Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie

Das Buch soll einen ersten Überblick über die psychotherapeutische Begleitung von Patienten vor und nach bariatrischen chirurgischen Eingriffen geben. Es richtet sich an die therapeutischen Teams, die mit Adipositaspatienten vor und nach der Operation arbeiten, soll aber auch Chirurgen für das Thema sensibilisieren. Durch die zunehmende Zahl an entsprechenden Operationen steigt die Notwendigkeit, diese Patienten während des gesamten Prozesses zu begleiten.


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Martina de Zwaan · Stephan Herpertz Stephan Zipfel Hrsg.

Psychosoziale Aspekte der AdipositasChirurgie

Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie

Martina de Zwaan Stephan Herpertz Stephan Zipfel (Hrsg.)

Psychosoziale Aspekte der AdipositasChirurgie Mit 32 Abbildungen

Herausgeber Martina de Zwaan Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Medizinische Hochschule Hannover Hannover, Deutschland

Stephan Zipfel Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Medizinische Universitätsklinik Tübingen Tübingen, Deutschland

Stephan Herpertz Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland

ISBN 978-3-662-57363-1 ISBN 978-3-662-57364-8  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Umschlaggestaltung: deblik Berlin Fotonachweis Umschlag: © naypong/stock.adobe.com Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

V

Vorwort In Deutschland ist ein stetiger Anstieg der Zahl adipositaschirurgischer Eingriffe zu beobachten. Neben der chirurgischen Expertise ist die Bedeutung psychosozialer Aspekte für den Erfolg einer Adipositaschirurgie nicht unerheblich. Die hohe Komorbidität von psychischen Störungen bei schwerer Adipositas macht es zudem notwendig, dass alle in der Versorgung dieser Patientinnen und Patienten tätigen Berufsgruppen über die Operationsverfahren und deren körperliche und psychische Risiken wie auch Erfolge nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Lebensqualität ausreichend informiert sind. Dabei kommt auch psychosomatischen Aspekten in der Betreuung der Betroffenen sowohl vor wie auch nach der Operation eine besondere Bedeutung zu. Ein Viertel der Deutschen Bevölkerung ist adipös (BMI > 30 kg/m2). Etwa 1–3 % sind schwer adipös (BMI > 40 kg/m2). Der Erfolg konservativer Gewichtsreduktionsmaßnahmen ist bei Adipositas Grad 1 (BMI 30–35 kg/m2) mäßig, bei ausgeprägter Adipositas (BMI > 35 kg/m2) insbesondere mittel- bis langfristig äußerst gering. Komorbide körperliche Erkrankungen wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Schlafapnoe-Syndrom oder schmerzhafte degenerative Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates treten häufig auf. Die Lebenserwartung ist nicht selten um viele Jahre eingeschränkt. Im Gegensatz zu konservativen Maßnahmen hat sich die Adipositaschirurgie als einzige Maßnahme zur klinisch signifikanten und dauerhaften Gewichtsreduktion bewährt. Die chirurgische Behandlung der schweren Adipositas birgt auch Risiken, sowohl was die physische als auch die psychische Integrität anbelangt. Zwar sind die perioperativen und postoperativen Komplikationsraten vergleichsweise gering, doch bedarf es nach der Operation der langjährigen, in vielen Fällen auch lebenslangen Nachsorge, um Folgen einer Malnutrition zu vermeiden. In den ersten Jahren nach der Operation ist in der Regel eine deutliche Besserung fast aller Lebensqualitätsparameter zu beobachten. Längere Beobachtungszeiträume deuten allerdings auf eine kleinere Gruppe von Patientinnen und Patienten hin, die eine deutliche Einbuße ihrer Lebensqualität erfahren bis hin zu manifesten psychischen Störungen. Deren Identifizierung und damit verbunden die Möglichkeit von präoperativen oder postoperativen Behandlungsangeboten fällt jedoch immer noch schwer, zumal die Mehrzahl psychischer Symptome und Störungen wenig Aussagekraft für den postoperativen Verlauf hat. Das Buch will einerseits Vorurteilen und Ängsten im Hinblick auf die Adipositaschirurgie entgegenwirken, indem es den Versuch unternimmt, die wachsende Literatur zu psychosozialen Fragestellungen für die in der Versorgung dieser Patienten tätigen Berufsgruppen evidenzbasiert darzustellen. Andererseits möchte das Buch Patientinnen und Patienten bestmöglich auf die Operation vorbereiten, indem es auch psychosoziale Aspekte berücksichtigt.

VI

Vorwort

Die Herausgeber und die Autorinnen und Autoren hoffen, mit diesem Buch einen sinnvollen Beitrag zu einer optimalen Behandlung von Menschen mit schwerer Adipositas leisten zu können. Das Buch verfolgt das Ziel, sowohl die Diagnostik wie auch die Therapie an individuelle Patientinnen und Patienten im Rahmen von „Handlungs- und Entscheidungskorridoren“ anzupassen, innerhalb derer aber auch die Präferenzen der Patientinnen und Patienten ermittelt und im Rahmen einer partizipativen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden können. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit überwiegend das generische Maskulinum verwenden. Dieses impliziert natürlich immer auch die weibliche Form. Martina de Zwaan

Hannover

Stephan Herpertz

Bochum

Stephan Zipfel

Tübingen im Sommer 2018

VII

Inhaltsverzeichnis 1

Geschichte der Adipositaschirurgie in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Rudolf Weiner

Erste Schritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Erste Kliniken führen regelhaft Operationen wegen Adipositas durch. . . . . . . . . . . 2 Die minimal-invasive Operationstechnik bringt den Durchbruch. . . . . . . . . . . . . . . . 3 Langwährende Ablehnung durch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Chirurgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.5 Neuere Operationsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.6 Das Frankfurter Meeting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.7 Qualitätsoffensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.7.1 Das Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.7.2 Zertifizierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.7.3 S3-Leitlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.7.4 Fort-und Weiterbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1.7.5 Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 1.2 1.3 1.4

2

Körperliche Komplikationen der Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Alfred Wirth

2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.2 Adipös und gesund?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.3 Metabolisches Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.4 Diabetes mellitus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.5 Herz-Kreislauf-System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.5.1 Hypertonie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.5.2 Koronare Herzkrankheit (KHK). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.5.3 Herzinsuffizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.5.4 Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.6 Respiratorisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.6.1 Obstruktive Schlaf-Apnoe (OSA). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.6.2 Adipositas-Hypoventilationssyndrom (OHS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.7 Gastrointestinales System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.7.1 Fettleber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.7.2 Gastroösophagealer Reflux („gastro esophageal reflux disease“ GERD). . . . . . . . . . . . 22 2.7.3 Gallensteine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.8 Harninkontinenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.9 Orthopädische Erkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.9.1 Kniegelenk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.9.2 Hüftgelenk. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.9.3 Rücken/Wirbelsäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.10 Effekte der Gewichtsreduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

VIII

3

Inhaltsverzeichnis

Operative Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Arne Dietrich

3.1 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.1.1 Indikation Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.1.2 Indikation metabolische Chirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1.3 Kontraindikationen für Adipositas- und metabolische Chirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2 Operationsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2.1 Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.2.2 Magenband. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.2.3 Schlauchmagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3.2.4 Proximaler Roux-en-Y-Magenbypass. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.2.5 Omega-Loop-Magenbypass. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.2.6 Biliopankreatische Diversion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.2.7 Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3.3 Endoskopische Techniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4

Ernährungsmedizinische Betreuung prä- und postoperativ . . . . . . . . . . . . 49 Winfried Keuthage und Theresia Schoppe

4.1 Ernährungsmedizinische Betreuung präoperativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1.1 Betreuung vor Indikationsstellung zur Operation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1.2 Betreuung nach Indikationsstellung zur Operation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2 Ernährungsmedizinische Nachsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.2.1 Postoperativer Kostaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.2.2 Langfristige Ernährungsempfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4.2.3 Körperliche Aktivität und Körperzusammensetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.3 Postoperative Probleme und ernährungsmedizinische Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 56 4.3.1 Proteinmangel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.3.2 Übelkeit und Erbrechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.3.3 Obstipation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.3.4 Diarrhö . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.3.5 Dumping-Syndrom. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.3.6 Laktosemalassimilation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.3.7 Fettmalassimilation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.3.8 Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Lebensmittelaversionen. . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.3.9 Dilatation der Speiseröhre und des Magens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.3.10 Bolusobstruktion und Stenose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.3.11 Entwicklung des Körpergewichtes postoperativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.3.12 Bildung von Gallensteinen und Nierensteinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.4 Vitamin- und Mineralstoff­supplementierung und Labor­monitoring postoperativ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.4.1 Vitamine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4.4.2 Spurenelemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.4.3 Postoperative Nachsorge inklusive Labormonitoring. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

IX Inhaltsverzeichnis

5



Adipositas und Stigmatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Anja Hilbert und Hans-Christian Puls

5.1 Definition Stigmatisierung und Selbststigmatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.1.1 Stigmatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.1.2 Selbststigmatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 5.2 Auftreten und Konsequenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.2.1 Auftreten von gewichtsbezogener Stigmatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.2.2 Selbststigma bei Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.2.3 Korrelate gewichtsbezogener Stigmatisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.3 Stigmareduktion bei Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.3.1 Forschungsstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.3.2 Praktische Implikationen für den Arzt-Patienten-Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5.4 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6

Impulsivität im Adipositasspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Katrin Giel und Kathrin Schag

6.1 Was ist Impulsivität?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6.1.1 Impulsivität als Persönlichkeitseigenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 6.1.2 Impulsives Essverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.2 Welche Rolle spielt Impulsivität im Adipositasspektrum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.2.1 Zusammenhang von Impulsivität und Body-Mass-Index (BMI). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.2.2 Impulsivität bei Patienten mit Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.2.3 Impulsivität als Prädiktor der Gewichtsreduktion im Adipositasspektrum. . . . . . . . . 91 6.3 Ist Impulsivität veränderbar?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.3.1 Therapeutische Beeinflussbarkeit impulsiven Essverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.3.2 Impulsivität vor und nach Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 7

Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Annette Horstmann

7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7.2 Entscheidungsverhalten bei Adipositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7.3 Dominanz von Gewohnheiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 7.4 Einfluss von Zeit auf Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 7.5 Mangel an Sensibilität für negative Folgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 7.6 Rolle des dopaminergen Systems bei Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.7 Ursache oder Konsequenz?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.8 Reversibilität von Gehirnveränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.9 Modulation von Kognition durch metabolische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.10 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

X

8

Inhaltsverzeichnis

Psychische Komorbidität und Lebensqualität vor und nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Sebastian Jongen, Henrik Kessler und Stephan Herpertz

8.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 8.2 Psychische Komorbiditäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 8.2.1 Depression und Angststörung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 8.2.2 Essstörungen, gestörtes Essverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 8.2.3 Traumafolgestörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 8.2.4 Persönlichkeitsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.3 Lebensqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.3.1 Prädiktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 9

Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Martina de Zwaan

9.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 9.2 Pathologisches Essverhalten vor Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 9.2.1 Binge-Eating-Störung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 9.2.2 Night Eating (Syndrom). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 9.2.3 Grasen („grazing“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 9.2.4 „Sweet eating“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 9.3 Pathologisches Essverhalten nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9.3.2 “Binge eating” und „loss of control eating“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 9.3.3 „Klassische“ Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 9.3.4 Erbrechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 9.3.5 Kauen und Ausspucken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 9.4 Diagnostik von nichtnormativem Essverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 10

Effekte der Adipositaschirurgie auf Hunger und Sättigung. . . . . . . . . . . . . 137 Andreas Stengel

10.1 Hunger und Sättigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.2 Vermittlung von Hunger und Sättigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.3 Periphere Botenstoffe der Hunger- und Sättigungsregulation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 10.3.1 Ghrelin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 10.3.2 Nesfatin-1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 10.3.3 Leptin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 10.3.4 Pankreatisches Polypeptid. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 10.3.5 Cholezystokinin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 10.3.6 Glukagon-ähnliches Peptid-1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 10.3.7 Peptid YY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 10.4 Mikrobiota. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 10.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

XI Inhaltsverzeichnis

11



Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Astrid Müller und Marek Lescher

11.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 11.2 Selbstschädigung in der deutschen Bevölkerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 11.3 Selbstschädigung bei Patienten vor Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 11.4 Selbstschädigung und Suizide bei Patienten nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . 154 11.5 Mögliche Ursachen für Selbstschädigung nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . 160 11.6 Schlussfolgerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 12

Abhängigkeitserkrankungen und Wechselwirkungen bei der Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Stephan Zipfel

12.1 Einleitung: Adipositas und Abhängigkeitserkrankungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 12.2 Diagnostische Kriterien und Häufigkeit der Alkoholabhängigkeit. . . . . . . . . . . . . . . 166 12.3 Epidemiologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 12.4 Alkoholabhängigkeit vor Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 12.5 Alkoholabhängigkeit nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 12.6 Alkoholkonsum und postoperativer Gewichtsverlauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 12.7 Gründe für eine erhöhte Prävalenz von Alkoholerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 12.8 Abgeleitete Empfehlungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 13

Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Stefan Engeli

13.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.2 Besonderheiten der Pharmakokinetik bei massiver Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.2.1 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.2.2 Absorption. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 13.2.3 Distribution. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 13.2.4 Metabolisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 13.2.5 Elimination. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 13.3 Arzneimitteltherapie bei Patienten nach Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 13.3.1 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 13.3.2 Spezielle Betrachtung der Pharmakokinetik nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . 177 13.4 Pharmakokinetik der Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . 178 13.4.1 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 13.4.2 Pharmakokinetikstudien mit SSRI und SNRI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 13.4.3 Lithium. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 13.4.4 Midazolam. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 13.5 Schlussfolgerungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

XII

14

Inhaltsverzeichnis

Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Andreas M. Nieß

14.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 14.2 Ziele einer Bewegungstherapie bei Adipositas. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 14.2.1 Gewichtsreduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 14.2.2 Günstige Beeinflussung des kardiometabolen Risikoprofils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 14.2.3 Körperliche Fitness und Krankheitsrisiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 14.2.4 Körperliche Fitness und gesundheitsbezogene Lebensqualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 14.3 Körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 14.4 Körperliche Leistungsfähigkeit nach Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 14.4.1 Postoperative körperliche Fitness und Muskelstatus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 14.4.2 Postoperatives Aktivitätsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 14.4.3 Ziele einer Trainings- und Bewegungstherapie nach adipositaschirurgischem Eingriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 14.5 Umsetzung einer Trainings- und Bewegungstherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 14.5.1 Belastungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 14.5.2 Diagnostik vor Einleitung eines Bewegungstrainings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 14.5.3 Personalisierte Trainingsberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 14.5.4 Motivationale und qualifizierte Unterstützung des Trainings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 15

Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Petra Warschburger

15.1 Definition und entwicklungsbedingte Veränderungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 15.2 Auftreten von Entwicklungsrisiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 15.3 Adhärenz und Transition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 15.4 Besondere Rolle der Eltern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 15.5 Effektivität von adipositas­chirurgischen Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 15.6 Empfehlungen für Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 15.7 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 16

Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion durch plastische Chirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Adrian Dragu

16.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 16.2 Indikationsstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 16.3 Operative Therapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 16.3.1 Abdomen/Rücken/Gesäß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 16.3.2 Oberschenkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 16.3.3 Ventrale Thoraxwand und Brust. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 16.3.4 Oberarme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 16.4 Nachsorge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 16.5 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

XIII Inhaltsverzeichnis

17



Prä- und postoperative Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Martin Teufel, Per Teigelack und Beate Wild

17.1 Adhärenz nach Adipositaschirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 17.2 Formen psychoedukativer Interventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 17.3 Kognitiv-behavioral orientierte Gruppeninterventionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 17.4 BaSE (Bariatric Surgery and Education) Studie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 17.5 Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 17.6 Schlussfolgerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 18

Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Tim C. Werner

18.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 18.2 Antrag, Widerspruch und Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 18.2.1 Bariatrische Chirurgie als Regelleistung der GKV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 18.2.2 Antragsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 18.2.3 Exkurs: Genehmigungsfiktion, § 13 Abs. 3a SGB V . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 18.2.4 Widerspruchsverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 18.2.5 Klageverfahren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 18.2.6 Berufung und Revision. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 18.3 Kostenerstattung nach selbstbeschaffter Operation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 18.3.1 Vorbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 18.3.2 Beschaffungsweg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 18.3.3 Kausalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 18.3.4 Zu Unrecht ablehnte Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 18.3.5 Höhe des Erstattungsanspruchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 18.3.6 Prüffähige Rechnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 18.3.7 Komplikationen nach selbstbeschaffter Operation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 18.3.8 Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 18.4 Rechtsverfolgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 18.4.1 Anwalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 18.4.2 Kosten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 19

Die S3-Leitlinie Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Martina de Zwaan

19.1 Bearbeitung, Inhalte und Adressaten der Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 19.2 Empfehlungen und Statements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 19.2.1 Definitionen und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 19.2.2 Patientenauswahl und Indikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 19.2.3 Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 20

Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

20.1 20.2 20.3

Hintergrund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Präoperative psychosoziale/psychosomatische Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Kontraindikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

Astrid Müller

XIV

Inhaltsverzeichnis

Einsatz von Fragebögen in der psychosozialen/psychosomatischen Evaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 20.5 Spezialfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 20.5.1 Jugendliche Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 20.5.2 Personen mit niedrigem Intelligenzniveau, kognitiver Retardierung oder Demenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 20.6 Psychosoziale/psychosomatische Evaluation nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 20.4

21

Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Martin Teufel, Per Teigelack und Beate Wild

21.1 Psychoedukation nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 21.2 Manualstruktur BaSE (Bariatric Surgery and Education). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 21.2.1 Dauer der Nachsorge, Sitzungsfrequenz und Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 21.2.2 Sitzungsablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 21.2.3 Nächste Schritte (Hausaufgaben). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 21.2.4 Interdisziplinarität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 21.2.5 Inhalte und Themen des Manuals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 21.2.6 Postinterventionelle Information und Edukation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 21.2.7 Ernährung und Ernährungsumstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 21.2.8 Bewegungsanleitung und körperliche Aktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 21.2.9 Psychosoziale Fertigkeiten und Stressmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 21.2.10 Selbstfürsorge und Umgang mit sozialen Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 21.2.11 Körperbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 21.2.12 Rückfallprophylaxe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 21.3 Psychotherapie nach Adipositaschirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 21.3.1 Psychotherapie nach Adipositaschirurgie – wann und für wen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 21.3.2 Struktur der Psychotherapie nach Saunders. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 21.3.3 Inhalte und Themen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264

Serviceteil A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire. . . . . . . . . . . . . . . . . 269 Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275

XV

Herausgeber- und Autorenverzeichnis Über die Herausgeber Martina de Zwaan, Prof. Dr. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Deutschland [email protected]

Stephan Herpertz, Prof. Dr. Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Deutschland [email protected]

Stephan Zipfel, Prof. Dr. Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Tübingen, Tübingen, Deutschland [email protected]

Autorenverzeichnis Arne Dietrich, Prof. Dr.

Katrin Giel, Prof. Dr.

Klinik und Poliklinik für Visceral-, Transplantations-, Thorax- und Gefäßchirurgie Universitätsklinikum Leipzig AöR Leipzig, Deutschland [email protected]

Innere Medizin VI, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Tübingen Tübingen, Deutschland [email protected]

Adrian Dragu, Prof. Dr.

Anja Hilbert, Prof. Dr.

Abteilung für Plastische und Handchirurgie Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden Dresden, Deutschland [email protected]

Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum AdipositasErkrankungen, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsmedizin Leipzig Leipzig, Deutschland [email protected]

Stefan Engeli, Prof. Dr. Institut für Klinische Pharmakologie Medizinische Hochschule Hannover Hannover, Deutschland [email protected]

XVI

Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Annette Horstmann, Dr.

Hans-Christian Puls

Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen, Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Neurologie Universität Leipzig Leipzig, Deutschland [email protected]

Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum AdipositasErkrankungen, Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsmedizin Leipzig Leipzig, Deutschland [email protected]

Sebastian Jongen, Dr. Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland [email protected]

Kathrin Schag, Dr.

Henrik Kessler, Prof. Dr.

Theresia Schoppe

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie LWL-Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland [email protected]

Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin Münster, Deutschland [email protected]

Winfried Keuthage, Dr. Schwerpunktpraxis für Diabetes und Ernährungsmedizin Münster, Deutschland [email protected]

Innere Medizin VI, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Tübingen Tübingen, Deutschland [email protected]

Tatjana Schütz, Dr. IFB Adipositas-Erkrankungen, Core Unit Ernährung und klinische Phänotypisierung Universitätsmedizin Leipzig Leipzig, Deutschland [email protected]

Andreas Stengel, Prof. Dr. Marek Lescher Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Medizinische Hochschule Hannover Hannover, Deutschland [email protected]

Astrid Müller, Prof. Dr. Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie Medizinische Hochschule Hannover Hannover, Deutschland [email protected]

Andreas M. Nieß, Prof. Dr. Medizinische Klinik, Abteilung Sportmedizin Universitätsklinikum Tübingen Tübingen, Deutschland [email protected]

Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universitätsklinikum Tübingen Tübingen, Deutschland [email protected] Medizinische Klinik m. S. Psychosomatik Charité – Universitätsmedizin Berlin Berlin, Deutschland [email protected]

Per Teigelack LVR-Klinikum Essen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland [email protected]

XVII Herausgeber- und Autorenverzeichnis

Martin Teufel, Prof. Dr.

Tim C. Werner

LVR-Klinikum Essen, Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland [email protected]

Werner Rechtsanwälte Frankfurt am Main, Deutschland [email protected]

Petra Warschburger, Prof. Dr. Department Psychologie, Beratungspsychologie Universität Potsdam Potsdam, Deutschland [email protected]

Rudolf Weiner, Prof. Dr. Klinik für Adipositas-Chirurgie und Metabolische Chirurgie Sana Klinikum Offenbach GmbH Offenbach am Main, Deutschland [email protected]

Beate Wild, Prof. Dr. Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Medizinische Klinik Universitätsklinikum Heidelberg Heidelberg, Deutschland [email protected]

Alfred Wirth, Prof. Dr. Bad Rothenfelde, Deutschland [email protected]



1

Geschichte der Adipositaschirurgie in Deutschland Rudolf Weiner

1.1 Erste Schritte – 2 1.2 Erste Kliniken führen regelhaft Operationen wegen Adipositas durch – 2 1.3 Die minimal-invasive Operationstechnik bringt den Durchbruch – 3 1.4 Langwährende Ablehnung durch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Chirurgen – 4 1.5 Neuere Operationsverfahren – 5 1.6 Das Frankfurter Meeting – 5 1.7 Qualitätsoffensive – 5 1.7.1 Das Register – 5 1.7.2 Zertifizierung – 6 1.7.3 S3-Leitlinie – 6 1.7.4 Fort-und Weiterbildung – 6 1.7.5 Forschung – 6

Literatur – 7

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_1

1

2

1

R. Weiner

1.1  Erste Schritte

Die Chirurgie der Adipositas beginnt erst nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Weiterentwicklung des Fachgebietes und insbesondere der perioperativen Medizin. Die Einführung von besseren Narkoseverfahren, der Antibiotikatherapie und der Infusionstherapie waren wichtige Voraussetzungen. Die Dünndarm-Bypass-Operation, die eine generalisierte Malabsorption zur Folge hat, war die erste Operation, die mit einer Zeitverzögerung von einem Jahrzehnt auch in Deutschland eingeführt wurde. Die Geburtsstunde in den USA war das Jahr 1954, basierend auf den experimentellen Ansätzen von Kremen et al. (1954). Aus einer späteren Publikation von Husemann (2000) geht hervor, dass er insgesamt 288  DünndarmBypass-Operationen durchgeführt hatte. Das künstlich erzeugte Kurzdarmsyndrom hatte allerdings schwere Nebenwirkungen. Zu Recht formulierte der Chirurg Largadier aus Zürich: „Warum soll man aus einem gesunden Dicken einen kranken Dünnen machen.“ Da man das Gewicht als Zielkriterium ansah und Adipositas nicht als Krankheit angesehen wurde, wurden die Eingriffe „bariatrische Operationen“ genannt. Baros bedeutet griechisch Gewicht. Erst Jahrzehnte später wurde der Begriff Adipositaschirurgie eingeführt, weil man auf die Krankheit Adipositas als Therapieoption zielte. Dieser Wandel vollzog sich weltweit. In Deutschland hielt sich der Begriff „Bariatrie“ besonders lang. In der DDR wurde die DünndarmBypass-Operation stark durch polnische Chirurgen beeinflusst, die mit einem größeren Erfahrungsschatz aufwarten konnten. Berichte über Tod durch Leberversagen und viele schwere Komplikationen führten dazu, dass diese Operationen als obsolet eingestuft wurden. Auch heute trifft man Patienten, die in ihrer Vorgeschichte eine DünndarmBypass-Operation hatten und froh waren, diese erhalten zu haben. Die meisten hatten jedoch später Rückverlagerungen hinter sich.

In beiden Teilen des geteilten Deutschlands waren es einzelne Chirurgen in den 70er Jahren, die Menschen mit schwerer Adipositas mit dem Ziel der Gewichtsreduktion operierten. Es ist daran zu erinnern, dass bis in die 80er Jahre Patienten mit Adipositas bei einem Gallensteinleiden mit dem Hinweis nach Hause geschickt wurden, dass sie erst einmal abnehmen sollten, um einen elektiven „offenen“ Eingriff durchführen zu können. Wie das gehen sollte, konnte niemand den Patienten mit auf den Weg geben. Die Laparotomie bei diesen Patienten war gefürchtet, weil nicht nur „Platzbäuche“ und Wundheilungsstörungen, sondern fatale Lungenembolien auftraten. Die Lungenembolien waren damals mit bis zu 1 % Häufigkeit bei Patienten mit schwerer Adipositas eine gefürchtete Komplikation. 1.2  Erste Kliniken führen

regelhaft Operationen wegen Adipositas durch

Nach verschiedenen Variationen der Dünndarm-Bypass-Operationen wurden später in der Bundesrepublik Deutschland die verschiedenen Variationen der vertikalen Gastroplastiken (VGB) zum führenden Verfahren (Modifikationen nach Mason und Eckhout). Es handelte sich in erster Linie um „nichtresektive oder undivided“ Gastroplastiken. Die McLean-Technik (Durchtrennung der Magenwand) wurde ebenso wie die MillMagenstrasse-Operation in Deutschland nicht eingesetzt. Die Entwicklung einzelner Kliniken auf diesem Gebiet wurde teilweise publiziert und kann nachgelesen werden (Bröhl 2003; Gärtner et al. 2008). Bernhard Husemann (Erlangen, später Düsseldorf), Hans Werner Kuhlmann (Dinslaken), Frank Bröhl (Osnabrück) und Günter Kieninger (Bad Cannstadt) zählten zu den Pionieren. Die Operationsfrequenz war allerdings in Deutschland, insbesondere im Vergleich zu

1 · Geschichte der Adipositaschirurgie in Deutschland

den USA, aber auch zu anderen europäischen Ländern, schon damals gering. In Belgien wurden rasch mehrere tausend VGB durchgeführt. In Deutschland blieben die Serien meist klein. Als das Magenband die VBG verdrängte, hatte allein Emanuel Hell in dem kleinen Krankenhaus Hallein bei Salzburg in Österreich mehr als 1000 Operationen durchgeführt. Über die in Erlangen von Bernhard Husemann durchgeführten Magenbypassoperationen konnten auch nach 23  Jahren nachhaltige Effekte auf Komorbiditäten und ein noch immer deutlicher Gewichtsverlust beschrieben werden (Günther et al. 2006). Aus der Arbeit wird ersichtlich, dass damals in Erlangen 195 offene Magenbypassoperationen und horizontale Gastroplastiken durchgeführt worden waren. 1.3  Die minimal-invasive

Operationstechnik bringt den Durchbruch

Der Dammbruch kam mit der Einführung der Laparoskopie (Bauchspiegelung) zu Beginn der 90er Jahre. Optiken waren frühzeitig schon vorhanden, doch die Entwicklung der Gasinsufflatoren durch Wüst machte die permanente Darstellung des Bauchraumes möglich. Die ersten Cholezystektomien 1985 durch Erich Mühe (Böblingen) (Reynolds Jr 2001) und die legendäre Appendektomie 1982 durch den Gynäkologen Kurt Semm (Kiel) (Semm 1983) machten die deutschen Chirurgen zumindest posthum zu Pionieren der minimalinvasiven Chirurgie. Mit der von deutschen Ordinarien damals als „Micky-Maus-Chirurgie“ bezeichneten Technik begann man 1992/1993 in Belgien mit der Implantation von steuerbaren Magenbändern. Lubomyr Kuzmak hatte das steuerbare Band entwickelt und 1983 erstmals in den USA mittels Laparotomie eingesetzt. Die ersten Chirurgen in Europa waren 1992 Guy Bernard Cadiere (Brüssel, B ­ elgien) gefolgt von Mitiku Belachev (Huy, Belgien).

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Deutschland folgte ungewöhnlich rasch 1993/1994 (Kunath in Berlin, Weiner in Frankfurt am Main). Die ersten Implantationen eines steuerbaren Magenbandes in Frankfurt wurden durch Dag Arvidson (Norwegen) und Peter Forsell (Schweden) begleitet. Dag Halberg und Peter Forsell waren die Entwickler des „Europäischen Magenbandes“, dem Swedish Adjustable Gastric Band (SAGB), das sich dann auch in Deutschland verbreitete. Es entstand eine Monokultur von Magenbandoperationen, die durch wenige einzelne laparoskopische Gastroplastiken durch Klose (Volkach am Main) und Bröhl (Osnabrück) ergänzt wurde. Das Verfahren konnte sich jedoch auch in laparoskopischer Technik nicht durchsetzen. 1994 führte Alan Wittgrove (USA) den ersten Roux-en-Y-Magenbypass laparoskopisch durch. In Europa war Hans Lönroth (Götheburg, Schweden) derjenige, der die erste Serie 1996 publizierte. Lönroth war es auch, der die ersten Bypassoperationen des Autors im Jahre 2001 in Frankfurt am Main begleitete. Zuvor hatte Michael Korenkov in Köln die ersten 5 Magenbypässe operiert. Damit war auch das Ende der „Band-Ära“ eingeleitet. Die ersten telemetrisch steuerbaren Magenbänder wurden im Rahmen einer weltweiten Studie auch in Mainz (Korenkov) und Frankfurt (Weiner) eingesetzt. 2002 erfolgten in Frankfurt ebenfalls die ersten laparoskopischen Durchführungen von biliopankreatischen Diversionen mit Duodenalswitch (BPD-DS) und biliopankreatischen Diversionen nach Scopinaro. Jetzt war der Abstand zu den USA geringer geworden, denn 1999 hatte Michael Gagner die erste BPD-DS-Operation im Mount Sinai Krankenhaus in New York durchgeführt. 2004 wurden die ersten MGB/ OAGB-Operationen in Frankfurt durchgeführt. Die Bezeichnung war anfangs Omega-Loop-Magenbypass oder Billroth-I-Variante. International setzten sich die Begriffe Mini-Gastric-Bypass (MGB) und One-Anastomosis Gastric Bypass (OAGB)

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R. Weiner

schwer durch. Bereits 1997 war in den USA der Ein-Anastomosen-Magenbypass von Robert Rutledge durchgeführt worden, der für den Eingriff die Bezeichnung „minimalinvasiver Magenbypass“ wählte. In Stuttgart (Klinikum Bad Cannstadt) wurden seit 1983 adipositaschirurgische Eingriffe durch Günther Kieninger vorgenommen. In 20 Jahren wurden insgesamt 1041 Operationen durchgeführt, darunter seit 2003 auch laparoskopische Magenbandimplantationen in einer Häufigkeit von durchschnittlich 50 pro Jahr. Der späte Start laparoskopischer Operationen – 10  Jahre nach der Einführung der laparoskopischen Magenbandimplantation in Deutschland – war dadurch bedingt, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) nur offene Operationen in diesem Klinikum ermöglichte. Wer minimalinvasiv operiert werden wollte, musste das Bundesland verlassen. Die Krankenhausverweildauer betrug in Stuttgart durchschnittlich 14,7  ±  5,1 Tage bei den konventionellen Eingriffen gegenüber 6,7 ± 4,2 Tagen bei den nachfolgenden laparoskopischen Eingriffen. Das sind historische Daten, die durch die Finanzierung der Operation über Tagessätze zu erklären sind. Die 30-Tage-Mortalität lag bei 0,8 % versus 0,0 % für die MIC-Operationen. Frühe postoperative Komplikationen traten in 16,9 % versus 7,8 % der Fälle auf. Diese Daten zeigen sehr klar die positive Entwicklung, die durch die laparoskopischen Operationstechniken möglich wurde (Gärtner et al. 2008). 1.4  Langwährende Ablehnung

durch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Chirurgen

Adipositaschirurgie hatte in Deutschland einen besonders schweren Stand, weil die Gemeinschaft der Chirurgen diese Art von Operationen ablehnte. Hinzu kam, dass Adipositas als Krankheit nicht anerkannt wurde.

Bereits 1998 wurde der erste Antrag auf Bildung einer Arbeitsgemeinschaft gestellt, der allerdings von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) abgelehnt wurde. Um international vertreten zu sein, gründete Bernhard Husemann (Düsseldorf) eine eigene Gesellschaft für Adipositaschirurgie e. V. Erst im Jahre 2006 unter Präsidentschaft von Heinz Buhr (Berlin) gelang der Durchbruch. Die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Adipositastherapie und metabolische Chirurgie (CAADIP) wurde am 2. Mai 2007 anlässlich der 124. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) auf Beschluss der Präsidien der DGCH und der DGAV in München gegründet. Der erste Vorstand bestand aus Rudolf Weiner (Frankfurt), Thomas Horbach (Schwabach), Günter Meyer (München), Thomas Manger und Christine Stroh (beide Gera). Auf den Chirurgenkongressen gab es nun auch Adipositassitzungen. Ein Höhepunkt war die Verleihung des Awards des British Journal of Surgery an Henry Buchwald im Jahre 2010 in München für seine POSCH-Studie (Program on Surgical Control of Hyperlipidemias; Buchwald et al. 1990, 2001). Diese Studienergebnisse veranlassten Henry Buchwald bereits in den 70er Jahren, den Begriff „metabolische Chirurgie“ zu wählen. Auf dem Jahreskongress 2016 war die Adipositaschirurgie immerhin in 5 Sitzungen sowohl interdisziplinär als auch chirurgisch vertreten. Damit war auch dieses Gebiet der Viszeralchirurgie in Deutschland angekommen. Die notwendigen Selbsthilfegruppen haben sich in Verbänden zusammengeschlossen, nehmen aktiv an den Fachtagungen teil und geben eigene Journale und Jahresbücher heraus. Durch zahlreiche Publikationen und Preise hat sich Deutschland in die internationale Gemeinschaft eingefügt. Im Editorial Board von Obesity Surgery finden sich deutsche Kollegen und der Kreis der Gutachter hat sich vergrößert. Die International Federation for the Surgery of Obesity and Metabolic Disorders (IFSO) wurde bereits 1995 gegründet, seit 1996 gibt es regelmäßige internationale

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1 · Geschichte der Adipositaschirurgie in Deutschland

­ eetings. Der IFSO-Posterpreis wurde 2006 M in Maastricht (Niederlande) an Sylvia Weiner, 2011 in Hamburg (Deutschland) an Susanne Richter und 2013 in Istanbul (Türkei) an Rudolf Weiner und Team verliehen. Das IFSO-Scholarship 2016 ging an Felix Nickel Billeter aus Heidelberg. Der 16. Weltkongress der IFSO fand 2011 in Hamburg statt. Rudolf Weiner hatte die Präsidentschaft für die Europäische Gesellschaft von 2010–2012 und die Präsidentschaft der IFSO von 2014–2015 inne; das sind Meilensteine für die Adipositaschirurgie Deutschlands. 1.5  Neuere Operationsverfahren

Bereits 2004 wurden die ersten Mini-Gastric-Bypass-Operationen durchgeführt. Das OPS-Code-System bei Einführung des DRGSystems erfasste damals weitsichtig alle Opera­ tionstechniken, darunter auch den Magenbypass in seinen Varianten RNYGB und MGB. Sie wurden allerdings, der deutsch-österreichischen Medizingeschichte verpflichtet, als Billroth I und Billroth II in Klammern unterschieden. In den 90er Jahren tauchten die ersten Versuche auf, durch Elektrostimulation die Nahrungsaufnahme zu limitieren (IGS-System), gefolgt von Ansätzen, den Diabetes mellitus Typ 2 zu beeinflussen (Tantalus-System), bis hin zur Selbstkontrolle der Nahrungsaufnahme durch Registrierung von Elektrosignalen nach Nahrungsaufnahmen. Alle Ansätze scheiterten jedoch an der Situation, dass in der glatten Muskulatur des Verdauungstraktes keine Reiz- oder Signalfortleitung möglich ist und die Elektroden rasch eine hohe Impedanz aufweisen. Die „bariatrische Endoskopie“ ist ein neues Spezialgebiet, das insbesondere in den letzten Jahren seit 2012 durch Entwicklung von endoskopischen Nahttechniken einen neuen Indikationsbereich entwickelt hat. Die endoskopische Durchführung der Schlauchmagenoperation (Endosleeve) und die ­ Einengung erweiterter Anastomosen nach Magenbypassoperationen durch Overstich-Nähte

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sind die ersten erfolgreichen Anwendungen. Der „Endobarrier“ (Duodenalschlauch) zur Diabetes-Therapie mag einen sinnvollen ­ patho­ physiologischen Mechanismus darstellen, allerdings wird er erst dann Verbreitung finden, wenn das Ankersystem anders gestaltet werden kann, führte doch die Metal­lverankerung im Duodenum häufig zu Perforationen. 1.6  Das Frankfurter Meeting

Die Entwicklung der Adipositaschirurgie in Deutschland ist eng mit dem Frankfurter Meeting verbunden.1998 fand das erste Frankfurter Meeting für laparoskopische Adipositaschirurgie in der Messe Frankfurt statt, das unter dem Logo der CAES (Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie und Sonographie) und später auch CAMIC (Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für minimal-invasive Chirurgie) der DGAV firmierte. Immerhin nahmen 50 Chirurgen teil. Das Meeting im Jahr 2016, das gemeinsam mit der Jahrestagung der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) ausgerichtet wurde, erreichte mit über 1000 Teilnehmern aus 43 Ländern einen vorläufigen Höhepunkt in Deutschland. 1.7  Qualitätsoffensive

Die CAADIP gilt als Musterarbeitsgemeinschaft, die alle Säulen der Qualitätsoffensive der DGAV mit errichtet hat: Register mit Benchmarking, S3-Leitlinie, ein Zertifizierungssystem und ein strukturiertes und modulares Fort- und Weiterbildungssystem. 1.7.1  Das Register

Ab 2005 wurden in einer Pilotstudie die Daten der Adipositaschirurgie in ein zentrales Register im An-Institut Magdeburg eingegeben

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1

R. Weiner

(Studienleitung Christine Stroh), welches sich in den kommenden Jahren zu einem international bekannten Register entwickelte, aus dem zahlreiche Publikationen hervorgingen. Die DGAV entwickelte in den letzten Jahren das Studoc-System, das in den Händen der Fachgesellschaft DGAV fachübergreifend Datenanalysen zulässt, die auch den gewachsenen Datenschutzansprüchen genügen. Dateneingabe, Benchmarking und Zertifizierung sind eng miteinander verbunden. Die Datensammlung im Studoc-System für verschiedene Fachgebiete (Adipositas, Onkologie u. a.) besitzt alle Voraussetzungen für eine hochwertige Versorgungsforschung. Die CAADIP konnte allerdings eine nahtlose Vereinigung beider Studienregister (AN-Institut Magdeburg) und Studoc (DGAV) nicht erreichen, sodass gegenwärtig noch zwei Register genutzt werden. Eine Verlinkung der Daten vergangener Jahre ist im Hinblick auf Langzeitergebnisse anzustreben. Dazu ist jedoch eine Nachuntersuchungsrate von mehr als 70 % notwendig, um wissenschaftlich verwertbare Daten zu erhalten, was nicht selten an der Finanzierung dieser Katamnesestudien scheitert. 1.7.2  Zertifizierung

Das von Stefan Post (Mannheim) für die DGAV aufgestellte Grundgerüst zur Zertifizierung wurde rasch von der CAADIP aufgegriffen. 2012 waren es noch 6 Referenzzentren und 26  Kompetenzzentren für Adipositaschirurgie. Im Jahre 2016 wurde erstmals die Zahl von 45 zertifizierten Zentren erreicht, davon 29 als Kompetenz- und 13 als Referenzzentren. 2018 waren es bereits 56 zertifizierte Zentren. Die höchste Stufe als Exzellenzzentren wurde in 3 Kliniken erreicht. 1.7.3  S3-Leitlinie

Die erste S3-Leitlinie der DGVA in der AWMF war die zur Adipositaschirurgie, die

interdisziplinär unter Leitung von Norbert Runkel (Villingen-Schwenningen) entwickelt wurde. Sie wurde nach der S3-Leitlinie der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG), an der die CAADIP maßgeblich unter Leitung von Mario Colombo-Benkmann (Münster) mitwirkte, ein wichtiges Instrument, um die Chirurgie in das Spektrum akzeptierter Behandlungsverfahren der Adipositas einzuführen. Die DGVA Leitlinie ist aktuell unter der Leitung von Arne Dietrich (Leipzig) revidiert worden und steht seit März 2018 auf der AWMF Homepage zur Verfügung. 1.7.4  Fort-und Weiterbildung

Das von der DGAV entwickelte Programm bezieht die Adipositaschirurgie auch für die mittleren medizinischen Fachkräfte mit ein. Der Nachweis der fachspezifischen Fortbildungs­ punkte ist Grundvoraussetzung für die Zertifizierung und war anfangs ein Stolperstein für einige Antragsteller. Diese Situation gehört weitgehend der Vergangenheit an. Vielfältige Kurse einschließlich von Tieroperationskursen trugen zur Ausbildung einer neuen Generation von Adipositaschirurgen bei. 1.7.5  Forschung

Mit den Chirurgischen Forschungstagen „Bariatrie“ am 13.und 14.11.2015 in Leipzig unter Leitung von Arne Dietrich wurden neue Wege beschritten, die Forschung auch außerhalb des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) Adipositas-Erkrankungen zu stimulieren. Das IFB erforscht und behandelt krankhaftes Übergewicht (Adipositas) und seine begleitenden Erkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Es ist ein gemeinsames Zentrum der Universität und des Universitätsklinikums Leipzig – gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. An der Chirurgischen Klinik wurde durch eine Stiftungsprofessur die operative

1 · Geschichte der Adipositaschirurgie in Deutschland

Behandlung etabliert, die interdisziplinär mit dem IBF vernetzt ist. Die Adipositaschirurgie hat sich auch nach Widerständen in Deutschland zu einem zentralen Aufgabengebiet der Viszeralchirurgie entwickelt. Es wird insbesondere durch die Chirurgie wahrgenommen, dass Adipositas gefährlicher sein kann als Krebs. Während man durch individualisierte Therapieformen viele Krebsarten heute heilen kann bzw. man mit Krebs lange leben kann, bleibt Adipositas weitgehend inkurabel. Die Chirurgie kann eine drastische Gewichtsreduktion und -stabilisierung sowie simultane Besserung vieler Komorbiditäten erreichen. Eine kausale Therapie der Adipositas ist in absehbarer Zeit wahrscheinlich nicht möglich, von daher ist die Prävention der Erkrankung die einzig richtige Lösung.

Literatur Bröhl F (2003) Die laparoskopische vertikale Magenseparation – ein neuer Zugangsweg für ein Standardverfahren. Chir Gastroenterol 19:41–45

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1

Buchwald H, Varco RL, Matts JP, Long JM, Fitch LL, Campbell GS, Pearce MB, Yellin AE, Edmiston WA, Smink Jr RD et al (1990) Program on the surgical control of the hyperlipidemias. Effect of partial ileal bypass surgery on mortality and morbidity from coronary heart disease in patients with hypercholesterolemia. N Engl J Med 323(14):946–955 Buchwald H, Boen JR, Nguyen PA, Williams SE, Matts JP (2001) Plasma lipids and cardiovascular risk: a posch report. Atherosclerosis 154:221–227 Gärtner D, Guhl M, Münz K, Hornung A, Hinderer J, Kieninger G, Hesse U (2008) 20 Jahre Erfahrung mit Bariatrischer Chirurgie in einem Versorgungskrankenhaus. Chirurg 79(9):868–873 Günther K, Vollmuth J, Weissbach R, Hohenberger W, Husemann B, Horbach T (2006) Weight reduction after an early version of the open gastric bypass for morbid obesity: results after 23 years. Obes Surg 16(3):288–296 Husemann B (2000) 20 Jahre Dünndarmbypasschirurgie. Was bleibt? Chirurg 71:134–139 Kremen A, Linner L, Nelson C (1954) An experimental evaluation of the nutritional importance of proximal and distal small intestine. Ann Surg ­ 140:439–444 Reynolds W Jr (2001) The first laparoscopic cholecystectomy. J Soc Laparoendosc Surg 5:89–94 Semm K (1983) Endoscopic appendectomy. Endoscopy 15:59–64

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Körperliche Komplikationen der Adipositas Alfred Wirth

2.1 Einleitung – 11 2.2 Adipös und gesund? – 11 2.3 Metabolisches Syndrom – 14 2.4 Diabetes mellitus – 15 2.5 Herz-Kreislauf-System – 16 2.5.1 Hypertonie – 17 2.5.2 Koronare Herzkrankheit (KHK) – 18 2.5.3 Herzinsuffizienz – 19 2.5.4 Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke (TIA) – 20

2.6 Respiratorisches System – 20 2.6.1 Obstruktive Schlaf-Apnoe (OSA) – 20 2.6.2 Adipositas-Hypoventilationssyndrom (OHS) – 21

2.7 Gastrointestinales System – 21 2.7.1 Fettleber – 21 2.7.2 Gastroösophagealer Reflux („gastro esophageal reflux disease“ GERD) – 22 2.7.3 Gallensteine – 22

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_2

2

2.8 Harninkontinenz – 23 2.9 Orthopädische Erkrankungen – 24 2.9.1 Kniegelenk – 25 2.9.2 Hüftgelenk – 25 2.9.3 Rücken/Wirbelsäule – 26

2.10 Effekte der Gewichtsreduktion – 26 Literatur – 26

2 · Körperliche Komplikationen der Adipositas

2.1  Einleitung

Die Adipositas ist mit vielen Krankheiten assoziiert, da eine Reihe von Faktoren die Entstehung von Krankheiten begünstigen: Eine erhöhte Fettgewebsmasse führt zu statischen Problemen am Bewegungsapparat und zur Verdrängung von Organen im Abdomen, zudem produziert das Fettgewebe Hormone und Produkte, die über den Intermediärstoffwechsel Stoffwechselkrankheiten induzieren können. In . Tab. 2.1 sind die wichtigsten adipositasassoziierten Krankheiten gelistet, die bei Adipositas auftreten können. Die Assoziation der einzelnen Folgekrankheiten mit der Adipositas ist unterschiedlich stark. Der Diabetes mellitus Typ 2, die Cholezystolithiasis, Fettstoffwechselstörungen, die Insulinresistenz und die Schlafapnoe kommen bei Adipösen im Vergleich zu Normalgewichten > 3-mal häufiger vor. Mehr als 2-fach erhöht ist das Risiko für eine koronare Herzkrankheit, eine Hypertonie, Arthrosen (Knieund Hüftgelenk) sowie eine Hyperurikämie/ Gicht. Die Entstehung von Folgekrankheiten bei Adipositas hängt v. a. von Ausmaß und Dauer der Adipositas sowie von der Fettverteilung (subkutan, viszeral, ektopisch) ab. Die Adipositas und ihre Folgen entsprechen nach internationalen Kriterien einer Krankheit, für deren Annahme Voraussetzungen erfüllt sein müssen: Ätiologie, Pathologie und Pathophysiologie (Wirth 2007). Die Ätiologie der Adipositas ist mit der Imbalance von Energieaufnahme und Energieverbrauch klar definiert. Ursachen sind hyperenergetische Ernährung, körperliche Inaktivität, Essstörungen u. a. Die Pathologie der Adipositas besteht in Fettdepots, die subkutan, viszeral oder in Organen (z. B. Leber, Muskel, Herz, Pankreas) vorhanden sind. Die Pathophysiologie wurde in den vergangenen 25 Jahren gut, wenn auch nur teilweise aufgeklärt. Es sind v. a. Produkte des Fettgewebes, die hormonelle und metabolische Krankheiten begünstigen und die Immunität schwächen (z. B. Typ-2-Diabetes, polyzystisches Ovarsyndrom). Hinzu kommen

11

2

statische Beeinträchtigungen durch die vermehrte Körpermasse (z. B. Gonarthrose) oder Druckbelastung von Organen (z. B. Refluxösophagitis, Harninkontinenz). 2.2  Adipös und gesund?

Wenngleich, wie oben geschildert, es viele Faktoren gibt, durch die ein vermehrtes Körperfett Krankheiten induzieren kann, gibt es zweifelsohne auch Betroffene, die ein Leben lang keine Folgekrankheiten entwickeln. Auch nicht jeder Diabetiker und Hypertoniker erleidet Folgeschäden. Wie die meisten Menschen beurteilen auch Adipöse ihren Gesundheitszustand subjektiv hinsichtlich Befindlichkeit und Beschwerden. Fühlen sie sich „wohl“, gehen sie üblicherweise nicht von einer zukünftigen gesundheitlichen Bedrohung aus. Ein Entschluss zur Änderung ihrer Gesundheitssituation z. B. durch Änderung ihres Lebensstils zur Prävention von adipositas-assozierten Krankheiten gelingt ­ dann in der Regel nicht. Neben dieser Selbsteinschätzung ist auch die objektive Beurteilung bei Verwendung des BMI kritisch zu sehen. Da in die Berechnung des Quotienten nur das Körpergewicht und die Körperlänge eingehen und nicht die Körperzusammensetzung, werden viele Personen mit einem hohen Muskelanteil einem hohen BMI-Wert zugeordnet, was nicht krankheitsadäquat ist, da z.  B. ein hoher Muskelanteil mit geringerer Sterblichkeit assoziiert ist. Zur Beurteilung der Morbidität und möglicherweise auch der Mortalität wären Parameter wie das Gesamtkörperfett, das viszerale oder das ektope Fett sicherlich besser geeignet, da insbesondere die letzten beiden Größen eng mit metabolischen Störungen korrelieren, wenngleich sie nur ca. 15 % der Fettmasse ausmachen. Zur Beurteilung, ob jemand adipös und metabolisch gesund ist („obese and metabolically healthy“) gab es in den letzten Jahren viele Untersuchungen; zur Klassifizierung „gesund“ forderte man üblicherweise die

12

A. Wirth

. Tab. 2.1  Häufig mit Adipositas assoziierte Krankheiten

2

1

Körperfunktion, Körperteil

Krankheit

Kardiovaskuläres System

Hypertonie Koronare Herzkrankheit Linksventrikuläre Hypertrophie Herzinsuffizienz Venöse Insuffizienz

2

Metabolische und hormonelle Funktion

Diabetes mellitus Typ 2 Dyslipidämien Hyperurikämie Testosteronstörungen Hyperandrogenämie Polyzystisches Ovarsyndrom

3

Hämostasestörung

Hyperfibrinogenämie Erhöhter Plasminogen-Aktivator-Inhibitor-1

4

Respiratorisches System

Schlafapnoe Hypoventilationssyndrom Gastrointestinales System

5

Gastrointestinales System

Cholezystolithiasis Fettleber Refluxösophagitis

6

Bewegungsapparat

Gon- und Koxarthrose Wirbelsäulensyndrome Sprunggelenksarthrose Fersensporn

7

Haut

Intertrigo Hirsutismus, Striae

8

Neoplasien

Erhöhtes Risiko für Mamma-, Endometrium-, Zervix-, Prostata-, Nierenzell-, Kolon-, Leberzell- und Gallenblasenkarzinom

9

Sexualfunktion

Reduzierte Fertilität Komplikationen bei Geburt und post partum Polyzystisches Ovarsyndrom

10

Verschiedenes

Pseudotumor cerebri

13

2 · Körperliche Komplikationen der Adipositas

Abwesenheit eines metabolischen Syndroms (. Abb. 2.3), in einigen Studien zog man zusätzlich eine Insulinresistenz zur Beurteilung hinzu. Da keine Definition von metabolisch gesunder Adipositas vorhanden ist, wundert es auch nicht, dass die Häufigkeit in den einzelnen Studien weit streut. In einer schwedischen Studie wurde das systematisch untersucht: Die Prävalenz betrug bei Frauen 11,4–57,5 % und bei Männern 3,3–43,1 % (Velho et al. 2010). Fast alle Untersuchungen zeigen, dass die Abwesenheit von Faktoren des metabolischen Syndroms sich schon nach einigen Jahren ändert. Ein Kollektiv mit 2352 Personen im Alter von 40–69 Jahren wurde alle 2 Jahre über insgesamt 8 Jahre untersucht (Lee et al. 2013). Bereits nach 2 Jahren waren von den gesunden Adipösen 30 % nicht mehr „gesund“, und nach 8 Jahren waren es schon 55 % (. Abb. 2.1). Aber nicht nur metabolische Probleme treten bei als „gesund“ klassifizierten Adipösen im Vergleich zu Normalgewichtigen häufiger auf, auch kardiovaskuläre Erkrankungen stellen sich häufiger ein, und das Risiko für Sterblichkeit ist erhöht. In einer 30-jährigen Beobachtung wurden kardiovaskuläre Ereignisse (Myokardinfarkt,

Schlaganfall, Herzinsuffizienz) erfasst (­Ärnlöv et  al. 2010). Bei Abwesenheit eines metabolischen Syndroms hatten Adipöse im Vergleich zu Normalgewichtigen ein 2-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Krankheiten. Zur Mortalität liegt eine Metaanalyse vor, die für den metabolisch gesunden Adipösen ein erhöhtes Risiko von 24 % ausweist (Kramer et al. 2013). Die vorliegenden Daten, insbesondere die neueren, zeigen, dass eine Adipositas ohne metabolische Störungen kein benigner Zustand ist, sondern mit einer beachtlichen Morbidität und Mortalität einhergeht. Das Problem bei der derzeitigen Sachlage liegt v. a. daran, dass die Charakterisierung des metabolischen Status mit Komponenten des metabolischen Syndroms und der Insulinresistenz nicht ausreichend ist. In diese Beurteilung gehen z. B. die Produkte des Fettgewebes nicht ein. Der „gesunde Adipöse“ existiert sicherlich, wir können ihn nur – noch – nicht verlässlich diagnostizieren. Im Folgenden werden Folgekrankheiten der Adipositas dargestellt, die eng mit dem Ausmaß des Übergewichts korrelieren, sich

100%

Anteil am Kollektiv

90% 80%

n-g a

70%

n-g ü

60%

n-g n

50%

ga

40%



30%

gn

20% 10% 0%

zu Beginn

2

nach 2 Jahren

nach 8 Jahren

g-n = gesund normalgewichtig; g-ü = gesund übergewichtig; g-a = gesund-adipöse; n-g n = normalgewichtig; n-g ü = übergewichtig; n-g a = nicht-gesund adipös

. Abb. 2.1  Normgewichtige, Übergewichtige und Adipöse: Veränderungen in 8 Jahren hinsichtlich „metabolisch gesund“ oder „metabolisch nicht-gesund“ (Lee et al. 2013)

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2

A. Wirth

besonders bei höheren Adipositasgraden manifestieren und mit einem erheblichen gesundheitlichen Risiko hinsichtlich Morbidität und Mortalität einhergehen und/oder die Lebensqualität deutlich beinträchtigen. Viele werden daher nicht erwähnt (. Tab. 2.1). 2.3  Metabolisches Syndrom

Mit dem Begriff „metabolisches Syndrom“ (MetS) bezeichnet man einen Cluster von Risikofaktoren für atherosklerotische Krankheiten. Für dieses Syndrom existieren mehrere Definitionen. Im Jahr 2009 wurde eine Harmonisierung durch verschiedene Fachgesellschaftern erreicht (Alberti et al. 2009). Das National Cholesterol Education Program, Adult Treatment Panel III (NCEP ATP III) und die International Diabetes Federation (IDF) einigten sich auf eine Definition mit geringen Unterschieden (. Tab. 2.2). Die Definitionen differieren hinsichtlich der Grenzwerte für den Taillenumfang, die beim IDF deutlich niedriger liegen. In Studien zur Prävalenz des MetS liefert die IDF-Definition um ca. 25 % höhere Ergebnisse.

Gefordert wird von den Fachgesellschaften nicht ein erhöhter BMI, sondern ein erhöhter Taillenumfang. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass der Taillenumfang mit kardiovaskulären Risikofaktoren besser korreliert als der BMI. Der Taillenumfang ist ein relativ gutes Maß für die Masse an viszeralem Fett. Dieses Fettkompartment mit einem Anteil von 5–10  % der Gesamtfettmasse nimmt aufgrund seiner Lokalisation (z. B. venöse Drainage in die Pfortader) und seiner biochemischen Eigenschaften eine Sonderrolle ein. In einer Befragung von 1511 zufällig ausgewählten Hausarztpraxen in D ­eutschland (GEMCAS) stellte man nach der NCEP ATP III-Definition eine Prävalenz des MetS bei Frauen und Männern von 21  % fest (Moebus et al. 2008). Internationale Studien ergaben ebenfalls keinen Geschlechtsunterschied. In den Bundesländern zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede mit niedrigen Prävalenzen in den Städten (­ Hamburg 18 %) und hohen in ländlichen Regionen (­ Mecklenburg-Vorpommern 26  %). Eine Stichprobe nach einem zweistufigen Clusterverfahren in Mecklenburg-Vorpommern

. Tab. 2.2  Definition des metabolischen Syndroms nach Kriterien des National Cholesterol Education Program, Adult Treatment Panel III (NCEP ATP III) und der International Diabetes Federation (IDF). (Adapt. nach Alberti et al. 2009) Definitionen

AHA/NHLBI

IDF

Bewertung der Komponenten

≥ 3 der unten stehenden Risikofaktoren

≥ 3 der unten stehenden Risikofaktoren

Taillenumfang

Männer

≥ 102 cm

> 94 cm

Frauen

≥ 88 cm

> 80 cm

≥ 150 mg/dl (oder Lipidsenker)

> 150 mg/dl (1,7 mmol/l)

Männer

 35 kg/m2 ein um das 23,4-Fache bzw. um das 19,4-Fache erhöhtes Diabetesrisiko (Field et al. 2011). Die Entstehung eines T2DM bei Adipositas ist ähnlich wie die Entwicklung eines metabolischen Syndroms. Die Genetik spielt

16

A. Wirth

. Tab. 2.3  Inzidenz eines Typ-2 Diabetes mellitus bei 7814 Probanden der MONICA-Augsburg Studie innerhalb von 9,2 Jahren hinsichtlich der Körperkomposition. (Adapt. nach Meisinger et al. 2006)

2

Männer BMI (kg/m2)

Frauen Hazard ratio

Quartile

BMI (kg/m2) Quartile

Hazard ratio

 60 Jahre) betrug die Häufigkeit von Schmerzen im Hüftgelenk bei Teilnehmern mit einem BMI von 18,5–25,0 kg/m2 12,4 % und verdoppelte sich auf 23,3 % bei einem BMI von > 40 kg/ m2 (Andersen et  al. 2003). Etwas jünger (> 40 Jahre) waren Patienten, die in Spanien in Praxen von Allgemeinärzten untersucht und über 4,5 Jahre beobachtet wurden (Reyes et al. 2016). Das Risiko für die Entwicklung einer

Männer

22.5

2

Frauen

25

30

35

BMI (kg/m2)

. Abb. 2.7  Risiko für die Entwicklung einer Kniegelenksarthrose bei Frauen und Männern. Metaanalyse von 12 Studien. Das Risiko bei den BMI-Werten 35 und 37,5 kg/m2 konnte für beide Geschlechter nur gemeinsam berechnet werden (Zhou et al. 2014)

26

2

A. Wirth

Koxarthrose war bei Adipösen Grad 2 im Vergleich zu Normalgewichtigen 2,2-fach erhöht. Das adipositasbedingte Risiko war vom Alter weitgehend unabhängig. 2.9.3  Rücken/Wirbelsäule

Sowohl Quer- als auch Längsschnittstudien zeigen übereinstimmend, dass mit zunehmendem BMI Rückenschmerzen und Schäden an der Wirbelsäule ansteigen. Wird in Studien neben dem BMI auch das Körperfett diagnostisch erfasst, zeigt sich, dass die Körperfettmasse enger mit Beschwerden korreliert als der BMI. Verglich man über 20 Jahre die 4. mit der 1. Quartile hinsichtlich des BMI bzw. des Körperfetts, so stieg das relative Risiko für Rückenschmerzen um 74  % bzw. 112  % an (Hashimoto et al. 2017)- Die Autoren erklären diesen Unterschied damit, dass eine hohe Fettmasse vermehrt inflammatorische Produkte freisetzt. Insbesondere die abdominale Adipositas bedingt eine Ventralisierung des Körperschwerpunkts mit Verstärkung der Brustkyphose und der Hyperlordose, was die Wirbelsäule besonders belastet und schädigen kann. Gezeigt wurde das in der MORGAN-Studie (Han et al. 1997). Eingeteilt in Tertilen stieg das relative Risiko für Rückenschmerzen aufgrund eines zunehmenden BMI von 1,00 über 1,07 bis 1,23 an, aufgrund des Taillenumfangs jedoch von 1,00 über 1,26 bis 1,49. Die neuste Metaanalyse mit 10  Studien errechnet für Übergewicht und Adipositas, beurteilt nach dem BMI, ein relatives Risiko für Rückenschmerzen von 1,15 bzw. 1,36 (Zhang et al. 2018). Zu Bandscheibenschäden (Protrusionen, Vorfällen) und Spinalstenosen gibt es bisher wenige Untersuchungen. Adipöse haben für diese Schäden wahrscheinlich ein ähnlich erhöhtes Risiko wie für Rückenschmerzen.

2.10  Effekte der

Gewichtsreduktion

Auswirkungen einer Gewichtsabnahme auf adipositasassoziierte Krankheiten sind nicht Gegenstand dieses Kapitels. Alle oben erwähnten Krankheiten bessern sich bei Gewichtsreduktion oder werden beseitigt. Bei manchen Krankheiten wirken sich schon wenige Kilogramm positiv auf Beschwerden, Symptome und Funktionszustände aus (z. B. Typ-2-Diabetes), bei einigen bessert sich die Krankheit erst dann merklich, wenn mehr als 10  Kilogramm abgenommen werden (z.  B. Schlafapnoe). Die Effekte einer Gewichtsreduktion werden den Betroffenen im Regelfall nicht oder unzureichend vermittelt, sodass sie eine Gewichtsreduktion oft nicht in Betracht ziehen. Um gewichtsmindernde Auswirkungen zu erzielen, wäre es unerlässlich, dass Kliniken und Praxen eine Adipositastherapie entweder selbst durchführen oder sie in die Wege leiten; das findet äußerst selten statt. Studiert man Informationen im Internet, in Zeitschriften, Fachbüchern, ja selbst in Leitlinien von Fachgesellschaften, werden Effekte einer Gewichtsreduktion nicht oder unzureichend im Vergleich zu einer medikamentösen oder chirurgischen Therapie dargestellt. Eine Gewichtsreduktion würden viele Betroffene, wenn sie hinsichtlich des Effektes korrekt informiert werden, wahrscheinlich in Erwägung ziehen, da sie im Regelfall und bei guter Betreuung nebenwirkungsfrei ist, auch andere adipositasassoziierte Krankheiten bessert und die Lebensqualität steigert, was bei anderen Therapiearten oft nicht gewährleistet ist.

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2 · Körperliche Komplikationen der Adipositas

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Operative Prinzipien Arne Dietrich

3.1 Indikationsstellung – 30 3.1.1 Indikation Adipositaschirurgie – 30 3.1.2 Indikation metabolische Chirurgie – 31 3.1.3 Kontraindikationen für Adipositas- und metabolische Chirurgie – 32

3.2 Operationsverfahren – 32 3.2.1 Allgemeines – 32 3.2.2 Magenband – 33 3.2.3 Schlauchmagen – 36 3.2.4 Proximaler Roux-en-Y-Magenbypass – 38 3.2.5 Omega-Loop-Magenbypass – 41 3.2.6 Biliopankreatische Diversion – 42 3.2.7 Biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch – 43

3.3 Endoskopische Techniken – 46 Literatur – 46

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_3

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A. Dietrich

3.1  Indikationsstellung

3

Bei der Indikationsstellung für die im Folgenden beschriebenen Eingriffe muss man sich festlegen, ob es sich primär um eine adipositaschirurgische oder eine metabolische Operation handelt, auch wenn in beiden Fällen gleiche Eingriffe vorgenommen werden. Unter Adipositaschirurgie versteht man einen operativen Eingriff, bei dem für den Patienten bzw. das Behandlungsteam die Gewichtsreduktion im Vordergrund steht. Durch die Gewichtsreduktion soll natürlich auch eine Verbesserung von Komorbiditäten bzw. deren Prophylaxe und eine Verbesserung der Lebensqualität erreicht werden. Unter metabolischer Chirurgie werden operative Eingriffe summiert, die primär auf die Remission oder Verbesserung eines vorbestehenden Diabetes ­ mellitus Typ 2 (T2DM) abzielen. Adipositaschirurgische bzw. metabolische Eingriffe sollten vorzugsweise in (zertifizierten) Zentren mit entsprechender Expertise vorgenommen werden, die entsprechende Voraussetzungen erfüllen (AMMF 2018). Die Indikationsstellung für einen adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff soll interdisziplinär erfolgen und folgende Teammitglieder beinhalten, die Erfahrung mit der Adipositaschirurgie haben: Chirurg, Internist/ Endokrinologe, Mental Health Professional und Ernährungsfachkraft. Bei metabolischen Eingriffen soll ein Diabetologe involviert sein; bei Adoleszenten ein Pädiater. 3.1.1  Indikation

Adipositaschirurgie

Von einem adipositaschirurgischen Eingriff ist dann zu sprechen, wenn auch bei Koexistenz eines T2DM (Diabetes mellitus Typ 2) für den Patienten und das behandelnde Ärzteteam die Gewichtsreduktion im Mittelpunkt steht bzw. wenn kein T2DM besteht. Nach der aktuellen Leitlinie (S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen; AWMF 2018) ist die Indikation

für einen adipositaschirurgischen Eingriff unter folgenden Bedingungen gegeben: 1. Bei Patienten mit einem BMI ≥ 40 kg/ m2 ohne Begleiterkrankungen und ohne Kontraindikationen nach Erschöpfung der konservativen Therapien und nach umfassender Aufklärung. 2. Patienten mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 mit einer oder mehreren adipositasassoziierten Begleiterkrankungen und nach Erschöpfung der konservativen Therapien: T2DM, koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Hyperlipidämie, arterieller Hypertonie, Nephropathie, obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS), Adipositas-­Hypoventilationssyndrom, Pickwick Syndrom, nichtalkoholische Fettleber (NAFLD) oder nichtalkoholische Fettleberhepatitis (NASH), Pseudotumor cerebri, gastroösophageale Refluxerkrankung (GERD), Asthma bronchiale, chronisch venöse Insuffizienz, Harninkontinenz, immobilisierende Gelenkerkrankung, Einschränkungen der Fertilität, polyzystisches Ovarialsyndrom. 3. Unter bestimmten Umständen kann eine Primärindikation zu einem adipositaschirurgischen Eingriff gestellt werden, ohne dass vorher ein konservativer Therapieversuch erfolgte. Die Primärindikation kann gestellt werden, wenn eine der folgenden Bedingungen gegeben ist: 5 bei Patienten mit einem BMI ≥ 50 kg/ m2, 5 bei Patienten, bei denen ein konservativer Therapieversuch durch das multidisziplinäre Team als nicht erfolgsversprechend bzw. aussichtslos eingestuft wurde, 5 bei Patienten mit besonderer Schwere von Begleit- und Folgeerkrankungen, die keinen Aufschub eines operativen Eingriffs erlauben. Zur Indikationsstellung gemäß den Punkten 1. und 2. wird eine ausgeschöpfte konservative Therapie wie folgt definiert:

31

3 · Operative Prinzipien

5 Zur Indikationsstellung gelten die konservativen Maßnahmen als erschöpft, wenn nach mindestens 6 Monaten umfassender Lebensstilintervention in den letzten zwei Jahren eine Reduktion des Ausgangsgewichts von > 15 % bei einem BMI von 35–39,9 kg/m2 und von > 20 % bei einem BMI über 40 kg/m2 nicht erreicht wurde. 5 Eine Indikation ist auch gegeben, wenn obige Gewichtsreduktion durch konservative Maßnahmen erreicht werden konnte und fortbestehende adipositasassoziierte Erkrankungen durch adipositaschirurgische oder metabolische Operationen weiter verbessert werden können. 5 Erfolgt nach einer erfolgreichen Gewichtsreduktion wieder eine Gewichtzunahme von > 10 %, gilt die konservative Therapie nach einem Jahr ebenfalls als erschöpft. Bei Patienten mit einem BMI von ≥ 40 kg/ m2 und koexistierendem T2DM kann eine Primärindikation im Sinne der metabolischen Chirurgie (7 Abschn. 3.1.2) gestellt werden, wenn als Behandlungsziel die Besserung der glykämischen Stoffwechsellage definiert wird. Die BMI-Grenzen für adipositaschirurgische Eingriffe wurden historisch festgelegt, ohne dass es Evidenz für den BMI ≥  40 kg/m2 bzw. BMI ≥ 35 kg/m2 gibt. Es ist jedoch gesichert, dass Patienten, die sich innerhalb dieser Kriterien einem adipositaschirurgischen Eingriff unterziehen, umfänglicher und nachhaltiger Gewicht abnehmen als nach konservativer Therapie. Auch in Hinblick auf die Verbesserung von adipositasassoziierten Begleiterkrankungen und Lebensqualität sind die Operationen der konservativen Therapie signifikant überlegen (Boido et al. 2015; ­Colquitt et al. 2015). Das fortgeschrittene Lebensalter (≥  65  Jahre) stellt keine Kontraindikation gegen einen adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff dar. Auch ältere Patienten profitieren von den positiven Effekten dieser Operationen, wobei hier die Besserung der Lebensqualität im Vordergrund

3

steht, auch vor dem Hintergrund drohender Immobilität und Pflegebedürftigkeit. Besondere Regelungen gelten für Kinder und Jugendliche, hier verweisen wir auf entsprechende Leitlinien (AWMF 2018). Ein Diabetes mellitus Typ 1, chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa oder eine multiple Sklerose stellen per se keine Kontraindikationen für eine adipositaschirurgische oder metabolische Operation dar. Adipositas kann bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter eine ­ Ursache für Infertilität darstellen, was auch den Operationswunsch bedingen kann. Ein Kinderwunsch stellt keine Kontraindikation gegen adipositaschirurgische oder metabolische Eingriffe dar, jedoch sollte für den Zeitraum der Gewichtsabnahme (ca. 2 Jahre) eine Schwangerschaft konsequent vermieden werden, da sonst die Gefahr der Minderversorgung des Fetus besteht. 3.1.2  Indikation metabolische

Chirurgie

Bezüglich der Indikationsstellung ist dann von einem metabolischen Eingriff zu sprechen, wenn für den Patienten und das behandelnde Ärzteteam die Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage im Mittelpunkt steht. Als man beobachtete, dass es nach adipositaschirurgischen Eingriffen in einem hohen Prozentsatz zur Remission eines vorbestehenden T2DM kommt, wurde der ­ Terminus „metabolische Chirurgie“ eingeführt. Die Verbesserung der glykämischen Stoffwechselsituation tritt meist bereits innerhalb weniger Tage und unabhängig von der Gewichtsreduktion ein. Insbesondere der Magenbypass führt durch die veränderte Nahrungspassage zu einer veränderten intestinalen Hormonfreisetzung, zu Veränderungen von Nahrungspräferenzen, Gallensäurestoffwechsel, Mikrobiom etc., was letztlich unabhängig von der Gewichtsreduktion zu

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A. Dietrich

einer Normalisierung der diabetischen Stoffwechsellage führt. Patienten mit einem BMI ≥ 40  kg/m2 und koexistentem T2DM profitieren bei einem metabolischen Eingriff nicht nur von einer besseren glykämischen Kontrolle bzw. einer Reduktion der antidiabetischen Medikation, sondern auch von der nachhaltigen Gewichtsreduktion. Das Outcome nach metabolischer Chirurgie ist den Ergebnissen nach konservativer Therapie überlegen. Die Indikationsstellung für einen metabolischen Eingriff soll in Zusammenarbeit mit einem Diabetologen erfolgen. Gemäß der aktuellen Amerikanischen Diabetesleitlinie (ADA 2017) bzw. der deutschen Leitlinie (AWMF 2018) kann die Indikation für metabolische Eingriffe wie folgt gestellt werden: 1. Ab einem BMI ≥ 40  kg/m2 und koexistierendem T2DM soll dem Betroffenen eine metabolische Operation als mögliche Therapieoption empfohlen werden, unabhängig von der glykämischen Kontrolle oder der Komplexität der antidiabetischen Medikation. Neben dem antidiabetischen Effekt hat der Patient zusätzlich die positiven Effekte, die durch die nachhaltige Gewichtsreduktion erzielt werden. 2. Betroffenen mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 und Gewichtsbezogene Stigmatisierung

betrifft Menschen mit Adipositas in vielen Lebensbereichen und geht mit psychologischen und medizinischen Beeinträchtigungen einher.

Die Stigmaforschung unterscheidet grundsätzlich drei Ebenen, auf denen Stigmatisierung stattfindet (siehe Corrigan et al. 2009; Puhl und Heuer 2009). 5 Stereotype beschreiben negative Meinungen über eine soziale Gruppe, also stigmatisierende Einstellungen (kognitive Ebene). 5 Die individuelle Bereitschaft einer Person, einem solchen Stereotyp zuzustimmen und/oder negativ (z. B. mit Furcht oder Ärger) auf einen Merkmalsträger zu reagieren, wird als Vorurteil bezeichnet (affektive Ebene). 5 Wenn derartige Einstellungen und Gefühlsreaktionen in einer negativen Verhaltensreaktion münden, spricht man von Diskriminierung (behaviorale Ebene).

5.1.2  Selbststigmatisierung > Werden stigmatisierende Einstellungen,

Gefühle oder Verhaltensweisen von Betroffenen gegenüber der eigenen Person eingenommen oder gezeigt („internalisiert“), spricht man von Selbststigmatisierung.

Das Prozessmodell der Selbststigmatisierung wurde im Hinblick auf psychische Erkrankungen im Allgemeinen entwickelt und beschreibt Entstehung, Aufrechterhaltung und Konsequenzen von internalisierter Stigmatisierung (Corrigan et al. 2009). Drei Phasen der Entstehung von Selbststigmatisierung werden unterschieden: 5 Um Selbststigmatisierung zu zeigen, muss eine Person zunächst die Eigenschaften kennen (engl.: awareness), die ihrer Gruppe von Merkmalsträgern zugeschrieben werden. 5 Außerdem muss die Person den stigmatisierenden Einstellungen zustimmen (engl.: agreement), die mit ihrer Gruppe verbunden sind. 5 Letztlich muss die Person die stigmatisierenden Merkmale auf sich selbst anwenden (engl.: application). Wiederholte Erfahrungen von Stigmatisierung können somit zur Kenntnis des sozialen Stigmas führen. Resultierende Beeinträchtigungen in Selbstwert und Selbstwirksamkeit beeinflussen in der Folge den Zusammenhang zwischen der Internalisierung der Stigmatisierung und der Verringerung zielorientierten Verhaltens (z. B. im Bereich der Inanspruchnahme von Behandlungsangeboten). Die Selbstwirksamkeit bezeichnet dabei die Überzeugung einer Person, in bestimmten Situationen kompetent und erfolgreich agieren zu können (Sheer 2014). Die Entstehung von Selbststigmatisierung lässt sich also anhand einer kognitiven (Kenntnis der Stigmatisierung), einer emotionalen (Verringerung von Selbstwert und Selbstwirksamkeit) und einer

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5 · Adipositas und Stigmatisierung

behavioralen Komponente (Verringerung des zielorientierten Verhaltens) nachvollziehen. Während belastbare Evidenz für den Zusammenhang von Selbststigmatisierung und negativen psychologischen Auswirkungen im Bereich von Adipositas bis hin zur extremen Adipositas besteht (Carels et al. 2010; Durso et  al. 2012a; Roberto et al. 2012), sind bisher nur Teilaspekte des Prozessmodells der Selbststigmatisierung empirisch belegt. Dabei wurde an einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe von 1158 Menschen mit Übergewicht oder Adipositas gezeigt, dass Selbststigmatisierung über einen verringerten Selbstwert den subjektiven Gesundheitszustand beeinträchtigt (Hilbert et  al. 2014b). Weitere Befunde aus derselben Stichprobe zeigen, dass hingegen Mitgefühl für sich selbst (engl. self-compassion) den Zusammenhang zwischen Selbststigmatisierung und negativen Gesundheitsparametern um etwa ein Drittel abmildern kann (Hilbert et al. 2015). In einer Untersuchung an 179 adipositaschirurgischen Patienten war präoperativ verstärkte Selbststigmatisierung zudem mit geringerer Selbstwirksamkeit verbunden (Hübner et al. 2015). Fallbeispiel: Selbststigmatisierung Eine Patientin, die von extremer Adipositas betroffen ist und sich für die chirurgische Adipositastherapie vorstellt, kennt die negativen gewichtsbezogenen Stereotype (awareness), dicke Menschen seien z. B. faul, undiszipliniert und zu willensschwach um abzunehmen. Die wiederholte Konfrontation damit veranlasst sie, diesen Stereotypen zuzustimmen (agreement). Zudem berichtet die Patientin eine Geschichte von wiederholten Diätversuchen im Vorfeld der Operation. Zusätzlich zu der erlebten Stigmatisierung führte das Scheitern derartiger Versuche zu verringertem Selbstwert und verminderter Selbstwirksamkeit. Ihre Schwierigkeiten mit Anpassungen in Ernährungs- und Bewegungsverhalten, die im Zuge der chirurgischen Therapie erforderlich sind, begründet sie mit den der Adipositas angeblich inhärenten

5

stereotypen Merkmalen (application) und setzt in ihrer Frustration wenig Problemlösung zugunsten der Lebensstiländerung ein (z. B. konkretes Planen, kleinschrittiges Vorgehen). Dadurch ist ein ungünstiger Behandlungsverlauf vorprogrammiert, und eine dauerhafte Inanspruchnahme von postoperativer Nachsorge wird unwahrscheinlicher.

