph von Cambridge, Russells Freund G.E. Moore (1873-1958), von Wittgensteins überragendem Talent überzeugt. Moores Begründung: „Weil er während meiner Vorlesungen verwirrt dreinschaut, und sonst keiner das tut.“ Als Wittgensteins Schwester Hermine zu Besuch nach Cambridge kam, vertraute ihr Russell an: „Wir erwarten den nächsten großen Schritt in der Philosophie von Ihrem Bruder.“ Bald wurde Wittgenstein Mitglied der Philosophischen Gesellschaft von Cambridge, dem Moral Science Club. Er hatte noch keine zwölf Monate Philosophie studiert, als er dort seinen ersten Vortrag hielt, unter dem schlichten Titel What is Philosophy?. Der Vortrag war der kürzeste in der Klubgeschichte. Vier Minuten genügten Wittgenstein, um die Antwort auf seine Frage zu geben: Philosophie befasst sich mit jenen Grundsätzen, die in den diversen Wissenschaften ohne Beweis als wahr vorausgesetzt werden. „Fand keine allgemeine Zustimmung“, vermerkt das Protokoll trocken. Aber schlecht war Wittgensteins These nicht. Anfängerglück? Keineswegs, wie sich herausstellen sollte. 117

„Seine Kritik war ein Ereignis allergrößter Bedeutung in meinem Leben. – Mein Schwung war zerstört, wie eine Welle, die an einer Mole zerbirst.“

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Russell schrieb ein halbes Jahrhundert später in seinen Memoiren: „Wittgenstein war das vielleicht vollkommenste Beispiel eines Genies im traditionellen Sinn, leidenschaftlich, tief, intensiv und beherrschend.“ „Beherrschend“ – das konnte man wahrhaftig sagen, denn Wittgenstein unterzog die Philosophie von Russell einer vernichtenden Kritik. Seiner Geliebten gestand dieser später, dass er nach seiner Begegnung mit Wittgenstein nie wieder hoffen konnte, Grundlegendes in der Philosophie zu leisten.

Wittgensteins Hütte an einem Fjord

Wittgenstein hatte den größten Logiker seiner Zeit davon überzeugt, die Finger von der Logik zu lassen und seine geplante Theorie des Wissens aufzugeben. Häufig hielten jetzt Russell und Moore die epigrammatischen Sätze fest, die ihnen der Student Wittgenstein in die Feder diktierte. Während einer Reise nach Norwegen, die er im Sommer 1913 gemeinsam mit seinem Intimfreund David Pinsent unternahm, beschloss Ludwig Wittgenstein, seine Gedanken zur Logik in ungestörter Abgeschiedenheit eigenhändig niederzuschreiben. Er verbrachte die dunklen Wintermonate alleine in Skjolden und ließ sich eine abgelegene Hütte an einem Fjord bauen. Seit Moses vom Berg Sinai gestiegen war, hatte kein großer Denker eine dramatischere Kulisse gefunden. Während der Weihnachtsferien 1913, die Wittgenstein in Wien verbrachte, starb sein schwerkranker Vater. Er hinterließ ein Millionenvermögen. Weil der Oligarch dem Frieden nicht getraut hatte, war es im Ausland angelegt. Als acht Monate später der Krieg tatsächlich ausbrach, meldete sich Wittgenstein sofort freiwillig bei der österreichischen Armee, obwohl er vom Militärdienst befreit gewesen war. Vor dem Einrücken überwies er von seinem Millionenerbe 100.000 Kronen als Spende an Künstler. Der Experte, dem er die Auswahl der Künstler überließ, nämlich Ludwig von Ficker (18801967), ließ sich nicht lumpen. Das Geld ging an die Dichter Georg Trakl (1887118

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Leutnant Wittgensteins Ausweis

1914) und Rainer Maria Rilke (1876-1926), die Dichterin Else Lasker-Schüler (1869-1945), den Architekten Alfred Loos (1870-1933), den Maler Oskar Kokoschka (1886-1980), und den Komponisten Josef Hauer (1883-1959). Als Wittgenstein bei der Artillerie einrückte, fuhr er mit dem Spenden fort. Diesmal sogar 1.000.000, und zwar für einen Mörser – den allergrößten, den es damals gab, ein wahres Stahlungetüm. Seine Schwester Hermine erinnerte das an den Witz vom besserwisserischen Rekruten, dem ein entnervter Unteroffizier schließlich zubrüllte: „Verdammt, so kauf dir doch eine Kanone und mach dich selbstständig!“ Ein Buch, auf das Wittgenstein durch Zufall in Krakau stieß, die Kurze Darlegung des Evangeliums von Leo Tolstoi, löste in ihm eine Art von Erweckungserlebnis aus. Später sollte er sagen: „Der Krieg hat mir das Leben gerettet“. Wittgenstein betete zu jener Zeit viel. Außerdem schrieb er weiter an seinem Buch über Logik. Am besten konnte er denken, während er Kartoffeln schälte. Er diente an der Ost- und an der Südfront, ließ sich zur Infanterie versetzen und wurde Offizier, im Lauf der Zeit mehrfach ausgezeichnet. In den Pausen zwischen den Fronteinsätzen stellte er seine Logisch-philosophische Abhandlung fertig. „Man könnte den ganzen Sinn des Buches etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen lässt, lässt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Das Buch will 119

also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müssten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müssten also denken können, was sich nicht denken lässt). Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.“ KLAR WIE KRISTALL Nach Österreichs Kapitulation im Jahr 1918 kam Leutnant Wittgenstein in italienische Kriegsgefangenschaft. Von einem Lager am Fuß des Monte Cassino aus schrieb er an Russell: „Ich denke, ich habe unsere Probleme endgültig gelöst.“ Er wiederholte die kühne Behauptung im Vorwort zu seinem Werk: Die Wahrheit der hier mitgeteilten Gedanken scheine ihm unantastbar und definitiv. Er hatte die Hauptprobleme der Philosophie gelöst. Sie gründeten alle auf Missverständnissen über die Rolle der Sprache. Bertrand Russell hatte während des Ersten Weltkriegs unerschrocken für seine pazifistischen Überzeugungen gekämpft. Er hatte ihnen sogar seine Stellung am Trinity College geopfert, und seine Freiheit. Im Gefängnis schrieb er eine Einführung in die mathematische Philosophie, ungefähr um die Zeit, als Friedrich Adler, der ebenfalls im Gefängnis saß, sein Buch über Mach schrieb und euphorisch glaubte, „das, was Mach wollte, gefunden zu haben“. Auf der allerletzten Seite von Russells Buch wird in einer Fußnote Ludwig Wittgenstein erwähnt; wo der sich befände, schrieb Russell darin, das wisse er nicht; ja nicht einmal, ob er noch am Leben sei. Nun erfuhr er, dass sich der Österreicher in einem campo di concentramento befand. Erleichtert schrieb ihm Russell: „Bin überglücklich, dass du noch am Leben bist.“ Er schickte ihm auch seine Einführung in die mathematische Philosophie. Doch Wittgenstein fand darin nur den bitteren Beweis, dass Russell ihn nicht verstanden hatte und nie verstehen würde. Nach einiger Zeit erhielt der prigionere Wittgenstein die Erlaubnis, Kopien seines eigenen schmalen Manuskripts an Frege und Russell zu schicken. Gottlob Frege wusste mit der Abhandlung Wittgensteins überhaupt nichts anzufangen. Auch Russell war einigermaßen verstört. Wittgensteins brüske Behauptung, dass Mengenlehre und Typentheorie nunmehr hinfällig wären, ließ von Russells Lebenswerk nicht mehr viel über. Das dämpfte aber nicht seine Hilfsbereitschaft. „Ich bin sicher, dass du recht damit hast, dass dein Buch von allergrößter Bedeutung ist“, schrieb er ihm. „Sei nicht entmutigt. Einmal wird es soweit sein, dass man dich versteht.“ 120

Erst nach seiner Entlassung aus dem Kriegsgefangenenlager im Sommer 1919 konnte sich Wittgenstein ernsthaft um die Veröffentlichung seines Manuskripts bemühen, das er durch die Gefangenschaft mitgeschleppt hatte. Er traf mit Russell in den Niederlanden zusammen, die während des Kriegs neutral geblieben waren. Das Wetter war scheußlich kalt, die Gespräche zäh und ernüchternd. Immerhin versprach Russell, eine Einleitung zu Wittgensteins Abhandlung zu schreiben, um einige Punkte zu klären. Wittgenstein kehrte nach Wien zurück, doch nicht zur Philosophie. Wozu auch? Schließlich hatte er die Probleme gelöst. Das aber zeige, so schrieb er, wie wenig damit getan ist, und gerade darin läge der Wert seiner Arbeit. Wittgenstein widmete sie dem Andenken an David Pinsent. Sein kleiner, zartgliedriger Freund war als Testpilot über dem Militärflugplatz von Farnborough tödlich abgestürzt. Das vom Vater geerbte Vermögen Wittgensteins war in den USA noch weiter gewachsen. Ludwig überschrieb es an seine Geschwister. Von den Brüdern lebte nur mehr einer, der Pianist Paul, der im Krieg seinen rechten Arm verloren hatte und nun Klavierstücke für die linke Hand schreiben ließ, unter anderem von Maurice Ravel (1875-1937) und Sergei Prokofjew (1891-1953). Um, wie er sich ausdrückte, „anständig zu krepieren“, beschloss Ludwig Wittgenstein, Volksschullehrer zu werden. Während seiner Ausbildungszeit lebte er bei seinen Schwestern. Eine von ihnen war mit der Mutter von Heinz von Förster (1911-2002) befreundet, dem künftigen Systemanalytiker. Der neunjährige Heinz hatte gerade die Aufnahmeprüfung in die Mittelschule bestanden. Das musste natürlich gefeiert werden, mit Kuchen und Kaffee. Wittgenstein trat zufällig ins Wohnzimmer und erfuhr vom erfreulichen Anlass. Er fragte den Buben: „Was wirst du denn machen, wenn du groß bist?“ „Ich werde Forscher“, sagte der Bub. „Oho!“, sagte Wittgenstein, „da muss man aber viel wissen.“ „Ich weiß schon viel“, sagte Heinz. „Das stimmt“, meinte Wittgenstein nachdenklich, „aber du weißt noch nicht, wie recht du hast.“ Nach einem Jahr an der Lehrerbildungsanstalt in Wien trat Ludwig Wittgenstein 1920 seinen Dienst in Trattenbach an, einem kleinen, von einem Fabrikschlot verschandelten Nest im Wechselgebirge im Süden von Niederösterreich. Seine Logisch Philosophische Abhandlung bescherte ihm keine Freude: Mehrere Verlage lehnten das Manuskript ab, und das lange Vorwort von Russell entsprach nicht den Erwartungen Wittgensteins. Immerhin aber bewirkte just Russells Vorwort, dass die Abhandlung im Jahr 1921 schließlich doch noch erschien, in der Reihe von Ostwalds Annalen der Naturphilosophie. Ausgerechnet mit diesem Heft stellte die Reihe ihr Erscheinen ein. Da Wittgenstein die Korrekturfahnen nie zu Gesicht bekommen hatte, wimmelte es in dem knapp hundert Seiten langen Text von Druckfeh121

Ein Raubdruck? Die Logisch-Philosophische Abhandlung 122

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lern. Sogar die logischen Formeln wurden dadurch entstellt. Und das Ärgste war natürlich Russells Vorwort. Besser erging es der englischen Übersetzung, die von dem Sprachwissenschaftler C.K. Ogden (1889-1957) in Cambridge erstellt wurde, unter Beiziehung eines achtzehnjährigen Studenten namens Frank P. Ramsey (1903-1930), eines veritablen Wunderkinds. Die zweisprachige Ausgabe erschien im Jahr 1922, unter dem von G.E. Moore vorgeschlagenen Titel Tractatus logico-philosophicus. Natürlich weiterhin mit Russells Vorwort. Wittgenstein vertraute Russell an, dass niemand das Buch verstehen würde, obwohl es, wie er glaube, „klar wie Kristall“ sei. Anderswo hielt er fest: „Die völlige Unklarheit all dieser Sätze ist mir bewusst.“ Der Spagat zwischen Klarheit und Unklarheit bestimmte Wittgensteins Stil. Er sei zugleich kryptisch und kristallin, befand Ingeborg Bachmann später. So hieß es im Traktat: „Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken. Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit. Ein philosophisches Werk besteht wesentlich aus Erläuterungen. Das Resultat der Philosophie sind nicht ‚philosophische Sätze‘, sondern das Klarwerden von Sätzen. Die Philosophie soll die Gedanken, die sonst, gleichsam trüb und verschwommen sind, klar machen und scharf abgrenzen.“ (4.112) Und ebenso: „Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen.“ (4.116) Aber Wittgenstein schrieb auch: „Das Unaussprechliche ist – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten.“ Die Unterscheidung zwischen dem, was man sagen kann, und dem, was sich zeigt, zog sich als Leitmotiv durch Wittgensteins Denken. „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ (6.522) „Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf sie hinaufgestiegen ist.)“ (6.54) AM OBEREN ENDE DER LEITER Auch Wittgenstein hatte die Leiter unter sich weggeworfen. Er, der nie eine Volksschule von innen gesehen hatte, war nun Volksschullehrer geworden und 124

widmete sich seiner Aufgabe mit geradezu missionarischem Eifer. Er schrieb ein Wörterbuch für Volksschulen und präparierte Tierskelette; er führte die Schulklassen auf Ausflüge in die Berge oder nach Wien, und bläute den Kindern Mathematik ein. Eine Schülerin schrieb später: „Wir haben oft zu Schulbeginn angefangen zu rechnen, und haben stundenlang nur gerechnet; er hat seinen Stundenplan gar nicht so eingehalten, wie es sein sollte. Er war ein begeisterter Mathematiker und wollte uns dies alles eintrichtern.“ Wittgensteins Begeisterung wurde nicht von allen Kindern erwidert: „Und dann ist er schon sehr bös geworden und hat uns an den Haaren gepackt und dann war es natürlich ganz aus.“ Bald gab es Spannungen zwischen der Dorfbevölkerung und dem rabiaten Sonderling in der Lederjacke. An Russell, der zu jener Zeit als Gastprofessor in China tätig war, schrieb der niederösterreichische zero-tolerance Dorfschullehrer:

Versetzungen in die nahe gelegenen Orte Puchberg und Otterthal halfen da wenig. Im Jahr 1923 kam der zwanzigjährige Ramsey zu Besuch, der bei der Übersetzung von Wittgensteins Abhandlung mitgewirkt hatte. Gemeinsam gingen sie das Buch Seite für Seite durch. Wittgenstein sagte ihm, dass niemand länger als fünf oder zehn Jahre lang philosophische Arbeit leisten könne. Er habe endgültig damit aufgehört – nicht weil die Philosophie ihn langweile, sondern weil sein Geist nicht mehr beweglich sei. Doch sollte es nicht die Philosophie, sondern die Schulmeisterei sein, die für Wittgenstein eine Episode blieb – wenngleich eine, die sechs volle Jahre lang währte. Denn trotz der Warnungen seiner Lehrerkollegen, doch nicht so grob zu seinen Schülern zu sein, konnte Wittgenstein seine Wutausbrüche nicht beherrschen. Schließlich ging der Knabe Haidbauer nach einer von Wittgensteins „Watschen“ k.o. 125

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„Ich bin noch immer in Trattenbach und bin nach wie vor von Gehässigkeit und Gemeinheit umgeben. – Hier sind sie viel mehr als anderswo nichtsnutzig und unverantwortlich.“

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Palais Wittgenstein in der Kundmanngasse, von außen und innen

„Es wird nicht viel passieren“, begütigte der Bezirksinspektor, aber Wittgenstein quittierte den Schuldienst, von Schuldgefühlen geplagt. Im Dorf ließ er sich nie wieder blicken. „Die Leute hier sind so engstirnig, dass man mit ihnen nichts anfangen kann.“ Nach einigen verzweifelten Monaten als Hilfsgärtner in einem Kloster in Hütteldorf wandte er sich 1926 einer neuen Aufgabe zu: dem Palais Stonborough, den sich seine Schwester Margarete (die vom Klimt-Gemälde) in der Kundmanngasse errichten ließ. Der Architekt war Paul Engelmann (1891-1965), ein langjähriger Freund von Ludwig Wittgenstein. Engelmann war vor dem Krieg Mitarbeiter sowohl von Karl Kraus als auch von Alfred Loos gewesen. Später sollte er festhalten, was er von den „drei besten Lehrern seiner Generation“ gelernt habe: „Von Kraus, nicht zu schreiben; von Wittgenstein, nicht zu reden; und von Loos, nicht zu bauen.“ Wittgenstein änderte wenig an Engelmanns Grundriss für das Haus in der Kundmanngasse, aber er trug viel zur Detailplanung bei. Seine unerbittliche Genauigkeit und Strenge prägten die Räume in allen Details, von den Heizkörpern bis zu den Schlüsseln. Erst als sich die Bauarbeiten dem Ende zuneigten, ließ Wittgenstein zu, dass ihn Mitglieder des Schlick-Zirkels aufsuchten. Es war an der Zeit. M ODER NON-M? DAS IST HIER DIE FRAGE Bei der Lektüre des Tractatus hatte der Wiener Kreis viele Anknüpfungspunkte entdeckt. Das war nicht weiter verwunderlich. Wittgenstein war ebenso wie die meisten Mitglieder des Schlick-Zirkels vom Wien der Vorkriegsjahre geprägt, und von den Gedanken Boltzmanns und Machs. Vor allem aber fielen Wittgensteins Ausführungen zur Logik im Kreis auf fruchtbaren Boden: Den 126

meisten Mitgliedern war Russells Werk wohlvertraut. Hahn und Carnap hatten die Principia Mathematica in ihren Seminaren durchgearbeitet. Wittgenstein hatte schon vor dem Krieg die Methode der Wahrheitstafeln entwickelt, also den heute selbstverständlichen Zugang zu den logischen Verknüpfungen. So gilt etwa: Sind A und B zwei Sätze, die wahr oder falsch sein können, dann ist der Satz „A und B“ wahr, wenn sowohl A als auch B wahr sind, und sonst falsch. Der Satz „non-A“ ist genau dann wahr, wenn A falsch ist; usw. Eine Tautologie ist eine Verknüpfung von Aussagen A, B, C…, die auf jeden Fall wahr ist, unabhängig von der Wahrheit oder Falschheit der Bausteine A, B, C … . Eine Tautologie sagt daher nichts aus. Der Satz „Es regnet oder es regnet nicht“ ist auf jeden Fall wahr, aber er sagt nichts über das Wetter. Ähnliches gilt für „Wenn das Gras grün ist, ist das Gras grün oder der Himmel rot.“ Es hatte sich herausgestellt, dass die Tautologien genau jene Aussagen waren, die aus Freges Axiomen der Logik hergeleitet werden können. Wittgenstein hielt fest: „Die Sätze der Logik sind Tautologien.“(6.1) „Die Sätze der Logik sagen also nichts. (Sie sind die analytischen Sätze.)“ (6.11) „Die logischen Sätze beschreiben das Gerüst der Welt, oder vielmehr, sie stellen es dar. Sie ‚handeln‘ von nichts.“ (6.124) Dem Mathematiker Hans Hahn leuchtete diese Auffassung ein: „Mir hat der Tractatus die Rolle der Logik klar gemacht.“ Seinem Lieblingsschüler Karl Menger vertraute er an: „Ich hatte zunächst nicht den Eindruck, das Buch sei überhaupt ernst zu nehmen. Erst als ich Reidemeisters ausgezeichnetes Referat darüber hörte und dann selbst sorgfältig das ganze Werk las, ging mir auf, dass es wahrscheinlich den wichtigsten Beitrag zur Philosophie darstellt, seit der Veröffentlichung von Russells grundlegenden Schriften.“ Und später schrieb Hahn: „Nicht eine Lehre über das Verhalten der Welt ist die Logik – ein logischer Satz sagt vielmehr über die Welt gar nichts aus – , sondern eine Anweisung zu gewissen Transformationen innerhalb der verwendeten Symbolik.“ „Die Logik sagt also über die Welt gar nichts aus, sondern bezieht sich nur auf die Art, wie ich über die Welt spreche.“ Schlick sekundiert: „Die logischen Schlüsse geben keine Tatbestände der Wirklichkeit wieder. Sie sind nur Regeln für die Verwendung unserer Zeichen.“ 127

Und in Schlicks richtungsweisendem Aufsatz Die Wende der Philosophie heißt es: „Bis zu der entscheidenden Wendung aber ist zuerst Ludwig Wittgenstein (im Tractatus logico-philosophicus) vorgedrungen.“ Auch Carnap zeigte sich tief beeindruckt: „Für mich war Wittgenstein, vielleicht außer Russell und Frege, der Philosoph, der den größten Einfluss auf mein Denken hatte.“ Aber nicht alle verfielen Wittgensteins Zauber: So blieb etwa Otto Neurath völlig immun. Er fragte: Was sollen Sätze wie die folgenden besagen? „Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt. (1.13)“ „Die Substanz ist das, was unabhängig von dem, was der Fall ist, besteht. (2.024)“ „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern dass sie ist. (6.44)“ Neurath witterte Metaphysik hinter den meisten Sätzen des Traktats, und rief das immer wieder lautstark in die philosophische Runde. Schließlich ersuchte ihn ein genervter Schlick, sich doch etwas zurückzuhalten, worauf Neurath vorschlug, der Kürze halber nur mehr „M!“ zu rufen, wenn die Diskussion metaphysisch wurde. Bald darauf meldete er sich wieder zu Wort. Noch kürzer wäre es, wenn er „non-M!“ riefe, und zwar nach jenen Sätzen, die nicht metaphysisch waren. Die Studentin Rose Rand versuchte mithilfe eines Fragebogens, die Meinungen der Mitglieder des Wiener Kreises zu den wichtigsten Thesen einzuholen, und zwar vor, während und nach der Lektüre des Traktats. Blau bedeutete Zustimmung, rot Ablehnung, und Grün, dass die These sinnlos war. Es ergab sich ein buntes Bild. KONTAKT Seit Sommer 1924 hatte sich Schlick um ein Treffen mit Wittgenstein bemüht, doch sollte es drei Jahre dauern, bis es endlich dazu kam. Zu Weihnachten 1925 schrieb Schlick wieder einmal an Wittgenstein: „Eine besondere Freude würde es mir sein, Sie persönlich kennenzulernen, und ich würde mir gestatten, Sie gelegentlich einmal in Puchberg aufzusuchen, es sei denn, dass Sie mich wissen lassen sollten, dass Ihnen eine Störung Ihrer ländlichen Ruhe nicht erwünscht ist.“ Wittgenstein richtete seiner Schwester aus, dass ihn Schlicks Brief „erfreut“ habe. Doch wieder schob er die Begegnung hinaus. Im April 1926 fuhr Schlick mit ein paar Studenten nach Otterthal. Doch auch aus diesem Treffen wurde nichts, denn Wittgenstein war soeben Hals über Kopf vom Schuldienst ausgetreten und hatte den Ort fluchtartig verlassen. 128

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Der Zirkel bildet sich eine Meinung 129

Im folgenden Jahr jedoch, 1927, konnte Margarete Stonborough dem Philosophieprofessor eine zustimmende Antwort ihres Bruders übermitteln: „Er bittet mich nun, Ihnen mit seinen Grüßen und wärmsten Empfehlungen zu sagen, dass er glaube, noch immer nicht imstande zu sein, sich neben seiner jetzigen, ihn ganz und gar in Anspruch nehmenden Arbeit auf die logischen Probleme konzentrieren zu können. Auf keinen Fall möchte er mit mehreren Personen konferieren. Mit Ihnen, verehrter Herr Professor, allein diese Dinge zu besprechen, hielte er für möglich.“ Der Bann war endlich gebrochen. Margarete durfte eine Zusammenkunft arrangieren, an der übrigens auch der Psychologieprofessor Karl Bühler teilnahm. Schlicks Frau Blanche erinnerte sich später, an ihrem Mann vor diesem Treffen „die verehrungsvolle Haltung des Pilgers“ beobachtet zu haben, und nach seiner Rückkehr „einen hingerissenen Zustand“. Wittgenstein beurteilte die Begegnung nüchterner: „Wir haben uns gegenseitig für verrückt gehalten“, meinte er zu Engelmann. (Vom Psychologieprofessor ist keine Äußerung überliefert.) In einem Brief an Albert Einstein berichtete Schlick, dass er derzeit dabei sei, sich „mit der größten Begeisterung in die Grundlagen der Logik zu vertiefen. Die Anregung dazu verdanke ich hauptsächlich dem Wiener Ludwig Wittgenstein, der einen (von Bertrand Russell englisch und deutsch herausgegebenen) Tractatus logico-philosophicus geschrieben hat, den ich für das tiefste und wahrste Buch der neueren Philosophie überhaupt halte … Der Verfasser, der nicht die Absicht hat, je wieder etwas zu schreiben, ist eine Künstlernatur von hinreißender Genialität, und die Diskussion mit ihm gehört zu den gewaltigsten geistigen Erfahrungen meines Lebens.“ Sie bieten, fügte er hinzu, „keine eigentliche Erkenntniserweiterung aber doch intellektuelle Beruhigung.“ Im Jahr 1927 setzten regelmäßige Treffen zwischen Wittgenstein und Schlick ein. Bald durften auch ausgewählte Mitglieder des Zirkels dazu stoßen: Die getreuen Studenten Friedrich Waismann und Herbert Feigl, dessen Freundin Mitzi Kaspar sowie Rudolf Carnap, der mittlerweile einen zentralen Platz im Wiener Kreises eingenommen hatte. „Vor dem ersten Besuch“, schrieb Carnap, „warnte uns Schlick eindringlich, ja keine Diskussion, wie wir sie im Kreise gewohnt waren, anzufangen; Wittgenstein möchte das unter gar keinen Umständen. Selbst mit Fragen sollten wir vorsichtig sein; denn Wittgenstein sei sehr empfindlich und durch direkte Fragen leicht zu verstören.“ Und Carnap fuhr fort: 130

„Als ich Wittgenstein begegnete, sah ich, dass Schlicks Warnungen völlig gerechtfertigt waren. – Der Eindruck, den Wittgenstein auf uns machte, war der, als käme ihm die Erleuchtung durch göttliche Inspiration, so dass wir einfach das Gefühl haben mussten, jede nüchterne Bemerkung oder Analyse käme einer Entweihung gleich.“ Trotz aller Einschränkungen und Hemmnisse führten diese Gespräche Wittgenstein wieder an die Philosophie heran. Im selben Jahr, als die Arbeiten am Haus seiner Schwester ihren Abschluss fanden, begann er sich wieder ernsthaft für seine wahre Berufung zu interessieren. Der unmittelbare Anlass dazu war ein von Hans Hahn organisierter Vortrag des berühmten holländischen Mathematikers L.E.J. Brouwer (18811966) über Mathematik, Wissenschaft und Sprache. Auch Wittgenstein erhielt eine Einladung. Herbert Feigl sollte später beschreiben, wie er und Friedrich Waismann im Anschluss an den Vortrag mehrere Stunden mit Ludwig Wittgenstein in einem Kaffeehaus verbrachten: „Es war faszinierend, zu beobachten, wie sich Wittgenstein an diesem Abend veränderte. – Er wurde außerordentlich gesprächig und begann die Gedanken zu skizzieren, die am Beginn seiner späteren Schriften standen. – Dieser Abend bezeichnete die Rückkehr Wittgensteins zu starken philosophischen Interessen und Aktivitäten.“ Auch Schlick berichtete darüber in einem Brief an Carnap: „Vor kurzem hat Brouwer zwei Vorträge in Wien gehalten. Sie waren aber weniger interessant, als das, was Wittgenstein, der bei beiden zuhörte, uns nachher in Kaffeehaus darüber sagte.“ Der Meister war zurück im Ring! Offenbar gab es in der Philosophie doch noch etwas zu tun. Wittgenstein fuhr nach Cambridge und wurde mit Vierzig Doktor der Philosophie. Als Dissertation legte er seinen inzwischen berühmten Tractatus vor. Seine Prüfer waren Russell und Moore, mit denen er schon in den Vorkriegsjahren eng befreundet gewesen war. Die Prüfung kam allen dreien wie eine Farce vor. Sie dauerte nur kurz. Die Mär berichtet, dass Wittgenstein schon nach wenigen Minuten aufstand, den Prüfern gönnerhaft auf die Schultern klopfte und sagte: „Keine Sorge, ihr werdet es nie verstehen!“ DIE WELTAUFFASSUNG EINES WISSENSCHAFTLERS Zu jenen, die ihn nie verstehen würden, zählte für Wittgenstein auch schon bald Rudolf Carnap. Nach wenigen Begegnungen weigerte er sich, mit 131

dem nüchternen Deutschen nochmals zusammenzukommen. Zwei Punkte hatten Wittgensteins Unmut erregt: Erstens Carnaps Interesse für die Kunstsprache Esperanto. Sie war ein wohlgemeinter Versuch, zu einer Zeit, als Englisch noch nicht jedermanns Zweitsprache war, die internationale Kommunikation zu fördern, und möglichst auch gleich den Weltfrieden dazu. Wittgenstein konnte Esperanto nicht leiden. Zweitens ärgerte ihn Carnaps grundsätzliche Bereitschaft, parapsychologische Phänomene zu untersuchen. Auch dieser Ärger scheint übertrieben. Warum sollte man nicht wissenschaftliche Methoden verwenden, um Poltergeister zu entlarven oder die spiritistische Kommunikation mit den Toten zu widerlegen? – Doch als Wittgenstein bei Carnap ein Buch fand, das sich mit Außersinnlichem befasste, schleuderte er es wütend auf den Boden und brach den Verkehr mit Carnap ab. Auch ohne diesen Eklat wären die Differenzen zwischen Carnap und Wittgenstein wohl bald unüberwindlich geworden. Ihre Persönlichkeiten waren einfach zu unterschiedlich: hier ein inspirierter Künstler, dort ein akribischer Wissenschaftler. Carnap forderte, „dass die strenge und verantwortungsbewusste Grundhaltung des wissenschaftlichen Forschers auch als Grundhaltung des philosophisch Arbeitenden erstrebt wird“. Im Vorwort von Der logische Aufbau der Welt beschreibt er seine Vision der künftigen Philosophie: „Wenn wir dem Einzelnen in der philosophischen Arbeit ebenso wie in der Fachwissenschaft nur eine Teilaufgabe zumessen, so glauben wir, umso zuversichtlicher in die Zukunft blicken zu können: Es wird in langsamem, vorsichtigem Aufbau Erkenntnis nach Erkenntnis gewonnen; jeder trägt nur herbei, was er vor der Gesamtheit der Mitarbeitenden verantworten und rechtfertigen kann. So wird sorgsam Stein zu Stein gefügt und ein sicherer Bau errichtet, an dem jede folgende Generation weiterschaffen kann.“ Ein „sicherer Bau“ für die folgenden Generationen war gerade das, was Wittgenstein verabscheute. Selbst am eigenen Tractatus wollte er nicht weiterbauen – im Gegenteil, in den nächsten zehn Jahren trug er das Werk Stein für Stein ab. Und von einer „Gesamtheit der Mitarbeitenden“ hielt er schon gar nichts. Er sollte später bekennen: „Ich kann keine Schule gründen, weil ich eigentlich nicht nachgeahmt werden will.“ Carnap unterschätzte die Tiefe der trennenden Kluft, als er schrieb: „Wenn Wittgenstein über philosophische Probleme, über Erkenntnis, Sprache und Welt redete, war ich gewöhnlich einer Meinung mit seinen Ansichten. 132

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Seine Bemerkungen waren stets erhellend und anregend. Ich bedauerte es deshalb, als er den Kontakt abbrach. – Wittgenstein sagte einmal zu Schlick, er könne nur mit jemandem reden, der ihm ‚die Hand hält‘.“ Unbedingte Gefolgschaft aber war Carnaps Sache nicht; er scheute nie davor zurück, Überzeugungen – auch die eigenen – zu hinterfragen und, wenn nötig, über Bord zu werfen. Das gehört zur Weltauffassung eines Wissenschaftlers, und Rudolf Carnap bekannte sich dazu. Wissenschaftliche Weltauffassung – so lautete denn auch der Titel der Broschüre, mit welcher der Wiener Kreis die öffentliche Bühne betrat.

Neurath und „Sympathisophant“ Waismann richtenCarnap Neujahrsgrüße aus 133

SECHSTES KAPITEL

Der Zirkel macht sich einen Namen Wien 1928-1930: Schlick-Zirkel tritt an die Öffentlichkeit, überrascht Schlick mit Manifest, verkündet Wissenschaftliche Weltauffassung. „G’schaftlhuberische Clique“, warnt Wittgenstein. Schlick begrüßt Wende, erklärt Philosophie zur Kunst. Freidenker Hahn bekennt: Gott treibt nie Mathematik. Carnap warnt vor metaphysischer Wolke, hält wenig von Heideggers Nichts. Neurath führt Klassenkampf gegen Vernebler.

ABENDS ENDLICH GEWITTER Der Schriftsteller Heimito von Doderer, Autor der Strudlhofstiege, hat den Ruhm mit einem Schlachtschiff verglichen: schwer in Fahrt zu setzen, doch dann kaum zu stoppen. Schlicks Name war auch außerhalb des deutschen Sprachraums in Philosophenkreisen zum Begriff geworden. Für das Sommersemester 1929 erhielt er eine Einladung nach Stanford, jener Universität, von der Ludwig Boltzmann als „El Dorado“ geschwärmt hatte. Schlick nahm die Einladung gerne an. Seit seiner Vermählung mit Blanche im Jahr 1907 war er nicht mehr in den Vereinigten Staaten gewesen. Jetzt rückte schon die silberne Hochzeit heran. Kalifornien war gerade das Rechte für den sonnenhungrigen Philosophen; im Herbst wollte er dann wieder zurück in Wien sein. Einige Wochen vor seiner Abreise erreichte Schlick ein Ruf nach Bonn – ein weiteres Zeichen der Anerkennung, die man ihm zollte. Üblicherweise bemüht sich in solchen Fällen das heimische Ministerium, den Professor durch ein günstigeres Gegenangebot im Land zu halten. Doch die Wiener Behörden zeigten Schlick die kalte Schulter: Alles, was sie boten, war ein geringfügiges Salär für Schlicks Adlatus, den Hilfsbibliothekar Friedrich Waismann, der bisher unbezahlt gearbeitet hatte. Das war nicht als Entgegenkommen zu werten, sondern schon fast als Affront. Kein Wunder, dass das Bonner Angebot Schlick zunehmend verlockend vorkam. Sein Weggang aus Wien erschien immer wahrscheinlicher. 134 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_6

Jetzt erst wurde dem Schlick-Zirkel richtig klar, wie wichtig Schlick für den Zirkel war. Die Gruppe schrieb ihm: „Die Anhänger exakt wissenschaftlicher Weltauffassung wären ihres geistigen Führers, ihres anerkannten Vertreters an der Universität beraubt, wenn Professor Schlick Wien verließe, und es bestünde keine Möglichkeit, dass ein anderer die so im geistigen Leben Wiens entstehende Lücke ausfüllen könnte.“ Auch Carnap, der im schweizerischen Davos gerade eine Lungenkrankheit auskurierte, schrieb alarmiert seinem Freund Schlick, als er von dessen drohendem Abgang erfuhr: „Das wäre ja wirklich arg für die Universität Wien, und für uns einzelne persönlich.“ Schlick antwortete ihm, dass er noch gänzlich unentschlossen sei. Er tat dies allerdings auf der Rückseite einer Ansichtskarte mit dem Porträt einer Wienerin, Lisl Goldarbeiter, die gerade zur schönsten Frau Europas gekürt worden war. Man brauchte nicht bei Professor Freud zur Schule gegangen sein, um zu erraten, wie Schlicks Entschluss schließlich doch lauten würde. Am Tag, bevor er zu seiner Überseereise einschiffte, schrieb Schlick von Bremen aus an das Ministerium, dass er dem ehrenvollen Ruf nach Bonn gefolgt wäre, wenn nicht „in letzter Stunde“ Kollegen und Schüler ihn überzeugt hätten, dass es „gerade im gegenwärtigen Moment“ noch dringende philosophische Aufgaben in Wien zu erfüllen gebe. Dann stach Schlick in See. Im Herbst wollte er wieder zurück sein.

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Menger erinnert sich: „Groß war die Freude aller von uns, als wir erfuhren, dass Schlick sich entschieden hatte, weiter in Wien zu bleiben. ‚Das muss ge-

Eine Postkarte Schlicks und ihre schöne Kehrseite 135

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feiert werde‘, sagte Neurath, und wir stimmten zu. ‚Wir müssen ein Buch verfassen, das unsere Ansichten darstellt – ein Manifest des Kreises – und es Schlick zu seiner Rückkehr im Herbst widmen‘, fügte Neurath hinzu. Und mit der ihm üblichen Geschäftigkeit und Energie ging er ans Werk.“

Leitgedanken. Maria (Mitzi) Kasper, Herbert Für September 1929 war eine TaFeigl und Rudolf Carnap gung in Prag geplant. Bis dahin sollte die Broschüre fertig gestellt sein, um dort sozusagen als Visitenkarte des Schlick-Zirkels zu dienen. Der wieder genesene und von Davos nach Wien zurückgekehrte Carnap verfasste, unterstützt durch Feigl und Waismann, einen ersten Entwurf. Sein Titelvorschlag: Leitgedanken der Wiener philosophischen Schule. Doch der Entwurf stieß auf Widerspruch. „Neurath ermahnt uns, nicht so weltfremd zu sein“, notierte Carnap bald darauf in sein Tagebuch. – Schon der Titel missfiel Neurath. „Philosophie“ war ein Wort, das er eher vermeiden wollte, und am liebsten auf seinen „Index der verbotenen Worte“ gesetzt hätte; und „Schule“ weckt unangenehme Assoziationen. Außerdem: Die „Schulphilosophie“ verachteten alle.

Philipp Frank sekundierte Otto Neurath: „Mehr als nur ein paar Leute hatten für Ausdrücke wie ‚Philosophie‘ und ‚Positivismus‘ nichts übrig und wollten nicht, dass sie im Titel erscheinen. Manche mochten überhaupt keine ‚ismen‘, fremde oder einheimische. Schließlich wählten wir den Titel: Wissenschaftliche Weltauffassung.“ Auch dieser Titelvorschlag erschien Neurath noch etwas zu trocken; er schlug daher vor, als Untertitel Der Wiener Kreis hinzuzufügen, da dieser Name an den Wiener Walzer, den Wienerwald und „andere Dinge auf der angenehmen Seite des Lebens“ erinnere. So kam der Wiener Kreis zu seinem Namen. In Wien freilich galt er naturgemäß weiter als der Schlick-Zirkel, und dutzende, ja hunderte anderer Kreise in Wien mochten es für Chuzpe halten, dass sich auf einmal ein Zirkel herausnahm, der Wiener Kreis zu sein. Das Manifest war ein Kollektivwerk. Als offizielle Verfasser firmierten Neurath, Carnap und Hahn, aber die Studierenden Waismann und Feigl trugen ebenso dazu bei wie Mitzi Kasper, die Freundin von Feigl. – Rudolf Carnap 136

behielt sich „die saure Pflicht und das süße Recht der letzten Formulierung vor.“ Schlick wurde nicht eingeweiht – man wollte ihn ja damit überraschen. Die Wissenschaftliche Weltauffassung sollte alles so deutlich wie möglich machen – das ist ja der Zweck jedes Manifests. Und tatsächlich ist der Text als Zusammenfassung der Thesen des Wiener Kreises bis heute unübertroffen. Auf wenigen Seiten wird der geschichtliche Hintergrund der Gruppe skizziert und ihre Aufgabe verkündet – der Kreuzzug gegen alle metaphysischen und theologischen Doktrinen. Die Ergebnisse von wissenschaftlichen Experimenten und logischer Analyse wurden anerkannt – und sonst gar nichts. Das Manifest zählte die Namen aller Mitglieder des Kreises auf, und womit sie sich befassten: nämlich mit den Grundlagen von Mathematik, Physik, Geometrie, Biologie, Psychologie und den Sozialwissenschaften. Es las sich stellenweise wie der Entwurf zu einer Enzyklopädie. Am Ende einer extrem heißen Juliwoche war es soweit. In Carnaps Tagebuch steht vermerkt: „Broschüre fertig getippt. Abends endlich Gewitter.“ Der umtriebige Neurath regelte alles mit dem Verleger. Im September, knapp vor der Abfahrt nach Prag, holte Herbert Feigl die ersten, noch druckfeuchten Exemplare ab. BROSCHÜRE IN BLAU In Prag fand im Sommer 1929 die Jahrestagung der Deutschen Physiker und Mathematiker statt. Die Stadt war jetzt Hauptstadt der Tschechoslowakei, aber immer noch ein lebendiges Zentrum deutschsprachiger Kultur. Der Schlick-Zirkel und eine ähnlich ausgerichtete Berliner Gruppe wollten sich dort mit einem Satellitentreffen zum Thema „Erkenntnislehre der exakten Wissenschaften“ bemerkbar machen. Philipp Frank schreibt: „Die Deutsche Physikalische Gesellschaft war nicht gerade von der Idee begeistert, ein so ernstes wissenschaftliches Treffen mit etwas so Törichtem wie Philosophie zu vermengen. Da ich jedoch Vorsitzender des örtlichen Organisationskomitees war, konnten sie mir meinen ernsthaften Wunsch nicht versagen.“ Vor vollem Haus hielt Frank den ersten Plenarvortrag und geißelte darin metaphysische Aussagen als Versteinerungsformen längst überholter physikalischer Theorien. Das war starker Tobak für die meisten der anwesenden Physikprofessoren, die wenig vertraut waren mit philosophischen Querelen und den deutschen Idealismus möglicherweise für sakrosankt hielten. Franks Frau befand, dass die Worte ihres Gemahls „in das Publikum fielen wie Tropfen in einen Brunnen, der zu tief war, um diese an dessen Grund ankommen zu hören. Alles schien spurlos zu verschwinden.“ Gleich nach Frank 137

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Institut Wiener Kreis

Philipp Frank und Moritz Schlick

sprach sein Freund Richard von Mises, der in den Zwanzigerjahren in Berlin ein großes Institut für angewandte Mathematik aufgebaut hatte; er stieß in dasselbe Horn wie sein Vorredner. Am Ausgang wurden die ersten Exemplare der Broschüre verteilt. Die versammelten Deutschen Physiker und Mathematiker müssen sich umzingelt gefühlt haben. Auch Hahn, Carnap, Neurath, Feigl und Waismann trugen bei der Tagung in Prag vor; ihre Texte wurden im ersten Band der Erkenntnis veröffentlicht, einer Zeitschrift, die früher den Namen Annalen der Philosophie getragen hatte und jetzt von den Wiener und Berliner Gesinnungsgenossen übernommen worden war. Auch eine Buchreihe wurde gegründet, die Schriften zur Wissenschaftlichen Weltauffassung, mit Philipp Frank und Moritz Schlick als Herausgebern. Eigene Zeitschrift, Tagung, Werbebroschüre, vor allem aber ein publikumswirksamer Name – alles das trug dazu bei, um den Schlick-Zirkel von der privaten Phase zur öffentlichen überzuleiten. Schlick, der nach seiner Heimkehr aus dem sonnigen Kalifornien direkt auf Urlaub an den sonnigen Gardasee gereist war, erhielt per Post ein in blaues Leder gebundenes, ihm gewidmetes Exemplar der Broschüre. Carnap hatte es ihm brieflich angekündigt: „Ich werde dir jetzt dein Exemplar übersenden, an dem du dein blaues Wunder erleben wirst; hoffentlich nur äußerlich. Den Inhalt betrachte bitte nicht zu kritisch, sondern mit deinem gewohnten Wohlwollen und Nachsicht. Es ist von Feigl, Neurath und mir mit vereinten Kräften und mehr gutem Willen als Qualität geschaffen worden.“ Carnap ahnte wohl, dass Schlick sich an einigen ziemlich reklamehaften Passagen und dogmatischen Äußerungen stoßen könnte; für Schlicks Geschmack steckte zu viel Neurath in dem Manifest. 138

WITTGENSTEIN LÄCHELT NICHT

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Auch Hahn mochte mit der Broschüre nicht ganz zufrieden sein, obwohl er als Ko-Autor aufschien. Laut Menger war Hans Hahn erst spät um seine Anregungen gebeten worden. Da blieb kaum Zeit für Änderungswünsche. Er gab schließlich seine Zustimmung zur Sache „als eine jener Konzessionen, zu denen er sich gelegentlich um des lieben Friedens willen bereitfand“. Es ist bezeichnend, dass sowohl Schlick als auch Hahn binnen Jahresfrist jeweils ihre eigene Programmschrift veröffentlichten. Ludwig Wittgenstein lächelt nicht Die Idee, dass eine Gruppe von Philosophen sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen kann ist vollkommen weltfremd, beinahe pervers. Sie sagt aber einiges über Carnap und Neurath aus. Und Neurath mochte auch politischer Kopf genug sein um vorauszusehen, dass der Untertitel der Büchleins, nämlich Der Wiener Kreis, suggerierte, dass der gesamte Kreis an der Autorenschaft beteiligt war. Das war umso naheliegender, als das Titelblatt die Namen der eigentlichen Autoren diskret verschwieg. So war also nicht nur Schlick vom Inhalt der Broschüre überrascht. Der junge Karl Menger beispielsweise wollte nach Lektüre des Manifests nicht mehr als Mitglied des Wiener Kreises gelten, sondern nur als ein „dem Kreis Nahestehender“. Die Broschüre hatte nämlich fein säuberlich Mitglieder und Nahestehende getrennt. Auch andere ließen sich herabstufen, so Kurt Gödel und Viktor Kraft. Am vehementesten fiel die Reaktion Ludwig Wittgensteins aus. Das konnte niemanden überraschen. Lang war diskutiert worden, ob man ihn als „dem Wiener Kreis nahe stehend“ bezeichnen durfte (ihn als Mitglied zu nennen, wagte selbstredend keiner). Schließlich einigte man sich darauf, ihn zusammen mit Albert Einstein und Bertrand Russell als einen der drei „führenden Vertreter der wissenschaftlichen Weltauffassung“ zu bezeichnen. Wittgenstein ließ sich durch derlei Schmeichelei keineswegs einlullen. „Das ist eine schwere Geschichte“, schrieb er Friedrich Waismann. „Und es ist mir sehr unangenehm zu denken, dass hier wieder einmal ein an sich guter Grund als Anlass zu G‘schaftlhuberei benutzt werden soll.“ Moritz Schlick, schrieb Wittgenstein weiter, „verdient, dass man sich davor hütet, ihn und die Wiener Schule, deren Exponent er ist, ‚in guter Absicht‘ durch Großsprecherei lächerlich zu machen. Wenn ich sage Großsprecherei, so meine ich damit jede Art der Selbstbespiegelung. ‚Absage an die Metaphysik‘! Als ob das was Neues wäre! – Das Lob, das eine Schule sich selbst spendet, stinkt wie jedes Eigenlob.“ 139

Dann folgte ein wohlmeinender Ratschlag an Waismann: „Benehmen Sie sich anständig! Tun Sie nichts aus Gefälligkeit gegen eine Clique (Hahn, Carnap etc.), was Sie später – halb lächelnd – gegen sich und andere entschuldigen müssen. – Seien Sie versichert, ich lächle nicht bei dem Gedanken, dass zu Ehren eines Mannes, den ich schätze, vielleicht – oder wahrscheinlich – eine Dummheit geschieht und dass Sie sich daran beteiligen.“ Immerhin, auch ein Wittgenstein ist kein Unmensch und so schließt der Brief an Waismann mit einem gnädigen Knurren: „Dass Sie geheiratet haben ist brav und ich gratuliere.“ DIE KUNST DER PHILOSOPHIE Der „Exponent“ der Wiener Schule, Moritz Schlick, jener Mann, den Ludwig Wittgenstein schätzte und nicht zur „Clique“ rechnen wollte, veröffentlichte seine eigene Standortbestimmung als Die Wende der Philosophie. Der Aufsatz erschien als der erste Beitrag der neuen Zeitschrift Erkenntnis. Das Manifest wurde darin nicht erwähnt, aber die Stoßrichtung beibehalten: mittels Sprachanalyse die Behauptungen der Metaphysiker wie Luftblasen zum Zerplatzen zu bringen. Alles Marktschreierische war Schlick fremd, doch er verstand sich auf Fanfarenstöße. Er begann seinen Aufsatz in verhaltenem Ton, um das darauf folgende Crescendo umso wirkungsvoller zu gestalten: „Von Zeit zu Zeit hat man Preisaufgaben über die Frage gestellt, welche Fortschritte die Philosophie in einem bestimmten Zeitraum gemacht habe. - Aus solchen Fragen spricht deutlich ein Misstrauen gegen die Philosophie der jeweils jüngst vergangenen Zeit. Man hat den Eindruck, schreibt Schlick, als sei die gestellte Aufgabe nur eine verschämte Formulierung der Frage: Hat denn die Philosophie in jenem Zeitraum überhaupt irgendwelche Fortschritte gemacht? „Dieses eigentümliche Schicksal der Philosophie wurde so oft geschildert und beklagt, dass es schon trivial ist, überhaupt davon zu reden, und dass schweigende Skepsis und Resignation die einzige der Lage angemessene Haltung zu sein scheint. Alle Versuche, dem Chaos der Systeme ein Ende zu machen und das Schicksal der Philosophie zu wenden, können, so scheint eine Erfahrung von mehr als zwei Jahrtausenden zu lehren, nicht mehr ernst genommen werden.“ Nach dieser Einleitung folgt die verwegene Wende: „Ich gestatte mir diesen Hinweis auf die so oft geschilderte Anarchie der 140

philosophischen Meinungen, um keinen Zweifel darüber aufkommen zu lassen, dass ich ein volles Bewusstsein von der Tragweite und Inhaltsschwere der Überzeugung habe, die ich nun aussprechen möchte. Ich bin nämlich überzeugt, dass wir in einer durchaus endgültigen Wendung der Philosophie mitten drin stehen und dass wir sachlich berechtigt sind, den unfruchtbaren Streit der Systeme als beendigt anzusehen. Die Gegenwart ist, so behaupte ich, bereits im Besitz der Mittel, die jeden derartigen Streit im Prinzip unnötig machen; es kommt nur darauf an, sie entschlossen anzuwenden.“ Schlicks „Wende“ war radikal. Noch wenige Jahre zuvor hatte er in einer Vorlesung über Nietzsche, dem Idol seiner Jugend, erklärt, dass dieser trotz aller Vorzüge nicht in die Reihe der allergrößten Philosophen einzugliedern sei, weil er es verabsäumt habe, ein System aufzustellen. Jetzt aber waren Systeme just das Überwundene. Schlick sagt dazu Folgendes: „Die Philosophie ist nicht ein System von Sätzen, sie ist keine Wissenschaft. Was aber ist sie dann? – Wir erkennen jetzt in ihr anstatt eines Systems von Erkenntnissen ein System von Akten; sie ist nämlich diejenige Tätigkeit, durch welche der Sinn der Aussagen festgestellt oder aufgedeckt wird. Durch die Philosophie werden Sätze geklärt, durch die Wissenschaft verifiziert. Bei diesen handelt es sich um die Wahrheit der Aussagen, bei jener aber darum, was die Aussagen eigentlich meinen.“ Wittgenstein hätte es nicht besser sagen können. Zum Wiener Kreis mochte er nicht gehören, aber in Schlicks Augen war er doch sein Mittelpunkt. Schlick: „Dass die Arbeit der Philosophie nicht in der Aufstellung von Sätzen besteht, dass also die Sinngebung von Aussagen nicht wiederum durch Aussagen geschehen kann, ist leicht einzusehen.- Dieser Prozess kann nicht ins Unendliche gehen, er findet sein Ende immer nur in tatsächlichen Aufweisungen, in Vorzeigungen des Gemeinten, in wirklichen Akten also. Die letzte Sinngebung geschieht mithin stets durch Handlungen, sie machen die philosophische Tätigkeit aus.“ Am Ende steht die Tat. Das hatte auch Wittgenstein gemeint: „Der Zweck der Philosophie ist keine Lehre sondern eine Tätigkeit (4.112)“. Schlick legte diese Sicht auch den Studierenden in seiner Vorlesung dar: „Der Unterschied zwischen der Aufgabe des Forschers und der Aufgabe des Philosophen ist also, dass der Forscher die Wahrheit sucht (rich141

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Philosophie ohne Bart

tige Antworten) und der Philosoph sich den Sinn (der Fragen) klarzumachen hat. Die Methode der Wissenschaften ist die Beobachtung, das Experiment, verbunden mit Berechnungen, Überlegungen; durch diese Methode gelangt man zu wahren Sätzen über die Wirklichkeit. Die Methode des Philosophen ist die Besinnung; der Philosoph sieht sich die bereits vorliegenden Sätze, Beobachtungen, Rechnungen an und macht sich klar, was sie bedeuten. Die Philosophie ist kein System von wahren Sätzen. Sie ist eine Kunst, eine Tätigkeit, die zur Klärung führt.“ Philosophie als Kunst – das schien nun freilich meilenweit weg von Carnaps nüchternem Bestreben, die Philosophie den Fachwissenschaften anzugleichen und deren Habitus zu übernehmen. HAHN GREIFT ZUM RASIERMESSER Auch Hans Hahn sah in Wittgensteins Werk eine Wende. Der Mathematikprofessor hatte trotz seiner lebenslangen Leidenschaft für die Philosophie noch nichts auf diesem Gebiet veröffentlicht. Jetzt, mit fünfzig, war es an der Zeit. In der Erkenntnis erschien der Vortrag, den er beim Treffen in Prag gehalten hatte: Die Bedeutung der wissenschaftlichen Weltauffassung, insbesondere für Mathematik und Physik. Hahn legte sein Programm vor: „Der Name ‚wissenschaftliche Weltauffassung‘ soll ein Bekenntnis geben und eine Abgrenzung. 142

Ein Bekenntnis zu den Methoden der exakten Wissenschaft, insbesondere der Mathematik und Physik, ein Bekenntnis zu sorgfältigem logischen Schließen (im Gegensatz zu kühnem Gedankenfluge, zu mystischer Intuition, zu gefühlsmäßigem Bemächtigen), ein Bekenntnis zu geduldiger Beobachtung möglichst isolierter Vorgänge, mögen sie an sich noch so geringfügig und bedeutungslos erscheinen (im Gegensatz zu dichterisch-fantastischem Erfassenwollen möglichst bedeutungsvoller, möglichst weltumspannender Ganzheiten und Komplexe); Eine Abgrenzung gegen die Philosophie im üblichen Sinne, als eine Lehre von der Welt, die beansprucht, gleichberechtigt neben den einzelnen Fachwissenschaften oder gar höher berechtigt über ihnen zu stehen. – Denn wir sind der Meinung: Was sich überhaupt sinnvoll sagen lässt, ist Satz einer Fachwissenschaft, und Philosophie treiben heißt nur: Sätze der Fachwissenschaft kritisch danach prüfen, ob sie nicht Scheinsätze sind, ob sie wirklich die Klarheit und Bedeutung besitzen, die die Vertreter der betreffenden Wissenschaft ihnen zuschreiben; und das heißt weiter: Sätze, die eine andersartige, höhere Bedeutung vortäuschen als die Sätze der Fachwissenschaften, als Scheinsätze entlarven.“ Bald darauf erschien Hahns kleines Pamphlet Überflüssige Wesenheiten: Occams Rasiermesser, in derselben Ausstattung wie die Broschüre des Wiener Kreises. Eingangs unterscheidet Hahn „im wirren Vielerlei philosophischer Systeme“ zwischen der weltzugewandten und der weltabgewandten Philosophie; zugewandt sind Epikur oder Hume, abgewandt hingegen Plato und Kant. Die weltabgewandte Philosophie hält sich laut Hahn „in den Systemen des deutschen Idealismus bis auf unsere Tage – und wie sollte es auch anders sein: Die Deutschen sind ja bekanntlich das Volk der Denker und der Dichter. Allmählich aber dämmert doch der Tag, und die Befreiung kommt von dort, von wo auch die politische Befreiung in die Welt kam, von England: Die Engländer sind ja bekanntlich das Volk der Krämer, und es ist kein Zufall, dass in dem Land, in dem die Metaphysik hingerichtet wurde, auch ein Königshaupt fiel. Doch die Waffen der weltzugewandten Philosophie sind nicht das Schwert und das Beil des Henkers – so blutdürstig ist sie nicht – und doch sind ihre Waffen scharf genug. Und von einer dieser Waffen will ich hier sprechen: von Occams Rasiermesser.“ Der englische Scholastiker William von Occam (1288-1347) hatte verlangt: Man soll nicht mehr Wesenheiten annehmen, als unbedingt nötig. Dieses Prinzip ging als Occam‘s Razor in die Geistesgeschichte ein. Mach liebte 143

es, denn es verkörperte ja die von ihm erstrebte Denkökonomie. Auch Hahn übernahm Occams Grundsatz, und machte sich ans Aufräumen. Überflüssig sind alle „die schattigen Halbwesenheiten“, die in den Köpfen herumspuken, wie Universalien, leerer Raum, leere Zeit, Transzendenz, Substanz, Ding an sich. Überflüssig auch das Jenseits sowie Götter und Dämonen. „Weg mit ihnen!“, schreibt Hans Hahn. WITTGENSTEIN, GOTT, UND DIE MATHEMATIK Metaphysischen und theologischen Plunder verbannte Hahn in die Mottenkiste der Mystifikationen, um den Blick auf die wahren Probleme der Philosophie frei zu bekommen. Denn solche gibt es! Schon als junger Dozent hatte er seinem Freund Paul Ehrenfest geschrieben: „Ich habe nicht wenige Komplimente über mein philosophisches Talent gehört, und wenn ich mein Gewissen erforsche, kann ich nicht bestreiten, in der Hinsicht begabt zu sein. Und ich kann nur sagen: Ich bin überzeugt, dass diesen Fragen echte Probleme zugrunde liegen, und dass die gegenteilige Behauptung, die man so häufig hört, nichts als dummes Geschwätz ist, teils auf Unwissenheit begründet und teils auf Unfähigkeit.“ Was waren die „echten Probleme“, die Hahn faszinierten? Hahn formuliert seine fundamentale Frage so: „Wie ist der empiristische Standpunkt mit der Anwendbarkeit von Logik und Mathematik auf die Wirklichkeit verträglich?“ Die Erfahrung kann uns ja kein allgemeines Wissen verschaffen, dass wirklich gesichert ist. Ein Erfahrungssatz wie „Katzen bellen nicht“ hat bestenfalls vorläufige Gültigkeit. Es ist durchaus denkbar, dass eine Katze zu bellen beginnt – auch wenn das noch nie beobachtet wurde. Die Mathematik hingegen scheint aus allgemeingültigem Wissen zu bestehen, das unumstößlich ist. Es ist undenkbar, dass irgendwann irgendwo „zwei mal zwei ist fünf“ gilt. Warum ist das eine Wissen gesichert, das andere nicht? An die Frage schließt sich, da die Mathematik auf Logik gründet, die nächste Frage: Woraus bezieht die Logik ihre Gewissheit? Wollte man die Logik, so Hahn, auffassen als die Lehre von den allgemeinsten Eigenschaften der Welt, so stünde der Empirismus tatsächlich vor unüberwindlichen Schwierigkeiten. In Wirklichkeit aber sagt die Logik überhaupt nichts über die Welt aus:

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„Logik entsteht vielmehr erst dadurch, dass über die Welt gesprochen wird. – Die sogenannten Sätze der Logik sind Anweisungen, wie man etwas Gesagtes auch anders sagen kann.“ „Es war Wittgenstein“, schrieb Hahn, „der den tautologischen Charakter der Logik erkannte, und der betonte, dass den sogenannten logischen Konstanten, (wie ‚und‘, ‚oder‘ usw.) in der Welt nichts entspricht. Die Logik handelt nur von der Art, wie wir über die Welt sprechen. Gerade daraus, dass ein Satz der Logik überhaupt nichts über irgendwelche Gegenstände aussagt, fließt seine Sicherheit und Allgemeingültigkeit, oder besser gesagt, seine Unwiderleglichkeit.“ Hahn scheint Wittgensteins spätere Sprachspiele zu antizipieren, wenn er schreibt: „Wer das logische Schließen nicht anerkennen wollte, hat nicht etwa eine andere Meinung über das Verhalten von Gegenständen wie ich, sondern er weigert sich, über die Gegenstände nach denselben Regeln zu sprechen wie ich; ich kann ihn nicht überzeugen, sondern ich muss mich weigern, mit ihm weiterzusprechen, so wie ich mich weigern werde, weiter mit einem Partner Tarock zu spielen, der darauf beharrt, meine Skieß mit dem Mond zu stechen.“ Mit der Mathematik verhält es sich nicht anders wie mit der Logik; auch sie muß einen tautologischen Charakter haben. Dagegen wehren sich aber jene Mathematiker, wie etwa Henri Poincaré, für die „tautologisch“ den Beigeschmack von „trivial“ hat. „Und in der Tat“, so Hans Hahn, „es scheint auf den ersten Blick kaum glaublich, dass die ganze Mathematik mit ihren so schwer erkämpften Sätzen, mit ihren oft so überraschenden Resultaten, sich sollte in Tautologien auflösen lassen. Aber diese Argumentation übersieht nur eine Kleinigkeit: Sie übersieht den Umstand, dass wir nicht allwissend sind. Ein allwissendes Wesen freilich wüsste unmittelbar, was alles bei Behauptung einiger Sätze mitbehauptet wird, es wüsste unmittelbar, dass aufgrund der Verabredungen über den Gebrauch der Zahlzeichen und des Zeichen x mit 24x31 und 744 dasselbe gemeint ist: Ein allwissendes Wesen braucht keine Logik und keine Mathematik.“ Und an anderer Stelle schrieb Hahn: „Ein allwissendes Wesen braucht keine Logik, und im Gegensatz zu Plato können wir behaupten: Gott treibt nie Mathematik.“ 145

DIE OFFENBARUNG DER EISIGEN KLARHEIT „Man kann sagen“, so sein Jugendfreund Philipp Frank, „dass Hahn in gewissem Sinne stets im Mittelpunkt der Gruppe stand. Immer gab er ihre zentralen Ideen wieder, ohne auf nebensächliche Meinungsverschiedenheiten einzugehen. Keiner wusste so gut wie er, jene Grundgedanken auf so einfache und zugleich so gründliche Weise, in so logischer und zugleich so eindringlicher Form darzustellen.“ Für seine penibel genau vorbereiteten mathematischen Vorlesungen hatte Hahn, den seine Freunde „Hähnchen“ nannten (und die Studierenden wohl auch, wenngleich nur hinter seinem Rücken) einen ganz besonderen Stil entwickelt, dessen Handhabung er auf die Spitze trieb. „Er formulierte seine Aussagen immer wieder um, in kleinen, kaum wahrnehmbaren Schritten, ganz nach dem Grundsatz, dass jeder mathematische Beweis aus tautologischen Umformungen besteht; und er hatte am Ende der Stunde doch immer erstaunlich viel Stoff durchgebracht“, schrieb sein Lieblingsschüler Karl Menger. Ein Hörer gedachte später der „eisigen Klarheit“ von Hahns Unterricht, und Karl Popper schrieb in dem letzten Aufsatz, den er vor seinem Tod fertigstellte, in den Erinnerungen eines dankbaren Schülers: „Der persönliche Eindruck von Hahn war der eines ganz ungewöhnlich disziplinierten Menschen. Mir erschien er, allein unter den Mathematikern des Instituts, als eine Verkörperung der mathematischen Disziplin. Hahns Vorlesungen waren, zumindest für mich, eine Offenbarung.“ Kurz bevor er seine Lehrtätigkeit in Wien antrat, hatte Hahn den ersten Band seiner monumentalen Reellen Analysis fertiggestellt. Auf 865 Seiten waren die Grundlagen so sorgfältig ausgearbeitet, dass so wichtige Begriffe wie Ableitung oder Integral auf den zweiten Band verschoben werden mussten. Dessen Publikation sollte 1921 laut Hahn „unmittelbar bevorstehen“. Tatsächlich aber erschien nach langem Warten im Jahr 1932 eine völlig umgearbeitete Fassung des ersten Bandes. Der zweite Band konnte erst 14 Jahre nach dem Ableben des Autors veröffentlicht werden. Hahns Untersuchungen zur Geometrie unendlich-dimensionaler Räume wurden immer bedeutsamer. Mit zunehmendem Alter näherte er sich dem Ideal eines renommierten Professors. Zu dem Klischeebild gehören, wie man weiß, irgendeine drollige Exzentrizität und eine hübsche Tochter. Hahns Tochter Nora besuchte gerade das im Jahr 1929 gegründete Schauspielseminar des großen Max Reinhardt. Im Jahr 1933 konnte Hahn seinem alten Freund Paul Ehrenfest nach Leiden in Holland berichten: „Meine Tochter ist 146

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Schauspielerin geworden und ist schon das zweite Jahr im Engagement (vorige Saison Graz, jetzt Brünn), sie spielt vorwiegend ernste Rollen (in der Bühnensprache ‚Sentimentale‘) und ist mit Leib und Seele bei der Sache.“ Später reüssierte Nora Minor – das war ihr Künstlername – in diversen Filmkomödien. Was Hahns Exzentrizität betrifft, so war dies sein Interesse für Parapsychologie. Das schien überhaupt nicht zu dem messerkühlen Mathematiker zu passen. Immerhin war Hahn ein prominentes Mitglied der Gesellschaft der Freidenker, und politisch weit links angesiedelt. Und doch Eine Séance samt Ektoplasma besuchte er, sehr zum Leidwesen seines Schwagers Otto Neurath, spiritistische Séancen im Schlepptau einer Aristokratin. Für Hahn erschien es, ähnlich wie für Carnap, nicht unvereinbar mit der wissenschaftlichen Weltauffassung, parapsychologische Phänomene kritisch zu untersuchen. Zwei Gründe führte er dafür an: Erstens, dass manche Menschen Fähigkeiten besitzen, die anderen fehlen – etwa ein absolutes Gehör. Es scheint daher nicht von vornherein undenkbar, dass ein Medium spiritistische Fähigkeiten aufweist, die anderen Menschen abgehen. Zweitens: gerade das wirre Zeug, das in einem tranceartigen Zustand oft zusammengestammelt wird, galt Hahn als ein Hinweis, dass es sich da nicht unbedingt um einen wohlvorbereiteten Schwindel handeln müsse. – Der Mathematiker sah es, ähnlich wie Carnap, als eine Herausforderung für die wissenschaftliche Weltauffassung an, die Grenze zu Pseudowissenschaft und Aberglauben exakt abzustecken. Hahn und Carnap waren nicht die einzigen Vernunftmenschen, die spiritistische Behauptungen ernstnahmen: sie teilten dieses Interesse mit dem legendären Magier Harry Houdini (1874-1926) und dem weltberühmten Autor Arthur Conan Doyle (1859-1930), ebenso wie mit so herausragenden Wissenschaftlern wie Gugliemo Marconi (1874-1937), William James (1842-1910), und Alexander Graham Bell (1847-1922). VIEL LÄRM UMS NICHTS Carnap hatte sich schon durch den bloßen Besitz eines Buchs über Parapsychologie den Grimm Wittgensteins zugezogen. Dieser zählte sowohl Carnap als auch Hahn zur „g’schaftlhuberischen Clique“ im Wiener Kreis. Doch von Wittgenstein abgesehen machte sich Carnap in Wien viele Freunde. Seine 147

Vorlesungen waren beliebt und zogen weit über hundert Hörer an. Er schrieb eine handliche Einführung in die Logistik, also in die mathematische Logik, und verfasste die Schrift Scheinprobleme in der Philosophie, eine radikale Absage an die Metaphysik. „Ich kam zu der Überzeugung“, schrieb Carnap in seinen Erinnerungen, „dass viele traditionelle metaphysische Thesen nicht nur unnütz, sondern bar jedes kognitiven Gehalts seien. Es sind Scheinsätze, die nichts behaupten und folglich weder wahr noch falsch sind.“ Ein metaphysischer Satz ist ja den Erfahrungswissenschaften unzugänglich. Tautologie will er auch keine sein. Dann ist solch ein Satz also sinnlos, folgerte Carnap. Er ist nur scheinbar ein Satz. Die grammatische Struktur ist in Ordnung, aber die logische nicht. Die Sätze der Metaphysik verwenden Worte wie „Prinzip“ oder „Gott“, Scheinworte, die so sinnlos sind wie das Wort „babig“; oder sie verwenden sinnvolle Worte, aber sinnlos zusammengestellt, wie etwa „Cäsar ist eine Primzahl“. Carnap schrieb: „Wenn jemand behauptet: ‚Es gibt einen Gott‘, ‚Der Urgrund der Welt ist das Unbewusste‘, ‚Es gibt eine Entelechie als leitendes Prinzip im Lebewesen‘, so sagen wir ihm nicht: ‚Was du sagst, ist falsch‘; sondern wir fragen ihn: ‚Was meinst du mit deinen Aussagen?‘ – Und dann zeigt es sich, dass es eine scharfe Grenze gibt zwischen zwei Arten von Aussagen. Zu der einen gehören die Aussagen, wie sie in der empirischen Wissenschaft gemacht werden; ihr Sinn lässt sich feststellen durch logische Analyse, genauer: durch Rückführung auf einfachste Aussagen über empirisch Gegebenes. Die anderen Aussagen, zu denen die vorhin genannten gehören, erweisen sich als völlig bedeutungsleer, wenn man sie so nimmt, wie der Metaphysiker sie meint.“ Der Metaphysiker sitzt einem Irrglauben auf: Er glaubt, dass hinter Wortgebilden Gedanken stecken müssen. Das sei, meinte Carnap, vergleichbar mit der Weltauffassung eines Indianers, der seinen Sohn „Starker Büffel“ nennt, und hofft, dass er durch die Namensgebung wirklich stark wie ein Büffel wird. Der Metaphysiker sitzt wie der Indianer einem Aberglauben auf, den an die Allmacht der Worte. Selbst so einleuchtende Fragen wie etwa: „Ist die Außenwelt wirklich?“ sind keine echten Fragen, sondern Scheinfragen, denn es gibt keine Möglichkeit, sie schlüssig zu beantworten. „Alles, was jenseits des Sachhaltigen liegt, muss unbedingt als sinnlos angesehen werden.“ Da die Wissenschaft im Prinzip alles, was sinnvoll gefragt werden kann, beantworten kann, bleiben somit keine unbeantwortbaren Fragen übrig. Das 148

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Carnap analysiert Heidegger

Manifest hielt es fest: „Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unlösbaren Rätsel.“ „In der Wissenschaft gibt es keine Tiefen“, behauptete Carnap. In späteren Jahren gab er allerdings zu: „Doch gibt es immer noch das allgemeinmenschliche gefühlsmäßige Erlebnis, das manchmal beunruhigend ist.“ Mit seiner radikalen Absage an die Metaphysik mauserte sich Carnap zur Galionsfigur des Wiener Kreises; allerdings gefährdete das seine Chancen auf eine Professur in Deutschland. Beißende Äußerungen des jungen Dozenten, wie etwa „Metaphysiker sind Musiker ohne Musikalität“, kamen in den Philosophie-Instituten schlecht an. Denn dort herrschte häufig die Meinung vor, dass Klarheit und Tiefe einander ausschlössen, und dass reines philosophisches Denken die Fesseln der platten Fachwissenschaften zu sprengen vermöge. Der Stern von Martin Heidegger (1889-1976) ging soeben auf – von jenem Denker, der behauptete: „Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord der Philosophie.“ Seine Vorlesung Was ist Metaphysik? erschien im selben Jahr 1929 wie die Wissenschaftliche Weltauffassung des Wiener Kreises. Sie vertrat das konträre Programm. Wissenschaft und Logik verdienen bestenfalls Mitleid, fand Heidegger. Bei seinem Genesungsaufenthalt in Davos war Carnap im Jahr 1928 zufällig auf Heidegger gestoßen, der dort Philosophiekurse abhielt. Das Treffen auf Thomas Manns Zauberberg bezeichnete einen Scheidepunkt der Philosophiegeschichte. Fortan schlugen Metaphysik und Sprachanalyse völlig getrennte Wege ein. Persönlich vertrug sich Carnap mit Heidegger damals einigermaßen gut. Doch in seinen späteren Aufsätzen waren es immer die Sätze aus Heideggers Was ist Metaphysik?, die Carnap als Musterbeispiele sinnloser Aussagen 149

analysierte. Er berichtete Schlick aus Davos von „einer gewaltigen metaphysischen Wolke“. In ihrem Kern fand er – nichts. Buchstäblich Nichts. O-Ton Heidegger: „Wo suchen wir das Nichts? – Wie finden wir das Nichts? – Wir kennen das Nichts. – Die Angst offenbart uns das Nichts. Wovor und warum wir uns ängsteten, war eigentlich – nichts. In der Tat: Das Nichts selbst – als solches war da. Wie steht es um das Nichts? – Das Nichts selbst nichtet.“ Die Grammatik war einigermaßen korrekt, die Melodie makellos. Sachhaltig waren die Sätze aber nicht. Auch David Hilbert suchte sich einen Satz von Heidegger zum Ziel seines Spotts aus, nämlich „Das Nichts ist die schlechthinnige Verneinung der Allheit des Seienden“. Dieser Satz, ätzte der Mathematiker, „ist deshalb so lehrreich, weil er trotz seiner Kürze alle hauptsächlichen Verstöße gegen die in meiner Beweistheorie aufgestellten Grundsätze illustriert.“ Natürlich wusste Heidegger selbst, dass Frage und Antwort im Hinblick auf das Nichts gleichermaßen widersinnig sind. Er gab gern zu, dass Wissenschaft und Metaphysik unvereinbar sind. – Umso schlimmer für die Wissenschaft, meinte Heidegger; fatal für die Metaphysik, befand Carnap. Heidegger kümmerte das wenig: „Die vermeintliche Nüchternheit und Überlegenheit der Wissenschaft wird zur Lächerlichkeit, wenn sie das Nichts nicht ernst nimmt“, hielt er apodiktisch fest. In seiner Schrift Überwindung der Metaphysik durch die logische Analyse der Sprache wies Carnap penibel nach, dass Unsinnigkeiten wie „Das Nichts nichtet“ in falscher Analogie zu Sätzen wie „Der Regen regnet“ gebildet sind. Die Sprache verliert die Bodenhaftung und gerät ins Schleudern. Sie ist eben nur ein unvollkommenes Instrument, aus dem, so Hans Hahn, „immer wieder die Primitivität der Urzeiten hervorgrinst“. Das „Es“ im Satz „Es regnet“ suggeriert eine Wesenheit, die da regnet. Eine Aussage wie „Draußen ist nichts“ suggeriert ein Wesen, das da draußen ist – nämlich das Nichts. Wie in der Wissenschaftlichen Weltauffassung erläutert wird: „Die gewöhnliche Sprache verwendet zum Beispiel dieselbe Wortform, dasselbe Substantiv, sowohl für Dinge (‚Äpfel‘) wie für Eigenschaften (‚Härte‘), Beziehungen (‚Freundschaft‘), Vorgänge (‚Schlaf‘); dadurch verleitet sie zu einer dinghaften Auffassung funktionaler Begriffe.“ Eine logisch korrekte Symbolsprache vermeidet solche Verwirrungen. Carnap sah die Rettung in künstlichen Sprachen – nicht im Esperanto, das er in anderer Hinsicht schätzte, während Wittgenstein es verabscheute, vielmehr in sorgsam konstruierten, formalisierten Sprachen, wie sie Peano, Russell und Frege entworfen hatten. 150

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Carnap sollte noch die Entwicklung der ersten Computersprachen erleben. Die Wiener Zeit war für Carnap, wie er später einmal schrieb, „eine der anregendsten, erfreulichsten und fruchtbarsten meines ganzen Lebens.“ Zu den meisten Mitgliedern des Wiener Kreises pflegte er enge Verbindungen, und fast täglich debattierte er im Café. Zu Carnaps Geselligkeit mochte beitragen, dass er seine Familie in Deutschland zurückgelassen hatte. Er war geschieden. Obwohl Carnap auch von Wien aus noch einen engen Kontakt mit Ex-Frau Elisabeth und seinen Kindern hielt, lebte er so ungebunden wie ein Junggeselle. Sein Privatleben gestaltete sich weit weniger nüchtern als seine Philosophie. Der bürgerlichen Ehe stand Carnap, ähnlich wie Russell, skeptisch gegenüber. Dazu kam, dass offene Beziehungen zur damaligen Zeit modern waren. Die Pastorentochter Blanche Schlick beschwerte sich bei ihrem Mann, dass Carnap einen schlechten Einfluss auf ihn ausübe. Moritz Schlick, der dem weiblichen Geschlecht durchaus nicht abhold war (man war nicht umsonst Epikureer) musste Carnap um etwas mehr Diskretion bei der Korrespondenz bitten: Auf das Briefgeheimnis sei bei ihm zu Haus kein Verlass. Carnaps „Kollektiverotik“ (wie es eine seiner Bekannten nannte) fand ihr Ende, als ihm die Philosophiestudentin Elisabeth Stöger, ein schlankes Mädchen mit bezaubernden Augen, ein Buch für die Weihnachtsferien schenkte. Zunächst stellte sich Carnap taub. Das half wenig. Einige Wochen später fragte Fräulein Stöger ihren Professor, ob ihm das Buch gefallen hatte. Sie wollte das, schrieb sie ihm, „aus technischen Gründen“ wissen. Was denn für technische Gründe, wunderte sich Carnap. Nun, seine Stimme, so antwortete die Studentin, erinnere sie an eine ihrer ehemaligen Freundinnen. Übrigens, so setzte sie hinzu, gehöre sie nicht zu jenen jungen Frauen, die ihre Prüfungsnoten verbessern wollten. Carnap tat weiter so, als verstünde er nichts, aber zuletzt gab er klein bei. Vielleicht kam ihm Nestroys Bonmot in den Sinn, wonach Frauen die einzige Beute sind, die ihrem Jäger auflauert. Fräulein Stöger bevorzugte ihren zweiten Vornamen, Ignazia oder kurz Ina. Eine ihrer Freundinnen, die bekannte Fotografin Trude Fleischmann (1895-1990), liebte es, ihre wechselhaften Züge zu portraitieren. Nach der ersten gemeinsamen Nacht mit Ina vertraute Carnap seinem Tagebuch an: „Sie hat zwei Gesichter: das strenge Gesicht von vorn, ‚Ignazia‘, nicht entspannt, etwas 151

Studentin Ina Stöger beruflich ...

Archive Univ. Pittsburgh , Foto: Fleischmann

künstliche Haltung; ein lieblicheres und freundlicheres Gesicht, besonders von links unten. Beim hellen Tag am Frühstückstisch erschrecke ich etwas über das wache IgnaziaGesicht.“ Der Schreck währte nicht lang. Bald zog Ina bei Carnap ein.

