Idea Transcript
Fabian Beckmann
Minijobs in Deutschland Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
Minijobs in Deutschland
Fabian Beckmann
Minijobs in Deutschland Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen
Fabian Beckmann Bochum, Deutschland Zgl. Dissertation an Ruhr-Universität Bochum, 2018
ISBN 978-3-658-23624-3 ISBN 978-3-658-23625-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Danksagung
Die vorliegende Dissertation ist das Ergebnis eines Forschungsprozesses, der Mitte 2015 begann und im Mai 2018 endete. Wenngleich das Verfassen einer solchen Arbeit in Eigenregie auch mit zähen, einsamen Stunden am Schreibtisch einhergeht, so konnte ich mich doch stets der vollen Unterstützung zahlreicher Menschen sicher sein, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Zunächst gebührt mein Dank den Gutachtern und Betreuern dieser Dissertation, Prof. Dr. Rolf G. Heinze und Prof. Dr. Britta Rehder. Beide haben mich von der ersten Sekunde an unterstützt und standen mir stets mit Rat und Tat zur Seite. Besonders dankbar bin ich für die Autonomie, die sie mir in der Konzeption und Durchführung dieser Studie eingeräumt haben und die es mir ermöglicht hat, das Thema nach meinen Vorstellungen zu bearbeiten. Dass neben dem inhaltlichen immer auch der persönliche Austausch von Respekt, Vertrauen und Freundlichkeit geprägt war, ist alles andere als selbstverständlich. Danken möchte ich auch den weiteren Mitgliedern der Promotionskommission Prof. Dr. Katja Sabisch, Prof. Dr. Martin Werding sowie Dr. Florian Spohr. Ein großes Dankeschön gebührt darüber hinaus ganz besonders meinen jetzigen und ehemaligen Arbeitskollegen am Lehrstuhl für Allgemeine Soziologie, Arbeit und Wirtschaft der Ruhr-Universität Bochum, namentlich Dr. Anna-Lena Schönauer, Dr. Fabian Hoose, Emily Drewing, Sabrina Glanz, Cathérine Momberger, Dr. Claudia Ruddat und Malte Etienne. Euer unermüdliche Einsatz und eure tolle Unterstützung haben mir unglaublich geholfen und ich bin dankbar, in einem so tollen, kollegialen und loyalen Team arbeiten zu dürfen. Das schließt alle Hilfskräfte, die mich in dieser Zeit begleitet und die mir auf ganz unterschiedliche Art und Weise geholfen haben, selbstverständlich und ausdrücklich mit ein. Nicht minder danken möchte ich Prof. Dr. Katrin Schneiders, Dr. Patricia Schütte, Prof. Dr. Jörg Bogumil, Prof. Dr. Manfred Wannöffel und Dr. Heiner Dribbusch, die mich ebenso auf meinem wissenschaftlichen Weg begleitet haben und von denen ich im gegenseitigen Austausch viel gelernt habe. Nun ist die berufliche Arbeit – zum Glück – nicht alles im Leben und deshalb gebührt ein großer Dank meinen treuen Freunden und Wegbegleitern, vor allem Niklas Markloff, Stefan Bühmann, Nico Buchhorn, Till Jacobs, Eileen Berger, Salma Khaleq, Vanessa Vaughn, Julia Block sowie Chris und Clare Lawson. Ich bin dankbar, so tolle Menschen um mich herum zu haben. Eure
VI
Danksagung
Unterstützung und Ablenkung in den vergangenen Jahren hat es mir leichter gemacht, dieses Projekt durchzuziehen. Neben meinen Freunden sind es vor allem auch meine Eltern, Gudrun und Reinhard Beckmann sowie mein Bruder Thorsten, denen ich für die – inzwischen seit Jahrzehnten währende – liebevolle Unterstützung und Hilfe danken möchte. Zu wissen, dass ihr immer für mich da seid, ist Gold wert. Dass ich meinen Weg nach meinen Vorstellungen gehen konnte und dabei stets wusste, voll auf Euch zählen zu können, hat vieles einfacher gemacht! Auch möchte ich meinen Schwiegereltern, Ute Stohr-Schneider und Dr. Hagen Schneider, sowie Henriette und Nike Schneider für ihre Unterstützung aus tiefstem Herzen danken. Abschließend gilt mein größter Dank meiner Partnerin Friederike Schneider, die mich stets mit einer unvergleichlichen und selbstlosen Hingabe, Liebe und Geduld unterstützt und ohne die nicht eine einzige Zeile dieser Arbeit jemals entstanden wäre. Ich bin unendlich dankbar, Dich an meiner Seite zu haben! Das größte Glück ist unsere gemeinsame Tochter Paula, der ich diese Arbeit widmen möchte. Bochum, Juli 2018
Fabian Beckmann
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung..................................................................................................... 1
2
Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel ...................................... 13
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen .............................. 16 2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik: Die Hartz-Reformen als Umbruch in Richtung Aktivierung, Employability und Workfare.............. 28 2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells ............... 40 2.3.1 Die Pluralisierung der Erwerbsformen .......................................... 41 2.3.2 Entwicklung und Strukturen atypischer Beschäftigung ................ 45 2.3.3 Niedriglohnsektor und Niedriglohnbeschäftigung ........................ 52 2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation? ................. 55 3
Geringfügige Beschäftigung in Deutschland .......................................... 65
3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigung ............. 66 3.2 Quantitatives Ausmaß von Minijobs........................................................... 72 3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive ................................... 75 3.3.1 Der Einsatz von Minijobs in deutschen Betrieben: Strukturmerkmale, Anreize und Motive ........................................ 75 3.3.2 Wer sind die geringfügig Beschäftigten? Zur Soziodemografie der Minijobber und den Motiven zur Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung .............................. 78 3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter......... 87 3.4.1 Vertragsart, Einkommen und Stundenlöhne .................................. 87 3.4.2 Branchen und Tätigkeiten ............................................................. 91 3.4.3 Beschäftigungs- und Verweildauer ............................................... 94 3.4.4 Arbeitszeit und Arbeitszeitwünsche .............................................. 95 3.4.5 Weiterbildung ................................................................................ 98 3.4.6 Kenntnis und Gewährung von Arbeitnehmerrechten .................. 100
VIII
Inhaltsverzeichnis
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs ......................... 102 3.5.1 Minijobs als Brücke in (sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung .............................................................................. 102 3.5.2 Verdrängung „regulärer“ Beschäftigung und Einnahmeverluste der Sozialversicherung................................... 110 3.5.3 Soziale Sicherungslücken und prekäre Lebenslagen ................... 113 3.5.4 Verfestigung geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt ................................................................................ 117 3.6 Geringfügige Beschäftigung zwischen Flexibilität und Unsicherheit ....... 120 4
Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit ............................................. 125
4.1 Erwerbsarbeit und Subjektorientierung..................................................... 125 4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen............. 130 4.2.1 Definition und begriffliche Abgrenzung ..................................... 131 4.2.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie .............................................. 132 4.2.3 Das Zürcher Modell..................................................................... 135 4.2.4 Arbeitszufriedenheit als Input- oder Outputgröße? ..................... 138 4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive ........................................................ 141 4.3.1 Definition und begriffliche Abgrenzung ..................................... 142 4.3.2 Arbeitsqualität im Spannungsfeld von objektiven und subjektiven Faktoren ................................................................... 145 4.3.3 Ansätze zur Operationalisierung und Messung ........................... 148 4.3.4 Dimensionen von Arbeitsqualität ................................................ 152 4.4 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob: Konzeptualisierung..................... 156 5
Untersuchungskonzept und Forschungsdesign .................................... 161
5.1 Untersuchungskonzept .............................................................................. 162 5.2 Fragebogeninhalte und Forschungsdesign ................................................ 166 5.3 Forschungsleitende Hypothesen ............................................................... 172 5.4 Auswertungsmethodik .............................................................................. 176
Inhaltsverzeichnis
6
IX
Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation geringfügig Beschäftigter .............................. 185
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale sowie Familien- und Haushaltskontexte.............................................................. 185 6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ................................ 196 6.2.1 Charakteristika des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und vorherige Erwerbstätigkeit ................................................... 196 6.2.2 Art des Arbeitsvertrages, Monatseinkommen und Stundenlöhne ............................................................................... 203 6.2.3 Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeit ............................ 217 6.2.4 Gewährung von Arbeitnehmerrechten......................................... 224 6.2.5 Branchen, Tätigkeiten, Weiterbildung......................................... 229 6.2.6 Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung ........................... 237 6.3 Zwischenfazit ............................................................................................ 243 7
Minijobs im Spiegel der Beschäftigten: Zur subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung von Minijobs .................................... 251
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob ...................................................... 252 7.1.1 Sicherheits- und Entwicklungsdimension ................................... 253 7.1.2 Intrinsische Dimension ................................................................ 263 7.1.3 Soziale Dimension....................................................................... 273 7.1.4 Salutogene Dimension ................................................................. 282 7.1.5 Gesamtschau................................................................................ 290 7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs ........ 297 7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen ............... 308 7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen ............................................................. 320 7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung: Multivariate Analyse der globalen Arbeitszufriedenheit geringfügig Beschäftigter ........................................ 329 8
Minijobs in Deutschland: Erwerbsarbeit zwischen objektiver Prekarität und subjektiver Zufriedenheit ............................................ 343
9
Fazit und Ausblick .................................................................................. 357
Literaturverzeichnis ....................................................................................... 375
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Beschäftigte nach Erwerbsform in Deutschland, 2015 .................... 47 Tabelle 2: Vergleich der soziodemografischen Merkmale von sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten (März 2016, Angaben in Prozent).................................................... 80 Tabelle 3: Soziodemografische Merkmale von Personen in verschiedenen Arten geringfügiger Beschäftigung (März 2016, Angaben in Prozent).................................................... 81 Tabelle 4: Abgleich der soziodemografischen Merkmale zwischen Grundgesamtheit und Sample (Angaben in Prozent) ..................... 170 Tabelle 5: Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der befragten Minijobber (Angaben in Prozent) .................................. 187 Tabelle 6: Familien- und Haushaltskontexte der befragten Minijobber (Angaben in Prozent) ..................................................................... 189 Tabelle 7: Charakteristika der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Angaben in Prozent) ..................................................................... 198 Tabelle 8: Eigenschaften des Arbeitsvertrages nach Merkmalen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und des Betriebes (Angaben in Prozent) ..................................................................... 204 Tabelle 9: Anteil geringfügig Beschäftigter, die das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes benötigen (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) ...................................................................... 209 Tabelle 10: Anteil geringfügig Beschäftigter mit Stundenlöhnen unter Mindestlohnschwelle (nach ausgewählten Merkmalen des Beschäftigungsverhältnisses und Arbeitgebers, Angaben in Prozent) ...................................................................... 216 Tabelle 11: Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze geringfügig Beschäftigter (Angaben in Prozent) ..................................................................... 219 Tabelle 12: Anteil geringfügig Beschäftigter, denen gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte vorenthalten werden (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) ................. 227
XII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 13: Anteil geringfügig Beschäftigter, die in den vergangenen zwölf Monaten an einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) ...................................................................... 235 Tabelle 14: Tarifbindung und Verbreitung von Betriebs-/Personalräten in den Betrieben der Minijobber (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) .................................................. 240 Tabelle 15: Multiple lineare Regression zur globalen Arbeitszufriedenheit von geringfügig Beschäftigten ....................................................... 334
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10:
Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14:
Beschäftigte in Minijobs 2003-2016 (Jahresdurchschnittswerte, Angaben in Millionen) ................... 73 Konzeptualisierung von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob ................................................................................... 158 Visualisierung des Untersuchungskonzeptes .......................... 165 Monatliches Haushaltsnettoeinkommen geringfügig Beschäftigter nach Haushaltsgröße (Angaben in Prozent) ...... 192 Subjektive Schichteinstufung (Vergleich zwischen Sample und dem ALLBUS 2016, Angaben in Prozent) ...................... 195 Vergleich der Erwerbssituation vor Aufnahme des aktuellen Minijobs zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern (Angaben in Prozent) ......................................... 202 Verteilung der Monatseinkommen im Minijob (Angaben in Prozent) .............................................................. 207 Verteilung der Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten (Angaben in Prozent) ....................................... 211 Verteilung der Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen (Angaben in Prozent) ........................................... 213 Arbeitszeitwünsche geringfügig Beschäftigter (nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen sowie Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses, Angaben in Prozent) ............................................................... 222 Gewährung von gesetzlich verankerten Arbeitnehmerrechten sowie freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers unter Minijobbern (Angaben in Prozent)........... 225 Verteilung der Minijobber auf Wirtschaftsbranchen nach Art der geringfügigen Beschäftigung (Angaben in Prozent)... 231 Ausbildungsadäquatheit der Tätigkeiten im Rahmen des Minijobs (Angaben in Prozent) ............................................... 233 Bedeutung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Angaben in Prozent) ....................... 253
XIV
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 15: Erfüllung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) .............................................................. 256 Abbildung 16: Soll- und Ist-Zustand in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Mittelwertvergleich) ....................... 259 Abbildung 17: Mismatch-Indizes in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Angaben in Prozent) ....................... 260 Abbildung 18: Bedeutung der Facetten in der intrinsischen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 264 Abbildung 19: Erfüllung der Facetten in der intrinsischen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) ................................. 267 Abbildung 20: Soll- und Ist-Zustand in der intrinsischen Dimension (Mittelwertvergleich) .............................................................. 270 Abbildung 21: Mismatch-Indizes in der intrinsischen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 271 Abbildung 22: Bedeutung der Facetten in der sozialen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 274 Abbildung 23: Erfüllung der Facetten in der sozialen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) ................................. 277 Abbildung 24: Soll- und Ist-Zustand in der sozialen Dimension (Mittelwertvergleich) .............................................................. 279 Abbildung 25: Mismatch-Indizes in der sozialen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 280 Abbildung 26: Bedeutung der Facetten in der salutogenen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 284 Abbildung 27: Erfüllung der Facetten in der salutogenen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) ................................. 286 Abbildung 28: Soll- und Ist-Zustand in der salutogenen Dimension (Mittelwertvergleich) .............................................................. 287 Abbildung 29: Mismatch-Indizes in der salutogenen Dimension (Angaben in Prozent) .............................................................. 288 Abbildung 30: Soll- und Ist-Zustände in den vier Dimensionen subjektiver Arbeitsqualität von geringfügig Beschäftigten (Mittelwertvergleich auf Basis gleich gewichteter additiver Indizes) .................................................................... 292 Abbildung 31: Bedeutung verschiedener Lebensbereiche unter geringfügig Beschäftigten (Angaben in Prozent) .................... 298 Abbildung 32: Motive für die Aufnahme des Minijobs (Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich) .................................. 301
Abbildungsverzeichnis
XV
Abbildung 33: Funktionen des Minijobs: Mein(en) Minijob (Angaben in Prozent) .............................................................. 304 Abbildung 34: Wunsch nach Wechsel der Erwerbsform unter Minijobbern (nach Geschlecht, Angaben in Prozent) ............. 309 Abbildung 35: „Mit dem Wissen und den Erfahrungen, die Sie in Ihrem Minijob gemacht haben: Würden Sie sich, wenn Sie die Wahl hätten, noch einmal für einen Minijob entscheiden?“ (Angaben in Prozent) .............................................................. 317 Abbildung 36: Sorgen von Minijobbern in ausgewählten Lebensbereichen (Angaben in Prozent) .................................. 321 Abbildung 37: Arbeitszufriedenheit von Minijobbern im Vergleich zu allen Erwerbstätigen in Deutschland (Angaben in Prozent; Skala von 0= sehr unzufrieden bis 10= sehr zufrieden) .......... 331
1 Einleitung1
Als sich das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ im Winter 2017 in seiner TitelStory der sozialen Lage in Deutschland widmete, entschieden sich die beteiligten Redakteure1 für zwei unterschiedliche Titelbilder: während die eine Hälfte dieser Auflage mit einem leuchtend goldenen Hintergrund unterlegt war und titelte, wie gut es den Menschen in Deutschland gehe, erschien die andere Hälfte mit einem tiefschwarzen Hintergrund und einer pessimistischen Zeitdiagnose hinsichtlich der sozialen Lage in Deutschland (vgl. Der Spiegel 2017). Diese Wahl zweier unterschiedlicher Titelbilder ist nicht bloß eine Spielerei eines großen deutschen Nachrichtenmagazins, sondern steht exemplarisch für zahlreiche mediale, politische und wissenschaftliche Debatten um die soziale und wirtschaftliche Lage Deutschlands. Auf der einen Seite prosperiert die deutsche Wirtschaft wie seit Jahrzehnten nicht mehr, was sich auch in einer in den vergangenen zehn Jahren positven Arbeitsmarktentwicklung niederschlägt. Ein Beschäftigungsrekord jagt den nächsten und auch sozialversicherungspflichtige (Normal-) Arbeitsverhältnisse erleben, anders als in den durch Erosions- und Stagnationsprozesse gekennzeichneten Jahren zuvor, wieder einen Aufschwung (vgl. Weber 2017). Deutschland, um die Jahrtausendwende noch „kranker Mann Europas“ (vgl. Schröder 2012), gilt inzwischen europaweit – gerade im Vergleich zu zahlreichen Krisenstaaten auf dem Kontinent – als Paradebeispiel für wirtschaftlichen Aufschwung und eine positive Beschäftigungsentwicklung (vgl. Eichhorst 2013). Auf der anderen Seite werden jedoch zunehmend kritische Stimmen laut, welche den generellen positiven wirtschaftlichen Trend zwar nicht leugnen, jedoch diagnostizieren, dass sich hinter der Fassade dieser neugewonnnen Prosperität zahlreiche gesellschaftliche Fragmentierungen, Polarisierungen und Spaltungslinien auftun (vgl. etwa Vogel 2016, Grimm et al. 2013 sowie die Beiträge in Castel/Dörre 2009). Die Kernfrage, um die sich diese konträren Zeitdiagnosen drehen, liegt darin, inwiefern tatsächlich alle Menschen in Deutschland vom wirtschaftlichen Aufschwung der letzten Jahre profitiert haben und am neuen Wohlstand teilhaben können.
1
Selbstredend auch die Redakteurinnen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass im Folgenden, wann immer die weibliche Form ausgespart bleibt, diese selbstverständlich impliziert ist. Dies geschieht ausschließlich aus Gründen der besseren Lesbarkeit.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_1
2
1 Einleitung
Die sozialwissenschaftliche Forschung hat in den vergangenen Jahren viele Aspekte dieser Debatte aufgegriffen und kritisch kommentiert. Ob nun persistierende Armutsrisiken in Teilen der Bevölkerung, eine die sozialen Ungleichheiten verstärkende Einkommens- und Vermögenspolarisierung oder die zahlreichen Wandlungs- und Flexibilisierungsprozesse des Arbeitsmarktes und der Erwerbsarbeit Gegenstand der Betrachtung sind – konstatiert werden häufig neue gesellschaftliche Fragmentierungen, die, begleitet von einer aktivierenden, auf Selbstverantwortung der Individuen basierenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, zu neuen sozialen Verwerfungen und Exklusionsprozessen führen (vgl., unter vielen, die Beiträge in Bude/Staab 2016 sowie Marchert 2013). Kern dieser häufig kapitalismuskritischen sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen ist die Beobachtung, dass sich trotz des Aufschwungs in Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt die sozialen Ungleichheiten in der Gesellschaft verfestigen und zahlreiche Bevölkerungsgruppen von der positiven sozioökonomischen Trendwende abgeschnitten sind; kurzum: ein Gros aktueller sozialwissenschaftlicher Analysen konstatiert (alte und neue) soziale Ungleichheiten, die sich negativ auf die Leistungs-, Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit auswirken und zu einer „Abstiegsgesellschaft“ (vgl. Nachtwey 2016) führen. In dieser Lesart wird der „Marktfundamentalismus“ zur gesellschaftlichen „Zerreißprobe“ (Dörre et al. 2014) und der wirtschaftliche Aufschwung komme einem „Pyrrhussieg“ (Scherschel/Booth 2012: 39) gleich, da er mit neuen Unsicherheiten am Arbeitsmarkt, einer sich verfestigenden Schere zwischen arm und reich sowie einer auf Drangsalierung und Sanktionierung beruhenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik teuer erkauft sei (vgl. ebd. sowie Dörre 2013a). Vermutet wird in diesem Zusammenhang häufig, dass diese gesellschaftlichen Polarisierungs- und Entsicherungstendenzen weitreichende soziale „Folgekosten“ produzieren, welche weit über die individuellen sozioökonomischen Lebens- und Erwerbslagen hinausgehen. Die Debatten um „Modernisierungsverlierer“ und einem angenommenen Zusammenhang zu gesellschaftlichen und politischen Entsolidarisierungen – prominent diskutiert vor dem Hintergrund der „Flüchtlingskrise“ und des europaweiten Bedeutungsgewinns rechtspopulistischer Strömungen und Parteien – tragen hiervon Rechnung, wenngleich sie zumindest für Deutschland auf empirisch dünnem Eis stehen2 (vgl. etwa Lengfeld 2017a). Da auch anno 2017 – trotz gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse und der Pluralisierung sozialer Milieus (vgl. bereits Beck 1986) – Erwerbsarbeit weiterhin die zentrale Vermittlungsinstanz für die sozialstrukturelle Positionie2
Lengfeld (2017a) kann etwa auf Basis einer empirischen Analyse der AfD-Wählerschaft zeigen, dass es sich bei diesen Menschen nicht um im klassischen Sinne materiell, sondern vielmehr kulturell Abgehängte handelt, die sich gegen eine offene und liberale Gesellschaft stellen, ohne dass dies jedoch in einem kausalen Zusammenhang mit sozioökonomisch prekären Lebenslagen steht.
1 Einleitung
3
rung von Individuen und hiermit auch ihrer gesellschaftlichen Teilhabechancen ist (vgl. Heinze 2011: 92), wird der Kern dieser diagnostizierten gesellschaftlichen Brüche und die Rückkehr der sozialen Frage (Castel 2000) insbesondere in den Wandlungsprozessen des Arbeitsmarktes und der Erwerbsarbeit verortet. Im Zentrum stehen hier neue Entsicherungstendenzen und eine vermutete Schwächung der sozialintegrativen Kraft von Erwerbsarbeit. In dieser Lesart wird die Erwerbssphäre – einst Quelle materiellen Wohlstands, ökonomischer Absicherung und sozialer Aufstiegsmobilität – zunehmend zu einem Produzenten verschärfter sozialer Ungleichheiten mit weitreichenden negativen (Langzeit-) Folgen, wobei dies nicht mehr ausschließlich auf den unteren Rand der Arbeitsgesellschaft beschränkt ist, sondern zunehmend auch zu einem Charakteristikum der Lebenslagen in der Mittelschicht wird (vgl., unter vielen, Mau 2012, Heinze 2011 sowie Burkhardt et al. 2013). In den vergangenen Jahren hat die sozialwissenschaftliche Arbeits(markt)forschung diesbezüglich zahlreiche Wandlungsprozesse der Arbeitswelt beleuchtet und auf kritische Entwicklungen hingewiesen. Häufig thematisiert wird etwa die tendenzielle, in jüngster Vergangenheit jedoch abgeschwächte, Erosion des für den deutschen Arbeitsmarkt charakteristischen Normalarbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Bedeutungsgewinn atypischer Beschäftigungsformen (vgl. Sperber/Walwei 2017; Seifert 2017). Auch die Expansion und Stabilität des Niedriglohnsektors ist häufig Gegenstand der Betrachtung. Ähnlich wie mit Blick auf die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse werden hier insbesondere die weitreichenden Folgen für die sozioökonomischen Lebenslagen von Beschäftigten und ihrer sozialen Sicherung beleuchtet (vgl. Kalina/Weinkopf 2017 sowie Berninger/Schröder 2015). In engem Zusammenhang mit diesen strukturellen Wandlungsprozessen von Erwerbsarbeit stehen auch die Diskurse um neue soziale Ungleichheiten und Prekarität, in deren Zusammenhang insbesondere die Zunahme unsicherer, nicht existenzsichernder Formen prekärer Arbeit thematisiert und kritisiert werden. Diesbezüglich werden im Besonderen auch die Folgen dieser Entwicklungen betont, etwa eine Zunahme sozialer Exklusionsprozesse, individueller Frustrationen sowie schwindende gesellschaftliche Partizipations- und Teilhabechancen (vgl. etwa die Beiträge in Sammet et al. 2016). In ebenso engem Zusammenhang mit den skizzierten strukturellen Wandlungsprozessen von Arbeitsmärkten und von Erwerbsarbeit steht auch die Beleuchtung veränderter Erwerbsverläufe, wobei hier nicht selten auf eine zunehmende Destandardisierung, Entsicherung und eine gestiegene Diskontinuität individueller Erwerbsbiografien hingewiesen wird (vgl. Dütsch/Struck 2014; Gensicke et al. 2010). Die zentralen Folgen für Beschäftigte liegen hier in einer Zunahme von Unsicherheiten, einer eingeschränkten Lebensplanbarkeit sowie dem Zwang, sich kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen des (Arbeits-) Marktes anpassen zu müssen.
4
1 Einleitung
Letzterer Aspekt wird auch in den Debatten um eine zunehmende Subjektivierung von Erwerbsarbeit betont (vgl. die Beiträge in Böhle 2017 sowie Moldaschl/Voß 2002). Zu wissenschaftlicher Prominez schaffte es hierbei etwa die Arbeitskraftunternehmer-These, wonach Beschäftigte zunehmend zum Unternehmer der eigenen Arbeitskraft würden und für sie daher Selbstkontrolle, Selbstvermarktung sowie Selbstrationalisierung an Bedeutung gewännen (vgl. Voß/Pongratz 1998; Heinze 2011: 84f.). Trotz insgesamt ambivalenter Folgen seien Beschäftigte in zunehmendem Maße gezwungen, ihre individuellen Handlungsmuster an ökonomische Notwendigkeiten und Anforderungen des Marktes anzupassen. Eine Konsequenz könne u.a. sein, dass Erwerbsarbeit zunehmend auch zu individuellen Überlastungen führe. Die Diskurse um die Intensivierung von Erwerbsarbeit und neue, vor allem psychische Belastungen in der Arbeitswelt – öffentlich vor allem unter dem Stichwort „Burn-Out“ diskutiert – stehen exemplarisch für eine vermutete Zunahme von Flexibilitätszumutungen auf Seiten der Beschäftigten (vgl. die Beiträge in Keupp/Dill 2010; kritisch: Dornes 2016). Diese kurze Skizze der sozialwissenschaftlichen Forschung zu den Wandlungsprozessen von Arbeitsmärkten und von Erwerbsarbeit offenbart daher eine Vielzahl kritischer Zeitdiagnosen, die vermuten lassen, dass die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ (vgl. bereits die Beiträge in Matthes 1983) eher den Dauer- als den Ausnahmezustand darstellt (vgl. auch Beckmann et al. 2017: 7ff.). Dies gilt trotz – manche Beobachter würden anmerken, nicht zuletzt aufgrund – der insgesamt positiven wirtschaftlichen Lage und Beschäftigungsrekorde Deutschlands in den vergangenen Jahren. Eine Erwerbsform, die in diesem Zusammenhang häufig als Paradebeispiel für die skizzierten neuen Unsicherheiten und Risiken in der Erwerbsphäre angeführt wird, sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, d.h. die sogenannten Minijobs. Diese nehmen nicht nur in Europa – mit Ausnahme Österreichs –, sondern auch im deutschen Beschäftigungsmodell eine Sonderrolle ein (vgl. Eichhorst et al. 2012: 13 f.). Zunächst einmal ist dies der Fall, da geringfügige Beschäftigungsverhältnisse – mit Blick auf geringfügig entlohnte Beschäftigungen – durch eine monatliche Höchstverdienstgrenze von aktuell 450 Euro oder – hinsichtlich der kurzfristigen Beschäftigung – durch einen zeitlichen Höchstumfang von drei Monaten bzw. 70 Tagen Erwerbsarbeit im Jahr charakterisiert sind. Nur in diesen Fällen spricht man von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, die dann – und dies stellt das zweite Kernmerkmal dieser Erwerbsform dar – für die Beschäftigten versicherungsfrei sind. Zwar gilt seit 2013 eine prinzipielle Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung, von der sich die Beschäftigten jedoch befreien lassen können, was in der Praxis den Normalfall darstellt (vgl. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See/MinijobZentrale 2016: 7). Die Versicherungsfreiheit von Minijobs macht diese Erwerbsform folglich insbesondere aufgrund der für Beschäftigten günstigen Brutto-
1 Einleitung
5
Netto-Relation des Einkommens attraktiv, die jedoch mit einer nur marginalen sozialen Absicherung auf Grundsicherungsniveau „erkauft“ wird. Trotz dieser institutionell verankerten unterdurchschnittlichen sozialen Absicherung sind Minijobs inzwischen ein fester Bestandteil und keinesfalls eine in quantitativer Hinsicht randständige Erscheinung des deutschen Beschäftigungsmodells. Die Tatsache, dass Mitte 2017 7,5 Millionen Menschen in Deutschland einer geringfügigen Beschäftigung nachgingen – hiervon rund zwei Drittel ausschließlich und ein Drittel zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung – unterstreicht dies eindrucksvoll (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2017a). Auch, wenngleich nicht ausschließlich, die im Zuge der Hartz-Reformen beschlossene gezielte politische Förderung dieser Erwerbsform als Instrument zur Erhöhung des Beschäftigungsniveaus sowie als niedrigschwellige Brücke in den ersten Arbeitsmarkt hat Minijobs zu einem stabilen Segment des deutschen Arbeitsmarktes werden lassen (vgl. Bäcker 2006). Anno 2017 gehören Minijobs sowohl politisch als auch wissenschaftlich wahrscheinlich zu den am kontroversesten diskutierten Beschäftigungsformen in Deutschland. Einerseits wird insbesondere von Arbeitgeberseite darauf verwiesen, dass Minijobs mitverantwortlich für eine neue Beschäftigungsdynamik am deutschen Arbeitsmarkt gewesen seien und gerade für niedrig qualifizierte Personen neue Beschäftigungsperspektiven eröffnet hätten (vgl. BDA 2017: 22f.). Da ein beachtlicher Teil der Minijobber zudem über zusätzliche (Erwerbs-) Einkommen im Haushaltskontext ebenso verfüge wie über abgeleitete soziale Sicherungsansprüche – bei Studierenden etwa durch die Eltern, bei verheirateten Personen durch den Ehepartner – würden die negativen sozialen Folgewirkungen deutlich häufiger als gemeinhin angenommen abgefedert (vgl. Eichhorst et al. 2012). Auf der anderen Seite sind Minijobs jedoch seit Jahren Gegenstand massiver Kritik, da sie in Augen zahlreicher Beobachter prekäre Soziallagen produzieren. Dies hängt mit der skizzierten sozial- und steuerrechtlichen Sonderstellung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse zusammen, die nach Ansicht der Kritiker den Beschäftigten weder ein existenzsicherndes Einkommen noch eine auskömmliche soziale Sicherung gegen individuelle Risiken wie Alter oder Arbeitslosigkeit ermögliche (vgl. etwa Weinkopf 2011, Bäcker 2006 sowie BMFSFJ 2012). Da Minijobs zudem mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, wird aus gleichstellungspolitischer Sicht darauf hingewiesen, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auch zu einer Verfestigung geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt und einer Zementierung traditoneller Geschlechterrollen beitrügen (vgl. etwa Voss/Weinkopf 2012 sowie Zimmer 2010). Gleichzeitig reduziert sich der Widerstand gegen Minijobs nicht ausschließlich auf die angesprochene sozial- und steuerrechtliche Sonderstellung dieser Erwerbsform, sondern umfasst auch die häufig unterdurchschnittlichen Arbeits-
6
1 Einleitung
und Beschäftigungsbedingungen, die inzwischen solide erforscht wurden (vgl. etwa IAB 2015 sowie RWI 2016). So sind Minijobs durch eine weite Verbreitung von Stundenlöhnen, die unter der Niedriglohnschwelle liegen, charakterisiert. Erwerbsarbeit in Minijobs ist daher mehrheitlich eine Form der Niedriglohnbeschäftigung (vgl. ebd. sowie Pusch/Seifert 2017). Nachgewiesen werden konnten zudem zahlreiche arbeitsrechtliche Verletzungen, die sowohl das Unterlaufen des Gesetzlichen Mindestlohns als auch die Vorenthaltung weiterer Arbeitnehmerrechte wie bezahlten Urlaub oder die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall betreffen (vgl. ebd. sowie Stegmaier et al. 2015). Auch die beruflichen Aufstiegs- und Entwicklungsperspektiven sowie die nur unterdurchschnittliche Fortund Weiterbildungsquote unter geringfügig Beschäftigten sind häufig Gegenstand der Kritik an dieser Erwerbsform (vgl. Bellmann et al. 2013; RWI 2012, 2016). So erschwerten die fehlenden beruflichen Entwicklungsperspektiven den Aufstieg der Beschäftigten in sozialversicherungspflichtige und somit in der Regel besser entlohnte sowie in stärkerem Maße sozial abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse. Hiermit verbunden sind auch kritische Diagnosen zu der sogenannten Brücken- bzw. Sprungbrettfunktion von Minijobs: so lag ein zentrales Anliegen der politischen Reformen dieser Erwerbsform im Zuge der HartzGesetze darin, Minijobs insbesondere als niedrigschwelligen Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt nutzbar zu machen und auf dieser Basis „Aufstiege“ in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ermöglichen (vgl. Fertig et al. 2005). Dieses Anliegen muss auf Basis empirischer Untersuchungen als weitgehend gescheitert beurteilt werden (vgl. etwa Körner et al. 2013; Brülle 2013), wobei hier, dies wird noch zu zeigen sein, auch die individuellen Erwerbspräferenzen der Beschäftigten eine Rolle spielen. In der Summe der bisherigen sozialwissenschaftlichen Forschung werden Minijobs folglich mehrheitlich als ein Musterbeispiel für eine prekäre Form von Beschäftigung angeführt. Insbesondere die Kumulation zahlreicher Risiken für die Beschäftigten wird hier hervorgehoben. Zentrale Folge sei daher, dass Minijobs für Beschäftigte sowohl hinsichtlich ihrer gegenwärtigen als auch zukünftigen Lebenslagen hohe Risiken aufwiesen und gleichzeitig eine berufliche Sackgasse ohne Aussicht auf Verbesserung der eigenen Erwerbssituation darstellten (vgl. DGB 2012, BMFSFJ 2012 sowie Weinkopf 2011). Häufig wird in diesem Zusammenhang das Bild der „Minijob-Falle“ bemüht (vgl. exemplarisch Bosch/Weinkopf 2017). Demnach übe diese Erwerbsform aufgrund ihrer sozialund steuerrechtlichen Sonderstellung auf Beschäftigte zunächst eine hohe Attraktivität aus, entwickele sich jedoch im Zeitverlauf aufgrund von „Klebeeffekten“ mehrheitlich zu einer dauerhaften Beschäftigung mit einer Vielzahl der skizzierten mittel- und langfristigen Risiken (vgl. ebd.). Deutlich wird, dass Minijobs bereits häufig Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung waren und weiterhin sind. Hierdurch wurde ein fundiertes Wis-
1 Einleitung
7
sen sowohl hinsichtlich der soziodemografischen Zusammensetzung der Beschäftigten in dieser Erwerbsform als auch mit Blick auf die sozial- und steuerrechtlichen Anreizmechanismen dieser Beschäftigungsform aufgebaut (vgl. etwa Bäcker/Neuffer 2012). Darüber hinaus waren die gesamtgesellschaftlichen Folgewirkungen – etwa bezüglich möglicher Einnahmeverluste der Sozialversicherungen oder der sozialpolitischen Langzeitfolgen (vgl. Brandt 2006) – ebenso Gegenstand der Forschung wie die (häufig unterdurchschnittlichen) objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Gleichzeitig jedoch finden sich bislang so gut wie keine fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, welche sich den subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen der Arbeits- und Beschäftigungssituation der Minijobber widmen. Daher kann weitestgehend eine Minijobdebatte ohne Minijobber konstatiert werden, was insbesondere deshalb verwundert, da zuhauf vor den Risiken und Nebenwirkungen dieser Erwerbsform für die Beschäftigten gewarnt wird. Eine solche Nicht-Beachtung des subjektiven Urteils der Beschäftigten ist primär aus drei Gründen problematisch für eine differenzierte Auseinandersetzung mit Minijobs: Zunächst einmal ist weitgehend unklar, ob die wissenschaftlichen Diagnosen und Deutungsmuster die subjektiven (Erwerbs-) Realitäten der geringfügig Beschäftigten angemessen widerspiegeln und die „Außensicht“ auch der „Innensicht“ entspricht. Dies kann, zweitens, zumindest teilweise angezweifelt werden, da vereinzelte Hinweise zur subjektiven Beurteilung von Minijobbern – etwa mit Blick auf ihre beruflichen Entwicklungsperspektiven oder ihre Entlohnung – Anlass zur Vermutung geben, dass die subjektive Wahrnehmung nicht zwangsläufig ein Abbild der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sein muss (vgl. IAB 2015; Körner et al. 2013). Die sozialwissenschaftliche Forschung zu Minijobs hat derartige widersprüchliche Befunde bislang wenn nicht ignoriert, so doch zumindest nicht erklären können. Zu guter Letzt hat sie, drittens, bislang das Augenmerk nur in unzureichendem Maße auf die im Rahmen von Minijobs geleistete Erwerbsarbeit sowie die subjektive Wahrnehmung derselben gerichtet. Es ist jedoch wissenschaftlich gut erforscht, dass für Beschäftigte und insbesondere für ihre subjektive Einschätzung der eigenen Arbeits- und Beschäftigungssituation ein ganzes Bündel von Facetten der Erwerbsarbeit von Bedeutung ist, welches über die „Kernmerkmale“ wie den Vertragsstatus, die Arbeitszeit oder die Entlohnung hinausgeht und auch tätigkeits- und aufgabenbezogene, soziale sowie gesundheitsförderliche Aspekte in der Arbeit einschließt (vgl. Findlay et al. 2013 sowie Hauff/Kirchner 2013). An diesem Punkt setzt die vorliegende Dissertation an. Zentraler Ausgangspunkt ist die dargelegte nur marginale Beachtung der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation geringfügig Beschäftigter. Diese fehlende Inklusion subjektiver Faktoren in die Erforschung von Minijobs führt, wie skizziert, dazu, dass bislang nur einzelne Teile des „Minijob-Puzzles“
8
1 Einleitung
aufgedeckt wurden. Das zentrale Ziel dieser Arbeit besteht daher in einer mehrdimensionalen Untersuchung von Minijobs und der in ihnen geleisteten Erwerbsarbeit, welche sowohl die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Minijobs als auch die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation durch die Beschäftigten in die Analyse integriert. Ein solcher Untersuchungsansatz ist einerseits in der Lage, ein tieferes Verständnis und differenziertere Erklärungsansätze dieser Erwerbsform und der in ihr geleisteten Erwerbsarbeit zu ermöglichen und andererseits das Wechselverhältnis zwischen den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation auszuleuchten und zu erklären. Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Dissertation lautet daher: Wie nehmen geringfügig Beschäftigte ihre Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob subjektiv wahr und von welchen objektiven und subjektiven Faktoren wird eine positive oder negative Gesamtbeurteilung beeinflusst? Die empirische Basis für die Beantwortung dieser zentralen Fragestellung bildet eine quantitative Erhebung unter 1.004 geringfügig Beschäftigten, welche im Rahmen der vorliegenden Untersuchung durchgefürt wurde. Mit der übergeordneten und für diese Arbeit zentralen Fragestellung sind fünf forschungsleitende Fragen verbunden, welche jeweils spezifische Themenbereiche der geringfügigen Beschäftigung und der hier geleisteten Erwerbsarbeit berühren. 1. 2.
3. 4. 5.
Unter welchen objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie in welchen betrieblichen Kontexten wird Erwerbsarbeit im Minijob geleistet? Wie schätzen Minijobber subjektiv die Arbeitsqualität in ihrem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ein? Welche Bedeutung messen sie verschiedenen Facetten und Dimensionen der Erwerbsarbeit bei und in welchem Maße werden diese Ansprüche im Rahmen des Minijobs erfüllt? Welche Bedeutung nimmt für Minijobber die Erwerbsarbeit im Vergleich zu anderen Lebensbereichen ein und welche Funktionen erfüllt der Minijob subjektiv für sie? Welche Handlungsabsichten weisen Minijobber hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft auf und wie schätzen sie ihre Arbeitsmarktoptionen ein? Welche Befürchtungen und Sorgen haben Minijobber hinsichtlich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Erwerbs- und Lebenslagen?
Zur Beantwortung der zentralen Fragestellung sowie der hiermit verbundenen forschungsleitenden Fragen wird in dieser Dissertation wie folgt vorgegangen: da Minijobs in einen größeren Kontext der Flexibilisierung der Arbeitswelt eingebettet sind, werden in Kapitel 2 zunächst die zentralen Wandlungsprozesse des deutschen Arbeitsmarktes sowie die wesentlichen Veränderungen von Erwerbsarbeit beleuchtet. Hierfür werden die veränderten Rahmenbedingungen beleuchtet, wel-
1 Einleitung
9
che diesen Wandlungsprozessen zugrundeliegen, wobei hier insbesondere strukturelle Megatrends wie die Globalisierung, die Tertiarisierung und die Zunahme von Frauenerwerbstätigkeit, die Digitalisierung sowie die Veränderungen im System der Arbeitsbeziehungen Gegenstand der Betrachtung sind (2.1). Anschließend wird der Wandel der Arbeitsmarktpolitik im Zuge der Hartz-Reformen beleuchtet (2.2). Unter 2.3 stehen dann die Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells im Zentrum der Betrachtung. Hier werden die Pluralisierung der Erwerbsformen sowie die Entwicklung und Strukturen atypischer Beschäftigung ebenso beleuchtet wie der Niedriglohnsektor und die Niedriglohnbeschäftigung. Zu guter Letzt wird in diesem Kapitel die Frage nach neuen Unsicherheiten in der Erwerbsarbeit diskutiert und danach gefragt, ob es vor dem Hintergrund der strukturellen Veränderungen der Arbeitswelt zu einer Diffusion oder Segmentation von Risiken in der Erwerbssphäre kommt (2.4). Im dritten Kapitel wird der Forschungsstand zu geringfügiger Beschäftigung dargelegt. Zunächst wird ein Überblick über die institutionellen Rahmenbedingungen und die politische Regulierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse gegeben (3.1), um darauf aufbauend die quantitative Bedeutung von Minijobs auf dem deutschen Arbeitsmarkt darzulegen (3.2). Im darauffolgenden Abschnitt stehen Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive im Zentrum des Interesses und es werden der Einsatz von Minijobs in deutschen Betrieben sowie die soziodemografische Zusammensetzung der Beschäftigten und die für sie wirksamen steuer- und sozialrechtlichen Anreizmechanismen ausgeleuchtet (3.3). Gegenstand des Abschnitts 3.4 sind die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von geringfügig Beschäftigten, wobei hier die Branchen und Tätigkeiten, die Entlohnung, die Arbeitszeiten, die Beschäftigungsdauer, die Weiterbildungschancen sowie die Kenntniss und Gewährung von Arbeitnehmerrechten dargestellt werden. In Abschnitt 3.5 werden die wissenschaftlichen und politischen Diskurse um Minijobs skizziert. Hier wird der Fokus auf die Brückenfunktion und die Arbeitsmarkteffekte von Minijobs ebenso gelegt wie auf die sozialen Folgen von Minijobs für die Beschäftigten sowie die Frage nach einer möglichen geschlechtsspezifischen Segregation auf dem Arbeitsmarkt. Zu guter Letzt wird eine kurze Zusammenfassung präsentiert und die zentralen Forschungslücken in der sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Minijobs umrissen (3.6). Das vierte Kapitel dient als theoretisch-konzeptioneller Hintergrund der vorliegenden Untersuchung. Hier stehen wissenschaftliche Ansätze zur Erforschung der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung von Erwerbsarbeit im Fokus der Betrachtung. Zunächst wird hier das Verhältnis von Erwerbsarbeit und Subjektorientierung in der sozialwissenschaftlichen Arbeits(-markt)forschung skizziert (4.1). Darauf aufbauend werden in Abschnitt 4.2 zentrale theoretischkonzeptionelle Überlegungen aus der Arbeitszufriedenheitsforschung präsentiert und hinsichtlich ihrer Nützlichkeit für die zentrale Fragestellung der vorliegen-
10
1 Einleitung
den Arbeit diskutiert. Abschnitt 4.3 widmet sich der konzeptionellen Annäherung an die Qualität von Arbeit aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Hier werden wesentliche theoretisch-konzeptionelle sowie methodische Ansätze ebenso diskutiert wie mögliche Hürden in der Erforschung von (subjektiver) Arbeitsqualität. Die zentralen Erkenntnisse, die in 4.2 und 4.3 gewonnen werden, sind schließlich Gegenstand des Abschnitts 4.4, in dem die subjektive Arbeitsqualität im Minijob für die vorliegende Untersuchung konzeptualisiert wird. Im fünften Kapitel wird sowohl das der vorliegenden Arbeit zugrundeliegende mehrdimensionale Untersuchungskonzept als auch das Forschungsdesign dargelegt (5.1 und 5.2). Darüber hinaus werden auf Basis der wissenschaftlichen Literatur forschungsleitende Hypothesen abgeleitet und formuliert (5.3). Diese dienen als roter Faden in der empirischen Untersuchung. Zu guter Letzt wird in diesem Kapitel die Auswertungsmethodik der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten quantitativen empirischen Erhebung vorgestellt (5.4). Im sechsten Kapitel dieser Arbeit werden die empirischen Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation präsentiert und diskutiert. Zunächst werden hierbei die soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale der Beschäftigten sowie ihre Familien- und Haushaltskontexte beleuchtet (6.1). Danach widmet sich die Analyse den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Minijobber (6.2). Hier werden zunächst die empirischen Befunde zu den Charakteristika des Beschäftigungsverhältnisses, der Art des Arbeitsvertrages sowie der Entlohnung und den Arbeitszeiten vorgestellt. Darauf aufbauend stehen die Gewährung von Arbeitnehmerrechten, die Branchen, Tätigkeiten sowie Weiterbildungsmöglichkeiten der Minijobber sowie die Tarifbindung der Betriebe und die Möglichkeiten zur betrieblichen Mitbestimmung im Fokus der Betrachtung. Ein Zwischenfazit (6.3) fasst die zentralen empirischen Befunde zusammen. Im siebten Kapitel stehen die empirischen Befunde zur subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation durch die Minijobber im Fokus. Zunächst werden hier die empirischen Befunde zur subjektiven Arbeitsqualität in vier zentralen Untersuchungsdimensionen präsentiert und diskutiert (7.1). Anschließend wird die Frage nach der subjektiven Bedeutung von Erwerbsarbeit sowie den Funktionen, die Minijobber ihrem geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses zuschreiben, beleuchtet (7.2), wohingegen in Abschnitt 7.3 die Handlungsabsichten der Beschäftigten im Fokus der Untersuchung stehen. Hier werden sowohl die beruflichen Zukunftspläne, der Wunsch nach einem Wechsel der Erwerbsform sowie die subjektive Einschätzung der eigenen Arbeitsmarktchancen beleuchtet. Abschnitt 7.4 befasst sich mit den Sorgen der Minijobber hinsichtlich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Erwerbs- und Lebenslagen. Den Abschluss der empirischen Analyse bildet Abschnitt 7.5, in dem zunächst die globale Arbeitszufriedenheit der Minijobber beleuchtet und dann auf Basis einer multivariaten Analyse untersucht wird, von
1 Einleitung
11
welchen objektiven und subjektiven Faktoren eine negative oder positive Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation beeinflusst wird. In Kapitel 8 der Arbeit werden die zentralen empirischen Befunde der hiesigen Untersuchung zusammenfassend dargestellt und mit Blick auf die zentralen Fragestellungen dieser Arbeit diskutiert. Den Abschluss der vorliegenden Dissertation bildet das Fazit. Hier werden zunächst die wesentlichen Eckpunkte sowie empirischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit zusammenfassend betrachtet und auf dieser Basis die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Steuerung von Minijobs und Reformoptionen geringfügiger Beschäftigung diskutiert. Abschließend wird der dieser Arbeit zugrundeliegende Untersuchungsansatz reflektiert sowie – vor dem Hintergrund der im Rahmen dieser Dissertation gewonnenen Erkenntnisse – Forschungsdesiderate im Hinblick auf die sozialwissenschaftliche Erforschung des Wandels von Erwerbsarbeit im Generellen und die Auseinandersetzung mit flexiblen Beschäftigungsformen im Speziellen aufgezeigt.
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Arbeit ist seit jeher fester Bestandteil des menschlichen Lebens, auch wenn sich die Art und Weise ihrer Erbringung und die ihr zugeschriebene individuelle und kollektive Bedeutung in der Menschheitsgeschichte stark gewandelt haben (für einen anschaulichen Überblick hierzu vgl. Kocka 2000 sowie Bahrdt 1983). Arbeit wird in der Soziologie als vielschichtiges Phänomen verstanden und ist abzugrenzen von Formen der Freizeitgestaltung oder des Müßiggangs (vgl. Hoose 2016: 52). Als Tätigkeit ist Arbeit eine Form sozialen Handelns, das nach Weber verstanden werden kann als „menschliches Verhalten […], wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden“ (Weber 2010 [1922]: 3). Arbeit beinhaltet jedoch insofern mehr als eine bloße Form des sozialen Handelns, als dass Menschen mit ihr zumeist den Zweck der Daseinsfürsorge verbinden (vgl. Schmidt 2010a). In modernen Gesellschaften ist das Verständnis von Arbeit stark geprägt von Erwerbsarbeit, also „Arbeit, mit der man – sei es als selbständige Erwerbsperson, sei es als ‚Arbeitnehmer‘ im Rahmen eines Arbeitsvertrages – ein monetäres Einkommen erzielt, auf das die Arbeitenden und die von ihnen abhängigen Angehörigen ihrer Haushalte in aller Regel angewiesen sind“ (Kocka/ Offe 2000: 9). Erwerbsarbeit ist abzugrenzen von anderen Formen der Arbeit wie etwa ehrenamtlicher Arbeit oder Reproduktionsarbeit3. Im Gegensatz zu diesen Formen von Arbeit wird Erwerbsarbeit in kapitalistischen Wirtschaftssystemen auf Arbeitsmärkten nachgefragt und angeboten, für die der Tausch von Arbeitskraft gegen Geld charakteristisch ist (Pries 2010: 26). Mit der Herausbildung von Arbeitsmärkten in modernen Industriegesellschaften „setzt sich – als empirische wie als normierte Normalität – eine Gestalt der Arbeit durch, die durch sieben Adjektive beschrieben werden kann: diese Arbeit ist männlich (und nur marginal weiblich), beruflich (nur marginal un- oder angelernt), betrieblich (vom Haushalt getrennt), kontraktuell (das heißt markt-kontingent und potentiell diskontinuierlich), ‚abhängig‘ (nur marginal selbständig), monetär entlohnt (von Sorge und Treueverhältnissen wie von Sachleistungen bereinigt) und kollektivvertraglich bzw. gesetzlich reguliert (das heißt in ihrer Vertragsfreiheit auf beiden Seiten beschränkt)“ (Offe 2000: 495). 3
Die starke Fokussierung insbesondere der Arbeits- und Industriesoziologie auf Erwerbsarbeit und die häufig nur marginale Betrachtung anderer Formen von Arbeit wurde indes schon häufig und wiederkehrend kritisiert (vgl. etwa Jürgens 2010).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_2
14
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Gleichwohl ist von der Soziologie vielfach herausgearbeitet worden, dass Arbeitsmärkte besondere Formen von Märkten darstellen, die nur bedingt etwa mit Waren- und Produktmärkten vergleichbar sind, wenngleich auch sie der Logik von Angebot und Nachfrage folgen (vgl. etwa Bäcker et al. 2010: 425f.). Ein Hauptunterschied besteht in der besonderen Ware Arbeitskraft, deren grundlegende Verkaufsbedingungen zwar arbeitsvertraglich geregelt werden können, ohne dass hierdurch jedoch das Transformationsproblem von Arbeit (vgl. bereits Taylor 1922) gänzlich gelöst werden könnte. Da der Arbeitsvertrag als Medium des Verkaufs der Ware Arbeitskraft stets mit Unbestimmtheit verbunden und die Ware Arbeitskraft immer personengebunden ist, ergibt sich Ermessens- und Gestaltungsspielraum in der Art und Weise, wie Erwerbsarbeit geleistet wird (vgl. Deutschmann 2008; Hoose 2016). Hinzu kommt die prinzipielle Machtasymmetrie zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. zwischen Kapital und Arbeit (vgl. Marx 1957 [1867-1894]). Diese asymmetrische Machtbeziehung bleibt trotz der symmetrischen Vertragsfreiheit der Partner des Arbeitsvertrages bestehen und resultiert insbesondere „aus dem Umstand, daß (!) der Arbeitgeber typischerweise mehr Optionen hat, seine Angewiesenheit auf Arbeitskräfte zu reduzieren, als umgekehrt der Arbeitnehmer Optionen hat, seine Angewiesenheit auf Arbeitseinkommen zu reduzieren“ (Offe 2000: 497). Die Bedeutung, die der Erwerbsarbeit in modernen Gesellschaften zuteilwird, kann nicht überschätzt werden. Schon soziologische Klassiker wie Marx, Weber und Durkheim stellten, mal implizit, mal explizit, Erwerbsarbeit mitsamt ihrer Funktionen, Rationalität und den hieraus resultierenden Konflikten in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen, so dass sich Arbeit als soziologische Schlüsselkategorie und Nukleus gesellschaftstheoretischer Überlegungen herausbildete (vgl. Offe 1983: 38). Die hohe Bedeutung von Erwerbsarbeit manifestiert sich in ganz unterschiedlichen Sphären. Zunächst einmal unterliegen alle Gesellschaften dem Zwang zur Arbeit, um das physische Überleben zu sichern. Hieraus entsteht zudem die Notwendigkeit, Arbeit so zu organisieren, dass diese Überlebenssicherung kontinuierlich gewährleistet ist und die sich herausbildenden Strukturen stabil sind (ebd.). Gleichzeitig sind nicht nur Gesellschaften, sondern auch Individuen zumeist abhängig von Erwerbsarbeit, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die meisten Menschen müssen arbeiten und sind auf das durch die Erwerbsarbeit erzielte Einkommen angewiesen (vgl. Kocka/Offe 2000: 9). Dies gilt nicht nur für die Erwerbstätigen selbst, sondern auch für Familienangehörige, die indirekt auf die durch Erwerbsarbeit erzielten Markteinkommen angewiesen sind (vgl. Brussig 2015: 296). Hieraus ergibt sich auch, dass die materiellen Teilhabechancen in der Gesellschaft sowie, damit einhergehend, der Status und die soziale Position von Individuen maßgeblich von Erwerbsarbeit abhängig sind, wenngleich im Zuge einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung sozialer Milieus auch individuelle Orientierungen und Lebensstile für die
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
15
gesellschaftliche Positionierung von Individuen an Bedeutung gewinnen (vgl. bereits Beck 1986). Hinzu kommt die im deutschen konservativen Wohlfahrtsstaatsmodell (vgl. Esping-Andersen 1990) traditionell hohe Erwerbszentriertheit, die Leistungsansprüche in der Sozialversicherung an das Maß der Erwerbsintegration koppelt (vgl. Heinze et al. 1999). Erwerbsarbeit ist daher zentral für den Schutz vor den „Risiken der modernen Industriegesellschaft, also Alter, Invalidität, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflege“ (Schmid 2011: 117). Zu guter Letzt ist sozialwissenschaftlich vielfach herausgearbeitet worden, dass Erwerbsarbeit über die hier genannten direkten und indirekten monetären Effekte hinaus eine zentrale gesellschaftliche Inklusions- und Integrationsinstanz darstellt, die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstwertgefühl maßgeblich beeinflusst (vgl. etwa Böhle 2010). Jahoda (1982: 59) sieht die positiven Folgen von Erwerbsarbeit in fünf wesentlichen psychosozialen Funktionen begründet: Auferlegung eines Zeitplans, soziale Kontakte, Teilhabe an kollektiven Zielsetzungen, Status und Identität sowie die Verpflichtung zur regelmäßigen Aktivität (vgl. auch Wulfgramm 2011). Dass Erwerbsarbeit viele positive psychosoziale Effekte erzeugt, wird besonders deutlich, wenn die Teilhabe an Erwerbsarbeit trotz individuellen Wunsches nicht realisiert werden kann. So ist vielfach gezeigt worden, dass Arbeitslosigkeit negativ mit dem subjektiven Wohlbefinden korreliert ist und zu sozialen Exklusionsprozessen führen kann4 (vgl. bereits die einflussreichen „Marienthal-Studien“ von Jahoda/Zeisel 1933 sowie, unter vielen, Diener et al. 1999 und Paul et al. 2016). Die Ausführungen verdeutlichen daher die zentrale Rolle, die der Erwerbsarbeit als Quelle materiellen Wohlstands, sozialer Teilhabe und wichtigem Medium der Identitätsbildung in modernen Gesellschaften zukommt. Menschen müssen daher nicht nur arbeiten, sondern sie sollen und wollen es auch. „Als Norm und als Realität ist Erwerbsarbeit zentral für die Kultur und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ (Kocka/Offe 2000: 10). Gleichzeitig halten seit mehr als 30 Jahren die Debatten um die Krise der Arbeitsgesellschaft an (vgl. die Beiträge in Matthes 1983 sowie Offe 1984), wenn auch mit veränderten Schwerpunktsetzungen, Problemdiagnosen und sich wandelnden „Therapieempfehlungen“. Ganz gleich, ob etwa die damalige drohende Massenarbeitslosigkeit und damit einhergehende Exklusionsprozesse der marginalisierten „Opfer“ des Arbeitsmarktes Gegenstand der Betrachtung waren (vgl. Heinze 1984) oder in aktuelleren Debatten die zunehmende Flexibilisierung 4
In einer Untersuchung des Einflusses von Arbeitslosigkeit auf die Lebenszufriedenheit können Clark et al. (2008) zudem zeigen, dass es bei Arbeitslosigkeit nicht zu einer „Gewöhnung“ kommt, d.h. die Lebenszufriedenheit nachhaltig negativ beeinflusst wird. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass auf Basis der base line theory häufig gezeigt werden kann, dass andere tragische Ereignisse wie etwa der Tod des Partners zwar kurzfristig zu einer deutlich geringeren Lebenszufriedenheit führen, sich die Lebenszufriedenheit jedoch nach gewisser Zeit wieder auf dem vorigen Niveau einpendelt (vgl. ebd.).
16
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
und Entgrenzung von Arbeit und Beschäftigung diskutiert wird (vgl. etwa Keller/Seifert 2011; Sauer 2012) – Kern der wissenschaftlichen Diskussionen um die Entwicklung moderner Arbeitsgesellschaften ist die Beobachtung neuer Brüche, Fragmentierungen und Spaltungen in der Arbeitswelt, die altbekannte Sicherheiten und hiermit auch sozialwissenschaftliche Deutungsmuster herausfordern. Folgt man den zahlreichen Krisendiagnosen, so wird die Erwerbssphäre zunehmend zu einem Produzenten sozialer Ungleichheit, welcher die Inklusionsversprechen für einen immer größer werdenden Teil der Bevölkerung nicht mehr einhalten kann (vgl. exemplarisch Castel 2000). Dass die Krise oder gar das Ende, zumindest aber der Wandel von Erwerbsarbeit inzwischen zum Dauertopos geworden ist, unterstreicht die Bedeutung von Erwerbsarbeit für moderne Gesellschaften. 2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen Wenn im Folgenden die zunehmende „Atypisierung“ von Erwerbsarbeit im Fokus der Betrachtung steht, ist es unerlässlich, zunächst nach den veränderten Rahmenbedingungen zu fragen, unter denen Erwerbsarbeit gegenwärtig geleistet wird und durch die sie geprägt und verändert wird. Mit Blick auf die zahlreichen Diskussion um die zunehmende Heterogenisierung von Erwerbsformen wird zumeist auf einige „Megatrends“ wie etwa die Globalisierung, Technologisierung, Tertiarisierung und die Veränderungen der Arbeitsbeziehungen als wichtige Treiber dieser Wandlungsprozesse verwiesen (vgl. Dietz et al. 2013: 93). Eine dieser zentralen strukturellen Änderungen ist der wirtschaftssektorale Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Verteilten sich die Beschäftigten in West-Deutschland im Jahr 1950 noch mit 25% auf den primären, 43% auf den sekundären und 32% auf den tertiären Sektor, lagen diese Anteile 2015 für Gesamtdeutschland bei etwas mehr als einem Prozent im primären, rund 24% im sekundären und 74% im tertiären Sektor (vgl. Statistisches Bundesamt Online o.J.). Damit arbeiteten 2015 rund drei Viertel aller Erwerbstätigen in Deutschland im Dienstleistungssektor. Dieser Trend eines generellen Bedeutungsverlustes des primären und sekundären Sektors für die Gesamtbeschäftigung ist bereits seit Beginn der 1970er Jahre beobachtbar und hat sich seitdem kontinuierlich fortgesetzt (ebd.). Prognosen für eine derartige sektorale Verschiebung finden sich schon bei zahlreichen Theoretikern, darunter prominent etwa Fourastiés Drei-SektorenTheorie (1969 [1949]) oder Bells Überlegungen zur „nachindustriellen Gesellschaft“ (1973)5. So sah Fourastié die zunehmende Tertiarisierung der Wirtschafts5
Für einen Überblick über weitere Klassiker der Dienstleistungstheorien wie Bell, Gartner/ Riesmann oder Gershuny vgl. Jacobsen 2010.
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
17
struktur insbesondere in den unterschiedlichen Produktivitätsentwicklungen der verschiedenen Sektoren sowie einem Wandel in der Bedürfnisstruktur der Menschen begründet. Die hohe Arbeitsproduktivität im sekundären Sektor mit der Folge eines immer größeren Warenangebots treffe hierbei auf zunehmende Sättigungseffekte auf Seiten der Konsumenten sowie einem sich ausbildenden kollektiven und individuellen Hunger nach Tertiärem. Entscheidend ist hierbei die Überlegung, dass Dienstleistungen weitestgehend rationalisierungsresistent sind (vgl. auch Baethge 2011a). Während dies für Fourastié durchaus positiv konnotiert war, verwies Baumol (1967) schon früh auf die Kostenkrankheit von Dienstleistungen, die im Dilemma einer einerseits begrenzten Rationalisierbarkeit von Dienstleistungen und der gleichzeitig notwendigen Kopplung der Lohnentwicklung der Dienstleistungsbeschäftigten mit jener der Gesamtbevölkerung begründet liegt. Fourastié zufolge münde die Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft hingegen in einer „tertiären Zivilisation“ (1969 [1949]: 276), in der Menschen zunehmend von harter körperlicher Arbeit befreit sind und die Zunahme qualifizierter Erwerbsarbeit im Dienstleistungssektor zu einer generellen Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen führt (vgl. auch Baethge 2011a: 42). Diese optimistische Prognose ist vielfach relativiert worden. Im Kern zielen viele heutige Diagnosen auf die hohe Heterogenität des Dienstleistungssektors (vgl. etwa Baethge 2011b). So handelt es sich bei der Arbeit im Dienstleistungssektor um ganz unterschiedliche Tätigkeiten mit einer hohen Varianz in den Qualifikationsanforderungen und Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. So unterscheidet Baethge (2011a: 39) etwa personenbezogene, unternehmensbezogene und markt- und kommunikationsvermittelnde Dienstleistungen sowie jene im Bereich der Sicherung der öffentlichen Infrastruktur und Verwaltung. Derartige Differenzierungen sensibilisieren für den Umstand, dass etwa das Theorem der begrenzten Rationalisierbarkeit eher für personenbezogene Dienstleistungen, bei denen Produktion und Konsumption der Dienstleistung zeitgleich stattfindet (uno-actu-Prinzip), Gültigkeit beanspruchen kann denn für Teile der markt- und kommunikationsvermittelnden Dienstleistungen oder unternehmensnahe Dienstleistungen. Diese hohe Heterogenität von Dienstleistungen und Dienstleistungsarbeit beinhaltet ebenso eine Spreizung in den Qualifikationsanforderungen der Tätigkeiten und den Qualifikationsniveaus der Beschäftigten. Hochqualifizierten Beschäftigten in wissensintensiven Dienstleistungsbereichen stehen geringqualifizierte Beschäftigte im Bereich einfacher Dienstleistungstätigkeiten gegenüber (vgl. Baethge 2011b), so dass konstatiert werden muss, dass sich die Hoffnungen auf kollektive Höherqualifizierungen im Zuge der Tertiarisierung nicht bewahrheitet haben. Manche Autoren sprechen gar von einem wachsenden Segment des „Dienstleistungsproletariats“, welches sich durch einfache Tätigkeiten, niedrige Qualifikationsanforderungen und unterdurchschnittliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auszeichne (vgl. Bude 2014: 83ff. sowie Mau 2016).