Dem bisher geschilderten Stigmatisierungsund Selbststigmatisierungsprozess steht die Beobachtung entgegen, dass eine Untergruppe der von Stigmatisierung betroffenen Personen funktional mit Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung umgeht. Es scheint eine persönliche Stärkung (engl. empowerment) in Bezug auf die individuelle Zielerreichung und funktionale Einstellungen wie Optimismus, Kontrollüberzeugungen, Selbstwert und Selbstwirksamkeit stattzufinden (Corrigan 2002; siehe auch 7 Abschn. 5.3.2). So reagieren Personen, deren persönliche Überzeugungen der Stigmatisierung widersprechen, darauf eher mit Ärger und Reaktanz, anstatt mit einer Internalisierung der Stigmatisierung (Corrigan 2016). Weiterhin kann ein positives Zugehörigkeitsgefühl zu einer stigmatisierten Gruppe mit gestärktem Selbstwert und Selbstwirksamkeitserleben einhergehen (Watson et al. 2007), wobei eine „Ingroup-Präferenz“, also die positive Identifizierung mit der eigenen sozialen Gruppe (Hughes et al. 2015), für Menschen mit Adipositas im Allgemeinen nicht besteht (Brauhardt et al. 2014; Carels et al. 2013, 2014). 5.2  Auftreten und Konsequenzen 5.2.1  Auftreten von

gewichtsbezogener Stigmatisierung

Menschen mit Adipositas sind gewichtsbezogener Stigmatisierung in vielen Lebensbereichen ausgesetzt (z. B. Puhl und King 2013). Stigmatisierende Einstellungen, die Menschen mit Adipositas etwa als faul oder

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5

A. Hilbert und H.-C. Puls

undiszipliniert kennzeichnen, sind in der Bevölkerung westlicher Industrienationen weit verbreitet, sozial anerkannt und werden kaum hinterfragt (Puhl et  al. 2015). Stigmatisierende Einstellungen gegenüber ­ Menschen mit Adipositas treten besonders häufig im Kontext der Überzeugung auf, Adipositas sei allein auf das individuelle Fehlverhalten der Betroffenen zurückzuführen (z. B. ­Hilbert et al. 2008; Luck-Sikorski et al. 2017; Puhl et al. 2015; Puhl und King 2013) und sind damit auch Ausdruck eines reduktionistischen Verständnisses der komplexen, multifaktoriellen Adipositasätiologie, welches genetische Prädispositionen und externe Einflüsse der obesogenen Umwelt vernachlässigt (DAG 2014; Puhl und Heuer 2009). Die Häufigkeit der gewichtsbezogenen Diskriminierungserfahrungen steigt mit der Schwere der Adipositas (Durso et al. 2012b; Mensinger et al. 2016). Somit sind Personen mit extremer Adipositas (Body-Mass-­ Index, BMI ≥ 40 kg/m2) besonders häufig von gewichtsbezogener Stigmatisierung betroffen. Ergebnisse einer bevölkerungsbasierten Untersuchung für den deutschsprachigen Raum bestätigen diese Befunde: Während gewichtsbezogene Diskriminierungserfahrungen von 5,6 % der Personen mit Normal- und Übergewicht berichtet wurden, stieg diese Rate auf 10,2 % für Menschen mit einem BMI  ≥ 30 kg/m2, auf ca. 18,7 % für Menschen mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 und auf 38 % für Menschen mit extremer Adipositas (Sikorski et al. 2016). Auch Patienten vor adipositaschirurgischem Eingriff im Speziellen berichten wiederholte Erfahrungen mit Stigmatisierung (Boero 2012). Zudem ist die Adipositaschirurgie als Methode zur Gewichtsreduktion selbst Gegenstand negativer Einstellungen in verschiedenen Bereichen: So zeigten Untersuchungen an US-amerikanischen Allgemeinärzten in der Primärversorgung, dass diese die Adipositaschirurgie nur zögerlich empfehlen (Sarwer et al. 2012). Auch bei deutschen Allgemeinärzten und Internisten wurden negative Einstellungen gegenüber der Adipositaschirurgie

gefunden (Jung et al. 2016). Solche negativen Einstellungen zeigten sich ebenfalls in der Allgemeinbevölkerung (Sikorski et  al. 2013a), wobei aktuelle Daten für die deutsche Bevölkerung auf eine weitere Verschlechterung der Bewertung der Adipositaschirurgie innerhalb der letzten 5 Jahre hindeuten (Jung et al. 2017). Entsprechend der Einstellung, die Adipositaschirurgie sei der „Weg des geringsten Widerstandes“ und würde ohne große Schwierigkeiten eine einfache Gewichtsreduktion ermöglichen (Vartanian und Fardouly 2013), wurden Patienten postoperativ als fauler, weniger kompetent (Fardouly und Vartanian 2012), undiszipliniert, weniger attraktiv und weniger verantwortlich für ihre Gewichtsreduktion beschrieben (Vartanian und Fardouly 2013). Auch bei Betroffenen mit extremer Adipositas selbst zeigten sich negative Einstellungen gegenüber der Adipositaschirurgie (Courcoulas et al. 2013). Einhergehend mit der Zunahme weltweiter (NCD-RisC 2016) und nationaler Prävalenzraten für Übergewicht und Adipositas (Mensink et al. 2013), zeigte eine bevölkerungsbasierte Studie in den USA einen Anstieg gewichtsbezogener Stigmatisierung von 7 % im Jahr 1996 auf 12 % im Jahr 2006, die damit vergleichbar häufig auftritt wie Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit und Alter (Andreyeva et al. 2008; Tomiyama et al. 2015). Während es unwahrscheinlich ist, dass dieser Anstieg allein auf die erhöhten Prävalenzen von Übergewicht und Adipositas zurückzuführen ist, liefern Studien verschiedene Erklärungsansätze (siehe Brewis 2014, für einen Überblick): Zunächst beruht gewichtsbezogene Stigmatisierung auf der zumeist kaum hinterfragten und fest verankerten kulturellen Normvorstellung, ein Gewichtsanstieg sei v. a. auf individuelles Versagen und ungesunde Lebensführung zurückzuführen (Hilbert et al. 2008). Dazu kommen die wachsende Bedeutung des Körpers zur Bildung der eigenen sozialen Identität und die zunehmende Verbreitung an stigmatisierenden Inhalten in verschiedenen Unterhaltungsmedien (Ata und Thompson 2010).

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5 · Adipositas und Stigmatisierung

Gewichtsbezogene stigmatisierende Einstellungen und Diskriminierung wurden in Bildungseinrichtungen, im Arbeitskontext, in zwischenmenschlichen Beziehungen, in den Medien und in der Gesundheitsversorgung nachgewiesen (Puhl und King 2013); diese hohe Verbreitung bildet den Hintergrund für negative psychologische und medizinische Konsequenzen bei den Betroffenen (Papadopoulos und Brennan 2015).

Jugendalter und Bildung Während eine aktuelle Untersuchung im Rahmen des US-amerikanischen „National Health and Nutrition Examination Surveys“ das Ansteigen der Prävalenzraten für Übergewicht, Adipositas (auf 17 %) und extreme Adipositas (auf ca. 6 %) auch für Kinder und Jugendliche im Alter von 2–19 Jahren belegt (Odgen et al. 2016), wurde dieser Befund auch weltweit beschrieben (de Onis et al. 2010). Übersichtsarbeiten im Bereich der gewichtsbezogenen Stigmatisierung belegen, dass die beschriebenen Vorurteile und diskriminierendes Verhalten bereits bei Kindern und Jugendlichen vorliegen (z. B. Puhl und King 2013). Schon im Alter von 9–11 Jahren wiesen Kinder eine implizite Tendenz zur gewichtsbezogenen Stigmatisierung auf (Skinner et al. 2017). Kinder mit Übergewicht oder Adipositas wurden in der Schule weniger akzeptiert, hatten weniger soziale Kontakte und erfuhren mehr Hänseleien und Mobbing als ihre normalgewichtigen Mitschüler (Krukowski et al. 2009; Lumeng et al. 2010). Jugendliche sahen den Gewichtsstatus als eine der Hauptursachen für Mobbing an (Puhl et al. 2011). In einer großen bevölkerungsbasierten Untersuchung an 5128 US-amerikanischen Jugendlichen der Klassenstufen 6 und 7 berichtete ein Drittel der befragten Schüler mindestens ein Erlebnis mit gewichtsbezogener Stigmatisierung (Juvonen et  al. 2017). Derartige Erfahrungen sagten eine spätere Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, soziale Angst, Einsamkeit und bei den Mädchen somatische Symptome vorher.

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In einer längsschnittlichen Untersuchung mit 644 Schülern, die im Abstand von 2 Jahren zu stigmatisierenden Erfahrungen aller Art und Gesundheitsparametern befragt wurden, zeigte sich nur für gewichtsbezogene Stigmatisierung ein direkter Zusammenhang mit der Selbsteinschätzung der Gesamtgesundheit (Rosenthal et al. 2015). Generell scheinen Kinder und Jugendliche eine besondere Vulnerabilität für negative Auswirkungen gewichtsbezogener Stigmatisierung aufzuweisen (MacLean et al. 2009). Während Studien unterschiedliche Aussagen dazu liefern, ob das Ausmaß des Übergewichts mit der Stärke der Stigmatisierungserfahrungen assoziiert ist, weist eine Metaanalyse darauf hin, dass Kinder und Jugendliche mit extremer Adipositas stärkere gewichtsbezogene Stigmatisierung erleben als jene mit Normal- oder Übergewicht (van Geel et al. 2014). Das Auftreten gewichtsbezogener Stigmatisierung wurde dabei jedoch für alle Gewichtsgruppen dargelegt. In einer qualitativen Studie wurden Jugendliche, deren Adipositas chirurgisch behandelt worden war, und deren Eltern nach den Hauptgründen für die Operation befragt (Willcox et al. 2016). Psychosoziale Faktoren wie soziale Ausgrenzung oder gewichtsbezogene Diskriminierung wurden dabei häufiger genannt als gesundheitliche Aspekte. Auch in dieser Untersuchung zeigten sich stigmatisierende Erfahrungen aufgrund der adipositaschirurgischen Behandlung selbst (7 Abschn. 5.2.1).

Beruf Zwei Metaanalysen auf Basis experimenteller (Roehling et  al. 2013) sowie querschnittlicher Daten belegen (Vanhove und Gordon 2014), dass Menschen mit Übergewicht und Adipositas in allen Phasen des Berufslebens vielfältigen Stigmatisierungserfahrungen ausgesetzt sind. Kandidaten mit Adipositas wurden weniger häufig für Vorstellungsgespräche und Einstellungstests ausgewählt (Giel et al. 2010), und schon

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ein geringer Anstieg des BMI war bei weiblichen Bewerberinnen mit einer Verringerung der Einstellungschancen assoziiert (Nickson et al. 2016), wie zwei experimentelle Studien zeigten. Im Berufsleben werden Menschen mit Übergewicht und Adipositas von ihren Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern als weniger kompetent und weniger ambitioniert sowie als fauler, undisziplinierter, emotional instabiler und äußerlich weniger ansprechend bezeichnet, während eine Überprüfung dieser Annahmen selten erfolgt (Giel et al. 2010). Eine Untersuchung an 574 Patienten vor adipositaschirurgischem Eingriff zeigte die Relevanz der arbeitsbezogenen Zufriedenheit für die gesamte Lebensqualität bei dieser Patientengruppe und deutete überdies auf vermehrte gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen bei Arbeitnehmern mit extremer Adipositas hin (Wee et al. 2016). Bezüglich der Vergütung der Arbeit besagen Schätzungen, dass mit einer Erhöhung des BMI um einen Punkt der durchschnittliche Stundenlohn um 1,8 % sinkt (Han et al. 2011). Benachteiligungen bei der Entlohnung der Arbeit sind geschlechtsspezifisch: So war bei Männern erhöhtes Gewicht, aber nicht extreme Adipositas mit höherem Einkommen verbunden, während bei Frauen ein linear-negativer Zusammenhang zwischen Gewicht und Einkommen vorhanden war (Judge und Cable 2011). Metaanalytische Ergebnisse zeigten zudem, dass Frauen größere gewichtsbezogene Stigmatisierung erleben als Männer (Vanhove und Gordon 2014).

Zwischenmenschliche Beziehungen In einer aktuellen inhaltsanalytischen Arbeit wurden Menschen mit Adipositas bezüglich ihrer Erfahrungen mit der Erkrankung befragt (Rand et al. 2017). Im interpersonellen Bereich waren dabei zwei Themen vorherrschend, nämlich die gewichtsbezogene Stigmatisierung durch Familienmitglieder sowie durch medizinisches Fachpersonal. Damit unterstützen diese Daten Ergebnisse von früheren Studien, aus denen hervorging,

dass Menschen mit Übergewicht und Adipositas die eigenen Familienmitglieder, Freunde und Ehepartner als bedeutendste Quelle für stigmatisierende Verhaltensweisen ansahen, gefolgt von medizinischem Fachpersonal (Puhl und Brownell 2006; Puhl et al. 2008). Auch für Kinder und Jugendliche mit Adipositas wurde gezeigt, dass gewichtsbezogene Stigmatisierung am häufigsten von Freunden, Lehrern und Erziehern, aber auch Familienmitgliedern ausgeht (Berge et  al. 2016). Diese Befunde erhalten zusätzliche Relevanz dadurch, dass gewichtsbezogene Stigmatisierung in der Familie, wie gewichtsbezogene Hänseleien oder kritische Kommentare, einen Zusammenhang zu gestörtem Essverhalten sogar bei Jugendlichen mit Normalgewicht aufwies (Eisenberg et al. 2012).

Medien Bei der Verbreitung und Etablierung von gewichtsbezogener Stigmatisierung kommt den Unterhaltungs-, Informations- und sozialen Medien eine zentrale Rolle zu (Chou et al. 2014). Während z. B. die im Fernsehen dargestellten Frauen zu ca. 30 % untergewichtig sind (Greenberg et al. 2003), liegt die tatsächliche Prävalenz von Untergewicht in der weiblichen deutschen Bevölkerung bei nur ca. 2 % (Mensink et al. 2013). Demgegenüber sind Übergewicht und Adipositas im Fernsehen deutlich unterrepräsentiert. So tritt Übergewicht bei 13 % der im Fernsehen dargestellten Frauen und bei 24 % der Männer auf, während die realen Prävalenzraten deutlich höher ausfallen (53 % der Frauen und 67 % der Männer, Mensink et al. 2013). > Durch eine verzerrte Repräsentation

aller Körpertypen, die Idealisierung von Unter- und Normalgewicht sowie die Verstärkung von Einstellungen, die Stigmatisierung fördern (z. B. dass Übergewicht allein durch einen ungesunden Lebensstil entsteht), können Film, Fernsehen, Print- und Internetmedien zur Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas beitragen.

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5 · Adipositas und Stigmatisierung

In Unterhaltungssendungen werden Charaktere mit Adipositas eher in Nebenrollen dargestellt, mit negativen Eigenschaften besetzt (z. B. aggressiv; Puhl und King 2013) und mit stereotypem Verhalten gekennzeichnet (z. B. Essen großer Mengen an ungesunder Nahrung). In Serien für Jugendliche zeigten sich stigmatisierende Inhalte in etwa 76 % der analysierten Episoden, während die stigmatisierten Personen mehrheitlich negativ auf stereotype Kommentare reagierten und in etwa 41 % der Fälle Gelächter aus dem Publikum folgte (Eisenberg et al. 2015). Auch in den Informationsmedien finden sich stereotype Darstellungen von Menschen mit Übergewicht und Adipositas (Ata und Thompson 2010; Puhl und King 2013). So untersuchten Hilbert und Ried (2009) die Berichterstattung zu Übergewicht und Adipositas in deutschlandweit und lokal erscheinenden Zeitungen und fanden stigmatisierende Inhalte in allen untersuchten Printmedien, wobei stigmatisierende Inhalte in Boulevardzeitungen am häufigsten berichtet wurden. Atanasova und Koteyko (2017) fanden in einer Studie zur Darstellung von Adipositas in der Online-Berichterstattung bedeutender deutscher und britischer Nachrichtenportale, dass Adipositas mehrheitlich als der individuellen Kontrolle unterliegend dargestellt wurde. Untersuchungen im amerikanischen Raum zeigten, dass 72 % der visuellen Darstellungen von Menschen mit Übergewicht und Adipositas stigmatisierenden Charakter aufweisen, d. h., diese werden häufiger als normalgewichtige Personen sitzend, essend, trinkend bzw. mit Fokus auf die unteren Körperregionen gezeigt (Heuer et al. 2011). Dabei geht eine Konzentration auf die individuelle Verantwortung in der Berichterstattung mit einer Verstärkung gewichtsstigmatisierender Einstellungen einher (Couch et al. 2015). Menschen mit Adipositas konsumieren als Reaktion auf derartige Berichte weniger Informationsmedien und

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haben damit zugleich jedoch weniger Zugang zu gesundheitsrelevanten Inhalten (ebd.). Einzelne Studien belegen die Stigmatisierung der extremen Adipositas und der Adipositaschirurgie in den verschiedenen Medienformaten. Während Studien aus Kanada und Großbritannien zwar eine positive Berichterstattung über die Adipositaschirurgie an sich fanden (Glenn et al. 2012; Williamson et al. 2012), enthielt ein substanzieller Anteil der untersuchten Beiträge weiterhin stigmatisierende Inhalte. Eine weitere Untersuchung zeigte, dass die Mehrheit der auf die Adipositaschirurgie bezogenen Berichterstattung auf individuelle Ursachenzuschreibungen fokussiert, während umfassende Darstellungen zur Entstehung und Aufrechterhaltung der extremen Adipositas fehlten und die Betroffenen in allen Artikeln als „gescheiterte Existenzen“ beschrieben wurden (Glenn et al. 2013). Zusätzlich zu den einseitigen Darstellungen über die chirurgische Therapie als Methode der Gewichtsreduktion (7 Abschn. 5.2.1) kann eine reduktionistische Berichterstattung zu einer Etablierung und weiteren Intensivierung der gewichtsbezogenen Stigmatisierung führen.

Gesundheitswesen Stigmatisierende Einstellungen sind bei medizinischem Fachpersonal verbreitet (Budd et al. 2011; Puhl und King 2013) und treten auch bei Fachkräften auf, die sich auf die Gewichtsreduktionsbehandlung spezialisiert haben (Sabin et al. 2012; Tomiyama et al. 2015). So sind gewichtsbezogene stigmatisierende Einstellungen mit weniger persönlicher Kommunikation zwischen Arzt und Patient verbunden (Gudzune et  al. 2013). Stigmatisierung ist assoziiert mit verringerter Behandlungsqualität (Phelan et  al. 2015) und mit verringerter Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe seitens der Betroffenen (­Hernandez-Boussard et al. 2012). In der oben genannten Studie von Puhl und Brownell (2006) nannten Frauen mit

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Adipositas Ärzte als zweithäufigste Quelle für gewichtsbezogene Stigmatisierung (nach den Familienmitgliedern). Insgesamt 53  % der befragten Frauen gaben an, Stigmatisierung im Kontakt mit einem Arzt, 46 % im Kontakt mit Pflegekräften, 37 % im Kontakt mit Ernährungsberatern und 21 % im Kontakt mit psychologischen Fachkräften erfahren zu haben. Während jüngere Frauen häufiger betroffen waren als ältere Frauen, zeigten sich in einer zweiten, gemischtgeschlechtlichen Stichprobe keine Geschlechterunterschiede. Andere Untersuchungen belegten stereotype Einstellungen bei Ärzten (Puhl und King 2013): Eine Untersuchung an einer Stichprobe von 682 Ärzten und Pflegekräften lieferte Hinweise auf Einstellungen gewichtsbezogener Stigmatisierung für den deutschsprachigen Raum, wobei rein individuelle Ursachenzuschreibungen stärker bei ärztlichem Personal als bei den Pflegekräften zu beobachten waren (Sikorski et al. 2013b). Eine Befragung von 107 Medizinstudenten offenbarte auch in dieser Gruppe stigmatisierende Einstellungen gegenüber Menschen mit Adipositas (Puhl et al. 2014). Etwa ein Drittel der Befragten gab dabei an, Menschen mit Adipositas hätten weniger Veränderungsmotivation und zeigten weniger Bereitschaft, sich an therapeutische Absprachen zu halten, sodass die Behandlung dieser Patienten eher zu Frustration führte. Weitere Studien zeigten stigmatisierende Einstellungen bei Pflegekräften (Ward-Smith und Peterson 2016). In der oben genannten Untersuchung standen stärkere negative Einstellungen im Zusammenhang mit höherem BMI und höherem Alter der Befragten sowie der alleinigen Ursachenzuschreibung auf das individuelle Verhalten (Sikorski et al. 2013b). Eine Übersichtsarbeit an Ernährungsberatern belegte ebenfalls stigmatisierende Einstellungen, wobei deren Intensität allerdings etwas geringer ausfiel als in der Gesamtbevölkerung (Jung et al. 2015). Auch in dieser Berufsgruppe fanden

sich verbreitete Annahmen, Übergewicht und ­Adipositas seien v. a. auf individuelles Fehlverhalten zurückzuführen, weniger jedoch auf biologische oder genetische Faktoren. Der positive Zusammenhang von erlebter gewichtsbezogener Stigmatisierung mit dem BMI deutet auf die Relevanz der Thematik im Kontext der Adipositaschirurgie hin (Mensinger et al. 2016; Papadopoulos und Brennan 2015). > Patienten in chirurgischer Adipositas-

therapie weisen meist wiederholte Erfahrungen mit gewichtsbezogener Stigmatisierung auf (Boero 2012).

Die resultierende verringerte Inanspruchnahme von medizinischer Behandlung (Phelan et al. 2015; Puhl et al. 2013) steht der Notwendigkeit für adipositaschirurgische Patienten gegenüber, stabile Beziehungen zu ihren Behandlern aufzubauen, um ihr Verhalten nachhaltig verändern und den Erfolg der chirurgischen Therapie sichern zu können (Raves et al. 2016). Obgleich der Gewichtsreduktionserfolg durch viele Faktoren bedingt ist, identifizierten verschiedene Studien die Adhärenz zu vorgegebenen Ernährungsregeln (z. B. regelmäßige Einnahme kleiner Mahlzeiten; Weineland et al. 2012) als eine zentrale Einflussgröße für eine nachhaltige Gewichtsreduktion (Kalarchian und Marcus 2015). Während zahlreiche Untersuchungen an adipositaschirurgischen Patienten deren Schwierigkeit zeigten, sich langfristig an Ernährungsregeln zu halten (Homer et al. 2016), wurde oft auch ein dysfunktionales Essverhalten berichtet (z. B. „Snacking“, also unkontrollierter Verzehr von Süßigkeiten; Essanfälle sowie Essen mit Kontrollverlust; Essen als Reaktion auf Emotionen, d. h. emotionales Essen; Baldofski et al. 2015; Hübner et al. 2016; Sheets et al. 2015; 7 Abschn. „Medizinische Korrelate“). Dysfunktionales Essverhalten kann jedoch durch gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen ausgelöst werden (Baldofski et  al. 2015; ­Hübner et  al. 2016; Nolan und Eshleman 2016; ­Vartanian und Porter 2016; 7 Abschn. 5.2.3).

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5 · Adipositas und Stigmatisierung

5.2.2  Selbststigma bei Adipositas

Kenntnis, Zustimmung und Anwendung von gewichtsbezogener Stigmatisierung auf die eigene Person stellen laut Corrigan et al. (2009) die Voraussetzungen für eine Internalisierung der Stigmatisierung dar. Auch im Bereich von Adipositas kann Selbststigmatisierung somit als ein auf das Selbst bezogenes Abbild der öffentlichen Stigmatisierung verstanden werden (Durso et al. 2012b; Ratcliffe und Ellison 2015). Da erlebte gewichtsbezogene Stigmatisierung zudem mit verringertem Selbstwertgefühl assoziiert ist (Latner et  al. 2013; Roberto et al. 2012; 7 Abschn. 5.1.2), kann eine Verbindung zwischen externaler Abwertung (erlebte Stigmatisierung) und internaler Abwertung (verringertes Selbstbewusstsein) angenommen werden (Ratcliffe und Ellison 2015). Während mittels eines speziellen Testverfahrens für implizite Einstellungen gegenüber Adipositas an einer Stichprobe von 78  Menschen aller Gewichtsklassen Belege für gewichtsbezogene Selbststigmatisierung bei Menschen mit Adipositas gezeigt wurden, war diese internalisierte Stigmatisierung mit höherem BMI, depressiven Symptomen, dem implizitem Selbstwert und tatsächlich erlebten Stigmatisierungserfahrungen verbunden (Rudolph und Hilbert 2015). Eine Studie an 177 Frauen mit Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) untersuchte die erlebte und internalisierte gewichtsbezogene Stigmatisierung und fand einen negativen Zusammenhang zwischen Selbststigmatisierung und Selbstwirksamkeit (Pearl et al. 2015); dies wurde auch in einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe sowie bei Patienten vor adipositaschirurgischem Eingriff bestätigt (Hilbert et al. 2014b; Hübner et al. 2015). Ergänzend wurde an einer großen Stichprobe von 1158 Personen mit Übergewicht und Adipositas gezeigt, dass Selbststigmatisierung häufiger bei Menschen mit Adipositas als bei Menschen mit Übergewicht auftritt und dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer (Hilbert et al. 2014a).

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5.2.3  Korrelate

gewichtsbezogener Stigmatisierung

Erfahrungen gewichtsbezogener Stigmatisierung sind für die Betroffenen mit Adipositas mit vielfältigen negativen Konsequenzen in verschiedenen Lebensbereichen verbunden (Papadopoulos und Brennan 2015). Dies erhält besondere Relevanz, da Adipositas ohnehin mit einem gesteigerten Risiko für medizinische und psychologische Komorbiditäten einhergeht (z. B. DAG 2014). In der konservativen Gewichtsreduktionsbehandlung von Menschen mit Adipositas traten negative Korrelate von gewichtsbezogener Stigmatisierung unabhängig vom BMI der Betroffenen auf (Wott und Carels 2010), was darauf hindeutet, dass nicht der stigmatisierte Zustand allein (das erhöhte Gewicht), sondern die Stigmatisierung und v. a. die Selbststigmatisierung mit negativen Konsequenzen einhergeht (Hilbert et al. 2014b). > Die gewichtsbezogene Stigmatisierung

bei Menschen mit Adipositas geht mit vermehrten medizinischen und psychologischen Beschwerden einher. Diese Beeinträchtigungen sind stärker durch die Internalisierung der Stigmatisierung zu erklären als durch den BMI oder das Ausmaß der tatsächlichen Stigmatisierungserfahrungen.

Da Menschen, die eine konservative oder chirurgische Therapie zur Gewichtsreduktion aufsuchen, häufigere Stigmatisierungserfahrungen sowie verstärkt negative Folgen berichten (Papadopoulos und Brennan 2015), sollen im Folgenden Auftreten und Bedeutung von medizinischen und psychologischen Korrelaten von gewichtsbezogener Stigmatisierung und Selbststigmatisierung vorrangig im Behandlungskontext beschrieben werden.

Medizinische Korrelate Eine Reihe von Studien untersuchte biologische Korrelate von gewichtsbezogener Stig­ matisierung und zeigte einen robusten

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Zusammenhang mit einem erhöhtem BMI (Koball und Carels 2011; Wott und Carels 2010). Unabhängig vom Ausgangsgewicht belegten große bevölkerungsbasierte Längsschnittstudien aus Schweden, Großbritannien und den USA einen deutlichen Zusammenhang von Stigmatisierungserfahrungen und einem erhöhten Risiko, Übergewicht oder Adipositas auszubilden und beizubehalten (Hansson und Rasmussen 2014; Jackson et al. 2014; Sutin und Terracciano 2013). Zusätzlich zeigten Laboruntersuchungen, dass erlebte Stigmatisierung unabhängig vom Gewicht der Befragten zu gesteigertem physiologischen Stress führen kann: In einer Stichprobe mit 123 Personen mit Normaloder Übergewicht führte das Ansehen eines gewichtsstigmatisierenden Videos zu erhöhter Cortisolreaktivität (Schvey et al. 2014). In einem Laborexperiment an 99 Frauen mit unterschiedlichem Gewichtsstatus ergaben sich bei jenen Probandinnen gesteigerte Blutdruckwerte, die mit gewichtsbezogener Stigmatisierung konfrontiert worden waren, während dies für Probandinnen, die keine Stigmatisierung erlebt hatten, nicht gefunden wurde (Major et al. 2012). Eine weitere Studie an einer Stichprobe von 45 Frauen dokumentierte einen querschnittlichen Zusammenhang zwischen erlebter gewichtsbezogener Stigmatisierung und erhöhten Cortisolwerten, wiederum unabhängig vom Gewicht der Befragten (Tomiyama et al. 2014).

Psychologische Korrelate Neben negativen Auswirkungen gewichtsbezogener Stigmatisierung auf die beschriebenen medizinischen Parameter zeigen sich zusätzliche Zusammenhänge mit dem Ess- und Bewegungsverhalten der Betroffenen. Ein funktionales Essverhalten und ein ausreichendes Maß an körperlicher Aktivität sind jedoch in allen Phasen der konservativen und chirurgischen Adipositastherapie von Bedeutung (DAG 2014). Im Folgenden sollen daher die Korrelate von gewichtsbezogener Stigmatisierung und anschließend

von Selbststigmatisierung bezüglich des Essverhaltens einschließlich der Essstörungspsychopathologie, der körperlichen Aktivität, dem Gewichtsreduktionserfolg und ergänzend in Bezug auf die weitere Psychopathologie beschrieben werden. Während eine bevölkerungsbasierte Untersuchung an einer Stichprobe von 2449 Frauen mit Übergewicht und Adipositas auf gesteigertes Essverhalten als Reaktion auf häufig erlebte gewichtsbezogene Stigmatisierung hindeutete (Puhl und Brownell 2006), wurde dieser Zusammenhang auch in experimentellen Studien bestätigt. In einem Experiment an 73 Frauen mit Normal- bzw. Übergewicht führte die Konfrontation mit gewichtsstigmatisierenden Videoinhalten bei Frauen mit Übergewicht zu einer mehr als dreifach erhöhten Kalorienzufuhr im Vergleich zur Konfrontation mit neutralem Videomaterial (Schvey et al. 2011). Dieser Effekt war bei Frauen mit Normalgewicht signifikant geringer ausgeprägt. Ein weiteres Experiment an 93 Frauen unterschiedlicher Gewichtsklassen zeigte einen Zusammenhang zwischen der Konfrontation mit gewichtsstigmatisierenden Nachrichteninhalten und anschließend gesteigerter Nahrungszufuhr und stellte fest, dass diese nur bei Frauen auftrat, die sich selbst als übergewichtig beschrieben, unabhängig vom tatsächlichen Gewicht (Major et al. 2014). Weitere experimentelle Untersuchungen zeigten Zusammenhänge zwischen der Konfrontation mit einem stigmatisierenden Text und der Nahrungsmittelwahl (Brochu und Dovidio 2013) sowie zwischen erlebter Stigmatisierung und dem Wunsch nach größeren Mengen hochkalorischer Nahrung (Chao et al. 2012). Eine Studie an 300 Patienten in Adipositaschirurgie fand, dass Erfahrungen gewichtsbezogener Stigmatisierung und deren Internalisierung eine verschlechterte Einhaltung postoperativer Ernährungsregeln vorhersagten (Raves et al. 2016). Weitere Studien untersuchten die Zusammenhänge zwischen Stigmatisierungserfahrungen und verschiedenen Aspekten

5 · Adipositas und Stigmatisierung

der Essstörungspsychopathologie. Deutliche Zusammenhänge mit gewichtsbezogener Stigmatisierung ergaben sich für ein negatives Körperbild (z. B. verzerrte Körperbildwahrnehmung oder figurbezogene Sorgen, Durso et al. 2012a), für das Essen als Reaktion auf – zumeist negative – Emotionen (O’Brien et al. 2016; Wellman et al. 2017) und für eine erhöhte Kalorienzufuhr beim Essen (Major et al. 2014). In einer aktuellen Untersuchung ergänzten Araiza und Wellman (2017) diese Evidenz, indem sie an einer Stichprobe von 84 Personen, die sich selbst als übergewichtig bezeichneten, zeigten, dass erlebte gewichtsbezogene Stigmatisierung mit verringerter kognitiver Kontrolle und erhöhter Kalorienzufuhr assoziiert war. Ein Zusammenhang zwischen Selbststigmatisierung und Aspekten eines veränderten Essverhaltens wurde ebenfalls in verschiedenen Studien gezeigt. Baldofski et al. (2016) fanden bei 240 Patienten präoperativ eine Assoziation zwischen Selbststigmatisierung und vermehrter Essstörungspsychopathologie, die durch ein erhöhtes emotionales Essverhalten vermittelt wurde. Somit erhöht die Internalisierung der gewichtsbezogenen Stigmatisierung v.  a. bei jenen Patienten vor adipositaschirurgischem Eingriff das Risiko für ein dysfunktionales Essverhalten, die nicht über ausreichende Fähigkeiten zur Emotionsregulation verfügen. Ähnliche Ergebnisse lieferten Durso et al. (2012a), die in ihrer bevölkerungsbasierten Befragung von 381  Personen mit Normal-, Übergewicht oder Adipositas zeigten, dass die Zusammenhänge von erlebter gewichtsbezogener Stigmatisierung und verändertem Essverhalten in allen Gewichtsgruppen durch die Internalisierung der Stigmatisierung verstärkt wurden. Weitere Hinweise auf eine Verbindung von gewichtsbezogener Selbststigmatisierung und verändertem Essverhalten ergaben sich in der Befragung von 100 Personen mit Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) und einer Binge-Eating-­ Störung (Durso et  al. 2012b). Ergebnisse einer Untersuchung an 57 Teilnehmern eines

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k­ onservativen ­Gewichtsreduktionsprogramms (BMI ≥ 27 kg/m2) verwiesen des Weiteren auf den Zusammenhang zwischen Selbststigmatisierung und einem vermehrten suchtartigen sowie emotionalen Essen (Burmeister et al. 2013). Zusammenfassend unterstreichen die Befunde die Relevanz von Stigmatisierung und Selbststigmatisierung für das Essverhalten – und damit auch für Ernährungsinterventionen im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie. Einen weiteren für die Gewichtsreduktion relevanten Aspekt stellt die körperliche Aktivität dar. Untersuchungen an Kindern und Jugendlichen zeigten gewichtsunabhängige Zusammenhänge zwischen erlebter Stigmatisierung (z.  B. im Sportunterricht) und beeinträchtigter körperlicher Fitness, geringerer körperlicher Selbstwirksamkeit (Greenleaf et al. 2014), verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit (Jensen et al. 2014) und geringerer Teilnahme an Bewegungsangeboten (Puhl und Luedicke 2012). Diese Zusammenhänge zwischen erlebter Stigmatisierung und verringerter körperlicher Aktivität bzw. Leistungsfähigkeit wurden auch an einer Stichprobe von 76 erwachsenen Teilnehmern eines konservativen Gewichtsreduktionsprogramms gezeigt (Schmalz 2010). Im Vergleich zur erlebten Stigmatisierung waren diese Zusammenhänge für die Selbststigmatisierung besonders ausgeprägt (Pearl et al. 2015; Vartanian und Novak 2011). Gewichtsbezogene Selbststigmatisierung war auch bei 179  adipositaschirurgischen Patienten mit einer verringerten körperlichen Aktivität vor der Operation verbunden (Hübner et al. 2015). In einer Befragung von 177  Frauen mit Adipositas (BMI  ≥ 30 kg/ m2) zeigten sich deutliche Zusammenhänge sowohl zwischen erlebter als auch internalisierter Stigmatisierung und verringerter körperlicher Aktivität (Pearl et al. 2015). Längsschnittliche Untersuchungen dokumentierten negative Auswirkungen von erlebter Stigmatisierung im näheren Umfeld der Betroffenen auf den Behandlungserfolg einer Gewichtsreduktionstherapie (Wott und

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Carels 2010). So untersuchte eine Studie den Behandlungserfolg von 600  erwachsenen Patienten eines Gewichtsreduktionsprogramms und fand, dass dieser signifikant verringert war, wenn Patienten sich durch ihre Behandler ungerecht bewertet fühlten (z. B. allein auf Grundlage des Gewichts; Gudzune et  al. 2014). Interessanterweise äußerten Patienten mit gewichtsbezogenen Stigmatisierungserfahrungen unrealistischere Therapieziele als Patienten ohne Stigmatisierungserfahrungen bei vergleichbarem BMI (Sharma et al. 2011). Während die Befunde zu Zusammenhängen von Selbststigmatisierung und Behandlungserfolg in der Gewichtsreduktion indes noch kein eindeutiges Bild liefern (vgl. Papadopounos und Brennan 2015; Puhl und Suh 2015), fand eine Studie an 170 adipositaschirurgischen Patienten einen verringerten Gewichtsreduktionserfolg 12 Monate nach der Operation bei jenen Patienten mit erhöhten Werten internalisierter gewichtsbezogener Stigmatisierung (Lent et al. 2014). An einer längsschnittlichen Studie mit 381 Personen, die ihr Gewicht konservativ reduziert hatten, zeigte sich, dass Erfahrungen gewichtsbezogener Stigmatisierung in der Kindheit im Erwachsenenalter mit erhöhtem emotionalen Essverhalten assoziiert waren, das wiederum prospektiv ein geringeres Halten bzw. eine Wiederzunahme des reduzierten Gewichts vorhersagte (Hübner et al. 2016). Somit können vor dem Hintergrund dieser initialen Ergebnisse Stigmatisierungserfahrungen und Selbststigmatisierung für das Gewichtsmanagement als relevant gelten. Im Folgenden sollen Assoziationen von Stigmatisierung mit weiteren Aspekten einer erhöhten Psychopathologie beschrieben werden. Während zahlreiche Studien einen robusten Zusammenhang zwischen Erfahrungen gewichtsbezogener Stigmatisierung und erhöhten depressiven Symptomen belegten (Papadopoulos und Brennan 2015; Savoy et al. 2012), wurde dies in einzelnen Untersuchungen speziell auch für Patienten in Adipositaschirurgie gezeigt (Fettich und Chen 2012; Roberto et al. 2012). Gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen trugen bei

Patienten präoperativ in stärkerem Ausmaß zu depressiven Symptomen bei als Gewicht, Geschlecht, Zeitpunkt des Beginns der Adipositas, körperliche Einschränkungen und das Vorhandensein von Essanfällen (Chen et al. 2007). Fettich und Chen (2012) befragten 234  Patienten vor der Operation sowohl nach der Häufigkeit von Stigmatisierungserfahrungen als auch nach ihren individuellen Bewältigungsstrategien und fanden für die erlebte Stigmatisierung eine Assoziation mit vermehrten depressiven Symptomen. Auch zwischen internalisierter Stigmatisierung und depressiven Symptomen zeigte sich ein positiver Zusammenhang (Hilbert et al. 2014b; Lent et al. 2014; Papadopoulos und Brennan 2015). Dieser wurde ebenfalls für Menschen, die eine chirurgische Adipositastherapie anstreben, belegt (Lent et al. 2014). Gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen standen außerdem im Zusammenhang mit verringertem Selbstwertgefühl (Friedman et  al. 2008), was auch speziell für adipositaschirurgische Patienten gezeigt wurde (Roberto et al. 2012; Wee et al. 2013). Weitere psychologische Korrelate von erlebter gewichtsbezogener Stigmatisierung stellen eine gesteigerte Angstsymptomatik (Friedman et al. 2008; Savoy et al. 2012) sowie eine verringerte Lebensqualität dar (Latner et al. 2014). Roberto et al. (2012) fanden in ihrer Untersuchung an 65 jugendlichen Patienten vor adipositaschirurgischem Eingriff, dass internalisierte Stigmatisierung mit vermehrten Angstsymptomen, vermehrten sozialen und Verhaltensproblemen und verringerter Lebensqualität assoziiert war. 5.3  Stigmareduktion bei

Adipositas

5.3.1  Forschungsstand

Aufgrund des verbreiteten Adipositasstigmas, den daraus resultierenden Stigmatisierungserfahrungen von Menschen mit Adipositas in vielen Lebensbereichen und den vielfältigen

5 · Adipositas und Stigmatisierung

negativen Konsequenzen für die Betroffenen ist die Reduktion der gewichtsbezogenen Stigmatisierung von großer Wichtigkeit, nicht zuletzt auch im Kontext steigender Prävalenzraten für Adipositas (7 Abschn. 5.2). > Trotz vielfältiger Bemühungen zur

Reduktion der gewichtsbezogenen Stigmatisierung besteht weiterhin ein großer Bedarf nach evidenzbasierten Interventionen.

Stigmatisierende Einstellungen gegenüber Adipositas treten zumeist im Kontext von individuellen Kontroll- und Verantwortungsüberzeugungen auf (7 Abschn. 5.2.1). Verschie­ dene Interventionen zur Stigmareduktion zielten daher auf eine Veränderung solcher Überzeugungen ab (Daníelsdóttir et al. 2010), indem Informationen über die vielfältigen Ursachen von Adipositas gegeben wurden (z. B. über edukative Filme, Patientenvignetten). Wirksamkeitsbelege für derartige kurze Interventionen liefern indes ein inkonsistentes Bild (Lee et al. 2014). Übersichtsarbeiten äußerten zudem methodische Bedenken, da die Mehrheit der Studien z. B. keine Kontrollbedingung beinhaltete und langfristige Effekte selten überprüft wurden (Daníelsdóttir et al. 2010; Lee et al. 2014). Empfohlen wurden zusätzliche Wirksamkeitsbelege an großen bevölkerungsrepräsentativen Stichproben, letztlich mit dem Ziel, das Adipositasstigma gesamtgesellschaftlich zu verringern (Alberqa et al. 2016; Puhl et al. 2017). Deutlichere Wirksamkeitsbelege wurden für umfangreiche multimodale Interventionen gefunden, die neben edukativen Anteilen zu genetischen Ursachen der Adipositas auch Informationen zu soziokulturellen Ursachen und Konsequenzen der Adipositas lieferten (Diedrichs und Barlow 2011; Hilbert 2016; O’Brien et al. 2010). Mehrheitlich in studentischen Stichproben zeigten sich verringerte explizite stigmatisierende Einstellungen auch mehrere Wochen nach der Intervention. O’Brien et  al. (2010) fanden neben einer Reduktion der expliziten sogar auch verringerte implizite s­tigmatisierende

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Einstellungen gegenüber Menschen mit Adipositas. Jedoch ist noch relativ wenig bekannt zu möglichen Nebenwirkungen solcher Stigmareduktionsinterventionen (Hoyt et al. 2017). So zeigte eine von Hilbert (2016) durchgeführte bevölkerungsbasierte Untersuchung, dass Informationen über die genetischen Ursachen von Adipositas zwar zu einer Verringerung individueller Kontrollüberzeugungen, aber auch zu einer Verstärkung der Annahme, die Adipositas sei genetisch determiniert, führten, was wiederum die Sichtweise verstärken kann, Menschen mit Adipositas seien essenziell „anders“ als Menschen ohne Adipositas. 5.3.2  Praktische Implikationen für

den Arzt-Patienten-Kontakt

Um Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas im Gesundheitswesen, speziell im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie, zu vermeiden, sollten bestimmte Regeln und Voraussetzungen im Arzt-Patient-Kontakt, speziell bezüglich der strukturellen Ausstattung, der Grundhaltung des Behandlers und der Gesprächsführung beachtet werden. Ein Grund für das Vermeiden von Arztbesuchen durch Menschen mit Adipositas sind unzureichend ausgestattete Behandlungsräume. Eine medizinische Ausstattung, die für Menschen mit Adipositas geeignet ist, beinhaltet z. B. stabile, mit nicht zu engen Armlehnen versehene Stühle, tragfähige, breite Untersuchungsliegen und Operationstische sowie Patientenkittel in Übergröße. Messinstrumente müssen den Messbereich bis hin zur extremen Adipositas abdecken. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist eine nichtstigmatisierende Grundhaltung gegenüber Menschen mit Adipositas. Anhand der folgenden Fragen kann der Behandler seine eigenen Einstellungen gegenüber Menschen mit Adipositas reflektieren (nach Puhl und Brownell 2007, online verfügbar): 5 Behandle ich einen Patienten, oder sehe ich vor allem einen „Dicken“?

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5 Ziehe ich Rückschlüsse vom Gewicht auf Intelligenz, Compliance, Gesundheit, Lebensstil oder Charaktereigenschaften? 5 Wie erkläre ich mir die Entstehung der Adipositas bei diesem Patienten? 5 Bin ich mir der besonderen Sorgen und Bedürfnisse von Menschen in der Adipositaschirurgie bewusst?

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Patienten, die ihre Adipositas chirurgisch behandeln lassen wollen, berichten zumeist wiederholte Stigmatisierungserfahrungen sowie langfristig erfolglose Gewichtsreduktionsversuche. Daher sollte die Gesprächsführung einerseits darauf abzielen, dass sich der Patient nicht stigmatisiert, sondern ernst genommen fühlt. Andererseits sollten Gefühle von Hilflosigkeit nicht noch weiter gesteigert, eine Veränderungsmotivation sollte stattdessen aufgebaut oder gefestigt werden. Um diese Ziele zu erreichen, wurden von Hilbert et al. (2005) acht Strategien in der Gesprächsführung mit Menschen mit Adipositas vorgeschlagen. Strategien der Gesprächsführung bei Adipositas (nach Hilbert et al. 2005) 5 Stellen Sie offene Fragen 5 Bitten Sie um Erlaubnis, das Thema Adipositas anzusprechen 5 Bringen Sie die Änderungsbereitschaft des Patienten in Erfahrung 5 Verstärken Sie die Änderungsbereitschaft 5 Vermitteln Sie dem Patienten Informationen über Adipositas und die chirurgische Therapie 5 Teilen Sie dem Patienten Ihre Bedenken mit 5 Planen und unterstützen Sie Veränderungen des Gesundheitsverhaltens 5 Motivieren Sie den Patienten, sein Gewicht zu stabilisieren oder zu reduzieren

Der Behandler sollte im Erstkontakt zunächst mit offenen Fragen das Wohlbefinden des Patienten erfragen (Strategie 1) und ggf. um Erlaubnis bitten, die Übergewichtsthematik anzusprechen (Strategie 2). Denn ein pauschales, häufig ungefragtes Ansprechen der Adipositas (z. B. „Sie müssen abnehmen“) kann bei dem Patienten eine ablehnende Haltung bewirken. Das erhöhte Gewicht sollte in der Folge mit Bezug auf die Gesundheit thematisiert werden, um eine Änderungsmotivation zu eruieren (Strategie 3) und zu fördern (Strategie 4). Da sowohl in der Allgemeinbevölkerung (Sikorski et al. 2013a) als auch bei Patienten vor Operation (Willcox et  al. 2016) fehlerhafte Informationen bezüglich der Adipositaschirurgie gefunden wurden, sollte der bevorstehende Eingriff mit all seinen Implikationen umfassend erläutert werden (Strategie 5). Risiken sollten besprochen und unrealistische Therapieerwartungen ausgeräumt werden, ohne dabei belehrend zu wirken (Strategie 6). Offene Fragen können auch hier zu einer Stärkung des Problemverständnisses und der Änderungsmotivation führen. Weiterhin empfehlen sich ein Vorwegnehmen möglicher Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Verhaltensregeln postoperativ sowie bei der langfristigen Gewichtserhaltung und eine Besprechung eines konstruktiven Umgangs damit. Nicht zuletzt relevant sind auch Informationen über die komplexen Ursachen und Begleiterkrankungen von Adipositas. Basierend auf den medizinisch-therapeutischen Notwendigkeiten und den individuellen Voraussetzungen, sollten Behandler und Patient gemeinsam eine Vorstellung von den anzustrebenden Verhaltensänderungen entwickeln und deren Etablierung schrittweise planen (Strategie 7). Sowohl im Erstkontakt als auch im Behandlungsverlauf sollte der Patient für jede Verhaltensänderung in Richtung auf das Zielverhalten verstärkt werden (Strategie 8). Damit wird dem Patienten nicht nur Einfluss auf seinen Behandlungsverlauf, sondern auch die persönliche Eignung zugesprochen, ein positives Behandlungsergebnis zu bewirken.

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Dieses „Empowerment“ (Pulvirenti et al. 2014; Tambuyzer und van Audenhove 2015) resultiert idealerweise in einer Stärkung von Selbstwert und Selbstwirksamkeit und hat damit das Potenzial, zu einer größeren Resilienz gegenüber gewichtsbezogener Stigmatisierung und Selbststigmatisierung zu führen (Hilbert et al. 2014b; Hübner et al. 2015; Rudolph und Hilbert 2015). Fallbeispiel: Arzt-Patienten-Kontakt in der Adipositaschirurgie Ein Patient, der sich für eine psychologische Begutachtung präoperativ vorstellt, hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von erfolglosen Gewichtsreduktionsversuchen unternommen und sieht daher die Adipositaschirurgie als „letztes Mittel“ an, um sein extremes Übergewicht zu reduzieren. Diesen großen Erwartungen stehen vielfältige Erfahrungen gewichtsbezogener Stigmatisierung entgegen, die der Patient in zahlreichen Kontexten einschließlich des Gesundheitswesens gemacht hat, sodass er dem Behandler skeptisch gegenüber tritt. Im Erstgespräch eruiert der Behandler mit offenen Fragen Befinden und Veränderungsmotivation des Patienten und bittet um Erlaubnis, die Übergewichtsthematik mit ihm besprechen zu dürfen. Der Patient gewinnt den Eindruck, der Behandler meine es „ernst“ mit ihm und nimmt die Informationen, die ihm der Behandler über die Adipositas und den chirurgischen Eingriff gibt, mit zurückhaltendem Interesse auf. Dass eine konsequente Verhaltensänderung in Richtung auf einen gesunden Lebensstil bezüglich Ernährung und Bewegung notwendig ist, um die gewünschten Erfolge zu erzielen, versteht der Patient, traut sich dies jedoch nicht zu. Um sich schrittweise an das Zielverhalten anzunähern (z. B. regelmäßige, ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung), einigen sich Patient und Behandler kleinschrittig auf umsetzbare Ziele im Ernährungs- und Bewegungsverhalten. Auch während der Vorbereitung auf die

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Operation verstärkt der Behandler jede Verhaltensänderung in Richtung dieses Zielverhaltens, z. B. die schrittweise Steigerung der täglichen körperlichen Aktivität um 5 Minuten. Die geduldig-akzeptierende und positive Grundhaltung des Behandlers stärkt die therapeutische Beziehung zum Patienten und motiviert diesen, die Veränderungspläne umzusetzen, ohne aufzugeben. Selbstwert und Selbstwirksamkeit des Patienten werden weiter durch die erfolgreichen Veränderungen verbessert. Nach der Operation führen die gestärkte Selbstwirksamkeit und die positive therapeutische Beziehung zu einer langfristigen Inanspruchnahme der Nachsorge und zur eigenständigen Weiterentwicklung in Richtung des Zielverhaltens seitens des Patienten (z. B. regelmäßige Treffen zum gesunden Kochen mit Mitpatienten, Hinzunahme weiterer Bewegungseinheiten).

5.4  Fazit

Menschen mit Adipositas erfahren gewichtsbezogene Stigmatisierung in verschiedenen Lebensbereichen. Erlebte Stigmatisierung und besonders die Internalisierung der Stigmatisierung sind mit vielfältigen medizinischen und psychologischen Beeinträchtigungen verbunden. Im Kontext der Adipositaschirurgie besteht für Fachkräfte die Notwendigkeit, eigene stigmatisierende Einstellungen zu hinterfragen und diskriminierende Verhaltensweisen zu vermeiden und Selbststigmatisierungstendenzen des Patienten durch den Aufbau von Selbstwert und Selbstwirksamkeit zu verringern.

»

Wie mit anderen chronischen Krankheiten haben wir selten die Möglichkeit zu heilen, aber wir haben die Möglichkeit, den Patienten mit Respekt zu behandeln. Solch eine Erfahrung kann das größte Geschenk sein, dass wir einem Patienten mit Adipositas machen können (Hilbert und Geiser 2012; übersetzt nach Stunkard und Wadden 1993).

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Impulsivität im Adipositasspektrum Katrin Giel und Kathrin Schag

6.1 Was ist Impulsivität? – 88 6.1.1 Impulsivität als Persönlichkeitseigenschaft – 88 6.1.2 Impulsives Essverhalten – 89

6.2 Welche Rolle spielt Impulsivität im Adipositasspektrum? – 90 6.2.1 Zusammenhang von Impulsivität und Body-Mass-Index (BMI) – 90 6.2.2 Impulsivität bei Patienten mit Adipositas – 90 6.2.3 Impulsivität als Prädiktor der Gewichtsreduktion im Adipositasspektrum – 91

6.3 Ist Impulsivität veränderbar? – 93 6.3.1 Therapeutische Beeinflussbarkeit impulsiven Essverhaltens – 93 6.3.2 Impulsivität vor und nach Adipositaschirurgie – 94

Literatur – 96

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6

88

K. Giel und K. Schag

6.1  Was ist Impulsivität? 6.1.1  Impulsivität als

Persönlichkeitseigenschaft

6

Impulsivität wird als mehrdimensionale ­Persönlichkeitseigenschaft konzeptualisiert. Unter einer Persönlichkeitseigenschaft (engl. trait) wird in der Psychologie eine relativ stabile, zeitlich überdauernde Eigenschaft eines Menschen verstanden – in Abgrenzung zu vorübergehenden Zuständen (engl. state) (Kuhl 2010). Verschiedene theoretische Konzepte der Impulsivität, die aus der wissenschaftlichen Persönlichkeitspsychologie stammen, haben leicht unterschiedliche Subdimensionen der Impulsivität postuliert und sie unterschiedlich in die Trait-Hierarchie eingeordnet (z. B. ­Cloninger 1987; Dawe und Loxton 2004; Eysenck 1967; Gray 1970; Gullo et al. 2014; Sharma et al. 2014). Die meisten Konzepte aber haben gemeinsam, dass sie zumindest zwei Subdimensionen der Impulsivität unterscheiden:

5 eine motivationale Dimension, die ­Prozesse der Belohnungsverarbeitung beinhaltet und 5 eine Verhaltensdimension, die Prozesse der Inhibition (Hemmung, Unterdrückung) von Verhaltensweisen umfasst. Diese Subdimensionen sind, je nach theoretischem Konzept, mit verschiedenen Begrifflichkeiten benannt worden. Wir werden sie in diesem Kapitel Belohnungssensitivität und Inhibitionskontrolle nennen (. Abb. 6.1). Aktuelle theoretische und empirische Arbeiten (Gullo et al. 2014; Sharma et al. 2014) haben darüber hinaus eine dritte „impulsigene“ Eigenschaft bzw. Subdimension identifiziert, die mit starker Emotionalität verbunden ist. Diese neueren Arbeiten betonen damit die Wichtigkeit, auch affektive Zustände in das Konzept der Impulsivität zu integrieren. Jede der einzelnen Subdomänen des Impulsivitätskonzeptes stellt wiederum ein größeres Konzept dar, das sich wiederum aus einzelnen Subaspekten und Fähigkeiten zusammensetzt (Bari und Robbins 2013). So lässt sich z. B.

(Bestimmte) Nahrung wird als stark belohnend erlebt

Inhibitionskontrolle

Nahrungsaufnahme kann nicht kontrolliert / gestoppt werden

Emotionalität

Nahrungsaufnahme zur Verbesserung negativer Gefühle

. Abb. 6.1  Zusammenspiel der Impulsivitätskomponenten Belohnungssensitivität, Inhibitionskontrolle und Emotionalität mit beispielhafter Anwendung auf das Essverhalten

6 · Impulsivität im Adipositasspektrum

die Inhibitionskontrolle entlang einer Zeitdimension in einzelne Facetten unterteilen und unterscheiden, ob eine Handlung initial unterdrückt oder erst nach Initiierung gestoppt wird (Bari und Robbins 2013). Bemerkenswert ist, dass mittlerweile ein Großteil der frühen und auch weiterentwickelten theoretischen Annahmen zur Natur und Struktur der Impulsivität durch aktuelle neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse empirisch bestätigt werden konnte (Bari und Robbins 2013; Dalley et al. 2011; Eysenck 1967; Fineberg et al. 2014; Gray 1970), u. a. durch die Identifikation beteiligter Hirnareale und Neurotransmittersysteme. Dies weist auch auf die starke neurobiologische Verankerung der Impulsivität hin. 6.1.2  Impulsives Essverhalten

Basierend auf dem unter 7 Abschn. 6.1.1 skizzierten Konzept der Impulsivität lässt sich eine impulsive Person dadurch beschreiben, dass sie sensitiv gegenüber Belohnung ist, Belohnungen stark aufsucht und eine reduzierte Inhibitionskontrolle aufweist, d.  h. spontan und ohne Berücksichtigung längerfristiger Verhaltenskonsequenzen handelt, insbesondere, wenn Belohnung in Aussicht steht (Dawe und Loxton 2004; Gullo et al. 2014). Die Inhibitionskontrolle ist oft besonders in bestimmten affektiven Zuständen eingeschränkt. Insbesondere negative Emotionen können solche Impulsdurchbrüche begünstigen bzw. dazu führen, dass erfolgreiche Strategien zur Verhaltenshemmung zusammenbrechen (. Abb. 6.1). Dieses Verhaltensmuster kann sich in ganz unterschiedlichen Situationen und Lebensbereichen zeigen – insbesondere können auch ganz unterschiedliche Anreize und Belohnungen ein enthemmtes Verhalten bedingen. Auch auf die Regulation des Körpergewichts und des Essverhaltens lässt sich das Impulsivitätskonzept anwenden (Dawe und Loxton 2004; . Abb. 6.1) – nicht zuletzt da Nahrung für alle Lebewesen einen primären Verstärker

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6

darstellt und Nahrungsaufnahme im Gehirn belohnend wirkt. Eine Person mit impulsivem Essverhalten lässt sich – abgeleitet vom o. g. Impulsivitätskonzept – nun dadurch beschreiben, dass sie sensitiv gegenüber nahrungsbezogener Belohnung ist, z.  B. bestimmte Nahrungsmittel als sehr belohnend empfindet und diese Belohnungen stark aufsucht. Dies stimmt auch mit dem Konzept der „cue reactivity“ überein (Jansen 1998), demzufolge betroffene Personen bei Kontakt mit Nahrungsmitteln wie z. B. durch Werbung oder Gerüche nicht widerstehen können zu essen (Schachter 1971). Diese Personen reagieren stark auf Umweltreize („Cues“) für Essen mit physiologischen Reaktionen wie Speichelfluss oder starkem Verlangen. Häufig sind diese „Verlockungen“ hochkalorische süße und fettreiche Nahrungsmittel, da diese evolutionär bedingt als besonders belohnend empfunden werden (Kreier 2010; Nummenmaa et al. 2011). Die Person weist insbesondere bei diesen stark bevorzugten Nahrungsmitteln eine reduzierte Inhibitionskontrolle auf, z. B. indem sie isst, ohne hungrig zu sein, große Mengen zu sich nimmt, da sie nicht mit dem Essen aufhören kann oder insgesamt Schwierigkeiten hat, ihr Essverhalten zu kontrollieren. Sie handelt insofern spontan, da sie bei der Nahrungsaufnahme längerfristige Verhaltenskonsequenzen wie z. B. eine Gewichtszunahme und die damit verbundenen negativen Gesundheitsfolgen nicht berücksichtigt. Dieses impulsive Essverhalten steht in starker Verbindung zu dem Konzept des Kontrollverlusts während Essanfällen bei Patienten mit einer sog. Binge-Eating-Störung (BES), die besonders starkes impulsives Essverhalten aufweisen (Kessler et al. 2016; Schag et al. 2013). Die BES ist eine klinische Essstörung und entsprechend des Diagnostischen und Statistischen Manuals für Psychische Störungen (DSM-5) im Kern durch regelmäßige Essanfälle mit subjektivem Kontrollverlust gekennzeichnet (APA 2013). Impulsives Essverhalten stellt also das Hauptsymptom der BES dar. Solchen Impulsdurchbrüchen bei der Nahrungsaufnahme gehen häufig ­negative

90

K. Giel und K. Schag

emotionale Zustände voran (. Abb. 6.1); teilweise wird Essen auch mehr oder weniger bewusst als Strategie zur Entspannung oder Stimmungsverbesserung genutzt (Leehr et al. 2015; Micanti et al. 2017; van Strien et al. 2016). > Die Essstörung Binge-Eating-Störung

6

(BES) ist durch impulsives Essverhalten gekennzeichnet. Betroffene Patienten leiden unter wiederkehrenden Essanfällen mit subjektivem Kontrollverlust.

6.2  Welche Rolle spielt

Impulsivität im Adipositasspektrum?

6.2.1  Zusammenhang von

Impulsivität und Body-MassIndex (BMI)

Sind Menschen mit einem höheren BodyMass-Index (BMI) „impulsiver“? Diese Frage lässt sich nicht mit einem einfachen „ja“ oder „nein“ beantworten, wie die Ergebnisse einer aktuellen Metaanalyse zeigen. Diese Metaanalyse fasst Studien zusammen, die mittels Fragebögen oder Verhaltensaufgaben Impulsivität erfasst und ihren Zusammenhang mit dem BMI untersucht haben (Emery und Levine 2017). Die Metaanalyse zeigt zwar insgesamt einen signifikanten positiven Zusammenhang von Impulsivität und BMI; dieser ist aber relativ schwach. Vielmehr verdeutlicht diese Analyse aber die Komplexität und methodischen Herausforderungen des Impulsivitätskonstrukts, denn die Zusammenhänge variierten stark je nach methodischem Zugang und untersuchter Subdomäne der Impulsivität. Abgesehen von diesem schwach positiven direkten Zusammenhang von Impulsivität und BMI ist es jedoch plausibel, indirekte Effekte von Impulsivität auf den BMI anzunehmen, die über Aspekte des Essverhaltens und erhöhte Kalorienzufuhr vermittelt werden (Meule 2017).

6.2.2  Impulsivität bei Patienten

mit Adipositas

Ein alternativer Forschungsansatz zu dem unter 7 Abschn. 6.2.1 dargestellten korrelativen Vorgehen besteht darin, Impulsivität im Adipositasspektrum zu untersuchen, indem adipöse Personen mit normalgewichtigen Personen hinsichtlich spezieller Impulsivitätsmaße verglichen werden. Häufig werden in diesen Studien experimentelle Paradigmen verwendet, die eine Facette der Impulsivität erfassen (z. B. Inhibitionskontrolle), und die Leistung adipöser Personen bei dieser Aufgabe der Leistung einer normalgewichtigen Kontrollgruppe gegenübergestellt. Eine Reihe von experimentellen Studien und Beobachtungsstudien hatte einen speziellen Fokus auf nahrungsbezogene Impulsivität bei Patienten mit Adipositas, d. h., es wurden Facetten der Impulsivität spezifisch bei der Verarbeitung von Nahrungsreizen untersucht (Giel et al. 2017a; Kittel et al. 2015; Leehr et al. 2015; Schag et al. 2013). Die Befunde dieses Forschungsbereichs weisen insgesamt darauf hin, dass es innerhalb des Adipositasspektrums eine Subgruppe von Patienten gibt, die durch erhöhte Impulsivität gekennzeichnet ist. Diese Patienten erfüllen die Diagnose einer Binge-Eating-Störung (BES; 7 Abschn. 6.1.2) und zeigen insgesamt ein impulsives Essverhalten. Adipöse Patienten mit BES zeigen eine erhöhte Impulsivität in klassischen neuropsychologischen Aufgaben, die nochmals gesteigert ist bei spezifisch nahrungsbezogenen Aufgaben (Kittel et  al. 2015). Betrachtet man die Befundlage etwas differenzierter und bezogen auf die einzelnen Impulsivitätsfacetten, so spricht vieles dafür, dass Adipositaspatienten im Vergleich zu normalgewichtigen Personen eine erhöhte Belohnungssensitivität aufweisen und dies auch speziell gegenüber Nahrungsreizen (Giel et al. 2017a; Schag et al. 2013). So zeigen adipöse Patienten beispielsweise in einer Facette der Belohnungssensitivität, dem Belohnungsaufschub, Schwierigkeiten im Vergleich zu

6 · Impulsivität im Adipositasspektrum

normalgewichtigen Personen: Sie neigen eher dazu, sofortige kleine Belohnungen größeren späteren Belohnungen vorzuziehen (Stojek und MacKillop 2017). Die nahrungsbezogene Belohnungssensitivität ist nochmals gesteigert in der Subgruppe von Patienten mit BES (Giel et al. 2017a; Schag et al. 2013). Die Bereiche der Inhibitionskontrolle sowie der Emotionsregulation scheinen bei Patienten mit Adipositas ohne BES weniger beeinträchtigt zu sein. Die Subgruppe mit BES hingegen hat größere Schwierigkeiten, ihr Verhalten generell und speziell bei Nahrungsreizen zu hemmen, sie zeigt Schwierigkeiten in der Emotionsregulation, und insbesondere negative Emotionen lösen bei ihr impulsives Essverhalten aus (Giel et al. 2017a; Kittel et al. 2015; Leehr et al. 2015; Schag et al. 2013). Nur wenige Studien haben Impulsivität spezifisch in Stichproben adipöser Patienten untersucht, die eine bariatrische Operation erhalten. Diese begrenzte Anzahl an Studien deutet darauf hin, dass sich auch innerhalb dieser klinischen Gruppe eine Subgruppe identifizieren lässt, die zumindest im Vergleich zu normalgewichtigen Personen ­ durch erhöhte Impulsivität gekennzeichnet ist (Übersicht bei Gerlach et al. 2015). Auch in dieser spezifischen klinischen Gruppe ist erhöhte Impulsivität häufig mit impulsivem Essverhalten und BES assoziiert (Alfonsson et al. 2013; Meule et al. 2017) sowie mit anderen Impulskontrollstörungen wie z. B. der AufmerksamkeitsdefizitHyperaktivitätsstörung (ADHS) (­Alfonsson et al. 2012) vergesellschaftet. Einige Studien berichten eine höhere Prävalenz von BES und anderen Mustern impulsiven Essverhaltens bei Patienten mit Adipositas, die eine bariatrische Operation erhalten im Vergleich zu Patienten, die sich nicht dieser Therapiemaßnahme unterziehen (Opolski et al. 2015) – dies könnte ein Hinweis auf eine erhöhte Impulsivität in dieser Population sein. Aktuelle Fragebogenstudien an größeren Stichproben von Patienten, die eine bariatrische Operation erhalten, z­ eigen, dass in dieser Patientengruppe

91

6

spezifische Facetten der Impulsivität eine Rolle spielen: So konnte u. a. ein Persönlichkeitscluster innerhalb dieser Population identifiziert werden, das durch niedriges Kontrollvermögen, enthemmtes Essverhalten und Schwierigkeiten der Emotionsregulation gekennzeichnet ist (Schäfer et al. 2017). Insbesondere gemeinsam auftretende Schwierigkeiten in den Bereichen aufmerksamkeitsbezogener und motorischer Impulsivität scheinen mit dysfunktionaler Regulation des Essverhaltens in dieser Patientengruppe assoziiert zu sein (Meule et al. 2017). Zum Zusammenhang von Adipositaschirurgie und Impulsivität gilt zu beachten, dass Patienten, die eine adipositaschirurgische Maßnahme erhalten, häufig eine sehr stark ausgeprägte Adipositas (Grad 3), d. h. einen hohen BMI aufweisen. Wenn nun ein linearer Zusammenhang zwischen Grad der Adipositas und Impulsivität bestünde, so könnte man annehmen, dass Patienten, die eine adipositaschirurgische Maßnahme erhalten, eine stärker ausgeprägte Impulsivität zeigen. Evidenz zu dieser Hypothese liefern z. B. Benard et al. (2017) speziell für Adipositas dritten Grades sowie Ryden et al. (2003, 2004), auch wenn wie in 7 Abschn. 6.2.1 beschrieben in der Metaanalyse von Emery und Levine (2017) insgesamt nur ein sehr schwacher positiver Zusammenhang zwischen dem BMI und der Höhe der Impulsivität besteht. Letztlich ist die Datenlage zum Zusammenhang zwischen BMI und Impulsivität oder dem Zusammenhang zwischen bariatrischer Operation und Impulsivität insgesamt unzureichend und lässt derzeit noch keinen Schluss zu. 6.2.3  Impulsivität als Prädiktor

der Gewichtsreduktion im Adipositasspektrum

Eine Reihe von Langzeit-Katamnesestudien zur Gewichtsreduktion bei Patienten mit Adipositas hat über Fragebögen entweder

92

6

K. Giel und K. Schag

Aspekte impulsiven Essverhaltens oder genereller Impulsivität erfasst (Dalle Grave et al. 2009; Foster et  al. 1998; Konttinen et  al. 2015; Svendsen et al. 2008). Der Großteil der ­Studien liegt dabei für konservative Gewichtsreduktionsmaßnahmen vor, während die Evidenz zum Einfluss der Impulsivität auf den Outcome bariatrischer Operationen noch sehr eingeschränkt ist. Eine Reihe von Langzeitkatamnesen zeigt, dass Konzepte, die eng mit der Persönlichkeitsvariable Impulsivität zusammenhängen, die Gewichtsreduktion sowohl nach konservativen Gewichtsreduktionsmaßnahmen als auch bariatrischen Operationen und das Halten des reduzierten Gewichts zumindest kurz- und mittelfristig voraussagen. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass relativ global erfasste generelle Impulsivität einen weniger aussagekräftigen Prädiktor für den Langzeitgewichtsverlauf darstellt, sondern deren Einfluss über Subkomponenten vermittelt wird, die spezifisch nahrungsbezogen sind, sowie über Depressivität als Konzept, das an die Impulsivitätskomponente der Emotionalität angrenzt (Legenbauer et al. 2018; Schag et al. 2016). Insbesondere Aspekte, die inhaltlich große Überschneidungen zur unter 7 Abschn. 6.1.1 und 7 Abschn. 6.2.1 dargestellten Inhibitionskontrolle aufweisen, scheinen eine Rolle für eine erfolgreiche und nachhaltige Gewichtsreduktion zu spielen. Ein in diesem Zusammenhang sehr häufig untersuchtes Konzept ist die kognitive Kontrolle über das Essverhalten. Personen mit größerer kognitiver Kontrolle über ihr Essverhalten, die an einer Lebensstilintervention zur Gewichtsreduktion teilnahmen, zeigten zumindest in den ersten Jahren nach der Intervention eine größere Gewichtsreduktion als Personen mit geringerer kognitiver Kontrolle (Dalle Grave et al. 2009; Foster et al. 1998; Konttinen et al. 2015; Svendsen et al. 2008). Bei Patienten, die eine bariatrische Operation erhielten, spielten in zwei großen Langzeit-Katamnesestudien ähnliche Variablen eine prädiktive Rolle für den Gewichtsverlust: Patienten mit hoher postoperativer kognitiver Kontrolle und geringerer

postoperativer Enthemmung konnten m ­ ittelund langfristig mehr Gewicht reduzieren (Konttinen et al. 2015; Legenbauer et  al. 2011). In einer kleinen Stichprobe von Patienten, die eine bariatrische Operation erhielten, konnte außerdem anhand eines klassischen neuropsychologischen Tests gezeigt werden, dass diejenigen Patienten kurzfristig mehr Gewicht reduzierten, die vor OP erfolgreicher in ihrer generellen Inhibitionskontrolle waren (Kulendran et al. 2017). Für die Prädiktion des Gewichtsverlaufs über die verschiedenen Facetten der Impulsivität liegt auch neurobiologische Evidenz vor: Personen, die über längere Zeit erfolgreich ihr reduziertes Gewicht halten konnten und dann in einer experimentellen Studie mit Nahrungsbildern konfrontiert wurden, zeigten in Reaktion auf diese Nahrungsreize erhöhte Aktivität in Hirnregionen, die für Prozesse der Inhibitionskontrolle verantwortlich sind (Jensen und Kirwan 2015; Weygandt et al. 2013). Die dahinter liegenden Zusammenhänge könnten so aussehen, dass Patienten mit gesteigerter kognitiver Kontrolle ihr Essverhalten besser strukturieren und kontrollieren können, also beispielsweise unerwünschte Nahrungsaufnahme häufiger unterdrücken können oder hochkalorischen „Versuchungen“ besser widerstehen können und dadurch mehr Gewicht abnehmen bzw. das reduzierte Gewicht nicht wieder zunehmen. Es ist darüber hinaus spekuliert worden, dass gesteigerte Inhibitionskontrolle auch auf die Belohnungssensitivität einwirken könnte (. Abb. 6.1) – wenn man Verhalten gegenüber einem belohnenden Reiz regelmäßig hemmt, könnte dies dazu führen, dass dieser Reiz schließlich auch an Attraktivität verliert. Auch Veränderungen der Emotionalität könnten eine Rolle spielen – durch eine verbesserte emotionale Stabilität oder verbesserte Regulationsstrategien könnten Patienten auch seltener in Situationen kommen, in denen sie Impulse bezüglich ihres Essverhaltens hemmen müssen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass in den bislang durchgeführten Langzeit-Katamesestudien ­ hauptsächlich

6 · Impulsivität im Adipositasspektrum

I­ nstrumente eingesetzt worden sind, die Facetten der Inhibitionskontrolle erfassen, während die prädiktive Bedeutung der anderen beiden Impulsivitätskomponenten für den Gewichtsverlauf weniger untersucht worden sind – daraus sollte jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass sie eine untergeordnete Rolle hierfür spielen. 6.3  Ist Impulsivität veränderbar? 6.3.1  Therapeutische

Beeinflussbarkeit impulsiven Essverhaltens

In der Persönlichkeitsforschung gibt es eine langjährige Diskussion über die Veränderbarkeit von Persönlichkeitseigenschaften. Ist man ursprünglich davon ausgegangen, dass Persön­ lichkeitseigenschaften – also auch Impulsivität – sehr stabile und unveränderliche Merkmale einer Person sind, spricht man heute davon, dass Persönlichkeitseigenschaften relativ stabil sind (Kuhl 2010). Dies kann so interpretiert werden, dass eine Person relativ stabil in der Ausprägung der Impulsivität ist, solange sie nicht aktiv versucht, etwas daran zu ändern oder äußere Einflüsse (z. B. Erziehung) zu einer langfristigen Änderung führen. Besteht eine Motivation, weniger impulsiv und unkontrolliert zu sein oder auch umgekehrt – spontaner und impulsiver – zu handeln, kann Impulsivität durchaus durch bestimmte Behandlungsprogramme und -trainings verändert werden. Impulsives Essverhalten ist demnach also veränderbar, zumal dabei nicht die Persönlichkeitseigenschaft Impulsivität im Gesamten, sondern speziell impulsive Verhaltensweisen bei der Nahrungsaufnahme verändert werden sollen. Zum Beispiel wurden in Studien einige computergestützte Trainingsverfahren verwendet, die den Belohnungsgehalt von Nahrung oder die Aufmerksamkeitslenkung auf Nahrung reduzieren können oder die Inhibitionskontrolle bei Nahrungsreizen steigern (Beard et al. 2012; Jones et al. 2016; Stice et al. 2016). Auch stärker psychotherapeutisch ­ausgerichtete

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Interventionen wurden bereits zur Reduktion des Verlangens nach Nahrung und der Nahrungsaufnahme eingesetzt (Jansen 1998; van Beurden et al. 2016; van ­Koningsbruggen et al. 2014). Die meisten der dabei berichteten Studien wurden jedoch an normalgewichtigen oder subklinischen Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung durchgeführt. Bei Personen mit Adipositas ist die Studienlage sehr viel eingeschränkter und uneinheitlicher. In ersten Studien zeigten sich jedoch positive Ergebnisse mit den oben beschriebenen computergestützten Trainingsprogrammen: So konnten adipöse Patienten das Gewicht nachhaltig reduzieren (Lawrence et al. 2015; Stice et al. 2016) und Patienten mit Binge-Eating-Störung (BES; 7 Abschn. 6.1.2) konnten Essanfälle reduzieren (Giel et  al. 2017b), nachdem sie in mehreren Trainingssitzungen die Reaktion auf Nahrungsreize in einer computergestützten Aufgabe unterdrücken sollten. Auch das „Attention Bias ­ Modification“-Training, bei dem geübt wird, die Aufmerksamkeit von Nahrungsmitteln abzulenken, führte zu einer Reduktion der täglich aufgenommenen Kalorien, des Gewichts und der Essstörungspathologie (Boutelle et al. 2014a; Boutelle et al. 2016). Die Patienten konnten ihr Essverhalten dementsprechend besser kontrollieren. Inzwischen wurden auch erste verhaltenstherapeutische Programme entwickelt, die speziell auf impulsives Essverhalten bei adipösen Personen oder Personen mit BES ausgerichtet sind. So wurden in einem Gruppenprogramm von Preuss et al. (2017) verschiedene Interventionen durchgeführt, um das Essverhalten selbstbestimmt zu regulieren. Beispielsweise wurden Emotionsregulationsfähigkeiten ge­ stärkt und Achtsamkeitsübungen zur Reduktion impulsiven Essverhaltens durchgeführt. Zusätzlich bearbeiteten die Patienten regelmäßig eine computergestützte „Stop Signal“-Aufgabe, bei der Reaktionen auf Nahrungsreize unterdrückt werden ­ sollten. Das Programm führte im Vergleich zu einer herkömmlichen kognitiv-­ verhaltenstherapeutischen Behandlung zu einer stärkeren Gewichtsreduktion bei den Patienten,

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K. Giel und K. Schag

die die Behandlung vollständig durchliefen, einer vergleichbaren Reduktion der Essstörungspathologie, und die Inhibitionskontrolle auf Nahrungsreize reduzierte sich stärker. Des Weiteren wurden verhaltenstherapeutische Programme aus der Essstörungs- und Suchtbehandlung übertragen, in denen Nahrungskonfrontationsübungen mit Reaktionsverhinderung durchgeführt werden (Boutelle et al. 2011, 2014a, 2015; Jansen et al. 1992; Schag et al. 2015). Bei dieser Methode setzen sich adipöse Patienten Nahrungsmitteln aus und sollen dabei lernen, trotz eines starken Verlangens die Nahrungsmittel nicht zu essen. Die Intervention unterliegt der Lerntheorie mit verschiedenen klassischen und operanten Konditionierungsprozessen (­Jansen 1998), wonach das starke Verlangen nach Nahrung und die dabei auftretenden physiologischen Begleitprozesse wie z. B. ein erhöhter Speichelfluss und Magenbewegungen nach einiger Zeit des Nichtessens von selbst wieder abnehmen. Dadurch wird der Theorie nach bei einer wiederholten erfolgreichen Unterdrückung die Assoziation zwischen den Nahrungsreizen und der Nahrungsaufnahme gelöscht. Zusätzlich kann auch das Selbstwirksamkeitserleben der Patienten gestärkt werden. Die ersten Ergebnisse bei diesen Programmen waren positiv, da die Patienten Essanfälle oder das Gewicht reduzieren konnten (Boutelle et al. 2014b; Jansen et al. 1992). In einigen dieser Studien wurden zusätzlich auch Interventionen zur Stärkung der Selbstkontrollfähigkeiten bei der Essensregulation und Selbstbeobachtungsmethoden eingesetzt (Boutelle et al. 2014b; Jansen et al. 1992; Schag et al. 2015), die wahrscheinlich ebenfalls zur Wirksamkeit der Programme beitragen. Eine weitere innovative Methode zur Reduktion impulsiven Essverhaltens stellen möglicherweise Verfahren der Neuromodulation dar, insbesondere der Einsatz nichtinvasiver Hirnstimulationsverfahren, mit denen ersten Studien zufolge das Verlangen nach Nahrung und die Regulation des Essverhaltens verändert werden können (Lowe et al. 2017; McClelland et al. 2013).