... und privat, „von links unten“

DIE SCHMUTZIGE REINE PHILOSOPHIE Auch Otto Neuraths Hausstand hatte sich verändert. Bald nach Ottos Rückkehr aus Deutschland war sein Sohn Paul aus dem Kinderheim geholt worden. Der Zehnjährige verstand sich auf Anhieb mit seiner blinden Stiefmutter. Die Neuraths hausten in der Schloßgasse im Wiener Arbeiterbezirk Margareten. Neurath wollte aus seinem Pauli einen Proletarier machen – den Vorstadtdialekt beherrschte der Kleine bereits. Doch ein Kind zu erziehen ist schwer: Aus dem Knaben wurde später ein Gelehrter. Die Wohnung der Neuraths war geräumig, dunkel und verraucht. Olga paffte leidenschaftlich gern Zigarren. Fließwasser gab es nur am Gang, dafür reichlich Platz für Ottos Bibliothek mit ihren 20.000 Bänden. Der Besucherstrom riss nicht ab. Auf einer riesigen Couch wurde immer wieder bis spät in die Nacht diskutiert. Heinrich Neider (1907-1990), marxistischer Student und Junior-Mitglied des Wiener Kreises, berichtete von seiner ersten Begegnung: „So kam ich also zu Neurath, der damals in einem alten, sehr heruntergekommenen Haus wohnte. Es roch grässlich. - Die Tür wurde von einer blinden Frau geöffnet: Frau Neurath. Sie führte uns zu ihrem Mann, der schlief, sie musste ihn rütteln, da wachte er auf. Er war ein enormer Mensch, groß wie ein Elefant. Ich wurde ihm vorgestellt. Die erste Frage war: ‚Was studieren Sie?‘ Ich sagte: ‚Philosophie, reine Philosophie.‘ Und er: ‚Wie kann man etwas so Schmutziges machen? Warum studieren Sie nicht gleich Theologie?“ 152

Ähnliche Brandreden rapportiert Golo Mann, jüngster Sohn Thomas Manns, der Neurath als Redner vor einer Jugendgruppe erlebte: „Lest‘s keinen Kant, lest’s keinen Schopenhauer; Wissenschaft sollt’s treiben! Von den alten Eierschalen, Metaphysik, Idealismus und alledem müsst ihr euch befreien! – Der Intellektuelle schwimmt immer wie ein Fettauge auf der Suppe, dafür ist ihm jede Vernebelung recht. Der Philosoph will immer vernebeln. Schon seine geschwollene Sprache zeigt es: Manifestation, Emanation, Negation der Negation. Wenn der Prolet so etwas liest oder hört, versteht er es nicht und meint, er sei zu blöd. Ist aber gar nicht wahr!“ Neurath machte sich keine Hoffnungen mehr auf eine akademische Laufbahn. Doch er hatte der sozialistischen Wiener Stadtverwaltung ein Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum eingeredet, mit ihm als Direktor. Der unablässige Strom der Besucher in der Neurathschen Wohnung brachte auch die adrette junge Marie Reidemeister mit sich. Sie stand vor dem Ende ihres Lehramtsstudiums für Mathematik und Physik in Braunschweig, und war mit Freunden auf einen Kurzbesuch nach Wien gekommen. Ihr Bruder Kurt, der Geometer der Knoten, hatte ihr viel vom Schlick-Zirkel erzählt, und von dem unermüdlich umtriebigen Otto Neurath, dem angeblich witzigsten Menschen von Wien. - Neurath blieb seinem Ruf nichts schuldig. Der massige Mann mit der verwegenen Nase und den pfiffigen Augen unterhielt die Besucher mit seinen lebhaften Tiraden bis spät in die Nacht. Am nächsten Tag unternahm Otto mit Marie eine Kahnpartie, am Heustadlwasser im Prater, einem riesigen Park. Gleich nachdem er mit ihr in die Wohnung zurückgekehrt war, eröffnete er seiner Frau die Neuigkeit: „Heute habe ich Mietze geküsst!“ – „Das ging aber schnell“, meinte Olga freundlich. Marie fuhr noch einmal kurz nach Braunschweig, um ihr Examen zu bestehen. Dann kehrte sie nach Wien zurück. NEURATHS EINHEIZWISSENSCHAFT Nicht alle verfielen dem Charme des Polterhünen. Der zurückhaltende, vornehme Schlick beispielsweise konnte Neuraths eindringliche Art nur schwer ertragen, und lud ihn nie in seine Wohnung ein. „Ich kann doch nicht einen Mann mit einer so lauten Stimme bei mir sehen“, sagte Schlick. „Hier spielt man Mozart und unterhält sich nachher leise. Was soll da so ein Mann mit einer so lauten Stimme?“ Ein Lieblingsthema Neuraths war die „Einheitswissenschaft“ – er wollte keine Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zulassen. 153

„Das Bestreben geht dahin“, steht es im Manifest, „die Leistungen einzelner Forscher in Verbindung und Einklang miteinander zu bringen. Aus dieser Voraussetzung ergibt sich die Betonung der Kollektivarbeit.“ Neurath ritt auf dem Thema so unermüdlich herum, dass selbst sein Schwager und alter Freund Hans Hahn sich über Neuraths „Einheizwissenschaft“ lustig machte. Neider berichtet, wie der sonst so liebenswürdige Schlick einen Vortrag Neuraths mit den Worten einleitete: „Heute hat Herr Neurath sich zu einem Referat bereit erklärt, er will über die Einheitswissenschaft sprechen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemanden hier interessiert, aber ich bitte Herrn Neurath, trotzdem das Wort zu ergreifen.“ Neurath schluckte, doch dann tat er wie geheißen. Niemand konnte ihm seine Leidenschaft schlechtmachen. Unverdrossen legte er los: „Erst am Ende des neunzehnten und am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sind die wissenschaftlichen Arbeiten auf allen Gebieten so weit gediehen, dass man ernsthaft daran denken kann, eine Art Einheitswissenschaft anzustreben, in der nach einer Weise alle Begriffe gebildet werden, in der aufgrund bestimmter Kontrollregeln alles, was man behauptet, auf Einzelerfahrung zurückgeführt wird, die jeder überprüfen kann!“ „Nur durch gemeinsame Arbeit von Generationen wissenschaftlich gerichteter Menschen kann diese Aufgabe gefördert werden!“ Bei Neurath tönte alles wie ein Manifest – und zwar ein kommunistisches. „Die Befreiung von der überlieferten Denkwelt haben für unsere Generation Männer geleistet, die, wie Marx, das soziale Leben als etwas Irdisches, der Erfahrung Unterworfenes auffassten, oder wie Mach, der alles Physikalische auf die einzelnen Sinneserfahrungen zurückführte.“ Der Marxismus stand für Neurath der wissenschaftlichen Weltauffassung zur Seite. Daher lud er die Mitglieder des Wiener Kreises zu einem Kurs über Marxismus ein. Sein missionarischer Eifer hatte wenig Erfolg. Schlick machte kein Hehl daraus, dass ihm jegliche Politisierung zuwider war. Für Neurath verriet sich darin das reaktionäre Klassenbewusstsein der Bourgeoisie. Er sah alles, schrieb Karl Menger, „durch eine oft verzerrende Linse sozialistischer Philosophie. Ich habe nie einen Gelehrten getroffen, der so durchgängig besessen war von einer Idee und einem Ideal wie Neurath.“ 154

Bezeichnend ist, was Neurath in der Arbeiterzeitung über Bertrand Russell schrieb: „Dem sozialistischen Proletariat bereiten alle den Weg, welche antikapitalistischer Denkweise und scharfsinniger Klarheit dienen! Der Engländer Bertrand Russell hat, wie wenige andere, beides getan. Er hat während des Krieges die ganze Wucht englischer Justiz zu spüren bekommen, weil er sich der militaristischen Welle ernstlich widersetzte. Kriegsdienstverweigerer, Kämpfer für seine Überzeugung. Das ist derselbe Mann, der heute in der ganzen Welt als Führer der exakten Philosophie gilt, jener Weltauffassung, die die logisch-mathematische Struktur der Gegenstände und ihrer Verknüpfungen aufspürt und der Erfahrung überall zu ihrem Recht verhilft.“ So weit, so gut. Doch Russell hatte von seinem Besuch in der Sowjetunion wenig Erfreuliches berichtet. Das trug ihm Neurath nach: „Marxismus ist für Russell Uniformisierung der Ideen, ist für ihn Verachtung der Vernunft, schon weil er den Klassenkampf lehrt, den Russell nicht brauchen kann. Ihm ist der Marxismus so etwas wie der böse Feind.“ Und daher: „Russell ist in seinen sozialen Darlegungen unwissenschaftlich, er untersucht nicht Zusammenhänge, beschreibt nicht logisierend Tatbestände, sondern drückt seine Sehnsucht, seine Wünsche aus, glaubt ohne tiefergehende geschichtliche Analyse an die Macht der Vernunft als soziologische Tatsache. Derselbe Mann, der als exakter Philosoph eine unerhörte Kritik und Schärfe der Analyse an den Tag legt, hält es auf sozialem Gebiet nicht für notwendig, tiefergehende Studien zu machen. Aus den Plaudereien eines Weltreisenden ist die anmaßende Lehre eines wissenschaftlichen Kleinbürgers geworden.“ Als Russell zehn Jahre später gebeten wurde, den Eröffnungsvortrag auf einem von Neurath in Paris organisierten Kongress über Einheitswissenschaft (was denn sonst?) zu halten, sagte er ohne Umstände zu. Als „wissenschaftlicher Kleinbürger“ geschmäht zu werden, traf „Bertie“ nicht wirklich. Er war nach dem Tod seines Bruders der dritte Earl Russell und saß im House of Lords.

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SIEBTES KAPITEL

Der Wiener Umkreis Wien 1924-1934: Der Kreis sucht Kontakt. Sein „Verein Ernst Mach“ als linker Brückenkopf in rechtslastiger Universität der linken Hauptstadt einer Rechtsregierung. Leichenverbrennung erhitzt Gemüter. Jüdischer Autor erschossen: Prophezeite neuen Exodus. Schulgebet abgeschafft. Volksbildung auf Rekordniveau. Neurath sattelt um: Von Kleingärtnern in Reihenhäusern zu Reihen kleiner Männchen. Gründet Museum der Gegenwart, erfreut Proletarier mit Bildstatistik. Wiener Architekten zwischen Baracken und Bauhaus. Wiener Romane zwischen Mathematik und Statistik.

NIEMAND SCHLIESSE SICH AUS! Auch während der zweiten, öffentlichen Phase des Wiener Kreises, also ab dem Jahr 1929, blieben seine Sitzungen eine rein private Angelegenheit: ein akademisches Privatissimum, zu dem man von Moritz Schlick eingeladen wurde. Doch viele Mitglieder wollten mehr, als nur anregende Debatten zu führen, um sich nachher im Kaffeehaus zu entspannen, mit dem Klicken der Billardkugeln im Hintergrund. „Wir alle im Kreis“, schrieb Carnap später, „waren an sozialem und politischem Fortschritt stark interessiert. Die meisten von uns, ich eingeschlossen, waren Sozialisten.“ Die meisten, wenn auch einige nicht: Schlick zum Beispiel, Menger, Kraft oder Gödel. Das Manifest des Wiener Kreises trägt dieser Minderheit Rechnung, etwas halbherzig, denn dort steht: „Freilich wird nicht jeder einzelne Anhänger der wissenschaftlichen Weltauffassung ein Kämpfer sein. Mancher wird, der Vereinsamung froh, auf den eisigen Firnen der Logik ein zurückgezogenes Dasein führen; mancher vielleicht sogar die Vermengung mit der Masse schmähen. Aber auch ihre Leistungen fügen sich der geschichtlichen Entwicklung ein.“ 156 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_7

Institut Wiener Kreis

Kontaktanzeige: Die wissenschaftliche Weltauffassung sucht Freunde

Diese „geschichtliche Entwicklung“ vorwärts zu treiben, lag dem sogenannten linken Flügel des Kreises am Herzen; dazu zählten Hahn, Carnap und allen voran natürlich Otto Neurath. Da es sich bei diesen Denkern just um die Autoren der Wissenschaftlichen Weltauffassung handelt, steht dort zu lesen: „Der Wiener Kreis begnügt sich nicht damit, als geschlossener Zirkel Kollektivarbeit zu leisten. Er bemüht sich auch, mit den lebendigen Bewegungen der Gegenwart Fühlung zu nehmen, soweit sie wissenschaftlicher Weltauffassung freundlich gegenüberstehen und sich von Metaphysik und Theologie abkehren.“ Für strategische Allianzen mit den „lebendigen Bewegungen der Gegenwart“ bot ein akademischer Gesprächszirkel nicht das richtige Mittel. Daher war dem Schritt in die Öffentlichkeit die Gründung eines Vereins vorausgegangen – des Vereins Ernst Mach. Die Gründungsversammlung erfolgte im November 1928 im Festsaal des Alten Rathauses in Wien. Otto Neurath hielt einen programmatischen Vortrag über Ernst Mach und die exakte Weltanschauung. Natürlich steckte Otto Neurath als Spiritus Rector hinter der ganzen Unternehmung. Doch die ersten Schritte zur Gründung des Vereins waren von anderer Seite erfolgt, durch Mitglieder des Österreichischen Freidenkerbundes. Von den ersten Proponenten des Vereins hatte keiner zum Wiener Kreis 157

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gehört. Das änderte sich mit einem Schlag, als Otto Neurath beigezogen wurde. Er fasste die Gelegenheit zur Übernahme am Schopf. Der geplante Atheisten-Club verwandelte sich im Handumdrehen in einen Außenposten des Wiener Kreises. Moritz Schlick wurde zum Obmann gewählt, Hans Hahn zum stellvertretenden Obmann, Neurath zum Schriftführer und Carnap zum stellDie wissenschaftliche Weltauffassung macht sich Feinde vertretenden Schriftführer. Die „Fühlungnahme mit lebendigen Bewegungen der Gegenwart“ erfolgte, indem man zwei Stadträte des Roten Wien in den Beirat aufnahm, nämlich den berühmten Anatomen Julius Tandler (1869-1936), der gerade Wiens Gesundheitssystem reformierte, und den Kinderarzt Josef K. Friedjung (1871-1946), ein Mitglied von Freuds Psychoanalytischer Vereinigung. Die Tätigkeitsfelder des Vereins Ernst Mach waren klar umrissen: „Wir erleben, wie der Geist wissenschaftlicher Weltauffassung in steigendem Maße die Formen persönlichen und öffentlichen Lebens, des Unterrichts, der Erziehung, der Baukunst durchdringt, die Gestaltung des wirtschaftlichen Lebens nach rationalen Grundsätzen leiten hilft.“ Dort also galt es den Hebel anzusetzen. Bereits im Wiener Kreis-Manifest konnte eine Rückschau über das erste Vereinsjahr geliefert werden, mitsamt dem Appell, beizutreten: „Niemand schließe sich aus!“ Dass der Verein Ernst Mach aus dem gottlosen Freidenkerbund entsprang, erweckte sehr schnell den Argwohn kirchlicher Kreise. Auch das konservative Tagesblatt Reichspost beobachtete das Treiben mit Misstrauen. „Eine Propagandastelle für religionsfeindliche Ideen“, hieß es da. Auch dass ein gewisser Dr. Carnap dort nächste Woche über Gott und die Seele sprechen wollte, unter dem Titel „Scheinprobleme der Philosophie“, weckte düstere Ahnungen. 158

Zu den ersten Vorträgen im Verein zählten Reiseeindrücke über wissenschaftliche Weltauffassung in Russland, von Philipp Frank. Mehr brauchte es nicht, um den Verein politisch einzuordnen. Dass der bürgerlich-liberale Schlick als Obmann vorgeschoben wurde, konnte den Klerus keinesfalls täuschen. Dass obendrein Otto Bauer, der Chef der Austromarxisten, im Verein Ernst Mach eine Rede hielt, und das Sekretariat des Vereins im „Alten Rathaus“ des Roten Wien logierte, bestätigte die schlimmsten Befürchtungen der Rechtskonservativen. PULP FICTION Seit dem Kriegsende 1918 war Österreich polarisiert: Die Stadt Wien war fest in sozialdemokratischer Hand, während auf dem Land die ChristlichSoziale Partei dominierte. Hier Austromarxisten, dort Klerikal-Konservative –die Gegensätze schienen unüberwindlich und spitzten sich immer mehr zu. Nach dem Krieg hatte es eine kurzlebige Koalition beider Lager gegeben; sie zerbrach aber bereits im Jahr 1920. Der Führer der Christlich-Sozialen war Prälat Ignaz Seipel (1876-1932), ein Professor der Theologie. Mit einer rigorosen Sparpolitik bekam der Kirchenmann die Inflation in den Griff und schaffte es sogar, eine stabile Währung einzurichten. Durch Bestätigung des Verzichts Österreichs auf eine Angliederung an Deutschland stimmte er Frankreich gnädig und erhielt Wirtschaftskredite vom Völkerbund. Doch populär war das nicht. Die Zahl der Arbeitslosen verdoppelte sich, im bürgerlichen Lager hatten die meisten ihren Besitz verloren, und die sogenannten völkischen Kreise wandten sich zunehmend nach rechts. Dort lauerten radikale Splitterparteien auf ihre Chance, wie etwa die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei, und die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, Letztere mit Adolf Hitler verschworen, Erstere auf dem Weg dorthin. Unzählige Verschwörungstheorien machten die Runde. Die Welt wurde durch eine Handvoll Juden beherrscht. Die Protokolle der Weisen von Zion belegten das. Die Geschichte ist ein ewiger Kampf zwischen Herrenrassen und Untermenschen, den sogenannten Tschandalen. Das steht schon in den alten Runen geschrieben. Unser Kosmos ist das Ergebnis eines gigantischen Kampfs zwischen Feuer und Eis. Manche Sektierer gaben zwar zu, dass die Erde eine Kugel ist, waren aber überzeugt, dass wir auf der Innenseite lebten. Alle diese Grüppchen hassten nichts mehr als die „Professorenwissenschaft“, und alle sehnten sich nach einem Geheimwissen, dass sie vor den anderen auszeichnete. Und wenn dieses Wissen dem gesunden Menschenverstand widersprach, was war schon dabei? Den Erzschwindler Einstein konnte das schließlich auch wenig anhaben. 159

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Die zwei großen politischen Lager Österreichs, die Christlich-Sozialen wie die Sozialdemokraten, hielten sich paramilitärisch organisierte Selbstschutzverbände. Der Schutzbund stand links und die Heimwehr rechts. Diese Privatarmeen versuchten, jeweils ihre Reviere abzustecken und einander durch Aufmärsche einzuschüchtern. Diese Konfrontationen wurden immer gewalttätiger. Die weltanschaulichen Konflikte schienen unüberbrückbar. Der einen Seite ging es ums ewige Seelenheil, der anderen ums klassenkämpferische Bewusstsein. Alles konnte zum Anlass dienen, um den Zwist zu verschärfen. – So war beispielsweise die Feuerbestattung von kirchlicher Seite streng untersagt. Wer dagegen verstieß, wurde exkommuniziert. Prompt gründeten starrsinnige Gottesleugner Vereine für die Einäscherung ihrer Leichen, wie etwa Die Flamme. Die Priester jedoch verweigerten den Mitgliedern dieser „Leichenverbrennervereine“ die Sterbenssakramente. Wer es sich am Totenbett anders überlegte, dessen Leichnam wurde von beiden Seiten für sich reklamiert. – Das Rote Wien ließ ein prachtvolles Krematorium errichten, gleich gegenüber vom Zentralfriedhof. Genau einen Tag vor der ersten Einäscherung verbot ein christlich-sozialer Minister den Betrieb. Der sozialdemokratische Bürgermeister Seitz ließ die Verbrennung trotzdem durchführen. Er wurde dafür verklagt. Das Gericht sprach ihn frei. Die rechtskonservative Reichspost konnte es nicht fassen. Es kam zu Tumulten. 160

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Flammender Zorn im Blätterwald

Der Schriftsteller Hugo Bettauer (1872-1925) fand in der irrwitzig überdrehten Atmosphäre des Wiens der Nachkriegszeit das Material für seine Kolportageromane. Seine Reißer gingen ihm schnell von der Hand, drei bis vier jedes Jahr, mit Titeln wie Hemmungslos, Der Kampf um Wien, Faustrecht oder Das entfesselte Wien. – Sein Roman Die freudlose Gasse wurde verfilmt: eine junge schwedische Darstellerin namens Greta Garbo machte darin auf sich aufmerksam. Das nahm Bettauer gleich als Sujet für seinen nächsten Roman. Bettauers Stadt ohne Juden erregte besondere Aufmerksamkeit. Ein Bundeskanzler, in dem der Kirchenlehrer Seipel unschwer zu erkennen war, verfügt darin, dass die Juden Wien zu verlassen hätten. Er bewundere zwar die herausragenden Qualitäten ihrer Rasse, erklärte der Kanzler, aber ganz so wie ein Gärtner die schillernden Farben des Rosenkäfers bewundern kann und ihn trotzdem bekämpfen wird, so musste der Kanzler sein Volk beschützen und die Juden aus Österreich ausweisen. Sie waren nämlich allzu begabt und rissen alles an sich. – Wie die Geschichte weiter geht, ist schnell erzählt. Die Juden ziehen aus; prompt verarmt die Stadt, und verblödet. Doch verblödet sie nicht so arg, dass sie sich nicht zu guter Letzt eines Besseren besänne. Die Juden dürfen wieder herein. Geld und Talent kehren im Nu zurück. Der Kanzler erschießt sich, und keiner weint ihm eine Träne nach. Bettauer leitete auch eine Zeitschrift, Er und Sie: Wochenschrift für Lebenskultur und Erotik. – Erotik? Reinste Pornografie, schäumte die christ161

liche Presse. Der Autor sei „ein perverses Kloakentier“! Schlimmer als Arthur Schnitzler! – Die Antisemiten orteten jüdische Unzucht. Der junge Ex-Nazi Otto Rothstock drang 1925 in Bettauers Büro, sperrte hinter sich ab und tötete den Schriftsteller mit mehreren Schüssen. Dann ließ er sich widerstandslos festnehmen. Die Zeitungen des rechten Lagers überschlugen sich. Zwar: Mord ist Mord, so beteuerten sie unisono. Aber Bettauer habe die Jugend auf abscheuliche Irrwege geführt. Niemand dürfe sich darüber wundern, dass es zu dieser Schreckenstat gekommen sei. Dieser Bettauer hatte seine Verbrechen vor aller Augen begangen. Hunderttausende aufrechter Bürger hatten sie verurteilt – und mit welchem Ergebnis? Nichts war geschehen! Polizei und Gericht waren Marionetten der Juden. Kein Wunder, wenn sich ein junger Idealist schließlich entschlossen hatte, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen, um der ständig wachsenden Flut übelster Pornographie endlich Einhalt zu gebieten. Die Verteidigung Rothstocks übernahm der Führer der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (nicht Hitlers Partei – noch nicht!), ein gewisser Walter Riehl, der nachweislich schon 1907 eine Hakenkreuzfahne gehisst hatte, als Adolf Hitler noch ein Milchbart gewesen war. Jetzt plagiierte ihn dieser Emporkömmling schamlos, und keinen schien es zu stören! Im Fall Bettauer folgte das Geschworenengericht den Argumenten von Riehl: Hier lag zwar Mord vor, und illegaler Waffenbesitz, aber der Täter war unzurechnungsfähig, ein geistig Verwirrter; aus dem Gleis geworfen hatte ihn aber kein anderer als sein späteres Opfer. – Der Mörder kam in eine psychiatrische Klinik und befand sich achtzehn Monate später wieder auf freiem Fuß. Er übersiedelte nach Hannover, trat neuerlich der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei bei (also Hitlers Partei), und führte bis in die Siebzigerjahre eine Praxis als Dentist. Bettauers Juden-Roman und seine Ermordung wirken wie gespenstische Vorgriffe auf das Schicksal des Wiener Kreises. Wenn sich Geschichte wiederholt, meinte Karl Marx, ist es beim zweiten Mal eine Farce. Aber in diesem Fall sollte die Wiederholung keine Farce werden. „Es wird sich doch ein Rothstock finden!“ wurde zu einer volkstümlichen Drohung in Wien. Die Überzeugung, dass eine Lösung der politischen Spannungen nur durch Kampf erzielt werden konnte, griff immer weiter um sich. Im Sommer 1927 erfolgte eine erste Entladung. Nach dem gerichtlichen Freispruch ehemaliger Frontkämpfer, die einen unbewaffneten Kriegsinvaliden und ein Kind erschossen hatten, kam es zu gewalttätigen Demonstrationen. Der Justizpalast wurde in Brand gesteckt. Weder die Polizei noch die sozialdemokratischen Stadtväter konnten die Ausschreitungen verhindern. Der Tag kostete mehr als 80 Opfern das Leben. 162

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Die Bärenhöhle an der Universität Wien, und ihr Opfer Edgar Zilsel (1891-1944)

Am nächsten Tag war alles wieder ruhig, doch die Ruhe verhieß wenig Gutes. Österreich steuerte offenbar geradewegs auf einen Bürgerkrieg zu. Zunächst blieb es aber ein kalter Krieg. EINE PHALANX IN DER BÄRENHÖHLE Die Universität Wien entwickelte sich zu einer besonders heftig umfehdeten Arena des politischen Streits. Die Mehrheit der Professoren war nationalistisch und rechtskonservativ eingestellt. Nur wenige Professoren, wie etwa Hans Hahn, bekannten sich offen zur Sozialdemokratie. Schon das schien den meisten bedrohlich. Die Absicht, ein weiteres Vordringen jüdischer Professoren und Studenten durch einen Numerus clausus von zehn Prozent zu verhindern, war weit verbreitet. So setzte sich etwa der damalige Bundeskanzler Seipel dafür ein. Er hielt es für eine gebotene Maßnahme des sogenannten „Notwehr-Antisemitismus“. Im Jahr 1930 erließ der nationalsozialistische Rektor Wenzeslaus Gleispach eine Studentenordnung, die Studierende nach „Sprache und Abstammung“ einteilte und de facto eine Quote einführte. Der Verfassungsgerichtshof kippte diese Maßnahme zwar, doch das beeindruckte die völkischen Kreise wenig: Da die Verfassung vom Juden Hans Kelsen stammte, wisse man, was davon zu halten war. Es kam zu wüsten Schlägereien an der Universität. Die sogenannte Deutsche Gemeinschaft erstellte Proskriptionslisten missliebiger Professoren, auf denen sich neben Hans Kelsen und Sigmund 163

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Die nationalsozialistische Studentenschaft macht mobil

Freud auch Moritz Schlick befand. Das Feindbild waren die „Ungeraden“, und somit alle, die man marxistischer Neigungen oder jüdischer Herkunft verdächtigte. Die Vorlesungen der Ungeraden wurden boykottiert, ihre Berufung oder Habilitation verhindert. Der Antisemitismus nahm viel rabiatere Züge an als weiland zur Kaiserzeit. Damals schon hatte der Soziologe Max Weber (18641920) geschrieben, dass eine wissenschaftliche Karriere „wilder Hasard“ sei. Den Juden müsse man ehrlicherweise sagen: Lasst alle Hoffnungen fahren. – Dass trotz alledem nicht wenige von ihnen akademisch reüssierten, gab zusätzlichen Nährstoff für Verschwörungstheorien. Die Deutsche Studentenschaft verlangte bei ihrem Jahrestag von 1923, dass alle Bücher jüdischer Autoren, die sich in Universitätsbibliotheken befanden, mit einem Davidstern zu kennzeichnen seien. Dazu kam es nicht, was eine wüste Hetze gegen den damaligen Bibliotheksdirektor Frankfurter hervorrief. An der philosophischen Fakultät der Universität Wien agierte ein informelles Netzwerk von Professoren, das die Ungeraden bekämpfte. Dieses Netzwerk wurde vom Paläontologen Othenio Abel (1875-1946) geleitet, der sich später damit brüstete, „die antisemitischen Gruppen so fest zusammenge164

schweißt zu haben, dass sie eine feste Phalanx bilden.“ Die konspirativen Treffen der 19 Professoren dieser Phalanx fanden in einem Raum statt, der zur Lagerung von Tierpräparaten diente und als die „Bärenhöhle“ bekannt war. Ein frühes Opfer der Bärenhöhle wurde Edgar Zilsel, einer der ersten und treuesten Teilnehmer am Schlick-Zirkel, ein Ungerader in jeder Hinsicht. Karl Menger schrieb über ihn: „Zilsel war ein militanter Linker. Ich hörte ihn bei einem glänzenden Vortrag in Warschau. Ich habe die Einzelheiten vergessen, doch ich erinnere mich, dass er über gewisse philosophische Ansichten sprach, die seiner Ansicht nach nicht durch rationale Gründe gerechtfertigt werden können. Er endete, beinahe Neurath übertreffend, mit einer Attacke auf jene Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme, die ihm zufolge diese Ansichten nahe legten und von ihnen gestützt wurden. Ich saß zufällig neben dem hervorragenden Logiker Jan Lukasiewicz, der von dem Vortrag schlicht überwältigt war und immer wieder sagte: ‚Was für ein Intellekt!‘“ Edgar Zilsel hatte Philosophie, Mathematik und Physik studiert und im Jahr 1915 mit einer Dissertation über die philosophischen Aspekte des Gesetzes der großen Zahlen promoviert. Schon vor dem Krieg war Zilsel im Akademischen Verband für Literatur und Musik sehr aktiv gewesen. Dann engagierte er sich an den Wiener Volkshochschulen und unterrichtete dort Philosophie und Physik – er war der erste hauptberufliche Erwachsenenbilder der Republik. Später wurde er Lehrerausbilder am Pädagogischen Institut der Stadt Wien. Seine Habilitation an der Universität Wien schlug aber fehl. Zilsels Arbeit über die Entwicklung des Geniebegriffs erschien als „zu einseitig rationalistisch“. Auswärtige Gutachten wollte man gar nicht erst abwarten: Schlick und Gomperz mussten ihrem Schützling Zilsel schweren Herzens raten, sein Ansuchen zurückzuziehen. Als die auswärtigen Gutachten einlangten, allesamt positiv, war es bereits zu spät. Die „bekannten Hinderungsgründe“ hatten sich als unüberwindlich erwiesen. Im Jahr 1927 fand es die Philosophische Gesellschaft der Universität Wien, die zwei Jahrzehnte zuvor den Urkreis-Mitgliedern Hahn, Frank und Neurath eine geistige Heimat geboten hatte, hoch an der Zeit, sich in eine Zweiggesellschaft der Internationalen Kant Gesellschaft zu verwandeln. Ausgerechnet Immanuel Kant! Dieser philosophische Anschluss mag letztlich den Ausschlag gegeben haben, dass der anti-metaphysisch eingeschworene Zirkel den Verein Ernst Mach gründete. Fest steht, dass fortan weder Hahn noch Neurath noch Frank je wieder in der Philosophischen Gesellschaft vortrugen. 165

NEUE MENSCHEN FÜR EINE BESSERE ZUKUNFT Mit der Wirtschaftskrise von 1929, die Wien erst ein Jahr später mit voller Wucht heimsuchte, nahmen die Feindseligkeiten in Österreich weiter zu. In der rettungslos polarisierten Atmosphäre erschien der Verein Ernst Mach seinen Gegnern als eine schlecht getarnte kirchenhetzerische Vorfeldorganisation des Roten Wien. Dem linken Flügel des Wiener Kreises war derlei nur recht: Seine Mitglieder bezogen bereitwillig Stellung und engagierten sich mit Elan in Fragen der Volksbildung und der Schulreform; hier griff die wissenschaftliche Weltauffassung direkt ins politische Leben ein. Die Erwachsenenbildung entsprang dem Geist der Aufklärung. Stellte die Wissenschaft im achtzehnten Jahrhundert ein beliebtes Sujet in den vornehmen Salons dar, so verlangte sie im neunzehnten Jahrhundert nach einem größeren Forum. Es ging hier wie mit der Musik: Den Konzertsälen der Musikvereine entsprachen die Hörsäle von der Urania und den Volkshochschulen. Die älteren Jahrgänge des Wiener Kreises waren schon vor dem Ersten Weltkrieg bei öffentlichen Vorträgen und Kursen aktiv gewesen. Der Austromarxismus sah in der Bildung den Schlüssel zur Veränderung des Bewusstseins der Massen. Wissen ist Macht, Bildung macht frei, so lauteten die Schlag- und Stichworte. Das Volksheim Ottakring und der Wiener Volksbildungsverein galten als Prestigeprojekte des Roten Wien. Berufsschulen sollten das keine sein, sondern Bildungsanstalten im besten Sinn – zur Schulung der Arbeiterklasse. Vor dem Ersten Weltkrieg waren es oft Universitätsprofessoren gewesen, die als Lehrer an den Volkshochschulen wirkten. Mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Lage nach dem Krieg versprach Erwachsenenbildung nicht nur den Arbeitern die Möglichkeit eines Aufstiegs, sie bot auch Anstellung für

beides: Archiv der Volkshochschulen Wien

Bildung für alle: Volksheim und Urania

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jene Wissenschaftler, denen ein Posten an den Universitäten verwehrt war. Fast 400 dieser „Schulen des Sozialismus“ gab es in Wien. Die Urania allein brachte es auf mehrere tausend Vorträge pro Jahr. Die Erziehung zum „Neuen Menschen“ sollte schon in der Schule beginnen. Der Unterrichtsminister Otto Glöckel entwarf eine umfassende Schulreform. Sein erster Schritt: Die Abschaffung des täglichen Schulgebets. Es wurde beinahe der letzte Schritt. Ein Sturm der Empörung fegte über das Land. „Schulbolschewismus“, befand die katholische Reichspost. Glöckel war schon bald kein Minister mehr. Sein Werk versuchte er als Präsident des Wiener Stadtschulrats weiter zu führen. Hans Hahn gehörte zum Stadtschulrat. In Zeitungsartikeln setzte er sich für Glöckels Reformpläne ein. Viele der Forderungen hatte dereinst schon Ernst Mach erhoben. HIEROGLYPHEN FÜRS MUSEUM DER GEGENWART Wenn Otto Neurath im Verein Ernst Mach sprach, war der Hörsaal stets voll. Er konnte mitreißend vortragen. Doch auch Neurath blieb es wie Zilsel verwehrt, an der Universität zu unterrichten, aufgrund der „bekannten Hinderungsgründe“. Seine Suada verschlug ihm das nicht. Das klang bei Neurath etwa so: „Letzte Konsequenz aus Empirismus: Wissenschaft ohne Philosophie!“ „Befreiung vom Druck der Metaphysik und Theologie, als Parallelerscheinung zur Befreiung vom Druck sozialer Zustände.“ „Klarheit, Strenge, Lebensnähe!“ Neben seiner unerschöpflichen Vortrags- und Publikationstätigkeit stand Neurath eine zusätzliche Möglichkeit offen: das Bild. Er war, bald nach seiner Rückkehr aus der Haft, wieder Museumsdirektor geworden, diesmal in Wien, als Leiter des von ihm gegründeten Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums. Dieses Museum war anders als alle anderen. Es sollte nicht Dinge aus der Vergangenheit aufbewahren, sondern Möglichkeiten für die Zukunft schaffen, durch die bildliche Darstellung gesellschaftlicher Zusammenhänge. Das war für Neurath „Dienst am Proletariat“. Er schrieb: „Das Proletariat ist an der wahrheitsgetreuen Aufdeckung der sozialen Tatsachen klassenmäßig interessiert, während das Bürgertum innerlich gehemmt ist, der Statistik wie auch sonst der Wissenschaft freie Bahn zu lassen.“ Das ließ sich noch steigern: 167

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Eine Ausstellung von Otto Neurath in der Volkshalle des Rathauses

„Statistik ist Freude für das mit den herrschenden Klassen hart ringende internationale Proletariat!“ Um rechte „Freude“ zu vermitteln, darf die Statistik nicht wie eine okkulte Wissenschaft betrieben werden, meinte Neurath. Sie muss vielmehr unmittelbar zugänglich sein, ohne viel Vorkenntnisse. Dazu ist eine bildhafte Darstellung notwendig. Denn, wie er schrieb: „Die modernen Menschen empfangen einen großen Teil ihres Wissens und ihrer allgemeinen Bildung durch bildhafte Eindrücke, Illustrationen, Lichtbilder, Filme.“ Als Neurath das schrieb, gab es natürlich längst noch kein Fernsehen, PowerPoint oder YouTube. „Die Methode der bildlichen Darstellung ist bisher wenig entwickelt. – Es geht darum, Abbildungen zu schaffen, die möglichst ohne Text verständlich sind. Es müssen vor allem Bildzeichen geschaffen werden, die so ‚gelesen‘ werden können wie von uns allen Buchstaben und von den Kundigen Noten. Es handelt sich um die Schaffung einer Art Hieroglyphenschrift, die einer internationalen Anwendung fähig ist. Es geht darum, womöglich mit demselben Zeichen für denselben 168

Gegenstand im ganzen Museum, ja auf allen Ausstellungen das Auslangen zu finden. Wenn irgendwo, so hat die abstrakte Darstellungsweise hier ihren Platz.“ Abstrakte Kunst war im zwanzigsten Jahrhundert fast wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sogar die Musik und die Mathematik wurden abstrakter als bisher. „Je abstrakter die Kunst wird, desto mehr wird sie Kunst“, befand Robert Musil. Vielfach hat Abstraktion etwas Elitäres, Hermeneutisches, ja in Kandinskys Augen sogar Mystisches an sich. Ganz anders bei Neurath: Seine abstrakte Darstellungsweise, despektierlich auch als „Reihen von Manderln“ beschrieben, führte zur Ausarbeitung der sogenannten Wiener Methode der Bildstatistik. Sie sollte die komplexen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge für jedermann anschaulich machen. Der Hauptgrundsatz der Wiener Methode ist: „Eine größere Menge von Gegenständen wird durch eine größere Menge von Zeichen wiedergegeben. (nicht etwas durch ein größeres Zeichen)“. Im alten Ägypten wurden die wichtigen Personen, Pharaonen und Heerführer, größer als die anderen dargestellt. Aber ein doppelt so hohes Standbild hat eine vierfache Fläche und ein achtfaches Gewicht. Was also ist gemeint, zwei, vier oder acht? Wenn Neurath darstellen wollte, dass es achtmal mehr Arbeiter als Arbeitslose gibt, zeichnete er acht Arbeiter und einen Arbeitslosen, alle gleich groß. Alles, was von der Aussage ablenken konnte, wie etwa Gesichtszüge, wurde aus dem Bild fortgelassen. Die Körperumrisse zeigten, wer Arbeit hatte und wer nicht. Die Gemeindeväter des Roten Wien merkten bald, dass sich ihnen hier eine großartige Gelegenheit für Informationskampagnen und Propaganda bot. Neurath überzeugte sie, dass sein Museum „ein Volksbildungsinstitut für soziale Aufklärung“ darstellte, ein „Lehrmuseum der Gegenwart“. Es wurde im Rathaus untergebracht, mit einer Außenstelle, der Zeitschau, in noch zentralerer Lage, an der stark frequentierten Ecke von Graben und Tuchlauben. In immer neuen Ausstellungen konnten Probleme der Hygiene, Errungenschaften des Wohnbaus oder wirtschaftliche Verflechtungen präzise und nachvollziehbar veranschaulicht werden. Die junge Marie Reidemeister war gleich nach ihrem Lehramtsexamen im Jahr 1924 zu Neurath nach Wien zurückgekehrt. Sie fand im Museum Anstellung, mit der Berufsbezeichnung „Transformator“. Heute wurde man sagen „Designer“. Privat wurde Marie die Muse von Otto. Der deutsche Grafiker und Künstler Gerd Arntz (1900-1988) sollte die Wiener Bildstatistik besonders prägen. Neurath hatte ihn im Jahr 1926 in Düsseldorf für sich entdeckt, während seiner ersten Deutschlandreise nach 169

beide: Dept. Typography Univ. Reading

Die Wiener Methode der Bildstatistik

der Aufhebung seiner Verbannung. Zuerst zierte sich Arntz, und wollte bloß von der Ferne aus mitarbeiten, per Post. Doch einem Neurath widersteht man nicht leicht. Er wollte Arntz jederzeit zur Hand haben, direkt bei sich im Museum. So zog Arntz im Jahr 1928 zunächst für ein paar Monate nach Wien, und 1929 übersiedelte er ganz. Mit Tausenden von Piktogrammen für das Museum schuf er einen unverwechselbaren Stil, der für das Rote Wien zum Aushängeschild wurde. Bald erregte das Museum internationales Aufsehen. Während der Wiener Kreis sich mit Wittgensteins Bildtheorie der Sprache abrackerte („Ein Satz sagt nur insoweit etwas aus, als er ein Bild ist.“ – 4.03), setzte Neuraths Museum von vorneherein auf das Bild; und während seine philosophischen Kollegen vor den Tücken und Fallen der Sprache warnten, ging Neurath gleich einen Schritt weiter und versuchte überhaupt ohne Sprache zu kommunizieren. „Was man durch ein Bild zeigen kann, soll man nicht mit Worten sagen.“ Unermüdlich trommelte Otto Neurath: „Worte trennen, Bilder verbinden.“ „Vereinfachte Mengenbilder sich merken ist besser als genaue Zahlen vergessen.“ „Wer am meisten weg lässt ist der beste Lehrer.“ „Die Bildpädagogik ist auf dem Marsche.“ Auch seinen „Plan der Pläne“ hatte Otto Neurath längst nicht aufgegeben: „Eine Bildübersicht der Weltwirtschaft ist nicht bloß eine akademische 170

alle: Dept. Typography Univ. Reading

Transformation wichtiger Tatsachen; sie ist auch in gewissen Ausmaß eine Vorbereitung für einen Weltwirtschaftsplan.“ GROSSE ARCHITEKTEN FÜR KLEINE HÄUSER Sein Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum war Neurath nicht in den Schoß gefallen. Obzwar bestens vernetzt im Roten Wien, blieb der rote Riese politisch nur eine Randfigur, allzu schillernd für den Parteitrott der Sozialdemokratie. Inhaltlich gab es fast nur Differenzen. Die Führungsriege der Austromarxisten hatte sich schon nach kurzer Zeit von der sogenannten Vollsozialisierung abgewandt. Schlechte Aussichten für den einstmaligen Chef eines Zentralwirtschaftsamts! Das zwang Neurath, sich nach seiner Rückexpedierung aus Bayern andere Betätigungsfelder zu suchen. Kaum heimgekehrt, wurde er in Wien zum Generalsekretär des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Kleingartenwesen bestellt. Nichts klang biederer, kleinbürgerlicher sogar, doch Neurath witterte dahinter revolutionäres Potenzial. Um der damaligen Wohnungsnot und Nahrungsknappheit zu entgehen, hatten sich zahlreiche Wiener an den Stadtgrenzen niedergelassen, in denkbar einfachen Behausungen, die sie im Selbsthilfeverfahren errichteten, zunächst außerhalb der Legalität. Doch nach anfänglichen Reibereien beschloss die Stadt Wien, die Siedlerbewegung zu unterstützen. Denn auch die Gemeindeväter witterten das Potenzial. Hervorragende Architekten wie Adolf Loos, Josef Frank und Margarete Lihotzky stießen zur Bewegung hinzu. Loos hatte bereits durch seine Bauten und Schriften legendären Ruf errungen. Sein Buch Ornament und Verbrechen 171

beide: Dept. Typography Univ. Reading

traf im Jahr 1908 die Moderne im Nerv. Der Titel wurde häufig als „Ornament ist Verbrechen“ zitiert und zum Dogma erhoben.

beide: Dept. Typography Univ. Reading

Gerd Arntz

Marie Reidemeister

Ludwig Wittgenstein schätzte Loos sehr. Loos erwiderte die Hochachtung, und überreichte Ludwig Wittgenstein im Jahr 1924 sein neuestes Buch, Ins Leere gesprochen, mit einer fein gedrechselten Widmung. Doch nach einigen wenigen Begegnungen brach Wittgenstein den Kontakt unvermittelt ab. „Loos ist ein unerträglicher Spießer geworden“, erklärte er. Spießer oder nicht, Adolf Loos wurde ehrenamtlicher Chefarchitekt der Siedlungsbewegung und Leiter des Siedlungsamts der Gemeinde Wien. „Große Architekten für kleine Häuser“, dekretierte er. Es begann ein großflächiges Sozialexperiment. Einige der Versuche in Sachen Selbsthilfe, Gemeinnutz und Genossenschaftseigentum erschienen radikal genug, um selbst einen Otto Neurath zufriedenzustellen. Am Rosenhügel, beispielsweise: solange die Siedler die Anlage bauten, war ihnen noch keine Parzelle zugewiesen. Erst nach der Fertigstellung erfolgte die Entscheidung, wer welches Haus beziehen sollte, und zwar durchs Los (und nicht: durch Loos).

Der Architekt Josef Frank kannte Otto Neurath schon von der Zeit des Urkreises her, durch seinen Bruder, den Physiker Philipp Frank. Die junge Margarete Lihotzky (1897-2000) schließlich, die erste Frau, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hatte, verfiel der Aura des unverbesserlichen Neurath und wurde kurzfristig seine Geliebte. Etwas später heiratete sie ihren Kollegen Schütte. Margarete Schütte-Lihotzky verstand etwas von Funktionalität. Ihre Frankfurter Küche aus dem Jahr 1930 wurde zum Urbild aller Einbauküchen, ein veritables Labor für die Hausfrau, ausgerichtet an den Speisewagenküchen amerikanischer Fernzüge. Für eine Küchenmagd durfte ausdrücklich kein Platz sein in der Frankfurter Küche – in puncto „klassenkämpferisches Bewusstsein“ stand Margarete niemandem nach. Die wilden Siedler waren bald schon brav organisiert, um nicht zu sagen voll domestiziert. Otto Neurath schuf ein dichtes Netz von Vereinen und Ver172

Gewerbe- und Wirtschaftsmuseum Wien Uni Bibliothek Univ. Wien

Durch Eigenbau zum Eigenheim

bänden. Sein altes Interesse an Selbstversorgung und Naturalwirtschaft kam wieder zur Entfaltung. Er gab die Linie vor, dass „alle Kleingärtner zu Siedlern, alle Siedler zu Kleingärtnern werden“ sollten. Um die wirtschaftlichen Grundlagen des Hausbaus überschaubarer zu gestalten, arrangierte die Gemeinde Wien im Jahr 1921 eine Ausstellung im Rathauspark. Das hatte Otto Neurath ursprünglich zum Anlass genommen, ein Museum für Siedlungs- und Städtebau zu gründen, aus dem im Jahr 1924 dann sein Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum hervorging. Mittlerweile hatte sich das Rote Wien allerdings auf ein Wohnbauprogramm eingeschworen, das auf mehrgeschossige Gemeindebauten statt auf flache Gartenstädte setzte. Jetzt wurden nicht große Architekten für kleine Häuser, sondern große Blöcke für kleine Leute verlangt. Loos zog sich verärgert zurück. „Volkswohnungspaläste“ wollte er nicht bauen. Neurath aber hatte Geschmack an der Architektur gefunden. Das deutsche Bauhaus faszinierte ihn. Waren nicht Stahlrohrmöbel geradezu exemplarisch für jene Neue Sachlichkeit, die auch die wissenschaftliche Weltauffassung inspirierte? Neurath war zur Eröffnung des Bauhauses nach Dessau eingeladen worden. Kurz darauf hielten dort auch Herbert Feigl und Rudolf Carnap Vorträge. Alle waren überwältigt vom enthusiastischen Empfang durch die Avantgarde der Moderne, Größen wie Walter Gropius und Mies van der Rohe, Paul Klee und Vassily Kandinsky, Lászlò Moholy-Nagy und Josef Albers. 173

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Josef Frank (1885-1967)

Haus Frank in der Werkbundsiedlung

MODERNE UND „MODERNEKULTURVERKÜNDER“ Josef Frank arbeitete als beratender Architekt am Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum mit. Er zählte zu den bekanntesten Baukünstlern Wiens aus der Generation nach Hoffmann und Loos. Gemeinsam mit Neurath beteiligte er sich am Österreichischen Werkbund. Dessen Wiederbegründung erfolgte nur wenige Tage bevor sich der Verein Ernst Mach konstituierte. Frank hielt den ersten Vortrag: Moderne Weltauffassung und moderne Architektur. Frank verkörperte in der Architektur eine liberale Moderne: Er kritisierte die formale Strenge der Neuen Sachlichkeit ebenso wie die elitären Ansprüche der „Modernekulturverkünder“ und bevorzugte lebendige, individuelle Gebilde gegenüber den funktionalistischen „Wohnmaschinen“ eines Le Corbusier. Für Frank zählte die Überwindung eines Einheitsstils zu den wichtigsten Aufgaben der Architektur. „Akzidentismus“ sollte er seine Haltung später benennen. Robert Musil dachte vermutlich ähnlich wie Josef Frank, als er schrieb: „Ich mag Wohnungen nicht leiden, die seelisch nach Maß gemacht sind. – Ich käme mir darin vor, als ob ich auch mich selbst bei einem Innenarchitekten bestellt hätte.“ Josef Frank war, ganz wie Neurath und Loos, ein Gegner der Wohnblöcke der Gemeindebauten: „Was hier geschieht,“ schrieb er einmal, „sieht aus, als hätte es der Zufall auf die Straße geworfen, und fröhliche Dummheit grinst aus jedem Fensterloch.“ 174

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Im Massenwohnbau sah er keine Lösung. Er befürwortete vielmehr aneinandergereihte Einfamilienhäuser mit jeweils eigenem Garten. Da aber die Gemeinde Wien unerschütterlich auf ihrem Programm beharrte, beteiligte sich Frank wohl oder übel doch an Gemeindebauten. Überzeugt davon war er nicht: „Das Haus im Freien war und ist die ideale Wohnform und damit die Grundlage einer jeden Wohnkultur.“

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Margarete Schütte-Lihotzky

Otto Neurath schickt Margarete liebe Grüße

Franks Ziel war kein Gesamtkunstwerk, sondern Wohnlichkeit. Ähnlich wie er wollte auch Otto Neurath wissen, „wie man in der nächsten Zeit wohl am glücklichsten in wirklichen Wohnungen leben dürfte. Die optimale technische Lösung deckt sich keineswegs immer mit dem Glücksmaximum.“ Als Vizepräsident des Österreichischen Werkbunds organisierte Josef Frank die Wiener Internationale Werkbundsiedlung, die 1932 eröffnet wurde; zu den Architekten gehörten Adolf Loos und Josef Hoffmann, Clemens Holzmeister und, als einzige Frau, Margarete Schütte-Lihotzky. Errichtet wurde die Siedlung von der GESIBA, einem Unternehmen des Roten Wien. Deren Direktor, ein gewisser Neubacher, wurde wenige Jahre später nationalsozialistischer Bürgermeister von Wien. DER DISKRETE CHARME DES ZWANZIGSTEN JAHRHUNDERTS

Ein aufstrebender junger Mitarbeiter von Neuraths Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum war ein waschechter Proletarier. Rudolf Brunngraber (1901-1960) kam als uneheliches Kind eines alkoholkranken Maurergehilfen und einer Hilfsarbeiterin in Favoriten zur Welt, dem klassischen Arbeiterbezirk Wiens. Brunngraber absolvierte eine Lehrerausbildung, erhielt aber keinen Posten an einer Schule, und schlug sich als Tagelöhner, Holzfäller, Schildermaler und Kinogeiger durchs Leben. Schließlich wurde er Gebrauchsgrafiker. Brunngraber fand in Neuraths Museum sowohl Arbeit als auch das Sujet für einen Roman – nämlich die Sozialstatistik. 175

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Die Werkbundsiedlung wird von Wittgenstein inspiziert (in Begleitung von Verwandten)

Brunngraber schrieb Karl und das zwanzigste Jahrhundert. Dieser Karl ist das uneheliche Kind eines alkoholkranken Maurergehilfen und einer Hilfsarbeiterin aus Favoriten. Er absolviert eine Lehrerausbildung, erhält aber keinen Posten an einer Schule und schlägt sich als Tagelöhner, Holzfäller, Schildermaler und Kinogeiger durchs Leben. Immer wieder landet er auf der Straße. Eine Textprobe aus dem Roman: „Die Stadt hat vierzehn Arbeitslosenämter. Jedes schickt täglich 800 Arbeitslose zur Auszahlung der Unterstützung. Für das ganze Land macht das im Jahr einen Kostenaufwand von über 200 Millionen Schilling. Aber Karl, der in der Schlange vor den Schaltern zweieinhalb Stunden warten muss, erhält für die Woche 16 Schilling und einmal im Monat eine Mietzinszulage von 3 Schilling. Am 5. April geht er zum ersten Mal zur Auszahlung. Seit dem 3. April besucht er einen Umschulungskurs der Industriellen Bezirkskommission. Der Kurs nimmt den Vormittag in Anspruch und soll ihn in zehn Wochen zum Schaufensterarrangeur machen.“ Im Unterschied zum Autor des Romans findet Karl aber keinen Otto Neurath als Unterstützer, und keine Arbeit. Schließlich wirft er sich unter einen Zug. Der Abgesang auf den Selbstmörder ist ein Meisterstück der Neuen Sachlichkeit. Brunngraber führt darin penibel aus, wie man „die Bemessung exakt 176

aufgrund der in einem Menschen enthaltenen Rohstoffe vornimmt. So reicht das Fett eines Menschen zur Herstellung von sieben Stück Seife. Aus dem Eisen eines Menschen lässt sich ein mittelgroßer Nagel machen. Der Zucker langt für ein halbes Dutzend Faschingskrapfen. Mit dem Kalk kann man einen Hühnerstall weißen. Der Phosphor liefert die Köpfe von 2200 Zündhölzern. Das Magnesium ergibt eine Dosis Magnesia. Mit dem Schwefel kann man einem Hund die Flöhe vertreiben. Und das Kalium reicht für einen Schuss aus einer Kinderkanone.“ Brunngrabers Buch erschien im Jahr 1932 und wurde in der Arbeiterzeitung abgedruckt. Die spröde und trotzdem packende Beschreibung der Odyssee eines Langzeitarbeitslosen entwickelte sich zu einem Bestseller. Die österreichische Vereinigung sozialistischer Schriftsteller wählte Brunngraber zu ihrem Präsidenten. Das brachte ihm aber kein Glück. Schon bald darauf durfte er im klerikal-faschistischen Österreich nichts mehr veröffentlichen. Im nationalsozialistischen Deutschland hingegen war Brunngraber seltsamerweise willkommen. Sein Roman Opiumkrieg wurde einer der größten Bucherfolge des Dritten Reichs (die Engländer waren im Opiumkrieg eindeutig die Bösen). Dr. Goebbels ließ den Autor zur Audienz nach Berlin einfliegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat der politisch geschmeidige Brunngraber wieder der Sozialistischen Partei Österreichs bei. Die Zweite Republik machte sich daran, aus den Fehlern der Ersten zu lernen. Zu den dringlichsten Aufgaben der neuen Regierung zählte das Aufpäppeln des Nationalbewusstseins. Das durfte nicht nur Schirennläufern überlassen werden. Darum wurde Rudolf Brunngraber mit einem wohldotierten Staatsauftrag betraut. Er sollte das Drehbuch zum Film 1. April 2000 verfassen, gemeinsam mit Ernst Marboe, der zur Partei des Koalitionspartners gehörte. (Österreich entdeckte damals den sogenannten Proporz. Wenn es eine Lehre aus dem Scheitern der Ersten Republik zu ziehen galt, dann ja wohl die, dass sich die beiden Lager nicht bekriegen, sondern verbünden sollten; und das bedeutete zwei Personen pro Job, jeweils einen von jeder Partei). Die beiden Drehbuchautoren lösten ihre Aufgabe mit Bravour. Österreichs populärster Schauspieler, Josef Meinrad, der allgemein als Verkörperung des idealen Österreichers galt, weil er so ehrlich, bescheiden und charmant war, spielte den Bundeskanzler. Der Film zeigt, wie er die alliierten Mächte überzeugt, ihre Besetzung des kleinen Landes nach 55 Jahren zu beenden. Der Streifen zählt zum klassischen Bestand der österreichischen Geschichtskosmetik. Der Kanzler appelliert an die bessere Natur der Besatzer, indem er ihnen die österreichische Geschichte von Anbeginn an erzählt, mit liebevoller Berücksichtigung von Mozart und Co. Leider, leider ließ das kaum 177

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Rudolf Brunngraber (1901-1960) und sein erster Roman

Platz für die weniger freudigen Abschnitte der Geschichte. Adolf Hitler, die Nazis, die Weltkriege, all diese schmerzhaften Erfahrungen kommen im Film schlichtweg nicht vor. – Darüber muss man schweigen, sagte eine alte Wiener Spruchweisheit. – Die Besatzungsmächte scheinen wie von einem anderen Stern auf der Erde gelandet zu sein, aus unerfindlichem Anlass. Rudolf Brunngraber hatte eine feine Nase für den Zeitgeist. In einem Roman, den Brunngraber im Jahr 1949, also nach Neuraths Tod schrieb, taucht sein ehemaliger Chef wieder auf, als riesengroßer, glatzköpfiger und dickbäuchiger Direktor eines Museums, „einem Condottiere-Bild des Castagno entstiegen“, glattrasiert, mit einer viereckigen Nase, die wie ein Würfel aus dem Gesicht springt, bergigen Schultern und fettem Bauch. „Bei näherem Zusehen muteten die Elefantenaugen ebenso listig wie freundlich an, und der Mund kokett wie der eines Mädchens.“ Der Roman Brunngrabers hieß: Der Weg durch das Labyrinth, und der Museumsdirektor wird darin vom politischen Gegner standrechtlich abgeurteilt und erschossen. 178

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Robert Musil hält fest: sein Romanheld wird Mathematiker

NOCH EIN ROMAN FÜR DAS JAHRHUNDERT Neben Rudolf Brunngraber gab es noch drei andere österreichische Romanschriftsteller, deren Beziehung zum Wiener Kreis darüber hinausging, dass sie dieselben Kaffeehäuser frequentierten. Diese drei Autoren – Robert Musil, Hermann Broch und Leo Perutz – unterstrichen gern, dass exaktes Denken und wissenschaftliche Weltauffassung ihr Werk durchdrang. Alle drei hatten Mathematik studiert und ließen keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen. Robert Musil hatte auf eine vielversprechende akademische Laufbahn verzichtet, um sich ganz der Literatur zu widmen. Sein früher Erfolg wiederholte sich aber nicht. Der Krieg, den Musil 1914 überschwänglich begrüßt hatte, brachte ihm nur „fünfjährige Sklaverei“, wie er im Nachhinein festhielt. Einen Großteil seiner Zeit hatte der Hauptmann der Reserve als Redakteur der Tiroler Soldatenzeitung vertan. Nach dem Krieg versuchte er sich als freier Schriftsteller durchzuschlagen, schrieb Novellen, Essays und ein paar Theaterstücke, immer nur mit mäßigem Erfolg. Jetzt plante er den großen Wurf – einen Jahrhundertroman, der sein Lebenswerk krönen sollte. Zunächst war für den Mann ohne Eigenschaften als Vorname Anders und als Beruf Philosophiedozent vorgesehen gewesen. Berufsphilosophie schien Robert Musil dann aber bald zu platt: „Philosophen sind Gewalttäter, die keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, dass sie sie in ein System sperren.“ In einem frühen Entwurf entschied Musil daher: „Aus Anders einen Mathematiker machen.“ In seinem Nachlass findet sich der entscheidende Entschluss festgehalten, dick eingerahmt, und dazu die Notiz: „Das Mathema179

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Ein Mann mit Eigenschaften: Richard von Mises ist bereit zum Abheben

tische hat er von Nietzsche: kalt denken, messerscharf denken, mathematisch denken.“ Später änderte Musil den Namen seines Romanhelden. Aus Anders wurde Ulrich. „Von Ulrich lässt sich mit Sicherheit das eine sagen, dass er die Mathematik liebte wegen der Menschen, die sie nicht ausstehen konnten.“ Auch der Titelheld von Musils Komödie Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer war Mathematiker gewesen, und zwar ein beamteter: Er arbeitete für eine große Versicherungsgesellschaft. „Er entwirft die Formeln“, sagte die Freundin bedeutender Männer, „nach denen die Menschen sterben müssen, das heißt, wie viel sie zahlen müssen.“ – Schließlich stellte sich Vinzenz aber doch als Hochstapler heraus, der seine Nebenbuhler um ihr Geld brachte, um sich sein Glückspielsystems zu finanzieren, „das mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht in Widerspruch steht.“ Ein Hochstapler sollte der Mann ohne Eigenschaften nicht werden, vielmehr „der geistige Mensch, der kommen wird“ und der sich furchtlos einer „taghellen Mystik“ stellt. Mathematik war für Musil geradezu eine Waffe. Eine für ihn bezeichnende Aggressivität kommt in später verworfenen Kapitelüberschriften zum Ausdruck: Logiker und Boxer oder Mathematik, die Wissenschaft mit dem bösen Blick. Etwas vom „Tapferkeitsluxus“ des Mathematikers und der „verteufelten Gefährlichkeit seines Verstandes“ hatte bereits der junge Törleß reflektiert: „Wenn man allzu gewissenhaft wäre, so gäbe es keine Mathematik.“ 180

Was Musil an den Mathematikern reizte, war deren „Möglichkeitssinn“ (im Gegensatz zum Wirklichkeitssinn). Der Möglichkeitssinn, schreibt er, ließe sich geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist. Trotz unerbittlicher, disziplinierter, und mehr als zwanzigjähriger Arbeit sollte es Musil nicht gelingen, seinen Jahrhundertroman fertig zu schreiben: Denn sein Möglichkeitssinn kam ihm immer wieder in die Quere. Ständig entwarf er neue Varianten. Allein schon der Titel des Romans wurde immer wieder verändert: Der Spion, oder Der Erlöser, oder Die Zwillingsschwester – alles wurde verworfen, und ständig eröffneten sich neue Perspektiven. Im Zentrum der Handlung, soviel lässt sich sagen, steht die im Jahr 1913 angesiedelte Parallelaktion – die Vorbereitung der für 1918 angesetzten Jubiläen der Krönungen von Franz Joseph (in jenem Jahr immerhin seit 70 Jahren auf dem Thron!) und Wilhelm II (bloß 30!). Ein Komitee suchte für den großen Anlass eine zündende Idee. Ulrich, von Berufs her wissenschaftlicher Weltauffassung verpflichtet, schlug die Schaffung eines Generalsekretariats für Genauigkeit und Seele vor. Genauigkeit war Musils Richtschnur; die Seele definierte er hingegen als das, „was fort kriecht und sich versteckt, wenn von der Algebra die Rede ist“. Als im Jahr 1930 der erste Band des Manns ohne Eigenschaften erschien, errang er bei der Kritik sofort hymnische Beifall; doch besserte das die finanzielle Lage Musils nicht, und der gewaltige Erwartungsdruck, der nun auf dem zweiten Band lastete, ließ den Autor nur noch langsamer weiterkommen. Der Roman, so schrieb er, drohe ihm unter der Hand zu einem historischen zu verkommen. Weil er sich der Welt seines Romans in Wien allzu nahe fühlte, zog Musil im Jahr 1931 wieder nach Berlin. Dort aber verkehrte er vorwiegend im Salon eines Wieners, nämlich des Mathematikers und Philosophen Richard von Mises. Der Gastgeber bestand darauf, nicht als auswärtiges Mitglied des Wiener Kreises geführt zu werden; es hatte ihn einige Mühe gekostet, Neurath davon zu überzeugen. Richard von Mises hatte sich schon vor 1914 als junger Professor in Straßburg für die Fluglehre interessiert. Bald wurde er zu einem der hervorragendsten Aerodynamiker seiner Zeit. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zur k.k. Armee, diente dort zunächst als Pilot und Ausbildner, und konstruierte später eines der größten Flugzeuge seiner Zeit. Der Gigant hob zwar vom Boden ab, kam aber nicht mehr zum Einsatz. Nach dem Krieg wurde Straßburg wieder französisch, und Mises verlor seinen Lehrstuhl. Im Jahr 1920 war er dann nach Berlin berufen worden. Dort baute er das erste und bedeutendste Zentrum für angewandte Mathematik auf. 181

Richard von Mises, ein Schulfreund von Hugo von Hofmannsthal, Gönner von Peter Altenberg und Förderer Rainer Maria Rilkes, war der lebende Beweis dafür, dass die Neigung der Wiener Literaten zur Mathematik tatkräftig erwidert wurde. Mises schuf einen Verein mit dem ausschließlichen Ziel, Robert Musil zu unterstützen. Nach Hitlers Machtergreifung war es damit allerdings vorbei. Die Zeit der Blut-und-Boden Literatur hob an. Robert Musil zog 1933 zurück nach Wien. Dort bildete sich wieder ein Unterstützungsverein, wiederum nur von kurzer Dauer. Nach dem „Anschluss“ emigrierte der Schriftsteller in die Schweiz, weil er in seiner Heimat, wie er schrieb, „keine Luft mehr zum Atmen“ fand. Musil starb während des zweiten Weltkriegs, in einem sonnigen Garten von Genf, fast mittellos und vergessen, beim Vollenden seines schönsten Kapitels: Die Atemzüge eines Sommertags. Wer es liest, versteht, was mit tagheller Mystik gemeint ist. JUNGER TEXTILUNTERNEHMER WILDERT IN MUSILS REVIER Auch der Wiener Hermann Broch (1886-1951) wählte einen Mathematiker zum Helden eines Romans. In Die unbekannte Größe träumt dieser junge Wissenschaftler davon, eine axiom-lose Logik zu finden, und vertritt „mit der Erleuchtung dessen, der viel mehr weiß, als er ausspricht“, die Überzeugung: „Logik und Mathematik sind aber identisch. – Ja, ja, die Logistik,“ antwortet sein Widerpart ungerührt, „auch so eine neue Erfindung.“ Herrmann Broch, der Erbe eines großen Textilunternehmens, kam über die Ingenieurwissenschaften zur Mathematik und Philosophie, ganz wie Musil und Wittgenstein. Der junge Broch musste, um die Fabrik dereinst übernehmen zu dürfen, die Höhere Lehr- und Versuchsanstalt für Textilindustrie besuchen, die „Spinnschule“, wie er sie abschätzig nannte. Doch daneben belegte er in den Jahren 1904 und 1905 auch Vorlesungen an der Wiener Universität. Broch hielt sich schon früh für den geborenen Mathematiker, obwohl er bei seiner Matura nur ein karges „Genügend“ in diesem Fach erhalten hatte (und ein „Befriedigend“ in Deutsch). Das erste Gedicht in seinen Gesammelten Werken heißt Mathematisches Mysterium und stammt wohl aus dieser Zeit. („Auf einsamen Begriff gestellt/Ragt ein Gebäude steil hinauf/ Und fügt sich an den Sternenhauf/ Von ferner Göttlichkeit durchhellt“ usw.) Der robuste Positivismus von Boltzmann enttäuschte jedoch die metaphysischen Anwandlungen des jungen Denkers. Zwischen mathematischen, philosophischen und literarischen Bestrebungen hin und her irrend, ließ Hermann Broch das Studium vorderhand zugunsten der Textilindustrie fahren.

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Hermann Broch (1886-1951) und Musils Komödie

Immerhin hielt er sich aber wacker im fixen Fundus der Wiener Kaffeehausszene, stets in Gesellschaft schöner Frauen, und so trat er schließlich im Jahr 1920 nicht als Autor, sondern als Figur in die Literatur ein – nämlich als Junger Textilunternehmer in Musils Komödie Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer. In Wirklichkeit war der Junge Unternehmer und stadtbekannte Lebemann Broch gar nicht mehr so jung: Er ging bereits auf die Vierzig zu. Seine jugendlichen Ambitionen hatte Broch nicht vergessen. Er trennte sich von seinem Betrieb und inskribierte wieder an der Universität in Mathematik und Philosophie. Broch hörte bei Menger und Hahn, Seite an Seite mit einem anderen elegant gekleideten Textilerben, dem um zwanzig Jahre jüngeren Kurt Gödel. Wie ein Echo auf die Diskussionen im Wiener Kreis klingt der fast nebenbei hingeworfene Satz aus Brochs Notizen: „Die Mathematik ist der Typus des

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rein auf sich selbst gestellten, tautologischen Wissensgebietes.“ Was für Hahn noch eine revolutionäre Erkenntnis war, ist hier bereits zur Selbstverständlichkeit verkommen. Das hinderte Broch aber nicht daran, eine entschiedene Gegenposition zum Wiener Kreis einzunehmen. Immerhin gestand er den Positivisten „Krankheitseinsicht“ zu, da sie wüssten, woran die Mathematisierung der Philosophie nicht heranreichen kann: „An das ungeheure Gebiet des Mystisch-Ethischen“. Das führte bei Broch zu einem geradezu therapeutischen Kehraus, denn es bewies ihm den Vorrang der Dichtung gegenüber der Mathematik und Philosophie. Mit dem ständigen Hin- und Herschwanken hatte es nun ein Ende. Damit machte sich Broch rundum frei für die Literatur; und während er bis zu seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr nichts von Bestand geschrieben hatte, wurde er nun zu einem unermüdlichen und höchst produktiven Schriftsteller – in Musils missgünstigen Augen sogar zu einem Schnellschreiber. Schon nach der Lektüre des Exposés zu Brochs Erstlingsroman, der Trilogie Die Schlafwandler, schrieb Musil säuerlich in sein Tagebuch: „Es kommt mir vor, dass zwischen den Absichten Brochs und den meinen Berührungen bestehen, die im Einzelnen ziemlich weit gehen können.“ Auch der spätere Literatur-Nobelpreisträger Elias Canetti, damals Student der Chemie in Wien, bezeugt, dass Musil die Trilogie Brochs auffasste „als Kopie seiner eigenen Unternehmung, mit der er nun seit Jahrzehnten schon befasst war – und dass Broch, der kaum damit begonnen, sie auch schon zu Ende geführt hatte, erfüllte ihn mit dem größten Misstrauen.“ Broch aber wilderte unerschrocken weiter in Musils Revier. Er nahm einen Roman in Angriff, dessen Held, wie der Mann ohne Eigenschaften, ein junger Universitätsmathematiker war. Und während sich Robert Musil, immer langsamer werdend, in den zweiten Band seines Meisterwerks verbohrte, schrieb Broch Die unbekannte Größe in einem Schwung zu Ende. Er brauchte für seinen „Versuch im Populären“ nur die Monate von Juli bis November 1933. In seiner Begeisterung stellte er auch gleich für Paramount Pictures ein dazugehöriges Filmskript fertig, das Hollywood freilich nicht überzeugte. In den folgenden Jahren des zunehmenden politischen Massenwahns verfasste Broch Essays, Dramen, Hörspiele, Romanfragmente und Resolutionen für den Völkerbund. Dann, im Jahr 1938, kam der „Anschluss“. Broch wurde drei Wochen lang im Gemeindegefängnis von Bad Aussee festgehalten. Er konnte schließlich über Schottland in die USA emigrieren. Auf der Atlantiküberfahrt befreundete er sich mit dem jungen Mathematiker Gustav Bergmann (1906-1987), der von 1927 bis 1931 zum Wiener Kreis gezählt hatte und nunmehr, auf Ansuchen Otto Neuraths, seine Erinnerungen an diese Zeit niederschrieb. Der Kreis war da bereits Geschichte. 184

MATHEMATISCHE STAFFAGE Hermann Broch war nicht der erste Schriftsteller, mit dem Gustav Bergmann in Kontakt gekommen war. Einige Jahre zuvor hatte Bergmann, gemeinsam mit seinem Studienkollegen Hans Weisz, einen Brief an Leo Perutz (1882-1957) verfasst, der zu den erfolgreichsten Schriftstellern Wiens in der Zwischenkriegszeit gehörte. Zur Vorgeschichte des Briefes: Auch Perutz hatte, so wie Musil und Broch, einen Mathematiker zum Helden eines seiner kunstfertigen Werke gemacht. Dieser Mathematiker, Botrel hieß er, war sogar ein Genie; Perutz mochte keinen halben Sachen. – Der junge Botrel hatte, so die Erzählung, unauffällig in den Tag hinein gelebt, ein wahrer Bummelstudent. Doch dann verwickelte er sich aus nichtigem Anlass in einen läppischen Streit. Der führte zu einem Ehrenhandel. Auf Pistolen. – In den drei Tagen bis zum Duell begann Botrel wie besessen zu schreiben. Es war, als hätten sich Schleusen geöffnet. Natürlich stirbt Botrel bei dem Duell; und in den Papieren, die er bis kurz vor seinem Tod fieberhaft niedergekritzelt hatte, entdeckt eine staunende Nachwelt die tiefsten mathematischen Theorien. Noch heute arbeitet eine Kommission der Akademie der Wissenschaften an der Herausgabe von Botrels hinterlassenem Oeuvre. Die Geschichte war natürlich erfunden – und eigentlich nicht einmal das: denn hundert Jahre zuvor hatte es in Frankreich tatsächlich einen ganz ähnlichen Fall gegeben, den des Mathematikers Évariste Galois. – Der Brief, den die Studenten Bergmann und Weisz nun an Perutz schrieben, muss dem Schriftsteller diebische Freude bereitet haben: „Gestatten Sie zwei jungen Mathematikern, die Ihren Essay Der Tag ohne Abend mit Interesse gelesen haben, die Anfrage, ob die von Ihnen so geschmackvoll erzählte Episode irgend einen tatsächlichen Hintergrund besitzt; denn wenn auch die äußeren Umstände romanhaft genug sind, so unterscheiden sich doch die Angaben über die Beschäftigung mit Cayleyschen Kurven, kubischem Kreis so sehr von den Lächerlichkeiten, die sonst bei solchen Gelegenheiten als ‚mathematische Staffage‘ benutzt werden, dass sie die Vermutung rechtfertigen, Herr Botrel habe wirklich gelebt. Mit der ergebenen Bitte um nähere Angaben (eventuell Aufbewahrungsort des Nachlasses etc.) zeichnen wir in vollkommener Hochachtung…“. Ob Perutz auf diese Anfrage geantwortet hat, ist nicht überliefert. Doch fällt es nicht schwer, anzugeben, woher seine „mathematische Staffage“ stammte: Auch er hatte, wie Musil und Broch, Mathematik studiert. Der Brotberuf von Perutz war der eines Versicherungsmathematikers, und eine mathe185

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Brochs Mitschrift einer Vorlesung von Hans Hahn, und sein Mathematiker-Roman

matische Formel trägt sogar seinen Namen. Perutz sorgte dafür, dies in allen Cafés, die er frequentierte, und das waren nicht wenige, wissen zu lassen. Anders als Musil und Broch hegte Perutz keinerlei philosophischen Ehrgeiz; und doch fand er einen Platz in der Philosophie. In seinem fantastischen Roman Der Meister des jüngsten Tages taucht die Farbe „Drommetenrot“ auf. Der Anblick dieser Farbe ruft solches Entsetzen hervor, dass jeder Betrachter wahnsinnig wird. In Carnaps Scheinproblemen der Philosophie kommt der Satz vor: „Es gibt die Farbe Drommetenrot, deren Anblick Entsetzen erregt“, als Beispiel für eine Aussage, die zwar sachhaltig, aber nicht nachprüfbar ist. Auch Schlick war davon sehr angetan: „[Die Scheinprobleme] habe ich noch am Tage des Eintreffens gelesen, mit großem Wohlgefallen. Das schönste ist das ‚Drommetenrot‘ – herrlich!“ Hermann Broch hatte das Talent von Perutz früh erkannt und schon im Jahr 1920 eine sehr freundliche Besprechung von dessen Roman Der Marquis von Bolivar geschrieben. Auch Robert Musil kannte Perutz gut, ertrug aber dessen raubeiniges Wesen nur mit Mühe. Was ihn besonders störte, war weniger der Erfolgsschriftsteller Perutz – der freilich auch – als vielmehr der Mathematiker mitsamt seiner Formel. Diese Feindschaft trat schließlich ganz offen zutage: Denn die Prager Presse hatte eine Schriftstelleranekdote veröffentlicht, auf die der ungemein 186

empfindliche Musil vier Tage später mit einer „Stellungnahme gemäß Pressegesetz“ replizierte.

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An„Vor einiger Zeit ist in diesem Blatte eine An ekdote erschienen, die ungefähr den folgenden Sinn hatte:

Der Meister malt mit Drommetenrot

Zu dem großen Schriftsteller und Mathematiker Leo Perutz ist einmal ein bekannter Schmock namens Robert Musil gekommen und hat gebeten: ‚Schreiben Sie mir doch etwas über Mathematik für mein Blatt, Herr Perutz, oder so über Angrenzendes, sagen wir Ethik!‘ – Worauf der Schriftsteller und Mathematiker Perutz, ohne seine Ruhe zu verlieren, erwiderte: ‚Wissen Sie was? Ich werde über die sittliche Basis des gleichschenkeligen Dreiecks schreiben!‘ – Dieses Gespräch ereignete sich nämlich gerade in der Zeit des größten Einsteinrummels.“

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Und Musil fuhr fort:

Leo Perutz (1882-1957)

„Ich will gerne den Glauben bestehen lassen, dass ich als Schriftsteller das Gegenteil des großen Leo Perutz bin. Aber von Mathematik verstehe ich zufällig ein wenig. - Ja, ich habe sogar einige Mal über gewisse Zusammenhänge zwischen moralischem und mathematischem Denken geschrieben; zwar nicht in herkömmlicher Weise, aber es freut mich doch, darauf hinweisen zu können, dass es auch eine solche gibt.“

Das Thema lag Musil in der Tat am Herzen. „Vielleicht geschieht es“, schrieb er im Mann ohne Eigenschaften, „dass sich unsere Moral bereits heute in zwei Bestandteile zerlegt. Ich könnte sagen: in Mathematik und Mystik.“ Perutz blieb von Musils Mystik ebenso unberührt wie von dessen Missgunst. Er schrieb einen Erfolgsroman nach dem anderen. Seine Stoffe wurden nachgedruckt, verfilmt und übersetzt. Der Regisseur Alfred Hitchcock und der James-Bond-Autor Ian Fleming zählten zu seinen Bewunderern. Doch als Hitler-Deutschland seine Bücher verbot, verlor er sein Publikum. Fünf Jahre darauf verlor er auch seine Heimat. 1938 emigrierte Perutz nach Palästina. „Kühler Abschied von Europa“, vermerkte er lakonisch bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Venedig. 187

ACHTES KAPITEL

Der Parallelkreis Wien 1929-1932. Junge Mathematiker gründen „Mathematisches Kolloquium“ als Wiener Kreis 2.0. Karl Menger schreibt ein Stück, definiert Dimensionen, versiegelt Briefe. Kurt Gödel bringt Hilberts Programm zum Entgleisen: Axiome nie vollständig, Konsistenz nie beweisbar. John von Neumann beeindruckt. Menger bejubelt die Neue Logik.