18
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Eng verbunden mit der Tertiarisierung der Wirtschaftsstruktur ist die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Während die Erwerbsquote6 von Frauen im Jahr 1972 noch bei lediglich knapp 48% lag (Dressel/Wanger 2008: 481), stieg sie bis ins Jahr 2014 auf fast 73% an (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016e: 5). Dieser Wandel liegt sowohl in erweiterten Möglichkeiten als auch zunehmenden Notwendigkeiten begründet. So hat die höhere Bildungsneigung und -beteiligung von Frauen zu verbesserten Chancen am Arbeitsmarkt beigetragen (Dressel/Wanger 2008), was begleitet wurde von einem gesellschaftlichen Wertewandel, der zu einer zunehmenden Emanzipation von Frauen und veränderten Rollenbildern in Beruf und Familie geführt hat (vgl. Peuckert 2012). Gleichzeitig stieg jedoch auch die Notwendigkeit für Frauen, erwerbstätig zu sein, etwa aufgrund veränderter Familienstrukturen oder steigender Miet- und Konsumausgaben (vgl. Dressel/Wanger 2008 sowie bereits Offe 1984: 352f.). Begleitet wurden diese Entwicklungen von einer Modernisierung der rechtlichen Rahmenbedingungen, insbesondere dem Eherechtsreformgesetz von 1976, welches die Möglichkeiten zur Erwerbsbeteiligung von Frauen an die Vereinbarkeit mit Pflichten in Ehe und Familie aufhob. Zu guter Letzt trug auch die oben skizzierte Tertiarisierung der Wirtschaftsstruktur zur gesteigerten Erwerbsbeteiligung von Frauen bei, da hierdurch neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Dienstleistungssektor entstanden7 (vgl. Dietz et al. 2013: 93). Dass trotz der zunehmenden Erwerbsbeteiligung von Frauen weiterhin zum Teil erhebliche Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Arbeitsmarktpartizipation anzutreffen sind, wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher thematisiert. Neben den Tertiarisierungsprozessen und der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen wird auch die Globalisierung der Weltwirtschaft als Einflussfaktor für den Wandel des deutschen Arbeitsmarktes diskutiert. Wenngleich es sich bei der Globalisierung um ein vielschichtiges Phänomen handelt, das in nahezu allen gesellschaftlichen Teilbereichen zu Veränderungen führt (für einen Überblick vgl. Beck 2015), werden aus sozialwissenschaftlicher Perspektive nicht zuletzt die hieraus resultierenden Folgen für Arbeitsmärkte und Beschäftigte diskutiert. Als Triebkraft wird hier häufig auf die seit den 1970er Jahren zu beobachtende verstärkte Finanzialisierung der Realwirtschaft verwiesen. Die schrittweise Entwicklung eines globalen Finanzmarkt-Kapitalismus hat die wirtschaftliche Logik in Richtung des „shareholder value“ verschoben, also einer 6 7
Die Erwerbsquote ist ein Maß für die Beteiligung der Wohnbevölkerung am Erwerbsleben. Sie wird berechnet als Anteil der Erwerbspersonen (Erwerbstätige und Erwerbslose) an der Bevölkerung. So sind sämtliche Branchen, die sich durch hohe Frauenanteile in der Beschäftigtenstruktur auszeichnen, im Dienstleistungssektor angesiedelt, insbesondere das Gesundheits- und Sozialwesen, der Bereich Erziehung und Unterricht sowie sonstige Dienstleistungen und Tätigkeiten in Privathaushalten (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016e: 11).
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
19
verstärkten Betonung des Unternehmenswertes und des Kurswertes von Aktien (vgl., unter vielen, Abelshauser 2009 sowie Windolf 2005). Die stärkere Fokussierung auf Aktionäre führe demnach, so Kritiker, vermehrt zu kurzfristigen Unternehmenszielen und einer tendenziellen Schwächung anderer Stakeholder wie etwa Beschäftigten (ebd.). Die zunehmende globale Vernetzung von Unternehmen und ihrer Wertschöpfungsketten, die durch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien in den letzten Jahrzehnten stetig erleichtert wurde, wird häufig ambivalent beurteilt: auf der einen Seite profitiert insbesondere Deutschland als exportorientierte Volkswirtschaft8 von weltweiten Absatzmärkten (vgl. Blossfeld 2006: 152), andererseits wird die hieraus resultierende globale Standortkonkurrenz von Unternehmen kritisch gesehen (vgl. Trinczek 2011: 606; Pries 2010: 15). Denn um ihre Konkurrenzfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern, können Unternehmen Teilbereiche der Produktion in Länder mit niedrigeren Herstellungs- und Personalkosten „outsourcen“ oder ganze Standorte verlagern. So verschärfen die „Verlagerungsandrohungen von Unternehmen die Machtasymmetrie zuungunsten der Beschäftigten: Der angedrohte Verlust des Arbeitsplatzes stellt bekanntlich das sogenannte Totschlag-Argument in innerbetrieblichen Politikprozessen dar, das für maximale Erpressbarkeit von Belegschaften und ihrer Interessenvertretungen sorgt“ (Trinczek 2011: 607). In jedem Fall jedoch führt die zunehmende globale Standortkonkurrenz zu einem erhöhten Wettbewerbs- und Innovationsdruck für Unternehmen, den sie auf die Beschäftigten verlagern können, jedoch nicht müssen9 (vgl. Enquete-Kommission 2002: 413; BMAS 2016: 28). Zudem unterscheiden sich die Wirkungen einer zunehmenden globalisierten Weltwirtschaft je nach Länderkontext, da diese Prozesse auf je unterschiedliche institutionelle Settings wie etwa Wohlfahrtssysteme oder Arbeitsmarktregulierungen treffen (vgl. Blossfeld 2006: 156 sowie zur Diskussion unterschiedlicher ‚varieties of capitalism‘ Hall/Soskice 2001). Gleichzeitig ist vielfach auf mögliche Polarisierungstendenzen in Folge der Globalisierung verwiesen worden. In dieser Lesart birgt der globale Standortwettbewerb von Unternehmen und die hiermit gestiegene Bedeutung von Wissen als zentralen Produktionsfaktor in vielen westlichen Industriestaaten insbesonde8 9
So ist Deutschland nach China und den USA der drittgrößte Exporteur weltweit und jeder zweite Arbeitsplatz im sekundären Sektor hängt in Deutschland direkt oder indirekt vom Export ab (vgl. Schönauer 2017: 12). Darüber hinaus führt die zunehmende globale Standortkonkurrenz auch zu einem verstärkten Wettbewerb von Regionen innerhalb von Nationalstaaten, die um Investitionen, Arbeitsplätze und qualifizierte Beschäftigte konkurrieren. Die Folge sind u.a. zunehmende Regionsformierungen etwa im Bereich regionaler Wissens- und Innovationssysteme und verschärfte regionale Disparitäten. Zur wirtschaftssoziologischen Diskussion vgl., unter vielen, Heinze 2009: 155ff., Heinze 2006: 107ff sowie Voelzkow 2007. Für einen Überblick über wirtschaftliche und soziale regionale Disparitäten vgl. Albrech et al. 2016.
20
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
re für Geringqualifizierte am Arbeitsmarkt hohe Risiken, da sie in vielen Fällen in direktem Wettbewerb mit Beschäftigten aus Niedriglohnländern treten, wohingegen die Arbeitsplätze Hochqualifizierter relativ resistent gegenüber derartigen Rationalisierungspolitiken sind10 (vgl. BMAS 2016 sowie Castel 2000: 355f.). Folglich gewinnen als indirekte Folge der Globalisierung auch Fragen der Re-Qualifizierung und Weiterbildung an Bedeutung (Koch 2017: 105ff.). Jedoch ist hinsichtlich der Beschäftigungs- und etwaiger Polarisierungseffekte einer globalisierten Weltwirtschaft ein differenzierter Blick notwendig, denn nicht alle Tätigkeiten in sämtlichen Wirtschaftsbranchen sind in gleichem Maße potentiell auslagerbar. „Weder Anwälte oder Ärzte, noch Reinigungskräfte oder Paketboten, um nur einige sinnfällige Beispiele zu nennen, geraten durch die Globalisierung ökonomischer Wertschöpfungsketten unmittelbar unter Druck, können ihre Tätigkeiten doch kaum offshore [Hervorh. i.O.] gehen“ (Staab 2016: 196f.). Folglich wird zum Teil darauf verwiesen, dass ein Nachweis direkter und von anderen Entwicklungen isolierter Effekte der Globalisierung auf den Arbeitsmarkt nur schwer möglich ist (vgl. Schmidt 2010b sowie Dietz et al. 2013: 99). Zweifelsfrei gewinnen durch die Globalisierung etwa transnationale Arbeitsräume oder interkulturelle Teams an Bedeutung (vgl. Trinczek 2011) und auch die skizzierten Beschäftigungs- und Polarisierungseffekte sind mitunter real. Gleichzeitig wirken diese Effekte selektiv und können zudem häufig nicht von anderen strukturellen Wandlungsprozessen entkoppelt werden11. Die Gefahr einer verschärften Rationalisierung und gleichzeitigen Polarisierung entlang der Achse Qualifikation wird aktuell zudem in den zahlreichen Diskursen um die Digitalisierung von Arbeit immer wieder betont (vgl. etwa Hirsch-Kreinsen 2016). Die Digitalisierung stellt aktuell wahrscheinlich den meist diskutierten Wandel der Arbeitswelt dar und wird nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch unter Schlagworten wie Industrie 4.0, Wirtschaft 4.0 10
11
Dass derartigen Tendenzen eine hohe politische Sprengkraft innewohnt, zeigen die Debatten um das Aufkommen rechtspopulistischer politischer Parteien in zahlreichen europäischen Staaten oder die Wahl Donald Trumps zum U.S.-Präsidenten, in denen hinsichtlich der Frage nach den Ursachen dieser Entwicklungen häufig auf „die“ Globalisierung und damit einhergehender gesellschaftlicher Spaltungsprozesse („Modernisierungsgewinner vs. Modernisierungsverlierer“) verwiesen wird (vgl. auch Mau 2016). Wenngleich diese Entwicklungen sicherlich nicht monokausal erklärt werden können, sensibilisiert die Debatte für die realen und gefühlten Folgen der Globalisierung in weiten Teilen der Bevölkerung (zur Debatte um „Globalisierungsangst“ vgl. auch Vries/Hoffmann 2016). Gleichwohl ist die Globalisierung als Megatrend für die Erklärung von Wandlungsprozessen des Arbeitsmarktes keinesfalls obsolet – erinnert sei etwa an die Migrationsbewegungen im Zuge der „Flüchtlingskrise“, in deren Folge insbesondere die Arbeitsmarktintegration als wichtiges Instrument zur Eingliederung in die Gesellschaft betont wird und die verdeutlicht, dass auch eine Globalisierung der Folgen kriegerischer Konflikte zu arbeitsmarktrelevanten Veränderungsprozessen führen kann.
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
21
oder Arbeit 4.0 debattiert12 (vgl. etwa BMAS 2016; BMWi 2015). Kennzeichnend für viele Diagnosen ist die Feststellung, dass durch die Digitalisierung neue Wertschöpfungsketten und Produktionsweisen mit weitreichenden Folgen für Unternehmen und Beschäftigte entstehen. Digitalisierung kann hierbei verstanden werden „als ein tiefgreifender Prozess der Durchdringung von Wertschöpfungs- und Dienstleistungsprozessen durch vor allem internetbasierte Technologien […]“ (Eichhorst et al. 2016: 3), was dazu führt, „dass sich ganze Arbeitsfelder in Teilmodule zerlegen, automatisieren und flexibel miteinander vernetzen lassen. Auf diese Weise können sowohl lokale als auch weltumspannende Produktionsketten leichter zueinander kompatibel gemacht und somit weit effizienter organisiert werden“ (ebd.). Die Folgen der Digitalisierung für die Gesamtwirtschaft, Arbeitsmärkte und Beschäftigte werden wissenschaftlich kontrovers diskutiert, was vor allem damit zusammenhängt, dass die Digitalisierung ein vielschichtiges Phänomen mit verschiedenen Erscheinungsformen ist. So entstehen durch die Digitalisierung und den hiermit verbundenen technischen Möglichkeiten zum einen neue Branchen und Geschäftsmodelle. „Heute produziert das größte Medienunternehmen der Welt keine eigenen Inhalte (Facebook), der weltweit größte Anbieter von Unterkünften besitzt keine eigenen Immobilien (Airbnb) und das größte Taxiunternehmen der Welt hat keine eigenen Fahrzeuge (Uber)“ (Rinne/Zimmermann 2016: 3). So radikal derartige Wandlungsprozesse anmuten, entsprechen sie nach Einschätzung einiger Autoren dem schumpertschen Idealbild einer „schöpferischen Zerstörung“ (Schumpeter 1946), die zum Verschwinden von Unternehmen, Wirtschaftszweigen und Berufen führt, wobei gleichzeitig neue Tätigkeitsfelder und Branchen entstehen (Rinne/Zimmermann 2016; für eine historische Einordnung technologischer Rationalisierungen vgl. auch Siegenthaler 2000). Derartige Lesarten sehen die Digitalisierung folglich primär als weiteren Schritt technischer Rationalisierungs- und Innovationspotentiale, welche seit jeher charakteristisch für das menschliche Wirtschaften und Arbeiten sei (vgl. kritisch Dörre 2015: 270ff.). 12
Mit dem Label 4.0 wird zumeist auf die diagnostizierte vierte industrielle Revolution verwiesen. Demnach stellte die Mechanisierung Ende des 18. Jahrhunderts die erste, die Elektrifizierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts die zweite und die Informatisierung und Automatisierung ab den 1970er Jahren die dritte industrielle Revolution dar (vgl. Ittermann/Niehaus 2015: 35). Durch den Durchbruch digitaler Technologien und den Siegeszug des Internets folge hierauf die vierte industrielle Revolution, die durch intelligente Produktionssysteme, selbst-kommunizierende, sogenannte cyber-physische Systeme, welche die virtuelle mit der realen Welt verknüpfen, sowie die Verfügbarkeit und Nutzbarmachung aller relevanten Informationen in Echtzeit mitsamt einer intensiven Vernetzung von „Mensch und Maschine“ charakterisiert ist (vgl. ebd. sowie HirschKreinsen 2016: 10). Ungeachtet der Sinnhaftigkeit, das Label 4.0 neuerdings auf sämtliche Phänomene, die in irgendeiner Art „neu“ sind, zu übertragen, wird von einigen Autoren auch der häufig diagnostizierte disruptive Wandel im Zuge einer Industrie 4.0 hinterfragt und auf den eher inkrementellen Charakter dieser Veränderungen hingewiesen (so etwa Minssen 2017).
22
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Gleichzeitig wird vielfach auf die Risiken neuer technologischer Rationalisierungspotentiale verwiesen und die hieraus resultierenden Beschäftigungseffekte diskutiert. Angestoßen wurde dies insbesondere durch die viel beachtete Studie von Frey/Osborne (2013), wonach in den kommenden zehn bis 20 Jahren in den USA fast die Hälfte aller Beschäftigten durch computergesteuerte Maschinen ersetzt werden könnte. Derartige „Horrorszenarien“ wurden für den deutschen Arbeitsmarkt deutlich relativiert. So kommen Dengler/Matthes (2015) zu einem Substituierbarkeitspotential von rund 15% aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, wohingegen Bonin et al. (2015) 12% aller Arbeitsplätze identifizieren, deren Tätigkeitsprofile eine relativ hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit aufweisen. Gleichzeitig wird in beiden Analysen darauf hingewiesen, dass Automatisierungspotentiale nicht mit möglichen Beschäftigungseffekten gleichgesetzt werden dürften13, da insbesondere gesellschaftliche, rechtliche und ethische Hürden bei der Einführung neuer Technologien berücksichtigt werden müssen14 (vgl. ebd.). Insgesamt weisen die Diskurse um die Beschäftigungsrisiken damit erstaunliche Kontinuitäten zu früheren wissenschaftlichen Debatten um die Folgen neuer Technologien auf (vgl. hierzu anschaulich Heßler 2016 sowie Minssen 2017). So warnte schon Keynes in den 1930er Jahren vor der „neuen Krankheit“ der technologischen Arbeitslosigkeit (vgl. Keynes 2010 [1931]). In den 1980er Jahren wurden im Zuge der Debatte um die Krise der Arbeitsgesellschaft nicht zuletzt auch die Ausbreitung der Mikroelektrotechnik und eine befürchtete massenhafte Freisetzung von Beschäftigten diskutiert15. Das drohende „Ende der Arbeit“ (Rifkin 1995) ist indes bislang ausgeblieben16. Jedoch wird mit Blick auf die Folgen der Digitalisierung für Arbeit auch wieder diskutiert, welche Beschäftigtengruppen im Besonderen von möglichen 13
14
15
16
Dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch Eingang in die Praxis findet, wurde schon in den 1980er Jahren im Zuge der Debatte um den Technikdeterminismus herausgearbeitet (vgl. Lutz 1987). Dörre schreibt daher zu Recht: „Die Rationalisierungseffekte der Digitalisierung sind uneindeutig, umkämpft und somit (arbeits-)politisch gestaltbar“ (2015: 276). Ein anschauliches Beispiel für die bislang ungeklärten ethischen und rechtlichen Fragen sind Pflege-Roboter. So mag es kurz- oder mittelfristig technisch möglich sein, dass Roboter mehr und mehr Pflegetätigkeiten übernehmen können. Ob dies jedoch von Menschen gewünscht wird und auf Akzeptanz stößt, ist ebenso ungewiss wie etwa rechtliche Fragen der Haftung, wenn beispielsweise ein Pflege-Roboter einen Unfall verursacht (vgl. auch Dengler/Matthes 2015). So titelte etwa der Spiegel bereits im April 1978: „Die Computer-Revolution: Fortschritt macht arbeitslos“ (vgl. Heßler 2016: 21) und André Gorz prognostizierte: „Die mikroelektronische Revolution leitet das Zeitalter der Beseitigung der Arbeit ein“ (Gorz 1984: 53; vgl. auch Dahrendorf 1983). Heßler (2016) zeigt in einer Analyse der seit den 1950er Jahren anhaltenden Automatisierungsdiskurse die Kontinuität des Diskurses um die Risiken technologischer Neuerungen auf. Sie schlussfolgert hierbei: „Sichtbar wird aber vor allem, gerade in der Persistenz der Ängste, die Bedeutung von Erwerbsarbeit sowohl für die Gesellschaft als auch für das menschliche Selbstverständnis“ (ebd.: 23).
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
23
technologieinduzierten Rationalisierungspolitiken betroffen sein könnten und welche Auswirkungen sich für die Qualifikationen der Beschäftigten ergeben. Hier stehen sich im wissenschaftlichen Diskurs die Szenarien eines generellen „Upgradings“ und einer zunehmenden Polarisierung gegenüber. Ersteres Szenario leugnet zwar nicht, dass insbesondere einfache Tätigkeiten mit hohem Routinecharakter tendenziell eher substituierbar sind, geht jedoch davon aus, dass es gleichzeitig aufgrund neuer Tätigkeits- und Kompetenzanforderungen zu einer generellen Aufwertung von Qualifikationen kommt (vgl. Kagermann 2014: 608f.). Kern des Polarisierungsszenarios hingegen ist, „dass mittlere Qualifikationsgruppen massiv an Bedeutung verlieren und sich daher zunehmend eine Schere öffnet zwischen komplexen Tätigkeiten mit hohen Qualifikationsanforderungen einerseits und einfachen Tätigkeiten mit niedrigem Qualifikationsniveau andererseits“ (Hirsch-Kreinsen 2016: 11). Empirische Erkenntnisse, die eines dieser beiden Szenarien bestätigen würden, liegen bislang nicht vor17. Dies hängt auch damit zusammen, dass „aufgrund von Gestaltungsoptionen und spezifischen betrieblichen Entscheidungsprozessen Technik allein nur wenig Aussagekraft in Sachen zukünftiger Gestaltung von Arbeit und absehbarer Qualifikationsanforderungen hat“ (Minssen 2017: 123; vgl. auch Eichhorst et al. 2016: 3). Es ist daher im Besonderen der sozio-technische Charakter dieser Systeme, welcher die verschiedenen Prognosen zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt so schwierig macht. Gewiss entstehen durch die Digitalisierung neue potentielle Risiken für Beschäftigte. Neben den angesprochenen möglichen Arbeitsplatzverlusten sowie einer Polarisierung zwischen Digitalisierungsgewinnern und -verlierern erhält auch die Frage nach einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeits- und Lebenswelt neue Nahrung, denn das Internet und mobile Endgeräte können als „Enabler von Entgrenzung“ eine verstärkende Wirkung auf derartige Entwicklungen haben (vgl. Pfeiffer 2012: 15). Dass sie gleichzeitig auch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, neue Formen des Gesundheitsschutzes und Flexibilität ermöglichen können, unterstreicht die Ambivalenzen neuer digitaler Möglichkeiten und die Bedeutung betrieblicher Aushandlungsprozesse (ebd.: 21; vgl. auch Ittermann/Niehaus 2015: 45). Gleiches gilt für die Frage verschärfter Kontroll- und Überwachungsmechanismen im betrieblichen Kontext. So sehen einige Autoren in den neuen digitalen Technologien ein zunehmendes „Potenzial für die Ausübung betrieblicher Herrschaft“
17
Zwar sprechen einige der Studien zu den prognostizierten Beschäftigungseffekten eher für die These einer zunehmenden Polarisierung (so etwa Frey/Osborne 2013; Dengler/Matthes 2015), sind jedoch aufgrund ihres Prognosecharakters mit zahlreichen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten behaftet.
24
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
(Staab/Nachtwey 2016: 27)18, wohingegen Carstensen (2014) zeigen kann, dass etwa Beschäftigte in Internetberufen die Herausforderungen und Handlungsspielräume einer digitalisierten Arbeitswelt sehr unterschiedlich wahrnehmen und beurteilen. So sind die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt bislang insgesamt eher von Unübersichtlichkeiten, Ambivalenzen und Uneindeutigkeit geprägt. Als wahrscheinlich kann jedoch angenommen werden, dass „mit der Digitalisierung auch Trends auf dem Arbeitsmarkt ihre beschleunigte Fortsetzung finden, die bereits für die jüngere Vergangenheit prägend waren“ (Eichhorst et al. 2016: 4). Hierzu zählen vor allem die Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung, nicht zuletzt in Form einer entgrenzten Arbeitswelt (sei es räumlich, zeitlich oder im Hinblick auf die Arbeitsinhalte und -anforderungen), zunehmend heterogenisierter Beschäftigtenstrukturen und einer weiteren Pluralisierung der Erwerbsformen19. Denkbar ist jedoch, dass diese Entwicklungen durchaus selektiv auf einzelne Beschäftigtengruppen wirken werden und die Folgen der Digitalisierung damit uneinheitlich verlaufen können – nicht zuletzt aufgrund der angesprochenen Bedeutung (über-) betrieblicher Aushandlungs- und Regulierungsprozesse. Allerdings wird von einigen Autoren die Realisierbarkeit (über-) betrieblicher Regulierung, nicht nur, aber auch mit Blick auf die Folgen der Digitalisierung, als zunehmend gering eingestuft (vgl. etwa Dörre 2015: 277). Dies hängt primär mit den fundamentalen Wandlungsprozessen der Arbeitsbeziehungen und des Tarifsystems zusammen (für einen breiten Überblick vgl. die Beiträge in Artus et al. 2016). So wird seit langem eine schleichende Erosion des Tarifsystems in Deutschland diagnostiziert (Bispinck 2016). Diese manifestiert sich primär in einer seit zwei Jahrzehnten kontinuierlich sinkenden Tarifbindung von Unternehmen und den in ihnen Beschäftigten, einer zunehmenden Dezentralisierung der Tarifpolitik und einem Bedeutungsverlust der betrieblichen Mitbestimmung (vgl. ebd.). So waren 2015 41% der Beschäftigten in Westdeutschland in nicht-tarifgebundenen Betrieben beschäftigt, in Ostdeutschland sogar knapp 18
19
Auch dies übrigens keinesfalls eine neue Befürchtung. So wurde schon in den 1980er Jahren darauf hingewiesen, Beschäftigte könnten angesichts neuer technologischer Systeme „stärker in die betrieblichen Organisationsabläufe eingebunden und besser diszipliniert und kontrolliert werden“ (Heinze 1984: 67). Abzuwarten bleibt hierbei auch, wie sich neue Phänomene wie etwa Crowdworking in der digitalen Plattform-Ökonomie entwickeln und möglicherweise ausbreiten werden (Eichhorst et al. 2016: 12). Denkbar ist hierbei eine weitere Hybridisierung von Erwerbsarbeit, denn Plattformen wie Uber verstehen sich eher als Vermittler von Aufträgen denn als „klassischer“ Arbeitgeber, wohingegen die Auftragnehmer quasi als abhängige Selbständige agieren, was auch Fragen einer angemessenen sozialen Sicherung dieser neuen Beschäftigungsarten aufwirft (vgl. auch Rinne/Zimmermann 2016: 7).
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
25
mehr als die Hälfte (Ellguth/Kohaut 2016: 284). Die Anteile der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben sind sowohl in West- als auch Ostdeutschland in den letzten 20 Jahren spürbar gesunken – in Westdeutschland von 76% im Jahr 1998 auf 59% im Jahr 2015, in Ostdeutschland von 63% auf 49% (vgl. ebd. sowie hinsichtlich unterschiedlicher Pfadabhängigkeiten im System der Arbeitsbeziehungen in West- und Ostdeutschland Rehder 2015: 28f.). Eine ähnliche Tendenz zeigt sich im Hinblick auf die Verbreitung von Organen der betrieblichen Interessenvertretung. Zwar ist der Anteil der Betriebe mit Betriebsrat seit den 1990er Jahren relativ stabil, jedoch sank der Anteil an Beschäftigten, die in Betrieben mit Betriebsrat arbeiten20 (vgl. Ellguth/Kohaut 2016: 288). Unübersehbar ist daher ein zunehmender Bedeutungsverlust des klassischen Modells der Arbeitsbeziehungen, wie es für die Nachkriegszeit bis in die frühen 1980er Jahre für Deutschland charakteristisch war (vgl. Rehder 2016: 370). Dieses Modell war geprägt von der Idealvorstellung der dualen Interessenvertretung auf überbetrieblicher und betrieblicher Ebene, in der die Tarifvertragsparteien auf Basis der gesetzlich verankerten Tarifautonomie die grundlegenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen kollektiv regeln und die betrieblichen Akteure für die Umsetzung und Feinjustierung sorgen (vgl. Müller-Jentsch 2007: 31ff.). „Doch die Formel ‚Flächentarifvertrag plus Betriebsrat‘ trifft inzwischen nur noch für ein kleines Segment der Privatwirtschaft zu. Weniger als ein Drittel (28%) der Beschäftigten in Westdeutschland verfügt über Branchentarifvertrag und Betriebsrat, in Ostdeutschland gilt dies sogar nur für 15% der Beschäftigten“ (Bispinck 2016: 183f.). Folglich verliert die in der ursprünglichen Architektur der deutschen Arbeitsbeziehungen angedachte Schutzfunktion der Sozialpartnerschaft für einen stetig wachsenden Anteil der Beschäftigten an Bedeutung. Dies trifft, so ist vielfach gezeigt worden, insbesondere Beschäftigte in verschiedenen Dienstleistungsbranchen sowie jene in kleinen Betrieben (vgl. ebd. sowie Rehder 2016), so dass es zu einer verstärkten Spaltung zwischen relativ gut geschützten Beschäftigten und jenen in tarif- und betriebsratsfreien Zonen des Arbeitsmarktes kommt21. Unübersehbar ist zudem eine zunehmende Dezentralisierung der Tarifpolitik, die häufig auch als Verbetrieblichung bezeichnet wird (vgl. Minssen 2012: 165; Rehder 2003). Dezentralisierung kann verstanden werden als „teilweise oder vollständige Verlagerung der Regulierung der Arbeitsbedingungen von der sektoralen oder nationalen auf die betriebliche Ebene“ (Bahnmüller 2009: 84). 20 21
In Westdeutschland sank der Anteil an Beschäftigten, die in einem Betrieb mit Betriebsrat arbeiten, von 51% im Jahr 1996 auf 42% im Jahr 2015, in Ostdeutschland von 43 auf 33% (vgl. Ellguth/Kohaut 2016: 288). So lag etwa der Anteil an Beschäftigten, die in Betrieben ohne Tarifbindung beschäftigt sind, 2015 in Westdeutschland bei lediglich 2% im öffentlichen Dienst und 8% im Bereich „Energie/Wasser/Abfall und Bergbau“, im Einzelhandel dagegen bei 57% und im Bereich Information und Kommunikation bei 80% (Ellguth/Kohaut 2016: 284).
26
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Zumeist wird hierbei zwischen kontrollierter und wilder Dezentralisierung unterschieden. Erstere Form beinhaltet insbesondere tarifvertragliche Öffnungsklauseln, wohingegen wilde Formen etwa Verbandsflucht umfassen oder die Tarifvertragsparteien schlicht erst gar keine Rolle in Verhandlungen oder Abkommen spielen (vgl. ebd.). Durch diese Entwicklungen wird nicht nur der Charakter des Branchentarifvertrags als bindendes Regelwerk verändert, sondern zunehmend auch die klassische Aufgabenteilung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einerseits und Betriebsrat und Management andererseits verwischt22 (Bispinck 2016: 185). Resümierend sprechen diese Wandlungsprozesse daher für eine zunehmende Fragmentierung und Zerfaserung der Tarif- und Mitbestimmungslandschaft. Die Gründe für diesen Trend sind vielfältig. Zuvorderst liegen sie in einer Krise der Tarifverbände begründet, die mit sinkenden Mitgliederzahlen und abnehmenden Organisationsgraden zu kämpfen haben und zeitgleich nicht schritthalten konnten mit den sektoralen Verschiebungen der Wirtschaftsstruktur und der Beschäftigung (vgl. Ebbinghaus/Göbel 2014; Silvia 2010). So tun sich insbesondere Gewerkschaften schwer, Beschäftigte in atypischen Beschäftigungsverhältnissen oder neuen Branchen und Berufsfeldern zu organisieren (Minssen 2012: 162f.; Keller 2017). Manche Beobachter sehen hierin eine Tendenz zu exklusiver Solidarität (Dörre 2013a; zur Debatte um den selektiven Korporatismus vgl. bereits Esser 1982). Dies ist eng verbunden mit dem strukturellen Wandlungsprozess hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft und einem Bedeutungsverlust großbetrieblicher Strukturen, die insbesondere für den sekundären Sektor prägend waren (Schroeder 2014). Entscheidend ist auch, dass in vielen Dienstleistungsbranchen nicht dieselben pfadabhängigen Betriebskulturen vorherrschen wie in industriellen Betrieben, d.h. Verbandsmitgliedschaft und betriebliche Interessenvertretung keinesfalls historisch gewachsen und zur Normalität geworden sind. Hinzu kommen Individualisierungsprozesse und die bekannte Trittbrettfahrer-Problematik (vgl. bereits Olson 2004 [1965]), welche arbeitgeber- und arbeitnehmerseitig zu Zweifeln an den Vorteilen und dem Nutzen einer verbandlichen Mitgliedschaft führen können23. Zu guter Letzt sind auch organisationale Veränderungen der Tarifverbände zu nennen. Auf Arbeitnehmerseite zeigt sich dies insbesondere im Bedeutungszuwachs von Berufs22 23
In seiner extremsten Form kann daher der Betriebsrat angesichts erweiterter Aufgaben und Kompetenzen zum Co-Manager werden, was Rollenkonflikte und Legitimitätsdefizite nach sich ziehen kann (vgl. etwa Hälker 2004 sowie Rehder 2006). Dies kann im Übrigen ganz unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten mit jeweils eigenen Logiken betreffen – etwa Geringqualifizierte, die sich von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft keine Verbesserung zu erhoffen vermögen, aber auch Hochqualifizierte mit hoher Primärmacht, die eine Mitgliedschaft für die Durchsetzung der eigenen Interessen als nicht notwendig erachten.
2.1 Erwerbsarbeit unter veränderten Rahmenbedingungen
27
und Spartengewerkschaften, die zum Teil in offener Konkurrenz zu den klassischen Industrie- und Einheitsgewerkschaften stehen (vgl. Hassel 2013). Auf Seiten der Arbeitgeber ist indes ein Trend in Richtung OT (ohne Tarifbindung)Verbände und OT-Mitgliedschaften zu beobachten, die darauf abzielen, Unternehmen zwar die Serviceleistungen des Verbandes zugutekommen zu lassen, sie jedoch von der Bindung an tarifvertragliche Abkommen und Regelungen zu befreien (vgl. Haipeter 2010). Diese Entwicklungen lassen daher eine häufig geforderte Re-Stabilisierung des Tarifsystems momentan eher unwahrscheinlich erscheinen, was auch in einer kontinuierlich sinkenden Nutzung des politischen Instruments der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen begründet liegt (vgl. Bispinck 2016). Die hier kursorisch skizzierten veränderten Rahmenbedingungen für Arbeitsmärkte und die Erwerbsarbeit sind nicht voneinander getrennt, sondern vielmehr als komplementär zueinander zu verstehen und interagieren mit weiteren Wandlungsprozessen wie etwa dem demografischen Wandel, veränderten Familien- und Haushaltsstrukturen und sich wandelnden gesellschaftlichen Normen und Werten. In der Summe führen diese Veränderungen zu strukturverändernden Wandlungsprozessen moderner Arbeitsmärkte, die sich sowohl angebots- als auch nachfrageseitig zeigen (vgl. Bosch 2010: 643f.). Es ist sozialwissenschaftlich vielfach herausgearbeitet worden, dass hierdurch neue Flexibilitätsanforderungen für Unternehmen und Betriebe entstehen. Diese können sowohl Formen der externen Flexibilität, insbesondere die Nutzung von Erwerbsformen abseits des klassischen Normalarbeitsverhältnisses, als auch Formen der internen Flexibilität, etwa flexible Arbeitszeitmodelle, eine stärkere Durchdringung von Arbeitszeit und Freizeit sowie intensivierte Formen des mobilen Arbeitens umfassen (vgl. Eichhorst/Tobsch 2015: 47ff.). Es kommt also zu einer Öffnung tradierter Grenzziehungen, welche die grundlegenden Strukturprinzipien der fordistisch-tayloristischen Regulation von Arbeit zur Disposition stellt (vgl. Sauer 2013: 13). Dieser Wandel von Erwerbsarbeit ist jedoch nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, dass Unternehmen und Betriebe auf veränderte Rahmenbedingungen und Strukturverschiebungen reagieren. Derartige Lesarten übersehen, „dass ein Großteil der Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt aus Entscheidungen der Beschäftigten folgen, die aus dem Bildungssystem ins Erwerbsleben wechseln, ihre Erwerbstätigkeit aus privaten Gründen unterbrechen, Karriere machen und schließlich in Rente gehen“ (Bosch 2010: 643). Dies bedeutet indes keine völlige individuelle Unabhängigkeit dieser Entscheidungen von den vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten und etwaigen Zwängen, den Lebenslagen oder dem Wohlfahrtssystem. Gleichwohl sollte, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Pluralisierung von Erwerbsformen, die Perspektive der Beschäftigten nicht außer Acht gelassen werden. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen eher freiwilligen Flexibilitätswünschen der Beschäftigten, etwa im
28
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Zuge veränderter Wertvorstellungen oder partnerschaftlichen Erwerbsarrangements, und extern induzierten Flexibilitätsanforderungen, die sich z.B. durch fehlende Beschäftigungsalternativen oder veränderte politische Rahmensetzungen ergeben können (vgl. Dietz et al. 2013: 101). In diesem Zusammenhang sind insbesondere arbeitsmarkt- und sozialpolitische Regulierungen zu nennen, und hierbei prominent die institutionellen Veränderungen im Zuge der Hartz-Reformen von 2003-2005, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. 2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik: Die Hartz-Reformen als Umbruch in Richtung Aktivierung, Employability und Workfare 2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik Arbeitsmärkte sind eingebettet in eine Vielzahl institutioneller Settings, etwa dem Arbeitsrecht oder der in Deutschland rechtlich verankerten Tarifautonomie. Als rahmensetzender Akteur ist hierbei der Staat von Bedeutung. Zwar enthält er sich in Deutschland weitestgehend den Fragen der Lohnfindung oder der Ausgestaltung konkreter Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, versucht jedoch gleichzeitig mit Instrumenten der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, Einfluss auf das Geschehen am Arbeitsmarkt zu nehmen. Während Beschäftigungspolitik zumeist makroökonomisch ausgerichtet ist und Maßnahmen der Wirtschafts-, Geld-, Finanz-, Struktur- und Lohnpolitik einschließt (vgl. Keller 2008: 303), zielt Arbeitsmarktpolitik „auf die quantitative und qualitative Beeinflussung des Angebots wie der Nachfrage nach Arbeitskräften, um auf diese Weise den Ausgleichsprozess auf dem Arbeitsmarkt zu fördern, die Entstehung von Arbeitslosigkeit zu vermeiden, vorhandene Arbeitslosigkeit abzubauen und die Beschäftigungsmöglichkeiten für alle Arbeitsuchenden und Arbeitsfähigen zu verbessern“ (Bäcker et al. 2010: 534). Gerade im Hinblick auf Maßnahmen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit sowie ihrer Abfederung operiert Arbeitsmarktpolitik an der Schnittstelle zur Sozialpolitik. Insbesondere die Arbeitslosenversicherung weist einen Doppelcharakter auf, denn einerseits fungiert sie als Instrument zur Gewährleistung der materiellen Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit, andererseits strahlen ihre Wirkungen auf die Geschehnisse und das Verhalten der Marktsubjekte am Arbeitsmarkt aus (vgl. ebd.: 539). Die der Arbeitsmarktpolitik zugrundeliegenden Leitbilder sowie ihre Instrumente unterlagen in Deutschland historisch betrachtet diversen Wandlungsund Anpassungsprozessen (für einen Überblick vgl. die Beiträge in Bothfeld et al. 2012). Mit der Einführung der Arbeitslosenversicherung in der Weimarer Republik im Jahr 1927 wurde erstmals eine materielle Kompensation in Fällen von Arbeitslosigkeit implementiert und mit dem Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) versucht, Angebot und Nachfrage nach Arbeit durch staatliche Arbeitsvermittlung auszugleichen. Nach Ende des
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
29
Zweiten Weltkrieges wurden ab 1957 diese grundlegenden Prinzipien beibehalten, wobei staatlicher Arbeitsmarktpolitik zu dieser Zeit angesichts wirtschaftlicher Prosperität und Vollbeschäftigung eine untergeordnete Rolle im staatlichen Handeln zukam. So konzentrierte sich Arbeitsmarktpolitik weitestgehend auf passive Leistungen, d.h. eine Abfederung der materiellen Folgen von Arbeitslosigkeit durch kompensatorische sozialstaatliche Transferleistungen (vgl. Oschmiansky/Ebach 2012). Einen ersten wichtigen Paradigmenwechsel stellte das 1969 verabschiedetet Arbeitsförderungsgesetz (AFG) mit einer Schwerpunktverlagerung in Richtung einer präventiven und aktiven Arbeitsmarktpolitik dar. Kernstücke waren eine stärkere Förderung von Ausbildung, Umschulung und beruflicher Fortbildung. In Fällen von Arbeitslosigkeit blieb das Prinzip der Lebensstandardsicherung (Äquivalenzprinzip) die handlungsleitende Maxime. In den ersten Jahren nach der Einführung des AFG zeigte sich in der Tat eine Verschiebung arbeitsmarkpolitischer Maßnahmen in Richtung Fort- und Weiterbildung sowie Qualifizierung (vgl. ebd.). Rückblickend betrachtet stieß das AFG jedoch ab Mitte der 1970er Jahre an Grenzen. Ursächlich hierfür war die erste Ölkrise mit der Folge eines deutlichen Anstiegs der Arbeitslosigkeit – eine Arbeitsmarktsituation, die der grundlegenden Konstruktion des AFG zuwiderlief. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit band in der Folge einen großen Teil der zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel. Folglich wurde im Laufe der Zeit eine beträchtliche Zahl von Novellierungen am AFG vorgenommen, wobei sich eine schrittweise Akzentverschiebung von präventiv-aktiven zu passiv-kompensatorischen Maßnahmen vollzog. Gleichzeitig wurde auch der Nutzen aktiver Arbeitsmarktinstrumente zunehmend in Frage gestellt, da sich vermehrt Verfestigungstendenzen in der Arbeitslosigkeit zeigten24. Trotz etwaiger Konstruktionsfehler und Ineffizienzen blieb das AFG mehr als dreißig Jahre lang die arbeitsmarktpolitische Gesetzesgrundlage. 1997/1998 wurde es schließlich als Drittes Buch in das Sozialgesetzbuch überführt und die präventive Komponente nur noch in abgeschwächter Form fortgeschrieben (vgl. Bäcker et al. 2010: 540), bevor es in Folge des Regierungswechsels zu Rot-Grün auf Bundesebene zur größten Arbeitsmarkt- und Sozialreform in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands kommen sollte. Ausgangspunkt der sogenannten Hartz-Reformen war die sich in den 1990er-Jahren verschärfende Arbeitsmarktkrise mit weitreichenden Folgen für die sozialen Sicherungssysteme. Die anhaltende wirtschaftliche Wachstums24
So bilanzieren etwa Hassel/Schiller (2010: 57): „Auch die aktive Arbeitsmarktpolitik war weniger aktiv als ihr Name vermuten lassen würde. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Beschäftigungsgesellschaften und selbst berufliche Fortbildungsmaßnahmen dienten weniger der Weiterqualifikation und Reintegration in den Arbeitsmarkt, sondern schufen Möglichkeiten, erneute Ansprüche auf Lohnersatzleistungen zu erwerben“.
30
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
schwäche, verstärkt durch die deutsche Einigung, und eine in der Folge wachsende Massenarbeitslosigkeit bei niedrigen Erwerbsquoten verfestigte sich zusehends und die strukturelle Krise des deutschen Arbeitsmarkt- und Wohlfahrtsstaatsmodells schien offenkundig (vgl. Spohr 2015: 138ff.). So sank etwa die Beschäftigung in Deutschland im Zeitraum von 1999-2003 um 0,4%, während sie etwa in den Niederlanden und Kanada um 22%, in den USA um 17% im selben Zeitraum zunahm (vgl. Eichhorst/Walwei 2005: 2). Gleichzeitig lag seit 1994 die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland bis zum Jahr 2008 konstant über 3,5 Millionen, lange gar weit über 4 Millionen25. Eine schwache wirtschaftliche Dynamik, eine persistierende Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau sowie nur geringe Vermittlungserfolge von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt machten Deutschland zu jener Zeit zum vielzitierten „kranken Mann Europas“ (vgl. Schröder 2012). Eine der zentralen Folgen bestand in einer zunehmenden Überforderung des lohnarbeitszentrierten sozialen Sicherungssystems, dessen Zukunftsfähigkeit angesichts sinkender Einnahmen bei kontinuierlich steigenden Ausgaben sowie weitreichenden demografischen Wandlungsprozessen zunehmend in Frage gestellt wurde (vgl. Heinze 1998: 151ff.). Die Ursachen für diese Schieflagen waren vielfältig und heftig umstritten (für einen Überblick über die verschiedenen Positionen vgl. Enquete-Kommission 2002, Schulze Buschoff 2010, Siebert 1997 sowie Berthold 2002). Viele Beobachter sahen die zentralen Ursachen in einer Überregulierung des deutschen Arbeitsmarktes, der sich durch zu viele Rigiditäten und eine im internationalen Vergleich unzureichende Flexibilität auszeichnete. So habe es insgesamt eine zu geringe Lohnspreizung, einen zu hohen Kündigungsschutz, zu wenige flexible Erwerbsformen, eine zu hohe Abgabenlast für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zu viel betriebliche Mitbestimmung sowie zahlreiche Ineffizienzen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gegeben26 (vgl. ebd. sowie Zimmermann 2005). Darüber hinaus sei es zu einer „Ausuferung“ des Sozialstaats gekommen, in dessen Folge zu hohe staatliche Transferleistungen für Arbeitslose zu einer zunehmenden Demotivierung dieser Personengruppe bei gleichzeitig zu geringen Anreizen zur Aufnahme 25 26
Insbesondere der ostdeutsche Arbeitsmarkt war hierbei krisengeschüttelt und wies zeitweise Arbeitslosenquote von fast 20% auf (vgl. Statistisches Bundesamt Online o.J.). Ineffizienzen wurden zudem im Hinblick auf die organisationale Zuständigkeit in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe konstatiert. Während die vom Bund finanzierte Arbeitslosenhilfe in den Zuständigkeitsbereich der damaligen Bundesanstalt für Arbeit fiel, war die Sozialhilfe Aufgabe der Kommunen. Folge dieses sich häufig überschneidenden Nebeneinanders waren unklare Zuständigkeiten sowie eine sich ausbreitende „Verschiebepraxis“, in der insbesondere die Kommunen angesichts zunehmender finanzieller Engpässe versuchten, sozialhilfeberechtigte Leistungsbezieher in kommunale arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu integrieren und hierdurch die Kosten auf die BA zurückzuverlagern (vgl. Spohr 2015: 139f.). Diese „Politik des Verschiebebahnhofs“ (Hassel/Schiller 2010: 70) findet sich indes auch in anderen Bereichen der sozialen Sicherung (vgl. ebd.).
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
31
einer bezahlten Arbeit geführt hätten (vgl. etwa Sinn 2004: 155ff.)27. Hinzu seien politische Blockaden und eine generelle Reformunfähigkeit in Deutschland gekommen, die sich insbesondere in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik manifestierten28 (vgl. auch Mohr 2012; Schünemann/Boyle 2011 sowie für eine breite Diskussion des deutschen „Reformstaus“ Heinze 1998 und 2006). So sehr eine derartige Deutung der Ursachen der Arbeitsmarktkrise strittig war, herrschte doch Einigkeit, dass eine solche Krise nicht wegzudiskutieren sei. Große Uneinigkeit, sowohl bei wissenschaftlichen Beobachtern, den politischen Parteien als auch den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, herrschte hingegen in der Frage nach angemessenen Maßnahmen zur Bewältigung der Arbeitsmarktkrise. Während Mitte der 1990er Jahre große Teile der SPD und der Gewerkschaften nachfrageorientierte Ideen verfolgten29, gewannen angebotsorientierte Instrumente und Vorschläge im politischen Diskurs an Bedeutung – etwa verschiedene Maßnahmen für eine schrittweise Deregulierung des Arbeitsmarktes sowie verstärkten Anreizen für Arbeitslose zur Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit. Spohr (2015: 149f.) weist daher darauf hin, dass ganz grundlegende „Bausteine“ einer aktivierenden Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bereits zu jener Zeit bedeutsamer wurden, wenngleich sie sich noch nicht in weitreichende politische Reformen übersetzten (vgl. auch Hassel/Schiller 2010: 10f.). Dies sollte sich mit dem rot-grünen Regierungswechsel auf Bundesebene im Jahr 1998 schrittweise ändern30. Die neu gewählte Bundesregierung unter Kanzler Schröder musste angesichts der anhaltenden Strukturkrise am Arbeitsmarkt „mit einer doppelten Erblast fertig werden: Einem massiven Beschäftigungsdefizit und einem institutionell fest verankerten Repertoire gescheiterter Methoden seiner Bekämpfung“ (Streeck/Heinze 1999a: 149). Bereits kurz nach der Bundestagswahl wurde das „Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit“ eingerichtet. Zentrale Ziele waren der Abbau der Arbeitslosigkeit, die Förderung von Beschäftigung und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Spohr 2015: 168). Das Bündnis war tripartisch, d.h. unter Einbezug der Spitzenverbän27 28
29 30
Hiermit eng verbunden waren zahlreiche Diskussionen um einen angeblich weit verbreiteten Missbrauch von sozialstaatlichen Leistungen und die „soziale Hängematte“, in der sich viele arbeitslose Personen eingerichtet hätten (vgl. kritisch Trube 2003: 303). Begleitet wurde dies durch die Debatten um eine Neudefinition von Staatstätigkeit, die in den zahlreichen Diskussionen um einen aktiven, schlanken, unternehmerischen, kooperativen, befähigenden, aktivierenden, manageriellen und gewährleistenden Staat ihre Entsprechung fanden (vgl. Schmid 2006: 488f. sowie die Beiträge in Behrens et al. 2005). So etwa Forderungen nach einer Stärkung eines öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarktes sowie einer Neuverteilung der Arbeit bei gleichzeitiger Reduktion der Wochen- und Lebensarbeitszeit. Im Folgenden kann die Genese der Hartz-Reformen nur überblicksartig skizziert werden. Für detaillierte Herleitungen und Analysen vgl. u.a. Hassel/Schiller 2010, Spohr 2015 sowie Hegelich et al. 2011.
32
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
de von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie der Bundesregierung, zusammengesetzt31 und umfasste eine von Wissenschaftlern besetzte BenchmarkingGruppe32, die einen systematischen Vergleich mit anderen vergleichbaren Ländern durchführen und hierdurch Anregungen für arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahmen ableiten sollte (vgl. ebd.: 93). Im Frühjahr 1999 legten zwei Mitglieder der Benchmarking-Gruppe einen ersten inoffiziellen Bericht im „Spiegel“ vor (vgl. Streeck/Heinze 1999b), in dem sie sich für eine Fokussierung auf die Erhöhung der Erwerbsquote als Richtschnur einer erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik aussprachen33. Die Forderungen wiesen in Richtung einer verstärkten Aktivierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, für welche die Dualität von Employabilityund Workfare-Ansätzen charakteristisch ist (vgl. Dingeldey 2011: 70). Während Employability auf die Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmern und arbeitslosen Personen abzielt34, steht im Kern von Workfare-Ansätzen eine mehr oder weniger strikte Kopplung staatlicher Transferleistungen an die Bereitschaft zur Aufnahme einer (jeden) Arbeit35 (vgl. ebd. sowie Mohr 2012). Jedoch erwuchsen aus diesen Empfehlungen in der ersten Legislaturperiode der rot-grünen Bundesregierung keine weitreichenden arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen, was insbesondere in unterschiedlichen Problemwahrneh-
31
32 33
34 35
„Das Bündnis war so betrachtet ein Versuch, das in unserem Verbändewesen akkumulierte soziale Kapital zur Aushandlung institutioneller Reformen zu nutzen; also mit verhandlungsdemokratischen Methoden [mit einer ‚Konsenskooperation‘] strukturelle Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im sozialen Sicherungssystem umzusetzen“ (Heinze 2006: 92). Zu ihr zählten zu Beginn des Bündnisses Wolfgang Streeck, Rolf G. Heinze und Günther Schmid. Demnach sei die etablierte arbeitsmarktpolitische Praxis einer Verringerung der Nachfrage nach Arbeit, etwa durch Frühverrentungen oder Arbeitszeitverkürzung, weitestgehend gescheitert. Durch eine Erhöhung der Erwerbsquoten ließe sich jedoch auch das Problem der Arbeitslosigkeit verringern, da zwischen Erwerbs- und Arbeitslosenquote eine deutlich negative Beziehung bestünde (Streeck/Heinze 1999b: 39). Laut Josef Schmid bezeichnet Employability „die Fähigkeit, sich selbständig auf den Arbeitsmärkten bewegen und dauerhafte Beschäftigung finden zu können. Das ‚Managen‘ von Veränderungsprozessen wird so zur permanenten Aufgabe im Erwerbsleben der Individuen“ (2010: 9). In eine ähnliche Richtung wies auch das viel beachtete Schröder-Blair-Papier von 1999, welches im Anschluss an den Rücktritt Lafontaines als SPD-Vorsitzender entstand und neue Leitlinien der britischen und deutschen Sozialdemokratie auszuloten suchte. Als Leitbegriff diente hier ein Weg der „Neuen Mitte“, im britischen Kontext auch als „Third Way“ bezeichnet. Das SchröderBlair-Papier propagierte eine angebotsorientierte Politik, die durch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die Senkung der Lohnnebenkosten und die Förderung gering entlohnter Tätigkeiten für mehr Beschäftigungsdynamik sorgen sollte (vgl. Spohr 2015: 164f.). Auch wenn die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung in Deutschland zunächst wieder Abstand von den Inhalten des Papiers nahm, zeigte sich auch hier bereits der grundlegend angedachte Paradigmenwechsel, der sich indes erst einige Jahre später in politische Reformen übersetzen sollte.
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
33
mungen der am Bündnis beteiligten Spitzenverbände begründet lag36 (vgl. Heinze 2006: 94f. sowie Spohr 2015: 172). Folglich ebbte das Bündnis für Arbeit ab 2001 langsam ab und erreichte letztlich keine grundlegende institutionelle Reform (vgl. Heinze 2003: 149ff.). Auch nach 1998 bestanden die Arbeitsmarktprobleme jedoch fort, die sich insbesondere ab 2001 weiter zuspitzten. Im November 2001 wurde daraufhin das Job-AQTIV-Gesetz37 beschlossen, welches in Teilen stärker angebotsorientierte Strategien verfolgte – etwa eine geringere Fokussierung auf einen öffentlich geförderten zweiten Arbeitsmarkt. Gleichzeitig enthielt das Gesetz auch die Absicht einer Verbesserung der Qualifizierungsmöglichkeiten für arbeitslose Personen (vgl. Spohr 2015: 175). Insgesamt stellte das Job-AQTIV-Gesetz eine Strategie der „Aktivierung light“ dar und war somit auf fast allen Ebenen konsensfähig (vgl. ebd.). Trotz dieser auf Kompromiss beruhenden Ausrichtung wurde nicht zuletzt durch dieses Gesetz der Weg zu den darauffolgenden Hartz-Reformen geebnet (vgl. Hegelich et al. 2011: 38). Ausgangspunkt für diesen arbeitsmarktpolitischen Systemwechsel war der Ende des Jahres 2001 bekannt gewordene Vermittlungsskandal der Bundesanstalt für Arbeit, der für die Bundesregierung ein „window of oppurtunity“ öffnete (Spohr 2015: 178). Ausgelöst wurde dieser Skandal durch einen Bericht des Bundesrechnungshofes, der in fünf Arbeitsämtern die Vermittlungsstatistik überprüft und festgestellt hatte, dass mehr als 70% nicht überprüfbar oder falsch verbucht worden waren38 (vgl. Hassel/Schiller 2010: 210). In Folge dieses Vermittlungsskandals wurde im Februar 2002 ein „Zweistufenplan für kunden- und wettbewerbsorientierte Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ verkündet. Zuvorderst wurden in der ersten Stufe Sofortmaßnahmen für eine Reform der Bundesanstalt für Arbeit vorgelegt, die insbesondere eine Erleichterung privater Vermittlungsdienste und eine Verwaltungsreform des Vorstandes und Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit umfasste39. Zum anderen wurde im Rahmen der zweiten Stufe (Strukturreformen) die Kommission für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ – in Anlehnung an ihren Vorsitzenden besser bekannt als Hartz-Kommission – eingesetzt. Erwartet wurde von der Kommission die Vorbereitung einer umfassenden Strukturreform mit besonderem Fokus auf neue 36 37 38 39
„Die getroffenen Vereinbarungen mieden erkennbar die Kernsituationen des Arbeitsmarktes. Sie beschränkten sich auf Themen von sekundärer Bedeutung, deren Behandlung keinem der Beteiligten ein nennenswertes Opfer abverlangten“ (Wiesenthal/Clasen 2003: 316f.). AQTIV stand hierbei für Aktivieren, Qualifizieren, Trainieren, Investieren, Vermitteln. So wurden etwa Vermittlungen gebucht, obwohl kein Bewerber eingestellt wurde, die Unternehmen ohne Zutun der Bundesanstalt für Arbeit eigenständig gesucht hatten oder die Bewerber in Eigenregie eine neue Stelle fanden (Hassel/Schiller 2010: 210). Im Zuge der Verwaltungsreform wurde u.a. ein hauptamtlicher dreiköpfiger Vorstand bestellt, der Verwaltungsrat quantitativ verkleinert und in seinen Zuständigkeiten beschränkt sowie der Einfluss der Sozialpartner beschnitten (vgl. Hassel/Schiller 2010: 217f.).
34
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Weichenstellungen in der Arbeitsmarktpolitik, die sich insbesondere auf eine Strukturreform der Bundesanstalt für Arbeit und eine verbesserte Vermittlung von arbeitslosen Personen in den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren sollte40. Die Hartz-Kommission legte ihren Abschlussbericht im August 2002 vor, also noch vor der anstehenden Bundestagswahl (vgl. Bericht der Kommission 2002). Nach der Wiederwahl der rot-grünen Bundesregierung wurden von 2003 bis 2005 dann weite Teile der Kommissionsvorschläge im Rahmen der „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz I bis Hartz IV) umgesetzt (für einen Überblick über die weiteren Reformen in anderen Politikfeldern im Zuge der Agenda 2010 vgl. Hegelich et al. 2011). Die Hartz-Reformen stellten die größte Arbeitsmarkt- und Sozialreform in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands dar, die mit einer Vielzahl historisch gewachsener Grundprinzipien brach (vgl. Dingeldey 2011). Die Ausrichtung der Agenda 2010 im Allgemeinen und der HartzReformen im Speziellen brachte Bundeskanzler Schröder in einer Regierungserklärung im März 2003 zum Ausdruck: „Wir müssen die Rahmenbedingungen für mehr Wachstum und für mehr Beschäftigung verbessern […]. Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen“ (Deutscher Bundestag 2003: 2479). Die Änderungen durch die Hartz-Gesetze bedeuteten eine radikale Umkehr in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und orientierten sich an dem aktivierenden Leitbild des „Förderns und Forderns“. So wurden durch Hartz I bis IV eine Vielzahl gesetzlicher Änderungen vorgenommen, die zahlreiche Maßnahmen in drei zentralen Bereichen umfassten: 1. eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch eine Förderung atypischer Erwerbsformen und neuer Beschäftigungsmöglichkeiten im Niedriglohnsektor; 2. eine Strukturreform der ehemaligen Bundesanstalt für Arbeit mit einem besonderen Fokus auf die Errichtung einer schlanken Verwaltung, einer stärkeren Service-Orientierung und einer effizienteren Vermittlung von Arbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt sowie 3. eine strukturelle Sozialreform mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II, einer verkürzten Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I sowie verschärften Bedürftigkeitsprüfungen inklusive neuen Zumutbarkeitsregeln und Sanktionsmöglichkeiten für Arbeitssuchende (vgl. zusammenfassend auch Eichhorst et al. 2008, Dingeldey 2011: 286ff. sowie Hartz/Petzold 2014: 17ff.). 40
Mit der Einsetzung der Kommission „konnte das Kanzleramt den Vermittlungsskandal als Möglichkeit nutzen, die bisherigen sozialpolitisch-korporatistischen Strukturen zu umgehen. Zwar waren auch in der Hartz-Kommission Verbandsmitglieder vertreten, jedoch konnte die anstehende Bundestagswahl dazu genutzt werden, dass im Gegensatz zum Bündnis für Arbeit nicht die Verbände ihre Vertreter selbst bestimmten. Stattdessen wurden vom Kanzleramt, den Modernisierern aus dem Arbeitsministerium und Hartz unabhängige, kompromissbereite und eher wirtschaftsnahe Personen ausgewählt“ (Spohr 2015: 179f.).
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
35
Maßnahmen für eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes waren insbesondere in den beiden ersten Hartz-Gesetzen enthalten. Hierunter fiel auch die Reform der geringfügigen Beschäftigung, in deren Zuge die zulässige Entgeltgrenze auf 400 Euro erhöht und eine Höchstgrenze der wöchentlichen Arbeitszeit abgeschafft, die Anstellung von Minijobbern in Privathaushalten erleichtert sowie die Sozialversicherungsfreiheit für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Nebenjob wieder eingeführt wurde (vgl. vertiefend 3.1 in dieser Arbeit). Darüber hinaus wurde mit den Midijobs eine Gleitzone eingeführt, in der die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer stetig ansteigen und die Anreize für einen Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung setzen sollte. Des Weiteren kam es zu einer Liberalisierung der Zeit- bzw. Leiharbeit. So wurde das sogenannte Synchronisationsverbot aufgehoben. Zuvor waren Zeitarbeitsfirmen verpflichtet, ihre Mitarbeiter dauerhaft einzustellen, unabhängig von vorhandenen Verleihmöglichkeiten. Von nun an war es möglich, die Beschäftigungsdauer auf die absehbare Verleihdauer zu befristen, was zu einer Vergünstigung der Leiharbeit beitrug und die Anreize zur Nutzung dieser Beschäftigungsform erhöhte (vgl. Schneider 2013: 155). Hinzu kam die Zulassung einer wiederholten Entleihung. Ein weiterer zentraler Bereich der Reformen war der bereits zuvor angestoßene Umbau der ehemaligen Bundesanstalt für Arbeit zur Bundesagentur für Arbeit (BA), der hauptsächlich in Hartz III geregelt wurde. Als organisatorisches Leitbild diente das New Public Management, also eine Orientierung an der Effizienz privatwirtschaftlicher Strukturen (Spohr 2015: 199). Folglich gewannen die Leitlinien Wirkung und Wirtschaftlichkeit an Bedeutung für die Steuerung der Bundesagentur (vgl. Hielscher 2006). Die Reform enthielt sowohl eine Veränderung der Struktur der Bundesagentur für Arbeit als auch veränderte inhaltliche Zielsetzungen, die insbesondere eine effizientere Vermittlung von arbeitslosen Personen in den ersten Arbeitsmarkt beabsichtigte. So wurden die ehemaligen Sozial- und Arbeitsämter zusammengefasst zu den Jobcentern. Ebenso gewannen in der internen Steuerung managerielle Konzepte an Bedeutung. Hierzu zählen auch die neu geschaffenen Eingliederungsvereinbarungen zwischen Jobcenter und Arbeitsuchendem. Die anvisierte bessere Vermittlung von Arbeitsuchenden in den ersten Arbeitsmarkt sollte auch durch ein verbessertes Verhältnis von „Fallmanagern“ und „Kunden“ erreicht werden. Gleichzeitig wurden Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik beibehalten, die weniger auf Sanktion als auf die Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit (Employability) abzielten. Kritiker an den mit der Neuausrichtung der Bundesagentur für Arbeit verbundenen Änderungen sehen jedoch ein Missverhältnis und eine hohe Selektivität in der Frage des Förderns und Forderns. Demnach führe die vermehrte Effizienz- und Kundenorientierung zu einer „Dualisierung der Arbeitsmarktpolitik“ (Dingeledey 2010): während Arbeitsuchende mit gutem Vermittlungspoten-
36
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
tial in den „Genuss“ aktiver Arbeitsmarktinstrumente kämen, sei dies für vermittlungsschwache „Problemgruppen“ wie etwa niedrig qualifizierte Langzeitarbeitslose deutlich unwahrscheinlicher, da hier Aufwand und Ertrag aus Sicht der BA nicht rentabel erscheinen (vgl. auch Hielscher 2006: 123). Zu guter Letzt kam es mit Hartz IV, zuweilen als Herzstück der Reformen bezeichnet, zu einem fundamentalen Wandel im Leistungsrecht. Zuvorderst wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I von maximal 32 auf in der Regel 12 Monate41 gekürzt und somit die Zeitspanne, in der sich staatliche Transferleistungen im Falle der Arbeitslosigkeit am vorherigen Einkommen orientieren, reduziert (vgl. Seifert 2005: 18). Arbeitslose Personen fallen seitdem in den meisten Fällen bereits nach einem Jahr in den Bereich der Grundsicherung. Dies liegt begründet in der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II (ALG II, umgangssprachlich auch als Hartz IV bezeichnet). Die Höhe des ALG II richtet sich hierbei nicht mehr am vorherigen Einkommen, sondern stellt eine Leistung mit Grundsicherungscharakter dar (vgl. Eichhorst/Sesselmeier 2006: 20f.). Dieser Wandel im Leistungsrecht wird als fundamentaler Bruch mit dem Bismarck‘schen Versicherungsprinzip und daher mit der wohlfahrtsstaatlichen Tradition Deutschlands beurteilt, für welche „die Bestimmung von Lohnersatzleistungen in Anlehnung an früheres Arbeitsentgelt typisch [war]“ (ebd.; vgl. auch Knuth 2006: 162f.). Folglich tritt an die Stelle der Lebensstandardsicherung (Äquivalenzprinzip) die bedarfsorientierte Sicherung des sozioökonomischen Minimums (Fürsorgeprinzip) (May/Schwanholz 2013: 201). Flankiert wurden diese neuen Regelungen von weiteren Gesetzesverschärfungen. So wurde im Zuge der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auch die Erwerbsfähigkeit neu definiert. Als erwerbsfähig gilt nun jede Person, die mehr als drei Stunden täglich einer Arbeit nachgehen kann. Durch diese Neu-Definition kam es zu einer Reduzierung der Sozialhilfeempfänger, da viele von ihnen fortan als erwerbsfähig galten und in den ALG II-Bezug wechselten (vgl. Dörre 2013b: 103). Zudem wurden die Zumutbarkeitsregeln verschärft: Bezieher des ALG II müssen seitdem jede Form der Beschäftigung annehmen, auch ausbildungsinadäquate, niedrig oder untertariflich entlohnte, versicherungsfreie oder branchenfremde Beschäftigung (ebd.).