Zusammengefasst gibt es also erste Hinweise aus der aktuellen Adipositas- und Essstörungsforschung, dass impulsives Essverhalten durch therapeutische Methoden veränderbar ist. Dabei scheinen verschiedene Techniken und Interventionen hilfreich zu sein, von computergestützten Trainingsverfahren über Psychotherapie bis hin zur Neuromodulation, die miteinander kombinierbar sind und nicht zuletzt auch therapeutisch im Vorfeld oder im Anschluss an eine bariatrische Operation eingesetzt werden können, um den chirurgischen Outcome zu verbessern bzw. das Essverhalten nachhaltig zu beeinflussen und damit die Gewichtsreduktion zu verbessern oder aufrechtzuerhalten. 6.3.2  Impulsivität vor und nach

Adipositaschirurgie

Verändert sich Impulsivität nach bariatrischen Eingriffen und wenn ja inwiefern? Diesbezüglich gibt es zumindest Hinweise auf eine Verbesserung in den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten der adipösen Patienten nach einer bariatrischen Operation in einem Zeitraum von 3 Jahren (Alosco et al. 2014a, b; Gunstad et al. 2011). Kognitive Defizite sind dementsprechend also reversibel – die Mechanismen, die dieser Verbesserung zu Grunde liegen, sind bislang allerdings nicht klar. Zu Veränderungen der Impulsivität als Persönlichkeitseigenschaft nach einem bariatrischen Eingriff gibt es zudem bislang kaum Forschung. Erste Studien zeigen, dass sich adipöse Patienten vor und nach einer bariatrischen Operation nicht im Ausmaß ihrer Impulsivität unterscheiden, während sich andere Persönlichkeitsmerkmale verändert hatten (Georgiadou et al. 2014; Ryden et al. 2004). Dies weist darauf hin, dass die Reduktion von Impulsivität ohne eine spezifische Intervention sehr schwer zu erreichen ist. Bezogen auf impulsives Essverhalten konnte allerdings gezeigt werden, dass Patienten nach bariatrischen Operationen hochkalorische Nahrung weniger stark bevorzugen und das

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Belohnungssystem weniger stark auf Nahrungsreize reagiert (Behary und Miras 2015; Scholtz et al. 2015). Dementsprechend scheint die nahrungsbezogene Belohnungssensitivität also reduziert zu sein, möglicherweise durch eine veränderte Dopaminausschüttung. Bezüglich der Inhibitionskontrolle konnte ebenfalls in ersten Studien ein positiver Einfluss bariatrischer Eingriffe gefunden werden. So entwickelten die Patienten nach der Operation eine erhöhte Selbstkontrolle bei Nahrungsreizen (Tonelli et al. 2013). Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch bezüglich der Aufmerksamkeitslenkung auf Nahrungsreize (Giel et al. 2014) und in zwei Fragebogenstudien (Reiffen et al. 2004; Rieber et al. 2013). In einer Studie von Ochner et al. (2012) ergab sich Evidenz dafür, dass die Inhibitionskontrolle reduziert ist, wenn Nahrungsreize nach einer bariatrischen Operation als weniger belohnend empfunden werden, da es zu einer niedrigeren Aktivität im dorsolateralen präfrontalen Kortex kam. Inhibition ist dann bei einer reduzierten Belohnungssensitivität und der Konfrontation mit Nahrungsreizen also möglicherweise weniger notwendig. Zusammengefasst kann impulsives Essverhalten nach einem bariatrischen Eingriff evtl. reduziert werden. Die Datenlage ist hierbei jedoch noch sehr gering, beispielsweise fehlen Langzeitstudien bezüglich der Aufrechterhaltung dieser Effekte, und die zugrunde liegenden Mechanismen müssen weiter erforscht werden. Betrachtet man die individuellen Krankheitsverläufe der Patienten vor und nach Adipositaschirurgie, zeigt sich, dass ein hoher Anteil an adipösen Patienten, die eine bariatrische Operation planen, initial ein gestörtes, impulsives Essverhalten aufweisen (Gerlach et al. 2015; Opolski et al. 2015; Ryden et al. 2004; Sarwer et al. 2005). Beispielsweise leiden bis zu 50 % unter einer BES oder einer sog. Esssucht (Opolski et al. 2015). Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob dieses verstärkt impulsive Essverhalten tatsächlich mit dem OP-Wunsch der Patienten zusammenhängt oder ob der hohe BMI, der Voraussetzung für die Indikation einer bariatrischen

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Operation ist, diese Auffälligkeiten erklärt (7 Abschn. 6.2.2.). Jedenfalls ist ein solch gestörtes, impulsives Essverhalten vor der Operation, wie schon in 7 Abschn. 6.2.3 beschrieben, mit weniger Gewichtsabnahme und stärkeren psychologischen ­ Problemen nach der Operation verbunden (z.  B. Amundsen et al. 2016; Macias und Leal 2003; Niego et al. 2007). Bei einem Großteil der Patienten reduziert sich die Rate an impulsivem Essverhalten nach einer bariatrischen ­Operation in den ersten Jahren, z. B. in einer Studie von Pepino et al. (2014) bei Patienten mit einer sog. Esssucht um 93 %. Das Konzept einer Esssucht wird in Expertenkreisen aktuell jedoch sehr kontrovers diskutiert (Davis 2017; Finlayson 2017; Hebebrand et al. 2014). Darüber hinaus kommt es einem systematischen Review zufolge (Opozda et al. 2016) nach einigen Jahren häufig wieder zu einem Anstieg von impulsivem Essverhalten und insbesondere auch zu einem Wiedereinsetzen von Essanfällen nach einer Magenband- oder Magenbypassoperation. Bei einem relevanten Anteil an adipösen Patienten bleibt das impulsive Essverhalten außerdem nach der Operation bestehen (Meany et al. 2014). Gerade solch impulsives Essverhalten nach der bariatrischen Operation gilt ebenfalls als negativer Prädiktor für die Gewichtsabnahme (Sheets et al. 2015). Daher sollte bei adipösen Patienten nicht nur vor, sondern auch nach einem bariatrischen Eingriff auf impulsives Essverhalten geachtet werden. Dennoch nehmen adipöse Patienten mit impulsivem Essverhalten nach einer bariatrischen Operation mehr an Gewicht ab als bei einem konservativen Behandlungsprogramm (z. B. Ryden et al. 2004). Darüber hinaus wurde untersucht, ob sich die Impulsivität nach der körperlichen Restriktion der Nahrungsaufnahme durch die Operation möglicherweise auf andere Bereiche verlagert. Dabei zeigen inzwischen zwei Überblicksarbeiten, dass v. a. Hinweise auf eine Verlagerung des impulsiven Essverhaltens auf einen erhöhten Substanzkonsum bestehen (Spadola et al. 2015; Steffen et al. 2015). So entwickelt eine kleine Subgruppe

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K. Giel und K. Schag

von adipösen Patienten (ca. 3–4 %) innerhalb von 2–3 Jahren nach einer bariatrischen Operation eine Alkoholkonsumstörung, also einen Missbrauch oder eine Abhängigkeitserkrankung. Dies zeigte sich verstärkt bei Patienten, die einen gastrischen Roux-en-Y-Bypass erhalten haben. Bei diesen ist das Risiko, Probleme mit Alkohol zu entwickeln, ca. 6-fach erhöht. Interessanterweise haben Patienten mit solch einem Bypass einen veränderten Alkoholmetabolismus, der sowohl zu einem höheren Blutalkoholspiegel als auch subjektiv zu einer stärkeren Trunkenheit im Vergleich zu Kontrollpersonen ohne Operation führt (z. B. Pepino et al. 2015). Dieser veränderte Metabolismus ist den adipösen Patienten jedoch häufig nicht bekannt und könnte die erhöhten Raten einer Alkoholkonsumstörung (mit)verantworten (Steffen et al. 2015). Darüber hinaus waren die Raten von Alkohol- und Drogenkonsum bei bariatrischen Patienten insgesamt erhöht im Vergleich zu adipösen Kontrollpersonen, die keine Operation erhalten haben (Spadola et al. 2015; Steffen et al. 2015). Inzwischen gibt es auch Hinweise auf eine Verlagerung des impulsiven Essverhaltens auf sog. Verhaltenssüchte wie beispielsweise Internet- oder Kaufsucht (Steffen et al. 2015). Erste Studien weisen sogar auf eine erhöhte Rate an Selbstverletzungen (Bhatti et al. 2016) und ein erhöhtes Suizidrisiko nach einer bariatrischen Operation hin, und dabei wird laut einem Review ein Zusammenhang mit erhöhter Impulsivität angenommen (Mitchell et al. 2013). Morgan und Ho (2017) fanden jedoch keine erhöhte Rate an Selbstverletzungen oder Suiziden in ihrer bariatrischen Stichprobe. Zusammengenommen ist es möglich, dass das erhöhte Suizidrisiko und diese Suchtverlagerungen dadurch zustande kommen, dass die adipösen Patienten nach dem bariatrischen Eingriff ihre Impulsivität nicht mehr im Essen ausleben können (Steffen et al. 2015). Zudem entfällt die Möglichkeit, Emotionen über Essen zu regulieren und dadurch die Stimmung zu verbessern (Leehr et al. 2015; Scholtz et al. 2015).

! Bei bariatrischen Eingriffen sollte auf

eine mögliche Suchtverlagerung und Suizidalität im Verlauf geachtet werden. Dabei sollten bariatrische Eingriffe bei adipösen Patienten mit einer erhöhten Impulsivität, beispielsweise bei Patienten mit einer BES oder schon bestehenden Suchterkrankungen, besonders intensiv vorbereitet, begleitet und nachbetreut werden.

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101

Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten Annette Horstmann

7.1 Einleitung – 102 7.2 Entscheidungsverhalten bei Adipositas – 102 7.3 Dominanz von Gewohnheiten? – 103 7.4 Einfluss von Zeit auf Entscheidungen – 106 7.5 Mangel an Sensibilität für negative Folgen – 107 7.6 Rolle des dopaminergen Systems bei Adipositas – 108 7.7 Ursache oder Konsequenz? – 109 7.8 Reversibilität von Gehirnveränderungen – 110 7.9 Modulation von Kognition durch metabolische Faktoren – 110 7.10 Zusammenfassung – 111 Literatur – 111

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_7

7

102

A. Horstmann

7.1  Einleitung

7

Entscheidungen zu fällen, ist ein integraler Bestandteil des täglichen Lebens. Im Kontext von Adipositas sind Entscheidungen von besonderem Interesse, die das Essverhalten und die physische Aktivität beeinflussen. Wie wir uns letztendlich entscheiden, hängt von einer Fülle von Faktoren ab. Diese sind unter anderem der erwartete Belohnungswert, der Aufwand, den es aufzubringen gilt, ob wir alle Alternativen kennen und schon Erfahrungen damit gesammelt haben, aber auch welche ausdrücklichen Ziele wir uns gesteckt haben. Zusätzlich bestimmt unser Gehirn, wie wahrscheinlich es ist, dass wir uns für die eine oder andere Alternative entscheiden. Warum aber fällt es Menschen mit Adipositas so schwer, ihr Verhalten so zu steuern, dass es mit ihren ausdrücklich formulierten Zielen übereinstimmt? Könnte es sein, dass Gehirnsysteme, welche die Entscheidungsfindung stützen, als Folge von Adipositas verändert sind? In diesem Kapitel sollen die Eigenheiten von Kognition, Entscheidungsfindung und Gehirnfunktion bei Adipositas hervorgehoben werden, die auf tiefgreifende Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Adipositas in Gehirnsystemen hinweisen, die die Verhaltenskontrolle steuern. Unterschiede in diesen Hirnsystemen könnten eine mechanistische Erklärung dafür liefern, dass Personen mit Adipositas Schwierigkeiten gegenüber stehen, wenn sie versuchen, ihr Verhalten zu ändern. 7.2  Entscheidungsverhalten bei

Adipositas

Entscheidungen können auf unterschiedliche Weise getroffen werden: Geht es um alltägliche, oft wiederholte Entscheidungen, agieren wir oft gewohnheitsmäßig. Geht es hingegen um schwierige Entscheidungen, müssen wir evtl. erst verschiedene Optionen miteinander vergleichen, bevor wir die uns am vorteilhaftesten erscheinende Alternative wählen.

Im Gehirn gibt es zwei komplementäre Hirnsysteme, deren jeweilige Aktivität unser Verhalten maßgeblich steuert (. Abb. 7.1a). Auf der einen Seite stehen die entwicklungsgeschichtlich sehr alten Basalganglien und mit ihnen verknüpfte Areale, die die Verbindung zwischen einem Reiz in der Umgebung oder einer speziellen Situation und dem, was in der Folge passiert, herstellen und für die Zukunft speichern. So wird z. B. der Anblick oder der Duft einer Erdbeere oder eines Stückes Kuchen mit dem süßen Geschmack und einer Belohnungsreaktion durch den Zucker im Gehirn verknüpft. Dies führt dazu, dass spezifische Reiz-Reaktions-Ketten gebildet werden. Diese stellen sicher, dass vorteilhafte Handlungen in der Zukunft einfach wiederholt werden können. Bei übermäßigem Training einer bestimmten Reiz-Reaktions-Assoziation überwiegt das gewohnheitsmäßige System die Verhaltenskontrolle. Diese ist in einer stabilen Umgebung zwar rechnerisch sehr effizient, allerdings ist die Flexibilität des Verhaltens gering (de Wit und Dickinson 2009; ­Dickinson 1985). Gewohnheiten bestehen in erster Linie aus einer direkten Reaktion auf einen bestimmten Reiz, ohne jedoch etwaige Konsequenzen zu berücksichtigen (. Abb. 7.1b) (de Wit und Dickinson 2009). Der entwicklungsgeschichtlich jüngere Präfrontalkortex ist hingegen das bewusste, zielorientierte Steuer- und Kontrollzentrum des Gehirns. Aktivität in diesem Bereich des Gehirns ermöglicht es, langfristige Ziele im Gedächtnis zu behalten und das Verhalten ggf. an diese anzupassen sowie ungewolltes Verhalten zu unterdrücken und irrelevante Informationen auszublenden. Der Anblick eines reichhaltigen Buffets wird vom Präfrontalkortex sehr unterschiedlich bewertet werden, je nachdem, ob wir uns vorgenommen haben, auf bestimmte Nahrungsmittel zu verzichten oder nicht. Bei einer zielorientierten Handlungskontrolle werden Handlungen vor allem im Hinblick auf ihre Konsequenzen und ihre Übereinstimmung mit den aktuellen Zielen ausgewählt (. Abb. 7.1c).

7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

103

7

. Abb. 7.1  a Schematische Darstellung der Hirnsysteme, die maßgeblich an der Handlungssteuerung beteiligt sind; Rot unterlegt Basalganglien; grün unterlegt Präfrontalkortex; Pfeile illustrieren verschiedene anatomische Pfade innerhalb des dopaminergen Systems des Gehirns. b Bei der gewohnheitsmäßigen Handlungssteuerung wird eine Reaktion vor allem durch einen Reiz ausgelöst. Etwaige Konsequenzen beeinflussen die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion wenig. c Bei der zielorientierten Handlungssteuerung wird die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion vor allem durch die zu erwartenden Konsequenzen bestimmt

Allerdings ist die Funktion des Präfrontalkortex energetisch aufwendiger und leicht durch äußere Einflüsse, wie z. B. Stress und Schlafmangel, störbar. In der Folge geraten Aktivität in den Basalganglien und dem Präfrontalkortex ins Ungleichgewicht und automatische Reiz-­ Reaktionsketten gewinnen die Überhand. Dies führt dazu, dass z. B. Diätabsichten zwar formuliert, in konkreten Situationen jedoch nicht umgesetzt werden können. Die Balance zwischen zielgerichteter und gewohnheitsmäßiger Handlungssteuerung bestimmt also die Flexibilität unseres Handelns im Alltag. 7.3  Dominanz von

Gewohnheiten?

Bei Personen mit Adipositas tatsächliche Essverhalten oft ­ ihren ausdrücklich formulierten zielen überein. Darüber hinaus

stimmt das nicht mit Ernährungsscheinen sie

übermäßig empfindlich gegenüber dem Einfluss von Umweltreizen zu sein, die durch ihre bloße Präsenz ein bestimmtes Verhalten hervorrufen können (Corbit 2016; ­Simmank et  al. 2015). Dies ist charakteristisch für eine überwiegend gewohnheitsmäßige Handlungskontrolle, wie sie auch z. B. bei Drogenabhängigkeit oder Zwangsstörungen beobachtet wird. So konnte im Essenskontext gezeigt werden, dass eine generelle starke individuelle Gewohnheitsausprägung auch dazu führt, gute Ernährungsvorsätze nicht umzusetzen, z. B. ein erhöhter Konsum von Früchten (De Bruijn et al. 2007). Im Verhaltenslabor kann untersucht werden, ob Handlungen eher gewohnheitsmäßig oder zielorientiert ablaufen. Es kann gezielt überprüft werden, ob Handlungen durch einen Reiz ausgelöst werden oder ob die Wahrscheinlichkeit einer Handlung vom momentanen Ziel bestimmt wird. Probanden lernen z. B., auf einen Reiz hin für süße und

104

A. Horstmann

salzige Snackbelohnungen unterschiedliche Handlungen auszuführen (. Abb. 7.2a). Die Intensität, mit der die Probanden die Handlungen ausführen, wird für jede der Belohnungsarten protokolliert. In einer Pause wird den Probanden dann einer der beiden Snacks frei zur Verfügung gestellt. Durch gezielte Sättigung mit einem der beiden Snacks wird also dessen Belohnungswert herabgesetzt. Dies wird nach der Pause für die beiden Snacks auch ausdrücklich abgefragt: Alle Probanden berichten übereinstimmend, dass sie

nach der Pause weniger Lust auf den zur Verfügung gestellten Snack haben (. Abb. 7.2b). Nachfolgend wird dann geprüft, ob die Probanden trotz dieser Entwertung immer noch Handlungen ausführen, um diesen Snack zu gewinnen. Dies würde auf eine Dominanz der Handlungskontrolle durch Gewohnheiten schließen lassen. Personen mit Adipositas zeigen tatsächlich weniger Verhaltensanpassung nach einer Verminderung des Belohnungswertes der Snacks (. Abb. 7.2c) (Horstmann et al. 2015; Janssen et al. 2016). Sie berichten

7

. Abb. 7.2  a Schematische Darstellung eines Experimentes zur Untersuchung der Balance zwischen gewohnheitsmäßiger und zielorientierter Handlungskontrolle. Blau Zunächst wird auf einer Skala erhoben, wie viel Appetit die Probanden auf verschiedene Snacks haben. Weiß Danach lernen sie, durch Drücken eines Knopfes verschiedene Snacks zu gewinnen. Die Antwortrate wird aufgezeichnet. Gelb Anschließend erhalten sie ihre Gewinne. Orange Während einer Pause dürfen sie von einem der Snacks so viel essen, wie sie möchten. Blau Danach wird erneut erhoben, wie viel Appetit die Probanden auf verschiedene Snacks haben. Weiß Abschließend wird im eigentlichen Test die Antwortrate erneut aufgezeichnet. b Alle Probanden berichten übereinstimmend, nach der Pause weniger Appetit auf den abgewerteten Snack zu haben. c Im Unterschied zu normalgewichtigen Probanden führt dieser Rückgang im Motivationswert bei Menschen mit Adipositas jedoch nicht dazu, dass sie ihr Verhalten anpassen, d. h. die Antwortrate bleibt auch nach der Abwertung hoch

7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

zwar ausdrücklich eine Verringerung der Motivation, die abgewertete Belohnung zu essen, reagieren aber dennoch mit unveränderter Intensität auf den damit verbundenen Reiz. Für den Alltag könnte dies bedeuten, dass Therapieansätze erfolglos bleiben, die auf kognitiver Verhaltenssteuerung basieren, weil in der konkreten Entscheidungssituation gewohnheitsmäßige Handlungen überwiegen und dadurch explizite Ziele gar nicht in den Entscheidungsprozess einfließen können. Vormals neutrale Reize, die mit Nahrung assoziiert werden, können aber auch bei normalgewichtigen Probanden eine erhöhte Motivation zur Nahrungsbeschaffung und -aufnahme hervorrufen (Colagiuri und Lovibond 2015). Dieser Effekt scheint durch Adipositas noch verstärkt zu werden. Die Steuerung des Essverhaltens bei Menschen mit Adipositas scheint störbarer als die von Menschen ohne Adipositas: Ihre Entscheidungen werden eher von vorhandenen Reizen in der Umgebung beeinflusst (Simmank et al. 2015), und es fällt ihnen dadurch schwerer, ihre Vorsätze umzusetzen. Dies spiegelt sich darin, dass Menschen mit Adipositas oft berichten, dass sie essen, weil Reize in der Umgebung oder eine bestimmte Situation sie dazu verleiten und nicht, weil sie ein subjektives Hungergefühl verspüren (Dietrich et al. 2014;

105

7

Hays und Roberts 2008). Dieses Essverhalten, auch „opportunistisches Essverhalten“ genannt, erklärt etwa 14 % der Gesamtvarianz im BMI und ist damit ein bedeutender Faktor für die Erklärung übermäßigen Essverhaltens (Dietrich et al. 2014). Diese Ergebnisse zeigen eine Entkopplung von Motivation und Handlungssteuerung im Essenskontext bei Adipositas. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass übermäßiges Essen über einen langen Zeitraum zur Bildung von starken Reiz-Reaktions-Ketten führt, was letztendlich zur Entwicklung einer stärker automatisierten und damit gewohnheitsmäßigen Nahrungsaufnahme führt. Um dies zu experimentell zu sichern, wurde gemessen, wie schnell Probanden mit Hilfe eines Joysticks Essensbilder unterschiedlicher Kategorien, wie z. B. gesund/ungesund, von sich wegdrücken oder zu sich hinziehen (. Abb. 7.3a). Sind die Probanden bei dem gleichen Bild schneller, wenn sie es zu sich heranziehen, so wird dies als automatische Annäherungstendenz interpretiert. Die Ergebnisse zeigen, dass Personen mit Adipositas im Unterschied zu normalgewichtigen Personen auch im Labor eine automatische Annäherungstendenz gegenüber Essensreizen zeigen (. Abb. 7.3b). Kürzlich konnte

. Abb. 7.3  a Mit Hilfe eines Joysticks lassen sich automatische Annäherungstendenzen messen: Sind Probanden unterschiedlich schnell, wenn sie Bilder von Nahrungsmitteln mittels eines Joysticks heranziehen oder wegdrücken sollen? b Menschen mit Adipositas sind schneller darin, sich Nahrungsmitteln anzunähern. Dies gilt für gesunde und ungesunde Nahrungsmittel. Mit einem Training kann dies verändert werden

106

7

A. Horstmann

gezeigt werden, dass dies durch ein geeignetes Training verändert werden kann (Mehl et al. 2018). Auch eine generell schnellere Entstehung von Gewohnheiten bei Personen mit Adipositas könnte in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen. Allerdings lässt sich außerhalb des Essenskontextes keine generelle Tendenz zu mehr gewohnheitsmäßigem Verhalten bei Individuen mit Adipositas feststellen (Dietrich et al. 2016). Eventuell ist die Dominanz von Gewohnheiten bei der Verhaltenskontrolle also essensspezifisch. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Gewohnheiten bei der Kontrolle des Essverhaltens eine große Rolle spielen. Deshalb sollte diesen bei der Behandlung große Aufmerksamkeit gewidmet werden, und die Patienten sollten, evtl. durch geeignete Interventionen, dabei unterstützt werden, nachteilige Gewohnheiten zu verändern. 7.4  Einfluss von Zeit auf

Entscheidungen

Wenn wir Entscheidungen fällen, wägen wir in der Regel sorgfältig ab zwischen dem erwarteten Nutzen und den Kosten, die dafür aufgebracht werden müssen. Die Kosten können in sehr unterschiedlichen Dimensionen anfallen: Diese beinhalten z. B. das Abwarten eines längeren Zeitintervalls, körperlichen Aufwand oder eine tatsächliche Geldinvestition. Ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren und deren Einfluss auf die konkrete Entscheidungsfindung kann dabei helfen, Therapieansätze und die Gestaltung der Umwelt, z. B. über Preisgestaltung und den Zugang zu Nahrungsmitteln, zu verbessern. Sollen wir unser Essverhalten kontrollieren, so haben verschiedene Handlungsalternativen sehr unterschiedliche zeitliche Belohnungseigenschaften: Essen wir jetzt etwas, so können wir uns über eine unmittelbare Belohnung freuen, verzichten wir jetzt, können wir uns evtl. erst in der Zukunft an

gehaltenem Gewicht erfreuen. Das gleiche gilt z. B. für die Essenszubereitung: Kaufen wir etwas, was wir direkt essen können, oder kochen wir erst etwas? Der Faktor Zeit könnte also bei Ernährungsgewohnheiten eine große Rolle spielen. Der Einfluss eines Warteintervalls auf das Entscheidungsverhalten kann auch im Verhaltenslabor untersucht werden. Um einen generellen Einfluss zu testen, wird als Belohnung kein Essen, sondern Geld in verschieden hohen Beträgen verwendet. Den Studienteilnehmern werden jeweils zwei Alternativen angeboten: Sie können sich entweder für einen kleineren Geldbetrag entscheiden, den sie sofort ausgezahlt bekommen, oder für einen größeren, auf den sie jedoch eine bestimmte Zeit warten müssen (. Abb. 7.4a). Aus einer Vielzahl solcher Entscheidungen mit verschieden langen Warteintervallen und unterschiedlich hohen Geldbeträgen kann dann die subjektive Wertminderung des Geldbetrages durch das abzuwartende Zeitintervall bestimmt werden (. Abb. 7.4b). Die meisten dieser Studien zeigen, dass Menschen mit Adipositas eine monetäre Belohnung, die erst in der Zukunft ausgezahlt wird, stärker herabwerten als Menschen ohne Adipositas (Amlung et al. 2016; McClelland et al. 2016; Simmank et al. 2015; Weller et al. 2008). Dies bedeutet, dass erwartete Belohnungen in der Zukunft einen geringeren Wert haben und dass dies bei Menschen mit Adipositas stärker ausgeprägt ist. Für konkrete Alltagsentscheidungen hieße das, dass diejenige Option, die mit unmittelbarer Belohnung verknüpft ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnt. Die bloße Tatsache, dass eine Belohnung erst in der Zukunft verfügbar sein wird, verursacht also bereits einen Wertverlust. Interessanterweise gilt dies auch für andere Belohnungen, die bei der Gewichtskontrolle eine direktere Rolle spielen: Wird die gleiche Aufgabe mit zu erwartendem Gewichtsverlust gestellt, so würden Menschen, die gerne Gewicht verlieren würden, lieber schnell einen kleineren Gewichtsverlust erzielen als länger auf einen größeren hinzuarbeiten (Lim und Bruce 2015).

7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

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. Abb. 7.4  a Probanden sollen sich zwischen zwei Alternativen entscheiden: Möchten sie eine kleinere Belohnung sofort erhalten oder lieber eine größere später? Dabei werden verschiedene Belohnungen in Aussicht gestellt. Im Beispiel oben Geldbeträge und unten Gewichtsverlust. Menschen mit Adipositas bevorzugen stärker sofort erhältliche, dafür aber kleinere Belohnungen. b Der Wert, der einer Belohnung beigemessen wird, sinkt mit der Wartezeit. Bei Personen mit Adipositas sinkt dieser Wert schneller

Wird die Aktivität im Präfrontalkortex, also derjenigen Region, die für die zielorientierte Handlungssteuerung verantwortlich ist, während dieser Aufgabe gemessen, ist sie ein guter Prädiktor für die Gewichtszunahme in den kommenden Jahren: Sind diese Hirnregionen während der Entscheidungsfindung weniger aktiv, ist dies mit einer höheren Gewichtszunahme verbunden (Kishinevsky et al. 2012). Die Tendenz, Belohnungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, einen niedrigeren Wert zuzuweisen, hängt bei Menschen mit Adipositas direkt mit dem durch äußere Reize ausgelösten Essverhalten zusammen (Simmank et al. 2015). Zusammengenommen hat dies für die Behandlung und dafür notwendige Motivation eine enorme Bedeutung: Ziele wie Gewichtsverlust oder -stabilisierung sind notwendigerweise Langzeitprojekte, deren Erreichen durch einen Fokus auf unmittelbare Belohnungen torpediert wird.

7.5  Mangel an Sensibilität für

negative Folgen

Menschen mit Adipositas entscheiden nicht nur ungeduldiger, sie treffen auch nachteiligere Entscheidungen, wenn sie sofortige Belohnungen und langfristige negative Konsequenzen gegeneinander abwägen sollen. Dies wurde mit Hilfe einer Glücksspielaufgabe gezeigt, in der die Probanden gebeten wurden, ihren Geldgewinn zu maximieren. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, dafür Karten aus mehreren Stapeln zu wählen. Jede Karte ergibt in diesem Spiel entweder Netto-Positiv- oder Netto-Negativpunkte. Einige Stapel sind vorteilhaft, da Karten aus diesen Stapeln zu einem langfristig positiven Ergebnis führen, d. h., es wird über die Zeit mehr Geld gewonnen als verloren, während die Wahl der anderen Stapel zu einem langfristigen Verlust führt, da hier insgesamt mehr verloren als gewonnen wird.

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Die Teilnehmer müssen daher lernen, kurzfristige Geldbelohnungen gegen langfristige Verluste abzuwägen und ihr Wahlverhalten entsprechend anzupassen. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere Frauen mit Adipositas im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen unempfindlich gegenüber negativen Langzeitfolgen bei hohen Sofortbelohnungen waren (Brogan et al. 2010; Horstmann et al. 2011). Sofort verfügbaren Belohnungsoptionen wird also ein höherer Wert beigemessen, und zwar ungeachtet etwaiger negativer Langzeitfolgen. Könnte es sein, dass die Verhaltenssteuerung bei Menschen mit Adipositas weniger von negativen Folgen beeinflusst wird? In einer Laboraufgabe, in denen Probanden lernen sollten, entweder positive Konsequenzen zu maximieren oder negative Konsequenzen zu vermeiden, schnitten Probanden mit Adipositas bei der Bedingung mit negativen Konsequenzen deutlich schlechter ab als Menschen mit Normalgewicht (Coppin et al. 2014). Die geringere Sensitivität gegenüber negativen Folgen bei Menschen mit Adipositas war in einer anderen Studie direkt mit einem Unterschied der funktionellen Kopplung zwischen Hirnregionen verknüpft, die für die Verhaltensanpassung in einer Lernaufgabe verantwortlich sind (Mathar et al. 2017). Positive Konsequenzen haben im Gegensatz zu negativen also einen viel stärkeren Einfluss auf die Verhaltenssteuerung bei Adipositas. Dies sollte bei der Gestaltung von Therapien für Menschen mit Adipositas unbedingt berücksichtigt werden. Charakteristika Entscheidungsverhalten Adipositas 5 Dominanz von Gewohnheiten 5 Entkopplung von Motivation und Verhalten 5 Starke Entwertung von Belohnungen, die erst in der Zukunft eintreten 5 Unempfindlicher gegen negative Konsequenzen

In den vorangegangenen Abschnitten wurde eine Reihe von Verhaltenseigenschaften von Menschen mit Adipositas beschrieben. Forschungsergebnisse legen nahe, dass diese Eigenschaften mit Unterschieden im Gehirn zwischen Menschen mit und ohne Adipositas verknüpft sind, die im Folgenden näher erläutert werden sollen. 7.6  Rolle des dopaminergen

Systems bei Adipositas

Um zielgerichtetes Essverhalten zu erzeugen, verrechnet unser Gehirn Signale des Körpers mit Reizen in der Umwelt, die die Verfügbarkeit von Nahrung signalisieren. Signalisiert beispielsweise der Körper über die Freisetzung von bestimmten Hormonen, dass er hungrig ist, gewinnen Essensreize in der Umwelt an Bedeutung. In der Folge steigt die Motivation zu essen. Hier spielt ein bestimmter Neurotransmitter im Gehirn, das Dopamin, eine Schlüsselrolle. Dopamin spielt nicht nur eine wichtige Rolle bei Antrieb und Motivation, sondern beeinflusst auch stark kognitive Prozesse wie Lernen, Entscheidungsfindung und Arbeitsgedächtnis. Die dopaminerge Signalübertragung ist komplex und wird von einer Fülle von Faktoren bestimmt. Dazu gehören z. B. die Menge an verfügbaren Vorläuferstufen, in diesem Fall den Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin, die Aktivität des für die Synthese notwendigen Enzyms Tyrosinhydroxylase, die Sensitivität und Verfügbarkeit von verschiedenen Rezeptoren in unterschiedlichen Bereichen des Gehirns und die Aktivität von Enzymen, die Dopamin wieder abbauen bzw. Transportern, die es aus dem synaptischen Spalt entfernen. Einige dieser Faktoren können beim Menschen bestimmt werden und scheinen bei Adipositas verändert zu sein. Die Verfügbarkeit von Dopamin hängt direkt mit dem Gleichgewicht zwischen zielgerichteter und gewohnheitsmäßiger Handlungskontrolle beim Menschen zusammen

7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

(Deserno et al. 2015). Eine höhere Synthesekapazität ist mit einer eher zielgerichteten Handlungssteuerung verbunden. Kürzlich konnte gezeigt werden, dass die Verfügbarkeit von Dopamin mit zunehmendem BMI im moderaten Adipositasbereich abnimmt (Lee et al. 2018), was eine Abnahme der zielgerichteten Handlungssteuerung bedeuten würde. Die Verfügbarkeit der Dopaminrezeptoren im Gehirn scheint einen quadratischen Zusammenhang mit dem Adipositasgrad zu zeigen: Bei Übergewicht und leichter Adipositas scheinen mehr Rezeptoren zur Verfügung zu stehen, wohingegen bei schwerer Adipositas wenige Rezeptoren zur Verfügung stehen. Dies könnte indirekt auf einen zu hohen Dopaminspiegel bei schwerer Adipositas hindeuten. Untersuchungen der Abbauprodukte von Dopamin im Blut zeigen passend dazu, dass schwere Adipositas wahrscheinlich mit einem höheren Spiegel des Neurotransmitters im Gehirn einhergeht. Die Verfügbarkeit von Dopaminrezeptoren im Gehirn steht zum einen direkt mit dem Ausmaß an selbst berichtetem opportunistischen Essverhalten in Beziehung (Guo et al. 2014), und sagt zum anderen die Entwertung zukünftiger Belohnungen vorher (Eisenstein et al. 2015). Signale aus dem Körper, die Informationen über den homöostatischen Status und den Füllstand der Energiespeicher tragen, wie z. B. Ghrelin, Leptin und Insulin, können die Aktivität dopaminerger Nervenzellen im Gehirn direkt oder indirekt beeinflussen (Cone et al. 2014; Hommel et al. 2006; ­Jerlhag 2008; Jerlhag et  al. 2006). Das „Hungerhormon“ Ghrelin ist ein orexigenes Hormon, das vor der Nahrungsaufnahme freigesetzt wird und dessen Freisetzung nach Abschluss einer Mahlzeit endet (Tolle et al. 2002). Ghrelin überwindet die Blut-Hirn-Schranke (Banks et al. 2002), und Ghrelinrezeptoren kommen im gesamten Gehirn, einschließlich der wichtigsten dopaminergen Kerne, vor (Zigman et al. 2006). Ghrelingabe erhöht die Dopaminkonzentration in einer Schlüsselstruktur für Motivation und Belohnung in den Basalganglien (Jerlhag 2008; Jerlhag et al. 2006,

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7

2007) und erhöht bei Ratten die Nahrungsaufnahme (Cone et al. 2014). Anorektisches Leptin hingegen vermindert bei Nagetieren die Aktivität dopaminerger Nervenzellen und dämpft in der Folge die Nahrungsaufnahme (Hommel et al. 2006). Adipositas ist mit Veränderungen der Blutspiegel, der Dynamik und der Empfindlichkeit des Gehirns gegenüber Insulin, Leptin und Ghrelin verbunden. Infolgedessen könnte auch die zentrale Modulation des dopaminergen Systems durch periphere Hormone bei Adipositas beeinträchtigt sein. Zusätzlich zeigen neuere Befunde, dass das dopaminerge System selbst tiefgreifende Veränderungen bei Übergewicht und Adipositas erfährt (s. o.). Veränderungen in den dopaminergen Schaltkreisen des Gehirns sind bei Suchterkrankungen seit langem bekannt (Everitt und Robbins 2005; Koob und Volkow 2016). Personen mit Adipositas, Substanzund Nichtsubstanzabhängigkeit zeigen z. B. vergleichbare Veränderungen in der Hirnantwort auf Belohnung (García-García et al. 2014). Adipositas und Sucht könnten also eine gemeinsame neuronale Basis haben (Volkow et al. 2013). Neueste Forschungsergebnisse belegen, dass das dopaminerge System des Gehirns einen direkten Einfluss auf den peripheren Glukosehaushalt hat (ter Horst et al. 2018). Es besteht also eine intime Beziehung zwischen peripherem Metabolismus, dem dopaminergen System des Gehirns, kognitiver Leistung und Verhalten, die bei Adipositas grundlegend verändert zu sein scheint. 7.7  Ursache oder Konsequenz?

Eine der wichtigsten Fragen in der aktuellen Forschung ist diejenige nach Ursache oder Wirkung, d. h.: Sind die kognitiven Unterschiede, die bei Menschen mit Adipositas beobachtet werden können, ursächlich für das Entstehen einer Adipositas oder vielmehr eine Konsequenz der Ernährung und damit verbundenen metabolischen Veränderungen? Eine neuere Tierstudie hat diese Frage

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A. Horstmann

adressiert, indem die Autoren die Integrität des dopaminergen Systems im Gehirn und die spontane Bewegungsfreudigkeit der Tiere vor und nach diätinduzierter Adipositas untersucht haben. Die Ergebnisse zeigen, dass dopaminerge Veränderungen und der Mangel an körperlicher Bewegung als Folge, nicht als Ursache von Adipositas zu betrachten sind und wahrscheinlich durch massive Veränderungen im Gehirn vermittelt werden (Friend et al. 2016). Dies legt nahe, dass auch die kognitiven Unterschiede als Konsequenz und nicht als Ursache von Adipositas verstanden werden sollten.

7

7.8  Reversibilität von

Gehirnveränderungen

Hier stellt sich die wichtige Frage, ob Adipositaschirurgie, die den Grad der Adipositas reduziert, sich auch positiv auf die zugrunde liegenden Veränderungen im Gehirn auswirkt. Obwohl die genauen Mechanismen des Therapieerfolgs bisher ungeklärt sind, sind hormonelle Veränderungen von z. B. Leptin, Pankreaspeptid YY (PYY) und Glucagon-like Peptid 1 (GLP1) gut dokumentiert (le Roux et al. 2006). Sehr häufig verbessert sich nach einer Operation auch die Insulinsensitivität. Durch die enge Beziehung zwischen peripheren gastrointestinalen Signalen und dem dopaminergen System des Gehirns können Veränderungen im Hormonprofil auch eine langfristige Modulation des dopaminergen Systems verursachen: Das appetitsteigernde Ghrelin und das appetitbremsende Leptin sind z. B. invers mit der Verfügbarkeit von zentralen Dopaminrezeptoren assoziiert (Dunn et al. 2012). Studien gibt es vor allem zum Zusammenhang zwischen Adipositaschirurgie und der Verfügbarkeit von Dopaminrezeptoren des Typs D2 vor und nach Operation. Studien, die die Rezeptorverfügbarkeit vor und relativ kurz nach der Operation verglichen haben (6–7 Wochen nach Operation), kamen bisher

nicht zu eindeutigen Ergebnissen (De Weijer et al. 2014; Dunn et al. 2010; Steele et al. 2010). Nach 6 Monaten konnte ebenfalls keine Veränderung beobachtet werden (Karlsson et al. 2015). Zwei Jahre nach der Operation, also zu einem Zeitpunkt, an welchem davon ausgegangen werden kann, dass die Gewichtsabnahme relativ stabil ist, wurde eine Erhöhung der Rezeptorverfügbarkeit beobachtet (van der Zwaal et al. 2016). Die uneinheitlichen Befunde erschweren bisher eine Aussage über einen konsistenten Effekt der Adipositaschirurgie auf die dopaminerge Signalübertragung und damit verbundene kognitive Leistung im Gehirn. Ein Faktor, der zu diesen uneinheitlichen Ergebnissen führen könnte ist, dass eine Adipositaschirurgie nicht bei allen Patienten langfristig zu einer Verbesserung der metabolischen Parameter und einer Gewichtsabnahme führt: Ein nicht unerheblicher Teil der Patienten zeigt nach einer anfänglichen Gewichtsreduktion keine weitere Gewichtsabnahme oder sogar eine erneute Gewichtszunahme. Da die meisten Studien bisher nur kurzfristige Effekte untersucht haben, war zum Zeitpunkt der Messung noch nicht klar, welche Gewichtsentwicklung die Patienten in Zukunft haben werden. Das bedeutet, dass die meisten Studien endeten, bevor die reale Langzeitgewichtsentwicklung der Patienten absehbar war. 7.9  Modulation von Kognition

durch metabolische Faktoren

Kognitive Leistungsfähigkeit wird maßgeblich durch die dem Gehirn zur Verfügung stehende Energie bestimmt. Diese wird dem Gehirn in Form von Glukose geliefert. Glukose ist ein Einfachzucker, der mit der ­ Nahrung aufgenommen wird und die primäre Energiequelle aller Zellen im Körper ist. Hirnfunktionen wie Denken, Gedächtnis und Lernen sind eng damit verknüpft, wie hoch der Glukosespiegel im Blut ist und wie effizient das

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7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

Gehirn diese Energiequelle zu nutzen vermag. Wenn nicht genügend Glukose im Gehirn vorhanden ist, werden manche Neurotransmitter nicht ausreichend gebildet und die Kommunikation zwischen den Nervenzellen wird beeinträchtigt. Ein zu geringer Zuckerspiegel kann also zu einem Energieverlust im Gehirn und damit zu Störungen der Aufmerksamkeit und Kognition führen. Adipositas ist laut einer aktuellen Studie mit einer schlechteren Energiegewinnung aus Glukose assoziiert – das Gehirn von Menschen mit Adipositas scheint also schlechter in der Lage zu sein, die peripher zugeführte Energie effizient zu nutzen (Wardzinski et al. 2018). Die individuelle Insulinsensitivität scheint hier eine besondere Rolle zu spielen: Sie vermittelt die Beziehung zwischen Hirnaktivität, während eine Arbeitsgedächtnisaufgabe gelöst wird, und dem BMI als Marker für Adipositas (Gonzales et al. 2010). Unabhängig vom BMI ist ein höherer peripherer Nüchternglukosespiegel außerdem mit einer schlechteren Inhibition auf Verhaltensebene verknüpft, d.  h., automatische Verhaltensweisen können schlechter unterdrückt werden (Hawkins et al. 2016). Verbesserungen in der Insulinsensitivität nach bariatrischer OP scheinen sich hingegen positiv auf kognitive Parameter wie Arbeitsgedächtnis, psychomotorische Schnelligkeit und kognitive Flexibilität auszuwirken (Galioto et al. 2015). 7.10  Zusammenfassung

Bei Menschen mit Adipositas lassen sich eine Reihe charakteristischer Verhaltensweisen beobachten, die für den individuellen Therapieerfolg eine große Rolle spielen könnten. Im Essenskontext dominieren z. B. automatische, gewohnheitsmäßige Entscheidungen und Handlungen, zukünftigen Belohnungen wird ein geringerer Wert beigemessen, und daher sind Entscheidungen oft impulsiv. Ferner wird das Entscheidungsverhalten von Menschen mit Adipositas nicht so stark von negativen Erfahrungen beeinflusst.

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Diese Unterschiede im Verhalten spiegeln sich in Veränderungen in Hirnsystemen wieder, die Handlungskontrolle, Motivation und Lernen steuern. Hormone, die das Essverhalten beeinflussen, und Stoffwechselfaktoren, wie z. B. die Insulinsensitivität, haben einen direkten Einfluss auf diese Systeme im Gehirn. Der Botenstoff Dopamin im Gehirn spielt hier eine zentrale Rolle. Die neuronalen Unterschiede bei Übergewicht und Adipositas sind wahrscheinlich mitverantwortlich dafür, dass schädliche Verhaltensmuster wie übermäßiges Essen aus Gewohnheit oder zur Belohnung allein durch Einsicht kaum zu verändern sind. Interventionsstrategien, die ausschließlich auf eine bessere Aufklärung setzen, reichen daher nicht aus. Forschungsergebnisse deuten zwar darauf hin, dass die beobachteten Unterschiede sowohl auf der Verhaltensebene als auch auf Gehirnebene durch Interventionen wie z. B. bariatrische Chirurgie veränderbar sind. Trotzdem kommt es auf die frühe Prävention schon in jungen Jahren an, damit der neuronale Teufelskreis gar nicht erst in Gang kommt.

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7 · Adipositas, Kognition und Entscheidungsverhalten

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115

Psychische Komorbidität und Lebensqualität vor und nach Adipositaschirurgie Sebastian Jongen, Henrik Kessler und Stephan Herpertz

8.1 Einführung – 116 8.2 Psychische Komorbiditäten – 116 8.2.1 Depression und Angststörung – 116 8.2.2 Essstörungen, gestörtes Essverhalten – 117 8.2.3 Traumafolgestörungen – 118 8.2.4 Persönlichkeitsstörungen – 119

8.3 Lebensqualität – 119 8.3.1 Prädiktoren – 120

Literatur – 122

Passagen des Kapitels sind dem Artikel Herpertz S, Kessler H, Jongen S. „Psychosomatic and psychosocial questions regarding bariatric surgery: What do we know, or what do we think we know?“ Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie entnommen (im Druck).

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_8

8

116

S. Jongen et al.

8.1  Einführung

8

Die pandemische Ausbreitung der Adipositas geht mit einer deutlichen Steigerung des Gesundheitsrisikos auf somatischer und psychischer Ebene einher. Abseits der individuellen Genese der Adipositas sind die psychosozialen Belastungen für den Einzelnen unverkennbar. Sie zeigen sich insbesondere in der Diskrepanz zwischen dem hohen Ansehen des gesellschaftlichen Schlankheitsideals (­ Pinhas et al. 1999; Low et al. 2003) und dem steigenden durchschnittlichen Körpergewicht der Bevölkerung (Finucane et al. 2011). Hieraus resultieren psychische Symptome und Störungen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Umstand, dass seelische Probleme, bis hin zu dem Vollbild einer psychischen Störung, eine Veränderung des Ess- und Bewegungsverhaltens induzieren können, was wiederum zu einer positiven Energiebilanz mit Übergewicht und Adipositas führt. 8.2  Psychische Komorbiditäten 8.2.1  Depression und

Angststörung

Depressive und Angststörungen lassen sich bei Adipositaschirurgie-Patienten häufig beobachten. Nach Marek et al. (2016) ist von einer Punkt-(Lebenszeit-)Prävalenz von 15,5 % (45,5 %) für die Depression und 24 % (37,5 %) für die Angststörung auszugehen. Der Zusammenhang von Depression und Angststörungen vor dem chirurgischen Eingriff und dem postoperativen Gewichtsverlauf stellt sich – zumindest bezogen auf die ersten drei Jahre nach der Operation – widersprüchlich dar. Einige Studien konnten einen negativen (de Zwaan et al. 2011; Kalarchian et al. 2007; Semanscin-Doerr 2010), andere einen positiven Zusammenhang beobachten (Averbukh et al. 2003; Odom et al. 2010). Wieder andere Studien fanden keinerlei Zusammenhänge (Marek et al. 2016; Tarescavage et al. 2013). In eine Metaanalyse von Dawes et al. (2016) wurden insgesamt 68 prospektive Studien im

Zeitraum von 1988–2015 mit den prä- und postoperativen Daten von 50.182 Patienten einbezogen. Die häufigsten drei psychischen Störungen bei Adipositaschirurgie-Patienten (Depression, Angst- und Binge-Eating-Störung (BES)) traten im Vergleich zur US-amerikanischen Bevölkerung häufiger auf (affektive Störungen 23 % vs. 10 %; depressive Störungen 19 % vs. 8 %; BES 17 % vs. 1–5 %). Ein klarer Zusammenhang zwischen diesen drei psychischen Störungen und dem postoperativen Gewichtsverlauf konnte nicht herausgearbeitet werden. Allerdings ließ sich nach dem operativen Eingriff eine deutliche Besserung der psychischen Symptomatik beobachten. 11 von 12 Studien zeigten eine Besserung der depressiven Störung sowohl im Hinblick auf die Prävalenz wie auch die Symptomatik (Dawes et al. 2016). Bei der Mehrzahl der Studien umfasste der postoperative Beobachtungszeitraum nicht mehr als 3 Jahre. Aber auch die Ergebnisse zweier Studien mit längeren Katamnesezeiträumen von 4 Jahren (Dixon et al. 2003) und 7,8 Jahren (Adams et al. 2007) wiesen in die gleiche Richtung. Studien mit großen Katamnesezeiträumen von 9 bzw. 10 Jahren (Karlsson et al. 2007; Herpertz et al. 2015; Canetti et al. 2016) kommen ebenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen. Bei dem Vergleich von chirurgisch (n  =  851) und konservativ (n  = 852) behandelten Patienten mit Adipositas ließ sich in der SOS-Studie (Karlsson et al. 2007) eine Halbierung der Depressionsscores (Hospital Anxiety Depression Scale) ein Jahr nach der Operation beobachten, 6 und 10 Jahre danach waren es noch 25 % bzw. 27 %, wobei sich ein enger Zusammenhang zwischen dem Gewicht und dem Depressionsscore abbildete. Gegenüber der konservativ behandelten Vergleichsgruppe kam es zu einer signifikanten Besserung der depressiven Symptome, allerdings waren die Effekte in beiden Gruppen klein (0.35) bzw. marginal (0.14). Einen vergleichbaren Verlauf nahm die Angstsymptomatik, deren HADS-Scores nach einem Jahr 37 %, nach 6 bzw. 10 Jahren 20 % bzw. 23 % des präoperativen Werts betrugen.

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8 · Psychische Komorbidität und Lebensqualität vor und nach …

Ein wesentlicher Unterschied zur konservativ behandelten Vergleichsgruppe zeigte sich nicht. Die Essen-Bochum Obesity Treatment Stu­ die (EBOTS) verglich Teilnehmer an einer kon­ servativen Adipositas-Behandlung (Optifast, n =  249) mit Adipositaschirurgie-Patienten (Magenband, n = 152) und Menschen mit Adipositas ohne initiales Anliegen einer Gewichtsreduktion (n = 128) über einen Zeitraum von 2, 4 und 9 Jahren (Burgmer et al. 2007, 2014; Herpertz et al. 2015). Im Gegensatz zu den konservativ behandelten Studienteilnehmern, die ihr initiales Gewicht nach ca. 4 Jahren wieder erreicht hatten, zeigte sich die postoperative Gewichtsabnahme mit ca.  11  kg/ m2 über den Zeitraum von 9 Jahren stabil. Im Gegensatz zur SOS-Studie ließ sich aber der positive Zusammenhang von Gewicht und psychischem Befinden, insbesondere der depressiven Symptomatik, nicht nachweisen. Trotz persistierender Gewichtsreduktion verschlechterten sich nach anfänglicher Besserung die depressiven Symptome wieder zwischen dem vierten und neunten Jahr nach der Operation, um am Ende die präoperativen (HADS-)Werte zu erreichen oder sie sogar zu übertreffen. Ähnlich bildete sich der Verlauf der Angstsymptomatik über den Katamnesezeitraum ab. Nach anfänglicher Besserung der Angstsymptome in den ersten 4 Jahren nach OP war ein Unterschied zwischen präoperativer Symptomatik und dem Befund nach 9 Jahren nicht mehr auszumachen. Die kontrollierte Studie von Canetti et al. (2016) mit einer kleinen Stichprobe von 36 Adipositaschirurgie-Patienten und 34 Teilnehmern einer konservativen Gewichtsreduktionsmaßnahme mit zwei katamnestischen Untersuchungen ein Jahr und 10 Jahre nach der Behandlung kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Trotz einer Gewichtsreduktion von 27 % des Ausgangsgewichts nach 10 Jahren hatten sich die Werte des Mental Health Inventory (MHI) u. a. mit Items zu Angst- und depressiven Symptomen in diesem Zeitraum deutlich verschlechtert. Hingegen erwies sich das psychische Befinden der konservativen

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Kontrollgruppe als stabil. Auch wenn die drei Studien vergleichbare Katamnesezeiträume haben, so unterscheiden sie sich in der Stichprobengröße und dem Rücklauf während der Katamnese. So betrug der Rücklauf der SOS-Studie 72–77 %, der EBOTS-Studie 55–65 % und der Studie von Canetti et al. (2016) 100 %. > Die Prävalenz komorbider psychischer

Störungen wie depressive Störungen ist bei Patienten mit Adipositas Grad 2 und Grad 3 mit dem Anliegen einer Adipositaschirurgie deutlich erhöht. Postoperativ sprechen kürzere Katamnesen für einen Rückgang komorbider psychischer Störungen, bei längeren Katamnesen ist die Studienlage widersprüchlich.

8.2.2  Essstörungen, gestörtes

Essverhalten

Die Prävalenz der Binge-Eating-Störung (BES) liegt bei adipösen Patienten vor Operation bei etwa 15–30 % (de Zwaan et al. 2002; Dawes et al. 2016). Aber auch andere Formen problematischen, in der Regel hyperkalorischen Essverhaltens wie das Night-Eating-Syndrom (NES) (Allison et al. 2006) mit Verzehr von ca. 75 % der Tageskalorienmenge in den Abendund Nachstunden, das „grazing“ i. S. eines Konsums kleiner Mengen von Nahrungsmitteln über den Tag verteilt ohne Hungergefühl (Colles et al. 2008), Kontrollverluste beim Essen („loss of control over eating, LOC), emotionales Essen („emotional eating“), Essen ohne Hunger oder süchtiges Essverhalten („food addiction“) (Opozda et al. 2016) werden nicht selten beobachtet (7 Kap. 9). Essstörungen nehmen kurzfristig nach der bariatrischen Operation ab, scheinen aber im Verlauf wieder zuzunehmen. Die Nahrungsmittelmengen, die während eines Essanfalls aufgenommen werden, sind insbesondere bei restriktiven Operationsverfahren jedoch i. d. R. geringer als vor der Operation. Patienten mit einer Essstörung vor der

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Operation tragen ein höheres Risiko für ein problematisches Essverhalten nach der Operation (Niego et al. 2007; Opozda et al. 2016), das wiederum mit einer geringeren Gewichtsabnahme bzw. stärkeren Gewichtswiederzunahme einhergeht. So untersuchten Colles et al. (2008) 129 Patienten vor und ein Jahr nach Adipositaschirurgie. Vor der Operation war bei 14 % eine BES-Symptomatik, bei 31 % LOC und bei 17,1 % ein NES zu beobachten. Postoperativ waren es 3,1 % bei BES, 22,5 % bei LOC und 7,8 % bei NES. „Grazing“ mit 26,3 % vor der Operation steigerte sich auf 38,0 % nach der OP. Präoperatives BES führte häufig zu postoperativem „grazing“. Patienten mit LOC und „grazing“ ein Jahr nach der OP zeigten einen signifikant geringeren Gewichtsverlust und klagten über mehr psychischen Stress als ­Patienten ohne gestörtes Essverhalten. Betrachtet man den Zusammenhang von prä- und postoperativem Essverhalten und deren prädiktive Funktion für den postoperativen Gewichtsverlauf, so ist das postoperative Essverhalten eindeutig aussagekräftiger (Opozda et  al. 2016). Die Frage, welche Patienten erneut Essanfälle entwickeln und bei welchen Patienten die Essanfälle dauerhaft ausbleiben, lässt sich präoperativ nur schwer beantworten. Nicht selten entwickeln Patienten nach Erreichen des Gewichtsplateaus eine intensive Angst vor erneuter Gewichtszunahme. Die Folge ist häufig ein bewusstes restriktives Essverhalten, das bei entsprechender Vulnerabilität das Wiederauftreten von Essanfällen begünstigen kann. > Die präoperative Diagnose einer

Essstörung, insbesondere der Binge-Eating-Störung, zeigt sich etwa bei jedem dritten bis fünften Patienten mit dem Anliegen einer Adipositaschirurgie, allerdings zeigt ein postoperativ gestörtes Essverhalten (z. B. „loss of control eating“) eine stärkere Prädiktion für den postoperativen Gewichtsverlauf.

8.2.3  Traumafolgestörungen

Nach Dawes et al. (2016) ist bei adipositaschirurgischen Patienten von einer Prävalenz der posttraumatischen Belastungsstörung von 1–2 % auszugehen. Wadden et al. (2006) berichteten, dass 20  % ihrer untersuchten 142 Patienten sexuellen Missbrauch erlebt hatten, in der Studie von Grilo et al. (2006) waren es 32 % von insgesamt 340 Patienten. In einer kanadischen interviewgestützten Kohortenstudie konnten bei 21,5  % der Patienten, die über einen Zeitraum von 4 Jahren operiert wurden und für die Follow-up-Daten verfügbar waren (n  = 6.016) Missbrauchserfahrungen dokumentiert werden (Hensel et al. 2016), was etwa dem Anteil in der Allgemeinbevölkerung entspricht. Allerdings stellte sich die psychische Komorbidität deutlich höher dar. Am häufigsten war emotionaler Missbrauch (13,1  %), gefolgt von sexuellem (10,6 %) und körperlichem Missbrauch (8,9  %). Was die Gewichtsabnahme anbelangt, so unterschieden sich zumindest für das erste postoperative Jahr Patienten mit und ohne Missbrauchserfahrungen nicht. Vergleichbare Ergebnisse erbrachte die Studie von Grilo et al. (2006). Von 137  Patienten berichteten 32  % über sexuellen Missbrauch in der Kindheit und 27 % über emotionalen Missbrauch. Ein Jahr nach der Operation konnten keine klinisch relevanten Unterschiede zu den Patienten ohne Missbrauchserfahrungen im Hinblick auf Gewicht, Essverhalten und psychisches Befinden beobachtet werden. In einer retrospektiven Erhebung (Clark et  al. 2007) wurden 152 Patienten 2 Jahre nach der Operation untersucht. 27 % berichteten über einen sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit, 9 % über ein sexuelles Trauma und 19 % über körperliche Gewalterfahrung als Erwachsene. Auch in dieser Untersuchung hatten die traumatischen Erlebnisse keinen Einfluss auf den postoperativen Gewichtsverlauf, allerdings

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wiesen 8 der 37 Patienten (22 %), die nach der OP psychiatrische Hilfe in Anspruch nahmen, sexuelle Missbrauchserfahrungen in ihrer Kindheit auf. > Die Prävalenz traumatischer Erfahrungen

bei Patienten vor Adipositaschirurgie scheint nicht erhöht zu sein und kann den postoperativen Gewichtsverlauf zumindest in kürzeren Katamnesen nicht voraussagen. Allerdings bestehen Hinweise auf eine erhöhte Vulnerabilität gegenüber postoperativ auftretenden psychischen Störungen.

8.2.4  Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen bei Adipositaschirurgie-Patienten sind im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht. So fanden Kalarchian et al. (2007) in einer Stichprobe von 288 Adipositaschirurgie-Patienten eine Lebenszeitprävalenz von 29 % für A ­ chse-II-Störungen, Mauri et al. (2008) in einer vergleichbaren Stichprobe eine Lebenszeitprävalenz von 19,5 % (gegenüber 6 % [Huang et al. 2009] bis 12 % [Lenzenweger et al. 2007] in der Allgemeinbevölkerung). In einem systematischen Review von Livhits et al. (2012) wurden 115 Artikel eingeschlossen und präoperative Prädiktoren für die postoperative Gewichtsabnahme untersucht. Von den insgesamt 14 Studien zu dem Zusammenhang von Persönlichkeitsstörungen und postoperativem Gewichtsverlust zeigten 7 Studien einen negativen, 4 einen positiven und 3 keinen Zusammenhang. Allerdings basierte die Diagnostik der eingeschlossenen Studien fast ausschließlich auf Fragebögen, wobei auch einige Studien nicht zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und -störungen unterschieden. Zu einem anderen Ergebnis kam das systematische Review von Gerlach et al. (2015), das u. a. 4 prospektive Studien mit insgesamt 570 Patienten untersuchte. Die Beobachtungszeiträume der Studien reichten von 6  Monaten bis 4  Jahren.

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Keine der Studien konnte einen Zusammenhang zwischen einer Persönlichkeitsstörung und dem Gewichtsverlust nach OP beobachten. Nicht unerwähnt soll die Studie von Lier et al. (2013) bleiben, die einen Rückgang der Persönlichkeitsstörungen nach Adipositaschirurgie von 22 % auf 8 % ein Jahr nach OP beobachtete. Pontiroli et al. (2007) kamen bei einer interviewbasierten Untersuchung von 172 Adipositaschirurgie-Patienten über einen Zeitraum von 1–4 Jahren zu dem Schluss, dass Achse-I- und Achse-II-Störungen mit Ausnahme eines marginalen Effekts der narzisstischen Persönlichkeitsstörung keinen Einfluss auf den Gewichtsverlust hatten. > Persönlichkeitsstörungen scheinen

bei Adipositaschirurgie-Patienten im Vergleich zur Normalbevölkerung zwar häufiger vorzukommen, deren prädiktive Funktion für den postoperativen Verlauf scheint allerdings gering zu sein.

8.3  Lebensqualität

Die gesundheitsbezogene Lebensqualität (Health-Related Quality of Life, HRQoL) ist ein multidimensionales „Konstrukt“ aus physischen, psychischen und sozialen Dimensionen und geht damit über Aussagen zum individuellen Gesundheitszustand hinaus. Menschen mit höhergradiger Adipositas im Allgemeinen und mit dem Anliegen einer Adipositaschirurgie im Besonderen zeichnen sich durch eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität aus. Wenn man berücksichtigt, dass die überwiegende Mehrheit von Adipositaschirurgie-Patienten schon zahllose letztendlich frustrane Versuche konservativer Gewichtsreduktionsmaßnahmen aufweist, so ist eine deutliche Besserung der HRQoL nach der OP, insbesondere vor dem Hintergrund einer steten Gewichtsabnahme in den ersten zwei Jahren („Honeymoon-Phase“), zu erwarten. Von daher sind Studien zur Lebensqualität mit längeren Katamnesen von Vorteil. 2005 erschien

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ein strukturiertes Review zur Lebensqualität von Patienten mit insgesamt 34 randomisierten kontrollierten Studien (randomized controlled trials, RCTs), publiziert zwischen 1979 und 2003 (Maciejewski et al. 2005). Das Review kam zu dem Ergebnis, dass Gewichtsreduktionsmaßnahmen (konservativ, chirurgisch) zu keiner Verbesserung der HRQoL führten. Die Autoren wiesen allerdings auf die unzureichende Qualität vieler Studien hin, insbesondere auf das Fehlen standardisierter Untersuchungsinstrumente. Das Review von Warkentin et al. (2014) stützte sich auf die aktuellen Leitlinien (Liberati et al. 2009) zur Durchführung von Reviews mit besonderer Berücksichtigung standardisierter Instrumente. Insgesamt wurden 53 RCTs (4 chirurgische Interventionen) eingeschlossen. Ca. 25 % der Studien erlaubten eine quantitative Datenanalyse und zeigten einen statistisch wie auch klinisch signifikanten Zusammenhang von Gewichtsabnahme und Verbesserung der physischen Lebensqualität. Kein Zusammenhang ergab sich zwischen Gewichtsabnahme und Verbesserung der physischen Lebensqualität, ein Ergebnis, das durch andere Kohortenstudien mit längeren Katamnesen bestätigt werden konnte (Adams et al. 2012; Kolotkin et al. 2012; Herpertz et al. 2015). Andersen et  al. (2015) führten ein systematisches Review zur Lebensqualität von Adipositaschirurgie-Patienten durch, wobei sie ausschließlich Studien mit einer Katamnese von mindestens 5 Jahren einschlossen. Insgesamt konnten 7 Studien mit 1.113 Patienten, Beobachtungszeiträumen von 5–10 Jahren und einer Rücklaufquote von 61–92  % berücksichtigt werden. Keine der Studien mit längerer Katamnese war randomisiert-kontrolliert, nur 2 Studien hat­ ten Kontrollgruppen. Der Dropout schwankte zwischen 8 % und 39 %. 6 der 7 Studien zeigten statistisch wie auch klinisch eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität, wobei die Ergebnisse zur physischen Lebensqualität eindeutiger ausfielen als zur psychischen ­Lebensqualität.

> Eine Steigerung insbesondere der

physischen Lebensqualität ist in den ersten Jahren nach der Operation zu beobachten. Bei längeren Katamnesen ist eine rückläufige Tendenz der Lebensqualität und schließlich Stabilisierung auf einem gegenüber dem präoperativen Zustand gesteigerten Niveau zu beobachten, wenngleich die Studienlage nicht einheitlich ist.

8.3.1  Prädiktoren

Die berichtete Misserfolgsquote – definiert durch eine Reduktion des „excess weights“ von weniger als 50 % in 24 Monaten (Reinhold 1982) – reicht in der Literatur von 4–53 % (Christou et al. 2006; Scholtz et  al. 2007; Robert et al. 2013), was zu dem Schluss führt, dass nicht alle Patienten langfristig Vorteile aus der Adipositaschirurgie ziehen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche Studien mit dem Ziel durchgeführt, Prädiktoren für einen erfolgreichen Gewichtsverlust und das psychosoziale Outcome zu identifizieren, um chirurgische Revisionen und Mehrkosten zu minimieren. Nach dem derzeitigen Stand der Forschung werden vier Bereiche prä- und postoperativer Parameter diskutiert, die einen prädiktiven Wert für das Ergebnis einer bariatrischen Intervention haben (Livhits et al. 2012; Sheets et al. 2015; Hindle et al. 2017): 5 prä- und postoperatives Gewicht, 5 Essverhalten, 5 Therapieadhärenz, 5 psychologisches Funktionsniveau und Persönlichkeit.

Prä- und postoperatives Gewicht Die Studien sprechen sich mehrheitlich für einen negativen Zusammenhang von präoperativem Gewicht und postoperativem Gewichtsverlust aus (Dixon et al. 2001; Chau et al. 2005;

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Hatoum et al. 2009; Hindle et  al. 2017). Unabhängig von der gewählten chirurgischen Technik gibt es Hinweise darauf, dass ein frühzeitiger Gewichtsverlust, insbesondere während der ersten 6 Monate, auf ein erfolgreicheres Gewichtsprofil bis zu 24 Monaten postoperativ hindeutet (Mor et al. 2012; Nikolic et al. 2015; Obeidat und Shanti 2016). Obwohl der frühe Gewichtsverlust eine wichtige Rolle für den maximalen Gewichtsverlust zu spielen scheint, zeigt sich insbesondere der zeitliche Aspekt als ebenso bedeutsam: Je schneller ein stabiles Gewicht erreicht werden kann, desto langfristiger stellt sich ein steady state ein (Kindel et al. 2016).

Essverhalten Einer der wesentlichen Faktoren, der Gewicht und Lebensqualität beeinflusst, ist die hohe Häufigkeit von komorbiden Essstörungen bei Patienten, die sich einer Adipositaschirurgie unterziehen. Störungen des Essverhaltens vor der Operation haben einen geringen prädiktiven Wert für den postoperativen Gewichtsverlauf (Niego et al. 2007; Mechanick et al. 2013). Anders stellt sich die Studienlage für postoperative Störungen dar. So gehen „Loss of control“-Essen und BES mit einem signifikant geringeren postoperativen Gewichtsverlust und einer Einschränkung der Lebensqualität einher (Meany et al. 2014; Sheets et al. 2015).

Therapieadhärenz Je nach Operationsverfahren sind Resorptionsstörungen nach einem bariatrischen Eingriff nicht selten und können zu erheblichen Mangelzuständen führen. In vielen Fällen ist die Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten notwendig, wenn die Zufuhr über die Nahrung nicht ausreichend ist oder Mangelsymptome auftreten. Eine ärztliche Überprüfung, ob eine Nahrungsergänzung notwendig ist, sollte insbesondere bei Operationen durchgeführt werden, die die Nährstoffaufnahme

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im Darm verringern (malabsorptive Verfahren). Eine geringe Compliance der Patienten bezüglich postoperativer Diät- und Bewegungsempfehlungen und verpasste Nachsorgetermine sind präoperativ häufig und nehmen postinterventionell nochmals zu (Toussi et al. 2009; El Chaar et al. 2011). Eine Metaanalyse von 14 Studien (Livhits et al. 2012) und ein systematisches Review von 19 Studien (Sarwer et al. 2008) konnte zeigen, dass die postoperative körperliche Fitness mit einem signifikant größeren postoperativen Gewichtverlust und gesteigerter Lebensqualität einherging. Diesbezüglich konnten auch Patienten mit guter Adhärenz zu Ernährungsrichtlinien ein besseres Ergebnis nach 12 Monaten nachweisen (Pontiroli et al. 2007).

Psychische Aspekte Die Mehrzahl der Studien sprechen sich für einen Rückgang der Schwere und Häufigkeit depressiver Erkrankungen und Angststörungen kurz- bis mittelfristig nach der bariatrischen Chirurgie aus (Legenbauer et al. 2007; de Zwaan et al. 2011). Studien mit längerer Katamnese zeigen hingegen divergente Ergebnisse (Karlsson et al. 2007; Herpertz et al. 2015; Canetti et al. 2016): Patienten, die nach der Operation über psychische Belastungen klagen oder neu entwickeln, zeigen langfristig einen geringeren Gewichtsverlust (de Zwaan et al. 2011, Sheets et al. 2015; Opozda et al. 2016). Vor allem aber im Hinblick auf die Depression ist die Studienlage, insbesondere bei längeren Katamnesen, nach der Operation widersprüchlich, was nicht zuletzt mit der Frage nach der Einordnung in „trait“ und „state“ bei depressiven Symptomen zusammenhängt. Ein Beispiel ist das Konstrukt „Fear of Negative Evaluation“ (FNE), das Adams et al. (2012) als ein valides und reliables Instrument zur Messung der Furcht vor negativer sozialer Bewertung (Leary 1983) nutzten. Zahlreiche Studien konnten einen Zusammenhang zwischen FNE und der Zufriedenheit mit dem

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eigenen Körper, psychischer Komorbidität Literatur mit besonderem Fokus auf Essstörungen und Lebensqualität (Lundgren et al. 2004; Gilbert Adams TD, Gress RE, Smith SC, Halverson RC, Simper SC, Rosamond WD, LaMonte MJ, Stroup AM, Hunt und Meyer 2005) aufzeigen. InteressanterSC (2007) Long-term mortality after gastric bypass weise konnte FNE Depression und Lebenssurgery. N Engl J Med 357:753–761 qualitätseinbußen nicht bei Menschen mit Adams TD, Davidson LE, Litwin SE, Kolotkin RL, einem geringen Gewichtsverlust vorhersagen. LaMonte MJ, Pendleton RC, Strong MB, Vinik R, Allerdings zeigte sich FNE als verlässlicher Wanner NA, Hopkins PN, Gress RE, Walker JM, ­Cloward TV, Nuttall RT, Hammoud A, Greenwood Prädiktor für Patienten mit größerem perJLJ, Crosby RD, McKinlay R, Simper SC, Smith SC, sistierendem Gewichtsverlust. Eine mögliche Hunt SC (2012) Health benefits of gastric bypass Erklärung wäre, dass Menschen mit Übersurgery after 6 years. JAMA 308:1122–1131 bewertung eines externalen Selbstbildes eine Allison KC, Wadden TA, Sarwer DB, Fabricatore AN, größere Motivation zeigen, mehr abzunehmen Crerand CE, Gibbons LM, Stack RM, Stunkard AJ, Williams NN (2006) Night eating syndrome and und ihr postoperatives Gewicht zu halten. binge eating disorder among persons seeking In Anbetracht der unbefriedigenden Datenbariatric surgery. Prevalence and related features. lage zur präoperativen Diagnostik, insbesondere Obesity (Silver Spring) 14:77–82 im Hinblick auf deren prädiktive Bedeutung Andersen JR, Aasprang A, Karlsen T-I, Natvig GK, Vage sowohl für den Gewichtsverlauf wie auch die V, Kolotkin RL (2015) Health-related quality of life after bariatric surgery. A systematic review of proLebensqualität, wird die Frage einer Sekundärspective long-term studies. Surg Obes Relat Dis prophylaxe zunehmend diskutiert. Demnach 11:466–473 sollten Patienten mit geringem Gewichtsverlust, Averbukh Y, Heshka S, El-Shoreya H, Flancbaum L, unzureichender Steigerung der Lebensqualität Geliebter A, Kamel S, Pi-Sunyer FX, Laferrere B (2003) oder Auftreten einer psychischen Störung frühDepression score predicts weight loss following Roux-en-Y gastric bypass. Obes Surg 13:833–836 zeitig einem Behandlungsangebot zugeführt werden. Dazu bedarf es im Rahmen der post- Burgmer R, Petersen I, Burgmer M, de Zwaan M, Wolf AM, Herpertz S (2007) Psychological outcome two operativen Nachsorge bestimmter Screeningyears after restrictive bariatric surgery. Obes Surg untersuchungen, die insbesondere nach der 17:785–791 „Honeymoon-Phase“, also nach Erreichen Burgmer R, Legenbauer T, Muller A, de Zwaan M, Fischer C, Herpertz S (2014) Psychological outdes Gewichtsnadirs, ca. 2 Jahre nach der Opecome 4 years after restrictive bariatric surgery. ration sinnvoll wären. Eine vertrauensvolle Obes Surg 24:1670–1678 Beziehung während der präoperativen Diag- Canetti L, Bachar E, Bonne O (2016) Deterioration of nostik könnte dann auch die Kontaktaufnahme mental health in bariatric surgery after 10 years zu der entsprechenden psychosomatisch-­ despite successful weight loss. Eur J Clin Nutr 70:17–22 psychotherapeutischen Institution erleichtern. > Nicht zuletzt aufgrund der Mehrzahl

an Studien mit kurzen Katamnesen ist die Datenlage bezüglich prädiktiver Faktoren für den postoperativen Verlauf (z. B. Gewicht, Ausprägung psychischer Störungen, Lebensqualität) unzureichend.

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Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie Martina de Zwaan

9.1 Einführung – 128 9.2 Pathologisches Essverhalten vor Adipositaschirurgie – 129 9.2.1 Binge-Eating-Störung – 129 9.2.2 Night Eating (Syndrom) – 130 9.2.3 Grasen („grazing“) – 131 9.2.4 „Sweet eating“ – 131

9.3 Pathologisches Essverhalten nach Adipositaschirurgie – 132 9.3.1 Überblick – 132 9.3.2 “Binge eating” und „loss of control eating“ – 132 9.3.3 „Klassische“ Essstörungen – 133 9.3.4 Erbrechen – 133 9.3.5 Kauen und Ausspucken – 133

9.4 Diagnostik von nichtnormativem Essverhalten – 134 Literatur – 134

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_9

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128

M. de Zwaan

9.1  Einführung

Operation die Kriterien einer Essstörung erfüllen, haben ein höheres Risiko, auch postPathologisches Essverhalten ist bei Patien- operativ problematisches Essverhalten zu ten mit schwerer Adipositas vor Adipositas- entwickeln (Opozda et al. 2016). Das postchirurgie häufig. Dazu zählen Diagnosen wie operative Auftreten von „binge eating“, „loss die Binge-Eating-Störung und das Night-­ of control eating“ und „grazing“ ist mit einer Eating-Syndrom und deren subsyndromale geringeren Gewichtsabnahme bzw. einer Formen, aber auch andere Formen nicht- stärkeren Gewichtswiederzunahme nach normativen Essverhaltens wie „grazing“ Erreichen eines Gewichtsplateaus sowie oder „sweet eating“ (Baldofski et al. 2015; mit mehr Psychopathologie und geringeOpozda et al. 2016). Pathologisches Ess- rer Lebensqualität assoziiert (de Zwaan und verhalten nimmt kurzfristig nach der bar- Mitchell 2014). Ergebnisse zum direkten iatrischen Operation ab, scheint aber im Zusammenhang zwischen präoperativem zeitlichen Verlauf wieder zuzunehmen. Auch nichtnormativem Essverhalten und dem neue Essverhaltensprobleme können auf- Gewichtsverlauf nach der Operation sind treten, wie induziertes Erbrechen, das Kauen- hingegen inkonsistent (Opozda et al. 2016) und-Ausspucken und „loss of control eating und zeigen nicht eindeutig einen negativen (LOC)“ (. Tab. 9.1). Patienten, die vor der Zusammenhang.