DER KARL? DER WIRD EIN PROFESSOR! Der kleine Karli Andermann war ein sehr aufgeweckter Bub. „Der Karl? Der wird ein Professor!“, sagte schon sein Volksschullehrer zur stolzen Mama. Mühelos bestand der Zehnjährige die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium. Ein neuer Lebensabschnitt begann, mit neuen Mitschülern. Das war ein günstiger Moment für den lang geplanten Namenswechsel: der Bub hieß fortan Karl Menger. Mit allerhöchster Entschließung, also von Kaiser Franz Josef per rescitum principis, wurde das uneheliche Kind im Jahr 1912 als Sohn des Hofrats Professor Carl Menger legitimiert. Der ehrgeizige Knabe begriff früh, welch hohes Ansehen der neue Familienname besaß. Doch sich im Glanz des Vaters zu sonnen, genügte ihm nicht. Er wollte sich seinen eigenen Namen machen – Karl Menger. Es ging um eine Initiale: ein K statt einem C. Der Vater, also Carl Menger (1840-1921), gehörte zur Generation von Boltzmann und Mach, und war um nichts weniger bedeutend als die beiden. Er gilt als Ahnherr der österreichischen Nationalökonomie und Begründer des Marginalismus, der in der Volkswirtschaftslehre alles andere als eine Marginalie darstellt. Dem dreißigjährigen Juristen und Zeitungsredakteur Carl Menger war aufgefallen, dass die gängigen Theorien die Preisbildung durch den Markt nicht erklären konnten. Ohne jegliche Anleitung schrieb er seine Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, die ihn 1871 fast über Nacht zu einem der führenden ökonomischen Denker machten. Etwa zeitgleich mit dem Autodidakten Menger entdeckten auch der Franzose Léon Walras (1834-1910) und der Brite William 188 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_8

Jevons (1835-1882) unabhängig voneinander denselben Zugang, die sogenannte Grenznutzentheorie. Demnach wird der Wert eines Guts nicht etwa durch Herstellungskosten, Arbeitsaufwand oder Rohstoffbedarf bestimmt, sondern durch die Nachfrage nach einer zusätzlichen Einheit des Guts. In den Worten von Friedrich Wieser (1851-1926), eines Schülers von Carl Menger: „Der Mensch schätzt die Güter nicht um ihrer selbst willen, sondern um seinetwillen.“ Schon im Jahr nach Erscheinen des Buches konnte sich Carl Menger habilitieren. 1876 wurde er zum Wissenschaftlichen Erzieher von Erzherzog Rudolf bestimmt. Er unterrichtete den Thronfolger in politischer Ökonomie und unternahm mit ihm ausgedehnte Studienreisen; besonders England beeindruckte Lehrer und Schüler. Nach Beendigung seiner Tätigkeit übernahm Carl Menger eine Lehrkanzel an der Universität Wien. Er und sein Bruder Anton, Professor für Zivilprozessrecht und berühmter Sozialtheoretiker, trafen einander täglich in einem Kaffeehaus am Ring, um die Welt und ihren Lauf zu besprechen. Manchmal schaute auch ihr Bruder Max vorbei, der bekannte Reichsratsabgeordnete. Carl Mengers Schüler und die Schüler der Schüler breiteten sich über die gesamte Monarchie aus. Carl selbst arbeitete an einer Theorie des Geldes. Sein eigenes verwendete er für Bücher. Nebenher plante er, gelegentlich auch etwas Philosophisches zu schreiben. Seine entsprechenden Notizen lesen sich wie ein Vorgriff auf den Wiener Kreis: „Es gibt keine Metaphysik. – Kant verwirft die Metaphysik und ersetzt sie durch eine Kritik der reinen Vernunft. Ich sage, es gibt keine reine Vernunft. Es gibt keine Welträtsel, die es zu lösen gilt. Es gibt nur unrichtige Weltauffassungen.“ Eine junge Journalistin namens Hermine Andermann übernahm es, die Bibliothek des Gelehrten zu katalogisieren. Man kam sich fast zwangsläufig näher; und so wurde der über sechzigjährige Junggeselle zum Vater eines Jungen. Er suchte bald darauf um vorzeitige Versetzung in den Ruhestand an; ähnlich wie der etwas jüngere Boltzmann litt er an schwerer Neurasthenie. Carls Sohn Karl kam nach der Volksschule ins neu gegründete Döblinger Gymnasium, einer privat finanzierten Anstalt mit modernsten Lehrplänen. Den Schülern bot man Englisch als erste lebende Fremdsprache an, und nicht, wie damals allgemein üblich, Französisch. Die Englisch-Lektionen wurden allerdings bald eingestellt: Der Weltkrieg brach aus. Die Schule musste ausgelagert werden, denn man benötigte das Gebäude als Heeresspital. Doch die Lehrer (allesamt ältere Herren, die nicht einrücken mussten) achteten weiterhin streng aufs erzieherische Niveau. 189

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Ein Vater mit Grundsätzen: Carl Menger

In einem Klassenzimmer dieses Gymnasiums saßen Seite an Seite zwei Schüler, zwei Jahre älter als Karl Menger, die es beide später zu Nobelpreisen bringen sollten, nämlich Richard Kuhn (Chemie 1938) und Wolfgang Pauli (Physik 1945). Der Erwartungsdruck, der auf Karl lastete, war in der Schule kaum geringer als im Schoß der Familie. MIT SONDERLINGS- UND GRÖSSENWAHNSINNIGEN ZÜGEN Der Gymnasiast Karl Menger beschloss, erst einmal ein Theaterstück zu schreiben. Seit Schillers Räubern schien das ein gangbarer Weg zu frühem Ruhm. Für den Titel hatte Karl einen gloriosen Einfall: Die gottlose Komödie. – Es ging um die Päpstin Johanna, die sich als Mann ausgab, bis sie ein Kind gebar. Da Mengers Klassenfreund Heinrich der Sohn Arthur Schnitzlers war – Karl war nicht der einzige, der einen prominenten Vater hatte – bot sich Gelegenheit, die Verse durch den berühmtesten Dramatiker Österreichs prüfen zu lassen. Das Gleiche hatte, ein halbes Menschenalter zuvor, der Gymnasiast Hugo von Hofmannsthal unternommen, mit fulminantem Erfolg: Jung-Wien hatte in ihm sein Wunderkind gefunden. Aus Karl Mengers Stück wurde hingegen nichts. Doch der Versuch im Dramatischen führte dazu, dass sich im Tagebuch Arthur Schnitzlers zahlreiche Bemerkungen über den jungen Möchtegern-Literaten finden. Sie spiegeln dessen meteorische Karriere wider, allerdings in einem anderen Fach als der 190

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Ein Vater ohne Furcht und Tadel: Arthur Schnitzler

Literatur. Hier ein paar Auszüge: „27.10.1919. Nach Tisch Menger, Heinis College, der mir neulich einen Plan zu einem Stück über die Päpstin Johanna geschickt; begabter (ob dichterisch bezweifle ich) ernster Junge.“ „19.1.1920: Nachmittags. Ein College Heinis, begabter junger Mensch, Menger; dem ich einiges über seinen missglückten ersten dramatischen Versuch über die Päpstin Jutta sagte (‚Wunder‘).“ „11.11.1920: Las nachmittags. Das Mengersche Stück. Begabter Mensch, aber undichterisch.“ „13.11. 1920. Karl Menger (Heinis College) , dem ich über sein Stück (Päpstin Johanna) allerlei nicht sehr Günstiges zu sagen hatte. Er hat gar keine dichterischen Ambitionen, will nur gerade dieses Stück in tendenziöser Absicht gegen Religion, Katholizismus, Aberglaube schreiben. Sein eigentlicher Beruf: Physik.“ „Auf meine Frage nach seinen eigentlichen Plänen: ‚Ich möchte mich ja eigentlich am liebsten umbringen‘. – Zweifellos sehr begabter, aber vielleicht nicht ganz normaler junger Mensch.“ Der „junge Mensch“ hatte unterdessen Mathematik, Physik und Philosophie inskribiert. Es gelang ihm, für jeden der drei Wiener Vorträge, die Albert 191

Einstein im Jänner 1921 hielt, Eintrittskarten zu ergattern. Mit der Relativitätstheorie war der „zweifellos sehr begabte“ Jüngling schon passabel vertraut. Noch als Schüler hatte er, während der Sommerferien, mit dem nur wenig älteren Schulfreund Wolfgang Pauli darüber korrespondiert. Dessen zweiter Vorname, Ernst, wies auf den Patenonkel hin, keinen Geringeren als Ernst Mach. Die Namensgebung erinnert ein wenig an den „Starken Büffel“ von Carnaps Indianer. Mengers Mitschüler Wolfgang E. Pauli hatte nunmehr bereits summa cum laude promoviert, an der Münchner Universität, in kürzest denkbarer Zeit. Bereits als Achtzehnjähriger hatte er den maßgeblichen Artikel über die Relativitätstheorie verfasst, für die prestigeträchtige Enzyklopädie der Mathematik. Selbst Diskussionsrunden mit Geistesgrößen wie Bohr, Einstein und Born schüchterten ihn nicht ein. „Was Einstein hier sagt, ist gar nicht so blöd“, bemerkte der Jungspund einmal blasiert. Karl Menger inskribierte wie Pauli Physik, doch seine literarischen Pläne waren noch nicht ganz auf Eis gelegt. Arthur Schnitzler notiert: „2.11. 1921: Karl Menger… liest mir eine neue Szene zu seinem Stück vor (zwischen Johanna der Päpstin und dem Ketzer). Begabter, vielleicht genialischer Mensch; – mit Sonderlings- und größenwahnsinnigen Zügen.“ Wenige Jahre darauf klang das schon ganz anders. Da schrieb Schnitzler über den ehemaligen Mitschüler seines Sohnes: „17.1.1928: Zu Tisch der junge Menger, der aus Holland wieder zurück, hier auf eine Professur wartet. Er scheint mit seinen 25 Jahren schon europäischen Ruf zu genießen und ich spüre immer sein Genie auf einem mir freilich unzugänglichen Gebiet.“ DAS VERSIEGELTE SCHREIBEN, TEIL I In den sieben Jahren zwischen Schulbank und Professur hatte Karl Menger viele Höhen und Tiefen durchlebt. Kurz nach den Einstein-Vorträgen war Karls Vater gestorben, hochbetagt und allseits anerkannt als Stammvater der österreichischen Schule der Nationalökonomie. Zu dieser Schule zählten Eugen von Böhm-Bawerk, Friedrich von Wieser, Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. (Die neugegründete Republik hatte übrigens alle Adelsprädikate abgeschafft, aber die Ökonomen schienen sich nicht von ihren „von“ trennen zu wollen.) Im Nachlass Carl Mengers fand der Sohn Dokumente, die Aufschluss gaben über eine Cause célèbre der Monarchie. Denn im Jahr 1878 war ein an192

onymes Pamphlet erschienen, ein Mahnruf an die aristokratische Jugend Österreichs. Die oberflächliche Lebensweise dieser Jugend wurde darin sehr unvorteilhaft verglichen mit jener im Königreich England, „dessen führende Position auch dem politisch und ökonomisch sehr aktiven Adel zu verdanken“ sei. Diese Streitschrift hätte wenig Beachtung gefunden, wenn nicht bald Gerüchte aufgetaucht wären, wonach sie von keinem Geringeren als dem Thronfolger Erzherzog Rudolf stammte. Schließlich druckte ein liberales Blatt der Kaiserstadt die brisantesten Passagen ab – unter den Autorennamen von Carl Menger und dessen Zögling Rudolf. Die Zensur schaltete sich ein. Die Affäre wurde vertuscht, doch führte sie zu einer Entfremdung zwischen Kaiser und Thronfolger, die ein Jahrzehnt andauerte – bis zum Selbstmord Rudolfs in Mayerling. Der gab dann den Zensurbehörden noch viel mehr zu tun. Karl Menger entdeckte in den Papieren des Vaters die endgültige Bestätigung der gemeinsamen Urheberschaft des Erzherzogs und seines wissenschaftlichen Erziehers. Karl schrieb einen Zeitungsartikel über seinen Fund; die Dokumente selbst hinterlegte er als versiegeltes Schreiben an der Wiener Akademie der Wissenschaften. Der Vater Carl hatte Sohn Karl unter anderem auch eine Unzahl von Notizen über die geplante Neuauflage seiner Grundlagen der Volkswirtschaftslehre hinterlassen. Seit der Pensionierung hatte er daran gearbeitet; das Vorwort war sogar schon dreißig Jahre alt. Jetzt übernahm es sein Sohn, die Neuauflage fertig zu stellen. „Schrecklichste Mühe und Plage“, hält er in seinem Tagebuch fest, „entschädigt durch das Bewusstsein, für die Wissenschaft, vielleicht sogar für die Menschheit ein großes Werk zu vollbringen.“ Nebenbei schrieb er auch einen Beitrag für die Neue Freie Presse, in dem er darlegte, wie die Wirtschaft des völlig ruinierten österreichischen Staates wieder in Ordnung gebracht werden könne. Die Redaktion des Blattes fügte hinzu: „Wir veröffentlichen den Artikel des Sohnes des Meisters der Nationalökonomie, ohne uns mit allen Schlussfolgerungen einverstanden zu erklären.“ Der Sektionschef Rosenberg, dessen Fiskalpolitik der junge Menger streng getadelt hatte, lud den Neunzehnjährigen zu einem Essen ein, um ihm zu erklären, dass der Staatshaushalt Nachkriegsösterreichs nicht so einfach zu sanieren sei, wie sich Karl Menger das vorstelle. Selbst der berühmte Wirtschaftswissenschaftler Joseph Schumpeter, kurzzeitig Staatssekretär für Finanzen, war mit der Aufgabe nicht zurande gekommen. 193

DAS VERSIEGELTE SCHREIBEN, TEIL II Dramatiker, Physiker, Ökonom, ja sogar Journalist – der junge Karl Menger hatte einiges probiert, ehe er das passende Metier für sich fand: Mathematiker. Es geschah im dritten Semester. Der frischberufene Professor Hans Hahn hielt seine erste Seminarstunde, und trug über den Kurvenbegriff vor. Jedermann hat eine anschauliche Vorstellung davon, erläuterte Hahn; doch eine mathematisch einwandfreie Definition wollte einfach nicht gelingen, und manche prominente Mathematiker zweifelten, ob es überhaupt möglich sei. So könne man beispielsweise meinen, dass eine Kurve das ist, was man durch einen stetigen Strich erhält, der ohne abzusetzen gezogen wird. Doch Giuseppe Peano und David Hilbert hatten überraschenderweise gezeigt, dass so ein stetiger Strich sämtliche Punkte eines Quadrats, oder eines Würfels, durchlaufen kann; ein Quadrat und einen Würfel wird aber niemand als Kurve bezeichnen. Hahn verwendete diese paradoxalen Konstruktionen, um vor den Fallstricken der Anschauung zu warnen: „Denn nicht, wie Kant dies wollte, ein reines Erkenntnismittel a priori ist die Anschauung, sondern auf psychischer Trägheit beruhende Macht der Gewöhnung.“ Selbst der naheliegende Gedanke, dass ein Würfel mehr Punkte hat als seine Kanten, ist falsch. Eine Kurve soll gemäß gängiger Vorstellung etwas Eindimensionales sein, eine Fläche zweidimensional und so fort. Aber wie definiert man „Dimension“? Durch die Anzahl der Koordinaten, die man braucht, um die Lage eines Punktes festzulegen? Das stößt auf mehrere Schwierigkeiten. Die meisten Punktmengen lassen sich nicht durch Gleichungen festlegen, sie sind viel komplizierter. Und auch die einfachsten Mengen, wie zum Beispiel ein Quadrat, entziehen sich der Definition, denn wie die Beispiele von „raumfüllenden Strichen“ zeigen, genügt eine einzige Zahl, um einen beliebigen Punkt des Quadrats festzulegen. Der junge Menger fand fast auf Anhieb einen Lösungsansatz für das Problem, die „Dimension“ zu definieren. Die Grundidee war bestechend einfach: Um ein dreidimensionales Objekt zu zerlegen, etwa einen Holzblock, verwendet man eine Säge; die Schnittfläche ist zweidimensional. Um ein zweidimensionales Objekt zu zerlegen, etwa ein Blatt Papier, verwendet man eine Schere; die Schnittkurve ist eindimensional. Um ein eindimensionales Objekt zu zerlegen, etwa einen Draht, verwendet man eine Zange; die Schnittpunkte sind nulldimensional. Menger schlug vor, bei der mathematischen Definition den umgekehrten Weg zu wählen, erst Mengen der Dimension Null, dann eins, dann zwei, dann drei einzuführen, jeweils mit Rückgriff auf die schon definierten, niedrigeren Dimensionen. (Übrigens gibt es keinen Grund, sich auf eins, zwei und drei zu beschränken.) 194

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Etappen bei der Konstruktion einer Kurve, die ein Quadrat füllt

Natürlich kostete die genauere mathematische Ausarbeitung dieses Gedankens viel Mühe; aber bald konnte Karl Menger seinen Professor Hans Hahn davon überzeugen, dass der eingeschlagene Weg Erfolg versprach. Fieberhaft führte er seine Untersuchungen weiter. Fieberhaft – und bald darauf mit Fieber: Die Räume der Universität waren ungeheizt. Die immer schon labile Gesundheit des jungen Mannes gab nach. Die Diagnose: Rippenfellentzündung. Nach ein paar Monaten kam Menger von seinem Genesungsurlaub zurück und nahm seine Arbeit mit neuem Schwung wieder auf. Karl Popper, der im Jahr 1921 an der Universität Wien Mathematikvorlesungen besuchte, schrieb siebzig Jahre später: „Am Institut war auch Karl Menger, mit mir gleichaltrig, aber offenbar ein Genie, mit neuen und hinreißenden Ideen.“ Dann ging es Schlag auf Schlag: Hahn entdeckte einen Fehler in Mengers Beweis, und Menger erkrankte neuerlich. Die Diagnose diesmal: Tuberkulose. Im Elend und Hunger der Nachkriegsjahre raffte die Krankheit viele dahin. Ärzte bezeichneten sie als Morbus Viennensis. Studierende der Mathematik hören bereits früh von Niels Hendrik Abel und Évariste Galois, zwei mathematischen Genies aus dem neunzehnten Jahrhundert, die tragisch jung umkamen, bevor ihr Werk die gebührende Anerkennung gefunden hatte: Abel starb mit siebenundzwanzig an Tuberkulose, Galois mit einundzwanzig nach seinem fatalen Duell. Menger musste ein ähnlich romantisches Schicksal befürchten. Bevor er zur Genesung in ein Sanato195

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Ein Mann für alle Jahreszeiten: Der junge Menger bei Regen und Sonne

rium fuhr, hinterlegte er erneut ein versiegeltes Schreiben an der Akademie. Es enthielt die Ideen, die genauer auszuarbeiten ihm nicht die Zeit vergönnt gewesen war. RECHT ÄRGERLICH Drei Semester, also fast eineinhalb Jahre, verbrachte Karl Menger im Sanatorium Aflenz. Später verglich er seinen Kurort mit dem Zauberberg, aber das rustikale Aflenz passt eher zu Peter Rosegger als zu Thomas Mann. Immerhin, als Karl Menger von seiner Heilstätte zurückkehrte, völlig wiederhergestellt, war auch sein Beweis repariert. Er konnte sich nunmehr daran machen, seine Arbeit als Dissertation einzureichen. Der junge Karl hatte einen Freund, der ihm in die hinterwäldlerische Gegend von Aflenz Mitschriften der versäumten Mathematik-Vorlesungen geschickt hatte. Dieser Freund hieß Otto Schreier und war in dieselbe Schule wie Karl Menger gegangen, eine Klasse über ihn (und eine Klasse unter den beiden Nobelpreisträgern in spe). Auch cand.phil. Otto Schreier (1901-1929) war hochbegabt. 196

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Ein Unglück kommt per Post

1923 fuhr Schreier nach Marburg, zum Jahrestreffen der Deutschen Mathematiker. Diese Jahrestreffen wurden von der spottenden Jugend als „Sklavenmarkt“ verschrien, denn sie gaben der versammelten Professorenschaft die Gelegenheit, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu mustern und die Talentiertesten anzuheuern, als wissenschaftliche Hilfskraft oder gar als Assistent. Otto Schreier schlug sich auf diesem Sklavenmarkt wacker: eine Stelle in Hamburg wurde ihm angeboten. Doch hatte er seinem Freund Karl Menger eine verheerende Nachricht zu übermitteln: „Ich werde dir selbstverständlich genau berichten, bis wir zusammenkommen. Nur eines glaube ich dir mitteilen zu sollen, obwohl ich fürchte, dass es dir recht ärgerlich sein wird. Ein junger Russe, Herr P. Urysohn aus Moskau, hat hier eine Dimensionstheorie vorgetragen, die soweit ich überblicke, mit der deinigen im Wesen übereinstimmt; er hat die Sache offenbar fast gleichzeitig mit dir gemacht (vielleicht etwas früher).“ „Vielleicht etwas früher!“ Das war nun allerdings ein schlimmer Schock 197

für Menger. Während er sich auf seinem Zauberberg auskurierte, hatte Pavel Urysohn eine Zusammenfassung seiner Resultate bei den Comptes Rendus de l‘Académie de Paris eingereicht. Eine solche Ankündigung neuer Forschungsergebnisse macht auf die Fachwelt einen ganz anderen Eindruck als ein versiegeltes Schreiben, das ein Unbekannter an der Akademie zu Wien hinterlegt. In höchster Eile stellte Menger sein Manuskript fertig. Hahn sorgte dafür, dass die Arbeit rasch in den Monatsheften erschien. Mit einer Fußnote ganz am Schluss des Werks wurde auf den ominösen Urysohn verwiesen. Menger verschickte die Sonderdrucke an die führenden Mathematiker in aller Welt. Wie das Schicksal es fügte, ertrank noch im selben Sommer Pavel Urysohn im rauen Atlantik vor der bretonischen Küste. Sein Freund Paul Alexandroff (1896-1982) konnte nur mehr die Leiche aus der Brandung bergen. Die Arbeit, in der Urysohn seine Dimensionstheorie ausführte, erschien posthum. Übrigens verstarb auch Otto Schreier sehr früh, mit knapp achtundzwanzig, an Blutvergiftung. Er zählt, so wie Galois, zu den bedeutendsten Figuren in der Geschichte der Algebra. Karl Menger hingegen, der selber stets mit einem frühen Ende gerechnet hatte, lebte bis ins vierundachtzigste Jahr. Und die Frage der Priorität seiner Dimensionstheorie verfolgte ihn bis zuletzt. DAS AUSGESCHLOSSENE DRITTE Bald nach seinem Doktorat im Jahr 1924 reiste Karl Menger mit einem Rockefeller Stipendium zu dem holländischen Mathematiker L.E.J. Brouwer. Dieser war nicht nur führend auf Mengers Spezialgebiet, der Topologie, sondern auch das Haupt der intuitionistischen Schule. Diese Gruppe vertrat bei der Begründung der Mathematik eine strikte Gegenposition zu Hilberts formalistischem Ansatz. Die Mathematik ist eine Schöpfung des menschlichen Geistes, meinte Brouwer. Im menschlichen Geist werden ihre Objekte – Punkte, Zahlen, Mengen – konstruiert. Dazu bedarf es genauer Konstruktionsanweisungen. Man darf nicht auf die Existenz eines mathematischen Objekts schließen, bloß weil aus der Annahme, dass es nicht existiert, ein Widerspruch folgt. Das taten zwar die meisten Mathematiker, mit Hilbert an ihrer Spitze, doch Brouwer sah darin einen unzulässigen Missbrauch des Prinzips vom ausgeschlossenen Dritten. Dieses Prinzip besagt, dass kein Niemandsland zwischen „wahr“ und „falsch“ existiert. Wenn eine Aussage nicht gültig ist, dann ist ihre Verneinung gültig; ein Drittes gibt es nicht. Tertium non datur. Brouwer stellte dieses altehrwürdige Prinzip infrage. Man darf es nicht ohne weiteres auf unendliche Mengen anwenden, meinte er. 198

Dirk van Dalen

Grob gesagt: Sind Äpfel in zwei Säcken verstaut, dann enthält entweder jeder Sack Äpfel, oder ein Sack enthält keine; eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Das leuchtet unmittelbar ein. Doch die Mathematiker hatten das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten bedenkenlos auf den Fall übertragen, dass unendlich viele Äpfel in zwei Säcken verstaut sind, um zu schließen: Jeder der beiden Säcke enthält unendlich viele Äpfel, oder einer enthält nicht unendlich viele. Wenn wir den einen der beiden Fälle aus irgendwelchen Gründen ausschließen können, so gilt der andeL.E.J. Brouwer (1881-1966) re Fall; ein Drittes gibt es nicht. drückt dem Kreis sein Stempel auf. Gerade das aber hinterfragte Brouwer. Es ist nämlich leicht, zu überprüfen, ob ein Sack leer ist oder nicht – aber wie entscheiden wir, ob er endlich oder unendlich viele Äpfel enthält? Wie können die Äpfel natürlich zählen; zum Beispiel, indem wir einen Apfel nach dem anderen aus dem Sack herausholen. Wenn der Vorgang irgendwann stoppt, weil der Sack leer ist, dann können wir unbesorgt schließen, dass sein Inhalt ursprünglich endlich war. Aber solang wir immer noch weiterzählen können, weil noch Äpfel im Sack sind, wissen wir nicht, ob der Sack endlich oder unendlich viele Äpfel enthält. Wir können die Frage so nicht entscheiden, sondern nur die Entscheidung hinausschieben. Wir dürfen nicht, meinte Brouwer, vom Endlichen aufs Unendliche schließen, solange wir uns nicht durch ein konstruktives Verfahren absichern können. Solange weder A noch nicht-A bewiesen sind, dürfen wir nicht so tun als wär eins davon wahr. Brouwers Forderung macht die Analysis noch weitaus schwieriger, als sie ohnehin schon ist. Hilbert erhob sofort vehementen Widerspruch. Dem Mathematiker das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten zu verwehren, „käme der Forderung gleich, dem Boxer den Gebrauch seiner Fäuste zu untersagen“. Trotzdem fanden sich in Brouwers Lager hervorragende Mathematiker. Wobei man sagen muss, dass es so etwas wie Lager oder Schulen in der Mathematik eigentlich nicht geben darf. Aber hier handelte es sich auch um Philosophie; und da kann derlei durchaus vorkommen. Der junge Karl Menger hatte versucht, dem Schlick-Zirkel den Intuitionismus zu erklären. Brouwers Argumente waren jedoch verwinkelt und schwer 199

zu durchschauen – jedenfalls sicher nichts, was die „Intuition“ unmittelbar ansprechen könnte. Jetzt pilgerte Menger zum Meister, um mehr darüber zu erfahren. Brouwer war eine imposante Gestalt, mit scharf geschnittenen Gesichtszügen. Der Holländer hatte noch als Student eine Arbeit über Leben, Kunst und Mystik geschrieben, mit einer radikalen Kritik an der gängigen Logik. Er lebte in einer Künstlerkolonie in einem Vorort von Amsterdam; dort hatte er eine Gartenhütte bezogen, die nichts als einen Schreibtisch, ein Bett und ein Klavier enthielt. Neben Menger scharten sich noch andere junge Mathematiker um den Mystiker, darunter jener athletische Paul Alexandroff, der Urysohn nur mehr tot aus dem Meer hatte bergen können. Brouwer unternahm es, die posthumen Schriften des ertrunkenen Russen zu veröffentlichen und eine Einleitung zu verfassen. Karl Menger verehrte Brouwer. Er wurde sein Assistent an der Universität von Amsterdam, und durfte dort auch Vorlesungen halten. Als Mengers Mutter unerwartet starb, spendete Brouwer seinem Schützling rührend liebevoll Trost. – Doch dann erhob die leidige Frage der Priorität ihr hässliches Haupt und führte zum Zerwürfnis. Karl Menger fand, dass Brouwers Darstellung der Dimensionstheorie seine, Mengers, Rolle zu wenig berücksichtigte. Nun galt Rücksicht nicht eben als eine Stärke von Brouwer. Er war für seine Streithändel berühmt, wie weiland die Recken aus grauer Vorzeit. Menger seinerseits wollte der drohenden Kollision auch nicht ausweichen. Seine Lage in Amsterdam wurde zunehmend unersprießlich. Die Rettung kam aus Wien: Der Mathematiker Kurt Reidemeister hatte einen Ruf nach Königsberg angenommen. Sein Wiener Extraordinariat für Geometrie konnte somit im Jahr 1927 neu besetzt werden. Die Stelle ging an den erst fünfundzwanzigjährigen Karl Menger. Viel schneller war auch Mengers Schulfreund Wolfgang Pauli nicht Professor geworden. Der Zwist mit Brouwer schwelte jedoch weiter. Menger ließ das versiegelte Schreiben öffnen, das seine Prioritätsansprüche untermauern sollte. Er publizierte Artikel zur leidigen Causa und drängte Hans Hahn, lange Episteln an Brouwer zu senden, um seine, Mengers, Version zu bezeugen. – Daneben aber unternahmen es Menger und Hahn, den holländischen Mathematiker zu Vorträgen nach Wien einzuladen. Die wissenschaftliche Weltauffassung verlangt nun einmal, Persönliches von Fachlichem zu trennen. Brouwer nahm die Einladung an. Jede Gelegenheit, Hilberts Formalismus anzugreifen, war ihm recht. So kam es zu jenen berühmten Wiener Vorträgen Brouwers, die Wittgensteins philosophische Schleusen wieder öffneten. Vor Beginn des ersten Brouwerschen Vortrags stellte sich im Gedrän200

ge des Hörsaals Hans Hahn dem Autor des Tractatus vor. Ludwig Wittgenstein reichte ihm nur zerstreut die Hand, „die Augen ins Unendliche gerichtet“. Menger, der die Szene beobachtet hatte, war pikiert, denn er bezog die Zurückweisung auch auf sich. Sein Stolz war gekränkt. Aufdrängen wollte er sich niemandem. Wie er schrieb: „Ich habe immer versucht, die Bekanntschaft mit jenen zu vermeiden, denen an meiner Bekanntschaft nichts gelegen zu sein scheint.“ Menger glaubte, die Botschaft hinter der Abfuhr verstanden zu haben. Wittgensteins eisige Zurückhaltung schrieb er einem Ressentiment zu, das gegen alle Wiener Mathematiker gerichtet war. – Nun, man würde sich damit abzufinden wissen! Und so geschah es dann auch. Obwohl die Mathematik bald im Zentrum von Wittgensteins Denken stand, kam es zu keinem persönlichen Kontakt mit den Wiener Vertretern des Faches, nicht mit Hahn, nicht mit Menger und auch nicht mit einem schweigsamen und zartgliedrigen Studenten mit Hornbrille namens Kurt Gödel. Auch den führten die dunklen Worte von Brouwer zu einem Wendepunkt seines Lebens. DER KLEINE HERR WARUM Kurt Gödel war 1906 in Brno, damals Brünn, zur Welt gekommen. Die Stadt liegt in Südmähren, nur ein paar Bahnstunden von Wien entfernt, und wurde gelegentlich als Manchester der Monarchie bezeichnet. Dort hatte es Gödels Vater, ein gebürtiger Wiener, durch sein technisches und unternehmerisches Talent vom mittellosen Schulabbrecher zum Mitinhaber einer Textilfabrik gebracht. Gemeinsam mit seinem etwas älteren Bruder Rudolf wuchs Kurt in behüteten Verhältnissen auf, in einer Villa am Fuß des Spielbergs, Brünns weithin sichtbarer Zwingburg. Der Garten der Gödels grenzte ans Stadtwäldchen mit seinen schattigen schönen Spazierwegen. Gleich nebenan lag das Kloster, in deren Garten Gregor Mendel – der Mönch mit den Erbsen – seine Kreuzungsversuche durchgeführt hatte. Kurtis kluge und gebildete Mama war vom Wissensdurst ihres Jüngsten entzückt: in der Familie hieß er „Der kleine Herr Warum“. Ein Schulheft, das seine erste, etwas ungelenke Begegnung mit der Mathematik festhält, wurde sorgfältig aufbewahrt. Kurt, ein hervorragender Schüler mit starken wissenschaftlichen Interessen, hatte immer die bestmögliche Note: „Sehr gut“. Nur ein einziges Mal musste er sich mit einem „Gut“ begnügen, ausgerechnet in Mathematik. Doch Kurt war damals erst elf, und erlaubte sich nie wieder so eine Entgleisung. 201

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Erste Schritte Kurt Gödels in Rechnen und Philosophie

Nach der Matura 1924 belegte Gödel theoretische Physik in Wien. Dort war man in der Relativitätstheorie, die damals alle Welt faszinierte, gut beschlagen: Der Physiker Hans Thirring (1888-1976) hatte gerade gemeinsam mit dem Mathematiker Josef Lense (1890-1985) gezeigt, dass eine Kugel, die rotiert – so wie etwa die Erde – ein anderes Schwerefeld erzeugt als eine Kugel, die still steht. Dieser Effekt, eine Bestätigung des Machschen Prinzips und Widerlegung von Newtons Gravitationstheorie, sollte erst achtzig Jahre später durch Experimente bestätigt werden. Kurt Gödel machte sich schnell vertraut mit Einsteins Theorie. Aber so wie Karl Menger vier Jahre zuvor wandte auch er sich bald von der Physik ab und ganz der Mathematik zu. Er wurde geprägt durch die Einführungsvorlesung von Philipp Furtwängler, einem der bedeutendsten Zahlentheoretiker seiner Zeit. Eine schwere Krankheit fesselte Furtwängler – einen entfernten Verwandten des Dirigenten - an den Rollstuhl; er musste in den Hörsaal getragen werden. Furtwänglers brillanten Vorlesungen zogen weit mehr Hörer an, als es Sitzplätze gab. Eine andere Vorlesung, die Gödel schon zu Studienbeginn in ihren Bann schlug, war die Übersicht über die Hauptprobleme der Philosophie von Heinrich Gomperz. Die Studierenden erzählten einander, dass der Philosoph einst die Berufung Ernst Machs in die Wege geleitet hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein. Das Talent Kurt Gödels fiel auch dessen Professor Hans Hahn auf. Bereits 1926 wurde der begabte Student zu den Sitzungen des Wiener Kreises einge202

laden. Dort lernte er auch seine engsten Freunde kennen, Herbert Feigl und Marcel Natkin, zwei Studenten von Moritz Schlick. Karl Menger beschreibt Kurt Gödel: „Ein schmächtiger und ungewöhnlich stiller junger Mann. Er sprach fast nie und deutete Zustimmung oder Widerspruch durch eine kaum merkbare Bewegung seines Kopfes an.“ Offenbar war der Widerspruch Gödels tatsächlich „kaum merkbar“. Erst Jahrzehnte später sollte sich herausstellen, dass seine Auffassungen schon damals durchwegs konträr zu den Ansichten waren, die im Wiener Kreis vorherrschten. Doch große Reden zu schwingen lag dem jungen Mann fern. Er hörte freundlich zu und dachte sich seinen Teil. Am meisten interessierte ihn Hahns Seminar über die Principia Mathematica. Er kaufte das Buch. Die Investition sollte sich bald rentieren. – Kurt wohnte mit seinem Bruder zusammen: Rudolf Gödel studierte Medizin an der illustren Fakultät, von der Mitglied zu werden Sigmund Freud einst geträumt hatte. Die beiden Gödel-Brüder waren wohlversorgt. Jedes Jahr mieteten sie eine andere Wohnung ganz in der Nähe der Universität, stets in viergeschossigen prunkvollen Zinshäusern aus der Jahrhundertwende. VOLLSTÄNDIGKEIT Im Jahr 1928 fand, wie alle vier Jahre, der internationale Mathematikerkongress statt, dieses Mal in Bologna. Menger und Hahn hielten dort Vorträge. Auch David Hilbert erschien, an der Spitze einer großen deutschen Delegation. Das war insofern bemerkenswert, als die Deutschen in den Jahren 1920 und 1924 von der Teilnahme am Kongress ausgeschlossen gewesen waren. Mathematiker der Siegermächte hatten darauf bestanden. Jetzt war der Bannfluch also aufgehoben. Der Holländer Brouwer selbst war davon nicht betroffen gewesen, doch die himmelschreiende Ungerechtigkeit hatte seinen Ingrimm geweckt. Er verlangte, dass die Deutschen sich rächen mögen – etwa, indem sie Beiträge französischer Kollegen aus deutschen Druckwerken verbannten oder wenigstens den Kongress in Bologna bestreikten. In beiden Punkten vertrat Hilbert eine andere Meinung und damit war die Sache für die Mathematiker Deutschlands entschieden. Brouwer jedoch zürnte jetzt David Hilbert mehr noch als den Franzosen. Nicht etwa, dass er früher auf ihn besonders gut zu sprechen gewesen wäre. Brouwer hatte sich immer scharf gegen den Formalismus der Hilbertschen Schule gewandt. Auf dem Kongress von Bologna trug Hilbert über sein Programm vor, die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen. Seit dem Pariser Kongress von 1900 hatte sich auf diesem Gebiet viel getan. Einmal hatte Hilbert 203

beide: Princeton Univ. Library

Kurt Gödel kauft sich etwas zum Lesen: Die Principia Mathematica

sogar geglaubt, den Beweis gefunden zu haben. Es stellte sich als Irrtum heraus. Doch Hilbert ließ nicht locker. Vor Jahresfrist war sein Buch über die Grundzüge der theoretischen Logik erschienen, gemeinsam verfasst mit seinem Schüler Wilhelm Ackermann. Das Werk bestach, wie alles von Hilbert, durch meisterhafte Knappheit und Eleganz. Auch dieses Buch arbeitete Gödel durch. Hilbert und Ackermann hatten in ihrem Buch eine Reihe offener Probleme aufgeworfen. Der junge Gödel löste zwei davon. Er konnte beweisen, dass die Axiome für den so genannten engeren Funktionenkalkül der Logik ausreichen, um aus ihnen alle allgemein gültigen Aussagen des Kalküls herzuleiten, und dass umgekehrt keines der Axiome verzichtbar ist. (Der engere Funktionenkalkül erlaubt, grob gesagt, Aussagen über „alle Individuen“, aber nicht über „alle Eigenschaften“.) Gödel ersuchte Professor Hahn, seine Arbeit zu prüfen. Hahns Urteil zog sich etwas hin. Die Semesterferien kamen, und Gödel fuhr zu seinen Eltern nach Brünn. Sein Freund Herbert Feigl traf Hahn im Gomperz-Zirkel, aber er wagte es nicht, den Professor auf die Arbeit von Gödel anzusprechen. Endlich kam Hahns Verdikt. Die Beweise waren in Ordnung! Die Arbeit könne als Dissertation eingereicht werden, und Gödel solle seine Resultate in den Monatsheften für Mathematik und Physik publizieren. Hahn approbierte die Dissertation. Gödels Arbeit, schrieb er, entspreche „vollauf den Anforderungen an eine Dissertation“. Das ist eine massive Unter204

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Eine Karte von Feigl hält Gödel am Laufenden: Hahns Urteil steht noch aus

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treibung. Ein Problem von Hilbert zu lösen, stellt für einen Mathematiker so etwas wie einen Ritterschlag dar, und auch heute noch ist Gödels sogenannter Vollständigkeitssatz von zentraler Bedeutung. Wenige Monate, bevor Gödel das Doktorat erwarb, war sein Vater plötzlich verstorben, im Februar 1929. Die Mutter zog nun zu ihren beiden Söhnen nach Wien. Der ältere, Rudolf, hatte ebenfalls seine Studien abgeschlossen und war Röntgenarzt geworden. Gemeinsam wohnten sie in einer großen Wohnung in der Josefstädterstraße, unweit von Max Reinhardts berühmtem Theater. Der frischgebackene Dr. Kurt Gödel fand keine Anstellung an der Universität. Er brauchte auch keine: Als wohlhabender junger Privatgelehrter konnte er sich ganz seinen Vorlieben widmen. Er arbeitete bis spät in die Nacht, schlief bis spät in den Tag, und spazierte dann zum mathematischen Seminar in der Strudlhofgasse. Dort war er meist in der Bibliothek anzutreffen, korrigierte für Menger und Hahn Prüfungsarbeiten oder half Studenten bei der Vorbereitung ihrer Seminarvorträge. 205

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Tagebuch Carnaps (er stenografiert) und das Café Reichsrat

UNAUSSCHÖPFLICHKEIT Gödel hatten die Vorträge Brouwers viel zu denken gegeben. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten legt nahe, dass es für jedes wohldefinierte Problem stets eine Antwort gibt, nämlich so oder so. Aber lassen sich tatsächlich, wie Hilbert verkündete, grundsätzlich alle mathematischen Fragen entscheiden? Wäre es nicht denkbar, dass der Formalismus von Hilbert nicht ausreicht, um die Fülle der Mathematik zu fassen? Carnap, der seinen stillen jungen Kollegen Gödel alle paar Tage traf, meist in einem Kaffeehaus, um mit ihm über Logik zu sprechen, notierte in seinem Tagebuch: „(23.12.1929) Gödel. Über die Unausschöpflichkeit der Mathematik. Er ist durch Brouwers Wiener Vorlesung angeregt worden. Mathematik nicht vollständig formalisierbar. Er scheint recht zu haben.“ Hier heißt es noch „scheint“, doch ein halbes Jahr später hatte Gödel einen wunderbaren Beweis gefunden, der keinen Zweifel mehr zuließ. Wieder war es Carnaps Tagebuch, das den Moment festhielt: „Di. 26. August 1930, 6-8.30. Café Reichsrat. – Gödels Entdeckung: Unvollständigkeit des Systems der Principia Mathematica. Schwierigkeiten mit dem Beweis der Widerspruchsfreiheit.“ Einige Mitglieder des Wiener Kreises hatten sich an diesem Abend in dem Café getroffen, gleich hinter dem Parlament, um ihre gemeinsame Reise nach Königsberg zu besprechen. Dort sollte Anfang September 1930 die Jahrestagung der deutschen Mathematiker-Vereinigung stattfinden – der rituel206

le „Sklavenmarkt“. Nach dem Erfolg der Prager Tagung vom Vorjahr war es naheliegend, wieder ein Satellitentreffen zu planen. Wieder hatte der Wiener Kreis einen Mann vor Ort. War es in Prag Philipp Frank gewesen, so stand jetzt Kurt Reidemeister zu Diensten. Zum Thema des Treffens hatte man dieses Mal die Grundlagen der Mathematik gewählt. Die drei rivalisierenden Schulen sollten sich messen: Die Logizisten, die alle Mathematik auf Logik zurückführen wollten; die Formalisten, die nach einem Beweis suchten, dass die Mathematik widerspruchsfrei ist; und die Intuitionisten, die nur solche mathematischen Begriffen zuließen, die auf rigorosen Konstruktionsverfahren beruhten. Jede Fraktion scharte sich um einen berühmten Anführer: Russell, Hilbert und Brouwer. Diese drei Leitfiguren nahmen allerdings an dem Satellitentreffen nicht teil. (Hilbert weilte zwar in Königsberg, war aber ganz mit der Mathematiker-Tagung beschäftigt.) Statt der Häuptlinge präsentierten Stellvertreter, allesamt erprobte Kämpen, die drei Positionen: Carnap sprach für den Logizismus, Heyting für den Intuitionismus und John von Neumann, der Lieblingsschüler von Hilbert, trug den formalistischen Standpunkt vor. Dazu kam noch Waismann, der Wittgensteins Ansichten darlegen wollte. Waismanns Unternehmen stand unter keinem guten Stern. Er war auf der letzten Etappe der Reise erkrankt, auf der Überfahrt nach Königsberg. Ein heftiger Sturm tobte über der Ostsee. Was noch schlimmer wog: Wittgenstein hatte sich schon im Vornherein pauschal distanziert von allem und jedem, was Waismann zu sagen beabsichtigen mochte. Schlechte Aussichten für einen Möchtegern-Missionar! Sonderbarerweise erwähnten die Mitglieder des Wiener Kreises in ihren Vorträgen das sensationelle neue Resultat von Kurt Gödel mit keinem einzigen Wort, obwohl sie es kannten. Selbst Gödel trug nicht über seinen Unvollständigkeitssatz vor, sondern über den Vollständigkeitssatz, den er im Vorjahr in seiner Dissertation bewiesen hatte. Erst in der Abschlussdiskussion erwähnte er fast nebenbei eine Folgerung aus der Unausschöpflichkeit, kurz vor dem Ende der Veranstaltung. Dann gab es Mittagessen. – Schluss des Treffens. Der Ungar John von Neumann interessierte sich nicht mehr für das Essen. Er hatte sofort die Tragweite von Gödels Bemerkung erfasst, und ließ sich von ihm nun den Beweis erklären. Dr. von Neumann (Janos, Johann, oder Johnny – er hörte auf alles) galt damals schon als Superstar der Mathematik. Der erst Achtundzwanzigjährige, ein stets blendend gelaunter Lebemann und Genießer, hatte bereits wesentliche Beiträge zur Mengenlehre, zur Analysis und zu den Grundlagen der Quantenmechanik geliefert. Von Neumann verstand alles auf Anhieb. Keiner dachte schneller als er. Für ihn war mit Gödels Entdeckung eine Bombe hochgegangen: In der Mathe207

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Brief John von Neumanns an Kurt Gödel, und dessen Antwort: die Druckfahnen

matik gibt es wahre Sätze, die formal nicht beweisbar sind. Genauer: es gibt „inhaltlich richtige“ Sätze (wie Gödel sich ausdrückte), die aus den gängigen Axiomen, etwa der Principia Mathematica, nicht herleitbar waren. Wenige Wochen später schrieb John von Neumann an Kurt Gödel, dass aus dem Beweis des Unvollständigkeitssatzes folgt, dass Hilberts Programm nicht durchführbar ist. Wenn die Arithmetik widerspruchsfrei ist, so ist das gerade eine jener wahren Aussagen, die sich nicht beweisen lassen! Doch Gödel hatte diese Schlussfolgerung auch schon gezogen, und konnte John von Neumann mit Retourpost die Druckfahnen seines Artikels zuschicken. Gödels Arbeit Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I erschien wenige Wochen später in den von Hans Hahn herausgegebenen Monatsheften für Mathematik. Ein Teil II war geplant, der den Beweis auf Russellsche Art restlos formalisieren sollte. Doch erwies es sich schnell, dass er bloß eine überflüssige Fleißaufgabe dargestellt hätte. Teil I reichte völlig. Zum Nutzen und Gewinn der Philosophen schrieb Gödel noch eine knappe Zusammenfassung, die in der Erkenntnis erschien. 208

John von Neumann zeigte sich ungeheuer beeindruckt. Da war jemand schneller gewesen als er! – Oft flogen dem genialen Ungarn die Beweise im Traum zu. Manchmal erwiesen sie sich beim Aufwachen allerdings als falsch. Aber spätestens beim dritten Traum, so erzählte der lebhafte Bonvivant gern, waren die Beweise richtig. Zweimal hatte er schon geträumt, die Widerspruchsfreiheit bewiesen zu haben. Was für ein Glück, meinte er, kein drittes Mal davon geträumt zu haben. Denn ein Beweis der Widerspruchsfreiheit hätte ja, laut Gödel, bedeutet, dass die Mathematik widersprüchlich ist. DIE GÖDEL-ZAHLEN Gödels Beweis ist Dutzende von Seiten lang, doch beruht er auf einer wunderbar einfachen Idee. In formalen Systemen entsprechen mathematische Aussagen Ketten von mathematischen Zeichen. Gödel kodierte sie durch natürliche Zahlen (die später als die Gödel-Zahlen dieser Aussagen bezeichnet wurden). Dann konstruierte er eine mathematische Aussage G, die die Unbeweisbarkeit der Aussage mit der Gödel-Zahl g behauptet. Gödel hatte aber mit höchster Raffinesse arrangiert, dass g („gewissermaßen zufällig“, wie er nicht ohne Koketterie schrieb) gerade die Gödel-Zahl von G ist. Der Satz G behauptet also seine eigene Unbeweisbarkeit. Beweist man G, erhält man einen Widerspruch. Beweist man nicht-G, ebenso. Also kann der Satz in dem formalen System (sofern es widerspruchsfrei ist) weder bewiesen noch widerlegt werden. Der Satz G ist formal nicht beweisbar. Das ist gerade, was er behauptet. Also ist er wahr. Aber das folgt eben nicht aus den Axiomen. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger verglich in einem Gedicht Gödels Beweis mit der Geschichte vom Baron Münchhausen, der sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf zog. „Doch Münchhausen war ein Lügner, wogegen Gödel recht hat.“ Die Aussage „Dieser Satz ist unbeweisbar“ scheint kein Satz der Mathematik zu sein. Dort geht es meist um Zahlen, Figuren oder Funktionen. Doch die formale Beweisbarkeit eines Satzes entspricht in Gödels Kodierung einer arithmetischen Eigenschaft der Gödel-Zahl des entsprechenden Satzes. Wir bleiben also im vertrauten Bereich der natürlichen Zahlen 1,2,3,… Es gibt neben „Dieser Satz ist unbeweisbar“ noch viele andere Aussagen, die unbeweisbar sind und von vertrauterer Gestalt – zum Beispiel vom Typ der Goldbachschen Vermutung, die Gödel beim Königsberger Treffen erwähnt hatte. Das Beispiel ist instruktiv: Bereits im Jahr 1742 hatte Christian Goldbach vermutet, dass sich jede gerade Zahl als Summe zweier Primzahlen darstellen lässt. Man kann es nachprüfen: 6=3+3, 12=5+7,… Das ist mithilfe der schnellsten Großrechner für alle geraden Zahlen bis 300000000000000000 (siebzehn Nullen) durch209

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Sudokus: korrekt, unvollständig, widersprüchlich

geführt worden. Die Goldbachsche Vermutung ist aber damit selbstverständlich noch längst nicht bewiesen: Es bleiben immer noch unendlich viele gerade Zahlen übrig, die nicht überprüft worden sind. Das Computerprogramm kann die geraden Zahlen der Reihe nach daraufhin testen, ob sie die Summe zweier Primzahlen sind oder nicht. Wenn die Vermutung falsch ist, wird der Computer das solcherart nachweisen, früher oder später – wir müssen nur geduldig zuwarten. Aber wenn die Vermutung richtig ist, so läuft der Computer endlos weiter. Das Warten findet kein Ende. Auf diese Weise kann Goldbachs Vermutung nicht bewiesen werden. Durch bloßes Nachrechnen kann man sie falsifizieren (wenn sie falsch ist), aber nicht verifizieren (wenn sie stimmt). Auf eine ähnliche Weise könnte ein Computer jeden formal-mathematischen Text, der ja nichts als eine Kette von Zeichen ist, daraufhin überprüfen, ob er einen Beweis darstellt oder nicht. Der Computer könnte alle erdenklichen Texte der Reihe nach auflisten und durchgehen, erst die ganz kurzen, dann immer längere und längere... Damit käme er nie zu Ende. Doch wenn entweder die Aussage A oder ihre Negation nicht-A beweisbar wäre, so würde der Computer irgendwann auf den entsprechenden Beweis stoßen, denn irgendwo in der Liste kommt der Beweis ja vor. Der Haken ist nur, dass es laut Gödels Unvollständigkeitssatz in dem formalen System Aussagen gibt, die unentscheidbar sind, also weder beweisbar noch widerlegbar. Der Computer prüft ewig, und die Frage bleibt offen. Gödels Unvollständigkeitssatz besagt also etwas über die Grenzen von Computerprogrammen (obwohl der Begriff des Computerprogramms erst viel später geschaffen wurde). Die Mathematik kann durch formale Verfahren nicht restlos ausgeschöpft werden. Jede formale Theorie ist wie ein Gewand, das nur einen Teil der Mathematik bedeckt; und rückt man die formale Theorie zurecht, um die Blößen zu überdecken, tun sich andere Blößen auf. 210

Princeton Univ. Library

Kurt Gödel findet eine neue Perspektive

Jahrzehnte später sollte ein Spiel namens Sudoku Millionen begeistern. Sein Erfolg zeigt: Logisches Schließen hat einen Unterhaltungswert. Darüber hinaus liefert Sudoku eine Art von Gleichnis für formale mathematische Theorien à la Hilbert. In 9x9 Felder sollen die Ziffern 1 bis 9 so eingetragen werden, dass in keiner Spalte, keiner Zeile und keinem 3x3 Gitter eine der Ziffern zweimal aufscheint. Einige Felder sind bereits ausgefüllt: diese Vorausgaben entsprechen den Axiomen. Von einem Sudoku erwartet man, dass es eine Lösung hat, aber nicht mehrere. In jedes offene Feld gehört genau eine Ziffer. Wenn in ein Feld keine Ziffer passt, so haben die „Axiome“ zu einem Widerspruch geführt. Wenn mehrere Ziffern in das Feld passen können, die Entscheidung also offen bleibt, so waren die „Axiome“ nicht vollständig. Ein Sudoku hat also widerspruchsfrei und vollständig zu sein. Wer sich dasselbe von einer Formalisierung der Arithmetik erwartet, der wird enttäuscht. Das hat Gödel gezeigt. Wittgenstein fasste später zusammen: „Gödels Satz zwingt uns, die Mathematik in einer neuen Perspektive zu sehen“. Im Nachhinein scheint der Gedanke, dass Mathematik durch ein Computerprogramm ausgeschöpft werden kann, so bizarr wie der Gedanke, den Stein der Weisen zu finden. Mathematiker können nicht durch Automaten ersetzt werden. Vermutlich gilt das auch für andere Berufe: aber für die hat es noch niemand bewiesen. Als Randbemerkung sei hinzugefügt: Im Jahr 2013 hat der Mathematiker Harald Helfgott bewiesen, dass jede Zahl, die größer als fünf ist, die Summe 211

Uni Bibliothek Univ. Wien

Gödel kommt in die Nachrichten

von drei Primzahlen ist. (Dass sie größer als fünf sein soll kommt daher, dass die Eins sonderbarerweise nicht als Primzahl gilt.) Aber Goldbachs Vermutung ist immer noch offen. So wie Darwin und Einstein wird auch Gödel gelegentlich falsch ausgelegt. Dann hört man etwa, Gödel habe gezeigt, dass es in der Mathematik Widersprüche gibt. Das ist nicht richtig. Gödel hat gezeigt, dass man die Widerspruchsfreiheit nicht beweisen kann. – Zum Vergleich: Auch jemand, der nie in seinem Leben einen Mord begangen hat, könnte das vermutlich vor Gericht nicht beweisen. Die Person müsste ja ein hieb- und stichfestes Alibi für jede Sekunde ihres Lebens nachweisen – zumeist ein aussichtsloses Unterfangen. In solchen Fällen gilt die Unschuldsvermutung. Ähnlich ist es in der Mathematik. Niemand glaubt ernsthaft, dass sie einen Widerspruch enthält. Um das Wort eines französischen Mathematikers zu paraphrasieren, das die Haltung seiner Zunft auf den Punkt bringt: Gott hat dafür gesorgt, dass es keinen Widerspruch in der Mathematik gibt; und der Teufel, dass man das nicht beweisen kann. DIE PARALLELAKTION Karl Menger hatte die dramatischen Ereignisse der Königsberger Tagung nicht miterlebt, weil er zu dieser Zeit als Gastprofessor durch die USA tourte. Doch sobald er von Kurt Gödels Entdeckung erfuhr, erkannte er dessen Tragweite und verkündete sie, wo er nur konnte. Obwohl kaum vier Jahre älter als Gödel, war Menger zu dessen Mentor und geradezu väterlichem Freund geworden. Gemeinsam drifteten die beiden langsam vom Wiener Kreis weg. Denn in diesem Kreis gab es, für ihren 212

Geschmack, zu viel Wittgenstein und zu viel Neurath; zu viel Kult um den einen, und zu viel Politik von dem anderen. Karl Menger wollte sich nicht vom linken Flügel des Kreises vereinnahmen lassen. Zwar begeisterte er sich für die abstrakte Kunst der Bildstatistik in Otto Neuraths Museum, aber der „Vollsozialisierung“ konnte er wenig abgewinnen. Sie lag allzu weit weg von den liberalen Grundgedanken seines Vaters und den Auffassungen der österreichischen Schule der Nationalökonomie, die sich lieber mit den Bedürfnissen und Entscheidungen von Individuen befasste als mit Kollektiven, Klassen und Massen. Was Wittgenstein betraf, so konnte und wollte Menger die schwärmerische Verehrung, die Moritz Schlick dem spröden Genie zollte, keinesfalls teilen. Die ersten drei Viertel des Tractatus schienen ihm undurchdringlich. – Und überhaupt, wie konnte man ausgerechnet über das Unsagbare so viel schwatzen? Bezeichnend ist eine Bemerkung, die Menger an Gödel richtete, auf dem Heimweg nach einer Sitzung des Zirkels, in der es wieder einmal um die Sprache gegangen war: „Heute haben wir alle diese Wittgensteinianer überwittgensteint. Wir haben geschwiegen“. Worauf Gödel hinzufügte: „Je mehr ich über die Sprache nachdenke, desto unverständlicher erscheint es mir, dass die Menschen einander je verstehen.“ Die beiden jungen Skeptiker besuchten zwar weiterhin die donnerstäglichen Treffen des Kreises, aber nicht mehr so oft wie früher. Ihr Interesse verlagerte sich zunehmend auf Mengers Neugründung, das „Wiener Mathematische Kolloquium“. Es war, um mit Musil zu reden, als eine Art Parallelaktion zum Schlick-Zirkel gedacht, und ging, so wie dieser Zirkel, auf den Wunsch von Studierenden zurück, die sich um einen fesselnden jungen Professor scharten – jetzt war es eben Menger, nicht Schlick. Das Wiener Mathematische Kolloquium hatte, im Gegensatz zum Wiener Kreis, von Beginn an ein eigenes Publikationsorgan: die Ergebnisse eines Mathematischen Kolloquiums. Es erschien einmal jährlich und enthielt zum größten Teil die Texte der jeweiligen Vorträge. Meist ging es um Dimensionstheorie, mathematische Logik und mathematische Wirtschaftstheorie. Zu den interessantesten Mitgliedern des Mathematischen Kolloquiums gehörten Abraham Wald, Franz Alt, Georg Nöbeling und Olga Taussky. Der Deutsche Georg Nöbeling (1907-2008) war der Lieblingsschüler von Menger. Er bewies wichtige Verallgemeinerungen von dessen Sätzen zur Dimensionstheorie. Der in Rumänien geborene Abraham Wald (1902-1950) kam aus einer strenggläubigen Rabbinerfamilie, und war zu Hause unterrichtet worden. Erst spät begann er mit seinem mathematischen Studium. Dafür ging es dann umso rascher. Wald promovierte nach nur drei Semestern. Karl Menger, sein 213

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Olga Taussky empfängt zur Jause (links Karl Menger und Kurt Gödel)

etwa gleichaltriger Professor, beschreibt ihn als „klein und schmächtig, offensichtlich arm, ein seltsamer Gegensatz zu den lebhaften Studienanfängern“. Auch Franz Alt (1910-2011), der Sohn eines Wiener Rechtsanwalts, studierte bei Menger Mathematik. Beide, Alt und Wald, standen nach ihrem Doktorat auf der Straße. Karl Menger verhalf ihnen zu Nachhilfestunden, so gut es eben ging. Die wirtschaftliche Krise drückte schwer. Die einzige Frau in der Runde war Olga Taussky (1906-1995), gebürtig aus Olmütz. Nach ihrem Doktorat erhielt sie eine Anstellung in Göttingen, um bei der Herausgabe von Hilberts Gesammelten Werken mitzuhelfen. Dabei lernte sie Emmy Noether (1882-1935) kennen, die bedeutendste Mathematikerin ihrer Zeit. Emmy war die erste Frau gewesen, die sich in Deutschland habilitierte. Das konnte erst in der Weimarer Republik geschehen. In den Jahren davor war ihr Ansuchen als unzulässig abgelehnt worden, trotz der Fürsprache Hilberts, der befunden hatte: „Eine Fakultät ist keine Badeanstalt.“ Jetzt konnte Olga Taussky die Vorlesungen Emmy Noethers besuchen, die eine umstürzlerisch moderne Algebra präsentierte. Doch noch bevor die Weimarer Republik ihr Ablaufdatum erreichte, erfuhr Olga während eines Aufenthalts in Wien, dass von einer Rückkehr nach Göttingen „aus politischen Gründen“ abzuraten sei. Weder Emmy noch Olga waren der Nationalsozialistischen Studentenschaft genehm. Falsche Rasse, falsches Geschlecht. In Wien fand Olga keine Anstellung. Doch Hahn und Menger beschlossen, etwas zu unternehmen: Sie organisierten öffentliche Vorträge über wissenschaftliche Themen, für die sie saftige Eintrittsgebühren verlangten – etwa so viel wie für einen Opernbesuch. Mit dem Erlös stellten sie Fräulein Taussky (damals durfte man noch „Fräulein“ sagen) als mathematische Hilfskraft an. 214

Die Vorträge in dem Zyklus Krise und Neuaufbau in den exakten Wissenschaften erwiesen sich als überaus erfolgreich. Hans Hahn sprach über die trügerische Rolle der Anschauung in der Mathematik, Karl Menger über Dimension, Werner Heisenberg über Quantenmechanik und der Physiker Hans Thirring über die bemannte Raumfahrt. – War diese überhaupt möglich? Durchaus, behauptete Thirring, durchaus; bemannte Raumfahrt wird es geben, freilich nicht im zwanzigsten Jahrhundert. – Nun, Thirring lebte noch lange genug, um die Mondlandungen zu erleben. KEINE KLEINIGKEIT In der brillanten Gruppe arbeitsloser junger Wissenschaftler des Wiener Mathematischen Kolloquiums war Kurt Gödel der unbestrittene Star. Die Tragweite seines Unvollständigkeitssatzes wurde immer deutlicher. Der Deutsche Ernst Zermelo, der einst Boltzmann soviel Kopfzerbrechen bereitet hatte, glaubte zwar zunächst, einen Fehler im Beweis gefunden zu haben, aber Kurt Gödel konnte das Missverständnis leicht aufklären. „Mein lieber Göderl“, schrieb ihm sein Freund Marcel Natkin, nunmehr Fotograf in Paris, „ich bin ungerechterweise furchtbar stolz. – Also du hast gezeigt, dass das Hilbertsche Axiomensystem unlösbare Probleme enthält. Das ist ja keine Kleinigkeit!“ Bald schon strich Gödel hervor, dass sich der Unvollständigkeitssatz nicht nur auf bestimmte Axiomensysteme bezieht, etwa das der Principia Mathematica, sondern auf jedes System, das es erlaubt, zu zählen, zu addieren und zu multiplizieren. Wenn so ein System widerspruchsfrei ist (also keine Aussage A existiert, so dass sowohl A als auch nicht-A bewiesen werden können) dann ist es unvollständig: Dann gibt es Aussagen A, so dass weder A noch nicht-A bewiesen werden können. Und eine dieser Aussagen ist, dass das System widerspruchsfrei ist. Axiome, aus denen das gesamte Gebiet der Arithmetik herleitbar wäre, gibt es nicht. Damit war eine Auffassung geplatzt, die tausende von Jahren lang die Mathematiker geleitet hatte. Bereits im Jahr 1932 hielt Karl Menger an der Wiener Universität einen öffentlichen Vortrag über Die Neue Logik, vor dichtgedrängtem Auditorium, und präsentierte Kurt Gödels Ergebnis erstmals vor einem breiten Publikum. Das wurde zu einem der Höhepunkte des Zyklus über Krise und Neuaufbau in den exakten Wissenschaften. Gödel hob sich seine Eintrittskarte (übrigens für einen Stehplatz) bis an sein Lebensende auf. Im Frühjahr 1932 gelang ihm erneut ein großer Streich. Da der Intuitionismus den Gebrauch des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten einschränkt, 215

beide: Princeton Univ. Library

Marcel Natkin ist furchtbar stolz auf sein Göderl

Kurt Gödel Eintrittskarte in den Olymp: Ein Stehplatz für die ‚Neue Logik‘

ist die Menge der beweisbaren Sätze naturgemäß nur ein Teil der klassischen Mathematik. Diese Selbstbeschränkung war eben, was Hilberts Protest herausgefordert hatte. Nun zeigte Kurt Gödel gewissermaßen die Umkehrung. Durch eine Umdeutung der Symbole bilden die Sätze der klassischen Mathematik einen Teil der intuitionistischen Mathematik. Aus dem fast weltanschaulichen Disput über das, was in der Mathematik erlaubt ist, entwich die Luft wie aus einem löchrigen Reifen. Es ist nur eine Frage der Abmachung, an welche Interpretation man sich hält. Gödels verblüffendes Ergebnis entsprach Mengers Vorstellung. Schon längst war er der Meinung gewesen, dass dogmatische Verfügungen über das, was erlaubt und verboten ist, in der Mathematik fehl am Platz sind. Wichtig ist lediglich, dass man im Vornherein festlegt, an welche Regeln man sich zu halten gedenkt. Als Kurt Gödel im Kolloquium über seine neuen Resultate vortrug, war Oswald Veblen (1880-1960) unter den spärlichen Zuhörern. Veblen gehörte zu 216

den prominentesten Mathematikern Amerikas. Er tourte durch Europa im Auftrag des eben gegründeten Institute for Advanced Study in Princeton, um Ausschau zu halten nach passenden Talenten. Menger hatte ihn bewogen, dem Vortrag Gödels beizuwohnen. Veblen war gebührend beeindruckt, und merkte sich den jungen Logiker vor. Gödel reichte 1932 um seine Dozentur ein. In Bälde war die vierjährige Frist verstrichen, die sich Wiens Mathematiker zwischen Promotion und Habilitation selbst auferlegten. Als Thema für seinen Habilitationsvortrag schlug Gödel vor: Die Konstruktion formal unentscheidbarer Sätze. Hans Hahn schrieb in seinem Gutachten: „Eine wissenschaftliche Leistung allerersten Ranges, die in allen Fachkreisen das größte Aufsehen erregte und – wie sich mit Sicherheit voraussehen lässt – ihren Platz in der Geschichte der Mathematik einnehmen wird. Damit ist auch gezeigt, dass das von Hilbert aufgestellte Programm, die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen, undurchführbar ist.“ Im Frühjahr 1933 wurde Kurt Gödel Privatdozent – er durfte nunmehr Vorlesungen halten, wenngleich praktisch ohne Entgelt. Hoffnung auf eine feste Anstellung gab es keine. Aber zum Leben hatte der junge Erbe genug, und für das folgende Studienjahr war er ans Institute for Advanced Study in Princeton eingeladen worden. Veblen hatte dafür gesorgt. Das Forschungsinstitut in Princeton war privat finanziert, durch einen Kaufhauskönig und dessen Schwester, die sich gerade im rechten Moment, knapp vor der großen Wirtschaftskrise von 1929, zur Einrichtung einer Stiftung entschlossen hatten. Zu den ersten festangestellten Professoren gehörten Albert Einstein und John von Neumann. Beide hatten Berlin verlassen müssen. – Man schrieb das Jahr 1933, und die Nazis waren jetzt an der Macht.

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NEUNTES KAPITEL

Der Kreis läuft heiß Wien 1930-1933: Spätzünder Popper wird Philosoph, kreist um den Kreis, betreibt Opposition, lässt nur Widerlegbares gelten. Schlick hält Popper auf Abstand, publiziert dessen Buch, verwirft eins von Neurath. Neurath droht mit Prozess, schüttelt neues Werk aus Handgelenk. Waismanns Wittgenstein-Wälzer in Endlosschleife gelandet. Carnap verlässt Wien, findet in der Logik keine Moral. Wittgenstein wirft ihm Plagiat vor.

POPPERS PRIVATE REVOLUTION Der alte Wiener Tischler, bei dem Karl Popper in die Lehre ging, besaß breitgefächerte Kenntnisse von der Art, wie sie bei Kreuzworträtseln gefragt sind. Er pflegte mit bescheidenem Stolz zu sagen: „Da können S‘ mi fragen, was Sie woll‘n: Ich weiß alles.“ Von seinem lieben, selbstgewissen Meister, so schrieb Popper, habe er mehr über Erkenntnistheorie gelernt als von irgendeinem anderen Lehrer. „Keiner hat so viel dazu beigetragen, mich zu einem Jünger von Sokrates zu machen.“ Sokrates sagte bekanntlich: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. – Und oft nicht einmal das, fügte Popper gern hinzu. Es gebe kein gesichertes Wissen. – Für jemanden mit dieser Auffassung war Popper, nach allgemeinem Urteil, ziemlich rechthaberisch. Der Hobel war dem 1902 geborenen Karl Popper nicht in die Wiege gelegt worden: Sein Vater zählte zu den angesehensten Rechtsanwälten Wiens. Die Familie wohnte keine hundert Schritte vom Stephansdom entfernt, in einem ehrwürdigen alten Miethaus, das in der Barockzeit renoviert worden war. Damals hatte es dem Bankier Samuel Oppenheimer (1630-1703) gehört, der die Feldzüge der Habsburger gegen die Türken finanzierte – eine Kette von Siegen. Als Popper sechzehn war, zerfiel die alte Donaumonarchie. Siege waren rar geworden. Der junge Kaiser verzichtete auf jeglichen Anteil an den Staatsgeschäften. Die Hofburg lag verwaist. In der nahe gelegenen Herrengasse 218 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_9

konstituierte sich die Nationalversammlung. Auf der Ringstraße wurde am 12. November 1918 bei nasskaltem Wind die Republik ausgerufen. Der Gymnasiast Popper erlebte die Tumulte und Putschversuche dieser grauen Novembertage aus nächster Nähe mit. Er konnte die Sprechchöre hören und das Peitschen der Kugeln. Er verließ aus freiem Entschluss die Schule, als Teil, wie er schrieb, seiner eigenen privaten Revolution; außerdem, weil ihm der Mathematikunterricht zu langsam weiterging. (Die Geometrie war sein Lieblingsfach.) Er inskribierte als außerordentlicher Hörer an der Universität. Mehr als siebzig Jahre später schrieb Karl Popper: „In der Mitte des Winters 1918/19, vermutlich im Januar oder Februar, betrat ich zum ersten Mal – zögernd und fast zitternd – den heiligen Boden des Mathematischen Instituts in der Boltzmanngasse. Ich hatte allen Grund, ängstlich zu sein.“ Popper hatte ja keine Matura. Die anderen Studierenden, also die ordentlichen Hörerinnen und Hörer, waren im Stoff schon viel weiter. Jetzt ging es Popper zu schnell. Frustriert brach er ab. Kurzfristig schloss sich Karl Popper einer kommunistischen Jugendgruppe an. Doch nachdem er Augenzeuge einer Demonstration mit tödlichem Ausgang geworden war, löste er sich vom Marxismus. Den blutigen Klassenkampf weiter verschärfen zu wollen, erschien ihm verantwortungslos, wie er später erklärte. 1922 holte er als sogenannter Privatist die Matura nach. Jetzt fiel ihm das Studium leichter. Er schnupperte in Geschichte, Literatur, Psychologie, Medizin und Philosophie hinein. Die Mathematik blieb sein Lieblingsfach. „Wirklich faszinierende Vorlesungen“, schrieb er, „gab es nur am Mathematischen Institut. – Am meisten lernte ich bei Hans Hahn. Alles war lebendig, wenn sich auch Hahn gerade durch die erstaunliche Vollkommenheit seines Vortrags von den Hörern ein wenig distanzierte.“ Popper fügte hinzu: „Die Mathematik ist ein gewaltiges und schwieriges Gebiet; wenn ich je daran gedacht hätte, von Beruf Mathematiker zu werden, so hätte ich wohl bald den Mut verloren. Doch das war nicht mein Ehrgeiz.“ Was genau der Ehrgeiz des jungen Manns war, wusste er selbst noch nicht recht. Er begann eine Lehre als Tischler (so wie dereinst Ernst Mach), und arbeitete auch als Sozialarbeiter für behinderte Kinder im Kreis um Alfred 219

Adler (1870-1937), einen der vielen Psychotherapeuten, die sich mit Sigmund Freud überworfen hatten und jetzt selbständige Wege gingen. Adler untersuchte die Kompensation tatsächlicher oder vermeintlicher Minderwertigkeit, wonach beispielsweise kleinwüchsige Männer zu besonders bestimmtem Auftreten neigen. Popper, das darf bei der Gelegenheit erwähnt werden, war ziemlich klein. Nach einer Weile beschloss der junge Tischlergeselle, Lehrer zu werden. Er besuchte das neugegründete Pädagogische Institut in Wien, wo auch die Psychologen Karl und Charlotte Bühler im Lehrkörper wirkten. Karl Bühler, der zur selben Zeit wie Schlick an eine Lehrkanzel für Philosophie an der Universität Wien berufen worden war, hatte dort ein hervorragendes Psychologisches Institut aufgebaut.

Popper Nachlass Univ. Klagenfurt

Am Pädagogischen Institut lernte Popper die Studentin Josefine Anna Henninger kennen, Hennie genannt. Die beiden heirateten. Sie wohnten bei Hennies Eltern in Lainz, einem Vorort von Wien. Geld hatten sie keins. – Poppers Vater hatte österreichische Kriegsanleihen gezeichnet und dadu rch sämtliche Ersparnisse verloren, wie ein Großteil des Wiener Bürgertums. Parallel zur Lehrerausbildung besuchte Popper weiterhin Vorlesungen über Physik, Mathematik, Psychologie und Philosophie an der Universität. Im Jahr 1928 erwarb er das Doktorat mit einer Dissertation Zur Methodenfrage der Denkpsychologie. Er wurde von Karl Bühler betreut. Die Dissertation, schrieb Popper später, „war eine flüchtig in letzter Minute abgeschlossene Angelegenheit. Ich habe seither nie wieder auch nur einen Blick auf sie geworfen“. Wer dennoch einen Blick auf die Dissertation wirft, dem springt sogleich ein Wesenszug des jungen Denkers ins Auge: seine unbändige Angriffslust. Bereits in der allerersten Zeile zitiert Popper Schlick, nur um dessen Ansichten sogleich zu verwerfen. Die schonungslose Kritik stellte ein Wagnis dar, denn Schlick fungierte als Zweitprüfer der Dissertation. Doch Moritz Schlick ging nicht auf die Herausforderung ein, sondern schloss sich lakonisch der Approbation Bühlers an. Beim anschließenden Rigorosum, der gestrengen Prüfung über die Geschichte der Philosophie, geriet Popper gehörig ins Schwimmen. Aber auch hier blieb Schlick generös. Popper schrieb: Karl Popper und die „Ich konnte kaum meinen Ohren trauen, als man mir sagte, dass ich beide Prüfungen mit 220

Beurteilung seiner Dissertation durch Bühler und Schlick: „Große Spontaneität und Beweglichkeit“ 

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Uni Archiv Univ. Wien

Popper Nachlass Univ. Klagenfurt

Lehrer Karl Popper auf Schulausflug

der besten Note bestanden hätte: einstimmig mit Auszeichnung. Ich war natürlich erleichtert und glücklich, aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich über das Gefühl wegkam, dass ich eigentlich hätte durchfallen sollen.“ Mit der Diplomarbeit für das Lehramt kehrte er zu seiner alten Liebe zurück: Axiome, Definitionen und Postulate der Geometrie. Ab 1929 unterrichtete Dr. Karl Popper an einer Hauptschule zehn- bis vierzehnjährige Kinder in Mathematik und Physik. Er war also Pflichtschullehrer geworden, wie wenige Jahre vor ihm Ludwig Wittgenstein. Auch sonst schien er auf den ersten Blick in dessen Fahrwasser zu geraten, denn er wandte sich vom Studium der subjektiven Denkprozesse ab und hin zum Studium der Logik. Eigentlich prädestinierte ihn alles für die Mitgliedschaft im Wiener Kreis. POPPER GEHT EIN LICHT AUF Was ist Wissen? Der allwissende Tischlermeister hatte den Widerspruchsgeist Karl Poppers geweckt. Der einstige Lehrling, nunmehr frischgebackener Philosoph, wandte sich der spannendsten Seite des Wissens zu, dem Bereich, wo es umstritten ist, wo es wächst und sich weiterentwickelt: der Wissenschaft. – Wodurch zeichnet sich Wissenschaft aus? Wer sich die wissenschaftliche Weltauffassung ans Banner heftet, muss diese Frage wohl beantworten können. 222

„Erst nach meiner Promotion“, schrieb Popper, „ging mir über gewisse Dinge ein Licht auf, und einige meiner früheren Ideen fügten sich zusammen. – Meine Auffassung implizierte, dass wissenschaftliche Theorien für immer (es sei denn, dass sie falsifiziert werden) Hypothesen oder Vermutungen bleiben müssen. Diese Überlegungen führten zu einer Erkenntnistheorie, der zufolge der wissenschaftliche Fortschritt nicht darin bestand, Beobachtungen anzuhäufen, sondern darin, weniger gute Theorien zu stürzen und durch bessere zu ersetzen, insbesondere durch Theorien von größerem Gehalt.“ Popper wurde zum vehementen Gegner der Auffassung, dass die Naturwissenschaften induktive Wissenschaften seien; er bestritt, dass die Induktion, also der Schluss von einzelnen Beobachtungen auf allgemeine Aussagen, sicheres Wissen vermitteln könne. Selbst wenn Beobachtungen oder Experimente noch so oft wiederholt werden, lassen sich daraus keine allgemeinen Gesetzmäßigkeiten begründen. Dass Induktion nicht denselben logischen Status wie Deduktion hat, war natürlich auch anderen klar, so etwa Moritz Schlick, der meinte: „Induktion ist nichts als methodisch geleitetes Raten, ein psychologischer, biologischer Prozess, dessen Untersuchung nichts mit Logik zu tun hat.“ Die Induktion kann somit nicht als Kennzeichen der wissenschaftlichen Vorgehensweise dienen. Aber was dann? – Die Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft wurde zu einem Lieblingsthema von Popper. Mit pseudowissenschaftlichen Albernheiten wie Astrologie oder Alchemie gab er sich nicht lange ab, ebenso wenig wie mit Parapsychologie, der Welteislehre oder dem Rassenkampf – obwohl diese Lehren damals im Wiener Narrensaum viele Anhänger fanden. Nein, Popper suchte sich seine Gegner stets in der Schwergewichtsklasse aus. Marxismus und Psychoanalyse waren die meistdebattierten Themen im damaligen Wien; gegen sie ritt Karl Popper seine beherzten Attacken. Er wollte sie nicht als Wissenschaft zulassen. Auch der Darwinismus schien ihm eine Zeitlang suspekt. Mit etwas kasuistischem Geschick, so argumentierte er, lassen sich all diese Theorien gegen Kritik immunisieren. Gerade das aber ist es, was sie als Wissenschaften disqualifiziert. Theorien sind nichts weiter als Hypothesen, und bleiben es für immer, es sei denn, sie werden durch Beobachtungen verworfen. Für Popper stellt die Prüfbarkeit, oder Falsifizierbarkeit, eine stichhaltigere Abgrenzung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft dar, als die Methode der Induktion. Dem gegenüber stand die Mehrheitsansicht der Mitglieder des Wiener Kreises, wonach die Verifizierbarkeit von Aussagen eine Abgrenzung liefert zwischen sinnvollen und sinnlosen Sätzen. Das wiederum lehnte Popper ab. Denn erstens, die Frage, was Sinn macht, erschien ihm nur mäßig interes223

Popper Nachlass Univ. Klagenfurt

sant. Einer Person kann sinn-voll erscheinen, was die andere für völlig sinnlos hält. Und zweitens: „Verifikation“ verstand er nicht als Überprüfung, sondern als endgültige Bestätigung einer Theorie. Zwar konnte niemand im Kreis das so gemeint haben. Doch Popper ließ sich gar nicht erst auf Debatten über mögliche Missverständnisse ein. „Lass dich nie dazu verleiten, Probleme ernst zu nehmen, bei denen es um Worte und ihre Bedeutung geht“, legte er fest. Mit diesem Grundsatz wollte er die Philosophie vor der Sprachkritik retten, die er zeitlebens verachtete.