41
Bei älteren Personen kann die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I länger ausfallen. Abhängig ist dies zum einen von der Dauer des vorherigen Versicherungspflichtverhältnisses sowie dem Alter der Person. In der Folge kann die Bezugsdauer daher in diesen Fällen 15 (Personen ab 50 Jahren), 18 (Personen ab 55 Jahren) oder 24 Monate (Personen ab 58 Jahren) betragen.
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
37
„Damit einher geht die Erwartung, dass Langzeitarbeitslose nur zu einem geringeren Lohn den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt schaffen können und auch bei vorhandenen Qualifikationen und praktischen Erfahrungen wieder ‚unten‘ anfangen müssen. Dem entsprechend ist ein höheres Maß an Lohnungleichheit bzw. ein größerer Niedriglohnsektor mit dem Bestreben einer stärkeren Aktivierung von Langzeitarbeitslosen verbunden“ (Eichhorst/Sesselmeier 2006: 22f.).
Des Weiteren wurden eine verschärfte Bedürftigkeitsprüfung und eine damit einhergehende Neu-Definition der Bedarfsgemeinschaft implementiert, die sich ebenfalls an der ehemaligen Sozialhilfe orientiert. So wird bei der Prüfung der Bedürftigkeit nun ein besonderes Augenmerk auf private bzw. familiäre Finanzierungsmöglichkeiten gelegt und eigenes Vermögen und Einkommen innerhalb der gesamten Bedarfsgemeinschaft bei der Prüfung der Höhe des Leistungsanspruches berücksichtigt42 (vgl. Dörre 2013b: 103). Komplettiert werden diese Maßnahmen von verschärften Sanktionsmöglichkeiten. Grundlage ist die Eingliederungsvereinbarung zwischen Fallmanager und Arbeitssuchendem. Bei Verstößen gegen die getroffenen Absprachen kann die Behörde Sanktionen verhängen, insbesondere Kürzungen der Leistungen. Dies gilt auch, wenn Arbeitssuchende sich weigern, eine zumutbare Arbeitsstelle anzunehmen oder eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen (vgl. ebd. sowie für einen europäischen Vergleich arbeitsmarkt- und sozialpolitscher Sanktionspraktiken Schünemann/Boyle 2011). In der Summe der skizzierten Veränderungen im Zuge der Hartz-Reformen lässt sich daher ein Pfadwechsel von einer aktiven hin zu einer aktivierenden Arbeitsmarktpolitik konstatieren (vgl. Oschmiansky et al. 2007). Die zentralen Grundprinzipien umfassen sowohl Employability- als auch Workfare-Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit darauf abzielen, ein hohes Maß an Beschäftigung zu generieren, die schnelle Re-Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu fördern sowie die Anreize zur Aufnahme (jedweder) bezahlten Arbeit auch durch Druck und Sanktionen zu erhöhen43. Die indirekten Wirkungen der Reformen sind hierbei keinesfalls auf arbeitslose Personen beschränkt (vgl. etwa Mau 2012: 94; Legnaro 2006). Durch die Reformen, speziell durch Hartz IV,
42 43
Auch die Definition der Bedarfsgemeinschaft orientiert sich an der ehemaligen Sozialhilfe und umfasst nicht mehr bloß den (Ehe-) Partner, sondern auch die Kinder und Eltern, sofern diese in einem gemeinsamen Haushalt leben (Hartz/Petzold 2014: 23). Diese Grundprinzipien sind seit der Einführung der Hartz-Gesetze weitestgehend unberührt geblieben. Zwar kam es im Laufe der Zeit zu punktuellen Anpassungen und Veränderungen einzelner Gesetzesinhalte, etwa im Hinblick auf die Höhe des Arbeitslosengeldes II, ohne dass hierdurch jedoch die grundlegende aktivierende Ausrichtung im Sinne eines Fördern und Forderns aufgegeben wurde.
38
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
„[…] wurde insbesondere die ehemals breite Mittelschicht der beruflich qualifizierten Arbeiter und Angestellten mit langen Berufsbiographien, die bisher im deutschen Sozialstaat gut geschützt waren, hart getroffen. Sie müssen heute damit rechnen, nach kaum mehr als einem Jahr in die Grundsicherung Hartz IV zu fallen. Sie werden dann genauso behandelt wie alle anderen erwerbsfähigen Arbeitslosen, die noch nie in die Sozialversicherung eingezahlt haben“ (Hassel/Schiller 2010: 48).
Angesichts dieses fundamentalen Wandels in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verwundert es nicht, dass die Hartz-Gesetze bis zum heutigen Tag die wohl umstrittenste Reform in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands darstellen. Die grundlegenden Standpunkte reichen von Einschätzungen der Reformen als „Elend“ (Dörre 2013b), Ausdruck eines neosozialen Aktivierungsparadigmas (Lessenich 2011) und Armutsproduzenten (Butterwegge 2015) bis hin zur Einschätzung, das durch die Reformen angestoßene Umdenken sei unvermeidlich (Zimmermann 2005), eine stärkere Einforderung von Eigenverantwortung und eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zwingend geboten (Schneider 2013) und die Reformen letztlich ein „Segen“ (Straubhaar 2012) gewesen. Hinsichtlich der grundlegenden Ausrichtung der Reformen kritisieren zahlreiche Autoren, die Hartz-Gesetze definierten Arbeitslosigkeit zu einem individuellen Problem um, ohne die strukturellen Rahmenbedingungen ausreichend zu berücksichtigen (vgl. etwa Bäcker et al. 2010: 541 sowie Opielka 2004). Die Folge sei eine pädagogisierende und disziplinierende Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die dem Leitbild eines „marktgerechten Arbeitsbürgers“ (Promberger 2010: 16) anhänge und Arbeitslosigkeit primär als Problem der fehlenden individuellen Motivation und Konzessionsbereitschaft definiere (vgl. Seifert 2005: 20). Die starke Betonung von Eigenverantwortung überfordere ressourcenschwache Gruppen, so dass das Prinzip des Förderns und Forderns auf eine „Bestenauslese“ (ebd.: 21) hinauslaufe. Kritisiert wird daher nicht zuletzt ein Missverhältnis des Förderns und Forderns, das insbesondere letzteren Aspekt überbetone und autoritär-disziplinierend einfordere. Dieser Lesart wird entgegengehalten, dass die Fokussierung auf eine schnelle Re-Integration in den ersten Arbeitsmarkt notwendig sei, um der Verfestigung von Arbeitslosigkeit zu begegnen (vgl. Eichhorst/Sesselmeier 2006). Darüber hinaus habe sich, so Befürworter der Reformen, Arbeitsmarktpolitik lange Zeit in zu geringem Maße auf die Vermittlung in Arbeit konzentriert (vgl. Zimmermann 2005: 4 sowie Schneider 2013: 162f.). Vergessen werden dürfe zudem nicht, dass die Hartz-Reformen nicht für alle Betroffenen eine finanzielle Schlechterstellung bedeuteten (vgl. Mau 2012: 93f.) und nicht wenige arbeitslose Personen von einer professionalisierten Arbeitsvermittlung profitierten (vgl. Eichhorst et al. 2008: 57ff.). Auch mehr als zehn Jahre nach der Reform wird überdies der Beitrag der Reformen zum deutschen „Job-Wunder“ kontrovers diskutiert. Angesichts steigender Erwerbsquoten, einem Allzeithoch an Beschäftigung und einer deutlich gesunke-
2.2 Neue Leitbilder in der Arbeitsmarktpolitik
39
nen Arbeitslosenquote sehen Befürworter die positiven Effekte der Reformen als offenkundig. In dieser Deutung haben erst die Hartz-Reformen für mehr Dynamik am Arbeitsmarkt gesorgt und die positive Beschäftigungsentwicklung ermöglicht (vgl. Straubhaar 2012). Andere Autoren negieren diesen kausalen Zusammenhang und verweisen etwa auf demografische und konjunkturelle Effekte (vgl. Hirschel 2013: 195f.). Gleichzeitig zeigen sich insbesondere im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosigkeit weiterhin massive Verfestigungstendenzen (vgl. Walwei 2015a: 12f.). Damit scheint die Aktivierungsstrategie insbesondere bei jenen Personengruppen mehrheitlich zu scheitern, die durch die Reformen explizit adressiert wurden. Im Hinblick auf die insgesamt jedoch positive Beschäftigungsentwicklung spricht letztlich vieles für eine Kombination ganz unterschiedlicher Einflussfaktoren, deren Effekte nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Demnach haben die Hartz-Reformen nicht monokausal zu mehr Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit geführt, waren jedoch ein flankierender Baustein, der insbesondere im Bereich der atypischen und niedrig entlohnten Beschäftigung zu mehr Dynamik geführt hat (vgl. Bonin 2013). Mit den in dieser Arbeit im Zentrum stehenden Wandlungsprozessen des Arbeitsmarktes und der Erwerbsarbeit, insbesondere der zunehmende Pluralisierung von Erwerbsformen, sowie den oben diskutierten veränderten Rahmenbedingungen stehen die Hartz-Reformen in einem komplexen reziproken Verhältnis. So sind die Reformen einerseits als Antwort auf eben jene veränderten Rahmenbedingungen zu lesen. Dies zeigt sich etwa in der damaligen Betonung, Deutschland müsse angesichts einer verschärften Globalisierung und Standortkonkurrenz wettbewerbsfähiger werden und für mehr Beschäftigungsdynamik sorgen. Gleichzeitig haben die Reformen die Folgen eben jener Wandlungsprozesse zusätzlich verstärkt. Die zunehmende Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung liegt daher nicht ausschließlich in den Hartz-Reformen begründet, wurde durch sie wohl aber verstärkt und zur Richtschnur einer Neuausrichtung in der Arbeitsmarktpolitik. Entscheidend sind hierbei die Auswirkungen auf das Verhalten der Arbeitsmarktsubjekte (vgl. Sperber/Walwei 2017: 19f.). So führen die Hartz-Reformen sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitig zu Veränderungen, indem sie für erstere die Optionen und Anreize für die Nutzung atypischer Beschäftigungsverhältnisse erhöhen, während sie gleichzeitig „den Druck auf Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen, auch eine weniger attraktive Beschäftigungsform aufzunehmen“ (ebd.: 20), verstärken. Insofern sind die zuvor skizzierten Veränderungsprozesse wie die zunehmende Globalisierung, Tertiarisierung, Digitalisierung und der Wandel der Arbeitsbeziehungen sowie der durch die Hartz-Reformen vollzogene arbeitsmarktpolitische Paradigmenwechsel als komplementär zueinander zu betrachten, die in der Summe zu einem nachhaltigen Strukturwandel des Arbeitsmarktes und der Erwerbsarbeit geführt haben.
40
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells Die skizzierten strukturellen Problemlagen des Arbeitsmarktes in den 1990erJahren sowie zu Beginn dieses Jahrtausends haben sich in der letzten Dekade deutlich entschärft. Quantitativ betrachtet steht der deutsche Arbeitsmarkt so gut dar wie seit Jahrzehnten nicht mehr, so dass häufig von einem deutschen Jobwunder gesprochen wird (vgl. Walwei 2015a: 7; Eichhorst 2013). Zuvorderst kam es seit 2005 zu einem spürbaren Anstieg der Erwerbstätigenzahl von 39,3 Millionen Personen auf 43,6 Millionen im Jahr 2016 (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2017b: 14). Ebenso stark verlief auch der quantitative Zuwachs sozialversicherungspflichtig Beschäftigter, welche im selben Zeitraum von 26,3 Millionen auf 31,3 Millionen anstieg (vgl. ebd.). Insgesamt erhöhte sich damit auch das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen, allerdings schwächer als die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt, was auf die gleichzeitige Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen zurückzuführen ist (vgl. Walwei 2015a: 8 sowie 2.3.1 und 2.3.2 in dieser Arbeit). Eine ähnliche Erfolgsbilanz zeigt sich auch im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Waren im Jahr 2005 noch rund 4,8 Millionen Personen offiziell arbeitslos gemeldet, waren es elf Jahre später mit rund 2,7 Millionen etwas mehr als 2 Millionen Menschen weniger (vgl. ebd.: 19). Insgesamt ist es daher seit 2005 zu einer spürbaren Verbesserung der Arbeitsmarktlage gekommen, die auch durch die Wirtschafts- und Finanzkrise, entgegen der Entwicklungen etwa in vielen südeuropäischen Ländern, nicht nachhaltig negativ beeinflusst wurde44. Hierfür war auch eine temporäre Nutzung der Kurzarbeit im Krisenjahr 2009 verantwortlich (vgl. Horn/Herzog-Stein 2013: 154f.). Die positive Arbeitsmarktentwicklung wird jedoch von einigen persistierenden Problemlagen sowie nachhaltigen Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt begleitet (vgl. Walwei 2015a: 8f.). Zum einen sind weiterhin massive regionale Disparitäten in der Arbeitsmarktentwicklung unübersehbar. Diese äußern sich insbesondere in der weiterhin bestehenden Ost-West-Schere und einem Nord-Süd-Gefälle und hinsichtlich jedweder Arbeitsmarktkennziffern (vgl. ebd. sowie Albrech et al. 2016: 12f.). So stehen wachstumsstarken Regionen zunehmend wachstumsschwache gegenüber, was sich auch im Hinblick auf die regionalen Arbeitsmarktlagen zeigt45. Darüber hinaus sind trotz des Beschäf44
45
Häufig thematisiert wird in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Erwerbslosigkeit von Jugendlichen. Während diese in Deutschland zwischen 2005 und 2015 um 8,3 Prozentpunkte zurückging, stieg sie im selben Zeitraum in Italien um 16,2, in Griechenland um 24 und in Spanien um 28,7 Prozentpunkte, wobei es in diesen Ländern insbesondere ab 2007/2008 zu massiven Problemlagen am Arbeitsmarkt kam (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016f: 57). Während in Teilen Bayerns und Baden-Württembergs Vollbeschäftigung herrscht, zeigen sich in weiten Teilen der ostdeutschen Bundesländer überproportional hohe Arbeitslosenquoten, wenngleich auch einzelne strukturschwache Regionen im Westen und Norden, etwa das Ruhr-
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
41
tigungsaufschwungs deutliche Verfestigungstendenzen in der Arbeitslosigkeit unübersehbar. So sank die Zahl Langzeitarbeitsloser von 1,76 Millionen Personen im Jahr 2005 zwar auf rund 1 Million Personen im Jahr 2015, jedoch zeigt sich seit 2008 eine deutliche Stagnation. Wissenschaftliche Befunde deuten darauf hin, dass insbesondere die als schwer vermittelbar geltenden Personen, häufig mit multiplen „Vermittlungshindernissen“ wie geringer Bildung, fehlendem Berufsabschluss, höherem Alter und langer Arbeitslosigkeitshistorie, nur unzureichend vom Aufschwung am Arbeitsmarkt profitiert haben (vgl. Walwei 2015a). Zu guter Letzt kann darüber hinaus eine nachhaltige Strukturveränderung in der Erwerbstätigkeit konstatiert werden. Diese manifestiert sich in einer verstärkten Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung und wird insbesondere mit Blick auf die Pluralisierung der Erwerbsformen deutlich. Die zunehmende „Atypisierung“ von Beschäftigung ist jedoch kein Produkt des Arbeitsmarktaufschwungs der vergangenen zehn Jahre, sondern setzt vielmehr einen längerfristigen Trend fort (vgl. Eichhorst 2015). Gleiches gilt für die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten. Beide Aspekte werden im Folgenden näher beleuchtet. 2.3.1 Die Pluralisierung der Erwerbsformen Erwerbstätigkeit war in (West-)Deutschland seit Beginn der 1950er bis in die 1970er Jahre hinein von einer hohen Stabilität geprägt, in der sich eine langfristige sowie sozialstaatlich und sozialrechtlich regulierte und geschützte Beschäftigung als Norm herausbildete (vgl. Apitzsch et al. 2015: 13). Hohe wirtschaftliche Wachstumsraten, ein starker Einfluss der Gewerkschaften auf die Ausgestaltung von Beschäftigungsverhältnissen und eine positive Arbeitsmarktentwicklung im Zuge des Wirtschaftswunders waren die Basis für eine Vollerwerbsgesellschaft, die von massiven Strukturbrüchen verschont blieb (vgl. Beckmann et al. 2017: 7). Diese historisch einmaligen Bedingungen (vgl. Lutz 1984) fanden ihre Entsprechung im Normalarbeitsverhältnis (NAV), das zu jener Zeit sowohl die empirische Realität als auch die gesellschaftliche Norm für Arbeit und Beschäftigung darstellte (vgl. Mückenberger 1985). Das NAV zeichnet sich durch folgende Merkmale aus: 1. Vollzeittätigkeit; 2. Unbefristeter Arbeitsvertrag; 3. Vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme; 4. Identität von Arbeits- und Beschäftigungs-
gebiet und Landkreise an der Nordseeküste, ähnlich problematische regionale Arbeitsmarktentwicklungen aufweisen45 (vgl. Albrech et al. 2016 sowie für das Ruhrgebiet Bogumil et al. 2012 sowie Arndt/Heinze et al. 2016).
42
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
verhältnis und 5. Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber46 (Keller/Seifert 2011: 8f.; vgl. auch Böhnke et al. 2015: 235). Mit der Herausbildung dieses Normalfalls von Erwerbsarbeit verbunden war die „Vorstellung, dass eine über das gesamte Erwerbsleben ungefährdete Vollerwerbstätigkeit im Schutz sämtlicher sozialen Sicherungsvorkehrungen für die fortgeschrittenen Industriegesellschaften als gänzlich ‚normal‘ anzusehen sei“ (Pierenkemper 2013: 383). Mit dem NAV ging daher auch die Vorstellung der Normalerwerbsbiografie einher, charakterisiert durch die Ausbildungsphase, die berufliche Haupterwerbsphase und den Renteneintritt – häufig in ein- und demselben Betrieb und ohne erwerbsbiografische Diskontinuitäten. Diese Standard-Erwerbsbiografie ermöglichte in der Regel ein hohes Maß an Lebensplanung und Sicherheit, weshalb dem NAV stets auch eine normative Komponente im Sinne einer wünschenswerten Ausgestaltung eines regulären Arbeitsverhältnisses innewohnte (vgl. Bäcker et al. 2010: 434). Hinzu kommt, dass das NAV für die erwerbszentrierte soziale Sicherung in Deutschland von entscheidender Bedeutung ist, denn die Architektur der sozialen Sicherungssysteme basiert auf dem NAV und der Normalerwerbsbiografie bzw. setzt diese implizit voraus (vgl. Dietz/Walwei 2006: 285 sowie Heinze et al. 1999: 29f.). Ebenso ist jedoch vielfach darauf hingewiesen worden, dass das NAV lediglich für Männer und männliche Erwerbsbiografien den empirischen Normalfall von Arbeit und Beschäftigung darstellte und die Integrationskraft des NAV damit äußerst selektiv ausfiel (vgl. bereits Mückenberger 1985). So war der „Siegeszug“ des NAV eng verzahnt mit dem „male breadwinner model“, also einer traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau im Ehe- oder Partnerkontext (vgl. Jürgens 2010). So sehr das NAV die Vorstellung und reale Ausgestaltung von Erwerbsarbeit prägte, so sehr verdichten sich seit geraumer Zeit die Anzeichen für eine nachlassende strukturprägende Kraft dieses „Normalfalls“ von Erwerbsarbeit. Seit den 1980er, verstärkt seit Beginn der 1990er-Jahre, zeigt sich ein Trend hin zu einer verstärkten Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung. Neben qualitativen Wandlungsprozessen wie etwa einer verstärkten Entgrenzung und Subjektivierung von Erwerbsarbeit, die insbesondere mit einer Neukonfiguration der zeitlichen, räumlichen und organisationalen Grenzen von Erwerbsarbeit einhergehen (vgl. etwa Pongratz/Voß 2003; Sauer 2012), manifestiert sich die Flexibilisierung insbesondere in einer strukturellen Verschiebung hin zu mehr atypischer Beschäftigung (vgl. Böhnke et al. 2015; Eichhorst 2015). Die obigen Ausführungen in dieser Arbeit haben gezeigt, dass diese Entwicklung vielfältige Ursachen hat, die sowohl auf der Makro- (etwa wirtschaftsstruktureller Wandel, 46
Andere Autoren zählen zu den Definitionskriterien etwa auch eine tarifvertragliche Entlohnung, geregelte und stetige Arbeitszeitmuster sowie die Mitbestimmung der Beschäftigten (vgl. Bäcker et al. 2010: 434). Derart weite Definitionen stellen jedoch eher die Ausnahme denn die Regel dar.
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
43
Globalisierung, Technologisierung/Digitalisierung,), Meso- (Wandel der Arbeitsmarktpolitik und der Arbeitsbeziehungen) als auch der Mikroebene (veränderte betriebliche Personalpolitiken, heterogenere Ansprüche an Umfang und Ausgestaltung der Erwerbsarbeit von Beschäftigten, stärkerer Zwang zur Aufnahme atypischer Beschäftigung etc.) angesiedelt sind (vgl. auch Sperber/Walwei 2017: 19f.). Dass flankierend eine Vielzahl weiterer möglicher Ursachen wie etwa steuerrechtliche Regelungen, eine Ausdifferenzierung von Familienformen oder infrastrukturelle Rahmenbedingungen (etwa Kinderbetreuungsmöglichkeiten) für den Wandel hin zu einer verstärkten Pluralisierung der Erwerbsformen in Betracht kommt, deutet darauf hin, dass die Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt mitnichten monokausal erklärt werden können (vgl. Eichhorst 2015). „Eine Theorie atypischer Beschäftigung ist nicht in Sicht […]. Wie die bisherigen Arbeiten zeigen, beeinflussen offensichtlich Makro- ebenso wie Mikrofaktoren die Entwicklung atypischer Beschäftigung und sind sowohl nachfrage- als auch angebotsseitig zu verorten“ (Schulze Buschoff/Seifert 2017: 4). Hinzu kommt, dass es sich bei atypischer Beschäftigung keinesfalls um eine homogene Kategorie von Beschäftigungsverhältnissen handelt. Der sie verbindende Kitt besteht zunächst einmal darin, dass sie sich in irgendeiner Form vom NAV unterscheiden (vgl. Rademacher/Ramos Lobato 2008: 124f.). Gemeinhin werden der atypischen Beschäftigung die Teilzeitarbeit, die geringfügige Beschäftigung (Minijobs), Midijobs, die Befristung und die Leiharbeit zugerechnet47 (vgl. Keller/Seifert 2011: 8f.). Die einzelnen atypischen Beschäftigungsformen können mehr oder weniger stark vom Normalarbeitsverhältnis abweichen. Bei der sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung sind die regelmäßige Wochenarbeitszeit und das Entgelt reduziert. Dies trifft auch auf die geringfügige Beschäftigung zu, hier allerdings mit der Besonderheit einer monatlichen Entgeltgrenze und einer weitgehenden Sozialversicherungsfreiheit (vgl. vertiefend Kapitel 3 in dieser Arbeit). Midijobs bewegen sich zwischen Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung und sind durch eine Gleitzone (450,01 bis 850 Euro monatlich) gekennzeichnet, in welcher die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer je nach Höhe des monatlichen Entgelts steigen (Brandt 2005: 18). Dahingegen weicht befristete Beschäftigung vom NAV insbesondere dahingehend ab, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag nicht gegeben ist48. Die Besonder47 48
Nicht selten wird der atypischen Beschäftigung auch die Soloselbständigkeit zugerechnet (vgl. etwa Böhnke et al. 2015; Keller/Seifert 2011), wenngleich es sich hierbei formal nicht um eine abhängige Form der Erwerbstätigkeit handelt. Zu unterscheiden ist hier zwischen Befristungen mit und ohne Sachgrund. In letzterem Fall sind die Befristungen in der Regel auf zwei Jahre begrenzt und eine wiederholte Befristung nicht möglich. Befristungen mit Sachgrund (etwa zeitlich befristete finanzielle Mittel, Vertretung anderer Arbeitnehmer etc.) sind dahingegen prinzipiell auch widerholt möglich (vgl. Keller/Seifert 2011: 9).
44
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
heit der Leih- bzw. Zeitarbeit ist, dass hier Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis auseinanderfallen. So ist für die Leiharbeit eine dreiseitige Beziehung zwischen Arbeitnehmer, Verleih- sowie Entleihunternehmen charakteristisch (ebd.). Anzumerken ist, dass sich die verschiedenen atypischen Beschäftigungsformen überschneiden können, etwa bei befristeter Teilzeitarbeit. Ebenso heterogen wie die einzelnen atypischen Beschäftigungsformen sind auch die betrieblichen Gründe zur Nutzung derartiger Beschäftigungsverhältnisse49. Ganz generell ist für Arbeitgeber eine gegenüber dem NAV erhöhte Flexibilität atypischer Beschäftigungsformen ausschlagegebend. Zudem kann der Einsatz atypischer Beschäftigung auch mit direkten oder indirekten Kostenvorteilen für Arbeitgeber verbunden sein, etwa aufgrund geringerer Transaktionskosten bei Stellenwechseln oder einer im Vergleich zu Normalarbeitnehmern niedrigeren Entlohnung (vgl. Dietz et al. 2013: 5). Hinsichtlich erweiterter Flexibilitätsspielräume ermöglicht atypische Beschäftigung Arbeitgebern eine Anpassung der Belegschaft an konjunkturelle Zyklen und die Deckung eines vorübergehenden Bedarfs an Arbeitsleistung, wobei beides insbesondere auf Leiharbeit und befristete Beschäftigung zutrifft (vgl. Neubäumer 2017: 39). Des Weiteren können atypische Beschäftigungsverhältnisse aus Sicht der Arbeitgeber besser als das NAV geeignet sein, um auf Schwankungen in der Auslastung zu reagieren (vgl. Sperber/Walwei 2017: 20). Dies trifft nicht zuletzt auf einzelne Dienstleistungsbranchen wie etwa den (Einzel-) Handel oder die Gastronomie zu, in denen die Kundenfrequenz stark variiert und die Teilzeit- oder geringfügige Beschäftigung für Arbeitgeber attraktiv macht. Darüber hinaus können einzelne atypische Beschäftigungsformen auch zur temporären Vertretung von Arbeitnehmern oder zur Erprobung von Beschäftigten genutzt werden (vgl. Portugal/Varejao 2010; Hohendanner 2010). Zu guter Letzt weisen empirische Befunde auch darauf hin, dass Arbeitgeber mit der Nutzung einzelner atypischer Beschäftigungsformen zum Teil auf Wünsche der Beschäftigten reagieren, die etwa eine zeitliche Ausweitung ihrer Beschäftigung nicht anstreben (vgl. IAB 2015: 53). Ähnlich heterogen wie die arbeitgeberseitigen Nutzungsmotive atypischer Beschäftigung sind auch die Gründe, warum Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten (müssen). Sperber/Walwei (2017) sehen auf individueller Ebene diesbezüglich sowohl Push- als auch Pull-Faktoren. Demnach kann atypische Beschäftigung für Arbeitnehmer sowohl auf individuelle Wünsche als auch auf Restriktionen zurückgeführt werden, die durch institutionelle Settings und infrastrukturelle Rahmenbedingungen flankiert werden. Insbesondere jene atypischen Beschäftigungsformen, die sich durch eine im Vergleich zum NAV verringerte Arbeitszeit auszeichnen, ermöglichen Arbeitnehmern 49
Für eine detaillierte Darstellung der arbeitgeber- und arbeitnehmerseitigen Motivlage im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vgl. Abschnitt 3.3 in dieser Arbeit.
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
45
mitunter, dem Wunsch nach zeitlicher Flexibilität und einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben nachzukommen50 (vgl. Brülle 2013 sowie Lengfeld/Kleiner 2009: 58). Ebenso können sozialversicherungs- und steuerrechtliche Anreize eine Rolle spielen. Gleichzeitig kann Erwerbsarbeit in atypischen Beschäftigungsformen auch in Restriktionen und einem Mangel an Beschäftigungsalternativen begründet liegen. In diesen Fällen ist atypische Beschäftigung mitunter die einzige Chance für eine Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Der Druck zur Aufnahme einer atypischen Beschäftigung kann zudem durch die oben dargestellten institutionellen Veränderungen im Leistungsrecht im Zuge der Hartz-Reformen verstärkt werden. Insgesamt können atypische Beschäftigungsverhältnisse daher für Arbeitnehmer sowohl Flexibilitätszugewinne als auch Flexibilitätszumutungen bedeuten (vgl. Lengfeld/Kleiner 2009). Ob auf individueller Ebene eher ersteres oder letzteres überwiegt, ist von einer Vielzahl von Einflussfaktoren wie etwa den individuellen Erwerbspräferenzen, dem Haushalts- und Familienkontext sowie anderweitigen Beschäftigungsoptionen abhängig. Zudem ist auch hier zwischen verschiedenen atypischen Beschäftigungsformen zu unterscheiden, denn es ist anzunehmen, dass etwa eine verringerte Arbeitszeit eher den individuellen Erwerbswünschen entspricht als ein befristeter Arbeitsvertrag (vgl. Sperber/Walwei 2017: 25). Gleichzeitig spielen auch sektorale und soziodemografische Aspekte eine Rolle, denn nicht alle Tätigkeiten, Branchen und Beschäftigtengruppen machen die Ausübung einer Tätigkeit im Rahmen eines atypischen Beschäftigungsverhältnisses gleichermaßen wahrscheinlich. Hierauf wird im Folgenden eingegangen. 2.3.2 Entwicklung und Strukturen atypischer Beschäftigung Trotz der Tatsache, dass atypische Beschäftigung seit geraumer Zeit sowohl öffentlich, politisch als auch wissenschaftlich ausgiebig debattiert wird, gibt es hinsichtlich des quantitativen Ausmaßes dieser Beschäftigungsformen auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterschiedliche Befunde. Dies hängt primär damit zusammen, dass atypische Beschäftigung statistisch nicht einheitlich erfasst wird. Hinzu kommen unterschiedliche Datengrundlagen und der Umstand, dass je 50
Während eine derartige Lesart eine recht hohe Freiwilligkeit suggeriert und eher in den Bereich eines Pull-Faktors gezählt wird, verweisen Kritiker auf die schwierige Unterscheidung von Pull- und Push-Faktoren. Demnach kann etwa Teilzeitarbeit bei Frauen zwar sehr wohl dem Wunsch nach einer verbesserten Vereinbarkeit von Familie und Beruf entsprechen, der jedoch auch in einer schlechten Möglichkeiten der Kinderbetreuung begründet liegen kann (vgl. VossDahm 2004). Derartige Hinweise sensibilisieren für die mitunter schwierige Unterscheidung von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit sowie für die Bedeutung weiterer externer Faktoren wie etwa infrastrukturelle Rahmenbedingungen.
46
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
nach Analyse auch unterschiedliche Beschäftigungsformen in die Betrachtung integriert werden, etwa auch Solo-Selbständigkeit oder die Arbeit auf Werkvertragsbasis. Auch mögliche Überschneidungen zwischen verschiedenen atypischen Beschäftigungsformen können mitunter dazu führen, dass die absolute Zahl und der Anteil einzelner atypischer Beschäftigungsformen variieren. Entscheidend für derartige Variationen sind jedoch insbesondere zwei Aspekte: Zum einen unterscheiden sich die verschiedenen Untersuchungen zum Ausmaß atypischer Beschäftigung hinsichtlich der definierten Grundgesamtheit. Zum anderen werden je nach Untersuchung einzelne atypische Beschäftigungsformen unterschiedlich definiert. Insbesondere der fehlende Konsens hinsichtlich der Stundenabgrenzung bei Teilzeitarbeit führt hierbei zu erheblichen Verschiebungen51. Tabelle 1 gibt für das Jahr 2015 einen Überblick über das Ausmaß atypischer Beschäftigung und vergleicht hierbei exemplarisch die Daten des Statistischen Bundesamtes auf Basis des Mikrozensus mit Angaben der „WSI-Datenbank atypische Beschäftigung“, die auf Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit basieren. Bereits auf den ersten Blick wird der nicht unerhebliche Unterschied bezüglich des Ausmaßes atypischer Beschäftigung deutlich. Während das Statistische Bundesamt für 2015 7,53 Millionen atypisch Beschäftigte (rund 21%) ausweist, sind es auf Basis der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 14,12 Millionen (rund 39%) und damit rund 6,5 Millionen Personen mehr. Diese Unterschiede liegen, wie angesprochen, insbesondere in unterschiedlichen Grundgesamtheiten sowie unterschiedlichen Definitionen einzelner atypischer Beschäftigungsformen begründet. So bemisst sich der relative Anteil atypischer Beschäftigung beim Statistischen Bundesamt an der Grundgesamtheit der sogenannten Kernerwerbstätigen. Hierin enthalten sind auch Selbstständige und mithelfende Angehörige, jedoch ausschließlich Personen zwischen 15 und 64 Jahren, die sich nicht in Ausbildung, Bildung oder einem Freiwilligendienst befinden. Hierdurch erklärt sich insbesondere die deutlich niedrigere absolute Zahl ausschließlich geringfügig Beschäftigter, da die für diese Erwerbsform nicht unerhebliche Gruppe der Schüler, Studierenden und Rentner nicht erfasst wird (vgl. vertiefend Kapitel 3 in dieser Arbeit). Einen großen Einfluss hat auch die Definition von Teilzeitarbeit, die den Daten des Statistischen Bundesamtes zugrunde liegt. Diese wird statistisch gefasst als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer Stundenzahl von bis zu 20 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit. Hieraus folgt, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungs-
51
Es ist anzumerken, dass es hinsichtlich der statistischen Erfassung atypischer Beschäftigung keinen „Königsweg“ gibt. Festgehalten werden kann jedoch, dass die offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes die Untergrenze des quantitativen Ausmaßes atypischer Beschäftigung darstellen, wohingegen die hier präsentierten Daten der „WSI-Datenbank atypische Beschäftigung“ die Höchstgrenze abbilden.
47
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
verhältnisse mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mehr als 20 Stunden, die zudem unbefristet sind, dem NAV zugeordnet werden. Tabelle 1: Beschäftigte nach Erwerbsform in Deutschland, 2015 Statistisches Bundesamt auf Basis des Mikrozensus
WSI auf Basis der Statistik der Bundesagentur für Arbeit
Anteil an KernerwerbsKernerwerbstätige tätigen (in Tausend)1 (in %)
Anteil an Abhängig abhängig Beschäftigte Beschäftigten (in Tausend)2 (in %)
Grundgesamtheit
36 155
100
35 959
100
Normalarbeitnehmer/-innen3
24 832
68,7
///
///
Atypisch Beschäftigte (gesamt)
7 5344
20,8
14 126
39,3
7,0
///
///
Befristet Beschäftigte 2 531 5
6
Teilzeitbeschäftigte
4 844
13,4
8 050
22,4
Geringfügig Beschäftigte (ausschließlich im Haupterwerb)
2 339
6,5
5 187
14,4
Leiharbeitnehmer/innen
666
1,8
888
2,5
Eigene Darstellung; Datengrundlage: Statistisches Bundesamt 2016a sowie WSIDatenbank atypische Beschäftigung auf Basis der Statistik der Bundesagentur für Arbeit 1 2 3
4 5 6
Personen im Alter von 15-64 Jahren, nicht in Ausbildung, Bildung oder Freiwilligendienst; inklusive Selbständige und mithelfende Familienangehörige Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte; exklusive Selbständige und mithelfende Familienangehörige; inklusive Personen in Bildung, Ausbildung und Rente Das Statistisches Bundesamt definiert das Normalarbeitsverhältnis als unbefristete und voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von mehr als 20 Stunden Gruppen nicht überschneidungsfrei Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von bis zu 20 Stunden Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, deren durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit unter jener von vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten im Betrieb liegt
48
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Dahingegen wählt die „WSI-Datenbank atypische Beschäftigung“ sowohl andere Abgrenzungen und Definitionen als auch eine unterschiedliche Datenbasis. Hier besteht die Grundgesamtheit aus allen abhängig Beschäftigten, d.h. Selbständige und mithelfende Familienangehörige werden nicht berücksichtigt, wohl aber Personen in Bildung und Ausbildung und zudem auch Personen über 64 Jahren. Folgerichtig liegt sowohl die absolute Zahl als auch der relative Anteil von ausschließlich geringfügig Beschäftigten deutlich höher. Entscheidend ist zudem eine andere Definition von Teilzeitarbeit. So liegt diese laut offizieller Definition der Statistik der Bundesagentur für Arbeit immer dann vor, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers von jener eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten im Betrieb abweicht. Die Tatsache, dass durch diese Definition rund 3 Millionen mehr Beschäftigte der Teilzeitarbeit zugerechnet werden, unterstreicht, wie weit die Folgen unterschiedlicher statistischer Erfassungen atypischer Beschäftigung reichen. Erschwert wird eine einheitliche Erfassung und damit Vergleichbarkeit zudem dadurch, dass die unterschiedlichen atypischen Beschäftigungsformen zum Teil nicht überschneidungsfrei sind oder einzelne atypische Formen wie die Befristung nicht erfasst werden52. Unabhängig von dieser nicht einheitlichen statistischen Erfassung lassen sich jedoch gewisse Grundtendenzen festhalten. Zunächst einmal nehmen jene atypischen Beschäftigungsformen mit einer reduzierten Wochenarbeitszeit die quantitativ bedeutsamste Rolle ein. Seifert (2017) kommt zu dem Schluss, dass unter den atypisch Beschäftigten jene, deren Arbeitszeit verkürzt ist (Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung und Midijobs), mit einem Anteil von fast 90% die Hauptgruppe darstellen. „Insofern markiert die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit die quantitativ bedeutsamste Grenze zwischen normaler und atypischer Beschäftigung, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass sich je nach Definition der Teilzeitarbeit die Anteilswerte der Formen verschieben“ (ebd.: 8). Quantitativ weniger bedeutsam sind hingegen befristete Arbeitsverhältnisse. In noch stärkerem Maße trifft dies auf Leiharbeit zu, die zwar öffentlich und wissenschaftlich breit diskutiert wird, jedoch hinsichtlich ihrer quantitativen Bedeutung am deutschen Arbeitsmarkt bislang eine eher untergeordnete Rolle spielt. Zudem zeigt sich insgesamt, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse inzwischen eine bedeutsame Rolle am deutschen Arbeitsmarkt spielen. Dies wird insbesondere in einer längerfristigen Betrachtung der Strukturverschiebungen der Erwerbsformen deutlich. So lässt sich ein deutlicher Bedeutungszuwachs atypischer Beschäftigungsformen feststellen, der mit einem tendenziellen Bedeutungsverlust, mitnichten jedoch einer Erosion, des Normalarbeitsverhältnisses 52
Komplettiert wird die Unübersichtlichkeit zudem dadurch, dass etwa Teilzeitarbeit zum Teil auch mit einer Stundenabgrenzung von 31 Std./pro Woche erfasst wird (vgl. etwa Sperber/ Walwei 2017), was wiederum zu divergierenden absoluten Zahlen und Anteilswerten führt.
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
49
einhergeht (vgl., unter vielen, Dietz et al. 2013, Keller/Seifert 2011 sowie bereits Hoffmann/Walwei 1998). Sperber/Walwei (2017: 18f.) kommen zu dem Befund, dass der Anteil atypischer Beschäftigungsformen von rund 18% im Jahr 1991 auf rund 31% im Jahr 2014 angestiegen ist, wohingegen der Anteil des NAV, hier definiert als unbefristete Beschäftigung mit mehr als 31 Wochenarbeitsstunden, im selben Zeitraum von rund 68% auf 55% sank. Je nach Definition und Abgrenzung der atypischen Beschäftigung und des NAV fallen diese Werte zwar unterschiedlich aus, wodurch der generelle Trend einer verstärkten Heterogenisierung von Erwerbsformen jedoch unberührt bleibt. Gleichzeitig weisen die verschiedenen Beschäftigungsformen sehr unterschiedliche Entwicklungsdynamiken auf. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten ist seit Beginn der 1990er-Jahre fast kontinuierlich angestiegen (vgl. Seifert 2017: 6). Die Anzahl an ausschließlich geringfügig Beschäftigten stieg bis 2005 zunächst recht stark an, hat sich seitdem jedoch auf hohem Niveau stabilisiert (vgl. vertiefend 3.2 in dieser Arbeit). Gleiches gilt für Midijobs, jedoch auf quantitativ deutlich niedrigerem Niveau und mit einer Stagnation ab 2010. Befristete Beschäftigungsverhältnisse zeigen seit Beginn der 1990er-Jahren recht stetige Auf- und Abwärtsbewegungen; ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung ist jedoch im Zeitverlauf nur marginal angestiegen (vgl. Eichhorst/Tobsch 2015: 85). Gleichwohl kam es insbesondere seit Beginn der 2000er-Jahre zu einem spürbaren Bedeutungsgewinn befristeter Arbeitsverträge bei Neueinstellungen. Während im Jahr 2001 rund 32% aller Neueinstellungen auf Basis eines befristeten Arbeitsvertrages erfolgten, lag dieser Anteil zehn Jahre später mit 45% deutlich höher und hat sich seitdem auf recht hohem Niveau stabilisiert (vgl. Hohendanner 2014; Schmelzer et al. 2015). Leiharbeit hingegen wuchs im Nachgang an die Hartz-Reformen zunächst recht stark an, verlor jedoch im Zuge der Wirtschaftsund Finanzkrise 2008/2009 kurzzeitig an Bedeutung. Seit 2012 kam es zu leichten Anstiegen, jedoch auf vergleichsweise niedrigem Gesamtniveau (vgl. Seifert 2017: 8). Eine ebenso wenig lineare Entwicklung weist auch das NAV im Zeitverlauf auf. Von 1991 bis 2005 sank sowohl die absolute Zahl als auch der relative Anteil, seit nun mehr zehn Jahren zeigen sich jedoch Erholungstendenzen. Je nach Definition und Abgrenzung des NAV stagniert es seitdem (vgl. Sperber/Walwei 2017: 18) oder hat sogar wieder deutlich zugenommen. Legt man die großzügige Definition des Statistischen Bundesamtes zugrunde, stieg die absolute Zahl von Normalarbeitnehmern von 22,4 Millionen im Jahr 2004 auf 24,8 Millionen im Jahr 2015 (vgl. Statistisches Bundesamt/Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2016: 134). Ob Stagnation oder Anstieg, deutlich wird in jedem Fall, dass die lange Zeit befürchtete Erosion des NAV bislang nicht eingetreten ist, wohl aber ein relativer Bedeutungsverlust dieses „Normalfalls“ von Erwerbsarbeit. Ein tieferer Blick auf die Struktur der atypischen Beschäftigung offenbart indes, dass sich diese Erwerbsformen sehr unterschiedlich auf Personengruppen
50
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
mit bestimmten soziodemografischen Merkmalen und auf verschiedene Wirtschaftssektoren und -branchen verteilen (Sperber/Walwei 2017: 18f.; Keller/ Seifert 2011: 18ff.). Beträchtliche Unterschiede zeigen sich zunächst einmal in Bezug auf die Geschlechterverteilung. 2014 waren rund 72% aller atypisch Beschäftigten weiblich, wohingegen ihr Anteil an Beschäftigten im Normalarbeitsverhältnis lediglich bei rund 35% lag. Die hohen Anteile von Frauen bei atypischen Beschäftigungsverhältnissen lassen sich insbesondere auf die hohe Teilzeitquote von Frauen zurückführen, denn von allen sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten mit einer Wochenarbeitszeit von bis zu 31 Stunden waren 2014 rund 86% weiblich (Sperber/Walwei 2017: 19). Auch unter den ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind Frauen in der Mehrzahl, wohingegen befristete Beschäftigungsverhältnisse hinsichtlich der Geschlechterverteilung relativ ausgeglichen sind (ebd.). Ein gegensätzliches Bild zeigt sich bei der Leiharbeit, die deutlich von Männern geprägt ist, was jedoch aufgrund der relativ geringen quantitativen Bedeutung dieser Beschäftigungsform nichts an dem generellen Geschlechtergefälle ändert (vgl. auch Böhnke et al. 2015: 236). Die strukturprägende Kraft des NAV kann also weiterhin eher für Männer als für Frauen empirische Geltung beanspruchen. Auch hinsichtlich des Alters der Beschäftigten zeigen sich bei den atypischen Beschäftigungsverhältnissen zum Teil deutliche Abweichungen im Vergleich zu Normalarbeitnehmern. Mit Ausnahme der sozialversicherungspflichtigen Teilzeit sind vor allem junge Menschen atypisch beschäftigt, wobei die geringfügige sowie die befristete Beschäftigung überproportional hohe Anteile an Personen unter 25 Jahren aufweisen (vgl. Sperber/Walwei 2017: 19 sowie Keller/Seifert 2011: 20). Insbesondere der Anteil befristeter Beschäftigungsverhältnisse sinkt mit zunehmendem Alter deutlich, was insbesondere auf die oben angesprochene Tendenz einer deutlichen Zunahme befristeter Arbeitsverhältnisse bei Neueinstellungen und Berufseinstiegen zurückzuführen ist. Ebenso spielt das Qualifikationsniveau der Beschäftigten eine entscheidende Rolle. Während rund 12% aller Normalarbeitnehmer über keinen beruflichen Abschluss verfügen, liegt dieser Anteil unter atypisch Beschäftigten bei etwa 26% (vgl. Sperber/Walwei 2017: 19). Folglich liegen auch der Anteil von Personen mit einer beruflichen Ausbildung und jener von Personen mit akademischem Abschluss bei den atypisch Beschäftigten deutlich niedriger als bei Beschäftigten im NAV. Eine Ausnahme bildet hierbei die befristete Beschäftigung, denn hier liegt der Anteil von Personen mit akademischem Abschluss höher als der Anteil Hochqualifizierter im NAV (ebd.). Dies ändert jedoch nichts an dem generellen Befund, dass unqualifizierte Beschäftigte relativ betrachtet deutlich häufiger in atypischen und seltener in Normalarbeitsverhältnissen beschäftigt sind als Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung oder einem akademischen Abschluss (vgl. auch Böhnke et al. 2015: 236 sowie Eichhorst 2015: 18).
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
51
Diese soziodemografischen Merkmale der Beschäftigten in atypischen Erwerbsformen korrelieren zudem mit Einflüssen des Wirtschaftssektors und der Branche. Zunächst einmal ist atypische Beschäftigung ein Dienstleistungsphänomen (vgl. Keller/Seifert 2011: 25). Rund 84% aller atypisch Beschäftigten arbeitete im Jahr 2014 im Dienstleistungssektor und nur rund 14,5% entfielen auf den sekundären Sektor (vgl. Sperber/Walwei 2017: 19). Bei Beschäftigten im NAV lag das Verhältnis hingegen bei 62% zu 36%, d.h. das klassische Normalarbeitsverhältnis ist, relativ betrachtet, im sekundären Sektor weitaus verbreiteter als im tertiären. Eine Ausnahme bildet die Leiharbeit, die eher im sekundären Sektor genutzt wird (Seifert 2017: 8). Insbesondere jene atypischen Beschäftigungsformen mit reduzierter Wochenarbeitszeit sind überproportional häufig im Dienstleistungssektor anzutreffen (vgl. Sperber/Walwei 2017: 19). Keller/Seifert (2011: 25f.) können auf Basis von SOEP-Daten zeigen, dass es jedoch auch innerhalb des tertiären Sektors erhebliche Unterschiede in der Nutzungsintensität atypischer Beschäftigung gibt. Während etwa das Kredit- und Versicherungsgewerbe eher geringe Abweichungen gegenüber dem stark durch das NAV geprägten verarbeitenden Gewerbe aufweist, stellt das NAV in anderen Dienstleistungsbranchen nicht (mehr) den Standard dar. So waren etwa im Jahr 2009 lediglich 44% aller Beschäftigten in der Gastronomie sowie im Bereich Erziehung und Unterricht im NAV angestellt. Auch das Gesundheitswesen zeichnet sich durch überproportional hohe Anteile atypisch Beschäftigter aus (ebd.). Hinzu kommt, dass speziell in kleineren Betrieben überproportional hohe Anteile atypischer Beschäftigungsverhältnisse vorzufinden sind (vgl. etwa Eichhorst et al. 2013)53. Angesichts dieser Befunde scheint es folgerichtig, wenn einige Autoren danach fragen, was heute noch „normal“ an Arbeit und Beschäftigung sei (Walwei 2015b) oder ob sich atypische Beschäftigung zunehmend zum Normalfall entwickle (Schulze Buschoff/Seifert 2017; Eichhorst/Tobsch 2013). Wenngleich das NAV bislang noch den Normalfall von Arbeit und Beschäftigung darstellt, zeigen die skizzierten Wandlungsprozesse eine Strukturverschiebung auf dem Arbeitsmarkt in Richtung einer zunehmenden Pluralisierung der Erwerbsformen. Die Struktur der atypischen Beschäftigung verdeutlicht, dass die vom NAV abweichenden Erwerbsformen in der Tendenz insbesondere von Frauen, Jüngeren, gering Qualifizierten und in bestimmten Dienstleistungsbranchen ausgeübt werden, ohne dass dies jedoch als Determinismus zu verstehen ist. Häufig kumulieren verschiedene Faktoren wie etwa geringqualifizierte Beschäftigte in kleinen Betrieben einzelner Dienstleistungsbranchen, die eine atypische Beschäftigung in vielen Fällen wahr53
Eine Ausnahme bilden die befristete Beschäftigung und die Leiharbeit, die häufiger in größeren Betrieben genutzt werden. Während hierfür bei der Befristung auch Kündigungsschutzregeln eine Rolle spielen dürften (vgl. Keller/Seifert 2011: 26), wirkt sich bei der Leiharbeit insbesondere der Einfluss des großbetrieblich geprägten sekundären Sektors aus.
52
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
scheinlicher machen als eine Anstellung im NAV. Hier treffen mitunter fehlende Beschäftigungsalternativen auf temporäre, von schwankender Kundenfrequenz geprägte Einsatzbedarfe, die von fehlender Tarifbindung oder betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten flankiert werden. Gleichzeitig wird jedoch auch die prinzipielle Ambivalenz atypischer Beschäftigung deutlich: hinsichtlich des Gesamtausmaßes sind jene Beschäftigungsformen mit verkürzter Arbeitszeit und somit jene Formen, die mitunter auf individueller Ebene auch eine flexible Integration in Erwerbsarbeit sowie eine Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ermöglichen, quantitativ am bedeutsamsten. 2.3.3 Niedriglohnsektor und Niedriglohnbeschäftigung Parallel zu dem skizzierten Trend hin zu einer Pluralisierung der Erwerbsformen ist seit Mitte der 1990er-Jahren auch eine kontinuierliche Expansion des Niedriglohnsektors in Deutschland zu beobachten. Ebenso wie die Strukturverschiebung hin zu mehr atypischer Beschäftigung stellt auch die Zunahme niedrig entlohnter Tätigkeiten eine tendenzielle Neukonfiguration des deutschen Beschäftigungsmodells dar. Dies liegt vor allem darin begründet, dass Deutschland traditionell ein Land mit eher geringer Lohn- und Einkommensspreizung war (vgl. Haipeter 2017: 2). Als Niedriglohnbezieher gelten nach internationalen Standards der OECD Beschäftigte, deren Stundenlohn zwei Drittel des Medianlohns unterschreitet54 (vgl. Kalina/Weinkopf 2017: 2). Kalina/Weinkopf (2017) können zeigen, dass bereits 1995 rund 19% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland einen Niedriglohn erhielten55. Bis ins Jahr 2015 kam es, mit einzelnen Ausnahmen, zu einem relativ kontinuierlichen Anstieg des Anteils von Niedriglohnbeziehern, welcher sich seit 2007 auf hohem Niveau stabilisiert hat. 2015 erhielten demnach 22,6% aller abhängig Beschäftigten in Deutschland einen Niedriglohn – also mehr als jeder Fünfte (ebd.: 3). International vergleichende Analysen zeigen, dass Deutschland hiermit im europäischen Vergleich hinter Litauen einen „Spitzenplatz“ einnimmt, wohingegen der Anteil von Niedriglohnbeziehern in Frankreich, Belgien, Italien sowie den skandinavischen Ländern deutlich niedriger ausfällt (vgl. Rhein 2013: 3). 54 55
Die Fokussierung auf Stundenlöhne, im Gegensatz zu monatlichen Einkommen, ermöglicht hierbei auch einen Vergleich zwischen Beschäftigten in unterschiedlichen Beschäftigungsformen (vgl. Weinkopf 2013: 373). Diese Befunde deuten an, dass die oftmals geäußerte Vermutung, der Niedriglohnsektor in Deutschland sei vorrangig ein Produkt der Hartz-Reformen, empirisch nicht haltbar ist. Richtig ist indes, dass die Hartz-Reformen diesen Sektor zwar nicht geschaffen, wohl aber politisch gewollt zusätzlich gefördert haben.
2.3 Transformationsprozesse des deutschen Beschäftigungsmodells
53
Von Bedeutung ist mit Blick auf Niedriglohnbeschäftigung insbesondere, wer von ihr betroffen ist. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dem Anteil der Niedriglohnbezieher innerhalb einer bestimmten Personengruppe (etwa Personen ohne Berufsabschluss) und dem jeweiligen Anteil an allen Niedriglohnbeziehern (vgl. Kalina/Weinkopf 2017: 4ff.). Mit Blick auf die Verteilung innerhalb bestimmter Gruppen am Arbeitsmarkt, auch als Niedriglohnrisiko bezeichnet, zeigt sich zunächst ein Geschlechterunterschied. Während 2015 28% der abhängig beschäftigten Frauen einen Niedriglohn erhielten, waren es bei den Männern lediglich 17,5%. Besonders betroffen sind zudem jüngere Personen unter 25 Jahren sowie Ausländer (vgl. ebd.). Deutlich hervor treten zudem Unterschiede hinsichtlich des beruflichen Qualifikationsniveaus: Während rund 44% der Beschäftigten ohne beruflichen Abschluss einen Niedriglohn erhalten, liegt dieser Anteil bei Personen mit Berufsabschluss (rund 22%) und einem (Fach-) Hochschulabschluss (9,5%) deutlich niedriger. Eichhorst/Tobsch (2014) können zeigen, dass hiermit auch sehr unterschiedliche Niedriglohnrisiken unterschiedlicher Berufsgruppen einhergehen. Während lediglich 3% der Beschäftigten in akademischen Berufen einen Niedriglohn erhalten, sind es bei Hilfsarbeitern mit rund 62% deutlich mehr als die Hälfte (vgl. ebd.: 9). Darüber hinaus sind Niedriglöhne insbesondere in kleinen Betrieben mit bis zu 10 Beschäftigten und in einzelnen Dienstleistungsbranchen wie dem Handel, dem Gastgewerbe sowie personenbezogenen Dienstleistungen überproportional stark verbreitet (Rhein 2013: 6). Hinzu kommt, dass Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland auch einen deutlichen Zusammenhang zu atypischer Beschäftigung aufweist. Während rund 10% der Beschäftigten im NAV einen Niedriglohn erzielen, trifft dies auf rund die Hälfte aller atypisch Beschäftigten zu (ebd.). Deutlich werden jedoch Unterschiede zwischen den verschiedenen atypischen Beschäftigungsformen: rund 38% der befristet Beschäftigten erhielten im Jahr 2015 einen Niedriglohn, während es bei sozialversicherungspflichtig Teilzeitbeschäftigten mit rund 24% deutlich weniger waren. Besonders drastisch fällt der Niedriglohnanteil bei geringfügig Beschäftigten aus, von denen im Jahr 2015 77,5% einen Stundenlohn von weniger als zwei Dritteln des Medianlohns erhielten (vgl. Kalina/Weinkopf 2017: 5 sowie vertiefend 3.4.1 in dieser Arbeit). Neben dem Niedriglohnrisiko bestimmter Beschäftigtengruppen ist die Struktur des Niedriglohnsektors von Bedeutung, denn die einzelnen Beschäftigtengruppen sind quantitativ unterschiedlich bedeutsam. Integriert man diese Perspektive in die Analyse, zeigt sich, dass rund 74% aller Niedriglohnbezieher im Jahr 2015 über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss verfügten (Kalina/Weinkopf 2017: 6). Zudem liegt der Anteil der Frauen höher als jener der Männer, wohingegen die Altersverteilung relativ gleichmäßig ist. Ebenso zeigt sich, dass mehr als jeder Dritte Niedriglohnbezieher unbefristet beschäftigt ist und ganze 42% in Vollzeit arbeiten (vgl. ebd.).
54
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Deutlich wird, dass trotz ungleich verteilter individueller Niedriglohnrisiken die niedrig entlohnte Beschäftigung in der Gesamtschau mitnichten ein randständiges Phänomen einzelner Beschäftigtengruppen darstellt. Nicht zuletzt die Debatten um die sogenannten „working poor“ tragen dieser Entwicklung Rechnung (vgl. etwa Berninger/Schröder 2015). Gleichwohl konzentriert sich die Niedriglohnbeschäftigung insbesondere in einzelnen Branchen des Dienstleistungssektors und in bestimmten Berufs- und Tätigkeitsfeldern, die zudem häufig nicht durch Tarifverträge abgedeckt sind. Der oben diskutierte Wandel der Arbeitsbeziehungen und des Tarifsystems mit einer Zunahme tarif- und mitbestimmungsfreier Zonen ist daher ein nicht unwesentlicher Erklärungsfaktor sowohl für die Expansion des Niedriglohnsektors als auch eine insgesamt zunehmende Lohnspreizung verschiedener Beschäftigten- und Lohngruppen am Arbeitsmarkt (vgl. Sesselmeier 2015). Während die Stundenlöhne des obersten Verdienst-Quintils seit Mitte der 1990er-Jahre stark angestiegen sind, stagnierten insbesondere die Stundenlöhne von niedrig entlohnten Beschäftigten (Haipeter 2017: 7). Da die aus Erwerbsarbeit erzielten Löhne für den Großteil der Bevölkerung die Haupteinkommensquelle darstellen, ist mit der Expansion des Niedriglohnsektors sowie einer zunehmenden Lohnspreizung auch eine Zunahme der Einkommensungleichheit in Deutschland verbunden, die im sozialwissenschaftlichen Diskurs insbesondere mit Blick auf die gesellschaftliche Mittelschicht und mögliche Abstiegsdynamiken breit diskutiert wird (vgl., unter vielen, Heinze 2011, Burkhardt et al. 2013 sowie Bosch/Kalina 2016). Die zunehmende Lohn- und Einkommensspreizung führt zu einer Stärkung der Ränder am oberen und unteren Rand der Verteilung. Zwar sind die verfügbaren Einkommen in Deutschland von 1991 bis 2014 real um zwölf Prozent gestiegen, jedoch verlief die Entwicklung je nach Einkommensgruppe sehr unterschiedlich. „Während die mittleren Einkommen um mehr als acht Prozent stiegen, legten die höchsten Einkommen um bis zu 26 Prozent zu. Die unteren Einkommen gingen hingegen real zurück. Folglich hat die Einkommensungleichheit insgesamt zugenommen […]. Erwerbstätigkeit schützt zwar nach wie vor am effektivsten gegen Einkommensarmut, allerdings sind auch immer mehr erwerbstätige Personen armutsgefährdet“ (Grabka/Goebel 2017: 71)56. Deutlich wird anhand dieser Entwicklungen vor allem zweierlei: zum einen ist die polarisierte Einkommensentwicklung primär, wenn auch nicht ausschließlich, in der Erwerbssphäre und den hier diskutierten Wandlungsprozessen zu verorten. Gleichzeitig zeigt sich, dass diese Wandlungsprozesse weit über die Erwerbs56
Einige Autoren betonen jedoch das komplexe Wechselverhältnis von Armut und Niedriglohn, denn für eine abschließende Bewertung ist immer auch der Haushaltskontext zu beachten. Dies kann dazu führen, dass Einkommensarmut durchaus auch ohne den Bezug eines Niedriglohns entstehen kann, während andererseits ein Niedriglohn mitunter durch den Haushalt abgefedert werden kann (vgl. Berninger/Schröder 2015).
2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation?
55
sphäre und individuelle Risiken wie etwa materielle Deprivation hinausstrahlen und weitreichende gesellschaftspolitische Herausforderungen mit sich bringen, die insbesondere die Verteilungs-, Chancen- und Leistungsgerechtigkeit und damit ganz fundamentale Pfeiler des gesellschaftlichen Zusammenlebens betreffen. Mit der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes von 8,50 Euro zu Beginn des Jahres 2015 und seiner Erhöhung auf 8,84 Euro zum Jahr 2017 wurde politisch insbesondere auf die „Ausfransung“ der Löhne nach unten reagiert. Gleichwohl liegt der aktuelle Mindestlohn unter der Niedriglohnschwelle, so dass es sich eher um eine Absicherung nach unten denn eine Angleichung nach oben handelt. Hierbei dürften auch Abwägungen möglicher Effekte von deutlich höheren Mindestlöhnen eine Rolle spielen, denn nicht selten wird darauf verwiesen, dass durch „die stärkere Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse und von Niedriglohnjobs der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt flexibler und damit aufnahmefähiger geworden [ist]“ (Eichhorst/Tobsch 2014: 9). Kritiker sehen in dem skizzierten Trend eines Bedeutungsgewinns atypischer Beschäftigungsverhältnisse und der kontinuierlichen Expansion des Niedriglohnsektors hingegen einen „Pyrrhussieg“, da in dieser Lesart die Beschäftigungsdynamik ausschließlich zulasten der Arbeitnehmer gehe, die angesichts der diskutierten Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt vermehrt auf nicht existenzsichernde und unsichere Beschäftigungsverhältnisse angewiesen seien (vgl., unter vielen, etwa Scherschel/Booth 2012: 38ff.). Auf die mit diesen Strukturveränderungen verbundenen individuellen und sozialen Risiken wird im Folgenden abschließend eingegangen. 2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation? Die skizzierten Wandlungsprozesse am deutschen Arbeitsmarkt werden öffentlich und wissenschaftlich insbesondere deshalb kontrovers diskutiert, da sie einen tendenziellen Bruch mit dem „klassischen“ deutschen Beschäftigungsmodell darstellen. Dieses war, wie gezeigt, durch ein recht hohes Maß an Einkommens- und Beschäftigungsstabilität, eine vergleichsweise starke Regulierung von Arbeitsverhältnissen und eine Kontinuität von Erwerbsbiografien mit einer hohen Lebensplanbarkeit und sozialer Absicherung verbunden. Die Pluralisierung von Erwerbsformen und die Expansion des Niedriglohnsektors lassen daher altbekannte Sicherheiten als zunehmend fragil erscheinen. Zwar nimmt die Zahl der Erwerbstätigen zu, d.h. immer mehr Menschen in Deutschland partizipieren an Erwerbsarbeit, gleichzeitig jedoch steigt die Heterogenität in der Art und Weise, dem Umfang und den arbeitsvertraglichen Konditionen, in und zu denen Erwerbsarbeit angeboten und nachgefragt wird. Angesichts dieser zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung scheinen die Konturen eines historisch gewachsenen Normalfalls von Erwerbsarbeit zunehmend brüchig zu werden.
56
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Mit diesem Strukturwandel von Arbeitsmärkten und Erwerbsarbeit sind neue Risiken und Unsicherheiten verbunden. Zuvorderst betrifft dies die Existenzsicherungsfunktion von Erwerbsarbeit. Die starke Expansion des Niedriglohnsektors, die häufig mit atypischen Beschäftigungsformen korreliert ist, wirft das Schlaglicht auf die materielle Dimension neuer Erwerbsformen (vgl. Keller/Seifert 2011: 28). Die Zunahme einer gesamtgesellschaftlichen Lohn- und Einkommensspreizung und einem Anstieg niedrig entlohnter Tätigkeiten kann für die Beschäftigten mitunter in prekären Lebenslagen und einem erhöhten Armutsrisiko münden, sofern es zu keiner Kompensation im Haushaltskontext kommt (vgl. Bartelheimer 2011: 392). Eng verzahnt hiermit sind die mittel- und langfristigen Risiken für Beschäftigte. Wie oben gezeigt, basiert das soziale Sicherungssystem im deutschen Wohlfahrtsstaat zentral auf Erwerbsarbeit, setzt hierbei jedoch implizit kontinuierliche Erwerbsbiografien auf Basis des NAV als Grundlage umfassender Ansprüche voraus57. Es ist vielfach gezeigt worden, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse hinsichtlich der Sozialversicherungsrechte negativ vom NAV abweichen. Gleichwohl ist hier eine differenzierte Betrachtung notwendig, denn nicht in jedem Fall führen atypische Beschäftigungsverhältnisse zu einer im Vergleich zum NAV geringeren sozialen Absicherung der Beschäftigten (vgl. Schulze Buschoff 2014: 216f.). Aufgrund der geringen Einkommen und der weitgehenden Sozialversicherungsfreiheit sind insbesondere geringfügig Beschäftigte kaum eigenständig sozial abgesichert, etwa in der Arbeitslosen- oder Rentenversicherung (vgl. vertiefend Abschnitt 3.5.3). Neben der Bedeutung des Haushaltskontextes ist für die Frage der sozialen Absicherung atypisch Beschäftigter jedoch auch immer der individuelle Erwerbsverlauf zu betrachten, da sich die individuellen Risiken der sozialen Sicherung vor allem dann kumulieren, wenn Beschäftigte über einen langen Zeitraum in atypischen Beschäftigungsverhältnissen angestellt sind oder sich Phasen von atypischer Beschäftigung mit Arbeitslosigkeitsepisoden abwechseln (vgl. Böhnke et al. 2015: 249). In jedem Fall jedoch stellt die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen die historisch gewachsene Architektur der sozialen Sicherungssysteme vor neue Herausforderungen, die trotz der zahlreichen „Flexicurity“Debatten58 (vgl. etwa Keller/Seifert 2008) bislang fortbestehen. 57 58
Dies bedeutet indes nicht, dass nicht auch kontinuierliche Normalerwerbsbiografien mitunter zu Problemen z.B. in der Alterssicherung führen können. Diese Fälle bilden bislang jedoch die Ausnahme. Flexicurity stellt ein Kofferwort aus den Begriffen flexibility und security dar. Im Kern geht es beim Konzept der Flexicurity um eine Neukonfiguration des Wechselverhältnisses von Flexibilität und Sicherheit, also um die Frage, wie angesichts einer zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit und Beschäftigung dennoch ein relativ hohes Maß an (Arbeitsplatz- und sozialer) Sicherheit gewährt werden kann. Das Konzept wurde maßgeblich durch die Europäische Union im Rahmen der Lissabon-Strategie stark gemacht, ohne dass hieraus jedoch mehr als grundlegende, nicht verbind-
2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation?