9 . Tab. 9.1  Nichtnormatives Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie Objektive Essanfälle („binge eating“)

Konsum einer großen Nahrungsmenge mit dem Gefühl des Kontrollverlusts; nach Adipositaschirurgie aufgrund der Restriktion selten möglich

Subjektive Essanfälle („loss of control eating“)

Gefühl des Kontrollverlusts bei Aufnahme einer normal großen Nahrungsmenge; nach Adipositaschirurgie häufig

Nächtliches Essen („night eating“)

Übermäßige Nahrungsaufnahme nach dem Abendessen und/oder nächtliches Essen in Form von Essen nach dem Erwachen

Grasen („grazing“)

Wiederholte Aufnahme kleiner Nahrungsmengen kontinuierlich über den Tag mit oder ohne Gefühl des Kontrollverlusts; nach Adipositaschirurgie häufig, aber schlecht operationalisiert

„Sweet eating“

Übermäßige Aufnahme hochkalorischer Süßspeisen; hat im Gegensatz zu früheren Annahmen keinen Einfluss auf die Wahl der Operationsverfahrens

Selbst herbeigeführtes Erbrechen

Erbrechen, um körperliche Missempfindungen („plugging“, Unverträglichkeiten) zu reduzieren oder um Gewicht zu verlieren im Sinne einer kompensatorischen Maßnahme

Kauen-und-Ausspucken

Fraglich pathologisches Verhalten nach Adipositaschirurgie

„Klassische Essstörungen“

Restriktives Essverhalten, das über die chirurgisch bedingte Restriktion hinausgeht, Essensverweigerung, ausgeprägter selbst herbeigeführter Gewichtsverlust bis in den anorektischen BMI-Bereich

9 · Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie

9.2  Pathologisches Essverhalten

vor Adipositaschirurgie

Menschen mit Adipositas Grad 2 oder 3, die sich zur Adipositaschirurgie vorstellen, haben eine hohe Prävalenz an pathologischem Essverhalten. Man könnte annehmen, dass schwere Adipositas regelhaft mit pathologischem Essverhalten einhergeht, was aber nicht der Fall zu sein scheint. 9.2.1  Binge-Eating-Störung

Die Binge-Eating-Störung (BES) ist als eigenständige Essstörung in die 5. Version des Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5; APA 2013) aufgenommen worden. Es ist wahrscheinlich, dass auch das ICD-11 diese Essstörung berücksichtigen wird, wie man dem ICD-11 Beta Draft entnehmen kann (7 https://icd.who.int/dev11/f/ en). ­ Hauptmerkmal einer BES sind wiederkehrende Essanfälle, wobei in einem bestimmten Zeitraum (z.  B. 2  Stunden) eine große Nahrungsmenge verzehrt wird und dabei das Gefühl des Kontrollverlustes besteht (objektiver Essanfall). Daneben können auch sog. subjektive Essanfälle auftreten, bei denen die verzehrte Menge objektiv nicht groß ist, von den Betroffenen aber als übermäßig wahrgenommen wird. Ein Anzeichen für Kontrollverlust ist die Unfähigkeit, dem Essen zu widerstehen oder mit dem Essen aufzuhören, wenn einmal damit begonnen wurde. Manche Betroffene beschreiben einen dissoziativ anmutenden Zustand während oder nach einem Essanfall. Es wird wesentlich schneller gegessen als normal, bis ein unangenehmes Völlegefühl entsteht. Es wird gegessen, obwohl kein Hungergefühl besteht. Aus Scham wird alleine gegessen, es wird versucht, die Symptome zu verbergen und nach dem übermäßigen Essen entstehen Schuldund Ekelgefühle. Die Betroffenen äußern einen deutlichen Leidensdruck aufgrund der

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9

Essanfälle. Zu den häufigsten Auslösern zählen ein negativer Affekt, zwischenmenschliche Belastungssituationen und Langeweile. Affektregulationsstörungen können auch Ausdruck einer generellen Störung der Impulsivität im Sinne einer Impulskontrollstörung darstellen, wie sie vornehmlich bei bestimmten Persönlichkeitsstörungen wie der affektiv instabilen (Borderline-)Persönlichkeitsstörung zu finden ist. Die Essanfälle treten im Durchschnitt mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von 3  Monaten auf. Kompensatorisches Verhalten wie selbstinduziertes Erbrechen, Laxanzien- oder Diuretikamissbrauch tritt nicht oder nur vereinzelt auf, das differenziert die BES von der Bulimia nervosa (BN). BN ist bei Personen mit schwerer Adipositas selten zu finden. Die BES ist die häufigste Essstörung mit einer Lebenszeitprävalenz von 2–5 % in der Allgemeinbevölkerung. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Ergebnisse einer Metaanalyse konnten zeigen, dass die Häufigkeit der BES bei Kandidaten für eine Adipositaschirurgie bei 17 % (95 %CI 13–21) liegt (Dawes et al. 2016). Essanfälle vor der Operation stellen – unabhängig von der Operationstechnik  –  keinen stabilen Prädiktor für den Gewichtsverlust dar. Nach der Operation ist es zudem nicht mehr möglich, große Nahrungsmengen zu konsumieren, sodass die Häufigkeit des Vollbildes einer BES sehr konsistent signifikant abnimmt. Gleichwohl können subjektive Essanfälle auftreten, die postoperativ auch als „loss of control eating“ bezeichnet werden. Eine BES stellt keine generelle Kontraindikation für eine Adipositaschirurgie dar. Die Behandlung einer BES vor der Operation zu fordern, wäre nicht evidenzbasiert und würde bei einer nicht unerheblichen Anzahl von Betroffenen durch die lange Therapiesuche und -dauer die Operation erheblich verzögern, ohne dass ausreichende Hinweise für einen positiveren postoperativen Verlauf vorliegen.

130

M. de Zwaan

9.2.2  Night Eating (Syndrom)

Bis heute wurden die Diagnosekriterien des Night-Eating-Syndroms (NES) immer wieder stark verändert; es wurden nicht nur bestehende Kriterien variiert, sondern auch immer wieder neue Aspekte aufgenommen oder verworfen (Mühlhans et al. 2009; de Zwaan 2016). Das Hauptkriterium des NES ist jedoch immer eine Verschiebung des zirkadianen Essrhythmus der Patienten. Im Jahr 2010 wurden von einer Expertengruppe einheitliche diagnostische Forschungskriterien entwickelt und veröffentlicht (Allison et al. 2010). Operationalisierte Forschungskriterien (Allison et al. 2010)

9

A. Übermäßiges Essen abends/in der Nacht: – > 25 % der täglichen Kalorienaufnahme nach dem Abendessen und/oder – nächtliches Erwachen mit Nahrungsaufnahme in mindestens zwei Nächten pro Woche B. Das abendliche bzw. nächtliche Ereignis kann erinnert werden C. Mindestens drei der folgenden Kriterien: – Geringer Nahrungsmittelkonsum am Morgen und/oder Auslassen des Frühstücks an vier oder mehr Tagen in der Woche – Ausgeprägter Drang zur Nahrungsaufnahme zwischen dem Abendessen und dem Einschlafen und/oder während der Nacht – Einschlaf- und Durchschlafstörungen an vier oder mehr Nächten in der Woche – Überzeugung, ohne Nahrungsaufnahme keinen Schlaf mehr zu finden – Häufig depressive Stimmung und/ oder Stimmungsabfall am Abend

D. Erheblicher Leidensdruck und/oder Leistungsabfall E. Dauer von mindestens 3 Monaten F. Die Störung ist nicht Folge von Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit, somatischen Krankheiten, Arzneimittelnebenwirkungen oder psychischen Störungen. Das gestörte Essverhalten darf nicht durch eine BES besser erklärt werden

Im DSM-5 (APA 2013) wird das NES erstmals unter der Kategorie „Andere näher bezeichnete Fütter- oder Essstörungen“ erwähnt, die Kriterien sind allerdings nicht so detailliert ausformuliert wie von Allison et al. (2010) vorgeschlagen. Im DSM-5 gelistete Kriterien für das Night-Eating-Syndrom (APA 2013) 5 Wiederkehrende Episoden nächtlichen Essens in Form von Essen nach dem Erwachen aus dem Schlaf oder von übermäßiger Nahrungsaufnahme nach dem Abendessen 5 Die Personen sind sich des Essens bewusst und können sich auch daran erinnern 5 Das „Night Eating“ verursacht in klinisch bedeutsamer Weise Leidensdruck und/oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen 5 Das „Night Eating“ kann nicht besser durch externe Einflüsse, wie z. B. Veränderungen im individuellen Schlaf-Wach-Rhythmus oder regionale soziale Normen erklärt werden 5 Das gestörte Essverhalten kann nicht besser durch eine Binge-EatingStörung oder eine andere psychische Störung, einschließlich Störungen

9 · Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie

durch Substanzkonsum, erklärt werden und ist nicht auf einen medizinischen Krankheitsfaktor oder die Wirkung eines Medikaments zurückzuführen

Der Zusammenhang zwischen NES und BES wurde in der Vergangenheit in mehreren Studien untersucht, die gefundenen Überlappungen beider Syndrome waren jedoch gering. Insgesamt bewegen sich die bis heute gefundenen Überschneidungen von BES und NES zwischen 0 % und 26,5 % (de Zwaan et al. 2015), sodass von zwei distinkten Störungsbildern ausgegangen werden kann. Die deutlichsten Unterschiede finden sich in der Motivation zu essen, in der aufgenommenen Nahrungsmenge pro Essepisode und im Ausmaß der Unzufriedenheit mit Gewicht und Figur (Vander Wal 2012; de Zwaan et al. 2015). Das Auftreten und der Verlauf des NES vor und nach Adipositaschirurgie sind ausführlich untersucht und in zwei aufeinanderfolgenden Überblicksartikeln zusammengefasst worden (Colle und Dixon 2006; de Zwaan et al. 2015). Die Prävalenz des NES scheint nach der bariatrischen Chirurgie abzunehmen, dennoch erfüllen 6–8 % der Patienten nach der Operation die NES-Kriterien. Im Gegensatz zur BES, deren Diagnose die Aufnahme einer großen Nahrungsmenge voraussetzt (objektive Essanfälle, „binge eating“), die nach den derzeit üblichen chirurgischen Methoden nicht mehr konsumiert werden kann, ist das erneute oder erstmalige Auftreten eines NES nach bariatrischer Chirurgie anatomisch möglich, da beim NES die aufgenommene Nahrungsmenge nicht groß sein muss. 9.2.3  Grasen („grazing“)

Obwohl dieser Begriff sowohl in Klinik als auch Forschung häufig verwendet wird, so ist er doch schlecht definiert. Häufig wird

131

9

„grazing“ als die „wiederholte Aufnahme kleiner Nahrungsmengen kontinuierlich über den Tag mit oder ohne Gefühl des Kontrollverlusts“ beschrieben (Saunders 2004), andere bezeichnen es einfach als „permanentes Essen“. Obwohl es keine einheitliche Definition gibt, haben Heriseanu et al. (2017) die Literatur zu „grazing“ in einer Metaanalyse zusammengefasst. Es handelt sich scheinbar um ein generell häufiges Verhalten auch bei nichtadipösen Menschen. Die Häufigkeit lag präoperativ bei 31 % und postoperativ bei 28,5 %, es scheint also nach Adipositaschirurgie nicht zu einer Reduktion, aber auch nicht zu einer Zunahme dieses Essverhaltens zu kommen. Die Häufigkeit von „grazing“ ist allerdings auch bei adipösen Personen in der Allgemeinbevölkerung (23 %) hoch. Es scheint eine hohe Assoziation zwischen „grazing“ und „binge eating“ zu bestehen. Ähnlich wie „binge eating“ scheint postoperatives, nicht jedoch präoperatives „grazing“ einen negativen Einfluss auf den postoperativen Gewichtsverlauf zu haben. Es ist nicht immer leicht zu unterscheiden, ob häufige kleine Mahlzeiten nach Adipositaschirurgie als normaler Anpassungsprozess an die postoperative Restriktion oder als nichtnormatives Essverhalten zu werten sind. Dies wird man im Einzelfall entscheiden müssen. 9.2.4  „Sweet eating“

Ein anderes, v. a. in der chirurgischen Literatur häufig erwähntes, nichtnormatives Essverhalten ist „sweet eating“. Auch dafür gibt es keine validen Kriterien, die Definition ist mit „übermäßige Aufnahme hochkalorischer Süßspeisen“ recht vage. „Sweet eating“ wurde immer wieder als Kontraindikation für eine Magenbandimplantation gesehen, da rein restriktive Verfahren die Aufnahme von Süßspeisen ermöglichen, während es bei einem Magenbypass bei übermäßiger Zuckeraufnahme zu einem Dumping-Syndrom kommen kann. Verantwortlich für die Entstehung eines

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9

M. de Zwaan

Dumping-Syndroms ist die operative Bildung eines kleinen Magen-Pouches, der bedingt, dass sich der Mageninhalt zu schnell in den Dünndarm entleeren kann. Das führt erstens zum Einstrom von Flüssigkeit in den Dünndarm mit vasomotorischen Störungen, wie z. B. einem Abfall des Blutdruckes bis hin zur Synkope (Frühdumping), und zweitens zum raschen Anstieg des Blutzuckers mit reflektorischer Insulinausschüttung und folgender Hypoglykämie (Spätdumping). Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass „sweet eater“ schlechtere Ergebnisse nach Magenband und Schlauchmagen erzielen (Hudson et al. 2002; Moser et al. 2016). Zudem gibt es Berichte, dass Personen ihre Ernährungsgewohnheiten nach der Operation ändern, und z. B. von „herzhafter Kost“ auf postoperativ leichter konsumierbare „süße Kost“ umsteigen. Magenbandoperationen werden in Deutschland zurzeit selten durchgeführt. 9.3  Pathologisches Essverhalten

nach Adipositaschirurgie

9.3.1  Überblick

Die adäquate Unterscheidung von normalem und pathologischem Essverhalten nach chirurgischer Adipositastherapie ist generell schwierig. In der ersten postoperativen Phase nehmen die Patienten in der Regel schnell an Gewicht ab und werden dadurch positiv verstärkt. Einige Patienten zeigen häufiges Erbrechen bzw. Regurgitationen, was jedoch bei den meisten Patienten mehr mit der zu Beginn schwierigen Umstellung auf andere Nahrungsmittel, der Aufnahme von kleinen Nahrungsmengen und der Notwendigkeit des intensiven Kauens zu tun haben dürfte als mit dem bewussten Versuch der Gewichtsreduktion. Selbst Patienten, die postoperativ nichtnormatives Essverhalten wie „loss of control eating“ und „grazing“ entwickeln, nehmen

signifikant und in einem klinisch relevanten Maße an Gewicht ab, wenn auch weniger als Patienten ohne nichtnormatives Essverhalten. Wichtig ist die frühe Identifikation von Patienten, die Essprobleme entwickeln, da diese den Erfolg der Operation vermindern, zu körperlichen Komplikationen führen (z. B. Pouch-Dilatation) und die Lebensqualität beeinträchtigen können (Livhits et al. 2012). Das erfordert eine regelmäßige postoperative Evaluation problematischen Essverhaltens (wie auch von Depression, Suizidalität und Suchtmittelgebrauch), um zeitnah therapeutische Interventionen in die Wege leiten zu ­können. 9.3.2  “Binge eating” und „loss

of control eating“

Nicht zuletzt aufgrund der veränderten anatomischen Situation, aber auch von neurohumoralen Veränderungen nach Adipositaschirurgie reduziert sich die Anzahl der Essanfälle deutlich. Die meisten Patienten können keine objektiv großen Nahrungsmittelmengen mehr zu sich nehmen, sodass objektiv große Essanfälle selten auftreten. Dennoch erleben manche Patienten nach der Operation auch weiterhin ein Gefühl des Kontrollverlustes, was in der Literatur als „loss of control eating“ bezeichnet wird. Patienten, die nach der Operation erneut oder erstmals „binge eating“ bzw. „loss of control eating“ entwickeln, scheinen tatsächlich weniger an Gewicht abzunehmen bzw. nach der „Honeymoon-Phase“ von ein bis zwei Jahren und nach dem Erreichen eines Gewichtsplateaus mehr zuzunehmen als Patienten, die postoperativ keine Essanfälle oder „loss of control eating“ entwickelten (Goldschmidt et al. 2016; Ivezay et al. 2017). Es gibt auch Hinweise darauf, dass bei diesen Patienten mit einer erhöhten medizinischen Komplikationsrate zu rechnen ist, z.  B. einer späten Pouch-Dilatation.

133

9 · Essverhalten vor und nach Adipositaschirurgie

Wie auch bei präoperativen Patienten kann eine „suboptimale“ bis gestörte Affektregulation bei der Entwicklung von „loss of control eating“ eine Rolle spiele. So dient nicht selten der Konsum größerer Mengen von Süßigkeiten, Fastfood etc. dem Versuch, dysphorische Stimmungen wenigstens passager zu neutralisieren. Welche Patienten erneut Essanfälle bzw. „loss of control eating“ entwickeln und bei welchen Patienten die Essanfälle dauerhaft ausbleiben, ist jedoch unklar. 9.3.3  „Klassische“ Essstörungen

Die Entwicklung von „klassischen“ Essstörungen dürfte eher selten vorkommen, wobei systematische Untersuchungen fehlen. In der Literatur existieren bislang nur Einzelfallberichte und Fallserien zur postoperativen Entwicklung einer Anorexia oder Bulimia nervosa, wobei davon auszugehen ist, dass tatsächliche „De-novo-Fälle“ selten sind (Marino et al. 2012). Die Entwicklung anorektischer Kognitionen und stark restriktiven Essverhaltens, das weit über die Restriktion durch die chirurgische Maßnahme hinausgeht, ist aber möglich, und Patienten können nach entsprechender Zeit sogar anorektische Gewichtsbereiche (BMI Die Analyse der Nahrungsaufnahme-

mikrostruktur gibt einen tieferen Einblick in die Modulation der Nahrungsaufnahme durch nahrungsregulatorische Botenstoffe.

10.2  Vermittlung von Hunger und

Sättigung

Eine Vielzahl von Peptidhormonen, die im Folgenden genauer vorgestellt werden soll, vermittelt Hunger und Sättigung über die sog.  Darm-Gehirn-Achse. Diese umfasst sowohl den Transport über den Blutstrom und die Blut-Hirn-Schranke bzw. den direkten Übertritt ins Gehirn im Bereich der zirkumventrikulären Organe als auch die Vermittlung über den Nervus vagus, der die Rezeptoren für viele peptiderge Signalmoleküle trägt und eine wichtige Verbindung zwischen Darm und Hirnstamm darstellt (van de Wouw et al. 2017). Wichtige Schaltstellen im Gehirn, in denen Signale aus der Peripherie integriert werden, umfassen zum einen den Nucleus tractus solitarius im Hirnstamm sowie den

Nucleus paraventricularis und den Nucleus arcuatus (beim Menschen Nucleus infundibularis genannt, oftmals vereinfachend dennoch als Nucleus arcuatus bezeichnet) im Hypothalamus, die untereinander in Verbindung stehen (Farr et al. 2016). Im Nucleus arcuatus werden zwei große Neuronenpopulationen unterschieden, eine orexigene, die die Transmitter Neuropeptid  Y und Agouti-related Peptid exprimiert und eine anorexigene, die Cocain- und Amphetamin-reguliertes Transkript und Proopiomelanocortin (dieses kann wiederum in verschiedene Peptide gespalten werden, z. B. α-Melanozyten-stimulierendes Hormon) bildet (Prinz und Stengel 2017). Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT)-Studien konnte gezeigt werden, dass die hypothalamische Aktivität nach Stimulation durch Nahrungsbilder bei Adipösen im Vergleich zu Normalgewichtigen erhöht ist, eine Veränderung, die durch eine Magenbypassoperation rückgängig gemacht werden kann (Frank et al. 2014). Ob diese beobachteten Effekte kausal mit dem Erfolg der Chirurgie verknüpft sind und welche der oben genannten Transmitterwege im Detail beeinflusst werden, muss in zukünftigen Studien eruiert werden. > Während es eine Vielzahl von

anorexigenen (die Nahrungsaufnahme hemmende) Botenstoffe gibt, ist bisher nur ein peripher produzierter und zentral wirkender orexigener (die Nahrungsaufnahme stimulierender) Botenstoff bekannt.

10.3  Periphere Botenstoffe

der Hunger- und Sättigungsregulation

Nahrungsregulatorische Peptide werden vorrangig in enteroendokrinen Zellen gebildet, die in den Gastrointestinaltrakt eingestreut sind (Furness 2016). Die Stimulation erfolgt über direkten Kontakt mit dem Speisebrei über Chemosensoren, aber auch über nervale

10 · Effekte der Adipositaschirurgie auf Hunger und Sättigung

Reize. In den nachfolgenden Paragrafen werden die einzelnen Peptidhormone mit ihren Funktionen und den Veränderungen bei Adipositas sowie der Einfluss von bariatrischer Chirurgie auf diese Hormone beleuchtet. 10.3.1  Ghrelin

Ghrelin wurde 1999 im Magen entdeckt (Kojima et al. 1999) und ist das bisher einzige bekannte peripher produzierte und zentral wirksame orexigene Hormon. Der Hauptproduktionsort von Ghrelin ist die X/A-ähnliche Zelle (beim Menschen P/D1-Zelle genannt) des Magens (Date et al. 2000); nach Gastrektomie fallen die zirkulierenden Ghrelinspiegel um 65 % ab (Ariyasu et al. 2001). Eine weitere Besonderheit von Ghrelin ist der Fettsäurerest (Azylgruppe), der zur Bindung an den Rezeptor, den growth hormone secretagogue receptor 1a (GHSR1a, mittlerweile auch oftmals Ghrelinrezeptor genannt), essenziell ist (Kojima et al. 1999). Diese Azylierung wird durch ein Hormon katalysiert, das erst kürzlich entdeckt und Ghrelin-O-Acyltransferase (GOAT) genannt wurde (Gutierrez et al. 2008; Yang et al. 2008). Jenes Enzym wird ebenfalls in den X/A-ähnlichen Zellen exprimiert (Stengel et al. 2013), kommt aber auch in der Zirkulation vor (Goebel-Stengel et al. 2013), was auf eine extragastrische Azylierung von Ghrelin hinweisen könnte. Ghrelin stimuliert die Nahrungsaufnahme sowohl im Tiermodell (Wren et al. 2000) als auch beim Menschen (Wren et al. 2001). Ghrelin vermittelt seine orexigenen Effekte zum Gehirn zum einen über den Nervus vagus (le Roux et al. 2005), zum anderen aber auch über den Blutstrom und eine Passage der Blut-Hirn-Schranke (Banks et al. 2002). Da Ghrelin mahlzeitenabhängig reguliert wird, mit einem Anstieg vor der Mahlzeit und einem Absinken danach (Cummings et al. 2001), wurde eine physiologische orexigene Funktion von Ghrelin postuliert. Bereits eine Scheinnahrungsaufnahme (Riechen, Kauen und Schmecken von Nahrung, ohne diese

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zu schlucken) als Initiator der zephalischen Phase führt zu einem Anstieg des zirkulierenden Ghrelins (Arosio et al. 2004). Diese nahrungsabhängige Modulation ist bei Adipösen abgeschwächt (Cummings et al. 2002); die reduzierten zirkulierenden Ghrelinspiegel (Tschöp et al. 2001) werden als Kompensationsmechanismus angesehen, der einer weiteren Steigerung der Nahrungsaufnahme und damit des Körpergewichts vorbeugen soll. Es ist jedoch zu bemerken, dass die zirkulierenden GOAT-Spiegel bei Adipösen im Vergleich zu Normalgewichtigen erhöht sind und GOAT somit die Entwicklung von Nahrungsaufnahme und Körpergewicht ungünstig beeinflussen könnte (Goebel-­ Stengel et al. 2013). Verschiedene Studien untersuchten den Einfluss von Adipositaschirurgie auf die zirkulierenden Ghrelinspiegel. Während ein Magenband keinen akuten Einfluss auf die Ghrelinspiegel hat und im weiteren Verlauf sogar ein Anstieg der Ghrelinspiegel zu beobachten ist (Langer et al. 2005), führen sowohl der Schlauchmagen (­Alamuddin et al. 2017) als auch die biliopankreatische Diversion (Kotidis et al. 2006) zu einer anhaltenden Reduktion der Ghrelinspiegel. Die Regulation nach Magenbypass scheint hiervon abzuweichen: Während die Ghrelinspiegel akut postoperativ abfallen, steigen sie im weiteren Verlauf wieder an, ein Effekt, der mit einer Rekonstitution des Nervus vagus in Verbindung gebracht werden könnte (­ Sundbom et al. 2007). Insgesamt ist zu bemerken, dass die Ghrelinspiegel nach bariatrischer Chirurgie eher abfallen und somit eine Gewichtabnahme unterstützt wird, wohingegen die Spiegel nach konservativem Gewichtsverlust (z. B. Diät) ansteigen (Cummings et al. 2002) und dadurch eine Aufrechterhaltung des reduzierten Gewichts erschwert wird. 10.3.2  Nesfatin-1

Nesfatin-1 wird aus dem Vorläuferprotein Nucleobindin2 (NUCB2) gespalten und

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wurde 2006 im Hypothalamus von Ratten entdeckt (Oh-I et al. 2006). Interessanterweise konnte in einer Folgestudie der Magen als die Hauptproduktionsstätte von Nesfatin-1 identifiziert werden (Stengel et al. 2009b). Hier wird Nesfatin-1, wie zuvor für Ghrelin beschrieben, in X/A-ähnlichen Zellen des Magens der Ratte gebildet (Stengel et al. 2009b); dieses Ergebnis konnte in menschlichem Magengewebe bestätigt werden (Stengel et al. 2013). Eine Wirkung von peripher produziertem Nesfatin-1 auf das Gehirn wird durch die Beobachtung eines Transports von Nesfatin-1 über die Blut-Hirn-Schranke gestützt (Pan et al. 2007). Der Rezeptor, der die Effekte von Nesfatin-1 vermittelt, ist ebenfalls noch unklar; eine neuere Autoradiografiestudie weist jedoch auf multiple Bindungsstellen sowohl im Hypothalamus als auch in peripheren Geweben (u. a. Magen und Pankreas) hin (Prinz et al. 2016). Im Gegensatz zu Ghrelin vermindert Nesfatin-1 die Nahrungsaufnahme nach zentraler Injektion bei Ratten, wohingegen nach peripherer Gabe kein Effekt zu beobachten ist (Stengel et al. 2009a). Dieser anorexigene Effekt wird über eine Steigerung sowohl von satiation wie auch von satiety bewirkt (­Goebel et al. 2011). Die Modulation von NUCB2/ Nesfatin-1 mit einem Abfall der Spiegel nach dem Fasten und einem Wiederanstieg nach Wiederaufnahme der Nahrungsaufnahme (Stengel et al. 2009a) weisen auf eine ­physiogische Rolle von Nesfatin-1 als anorexigener Botenstoff hin. Bisher ist unklar, ob ­ Nesfatin-1, v.  a. peripher, auch beim Menschen hemmend auf die Nahrungsauf­ nahme wirkt. Allerdings zeigt sich auch beim Menschen eine metabolische Adaptation der zirkulierenden NUCB2/Nesfatin-1-Spiegel mit einem Absinken bei Patientinnen mit Anorexia nervosa (Ogiso et al. 2011) und einem Anstieg bei Adipösen (Tan et al. 2011). Nesfatin-1 scheint beim Menschen eine wichtige Funktion in der Regulation des Blutzuckerspiegels zu haben. So stimuliert Nesfatin-1 die Insulinsekretion nach intravenöser Glukosebelastung (Riva et al. 2011). Da die

Expression von NUCB2 mRNA in den endokrinen Inseln des Pankreas bei Patienten mit Typ-2-Diabetes reduziert war – ein Befund, der sich auch in der Zirkulation für NUCB2/ Nesfatin-1 wiederfand (Algul et al. 2016) –, könnte NUCB2/Nesfatin-1 eine Rolle in der Pathogenese dieser Erkrankung spielen (Riva et al. 2011). Dies wird auch von einer genetischen Studie gestützt, in der eine Assoziation des c.1012C>G-Polymorphismus mit einem reduzierten Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes beschrieben wurde (Wang et al. 2017). Sowohl biliopankratische Diversion (St-Pierre et al. 2016) als auch Magenbypass (Lee et al. 2013) führen zu einem Absinken der zirkulierenden NUCB2/Nesfatin-1-Spiegel, wohingegen nach Schlauchmagenoperation sowohl ein Absinken (Lee et al. 2013) als auch ein Anstieg beobachtet wird (Dogan et al. 2016). Ob diese Veränderungen kausal mit den beobachteten Verbesserungen der Glukosehomöostase zusammenhängen, sollte weiter untersucht werden. 10.3.3  Leptin

Das Fettgewebe wurde über lange Zeit als reiner Speicherort für Energievorräte angesehen, mittlerweile ist dieses Gewebe als endokrines Organ jedoch gut etabliert. Als erster Vertreter der dort produzierten Hormone, der sog. Adipokine, wurde Leptin beschrieben (Green et al. 1995). Neben seiner prominenten Expression im Fettgewebe konnte Leptin auch im Magen detektiert werden (Bado et al. 1998). Leptin wird abhängig von der Fettmasse exprimiert (Lönnqvist et al. 1995) und führt über eine Verminderung der Nahrungsaufnahme und eine Steigerung des Energieverbrauchs (Halaas et  al. 1995) zu einer Abnahme des Körpergewichts (Heymsfield et al. 1999). Allerdings zeigen Adipöse eine ausgeprägte Leptinresistenz (Hukshorn et al. 2002), sodass eine pharmakologische Nutzung unter diesen Bedingungen nicht erfolgversprechend ist. Die Kombinationstherapie

10 · Effekte der Adipositaschirurgie auf Hunger und Sättigung

mit Leptin-sensitisierenden Botenstoffen wird aber weiterhin diskutiert (Quarta et al. 2016). Wie erwartet fallen die Leptinspiegel nach Adipositaschirurgie wie Schlauchmagen (Costa Justus et al. 2016) und Magenbypass (Molin Netto et al. 2016) mit absinkendem Body Mass Index (BMI) ab.

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10.3.5  Cholezystokinin

Cholezystokinin (CCK) wird in den enteroendokrinen L-Zellen des Duodenums und Jejunums gebildet (Buffa et al. 1976), wurde jedoch auch im enterischen Nervensystem detektiert (Larsson und Rehfeld 1979). Verschiedene CCK-Formen wurden beschrieben (CCK-5, -7, -8, -18, -22, -25, -33, -39, -58), wobei nach entsprechender Peptidasen10.3.4  Pankreatisches Polypeptid hemmung nur CCK-58 nachweisbar ist (Reeve Pankreatisches Polypeptid (PP) wird in den et al. 2003). CCK wird nach dem Essen freiPP-Zellen des endokrinen Pankreas gebildet gesetzt (Wiener et al. 1981) und führt zu einer (Larsson et al. 1976) und postprandial aus- Hemmung der Magenentleerung und einer geschüttet (Adrian et al. 1976). Es ist zu Reduktion der weiteren Nahrungsaufnahme bemerken, dass auch in der zephalischen (Muurahainen et al. 1988), ein Effekt, der auch Phase während einer Scheinnahrungsauf- bei Adipösen noch nachweisbar ist (Pi-Sunyer nahme bereits eine Freisetzung von PP et al. 1982). Aus diesem Grund wurde CCK erfolgt (Veedfald et  al. 2016). Die post- als interessanter Kandidat für die medikamenprandiale Freisetzung erfolgt rasch und ist töse Behandlung der Adipositas postuliert. über einen Zeitraum von 6 h zu beobachten Allerdings ist eine Monotherapie mit einem (Adrian et al. 1976). Darüber hinaus wer- CCK-Agonisten allein nicht ausreichend, den die Spiegel von zirkulierendem PP auch um das Körpergewicht zu reduzieren; außervom Körpergewicht beeinflusst; so zeigten dem treten häufig gastrointestinale NebenPatientinnen mit Anorexia nervosa erhöhte wirkungen auf (Jordan et al. 2008). Vor diesem Spiegel (Kinzig et al. 2007), während diese Hintergrund könnten eine Dosisreduktion und bei Adipösen verringert waren (Lassmann eine Kombinationstherapie vielversprechender et al. 1980). Vor dem Hintergrund des lang- sein. Die Wirkung von CCK wird über zwei anhaltenden anorexigenen Effekts von PP (Batterham et al. 2003b) könnten die Rezeptoren vermittelt, den CCK1 und beschriebenen Veränderungen dieses Peptids den CCK2. Die peripheren Effekte auf die bei Anorexie und Adipositas die Nahrungs- Nahrungsaufnahme werden vorrangig über den aufnahme- und Körpergewichtsproblematik CCK1 übertragen, der CCK2 wird im Gehirn exprimiert und ist hier an der Vermittlung des bei diesen Patienten weiter verstärken. Interessanterweise ist nach Magenbypass- anorexigenen Effekts beteiligt (Sayegh 2013). Nach Magenbypass (Dirksen et al. 2013) operation eine weitere Reduktion der PP-­ Spiegel zu beobachten (Campos et al. 2014), und besonders nach Schlauchmagenoperation während diese nach Schlauchmagenoperation (Peterli et al. 2012) ist die postprandiale Freiansteigen (Nannipieri et  al. 2013). Somit setzung von CCK erhöht. Diese gesteigerte könnte PP an den vorteilhaften Effekten nach anorexigene Mediation trägt wahrscheinSchlauchmagenoperation beteiligt sein, wäh- lich zur verminderten Nahrungsaufnahme rend ein günstiger Effekt nach Magenbypass- und damit zur progredienten Reduktion des Körpergewichts unter diesen Bedingungen bei. operation aktuell fraglich scheint.

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10.3.6  Glukagon-ähnliches

10.3.7  Peptid YY

Glukagon-ähnliches Peptid-1 (GLP-1) wird von den enteroendokrinen L-Zellen des Dünndarms gebildet (Eissele et al. 1992) und nach der Nahrungsaufnahme, v. a. nach fettreicher Nahrung, freigesetzt (Herrmann et al. 1995), wobei GLP-17-36-Amid die Hauptform in der Zirkulation darstellt (Orskov et al. 1994). GLP-1 hat neben einem h ­emmenden Effekt auf die gastrointestinale Motilität (­ Hellström et al. 2008) ebenfalls einen anorexigenen Effekt (Gutzwiller et al. 1999), der über den Nervus vagus (­Plamboeck et al. 2013), aber auch humoral über einen Transport über die BlutHirn-Schranke vermittelt wird (­ Kastin et al. 2002). Die anorexigene Wirkung ist auch bei Adipösen erhalten (Flint et  al. 2001). Aus diesem Grund ist GLP-1 als mögliches Zielmolekül in den Fokus der Adipositastherapie gerückt. Eine wiederholte Injektion des GLP-1-­ Agonisten Liraglutide führt zu einer Reduktion des Körpergewichts bei Adipösen (Davies et al. 2015). Da GLP-1 neben seinem anorexigenen Effekt auch eine insulinstimulierende (InkretinWirkung) hat, spielt GLP-1 mittlerweile sowohl in der A ­ dipositas- wie in der Diabetestherapie eine Rolle (Igel et al. 2017). Sowohl nach Schlauchmagen- als auch nach Magenbypassoperation ist die postprandiale Freisetzung von GLP-1 erhöht, ein Effekt, der bereits eine Woche nach der Operation nachweisbar ist und noch ein Jahr danach anhält (Peterli et al. 2012). Diese höhere Freisetzung von GLP-1 könnte mit dem rascheren Transport des Speisebreis in Verbindung gebracht werden und sowohl zur Verbesserung der Glukosehomöostase (Casella et al. 2016) als auch zur Reduktion der Nahrungsaufnahme (Mans et al. 2015) beitragen.

Peptid YY (PYY) wird wie GLP-1 von den endokrinen L-Zellen im distalen Intestinaltrakts im Dünn- und Dickdarm gebildet (Habib et al. 2013). Die Ausschüttung erfolgt postprandial (Brennan et al. 2012), wobei Fette die potenteste stimulatorische Wirkung haben (Ullrich et al. 2015). Diese Freisetzung ist bei Adipösen abgeschwächt (le Roux et al. 2006). PYY1-36 wird durch Dipeptidylpeptidase IV rasch in PYY3-36 gespalten (Grandt et al. 1993), das die Hauptform von PYY darstellt. Während PYY1-36 sowohl an den Y1- als auch an den Y2-Rezeptor bindet, hat PYY3-36 eine selektive Affinität zum Y2-Rezeptor (Pedersen et al. 2009). PYY3-36 hat eine anorexigene Wirkung (Degen et al. 2005), ein Effekt, der bei Adipösen erhalten ist (Batterham et al. 2003a). Der postprandiale Anstieg ist mit der Verminderung des Hungergefühls assoziiert (Stoeckel et al. 2008). Die beobachtete verminderte Freisetzung bei Adipösen könnte zur reduzierten postprandialen Sättigung beitragen (le Roux et al. 2006). PYY3-36 kann hierbei sowohl über den Nervus vagus (Koda et al. 2005) als auch über die Zirkulation und einen Transport über die Blut-Hirn-Schranke (Nonaka et al. 2003) wirken. Nach bariatrischer Operation zeigt sich eine vermehrte postprandiale Freisetzung von PYY3-36 sowohl bei Patienten mit Schlauchmagen- (Rigamonti et al. 2017) als auch solchen mit Magenbypassoperation (Yousseif et al. 2014) – Veränderungen, die zur gesteigerten Sättigung und zum postoperativen Gewichtsverlust beitragen können (Yousseif et al. 2014). Die Effekte einer Magenbypassoperation auf die peptidergen Botenstoffe sind in . Abb. 10.1 dargestellt.

Peptid-1

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Nesfatin-1 ↓ Leptin ↓ Pankreatisches Polypeptid ↓ Cholezystokinin ↑ Glukagon-ähnliches Peptid-1 ↑ Peptid YY ↑

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Ghrelin ↓

. Abb. 10.1  Veränderungen von gastrointestinalen Peptidhormonen nach Magenbypassoperation, der derzeit in Deutschland am häufigsten durchgeführten Operationstechnik. Links: anorexigene Botenstoffe, rechts: orexigener Botenstoff. ↑ Steigerung; ↓ Reduktion. Die gestrichelten Pfeile geben die Transportrichtung des Speisebreis an

> Adipositaschirurgie – hier sind

sowohl die Schlauchmagen- als auch Magenbypassoperation zu nennen – beeinflusst das peptiderge Signaling hin zu einer anorexigenen Mediation.

10.4  Mikrobiota

Etwa 1013–1014 Mikroorganismen leben im Darm des Menschen, wobei zwei Stämme besonders häufig sind: Firmicutes und Bacteroidetes (Mason 2017). Es konnte frühzeitig gezeigt werden, dass sich die mikrobielle Zusammensetzung bei Normalgewichtigen und Adipösen unterscheidet. Hierbei zeigen Adipöse eine deutliche Verringerung der Diversität sowie eine Verschiebung der Bakterienlast zugunsten der Firmicutes (Ley et al. 2005), eine Veränderung, die nach Gewichtsverlust reversibel ist (Ley et al. 2006). Die Darmbakterien scheinen einen Effekt auf die Körpergewichtsregulation zu haben. So sind Mäuse, die unter sterilen Bedingungen aufwachsen, dünner (Bäckhed et al. 2004) und nicht anfällig für die Entwicklung von diätinduzierter Adipositas, wenn sie eine fettreiche Diät bekommen (Bäckhed et al. 2007). Interessanterweise lässt

sich auch der Phänotyp (dünn oder dick) mittels Stuhltransplantation auf die sterilen Tiere übertragen (Turnbaugh et al. 2006). Da Tiere und Menschen ein vergleichbares Mikrobiom haben (Ley et al. 2005), könnten diese Daten auch beim Menschen relevant sein. Bei der veränderten mikrobiellen Zusammensetzung könnte eine verminderte Funktion der Paneth-Zellen bei Adipösen eine Rolle spielen (Hodin et al. 2011). Weiterhin kommt es – evtl. in kausaler Folge – zu einer erhöhten para- und transzellulären Durchlässigkeit des Darmes (Hamilton et al. 2015) sowie zu einem gesteigerten proinflammatorischen Signaling (Ding et  al. 2010). Diese Veränderungen können zu einer veränderten vagalen Mediation und damit zu einer gestörten Peptidsignaltransmission führen (Vaughn et al. 2017). Nicht zuletzt exprimieren enteroendokrine Zellen Toll-­likeRezeptoren (Bogunovic et al. 2007), sodass auch eine direkte Beeinflussung dieser Zellen durch bakterielle Bestandteile möglich ist. Adipositaschirurgie hat einen ausgeprägten Einfluss auf die Darmflora. So steigert eine Schlauchmagenoperation die Proteobacteria, während nach Magenbypass Bacteroidetes und Proteobacteria vermehrt nachweisbar sind (Medina et al. 2017).

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Diese Veränderungen korrelieren mit einer Abnahme des BMI und einer Verbesserung der Glukosespiegel (Medina et  al. 2017). Interessanterweise ist eine Diabetesremission bei beiden Techniken mit einer Zunahme von Rosburia vergesellschaftet (Murphy et al. 2017). Eine kürzlich erschienene Pilotstudie beschreibt einen Zusammenhang zwischen der Veränderung der Akkermansia und einer Verminderung der hedonischen Nahrungsaufnahme nach Schlauchmagenoperation (Sanmiguel et al. 2017). Generell ist anzumerken, dass eine bariatrische Operation die bakterielle Diversität erhöht (Kong et al. 2013) – Veränderungen, die langanhaltend sind (Palleja et al. 2016) – und die Zusammensetzung der Darmflora der eines schlanken Phänotyps annähert, eine Modulation, die nach diätinduziertem Gewichtsverlust nicht zu beobachten ist (Damms-Machado et al. 2015). Zukünftige Studien werden zeigen, ob eine gezielte Veränderung der Darmmikrobiota einen Platz in der Adipositastherapie finden kann. > Auch die Mikrobiota wird durch

Adipositaschirurgie maßgeblich verändert. Es bleibt abzuwarten ob in Zukunft gezielte therapeutische Modifikationen des Mikrobioms möglich sind.

10.5  Zusammenfassung

Die Veränderungen des peptidergen Signalings nach Adipositaschirurgie unterscheiden sich von den Adaptationen, die nach konservativem Gewichtsverlust beobachtet werden. Diese Veränderungen – nicht eines einzelnen Hormons, sondern eher orchestriert in ihrer Gesamtheit – tragen sehr wahrscheinlich zur langanhaltenden Körpergewichtsreduktion nach Adipositaschirurgie bei. Wichtig scheinen auch die Veränderungen des Mikrobioms zu sein, allerdings ist hier noch ein tieferes Verständnis notwendig.

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10 · Effekte der Adipositaschirurgie auf Hunger und Sättigung

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Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie Astrid Müller und Marek Lescher 11.1 Einführung – 152 11.2 Selbstschädigung in der deutschen Bevölkerung – 153 11.3 Selbstschädigung bei Patienten vor Adipositaschirurgie – 153 11.4 Selbstschädigung und Suizide bei Patienten nach Adipositaschirurgie – 154 11.5 Mögliche Ursachen für Selbstschädigung nach Adipositaschirurgie – 160 11.6 Schlussfolgerung – 160 Literatur – 161

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_11

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152

A. Müller und M. Lescher

11.1  Einführung

Ziel dieses Kapitels ist es, den bisherigen Kenntnisstand zu selbstschädigendem Verhalten vor und nach Adipositaschirurgie anhand eines narrativen Reviews zusammenzufassen, da sich in den letzten Jahren Berichte gemehrt haben, die über eine postoperative Zunahme selbstschädigender Verhaltens­ weisen, inklusive Suizide, bei Patienten nach Adipositaschirurgie berichtet haben (Morgan und Ho 2017; Peterhänsel et al. 2013; Tindle et al. 2010). > Der Begriff Selbstschädigung (engl.

self-harm) rekurriert auf ein breites Spektrum sozial nicht akzeptierter, freiwilliger, repetitiver Verhaltensweisen, die der eigenen Gesundheit und dem eigenen Wohlergehen schaden (Claes and Vandereycken 2012).

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In Anlehnung an Sansone et al. (1998) sowie Claes und Vandereycken (2007) wird die Bezeichnung Selbstschädigung im Folgenden für sowohl direkte als auch indirekte selbstschädigende Verhaltensweisen verwendet, una­ bhängig von einer möglicherweise dahinter stehenden Suizidabsicht. Der Begriff direkte Selbstschädigung bezieht sich auf die Selbstverletzung von eigenem Körpergewebe (z. B. Beschädigung der Haut durch Schnitte, Ritzen, Kratzen, Schlagen/Anschlagen, Kneifen, Beißen oder Verbrennen), während es sich bei indirekter Selbstschädigung z. B. um Essstörungen, schädlichen Substanzkonsum, Risikoverhalten oder das Eingehen missbräuchlicher Beziehungen handelt (Claes und Vandereycken 2007; Plener et al. 2009, 2014; Sansone et al. 1998; Zetterqvist 2015). > Selbstschädigung kann mit und ohne

Selbsttötungsabsicht auftreten.

Der bisherigen Forschungslage zu nichtsuizidaler Selbstschädigung und ­ Suizidalität Rechnung tragend werden in Sektion  III der 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5)

(APA 2013) zwei distinkte Störungsbilder aufgeführt. Dabei handelt es sich um die „Suicidal Behavior Disorder“ („Suizidale Verhaltensstörung“) und um die ‚Nonsuicidal self-injury disorder‘ („Nicht-suizidales Selbstverletzungssyndrom“, NSSV-Syndrom). Für die suizidale Verhaltensstörung sind Suizidversuche charakteristisch, die von der betroffenen Person mit der Intention zu sterben unternommen werden, unabhängig davon, ob sich daraus Verletzungen oder schwerwiegende medizinische Folgen ergeben können (APA 2013). Hingegen dient das NSSV v. a. der Reduktion negativer Gefühle und Kognitionen. Daneben kann NSSV auch zur Selbstbestrafung, Lösung interpersoneller Probleme, zum Herbeiführen positiver Emotionen oder zum Verhindern von dissoziativen Zuständen oder Suizid eingesetzt werden (Klonsky 2007). Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass häufiges, intensives NSSV das Suizidrisiko erhöhen kann (Hawton et al. 2003; Zetterqvist 2015). Darum erscheint es sinnvoll, Frequenz und Intensität von NSSV regelmäßig zu überwachen, um Suiziden vorzubeugen (Klonsky und Muehlenkamp 2007; Plener et al. 2014; Zetterqvist 2015). Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass sowohl NSSV als auch die suizidale Verhaltensstörung bekanntermaßen mit einer hohen psychischen Komorbidität einhergehen, insbesondere mit affektiven Störungen und mit der ­Borderline-Persönlichkeitsstörung (­Brickman et al. 2014; Cipriano et al. 2017; Jacobson et al. 2008; Kraus et al. 2010; Plener et al. 2014; Schmahl et al. 2014; Zetterqvist 2015). ! Häufiges, intensives nichtsuizidales

selbstverletzendes Verhalten ist mit erhöhtem Suizidrisiko verbunden.

In diesem Buchkapitel soll es nicht um NSSV oder die suizidale Verhaltensstörung gemäß DSM-5 gehen, sondern in Anlehnung an Sansone et al. (1998) um Selbstschädigung im weiteren Sinne, völlig unabhängig davon, ob eine suizidale Intention vorliegt oder nicht.

153 11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

11.2  Selbstschädigung in der

deutschen Bevölkerung

In einer deutschen Bevölkerungsstudie (n =  2,507; Alter MW  = 48.79, SD = 18.11; Range 14–94 Jahre; 55.5 % weiblich) wurde die Lebenszeitprävalenz von Selbstschädigung anhand des Self-Harm Inventory (SHI) von Sansone et al. (1998) untersucht. Der SHI erfasst mit 22 Items ein breites Spektrum unterschiedlicher, absichtlich ausgeführter, selbstschädigender Verhaltensweisen, z.  B. sich schneiden, eine Überdosis einnehmen, rücksichtslos fahren, die Heilung von Wunden verhindern, eine emotional ausbeutende Beziehungen eingehen usw. Die Studie ergab, dass die knappe Hälfte der Befragten (49 %) im Laufe des Lebens bereits mindestens ein selbstschädigendes Verhalten gezeigt hatte, zumeist handelte es sich dabei um indirekte Selbstschädigung (Müller et al. 2016). Das SHI-Item 18, das nach früheren Suizidversuchen fragt („Haben Sie jemals bewusst oder absichtlich versucht sich umzubringen?“) wurde von 2,8 % der Teilnehmenden bejaht. In der gleichen Bevölkerungsstichprobe wurde auch die Prävalenz von NSSV gemäß DSM-5 Diagnosekriterien (APA 2013) mit der deutschen Version (Fischer et al. 2014) des Self-Injurious Thoughts and Behaviors Interview (Nock et al. 2007) exploriert. Mindestens eine NSSV-Episode in der Lebensspanne wurde von 3,1 % der Befragten angegeben, und bei 0,3 % waren die DSM-5 Kriterien für NSSV zum Untersuchungszeitpunkt erfüllt (Plener et al. 2016). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Selbstschädigung kein seltenes Verhalten darstellt. NSSV im engeren Sinne kommt hingegen erwartungsgemäß wesentlich seltener vor. > In einer repräsentativen deutschen

Bevölkerungsstichprobe gaben 49 % an, im Laufe ihres Lebens bereits direktes oder indirektes selbstschädigendes Verhalten angewendet zu haben.

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11.3  Selbstschädigung

bei Patienten vor Adipositaschirurgie

Die erste systematische Untersuchung diverser selbstschädigender Verhaltensweisen bei Patienten vor Adipositaschirurgie stammt aus den USA (Sansone et al. 2008). In dieser monozentrischen Studie wurde der bereits im vorherigen Abschnitt erwähnte SHI (­Sansone et al. 1998) bei 121 erwachsenen Patienten vor Adipositaschirurgie (BMI MW  = 47,2; SD = 9,7 kg/m2; 88  % weiblich) eingesetzt (Sansone et al. 2008). Mehr als die Hälfte der Patienten (53,8 %) gab an, bereits mindestens eine selbstschädigende Verhaltensweise angewendet zu haben, am häufigsten genannt wurden: „been promiscuous“ (22,3 %), „tortured self with self-defeating thoughts“ (20,7 %), „abused alcohol“ (19 %) und „engaged in emotionally abusive relationships“ (16,5 %). Die Items „attempted suicide“ und „overdosed“ wurden von jeweils 9,1 % angekreuzt (Sansone et al. 2008). Es ergaben sich keine Zusammenhänge zwischen SHI-Summenwert und BMI und auch keine Geschlechtsunterschiede im SHI. Die Ergebnisse der Studie von Sansone et al. (2008) legten die Vermutung nahe, dass Patienten vor Adipositaschirurgie eine relativ hohe Lebenszeitprävalenz von Selbstschädigung, inklusive Suizidversuche, aufweisen. Gründe hierfür wurden in der bekanntlich hohen psychischen Komorbidität (z. B. Depression) gesehen (Sansone et al. 2008). Das Fehlen einer nichtbariatrischen Kontrollgruppe mit Adipositas schmälerte die Aussagekraft dieser Studie allerdings erheblich. Der Vergleich von SHI-Befunden zwischen präoperativen Patienten und nichtklinischen Kontrollpersonen mit Adipositas Grad 2/3 stand im Fokus einer rezenten deutschen Erhebung (Müller et al. 2018), die Selbstschädigung bei 139 präoperativen Patienten (OP: 77,7 % weiblich; 7,9 % Adipositas Grad 2 und 92,1 % Adipositas Grad  3) und 122  Kontrollpersonen mit BMI 35+ (KG: 70,5 % ­ weiblich; 69,7 %

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11

A. Müller und M. Lescher

Adipositas Grad  2 und 30,3  % Adipositas Grad 3) anhand des SHI (Sansone et al. 1998) erhoben hat. Zu den wichtigsten Ergebnissen dieser Studie zählt, dass sich entgegen der Hypothese, die von einer höheren Lebenszeitprävalenz von Selbstschädigung in der präoperativen Gruppe ausgegangen war, im SHI-Summenwert ein Trend zu weniger selbst­ schädigenden Verhaltensweisen in der präope­ rativen Gruppe abzeichnete (MedianOP =  1.00, IQROP = 2.00, MedianKG = 1.00, IQRKG =  2.25, U  = 7241, p =  0.033). Mindestens eine direkte oder indirekte selbstschädigende Verhaltensweise gaben 51,5 % der präoperativen Patienten und 63,9  % der Kontrollpersonen   an χ 2 (1) = 3.91, p = 0.048 . Interessant ist zudem, dass sich die Gruppen nicht signifikant in der Prävalenz von Suizidversuchen (OP: 9,4  %, unterschieden  %, KG: 12.4  χ 2 (1) = 0.62, p = 0.548 . Da sich die Gruppen hinsichtlich Gewicht und psychischer Belastung unterschieden, wurden die Analysen für diese Variablen adjustiert, was jedoch keine divergierenden Ergebnisse erbrachte. Insgesamt konnte die Annahme, dass präoperative Patienten mehr Selbstschädigung, einschließlich Suizidversuche, zeigen als Personen mit Adipositas Grad 2/3, die keine Adipositaschirurgie anstreben, nicht bestätigt werden. Patienten vor Adipositaschirurgie scheinen also nicht öfter zu Selbstschädigung zu neigen als andere Menschen mit Adipositas. > In einer deutschen Untersuchung von

Patienten, die eine Adipositaschirurgie anstrebten, gaben 51 % der präoperativen Patienten an, im Laufe ihres Lebens bereits direktes oder indirektes selbstschädigendes Verhalten angewendet zu haben.

11.4  Selbstschädigung und

Suizide bei Patienten nach Adipositaschirurgie

Bei morbider Adipositas hat sich die Adipositaschirurgie als nachhaltige, den konservativen Therapien überlegene Behandlungsstrategie

erwiesen. In der Regel resultiert sie in anhaltender Gewichtsreduktion und Verbesserung der physischen und mentalen Lebensqualität der Patienten. Gleichzeitig haben in den letzten Jahren Berichte über erhöhte postoperative Suizidraten für Verunsicherung gesorgt (Adams et al. 2007; Goldfeder et al. 2006; Mitchell et al. 2013; Omalu et al. 2007; ­Peterhänsel et al. 2013; Tindle et al. 2010). So hat beispielsweise eine retrospektive, registerbasierte Studie Daten von Einwohnern aus Pennsylvania analysiert, die von 1995–2004 eine Adipositaschirurgie absolviert hatten (16.683) und die zwischen September 1996 und Dezember 2006 verstorben waren (Tindle et  al. 2010). Die Autoren berichteten über eine erhöhte Suizidinzidenz bei Patienten nach Adipositaschirurgie (Männer 13,7/10.000, Frauen 5,2/10.000) im Vergleich zu einer nach Alter und Geschlecht gematchten Bevölkerungsgruppe ohne Adipositaschirurgie (Männer 2,4/10.000, Frauen 0,7/10.000) (. Tab. 11.1). Der Großteil der Suizide ereignete sich 3 Jahre nach Operation. Selbstverständlich konnten die Suizide nicht notwendigerweise auf die bariatrischen Operationen zurückgeführt werden. Zudem wurde die absolute Suizidzahl als eher gering eingeschätzt mit 31 Suiziden auf 16.683 Operationen (Tindle et al. 2010). Gleichwohl gab die Studie von Tindle et al. Anlass zur Besorgnis. Backman et al. (2016) beschrieben eine vergleichsweise hohe Frequenz postoperativer Akutaufnahmen im Zuge von Suizidversuchen bei Patienten, die von 2001–2010 eine RYGB-Operation absolviert hatten. In dieser landesweiten, schwedischen Kohortenstudie wurden Daten von postoperativen bariatrischen Patienten mit denen einer altersund geschlechtsgematchten, nichtadipösen Referenz­ gruppe verglichen (. Tab. 11.1). Das adjustierte Hazard Ratio für ­Akutaufnahmen wegen Suizidversuchen in der bariatrischen Gruppe betrug 2,85 (95  % CI 2,40–3,39) (Backman et al. 2016). Etwas andere Ergebnisse erbrachte eine schwedische Studie von Marsk et al. (2010),

Register

Pennsylvania Health Care Cost and Containment Counsil, Division of Vital Records, Pennsylvania State Department of Health

Ontario Health Insurance Plan database, National Ambulatory Care Reporting System

Western Australian Department of Health Data Linkage Unit

Danish National Patient Registry

Swedish National Patient Register, Prescribed Drug Register, Causes of Death Register

Land

USA

Kanada

Australien

Dänemark

Schweden

2 J. postop.

IQR 3,5–5,3

Postop: Mdn = 4,2 J.

30,4 ± 16,6 Monate präop. vs. 40,6 ± 16,6 Monate postop.

3 J. präop. vs. 3 J. postop.

≤ 10 J. postop.

Untersuchungszeitraum

RYGB-Patienten mit präop. Selbstschädigung (307)

RYGB (9.895)

Adipositaschirurgie (12.062)

98,5 % RYGB

Adipositaschirurgie (8.815)

Adipositaschirurgie (16.683)

AdipositaschirurgiePatienten (N)

RYGB-Patienten ohne präop. Selbstschädigung (22.232)

BEV (247.375)





BEV (16.683)

Referenzgruppe (N)

. Tab. 11.1  Registerbasierte Kohortenstudien zu Selbstschädigung nach Adipositaschirurgie

Selbstschädigung postop.

Akutaufnahme wg. Suizidversuch oder Überdosierung

Selbstschädigung präop. vs. postop.

Selbstschädigung präop. vs. postop.

Inzidenz Suizide postop.

Endpunkte postop.

(95 % CI 25,5–52,4)

HR = 36,6

(95 % CI 2,9–5,5)

IRR = 3.6

(95 % CI 0,5–1,2)

IRR = 0,8

(95 % CI 1,0–2,3)

IRR = 1,5

Referenzgruppe: – Männer 2,4/10.000 – Frauen 0,7/10.000

Adipositaschirurgie Patienten: – Männer 13,7/10.000 – Frauen 5,2/10.000

Ergebnis

155

(Fortsetzung)

Lagerros et al. (2017)

Gribsholt et al. (2016)

Morgan und Ho (2017)

Bhatti et al. (2016)

Tindle et al. (2010)

Referenz

11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

11

National Patient Register, Total Population Register, Emigration Records, Causes of Death Register, Population and Housing Census, Longitudinal Integration Database for Health Insurance and Labour Market Studies, Prescribed Drug Register

Danish Psychiatric Central Research Register, Danish National Patient Register, Danish Register of Causes of Death

Schweden

Dänemark

4,0 ± 2,0 J. postop.

IQR 0,8–3,8

Postop: Mdn = 1,9 J.

Untersuchungszeitraum

Adipositaschirurgie (9.614)

RYGB 1 (16.755)

AdipositaschirurgiePatienten (N)

BEV (8.027)

BEV 1 (167.550)

Referenzgruppe (N)

Selbstschädigung

Suizide

Akutaufnahme wg. Suizidversuch

Endpunkte postop.

(95 % CI 1,9–5,4)

HR = 3,2

(95 % CI 0,4–5,1)

HR = 1,3

(95 % CI 2,4–3,4)

HR = 2,8

Ergebnis

Kovacs et al. (2017)

Backman et al. (2016)

Referenz

RYGB Roux-en-Y Gastric Bypass, BEV alters- und geschlechtsgematchte Bevölkerungsstichprobe, Mdn Median, IQR Interquartile range, IRR Incidence Rate Ratio, HR Hazard Ratio

Register

11

Land

. Tab. 11.1  (Fortsetzung)

156 A. Müller und M. Lescher

157 11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

die Registerangaben zur Mortalität bei männlichen Adipositaschirurgiepatienten (n = 1.216) mit Angaben zu nichtoperierten Männern mit Adipositas (n  = 5.327) und Männern einer großen Bevölkerungsstichprobe (n = 1.492.863) verglich (. Tab. 11.1). Der postoperative Nachuntersuchungszeitraum betrug durchschnittlich 7,3  Jahre (SD = 5,5). Hinsichtlich der Todesursachen, die neben kardiovaskulären Erkrankungen und Unfällen auch Suizide einschlossen, konnten keine Gruppenunterschiede nachgewiesen werden. Gribsholt et al. (2018) haben in einer landesweiten Kohortenstudie das relative Risiko für stationäre Akutaufnahmen aufgrund kurz- und längerfristiger (0–30 Tage bzw. > 30 Tage post Op) medizinischer Notfälle bei allen 9.895 Patienten, die sich von 2006–2010 in Dänemark einer RYGB-­ Operation unterzogen hatten, mit Angaben einer alters- und geschlechtsgematchten, nicht bariatrisch operierten Vergleichskohorte aus der Gesamtbevölkerung (n =  247.366) verglichen (. Tab. 11.1). Es zeigte sich eine erhöhte suizidbedingte Mortalitätsrate in der bariatrischen Stichprobe (MRR  =  2,78; 95  % CI 1,44–5,33) (Gribsholt et al. 2017). Darüber hinaus beschrieben die Autoren eine postoperative Zunahme des relativen Risikos von Akutaufnahmen wegen Selbstschädigung (Suizidversuche oder intendierte Medikamentenüberdosierung) (vor Op RR  = 1,72; 95 % CI 1,32–2,25 vs. post Op RR = 3,61; 95 % CI 2,88–4,52) (Gribsholt et al. 2018). Ein Kritikpunkt an dieser Studie war, dass sie sich auf Akutaufnahmen in nichtpsychiatrischen Kliniken konzentriert hatte, was möglicherweise zu einer Unterschätzung von Selbstschädigung geführt haben mag. Bhatti et al. (2016) publizierten die Ergebnisse einer kanadischen Kohortenstudie mit 8.815 von 2006–2011 operierten bariatrischen Patienten aus Ontario (. Tab. 11.1). Analysiert wurden die G ­esundheitsregisterdaten

11

zu Notfällen wegen Selbstschädigung (­Medikamentenüberdosierung, Alkoholmissbrauch, Vergiftung durch Chemikalien, physisches Trauma) 3 Jahre vor und 3 Jahre nach Adipositaschirurgie (98,5 % Magenbypass). Vor oder nach OP wurde bei 1,3 % der Patienten (n = 111) mindestens ein Selbstverletzungsnotfall registriert, wobei 11 Patienten in beiden Zeitintervallen vorstellig waren, 37 Patienten nur präoperativ und 63 ausschließlich postoperativ. Die meisten der insgesamt 158 registrierten Vorfälle betrafen Frauen (n  = 144), Personen über 35 Jahre (n = 111), in städtischen Gebieten lebende Personen (n = 143) und Menschen mit bereits präoperativ (5 Jahre vor Op) registrierten psychischen Erkrankungen (n = 147). Die häufigste selbstschädigende Verhaltensweise war Medikamentenüberdosierung (72,8  %). Intendierte physische Traumata (inklusive Strangulation) wurden in 20,9 % der Fälle dokumentiert. Die meisten Notfälle mündeten in einer stationären Aufnahme (n  =  85). Die Verlaufsdaten verdeutlichen den postoperativen Anstieg der Notfälle. So betrug die Inzidenz von Notfällen wegen Selbstschädigung vor bariatrischer Operation 2,33 auf 1.000 Patientenjahre und nach Operation 3,63 auf 1.000 Patientenjahre (Bhatti et al. 2016). Insbesondere Menschen über 35 Jahre (RR = 1,76; 95 % CI 1,05–2,94), solche mit geringem Einkommen (RR  = 2,09; 95 % CI 1,20–3,65) und in ländlichen Regionen Ansässige (RR = 6,49, 95 % CI 1,42–29,63) berichteten eine postoperative Zunahme von Selbstschädigung (Bhatti et al. 2016). Gründe für die Zunahme selbstschädigender Verhaltensweisen sahen Bhatti et al. (2016) in der psychischen Komorbidität bei bariatrischen Patienten, insbesondere in der hohen Prävalenz unipolarer Depressionen. Weitere Ursachen könnten in metabolischen Veränderungen nach Adipositaschirurgie gelegen haben, die möglicherweise Alkoholintoxikationen begünstigt und die Serumkonzentration von Psychopharmaka beeinflusst haben (Steffen et al. 2013). Ebenso könnte – zumindestens bei einigen Patienten – nichtnormatives, suchtartiges Essverhalten bzw.

158

11

A. Müller und M. Lescher

der Verzicht darauf zu Anspannungszuständen geführt haben (Rieber et al. 2013), die dann mit Selbstschädigung kompensiert wurden. Zu ähnlichen Ergebnissen wie Bhatti et al. (2016) gelangte die schwedische Kohortenstudie von Lagerros et al. (2017), die anhand nationaler Gesundheitsregister ICD-10-Diagnosen (X60–X84, Y10–Y34, F32–F33), Einträge über Antidepressivaverschreibungen, Kontakte mit psychiatrischen Einrichtungen sowie Suizide analysierte (. Tab. 11.1). Berücksichtigt wurden alle Patienten (n  =  22.539), die von 2008–2012 einen Magenbypass erhalten hatten. Die Autoren gingen der Frage nach, ob präoperative Selbstschädigung prädiktiv für postoperative Selbstschädigung ist. Endpunkt war u.  a. die Hazard Ratio für postoperative Selbstschädigung 2 Jahre nach Adipositaschirurgie als deskriptives Maß zum Vergleich von Patienten mit (n = 307) vs. ohne (n = 22.232) selbstschädigendes Verhalten 2  Jahre vor Adipositaschirurgie. Die für Alter, Geschlecht und Operationsjahr adjustierte postoperative Hazard Ratio für Patienten mit präoperativer Selbstschädigung betrug 36,6 (95 % CI 25,5– 52,4) (Referenzgruppe Patienten ohne präoperative Selbstschädigung) (Lagerros et al. 2017). Außerdem wurde die standardisierte Mortalitätsrate (SMR, Referenzstichprobe schwedische Bevölkerung) für postoperative Suizide in der Gesamtstichprobe ermittelt. Bei den weiblichen Patienten (n = 13) war das Risiko für suizidbedingte Mortalität erhöht (SMR =  4,5; 95 % CI 2,5–7,5). Für männliche Patienten (n  =  4) traf dies nicht zu (SMR = 1,7; 95 % CI 0,5–4,1), wobei der relativ kurze Nacherhebungszeitraum von nur 2 Jahren zur Unterschätzung der SRM bei beiden Geschlechtern beigetragen haben könnte (Lagerros et al. 2017). Zudem handelt es sich um relativ kleine Zahlenangeben. Gleichwohl legen die Ergebnisse nahe, dass das Risiko für Selbstschädigung vorrangig bei Patienten erhöht ist, die bereits präoperativ unter diesem Problem gelitten haben. Unlängst wurde eine weitere aus Dänemark stammende, sehr umfangreiche und

methodisch aufwändige Längsschnittstudie veröffentlicht. Kovacs et  al. (2017) untersuchten in einer Kohorte von 22.451 Personen (insgesamt 1.029.736 Personenjahre) das postoperative Auftreten von psychischen Diagnosen gemäß ICD-10, von Suiziden und Selbstschädigung (ICD-10 X60–84, Y870), von Substanzgebrauchsstörungen (ICD-10 F10–19) sowie die Inanspruchnahme psychiatrischer Einrichtungen anhand mehrerer Register (. Tab. 11.1). Das Follow-up nach Adipositaschirurgie lag im Mittel bei 4 Jahren (SD  =  2,0). Die Daten wurden mittels alters- und geschlechtsadjustierter Cox-Regressionsanalysen ausgewertet. Die Adipositaschirurgie-Patienten wurden mit nichtoperierten adipösen Personen (=  Referenzgruppe) verglichen. Um einem Bias vorzubeugen, wurden Personen mit registrierten psychischen Störungen in der Vorgeschichte ausgeschlossen (ausgeschlossen: Patienten n  = 2971, Referenzgruppe n  =  1866). In der Patientengruppe wurde ein deutlich höheres Risiko für Selbstschädigung (HR  =  3,2; 95  % CI 1,9–5,4) und Alkoholmissbrauch (HR  = 3,9; 95  % CI 2,9–5,2), allerdings nicht für Suizidalität (HR = 1,3; 95 % CI 0,4–5,1; p = 0,658), festgestellt (Kovacs et al. 2017). Letzteres steht in Einklang mit der schwedischen Mortalitätsstudie von Marsk et al. (2010), nicht jedoch mit den anderen zitierten Studien (Backman et al. 2016; Gribsholt et al. 2017; Tindle et al. 2010). Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Referenzgruppe bei Kovacs et al. nicht nur bezüglich Alter und Geschlecht parallelisiert worden war. Im Bemühen um eine möglichst passende Vergleichsgruppe bestand die Referenzgruppe aus Personen mit Adipositas. Die Studien von z. B. Tindle et al. (2010), Backman et al. (2016) und Gribsholt et al. (2017) hatten lediglich eine für Alter und Geschlecht passende Vergleichsgruppe ­einbezogen. Kovacs et al. (2017) komplettierten die Untersuchungen noch mit Längsschnittanalysen innerhalb der Patientengruppe. Präoperative psychische Diagnosen waren für

159 11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

diese ergänzenden Analysen kein Ausschlusskriterium mehr. Es wurden alle Patienten berücksichtigt, was in einer Gesamtstichprobe von 15.583 Patienten resultierte. Als Messzeitpunkte für diese Längsschnittuntersuchung wurden 3, 5 und 7 Jahre vor versus 3, 5 und 7 Jahre nach Adipositaschirurgie festgelegt. Die intraindividuellen Längsschnittvergleiche ergaben erhöhte Inzidenzraten für Kontakte mit psychiatrischen Einrichtungen, Selbstschädigung und Substanzmissbrauch. Exemplarisch seien an dieser Stelle einige Vorkommnisse mit dem entsprechenden Inzidenzratenverhältnis (Incidence Rate Ratio, IRR), das sich jeweils auf den Vergleich 7 Jahre vor vs. 7 Jahre nach Op bezieht, genannt: stationäre psychiatrische Aufnahmen (IRR = 1,7; 95 % CI 1,4–2,1), Selbstschädigung (IRR  =  1,9; 95  % CI 1,2–2,9), Alkoholmissbrauch (IRR = 4,6; 95 % CI 3,5– 6,3). Ein Einfluss des Operationsverfahrens (Bypass vs. Magenband) konnte nicht festgestellt werden. > Registerbasierte Kohortenstudien

aus Schweden, Dänemark und Kanada mit hohen Fallzahlen haben eine Zunahme von Notfällen und medizinischen Behandlungen wegen selbstschädigenden Verhaltens nach Adipositaschirurgie nachgewiesen.

Im Gegensatz zu den bisher zitierten Kohortenstudien konnten Morgan und Ho (2017) keinen Anstieg in der Inzidenz selbstschädigender Verhaltensweisen nach Adipositaschirurgie nachweisen (. Tab. 11.1). Die Autoren führten eine australische registerbasierte Längsschnittstudie durch, die 12.062 bariatrische Patienten inkludierte. Die Patientendaten wurden 30,4 ± 16,6 Monate präoperativ und 40,6 ± 16,6 Monate postoperativ erhoben. Laut Gesundheitsregister waren von 2007–2011 insgesamt 110 Patienten (0,9 %) wegen selbstschädigenden Verhaltens stationär aufgenommen worden. Im Vergleich zur australischen Allgemeinbevölkerung zeigte sich eine erhöhte Inzidenz (IRR = 1,47; 05 % CI 1,11–1,94). Allerdings

11

unterschied sich innerhalb der Patientengruppe die Inzidenz stationärer Aufnahmen aufgrund von Selbstschädigung vor und nach Adipositaschirurgie nicht signifikant (IRR = 0,79; 95 % CI 0,54–1,16). Folgende Prädiktoren für Hospitalisationen wegen Selbstschädigung konnten identifiziert ­ werden: jüngeres Alter, keine private Krankenversicherung, präoperative stationäre Aufnahmen wegen Depression und postoperative gastrointestinale Komplikationen. In besagtem Follow-up-Zeitraum kam es zu drei Suiziden in der Patientengruppe, was sich nicht signifikant von der Suizidrate in der australischen Allgemeinbevölkerung im gleichen Zeitraum unterschied (IRR = 0,61; 95  % CI 0,11–2,27). Die Inzidenz stationärer Aufnahmen aufgrund psychischer Erkrankungen allgemein war sogar gesunken (IRR = 0,76; 95 % CI 0,63–0,91) (Morgan and Ho 2017). Die kontrastierenden Befunde aus Australien im Vergleich zu anderen Kohortenstudien bedürfen einer Erklärung. Die australische Untersuchung von Morgan und Ho (2017) wich bezüglich Stichprobengröße, Selbstschädigungsfrequenz und Follow-up-­ Zeiträumen deutlich von den anderen Studien ab. Zudem hatten z. B. die Patienten in der kanadischen Studie von Bhatti et al. (2016) überwiegend eine Magenbypassoperation erhalten (98,5 %), während bei den australischen Patienten wesentlich öfter Magenbandoperationen oder Sleeve-Gastrektomien durchgeführt worden waren (Magenbypassoperationen In der Literatur werden sowohl

medizinische und biologische als auch psychosoziale, gewichts- und essensbezogene Risikofaktoren für eine erhöhte Suizidalität nach Adipositaschirurgie beschrieben.

Eine Übersicht über mögliche Faktoren, die zu einer erhöhten postoperativen Suizidalität beitragen können, findet sich bei Mitchell et al. (2013). Dieses Review geht sowohl auf medizinische und biologische als auch auf psychosoziale, gewichts- und essensbezogene Risiofaktoren für erhöhte Suizidalität nach Adipositaschirurgie ein. Dazu gehören postoperativ das Fortbestehen oder Wiederauftreten körperlicher Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes, Hypertonie, Schmerzstörung), die veränderte Pharmakokinetik und Malabsorption von Medikamenten (z. B. Antidepressiva) (7 Kap. 13), die erhöhte Sensitivität gegenüber Alkohol und ein veränderter Alkoholkonsum (7 Kap. 12) sowie hypoglykämische Zustände und Peptidveränderungen (z.B. Ghrelin, GLP-1, PYY), was sich zentralnervös auswirken kann. Zu den relevanten psychosozialen, gewichtsund essensbezogenen Faktoren gehören unbefriedigende Gewichtsverläufe, nichtnormatives Essverhalten (7 Kap. 9), anhaltende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper­ (erleben) und mit überschüssigen Hautlappen (7 Kap. 16), Selbstwertprobleme, Partnerschaftskonflikte (inkl. sexueller Probleme), anhaltendes Stigmatisierungserleben (7 Kap. 5) usw. 11.6  Schlussfolgerung

In der Gesamtschau legen die Studienergebnisse eine Zunahme selbstschädigender Verhaltensweisen nach Adipositaschirurgie nahe. Die Befunde bezüglich postoperativ erhöhter Suizidraten sind nicht ganz eindeutig, da sie vorrangig Kohortenstudien entstammen, in denen Adipositas kein Einschlusskriterium

161 11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

für die jeweilige Referenzgruppe darstellte, was die Aussagekraft schmälert. Morbide Adipositas geht bekanntermaßen mit einer hohen körperlichen und psychischen Komorbidität einher (vgl. 7 Kap. 2 und 7 Kap. 8 dieses Buches). Es stellt sich die Frage, wie die Vergleiche zwischen Patienten und Referenzgruppen ausgefallen wären, wenn beide Gruppen sich hinsichtlich Alter, Geschlecht, BMI und Komorbidität nicht unterschieden hätten (Morgan and Ho 2016). Ein weiteres Manko vieler Studien besteht darin, dass die Daten nicht primär für Forschungszwecke gesammelt wurden. Die meisten Längsschnittbefunde zu Selbstschädigung und Suiziden rekurrieren auf Gesundheitsregisterangaben zu stationären Aufnahmen, Notfalleinsätzen oder anderen medizinischen Behandlungen. Die tatsächliche Inzidenz von selbstschädigenden Verhaltensweisen wurde nicht systematisch gemessen und bleibt daher unbekannt. Diese ist jedoch möglicherweise wesentlich höher, da nicht jede Selbstschädigung zwangsläufig an eine medizinische Behandlung gekoppelt ist. Dies sollte in zukünftigen Studien Berücksichtigung finden. Zweifelsohne verdeutlichen die bisherigen Forschungsergebnisse die Notwendigkeit einer geschärften Wahrnehmung von selbstschädigenden Verhaltensweisen und Suizidalität bei Patienten vor und nach Adipositaschirurgie. Dies bedeutet auch, dass vulnerable Patienten prä- und postoperativ identifiziert werden sollten, um sie je nach Bedarf angemessen medizinisch und psychotherapeutisch behandeln zu können. > Selbstschädigende Verhaltensweisen

sollten sowohl prä- als auch postoperatib aktiv erfragt werden, um je nach Bedarf eine adäquate medizinische und psychotherapeutische Versorgung zu gewährleisten.

11

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163 11 · Selbstschädigung und Suizidalität vor und nach Adipositaschirurgie

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165

Abhängigkeitserkrankungen und Wechselwirkungen bei der Adipositaschirurgie Stephan Zipfel 12.1 Einleitung: Adipositas und Abhängigkeitserkrankungen – 166 12.2 Diagnostische Kriterien und Häufigkeit der Alkoholabhängigkeit – 166 12.3 Epidemiologie – 167 12.4 Alkoholabhängigkeit vor Adipositaschirurgie – 167 12.5 Alkoholabhängigkeit nach Adipositaschirurgie – 168 12.6 Alkoholkonsum und postoperativer Gewichtsverlauf – 169 12.7 Gründe für eine erhöhte Prävalenz von Alkoholerkrankungen – 170 12.8 Abgeleitete Empfehlungen – 171 Literatur – 171

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_12

12

166

S. Zipfel

12.1  Einleitung: Adipositas und

Abhängigkeitserkrankungen

12

Es wird intensiv darüber diskutiert, inwieweit die Ursachen für die steigende Prävalenz von Übergewicht und Adipositas sinnvoll unter dem Konzept einer „Suchtstörung“ zu erklären sind. In diesem Zusammenhang wurde bereits 1956 von Randolph (s. Albayrak et al. 2012) der Begriff der „food addiction“ geprägt. Dabei geht es um die Frage, ob einzelne Nahrungsmittelbestandteile ein körperliches Abhängigkeitssyndrom erzeugen können, ähnlich wie beispielsweise Alkohol oder andere psychotrope Substanzen. Darüber hinaus wird diskutiert, ob es sich bei „food addiction“ primär um eine stoffgebundene oder eine nichtstoffgebundene Verhaltenssucht handelt, oder um beides. Trotz mancher Parallelen wollen wir allerdings darauf verweisen, dass Adipositas eine multifaktorielle Erkrankung ist, die nicht gleichzusetzen ist mit den Essstörungen, namentlich mit der Binge-Eating-Störung (BES) und/ oder der Bulimia nervosa (BN). Aktuelle Übersichtsarbeiten verweisen auf Ähnlichkeiten und Unterschiede in den zugrunde liegenden Mechanismen. Dabei werden als Ähnlichkeiten z.  B. Mechanismen der Konditionierung, insbesondere auch von Umgebungsfaktoren, beschrieben, bei denen dieses Verhalten gehäuft getriggert wird. Allerdings werden zugleich auch substanzielle Unterschiede, insbesondere hinsichtlich des neuroadaptiven zentralnervösen Effektes, beschrieben. Rogers (2017) verweist dabei explizit auf die Gefahr, dass das Food addiction-Konzept zur Trivialisierung der schweren Suchterkrankungen führen kann. Bei der Untersuchung des Belohnungssystems von Patienten mit Suchterkrankungen im Vergleich mit adipösen Menschen verweisen Leigh und Morris (2018) darauf, dass nur 10–25 % der adipösen Menschen die diagnostischen Kriterien für eine „food addiction“ basierend auf dem Yale Food Addiction Score erfüllen und es hierbei dann auch noch eine hohe

­ berlappung mit „Binge“-Verhalten und somit Ü auch mit übergewichtigen Patienten mit einer Binge-Eating-Störung gibt. Daher werden wir im Folgenden den Fokus auf das gemeinsame Auftreten von Abhängigkeitserkrankungen und Adipositas und insbesondere auf die Relevanz von Alkoholabhängigkeit vor und im Verlauf einer bariatrischen Operation legen. 12.2  Diagnostische Kriterien

und Häufigkeit der Alkoholabhängigkeit

Die alkoholbezogenen Störungen werden unterteilt in (Kiefer et al. 2017) 5 riskanter Konsum, 5 schädlicher Gebrauch, 5 Abhängigkeit. Ein riskanter Konsum liegt vor, wenn mit dem Konsum ein deutlich erhöhtes Risiko für gesundheitliche Folgeschäden verbunden ist. Dabei existieren derzeit für Männer Richtwerte, die für eine längerfristige Alkoholmenge von mehr als 24 g reinen Alkohol pro Tag gelten und für Frauen bei der Hälfte (12 g/d) liegen. Dennoch ist die Diagnose eines schädlichen Alkoholgebrauchs oder einer Alkoholabhängigkeit primär unabhängig von der Menge des täglich konsumierten Alkohols. Nach ICD-10 ist der schädliche Alkoholgebrauch definiert durch eine alkoholbedingte körperliche (z. B. alkoholische Hepatitis) oder psychische Störung (z. B. depressive Episode). Die Diagnose einer Abhängigkeit im engeren Sinne wird nach ICD-10 gestellt, wenn in den letzten 12 Monaten drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig zutrafen: 5 starker Wunsch oder eine Art Zwang, die psychotrope Substanz zu konsumieren, 5 verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums, 5 körperliches Entzugssyndrom bei der Beendigung oder Reduktion des Konsums, 5 Nachweis einer Toleranzentwicklung,

12 · Abhängigkeitserkrankungen und Wechselwirkungen …

5 fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Substanzkonsums, 5 anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweis eindeutig schädlicher Folgen, die dem Konsumenten offensichtlich bewusst sind. Charakteristisch für die Alkoholabhängigkeit sind eingeengte Verhaltensmuster im Umgang mit Alkohol bei geringer Beeinflussbarkeit durch gesellschaftliche Vorgaben und häufigere und erfolglose Versuche, den Konsum zu kontrollieren. Im DSM-5 ist bereits die Differenzierung zwischen Missbrauch und Abhängigkeit aufgehoben und in der „Alkohol-/ Substanzgebrauchsstörung“ zusammengefasst. Diese umfasst insgesamt 11 Kriterien, die in Abhängigkeit von der Anzahl der zutreffenden Kriterien in den vergangenen 12  Monaten zu einer „milden“ (2–3 positive Kriterien), „moderaten“ (4–5 Kriterien) bis zu einer „schweren Form“ (> 6 Kriterien) diagnostiziert werden kann. 12.3  Epidemiologie

Basierend auf den Daten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. lag im Jahr 2015 der durchschnittliche A ­ lkoholverbrauch je Bundesbürger in Litern reinen ­Alkohols bei 9,6 l. In der gleichen offiziellen Quelle (DHS e. V. 2018) ist zu lesen, dass 3,1 % der Gesamtbevölkerung (4,7 % Männer, 1,5 % Frauen) und somit eine Gesamtanzahl von mehr als 1,6 Mio. Erwachsenen im Alter von 18–64 Jahren gemäß den DSM-IV-Kriterien einen Missbrauch alkoholischer Getränke zeigen und 3,4 % der Gesamtbevölkerung (4,8 % Männer, 2,0 % Frauen) und somit eine Gesamtanzahl von mehr als 1,77 Mio. Erwachsenen im Alter von 18–64 Jahren gemäß den DSM-IV-Kriterien eine Abhängigkeit von alkoholischen Getränke aufweisen. Die psychischen und verhaltensbezogenen Störungen durch Alkohol

167

12

wurden im Jahr 2015 als zweithäufigste Hauptdiagnose in Krankenhäusern diagnostiziert. Die volkswirtschaftlichen direkten und indirekten Kosten, die in Deutschland durch Alkoholmissbrauch entstehen, werden mit 40 Mrd. Euro/Jahr beziffert. Während es umfangreiche epidemiologische Untersuchungen sowohl zur Prävalenz der Adipositas als auch der Alkoholabhängigkeit gibt (Bauer et al. 2014), und beide Erkrankungen zu den führenden vermeidbaren („preventable“) Gründen eines vorzeitigen Todes und einer hohen Morbidität zählen, gibt es kaum belastbare und aktuelle Daten hinsichtlich des gemeinsamen Auftretens beider Volkserkrankungen. 12.4  Alkoholabhängigkeit vor

Adipositaschirurgie

Gemäß der aktuellen S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen (AWMF 2018) stellt eine aktive Substanzabhängigkeit eine der wenigen psychiatrischen/psychosomatischen Kontraindikationen dar (neben schweren psychopathologischen Zuständen und einer unbehandelten Bulimia nervosa; 7 Kap. 9). Diese Empfehlungen hinsichtlich einer Alkohol- und Substanzabhängigkeit entsprechen auch den amerikanischen Leitlinien für eine Adipositaschirurgie (Mechanick et al. 2013). > Vor einer bariatrischen Chirurgie – und

insbesondere vor einer RYGB-Operation – müssen die Patienten hinsichtlich einer möglichen Substanzabhängigkeit untersucht werden.