Karl und Hennie Popper, hier ohne Schreibmaschine

DIE AUSGEBLIEBENE EINLADUNG Zum ersten Förderer des jungen Denkers wurde jener Heinrich Gomperz, der einst Mach den Weg nach Wien geebnet hatte. „Er lud mich von Zeit zu Zeit in sein Haus ein“, schrieb Popper, „und ließ mich reden.“ Doch „über die Psychoanalyse waren wir uns nicht einig. Gomperz war zu jener Zeit von ihrer Richtigkeit und Wichtigkeit überzeugt, und er schrieb sogar für Imago“. So hieß die Zeitschrift Sigmund Freuds. Gomperz machte Popper mit Viktor Kraft bekannt, einem Bibliothekar der Universität Wien, der seit Langem dem Wiener Kreis angehörte; auch mit Friedrich Waismann, Schlicks Hilfsbibliothekar, befreundete sich Karl Popper. In Edgar Zilsels Wohnung hielt er seinen ersten philosophischen Vortrag. Zwar litt er an Lampenfieber, aber das hinderte ihn nicht daran, die Ansichten des Wiener Kreises erbarmungslos zu kritisieren. Popper behauptete sich wacker in der folgenden Diskussion. Das wurde registriert. Andere Gruppen, die eine Art von Hof um den Wiener Kreis bildeten, luden ihn ein. Besonders wichtig für Karl Popper wurde die Bekanntschaft mit Herbert Feigl. „Es war eine Begegnung“, schrieb Popper, „die für mein ganzes Leben entscheidend wurde“. – Denn nach einer Diskussion, die eine volle Nacht in Anspruch genommen hatte, forderte ein total erschöpfter Feigl den etwa 224

gleichaltrigen Gesprächspartner auf, seine Ideen in Buchform zu veröffentlichen. Dem war dieser Gedanke noch nie gekommen. Von Feigl abgesehen, so schrieb Popper, stemmten sich alle gegen den Buchplan; insbesondere Poppers Frau Hennie, die es vorgezogen hätte, mit ihrem Mann Ski zu fahren und bergsteigen zu gehen. Der Wienerwald und die nahe gelegenen Gipfel von Schneeberg und Rax lockten zu Ausflügen. Das schönste an Wien ist ja die Umgebung, fand Hennie. „Aber nachdem ich das Buch begonnen hatte, lehrte sie sich selbst Schreibmaschine zu schreiben, und sie hat alles, was ich seither geschrieben habe, viele Male getippt.“ Die Schreibmaschine begleitete die beiden Poppers sogar auf ihren Touren. Hennie tippte während der Rastpausen in den Gastgärten. Der ursprüngliche Titel von Poppers Buch lautete Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Diese beiden Probleme sind die Induktion und die Abgrenzung. Die beiden Antworten lauten: Induktion gibt es nicht, und die Abgrenzung wissenschaftlicher von nichtwissenschaftlichen Aussagen erfolgt durch die Falsifizierbarkeit. „Ich hatte das Buch“, schrieb Popper, „von Anfang an als eine kritische Diskussion und Korrektur der Ideen des Wiener Kreises konzipiert.“ Zunehmend wurde Popper zur „offiziellen Opposition“ des Wiener Kreises, wie Neurath anerkennend feststellte. Doch Popper blieb Externist: „Ich wurde nie eingeladen und habe mich nie aktiv um eine Einladung bemüht.“ An anderer Stelle schrieb er: „Ich war nie Mitglied des Wiener Kreises, es ist aber ein Irrtum, wenn man annimmt, dass ich deshalb nicht Mitglied des Wiener Kreises war, weil ich gegen den Wiener Kreis war. Das stimmt auch nicht. Ich wäre sehr gern ein Mitglied des Wiener Kreises geworden. Tatsache ist einfach, dass Schlick mich nicht eingeladen hat, an dem Seminar teilzunehmen. Das war nämlich die Form, in der man Mitglied des Wiener Kreises wurde.“ Das Ausbleiben einer Einladung mutet wie eine Fehlleistung von Moritz Schlick an, denn das Talent Poppers war ja inzwischen unübersehbar geworden. Doch Schlick befürchtete, dass Poppers Aggressivität und Rechthaberei der kollegialen Stimmung im Wiener Kreis schaden würde. Er hatte Popper in voller Aktion erlebt, und zwar im Gomperz-Kreis, im Dezember 1932. Vielleicht litt Popper damals wieder an Lampenfieber; doch einschüchtern ließ er sich nicht, sondern begann sofort mit einer schneidigen Attacke auf die Gedanken von Wittgenstein. Er kritisierte dessen Ansicht, dass eine Aussage nur dann sinnvoll sein kann, wenn sie einen möglichen Sachverhalt abbildet. 225

Popper Nachlass Univ. Klagenfurt Princeton Univ. Library

Gödel ist von Poppers Erstling wenig überzeugt

Wittgensteins Diktum, dass alles andere unsagbar sei, brandmarkte Popper als Unterdrückung der freien Rede und verglich sie mit der dogmatischen Haltung der katholischen Kirche. Schlicks Geduldsfaden riss. Erzürnt verließ er das Treffen. Kritik an der eigenen Person konnte er mannhaft ertragen, Kritik an Wittgenstein hingegen nicht. Auch andere irritierte die Aufdringlichkeit des jungen Lehrers. Kurt Gödel, dem man keine übertriebene Verehrung Ludwig Wittgensteins nachsagen kann, schrieb an Karl Menger: „Neulich lernte ich einen Herrn Popper (Philosophen) kennen, der eine unendlich lange Arbeit geschrieben hat, in der, wie er behauptet, sämtliche philosophischen Probleme gelöst sind. Er bemühte sich lebhaft, mein Interesse dafür zu erwecken. – Halten Sie etwas von ihm?“ Menger fand es nicht nötig, darauf zu antworten. Doch abwimmeln ließ sich Popper nicht. Als er den ersten Band seines „unendlich langen“ Buchs über die Grundprobleme der Philosophie abgeschlossen hatte, brachte er Feigl, Carnap, Schlick, Frank, Hahn, Neurath und Gomperz dazu, zumindest Teile des Manuskripts zu lesen. Der Text war eine geharnischte Abrechnung mit den Ideen des Wiener Kreises. Die Kritik ging unter die Haut – besonders dort, wo Popper recht hatte. 226

Selbst Herbert Feigl, der Popper zum Verfassen des Buches gedrängt hatte, fand, dass „das Ganze doch einen Nachgeschmack hinterließ. – Er ist uns kaum einen Schritt voraus und maßt sich dennoch an, uns von oben herab zu belehren. Sein enormes dialektisches Geschick, seine unbezähmbare Energie, seine unermüdliche Diskutiersucht (die mich manchen Nachtschlaf kostete) müssen selbst einen aufrechten Gegner schließlich tot machen. Was mir besonders unangenehm in der Erinnerung blieb, ist seine fordernde Haltung, diese Gier, jeden ‚Triumph‘ sogleich einzukassieren und mannigfach bestätigt und bekräftigt nach Hause zu tragen.“ Der besonnene Carnap erwies sich wie immer als offen für jede Kritik. Er schrieb an Schlick: „Gomperz sagt, dass in den Punkten, wo Popper mit uns (Wiener Kreis) übereinstimmt, seine Darstellung leichter zugänglich sei, und dass in den Punkten, wo Popper unsere Ansichten kritisiert, er in näherer Übereinstimmung mit den tatsächlich geübten Verfahren in der Naturwissenschaft sei. Mir scheint, dass Gomperz hiermit nicht so ganz unrecht hat. Ich selbst meine, dass wir aus den Ausführungen von Popper wirklich etwas lernen könnten.“ „Popper hat es schrecklich eilig“, stöhnte Schlick. – Aber gut: Er war bereit, Poppers Buch in die Reihe der Schriften zur Wissenschaftlichen Weltauffassung aufzunehmen. Nachdem der Verlag eine radikale Kürzung durchgesetzt hatte, erschien der Band im Jahr 1934 unter dem Titel Logik der Forschung. Nirgendwo sonst wäre Poppers Erstling damals untergekommen. Offensichtlich vermochte Moritz Schlick sehr wohl, Karl Poppers Gedanken gebührend zu schätzen – er hielt es bloß nicht aus mit ihm. Die ungekürzten Grundprobleme selbst erschienen übrigens erst mit fünfundvierzigjähriger Verspätung. „Es ist eine außerordentlich kluge Arbeit“, meinte Schlick von der Logik der Forschung, „aber ich kann sie doch nicht mit ganz reiner Freude lesen. Dabei glaube ich sogar, dass er – bei wohlwollender Interpretation – fast überall recht hat. Aber seine Darstellung erscheint mir irreführend, denn in dem unbewusstem Bestreben, seine eigene Leistung möglichst originell hervortreten zu lassen, macht er aus wirklich ganz unwichtigen, ja teilweise nur terminologischen Abweichungen von unserem Standpunkt prinzipielle Gegensätze (er hält sie wirklich dafür), und dadurch wird die Perspektive verzerrt. – Mit der Zeit wird sein Selbstbewusstsein schon geringer werden.“ Diese Vermutung gilt inzwischen als falsifiziert. 227

EIN SCHRECK FÜR SCHLICK Konnte Schlick schon Poppers Buch nicht „mit reiner Freude lesen“, so ging es ihm noch viel schlechter mit einem Manuskript über die Grundlagen der Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften, das Otto Neurath eingereicht hatte. Schlick konnte einer Veröffentlichung in der Schriftenreihe, die er betreute, unmöglich zustimmen. Seinem Mitherausgeber Philipp Frank vertraute er an: „Ich ging hoffnungsvoll an die Lektüre. – Aber was bekam ich da für einen Schreck! Ich fand die Darstellung so geschmacklos und dem Zwecke so wenig entsprechend, dass ich überzeugt bin, die Schrift würde von niemanden ernst genommen werden, außer von ganz blinden Anhängern.“ Nun ist es keine Kleinigkeit, das Buch eines geschätzten Mitarbeiters ablehnen zu müssen; schon gar nicht, wenn dieser ohnedies schon darunter leidet, von der universitären Laufbahn ausgeschlossen zu sein. Außerdem: Otto Neurath war keiner, der sich mit einem Nein zufrieden gibt. Er focht Schlicks Verdikt an, bestand auf einem schriftlichen Gutachten, und appellierte an Philipp Frank, seinen Jugendfreund und Gesinnungsgenossen. Schlick musste sich rechtfertigen „Nach gewissenhaftester Prüfung und reiflichster Überlegung“, so schrieb er an Frank, könne er nicht verantworten, dass Neuraths Buch in der Schriftenreihe erscheine, und zwar „nicht wegen der darin ausgesprochenen Meinungen – denn mit der Grundauffassung des Autors stimme ich ja sogar überein, sondern wegen der Form, die nach meiner Überzeugung dem Buch einen ganz unwissenschaftlichen und unernsten Charakter gibt. – Die Schrift ist ganz und gar auf Überredung und Propaganda eingestellt. Äußerlich zeigte sich das daran, dass – ohne Übertreibung – ungefähr die Hälfte der Sätze mit Ausrufungszeichen versehen war; und wenn man diese auch leicht durch Punkte ersetzen kann (Neurath hat das inzwischen wohl getan), so bleibt doch der exklamatorische Charakter der Sätze bestehen.“ „Fast alle Beweise“, so beschwerte sich Schlick, „verlaufen nach dem Schema: ‚Dies verhält sich so und so, denn ein Vertreter der Einheitswissenschaft auf materialistischer Basis muss zu dieser Ansicht gelangen‘ oder ‚Dies verhält sich so und so, denn die gegenteilige Ansicht wäre Metaphysik und Theologie‘. – Wenn man beinahe auf jeder Seite triumphierend verkündet, dass man ohne Gott und Engel auskommt, so ist das für den Gesinnungsgenossen höchst langweilig, auf den Gegner wirkt es dogmatisch, auf beide lächerlich.“ Zur Gereiztheit von Schlick trug noch zusätzlich bei, dass er wegen die228

ser Angelegenheit seinen Sommerurlaub hatte verschieben müssen. Neuraths Halsstarrigkeit machte nun das Maß voll. – Er hatte für Schlicks Reihe eine Begründung der wissenschaftlichen Weltauffassung versprochen und stattdessen ein Pamphlet abgeliefert. In Schlicks Gutachten stand: „Kann man sich denken, dass ein Gegner dadurch bekehrt würde? – Nur infolge einer gewissen Kindlichkeit und Weltfremdheit kann der Autor in dieser Beziehung Hoffnungen hegen. Wer auf jeder Seite gegen die Metaphysik wettern muss, erweckt beinah den Anschein, als sei er innerlich doch noch nicht ganz darüber hinaus.“ Schlick klagte in einem langen Begleitbrief Frank sein Leid: „Als ich Neurath mein Urteil im Kaffeehaus mitteilte – Sie können sich denken, dass das in der allerfreundlichsten Art geschehen ist – fand ich leider für meine Argumente überhaupt kein Verständnis, sondern er sagte sogleich, meine Ansicht ließe sich schlechterdings nur aus einem Rest bürgerlicher Vorurteile erklären, an dem ich noch kranke; und wenn er mir auch bona fide zubillige, so nannte er mich doch einen Aristokraten und hochmütig. Sollte der Verleger aufgrund meines Urteils die Publikation ablehnen, so würde er prozessieren und das Buch eventuell mit dem Vermerk herausbringen, dass ich es abgelehnt habe. Dies alles wurde übrigens recht freundlich gesagt.“ „Am nächsten Tag – gestern – hatten wir dann noch ein stundenlanges (!) Telefongespräch, das auch in durchaus freundlichem Ton geführt wurde, in dem er mir aber die schärfsten persönlichen Vorwürfe machte. Ich hätte gegen die in der Gelehrtenrepublik sonst übliche Courtoisie verstoßen, und jeder Unparteiische würde mir moralisch unrecht geben. – Ich habe kein Recht, den Zensor zu spielen, und er benutzte die Gelegenheit, mir noch einige weitere Wahrheiten zu sagen. Er warf mir nämlich unsoziales Wesen vor; ich sei zwar äußerlich höchst liebenswürdig, bewahre aber zu sehr die Distanz und ließe es an innerlichem Wohlwollen fehlen.“ Schlick schlug Frank allen Ernstes vor, Einsteins Urteil in dieser Sache einzuholen. – Obwohl, auch dagegen kamen ihm Bedenken: „Neurath würde sagen, dass Einstein eben auch schon durch den Umgang mit den Mitgliedern der Preußischen Akademie der Wissenschaften verdorben sei, oder Ähnliches von gleicher Sachlichkeit.“ Doch Philipp Frank, der seinen alten Wiener Spezi besser kannte, fand einen Weg, um Neurath zu kalmieren und die Angelegenheit ohne Gesichtsverlust für die beteiligten Parteien zu regeln. Ein erleichterter Schlick konnte 229

Carnap bald berichten, dass Neurath „ein ganz neues Manuskript einreichen wolle, das eine Einleitung in die theoretische Soziologie darstellen soll und auf das er so gut vorbereitet sei, dass er es ‚aus dem Handgelenk‘ schreiben werde.“ Seine Ausrufungszeichen ließ Neurath diesmal im Ärmel, und so konnte das neues Buch bald in der Schriftenreihe erscheinen. (Das alte, eine marxistische Kampfschrift, bleibt bis heute unveröffentlicht.) Der Sturm im Wasserglas hinterließ allerdings Spuren. Für Neurath stand fest, dass Schlick von bürgerlichen „Hemmungen“ beherrscht war. Schlick wiederum meinte: „Ich glaube nicht, dass Takt und guter Geschmack Eigenschaften sind, die man der ‚Bourgeoisie‘ überlassen sollte.“ DIE REIHE OHNE ANFANG Neuraths Empirische Soziologie erschien als fünfter Band, und Poppers Logik der Forschung als neunter Band der Schriftenreihe zur Wissenschaftlichen Weltauffassung. Diese Schriftenreihe hatte die Besonderheit, dass ihr erster Band fehlte. Bei dem abgängigen Werk handelte es sich um Friedrich Waismanns Logik, Sprache, Philosophie. Es war schon anno 1929 im Manifest des Wiener Kreises angekündigt worden, als eine „leichtfassliche Darstellung der Hauptgedanken“ von Wittgensteins Tractatus. Schlick hatte vor Langem sogar eine „Vorrede“ dazu geschrieben. Dieses Vorwort vergilbte nun in der Schreibtischlade. Friedrich Waismann gehörte zu jenen Studierenden, denen die Anregung zur Gründung des Schlick-Zirkels zu verdanken war. Er zählte zu den älteren Studenten, war gebürtiger Wiener mit russischem Vater, und hatte Mathematik und Physik belegt. Erst mit sechsundzwanzig wandte er sich, begeistert vom neu berufenen Professor Schlick, mit voller Hingabe der Philosophie zu. Moritz Schlick verschaffte ihm eine Stelle als Bibliothekar und wissenschaftliche Hilfskraft, zunächst ohne und später mit äußerst kargem Gehalt. Um sein Einkommen aufzubessern, unterrichtete Waismann an Wiener Volkshochschulen. Er trug ausnehmend klar und lebendig vor. Auch bewährte er sich sehr als Leiter von Schlicks Proseminaren. Inoffiziell wurde er schließlich mit einer Vorlesung betraut, der Einführung in das mathematische Denken. Das Thema lag ihm. Doch Dozent war er keiner, nicht einmal Doktor. Denn Friedrich Waismann konnte sich nicht dazu durchringen, eine Dissertation einzureichen oder zu einer Prüfung anzutreten. Eine sonderbare Willensschwäche lähmte ihn. Sobald Wittgenstein die ersten Kontakte mit dem Wiener Kreis zugelassen hatte, verfiel ihm Friedrich Waismann ganz und gar. Schlick ermutigte seinen Adlatus, eine Art von „Tractatus für Anfänger“ zu verfassen. 230

Institut Wiener Kreis Cambridge Univ. Archive

Hemmungen bei jeder Niederschrift: Ludwig Wittgenstein und Friedrich Waismann

Waismann war dazu bestens geeignet, hatte er doch alle Diskussionen des Kreises von Beginn an mitverfolgt. Es sprach sich unter den Wiener Studentinnen und Studenten herum, dass man bei Friedrich Waismann viel über Ludwig Wittgensteins Auffassung der Logik lernen könne. „Seine Vorsicht in der Argumentation und die straffe Art, wie er den Gang der Diskussion fördert, gefallen mir sehr“, schrieb ein Hörer, der aus Berlin zu Gast war, der junge Carl Hempel (1905-1997). Im Jänner 1928 berichtete Schlick an Carnap: „Waismann hat in einer sehr hübschen Abhandlung Wittgensteins Grundideen auseinandergesetzt.“ Doch bereits wenige Wochen später stellte Schlick richtig: „Waismanns Schrift ist leider noch nicht abgeschlossen. Es ist zu schade, dass es Waismann fast unmöglich zu sein scheint, die Hemmungen zu überwinden, die sich ihm bei jeder Niederschrift entgegenstellen; sein klarer Verstand könnte sonst wirklich außerordentlich viel leisten.“ Auch Wittgenstein schätzte Waismanns „klaren Verstand“. In dem Studenten fand er jemanden, mit dem zu sprechen sich lohnte; jemanden, der kluge Fragen stellte und zu schweigen verstand, während der Denker um die Antworten rang. Wie Wittgenstein an Schlick berichtete: „Er hat mit größter Geduld gewartet, wenn ich unter Druck, tropfenweise, Erklärungen aus mir herausgepresst habe.“ Nunmehr, da er zur Philosophie zurückgekehrt war, unterrichtete Ludwig Wittgenstein an der Universität von Cambridge. Er bezog ein Fellowship und war mithin zu einem Berufsphilosophen geworden, was ihn gelegentlich unsagbar quälte. Er tat alles, um sich von dieser Profession abzusondern. So trug er nicht in Hörsälen vor, sondern in seinen spartanischen Privaträumen im Trinity College. Bald sammelte sich eine Schar hingebungsvoller Adepten 231

um ihn. Nicht wenige davon überzeugte er, ihr Studium der Philosophie an den Nagel zu hängen. Die vorlesungsfreie Zeit, mehr als sechs Monate im Jahr, verbrachte Wittgenstein in Österreich, meist auf dem Familiensitz in der Hochreith, eine Autostunde von Wien entfernt, oder in den diversen Stadthäusern seiner drei Schwestern. Moritz Schlick und Friedrich Waismann durften ihn dann aufsuchen. Sie berichteten über diese Begegnungen in den Sitzungen des Wiener Kreises. Wittgenstein selbst hielt sich vom Zirkel weiterhin fern. Ein junger Besucher aus Übersee, der Philosoph Ernest Nagel (19011985), schrieb: „Mit Ausnahme kleiner, exklusiver Gruppen in Cambridge und Wien sind seine derzeitigen Ansichten nicht zugänglich. – In manchen Kreisen wird die Existenz von Wittgenstein mit so viel Spitzfindigkeit debattiert wie die Historizität von Christus in anderen. Aus mehreren Gründen weigert sich Wittgenstein, zu publizieren.“ Tatsächlich jedoch versuchte Wittgenstein immer wieder, seine rasch anwachsenden schriftlichen Aufzeichnungen zu ordnen und zu veröffentlichen. Tausende von Seiten mit Aphorismen stapelten sich mit der Zeit im College und bei seinen Verwandten. Doch da er seine Ansätze immer wieder selbst infrage stellte und von Grund auf umkrempelte, konnte er sein Werk genau so wenig zum Abschluss bringen wie Robert Musil seinen Jahrhundertroman, oder Hans Hahn sein Lehrbuch der Analysis – oder eben Friedrich Waismann sein Buchprojekt über Wittgenstein. Dabei schienen die Vorzeichen für Waismanns Unterfangen vielversprechend. So, wie Schlick einst der „Prophet“ von Einstein gewesen war, so könnte Waismann der Prophet von Wittgenstein werden. – Doch Wittgenstein war komplizierter als Einstein. Jedes Mal, wenn er Waismanns Manuskript zu Gesicht bekam, verlangte er drastische Änderungen, und gelegentlich wieder Rückänderungen, oder einen komplett anderen Aufbau. Allmählich stellte sich heraus, dass Wittgenstein die meisten Standpunkte im Tractatus für „überwunden“ ansah und sie daher verwarf. Das machte eine leichter zugängliche Fassung eigentlich überflüssig. Stattdessen wandte sich der getreue Waismann der Aufgabe zu, Wittgensteins gegenwärtige Position darzulegen. Dazu war er in einer einzigartigen Lage. Denn Wittgenstein führte mit ihm stundenlange Gespräche, ähnlich wie dereinst Goethe mit Eckermann. Waismann referierte darüber gewissenhaft im Wiener Kreis. Er hatte die Aussage überliefert: „Der Sinn eines Satzes ist die Methode seiner Verifikation.“ Das wurde zu einer Leitthese des Wiener Kreises. Allerdings erhob sich bald die lästige Frage: Wie verifiziert man diesen Satz? 232

Waismanns Aufzeichnungen konnten die Grundlage für ein Buch über Wittgensteins neue Philosophie bilden. Das leuchtete allen ein. Doch Wittgenstein war kaum je mit Waismanns Darstellung einverstanden, selbst wenn ihm dieser penibel nachweisen konnte, dass es sich um eine wortgetreue Niederschrift früherer Äußerungen handelte. – Immer wieder kam es bei Wittgenstein zu überraschenden Volten. Dabei hatte er gemeint: „Die Lösungen der philosophischen Fragen dürfen nie überraschen. Man kann in der Philosophie nichts entdecken.“ Allerdings fügte er hinzu: „ Ich habe das selbst aber noch nicht klar genug verstanden und habe dagegen gefehlt.“ CARNAP FIEBERT

Foto: Fleischmann, Archive Univ. Pittsburgh

Wittgenstein war nicht der einzige, der sich von den Auffassungen seiner Logisch-philosophischen Abhandlung löste. Auch bei Carnap regten sich Bedenken. Rudolf Carnap ging auf die vierzig zu. Er hatte einen hervorragenden internationalen Ruf, aber noch immer keine feste Anstellung. In den Philosophieinstituten des deutschsprachigen Raums dominierte der Idealismus: dort war der Autor der Scheinprobleme der Philosophie und der Überwindung der Metaphysik nicht willkommen. Dann jedoch bewirkte der getreue Philipp Frank, dass an der Prager Naturwissenschaftlichen Fakultät ein Lehrstuhl für Philosophie geschaffen wurde, der wie auf Carnap zugeschnitten war. Franks Argument für die Professur: Die neue Quantenmechanik versprach neue Antworten auf alte philosophische Fragen, betreffend Determinismus, Wahrscheinlichkeit, Vitalismus oder Willensfreiheit. Da konnte ein Philosoph den Physikern nützlich sein. – In gewisser Hinsicht handelte es sich bei Carnaps Berufung um eine Gegengabe: Vor einem halben Menschenalter war für einen Naturwissenschaftler aus Prag, nämlich Ernst Mach, eine philosophische Lehrkanzel in Wien geschaffen worden; jetzt kam ein Philosoph aus Wien zu den NaturwissenIn guter, bürgerlicher Ordnung: schaftlern nach Prag. Ina und Rudolf Carnap 233

Carnap trat seine Professur im Herbst 1931 an. Wien verließ er nicht gern, und der Zirkel ließ ihn nur schweren Herzens ziehen. „Ich mag an unsere Donnerstagabende ohne dich gar nicht denken“, seufzte Schlick. Und Carnap schrieb später: „Ohne den Kreis war mein Leben in Prag einzelgängerischer als in Wien.“ Immerhin, Ina Stöger hatte ihn nach Prag begleitet. Lange war debattiert worden, ob er sie dort mit den Worten „meine Frau“ vorstellen dürfe oder nicht. Das Paar lebte in wilder Ehe. Nach einigem Zögern wurde zuletzt der Konvention Tribut gezollt und geheiratet. Carnap berichtete an Schlick: „Am 8. Februar [1933] haben wir uns standesamtlich trauen lassen. Nun sind also meine Verhältnisse wieder in guter, bürgerlicher Ordnung. Da sich für uns in der Realität nichts änderte, war die Zeremonie nicht sehr bedeutungsvoll für uns; eher war es für uns und für Franks, die als Zeugen fungierten, komisch, als wir die tschechische Ansprache über uns ergehen lassen mussten, ohne ein Wort zu verstehen, und noch mehr, als wir nachher eine tschechische Formel Wort für Wort nachsprechen mussten.“ So leicht wie Esperanto lernt sich Tschechisch halt nicht. Dank häufiger Besuche blieb Carnap in engem Kontakt mit den philosophischen Freunden in Wien. Sein Tagebuch spiegelt das wider: die Tage in Prag werden oft übergangen, die in Wien strotzen von Zusammenkünften und Diskussionen. Das wichtigste Ergebnis von Carnaps Prager Zeit war die Fertigstellung seines zweiten Hauptwerks, Die logische Syntax der Sprache. Es entstand unter dem Einfluss Kurt Gödels und richtete sich gegen die Auffassung Wittgensteins, dass es unmöglich sei, über die logische Struktur von Sätzen und die Beziehung zwischen Sprache und Welt zu sprechen. Carnap war davon nicht überzeugt. Der entscheidende Durchbruch gelang noch in Wien, wenige Monate vor der Übersiedlung nach Prag. Carnap erinnert sich: „Nachdem ich über diese Probleme viele Jahre nachgedacht hatte, kam mir während einer schlaflosen Nacht im Januar 1931, als ich krank war, die genannte Theorie der Sprachstruktur und ihrer (möglichen) Anwendungen in der Philosophie wie eine Vision. Am folgenden Tag, noch mit Fieber im Bett liegend, schrieb ich meine Einfälle auf vierundvierzig Seiten nieder, unter dem Titel Versuch einer Metalogik. Diese stenografischen Aufzeichnungen waren die erste Fassung meines Buchs Logische Syntax der Sprache (1934).“ 234

Nachlass Rudolf Carnap, Pittsburgh

In der Wissenschaft gibt es keine Tiefen, meint Carnap 235

Als „logische Syntax der Sprache“ bezeichnete Carnap die formalen Regeln der Sprache, ungeachtet der Bedeutung der Symbole oder des Sinnes der Ausdrücke. Der Unterschied zwischen Syntax und Semantik, also dem Kalkül mit Zeichen und seiner inhaltlichen Interpretation, ist grundlegend für Carnaps Metalogik. Sie greift Hilberts Gedanken auf, formale Ausdrücke als Ketten von Symbolen aufzufassen, ohne auf deren Bedeutung einzugehen. Das ermöglicht es, nicht nur innerhalb eines Systems logische Schlüsse durchzuführen, sondern auch Aussagen über verschiedene Systeme zu treffen, also über Sprachen zu sprechen – „Sprachen“ im Plural. Während Wittgenstein oder Russell „die“ Sprache und „die“ Logik untersuchten, als gäbe es nur eine, erlaubt es die logische Syntax, mehrere logische Systeme miteinander zu vergleichen. Kein System hat einen Vorrang gegenüber dem anderen – ähnlich wie in der Relativitätstheorie kein Bezugssystem bevorzugt ist. Auf dieser Auffassung beruht Carnaps Toleranzprinzip – ein Prinzip, das für Mathematiker vertraut klingt: Welches System man wählt, ist Abmachungssache, eine Konvention, nicht viel anders, als welche Geometrie man untersucht. „Unser Geschäft ist es nicht, Verbote aufzustellen, sondern Abmachungen zu treffen“, schrieb Carnap. „In der Logik gibt es keine Moral. Jedem steht es frei, seine eigene Logik festzulegen, also seine eigene Sprache, nach Gutdünken. Alles, was von ihm verlangt wird, wenn er darüber sprechen will, ist, dass er seine Methoden klar angibt. “ Auch im persönlichen Umgang war der gutwillige Carnap die Toleranz in Person. Der Jungphilosoph Ernest Nagel schrieb erfreut: „Er ist einer der wenigen, denen man nicht zustimmen muss, um verstanden zu werden.“ Doch zwischen dem toleranten Carnap und dem herrischen Wittgenstein kam es zum Krach. SCHLICK TRÄGT POST AUS Für die Mitglieder des Wiener Kreises beruhte alles Wissen auf Erfahrung. Im Manifest steht darum auch zu lesen: „Es gibt nur Erfahrungserkenntnis, die auf dem unmittelbar Gegebenen beruht.“ Was aber ist das unmittelbar Gegebene? Dazu gab es im Kreis, und sogar unter den Autoren der Broschüre, geteilte Meinungen. Für Carnap waren die Sinnesdaten das unmittelbar Gegebene, so wie weiland für Ernst Mach die Empfindungen. Für Otto Neurath roch das gefährlich nach den privaten Erlebnissen von Solipsisten und anderen vom rechten Weg abgekommenen Jüngern des Idealismus. Er verstand unter dem „unmittelbar Gegebenen“ die Tatsachen der Außenwelt, nicht die Sinnesdaten – grob ver236

Archive Vienna Circle Foundation

Moritz Schlick sucht vergeblich Erholung

einfacht gesagt also nicht: „Ich sehe dort einen weißen Fleck“, sondern „Dieser Eisberg ist weiß“. Noch gröber gesagt, ein Fels ist ein Fels, auch wenn niemand dagegen stößt. Carnap war bereit, mit sich reden zu lassen. Zwar gehörten für ihn Debatten über die Wirklichkeit der Außenwelt zu den Scheinproblemen der Philosophie, aber er traute sich den Nachweis zu, dass sein Zugang und der Otto Neuraths letzten Endes auf dasselbe hinausliefen. Auch die Frage, ob das Bewusstsein einer anderen Person ähnlich wie das eigene sei, galt Carnap nur als ein Scheinproblem. Wir können grundsätzlich nicht die Verzweiflung von Herrn K fühlen, sondern nur aus seinem äußeren Verhalten schließen, dass K verzweifelt ist. Die Vorstellung, dass dieser Herr K ähnlich tickt wie man selbst, ist letztlich nicht nachprüfbar, für die Wissenschaft also entbehrlich, in anderen Worten „erkenntnismäßig sekundär“. Diese Auffassung Carnaps gefiel Otto Neurath, stand sie doch im Einklang mit seinem alten Steckenpferd, der Einheitswissenschaft. Es gibt keinen eigenen Bereich der Geisteswissenschaften. Alles, was geschieht, ist Teil der Natur, also der physischen Welt; dazu zählt auch das, was gedacht und gesagt wird. Gesellschaften, Emotionen, Gewohnheiten, Moralregeln – alles fällt unter die Naturgesetze. Laut Carnap unternahm Neurath sogar den Ver237

such, alle Begriffe der Freudschen Psychoanalyse, von A wie Angstneurose bis Z wie Zwangsvorstellung, in eine „physikalistische“ Sprache zu übersetzen. Aus diesem heroischen Unterfangen wurde zwar nichts, aber am „Physikalismus“ hielten die beiden Philosophen fest. Doch als Carnap über Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft eine Abhandlung schrieb, kam das Unheil ins Rollen. Sobald nämlich Wittgenstein der Aufsatz in die Hände fiel, geriet er in Rage. Der längst schon aus seinem Umgang verstoßene Carnap hatte sich doch glatt erfrecht, ihn nicht zu zitieren; sich selbst zitierte er aber schon, und das „mit geflissentlicher Gewissenhaftigkeit“. Wütend beschwerte sich Wittgenstein darüber bei Moritz Schlick. Der teilte es Carnap mit. Dieser verteidigte sich: Wittgenstein habe er in früheren Arbeiten häufig genug zitiert, aber im vorliegenden Fall sähe er keinerlei Anlass dazu. Schlick vermittelte die Stellungnahme an Wittgenstein. Der ließ sich dadurch nicht besänftigen. Besonders vergrämte ihn Carnaps Bemerkung, dass er, Wittgenstein, es selbst mit der Verweisung auf andere Autoren nicht so genau nehme. „Man müsste viel gedankenreicher als Carnap sein, um das schreiben zu dürfen“, zürnte Wittgenstein; und im Übrigen sei „Physikalismus“ ein scheußliches Wort. Carnap wiederum antwortete, dass wohl nur ein Psychoanalytiker Wittgensteins Heftigkeit zu erklären vermöge. Der Streit lief über den unglücklichen Schlick hinweg, der in Kärnten auf Genesungsurlaub weilte. – Ein schöner Urlaub! Er hatte den ärztlichen Rat, sich keine Post nachschicken zu lassen, in den Wind geschlagen. Jetzt fand er sich in der Lage des Zwischenträgers. Dank ist da von keiner Seite zu erwarten. Vergeblich versuchte Schlick die Verstrickungen zu lösen. „Du wirst“, schrieb er an Carnap, „zu gleicher Zeit einen Doppelbrief von Wittgenstein erhalten, den er mir verschlossen sandte mit der Bitte, deine Adresse auf dem Couvert zu ergänzen. Ich weiß ja aber genau, was darin steht, und es fällt mir schwer genug, die Rolle des Briefträgers zu spielen, nachdem ich vorher es natürlich abgelehnt hatte, dir Wittgensteins Brief an mich zu schicken, den er dir nun selber in Abschrift sendet. Du weißt, wie sehr ich euch beide schätze und kannst dir denken, welche Leiden mir die unglückselige Angelegenheit verursacht.“ Schlick fügte hinzu: „Ich stehe in mehrfacher Hinsicht vor einem Rätsel! Was für ein Glück, dass du so ein ruhiger und verständiger Mensch bist! Meine Weisheit in dieser Sache ist zu Ende.“

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KEIN STEIN BLEIBT AUF DEM ANDEREN Auch Friedrich Waismann war von der „unglückseligen Angelegenheit“ tief betroffen. Ausgerechnet Wittgenstein warf ihm vor, sein Buch nicht schon längst fertig gestellt zu haben. Begründung: Dieses Buch hätte Wittgensteins Priorität gesichert! Stattdessen habe Waismann Wittgensteins Auffassungen dem Wiener Kreis allzu freimütig mitgeteilt. Bald käme es soweit, dass Wittgensteins eigene Gedanken als Plagiat der Carnapschen angesehen würden. – „Das ist mir natürlich sehr unerwünscht“, grollte der Schwierige. Waismann war bis ins Mark verletzt. Ein paar Semester lang vermied er es ängstlich, Wittgenstein im Kreis auch nur zu erwähnen. Schlick wurde ebenfalls ungemein vorsichtig. Das hemmte natürlich den zwanglosen Gedankenaustausch im Zirkel. Ein Minenfeld hatte sich aufgetan. Doch dann schien plötzlich alles wieder heil. Im September 1933 war es in einem kleinen Ort an der Adria zu einer glücklich verlaufenden Begegnung zwischen Schlick und Wittgenstein gekommen. Wittgenstein hatte ein neues Werkzeug seines Philosophierens entdeckt, die Methode der Sprachspiele – Gedankenexperimente, die zeigen, wie sehr Begriffe und Sätze in den menschlichen Tätigkeiten beheimatet sind. Hier ein paar Beispiele: „Befehlen, und nach Befehlen handeln – Aus einer Sprache in eine andere übersetzen – Rätsel raten – einen Witz machen – Reigen singen – Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.“ Wo wäre hier eine Bildtheorie der Sprache am Platz? Jeder Versuch wäre gekünstelt. Wenn ich „Danke“ sage, kann ich damit meine Gefühle der Freude und Verpflichtung beschreiben, oder „abbilden“, wenn man so will, doch meist geht das an der Sache vorbei. Meist wird „Danke“ einfach als Werkzeug verwendet, damit unser Sozialleben flüssig dahingleiten kann, als Teil unserer „Lebensform“, um Wittgensteins Ausdruck zu verwenden – eine Form, die offen zutage liegt. Wittgenstein verwarf als Irrglauben, „dass die logische Analyse verborgene Dinge an den Tag bringt (wie es die chemische und physikalische tut). – Will man zum Beispiel das Wort ‚Gegenstand‘ verstehen, so sehe man nach, wie es tatsächlich gebraucht wird.“ Die Bedeutung eines Worts wird durch die Regeln seines Gebrauchs bestimmt, so wie die Bedeutung des Turms im Schachspiel. Ähnliches wie für Worte gilt auch für Sätze: „Sieh den Satz als Instrument an und seinen Sinn als seine Verwendung“. Das unterscheidet sich sehr vom Mantra des Wiener Kreises: „Der Sinn eines Satzes besteht in der Methode seiner Verifikation.“ Denn das gelte nur für manche Sätze; sich darauf zu beschränken, und den anderen Sätzen den Sinn abzusprechen, sei verfehlt, sei eine unzulässige Verengung des Gesichtsfelds. 239

Eine ideale Wissenschaftssprache, wie sie Carnap erstrebte, interessierte Wittgenstein noch weniger als Esperanto. Er wollte die Alltagssprache analysieren, mit all ihren verborgenen Schätzen und Tücken. Das Ziel seiner Philosophie war ein therapeutisches: „Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.“ Wieder ist es die Sprache, die uns weiterhilft: „Der Philosoph behandelt eine Frage; wie eine Krankheit.“ Und Wittgenstein vermerkte, dass seine Sprachanalyse verwandt ist mit der Psychoanalyse von Sigmund Freud. Beide bezwecken, „das Unbewusste bewusst und dadurch unschädlich zu machen.“ Neuerlich beschlossen Schlick und Wittgenstein eine Umarbeitung von Waismanns Buch – wie üblich über dessen Kopf hinweg. Er solle nun, so klagte Waismann dem mitfühlenden Karl Menger sein Leid, „eine Reihe von Beispielen konstruieren, die von den einfachsten Begriffen zu den schwierigsten in der Philosophie führen: Dann fielen einem die Lösungen der philosophischen Fragen wie die reifen Früchte in den Schoß.“ Waismann wehrte sich gegen den Auftrag. Die Idee sei zwar glänzend, aber die Durchführung enorm schwierig. – Alles Sträuben half nichts. Mitten in der Nacht wurde er zu Schlick gebeten. Dort wartete bereits Wittgenstein. – Waismann möge die Umarbeitung doch wenigstens versuchen. War das zu viel verlangt? Nur versuchen! – Naturgemäß gab Waismann nach. Doch seine Schuld solle es nicht sein, wenn das Buch spät oder gar nicht erscheinen werde, seufzte er. Seine düsteren Ahnungen trogen ihn nicht: Die Gedanken Wittgensteins entwickelten sich noch stürmischer als bisher. Immer wieder lag das Buch „druckfertig“ vor, nur um fortwährend neuen Korrekturen unterzogen zu werden. Und wessen Buch war es überhaupt? Waismann beklagte in einem Brief an Schlick, „wie schwer eine gemeinsame Arbeit ist, da er [Wittgenstein] immer wieder der Eingebung des Augenblicks folgt und das niederreißt, was er vorher entworfen hat, so dass man fast das Gefühl erhält, dass es ganz egal ist, wie man die Gedanken zusammenfügt, da ja schließlich kein Stein auf dem anderen bleibt.“ Irgendwann beschlossen Waismann und Wittgenstein, dass jeder sein eigenes Buch schreiben solle. Doch bald wurde auch dieser Plan fallen gelassen, und Waismann stand wieder allein vor der Aufgabe. Als er endlich damit zu Rande gekommen schien, beschloss Wittgenstein, das Ganze selbst noch einmal während der Sommermonate durchzuarbeiten. Neurath schrieb sarkastisch an seinen jungen Gesinnungsgenossen Heinrich Neider: „Ist die Rede des Gesalbten [Schlick] auch die des HERRN [Wittgenstein]? Was macht die Waismann-Arbeit? Wann kommt der HERR, um in den Ferien sich herabzusenken auf dies sterbliche Gebilde [Wais240

mann]. Oder wird inzwischen gar des HERRN Offenbarung erschienen sein, so dass er Waismanns Arbeit für überflüssig finden wird?“ Carnap wurde von Schlick auf dem Laufenden gehalten: „Waismanns Buch steht tatsächlich vor dem Abschluss; es sind nur noch kleine Korrekturen nötig und außerdem möchte Wittgenstein, den ich in einer Woche hier erwarte, das Buch gern mit Anmerkungen versehen.“ Doch zwei Wochen später hieß es: „Meine letzte Mitteilung über Waismanns Buch muss ich korrigieren: Wittgenstein will im Laufe dieses Monats nur eine detaillierte Disposition ausarbeiten, und Waismann soll dann das Skelett mit Fleisch bekleiden – ich beneide ihn nicht um die Arbeit.“ Immer wieder kam es zu neuen Wendungen. Schlick an Carnap: „Die letzte Entwicklungsphase des Waismannschen Buches ist die, dass es gar nicht von ihm, sondern von Wittgenstein selbst geschrieben werden wird! Ich weiß noch nicht, wie Waismann diese neue Wendung aufnimmt, da ich ihn nur telefonisch sprechen konnte. Ich bitte dich, vorläufig noch nichts darüber zu sprechen, da dies möglicherweise nicht die letzte Phase der Angelegenheit ist und ohnehin schon so viel Gerüchte über das unglückliche Buch verbreitet worden sind.“ Waismann war also ausgebootet. Doch Schlick hatte recht gesehen: Es sollte nicht „die letzte Phase der Angelegenheit“ sein – noch längst nicht. Wittgenstein resümierte unterdessen ungerührt: „Es ist des Teufels, mit mir zu arbeiten.“ Die Aufzeichnungen von Waismann erschienen erst Jahrzehnte später, lange nach Wittgensteins Tod.

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ZEHNTES KAPITEL

… und dann kommt die Moral Wien 1933: Demokratie wird abgeschafft. Showdown mit Berlin. Schlick prophezeit Untergang. Menger propagiert wertfreie Ethik. Wirtschaftswissenschaftler verwirft Wirtschaftsprognosen. Arbeitsloser Mathematiker entdeckt wirtschaftliches Gleichgewicht. Schlick findet Sinn des Lebens: die Jugend. „Sei glücksbereit“, rät er. Hält Ethik für Wissenschaft, nicht Philosophie. Ex-Student verfolgt Schlick, kündigt Mord an.

DIESE GEWISSE LANGSAME TAKTIK Ein ehemaliger Mitschüler Ludwig Wittgensteins hatte es zum deutschen Reichskanzler gebracht, und wollte es damit nicht genug sein lassen. Ganz oben auf der Wunschliste Adolf Hitlers stand die Einverleibung seiner österreichischen Heimat ins Deutsche Reich. Nach der Machtergreifung im Januar 1933 in Berlin wurde es ernst mit dieser „Heimführung“. Auch in Österreich hatte die Nationalsozialistische Partei im vorangegangenen Jahr stark an Stimmen gewonnen. Die regierenden Christlich-Sozialen stützten sich auf die kleinstmögliche parlamentarische Mehrheit. Im Nationalrat hatten sie, zusammen mit den Splitterparteien von Landblock und Heimatblock, nur eine Stimme mehr als die Opposition. Die beiden führenden Politiker der Rechten, Ignaz Seipel und Johann Schober, waren innerhalb eines Monats verstorben. Der neue österreichische Kanzler, Engelbert Dollfuß (1892-1934), erwies sich als kein wirklich überzeugter Demokrat. Er entdeckte einen Passus in der Verfassung, der es ihm erlaubte, mit Notverordnungen zu regieren und sich so die Parlamentsdebatten, die gelegentlich in Tumulte ausarteten, zu ersparen; die Grundlage dazu lieferte ein fast vergessenes Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz. Schon Otto Neurath hatte erkannt, dass die Mechanismen der Kriegswirtschaft bedeutende Möglichkeiten für die Politik bargen. Jetzt wurden sie von Dollfuß ausgenutzt – mit völlig anderen Zielen als Neurath im Aug gehabt hatte. 242 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_10

Auch in Deutschland wurde die Verfassung mit Notverordnungen ausgehöhlt. Der Berliner Reichstagsbrand lieferte Hitler dafür Ende Februar 1933 einen willkommenen Vorwand. Die knapp darauf folgenden Wahlen in Deutschland brachten ihm fast 44 Prozent der Stimmen. Rasch gelang es den Nationalsozialisten, die Opposition zu beseitigen. Fast zeitgleich, aber auf völlig andere Weise wurde in Österreich das Parlament ausgeschaltet. Den Anlass dazu lieferte eine beinah skurrile Geschäftsordnungspanne. Im Zuge einer Abstimmung über die strafrechtliche Verfolgung von streikenden Eisenbahnern gab der Parlamentspräsident Karl Renner seinen Vorsitz zurück, um mitstimmen zu können; es kam ja auf jede Stimme an. Im Gegenzug trat prompt der zweite Präsident, der zur anderen Fraktion gehörte, auch zurück. Der dritte tat es ihm nach, ohne viel nachzudenken. – Jetzt hatte also das Parlament kein Präsidium mehr. Ratlosigkeit machte sich breit. Niemand konnte Sitzungen schließen, vertagen oder einberufen. Die Abgeordneten gingen verstört nach Hause. Für Engelbert Dollfuß war diese üble Posse „ein Fingerzeig Gottes“: Das Parlament, verkündete er, habe sich selbst unmöglich gemacht. Am nächsten Tag hinderte ein Polizeiaufgebot die Abgeordneten am Betreten des Gebäudes, auf einen Fingerzeig wohl nicht Gottes aber des Kanzlers hin. Jetzt lief alles wie von selbst. Die Regierung verfügte Pressezensur und Versammlungsverbote, der paramilitärische Schutzbund wurde aufgelöst. Die Sozialdemokraten mussten Schritt für Schritt weichen. Selbstzufrieden meinte Dollfuß: „Nichts geht den Sozis mehr auf die Nerven als diese gewisse, langsame Taktik.“ Doch die Nazis waren gefährlicher als die Sozis. Sie verlangten Neuwahlen in Österreich. Darauf wollte es Dollfuß auf keinen Fall ankommen lassen. Man musste kein Demokrat sein, um die Nazis zu fürchten. Dollfuß schob den Anführer der österreichischen Nationalsozialisten nach Bayern ab. Im Gegenzug verhängte Hitler die sogenannte TausendMark-Sperre: Diese Summe musste fortan jeder Reichsdeutsche für die Genehmigung einer Reise nach Österreich zahlen. Deutsche Gäste blieben aus. Das brachte den Tourismus zum Erliegen, eine der wichtigsten Einkommensquellen des Landes. Eine Terrorwelle schwappte über Österreich. Täglich wurden Brücken und Stromleitungen, Bahngeleise oder Telefonzellen gesprengt. Bomben gingen in Cafés und Geschäften hoch. Hitlers Sturmtruppen lösten erbitterte Saalschlachten aus. Dollfuß fiel nichts Gescheiteres ein, als Schutz und Rat bei Mussolini zu suchen – und tatsächlich bot sich kaum eine andere Alternative. Neben dem Duce wirkte Dollfuß beinahe rührend zerbrechlich. Er hatte sanfte Augen und war klein, aber er zweifelte nicht daran, seiner Aufgabe gewachsen zu 243

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sein. Er verbot in Österreich die Nationalsozialistische Partei, gründete eine „Vaterländische Front“, mit sich selbst als ihrem „Führer“, entwarf ein sogenanntes Kruckenkreuz als Gegenstück zum Hakenkreuz, und gab beim nächsten Katholikentag im September 1933 die Richtung vor: „Die Zeit kapitalistischer, liberalistischer Wirtschaftsordnung ist vorüber! Die Zeit marxistischer, materialistischer Volksverführung ist gewesen! Die Zeit der Parteienherrschaft ist vorbei! Wir lehnen Gleichmacherei und Terror ab. Wir wollen den sozialen, christlichen, deutschen Staat Österreich auf ständischer Grundlage unter starker, autoritärer Führung!“

Die „ständische Grundlage“ entwickelte Othmar Spann (1878-1950), Professor für Nationalökonomie an Dollfuß und Duce der Wiener Universität. In seinem Werk Der wahre Staat verkündete er, dass die Gesellschaft in Wahrheit nicht horizontal gegliedert sei, nach Klassen, sondern vertikal, nach Berufsständen. Außerdem sei das Ganze wichtiger als der Einzelne und mehr als die Summe der Teile. Unter den nationalen und katholischen Studierenden fand Spann begeisterten Anhang. Nicht wenige gehörten zum Studentenfreikorps, das sich regelmäßig blutige Handgemenge mit nationalsozialistischen Gruppen lieferte, vorzugsweise beim samstäglichen „Bummel“ im Arkadenhof der Universität. Vorlesungen wurden unterbrochen, Hörsäle verwüstet, Gänge beschmiert. Wegen der Unruhen musste die Universität immer wieder gesperrt werden. Der Wiener Kreis tagte trotzdem weiter. Menger und Hahn, die Schlüssel für die verwaisten Räumlichkeiten des riesigen Universitätsgebäudes besaßen, ließen die Mitglieder herein. Das menschenleere Haus war eine Oase der Stille. Draußen hallten Sprechchöre durch die Straßen. 244

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Flucht aus der Universität, 1933

EXTRABLATT „Im Jahr von Hitlers Machtergreifung“, schrieb Karl Menger in seinen Erinnerungen, „wurde das Leben in Wien zeitweise unerträglich. Die Zeitungen brachten rund um die Uhr Extraausgaben. Zeitungskolporteure liefen durch die Straßen und boten die neuesten Auflagen an. Gruppen von jungen Menschen, oftmals mit Hakenkreuzbinden, zogen durch die Gassen und sangen Nazilieder. Dann und wann marschierte eine der verfeindeten paramilitärischen Gruppen über die breiten Boulevards. Es war mir fast unmöglich, mich zu konzentrieren, und ich stürzte stündlich vors Haus, um das neueste Extrablatt zu erwerben. An einem dieser Tage traf ich Dr. Schlick und seine Frau in einer Straßenbahn. ‚Es ist unmöglich, sich zu konzentrieren‘, sagte Schlick. ‚Ich lese von früh bis spät die Extrablätter.‘ “ Menger fügte hinzu: „Es war traurig, zu beobachten, wie Schlicks ruhige Heiterkeit allmählich verschwand. In einem unserer Gespräche sagte er, dass seiner Meinung nach Hitler den Untergang des deutschen Volkes bedeutete.“ 245

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Die Bücherverbrennungen hatten in Deutschland bereits begonnen. Dort wurden jüdische Geschäfte boykottiert und jüdische Beamte auf die Straße gesetzt. Albert Einstein gehörte zu den ersten Vertriebenen; nach Hitlers Machtübernahme war er von einer Reise nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Er verlor die deutsche Staatsbürgerschaft per sogenannter Strafausbürgerung. Ein beispielloser Exodus der Wissenschaft hob an. Als der preußische Unterrichtsminister den alternden David Hilbert fragte, ob denn sein Göttinger Institut unter dem Wegfall der „Juden und Judenfreunde“ leide, antwortete Hilbert: „Nee – das Institut ist tot.“

Martin Heidegger wird deutlich

Zu den zwangspensionierten Hochschulprofessoren in Deutschland gehörten Hans Reichenbach (1891-1953) und Richard von Mises. Reichenbach war das Haupt der Berliner Gesellschaft für wissenschaftliche Philosophie und gemeinsam mit Carnap Herausgeber der Zeitschrift Erkenntnis. Nach seiner Vertreibung wurde er Professor an der Universität von Istanbul. Auch Richard von Mises verschlug es, wie Reichenbach, nach Istanbul ins Exil. Sein Berliner Institut für angewandte Mathematik übernahm jetzt der gebürtige Wiener Theodor Vahlen, ein fanatischer Nationalsozialist, der sich daran machte, eine „Deutsche Mathematik“ aufzubauen. In der Türkei schrieb unterdes Richard von Mises Ein kleines Lehrbuch des Positivismus. Es war gar nicht klein, und trug stolz das Wort „Positivismus“ im Titel, das unter Deutschlands Philosophen längst zu einem Unwort geworden war. In Freiburg wurde Martin Heidegger Rektor der Universität, hielt im Braunhemd Vorlesungen und zelebrierte seinen Beitritt zur NSDAP. Heidegger verkündete: „Adolf Hitler, unser großer Führer und Kanzler, hat durch die nationalsozialistische Revolution einen neuen Staat geschaffen, durch den das Volk sich wieder eine Dauer und Stetigkeit seiner Geschichte sichern soll.“ Im Kampf gegen die Nationalsozialisten wollte Schlick Stellung beziehen. Er sandte an Österreichs Bundeskanzler Dollfuß, „gedrängt von einem Herzenbedürfnis, Glückwünsche zum bisherigen Wirken.“ 246

Schlick schrieb an Dollfuß: „Sie haben, hochverehrter Herr Bundeskanzler, richtig erkannt, dass der Geist, der in Deutschland als Folge der Nachkriegsleiden gegenwärtig zur Herrschaft gelangt ist, nicht der wahre deutsche Geist ist, wie er in den Großen der Nation verkörpert war, und dass man daher der Gesamtheit des deutschen Volkes und der ganzen Welt am besten dadurch dient, dass man die Ausbreitung dieses Geistes verhindert.“ Schlick schloss mit der Versicherung seiner aufrichtigsten Ergebenheit. Es war eine Solidaritätsbekundung. Damals sahen nicht wenige Liberale und Konservative, einschließlich Karl Kraus und Sigmund Freud, in der Vaterländischen Front des sogenannten „Ständestaats“ das letzte wirksame Bollwerk gegen Hitler. In Dollfuß erblickte Kraus „den kleinen Retter aus der großen Gefahr“; Freud meinte, dass „nur der Katholizismus uns gegen den Nazismus schützt“. Auch die Nationalsozialisten sahen das so. Ein „Illegaler“ schoss vor dem Parlament auf Engelbert Dollfuß. Er verletzte ihn lediglich. Das Gericht bestätigte dem Attentäter „geistige Minderwertigkeit“ – es setzte daher nur fünf Jahre Haft. Die Regierung führte, sobald Dollfuß wieder auf den Beinen war, das Standrecht ein, Todesstrafe mit inbegriffen. KOMBINATORISCHE ETHIK Karl Menger fiel es schwer, sich angesichts dieser allgegenwärtigen Konflikte der reinen Mathematik zu widmen. Um ihn herum wurde die Gesellschaft zerrissen, und jeder glaubte, im Recht zu sein. Zunehmend interessierte sich Menger für Fragen der Ethik. Sollten sich nicht dort Antworten finden lassen, wie mit den Konflikten umzugehen sei? Das war doch die Domäne der Ethik. Ohne Interessenskonflikte bräuchte es keine Moral. Viele Mitglieder des Wiener Kreises waren der Auffassung, dass es nicht möglich sei, wissenschaftlich haltbare Aussagen über ethische Werte zu machen. Es gibt in der Welt keinen Wert, hatte Wittgenstein geschrieben; und wenn es ihn gäbe, so hätte er keinen Wert. Darum könne es auch keine Sätze der Ethik geben (Tractatus, 6.24). Doch Menger versuchte eine wertfreie, eine formale Ethik zu entwerfen; eine, die zur traditionellen Ethik in demselben Verhältnis steht wie die formale Logik zur traditionellen Logik. Mit Mathematik sollte sich da etwas machen lassen. Ähnlich wie Robert Musil vertrat Menger die Auffassung, dass es „gewisse Zusammenhänge zwischen mathematischem und moralischem Denken gibt“. 247

Mengers Ansatz war nicht neu. Schon Kant hatte einen formalen, auf reiner Vernunft beruhenden Zugang zur Ethik gesucht. Doch Menger befand, dass Kants kategorischer Imperativ die Vielfalt der Standpunkte in einer Gesellschaft nicht berücksichtigt. Wenn Kant sagt: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ , so bleibt einiges offen. Was ist zum Beispiel zu tun mit jenen, die andere Gesetze wollen? Wann sind die „gewollten Maximen“ miteinander verträglich, wann nicht? Jahrzehnte später beschrieb Menger seine damalige Situation: „Während es die politische Lage in Österreich sehr schwierig machte, sich auf die reine Mathematik zu konzentrieren, drängten sich sozialpolitische und ethische Fragen jedem fast täglich auf. In meiner Sehnsucht nach einer übergreifenden Weltauffassung fragte ich mich, ob manche Antworten nicht durch exaktes Denken erzielt werden könnten.“ Während einer sechswöchigen Unterbrechung des Vorlesungsbetriebs aufgrund der Tumulte an der Universität zog sich Menger im Herbst 1933 nach Prein am Fuß des Raxgebirges zurück, einem beliebten Ausflugsziel der Wiener. Im Schatten einer mächtigen Felswand schrieb er dort ein kurzes Büchlein über Moral, Wille und Weltgestaltung. Der Untertitel: Grundlegung zur Logik der Sitten. Für die Einleitung wählte Menger die Form eines Briefes: „Du drückst mir dein Erstaunen aus, lieber Freund, mich in Untersuchungen über ethische Probleme verwickelt zu finden. Tatsächlich beschäftigen mich diese Fragen schon seit Langem. Dass ich aber neben diesem Interesse die ganze Zeit hindurch den exakten Wissenschaften so intensiv (ja dem Anschein nach völlig) hingegeben war, das hatte außer der Anziehungskraft dieser Wissensgebiete selbst seinen Grund eben darin, dass mathematisch-logisches Forschen mir als eine unerlässliche Schulung für alle Zweige geistiger Betätigung erscheint und ganz vorzüglich auch, so sonderbar dich dies dünken mag, für die Behandlung der Fragen der Moral.“ Die nach Erkenntnissen über die Sittlichkeit suchende Ethik, schreibt Menger, hat es als eine ihrer Hauptaufgaben betrachtet, nach dem „Begriff des Sittlichen“ zu forschen, Einsicht in das „Wesen des Guten“ zu erlangen, „die Umschreibung der Pflichten“ zu liefern, oder „das Prinzip der Tugend“ aufzudecken. Das alles wollte Menger getrost den Philosophen überlassen. „Ich nun werde mich mit keiner dieser Fragen beschäftigen.“ 248

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Preiner Wand und Karl Menger

Womit sich Menger vielmehr beschäftigte, war die formale Verträglichkeit verschiedener sittlicher oder rechtlicher Normen. „Moralen werden gleichsam identifiziert mit den Gruppen der ihnen […] anhängenden Menschen.“ Das führte zu einem kombinatorischen Kalkül. Akute weltanschauliche Fragen vermied Menger aufs Peinlichste: als Beispiele wählte er Meinungsverschiedenheiten zwischen Rauchern und Nichtrauchern, die damals noch wenig Erregung erzeugten. – Es ging Menger um die soziale Ordnung in Gesellschaften, deren Individuen diverse Standpunkte vertraten. Es ging ihm nicht um eine Bewertung der Standpunkte selbst. Er ging der Frage nach: Welche Gruppierungen sind verträglich, und welche nicht? In gewisser Hinsicht ging es Menger um eine Übertragung des Toleranzprinzips auf die Ethik. Mengers Buch fand zunächst wenig Anklang, selbst innerhalb des Wiener Kreises. Der gekünstelte Stil – teils in Briefform, teils als Dialog – und die Vermeidung jeglichen Werturteils passten so gar nicht zum Geist der Zeit. Aus dem Institute for Advanced Study in Princeton fragte Oswald Veblen höflich an, ob denn dieses Gebiet hinreichenden Spielraum für einen Mathematiker von Mengers Kaliber böte. Weniger höflich schrieb Georg Nöbeling, dass ihn „die ganze Formulierung der Frage mit Abscheu“ erfülle. – Nöbeling, einst der Lieblingsschüler von Menger, war zu dessen Entsetzen ins nationalsozialistische Deutschland zurückgekehrt, um in Frankfurt eine Professur anzunehmen. Menger sah darin einen erbärmlichen Verrat. Es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt, um ethische Fragen mithilfe von „sozialer Logik“ zu behandeln. Anwendungen auf die Wirtschaft hingegen erwiesen sich als viel eingängiger. Menger hatte dies vorausgeahnt, als er schrieb: 249

„Man könnte ja ähnliche [auf individuellen Entscheidungen beruhende] Gruppen auch nach […] wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zusammenfassen – Letzteres wäre übrigens vielleicht für die Theorie des wirtschaftlichen Handelns gar nicht so nutzlos.“ Bei Mengers Freund, dem gleichaltrigen Ökonomen Oskar Morgenstern (1902-1977), stieß das auf offene Ohren. „MORGENSTERN/ARIER“

Bald wechselte Morgenstern von den romantischen Spinnereien eines Spann zur Grenznutzentheorie und wurde Assistent beim Nachfolger Wiesers. Oskar Morgenstern war als Mittelschüler ein schwacher Mathematiker gewesen und hatte eine Klasse repetieren müssen. Aber ab der Matura ging alles im Eiltempo. Schon nach sechs Semestern erwarb er den Doktortitel und obendrein ein dreijähriges Reisestipendium von der RockefellerStiftung. Morgenstern war überzeugt von der Wichtigkeit der mathematischen Methoden in den Wirt250

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Oskar Morgenstern war zwar gebürtiger Preuße, aber gehörte zur nunmehr bereits vierten Generation der österreichischen Schule der Nationalökonomie. Da die Zählung bei Carl Menger beginnt, war es nur natürlich, dass den Worten von dessen Sohn Karl besonderes Gewicht zuerkannt wurde. In seinen ersten Semestern an der Wiener Universität war Morgenstern in den Dunstkreis von Othmar Spann geraten, also den sogenannten „Spannkreis“. Der junge Morgenstern studierte Fichte, Schelling und Hegel. Er pflegte also einen dubiosen Umgang. Außerdem war er Antisemit. Die Vorlesungen von Friedrich von Wieser (dritte Generation) verärgerten ihn: „Sollte er Jude sein oder Halber, oder liberal?“, fragte er sich in seinem Tagebuch. Gar so liberal war Wieser übrigens nicht: Er bewunderte Mussolini. Doch in erster Linie benahm sich Wieser, wie Morgenstern später schrieb, wie ein „Aristokrat der alten Schule“ aus der einstigen Donaumonarchie. Auch Oskar Morgenstern hatte blaues Blut in den Adern – gewissermaßen preußisch-blaues: Seine Mutter war eine uneheliche Tochter des Hohenzollern-Kaisers Friedrich III.

Oskar Morgenstern auf Mengers Spuren

schaftswissenschaften. Mathematik spielt allerdings weder im Spannkreis noch in der österreichischen Schule der Nationalökonomie eine Rolle. Der sprachgewandte Morgenstern reiste daher nach England, in die USA, nach Frankreich und Italien, um Wirtschaftsmathematik zu lernen. Als er zurückkam, reichte er um die Habilitierung ein. Othmar Spann wollte das hintertreiben. Er brachte das Gerücht auf, Morgenstern sei jüdischer Herkunft. Der Name machte das ja einigermaßen plausibel. Ein jüdischer Freund Morgensterns hatte ihm sogar scherzhaft geraten, seine Arbeiten stets mit: „Morgenstern/Arier“ zu signieren, um Missverständnisse gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Spannsche Intrige scheiterte, doch kurierte die Episode Oskar Morgenstern ein für alle Mal von antisemitischen Anwandlungen. In Wien stieß Morgenstern nun zu den Kreisen um Ludwig von Mises (dritte Generation) und Friedrich von Hayek (vierte Generation). Ludwig von Mises (1881-1973) war der Bruder des angewandten Mathematikers und Philosophen Richard von Mises. Er galt als noch arroganter als Richard. Die Brüder vertrugen sich schlecht. Friedrich Hayek (1899-1992) kam ursprünglich auch aus dem Spannkreis, doch hatte er sich davon gelöst, noch ehe Morgenstern dazu gestoßen war. Er war ein entfernter Verwandter von Wittgenstein. Jetzt leitete er den sogenannten Geist-Kreis, den auch Felix Kaufmann und Karl Menger frequentierten, zwei Mitglieder des Schlick-Zirkels. – Um keinem Kreis anzugehören, musste man als Wiener damals geradezu Einsiedler sein. Sowohl Hayek als auch Mises waren Liberale reinsten Wassers und vehemente Gegner der Vollsozialisierung eines Otto Bauer oder Otto Neurath. Ludwig von Mises sonnte sich in der Selbstgewissheit, den Bolschewismus in Österreich verhindert zu haben: „Es war einzig und allein mein Verdienst“, hielt er in seinen Erinnerungen fest. Die Wirtschaftskrise, fügte er in einem Anfall von Bescheidenheit hinzu, habe er freilich nicht verhindern, sondern nur um zehn Jahre hinauszögern können. – Ludwig von Mises vollbrachte diese gewaltigen Taten in der Finanzabteilung der Handelskammer von Wien. An der Universität fand sich keine Stelle für ihn. Friedrich Hayek war der Direktor des neugegründeten Instituts für Konjunkturforschung. Ihm imponierten die Kenntnisse, die sich Morgenstern im Ausland erworben hatte, und er heuerte ihn an. Als Hayek 1931 einem Ruf an die London School of Economics folgte, wurde Morgenstern sein Nachfolger als Direktor des Wiener Instituts. Im selben Jahr brach Österreichs größte Bank zusammen, die Creditanstalt, und löste damit eine schwere Währungskrise aus. Finanzskandale und Korruptionsaffären häuften sich. Die Zahl der Arbeitslosen kletterte immer höher. Vom Institut für Konjunkturforschung aus verfolgte Morgenstern das Desaster in allen Einzelheiten. 251

Franz Alt

Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler

Zu den wichtigsten Aufgaben von Morgensterns außeruniversitärem Institut zählte die Erstellung eines Konjunkturbarometers, das Wirtschaftsprognosen ermöglichen sollte. Dies erschien einigermaßen paradox, denn wie in Fachkreisen wohlbekannt, vertrat Oskar Morgenstern die Ansicht, dass Wirtschaftsprognosen grundsätzlich unmöglich seien. Diese Auffassung hatte er auch zur zentralen These seiner Habilitationsschrift gemacht. Morgensterns Argument lautete: Auf jede Prognose würden die Wirtschaftstreibenden reagieren; das müsse in der Prognose berücksichtigt werden; das wiederum würde von den Wirtschaftstreibenden ins Kalkül gezogen; und so fort, in einem unendlichen Regress. – Wirtschaftsprognosen seien eben etwas anderes als Wetterprognosen. Letztere lassen das Wetter unbeeinflusst, die Atmosphäre reagiert darauf nicht. Die Wirtschaft hingegen reagiert auf Voraussagen. Diesen Aspekt zu berücksichtigen, führe in einen Teufelskreis, laut Morgenstern: Die Lage gleicht einem Schachspiel, wo jeder Spieler die Züge des anderen zu antizipieren versucht und weiß, dass der andere es seinerseits auch tut. Gelegentlich bemerkte Morgenstern leichthin, dass man seine, Morgensterns, Einsicht in die wirtschaftliche Unvorhersehbarkeit als Gegenstück 252

zu Gödels Unvollständigkeitssatz auffassen könne. Wirtschaftliches Gleichgewicht wäre nicht mit perfekter Voraussicht verträglich. Erst später erfuhr er, dass John von Neumann in einer Arbeit über Gesellschaftsspiele schon im Jahr 1930 einen Ausweg aus dem Teufelskreis des wechselseitigen Antizipierens entdeckt hatte: Prognosen über die Wahrscheinlichkeit dieses oder jenes Ereignisses sind verträglich mit einem Gleichgewicht, von dem abzuweichen keinem Beteiligten Vorteile bringt. Das Resultat John von Neumanns verfestigte Morgensterns Glauben an den Nutzen der Mathematik für die Ökonomie. Er schrieb einen Aufsatz über Logistik und Sozialwissenschaften. Drei Seiten davon widmete er der axiomatischen Methode, die David Hilbert in der Geometrie vorexerziert hatte. Dergleichen fehle in den Wirtschaftswissenschaften, meinte Oskar Morgenstern. Er sah es als seine Lebensaufgabe an, auf ökonomische Probleme „wirklich exaktes Denken und wirklich exakte Methoden“ anzuwenden. Jetzt bereute er bitterlich, soviel Zeit mit Fichte, Schelling und Hegel verschwendet zu haben. Doch damit war es vorbei. Jetzt besuchte Morgenstern die Sitzungen des Wiener Kreises und trug dort auch über Vollständige Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht vor. „WIEDER MATHEMATIK-STUNDE“ Karl Menger erwies sich für Morgenstern als idealer mathematischer Gesprächspartner: „Gestern Mittag aß ich mit Karl Menger im Deutschen Haus. Nach längerer Pause seit unserem letzten Zusammensein diskutierten wir gleich 2 ½ Stunden. Er hat den Aufsatz über Voraussicht genau gelesen, stimmt zu und will, dass ich mich weiter mit diesen interessanten Fragen beschäftige.“ Menger wiederum hatte schon als Zwanzigjähriger, also 1922, einen Aufsatz Über die Rolle der Ungewissheit in der Nationalökonomie geschrieben. Der Aufsatz landete damals in der Schublade, denn der Herausgeber der Zeitschrift für Nationalökonomie hatte Menger eindringlich davon abgeraten, seine Arbeit zur Veröffentlichung einzureichen. Dieser Schritt des Herausgebers hatte dessen Assistenten sehr gewurmt. Er sah darin einen weiteren Beweis der Unfähigkeit seines Vorgesetzten. – Der damalige Assistent hieß Oskar Morgenstern. Jetzt war er selbst Herausgeber der Zeitschrift, und genoss die Befriedigung, Mengers vor zehn Jahren verfasste Arbeit in den Druck zu geben. – Die Zeiten hatten sich geändert! Morgenstern lud, um das deutlich zu machen, Karl Menger dazu ein, einen Vortrag vor der Gesellschaft für Nationalökonomie zu halten. Menger benutzte die Gelegenheit, um den schlampigen Umgang der Wirtschaftswissenschaftler mit mathematischen Methoden zu kritisieren. Er las ihnen, wie Joseph Schumpeter später schrieb, die mathematischen Leviten. 253

Franz Alt Robert Wald

Arbeitslose Mathematiker finden in der Wirtschaft etwas zu tun: Abraham Wald und Franz Alt

Auch sonst ließ Morgenstern seiner Begeisterung für exakte Methoden ungehemmten Lauf. Sein Institut organisierte Kurse über Mathematik für Nationalökonomen. Karl Menger trug darin vor, und dessen ehemalige Studenten Franz Alt und Abraham Wald betreuten die Übungen. Für die zwei jungen Arbeitslosen waren das mehr als willkommene Einkünfte. Beide begannen sich für wirtschaftstheoretische Fragen zu interessieren, und beide schrieben Arbeiten, die später in den Kanon der mathematischen Ökonomie aufgenommen wurden. Beide mussten nach dem „Anschluss“ aus Österreich fliehen und beide konnten dank ihres ökonomischen Renommees schnell in Amerika Fuß fassen – weit schneller, als es ihre Beiträge zur Geometrie hätten bewirken können. Franz Alt verfasste im Jahr 1936 eine kurze Arbeit zur Messbarkeit der Nutzenfunktion. Deren Hauptaussage war: Was auch immer die Vorlieben und Abneigungen eines Menschen sind, sie lassen sich durch Zahlenwerte auf einer Skala beziffern. Einer Wissenschaft, die exakt sein möchte, tut so eine Botschaft natürlich gut. Die sogenannte Nutzentheorie ist heute ein eigener Zweig der Ökonomie. Abraham Walds Beitrag erwies sich als noch einschneidender. Léon Walras, das französische Gegenstück zu Carl Menger, dem Vater, hatte dereinst Gleichungen für die Preise und Mengen von Gütern aufgestellt. Der Wiener Bankier Karl Schlesinger, der bei Abraham Wald mathematische Nachhilfestunden nahm, hatte an diesen marktwirtschaftlichen Gleichungen einiges auszusetzen, und trug darüber im Mathematischen Kolloquium von Karl Menger, dem Sohn, vor. Wenn, so Schlesinger, ein Gut im Überschuss vorhanden ist, dann kostet es nichts, auch wenn es noch so lebenswichtig ist. Luft, beispielsweise, kostet 254

nichts. Berücksichtigt man das, so erhält man anstelle der Gleichungen ein System von Gleichungen und Ungleichungen. Abraham Wald setzte diese Überlegungen fort und bewies im Jahr 1937 die Existenz eines wohlbestimmten Preisgleichgewichts. Walds Arbeit regte John von Neumann an, seine eigene Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichts zu veröffentlichen. All diese Resultate erschienen in Mengers Ergebnissen eines Mathematischen Kolloquiums. Ein neues Fach tat sich auf. Ab den Fünfzigerjahren dominierte die allgemeine Gleichgewichtstheorie die Wirtschaftswissenschaften, und wurde geradezu zu einem Brutkasten für Nobelpreise. Auch für die Wahrscheinlichkeitslehre leistete Wald Entscheidendes. Das Wort „wahrscheinlich“ ist vieldeutig. Man wusste mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen, aber eine feste mathematische Grundlage fehlte noch. Hilbert hatte sie bereits im Jahr 1900 in seiner Liste von 23 Problemen eingefordert. Richard von Mises hatte sich daran versucht. Er konzentrierte sich auf Massenerscheinungen, etwa das immer wiederholte Werfen einer Münze. Das Ergebnis ist eine zufällige Folge von „Kopf“ oder „Adler“ oder, wenn man so will, eine Folge von Nullen und Einsen. – Wenn umgekehrt eine solche Folge gegeben ist, so fragte Richard von Mises, wie sieht man ihr an, ob sie zufällig ist? Offenbar müssen die Nullen und Einsen ungefähr gleich oft vorkommen. Aber das ist auch bei der periodischen Folge 0,1,0,1,0,1,0,1,… der Fall, die man nicht als Zufallsfolge ansehen wird. Sie ist viel zu regelmäßig: Die Teilfolge der jeweils zweiten Zahl besteht aus lauter Einsen. Sollte nicht auch in allen Teilfolgen Null und Eins gleich oft vorkommen? Das ist zu viel verlangt, wie sich herausstellte, solche Folgen gibt es nicht. Doch Abraham Wald konnte zeigen, dass es möglich ist, eine widerspruchsfreie Definition von „Zufallsfolgen“ zu geben, die den Begriff der Regellosigkeit mathematisch exakt erfasst und ungefähr besagt: Es gibt kein Spielsystem, um gegen den Zufall zu gewinnen. Angeregt dazu wurde Wald durch einen Vortrag von Karl Popper in Mengers Mathematischem Kolloquium. – Im Kolloquium richtete sich gegen den jungen Karl Popper kein „Lokalverbot“, im Gegensatz zum Wiener Kreis. Abraham Wald erteilte übrigens auch Oskar Morgenstern Nachhilfestunden in Mathematik. In dessen Tagebuch lesen wir: „Wieder Mathematik-Stunde. Jetzt sind wir schon beim Differenzieren. Wald meint, dass ich in einem Jahr so weit sein werde, fast alles an mathematischer Ökonomie zu verstehen. Das gehört sich wohl auch so.“ Jetzt wollte Morgenstern die Methoden aus Mengers Buch über Moral, Wille und Weltgestaltung auf das wirtschaftliche Verhalten anwenden, um zu 255

verstehen, was geschieht, wenn die Individuen auch die Reaktionen der anderen ins Kalkül ziehen. Oskar Morgenstern plante, etwas darüber zu schreiben. Maximen des Verhaltens wollte er seine Arbeit nennen. Zunächst kam er nur langsam damit weiter. Doch später sollte aus seinem Projekt, in Zusammenarbeit mit John von Neumann, die Spieltheorie entstehen, also die mathematische Theorie der Interessenskonflikte. Das führte wiederum zur Ethik zurück, denn um die Mitte der Fünfzigerjahre erkannte Richard Braithwaite (1900-1990), ein früherer Kollege von Wittgenstein, dass in der Spieltheorie ein Werkzeug für die Moralphilosophie vorliegt, das es erlaubt, Fragen über gerechtes Teilen, über Lohn und Strafe, über Eigennutz oder Gemeinnutz exakt zu behandeln. – Einer der Ausgangspunkte dafür war in Mengers formaler Ethik gelegen. DER SINN DES LEBENS Auch Moritz Schlick war, wie Karl Menger, mit Kants kategorischem Imperativ keineswegs einverstanden. „Imperativ“ heißt „Befehl“: doch wer befiehlt? Worauf gründet ein Imperativ seinen Anspruch, wenn es gar keinen Imperator gibt? Die Pflicht befiehlt, meint Kant. Aber was ist die Pflicht? Das, was befiehlt? Dann ist der Satz nicht aussagekräftig. Oder ist die Pflicht ein verschämter Name für Gott? Der ist tot. – Und wieso muss man einen Befehl befolgen? Der Gehorsam zählt zwar zu den sogenannten preußischen Tugenden, doch die meisten Kulturen sehen nichts sonderlich Erstrebenswertes in ihm. Kant freilich war Preuße; Schlick auch, aber er verwehrte sich seit jungen Jahren gegen eine verkrampfte Ethik der Pflicht. Hatte sich nicht schon Friedrich Schiller über Kants gestrenge Moral mokiert? „Gern dien ich den Freunden, doch tu ich es leider mit Neigung und so wurmt es mir oft, dass ich nicht tugendhaft bin“, so Schiller. Kant vertrat die Meinung, dass wir a priori einsehen können, „dass das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens dadurch, dass es allen unseren Neigungen Eintrag tut, ein Gefühl bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann“. Ohne Plage und Selbstüberwindung gibt es demnach keine Tugend. Doch Schlick erblickte in dieser Auffassung „wirklich eine Krämeransicht, die da Tugend nur in Mühe und Arbeit sehen will“, und verkündete: „Die instinktive Tugend ist die herrlichste und schönste“. – Nietzsche lag ihm näher als Kant. Nun war die Ethik für den Wiener Kreis ein heikles Thema. Carnap hatte in seiner Überwindung der Metaphysik Wittgensteins Diktum übernommen, wonach es keine Sätze der Ethik geben könne (6.24). Carnaps Begründung ist ganz einfach: Ein Werturteil kann unmöglich empirisch verifiziert wer256

den. Da der Sinn eines Satzes in der Methode seiner Verifikation besteht, sind somit Werturteile sinnlos; oder zumindest „als wissenschaftliche Aussagen sinnlos“, meinte der spätere, vorsichtigere Carnap; und noch später, noch vorsichtiger: „Werturteile sind dem empirischen Sinnkriterium nach ohne kognitive Bedeutung.“ Derlei ging Schlick entschieden zu weit. Schließlich war schon sein erstes Jugendwerk, die Lebensweisheit, ein Buch über Ethik gewesen. Seither holte er immer wieder seinen Neuen Epikur aus der Schublade, um daran weiter zu schreiben, und hielt regelmäßig Vorlesungen über Fragen der Ethik. Über dieses Thema verfasste er auch („in tiefer Einsamkeit am felsigen Ufer des Adriatischen Meeres“ ) ein Buch, das er in den Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung herausgab. Nun hatte Schlick selbst behauptet, die Aufgabe der Philosophie läge in der Klärung von Sätzen und nicht im Aufstellen von Aussagen. Zur Ethik aber hatte er durchaus etwas auszusagen; doch sei das nicht Philosophie, sondern Wissenschaft, meinte Schlick. Die Sätze der Ethik gehören zur Psychologie, behauptete er, denn sie beziehen sich auf das Verhalten von Menschen. Um allfälligen Missverständnissen vorzubeugen, schickte er Ludwig Wittgenstein ein Exemplar seines Buchs über Fragen der Ethik, „weniger als Aufforderung zum Lesen (denn ich weiß, dass Sie Besseres zu tun haben), als vielmehr zur Bekundung meiner Absicht, die Schrift nicht vor Ihnen zu verheimlichen. Für den Fall, dass Sie doch hineinsehen sollten, glaube ich, würde Ihr Urteil sein, dass das Ganze mit Ethik nichts zu tun habe – und das würde ich gar nicht als negative Kritik auffassen.“ Doch Ludwig Wittgenstein hatte selbst keine Bedenken gehabt, in Cambridge einen Vortrag über Ethik zu halten, Tractatus 6.24 hin oder her. Er nahm Schlicks Buch weiter nicht krumm. Absolute Werte gibt es nicht. Eine moralische Norm, so Schlick, lässt sich letztlich nur rechtfertigen durch ihre Anerkennung als eine Tatsache der menschlichen Natur. Die Neigung der Menschen, die in ihrer Gesellschaft herrschenden moralischen Normen zu übernehmen, ist so naturgegeben wie ihre Anlage zum Erwerb der Muttersprache. Doch welche Motive veranlassen uns zur Aufstellung moralischer Normen? Soviel scheint klar: Das, was „gut“ ist, also die Norm, wird durch die Gesellschaft bestimmt, und zwar letztlich wohl, weil es ihr nützlich erscheint. Derlei äußert sich allerdings nicht durch ein utilitaristisches Kalkül des „größten Glücks der größten Zahl“. Vielmehr ist die Norm verinnerlicht in den sozialen Trieben des Einzelnen, begründet in Lust und Unlust, Glück und Leid. Die sozialen Triebe sind dem Menschen genauso natürlich wie die primitivsten leiblichen Bedürfnisse. Erziehung, Lohn und Strafe beeinflussen die menschlichen Neigungen. Doch noch stärker und dauerhafter als diese 257