57
Darüber hinaus ist auch die Frage der Beschäftigungsstabilität atypischer Beschäftigung von zentraler Bedeutung. Wenngleich diese mitunter niedriger ist als für Beschäftigte im NAV, ist auch hier vor Pauschalisierungen zu warnen. Empirische Studien weisen darauf hin, dass eine geringere Beschäftigungsstabilität und ein damit erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko insbesondere auf Leiharbeitnehmer zutrifft (vgl. etwa Seifert/Brehmer 2008; Möller et al. 2011), wohingegen dies etwa für Teilzeitbeschäftigte nicht nachgewiesen werden kann (Keller/Seifert 2011; Böhnke et al. 2015). Deutlich wird daher die Notwendigkeit, die mit den verschiedenen Formen atypischer Beschäftigung verbundenen Risiken differenziert zu betrachten. So kann etwa Teilzeitarbeit, die über einen langen Zeitraum ausgeübt wird, hinsichtlich der sozialen Sicherung problematische Wirkungen entfalten (z.B. aufgrund geringer Rentenanwartschaften), was jedoch nicht bedeuten muss, dass diese Erwerbsform auch bezüglich der Beschäftigungsstabilität riskant ist. Zu guter Letzt wird mit Blick auf die Risiken atypischer Beschäftigung auch auf die Beschäftigungsfähigkeit, d.h. die Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten der Beschäftigten, verwiesen (vgl. Keller/Seifert 2011: 30f.). So kommen verschiedene empirische Studien zu dem Schluss, dass atypisch Beschäftigte beim Zugang zu betrieblich-beruflicher Weiterbildung gegenüber Beschäftigten im NAV benachteiligt sind (vgl. Bellmann et al. 2013; Brehmer/Seifert 2008). Problematisiert wird in diesem Zusammenhang, dass es hierdurch zu einer Verschlechterung der individuellen Arbeitsmarktchancen kommen kann, die für Beschäftigte hinsichtlich einer etwaigen Stellensuche oder individueller beruflicher Aufstiegschancen problematisch sein kann (vgl. Keller/Seifert 2011: 30f.). Gleichwohl ist umstritten, ob es sich hierbei um gezielte Benachteiligungen atypisch Beschäftigter handelt oder divergierende Weiterbildungsbedarfe unterschiedlicher Berufsgruppen mit unterschiedlichen Qualifikationen entscheidend sind (vgl. Bellmann et al. 2013). In der Zusammenschau zeigt sich, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse in der Tendenz mit mehr individuellen und sozialen Risiken verbunden sind als reguläre Normalarbeitsverhältnisse. Gleichwohl bestätigt sich die hohe Heterogenität, die sich auch bereits hinsichtlich der arbeitgeber- und arbeitnehmerseitigen Nutzung und Motivlage dieser Beschäftigungsformen herauskristallisierte. „Atypische Beschäftigung kann in ihren einzelnen Formen je Unterschiedliches bedeuten: Sie kann Arbeitslosigkeit beenden oder die Notwendigkeit, Familie und Beruf zu vereinbaren, widerspiegeln. Sie kann gezielt zum Sammeln von Berufserfahrung eingesetzt und als Grundlage für zukünftigen beruflichen Aufstieg gedacht liche Leitlinien entstanden. Wenngleich der Flexicurity-Diskurs für das Wechselverhältnis von Flexibilität und Sicherheit und damit einhergehende Problemlagen sensibilisiert hat (vgl. Keller/Seifert 2008), fand das Konzept in Deutschland kaum politischen Anklang und hat keine direkten Wirkungen entfaltet oder konkrete politische Maßnahmen zur Folge gehabt.
58
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
sein. Atypische Beschäftigung steht auch für Instabilität, Ausgrenzung und Sackgasse, wenn sie die Existenz nicht sichert und keine langfristige Perspektive bietet“ (Böhnke et al. 2015: 235).
Trotz dieser berechtigten Verweise auf die mit dem Strukturwandel der Arbeitswelt verbundenen Ambivalenzen sind im wissenschaftlichen Diskurs insbesondere die Pluralisierung der Erwerbsformen und der expandierende Niedriglohnsektor zur Chiffre eines fundamentalen Wandlungsprozesses der Arbeitsgesellschaft geworden, in der „die ‚unangenehmen Seiten‘ des Kapitalismus wieder stärker sichtbar“ (Heinze 2009: 120; Hervorh. im Original) werden. So sehen einige Autoren in den skizzierten Transformationsprozessen des Arbeitsmarktes und der Erwerbsarbeit die Rückkehr der sozialen Frage (Castel 2000) und die Tendenz einer „Brasilianisierung des Westens“ (Beck 2007: 28), also einem „Einbruch des Prekären, Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft“ (ebd.). In dieser Lesart kommt es zu einem fundamentalen Wandel der Arbeitswelt, in der Erwerbsarbeit an Kraft verliert, materielle Existenzsicherung, Sicherheit, Lebensplanbarkeit, Entwicklungsmöglichkeiten, soziale Absicherung und sozialen Aufstieg sowie gesellschaftliche Integration und Teilhabe für einen stetig wachsenden Teil der Erwerbsbevölkerung zu generieren und langfristig zu gewährleisten (vgl. etwa Nachtwey 2016). Diese (arbeits-) soziologischen Zeitdiagnosen finden ihre Entsprechung in den Diskursen um Prekarität und die Prekarisierung von Arbeitsund Lebenswelten (vgl., unter vielen, die Beiträge in Castel/Dörre 2009). Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte und Reichweiten innerhalb der Prekarisierungsforschung liegt ein grundlegendes Merkmal dieses Forschungsstrangs in den Umwälzungen der Arbeitswelt und „der Analyse des Verlustes sozialer Sicherheiten und der Zunahme von Exklusionstendenzen der Arbeitsgesellschaft“ (Hardering 2009: 131). In diesem Verständnis basiert Prekarität nicht zuletzt auf einer Zunahme unsicherer und nicht existenzsichernder Beschäftigungsverhältnisse, wobei vor allem die weitreichenden Folgen wie eine Zunahme sozialer Exklusions- und Verarmungsprozesse und hiermit verbundene politische Folgen und gesellschaftliche Konflikte beleuchtet werden (ebd.). Prekarität kann hierbei eher eng gefasst und primär auf die Veränderungsprozesse der Erwerbsarbeit bezogen oder eher weit auf die Zunahme von Unsicherheiten, sozialer Ungleichheit und Exklusion fokussiert werden, wobei engere und weitere Prekaritätsdiagnosen häufig zusammenhängen (vgl. Bartelheimer 2011: 386). Zu wissenschaftlicher Popularität schaffte es in diesem Zusammenhang Castels Zonenmodell, wonach sich die Lohnarbeitsgesellschaft in drei wesentliche Zonen einteile: die Zone der Integration, die Zone der Prekarität und die Zone der Entkopplung (Castel 2000). Während die, laut Castel schrumpfende, Zone der Integration formal gut abgesicherte Beschäftigte in Normalarbeitsver-
2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation?
59
hältnissen umfasst, befinden sich am unteren Ende der „Skala“ Personen, die dauerhaft von regulärer Erwerbsarbeit ausgeschlossen sind. Zwischen diesen Zonen expandiere eine Zone der Prekarität, die als Graustufe zwischen voller Erwerbsintegration und Ausschluss aus dem Erwerbssystem anzusehen ist und sich insbesondere in atypischen Beschäftigungsformen manifestiere (vgl. auch Brinkmann et al. 2006: 16). In dieser Lesart ist Erwerbsarbeit neben objektiven Risiken (etwa niedrige Entlohnung, geringe Beschäftigungsstabilität und unterdurchschnittliche soziale Sicherung) dann als prekär zu bezeichnen, wenn sie „subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert“ (ebd.: 17). Problematisch an derartigen Konzeptualisierungen ist indes, dass sie sich erstens aufgrund einer fehlenden Operationalisierung und Grenzziehung einer klaren empirischen Überprüfung weitestgehend entziehen, zweitens sowohl subjektive als auch objektive Faktoren (Sinnverlust, materielle Existenzsicherung etc.) einbeziehen, ohne deren reziproken Charakter auszubuchstabieren und drittens mit der Referenzfolie „gesellschaftlicher Standards“ argumentieren, wobei hiermit häufig nichts anderes als das NAV gemeint ist. Folglich erfuhren die Zeitdiagnosen einer zunehmenden Prekarisierung von Arbeit und Leben insbesondere dahingehend Kritik, als dass hier atypische Beschäftigung mit prekärer Beschäftigung gleichgesetzt werde, was zu einer oberflächlichen Betrachtung der Wandlungsprozesse von Erwerbsarbeit und nicht ausreichend differenzierten Analysen der hiermit verbundenen Risiken für Beschäftigte führe (vgl., unter vielen, Lengfeld/Kleiner 2009, Brehmer/Seifert 2008 sowie Bartelheimer 2009). Insbesondere die Castelsche Hypothese, wonach Erwerbsarbeit in der Zone der Prekarität mit einer Tendenz zur sozialen Desintegration und einer Schwächung von Familien- und Sozialbeziehungen einhergehe, gilt als umstritten, da dies in dieser Pauschalität empirisch nicht nachgewiesen werden konnte59 (vgl. Bartelheimer 2011: 392). Dennoch treffen die theoretischen Konzepte der Prekaritätsforschung insofern einen Nerv, als dass sie die Aufmerksamkeit auf eine mögliche Ausbreitung unsicherer Arbeitsverhältnisse bis in die Mitte der Gesellschaft hinein lenken. Hiermit wurde die ursprüngliche Dichotomie von Insidern (Arbeitsplatzbesitzer) und Outsidern (Arbeitslose) am Arbeitsmarkt aufgebrochen und für einen Wandlungsprozess sensibilisiert, in dessen Zuge sich eine „Zwischenzone“ (Grimm et al. 2013) am Arbeitsmarkt herausbildet. „So erkennen wir eine wachsende Grup59
Dornes (2016) weist zudem darauf hin, dass die Prekarisierungsforschung zwar neue Risiken in der Arbeitswelt thematisiere, gleichzeititg jedoch die Vergangenheit häufig idealisiere. Diese „Gegenwartskritik durch Vergangenheitsverklärung“ (ebd.: 83) führe zu einer Überbetonung neuer Risiken, da die frühere „stechuhrenkontrollierte Strafkolonie der industriellen Arbeitswelt“ (ebd.: 102) und die hiermit verbundenen negativen Folgen für Beschäftigte nicht ausreichend beachtet würden.
60
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
pe von Arbeitsmarktteilnehmern, die zwar nicht aus dem Erwerbsleben herausfallen, denen es aber auch nicht gelingt, sich dauerhaft eine statussichere und auf Dauer gestellte Position in der Arbeitswelt zu erobern“ (ebd.: 265). Gleichwohl ist es bislang eine offene Frage in der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung, wie weitreichend etwaige Spill-Over-Effekte normabweichender Formen der Erwerbsarbeit und damit einhergehende Risiken tatsächlich reichen. Kern der Prekaritätsforschung ist die Annahme, es komme zu einer sich stetig ausbreitenden Expansion der Prekaritätszone. In dieser Lesart stellen die Flexibilisierungsprozesse am Arbeitsmarkt nicht weniger als einen historischen Bruch dar, da materielle Deprivation und soziale Desintegration nicht mehr bloß Phänomene an den marginalisierten Rändern der Erwerbsgesellschaft sind, sondern es zu einer Entstrukturierung sozialer Ungleichheiten am Arbeitsmarkt kommt (vgl. Dörre 2009: 39ff.). Dieser These einer zunehmenden Diffusion von Unstetigkeiten und Unsicherheiten stehen Analysen gegenüber, die vielmehr die sich verfestigenden Polarisierungen und Spaltungen am Arbeitsmarkt thematisieren. Die obigen Ausführungen zur Struktur atypischer Beschäftigung und den individuellen Niedriglohnrisiken geben Hinweise darauf, dass die Wandlungsprozesse von Arbeit und Beschäftigung häufig selektiv wirken. Demnach sind bestimmte Personengruppen, allen voran Frauen und gering qualifizierte Beschäftigte, relativ gesehen in deutlich stärkerem Maße von diesen Wandlungsprozessen betroffen. Hinzu kommen sektorale und branchenspezifische Einflüsse, die häufig mit fehlender Tarifbindung und der Nicht-Existenz betrieblicher Mitbestimmungsmöglichkeiten einhergehen. Neben dieser strukturellen Ungleichverteilung von atypischer und Niedriglohnbeschäftigung spielt ein weiterer Aspekt eine Rolle. Empirische Studien zu individuellen Erwerbsverläufen widerlegen mehrheitlich eine Ausbreitung unsteter Erwerbsverläufe (vgl. Hacket 2012; Böhnke et al. 2015). Vielmehr lassen sich deutliche Verfestigungstendenzen von Erwerbsverläufen, die maßgeblich von atypischer Beschäftigung geprägt sind, konstatieren. Hiermit ist häufig eine geringe Aufstiegsmobilität verbunden, d.h. Personen, die einmal atypisch beschäftigt sind, weisen eine hohe Wahrscheinlichkeit auf, im Erwerbsverlauf dauerhaft atypisch beschäftigt zu sein (vgl. Gensicke et al. 2010). Gleichwohl ist auch hier ein differenzierter Blick notwendig, denn dieser „Klebeeffekt“ trifft tendenziell eher auf Frauen mit Kindern, geringqualifizierte Beschäftigte sowie Teilzeit- und geringfügig Beschäftigte zu, lässt sich jedoch etwa für befristet Beschäftigte oder Hochqualifizierte, für die atypische Beschäftigung häufig eine transitorische Funktion in der Erwerbseinstiegsphase darstellt, nicht in gleichem Maße nachweisen (vgl. Brülle 2013: 170f.; Klenner/Schmidt 2011). Hinzu kommt, dass etwaige „Klebeffekte“ nicht ausschließlich auf fehlende Beschäftigungsalternativen zurückzuführen sind, sondern auch auf die Erwerbspräferen-
2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation?
61
zen der Beschäftigten selbst (vgl. Bartelheimer 2011: 392). Trotz dieser selektiv wirkenden Verfestigungstendenzen von atypischer Beschäftigung im Erwerbsverlauf weisen die genannten Studien gleichzeitig darauf hin, dass weder eine generelle Zunahme unsteter und potentiell prekärer Erwerbsverläufe noch ein Anstieg individueller Abstiegsprozesse zu verzeichnen ist. „Wer sich in regulärer Beschäftigung befindet, läuft wenig Gefahr, sich in diesem Sinne dauerhaft zu verschlechtern. Die Analyse zeigt die dominant vorherrschende und durch hohe Stabilität gekennzeichnete Einbindung in reguläre Beschäftigung über alle Erwerbsphasen hinweg. Atypische Beschäftigung tritt mehrheitlich in Erwerbsverläufen auf, die kaum Berührungspunkte mit dem Normalarbeitsverhältnis aufweisen“ (Böhnke et al. 2015: 248).
Hacket (2012) kommt in einer Analyse von Erwerbsverläufen in der Haupterwerbsphase zu ähnlichen Befunden, weist jedoch auf regionale Unterschiede hin. „Eine Zunahme von diskontinuierlichen und prekären Beschäftigungsverläufen, wie sie die Flexibilisierungs- und Prekarisierungsdebatte nahelegt, bestätigt sich somit für den ostdeutschen Arbeitsmarkt, nicht jedoch für den westdeutschen“ (Hacket 2012: 518). Deutlich wird daher, dass die im Prekarisierungsdiskurs häufig unterstellte Ausbreitung atypischer Erwerbsverläufe bis in die Mitte des Arbeitsmarktes hinein empirisch kaum haltbar ist. Zwar deutet sich an, dass sich am deutschen Arbeitsmarkt eine Zwischenzone etabliert, die sich durch eine hohe Kontinuität von atypischer Beschäftigung im Erwerbsverlauf auszeichnet. Die von Grimm et al. (2013) auf Basis qualitativer Interviews generierte These, dass diese Zwischenzone insbesondere durch erwerbsbiografische Diskontinuität charakterisiert ist, bestätigt sich in quantitativen Analysen jedoch lediglich für einen vergleichsweise geringen Teil dieser Beschäftigten (vgl. Böhnke et al. 2015: 249). Insgesamt lassen sich eine generelle Destandardisierung von Erwerbsbiografien und eine schichtübergreifende Betroffenheit von atypischer Beschäftigung in der Haupterwerbsphase empirisch nicht nachweisen (ebd.). Somit scheint weiterhin ein relativ gut geschützter Kern am Arbeitsmarkt zu bestehen und auch die Aufwärtsmobilität, sei es aus atypischer in „reguläre“ Beschäftigung oder hinsichtlich eines Verlassens des Niedriglohnsektors, ist äußerst ungleich unter verschiedenen Personen- und Beschäftigtengruppen verteilt (vgl. Brülle 2013 sowie Kalina 2012). Während also die Prekarisierungsforschung eine Diffusion von Diskontinuitäten und Unsicherheiten am Arbeitsmarkt vermutet, verweisen die hier skizzierten empirischen Befunde eher auf gruppenund personenbezogene Spaltungen am Arbeitsmarkt und sind somit anschlussfähig an segmentationstheoretische Überlegungen zu den Funktionsweisen von Arbeitsmärkten (vgl. Doeringer/Piore 1971; Sengenberger 1987).
62
2 Arbeitsmärkte und Erwerbsarbeit im Wandel
Derartige Ansätze gehen, unabhängig unterschiedlicher theoretischer Schwerpunkte und Akzentuierungen, davon aus, dass sich Arbeitsmärkte in bestimmte Segmente aufteilen, welche sich hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen unterscheiden und deren wechselseitige Mobilität eingeschränkt oder nicht vorhanden ist. Wichtig ist, dass Arbeitsmarktsegmentation hierbei nicht als vorübergehendes und zufälliges Phänomen verstanden, sondern „als ein Ergebnis der im Arbeitsmarktprozeß (!) wirksamen Durchsetzung ökonomischer und politischer Kräfte und Interessen gesehen [wird]“ (Sengenberger 1978: 16). Ganz gleich, ob diese Segmentationsprozesse in einer Dualisierung des Arbeitsmarktes (so die wegweisende Arbeit von Doeringer/Piore 1971 zum U.S.amerikanischen Arbeitsmarkt) oder einer dreiteiligen Segmentation (so Sengenberger 1987 für den deutschen Arbeitsmarkt) münden, entscheidend ist die Herausbildung und Verfestigung einzelner Segmente mitsamt eigener Funktionsweisen, aber auch unterschiedlichen Mobilitäts- und Aufstiegschancen sowie einer Ungleichverteilung beschäftigungsbezogener Risiken (vgl. auch Köhler et al. 2010: 149ff.). Derartige Spaltungen am Arbeitsmarkt können entlang askriptiver Merkmale der Beschäftigten wie Herkunft, Alter und Geschlecht, aber auch Bildung, Ausbildung und Beruf sowie Merkmalen des Arbeitsplatzes wie etwa den Standort oder die Wirtschaftsbranche erfolgen (Sengenberger 1978: 16). Mögliche Folgen dieses Arbeitsplatzgefälles sind u.a. ungleiche Einkommensverteilungen, unterschiedliche Chancen beruflicher Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten sowie unterschiedliche Erwerbslosigkeitsrisiken (ebd.: 17 sowie Piore 1978: 69f.). Nun ließe sich einwenden, dass, Sengenbergers dreiteiliger Typologie (1987) von unstrukturierten Jedermanns-Arbeitsmärkten, berufsfachlichen sowie betriebsinternen Teilarbeitsmärkten folgend, viele Flexibilisierungsprozesse am Arbeitsmarkt bis weit in die relativ gut geschützten Bereiche des berufs- und betriebsinternen Arbeitsmarktes vorgedrungen sind (etwa Entgrenzungstendenzen oder flexible Arbeitszeitmodelle). Mit Blick auf die diskutierten Wandlungsprozesse hin zu mehr atypischer Beschäftigung sowie der Verfestigung des Niedriglohnsektors jedoch offenbaren sich gewisse Strukturierungen, sei es hinsichtlich des Geschlechts (Frauen), des Bildungs- und Qualifikationsniveaus (niedrige Schul- und Berufsbildung), des Sektors und der Branche (insbesondere verschiedene Arten von personen- und konsumbezogenen Dienstleistungen) sowie der Betriebscharakteristika (insbesondere kleine Betriebe, häufig ohne Tarifbindung). Diese idealtypischen Strukturierungen sind hierbei als Tendenz und nicht als Determinismus zu verstehen, verweisen jedoch auf Spaltungsprozesse am Arbeitsmarkt und eine Ungleichverteilung in der Betroffenheit von atypischer und Niedriglohnbeschäftigung, die insbesondere in den unstrukturierten JedermannsArbeitsmärkten mit einem relativ hohen Substituierbarkeitspotential der Beschäftigten vorzufinden sind.
2.4 Die Rückkehr der Unsicherheit: Diffusion oder Segmentation?
63
Als ein wissenschaftlich und öffentlich kontrovers diskutierter „Prototyp“ dieses Segments gelten geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. Minijobs sind – wie oben angerissen – maßgeblich durch ihre feste Entgeltgrenze von maximal 450 Euro pro Monat oder einen zulässigen zeitlichen Höchstumfang sowie ihre weitgehende Sozialversicherungsfreiheit charakterisiert. Daher gelten Minijobs oftmals als Paradebeispiel für nicht existenzsichernde und unsichere Formen von Erwerbsarbeit, die mit zahlreichen mittel- und langfristigen Risiken wie Altersarmut einhergehen. Da diese Erwerbsform und die in ihr beschäftigten Personen im weiteren Verlauf dieser Arbeit im Zentrum der Untersuchung stehen, widmet sich das folgende Kapitel der geringfügigen Beschäftigung, präsentiert zentrale Forschungserkenntnisse zu Struktur sowie den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und umreißt die politischen und wissenschaftlichen Diskurse um Minijobs sowie die Chancen und Risiken für die Beschäftigten.
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Was in Deutschland als geringfügige Beschäftigung gilt, wird in §8 des Sozialgesetzbuches, Viertes Buch definiert. Demnach liegt eine geringfügige Beschäftigung vor, „wenn 1. das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 450 Euro nicht übersteigt, 2. die Beschäftigung innerhalb eines Kalenderjahres auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage nach ihrer Eigenart begrenzt zu sein pflegt oder im Voraus vertraglich begrenzt ist, es sei denn, dass die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und ihr Entgelt 450 Euro im Monat übersteigt“. Für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2018 gilt für die kurzfristige Beschäftigung jedoch eine Sonderregelung, die in §115 des Sozialgesetzbuches, Viertes Buch festgeschrieben ist. Demnach ist für kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse in dieser Zeit eine zeitliche Höchstgrenze der Erwerbstätigkeit von drei Monaten oder 70 Arbeitstagen pro Jahr rechtlich wirksam. Deutlich wird, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse immer dann vorliegen, wenn bestimmte Entgeltgrenzen nicht überschritten werden oder ein Beschäftigungsverhältnis nur kurz andauert. Im ersten Fall spricht man von geringfügig entlohnter Beschäftigung, in letzterem Fall von kurzfristiger Beschäftigung. Aufgrund der quantitativen Verbreitung der jeweiligen geringfügigen Beschäftigungsarten in Deutschland liegt der Fokus zumeist auf der geringfügig entlohnten Beschäftigung. Auch wenn geringfügige Beschäftigung als einzige nicht-sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung eine Sonderrolle im deutschen Erwerbs- und Wohlfahrtsstaatmodell einnimmt, gilt sie nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) als eine Form der Teilzeitbeschäftigung. Folglich gelten für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse hinsichtlich der Arbeitnehmerrechte dieselben Regelungen wie für sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse60 (vgl. Foerster 2009: 23f. sowie Stegmaier et al. 2015). Im europäischen Vergleich nimmt die deutsche Minijobregelung inklusive der Sozialversicherungsfreiheit weitestgehend eine Sonderrolle ein61. Eine Ausnahme stellt Österreich dar, wo es eine mit der deutschen Regelung vergleichba60 61
Zur tatsächlichen Gewährung von Arbeitnehmerrechten in der Praxis vgl. 3.4.6 in dieser Arbeit. Zwar werden etwa auch in Großbritannien niedrige Einkommen ebenfalls von der Sozialversicherung, der so genannten National Insurance (NI), befreit (vgl. Tröger/Roß-Kirsch 2017: 191f.). Aufgrund der starken institutionellen Unterschiede der Wohlfahrtssysteme ist diese Regelung jedoch nur in geringem Maße mit der Regulierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland vergleichbar.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_3
66
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
re Ausgestaltung von Teilzeitarbeitsverhältnissen im niedrigen Stundenbereich bei gleichzeitiger Sozialversicherungsfreiheit der Beschäftigten gibt. Ähnlich wie in Deutschland existiert dort eine Geringfügigkeitsgrenze, die jedoch jährlich angepasst wird und daher dynamisch ist (vgl. Deutscher Bundestag 2011; Eichhorst et al. 2012: 13). Zum Teil werden in internationalen Vergleichsstudien zu atypischer Beschäftigung generell auch alle Teilzeittätigkeiten mit niedrigen Wochenarbeitsstunden als geringfügige oder marginale Teilzeit klassifiziert (so etwa bei Schulze Buschoff 2016). Dies erleichtert die Vergleichbarkeit struktureller Entwicklungen auf Arbeitsmärkten, ist jedoch insofern problematisch, als dass Deutschland und Österreich die einzigen Staaten in der Europäischen Union sind, die über eine spezielle institutionelle Regulierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse verfügen, die in ganz wesentlichen Aspekten wie dem Sozialversicherungsschutz von regulärer Beschäftigung abweicht. Insbesondere die Sozialversicherungsfreiheit für die Beschäftigten macht Minijobs im internationalen Vergleich zu einer „deutschen Besonderheit“ (Eichhorst et al. 2012: 13). Dies bedeutet jedoch keineswegs, dass in anderen europäischen Staaten nicht auch Anreize für Teilzeitbeschäftigungen mit niedrigen wöchentlichen Arbeitszeiten geschaffen wurden (für eine Übersicht arbeitsmarktpolitischer Flexibilisierungsinstrumente in verschiedenen europäischen Ländern vgl. die Beiträge in Koch/Fritz 2013)62. Derartige Regelungen sind jedoch kaum mit der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland und ihren speziellen institutionellen Rahmenbedingungen zu vergleichen (vgl. auch Eichhorst et al. 2010: 24ff.). 3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigung Auch wenn die politische und wissenschaftliche Diskussion um geringfügige Beschäftigung in Deutschland insbesondere in den letzten 20 Jahren an Dynamik gewonnen hat, sind geringfügige Beschäftigungsverhältnisse per se nichts Neues im deutschen Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsmodell. Ein zentrales Merkmal dieser Beschäftigungsverhältnisse, die Versicherungsfreiheit, war bereits Ende des 19. Jahrhunderts, kurz nach Einführung der Bismarck’schen Sozialversicherungsgesetze, etabliert worden. Das maßgebliche Motiv bestand darin, Kleinstrentenansprüche zu vermeiden (vgl. Oschmiansky/Obermeier 2014). Die Versicherungsfreiheit in der Kranken- und Rentenversicherung bestand auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges fort, sofern die Beschäftigung nur gelegent62
Zu nennen ist etwa das Modell der „zero-hour-contracts“ in Großbritannien, bei dem zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine Mindestbeschäftigungszeit von null Stunden festgelegt wird und Arbeitnehmer auf Abruf arbeiten, folglich aber auch nur in Fällen eines tatsächlichen Arbeitseinsatzes entlohnt werden (vgl. Schulze Buschoff 2016: 14).
3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigung
67
lich oder als Nebenbeschäftigung ausgeübt und eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschritten wurde (ebd.). Ab den sechziger Jahren gewann die geringfügige Beschäftigung arbeitsmarktpolitisch langsam an Bedeutung. Von 1961 bis 1965 war die Versicherungspflicht nur dann gegeben, wenn mindestens 20 Wochenarbeitsstunden (Krankenund Rentenversicherung) bzw. 24 Wochenarbeitsstunden (Arbeitslosenversicherung) geleistet wurden. Die Kernmerkmale geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, d.h die Versicherungsfreiheit bei Unterschreitung bestimmter zeitlicher und/oder monetärer Grenzen, setzte sich in den darauffolgenden Jahrzehnten fort. Zwar änderten sich die definierten Grenzen immer mal wieder, ohne dass es jedoch zu einem grundlegenden Wandel hinsichtlich der institutionellen Ausgestaltung geringfügiger Beschäftigung kam. Es sollte bis 1999 dauern, bis es zu einer wesentlichen Reform der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland kam (vgl. BMFSFJ 2012). Vor der Reform waren die rechtlichen Rahmenbedingungen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse derart ausgestaltet, dass das monatliche Einkommen aus dieser Beschäftigung 630 DM in Westdeutschland bzw. 530 DM in Ostdeutschland nicht überschreiten durfte. Hinsichtlich des Arbeitsumfangs existierte eine Höchstgrenze von 15 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit. Derartige Beschäftigungsverhältnisse waren abgabenfrei in der Sozialversicherung, und zwar auch dann, wenn sie zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung ausgeübt wurden (vgl. Oschmiansky/Obermeier 2014). Nicht zuletzt in Folge dieser attraktiven rechtlichen Rahmenbedingungen kam es in den 1990er Jahren zu einem Bedeutungszuwachs geringfügiger Beschäftigung auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Die Tatsache, dass diese Beschäftigungsverhältnisse nicht mehr bloß ein Randphänomen auf dem deutschen Arbeitsmarkt darstellten63, wurde zunehmend kritisiert. Schon vor 1998 monierten die späteren Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen den Anstieg geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse. Problematisiert wurde vor allem, dass Frauen hierdurch in eine marginale Partizipation am Erwerbsleben „gezwungen“, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt und unzureichenden sozialen Absicherungen dieser Erwerbstätigen Vorschub geleistet würden – zudem komme es zu Einnahmeausfällen in den Sozialversicherungen (vgl. Koch/Bäcker 2003a). Nach dem Regierungswechsel 1998 kam es zur ersten großen Reform der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland. Die am 01.04.1999 in Kraft getretenen Neuregelungen zählten zu einem Kernstück der Reformpolitik der
63
So arbeiteten im zweiten Quartal 1999 schätzungsweise rund 5,85 Millionen Beschäftigte in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, was einem Anteil von rund 16% an allen Erwerbstätigen entsprach (vgl. ISG 1999).
68
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
neuen rot-grünen Bundesregierung und hatten eine Eindämmung geringfügiger Beschäftigung zum Ziel64 (vgl. Ochs 1999). Mit der Reform kam es zu einigen Änderungen der geringfügigen Beschäftigung65: Unverändert blieb die Geringfügigkeitsgrenze von 630 DM, später 325 Euro. Neu eingeführt wurde hingegen, dass Arbeitgeber nun verpflichtet waren, pauschale Sozialversicherungsbeiträge von 22% des Bruttoentgelts (10% in die Gesetzliche Krankenversicherung, 12% in die Gesetzliche Rentenversicherung) zu zahlen. Eingeschränkt werden muss hierbei jedoch, dass in der Gesetzlichen Rentenversicherung hierdurch arbeitnehmerseitig lediglich minimale Anwartschaften erworben wurden (vgl. Koch/Bäcker 2003a: 6 f.). Allerdings bestand die Möglichkeit für die Beschäftigten, die Beiträge in der Rentenversicherung auf den regulären Satz anzuheben. Die Versicherungsfreiheit in der Arbeitslosenund Krankenversicherung blieb hingegen bestehen, ebenso wie der zeitliche Höchstumfang von 15 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit (vgl. Dingeldey 2000). Eine zentrale Änderung betraf die Ausübung eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses als Nebenbeschäftigung. War diese vor 1999 ebenfalls sozialversicherungsfrei, zumindest dann, wenn es sich lediglich um ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Nebenerwerb handelte, fiel diese Regelung ab April 1999 weg. Dies wurde vor allem damit begründet, „dass eine unterschiedliche Behandlung von zusätzlichen Einkünften aus einem Nebenjob gegenüber Überstunden, die im Hauptjob geleistet wurden, sachlich nicht zu rechtfertigen sei“ (Oschmianksy/Obermeier 2014: o.S.). Insgesamt beabsichtigte die Reform daher einen Abbau bzw. zumindest eine Stagnation der geringfügigen Beschäftigung. Diese gesetzlichen Regelungen sollten allerdings für gerade einmal vier Jahre Bestand haben, bevor es am 01.04.2003 zu einer weitreichenden Reform der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland kam, deren wesentliche Elemente noch heute die institutionelle Grundlage darstellen. War eines der Hauptziele der Reform von 1999 noch, die als problematisch betrachtete geringfügige Beschäftigung einzudämmen, drehte sich dieses erklärte Ziel im Zuge der Hartz-Reformen um 180 Grad. In der Folge wurde eine Ausweitung der geringfügigen Beschäftigung als wirksames Instrument betrachtet, um Arbeitslosigkeit abzubauen und Erwerbschancen für gering qualifizierte Beschäftigte im Niedrigeinkommenssektor zu schaffen (vgl. Funk 2003; Koch/Bäcker 2003b). Gleichzeitig wurde die Brückenfunktion geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse betont. Durch niedrigschwellige Einstiegsmöglichkeiten in den ersten Arbeitsmarkt sollten Minijobs als temporäre Erwerbsmöglichkeit dienen, in deren Folge die Aufnahme einer 64 65
Begleitet wurde die Reform von heftigen politischen Debatten, da die Neuregelungen sowohl von Unternehmens- und Arbeitgeberverbänden als auch den Gewerkschaften aus unterschiedlichen Gründen kritisiert wurden (vgl. Koch/Bäcker 2003b). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die quantitativ bedeutsamere geringfügig entlohnte Beschäftigung, nicht auf die kurzfristige Beschäftigung.
3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigung
69
sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung stünde (vgl. Berthold/Coban 2013). Zu guter Letzt sollte die Anstellung geringfügig Beschäftigter in Privathaushalten entbürokratisiert und erleichtert werden. Hiermit ließe sich die weit verbreitete Schwarzarbeit in deutschen Haushalten eindämmen (ebd.). Gleichzeitig wurde die Bundesknappschaft mit der neu gegründeten Minijob-Zentrale damit beauftragt, zukünftig alle geringfügigen Beschäftigungen als zentrale Einzugs- und Meldestelle zu betreuen66. Hierdurch sollte es Arbeitgebern erleichtert werden, Minijobs anzumelden. Die genannten arbeitsmarktpolitischen Ziele sollten vor allem durch derlei Maßnahmen erreicht werden, die eine Aufnahme von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen attraktiver macht. Die wesentlichen Neuregelungen der geringfügigen Beschäftigung zum 01.04.2003 waren (vgl. hierzu Brandt 2006: 446; Steiner/Wrohlich 2005: 94-97; Rudolph 2003):
Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze von 325 auf 400 Euro; Wegfall der maximalen Arbeitszeitgrenze von 15 Stunden pro Woche; Für Beschäftigte wurde die erste geringfügige Beschäftigung neben einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (wieder) von der Sozialversicherungspflicht befreit; Arbeitgeber mussten fortan zunächst Pauschalabgaben von 25% des gezahlten Lohnes zahlen, die sich aus 12% Renten- und 11% Krankenversicherung sowie 2% pauschaler Lohnsteuer zusammensetzen. Diese Regelungen galten für Arbeitgeber im gewerblichen Bereich; Für Arbeitgeber in Privathaushalten wurde eine verringerte Pauschalabgabe von insgesamt 12% sowie eine steuerliche Absetzbarkeit von bis zu 10% der Arbeitskosten beschlossen; Zudem wurde eine Gleitzone für sogenannte Midijobs eingerichtet: im Einkommensbereich von 400,01 bis 800 Euro stiegen die Sozialversicherungsbeiträge für die Beschäftigten linear von ca. 4% auf 21% an. Der Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung lag in der gesamten Gleitzone konstant bei rund 21%.
Deutlich wird, dass mit diesen Neuregelungen eine Kehrtwende im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vollzogen wurde – interessanterweise innerhalb von lediglich vier Jahren und ein- und denselben Regierungsparteien. Hervorzuheben ist, dass durch diese Reform geringfügige Beschäftigungsverhältnisse explizit als wünschenswertes Flexibilisierungsinstrument auf dem deutschen Arbeitsmarkt nutzbar gemacht werden sollten. „Damit wird das, was anlässlich der Neuregelung 1999 noch als Fehlentwicklung eingeschätzt wurde, nun zum beschäftigungspolitischen Wunschziel“ (Koch/Bäcker 2003b: 96). 66
Nach mehreren Fusionen ist hierfür inzwischen die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zuständig.
70
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Diese rechtlichen Rahmenbedingungen haben bis heute Bestand, wurden seitdem jedoch in Teilen modifiziert (vgl. hierzu Oschmiansky/Obermeier 2014, BMFSFJ 2012 sowie Eichhorst et al. 2012). Unverändert blieben die Anrechnungsmodalitäten bei mehreren gleichzeitig ausgeübten geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. So ist es weiterhin möglich, mehrere Minijobs versicherungsfrei parallel auszuüben, sofern die Beschäftigungsverhältnisse nicht bei demselben Arbeitgeber ausgeübt werden und die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wird67 (vgl. Foerster 2009: 49f.). Erste rechtliche Modifikationen wurden im Juli 2006 vorgenommen. Diese betrafen die Abgabensätze der Arbeitgeber. So wurden die pauschalen Abgaben für Arbeitgeber von zuvor 25% auf 30% (15% Beitragssatz in der Gesetzlichen Rentenversicherung, 13% in der Gesetzlichen Krankenversicherung sowie weiterhin 2% pauschale Lohnsteuer) erhöht. Zum 01.01.2009 traten dann weitere Änderungen hinzu: Eine Neuerung betrifft das Recht auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für bis zu 42 Tage. Aufgrund der Tatsache, dass derartige Zahlungen insbesondere für Kleinbetriebe zu finanziellen Belastungen führen können, erhalten Unternehmen mit weniger als 30 Beschäftigten die Aufwendungen erstattet. Im Gegenzug werden diese Unternehmen dazu verpflichtet, hierfür die Umlage 1 (U1) von aktuell 0,9% des Bruttoarbeitsentgelts zu zahlen. Eine weitere Umlage muss von allen Unternehmen geleistet werden. Hiervon wird die Erstattung von Lohnfortzahlungen für geringfügig Beschäftigte finanziert, die Unternehmen während der Zeit von Beschäftigungsverboten oder der Mutterschutzfristen leisten müssen. Diese Umlage 2 (U2) beträgt aktuell 0,3% des Bruttoarbeitsentgelts68. Zu guter Letzt kommt die Umlage 3 (U3) hinzu, die geringfügig Beschäftigten im Falle der Insolvenz eines Arbeitgebers ein Insolvenzgeld bis zu drei Monate zahlt und aktuell bei 0,09% des Bruttoarbeitsentgelts liegt69. Diese Umlageabgaben kommen zu dem Abgabensatz von 30% hinzu, so dass gewerbliche Arbeitgeber heute in den meisten Fällen etwas mehr als 30% des Bruttoarbeitsentgelts zu entrichten haben70. Für Arbeitgeber in Privathaushalten gelten indes andere Abgaberegelungen: Zu den 2% pauschaler Lohnsteuer kommen hier die verminderten Beiträge von jeweils 5% in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung, 1,6% zur gesetzlichen 67 68 69 70
Hierzu werden die durchschnittlichen monatlichen Arbeitsentgelte zusammengerechnet. Für den Fall, dass die Geringfügigkeitsgrenze überschritten wird, entfällt die Versicherungsfreiheit (vgl. Foerster 2009: 49f.). Der Beitrag zur Umlage 2 sinkt zum Januar 2018 auf 0,24%. Bund, Länder, Gemeinden, Körperschaften, Stiftungen und Anstalten des öffentlichen Rechts sind von dieser Umlage ausgenommen. Zum Januar 2018 sinkt die Umlage 3 auf 0,06%. Die Umlageabgaben für Privathaushalte unterscheiden sich nicht von jenen im gewerblichen Bereich, mit der Ausnahme der Umlage 3, die von Privathaushalten logischerweise nicht entrichtet werden muss.
3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigung
71
Unfallversicherung sowie ggf. die Umlage 1 und 2, wobei die Krankenversicherungsbeiträge nur dann gezahlt werden müssen, wenn der Minijobber gesetzlich krankenversichert ist. Die Abgaben für Arbeitgeber in Privathaushalten sind daher variabel, liegen aber in allen Fällen unter jenen für Arbeitgeber im gewerblichen Bereich und betragen aktuell maximal 14,8% des Bruttoarbeitsentgelts71. Die letzten rechtlichen Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung traten dann zum Beginn des Jahres 2013 in Kraft. Mit dem „Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ waren zwei Neuerungen verbunden. Zum einen wurde die Verdienstgrenze für geringfügig entlohnte Beschäftigung von 400 auf 450 Euro erhöht sowie analog hierzu auch der Gleitzonen-Korridor für Midijobs von 450,01 bis zu 850 Euro. Zum anderen kam es zu einer Änderung mit Blick auf die Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung. Vor 2013 konnten geringfügig Beschäftigte die Rentenversicherungsbeiträge freiwillig aufstocken („Opt-In-Variante“). Diese Regelung wurde ab 2013 umgekehrt: von nun an müssen geringfügig Beschäftigte automatisch Beiträge in die Gesetzliche Rentenversicherung einzahlen72. Allerdings besteht für sie die Möglichkeit, sich von dieser Abgabe befreien zu lassen – aus der „Opt-In-“ wurde also eine „Opt-Out-Variante“73. Zu guter Letzt kam es durch die Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes zum 01. Januar 2015 zu einer weiteren, hier jedoch indirekten Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung. Aufgrund der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro ergibt sich für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nun de facto (wieder) eine Höchstgrenze der Arbeitszeit. Da der Gesetzliche Mindestlohn aktuell bei 8,84 Euro liegt, dürfen Minijobber maximal 50,9 Stunden pro Monat arbeiten, ohne dass Sie die zulässige Verdienstgrenze von 450 Euro überschreiten74. Die Ausführungen verdeutlichen, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Laufe der Zeit unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterlagen. 71
72
73 74
Nochmals andere Abgabenregelungen gelten für die kurzfristige Beschäftigung: Hier werden 25% Steuern an das Betriebsstättenfinanzamt entrichtet. Die Umlagen U1, U2 und U3 finden ebenfalls Anwendung. Im Gegensatz zur geringfügig entlohnten Beschäftigung fallen jedoch keine pauschalen Abgaben in der Gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung an. Die Höhe beträgt aktuell 3,7% und stellt die Differenz des Arbeitgeberanteils von 15% und dem regulären Beitrag zur Rentenversicherung in Höhe von 18,7% in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen dar. Aufgrund der Reduzierung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung auf 18,6% zum Januar 2018 verringert sich auch der Eigenleistungsanteil für Minijobber auf 3,6%. Geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, die vor dem 01.01.2013 in Kraft getreten sind, genießen Bestandsschutz, d.h. sie sind von dieser Neuregelung nicht betroffen, sofern die bis 2013 gültige Verdienstgrenze von 400 Euro nicht überschritten wird. Anzumerken ist, dass es sich hierbei um eine dynamische Grenze handelt – steigt der Gesetzliche Mindestlohn, führt dies zu einer Verringerung der zulässigen monatlichen Arbeitsstunden, sofern die Geringfügigkeitsgrenze unverändert bleibt.
72
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Die sozialversicherungsrechtliche Sonderstellung gepaart mit einer sich über die Jahre verändernden Geringfügigkeitsgrenze sind die Kernmerkmale der geringfügigen Beschäftigung in Deutschland und zeigten sich relativ robust im Zuge der hier skizzierten Reformprozesse. Insbesondere ab 2003 kam hinsichtlich der institutionellen Rahmenbedingungen mehr Bewegung ins Feld der geringfügigen Beschäftigung, was auch auf die mit dieser Erwerbsform verbundenen veränderten politischen Ziele zurückzuführen ist. Speziell die Neuregelungen im Zuge der Hartz-Reformen haben die geringfügige Beschäftigung als Erwerbsform im deutschen Arbeitsmarkt gestärkt und als Instrument einer intensivierten Arbeitsmarktflexibilisierung etabliert. Dass sich diese attraktivitätssteigernden Maßnahmen auch quantitativ auf den Umfang und die Verbreitung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse ausgewirkt haben, wird im Folgenden gezeigt. 3.2 Quantitatives Ausmaß von Minijobs Minijobs waren lange ein stetig wachsendes Segment auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Verlässliche Daten zur Entwicklung der Anzahl an geringfügig Beschäftigten liefert die Bundesagentur für Arbeit seit dem Jahr 2003. Für die Zeit vor 2003 existieren lediglich verlässliche Zahlen für die ausschließlich geringfügig Beschäftigten. So gab es in Deutschland von 1999 bis 2002 zum jeweiligen Jahresende stets ca. 4 Millionen ausschließliche Minijobber, jedoch mit leicht steigender Tendenz (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2014). Das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik kam auf Basis einer Befragung und Hochrechnungen zu dem Befund, dass im zweiten Quartal 1999 insgesamt rund 5,85 Millionen Menschen in Deutschland einen Minijob ausübten (ISG 1999). Jedoch kann die Gesamtzahl geringfügig Beschäftigter vor 2003 nur geschätzt werden, da die geringfügig Beschäftigten im Nebenjob statistisch nicht offiziell erfasst wurden. Gemein ist allen früheren Studien jedoch, dass eine kontinuierliche Zunahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse in den 1990er-Jahren konstatiert wurde (vgl. Ochs 2000). Betrachtet man die Entwicklung seit der Reform von 2003, so ist ein relativ konstantes Wachstum zu erkennen, welches insbesondere kurz nach der Reform stark und danach eher moderat verlief. Seit 2015 ist es sogar zu einem leichten Rückgang der absoluten Zahl an Minijobbern gekommen, was auf Abgänge aus dieser Beschäftigungsform im Zuge der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes zurückgeführt wird (vgl. Berge et al. 2016 sowie 3.5.1 in dieser Arbeit). Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung der Beschäftigten in Minijobs von 2003 bis 2016, differenziert nach ausschließlich geringfügig Beschäftigten und jenen im Nebenjob.
73
3.2 Quantitatives Ausmaß von Minijobs
Abbildung 1:
7,64 7,40 7,48 7,53
7,64 7,52
2,54
2,55
5,24
5,10
4,97
5,30
2,48
2,10
5,32
5,25
2,01
5,26
2,39
1,94
5,25
5,23
1,80
5,21
2,30
1,68
5,14
5,28
1,57
2,20
6,71
7,72
1,12
6,60
5,14
6,89 7,05
7,20 7,33
1,46
5,86
Beschäftigte in Minijobs 2003-2016 (Jahresdurchschnittswerte, Angaben in Millionen)
4,74
2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Ausschließlich geringfügig Beschäftigte
Geringfügig Beschäftigte im Nebenjob
Eigene Berechnung und Darstellung; Datengrundlage: Bundesagentur für Arbeit 2016c
Im Jahr 2003 waren demnach rund 5,8 Millionen Menschen in Deutschland geringfügig beschäftigt, hiervon rund ein Fünftel im Nebenjob. Insbesondere nach der Reform von 2003 zeigt sich ein kontinuierlicher Anstieg an Beschäftigten im Minijob, wobei die Zuwächse insbesondere ab 2009 relativ gering ausfallen. Hervorzuheben sind drei Aspekte: zuvorderst weist die Entwicklung und die Gesamtzahl an geringfügig Beschäftigten im Zeitverlauf eine relative hohe Konstanz auf. Damit zeigt sich die geringfügige Beschäftigung als vergleichsweise unempfindlich gegenüber konjunkturellen Schwankungen und generellen Arbeitsmarktentwicklungen, etwa der Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse oder der Arbeitslosenquote. Zweitens offenbart sich eine noch stärkere Konstanz bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten. Hier kommt es seit 2004 kaum noch zu nennenswerten quantitativen Verschiebungen. 2016 waren sogar weniger Menschen ausschließlich geringfügig beschäftigt als noch im Jahr 2004. Drittens bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die insgesamt zu beobachtende Zunahme an geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen primär auf die im Zeitverlauf kontinuierlich steigende Anzahl an ge-
74
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
ringfügig Beschäftigten im Nebenjob zurückzuführen ist. Waren 2003 lediglich rund 1,1 Millionen Minijobber im Nebenjob beschäftigt, stieg dieser Wert bis 2016 auf mehr als 2,5 Millionen an. Wenn daher von Minijobs als wachsendem Segment am Arbeitsmarkt gesprochen wird, so ist dies de facto auf ein Wachstum der Zahl von Minijobbern, die ihr geringfügiges Beschäftigungsverhältnis zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausüben, zurückzuführen (vgl. auch Klinger/Weber 2017). Hierbei dürfte auch die im Zuge der 2003er-Reform wieder eingeführte Sozialversicherungsfreiheit für Minijobs im Nebenjob verantwortlich sein. Hinsichtlich der Unterscheidung von geringfügig entlohnter und kurzfristiger Beschäftigung zeigt sich zudem, dass die Zunahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse primär auf eine Zunahme geringfügig entlohnter Beschäftigung zurückzuführen ist (vgl. Bundeagentur für Arbeit 2016c). Während diese von rund 5,5 Millionen im Jahr 2003 auf ca. 7,3 Millionen im Jahr 2015 gestiegen ist, pendelt die Anzahl kurzfristig Beschäftigter jeweils um die 300.000 Personen im Jahresdurchschnitt und lag 2015 mit lediglich rund 247.000 Personen sogar unter dem Niveau von 2003 (ebd.). Der kurzfristigen Beschäftigung kommt daher rein quantitativ eine eher marginale Bedeutung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zu. Gleiches gilt für die geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten. Auch sie macht lediglich einen relativ geringen Anteil an allen Beschäftigten im Minijob aus, ist jedoch im Gegensatz zur kurzfristigen Beschäftigung im Zeitverlauf deutlich angestiegen. Während 2005 lediglich rund 108.000 Personen geringfügig in einem Privathaushalt angestellt waren, lag dieser Wert im zweiten Quartal 2016 schon bei rund 304.000, was insbesondere auf die erleichterten Anmeldeverfahren für die Anstellung von Minijobbern im Privathaushalte zurückgeführt wird (vgl. Enste 2016; Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See/Minijob-Zentrale 2016). Hinsichtlich der quantitativen Verbreitung von Minijobs zeigt sich daher, dass geringfügige Beschäftigung in Deutschland insbesondere geringfügig entlohnte Beschäftigung im gewerblichen Bereich umfasst75. Mit Blick auf die Gesamtzahl der geringfügig Beschäftigten offenbart sich im längeren Zeitverlauf eine insgesamt hohe Kontinuität. Deutlich wird, dass Minijobs in Deutschland keineswegs ein Randphänomen des Arbeitsmarktes darstellen, sondern sich inzwischen als quantitativ bedeutsame Beschäftigungsform etabliert haben, die sich im letzten Jahrzehnt robust gegenüber konjunkturellen Schwankungen und generellen Arbeitsmarkttrends, veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen sowie gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen gezeigt hat. 75
Im Rahmen dieser Arbeit wird von gewerblichen Minijobs gesprochen, wenn diese außerhalb eines Privathaushaltes, d.h. in einem Unternehmen, einer Behörde oder einem Betrieb geleistet werden.
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
75
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive Die hohe Stabilität des quantitativen Ausmaßes geringfügiger Beschäftigung in Deutschland wirft die Frage auf, warum diese Erwerbsform sowohl auf Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber anscheinend eine derart hohe Attraktivität ausübt. Im Folgenden wird dies näher beleuchtet. Zunächst werden die Strukturmerkmale der Betriebe, die Minijobs nutzen, die rechtlichen Anreizmechanismen sowie die betrieblichen Nutzungsmotive näher betrachtet. Dies wird ergänzt um Befunde zur Soziodemografie der Minijobber, ihrer Qualifikationsniveaus, den sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Anreizen sowie den Motiven zur Aufnahme geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse. Auch auf sozialrechtlich relevante Gruppen innerhalb der Minijobber wird eingegangen, was aufgrund der hohen Heterogenität der in dieser Erwerbsform beschäftigten Personen sowie damit einhergehender spezifischer Anreizmechanismen von großer Bedeutung für ein besseres Verständnis dieser Erwerbsform ist. 3.3.1 Der Einsatz von Minijobs in deutschen Betrieben: Strukturmerkmale, Anreize und Motive Mit Blick auf den Einsatz von Minijobs in deutschen Betrieben ist die Datenlage überschaubar. Zwar existieren einige Studien zu den Einsatzmotiven (u.a. IAB 2015) und Strukturmerkmalen von Betrieben, diese sind jedoch z.T. regional begrenzt (vgl. RWI 2012, 2016) oder umfassen nicht alle Betriebe, die geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nutzen (vgl. Hohendanner/Stegmaier 2012)76. Hinsichtlich gewerblicher Arbeitgeber zeigt sich insgesamt eine hohe Nutzungsintensität geringfügiger Beschäftigung. Während 2011 lediglich rund 4% der Betriebe Leiharbeiter und 17% befristete Arbeitnehmer beschäftigten, nutzten über die Hälfte aller Betriebe in Deutschland Minijobber (vgl. Hohendanner/Stegmaier 2012: 4). Laut hochgerechneten Anteilen auf Basis des IAB-Betriebspanels77 können Hohendanner/Stegmaier (2012) zeigen, dass die Nutzung von Minijobs branchenübergreifend einen hohen Stellenwert einnimmt. Die niedrigsten Anteile finden sich im Zweig Bergbau, Energie, Wasser, der Land- und Forstwirtschaft 76
77
Noch lückenhafter stellt sich der Forschungsstand zu dem Einsatz von Minijobs in Privathaushalten dar. Zwar ist bekannt, dass sich die Anzahl an Minijobbern in Privathaushalten seit der Reform der geringfügigen Beschäftigung im Jahr 2003 schrittweise erhöht hat. Dennoch stand die Perspektive der Arbeitsgeber in Privathaushalten bislang nicht im wissenschaftlichen Fokus, was darin begründet liegen mag, dass Minijobs in Privathaushalten aufgrund der geringeren Verbreitung keine hohe Bedeutung beigemessen wird. Angemerkt sei, dass auf Basis des IAB-Betriebspanels nur solche Betriebe betrachtet werden können, die mindestens eine sozialversicherungspflichtige Person beschäftigen. Darüber hinaus werden keine Privathaushalte befragt (vgl. Hohendanner/Stegmaier 2012: 4).
76
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
sowie der öffentlichen Verwaltung. Nichtsdestotrotz liegen hier die Anteile an Betrieben oder Behörden, die Minijobs nutzen, zwischen 37% und 40%. Damit sind selbst in jenen Wirtschaftszweigen mit vergleichsweise geringer Nutzung von geringfügiger Beschäftigung jene Betriebe, die auf Minijobs zurückgreifen, kein Randphänomen. Gleichzeitig nutzen im Bereich der Nahrungs- und Genussmittel 75% der Betriebe Minijobs, im Gastgewerbe 70% und im Einzelhandel 63%. Auch im Gesundheits- und Sozialwesen nutzt deutlich mehr als die Hälfte der Betriebe geringfügige Beschäftigung. Insgesamt lässt sich eine deutliche Konzentration im Dienstleistungssektor sowie bei kleineren Betrieben mit bis zu 9 Beschäftigten konstatieren (ebd.: 5). Eine in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) von 2016 kommt darüber hinaus zu dem Befund, dass rund 11% aller Betriebe ausschließlich Minijobber beschäftigen, ohne dass es im Betrieb auch nur ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gibt. Dieser Befund sensibilisiert für den Umstand, dass ein nicht marginaler Teil von Betrieben geringfügige Beschäftigung als einzige Erwerbsoption im Betrieb einsetzt (ebd.: 82). Hinsichtlich der Frage nach den betrieblichen Nutzungsmotiven geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse wird zum Teil vermutet, dass für Unternehmen insbesondere Kostenvorteile ausschlaggebend sind. Dies trifft in dieser Pauschalität allerdings nicht zu. Wie weiter oben gezeigt, liegen die zu leistenden pauschalen Sozialversicherungsabgaben für gewerbliche Arbeitgeber bei geringfügig Beschäftigten deutlich über jenen für sozialversicherungspflichtige Beschäftigte (aktuell rund 30% vs. 19,3%). Nimmt man bspw. an, dass ein Minijobber den Höchstbetrag von 450 Euro monatlich verdient, liegt die Belastung bei Arbeitgebern bei einem angesetzten Abgabensatz von 30% bei 135 Euro. Würde dieser Beschäftigte in der Midijob-Gleitzone 650 Euro monatlich verdienen, lägen die Abgaben für den Arbeitgeber hingegen bei lediglich rund 125 Euro. „Hinsichtlich der Personal- bzw. Lohnnebenkosten ist daher zu konstatieren, dass die Regulierung der geringfügigen Beschäftigung eher negative Anreize für Arbeitgeber setzt, weshalb der starke Anstieg der geringfügigen Beschäftigung […] aus Arbeitgebersicht auf den ersten Blick nicht erklärbar scheint“ (Voss/Weinkopf 2012: 6). De facto jedoch entstehen für Unternehmen durchaus Kostenvorteile durch die Nutzung von Minijobs, da diese im Durchschnitt schlechter entlohnt werden als vergleichbare Teilzeitbeschäftigte und häufig lediglich Niedriglöhne erzielen (vgl. Bäcker 2006, Kalina/Weinkopf 2017 sowie 3.4.1 in dieser Arbeit). Hinzu kommt die z.T. beobachtbare Praxis von Arbeitgebern, die Pauschalsteuer in Höhe von 2% des Bruttoarbeitsentgelts auf die Beschäftigten „abzuwälzen“78. Ein weiteres 78
Dies ist jedoch nicht per se illegal: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts von 2006 dürfen Arbeitgeber die pauschale Lohnsteuer an die Beschäftigten weiterreichen, sofern im Arbeitsvertrag keine feste Nettovergütung festgelegt ist (vgl. Bäcker 2006).
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
77
„Schlupfloch“ besteht in der Nicht-Gewährung von Arbeitnehmerrechten, die im Bereich der geringfügigen Beschäftigung keine Seltenheit darstellt (vgl. etwa IAB 2015, Zimmer 2010 sowie 3.4.6 in dieser Arbeit). Verwehrt der Arbeitgeber etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder das Recht auf bezahlten Urlaub, entstehen weitere direkte Kostenvorteile im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, denen diese Arbeitnehmerrechte fast ausnahmslos gewährt werden (vgl. Stegmaier et al. 2015). Deutlich wird daher, dass vielen Betrieben durch den Einsatz von Minijobs durchaus Kostenvorteile entstehen – dies jedoch aufgrund des Umgangs mit geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in der Praxis und nicht aufgrund der formalen rechtlichen Rahmenbedingungen. Hinsichtlich der Nutzungsmotive gewerblicher Arbeitgeber zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2015), dass rund 85% der Betriebe Minijobber einstellen, da ein höheres Arbeitsvolumen nicht erforderlich ist. Weitere 72% geben an, dass der Wunsch der Mitarbeiter ausschlaggebend war, d.h. eine Anstellung in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis seitens der Beschäftigten nicht gewünscht war. Ebenso von Bedeutung ist das Motiv eines flexiblen Personaleinsatzes (ca. 61%). Immerhin rund ein Viertel gab an, durch die Nutzung von geringfügig Beschäftigten Lohnkosten einsparen zu wollen – dies untermauert den Befund, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auch aus ökonomischem Kalkül zur Kostenminimierung eingesetzt werden. Ergänzend wurde auch in der zuvor angesprochenen Studie des RWI (2016) nach den betrieblichen Motiven zur Nutzung von Minijobbern gefragt. Die empirischen Befunde bestätigen weitestgehend jene der IAB-Studie. So gaben mit rund 66% die meisten Betriebe an, durch das Angebot von Minijobs auf die Wünsche der Beschäftigten zu reagieren. Darüber hinaus gibt jeweils rund ein Drittel der befragten Betriebe an, mit Minijobs besser auf Auftragsspitzen reagieren zu können und dass Minijobber flexibler einsetzbar sind. Auch in dieser Studie findet sich ein nicht geringer Anteil an Betrieben (19%), die durch den Einsatz von Minijobs Kosten sparen wollen (ebd.: 92). Im Vergleich zur Vorgängerstudie (vgl. RWI 2012) zeigen sich die betrieblichen Nutzungsmotive im Zeitverlauf damit als relativ konstant. Auf Basis bivariater Auswertungen fallen zudem Unterschiede zwischen verschiedenen Branchen ins Auge. So sind im Gastgewerbe die flexiblen Einsatzmöglichkeiten geringfügig Beschäftigter von zentraler Bedeutung, wohingegen im Baugewerbe mit dem Einsatz von Minijobbern vor allem Auftragsspitzen abgedeckt werden. Kennzeichnend ist insgesamt ein Fokus auf die hohe Flexibilität von Minijobbern, die auch im Handel und dem Bereich „Verkehr und Lagerei“ als zentrale Nutzungsmotive angeführt werden (vgl. RWI 2012: 90). Für diese These spricht auch die sektorale und branchenbezogene Nutzung von Minijobs. So sind etwa mit dem Gastgewerbe oder dem Einzelhandel insbesondere jene Branchen „minijobaffin“, deren Kun-
78
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
den- und Dienstleistungsfrequenzen stark variieren. „Die hohe Flexibilität geringfügiger Beschäftigung ist ein wesentlicher Vorteil für Unternehmen. Die Arbeitskräftenachfrage kann schnell an den tatsächlichen Bedarf angepaßt [sic] werden, die Personalvorhaltung entsprechend reduziert werden“ (Böhlich 1999: 122). Insgesamt zeigt sich daher eine hohe Heterogenität hinsichtlich der betrieblichen Einsatzmotive, wobei die Forschungserkenntnisse vor allem die Bedeutung von Minijobs als kostengünstiges und flexibles betriebliches Personalinstrument unterstreichen. 3.3.2 Wer sind die geringfügig Beschäftigten? Zur Soziodemografie der Minijobber und den Motiven zur Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung Mit Blick auf die soziodemografischen Merkmale der geringfügig Beschäftigten lässt sich feststellen, dass mit rund 60% mehr Frauen als Männer in Minijobs angestellt sind (für die folgenden Ausführungen, die den Datenstand von März 2016 wiedergeben, vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016a und 2016b). Die Altersstruktur der geringfügig Beschäftigten ist relativ breit gestreut; so sind rund 18% jünger als 25 Jahre und etwas mehr als die Hälfte zwischen 25 und unter 55 Jahren alt. Gleichzeitig zeigt sich, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu einem nicht unerheblichen Teil auch von älteren Personen ausgeübt werden: Rund 17% sind zwischen 55 und unter 65 Jahren alt, weitere 13% älter als 65 Jahre. Hinsichtlich der Nationalität besitzen rund 88% der geringfügig Beschäftigten die deutsche und rund 11,5% eine ausländische Staatsangehörigkeit79. Mit Blick auf das Qualifikationsniveau zeigt sich ebenfalls eine recht hohe Varianz: rund jeder fünfte Minijobber verfügt (noch) über keinen beruflichen Abschluss, rund die Hälfte über einen beruflichen Ausbildungsabschluss und rund 7% über einen akademischen Berufsabschluss. Von rund einem Viertel der geringfügig Beschäftigten liegen keine Informationen über den höchsten Berufsabschluss vor. Damit unterscheiden sich geringfügig Beschäftigte hinsichtlich wesentlicher soziodemografischer Merkmale nicht unerheblich von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (vgl. die nachfolgende Tabelle 2). Zunächst ist geringfügige Beschäftigung in der Tendenz „weiblicher“ als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Auch mit Blick auf die Altersstruktur zeigen sich deutliche Unterschiede: Während im Bereich der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung wenig überraschend vor allem Personen in der Haupterwerbsphase dominieren, ist die Altersverteilung bei geringfügiger Beschäfti79
Die offizielle Statistik der Bundesagentur für Arbeit differenziert nicht weiter nach verschiedenen Arten von Migrationshintergründen.