Spadola et al. (2015) berichten in einem systematischen Review, in das 23 longitudinale Studien bis 2015 eingeschlossen wurden, dass es nach Magenbypass, nicht aber nach Magenbandimplantation, zu einer Zunahme von problematischem Alkoholkonsum kommt. Die Autoren wiesen nach, dass ein bereits

168

S. Zipfel

vor der Operation problematischer Alkoholkonsum einen wesentlichen Risikofaktor für einen problematischen postoperativen Alkoholkonsum darstellte. 12.5  Alkoholabhängigkeit nach

Adipositaschirurgie

12

Zunächst muss klargestellt und erläutert werden, dass es aufgrund anatomischer und physiologischer Unterschiede bei den bariatrischen Operationsformen deutliche Unterschiede hinsichtlich der Resorptionsraten von Alkohol gibt. So wird nach Anlage eines Magenbypasses Alkohol deutlich schneller resorbiert. Somit werden auch höhere maximale Alkoholkonzentrationen erreicht, und die Eliminationszeit ist deutlich verlängert. Über diese operationsbedingten Veränderungen sollten Patienten frühzeitig informiert und aufgeklärt werden. Die Amerikanische Gesellschaft für Metabolische und Bariatrische Chirurgie (ASMBS) hat daher auch in ihrem Review und in abgeleiteten Empfehlungen bezüglich des Gebrauchs von Alkohol vor und nach einer bariatrischen Operation die im Folgenden beschriebenen Fakten und Empfehlungen zusammengetragen (Parikh et al. 2016). Obwohl die meisten Studien aus den USA stammen, können auch gewisse Ableitungen für unseren deutschsprachigen Raum gezogen werden. Die Lebenszeitprävalenz von Substanzabhängigkeit scheint bei adipösen Patienten, die eine bariatrische Operation wünschen, höher zu sein als in der Allgemeinbevölkerung (32,5 % vs. 14,5 %) (Kalarchian et al. 2007). Allerdings zeigt nur eine kleine Gruppe (1,7 %) bei der initialen Evaluation die vollen Kriterien einer Substanzabhängigkeit gemäß DSM-IV. In einer prospektiven Studie, die allerdings nur fragebogenbasiert den Alkoholkonsum vor und nach einer bariatrischen Operation untersuchte und eine geringe Teilnehmerrate erreichte, konnten Ertelt et al. (2008) zeigen, dass der ­Prozentsatz

von 7,1  % positiv hinsichtlich Alkoholabhängigkeit gescreenten bariatrischen Patienten vor und nach Operation etwa gleich hoch ausfiel. Insgesamt schlossen die Autoren dieser Untersuchung, dass nur 3 % der Patienten nach einer bariatrischen Operation eine Alkoholabhängigkeit entwickeln. King et al. (2012) konnten in einer großen prospektiven Kohortenstudie, der sog. Longitudinal Assessment of Bariatric Surgery (LABS-2), an 2458 erwachsenen Patienten, die sich einer Adipositaschirurgie unterzogen, zeigen, dass sich Symptome einer Alkoholabhängigkeit vor und im ersten Jahr nach Operation nicht unterschieden (7,6 % vs. 7,3 %). Allerdings stieg die Häufigkeit im zweiten postoperativen Jahr signifikant auf 9,6  % an. Dieser Befund konnte auch in einer kleineren Längsschnittuntersuchung an 155  Patienten bestätigt werden (Conason et al. 2013). Präoperative Risikogruppen waren in der LABS2-Studie jene Patienten, die bereits vor der Operation regelmäßig Alkohol getrunken hatten oder Zeichen einer Alkoholabhängigkeit zeigten, Raucher, jene Subgruppe mit weniger sozialer Unterstützung, männliche Patienten und jene Subgruppe, die bereits früher einen Bypass bekommen hatte. In der folgenden Langzeit-Nachuntersuchung der gleichen Arbeitsgruppe um King et al. (2017), die Patienten von 10 US-amerikanischen Universitätskliniken bis zu 7 Jahre nach bariatrischem Eingriff nachuntersuchte, konnte gezeigt werden, dass die kumulative 5-Jahresinzidenz nach Operation hinsichtlich einer Substanzabhängigkeit 20,8 % für den Roux-en-Y Gastric Bypass und 11,3 % für das „laparoscopic adjustable banding“ (LAGB) betrug. Insbesondere die Gruppe mit einem regelmäßigen präoperativen Alkoholkonsum zeigte in beiden Verfahren einen schlechten postoperativen Verlauf. Auch weiterhin waren das männliche Geschlecht, jüngere Patienten und Raucher in der präoperativen Risikogruppe. Die Autoren folgerten, dass es basierend auf der Wahl des Operationsverfahrens eine um den Faktor 2 unterschiedliche

12 · Abhängigkeitserkrankungen und Wechselwirkungen …

Rate insbesondere an Alkoholabhängigkeit gab. Sie forderten daher, dass diese Befunde bei der Aufklärung, dem Screening und der gewählten Operationsmethode mitberücksichtigt werden müssen. In einer großen, interviewbasierten Untersuchung von Wee et al. (2014) an 541 bariatrischen Patienten, die auch eine Gruppe von Hochrisikopatienten enthielt, konnten die Autoren zeigen, dass nach einem und nach zwei Jahren 7 % und 6 % der Gesamtgruppe neues hochriskantes Trinkverhalten zeigten. Die Autoren folgerten daraus, dass ungefähr die gleiche Anzahl an Patienten, die präoperativ zur Risikogruppe gehörten, postoperativ kein Risikoverhalten mehr zeigten, dafür bei einer ungefähr gleich großen initial scheinbar unauffälligen Gruppe zwei Jahre nach dem operativen Eingriff neu ein hochriskantes Trinkverhalten identifiziert werden konnte. Backman et al. (2016) untersuchten anhand des nationalen schwedischen Registers im Zeitraum von 2001–2010 insgesamt 16.755 Patienten, die einen Roux-en-Y-Magenbypass (RYGB) erhielten, bezüglich Alkohol- und Substanzabhängigkeit, Depression und Suizidversuchen. Diese Gruppe wurde mit einer großen Referenzkohorte direkt verglichen. Insbesondere Frauen in der RYGB-Kohorte zeigten ein erhöhtes Risiko einer notwendigen stationären Behandlung wegen Alkohol- und anderen Substanzabhängigkeiten, Depression und Suizidversuchen bereits vor der Operation, während dies bei der männlichen Kohorte präoperativ nur für Depression und Suizidversuche galt. Nach erfolgter RYGB-Operation war in beiden Geschlechtergruppen das Risiko deutlich erhöht, wegen einer Alkohol- und Substanzabhängigkeit, aber auch wegen einer Depression oder eines Suizidversuchs stationär aufgenommen zu werden. Insbesondere war das Risiko, wegen eines Suizidversuchs in stationäre Behandlung zu kommen, nach der bariatrischen Operation mehr als verdoppelt. Der Verlauf über 4 Jahre zeigt ein stetig wachsendes Risiko bis fast zur Verdreifachung notwendiger Behandlungen in der RYGB-Gruppe.

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12

In die Swedish Obesity Study (SOS) wurden 2010 adipöse Menschen eingeschlossen, die sich einer Adipositaschirurgie unterzogen hatten. Im Unterschied zu den US-amerikanischen Studien wurden dabei 68 % mit einer vertikalen Gastroplastik (VBG) versorgt, 19 % mit einem Magenband und nur 13 % mit einem Magenbypass. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2013 (Svensson et al. 2013) wurden Patienten, die von 1987–2001 bariatrisch operiert wurden, hinsichtlich Alkoholabusus und selbstberichtetem Alkoholkonsum sowie Alkoholproblemen untersucht. Während des Nachuntersuchungszeitraums von 8–22 Jahren berichteten 93,1 % von Alkoholkonsum im Vergleich zu 96,0 % in der nationalen Kontrollkohorte. Allerdings zeigte die Subgruppe der Bypass-Patienten ein um das 4,97Fache erhöhtes Risiko eines Alkoholabusus, und auch alkoholassoziierte Probleme waren mit einer HR von 5,91 deutlich erhöht. Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass die Datenlage zur Fragestellung, ob es einen Zusammenhang zwischen Adipositaschirurgie und Alkoholkonsum gibt, nicht ganz einheitlich ist; bezieht man sich aber, wie u. a. auch von Blackburn et al. (2017) empfohlen, auf die methodisch am besten durchgeführten Untersuchungen von King et al. (2012, 2017) und Svensson et al. (2013), die auch noch unabhängig voneinander und in zwei sehr unterschiedlichen Gesundheitssystemen durchgeführt wurden, ergibt sich eine konsistente Einschätzung für das erhöhte Risiko eines Auftretens einer Alkoholabhängigkeit bei Patienten, die sich einer RYGB-Operation unterzogen haben. 12.6  Alkoholkonsum

und postoperativer Gewichtsverlauf

Eine Reihe von Untersuchungen zeigt einen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und postoperativem Gewichtsverlauf. Dixon et al. (2001) konnten zeigen, dass bariatrische Patienten, die mehr als 100 g Alkohol

170

S. Zipfel

pro Woche zu sich nahmen, mehr Gewicht verloren als die Subgruppe, die weniger oder keinen Alkohol zu sich nahm (50,4 % vs. 40 % excess weight loss, EWL). Allerdings konnte auch gezeigt werden, dass bei 80 Bypass-Patienten, die aufgrund einer Substanzabhängigkeit erfolgreich vorbehandelt waren, auch diese Gruppe nach 2 Jahren eine erhöhte EWL zeigte (79 % vs. 67 %). Die Autoren folgerten daraus, dass die frühere Diagnose einer Substanzabhängigkeit oder einer selbstinduzierten Behandlung vor Adipositaschirurgie keine Kontraindikation darstellen sollte. 12.7  Gründe für eine

erhöhte Prävalenz von Alkoholerkrankungen

12

Zusätzlich zu den konsistenten Befunden, dass der Alkohol bei einem RYGB-Patienten aufgrund der veränderten Anatomie zu Veränderungen in der Resorption führt, zeigen Untersuchungen zur Pharmakokinetik des Alkohols nach einer bariatrischen Operation, dass neben subjektiven Berichten über die veränderte Verträglichkeit von Alkohol auch objektiv messbare Veränderungen der Pharmakokinetik nachweisbar waren. Diese weisen sowohl eine raschere als auch eine höhere maximale Alkoholkonzentration im Blut bei den RYGB-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen nach (Klockhoff et al. 2002). Auch konnte eine längere Zeit der Alkoholelimination bei beiden Geschlechtern nachgewiesen werden (Parikh et al. 2016). Außerdem gibt es für eine kleinere Gruppe von bariatrischen Patienten Hinweise, dass es basierend auf einer allgemeinen Suchtstruktur zu einer Verschiebung von einem „addictive eating“ zu einer Substanzgebrauchsstörung, zumeist Alkoholgebrauchsstörung, kommen kann. Steffen et al. (2015) und Smith et al. (2017) beschreiben in ihren Übersichtsarbeiten hierbei den „addiction transfer“ oder das Auftreten einer „cross-addiction“. Obwohl dieses Modell insbesondere in den Medien

propagiert wird, zeigen die Untersuchungen zur Häufigkeit der „food addiction“, dass nur eine Gruppe von ca. einem Viertel der Betroffenen dieses Muster zeigt. In diesem Zusammenhang sollte nochmals klargestellt werden, dass es hier klare Bezüge zu den Essstörungen und insbesondere zur Gruppe der Patienten mit einer Binge-Eating-Störung gibt und nicht primär zu der Gesamtgruppe adipöser Menschen. Es gibt ebenfalls Hinweise, dass bei manchen Patienten mit einem Binge Eating nach einer Adipositaschirurgie das Suchtverhalten – hier das „Bingen“ – durch andere Formen von Suchtverhalten kompensiert wird. Die Erkenntnisse aus Tiermodellen hinsichtlich des Auftretens von Alkoholabhängigkeit bei RYGB-Patienten sind uneinheitlich. Im Tiermodell gab es nach einem solchen Eingriff sowohl Hinweise für eine erhöhte Alkoholpräferenz, aber eben auch gegenteilige Befunde, die mit der veränderten Freisetzung von Peptidhormonen aus dem Magen-DarmTrakt verbunden waren. Auch wurde untersucht, inwieweit eine mögliche gemeinsame Neurobiologie bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Alkoholabhängigkeit und der Adipositas eine Rolle spielen könnte. Sowohl hochkalorische Nahrungsmittel als auch Alkohol sind als Substanzen und damit Trigger für das Belohnungsnetzwerk bekannt und führen u. a. zu einer Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens. Dabei konnte bereits in Bildgebungsstudien nachgewiesen werden, dass Dopamin sowohl während eines Essanfalls als auch während des Alkoholkonsums freigesetzt wird (s. Steffen et al. 2015). Deshalb dreht sich eine Diskussion um die Frage, inwieweit die Veränderung der Nahrungspassage und Nahrungsresorption mit Veränderungen im Belohnungssystem einhergeht, oder, noch direkter, ob Alkohol dann als Ersatz für das eingeschränkte Essen als Suchtmittel dient. Aktuelle MRT- und PET-Studien bei Patienten nach einer bariatrischen Operation legen die Veränderung und Reduktion von Dopamin-D2-Rezeptorendichte in Gehirnzentren, die auch für die Hunger- und

12 · Abhängigkeitserkrankungen und Wechselwirkungen …

Sättigungsregulation mitverantwortlich sind, nahe (Rogers 2017). Allerdings geht eine alternative Interpretation davon aus, dass diese Veränderung eine direkte Konsequenz der Gewichtsreduktion darstellt. 12.8  Abgeleitete Empfehlungen

5 Vor der Indikationsstellung und Durchführung einer Adipositaschirurgie soll durch ein entsprechendes Screening eine floride Alkoholgebrauchsstörung und/ oder Substanzgebrauchsstörungen ausgeschlossen werden. 5 Bariatrische Patienten, insbesondere die RYGB-Patienten, sollten hinsichtlich der Risiken und Veränderungen der Alkoholwirkungen aufgeklärt und entsprechend angeleitet werden. 5 Insbesondere sollte auch auf die Erfahrungen eines Gefährdungspotenzials für Alkoholgebrauchsstörungen im Langzeitverlauf (> 2 Jahre) verwiesen werden. 5 Risikopatienten können nach einer adäquaten Zeit der Alkoholabstinenz und einer selbstmotivierten und erfolgreichen Suchtbehandlung zu einer Adipositaschirurgie zugelassen werden. 5 Die Wahl des Operationsverfahrens ist mit einem deutlich unterschiedlichen Risiko für eine Alkoholgebrauchsstörung verbunden. 5 Ein Konsens bei den Testverfahren, deren konsequenter Einsatz und eine Zusammenführung in Registern wäre wünschenswert, um zukünftig eine passgenauere und damit individualisierte Therapieplanung mit dem Patienten durchführen zu können.

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S. Zipfel

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173

Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie Stefan Engeli

13.1 Einführung – 174 13.2 Besonderheiten der Pharmakokinetik bei massiver Adipositas – 174 13.2.1 Vorbemerkungen – 174 13.2.2 Absorption – 174 13.2.3 Distribution – 175 13.2.4 Metabolisierung – 176 13.2.5 Elimination – 176

13.3 Arzneimitteltherapie bei Patienten nach Adipositaschirurgie – 177 13.3.1 Vorbemerkungen – 177 13.3.2 Spezielle Betrachtung der Pharmakokinetik nach Adipositaschirurgie – 177

13.4 Pharmakokinetik der Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie – 178 13.4.1 Vorbemerkungen – 178 13.4.2 Pharmakokinetikstudien mit SSRI und SNRI – 179 13.4.3 Lithium – 181 13.4.4 Midazolam – 181

13.5 Schlussfolgerungen – 181 Literatur – 182

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_13

13

174

S. Engeli

13.1  Einführung

13

Wenn zwei Patienten gleichen Alters und gleichen Geschlechts mit dem gleichen Arzneimittel behandelt werden sollen, der eine aber 75 kg und der andere 175 kg wiegt, stellt sich automatisch die Frage, ob die identische Dosis dieses Arzneimittels zum gleichen therapeutischen Resultat führen kann. Während die Berücksichtigung der Nierenfunktion zur Dosisfestlegung für eine Vielzahl von Arzneimitteln zur klinischen Routine gehört, ist oftmals nicht bekannt, ob eine körpergewichtsorientierte Dosisanpassung sinnvoll wäre. Weder Fachinformationen noch Therapieleitlinien helfen weiter, weil insbesondere massiv adipöse Patienten meist nicht in Arzneimittelstudien eingeschlossen bzw. nicht gesondert betrachtet wurden (Jacques und Erstad 2010). Auch wenn einige Übersichtsarbeiten die Notwendigkeit einer individuellen Therapieanpassung bei Adipositas beschreiben (Jain et al. 2011; Hanley et al. 2010), ist der Weg bis zu einer systematischen klinischen Pharmakologie des adipösen Patienten noch weit. In diesem Kapitel werden zunächst die wichtigsten bei adipösen Patienten veränderten pharmakokinetischen Aspekte zusammengefasst. Denn insbesondere diese könnten die Ursache für eine veränderte Wirksamkeit von Pharmakotherapie beim adipösen Patienten sein. Der Einfluss der Adipositaschirurgie auf diese pharmakokinetischen Besonderheiten wird danach beschrieben, um zuletzt die verfügbaren Daten zur postoperativen Psychopharmakotherapie darzustellen. 13.2  Besonderheiten der

Pharmakokinetik bei massiver Adipositas

13.2.1  Vorbemerkungen

Der Umgang des Körpers mit Arzneimitteln basiert auf den vier Prozessen Absorption, Distribution, Metabolisierung und Elimination,

dieses Konzept wird zusammenfassend als „ADME“ abgekürzt. Diese Prozesse bestimmen letztlich die pharmakokinetischen Kennzahlen eines Arzneimittels wie orale Bioverfügbarkeit, Verteilungsvolumen, maximale Wirkstoffkonzentration im Blut, Zeit bis zum Erreichen der maximalen Wirkstoffkonzentration und die Eliminationshalbwertszeit. Die Wirkdauer wird durch diese Prozesse und durch den Wirkmechanismus beeinflusst. Bei irreversibler Bindung an das Zielmolekül (z. B. die MAO-Hemmer Tranylcypromin, Selegilin oder Rasagilin) steht die immer aus Plasmakonzentrationen bestimmte Halbwertszeit des Arzneimittels in keinem Verhältnis zur langen Wirkdauer. Diese wird bei irreversiblem Wirkmechanismus praktisch nur durch die Zeit bis zur ausreichenden Neusynthese des gehemmten Moleküls bestimmt. Bei Ablagerung eines Arzneimittels im Gewebe und langsamer oder auch fehlender Redistribution ins Blut ist ebenfalls keine präzise Aussage über die Eliminationskinetik möglich. Bei der Beurteilung unerwünschter Arzneimittelwirkungen, die auch auf den oben genannten pharmakokinetischen Kenndaten beruhen kann, werden Vorhersagen insbesondere zum zeitlichen Verlauf dann sehr schwierig. Die in den folgenden Abschnitten beschriebenen Änderungen der pharmakokinetischen Prozesse bei massiv adipösen Patienten sind in . Tab. 13.1 zusammengefasst. 13.2.2  Absorption

Trotz veränderten intestinalen Blutflusses und beschleunigter Magenentleerungszeit (Xing und Chen 2004) scheint Adipositas nicht mit klinisch relevanten Änderungen der gastrointestinalen Aufnahme von oral eingenommenen Arzneimitteln assoziiert zu sein (Hanley et al. 2010). Die Dickenzunahme der subkutanen Fettgewebeschicht und die reduzierte lokale Durchblutung (Lesser und Deutsch 1967) können jedoch bei subkutaner oder transdermaler Arzneimittelapplikation die Absorption bei adipösen

13 · Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie

. Tab. 13.1  Veränderungen pharmakokinetischer Prozesse bei Adipositas. (Aus May und Engeli 2018, Seite 681, Tab. 3; mit freundl. Genehmigung der ©Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG) Pathophysiologie

Pharmakokinetische Konsequenz

Distribution Fettmasse ↑↑ Organmasse ↑ Blutvolumen ↑ Herzzeitvolumen ↑ Saures 1-Glykoprotein ↑

Metabolismus Hepatozytenzahl ↑ Leberverfettung ↑ Periportale Fibrose ↑ Hepatische Inflammation ↑ Elimination Nierenvolumen ↑ Glomeruläre Oberfläche ↑ Renaler Blutfluss ↑

Verteilungsvolumen – für lipophile ­Arzneimittel↑↑ – für hydrophile Arzneimittel ↑ Anteil ungebundener Substanz – bei basischen Arzneimitteln ↓ – bei sauren ­Arzneimitteln ↑ CYP3A4 ↓ CYP2E1 ↑ Uridin-GlucuronosylTransferase ↑ Xanthinoxidase, N-Acetyltransferase ↑ Glucuronidierung und Sulfatierung ↑ GFR & renale ­Clearance ↑ Tubuläre Sekretion ↑ Reabsorption ­verändert

Renale Transporter ↑ Biliäre Transporteraktivität ↓

Biliäre Sekretion ↓ Enterohepatische Rezirkulation ­beeinflusst

Patienten beeinflussen, ohne dass hier verallgemeinernde Aussagen möglich sind. Für schnell wirksames Insulin (Gagnon-Auger et al. 2010) und humanes Choriongonadotropin (Shah et al. 2014) wurden deutliche Absorptionsunterschiede nach subkutaner Injektion bei schlanken und adipösen Menschen nachgewiesen. Die transdermale

175

13

Aufnahme von Nikotin aus Nikotinpflastern ist bei Adipositas reduziert (Prather et al. 1993). Zuletzt sei auf Injektionsfehler hingewiesen, die bei geplanter intramuskulärer Injektion durch Verwendung zu kurzer Nadeln auftreten können (Palma und ­Strohfus 2013). Gerade bei Impfungen kann die akzidentelle subkutane Injektion mit einer unzureichenden Immunreaktion einhergehen. 13.2.3  Distribution

Die Verteilung von Arzneimitteln im Körper ist abhängig von Blutvolumen, Blutfluss, Fettgewebemasse und fettfreier Masse (Cheymol 2000). Während bei Patienten mit Adipositas absolute Fettgewebemasse und absolute fettfreie Masse ansteigen, nimmt der prozentuale Anteil der fettfreien Masse am Gesamtkörpergewicht ab und der prozentuale Anteil der Fettmasse steigt überproportional an. Das Herzminutenvolumen und damit die Organdurchblutung nehmen mit zunehmendem Körpergewicht zu (Stelfox et al. 2006), die relative Fettgewebedurchblutung nimmt gleichzeitig aber ab (Lesser und Deutsch 1967). Alle genannten Änderungen beeinflussen das Verteilungsvolumen für Arzneimittel bei Patienten mit Adipositas. Eine spezifische Aussage darüber, ob sich die Distribution eines einzelnen Arzneimittels im Körper in Abhängigkeit vom Körpergewicht in klinisch relevantem Ausmaß ändert, ist ohne entsprechende pharmakokinetische Studien allerdings kaum möglich (Green und Duffull 2004). Für lipophile und hydrophile Arzneimittel wurden unterschiedliche Modelle zur Dosisanpassung bei Menschen mit Adipositas vorgeschlagen. Für hydrophile Arzneimittel wäre demnach die fettfreie Körpermasse als Bezugsgröße entscheidend, wohingegen für lipophile Arzneimittel das Gesamtkörpergewicht zur Berechnung der Dosis herangezogen werden soll (Morgan und Bray 1994). Diese Empfehlung gilt jedoch nur für die chronische Therapie. Bei Akuttherapie, wie z. B. der Gabe von Anästhetika

176

S. Engeli

bei Operationen, kann die Berücksichtigung des Gesamtkörpergewichts, trotz der Lipophilie der meisten Anästhetika, in einer Überdosierung resultieren. Hier wird meist die Berücksichtigung der fettfreien Körpermasse empfohlen (May und Engeli 2014). 13.2.4  Metabolisierung

13

Die Metabolisierung von Arzneimitteln in der Leber erfolgt in zwei Schritten: Phase I (Oxidation, Reduktion, Hydrolyse) und Phase  II (Glucuronidierung, Sulfatierung). Katalysiert werden diese Reaktionen durch hepatische Enzyme, insbesondere manche Cytochrom P450 Isoformen („CYPs“), deren Expression durch diverse Faktoren beeinflusst wird, u. a. durch Zytokine und Entzündungsreaktionen. Viele Krankheiten verändern so die Geschwindigkeit der hepatischen Metabolisierung (Gandhi et al. 2012). Der Einfluss von Adipositas auf die Aktivität der Phase Iund Phase-II-Reaktionen ist vereinzelt untersucht worden, allerdings mit sehr heterogenen Ergebnissen, sodass keine allgemeingültigen Aussagen getroffen werden können. Für Psychopharmaka liegen keine Studiendaten zum hepatischen Metabolismus bei Adipositas vor. Letztlich müsste jedes interessierende Arzneimittel in entsprechenden Pharmakokinetikstudien charakterisiert werden, um mögliche Änderungen des hepatischen Metabolismus dieses Arzneimittels zu ermitteln (Brill et al. 2012; Kotlyar und Carson 1999). Die Auswirkungen von Adipositas auf den extrahepatischen Metabolismus von Arzneimitteln wurden bisher nur selten untersucht. Insbesondere der Intestinaltrakt ist hier relevant, Zusammenhänge zwischen Nahrungsaufnahme und Expression der intestinalen CYP-Enyzme sowie der Expression des Arzneimitteltranporters P-Glykoprotein wurden beschrieben (Murray 2006). Die klinische Relevanz dieser Veränderungen kann bislang allerdings nicht eingeschätzt werden. Das stark vermehrte Fettgewebe selber spielt für die Metabolisierung der meisten Arzneimittel keine wesentliche Rolle.

13.2.5  Elimination

Die Exkretion von Arzneimitteln und deren Metaboliten erfolgt über die Gallenwege und/oder über die Nieren. Die renale Eliminationsrate eines Arzneimittels wird bestimmt durch glomeruläre Filtration sowie tubuläre Rückresorption und Sekretion. Meist wird die glomeruläre Filtrationsrate berechnet (sog. eGFR). Die üblicherweise verwendeten Formeln (Cockroft-Gault, MDRD, CKD-EPI) können aber nur mit Einschränkungen bei Menschen mit Adipositas zu Rate gezogen werden und decken insbesondere nicht das gesamte Spektrum der Adipositas ab. Die Hauptschwierigkeit liegt auch hier in der Berücksichtigung der Gesamtkörpermasse zur Berechnung oder in der Verwendung standardisierter Körperoberflächenwerte. An 209 Patienten mit Adipositas (BMI 30–67 kg/m2) mit eingeschränkter Nierenfunktion wurde gezeigt, dass die CKD-EPI-Formel die beste Näherung an gemessene GFR-Werte erlaubt, dies allerdings nur bis zu einem BMI von etwa 40 kg/m2, was für die hier betrachtete Patientenpopulation eine deutliche Einschränkung der praktischen Anwendbarkeit bedeutet, zumindest während der Phase vor Adipositaschirurgie (Lemoine et al. 2014). Für die Messung der GFR mit einem Clearanceverfahren empfehlen die Autoren, die zur Normierung notwendige Körperoberfläche basierend auf dem idealen Körpergewicht zu berechnen, nicht aber basierend auf dem Gesamtkörpergewicht (ebd.). Diese Überlegungen sind bei der Dosisanpassung eines Arzneimittels an die (e)GFR eines Patienten mit schwerer Adipositas unbedingt zu berücksichtigen, aber schwierig umzusetzen. Zusätzlich zur glomerulären Filtration spielen tubuläre Transportprozesse für die renale Elimination von Arzneimitteln eine Rolle. Hinweise auf veränderte tubuläre Sekretion und Reabsorption bei Adipositas liegen vereinzelt vor (Blouin und Warren 1999). Lithium als Beispiel wird glomerulär filtriert und tubulär reabsorbiert, die gesteigerte Clearance bei Patienten mit Adipositas ohne

13 · Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie

GFR-Einschränkung deutet daher auf eine verminderte tubuläre Reabsorption hin (Reiss et al. 1994). 13.3  Arzneimitteltherapie

bei Patienten nach Adipositaschirurgie

13.3.1  Vorbemerkungen

Bei der Arzneimitteltherapie von Patienten nach Adipositaschirurgie müssen viele klinische Situationen berücksichtigt werden; manche davon betreffen nur einzelne Operationstechniken: 5 Der operative Eingriff erfordert unter Umständen eine spezifische medikamentöse Nachbehandlung (z. B. Protonenpumpenhemmer; Supplementation von Vitaminen und Spurenelementen), sodass postoperativ regelhaft neue Arzneimittel verordnet werden müssen. 5 Erkrankungen können durch die Gewichtsreduktion günstig beeinflusst werden, bis zum Wegfall der Diagnose (z. B. Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie), sodass vormals bestehende Therapien reduziert bis beendet werden können. 5 Vormals bestehende Erkrankungen können gleichbleibend therapiebedürftig sein. 5 Therapiebedürftige Erkrankungen können neu auftreten, abhängig oder unabhängig vom operativen Eingriff. 5 Gewichtsreduktion beeinflusst die Pharmakokinetik in gewisser Weise revers zum beschriebenen Einfluss der Adipositas. Anders als in der präoperativen Phase ist postoperativ aber die zeitliche Dynamik zu beachten. Dosisanpassungen können also notwendig werden, die Frage ist nur – wann? 5 Auch die anderen genannten Aspekte unterliegen einer nicht vorhersagbaren zeitlichen Dynamik. Diese Dynamiken verlaufen nicht synchron, d. h., nachlassender oder zunehmender

177

13

Arzneimittelbedarf wird nicht zeitgleich von Änderungen der Pharmakokinetik begleitet. Unter diesen Gesichtspunkten und weil die Arzneimitteltherapie bei Patienten mit Adipositas bislang noch viel weniger gut untersucht wurde als bei Patienten mit schwerer Adipositas, bedarf es in dieser speziellen klinischen Situation einer besonders sorgfältigen Beobachtung der Arzneimitteltherapie. 13.3.2  Spezielle Betrachtung der

Pharmakokinetik nach Adipositaschirurgie

Je nach Eingriffsart entstehen mehr oder weniger drastische anatomische Änderungen im Gastrointestinaltrakt. Die Summe der folgenden Einflüsse führt zu unvorhersehbaren postoperativen Änderungen der Pharmakokinetik eines Arzneimittels (Azran et al. 2016; Stein et al. 2014): 5 veränderte Zersetzungs- und Löslichkeitsbedingungen für Arzneimittel, 5 häufig reduzierte mukosale Absorptionsfläche, 5 Gewichtsreduktion, 5 sich ändernde Relation von Körperfettmasse und fettfreier Körpermasse zueinander und damit Verschiebungen im Verteilungsvolumen insbesondere von lipophilen Arzneimitteln, 5 möglicherweise geänderte Enzym- und Arzneimitteltransporteraktivitäten. Eine Quantifizierung der verschiedenen Einflussfaktoren auf die individuelle Kinetik und Wirkung von Arzneimitteln und allgemeine Rückschlüsse auf möglicherweise notwendige Dosisanpassungen sind aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge und der mangelnden Datenlage aktuell leider nicht möglich. Auch pharmakokinetische Modellierungen stoßen hier bislang an ihre Grenzen (Darwich et al. 2012).

178

S. Engeli

Der Roux-en-Y-Magenbypass führt zu einem Absorptionsdefizit für Mikronährstoffe wie Eisen, Kalzium, Vitamin B12, Thiamin, Folsäure und fettlösliche Vitamine. Eine analoge Auswirkung auf die Bioverfügbarkeit von Medikamenten ist daher naheliegend. Physiologische Veränderungen durch den Roux-en-Y-Magenbypass mit Einfluss auf die Pharmakokinetik sind reduziertes Magenvolumen, größerer Magen-pH, verzögerte Magenentleerung, reduzierte Schleimhautoberfläche, reduzierter First-Pass-Metabolismus in der Leber, verkürzte intestinale Transitzeit und eine weiter distal erfolgende Vermengung des Mageninhalts mit Pankreasenzymen und Gallensäuren und damit eine Störung des enterohepatischen Kreislaufs. Da auch die intestinale Transitzeit einen entscheidenden Faktor für die Bioverfügbarkeit vieler Medikamente darstellt, muss bei Arzneimitteln mit langsamer Absorption, wie bei Retardpräparaten, mit einer reduzierten Bioverfügbarkeit gerechnet werden (Azran et al. 2016; Stein et al. 2014). > Nach Roux-en-Y-Magenbypass werden

Arzneimittel in wässriger Lösung besser aufgenommen als in öliger Lösung oder in Tablettenform.

13

> Nach Roux-en-Y-Magenbypass muss

bei der Verordnung von retardierten Arzneimitteln mit einer reduzierten Bioverfügbarkeit gerechnet werden.

Im Darm erfolgt bereits während der Absorption eine enzymatische Metabolisierung und durch Transporter wie P-Glykoprotein eine präsystemische Elimination vieler Arzneimittel. Die Kapazität dieser Prozesse kann postoperativ durch die Ausschaltung des proximalen Dünndarms stark eingeschränkt ein, sodass die Bioverfügbarkeit betroffener Arzneimittel ansteigen könnte (Smet et al. 2013). Bei Patienten, die ca. 2 Jahre nach Magenbypassoperation hinsichtlich möglicher Änderungen der CYP-Aktivitäten untersucht wurden, ergab sich kein signifikanter Unterschied im Vergleich zu nicht operierten Kontrollpersonen (Tandra et al. 2013). Die hepatische

CYP3A4-Aktivität war etwa ein Jahr nach Operation sogar erhöht. Die Autoren führen dies auf einen Rückgang der Leberverfettung zurück. Damit ist aber noch nicht klar, wie die Situation in kürzerem Abstand zur Operation gewesen ist. Das oben genannte Problem der dynamischen Änderungen wird durch dieses Beispiel gut illustriert. 13.4  Pharmakokinetik der

Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie

13.4.1  Vorbemerkungen

Die Einnahme von Antidepressiva in Patientenkollektiven nach Adipositaschirurgie wurde von verschiedenen Autoren untersucht. Verordnungsraten im Bereich von 20–40 % ­ der Patienten sind typisch, insbesondere selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) spielen hier eine Rolle (Yska et al. 2016; Crémieux et al. 2010). Dagegen existieren praktisch keine Daten zur Einnahme von Neuroleptika und Sedativa bei diesem speziellen Patientenkollektiv. Ob die fehlenden Daten bedeuten, dass die betreffenden Patienten tatsächlich nur sehr selten Arzneimittel aus diesen Gruppen einnehmen, oder ob die Daten nicht bekannt sind bzw. nicht berichtet werden, kann auf der Basis der verfügbaren Publikationen nicht geklärt werden. Die sehr wenigen auffindbaren Publikationen beschäftigen sich weitgehend mit perioperativen Fragestellungen wie Sedierung durch Benzodiazepine oder antiemetische Wirkung mancher Neuroleptika, aber Daten zur Pharmakokinetik von gebräuchlichen und zur chronischen Therapie eingesetzten Vertretern beider Substanzgruppen nach gewichtsreduzierender Operation fehlen. Damit bleibt die folgende Darstellung weitgehend auf Antidepressiva beschränkt, allerdings ist die Datenlage auch hier nur als unbefriedigend zu bezeichnen. In einer retrospektiven Analyse von 170 Patienten mit Antidepressivatherapie ­wurden

13 · Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie

folgende postoperative Veränderungen beschrieben (Cunningham et al. 2012): keine Veränderungen bei 40  % der Patienten, Dosissteigerung bei 30 %, Wechsel des Antidepressivums bei 18 % und Dosisreduktion oder Absetzen bei 16 %. Insbesondere war eine Zunahme der Bupropionverordnungen auffällig. Die Autoren verweisen auf die Problematik des Einsatzes von retardierten Präparaten, deren Freisetzung langsam und über eine weite Strecke im Dünndarm erfolgt. Da genau diese Absorptionsstrecke durch einige Operationstechniken reduziert wird, empfehlen die Autoren, allerdings intuitiv und nicht evidenzbasiert, die Verordnung von nichtretardierten Präparaten. Sinnvoll dagegen erscheint die Empfehlung, Kontrollen der Plasmakonzentration von Antidepressiva (und anderen Arzneimitteln mit schmaler therapeutischer Breite) durchzuführen. Fallbeispiel: perioperative Antidepressivatherapie Die bislang auf theoretischer Ebene behandelte Problematik der unklaren Pharmakokinetik bei Patienten mit schwerer Adipositas und speziell in der postoperativen Phase nach gewichtsreduzierendem Eingriff wird gut an folgendem Fallbeispiel illustriert (Bingham et al. 2014): Eine 42-jährige Patientin weist in ihrer Anamnese Angststörungen auf, die mit etwa 16  Jahren begannen. Seit 10 Jahren sind die Angststörungen unter Therapie mit 30 mg/d Paroxetin in Remission und beeinträchtigten die Patientin nicht. Bei einem BMI von 37,7 kg/m2 wurde ein im Ablauf unkomplizierter laparoskopischer Roux-en-Y-Magenbypass (RYGB) durchgeführt. Die Einnahme von Paroxetin erfolgte auch perioperativ ohne Pause, am zweiten Tag postoperativ wurde die Patientin entlassen. Zu dieser Zeit bemerkte die Patientin eine Reihe von ungewöhnlichen Veränderungen, u. a. Schwindel, kurzzeitige Verwirrtheit, mehrfaches starkes Erschrecken, Nervosität, Stimmungsschwankungen, aufgeregte Reaktionen bis hin zu einer Tätlichkeit gegen den Ehemann. Schlaflosigkeit,

179

13

unsicherer Gang und Übelkeit traten ebenfalls auf. Diese Symptome verschwanden in den nächsten 10 Tagen, aber innerhalb des zweiten postoperativen Monats traten dann vier Angstanfälle auf. Daraufhin erhöhte der behandelnde Psychiater die Paroxetindosis auf 30 + 20 mg/d. Die Diagnose lautete für die postoperative Phase SSRI-Absetzsyndrom, zum Zeitpunkt der Dosiserhöhung wurde ein Absorptionsproblem von Paroxetin angenommen. Der weitere Verlauf gestaltete sich unproblematisch, die Gewichtsreduktion nach einem Jahr betrug 45 kg, und der Patientin ging es psychisch und körperlich gut. Die Autoren verweisen auf die Bedeutung der objektiven Beurteilung des SSRI-­ „Entzugs“ durch Skalen wie die „Discontinuation-­ Emergent Signs and Symptoms Checklist“ und auf überlappende Symptome zwischen dem SSRI Absetzsyndrom und dem Dumping-­ Syndrom als Komplikation des operativen ­Eingriffs.

13.4.2  Pharmakokinetikstudien

mit SSRI und SNRI

Fallberichte können auf therapeutische Probleme hinweisen, müssen aber durch experimentelle Daten untermauert werden. Die wenigen verfügbaren Studien zu SSRI und SNRI werden in diesem Abschnitt zusammengefasst. Ein gemeinsames Charakteristikum aller Studien ist die geringe Fallzahl. Bei 12 Patienten, die Citalopram, ­Escitalopram, Sertralin, Venlafaxin oder Duloxetin schon längere Zeit vor der gewichtsreduzierenden Operation (RYGB) einnahmen, wurden die Plasmakonzentrationen der einzelnen Antidepressiva präoperativ und bei Monat 1, 6 und 12 postoperativ gemessen, allerdings immer nur über 7 h nach Einnahme (Hamad et al. 2012). Eine Reduktion der dosiskorrigierten Fläche unter der Kurve (AUC, Konzentration über Zeit) auf 54 % ergab sich ein Monat postoperativ bei 8 von 12 Patienten, stärker ausgeprägt bei SSRI als bei SNRI. Bei 3 von 4 Patienten mit einer Exazerbation

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13

S. Engeli

der psychischen Erkrankung lagen eine ­deutlich reduzierte AUC und eine gering ausgeprägte Gewichtsreduktion vor. Bei 10 von 12 P ­ atienten waren die AUC bei Monat 6 und 12 postoperativ wieder vergleichbar zur präoperativen Situation. Dies ging bei den oben genannten Patienten mit einer Normalisierung der psychischen Symptome einher. Die Autoren verweisen auf alternative pharmazeutische Formulierungen (Tropfen, Säfte, Zerbeißkapseln, nichtretardierte Formulierungen) und Dosisverteilungen über den Tag als mögliche therapeutische Alternativen bei der antidepressiven Therapie nach Adipositaschirurgie. Der bereits oben erfolgte Hinweis auf die zeitliche Dynamik der möglichen pharmakokinetischen Veränderungen wird in dieser Publikation also nachdrücklich bekräftigt. Bei 5 Patientinnen wurde die Kinetik einer Einzeldosis Sertralin über 11 Stunden untersucht, die Untersuchung fand 9–15 Monate nach RYGB statt (Roerig et al. 2012). Als Kontrollgruppe wurden 5  nichtoperierte Frauen eingeschlossen, die für Alter, BMI und Geschlecht gematcht waren. Eine Indikation für Sertralin oder ein anderes Psychopharmakon bestand bei keiner der Studienteilnehmerinnen. Sowohl die AUC als auch die maximale Plasmakonzentration waren bei den operierten Patienten signifikant reduziert. Pharmakogenetische Einflüsse wurden ausgeschlossen. Aufgrund der Einmalgabe, der begrenzten Beobachtungsdauer und der zeitlichen Variabilität im Abstand zur Operation ist die Aussagekraft dieser Studie mit Blick auf die Dauertherapie von Patienten mit Indikation für Sertralin allerdings gering. Mit dem gleichen Studiendesign charakterisierten die gleichen Autoren auch 10 vs.10 Personen hinsichtlich der Pharmakokinetik von Duloxetin (Roerig et al. 2013). Im Unterschied zur vorhergehenden Studie wurden nun einige wenige Männer eingeschlossen, und die Beobachtungszeit wurde auf 72 h verlängert. Für Duloxetin wurde eine um etwa 40 % signifikant erniedrigte AUC bei den operierten Patienten gefunden, die maximale Plasmakonzentration dagegen war gleich,

wurde aber von den operierten Patienten deutlich früher erreicht (2 vs. 6 h). Mit Ausnahme der längeren Beobachtungszeit gelten hier die gleichen Einschränkungen zur Aussagefähigkeit dieser Studie für die Dauertherapie wie im Absatz zuvor. Marzinke et  al. (2015) charakterisierten vier Patienten vor, 2 und 6 Wochen nach RYGB hinsichtlich der Plasmakonzentrationen von Escitalopram. Die vier Patienten nahmen Escitalopram vor und nach der Operation in ihrer gewohnten und seit längerer Zeit stabilen Dosis ein und änderten diese nicht während der Beobachtungszeit. Erstaunlicherweise geht aus dem Manuskript nicht hervor, ob hier Spitzen- oder Talplasmakonzentrationen abgenommen wurden. Bei allen vier Patienten war eine postoperative Reduktion der Plasmakonzentrationen zu beobachten, die individuell schwankte von 22–70 % bei Woche 6 und die von Woche 2 zu Woche 6 postoperativ noch größer wurde. Bei einem Patienten lag die Escitalopram-Plasmakonzentration bei Woche 6 unterhalb der Nachweisgrenze. Der Patient mit der geringsten Reduktion der Plasmakonzentration von Escitalopram nahm gleichzeitig Esomeprazol ein, was über Hemmung von CYP2C19 zur Stabilisierung der Escitalopram-Plasmakonzentration beigetragen haben könnte. Psychische Ereignisse wurden im Manuskript nicht beschrieben. Auch diese Studie weist erhebliche Mängel auf, die ernsthafte Schlussfolgerungen für den klinischen Alltag leider nicht erlauben. Nach Gabe einer Einzeldosis von Venlafaxin (retardierte Formulierung) wurden dessen Plasmakonzentrationen über 48  h bei 10 Patienten vor und 3–4 Monate nach RYGB gemessen (Krieger et al. 2017). Wie in anderen oben beschriebenen Studien hatten die Patienten keine Indikation für Venlafaxin. Anders als in allen vorher beschriebenen Studien ergab sich weder für Venlafaxin noch seinen Metabolit ein signifikanter Unterschied zwischen dem Zeitpunkt vor Operation und 4 Monate danach. Damit widersprechen die Autoren auch der von anderen Autoren

13 · Pharmakokinetik von Psychopharmaka nach Adipositaschirurgie

v­ertretenen Forderung zum Wechsel von retardierten zu nichtretardierten Formulierungen bei Patienten nach RYGB Operation. 13.4.3  Lithium

In der Folge von RYGB Operation sind mehrfach Intoxikationen mit Lithium aufgetreten, wenn die präoperative Dosis beibehalten wurde (Tripp 2011; Alam et al 2016; Musfeldt et al. 2016). Diese Fälle sind nur als Fallberichte publiziert worden, eine systematische Untersuchung der Lithiumkinetik nach gewichtsreduzierenden Operationen liegt bislang nicht vor. Offenbar führt der höhere pH-Wert im Magen zu einer verbesserten Auflösung der Lithiumpräparate und einer beschleunigten und verstärkten Absorption (Bingham et al. 2016). ! Die Lithiumtherapie bei Patienten

nach Adipositaschirurgie bedarf besonderer Vorsicht und eines engmaschigen therapeutischen Monitorings anhand der Plasmakonzentrationen.

13.4.4  Midazolam

Die Pharmakokinetik von Midazolam wurde bei 18 Patienten vor und ein Jahr nach RYGB (n = 16) oder Sleeve-Operation (n = 2) untersucht (Brill et al. 2015). Midazolam ist kein Benzodiazepin in der chronischen Versorgung, sondern nur zur Prämedikation vor operativen Eingriffen zugelassen; es wird jedoch im Bereich der Pharmakokinetikforschung als Modellsubstanz für die Untersuchung der CYP3A4-Aktivität eingesetzt. In der vorliegenden, sehr sorgfältig durchgeführten, Studie ergab sich ein Jahr postoperativ eine fast verdoppelte systemische Clearance von Midazolam, trotz schnellerer Aufnahme nach oraler Gabe und vergleichbarer oraler Bioverfügbarkeit. Die gleichbleibende orale Bioverfügbarkeit spricht

181

13

dafür, dass der First-Pass-Effekt (sehr schneller Abbau über direkten Zustrom eines Arzneimittels in die Leber nach intestinaler Absorption, ohne dass dieses Arzneimittel im systemischen Kreislauf „auftaucht“) von Midazolam reduziert ist. Offensichtlich spielen hier also zwei Effekte eine gegenläufige Rolle: Durch die anatomischen Änderungen ist der First-Pass-Effekt reduziert, gleichzeitig, und wahrscheinlich induziert durch die Gewichtsreduktion, wird die hepatische Metabolisierung durch CYP3A4 verstärkt. In der Summe würde dies zu einer verringerten Wirkung von Midazolam aufgrund geringerer Plasmakonzentrationen bei Patienten nach RYGB führen. Ob dies auf andere Benzodiazepine und Z-Substanzen übertragen werden kann, ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht bekannt. 13.5  Schlussfolgerungen

Gewichtsreduzierende Operationen können durch verschiedenste Mechanismen Einfluss auf die Pharmakokinetik von Psychopharmaka nehmen, die anatomischen Veränderungen spielen dabei eine große Rolle, ebenso wie die Gewichtsreduktion. Je nach Operationsmethode variieren die verschiedenen Einflussgrößen und die jeweils zeitliche Dynamik der Veränderungen. Experimentelle Studien sind rar, methodisch oft unbefriedigend und besitzen wenig Aussagekraft für den klinischen Alltag. Ähnliches gilt für Fallberichte, die von verschiedenen Autoren zusammengefasst wurden (Roerig und Steffen 2015; Baumann und Trégouët 2013). Nach diesen Fallberichten scheinen trizyklische Antidepressiva (Amitryptilin, Nortryptilin) und Antipsychotika (Haloperidol, Clozapin) bei den berichteten Einzelfällen wohl keine Probleme in der postoperativen Phase zu bereiten. Hinsichtlich SSRI und SNRI (und auch Midazolam) scheint Aufmerksamkeit geboten zu sein, weil postoperativ (wiederum dynamisch variierend) zumindest im ersten

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S. Engeli

Jahr mit einer reduzierten systemischen Exposition gerechnet werden muss. Therapieempfehlungen hinsichtlich Dosisanpassungen von SSRI und SNRI lassen sich aus den vorliegenden Daten aber derzeit nicht ableiten. Ein besonderer Warnhinweis muss für die Therapie mit Lithium ausgesprochen werden, da hier mehrfach Intoxikationen beschrieben worden sind. Die Fortführung der präoperativen Lithiumdosis erfordert also eine besonders sorgfältige Überwachung der Plasmakonzentrationen. Dies spiegelt sich auch in der aktuellen europäischen Leitlinie zur Nachsorge nach gewichtsreduzierender Operation wieder (Busetto et al. 2017). Diese gibt zwar keine Empfehlung zur Therapie mit Psychopharmaka, weist aber darauf hin, dass postoperativ erhebliche Veränderungen der Absorption von Arzneimitteln auftreten können. Es wird empfohlen, von Tabletten und Kapseln auf Tropfen oder Säfte umzusteigen. Außerdem sollen die Plasmakonzentrationen zumindest von Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite regelmäßig kontrolliert werden, sofern ein solches therapeutisches Drug Monitoring etabliert ist und entsprechend therapeutische Plasmakonzentrationen bekannt sind. Abschließend muss ein erschreckend schlechter Kenntnisstand zur Psychopharmakotherapie nach gewichtsreduzierender Operation konstatiert werden. Derzeit kann nur zu erhöhter Aufmerksamkeit bei psychopharmakologisch vorbehandelten Patienten geraten werden, um postoperative psychische Veränderungen, seien sie durch Versagen der Pharmakotherapie bedingt oder nicht, frühzeitig erkennen und auf diese reagieren zu können.

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185

Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie Andreas M. Nieß

14.1 Einleitung – 186 14.2 Ziele einer Bewegungstherapie bei Adipositas – 186 14.2.1 Gewichtsreduktion – 186 14.2.2 Günstige Beeinflussung des kardiometabolen Risikoprofils – 187 14.2.3 Körperliche Fitness und Krankheitsrisiko – 187 14.2.4 Körperliche Fitness und gesundheitsbezogene Lebensqualität – 188

14.3 Körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit – 189 14.4 Körperliche Leistungsfähigkeit nach Adipositaschirurgie – 190 14.4.1 Postoperative körperliche Fitness und Muskelstatus – 190 14.4.2 Postoperatives Aktivitätsverhalten – 190 14.4.3 Ziele einer Trainings- und Bewegungstherapie nach adipositaschirurgischem Eingriff – 191

14.5 Umsetzung einer Trainings- und Bewegungstherapie – 192 14.5.1 Belastungsform – 192 14.5.2 Diagnostik vor Einleitung eines Bewegungstrainings – 192 14.5.3 Personalisierte Trainingsberatung – 195 14.5.4 Motivationale und qualifizierte Unterstützung des Trainings – 195

Literatur – 196 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_14

14

186

A. M. Nieß

14.1  Einleitung

Regelmäßige körperliche Aktivität und eine gute physische Fitness gelten mit wachsender Evidenz als wichtige Faktoren in der Prävention und Therapie zahlreicher Erkrankungen (Powell et al. 2011). Dies gilt insbesondere auch für die Adipositas, bei der körperliche Aktivität eine zentrale Säule des Therapiekonzepts darstellt. Entsprechend wird regelmäßige körperliche Aktivität im Rahmen strukturierter Trainingsprogramme und unter Nutzung von Alltagsaktivitäten mit dem Empfehlungsgrad A und hoher Evidenz in den Leitlinien empfohlen (S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas [DAG 2014]). Gleichwohl erweist sich bei morbider Adipositas die alleinige konservative Therapie oft als unzureichend, und das Erreichen einer signifikanten Gewichtsreduktion ist dann nur mit Verfahren der Adipositaschirurgie zu erwarten. Trotz dieser Dominanz des Effekts der chirurgischen Therapie bei der Gewichtsreduktion sind sowohl prä- als auch postoperativ bei Patienten regelmäßige körperliche Aktivität, aber auch der damit verbundene Aufbau oder Erhalt einer ausreichenden körperlichen Fitness in mehrfacher Hinsicht unerlässlich, um ein insgesamt optimales Behandlungsergebnis zu erreichen.

14

In einem systematischen Review von insgesamt 17 RCTs mit Patienten mit einem BMI > 35 kg/m2 lag dabei die Spanne der Gewichtsreduktion unter Lebensstilintervention bei 1,0–11,5 kg (Hassan et al. 2016). Eine Metaanalyse bei vergleichbaren Patienten kam auf eine mittlere Verringerung des BMI um 2,5 kg/m2 (Baillot et al. 2015). Dabei war auch im Follow-up über 4 Jahre der günstige Effekt einer aktivitätsbasierten Lebensstilintervention in Hinblick auf die Gewichtsreduktion nachweisbar (Unick et al. 2013). Allerdings zeigen diese Daten auch, dass durch eine multimodale Therapie unter Mitberücksichtigung körperlicher Aktivität das Therapieziel von 10 % bzw. 20 % Verlust des Ausgangsgewichts bei vielen Patienten nicht erreicht werden kann und die Indikation zur Adipositaschirurgie gestellt werden muss. Dies gilt für Patienten mit einer Adipositas Grad 3 oder Grad 2 mit erheblichen Komorbiditäten wie Typ-2-Diabetes sowie in Sonderfällen bei Grad 1, wenn ein Typ-2-­ Diabetes vorliegt (S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas [DAG 2014]). Voraussetzung einer signifikanten Gewichts­ reduktion ist das Erzielen einer negativen Energiebilanz, wozu neben einer verringerten Energiezufuhr über die Ernährung eine Steigerung des Energieumsatzes in der arbeitenden Skelettmuskulatur maßgeblich beiträgt. > Um eine signifikante Gewichtsreduktion

14.2  Ziele einer

Bewegungstherapie bei Adipositas

14.2.1  Gewichtsreduktion > Körperliche Aktivität gilt in Kombination mit einer energiereduzierten Kost als wirksame konservative Strategie zum Erreichen einer Gewichtsreduktion.

Auch bei Adipositas Grad 2 und 3 ist von den konservativen Verfahren die Kombination von Diät und Bewegung am ehesten geeignet, eine Gewichtsreduktion herbeizuführen.

durch körperliche Aktivität zu erreichen, ist ein zusätzlicher wöchentlicher Energieumsatz von mindestens 1.200–2.000 kcal erforderlich.

Eine größere Effektivität kann durch noch höhere Bewegungsumfänge erwartet werden, die mit einem zusätzlichen Energieverbrauch von 2.000–2.500 kcal pro Woche einhergehen (Donnelly et al. 2009; S3-Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas [DAG 2014]). Je nach Körpergewicht und Belastungsintensität entspricht dies moderat intensiven Ausdauerbelastungen wie z.  B. Gehen von 240–300 min pro Woche. Zwar ist bei Patienten mit schwerer Adipositas bei

14 · Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie

gewichtstragenden Bewegungsformen häufiger eine verringerte absolute Belastungsintensität erforderlich, doch wird dies durch das höhere Körpergewicht über einen daraus resultierenden höheren Energiebedarf pro Zeiteinheit a­usgeglichen. So geht beispielsweise eine Gehgeschwindigkeit von 3,2 km/h mit einem ungefähren Energieverbrauch von 0,4 kcal/kg Körpergewicht/10 min einher und führt bei 140 kg Körpergewicht zu einem Energieumsatz von etwa 350 kcal pro Stunde (­Ainsworth et al. 2011). Somit können gerade bei Patienten mit schwerer Adipositas auch Alltagsbelastungen wie das Zurücklegen von Wegstrecken in ihrer Aufsummation zu einer relevanten Erhöhung des Energieumsatzes mit beitragen. Allerdings ist infolge verschiedener Ursachen wie Komorbiditäten, Beschwerden am Haltungsund Bewegungsapparat und/oder verringerter Adhärenz zur Bewegung nicht bei allen Patienten mit Adipositas Grad 2 und 3 die regelmäßige Umsetzung eines ­ ausreichenden Umfanges an körperlicher Aktivität möglich. 14.2.2  Günstige Beeinflussung

des kardiometabolen Risikoprofils

Körperliche Aktivität stellt ein wichtiges Instrument zur günstigen Beeinflussung des kardiometabolen Risikoprofils dar (ACSM Position Stand 1998). > Neben dem beschriebenen günstigen

Effekt auf das Gewichtsmanagement stellt die Absenkung kardiovaskulärer und metaboler Risikofaktoren ein zentrales Ziel der Bewegungstherapie des adipösen Patienten dar.

Diese Effekte umfassen eine Absenkung des Blutdrucks, eine Steigerung der Insulinsensitivität, eine Verringerung erhöhter Cholesterin- und Triglyzeridwerte, eine Abnahme ektoper Fettspeicher im Abdomen, im Muskel und in der Leber, eine antiinflammatorische

187

14

Wirkung sowie auch eine Verbesserung der Endothelfunktion. Diese Effekte sind auch bei Patienten mit einem BMI oberhalb von 35 kg/m2 zu erwarten. Eine Metaanalyse bei Patienten mit Adipositas Grad 2 und 3 zeigt, dass auch in dieser Patientengruppe körperliche Aktivität zu einer Verbesserung des Risikoprofils beiträgt (Baillot et al. 2015). So führte ein präoperatives niedrigintensives Bewegungsprogramm mit zwei Trainingseinheiten pro Woche über im Mittel 19 Wochen bei Patienten mit Adipositas Grad 3 neben einer Verringerung des Körpergewichts um im Mittel 7 kg zu einer signifikanten Verbesserung des kardiometabolen Risikoprofils mit positiven Effekten auf Blutdruck, Blutzucker, Triglyzeride und HDL-Cholesterin (Marcon et al. 2017). Ähnlich wie bei der Gewichtskontrolle war der günstige Effekt einer bewegungsbasierten Lebensstilintervention auch für das kardiometabole Risikoprofil nachhaltig und noch nach 4 Jahren nachweisbar (Unick et al. 2013). Zwar unterstützt bei der Absenkung des kardiometabolen Risikoprofils eine gleichzeitige Gewichtsreduktion den Effekt der körperlichen Aktivität, doch kann eine günstige Beeinflussung von Risikofaktoren, möglichen Begleiterkrankungen und der körperlichen Fitness auch unabhängig von einer Gewichtsreduktion beobachtet werden. So profitieren auch Patienten, die das Therapieziel einer Gewichtsreduktion nicht erreichen, von einem ausreichenden Umfang an körperlicher Aktivität. 14.2.3  Körperliche Fitness und

Krankheitsrisiko

Die Ausprägung der körperlichen Fitness stellt einen relevanten gesundheitlichen Faktor dar. Eine Person mit Adipositas mit hoher körperlicher Fitness weist gegenüber einer gleichgewichtigen weniger fitten Person eine geringere kardiovaskuläre Morbidität auf.

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A. M. Nieß

> Eine gute Ausprägung der körperlichen

Fitness offenbart einen günstigen prädiktiven Wert hinsichtlich des Krankheitsrisikos und senkt die Prävalenz adipositasbezogener Risikofaktoren.

14

Eine Metaanalyse von Kodama et al. (2009) kam zu dem Ergebnis, dass eine um 3,5 ml/ min/kg Körpergewicht höhere Sauerstoffaufnahme (entsprechend einem metabolischen Äquivalent, MET) das Mortalitätsrisiko um 13  % verringert. Bei Patienten, die einem adipositaschirurgischen Eingriff unterzogen werden, ist eine höhere körperliche Fitness mit einem geringeren Risiko perioperativer Komplikationen vergesellschaftet (McCullough et al. 2006). Mittlerweile erfuhr der Zusammenhang zwischen körperlicher Fitness und dem Krankheits- bzw. Mortalitätsrisiko auch durch Longitudinalstudien Bestätigung. So konnte gezeigt werden, dass eine Steigerung der körperlichen Fitness im 6-jährigen Followup von einem abnehmendem Risiko für ein metabolisches Syndrom (Hazard ratio 0,48), eine arterielle Hypertonie (HR 0,72) und eine Hypercholesterinämie (HR 0,70) begleitet wird (Lee et al. 2012). Gleiches konnte für die Entwicklung eines Typ-2-­Diabetes gezeigt werden (Sawada et al. 2010). Inwieweit die körperliche Fitness auch bei Patienten mit morbider Adipositas mit vergleichbarer Effektstärke einen solchen Bezug zum Krankheitsrisiko aufweist, ist bisher allerdings nur unzureichend ­untersucht. Mit zunehmendem Körpergewicht gewinnt bei adipösen Patienten eine gut entwickelte körperliche Fitness auch in Hinblick auf den Erhalt einer ausreichenden körperlichen Funktionalität und Lebensqualität an Bedeutung. Patienten mit morbider Adipositas weisen sehr häufig eine Verringerung der körperlichen Leistungsfähigkeit bei gewichts­ tragenden körperlichen Belastungen auf (Müller-­ Nordhorn et al. 2014; Pataky et al. 2014), die

auch zu im Alltag relevanten Effekten wie einer Verringerung der maximalen Gehstrecke führt (King et al. 2012). 14.2.4  Körperliche Fitness und

gesundheitsbezogene Lebensqualität

Bei Patienten mit Adipositas besteht eine negative Korrelation zwischen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und dem Ausmaß des erhöhten Körpergewichts. In diesem Zusammenhang besitzt neben dem Einfluss von die Belastbarkeit reduzierenden Komorbiditäten (Fontaine und Barofsky 2001) auch die körperliche Fitness eine wichtige Bedeutung. So fanden Kolotkin et al. (2011) bei schwer adipösen Patienten Hinweise auf eine positive Assoziation zwischen dem Ausmaß an körperlicher Fitness und Subskalen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Mit zunehmendem Verlust der körperlichen Funktionalität drohen Einschränkungen bei der Verrichtung von Alltagsaktivitäten, Aufgaben im Beruf und Tätigkeiten im Privatleben. Über eine weitere Einschränkung der Mobilität kann dies zu einer drastischen Einschränkung der Teilhabe am täglichen Leben führen (Forhan und Gill 2013). > Dem Erhalt bzw. der Wiedererlangung

einer ausreichenden körperlichen Fitness ist bei der Sicherung einer ausreichenden körperlichen Funktionalität und Lebensqualität gerade bei Patienten mit Adipositas große Beachtung zu schenken.

Bestätigung erfährt dies durch Befunde, die zeigen, dass ein präoperatives Bewegungsprogramm zu einer besseren physischen und mentalen gesundheitsbezogenen Lebensqualität führt (Bond et al. 2015).

14 · Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie

14.3  Körperliche

Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit

Patienten mit morbider Adipositas sind häufig mit dem Stigma einer „Unfitness“ behaftet. Jedoch sind bei Adipositas sowohl die Gesamtfitness als auch deren determinierende konditionelle Teilkompetenzen nicht grundsätzlich verringert. Zwar zeigen sich in Hinblick auf Schnelligkeit und Balance sowie teilweise auch bei der Flexibilität Defizite gegenüber normalgewichtigen Personen, doch schneiden Patienten mit schwerer Adipositas bei der maximalen Kraftentwicklung ausgewählter Muskelgruppen teilweise besser ab (Waldburger et al. 2016). Auch ist die geringere Leistungsfähigkeit bei gewichtstragenden körperlichen Belastungen bei Patienten mit schwerer Adipositas nicht grundsätzlich Resultat einer verringerten kardiorespiratorischen Fitness, die über eine Bestimmung der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) mittels Spiroergometrie objektiviert werden kann. So liegt die absolute oder die auf das errechnete Normalgewicht bezogene VO2max bei Patienten mit schwerer Adipositas bei gewichtstragenden Belastungen wie Gehen durchschnittlich sogar höher als bei über- oder normalgewichtigen Personen (Giannikis et al. 2014). Die höhere absolute VO2max kann durch den Einfluss verschiedener Faktoren erklärt werden. So kann bei körperlich noch aktiven Patienten eine Anpassung der Skelettmuskulatur an wiederholte Belastungen unter erhöhtem Körpergewicht eine Rolle spielen. Dafür spricht, dass nach einer Gewichtsreduktion infolge eines adipositaschirurgischen Eingriffs bei einem Teil der Patienten ein Abfall der VO2max zu beobachten ist (de Souza et al. 2010; Wilms et al. 2013). Des Weiteren geht man davon aus, dass das hohe Körpergewicht bei körperlicher Belastung zu einer Rekrutierung zusätzlicher Muskelgruppen zur posturalen Kontrolle führt. Gleiches konnte für die Atemmuskulatur gezeigt werden, die bei Patienten mit schwerer

189

14

­dipositas infolge einer möglichen BronA choobstruktion, einer reduzierten Compliance der Lunge und/oder einem erhöhten intraabdominellen Druck im Sinne einer gesteigerten Atemarbeit zusätzlich beansprucht wird (Babb et al. 2008; Lin und Lin 2012). Wird die VO2max relativ zum Körpergewicht betrachtet, so kehrt sich deren positiver Zusammenhang zum BMI jedoch um. Schwer adipöse Menschen weisen dann teils deutlich unterdurchschnittliche Werte für die VO2max/kg Körpergewicht auf (Hulens et al. 2001; Lorenzo und Babb 2012; Waldburger et al. 2016). Dies ist jedoch zunächst in erster Linie dem hohen Körpergewicht geschuldet und weniger Folge einer reduzierten Kapazität des kardiopulmonalen Systems. Gleichwohl kann es im Verlauf einer Adipositas zu der Entwicklung von Komorbiditäten (Mokdad et  al. 2003) und einer Funktionsminderung von Organsystemen kommen, die für die körperliche Fitness maßgeblich sind. Diese umfassen die Entwicklung einer pulmonalen Restriktion und/oder Obstruktion mit früherer Limitierung des Atemzugvolumens unter Belastung (Zavorsky et al. 2007), das Auftreten einer diastolischen und/ oder systolischen Herzinsuffizienz (Weismann et al. 2015) sowie eine chronotrope Insuffizienz (Fornitano und Godoy 2010), der wahrscheinlich eine verringerte Aktivierbarkeit des sympathischen Nervensystems unterliegt (Zouhal et al. 2013). Auf der Ebene des Skelettmuskels kann sich bei Patienten mit schwerer Adipositas eine metabolische Dysfunktion entwickeln, die mit einer Abnahme des Anteils an Typ-I-Fasern und einer Verringerung der Aktivität oxidativer Enzyme einhergeht (Houmard et al. 2012). Weiterhin schränken bei schwerer Adipositas häufig auftretende Überlastungsreaktionen am Haltungs- und Bewegungsapparat die Belastbarkeit und damit auch die Leistungsfähigkeit der Patienten ein. Neben einer vermehrten Häufigkeit von Rückenschmerzen werden von den Patienten insbesondere Beschwerden von Knie-, Hüft- oder

190

A. M. Nieß

S­ prunggelenken angegeben, wobei mit zunehmendem BMI auch eine vermehrte Arthroseprävalenz beschrieben ist (Anandacoomarasamy et al. 2008; Bijlsma et al. 2011). Letztendlich wird dadurch das Risiko einer zunehmenden Inaktivität erhöht, die nicht nur zu einer Dekonditionierung führt, sondern auch einen eigenständigen kardiometabolen Risikofaktor darstellt. 14.4  Körperliche

Leistungsfähigkeit nach Adipositaschirurgie

14.4.1  Postoperative körperliche

Fitness und Muskelstatus

14

Neben günstigen Effekten auf adipositasbedingte Komorbiditäten und das kardiometabole Risikoprofil führt eine Adipositaschirurgie auch zu einer Verbesserung der physischen Funktionsfähigkeit. Allerdings scheint letzterer Effekt in erster Linie durch den deutlichen Verlust an Körpermasse bedingt zu sein und ist zumindest zunächst weniger einer Zunahme der absoluten kardiorespiratorischen und muskulären Funktion zuzuschreiben. Vielmehr gibt es Hinweise dafür, dass ein adipositaschirurgischer Eingriff auch mit einer Verschlechterung konditioneller Teilkomponenten einhergehen kann (Steele et al. 2015). So resultiert die Abnahme des Körpergewichts nach bariatrischer Chirurgie nicht ausschließlich aus einer Verringerung der Körperfettmasse. Insbesondere in den ersten 6 postoperativen Monaten kommt es darüber hinaus zu einer relevanten Abnahme der fettfreien Körpermasse und damit auch zu einem Verlust an Muskelgewebe (Bobbioni-Harsch et al. 2000; Tamboli et al 2010). Die Verringerung an Muskelmasse (Carey et al. 2006; Vaurs et al. 2015) hat dabei auch funktionelle Bedeutung. So zeigt sich dazu passend ein Abfall der dynamischen und statischen

Muskelkraft um im Mittel bis zu einem Viertel der Ausgangswerte, wie sie vor der bariatrischen Operation ermittelt wurden (Stegen et al. 2011). Ungünstig dürfte der Verlust an Muskelmasse auch in metabolischer Hinsicht sein, da er einer optimalen Erholung der glykämischen Kontrolle entgegensteht (Vaurs et al. 2015). Hinsichtlich der aeroben Leistungsfähigkeit findet sich bei Betrachtung der gewichtsbezogenen Zielgrößen, wie insbesondere der relativen VO2max (ml/kg KG), nach dem adipositaschirurgischen Eingriff eine Verbesserung der Werte (de Souza et al. 2010; Wilms et al. 2013), die jedoch in erster Linie einer Verringerung des Nenners, also des Körpergewichts unterliegt. Entsprechend finden sich bei Betrachtung der absoluten VO2max gegenüber den präoperativen Befunden entweder unveränderte oder sogar um bis zu 10 % niedrigere Werte (de Souza et al. 2010; Wilms et al. 2013). Die dennoch verbesserten Leistungsdaten, wie z. B. eine größere erreichte Distanz im 6-Minuten-Gehtest (da Silva et al. 2013) oder eine längere Belastungszeit im erschöpfenden Rampentest (Kanoupakis et al. 2001; Serés et al. 2006; Steele et al. 2015) sind demnach v. a. einem besseren Kraft-Last-Verhältnis geschuldet. Zudem scheint eine höhere Maximalleistung in Teilen durch eine postoperativ verbesserte anaerobe Kapazität bedingt zu sein (Wilms et al. 2013). 14.4.2  Postoperatives

Aktivitätsverhalten

Gleichwohl kann sich nach einem adipositaschirurgischen Eingriff die Verringerung des Körpergewichts bei adipösen Patienten positiv auf den Umfang an körperlicher Aktivität auswirken. In einer Metaanalyse von 26 Studien lag sowohl die erfragte als auch die mittels Schrittzähler erhobene körperliche Aktivität 12 Monate nach chirurgischer Therapie höher als im Vergleich zur präoperativen Phase (Herring et al. 2016). In der früheren

14 · Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie

postoperativen Phase nach 3 und 6 Monaten differierte das dabei verringerte objektive von dem erfragten Aktivitätsniveau als Hinweis auf ein zu diesem Zeitpunkt mögliches „Overreporting“ bei der Erhebung mittels subjektiver Einschätzung (Bond et al. 2010). Allerdings erreicht mit 75 % ein Großteil der Patienten auch postoperativ nicht den Mindestumfang an körperlicher Aktivität, wie er in den Leitlinien zur Gewichtskontrolle und Absenkung des kardiometabolen Risikos empfohlen wird (King et al. 2015). Durch ein bereits präoperativ begonnenes Bewegungsprogramm können positive Effekte auf die Zunahme des Aktivitätsniveaus nach dem adipositaschirurgischen Eingriff sowohl im Gesamtumfang als auch in der Anzahl der Belastungsabschnitte von über 10  Minuten Dauer erwarten werden (Bond et al. 2015). Patienten, die präoperativ ihr Ausmaß an körperlicher Bewegung steigern, profitieren dabei auch postoperativ im Sinne eines stabil gehaltenen Aktivitätsniveaus (Bond et al. 2017). 14.4.3  Ziele einer Trainings- und

Bewegungstherapie nach adipositaschirurgischem Eingriff

Gewichtsentwicklung Ein höheres Ausmaß an körperlicher Aktivität kann in der Phase nach einem bariatrischen Eingriff die Gewichtsabnahme unterstützen. In einer Metaanalyse zeigte sich in 15 von 17 Beobachtungsstudien ein deutlicherer postoperativer Gewichtsverlust bei den körperlich aktiveren Patienten. Diese wiesen im Mittel einen um 3,6 kg höheren Gewichtsverlust auf (Egberts et al. 2012). Dabei scheint sich der größere Gewichtsverlust unter Schonung der fettfreien Körpermasse und damit der Muskulatur zu vollziehen (Metcalf et al. 2005).

Körperliche Fitness Es konnte gezeigt werden, dass ein höherer Umfang an körperlicher Aktivität nach

191

14

bariatrischer Therapie die aerobe Leistungsfähigkeit günstiger beeinflusste als das chirurgische Vorgehen allein. Ein zusätzliches Krafttraining verringerte darüber hinaus den Verlust an Muskelmasse, ging mit einer Zunahme der Muskelkraft einher und beugte dem postoperativen Verlust an Knochendichte vor (Stegen et al. 2011; Huck 2015; Campanha-Versiani et al. 2017). Mittlerweile konnten die in Beobachtungsstudien beschriebenen Effekte auf Variablen der körperlichen Fitness auch in ersten randomisierten Interventionsstudien nachvollzogen werden (Coleman et al. 2017; Hassannejad et al. 2017). Dabei steigerten sich mitochondriale Funktion und Enzymaktivität im Muskel nur dann, wenn neben dem bariatrischen Eingriff auch ein postoperatives Ausdauertraining durchgeführt wurde (Coen et al. 2015a).