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Schlichtweg großartig: Schlick schreibt Konrad Lorenz

äußerlichen Zügel sind die sozialen Triebe. Das sittliche Handeln selbst wird zur Quelle der Lust. „Wer mit uns erkannt hat“, schrieb Schlick, „dass Werte nicht anders als durch Lustgefühle zu begründen sind, wird die Begriffe des Glücks und des Wertvollen ohne Weiteres identifizieren.“ Und an anderer Stelle: „Ich habe nie begriffen, wie man das leugnen konnte, und immer von Neuem staune ich über die Oberflächlichkeit der Beobachtungen und Argumente, durch die man zu beweisen sucht, dass Glück und Sittlichkeit nichts miteinander zu tun hätten, ja dass Tugend der Glückseligkeit eher abträglich sei.“ Schlick hatte nicht nur Physik studiert, sondern auch Psychologie, und verstand sogar einiges von der Evolutionsbiologie. Er hatte das Buch Aus dem Leben der Bienen von Karl von Frisch überschwänglich rezensiert und einem damals noch unbekannten Zoologen und Mediziner namens Konrad Lorenz einen begeisterten Brief geschrieben – drei Jahrzehnte, bevor diese beiden Verhaltensforscher mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. In seinem Brief an Lorenz bedankt sich Schlick für „allergrößten intellektuellen Genuss“ und fügt hinzu: „Gott sei Dank, es gibt noch Psychologen, die der Philosoph mit reiner Freude lesen kann!“ 258

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Konrad Lorenz findet Anhänger

Wenn also Schlick seine Frage „Ist nicht der gütige Mensch zugleich der heitere?“ dezidiert bejaht, so ist das nicht naives Gesäusel, sondern wird mit Argumenten belegt: „Hier gibt es […] einen höchst bemerkenswerten Fingerzeig. Wenden wir nämlich die bewährte Methode, Affekte in ihren äußeren Erscheinungsformen zu studieren, auf das Lächeln an, so stellt sich heraus, dass das gleiche liebliche Spiel der Gesichtsmuskeln der Ausdruck sowohl der Güte wie auch der Freude ist. Der Mensch lächelt, wenn er froh ist, und er lächelt, wenn er Sympathie fühlt.“ Und so formuliert Schlick als Moralprinzip kurz und bündig: „Sei glücksbereit!“ Sittlichkeit ist nicht an Entsagung geknüpft. „Sie kommt nicht im Nonnengewand einher.“ Ganz im Gegenteil: „Sittliches Verhalten entspringt aus Lust und Unlust; der Mensch ist edel, weil er Freude daran hat. – Die Werte stehen nicht über ihm, sondern sind in ihm; gut zu sein ist für ihn natürlich.“ So stellte Schlick die Güte anstelle der Pflicht. Für manche klang das mehr nach Süßholzraspeln als nach wissenschaftlicher Weltauffassung. Karl Menger etwa schrieb nachsichtig über Schlicks Buch: „Es atmet den Geist der 259

Freundlichkeit und Güte seines Autors, wohingegen der Einfluss des analytischen Denkens sich nur im Vermeiden des üblichen Geschwafels zeigt.“ Doch Schlicks Gedanken zur Ethik mussten dem katholischen Klerus, der einen Großteil der öffentlichen Meinung Österreichs beherrschte, alles andere als harmlos erscheinen. Auch viele Philosophen reagierten verstört: War denn der Hedonismus nicht längst diskreditiert? Und klingt nicht „Glück“ eher nach Gartenlaube als nach Gelehrtenstube? – Zwar hatten die Väter der amerikanischen Verfassung die „pursuit of happiness“ als Menschenrecht verbrieft, aber in der deutschen Philosophie findet Glück nur wenig Erwähnung. Nietzsche ist da die große Ausnahme. Die Lust ist tief, heißt es im Zarathustra. Doch für frömmlerische Ohren klingt Lust nach Lüsternheit. Darf man Moral auf Lustgefühlen begründen, und obendrein diese Lehre an der Universität verbreiten? – War nicht die Jugend schon haltlos genug, mit Bubikopf und Negermusik? Schlimmer noch: Schlick war so vorwitzig gewesen, einen Aufsatz über den Sinn des Lebens zu verfassen und darin sogar eine einfache Antwort zu bieten: Der Sinn des Lebens liege nicht in einem höheren Zweck. Vielmehr sei er im Diesseits verankert: „Der Sinn des Lebens ist die Jugend“, meinte Schlick. Das erschien paradox, selbst in den Augen Max Plancks, des alten Lehrers von Schlick. Erstmals sah er sich veranlasst, seinem Lieblingsschüler zu widersprechen. Jugend ist doch ein Stadium der Unreife, etwas Unfertiges, eine Vorbereitung aufs Leben: Wie kann darin der Sinn des Lebens liegen? Und ist denn die Torheit der Jugend nicht geradezu sprichwörtlich? Kann Törichtes sinnstiftend sein? Aber für Schlick ist die Jugend nicht an ein bestimmtes Alter gebunden, sondern zeichnet sich durch die Offenheit für das Glück und die Bereitschaft zum Spiel aus. „Nur im Spiel erschließt sich der Sinn des Daseins“, schreibt Schlick. Im Spiel ist das Handeln befreit vom Diktat der Zwecke, ist Selbstzweck geworden, nicht weiter hinterfragbar. „Der Mensch spielt nur, wo er in der vollen Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ – Wieder ein Schiller-Zitat. ÜBER DAS ANGENEHME UND DAS SCHÖNE Von der Ethik zur Ästhetik ist es nur ein kleiner Schritt – und nicht einmal das, will man Wittgenstein glauben („Ethik und Ästhetik sind eins.“ (6.421)). Heutzutage ist die Ästhetik ein Minderheitenprogramm in der Philo260

sophie, aber in der guten alten Zeit war das anders gewesen. Hume und Kant hatten ausführlich über das Angenehme und das Schöne geschrieben. Das Schöne und das Angenehme in der Philosophie war auch der Titel einer Doktorarbeit, mit der Schlick eine Studentin namens Silvia Borowicka betraute. Eine verhängnisvolle Affäre nahm ihren Anfang. Zu Schlicks Studenten gehörte nämlich auch ein gewisser Johann Nelböck (1903-1954), der in seine Kollegin Borowicka verliebt war. Das Leben hatte Nelböck nicht verwöhnt. Er stammte aus einem oberösterreichischen Weiler namens Krandeln und war in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Als Bauernbub musste er täglich einen stundenlangen Fußmarsch zur Schule zurücklegen. Im Winter machten Schnee und Finsternis den Weg oft unpassierbar. Nelböck gab nicht auf und kämpfte sich durch, doch erst mit zwanzig kam er an die Universität. Verbissen und zäh rackerte er weiter. Seine Dissertation trug den Titel: Die Bedeutung der Logik in Empirismus und Positivismus. Schlick approbierte sie mit einem „Genügend“. Das reichte gerade fürs Doktorat. Ein vielversprechender Nachwuchs für den Wiener Kreis war dieser Johann Nelböck nicht. Wie der bettelarme Innviertler die Hietzinger Bürgerstochter kennen lernte, ist nicht überliefert; intim wurde die Beziehung anscheinend nie. Doch vertraute Borowicka ihrem Verehrer an, dass Professor Schlick sich für sie interessiere und sie das Interesse erwidere. Kaum hatte Nelböck promoviert, begann er lauthals in den Gängen vor den Hörsälen Schlick anzuklagen, mit seiner Studentin unsittliche Spielchen aufgeführt zu haben. Dabei fuchtelte Nelböck mit einer Pistole herum. Damit wolle er Schlick erschießen, und anschließend Selbstmord begehen, verkündete er. Nachts rief er oft bei Schlick an. Der Professor erstattete Anzeige. Dr. Nelböck wurde festgenommen. Woher seine Schusswaffe stamme? Von Silvia Borowicka, stellte sich heraus. Die Studentin hatte sie ihrem Vater entwendet. Der Fall erschien sonderbar. Offenbar handelte es sich um mehr als bloß unerlaubten Waffenbesitz. – Sowohl Nelböck als auch Borowicka wurden in die psychiatrische Klinik zur Untersuchung eingeliefert. Silvia Borowicka wurde ärztlich attestiert, ein „nervöses, charakterologisch etwas absonderliches Mädchen“ zu sein, weiter nichts. Der Gutachter empfahl wärmstens, ihr den Studienabschluss zu ermöglichen, was prompt auch geschah, freilich unter einem neuen Betreuer: Schlicks Kollege Reiniger übernahm und approbierte Silvias Dissertation über das Angenehme und das Schöne. 261

Nelböck hingegen wurde als schizoider Psychopath diagnostiziert und in die Anstalt „Am Steinhof“ überstellt, im Westen von Wien, wo er mehrere Monate blieb. „Psychopath mit bizarren und überwertigen Ideen und homiziden und suizidalen Impulsen. Untersuchter gibt an, dass er Professor Schlick ermorden wollte“, hielt man in der Klinik fest. Nelböck schien im Lauf der Zeit ruhiger zu werden, und machte sich in der Anstalt als Schreiber nützlich. Außer seinem etwas sonderbaren Lesestoff – lauter philosophische Wälzer – war eigentlich nichts Auffälliges mehr an ihm zu bemerken. Er wurde schließlich entlassen; seine Absicht war es, sich auf das Lehramt vorzubereiten. Kaum hatte Dr. Nelböck der psychiatrischen Klinik den Rücken gekehrt, begann er von Neuem, Schlick zu beschatten. Seine Drohanrufe nahm er wieder auf. Geheimnummern halfen nichts. Schlick sah sich genötigt, sein Telefon abzumelden. Manchmal lauerte Nelböck vor der Haustür. Wenn Schlick vor dem Verlassen der Wohnung vom Fenster aus die ausgezehrte Gestalt, die ihn so hartnäckig verfolgte, unten an der Straßenbahnhaltestelle erspähte, ließ er ein Taxi kommen und sprang schnell hinein. Dann trommelte Nelböck wütend gegen die Scheiben des Autos. Die leidige Affäre sprach sich herum. Einige Studenten organisierten eine Bewachung für Schlick. Schlick unterschätzte die Bedrohung nicht. „Mein Mörder“, sagte er, wenn die Rede auf Nelböck kam; und als ihm seine Tochter einmal empört berichtete, dass ihre Mitschüler Waffenübungen durchführten, was für sie als junge Pazifistin geradezu ungeheuerlich schien, fragte ihr Vater nur, ob denn ihrer Auffassung nach auch er keine Waffe gegen seinen Mörder führen dürfe. Die Bedrohung verblasste, als Schlick mit seiner Familie erneut ein Gastsemester in Kalifornien verbrachte, diesmal in Berkeley. Es war in jeder Hinsicht eine Erleichterung: dort herrschten Sonne und Frieden. Doch als Schlick zurückkam, umfing der Alptraum ihn wieder. Es schien unfassbar: Einer der bekanntesten Professoren Wiens, ein geschätzter Freund Einsteins und Wittgensteins, der Philosoph des Glücks und die Verkörperung der Vernunft, wurde von einem Psychopathen mit homiziden Neigungen verfolgt. Es kam zu einer neuerlichen Anzeige gegen Nelböck, mit neuerlicher Einweisung in die Psychiatrie. Das Rektorat teilte die Sachlage dem Stadtschulrat mit; damit war für Johann Nelböck keine Anstellung an einer Schule mehr möglich. Für Nelböck war nur allzu klar, dass ausschließlich Schlick daran schuld war. Er sah seine beruflichen Chancen vernichtet. – Doch als sich sein Verfolgungswahn allmählich zu beruhigen schien, wurde Nelböck erneut entlassen. Die Polizei verhängte über ihn ein Aufenthaltsverbot für Wien. 262

Nelböck kehrte in sein Dorf zurück, fremd, bleich und nikotinsüchtig. Alles trennte ihn von den Bewohnern von Krandeln, beginnend mit den dicken Gläsern seiner Hornbrille. – Hatte er nicht etwas Besseres werden wollen? Jetzt lag er dem Vater am Beutel. – Dass einer kein Arzt war und doch ein „Herr Doktor“, davon hatte in Krandeln noch niemand gehört. Wozu war die Schinderei des langen Studiums gut gewesen? Pfarrer oder Lehrer zu werden, das hätten Eltern und Nachbarn notfalls noch verstanden. Doch ein Privatgelehrter? – Da war er der erste im Ort. Nelböck zog es zurück nach Wien.

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ELFTES KAPITEL

Der Endpunkt des Kreises Wien 1934: Bürgerkrieg in Österreich. Sozialdemokraten am Ende. Neurath im Exil. Polizei löst Verein Ernst Mach auf. Wiener Kreis in Wien verpönt. Hahns Lehrstuhl eingezogen. Nazi-Putsch scheitert. Protokollsätze führen zu gereizten Debatten. Schlick und Neurath verspotten einander. Wittgenstein spaltet den Kreis. Gödel in Nervenheilanstalt. 1936: Nelböck erschießt Schlick. Presse fällt über Opfer her. 1937: Wiener Kreis zersplittert. Menger zieht nach Amerika, Waismann nach England, Popper nach Neuseeland.

LIEBESGRÜSSE NACH MOSKAU Das Telegramm, das an einem frostigen Tag im Februar 1934 in Moskau einlangte, lautete lakonisch: „Carnap erwartet dich.“ Es war an Otto Neurath adressiert, c/o IZOSTAT an der Kuznezki Most. Diese Straße führt zur berüchtigten Lubyanka, wo das Volkskommissariat für Staatssicherheit seine Zentrale hatte, Folterkammern inklusive. Witzbolde bezeichneten es als Moskaus höchstes Gebäude: dort konnte man schon vom Keller aus Sibirien sehen. Die telegrafische Nachricht war kodiert. Sie kam aus Wien und besagte: „Komm nicht zurück. Die Polizei sucht dich.“ Otto Neurath konnte diese Botschaft nicht überraschen. Den Text hatte er mit seiner Gefährtin vor seinem Reiseantritt abgesprochen. Marie Reidemeister war in Wien geblieben, um sich um seine Frau Olga und das Museum zu kümmern. „Carnap erwartet dich“ klang unverfänglich genug. Weder die Wiener Zensurbehörde noch Stalins Geheimpolizei sollten daran etwas aussetzen können. Die politische Lage Österreichs hatte sich seit Monaten zugespitzt. Mit täglich neuen Notverordnungen übernahm das Regime des „Ständestaats“ sämtliche Hebel der Macht. Die Sozialdemokraten schienen wie gelähmt. Ihr Chef Otto Bauer teilte die Meinung von Julius Deutsch, dem Gründer und Obmann des nunmehr für illegal erklärten paramilitärischen Schutzbunds: 264 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_11

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Sobald, ja sobald die Regierung irgendetwas täte, das „einen Sturm des Zorns und der Leidenschaft im ganzen werktätigen Volk auslöst“, könne man zuschlagen; davor nicht, dazu sei man einfach zu schwach. Die Partei war immer schon durch ihr Verantwortungsbewusstsein gehemmt gewesen. Ein bekannter Experte in Sachen Revolution, ein gewisser Leo Trotsky, hatte es schon vor Jahren diagnostiziert: „Glaubt man dem Wort von Karl Marx, dass Revolution die Lokomotive der Geschichte ist, dann ist der Austromarxismus ihre Bremse.“ Brav hielten die Austromarxisten ihr Fußvolk zurück, und warteten gebannt auf den passenden Moment. „Wir gelten ja als besonders gefährlich“, hatte Otto Neurath geätzt, „weil wir sogar die Arbeiter bewaffnen und verhindern, dass sie schießen.“ Der Anlass zu einem Aufstand würde sich schon irgendwann einstellen, davon war die sozialdemokratische Führung felsenfest überzeugt. – Doch Bundeskanzler Dollfuß tat ihr nicht den Gefallen. Als Führer der Vaterländischen Front hielt er an seiner Salamitaktik fest. Vielleicht würden „die Sozis“ ja doch irgendwann die Nerven verlieren. Am 12. Februar 1934 schlug die Stunde: Eine Gruppe von Linzer Schutzbündlern wehrte sich gegen eine Hausdurchsuchung und schoss mit Maschinengewehren auf die Polizei. Es war das Signal einer spontanen Erhebung der Arbeiterklasse. Der Parteivorstand der Sozialdemokraten hatte eindringlich davon abgeraten. Jetzt rief er in aller Hast den Generalstreik aus. Eine Kampfleitung wurde eingesetzt. Doch die Regierung war weitaus besser vorbereitet. Schon am Vortag hatte der Sicherheitsminister Emil Fey der faschistischen Heimwehr verkündet: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten.“ Die Bundesregierung verhängte das Standrecht. Das Heer beschoss Gemeindebauten, in denen sich Aufständische verschanzt hatten, mit Artillerie. Dem militärischen Kennerblick war nicht entgangen, dass sich die mächtigen Wohnblöcke trefflich als marxistische Trutzburgen eigneten. Nach drei Tagen mit 300 TodesKarl Marx-Hof 1934: Granaten gegen opfern war der Bürgerkrieg vorbei, Gemeindebau 265

die Kampfleitung des Schutzbunds – also Bauer und Deutsch – über die Grenze geflohen, die Sozialdemokratische Partei offiziell aufgelöst. Jeder zehnte Österreicher zählte zu ihren Mitgliedern; 40 Prozent der Wähler hatten für sie gestimmt. Jetzt wurden die Werktätigen nur mehr durch ein winziges Auslandsbüro vertreten sowie durch die Sozialistische Internationale, deren Vorsitz seit nunmehr einem Jahrzehnt Friedrich Adler innehielt, erst von Zürich und später von Brüssel aus. Noch während der Februarkämpfe hatte die Polizei mehrmals versucht, Otto Neurath in seiner Wiener Wohnung festzunehmen. Von Marie Reidemeister erfuhren die Beamten, dass er verreist war. Die Tatsache, dass er sich in Moskau befand, der Hauptstadt der Weltrevolution, trug nicht dazu bei, die Obrigkeit zu besänftigen. Doch steckte hinter Neuraths Abwesenheit keine Verschwörung der Kommunistischen Internationale. Er hielt sich rein beruflich in Moskau auf, und das nicht zum ersten Mal. Als Direktor des Wiener Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums wirkte er am Aufbau eines Instituts für Bildstatistik im sowjetischen Staatsverlag mit. Die Gemeindeväter des Roten Wien wussten von seinem Unterfangen und billigten es. Sie waren zwar gegen den Kommunismus, aber solidarisch mit dem Proletariat, auch mit dem in Stalins Herrschaftsbereich. Und gesellschaftspolitische Bildung konnte schließlich niemandem schaden. Soll auch der Sowjetmensch Statistik lernen, befanden Wiens Sozialisten. Jetzt aber hatte Dollfuß das Rote Wien überwältigt. Der Bürgermeister Seitz wurde verhaftet. Die Vaterländische Front übernahm die Verwaltung der Stadt. Die Polizei versiegelte die Räume des Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseums. Neurath hatte für diesen Fall Vorsorge getroffen. Er plante nicht, in Moskau zu bleiben, etwa als ein weiterer Gast im Hotel Lux, wo bereits Hunderte von deutschsprachigen Exilanten am Tropf der Sowjets lebten. Neurath hatte eine Rückzugsposition in Holland ins Auge gefasst und dort schon vor einem Jahr das Mundaneum gegründet, eine Zweigstelle seines Wiener Museums. Jetzt reiste er aus der Sowjetunion in die Niederlande, gezwungenermaßen recht umständlich: erst über Prag („Carnap erwartet dich“ ), dann über Polen und Dänemark. Deutschland berührte er nicht: In der Gestapo saßen bestimmt einige, die sich noch an die Münchener Räteregierung erinnerten. Ein zweites Mal hätten die Deutschen Neurath sicherlich nicht abgeschoben; und außerdem – die österreichischen Minister, die ihm damals aus der Patsche geholfen hatten, saßen jetzt selbst: Renner in Haft und Bauer im Exil. Leicht fiel es Neurath nicht, in Holland eine neue Existenz aufzubauen; manchmal hing alles an einem Darlehen von ein paar Hundert Dollar. Aber er wurde nicht umsonst „die große Lokomotive“ genannt. Krisen stachelten 266

Otto an. Er lief zur Hochform auf. Bald konnten Olga Neurath und Marie Reidemeister aus Wien nachkommen. Gemeinsam bezogen sie eine Wohnung in Den Haag. Auch Neuraths Grafiker Gerd Arntz stieß wieder dazu, mit Familie. Es gelang sogar, einen Großteil der Arbeitsunterlagen aus Wien und Moskau herbeizuschaffen. Das Mundaneum begann nach kurzer Zeit Ausstellungen zu organisieren und die bildpädagogischen Verfahren weiterzuentwickeln. Klassenkämpferische Hinweise auf den Marxismus unterließ Neurath freilich fortan. MIT DOLLFUS GEGEN EINHEITSWISSENSCHAFT Zu den unmittelbaren Folgen der Februarkämpfe zählte auch die polizeilich verfügte Auflösung des Vereins Ernst Mach. In der Begründung hieß es, dass „wie hierorts amtsbekannt“ dieser Verein für die Sozialdemokratische Partei tätig gewesen sei; und die war ja jetzt verboten. Schon im Jahr davor hatte das Dollfuß-Regime die Auflösung des Freidenkerbunds verfügt, zur großen Genugtuung der katholischen Kirche. Dass die ursprünglichen Proponenten des Vereins Ernst Mach allesamt aus dem Freidenkerbund stammten, war ebenfalls „hierorts amtsbekannt“. Als Obmann des Vereins Ernst Mach wurde Schlick aufs Polizeikommissariat seines Bezirks geladen und von der Verfügung in Kenntnis gesetzt. Moritz Schlick legte sofort Einspruch ein und versuchte, die Entscheidung rückgängig zu machen. Der Verein sei absolut unpolitisch gewesen und habe „getreulich im Sinne des Mannes gewirkt, dessen Namen er trug“ – also statutengemäß eine rein wissenschaftliche Tätigkeit entfaltet. Mit Atheismus habe das Ganze nicht das Geringste zu tun. Jegliche „Hinneigung zur Sozialdemokratischen Partei“ stritt Schlick entschieden ab. Er selbst sei bekanntermaßen ein durchaus unpolitischer Mensch: „Ich würde keinen Augenblick der Obmann einer Vereinigung bleiben, die sich im Sinne irgend einer Partei politisch betätigte.“ Der Verein bezwecke die Förderung der wissenschaftlichen Weltauffassung, also geradezu das Gegenteil einer weltanschaulichen Propaganda. Es sei daher auch ein „rein zufälliger“ Umstand, dass einer der Vereinsfunktionäre (nämlich der Schriftführer Neurath) in einem Wiener Gemeindebau wohne. „Auch die Tatsache, dass Otto Bauer einen Vortrag in dem Verein hielt, ist gleichfalls durch jene zufälligen Verbindungen zu erklären.“ Es müsse sich somit um einen Irrtum handeln. „Es liegt eine gewisse Tragikomik darin“, erklärte Schlick der Polizeidirektion, „dass ich als Führer eines Vereines mit regierungsfeindlichen Tendenzen erscheine, da ich doch gerade zu jenen Universitätsprofes267

soren gehöre, die der gegenwärtigen Regierung mit wirklich innerlicher herzlichster Sympathie gegenüberstehen; und ich habe dieser Sympathie schon in der Mitte des Sommersemesters 1933 durch eine spontane schriftliche Kundgebung Ausdruck gegeben.“ Wikimedia Commons

Das Schreiben half nichts. Schlicks Einwendungen stießen bei der Polizei auf taube Ohren. „Der Verein Ernst Mach ist jetzt wirklich Die österreichische Maiverfassung aufgelöst worden“, teilte Schlick konsterniert Carnap mit, „offenbar noch bevor mein Einspruch an die maßgebenden Stellen gelangt war.“ Schlick war zwar nie Mitglied einer Partei, aber der Vaterländischen Front war er beigetreten. Dieser Schritt wurde von allen Beamten erwartet. Wer sich weigerte, musste mit Konsequenzen rechnen. Professor Heinrich Gomperz hatte sich geweigert. Prompt war er entlassen worden. Den Hinweis, dass er bei der Berufung von Ernst Mach eine wichtige Rolle gespielt hatte, konnte er sich sparen. Bei Engelbert Dollfuß brachte das keine Pluspunkte ein. – So wurde Gomperz Professor in Kalifornien, im Alter von 63 Jahren. Schlick war im Gegensatz zu Gomperz politisch fügsam gewesen. Doch das fruchtete nichts: Es führte lediglich dazu, Carnap und Neurath, die vom Ausland aus die Entwicklung mit Argusaugen verfolgten, noch mehr zu verstimmen. „Mit Dollfuß gegen Einheitswissenschaft“, fasste Neurath grollend Schlicks Haltung zusammen. Von einer Einheitswissenschaft hatte Dollfuß vermutlich nie etwas gehört. Sein Ziel war vielmehr eine Einheitspartei. Über den Positivismus hingegen wusste Dollfuß Bescheid. Er lehnte ihn ab. – Vom Führer der Rechtspositivisten, Hans Kelsen, rührte die Verfassung der jungen Republik her. Die wurde nunmehr durch die sogenannte Maiverfassung ersetzt. Das seit über einem Jahr ausgeschaltete Parlament trat im Mai 1934 für ein paar Stunden wieder zusammen – selbstverständlich ohne die Abgeordneten der linken Fraktion zu inkommodieren, denn deren Partei war ja verboten. Die kurzfristig reanimierte Volksvertretung beschloss ein Verfassungsermächtigungsgesetz, damit alles seine Gültigkeit hatte, und trat verrichteter Dinge wieder in die Versenkung zurück. 268

beide: Uni Bibliothek Univ. Wien

Juliputsch der Nationalsozialisten: Kanzleramt, außen und innen

Die neue Verfassung hob an mit den Worten: „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von dem alles Recht ausgeht“. Diese Präambel machte hinlänglich klar, dass das Recht nicht vom Volk ausging. Nicht hierzulande. Um die „ständische Grundlage“ des Staats zu betonen, wurden feierlich zwei Stände eingerichtet: es waren dies der öffentliche Dienst, und die Landwirtschaft. Die anderen Stände mochten derweil ruhig warten. – Das taten sie auch. Die Hakenkreuzler hingegen warteten nicht. Im Juli 1934 unternahmen die österreichischen Nationalsozialisten einen Putsch. Männer der SS-Standarte 89 verkleideten sich mit Uniformen des Bundesheers und besetzten im Handstreich Kanzleramt und Rundfunkgebäude. Das dilettantisch ausgeführte Unternehmen scheiterte binnen weniger Stunden. Aber Engelbert Dollfuß, Feindbild aller Hitlerleute, wurde in seinen Amtsräumen erschossen; und diverse Erhebungen in der Provinz kosteten, ähnlich wie im vorausgegangenen Februar, mehrere Hundert Tote. Zum neuen Führer der Vaterländischen Front wurde Kurt Schuschnigg, ein steifer Beamtentyp. Als Bundeskanzler führte er die Politik seines ermordeten Vorgängers weiter: Anlehnung an Mussolini in der Außenpolitik, und in der Innenpolitik klerikal-faschistische Folklore. BEACHTLICHE SPRENGKRAFT In einem Staat, der seinen politischen Rückhalt in katholischen Wallfahrten und im Nachahmen mittelalterlicher Festzüge suchte, hatte die wissenschaftliche Weltauffassung naturgemäß einen schweren Stand. 269

Obwohl Schlick gegen den „Ständestaat“ keineswegs opponierte, wirkte er in Wien mit seiner aufgeklärten Philosophie doch wie ein Fremdkörper. Der junge Amerikaner Ernest Nagel, der 1935 einige von Schlicks Vorlesungen besuchte, hielt damals scharfsichtig fest: „Es fiel mir auf, dass in einer wirtschaftlich lahmenden Stadt, zu einer Zeit, da die soziale Reaktion fest im Sattel sitzt, die Ansichten, die hier so überzeugend vom Katheder präsentiert wurden, beachtliche intellektuelle Sprengkraft hatten. Ich fragte mich, wie lange solche Lehren in Wien noch geduldet würden.“ Nicht mehr lang, soviel schien klar; aber das Ende geriet weitaus schlimmer, als vorhersehbar war. Ernest Nagel war im Übrigen nur einer von vielen jungen Philosophen, die in Wien an der wissenschaftlichen Weltauffassung schnupperten und davon für ihr Leben geprägt wurden. Später sollte er The Structure of Science schreiben und Ko-Autor eines einflussreichen Werks über Gödels Unvollständigkeitssatz werden. Der erste im Reigen der Gäste war Frank P. Ramsey gewesen, der nicht nur Wittgenstein mehrmals besucht hatte, sondern auch Moritz Schlick. Gewissermaßen im Vorbeigehen ließ er sich in Wien auch psychoanalysieren, von Theodor Reik, einem Schüler von Freud. Alles ging schnell bei Frank Ramsey: Bereits mit 23 Jahren wurde er „Director of Mathematical Studies“ am King‘s College in Cambridge. Er starb tragisch früh, kaum 26, an einer HepatitisInfektion. Aus Oxford kam Alfred J. Ayer (1910-1989). Er blieb ein Jahr und veröffentlichte nach seiner Rückkehr im Jahr 1936 ein sehr erfolgreiches Werk, Language, Truth and Logic, das mit meisterlicher Klarheit die Grundgedanken des Wiener Kreises darstellte. – Der Amerikaner Willard van Orman Quine (1908-2000) kam aus Harvard. Er hatte dort Herbert Feigl kennengelernt und daraufhin beschlossen, sich als postdoc in Wien weiterzubilden. Nach seiner Rückkehr aus „der Stadt meiner Träume“, wie er sie nannte, wurde Quine zu einem der einflussreichsten Logiker und Philosophen der USA. Nach einer Vortragsreise von Karl Menger entwickelten sich enge Beziehungen zwischen den Logikern Polens und der Wiener Schule. Auch aus Nordeuropa kamen häufig Besucher, wie der Norweger Arne Naess (1912-2009), später ein Pionier der experimentellen Philosophie, und die Finnen Eino Kaila (1890-1958) und Henrik von Wright (1916-2003). Überall schien der Wiener Kreis auf mehr Anerkennung zu stoßen als in Österreich – überall, mit Ausnahme von Deutschland, wo die Nazis dem Positivismus den Garaus gemacht hatten. Die Besuche aus Berlin – etwa von Hans Reichenbach oder Carl Hempel – hatten ein jähes Ende gefunden. 270

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Hans Hahn stirbt 1934

Alle Last des Kreises ruhte nunmehr auf den Schultern von Schlick, denn Neurath und Carnap befanden sich im Ausland. Der unerschütterliche Hans Hahn, mit seiner lauten Stimme und den deutlichen Worten, war unerwartet in seinem fünfundfünfzigsten Lebensjahr verstorben. Während einer der letzten Vorlesungsstunden im Sommersemester 1934 hatte er plötzlich abbrechen müssen, überwältigt von Magenkrämpfen. Es war Krebs. Eine Notoperation wurde angesetzt. Hahn überlebte sie nicht. Er starb am Tag vor dem JuliPutsch. Vom einstigen Urkreis war nun niemand mehr in Wien. Eine Ära ging zu Ende.

Wie Ernest Nagel schrieb: „Mit Hans Hahns vorzeitigem Tod, Rudolf Carnaps Abreise nach Prag, Otto Neuraths Exil in Den Haag und Kurt Gödels Besuchen in Princeton hatte der Kreis einige seiner wichtigsten und besten Mitglieder verloren.“ Kurze Zeit vor seinem Tod hatte Hans Hahn die Korrespondenz mit Paul Ehrenfest wieder aufgenommen, seinem Jugendfreund aus den Tagen der „unzertrennlichen Vier“, nunmehr Professor für theoretische Physik in Leiden. „Von mir selbst“, schrieb ihm Hahn, „ist wenig zu berichten; die äußeren Umstände sind wenig günstig, da hier die Gehälter empfindlich gekürzt werden (unter besonders liebevoller Berücksichtigung der Hochschullehrer); mein Hauptinteresse liegt derzeit auf philosophischem Gebiet (antimetaphysisch, logiko-empiristische Tendenz).“ Bald darauf erfuhr Hahn vom jähen Tod seines Freundes. Paul Ehrenfest hatte schon lange an Depressionen gelitten, wie einst sein Lehrer Ludwig Boltzmann. Die moderne Quantenphysik verstand er nicht mehr; Hitlers Aufstieg entsetzte ihn; und sein Sohn Vassili war geistig behindert. Paul Ehrenfest entschloss sich zum Freitod, und nahm den Sohn mit. Er hinterließ Briefe an seine zahlreichen Freunde, um die tragische Tat zu erklären: Er habe sie als seine Pflicht angesehen, hieß es darin. EIN STAAT SPART Der unbequeme Professor Hans Hahn war der österreichischen Bundesregierung schon lang ein Dorn im Auge gewesen. Er hatte aus seiner sozialdemokratischen Haltung nie ein Hehl gemacht. Jetzt, nach seinem Ableben, zog das zuständige Ministerium Hahns Stelle ein. 271

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Denn wenn ein Mathematikprofessor Zeit findet für Philosophie, gar noch für Freigeisterei und Antimetaphysik, so beweist das doch zur Genüge, dass seine Berufstätigkeit ihn nicht ausfüllt. Demzufolge war Hahns Lehrkanzel obsolet, eine „überflüssige Wesenheit“, gewissermaßen ein Fall für Occams Rasiermesser. Also fort mit der Stelle – der Staat musste sparen. Am unmittelbarsten traf diese Maßnahme Karl Menger. Er wäre Hans Hahns natürlicher Nachfolger gewesen. – Daraus wurde nun nichts. Immerhin konnte sich der junge Extraordinarius damit trösten, dass im folgenden Jahr wieder eine MatheEhrenfest fröstelt in Leiden matik-Lehrkanzel frei würde, nämlich die von Wilhelm Wirtinger, der 1935 das Alter der Emeritierung erreichte. Diese Stelle konnte nicht auch noch eingezogen werden: es verblieben ja nur mehr zwei Ordinariate für das gesamte Gebiet der Mathematik an der Wiener Universität. Die philosophische Fakultät zog es allerdings vor, zum Nachfolger Wirtingers nicht Karl Menger, sondern einen weit weniger bekannten Mathematiker zu erküren, Wirtingers Assistenten Karl Mayrhofer (1899-1969). Von ihm war mit Sicherheit zu erwarten, dass er sich nicht der Philosophie widmen würde. Bestürzt schrieb Moritz Schlick wieder einmal einen Brief ans zuständige Ministerium. Er gab darin sein Separatvotum kund. Er selbst sei zwar Philosoph, und nicht Mathematiker, doch wisse er wohl, dass zwei weitaus geeignetere Kandidaten für den vakanten Posten infrage gekommen wären, nämlich Karl Menger, der in seinem Fach Weltruf genoss, und Emil Artin, ein Algebraiker, der das 17. Problem David Hilberts gelöst hatte. Artin war übrigens gebürtiger Wiener und Schüler von Gustav Herglotz, der einst zu den „unzertrennlichen Vier“ gehört hatte. Jetzt bekleidete Artin eine Professur in Hamburg. Wie man hörte, war er mehr als bereit, Deutschland zu verlassen; seine Frau war jüdischer Herkunft. Doch Moritz Schlick richtete mit seiner Stellungnahme nichts aus gegen die Seilschaften der eingesessenen Wiener Professorenriege. Mayrhofer wurde berufen. Nach dem „Anschluss“ sollte sich herausstellen, dass er seit 272

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Schlick fröstelt in Wien

langem schon ein illegaler Nationalsozialist gewesen war. In den Nachrufen auf Hans Hahn, die Karl Menger und Philipp Frank geschrieben hatten, wurde betont, dass Hahn der eigentliche Gründer des Wiener Kreises gewesen sei. Im Lauf eines knappen Jahrzehnts hatte die Gruppe in Fachkreisen Weltruf erlangt. Wie Ernest Nagel im Journal of Philosophy schrieb, sei ein dermaßen umfassendes Interesse an logischer Analyse schwerlich irgendwo anders zu finden als in Wien. Dass hier Mathematik, Physik, Recht, Medizin und Soziologie genauso gut vertreten waren wie die Berufsphilosophie, sei schlichtweg einmalig. Doch im Grund stand der Wiener Kreis bereits still.

OTTOS PROTOKOLL „Diesen Winter wird es keine Treffen des Wiener Kreises geben“, schrieb Schlick einem amerikanischen Kollegen im Herbst 1933. „Einige unserer alten Mitglieder sind zu dogmatisch geworden und könnten die ganze Bewegung diskreditieren; ich versuche jetzt einen neuen Zirkel aus jüngeren Leuten zu bilden, die noch frei von Vorurteilen sind.“ Die Donnerstag-Abende setzten erst im nächsten Winter wieder ein. „Dass Hahn nicht mehr dabei ist, empfinden wir natürlich ganz außerordentlich und mit dem größten Schmerz“, bekannte Schlick gegenüber Carnap. Die Abwesenheit von Neurath hingegen – dem alten Mitglied, das „zu dogmatisch geworden“ war – konnte Schlick verschmerzen. Der Zwist zwischen Neurath und Schlick reichte weit zurück. Richtig verstanden hatten die beiden einander nie. Lange Zeit konnte Hahn einen Ausgleich vermitteln. Doch durch die „Protokollsatz-Debatte“ wurde die Auseinandersetzung öffentlich, und nahm geradezu hämische Töne an. Dabei hatte alles ganz harmlos begonnen, mit einem Aufsatz von Carnap über Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft. Ausgangspunkt wissenschaftlicher Theorien seien demnach sogenannte „Protokollsätze“, die „in aller Schlichtheit“ Tatsachen festhalten, und „weiter keiner Bewährung bedürfen“. 273

Woran erkennt man nun Protokollsätze? Es seien solche, schrieb Carnap, „zu deren Gewinnung andere Protokollsätze nicht mitverwendet sind.“ Schlick wandte höflich ein, dass dies eine zirkelhafte Formulierung zu sein scheine. Neurath sprang ein und versuchte es mit einer präziseren Definition. Ein Protokollsatz sei keine Behauptung, sondern der Bericht über eine Behauptung. Er müsse auf alle Fälle den Namen des Protokollanden und die Uhrzeit angeben. Er könne beispielsweise lauten: „Ottos Protokoll um 3 Uhr 17 Minuten: [Ottos Sprechdenken war um 3 Uhr 16 Minuten: (Im Zimmer war um 3 Uhr 15 Minuten ein von Otto wahrgenommener Tisch)].“ Eine „schlichte“ Formulierung war das freilich nicht. Doch Neurath beharrte darauf: Von „hier“ und „jetzt“, vom „Ich“, vom „eigenen“ Protokoll dürfe man in Protokollsätzen nicht sprechen, denn das führe schnurstracks zur idealistischen Philosophie. Wissenschaftliche Erkenntnis muss mitteilbar sein. Subjektive Äußerungen haben darin keinen Platz. Die Einheitswissenschaft solle sich vielmehr eines „Universalslangs“ bedienen, wie Neurath es nannte; diesen Slang, fügte er etwas unvermittelt hinzu, könne man „jedem Kind durch Dressur beibringen“. – Ursprüngliche Protokollsätze gäbe es nicht, ebenso wenig wie Sätze, die keiner Bewährung bedürfen. Das sei überholte Schulphilosophie. In der Wissenschaft ist im Prinzip jede Aussage revidierbar. Das muss auch für Protokollsätze gelten; es wird etwa dann notwendig sein, wenn man nachträglich bemerkt, dass die Uhr falsch geht. Im Übrigen, so schloss Neurath den Aufsatz mit seinem üblichen ceterum censeo, könne Wittgensteins Versuch, die Philosophie als notwendige Erläuterungsleiter zu verwenden, für gescheitert angesehen werden; und der rasche Fortschritt der Arbeiten des Wiener Kreises zeige, dass die planmäßige Kollektivarbeit, die dem Aufbau der Einheitswissenschaft gewidmet ist, sich immer weiter entfaltet. – Insbesondere würde Carnap, so schloss Neurath, an den vorliegenden Berichtigungen sicherlich manches zu berichtigen finden. So kam es auch. – Es gäbe verschiedene Methoden zum Aufbau der Wissenschaftssprache, schrieb Carnap gleich auf den nächsten Seiten der Erkenntnis. Am besten erscheine ihm nunmehr ein Verfahren, das auf Karl Popper zurückging. Es sei sehr zu wünschen, dass dessen Ergebnisse bald veröffentlicht würden. (Das war als ein kleiner Gedankenanstoß für Schlick gemeint.) Jeder Satz könne gemäß Popper unter Umständen als Protokollsatz dienen. Kein Satz hingegen sei absolut sicher – so sicher, dass er keiner Bewährung bedürfe. – Carnap gab es nunmehr unumwunden zu. Er hatte sich eben geirrt. Außerdem scheine ihm der Poppersche Zugang „die Gefahr zu verrin274

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Moritz Schlick atmet durch

gern, dass jüngere Menschen bei der Suche nach Protokollsätzen auf metaphysische Abwege gerieten“. „Nun wird“, schloss Carnap hoffnungsfroh, „in positiver gemeinsamer Arbeit die Wissenschaftslehre weiter zu entwickeln sein“. Tatsächlich griff die Protokollsatzdebatte wie ein Lauffeuer um sich. Carl Hempel trug zu ihr bei, außerdem Karl Popper, Edgar Zilsel und andere. – Moritz Schlick fand die Diskussion, wie er Carnap gestand, „abwegig und wenig interessant“. Aber schließlich meldete auch er sich zu Wort. METAPHYSISCHE RESTE UND POETISCHE KONSTATIERUNGEN Auf einem Balkon in Amalfi, die blaue Bucht von Salerno zu Füßen, schrieb Schlick im Frühling 1934 eine kurze Arbeit über Das Fundament der Erkenntnis. Er war gut gelaunt und entspannt und ließ seinen Gedanken freien Lauf, „wie es mir gerade in den Sinn kam“, erklärte er Carnap. Es sei ganz richtig, meinte Schlick in diesem Aufsatz, dass Protokollsätze genau denselben Charakter tragen wie alle übrigen Sätze der Wissenschaft: Es sind Hypothesen, selbstverständlich nichts als Hypothesen („und einige von unseren Autoren haben fast triumphierend darauf aufmerksam gemacht“, fügte er mit einem kleinen Seitenhieb auf Karl Popper hinzu). Denn sobald man eine Wahrnehmung niederschreibt, oder anderswie festhält, ist sie auch schon Vergangenheit. Der Satz, der die Wahrnehmung aufzeichnet, kann möglicherweise auf Irrtum, Traum oder Wahn beruhen und somit der Revision be275

dürfen. Aber die Konstatierung einer Wahrnehmung ist in dem Augenblick, wo sie erfolgt, endgültig. Konstatierungen haben immer die Form „Hier und jetzt so und so“. Echte Konstatierungen können nicht niedergeschrieben werden, denn das mache sie zu Protokollsätzen, und mithin zu Hypothesen. Vielmehr verhält es sich folgendermaßen: Die Hypothesen der Wissenschaft führen zu gewissen Voraussagen; man erwartet etwas. Wenn nun diese Erwartung durch eigene Wahrnehmung bestätigt oder widerlegt wird, so findet eine Konstatierung statt. Die Wissenschaft hat zu diesem Aha-Erlebnis hingeführt, aber sie beruht nicht darauf. Konstatierungen, schreibt Schlick, „liegen keineswegs am Grunde der Wissenschaft, sondern die Erkenntnis züngelt gleichsam zu ihnen auf, jede nur einen Augenblick erreichend und sie sogleich verzehrend. - Diese Augenblicke der Erfüllung und des Verbrennens sind das Wesentliche. Von ihnen geht alles Licht der Erkenntnis aus. Und dies Licht ist es eigentlich, nach dessen Ursprung der Philosoph fragt, wenn er das Fundament alles Wissens sucht.“ Die alten Griechen hätten es nicht schöner sagen können – und Schlicks Balkon in Amalfi bot sicher einen zauberhaften Blick übers strahlende Mittelmeer. Neurath replizierte vom nüchtern-nebeligen Holland aus spöttisch auf Schlicks Zeilen: „Mag man solche Lyrik schätzen, aber wer – übrigens in Übereinstimmung mit vielen anderen Ausführungen Schlicks – im Dienst der Wissenschaft radikalen Physikalismus vertritt, wird keinen Anspruch darauf erheben, in diesem Sinn ein Philosoph zu sein.“ In seinem Aufsatz Radikaler Physikalismus und „wirkliche Welt“ verfasste Neurath eine Streitschrift gegen Schlick. „Ein Vertreter des Wiener Kreises meinte gelegentlich“, hob er an, „jeder von uns sei besser geeignet, metaphysische Reste beim Nachbarn als bei sich selbst zu bemerken.“ So mache denn er, Neurath, sich nunmehr daran, „metaphysische Reste“ bei Schlick zu konstatieren. Das tat er ausführlich und mit Genuss. Zum Ausklang seines Aufsatzes fasste Neurath zusammen: „Es sieht so aus, als ob wir hier letzten Resten zusammenhängender Metaphysik begegnen.“ Immerhin, dass es die „letzten Reste“ seien, klingt optimistisch. Schlick hatte eigentlich nicht die Absicht, auf diese „recht törichten Bemerkungen“ Neuraths näher einzugehen. Seinem Freund Carnap vertraute er an: „Ich habe mich, wie du dir denken kannst, ein wenig gewundert. – Ich werde natürlich nicht direkt darauf antworten.“ Aber ganz zurückziehen wollte er sich doch nicht aus der Diskussion, die ihm „immer mehr komisch vorkam.“ 276

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Schlick philosophiert in Amalfi

„Ich war etwas überrascht“, schrieb er daher in seinem nächsten Aufsatz, „dass ich als Metaphysiker und Poet dargestellt wurde. Da ich es aber unmöglich fand, die Anklagen ernst zu nehmen, hat mich weder die eine verletzt noch die andere geschmeichelt und ich hatte nicht vor, die Diskussion weiterzuführen.“ Nun tat er es doch, „in humoristischer Form“, wie er schrieb, und ohne Neuraths Namen zu erwähnen – mithin doppelt verletzend. Neurath hatte behauptet, dass man Aussagen nur mit anderen Aussagen, nicht aber mit Tatsachen vergleichen könne. – Schlick fragte „in aller Unschuld“: Warum kann man nicht die Aussage eines Reiseführers, dass eine bestimmte Kathedrale zwei Türme besitzt, mit der Wirklichkeit vergleichen? Neurath wollte die Wahrheit einer Aussage an der Übereinstimmung mit anderen Aussagen festmachen. Darin sah Schlick nichts weiter als die längst widerlegte Kohärenztheorie der Wahrheit. Er bekenne sich vielmehr, schrieb er, wie das unverbildete Volk zur Korrespondenztheorie. Die Wahrheit beruhe auf der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit – und wer ihn, Schlick, deshalb der Metaphysik bezichtigen wolle, möge das getrost tun. Seine Konstatierungen ließe er sich nicht rauben. „Was ich sehe, sehe ich!“ – selbst wenn sämtliche Wissenschaftler der Welt etwas anderes behaupten sollten. Er fuhr fort, Otto Neurath aufs Korn nehmend (aber nie nennend): „Und wenn mir jemand auf den Kopf zusagte, dass ich an die Wahrheit der Wissenschaft glaube, weil die Mehrheit der Wissenschaftler meines Kulturkreises sie angenommen hat, dann – würde ich ihm zulächeln. Ich verlasse mich auf diese guten Leute, aber nur, weil ich sie stets für verlässlich befunden habe, so oft ich in der Lage war, ihre Aussagen zu überprüfen.“ 277

Carnap versuchte Otto Neurath vom Vorwurf der Kohärenztheorie reinzuwaschen. Das habe Neurath nie so gemeint. „Ich muss aber zugeben“, fügte Carnap hinzu, „dass manche seiner Formulierungen leider so gedeutet werden können“. War es nur eine Frage der „Formulierung“? Lag der Unterschied zwischen Carnap und Schlick bloß in dem verschiedenen Sprachgebrauch? – Vielleicht „ist er nur in deinem mathematischen und meinem physikalischen Temperament begründet“, schrieb Schlick seinem Freund begütigend. In der mathematischen Physik geht es um die Kohärenz von Gleichungen; in der experimentellen Physik um die Korrespondenz der Theorie mit der Wirklichkeit. Wie schon Mach sagte: „Das Ziel der Naturwissenschaft: Die Anpassung der Gedanken an die Tatsachen und die Anpassung der Gedanken aneinander.“ Offenbar ist beides vonnöten. Schlicks versöhnliche Worte halfen wenig. Die Protokollsatzdebatte hatte deutlich gemacht, dass die alten philosophischen Probleme, oder „Scheinprobleme“, wenn man sie so bezeichnen wollte, nicht ohne weiteres zum Verschwinden gebracht werden konnten. Missverständnisse suchten offenbar das vielgerühmte Denkerkollektiv des Wiener Kreises genauso heim, wie sie die oftmals geschmähte Schulphilosophie plagten. „Diese Diskussion“, fasste Karl Menger die Protokollsatzdebatte zusammen, „gehörte zu den zahlreichen, die ich mit Stillschweigen verfolgte.“ INDISKRETIONEN Vom Schwung einer „Wende der Philosophie“ war wenig übrig geblieben. Selbst die langjährige Freundschaft zwischen Rudolf Carnap und Moritz Schlick trübte sich zeitweise ein, insbesondere wenn es sich um Wittgenstein drehte. Beim Vorwort von Carnaps Logischer Syntax der Sprache wurde um jedes Wort gefeilscht: „Die Schwierigkeit“, tadelte Schlick, „kommt nur daher, dass du Wittgenstein eine andere Auffassung zuschreiben zu müssen glaubst, als er tatsächlich vertritt. – Seine Auffassungen und Ausdrucksweisen sind in jeder Hinsicht viel freier. Waismann und ich haben das doch seit Langem deutlich betont!“ Bei anderer Gelegenheit verteidigt Schlick seine Position etwas blauäugig mit den Worten: „Man kann nicht von meinem Festhalten an Wittgenstein reden, da er ja selbst seine Meinung beträchtlich geändert hat.“ – Letzteres war tatsächlich der Fall. Waismann hatte weiterhin alle Hände voll damit zu tun, sein geplantes Buch über Wittgensteins Philosophie auf den neuesten Stand zu bringen. 278

Schlick schrieb Carnap am Tag vor dem Juliputsch von 1934: „In Wien war es zum Schluss heiß und aufregend. Wittgenstein kam diesmal spät von England, und ich habe nicht viel mit ihm reden können. Die letzte Entwicklungsphase des Waismannschen Buches ist, dass es gar nicht von ihm, sondern von Wittgenstein selbst geschrieben wird!“ Der marxistische Philosophiestudent Heinrich Neider berichtete dasselbe brühwarm an Neurath nach Holland: „Wittgenstein will die Publikation von Waismanns Buch verhindern und ihm die Rechte abkaufen! Dann will er das Buch selbst schreiben. Wie klein ist doch dieser Große!“ Für Neurath bestätigten sich die finstersten Ahnungen: Wittgenstein missbrauche sein Vermögen, um Waismanns Werk zu vereiteln. „Was der Meister da für sein Meisterstück plant, ist schon widerlich! Ich hätte längst die Geduld verloren! Was sagt der Prophet dazu?“ Der Prophet (Schlick natürlich) sagte nichts, und der Meister überlegte es sich einmal mehr. Waismann schrieb also weiter an dem verwunschenen Buch. Er begann auch vorsichtig wieder im Wiener Kreis Bericht zu erstatten über seine Gespräche mit Wittgenstein. Doch über den Zirkel hinaus durfte nichts dringen, nicht einmal bis zu dessen ehemaligen Mitgliedern. Schlick achtete peinlich darauf, dass weder Neurath noch Carnap erfuhren, was in den Sitzungen des Wiener Kreises vor sich ging. Neurath an Carnap: „Über den Schlick Zirkel dringen nur dunkle Berichte an mein Ohr. Der Schwur, über alles zu schweigen, was aus den heiligen Büchern vorgeflüstert wird, bindet alle.“ Aber nicht alle hielten sich an diesen Schwur. Heinrich Neider, ein großer Bewunderer Neuraths, hielt diesen auf dem Laufenden, bis er sich plötzlich erinnerte: „Zu meinem Entsetzen fällt mir ein, dass ich Ihnen übrigens vergessen habe zu schreiben, dass über die Vorlesungen aus dem ‚heiligen Buch‘ strengstes Stillschweigen zu bewahren ist, und ich bitte daher dringendst von meiner Indiskretion keinen Gebrauch zu machen. Unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit soll Ihnen auch darüber berichtet werden.“ Der Physiker Wolfgang Pauli neckte Schlick, dass der Wiener Kreis eine Religion geworden sei. In ähnlichem Sinn schrieb Gustav Bergmann an Otto Neurath verärgert, dass sich der Schlick-Zirkel in eine „Pflegestätte der Philosophie Wittgensteins“ verwandelt hätte, ohne dass Wittgenstein dort jemals aufgetaucht wäre. Allmählich sei es Waismann gelungen, das Sprachrohr des Meisters zu werden. Mehr als diesen einen Erfolg hatte Friedrich Waismann allerdings nicht vorzuweisen. Er ging auf die vierzig zu. Sein Studium war nach über zwan279

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Selbst der unpolitische Gödel muß zur Vaterländischen Front

zig Jahren noch immer nicht abgeschlossen. Sein immer wieder als „im Druck befindlich“ angekündigtes Buch über Wittgensteins Philosophie schien unfertiger denn je. Im Jahr 1935 wurde zu allem Überfluss seine mehr als bescheidene Stelle als Hilfsbibliothekar am Philosophischen Institut eingezogen. Begründung: Der Staat musste sparen, eisern sparen. Alles schien sich gegen Waismann verschworen zu haben. Die antisemitische Hetzkampagne der Hochschülerschaft gegen das „verjudete“ Umfeld am philosophischen Institut richtete sich in erster Linie gegen ihn. Auch seine mathematischen Kurse am Volksheim Ottakring waren eingestellt worden. Schlick bemühte sich zu helfen. Immerhin konnte er seinen internationalen Ruf in die Waagschale werfen. Doch Hinweise darauf stießen im Unterrichtsministerium auf wenig Gehör; und die Mitgliedschaft Schlicks bei der Vaterländischen Front bewirkte rein gar nichts – es war ja jeder Beamte dort Mitglied. Jetzt sah sich der stellungslose Fritz Waismann gezwungen, endlich „seinen Doktor“ zu machen, Prüfungsangst hin oder her. 280

Er war durchaus nicht das einzige Sorgenkind Schlicks. Auch Rose Rand war völlig mittellos. Um über die Runden zu kommen, übersetzte sie wissenschaftliche Werke aus dem Polnischen. Außerdem führte sie, freilich ohne Entgelt, die Protokolle über die Sitzungen des Wiener Kreises.

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Nur einmal wollte es kurz den Anschein haben, als könnte sie dafür bezahlt werden. Von Prag aus hatte nämlich Carnap der Studentin Rose Rand mitgeteilt, „dass wir [Carnap und Neurath] Ihnen sehr dankbar wären, wenn Sie uns einen ausführlichen Bericht über die Zirkelsitzungen des Wintersemesters verfassen können. – Ich werde Ihnen dann durch Studentin Rose Rand Neider das Geld schicken. Die Originalstücke von Wittgenstein interessieren uns natürlich besonders. Wörtliche Zitate daraus bitte besonders kennzeichnen.“ Doch bald darauf musste Carnap an Otto Neurath melden: „Jetzt schreibt Rose Rand, Schlick habe es ihr nicht erlaubt, und zwar, nachdem sie es schon fertig gemacht hatte.“ Um das Los Rose Rands wenigstens etwas zu mildern, hatte ihr Schlick eine Arbeit beim Psychiatrieprofessor Otto Pötzl vermittelt – jenem Arzt, der vor Jahrzehnten Robert Musil seine schwere Neurasthenie bestätigt hatte. Inzwischen war Pötzl als Nachfolger seines einstigen Chefs Julius WagnerJauregg zum Leiter der Psychiatrisch-neurologischen Universitätsklinik aufgestiegen. Schlick kannte Pötzl seit einigen Jahren, da dieser zweimal den rabiaten Johann Nelböck untersucht und zur Pflege eingewiesen hatte. An Pötzls Universitätsklinik schrieb Rose Rand eine philosophische Arbeit: „Die Begriffe ‚wirklich‘ und ‚nichtwirklich‘ aufgrund der Befragung Geisteskranker.“ – Der Wiener Kreis nahm dieses Thema nicht auf. Heute kann man es als Vorläufer der experimentellen Philosophie ansehen. Nichtphilosophen sei es verziehen, wenn sie die Fragestellung für spannender halten als die leidige Protokollsatzdebatte. 281

„DER GRÖSSTE LOGIKER SEIT ARISTOTELES“

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Bald gab es für Schlick wieder einen Anlass, sich an den Psychiater Pötzl zu wenden. Kurt Gödel war, wie geplant, im Frühjahr 1934 von seinem Gastaufenthalt am Institute for Advanced Study in Princeton nach Wien heimgekehrt. Kurz darauf stellte sich heraus, dass der junge Logiker an psychischen Problemen litt. Er brauchte dringend ärztliche Hilfe. Schlick bat Pötzl daher höflichst, ihm seinen „Fakultätskollegen Privatdozent Dr. Kurt Gödel des besonders geneigten Wohlwollens empfehlen zu dürfen.“ Schlick schrieb: Für Gödels geistige Fähigkeiten sei kein Lob zu hoch, er sei schlechthin ein Genie. „Er ist ein Mathematiker allerersten Ranges und seine Arbeiten sind allgemein als epochemachend anerkannt. Einstein hat ihn im Ernst als den größten Logiker seit Aristoteles Sanatorium Purkersdorf, Architekt Josef Hoffmann bezeichnet, und in der Tat ist es fraglos, dass Gödel in den Grundlagenfragen trotz seiner Jugend als die führende Autorität angesehen wird.“ Der größte Logiker seit Aristoteles war damals noch keine dreißig Jahre alt. Er litt an Verfolgungswahn und Vergiftungsängsten. Pötzl ließ ihn in das Sanatorium Purkersdorf einweisen, ein Baujuwel von Josef Hoffmann. Es liegt westlich von Wien, unweit von Otto Wagners Gebäuden für die Nervenklinik Am Steinhof. Pötzl tat sein Bestes, aber Paranoia ist schwer zu behandeln. Es gibt zahllose Anekdoten über Psychiater, vermutlich in Wien noch mehr als anderswo. Immerhin hatten Sigmund Freud und Alfred Adler hier gewirkt, außerdem Julius Wagner-Jauregg und Richard von Krafft-Ebbing. Das gibt schon einiges her. Es existiert sogar eine kanonisierte Fassung dieser Anekdoten, in einem Kapitel von Friedrich Torbergs Die Erben der Tante Jolesch. In diesem Kapitel nimmt der Professor Pötzl einen Ehrenplatz ein. („Wodurch unterscheiden sich die Ärzte in einer geschlossenen Anstalt von den Patienten?“ – Pötzl: „Der, der den Schlüssel hat, ist der Arzt.“) 282

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Eine der Geschichten beschreibt, wie sich Pötzl besonders intensiv eines Patienten mit Verfolgungswahn annahm (es wird wohl weder Nelböck noch Gödel gewesen sein). Zunächst trat eine deutliche Besserung ein. Dann ein unerklärlicher Rückfall. „Man trachtet mir hier nach dem Leben“, knurrte der Patient abgewandten Gesichts. „Aber, aber“, beschwichtigte Pötzl. „Kein Mensch trachtet nach Ihrem Leben.“ Der Unglückselige beharrte: „Ich habe Beweise dafür. Man will mich vergiften.“ „Niemand will Sie vergiften, mein Freund.“ Immer aufs Neue brachte Pötzl die altbewährten Argumente hervor, professionell ruhig, eindringlich, mit unerschütterlicher Geduld. Es half nichts. „Alle verfolgen mich hier“, sagte der Patient. „Ich weiß es. Alle. Auch Sie, Herr Professor.“ „Ich?!“ Jetzt war es mit Pötzls Unerschütterlichkeit vorbei. „Sie sind ja verrückt!“ Zurück zu Gödel: Nach einiger Zeit wurde er entlassen. Geheilt war er nicht. In den folgenden Jahren pendelte er zwischen dem Mathematischen Seminar in Wien, dem Institute for Advanced Study in Princeton, und Heilanstalten wie Purkersdorf, ReKurt Gödel (mit Pelzkragen) und kawinkel und Aflenz. Immer wieder Alfred Tarski (mit Tasche) in Wien suchten ihn seine sonderbaren „Zustände“, wie er sie nannte, heim. – Die Sitzungen des Wiener Kreises besuchte er fast nicht mehr, die des Mathematischen Kolloquiums dagegen so oft es ging. Dass Gödels Arbeiten „epochemachend“ waren, stand bereits außer Frage. Die mathematische Logik wurde in den Dreißigerjahren zu einer Leitwissenschaft, vergleichbar nur mit der Quantenphysik. Brillante junge Wissenschaftler wie der Pole Tarski und der Brite Turing wandten sich dem Gebiet zu. Alfred Tarski (1901-1983) besuchte Wien häufig und diskutierte endlos mit Gödel, Popper und Carnap. Tarski entwickelte damals eine formale Definition des Wahrheitsbegriffs. Sie entsprach der Korrespondenztheorie des gesunden Menschenverstands: Die Aussage „Der Hund bellt“ ist wahr, wenn der Hund bellt. Hier wird eine Aussage, nämlich „das ist wahr“, über eine andere Aussage getroffen, nämlich „der Hund bellt“: Formal verlangt das eine Metasprache, wie Carnap sie eben entwickelte. 283

Später wurde Tarski in den USA zwar nicht zum größte Logiker seiner Zeit – dieser Titel war Gödel nicht streitig zu machen – , aber, wie der Pole scherzte, zum „größten Logiker bei gesundem Verstand“. Alan Turings (1912-1954) Wirkung ist noch bemerkenswerter, und bestimmt unser heutiges Leben. Dabei schienen seine Überlegungen zunächst Lichtjahre weit entfernt von jeder möglichen Anwendung. – Gödels Unvollständigkeitssatz hatte gezeigt, dass es in der Arithmetik wahre Aussagen gibt, die nicht formal bewiesen werden können. Aber gibt es ein allgemeines Verfahren, um festzustellen, ob eine Aussage wahr ist oder nicht? Es muss kein formaler Beweis sein. – Hilbert hatte diese Frage als „Entscheidungsproblem“ bezeichnet. Alan Turing griff Gödels Gedanken auf, um zu zeigen, dass es kein solches Verfahren gibt. Dazu muss erst definiert werden, was ein Verfahren, oder „Algorithmus“, überhaupt ist. Turing entwarf eine Maschine, die grundsätzlich in der Lage ist, alle Algorithmen auszuführen. Die Idee dazu war ihm gekommen, als er nach einem Dauerlauf am Rücken im Gras lag, um ein wenig zu verschnaufen. Als er wieder aufstand, war das Entscheidungsproblem gelöst. Turing bezeichnete seine Maschine als „universellen Automaten“. Sie war eine reine Hirngeburt ohne jeglichen praktischen Nutzen. Selbst eine Rechnung wie 5+7=12 ist für diesen Automaten äußerst umständlich. Doch darum geht es auch gar nicht. Die Hauptsache ist: Turings Maschine kann grundsätzlich jedes Rechenprogramm durchführen. Allerdings gibt es kein Verfahren, das von jedem Programm feststellen kann, ob die Maschine damit zu Ende kommt oder in eine endlose Schleife gerät. – Das konnte Turing beweisen. – Von diesem sogenanntem Halteproblem zu Hilberts Entscheidungsproblem ist es nur noch ein kleiner Schritt. Wenige Jahre später, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, griff Alan Turing seine Gedanken über universelle Automaten wieder auf, als er in Bletchley Park, nördlich von London, am Entschlüsseln des deutschen Wehrmachtscodes Enigma mitwirkte. Daraus entstand der programmierbare Computer. Eine weitere, parallele Entwicklung verlief über John von Neumann auf der anderen Seite des Atlantik. Die scheinbar abstrusen Untersuchungen der mathematischen Logik aus den Neunzehndreißigerjahren führten geradewegs zur digitalen Welt, die uns heute umgibt. ES WAR NELBÖCK Nicht alle Philosophen zeigten sich von der mathematischen Logik begeistert. Sie ginge am eigentlichen Wesen der Logik vorbei, meinten manche. Dieser Ansicht war auch der junge Leo Gabriel (1902-1987), der bei Heinrich 284

Gomperz einst über den Gottesbegriff dissertiert hatte. Gabriels Ziel war eine ganz andere Logik als die formale: Er suchte eine „integrale Logik“, um „die Wahrheit des Ganzen“ erfassen zu können. Das Ganze ist als Begriff noch suspekter als das Nichts. Es dient jenen Denkern als Losungswort, die gegen die analytische Philosophie Front machen; Gabriel gehörte dazu. Es wurmte ihn, wenn Schlick die Hohlheit von Phrasen aufzeigte wie etwa dem altehrwürdigen, aristotelischen Spruch „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. Was, spöttelte Schlick, ist denn die Summe der Teile? – Gabriel hatte bei Schlick das Lehramt gemacht, aber er sah im Wiener Kreis nur einen flachen Positivismus, der die Ganzheit zersetzte. Gabriel wurde Gymnasiallehrer für Philosophie und Geschichte. Er war ein tiefgläubiger Christ und verfasste gelegentlich Artikel für die katholische Tageszeitung Die Reichspost. Im Jahr 1934 wurde er, nach den Februarkämpfen, Referent für Philosophie im Volksheim Ottakring. Das war bislang eine Domäne der Sozialdemokraten gewesen, wie übrigens auch das Gesellschafts-und Wirtschaftsmuseum von Neurath. Das Dollfuß-Regime sperrte diese Einrichtungen nicht zu, sondern führte sie im sogenannten „neuen Geist“ weiter, als Mittel „zur Verbreitung christlicher Gesinnung anstelle wertneutraler Wissenschaftlichkeit“. Von seinen Studientagen her war Leo Gabriel mit dem gleichaltrigen Johann Nelböck befreundet, dem Alptraum Schlicks. Nelböck war tatsächlich nach Wien zurückgekehrt, trotz seines Aufenthaltsverbots, und hatte sich in

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Universität Wien, Philosophenstiege: ein Mord und seine Rekonstruktion

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der Westbahnstraße eingemietet, in einem engen Kabinett, das sich auf einen Innenhof öffnete. Er gab Nachhilfestunden, und bereitete Studierende auf Philosophieprüfungen vor. - Mittellose Privatgelehrte wie er lebten viele in Wien. Die Eltern schickten Nelböck fünf bis zehn Schilling im Monat. Das ist weniger als ein Arbeitsloser damals pro Woche an Unterstützung erhielt. Auch Dr. Nelböck schrieb, so wie Leo Gabriel, für die Reichspost. Er veröffentlichte dort sogar eine Besprechung von Albert Einsteins Buch Mein Weltbild. Nelböck verriss den Physiker ohne viel Federlesens. Er stellte „den Grundmangel“ von Einsteins Weltbild bloß: Dieser Grundmangel sei „das Fehlen tieferen Eindringens in die Probleme streng wissenschaftlicher Methodik und Begründung.“ Solches „Fehlen tieferen Eindringens“ geißelte Nelböck mit umso heftigerer Empörung, als „die dem Autor Albert Einstein nahestehenden, positivistischen Denker es sind, die jedes Vorhandensein von Objektivem (besonders auf dem Gebiet der Moral und des Rechts) in schärfster Weise als sinnloses Denkgebilde verwerfen.“ Damit zielte Nelböck natürlich auf seinen Erzfeind Moritz Schlick. Er hatte noch immer nicht abgerechnet mit ihm. Doch er wich von der Fährte nicht ab. Schlick wusste es nur zu genau. Karl Menger hält in seinen Erinnerungen eine bezeichnende Episode fest. Während eines offiziellen Empfangs hatte er bemerkte, wie Schlick einem Begleiter des Bundespräsidenten zunickte wie einem Vertrauten. – „Haben Sie einen Freund in hohen Kreisen?“, fragte Menger scherzhaft. Schlicks Antlitz verdüsterte sich, und er erwiderte, dass es sich um einen Kriminalbeamten in Zivil handle, der früher zu seinem persönlichen Schutz abgestellt worden sei. Erst bei dieser Gelegenheit erfuhr Menger, dass Schlick seit Jahren von einem Psychopathen verfolgt wurde, der immer wieder drohte, ihn zu ermorden. Doch da auf diese Drohungen nie eine Tätlichkeit gefolgt war, stellte die Polizei regelmäßig nach einiger Zeit den Personenschutz wieder ein. Es passierte ja nichts. – Schlick fiel es immer schwerer, erneut einen Schutz zu beantragen. Menger schreibt: „Nie werde ich das klägliche Lächeln vergessen, mit dem Schlick hinzufügte: ‚Ich fürchte, dass die Polizei langsam glaubt, dass ich der Verrückte bin.‘ “ Im Frühjahr 1936 machte sich Nelböck Hoffnung auf eine Stelle als Lehrer am Volksheim Ottakring. Sein Freund Leo Gabriel hatte ihn dafür vorgeschlagen. Nelböck sollte, so war es geplant, einen Kurs über Positivismus halten. Darüber hatte er ja viel zu sagen. 286

Doch dann erfuhr der Obmann der Volkshochschule von Nelböcks zweifacher Internierung in der „Psychiatrie“. Nach einer amtlichen Überprüfung teilte er dem Bewerber mit, dass er für die Abhaltung des Volkshochschulkurses nicht mehr infrage käme. Man bedauere das lebhaft, fügte der Obmann hinzu; im Übrigen würden sich beim Thema Positivismus vonseiten der Hörerschaft Schwierigkeiten ergeben. Für Nelböck war klar, dass kein anderer als Schlick hinter der Absage stecken konnte. Sein Freund Leo Gabriel bestätigte ihn darin mit irrtümlichen oder missverständlichen Äußerungen. – Vermutlich habe Schlick, hieß es, interveniert, um Friedrich Waismann die Stelle zu verschaffen. Wieder Schlick! Nelböck hatte nichts andres erwartet. Schlick verfolgte ihn auf jedem Schritt. Es musste Schluss gemacht werden. – Nelböck hatte sich eine Pistole gekauft, samt Munition. Der Kauf lag schon mehr als ein Jahr zurück. Zwischenzeitlich war Nelböck von seinem Vorhaben abgekommen, und hatte die Munition in die Donau geworfen. Später kaufte er wieder Patronen: zehn Stück. Er rauchte viel. Seine Zimmerwirtin hörte ihn ganze Nächte lang in seinem Hofkabinett auf und ab gehen. Am 22. Juni 1936 sollte Moritz Schlick seine letzte Vorlesung in diesem Sommersemester halten. Nelböck beschloss in der Früh, Schlick zu töten und anschließend Selbstmord zu begehen. Er steckte die Pistole in die Rocktasche und verließ seine Wohnung gegen 8 Uhr morgens. Die Zimmerwirtin fragte noch, ob er zu Mittag zurück sei. – Nein, das würde er nicht sein. Der Privatgelehrte ging an die Universität und wartete auf der sogenannten Juristenstiege. Schlick würde die gegenüberliegende Philosophenstiege nehmen. Nelböck setzte sich auf eine Bank und entsicherte unauffällig die Waffe in seiner Rocktasche. Eine Studentin war in den Straßenbahnwagen der Linie D zugestiegen, in dem Professor Schlick zu seiner Vorlesung fuhr. Die beiden plauderten etwas. Das Wetter war strahlend schön. Beim Betreten der Aula verabschiedete sich das Mädchen und lief voraus, um noch einen Platz im Hörsaal 41 zu ergattern. Nelböck überholte Schlick auf der Philosophenstiege, und streckte ihn mit mehreren Schüssen nieder. Drei davon waren tödlich. Dann wartete der Mörder vor der Leiche auf seine Festnahme. Fast teilnahmslos ließ er sich abführen. – An Selbstmord, sagte er später, habe er nicht mehr gedacht. Die Nachricht vom Mord verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch das Gebäude. – „Das haben die Nazis getan!“, hieß es erst. – „Nein, es war Nelböck“. – Der Täter habe seinem Opfer „Da, du verfluchter Hund!“ nachgerufen. – Nein, er hätte „Lüstling!“ geschrien. Der Mörder erklärte im Verhör, dass er für seine Tat einstehe. Er hätte sich davon überzeugt, dass ihn der Ermordete nicht aufkommen lassen wollte. 287

– Jetzt war es vorüber, und alles Weitere sei ihm, Nelböck, egal. In Österreich herrschte zu dieser Zeit das Standrecht. Da es aber zweifelhaft schien, ob der Täter als zurechnungsfähig gelten konnte, erfolgte die Verhandlung vor einem ordentlichen Gericht. Es stellte sich bei den Erhebungen bald heraus, dass Schlick am abschlägigen Bescheid der Volkshochschule in keiner Weise beteiligt gewesen war. Leo Gabriel trat nicht als Zeuge auf, obwohl er vorgeladen wurde: Er hielt sich während des Prozesses angeblich in Innsbruck auf. Seine Rolle blieb ausgeklammert. Auch die Affäre mit Silvia Borowicka wurde in den Hintergrund gerückt. Vor den Richtern machte Nelböck zur Verteidigung seiner Tat philosophische statt persönlicher Gründe geltend. Er erklärte: „Im Verhalten Schlicks sah ich die ganze Gewissenlosigkeit seiner Weltanschauung ausgedrückt“. Das Gericht fasste zusammen: In der Vorstellung des Angeklagten war Schlick nichts weniger als der „Räuber seiner Liebe, seines Glaubens und seiner Existenz“. Johann Nelböck sei voll zurechnungsfähig. Wegen Mordes und unerlaubten Waffenbesitzes wurde er zu zehn Jahren Haft verurteilt. Achtzehn Monate später war er wieder frei. CHRISTLICHE PROFESSOREN FÜR DIE „SCHÖNERE ZUKUNFT“

Nelböck wurde beschrieben als „ein Mann mit einer richtigen Philosophengestalt, kraftlos und ohne jede Haltung“, und mit einem schmallippigen Gesicht, das nur durch die mächtige „Philosophenbrille“ einen Ausdruck bekomme. Anscheinend haben Philosophen ein Imageproblem; oder hatten es damals, zumindest. Kaum hatte sich die erste Welle der Erregung gelegt, meldeten sich Stimmen, die um Verständnis für

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Sowohl die Tat selbst als auch die folgende Gerichtsverhandlung hatten einen Sturm im Blätterwald ausgelöst. Dass ein Philosoph einen anderen erschießt, hört man nicht alle Tage. Dass Gegensätze philosophischer Natur zu Mordmotiven werden, sei „die traurige Sensation des Falles“, stand in der lokalen Chronik zu lesen.