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
79
gung deutlich ausgefranster. Insbesondere jüngere Erwerbstätige sowie Personen über 65 Jahre sind hier überrepräsentiert. Der hohe Anteil von über 65-Jährigen ist darauf zurückzuführen, dass viele Rentner in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis angestellt sind. Deutliche Unterschiede zeigen sich im Hinblick auf das Qualifikationsniveau der Beschäftigten. Hier ist festzustellen, dass sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Tendenz beruflich besser qualifiziert sind als geringfügig Beschäftigte. Im Bereich der geringfügigen Beschäftigung finden sich deutlich höhere Anteile von Personen ohne beruflichen Abschluss und deutlich geringere Anteile von Personen mit einem mittleren oder akademischen Berufsabschluss. Bedacht werden muss jedoch, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse häufiger von jüngeren Personen ausgeübt werden, von denen ein nicht unerheblicher Teil Schüler oder Studierende sind. Folglich können die höheren Anteile an Personen ohne beruflichen Ausbildungsabschluss im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zum Teil dadurch erklärt werden, dass viele jüngere Minijobber noch keinen beruflichen Abschluss haben80, wenngleich nicht bestritten werden kann, dass geringfügig Beschäftigte beruflich tendenziell eher niedriger qualifiziert sind als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. „Während die meisten Schüler und Studenten gewissermaßen auf dem Weg zu höheren Abschlüssen sind, gibt es auch einen Teil an geringfügig Beschäftigten deren geringe berufliche Qualifikation nichttransitorisch ist“ (IAB 2015: 44). Ebenso zeigen sich jedoch auch innerhalb der Gruppe der geringfügig Beschäftigten nennenswerte Unterschiede. Tabelle 3 gibt hierzu einen Überblick81. Bereits auf den ersten Blick fallen deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Arten der geringfügigen Beschäftigung ins Auge. So ist die ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigung mit einem Frauenanteil von 63% die „weiblichste“ aller geringfügigen Beschäftigungsarten. Zwar überwiegen auch bei der geringfügig entlohnten Beschäftigung im Nebenjob die Frauen, jedoch zeigt sich das Geschlechterungleichgewicht hier bereits abgeschwächter. Im Bereich der kurzfristigen Beschäftigung kehrt sich das Geschlechtsverhältnis sogar um.
80 81
Für diese Vermutung spricht, dass auf Basis des Mikrozensus 2010 gezeigt werden konnte, dass sich rund 14% der geringfügig Beschäftigten zum Zeitpunkt der Ausübung eines Minijobs in Ausbildung befanden (vgl. Deutscher Bundestag 2011: 10). Auf die Differenzierung ausschließlich kurzfristig Beschäftigter und kurzfristig Beschäftigter im Nebenjob wurde aufgrund ihres geringen Anteils an der gesamten geringfügigen Beschäftigung verzichtet.
80
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Tabelle 2: Vergleich der soziodemografischen Merkmale von sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten (März 2016, Angaben in Prozent) Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Geringfügig Beschäftigte
Männlich
53,5
39,7
Weiblich
46,5
60,3
Unter 25
10,1
18,1
25 bis unter 55
71,6
51,8
55 bis unter 65
17,5
17,3
65 und älter
0,8
12,8
Deutsche
90,3
88,2
Ausländer
9,6
11,5
Ohne beruflichen Ausbildungsabschluss
11,9
19,5
Anerkannter Berufsabschluss
62,6
49,1
Akademischer Abschluss
14,8
6,7
Ausbildung unbekannt
10,7
24,7
Geschlecht
Altersgruppe
Nationalität
Berufsabschluss
Eigene Berechnung und Darstellung; Datengrundlage: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016b)
81
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
Tabelle 3: Soziodemografische Merkmale von Personen in verschiedenen Arten geringfügiger Beschäftigung (März 2016, Angaben in Prozent) aGeB*
iNGeB**
kfB***
GB gesamt
Geschlecht Männlich
37,0
43,8
53,4
39,7
Weiblich
63,0
56,2
46,6
60,3
Unter 25
19,8
11,1
61,0
18,1
25 bis unter 55
41,3
73,6
29,8
51,8
55 bis unter 65
19,3
14,5
4,5
17,3
65 und älter
19,5
0,8
4,7
12,8
Deutsche
88,2
88,8
82,7
88,2
Ausländer
11,4
11,2
17,3
11,5
Ohne beruflichen Ausbildungsabschluss
21,4
14,5
34,7
19,5
Anerkannter Berufsabschluss
40,5
67,9
18,1
49,1
Akademischer Abschluss
5,4
9,1
7,3
6,7
Ausbildung unbekannt
32,7
8,4
40,0
24,7
Altersgruppe
Nationalität
Berufsabschluss
Eigene Berechnung und Darstellung; Datengrundlage: Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2016a; 2016b); *= ausschließlich geringfügig entlohnte Beschäftigte; **= im Nebenjob geringfügig entlohnte Beschäftigte; ***= kurzfristig Beschäftigte; an 100 Prozent fehlende Werte basieren auf den Angaben der Bundesagentur für Arbeit und/oder Rundungsfehlern
Unterschiede zeigen sich auch im Hinblick auf die Altersverteilung. So wird die geringfügig entlohnte Beschäftigung im Nebenjob erwartungsgemäß von Personen in der Haupterwerbsphase ausgeübt, wohingegen die Anteile an jungen Beschäftigte unter 25 Jahren und älteren Beschäftigten über 65 Jahren deutlich niedriger ausfallen als bei der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigung. Mit Blick auf die kurzfristig Beschäftigten zeigt sich ein hoher Anteil an jungen Beschäftigten unter 25 Jahren. Dies kann hauptsächlich dadurch erklärt
82
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
werden, dass ein großer Teil der kurzfristig Beschäftigten Schüler sind, die bspw. im Rahmen von Ferienjobs einer kurzfristigen Beschäftigung nachgehen. Auch hinsichtlich der Qualifikationsniveaus manifestieren sich deutliche Unterschiede. So sind die geringfügig entlohnten Beschäftigten im Nebenjob durchschnittlich deutlich höher qualifiziert als die ausschließlich geringfügig entlohnten und die kurzfristig Beschäftigten. Dieser Befund ist jedoch wenig überraschend, da sozialversicherungspflichtig Beschäftigte durchschnittlich über höhere berufliche Qualifikationen verfügen – folglich spiegelt sich dies auch in der Gruppe jener Minijobber wider, die ihr geringfügiges Beschäftigungsverhältnis zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausübt. Neben den soziodemografischen Merkmalen der geringfügig Beschäftigten sind auch die subjektiven Motive zur Ausübung eines Minijobs von einer hohen Heterogenität geprägt. Zunächst ist festzuhalten, dass von den oben dargelegten rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen der geringfügigen Beschäftigung gezielte Anreize für bestimmte Statusgruppen ausgehen. Ganz generell liegt ein Anreiz von Minijobs über alle Gruppen hinweg in der für viele Beschäftigte attraktiven Brutto-Netto-Regelung dieser Erwerbsform, also direkten monetären Anreizen (vgl. Koch/Bäcker 2003b sowie Voss/Weinkopf 2012). Die (weitgehende) Sozialversicherungsfreiheit von Minijobs seitens der Beschäftigten macht für viele Minijobber eine Ausweitung der Beschäftigung in die MidijobGleitzone unattraktiv, da hier die arbeitnehmerseitigen Abgaben bei einem monatlichen Verdienst von 450,01 Euro bereits rund 10,9% des Bruttoarbeitsentgelts betragen und auf bis zu 20,7% (bei einem Einkommen von 850 Euro) ansteigen82. Die Attraktivität geringfügiger Beschäftigung ergibt sich daher vor allem aus den mit der Sozialversicherungsfreiheit verbundenen monetären Anreizen, die andererseits jedoch mit einer nur marginalen sozialen Absicherung „erkauft“ werden. Aus der Kombination dieser genannten Aspekte ergibt sich ein besonderer Anreiz von geringfügiger Beschäftigung für jene Personen(-gruppen), die einerseits eine attraktive Brutto-Netto-Relation wünschen und andererseits anderweitig über den Ehestatus, die Familie oder den Sozialstaat abgesichert sind (vgl. ebd.). Folglich haben verschiedene Autoren besondere Statusgruppen identifiziert, für die Minijobs aufgrund der geschilderten Rahmenbedingungen besonders attraktiv sind (vgl. etwa Körner et al. 2013, Bäcker/Neuffer 2012 sowie Fertig et al. 2005). 82
Ein fiktives Rechenbeispiel verdeutlicht dies: Eine Person in der Midijob-Gleitzone, die monatlich durchschnittlich 451 Euro verdient, hat aktuell nach Abzug des Arbeitnehmerbeitrages einen monatlichen Nettoverdienst von rund 401 Euro. Würde diese Person lediglich einen Euro monatlich weniger verdienen und damit unter die für Minijobs geltenden Abgaberegeln fallen, läge der Nettoverdienst bei rund 433 Euro pro Monat, sofern die Rentenversicherungsbeiträge aufgestockt werden. Bei Verzicht auf diese Option läge der Nettoverdienst sogar bei den vollen 450 Euro.
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
83
Für Ehepartner und eingetragene Lebenspartner von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind Minijobs primär aus zwei Gründen attraktiv. Zum einen besteht für sie eine soziale Absicherung über den Partner – gegen Krankheit durch die beitragsfreie Mitversicherung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung und mit Blick auf das Alter durch die Rente des Partners oder die Hinterbliebenenversorgung (vgl. Körner et al. 2013: 49f.). Zum anderen entsteht durch das Ehegattensplitting und die „klassische“ Aufteilung von Lohnsteuerklasse III und V ein weiterer Anreiz insofern, als dass eine Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro zunächst zu einem sinkenden Haushaltseinkommen führt. „Die hohen Belastungen in der Steuerklasse V gleichen sich in der gesamten Steuerbelastung des Ehepaares zwar aus, aber im Ergebnis wird die Entscheidung über Art und Ausmaß der Erwerbsbeteiligung von Ehefrauen stark durch die monetären Anreizeffekte des sozial- und steuerrechtlichen Sonderstatus von Minijobs beeinflusst“ (Bäcker/Neuffer 2012: 18)83. Hinzu kommt, dass die Splittingvorteile für Ehepaare besonders dann greifen, wenn die Erwerbsbeteiligung und die hieraus generierten Einkommen möglichst ungleich zwischen den Ehepartnern verteilt sind (vgl. Gottschall/Schröder 2013: 166). Auch für Schüler und Studierende sind Minijobs eine attraktive Beschäftigungsform. Da sich diese Personengruppen in ihrer Ausbildungsphase befinden und den Minijob als temporäre Hinzuverdienstmöglichkeit betrachten, fällt auch die Tatsache, dass bspw. keine Anwartschaften in der Arbeitslosenversicherung erworben werden, nicht stark ins Gewicht. Zudem sind Schüler und Studierende zumeist durch die beitragsfreie Mitversicherung in der Gesetzlichen Krankenversicherung oder die eigene studentische Krankenversicherung abgesichert (vgl. Körner et al. 2013). Hinzu kommt, dass Schüler und Studierende aufgrund ihrer parallelen Ausbildungsverpflichtung in aller Regel lediglich eine Erwerbstätigkeit im unteren Stundenbereich anstreben (vgl. Bäcker/Neuffer 2012). Die dritte wesentliche Personengruppe, für die geringfügige Beschäftigungsverhältnisse von hoher Attraktivität sind, ist die Gruppe der Rentner und Pensionäre. Da diese ihre Rentenanwartschaften bereits erworben haben und weiter Mitglied in der (Gesetzlichen) Krankenversicherung sind, fällt für sie der fehlende Sozialversicherungsschutz am wenigsten aller Gruppen ins Gewicht. Zu guter Letzt bestehen gewisse, wenn auch deutlich abgeschwächte Anreize für die Ausübung eines Minijobs auch für Arbeitslose. Sowohl bei Bezug von Arbeitslosengeld (ALG) I als auch ALG II ist es arbeitslosen Personen grundsätzlich gestattet, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, sofern bestimmte Freibeträge nicht überschritten werden. Umgangssprachlich ist in solchen Fällen von „Aufstockern“ die Rede. Die Freibeträge liegen beim ALG I-Bezug im Rechtskreis des SGB III aktuell bei 165 Euro und sind beim ALG II-Bezug im Rechtskreis 83
Zur Diskussion der hiermit verbundenen Risiken vgl. Abschnitt 3.5 in dieser Arbeit.
84
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
des SGB II nach Verdienstgrenzen gestaffelt: Der grundsätzliche Freibetrag liegt bei 100 Euro zuzüglich 20% des Einkommens von 101-1000 Euro sowie 10% des Einkommens über 1.000 Euro, wobei die Obergrenze für die Freibeträge bei 1.200 Euro (Leistungsberechtigte ohne Kind) bzw. 1.500 Euro (Leistungsberechtigte mit Kind/ern) liegt (vgl. Bruckmeier et al. 2015: 2). Hieraus folgt für Personen im ALG II-Bezug, dass bei der Ausübung eines Minijobs mit einem monatlichen Einkommen von 450 Euro die ersten 100 Euro und von den verbleibenden 350 Euro 20% anrechnungsfrei bleiben, so dass ein Nettoverdienst von 170 Euro verbleibt. Unabhängig von wissenschaftlichen Befunden, die auf eine Lohndiskriminierung von ALG II-Beziehern hindeuten (vgl. Dingeldey et al. 2012) sowie der Tatsache, dass im Minijob nach Erreichen des Freibetrages von 100 Euro lediglich 20 Cent pro verdientem Euro anrechnungsfrei bleiben, können Minijobs auch für diesen Personenkreis attraktiv sein. Zum einen bleiben sowohl ALG I- als auch ALG II-Bezieher Mitglied in der Gesetzlichen Krankenversicherung, zum anderen kann durch den Minijob, wenn auch in geringem Umfang, das (Haushalts-) Einkommen verbessert werden, was angesichts etwaiger schwieriger sozioökonomischer Lebenslagen der Betroffenen eine, wenn auch äußerst geringe Verbesserung der Lebenssituation darstellen kann. Zu guter Letzt spielt für arbeitslose Personen die Tatsache, durch einen Minijob den Kontakt zum Arbeitsleben halten zu können, eine große Rolle (vgl. Körner et al. 2013). Dass für die hier genannten Statusgruppen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse nicht nur theoretisch attraktiv sind, sondern sie tatsächlich einen nicht unbedeutenden Anteil aller geringfügig Beschäftigten ausmachen, konnte durch einige Studien belegt werden. Da viele dieser Personen- und Statusgruppen mit der offiziellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit nicht abgebildet werden können, gibt es jedoch unterschiedliche Befunde zur quantitativen Bedeutung dieser Gruppen. Körner et al. (2013) haben in ihrer Studie zu ausschließlich geringfügig Beschäftigten feststellen können, dass sich ein Großteil dieser Beschäftigten den oben genannten Personen- und Statusgruppen zuordnen lässt84. Demnach sind rund 35% der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (Ehe-) Partner bzw. Hausfrauen und -männer, rund 20% Schüler und Studierende, weitere 22% Rentner sowie rund 11% Arbeitslose. Darüber hinaus existieren Auswertungen der Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2010, die alle Arten der geringfügigen Beschäftigung umfassen. Demnach lag der Anteil von Rentnern an allen geringfügig Beschäftigten bei 10%, jener der Studierenden bei 11% und jener der Schüler bei weiteren 7% (vgl. Deutscher Bundestag 2011: 6; vgl. auch RWI 2012: 28ff. sowie RWI 2016: 35ff.). Insgesamt lässt sich zwar der quantita84
Die Einteilung basiert zum einen auf einer Selbstauskunft der Befragten, zum anderen auf einer darauf aufbauenden Zuordnung der Autoren, die auf Basis eines Abgleichs der Selbstauskünfte und weiterer Prüfvariablen durchgeführt wurde (für eine detaillierte Beschreibung der Methodik vgl. Körner et al. 2013: 48ff.).
3.3 Minijobs aus Angebots- und Nachfrageperspektive
85
tive Anteil dieser Statusgruppen nicht mit letzter Genauigkeit bestimmen; fest steht jedoch, dass die weiter oben angeführten Anreize für diese Gruppen sich auch in einer quantitativ bedeutsamen Breite in der Ausübung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse niederschlägt. Erklärbar ist dies dadurch, dass für viele dieser Personen die „Schattenseiten“ der geringfügigen Beschäftigung, insbesondere die fehlende soziale Absicherung, keine direkte und unmittelbare Wirkung entfalten – zum Teil, da eine anderweitige, wenn auch nicht eigenständige soziale Absicherung vorliegt und zum Teil, weil die Risiken einer fehlenden eigenständigen sozialen Absicherung entweder lediglich als temporär betrachtet werden oder das damit verbundene Risiko als überschaubar eingeschätzt wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass nicht auch für Teile dieser „minijobaffinen“ Personenkreise in der längerfristigen Erwerbsperspektive mögliche „Nebenwirkungen“ auftreten können (vgl. auch 3.5.3 in dieser Arbeit). Allerdings ist anzunehmen, dass neben den durch die institutionelle Regulierung dieser Beschäftigungsform manifestierten Anreizstrukturen für Beschäftigte noch weitere Motive für die Ausübung eines Minijobs bedeutsam sind. So gaben im Rahmen der IAB-Studie (2015) mehr als 80% den Wunsch nach der Teilnahme am Erwerbsleben als Motiv zur Ausübung eines Minijobs an. Rund die Hälfte der befragten Minijobber verwies zudem auf die finanzielle Angewiesenheit, etwas weniger als ein Drittel erhofft sich einen Übergang in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Etwas mehr als ein Viertel der Befragten gab an, dass familiäre und persönliche Gründe eine wichtige Rolle für die Ausübung eines Minijobs spielen, gefolgt von den Motiven, dass es sich lediglich um eine Nebentätigkeit handelt, die gewünschte Tätigkeit nicht als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten wird sowie steuerlichen Gründen (ebd.: 50). Diese Befunde zeigen zum einen eine hohe Heterogenität in den Motivlagen der geringfügig Beschäftigten, weisen gleichzeitig aber auch darauf hin, dass die Beschäftigung im Minijob auch in fehlenden Alternativen begründet liegen kann. Gleichzeitig werden häufig auch mehrere Motive genannt, was darauf hindeutet, dass in vielen Fällen eher eine Kombination verschiedener Aspekte dazu führt, dass eine Tätigkeit im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wird. Ein teilweise ähnliches Bild zeichnen auch die Studien des RWI (2012: 53 ff.; 2016: 39ff.). Auch hier steht der monetäre Anreiz der geringfügigen Beschäftigung im Vordergrund. Nur für einen geringen Teil der Befragten ist der Minijob dahingehend eine Notlösung, als dass kein anderes Beschäftigungsverhältnis gefunden wurde. Folglich geben auch nur vier Prozent der Befragten an, mit dem Minijob die Hoffnung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu verbinden (RWI 2016: 39f.). Mit Blick auf die unterschiedlichen Motivlagen von Frauen und Männern im Minijob bestätigen die Befunde jene des IAB, wo-
86
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
nach Frauen tendenziell häufiger die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Hoffnung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als Motiv zur Ausübung eines Minijobs nennen (ebd.). Diese Befunde deuten auf Unterschiede im Erwerbsverhalten von Frauen und Männern sowie weiterhin bestehende „klassische“ Rollenverteilungen mit Blick auf Haus- und Sorgearbeit hin (vgl. auch 3.5.4 in dieser Arbeit). In eine ähnliche Richtung weist auch eine BMFSFJStudie (2012) zur Situation von Frauen im Minijob. Hier wurde mit Blick auf die Motivlagen der Fokus auf verheiratete Frauen im ausschließlichen Minijob gelegt. Die Befunde zeigen einerseits, dass für diese Gruppe der Minijob einerseits die gewünschten flexiblen Rahmenbedingungen bereithält, zum anderen, dass viele der verheirateten Frauen nur wenige Stunden pro Woche arbeiten möchten (ebd.: 34). Dahingegen spielen für sie die steuer- und sozialrechtlichen Anreizstrukturen eine eher untergeordnete Rolle. Ergänzende Befunde liefern Körner et al. (2013: 57f.) für die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten85. Zwar wurde auch in dieser Befragung mit fast 90% das Motiv des Geldverdienens als am wichtigsten beurteilt, jedoch ebenso intrinsische und soziale Motive genannt, etwa, dass die Tätigkeit Spaß macht, der Kontakt zum Arbeitsleben gehalten werden soll, man mit anderen Leuten zusammenkommt und die Tätigkeit im Minijob eine gute Abwechslung darstellt. Mit Blick auf die Motivlagen geringfügig Beschäftigter zeigt sich daher eine hohe Heterogenität, die sich darin äußert, dass neben monetären Aspekten auch intrinsische und soziale Motive von Bedeutung sind. Dieses vielschichtige Bild wird dadurch komplettiert, dass auch Gründe, die außerhalb der Erwerbssphäre liegen, ebenso einen Anreiz zur Ausübung eines Minijobs ausüben können wie die Hoffnung, den Minijob als Sprungbrett in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nutzen zu können86. Dass die Motivlagen der Beschäftigten derart breit streuen, kann jedoch nicht wirklich überraschen, da sich hierin letztlich die hohe Heterogenität dieser Beschäftigtengruppe mitsamt unterschiedlichen Lebenslagen und -phasen widerspiegelt. So wenig also, wie der klassische Minijobber existiert, gibt es das Motiv, warum Menschen in einem Minijob arbeiten. Die Befunde sensibilisieren somit für den Umstand, „dass nur eine differenzierte Betrachtung und Bewertung dem Phänomen Minijob gerecht wird“ (Hohendanner/Stegmaier 2012: 8).
85 86
Generell ist anzumerken, dass verschiedene Autoren in den unterschiedlichen Befragungen jeweils auch andere Items nutzen und die Befunde daher nur teilweise vergleichbar sind. Interessanterweise erweisen sich die Motivlagen der geringfügig Beschäftigten damit in einer langfristigen Perspektive als erstaunlich stabil und konstant. Bereits Untersuchungen aus den 1990er Jahren kamen zu ähnlichen Befunde und konnten die hohe Heterogenität hinsichtlich der Motivlagen der Beschäftigten nachweisen (für einen umfassenden Überblick hierzu vgl. Böhlich 1999: 117ff.).
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
87
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter Neben den bereits angesprochenen Aspekten sind für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit geringfügiger Beschäftigung die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Minijobbern von zentraler Bedeutung. Wie zu zeigen sein wird, hat die sozialwissenschaftliche Forschung hierzu bereits zahlreiche Erkenntnisse generieren können – insbesondere im Hinblick auf die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wie die Entlohnung und Arbeitszeit sowie die Gewährung von Arbeitnehmerrechten. Darüber hinausgehende Untersuchungen, die sich vertiefend mit der subjektiven Wahrnehmung der Arbeitssituation im Minijob befassen, liegen bislang kaum vor. Warum dies mit Blick auf die wissenschaftliche und politische Diskussion um geringfügige Beschäftigung in Deutschland problematisch ist, wird unter 3.6 diskutiert. 3.4.1 Vertragsart, Einkommen und Stundenlöhne Ein grundlegendes Merkmal von Beschäftigungsverhältnissen ist das Vertragsverhältnis. Es bildet das Fundament für die Austauschbedingungen des Faktors Arbeitskraft und kann darüber hinaus ganz grundlegende Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen regeln. Körner et al. (2013) kommen für die ausschließlich geringfügig Beschäftigten zu dem Ergebnis, dass von ihnen zwei Drittel einen schriftlichen und ein Drittel einen mündlichen Vertrag besitzen. Anzumerken ist, dass es arbeitsrechtlich durchaus legitim ist, wenn die Vertragsparteien sich mündlich und formlos einigen. Zwar haben auch geringfügig Beschäftigte einen Anspruch darauf, dass die vereinbarten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen schriftlich festgehalten werden, allerdings zeigt sich, dass dies in der Praxis nicht immer umgesetzt wird. Die Gründe hierfür sind weitgehend unklar. Anzunehmen ist, dass für Teile der Minijobber ein schriftlicher Vertrag nicht zwingend erforderlich ist, sofern die getroffenen Absprachen vom Arbeitgeber eingehalten werden. Darüber hinaus erscheint es wahrscheinlich, dass Teile der geringfügig Beschäftigten nicht wissen, dass ihnen ein schriftlicher Arbeitsvertrag zusteht. Denkbar ist ebenso, dass diese Unkenntnis teilweise auch durch Arbeitgeber bestärkt wird und Minijobber nicht ausreichend über das Recht zur Niederschrift der vertraglich vereinbarten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen informiert werden. Zudem zeigen Körner et al., dass mit 76% die große Mehrheit der ausschließlichen Minijobber unbefristet und weitere 15% befristet angestellt sind, wohingegen 8% unsicher sind, ob eine Befristung des Arbeitsvertrages vorliegt. Mit Blick auf das Einkommen und die Entlohnung ist zunächst einmal die Unterscheidung zwischen Niedrigeinkommen und Niedriglohn wichtig (vgl. Funk 2003). Aufgrund der institutionell festgelegten Geringfügigkeitsgrenze von aktu-
88
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
ell 450 Euro stellen Minijobs qua institutioneller Regulierung immer eine Form der Niedrigeinkommensbeschäftigung dar. Dies muss jedoch nicht zwangsläufig bedeuten, dass es sich auch um eine Niedriglohnbeschäftigung handelt (ebd.). Mit Blick auf die aus geringfügiger Beschäftigung generierten Einkommen zeigen verschiedene Studien, dass bei weitem nicht alle Minijobber den maximalen Höchstbetrag erzielen. Körner et al. (2013) konstatieren für die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, dass 30% bis einschließlich 200 Euro, 18% 201 bis einschließlich 300 Euro und 51% 301 bis einschließlich den zum Befragungszeitpunkt maximal möglichen Betrag von 400 Euro monatlich verdienen. Hierbei zeigen sich Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen: So sind es insbesondere Schüler und Studierende sowie Arbeitslose, die deutlich seltener hohe monatliche Einkommen aus der ausschließlich geringfügigen Beschäftigung erzielen, was für erstere Gruppe zuvorderst auf niedrigere Stundenumfänge und für letztere Gruppe auf die rechtlichen Anrechnungsregelungen zurückzuführen ist. Dahingegen verdienen lediglich 17% der Hausfrauen und männer weniger als 200 Euro pro Monat. Die RWI-Studie von 2012 kommt zu nahezu identischen Ergebnissen. Auch in der Nachfolgestudie (RWI 2016) bestätigen sich diese Befunde zum großen Teil, wobei das durchschnittliche Monatseinkommen im Nachgang an die Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze von 268 Euro im Jahr 2012 auf 322 Euro im Jahr 2016 gestiegen ist (ebd.: 47). Betrachtet man die verschiedenen wissenschaftlichen Befunde zu den im Minijob erzielten Stundenlöhnen, kann konstatiert werden, dass die niedrigen monatlichen Einkommen im Minijob häufig nicht primär durch niedrige Arbeitsumfänge, sondern vor allem durch geringe Stundenlöhne erklärt werden können, weshalb manche Autoren von Minijobs als Niedriglohnfalle sprechen (vgl. Voss/Weinkopf 2012; Bäcker 2006). Kalina/Weinkopf (2017:5) kommen für das Jahr 2015 zu dem Befund, dass von allen geringfügig Beschäftigten ganze 77% einen Niedriglohn erzielten. Im Gegensatz hierzu lag der Niedriglohnanteil bei sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigten bei rund 22%, bei Vollzeitbeschäftigten hingegen bei rund 15%. Dass geringfügig Beschäftigte insgesamt deutlich schlechter entlohnt werden als Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte, bestätigen auch Daten des IAB (2015). Zu den Lohnunterschieden heißt es dort: „Der größte Unterschied ist jedoch zwischen den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten und den geringfügig Beschäftigten zu sehen. Nicht nur ist der mittlere Stundenlohn [der Minijobber; Anm. d. Verf.] mit 9,30 Euro deutlich geringer, vielmehr liegt die gesamte Verteilung deutlich niedriger“ (IAB 2015: 57). Demnach verdiente zum Befragungszeitpunkt 2014 fast die Hälfte der Minijobber weniger als 8,50 Euro, wohingegen dieser Anteil bei befristet Vollzeitbeschäftigten lediglich bei 12% und bei unbefristet Vollzeitbeschäftigten lediglich bei 5% lag (ebd.). Tiefergehende Analysen zeigen zudem, dass der Stundenlohn von Minijobbern im Durchschnitt höher ist, je weniger Arbeitsstunden geleistet wer-
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
89
den und je länger ein Arbeitsverhältnis besteht (RWI 2012: 45). Möglich ist, dass sich die im Minijob gewonnene Berufserfahrung im Zeitverlauf positiv auf die Entlohnung auswirkt. Dass längere Arbeitszeiten mit einer signifikant schlechteren Entlohnung einhergehen, hängt auch mit der Geringfügigkeitsgrenze zusammen, da hohe monatliche Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Unterschreitung der Geringfügigkeitsgrenze nur dann möglich sind, wenn der Stundenlohn dementsprechend niedrig ist. Weiterhin zeigen die Analysen, dass Frauen im Minijob signifikant schlechter entlohnt werden als Männer. Dies ist zum Teil dadurch zu erklären, dass Frauen in jenen Branchen, die sich durch eine schlechtere Entlohnung auszeichnen, deutlich stärker vertreten sind als Männer. Gleichzeitig geben die Befunde Anlass zur Vermutung, dass ein Teil der Frauen im Minijob systematisch schlechter entlohnt wird. Zu guter Letzt liefert die Studie Hinweise auf bestehende Branchenunterschiede. Demnach erzielen Minijobber im Bereich Erziehung und Unterricht mit durchschnittlich rund 12 Euro sowie Minijobber im Bereich von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen mit durchschnittlich 11,65 Euro die höchsten Stundenlöhne, wohingegen Minijobber im Gastgewerbe (8,10 Euro) und im Handel (8,25 Euro) durchschnittlich die niedrigsten Stundenlöhne aufweisen. Damit werden Minijobber gerade in jenen Branchen unterdurchschnittlich entlohnt, in denen sie proportional am weitesten verbreitet sind. Wie bereits angesprochen, wurde mit der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 auf die Ausfransung von Löhnen nach unten reagiert. Angaben des Statistischen Bundesamtes (2016b) weisen darauf hin, dass vor der Einführung des Mindestlohnes rund 5,5 Millionen Beschäftigte in Deutschland weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Hiervon kamen durch die gesetzliche Änderung 4 Millionen Beschäftigungsverhältnisse unter den Schutz des Mindestlohngesetzes87. Von den 4 Millionen Jobs, die unter den Schutz des Mindestlohnes fielen, waren mit 2,2 Millionen mehr als die Hälfte geringfügige Beschäftigungsverhältnisse. In Westdeutschland waren sogar zwei Drittel aller unter den Gesetzlichen Mindestlohn fallenden Beschäftigungsverhältnisse geringfügiger Art. Insgesamt findet der Mindestlohn daher insbesondere für Beschäftigte in Minijobs Anwendung88. Gleichwohl zeigen aktuelle Befunde, dass der Gesetzliche Mindestlohn in diesem Bereich nur unzureichend in der Praxis umgesetzt wird (vgl. RWI 2016: 50ff.; Pusch/Seifert 2017 sowie 87 88
Für die restlichen 1,5 Millionen gelten Ausnahmeregelungen, z.B. aufgrund von Praktika, Ausbildungen oder weil Personen jünger als 18 Jahre sind. Ob es hierdurch auch de facto zur finanziellen Besserstellung geringfügig Beschäftigter gekommen ist, hängt hingegen ganz wesentlich davon ab, ob den Minijobbern der Gesetzliche Mindestlohn in der Praxis auch gewährt wird, ob in Folge der gesetzlichen Änderung die Arbeitszeiten seitens des Arbeitgebers verkürzt wurden und ob Arbeitgeber auf eine Kompensation etwa durch unbezahlte Mehrarbeit verzichten. Wanger/Weber (2016) können auf Basis des Mikrozensus 2015 zeigen, dass in Folge der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes die Arbeitszeit von Minijobbern in Ostdeutschland um 5% gesunken ist, in Westdeutschland um halb so viel.
90
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Burauel et al. 2017). So kommen Pusch/Seifert zu dem Ergebnis, dass 2015 44% der Minijobber trotz der gesetzlichen Neuregelung unter der Mindestlohnschwelle lagen. Das RWI hingegen kommt in seiner aktuellsten Befragung (2016: 50ff.) zu dem Befund, dass rund 12 % aller Minijobber Löhne unter 8,50 Euro und damit unter der zum Befragungszeitpunkt gültigen Mindestlohnschwelle erhielten, ohne dass hierfür gesetzliche Ausnahmeregelungen vorlagen89. Trotz der nicht geringen Differenzen zwischen den Studien signalisieren die Befunde in jedem Fall, „dass es offensichtlich nicht ausreicht, Mindestlöhne per Gesetz vorzuschreiben“ (Pusch/Seifert 2017: 5; ähnlich Burauel et al. 2017: 1118). Mit Blick auf die angesprochene unterschiedliche Entlohnung verschiedener Beschäftigtengruppen liefern Daten des IAB (2015) Erkenntnisse hinsichtlich der Motivlagen von Arbeitgebern. Es zeigt sich, dass als häufigste Gründe unterschiedliche Berufserfahrungen, unterschiedliche Qualifikationsniveaus der Beschäftigten und eine unterschiedliche Betriebszugehörigkeitsdauer angeführt werden. So wenig überraschend diese Motive sind, so sehr lässt aufhorchen, dass mehr als ein Drittel der Betriebe angeben, der Grund für eine schlechtere Entlohnung sei die Tatsache, dass Beschäftigte als Minijobber angestellt sind. Dies deutet darauf hin, dass hinsichtlich der Entlohnung nicht ausschließlich leistungs- und erfahrungsbezogene Aspekte eine Rolle spielen, sondern auch die Erwerbsform selbst als Legitimationsgrundlage für eine schlechtere Entlohnung herhält. Nun ist die objektive Entlohnung eine Seite der Medaille, ihre Beurteilung durch die Beschäftigten eine andere. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien fragte die angeführte IAB-Studie auch nach der subjektiven Beurteilung der eigenen Entlohnung. Befragt nach der Angemessenheit des eigenen Lohns beurteilen Minijobber diesen zu 70% als voll und ganz oder überwiegend angemessen. Dies ist zunächst einmal insofern überraschend, als dass diese Einschätzung konträr zu den objektiv niedrigen Löhnen liegt. Zwei Erkenntnisse stechen jedoch besonders hervor: Zum einen sind Minijobber im Vergleich zu Teilzeitbeschäftigten sowie befristeten und unbefristeten Vollzeitbeschäftigten die Erwerbsgruppe, welche die eigene Entlohnung am häufigsten als angemessen beurteilt; zum anderen finden sich bei Ihnen die höchsten Anteile an Personen, die ihre Entlohnung als voll und ganz angemessen beurteilen – die Unterschiede sind hierbei statistisch signifikant (IAB 2015: 61). Warum es insbesondere in der Gruppe der Minijobber zu einem derartigen Auseinanderfallen der objektiven Entlohnung und ihrer subjektiven Einschätzung kommt, kann nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden. „Gera89
Auffallend sind hierbei die gravierenden Branchenunterschiede. Während in der öffentlichen Verwaltung, im Grundstücks- und Wohnungswesen sowie im Baugewerbe die Unterschreitung des Gesetzlichen Mindestlohns so gut wie nicht existiert, ist sie im Handel (rund 26%) und der Gastronomie (rund 19%) überproportional häufig anzutreffen (RWI 2016: 54). Damit wird der Mindestlohn insbesondere in jenen Branchen mit einer hohen Nutzungsintensität geringfügiger Beschäftigung überdurchschnittlich häufig nicht gewährt.
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
91
de für Minijobber sei aber erneut auf die heterogene Gruppenzusammensetzung verwiesen. Möglicherweise bewerten die Beschäftigten die Angemessenheit ihres Lohnes an einem in ihren Augen geringeren Einsatz, der sich aus der geringen Rolle der Erwerbstätigkeit herleitet“ (ebd.: 62). Körner et al. (2013) haben in ihrer Studie zu den ausschließlich geringfügig Beschäftigten zudem nach der Bedeutung des Geldverdienens im Rahmen des Minijobs gefragt. Auch wenn sich generell zeigt, dass für viele geringfügig Beschäftigte insbesondere die monetären Anreize von entscheidender Bedeutung sind, liefern diese Befunde wertvolle vertiefende Hinweise. Demnach äußern lediglich 4% der ausschließlichen Minijobber, dass für sie das Geld eher unwichtig sei. Weitere 48% geben an, dass sie das aus dem Minijob generierte Einkommen nicht unbedingt brauchen, sich hierdurch aber Extrawünsche erfüllen, wohingegen ein gleich hoher Anteil angibt, das Geld unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu benötigen (ebd.: 58). Interessante Unterschiede zeigen sich mit Blick auf verschiedene Personengruppen: Demnach sind es vor allem Schüler, Studierende und Rentner, für die der Lohn aus dem Minijob eher eine „On-Top-Leistung“ darstellt. Insbesondere die Befunde zu den Rentnern lassen aufhorchen. Nicht selten wird der hohe Anteil an Rentnern in Minijobs als Indiz für prekäre Lebenslagen dieser Gruppe und eine sich bereits heute ausbreitende Altersarmut gedeutet (vgl. etwa Spiegel Online 2015). Die Befunde von Körner et al. relativieren diese Interpretation, indem sie zeigen, dass die Angewiesenheit auf das aus dem Minijob generierte Einkommen bei Rentnern eher unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Damit wird nicht in Abrede gestellt, dass es auch Fälle gibt, in denen Rentner aus finanzieller Not auf einen Minijob angewiesen sind – dies scheint allerdings nicht die Regel zu sein. 3.4.2 Branchen und Tätigkeiten Wie bereits angerissen, ist geringfügige Beschäftigung in Deutschland ein Dienstleistungsphänomen. Sowohl bei den geringfügig entlohnten als auch den kurzfristig Beschäftigten zeigen Daten der Bundesagentur für Arbeit (2016a), dass der Großteil von ihnen im Dienstleistungssektor arbeitet. So lag der Anteil an geringfügig entlohnten Beschäftigten, die im Dienstleistungssektor tätig sind, im März 2016 bei rund 86% und damit deutlich über jenem der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (rund 71%). Auch die quantitativ deutlich kleinere Gruppe der kurzfristig Beschäftigten arbeitet zu einem überwiegenden Teil im Dienstleistungssektor (rund 77%). Im Vergleich zwischen den geringfügig entlohnten und den kurzfristig Beschäftigten zeigt sich hierbei ein wesentlicher Unterschied: Während von den geringfügig entlohnten Beschäftigten lediglich rund 1,5% im primären Sektor angestellt sind, liegt dieser Anteil bei den kurzfristig Beschäftig-
92
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
ten mit 11% deutlich über diesem Wert. Dies ist vor allem auf verschiedene Formen der Saisonarbeit in der Landwirtschaft (z.B. Ernte) zurückzuführen, die lediglich für einen gewissen Zeitraum anfällt und daher mit kurzfristig Beschäftigten flexibel abgedeckt werden kann. Der Anteil jener Minijobber, die im sekundären Sektor angestellt sind, liegt sowohl bei den geringfügig entlohnten Beschäftigten (rund 13%) als auch den kurzfristig Beschäftigten (rund 12%) deutlich unter jenem sozialversicherungspflichtig Beschäftigter (rund 29%) (vgl. ebd.). Mit Blick auf die Wirtschaftsbranchen bestätigen sich die weiter oben präsentierten Befunde zur Nutzung geringfügiger Beschäftigung von Betrieben. Die Verteilung der geringfügig entlohnten Beschäftigten konzentriert sich insbesondere auf vier Branchen, in denen gemeinsam mehr als die Hälfte von ihnen angestellt ist. Rund 17% arbeiten im Bereich „Handel, Instandhaltung, Reparatur von Kfz“, wobei hierbei insbesondere der Einzel- (71% innerhalb dieser Branche) und Großhandel (19%) von Bedeutung sind. Gefolgt wird diese Branche vom Gastgewerbe – 12,5% der geringfügig entlohnten Beschäftigten sind hier angestellt. Auf dem dritten und vierten Rang folgen „sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen“ sowie „sonstige Dienstleistungen, Private Haushalte“ mit jeweils 11,5% (Bundesagentur für Arbeit 2016a). Insgesamt zeigen sich hinsichtlich der Branchenverteilung keine wesentlichen Unterschiede zwischen ausschließlich geringfügig entlohnten und im Nebenjob geringfügig entlohnten Beschäftigten, während kurzfristig Beschäftigte in weitaus geringerem Maße in den für geringfügig entlohnten Beschäftigten charakteristischen Branchen angestellt sind. Hinsichtlich der ausgeübten Tätigkeiten ist die Betrachtung der Anforderungsniveaus hilfreich. Diese werden in der offiziellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ausgewiesen. Die Unterscheidung erfolgt mithilfe einer Zuordnung zu den vier Klassen Helfer, Fachkraft, Spezialist und Experte90. Die Daten zeigen, dass das Anforderungsniveau der Tätigkeiten von geringfügig Beschäftigten deutlich unter jenem von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt. So fallen ganze 45% der geringfügig Beschäftigten gegenüber lediglich rund 15% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in die Kategorie „Helfer“. Weitere rund 44% der Minijobber gelten als Fachkraft (gegenüber 59% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten), wohingegen die Anteile der Spezialisten (4,7%) und
90
„Zur Einstufung werden zwar die für die Ausübung des Berufs erforderlichen formalen Qualifikationen herangezogen, informelle Bildung und/oder Berufserfahrung sind bei der Zuordnung aber ebenfalls von Bedeutung. In der KldB [Klassifikation der Berufe; Anm. d. Verf.] 2010 wird die Dimension über die 5. Stelle (Berufsgattung) der zugeordneten Klassifikationskennziffer abgelesen“ (Methodische Hinweise, Bundesagentur für Arbeit, online verfügbar unter https://statistik. arbeitsagentur.de/nn_280842/Statischer-Content/Grundlagen/Methodische-Hinweise/ASTMethHinweise/Anforderungsniveau-Berufe.html, letzter Zugriff am 03.01.2018).
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
93
Experten (3,5%) gering ausfallen (Bundesagentur für Arbeit 2016b)91. Damit sind die Tätigkeiten von Minijobbern überproportional häufig Helfertätigkeiten, das Anforderungsniveau dementsprechend im Durchschnitt deutlich niedriger (Bundesagentur für Arbeit 2016a). Ein Vergleich zwischen den verschiedenen Arten der geringfügigen Beschäftigung zeigt, dass es so gut wie keine Unterschiede in den Anforderungsniveaus der Tätigkeiten zwischen ausschließlich und im Nebenjob geringfügig Beschäftigten gibt. Anders sieht dies im Hinblick auf die kurzfristig Beschäftigten aus, bei denen fast 70% in die Kategorie „Helfer“ fallen. Diese Befunde zu den Anforderungsniveaus der Tätigkeiten sind insofern aufschlussreich, als dass sich zeigt, dass es sich im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung häufig um Tätigkeiten mit eher niedrigen Anforderungen handelt. So ergänzen diese Befunde jene zu den weiter oben diskutierten Qualifikationsniveaus der geringfügig Beschäftigten. Es zeigt sich, dass zwar auch die Qualifikationsniveaus der Minijobber im Durchschnitt niedriger sind als jene von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die Unterschiede hierbei jedoch nicht so groß ausfallen wie mit Blick auf die Anforderungsniveaus der Tätigkeiten. Diese Unterscheidung ist insofern wichtig, als dass dies darauf hinweist, dass zum Teil auch Personen mit einer mittleren oder hohen Qualifikation im Rahmen ihres Minijobs lediglich Helfertätigkeiten ausüben, was möglicherweise auch die Lohnunterschiede zwischen geringfügig und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten teilweise erklären kann92. Im Hinblick auf die konkret ausgeübten Tätigkeiten kommen Körner et al. (2013) zudem zu dem Ergebnis, dass ausschließlich geringfügig Beschäftigte häufig Aushilfstätigkeiten in Kaufhäusern, Geschäften und Tankstellen ausüben – 17% von ihnen fallen in diese Kategorie. Weiterhin bedeutende Tätigkeiten sind Putz- und Reinigungstätigkeiten in Betrieben bzw. Haushaltshilfstätigkeiten in Privathaushalten – rund jeder fünfte ausschließliche Minijobber putzt oder reinigt. Quantitativ bedeutsam sind zudem nicht näher spezifizierte Tätigkeiten in Gastronomie und Gastgewerbe sowie Schreibarbeiten und Buchhaltertätigkeiten (vgl. ebd. sowie für ähnliche Befunde RWI 2012: 36).
91 92
Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten machen die Spezialisten und Experten mit je 12,7% hingegen mehr als ein Viertel aller Beschäftigten aus. Dieser Widerspruch zwischen der Qualifikation der Minijobber und dem tatsächlichem Anforderungsniveau ihrer ausgeübten Tätigkeiten wurde vom Deutschen Gewerkschaftsbund heftig kritisiert, der hierin einen Beleg für brachliegende, bislang nicht ausgeschöpfte Fachkräftepotentiale und qualifikationsinadäquate Beschäftigung sieht (DGB 2015).
94
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
3.4.3 Beschäftigungs- und Verweildauer Eine immer wieder debattierte Frage in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Minijobs ist, ob geringfügige Beschäftigungsverhältnisse lediglich temporär oder dauerhaft ausgeübt werden. Hierbei ist es wichtig, die Beschäftigungsdauer, also die Dauer der geringfügigen Beschäftigung bei einem Arbeitgeber, von der generellen Verweildauer der Beschäftigten (auch über Arbeitgeberwechsel hinweg) in dieser Erwerbsform zu unterscheiden. Betrachtet man die wissenschaftlichen Befunde hierzu, zeigt sich ein relativ uneinheitliches Bild. So wird geringfügige Beschäftigung einerseits als Erwerbsform mit relativ niedriger Beschäftigungsstabilität sowie hohen Fluktuationsraten, also häufigen Ein- und Austritten, beschrieben (Kalina/Voss-Dahm 2005; Bäcker 2006). Mit Blick auf die Verweildauer im Minijob kommen andere Studien hingegen zu dem Befund, dass sich Minijobs trotz einer insgesamt hohen Beschäftigungsfluktuation nicht selten durch lange Verweildauern der Beschäftigten in dieser Erwerbsform auszeichnen (BMFSFJ 2012). Im Hinblick auf die Beschäftigungsdauer zeichnet die RWI-Studie (2016: 45) ein recht heterogenes Bild. Rund 45% der Beschäftigten arbeitet seit mehr als zwei Jahren in ihrem aktuellen Minijob, rund 41% hingegen seit weniger als zwei Jahren. Dieser Befund ließe vermuten, dass Minijobs für Teile der Beschäftigten im Erwerbsverlauf möglicherweise lediglich ein kurzes „Intermezzo“ darstellen. Körner et al. (2013: 57) kommen für die ausschließlichen Minijobber hingegen zu dem Befund, dass Minijobs als relativ kontinuierliche Arbeitsverhältnisse angesehen werden können. Demnach waren 61% der ausschließlich geringfügig Beschäftigten seit mehr als drei Jahren bei ihrem aktuellen Arbeitgeber beschäftigt, nicht wenige sogar länger als fünf oder zehn Jahre. Besonders hohe Kontinuitäten zeigen sich bei Hausfrauen und -männern sowie Rentnern, deutlich niedrigere hingegen bei Schülern/Studierenden sowie Arbeitslosen. Mit Blick auf Frauen im Minijob kommt auch die BMFSFJ-Studie (2012) zu dem Befund, dass es sich bei Minijobs häufig um Beschäftigungsverhältnisse mit hoher Kontinuität handelt. Demnach liegt die durchschnittliche Verweildauer bei ausschließlich geringfügig beschäftigten Frauen durchschnittlich bei sechs Jahren und sieben Monaten, jene von verheirateten Frauen im Durchschnitt sogar bei sieben Jahren und einem Monat. Allerdings handelt es sich hierbei um die Nettogesamtbeschäftigung, d.h. eine Zusammenrechnung aller Beschäftigungszeiten im Minijob. Hiermit lassen sich daher kaum Aussagen über die Erwerbsverläufe von Frauen im Minijob tätigen, da etwaige Phasen der Erwerbslosigkeit oder Phasen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht berücksichtigt werden. Dennoch verdeutlichen die Befunde zweifelsohne, dass für einen nicht geringen Teil von Frauen die geringfügige Beschäftigung zur Dauer-
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
95
erwerbsform oder zumindest einer immer wiederkehrenden Episode im Erwerbsverlauf wird. Insgesamt ergibt sich daher ein eher uneinheitliches Bild, was die Beschäftigungs- und Verweildauer von Beschäftigten im Minijob betrifft. Hohen betrieblichen Fluktuationen stehen lange Verweildauern, insbesondere von (verheirateten) Frauen, im Minijob gegenüber. Zudem zeigt sich auch hier die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung. So kann für Schüler und Studierende von sowohl eher kurzen Beschäftigungs- als auch Verweildauern im Minijob ausgegangen werden. Rentner hingegen arbeiten deutlich länger bei demselben Arbeitgeber. Allerdings scheint es nicht unwahrscheinlich, dass hier zum Teil vormals sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit dem Renteneintritt als Minijobs weitergeführt werden (vgl. Körner et al. 2013). Gleichzeitig lassen die Befunde vermuten, dass für nicht wenige Frauen Minijobs entweder eine Dauerbeschäftigung darstellen oder sie in ihrem Erwerbsverlauf zumindest immer mal wieder Phasen der geringfügigen Beschäftigung aufweisen (vgl. auch Klenner/Schmidt 2012; Böhnke et al. 2015). Insbesondere mit Blick auf die Situation von Frauen im Minijob werden daher mitunter „ausgeprägte Klebeeffekte“ (BMFSFJ 2012: 31) diagnostiziert, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher beleuchtet werden – insbesondere auch unter Rückgriff auf empirische Befunde zu den Arbeitszeit- und Erwerbsformwünschen, die als ergänzende Erklärungsfaktoren unerlässlich sind. 3.4.4 Arbeitszeit und Arbeitszeitwünsche Empirische Befunde zur Arbeitszeit von Minijobbern93 zeigen, dass Beschäftigungsumfänge im unteren Stundensegment wenig überraschend am verbreitetsten sind. 2012 lag die durchschnittliche vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von Männern im Minijob laut SOEP-Daten bei 14,8 Stunden, bei Frauen bei 11,1 Stunden wöchentlich (vgl. IAB 2014). In der IAB-Studie von 2015 konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass bei mehr als jedem fünften Minijobber keine feste Arbeitszeit vertraglich festgelegt wurde. Dies stellt im Vergleich der unterschiedlichen Beschäftigungsformen einen Sonderfall dar. In der Untersuchung ausschließlich geringfügig Beschäftigter von Körner et al. (2013) lag dieser An93
Alle aktuellen wissenschaftlichen Studien, die sich mit den Arbeitszeiten und Arbeitszeitwünschen geringfügig Beschäftigter befassen, basieren auf Erhebungen oder Datenmaterial vor Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes zum 01. Januar 2015. Wie weiter oben beschrieben, war eine Folge dieser gesetzlichen Änderung, dass für Minijobber de facto wieder eine maximale monatliche Höchstgrenze der Arbeitszeit gilt. Inwiefern es seitdem hierdurch zu Veränderungen bzw. Verringerungen von Arbeitszeiten gekommen ist, kann bislang nicht abschließend eingeschätzt werden.
96
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
teil sogar noch höher – hier gaben ganze 44% an, dass vertraglich keine Arbeitszeit festgelegt wurde (ebd.: 55). Dieser Befund bestätigt, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse häufig deutlich informeller gehandhabt werden als sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Die im Durchschnitt relativ geringen wöchentlichen Arbeitszeiten zeigen sich auch in der IAB-Studie (2015). Demnach hat immerhin rund jeder dritte Minijobber ein vertraglich festgelegtes Arbeitssoll von lediglich bis zu acht Stunden. Etwas mehr als ein Viertel der Minijobber verfügt über eine vertraglich festgelegte Arbeitszeit von 9-12 Stunden, wohingegen ein Arbeitsumfang von mehr als 20 Stunden wöchentlich die große Ausnahme unter Minijobbern darstellt. Folglich arbeiten auch fast 50% der Minijobber lediglich an ein bis zwei Tagen pro Woche (vgl. IAB 2015: 222). Gleichzeitig zeigt sich, dass bei geringfügig Beschäftigten die tatsächliche Arbeitszeit der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit am häufigsten entspricht. Dies ist bei rund 71% der Fall. Zwar arbeitet fast jeder vierte Minijobber regelmäßig mehr als vertraglich festgelegt – dieser Wert liegt jedoch weit unter jenem für Teilzeitbeschäftigte (rund 52%), befristete Vollzeitbeschäftigte (rund 61%) und unbefristete Vollzeitbeschäftigte (rund 66%). So geben 51% der Minijobber an, nie Überstunden zu leisten. Die Autoren erklären die seltene Mehrarbeit von Minijobbern dadurch, „dass diese Beschäftigten aufgrund ihrer individuellen Rahmenbedingungen (z.B. Aufgaben der Kinderbetreuung) häufig gar nicht in der Lage wären, dauerhaft mehr zu arbeiten, als dies vertraglich vereinbart ist“ (IAB 2015: 213)94. Ein weiterer Aspekt der Arbeitszeit sind sogenannte Randlagen, d.h. Arbeitszeitlagen, die gemeinhin als für die Beschäftigten ungünstig gelten. Hierunter fällt z.B. Arbeit zu später Stunde oder Wochenendarbeit. Empirische Befunde zeigen, dass Minijobber hiervon nicht in stärkerem Maße betroffen sind als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (IAB 2015: 220). Dieser Befund überrascht insofern, als dass zum Teil vermutet wird, Minijobber würden in vielen Betrieben insbesondere als Puffer für unbeliebte Randlagen genutzt und die sozialversicherungspflichtig dominierte Stammbelegschaft hierdurch entlastet (vgl. etwa Hinz 2012 für den Einzelhandel). Zwar lässt sich auf Basis der Befunde des IAB nicht ausschließen, dass dies in Teilen der Betriebe und möglicherweise speziell in manchen Branchen der Fall ist. Allerdings bestätigt sich nicht, dass Minijobber überdurchschnittlich häufig in Randlagen arbeiten. Laut Daten des IAB arbeiten rund 15% der Minijobber auch nach 22 Uhr, wohingegen der Anteil bei 94
Hinsichtlich der Kompensation von Überstunden zeigt sich, dass Minijobber im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Überstunden häufiger bezahlt bekommen, wohingegen sie bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten häufiger durch Freizeit ausgeglichen werden. Diese Kompensationsmodi gleichen sich in der Gesamtschau jedoch aus. Feststellbar ist, dass Minijobber hierbei im Vergleich zu Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten nicht systematisch benachteiligt werden (IAB 2015: 215f.).
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
97
Vollzeitbeschäftigten deutlich höher liegt. Keinerlei Unterschiede zeigen sich im Hinblick auf die Arbeit an Sonn- und Feiertagen, die von rund 30% der Beschäftigten über alle Erwerbsformen hinweg mit Ausnahme der Teilzeitbeschäftigten geleistet wird (ebd.). Arbeitszeiten in Randlagen sind daher generell recht weit verbreitet, jedoch nicht systematisch ungleich zwischen Minijobbern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten verteilt95. Neben dem Status-Quo der Arbeitszeiten sind auch die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten von großer Bedeutung. Gerade geringfügige Beschäftigung steht hierbei nicht selten im Verdacht, besonders große Diskrepanzen zwischen den im Minijob realisierbaren und den eigentlich gewünschten Arbeitszeiten zu erzeugen96 (vgl. etwa DGB 2015; Voss/Weinkopf 2012). Das IAB (2015) kommt diesbezüglich zu dem Schluss, dass rund 34% aller Minijobber mehr Stunden als bislang arbeiten möchten97. Rund 58% sind mit der Arbeitszeit zufrieden und wünschen keine Veränderung, 8% möchten hingegen weniger als bislang arbeiten (ebd.: 226). Körner et al. (2013) zeigen für die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten, dass hier nur 48% und damit weniger als die Hälfte keine Veränderung der Arbeitszeit wünschen. 27% geben hingegen an, mehr arbeiten zu wollen, jedoch keine passende Stelle gefunden zu haben, ein weiteres Viertel möchte prinzipiell mehr Stunden als bislang arbeiten, kann dies laut eigener Aussage jedoch aufgrund der persönlichen Situation nicht (ebd.: 56). Hierbei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen: Während 83% der Rentner keine Veränderung der Arbeitszeit wünschen, liegt der Anteil bei Hausfrauen und -männern mit 41% deutlich niedriger. Darüber hinaus sind es insbesondere Frauen, die tendenziell eine Erhöhung der Arbeitszeit wünschen, wohingegen Männer häufiger keine Veränderung wünschen oder sogar weniger Stunden als bislang arbeiten möchten (IAB 2015: 227). Über beide Geschlechter hinweg zeigt sich zudem, dass die Hauptmotive für eine Erhöhung der Arbeitszeit insbesondere 95 96
97
Ähnliche Befunde konnten auch mit Blick auf die Pausenzeiten und deren Einhaltung konstatiert werden (vgl. IAB 2015). Angemerkt sei, dass an dieser Stelle zunächst einmal die Frage nach dem Wunsch einer Erhöhung der Arbeitszeit im Fokus der Betrachtung steht. Die Frage hingegen, ob sich die geringfügig Beschäftigten eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wünschen bzw. diese anstreben, wird weiter unten unter 3.5.1 im Rahmen der Diskussion um die Brückenfunktion von Minijobs näher beleuchtet. Hinsichtlich der Frage, welchen Umfang eine gewünschte Erhöhung der Arbeitszeit umfassen soll, gibt es unterschiedliche empirische Befunde. Laut der IAB-Studie von 2015 wünschen sich männliche Minijobber durchschnittlich eine Erhöhung der Arbeitszeit um 3,8 Stunden, Frauen hingegen von 4,3 Stunden. Wanger (2015) kommt in ihrer Analyse zu Arbeitszeitwünschen von Frauen und Männern zu teilweise anderen Befunden. Auf Basis des Mikrozensus 2011 zeigt sie, dass geringfügig Beschäftigte Frauen im Durchschnitt 4,8 Stunden mehr arbeiten wollen. Deutliche Unterschiede zeigen sich in ihrer Untersuchung mit Blick auf die Männer in Minijobs. Diese wünschen eine Erhöhung der Arbeitszeit um ganze acht Stunden (vgl. ebd. sowie für ähnliche Befunde IAB 2014).
98
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
in einem höheren Einkommen und einer stärkeren Teilnahme am Erwerbsleben liegen. Auch die Aussicht auf eine höhere Rente sowie eine Nicht-Abhängigkeit von staatlichen Leistungen spielen eine Rolle (ebd.: 230). Andererseits zeigen Körner et al. (2013) für die ausschließlich geringfügig Beschäftigten auch eine breite und heterogene Motivpalette, die aus Sicht der Minijobber gegen eine Erhöhung der Arbeitszeit spricht. 31% verweisen auf anderweitige familiäre und häusliche Verpflichtungen, 30% möchten mehr Zeit für andere Dinge haben, 28% kümmern sich um Kinder oder zu pflegende Angehörige, ein Viertel gibt die aktuelle Ausbildungsphase als Grund an und für ein weiteres Fünftel sprechen gesundheitliche Gründe dagegen. Deutlich werden die hohe Heterogenität der Gründe für Minijobber, nicht in einem größeren zeitlichen Umfang arbeiten zu wollen und der Umstand, dass eine Freiwilligkeit bzw. Unfreiwilligkeit nicht so leicht aus der Tatsache, ob eine Person einen Wunsch zur Erhöhung der Arbeitszeit äußert, abgelesen werden kann. Insbesondere die Verweise auf häusliche, private und familiäre Verpflichtungen (z.B. Pflege, Kinderbetreuung etc.) unterstreichen dies. Nicht mehr Stunden arbeiten zu wollen kann daher für einen Teil der ausschließlichen Minijobber auch bedeuten, nicht mehr Stunden arbeiten zu können. Resümierend kann festgehalten werden, dass augenscheinlich zwischen einem Drittel und der Hälfte aller Minijobber eine Erhöhung der Arbeitszeit wünscht, Reduzierungswünsche der Arbeitszeit eher die Ausnahme darstellen und je nach Studie und Datenbasis der Anteil der Minijobber, die ihre Arbeitszeit nicht verändern möchten, zwischen 45% und 57% liegt (vgl. IAB 2014, IAB 2015 sowie Körner et al. 2013). Es zeigt sich aber ebenso, dass einer Erhöhung der Arbeitszeit mitunter, gerade für Frauen, Betreuungs-, Pflege- und Haushaltsaufgaben gegenüberstehen, was die Interpretation der Befunde hinsichtlich der Freiwilligkeit des geleisteten Stundenumfangs erschwert. 3.4.5 Weiterbildung Nicht selten wird Minijobs vorgeworfen, einer beruflichen Sackgasse zu gleichen (vgl. etwa BMFSFJ 2012; DGB 2012). Wenngleich sich diese Diagnose häufig primär auf zum Teil beobachtbare lange Verweildauern in dieser Beschäftigungsform bezieht, werden hiermit auch andere negative Aspekte wie nur eingeschränkte berufliche Entwicklungsmöglichkeiten assoziiert. Humankapitaltheoretisch (vgl. Becker 1964) könnte argumentiert werden, dass durch Investitionen in die Qualifizierung der Beschäftigten deren „Marktwert“ steigt. Bislang ist dieser Aspekt in der Erforschung von Minijobs eher ein Randthema. Eine umfangreiche Studie zur Weiterbildung atypisch Beschäftigter lieferten Bellmann et al. (2013). Ihr zentraler Befund ist, dass atypisch Beschäftigte generell
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
99
seltener an Weiterbildung teilnehmen als reguläre Vollzeitbeschäftigte, was zuvor bereits Brehmer/Seifert (2008) zeigen konnten. Vor allem Leiharbeitnehmer sowie geringfügig Beschäftigte weisen nur eine marginale Partizipation an formaler Weiterbildung auf98. Die Weiterbildungsquote von Vollzeitbeschäftigten lag demnach im Jahr 2012 bei 64%, bei atypisch Beschäftigten hingegen bei durchschnittlich rund 48%. Mit rund 23% liegt die Weiterbildungsquote unter Minijobbern noch einmal deutlich niedriger und insgesamt am niedrigsten im Vergleich aller Beschäftigungsformen99 (vgl. Bellmann et al. 2013: 22). Hinsichtlich der formalen Weiterbildung zeigen Bellmann et al. zudem, dass die Chance auf Weiterbildung insbesondere im öffentlichen Dienst überproportional hoch, im Handel hingegen besonders niedrig ist. Damit sticht eine Branche negativ hervor, die sich, wie oben gezeigt, durch besonders hohe Anteile geringfügig Beschäftigter auszeichnet. Dass insbesondere auch im Einzelhandel die Weiterbildungsmöglichkeiten für Minijobber schlecht sind, wurde auf Basis qualitativer Fallstudien im sächsischen Einzelhandel schon von Benkhoff/Hermet (2008) gezeigt. Neben den angesprochenen Branchenunterschieden können Bellmann et al. zudem zeigen, dass über alle Erwerbsformen hinweg ein Zusammenhang zwischen dem Qualifikationsniveau von Beschäftigten und der Teilnahme an Weiterbildungsangeboten besteht, was auch von anderen Untersuchungen bestätigt wird (vgl. etwa Leber/Möller 2008 sowie BMBF 2013). Je höher Beschäftigte beruflich qualifiziert sind, desto eher nehmen sie an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teil. Dies wird sowohl mit einer vermuteten höheren Bildungsneigung Höherqualifizierter als auch mit den Anreizen auf Arbeitgeberseite erklärt. Demnach neigen Arbeitgeber dazu, vor allem in gut qualifizierte und aus ihrer Sicht entwicklungsfähige Beschäftigte zu investieren, da sie davon ausgehen, dass sich dies rentiert (vgl. Bellmann et al. 2013: 26). Zu guter Letzt kommt hinzu, dass höhere Qualifikationsniveaus häufig auch mit komplexeren Tätigkeiten einhergehen, so dass der Weiterbildungsbedarf bei dieser Gruppe höher ist. Diese Befunde sind insofern wichtig, als dass bereits gezeigt wurde, dass Minijobber im Vergleich zu sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über eher niedrige Qualifikationsniveaus verfügen und sie überproportional häufig Tätigkeiten mit niedrigen Anforderungsniveaus ausüben. Insofern zählen Minijobber nach dem Stand der wissenschaftlichen Literatur 98
99
Formale Weiterbildung umfasst hierbei sowohl formale als auch non-formale berufsbezogene Weiterbildung, also organisierte Lernaktivitäten in Form von Kursen oder Seminaren (Bellmann et al. 2013: 22). Formale Weiterbildung ist daher abzugrenzen von informeller Weiterbildung, also z.B. Einarbeitung durch Kollegen. Informelle Weiterbildung ist demnach weniger stark organisiert und findet nicht im Rahmen von Workshops oder Ähnlichem statt (ebd.: 38). Mit Blick auf die informelle Weiterbildung offenbaren sich über alle Erwerbsformen hinweg deutlich höhere Weiterbildungsquoten, wobei sich an den prinzipiellen Unterschieden zwischen den Beschäftigungsformen nichts ändert.