Glykämische Kontrolle Die nach adipositaschirurgischem Eingriff verbesserte glykämische Kontrolle unterliegt in der frühen postoperativen Phase v. a. einer verbesserten hepatischen Insulinsensitivität. In der Periphere und somit im Skelettmuskel kommt es erst bei einem deutlicheren Verlust an Körperfettmasse von über 35–50 % zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität, die allerdings immer noch unter dem Niveau normalgewichtiger Kontrollen liegt (Camastra et al. 2011; Dunn et al. 2012). Ein begleitendes Trainingsprogramm von zumindest 2 Stunden pro Woche über 6 Monate kann bei bariatrisch therapierten Patienten die glykämische Kontrolle zusätzlich verbessern (Coen et al. 2015b), auch wenn dieser Trainingsumfang noch nicht zu einer zusätzlichen Gewichtsreduktion führt. Bei differenzierter Analyse zeigen die beschriebenen Trainingseffekte eine DosisWirkungs-Beziehung, die eine Verbesserung der kardiorespiratorischen Fitness und einen zusätzlichen Effekt auf den Verlust an Gesamtfettmasse erst oberhalb von 4 Stunden an moderater körperlicher Aktivität erwarten lassen. Demgegenüber führt

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A. M. Nieß

schon ein geringerer Aktivitätsumfang zu einer zusätzlichen Verbesserung der Insulinsensitivität (Woodlief et al. 2015). Zusammengefasst kann durch ein körperliches Trainingsprogramm nach Adipositaschirurgie ein zusätzlicher günstiger Effekt auf die körperliche Fitness, die metabolische Gesundheit und den Verlust an Körperfettmasse erwartet werden. Somit stellt es eine wichtige Komponente des postoperativen Therapiekonzepts nach Adipositaschirurgie dar (Mechanick et al. 2013; Coen und Goodpaster 2016). 14.5  Umsetzung einer Trainings-

und Bewegungstherapie

14.5.1  Belastungsform

14

Zur Steigerung des Energieumsatzes mit dem Ziel einer Unterstützung der Gewichtsreduktion und -stabilisierung werden bevorzugt dynamische Ausdauerbelastungen empfohlen. Sie ermöglichen einen relativ hohen Energieverbrauch über eine längere Zeit. Welche Bewegungsform, -intensität und -umfang gewählt werden, sollte sich an der individuellen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit orientieren (ACSM Position Stand 1998). Auch mögliche individuelle Vorlieben für die Art an körperlicher Aktivität sollten mit Beachtung finden. . Tab. 14.1 und . Tab. 14.2 geben einen Überblick über ausgewählte Trainingsformen und die Belastungsintensitäten. Mit zunehmendem BMI ist es notwendig, in erster Linie den Bewegungsapparat schonende und auch bei erhöhtem Körpergewicht gut in ihrer Intensität dosierbare Bewegungsformen zu wählen. Hierzu zählen Walking oder wassergebundene Aktivitäten, sowie wenn möglich auch Fahrradbelastungen oder Belastungen auf dem Crosstrainer. Gerade bei schwerer Adipositas stellen Alltagsverrichtungen wie beispielsweise wiederholte kurze Gehbelastungen einen wirksamen

Reiz zur Anpassung dar. Dabei gehen sie mit einem in ihrer Aufsummation relevanten zusätzlichen Energieumsatz einher (Shah et al. 2011). Somit sind Aktivitäten des Alltags neben einem strukturierten Trainingsprogramm gerade bei Adipositas ein wichtiges Instrument des Therapiekonzepts. Im Vergleich zum Ausdauertraining kann durch ein Krafttraining kein vergleichbar hoher Energieverbrauch induziert werden. Entsprechend ist Krafttraining als alleinige Trainingsmaßnahme zur Gewichtsreduktion in aller Regel weniger effektiv (S3-­ Leitlinie Prävention und Therapie der Adipositas [DAG 2014]). Allerdings kann es als begleitende Trainingsform durch den dadurch erreichten Muskelaufbau die Belastbarkeit für ein dynamisches Ausdauertraining verbessern. Bei gering belastbaren Patienten und/oder bei morbider Adipositas, die häufig mit einschränkenden Befunden am Haltungsund Bewegungsapparat einhergeht, sind zu Beginn Trainingsprogramme mit Kräftigungsübungen auch als einzige Bewegungsform sinnvoll. Ziel muss es jedoch sein, dadurch auch die Grundlage für ein späteres Ausdauertraining zu schaffen. Im Gegensatz zur Gewichtskontrolle zeigt das Krafttraining bei der Verbesserung der glykämischen Kontrolle bei Typ-2-Diabetes ähnlich günstige Effekte wie ein dynamisches Ausdauertraining (Sigal et al. 2006). In aller Regel sollte sowohl präals auch postoperativ ein Trainingsprogramm im Kern sowohl Kraft- als auch Ausdauerbelastungen beinhalten. 14.5.2  Diagnostik vor Einleitung

eines Bewegungstrainings

Infolge des bei Patienten mit Adipositas Grad 2 und 3 erhöhten Risikos für Komorbiditäten (Mokdad et al. 2003; Anandacoomarasamy et al. 2008; Bijlsma et al. 2011) sollte vor Einleitung eines Bewegungstrainings geklärt werden, ob und in welchem Ausmaß die körperliche Belastbarkeit eingeschränkt ist.

Gehen, (Nordic-) Walking Radfahren Crosstrainer Schwimmen Wasser-Aerobics

Gerätegestützte Durchführung

Dynamisches Ausdauertraining

Krafttraining 20–60 min Dauer (ohne Aufwärmen/Cool-Down)

20–120 min Dauer

Trainingsdauer pro Einheit

60–75 % des 1-RM

Dauermethode: 50–80 % der HFmax Intervalltraining: 70–90 % der HFmax (. Tab. 14.2)

Belastungsintensität

Im Vergleich zu dynamischen Ausdauerbelastungen geringerer Energieumsatz pro Zeiteinheit. Bei korrekter Durchführung gute Entlastung des Bewegungsapparates. Durchführung teilweise im Sitzen möglich. Wichtig sind Einführung in die Übungstechnik Überwachung der korrekten Durchführung, um eine optimale Wirksamkeit zu erreichen und Verletzungsrisiken zu minimieren

Beim Gehen mögliche Einschränkung durch orthopädische Probleme, Radfahren mit zunehmender Adipositas oft nur eingeschränkt möglich, beim Schwimmen erlernte Schwimmtechnik wichtig

Kommentare

1-RM one-repetition maximum, HFmax maximale Herzfrequenz Ergänzung des Trainings durch Koordinations-, Balance- und Flexibilitätsübungen: Weichbodenmatte, Wackelbrett, Stretching, Übungen mit Spielelementen

Wassergymnastik

Nutzung einfacher Hilfsmittel (Kleingewichte, Widerstandsbänder, Eigengewicht)

Sportarten

Trainingsform

. Tab. 14.1  Ausgewählte Trainingsformen für Patienten mit Adipositas

14 · Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie 193

14

194

A. M. Nieß

. Tab. 14.2  Relative Belastungsintensitäten bei dynamischen Ausdauerbelastungen. Einordnung der relativen Belastungsintensität anhand des subjektiven Belastungsempfindens (rate of perceived exertion/ RPE nach BORG-Skala), in Bezug zur individuellen maximalen Herzfrequenz (% HFmax) und zur maximalen Sauerstoffaufnahme (% VO2max) sowie in Relation zu den leistungsdiagnostischen Eckpunkten Lactate threshold (LT, entspricht dem Beginn des Laktatanstiegs im ergometrischen Stufentest), individuelle anaerobe Schwelle (IAS) und maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max). (Modifiziert und erg. nach ACSM Position Stand 1998; Ainsworth et al. 2011; Nieß und Thiel 2017) Relative Belastungsintensität Intensitätsstufe

Bezug zu leistungsdiagnostischen Eckpunkten

% HFmax

a % VO2max

Subjektives Belastungsempfinden (RPE, nach BORG-Skala, 6–20)

Leicht

< LT

35–54

20–39

10–11

Moderat

≤ LT

55–69

40–59

12–13

Anstrengend

Zwischen LT und IAS

70–89

60–84

14–16

Sehr anstrengend

≥ IAS

≥ 90

85–99

17–19

Maximal

VO2max

100

100

20

aVO

14

2max

bezogen auf die jeweils herangezogene Bewegungsform bzw. Sportart

Zum einen sollte das Augenmerk auf das kardiovaskuläre System gerichtet werden, wobei insbesondere Befunde eines nicht suffizient eingestellten Blutdrucks oder einer stenosierenden koronaren Herzerkrankung die Belastbarkeit einschränken können. Gleiches gilt für das Vorliegen einer restriktiven oder obstruktiven Lungenerkrankung. Seitens des Haltungs- und Bewegungsapparates reduzieren bei Adipositas Grad 2 und 3 häufig Beschwerden und Überlastungsschäden an der Wirbelsäule und den großen Gelenken der unteren Extremität die Belastungstoleranz (Anandacoomarasamy et al. 2008). Die aktuellen Leitlinien zur Diagnostik bei Adipositas unterscheiden dabei unter einem Empfehlungsgrad B zwischen obligaten Basisuntersuchungen (z. B. Anamnese, Blutdruck in Ruhe, Labor, Ruhe-EKG etc.) und eher fakultativer Diagnostik wie z. B. einer Ergometrie mit Belastungs-EKG (Mechanick et al. 2013; DAG 2014). In einem verschiedene Leitlinien zusammenfassenden Review (­Loellgen et al. 2010) wird die Indikation für eine ergometrische Diagnostik mit Belastungs-EKG und Blutdruckmonitoring zur Klärung der

körperlichen Belastbarkeit bei asymptomatischen Patienten ab einem Alter von 45 Jahren gesehen, sofern ein oder mehrere Risikofaktoren vorliegen und wenn intensivere körperliche Belastungen geplant sind. Bei einem relevanten Anteil von Patienten mit Adipositas Grad 2 und 3 wäre dies zutreffend. Des Weiteren erleichtert eine Ergometrie auch eine genauere Einschätzung der körperlichen Leistungsfähigkeit der Patienten. Kann dabei auf leistungsdiagnostische Instrumente wie die Laktatmessung und/oder Erfassung der Atemvolumina und -gase mit Hilfe der Spiroergometrie zurückgegriffen werden, ermöglicht dies auch präzisere Vorgaben für eine personalisierte Trainingsberatung. Zu beachten ist dabei allerdings, dass bei Patienten mit Adipositas Grad 3 eine Fahrradergometrie häufig nicht durchführbar ist. Dabei stellt sie nicht selten eine für diese Patientengruppe ungewöhnliche Belastungsform dar. Sofern verfügbar kann mittels Laufbandergometrie und unter Anwendung zielgruppenspezifisch modifizierter Gehprotokolle mit niedriger Anfangslast auch bei Patienten mit morbider Adipositas eine standardisierte

14 · Adipositaschirurgie, körperliche Aktivität und Trainingstherapie

Belastungsuntersuchung mit validen Ergebnissen durchgeführt werden. 14.5.3  Personalisierte

Trainingsberatung

Basis einer individualisierten Trainingsberatung sind die im Rahmen der Voruntersuchung erfassten Informationen und Befunde des Patienten. Die Gestaltung des Trainings sollte sich insbesondere am Schweregrad des Übergewichts, dem kardiometabolen Risikoprofil, weiteren Komorbiditäten, der aktuellen körperlichen Aktivität und der aktuellen Leistungsfähigkeit orientieren. Darüber hinaus sind auch Vorerfahrungen mit körperlicher Aktivität und Sport, sportliche Neigungen und die Gegebenheit im Alltag des Patienten zu beachten (Nieß und Thiel 2018). Zu beachten ist, dass die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit adipöser Patienten von einer großen interindividuellen Variabilität gekennzeichnet ist. So besitzt ein Teil der Patienten absolut gesehen eine normale bis überdurchschnittliche kardiorespiratorische Fitness und einen gut entwickelten Muskelstatus. Daher beschränken sich bei Adipositas 2 und 3 die in Frage kommenden Sport- und Bewegungsformen nicht grundsätzlich nur auf wenige Alternativen. Gleichwohl kann auch bei fitten Patienten eine hohe Masse an Ballastfett die Dosierbarkeit von Belastungen erschweren bis unmöglich machen, wenn deren Ausführung das Tragen des gesamten Körpergewichts notwendig macht. Bei adipösen Patienten mit einer geringeren körperlichen Leistungsfähigkeit und/oder vorliegenden Komorbiditäten, welche die Belastbarkeit einschränken, muss das Trainings- und Bewegungsprogramm angepasst werden und ein behutsamer Belastungsaufbau gewährleistet sein. Niedrigere Belastungsintensitäten besitzen den Vorteil, dass sie eine längere Belastungsdauer ermöglichen und der Haltungs- und Bewegungsapparat dabei zumeist geringer

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beansprucht wird. Zudem wird gerade von bisher wenig aktiven Patienten der Einstieg in ein Bewegungsprogramm mit geringeren Belastungsintensitäten in der Regel als angenehmer empfunden. Der Vorteil intensiverer Belastungen bis hin zu intervallförmigen Bewegungsprogrammen liegt demgegenüber in einer höheren Effekteffizienz, sowohl in Hinblick auf die Entwicklung der körperlichen Fitness als auch hinsichtlich günstiger Auswirkungen auf kardiometabole Zielvariablen (Gibala und McGee 2008). 14.5.4  Motivationale und

qualifizierte Unterstützung des Trainings

Bei der Einleitung eines Trainingsprogramms spielt die Anleitung durch qualifizierte Übungsleiter und Trainer eine zentrale Rolle. Die Betreuung der Patienten hat zum einen das Ziel, diese pädagogisch zu führen, zu informieren und bei der Durchführung des Programmes zu motivieren (Graf und Ferrari 2015). Zum anderen haben sie die Aufgabe, das Trainingsprogramm in seinen Effekten auf die einzelnen Patienten einzuschätzen und ggf. anzupassen. Anleitung und Supervision sind in diesem Zusammenhang auch für die Nachhaltigkeit des Trainingsprozesses von großer Bedeutung, zumal der Übergang in ein freies Training das Risiko in sich birgt, dass sich der Aktivitäts- und Trainingsumfang wieder reduziert (Herring et al. 2016). Die Information der Patienten umfasst u. a. die Vermittlung einer realistischen Zielsetzung bei der Gewichtsreduktion, die Darstellung von Trainingseffekten wie die Verbesserung der körperlichen Fitness und positive gesundheitliche Auswirkungen, die auch unabhängig vom Erreichen einer Gewichtsreduktion zu erwarten sind, sowie den Umgang mit möglichen Aktivitätsbarrieren. Auch die soziale Unterstützung scheint ein wichtiger Faktor zu sein, um einen ausreichenden Aktivitätsumfang zu erreichen.

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A. M. Nieß

Förderlich sind hierbei die Einbeziehung von Familienangehörigen in das Trainingsprogramm, aber auch das gemeinsame Training mit anderen betroffenen Patienten (Castellani et al. 2003; Nieß und Thiel 2018).

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Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken Petra Warschburger 15.1 Definition und entwicklungsbedingte Veränderungen – 200 15.2 Auftreten von Entwicklungsrisiken – 203 15.3 Adhärenz und Transition – 204 15.4 Besondere Rolle der Eltern – 205 15.5 Effektivität von adipositas­chirurgischen Eingriffen – 207 15.6 Empfehlungen für Adipositaschirurgie – 209 15.7  Fazit – 209 Literatur – 210

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_15

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Adipositas ist mit rund 10 % unter Jugendlichen nicht nur sehr verbreitet (­Brettschneider et al. 2015), sondern gilt ab diesem Alter auch als sehr stabil und veränderungsresistent (Oude Luttikhuis et al. 2009). Dabei wird der Anteil derer, die unter einer extremen Adipositas leiden, immer größer (­Brettschneider et al. 2015). Diese Altersgruppe gilt als besonders vulnerabel angesichts ausgeprägter komorbider Störungen und lediglich geringer Effekte konventioneller Therapie (Kelly et al. 2013; Johnston et al. 2011). Daher wird in den letzten Jahren bariatrische Chirurgie für Jugendliche mit extremer Adipositas (meist definiert mit einem BMI oberhalb von 35  kg/m2) zunehmend als Behandlungsoption diskutiert und auch realisiert. Adipositaschirurgische Eingriffe in diesem Alter werden durchaus kontrovers diskutiert (Beamish und Reinehr 2017; Hofmann 2013). Das Jugendalter gilt als Lebensphase der Orientierung und der Identitätssuche mit vielfältigen Veränderungen und Umbrüchen. Betroffene, Familien und Behandler stehen hierbei vor einer in vielerlei Hinsicht komplizierten Entscheidungssituation, denn die Entscheidung pro oder contra einen adipositaschirurgischen Eingriff ist ambivalent: Einerseits unterstreichen die gut dokumentierten Risiken extremer adoleszenter Adipositas den dringenden Handlungsbedarf, andererseits sind die langfristigen Risiken und Effekte einer bariatrischen Chirurgie noch nicht hinlänglich bekannt. Hinzu kommt, dass die Jugendlichen auf der einen Seite im Vergleich zu den Erwachsenen mit einer längeren Lebensperspektive nach OP von den positiven Auswirkungen deutlicher profitierten könnten und damit möglicherweise jahrelanges Leiden verhindert werden kann, auf der anderen Seite sind damit auch potenziell negative Implikationen (wie Nebenwirkungen oder Anforderungen an die Adhärenz) von längerer Dauer und können sich in diesem Zeitraum erstmals manifestieren. Sind Jugendliche in kognitiv-emotionaler Hinsicht reif und autonom genug, um eine solche Entscheidung zu treffen und deren Konsequenzen zu tragen? Welche Rolle spielen die Eltern? Was ist bislang

über die Risiken, aber auch den Nutzen bariatrischer Chirurgie bei Jugendlichen bekannt? Diese zentralen Fragestellungen sollen im Rahmen des Beitrags behandelt werden. 15.1  Definition und

entwicklungsbedingte Veränderungen

Das Jugendalter als „Interims- oder Transitionsphase“ bezeichnet den Zeitraum zwischen der Kindheit und dem Erwachsenenalter. Weder der Eintritt ins Jugendalter noch dessen Übergang zum Erwachsenenalter sind altersmäßig festgelegt, sondern individuell, aber auch kulturell wie zeitgeschichtlich sehr unterschiedlich. In der Literatur werden durchaus 12-Jährige bereits und 25-Jährige noch zur Gruppe der Jugendlichen gezählt – hier gibt es keine verbindliche Konvention. Im juristischen Sinne bezieht sich das Jugendalter auf die Altersphase vom 14.–18. Lebensjahr; ab dem 14. Lebensjahr liegt Strafmündigkeit vor, d. h., es wird davon ausgegangen, dass man die Konsequenzen seines Handelns absehen und für diese auch Verantwortung übernehmen kann. Im Jugendalter treten eine Reihe von charakteristischen Veränderungen in körperlicher, kognitiver sowie sozial-emotionaler Hinsicht auf. Diese sind in vielfältiger Weise miteinander verbunden und sollten daher auch nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Im psychosozialen Bereich ergeben sich aus diesen Veränderungen und den Anforderungen der Gesellschaft an die Jugendlichen sog. Entwicklungsaufgaben, d. h. normative Anforderungen, die erfolgreich bewältigt werden müssen, um in eine neue Lebensphase (Erwachsenenalter) einzutreten. Ansonsten können krisenhafte Entwicklungen entstehen, wie sie in 7 Abschn. 15.2 beleuchtet werden (vgl. Flammer und Alsaker 2002). Die Pubertät mit dem Auftreten der ersten Menarche bzw. Spermarche gilt meist als Beginn der Adoleszenz. Körperliche Veränderungen wie vermehrter Muskelzuwachs

15 · Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken

bei den Jungen, ein Anstieg des Körperfettanteils bei den Mädchen, die Ausbildung von sekundären Geschlechtsmerkmalen, aber auch ein schnelles Längenwachstum sind zudem für die Umgebung deutlich sichtbar. Die körperliche Erscheinung spielt im Jugendalter eine herausragende Rolle für das eigene Selbstbild, verstärkt nochmals dadurch, dass die körperliche Attraktivität im Kontext von romantischen Beziehungen bedeutsam ist (Simon et al. 2008). Jugendliche sind in dieser Lebensphase besonders empfänglich für Botschaften der Medien bezüglich der idealen (= sehr schlanken resp. muskulösen) Figur, aber werden auch durch Kommentare seitens der Eltern und Gleichaltrigen beeinflusst (Menzel et al. 2010). > Die Akzeptanz der eigenen körperlichen

Erscheinung und der sexuellen Reifungsprozesse sowie der Aufbau von romantischen Beziehungen zählen zu den Entwicklungsaufgaben in der Adoleszenz.

Ebenso bedeutsam sind die kognitiven Veränderungen: Nach Piaget treten Kinder mit ca.  12  Jahren in das formal-operative Stadium der Denkentwicklung ein: Dies befähigt Jugendliche im Gegensatz zu Kindern dazu, hypothetisch und abstrakt zu denken, formale Operationen zu verstehen und logische Schlussfolgerungen zu ziehen. Verschiedene Aspekte eines Problems können gleichzeitig berücksichtigt und gegeneinander abgewogen werden. Dazu gehört auch das Verständnis für Proportionen und den Wahrscheinlichkeitsbegriff. Insgesamt steigt die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses an, ebenso ihr generelles Wissen und die metakognitiven Fertigkeiten, d. h. das Wissen über die eigenen Denkprozesse und die Möglichkeit, diese auch zu beeinflussen. Das Denken ist allerdings auch durch den sog. jugendlichen Egozentrismus, d.  h. ein Stadium der „Selbstabsorption“, gekennzeichnet. Dies führt zu kognitiven Verzerrungen wie der Überzeugung, dass sich die Aufmerksamkeit von anderen Personen

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auf sie und ihr Verhalten richtet, dass sie sich selbst als „einzigartig“ und außergewöhnlich erleben, und andere ihr Erleben nicht nachvollziehen können. So neigen Jugendliche eher dazu, sich als „unverletzlich“ einzuschätzen und die langfristigen Risiken ihres Verhaltens zu unterschätzen (Larsman et al. 2012; Warschburger 2015a). Zentral für die weitere Entwicklung sind auch die selbstregulatorischen Fähigkeiten, die im Verlauf der Entwicklung zunehmend aufgebaut werden. > Unter Selbstregulation werden bewusste

wie unbewusste Prozesse verstanden, die unsere Emotionen, Handlungen und Gedanken steuern, um bestimmte Ziele wie eine Gewichtsreduktion zu erreichen (Baumeister und Vohs 2007).

Selbstregulation ist dabei als Oberbegriff zu verstehen, der zahlreiche Kompetenzen wie beispielsweise die Selbstbeobachtung, das Inhibieren von Handlungsimpulsen, die Selbstablenkung, den Aufschub kurzfristiger Belohnungen zugunsten längerfristiger Ziele, das Erkennen externen Unterstützungsbedarfs und dessen kompetente Einforderung oder die Fokussierung auf die langfristigen Konsequenzen des Verhaltens umfasst. Gute Selbstregulationsfähigkeiten gelten als zentral für die Förderung der physischen wie psychischen Gesundheit, aber auch des akademischen Erfolgs (Moffitt et al. 2011; Nigg 2017). Die Entwicklung von Selbstregulationsfähigkeiten ist eng mit der kognitiven und emotionalen Entwicklung verwoben. Während die selbstregulativen Fertigkeiten bis ins mittlere Kindesalter kontinuierlich ansteigen, sind im Jugendalter Einbußen zu beobachten. Diese werden v. a. auf Veränderungen im präfrontalen Kortex, die in der Pubertät auftreten, zurückgeführt und gelten als eine Erklärung für das erhöhte Auftreten von Entwicklungsrisiken während der Adoleszenz (Pokhrel et al. 2013). Bezogen auf die sozial-emotionale Entwicklung steigt die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen (Empathiefähigkeit), ebenso

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an wie jene, das eigene Verhalten zu reflektieren und sich selbst zu beobachten (Selbstmonitoring). Das Selbstkonzept (d.  h. die Beschreibung der eigenen Kompetenzen in verschiedenen Bereichen des Lebens wie Aussehen, Schule, körperliche Leistungsfähigkeit etc.) wird zunehmend differenzierter. Gleichzeitig gilt die Adoleszenz als die Lebensphase mit einem gering ausgeprägten Selbstwert, d. h., die eigene Bewertung der Kompetenzen fällt eher kritisch aus. Die soziale Lebenswelt der Jugendlichen verändert und erweitert sich deutlich; so wird nicht nur mehr Zeit mit Gleichaltrigen als mit den Eltern verbracht, deren Verhalten und Überzeugungen werden auch zu einer relevanten Norm für das eigene Verhalten. In diesem Zusammenhang ergeben sich Entwicklungsaufgaben, die den Übergang ins Erwachsenenalter markieren. Hierzu gehört, die sozialen und kognitiven Kompetenzen zu nutzen, um Entscheidungen für die weitere schulische wie auch berufliche Zukunft zu treffen, der Aufbau neuer reifer Beziehungen zu Gleichaltrigen beiderlei Geschlechts, die Übernahme der Geschlechterrolle, die Etablierung eines eigenen Wertesystems sowie die Erlangung von Autonomie gegenüber den Eltern (z. B. eigene Entscheidungen treffen; Aufbau eines eigenen sozialen Unterstützungssystems). > Als zentrale Entwicklungsaufgabe der

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Adoleszenz wird die Identitätsentwicklung genannt, d. h. herauszufinden, was die eigene Person – auch im Vergleich zu anderen – ausmacht und welche Perspektiven bzw. welcher Sinn für die Zukunft und das Leben insgesamt gesehen werden (Flammer und Alsaker 2002).

Welche Relevanz haben diese entwicklungspsychologischen Besonderheiten bezogen auf die Frage nach adipositaschirurgischen Maßnahmen im Jugendalter? Jugendliche befinden sich in einer beschleunigten Wachstumsphase, und ein Eingriff könnte hier negative medizinische Auswirkungen haben. Hinzu kommt, dass bei Kindern mit Adipositas einige dieser Veränderungen beschleunigt auftreten, was

als Risikofaktor für psychosoziale Belastungen gilt – auch da die psychosoziale Entwicklung zeitlich nicht mit der körperlichen Schritt halten kann (Ullsperger und Nikolas 2017). Da es sich um einen Eingriff in ein gesundes Organ mit weitreichenden Folgen für den Alltag (Ernährung, Supplementierung, Essverhalten etc.) handelt, ist diese Situation nur bedingt mit anderen krankheitsbedingten Eingriffen vergleichbar (Hofmann 2013). Überwiegend wird empfohlen, erst nach Erreichen der Knochenreife Eingriffe vorzunehmen (Christison und Gupta 2017; Durkin und Desai 2017). Bezogen auf die kognitiven Veränderungen zeigen sich zugleich Chancen und Risiken: Jugendliche sind eher in der Lage, komplexe Prozesse zu begreifen, sie verstehen Wahrscheinlichkeitsinformationen und ihr Denken ist hypothetischer – wichtige Fähigkeiten, um medizinische Aufklärungen zu möglichen Komplikationen und deren Auftretenswahrscheinlichkeit nachvollziehen zu können. Allerdings unterliegt ihr Denken auch bestimmten alterstypischen Verzerrungen wie einer verminderten Fokussierung auf langfristige Folgen, sodass evtl. Informationen zur Unsicherheit der langfristigen Effekte nicht ausreichend berücksichtigt werden. Hinzu kommt, dass eine Reihe von Studien deutlichere Defizite in den kognitiven und selbstregulatorischen Fertigkeiten bei Jugendlichen mit Adipositas im Vergleich zu Normalgewichtigen zeigten (Dohle et al. 2017; Haynes et al. 2015). Gerade die Frage, ob die Jugendlichen vielleicht noch zu unreif sind, um eine informierte Zustimmung zu geben, wozu auch das Verstehen der Risiken des Eingriffs gehört, ist eines der großen ethischen Dilemmata in diesem Kontext (Hofmann 2013). > Während rein rechtlich in Deutschland

die Erziehungsberechtigten bei unter 18-Jährigen ihr schriftliches Einverständnis geben müssen, ist die informierte Zustimmung der betroffenen Jugendlichen unabdingbar.

15 · Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken

Daher wird eine Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten der Jugendlichen im Rahmen der Einschlussdiagnostik gefordert (Beamish und Reinehr 2017; Christison und Gupta 2017; Hofmann 2013). Allerdings erfassen die vorgeschlagenen Intelligenztests das generelle kognitive Niveau der Jugendlichen, geben aber keine Informationen darüber, ob sie eine ausreichende Gesundheitskompetenz („health literacy“) besitzen. Das Verständnis für Risikoinformationen scheint in der Bevölkerung eher unzureichend zu sein (Visschers et al. 2009). Die komplexen Veränderungen im psychosozialen Bereich mögen zudem dazu beitragen, dass Jugendliche unter einem hohen emotionalen und u. U. auch sozialen Druck stehen, an Gewicht zu verlieren (7 Abschn. 15.2). Damit stellen sich folgende Fragen: zum einem nach der Freiwilligkeit der Entscheidung, zum anderen danach, inwieweit Informationen daher selektiv verarbeitet werden (Hofmann 2013). 15.2  Auftreten von

Entwicklungsrisiken

Aufgrund der entwicklungspsychologischen Anforderungen gilt die Adoleszenz als besonders sensible Phase für die Manifestation von psychosozialen Problemen und psychischen Störungen wie depressive Störungen, Essstörungen oder Suizidgedanken. Als sichtbare chronische Erkrankung kann Adipositas dieses Risiko noch verstärken, da Adipositas mit einer hohen Stigmatisierung durch Gleichaltrige, aber auch durch Lehrer, Ärzte sowie teils auch Eltern einhergeht. Die erlebte Stigmatisierung und Diskriminierung geht ihrerseits wiederum mit negativen Folgen für die psychische Gesundheit der Betroffenen einher (Puhl und Heuer 2009; Sikorski et al. 2015; Zuba und Warschburger 2017), sodass sich der Prozess immer weiter aufschaukelt. Im Vergleich zu ihren normalgewichtigen Altersgenossen weisen Jugendliche mit Adipositas einen niedrigeren Selbstwert bzw.

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ein negativeres Selbstkonzept (Sikorski et al. 2015), höhere Depressionsraten (Quek et al. 2017), vermehrt gestörtes Essverhalten bis hin zu Essstörungen (Warschburger 2015b), verstärkte Suizidgedanken (Zeller et al. 2013) und ein negativeres Köperbild auf (Pinquart 2013). All diese psychosozialen Belastungen können sich gegenseitig verstärken: So gelten ein negatives Körperbild bzw. eine hohe Körperunzufriedenheit als Risikofaktor für die Entwicklung einer Essstörung wie auch einer depressiven Störung (Sehm und W ­ arschburger 2016; Hoffmann et al., unveröffentlicht). > Mit Adipositas assoziierte Belastungen

treten bei Jugendlichen, die für eine Adipositaschirurgie vorstellig werden oder aufgenommen wurden, verstärkt auf.

So berichten Herget et al. (2014) in einer Übersicht, dass rund ein Drittel der Jugendlichen präoperativ unter moderater bis schwerer Depression leiden und ein Viertel unter Angststörungen. Obwohl die Autoren nur zwei Studien fanden, die sich mit gestörten Essverhalten befassten, zeigten diese Daten, dass auffällige Essverhaltensweisen wie emotionales Essen oder Kontrollverlust beim Essen bei rund 30 % beobachtbar sind. Diese Daten zur Prävalenz von Kontrollverlust beim Essen und Essstörungen bestätigten sich auch in jüngeren Studien (McPhee et al. 2015; Sarwer et al. 2017; Utzinger et al. 2016). Daneben ist die geringe Lebensqualität der Jugendlichen in diesen Studien vielfach dokumentiert (Hillstrom und Graves 2015). Die Belastungen treten oftmals kumuliert auf; so geht bspw. auffälliges Essverhalten mit vermehrter Depression und geringer Lebensqualität einher (Utzinger et al. 2016). Außerdem ist mit 15 % der Anteil der bariatrischen Patienten mit Suizidgedanken oder vorausgegangenen Suizidversuchen relativ hoch (McPhee et al. 2015). Neben der gehäuften Inzidenz von psychischen Störungen im Jugendalter ist auch eine Kumulierung von gesundheitsschädlichen Risikoverhaltensweisen zu beobachten. Hierzu

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zählen z.  B. übermäßiger Alkoholkonsum, Rauchverhalten, ungeschützter Sexualverkehr, unvorsichtiges Fahrverhalten sowie ungesunde Essverhaltensmuster. Sie stellen oftmals normatives Verhalten in der Altersgruppe dar und markieren damit auch die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Gleichaltrigen. Die risikoreichen Verhaltensweisen treten nicht nur oft in Kombination, sondern bei chronisch kranken Jugendlichen auch vermehrt auf (Nylander et al. 2014). Im Vergleich zur Kindheit nehmen gesundheitsförderliche Verhaltensweisen wie gesunde Ernährungsmuster oder regelmäßige körperliche Aktivität ab (Warschburger 2015a). Entsprechend muss in den Beratungen der Jugendlichen auf besondere Veränderungen oder Risiken infolge des adipositaschirurgischen Eingriffs hingewiesen werden, z. B. die veränderte Ansprechbarkeit auf Methoden der Schwangerschaftsverhütung oder das erhöhte Komplikationsrisiko bei übermäßigem Alkoholkonsum sowie der Umgang damit (Christison und Gupta 2017; Zeller et al. 2017b). Im Einklang mit den Empfehlungen im Erwachsenenalter wird daher auch für Jugendliche ein präoperatives psychologisches Screening empfohlen. Dieses umfasst nicht nur ein Interview mit dem Jugendlichen selbst, sondern auch ein getrenntes Interview mit den Sorgeberechtigten. Ziel des Elterninterviews ist neben der Validierung der Jugendlichenangaben auch die Abklärung der elterlichen Motivation für einen Eingriff bei ihrem Kind, des Ausmaßes der familiären Unterstützung und des Vorliegens psychischer Auffälligkeiten der Eltern. Es sollte v. a. auch eruiert werden, inwieweit die Eltern in der Lage sind, künftig eine kontinuierliche und verlässliche Unterstützung zu bieten. Die Befragung der Jugendlichen selbst sollte deren psychiatrischen Status (v.  a. Depression, Suizidalität, Essstörung), kognitive Funktionen (Intelligenz) und schulische Aspekte (Besuch von Sonderschule, soziale Einbindung in der Schule, schulische Leistungen), das familiäre Funktionsniveau, das

Wissen über den Eingriff und dessen potenzielle Folgen und die damit verbundenen Erwartungen, die Anamnese des Gewichtsverlaufs und der bisher erfolgten Behandlungsversuche beinhalten (Sysko et al. 2013). 15.3  Adhärenz und Transition

Die Anforderungen an die Adhärenz zur Vermeidung von Komplikationen und Aufrechterhaltung der Effekte nach einem bariatrischen Eingriff sind hoch: Die Jugendlichen sollen z. B. regelmäßig Vitaminpräparate einnehmen, gezuckerte Getränke meiden, langsam, proteinreich und fettarm essen, am besten im Rahmen von 3–6 kleineren, täglichen Mahlzeiten sowie auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr und Bewegung achten. Der Ernährungsstatus der Jugendlichen sollte sehr engmaschig im ersten Jahr nach der OP und danach jährlich in einem spezialisierten Zentrum überprüft werden. > In den Leitlinien wird gefordert, dass

ausreichende Adhärenz (in der prä- und postoperativen Phase) vorhanden sein muss und dies verhaltensnah geprüft werden sollte (Beamish und Reinehr 2017; Christison und Gupta 2017).

Die Adhärenz im Jugendalter ist eher gering und wird durch zahlreiche personen- und familienbezogene Aspekte beeinflusst (Rapoff 2010; Warschburger 2015a). Die Schwere der Erkrankung alleine ist selten ein guter Prädiktor; entscheidend ist auch, wie einschneidend die Therapieanforderungen in die sozialen Lebensbezüge und -gewohnheiten eingreifen. So mögen für Jugendliche besonders die notwendigen Veränderungen im Essverhalten eine große Herausforderung darstellen. Essen findet oftmals – in mehr oder weniger ritualisierter Form – in der Gemeinschaft (z. B. Schulkantine, Party) statt, und soziale Normen beeinflussen unser Essverhalten (Robinson et al. 2014). Gehört etwa der Besuch von Fast-Food-Restaurants zur alterstypischen Norm, erschwert es den Jugendlichen, die

15 · Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken

nach sozialer Anerkennung in der Gruppe der Gleichaltrigen streben, sich dieser Situation zu entziehen. Sie leben in der Regel noch nicht in festen Partnerschaften, sodass der Aufbau neuer Beziehungen eine zusätzliche Herausforderung darstellen kann. Trotz ihrer hohen Relevanz ist die Adhärenz nur selten betrachtet oder gar direkt gemessen worden (Hood et al. 2016). Die vorliegenden Daten deuten jedoch auf erhöhte Probleme in der Adhärenz hin: Beim Vergleich einer bariatrischen mit einer konventionell behandelten Gruppe zeigten die operierten Jugendlichen ein Jahr postoperativ einen deutlicheren Abfall ihres Mikronährstoffspiegels sowie ein verstärktes Verlangen nach Süßigkeiten; letzteres erwies sich zusammen mit Sorgen ums Gewicht als Prädiktor für eine Gewichtszunahme im Zeitraum von 6–24 Monaten postoperativ (Sarwer et al. 2017). Mit dem Auszug aus dem Elternhaus steht Jugendlichen zudem nochmals eine einschneidende Veränderung ihrer Lebensbedingungen bevor. Ab jetzt müssen sie nicht nur die Verantwortung für ihre Ernährung (­ Einkaufen, Kochen etc.) übernehmen, sondern auch selbstständig ihre Gesundheitsvorsorge (z.  B. Arzttermine) organisieren. Die Unterstützung und Kontrolle durch die Eltern, die oftmals gerade solche Maßnahmen initiiert haben (Kelleher et al. 2017), nimmt zunehmend ab. In diese Phase fällt dann oftmals auch die Transition in der Versorgung von pädiatrischen zu Einrichtungen für Erwachsene. Dieser Übergang ist mit verminderter Therapieadhärenz bis hin zu vermehrten Therapieabbrüchen verbunden (Pai und ­Ostendorf 2011). Postoperative jährliche Kontrollen sind jedoch wesentlicher Bestandteil der Nachsorge. Santos et al. (2017) fanden lediglich drei Studien, die dieser Frage nachgegangen sind. Dabei erwies sich ein höheres Alter zum Zeitpunkt des Eingriffs als adhärenzförderlich, während höhere Depressionswerte, Kontrollverlust beim Essen, elterliche ­bariatrische Chirurgieerfahrung und ein hoher BMI des Jugendlichen als Risiken für eine geringe Adhärenz beschrieben wurden.

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Auch Cohen et al. (2017) beobachteten, dass gerade die stark belasteten Jugendlichen die OP-Vorbereitungskurse seltener abschlossen. Wie eingangs bereits erwähnt, muss man sich generell der Frage stellen, ob bestimmte Nebenwirkungen und Komplikationen erst im langfristigen Verlauf, gerade auch im Zusammenhang mit mangelnder Adhärenz, auftreten (Inge et al. 2016); hierzu gibt es bislang nur vereinzelte Daten. Jugendliche vernachlässigen allerdings eher die langfristigen Konsequenzen ihres Verhaltens und unterschätzen deren Risiken (Larsman et al. 2012), besonders bei sog. „heißen“ (emotional-relevanten) Aufgaben, wozu man sicherlich aufgrund der hohen emotionalen Bedeutung des damit verbundenen Gewichtsverlusts einen bariatrischen Eingriff zählen kann. Da im Jugendalter vermehrt mit Alkohol und anderen Rauschmitteln experimentiert wird (7 Abschn. 15.2), ist auf die Problematik erhöhten Alkoholkonsums und die besondere Relevanz eines gemäßigten Alkoholkonsums hinzuweisen (Christison und Gupta 2017). Die erlebte dramatische Gewichtsreduktion innerhalb der ersten 6–12  Monate könnte unrealistische Erwartungen an die weiteren Effekte wecken, die sich nicht, oder nicht so einfach wie erwartet, einstellen. Die erfolgten Gewichtsverluste sind Folge eines externen Eingriffs und werden daher nicht dem eigenen Verhalten zugeschrieben (externale Attribution). Für die weitere Stabilisierung rückt aber das eigene Ernährungs- und Bewegungsverhalten wieder in den Vordergrund. Auf diesen langfristigen Verlauf nach der „Flitterwochenphase“ sollten die Jugendlichen und deren Familien angemessen vorbereitet werden. 15.4  Besondere Rolle der Eltern

Trotz der Autonomiebemühungen während der Adoleszenz und der kontinuierlich abnehmenden Enge und Häufigkeit der täglichen Interaktionen spielen die Eltern in der Lebenswelt von Jugendlichen eine zentrale Rolle. Sie sind die wichtigste

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Sozialisationsinstanz für ihre heranwachsenden Kinder. Dabei steuern und beeinflussen sie das Verhalten ihrer Kinder auf vielfältige Art und Weise, indem sie z. B. spezifische Erziehungsstrategien anwenden, direktes Vorbild für ein erwünschtes oder gar unerwünschtes Verhalten sind oder aber auch die Rahmenbedingungen so gestalten, dass ein bestimmtes Verhalten gefördert wird (z. B. Lieblingsobst einkaufen, damit Obst gegessen wird) (Warschburger 2013). Eltern sind die Hauptansprechpartner in Fragen der Gesundheit – dies gilt sowohl für das medizinische Personal als auch für die Jugendlichen selbst. Die elterliche Sichtweise auf adipositaschirurgische Eingriffe ist in vielerlei Hinsicht wesentlich. Juristisch zählt die Zustimmung der Erziehungsberechtigten bei Jugendlichen unter 18 Jahren, d. h., die Eltern als Erziehungsberechtigte müssen die Tragweite der Entscheidung mit den Chancen und (unbekannten) Risiken abwägen und im besten Interesse für ihr Kind eine Entscheidung treffen. Da die Kinder über ihre Eltern versichert sind, sind alle formalen Schritte wie Kostenanträge vonseiten der Eltern zu leisten. Sie sind aber auch unmittelbar in die Vor- und Nachsorge einer bariatrischen Chirurgie involviert. Gemäß den aktuellen Leitlinien ist sicherzustellen, dass Eltern die Jugendlichen v. a. auch langfristig in der Nachsorge (7 Abschn. 15.3) ausreichend unterstützen. Damit rücken neben Fragen der Eltern-Kind-Interaktion auch die psychische Situation und Ressourcen der Eltern selbst in den Vordergrund (Beamish und Reinehr 2017; Sysko et al. 2013). Bei Adipositas handelt es sich insofern um eine besondere Erkrankung, als die Betroffenen und deren Familien oftmals für die Entstehung des Übergewichts verantwortlich gemacht und infolgedessen stark stigmatisiert werden (Puhl und Heuer 2009). Adipositas ist darüber hinaus aber auch eine familiäre Erkrankung. Damit sind die Eltern nicht nur in ihrer Rolle als Versorger, sondern auch als unmittelbar Betroffene involviert. So erfüllen z. B. auch Kinder, deren Eltern unter Adipositas leiden, als Erwachsene deutlich häufiger die Einschlusskriterien für eine

bariatrische Chirurgie als Kinder normalgewichtiger Eltern (Juonala et al. 2015), und bariatrische Maßnahmen sind den Eltern bereits aus eigener Erfahrung bekannt (­Zeller et  al. 2017a). Jugendliche mit Adipositas kommen im Vergleich zu ihren normalgewichtigen Gleichaltrigen öfter aus Familien, die multimorbid belastet sind, z. B. infolge finanzieller Schwierigkeiten oder psychischer Probleme der Eltern. Darüber hinaus sind unangemessene Erziehungsstrategien bis hin zu emotionalem und/oder sexuellem Missbrauch gehäuft in den Familien anzutreffen (Gundersen et al. 2011; Hemmingsson et al. 2014; Sleddens et al. 2011). So beschreiben Zeller et al. (2017a) bei rund einer von zwei bis drei Familien dysfunktionale Familienstrukturen, v. a. bezogen auf die Kommunikation und die emotionale Eingebundenheit; diese Werte erwiesen sich – im Gegensatz zu einer älteren Studie der Arbeitsgruppe – allerdings als deutlich geringer als in einer konventionell behandelten Vergleichsgruppe. Diese Ergebnisse könnten Folge des umfangreichen familiären Screenings im Vorfeld sein. Hervorzuheben ist weiterhin die Relevanz der familiären Situation für den postoperativen Gewichtsverlauf: Hier ergab sich eine Verbesserung des familiären Funktionsniveaus als Prädiktor für einen höheren postoperativen Gewichtsverlust. Auch in weiteren Studien erwiesen sich die Eltern als eine wichtige Quelle der Unterstützung (Mackey et al. 2017; Willcox et al. 2016; White et al. 2015). So gehen z. B. auch Programme, die explizit weitere Familienmitglieder in die Nachsorge mit einbeziehen, mit positiveren Effekten für den Gewichtsverlust und die Reduktion von Komorbiditäten einher (Vidot et al. 2014). Infolge der verlängerten Ausbildungszeiten leben viele Jugendliche länger im Elternhaus und sind damit länger von ihren Eltern abhängig. Dies betrifft nicht nur die finanzielle, sondern auch die instrumentelle (z. B. durch die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, die Bereitschaft, die Jugendlichen zum Sport zu fahren) sowie emotionale Unterstützung. Dies wirft die Frage auf,

15 · Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken

inwieweit in einer solchen Lebenssituation Jugendliche in der Lage sind, eine freiwillige und unabhängige Entscheidung zu treffen (Hofmann 2013). Die Vorstellungen von Eltern, medizinischem Personal und den betroffenen Jugendlichen, was im besten Interesse des Jugendlichen ist, können durchaus divergieren und den Boden für Loyalitätskonflikte bilden. Die Jugendlichen könnten sich von den Eltern unter Druck gesetzt fühlen, an Gewicht zu verlieren (Menzel et al. 2010) und sich verpflichtet fühlen, den elterlichen Erwartungen zu folgen, obwohl sie diese nicht teilen. Jugendliche, die sich einer bariatrischen Chirurgie unterzogen haben, kommen häufiger aus einem familiären Umfeld mit bariatrischer Chirurgieerfahrung (Zeller et al. 2017a). Neben der hohen Heritabilität von ausgeprägter Adipositas könnte dies darauf hindeuten, dass die elterlichen Erfahrungen und Einstellungen neben Alter und Gewicht des Kindes maßgeblich die Entscheidung mit beeinflussen. > Die elterliche, emotionale wie auch

instrumentelle, Unterstützung muss für die Jugendlichen im Rahmen einer solchen Maßnahme gewährleistet sein – und dies weit über das rechtlich notwendige Einverständnis zum chirurgischen Eingriff hinaus.

15.5  Effektivität von adipositas­

chirurgischen Eingriffen

Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl der Wirksamkeitsstudien, oftmals gekoppelt an nationale Register, deutlich gestiegen. Damit konnten auch größere Stichproben mit einbezogen werden, in einigen Studien wurden auch Vergleiche mit konventionellen Therapien gezogen (Benedix et al. 2017; Sarwer et al. 2017). Als primäres Outcome gilt der erzielte Gewichtsverlust, zusätzlich werden die Reduktion von medizinischen Komorbiditäten, aber auch das Auftreten von Komplikationen nahezu bei allen Studien betrachtet.

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15

Die Nacherhebungszeiträume schwanken sehr stark, viele Studien sind retrospektiv und relevante Daten (wie Dropout-Raten; Baseline-Raten für Auffälligkeiten; erhobene Parameter etc.) werden nicht systematisch berichtet. Bis auf eine Ausnahme (O’Brien et al. 2010) liegen keine RCT-Studien vor, und psychosoziale Outcomes werden in den Studien nicht standardmäßig betrachtet (Black et al. 2013; Paulus et al. 2015; Willcox und Brennan 2014). Die vorliegende Studienlage bezieht sich auf hochselektive Stichproben, die eine ausführliche Ein- und Ausschlussdiagnostik erfahren haben, und die Maßnahmen wurden in spezialisierten Zentren durchgeführt; dies schränkt insgesamt die Übertragbarkeit auf andere Gruppen und Settings ein. Übersichtsarbeiten ziehen in der Regel eine positive Bilanz zu den Risiken, zur Sicherheit und Wirksamkeit bariatrischer Maßnahmen im Jugendalter. Bezogen auf den Gewichtsverlust zeigen sich über die verschiedenen Operationsmethoden hinweg durchschnittliche Gewichtsverluste von 13  BMI-Punkten – auch längerfristig – und damit deutlich höhere Werte als bei konventionellen Verfahren (Black et al. 2013; Shoar et al. 2017), wobei der BMI der operierten Jugendlichen meist immer noch im Bereich der Adipositas liegt. Die erzielten Gewichtsverluste sind mit denen bei Erwachsenen vergleichbar (Lennerz et al. 2014), wobei es aber auch Hinweise darauf gibt, dass bei älteren Jugendlichen (19–21 Jahre) höhere Gewichtsverluste zu verzeichnen sind als bei Minderjährigen (Benedix et al. 2017). Der Gewichtsabfall ist innerhalb des ersten Jahres sehr deutlich ausgeprägt und wird danach zunehmend flacher; nach 5–6 Jahren wurde ein leichter Gewichtsanstieg beobachtet (Shoar et al. 2017). Bezogen auf die medizinischen Komorbiditäten werden sehr erfolgversprechende Ergebnisse berichtet, die auch – gerade bezogen auf die Entwicklung eines Typ-2-­ Diabetes – den Daten im Erwachsenalter überlegen zu sein scheinen (Benedix et al. 2017; Black et al. 2013; Durkin und Desai 2017). Allerdings sind auch die postoperativen Komplikationen nicht

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zu vernachlässigen, und diese liegen deutlich höher als bei konventioneller Therapie (O’ Brien et al. 2010), wenn auch vergleichbar mit den Raten im Erwachsenenalter (­Lennerz et al. 2014). Erwähnenswert ist, dass Inge et al. (2016) bei 57 % der Jugendlichen 3 Jahre nach OP einen Eisenmangel fanden und bei 13 % weitere OPs zur Behandlung von Komplikationen erfolgten. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass mit zunehmender Dauer der Nacherhebungszeiträume bestimmte Auswirkungen erst evident werden. Shoar et  al. (2017) berichten eine Todesrate von 0,3 %, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Zahl auch höher sein könnte, da hierzu nicht in allen Studien systematische Berichte vorliegen. Auch bezogen auf die psychosozialen Wirkungen ist die Studienlage mit hohen Verbesserungen in der Lebensqualität und mittleren Effekten für die Reduktion der Depressivität (Hillstrom und Graves 2015; White et al. 2015; Willcox und Brennan 2014) als erfolgversprechend zu werten. Zudem wurden für den Bereich des auffälligen Essverhaltens und des Körperbildes positive Veränderungen berichtet (Sarwer et al. 2017; Zeller et al. 2017a). Wenig ist über längerfristige Verläufe bekannt. Es wurde berichtet, dass die psychosozialen Verbesserungen nach 1–2  Jahren stagnieren (Järvholm et al. 2015; Olbers et al. 2012; Zeller et al. 2017a). Zeller et al. (2017a) beobachten den Verlauf bis zu 6 Jahre postoperativ bei 14 Jugendlichen. Bei 5 der 11 Jugendlichen, die präoperativ psychisch auffällig waren, war eine Remission der Probleme zu beobachten, bei den restlichen Jugendlichen persistierten die psychischen Auffälligkeiten. Ein Neuauftreten von psychischen Problemen wurde für die Gruppe nicht berichtet. Die Daten unterstreichen die Heterogenität und Individualität der Verläufe, die sich hinter den signifikanten Mittelwertunterschieden verbergen. Bislang ist noch wenig über psychosoziale Prädiktoren für den postoperativen Verlauf bekannt, die Anhaltspunkte für eine differenzielle Indikation liefern könnten (White et al. 2015).

Neben quantitativen Untersuchungen liegen auch Daten aus qualitativen Befragungen vor. Hier äußerten sich die Jugendlichen überwiegend positiv, während die Eltern die Situation etwas kritischer beurteilten. Die Jugendlichen beklagten allerdings eine stigmatisierende Einstellung in der Bevölkerung gegenüber chirurgischen Maßnahmen, was sie daran hindere, offen über ihren Eingriff zu sprechen. Weiterhin wurden die vermehrte Aufmerksamkeit durch das andere Geschlecht, aber auch das veränderte, plötzlich freundliche Verhalten, gerade von ehemals mobbenden Gleichaltrigen, als belastend erlebt (Willcox et al. 2016). In diese Richtung deuten auch die Befunde von Warholm et al. (2014) bei jungen Frauen. Die Frauen erlebten sich als „abgekoppelt“ von ihrem eigenen Körper. Sie hatten zudem das Gefühl, dass die erzielten körperlichen Veränderungen schnell zur neuen Norm wurden und sie im Nachhinein damit zu kämpfen hatten, nicht in alte Gewohnheiten und negative Erwartungen zurückzufallen. Diese „Normverschiebung“ könnte auch erklären, warum nach 1–2 Jahren keine weitere Verbesserung der psychosozialen Befindlichkeit berichtet wurde. Nur langfristig angelegte, prospektive Studien, die ein breites Spektrum an psychosozialen Aspekten berücksichtigen, können hier verlässliche Aussagen treffen. Dabei sollte beachtet werden, dass psychische Belastungen nicht immer sekundär zur Adipositas auftreten, sondern dieser auch vorangehen können (Mühlig et al. 2016), und sich damit nicht alleine durch eine Gewichtsreduktion verbessern lassen. Wurden zudem die jahrelangen Stigmatisierungen und Diskriminierungen von den Betroffenen internalisiert, kann dies wiederum zu einer Verstärkung und Chronifizierung der psychischen Belastung beitragen. Die bariatrische Chirurgie ist kein Allheilmittel, das jedwede Belastung kuriert. Die Nachsorge sollte sich gerade auch der psychosozialen Aspekte annehmen.

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15 · Adoleszenz – Abwägung von Chancen und Risiken

15.6  Empfehlungen für

Adipositaschirurgie

Mittlerweile liegen national wie auch international Empfehlungen bzw. Leitlinien vor, die auf die spezielle Situation von Jugendlichen fokussieren (AGA 2018; Beamish und Reinehr 2017; Durkin und Desai 2017). Dabei wird übereinstimmend herausgestellt, dass die Indikationsstellung aufgrund der bislang noch ungeklärten Langzeitfolgen sowie der entwicklungspsychologischen Besonderheiten im Jugendalter besonders schwierig ist und als wohlbegründete Einzelfallentscheidung zu treffen sei. Betont wird neben dem experimentellen Charakter der Intervention, dass es sich hierbei nicht um eine kausale Therapie der Adipositas handelt. Hauptindikationskriterien für Adipositaschirurgie bei Jugendlichen 5 BMI oberhalb von 35 (bei bedeutsamen komorbiden Störungen) bzw. oberhalb von 40 (auch ohne Komorbiditäten) 5 Abgeschlossene körperliche Reifung 5 Ausgeschöpfte konservative Maßnahmen 5 Ausschluss einer Suchtproblematik 5 Fehlen schwerwiegender psychischer Störungen: Hier werden v. a. psychotische Störungen genannt, während depressive oder Essstörungen, die häufig komorbid zu sehen sind, keine absolute Kontraindikation darstellen 5 „Nachgewiesene“ Adhärenz, um die postoperativen Ernährungsanforderungen umzusetzen 5 Ausreichende kognitive Fähigkeiten, um die Risiken des Eingriffs und die unsicheren Langzeitfolgen zu verstehen (Jugendlicher und Eltern) 5 Familiäre Unterstützung

15

Dabei sollte eine umfassende, multidisziplinäre Versorgung der betroffenen Familien sichergestellt werden (Elahmedi und ­Alquatani 2017). 15.7  Fazit

Das Jugendalter ist mit zahlreichen entwicklungsbedingten Veränderungen verbunden und gilt als sensible Phase für die Manifestation von Entwicklungsrisiken. Ein Eingriff im Jugendalter bietet einerseits die Chance, frühzeitig die Entwicklung von weiteren Komorbiditäten zu verhindern und damit auch die adipositasbedingte Mortalität zu reduzieren. Im besten Fall können die Jugendlichen in ein Leben als „übergewichtige, gesunde“ Erwachsene starten und lange von den erwünschten positiven Effekten eines Eingriffs profitieren. Auf der anderen Seite sind die Langzeiteffekte noch nicht hinreichend bekannt, und mit der längeren postoperativen Dauer könnten sich Komplikationen und Nebenwirkungen in Kombination mit einer geringen Adhärenz potenzieren. > Die Entscheidung für – oder auch

gegen – eine Adipositaschirurgie kann im Jugendalter nur im Einzelfall nach ausführlicher Konsultation des Adoleszenten und seinen Eltern/ Erziehungsberechtigten erfolgen.

Neben der individuellen psychosozialen Belastung des Betroffenen muss auch das weitere soziale Umfeld, hier v. a. das familiäre Umfeld, berücksichtigt werden. Jugendliche benötigen die Unterstützung ihrer Eltern wie auch der psychologischen und medizinischen Fachkräfte, um die weitreichenden Konsequenzen dieser Entscheidung bewusst und angemessen in Betracht zu ziehen, aber auch um die notwendigen Veränderungen ihres Ernährungs- und Bewegungsverhaltens zu realisieren und aufrechtzuerhalten. Eine multidisziplinäre Versorgung seitens eines erfahrenen Teams ist zu gewährleisten. Gut kontrollierte, prospektive Studien zum langfristigen Verlauf sind erforderlich, um allen

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an diesem Prozess Beteiligten eine rationale Entscheidungsgrundlage zu bieten. Trotz der beeindruckenden gewichtsbezogenen Effekte ist auch die bariatrische Chirurgie keine „Fee mit dem Zauberstab“, die alle (vermeintlich) gewichtsbedingten Probleme „wegzaubert“, sondern die Jugendlichen und deren Familien müssen aktiv zu deren Erfolg beitragen.

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213

Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion durch plastische Chirurgie Adrian Dragu 16.1 Einleitung – 214 16.2 Indikationsstellung – 214 16.3 Operative Therapie – 216 16.3.1 Abdomen/Rücken/Gesäß – 216 16.3.2 Oberschenkel – 217 16.3.3 Ventrale Thoraxwand und Brust – 217 16.3.4 Oberarme – 218

16.4 Nachsorge – 218 16.5 Zusammenfassung – 218 Literatur – 219

Teile der Publikation, insbesondere die Abbildungen, wurden bereits in Caduceus News 2015 (S. 20–25) durch die Firma COVIDIEN veröffentlicht.

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_16

16

214

A. Dragu

16.1  Einleitung

In der aktuellen S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen wie auch bereits in der Vorversion wird eindeutig festgelegt und empfohlen, dass die Körperformung nach massiver Gewichtsreduktion ein wichtiges Teilgebiet innerhalb der interdisziplinären Behandlung von Patienten mit Adipositas ist (AWMF 2018; Runkel et al. 2011; Dragu et al. 2011). Konkret heißt es in der Leitlinie mit einem starken Expertenkonsens:

» Jeder Patient nach adipositaschirurgischer oder metabolischer Operation, der nachhaltig an Gewicht verloren hat, soll die Möglichkeit bekommen, sich bei einem Facharzt für Plastische Chirurgie mit der entsprechend vorhandenen Expertise auf dem Gebiet der Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion vorzustellen.

Weiter heißt es unter Berücksichtigung eines starken Expertenkonsens:

» Bei Patientenwunsch und entsprechender medizinischer Indikation soll eine Straffungsoperation angeboten und durchgeführt werden. Sind mehrere Körperregionen betroffen, soll mehrzeitig operiert werden.

16.2  Indikationsstellung

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Nicht jeder Patient, der Gewicht abgenommen hat, benötigt eine plastisch-chirurgische Straffungsoperation. Jedoch sind viele Patienten durchaus so eingeschränkt nach der massiven Gewichtsreduktion, dass an gewissen Stellen, insbesondere im Bereich des Abdomens und der Oberschenkel und ggf. sogar im Bereich der Oberarme und der Brust, körperstraffende Operationen notwendig sind (Dragu und Horch 2014; Abela et al. 2009). Eine individuelle Beratung und Indikationsstellung durch einen Facharzt für Plastische Chirurgie ist hier unerlässlich, um

rein ästhetische Indikationen von medizinischen Indikationen zu differenzieren (Dragu et al. 2013). Weiterhin kommen nur Patienten für eine Rekonstruktion der Körperform in Betracht, die bereits abgenommen haben und ihr Zielgewicht mindestens 6 Monate konstant halten konnten. Auch eine mögliche Dysmorphophobie oder prinzipiell unrealistische ästhetische Erwartungen müssen präoperativ ausgeschlossen werden. Nur in Sondersituationen, z.  B. bei morbider Adipositas, bei denen eine maximale funktionelle Einschränkung z. B. durch eine immobilisierende Fettschürze besteht, kann eine Operation ohne vorherigen Gewichtsverlust medizinisch sinnvoll sein, um so mindestens die Grundvoraussetzung für eine minimale Beweglichkeit zu erreichen. Nach massiven Gewichtsreduktionen durch diätetische Maßnahmen oder durch chirurgische Maßnahmen im Sinne einer Adipositaschirurgie, die spezialisierten Zentren unbedingt vorbehalten bleiben müssen, erfolgt die weitere Anbindung an das entsprechende Adipositaszentrum. Innerhalb dieser interdisziplinären Adipositaszentren können dann die hochspezialisierten Fachgebiete nach entsprechendem individualisiertem Therapieplan agieren. Nach massiver Gewichtsreduktion, die sich etwa 1,5–2 Jahre nach einer adipositaschirurgischen Maßnahme mit dem entsprechenden Zielgewicht in der Regel stabilisiert, wie auch nach konservativen Gewichtsreduktionen im Rahmen von ambulanten Ernährungstherapien, treten häufig massive funktionell einschränkende Gewebeüberschüsse im gesamten Bereich des Körpers auf (. Abb. 16.1). Hier sind insbesondere Hautgewebsüberschüsse an Bauch, Rücken, Gesäß, Oberschenkeln, Oberarmen und Brüsten immer wieder feststellbar. Durch diese Hautgewebsüberschüsse, die sich durch sportliche Aktivität nicht mehr zurückbilden lassen, entwickeln sich häufig dermatologische Erkrankungen, wie Intertrigo oder Pilzbefall oder sonstige Hauterosionen mit chronischen Infektionen. Wenn diese Hauterkrankungen nicht durch konservative Maßnahmen behandelbar sind, besteht

16 · Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion …

. Abb. 16.1  43-jährige Patientin mit einem postbariatrischen BMI von 34,4 nach Magenverkleinerung. Befund nach stabiler und nachhaltiger Gewichtsreduktion von 55 kg. (© Adrian Dragu)

eine medizinische Notwendigkeit für eine entsprechende rekonstruktive Körperstraffung zur dauerhaften Lösung des funktionell einschränkenden Problems. Doch nicht nur Hautreizungen, Intertrigo oder Pilzinfektionen sowie offene Wunden durch Reibung stellen medizinische Indikationen für die Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion dar, sondern insbesondere auch rein funktionelle Einschränkungen, die in speziellen Berufen aufgrund der einschränkenden Fettschürzen und Hautüberschüsse zu einem Sicherheitsrisiko im Berufsalltag werden können. Hierzu zählen insbesondere Berufe wie Busfahrer, Landwirte oder Berufe, die auf Gerüsten oder in sonstiger größerer Höhe ausgeübt werden. In speziellen Fällen ist die medizinische Indikation zur Straffung auch dann gegeben, wenn nur dadurch körperliche Voraussetzungen geschaffen werden können, um das Körpergewicht stabil und konstant zu

215

16

halten. In diesen Fällen kann nur eine Körperstraffung eine Nachhaltigkeit bei körperlicher Aktivität wie Sport erreichen. Die medizinische Indikation für eine Rekonstruktion der Körperform ist zu keinem Zeitpunkt mit einem Eingriff nach ästhetischen Gesichtspunkten im Sinne einer Schönheitsoperation gleichzusetzen. Sowohl die Komplikationsraten als auch das Risikospektrum sind in keiner Weise miteinander vergleichbar, und auch die Resektionsgewichte und die Größe der Wundflächen haben ebenfalls nichts mit schönheitschirurgischen Operationen gemeinsam. Daher wird dringend empfohlen, solche Operationen nur in ausgewiesenen Zentren, am besten im Rahmen von interdisziplinären Adipositaszentren durchzuführen, die insbesondere auch vor Ort eine gute intensivmedizinische Versorgung vorhalten und eine adäquate Nachbehandlung durchführen können. Diese Nachbehandlung muss zu jeder Zeit 24 Stunden täglich über das gesamte Jahr im Sinne eines Dienstsystems und einer existierenden Notfallversorgung Voraussetzung sein. Auch die plastisch-rekonstruktive Expertise kann nur durch eine hohe jährliche operative Fallzahl abschließend belegt werden. Dies beinhaltet automatisch auch die Fähigkeit, im Notfall Komplikationen selbst behandeln und dauerhaft im Sinne des Patienten lösen zu können. Die Patienten müssen präoperativ eingehend und intensiv aufgeklärt werden. Es handelt sich hierbei um Hochrisikooperationen, bei denen zwar eine verbesserte Körperform mit deutlich weniger oder gar keinen funktionellen Einschränkungen postoperativ einhergeht, bei denen aber das Risiko für Nachblutungen, Wundheilungsstörungen, Nabelverlust oder Serombildungen und häufig deutlich sichtbare Narben besteht (. Abb. 16.2). Weiterhin sollte im Vorfeld immer eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung durch die Krankenkasse erfolgen, im Sinne der Bestätigung der medizinischen Notwendigkeit und der Präsentation eines individualisierten und professionellen Therapieplanes. Hierbei ist besonders ­wichtig,

216

A. Dragu

16.3  Operative Therapie 16.3.1  Abdomen/Rücken/Gesäß

. Abb. 16.2  Intraoperativer Befund der großen Wundfläche nach Resektion von 6.100 g bei inverser-T-Abdominoplastik und Darstellung von H Trokarhernienbruchsack und N gestieltem Nabel. Hernienverschluss durch Netzimplantation und einzeitige Nabelresektion bei Minderperfusion. (© Adrian Dragu)

dass eine Multi-Stage-Therapieplanung erfolgt und nicht mehrere Körperregionen gleichzeitig operiert werden, da dies die Komplikationsraten und die Wundflächen sowie die Operationszeiten deutlich erhöht. Dieses Vorgehen wird auch in der aktuellen S3-Leitlinie wie oben beschrieben dringend empfohlen.

Es gibt viele Operationstechniken zur Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion, wobei hier insbesondere die inverse T-Abdominoplastik mit Nabeltransposition für die abdominelle Region in den meisten Fällen indiziert ist (. Abb. 16.3, . Abb. 16.4). In allen Fällen sollte darauf geachtet werden, ob Trokarhernien oder sonstige Herniationen bestehen, die im Vorfeld unbedingt mit den viszeralchirurgischen Kollegen interdisziplinär evaluiert werden müssen und die ggf. zeitgleich oder sequenziell durch Netzimplantationen mitbehandelt werden sollten. In vielen Fällen ist ein zirkuläres Bodylifting notwendig, da ein massiver Hautüberschuss auch im Bereich der Flanken und im Bereich des Rückens sowie des Gesäßes bestehen kann. Da diese Operationen häufig deutlich über 4 Stunden dauern und eine intraoperative Umlagerung notwendig ist, empfiehlt sich auch hier je nach Befund ein zweizeitiges Vorgehen, um zunächst dorsalseitig und einige Monate nach Abheilung

16

. Abb. 16.3  a,b Präoperativer Befund. a ventral, b seitlich. (© Adrian Dragu)

16 · Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion …

217

16

. Abb. 16.4  a,b Postoperativer Befund nach 6 Wochen. a ventral, b seitlich. (© Adrian Dragu)

ventralseitig die Straffungsoperation durchzuführen. 16.3.2  Oberschenkel

Im Bereich der Oberschenkel ist häufig eine vertikale Oberschenkelstraffung auf der Innenseite indiziert. Bei massiver Ausprägung und Hautüberschuss ist ggf. auch eine L-Resektion oder eine T-Resektion indiziert. Hier treten relativ häufig Serombildungen oder Wundheilungsstörungen im L- oder T-Nahtgebiet auf. Dies muss präoperativ mit dem Patienten ausführlich besprochen werden. Die Resektionstechniken im Rahmen von Oberschenkelstraffungen werden häufig auch sehr erfolgreich mit Liposuktionstechniken kombiniert. 16.3.3  Ventrale Thoraxwand und

Brust

Bei den Frauen besteht insbesondere ab einer Auflagefläche der Brust von über 100 cm2 pro Seite auf der ventralen Thoraxwand eine funktionelle Einschränkung, die eine medizinische Indikation für eine Straffungsoperation im Bereich der Brüste darstellt. Hier

entwickelt sich häufig eine massive Intertrigo und eine Reibungsfläche, die konservativ fast nie beherrschbar ist. Es gibt eine Vielzahl von operativen Therapieansätzen je nach Befund und Einzelfall. In den meisten Fällen sind jedoch Autoaugmentationen ohne notwendige Fremdkörperanwendung durch Silikonimplantat möglich. Diese Technik nutzt eine zentrokaudale Stielung der Mamillen und verwendet Gewebe aus den lateralen und ventralen Pfeilern zur Autoaugmentation der Brust, die dadurch auf der ventralen Throxwand neu geformt und individuell angepasst wird. In anderen Fällen ist eine klassische Mammareduktionsplastik mit kraniomedialer Brustwarzenstielung indiziert. Weiterhin besteht bei Männern häufig die Indikation für ein ventrales oberes Bodylifting mit zentral gestielten perforatorbasierten Mamillen sowie Neupositionierung der Mamillen und einer En-block-Resek­ tion der Pseudogynäkomastie oder der echten Gynäkomastie. Hier ist selbstverständlich wie bei den weiblichen Patienten eine präoperative Diagnostik mit Ultraschall oder Mammografie und ggf. auch urologischer oder endokrinologischer Abklärung notwendig, um ein Mammakarzinom auszuschließen. Selbstverständlich werden die

218

A. Dragu

Resektate intraoperativ auch zur logischen Begutachtung eingeschickt.

histo-

16.3.4  Oberarme

Im Bereich der Oberarme besteht häufig die Indikation für eine elliptische Exzision des Hautüberschusses an der Oberarminnenseite, wobei bei ausgeprägten Befunden auch ein Übergang über die Axilla bis auf die obere laterale Thoraxwand erfolgen kann. In diesen Fällen muss insbesondere darauf geachtet werden, dass eine große Z-Plastik im Bereich der Axilla seitengleich platziert wird, damit ein postoperativer Narbenzug vermieden wird, der die Elevation des Armes einschränkt. 16.4  Nachsorge

16

Die Nachsorge muss bei diesen Patienten standardisiert erfolgen und stellt ein Qualitätsmerkmal für die jeweilige Therapieeinrichtung dar. Die einliegenden Drainagen sollten mindestens 3 Tage belassen werden, und auch eine postoperative Antibiotikatherapie als Prophylaxe ist aufgrund der großen Wundflächen zum Schutz des Patienten empfehlenswert. Klebeformungsverbände haben sich ebenfalls als vorteilhaft herausgestellt, insbesondere für die ersten 3 postoperativen Tage. Diese bieten den Patienten in der direkten postoperativen Phase eine Wundstabilisierung und Mobilisationssicherheit. Noch während des stationären Aufenthaltes sollten Kompressionshosen, Bauchbinden oder Westen und/oder Ärmel in 2-facher Ausfertigung durch ein Sanitätshaus angemessen und schließlich vom Patienten für 10 Wochen getragen werden. Bei einer Förderleistung von weniger als 50 ml/24 h können die Drainagen entfernt werden. Häufig wird mit resorbierbaren Fäden genäht, sodass hier nach 14 Tagen die Fadenknoten einfach im

Rahmen der Nachsorge abgeschnitten werden können. Die meisten Nachblutungen treten innerhalb der ersten 24 Stunden nach erfolgter Operation auf, sodass hier insbesondere in der ersten postoperativen Nacht sowohl das Pflegepersonal als auch die Dienstmannschaft regelmäßig die Drainagenförderleistungen beobachten sollte. Auch eine postoperative Thromboseprophylaxe ist unbedingt erforderlich, um hier das erhöhte Risiko von Thrombosen und Embolien zu minimieren. Eine absolute Bettruhe empfehlen wir lediglich für die ersten 24 Stunden, wobei anschließend eine eingeschränkte Bettruhe erfolgen sollte, wobei Mobilisation immer nur mit Hilfe des Pflegepersonales erfolgen sollte. Selbstverständlich sind in den Nachsorgeterminen regelhaft Bilddokumentationen durchzuführen, um hier den entsprechenden Verlauf auch dokumentieren zu können. Kontrolltermine nach 1, 3 und 6 Monaten sowie nach 12 Monaten haben sich bewährt. 16.5  Zusammenfassung

Die operative Rekonstruktion der Körperform nach massiver Gewichtsreduktion ist nicht vergleichbar mit ästhetischen Eingriffen im Sinne von Schönheitsoperationen. Es handelt sich nicht um gesunde Patienten, die ästhetische Verbesserungen wünschen, sondern um Hochrisikopatienten und multimorbide Patienten, die massive funktionelle Einschränkungen haben und bei denen daher medizinische Indikationen bestehen, Straffungsoperationen durchzuführen. Aufgrund der Einstufung als Hochrisikooperation empfiehlt es sich, dass solche Operationen nur in einem interdisziplinären Adipositaszentrum mit erfahrenen Operateuren durchgeführt werden. Eine enge Kooperation mit den entsprechenden Krankenkassen ist ebenfalls erforderlich, um hier eine Vertrauensbasis für die fachliche Expertise zu schaffen und die medizinischen Indikationen

16 · Rekonstruktion der Körperform nach Gewichtsreduktion …

auch gemeinsam bewerten zu können. Ein solches Vorgehen ist nach massiver Gewichtsreduktion durch Adipositaschirurgie oder diätetischen Gewichtsverlusten unbedingt erforderlich, da nur so die Patienten wieder abschließend vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft werden können. Nur auf diese Weise können Krankheitstage oder/ und Arbeitsunfähigkeiten minimiert oder komplett beendet werden, und nur auf diese Weise können diese Patienten auch wieder eine soziale Integration mit positivem Lebensgefühl erfahren. Studien belegen, dass eine Rekonstruktion der Körperform nach massiver Gewichtsreduktion nach erfolgreicher adipositaschirurgischer oder metabolischer Operation eine deutliche Outcome-Verbesserung mit nachhaltiger Gewichtskonstanz bei diesen Patienten bewirken kann (Dragu und Horch 2014; Balague et al. 2013; Modarressi et al. 2013). So konnte auch in den Studien von Balague et al. (2013) und von Modarressi el al. (2013) gezeigt werden, dass die plastische Chirurgie eine extrem wichtige Rolle bei der interdisziplinären Behandlung von Patienten nach massiver Gewichtsreduktion darstellt. Es wurde nachgewiesen, dass trotz der häufig langen und sichtbaren Narben sowohl die Lebensqualität als auch die Gewichtskonstanz positiv und v. a. nachhaltig beeinflusst werden. Das Fachgebiet der plastischen Chirurgie ist somit ein wichtiger interdisziplinärer Baustein in der Behandlung der Adipositas. Hierzu ist ein evidenzbasierter Behandlungsalgorithmus,

219

16

wie in diesem Kapitel beschrieben, notwendig (Dragu und Horch 2014).

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221

Prä- und postoperative Interventionen Martin Teufel, Per Teigelack und Beate Wild

17.1 Adhärenz nach Adipositaschirurgie – 222 17.2 Formen psychoedukativer Interventionen – 222 17.3 Kognitiv-behavioral orientierte Gruppeninterventionen – 223 17.4 BaSE (Bariatric Surgery and Education) Studie – 225 17.5 Selbsthilfegruppen – 227 17.6 Schlussfolgerung – 227 Literatur – 228

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_17

17

222

M. Teufel et al.

17.1  Adhärenz nach

Adipositaschirurgie

17

Der Erfolg der chirurgischen Intervention ist von der Adhärenz der Patienten abhängig. Nach der Operation ist von den Betroffenen gefordert, sich an die neuen Lebensumstände anzupassen. Neben der Veränderung des Essverhaltens stellen auch andere Umstellungen im psychosozialen Bereich Herausforderungen dar. Besonders zu nennen sind die Etablierung eines aktiven Lebensstils sowie der Umgang mit der Veränderung des Körperbilds/Körpers. Patienten sollten die chirurgischen Verlaufsuntersuchungen regelmäßig wahrnehmen, damit somatische Komplikationen rechtzeitig entdeckt und behandelt werden können. Bei der Ernährung müssen die Patienten je nach durchgeführtem Operationsverfahren und individuellen Faktoren unterschiedliche Verhaltensregeln einhalten: Die Speicherfunktion des Magens ist stark eingeschränkt, und die Temperaturanpassung der Speisen entfällt. Zusätzlich besteht ein verändertes Hunger- und Sättigungsgefühl. Eine bewusstere und strukturierte Nahrungsaufnahme seitens des Patienten ist notwendig, da auch kleine Nahrungsmengen schnell zu unerwünschten Wirkungen führen können (z.  B. Übelkeit, Erbrechen, Dumping). In der Nachsorge muss auf eine ausreichende Eiweiß-, Nährstoff- und Vitaminzufuhr geachtet werden und ggf. eine Substitution erfolgen (7 Kap. 4). Langfristige Veränderungen im Ernährungsverhalten, im Lebensstil und Problembewältigungsverhalten (mit ­ weniger Abhängigkeit von Essen) sind essenzielle Voraussetzungen für einen dauerhaften Erfolg der chirurgisch-bariatrischen Intervention. Durch eine begleitende (psycho-)edukative Intervention sowie das Erlernen von Selbstmonitoring-Strategien können die Patienten bei dieser tiefgreifenden Umstellung unterstützt werden. Aus diesem Grund wird für die Patienten eine adäquate Nachsorge nach operativem Eingriff gefordert.