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Johann Nelböck: Philosophengestalt mit Philosophenbrille

den Angeklagten heischten, verbunden mit hämischen Kommentaren über sein Opfer, und begleitet von antisemitischen Ausfällen. – Besser gemeint, aber kaum weniger niederdrückend wirkten die offiziösen Entgegnungen. Demzufolge war Moritz Schlick ohnedies arischer Herkunft, sei nie aus dem Evangelischen Bekenntnis ausgetreten und habe auch keineswegs zwei jüdische Assistentinnen beschäftigt, wie allerorts zu hören, sondern lediglich einen jüdischen Bibliothekar, und auch das nur vorübergehend. Es gab auch ergreifende Nachrufe. Die junge Schriftstellerin Hilde Spiel, die bei Moritz Schlick studiert und bei Karl Bühler über die Darstellungsfunktion des Films dissertiert hatte, schrieb in der Presse: „Nicht oft wird ein Gelehrter so sehr zum menschlichen Vorbild für seine Schüler wie Moritz Schlick. - Keiner, der bei ihm nicht zugleich mit der Klarheit im Denken auch die Sauberkeit im moralischen Empfinden aufgenommen hätte.“ Ganz andere Auffassungen wurden in einer der bekanntesten Zeitschriften des „Ständestaats“ vertreten, der Schöneren Zukunft. Dort erschien eine Mahnung zur Gewissenserforschung, verfasst von einem „Professor Austriacus“. Darin wurde der „Weltanschauungskampf“ zwischen dem jungen und einsamen Dr. Nelböck und dem „Abgott der jüdischen Kreise Wiens“, nämlich Moritz Schlick, mitfühlsam dargestellt. Professor Austriacus erwähnte den „wahrhaft unheimlichen Charakter“ des Umstands, dass Dr. Nelböck nicht etwa als Psychopath zur Welt gekommen war, sondern es erst unter „dem Einfluss der radikal niederreißenden Philosophie, wie sie Dr. Schlick vortrug, geworden ist“. Unter Schlicks Führung, so empörte sich der anonyme Professor weiter, hatte sich der sogenannte Wiener Kreis gebildet, der sehr rührig war und – „zum Schaden für den Ruf Österreichs als eines christlichen Staats“ – im Ausland als die österreichische Philosophie angesehen werde. Selbst nach der Auflösung des Vereins Ernst Mach durfte dessen Haupt, eben jener Schlick, dieselben Lehren, die doch „als volks- und kulturzerstörend verboten“ worden waren, weiterhin in Ehren an der bedeutendsten Universität Österreichs vortragen. Wie viele Studenten, klagte Austriacus, seien durch Schlick in große Seelennot geraten! Der Autor des mahnenden Beitrags wusste zu berichten, dass Nelböck jedesmal aufs Höchste erregt war, wenn Schlick seine nihilistischen Lehren vortrug. Man könne sich wohl vorstellen, was in den Seelen der akademischen Jugend vor sich ging, wenn sie vom hohen Katheder herab die Negation all dessen vernahm, was ihr bisher heilig gewesen war. Der Artikel endete mit frommen Worten: „Auf die philosophischen Lehrstühle der Wiener Universität im christlich-deutschen Österreich gehören christliche Philosophen! – Hoffent289

lich beschleunigt der schreckliche Mordfall an der Wiener Universität eine wirklich befriedigende Lösung der Judenfrage!“ Das schien, so schrieb Philipp Frank an Albert Einstein, eine höchst eigenartige Schlussfolgerung, da weder Schlick noch Nelböck Juden waren. „Aber die Katze fällt immer auf ihre Füße.“ Und tatsächlich, bald darauf schrieb ein gewisser Franz Sievering in der Schöneren Zukunft: Es sei nicht beabsichtigt gewesen, Schlick als Juden darzustellen. „Wir haben nur behauptet, dass er ein Judenfreund ist, ja der Abgott der jüdischen Kreise Wiens war.“ Die Reichspost gab, wie üblich, die Linie vor: „Von Schlicks philosophischer Lehre führt zum Geiste des neuen Österreichs keine Brücke“. Jeder Verantwortungsbewusste möge wissen, wo Handlungsbedarf liege: „Auch die Stätten der Wissenschaft müssen dem neuen Österreich erschlossen sein.“ Diese Botschaft verstand der verantwortungsbewusste Unterrichtsminister Hans Pertner. Der Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft dürfe, so sagte er, keinesfalls dazu führen, dass man die Wahrheit verleugnet, und den Irrtum lehrt. Im Übrigen sei er zuversichtlich, trotz allem, denn: „Dass die Abkehr von Materialismus und Liberalismus noch nicht zu einer durchgreifenden Änderung geführt hat, kann uns den Glauben an den Endsieg nicht nehmen.“ Den Endsieg. Im Linzer Volksblatt schrieb ein Bernhard Birk über das bedenkliche Wirken von Schlick: „Vierzehn Jahre lang tranken junge Menschenblüten das Giftfusel des Positivismus als Wasser des Lebens in sich hinein. – Die Wirkung muss eine entsetzliche gewesen sein.“ Robuste Geister hätten das Gift ausgespien. Jedoch, man bedenke, so Birk: „Es gibt auch fein organisierte Geister, Edelporzellan des Volkstums, heimathörige Schollenkinder, edler Wuchs aus dem geistigen Kraftreservoir unseres Bauernstandes, Menschen, entzündlich für das Schöne und Hohe. Schüttet man in diese überaus aufnahmefähigen Naturen eine Lehre wie den Positivismus, dann hat das eine Wirkung, als ob man jemanden Salzsäure oder Schwefelsäure in den Mund schütten würde.“ AUF HALBEM WEG ZUM MOND Die öffentlichen Reaktionen auf den Schlick-Mord führten den Mitgliedern des Wiener Kreises ihre bedrohliche Lage drastisch vor Augen. Zwar trafen sie noch gelegentlich zusammen, etwa in den Wohnungen von Edgar Zilsel oder Friedrich Waismann, doch waren das bereits Rückzugsgefechte. Der Wiener Kreis löste sich auf. Angewidert vom politischen Klima in Österreich entschloss sich Karl Menger, mit seiner jungen Familie in die USA zu emigrieren. Beim Internati290

Franz Alt

Sei zudringlich, schreibt Karl Menger an Franz Alt

onalen Mathematikerkongress von 1936 in Helsinki, wo er als Vizepräsident agierte, konnte er erste sondierende Gespräche führen. Im Jahr 1937 nahm er eine Stelle an der Notre Dame University in Indiana an, weit entfernt, wie er seinen Freunden nach Wien schrieb, „von allen physischen und geistigen Giftgaszentren“. An der Wiener Universität ließ sich Menger zunächst nur karenzieren. Aus der Ferne versuchte er, sein Mathematisches Kolloquium weiter am Leben zu halten. Seinem in Wien verbliebenen ehemaligen Studenten Franz Alt schrieb er am letzten Tag des Jahres 1937: „Tief betrübt bin ich darüber, so wenig für den so schönen und mir so lieben Wiener Mathematikerkreis tun zu können. Ich glaube, ihr sollt alle von Zeit zu Zeit zusammenkommen und insbesondere bewirken, dass Gödel am Kolloquium teilnimmt. Das ist nicht nur für alle anderen Teilnehmer von größtem Nutzen, sondern obwohl er das vielleicht nicht wahrhat, auch für ihn selbst. Der Himmel weiß, in was er sich einspinnen könnte, wenn er nicht von Zeit zu Zeit dich und die anderen Wiener Freunde spricht. Sei deshalb auf meine Verantwortung wenn nötig auch zudringlich.“ Doch Franz Alt konnte Kurt Gödel nicht helfen. Das Mathematische Kolloquium zerfiel ebenso wie der Wiener Kreis. Nicht nur Karl Menger, auch Karl Popper und Friedrich Waismann gelang es, Österreich noch vor dem „Anschluss“ zu verlassen. Trotz des beachtlichen Widerhalls seiner Logik der Forschung durfte Popper sich keinerlei Hoffnung auf eine Anstellung an einer österreichischen Universität machen. Selbst eine Habilitation schien unerreichbar. Er unterrichtete immer noch, so wie seine Frau Hennie, an einer Hauptschule in Wien. 291

Die politische Lage hielt Popper für aussichtslos. Der italienische Abessinienfeldzug hatte Mussolini außenpolitisch isoliert. Der Not gehorchend, rückte der Duce an die Seite Hitlerdeutschlands. Dadurch konnte er sich nicht länger als Beschützer Österreichs aufspielen. Der österreichische Staat verlor damit seine letzte Stütze. Im Juliabkommen von 1936, knappe zwei Jahre nach dem Juliputsch, verpflichtete sich Kanzler Schuschnigg, Vertrauensleute der Nationalsozialisten in sein Kabinett einzugliedern. Im Gegenzug hob Hitler die Tausend-Mark-Sperre auf. Die Grenzen öffneten sich wieder für deutsche Touristen und deutsche Zeitungen. Sie wussten vorwiegend Gutes über das Dritte Reich zu berichten. Immer mehr Österreicher beneideten die Reichsdeutschen: einer Großmacht anzugehören, wäre schon fein. – Freilich, Jude durfte man da nicht sein. Carnap verstand, wie er Popper schrieb, dass diesem „der Boden unter den Füßen brennt.“ Karl Popper hatte sich bereits 1935 vom Schuldienst beurlauben lassen, um in England neue Kontakte zu knüpfen. Sein Englisch war zwar miserabel, doch das sollte sich sehr rasch ändern. Bei jeder Gelegenheit hielt er Vorträge, vermittelt durch ein rasch wachsendes Netz an Förderern. Zu diesen gehörten neben Carnap und Bühler zahlreiche in England tätige Wiener: so der dort eben erst angelangte Kunsthistoriker Ernst Gombrich, der Physiker Ernst Schrödinger, der sich im Gegenteil gerade daran machte, nach Österreich zurückzukehren, und der Ökonom Friedrich Hayek, der sich in London gut eingelebt hatte. Auch mit Alfred J. Ayer, G.E. Moore, Bertrand Russell und Niels Bohr konnte Popper Bekanntschaft schließen, und Einstein verfasste ein Empfehlungsschreiben für ihn. Doch am entscheidendsten für Karl Popper wurde die Unterstützung durch ein Mitglied des Wiener Kreises, nämlich durch Felix Kaufmann (18951949). Kaufmann hatte in Wien Rechtswissenschaften und Philosophie studiert und gehörte sowohl zu den Rechtspositivisten um Hans Kelsen als auch zu den nationalökonomischen Zirkeln um Friedrich Hayek und Ludwig von Mises. Im Wiener Kreis hatte er keine zentrale Rolle eingenommen, was allerdings bei der Teilnahme an so vielen Kreisen auch kaum verlangt werden konnte. – Kaufmann hatte über den Begriff des Unendlichen geschrieben und über die Methodenlehre der Sozialwissenschaften ein Buch verfasst. Über seine beruflichen Kontakte mit England, die Felix Kaufmann als Vertreter der Anglo-Iranian Oil Company erworben hatte, bemühte er sich jetzt, Karl Popper ein Stipendium für die Universität Cambridge zu vermitteln. Dieses Stipendium war eigens für Österreicher gedacht, allerdings lediglich für solche, die sich in einer Zwangslage befanden. In einer Zwangsla292

Popper Nachlass Univ. Klagenfurt Institut Wiener Kreis

Felix Kaufmann verhilft Karl Popper zu einer Seereise

ge befand sich Popper im strengen Sinn allerdings nicht. Denn das offizielle Österreich verfolgte keinen antisemitischen Kurs, und außerdem hatte Popper eine fixe Anstellung, was ja bei der grassierenden Arbeitslosigkeit geradezu als ein Privileg gelten konnte. – Kurz entschlossen reichte Popper bei der Wiener Schulbehörde seine Kündigung ein und verzichtete damit auf ein geregeltes Einkommen. Dadurch befand er sich jetzt auch im strengen Sinn in einer wirklichen Zwangslage. Das war ein waghalsiger Schritt. Aber er brachte den gewünschten Erfolg: Das Stipendium wurde ihm zuerkannt. Kurz darauf, am Weihnachtsabend 1936, erhielt Popper, wieder dank Kaufmann, ein weiteres Angebot: eine Stelle am Canterbury College in Christchurch, Neuseeland. Nun liegt Neuseeland so weit weg von Wien wie nur möglich („auf halbem Weg zum Mond“, meinte Popper), aber eine feste Anstellung verheißt Sicherheit. Riskiert hatte der junge Philosoph schon genug. Er sagte zu. Das dadurch frei gewordene Stipendium für Cambridge ging daraufhin an Friedrich Waismann. Dieser befand sich ja tatsächlich in einer Zwangsla293

ge, seit das Ministerium seine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft gestrichen hatte und er an Volkshochschulen nicht mehr unterrichten konnte. Jetzt konnte Waismann nach Cambridge reisen. Ausgerechnet Cambridge, wo Ludwig Wittgenstein zu Hause war! Allerdings lief Wittgensteins Fellowship gerade damals, 1936, aus. Eine Zeitlang verfolgte der einstige Millionenerbe die Absicht, sich in der Sowjetunion niederzulassen. Die Universität von Kasan bot ihm eine Philosophieprofessur an. Aber nach einem Besuch in der UdSSR ließ Wittgenstein den Plan fallen. „Man könnte dort leben“, schrieb er, noch aus der Sowjetunion, einem Freund, „aber nur wenn man immer daran denkt, dass man nicht frei sprechen kann.“ Stalin bestimmte, wovon man reden kann, und worüber man schweigen muss. Das war dann doch nicht das Rechte für Ludwig Wittgenstein. So pendelte er weiterhin zwischen Cambridge und Wien, mit gelegentlichen Aufenthalten in Norwegen an dem Fjord, wo seine Hütte noch immer stand. – Bald nachdem G.E. Moore in Cambridge in den Ruhestand trat, übernahm Wittgenstein dessen Philosophieprofessur. Es war ein Vierteljahrhundert her, dass Ludwig Wittgenstein G.E. Moore seine Gedanken zur Logik in die Feder diktiert hatte, ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Jetzt stand der Zweite Weltkrieg vor der Tür.

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ZWÖLFTES KAPITEL

Fluchtpunkte 1938-1945. Wien unter Hitler: Schlicks Mörder befreit, Universität gesäubert. Gödel verliert Pass; findet Eheglück; erzielt Durchbruch bei Hilberts Problem Nummer Eins; wird von Wehrmacht für tauglich befunden. Reist 1940 via Sibirien in USA. Reist später nie wieder; befasst sich mit Zeitreisen. Holland 1940: Otto und Marie springen in gekapertes Rettungsboot, treiben über Minen, begegnen Zerstörer. Neurath wird in England interniert, studiert Tennisplätze, wird von Isle of Man zu All Souls in Oxford befördert. Spätes Glück und Sekundentod.

HEXENSABBAT

„Ein wahrer Hexensabbat des Pöbels“, so schilderte es Carl Zuckmayer. Der deutsche Schriftsteller war im Jahr 1933, so wie viele andere, vor den Nationalsozialisten nach Österreich geflohen.

beide: Uni Archiv Univ. Wien

Im März 1938 setzte der österreichische Kanzler Kurt Schuschnigg kurzfristig eine Volksabstimmung an. Wollte man ein freies und unabhängiges Österreich, ja oder nein? Hitler war nicht gewillt, auf die Antwort zu warten. Er setzte seine Truppen in Marsch. Alles lief wie am Schnürchen. Jeder Widerstand erschien sinnlos. Die Wehrmachtskolonnen wurden von fanatisierten Massen bejubelt. Die nicht jubelten zeigte die Wochenschau nicht.

Hitlergruß vor und in der Universität  296 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_12

Jetzt musste er wieder packen: „Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und ihre niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischen Gekreische erfüllt, aus Männerund Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiterschrillte. Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen; die einen in Angst, die anderen in Lüge, die anderen in wildem, hasserfülltem Triumph.“ Der Wiener Bankier Arthur Schlesinger, der im Mathematischen Kolloquium über die Gleichgewichtssätze von Walras gesprochen hatte und damit Abraham Wald zu seinen Untersuchungen angeregt hatte, nahm sich an dem Tag, als Hitler in Wien einzog, das Leben. Schlesingers Selbstmord war einer unter vielen. Die Zeitungen wurden angewiesen, nichts mehr über das leidige Thema zu berichten. Von der University of Notre Dame aus schrieb Karl Menger an die Universität Wien: „Ich kabelte heute: Accepted position abroad giving up Viennese professorship letter follows. Ich bestätige Ihnen hiermit brieflich, dass ich eine Stellung im Ausland angenommen habe und meine Wiener Professur aufgebe. Karl Menger.“

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Sofort nach dem „Anschluss“ setzte eine rücksichtslose „Säuberung“ der Universität ein. An der Philosophischen Fakultät zählten 14 von 45 Ordinarien, 11 von 22 außerordentlichen Professoren, 13 von 32 emeritierten Professoren und 56 von 159 Privatdozenten als sogenannte „Abgänge“. An 297

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„Zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten“

der Medizinischen Fakultät waren die Verluste noch krasser. Österreich, das nur mehr als „Ostmark“ bezeichnet werden durfte, amputierte sein Hirn. Das „Gesetz über die Neuordnung des Berufsbeamtentums“ lieferte die Handhabe für die vielen „Versetzungen in den Ruhestand“. Als wesentliches Druckmittel diente dabei der Diensteid, den alle Universitätsangestellten abzulegen hatten. Natürlich durften ihn nur die „Arier“ leisten. In seiner Antrittsrede bemängelte der neue, kommissarisch eingesetzte Rektor Knoll die bisherige Zurückhaltung der Professoren gegenüber dem Nationalsozialismus und verkündete warnend: „Nun ist alles anders geworden. Der Anschauungsunterricht, den die Professorenschaft während der Zeit der Anwesenheit des Führers in Wien genossen hat, wird seine Wirkung nicht verfehlen.“ Einer aus der Professorenschaft, der in den Genuss des Anschauungsunterrichts kam, war Otto Pötzl, der Leiter der „Psychiatrie“. Er war zwar selbst nicht jüdisch, aber lange Jahre Mitglied von Sigmund Freuds Psychoanalytischer Gesellschaft gewesen, also offensichtlich ein „Judenfreund“. Was den über achtzigjährigen Freud betrifft, der hatte natürlich seine Koffer packen müssen. Er emigrierte nach London. Otto Pötzl blieb in Wien. Er verlor allerdings seine Stelle, auf persönliche Anordnung des Dozentenbundführers. 298

Archive Univ. Pittsburgh

Aber Pötzl war nicht gewillt, seine Klinik und damit sein Lebenswerk aufzugeben und einem inkompetenten Nazi-Günstling zu weichen. So bewarb er sich um die Mitgliedschaft bei der Partei. Das machten damals so viele Österreicher – die „Märzveilchen“ nannte man sie – dass die NSDAP ein Moratorium verkünden musste. Doch Pötzls Schachzug hatte Erfolg. Der Wille galt fürs Werk. Nach wenigen Wochen war er wieder zum Leiter seiner Klinik bestellt. Er konnte sich natürlich leicht ausrechnen, dass der Dozentenbundführer alle seine weiteren Aktivitäten mit Argusaugen verfolgen würde. Den neuen Machthabern entging nichts.

Carnap verabschiedet sich von Europa

Fortan wurde jede Vorlesungsstunde mit dem „Deutschen Gruß“ eingeleitet. Allerdings geriet dieser nicht immer so stramm wie von den neuen Machthabern gewünscht, und bereits im Mai 1938 musste der NS-Studentenführer in einem Rundschreiben die grassierende „Haltungslosigkeit“ in die Schranken weisen. Jeder Haltungslose wurde gewarnt, dass er sich „jenseits unserer Gemeinschaft“ stelle, die „von nun an geschlossen und scharf“ dagegen vorgehen würde. Schon für das Sommersemester 1938 wurde ein Numerus clausus für jüdische Studierende eingeführt, sowie eine Aufnahmebeschränkung für Studentinnen. Wer neu zugelassen werden wollte, musste nach bestem Wissen und Gewissen versichern, weder Jude zu sein noch als solcher zu gelten. Die Benutzung der Universitätsbibliothek wurde Juden untersagt. Die Universität führte über die wenigen verbleibenden jüdischen Hörer penibel Buch, und teilte ihre Namen unaufgefordert der Gestapo mit. Im Wintersemester, nach den Novemberpogromen der sogenannten „Reichskristallnacht“, wurde Juden das Betreten der Universität überhaupt verboten. Die Universität rühmte sich, nunmehr „judenfrei“ zu sein. Juden, die entliehene Bücher zurückgaben, mussten das auf der Treppe vor dem Hauptgebäude tun. Das hielt die Bibliothekare auf Trab.

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NACHRUF Der Wiener Mathematiker Walter Rudin (1921-2010), der den Einmarsch als siebzehnjähriger Schüler miterlebte, schrieb später: „In einer Hinsicht ging es uns besser als den deutschen Juden. In Deutschland wurden die Schrauben nur langsam angezogen. – Darum zögerten viele deutsche Juden, bis es zu spät war. In Österreich wurde innerhalb weniger Tage klar, dass es keine Alternative zum Verlassen des Landes gab.“ Zuckmayer schrieb in seiner Autobiografie Als wär’s ein Stück von mir: „Was hier entfesselt wurde, hatte mit der ‚Machtergreifung‘ in Deutschland, die nach außen hin scheinbar legal vor sich ging und von einem Teil der Bevölkerung mit Befremden, mit Skepsis oder mit einem ahnungslosen, nationalen Idealismus aufgenommen wurde, nichts mehr zu tun. Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Missgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht – und alle anderen Stimmen waren zum Schweigen verurteilt.“ Einigen von den wenigen noch verbliebenen Mitgliedern des Wiener Kreises gelang es in den Monaten der ständig zunehmenden Verfolgung, das rettende Ausland zu erreichen: zu ihnen gehörten Rose Rand, Gustav Bergmann und Edgar Zilsel. Rose Rand, die sämtliche vorgeschriebene Prüfungen längst absolviert hatte, erwarb in einer sogenannten „Nichtarierpromotion“ ihren Doktorgrad, und wurde im selben Aufwasch auch mit einem Berufsverbot belegt. Ihre Arbeit über den Wirklichkeitsbegriff von Geisteskranken, die bereits zum Druck angenommen worden war, konnte nach dem „Anschluss“ nicht mehr erscheinen. In England fand Dr. Rand dürftigen Unterschlupf als Hilfspflegerin im St. Albans Hospital for imbecile children, wo niederschmetternde Bedingungen herrschten. – Rudolf Carnap und Philipp Frank waren schon längst aus Prag in die USA gezogen. Auch Mitglieder des Wiener Mathematischen Kolloquiums, wie Abraham Wald und Franz Alt, konnten gerade noch rechtzeitig der Shoah entkommen. Die Weltöffentlichkeit war empört. Doch außer Mexiko legte kein Staat gegen den „Anschluss“ Protest ein. „Was jetzt die Auslandspresse über Wien schreibt“, seufzt eine der Romanfiguren aus dem Fragment Mainacht in Wien von Leo Perutz, „das liest sich wie der Nachruf auf einen gefeierten Filmstar, dem die Welt viele Stunden künstlerischen Genusses zu danken hat - und jetzt ist er uns entrissen, aber die großen Filmproduzenten werden auch ohne ihn auskommen.“ Adolf Eichmann, der 1933 Österreich als illegaler Nazi verlassen hatte, war wieder zurück. Er baute die Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien aus, die man sinnigerweise im luxuriösen Palais Rothschild unterbrach300

te. Diese Zentralstelle erwies sich als großer Erfolg und wurde bald überall im Reichsgebiet kopiert. An Geld für den Ausbau mangelte es nicht, dafür sorgte die drakonische „Reichsfluchtsteuer“. Die SS-Karriere des Adolf Eichmann entwickelte sich unaufhaltsam weiter, und die Warteschlangen für Ausreisegenehmigungen wurden täglich länger. GNADE FÜR NELBÖCK Auch für Johann Nelböck verhieß der „Anschluss“ eine Ortsveränderung. Er saß seit einem Jahr in der Haftanstalt Stein. Für Professor Sauter schien der Moment gekommen, dem Mörder Schlicks zur Freiheit zu verhelfen. Über Sauter ist wenig bekannt, außer dass er wahrscheinlich jener „Professor Austriacus“ war, der den infamen Presseartikel in der Schöneren Zukunft verfasst hatte. Jetzt überreichte Sauter dem Justizminister eine Bitte um Gnade für Nelböck. Beim Mord habe es sich um ein Notdelikt gehandelt – ein Delikt aus weltanschaulicher und politischer Not. Moritz Schlick war bekanntermaßen „Exponent des Judentums an der philosophischen Fakultät“ gewesen, und außerdem ein frühes Mitglied der Vaterländischen Front. Hingegen sei Nelböck „stark von nationalen Motiven und ausgesprochenem Antisemitismus“ erfüllt. Von diesen weltanschaulichen und politischen Motiven hatte damals, während der „Systemzeit“, wie die Jahre des „Ständestaats“ jetzt hießen, nicht gesprochen werden dürfen. Deshalb hatten diese Motive bei dem Prozess nicht berücksichtigt werden können. Das Argument schien den neuen Machthabern zwingend einzuleuchten. So kam Johann Nelböck im November 1938 frei. Die Reststrafe von sieben Jahren, einem Monat und 29 Tagen musste er nicht mehr verbüßen. Er erhielt, erstmals in seinem Leben, eine geregelte Arbeit: eine Anstellung in der geologischen Abteilung der kriegswirtschaftlichen Erdölverwaltung. Einige Jahre später, noch vor Ende der Probezeit, ersuchte Nelböck um Tilgung aus dem Strafregister, „um wieder ganz in die Volksgemeinschaft zurückkehren zu können“. Er dürfe sich rühmen, „durch die Beseitigung eines jüdische, volksfremde und volksschädliche Lehren verbreitenden Lehrers dem Nationalsozialismus einen Dienst erwiesen zu haben“. Da nun die NS-Weltanschauung der heute herrschende Staatsgedanke sei, empfände er es als Härte, noch weiterhin für den Nationalsozialismus leiden zu müssen. Die Wiener Gauleitung befürwortete das Gnadengesuch. Doch der Privatkanzlei des Führers erschien dieser Schritt als verfrüht. Der Oberstaatsanwalt schloss sich dem an: es bleibe doch die Tatsache bestehen, dass es vorwiegend persönliche Motive gewesen seien, die Nelböck zur Tat getrieben hätten, und nicht etwa die Absicht, die Gemeinschaft von einem Volksschäd301

ling zu erlösen. Im Übrigen scheine es für die Rechtsordnung nicht ohne Gefahr zu sein, jemanden zu begnadigen, der meint, einen als schädlich erkannten Menschen beseitigen zu dürfen. – So blieb Nelböcks Name noch eine Zeitlang im Strafregister vermerkt. DER SCHIRM UND DIE TÄNZERIN

beide: Princeton Univ. Library

Kurt Gödel zählte nicht zu den rassisch Verfolgten und hatte auch politisch wenig zu fürchten. Er war in seinen Äußerungen stets zurückhaltend gewesen. Allerdings war seiAdele Nimbursky (1899-1981) ne Lehrbefugnis eingezogen worden, im Zuge einer generellen Maßnahme: Den Titel „Privatdozent“ hatte das Dritte Reich abgeschafft. Das wurmte Gödel, aber so blieb ihm wenigstens der Diensteid erspart. Einige Wochen vor dem Einmarsch der Wehrmacht in Wien hatte Kurt Gödel an einem Samstagabend in der Wohnung von Edgar Zilsel vor den wenigen noch verbliebenen Mitgliedern des Schlick-Zirkels einen Vortrag gehalten. Es war vermutlich das letzte Treffen der kleinen Gruppe. Gödels Referat über Widerspruchsfreiheit richtete sich ausschließlich an Mathematiker. Von denen befand sich allerdings kein einziger mehr unter den Zuhörern. Wissenschaftlich war Gödel in Wien Adele (mit Schirm) längst völlig isoliert. und Kurt (mit Brille) Allein war er trotzdem nicht. Schon 1929, im Jahr seines Doktorats, hatte er Adele Nimbursky kennen und lieben gelernt: eine geschiedene Frau, ehemalige Tänzerin, acht Jahre älter als Kurt. Ihr Vater war Fotograf. Adele lebte nunmehr bei ihren Eltern. Dort übte sie auch ihren neuen Beruf aus, nämlich Masseuse. „Wiener Wäschermädeltyp“, notierte Oskar Morgenstern später über sie in sein Tagebuch, „wortreich, ungebildet, resolut, und hat ihm wahrscheinlich das Leben gerettet.“ Kurts Kollegen wussten über all die Jahre hinweg nichts von diesem Verhältnis. Seine Mutter und sein Bruder verhielten sich eisig ablehnend. Adele passte ihrer Auffassung nach überhaupt nicht zu Kurt. – Doch sie betreute ihn hingebungsvoll. Wenn er in Princeton weilte, wartete sie in Wien auf die 302

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Vollmacht für die Braut

Rückkehr ihres unverständlichen geliebten Genies. Einmal hatte Gödel seinen Aufenthalt in Amerika wegen eines Nervenzusammenbruchs abkürzen müssen; einmal war er gezwungen gewesen, schon bei der Hinfahrt umzukehren. – Wenn er sich im Sanatorium befand, besuchte ihn Adele dort diskret. Die Vergiftungsängste, die Kurt schon lange plagten, wurden immer ärger. Wenn seine „Zustände“ besonders schlimm waren, konnte er nur zu sich nehmen, was ihm Adele gekocht hatte, und auch das nur, wenn sie es vor seinen Augen von seinem Teller und mit seinem Löffel vorgekostet hatte. Auch nach dem „Anschluss“ des Jahres 1938 stand die resolute Adele ihrem Kurt beschützend zur Seite. Als ihm einmal auf der Straße ein paar NS-Rowdies die Brille vom Kopf rissen, weil sie ihn für einen Juden hielten, schlug Adele die Burschen mit ihrem Regenschirm in die Flucht. Nach beinahe zehnjähriger Freundschaft schien nunmehr die Zeit gekommen, zu heiraten – auch wenn sich Gödels Mama eine bessere Partie erhofft hatte. Gödel war mehr als froh, Adele alle Vollmachten für das Eheaufgebot zu übertragen. Die neue Wohnung lag in einem vornehmen Haus am Stadtrand, im noblen Grinzing, nahe bei den Weinbergen. Im September 1938 wurde geheiratet. Bereits zwei Wochen später zog Gödel neuerlich für ein Gastsemester nach Princeton. Der Reiseantritt bereitete ihm keine Schwierigkeiten, trotz der zum Zerreißen angespannten politischen Lage in diesen Tagen des Münchener Abkommens. Er besaß seit Längerem ein Visum für die mehrmalige Einreise in die USA, und befand sich in zuversichtlicher Stimmung. Adele jedoch blieb zurück in Wien. Sie sollte beim nächsten Mal mitkommen. 303

DIE TONLEITER DER UNENDLICHKEITEN In Gödels Reisegepäck befanden sich sensationelle neue Ergebnisse. Er hatte sich nunmehr der Mengenlehre zugewandt. Da auf diesem Zweig der Mathematik alle anderen Zweige beruhen, etwa die Geometrie oder die Analysis, ist die Mengenlehre auch von philosophischer Bedeutung. Seit dem Russellschen Paradox hatte sich in diesem Fach viel getan. Man war sehr vorsichtig geworden. Mengen, die sich selbst enthalten, ließ man nicht mehr zu. „Die Menge aller Ideen“ oder „die Menge aller Mengen“ erklärte man gewissermaßen zu mathematischen Unpersonen – oder zu Unmengen, wie Mathematiker zu scherzen beliebten. Die neuen Axiome verlangten, dass Mengen nach strengen Regeln gebildet werden. Zu diesen Regeln zählt das sogenannte Auswahlaxiom: Liegt eine Familie von nichtleeren Mengen vor, so kann man aus jeder dieser Mengen je ein Element auswählen und damit eine neue Menge bilden. Das ist keineswegs so selbstverständlich, wie es zunächst scheinen mag, und führt zu äußerst sonderbaren Resultaten. Ernst Zermelo, der Schüler von Hilbert, Kritiker Boltzmanns und Mitarbeiter von Hahn, hatte dieses Axiom erstmals formuliert. Nun hatte Gödel nachweisen können, dass es nicht in Widerspruch stand zu den anderen Axiomen. Der Beweis war ein tour de force erster Güte. Noch bemerkenswerter war Gödels Resultat über die Kontinuumshypothese von Cantor. Georg Cantor (1845-1918) hatte als erster die Scheu der Mathematiker vor dem Unendlichen abgelegt und damit zu rechnen begonnen. Die Menge aller natürlichen Zahlen 1,2,3,… liefert gewissermaßen die kleinste Unendlichkeit. Die Menge der geraden Zahlen 2,4,6,… ist nicht „weniger unend1 3 4 5 ... 2 lich“, erstaunlich genug: Denn man kann jede natürliche Zahl mit der verdoppelten Zahl paaren, also 1 mit 2, 2 mit 4, 3 mit 6 und so 2 4 6 8 10 . . . weiter. Dann besitzt jede Zahl aus der Menge der natürlichen Zahlen genau einen Partner in der Menge der geraden Zahlen, und umgekehrt. Andrerseits scheint die Menge aller Bruchzahlen, wie etwa 7/2 oder 1/13, viel „unendlicher“ zu sein als die Menge aller natürlichen Zahlen. Zwischen je zwei natürlichen Zahlen, etwa 1 und 2, liegen ja unendlich viele Bruchzahlen. Aber Cantor hatte gezeigt, dass man die Bruchzahlen durchnummerieren kann. Man kann die natürlichen Zahlen und die Bruchzahlen so paaren, dass jeder natürlichen Zahl genau eine Bruchzahl zugeordnet ist. Die Bruchzahlen 304

kann man also abzählen. Daher sind die Mengen der natürlichen Zahlen und der Bruchzahlen „gleichmächtig“, wie man sagt. Die Punkte auf der Zahlengeraden, dem sogenannten Kontinuum, lassen sich aber nicht abzählen. Dem Kontinuum kommt eine größere Unendlichkeit als den natürlichen Zahlen zu. – Überhaupt gibt es unendlich viele Unendlichkeiten, wie Cantor nachgewiesen hat. Die Kontinuumshypothese behauptet, dass die nächstgrößere Unendlichkeit, nach der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen, jene des Kontinuums ist. Der Beweis dieser Behauptung war Problem Nummer 1 auf Hilberts famoser Liste aus dem Jahr 1900. Gödel bewies im Jahr 1938 ein Teilergebnis: Die Kontinuumshypothese widerspricht nicht den anderen Axiomen der Mengenlehre. Von der Hand weisen kann man die Kontinuumshypothese also nicht. – Gödels Beweis war ungemein aufwändig, weitaus schwieriger als der Beweis des Unvollständigkeitssatzes, und eröffnete einmal mehr mathematisches Neuland. Bereits damals wurde vermutet, dass auch die Verneinung der Kontinuumshypothese nicht im Widerspruch steht zu den übrigen Axiomen der Mengenlehre. Gödel bemühte sich jahrelang, auch das zu beweisen. Es gelang aber erst im Jahr 1963, und zwar nicht ihm, sondern dem jungen Amerikaner Paul Cohen (1934-2007). Die meisten Mathematiker folgerten, dass die Situation in der Mengenlehre analog ist zu der in der Geometrie. Im selben Sinn, in dem das Parallelenaxiom unabhängig ist von den übrigen Axiomen der Geometrie, ist die Kontinuumshypothese unabhängig von den übrigen Axiomen der Mengenlehre. Man kann Mengenlehre mit oder ohne Kontinuumshypothese betreiben, mit oder ohne Auswahlaxiom; ebenso, wie man Geometrie mit oder ohne Parallelenaxiom treiben kann. Die Entscheidung steht jedermann frei. – Das passte gut zum Toleranzprinzip. Gödel selbst aber zog einen anderen Schluss: Nämlich, dass die „wahren“ Axiome der Mengenlehre noch nicht gefunden worden sind. Das setzt voraus, dass es irgendwo, in einem Reich der Ideen, die wahre Mathematik gibt. Wir erfinden sie nicht; wir entdecken sie bloß, wie einen fremden Kontinent. – Das ist ein Standpunkt, den nur ein überzeugter Platoniker einnehmen kann, und der Denkern wie Carnap, Wittgenstein, Hahn oder Menger völlig überholt vorkam. Über seine platonische Auffassung sprach Kurt Gödel viele Jahre lang ebenso wenig wie einst über seine Liaison mit Adele. Er blieb einfach dabei. Gödel hielt 1939 am Jahrestreffen der American Mathematical Society einen Vortrag über die Kontinuumshypothese. Er wurde zu einem Hauptvortrag für den nächsten Kongress der Internationalen Mathematischen Gesellschaft eingeladen, der für 1940 angesetzt war. Diese Kongresse waren das Gegen305

stück der Olympischen Spiele. Doch bald wurde klar, dass die politische Entwicklung sowohl den Kongress als auch die Spiele unmöglich machte. Während Gödel in Amerika weilte, marschierten Hitlers Truppen in Prag ein, unter Bruch des Münchner Abkommens. Auch den Arglosesten wurde klar, dass es demnächst zum Krieg kommen musste. Nach seinem Gastsemester am Institute for Advanced Study verbrachte Gödel noch einige Monate bei seinem Freund Karl Menger an der Notre Dame University in Indiana. Dann jedoch kehrte er, trotz Mengers Beschwörungen, heim nach Wien. Er beabsichtigte, im Herbst wieder nach Princeton zu reisen, diesmal mit seiner Frau. – Als er sich am 14. Juni 1939 in New York auf die Bremen einschiffte, ahnte er nicht, dass er damit zu einer Weltumrundung aufgebrochen war. „DER KAFFEE IST ERBÄRMLICH“

Princeton Univ. Library

Im Wien des Sommers 1939 verschlang die bürokratische Maschinerie des Dritten Reiches den weltfremden Gödel. Es begann damit, dass sein österreichischer Pass eingezogen wurde. Österreich gab es ja nicht mehr, sondern die „Ostmark“. Kurt Gödel bekam zwar als deutscher Staatsbürger einen neuen Pass, aber der enthielt nicht das amerikanische Visum für die mehrfache Ein- und Ausreise. Dieses befand sich im alten, jetzt ungültigen Pass. Ein heillos überfordertes US-Konsulat sah sich außerstande, das Visum einfach zu übertragen. Gödel musste sich also in die Schlange der Hunderttausenden einfügen, die auf Einreiseerlaubnis in die USA warteten. Eine besondere Zwangslage konnte er nicht geltend machen, denn er war ja nicht politisch verfolgt. Andererseits kam er für das privilegierte „Professorenvisum“ auch nicht infrage, denn eine Voraussetzung dafür war, in den letzten zwei Jahren reguläre Vorlesungen abgehalten zu haben. Das hatte Gödel aber nicht.

Finstere Aussichten für Kurt Gödel: “Beleuchtungen abmontiert“ 306

beide: Princeton Univ. Library

Außerdem war ihm ja seine Lehrbefugnis aberkannt worden. Stattdessen durfte er sich um den vom NS-Ministerium eingeführten Grad eines „Dozenten Neuer Ordnung“ bewerben. Dass sein Ansuchen Erfolg haben würde, schien aber ausgeschlossen. Gödel hatte keine Unterstützer mehr an der Universität, niemanden, der auch nur einen Schimmer vom Wert seiner Leistungen ahnte. Seine Art der Mathematik war durch ihre hohe Abstraktion und ihren Formalismus den Vorstellungen einer „Deutschen Mathematik“ geradezu konträr. Diese Deutsche Mathematik war zwar nicht sehr deutlich definiert, aber allen war klar: Ballistik war in, Logik out. – Selbst David Hilbert, der in Göttingen mit dem Schweizer Paul Bernays (1888-1977) ein zweibändiges Werk über die Grundlagen der Mathematik fertig stellte, geriet ins Abseits. Als er 1943 starb, fand sein Hinscheiden weitaus mehr Beachtung in Amerika als in Deutschland. In den hektischen Wochen des Sommers 1939 wurden Kurt Gödels Probleme mit der Wiener Bürokratie allmählich unüberschaubar. Seinem Freund Karl Menger klagte er in einem Brief über schier „endlose Laufereien“. Leo Perutz schilderte in einem Romanfragment die Lage der Ausreisewilligen so: „Ämter, deren Namen keiner je zuvor vernommen hatte, traten aus dem Dunkel ihrer Verborgenheit hervor, machten ihre Forderungen geltend und wollten befriedigt oder wenigstens beachtet und befragt werden.“ Gödels Wohnung in Grinzing war bereits gekündigt, eine neue musste gefunden werden. Und das Devisenamt machte Schwierigkeiten wegen der Dollars, die Gödel in den USA verdient hatte. Im Zuge der Amtshandlungen wurde festgestellt, dass sich Gödel vor seiner letzten Abreise im Herbst 1938 nicht ordnungsgemäß von der Universität Wien abgemeldet hatte. Zwischen Universität und Ministerium kam es zu

John von Neumann erwirkt die Erlösung vom Alptraum: ein Visum für Gödel 307

Werner DePauli-Schimanovich

Oskar Morgenstern entspannt sich mit Kurt Gödel

einem Briefwechsel über den mutmaßlichen Aufenthaltsort Kurt Gödels. Er befand sich in Wien, aber das schien niemand zu wissen. Des Weiteren bemäkelte ein Beamter, dass für den Gödelschen Abstammungsnachweis zwar 16 Urkunden vorlägen, aber nicht die Trauscheine der Eltern. Kurt Gödel möge sie ehestbaldig vorlegen. Ob auch die Trauscheine der Großeltern vonnöten wären, blieb in der Schwebe. Der Dozentenbundführer hielt fest, dass Gödel in wissenschaftlichen Kreisen zwar hohes Ansehen genieße, dass aber sein Lehrer Hans Hahn ein jüdischer Professor gewesen sei, „wie überhaupt die Mathematik in Wien während der Systemzeit stark verjudet war“. Zwar gelte Gödel als unpolitisch, aber er würde „aller Voraussicht nach den schwierigen Lagen, denen er als Vertreter des Neuen Deutschland in den USA begegnen würde, kaum gewachsen sein“. Als im September 1939 der Krieg ausbrach, saß Gödel noch immer in Wien fest. Er wurde bei der Musterung zur deutschen Wehrmacht als tauglich für den Garnisonsdienst befunden. Seine Situation schien heillos verfahren. Doch da schritt in Princeton John von Neumann ein, wie ein deus ex machina. „Gödel ist in einer Klasse für sich“, teilte er dem Direktor des Institute for Advanced Study mit. Um es noch deutlicher zu machen: „Gödel ist absolut unersetzlich. Er ist der einzige Mathematiker, von dem ich das zu behaupten wage.“ Deswegen brauche das Institut Gödel. John von Neumann fügte seinem Schreiben eine meisterhafte Analyse der verzwickten Lage bei und schlug einen Ausweg vor. Die bürokratischen Hür308

beide: Uni Archiv Univ. Wien

Gödel wird Dozent neuer Ordnung und soll heimgeschafft werden

den des State Departements wurden überwunden, und zu Beginn des Jahres 1940 erhielten die Gödels endlich ihr ersehntes Einreisevisum für die USA. Eine Überquerung des Atlantiks erschien wegen der U-Boote zu gefährlich. Aber noch gab es keinen Krieg zwischen Hitler und Stalin, und noch war Japan neutral. So reiste das Ehepaar Gödel über Berlin und Moskau, dann durch Sibirien und die Mandschurei, schließlich über Port Harbin nach Yokohama – wo sie ihr Schiff versäumten. Doch ein paar aufregende Wochen später erreichten sie San Francisco. „Die schönste Stadt, die ich je gesehen habe“, schrieb Gödel seinem Bruder erleichtert. 46 Tage nach ihrem Aufbruch in Wien erreichten Kurt und Adele die sicheren Gefilde von Princeton. Sein Freund Oskar Morgenstern notierte im Tagebuch: „Gödel ist aus Wien gekommen. Diesmal mit Frau. Über Wien befragt: ‚Der Kaffee ist erbärmlich!‘ “ Morgenstern selbst hatte sich während der Tage des „Anschlusses“ in den USA befunden. Dort musste er erfahren, dass er auf einer schwarzen Liste der Nazis stand – Arier hin oder her. Er hatte sich bei den neuen Machthabern unbeliebt gemacht. Große Teile der letzten Budgetrede des österreichi309

schen Finanzministers entstammten Morgensterns Feder. Als Direktor des Wiener Instituts für Konjunkturforschung hatte er wiederholt die wirtschaftliche Lebensfähigkeit Österreichs betont. Derlei passte nicht in die Rechnung der Nazis. – Morgenstern hatte nicht die Absicht, im Konzentrationslager in Dachau zu landen, so wie die halbe österreichische Bundesregierung der nunmehr verfemten „Systemzeit“. Er diente sich in Princeton zum Professor hoch. In Wien aber mahlten die bürokratischen Mühlen noch lange nach Gödels Abreise weiter. Durch eine sonderbare Fügung wurde er, gegen alle Erwartungen, in absentia zum „Dozenten Neuer Ordnung“ ernannt, was laut Ernennungsurkunde auch „den besonderen Schutz durch den Führer“ nach sich zog. Dieser stand am Gipfel seiner Macht: Er hatte soeben Paris eingenommen. Seine Urkunde holte Gödel nie ab. Die Empfangsbestätigung wartet noch heute im Universitätsarchiv auf seine Unterschrift. Gödels Bruder Rudolf wurde wiederholt von den NS-Behörden nach dem Grund dieser Säumigkeit befragt. Rudolfs Antworten nahmen einen zunehmend gereizten Ton an: „Wie bereits mehrfach mitgeteilt, befindet sich mein Bruder in den Vereinigten Staaten.“ Und das würde sich so schnell nicht ändern, denn das Außenamt habe ausdrücklich vor Seereisen gewarnt. Im Juni 1941 wurde Kurt Gödel zum deutschen Generalkonsul nach New York beordert. Dieser eröffnete Gödel, dass er ihn ins Dritte Reich „heimschaffen“ wolle. Gödel parierte mit dem Hinweis, dass er dort keinen bezahlten Posten fände, und überdies auch gesundheitlich nicht voll auf der Höhe sei. – Wenig später wurde die Angelegenheit gegenstandslos. Hitlers Truppen fielen im Juni 1941 über die Sowjetunion her. Fortan stellte die Transsibirische Route keine Reise-Option mehr dar. Ein halbes Jahr später erklärte Adolf Hitler auch den Vereinigten Staaten den Krieg. Gödel wurde dadurch in den USA zum „enemy alien“, also zum feindlichen Ausländer. Seine einsamen nächtlichen Spaziergänge erregten bei den Nachbarn gehöriges Misstrauen. Das Institut konnte aber beschwichtigen. Im Jahr darauf wurde Gödel von einer Stellungskommission der US Army zur Musterung bestellt. Dem wackeren Institute for Advanced Study gelang es jedoch, auch diese Bedrohung zu bannen. ZEITREISEN MIT KURT GÖDEL In jenen Jahren entspann sich am Institut eine enge Freundschaft zwischen Gödel und Einstein, trotz des beträchtlichen Altersunterschieds der beiden. „Warum wohl Einstein an den Gesprächen mit mir Gefallen fand?“, fragte sich Gödel später. Er vermutete eine der Ursachen darin, dass er „häufig der 310

Foto: Richard Arens

entgegengesetzten Ansicht war und kein Hehl daraus machte“.

„Gödel war der einzige von uns, der mit Einstein auf Augenhöhe verkehrte“, bestätigte der Physiker Freeman Dyson, Geburtsjahrgang 1923, und damals hoffnungsvoller Nachwuchs am Institut. – „Ihre Persönlichkeiten unterschieden sich auf beinahe jede Weise“, meinte ein anderer Kollege. „Aber eine fundamentale Eigenschaft war ihnen gemeinsam: Beide gingen voller Schwung und ohne Umschweife auf die zentralen Fragen los.“ – Einstein selbst scherzte gern, dass er nur ans Institut käme, um das Privileg zu genießen, Gödel auf dem Heimweg begleiten zu dürfen. Vielleicht war es gar kein Scherz. Albert Einstein spaziert mit Kurt Gödel Diese „größte intellektuelle Freundschaft seit Plato und Sokrates“, wie sie genannt wurde, führte zu einer erstaunlichen Entwicklung. Gödel war vom Herausgeber eines Sammelbands über Albert Einstein, Philosopher-Scientist gebeten worden, etwas Philosophisches über Kant und die Relativitätstheorie beizutragen. Dieses Thema war keineswegs originell: Unter anderem hatten auch Schlick und Carnap schon darüber geschrieben. Doch Gödel vertiefte sich mit seiner charakteristischen Gründlichkeit in die Materie. Aus dem geplanten philosophischen Aufsatz entstand eine mathematische Theorie: Gödel entdeckte eine bemerkenswerte Klasse von Lösungen der Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Es ergab sich daraus die grundsätzliche Möglichkeit von rotierenden Universen, für die keine absolute Zeit existiert und keine globale Gleichzeitigkeit. Solche Universen rotieren nicht um eine Achse; vielmehr rotieren sie in Bezug auf jeden lokalen Trägheitskompass. Das widersprach dem, was Einstein als das Machsche Prinzip bezeichnet hatte und zum Ausgangspunkt seiner allgemeinen Relativitätstheorie gemacht hatte. Überraschend genug, doch es kam noch besser. In rotierenden Universen ist es, so zeigte Gödel, prinzipiell möglich, in die Vergangenheit zu reisen. Dass Reisen in die Zukunft möglich sind, war schon 311

seit Langem bekannt. Man kann sich an diesen Gedanken gewöhnen. Aber eine Reise in die Vergangenheit ist ungleich paradoxer, weil sie das Kausalitätsgefüge durcheinander bringt. So könnte ein Zeitreisender mit einem jüngeren Selbst zusammentreffen und, wie Gödel etwas sinister schrieb, „dieser Person irgendetwas antun“. Wer tritt dann die Reise an? Immerhin – auch das wies Gödel nach – wenn der Zeitreisende landet, läuft die Zeit immer noch in die gewohnte Richtung, nicht etwa verkehrt; worin eine gewisse Beruhigung liegt. Einstein und die meisten theoretischen Physiker folgerten aus Gödels paradoxen Ergebnissen, dass Reisen in die Zukunft durch irgendein noch unbekanntes Naturgesetz ausgeschlossen sind. Gödel hingegen folgerte, dass unser Zeitbegriff grundlegend falsch ist. Bertrand Russell besuchte damals Albert Einstein in Princeton und traf in dessen Haus auch Kurt Gödel und Wolfgang Pauli. Alle drei Emigranten, schrieb er in seiner Autobiografie, hatten den „deutschen Hang zur Metaphysik“, und „insbesondere Gödel entpuppte sich als unverfälschter Platoniker“. Offenbar sah Gödel keinen Anlass mehr, seine wahren Ansichten weiterhin zu verschweigen. „MODERN MAN IN THE MAKING“ Das erste Mitglied des Wiener Kreises, das im Exil starb, war Olga Neurath. Das geschah im Jahr 1937. Olga, die trotz ihrer Blindheit noch mehrmals aus Holland nach Wien zurückgekehrt war, erlag wie ihr Bruder Hans Hahn im Alter von 55 Jahren den Folgen einer Operation. Otto Neurath war nunmehr zum zweiten Mal verwitwet. Im Jahr darauf, unmittelbar nach dem „Anschluss“, wurde sein Sohn Paul von der Gestapo verhaftet, als er aus Wien in die Tschechoslowakei fliehen wollte. Nach Aufenthalten in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald konnte er nach Schweden ausreisen, und dann weiter in die USA. Dort inskribierte der Dreißigjährige Soziologie. Den brutalen Anschauungsunterricht in den KZs sollte er nie vergessen. Paul Neuraths bekanntestes Buch wurde Die Gesellschaft des Terrors. Im niederländischen Exil war es Otto Neurath gelungen, innerhalb weniger Jahre eine eindrucksvolle „Unity of Science“-Bewegung aus dem Boden zu stampfen. Mit besonderem Eifer widmete er sich seinem gigantischen Projekt einer Enzyklopädie der Einheitswissenschaft. Darüber hatte er schon im Jahr



Otto Neurath schränkt den Wortschatz ein und schreibt einen Bestseller  312

313 beide: Dept. Typography Univ. Reading

1921 mit Albert Einstein bei dessen Besuch in Wien gesprochen, war bei ihm aber nur auf höfliches Interesse gestoßen. Diese Enzyklopädie sollte 26 Bände zu je 10 Monografien umfassen, in englischer, französischer und deutscher Sprache erscheinen und Naturwissenschaft, Recht, Medizin und Sozialwissenschaften behandeln. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs blieb das Projekt nach den ersten Heften stecken. Die Vorarbeiten waren indes weit gediehen gewesen. Von 1934 an fand jedes Jahr ein internationaler „Kongress für die Einheit der Wissenschaft“ statt: 1934 in Prag, 1935 in Paris, 1936 in Kopenhagen, 1937 wieder in Paris, 1938 in Cambridge, England und 1939 in Cambridge, USA, stets organisiert vom Unity of Science Institute, einer Zweigstelle von Neuraths Mundaneum. Die Teilnehmerzahlen gingen in die Hunderte. Berühmtheiten wie Bertrand Russell und Niels Bohr hielten die Eröffnungsansprachen. Auch die Bildstatistik kam mit Riesenschritten voran. Marie Reidemeister prägte für die „Wiener Methode“, die jetzt nichts mehr mit Wien zu tun hatte, den schönen neuen Namen Isotype (International System of Typographic Picture Education). Neurath plante darüber ein Buch zu schreiben: From Hieroglyphics to Isotype. Außerdem kombinierte er seine Bildmethode, also die „Reihen von Manderln“, mit „Basic English“, einer Sprache, die mit 800 Worten auskam. Sie war vom Philosophen Charles Ogden entwickelt worden, um die internationale Verständigung zu erleichtern, und hatte mehr Erfolg als Esperanto. Ogden hatte als junger Mann den Tractatus logico-philosophicus ins Englische übersetzt und später ein Buch mit dem einprägsamen Titel The Meaning of Meaning mitverfasst. Sein Basic English unterschied sich vom „Universalslang“, den Neurath als Wissenschaftssprache gefordert hatte. Aber die „verbotenen Worte“, wie etwa „Wirklichkeit“, „Transzendenz“, „Erscheinung“, und dergleichen, kommen in Basic English nicht vor. Ein index verborum prohibitorum wurde dadurch überflüssig. Metaphysik treiben oder Heidegger übersetzen kann man in Basic English nicht – allenfalls mit allergrößter Mühe. Es kam zunehmend zur Zusammenarbeit des Mundaneums mit englischen und amerikanischen Verlagen. Neuraths Buch Modern Man in the Making erzielte im Jahr 1939 einen außergewöhnlichen Erfolg, obwohl die optimistische Botschaft mit den politischen Ereignissen nicht recht zusammenpasste. OTTO NEURATH IMPROVISIERT Für Mai 1940 war der nächste internationale Kongress geplant – diesmal in Oslo. Doch Hitler kam dem zuvor. Er besetzte Norwegen. Das war nur das 314

Präludium. Vom 10. Mai an überrannten Hitlers Truppen in einem beispiellosen Blitzkrieg Frankreich. Im selben Aufwasch fiel die Wehrmacht auch über die neutralen Länder Belgien, Holland und Luxemburg her. Das gab den Panzerdivisionen mehr Durchschlagskraft. Bereits am 14. Mai musste die niederländische Armee kapitulieren. In der holländischen Hauptstadt Den Haag erfuhren Otto Neurath und Marie Reidemeister die Nachricht aus dem Radio. Als Ausländer waren sie einer Ausgangssperre unterworfen gewesen, doch nun mussten sie Hals über Kopf vor den deutschen Stoßtruppen flüchten. Der unerschütterliche Neurath verlor nicht die Zuversicht. „Wir improvisieren!“, sagte er. Ohne Gepäck und auf Schleichwegen erreichten Marie und Otto den Hafen von Scheveningen, wo sich schon viele Flüchtende drängten. Über Rotterdam stand eine riesige Rauchwolke. Es knallte an allen Ecken und Enden. Die Fischer fuhren nicht aus, auch wenn man ihnen ein Vermögen dafür bot. Nicht das die Neuraths ein Vermögen hatten. „Wenn wir kein Boot finden, nehmen wir ein Stück Holz“, sagte Otto Neurath. – Doch das Paar musste nicht, so wie die Schiffer in Neuraths berühmtem Gleichnis, auf hoher See einen Kahn bauen. Sie fanden Platz in einem Boot. Das war bereits heillos überfüllt, und kenterte fast, als der massige Philosoph von der Pier hineinsprang. Er war der Vorletzte, den das Boot aufnahm, unmittelbar nach Marie. Der letzte war ein Psychiater. Er sprang auch, landete aber im Wasser. Noch während er an Bord gehievt wurde, nahm das Boot Kurs nach West und tuckerte ins Abendlicht, schwerfällig und heillos überladen, mit fünfzig Passagieren an Bord anstatt der fünfzehn, für die es zugelassen war. Das kleine Boot trug den Namen Zeemanshoop, also „Seemannshoffnung“, und seine Fahrt ist in den Niederlanden fast zu einer Legende geworden. Denn die Zeemanshoop transportierte die ersten Engelandvaarders, junge Holländer, die entschlossen waren, von England aus den Kampf gegen Hitler weiterzuführen. Doch die Mehrzahl der Passagiere waren deutsche und niederländische Juden – manche reich, manche arm, alle mit dem besten Gewand, das sie hatten, am Leib. Sie wussten genau, dass die Zeemanshoop ihre letzte Chance war, den Nazis zu entkommen. HARRY HACK STICHT IN SEE Otto war höchst erfreut, zu hören, dass der Skipper kein Geld verlangte, und besser noch, dass er Harry Hack hieß – ganz der richtige Name für eine Abenteuergeschichte, befand er. Und wirklich, Otto Neurath war mit beiden Beinen in einen Hitchcock-Film hinein gesprungen. Der junge Hack war gar kein Seemann, sondern ein Student, der mit zwei Kumpanen das Boot gestoh315

len hatte, durch Knacken des Vorhängeschlosses, das den Maschinenraum absperrte. Irgendwie war es ihm dann gelungen, den Motor anzuwerfen. Der lief allerdings nur auf einem Zylinder. Nun, besser als nichts. Die Seemannshoffnung war ein Rettungsboot der niederländischen Marine. Es zu stehlen, um Leben zu retten, ließ sich zweifellos rechtfertigen. Das Meer blieb die ganze Nacht über vollkommen ruhig. Da und dort entspannen sich leise Gespräche zwischen den Fremden. Mehrmals setzte der Motor aus. In keinem der Spinde, die man aufbrach, ließ sich eine Seekarte finden. Es konnte niemand an Bord navigieren. Das Kompasslicht erlosch. Das Deck war so überfüllt – Frauen und Kinder mitschiffs auf den Koffern kauernd, die Männer Schulter an Schulter an die Reling gepresst – dass Harry Hack jedes Mal, wenn er vom Cockpit in den Maschinenraum wollte, über Bord steigen musste und sich über den Fender entlanghangeln. Manche Passagiere verloren den Mut und wollten umkehren. Einer schlug in der Dunkelheit zaghaft eine Abstimmung vor. „Wer will, kann schwimmen“, antwortete ein Mitglied der studentischen Besatzung. Im Morgengrauen donnerte eine Bomberformation über ihre Köpfe hinweg, offenbar auf der Suche nach fetterer Beute als der Zeemanshoop. Später gelang es Harry Hack, auch den zweiten Zylinder zum Laufen zu bringen. Das Boot war nun leichter zu steuern, aber niemand kannte die richtige Richtung. Es gab kaum Proviant; und was den Treibstoff anlangte, so schien es unmöglich, herauszufinden, wie lang der noch reichen würde. Harry Hack forderte die Passagiere auf, nach Treibminen Ausschau zu halten. Den Psychiater bat er, auf Zeichen von Panik zu achten. Gegen Abend zu kamen vier rauchende Schornsteine in Sicht, und ein britischer Zerstörer, HMS Venomous, nahm die ausgehungerten Flüchtlinge an Bord. „Man empfing uns mit Bananen, Tee und Freundlichkeit“, erinnerte sich Neurath später. Die Seeoffiziere informierten Harry Hack, dass sein Zeemanshoop auf wundersame Weise mehrere Minenfelder durchquert hatte, oder besser gesagt, überquert. Der geringe Tiefgang des Boots war seine Rettung gewesen. Sobald sie in Dover ankamen, wurden Otto Neurath und Marie Reidemeister voneinander getrennt. Neurath, der keinen Pass hatte, wies sich mit einer Rezension von Modern Man in the Making aus – dort war nämlich sein Konterfei abgedruckt. Die Bobbies nickten freundlich. Doch mit Freundlichkeit gewinnt man keinen Krieg. Alle deutschen Staatsbürger, die sich in England aufhielten, wurden als „feindliche Ausländer“ kurzerhand interniert. Großbritannien kämpfte allein gegen Hitler, mit dem Rücken zur Wand, und die Angst vor einer „fünften Kolonne“ von deutschen Saboteuren ging um. 316

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Wunsch und Wirklichkeit: Neujahrsgrüße für 1940, und das gekaperte Rettungsboot Zeemanshoop (Aufgenommen am 15.05.1940 durch Lt. Peter Kershaw (RNVR) vom Deck der KMS Venomous aus)

So fanden sich Otto und Marie nach wenigen Tagen auf der Isle of Man, zwischen England und Irland, in getrennten Gefangenenlagern. Sie konnten korrespondieren. Otto unterzeichnete die Liebesbriefe an seine „Mieze“ mit einem Elefanten. Die beiden durften einander sogar einmal im Monat treffen, gemeinsam mit Hunderten Paaren, die sich in ähnlicher Lage befanden. Das wurde Marie und Otto aber erst gestattet, nachdem sie versprochen hatten, unmittelbar nach der Freilassung ihren Ehebund zu besiegeln. – Freilich, wann sie wirklich freikommen würden, blieb lange Zeit ungewiss. Neurath, der ja nicht zum ersten Mal inhaftiert war, trug sein Schicksal mit Fassung. Er fühlte sich „nicht verfolgt, nicht gequält, eben nur interniert“, wie er schrieb. So fand er sich mit dem Unvermeidlichen philosophisch ab, oder besser gesagt, soziologisch: Denn das Leben im Lager bot Raum für interessante Beobachtungen. „Ich habe mich immer für die Lebensbedingungen in britischen Gefängnissen interessiert“, schrieb Neurath an Felix Kaufmann, „und hätte dafür etwas gezahlt – jetzt bekam ich es gratis.“ Er hielt vor den Lagerinsassen einen Vortrag über Gesellschaftswissenschaft, mit dem hintergründigen Titel: How do you make the tennis court so durable? – Neurath sprach, wie er sagte, „fließend gebrochenes Englisch“. Ein großer Teil der Lagerinsassen waren jüdische Flüchtlinge, und viele wurden im Lauf der nächsten Monate entlassen. Einstein, Russell und andere schrieben Unterstützungsbriefe für Neurath, und das All Souls College lud ihn ein, an der Universität von Oxford Vorlesungen zu halten. So kamen Otto Neurath und Marie Reidemeister nach acht Monaten frei. Die beiden heirateten auch prompt, wie versprochen. 317

EIN UNHEIMLICH STARKER ABGANG Zum ersten Mal in seinem Leben konnte der fast sechzigjährige Otto Neurath jetzt an einer Universität lehren. In England fragte keiner nach seiner Habilitation. Er trug ab dem Jahr 1941 über Sozialwissenschaften und Logischen Empirismus vor. Rasch konnte er wieder seine Projekte zur Unity of Science aufnehmen. Auch seinen anti-metaphysischen Kreuzzug verfolgte er weiter. – Gab ihm denn die aktuelle politische Entwicklung nicht Recht? Die unselige Ideologie der Nazis berief sich auf idealistische Philosophen, von Plato bis Heidegger, und der blinde Gehorsam von Hitlers Truppen mochte eine ferne Wurzel in Kants Ethik der Pflicht haben. Selbst ein Adolf Eichmann berief sich darauf. Mithilfe von Englands erster Philosophieprofessorin Susan Stebbing (1885-1943) konnten die Neuraths in Oxford wieder ein Isotype-Institut gründen – nun schon ihr drittes. Ihre Erfahrungen und Verbindungen machten sich bezahlt: rasch trudelten Aufträge für Ausstellungen und Bücher ein. Vor allem kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit Paul Rotha (19071984), einem englischen Dokumentarfilmer von Rang. Dass der wissenschaftliche Film hervorragende Möglichkeiten für die bildpädagogischen Arbeiten der beiden Neuraths bot, war offensichtlich. Mit Förderung durch das britische Ministry of Information entstanden innerhalb weniger Jahre mehr als ein Dutzend Kurzfilme sowie ein abendfüllender Streifen, World of Plenty, der zu einem Kassenschlager wurde. Die politische Szene der österreichischen Exilanten beobachtete Neurath mit Distanz. Kommunisten und Sozialdemokraten waren zerstrittener denn je. Zum informellen Führer der Sozialdemokraten wurde, nach dem Tod Otto Bauers, ein anderer alter Bekannter von Neurath: Friedrich Adler, der einstige Physiker. Während der Zwischenkriegszeit war Adler Generalsekretär der Sozialistischen Arbeiterinternationale gewesen, die spöttisch als die „Zweieinhalbte Internationale“ bezeichnet wurde, weil sie einen eigenständigen Kurs zwischen der Zweiten und der Dritten, von Moskau dominierten Internationale steuerte. In unzähligen Sitzungen versuchten diese Gruppen, sich angesichts der faschistischen Bedrohung zu vereinen, aber vergeblich. Während einer von Adlers endlosen Tiraden flüsterte ein französischer Politiker seinem Sitznachbarn zu: „Er schießt besser als er spricht.“ Während der Dreißigerjahre befand sich Adlers Büro erst in London, dann in Zürich, dann in Brüssel; 1940 floh er über die Pyrenäen nach Spanien mit einem gefälschten Pass, auf den Namen Herzl lautend. 318

Bea Laufersweiler

Wiener Stadt- und Landesarchiv

Die Kriegsjahre im amerikanischen Exil stimmten Adler nicht kompromissbereiter. Er gab kund, dass er auf keinem Fall an einer „Legende vom glücklichen Österreich“ mitzuwirken gedenke. Er hing immer noch dem Anschlussgedanken nach, wie schon im Jahr 1918, und vereitelte aus diesem Grund die Bildung eines eigenen österreichischen Kampf-Bataillons. Die in seinen Augen „ebenso reaktionäre wie widerliche Utopie einer österreichischen Nation“ wollte Friedrich Adler nicht unterstützen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vermied er den Kontakt mit der neuen Regierung in Wien. Er löste die Sozialistische Internationale auf und widmete sich fortan von der Schweiz aus der Biographie seines Vaters, des Begründers der österreichischen Arbeiterbewegung. Mit Tagespolitik wollte er nichts mehr zu tun haben. Als er im Jahr 1960 starb, fand er im Ehrengrab seines Vaters am Wiener Zentralfriedhof die letzte Ruhe.

Friedrich Adler überlebt sein Todesurteil und erbt ein Ehrengrab 319

Otto Neurath mit Marie (Mieze) und unidentifizierter Katze

Im Gegensatz zu Friedrich Adler zeigte sich bei Otto Neurath keinerlei Spur von Verbitterung oder Resignation, als der Krieg zu Ende gegangen war. Ganz im Gegenteil: Immense Möglichkeiten winkten. Wie schon beim Ersten Weltkrieg schien auch beim Zweiten die Kriegswirtschaft fast unausweichlich auf eine Planwirtschaft für die kommenden Friedenszeiten hin zu steuern. Alle Bedürfnisse könnten erfüllt werden, wenn man nur Verschwendung durch Wettbewerb und Überproduktion vermied. Die optimistischen Projekte einer sozialen Nachkriegsgesellschaft führten bei den Wahlen in England im Juni 1945 zu einem Erdrutschsieg der Labour Party. Nicht nur Großbritannien, ein ganzer Kontinent musste wieder aufgebaut werden. Ein demokratischer „Plan der Pläne“ schien zum Greifen nah. – Déjà vu? – Ganz bestimmt. Aber Neurath war gepanzert gegen jedes Gefühl der Entmutigung. Im wiedererstandenen Österreich war Umerziehung angesagt, als Gegengift zur langjährigen Verhetzung durch austrofaschistische und nationalsozialistische Propaganda. Dass Hitler selbst diese Umerziehung seines Volks im Lauf des letzten Kriegsjahrs radikal vorangetrieben hatte, ahnten im Ausland die wenigsten. Für volksbildnerische Aufklärung eröffneten sich großräumige Perspektiven. Selbst Neuraths Projekt einer Enzyklopädie kam wieder in Schwung. 320

Doch ein Gehirnschlag riss Otto Neurath am 22. Dezember 1945 aus seiner unbändigen Tätigkeit. Der Tod kam jäh. Neurath war mit seiner Frau Marie zum Abendessen bei Freunden gewesen. Zu Hause las er ihr noch einige vergnügliche Briefstellen vor, die er tagsüber geschrieben hatte, und sagte sinnend, dass er sich kein besseres Leben wünschen könne. Marie, die in der Küche aufräumte, vernahm ein Geräusch, das sie zunächst für ein Auflachen ihres Mannes hielt. Als sie sich umdrehte, sah sie, dass Otto am Schreibtisch leblos zusammengesackt war. Es war ein ähnlicher Abgang wie bei Faust: „Zum Augenblicke will ich sagen, verweile doch, du bist so schön!“ Wie es sich traf, hatte der erste Aufsatz Otto Neuraths von Dr. Faust gehandelt; passende Ouvertüre zu einem Lebenswerk in Übergröße. Und tatsächlich, mit seiner unermüdlich strebenden Vielseitigkeit war dieser durchs Leben rennende Riese so etwas wie eine wienerische Variante des rastlosen Doktors gewesen.

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DREIZEHNTES KAPITEL

Nachhall Wien nach 1945: Der Kreis ist tot. Vergebliche Wiederbelebungsversuche. Schlicks Mörder verklagt Schlicks Nachfolger. Feyerabend findet „Anything goes!“ . Cambridge: Popper und Wittgenstein prallen aufeinander. Wittgenstein schleudert Schürhaken und wird zur Legende. Sir Karl bekämpft die „Popper-Legende“. USA: Carnap stößt zu „lebenden Philosophen“. Gödel hält zu Plato, propagiert theologische Weltsicht, bemängelt US-Verfassung, beunruhigt FBI. „Habe Positivismus umgebracht“, gesteht Popper. Plädiert auf Totschlag.

WIEDERGUTMACHUNG IM STRENGSTEN SINN

Uni Archiv Univ. Wien

Die zerbombten Mauern der Universität Wien wurden nach dem Zweiten Weltkrieg rasch wieder aufgebaut. Ein provisorischer Vorlesungsbetrieb konnte noch im Sommersemester 1945 aufgenommen werden. An die glanzvolle Tradition anzuknüpfen, erschien jedoch ausgeschlossen. Der Aderlass in den Dreißigerjahren war zu verheerend gewesen. Nach der Wiedererstehung Österreichs im Jahr 1945 wurden alle höheren Beamten, die Mitglieder der NSDAP gewesen waren, zwangspensioniert. Dazu zählten auch zahlreiche Professoren. Doch vielen dieser alten Parteigenossen gelang es in den folgenden Jahren, allmählich wieder an ihre Lehrkanzeln zurückzufinden. Eine Rückberufung aller im Jahr 1938 Entlassenen wurde von der österreichischen Bundesregierung nie ernsthaft angestrebt. Man sah sich als das erste Opfer Adolf Hitlers. Bombentreffer an der Universität Wien 322 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5_13

So stand es ja auch in der Moskauer Deklaration der alliierten Siegermächte. Obendrein hatte man einen von den Nazis ermordeten Kanzler vorzuweisen. Jene, die das Dritte Reich rechtzeitig verlassen hatten, wurden beneidet. Nur wenige von ihnen, so glaubte man zu wissen, wären bereit, zurückzukommen in das triste Wien der Nachkriegsjahre, mit seinen vier Besatzungszonen. – Man hätte bei den Vertriebenen anfragen können. Meist tat man es nicht. Rückberufungen gab es nur wenige. Die „Wiedergutmachung“ wurde an den deutschen Universitäten weitaus beherzter in Angriff genommen als in Wien. Eine bezeichnende Episode betraf Karl Menger. Dieser hatte gleich nach dem „Anschluss“ seine Stellung gekündigt. Übereifrige Beamte ließen sich damals nicht davon abhalten, trotzdem eine Erhebung des Sippenamts einzuleiten. Sie ergab, dass Menger ein „Mischling“ war. Ein besonders gewissenhafter „Sippenforscher“ forderte gar eine Profilaufnahme der Büste des Vaters von Menger an. Die stünde ja, schrieb er, im Arkadenhof der Universität; wahrscheinlich bedürfe es daher einer besonderen Erlaubnis der Rektoratskanzlei, so der Sippenforscher.