100
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
nicht zu jener Gruppe von Erwerbspersonen, für die der Zugang zu beruflicher Weiterbildung ähnlich wahrscheinlich ist wie etwa für hochqualifizierte Vollzeitbeschäftigte. Diese Befunde werden auch durch andere Studien belegt und dahingehend ergänzt, dass viele Minijobber über etwaige Weiterbildungsangebote nicht informiert werden (vgl. RWI 2012, 2016). Unklar bleibt auf Basis dieser Studien jedoch die Sicht der geringfügig Beschäftigten selbst. Zwar können Bellmann et al. (2013) zeigen, dass geringfügig Beschäftigte in der Tendenz unzufriedener mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterbildung sind als Voll- und Teilzeit- sowie befristet Beschäftigte. Gleichzeitig geben immerhin 61% der Minijobber an, zufrieden mit den Möglichkeiten zu sein, sich weiterbilden und hinzulernen zu können, was im Kontrast zu den objektiven Weiterbildungsmöglichkeiten steht (ebd.: 45). 3.4.6 Kenntnis und Gewährung von Arbeitnehmerrechten Wie zuvor geschildert, gelten geringfügig Beschäftigte rechtlich als Teilzeitbeschäftigte, für die nach § 4, Abs. 1 S. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) ein Diskriminierungs- und Schlechterstellungsverbot gilt (vgl. auch Zimmer 2012). Bereits frühere Untersuchungen (vgl. etwa Winkel 2005 oder Gather et al. 2005 für das Reinigungsgewerbe) gaben jedoch Anlass zu der Vermutung, dass Minijobbern gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte häufig nicht gewährt werden. So zeigten Benkhoff/Hermet (2008) für den sächsischen Einzelhandel, dass geringfügig Beschäftigten die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie das Urlaubsentgelt häufig vorenthalten werden. Dass es sich hierbei nicht um branchenspezifische Abweichungen handelt, wurde im Folgenden durch das RWI (2012, 2016) für Nordrhein-Westfalen bestätigt. So gaben 2016 rund 34% der Minijobber an, bezahlter Urlaub werde ihnen nicht gewährt. Ein ähnliches Bild offenbart sich hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (RWI 2016: 60). Die aktuellste und umfassendste Studie, die sich mit der Kenntnis und Gewährung von Arbeitnehmerrechten im Bereich der geringfügigen Beschäftigung befasst, wurde vom IAB (2015) vorgelegt100 (vgl. auch Stegmaier et al. 2015). Zusammenfassend konstatieren die Autoren auch hier, dass es im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zu einer weit verbreiteten Nicht-Gewährung von 100 Der Vorteil dieser Studie liegt einerseits darin, ähnlich wie in den RWI-Studien von 2012 und 2016, dass sowohl die Arbeitnehmer- als auch Arbeitgeberperspektive beleuchtet wird und darüber hinaus auch eine Unterscheidung zwischen der Kenntnis und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten vorgenommen wird. Hinzu kommt, dass auf Basis dieser Untersuchung auch ein Vergleich von geringfügig Beschäftigten mit Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten ermöglicht wird.
3.4 Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter
101
Arbeitnehmerrechten kommt. So erhält rund ein Drittel der geringfügig Beschäftigten laut eigener Aussage keinen bezahlten Urlaub (Stegmaier et al. 2015: 7). Ein Vergleich zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen zeigt, dass es sich um ein Problem handelt, welches geringfügig Beschäftigte quasi exklusiv betrifft. Ein ähnliches Bild offenbart sich hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Zwar liegt hier insgesamt das Niveau der Nicht-Gewährung über alle Erwerbsformen hinweg höher als im Hinblick auf bezahlten Urlaub, „[s]ignifikante Unterschiede zwischen den Erwerbsformen finden sich hier jedoch nur für die Gruppe der Minijobber, die – unabhängig davon, ob sie befristet oder unbefristet beschäftigt sind – in deutlich höherem Umfang als unbefristet in Vollzeit Beschäftigte davon berichten, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten“ (Stegmaier et al. 2015: 7-8). Von den befragten Arbeitgebern wiederum geben 15% der Betriebe an, Minijobbern keinen bezahlten Urlaub zu gewähren, weitere 21%, Minijobbern eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vorzuenthalten (ebd.: 9). Nach den Gründen für die Nicht-Gewährung von bezahltem Urlaub gefragt, verweisen rund 90% der Betriebe darauf, dass die Minijobber nur aushilfsweise tätig sind bzw. nur in geringem Stundenumfang arbeiten. Fast 40% geben an, Minijobber hätten generell keinen Anspruch auf diese Leistung. Dass geringfügig Beschäftigten diese Leistung gesetzlich zusteht, ist somit nicht wenigen Arbeitgebern unbekannt (vgl. IAB 2015: 117). Folglich liegt einer der zentralen Befunde der Untersuchung in der Erkenntnis, dass sowohl für Beschäftigte als auch Betriebe ein Zusammenhang zwischen der Kenntnis und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten gezeigt werden kann. So werden gesetzlich zugesicherte Leistungen häufiger nicht gewährt, wenn die Beschäftigten und/ oder die Arbeitgeber diesen Rechtsanspruch nicht kennen. „Nichtsdestotrotz berichten aber Beschäftigte ebenso wie Betriebe selbst dann von der Nichtgewährung arbeitsrechtlicher Leistungen, wenn sie die Rechtslage kennen“ (Stegmaier et al. 2015: 11). Überdies wirkt sich das Vorhandensein von Betriebsbzw. Personalräten positiv auf die Kenntnis von Arbeitnehmerrechten aus, was die Bedeutung von Informationsmöglichkeiten im betrieblichen Kontext unterstreicht (IAB 2015: 187 ff.). Abschließend ist anzumerken, dass die Ergebnisse der IAB-Studie von 2015, welche im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) durchgeführt wurde, zu einer stärkeren politischen Debatte um die Arbeitnehmerrechte und deren Gewährung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung geführt hat. Die weit verbreiteten Rechtsverstöße gaben seitens des BMAS den Anlass, im Dialog mit der Minijob-Zentrale die Informations- und Kommunikationsangebote sowohl für geringfügig Beschäftigte als auch für Arbeitgeber zu verbessern. Laut BMAS werde die Minijob-Zentrale daher zukünftig verstärkt über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Verpflichtung zur Einhaltung arbeitsrechtlicher Standards bei geringfügiger Beschäftigung informieren (vgl.
102
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
BMAS 2015). Ob und in welchem Maße verstärkte Informationsangebote für geringfügig Beschäftigte und Arbeitgeber seitdem zu einer Verbesserung in diesem Bereich geführt haben, wird in Abschnitt 6.2.4 dieser Arbeit näher beleuchtet. 3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs Die bisherigen Ausführungen haben die Vielschichtigkeit und hohe Heterogenität geringfügiger Beschäftigung in Deutschland aufgezeigt. Deutlich wird, dass diese Erwerbsform nicht nur hinsichtlich der institutionellen Regulierung, sondern auch der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, der Soziodemografie der Beschäftigten und den betrieblichen Einsatzlogiken einen Sonderfall des deutschen Beschäftigungssystems darstellt. So überrascht es nicht, dass sich in relativer Regelmäßigkeit kontroverse öffentliche, politische und wissenschaftliche Debatten um diese Erwerbsform entzünden. So beurteilt etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Minijobs als unverzichtbar für mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt (BDA 2017: 22ff.), während Gewerkschaften in ihnen eine Armutsfalle und berufliche Sackgasse für Millionen sehen (vgl. etwa DGB 2012, 2015). Diese Polarisierungen in der Beurteilung geringfügiger Beschäftigung spiegeln sich tendenziell auch in vielen der wissenschaftlichen Diskurse wider, in denen Minijobs nicht selten entweder eine Niedriglohn- und Prekaritätsfalle (vgl., unter vielen, Keller/Seifert 2011, Weinkopf 2011 sowie Bäcker/Neuffer 2012) oder aber eine für viele Beschäftigte unbedenkliche Erwerbsform darstellen, die insbesondere durch die Möglichkeit eines Hinzuverdienstes sowie einen niedrigschwelligen Zugang zum Arbeitsmarkt sowohl individuell als auch gesamtgesellschaftlich eher zu Vor- denn zu Nachteilen führt (vgl. etwa Schäfer 2015). Diese Debatten und Kontroversen richten sich inhaltlich zum Teil auf die in diesem Kapitel bereits dargelegten Erkenntnisse wie etwa zu den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen oder den institutionellen Anreizen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gleichzeitig wird auch die Funktion geringfügiger Beschäftigung für den deutschen Arbeitsmarkt und individuelle Erwerbsverläufe mitsamt der hiermit verbundenen Risiken debattiert, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll. 3.5.1 Minijobs als Brücke in (sozialversicherungspflichtige) Beschäftigung Ein zentraler Aspekt in den Diskursen um geringfügige Beschäftigung ist die Frage nach der Brückenfunktion von Minijobs und damit der beruflichen Aufstiegsmobilität. Mit der Brückenfunktion kann zweierlei gemeint sein: zum ei-
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
103
nen, dass geringfügige Beschäftigung für arbeitslose Personen eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt darstellen kann, zum anderen, dass aus geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erwachsen können, was zum Teil auch mit dem Bild eines Sprungbretts beschrieben wird (vgl. Berthold/Coban 2013). Dass der Frage nach der Brückenfunktion geringfügiger Beschäftigung in wissenschaftlichen und politischen Debatten eine derart hohe Aufmerksamkeit zukommt, hängt mit zwei Aspekten zusammen. Zum einen bestand ein Ziel der Arbeitsmarktreformen von 2003 darin, geringfügige Beschäftigung als niedrigschwelliges Reintegrationsinstrument für Arbeitslose zu nutzen, womit gleichzeitig auch die Hoffnung verbunden war, dass Minijobs für viele Beschäftigte einen temporären Übergang hin zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung darstellen (vgl. Fertig et al. 2005 sowie 2.2 in dieser Arbeit). Zum anderen wird darauf verwiesen, dass die Risiken für Beschäftigte deutlich geringer sind, wenn geringfügige Beschäftigungsverhältnisse lediglich kurze Phasen in individuellen Erwerbsverläufen einnehmen, wohingegen bei Minijobs als Dauererwerbsform die negativen Langzeitfolgen wie eine drohende Altersarmut ihre Wirkung entfalten können (vgl. etwa BMFSFJ 2012). Hinsichtlich der Brückenfunktion von Minijobs für Arbeitslose wird von einigen Autoren auf die unattraktiven rechtlichen Rahmenbedingungen verwiesen. Wie weiter oben beschrieben, können Arbeitslose zwar einen Minijob ausüben, allerdings werden ihnen hohe Anteile des Verdienstes auf die staatlichen Leistungen angerechnet (vgl. Brandt 2006 sowie Steiner/Wrohlich 2005). In einer ex-postEvaluation der Reform von 2003 auf Basis des SOEP kommen Caliendo/Wrohlich (2006) folglich zu dem Befund, dass sich durch die Reformen die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitslose eine geringfügige Beschäftigung aufnehmen, für einen beobachteten Zeitraum von neun Monaten nicht signifikant erhöht hat und daher eine direkte Brückenfunktion nicht belegt werden könne (ebd.: 12). Freier/Steiner (2007) hingegen konzentrieren ihre Untersuchung auf die Frage, ob sich durch die Aufnahme eines Minijobs die Erwerbsperspektiven arbeitsloser Männer gegenüber einer Kontrollgruppe (männliche Arbeitslose, die kein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis aufnehmen) verbessern. Sie kommen zu ambivalenten Befunden: einerseits zeigt sich, dass die Aufnahme eines Minijobs die Chance für arbeitslose Männer, innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren eine nicht-geringfügige Beschäftigung aufzunehmen, nicht signifikant gegenüber der Kontrollgruppe erhöht. Andererseits weisen sie nach, dass die Aufnahme eines Minijobs die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Arbeitslosigkeit signifikant senkt und zu einem leicht höheren zukünftigen Einkommen führt (Freier/Steiner 2007: 19). Einer ähnlichen Fragestellung gehen auch Caliendo et al. (2012) nach. Ihre Analyse reduzieren auch sie lediglich auf Männer, hier jedoch zudem nur auf jene in Westdeutschland. Sie kommen zu dem Befund, dass die Aufnahme eines Minijobs positive Auswirkungen auf die Erwerbspartizipation von arbeitslosen
104
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Männern hat und teilweise auch die Chance auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöht (Caliendo et al. 2012: 18). Diese Effekte zeigen sich jedoch lediglich für Personen, die bereits seit einem Jahr oder länger arbeitslos sind. Zudem weisen sie nach, dass die Chancen einer Brückenfunktion insbesondere dann erhöht sind, wenn Personen die geringfügige Beschäftigung in derselben Branche ausüben, in der sie auch vor Eintritt in die Arbeitslosigkeit beschäftigt waren und wenn der Minijob den Qualifikationen und Fähigkeiten der Beschäftigten entspricht (ebd.). Die mitunter positive Wirkung der Aufnahme eines Minijobs für arbeitslose Männer könne daher möglicherweise damit erklärt werden, dass hierdurch das „Humankapital“ verbessert werde und sich erwerbsbezogene Netzwerke vergrößern. Diese Befunde werden in weiten Teilen auch durch eine Analyse von Lietzmann et al. (2016) bestätigt, welche die Effekte der Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung für alleinstehende und kinderlose SGB II-Empfänger untersucht haben. Sie kommen zu dem Befund, dass die Aufnahme eines Minijobs sowohl für Männer als auch für Frauen aus diesem Personenkreis die Chance auf eine zukünftige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöht, wobei sich dieser Effekt lediglich für Personen zeigt, die bereits seit mindestens vier Monaten Leistungen aus dem SGB II beziehen. Gleichzeitig schränken Lietzmann et al. ein, dass ihre Befunde wohl kaum auf arbeitslose Personen mit Familie übertragbar sind, da hier in vielen Fällen häusliche und familiäre Pflichten einer möglichen Ausweitung der Erwerbstätigkeit entgegenstehen101 (ebd.: 21). Bei der Betrachtung dieser Individualeffekte bleibt jedoch unklar, um welches quantitative Ausmaß es sich handelt. Schäfer (2010) untersucht, wie sich die Erwerbsverläufe u.a. von arbeitslosen Personen in einem 5 Jahres-Vergleich darstellen. Auf Basis von Daten des SOEP vergleicht er den Erwerbsstatus von Personen im Jahr 2003 mit jenem im Jahr 2008. Demnach arbeiteten von den im Jahr 2003 arbeitslosen Personen fünf Jahre später lediglich 6% in einem Minijob, wohingegen ein Viertel Vollzeit erwerbstätig und ein weiteres Drittel weiterhin arbeitslos war (ebd.: 7). Zwar hat die Analyse insofern eine begrenzte Aussagekraft, als dass die Übergänge und Zwischenphasen hiermit nicht abgebildet werden können. Andererseits geben die Daten Anlass zu der Vermutung, dass für arbeitslose Personen geringfügige Beschäftigung nicht zu einem „Auffangbecken“ auf dem Arbeitsmarkt wird. Dingeldey et al. (2012) kommen in ihrer Analyse von geringfügig Beschäftigten im ALG II-Bezug zu ambivalenten Befunden 101 All diese Studien konzentrieren ihre Untersuchung explizit auf Männer und/oder alleinstehende und kinderlose Personen. Dies wird damit begründet, dass bei diesen Personen davon ausgegangen werden kann, dass keine privaten oder familiären Pflichten einer Ausweitung der Erwerbstätigkeit entgegenstehen. Diese Befunde haben daher insofern eine begrenzte Aussagekraft, als dass durch diese Selektion bestimmte Personengruppen systematisch ausgeschlossen werden, was die Frage nach der Brückenfunktion für arbeitslose Personen deutlich einschränkt.
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
105
hinsichtlich einer möglichen Brückenfunktion. Sie untersuchen über einen Zeitraum von drei Jahren (2007-2009), ob Personen den ALG II-Bezug verlassen. Sie konstatieren, dass die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, sogar höher liegt, wenn zusätzlich zum ALG II-Bezug kein Minijob ausgeübt wird (ebd.: 37). Andererseits können sie zeigen, dass 95% derjenigen, die im ALG II-Leistungsbezug einen Minijob ausübten, nach Verlassen des SGB II einer Erwerbstätigkeit oberhalb der Minijobschwelle nachgehen. Bezogen auf diese Gruppe schlussfolgern die Autoren: „Für einen (kleineren) Teil der geringfügig Beschäftigten im SGB II scheinen Minijobs jedoch auch im Sinne einer Art Brücke in reguläre Beschäftigung zu wirken“ (Dingeldey et al. 2012: 37). Neben der Brückenfunktion geringfügiger Beschäftigung für Arbeitslose wird auch die Frage, ob Minijobs eine Sprungbrettfunktion in Richtung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung erfüllen, kontrovers diskutiert. Häufig finden sich hierbei zwei Argumente, die gegen eine derartige Brückenfunktion sprechen (vgl. etwa Brandt 2006, Weinkopf 2011). Zum einen wird auf zum Teil beobachtbare lange Verweildauern von Beschäftigten in Minijobs verwiesen, zum anderen darauf, dass die Gesamtzahl der geringfügig Beschäftigten seit langem relativ konstant ist. Hierbei ist jedoch fraglich, ob dies gegen eine Brückenfunktion dieser Erwerbsform spricht, da auf Basis der reinen quantitativen Anzahl an (ausschließlich) geringfügig Beschäftigten keine Aussagen über mögliche Wechsel zwischen den Erwerbsformen sowie Ein- und Austritten in und aus dem Arbeitsmarkt getroffen werden können. Betrachtet man die verschiedenen empirischen Befunde zur Brückenfunktion von Minijobs, im Sinne eines Wechsels von geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, lässt sich feststellen, dass eine solche Funktion oftmals eher negiert oder die Wirkungen zumindest als relativ gering eingestuft werden. So zeigt Schäfer (2010) auf Basis von SOEP-Daten, dass von im Jahr 2003 geringfügig Beschäftigten fünf Jahre später lediglich rund 31% eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung innehatten. Rund ein Drittel war hingegen weiterhin im Minijob beschäftigt. Andererseits waren nur 5% der 2003 geringfügig Beschäftigten fünf Jahre später arbeitslos, weitere 17% jedoch nicht mehr erwerbstätig, ohne arbeitssuchend zu sein (ebd.: 7). Zu deutlich negativeren Einschätzungen kommt hingegen die BMFSFJStudie (2012), die der geringfügigen Beschäftigung für Frauen hartnäckige „Klebeeffekte“ attestiert. Hier zeigt sich, dass Frauen in ausschließlichen Minijobs102 häufig lange Verweildauern aufweisen. Demnach sind 76% von ihnen bereits seit mehr als drei Jahren im Minijob tätig. Zudem verweisen sie auf den Umstand, dass drei Viertel dieser Frauen seit ihrem ersten Minijob nicht eine 102 Diese werden in dieser Studie definiert als jene geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die weder zusätzlich zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis noch zusätzlich zum Studium oder der Rente ausgeübt werden.
106
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
einzige sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hatten (ebd.: 20). Dies spreche dafür, dass für viele Frauen der Minijob zur Dauererwerbstätigkeit werde. Zur Untermauerung dienen Befragungsergebnisse von Frauen, die ehemals im Minijob angestellt waren. Laut der Studie nahmen 40% von ihnen im Anschluss an den Minijob eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf, wohingegen für 60% der Frauen die Brückenfunktion scheiterte (ebd.: 22). Allerdings werden zu den missglückten Brückenfunktionen u.a. auch Übergänge in Rente, Mutterschutz, Erziehungsurlaub oder Elternzeit, Ausbildung, Lehre, Schule und Studium sowie die Aufnahme einer selbständigen Beschäftigung gezählt. Dass es mehr als fraglich ist, ob für jene Personen die Brückenfunktion als gescheitert angesehen werden kann, liegt auf der Hand. Exkludiert man diese Personengruppen und zählt lediglich Personen, die im Anschluss arbeitslos, nicht mehr, nur unregelmäßig oder weiterhin geringfügig erwerbstätig waren, kann für rund 41% der befragten Frauen die Brückenfunktion als gescheitert angesehen werden. Dies ist zwar immer noch ein relevanter Anteil, entspricht gleichzeitig jedoch in etwa dem Anteil an Frauen, die im Anschluss an ihren Minijob eine Teilzeitoder Vollzeitbeschäftigung aufnahmen. In ihrer Analyse ausschließlich geringfügig Beschäftigter betrachten auch Körner et al. (2013) die Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und schlussfolgern: „Der Anteil der Personen, die im Minijob verbleiben, ist […] deutlich höher als der der Abgänger/-innen“ (ebd.: 47). Gleichzeitig wird deutlich, dass jüngere ausschließlich geringfügig Beschäftigte häufiger innerhalb eines Jahres in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wechselten als ältere Personen. Insgesamt unterstreichen die Befunde jedoch eine im Zeitraum von zwei Jahren nur relativ geringe Brückenfunktion für die Gruppe der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (vgl. ebd. sowie Vennebusch/Hardebusch 2010 für ähnliche Befunde). Auch Böhnke et al. (2015) kommen in ihrer Analyse von Erwerbsverlaufstypen von atypischen Beschäftigten auf Basis von SOEP-Daten für die geringfügige Beschäftigung zu dem Befund, dass sie mehrheitlich nicht in eine unbefristete Vollzeitbeschäftigung führt (ebd.: 245f.). Dies gilt sowohl für die berufliche Einstiegs- als auch die Haupterwerbsphase. Einschränkend muss zu der Analyse gesagt werden, dass keine Aussagen über „Aufstiege“ in sozialversicherungspflichtige Teilzeit möglich sind und die Autoren nicht zwischen Mini- und Midijobs unterschieden haben. Dass Minijobs mit nur geringen Übergangswahrscheinlichkeiten in das „klassische“ Normalarbeitsverhältnis einhergehen, konnte an anderer Stelle auch von Brülle (2013) und Gensicke et al. (2010) nachgewiesen werden, wenngleich auch hier lediglich direkte Übergänge in eine unbefristete Vollzeitstelle, nicht jedoch mögliche Wechsel in Teilzeit untersucht wurden. Denkbar sei, so Brülle, dass Minijobber über die „Zwischenstation“ einer Teilzeitbeschäftigung in ein Normalarbeitsverhältnis wechseln (ebd.: 171).
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
107
Zu guter Letzt untersucht eine aktuelle Studie des IAB (vgl. Berge et al. 2016) die Wirkung der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohns auf die Brückenfunktion für geringfügig Beschäftigte. So kam es nach seiner Einführung im Januar 2015 zu – im Vergleich zu den Vorjahren – hohen Abgängen aus der geringfügigen Beschäftigung. Die zentrale Frage ist hierbei, ob der Mindestlohn zu mehr Übergängen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse geführt hat. Die Autoren zeigen, dass es regelmäßig zu Übergängen aus geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kommt, jedoch zum 31.01.2015 die Anzahl dieser Übergänge etwa doppelt so hoch ausfiel wie ein Jahr zuvor. Die Studie belegt, dass es sich bei 85% der Umwandlungen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse um Wechsel im selben Betrieb handelt. Gleichzeitig konstatieren die Autoren, dass die überproportional hohen Abgänge aus geringfügiger Beschäftigung nach Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes nur zum Teil durch Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erklärt werden können. So machen diese Übergänge rund die Hälfte aller Abgänge aus Minijobs im Januar 2015 aus, wohingegen auch die Übergänge in einen ausschließlichen SGB II-Leistungsbezug gegenüber dem Vorjahr erhöht waren (vgl. ebd.). Damit zeichnen die Befunde ambivalente Wirkungen des Gesetzlichen Mindestlohnes auf eine mögliche Brückenfunktion geringfügiger Beschäftigung sowie ein vielschichtiges Anpassungsverhalten der Betriebe kurz nach der Mindestlohneinführung (vgl. auch Berge/Weber 2017). In Ergänzung zu diesen Befunden scheint auch ein Blick auf die Wünsche von Minijobbern nach einer Brückenfunktion notwendig. So verweisen Gensicke et al. (2010) darauf, dass diese unterdurchschnittlich seltene Beobachtung von Übergängen in ein Normalarbeitsverhältnis möglicherweise auch dadurch zu erklären sei, dass nur ein geringer Teil der geringfügig Beschäftigten überhaupt an einem derartigen Wechsel interessiert sein dürfte (ebd.: 186). Die Ausführungen zu den Arbeitszeitwünschen in dieser Arbeit haben gezeigt (vgl. Abschnitt 3.4.4), dass ein nicht geringer Teil von Minijobbern in einem größeren Stundenumfang arbeiten möchte. Hieraus schließen viele Autoren, dass der Wunsch nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung weit verbreitet sei, häufig jedoch nicht eingelöst werde (so etwa Weinkopf 2011 oder Brandt 2006). Allerdings weisen viele empirische Studien darauf hin, dass der Anteil von Minijobbern, die eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wünschen, deutlich niedriger ist als der Anteil jener, die mehr Arbeitsstunden leisten möchten (vgl. etwa RWI 2012, 2016; Fertig et al. 2005). So zeigten Fertig et al. (2005) in einer Evaluation der Minijobreform von 2003 bereits vor mehr als zehn Jahren, dass nur etwa 7% aller Minijobber mit der Aufnahme der Beschäftigung die Hoffnung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verbinden. „Minijobs werden also in den seltensten Fällen als eine
108
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
mögliche Brücke in den regulären Arbeitsmarkt betrachtet“ (ebd.: 79). Tiefergehende Analysen zeigen, dass der Wunsch, weiterhin im Minijob zu arbeiten, insbesondere von Frauen, älteren Arbeitnehmern sowie Personen mit niedrigen Schulund Berufsabschlüssen geäußert wird, wohingegen Höherqualifizierte, Bezieher von Transferleistungen und Unverheiratete häufiger eine nicht-geringfügige Beschäftigung anstreben (ebd.: 82f.). Dass die Erwerbswünsche und subjektiven Erwerbsperspektiven heterogen sind, zeigen auch Körner et al. (2013) in ihrer Analyse der ausschließlich geringfügig Beschäftigten. Lediglich 5% der Minijobber geben an, die geringfügige Beschäftigung in Kürze beenden zu wollen, weitere 20%, diese nur für eine begrenzte Zeit ausüben zu wollen. Mit 48% möchte rund die Hälfte der ausschließlichen Minijobber die geringfügige Beschäftigung nicht in absehbarer Zeit aufgeben. Wenig überraschend sind es insbesondere Schüler und Studierende, die in ihrem Minijob in der großen Mehrheit lediglich eine temporäre Erwerbstätigkeit sehen, wohingegen Hausfrauen und Hausmänner überproportional häufig angeben, den Minijob nicht in absehbarer Zeit aufgeben zu wollen. Gerade diese Tatsache fällt ins Auge, da es sich hierbei um genau jenen Personenkreis handelt, für den laut Einschätzung einiger Autoren der Minijob einer „Falle“ gleichen kann (so etwa BMFSFJ 2012 oder Bäcker 2006). Mit Blick auf Frauen im Minijob kommt die BMFSFJ-Studie (2012) zu dem Befund, dass rund 49% aller Frauen mit dem ausschließlichen Minijob, der nicht zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, dem Studium oder der Rente ausgeübt wird, die Hoffnung auf eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verbinden (ebd.: 31), wobei mit zunehmenden Familienaufgaben der Wunsch nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung abnimmt. So äußern Frauen, die Pflegeaufgaben oder die Kinderbetreuung übernehmen, deutlich seltener, dass sie mit der Aufnahme des Minijobs die Hoffnung auf eine nicht-geringfügige Beschäftigung verbunden haben. Dies zeige, „wie fatal bestehende Geschlechterrollen mit den institutionalisierten Rahmenbedingungen und Anreizen des Minijobs zusammenwirken […]“ (ebd.: 33). Gleichzeitig wird betont, dass von Frauen, die ehemals im Minijob arbeiteten und im Anschluss eine Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung aufnahmen, 65% angeben, der Minijob sei für sie eine gute Brücke in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis gewesen. Insgesamt zeichnen die Befunde dieser Studie ein ambivalentes Bild. So zeigt sich einerseits, dass für einen nicht geringen Teil der Frauen anscheinend insbesondere häusliche Aufgaben dazu führen, dass eine Brückenfunktion nicht erwünscht ist. Gleichzeitig deuten die Befunde darauf hin, dass dies in vielen Fällen von den Frauen selbst nicht als problematisch betrachtet wird. Hierfür spricht auch, dass in dieser Studie 83% der aktuell im Minijob und 85% der ehemals im Minijob beschäftigten Frauen die Aussage ablehnen, der Minijob sei für sie eine berufliche Sackgasse (gewesen) (ebd.: 39). Schlussendlich deuten auch die Befunde des RWI (2016) darauf hin, dass der Wunsch nach einer Brü-
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
109
ckenfunktion auf Seiten der Minijobber weder mit Blick auf die Gründe für die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung noch hinsichtlich der individuellen beruflichen Zukunftspläne das zentrale Motiv darstellt. So gaben lediglich 4% der Befragten an, den Minijob aufgenommen zu haben, um hierdurch ein nichtgeringfügiges Beschäftigungsverhältnis zu finden. Hinsichtlich der Pläne für die berufliche Zukunft äußern lediglich 5% der befragten Minijobber, in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wechseln zu wollen, wobei Männer dies etwas häufiger nennen als Frauen (ebd.: 41). Was bleibt abschließend also von der Brückenfunktion geringfügiger Beschäftigung? Die empirischen Befunde zeichnen sowohl hinsichtlich der Brückenfunktion für arbeitslose Personen als auch den „Aufstieg“ von geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein uneinheitliches und zum Teil widersprüchliches Bild. In der Zusammenschau spricht vieles dafür, dass geringfügige Beschäftigung keine in quantitativer Hinsicht bedeutsame Brückenfunktion in den regulären Arbeitsmarkt für Arbeitslose darstellt. Gleichwohl zeigen verschiedene Studien, dass auf Individualebene für Teile der arbeitslosen Personen die Aufnahme einer geringfügigen Beschäftigung positive Wirkungen auf die Erwerbschancen und berufliche Zukunft hat. Hinsichtlich der Übergänge von geringfügiger in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung offenbart sich, dass diese Übergänge einerseits regelmäßig stattfinden, Minijobs andererseits für einen Teil der Beschäftigten auch zu einer Dauererwerbsform werden, ohne dass dies den individuellen Erwerbspräferenzen entgegenstehen muss. Führt man sich die mit der Reform der Minijobs von 2003 verbundenen politischen Ziele vor Augen, müssen diese als größtenteils gescheitert angesehen werden. Dies ist zum Teil durch die institutionellen Rahmenbedingungen begründbar, zum Teil jedoch auch durch das Erwerbsverhalten der Beschäftigten, denn für viele von ihnen sind Minijobs keine vorübergehende Überbrückung hin zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, ohne dass dies jedoch als problematisch betrachtet wird. Es zeigen sich somit Verselbständigungseffekte dieser Erwerbsform insofern, als dass Minijobs für Teile der Beschäftigten auch als Dauererwerbstätigkeit höchst attraktiv sind, auch wenn sie politisch insbesondere als transitorische „Brückenerwerbsform“ angedacht waren. Möglicherweise handelt es sich dabei um nicht-intendierte Folgen absichtsvollen Handelns (vgl. Merton 1936). In jedem Fall aber unterstreichen diese Erkenntnisse die Notwendigkeit, die subjektiven Perspektiven der geringfügig Beschäftigten stärker als bislang in die Untersuchung und Beurteilung dieser Erwerbsform zu integrieren.
110
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
3.5.2 Verdrängung „regulärer“ Beschäftigung und Einnahmeverluste der Sozialversicherung Zusätzlich zur Debatte um eine Brückenfunktion spielt auch die Frage, ob und in welchem Maße die Zunahme geringfügiger Beschäftigung zu einem Rückgang sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führt, eine zentrale Rolle (vgl. exemplarisch Knuth 2014: 42 ff.). Hiermit verbunden sind auch mögliche Gefahren für die Sozialversicherung, die im Falle einer Substitution von sozialversicherungspflichtiger durch geringfügige Beschäftigung mit Einnahmeverlusten konfrontiert wäre. Trotz der Tatsache, dass immer wieder auf mögliche Substitutionseffekte geringfügiger Beschäftigung verwiesen wird, existieren hierzu kaum belastbare wissenschaftliche Untersuchungen – was im Übrigen auch auf die Arbeitsmarkteffekte anderer atypischer Beschäftigungsformen zutrifft (vgl. Hohendanner/Walwei 2013: 243). Die Debatte um mögliche Substitutionseffekte nahm insbesondere in Folge der Minijob-Reform von 2003 an Fahrt auf. So wurde diskutiert, warum es zu einem derartig starken Anstieg geringfügig Beschäftigter gekommen sei. Bäcker (2006) verweist hierbei auf drei mögliche Erklärungsmuster. Zum einen sei ein Teil des Anstieges durch Umbuchungseffekte erklärbar, d.h. durch einen höheren Anteil an Beschäftigten, die durch die Erhöhung der Verdienstgrenze und den Wegfall einer maximalen Stundengrenze in den Bereich der geringfügigen Beschäftigung eintraten. Hinzu kämen Legalisierungseffekte, d.h. dass Arbeitsplätze bereits vor der Reform illegal bestanden haben und erst im Nachgang der gesetzlichen Änderungen offiziell angemeldet wurden. Zu guter Letzt treten die eigentlichen Substitutionseffekte hinzu, also ein gezielter Austausch von vormals sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen durch Minijobs. Im Zentrum steht insgesamt die Frage, ob Minijobs als zusätzliche Erwerbsoptionen zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen entstehen oder zu Lasten ebendieser gehen (ebd.: 259ff.). Viele Autoren kamen zu dem Schluss, dass der Anstieg geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse nicht zuletzt dadurch erklärt werden könne, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse abgebaut und durch Minijobs ersetzt würden oder es zu einer Aufspaltung vormals sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse in mehrere Minijobs komme. Voss-Dahm (2005) konnte Hinweise dafür finden, dass letztere Praktik im Einzelhandel genutzt wird. Die Hypothese eines starken Substitutionseffektes wurde häufig durch einen Vergleich der Entwicklung von sozialversicherungspflichtiger und geringfügiger Beschäftigung untermauert (vgl. etwa Bäcker 2006 oder Brandt 2005). Dass es zu einem Austausch von geringfügiger und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung komme, zeige sich demnach in einer sinkenden Gesamtzahl an sozialversicherungspflichtig und einem Anstieg an geringfügig Beschäftigten. Dieses
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
111
Argumentationsmuster war insbesondere nach den Reformen von 2003 häufig anzutreffen. Allerdings sprechen mehrere Gründe gegen eine solche Argumentation. Zuvorderst gibt die ausschließliche Betrachtung der Entwicklung der Beschäftigung keinen Hinweis auf tatsächliche Substitutionseffekte. Vielmehr wird ein kausaler Zusammenhang unterstellt, der jedoch nicht stichhaltig überprüft werden kann. Denkbar ist etwa ein Mismatch von Beschäftigungsabbau und aufbau, der möglicherweise entlang von Qualifikationsniveaus der Beschäftigten oder wirtschaftlichen Branchen vonstattengehen kann. „Eine rein deskriptive Betrachtung der Entwicklung atypischer und regulärer Beschäftigungsverhältnisse kann zwar Hinweise geben, genügt jedoch nicht als Nachweis für Substitutionsprozesse, da es sich um zufällige gegenläufige oder parallele Entwicklungen handeln kann“ (Hohendanner/Walwei 2013:243). Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Bis 2005 zeigte sich lange Zeit in der Tat eine Entwicklung von geringfügiger und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, die eine kausale Interpretation dieses Zusammenhangs attraktiv machte – die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm ab, die geringfügige Beschäftigung zu. Betrachtet man dieses Wechselverhältnis jedoch über einen längeren Zeitraum, zeigen sich ganz unterschiedliche Konstellationen. So finden sich Zeiträume, in denen es sowohl bei Minijobs als auch sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung Zuwächse gab (etwa von 2006-2009 oder 20102013) sowie Zeiträume, in denen die Zahl der Minijobs leicht sank, wohingegen sozialversicherungspflichtige Beschäftigung deutlich zunahm (2013-2015). Betrachtet man die Entwicklung seit dem „Krisenjahr“ 2009, so zeigt sich, dass 2015 die Zahl der Minijobber in etwa auf dem Niveau von 2009 lag, wohingegen es im selben Zeitraum zu einem Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse um rund 3,41 Millionen kam (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016d). Diese Befunde bedeuten, wie oben beschrieben, nicht zwangsläufig, dass es nicht zum Teil in einzelnen Betrieben oder Branchen dennoch zu Substitutionseffekten kommt; sie zeigen jedoch, dass mit Blick auf die Gesamtbeschäftigung in Deutschland die These, Minijobs wüchsen immer weiter an und gingen zu Lasten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, so pauschal nicht haltbar ist. Dennoch stellt sich die Frage, ob es Hinweise auf mögliche Substitutionseffekte in einzelnen Branchen gibt. Die bislang differenziertesten Befunde hierzu liefern Hohendanner/Stegmaier (2012), wenngleich auch aus ihren Befunden kaum kausale Zusammenhänge abgeleitet werden können. Sie untersuchen auf Basis des IAB-Betriebspanels über einen Fünf-Jahres-Zeitraum (2006-2011) komparativ die Entwicklung von Minijobs und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in deutschen Betrieben. Demnach zeigt sich in der Gesamtschau aller Betriebe ein äußerst kleiner und statistisch nicht signifikanter Zusammenhang zwischen diesen Erwerbsformen, der darauf hindeutet, dass Betriebe in geringem Maße sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
112
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
abbauen, wenn es mehr geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im betrieblichen Kontext gibt (ebd.: 6). Multivariate Analysen zeigen über fast alle Wirtschaftsbranchen hinweg, dass eine Substitution von sozialversicherungspflichtiger durch geringfügige Beschäftigung insbesondere in kleinen Betrieben vorkommt. Darüber hinaus deuten die Befunde auf nicht unwesentliche Branchenunterschiede hin. Vergleichsweise hohe Substitutionseffekte können demnach vor allem für den Einzelhandel, das Gastgewerbe sowie das Gesundheits- und Sozialwesen nachgewiesen werden. Dies unterstreicht, dass in diesen „minijobaffinen“ Branchen die rege Nutzung dieser Beschäftigungsform zulasten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gehen kann. Für andere Branchen hingegen zeichnen sich zum Teil gegenläufige Trends ab. Im Bereich der Produktionsgüter oder der wirtschaftlichen und freiberuflichen Dienstleistungen finden sich positive Zusammenhänge, d.h. hier geht eine Zunahme von Minijobs tendenziell auch mit einer Zunahme an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einher. Insgesamt sensibilisieren diese Befunde für eine differenzierte Betrachtung möglicher Substitutionseffekte. Es zeigt sich, dass diese Effekte in der Gesamtschau nicht die Regel darstellen, was gegen die These genereller Substitutionseffekte spricht (vgl. auch Jacobi/Schaffner 2008). Gleichzeitig finden sich Hinweise dafür, dass es insbesondere in kleinen Betrieben sowie im Einzelhandel, dem Gastgewerbe und dem Gesundheits- und Sozialwesen zu Substitutionseffekten kommt. Da dies die Branchen mit besonders hohen Anteilen an Minijobbern sind und viele geringfügig Beschäftigte zudem eher in kleinen Betrieben angestellt sind, sind diese Befunde durchaus ernst zu nehmen, da sie Hinweise darauf geben, dass eine intensive betriebliche Nutzung von Minijobs mit einem Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung einhergehen kann. Allerdings können auf Basis der bisherigen wissenschaftlichen Studien keine Aussagen zu den quantitativen Auswirkungen etwaiger Substitutionseffekte getroffen werden (vgl. auch Hohendanner/Walwei 2013: 245). Mit dieser Debatte verbunden ist auch die Frage nach möglichen Einnahmeverlusten der Sozialversicherung. So wird von einigen Autoren argumentiert, dass durch die sozialrechtliche Sonderstellung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und der weiten Verbreitung von Minijobs auf reguläre, d.h. aus sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen abgeleiteten Beitragseinnahmen verzichtet werden muss (vgl. etwa Weinkopf 2011). Bäcker/Neuffer (2012) verweisen darauf, dass sich dies für die verschiedenen Sozialversicherungszweige mitunter sehr unterschiedlich darstellen kann. So führt die Beitragsfreiheit in der Arbeitslosenversicherung nicht zu Mindereinnahmen, da gleichzeitig auch keine Ansprüche erworben werden. In der Rentenversicherung werden zwar Pauschalbeiträge von den Arbeitgebern abgeführt, auf Arbeitnehmerseite besteht jedoch, wie weiter oben gezeigt, die Opt-Out-Variante und es werden lediglich anteilige Anwartschaften erworben. Die Gesetzliche Krankenversicherung fährt laut Klammer/Leiber (2006) mitunter sogar Gewinne ein, sofern Mi-
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
113
nijobber über abgeleitete Ansprüche mitversichert sind und es daher zu keinen Mehrausgaben kommt. Wenngleich manche Autoren die möglichen finanziellen Mindereinnahmen, insbesondere im Nachgang der Reform von 2003, in modellhaften Rechnungen überschlagen haben (vgl. etwa Koch/Bäcker 2003b; Bäcker/Neuffer 2012), besteht dahingehend Einigkeit, dass für eine realistische Abschätzung der finanziellen Folgen für die Sozialversicherung von entscheidender Bedeutung ist, in welchem Maße Minijobs aus der Schattenwirtschaft entstehen (Legalisierungseffekt) und in welchem Maße eine Substitution sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (Substitutionseffekt) stattfindet. Wie weiter oben gezeigt, ist letzteres zum jetzigen Zeitpunkt nicht seriös zu beantworten. Ähnliches gilt für die zusätzliche Beschäftigung durch Minijobs aus der Schattenwirtschaft103. Aus diesen Gründen ist auch eine Einschätzung etwaiger Mindereinnahmen der Sozialversicherungen kaum möglich, da weder seriös beantwortet werden kann, ob es sich bei geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen um zusätzliche Arbeitsplätze handelt, noch bekannt ist, wie Minijobber auf einen hypothetischen Wegfall dieser Erwerbsform reagiert hätten bzw. reagieren würden104. 3.5.3 Soziale Sicherungslücken und prekäre Lebenslagen Ein Hauptkritikpunkt an geringfügiger Beschäftigung ist die Sozialversicherungsfreiheit und die damit einhergehenden Risiken für die soziale Sicherung der Beschäftigten (vgl. etwa Weinkopf 2011, Bäcker 2006, BMFSFJ 2012). Die obigen Ausführungen zum sozialversicherungsrechtlichen Sonderstatus geringfügiger Beschäftigung (vgl. 3.1 in dieser Arbeit) haben gezeigt, dass Minijobber in der Tat nur marginal eigenständig sozial abgesichert sind. Dies trifft im Prinzip auf alle Sozialversicherungszweige zu. 103 Hierzu mangelt es an verlässlichen Studien, was insbesondere in der generellen Schwierigkeit begründet liegt, Schwarzarbeit empirisch zu erfassen und ihr Ausmaß abzuschätzen (vgl. Schneider/Enste 2013 sowie Kirchner et al. 2013). Zwar zeigt sich, wie oben beschrieben, dass die Zahl der Minijobber im von Schwarzarbeit geprägten Segment privater Haushalte seit zehn Jahren spürbar gestiegen ist. Gleichzeitig weisen Schätzungen darauf hin, dass auch im Jahr 2015 immer noch zwischen 2,7 und 3 Millionen Haushaltshilfen in Deutschland schwarz arbeiteten (vgl. Enste 2016). Deutlich wird, dass es zwar zu positiven Legalisierungseffekten insbesondere durch eine Zunahme von Minijobs in Privathaushalten gekommen ist, das quantitative Ausmaß jedoch insofern ernüchternd ist, als dass eine erdrückende Mehrheit der Haushaltshilfen immer noch schwarz arbeitet. 104 So setzt die Hypothese massiver Substitutionseffekte immer auch die implizite Vermutung voraus, dass Beschäftigte sozialversicherungspflichtig beschäftigt wären, wenn sie nicht geringfügig angestellt wären. Ob dies tatsächlich der Fall wäre bzw. in welchem Ausmaß auch Ab- und Übergänge in die Nicht-Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosigkeit vorkämen, ist letztlich Spekulation.
114
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Gleichzeitig haben die Ausführungen zu den soziodemografischen Merkmalen der Minijobber auch gezeigt, dass es sich häufig um Schüler, Studenten, Rentner oder (Ehe-) Partner, zumeist Frauen, sowie arbeitslose Personen handelt. Wie bereits angerissen, verfügen diese Personen zwar nicht über einen eigenständigen, aus ihrer Erwerbsarbeit abgeleiteten Sozialversicherungsschutz, jedoch häufig über abgeleitete Ansprüche, z.B. über den Ehepartner, den Staat oder die Familie. Hinsichtlich der sozialen Risiken dieser Erwerbsform bedarf es daher einiger Ergänzungen. Zum einen verweisen einige Autoren darauf, dass ein Teil des Problems einer eigenständigen sozialen Sicherung nicht primär aus der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Sonderstellung dieser Erwerbsform entsteht, sondern aus dem geringen Arbeitsumfang und Einkommen (vgl. etwa Klammer/Leiber 2006). Dies betrifft beispielsweise den fehlenden Schutz bei Arbeitslosigkeit. Gäbe es, wie von einigen Autoren oder Organisationen gefordert (vgl. etwa Weinkopf 2011 oder DGB 2012), eine Sozialversicherungspflicht ab dem ersten verdienten Euro, wäre die soziale Sicherung im Falle der Arbeitslosigkeit bei unverändertem Arbeitsumfang und Einkommen für die Beschäftigten nicht vorteilhafter als bislang. „Aufgrund der geringen Einkommenshöhe der Minijobs wäre ein hypothetisches Arbeitslosengeld I […] ohnehin nicht existenzsichernd und unterhalb des ALG II anzusiedeln, zu dem arbeitslos gewordene Minijobber Zugang haben“ (Klammer/Leiber 2006: 289). Demnach sind es insbesondere der geringe Arbeitsumfang und das geringe Einkommen, die im erwerbszentrierten deutschen sozialen Sicherungssystem mit einer starken Fokussierung auf das Normalarbeitsverhältnis zu Lücken in der sozialen Sicherung führen. Diese Kleinstansprüche gelten auch für die soziale Sicherung im Alter. Daten der Minijobzentrale zeigen, dass im zweiten Quartal 2016 lediglich rund 18% der Minijobber im gewerblichen Bereich und rund 14% der Minijobber in Privathaushalten rentenversicherungspflichtig beschäftigt waren, d.h. die Möglichkeit zur Aufstockung der Rentenbeiträge nutzt (vgl. Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See/Minijob-Zentrale 2016: 7). Mögliche Gründe hierfür sind, dass Beschäftigte keine Abgaben tätigen möchten oder sie in der Vergangenheit nicht über die Möglichkeit einer Aufstockung des Rentenversicherungsbeitrages informiert wurden105. Denkbar ist jedoch auch, dass auf diese Option verzichtet oder bewusst die Opt-Out-Variante gewählt wird, da Minijobber nur mit marginalen Rentenansprüchen rechnen, die ohnehin unter dem Grundsicherungsniveau liegen. Hinzu kommen zwei weitere Aspekte. Zum einen ist für die Beurteilung der sozialen Risiken geringfügiger Beschäftigung von Bedeutung, ob der Minijob ausschließlich oder zusätzlich zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäfti105 Befragungsdaten des RWI (2016: 74) weisen sogar darauf hin, dass rund einem Viertel der Minijobber vom Arbeitgeber explizit vorgeschlagen wurde, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen.
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
115
gungsverhältnis als Nebenjob ausgeübt wird. In letzteren Fällen sind die Risiken der sozialen Absicherung nicht im gleichen Maße vorhanden, da im Haupterwerb Ansprüche in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen erworben werden. Hinzu kommt, wie bereits angesprochen, die Frage, ob Minijobs lediglich in einer kurzen Phase eines individuellen Erwerbsverlaufs ausgeübt werden oder eine Dauererwerbsform darstellen. Wie oben beschrieben, gibt es hierzu widersprüchliche Erkenntnisse. Fest steht jedoch, dass eine eigenständige soziale Absicherung mit zunehmender Dauer im Minijob problematisch bis unmöglich wird. Gleichzeitig ist bei der geringfügigen Beschäftigung wie bei kaum einer anderen Beschäftigung der Haushaltskontext der Erwerbstätigen von Bedeutung. Eichhorst et al. (2012) kommen auf Basis von SOEP-Daten für 2010 zu dem Befund, dass rund ein Drittel aller Minijobber allein lebt, wohingegen zwei Drittel mit einem Partner zusammenleben. Eine genaue Betrachtung der Minijobber in Singlehaushalten offenbart, dass sich 37% von ihnen in Ausbildung (Schule, Studium, berufliche Ausbildung) befinden. Weitere rund 16% sind Rentner und rund 23% gehen neben dem Minijob noch einer Erwerbstätigkeit in Vollzeit nach. Von rund 11% ist kein weiteres Einkommen bekannt, 13% der Minijobber in Singlehaushalten beziehen dahingegen Transferleistungen (ebd.: 25). Die Befunde sensibilisieren daher für die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung. So gibt die alleinige Information über den Haushaltskontext insofern keine zwangsläufigen Hinweise hinsichtlich der sozialen Absicherung, als dass diese dennoch gegeben sein kann, sei es etwa durch abgeleitete Ansprüche in Ausbildungsphasen, bereits erworbene Ansprüche oder eine zusätzliche sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit. Gleichzeitig verweisen die rund 13% an Minijobbern in Singlehaushalten mit zusätzlichem Bezug von Transferleistungen darauf, dass teilweise auch prekäre Lebenslagen vorherrschen, die nicht anderweitig im Haushaltskontext abgefedert werden. Mit Blick auf Paarhaushalte und deren Erwerbskonstellationen und Lebenslagen bestätigt sich, dass in vielen Fällen anderweitige Absicherungen neben dem Minijob existieren. In 27% aller Paarhaushalte ist entweder der Minijobber selbst oder der (Ehe-) Partner in Rente. In rund 57% der Fälle ist der Partner vollzeiterwerbstätig, in rund 7% der Fälle übt der Minijobber selbst noch eine zusätzliche Beschäftigung in Vollzeit aus. Weniger als 5% der Paarhaushalte mit einem Minijobber beziehen staatliche Transferleistungen. Konstellationen, in denen der Partner ebenfalls einen Minijob oder einen Midijob ausübt, kommen äußerst selten vor (1%) – gleiches gilt für die Konstellation „Minijob und nicht erwerbstätiger Partner“ (1,2%). Diese Befunde unterstreichen die weiter oben präsentierten Befunde, wonach der Minijob in vielen Fällen eine Hinzuverdienstmöglichkeit darstellt und insbesondere dann ausgeübt wird, wenn hierdurch andere Erwerbseinkommen im Haushalt aufgestockt werden können und die soziale Absicherung durch abgeleitete Ansprüche gegeben ist.