Zurzeit erfolgt die Nachsorge nach chirurgischer Adipositasbehandlung in den meisten Fällen wenig strukturiert, da diese oft nicht in manualisierter Form betrieben wird. Vor allem aber finden psychosoziale Problembereiche wie geringer Selbstwert, soziale Isolation, berufliche Schwierigkeiten und Beziehungsstörungen sowie veränderte Strategien zur Regulation von Affekten kaum Berücksichtigung (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). 17.2  Formen psychoedukativer

Interventionen

Trotz der Bedeutung für den langfristigen Erfolg einer bariatrischen Operation ist die aktuelle Datenlage begrenzt, und es gibt wenige Studien, die sich mit psychoedukativer Nachsorge nach einer bariatrischen Operation beschäftigen. Ein Großteil der vorhandenen Studien beschreibt die durchgeführten psychoedukativen Maßnahmen oder stellt wichtige Punkte für eine effektive Nachsorge zusammen (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). Selbst bei Studien, die die Auswirkungen ihres Programms auf verschiedene Zielgrößen untersuchten (Lebensqualität, Gewicht etc.), erfolgte die Patientenzuweisung zur Interventions- und Kontrollgruppe meist nicht kontrolliert randomisiert, teilweise gab es keine Kontrollgruppe (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). Die Teilnahme an der psychoedukativen Intervention nach chirurgisch-bariatrischer Maßnahme war in den meisten Fällen freiwillig. Es zeigte sich bei den meisten Studien eine Verbesserung der Zielgrößen, insbesondere wurde BingeEating-­Verhalten gebessert. Weniger klar sind die Ergebnisse zur Gewichtsabnahme (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). Die verschiedenen Interventionsstudien, wie sie in aktuellen Reviews zusammengefasst sind, unterschieden sich in zahlreichen Merkmalen (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). Insbesondere sind Studien postoperativ durchgeführt worden. Die wenigen präoperativen

17 · Prä- und postoperative Interventionen

Interventionsstudien sind häufig nicht kontrolliert durchgeführt worden, sodass Aussagen zu deren Evidenz eingeschränkt sind. Je nach Studie fanden 6 bis 36 Sitzungen statt, im Mittel waren es etwa 15 Sitzungen. Die Interventionen fanden hauptsächlich postoperativ statt. Sitzungen fanden entweder in wöchentlichem, zweiwöchentlichem oder monatlichem Rhythmus statt. Es gab Kurzzeitinterventionen mit einer Dauer von 6–12 Wochen, aber auch langfristige Interventionen, die sich über 12–36 Monate erstreckten. Die Breite der behandelten Thematik unterschied sich in den bisherigen Studien: Alle Interventionen beschäftigten sich mit der postoperativen Ernährungsumstellung, und die meisten der Studien legten einen weiteren Fokus auf psychosoziale Themen wie etwa Veränderung des Körperbilds, Erhöhung der Compliance, Entwicklung neuer Coping­ strategien und Bearbeitung von emotionalen Komponenten des Essverhaltens. Eine direkte Einbeziehung des sozialen Umfeldes fand nicht statt, allerdings wurden die Veränderungen der sozialen Beziehungen und die Auswirkungen der Adipositas auf eben diese Beziehungen in den Sitzungen besprochen. Neben der psychotherapeutischen Einzeltherapie, die bei psychischer Komorbidität indiziert ist, finden Patienten v. a. in gruppenbasierten Interventionen, die für ein breiteres Patientenkollektiv zugänglich sind, psychosoziale Unterstützung. Internetunterstützte Nachsorgeprogramme mit interaktiven Chatprogrammen, Videokonferenzen mit Expertenteams und eigener Homepage können dabei hilfreich sein. In bisherigen Studien lassen sich zwei großen Subtypen unterscheiden, die im Folgenden dargestellt und diskutiert werden sollen: 5 kognitiv-behavioral ausgerichtete Gruppentherapien, 5 geführte Selbsthilfegruppen. Nach dem aktuellen Forschungsstand könnten sowohl Selbsthilfegruppen als auch Gruppentherapien nach Adipositaschirurgie einen positiven Effekt auf die Gewichtsabnahme

223

17

und die Lebensqualität der Patienten haben. Allerdings sind diese Hinweise durch das Fehlen von größeren, vergleichbaren RCT-Studien nicht gesichert. Dabei könnten Gruppentherapien v. a. für Patienten mit einem präoperativen pathologischen Essverhalten zum Einsatz zu kommen. Welcher Subtyp aber für welches Patientenkollektiv geeignet ist, bleibt mit dem bisherigen Forschungsstand schwer zu beantworten. Details sind dargestellt bei Stewart und ­Avenell (2016) und Rieber et al. (2010). 17.3  Kognitiv-behavioral

orientierte Gruppeninterventionen

Die Ergebnisse der in umschriebener Zahl vorliegenden Studien weisen darauf hin, dass Gruppentherapien einen positiven Einfluss auf den Gewichtsverlauf und das psychische Wohlergehen der Patienten haben. Bei den in diesen Studien untersuchten Interventionen handelt es sich um kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientierte Kurzzeittherapien. Gruppentherapien bieten gerade für Patienten, die präoperativ eine Essproblematik oder psychosoziale Probleme aufweisen, eine weitreichendere Unterstützung als Selbsthilfegruppen an. Der Zugang zu einer Gruppentherapie wird oft niederschwelliger/ einfacher empfunden als bei einer Einzelpsychotherapie. Die therapeutische Arbeit ist wichtig, denn bleibt eine Essstörung auch nach der bariatrischen Operation bestehen, ist sie ein Prädiktor für einen schlechteren Verlauf (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016; Teufel et al. 2011). Kognitiv-behaviorale Gruppentherapien dienen dem Austausch der Betroffenen. Das Vorgehen ist strukturiert, und die Vermittlung von Strategien für ein verändertes Essverhalten sowie Stressmanagement spielen eine zentrale Rolle. Sie sollen als Intervention eine Art Hilfestellung beim Umgang mit den physischen und emotionalen Veränderungen nach der Operation geben (. Tab. 17.1).

224

M. Teufel et al.

. Tab. 17.1  Relevante Techniken der Nachsorgebehandlung nach bariatrischer Chirurgie Technik

Beispiel

Stimuluskontrolle

Mechanismen und Schlüsselreize erkennen

Kognitive Intervention

Identifikation negativer und automatischer Gedanken Umstrukturierung

Selbstbeobachtung

Emotionales Essverhalten Bewegung Körper(-wahrnehmung)

Motivation

Techniken zur Motivationssteigerung (z. B. Vor- und Nachteile)

Stressmanagement

Stresswahrnehmung

Selbstwert

Selbstwertsteigerung Durchsetzungsfähigkeit Prinzipien Selbstfürsorge und -akzeptanz

Bedingungsmodell

Automatismen Verhaltenskette Schlüsselreize

(Psycho-)edukation

Ernährungsberatung Anatomische Veränderungen Theoretische Grundlagen von Bewegung Rückfallprophylaxe Transfer in den Alltag

17

Verstärkerstrategien

Identifikation positiver und negativer Konsequenzen von Essen

Soziales Kompetenztraining

Umgang mit sozialen Konflikten

Die Gruppentherapie basiert auf einem Manual, das auf die spezifischen Bedürfnisse von Menschen im Kontext einer bariatrischen Operation eingeht. Wichtig sind dabei die Veränderung von pathologischem Essverhalten, aber auch das Erkennen dysfunktionaler Denkmuster, das Erlernen neuer Problemlösefähigkeiten sowie der Umgang mit emotionalen Veränderungen nach der Operation. Am Ende der Gruppentherapie steht eine ausführliche Rückfallprävention, in deren Rahmen Risikosituationen für das Zurückfallen in alte Muster identifiziert werden. Gemeinsam mit den Patienten wird ein Notfallplan für den Fall eines Rückfalls in alte Ess- und Verhaltensmuster erarbeitet

(Saunders 2004, 2012). Kalarchian und Marcus (2003) unterscheiden dabei drei zeitliche Ansatzpunkte, die sich auf verschiedene Themengebiete konzentrieren: 5 präoperative Phase 5 postoperative Phase 5 Phase der Gewichtsstabilisierung In der präoperativen Phase liegt der Schwerpunkt auf der Aufarbeitung des eigenen Übergewichts und dessen Entwicklung sowie auf der Verstärkung von Motivation und Adhärenz. Dysfunktionale Funktionen von Nahrungsaufnahme („emotional eating“, Essen bei Einsamkeit oder L ­angeweile, Stresskompen­ sation etc.) sowie Persönlichkeitsmerkmale

Relevante Themen der Nachsorgebehandlung nach bariatrischer Chirurgie

Essverhalten

17

225

17 · Prä- und postoperative Interventionen

Gewohnheiten

Schlüsselreize

Nahrung/ Ernährung

Kognitive und emotionale Faktoren

Stimmung

Regulation

Bewältigungsstrategien

Zusammenhang zur Essensaufnahme

Psychoedukation

Risikofaktoren

Ernährungsberatung

Rückfallprophylaxe

Transport in den Alltag

Stress Psychosoziale Themen

Management

Wahrnehmung

Durchsetzungsfähigkeit

Beziehung

Entspannung Konflikte

Selbstwert

Selbstakzeptanz

Selbstfürsorge

Anpassung an neuen Lebensstil

Förderung

Erhaltung

Körperliche Aktivität

Körperwahrnehmung

Beruf

Arbeitsfähigkeit

. Abb. 17.1  Relevante Themen der psychosomatischen Nachsorge nach bariatrischer Chirurgie

wie Impulsivität müssen reflektiert werden, um Strategien für die Zeit nach der Operation entwickeln zu können (Teufel und Zipfel 2013; Giel et al. 2017). In der postoperativen Phase werden insbesondere in den ersten 6–12 Monaten durch den rapiden Gewichtsverlust körperliche und psychische Anpassungen notwendig. In Programmen soll die Adhärenz der Patienten verbessert und ein an die neuen anatomischen Bedingungen angepasstes Essverhalten gefördert werden. Die Therapie basiert dabei über weite Teile auf den Prinzipien des Selbstmonitorings, wodurch stagnierendes Gewicht und problematisches Essverhalten vermieden werden sollen. Im zweiten postoperativen Jahr beginnt die Phase der Gewichtsstabilisierung. Im Vordergrund der Behandlung stehen dabei die Aufrechterhaltung des bisher erzielten Gewichtsverlustes, die Entwicklung psychosozialer Funktionen und die Verbesserung der Lebensqualität (Hain et al. 2010; Rieber et al. 2010) (. Abb. 17.1).

Der jüngste Review mit Metaanalyse konstatiert, dass Verhaltensinterventionen zusätzlich zur bariatrischen Chirurgie wohl zu besseren Ergebnissen hinsichtlich des Gewichtsverlusts führen. Evidenz besteht bezüglich postoperativer Interventionen, wenngleich die Anzahl der Studien mit hoher methodischer Qualität gering ist und daher Schlussfolgerungen nur vorsichtig gezogen werden können (Stewart und Avenell 2016). 17.4  BaSE (Bariatric Surgery

and Education) Studie

Die BaSE-Studie stellt die bisher größte multizentrische randomisierte Studie zur Psychoedukation nach bariatrischer Chirurgie dar. Das Ziel der BaSE-Studie war es, die Wirksamkeit eines standardisierten, interdisziplinären Nachsorgeprogramms für Patienten nach bariatrischer Operation zu überprüfen (Teufel et al. 2012).

226

17

M. Teufel et al.

Die Ergebnisse belegen, dass sich die Nachsorge nach Adipositaschirurgie im Verlauf als wirksam hinsichtlich einer längerfristigen Reduktion der depressiven Symptomatik und Verbesserung der Selbstwirksamkeit von Patienten erweist. 114 Datensätze konnten von initial 117 eingeschlossenen Patienten ausgewertet werden (Kontrollgruppe KG: n = 56; Interventionsgruppe IG: n = 58). Ein Jahr nach der Operation hatten alle Patienten stark abgenommen (KG: mittlerer Gewichtsverlust = 44,7 kg, SD ± 16,2 kg; IG: mittlerer Gewichtsverlust = 47,1 kg, SD ± 16,6 kg). Die Lebensqualität hatte zugenommen (KG: Mittelwert [MW]  = 73,5, SD ± 22,3; IG: MW = 74,1, SD ± 18,5), und die depressive Symptomatik der Patienten war reduziert (KG: MW = 5,5, SD ± 5,3; IG: MW = 4,7, SD ± 4,0; Wild et al. 2015). Diese Veränderungen waren alle signifikant. Entgegen der Haupthypothese der Studie fanden sich jedoch keine Unterschiede zwischen Kontroll-und Interventionsgruppe bezüglich der Gewichtsabnahme. Auch Lebensqualität, Depressivität oder Selbstwirksamkeit unterschieden sich ein Jahr nach der Operation nicht signifikant zwischen den Gruppen. Allerdings zeigte sich, dass Patienten mit einer depressiven Symptomatik vor der Operation im Vergleich zur Kontrollgruppe von der Intervention deutlich profitierten. Diese Patienten der Interventionsgruppe gaben eine signifikant bessere Lebensqualität (Effektstärke ES = –0,84) und reduzierte Depressivität (ES = 0,76) sowie einen im Trend größeren Übergewichtsverlust (ES  = –0,59) an, verglichen mit den depressiv vorbelasteten Patienten der Kontrollgruppe (Wild et al. 2015, 2017a, 2017b). Die für den Versorgungsalltag wesentlich wichtigere Katamneseuntersuchung zur BaSE-Studie wurde in einem mittleren Zeitraum von 38,6 Monaten nach der Operation durchgeführt (Zeitbereich: 27–64 Monate nach der Operation). Das entspricht einem Katamnesezeitraum von 15–52 Monaten nach dem Ende des Nachsorgeprogramms. Die Folgerung aus den ersten Daten der BaSE-­Studie war zunächst, dass nicht alle Patienten – jedoch die

mit depressiver Symptomatik vor Operation – von einer interdisziplinären, psychoedukativen Nachsorge profitieren. Die Katamnesedaten zeigten, dass die Patienten nach der Operation deutlich abgenommen hatten (mittlerer Gewichtsverlust zwischen Baseline und T5: KG: –41,5 kg, SD ± 14,0 kg; IG: –44,5 kg SD ± 16,8 kg). Auch Lebensqualität, Depressivität und Selbstwirksamkeit der Patienten waren im Vergleich zu der Messung vor Operation signifikant verbessert. Allerdings zeigte sich, dass die Teilnehmer der Interventionsgruppe – verglichen mit der Kontrollgruppe – zum Zeitpunkt der Katamnese signifikant weniger depressiv waren (ES  =  0,52) und über eine signifikant höhere Selbstwirksamkeit (ES = –0,60) verfügten. z Schlussfolgerungen aus BaSE

Das Phänomen einer generellen Besserung in der ersten Zeit nach Operation ist aus vorigen Studien bekannt; man spricht von dem „Honeymoon“-Effekt. In den ersten ein bis zwei Jahren nach der Operation kommt es zu einer sehr starken Gewichtsabnahme, und auch bezüglich anderer Parameter wie Lebensqualität und Depressivität finden große Verbesserungen statt. Nach einem längeren Zeitraum aber kann es sein, dass „alte“ Probleme wieder in den Vordergrund treten und unangemessene Bewältigungsstrategien sich wieder Raum verschaffen. Das wichtigste Ergebnis der BaSE-Katamnese war in dieser Hinsicht, dass die IG zum Katamnesezeitpunkt signifikant weniger depressiv war als die KG. Auch war die Selbsteinschätzung der Patienten in der IG bezüglich ihrer Selbstwirksamkeit signifikant höher als in der KG. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass die im Nachsorgeprogramm erlernten Strategien und eingeübten Fähigkeiten einen Effekt haben, der sich erst über einen längeren Zeitraum nach der Operation zeigt. Mit dem Wissen, dass das erste Jahr nach der Operation für die allermeisten Patienten als eher gute Phase erlebt wird – und erst dann die Probleme im Alltag mit alten Mustern wieder stärker werden –, scheint es sinnvoll zu sein, rechtzeitig

17 · Prä- und postoperative Interventionen

neue Strategien im Umgang mit dem Essen, der Emotionsregulation und dem Selbstwert einzuüben (Wild et al. 2015, 2017a, b). Details zum Manual des mittelfristig als wirksam gezeigten BaSE-Programms sind in 7 Kap. 21 dargestellt. 17.5  Selbsthilfegruppen

Einzelne Studien, die die freiwillige Teilnahme von chirurgisch-bariatrischen Patienten an Selbsthilfegruppen untersuchten, berichten eine Verbesserung der Patienten bzgl. Gewichtsabnahme und Befinden. Allerdings waren diese Studien nicht randomisiert und hatten keine Vergleichsgruppen, sodass man nur eingeschränkt auf die Wirksamkeit von Selbsthilfegruppe schließen kann (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). In der Literatur werden zwei Arten von Selbsthilfegruppen unterschieden: 5 „Freie“ Gruppen: Hier nehmen ausschließlich Patienten ohne fachliche Supervision teil. 5 „Geführte“ Gruppen: Beinhaltet professionelle Supervision und Psychoedukation durch Experten. Die Berichte in der Literatur beziehen sich v. a. auf geführte Gruppen, weshalb hier beginnend Evidenz gefunden werden kann. Geführte Selbsthilfegruppen bieten einen Raum für den Austausch von Erfahrungen, das Identifizieren und Besprechen von Problemen der Patienten, aber auch für Supervision und Psychoedukation. Die Supervision erfolgt dabei im optimalen Fall durch ein interdisziplinäres Team, das sich aus Ernährungsberatern, Psychotherapeuten, Chirurgen und Bewegungstherapeuten zusammensetzen kann. Die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe kann bereits präoperativ erfolgen, kann aber v.  a. postoperativ zur Stabilisierung empfohlen werden (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). Bei der Zusammensetzung solcher Selbsthilfegruppen zeigen sich in der Literatur zwei unterschiedliche Ansätze. Marcus und Eklins

227

17

(2004) bevorzugen homogene Gruppen, in denen Patienten je nach Behandlungsstatus (prä- vs. postoperativ) zusammengefasst werden. Das Herangehen von Grothe et al. (2006) deckt sich mit der oft vorzufindenden Praxis und bevorzugt eine heterogene Gruppenzusammensetzung mit prä- und postoperativen Patienten. Vorteil bei letzterer Methode ist, dass bereits operierte Patienten von ihren Erfahrungen berichten können und Patienten in einem früheren Behandlungsstadium von diesen profitieren können. Probleme und mögliche Komplikationen sollten im Rahmen der Gruppe angesprochen und diskutiert werden. Die Gruppe gibt Raum für das Erlernen effektiver Copingstrategien und einer neuen Selbstfürsorge (Rieber et al. 2010; Stewart und Avenell 2016). 17.6  Schlussfolgerung

In der Literatur werden unterschiedliche Modelle und Ansätze für die strukturierte Nachsorge nach chirurgischer Adipositasbehandlung beschrieben. Bisher sind die Ansätze sehr heterogen. Zeitpunkt (prä/post Operation), Dauer und Intensität der Intervention variieren, sodass keine abschließenden Aussagen möglich sind. Die bisherige Studienlage gibt Hinweise darauf, dass eine psychoedukative Nachsorge positive Auswirkungen insbesondere auf die Lebensqualität der Patienten, v. a. auch mittelfristig, hat. Welche Patienten von einer psychoedukativen Nachsorge besonders profitieren könnten, kann derzeit nicht sicher vorhergesagt werden. Es scheint so, dass insbesondere Depressivität und vermehrte Impulsivität Hinweise sind, dass Menschen von Nachsorge profitieren können. Offen ist auch die Frage nach der Frequenz von Sitzungen, nach der „Gesamtdosis“ der Intervention und ebenso nach dem passenden Setting. Telemedizin und Psychoedukation über das Internet nehmen an Bedeutung zu, um bestimmte Patientengruppen zu erreichen und diesen gerecht zu werden.

228

M. Teufel et al.

Literatur Giel KE, Teufel M, Junne F, Zipfel S, Schag K (2017) Food-related impulsivity in obesity and Binge Eating Disorder – a systematic update of the evidence. Nutrients 9(11):E1170. 7 https://doi. org/10.3390/nu9111170 Grothe KB, Dubbert PM, O’Jile JR (2006) Psychological assessment and management of the weight loss surgery patient. Am J Med Sci 331(4):201–206 Hain B, Hünnemeyer K, Rieber N, Wild B, Sauer H, Königsrainer A, Müller B, Herzog W, Zipfel S, Teufel M (2010) Psychoedukation nach Adipositaschirurgie – ein Manual zur strukturierten Nachsorge. Adipositas 4:125–130 Kalarchian MA, Marcus MD (2003) Management of the bariatric surgery patient: is there a role for the cognitive behavior therapist? Cogn Behav Pract 10(2):112–119 Marcus JD, Elkins GR (2004) Development of a model for a structured support group for patients follow­ ing bariatric surgery. Obes Surg 14(1):103-106 Rieber N, Wild B, Zipfel S, Sauer H, Hain B, Hünnemeyer K, Kramer M, Bischoff SC, Herzog W, Teufel M (2010) Selbsthilfe, Psychoedukation und Gruppenpsychotherapie bei Adipositaschirurgie – ein systematischer Literaturüberblick. Adipositas 4:115–124 Saunders R (2004) Post-surgery group therapy for gastric bypass patients. Obes Surg 14(8):1128–1131 Saunders R (2012). Postsurgery psychotherapy. In: Mitchell JE, Zwaan M de (Hrsg) Psychosocial assessment and treatment of bariatric surgery patients. Routledge, New York, S 250–259 Stewart F, Avenell A (2016) Behavioural interventions for severe obesity before and/or after bariatric

17

surgery: a systematic review and meta-analysis. Obes Surg 26(6):1203–1214 Teufel M, Zipfel S (2013) Verhaltensmodifikation – Psychotherapeutische Strategien in der Behandlung der Adipositas. In: Wirth A, Hauner H (Hrsg) Adipositas. Ätiologie, Folgekrankheiten, Diagnostik, Therapie. Springer, Berlin, S 310–318 Teufel M, Becker S, Rieber N, Stephan K, Zipfel S (2011) Psychotherapie und Adipositas: Strategien, Herausforderungen und Chancen. Nervenarzt 82(9):1133–1139 Teufel M, Hain B, Rieber N, Herzog W, Zipfel S, Wild B (2012) The BaSE Program – a videoconfer­encingbased aftercare in psychosocial assessment and treatment of bariatric surgery patients. In: Mitchell JE, Zwaan M de (Hrsg) Psychosocial assessment and treatment of bariatric surgery patients. Routledge, New York, S 241–249 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Hain B, Mack I, Schellberg D, Müller-Stich BP, Weiner R, Meile T, Rudofsky G, Königsrainer A, Zipfel S, Herzog W, Teufel M (2015) A 1-year videoconferencing-based psychoeducational group intervention following bariatric surgery: results of a randomized controlled study. Surg Obes Relat Dis 11(6):1349–1360 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Teufel M (2017a) Interventionen nach Adipositaschirurgie: Implikationen aus der BaSE-Studie. Psychotherapeut 62:222–229 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Schellberg D, Müller-Stich BP, Königsrainer A, Weiner R, Zipfel S, Herzog W, Teufel M (2017b) Sustained effects of a psychoeducational group intervention following bariatric surgery: follow-up of the randomized controlled BaSE study. Surg Obes Relat Dis 13(9):1612– 1618

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Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie Tim C. Werner

18.1 Einführung – 230 18.2 Antrag, Widerspruch und Klage – 230 18.2.1 Bariatrische Chirurgie als Regelleistung der GKV – 230 18.2.2 Antragsverfahren – 232 18.2.3 Exkurs: Genehmigungsfiktion, § 13 Abs. 3a SGB V – 232 18.2.4 Widerspruchsverfahren – 234 18.2.5 Klageverfahren – 234 18.2.6 Berufung und Revision – 235

18.3 Kostenerstattung nach selbstbeschaffter Operation – 235 18.3.1 Vorbemerkung – 235 18.3.2 Beschaffungsweg – 235 18.3.3 Kausalität – 236 18.3.4 Zu Unrecht ablehnte Leistung – 236 18.3.5 Höhe des Erstattungsanspruchs – 236 18.3.6 Prüffähige Rechnung – 236 18.3.7 Komplikationen nach selbstbeschaffter Operation – 237 18.3.8 Fazit – 237

18.4 Rechtsverfolgung – 237 18.4.1 Anwalt – 237 18.4.2 Kosten – 238

Literatur – 238

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_18

18

230

T. C. Werner

18.1  Einführung

Die deutsche Bevölkerung leidet nicht nur unter einem erschwerten Zugang zu konservativen Therapien zur Gewichtsreduktion, sie ist auch chronisch unterversorgt mit adipositaschirurgischen Verfahren. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit knapp 14 Eingriffen je 100.000 Einwohner seit Jahren mit großem Abstand Schlusslicht in Europa (Hüttl und Hüttl 2017, S. 109). Dieser beklagenswerte Umstand hat seinen Grund zunächst in der restriktiven, sehr oft rechtswidrigen Genehmigungspraxis der gesetzlichen Krankenkassen. Hinzu kommt, dass adipöse Patienten, bei denen die medizinische Indikation zu einer bariatrischen Operation besteht, in der Regel trotz Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung von Krankenhausbehandlung nicht stationär aufgenommen werden, solange nicht zusätzlich noch eine schriftliche Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse beigebracht wird (7 Abschn. 18.2.1). Die gesetzlichen Krankenversicherungen sehen sich in den letzten Jahren einer Flut von Widersprüchen und Klagen ausgesetzt. In den allermeisten Fällen endet die Rechtsverfolgung mit einer Niederlage der Krankenkasse, klageabweisende Urteile sind sehr selten (Ausnahme: Bayern). Doch nicht nur die Fallzahl zeigt, auch die Schwere des Krankheitsbildes eskaliert: Längst sind Patienten mit einem Body Mass Index über 50 kg/m2 (super obesity) und über 60 kg/m2 (super super obesity, adipositas gigantea) keine Seltenheit mehr. Diese Patienten werden nicht nur viel zu selten, sondern auch viel zu spät operiert.

18

18.2  Antrag, Widerspruch und

Klage

18.2.1  Bariatrische Chirurgie als

Regelleistung der GKV

Adipositaschirurgische Operationen sind als stationäre Krankenhausbehandlungen Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Patient erhält eine stationäre Behandlung aufgrund einer vertragsärztlichen Verordnung gemäß §  73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 4 SGB V. Nach Abschluss der Behandlung wird diese nach dem System der Diagnosis Related Groups (DRG) abgerechnet. Verweigert die Krankenkasse die Zahlung, so obliegt die Rechtsverfolgung, einschließlich aller damit verbundenen Prozess- und Kostenrisiken, dem behandelnden Krankenhaus. Der Patient soll und darf damit nicht behelligt werden; dies ist der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, der seinen Niederschlag im Sachleistungsprinzip gefunden hat. Eine solche vertragsärztlich verordnete stationäre Behandlung muss im Vorfeld nicht beantragt werden. Es gilt:

» Eine minimalinvasive

adipositaschirurgische Maßnahme im Rahmen einer stationären Krankenhausbehandlung ist eine grundsätzlich von der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringende Leistung, bei der der Anspruch des Versicherten im Einzelfall lediglich von der medizinischen Indikation abhängt. (Sozialgericht Speyer, Urteil vom 28. April 2016, Az. S 13 KR 1184/13)

18 · Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie

»

Der Weg zu einer Sachleistung in einer stationären Einrichtung, die Vertragsklink der Beklagten ist, führt gemäß § 39 SGB V über zwei Wege, einmal die Aufnahmeentscheidung der Vertragsklinik oder über eine vertragsärztliche Verordnung von stationärer Krankenhausbehandlung. (Sozialgericht München, Urteil vom 16. April 2015, Az. S 2 KR 974/14)

» Unter keinem Rechtsgrund

ergibt sich die Notwendigkeit, dass Versicherte bei stationärer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit im Vorfeld einen Antrag bei der Beklagten stellen. (Sozialgericht München, Urteil vom 16. April 2015, Az. S 2 KR 974/14)

Doch so lange eine vertragsärztliche Verordnung von Krankenhausbehandlung nicht ausreicht, um als schwerkranker und dring­ end behandlungsbedürftiger Patient stationär aufgenommen und mit einer adipositaschirurgischen Behandlung versorgt zu werden (siehe oben), so lange ist der adipöse Patient darauf angewiesen, bei seiner Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme zu stellen. Gegen ablehnende Entscheidungen sind Widerspruch und Klage möglich. Zunächst jedoch ein kurzer Blick auf die Rechtsgrundlagen: § 2 Abs. 2 SGB I (Sozialstaatsprinzip) Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuches und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. § 12 Abs. 1 SGB V (Wirtschaftlichkeitsgebot) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die

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18

Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. § 13 Abs. 3 SGB V (Kostenerstattung) Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. § 13 Abs. 3a SGB V (Genehmigungsfiktion) Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. … Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V (Krankenbehandlung) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

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T. C. Werner

Die erstgenannte Vorschrift ist von wesentlicher Bedeutung, da sie das verfassungsrechtlich verankerte Sozialstaatsprinzip konkretisiert. Für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches, SGB  V) beschreibt sie einen weiten Ermessensspielraum für Krankenkassen und Gerichte und mahnt eine wohlwollende Prüfung an. 18.2.2  Antragsverfahren

18

Der Erstantrag bei der Krankenkasse erfolgt schriftlich und durch den Patienten selbst, ggf. in Zusammenarbeit mit dem Haus- bzw. Facharzt oder dem Krankenhaus, bei dem der beantragte chirurgische Eingriff durchgeführt werden soll. Der Antrag ist an keine besondere Form gebunden, muss aber von dem Versicherten selbst geschrieben und unterschrieben werden. Der Versand per E-Mail wahrt die Schriftform nicht. Die empfehlenswerteste Form der Übermittlung ist der Postversand als Einschreiben mit Rückschein. Ob eine Krankenkasse im Antragsverfahren ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (z. B.: fristgerechte Entscheidung nach § 13 Abs. 3a Satz 1, 1. Alt. SGB V; fristgerechte Entscheidung nach § 13 Abs. 3a Satz 1, 2. Alt. SGB V; rechtskonforme Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V; rechtskonforme Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V) kann im Zweifelsfall nur ein Volljurist prüfen. Der Antrag sollte aus maximal einem Satz bestehen („Hiermit beantrage ich die Gewährung einer adipositaschirurgischen Operation als Sachleistung unter vollstationären Bedingungen.“). Die Beifügung von Anlagen ist nicht erforderlich, aber empfehlenswert. Laut Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist nur erforderlich, dass der Antrag „hinreichend bestimmt“ ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 8. März 2016, Az. B 1 KR 25/15 R), die Krankenkasse muss also erkennen können, welche Leistung konkret begehrt wird. Im Prinzip reicht dafür eine ausführliche

interdisziplinäre Indikationsstellung eines zertifizierten Adipositaszentrums, die auch die anzuwendende Operationsmethode (etwa Magenbypass oder Schlauchmagen) benennt. 18.2.3  Exkurs:

Genehmigungsfiktion, § 13 Abs. 3a SGB V

§ 13 Abs. 3a SGB V wurde durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz, PatRG) vom 20. Februar 2013 in das SGB V aufgenommen und ist seit dem 26. Februar 2013 in Kraft. Verfolgt wird das Ziel, die Entscheidungsprozesse der Krankenkassen im Interesse der Patienten zu beschleunigen. Deshalb werden den Krankenkassen durch diese Vorschrift im Verwaltungsverfahren bestimmte Fristen auferlegt, die verhindern sollen, dass Versicherte unzumutbar lange auf eine Entscheidung warten müssen. Der spezifische Schutzzweck dieser Norm liegt also darin, Versicherte in dem grundrechtsrelevanten Bereich des Gesundheitsschutzes vor den Folgen eines unangemessen langen Verwaltungsverfahrens zu schützen. Insoweit kommt der Vorschrift gegenüber zu langsam arbeitenden Krankenkassen auch eine Sanktionswirkung zu. Im Einzelnen regelt § 13 Abs. 3a SGB V, dass Krankenkassen über Leistungsanträge ihrer Versicherten innerhalb von drei Wochen (ohne Hinzuziehung des MDK) bzw. fünf Wochen (bei Hinzuziehung des MDK) entscheiden müssen. Unterbleibt die Mitteilung, dass der MDK eingeschaltet werden soll oder bereits eingeschaltet wurde oder erreicht diese den Versicherten gar nicht oder erst nach Ablauf von drei Wochen, so gilt die Drei-Wochen-Frist (Bundessozialgericht, Urteil vom 8. März 2016, Az. B 1 KR 25/15R). Für den Zugang dieser Mitteilung ist die Krankenkasse voll beweispflichtig (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. Juni 2017, Az. L 1 KR 247/16). Konkret heißt das: Der

18 · Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie

Versand einer Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V per einfachem Brief ist für eine Krankenkasse mit ganz erheblichen Risiken verbunden. Den gesetzlichen Krankenkassen wird in § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V zusätzlich aufgegeben, den Versicherten rechtzeitig, ausdrücklich und schriftlich zu informieren, wenn es nicht möglich ist, die in § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V normierten Fristen einzuhalten. Für den Zugang dieser Mitteilung ist die Krankenkasse voll beweispflichtig. Zusätzlich muss im Rahmen einer Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V die zu erwartende Bearbeitungsverzögerung taggenau angegeben werden. Dabei hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich klargestellt, dass Organisationsmängel und Arbeitsüberlastung der Krankenkassenmitarbeiter keine hinreichenden Gründe für eine Fristüberschreitung sind. Auch Verzögerungen im Hause des MDK entbinden die Gesetzlichen Krankenkassen nicht von der Einhaltung der gesetzlich klar normierten Fristen. Wichtig in diesem Zusammenhang: Folgende Fallkonstellationen stellen keine Mitteilungen nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V dar: 5 Der MDK nimmt Kontakt mit dem Versicherten auf (Anmerkung: Es besteht keinerlei Rechtsbeziehung zwischen dem Versicherten und dem MDK. Die Korrespondenz hat ausschließlich zwischen dem Versicherten und seiner Krankenkasse zu erfolgen). 5 Die Krankenkasse teilt mit, den Antrag erhalten zu haben und informiert über eine Weiterleitung an den MDK. 5 Die Krankenkasse fordert weitere Unterlagen an und kündigt an, nach Erhalt dieser ergänzenden Unterlagen den MDK mit dem Fall befassen zu wollen. 5 Die Krankenkasse erinnert daran, dass noch weitere Unterlagen benötigt werden. 5 Die Krankenkasse ermahnt den Versicherten letztmals, die angeforderten ergänzenden Unterlagen einzureichen, anderenfalls müsse man den Antrag ablehnen.

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18

5 Die Krankenkasse lädt den Versicherten zu einem Termin beim MDK, der innerhalb der Fünf-Wochen-Frist liegt. 5 Die Krankenkasse lädt den Versicherten zu einem Termin beim MDK, der außerhalb der Fünf-Wochen-Frist liegt (Anmerkung: Ein solcher Termin muss nicht wahrgenommen werden, das Antragsverfahren ist durch den Eintritt der Genehmigungsfiktion beendet, siehe unten). 5 Die Krankenkasse bittet darum, der Versicherte möge sich noch gedulden. > Läuft die gesetzlich normierte Frist

ab und erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, so gilt die Leistung automatisch als genehmigt.

Mit dem Eintritt der sog. Genehmigungsfiktion ist das Antragsverfahren beendet, der Antragsteller wird vorbehaltloser Inhaber des Anspruchs auf die Leistung (Becker/Kingreen 2017, Kommentar zum SGB V, § 13 Abs. 3a, Rn. 29; Werner in SGb 2015, S. 323 ff.). Im Kern der durch das Patientenrechtegesetz von 2013 geschaffenen neuen Rechtslage steht also der Umstand, dass die Prüfung der medizinischen Notwendigkeit nach spätestens fünf Wochen per Gesetz – und zu Gunsten des Antragstellers – endgültig beendet wird. Diese Rechtsfolge tritt ein, wenn die Krankenkasse innerhalb dieser Frist weder über den Antrag beschieden noch eine Mitteilung nach §  13 Abs.  3a Satz  5 SGB  V gemacht hat (siehe oben). Nach dem Eintritt der Genehmigungsfiktion ist die Krankenkasse mit allen Einwendungen, insb. dem Einwand fehlender medizinischer Notwendigkeit, ausgeschlossen. Die medizinische Notwendigkeit der beantragten Operation wird fingiert. Hierin liegt der Sanktionscharakter der Norm (Becker/Kingreen 2017, Kommentar zum SGB V, § 13 Abs. 3a, Rn. 29, Werner in SGb 2015, S. 323 ff.). Nach dem Eintritt der Genehmigungsfiktion kann sich der Versicherte die per Genehmigungsfiktion genehmigte Leistung selbst beschaffen. Die Krankenkasse ist dann zur Erstattung der verauslagten Kosten verpflichtet (§ 13 Abs. 3a

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T. C. Werner

Satz 7 SGB V). Wird eine Erstattung verauslagter Kosten nicht begehrt, was bei bariatrischen Operationen wegen der hohen Kosten regelmäßig der Fall ist, so kann der Versicherte von seiner Krankenkasse die Gewährung der Leistung als Sachleistung verlangen. Weigert sich die Krankenkasse, so kann sofort Klage auf Gewährung der Leistung (sog. echte Leistungsklage nach §  54 Abs.  5 SGG) erfolgen (Bundessozialgericht, Urteil vom 11. Juli 2017, Az. B 1 KR  26/16  R). Ist die Genehmigungsfiktion nicht eingetreten, so hat die Krankenkasse sechs Monate Zeit, um über den Antrag zu entscheiden. Versäumt sie diese Frist, so kann eine sog. Untätigkeitsklage erhoben werden (§ 88 Abs. 1 SGG). Eine Genehmigungsfiktion tritt dann aber nicht ein. 18.2.4  Widerspruchsverfahren

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Bereits in der Ablehnungsentscheidung muss der Versicherte auf die Möglichkeit der Erhebung eines Widerspruchs binnen Monatsfrist hingewiesen werden. Fehlt diese sog. Rechtsbehelfsbelehrung, so verlängert sich die Frist zur Erhebung des Widerspruchs auf ein Jahr (§  66 Abs.  2 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Der Widerspruch wird direkt bei der Krankenkasse erhoben (schriftlich oder zur Niederschrift). Der Ablehnungsbescheid wird also nicht, wie etwa im Rahmen eines Klageverfahrens (7 Abschn. 18.2.5), von einer externen, unabhängigen Instanz überprüft, sondern von der Krankenkasse selbst. Eine Begründung des Widerspruches ist nicht erforderlich, aber empfehlenswert. Diese Begründung sollte sämtliche tatsächlichen, medizinischen und juristischen Aspekte des Falles beleuchten und detailliert auf die Ablehnungsgründe der Krankenkasse und/oder des MDK eingehen. Ergänzt werden kann die Widerspruchsbegründung schließlich mit einem Hinweis auf die sog. Compliance auf Patientenseite (aufgeklärter, informierter und engagierter Patient, auch und gerade in Bezug auf die postoperative

Nachsorge), mit einer authentischen Darstellung des Leidensdrucks sowie einer realistischen Einschätzung des Zielgewichts. Über den Widerspruch entscheidet der sog. Widerspruchsausschuss, ein paritätisch besetztes Gremium unter dem Dach der Krankenkasse. Manche Krankenkassen gestatten es ihren Versicherten, an der abschließenden Sitzung des Ausschusses teilzunehmen, um den zu würdigenden Sachverhalt persönlich vorzutragen. Das Widerspruchsverfahren, für dessen Bearbeitung der Krankenkasse längstens drei Monate Zeit bleiben (§ 88 Abs. 2 SGG) endet entweder mit der sog. Abhilfeentscheidung (Kostenübernahmeerklärung) oder mit der Zurückweisung des Widerspruches durch den sog. Widerspruchsbescheid. Versäumt die Krankenkasse die Drei-Monats-Frist, so kann auch in diesem Fall Untätigkeitsklage erhoben werden (§ 88 Abs. 2 SGG). Eine Genehmigungsfiktion tritt dann aber nicht ein. Spätestens im Widerspruchsverfahren ist anwaltlicher Beistand erforderlich. Dem Kostenrisiko kann mit dem Abschluss einer Rechtsschutzversicherung begegnet werden (7 Abschn. 18.4.2). Die Vorteile des Widerspruchsverfahrens sind das schnelle Verfahren, die unmittelbare Korrespondenz zwischen den Parteien und die guten Erfolgsaussichten. 18.2.5  Klageverfahren

Hat der Widerspruch keinen Erfolg, so kann Klage zum Sozialgericht erhoben werden (schriftlich oder zur Niederschrift). Zuständig ist immer das für den Wohnort des Klägers zuständige Sozialgericht (§ 57 SGG). Wahlweise kann die Klage auch bei dem Sozialgericht erhoben werden, in dessen Zuständigkeitsbereich die Arbeitsstelle liegt. Die Klage muss binnen eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheides erhoben werden. War diesem Bescheid keine oder eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, so beträgt die Frist ein Jahr (§ 66 Abs. 2 SGG). Eine Begründung der Klage

18 · Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie

ist gesetzlich nicht vorgeschrieben, aber empfehlenswert. Im Klageverfahren gilt der Amtsermittlungsgrundsatz: Zunächst werden die behandelnden Ärzte um Einreichung von schriftlichen Befundberichten bei Gericht gebeten. Besteht dann weiterer Aufklärungsbedarf, so wird ein unabhängiges Sachverständigengutachten eingeholt (§§ 103, 106 SGG). Will und/oder muss der Kläger ein solches entkräften, so besteht die Möglichkeit, die Einholung eines weiteren Gutachtens zu beantragen, dies unter Benennung eines bestimmten Arztes (§ 109 SGG). Diese Vorgehensweise stellt eine Durchbrechung des Amtsermittlungsgrundsatzes dar und erfolgt deshalb auch – im Gegensatz zu gerichtlicherseits eingeholten Gutachten – auf Kosten des Klägers resp. dessen Rechtsschutzversicherung. Ausnahmsweise können die Kosten von der Staatskasse übernommen werden, der Antrag ist aber nur nachträglich möglich (Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Dezember 2007, Az. L 2 B 17/07 KN). Um die Kosten des Verfahrens, einschließlich des beauftragten Rechtsanwaltes, tragen zu können, empfiehlt sich der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. Wirtschaftlich schwache Kläger können Prozesskostenhilfe (PKH) beantragen (7 Abschn. 18.4.2). Die allermeisten Klageverfahren enden mit einer Niederlage der beklagten Krankenkasse, klageabweisende Urteile sind sehr selten (Ausnahme: Bayern) (Urteilsübersicht unter 7 http://www.adipositas-anwalt.de/urteile.htm). 18.2.6  Berufung und Revision

Gegen ein Urteil eines Sozialgerichtes (SG) sind Berufung zum Landessozialgericht (LSG) und in Ausnahmefällen Revision zum Bundessozialgericht (BSG) möglich. Weitere Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung, dies gilt für jede der drei sozialgerichtlichen Instanzen, sind das Anerkenntnis der Beklagten, der Vergleich und die Klagerücknahme. Hier tritt sofort Rechtskraft ein.

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18

Prozessbeendende Anerkenntnisse kommen dabei sehr häufig vor. Sie ermöglichen der Krankenkasse, gleichsam im Angesicht der drohenden Niederlage, eine stille Verfahrensbeendigung ohne Urteil und damit auch ohne Präjudiz. 18.3  Kostenerstattung nach

selbstbeschaffter Operation

18.3.1  Vorbemerkung

In Zeiten überlanger Verfahrensdauer vor den deutschen Sozialgerichten erwägen nicht wenige Patienten in Bezug auf eine ärztlicherseits angeratene Operation in Vorleistung zu treten. Dies ist unter Beachtung der nachfolgenden Aspekte möglich. Es gilt § 13 Abs. 3 SGB V. 18.3.2  Beschaffungsweg

Das vom Sachleistungsprinzip geprägte System der Gesetzlichen Krankenversicherung verlangt, dass sich ein Versicherter, der sich eine Leistung selbst beschafft, zuvor in ausreichendem und zumutbarem Umfang um die Gewährung der streitigen Behandlung als Sachleistung bemüht haben muss (sog. Einhaltung des Beschaffungsweges). Der Antragsteller muss also warten, bis die Entscheidung über seinen Antrag auf Kostenübernahme schriftlich vorliegt. Die Entscheidung über einen erhobenen Widerspruch muss dagegen nicht abgewartet werden. Das Patientenrechtegesetz von 2013 hat zudem eine deutliche Erleichterung für die Betroffenen gebracht: Danach ist die Selbstbeschaffung der Leistung auch möglich, wenn die Krankenkasse nicht innerhalb von drei Wochen (ohne Hinzuziehung des MDK) bzw. fünf Wochen (bei Hinzuziehung des MDK) über den Antrag entschieden hat und zudem nicht mitgeteilt wurde, dass die laufende Frist nicht einhalten werden kann (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V; 7 Abschn. 18.2.3).

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T. C. Werner

18.3.3  Kausalität

Eine der wichtigsten Anspruchsvoraussetzungen ist die im Gesetzestext nicht ausdrücklich genannte Kausalität zwischen der Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse und der Selbstbeschaffung dieser Leistung durch den Versicherten. Faktisch darf der Entschluss zur Durchführung der OP zeitlich deshalb nicht vor der Ablehnungsentscheidung der Krankenkasse liegen. Unbedenklich ist eine im Vorfeld geführte Korrespondenz mit dem Operateur und/oder dem Krankenhaus, wenn und soweit hier nur allgemeine Informationen eingeholt und ausgetauscht werden. Unbedingt vermieden werden muss die Festlegung eines OP-Termins vor der Ablehnung des anhängigen Antrages bei gleichzeitiger Unterzeichnung eines Behandlungsvertrages bzw. einer Honorarvereinbarung. 18.3.4  Zu Unrecht ablehnte

Leistung

Die Krankenkasse hat die Leistung zu Unrecht abgelehnt, wenn der Antragsteller einen Anspruch auf die Gewährung der begehrten Operation als Sachleistung hatte. Dieser kann dann bejaht werden, wenn die Voraussetzungen für einen operativen Eingriff am Magen vorgelegen hatten. Als Prüfungsmaßstab dienen in erster Linie die Leitlinien der Fachgesellschaften und die Rechtsprechung der Sozialgerichte. 18.3.5  Höhe des

Erstattungsanspruchs

18

Die Höhe des Anspruches entspricht den tatsächlich verauslagten Kosten. Eine wie auch immer geartete Kappung, etwa auf den „Kassensatz“ (gemäß § 7 KHEntG i.V.m. DRG K04A), hat der Gesetzgeber durch die Formulierung „… in der entstandenen Höhe zu erstatten“ explizit ausgeschlossen. Der Grund hierfür ist folgender: Der Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2 Alt SGB V ist

eine spezialgesetzliche Ausprägung des durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelten sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruchs, in dem sich wiederum Elemente eines Schadensersatzanspruches finden. Wenn also eine Krankenkasse eine beantragte Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Patienten deshalb, d. h. wegen der – in Folge der Ablehnung erforderlichen – Privatliquidation, höhere Kosten entstanden sind, so hat die Krankenkasse diese Kosten in voller Höhe zu erstatten. Denn: Den Umstand, dass die Kosten überhaupt höher ausgefallen sind, hat die Krankenkasse zu verschulden, hat sie die beantragte Leistung doch zu Unrecht abgelehnt. 18.3.6  Prüffähige Rechnung

Zwingende Anspruchsvoraussetzung ist eine sog. prüffähige Rechnung (nach DRG oder GoÄ). Eine Abrechnung des Krankenhauses mit dem Selbstzahler muss denselben hohen Anforderungen genügen wie eine Abrechnung des Krankenhauses mit der Krankenkasse. Wegen der klaren medizinischen Indikation weist die an den Selbstzahler gestellte Rechnung keine Umsatzsteuer aus: Nach den geltenden EU-Bestimmungen und gemäß § 4 Nr. 14 und Nr. 16 UStG sind ärztliche Leistungen von der Umsatzsteuerpflicht befreit, wenn sie der medizinischen Betreuung von Personen durch das Diagnostizieren und Behandeln von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienen, wenn ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht und die Leistung der Linderung, Genesung und Gesunderhaltung des Menschen dient. Auch muss die Leistung einen direkten Einfluss auf den Gesundheitszustand des Patienten haben, medizinisch indiziert und therapeutisch zielorientiert sein. Natürlich darf der Erstattungsanspruch nicht weiter reichen als der Sachleistungsanspruch. Dieser Grundsatz zielt aber nicht auf die Höhe einer verauslagten Rechnung, sondern nimmt Bezug auf den Leistungskatalog der GKV als Ganzes, also auf den Anspruch dem Grunde nach.

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18 · Juristische Aspekte der Adipositaschirurgie

18.3.7  Komplikationen nach

selbstbeschaffter Operation

Kommt es nach einer selbst beschafften adipositaschirurgischen Operation zu Komplikationen, so muss die Krankenkasse sämtliche dadurch verursachten Behandlungskosten tragen. Der Abschluss einer privaten Komplikationskostenversicherung durch den Patienten ist deshalb nicht erforderlich. Das Sozialgericht Mainz hat hierzu Folgendes entschieden: Kommt es nach einem vom Patienten selbst bezahlten bariatrischen Eingriff zu Komplikationen, die stationär behandelt werden müssen, so ist die gesetzliche Krankenkasse zur Kostentragung verpflichtet. Für eine Beteiligung des Patienten an diesen (Komplikations-)Kosten fehlt es an einer Rechtsgrundlage, insb. ist § 52 Abs. 2 SGB V nicht einschlägig, da es sich bei bariatrischen Verfahren nicht um „ästhetische Operationen“ im Sinne dieser Vorschrift handelt (Sozialgericht Mainz, Urteil vom 21.  September 2015, Az. S 3 KR 558/14). Ob die selbstbeschaffte Operation medizinisch notwendig gewesen war oder nicht, ist irrelevant. 18.3.8  Fazit

Die Verauslagung von Operationskosten, auch solche, die den „Kassensatz“ übersteigen, ist für den Patienten dann ohne Risiko, wenn die sonstigen Voraussetzungen des Erstattungsanspruches vorliegen (rechtswidriger Ablehnungsbescheid oder Fristversäumnis der Krankenkasse, medizinische Indikation, prüffähige Rechnung). 18.4  Rechtsverfolgung

Zu den gesundheitlichen Schwierigkeiten, die die Krankheit Adipositas mit sich bringt, gesellen sich im Alltag nicht selten auch erhebliche rechtliche Probleme.

18

18.4.1  Anwalt

Das Sozialrecht ist mittlerweile so kompliziert, dass effektiver Rechtsschutz in schwierigen Fällen nur von anerkannten Spezialisten ausgehen kann. In einem Rechtsstreit ist es unbedingt empfehlenswert, einen „Fachanwalt für Sozialrecht“ zu beauftragen. Nur dieser Titel bietet dem rechtsschutzsuchenden Bürger die Sicherheit, dass der Anwalt nachgewiesenermaßen über vertiefte theoretische Kenntnisse und besondere praktische Erfahrungen im Sozialrecht verfügt. Es ist empfehlenswert, einen Anwalt für eine sog. Erstberatung aufsuchen. Eine Erstberatung umfasst die Durchsicht der (medizinischen) Unterlagen, eine persönliche oder telefonische Besprechung, eine erste Einschätzung der Sach- und Rechtslage (inkl. Prüfung der Erfolgsaussichten) sowie den Entwurf einer sinnvollen und erfolgversprechenden Strategie. Die Erstberatung endet dort, wo der Anwalt förmlich bevollmächtigt wird, für den Mandanten nach außen auftritt, sei es außergerichtlich (im Antrags- oder Widerspruchsverfahren) oder gerichtlich (im Klage-, Berufungs- oder Revisionsverfahren). Bei Konflikten mit den gesetzlichen Krankenkassen sind die 68 deutschen Sozialgerichte erstinstanzlich zuständig. Vierzehn Landessozialgerichte entscheiden über Berufungen, und am Ende des Instanzenzuges steht das Bundessozialgericht in Kassel. Damit Betroffene möglichst unkompliziert zu ihrem Recht kommen, sind die Hürden für Rechtsschutzsuchende im Sozialrecht niedrig: 5 Es gibt keinen Anwaltszwang, jeder kann sein Anliegen auf eigene Faust durchboxen, auch vor Gericht (Ausnahme: Bundessozialgericht). Ratsam ist das allerdings nicht. 5 Zuständig ist immer das für den Wohnort des Betroffenen zuständige Sozialgericht. Wahlweise kann die Klage auch bei dem Sozialgericht erhoben werden, in dessen Zuständigkeitsbereich die Arbeitsstelle des Klägers liegt.

238

T. C. Werner

5 Widersprüche und Klagen können schriftlich erhoben werden und bedürfen dabei keiner besonderen Form. Wer einen Widerspruch einlegen oder eine Klage erheben will, ohne einen Brief schreiben zu müssen, der kann stattdessen persönlich zur nächsten Krankenkassenfiliale bzw. zum Sozialgericht gehen und den Widerspruch bzw. die Klage zur Niederschrift erheben. 5 Das Verfahren ist für klagende Leistungsempfänger gerichtskostenfrei. 5 Die klagende Partei muss im Unterliegensfalle der beklagten Krankenkasse keine Rechtsverfolgungskosten erstatten. 18.4.2  Kosten

Die beste Möglichkeit, sich gegen die Kostenrisiken eines Rechtsstreits abzusichern, ist der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung. Im Sozialrecht sind die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung bei rechtsschutzversicherten Mandanten höher als bei nicht rechtsschutzversicherten. Der Grund: Die Rechtsschutzversicherung übernimmt auch Gutachterkosten für den Fall, dass das Gericht kein eigenes Sachverständigengutachten in Auftrag geben möchte oder das im Rahmen der Amtsermittlung eingeholte Gutachten den klägerischen Anspruch nicht stützt und durch ein zweites (vom Kläger zu beauftragendes) Sachverständigengutachten entkräftet werden muss (7 Abschn. 18.2.5). Wirtschaftlich schwache Mandanten, etwa Bezieher von Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) oder nach dem SGB XII

18

(„Grundsicherung“) können bei Gericht Prozesskostenhilfe beantragen. In der Regel übernimmt dies der Rechtsanwalt und stellt den Antrag zusammen mit der Einreichung der Klageschrift. Die bloße Antragstellung eliminiert das Kostenrisiko des Klägers aber noch nicht. Dies geschieht erst dann, wenn der Antrag auch bewilligt wird. In diesem Falle werden die Kosten der Rechtsverfolgung, also die Anwaltskosten, von der Staatskasse getragen. Ablehnungsgründe sind etwa ein zu hohes Einkommen des Antragstellers oder fehlende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung. Bis zur Bewilligung der PKH wird der beauftragte Anwalt einen moderaten Vorschuss berechnen, um das Risiko, dass PKH nicht bewilligt wird, abzusichern. Wer Mitglied in einem Sozialverband ist, z. B. im VdK oder im SoVD, der bekommt keine PKH, da das Mitglied Anspruch auf Vertretung durch den Verband hat. In diesem Falle kann sich der rechtsschutzsuchende Bürger den Anwalt aber nicht aussuchen; oft erfolgt die Vertretung nicht einmal durch einen Juristen. > Der Abschluss einer Rechtsschutz-

versicherung ist der Königsweg, der auch von wirtschaftlich schwachen Betroffenen eingeschlagen werden kann und auch eingeschlagen werden sollte.

Literatur Becker U, Kingreen T (2017) Kommentar zum SGB V, 5. Aufl. Beck, München Hüttl TP, Hüttl PE (2017) Genehmigungspraxis in ­Bayern. Adipositasspiegel des AcSD e. V:109 Werner (2015) SGb, S 323 ff.

239

Die S3-Leitlinie Adipositaschirurgie Martina de Zwaan 19.1 Bearbeitung, Inhalte und Adressaten der Leitlinie – 240 19.2 Empfehlungen und Statements – 240 19.2.1 Definitionen und Qualitätssicherung – 241 19.2.2 Patientenauswahl und Indikation – 242 19.2.3 Nachsorge – 242

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_19

19

240

M. de Zwaan

19.1  Bearbeitung, Inhalte und

Adressaten der Leitlinie

19

Die Leitlinie versteht sich als Überarbeitung und Weiterentwicklung der bis 2015 gültigen deutschen Evidenzbasierten Leitlinie „Chirurgie der Adipositas“ der Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft für Adipositas-Therapie (CA-ADIP) der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) von 2010 (AWMF Registernr. 088–001). Die Leitlinie wurde 2017 unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) umfassend revidiert. Zusammenarbeit bestand mit zahlreichen weiteren Gesellschaften, wobei DKPM und DGPM von Frau Prof. de Zwaan vertreten wurden, die bereits an der ersten Erstellung der Leitlinien beteiligt war. Herr Prof. Herpertz und Herr Prof. Zipfel haben den psychosozialen Leitlinienentwurf geprüft und Herr Prof. Löwe hat als Leitlinienbeauftragter von DKPM und DGPM zugestimmt. Folgende kooperierende Gesellschaften waren an der Revision der Leitlinie beteiligt: 5 Deutsche Adipositas-Gesellschaft e. V. (DAG), 5 Deutsche Diabetes Gesellschaft e. V. (DDG), 5 Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM), 5 Deutsche Gesellschaft für Endoskopie und bildgebende Verfahren e. V. (DGE-BV), 5 Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und und Ärztliche Psychotherapie e. V. (DGPM), 5 Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen ­Chirurgen e. V. (DGPRÄC), 5 Deutsches Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), 5 Verband der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD), 5 BerufsVerband Oecotrophologie e. V. (VDOE), 5 Adipositaschirurgie-Selbsthilfe Deutschland e. V.

Die Leitlinie nimmt zu folgenden Punkten Stellung: 5 Indikation und Operationszeitpunkt, 5 Verfahrenswahl, 5 Effektivität und Effizienz chirurgischer Maßnahmen, 5 perioperatives Management, 5 Nachbehandlung. Es wurde beschlossen, dass in Anbetracht der raschen Fortschritte wissenschaftlicher Erkenntnisse und operativer Techniken die Leitlinie nach fünf Jahren (Ende 2022) erneut überarbeitet werden muss. Adressaten der Leitlinie sind Chirurgen, die adipositaschirurgische oder metabolische Eingriffe vornehmen, Ärzte mit Spezialisierung in der Behandlung der Adipositas und metabolischer Störungen (v. a. entsprechend spezialisierte Internisten, Diabetologen, Endokrinologen, Hausärzte etc.) sowie assoziierte Berufsgruppen wie Ernährungsfachkräfte, „Mental Health Professionals“ etc., aber auch interessierte Patienten oder Entscheidungsträger bei Krankenkassen. Wir haben uns in der Leitlinie für den Begriff Mental Health Professional entschieden, für den es keine adäquate deutsche Übersetzung gibt, um nicht wiederholt alle Berufsgruppen, die aus dem „Psych-Bereich“ gemeint sind, aufzählen zu müssen. Der Begriff wird in der Leitlinie genau definiert (7 Abschn. 19.2). 19.2  Empfehlungen und

Statements

Psychische Aspekte werden in der Begutachtungsphase und in der Nachsorgephase speziell erwähnt, wobei zwischen Statements (meist evidenzbasiert aus der Literatur) und Empfehlungen (ergeben sich teilweise aus den Statements) unterschieden wird. Die für Mental Health Professionals wichtigen Statements und Empfehlungen werden im Folgenden aufgelistet. Insgesamt gibt es keine wesentlichen Veränderungen im Vergleich

241

19 · Die S3-Leitlinie Adipositaschirurgie

zur ersten Leitlinienversion, es ist aber deutlich mehr Evidenz vorhanden, die die Empfehlungen unterstützt. Es war möglich, auch im „Psych-Bereich“ fast ausschließlich auf Metaanalysen und systematische Reviews zurückzugreifen und auf den Einbezug von Einzelstudien zu verzichten. Formulierungen mit „soll“ verweisen auf einen hohen Empfehlungsgrad. Als „Expertenkonsens“ werden Empfehlungen bezeichnet, zu denen keine ausreichende Evidenz vorliegt. Diese Empfehlungen sind als gute klinische Praxis zu sehen, zu der keine wissenschaftlichen Studien notwendig sind oder erwartet werden können. Die Nummerierungen sind der Leitlinie entnommen und sind daher nicht konsekutiv. Der wörtlichen Übernahme der Texte wurde von Herrn Prof. Arne Dietrich (Chirurgie, Universitätsmedizin Leipzig), dem Leitlinienkoordinator, zugestimmt.

19

der metabolischen Chirurgie wegen eines vorbestehenden Typ-2-Diabetes geplant sind. Ist die Operation von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren geplant, soll dies in enger Kooperation eines Pädiatrischen Zentrums (beinhaltend Kinderärzte, Mental Health Professional, Intensivtherapie und Ernährungsfachkraft mit Erfahrung in der Behandlung von adipösen Kindern und Jugendlichen) mit einem Zentrum für Adipositaschirurgie mit besonderer Expertise erfolgen. Expertenkonsens; starker Konsens z Empfehlung 3.8

19.2.1  Definitionen und

Unter dem Überbegriff „Mental Health Professional“ werden zusammengefasst: 5 Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 5 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, 5 Psychologischer Psychotherapeut.

z Empfehlung 3.7

Expertenkonsens; starker Konsens (Enthaltung: 2)

Qualitätssicherung

Das interdisziplinäre Team zur Behandlung von Patienten mit Adipositas (prä- und perioperative Betreuung, Indikationsstellung zum adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff, postoperative Nachsorge) soll aus folgenden Mitgliedern bestehen: a. in adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Eingriffen kompetenter ­Chirurg, b. in adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Eingriffen kompetenter Internist/Hausarzt/Ernährungsmediziner, c. Mental Health Professional mit adipositaschirurgischer Erfahrung, d. Ernährungsfachkraft oder Ernährungsmediziner mit adipositaschirurgischer Erfahrung, e. in der Diabetologie versierter Arzt (Diabetologe), wenn Eingriffe im Sinne

Als Fußnote findet sich der folgende Text: Die Tätigkeit kann auch von einem Arzt in Weiterbildung oder einem Psychologen in Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten durchgeführt werden, sofern eine Supervision durch eine Person, die die genannten Voraussetzungen erfüllt, erfolgt und dokumentiert ist. Diplom-Psychologen bzw. Master of Science-Psychologen mit Schwerpunkt Klinische Psychologie sowie Ärztliche Psychotherapeuten ohne Facharztweiterbildung in den Gebieten Psychosomatik oder Psychiatrie (Zusatzbezeichnung „fachgebundene Psychotherapie“), die seit mehr als drei Jahren überwiegend im Bereich der Adipositastherapie/-chirurgie tätig sind, können die Evaluation weiterhin eigenverantwortlich durchführen.

242

M. de Zwaan

19.2.2  Patientenauswahl und

und der Einnahme der Supplemente zur Prophylaxe eines Mangels) abgeschätzt werden.

Psychische Störungen sind bei Patienten vor Adipositaschirurgie häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Affektive Störungen waren mit einer Prävalenz von 23 % signifikant häufiger als in der US-Bevölkerung (10 %), ebenso Depression (19 % versus 8 %) und ­Binge-Eating-Störung (17 % versus 1–5 %).

Expertenkonsens; Konsens (Enthaltung: 1)

Indikation

z Empfehlung 4.2

Bei der interdisziplinären Indikationsstellung für einen adipositaschirurgischen oder metabolischen Eingriff soll ein Mental Health Professional (MHP) involviert sein, der möglichst in der Therapie der Adipositas tätig ist. Expertenkonsens; starker Konsens (Enthaltung: 2) z Empfehlung 4.3

Bei allen Patienten soll eine Beurteilung bezüglich aktueller und früherer psychischer Störungen (v. a. affektive Störungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzgebrauchsstörungen und Essstörungen) und bezüglich aktueller und früherer absichtlicher Selbstbeschädigung (v. a. Suizidversuche) vorgenommen werden. Expertenkonsens; starker Konsens (Enthaltung: 1) z Empfehlung 4.4

Alle Patienten sollen bezüglich eines problematischen Alkoholkonsums und anderer Substanzabhängigkeiten gescreent werden.

19

z Empfehlung 4.6

Die Integration eines MHP in das interdisziplinäre Behandlungsteam wird empfohlen, da psychische Komorbiditäten bei Patienten, die sich zur Adipositas- bzw. metabolischen Chirurgie vorstellen, höher sind als in der Allgemeinbevölkerung, einen negativen Einfluss auf den postoperativen Gewichtsverlauf nehmen können (v. a. Persönlichkeitsstörungen) und einige (zumindest unbehandelt) eine (relative) Kontraindikation darstellen. Expertenkonsens; starker Konsens z Empfehlung 4.7

Psychische Erkrankungen, Binge-Eating-Störung oder kindliche Missbrauchserfahrung stellen keine generelle Kontraindikation gegen adipositaschirurgische bzw. metabolische Operationen dar. Patienten sollen nicht einem Eingriff unterzogen werden, wenn folgende Kontraindikationen bestehen: 5 instabile psychopathologische Zustände, 5 aktive Substanzabhängigkeit, 5 eine unbehandelte Bulimia nervosa. Können die als Kontraindikationen genannten Erkrankungen und Zustände erfolgreich behandelt werden oder können psychopathologische Zustände in einen stabilen Zustand überführt werden, sollte eine Reevaluation erfolgen.

Expertenkonsens; starker Konsens (Enthaltung: 1)

Expertenkonsens; starker Konsens

z Empfehlung 4.5

19.2.3  Nachsorge

Es soll die Motivation für den Eingriff sowie die bisherige Adhärenz mit medizinischen Maßnahmen (als möglicher Hinweis auf die Adhärenz mit der Teilnahme an der Nachsorge

Adipositas ist eine chronische Erkrankung und bedarf folglich nach einer adipositaschirurgischen oder metabolischen Operation

243

19 · Die S3-Leitlinie Adipositaschirurgie

einer strukturierten lebenslangen Nachsorge. Die Nachsorge sollte folgende Aspekte umfassen: z Empfehlung 7.2

5 Kontrolle der Gewichtsentwicklung, 5 Anpassung der Medikation bei Begleiterkrankungen, 5 Beurteilung des Essverhaltens und entsprechende Beratung, 5 Ermunterung zur sportlichen Aktivität, 5 Kontrolle der Durchführung einer Supplementation zur Prophylaxe von Mangelerscheinungen infolge Fehlernährung oder bei Malabsorption, 5 Laborkontrollen, 5 Screening psychischer Erkrankungen, 5 Erkennen von Komplikationen und Einleitung entsprechender Interventionen oder Indikationsstellung für nötige/empfohlene weitere Operationen, 5 Ermunterung zur Teilnahme an Selbsthilfegruppen, 5 Aufklärung zur Vermeidung einer Schwangerschaft bei prämenopausalen Frauen in den ersten zwei Jahren. Expertenkonsens; starker Konsens z Empfehlung 7.5

Postoperativ soll bei Patienten mit bekannten präoperativen psychischen Störungen und präoperativem selbstschädigendem Verhalten das Vorhandensein, Wiederauftreten bzw. eine Verschlechterung von psychischen Störungen und von Suizidalität proaktiv erfragt werden.

19

anderen psychischen Störungen (v. a. affektive Störungen, Substanzgebrauchsstörungen, Suizidalität) empfohlen werden. Expertenkonsens; starker Konsens z Empfehlung 7.7

Dosisanpassungen von Psychopharmaka müssen gegebenenfalls durchgeführt werden. Expertenkonsens; starker Konsens z Empfehlung 7.8

Postoperativ kann Patienten eine behaviorale Lebensstilintervention angeboten werden, um die Gewichtsabnahme zu unterstützen und die Gewichtswiederzunahme zu reduzieren. Empfehlungsgrad 0; starker Konsens z Empfehlung 7.9

Reine Lebensstilinterventionen sollen die Adhärenz v.  a. mit den Ernährungsempfehlungen und der körperlichen Aktivität unterstützen. Sie enthalten verhaltenstherapeutische Elemente, sind aber nicht als Psychotherapie zu werten. Psychotherapeutische Interventionen dienen der Behandlung von psychischen Störungen und müssen von einem MHP durchgeführt werden. Expertenkonsens; starker Konsens (Enthaltung: 1)

Expertenkonsens; starker Konsens

Zusätzlich zu den Empfehlungen wurden noch 3 Statements formuliert, die eine Evidenzbasierung aufweisen.

z Empfehlung 7.6

z Statement 7.2

Die postoperative Evaluation/Behandlung durch einen MHP soll bei präoperativ manifester psychischer Störung und bei postoperativem Auftreten von Essanfällen („binge eating“, „loss-of-control eating“) oder von

Postoperative Depression und postoperatives, nichtnormatives Essverhalten sind negativ mit dem postoperativen Gewichtsverlauf assoziiert. Starker Konsens

244

M. de Zwaan

z Statement 7.3

Die postoperative Suizidrate ist höher als in der Allgemeinbevölkerung. Es gibt Hinweise, dass die Inzidenz von selbstschädigendem Verhalten und von Suiziden postoperativ zunimmt. Ob und welche ätiologische Verbindung zum adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Eingriff besteht, ist jedoch unklar. Starker Konsens z Statement 7.4

Es gibt Hinweise, dass problematischer Alkoholkonsum nach Magenbypass langfristig zunimmt. Starker Konsens (Enthaltung: 1)

19

Selbsthilfegruppen haben einen positiven Effekt auf den postoperativen Verlauf, die Teilnahme an Selbsthilfegruppen führt zu einem signifikant höheren Gewichtsverlust bei adipositaschirurgischen Patienten. Auch in der aktuellen amerikanischen Leitlinie wird die Teilnahme an Selbsthilfegruppen empfohlen. Der Effekt steigt mit der Häufigkeit der Besuche bzw. der Anzahl der besuchten Gruppen. Im Sinne einer besseren Patientenaufklärung empfiehlt die Leitlinie, den Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe auch schon vor der Operation aufzunehmen.

245

Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie Astrid Müller 20.1 Hintergrund – 246 20.2 Präoperative psychosoziale/psychosomatische Evaluation – 246 20.3 Kontraindikationen – 250 20.4 Einsatz von Fragebögen in der psychosozialen/ psychosomatischen Evaluation – 251 20.5 Spezialfälle – 252 20.5.1 Jugendliche Personen – 252 20.5.2 Personen mit niedrigem Intelligenzniveau, kognitiver Retardierung oder Demenz – 253

20.6 Psychosoziale/psychosomatische Evaluation nach Adipositaschirurgie – 253 Literatur – 253

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_20

20

246

A. Müller

20.1  Hintergrund

Gemäß der aktuellen S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen (AWMF 2018) wird die Integration eines Mental Health Professional (MHP) in das interdisziplinäre adipositaschirurgische Behandlungsteam empfohlen. Diese von den Fachgesellschaften konsentierte Empfehlung ist in die Leitlinie aufgenommen worden, weil Patienten, die sich zur Adipositas- bzw. metabolischen Chirurgie vorstellen, eine höhere psychische Komorbidität als die Allgemeinbevölkerung aufweisen, was sich negativ auf den postoperativen Gewichtsverlauf und die psychische Gesundheit auswirken kann (7 Kap. 8, 7 Kap. 9, 7 Kap. 11). > Laut S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas

und metabolischer Erkrankungen soll ein Mental Health Professional im interdisziplinären adipositaschirurgischen Behandlungsteam mitarbeiten.

Bislang liegen keine allgemeingültigen, strukturierten Vorgaben für die Durchführung der präoperativen psychosozialen/psychosomatischen Evaluation vor, was in uneinheitlichen Untersuchungsstandards resultiert (Edwards-­Hampton und Wedin 2015; Marek et al. 2016). Ziel dieses Buchkapitel ist es, Empfehlungen für die präoperative psychosoziale/psychosomatische Evaluation vor Adipositaschirurgie zu formulieren und auf Aspekte der postoperativen Evaluation psychischer Probleme einzugehen. Die Empfehlungen orientieren sich an der bisherigen Forschungsliteratur und der aktuellen S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen und basieren auf mehrjährigen eigenen klinischen Erfahrungen im Bereich Adipositaschirurgie.

20

20.2  Präoperative psychosoziale/

psychosomatische Evaluation

Laut S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen soll die präoperative psychosoziale/psychosomatische Evaluation möglichst durch einen in der Adipositasbehandlung erfahrenen Mental Health Professional erfolgen. Gemeint sind damit Fachkollegen aus den Bereichen Psychosomatik, Psychiatrie oder klinische Psychologie, die im Bereich Adipositastherapie versiert sind. Die Evaluation dient in erster Linie der Diagnostik aktueller und früherer psychischer Störungen und der Beurteilung, ob die angestrebte Adipositaschirurgie zum Untersuchungszeitpunkt aufgrund der F-Diagnosen kontraindiziert ist (z.  B. Edwards-Hampton und Wedin 2015; Marek et al. 2016; Sogg et al. 2016). Eine weitere Aufgabe der präoperativen Evaluation besteht in der Feststellung eines etwaigen prä- und postoperativen Behandlungsbedarfs der psychischen Probleme (Marek et al. 2016). Zu den Bestandteilen der präoperativen Untersuchung zählen das klinische Interview (. Tab. 20.1), die Anwendung standardisierter Fragebögen zur Erfassung von Psychopathologie und gesundheitsbedingter Lebensqualität (. Tab. 20.2) sowie die Sichtung bisheriger Befunde (Marek et al. 2016). > Die präoperative psychosoziale/

psychosomatische Evaluation setzt sich aus einem klinischen Interview, der Diagnostik anhand standardisierter Fragebögen und der Sichtung bisheriger Befunde zusammen.

In . Tab. 20.1 sind wichtige Bausteine einer präoperativen psychosozialen/psychosomatischen Evaluation zusammengefasst (in Anlehnung an

20

247 20 · Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie

. Tab. 20.1  Themen der psychosozialen/psychosomatischen Evaluation vor Adipositaschirurgie. (Adapt. nach Müller et al 2012) Ess- und Trinkverhalten

Ess- und Trinkgewohnheiten (Mahlzeiten, Portionsgrößen, bevorzugte Lebensmittel/Getränke usw.) Essen aus emotionalen Gründen in der Abwesenheit von Hunger Objektive und/oder subjektive Essanfälle mit Kontrollverlust über die Nahrungsaufnahme „Grazing“, „snacking“, „nibbling“ „Sweet eating“ Suchtartiges Essen („food addiction“) Nächtliches Essen (Night-Eating-Syndrom, NES) Restriktive Nahrungsaufnahme Kompensatorische (bulimische) Maßnahmen zur Gewichtsregulierung

Gewichtsverlauf

Selbstauskunft über Gewichtsentwicklung Konservative Gewichtsreduktionsversuche Übergewicht/Adipositas in der Familie

Psychischer Status

Psychopathologischer Befund Kognitiv-intellektuelle Fähigkeiten Aktuelle und frühere psychische Erkrankungen Selbstschädigendes Verhalten und suizidale Krisen/Suizidversuche Impulskontrolle Substanzgebrauch, insb. Alkoholkonsum Persönlichkeitsakzentuierungen/-störungen

Bisherige Behandlungen

Ambulante/(teil)stationäre psychologische, psychosomatische, psychiatrische Behandlungen Psychopharmaka Konservative Adipositasbehandlungen

Adipositasassoziierte somatische Erkrankungen

Somatische Eigenanamnese und Befundsichtung

Aktuelle soziale Situation

Sozialstatus, Beruf

Medikation

Familiäre, berufliche, Ausbildungs- und andere psychosoziale Belastungen Familiäre Unterstützung bzgl. Adipiositaschirurgie Kenntnisstand über geplante Adipositaschirurgie und postoperative Lebensstiländerung

Operationsverfahren und potenzielle Operationsrisiken Anpassung Ernährungs- und Trinkgewohnheiten Postoperative Supplementierung von Vitaminen und Mineralien Zielgewicht Postoperative medizinische und ggf. psychosomatische Nachsorge Hautlappen, Körperbild und ggf. Rekonstruktionsbehandlung (Fortsetzung)

248

A. Müller

. Tab. 20.1  (Fortsetzung) Adhärenz

Gründe für Operation Erwartungen an Operation („quick fix“) Bisheriger Umgang mit medizinischen Empfehlungen und Behandlungen Bereitschaft zur Teilnahme an Ernährungs- und Verhaltensprogrammen Bereitschaft zur Wiedervorstellung im Falle postoperativer psychischer Probleme

. Tab. 20.2  Fragebögen zur Beurteilung psychischer Symptome und gesundheitsbezogener Lebensqualität Symptombereich

Fragebogen

Referenz

Essstörung

Eating Disorder ExaminationQuestionnaire (EDE-Q)

Hilbert und Tuschen-Caffier 2006a

Dutch Eating Behavior Questionnaire (DEBQ)

Nagl et al. 2016a

Fragebogen zum Essverhalten (FEV)

Pudel und Westenhöfer 1989a

Night Eating Questionnaire (NEQ)

Meule et al. 2014a

Yale Food Addiction Scale (YFAS 2.0)

Meule et al. 2017a

Power of Food Scale (PFS)

Lowe et al. 2009

Fragebogen zum Körperbild (FKB-20)

Clement und Löwe 1996a

Multidimensional Body-Self Relations Questionnaire (MBSRQ)

Vossbeck-Elsebusch et al. 2014a

Depressionsmodul des Patient Health Questionnaire (PHQ-9)

Löwe et al. 2002a

Beck Depressionsinventar (BDI-II)

Hautzinger et al. 2006a

Angstmodule des Patient Health Questionnaire (GAD-7, PHQ-Panik)

Löwe et al. 2002a

Beck Angstinventar (BAI)

Margraf und Ehlers 2007a

Selbstschädigung

Self-Harm Inventory

Müller et al. 2016a

Alkoholkonsumstörung

Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT)

Dybek et al. 2006a

Lebensqualität

Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

Müller et al. 2018

Impact of Weight on Quality of Life-Lite (IWQoL)

Müller et al. 2011a

SF-36 Health Survey

Bullinger und Kirchberger 1998a

Körperbildstörung

Depression

Angststörung

a

20

Quellenangabe für die validierte deutsche Version des Fragebogens.

249 20 · Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie

Müller et al. 2012). Ein besonderer Fokus der Evaluation liegt auf der Exploration des Ess- und Trinkverhaltens der Patienten (7 Kap. 9) sowie auf der Anamnese und Beurteilung des Verlaufs psychischer Störungen (7 Kap. 8). Bekanntermaßen sind Punkt- und Lebenszeitprävalenz von affektiven Störungen, Angststörungen sowie Essstörungen, speziell Binge-Eating-Störung und suchtartiges Essverhalten („food addiction“), bei präoperativen bariatrischen Patienten höher als in der Allgemeinbevölkerung (Dawes et al. 2016) (7 Kap. 8, 7 Kap. 9). Entsprechend muss eine strukturierte (Ausschluss-)Diagnostik dieser Erkrankungen erfolgen und dokumentiert werden. Die Exploration sollte sich jedoch keinesfalls auf die Diagnostik der o. g. psychischen Komorbiditäten beschränken. Wichtig ist auch eine gründliche Anamnese von nichtsuizidalen selbstschädigenden Verhaltensweisen und von Suizidgedanken, -absichten und -versuchen. Mittlerweile ist bekannt, dass die absolute Zahl postoperativer Suizide bei bariatrischen Patienten zwar gering, gleichwohl signifikant höher ist als bei hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbaren Personen aus der Bevölkerung, wobei die Suizide nicht zwangsläufig auf die Operationen zurückgeführt werden konnten (für eine Übersicht s. Mitchell et al. 2013; Peterhänsel et al. 2013). In letzter Zeit mehren sich allerdings Längsschnittbefunde aus Gesundheitsregistern, die die postoperative Zunahme von sowohl suizidalen als auch nichtsuizidalen selbstschädigenden Verhaltensweisen (z.  B. vorsätzliche Medikamentenüberdosierung, Alkoholmissbrauch, Vergiftung durch Chemikalien, physisches Trauma) nahelegen (­Backman et  al. 2016; Bhatti et  al. 2016; ­Gribsholt et  al. 2018; Kovacs et  al. 2017; Lagerros et al. 2017) (7 Kap. 11). Schon länger bekannt sind zudem Befunde bezüglich des erhöhten Risikos postoperativer Substanzgebrauchsstörungen, insbesondere schädlichen Alkoholkonsums (Dawes et al. 2016; King et al. 2017; Li und Wu 2016; Mitchell et al. 2015; Spadola et al. 2015, 2017; Wee et al. 2014) (7 Kap. 12). Aus diesem Grund wird

20

in der S3-Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ angeraten, alle Patienten hinsichtlich eines bestehenden oder früheren problematischen Substanzgebrauchs zu befragen (ggf. mit Fragebogen, 7 Abschn. 20.4). Da Temperaments- und Persönlichkeitsvariablen sich sowohl protektiv als auch negativ auf die Entstehung und Aufrechterhaltung von Adipositas, die Adhärenz mit medizinischen Behandlungen, den Verlauf nach Adipositaschirurgie und die psychische Gesundheit allgemein auswirken können (Claes und Müller 2015; Gerlach et al. 2015; Livhits et al. 2012), scheint zudem die Diagnostik von Persönlichkeitsakzentuierungen und -störungen sinnvoll zu sein. Kontrollierte Studien haben gezeigt, dass Patienten vor Adipositaschirurgie relativ häufig an Persönlichkeitsstörungen leiden (Black et al. 1992). So scheint nahezu jeder vierte Patient von einer Persönlichkeitsstörung betroffen zu sein, am häufigsten handelt es sich dabei um ­Cluster-C- (ängstlich-vermeidend, zwanghaft) und Cluster-B-(Borderline-)Persönlichkeitsstörungen (Herpertz et al. 2004; Malik et al. 2014). Nähere Ausführungen zum Zusammenhang zwischen Adipositas, Persönlichkeit und Impulsivität finden sich in 7 Kap. 6. > Neben der Diagnostik früherer und

aktueller psychischer Erkrankungen sollte auch der bisherige Umgang mit psychischen Problemen, einschließlich psychotherapeutischer, psychiatrischer und nervenärztlicher Behandlungen, eruiert werden.