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Das Entlassungsdekret wurde Karl Menger nach Amerika zugesandt, mit Aktennummer OZ.8146/1083. Das war im Juli 1938. Jetzt aber, im Mai 1946, wies die Universität das Unterrichtsministerium darauf hin, dass Menger „im strengen Sinn“ nicht zu den vom Nazi-Regime Entlassenen zähle, da er ja nach dem „Anschluss“ selbst gekündigt hatte. Dieses Argument kam sogar den Beamten nicht unbedingt stichhaltig vor. Doch Faktum blieb, dass Karl Menger kein Rückkehrangebot von Wiener Seite erhielt. Der Schaden für seine Alma Mater war irreparabel. Vom Alter und der Persönlichkeit her wäre Karl Menger als einziger imstande gewesen, an die Glanzzeit des Wiener Kreises anzuknüpfen. Während der Kriegsjahre hatte sich Menger mit Feuereifer der Aufgabe gewidmet, Offiziersanwärter der US-Navy in die Anfangsgründe der Mathematik einzuführen. Seine Lehrverpflichtung betrug neunzehn Wochenstunden. An wissenschaftliches Arbeiten war für ihn als Familienvater mit drei Kindern während dieser Jahre kaum zu denken. Nach dem Krieg zog Menger in die ultramodernen Räume des soeben gegründeten Illinois Institute for Technology Illinois Institute for Technology, Architekt Mies van der Rohe 323

© Barry Bruner Uni Bibliothek Univ. Wien

Karl Menger in den USA

Martin Heidegger in Freiburg

bei Chicago, einem Bau von Mies van der Rohe. Das war nun allerdings ein himmelweiter Unterschied zu den Häuserruinen des damaligen Wien – der Stadt des Dritten Mannes und der Vier im Jeep. Dort schien man Karl Menger schon vergessen zu haben. Er verwand die Kränkung nur schwer. Erst in den Sechzigerjahren versöhnte er sich halbwegs mit dem neuen Österreich. Als er im Jahr 1978 starb, hinterließ er zahlreiche Aufzeichnungen über den Wiener Kreis und das Mathematische Kolloquium, die posthum publiziert wurden. Ins Deutsche übersetzt worden sind sie noch immer nicht. INNERE EMIGRATION Auch bei jenen, die auf die eine oder andere Weise im Dritten Reich überlebt hatten, war die Verbitterung groß. Martin Heidegger hatte sein Freiburger Rektorenamt bald zurückgegeben. Er sah seine Bestrebungen um eine „völlige Umwälzung des gesamten deutschen Daseins“ als gescheitert an und war enttäuscht. Die Freiburger NS-Dozentenschaft reihte ihn unter die „Ganz-Entbehrlichen“ im Lehrkörper ein, immerhin an erster Stelle. Aus der NSDAP trat er bis zuletzt nicht aus. „Sippen und Stämme“, so hatte er gehofft, „schießen erst in die Einheit eines Volkes auf und zusammen, wenn sie das Aufgegebene ergreifen, das heißt, als zukünftig geschichtlich werden.“ Diese Zukunft war nunmehr Geschichte. 324

beide: Institut Wiener Kreis

Kurt Reidemeister in Göttingen

Viktor Kraft tritt aus dem Schatten hervor

Otto Pötzl, einstmals Leibpsychiater des Wiener Kreises, verlor nach dem Krieg seine Stelle als Klinikchef und Professor. Das war der Preis dafür, dass er nach dem „Anschluss“ der NSDAP beitreten wollte, um seine Arbeit fortzuführen. Vermutlich hätte Pötzl die neuerliche Entlassung anfechten können, umso mehr, als er einen mächtigen Verbündeten hatte, nämlich seinen Ko-Autor Viktor Frankl (1905-1997), den Schöpfer der Logotherapie. Als Auschwitz-Überlebender hatte Frankl in seinem Buch Trotzdem Ja zum Leben sagen dem Durchhaltewillen von Lagerhäftlingen ein Denkmal gesetzt. Frankl bezeugte, dass Otto Pötzl sein Bestes versucht hatte, um das NSEuthanasie-Programm zu sabotieren. Viele Ex-Nationalsozialisten konnten sich mit weit weniger rehabilitieren. Aber Pötzl, der schon nah am Pensionsalter war, gab sich damit zufrieden, dass ihm der Staat die vollen Ruhebezüge zusagte. Von den Mitgliedern des ursprünglichen Schlick-Zirkels hatten nur zwei im NS-Regime überwintern können, Viktor Kraft und Kurt Reidemeister. An Reidemeisters lupenreinem „Ariertum“ hatte es nie zu rütteln gegeben. Doch da er sich stets couragiert gegen die Agitationen der nationalsozialistischen Studentenschaft ausgesprochen hatte, verlor er gleich nach Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 seinen Lehrstuhl in Königsberg. Als Reaktion darauf meldeten sich in ganz Deutschland empörte Mathematiker zu Wort. Damals war das noch möglich. Das Regime gab nach: Reidemeister erhielt eine Anstellung an der Universität von Marburg. 325

Dort zog sich Kurt Reidemeister immer mehr in sich selbst zurück. Neben seinen Arbeiten zur Knotentheorie widmete er sich der Philosophie. Sein Buch über Mathematik und Logik bei Plato war unverfänglich genug, um 1942 erscheinen zu können. Gleich nach Kriegsende wurde Reidemeister zum Vorsitzenden der Deutschen Mathematiker-Vereinigung gewählt: Nach den Jahren der „Deutschen Mathematik“ war es wichtig, den Neuanfang in untadelige Hände zu legen. Im Jahr 1955 wurde Reidemeister nach Göttingen berufen, einstmals das Mekka der Mathematik. Doch trotz solch später Zeichen der Anerkennung blieben Reidemeisters letzte Jahre umschattet. Von dem frohgemuten jungen Deutschen, der die Wiener Mathematische Gesellschaft so oft zum Lachen gebracht hatte, war nichts mehr zu bemerken. Viktor Kraft (1880-1975) gehörte zur Generation der Gründer des Wiener Kreises, und hatte Hans Hahn, Philipp Frank und Otto Neurath bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kennengelernt. Er war damals, so wie sie alle, eifriger Besucher der Vorträge der Wiener Philosophischen Gesellschaft gewesen, und häufig Vortragender an den Wiener Volkshochschulen. Kraft hatte in Wien und Berlin Philosophie und Geschichte studiert. Er wurde im Jahr 1911 Dozent für Theoretische Philosophie. Bald darauf kam er als Bibliothekar an der Universität Wien unter – eine gesicherte Stellung, die ihm Zeit ließ, seine philosophischen Interessen zu verfolgen. An den Sitzungen des Wiener Kreises nahm er von Anfang an teil, mehr als interessierter Beobachter denn als zentrale Figur. Kraft war auch Mitglied des Zirkels von Gomperz gewesen. Er hatte zu den ersten gehört, die das Talent von Karl Popper erkannten und förderten. Der junge Popper holte ihn in jenen Tagen gern von der Bibliothek ab und begleitete ihn auf dem Heimweg. In diesen Jahren schrieb Viktor Kraft nur wenig. Doch sein Werk über Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertelehre war 1937 in den Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung herausgekommen, als letzter Band dieser Reihe. Nach dem „Anschluss“ verlor Kraft seine Stelle als Bibliothekar und seine Lehrbefugnis, weil er nicht bereit war, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. Mehr schlecht als recht überlebte er den Krieg. Doch nach dem Ende des Dritten Reichs wendete sich das Blatt: Kraft wurde Generalstaatsbibliothekar und außerordentlicher Professor. In den späten Vierzigerjahren erschienen in rascher Folge Bücher, die er im erzwungenen Ruhestand während des Kriegs fertig gestellt oder angefangen hatte: eine Neufassung seiner Wertelehre; ein Werk über Mathematik, Logik und Erfahrung; eine Einführung in die Philosophie; vor allem aber Der Wiener Kreis. Der Ursprung des Neopositivismus. 326

Kraft schien wie kein anderer dazu berufen, ein Buch über den Wiener Kreis zu schreiben. Einerseits war er der einzig noch lebende Zeitzeuge, der vom Urkreis an bis zum Schluss alle Umschwünge mitverfolgt hatte. Einige der letzten Treffen des Zirkels nach Schlicks Ermordung waren in seiner Wohnung abgehalten worden. Andererseits hatte Kraft stets genügend Distanz gewahrt, um die Standpunkte objektiv wiedergeben zu können. DIE „JÜNGSTE GESCHICHTE“ VOR DEM GERICHT Der Untertitel von Krafts Buch lautete: Ein Kapitel der jüngsten Philosophiegeschichte. Wie nah diese „jüngste Philosophiegeschichte“ lag, zeigte sich alsbald anhand einer gespenstischen Episode. Viktor Kraft hatte geschrieben, dass Schlick „von einem früheren Schüler, einem verfolgungswahnhaften Psychopathen“, erschossen worden war. Dass kam Johann Nelböck zu Ohren. Der war immer noch in der Mineralölverwaltung tätig, nunmehr als Angestellter der sowjetischen Besatzungsmacht. Johann Nelböcks Verurteilung war im Jahr 1947 aus dem Strafregister getilgt worden. Laut Leumundszeugnis galt er nun wieder als unbescholten. Kraft hatte zwar den Namen des Mörders in seinem Buch nicht erwähnt, doch Nelböck brachte eine Klage bei Gericht ein. Man nannte ihn „verfolgungswahnhaft“? „Psychopath“? – Musste Nelböck diese Ausdrücke auf sich sitzen lassen? Bedrohte nun schon wieder ein Positivist seine Existenz? Unerträglich! Nelböck gab kund, dass er sich zur Wehr zu setzen wüsste. Der Wiener Kreis habe ihm schon genug Leid zugefügt. Er strengte einen Prozess an. Nun war es an Kraft, sich bedroht zu fühlen. Nelböck war ja keineswegs geläutert, sondern bekannte sich während der Gerichtsverhandlung im Prozess gegen Kraft wiederholt zu seiner „weltanschaulichen Tat“ – dem Mord von 1936. Nelböck beruhigte sich auch nicht, als seine Klage nach einem umfangreichen Beweisverfahren abgewiesen wurde. Die Bezeichnung „verfolgungswahnhaft“ stelle bloß eine Wertung dar, meinte der Richter, und nicht eine Verbreitung nachteiliger Tatsachen. Nelböck wollte dieses Argument auf keinen Fall akzeptieren. Kraft musste die Angelegenheit ernsthafte Sorge bereiten. Die Parallelen zum Mord an Schlick wirkten bedrohlich. Nun riefen auch die Zeitungen den Fall, der noch keine 15 Jahre zurücklag, wieder in Erinnerung. Man möge aus der Vergangenheit lernen. „Schon damals“, erklärte die Wiener Wochenausgabe, „löste nämlich der Vorwurf, dass Dr. Hans Nelböck geistesgestört sei, eine unglückliche Kettenreaktion aus, die damit endete, dass Dr. Nelböck die Mordwaffe gegen den Professor der Philosophie, Dr. Moritz Schlick, richtete.“ Die Zeitung wusste genau, wie man die nächste „unglückliche Kettenreaktion“ vermeiden könne. Man dürfe unter keinen Umständen dem Täter, „der 327

Oe Nationalbibliothek

für seine Tat wohl genügend gebüßt hat, auch das restliche Leben so sauer als möglich machen“. Man solle nicht einem Mitbürger, der „aus psychologisch durchaus erklärbaren Motiven“ gestrauchelt war, die Rückkehr in die menschliche Gesellschaft noch dadurch erschweren, dass man ihn post festum zum Narren stemple. Der Zeitungsartikel kam zu dem Schluss: „Es wäre menschlich an der Zeit, allmählich von Frieden, Versöhnung und Ruhe zu reden. Auch hier…“ Der Prozess zwischen Nelböck und Kraft war ein Prozess zwischen Schlicks Mörder und Schlicks Nachfolger: Denn im selben Jahr 1950, in dem das Buch über den Wiener Kreis erschien, war die Ernennung von Viktor Kraft zum ordentlichen Professor erfolgt, auf die einstige Lehrkanzel Schlicks. Ein Jahr später wurde Leo Gabriel, vordem der Vertraute und Förderer Nelböcks, zum Kollegen von Kraft in der Fakultät für Philosophie. Die Welt ist klein. Einen neuen Kreis aufzubauen, konnte vom damals siebzigjährigen Viktor Kraft nicht mehr erwartet werden. Die Wiener Universität war von der internationalen Entwicklung abgekoppelt. Die wissenschaftlichen Spitzenleistungen der Zwischenkriegsjahre schienen einer fremden Ära anzugehören. Trotzdem scharte sich um Kraft philosophischer Nachwuchs, der gegen die Muffigkeit im Nachkriegswien rebellierte und die Sperrstunden in den schlecht beleuchteten Cafés mit endlosen Diskussionen ausreizte. Zu dem Grüppchen gehörte eine leidenschaftliche junge Kärntnerin, die bald zu den bedeutendsten Dichterinnen deutscher Sprache zählen sollte: Ingeborg Bachmann (1926-1973). Bachmann dissertierte bei Kraft über Martin Heidegger, an dessen abstrusen Sätzen sich der Wiener Kreis so gern zu reiben pflegte. Bald darauf schrieb sie einen ekstatischen Aufsatz über Ludwig Wittgenstein, und einen Radioessay über den Wiener Kreis. „In Wien selbst ist der Wiener Kreis tot“, hieß es da lapidar. Ein weiterer Student von Kraft war der Wiener Paul Feyerabend (1924-1994), ein kriegsversehrter Leutnant der deutschen Wehrmacht, der Zur Theorie der Basissätze bei Ingeborg Bachmann meint: Wahrheit ist zumutbar 328

Phil Archiv Konstanz

Popper dissertierte. Zur Philosophie und zum sogenannten Kraft-Kreis war er über die jährlichen Sommertreffen in Alpbach gestoßen, einem Tiroler Bergdorf, in das Popper, Carnap, Feigl, Schrödinger, Hayek und Philipp Frank für ein paar Tage im Jahr einen Hauch der großen Welt brachten. Feyerabend wollte nach England. Er bewarb sich mit Erfolg um ein Stipendium des British Council. Im Jahr 1952 trat Viktor Kraft zum zweiten Mal in den Ruhestand, aus Altersgründen. Im selben Jahr verstarb Nelböck plötzlich, während eines Vortrags, den er in der Wohnung eines zwangspensionierten NS-Philosophen namens Lauss gehalten hatte. Die Professur von Kraft war also neu zu besetzen. Die Berufungskommission erstellte einen interessanten Vorschlag: an erster Stelle ex aequo Friedrich Waismann (Oxford) und Carl Friedrich von Weizsäcker (Göttingen), ein deutscher Physiker und Philosoph; an nächster Stelle Bela Juhos (1901-1971), ein Gestirn zweiter Ordnung aus dem Wiener Kreis; und an letzter Stelle ein gewisser Erich Heintel (1912-2000), der sich selbst als „Substanzmetaphysiker“ bezeichnete und den Menschen in seiner Einheit als „daseiende Transzendentalität“ begriff. Das Ministerium vollbrachte ein bürokratisches Taschenspielerkunststück. Erstens stufte es die vakante Stelle auf ein Extraordinariat herab. Zweitens folgerte es, dass Kandidaten aus Oxford oder Göttingen daran nicht interessiert sein könnten – zu fragen brauchte man sie daher nicht. Waismann und Weizsäcker schieden somit aus. Drittens hielt man fest, dass Heintel Vorlesungen vor weit größerem Publikum gehalten hatte als Juhos. So wurde also viertens Erich Heintel ernannt. Später wandelte man seine Stelle wieder in eine ordentliche Lehrkanzel zurück. Voilà! Zum Nachfolger von Mach und Schlick war durch diese flinken Wendungen ein „Substanzmetaphysiker“ geworden, ehemaliger NS-Parteigenosse, Mitgliedsnummer 9.018.395, nach dem Krieg als minderbelastet eingestuft. Er amtierte bis in die Achtzigerjahre hinein.

Ex-Leutnant Feyerabend meint: Anything goes! 329

PHILOSOPHIE MIT DEM SCHÜRHAKEN Als Friedrich Waismann nach Cambridge gekommen war, mochte er wohl gehofft haben, hier endlich sein Buch über Wittgensteins Philosophie zum Abschluss zu bringen. Doch Wittgenstein hatte jedes Interesse an einer Zusammenarbeit verloren. Seine Philosophischen Untersuchungen wollte er selber schreiben. Bald weigerte er sich, Waismann zu treffen. „Der Mann ist fett geworden“, tat er kund. Daraufhin zog Waismann nach Oxford, als Philosophiedozent. Dort schlug er sich wacker, aber sein Unglück nahm furchtbare Ausmaße an. Seine Frau beging Selbstmord, und wenige Jahre danach auch sein halbwüchsiger Sohn. Waismanns Buch über Wittgenstein, mit dem Vorwort, das Schlick vor einem halben Menschenalter verfasst hatte, und den Aufzeichnungen über ihre gemeinsamen Gespräche erschien erst lang nach dem Tod aller Beteiligten.

Während des Krieges hatte Ludwig Wittgenstein als freiwilliger Pfleger in einem Londoner Krankenhaus gearbeitet, und später als Laborassistent in Newcastle. 1944 kehrte er an seinen Lehrstuhl zurück. Unter den Studierenden tauchte auch eine Wienerin auf – die immer noch bettelarme Rose Rand, die früher über die Sitzungen des Wiener Kreises Protokoll geführt hatte. Sie bat Wittgenstein, ihr Ansuchen um ein Stipendium zu unterstützen. Derzeit hielt sie sich als Fließbandarbei-

Cambridge Univ. Archive

Kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Wittgenstein Professor in Cambridge geworden, und obendrein Engländer. Sein deutscher Judenpass habe ihm „in der Tasche gebrannt“, schrieb er. Als frischgebackener britischer Staatsbürger hingegen konnte er ungefährdet nach Berlin reisen, um dort zu bewirken, dass Hitler die Schwestern Wittgensteins zu „Ehrenarierinnen“ beförderte. Sie durften daher als „reinblütig“ in der Ostmark verbleiben, unbehelligt von der NS-Bürokratie. Dieses Geschäft – es handelte es sich um nichts anderes – brachte dem Dritten Reich Devisen. Das Vermögen der Familie Wittgenstein war zum großen Teil in der Schweiz angelegt gewesen.

Wittgenstein fühlt sich in Cambridge nicht wohl 330

terin in einer Waffenfabrik nur notdürftig über Wasser. – Er könne nichts tun, meinte Wittgenstein; außerdem sei es durchaus keine Schande, von der eigenen Hände Arbeit zu leben. Zunehmend sah Wittgenstein in seiner Professur einen Hemmschuh für sein Philosophieren. Das „nasskalte geistige Klima“ von Cambridge freute ihn nicht mehr. – Auch seine Beziehung zu Bertrand Russell litt darunter. Der Lord, der mit zweiundsiebzig wieder ans Trinity College zurückgekehrt war, hatte mit seiner Geschichte der Philosophie des Abendlands einen Bestseller ersten Ranges gelandet. Bald sollte er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet werden. Wittgenstein missbilligte die Erfolgsschriftstellerei seines ehemaligen Mentors. Dass Wittgenstein in Russells Philosophie des Abendlands nicht vorkam (Neurath aber schon), machte die Angelegenheit nicht besser.

Institut Wiener Kreis

Karl Popper, der Bertrand Russell verehrte, hatte die Kriegszeit in Neuseeland verbracht. Seine Lehrverpflichtung an der Universität von Christchurch war gewaltig gewesen: trotzdem hatte er es geschafft, zwei Werke über die Philosophie der Geschichte und der Politik zu schreiben, die ihm bald hohes Ansehen einbringen sollten: Das Elend des Historizismus und Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Popper wandte sich darin vehement gegen jegliches Denken, das zu totalitären Ideologien von rechts oder links führen kann. Er bezeichnete die beiden Bücher als seinen Beitrag zur Kriegsanstrengung. Am wirksamsten wurde die Offene Gesellschaft freilich erst im folgenden Krieg, nämlich dem Kalten. Karl Popper hatte in seinen Wiener Jahren totalitäre Bestrebungen von links wie von rechts aus nächster Nähe beobachten können, und wusste daher, wovon er sprach. Außerdem fügte es sich gut, dass seine Wissenschaftstheorie ihr Gewicht auf Hypothese und Falsifikation gelegt hatte, auf das Wechselspiel von Versuch und Irrtum sowie auf die Vorläufigkeit alles Wissens. Das alles ließ sich bestens auf die politischen Abläufe in einer Demokratie übertragen, in der jene Regierungen, die sich nicht bewähren – auf längere Sicht Popper bläst zur Attacke 331

also jede – einigermaßen schmerzlos abgelöst werden können, ähnlich wie man eine Hypothese verwirft. Mit unbändiger Angriffslust zog Popper über die „Feinde der offenen Gesellschaft“ her; dazu gehörten nicht nur Hegel, Marx und Engels, die Schutzheiligen des Kommunismus, sondern auch Plato mit seinen faschistisch anmutenden Philosophenkönigen. Nicht wenige Philosophen fühlten sich durch Poppers Angriff auf Plato vor den Kopf gestoßen. Doch Otto Neurath gehörte nicht zu ihnen. Er hatte selbst schon herausgearbeitet, wie leicht sich vieles in Platos Republik als Vorlage für einen totalitären Staat lesen lässt. Der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Hayek, seit jeher ein vehementer Gegner aller staatlichen Bevormundung – er sah darin den „Weg in die Knechtschaft“ und schrieb ein Buch mit diesem Titel – war begeistert von der Offenen Gesellschaft. Hayek erwirkte für Popper eine Anstellung an der London School of Economics. Der streitlustige Philosoph kehrte daher von den Antipoden zurück. Sprachschwierigkeiten hatte Popper keine mehr: und in England fand er die Bühne, die seinem Ehrgeiz angemessen war. Als er eine Einladung erhielt, in Cambridge vorzutragen, erkannte er sofort die Chance für einen Showdown mit Ludwig Wittgenstein. Damals, im Gomperz-Kreis, im Jahr 1930 in Wien, da hatte er bloß geprobt! Das war nur ein Schattenboxen gewesen, da Wittgenstein damals nicht anwesend war. Jetzt sollte es anders sein. Als Vortragstitel wählte Popper: Gibt es philosophische Probleme? So wie die Atomdebatte zwischen Mach und Boltzmann als Ouvertüre der Geschichte des Wiener Kreises gesehen werden kann, so der legendäre Streit zwischen Popper und Wittgenstein als Schlussakkord. Er geriet zur schrillen Dissonanz. Der zornige Wortwechsel fand am 25. Oktober 1946 statt und dauerte bloß zehn Minuten. Die beiden Philosophen hatten es geschafft, einander bis dato noch nie begegnet zu sein. In einer Stadt wie Wien, wo jeder jeden kennt, erschien das erstaunlich genug. Und als Karl Popper 1937 in Cambridge einen Vortrag hielt, auf seinem Weg nach Neuseeland, war Wittgenstein wegen Schnupfens fern geblieben. Oder verschnupft ferngeblieben? – Es konnte ihm ja kaum verborgen geblieben sein, dass ihn Popper einst im Gomperz-Kreis als Dogmatiker attackiert hatte, ja mit dem katholischen Klerus verglich. Nun kam Popper also wieder nach Cambridge. Im selben Raum, wo sein Vortrag stattfinden sollte, hatte unmittelbar davor Ludwig Wittgensteins Seminar stattgefunden. Es war wie üblich ein stockendes, tastendes Selbstgespräch vor seinen Jüngern gewesen. Manchmal hatte er sich darin unterbrochen, um das Kaminfeuer zu schüren. Es war kalt. 332

Jetzt trudelte das Vortragspublikum ein, um Popper zu lauschen, etwas zahlreicher als sonst; der Vortragende erschien, eskortiert von Bertrand Russell. Insgesamt hatten sich etwa dreißig Zuhörer in dem schlecht geheizten Raum eingefunden, darunter einige, die als Philosophen Karriere machen sollten. Popper bot sich ein günstiger Einstieg. Sei Vortrag war mit dem Titel: Gibt es philosophische Rätsel? angekündigt worden, während er doch über philosophische Probleme hatte sprechen wollen. Die kurzfristige Änderung des Titels war ohne seine Billigung geschehen. „Rätsel“, also „puzzle“, klang in seinen Ohren weitaus weniger ernsthaft als „Problem“. Aber just darum ging es ihm doch – um echte, ernste Probleme. Sofort war Popper beim Kern der Sache. Wittgenstein fiel ihm schon nach wenigen Sätzen ins Wort. Das war seine Art. Ob Popper ihm ein paar philosophische Probleme nennen könne? – Die hatte Popper natürlich parat. Wittgenstein unterbrach ihn immer wieder, doch Popper ließ ihn nicht ausreden. Beide Philosophen sprachen Englisch mit Wiener Akzent. Umgänglich klang ihr Ton keineswegs. Rasch verschärfte sich die Gangart. Wittgenstein begann zu gestikulieren. Er hatte einen Schürhaken in der Hand, den er häufig verwendete, um seine Ausführungen zu unterstreichen. Als er schließlich Popper erregt aufforderte, ein Beispiel für eine moralische Aussage anzugeben, erwiderte dieser: „Nicht den Gastvortragenden mit dem Schürhaken bedrohen!“ Worauf ein entnervter Wittgenstein den Schürhaken zu Boden schleuderte und die Tür krachend hinter sich zuschlug. Soweit die Version Karl Poppers. Einige der Zeitzeugen hatten das anders in Erinnerung. Vielleicht fiel das Bonmot erst, als Wittgenstein den Raum schon verlassen hatte. Vielleicht krachte die Tür nicht ins Schloss. Verbürgt ist, dass Wittgenstein Popper keine Viertelstunde lang aushielt. Und Popper gilt seitdem als der einzige Mensch, dem es gelungen war, Wittgenstein ebenso rücksichtslos zu unterbrechen, wie Wittgenstein sonst alle anderen unterbrach. Hinter diesem Disput steckte jedoch viel mehr als die Unverträglichkeit zweier philosophischer Primadonnen: Ein guter Teil von Poppers Philosophie konnte als eine Umdeutung, wohl auch Verbesserung der Gedanken des Wiener Kreises aufgefasst werden. Aber in einer Hinsicht unterschieden sich seine Ansichten fundamental von jenen, die Schlick, Carnap und Co. als Wende der Philosophie gefeiert hatten: Popper war von Anfang an davon überzeugt gewesen, dass sich philosophische Fragen nicht bloß als Scheinprobleme darstellen, die durch missbräuchliche Verwendung der Sprache entstehen. Er wehrte sich gegen die Auffassung der Philosophie als bloßen „Kampf gegen die Verhexung des Verstandes durch die Sprache“, wie es Wittgenstein ausdrückte. Popper verwarf dessen Ansicht, 333

dass die großen Probleme der Philosophie dann entstünden, „wenn die Sprache Feierabend macht“. Schon als Fünfzehnjähriger, so Popper in seiner intellektuellen Autobiografie, habe er es sich zur Richtlinie gemacht, niemals über Worte und ihre „wahre“ Bedeutung zu argumentieren. „Ich glaube immer noch“, schrieb er, „dass es der sicherste Weg ins Verderben ist, echte Probleme zugunsten von Wortstreitigkeiten zu vernachlässigen.“ Gemessen an dieser Auffassung, verstand er es virtuos, seinen Gegnern einen Strick aus den eigenen Worten zu drehen: Ob „puzzle“ oder „Problem“, ob Verifikation oder Falsifikation, das spielte dann doch plötzlich eine Rolle, wenn es hart auf hart ging. In der Woche nach seinem Streit mit Ludwig Wittgenstein schrieb Karl Popper an Russell, er sei erfreut gewesen, sich bei dem Disput auf derselben Seite wie Russell befunden zu haben. Popper ließ leichtes Bedauern anklingen, dass Russell nicht herzhafter seine Partei ergriffen hatte. – Das sei doch gar nicht nötig gewesen, antwortete Russell, Popper wisse sich schon zu verteidigen. Das war in der Tat der Fall. Poppers Aufstieg konnte nichts mehr aufhalten. Im Jahr 1947 hatte Viktor Kraft bei Karl Popper inoffiziell angefragt, ob dieser eventuell bereit sei, Schlicks Wiener Lehrkanzel zu übernehmen. Popper antwortete dezidiert, dass er nicht die Absicht habe, England zu verlassen. Er hatte seine Bühne gefunden. Zwanzig Jahre später war er Sir Karl, und nach dem Tod des fast hundertjährigen Russell der prominenteste Philosoph seiner Zeit. WITTGENSTEIN LEHNT SICH GEGEN DEN WIND Ludwig Wittgenstein gab seine Professur im Jahr 1947 zurück, um sich ganz seinem endlosen Manuskript widmen zu können. Er verbrachte viel Zeit in Irland, besuchte Amerika und kam auch wieder nach Wien zurück. Das war das trostlos graue ausgebombte Wien, das Filmfans vom Dritten Mann her kennen. Paul Feyerabend versuchte, Wittgenstein in den Kraft-Kreis einzuladen. In seiner Autobiographie namens Zeitverschwendung beschreibt er den Versuch: “Ich ging zum Palais Wittgenstein [das damals noch stand]. Die Eingangshalle war groß und dunkel, mit schwarzen Statuen in vielen Nischen und Ecken. ‚Was wünschen Sie?‘, fragte eine körperlose Stimme. Ich erklärte, dass ich gekommen war, um Herrn Wittgenstein zu sehen 334

und ihn in unseren Kreis einzuladen. Lang blieb es still. Dann kehrte die Stimme zurück – sie gehörte dem Portier, der aus einem kleinen, fast unsichtbaren Fenster hoch oben im Vorraum heraus sprach: ‚Herr Wittgenstein hat von Ihnen gehört, kann aber nichts für Sie tun.‘“ Doch wenige Tage später überlegte es sich Herr Wittgenstein anders, und seine hagere Figur tauchte tatsächlich im Kraft-Kreis auf. Er kam mit einer Stunde Verspätung, hörte Paul Feyerabend ein oder zwei Minuten lang zu und fiel ihm auch schon ins Wort, mit dem markigen Ruf: „Halt, so geht das nicht!“ Danach ließ er den anderen nur mehr wenig zu Wort kommen. Doch insgesamt scheinen sich die beiden Ex-Leutnants an diesem Abend ganz gut unterhalten zu haben. Doch Ludwig Wittgenstein litt an Krebs, wie sein Vater. Ins Spital wollte er nicht. Er zog sich ins Haus seines Arztes zurück. Es war in Storey’s Way, Cambridge. In einem Brief vertat er sich bei der Adresse und schrieb Storey’s End. Es sollte tatsächlich sein Sterbehaus werden. Wittgenstein trug seiner Gastgeberin auf, den Freunden, die ihn am kommenden Tag besuchen wollten, auszurichten, dass er ein wundervolles Leben gehabt hätte. An jenem Tag, den 29. April 1951, verstarb er. Zwei Jahre später kamen seine Philosophischen Untersuchungen heraus, ein Hauptwerk der Sprachphilosophie. Wittgenstein hatte den passenden Aufbau zu guter Letzt also doch gefunden. Das Buch war wie ein Album von Landschaftsskizzen angelegt, immer dieselben Orte von immer neuen Warten aus betrachtend, verbunden durch ein Geflecht von Pfaden, das keinen Anfang und kein Ende kennt. „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“, prägte sich ebenso rasch ein wie einst die berühmten Sätze des Tractatus – jener Abhandlung, gegen die sich, nach Meinung ihres Autors, die Untersuchungen lehnen wie ein Wanderer gegen den Wind. Er wollte seine neuen Untersuchungen in einem Band mit dem Tractatus zusammen veröffentlichen, „da sie nur durch diesen Gegensatz ihre rechte Beleuchtung erhalten könnten“. Das Motto, das Wittgenstein den Untersuchungen voranstellte, stammte von Johann Nestroy, dem österreichischesten aller Komödienschreiber: „Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, dass er viel größer ausschaut als er wirklich ist.“ Etwas ganz Ähnliches stand auch im letzten Satz des Vorworts vom Tractatus: der Wert des Buchs bestehe darin, zu zeigen, wie wenig damit getan ist, dass die Probleme gelöst sind. Doch trotz dieser scheinbaren Bescheidenheit war der Autor des Tractatus überzeugt gewesen, bis an die Grenze des philosophischen Denkens vorgedrungen zu sein. Im Gegensatz dazu hatte der Verfasser der Untersuchungen begriffen, dass er damit nicht zu Rande kommen konnte. 335

In den Jahrzehnten nach Wittgensteins Tod kam es zu einer Flut an Veröffentlichungen aus seinem Nachlass. Dieser umfasst mehr als dreißigtausend Seiten. In Universitätsbibliotheken sind ganze Bücherregale gefüllt mit gelehrten Bänden, die Wittgensteins Gedanken zu erklären versuchen – ein Geschäft, das so undankbar ist wie das Erklären von Witzen. „Friede in den Gedanken“, schrieb Wittgenstein, „das ist das ersehnte Ziel dessen, der philosophiert.“ Boltzmann hätte rückhaltlos zugestimmt. Kurz vor Wittgensteins Tod, und ohne von den Untersuchungen zu wissen, hatte die junge Ingeborg Bachmann in einem Aufsatz über zeitgenössische Philosophie geschrieben: „Wo heute der Hebel angesetzt werden müsste? – Bei Ludwig Wittgenstein vielleicht, der noch entdeckt werden muss, dem größten und zugleich unbekanntesten Philosophen unserer Epoche.“ Die Künstlerin bezeichnete ihn als „eine der seltsamsten und legendärsten Gestalten in der Philosophie“. „So hat die Legende sein Leben abgelöst noch zur Zeit, als er lebte, eine Legende von freiwilliger Entbehrung, vom Versuch eines heiligenmäßigen Lebens… Wie Pascal bewegt sich Wittgenstein in und mit seinem Abgrund.“ Ingeborg Bachmanns Studienkollege Paul Feyerabend hatte mit seinem britischen Stipendium zu Wittgenstein pilgern wollen, um bei ihm zu studieren. Nach Wittgensteins Tod wandte er sich an Popper; in dessen Kritischen Rationalismus fand sich Feyerabend ebenso geschmeidig ein wie vordem in den Logischen Empirismus seines Doktorvaters Viktor Kraft. Bald jedoch begann er seine eigenen Wege in der Wissenschaftstheorie zu gehen. Neben Popper wurde damals die Szene vom jungen Amerikaner Thomas Kuhn (1922-1996) bewegt, dessen Buch Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen als Teil von Otto Neuraths Enzyklopädie der Einheitswissenschaft erschienen war. Für Kuhn war Poppers Wissenschaftsbegriff allzu eng. Wissenschaftlern, die darauf erpicht sind, ihre Theorien zu falsifizieren, begegnet man ja wirklich nicht alle Tage. In Kuhns Augen besteht die „normale Wissenschaft“ darin, immer mehr an Wissen entlang allgemein akzeptierter und nicht hinterfragter theoretischer Richtlinien zu akkumulieren. Nur selten widerspricht eine Tatsache den Erwartungen, und wenn das geschieht, wird die neue Tatsache üblicherweise zunächst als irrig angesehen. Erst wenn sich genügend solcher Anomalien aufgestaut haben, greift das Bewusstsein einer Kuhnschen „Krise“ um sich. Ist es einmal soweit gekommen, treten neue Kuhnsche „Paradigmen“ ans Licht. Schließlich setzt sich eines von ihnen durch und ersetzt die frühere Erwartungshaltung. Jetzt entwickelt sich die „normale“ Wissenschaft entlang 336

dieser neuen Richtung weiter. Die normalen Wissenschaftler ordnen jetzt ihre Fakten entlang der neuen Blaupause. Gemäß Kuhn geht es also gar nicht um Bestätigung oder Falsifizierung. Vielmehr ist es so, dass eine Zeit lang verschiedene Gruppen der wissenschaftlichen Gemeinschaft um die Deutungshoheit ringen. Schließlich setzt sich eine durch; doch aus der Tatsache, dass die anderen Gruppen unterliegen, folgt keineswegs, dass sie aus Nichtwissenschaftlern bestanden. Der Fortschritt besteht laut Kuhn nicht in der Widerlegung einer Hypothese, sondern vielmehr darin, dass die alte Generation abtritt, und der Nachwuchs sich mit neuen Paradigmen profiliert. Grob gesprochen: Theorien werden nicht falsifiziert; ihre Vertreter sterben bloß aus. Auch diese Auffassung schien Feyerabend noch zu eng. Er entwickelte sich bald zu einer Landplage für beide, Popper und Kuhn. Der Titel seines Hauptwerks lautete Wider den Methodenzwang, und sein Slogan „Anything goes!“ (copyright Cole Porter) wurde zum Schlachtruf in diesem anarchistischen Kreuzzug. Wie ein Hofnarr verhöhnte Feyerabend alles, was nach akademischem Pomp roch. Ein Artikel in der Zeitschrift Nature bezeichnete ihn im Jahr 1987 als „den schlimmsten Feind der Wissenschaft“. Das ist eine gelinde Übertreibung, zeigt aber doch, wie weit dieser Apfel vom Stamm des Wiener Kreises weg gerollt war. NÄCHSTER HALT: HARVARD Nicht alle vertriebenen Mitglieder des Wiener Kreises blühten in den Vereinigten Staaten auf. Edgar Zilsel fand in der neuen Welt keinen Kontakt und brachte sich im Jahr 1944 um. Die unglückliche Rose Rand, die lange in England gelebt oder vegetiert hatte, versuchte auch in Amerika vergeblich, Fuß zu fassen und schlug sich weiterhin mit Übersetzungen polnischer Logiker mühsam durchs Leben. Es war kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Gelegentlich schickten ihr die Feigls „als Ausdruck unserer alten Freundschaft“ Geldspenden. Rose Rand starb alt und vereinsamt an Gallenkrebs. Gustav Bergmann und Herbert Feigl hingegen machten Karriere als Wissenschaftsphilosophen, und Richard von Mises wurde Professor für Aerodynamik in Harvard. Seine Fluglehre, ursprünglich für das k.k. Fliegerkorps verfasst, erlebte in immer neuen Auflagen noch das Zeitalter des Überschallflugs. Machs Name kam in die Schlagzeilen. Der Amerikaner Chuck Yeager erreichte 1947 mit einer Bell X-1 eine Geschwindigkeit von Mach 1,06. Im Jahr 1953 waren es schon 2,44. Im selben Jahr starb Richard von Mises. Sein alter Freund und Mitautor Philipp Frank schrieb den Nachruf für Science. Auch Frank war in Harvard gelandet. Dort hatte er die erste ernstzunehmende Bio337

grafie über Albert Einstein verfasst, dessen Nachfolger er dereinst in Prag gewesen war, in der unendlich fern zurückliegenden Zeit vor den Weltkriegen. Das Schlagwort „vom Wiener Kreis zum Harvard Square“ könnte als Motto für die Geschichte der Wissenschaftsphilosophie im zwanzigsten Jahrhundert dienen. So lautete auch der Titel einer Arbeit des eminenten Physik-Historikers Gerald Holton (geb. 1922). Holton wusste wovon er sprach. Er war in Wien aufgewachsen, musste mit sechzehn vor den Nazis fliehen, und auch er endete als Professor in Harvard. Zum erfolgreichsten Mitglied des Wiener Kreises wurde zweifellos Rudolf Carnap, der in den USA den idealen Boden für seine wissenschaftliche Art des Philosophierens fand. Man sah ihn bald als die offizielle Stimme des Logischen Empirismus an. Carnap wirkte als Professor in Chicago und später in Los Angeles, mit Gastaufenthalten in Princeton und Harvard. Dort arbeitete er eng zusammen mit den Logikern Alfred Tarski und Willard Van Orman Quine, die beide zu Beginn der Dreißigerjahre den Wiener Kreis besucht hatten, von verschiedenen Himmelsrichtungen her kommend. Beide waren auf Carnaps Wellenlänge, und beide nötigten ihn wieder und wieder, von philosophischen Positionen abzurücken, die Mitglieder des Wiener Kreises allzu selbstgewiss eingenommen hatten. Carnap ging dabei freilich nicht so weit wie Alfred Ayer, der einstige Herold des logischen Positivismus, der nunmehr verkündete: „Der Wiener Kreis hat nur ein Problem. Fast alles, was er behauptet hat, ist falsch.“ Insbesondere stellte Quines Essay über „Zwei Dogmen des Empirizismus“ zwei grundlegende Auffassungen in Frage. Die eine betraf die ehrwürdige Unterscheidung von analytisch und synthetisch, die auf Immanuel Kant zurückgeht. Die Wahrheit einer analytischen Aussage hängt ausschließlich von der Bedeutung der darin vorkommenden Begriffe ab („Junggesellen sind unverheiratet“). Die Wahrheit einer synthetischen Aussage hängt dagegen von zusätzlichen Tatsachen ab („Junggesellen werden beneidet“). Quine jedoch argumentierte, dass die Unterscheidung keineswegs so einfach ist, wie sie zunächst scheinen will. Zum zweiten zog Quine die Behauptung in Zweifel, dass sinnvolle Aussagen auf das „unmittelbar Gegebene“ zurückgeführt werden können, also auf Sinneseindrücke. Quines Kritik gab vielen Philosophen zu denken, und Carnap hatte mit Rückzugsgefechten alle Hände voll zu tun. Zur selben Zeit aber erweiterte er seine formale Logik der Wissenschaftssprache und fuhr mit seinen Untersuchungen über Syntax und Semantik weiter fort. In mancherlei Hinsicht war Wirklichkeit geworden, wovon er in Wien einstmals träumte: die Philosophen der neuen Generation – jedenfalls die, die sich „analytische Philosophen“ nannten – konnten mit bloßem Auge kaum mehr von den üblichen Fachwissenschaftlern unterschieden werden. 338

Bald wurde Carnap eine der größten Anerkennungen zuteil, die ein Philosoph sich erhoffen darf: ein seiner Person gewidmeter Band in der Library of Living Philosophers. – Der amerikanische Professor Paul Arthur Schilpp (1897-1993), übrigens einst Schlicks Assistent in Berkeley, hatte häufig bedauert, dass es in unserer Zeit nicht mehr möglich war, Plato oder Kant zu befragen, was sie mit dieser oder jener Aussage gemeint haben mochten; Schilpp wollte ähnliche Versäumnisse für die Zukunft vermeiden. Sein Rezept war ein dreistufiges Verfahren: Er bat jeweils eine der führenden Gestalten der zeitgenössischen Philosophie um eine Darstellung ihres Wirkens, holte dann aus der Kollegenschaft kritische Essays dazu ein, und bot schließlich Gelegenheit für eine Replik. GÖDEL MACHT SICH UNPOPULÄR So ersuchte Schilpp also Kollegen von Carnap um kritische Essays zu dessen Wirken. Auch Kurt Gödel bat er darum. Nach Kriegsende war Gödel zum permanenten Mitglied des Institute for Advanced Study ernannt worden. Seine Zukunft war fortan gesichert. Bald darauf erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Es war seine vierte, nach der tschechoslowakischen, österreichischen und deutschen. Bevor er amerikanischer Staatsbürger wurde, hatte Gödel die US-Verfassung mit seiner üblichen Akribie studiert. Beim Einbürgerungsverfahren konnten ihn seine beiden Zeugen, Albert Einstein und Oskar Morgenstern, nur mit Mühe davon abhalten, den vorsitzenden Richter auf Widersprüchlichkeiten in der amerikanischen Verfassung aufmerksam zu machen. Die Anekdote wurde zur vielumrankten Legende. Tatsächlich war es so, dass der Richter, als er erfuhr, dass Gödel einst Österreicher gewesen war, ihn freundlich fragte, was es denn dort und damals für eine Regierung gegeben hätte. Offenbar wollte er es Gödel nicht schwer machen. Dieser erwiderte: „Eine Republik – aber durch einen Fehler in der Verfassung wurde sie eine Diktatur.“ „Schlimm“, meinte der Richter, „doch zum Glück kann das hier in den Vereinigten Staaten nicht passieren.“ „Und ob es kann!“, trumpfte Gödel auf. „Ich kann es beweisen!“ An dieser Stelle bemerkte der Richter – ein weiser und weltkluger Mann – Anzeichen von Panik bei den beiden Zeugen, Einstein und Morgenstern. Er brach ab und gab sich mit dem bisherigen Verlauf des Verfahrens zufrieden. Man weiß also nicht, was Gödel im Sinn gehabt hatte. Vielleicht erinnerte er sich daran, wie einfach die österreichische Verfassung von Hans Kelsen im Schicksalsjahr 1933 auszuhebeln gewesen war. Der Rechtspositivist Kelsen war nunmehr Professor in Harvard, wie von Mises, wie Frank. Die Dreißiger339

Duke Univ. Library

Babylonische Verwirrung? Aus Morgensterns Tagebuch

jahre hatte er in Köln, Genf und Prag verbracht – in Köln übrigens auf persönliche Einladung des damaligen Bürgermeisters, Konrad Adenauer. Letzterer war mittlerweile deutscher Kanzler geworden. In den frühen Fünfzigerjahren avancierte Gödel zum Professor am Institute for Advanced Study. Der Schritt war längst überfällig gewesen. „Wie kann einer von uns ein Professor sein“, hatte John von Neumann seine Kollegen gefragt, „wenn es Gödel nicht ist?“ Die Ehrungen häuften sich: so etwa Ehrendoktorate in Yale und Harvard („für die Entdeckung der bedeutendsten mathematischen Wahrheit dieses Jahrhunderts“ ), der Albert Einstein-Preis, und die Wahl in die National Academy of Science. Als Gödel 1951 eingeladen wurde, die prestigeträchtige Gibbs Lecture vor der amerikanischen mathematischen Gesellschaft zu halten, beschloss er, seine so lange verhehlten platonischen Überzeugungen endlich öffentlich kundzutun: „Die Mathematik beschreibt eine nichtsinnliche Wirklichkeit, die unabhängig ist von den Handlungen und Veranlagungen des menschlichen Geistes. Sie kann durch den menschlichen Geist nur erfasst, und wahrscheinlich nur sehr unvollständig erfasst werden.“ – Gödel fügte hinzu: „Diese Auffassung ist in Mathematikerkreisen eher unpopulär.“ Nicht nur in Mathematikerkreisen. Auch in Philosophenkreisen war der Platonismus „eher unpopulär“. Die Kritik durch Philosophen nahm Gödel 340

aber weiter nicht tragisch. Wie er seinem Freund Morgenstern mitteilte, vertrat er die Auffassung, dass die derzeitige Philosophie höchstens so weit fortgeschritten war, wie die Mathematik zur Zeit der Babylonier. Das wollte Kurt Gödel ändern. Zwar hielt er nach seiner Ernennung zum Professor am Institute for Advanced Study keine Vorlesungen oder Seminare mehr und veröffentlichte in all der Folgezeit nur eine einzige Arbeit (auch die hatte er schon viele Jahre vorher verfasst), aber er arbeitete mit höchster Intensität an seinem Essay über Rudolf Carnap für die Library of Living Philosophers. Gödel hatte bereits für zwei frühere Bände, die Russell und Einstein gewidmet waren, Essays geliefert. Viel darauf zu replizieren hatten weder Russell noch Einstein vermocht. Gödel gab sich keine Blößen. – Jetzt, im Jahr 1953, war also Carnap an der Reihe. Gödel kündigte Schilpp einen Essay an, der die Frage „Ist Mathematik Syntax der Sprache?“ beantworten sollte. Die Antwort – nämlich: nein – würde der Auffassung Carnaps und des Wiener Kreises diametral entgegengesetzt sein. Doch die Ablieferung von Gödels Manuskript verzögerte sich. Im Jahr 1954, bald nachdem Carnap die Nachfolge des verstorbenen Hans Reichenbach an der University of California in Los Angeles angetreten hatte, schrieb Gödel dem Herausgeber, dass sein Essay im Wesentlichen fertig war – er wollte nur noch ein paar Absätze hinzufügen. 1955 hieß es: Die Arbeit wäre demnächst erledigt. Und 1956: In zwei Wochen sei alles fertig gestellt. Im Jahr 1957 kündigte Gödel an, dass er beschlossen habe, seinen Essay auf ein Drittel zu kürzen – es solle sehr bald erledigt sein. 1958 gab er dann überhaupt keine Antwort auf die immer drängenderen Rückfragen Schilpps. Und im Jahr darauf, als der verzweifelte Herausgeber das Erscheinen des Bandes – mit oder ohne Gödels Essay – für das kommende Jahr ankündigte (denn schließlich hieß es ja Living Philosophers, und auch ein Carnap war nicht unsterblich), da teilte Gödel ihm mit, dass er seinen Essay lieber doch nicht einreichen wolle, weil es ja nun wohl zu spät sei für Carnap, um darauf eingehend zu replizieren. Anderen gegenüber erklärte Gödel sein zögerliches Verhalten damit, dass es „in Anbetracht weit verbreiteter Vorurteile mehr schaden als nutzen würde, etwas Halbfertiges zu veröffentlichen“. Das klingt wie eine faule Ausrede Gödels, war es aber nicht. Er hatte sich wirklich redlich bemüht, etwas Fertiges abzuliefern: Nach Gödels Tod entdeckte man in seinem Nachlass nicht weniger als sechs verschiedene Versionen seines Essays über Carnap. 341

Wenn es einen gemeinsamen Schlachtruf für Boltzmann, Mach und die Philosophen des Wiener Kreises gab, dann lautete er: „Anti-Metaphysik!“: Metaphysik war verantwortlich für all die Scheinprobleme der Philosophie und die Rückständigkeit der Menschheit überhaupt. Im Gegensatz dazu verteufelte Gödel die Metaphysik keineswegs. Vielmehr wollte er für die Metaphysik das tun, „was Newton für die Physik vollbracht hat“. Das scheint fast frevelhaft vermessen zu sein. Aber Gödel hatte bereits einmal das schier Unmögliche zustande gebracht, als er mit seinem Unvollständigkeitssatz einen mathematischen Beweis für eine philosophische Aussage lieferte. Doch diesmal gelang es ihm nicht, den zwingenden Schluss zu finden, der alle Zweifel ausräumen würde. GÖDEL WIRD POPULÄR

Princeton Univ. Library

Albert Einstein war im Jahr 1955 gestorben und John von Neumann wenig später. Sie waren Gödels engste Kollegen in Princeton gewesen. Der stille Gelehrte kapselte sich immer mehr in seinen eigenen Kosmos ein. Er beantwortete zwar noch seine Briefe, aber schickte die Antworten nicht mehr ab. Mit der Außenwelt kommunizierte er fast nur mehr per Telefon. Einen der wenigen Einblicke in seine Gedankenwelt bieten Gödels Briefe an seine Mutter in Wien. Er schrieb ihr jeden zweiten Sonntag, und sandte diese Briefe auch ab. Immer von neuem kündigte er ihr darin seinen Besuch an, und fand dann doch Gründe, ihn weiter hinaus zu schieben. Schließlich gestand er, dass er an Alpträumen litt, in Wien wieder in der Falle zu sitzen. Nun verstand Gödels Mutter, dass sie ihren Sohn nur dann wiedersehen konnte, wenn sie selber die Reise nach Princeton auf sich nahm. Das tat sie auch, als bereits Achtzigjährige, und der Besuch geriet zu einem so großen Erfolg, dass die betagte Dame ihn noch dreimal wiederholte. In den Briefen, die Kurt Gödel seiner Mutter nach Wien schrieb, Stille Tage in Princeton: Kurt Gödel mit Mutter und Bruder 342

konnte er offen sein – zumindest glaubte er das. Tatsächlich las jedoch die amerikanische Militärzensur mit und informierte sogar den FBI-Chef J. Edgar Hoover über diese merkwürdige Korrespondenz. Zum Glück ahnte Gödel nichts davon. Verfolgungsängste plagten ihn schon genug. Seiner Mutter gegenüber äußerte sich Gödel frei über seine philosophischen Überzeugungen und über das, was er die „theologische Weltsicht“ nannte. So schrieb er ihr 1961:

Princeton Univ. Library

„Man ist natürlich weit davon entfernt, das theologische Weltbild wissenschaftlich begründen zu können, aber ich glaube, schon heute dürfte es möglich sein, rein verstandesmäßig (ohne sich auf den Glauben an irgend eine Religion zu stützen) einzusehen, dass die theologische Weltanschauung mit allen bekannten Tatsachen (einschließlich den Zuständen, die auf unserer Erde herrschen) durchaus vereinbar ist. – Die Welt und alles in ihr hat Sinn und Vernunft, und zwar einen guten

FBI liest mit: Brief an J.Edgar Hoover 343

Wienbibliothek

Theologisches Weltbild: Gödel schreibt seiner Mutter

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beide: Princeton Univ. Library

Leicht erhöhte Temperatur: Kurt Gödel misst dreimal täglich

und zweifellosen Sinn. Daraus folgt unmittelbar, dass unser Erdendasein, da es an sich höchstens einen sehr zweifelhaften Sinn hat, nur Mittel zum Zweck für eine andere Existenz sein kann.“ Kein Wunder, dass Gödel bei den Diskussionen des Wiener Kreises meistens geschwiegen hatte! Seine Ansichten waren himmelweit entfernt von der wissenschaftlichen Weltauffassung der logischen Empiristen. Sie passten zu Gottfried Leibniz eher als zu Hilbert, Russell und Einstein. Gödel schrieb: „Wenn man einwendet, es sei unmöglich, dass wir uns in einer anderen Welt an die Erlebnisse in dieser erinnern, so ist das ganz unberechtigt, denn wir könnten ja in der anderen Welt schon mit diesen latenten Erinnerungen geboren werden. Außerdem muss man natürlich annehmen, dass unser Verstand dort wesentlich besser sein wird als hier, sodass wir alles Wichtige mit derselben untrüglichen Sicherheit erkennen wie 2x2=4, wo eine Täuschung objektiv unmöglich ist.“ Gödel stimmte seiner Mutter zu, als diese ihm schrieb, dass es keine Schönheit geben kann in einer Welt ohne Hoffnung, und er sprach ihr Mut zu mit Worten, die von einem Mystiker stammen könnten: „Wir verstehen weder warum diese Welt existiert, noch warum sie gerade so beschaffen ist wie sie ist, noch warum wir in ihr sind, noch warum wir gerade in diese und keine anderen äußeren Verhältnisse hineingeboren wurden. Warum sollten wir uns einbilden, gerade das eine ganz bestimmt zu wissen, dass es keine andere Welt gibt und dass wir nie in einer anderen waren noch sein werden?“ 345

Princeton Univ. Library

‚No inf(luence)‘ Gödel stellt etwas klar

Gödel, so sollte sich beim Studium seiner hinterlassenen Aufzeichnungen herausstellen, hatte sich schon als Student intensiv mit Theologie befasst. In fortgeschrittenem Alter formulierte er einen scholastischen Gottesbeweis mit Hilfe mathematischer Logik. Auch Leibniz hatte das Argument untersucht: „Ein vollkommenstes Wesen, das alle positiven Eigenschaften im höchsten Maße besitzt, ist denkbar. Daraus folgt aber, dass es existiert, denn Existenz ist eine positive Eigenschaft.“ Gödel war von Leibniz fasziniert und überzeugt, dass eine jahrhundertelang wirksame Verschwörung die Veröffentlichung von dessen wichtigsten Schriften unterdrückte hatte. „Wer hätte denn ein Interesse daran haben können, die Schriften von Leibniz zu zerstören?“ fragte ihn Karl Menger ungläubig. „Natürlich all jene, die nicht zulassen wollen, dass die Menschheit klüger wird“, erwiderte Gödel. Dreimal täglich maß Gödel seine Temperatur. Er nahm Dutzende Medikamente ein. Sein nunmehr einziger Freund, Oskar Morgenstern, war selber todkrank. Er schrieb über Gödel: „Er klammert sich an mich – er hat sonst niemanden, das ist klar – und er vergrößert so die Last, an der ich trage.“ Als Adele nach einem längeren Krankenhausaufenthalt wieder nach Hause gebracht wurde, fand sie ihren Mann in so schlimmem Zustand vor, dass er von dem Ambulanzfahrzeug, das sie heimgebracht hatte, sofort ins Spital mitgenommen wurde. Doch war es bereits zu spät. Gödel starb an Unterernährung. Er war verhungert aus Angst, vergiftet zu werden. 346

Princeton Univ. Library

Stimmungsbild mit Flamingo: Gödel in seinem Garten

Im Jahr nach Gödels Tod erschien der Bestseller von Douglas Hofstadter über Gödel, Escher, Bach. Er machte Gödel zu einer Ikone des Computerzeitalters. Doch in dieses Zeitalter passte er überhaupt nicht: Er ragte hinein wie ein erratischer Block aus einer anderen Welt, aus der barocken Welt von Leibniz und Newton. Der intellektuellen Avantgarde, die ihn im Wiener Kreis ebenso wie am Institut for Advanced Study umgeben hatte, war Gödel zeitlebens ein Fremdling geblieben. Die heimliche Auseinandersetzung mit dem Wiener Kreis hatte ihn bis zuletzt verfolgt. Gödels Nachlass bezeugt das. In einem Fragenkatalog, den er zwar beantwortet, aber seiner Gewohnheit gemäß nicht abgeschickt hatte, findet man, dick unterstrichen, dass er durchaus nicht „zu irgend einem Aspekt der intellektuellen Atmosphäre des 20. Jahrhunderts zugehörig“ sei und schon gar nicht zum Wiener Kreis. Und eine erregt gekritzelte Notiz Kurt Gödels hält fest, dass Wittgensteins Werk in keinerlei Weise Einfluss auf ihn ausgeübt hätte. POPPERS GESTÄNDNIS Im Jahr 1974 war es soweit, und auch Karl Popper erhielt seinen Band in der Library of Living Philosophers, jener Ruhmeshalle der Philosophie. Das Kapitel über Popper und der Wiener Kreis schrieb der inzwischen vierundneunzigjährige Viktor Kraft, der sich einstmals, als erster Philosoph aus dem 347

Oe Nationalbibliothek

Zirkel, des jungen Popper angenommen hatte, auf langen Spaziergängen im Volksgarten, einem Park in der Nähe der Universität. „Popper gehörte nie zum Wiener Kreis, nahm nie an dessen Sitzungen teil, und kann doch nicht als außerhalb stehend gesehen werden“, schrieb Kraft. „So wie Popper in einer engen, unauflöslichen Beziehung mit der Entwicklung des Wiener Kreises steht, ebenso war der Kreis von entscheidender Bedeutung für seine eigene Entwicklung.“

Viele Seiten seiner Replik widmete Popper dem, was er als PopperLegende bezeichnete und mit der Sokrates-Legende verglich. (Nicht, dass er sich dabei mit Sokrates vergleichen wolle, betonte er.) Gemäß dieser Legende war Popper Positivist, vielleicht sogar Mitglied des Wiener Kreises, hatte ein Kriterium für sinnvolle Aussagen gesucht und es in der Falsifizierbarkeit schließlich auch gefunden. Karl Popper blättert zurück

Nichts davon stimme! Er, Popper, verwende die Falsifizierbarkeit, um wissenschaftliche Aussagen abzugrenzen von nichtwissenschaftlichen; nicht aber als Sinnkriterium. Letzteres interessiere ihn nicht. Was den Positivismus betreffe, sei dieser tot. Mausetot. Wie Popper zugab, war er höchstpersönlich der Täter, oder zumindest doch mitschuldig. Er habe es aber nicht absichtlich gemacht. Es war also keineswegs Mord, höchstens Totschlag. Dass Sir Karl den Positivismus getötet hat, ist stark übertrieben. Doch kommt es beim lesenden Publikum stets gut an, wenn eine spannende Geschichte mit einem Geständnis endet. Und nunmehr ist die letzte Seite erreicht. Es sei, schreibt Popper, als Zeichen seines Respekts zu werten, dass er in seinem ersten Buch hauptsächlich den Wiener Kreis kritisiert hatte. „Der Wiener Kreis“, fügte er gewissermaßen als Nachruf hinzu, „war eine bewundernswerte Institution. Er war ein einzigartiges Seminar von Philosophen, die hier mit hervorragenden Mathematikern und Naturwissenschaftlern zusammen arbeiteten. Die Auflösung des Kreises war ein schwerer Verlust für die Wissenschaft.“ Auch für die Stadt Wien, darf hinzugefügt werden. 348

Schon bald nach dem Krieg hatte Viktor Kraft festgehalten: „Die Arbeit des Wiener Kreises ist nicht abgeschlossen, sie ist abgebrochen worden.“

Wikimedia Commons, Foto: Franz Gstättner

In den Worten des Kulturhistorikers und Kabarettisten Egon Friedell, der sich am Tag des „Anschlusses“ aus dem Fenster gestürzt hatte: „Die Wiener haben ein besonderes Talent, sich ihrer Erzieher zu entledigen.“

„Viel ist hingesunken uns zur Trauer und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.“ Heimito von Doderer Auf die Strudlhofstiege zu Wien

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NACHWORT VON DOUGLAS R. HOFSTADTER (AUTOR VON GÖDEL ESCHER BACH)

Eines Abends im Frühherbst 1959, als ich eben in Keplers Buchladen in Menlo Park herumstöberte, stieß ich durch Zufall auf ein schmales Taschenbuch mit dem Titel Gödel‘s Proof, das Ernest Nagel und James R. Newman gemeinsam verfasst hatten. Ich war damals 14 und hatte noch nie von Gödel gehört, aber mir gefielen die exotischen zwei Pünktchen über seinem Namen, und im Mathematik-Unterricht in der Unterstufe hatte mich erst kürzlich der Begriff eines mathematischen Beweises in Bann gezogen. So war denn meine Neugierde geweckt, und nach dem Überfliegen von ein paar Seiten hatte ich angebissen. Im Buch ging es um vielerlei: um Logik, um die Natur der Mathematik, um Sprache und Zeichen, um Wahrheit und Falschheit, um Beweise über Beweisbarkeit, und – das war vielleicht das Beste – um Paradoxe und selbstbezügliche Aussagen. Alle diese Themen waren für mich äußerst verführerisch. Ich musste dieses Buch kaufen! Mein Vater, ein Physik-Professor in Stanford, begleitete mich an diesem Abend. Als wir an der Kassa standen, erblickte er den Umschlag meines Buches und erzählte mir erfreut, dass er Ernest Nagel recht gut kannte. Ich riss die Augen auf. Tatsächlich, mein Vater hatte in den frühen 1930er Jahren eine Philosophie-Vorlesung von Nagel in New York City belegt, und dabei hatte sich eine Freundschaft zwischen den beiden entsponnen. Obwohl sie einander nunmehr schon jahrelang nicht gesehen hatten, fühlte ich mich durch diese unerwartete Freundschaft in der Wahl meines Buches bestärkt. Was wir beide nicht wussten: Ernest Nagel, nunmehr seit vielen Jahren Philosophieprofessor an der Columbia University, hielt sich seit ein paar Wochen in Stanford auf, um zwei Freisemester hier im Westen zu verbringen. Bald darauf traf mein Vater durch reinen Zufall im Campus von Stanford auf seinen alten Freund, und sie feierten ein fröhliches Wiedersehen. Bald darauf nahm mich mein Vater zu Besuch mit ins Haus, das die Nagels am Campus gemietet hatten. Dort lernte ich Ernest Nagel kennen und seine Frau Edith, die Physik am City College von New York unterrichtete, und ihre beiden Söhne Sandy und Bobby, die beide von der Mathematik und den Naturwissenschaften genau so fasziniert waren wie ich. Die vier Nagels waren nicht nur sprühende Köpfe, sie gehörten auch zu den freundlichsten und warmherzigsten Menschen, die ich je getroffen hatte. Wir fanden sofort eine gemeinsame Wellenlänge, und so begann eine lebenslange Freundschaft. 351 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 K. Sigmund, Sie nannten sich Der Wiener Kreis, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18022-5

Während dieses wunderbaren Jahres erzählte mir Ernest Nagel viele Geschichten über die interessanten Persönlichkeiten, die er in Europa und den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, wie etwa Rudolf Carnap, Moritz Schlick, Carl Hempel und andere. Und bei meinen häufigen Ausflügen in Keplers Buchladen stieß ich immer wieder auf Bücher dieser Leute. Eines meiner liebsten war Friedrich Waismanns Einführung ins mathematische Denken, von dem ich viel lernte. Durch Ernests Erzählungen und später durch Bücher hörte ich vom Wiener Kreis und seiner ehrgeizigen philosophischen Bewegung, die als „logischer Positivismus“ bezeichnet wurde. Diese Gruppe umfasste etwa ein Dutzend Mitglieder, allesamt fasziniert von den großen Fragen der Philosophie, Linguistik, Physik, Mathematik, Logik, Sozialreform, Erziehung, Architektur und Kommunikation. Sie verfolgten das hochgesteckte Ziel, alles menschliche Wissen in einer Einheitswissenschaft zusammenzuführen. Sie widmeten sich diesem grandiosen Plan während einer Zeit der gewaltigsten wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen in Deutschland und Österreich, zwischen den beiden Weltkriegen. Das waren schlimme Zeiten für hohe Ziele! Ich erinnere mich immer noch an meine extreme Neugier, ja Begeisterung, als ich in den Regalen von Keplers Buchhandlung die provokative Reihe von Taschenbüchern entdeckte, die sich als die Internationale Enzyklopädie der Einheitswissenschaft bezeichnete. Das Durchblättern dieser Bände vermittelte mir das deutliche Gefühl, dass die größten Fragen aller Zeiten hier und jetzt beantwortet wurden, durch tiefe Denker, die einstmals zum nunmehr längst schon versunkenen Wiener Kreis gehörten oder doch enge Kollegen waren. Als ich fünfzehn war, entdeckte ich Rudolf Carnaps Logische Syntax der Sprache in einer meiner Lieblingsbuchhandlungen, dem Princeton U-store, und erstand es für $ 1.15. Ein Schnäppchen! Dieses Buch, das randvoll gefüllt war mit langen, rätselhaft wirkenden Formeln in fremdartigen Schriftzeichen, strotzte nur so von Verweisen auf Gödel, Hilbert, Tarski, Frege, Russell und anderen. Es enthielt lange Diskussionen über Sprachen, Metasprachen, Beweisschemata, syntaktische Antinomien und dergleichen mehr, und entflammte mein junges Hirn. – Weshalb? Weil ich in diesem zarten Alter völlig gefangen war in der aufregenden Vorstellung, dass menschliches Denken und reine, deduktive Logik ein und dasselbe wären. Carnaps Buch war mir zwar größtenteils unverständlich, aber erfüllte mich mit unbeschreiblichen Vorstellungen von Tiefe. Nun, schließlich war ich erst fünfzehn… Etwa um diese Zeit stieß ich auch auf den mythischen Ludwig Wittgenstein mit seinem eindrucksvoll klingenden Tractatus logico-philosophicus, 352

dem Braunen Buch und dem Blauen Buch und anderen Werken. Berühmte Autoritäten wie Bertrand Russell priesen diese Schriften über den grünen Klee. Ich musste sie kennenlernen! Anfangs war ich gefesselt von Wittgensteins markigen, durchnummerierten Sagern, obwohl ich mir trotz heftiger Bemühungen keinen rechten Reim auf sie machen konnte. Trotzdem blieb ich beeindruckt: schließlich sahen darin viele Leute, zu denen ich aufschaute, die Werke eines großen Genies. Mit der Zeit begann ich aber, etwas mehr Vertrauen auf meine eigene Meinung zu setzen, und irgendwann wurde ich misstrauisch gegenüber Wittgensteins orakelhaftem Tonfall und seinen kryptischen Phrasen. Seine Sätze schienen mir mehr pompöse Vernebelung als einsichtsvolle Klarheit zu bieten. Irgendwann verlor ich die Geduld und entschied, dass seine Art, sich mitzuteilen, überhaupt nicht auf meiner Linie lag, mochte er nun Wichtiges zu sagen haben oder nicht; und so ließ ich ihn fallen wie eine heiße Kartoffel. Nun, das geschah alles vor langer langer Zeit. Überspringen wir fast sechzig Jahre. Jetzt ist es Juni 2016, und ich bin in Stockholm als Teilnehmer eines kleinen zweitägigen Symposions über Wissenschaft und Philosophie, organisiert durch den Schriftsteller und Verleger Christer Sturmark. Ich traf dort nicht wenige interessante Leute, wie etwa Björn Ulvaeus (einst einer der Stars der schwedischen Pop-Gruppe ABBA), Anton Zeilinger (ein Wiener Pionier der Quantenphysik) und Karl Sigmund (ein Wiener Mathematiker, der eine Biographie über Gödel verfasst hatte). Wir schlenderten nach dem Mittagessen durch den entzückenden Skansen-Park, als Karl Sigmund nebenher erwähnte, dass er gerade ein Buch über den Wiener Kreis fertig gestellt hatte. Ich spitzte die Ohren, denn diese Gruppe von Denkern hatte ich ja mein ganzes Leben lang gekannt, zumindest indirekt, und einige von ihnen hatten mich enorm beeinflusst. Ich fragte Sigmund, was ihn zum Schreiben dieses Buchs bewogen hatte, und er erzählte mir, dass er gewissermaßen im Schatten des Wiener Kreises aufgewachsen war, dessen Präsenz ihn in seiner Heimatstadt auf Schritt und Tritt verfolgt hatte. In vielerlei Hinsicht waren Sigmunds Gründe, sich mit dem Kreis zu befassen, den meinigen ähnlich, nur gesteigert zur n-ten Potenz. Natürlich musste er ein Buch darüber schreiben – es war praktisch seine Lebensaufgabe! Als wir sprachen, spürte er meine echte Begeisterung für das Thema, und er versprach, mir ein Exemplar zu schicken, sobald er wieder nach Wien zurückgekehrt war. Und tatsächlich, wenige Wochen später fand ich in der Post ein Exemplar von Sie nannten sich Der Wiener Kreis: Exaktes Denken am Rand des Untergangs. Sobald ich es öffnete, überwältigte mich die Bilderfülle: zahlreiche Fotos von Menschen und Orten, Reproduktionen von handgeschriebenen Briefen und Buchtiteln, Rechnungen, Eintrittskarten und weiß 353

der Himmel was noch. Das Buch war ein veritables Geschichtsmuseum! Ich konnte kaum erwarten, es zu lesen. Es traf sich auch gut, dass ich plante, mein nächstes Freisemester zum Teil in Wien zu verbringen. Hier ergab sich eine reizvolle Gelegenheit, mich in Wiens intellektuelle Geschichte zu vertiefen. Ich brauchte etwa ein Monat, um das Buch von Anfang bis Ende zu lesen. Dabei erfuhr ich eine Menge über den Wiener Kreis und seine geistigen Wurzeln und Beiträge. Selbstverständlich war mir Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz wohlvertraut, aber nun entdeckte ich, was der Wiener Kreis noch alles hervorgebracht hatte: so etwa die bahnbrechenden Beiträge von Otto und Marie Neurath zur Kommunikation durch Bildsymbole, Karl Mengers brillante Schöpfung der Dimensionstheorie, Hans Hahns wegbereitende Schriften zur Funktionalanalysis, Ludwig Wittgensteins kryptische Deklarationen, Karl Poppers einflussreiche Ideen zur Falsifizierbarkeit in der Naturwissenschaft, und Rudolf Carnaps heldenhafte Bemühungen, die gesamten Wissenschaften mit der Logik zu verschmelzen. Ich erfuhr auch mehr als ich wollte über die schrecklichen Wirrnisse, die zur Zeit dieser geistigen Höhenflüge ganz Mitteleuropa im Griff hielten. Diese Wirrnisse wirkten sich auch auf alle Mitglieder des Wiener Kreises aus, bis hin zur kaltblütigen Ermordung seiner Leitgestalt Moritz Schlick. Diese Schrecknisse führten dazu, dass die meisten ihr Heil in der Flucht suchten. Das war natürlich der Grund für Sigmunds Wahl des Untertitels Exaktes Denken am Rand des Untergangs. Sobald ich das Buch fertig gelesen hatte, schrieb ich Karl Sigmund, dass ich es sehr genossen hatte, und es mir als eine Ehre anrechnen würde, es zu übersetzen. Die Antwort kann überraschenderweise nicht aus Wien, sondern von Mauritius, wo Sigmund gerade auf Urlaub war. Er schrieb: „Der Gedanke, dass Sie mein Buch übersetzen könnten, ist so außergewöhnlich, dass ich glaube zu träumen. Ich habe eine einmalige Gelegenheit versäumt!“ Das warf mich um! Und dann erklärte er mir, dass er das Buch selbst schon übersetzt hatte, und dass es bei Basic Books in New York erscheinen würde. Wie es sich traf, war das auch mein Verlagshaus, seit 1978, und wir hatten beide denselben Verleger, TJ Kelleher. Ich musste schmunzeln. So schrieb ich zurück, dass es mich freuen würde, die englische Fassung zu überarbeiten und aufzupolieren, sofern er daran Interesse hatte. Karl war begeistert, und TJ war auch einverstanden, obwohl er darauf hinwies, dass die Zeit sehr drängte. So begann das Abenteuer einer mehrwöchigen intensiven Zusammenarbeit. 354

Für mich war es ebenso belehrend wie berührend, mich mit den vielen bunten Gestalten in Karls Buch noch vertrauter zu machen. Einige davon waren offizielle Mitglieder des Wiener Kreises, andere dem Kreis nur „nahestehend“ oder Randfiguren in dieser oder jener Weise. Otto Neurath zum Beispiel, den großen Freund von Elefanten, Statistiken und Frauen, mochte ich anfangs, dann ging er mir eine Weile gehörig auf die Nerven, und zuletzt mochte ich ihn wieder. Ich fühlte tiefes Mitleid für den armen Friedrich Waismann, der sich so lange von dem launenhaften und rücksichtslosen Ludwig Wittgenstein ausbeuten ließ. Ich verspürte Bewunderung für die treue Adele Nimbursky, die ihren brillanten aber gepeinigten Gatten Kurt Gödel so unerschütterlich unterstützt hatte. Ich war schockiert von Albert Einsteins Freund, den wahnsinnigen Friedrich Adler, der mir als ebenso böse erschien wie Johann Nelböck, der Schlick, den Gründer des Kreises, ermordet hatte. Ich spürte Mitgefühl für die vielgeplagte Rose Rand, und so weiter und so fort. Zwei Gestalten beunruhigten mich besonders. Einer von ihnen war der Philosoph Paul Feyerabend, der in Hitlers Wehrmacht zum Leutnant aufgestiegen war, nach der Niederlage der Nazis zum Doktor der Philosophie promovierte, und bald weltbekannt wurde für seine unsinnigen Auslassungen darüber, wie Wissenschaft angeblich betrieben wurde. Ich konnte das alles nicht ertragen und erlaubte mir, ein paar abwertende Worte in Karls Text einzufügen, die meine eigene Meinung darstellten. Aber Karl legte sein Veto ein, schrieb meine Zeilen wieder um und bemerkte dazu: “Kleine Änderung, um das Ganze weniger anklägerisch zu machen. Versteh mich bitte: viele Österreicher und Deutsche teilen heutzutage deinen Standpunkt. Im Nachhinein ist es so leicht. Aber was hätten sie damals getan? Die meisten wären nicht im Widerstand gewesen. Die Statistik spricht dagegen. Helden sind rar. Und was hätte ich wohl getan?“ Ich zollte dieser Haltung meine Anerkennung, und nahm alles zurück. Die andere Gestalt, die ich nicht ausstehen konnte, war der doppeldeutige Philosoph Martin Heidegger, der zum Rektor der Universität in Freiburg avanciert war, als Hitler an die Macht kam, und hetzerische Reden hielt, in SA-Uniform und mit Hitlergruß. Was mich völlig verdatterte war, dass mein geliebter Onkel Albert Hofstadter, der für viele Jahre als Kollege von Ernest Nagel am Philosophie-Department der Columbia Universität wirkte, Heideggers Gedanken schrankenlos bewunderte und sogar zwei von dessen Büchern ins Englische übersetzt hatte. In meinen Augen aber war Heidegger nicht nur ein grundschlechter Mensch, sondern seine Schriften von A bis Z unverständlich. Was hatte mein lieber alter Onkel darin erblicken können? Ich werde es wohl nie wissen. Selbstverständlich war Heidegger nie Mitglied des Wiener Kreises gewesen, sondern jemand, dessen Philosophie das genaue Gegen355

teil war. Mehrere aus dem Wiener Kreis veräppelten seine undurchsichtigen Schreibereien. Nun, von meiner Vernarrtheit, damals als Teenager, in die Vision der mathematischen Logik als dem Kern menschlichen Denkens hab ich mich schon lange getrennt. Heute erscheint mir der Gedanke zutiefst unplausibel. Und doch: Ich erinnere mich noch lebhaft, wie diese Idee mich auf Jahre hinweg beflügelt hatte und dazu angeregt, so angestrengt wie nur möglich über das nachzudenken, was das Denken ausmacht. In diesem Sinn war meine jugendliche Süchtigkeit nach dem Wiener Kreis gar nicht schlecht gewesen für mich – eigentlich war sie der Auslöser meiner lebenslang empfundenen Faszination für die unglaublich subtile Natur menschlichen Denkens. Und jetzt, nachdem ich Karl Sigmunds Buch so sorgfältig in zwei Sprachen gelesen habe, hab ich auch verstanden, dass die philosophische Vision des Wiener Kreises zwar gut gemeint, aber auch ziemlich naiv war. Die Idee, dass die reine Logik den Kern des menschlichen Denkens ausmacht, ist zweifellos verlockend, aber verfehlt praktisch alle Subtilität und Tiefe menschlichen Denkens. Beispielsweise ist die Behauptung des Kreises, dass Induktion – also der Schritt von Einzelbeobachtungen zu weitausholenden Verallgemeinerungen — in der Wissenschaft keine Rolle spielt, eine der dümmsten Ideen die mir je untergekommen sind. So wie ich es sehe, ist Induktion das Erkennen von Mustern; und Wissenschaft ist das Erkennen von Mustern par excellence. Wissenschaft ist nichts anderes als ein großes, durch Induktion geleitetes Ratespiel, das zu Vermutungen führt, die ständig durch sorgfältige Experimente überprüft werden müssen. Im Gegensatz zur Auffassung des Wiener Kreises geht es bei den Wissenschaften andauernd um Induktion, und nur sehr wenig um syllogistische Schlussfolgerungen oder irgendwelche anderen Formen streng mathematischen Schließens. In der Welt des Denkens und der Politik nahm der Wiener Kreis einen zutiefst idealistischen Standpunkt ein, doch wurde er schließlich ein Opfer der Tragödie seiner Zeit. Faschismus und Nationalsozialismus zerstörten die großen Kulturleistungen Österreichs, Deutschlands und Italiens für einige Jahrzehnte. Oft dreht es sich in diesem Buch um diese schreckliche Barbarei. Der Kreis gehörte zur Avantgarde der Kräfte gegen diese Flut des Bösen. Er verkörperte einen edlen Traum, von dem uns heute noch ein paar bunte Scherben bleiben, um das komplexe Mosaik der Gedanken und Persönlichkeiten zu bereichern, die unser gemeinsames geistiges Erbe sind. Obwohl der Wiener Kreis schon lang von der Bühne abgetreten ist, und heute nicht mehr oft erwähnt wird, so gehörten ihm doch ohne Zweifel einige der eindrucksvollsten Menschen an, die es je auf diesem Planeten gab. Karl 356

Sigmunds Buch erzählt uns ihre Geschichte, und ihre Geschichten, in packender und beredsamer Weise. Es stellt ein wunderbares historisches Dokument dar, und wird vielleicht die einen oder anderen Leserinnen und Leser inspirieren, auch große Träume zu träumen, so wie sie einst der Wiener Kreis geträumt hat.