116
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Resümierend lässt sich daher konstatieren, dass in den meisten der Fälle Minijobber nicht in Singlehaushalten leben und zudem nicht die alleinige Einkommensquelle im Haushaltskontext darstellen (vgl. für ähnliche Befunde auch RWI 2016: 36 sowie Körner et al. 2013). In den Fällen, wo dies jedoch der Fall ist, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Hierunter fallen sowohl Studierende, Rentner und Arbeitslose als auch Personen, die neben dem Minijob einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Riskant erscheint das Fehlen einer zusätzlichen Einkommensquelle insbesondere für arbeitslose Personen. Hier scheint das Risiko einer manifesten prekären Lebenslage am höchsten. Für eine abschließende Beurteilung der sozialen Risiken geringfügiger Beschäftigung sind zwei Aspekte besonders bedeutsam. Zum einen zeigen die Befunde, dass die Risiken selektiv und kumulativ wirken. Selektiv, da sie unterschiedliche Gruppen von Minijobbern in ganz unterschiedlichem Maße betreffen, kumulativ, da zumeist erst eine Kombination aus verschiedenen ungünstigen Rahmenbedingungen zu gegenwärtigen akuten Sicherungslücken führt (vgl. auch Lengfeld/Kleiner 2009: 58). Zum anderen wird deutlich, wie wichtig eine Unterscheidung zwischen den gegenwärtigen und den zukünftigen sozialen Risiken ist. Mit Blick auf gegenwärtige Risiken zeigt sich, dass durch abgeleitete Ansprüche an die Sozialversicherung in vielen Fällen keine gravierenden unmittelbaren Probleme entstehen. Gleichwohl können insbesondere durch das Fehlen weiterer Erwerbseinkommen im Haushaltskontext in einigen Fällen durchaus prekäre Lebenslagen entstehen. Diese Fälle stellen jedoch tendenziell eher die Ausnahme dar. Hinsichtlich der zukünftigen Risiken ist insbesondere eine potentiell drohende Altersarmut problematisch. Diese kann insbesondere jene Minijobber treffen, die lange Phasen in ihrer Erwerbsbiografie im Minijob beschäftigt waren und über keinerlei abgeleitete Ansprüche im Alter verfügen. Daher sind insbesondere auch Frauen potentiell gefährdet, und zwar auch dann, wenn sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch über abgeleitete soziale Sicherungsansprüche verfügen (vgl. Mayer-Ahuja 2003:52). Die bislang präsentierten Befunde zeigen jedoch auch, dass dies in der subjektiven Perspektive, insbesondere auch von im Minijob hinzuverdienenden Hausfrauen, nicht als problematisch angesehen wird. Klammer/Leiber (2006) weisen zu Recht darauf hin, dass die Legitimation der Sozialversicherung u.a. in der Tatsache begründet liegt, dass Menschen ihre zukünftigen Bedürfnisse unterschätzen und aufgrund einer hohen Gegenwartspräferenz häufig auf Vorsorge verzichten (ebd.: 291). Gleichzeitig zeigen die oben präsentierten Befunde zu den gewünschten beruflichen Perspektiven jedoch auch, dass diese Erwerbsform trotz möglicher Risiken gerade auch von vielen potentiellen Risikogruppen präferiert wird. Dies kann sich im langfristigen Erwerbs- und Lebensverlauf als Trugschluss erweisen – etwa im Falle einer Scheidung –, muss es jedoch nicht. Deutlich wird in jedem Fall das Spannungsverhältnis zwischen objektiv vorhandenen Risiken von Minijobs und der subjektiv häufig als gering eingeschätzten Wahrscheinlichkeit
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
117
des Eintritts eines worst-case-Szenarios. Abschließend lässt sich festhalten, dass Minijobs qua institutioneller Ausgestaltung und Regulierung eine eigenständige soziale Sicherung kaum bis gar nicht ermöglichen, was jedoch nicht bedeutet, dass Minijobber generell nicht sozial abgesichert sind. Besonders riskant erweist sich eine Kombination aus verschiedenen negativen Rahmenbedingungen (etwa lange Verweildauern im Minijob bei gleichzeitigem Fehlen eines zusätzlichen Haushaltseinkommens), was empirisch betrachtet jedoch die Ausnahme darstellt. Die Kontroversen um die tatsächlichen mit Minijobs verbundenen sozialen Risiken entstehen letztlich häufig auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher normativer Überzeugungen, bei denen Vertreter, die sich für eine eigenständige soziale Sicherung einer jeden Einzelperson aussprechen, anderen Beobachtern gegenüberstehen, für die eine abgeleitete soziale Absicherung unproblematisch ist. 3.5.4 Verfestigung geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt Die skizzierten Risiken geringfügiger Beschäftigung werden auch aus gleichstellungspolitischer und feministischer Perspektive scharf kritisiert, da argumentiert wird, dass vor allem Frauen von den mit Minijobs verbundenen Risiken betroffen seien. Hierbei werden vor allem die institutionelle Regulierung und die hiermit verbundenen Anreize zur Ausübung eines Minijobs moniert. So kam die Sachverständigenkommission zur Erstellung des Ersten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung (2011) zu dem Schluss, die Subventionierung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse gehöre abgeschafft, da sie ein klassisches Frauenbild fördere und eine volle Erwerbsintegration von Frauen erschwere. „Die gegenwärtige Minijobstrategie muss aus der Perspektive der Geschlechtergleichstellung über den Lebensverlauf als desaströs bezeichnet werden“ (ebd.: 135). Auch Zimmer (2010: 310) kommt zu dem Schluss, dass durch Minijobs die Rolle der Frau als Zuverdienerin zementiert werde, was zu einer Vertiefung geschlechtsspezifischer Ungleichheit am Arbeitsmarkt führe. Voss/Weinkopf (2012) urteilen, die institutionelle Regulierung von Minijobs halte den hohen Anteil an Frauen in kurzen Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen künstlich aufrecht. Diese Argumentationsmuster laufen auf die Forderung nach einem Adult-Worker-Model hinaus (vgl. Lewis 2004), das im Rahmen der Strategie der Europäischen Union (2010-2015) zur Gleichstellung von Männern und Frauen formuliert wurde. Das Leitbild hierbei ist, dass „grundsätzlich jede und jeder Erwachsene – ob Frau oder Mann – in allen Lebensphasen den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst bestreiten soll“ (Klenner/Schmidt 2012: 22; vgl. auch Voss 2013). Dass diese Forderung gerade auch im wissenschaftlichen Diskurs in Deutschland auf fruchtbaren Boden trifft, hängt mit den immer noch recht traditionellen Erwerbsmustern von Männern und Frauen zusammen. Wanger (2015) kann auf
118
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Basis des Mikrozensus 2011 zeigen, dass die „klassischen“ Erwerbsmuster bei Paaren in Deutschland immer noch weit verbreitet sind. Bei Paaren ohne Kinder zeigt sich dies jedoch nur in abgeschwächter Form. Hier ist mit 45% das weitverbreitetste Erwerbsmuster eine Vollzeitbeschäftigung sowohl des Mannes als auch der Frau (ebd.: 6). Handelt es sich hingegen um Paare mit Kindern, so lässt sich eine deutliche Verschiebung in Richtung einer „klassischen“ Rollenverteilung beobachten. Hier ist das am häufigsten anzutreffende Erwerbsmuster die Kombination aus einer Vollzeitbeschäftigung des Mannes und einer Teilzeitbeschäftigung der Frau. Nur in etwas mehr als einem Fünftel der Fälle sind sowohl Mann als auch Frau vollzeiterwerbstätig. Es zeigt sich daher, „dass sich die Aufteilung der Berufsund Familienarbeit insbesondere dann nach Geschlecht spezialisiert, wenn Kinder im Haushalt leben“ (Wanger 2015: 8). Wenngleich einige Umfragen zeigen, dass sich viele Eltern eine gleichmäßigere Aufteilung dieser Sphären wünschen (vgl. etwa Müller et al. 2013), dominiert in der Praxis jenes Modell, in dem der Mann der Haupternährer ist. Gleichzeitig weisen empirische Befunde darauf hin, dass die persönlichen Arbeitszeitwünsche vieler Paare diesem Arrangement insofern entsprechen, als dass Mütter lediglich geringe Arbeitszeiterhöhungswünsche und Väter nur geringe Arbeitszeitreduzierungswünsche äußern (Wanger 2015: 7f.). Die recht häufig anzutreffende „klassische“ Konstellation kann hierbei Ausdruck persönlicher Wünsche und Vorstellungen sein, die zudem durch institutionelle Anreizstrukturen im Sozialversicherungs- und Steuerrecht getriggert werden. Hinzu kommen weitere Einflussfaktoren wie etwa die Nähe zu Familienangehörigen oder das Angebot infrastruktureller Rahmenbedingungen (insbesondere Kinderbetreuungsmöglichkeiten), die dieses vielschichtige Bild komplettieren. Für diese Beobachtung spricht auch ein Blick auf die im Minijob beschäftigten Frauen. So kommt die BMFSFJ-Studie (2012) zu dem Ergebnis, dass 82% aller Frauen im ausschließlichen Minijob verheiratet sind (ebd.: 46; vgl. auch Körner et al. 2013: 53). Zudem ist in neun von zehn Fällen der Partner von verheirateten geringfügig beschäftigten Frauen vollzeiterwerbstätig. Konstellationen, in denen der Partner der Frauen staatliche Transferleistungen bezieht, selbst im Minijob arbeitet oder nicht erwerbstätig ist, kommen so gut wie nicht vor (BMFSFJ 2012: 49). Gleichzeitig weisen verheiratete Frauen im ausschließlichen Minijob deutlich längere Verweildauern in dieser Erwerbsform auf als ledige Frauen. Während rund die Hälfte der verheirateten Frauen bereits seit mehr als sechs Jahren im Minijob arbeitet, sind es bei ledigen Frauen drei Viertel, die seit maximal drei Jahren geringfügig beschäftigt sind (BMFSFJ 2012: 47). Diese Befunde unterstreichen, dass Minijobs als Dauererwerbsform insbesondere für anderweitig abgesicherte Frauen attraktiv sind. Auch Klenner/Schmidt (2012) können deutliche Unterschiede in den Erwerbsverläufen verschiedener Gruppen von Frauen feststellen. So ist der Verlaufstyp „stabile Vollzeit“ bei Frauen ohne Kinder der am weitesten verbreitete,
3.5 Minijobs im wissenschaftlichen und politischen Diskurs
119
wobei dennoch rund ein Viertel der Frauen ohne Kinder einen diskontinuierlichprekären Erwerbsverlauf aufweist. Bei diesem Typus handelt es sich um Erwerbsverläufe, in denen sich Episoden von Teilzeit, Erziehungszeit und Arbeitslosigkeit abwechseln. Rund ein Drittel dieser Frauen weist eine Minjobepisode auf (ebd.: 25). Eine genauere Untersuchung der Autorinnen zu den Erwerbsverläufen von Frauen mit Minijobs zeigt ein sehr heterogenes Bild. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Minijobs insbesondere in Teilzeiterwerbsverläufen von Frauen mit Kindern sowie diskontinuierlich-prekären Verläufen von sowohl kinderlosen Frauen als auch solchen mit Kindern vorkommen. Weiter wird deutlich, dass stabile Minijobepisoden insbesondere bei verheirateten Frauen in Westdeutschland vorkommen (ebd.: 26ff.). Zeitgleich ist über all diese Erwerbsverlaufsmuster hinweg erkennbar, dass schlecht qualifizierte Frauen ohne beruflichen Abschluss durchschnittlich deutlich länger im Minijob arbeiten als besser qualifizierte Frauen. Zusammenfassend deuten die Befunde auf eine hohe Heterogenität der Erwerbsverläufe von Frauen mit Minijob hin. „Minijobs im Erwerbsverlauf von Frauen haben nicht für alle Frauen die gleiche Funktion und Bedeutung im Lebensverlauf“ (Klenner/Schmidt 2012: 30). Dass geringfügige Beschäftigung für Frauen potentiell mit Risiken verbunden ist, insbesondere auch im Hinblick auf die Alterssicherung, ist indes auch für die Frauen selbst kein Geheimnis. Von den ausschließlich geringfügig beschäftigten Frauen, die den Minijob nicht zusätzlich zum Studium, der Rente oder einer Beschäftigung in Teil- oder Vollzeit ausüben, stimmen drei Viertel der Aussage zu, dass der Minijob für Frauen eher schlecht sei, da er im Vergleich zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung eine wesentlich schlechtere soziale Absicherung gewähre (BMFSFJ 2012: 42). Fast zwei Drittel dieser Frauen im Minijob stimmt zudem der Aussage zu, dass sie in ihrem Minijob finanziell sehr abhängig vom Partner sind und rund 60% gestehen ein, dass sie für ihre finanzielle Alterssicherung mit ihrem Minijob nichts tun können (ebd.). Trotz dieser Einschätzungen lehnen drei von vier Frauen eine Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für Minijobs ab. Es zeigt sich hier eine Diskrepanz zwischen dem Wissen um die Risiken und dem eigenen Erwerbsverhalten. Diese Befunde lassen vermuten, dass für viele Frauen im Minijob die Risiken subjektiv als überschaubar angesehen werden und anscheinend ein hohes Vertrauen in eine anderweitige Absicherung, insbesondere durch den (Ehe-) Partner, vorherrscht. Abschließend lässt sich urteilen, dass Minijobs in gewissem Maße durchaus zu einer Verfestigung geschlechtsspezifischer Segregation auf dem Arbeitsmarkt führen. Ein genauer Blick auf verschiedene Frauengruppen innerhalb dieser Erwerbsform ist jedoch unbedingt ratsam. Als Dauererwerbsform sind Minijobs insbesondere ein Phänomen verheirateter Frauen, häufig auch in Kombination mit Kindern im Haushalt. Hier spielen die sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Anreize eine Rolle, wobei ebenso deutlich wird, dass das institutionelle
120
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Setting das Erwerbsverhalten verheirateter Frauen nur zum Teil erklären kann. In vielen Fällen werden Minijobs für verheiratete Frauen zur Dauererwerbsform, weil es ihren Erwerbswünschen entspricht. Sicherlich ist der Hinweis vieler Autoren, dass hiermit potentiell auch Risiken verbunden sind und keine eigenständigen sozialen Sicherungsansprüche erworben werden, richtig. Es zeigt sich aber, dass dies den verheirateten Frauen in den meisten der Fälle durchaus bewusst ist und trotzdem in vielen Fällen kein Veränderungswunsch besteht sowie kein Anpassungsbedarf der institutionellen Regulierung dieser Erwerbsform gesehen wird. Gleichzeitig offenbart sich, dass für Frauen Minijobs auch unfreiwillig zu einem charakteristischen Merkmal des eigenen Erwerbsverlaufs werden können, was insbesondere auf niedrigqualifizierte Frauen zutrifft. Fest steht, dass eine ausschließliche Fokussierung auf die institutionelle Regulierung geringfügiger Beschäftigung als Erklärungsansatz für Geschlechtsungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt zu kurz greift. In vielen Fällen verhindert nicht das institutionelle Setting eine breitere Integration in den ersten Arbeitsmarkt, sondern die Kombination aus verschiedenen ungünstigen Merkmalen, wobei insbesondere fehlende berufliche Abschlüsse und niedrige Qualifikationen die primären Probleme darstellen. Deutlich wird daher die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung, denn einerseits handelt es sich bei Frauen im Minijob um eine äußerst heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Erwerbswünschen, Lebensphasen und Haushaltskontexten, andererseits zeigen auch die subjektiven Einschätzungen der Frauen, in welch komplexem Wechselverhältnis die objektiv vorhandenen und subjektiv empfundenen Risiken dieser Erwerbsform zueinander stehen. 3.6 Geringfügige Beschäftigung zwischen Flexibilität und Unsicherheit In der Gesamtschau der hier präsentierten Forschungserkenntnisse zu geringfügiger Beschäftigung in Deutschland wird deutlich, dass hinsichtlich vieler objektiver Faktoren bereits ein fundierter Wissensbestand geschaffen wurde. Dies trifft vor allem auf Fragen der Entlohnung von Minijobbern, ihren Arbeitszeiten und der (Nicht-) Gewährung von Arbeitnehmerrechten zu. Ebenso wurden die sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Anreizmechanismen dieser Erwerbsform wissenschaftlich breit debattiert und spezielle Gruppen von Minijobbern, für welche diese Anreizmechanismen besonders stark wirken, identifiziert. Gleiches gilt für die Soziodemografie der geringfügig Beschäftigten sowie abgeschwächt für die Nutzung geringfügiger Beschäftigung in deutschen Betrieben. Die obigen Ausführungen zeigen, wie schwierig eine pauschale Beurteilung dieser Erwerbsform ist – zu heterogen ist die Gruppe der Minijobber hinsichtlich ihrer Lebenslagen und -phasen, ihres Haushaltskontextes, ihrer Motive zur Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung sowie ihrer beruflichen Zukunftspläne. Es ist ins-
3.6 Geringfügige Beschäftigung zwischen Flexibilität und Unsicherheit
121
besondere diese hohe Heterogenität, die eine differenzierte Betrachtung von Minijobs zwingend erforderlich macht. Deutlich wurde, dass Minijobs häufig unterdurchschnittlich entlohnt werden, institutionell zugesicherte Arbeitnehmerrechte überdurchschnittlich häufig nicht gewährt werden und die Entwicklungsund Weiterbildungsmöglichkeiten von Minijobbern häufig schlecht sind. In Kombination mit der durch die institutionellen Rahmenbedingungen dieser Erwerbsform verbundenen fehlenden eigenständigen sozialen Absicherung können zweifelsfrei riskante Aspekte dieser Erwerbsform identifiziert werden. Ebenso wurde deutlich, dass die politischen Ziele der Reform der geringfügigen Beschäftigung von 2003 und hierbei vor allem eine verstärkte Brückenfunktion im Rückblick als größtenteils gescheitert beurteilt werden müssen – zumindest, wenn man die quantitativen Arbeitsmarkteffekte hierzu betrachtet. Gleichzeitig konnte gezeigt werden, dass den riskanten Aspekten geringfügiger Beschäftigung auch eher unproblematische gegenüberstehen. Demnach scheint diese Erwerbsform für viele Beschäftigte eine Hinzuverdienstmöglichkeit darzustellen, die nicht selten passgenau mit den individuellen Ansprüchen an eine eher marginale Erwerbspartizipation vor dem Hintergrund der jeweiligen Lebensphasen zusammenfällt – etwa bei Rentnern, Schülern und Studierenden, aber auch bei vielen Ehefrauen. Auch die soziale Absicherung ist in vielen Fällen gegeben. Klar ist, dass die weitgehende Sozialversicherungsfreiheit von Minijobs potentiell viele Risiken beinhaltet. Die bisherigen Forschungserkenntnisse sensibilisieren jedoch vor allzu schnellen Urteilen, da häufig abgeleitete soziale Sicherungsansprüche bestehen, Minijobs für Teile der Beschäftigten lediglich temporäre Erwerbsphasen darstellen und häufig eine Ergänzung des Haushaltseinkommens darstellen. Wie weiter oben gezeigt, ist daher mit Blick auf die potentiellen Risiken von Minijobs eine differenzierte Betrachtung der Beschäftigten notwendig, da die mit dieser Erwerbsform verbundenen Gefahren äußerst selektiv auf bestimmte Personen(gruppen) wirken und sich häufig erst durch kumulative ungünstige Rahmenbedingungen vollends entfalten. In diesen Fällen jedoch ist geringfügige Beschäftigung höchst risikovoll, sei es im Hinblick auf die gegenwärtigen sozioökonomischen Lebenslagen der Beschäftigten sowie zukünftiger Risiken wie Altersarmut. Die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Minijobs weist jedoch auch unübersehbare Lücken auf. So mangelt es bislang insbesondere an wissenschaftlichen Untersuchungen, welche die subjektiven Ansprüche, Einschätzungen und Beurteilungen der geringfügig Beschäftigten stärker einbeziehen. Wie der hier präsentierte Forschungsstand zu Minijobs gezeigt hat, existieren lediglich vereinzelt Untersuchungen, die geringfügig Beschäftigte zu einzelnen Aspekten ihrer Beschäftigung befragen – hier mit deutlicher Konzentration auf den Motiven zur Ausübung eines Minijobs und den Arbeitszeitwünschen. Oftmals wird diese Beschäftigungsform jedoch auch ausschließlich auf Basis ihres quantitativen Ausmaßes und der politisch-institutionellen Anreizmecha-
122
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
nismen diskutiert und nicht selten kritisiert. Insgesamt ist wissenschaftlich jedoch zu weiten Teilen unbekannt, wie Minijobber selbst auf ihre Arbeit blicken und welche Aspekte sie selbst als problematisch ansehen oder positiv bewerten. Dies überrascht insofern, als dass, wie gezeigt, geringfügige Beschäftigung äußerst kontrovers diskutiert wird und vor allem vor den Risiken für die Beschäftigten gewarnt wird. Vereinzelte empirische Befunde zu subjektiven Einschätzungen der Minijobber deuten derweil darauf hin, dass dieser bisherige Verzicht eines Einbezuges der subjektiven Wahrnehmung dieser Beschäftigungsform durch die Minijobber nicht selten zu verkürzten Befunden führt. So wurde etwa im Hinblick auf die Beurteilung der Angemessenheit des Lohnes oder der Einschätzung der Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Minijob bereits deutlich, dass hier die subjektiven Wahrnehmungen der Beschäftigten und die objektiven Erwerbslagen auseinanderfallen können. Diese Erkenntnisse mögen paradox anmuten, unterstreichen jedoch die Notwendigkeit, die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu geringfügiger Beschäftigung stärker als bisher um die subjektive Wahrnehmung der Beschäftigten zu ergänzen. Es ist daher Körner et al. (2013) zuzustimmen, wenn sie schlussfolgern, „dass themenspezifische Befragungen als Ergänzung zu den laufenden und etablierten Arbeitsmarktstatistiken einen wertvollen Beitrag leisten“ (ebd.: 61). Die angesprochene unzureichende Inklusion der Beschäftigtensicht manifestiert sich in verschiedenen Feldern. Zuvorderst ist trotz jahrelanger Forschung zu Minijobs erstaunlich wenig über die Wahrnehmung der Arbeitssituation von geringfügig Beschäftigten bekannt. Am ehesten finden sich noch Erkenntnisse zu den Entwicklungsmöglichkeiten und der Einschätzung der materiellen Vergütung im Rahmen des Minijobs. Indes ist so gut wie nichts bekannt über die Einschätzung der Minijobber bezüglich ihrer Tätigkeiten und Arbeitsinhalte. Einzelne Befunde, etwa bei Körner et al. (2013), geben hierbei Anlass zur Vermutung, dass auch intrinsische und soziale Aspekte wie Spaß an der Arbeit oder das Arbeitsumfeld für die Minijobber wichtig sind. Es erscheint daher verkürzt, diese Erwerbsform und ihre Folgen für die Beschäftigten lediglich auf Basis von Arbeitsmarktkennziffern und der politisch-institutionellen Regulierung zu beurteilen. Auch der betriebliche Kontext, in dem geringfügige Beschäftigung geleistet wird, stellt bislang weitgehend eine Blackbox dar. Dies umfasst etwa die Einschätzung und Beurteilung des Betriebsklimas, das Verhältnis zu Vorgesetzen und Kollegen sowie die Möglichkeiten, eigene Interessen zu artikulieren, was auch Fragen nach der betrieblichen Interessenvertretung aufwirft. Ebenso ist nichts über mögliche psychische und physische Belastungen, die aus der Erwerbsarbeit und den Tätigkeiten im Minijob resultieren, bekannt. Somit werden bislang zentrale Aspekte der im Rahmen von Minijobs geleisteten Erwerbsarbeit ausgeblendet, von denen angenommen werden kann, dass sie nicht nur für die Beschäftigten und ihre Beurteilung des Minijobs von Bedeutung sind, sondern
3.6 Geringfügige Beschäftigung zwischen Flexibilität und Unsicherheit
123
auch für die sozialwissenschaftliche Forschung zu dieser Erwerbsform. Diese Forschungslücken sind insofern überraschend, als dass Minijobs häufig als Paradebeispiel prekärer Arbeitsverhältnisse angeführt werden (Brinkmann et al. 2006), gleichzeitig jedoch bislang unbekannt ist, ob diese Erwerbsform für die Beschäftigten tatsächlich „subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit“ (ebd.: 17) verbunden ist. Hiermit im Zusammenhang steht auch, dass zwar häufig die mit Minijobs verbundenen Risiken hervorgehoben werden, ohne dass jedoch der Frage nachgegangen wird, ob diese Risiken auch von den Minijobbern selbst geteilt werden. So ist bislang sehr wenig über mögliche Sorgen vor Arbeitslosigkeit, problematischen finanziellen Situationen, einem drohenden sozialen Abstieg oder der Sorge vor Altersarmut der Minijobber bekannt. Dort, wo hierzu einige Erkenntnisse generiert wurden, zeigen sich ambivalente Befunde, die zum Teil erheblich von bisherigen wissenschaftlichen Deutungsmustern abweichen. Gleiches gilt für die Frage, welche Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit für die geringfügig Beschäftigten zukommt. Die heterogene Zusammensetzung der Minijobber und die Tatsache, dass diese Erwerbsform für viele von ihnen einen Zuverdienst im niedrigen Arbeitszeitsegment darstellt, lässt vermuten, dass Teile der Minijobber nicht in dem Maße erwerbszentriert denken und handeln, wie es von einigen wissenschaftlichen Autoren implizit unterstellt wird. Defizitär ist darüber hinaus, dass bislang kaum vertiefte Einblicke hinsichtlich der individuellen Erwerbsperspektiven und der durch den Minijob entstehenden oder verhinderten Beschäftigungschancen gewonnen wurden. Hierdurch könnten aufschlussreiche und vertiefende Erkenntnisse hinsichtlich der Frage, ob Minijobs aus der Perspektive der Beschäftigten Notlösungen der Erwerbspartizipation darstellen und inwiefern die im Minijob erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten als hilfreich auf dem Arbeitsmarkt eingeschätzt werden, generiert werden. Wie weiter oben in der Arbeit bereits angedeutet, geben einige wenige empirische Befunde zur Einschätzung von Minijobs durch geringfügig Beschäftigte Anlass zu der Vermutung, dass die Arbeit im Rahmen dieser Erwerbsform trotz objektiv problematischer Aspekte nicht von allen Beschäftigten als prekär, unsicher oder mit hohen Risiken verbunden wahrgenommen wird. Dafür spricht auch, dass Daten des Sozioökonomischen Panels von 2013 belegen, dass geringfügig Beschäftigte im Durschnitt genauso zufrieden mit ihrer Arbeit sind wie Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte (vgl. Brenke 2015: 719). Ungeachtet der mit dem Konzept der Arbeitszufriedenheit verbundenen konzeptionellen und methodischen Schwierigkeiten (vgl. hierzu das folgende Kapitel), lassen diese Befunde in der Gesamtschau aufhorchen, geben sie doch Hinweise auf ein Auseinanderfallen der subjektiven Wahrnehmung und der objektiven Rahmenbedingungen dieser Erwerbsform. Die sozialwissenschaftliche Forschung hat derartige Widersprüche bislang wenn nicht ignoriert, so doch zumindest nicht erklären können.
124
3 Geringfügige Beschäftigung in Deutschland
Zudem verhindert ein stärkerer Einbezug der subjektiven Perspektive der Minijobber auch die Identifizierung von Problemgruppen, für die der Minijob objektiv mit großen Risiken verbunden ist, die Arbeitssituation durch widrige Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen charakterisiert ist und wo sich subjektive Frustration und Abstiegsangst ausbreiten. Im Folgenden wird daher auf Basis des hier präsentierten Forschungsstandes sowie der aufgezeigten Forschungslücken argumentiert, dass für ein besseres Verständnis und differenziertere Beurteilungsmöglichkeiten dieser Erwerbsform ein stärkerer Einbezug der subjektiven Perspektiven und Beurteilungen geringfügig Beschäftigter vonnöten ist. Nicht zuletzt soll daher die Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob und hiermit auch die Frage nach der Arbeitsqualität geringfügiger Beschäftigung in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Im nächsten Kapitel werden hierzu einige konzeptionelle Überlegungen präsentiert.
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Wie zu Beginn dieser Arbeit dargelegt, erfüllt Erwerbsarbeit verschiedene Funktionen, die auf individueller Ebene weit über die reine materielle Daseinsfürsorge hinausgehen. Wenn Erwerbsarbeit als eine Form sozialen Handels verstanden werden kann, die identitätsbildend wirkt, positive psychosoziale Wirkungen haben kann und in eine Vielzahl sozialer Prozesse eingebunden ist, so folgt hieraus, dass für eine differenzierte Analyse von Erwerbsarbeit eine stärkere Integration der subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen der Beschäftigten notwendig ist. Dies gilt, wie in den obigen Ausführungen deutlich wurde, insbesondere auch für atypische Beschäftigungsformen und der in ihnen geleisteten Erwerbsarbeit und im Speziellen für die geringfügige Beschäftigung, in deren Erforschung und Analyse eine derartige Perspektive bislang nur eine marginale Beachtung findet. Die weitgehende Fokussierung auf institutionelle Rahmenbedingungen und objektive Beschäftigungsbedingungen in weiten Teilen der (sozialwissenschaftlichen) Forschung verhindert hierbei häufig eine mehrdimensionale Betrachtung neuer Erwerbsformen, die Gefahr läuft, durch den Verzicht einer Integration der subjektiven Ansprüche und Beurteilungen von Beschäftigten einer strukturdeterministischen Argumentation anzuhängen. Wie gezeigt, kann dies insofern problematisch sein, als dass eine derartige Betrachtung einerseits die hohe Heterogenität von Beschäftigten und den spezifischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie andererseits das Wechselverhältnis zwischen objektiven Erwerbslagen und deren subjektiver Beurteilung nur unzureichend abzubilden vermag. Im Folgenden werden daher Forschungsansätze ins Zentrum der Betrachtung gerückt, die einen theoretisch-konzeptionell unterfütterten Zugang zur Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von Erwerbstätigen erlauben und hiermit wertvolle vertiefende Zugänge für die Analyse der in dieser Arbeit untersuchten geringfügigen Beschäftigung ermöglichen. 4.1 Erwerbsarbeit und Subjektorientierung In der arbeits- und industriesoziologischen Erforschung von Arbeitsmärkten und Erwerbsarbeit stellt die Beleuchtung der subjektiven Wahrnehmung von Be© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_4
126
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
schäftigten zwar keine absolute Ausnahme dar, steht jedoch häufig nicht im Zentrum des Forschungsinteresses. In der Historie arbeits- und industriesoziologischer Forschung seit Ende des Zweiten Weltkriegs gab es jedoch gewisse Wellenbewegungen, d.h. eine Subjektorientierung in der Befassung mit Erwerbsarbeit war mal stark und mal weniger stark ausgeprägt (vgl. Langfeldt 2009). Erste wichtige Impulse stellten die subjektorientierten Forschungen zum Arbeiterbewusstsein dar, die zwischen Mitte der 1950er und Ende der 1970er Jahre eine Hochphase erlebten (vgl., unter vielen, die einflussreichen Studien von Popitz et al. 1957, Goldthorpe et al. 1970, Kern/Schumann 1970 sowie Kudera et al. 1979). Den Ausgangspunkt dieser Studien bildeten die tayloristischfordistischen Arbeitsbedingungen sowie verschärfte Rationalisierungsprozesse und -techniken in Industriebetrieben. Im Fokus des Interesses standen daher insbesondere die vermuteten negativen Folgen für die Arbeiterschaft, die sich repetitiven und monotonen Tätigkeiten, straffen betrieblichen Hierarchien und einem hohen Maß direkter Kontrolle ausgesetzt sah. Diese Studien fragten infolgedessen sowohl nach möglichen Dequalifizierungs- und Polarisierungstendenzen als Folge einer verschärften technischen Rationalisierung und Automatisierung sowie nach den (insbesondere gesellschaftspolitischen) Einstellungen der Arbeiter. Letzterer Aspekt war vor allem deshalb virulent, als dass etwa Schelskys Zeitdiagnose einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft eine Verbürgerlichung der Arbeiterschaft postulierte (Schelsky 1957), wonach aufgrund kollektiver Wohlstandsgewinne der Klassenkonflikt zum Klassenkompromiss würde (vgl. Schumann 2016: 555). Diese These traf jedoch insofern auf Skepsis, als dass sie diametral zu den häufig als inhuman erachteten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Arbeiterschaft lag. In der Arbeiterbewusstseinsforschung lag folglich ein wesentlicher Forschungsschwerpunkt auf der Betrachtung der kollektiven Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Arbeiter: ausgehend von der Überlegung, dass sich im Industriebetrieb die gesellschaftlichen Herrschaftsund Machtverhältnisse widerspiegeln, ging es nicht zuletzt um die Frage, in welchem Maße die Arbeiter ein kollektives Bewusstsein der Unterprivilegierung besitzen und inwiefern sich hier Potentiale für eine Umwälzung der gesellschaftlichen Produktions- und Machtverhältnisse finden lassen (vgl. ebd.). Wenngleich die Arbeiterbewusstseinsforschung einen wichtigen Beitrag zu der Befassung mit den subjektiven Wahrnehmungen von Beschäftigten lieferte, indem sie insbesondere die subjektive Verarbeitung technologischer Rationalisierung im Arbeitsprozess untersuchte, lief die Suche nach „dem“ Arbeiterbewusstsein weitgehend ins Leere. So konnte etwa in der wegweisenden Studie zu „Industriearbeit und Arbeiterbewusstsein“ (Kern/Schumann 1970) zwar gezeigt werden, dass der Klassenkompromiss brüchig und die Distanz der Arbeiter zu betrieblichen und gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen bestehen blieb, dies jedoch nicht mit einer handlungsrelevanten Delegitimierung der bestehen-
4.1 Erwerbsarbeit und Subjektorientierung
127
den Machtverhältnisse verbunden war. „Die grundlegenden gesellschaftlichen Machtverhältnisse wurden von den Arbeitern nicht angezweifelt. Insofern mussten wir feststellen, dass eine unserer zentralen Fragestellungen nach gesellschaftlicher ‚Bewegung‘ durch die Arbeiterschaft ins Leere lief. Die Suche nach dem ‚Subjekt‘ für gesellschaftlichen Umbruch führte zu keinem positiven Ergebnis“ (Schumann 2016: 555). Hinzu kommt, dass sich sämtliche Arbeiterbewusstseinsstudien ausschließlich auf (zumeist männliche) Arbeiter in der Industrie konzentrierten, was angesichts des sich bereits seit den 1970er Jahren abzeichnenden Strukturwandels der Arbeitswelt, insbesondere der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit und des sektoralen Wandels in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft, einige Blindstellen produzierte (vgl. Hoose 2016: 68)106. In den 1980er Jahren verflachte die Arbeiterbewusstseinsforschung zusehends, bevor es in den 1990er Jahren zu einem Revival der Subjektorientierung in der arbeitssoziologischen Forschung kam. Ausschlaggebend hierfür waren die Debatten um die Subjektivierung von Arbeit. Anders als die Bewusstseinsforschung standen hier jedoch nicht kollektive Deutungsmuster und gesellschaftspolitische Einstellungen der Arbeiter im Zentrum des Interesses, sondern „die Relevanz der Subjekte im Kontext der neuen Managementkonzepte“ (Marrs 2007: 62). Im Zuge einer beobachteten Flexibilisierung von Arbeit sowie neuen Formen betrieblicher Rationalisierung rückte die Subjektivierung von Arbeit ins Zentrum des Forschungsinteresses. Konstatiert wurde hierbei ein doppelter Subjektivierungsprozess, in dem einerseits Betriebe vermehrt auf die subjektiven Eigenschaften und Fähigkeiten von Beschäftigten zugreifen und diese in betriebliche Rationalisierungsprozesse einzubinden versuchen, andererseits jedoch auch die Beschäftigten selbst vermehrt subjektive Ansprüche an die Erwerbsarbeit herantragen (vgl. vertiefend, unter vielen, die Beiträge in Moldaschl/Voß 2002 sowie Minssen 2012: 117ff.). Folglich, so die These, erfährt das Subjekt im Arbeitsprozess einen Bedeutungsgewinn: während Betriebe in der Arbeitsorganisation aus Rationalisierungs- und Effizienzgründen zunehmend auf das Subjekt als Ganzes zugreifen, äußern Beschäftigte, so schon Baethge (1991), vermehrt den Wunsch, subjektive Ansprüche wie Selbstentfaltung, Kreativität und Gestaltungsspielraum in der Arbeit zu verwirklichen107. Die Folgen, so das Gros der Autoren, seien 106 Voß (1984: 3ff.) weist zudem auf den häufig recht schwammigen Begriff des Bewusstseins in diesen Studien hin. Unklar sei hier zum einen die Reichweite der Betrachtung, d.h. ob der Fokus auf der konkreten Arbeitssituation, der Interessenartikulation, dem politischen Bewusstsein oder einem Technik- und Rationalisierungsbewusstsein liege. Ebenso seien häufig viele weitere Begriffe wie Einstellung, Gesellschaftsbild, Mentalität oder Ideologie synonym genutzt worden und aus Befunden hierzu auf „das“ Arbeiterbewusstsein geschlossen worden (ebd.). 107 Eng verbunden hiermit ist die populär gewordene These des Arbeitskraftunternehmers (Voß/ Pongratz 1998). So komme es zu einem fundamentalen Formwandel von Erwerbsarbeit, in welcher der Idealtypus des Arbeitskraftunternehmers zunehmend den für den Taylorismus und
128
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
ambivalent: erweiterten Handlungs- und Gestaltungsspielräumen der Beschäftigten stünden Risiken der Überforderung, Entgrenzung und einer vollumfassenden betrieblichen Verfügung über das Subjekt entgegen (vgl. Keupp 2010: 251; Pongratz/Voß 2003: 217). Trotz des großen Einflusses der Subjektivierungsdebatten auf die arbeitssoziologische Forschung wurde an der These insbesondere dahingehend Kritik geäußert, als dass eine quantitative Abschätzung dieses vermuteten Transformationsprozesses und damit auch eine mögliche Generalisierbarkeit der theoretischen Vermutungen nur schwer möglich sei. Unklar sei daher vor allem die empirische Reichweite derartiger Entwicklungen108 (vgl. Lohr 2013). Mit Blick auf die postulierte Zunahme subjektiver Selbstentfaltungsansprüche an Arbeit zeigen empirische Befunde zudem, dass sich Veränderungen in den Arbeitsansprüchen von Beschäftigten einem eindeutigen Muster entziehen und es zwar zu einer Neukonfiguration von Arbeitswerten kommt, ohne dass sich jedoch eine gravierende Verschiebung von extrinsischen hin zu intrinsischen Werten nachweisen lässt (vgl. etwa Hauff 2008). Zu guter Letzt weisen auch Teile der weiter oben angesprochenen Prekarisierungsforschung eine mehr oder weniger starke Subjektorientierung auf (vgl. etwa Brinkmann et al. 2006, Grimm et al. 2013, Gefken et al. 2015, Dörre 2012 sowie Rademacher/Lobato 2008). Im Zentrum dieser Forschungsarbeiten stehen zumeist zwei zentrale Aspekte: zum einen wird nach den subjektiven Verarbeitungsformen von als unsicher oder prekär wahrgenommener Erwerbsarbeit gefragt und zum anderen danach, in welchem Maße für prekäre Beschäftigte das Normalarbeitsverhältnis und die Normalerwerbsbiografie noch als Referenzrahmen dient (vgl. Gefken et al. 2015 sowie Schiek 2010). Die empirischen Befunde dieser Studien unterstreichen insgesamt, dass hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung und Verarbeitung unsicherer Beschäftigungsverhältnisse oder unsteter Erwerbsbiografien eine hohe Heterogenität vorherrscht. So lässt sich weder eine eindeutige Ablösung vom NAV als Orientierungsrahmen noch ein Festhalten hieran nachweisen. Vielmehr zeigen sich sehr unterschiedliche Bewertungen und Beurteilungen der eigenen Erwerbssituation, die von der Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage über eine Umdeutung der objektiven Situation bis hin zu Fordismus typischen verberuflichten Arbeitnehmer ablöse. Den neuen Flexibilitätsanforderungen begegneten Betriebe, so die These, mit einem neuen Steuerungsmodus, in dessen Folge Selbstkontrolle, Selbstökonomisierung und Selbstrationalisierung an Bedeutung für Beschäftigte gewinnen (vgl. ebd. sowie Hoose 2016: 74ff.). 108 Empirische Studien zum Arbeitskraftunternehmer konnten etwa zeigen, dass Aspekte dieses Idealtypus insbesondere bei hochqualifizierten Angestellten in bestimmten, häufig kreativen und wissensintensiven, Dienstleistungsbranchen beobachtbar sind, ein genereller und alle Beschäftigten einschließender Transformationsprozess von Erwerbsarbeit jedoch nicht stattfinde (vgl. zur Diskussion der empirischen Relevanz der Arbeitskraftunternehmer- und Subjektivierungsthese Hoose 2016: 75ff.).
4.1 Erwerbsarbeit und Subjektorientierung
129
Desillusionierung und individueller Frustration reichen (Gefken et al. 2015; Brinkmann et al. 2006). Insgesamt zeigen derartig ausgerichtete Untersuchungen daher, und dies stellt in gewisser Weise eine Parallele zu den oben skizzierten Forschungen zum Arbeiterbewusstsein dar, dass ähnliche objektive Erwerbslagen keine kollektiv geteilten (Problem-)Wahrnehmungen nach sich ziehen, d.h. ähnliche Erwerbsstrukturen und Erwerbssituationen von Subjekten ganz unterschiedlich gedeutet, verarbeitet und beurteilt werden. Ein wesentliches Verdienst dieser Studien liegt zweifelsfrei darin, durch die Integration der Beschäftigtenperspektive das Augenmerk auf die subjektiven Folgen unsicherer Beschäftigung zu lenken. Allerdings sind die Befunde kaum generalisierbar, da es sich in allen Fällen um explorative qualitative Studien handelt und die Fallauswahl sich häufig explizit auf Personen konzentriert, die ihre Erwerbslage als unsicher oder prekär empfinden. So entsteht ein Bias, da etwa Beschäftigte in objektiv unsicheren Erwerbslagen, jedoch ohne Prekaritätsempfinden, in derartigen Studien kaum Berücksichtigung finden. Hinzu kommt, dass in diesen Studien die konkrete Arbeitssituation der Beschäftigten so gut wie keine Berücksichtigung findet. Die kursorische Skizze subjektorientierter Forschungen in der Arbeitssoziologie verdeutlicht, dass sich bereits eine Vielzahl von Studien und Forschungsrichtungen mit der Frage nach dem Subjekt im Arbeitsprozess auseinandergesetzt hat, jedoch mit unterschiedlichen Fragestellungen, Grundannahmen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen. Während Arbeiterbewusstseinsstudien den Fokus zumeist auf die kollektiven Wahrnehmungsmuster von Arbeitnehmern gelegt haben, steht in den Subjektivierungsdebatten die Rolle des Subjekts im Zuge neuer Produktions- und Arbeitsorganisationsmodelle sowie veränderte Anspruchshaltungen an Erwerbsarbeit im Zentrum des Interesses. Dahingegen fokussieren subjektorientierte Forschungen zur Prekarisierung von Arbeit auf die subjektiven Verarbeitungsformen und Deutungsmuster von als prekär erlebten Erwerbslagen. Für die vorliegende Arbeit und ihre zentrale Fragestellung nach der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation geringfügig Beschäftigter bieten diese Arbeiten trotz ihres Subjektbezugs jedoch nur einen unzureichenden Anknüpfungspunkt. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass in den genannten Ansätzen eine theoretisch-konzeptionell unterfütterte Auseinandersetzung mit der konkreten Arbeits- und Beschäftigungssituation und ihrer subjektiven Beurteilung kaum stattfindet. Aus diesem Grund wird im Folgenden auf die (sozial-) wissenschaftliche Forschung zu Arbeitsqualität zurückgegriffen, da diese eine ebensolche theoretisch-konzeptionelle Integration der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von geringfügig Beschäftigten ermöglicht. Im nächsten Abschnitt werden zunächst einige konzeptionelle Überlegungen aus der Arbeitszufriedenheitsforschung präsentiert, da hier einige wertvolle Ansätze für die Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von Erwerbsarbeit zu finden sind. Wie gezeigt werden wird, weisen die konzeptionel-
130
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
len und empirischen Arbeiten zu Arbeitsqualität zudem einige Parallelen zur Arbeitszufriedenheitsforschung auf, weshalb im Folgenden zunächst auf einige grundlegende Konzepte dieses Forschungsfeldes eingegangen wird. 4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen Eine Möglichkeit, sich der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von Beschäftigten wissenschaftlich zu nähern, besteht in der Betrachtung ihrer Arbeitszufriedenheit. Möchte man etwas darüber wissen, so die grundlegende Annahme der Arbeitszufriedenheitsforschung, wie Menschen ihre Arbeit beurteilen, so kann man sie danach fragen, ob sie mit ihrer Arbeit insgesamt oder mit einzelnen Aspekten der Arbeit zufrieden oder unzufrieden sind. Insbesondere seit den 1950er Jahren hat die Frage nach der Arbeitszufriedenheit eine Vielzahl sowohl theoretischer als auch empirischer Forschungen produziert. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auf die Vielschichtigkeit von Erwerbsarbeit und ihrer subjektiven Wahrnehmung durch die Beschäftigten hingewiesen wurde. Ein Beispiel stellten etwa die berühmten Hawthorne-Studien und die hierauf folgende Human Relations-Bewegung dar, welche die Bedeutung des Betriebes als Ort sozialer Interaktion und Kooperation betonten und zeigen konnten, dass es vielmehr die sozialen Beziehungen am Arbeitsort als monetäre Leistungssysteme sind, die auf Seiten der Beschäftigten zu Motivation und Leistung führen (vgl. Mikl-Horke 2007: 112ff. sowie Kieser 2006). Neuberger (1985: 184f.) weist jedoch darauf hin, dass bereits vor den Hawthorne-Studien der Nährboden für die Arbeitszufriedenheitsforschung gelegt wurde, da durch die Industrialisierung neue Arbeitsformen und -anforderungen für Beschäftigte entstanden, die eine Veränderung von Verhaltens- und Arbeitsweisen bei den Arbeitnehmern verlangten und frühzeitig erste Untersuchungen produzierten, die nach den subjektiv erlebten Wirkungen tayloristischer Formen der Arbeitsorganisation fragten, wenngleich Arbeitszufriedenheit hier häufig eher randständig betrachtet wurde (vgl. ebd.). Mindestens ebenso wichtig für die Befassung mit Arbeitszufriedenheit war jedoch, dass es insbesondere in der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie den Wirtschaftswissenschaften die Hypothese gab, wonach zufriedene Mitarbeiter mehr leisten (vgl. Nerdinger 2014: 427). Folglich hatten auch Unternehmen und Betriebe ein Interesse an der Erforschung von Arbeitszufriedenheit. Wenn man wisse, so der Grundgedanke, wie Arbeitszufriedenheit entsteht und wovon sie beeinflusst wird, könne man diese Variablen beeinflussen, um etwa Motivation und Leistung zu steigern (vgl. Wiendieck 1994: 107f.). Insbesondere seit den 1950er Jahren entstanden eine Vielzahl von Forschungsarbeiten, Theorien und empirischen Studien zur Arbeitszufriedenheit (für einen breiten Überblick vgl.
4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen
131
die Beiträge in Fischer 2006), wobei die Befassung mit Arbeitszufriedenheit Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen ist, allen voran der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Wirtschaftswissenschaften und der Soziologie109. Aufgrund der hohen Interdisziplinarität ist Arbeitszufriedenheit ein Untersuchungsgegenstand, der je nach Fachrichtung unterschiedliche Fragestellungen, methodisch-konzeptionelle Herangehensweisen und Schwerpunktsetzungen nach sich zieht. 4.2.1 Definition und begriffliche Abgrenzung Trotz jahrzehntelanger Forschung ist Arbeitszufriedenheit weiterhin ein recht schwammiger und abstrakter Begriff, welcher sich bislang einer allgemein anerkannten Definition und einem einheitlichen Verständnis erfolgreich entzogen hat (vgl. Brenke 2015: 715f.). Fest steht, dass es sich bei der Arbeitszufriedenheit um ein subjektives Konstrukt handelt, d.h. Arbeitszufriedenheit kann nur durch eine subjektive Einschätzung und Beurteilung von Beschäftigten gemessen werden. In der Arbeits- und Organisationspsychologie wird Arbeitszufriedenheit in der Regel als Einstellung gegenüber der Arbeit verstanden (vgl. Felfe/Six 2006: 39). So ist laut Spector (1997: 2) Arbeitszufriedenheit „simply how people feel about their jobs and different aspects of their jobs. It is the extent to which people like (satisfaction) or dislike (dissatisfaction) their jobs. As it is generally assessed, job satisfaction is an attitudinal variable”. Wird Arbeitszufriedenheit als Einstellung verstanden, so wird häufig auf die Mehrdimensionalität dieser Einstellung abgezielt, da Arbeitszufriedenheit sowohl kognitive als auch emotionale Komponenten umfasst (vgl. Wegge/van Dick 2006: 13; kritisch: Gawellek 1987:15f.). Während die emotionale Komponente auf die Erfüllung individueller Bedürfnisse in der Arbeit und einem hieraus resultierenden emotionalen Zustand abzielt, bezieht sich die kognitive Komponente auf zeitlich stabile, im Gedächtnis einer Person verfügbare Überzeugungen zum Einstellungsobjekt Arbeit (vgl. Wegge/van Dick 2006: 13). Uneinigkeit herrscht indes dahingehend, inwiefern Arbeitszufriedenheit als Einstellung gegenüber der Arbeit auch eine Verhaltenskomponente einschließt, d.h. eine positive oder negative Beurteilung der eigenen Arbeitssituation mit einem bestimmten Verhalten einhergeht (vgl. hierzu Abschnitt 4.2.4). Häufig wird dies jedoch in der theoretisch-konzeptionellen Annäherung an Arbeitszufriedenheit eher negiert, „weil es wenig überzeugend und hilfreich ist, konkretere Handlungsabsichten (Vornahmen) der Person bereits als Teil des Konstrukts ‚Einstellung‘ zu definieren“ (Wegge/van Dick 2006: 13). 109 So kam Spector (1997) zu dem Ergebnis, dass allein die Psychologie bis zum Zeitpunkt der Erscheinung seiner Metaanalyse rund 3.700 Forschungsarbeiten zur Arbeitszufriedenheit produziert hatte.
132
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Wird Arbeitszufriedenheit als Einstellung im oben genannten Sinne verstanden, ergeben sich zwei grundsätzliche Herangehensweisen in der konkreten Untersuchung. Eine erste Möglichkeit besteht darin, Beschäftigte nach ihrem Gesamturteil der eigenen Arbeits- und Beschäftigungssituation zu fragen. Hierbei steht dann die sogenannte Globaleinstellung im Zentrum des Interesses. Teilweise wird hier in empirischen Arbeiten auf eine weitere Ausdifferenzierung des Untersuchungsgegenstandes verzichtet und Beschäftigte ausschließlich danach gefragt, in welchem Maße sie insgesamt mit ihrer Arbeit zufrieden sind (so etwa Brenke 2015). Ein zweiter, häufig genutzter Ansatz besteht in einer Ausdifferenzierung verschiedener Facetten und Dimensionen von Arbeit und der jeweiligen Beurteilung von Beschäftigten. Hier werden mehrere Komponenten der Arbeit beleuchtet und die Zufriedenheit hiermit erhoben, etwa mit Blick auf die Entlohnung, das soziale Umfeld oder die Arbeitsinhalte (vgl. Müller 2006: 40ff.). Häufig werden diese beiden grundlegenden Ansätze jedoch auch miteinander kombiniert, d.h. neben der Untersuchung von sogenannten Facettenzufriedenheiten auch die globale Zufriedenheit erhoben (vgl. Felfe/Six 2006: 40). Der Vorteil in einem derartigen Vorgehen besteht darin, den Einfluss der Zufriedenheit mit einzelnen Aspekten der Arbeit auf die Globalzufriedenheit als Gesamtbeurteilung der Arbeitssituation untersuchen zu können. Insbesondere die Arbeits- und Organisationspsychologie hat bis dato eine Vielzahl unterschiedlicher Konzeptualisierungen, Theorien und Messverfahren produziert, um sich der Arbeitszufriedenheit zu nähern, ohne dass sich jedoch bislang ein „Königsweg“ herauskristallisiert hätte. Im Folgenden wird auf zwei prominente und in der Arbeitszufriedenheitsforschung zentrale Ansätze näher eingegangen und die Anknüpfungspunkte für die in dieser Arbeit verfolgte Fragestellung aufgezeigt. 4.2.2 Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie Eine frühe wegweisende wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Arbeitszufriedenheit geht auf den Arbeitswissenschaftler und Psychologen Frederick Herzberg und seine Kollegen zurück. In ihren sogenannten Pittsburgh-Studien (vgl. Herzberg et al. 1959; Herzberg 1966) befragten sie 203 Ingenieure und Buchhalter nach besonders zufriedenstellenden bzw. nicht zufriedenstellenden Situationen in der Arbeit, um hierauf aufbauend Aussagen zu der Arbeitszufriedenheit und der Motivation von Beschäftigten sowie organisationalen Anreizen treffen zu können. Methodisch näherten sie sich der Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten mit der Methode der kritischen Ereignisse, d.h. die Befragten wurden darum gebeten, in qualitativen Interviews rückblickend jene Situationen in der Arbeit zu nennen, in denen sie sich besonders zufrieden bzw. unzufrieden
4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen
133
gefühlt hatten (vgl. Neuberger 1985: 195f.). Im Anschluss an die Interviews wurden die Aussagen der Befragten auf Basis eines Inhaltsschlüssels kategorisiert und systematisiert, wobei zwei zentrale Kategorienklassen entdeckt wurden: die Kontextfaktoren (auch als Hygienefaktoren bezeichnet) und die Kontentfaktoren (auch als Motivatoren bezeichnet). Der zentrale empirische Befund hierbei war, dass es jeweils spezifische Faktoren gibt, die entweder Unzufriedenheit oder Zufriedenheit mit der Arbeit erzeugen. Hieraus folgte, dass das Gegenteil von Zufriedenheit nicht Unzufriedenheit sei, sondern die Abwesenheit von Zufriedenheit und vice versa. Von entscheidender Bedeutung in der Theorie ist, dass hierbei jeweils spezifische Faktoren entscheidend sind, d.h. Unzufriedenheit und Zufriedenheit in ihrer Entstehung nicht von denselben Faktoren beeinflusst werden (vgl. ebd. sowie Nerdinger 2014: 422ff.). Die Kontextfaktoren sind jene Faktoren, die Unzufriedenheit mit der Arbeit verhindern, aus sich selbst heraus jedoch keine Zufriedenheit erzeugen. Aus diesem Grund werden sie auch als Hygienefaktoren bezeichnet: ähnlich wie die medizinische Hygiene Gesundheitsrisiken beseitigt und damit Krankheiten verhindert, sind die Hygienefaktoren dafür zuständig, dass Unzufriedenheit in der Arbeit vermieden wird (vgl. ebd.). In ihrer Studie konnten Herzberg et al. zeigen, dass es sich bei diesen Hygienefaktoren insbesondere um extrinsische Faktoren handelt, also etwa die Bezahlung, die Sicherheit des Arbeitsplatzes oder die Überwachung/Kontrolle der Arbeit. Werden diese Faktoren als positiv beurteilt, also etwa die eigene Bezahlung als gut empfunden, entsteht hieraus jedoch keine Arbeitszufriedenheit, sondern ein neutraler Zustand der Nicht-Unzufriedenheit. Auf der anderen Seite stehen die Kontentfaktoren, also Faktoren, die aus sich selbst heraus Arbeitszufriedenheit auslösen. Sie werden daher auch als Motivatoren bezeichnet. Bei den Motivatoren, so Herzberg et al., handelt es sich insbesondere um intrinsische Faktoren in der Arbeit, also etwa Anerkennung, der Arbeitsinhalt sowie die Übertragung von Verantwortung im Arbeitsprozess. Werden diese Faktoren nicht erfüllt, entsteht keine Unzufriedenheit, sondern wiederum ein neutraler Zustand der Nicht-Unzufriedenheit. Die Kontext- und Kontentfaktoren können in ganz unterschiedlichen Konstellationen auftreten, wobei die Erfüllung sowohl der Hygienefaktoren als auch der Motivatoren den Idealzustand und die Nicht-Erfüllung dieser beiden Faktoren das negative Pendant darstellt. Entscheidend an der Zwei-Faktoren-Theorie ist somit die grundlegende Überlegung, dass Arbeitszufriedenheit keinen Zustand auf ein und derselben Skala (zufrieden-unzufrieden) darstellt, sondern es voneinander zunächst unabhängige Faktoren gibt, die entweder Unzufriedenheit oder Zufriedenheit in der Arbeit auslösen, wobei insbesondere extrinsische Faktoren für Unzufriedenheit und intrinsische Faktoren für Zufriedenheit verantwortlich sind. Obwohl die Zwei-Faktoren-Theorie inzwischen zu den „Klassikern“ der psychologischen Arbeitszufriedenheitsforschung zählt, ist an diesem Modell
134
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
auch Kritik geübt worden. So zeigten empirische Nachfolgestudien zwar durchaus, dass sich die grundlegenden Annahmen und Befunde der Theorie bestätigen lassen, jedoch lediglich unter der Voraussetzung, dass sowohl das gleiche Kategorienschema von Herzberg et al. als auch die Methode der kritischen Ereignisse genutzt wird (vgl. Nerdinger 2014: 424). Wird hingegen von dem Kategorienschema abgewichen und auf eine andere Erhebungsmethode zurückgegriffen, zeigten verschiedene Untersuchungen, dass auch Kontextfaktoren zu Zufriedenheit und Kontentfaktoren zu Unzufriedenheit führen können (vgl. Semmer/Udris 2007). Damit ist die Zwei-Faktoren-Theorie hinsichtlich ihrer empirischen Überprüfung stark abhängig von der Konzeptualisierung und der gewählten Forschungsmethode. Hinsichtlich des Kategorienschemas wurde zudem darauf hingewiesen, dass nicht alle Kategorien des Modells eindeutig den Kontext- oder Kontentfaktoren zugeordnet werden können. So ist etwa die Bezahlung nach Herzberg et al. ein reiner Hygienefaktor. Jedoch könne die Bezahlung subjektiv auch als Anerkennung interpretiert werden und würde damit zu einem Motivator (vgl. Nerdinger 2014: 424). Zu guter Letzt wurde auch die Methode der kritischen Ereignisse dahingehend kritisiert, als dass Menschen dazu neigen, in der Retrospektive insbesondere externe Faktoren für Unzufriedenheit und intrinsische Faktoren für Zufriedenheit verantwortlich zu machen, woraus die Gefahr systematischer Verzerrungen entstehen könne (vgl. bereits Vroom 1964). Trotz dieser Einwände stellt die Zwei-Faktoren-Theorie einen einflussreichen konzeptionellen Ansatz an die Befassung mit Arbeitszufriedenheit dar. Das Verdienst des Ansatzes besteht nicht zuletzt darin, bereits zu einem frühen Zeitpunkt in der Arbeitszufriedenheitsforschung dafür sensibilisiert zu haben, dass die Einschätzung der Arbeitssituation und die Entstehung von Arbeitszufriedenheit nicht, wie etwa von der neoklassischen Ökonomie behauptet, primär auf die Bedeutung monetärer Aspekte und Anreize in der Erwerbsarbeit reduziert werden können. Vielmehr betont die Theorie die Bedeutung der intrinsischen Aspekte von Erwerbsarbeit wie etwa die Anerkennung und den Arbeitsinhalt als wesentliche Einflussgrößen für die Zufriedenheit mit der Arbeit. Diese theoretische Annahme, wonach insbesondere den intrinsischen Aspekten für die Beurteilung der eigenen Arbeits- und Beschäftigungssituation eine zentrale Bedeutung zukommt, konnte seitdem in einer Vielzahl empirischer Untersuchungen methoden- und disziplinübergreifend bestätigt werden (für einen Überblick vgl. etwa Baumgartner/Udris 2006; Schäfer et al. 2013: 33ff. sowie Bruggemann et al. 1975: 54ff.). Für die vorliegende Fragestellung ist diese Erkenntnis von nicht zu unterschätzender Bedeutung, da es die grundlegende Argumentation in dieser Arbeit unterstreicht, wonach für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der subjektiven Wahrnehmung von Beschäftigten eine Integration von tätigkeitsund aufgabenbezogenen Aspekten notwendig erscheint. Hieraus folgt, dass eine ausschließliche Fokussierung etwa auf die Entlohnung oder den Vertragsstatus
4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen
135
von geringfügig Beschäftigten insofern Gefahr läuft, Blindstellen zu produzieren, als dass die empirische Forschung zu Arbeitszufriedenheit darauf hindeutet, dass dies nicht die wesentlichen Prädikatoren einer als positiv wahrgenommenen Arbeits- und Beschäftigungssituation darstellen. 4.2.3 Das Zürcher Modell Ein weiterer einflussreicher konzeptioneller Ansatz in der Arbeitszufriedenheitsforschung stellt das Zürcher Modell der Arbeitszufriedenheit dar, welches von Agnes Bruggemann entwickelt wurde (vgl. Bruggemann 1974 sowie vertiefend Bruggemann et al. 1975). Ausgangspunkt dieses Ansatzes war die Beobachtung, dass die globalen Arbeitszufriedenheitsangaben in verschiedenen Befragungen stets recht positiv ausfielen, woran sich bis heute kaum etwas geändert hat (vgl. etwa die Befunde von Brenke 2015 sowie Lesch et al. 2013). Die Beobachtung, wonach die globale Arbeitszufriedenheit auch zwischen unterschiedlichen Beschäftigten in unterschiedlichen Berufen mit unterschiedlichen Tätigkeiten und Qualifikationsniveaus kaum nennenswerte Differenzen aufweist, würde nicht selten dahingehend interpretiert, als dass die Arbeitssituation auch objektiv als befriedigend beurteilt werden könne. Diese Schlussfolgerung wurde von Bruggemann angezweifelt, weshalb sie für eine differenzierte konzeptionelle Annäherung an Arbeitszufriedenheit plädierte (vgl. Baumgartner/Udris 2006: 112f.). Das Zürcher Modell basiert zunächst einmal grundlegend auf der Überlegung, dass für die Arbeitszufriedenheit das Anspruchsniveau von Beschäftigten elementar ist. Arbeitszufriedenheit wird hier als Soll-Ist-Vergleich verstanden und konzipiert, d.h. dass Beschäftigte ihre Bedürfnisse und Erwartungen mit der konkreten Arbeitssituation vergleichen. Hiermit bricht das Zürcher Modell mit der Vorstellung quasi universeller Faktoren, die für die Arbeitszufriedenheit entscheidend sind. Vielmehr wird der relative Charakter von Arbeitszufriedenheit betont, der darin besteht, dass Beschäftigte unterschiedliche Ansprüche an Erwerbsarbeit haben, d.h. bestimmte Aspekte in der Arbeit als wichtig und andere als eher unwichtig einstufen (vgl. Bruggemann 1974: 281f.). Das Modell geht nun davon aus, dass ein positiver Soll-Ist-Vergleich zunächst zu einer stabilisierenden Arbeitszufriedenheit führt, ein negativer Soll-Ist-Vergleich dagegen in einem Zustand einer diffusen Unzufriedenheit mündet. In einem weiteren Schritt wird davon ausgegangen, dass diese Zustände zunächst einmal temporär sind: entscheidend für die Arbeitszufriedenheit ist die Frage, wie sich das jeweilige Anspruchsniveau entwickelt. Es geht daher zentral um die Frage, ob es zu einer Erhöhung, Aufrechterhaltung oder Senkung des Anspruchsniveaus kommt (vgl. Bruggemann et al. 1975: 132). Die Betonung des Anspruchsniveaus und seiner Veränderlichkeit zielt auf die Überlegung ab, dass Arbeitszufriedenheit nicht
136
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
ausschließlich auf die Befriedigung von Bedürfnissen zurückzuführen sein muss, sondern auch dadurch entstehen kann, dass die eigenen Ansprüche gesenkt werden können. Dies scheint insofern plausibel, als dass aus psychologischer Forschung bekannt ist, dass Menschen zur Dissonanzreduktion neigen. Werden etwa Ansprüche an die Arbeit nicht erfüllt, so kann eine Reaktion darin bestehen, diese Ansprüche abzusenken, d.h. ihnen eine geringere Bedeutung beizumessen und hiermit die Diskrepanz von gewünschter und tatsächlicher Arbeitssituation aufzulösen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die als problematisch empfundene Situation eines negativen Soll-Ist-Vergleichs „an der Wurzel zu packen“. Aus diesem Grund enthält das Zürcher Modell eine dritte Ebene: neben der ersten Ebene (Befriedigung bzw. Nicht-Befriedigung von Bedürfnissen) und der zweiten Ebene (Erhöhung, Senkung oder Aufrechterhaltung des Anspruchsniveaus) wird die Problemlösung, Problemfixierung oder Problemverdrängung als Reaktion auf die Nicht-Befriedigung von Ansprüchen an die Arbeit in das Modell integriert (vgl. ebd. sowie Baumgartner/Udris 2006: 116). Das Zürcher Modell konzipiert Arbeitszufriedenheit somit nicht als statischen Zustand, sondern als dynamischen Prozess. Aus dieser theoretischen Herleitung ergeben sich in diesem Modell sechs verschiedene idealtypische Formen der Arbeitszufriedenheit (für die folgenden Ausführungen vgl. Bruggemann et al. 1975: 132ff.). Die erste Form ist die progressive Arbeitszufriedenheit. Hier werden die Ansprüche an die Arbeit erfüllt (positiver Soll-Ist-Vergleich), jedoch steigen in Folge hiervon die Ansprüche und Beschäftigte haben weitergesteckte Erwartungen, da die bisherigen Ansprüche bereits erfüllt wurden. Die zweite Form ist die stabilisierte Arbeitszufriedenheit, in welcher der Soll-Ist-Vergleich ebenfalls positiv ausfällt, die Ansprüche jedoch konstant bleiben. Die dritte Form stellt die resignative Arbeitszufriedenheit dar. Zwar fällt hier der Soll-Ist-Vergleich anders als bei den beiden ersten beiden Formen negativ aus. Es entsteht jedoch dennoch eine (resignative) Arbeitszufriedenheit, da die Ansprüche abgesenkt werden. Die vierte Form stellt die sogenannte Pseudo-Arbeitszufriedenheit dar. Auch hier fällt der Soll-Ist-Vergleich negativ aus, jedoch bleiben auch die Ansprüche unverändert. Hier entsteht die Zufriedenheit vielmehr aus einer Beschönigung/Verfälschung der Ist-Situation, die so umgedeutet wird, dass sie den unveränderten Ansprüchen entspricht. Bei der fixierten Arbeitsunzufriedenheit, der fünften der sechs Formen, fällt der SollIst-Vergleich negativ aus und der Zustand wird als fixiert und ausweglos wahrgenommen, da keine Möglichkeiten zur Veränderung gesehen werden. Folglich entsteht Unzufriedenheit. Die letzte Form ist jene der konstruktiven Arbeitsunzufriedenheit. Zwar fällt auch hier der Soll-Ist-Vergleich negativ aus, allerdings ist hier diese unbefriedigende Situation mit der Vorstellung verbunden, dass eine Veränderung und Überwindung dieses negativen Zustandes möglich ist. Insgesamt sensibilisiert das Modell mit dieser Unterscheidung verschiedener Formen
4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen
137
der Arbeits(un-)zufriedenheit für die Komplexität dieses Untersuchungsgegenstandes und den Umstand, dass sich hinter einer bestimmten globalen Zufriedenheitsbekundung ganz unterschiedliche Formen von Arbeitszufriedenheit verbergen können. Gleichwohl ist auch dieser Ansatz u.a. dahingehend kritisiert worden, als dass die Kernvariablen im ursprünglichen Modell nicht näher erläutert werden, also etwa unklar sei, was genau unter dem Anspruchsniveau zu verstehen sei und wie dieses zustande komme. Untersuchungen, die diesen Ansatz empirisch überprüft haben, konnten zudem so gut wie nie alle sechs theoretisch hergeleiteten Formen der Arbeitszufriedenheit nachweisen, sondern zumeist lediglich drei bis vier (vgl. Baumgartner/Udris 2006: 116f.). Nichtsdestotrotz handelt es sich bei dem Zürcher Modell um einen einflussreichen und theoriegesättigten Ansatz in der Arbeitszufriedenheitsforschung, der mehrere Stärken hat. Zuvorderst ist hier die Betonung der Ansprüche an Arbeit zu nennen. Hiermit verbunden ist eine Sensibilisierung für den Umstand, dass Beschäftigte verschiedenen Aspekten von Erwerbsarbeit eine unterschiedliche Bedeutung beimessen. Das Modell bricht daher mit der Vorstellung, dass es bestimmte allgemeingültige Facetten in der Arbeit gibt, die für die Arbeitszufriedenheit entscheidend sind. Vielmehr wird die Heterogenität und Vielschichtigkeit in den Ansprüchen betont und Arbeitszufriedenheit als evaluativer Abwägungsprozess verstanden, in dem der Vergleich zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitssituation ausschlaggebend ist. Wenngleich Bruggemann nicht die erste Forscherin war, welche die Bedeutung eines Soll-Ist-Vergleichs für die Arbeitszufriedenheit betont hat, so hatte dieser Ansatz doch erheblichen Anteil daran, dass inzwischen in vielen empirischen Studien zur Arbeitszufriedenheit sowohl die Bedeutung einzelner Facetten der Arbeit als auch ihre Befriedigung in der konkreten Arbeitssituation erhoben wird (vgl. hierzu Wiendick 1994: 108, Pfaff/Kuhn 2016: 60f. sowie Felfe/Six 2006: 42). Darüber hinaus sensibilisiert das Modell für die Tatsache, dass Arbeitszufriedenheit ein potentiell dynamisches Konstrukt darstellt, da insbesondere die Anpassung des Anspruchsniveaus an die gegebenen Umstände eine plausible Reaktion zur Dissonanzreduktion darstellt. Zu guter Letzt liegt eine Stärke des Modells in der Integration der Frage, ob eine unbefriedigende Arbeitssituation von Beschäftigten als veränderbar wahrgenommen wird. Insgesamt liegt die größte Herausforderung dieses Modells jedoch in der empirischen Überprüfung der theoretischen Grundannahmen (vgl. Baumgartner/Udris 2006: 131f.). Aufgrund der Vielschichtigkeit der zentralen Kernvariablen und der hohen Komplexität des Modells sind empirische Untersuchungen, die eins zu eins auf diesem Modell basieren, nur schwer möglich und höchst voraussetzungsvoll. Zum einen sind im Hinblick auf den prozessualen Charakter des Modells und der Betonung von Problemlösestrategien neben quantitativen idealerweise auch qualitative empirische Zugänge, insbesondere Interviews,
138
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
notwendig, was jedoch in der (arbeitspsychologischen) Forschung kaum praktiziert wird (vgl. ebd.). Noch bedeutender ist jedoch, dass die Zentralität der Anspruchsniveau-Dynamik in diesem Modell Längsschnitt-, optimaler Weise sogar Panelstudien und -daten voraussetzt, da nur auf diese Weise Veränderungen im Anspruchsniveau beobachtbar sind. Bei Querschnittsstudien und -daten hingegen ist dies nicht möglich, da keine Vergleichsdaten existieren, ergo auch nicht beobachtet werden kann, ob Ansprüche an die Arbeit gesenkt, beibehalten oder gesteigert werden. Das Zürcher Modell steckt daher in gewisser Weise in einem Dilemma zwischen dem hohen theoretischen Anspruch und einer sehr voraussetzungsvollen, aufwendigen und kostenintensiven empirischen Überprüfung. Wenngleich auch die vorliegende Arbeit nicht in der Lage ist, auf Längsschnittoder Paneldaten zur Beantwortung der zentralen Forschungsfragen zurückgreifen zu können, so bietet das Zürcher Modell dennoch wertvolle konzeptionelle Anknüpfungspunkte für die Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von geringfügig Beschäftigten. Diese bestehen insbesondere in der oben dargestellten Betonung des relativen Charakters von Arbeitszufriedenheit und der Bedeutung unterschiedlicher Ansprüche an die Arbeit. Wie in Abschnitt 4.3 noch näher diskutiert wird, basiert auch die Forschung zur Arbeitsqualität häufig auf der Betonung des Vergleiches von Ansprüchen an die Arbeit und deren Befriedigung in der konkreten Arbeitssituation. Derartige Ansätze sind für die Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation insbesondere deshalb sinnvoll, als dass sie den Beschäftigten die Möglichkeit geben, eigene Schwerpunktsetzungen, Interessen und Ansprüche an die Erwerbsarbeit zu artikulieren. Anders als Ansätze, die von „außen“ bestimmte zu erfüllende Faktoren in der Erwerbsarbeit definieren und damit Gefahr laufen, auf ein „gesolltes Wollen“ hinauszulaufen, tragen Ansätze wie das Zürcher Modell der hohen Heterogenität von Beschäftigten und ihrer Wünsche und Vorstellungen Rechnung. Aus diesem Grund wird in der Konzeptualisierung von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob (vgl. 4.4 in dieser Arbeit) an die Betonung der Bedeutung von Ansprüchen an die Arbeit einerseits und deren Befriedigung andererseits angeknüpft. 4.2.4 Arbeitszufriedenheit als Input- oder Outputgröße? Im folgenden Verlauf dieser Arbeit wird auf einige zentrale konzeptionelle Überlegungen der Arbeitszufriedenheitsforschung zurückgegriffen, um eine fundierte Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von geringfügig Beschäftigten durchführen zu können. In der Befassung mit dem Konstrukt Arbeitszufriedenheit wird jedoch, insbesondere im Hinblick auf eine Vielzahl der arbeits- und organisationspsychologischen sowie wirtschaftswissenschaftlichen Forschungen hierzu,
4.2 Arbeitszufriedenheit: Theoretisch-konzeptionelle Überlegungen
139
ein generelles Spannungsverhältnis dieses Untersuchungsgegenstandes deutlich. Dieses manifestiert sich in der Kontroverse, ob Arbeitszufriedenheit als Inputoder Outputgröße untersucht werden sollte, womit, wie Neuberger (1985: 186f.) feststellt, die Frage verbunden ist, ob es sich bei der Arbeitszufriedenheit um ein Mittel oder einen Zweck handelt. Wird Arbeitszufriedenheit als Outputgröße, also Zweck an sich betrachtet, so geht es in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung hiermit um eine theoretische Fundierung und empirische Bestandsaufnahme sowie um die Identifizierung von Einflussvariablen auf die Arbeitszufriedenheit. In der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung wird hier zumeist zwischen einem situativen und einen personenbezogenen Ansatz unterschieden (vgl. ebd.: 188). Der Situationsansatz betont vor allem die arbeitsbezogenen Faktoren, die mit Arbeitszufriedenheit im Zusammenhang stehen. Diese Faktoren umfassen zumeist eine Vielzahl arbeits- und beschäftigungsbezogener Aspekte wie etwa Fragen der Entlohnung, der Arbeitsinhalte oder auch soziale Aspekte am Arbeitsplatz (vgl. Florack 2010: 82f.). Dahingegen konzentrieren sich personenbezogene Ansätze insbesondere auf personale Merkmale und Dispositionen, die für die Erklärung von Arbeitszufriedenheit bedeutsam sein können. Dies können sowohl soziodemografische Merkmale als auch Persönlichkeitseigenschaften sein. Allerdings ist hier, im Gegensatz zu den arbeitsbezogenen Aspekten, häufig nicht klar, wie etwaige positive oder negative Zusammenhänge zu deuten sind und ob sie tatsächlich mit der Arbeit zusammenhängen, was Raum für weitreichende Interpretationen lässt110 (vgl. Neuberger 1985: 189f.). Andererseits wird in der arbeits- und organisationspsychologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Forschung Arbeitszufriedenheit häufig auch als Inputgröße, d.h. als Mittel zur Erfüllung eines anderen Zweckes betrachtet. In diesen Ansätzen ist Arbeitszufriedenheit daher nicht die zu erklärende, d.h. abhängige Variable, sondern eine unabhängige Variable. Vereinfacht gesprochen geht es daher entweder um die Frage, wovon die Arbeitszufriedenheit beeinflusst wird (Outputgröße) oder was die Arbeitszufriedenheit selbst beeinflusst (Input110 Neuberger (1985: 189f.) illustriert dies mit einem Beispiel: wird etwa festgestellt, dass ältere Beschäftigte tendenziell eine höhere Arbeitszufriedenheit aufweisen, stelle sich die Frage, warum dies so sei. Denkbar sei etwa, so Neuberger, dass Ältere höhere Positionen haben und es ihnen objektiv besser gehe. Denkbar sei ebenso, dass Ältere lange „gewandert“ seien, bis sie einen zu ihnen passenden Arbeitsplatz gefunden hätten. Auszuschließen sei zudem nicht, dass Ältere durch ein Mehr an Erfahrung realistischere Bezugssysteme und Vergleichsmöglichkeiten hätten. Ebenso könne man argumentieren, dass ältere Beschäftigte in der informellen Ordnung höher stünden und mehr Privilegien genössen. Denkbar sei jedoch auch, dass Ältere keine Alternativen auf dem Arbeitsmarkt sehen und sich deshalb einredeten, zufrieden zu sein. Zu guter Letzt könne dieser Befund auch dahingehend interpretiert werden, dass sich im Verlaufe eines Lebenszyklus die Bedingungen verändern und die externe Besserstellung auf die Arbeit ausstrahle. Letztlich, so Neuberger, sei daher ein solcher Befund lediglich ein Einstieg in eine tiefergehende Analyse, der neben personalen Merkmalen auch die Arbeitssituation beleuchten müsse.