Falls sich der Patient in Behandlung bei einem Psychotherapeuten, Psychiater oder Nervenarzt befindet, vom sozialpsychiatrischen Dienst o. ä. betreut wird bzw. hausärztlich oder anderweitig verordnete Psychopharmaka einnimmt, sollten die jeweiligen Behandler/Betreuer kontaktiert und um Angaben zu den Behandlungsdiagnosen, den verordneten Psychopharmaka und der Behandlungs-/Betreuungsintensität gebeten werden. Wünschenswert ist daneben auch eine Stellungnahme des jeweiligen

250

20

A. Müller

Fachkollegen bzw. Betreuers zur geplanten Operation und, falls möglich, die Zusage der Weiterbehandlung/-betreuung (inkl. Monitoring der psychopharmakologischen ­Medikation). Eine weitere wichtige Aufgabe der präoperativen psychosozialen/psychosomatischen Evaluation ist die Exploration der Motivation des Patienten für den geplanten operativen Eingriff, seiner Kenntnisse über den chirurgischen Eingriff sowie seiner individuellen Erwartungen bzgl. Zielgewicht und Körperbild (Heinberg et  al. 2010; Marek et al. 2016; Price et al. 2013). Es ist wichtig, die persönlichen Erwartungen und Wünsche des Patienten hinsichtlich der angestrebten Gewichtsabnahme zu eruieren und ggf. anzupassen, zumal manche Patienten unrealistisch hohe Erwartungen bezüglich der Gewichtsreduktion haben (Heinberg et al. 2010; Price et al. 2013). Darüber hinaus sollte der Untersucher unbedingt auch die bisherige und zukünftige Adhärenz der Patienten mit medizinischen Behandlungen, konservativen Gewichtsreduktionsversuchen und Lebensstilempfeh­ lungen abschätzen (Moroshko et  al. 2012; Pontiroli et al. 2007). Dies betrifft auch die voraussichtliche Adhärenz mit der Teilnahme an der postoperativen chirurgischen, bei Bedarf auch der psychotherapeutischen/ psychosomatischen/psychiatrischen ­Nachsorge und der Einnahme von Supplementen zur Prophylaxe von Mangelernährung. Hier hat es sich als sehr hilfreich erwiesen, wenn die psychosoziale/psychosomatische präoperative Evaluation nicht vor, sondern nach der Konsultation des chirurgischen Behandlungszentrums erfolgt (Müller et  al. 2012). Die Patienten sollten bereits professionell (und nicht nur via Internet oder Selbsthilfegruppe) über die geplante Operation und deren potenzielle Risiken, die zu erwartende Gewichtsabnahme, die Möglichkeit massiver Hautlappen mit Ptose infolge der Gewichtsabnahme (7 Kap. 16), die Notwendigkeit der postoperativen Lebensstiländerung (einschl. Diät- und Bewegungsverhalten, Supplementierung von Vitaminen

und Mineralien) und die medizinische Nachsorge informiert worden sein, wenn sie sich zur psychosozialen/psychosomatischen Evaluation vorstellen (Brown et al. 2016). Die Aufklärung über diese Inhalte gehört nicht zu den primären Aufgaben des Mental Health Professionals. Vielmehr ist es seine Funktion zu prüfen, ob der Patient hinreichend aufgeklärt ist und ob er die zu erwartenden anatomischen und das Ess- und Trinkverhalten betreffenden Veränderungen ausreichend verstanden hat. > Falls psychische Diagnosen festgestellt

werden, sollte der Patient darüber in angemessener Form informiert und aufgeklärt werden.

Die Patienten sollten immer über vorliegende F-Diagnosen, deren potenziell negativen Einfluss auf den postoperativen Verlauf und entsprechende Therapieoptionen informiert und ggf. auch einer angemessenen Behandlung zugeführt werden. Die präoperative Untersuchung kann durchaus auch eine Gatekeeper-Funktion erfüllen, indem den Patienten standardmäßig eine postoperative Wiedervorstellung bei Bedarf, d.  h. bei Neuauftreten oder Zunahme psychischer Symptome, angeboten wird, um rechtzeitig ggf. notwendige Behandlungen psychischer Probleme einzuleiten. In aller Regel senkt dieses Angebot auf Patientenseite die Hemmschwelle für eine postoperative Wiedervorstellung. 20.3  Kontraindikationen

Es besteht keine empirische Evidenz für einen generellen Ausschluss von Patienten mit psychischen Erkrankungen von einer adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Operation (Marcus et  al. 2009). Dies gilt auch für Binge-Eating-Störung, Night-Eating-Syndrom und suchtartiges Essverhalten („food addiction“), zumal die Datenlage zum Zusammenhang zwischen präoperativer Essstörung und postoperativem Gewichtsverlauf wesentlich inkonsistenter ist als zum negativen Einfluss von postoperativem nichtnormativem

251 20 · Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie

Essverhalten auf den Gewichtsverlauf (Opozda et al. 2016; White et al. 2010). Von Bedeutung sind vielmehr die Schwere und bisherige Fluktuation psychischer Störungen sowie der Umgang des Patienten mit der psychischen Erkrankung und seine Adhärenz mit bisherigen Behandlungen derselben (7 Abschn. 20.2). > Psychische Erkrankungen, einschließlich

Binge-Eating-Störung, stellen keine generelle Kontraindikation gegen eine adipositaschirurgische bzw. metabolische Operation dar.

Gleichwohl werden in der S3-Leitlinie insta­ bile psychopathologische Zustände, aktive Substanzabhängigkeit und unbehandelte Bulimia nervosa als Kontraindikationen genannt. Mit instabilen psychopathologischen Zuständen sind beispielsweise akute Suizidalität oder akute psychotische Zustände gemeint. ! Bei Vorliegen instabiler psychopatho-

logischer Zustände, aktiver Substanzabhängigkeit oder unbehandelter Bulimia nervosa soll keine adipositaschirurgische bzw. metabolische Operation erfolgen.

Die Entscheidung für bzw. gegen eine adipositaschirurgische bzw. metabolische Operation sollte immer auf einer interdisziplinären Risiko-Nutzen-Abwägung basieren. In jedem Fall sollten psychische Störungen diagnostiziert und angemessen behandelt werden. Dies kann durchaus parallel zur Operation, für deren zeitnahe Durchführung in der Regel triftige somatische Gründe bestehen, geschehen. Bei Vorliegen instabiler psychopathologischer Zustände, aktiver Substanzabhängigkeit oder unbehandelter Bulimia nervosa hat die Behandlung der psychischen Erkrankung allerdings Vorrang. Anschließend wird eine psychosoziale/psychosomatische Reevaluierung empfohlen. > Nach psychischer Stabilisierung bzw.

erfolgreicher Behandlung der Substanzabhängigkeit oder der Bulimia nervosa wird eine psychosoziale/psychosomatische Reevaluation empfohlen.

20

20.4  Einsatz von Fragebögen

in der psychosozialen/ psychosomatischen Evaluation

In der klinischen Praxis hängt die Wahl der Instrumente sehr vom jeweiligen Untersucher ab, da bislang keine einheitlichen Standards zur Nutzung von Fragebögen existieren. In . Tab. 20.2 ist eine Auswahl von Fragebögen aufgelistet, deren deutsche Versionen validiert und verfügbar sind. Diese Instrumente haben sich im Bereich Adipositaschirurgie bewährt und können zum Screening oder zur Verlaufsdokumentation empfohlen werden. Eine ausführliche Übersicht zu Selbsterhebungsinstrumenten, die bereits in größeren Stichproben mit bariatrisch-chirurgischen Patienten validiert worden sind, findet sich bei Marek et al. (2016). > Richtlinien zur Anwendung spezifischer

Fragebögen im Rahmen der präoperativen Evaluation sind noch ausstehend.

Zur Diagnostik von Essstörungssymptomen bietet sich z. B. der Eating Disorder Examination-Questionnaire (EDE-Q) (Hilbert und Tuschen-Caffier 2006) an, der auch einige Fragen zu Binge Eating enthält. Gezügeltes, emotionales und externales Essen können mit dem Dutch Eating Behavior Questionnaire (DEBQ) erfasst werden (Nagl et al. 2016). Auch der Fragebogen zum Essverhalten (FEV) (Pudel und Westenhöfer 1989) wurde bereits bei bariatrischen Patienten angewendet. Das Ausmaß nächtlichen Essen kann mit dem Night Eating Questionnaire (NEQ) (Meule et al. 2014) bestimmt werden, und suchtartiges Essverhalten kann mit der Yale Food Addiction Scale (YFAS 2.0) (Meule et al. 2017) gemessen werden. Des Weiteren liegen Befunde von bariatrischen Patienten vor, die zeigen, dass sich auch die Power of Food Scale (PFS) (Lowe et al. 2009), die hedonistischen Hunger abbildet, zur Anwendung bei bariatrischen Patienten eignet (Ullrich et al. 2013).

252

A. Müller

Die Validierung der deutschen Version der PFS wurde unlängst abgeschlossen und wird in Kürze veröffentlicht werden (de Zwaan, mdl. Mitteilung). Die Einschätzung von Körperbildstörungen kann mit dem Fragebogen zum Körperbild (FKB-20) (Clement und Löwe 1996) oder dem Multidimensional Body-Self Relations Questionnaire (MBSRQ) (Vossbeck-Elsebusch et al. 2014) erfolgen. Depressive Symptome können z. B. mit dem Depressionsmodul des Patient Health Questionnaire (PHQ-9) (Löwe et al. 2002) oder dem Beck Depressionsinventar (BDI-II) (Hautzinger et al. 2006) bestimmt werden. Für die Diagnostik von Angstsymptomen bieten sich das Angst- bzw. Panikmodul des Patient Health Questionnaire (GAD-7, PHQ-Panik) (Löwe et al. 2002) oder das Beck Angstinventar (BAI) (Margraf und Ehlers 2007) an. Selbstschädigende Verhaltensweisen können mit dem Self-Harm Inventory (Müller et al. 2016) erfragt werden. Für ein Alkoholkonsumscreening wird der Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT) empfohlen (Dybek et al. 2006; Saunders et al. 1993). > Neben der Erfassung von Essstörungs-

und anderen psychopathologischen Symptomen wird die gesundheitsbezogene Lebensqualität inzwischen als ein geeignetes, patientenbezogenes Outcome im Bereich Adipositaschirurgie angesehen.

20

In den meisten Adipositaszentren und wissenschaftlichen Untersuchungen wurden entweder generische Fragebögen zur Erfassung der Lebensqualität, wie z. B. der SF-36 Health Survey (Bullinger und Kirchberger 1998), oder adipositasspezifische Lebensqualitätsfragebögen, wie z. B. der Impact of Weight on Quality of Life-Lite (IWQoL) Fragebogen (Müller et al. 2011), genutzt. Mit dem Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire (Müller et al. 2018) steht nun auch ein valides adipositaschirurgiespezifisches Messinstrument zur Verfügung, das sich sehr

gut als Patient Reported Outcome Measure (PROM) (de Zwaan 2017) eignet. Der QOLOS wird im Anhang näher vorgestellt. 20.5  Spezialfälle 20.5.1  Jugendliche Personen

Auf Besonderheiten der Indikationsstellung und präoperativen Evaluation bei Jugendlichen wird in 7 Kap. 15 eingegangen. Laut Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) vom Februar 2012 sind eine sorgfältige Einzelfallprüfung und Indikationsstellung durch ein interdisziplinäres Team mit ausgewiesener Expertise auf dem Gebiet der extremen Adipositas bei Jugendlichen notwendig. Neben der Diagnostik psychischer Störungen, die eine Kontraindikation darstellen können, soll die Evaluation auch die „Stabilität und Kompetenz der Familie bzw. der Lebensgemeinschaft, in der der Jugendliche lebt“ feststellen (AGA 2012). Aus psychosozialer Perspektive ergeben sich laut AGA (2012) folgende Kontraindikationen für eine Adipositaschirurgie im Jugendalter: 5 nicht ausreichend behandelte schwere psychiatrische Erkrankungen (z. B. Psychose, emotional instabile Persönlichkeitsstörung, schwere Essstörung); 5 nicht ausreichende Mitarbeit des Jugendlichen während einer 6-monatigen präoperativen Betreuungsphase; 5 instabiles psychosoziales und/oder familiäres Umfeld; 5 geistige Retardierung, sodass die Zusammenhänge und die erforderlichen Lebensstiländerungen vom Jugendlichen nicht verstanden werden (Ausnahme: Bestehen eines gesicherten sozialen Umfelds mit ausreichender Unterstützung und Kontrolle bei der Umsetzung der postoperativen Erfordernisse).

253 20 · Psychosoziale Evaluation vor Adipositaschirurgie

20.5.2  Personen mit niedrigem

Intelligenzniveau, kognitiver Retardierung oder Demenz

Intellektuell-kognitive Einschränkungen sind keine generelle Kontraindikation für eine Adipositaschirurgie (Edwards-Hampton und Wedin 2015). Es muss allerdings berücksichtigt werden, dass Menschen mit niedrigem Intelligenzniveau, kognitiver Retardierung oder Demenz in aller Regel über eine geminderte Alltagskompetenz verfügen, was sich negativ auf den postoperativen Verlauf auswirken kann. Entsprechend kommt der postoperativen Betreuung bei dieser Patientengruppe eine übergeordnete Bedeutung zu, da die Patienten selbst meistens nicht in der Lage sind, eine anhaltende Lebenstilmodifikation (inkl. Einnahme der Supplemente) vorzunehmen. Deswegen müssen die Alltagskompetenzen und die soziale Betreuungssituation der Patienten nicht nur im direkten Kontakt mit diesen, sondern auch fremdanamnestisch erhoben und dokumentiert werden. Als hilfreich erwiesen hat sich das Einholen schriftlicher Auskünfte zu den Restressourcen und der sozialen Betreuungssituation des Patienten von den Behandlern (z. B. Hausarzt, Internist, Nervenarzt) und den jeweiligen Betreuungspersonen. In jedem Fall sollten die Patienten fähig sein, einer Operation bewusst und willentlich zustimmen zu können (Edwards-Hampton und Wedin 2015). 20.6  Psychosoziale/

psychosomatische Evaluation nach Adipositaschirurgie

Während die Befunde zum prädiktiven Wert präoperativer psychischer Störungen weit weniger konsistent sind als ursprünglich angenommen wurde, scheinen sich postoperative psychische Probleme nachweislich negativ auf den Gewichtsverlauf und das

20

Wohlbefinden der Patienten auszuwirken. So haben Längsschnittstudien einen negativen Effekt von postoperativem nichtnormativem Essverhalten und Depression auf den Behandlungserfolg gefunden (Konttinen et al. 2015; Opozda et al. 2016; Sheets et al. 2015). Bei Patienten, die Psychopharmaka einnehmen, sollte auch postoperativ unbedingt ein Medikamentenmonitoring erfolgen, da in manchen Fällen eine postoperative Dosisanpassung erforderlich sein kann (Roerig und Steffen 2015). Patienten sollten auch postoperativ proaktiv nach „loss of control eating“ und anderen Formen nichtnormativen Essverhaltens, dys­ funktionalen Verhaltensweisen zur Gewich­ tsregulierung (Baldofski et al. 2015), Selbstschädigung, Depressivität und anderen psychischen Symptomen gefragt werden (Marek et al. 2017; Sogg et al. 2016). Dies gilt nicht nur für Patienten mit bekannten präoperativen psychischen Störungen, sondern für alle Patienten, da sich nach der Operation auch bei vormals unauffälligen Patienten psychische Probleme einstellen können. Daher sollte – ähnlich wie vor der Operation – ein Mental Health Professional mit entsprechender Adipositaschirurgie-Expertise in die postoperative Diagnostik und Betreuung involviert sein. Patienten mit nichtnormativem Essverhalten oder anderen psychischen Symptomen sollten rechtzeitig Behandlungsangebote bei einem Psychotherapeuten gemacht werden (Rudolph und Hilbert 2013).

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254

20

A. Müller

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Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie Martin Teufel, Per Teigelack und Beate Wild 21.1 Psychoedukation nach Adipositaschirurgie – 258 21.2 Manualstruktur BaSE (Bariatric Surgery and Education) – 258 21.2.1 Dauer der Nachsorge, Sitzungsfrequenz und Setting – 258 21.2.2 Sitzungsablauf – 258 21.2.3 Nächste Schritte (Hausaufgaben) – 259 21.2.4 Interdisziplinarität – 259 21.2.5 Inhalte und Themen des Manuals – 259 21.2.6 Postinterventionelle Information und Edukation – 259 21.2.7 Ernährung und Ernährungsumstellung – 259 21.2.8 Bewegungsanleitung und körperliche Aktivität – 261 21.2.9 Psychosoziale Fertigkeiten und Stressmanagement – 262 21.2.10 Selbstfürsorge und Umgang mit sozialen Konflikten – 262 21.2.11 Körperbild – 262 21.2.12 Rückfallprophylaxe – 263

21.3 Psychotherapie nach Adipositaschirurgie – 263 21.3.1 Psychotherapie nach Adipositaschirurgie – wann und für wen? – 263 21.3.2 Struktur der Psychotherapie nach Saunders – 263 21.3.3 Inhalte und Themen – 263

Literatur – 264

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8_21

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258

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M. Teufel et al.

21.1  Psychoedukation nach

Adipositaschirurgie

Zahlreiche Studien belegen den Erfolg von adipositaschirurgischen Interventionen bei der Behandlung von Patienten mit schwerer Adipositas. Diese Evidenz und das Versagen konventioneller Verfahren bei schwerer Adipositas führen zu einer zunehmend größeren Inanspruchnahme. Das Ausmaß des langfristigen Erfolges der Adipositaschirurgie ist auch abhängig von psychischen Variablen wie Essverhalten und Depressivität (Becker et al. 2015). Letztlich stellt die Aufrechterhaltung der Gewichtsreduktion die größte Herausforderung bei der Therapie der Adipositas dar. Patienten nach Adipositaschirurgie erreichen im Mittel nach einem Jahr die maximale Gewichtsreduktion. Danach beginnt häufig eine langsame Gewichtszunahme. Ein ausschließlich somatischer Behandlungsansatz scheint das Problem der schweren Adipositas nur teilweise zu erfassen. Ca. 30 % der Patienten mit schwerer Adipositas leiden unter psychischen Begleiterkrankungen (z. B. Depression, soziale Phobie und Essstörungen). Viele Patienten haben bei der Umsetzung von notwendigen Verhaltensänderungen nach der Adipositaschirurgie Probleme. Studien deuten darauf hin, dass eine postoperative Psychoedukation nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Gewichtsreduktion signifikant positiv beeinflussen kann (Rieber et al. 2010; Wild et al. 2017a, b). Eine standardisierte, multidisziplinär praktizierte Nachsorge ist deshalb zumindest bei Patienten mit erhöhter Vulnerabilität indiziert. Im Folgenden wird das BaSE-Programm (Bariatric Surgery and Education) vorgestellt, wie es in Tübingen und Heidelberg entwickelt und in einer großen Interventionsstudie überprüft wurde. Es handelt sich hierbei um ein Programm, bei dem der Schwerpunkt auf psychoedukativen Techniken liegt und der Anteil gezielter psychotherapeutischer Interventionen eher gering ausfällt (Hain et al. 2010, 2011; Rieber et al. 2010; Teufel et al. 2012; Wild et al. 2015, 2017a, b).

21.2  Manualstruktur BaSE

(Bariatric Surgery and Education)

21.2.1  Dauer der Nachsorge,

Sitzungsfrequenz und Setting

Die strukturierte psychoedukative Nachsorge erfolgt in Gruppen mit bis zu sechs Teilnehmern über ein Jahr postoperativ. Der Einjahreszeitraum folgt der Rationale, dass v.  a. im ersten Jahr eine ausgeprägte Anpass­ ungsleistung notwendig ist und die Adhärenz besonders unterstützt werden muss. Essstörungs­spezifische maladaptive Verhaltens­ weisen treten vermehrt nach einem SechsMonats-Zeitraum postoperativ wieder auf und persistieren häufig, wenn keine gezielte Intervention erfolgt. Auch bieten die ersten beiden Jahre nach Operation die größte Chance für eine Lebensstiländerung und eine Verbesserung psychosozialer Kompetenzen. Insgesamt erhalten die Teilnehmer 14 Sitzungen Psychoedukation, wobei die ersten vier Sitzungen 14-tägig, anschließende Sitzungen in vierwöchentlichem Rhythmus stattfinden. Ziel eines anfänglich höherfrequenteren Settings ist die Stärkung der Gruppenkohärenz, die einen deutlichen Effekt in Gewichtsabnahmeprogrammen zu haben scheint (Hain et al. 2010; Wild et al. 2017a, b). Es besteht die Möglichkeit, bestimmte Sitzungen über videokonferenzbasierte Gruppen­sitzungen zu führen. 21.2.2  Sitzungsablauf

Jede Sitzung setzt sich aus einem informativen, einem instruktiven und einem übenden Teil zusammen. Die Patienten werden durch strukturierte Tagebucharbeit zur Selbstaufmerksamkeit, zum Erkennen und Einbringen individueller Problemstellungen und zur Erarbeitung von Lösungswegen in der Gruppendiskussion angeleitet. Hilfreich ist eine grafische Rückmeldung in Form einer

21 · Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie

Gewichtskurve, welche die Patienten führen (Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.3  Nächste Schritte

(Hausaufgaben)

In den Gruppensitzungen wird viel Raum für Wahrnehmungen und Veränderungswünsche im Alltag gegeben. Vereinbarte Veränderungsschritte sollen zwischen den Sitzungen regelmäßig geübt werden. Erfolge und Schwierigkeiten werden in der folgenden Sitzung besprochen und bearbeitet (Becker et al. 2015, Wild et al. 2017a, b). 21.2.4  Interdisziplinarität

Im Rahmen der Psychoedukation sollen Patienten möglichst aktiv ihre Fragen stellen können und fachliche Information erhalten. Bei den einzelnen Behandlungsbausteinen wirken Psychotherapeuten, Ernährungsfachkräfte, Physiotherapeuten und Chirurgen zusammen (Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.5  Inhalte und Themen des

Manuals

Als Leitgedanke und Zieldefinition der Intervention kann die folgende Zusammenfassung dienen: Körperliche Veränderungen verstehen, die Achtsamkeit für psychische Prozesse im Zusammenhang mit dem Eingriff stärken und damit Selbstwirksamkeit vermehren und Adhärenz sichern. Das Manual des Programms, das in diesem Fall zum Teil über Videokonferenz durchgeführt wurde (. Tab. 21.1), baut auf den oben beschriebenen Erkenntnissen auf, dass eine längerfristige Gewichtsreduktion und Gewichtsstabilisierung besser erreicht werden kann, wenn Prozesse des Umgangs mit Ernährung, Bewegung, Stress und neuen sozialen Möglichkeiten bewusst vollzogen

259

21

werden. Lebensstiländerungen sollten dabei durch verbesserte Selbstwahrnehmung und Steuerungsfähigkeit möglich werden (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.6  Postinterventionelle

Information und Edukation

Viele Patienten haben Bedarf nach mehr Information als in den strukturierten chirurgischen Nachsorgevisiten gegeben werden kann. Durch fortgesetzte Aufklärung gelingt es Betroffenen besser, eine neue Sicherheit bezüglich der veränderten physiologischen Reaktionen und des veränderten Körpergefühls zu bekommen. Diesem Informationsbedürfnis, das sich im Laufe der Behandlung kontinuierlich verändert, wird in jeder Sitzung Rechnung getragen. So wird ein wichtiger Beitrag zur Adhärenzsicherung geleistet (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.7  Ernährung und

Ernährungsumstellung

Es werden die notwendigen Ernährungsumstellungen nach Adipositaschirurgie adressiert. Durch ein verkleinertes Magenvolumen sind Patienten gezwungen, ihre bisherigen Ernährungsgewohnheiten umzustellen und bewusster und kontrollierter zu essen. Durch eine begleitete Ernährungsumstellung können Risiken der Adipositaschirurgie gemindert und Chancen für eine dauerhafte Gewichtsstabilisierung gesichert werden. Vor allem in den ersten beiden Sitzungen sollen Hilfestellungen gegeben werden, um diese Umstellung besser zu bewältigen. Es erfolgt eine umfassende Ernährungsberatung, auch anhand von individuellen Ernährungstagebüchern. Essenziell ist die Etablierung einer festen Struktur und Anpassung der Nahrungsmenge an die neuen anatomischen

260

21

M. Teufel et al.

. Tab. 21.1  Manualgliederung und Sitzungsverlauf Setting

Sitzung

Sitzungsthemen

Sitzungsziele

Gruppensitzungen („face-to-face“)

1

Ernährung nach OP

Erlernen und Etablierung von neuem Essverhalten Selbstmonitoring

2

3

Leben mit der Magenverkleinerung

Problemthematisierung

Stress – Was macht er mit uns und wir mit ihm?

Erkennen von Stress und „emotional eating“

Hinführung auf eine längerfristige gesunde Ernährung

Erlernen eines Entspannungsverfahrens Selbstmonitoring 4

Bewegungstraining – ­Einführung

Theoretische Grundlagen für ein gesundheitsförderliches Bewegungstraining Praktische Übung in Nordic Walking

5

Vorbereitung der Videokonferenzsitzungen

Einführung in telemedizinische Kommunikationswege und Implikationen für die Gruppe Bedienung des Videokonferenzsystems

(Videokonferenz-) Gruppensitzungen

6

Selbstfürsorge und angenehme Tätigkeiten

Bewusstsein für angenehme Tätigkeiten stärken Bewusste Nahrungsaufnahme Funktionalität von Nahrung

7

Körperbild

Stärkung des Körperbewusstseins Umgang mit Perfektionismus und der Veränderung des Körpers nach der OP

8

Umgang mit sozialen Konflikten (1/2)

Erkennen von schwierigen Situationen („Ärgersituationen“)

9

Selbstfürsorge

Bewusstsein für Basisbedürfnisse stärken Vermittlung der Prinzipien für Schlafhygiene Kritische Diskussion des Fernseh- und Computerkonsums

10

Stress und Umgang mit sozialen Konflikten (2/2)

Erkennen und Bearbeiten von schwierigen Situationen („Ärgersituationen“) Vermittlung von Copingstrategien

11

Entspannung – In der Ruhe liegt die Kraft

Rückmeldung Auffrischung des erlernten Entspannungsverfahrens (Fortsetzung)

261

21 · Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie

21

. Tab. 21.1  (Fortsetzung) Setting

Sitzung

Sitzungsthemen

Sitzungsziele

Gruppensitzungen („face-to-face“)

12

Bewegung – Der Weg ist das Ziel

Aufrechterhaltung der Bewegung im täglichen Leben

13

Ernährung und Rückfallprophylaxe

Erfolge rückmelden Persönliches Risikoprofil erstellen Schritte der Gewichtserhaltung Rückfallprophylaxe

14

Zusammenfassung und Ausblick – Was nehmen wir mit?

Rückmeldung Perspektive fürs nächste Jahr Rückfallprophylaxe

Gegebenheiten. Außerdem wird über „Nebenwirkungen“ der Nahrungsaufnahme wie Übelkeit, Erbrechen oder Dumping-Probleme aufgeklärt und besprochen, wie mit diesen umgegangen bzw. wie diesen vorgebeugt werden kann. Patienten erhalten Informationen zu einer gesunden ausgewogenen Ernährung. Umstellungsschritte der einzelnen Patienten werden in der Gruppe besprochen und mögliche Schwierigkeiten im familiären und Arbeitsplatzumfeld antizipiert. Fragen zur Ernährungsumstellung werden im Verlauf der Intervention immer wieder aufgegriffen. Außerdem wird versucht, ggf. einer unzureichenden Gewichtsabnahme oder einer fehlenden Gewichtsstabilisierung nach initialer Abnahme gerecht zu werden. Derartige Befunde können Folge eines anhaltenden Kontrollverlustes bei der Nahrungsaufnahme sein, was die Einübung einer bewussten und kontrollierten Nahrungsaufnahme erschwert. Hinweisen auf Kontrollverlust wird individuell nachgegangen. Diese finden sich z. B. in einer Verschiebung der Nahrungsaufnahme auf die Nacht („night eating“) oder in einer ununterbrochenen Nahrungsaufnahme am Tag („grazing“, „picking“ oder „snacking“) (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b).

21.2.8  Bewegungsanleitung und

körperliche Aktivität

Die Einübung einer regelmäßigen und befriedigenden körperlichen Bewegung ist unabdingbar für den gewichtsbezogenen Behandlungserfolg sowie dessen Stabilisierung, hat aber auch eine positive Wirkung auf die Stimmung. Da bei Patienten mit schwerer Adipositas positive Erfahrungen mit Bewegung weiter zurückliegen können, müssen individuelle und effektive Bewegungsziele erarbeitet werden. Viele Patienten benötigen über einen längeren Zeitraum eine strukturierte Unterstützung, um effektive Bewegungsziele aufrechterhalten zu können. Wegen der gelenkschonenden Bewegungsabläufe wird Nordic Walking empfohlen und in zwei Übungsstunden praktisch erfahrbar gemacht. Bewusst werden zu Beginn nur einfache Bewegungsabläufe eingeübt, um in kurzer Zeit erste Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Im Verlauf wird zwischen verschiedenen Bewegungsarten, z.  B. Nordic Walking, Rad fahren und Schwimmen nach individuellen Bedingtheiten variiert. Es erfolgt eine strukturierte Motivationsarbeit, um die körperliche Aktivität auch im Alltag zu

262

21

M. Teufel et al.

erhöhen, z. B. kürzere Wege, wenn möglich, ohne Auto zurückzulegen (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.9  Psychosoziale Fertigkeiten

und Stressmanagement

Adipositas und deren Folgen (z. B. Schmerzen im Bewegungsapparat, Einschränkungen der Atemkapazität und der allgemeinen Leistungsfähigkeit) führen zu anhaltendem Stress. Bei Patienten mit schwerer Adipositas und Impulskontrollschwierigkeiten ist die Stresswahrnehmung erhöht. Gleichzeitig ist nicht selten die kontrollierte oder unkontrollierte Nahrungsaufnahme die einzige Möglichkeit, auf Stress zu reagieren und unangenehme Gefühlszustände zu regulieren. Die Adipositas wird von einem großen Teil der Patienten als soziale Einschränkung oder Behinderung erlebt, negative Stigmatisierungs- und Ablehnungserfahrungen, wie etwa bei Bewerbungsgesprächen, festigen sozial-phobische und depressive Tendenzen der Verarbeitung von Beziehungserfahrungen. Patienten erlernen im Rahmen der Sitzungen Stressmanagementstrategien und erkennen Zusammenhänge zwischen Belastung und Essverhalten. Besonderes Augenmerk kommt der Vermittlung eines imaginativen Entspannungsverfahrens zu (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.10  Selbstfürsorge und

Umgang mit sozialen Konflikten

Ein Teil der Patienten identifiziert sich mit der Rolle des „Für-alle-Sorgenden“ („Caretaker“) und „Streitschlichters“ („calming person“) in der Familie bzw. im System und stellt diese Situation in späteren Beziehungen immer wieder

her. Im Rahmen der Intervention wird versucht, einer fehlenden Selbstfürsorge entgegenzuwirken, und Patienten werden motiviert, andere Selbstverstärkungsstrategien als die Nahrungsaufnahme zu überprüfen und anzuwenden. Probleme in sozialen Interaktionen, der Umgang mit Ärger, Neid und Enttäuschungen werden anhand individueller Beispiele besprochen und in der Gruppe kritisch reflektiert. Alternative Verhaltens- und Denkmuster sollen angeregt werden (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.2.11  Körperbild

Da die Betroffenen durch die Gewichtsreduktion in sehr kurzer Zeit eine wesentliche Veränderung im äußeren Erscheinungsbild erleben und sich daran anpassen müssen, ist das veränderte Körperbild ein wichtiges Thema. Ein positives Körperschema kann sich zudem günstig auf die Gewichtsreduktion und die Gewichtsstabilisierung auswirken. Die Patienten setzen sich bewusst mit ihrem Körperschema auseinander und reflektieren ihre bisherige Einstellung zu ihrem Körper. Dabei sollen v. a. die Erfolge, die die Patienten nach der Operation erreicht haben, in den Vordergrund gestellt werden, um eine positive Einstellung zum Körper zu erzielen. Patienten werden angeleitet, Veränderungen an ihrem Körper bewusst wahrzunehmen, um so die Akzeptanz des Körpers zu verbessern. Hilfreich kann der Einsatz eines Körperbildtagebuchs sein, in das Patienten negative Gedanken und Gefühle hinsichtlich ihres Körpers notieren, um anschließend in der Gruppe alternative Sichtweisen zu erarbeiten. Nach erfolgreicher Gewichtsreduktion rücken bei einem großen Teil der Patienten kosmetische Fragen in den Vordergrund, die ebenfalls mit Fragen an die Chirurgie und mit psychischen Prozessen verbunden sind (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b).

263

21 · Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie

21.2.12  Rückfallprophylaxe

Am Ende der psychoedukativen Behandlung steht eine individuelle Rückfallprophylaxe: Wichtig ist die positive Verstärkung („Lob“) des Erreichten. Kritische Bereiche wurden im vergangenen Jahr erfahren und der konstruktive Umgang mit ihnen erarbeitet. Diese Lösungsstrategien werden für mögliche zukünftige Krisen adaptiert. Außerdem werden Perspektiven für das kommende Jahr erarbeitet (Hain et al. 2010; Becker et al. 2015; Wild et al. 2017a, b). 21.3  Psychotherapie nach

Adipositaschirurgie

21.3.1  Psychotherapie nach

Adipositaschirurgie – wann und für wen?

Psychotherapie nach Adipositaschirurgie zielt auf die Untergruppe der Patienten, die eine psychische Störung oder ein wahrnehmbares Risiko dafür aufweisen. Im Folgenden werden psychotherapeutische Strategien in der Behandlung von Menschen nach bariatrischer Operation dargestellt. Die Herangehensweisen wurden adaptiert an das im Center for Behavioral Change in Richmond Virginia von Ronna Saunders (2004, 2012) entwickelte Compulsive Eater’s Program for Bariatric Surgery Patients (CEP-B). Mit den vorgeschlagenen Therapieinhalten wird versucht, Patienten mit erhöhtem Risiko hinsichtlich psychischer Beschwerden gerecht zu werden. Auch Patienten mit einem geringeren Gewichtsverlust, mit Schwierigkeiten beim Halten des Gewichtsverlusts sowie fortdauernden Schwierigkeiten in der Adaptation des Essverhaltens und der Ernährung mit Kontrollverlusterleben und Nahrungscraving gehören zur Zielgruppe, die einer postoperativen Psychotherapie bedürfen (Saunders 2004, 2012; Becker et al. 2015).

21

21.3.2  Struktur der

Psychotherapie nach Saunders

Die Therapie ist angelegt auf die Dauer von ca. einem Jahr. Es werden Phasen durchlaufen, im Rahmen derer zunächst über 12–16 Wochen wöchentlich 90-minütige Gruppensitzungen für 6–8 Teilnehmer stattfinden (Phase  1). Danach finden über jeweils ca. sechs Monate monatliche Sitzungen statt (Phasen 2 und 3). Die Gruppen sind in der Regel geschlossen. Phase 1 stellt den zentralen Therapiebaustein dar. Ein Teil der Patienten profitiert von Phase 2 und führt die Therapie in niedriger Frequenz fort. Bei nur wenigen Patienten ist eine längerfristige Gruppentherapie indiziert (Phase 3), die sowohl der Notwendigkeit einer „extended care“ beim Aufrechterhalten des Gewichtsverlust gerecht wird als auch fortdauernden kritischen Situationen im Zusammenhang mit Essen und Gewicht. In diesem Phase-3-Setting ist es auch denkbar, dass Patienten kurzfristig wiedereinsteigen, wenn nach bereits beendeter Gruppenbehandlung neuerliche Schwierigkeiten auftreten (Saunders 2004, 2012; Becker et al. 2015). 21.3.3  Inhalte und Themen

Phase I z 1. Essverhalten

Klarer Fokus in dieser Phase liegt auf dem Umgang mit dem Essverhalten. Als Anfangsziel wird die Unterbrechung des Kreises des maladaptiven Essverhaltens festgelegt. Dysfunktionale Verhaltensmuster werden z.  B. durch Essprotokolle identifiziert und bearbeitet. Es erfolgt eine Differenzierung zwischen Hunger und Verlangen nach Essen und deren Verbindung zu veränderten körperlichen Signalen nach der Operation. Neben der Identifikation von Hinweisreizen sollen spezifische individuelle und gruppenbezogene

264

21

M. Teufel et al.

Strategien erarbeitet werden, die helfen, Verlangen zu widerstehen und alternative Aktivitäten zum Essen in den Alltag zu integrieren. z 2. Dysfunktionale Gedanken

Dysfunktionale spezifische Gedanken werden identifiziert. Mittels Umstrukturier­ ungstechniken werden negative Kognitionen bearbeitet. Zentrale Themenbereiche in diesem Zusammenhang sind z.  B. Selbstwertgefühl, Angst und Depression, Alles-oder-Nichts-Denken, Übergeneralisierung, Angst vor Gewichtszunahme, unrealistische Erwartungen. z 3. Emotionen

Viele Betroffene kennen Nahrungsaufnahme aus der Zeit vor der Operation als dysfunktionale Entspannungstechnik. Nach der adipositaschirurgischen Maßnahme können diese Betroffenen schlagartig Essen nicht mehr in dieser Art zur Stress- und Emotionsregulation einsetzen und stehen vor der oft großen Herausforderung, mit Stress und Anspannungszuständen anderweitig umzugehen. Ziel ist es, Affekte frühzeitig und adäquat wahrzunehmen und diese regulieren zu lernen. Häufig sind auch interpersonelle Schwierigkeiten von Relevanz, die ihrerseits zu emotionalen Problemen führen und in diesem Zusammenhang bearbeitet werden. Zentrale Emotion kann auch die Trauer um den Verlust der Beziehung zum Essen sein, und sie sollte aus diesem Grund ausreichend Raum finden (Saunders 2004, 2012; Becker et al. 2015).

Phase II In dieser Phase werden über das Essverhalten und damit verbundene Themen hinausgehende Bereiche bearbeitet. Patienten werden ermutigt, eigene aktuelle Themen einzubringen. Dabei geht es um die erlebten und erfahrenen Veränderungen und Zustände im „Hier und Jetzt“. Es werden aktuelle individuelle und gruppenspezifische Fragestellungen, Umgangsweisen und Empfindungen besprochen. Dabei

geht es um eine Weiterentwicklung der in Phase I erarbeiteten Punkte in einer metaperspektivischen Reflexion. Es werden die hintergründigen und zum Teil bedingenden und/oder aufrechterhaltenden Bereiche tiefer analysiert und bearbeitet auf der Grundlage der in der Gruppe relevanten Themen. Diese Themen umfassen zumeist weitere Erwartungen bezüglich des Gewichts, aber auch sämtlicher Lebensbereiche, bereits stattgehabte oder noch zu planende/geplante Veränderungen im Leben, Selbstbewusstsein, Selbstfürsorge, Umgang mit Stigmatisierungserfahrungen (auch Selbststigmatisierung) und Körperbild(-veränderungen). Im Gruppenprozess ist es ein Ziel, Fortschritte in der interpersonalen Effektivität zu erreichen (Saunders 2004, 2012; Becker et al. 2015).

Phase III Dieser Phase kommt überwiegend die Funktion einer „Erhaltungstherapie“ zu. Für Patienten, die in der Phase des Gewichthaltens wieder an Gewicht zunehmen und (psychische) Schwierigkeiten entwickeln, kann so durch eine verlängerte Behandlung einem Rückfall in alte kognitive Muster und Verhaltensweisen vorgebeugt werden. Auch Patienten, die bereits zurückliegend nach Phase I und II die Psychotherapie beendet hatten, können im Sinne einer Intervallbehandlung wieder einsteigen. Häufig dient Phase III dazu, die Zeit, bis eine Einzelpsychotherapie gefunden werden kann, zu überbrücken (Saunders 2004, 2012; Becker et al. 2015).

Literatur Becker S, Zipfel S, Teufel M (2015) Psychotherapie der Adipositas. Kohlhammer, Stuttgart Hain B, Hünnemeyer K, Rieber N, Wild B, Sauer H, Königsrainer A, Müller B, Herzog W, Zipfel S, Teufel M (2010) Psychoedukation nach Adipositaschirurgie – ein Manual zur strukturierten Nachsorge. Adipositas 4:125–130 Hain B, Hünnemeyer K, Teufel M, Rieber N, Wild B (2011) Die Videokonferenz-Gruppe in der

21 · Psychoedukation und Psychotherapie nach Adipositaschirurgie

psychoedukativen Nachsorge nach Adipositaschirurgie: Die BaSE-Studie PiD – Psychotherapie im. Dialog 12:162–166 Rieber N, Wild B, Zipfel S, Sauer H, Hain B, Hünnemeyer K, Kramer M, Bischoff SC, Herzog W, Teufel M (2010) Selbsthilfe, Psychoedukation und Gruppenpsychotherapie bei Adipositaschirurgie – ein systematischer Literaturüberblick. Adipositas 4:115–124 Saunders R (2004) Post-surgery group therapy for gastric bypass patients. Obes Surg 14(8):1128–1131 Saunders R (2012) Postsurgery psychotherapy in psychosocial assessment and treatment of bariatric surgery patients. Routledge, New York, S 250–259 Teufel M, Hain B, Rieber N, Herzog W, Zipfel S, Wild B (2012) The BaSE Program – a videoconferencing-based aftercare in psychosocial assessment and treatment of bariatric surgery patients. In: Mitchell JE, Zwann M de (Hrsg) Psychosocial

265

21

assessment and treatment of bariatric surgery patients Routledge, New York, S 241–249 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Hain B, Mack I, Schellberg D, Müller-Stich BP, Weiner R, Meile T, Rudofsky G, Königsrainer A, Zipfel S, Herzog W, Teufel M (2015) A 1-year videoconferencing-based psychoeducational group intervention following bariatric surgery: results of a randomized controlled study. Surg Obes Relat Dis 11(6):1349–1360 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Teufel M (2017a) Interventionen nach Adipositaschirurgie: Implikationen aus der BaSE-Studie. Psychotherapeut 4 Wild B, Hünnemeyer K, Sauer H, Schellberg D, Müller-Stich BP, Königsrainer A, Weiner R, Zipfel S, Herzog W, Teufel M (2017b) Sustained effects of a psychoeducational group intervention following bariatric surgery: follow-up of the randomized controlled BaSE study. Surg Obes Relat Dis 13(9):1612–1618

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Serviceteil A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire – 269 Sachverzeichnis – 275

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 M. de Zwaan, S. Herpertz, S. Zipfel (Hrsg.), Psychosoziale Aspekte der Adipositas-Chirurgie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-57364-8

269

A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire Astrid Müller Gesundheitsbezogene Lebensqualität (LQ) ist längst als patientenbezogenes Outcome im Bereich Adipositaschirurgie anerkannt ­(Osterhues et  al. 2017; Raaijmakers et al. 2017). Mit dem Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire wurde ein Patient Reported Outcome Measure (PROM) entwickelt, das wesentlich spezifischer als generische LQ-Instrumente die Perspektive bariatrischer Patienten hinsichtlich Krankheitsverlauf und Behandlung abbildet. Die Entwicklung und Validierung des QOLOS orientierte sich an den für PROMs üblichen Vorgaben und Regeln (FDA 2009; de Zwaan 2017). In einer Pilotphase mit 19 postoperativen bariatrischen Patienten wurde zunächst eine 250  Items umfassende initiale Version des Fragebogens auf der Grundlage von ­ offenen Interviews und Fokusgruppen, die qualitativinhaltsanalytisch ausgewertet wurden, entwickelt. Anschließend erfolgte eine erste Selektion von Items anhand eines Wichtigkeitsratings durch weitere 101 Patienten und 69 Experten aus dem Bereich Adipositaschirurgie (z. B. Viszeralchirurgen, psychosomatisch tätige Ärzte und Psychologen, Ernährungsberaterinnen, Ökotrophologinnen). Daraus resultierte eine 120-Item-Version (Selle 2017), die mit dem Ziel einer psychometrisch und inhaltlich fundierten Itemreduktion sowie zur Überprüfung der Dimensionalität (anhand explorativer und konfirmatorischer Faktorenanalysen) und Reliabilität von weiteren 220 präoperativen und 219 postoperativen bariatrischen Patienten beantwortet wurde (Müller et al. 2018). Zur Abklärung der Konstruktvalidität wurden zudem standardisierte, valide Fragebögen für generische und adipositasassoziierte LQ, Angst-, depressive sowie Essstörungssymptome vorgegeben.

. Abb. A.1 zeigt den finalen QOLOS. Alle Items sind auf einer einheitlichen fünfstufigen Likertskala von 1 („Trifft voll und ganz zu“) bis 5 („Trifft nicht zu“) zu beantworten. Über Aufaddieren der einzelnen Items lässt sich ein Summenwert errechnen. Dabei ist zu beachten, dass 12 Items so gepolt sind, dass höhere Werte eine geringere LQ abbilden. Diese Items müssen für die Auswertung zunächst rekodiert werden (Items 9–12, 14, 16, 18, 21, 23, 27, 34, 47). Für die restlichen Items gilt, dass höhere Werte einer höheren LQ entsprechen. Der Fragebogen besteht aus zwei Teilen. Teil 1 des QOLOS bezieht sich auf LQ-Aspekte, die für bariatrische Patienten generell relevant sind. Dieser Teil kann von Patienten sowohl prä- als auch postoperativ beantwortet werden. Die 36 Items des QOLOS-Teil 1 bilden die 7 Subskalen: 1. Essstörungssymptome, 2. körperliche Funktionsfähigkeit, 3. Körperzufriedenheit, 4. familiäre Unterstützung, 5. soziale Diskriminierung, 6. positive Aktivitäten, 7. Partnerschaft.

Teil 2 des QOLOS besteht aus 20 Items, die ausschließlich nach Adipositaschirurgie vorgegeben werden sollten, weil sie ausschließlich postoperative Aspekte tangieren. Der QOLOS-Teil 2 hat folgende 4 Subskalen: 1. überschüssige Haut, 2. postoperatives Essverhalten, 3. Dumping 4. Zufriedenheit mit der Operation. Alle QOLOS-Subskalen wiesen in der Validierungsstudie eine akzeptable bis exzellente Reliabilität (Cronbach’s α 0,72–0,95) und eine sehr gute Konstruktvalidität auf

270

A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

Abb. A.1  Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

271 A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

Abb. A.1 (Fortsetzung)

272

A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

Abb. A.1 (Fortsetzung)

273 A Der Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire

(Müller et al. 2017). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass sich der QOLOS als patientenorientierter Endpunkt zur Beurteilung des Behandlungserfolges von Adipositaschirurgie eignet. Um kleinere Schwächen hinsichtlich der Verständlichkeit einiger Items der Subskalen Partnership und Dumping zu berücksichtigen und um Erkenntnisse zu Retest-Reliabilität, Änderungssensitivität, Einfluss von Operationsverfahren und Followup-Spanne auf das Untersuchungsergebnis zu gewinnen, werden aktuell die Testgütekriterien einer marginal modifizierten Version des QOLOS, dem sog. QOLOS-­Revised, im Rahmen einer aktuell laufenden Längsschnittstudie mit bariatrischen Patienten untersucht.

Literatur Zwaan M de (2017) PROMs – Patient Reported Outcome Measures. Psychotherapie, Psychosomatik, medizinische Psychologie 67(11):455–456

FDA (2009) Guidance for industry. Patient-reported outcome measures: use in medical product development to support labeling claims. 7 http:// www.fda.gov/downloads/Drugs/Guidances/ UCM193282.pdf. Zugegriffen: 29. Nov 2017 Müller A, Crosby RD, Selle J, Osterhues A, Köhler H, Mall JW, Meyer T, de Zwaan M (2018) Development and evaluation of the Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) questionnaire. Obes Surg 28(2):451–463. 7 https://doi.org/10.1007/s11695-017-2864-6 Osterhues A, Lengerke T von, Mall JW, Zwaan M de, Müller A (2017) Health-related quality of life, anxiety, and depression in bariatric surgery candidates compared to patients from a psychosomatic inpatient hospital. Obes Surg 27(9):2378–2387 Raaijmakers LC, Pouwels S, Thomassen SE, Nienhuijs SW (2017) Quality of life and bariatric surgery: a systematic review of short- and long-term results and comparison with community norms. Eur J Clin Nutr 71(4):441–449 Selle J (2017) Entwicklung eines gesundheitsbezogenen Lebensqualitätsfragebogens bei Adipositaschirurgie. Dissertation, Medizinische Hochschule Hannover. 7 http://edok.bib.mh-hannover.de/ediss/diss-selle. pdf. Zugegriffen: 13. Dez. 2017

275

A–A

Sachverzeichnis

A Absorption –– Defizit für Mikronährstoffe  178 –– reduzierte intestinale  62 –– von Arzneimitteln  174 addiction transfer nach bariatrischer Operation  170 Adhärenz  249 –– Abschätzen der  242 –– im Jugendalter  204 –– nach bariatrischer Operation  222 Adipositas –– als familiäre Erkrankung  206 –– assoziierte Krankheiten  12 –– Basisuntersuchungen  194 –– bei Kindern und Jugendlichen  71 –– Diabetesrisiko  15 –– Empowerment  81 –– Energiegewinnung aus Glukose  111 –– Entscheidungsverhalten  102 –– ergometrische Diagnostik  194 –– Folgekrankheiten  11, 13 –– Gallensteine  22 –– Heritabilität  207 –– Komorbiditäten  189 –– körperliche Leistungsfähigkeit  189 –– pankreatisches Polypeptid  141 –– Pathologie  11 –– pharmakokinetische Prozesse  175 –– Prävalenz in der Jugend  200 –– psychische Komorbidität  258 –– Strategien in der Gesprächsführung  80 –– und Alkoholabhängigkeit  168 –– und Angststörungen  116 –– und Arthrose  190 –– und Atherosklerose  18 –– und Belohnungsangebot  109 –– und Depression  116 –– und Diabetes mellitus  15 –– und Dopaminspiegel  109 –– und Herzinsuffizienz  19 –– und Hypertonie  17 –– und Impulsivität  90 –– und koronare Herzkrankheit  18 –– und metabolisches Syndrom  14 –– und Persönlichkeitsstörung  119, 129, 249 –– und Substanzabhängigkeit  168

–– und unipolare Depression  157 –– und zerebrale Risiken  20 –– Ursachen  11 –– Verhaltenskontrolle  102 –– viszerale  15 adipositas gigantea  230 Adipositas-Hypoventilationssyndrom (OHS)  21 Adipositas ohne MetS –– Morbidität und Mortalität  13 Adipositaschirurgie –– Antrag auf Kostenübernahme  231 –– Definition  30 –– Effekt auf dopaminerge Signalübertragung  110 –– Einstellungen gegenüber der  70 –– Evaluation  246 –– Gewichtsentwicklung nach OP  110 –– im Jugendalter  252 –– Indikationsstellung  30 –– Indikationsstellung bei Jugendlichen  209 –– informierte Zustimmung durch Jugendliche  202 –– intellektuell-kognitive Einschränkungen  253 –– Knochenreife  202 –– Kontraindikationen  32, 250 –– Kostenerstattung  236 –– Kostenübernahme der Krankenkasse  230 –– medizinische Indikation  230 –– Nährstoffmangel  60 –– postoperative Suizidraten  154 –– prophylaktische Supplementierung  61 –– selbst beschaffte Operation  237 –– und fortgeschrittenes Lebensalter  31 –– Wirksamkeit im Jugendalter  207 –– Zustimmung der Erziehungsberechtigten  206 Adipositaszentrum, interdisziplinäres  51 Agouti-related Peptid  138 Albuminspiegel  57 Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT)  248 alimentäre Schlinge  39 Alkohol –– Pharmakokinetik nach bariatrischer Operation  170

–– Resorptionsraten nach bariatrischer Operation  168 Alkohol-/Substanzgebrauchsstörung nach DSM-5 –– Kriterien  167 Alkoholabhängigkeit –– Epidemiologie  167 –– Kriterien  166 –– nach bariatrischer Operation  168 –– vor bariatrischer Operation  167 Alkoholgebrauch –– problematischer  242, 244 –– riskanter Konsum  166 –– schädlicher  166 Alkoholkonsum, erhöhter –– im Jugendalter  205 Alkoholkonsum, schädlicher –– postoperativ  249 Alkoholkonsumstörung –– Alcohol Use Disorders Identification Test (AUDIT)  248 alpha-Melanozyten-stimulierendes Hormon  138 Aminosäure, essenzielle  57 Amphetamin-reguliertes Transkript  138 Angststörung  249 –– bei adipösen Jugendlichen  203 –– bei Adipositas  116 –– Fragebögen  248 Anorexia nervosa –– Nesfatin-1  140 –– pankreatisches Polypeptid  141 Antidepressivum –– Pharmakokinetik nach bariatrischer Operation  178 Antrag auf Kostenübernahme  231 –– Genehmigungsfiktion  233 –– Klage gegen Krankenkasse  234 –– Widerspruch gegen Ablehnungsbescheid  234 Arthrose –– bei Adipositas  190 –– Häufigkeit bei Adipositas  11 Arzneimittel –– Absorption  174 –– Elimination  176 –– hydrophiles  175 –– lipophiles  175 –– Metabolisierung  176 –– Pharmakokinetik nach bariatrischer Operation  177

276

Sachverzeichnis

–– Pharmakokinetikstudien mit Antidepressiva  179 –– Therapie nach bariatrischer Operation  177 –– Verteilungsvolumen  175 Aufbautraining  56 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)  91 Ausdauerbelastung  186 –– dynamische  192 Ausdauertraining  192

B Bacteroidetes  143 Bariatric Surgery Version (BSV)  134 bariatrische Endoskopie  5 bariatrische Operation –– Alkoholkonsumstörung nach  96 –– erhöhtes Suizidrisiko nach  96 –– Gewichtsverlust  120 –– psychische Aspekte nach  121 –– psychosoziales Outcome  120 –– Suchtverlagerung nach  96 –– und Impulsivität  92 Basalganglien  103, 109 BaSE (Bariatric Surgery and Education) Studie  225, 258 Belohnung –– abgewertete  105 –– erwartete  106 –– sofortige  107 –– und Dopamin  109 –– und Essverhalten  109 Belohnungsreaktion  102 Belohnungssensitivität  88, 90, 92, 95 Belohnungssystem  170 Belohnungswert  104 –– erwarteter  102 Bewegungsapparat bei Adipositas  189 Bewegungsprogramm  187 biliopankreatische Diversion (BPD)  42 –– Ergebnisse  43 –– Operationstechnik  42 biliopankreatische Diversion mit Duodenal Switch (BPD-DS)  3, 43 –– Ergebnisse  46 –– Operationstechnik  44 biliopankreatische Diversion nach Scopinaro  3 biliopankreatische Schlinge  39, 41

Binge-Eating-Störung (BES)  89, 90, 93, 95, 118, 128, 129, 132, 166, 170, 242, 249, 250 –– Prävalenz vor OP  117 bioelektrische Impedanzanalyse (BIA)  56 Blut-Hirn-Schranke  138 BMI (Body-Mass-Index)  11 –– Indikation zur Adipositaschirurgie  30 –– und Diabetes mellitus  15 –– und GERD  22 –– und gewichtsbezogene Stigmatisierung  70 –– und Herzinsuffizienz  19 –– und Impulsivität  90 –– und KHK  18 Bodylifting –– ventrales oberes  217 –– zirkuläres  216 Body-Mass-Index (BMI)  11 –– Indikation zur Adipositaschirurgie  30 –– und Diabetes mellitus  15 –– und GERD  22 –– und gewichtsbezogene Stigmatisierung  70 –– und Herzinsuffizienz  19 –– und Impulsivität  90 –– und KHK  18 Bolusobstruktion  60 Borderline-Persönlichkeitsstörung  152 Botenstoff –– anorexigener  138 –– orexigener  138 Bulimia nervosa (BN)  129, 166, 242

C Chatprogramm, interaktives  223 Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Adipositastherapie und metabolische Chirurgie (CAADIP)  4 Cholezystokinin (CCK)  141 –– nach bariatrischer Operation  141 Cholezystolithiasis –– Häufigkeit bei Adipositas  11 Choriongonadotropin –– Absorption  175 Cocain-reguliertes Transkript  138 Copingstrategie  223

Cortisolreaktivität, erhöhte –– unter gewichtsbezogener Stigmatisierung  76 cross-addiction nach bariatrischer Operation  170 cue reactivity  89 CYP-Enyzm, intestinales  176 Cytochrom P450 Isoformen (CYPs)  176

D Darmflora –– nach bariatrischer Operation  143 Darm-Gehirn-Achse  138 Depression  253 –– bei adipösen Jugendlichen  203 –– bei Adipositas  116 –– Fragebögen  248 –– nach bariatrischer Operation  169 Depressivität  92, 208, 226, 253, 258 Diabetes mellitus Typ 2 –– Entstehung bei Adipositas  15 –– Häufigkeit bei Adipositas  11 –– nach bariatrischer Operation im Jugendalter  207 –– Prävalenz  15 Diarrhö –– chologene  58 –– osmotische  58 –– postoperative  58 Diätabsicht  103 Diskriminierung  68 –– im Jugendalter  203 Diskriminierungserfahrung, gewichtsbezogene  70 Dopamin  108, 170 Dopaminrezeptoren  110 –– und Adipositasgrad  109 Dopaminspiegel und Adipositas  109 Dosisanpassung von Arzneimitteln  176, 177 Dranginkontinenz  23 Dumping-Syndrom  58 Dünndarm –– enteroendokrine L-Zellen  142 Dünndarm-Bypass-Operation  2 dysfunktionale Familienstruktur  206 dysfunktionaler Gedanke  264 dysfunktionales Essverhalten –– durch gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen  74 Dysmorphophobie  214

277 Sachverzeichnis

E Eating Disorder Examination (EDE)  134 Ein-Anastomosen-Magenbypass  4 Eisen  60, 62 Eisenmangel, postoperativer –– im Jugendalter  208 Eiweißversorgung, postoperative  57 Eliminationsrate, renale –– von Arzneimitteln  176 emotional eating  117, 224, 260 Empowerment  81 Endoskopie, bariatrische  5 Endothelfunktion  187 Energiebilanz, negative  186 Energieumsatz  186, 192 enterisches Nervensystem  141 Entscheidungsfindung  106 Entscheidungsverhalten  102, 106 Erbrechen –– postoperatives  57, 133 –– selbst herbeigeführtes  128, 133 Ergometrie  194 Ernährung –– postoperative  54 –– präoperative  52 Ernährungsgewohnheit –– Umstellung  259 –– Zeitfaktor  106 ernährungsmedizinische Nachsorge  52 Ernährungstagebuch  259 Ernährungsumstellung –– nach Adipositaschirurgie  259 –– postoperative  223 Ernährungsverhalten, postoperatives  55 Ernährungsziel  103 Essanfall  89, 117, 170 –– objektiver  129 –– postoperative Reduzierung  132 –– subjektiver  129 Essensreize  105, 108 Essprotokoll  263 Essrhythmus, zirkadianer  130 Essstörung  249 –– Fragebögen  248 –– im Jugendalter  203 Esssucht  95, 117 Essverhalten –– impulsives  89, 90 –– maladaptives  263 –– nach bariatrischen Operationen  94 –– nichtnormatives, postoperatives  253 –– opportunistisches  105, 109

–– postoperativ  117, 121, 128, 132 –– präoperativ  117 –– Steuerung  105 –– Training  52 –– übermäßiges  105 –– verändertes  223 Essverhalten, dysfunktionales –– durch gewichtsbezogene Stigmatisierungserfahrungen  74 Essverhalten, gesteigertes –– bei gewichtsstigmatisierenden Einflüssen  76 Essverhalten, gestörtes –– im Jugendalter  203 Essverhalten, impulsives –– Veränderbarkeit  93 –– Verhaltenstherapie  93 Evaluation –– präoperative  246

F Fear of Negative Evaluation (FNE)  121 Fett –– Gesamtfettmasse  14 –– subkutanes  18 –– Verteilung  11, 41 Fett, viszerales  14, 15, 18 –– Auswirkungen  16 Fettgewebe –– Durchblutung  175 Fettleber –– Entstehung  21 –– Folgeerkrankungen  22 –– Häufigkeit  21 Fettmalassimilation, postoperative  59 Fettmasse –– und Arzneimitteldistribution  175 Fettschürze –– immobilisierende  214 –– Sicherheitsrisiko im Beruf  215 Fettstoffwechselstörung –– Häufigkeit bei Adipositas  11 Fettstuhl, postoperativer  59 Firmicutes  143 Fitness  186 –– kardiorespiratorische  189, 195 –– nach bariatrischer Operation  191 –– und kardiovaskuläre Morbidität  187 Folsäure  60, 62 food addiction  117, 166, 249, 250 Fragebogen –– aktuelle Studien  91, 95 –– Quality of Life for Obesity Surgery (QOLOS) Questionnaire  269

A–G

–– standardisierter  246 –– Überblick  248 Frühdumping  58

G Gallensteinbildung, postoperative  60 Gallensteine bei Adipositas  22 gastro esophageal reflux disease (GERD)  22 Gastrointestinaltrakt –– enteroendokrine Zellen  138 gastrojenunale Anastomose –– Stenose  60 gastroösophagealer Reflux  22 Gastroplastik –– horizontale  3 –– laparoskopische  3 –– vertikale  2 Gastroschluck  53 Gesamtfettmasse  14 Gewicht –– postoperatives  120 –– präoperatives  120 Gewichtsabnahmeprogramm  258 gewichtsbezogene Stigmatisierung –– bei Kindern und Jugendlichen  71 –– dysfunktionales Essverhalten  74 Gewichtskontrolle –– bei Typ-2-Diabetes  192 –– und Belohnungen  106 Gewichtsmanagement –– körperliche Aktivität  187 Gewichtsreduktion –– konservative Therapie  186, 230 Gewichtsstabilisierung  259 –– in der Gruppentherapie  225 Gewichtsverlust –– Aufrechterhalten  263 –– emotionale Bedeutung bei Jugendlichen  205 –– maximaler  121 –– operative Rekonstruktion  219 –– postoperativer  92, 118, 120, 121, 142, 191, 206, 207 –– Teilnahme an Selbsthilfegruppen  244 –– und mikrobielle Zusammensetzung  143 –– und präoperative Essanfälle  129 –– zu erwartender  106 Gewichtsverlust, postoperativer –– und Persönlichkeitsstörungen  119 Gewohnheitsausprägung, individuelle  103 Ghrelin  109, 139

278

Sachverzeichnis

–– nach bariatrischer Operation  139 Ghrelin-O-Acyltransferase (GOAT)  139 glomeruläre Filtrationsrate  176 Glucagon-ähnliches Peptid 1 (GLP1)  110, 142 Glukosehaushalt, peripherer  109 Glukosespiegel –– und kognitive Leistungsfähigkeit  110 –– Verbesserung nach bariatrischer Operation  144 glykämische Kontrolle  192 –– nach bariatrischer Operation  191 Gonarthroserisiko bei Adipositas  25 grazing  117, 128, 131, 132, 247, 261 gruppenbasierte Intervention  223 Gruppentherapie –– kognitiv-behaviorale Kurzzeittherapie  223 –– nach bariatrischer Operation  223 Gynäkomastie  217

H Handlungskontrolle –– gewohnheitsmäßige  103, 104, 108 –– zielorientierte  102, 104, 107, 108 Handlungssteuerung s. Handlungskontrolle Harninkontinenz bei Adipositas  23 Hautgewebsüberschuss  214 Heritabilität  207 Herzinsuffizienz  19 –– bei Adipositas  189 Herz-Kreislauf-Krankheit –– Häufigkeit  13 Hirnstamm  138 Honeymoon-Effekt  226 Honeymoon-Phase  132 horizontale Gastroplastik  3 Hunger  138, 222, 263 –– Regulation  170 Hungergefühl  105 Hypertonie bei Adipositas –– Blutdruckmessung  18 –– Entstehung  17 –– Häufigkeit  11 –– Mortalität  18 –– Prävalenz  17 Hyperurikämie –– Häufigkeit bei Adipositas  11 Hypothalamus  138

I Identitätsentwicklung in der Adoleszenz  202 impulsives Essverhalten  89 –– Veränderbarkeit  93 –– Verhaltenstherapie  93 Impulsivität  225 –– bariatrische Operationen  92 –– Begrifflichkeit  88 –– Inhibitionskontrolle  88 –– nach bariatrischer Operation  94, 96 –– starke Emotionalität  88 –– Subdimensionen  88 –– und Adipositas  90 –– und BMI  90 Impulskontrollstörung  129 Indikationsstellung  52 informierte Zustimmung durch Jugendliche  202 Inhibitionskontrolle  88, 92, 93, 95 Injektionsfehler bei Adipositas  175 Insulin  109 –– Absorption  175 Insulinresistenz  15, 16, 22 –– Häufigkeit bei Adipositas  11 Insulinsensitivität  191 –– individuelle  111 intellektuell-kognitive Einschränkung  253 interaktives Chatprogramm  223 Interleukin-6  16, 18 International Federation for the Surgery of Obesity and Metabolic Disorders (IFSO)  4 internetunterstütztes Nachsorgeprogramm  223 intestinale CYP-Enyzme  176 inverse- T-Abdominoplastik  216

J Jugendalter –– Definition  200 –– Entwicklungsaufgaben  200 –– Identitätsentwicklung  202 –– Indikationsstellung zur Operation  209, 252 –– kognitive Verzerrungen  201 –– präoperative Diagnostik  204 –– präoperative Evaluation  252 –– psychische Störungen  203

–– –– –– –– –– –– –– –– ––

Risiken bei Adipositas  203 Risikoverhaltensweisen  203 Selbstbild  201 Selbstkonzept  202, 203 Selbstmonitoring  202 Selbstwert  202 Stigmatisierung bei Adipositas  203 und Adipositas  200 und bariatrische Maßnahmen  202

K Kalzium  62 klinisches Interview  246 kognitiv-behaviorale Gruppentherapie  223 kognitive Leistungsfähigkeit und Glukosespiegel  110 Komorbidität –– bei Jugendlichen  206 –– bei OSA  20 –– Effekte auf  3, 20, 39 –– Einschränkung der Belastbarkeit  195 –– psychische  118, 122, 157, 223, 246, 258 –– somatische  186, 189 –– Verbesserung durch Gewichtsreduktion  30 koronare Herzkrankheit bei Adipositas –– Häufigkeit  11 –– Risiko  18 Körperbild  77, 203, 208, 223, 248, 250, 260, 262, 264 Körperbildstörung –– Fragebögen  248 Körperbildtagebuch  262 Körperfett und Morbidität  11 Körperformung nach Gewichtsreduktion  214 Körpergewicht –– postoperative Entwicklung  60 Körpergewichtsregulation –– Effekt von Darmbakterien  143 körperliche Aktivität  186 –– nach bariatrischer Operation  190 –– postoperativ  56 –– präoperativ  56 –– und kardiometaboles Risikoprofil  187 körperstraffende Operation  214 Körperunzufriedenheit  203 Körperzusammensetzung  56

279 Sachverzeichnis

Kostaufbau, postoperativer  53 Koxarthrose bei Adipositas  25 Krafttraining  193 Kupfer  63 Kurzzeitintervention nach bariatrischer Operation  223

L Laktoseintoleranz  59 Laktosemalassimilation, postoperative  59 Laparoscopic adjustable gastric banding (LAGB) s. Magenband Laparoskopie  3 Lebensmittel, postoperativ empfohlene  54 Lebensqualität  269 –– adipöser Jugendlicher  203 –– Fragebögen  248 –– gesundheitsbedingte  246 –– nach bariatrischer Operation  122 –– nach bariatrischer Operation und Intervention  226 –– und Adipositas  119 –– und erhöhtes Körpergewicht  188 Lebensstilintervention  51 –– aktivitätsbasierte  186 Leistungsfähigkeit, aerobe –– nach bariatrischer Operation  190 Leistungsfähigkeit, körperliche –– bei Adipositas  189 Leptin  15, 18, 109, 110, 140 –– nach bariatrischer Operation  141 Leptinresistenz  140 Lerntheorie  94 Lithium –– Elimination  176 –– Intoxikation nach bariatrischer Operation  181 loss of control eating (LOC)  117, 128, 133, 253

M Magenballon  46 Magenband  33 –– Bolusobstruktion  60 –– Ergebnisse  33 –– europäisches  3 –– Operationstechnik  33 –– steuerbares  3 Magenbandimplantation –– Kontraindikation  131 –– laparoskopische  4 Magenbypassoperation  3

–– –– –– –– –– ––

Bildung von Nierensteinen  60 Essverhalten nach  95 minimalinvasive  4 postoperative Probleme  57 Supplementation  61 und hypothalamische Aktivität  138 Magenpouch, Dilatation  59 Magnesium  60, 63 Mammareduktionsplastik  217 McLean-Technik  2 MCP-1  18 Mental Health Professional  241, 246 –– Funktion  250 metabolische Chirurgie –– Begrifflichkeit  31 –– Indikationsstellung  32 –– Kontraindikationen  32 metabolisches Syndrom  14 –– Definition  14 –– Pathophysiologie  15 –– Prävalenz  14 –– Risiken  15 Metabolisierung, hepatische  176 Midazolam  181 –– Pharmakokinetik  181 Mikrobiom  143 Mill-Magenstrasse-Operation  2 Mineralstoffmangel, postoperativer  60 Mini-Gastric-Bypass (MGB)  3, 5 Missbrauch –– emotionaler  118 –– kindlicher  242 –– körperlicher  118 –– sexueller  118 Mobbing unter Jugendlichen  71 Motivation  105, 109 –– Motivationswert  104 multimodales Therapiekonzept (MMK)  52 Muskelaufbau  192 Muskelgewebe –– postoperativer Verlust  190 Muskelkraft nach bariatrischer Operation  190 Muskelstatus  195

N Nachsorge –– Art und Umfang  243 –– medizinische  250 –– multidisziplinär praktizierte  258 –– psychoedukative  227, 258 –– strukturierte  227

G–P

Nachsorgeprogramm –– internetgestütztes  223 –– Wirkung  226 Nährstoffdefizite, postoperative  60 Nahrungsaufnahme –– automatisierte  105 –– gewohnheitsmäßige  105 Nahrungsaufnahmemikrostruktur  138 Nervensystem, sympathisches  189 Nervus vagus  138 Nesfatin-1  139 –– Anorexia nervosa  140 –– nach bariatrischer Operation  140 –– Regulation des Blutzuckerspiegels  140 Neuropeptid Y  138 nibbling  247 nichtsuizidales Selbstverletzungssyndrom  152 Night-Eating-Syndrom (NES)  117, 128, 130, 247, 250, 261 –– Kriterien nach DSM-5  131 Nikotinpflaster –– Absorption  175 Nordic Walking  261 Normverschiebung nach bariatrischer Operation  208 Nucleus accumbens  170 Nucleus arcuatus  138 Nucleus paraventricularis  138 Nucleus tractus solitarius  138

O Oberschenkelstraffung, vertikale  217 Obstipation, postoperative  58 Omega-Loop-Magenbypass (MGB)  3, 41 –– Ergebnisse  41 –– Operationstechnik  41 One-Anastomosis Gastric Bypass (OAGB)  3 Operationsvorbereitung  52 Ovarsyndrom, polyzystisches  11

P Paneth-Zellen  143 pankreatisches Polypeptid (PP)  141 –– nach bariatrischer Operation  141 Patient Reported Outcome Measure (PROM)  269 Peptid YY (PYY)  110, 142 –– nach bariatrischer Operation  142

280

Sachverzeichnis

peptiderges Signaling nach Adipositaschirurgie  144 Persönlichkeitsstörung  249 –– bei Adipositas  119, 129 P-Glykoprotein  176, 178 Pharmakokinetik –– bei Adipositas  174 –– Prozesse der, (ADME)  174 –– und Gewichtsreduktion  177 Phenylalanin  108 picking  261 plugging  133 polyzystisches Ovarsyndrom  11 positive Verstärkung  263 postoperativer Kostaufbau  53 posttraumatische Belastungsstörung  118 präfrontaler Kortex  102, 107, 201 PROM (Patient Reported Outcome Measure)  269 Proopiomelanocortin  138 Proteinmalabsorption, postoperative  57 Proteinmangel, postoperativer  57 Protonenpumpenhemmer  57 proximaler Roux-en-Y-Magenbypass (pRYGB)  38 –– Ergebnisse  39 –– Operationstechnik  38 Pseudogynäkomastie  217 psychische Komorbidität  118, 258 –– Exploration  249 Psychoedukation  227 –– postoperative  258 psychoedukative Nachsorge  222, 258 –– Gruppensitzungen  260 –– Hausaufgaben  259 –– Videokonferenz  259 Psychopharmaka –– Pharmakokinetik  178 Psychotherapie –– nach bariatrischer Operation  263 Pubertät  200

Q Quality of Life for Obesity Surgery Questionnaire (QOLOS)  269

R Refeeding-Syndrom  133 Regurgitation, postoperative  60, 133 Rekonstruktion der Körperform –– Hochrisikooperation  215 –– medizinische Indikation  215 Resistin  16, 18

Roux-en-Y-Magenbypass –– Absorptionsdefizit  178 –– Pharmakokinetik  178 Rückenschmerzen bei Adipositas  26, 189 Rückfallprophylaxe  224, 263

S satiation  138, 140 satiety  138, 140 Sättigung  138, 222 –– gezielte  104 –– Regulation  171 Sauerstoffaufnahme –– Bestimmung  189 –– und Mortalitätsrisiko  188 Schlafapnoe  17 –– Häufigkeit bei Adipositas  11 –– obstruktive (OSA)  20 Schlaganfall  13, 16, 20 Schlankheitsideal  116 Schlauchmagen  140, 141, 143 –– endoskopische Operation  5 –– Entwicklung  36 –– Ergebnisse  37 –– Operationstechnik  36 Selbstfürsorge  262 Selbsthilfegruppe  244 –– freie Gruppen  227 –– geführte Gruppen  227 –– nach bariatrischer Operation  223 –– Supervision  227 Selbstkontrollfähigkeit, Stärkung der  94 Selbstkonzept  202 –– adipöser Jugendlicher  203 Selbstmonitoring  225, 260 –– Strategien  222 Selbstregulation  201 selbstschädigende Verhaltensweise  252 –– nichtsuizidale  249 Selbstschädigung –– Definition  152 –– direkte  152 –– indirekte  152 –– nach Adipositaschirurgie  154 –– nichtsuizidale  152 –– Prävalenz  153 –– Self-Harm Inventory  248 –– vor Adipositaschirurgie  153 Selbststigmatisierung –– Definition  68 Selbststigmatisierung, gewichtsbezogene  75 –– dysfunktionales Essverhalten  77

Selbstverletzungssyndrom, nichtsuizidales  152 Selbstwert  69, 78, 81, 203, 222 –– im Jugendalter  203 –– in der Adoleszenz  202 Selbstwirksamkeit  69, 81, 226 Selen  63 Self-Harm Inventory  248 Self-Injurious Thoughts and Behaviors Interview  153 Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, selektive (SSRI)  178 Skelettmuskulatur  189 snacking  247, 261 sozialpsychiatrischer Dienst  249 Spätdumping  58 Speiseröhrendilatation  59 standardisierter Fragebogen  246 Steatohepatitis (NASH)  21 Stereotyp  68 Stigmaforschung  68 Stigmatisierung –– Definition  68 –– im Jugendalter  203 Stigmatisierung, gewichtsbezogene  69 –– Angstsymptomatik  78 –– depressive Symptomatik  78 –– erhöhter BMI  75 –– gesteigertes Essverhalten  76 –– im Beruf  71 –– im Gesundheitswesen  73 –– in den Medien  72 –– in zwischenmenschlichen Beziehungen  72 –– Internalisierung  77 –– Interventionen  79 –– körperliche Aktivität  77 –– negative Korrelate  75 –– physiologischer Stress  76 Stressinkontinenz  23 Stressmanagement  223 strukturierte Nachsorge  227 Stuhltransplantation  143 Substanzabhängigkeit –– nach bariatrischer Operation  169 –– vor bariatrischer Operation  167 Substanzgebrauchsstörung –– Kriterien  167 –– postoperative  158, 170, 249 –– und Indikation zur OP  242 Suchterkrankung –– Trivialisierung  166 –– und bariatrische OP  96 –– und dopaminerges System  109 Suizid, postoperativer  249 –– standardisierte Mortalitätsrate  158 suizidale Verhaltensstörung  152

281 Sachverzeichnis

Suizidalität  152 –– akute  251 –– bei adipösen Jugendlichen  203 Suizidrate, postoperative  244 Suizidrisiko, erhöhtes –– nach bariatrischer Operation  96 Suizidversuch, postoperativer  169 super obesity  230 super super obesity  230 Supplementation  177, 243 Supplementierung, prophylaktische –– Laborparameter  63 Swedish Adjustable Gastric Band (SAGB)  3 sweet eating  128, 131, 247 sympathisches Nervensystem  189

T Taillenumfang –– und Diabetes mellitus  15 –– und Herzinsuffizienz  20 –– und kardiovaskuläre Risikofaktoren  14 –– und KHK  18 –– und zerebrales Risiko  20 Telemedizin  227 therapeutisches Drug Monitoring  182 Thiaminmangel  57, 62 TNF-α  18

Trainingsberatung, personalisierte  194 Trainingsprogramm –– Anpassung  195 –– Motivierung  195 –– strukturiertes  186 Trinkverhalten, hochriskantes  169 Tumor-Nekrose-Faktor-α  16 Tyrosin  108 Tyrosinhydroxylase  108

U Übelkeit, postoperative  57 Übergewichtsreduktion, präoperative  52

V Verhaltensanpassung  108 Verhaltenskontrolle  102, 106 Verhaltenssteuerung  108 –– kognitive  105 Verhaltensstörung, suizidale  152 Verhaltenssucht –– nichtstoffgebundene  166 –– stoffgebundene  166 Verhaltensweise, automatische –– Unterdrückung  111 Verlangen nach Essen  263 vertikale Gastroplastik (VGB)  2

P–Z

vertikale Oberschenkelstraffung  217 Vitamin B12  61 Vitamin D  62 Vitamin D3  60 Vitamin E  62 Vitamin K  62 Vitamine A  62 Vitaminmangel, postoperativer  60 Vorurteil  68

W Walking  192 WHR (waist-to-hip ratio) –– und Diabetes mellitus  15 –– und KHK  18 –– und zerebrales Risiko  20 Wirbelsäulenschaden bei Adipositas  26

Y Yale Food Addiction Score  166

Z Zink  62 zirkadianer Essrhythmus  130

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