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NACHWORT VON KARL SIGMUND

Über den Wiener Kreis wollte ich schon lange etwas schreiben; mein Lebenslauf macht es fast unausweichlich. Bereits als Schüler verfiel ich dem Tractatus Ludwig Wittgensteins und konnte ihn seitenweise auswendig zitieren. (Verstehen konnte ich ihn weniger, das fiel mir aber nicht auf.) Als Student hörte ich, Seite an Seite mit Peter Weibel, Vorlesungen bei Bela Juhos, dem einzigen aus dem Wiener Kreis, der noch am Philosophischen Institut vortrug; seine Kollegen machten es dem alten Herrn nicht leicht. Später, als Mathematikprofessor, arbeitete ich viele Jahre in einem Büro, das am selben Gang lag wie der Sitzungsraum des Schlick-Zirkels, und wurde Stammgast in den Kaffeehäusern, wo einst die Nachsitzungen stattgefunden hatten. (Der Sitzungsraum ist jetzt ein Quantenlabor, und die Kaffeehäuser haben zugesperrt.) Fast jeden Tag führte mein Weg über die Berggasse oder die Strudlhofstiege, mit ihren Assoziationen an das dahingegangene Wien von Doderer und Freud. Als ich über statistische Mechanik arbeitete, geschah das in einem Büro, das sich zur Boltzmanngasse hin öffnete; und Jahrzehnte später, als ich mich mit Spieltheorie befasste, lautete meine Institutsadresse Oskar Morgenstern Platz 1. Einige meiner älteren Kollegen konnten mir noch von ihren persönlichen Kontakten zu Mitgliedern des Wiener Kreises erzählen. (Ihre Geschichten wurden mit der Zeit immer besser.) Viele Stunden habe ich mit Paul Neurath zugebracht, Ottos Sohn. Und kein Geringerer als Sir Karl Popper schrieb einen Aufsatz – seinen letzten, wie sich herausstellen sollte – für die von mir veröffentlichten Gesammelten Werke von Hans Hahn. Über Kurt Gödel brachte ich eine Bildbiographie heraus und kuratierte eine Ausstellung. Kurz, der Wiener Kreis hat mich ein halbes Jahrhundert lang begleitet. Doch den unmittelbaren Anlass für das vorliegende Buch lieferte die Ausstellung „Der Wiener Kreis“, die von der Universität Wien als Teil ihres 650-Jahre-Jubiläums veranstaltet wurde. Ich danke den Mitwirkenden bei der Ausstellung: Friedrich Stadler, Christoph Limbeck-Lilienau, Hermann Czech, Bea Laufersweiler und Peter Weibel, sowie Dieter Schweizer, Falk Pastner und Rektor Heinz Engl für ihre tatkräftige Unterstützung in manchmal nicht ganz leichten Lagen. Wertvolle Beratung holte ich mir bei Elisabeth Nemeth, Wolfgang Reiter, Josef Hofbauer, Mitchell Ash, Matthias Baaz und Helmut Veith. Großen Dank schulde ich auch Klaus Taschwer sowie meinem ehemaligen Dissertanten Bernhard Beham. Christian Palmers, Christian Ehalt und Michael Stampfer waren verlässliche Stützen, jeder auf seine 358

besondere Weise. Christos Papadimitriou, Simon Bang, Dirk van Dalen, Helmut Widder, Barry Bruner und insbesondere Bea Laufersweiler halfen bei den Illustrationen. Ulrike Schmickler-Hirzebruch vom Springer-Spektrum Verlag erwies sich als die ideale Herausgeberin. An der Österreichischen Nationalbibliothek unterstützten mich Alfred Schmidt, Andreas Fingernagel und Julia Kamenicek, am Universitätsarchiv Thomas Maisel und Kurt Mühlberger; an der Wienbibliothek Julia Danielczyk und Sylvia Mattl-Wurm; an der Bibliothek der Universität Wien Andrea Neidhardt, Peter Graf, Alexander Zartl und Günter Müller; an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Stefan Sienell; im Gesellschafts-und Wirtschaftsmuseum Hans Hartweger; in Princeton Don Skemer und Marcia Tucker; an der Duke University Elisabeth Dunn; und in Cambridge Michael Nedo. Meinen Arbeitgebern, der Mathematischen Fakultät der Universität Wien und dem Institute für Applied Systems Analysis (IIASA) in Laxenburg, danke ich für ihre großzügige Unterstützung. Ein ganz besonderer Dank gebührt natürlich meiner Frau Anna Maria für ihre Hilfe, Expertise und Ermunterung. Es trifft sich gut, dass sie Historikerin ist. Das Buch war ursprünglich als Begleitband zur Ausstellung gedacht. Ich war selbst ganz überrascht, dass es sich wie von selbst schrieb. Es kam gut an, und wurde in Österreich als Wissenschaftsbuch des Jahres 2016 ausgezeichnet. Aber ich hoffte auch, den angelsächsischen Sprachraum zu erreichen. Dank John Brockman (den Gründer von EDGE), seinem Sohn Max und Russell Weinberger wurde mein Buch von Basic Books akzeptiert. Unter der Anleitung und Beratung des Verlagsleiters T.J. Kelleher gewann es an Umfang und Solidität. Und dann, buchstäblich aus heiterem Himmel, kam eine E-Mail von Douglas R. Hofstadter, der mir vorschlug, den englischen Text zu überarbeiten und zu polieren, und ein Vorwort zu schreiben. Er nahm die selbstgestellte Aufgabe wirklich ernst. Ich finde kaum Worte, um ihm zu danken. Angesichts seiner Großzügigkeit verstehe ich jetzt besser, was Wittgenstein mit dem „Unaussprechlichen“ meinte. Schon als ich mein Buch ins Englische übersetzte, wurde mir klar, dass ich es wieder ins Deutsche rückübersetzen wollte. Das ist jetzt geschehen. Zusätzlich zu Doug Hofstadters Vorwort, das jetzt zum Nachwort mutiert ist, kam viel neues Material dazu, und der wissenschaftliche Apparat, den ich bei der deutschen Erstausgabe aus Zeitgründen unter den Tisch fallen ließ, gibt der neuen Auflage hoffentlich zusätzliches Gewicht. Mit Fußnoten habe ich mich zwar noch immer nicht anfreunden können – die Geschichte soll ja wie ein Film vor dem geistigen Auge ablaufen – aber immerhin, die Zitate sind jetzt belegt! 359

LITERATURNACHWEISE Hier wird nur die historisch ausgerichtete Sekundärliteratur aufgelistet. Die philosophischen Werke der wichtigsten Protagonisten sind in vielfachen Neuausgaben, Gesamt- oder Werkausgaben erschienen, oder im Erscheinen begriffen, so etwa von Mach (xenomoi Wien), Schlick (Springer Wien), Gödel (Princeton University Press), Menger (Springer Wien), Hahn (Springer Wien), Neurath (Hölder-Pichler-Tempsky, Wien), Popper (Mohr-Siebeck, Tübingen), Carnap (Open Court Chicago), Wittgenstein (Suhrkamp Frankfurt), Russell (Routledge London) und Einstein (Princeton University Press). Auch sind viele der archivalischen Quellen online. Wir verweisen insbesondere auf: Archive of the Vienna Circle Foundation in Haarlem (für Schlick und Neurath); Archive and Manuscripts Collection of the University of Pittsburgh (für Carnap und Rand); Wittgenstein Archives in Cambridge, UK, und Bergen, Norwegen; Departement of Typography and Graphic Art of the University of Reading (für Neurath); Russell Archive of the McMaster University, Hamilton, Kanada; Einstein Archives of the Hebrew University, Jerusalem; Deutsches Museum in München (für Mach); Duke University Archives (für Morgenstern und Menger); Departement of Rare Books and Special Collections of the Princeton University Library (für Gödel); Österreichische Nationalbibliothek (für Neurath und Wittgenstein); Zentralbibliothek für Physik, Wien (für Boltzmann); Archiv der Universität Wien und Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Kapitel 1: Gesamtdarstellungen zum Wiener Kreis bieten Geier (1992), Haller (1993), Sarkar (1996a,b), Stadler (2015) and Limbeck and Stadler (2015), sowie in Form eines Stadtführers Thurm und Nemeth (2003). Zum Begriff der „österreichischen Philosophie“ Fischer (1991, 1995), Haller (1979), Johnston (1974), Juhos (1965), Keyserling (1965), Uebel (2003). Ich sitze mit einem Philosophen im Garten…Wittgenstein (1974): Über Gewissheit Wenn wir das Fenster aufmachen… Bergmann (1988) Die wissenschaftliche Weltauffassung … Dieses Zitat und alle anderen in Kapitel 1 sind aus Die wissenschaftliche Weltauffassung. Der Wiener Kreis (1929). Nachdruck in Stadler und Uebel (2012). Kapitel 2: Zu Friedrich Adler: Adler (1918), Ardelt (1984, 1986), Bauer (2004), Maier und Maderthaner (2006). Zu Mach: Blackmore (1972, 1978, 1992), Blackmore und Hentschel (1985), Blackmore et al (2001), Bradley (1971), Cohen (1975), Frank (1937/38), Haller und Stadler (1988), Juhos (1972), Kraft (1918, 1966), Lampa (1923), Menger (1960). Zu Boltzmann: Blackmore (1995, 1999), Broda (1955), Cercignani (1998), FasolBoltzmann et al (2006), Höflechner (1994), Lindley (2001). Über Gomperz: Gomperz (1936a,b), Kann (1974). Als Sie Anfang der Neunzigerjahre… Heinrich Gomperz an Mach, 17. Februar 1908, in Haller und Stadler (1988) Sehr geehrter Herr Kollege… Theodor Gomperz an Mach, 27. September 1894, in Haller und Stadler (1988)

Meine Lebensaufgabe war es… Mach Notizbuch 57, 5. Oktober 1902, in Haller und Stadler (1988) Diese klar und verhältnismäßig leicht geschriebene Schrift… Mach Lebenslauf (1913) in Haller und Stadler (1988) Der Umweg über Kant…Otto Neurath (1936): Die Entwicklung des Wiener Kreises und die Zukunft des Logischen Empirismus, in Otto Neurath (1981) Das einzig Unangenehme… Mach Lebenslauf (1913) in Haller und Stadler (1988) Nur wenige Männer…Popper (2002), S. 151-152 Vorliegende Schrift ist kein Lehrbuch… Mach (2012) Der Kern der Gedanken der Mechanik… Mach (2012) Vorwort Werfen wir noch einen Blick… Mach (2012), S. 92 Alle Wissenschaft hat Erfahrung zu ersetzen … Mach (2012), S. 503 Den Denkmitteln der Physik… Mach (2012), S. 530 Wenn jemand die Welt nur durch das Theater… Mach (2012), S. 531 Die Mitteilung der Wissenschaft durch den Unterricht… Mach (2012), S. 504 Die raffiniert ausgedachten Schranken … Mach (2014), S. 353 Ich werde auf keinen Widerspruch stoßen… Mach (2014), S. 336 Ohne Zweifel wird sich … Mach (2014), S.340 Ich kenne nichts Schrecklicheres … Mach (1881) Über den relative Bildungswert… Mach (2014) Farben, Töne, Wärmen, Drücke, … Mach (2008)

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Wir kennen also nur die Erscheinung … Mach Notizbuch 23, 26. Jänner 1881, in Haller und Stadler (1988) An einem heißen Sommertage… Mach (2008), S. 30 (Fußnote) Ich empfinde Grün… Mach (2008) Wenn ich sage „Das Ich ist unrettbar“… Berta Zuckerkandl: Literatur und Philosophie: Hermann Bahr, Ernst Mach und Emil Zuckerkandl im Gespräch, in Die Wiener Moderne (Hg. Wunberg G) Reclam Stuttgart (1980) Hier habe ich ausgesprochen gefunden … Hermann Bahr (1904): Dialog vom Tragischen Unsere Machisten stecken alle tief im Idealismus…Lenin V (1909): Materialismus und Empiriokritizismus, s. The Marxist Internet Archive Es denkt statt Ich denke… Lichtenberg C: Aphorismen (Sudelbücher) s. Database Project Gutenberg Die sonderbare Meinung … Boltzmann Aphorisms, s. Fasol-Boltzmann (1990) Sein Professor Josef Stefan… Boltzmann (1895): Josef Stefan, in Boltzmann L (1905) Ich verachte Experimente… Boltzmann Aphorisms, s. Fasol-Boltzmann (1990) So wenig ich glaube… Boltzmann to Aigentler Sept 27 (1875) in Flamm (Hg.) Brautbriefe Wenn sich die Molekularhypothese… Broda (1955) S. 85 Man pflegt die Antrittsvorlesung stets… Boltzmann: Antrittsvorlesung Oktober 1902, in Boltzmann (1905) Boltzmann und Mach hatten beide … Popper (2002) Und so glaube ich Professor Mach … Boltzmann: Antrittsvorlesung Oktober 1902, in Boltzmann (1905) Ich habe bisher nur eine einzige Abhandlung … Boltzmann: Antrittsvorlesung Oktober 1902, in Boltzmann (1905)

Um gleich aus den tiefsten Tiefen… Boltzmann: Antrittsvorlesung Oktober 1902, in Boltzmann (1905) Meine Philosophievorlesungen hatten nicht… Boltzmann an Brentano, 24. Dezember 1904 Was das Hirn dem Menschen … Boltzmann Aphorisms, s. Fasol-Boltzmann (1990) Keine Gleichung … Boltzmann (1899): Entwicklung der Methoden der theoretischen Physik in neuerer Zeit, im Boltzmann (1905) Auch konnte ihn Machs Auffassung nicht… Broda (1955) S. 111 Tritt der gewöhnliche Mensch … in: Graf P and Zartl: Ludwig Boltzmann 1844-1906 Ausstellung Zentralbibliothek für Physik, Wien (Zitat nach Karl Przibram) Die Metaphysik scheint … Boltzmann: Antrittsvorlesung Oktober 1902, in Boltzmann (1905) Welche Definition drängt sich mir… für dieses und die folgenden Zitate s. Boltzmann L (1904): Über eine These Schopenhauers, in Boltzmann (1905) Ich schlafe schlecht… Boltzmann an seine Frau, undatiert, s. Flamm (1995) In informierten Kreisen wusste man… Neue Freie Presse 8. September 1906 Dieser wissenschaftlich hochbegabte Mann…Brentano an Mach, 31. Januar 1908 Nicht etwa eine neue Philosophie einzuführen… Mach (2011) Die Wissenschaft ist fast mehr durch das gewachsen… Mach (2012) S. 562 Ziel der Naturwissenschaft Anpassung der Gedanken… Mach (2012) S. 517 Das Ich ändert sich… Mach Notizbuch 29 (1884/84) Ausschalten von Scheinproblemen… Mach Notizbuch 55, 9. November 1900 Ich stand einem Heiligen gegenüber… Lampa (1923) Ich glaube nicht, dass mir je irgendwer… William James an Alice James, in R Richardson (2007): William James. Harcourt Sollte dieser Brief mein letzter sein… Archiv der ÖAW Kapitel 3: Über den Urkreis: Fisette (2011), Haller (1979, 1993), Stadler (2015), Uebel (1991, 1993). Zur Wiener Moderne: Beller (1993), LeRider (1993), Schorske (1981), Timms (1990). Zu Einstein: Bührke (2004),

Clark (1988b), Corry et al (1998), Einstein (1953), Fölsing (1995), Frank (1979), Galison (2008), Hentschel (1990), Hermann (1994), Isaacson (2007), Neffe (2005), Pais (1986), Regis (1989), Renn (2005), Schilpp (1944b), Yourgrau (2004). Zu Einsteins faszinierender Beziehung zu Mach: Wolters (1987). Zu Hilbert: Reid (1972) . Zu Russell: Ayer (1972), Clark (1988b), Doxiadis und Papadimitriou (2012), Grayling (1992), Monk(1997, 2001), Russell (1967/69), Schilpp (1944a). Zu Musil: Berghahn (1972), Corino (1988). Zum Fall Redl: Moritz und Leidinger (2012). Seltsam genug, aber in Wien… Frank (1949) Ich gehörte zu einer Gruppe von Studenten…Frank (1949) Die im Stil einer Offenbarung verfasste… Archiv der TU Wien (Richard von Mises) Reich der Unwahrscheinlichkeiten… Brentano an Mach, 31. Januar 1908, s. Brentano (1988) Beweis, dass Schopenhauer ein geistloser… Boltzmann (1904): Über eine These von Schopenhauer, nachgedruckt in Boltzmann (1905) Ich hab mich in der Schule nicht besonders… Blumenthal O: Lebensgeschichte. In: David Hilbert (1970): Gesammelte Abhandlungen. Band III, Springer Wir entwickelten uns ziemlich parallel… Friedrich Adler an Victor Adler, 19. Juni 1908 Unter Heranziehung eines Universitätsphilosophen… Frank (1949) Die Minute in Gefahr… Frank (1947) Unsere Epoche kann nur auf Gleitendem ausruhen... Hofmannsthal H. (1907): Der Dichter und diese Zeit. Fischer Berlin Die Wissenschaft mit dem bösen Blick… Robert Musil (1978): Mann ohne Eigenschaften Band II, Rowohlt Hamburg, S. 1979 Kapitel 4: Zu Hahn: Frank (1934), Popper (1995), Sigmund (1995), Sigmund (2015). Zu Neurath: Cohen und Neurath (1973), Hegselmann (1979), Neurath (1981, 1993, 2010), Nemeth und Stadler (1996), Sandner (2013). Zu Schlick: Engler und Iven (2007, 2008), Hentschel (1986), Iven (2008), Menger (1994). Zu Adler: Adler und Einstein (2006), Bauer (2004), Maier und Maderthaner (2006), Adler (1918). 361

Im vergangenen Jahr bin ich innerlich… Hahn an Ehrenfest, 26. Dezember 1909 Ich bin Gemütserregungen wenig zugänglich… Hahn an Ehrenfest, 26. Dezember 1909 Etwas von jener neuen Art von Romantik… Doderer H (1956): Die Dämonen. Biederstein München Welche Anschauung über die beste Lebensordnung… Neurath O (1912): Das Problem des Lustmaximums, in Neurath (1981) Philosophierende Russin… Schnitzler, Tagebuch 23 Eine Wissenschaft wie die Ballistik… Neurath O (1910): Die Kriegswirtschaft. In Neurath (1981) Plan der Pläne… Neurath O (1919): Technik und Wirtschaftsordnung, s. Sandner (2014) Er hat mit dem besten Gewissen… Bauer O: Stellungnahme zu Otto Neurath, 30. Juni 1919 Dessen Selbstverleugnung ihn eigentlich… Einstein an Zangger, 10. März 1917 Ein ziemlich steriler Rabbinerkopf… Einstein an Besso, 29. April 1917 Von der nicht zuviel gesagt ist… Friedrich Adler an Viktor und Katia Adler, 14. Februar 1917 Ich vertraue Dir als einem Freund… Friedrich Adler an Viktor Adler, 25. Februar 1917 Ein aus Österreich berufener Demagoge… Müller K A (1954): Mars und Venus. Stuttgart Etwas Kathederstreithengst… Musil Tagebuch 9 (1920, undatiert) Gäbe es keine Worte… Stöhr (1910) Als ich so das Todesurteil… Schlick Lebenslauf I (1900), in Gesammelte Werke IV/1 Ich wandte mich der Physik… Schlick Lebenslauf III (vermutlich 1915), in Gesammelte Werke IV/1 Wink des Schicksals… Schlick Antrittsvorlesung (1922), Archiv der Universität Wien Mein lieber Dr. Schlick… Blanche an Moritz Schlick, 19. Mai 1905 Sie sind doch wie vielleicht kein anderer… Laue an Schlick, 27. Dezember 1911 Die Arbeit gehört zu dem Besten… Einstein an Schlick, 14. Dezember 1915 Gegen das damit verbundene Gefühl… Einstein an Hilbert, 20. Dezember 1915

Die Raumzeit ergreift die Masse… Wheeler (1990) Der große Krieg? Ach ja… Schlick (1920): Einsteins Relativitätstheorie in Schlick Gesammelte Werke I/5 Ihre Darstellung ist von unübertrefflicher… Einstein an Schlick, 6. Februar 1917 Ich bin neugierig,… Einstein an Friedrich Adler, 20. Oktober 1918 Zum Glück lässt sich eine… Laue an Schlick, 19. August 1913 Unter dem Eindruck Ihrer kleinen Schrift… Laue an Schlick, 7. Oktober 1917 Wir bilden nun eine Gemeinde… Born an Schlick, 11. Juli 1919 Der Rostocker Schläfrigkeit zu entkommen… Schlick an Einstein, 22. Februar 1920 Ich habe dort die Erfahrung gemacht… Laue an Schlick, 3. September 1922 Es wird mir doch recht schwer… Schlick an Einstein, 13. August 1922 Besonders genießen wir die schöne Lage Wiens… Schlick an Störring, 5. Februar 1935 Professor Schlicks Vorlesungen fanden… Nagel (1936) Als ich 1923 einige von Schlicks… Menger (1994) Er hatte Physik bei Planck studiert… Menger (1994) In Wien wird jetzt viel philosophiert… Schlick an Einstein, 12. Juni 1926 Die Gruppengröße schwankte… Menger (1994) Der Raum war mit Sesselreihen gefüllt… Menger (1994) Die Teilnehmer standen… Menger (1994) Kapitel 5: Zu Reidemeister: Bachmann et al (1972), Epple (1995, 1999). Zu Carnap: Carnap (1993), Mormann (2000), Schilpp (1963). Aus der enormen Literatur über Wittgenstein: Baum (2014), Engelmann (1967), Grayling (1988), Janik und Toulmin (1987), McGuiness (1992), Monk (2004), Nedo (2012), Nedo und Ranchetti (1983), Wijdeveld (2000), Wuchterl und Hübner (1998), Schulte (2005). Das Interesse des Wiener Kreises… Menger (1960) Nichts Geringeres verspreche… Schlick an Einstein, 5. Juni 1927

Nur kein transzendentales Geschwätz… Wittgenstein an Engelmann, 16. Januar 1918 Noch nie so viel gelacht… Schreier an Menger, 21. November 1922 Es ist historisch verständlich… Carnap (1928a) Vorwort Ich hatte Gelegenheit… Schlick an Carnap, 21. Oktober 1924 Habilitation von Zilsel… Taschwer (2015) Die Begriffe des Gebiets… Carnap (1928a) Meine Interessen und meine grundlegenden… Carnap (1963) Das sollen sie uns nachmachen… Boltzmann L (1884): Über Luftschiffahrt, Nachdruck in Boltzmann (1905) Briefe von Russell… Russell an Ottoline Morell, s. Nedo (2012) oder Monk (2001) Und so geschah es… Russell BBC 4 Broadcast 1955 (http://www.bbc.co.uk/ programmes/b0184rgn) Weil er während meiner Vorlesungen verwirrt… Russell an Ottoline Morell, s. Monk (2001) Wir erwarten den nächsten… Hermine Wittgenstein (1944): Familienerinnerungen, in Nedo (2012) Wittgenstein war das vielleicht vollkommenste… Russell (1967-1969) Seine Kritik war ein Ereignis… Russell an Ottoline Morell, 4. März 1916 Kauf dir eine Kanone… Hermine Wittgenstein (1944): Familienerinnerungen, in Nedo (2012) Der Krieg hat mein Leben gerettet… McGuiness (2005) Man könnte den ganzen Sinn… Wittgenstein Vorwort zum Tractatus Ich denke ich habe unsere Probleme… Wittgenstein an Russell, 13. März 1919 Das, was Mach wollte,… Friedrich Adler an Viktor Adler, 14. Februar 1917 Bin überglücklich… Russell an Wittgenstein, 2. März 1919 Sei nicht entmutigt… Russell an Wittgenstein, 21. Juni 1919 Um anständig zu krepieren… Somavila I, Begegnungen mit Wittgenstein. In Hänsel (2012) Aber du weißt nicht wie recht du hast… Heinz von Förster, persönliche Mitteilung Klar wie Kristall… Wittgenstein an Russell, 13. März 13 1919 Das Unaussprechliche… Wittgenstein an Engelmann, 9. April 1917

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Wir haben oft zu Schulbeginn… Leinfellner E und Windholz S (2005) Und dann ist er schon sehr bös geworden… Leinfellner E und Windholz S (2005) Ich bin noch immer in Trattenbach… Wittgenstein an Russell, 28. November 1921 Die Leute hier sind so engstirnig… Monk (2001) Von den drei besten Lehrern seiner Generation… Wijdeveld (2000) Mir hat der Tractatus… Menger (1994) Nicht eine Lehre über das Verhalten der Welt… Hahn (1930): Diskussion zur Grundlegung der Mathematik, in Hahn (1980) Für mich war Wittgenstein… Carnap (1963) Der Kürze halber nur mehr M zu rufen… Hempel: Memoirs: The Vienna Circle and Empiricism, in Hempel (2012) Eine besondere Freude wird es mir sein… Schlick an Wittgenstein, 25. Dezember 1924 Er bittet mich nun… Stonborough an Schlick, 19. Februar 1927 Wir haben uns gegenseitig… Monk (2001) S. 242 Mit der größten Begeisterung in die Grundlagen… Schlick an Einstein, 14. Juli 1927 Es war faszinierend zu beobachten… Nedo (2012) Vor Kurzem war Brouwer… Schlick an Carnap, 27. März 1928 Und brach den Verkehr mit Carnap ab… Neider (1977) Die strenge und verantwortungsbewusste Grundhaltung… Carnap (1928a) Vorwort Wenn wir dem Einzelnen… Carnap (1928a) Vorwort Ich kann keine Schule gründen… Wittgenstein MS 134 Der ihm die Hand hält… Carnap (1963) Kapitel 6: Mulder (1968) beschreibt die Entstehungsgeschichte des Manifests, siehe auch Stadler und Uebel (2012). Ayer (1956), Frank (1941), Feigl (1981), Mann (1986), Menger (1994) und Neider (1977) liefern Augenzeugenberichte. Zu Heidegger: Biemel (1973). Zu Neurath: Nemeth (1981), Nemeth und Stadler (1996), Reidemeister-Neurath (1980). Zu Schlick: McGuiness (1985), Iven (2008).

Alles, was sie boten… Schlick an Majer, 29. Mai 1929 Die Anhänger exakter wissenschaftlicher Weltauffassung… Verein Ernst Mach an Schlick, 2. April 1929 Das wäre ja wirklich arg… Carnap an Schlick, 6. April 1929 Groß war die Freude… Menger (1982) Neurath ermahnt uns… Carnap Tagebuch, 17. Juni 1929 Mehr als nur ein paar… Frank: Introduction: Historical Background, in Frank (1949) Die saure Pflicht und das süße Recht… Carnap an Neurath, 26. Juli 1929 Broschüre fertig getippt… Carnap Tagebuch, 25. Juli 1929 Die Deutsche Physikalische Gesellschaft… Frank (1949) In das Publikum fielen wie Tropfen… Frank (1949) Ich werde dir jetzt dein Exemplar übersenden… Carnap an Schlick, 30. September 1929 Als eine jener Konzessionen… Menger: Introduction to Hans Hahn (1980) Das ist eine schwere Geschichte… Wittgenstein an Waismann, Juli, undatiert (1929) Der Unterschied zwischen der Aufgabe des Forschers… Schlick (1986) In den Systemen des deutschen Idealismus… Hahn (1930): Occams Rasiermesser, in Hahn (1980) Ich habe nicht wenige Komplimente… Hahn an Ehrenfest, 30. März 1912 Wie ist der empiristische Standpunkt… Hahn (1930): Diskussion zu den Grundlagen, s. Hahn (1980) Logik entsteht vielmehr erst dadurch… Hahn (1933): Logik Mathematik und Naturerkennen, s. McGuiness (1987) Wer das logische Schließen nicht anerkennen wollte… Hahn (1933): Logik Mathematik und Naturerkennen, s. McGuiness (1987) Und in der Tat… Hahn (1933): Logik Mathematik und Naturerkennen, s. McGuiness (1987) Ein allwissendes Wesen braucht… Hahn (1930): Bedeutung der Wissenschaftlichen Weltauffassung, s. Hahn (1980) Man kann sagen… Frank (1934) Er formulierte seine Aussagen immer wieder um… Menger (1994) Eisige Klarheit… Auguste Dick, persönliche Mitteilung

Der persönliche Eindruck von Hahn… Popper (1995) Soll unmittelbar bevorstehen… Personalakte Hahn, Archiv der Universität Wien Meine Tochter ist Schauspielerin… Hahn an Ehrenfest, 8. Dezember 1932 Zwei Gründe führte er dafür an… Menger Introduction to Hans Hahn (1980) Ich kam zu der Überzeugung… Carnap (1963) Wenn jemand behauptet… Stadler und Uebel (Hg.)(2012) Die wissenschaftliche Weltauffassung kennt keine unlösbaren… Stadler und Uebel (Hg.)(2012) Doch gibt es immer noch das allgemeinmenschliche… Carnap (1963) Das Sichverständlichmachen ist der Selbstmord… Heidegger: Beiträge zur Philosophie (Zum Ereignis), s. Heidegger Gesammelte Werke Wo suchen wir das Nichts? … Heidegger M (1929) Sein und Zeit, s. Heidegger Gesammelte Werke Ist deshalb so lehrreich… Hilbert D (1931) Die Grundlagen der elementaren Zahlentheorie, Mathematische Annalen 104, S.485 Die vermeintliche Nüchternheit… Heidegger M (1929): Sein und Zeit, s. Heidegger Gesammelte Werke Immer wieder die Primitivität der Urzeiten… Hahn (1929) Occam’s Rasiermesser, s. Hahn (1980) Eine der anregendsten und fruchtbarsten… Carnap (1963) Etwas mehr Diskretion… Schlick an Carnap, 5. August 1927 Aus technischen Gründen… Ina an Rudolf Carnap, 18. Januar 1930, und Carnap an Ina, 22. Januar 1930 Sie hat zwei Gesichter… Carnap Tagebuch, 6. März 1930 So kam ich also zu Neurath… Neider (1977) Lest’s keinen Kant… Mann G (1986) Das ging aber schnell… ReidemeisterNeurath (1980) Ich kann doch nicht einen Mann… Neider (1977) Heute hat Herr Neurath sich… Neider (1977) Erst am Ende des neunzehnten… Neurath (1929): Wissenschaftliche Weltauffassung, Arbeiterzeitung 13. Oktober, Nachdruck in Neurath (1981) S. 347

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Durch eine oft verzerrende Linse… Menger (1994) Dem sozialistischen Proletariat bereiten alle den Weg… Neurath (1929): Bertrand Russell, der Sozialist. Der Kampf 22, 234238, Nachdruck in Neurath (1981) Kapitel 7: Zur politischen Lage an der Universität Wien: Taschwer (2015). Zur Volksbildung: Kadrnoska (1981), Kutalek und Fellinger (1969). Zur Bildstatistik: Arntz (1976, 1982), Burke et al (2013) und Neurath (1993). Zum Fall Bettauer: Hall (1978). Zur Architektur: Blau (1999), Frank (1931, 1932), Rukschcio und Schachel (1982), Welzig (1998). Zur Literatur: Berghahn (1972), Corino (2003), Eckert und Müller (1989), Lützeler (1985), Müller (1992). Wir alle im Kreis… Carnap (1963) Freilich wird nicht jeder einzelne… Wissenschaftliche Weltauffassung, s. Stadler und Uebel (Hg.) (2012) Der Wiener Kreis begnügt sich nicht… Wissenschaftliche Weltauffassung, Stadler und Uebel (Hg.) (2012) Wir erleben, wie der Geist… Wissenschaftliche Weltauffassung, Stadler und Uebel (Hg.) (2012) Dass sie eine Phalanx bilden…Taschwer (2015) Zilsel war ein militanter Linke … Menger (1994) Das Proletariat ist an der wahrheitsgeteuen Aufklärung… Neurath O (1926): Statistik und Proletariat Kulturwille 4, s. Neurath (1981) Statistik ist Freude… Neurath Statistik und Proletariat Kulturwille 4 (1926) in Neurath (1991) Die modernen Menschen empfangen… Otto Neurath (1930) Statistische Hieroglyphen s. Neurath (1981) s. Neurath P und Nemeth E (Hg.) (1993) Je abstrakter die Kunst… Musil R (1923) Schwarze Magie, in Nachlass zu Lebenszeiten (1936); in Musil Gesammelte Werke Eine größere Menge von Gegenständen… Neurath (1930) Gesellschaft und Wirtschaft, s. Neurath (1991) Ein Volksbildungsinstitut für soziale Aufklärung… Neurath (1929): Bildstatistik und Arbeiterbewegung, s. Neurath (1991) Was man durch ein Bild zeigen kann… Neurath (1991) S. 243 Worte trennen, Bilder verbinden… Neurath (1931) Bildstatistik nach der Wiener Methode, s. Neurath (1991) S. 190

Wer am meisten weglässt… Neurath: Isotype and Graphics, s. Neurath (1991) S. 343 Eine Bildübersicht der Weltwirtschaft… Neurath (1931): Pictorial Statistics in Economic Planning. In Neurath (1991) Loos ist ein unerträglicher Spießer… Wittgenstein an Engelmann, 2. September 1919 Große Architekten für kleine Häuser… Eva Blau (1999) Alle Kleingärtner zu Siedlern… Neurath Planmäßige Siedlungs- Wohnungs- und Kleingartenorganisation in Neurath (1991) Volkswohnpaläste… Josef Frank (1926): Der Volkswohnpalast. Der Aufbau 7 Ich mag Wohnungen nicht leiden… Musil (1930) Der Mann ohne Eigenschaften, in Musil Gesammelte Werke Was hier geschieht sieht aus… s. Achleitner (1996) Wie man in der nächsten Zeit wohl am glücklichsten… Neurath (1932) Die Internationale Werkbundsiedlung Wien 1932, in Neurath (1981) Die Stadt hat vierzehn Arbeitslosenämter… Brunngraber R (1932) Wie man die Bemessung exakt… Brunngraber R (1932) Bei näherem Zusehen muteten… Brunngraber (1949) Philosophen sind Gewalttäter… Musil (1930): Der Mann ohne Eigenschaften, in Musil Gesammelte Werke Von Ulrich lässt sich mit Sicherheit… Musil (1930): Der Mann ohne Eigenschaften, in Musil Gesammelte Werke Was fortkriecht und sich versteckt… Musil (1930): Der Mann ohne Eigenschaften, in Musil Gesammelte Werke Mathematik und Mystik… Musil R (1978) Der Mann ohne Eigenschaften Band II, Rowohlt Hamburg Es kommt mir vor, dass zwischen den Absichten Brochs… Musil Briefe (1981) (Frisé, Hg.) Rowohlt Hamburg Als Kopie seiner eigenen Unternehmung… Canetti (1980) Die Fackel im Ohr. Hanser Gestatten Sie zwei jungen Mathematikern… Eckert und Müller (1989) Das Schönste ist das Drommetenrot… Schlick an Carnap, 30. August 1928 Vor einiger Zeit ist in diesem Blatte… Prager Presse, 9. April 1926

Kapitel 8: Zu Karl Mengers frühen Jahren hat die Dissertation von Bernhard Beham (2013) viel Neues aufgespürt; andere Quellen sind Menger (1994), Sigmund (1998, 2002), Golland und Sigmund (2002). Zu Carl Menger: Streissler (1994). Zu Brouwer: van Dalen (2002, 2005). Zu Gödel: Baaz et al (2004), Dawson (1999), Dawson und Sigmund (2006), Sigmund et al (2006), DePauli-Schimanovich und Weibel (1997), Fefermann (1986, 1996), Franzen (2005), Goldstein (2005), Guerrierio (2001), Hintikka (1999), Hofstadter (1985), Kreisel (1980), Köhler et al (2002), Mancosu (2010), Nagel und Newman (2005), Regis (1989), Stewart (2006), van Atten und Kennedy (2003), van Heijenoort (2002). Zu Hilberts Programm: Mancosu (2010), Sieg (2013), Zach (2006). Zu Taussky-Todd: Davis (1996) , Taussky-Todd (1985) . Über Abraham Wald und Wirtschaftsmathematik: Menger (1952, 1972). Der Mensch schätzt die Güter… Wieser (1923) Es gibt keine Metaphysik… Menger (1994) Schrecklichste Mühe und Plage… Karl Menger Tagebuch, s. Beham (2013) Wir veröffentlichen den Artikel des Sohnes… Neue Freie Presse, 17. November 1921 Denn nicht, wie Kant es wollte,… Hahn (1933): Die Krise der Anschauung, in Hahn (1980) Am Institut war auch Karl Menger… Popper (1995) Ich werde dir selbstverständlich genau… Schreier an Menger, 24. September 1923 Ich habe immer versucht, die Bekanntschaft… Menger (1994) Doch Münchhausen war ein Lügner… Enzensberger HM, Hommage à Gödel, in Enzensberger (2002): Elixiere der Wissenschaft Gödels Satz zwingt uns, die Mathematik… Wittgenstein, 11. Juli 1941, MS 163, s. Nedo (2012) 378 Je mehr ich über die Sprache nachdenke… Menger (1994) Klein und schmächtig, offensichtlich arm,… Menger (1994) Mein lieber Göderl... Natkin an Gödel, 27. Mai 1931 Eine wissenschaftliche Leistung allerersten Ranges… Habilitationsakte Gödel, Archiv der Universität Wien

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Kapitel 9: Zu Popper: Edmonds und Eidnow (2002), Geier (1994), Hacohen (2000), Kraft (1974), Magee (1973) sowie Popper (1994, 1995). Zur Unstimmigkeit zwischen Schlick und Neurath: Cartwright et al (1996), Haller (1982a,b), Hegselmann (1979, 1985), Uebel (1992). Zu Wittgenstein, Waismann und den Wiener Kreis: Baker (1979), Baker (2003), Manninen (2014), Nagel (1936). Zu Carnap: Carnap (1993), Krauth (1970), Mormann (2000). Keiner hat soviel dazu beigetragen… Popper (2002) In der Mitte des Winters 1918/1919… Popper (1995) Wirklich faszinierende Vorlesungen… Popper (2002) War eine flüchtig in letzter Minute… Popper (2002) Ich konnte kaum meinen Ohren trauen… Popper (2002) Erst nach meiner Promotion… Popper (2002) Induktion ist nichts als methodisch geleitetes Raten… Schlick (1934): Fundamente der Erkenntnis, in Gesammelte Werke I/6 Lass dich nie dazu verleiten… Popper (2002) Er lud mich von Zeit zu Zeit in sein Haus ein… Popper (2002) Es war eine Begegnung… Popper (2002) Aber nachdem ich das Buch begonnen hatte… Popper (2002) Ich hatte das Buch von Anfang an… Popper (2002) Ich wurde nie eingeladen… Popper (2002) Ich war nie Mitglied… Popper in Schilpp (1974) Neulich lernte ich einen Herrn Popper… Gödel an Menger, 4. August 1932 Das ganze doch einen Nachgeschmack… Feigl an Schlick, 14. September 1933 Gomperz sagt, dass in den Punkten… Carnap an Schlick, 19. Januar 1933 Popper hat es schrecklich eilig… Schlick an Carnap, 18. Juni 1933 Es ist eine außergewöhnlich kluge Arbeit… Schlick an Carnap, 1. November 1934 Ich ging hoffnungsvoll an die Lektüre… Hier und im Folgenden: Schlick an Frank, 16. Juli 1930

Nach gewissenhaftester Prüfung… Gutachten in Schlicks Brief an Frank, 16. Juli 1930 Kann man sich denken dass ein Gegner… Gutachten in Schlicks Brief an Frank 16. Juli 1930 Ein ganz neues Manuskript einreichen… Schlick an Carnap, 7. August 1930 Ich glaube nicht, dass Takt und guter Geschmack… Schlick an Carnap, 7. August 1930 Seine Vorsicht in der Argumentation… Manninen (2014) Waismann hat in einer sehr hübschen Abhandlung… Schlick an Carnap, 4. Januar 1928 Waismanns Schrift ist leider noch nicht… Schlick an Carnap, 29. Januar 1928 Er hat mit größter Geduld gewartet… Wittgenstein an Schlick, 6. Mai 1932 Mit Ausnahme kleiner exklusiver Gruppen… Nagel (1936) Die Lösungen der philosophischen… Waismann Gespräche mit Wittgenstein, 9. Dezember 1931 Ich mag an unsere Donnerstagabende… Schlick an Carnap, 7. August 1930 Ohne den Kreis war mein Leben… Carnap (1963) Am 8. Februar haben wir uns… Carnap an Schlick, 5. März 1933 Nachdem ich über diese Probleme… Carnap (1963) Unser Geschäft ist es nichts… Carnap (1937) Er ist einer der wenigen… Nagel (1936) Erkenntnismäßig sekundär… Carnap (1928b) Alle Begriffe der Freudschen Psychoanalyse… Carnap (1963) Mit geflissentlicher Gewissenhaftigkeit… Wittgenstein an Schlick, 6. März 1932 Man müßte viel gedankenreicher als Carnap… Wittgenstein an Schlick, 8. August 1932 Nur ein Psychoanalytiker… Carnap (1963) Du wirst zur gleichen Zeit einen Doppelbrief… Schlick an Carnap, 24. August 1932 Das ist mir natürlich sehr unerwünscht… Wittgenstein an Schlick, 5. Mai 1932 Dass die logische Analyse verborgene Dinge… Wittgenstein: Big Typescript TS 213

Sieh den Satz als Instrument an… Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen §421 Befehlen und nach Befehlen handeln… Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen §23 Der Fliege eine Weg aus dem Glas… Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen §309 Ein Philosoph behandelt eine Frage… Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen §255 Das Unbewusste bewusst… Wittgenstein Tagebuch, 29. Oktober 1930 Eine Reihe von Beispielen konstruieren… Waismann an Menger, undatiert (Sommer 1936) Wie schwer eine gemeinsame Arbeit ist… Waismann an Schlick, 9. August 1934 Ist die Rede des Gesalbten… Neurath an Neider, 8. Juni 1934 Waismanns Buch steht tatsächlich vor dem Abschluss… Schlick an Carnap, 12. März 1934 Meine letzte Mitteilung über Waismanns Buch… Schlick an Carnap, 8. August 1934. Die letzte Entwicklungsphase… Schlick an Carnap, 24. Juli 1934 Es ist des Teufels… Waismann an Schlick, 9. August 1934 Kapitel 10: Zu Dollfuss: Portisch (1989), Weissensteiner (1990). Zu Menger und Morgenstern: Leonard (1998) und Rellstab (1992). Für einen kommentierten Nachdruck der Ergebnisse eines Mathematischen Kolloquiums: Dierker und Sigmund (Hg.) (1998). Zu Richard von Mises: Basch (1953), Frank (1954), Föllmer and Küchler (1998), SiegmundSchultze (2015) und Stadler (1990). Über die Mathematiker des Wiener Kreises: Pinl und Dick (1974). Zur Ethik im Wiener Kreis: Siegetsleitner (2014). Über Nelböck: Lotz-Rimbach (2009) und Malina (1988). Nichts geht den Sozis mehr auf die Nerven…Dollfuß 3. Mai 1933, s. Hanisch E (2011) Im Jahr von Hitlers Machtergreifung… Menger (1994) Nee, das Institut ist tot… Reid (1996) Adolf Hitler, unser großer Führer… Heidegger M (früher August 1933) in Gesamtausgabe Band 16, 151 Gedrängt von einem Herzensbedürfnis… Schlick an Dollfuß, 21. Mai 1933 365

Handle nur nach derjenigen Maxime… Kant I (1788): Kritik der praktischen Vernunft Während es die politische Lage in Österreich… Menger (1994) Moralen werden gleichsam identifiziert… Menger (1974) Man könnte ja ähnliche Gruppen… Menger (1974) Sollte er Jude sein oder Halber,... Morgenstern Tagebuch, 12. September 1923 Aristokrat der alten Schule… Morgenstern (1927) Morgenstern/Arier… Rosenstein-Rodan an Morgenstern, 26. Mai 1928 Es war einzig und allein mein Verdienst… Von Mises L (1978) Wirtschaftsprognosen seine eben etwas anderes… Morgenstern (1928) Wirklich exaktes Denken… Morgenstern Tagebuch, 19. April 1936 Gestern mittag aß ich… Morgenstern Tagebuch, 11. September 1935 Mathematische Leviten… Schumpeter J (1954) Durch einen Vortrag von Karl Popper in Mengers… am 6. Februar 1934 Wieder Mathematik-Stunde… Morgenstern Tagebuch, 8. November 1935 Gern dien ich den Freunden… Friedrich Schiller, Distichon Gewissensskrupel Dass das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens… Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft Die instinctive Tugend ist die herrlichste… Schlick (1934): Fragen der Ethik, s Gesammelte Werke I/3 Werturteile sind dem empirische Sinnkriterium nach… Carnap (1963) Weniger als Aufforderung zum Lesen… Schlick an Wittgenstein, 27. November 1930 Wer mit uns erkannt hat… Schlick (1934): Fragen der Ethik VIII.7, Gesammelte Werke I/3 Ich habe nie begriffen… Schlick (1934): Fragen der Ethik VIII.9, s Gesammelte Werke Mit dem allergrößten Genuss… Schlick an Lorenz, 17. November 1935 Hier gibt es einen höchst bemerkenswerten Fingerzeig… Schlick (1934): Fragen der Ethik VIII.9, s. Gesammelte Werke Sei glücksbereit… Schlick (1934): Fragen der Ethik VIII.10, s. Gesammelte Werke

Sittliches Verhalten entspringt aus Lust und Unlust… Schlick (1934): Fragen der Ethik VIII.10 , s. Gesammelte Werke Im Vermeiden des üblichen Geschwafels… Menger (1994) Das erschien paradox, selbst in den Augen Max Plancks… Planck an Schlick, 21. August 1927 Nur im Spiel erschließt sich… Schlick (1927): Vom Sinn des Lebens, Symposion 1, s. Gesammelte Werke I/6 Der Mensch spielt nur, wo er… Friedrich Schiller: Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen Kapitel 11: Zum Bürgerkrieg von 1934: Maimann (2000), Weissensteiner (1990), Weinzierl und Skalnik (1983). Zu Neurath: Sandner (2014). Zur Auflösung des Vereins Ernst Mach: Stadler (2015). Zum Zustand des Kreises während der SchuschniggJahre: Ayer (1970, 1977), Bergmann (1988), Hegselmann (1985), Naess (1993), Nagel (1936). Nachrufe auf Hahn: Menger (1934b), Frank (1934). Zur Verfolgung und Ermordung von Schlick: Menger (1994), Lotz-Rimbach (2009), Stadler (2015) und Malina (1988). Zu Turing: Hodges (1983). Zu Quine: Kreil (2011), Quine (1985). Zu Tarski: Fefermann und Fefermann (2004). Zur Emigration des Kreises und der Wiener Mathematiker: Bergmann (1988), Dahms (1987, 1988), Hacohen (2000), Popper (1994), Siegmund-Schultze (2002), Sigmund (2001), Thiel (1984). Über die Protokollsatzdebatte: Haller (1982a, b) und Uebel (1992, 1993). Glaubt man dem Wort von Karl Marx… L. Trotsky: Geschichte der russischen Revolution (1930) Wir gelten ja als besonders gefährlich… Otto Neurath an Matha Tausk, Ostermontag 1932 oder 1933 Sie erfuhren von Marie Reidemeister… Reidemeister-Neurath (1980) Wie hierorts amtsbekannt… Sicherheitskommissar an Schlick, 20. März 1934 Getreulich im Sinne des Mannes gewirkt… Schlick an Sicherheitskommissar, 23. März 1934 Ich würde keinen Augenblick… Schlick an Sicherheitskommissar, 23. März 1934 Auch die Tatsache, dass Otto Bauer… Schlick an Sicherheitskommissar, 23. März 1934 Es liegt eine gewisse Tragikomik darinnen… Schlick an

Sicherheitskommissar, 23. März 1934 Der Verein Ernst Mach ist jetzt wirklich… Schlick an Carnap, 25. März 1934 Mit Dollfuß gegen Einheitswissenschaft… Neurath an Carnap, 7. Juli 1934 Es fiel mir auf, dass in einer wirtschaftlich lahmenden Stadt… Nagel (1936) Die Stadt meiner Träume… WVO Quine (1985) und Richard Creath (2007) Mit Hahns vorzeitigem Tod… Nagel (1936) Von mir selbst ist wenig… Hahn an Ehrenfest, 8. Dezember 1932 Separatvotum Schlicks… Personalakte Schlick, Archiv der Universität Wien Diesen Winter wird es keine Treffen… Schlick an Rynin, 4. November 1933 Dass Hahn nicht mehr dabei ist… Schlick an Carnap, 20. Januar 1935 Eine zirkelhafte Formulierung… Schlick an Carnap, 29. Mai 1932 Ottos Protokoll… Neurath (1932): Protokollsätze. Erkenntnis 3, s. Neurath (1981) So kam es auch… Carnap (1932): Über Protokollsätze. Erkenntnis 3 Die Gefahr zu verringern… Carnap (1932): Über Protokollsätze. Erkenntnis 3 Nun wird in positiver gemeinsamer Arbeit… Carnap (1932): Über Protokollsätze. Erkenntnis 3 Abwegig und wenig interessant… Schlick an Carnap, 6. April 1935 Wie es mir gerade in den Sinn kam… Schlick an Carnap, 16. April 1935 Über das Fundament der Erkenntnis… Schlick (1934): Über das Fundament der Erkenntnis. Erkenntnis 4, s. Schlick Gesammelte Werke I/6 Mag man solche Lyrik schätzen… Neurath (1934): Radikaler Physikalismus und „Wirkliche Welt“ Erkenntnis 4, s. Neurath (1981) Ein Vertreter des Wiener Kreises… Neurath (1934): Radikaler Physikalismus und „Wirkliche Welt“ Erkenntnis 4, s. Neurath (1981) Recht törichte Bemerkungen… Schlick an Carnap, 6. April 1935 Ich war etwas überrascht… Schlick (1935): Facts and Propositions, s. Gesammelte Werke I/6 Und wenn mir jemand auf den Kopf zusagte… Schlick (1935): Tatsachen und Aussagen, s. Gesammelte Werke I/6 Ich muss aber zugeben… Carnap an Schlick, 8. November 1935 366

Ist er nur in deinem mathematischen… Schlick an Carnap, 14. November 1935 Die Diskussion gehörte zu den zahlreichen… Menger (1994) Die Schwierigkeit kommt nur daher… Schlick an Canap, 5. Juni 1934 Man kann nicht von meinem Festhalten… Schlick an Carnap, 20. Januar 1935 In Wien war es zum Schluss heiß… Schlick an Carnap, 24. Juli 1934 Wittgenstein will die Publikation… Neider an Neurath, 27. Juli 1934 Was der Meister da für sein Meisterstück… Neurath an Neider, August 1934 Über den Schlick Zirkel dringen nur… Neurath an Carnap, 28. Januar 1935 Zu meinem Entsetzen fällt mir ein, … Neider an Neurath, 8. Februar 1935 Pflegestätte der Philosophie Wittgensteins… Bergmann an Neurath, s. Bergmann (1988) Dass wir Ihnen sehr dankbar wären… Carnap an Rand, 31. Mai 1935 Jetzt schreibt Rose Rand… Carnap an Neurath, 22. Juni 1935 Fakultätskollegen Privatdozent Dr … Schlick an Pötzl, 8. Januar 1935 Größter Logiker seit Aristoteles… Schlick an Pötzl, 8. Januar 1935 Der größte Logiker bei gesundem Verstand… Fefferman and Fefferman (2004) Das Ganze ist mehr als die Summe… Schlick (1935/36): Über den Begriff der Ganzheit, I/6 Haben Sie einen Freund in hohen Kreisen… Menger (1994) Nicht oft wird ein Gelehrter so sehr… Neue Freie Presse, 24. Juni 1936 Auf die philosophischen Lehrstühle… Schönere Zukunft, 12. Juli 1936 Die Katze fällt immer auf die Füße… Frank an Einstein, 4. August 1936 Abgott der jüdischen Kreise… Schönere Zukunft August (1936) Es gibt auch fein organisierte Geister… Malina (1988) Von allen physischen und geistigen Giftgaszentren… Menger an Alt, 31. Dezember 1937 Tief betrübt bin ich darüber… Menger an Alt, 31. Dezember 1937 Dass der Boden unter Ihren Füßen brennt… Carnap an Popper, 3. Oktober 1936

Auf halben Weg zum Mond… Popper an Kaufmann, Oktober 1936, s. Hacohen (2000) S. 324 Man könnte dort leben… Wittgenstein an Pattisson, s. Nedo (2012) S. 330 Kapitel 12: Zuckmayer (1966) und Rudin (1988) waren Augenzeugen des „Anschlusses“. Zu Gödel: Dawson (1998), Kennedy (2014), Russell (1969), Sigmund et al (2006), Thiel (1984), van Atten und Kennedy (2003), Yourgrau (2004). Zu Neurath: Kinross (2002) Sandner (2014). Zur Geschichte der Zeemanshoop http:// www.holywellhousepublishing. co.uk/Zeemanshoop.html. Über die Universität Wien im Dritten Reich: Heiss et al (1989), Reiter (2001). Über Adler: Bauer (2004). Ein wahrer Hexensabbat des Pöbels… Zuckmayer (1984) Ich kabelte heute… Personalakte Menger, Archiv der Universität Wien Nun ist alles anders geworden… Archiv der Universität Wien Von nun an geschlossen und scharf… Sigmund und Dawson (2006) S. 56 In einer Hinsicht ging es uns besser… Rudin (1997) Exponent des Judentums… Diese und die folgenden Zitate aus Stadler (2015) Das letzte Treffen der kleinen Gruppe… Dawson J (1997) S. 125 Wortreich, ungebildet, resolute… Morgenstern Tagebuch, 4. Juli 1940 Vor seinen Augen von seinem Teller… IAS Archive Princeton: Aydelotte to Selective Service Board 14. April 1943 Endlose Laufereien… Gödel an Menger, 30. August 1939 Ämter, deren Namen keiner je zuvor… Perutz (1997) Aller Voraussicht nach den schwierigen Lagen… Personalakte Gödel, Archiv der Universität Wien Gödel ist in einer Klasse für sich… Von Neumann an Flexner, 7. Oktober 1939 Gödel ist absolut unersetzlich… Von Neumann to Flexner, 27. September 1939 Der Kaffee ist erbärmlich… Morgenstern Tagebuch, 10. März 1940 Wie bereits mehrfach mitgeteilt… Personalakte Gödel, Archiv der Universität Wien Warum wohl Einstein an den Gesprächen… Gödel an Seelig, 7. September 1955

Ihre Persönlichkeiten unterschieden sich… E Straus Reminscences, s. Pais (1982) Gödel auf dem Heimweg begleiten zu dürfen… Morgenstern: Brief an die österreichische Bundesregierung (1965) Dieser Person irgend etwas antun… Gödel K: A remark about the relationship between relativity theory and idealistic philosophy, in Schilpp (1944b), s. Gödel Collected Works II Deutschen Hang zur Metaphysik… Russell (1967) Wenn wir kein Boot finden… Reidemeister-Neurath (1980) Sie können schwimmen wenn Sie wollen… http://www. holywellhousepublishing.co.uk/ Zeemanshoop.html Nicht verfolgt, nicht gequält... Neurath an Jette Pront, 24. Juli 1945, s. auch Sandner (2014) S. 265 Jetzt bekam ich es gratis… Neurath an Kaufmann, 20. April 1942 Kapitel 13: Die Menger-Episode wird in Sigmund (1998) dokumentiert, die stattgefundenen und nicht stattgefundenen Berufungen in der Nachkriegszeit an der Universität Wien in Stadler (2015). Über Viktor Kraft siehe Kainz (1976), über Feyerabend: Feyerabend (1976, 1995, 1966). Die Aufsätze von Bachmann sind in Bachmann (2005) gesammelt. Zum Streit zwischen Popper und Wittgenstein siehe Edmonds und Eidnow (2002). Die späten Jahre Kurt Gödels: Dawson (1999), Kennedy (2014), Sigmund et al (2006) und Feferman (1986). Das Schicksal des Wiener Kreises in den USA: Feigl (1969), Zilsel (1992, 1988), Holton (1993). Das letzte Wort hat Karl Popper (1994). Rein arische Abstammung… Personalakte Menger, Archiv der Universität Wien Einem verfolgungswahnhaften Psychopathen… Kraft (1950) Schon damals löste nämlich der Vorwurf… Wiener Wochenausgabe 4 (1951) In Wien selbst ist der Wiener Kreis tot… Bachmann (2005) Berufung von Heintel… Archiv der Universität Wien Der Mann wurde fett… McGuiness B: Waismann the Wandering Scholar, in McGuiness (2011) 367

In der Tasche gebrannt… Wittgenstein an Sraffa, 14. März 1938 Von der eigenen Hände Arbeit… Iven M (2004) Das nasskalte geistige Klima … Wittgenstein, 13. April 1947 Verhexung des Verstandes… Wittgenstein Philosophische Untersuchungen §109 Wenn die Sprache Feierabend macht… Wittgenstein Philosophische Untersuchungen § 38 Der sicherste Weg ins Verderben… Popper in Schilpp (1974) Halt! So geht das nicht… Feyerabend Zeitverschwendung Friede in den Gedanken… Wittgenstein Vermischte Bemerkungen 87 (1944) So hat die Legende sein Leben abgelöst… Bachmann (2005) In der US Verfassung… Morgenstern Papers, History of the Naturalization of Kurt Gödel, 13. März 1971 Wie kann einer von uns Professor sein… Ulam (1976) s. auch Dawson (1997) S 201 In Mathematikerkreisen eher unpopulär… Gödel K (1951): Some basic theorems on the foundation of mathematics and their implications, In Gesammelte Werke vol III In Anbetracht weit verbreiteter Vorurteile… Gödel an Schilpp, 3. Februar 1959 Was Newton für die Physik getan hat… Wang H (1987) Reflections on Kurt Gödel MIT Press S.29 Man ist natürlich weit davon entfernt… Gödel an seine Mutter, 6. Oktober 1961 Wenn man einwendet, es sei unmöglich… Gödel an seine Mutter, 12. September 1961 Wir verstehen weder warum diese Welt… Gödel an seine Mutter, 27- Februar 1950 Natürlich alle, die nicht zulassen wollen… Menger K: Memories of Kurt Gödel, in Menger (1994) Er klammert sich an mich… Morgenstern papers, über Kurt Gödel Popper gehörte nie zum Wiener Kreis… Kraft in Schilpp (Hg.) (1974) Ein schwerer Verlust für die Wissenschaft…Popper in Schilpp (1974) Die Arbeit des Wiener Kreises ist nicht abgeschlossen… Kraft (1950) Die Wiener haben ein besonderes Talent… Friedell (1922), Vorwort zu „Das ist klassisch“, Wien

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BILDNACHWEISE

Deutsches Museum München: 20l, 42lr, 63 Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum: 173l Imagno Bildagentur: 244 Institut Wiener Kreis: 8olm, 8u, 9, 25, 26lr, 75l, 78r, 100r,101, 102, 108o, 122, 123, 125, 138r, 157, 163r, 171r, 180, 231r, 283, 293l, 325lr, 331 Karl Popper Nachlassverwaltung und Karl Popper Sammlung der Universität Klagenfurt: 220,, 222, 224, 226r, 293r Kershaw, Peter und Richard: 317 Milena Verlag Wien: 178r Neue Pinakothek München: 114r Österreichische Nationalbibliothek: 11, 24l, 29r, 48, 65, 67o, 73ro, 80r, 84, 95, 110, 174lr, 175ou, 176l, 178l, 179, 183l, 187u, 206l, 259, 265, 328, 348 Papadimitriou, Christos: 56 Philosophisches Archiv Konstanz, Nachlass Paul Feyerabend: 329 Russell Archive, McMasterUniversity: 58 Sammlung Gerald Holton: 46 Schwadron Collection National Library of Israel: 6 Universitätsbibliothek der Universität Wien (insbesondere Zentralbibliothek für Physik, Fachbibliothek für Mathematik und Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte): 21lr, 24r, 31lr, 36, 41l, 64l, 72l, 73lo, 75r, 83, 86lr, 138l, 142l, 149, 158, 160lr, 161lr, 164l, 173, 190r, 196, 252, 269lr, 271, 324l Universitätsarchiv der Universität Wien: 6lm, 5lm, 7mo, 163l, 164r,205r, 221, 244, 285lr, 288, 296, 297, 298, 322 Volkshochschularchiv Wien: 45r, 166r Wald, Manuel: 251r Wienbibliothek: 183r, 282, 344 Wiener Stadt- und Landesarchiv: 319l Wien Museum: 45l Wikimedia Commons: 19lr, 20r, 29l, 41r, 82, 108ulr, 147, 191lr, 195, 246, 268, 322, 349

Dank geht an: Uni Archiv Univ. Wien Uni Bibliothek Univ. Wien Zentralbib. Physik Univ. Wien Oe Nationalbibliothek Archiv Oe Akad. Wiss Archive Univ. Pittsburgh Archive Vienna Circle Foundation Bea Laufersweiler Princeton Univ. Library Duke Univ. Library Dept. Typography Univ. Reading Gerald Holton Institut Wiener Kreis Popper Nachlass Univ. Klagenfurt Wikimedia Commons Cambridge Univ. Archive Wienbibliothek Wiener Stadt- und Landesarchiv Alt, Franz: 252, 254, 291 Archiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften: 13lr, 14, 16, 17, 30, 43ou, 54 Archive and Manuscripts Collection at the University of Pittsburgh (insbesondere der Rudolf Carnap Collection und der Rose Rand Collection): 59, 111, 129, 133, 151, 152, 206r, 233, 235, 281,299 Archive of the Vienna Circle Foundation, Haarlem: 93, 94lr, 86, 87l,r, 90, 91, 94l, 96, 97, 100l, 135, 237,258, 273, 275, 277 Arens, Richard: 313 Bang, Simon: 317r Bayrisches Hauptstaatsarchiv: 6r Bea Laufersweiler: 7orl, 25r, 33, 39, 142r, 319r Boerhave Museum Leiden: 72r, 272 Bruner, Barry: 324r Cambridge University Archive: 7, 55, 107, 114l, 115lr, 116lr, 117, 118, 119, 126lr, 139, 176r, 231l, 330 Dalen, Dirk van: 199 Departement of Rare Books and Special Collections, Princeton University Library: 8or, 202lr, 204lr, 205u, 208lr, 211, 212, 214, 216lr, 226l, 280, 302ou, 303, 306, 307lr, 309lr, 342, 343, 345, 346, 347 Departement of Rare Books, Manuscript and Special Collections Library, Duke University, Durham: 186l, 197, 249, 250 Departement of Typography and Graphic Art, University of Reading: 77, 80l, 168, 170l, 171, 172ou, 313, 317l, 320 DePauli-Schimanovich, Werner: 308

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NAMENSINDEX Abel, Niels Henrik 195 Abel, Othenio 164 Ackermann, Wilhelm 204 Adenauer, Konrad 340 Adler, Alfred 220, 282 Adler, Friedrich 29f, 60, 62, 70, 85f, 88f, 90f, 266, 318f Adler, Viktor 29, 44, 60, 62, 87, 90f Aigentler, Henriette von, s. Boltzmann, H Albers, Josef 173 Alexandroff, P S 198, 200 Allen, Woody 5 Alt, Franz 213f, 254, 291, 300 Altenberg, Peter 181 Andermann, Hermine, s. Menger, H Aristoteles 22, 74, 281 Arntz, Gerd 169f, 267 Arrhenius, Svante 34 Artin, Emil 272 Ayer, Alfred J 270, 292, 338 Bachmann, Ingeborg 124, 328, 336 Bahr, Hermann 28 Baranyi, Robert 22 Bauer, Otto 80f, 92, 159, 251, 264ff, 318 Bell, Alexander Graham 147 Bergmann, Gustav 184f, 279, 300, 337 Bernays, Paul 307 Besso, Michele 90 Bettauer, Hugo 161f Birk, Bernhard 290 Boehm-Bawerk, Eugen von 192 Bohr, Niels 20, 192, 292, 314 Boltzmann, Henriette (Aigentler) 31f Boltzmann, Ludwig 6, 10, 12, 29ff, 35ff, 44ff, 49, 66, 71, 73, 84, 114f, 126, 134, 182, 188, 215 , 271, 304, 332, 336, 342 Bolzano, Bernhard 45 Boole, George 55 Born, Max 98, 192 Borowitzka, Silvia 261f, 288 Braithwaite, Richard 256 Brahms, Johannes 113 Brentano, Franz 39, 44, 47 Breuer, Josef 22 Broch, Hermann 179, 182ff Brouwer, L E J 131, 198f, 203, 206f

Brown, Robert 49 Bruckner, Anton 30 Brunngraber, Rudolf 175ff Brunswik, Egon 99 Bühler, Charlotte 99, 220 Bühler, Karl 99f, 130, 220, 289, 292 Canetti, Elias 184 Cantor, Georg 304f Carnap, Elisabeth (Schöndube) 110, 151 Carnap, Ina (Stöger) 151f, 142f, 234 Carnap, Rudolf 7ff, 42, 59, 106f, 109ff, 126ff, 130f, 134f, 137, 140, 142, 147ff, 151ff, 156ff, 173, 186, 206f, 218, 226f, 230, 233ff, 236ff, 241, 246, 256f, 264, 266f, 271, 273f, 278f, 281, 283, 292, 300, 305, 311, 322, 329, 333, 338f, 341 Cohen, Paul 305 Comte, Auguste 14 Conan Doyle, Arthur 147 Darwin, Charles 37, 212 Dedekind, Richard 55 Deutsch, Julius 264f Doderer, Heimito von 76, 134 Dörpfeld, Wilhelm 109 Dollfuss, Engelbert 242f, 246f, 264ff, 269, 285 Doppler, Christian 18 Dyson, Freeman 311 Eckermann, Johann 232 Ehrenfest, Paul 34, 73, 144, 146, 271 Eichmann, Adolf 300f, 318Einstein, Albert 7, 20, 29, 44, 48ff, 60, 70, 73f, 84f, 88, 90f, 92, 94ff, 99, 101, 103, 105f, 130, 139, 159, 192, 202, 212, 217, 229, 246, 262, 281, 286, 290, 292, 309ff, 314, 317, 338f, 341f, 345 Engelmann, Paul 126, 130 Engels, Friedrich 332 Enzensberger, Hans Magnus 209 Epikur 94, 257 Euklid 52, 54 Feigl, Herbert 103f,130f, 136ff, 173, 204, 224f, 227, 270, 329, 337 Fey, Emil 265 Feyerabend, Paul 322, 328f, 334f, 336f Fichte, Johann Gottlob 250, 253 Ficker, Ludwig von 118 Fleischmann, Trude 151 Fleming, Ian 185 Förster, Heinz von 121 375

Frank, Josef 66, 171f,174f Frank, Philipp 34, 46, 48, 60, 66, 85, 104, 136ff, 146, 159, 165, 171, 207, 226, 228f, 233, 273, 290, 300, 325, 329, 337f, 339 Frankl, Viktor 325 Franz Josef I 34, 35, 61, 88, 181, 188 Frege, Gottlob 55, 57, 59, 109, 110, 115, 120 Freud, Sigmund 5, 22, 28, 39, 44, 47, 67, 77, 88, 135, 158, 163f, 203, 220, 224, 238, 240, 247, 270, 282, 298 Friedell, Egon 28, 349 Friedjung, Josef 155 Friedrich III 250 Frisch, Karl von 258 Furtwängler, Philipp 75, 202 Gabriel, Leo 284ff, 288, 328 Galilei, Galileo 51f Galois, Evariste 185, 195, 198 Garbo, Greta 161 Gauss, Friedrich 53 Gleispach, Wenzeslas 163 Glöckel, Otto 167 Goebbels, Josef 177 Goethe, Johann W 74, 232 Gödel, Adele (Nimbursky) 302ff, 309, 346 Gödel, Kurt 7, 8, 9, 10, 139, 156, 183, 188, 200ff, 213f, 226, 234, 271, 282f, 291, 296, 302ff , 305ff, 309ff, 322, 339ff Gödel,Rudolf 200,203, 205, 310 Goldarbeiter, Lisl 135 Goldbach, Christian 210f Gombrich, Ernst 292 Gomperz, Heinrich 13, 15, 44, 165, 202, 224, 226f, 268, 285, 326, 332 Gomperz, Theodor 14, 15, 29 Grelling, Kurt 57 Gropius, Walter 173 Habsburg, Rudolf 183, 187 Hack, Harry 315 Hahn, Elisabeth (Minor) 62, 70 Hahn, Luise 66 Hahn, Nora (Minor) 70, 146f Hahn, Hans 3, 6, 9, 47f, 48, 60f, 66, 70f, 83ff, 99, 104, 106f, 111, 126, 131, 134, 136ff, 139f, 142ff, 150, 154, 157, 163, 165, 167, 183, 194, 200ff, 208, 214f, 217, 219, 226, 232, 264, 271f, 273, 304f, 308, 312, 325 Hahn, Olga s. Neurath, O Haidbauer, Josef 125 Hardy, Blanche Guy s. Schlick, B

Hauer, Josef 119 Hayek, Friedrich August von 192, 251, 292, 329, 332 Hegel, G W F 15, 36, 45, 250, 253, 332 Heidegger, Martin 134, 149f, 246, 314, 318, 324, 328 Heintel, Erich 329 Heisenberg, Werner 20, 215 Helfgott, Harald 211 Hempel, Carl 231, 270, 275 Henninger, Josefine s. Popper, J Herglotz, Gustav 72, 272 Hertz, Heinrich 49ff, 73 Herzl, Theodor 47 Heyting, Arend 207 Hilbert, David 7, 44, 49, 53ff, 74, 84, 95f, 105f, 150, 194, 198f, 203, 206f, 211, 214f, 217, 236, 246, 253, 272, 284, 296, 304f, 307, 345 Hitchcock, Alfred 187, 315 Hitler, Adolf 82, 113, 159, 162, 177, 182, 242f, 246f, 292, 296, 305, 309, 314f, 320, 322, 325 Hoffmann, Josef 113, 174, 282 Hofmannsthal, Hugo von 28, 69, 181, 190 Hofstadter, Douglas 347 Holton, Gerald 338 Holzmeister, Clemens 174 Hoover, J. Edgar 343 Houdini, Harry 147 Hume, David 261 James, William 20, 43, 147 Jarmush, Jim 11 Jevons, William 188f Juhos, Bela 329 Kafka, Franz 68 Kaila, Eino 270 Kandinsky, Wassily 169, 173 Kant, Immanuel 1f, 18, 44, 53, 74, 92ff, 106, 165, 194, 248, 256, 261, 311, 318, 338f Karl I 88, 90 Kasper, Maria 130, 136 Kaufmann, Felix 104, 251, 292f, 317 Kelsen, Hans 163, 268, 292, 339 Key, Ellen 78 Kierkegaard, Sören 44 Klee, Paul 173 Klimt, Gustav 5, 44, 64f,75, 113 Knoll, Friedrich 298

252, 255, 337, 339 Krafft-Ebbing, Richard von 282 Moholy-Nagy, Laszlo 173 Kraft, Viktor 104, 139, 156, 224, 325 ff, 334, 347f Moore, George E 117f, 131, 292, 294 Kraus, Karl 44, 75, 113, 126, 247 Morgenstern, Oskar 250ff, 255f, 302, 309f, 339, 346 Kokoschka, Oskar 5, 66, 118 Mueller, Karl von 82 Kuhn, Richard 190 Musil, Robert 67f, 83, 89, 169, 174, 179ff, Kuhn, Thomas 336f 184ff, 213, 232, 247, 281 Lasker-Schüler, Else 118 Mussolini, Benito 243f, 250, 292 Laue, Max von 93, 94, 98f, 101 Naess, Arne 270 Leibniz, Gottfried 18, 55, 345ff Nagel, Ernest 232, 236, 270, 271,273 Le Corbusier 174 Natkin, Marcel 103, 215 Lenin, V I 28, 29, 91 Neider, Heinrich 152, 240, 279 Lense, Josef 202 Nelböck, Johann 261f, 281, 283, 285ff, Lichtenberg, Georg 30 301f, 327f Lihotzky, Margarete s. Schütte-Lihotzky, Nernst, Walther 34 M Nestroy, Johann 151, 335 Loos, Adolf 5, 66 , 118, 126, 171f, 174f Neubacher, Hermann 175 Lorenz, Konrad 258 Neumann, John von 188, 207f, 217, 253f, Loschmidt, Johann 18, 33 256, 284, 308, 340, 342 Lukasiewicz, Jan 165 Neurath, Marie (Reidemeister) 109, 153, Mach, Ernst 6, 10ff, 15f, 18ff, 31ff, 39ff, 46, 169, 264, 266, 296, 314ff, 321 49, 51, 60ff, 74, 76, 84, 87, 91ff, 99, 106, 110, Neurath, Otto 6, 8ff, 16, 47f, 70, 76ff, 85, 92, 112, 126, 167, 188, 192, 202, 219, 224, 233, 104, 109, 111, 128, 134ff, 137f, 147, 152ff 236, 264, 268, 311, 332, 342 , 156ff, 165, 167ff, 170f, 174f, 176f, 184, Mahler, Gustav 13, 113 213, 218, 225f, 228f, 230, 236f, 240, 242, 251, 264ff, 267f, 271, 273ff, 276f, 279, 285, Mann, Golo 153 296, 312ff, 320f , 325, 331, 332, 336 Mann, Thomas 149, 196 Neurath, Olga (Hahn) 47f, 62, 78, 80, 84, Marboe, Ernst 177 104, 152f, 264, 312 Marconi, Gugliemo 147 Neurath, Paul 78, 152, 312 Marx, Karl 162, 223, 264, 332 Neurath, Wilhelm 75 Maxwell, James 30f Newton, Isaac 23, 202, 342, 347 Mayrhofer, Karl 272 Nietzsche, Friedrich 93, 141, 179, 256, 260 Meinrad, Josef 177 Nimbursky, Adele, s. Gödel, A. Meitner, Lise 34 Nöbeling, Georg 213, 249 Mendel, Gregor 196 Noether, Emmy 214 Menger, Anton 189 Occam, William von 143f, 272 Menger, Carl 188f, 250, 254 Odgen, Charles K 124, 314 Menger, Hermione (-Andermann) 188 Oppenheimer, Samuel 218 Menger, Karl 7ff, 103 f, 106, 108, 127, 135f, Ostwald, Wilhelm 34, 121 139, 146, 154, 156, 165, 183, 188ff, 192f, 198ff, 200, 202f, 212ff, 215, 226, 240, 242, Pauli, Wolfgang 190f, 192, 200, 279, 312 244f, 247ff, 250f, 253f, 259, 264, 270, 272, Perrin, Jean-Baptiste 49 278, 286, 290f, 297, 305ff, 323f , 346 Peano, Giuseppe 55, 150, 194 Menger, Max 189 Pertner, Hans 291 Mills, John Stuart 14 Perutz, Leo 179, 185ff, 300, 307 Minor, Elisabeth, s. Hahn E Pinsent, David 118, 121 Minor, Nora, s. Hahn N Planck, Max 29, 34, 60, 62, 92, 101, 103, Mises, Ludwig von 192, 252, 292 260 Mises, Richard von 47f, 60, 137, 181f, 246, Plato 145, 311, 318, 322, 325, 332, 339 Pötzl, Otto 68, 89, 281ff, 297f, 325 376

Poincaré, Henri 49, 51f, 60, 74, 145 Popper, Karl 7, 9, 10, 16, 18, 19, 34, 41, 146, 195, 218ff, 230, 255, 264, 274f, 283, 291ff, 322, 326, 329, 330ff, 347ff Popper, Josefine (Henninger) 220, 225, 291 Popper-Lynkeus, Josef 76 Porter, Cole 337 Prokofjew, Sergei 121 Quine, Willard van Orman 270, 338 Ramsey, Frank P 124f, 270 Rand, Rose 103, 128, 281, 300f, 330, 337 Rathenau, Walter 80, 98, 101 Ravel, Maurice 121 Redl, Alfred 69f Reichenbach, Hans 246, 270, 341 Reidemeister, Kurt 106f, 153, 200, 207, 325f Reidemeister, Marie s. Neurath, M Reik, Theodor 270 Reinhardt, Max 137, 201 Reiniger, Robert 99, 261 Renner, Karl 82, 242, 266 Riehl, Walter 162 Riemann, Bernhard 53 Rilke, Rainer Maria 40, 118, 181 Rosegger, Peter 196 Rotha, Paul 318 Rothstock, Otto 162f Rudin, Walter 300 Rudolf, Erzherzog 189, 192 Russell, Bertrand 7, 20, 44, 49, 55ff, 58, 60, 68, 74, 84, 103, 105f, 109, 110, 112, 115ff, 118f, 120f, 125f, 130f, 139, 154f, 207f, 292, 304, 312, 314, 317, 331, 333f, 341, 345 Sauter, Johannes 301 Schapire, Anna 78f Schelling, Friedrich Wilhelm 250, 253 Schiele, Egon 5, 75 Schiller, Friedrich 86, 190, 256, 260 Schilpp, Arthur 339, 341 Schlesinger, Karl 254, 297 Schlick, Blanche (Hardy) 93, 130, 134, 151 Schlick, Moritz 6, 9, 48, 54f, 70, 85ff, 92ff, 98ff, 101ff, 106, 110f, 127f, 130, 134f, 138f, 140ff, 151, 153f, 156, 158, 164f, 186, 213, 218, 220, 223, 225f, 227, 228f, 230, 234, 238ff, 242, 244f, 251, 256ff, 259ff, 264, 267f, 272f, 275f, 278ff, 285ff, 301, 311, 322, 327f, 333f, 339

Schliemann, Heinrich 109 Schnitzler, Arthur 5, 28, 44, 78, 92, 162, 190f Schnitzler, Heinrich 190 Schönberg, Arnold 66 Schöndube, Elisabeth s. Carnap, E Schober, Johann 242 Schopenhauer, Arthur 36, 45, 153 Schreier, Otto 196f Schrödinger, Erwin 292, 329 Schütte-Lihotzky, Margarete 171f, 174 Schumpeter, Josef 71, 75, 193, 253 Schuschnigg, Kurt 269, 292, 296 Seipel, Ignaz 159, 161, 163, 242 Seitz, Karl 160, 266 Sievering, Franz 290 Smoluchowski Marian 49 Sokrates 50, 218, 311, 348 Spann, Othmar 244, 250f Spengler, Oswald 81 Spiel, Hilde 289 Stalin, Josef 264, 294, 309 Stebbing, Susan 318 Stefan, Josef 18, 30 Stöger, Ina s. Carnap I Stöhr, Adolf 84f Stonborough, Margarete (Wittgenstein) 126f, 130 Strauß, Johann 13 Stürgkh, Karl von 86, 89 Tandler, Julius 158 Tarski, Alfred 283f, 338 Taussky, Olga 213f Thirring, Hans 202, 215 Tietze, Heinrich 72 Tolstoi, L. N. 44, 119 Torberg, Friedrich 282f Trakl, Georg 118 Trotzky, Leo 91, 264 Turing, Alan 283ff Urysohn, P A 197f, 200 Vahlen, Theodor 246 Van der Rohe, Mies 324 Veblen, Oswald 216f, 249 Wagner, Otto 5, 75, 282 Wagner-Jauregg, Julius 87, 89, 281f Waismann, Friedrich 103, 130, 134, 136, 138ff, 207, 218, 224, 230ff, 238, 240f, 264, 377

278f, 290f, 293, 329f Wald, Abraham 213f, 254f, 297, 300 Walras, Leon 188, 254, 297 Weber, Max 79, 80, 164 Weisz, Hans 178f Weizsäcker, Carl Friedrich von 329 Wheeler, John A 96 Whitehead, Alfred N 57 Wickhoff, Gustav 66f Wieser, Friedrich 188, 192, 250 Wilhelm II 181 Wirtinger, Wilhelm 75, 272 Wittgenstein, Hermine 117, 119 Wittgenstein, Ludwig 3, 7, 9ff, 41, 84, 106f, 112ff, 120ff, 124ff, 130ff, 134, 139f, 141, 145, 147, 172, 182, 200f, 207, 211, 213, 218, 222, 225f, 230ff, 234f, 236, 238ff, 242, 247, 251, 256f, 260f, 262, 264, 274, 278f, 294, 305, 322, 328, 330ff, 347 Wittgenstein, Karl 113, 118 Wittgenstein, Margarete s. Stonborough M Wittgenstein Paul 121 – Wright, Henrik von 270 Yeager, Chuck 337 Zermelo, Ernst 33, 74, 215, 304 Zilsel, Edgar 104, 111, 165, 167, 224, 275, 290, 300, 302, 337 Zuckmayer, Carl 296f, 300 Zweig, Stefan 47

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DER WIENER KREIS EXAKTES DENKEN AM RAND DES UNTERGANGS

KARL SIGMUND

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Sie nannten sich De r Wiene r Kreis ist vol l lebendiger und fas zin ierender Geschichten über das Aufblühen von intellek tuellem Ge nie inm itten von politisch em Chaos. Ka rl Sig mu nd gelingt es, die erstau nlichen Per sönlichkei ten des Wiene r Kreises zum Leben zu bri ngen. Höchst empfehlensw ert! Ian Stewa rt („Signific

rm unte rhaltsam, mit Profund recherchiert und eno en, bemerkenswe rten lebhaften Personenschilderung und der dramatischen en, kdot Ane und en nfäll che Zwis n und trag ischen nde ege aufr r eine ng tellu Dars inierender Gestalten histo rischen Epoche… voll fasz n. und Ereignisse ety for Industria l Ernest Davis, Jour nal of the Soci and App lied Mathematic s

ant Figures”)

öhnliche Gruppe Der Wiener Kreis, eine auße rgew Philosophen, und ikern Phys rn, atike von Mathem n Buch neue m liche köst s und wird in Karl Sigm Gruppierungen port raitie rt… Wenige solcher neue Beiträge haben so viele tiefe Ideen und anregende produzie rt… Sigmund hat eine verfasst, die nicht Schi lderung des Wiener Kreises tellt, sondern dars klar n anke Ged en dess nur ungen seiner auch farbenfreud ige Beschreib et. biet le cksa Schi ihrer Mitg liede r und tal Universe“), iden Acc e („Th n tma Alan Ligh in The Was hington Post

378

de rmaßen Ein großa rtiges Buch, rdis zip linä ren überbordend an inte h jeder Leser Lecker bis sen dass sic rte r fühlt. wie ein Unive rsa lgeleh he Strangest Man“) Graham Far melo („T Karl Sigmund schi lder t die jede m Bühnend rama bestens anstehenden Biog rafie n und Ereignisse „an Rand des Unte rgangs“ sehr deta ilreich… verm ittelt mannigfa ltige Einb licke in das Denken der Protagonisten des Wiener Kreises, das bis heute noch aktuell ist. And ré Beh r („Lauter, bitte!“), in Neue Zürcher Zeitung am Sonntag

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NEURATH RUDOLF

CARNAP KARL

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Karl Sigmund hat eine besonde re Begabung, phys ikali sche, mathematische ode r philosophische Übe rlegungen bündig und klar darzustellen. Wissenschaftliche Passagen, persönliche Schicksa le und gesc hichtlicher Kontext gehen nahtlos ineinand er übe r. James Franklin („Proof in Mathem atics“), in The New Crite rion

e de r …verfolgt du rch ein en de r iod Per ten tes len tur bu schichte Ge n he isc pä uro mit tele ises Kre r ne Wie s de die Spu ren ihn die , lten sta und jener Ge a Albert inspir ierten, wie etw Wit tgenstein. Einstein und Ludwig Nature Phy sic s

KURT

GÖDEL

Sigmund erzählt Lebensgeschi chten und biog raphische Konstellatione n, resümier t bündig die philosoph ischen und methodolog ischen Ansä tze, weiß dabei Anekdotisches ebenso wie die zitie rten Äußerungen seiner Protago nisten gut zu wählen. Frankfurter Allgemeine Zeitung nde Wer k das Meines Wissens ist das vorliege raphie aller zent ralen erste, das eine kollektive Biog ehmer des Kreises und zahl reicher periphe rer Teiln in den Kontext gibt und ihr Leben und Wirken ulicherweise ist das dieser Umb ruchszeit stellt. Erfre Das Ergebnis ist Sigmund glänzend gelungen. er und angenehm ein mitreißender Bericht, lock en. geschrieb mmas. John W. Dawson („Logische Dile Kurt Gödel – Leben und Wer k“), atical Society Notices of the Ame rican Mathem

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379

Brainstorm ing jeden Donnerstag“ … Ein wert volles Buch… der Deta ilreichtum verführt gelegentlich zu übe rmä ßigem Genuss. David Edmonds („Wittgenstein’s Poke r“), in Wall Street Jour nal

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