140
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
größe). Wie bereits dargelegt, war einer der Gründe für eine sich ausbreitende Arbeitszufriedenheitsforschung die Hypothese, wonach zufriedene Mitarbeiter mehr leisten. Empirische Untersuchungen zum Zusammenhang von Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung konnten jedoch keine eindeutigen Befunde liefern. Häufig sind die statistischen Zusammenhänge schwach oder nicht vorhanden (vgl. Brenke 2015: 717). Doch selbst wenn ein Zusammenhang beobachtet werden kann, ist häufig dessen Richtung unklar. Ob Zufriedenheit zu Leistung führt oder Leistung zu Zufriedenheit oder aber der Zusammenhang vielmehr von Drittvariablen beeinflusst wird, ist daher weitgehend unklar (vgl. Minssen 2003: 55). Weitere Outputgrößen, hinsichtlich derer Arbeitszufriedenheit als erklärende Variable häufig herangezogen wird, sind neben der Leistung auch Absentismus, betriebliche Fluktuation, organisationale Identifikation, Commitment sowie Organizational Citizenship Behaviour (vgl., unter vielen, Felfe/Six 2006, Cornelißen 2009 sowie bereits Wiendick 1977). Derartige Perspektiven auf Arbeitszufriedenheit sind hierbei ähnlich alt wie die Kritik hieran. So wird aus humanistischer Perspektive kritisiert, dass Arbeitszufriedenheit und das Wohlbefinden von Beschäftigten einen Wert an sich darstellen, welcher keiner weiteren Rechtfertigung bedürfe (vgl. Neuberger 1985: 186). Zudem „verkomme“ Arbeitszufriedenheit in einem derart instrumentalistischen Verständnis zu einem Mittel, dass lediglich der Erreichung ökonomischer Ziele, der Verbesserung der Effizienz und eines ganzheitlichen Zugriffs auf die Ware Arbeitskraft diene (vgl. Conradi/Frieling 1978: 96f.). Folglich beinhalteten derartige Ansätze stets eine Perspektive, in der Arbeitszufriedenheit lediglich eine Legitimationsfunktion zukomme. „Die Frage nach Arbeitszufriedenheit ist affirmativ und konservativ, sie zementiert in der Regel die bestehenden Arbeitsbedingungen und verhindert überfällige Reformen“ (ebd.: 97). Derartige, seit Jahrzehnten geäußerte Kritik an der Fokussierung auf Arbeitszufriedenheit ist durchaus ernst zu nehmen. Sie gilt jedoch insbesondere für Untersuchungen und Forschungsausrichtungen, die Arbeitszufriedenheit als Inputgröße und daher als Mittel zum (meist betriebswirtschaftlichen) Zweck betrachten. Allerdings haben die oben dargestellten konzeptionellen Ansätze der Arbeitszufriedenheitsforschung auch gezeigt, dass die Betrachtung von Arbeitszufriedenheit einen Mehrwert in der Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von Beschäftigten haben kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Aufspüren und die Analyse von Einflussfaktoren für Arbeitszufriedenheit oder -unzufriedenheit im Fokus der Betrachtung stehen und zusätzlich hierzu auch strukturelle Aspekte Berücksichtigung finden, die es erlauben, die subjektive Wahrnehmung der Beschäftigten um deren objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu ergänzen. Ein solcher Ansatz wird in dieser Arbeit verfolgt. Im Folgenden werden daher die stärker sozialwissenschaftlich geprägten Untersuchungen zur Arbeitsqualität und deren theoretisch-konzeptionellen Grundlagen beleuchtet, um darauf auf-
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
141
bauend die dieser Arbeit zugrunde liegende Konzeptualisierung von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob darzulegen. 4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive In den vergangenen rund zehn Jahren zeigt sich sowohl in den politischen als auch den wissenschaftlichen Diskursen ein (wiederentdecktes) Interesse an Fragen der Qualität von Arbeit (für frühere wissenschaftliche Auseinandersetzungen vgl. etwa die Beiträge in Bartölke et al. 1978). Auf politischer Ebene ist etwa die im Rahmen der Lissabon-Strategie der EU geäußerte Forderung nach „more and better jobs“ (vgl. European Commission 2008) zu nennen, die darauf abzielt, sowohl das Beschäftigungswachstum als auch die Qualität von Arbeitsplätzen in den Staaten der Europäischen Union zu erhöhen und hiermit den Zielkonflikt von Beschäftigungsquantität und -qualität aufzulösen (vgl. Gundert 2013: 17f.). Darüber hinaus wird das Thema seit geraumer Zeit auch von der International Labour Organization (ILO) unter dem Stichwort „decent work“ stark gemacht, hier jedoch insbesondere mit einem Fokus auf die Einhaltung von (Mindest-) Standards in der globalen Arbeitswelt (vgl. etwa ILO 2013). Im deutschen Kontext werden Fragen der Arbeitsqualität insbesondere von den Gewerkschaften unter dem Stichwort „Gute Arbeit“ thematisiert, wobei „Gute Arbeit“ hier einerseits, anknüpfend an frühere Debatten und politische Programme zur „Humanisierung der Arbeit“ (vgl. Wachtler 1979), als gewerkschaftliches Leitbild fungiert und andererseits konkret Eingang in jährlich wiederkehrende Beschäftigtenbefragungen findet, die als „DGB-Index Gute Arbeit“ bekannt geworden sind (vgl. Institut DGB-Index Gute Arbeit 2016). Neben diesen politischen und verbandlichen Befassungen mit dem Thema der Arbeitsqualität sind auch eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien entstanden, wobei insbesondere Fragen einer angemessenen Konzeptualisierung und Messung von Arbeitsqualität (vgl. etwa Munoz de Bustillo et al. 2011a, 2011b; Gallie 2007), der Wandel von Arbeitsqualität (vgl. Hauff/Kirchner 2013) sowie international vergleichende Studien mit einem Fokus auf unterschiedliche Beschäftigungsregime (Holman 2013; Kirchner 2016; Olsen et al. 2010) im Zentrum der Forschung stehen. Die Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen, die sich dem Themenkomplex Arbeitsqualität sowohl theoretisch als auch empirisch widmen, zeigt, dass das Thema Arbeitsqualität inzwischen aus den Kinderschuhen politischer Symbolrhetorik herausgewachsen ist. Aus diesem Grund bieten sich für die hier verfolgte Fragestellung, wie im Folgenden gezeigt wird, wertvolle Anknüpfungspunkte, die insbesondere die Frage nach der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituationen von Arbeitnehmern umfasst.
142
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Die Tatsache, dass der Qualität von Arbeit wieder eine verstärkte Aufmerksamkeit zukommt, hat mehrere Gründe. Wie angesprochen, wird das Thema sowohl international als auch national politisch und gewerkschaftlich stark debattiert. Hiermit verbunden ist zudem, sowohl aus politischer, gewerkschaftlicher als auch wissenschaftlicher Perspektive, eine Kritik am Mainstream der insbesondere wirtschaftswissenschaftlichen Analysen von Arbeitsmärkten. Die Fokussierung auf statistische Arbeitsmarktkennziffern, etwa Beschäftigungszuwächsen sowie Erwerbs- und Arbeitslosenquoten, sei zwar wichtig, müsse jedoch um weitere Facetten ergänzt werden, da auf Basis von Arbeitsmarktstatistiken keine Aussagen über qualitative Wandlungsprozesse in der Arbeitswelt getroffen werden könnten (vgl. Eichhorst et al. 2015: 2). Dies sei jedoch aufgrund der vielfältigen Wandlungsprozesse am Arbeitsmarkt notwendig, da nur durch eine vertiefte Analyse Aussagen darüber getroffen werden könnten, welche Auswirkungen auf die Erwerbsarbeit etwa die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse oder die Digitalisierung der Arbeitswelt tatsächlich nach sich zögen (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 449). Die obigen Ausführungen zu den Wandlungsprozessen am deutschen Arbeitsmarkt, vor allem die Zunahme atypischer Beschäftigung sowie die Expansion des Niedriglohnsektors, haben verdeutlicht, dass in der wissenschaftlichen Analyse häufig ein Zielkonflikt von Beschäftigungsquantität und -qualität angenommen wird. Der Preis für die positive Arbeitsmarktentwicklung der vergangenen zehn Jahre sei, so Kritiker, eine abnehmende Qualität von Arbeit (vgl. Scherschel/Booth 2012). Die empirische Überprüfung derartiger Deutungsmuster macht es notwendig, zu klären, was unter Arbeitsqualität zu verstehen ist und wie man sich diesem Konstrukt konzeptionell und methodisch nähern kann. Zu guter Letzt wird aus wissenschaftlicher Perspektive auch auf die weiter oben angesprochenen psychosozialen Wirkungen von Erwerbsarbeit verwiesen, woraus folge, dass die Erfahrungen und Beurteilungen der Arbeit von Beschäftigten einen erheblichen Einfluss auf deren Wohlbefinden hätten (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 449f.). So zeigen empirische Untersuchungen starke positive Zusammenhänge zwischen der wahrgenommenen Arbeitsqualität von Beschäftigten und ihrer Arbeits- und Lebenszufriedenheit (vgl. Fritz 2015: 4). In der Summe spricht daher einiges dafür, die Arbeitsqualität von Beschäftigten wissenschaftlich zu beleuchten, was insbesondere auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit geringfügiger Beschäftigung zutrifft. 4.3.1 Definition und begriffliche Abgrenzung Für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Arbeitsqualität ist zunächst eine begriffliche Annäherung notwendig, um zu klären, was eigentlich unter Arbeitsqualität zu verstehen ist. Der Begriff Qualität beschreibt allgemeinsprach-
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
143
lich die Beschaffenheit, Güte oder den Wert eines Objektes und ist zunächst einmal ein neutraler Begriff, dem erst durch Attribute wie gut oder schlecht eine Wertung zuteilwird (vgl. Fuchs 2012: 418). Qualität ist nicht direkt wahrnehmbar, sondern stets das Ergebnis eines Vergleichs-, Assoziations- und Interpretationsprozesses. Zudem ist Qualität multidimensional, da unterschiedliche Aspekte zugleich für ein Qualitätsurteil ausschlaggebend sein können. Zu guter Letzt umfasst Qualität zumeist eine objektive und eine subjektive Komponente, woraus folgt, dass Qualität selten ein absoluter, sondern vielmehr ein relativer Begriff und ein relatives Konstrukt darstellt (vgl. ebd.). Diese allgemeinen Überlegungen zum Qualitätsbegriff sind auch auf die Frage nach der begrifflichen Abgrenzung von Arbeitsqualität übertragbar. Generell ist anzumerken, dass sich bislang in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Arbeitsqualität keine allgemeingültige Definition dieses Untersuchungsgegenstandes hat etablieren können (vgl. Fritz 2015:4). Arbeitsqualität ist ein schwer zu fassender Begriff „because it is one of those concepts used in the social sciences (such as quality-of-life or happiness) which everyone understands yet is very difficult to define precisely” (Munoz de Bustillo et al. 2011a: 450). Dies hängt zum einen damit zusammen, dass nicht selten darauf verzichtet wird, diesen recht schwammigen Begriff überhaupt näher zu definieren, zum anderen aber auch damit, dass die Untersuchung von Arbeitsqualität Gegenstand unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen ist, darunter etwa die Sozialwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Arbeits- und Organisationspsychologie und die Arbeitswissenschaft. Zum Teil wird sich auch aus juristischer Perspektive die Qualität von Arbeit beleuchtet (vgl. etwa die Beiträge in Borelli/Vielle 2012). Diese hohe Interdisziplinarität hat zur Folge, dass mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen häufig auch unterschiedliche Verständnisse dieses Untersuchungsgegenstandes verbunden sind. Trotz dieser Schwierigkeiten einer allgemeingültigen Definition existiert in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen weitgehend ein (Minimal-) Konsens hinsichtlich des grundlegenden Verständnisses von Arbeitsqualität. Zuvorderst wird Arbeitsqualität so gut wie ausschließlich arbeitnehmerzentriert definiert, d.h. es geht nicht darum, wie Erwerbsarbeit ausgestaltet sein muss, damit für Arbeitgeber ein möglichst effizienter Zugriff auf die Arbeitskraft gelingen und die Produktivität gesteigert werden kann, sondern darum, in welchem Maß Erwerbsarbeit positive Auswirkungen für Beschäftigte hat, allen voran Wohlbefinden und Zufriedenheit mit der Arbeit (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 448f.; Holman 2013: 476). Konsens herrscht auch dahingehend, dass Arbeitsqualität nicht die Qualität der Arbeitsergebnisse und -prozesse meint, sondern die Qualität der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, unter denen Erwerbsarbeit geleistet wird. Zumeist wird Arbeitsqualität zudem als eine Kombination der Arbeitsqualität (im engeren Sinne) und der Beschäftigungsqualität
144
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
verstanden, ganz in Anlehnung an angloamerikanische Definitionen, die job quality häufig als Kombination von work quality und employment quality verstehen (vgl. ebd.; kritisch: Cooke et al. 2013). Dieses Verständnis ist nicht unwichtig, denn es beinhaltet eine Annäherung an Arbeitsqualität, die sowohl jene Aspekte umfasst, die im Zusammenhang mit der konkreten Arbeitssituation von Beschäftigten stehen (work quality/Arbeitsqualität) als auch jene Aspekte, die vertraglich festgelegt sind (employment quality/Beschäftigungsqualität) (vgl. Gundert 2013: 18). Neben diesem Minimalkonsens gibt es nicht zuletzt mit Blick auf die Reichweite des Verständnisses von Arbeitsqualität jedoch auch Unstimmigkeiten. Während einige Autoren dafür plädieren, auch institutionelle und familiäre Faktoren zu berücksichtigen (so etwa Cooke et al. 2013), sprechen sich andere Autoren dafür aus, die Untersuchung von Arbeitsqualität primär auf die tatsächlich im Job vorgefundenen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu konzentrieren, d.h. nur jene Aspekte zu betrachten, die in direktem Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 457). Die Folgen eines derart unterschiedlichen Verständnisses der Reichweite von Arbeitsqualität sind jedoch insofern weniger dramatisch als angenommen werden könnte, als dass auch letzterer Ansatz in aller Regel kontextuale Faktoren in die Interpretation von empirischen Befunden zur Arbeitsqualität integriert. Den hier angesprochenen Aspekten einer begrifflichen Annäherung an die Qualität von Arbeit folgend, wird Arbeitsqualität in dieser Arbeit verstanden als „the extent to which a job has work and employment-related factors that foster beneficial outcomes for the employee, particularly psychological well-being, physical well-being and positive attitudes such as job satisfaction“ (Holman 2013: 477). Ein derartiges Verständnis von Arbeitsqualität ist erstens arbeitnehmerzentriert, fokussiert zweitens sowohl auf die konkrete Arbeitssituation als auch die Beschäftigungsbedingungen und integriert mit der Betonung auf die positiven Folgen einer hohen Arbeitsqualität drittens eine abhängige Variable, wobei hierfür in dieser Arbeit die Arbeitszufriedenheit herangezogen wird. Mit einem derartigen Verständnis von Arbeitsqualität sind jedoch nicht sämtliche theoretisch-konzeptionellen sowie methodischen Annäherungen an diesen Untersuchungsgegenstand eliminiert, weshalb im Folgenden auf einige wesentliche Herausforderungen eingegangen wird, die für eine Untersuchung von Arbeitsqualität bedacht werden müssen.
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
145
4.3.2 Arbeitsqualität im Spannungsfeld von objektiven und subjektiven Faktoren Hinsichtlich der Konzeptualisierung von Arbeitsqualität zeigen sich wissenschaftlich grob zwei zentrale Forschungsrichtungen: ein eher subjektiver und ein eher objektiver Ansatz (vgl. Gundert 2013; Munoz de Bustillo et al. 2009). Diese unterschiedlichen Ansätze haben mitunter weitreichende Folgen für die Operationalisierung und Messung von Arbeitsqualität. Subjektive Ansätze zur Arbeitsqualität legen den Fokus insbesondere auf die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von Beschäftigten und untersuchen häufig die Einschätzung verschiedener Facetten und Dimensionen der Erwerbsarbeit durch die Beschäftigten. Objektive Ansätze versuchen hingegen, die Arbeitsqualität aus dem Vorliegen bzw. Fehlen vorab definierter objektiver Arbeits- und Beschäftigungsmerkmale abzuleiten, wobei der Begriff „objektiv“ nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch derartige Ansätze zumeist auf Personenbefragungen und den Angaben von Beschäftigten basieren (vgl. Gundert 2013: 21). Anzumerken ist, dass es keinen „richtigen“ Ansatz gibt, sondern die unterschiedlichen konzeptionellen und methodischen Herangehensweisen jeweils spezifische Vor- und Nachteile mit sich bringen. Befürworter des eher subjektiven Ansatzes betonen in diesem Zusammenhang vor allem den evaluativen und relationalen Charakter von Arbeitsqualität (vgl. Hauff/Kirchner 2013). Ähnlich wie in weiten Teilen der oben skizzierten arbeits- und organisationspsychologischen Ansätze in der Erforschung von Arbeitszufriedenheit wird auch in diesen Ansätzen auf die Bedeutung unterschiedlicher Ansprüche an die Arbeit, d.h. unterschiedliche Arbeitswerte von Beschäftigten verwiesen (vgl. auch Fritz 2015). Ein eher subjektiver Ansatz in der Befassung mit Arbeitsqualität sei folglich insbesondere deshalb sinnvoll, „da gerade die subjektive Wahrnehmung einer Situation entscheidend für deren individuelle Bewertung ist“ (Hauff/Kirchner 2013: 339). Aus einer derartigen Perspektive ergibt sich, dass Befürworter des eher subjektiven Ansatzes darauf hinweisen, dass eine vermeintlich objektive Annäherung an Arbeitsqualität häufig nur schwer möglich sei, da es keine Hinweise dafür gebe, dass ein bestimmtes „Set“ an objektiven Arbeits- und Beschäftigungsmerkmalen existiere, welches quasi allgemeingültig für eine hohe Arbeitsqualität konstitutiv sei. Durch die Integration der subjektiven Wahrnehmung der Beschäftigten und die Integration der subjektiven Ansprüche an Erwerbsarbeit werde daher dem Umstand Rechnung getragen, „that the search for the ‚good job‘ is unlikely to find an optimal mix of job components: no one shoe can fit all. Instead the same or similar jobs may be perceived and experienced differently by different individuals“ (Findlay et al. 2013: 445).
146
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Gleichwohl wird an derartigen, auf die subjektive Wahrnehmung zielenden, Ansätzen auch Kritik geäußert, indem auf die Problematik hingewiesen wird, dass die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen von Beschäftigten relativ störanfällig sind (vgl. etwa Holmann 2013). So verweist etwa Gallie (2007:8) darauf, dass Beschäftigte häufig eher kurzfristige Interessen aufweisen und etwaige Problemlagen in der Arbeit nicht von Beginn an selbst wahrnehmen, etwa die mittel- und langfristigen Folgen von starkem Stress. Hinzu komme die Problematik der Adaption, auf die bereits im Hinblick auf das oben vorgestellte Zürcher Modell der Arbeitszufriedenheit hingewiesen wurde. Demnach kann die subjektive Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation durch eine Herabstufung der Ansprüche „verfälscht“ sein. Die Folge für die Untersuchung von Arbeitsqualität sei hierbei, dass in solchen Fällen die subjektiven Einschätzungen der Beschäftigten nicht die tatsächliche Arbeitsqualität widerspiegelten, sondern unter Umständen objektiv widrige Arbeits- und Beschäftigungsmerkmale akzeptiert und als befriedigend klassifiziert würden (vgl. ebd.). Um diese vermutete Störanfälligkeit subjektiver Ansätze zu umgehen, plädieren einige Autoren daher für einen stärker objektiven Ansatz in der Arbeitsqualitätsforschung (so etwa Holman 2013: 477). Der Fokus derartiger Ansätze liegt auf dem Vorhandensein oder Fehlen von Arbeits- und Beschäftigungsmerkmalen, die erstens als Indikatoren für Arbeitsqualität herangezogen werden können und zweitens objektiv messbar oder zumindest objektivierbar sind, also etwa die Lohnhöhe, die Vertragsform, Arbeitszeit oder die Teilnahme an Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung (vgl. ebd.). Ziel ist es, durch eine derartige Konzeptualisierung und Messung eine wenig störanfällige Identifikation von objektiv „besseren“ und „schlechteren“ Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Jedoch wird auch an objektiven Ansätzen Kritik geäußert, da eine derartige Konzeptualisierung von Arbeitsqualität mit einigen durchaus ernst zu nehmenden Problemen verbunden ist (vgl. etwa Findlay et al. 2013 sowie Cooke et al. 2013). Das größte Problem besteht darin, dass diese Ansätze nur ein schmales Spektrum gewichtiger Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität abzubilden vermögen. Trotz unterschiedlicher theoretischer, konzeptioneller und empirischer Vorgehensweisen in der Arbeitsqualitätsforschung herrscht ein weitgehender Konsens darüber, dass Arbeitsqualität ein multidimensionales Konstrukt ist (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 450), d.h. die Arbeitsqualität von einer Vielzahl verschiedener Aspekte der Erwerbsarbeit beeinflusst wird. Problematisch an den objektiven Ansätzen ist daher im Besonderen, dass nicht alle Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität objektiv messbar oder objektiv quantifizierbar sind. Es ist offenkundig, dass etwa das Einkommen, die Vertrags- und Erwerbsform oder die Unfallrate relativ leicht objektiv zu erheben und damit auch gut vergleichbar sind. Dies ist jedoch mit Blick auf andere Facetten und
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
147
Dimensionen von Arbeitsqualität kaum bzw. gar nicht möglich. So sind etwa soziale Aspekte in der Arbeit wie etwa das Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten oder auch viele Facetten des Arbeitsinhaltes wie etwa die Selbstständigkeit bei der Arbeit oder die Aufgabenvielfalt kaum objektiv bestimmbar (vgl. Hauff/Kirchner 2013: 339). Integriert man derartige Aspekte nicht in die Betrachtung, kann angenommen werden, dass gewichtige Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität schlicht unberücksichtigt bleiben. Andererseits kann eine Integration dieser Aspekte primär dann gelingen, wenn Beschäftigte nach ihrer Wahrnehmung dieser Facetten von Erwerbsarbeit befragt werden. Hinzu kommt ein weiteres Argument, welches gegen eher objektive Ansätze spricht. So setzt die Fokussierung auf objektive Indikatoren gewisse Normalitätsvorstellungen und damit einhergehend Grenzziehungen voraus, die eher „gute“ von eher „schlechter“ Arbeit unterscheiden. Hieraus folgt, dass selbst bei einer Konzentration auf objektiv messbare Aspekte der Arbeitsqualität eine subjektive Wertung (in diesen Fällen des Forschenden) vorgenommen werden muss, was u.a. die Frage aufwirft, ab wann eine Abweichung als Minderung der Arbeitsqualität interpretiert werden kann (vgl. Schäfer et al. 2013: 28f.). Zudem ist häufig auch die Aussagekraft vermeintlich objektiver Indikatoren unklar. Ein Beispiel ist die Beschäftigungsstabilität bzw. Sicherheit des Arbeitsplatzes. Dieser Aspekt wird nicht selten als Indikator betrachtet, der anhand des Vertragsstatus (befristet/unbefristet) wenig störanfällig operationalisiert und erhoben werden kann (so etwa bei Holman 2013). Es ist jedoch bekannt, dass die subjektiv wahrgenommene Beschäftigungsstabilität mitunter von der realen abweichen kann, d.h. dass der Vertragsstaus allein nur eine eingeschränkte Aussagekraft besitzt, da er das Auseinanderfallen von objektiver Lage und subjektiver Einschätzung nicht abzubilden vermag (vgl. Erlinghagen 2010). Die objektiven Ansätze sind daher insbesondere deshalb problematisch, da sie implizit sowohl von allgemeingültigen objektiven Indikatoren einer hohen bzw. niedrigen Arbeitsqualität als auch einer Homogenität in den Ansprüchen und Arbeitswerten von Beschäftigten ausgehen. Hiermit wird unterschlagen, dass ähnliche Arbeits- und Beschäftigungssituationen von Individuen sehr unterschiedlich wahrgenommen und beurteilt werden können. „Dies betrifft beispielsweise die Frage nach der Selbstständigkeit bei der Arbeit: während einige Arbeitnehmer ein Angebot zu Verantwortungsübernahme bereitwillig übernehmen, da es ihren Interessen nach einer stärkeren Einbindung in die Arbeit entspricht, fühlen sich andere dadurch überfordert“ (Hauff/Kirchner 2013: 340). Auch die obigen Ausführungen zur geringfügigen Beschäftigung haben dieses Spannungsverhältnis zwischen objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituationen und deren individueller Wahrnehmung und Beurteilung durch die Beschäftigten angedeutet. Ein objektiver Ansatz steht daher auch vor dem Problem, derartige Widersprüche nicht abbilden zu können und Gefahr zu laufen, eine
148
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
strukturalistische Perspektive einzunehmen, in der unterstellt wird, dass objektiv ähnliche Arbeits- und Beschäftigungssituationen von Individuen auch ähnlich wahrgenommen und beurteilt werden. In der Summe zeigen sich damit gewichtige Argumente, die gegen einen derartigen objektiven Ansatz sprechen, weshalb in der vorliegenden Arbeit ein eher subjektiver Ansatz gewählt wird und Arbeitsqualität als subjektive Arbeitsqualität verstanden und operationalisiert wird. Hiermit wird nicht in Abrede gestellt, dass es durchaus einige objektive Indikatoren gibt, anhand derer eine Annäherung an Arbeitsqualität möglich ist. Für eine multidimensionale und die subjektiven Ansprüche und Wahrnehmungen integrierende Untersuchung von Arbeitsqualität bietet der eher subjektive Ansatz jedoch mehr Vorteile. Gleichwohl wird in dieser Arbeit die Betrachtung von subjektiver Arbeitsqualität in einen größeren Kontext eingebettet, welcher sowohl kontextuale Faktoren als auch objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in die Untersuchung integriert (vgl. Kapitel 5 in dieser Arbeit). 4.3.3 Ansätze zur Operationalisierung und Messung In empirischen Untersuchungen zu Arbeitsqualität zeigen sich unterschiedliche methodische Vorgehen, die sowohl Fragen der Konzeptualisierung von Arbeitsqualität als auch ihrer konkreten Operationalisierung und Messung umfassen. Zunächst einmal ist die Arbeitsqualitätsforschung relativ stark durch quantitative Methoden charakterisiert. Insbesondere international vergleichende Untersuchungen greifen häufig auf Daten aus Sekundärstatistiken zurück, insbesondere den European Working Conditions Survey (EWCS) oder das International Social Survey Program (ISSP) (so etwa Hauff/Kirchner 2013, Holman 2013 oder Olsen et al. 2010). Qualitativ ausgerichtete Untersuchungen zu Arbeitsqualität, etwa auf Basis von Beschäftigten-Interviews (so etwa Cooke et al. 2013), stellen dahingegen die Ausnahme dar. Eine weitere grundlegende Unterscheidung zeigt sich im Hinblick auf die verwendeten Daten. Zumeist wird auf Individualdaten zurückgegriffen, die aus Personenbefragungen gewonnen werden. Teilweise werden jedoch auch aggregierte makroökonomische Daten für internationale Vergleiche herangezogen (so etwa bei den Untersuchungen von decent work der ILO), was jedoch die große Ausnahme darstellt, da in diesen Fällen der Fokus weniger auf konkrete Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Arbeitnehmern gelegt wird als auf globale Entwicklungstrends von Arbeitsmärkten und Erwerbsarbeit, etwa die Erwerbsquoten, Unfallgefahren oder die Verbreitung von Kinderarbeit (vgl. ILO 2013). Eine letzte Unterscheidung betrifft die Frage, ob für die Untersuchung von Arbeitsqualität ein System von Indikatoren und deren Einfluss auf eine Output-
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
149
größe (etwa Arbeitszufriedenheit) genutzt wird oder das Interesse vielmehr in der Entwicklung eines zusammengefassten Index‘ liegt. Inzwischen existiert sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene eine Vielzahl von unterschiedlichen Arbeitsqualitätsindizes, etwa der bereits angesprochene Index „Gute Arbeit“ des Deutschen Gewerkschaftsbundes oder der vom European Trade Union Institute (ETUI) entwickelte „European Job Quality Index“ (JQI) (für einen ausführlichen Überblick und eine vertiefte Diskussion verschiedener Indizes der Arbeitsqualität vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011b: 87ff.). Ein Hauptinteresse in der Berechnung von Indizes liegt in der komprimierten Darstellungsweise begründet, die es ermöglicht, bspw. auf einer Skala von 0 bis 100 eine vermeintlich einfache Darstellung und Vermessung der untersuchten Arbeitsqualität vorzunehmen (vgl. Gundert 2013: 23f.). Dies kann speziell für politische Akteure oder Verbände von Interesse sein, da Indizes, trotz ihrer häufig komplexen dahinterliegenden Berechnung, für die Außenkommunikation reizvoll sind. Darüber hinaus können Indizes eine Möglichkeit zur einfachen Gegenüberstellung der Arbeitsqualität von interessierenden Gruppen oder Ländern darstellen (vgl. ebd.). Allerdings gibt es bislang keinen Konsens hinsichtlich eines geeigneten Index‘ der Arbeitsqualität, weshalb es eine Vielzahl unterschiedlicher, jedoch untereinander nicht abgestimmter und daher auch mit Blick auf die empirischen Befunde nicht vergleichbare Indizes gibt. Dies liegt darin begründet, dass die verschiedenen Indizes jeweils unterschiedliche Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität beleuchten und diese je unterschiedlich gewichten und zu dem endgültigen Index zusammenfassen. Häufig, so die Kritik, geschehe dies jedoch nur wenig theoriegetrieben und evidenzbasiert, sondern fuße vielmehr auf normativen Interessen der Organisationen (vgl. ebd. sowie Schäfer et al. 2013). Neben diesen ganz grundlegenden methodischen Unterschieden haben auch die im vorigen Abschnitt skizzierten konzeptionellen Grundüberlegungen und Ausrichtungen weitreichende Implikationen für die Operationalisierung und Messung von Arbeitsqualität. Hinsichtlich der eher objektiven Ansätze zeigen sich hierbei zwei wesentliche Operationalisierungen. Auf der einen Seite werden teilweise, wie oben beschrieben, makroökonomische Daten und Arbeitsmarktkennziffern herangezogen und auf dieser Basis ein Vergleich unterschiedlicher Beschäftigungsregime und ihrer Arbeitsqualität vollzogen (vgl. etwa Gallie 2007). Der Fokus liegt hierbei auf objektiven Daten etwa zu Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, gewerkschaftlichen Organisationsgraden, den Qualifizierungsniveaus oder der Einkommensungleichheit, d.h. eher auf einer Gegenüberstellung genereller Entwicklungstrends von Arbeitsmärkten als einer Untersuchung konkreter Arbeits- und Beschäftigungssituationen auf individueller Ebene. Wird hingegen ein objektiver Ansatz auf Individualebene verfolgt, so orientiert sich die Operationalisierung und Messung von Arbeitsqualität zwangsläufig an solchen Indikatoren, die objektiv messbar sind. Häufig konzentrieren sich diese
150
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Analysen weniger stark auf die konkrete Arbeitssituation als auf die Beschäftigungskonditionen (Arbeitszeit, Vertragsart, Entlohnung etc.), da diese Indikatoren zumeist objektiv messbar und vergleichbar sind. Hinsichtlich der eher subjektiven Ansätze lassen sich ebenfalls zwei zentrale Möglichkeiten der Operationalisierung und Messung von Arbeitsqualität unterscheiden. Eine Möglichkeit, die relativ häufig genutzt wird (etwa von Schäfer et al. 2013, Hammermann/Stettes 2013 sowie Clark 2005), besteht darin, die globale Arbeitszufriedenheit als Maß der Arbeitsqualität heranzuziehen. Dieser Ansatz fußt auf der grundlegenden Überlegung, Arbeitsqualität vom Output anstatt vom Input her zu operationalisieren, d.h. sich auf die Folgen von Arbeitsqualität anstatt auf die ihnen zugrunde liegenden Jobcharakteristika zu konzentrieren (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011b: 450f.). Die globale Arbeitszufriedenheit kann relativ problemlos gemessen werden, wobei Befragte zumeist gebeten werden, auf einer mehrstufigen Skala anzugeben, wie zufrieden sie insgesamt mit ihrer Arbeit sind. Ein Vorteil dieses Ansatzes besteht daher zunächst einmal darin, dass die Messung problemlos durchgeführt werden kann und die Ergebnisse in der Regel gut vergleichbar sind. Hinzu kommt, darauf weisen Befürworter hin, dass sich hieraus auch keine Schwierigkeiten hinsichtlich einer detaillierten Vorgehensweise ergeben. Wird die Frage nach der globalen Arbeitszufriedenheit als Maß für die Arbeitsqualität herangezogen, stellen sich Fragen nach geeigneten Dimensionen von Arbeitsqualität ebenso wenig wie in Fällen einer Indexbildung Fragen nach dessen Gewichtung und Zusammensetzung. Dies befreie den Ansatz von normativen Abwägungen und Entscheidungen der Forschenden (vgl. Hammermann/Stettes 2013). Hinzu komme, dass die Frage nach der globalen Arbeitszufriedenheit sehr offen sei und alle für die Befragungspersonen potentiell relevanten Aspekte der Erwerbsarbeit einschließe. So kämen Befragungspersonen zu einer eigenen Gewichtung und Urteilsbildung, welche stets mehr Facetten und Aspekte der Erwerbsarbeit abbilden könne als ein von Forschern entwickeltes vorstrukturiertes Set an Variablen und Dimensionen (vgl. ebd. sowie Schäfer et al. 2013). Allerdings beinhaltet eine derartige Operationalisierung und Messung auch gewichtige Nachteile. Das stärkste Argument gegen ein solches Vorgehen ist, dass eine ausschließliche Fokussierung auf die globale Arbeitszufriedenheit keine Aussagen über ihr Zustandekommen ermöglicht. Dies gilt umso mehr, als dass empirische Befunde zeigen, dass die globale Arbeitszufriedenheit weder vom Alter, dem Geschlecht, der Qualifikation, dem Beruf oder der Erwerbsform signifikant beeinflusst wird (vgl. Brenke 2015). Dahingegen haben sich verschiedene Facetten und Dimensionen der Arbeits- und Beschäftigungssituation wie etwa der Arbeitsinhalt oder das soziale Umfeld am Arbeitsplatz als gewichtige Erklärungsfaktoren für die Arbeitszufriedenheit erwiesen (vgl. Olsen et al. 2010, Hauff/Kirchner 2013 sowie Florack 2010). Insgesamt lässt ein derartiges
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
151
Vorgehen daher eine differenzierte Analyse verschiedener Dimensionen der Arbeitsqualität und eine Identifikation relevanter Einflussvariablen nicht zu, weshalb die alleinige Erhebung der globalen Arbeitszufriedenheit eine „black box“ darstellt, deren Interpretation stets mit Schwierigkeiten verbunden ist (vgl. Munoz de Bustillo et al. 2011a: 452). Aus diesen Gründen ist die globale Arbeitszufriedenheit als alleiniges Maß für die Arbeitsqualität ungeeignet, kann jedoch, darauf weisen viele Autoren hin (vgl. ebd., Olsen et al. 2013 sowie Hauff/Kirchner 2013), sehr wohl als abhängige Variable genutzt werden, sofern dies durch einen mehrdimensionalen Untersuchungsansatz ergänzt wird. In diesen Fällen kann die globale Arbeitszufriedenheit eine wertvolle Möglichkeit sein, den Einfluss einzelner Facetten und Dimensionen der Arbeitsqualität zu validieren und zu vergleichen. Eine zweite Möglichkeit der Operationalisierung und Messung bei eher subjektiven Ansätzen der Arbeitsqualitätsforschung besteht in der Nutzung eines mehrdimensionalen Modells der Arbeitsqualität. In derartigen Ansätzen wird Arbeitsqualität häufig als eine Bewertung verschiedener Facetten innerhalb einiger zentraler Dimensionen der Erwerbsarbeit operationalisiert, wobei insbesondere die Passung von Ansprüchen an die Arbeit und deren Erfüllung in der konkreten Arbeitsstelle betont wird. Damit weisen sie relativ große, wenn auch häufig implizite konzeptionelle Parallelen zum weiter oben vorgestellten Zürcher Modell der Arbeitszufriedenheit auf, indem sie den relativen Charakter von Arbeitsqualität betonen und Arbeitsqualität hier als Matching zwischen der Bedeutung einzelner Aspekte und ihrer Befriedigung operationalisiert wird. Ein solcher Ansatz wird auch in der vorliegenden Arbeit vertreten, die sich an der Konzeptualisierung und Operationalisierung von Hauff/Kirchner (2013) orientiert. Hier wird Arbeitsqualität als multidimensionales und evaluativ-relationales Konzept verstanden und für die empirische Untersuchung entsprechend operationalisiert. Demnach ist Arbeitsqualität insofern ein multidimensionales Konstrukt, als dass hier möglichst viele verschiedene Facetten und Dimensionen von Erwerbsarbeit Berücksichtigung finden sollten. Es ist evaluativ, da die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen an den arbeitsorientierten Werten der Beschäftigten gemessen werden und es ist relational, da die jeweiligen Facetten und Dimensionen der Arbeitsqualität eine unterschiedliche Relevanz für die Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation (operationalisiert mit der globalen Arbeitszufriedenheit) haben können, d.h. einzelne Aspekte der Erwerbsarbeit einen unterschiedlich starken Einfluss auf die Gesamtbeurteilung des Arbeitsplatzes haben können (vgl. Hauff/Kirchner 2013: 340ff.). Die Vorteile einer solchen Konzeptualisierung und Operationalisierung liegen darin, dass erstens durch die Multidimensionalität eine breite Palette von Facetten der Erwerbsarbeit beleuchtet werden kann und so eine differenzierte Betrachtung von Arbeitsqualität möglich ist, zweitens durch eine evaluative Perspektive unterschiedlichen subjektiven
152
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
Ansprüchen an Erwerbsarbeit und deren Befriedigung/Nicht-Befriedigung Rechnung getragen wird und dass schließlich drittens durch die Outputgröße der globalen Arbeitszufriedenheit der Einfluss unterschiedlicher Facetten der Arbeitsqualität für die Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation in die Analyse integriert werden kann. 4.3.4 Dimensionen von Arbeitsqualität Wird, wie oben beschrieben, eine Konzeptualisierung und Operationalisierung von Arbeitsqualität herangezogen, welche die Multidimensionalität des Konstrukts Arbeitsqualität betont, so stellt sich in einem letzten Schritt die Frage, welche Facetten und Dimensionen der Erwerbsarbeit in der Untersuchung von Arbeitsqualität relevant sind. In der wissenschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl von Vorschlägen hinsichtlich der als zentral erachteten Dimensionen von Arbeitsqualität (vgl., unter vielen, Munoz de Bustillo et al. 2011b: 8ff., Hauff/Kirchner 2013, Fuchs 2006, Leschke/Watt 2009, Seifert/Tangian 2009 sowie Olsen et al. 2010). Trotz oder gerade wegen dieser Vielzahl von Studien und Untersuchungen gibt es in der Forschung bislang keinen Konsens, welche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für die Arbeitsqualität konstitutiv sind. Dies liegt unter anderem in der Tatsache begründet, dass bestimmte Forschungstraditionen und inhaltliche Schwerpunktsetzungen in die Arbeiten miteinfließen. Hinzu kommt ein forschungspragmatischer Grund. Wie oben angesprochen, basieren zahlreiche Untersuchungen zur Arbeitsqualität auf Sekundärstatistiken, die zwar gute Möglichkeiten für international vergleichende Untersuchungen bieten, gleichzeitig jedoch mit dem Nachteil vorgefertigter Sets an Variablen und daher auch Dimensionen von Arbeitsqualität verbunden sind, die häufig nicht die gesamte und von den Autoren gewünschte Bandbreite von Dimensionen der Arbeitsqualität abbilden (vgl. Hauff/Kirchner 2013). Folglich ist die Operationalisierung von als relevant erachteten Dimensionen von Arbeitsqualität häufig stark durch das vorhandene Datenmaterial geprägt, so dass sich die Operationalisierung an der jeweiligen Fragebogenkonstruktion und dem Varibalenset orientiert und nicht vice versa. Obwohl es bislang keinen Konsens hinsichtlich eines breit akzeptierten Katalogs von Facetten und Dimensionen der Arbeitsqualität gibt, herrscht, wie oben angesprochen, in der Forschung gemeinhin dahingehend Konsens, dass es sich bei Arbeitsqualität um ein multidimensionales Konstrukt handelt. Arbeitsqualität kann daher nicht auf einzelne Aspekte wie etwa die Bezahlung oder die Erwerbsform reduziert werden. Vielmehr ist „eine integrierte Betrachtung einer Vielzahl von unterschiedlichen Dimensionen der Erwerbsarbeit erforderlich. Eine Konzentration auf einen oder wenige Aspekte würde die Bedeutung paralleler Entwicklungen in anderen Dimensionen vernachlässigen“ (Hauff/Kirchner 2013:
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
153
339). Hinsichtlich der Identifikation von als relevant erachteten Dimensionen der Arbeitsqualität lassen sich zwei wesentliche Herangehensweisen unterscheiden. Eine erste Möglichkeit besteht darin, Beschäftigte danach zu fragen, welche Aspekte sie als wichtig in der Erwerbsarbeit betrachten (so etwa das Vorgehen von Fuchs 2006). Der Vorteil ist hierbei, dass die Beschäftigten selbst eine Stimme bekommen. „It seems reasonable to think that workers should have some idea about what the most important attributes of a good job are“ (Munoz de Bustillo et al. 2011a: 453). Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die relevanten Dimensionen von Arbeitsqualität möglichst theoriegetrieben zu identifizieren (vgl. ebd.: 453ff.). Das zentrale Argument für ein derartiges Vorgehen ist, dass verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, insbesondere die Arbeitspsychologie, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft, bereits einen breiten Fundus von Facetten der Erwerbsarbeit beleuchtet haben, die als Indikatoren für die Qualität von Arbeit und Beschäftigung herangezogen werden können (vgl. ebd.). In der Konsequenz, so der richtige Hinweis von Munoz de Bustillo et al. (ebd.: 455), bestehen zwischen diesen Ansätzen große Überschneidungen, da auch ersterer Ansatz (Beschäftigte nennen wichtige Aspekte der Erwerbsarbeit) eine Vorstrukturierung von Facetten und Dimensionen voraussetzt, die zumeist nicht willkürlich, sondern theoriegeleitet und evidenzbasiert geschieht. Versucht man, die Fülle an Vorschlägen für relevante Dimensionen der Arbeitsqualität zu systematisieren, können einige Kerndimensionen identifiziert werden, die in eine Vielzahl der oben genannten Studien zur Arbeitsqualität Eingang finden. (Neo-) klassische ökonomische Ansätze, etwa die Theorie der kompensierenden Lohndifferentiale, betonen insbesondere die Bedeutung des Einkommens und der Entlohnung, also die monetäre Dimension von Erwerbsarbeit (vgl. vertiefend Munoz de Bustillo et al. 2011b: 31ff.). Zweifelsfrei ist die monetäre Dimension ein bedeutsamer Aspekt, der in der Betrachtung von Arbeitsqualität nicht fehlen darf. Nicht selten wird jedoch auch die Frage nach der Angemessenheit des Lohnes bzw. der Leistungsgerechtigkeit des Einkommens integriert, da gezeigt werden konnte, dass neben der Beurteilung der Entlohnungshöhe auch die wahrgenommene Angemessenheit der Entlohnung von Bedeutung für Beschäftigte ist (vgl. IAB 2015: 61f.). Ein weiterer Kernaspekt, welcher insbesondere von institutionellen Ansätzen betont wird, ist die Beschäftigungsstabilität bzw. die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Zwei Gründe sprechen für die Zentralität dieses Aspektes: zum einen gewinnen angesichts der zu Beginn dieser Arbeit beleuchteten Transformationsprozesse Fragen nach der Beschäftigungsstabilität (wieder) an Bedeutung, was insbesondere mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse zusammenhängt, denen häufig eine defizitäre Arbeitsplatzsicherheit attestiert wird (vgl. Hauff/Kirchner 2013: 341). Zum anderen zeigen verschiedene empirische Untersuchungen zur Entwicklung von Arbeitswerten, dass der Sicherheit des Arbeitsplatzes von Beschäftigten durch-
154
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
schnittlich die höchste Bedeutung beigemessen wird (vgl. Hauff 2008; Freiburger Forschungsstelle Arbeits- und Sozialmedizin et al. 2015) und die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust länderübergreifend zugenommen hat (vgl. Olsen et al. 2010), wenngleich sich dieser Trend für Deutschland in den letzten Jahren etwas abgeschwächt hat (vgl. Lengfeld/Ordemann 2016: 14ff.; Lengfeld 2017b). Verhaltenswissenschaftliche und klassische (industrie-) soziologische Ansätze betonen dahingegen vor allem die Bedeutung von betrieblichen Machtverhältnissen und damit einhergehend von Mitbestimmungs- und Partizipationsmöglichkeiten in der Erwerbsarbeit (vgl. Hauff/Kirchner 2013: 339). So ist „the extent to which individuals can have their voice heard and represented and can participate in relevant decision-making“ (Findlay et al. 2013: 444) ein wichtiger Aspekt der Arbeitsqualität. Können etwa Probleme oder eigene Anliegen in der Arbeit nicht adäquat vorgebracht und kommuniziert werden, kann gefühlte Ohnmacht und Unzufriedenheit entstehen. Sowohl soziologische als auch arbeitspsychologische Ansätze sehen darüber hinaus insbesondere in den intrinsischen Aspekten und den Arbeitsinhalten der konkret ausgeübten Tätigkeit eine zentrale Dimension der Qualität von Arbeit (vgl. ebd. sowie Gallie 2007: 4ff.). Schon frühere Untersuchungen in der marxistischen Tradition verwiesen auf die negativen Folgen von repetitiven Tätigkeiten und Monotonie, sinnentleerter und hochgradig arbeitsteiligen Tätigkeiten und strikter Kontrolle als Quellen der Entfremdung von Arbeit (vgl. vertiefend Gallie 2007: 4ff.), während insbesondere aus arbeits- und motivationspsychologischer Perspektive gezeigt werden konnte, dass vor allem die intrinsischen Aspekte der Erwerbsarbeit zentral für die Beurteilung der eigenen Arbeit von Beschäftigten sind (vgl. bereits French et al. 1982). Hinsichtlich der intrinsischen Dimension von Arbeitsqualität sind mehrere Facetten von Bedeutung, darunter etwa die Nützlichkeit der Tätigkeit für die Gesellschaft, die Autonomie bei der Arbeit, der Abwechslungsreichtum von Aufgaben und die Passung von Arbeitsanforderungen und den Fähigkeiten und Kenntnissen der Beschäftigten (vgl. Schäfer et al. 2013: 35f.). Neben diesen intrinsischen Aspekten der Erwerbsarbeit wird sowohl aus betriebssoziologischer als auch betriebspsychologischer Perspektive, auch mit Rückgriff auf Forschungsarbeiten der Human Relations-Bewegung, auf die sozialen und zwischenmenschlichen Aspekte von Erwerbsarbeit als zentrale Dimension der Arbeitsqualität verwiesen (vgl. etwa die Beiträge in Hangebrauck et al. 2003 sowie Prott 2001: 135ff.). Der Fokus dieser Ansätze liegt in der Betonung, dass Erwerbsarbeit nicht isoliert in einem Vakuum stattfindet, sondern eingebettet ist in soziale Beziehungen am Arbeitsplatz. In dieser Lesart wird der Betrieb als soziales System verstanden, in dem der Interaktion und Kooperation mit Vorgesetzten und Kollegen sowie dem Betriebsklima insgesamt eine zentrale Bedeutung zukommt (vgl. bereits Dahrendorf 1959 sowie Rosenstiel 2003). Zudem zeigen empirische Studien, dass Beschäftigte den sozialen Aspekten in
4.3 Arbeitsqualität: Konzeptionelle Annäherung aus sozialwissenschaftlicher Perspektive
155
ihrer Arbeit einerseits eine große Bedeutung beimessen und eine positive Beurteilung der sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz andererseits einen signifikanten Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit mit der Arbeitssituation hat (vgl. Hauff/Kirchner 2013: 347; zur Bedeutung von Gerechtigkeitsvorstellungen im Betrieb Tullius/Wolf 2016: 495ff.). Zu guter Letzt wird aus arbeitsmedizinischer und arbeitswissenschaftlicher Perspektive auf die gesundheitlichen Aspekte von Erwerbsarbeit und hiermit einhergehenden Risikofaktoren abgezielt (vgl. Wittig et al. 2013). Im Zentrum stehen hier sowohl die physischen als auch psychischen Risiken und Gefährdungen von Erwerbsarbeit, die in den letzten Jahren insbesondere in den Debatten um eine Intensivierung, Verdichtung und Entgrenzung von Arbeit und den hieraus resultierenden Folgen wie Überforderung und Erschöpfung betont wurden (vgl. etwa Ehrenberg 2004, Voß 2007, Pauls et al. 2015 sowie Graefe 2014; kritisch: Dornes 2016). In engem Zusammenhang hiermit stehen auch Ansätze, die insbesondere die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Privatleben (Work-Life-Balance) betonen und auf die gesundheitsschädliche Wirkung einer Entgrenzung dieser Lebensbereiche hinweisen (vgl. Rexroth et al. 2012, Schäfers et al. 2013: 38f. sowie die Beiträge in Drobnic/Guillen 2011). Aus diesem Grund sind auch die gesundheitlichen Aspekte und mögliche Gefährdungen eine wichtige Dimension in der Auseinandersetzung mit der Arbeitsqualität von Beschäftigten. Diese kursorische Skizze der in der Literatur diskutierten relevanten Dimensionen und Facetten von Arbeitsqualität unterstreicht die Notwendigkeit einer multidimensionalen Betrachtung von Arbeitsqualität. Die vorgestellten Dimensionen und Aspekte stellen hierbei die Kerndimensionen von Arbeitsqualität dar. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei, wie oben angesprochen, nicht um ein in Stein gemeißeltes Set von als relevant erachteten Dimensionen der Arbeitsqualität. Vielmehr werden die verschiedenen Facetten je unterschiedlich miteinander kombiniert, wobei häufig auch nur ein Teil dieser Dimensionen betrachtet wird oder aber weitere Dimensionen hinzugefügt werden. Für die genannten Dimensionen spricht, dass sie aus theoretischen Ansätzen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen gewonnen wurden und gleichzeitig eine hohe empirische Evidenz aufweisen, da eine Vielzahl dieser Facetten und Dimensionen zum einen von den Beschäftigten selbst als relevant für die Arbeit erachtet wird (vgl. etwa Fuchs 2006; Hauff 2008) und sie zum anderen einen gewichtigen Einfluss auf etwaige Outputgrößen, allen voran die Arbeitszufriedenheit als subjektive Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation, haben (vgl. Hauff/Kirchner 2013; Gallie 2007). Zwei letzte Aspekte hinsichtlich der Auswahl von Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität kommen hinzu. Einige Autoren (vgl. etwa Hammermann/Stettes 2013:2; Gallie 2007: 5f.) weisen zu Recht darauf hin, dass in einigen Untersuchungen widersprüchliche Dimensionen von Arbeitsqualität inte-
156
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
griert werden. Beispiele hierfür sind etwa kurze Arbeitszeiten als „Enabler“ von Work-Life-Balance einerseits und ein hohes monatliches Einkommen andererseits. Auch die Frage nach (Termin- und Zeit-) Druck in der Arbeit fristet laut Gallie (2007: 5f.) ein widersprüchliches Dasein: so sei Druck in der Arbeit zumeist negativ konnotiert, wobei gleichzeitig die Bedeutung von Anforderungen und Verantwortung in der Arbeit betont werde. Empirische Studien wiesen jedoch darauf hin, dass hoher (Leistungs- und Zeit-) Druck in der Arbeit insbesondere von eher hochqualifizierten Beschäftigten mit einem hohen Maß an Selbstverantwortung und Autonomie in der Arbeit berichtet wird. Eine Möglichkeit, dieses Problem weitgehend zu umgehen, liegt, wie in Abschnitt 4.2 dieser Arbeit skizziert, in Ansätzen, welche die individuellen Ansprüche an Arbeit integrieren und somit unterschiedlichen Arbeitswerten von Beschäftigten Rechnung tragen. Zu guter Letzt ist darauf hinzuweisen, dass aus forschungspragmatischen Gründen eine gute Balance zwischen einer differenzierten und mehrdimensionalen Operationalisierung einerseits und einer notwendigen Generalisierbarkeit andererseits anzustreben ist. Konkret bedeutet dies, dass die Dimensionen von Arbeitsqualität aus den genannten Gründen verschiedene Aspekte umfassen sollten, jedoch nicht zu detailliert auf einzelne Beschäftigten- oder Berufsgruppen und Tätigkeiten zugeschnitten sein sollten, da dies der empirischen Erhebung unterschiedlicher Subgruppen von Beschäftigten nicht zuträglich ist. Im Folgenden wird in einem letzten Schritt die dieser Arbeit zugrunde liegende Konzeptualisierung von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob dargestellt. 4.4 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob: Konzeptualisierung Die hier präsentierten Ausführungen haben einen Überblick über konzeptionelle Herangehensweisen hinsichtlich der Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung von Beschäftigten gegeben und die Vor- und Nachteile verschiedener Akzentuierungen, Operationalisierungen und Messungen der Arbeitsqualität dargelegt. Der in dieser Arbeit verfolgte Ansatz zur Untersuchung der Arbeitsqualität von Beschäftigten im Minijob greift diese Überlegungen auf. Zuvorderst wird in dieser Arbeit aus den oben diskutierten Gründen ein subjektiver Ansatz für die Analyse der Arbeitsqualität gewählt, weshalb im Folgenden von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob gesprochen wird. Die Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität geringfügig Beschäftigter lehnt sich in der konzeptionell-methodischen Herangehensweise an Teile der weiter oben diskutierten Ansätze der Arbeitszufriedenheits- und Arbeitsqualitätsforschung an. Die subjektive Arbeitsqualität von Beschäftigten im Minijob wird hierbei, unter Rückgriff auf Hauff/Kirchner (2013), als multidimensionales und evaluativrelationales Konstrukt verstanden. Aus diesem Grund werden verschiedene Di-
4.4 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob: Konzeptualisierung
157
mensionen von Arbeitsqualität in die Untersuchung integriert. Es wird ein evaluatives Vorgehen gewählt, in dem einerseits erhoben wird, welche Bedeutung die Beschäftigten einzelnen Aspekten der Erwerbsarbeit beimessen und inwieweit es andererseits im Rahmen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses zu einer Erfüllung dieser Aspekte kommt. Folglich geht es um einen Abgleich des SollIst-Zustandes und das Matching zwischen den als wünschenswert erachteten Aspekten von Erwerbsarbeit und ihrer Erfüllung in der konkreten Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob. Zur Validierung und Kontrolle der Relevanz einzelner Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität wird zudem in einem zweiten Schritt die globale Arbeitszufriedenheit als Maß zur Gesamtbeurteilung der Erwerbssituation herangezogen. Dieses Vorgehen bezieht sich auf den relationalen Charakter von Arbeitsqualität und ermöglicht eine Analyse des Einflusses einzelner Aspekte der Erwerbsarbeit auf ihre Gesamtbeurteilung. Gleichwohl geht es in der Untersuchung zunächst primär um die Erhebung der einzelnen Facetten und Dimensionen von Arbeitsqualität. Die Betrachtung der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob hat daher zunächst einen explorativen Charakter, da, wie gezeigt, derartige Aspekte bislang nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Befassung mit Minijobs waren. Die Integration der globalen Arbeitszufriedenheit als Outputgröße ist in dieser Untersuchung jedoch nicht auf die subjektive Arbeitsqualität beschränkt, sondern integriert auch objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der Beschäftigten (vgl. vertiefend das folgende Kapitel). Die Facetten von Arbeitsqualität basieren auf den oben präsentierten, aus theoretischen Überlegungen und empirischen Untersuchungen hergeleiteten Aspekten und Dimensionen von Arbeitsqualität. Insgesamt werden 19 Facetten der Arbeitsqualität in die Untersuchung integriert, die zu vier zentralen Dimensionen zusammengefasst sind: 1. Sicherheits- und Entwicklungsdimension; 2. Intrinsische Dimension; 3. Soziale Dimension sowie 4. Salutogene Dimension. Jede dieser Dimensionen setzt sich aus mehreren Facetten bzw. Kategorien zusammen. Im Zentrum der Sicherheits- und Entwicklungsdimension steht die (materielle) Sicherheit im Rahmen des Minijobs sowie die Entwicklungs- bzw. Aufstiegsperspektiven. Diese Dimension umfasst vier Facetten: gutes Einkommen, Leistungsgerechtigkeit des Einkommens, Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie gute Aufstiegschancen. In der intrinsischen Dimension stehen die konkrete Tätigkeit und der Arbeitsinhalt im Minijob im Fokus der Betrachtung. Diese Dimension setzt sich aus sechs Facetten zusammen: die Nützlichkeit der Tätigkeit für die Gesellschaft, eine interessante Tätigkeit, die Möglichkeit zum selbständigen Arbeiten, der Abwechslungsreichtum der Tätigkeiten und Aufgaben, die Passung von Anforderungen und Kenntnissen der Beschäftigten sowie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten im Rahmen des Minijobs. Gegenstand der sozialen Dimension sind dahingegen die sozialen Aspekte und
158
4 Die subjektive Wahrnehmung von Erwerbsarbeit: Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit
sozialen Beziehungen sowie die Möglichkeit der Mitsprache am Arbeitsplatz. Diese Dimension umfasst fünf Facetten: das Verhältnis zu den Arbeitskollegen, das Verhältnis zu den Vorgesetzten, die Gleichbehandlung von Beschäftigten, die Wertschätzung und Anerkennung der eigenen Arbeit sowie die Möglichkeit, eigene Anliegen, Interessen und Probleme vortragen zu können. Zu guter Letzt befasst sich die salutogene Dimension mit den gesundheitlichen Aspekten und Belastungen der Erwerbsarbeit. Diese Dimension beinhaltet vier Facetten: körperliche Belastungen (z.B. Tragen schwerer Lasten, einseitige Körperhaltungen etc.), psychische Belastungen (z.B. Leistungsdruck, Stress etc.), Gefahren bei der Arbeit (etwa Risiko von Unfällen oder Gefahr von Burn-Out) sowie die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben. Abbildung 2:
Konzeptualisierung von subjektiver Arbeitsqualität im Minijob
Eigene Darstellung
Ein derartiges Vorgehen ermöglicht eine differenzierte Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von Minijobbern. Zum einen wird durch den multidimensionalen Ansatz sichergestellt, dass eine Vielzahl von Facetten und Dimensionen der Arbeitsqualität beleuchtet wird. Zum anderen wird für jede dieser Facetten sowohl die ihr zugeschriebene Bedeutung als auch die Erfüllung im Rahmen des Minijobs erhoben. Hierdurch wird ermöglicht, die Ist-Situation im Minijob vertiefend zu analysieren und mit den
4.4 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob: Konzeptualisierung
159
Ansprüchen der Beschäftigten abzugleichen. Zu guter Letzt ist anzumerken, dass die Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern in der vorliegenden Arbeit in ein mehrdimensionales Untersuchungskonzept eingebettet ist. Das heißt, dass die Betrachtung der subjektiven Arbeitsqualität in dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert einnimmt, gleichzeitig jedoch um weitere Untersuchungsdimensionen ergänzt wird, die in der Gesamtschau eine differenzierte, sowohl subjektive als auch objektive Aspekte berücksichtigende Analyse der Arbeits- und Beschäftigungssituation geringfügig Beschäftigter ermöglicht. Im folgenden Kapitel werden dieses mehrdimensionale Untersuchungskonzept sowie das der empirischen Erhebung zugrundeliegende Forschungsdesign vorgestellt.
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Die vorliegende Arbeit hat zum zentralen Ziel, eine mehrdimensionale Vermessung geringfügiger Beschäftigung vorzunehmen und hierbei insbesondere die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der Minijobber in den Fokus der Betrachtung zu rücken. Da, wie gezeigt, eine derartige Forschungsperspektive bislang so gut wie nicht Gegenstand in der wissenschaftlichen Befassung mit Minijobs war, weisen insbesondere jene Teile der empirischen Untersuchung mit einem starken Fokus auf die subjektive Wahrnehmung der Minijobber einen explorativen Charakter auf. Hierbei geht es zentral um eine Abschätzung, Eruierung und Aufdeckung der Einschätzungen und Beurteilungen der in Minijobs beschäftigten Personen hinsichtlich ihrer Arbeits- und Beschäftigungssituation. Wie in der Einleitung dargelegt, lautet die zentrale Fragestellung dieser Arbeit daher: Wie nehmen geringfügig Beschäftigte ihre Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob subjektiv wahr und von welchen objektiven und subjektiven Faktoren wird eine positive oder negative Gesamtbeurteilung beeinflusst? Mit dieser übergeordneten und für die vorliegende Arbeit zentralen Fragestellung sind fünf forschungsleitende Fragen verbunden, die jeweils spezifische Themenbereiche der geringfügigen Beschäftigung und der in ihr geleisteten Erwerbsarbeit berühren. 1. 2.
3. 4. 5.
Unter welchen objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie in welchen betrieblichen Kontexten wird Erwerbsarbeit im Minijob geleistet? Wie schätzen Minijobber subjektiv die Arbeitsqualität in ihrem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis ein? Welche Bedeutung messen sie verschiedenen Facetten und Dimensionen der Erwerbsarbeit bei und in welchem Maße werden diese Ansprüche im Rahmen des Minijobs erfüllt? Welche Bedeutung nimmt für Minijobber die Erwerbsarbeit im Vergleich zu anderen Lebensbereichen ein und welche Funktionen erfüllt der Minijob subjektiv für sie? Welche Handlungsabsichten weisen Minijobber hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft auf und wie schätzen sie ihre Arbeitsmarktoptionen ein? Welche Befürchtungen und Sorgen haben Minijobber hinsichtlich ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Erwerbs- und Lebenslagen?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_5
162
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Wie im vorigen Kapitel angerissen, wird für die Beantwortung dieser zentralen Forschungsfragen ein mehrdimensionales Untersuchungskonzept gewählt, um kontextuale Faktoren der Beschäftigten, die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen einschließlich der betrieblichen Rahmenbedingungen sowie die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der geringfügig Beschäftigten zu beleuchten und so die Wechselwirkungen dieser Bereiche analysieren zu können. Hierdurch wird eine mehrdimensionale und differenzierte Analyse geringfügiger Beschäftigung ermöglicht, die über eine ausschließliche Fokussierung auf die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und die institutionellen Anreize hinausgeht und vielmehr die subjektive Wahrnehmung der Beschäftigten im Minijob in die wissenschaftliche Analyse integriert. Im Folgenden wird das Untersuchungskonzept vertiefend dargestellt und das Forschungsdesign sowie die Fragebogeninhalte präsentiert. Aufbauend hierauf werden forschungsleitende Hypothesen formuliert und zu guter Letzt die Auswertungsmethodik der hier präsentierten empirischen Untersuchung beschrieben. 5.1 Untersuchungskonzept Die bisherigen Ausführungen und Überlegungen in dieser Arbeit haben die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Analyse und „Vermessung“ von Minijobs verdeutlicht. Aus diesem Grund wird ein mehrdimensionales Untersuchungskonzept gewählt, welches insgesamt sechs zentrale Untersuchungsdimensionen umfasst. Ziel ist es, hierdurch sowohl Kontextfaktoren, die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie die subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen der Beschäftigten zu beleuchten. In der ersten Untersuchungsdimension stehen die soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale sowie der Haushalts- und Familienkontext der Beschäftigten im Zentrum. Der in Kapitel 3 dieser Arbeit präsentierte Forschungsstand zu Minijobs hat verdeutlicht, dass die institutionellen Anreize auf bestimmte Personengruppen besonders stark wirken. Deutlich wurde zudem, dass es bei der geringfügigen Beschäftigung wie bei kaum einer anderen Erwerbsform auch auf den Haushaltskontext der Beschäftigten ankommt – dies gilt insbesondere hinsichtlich der objektiven (finanziellen) Prekaritätsrisiken sowie deren mögliche Abfederung im Haushaltskontext. Aus diesem Grund sind für eine differenzierte Einordnung der jeweiligen Erwerbs- und Lebenslage die Soziodemografie und der Haushaltskontext von großer Bedeutung. Hinzu kommt, dass diese Faktoren für die Untersuchung der subjektiven Beurteilung von Minijobs als erklärende Variablen unerlässlich sind, um etwa zu prüfen, ob eine negative oder positive Beurteilung des Minijobs Zusammenhänge zu soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmalen der Beschäftigten aufweist.
5.1 Untersuchungskonzept
163
In der zweiten Untersuchungsdimension stehen dahingegen die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Minijobber im Fokus der Betrachtung. Wie zuvor bereits angerissen, würde eine ausschließliche Fokussierung auf die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der Beschäftigten zu kurz greifen, da hierdurch die strukturellen Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse vernachlässigt würden. Gleiches gilt umgekehrt für eine ausschließliche Konzentration auf die objektiven Rahmenbedingungen; kurzum: es geht in der Analyse um eine ausgewogene Balance zwischen diesen Analyseebenen. Aus diesem Grund werden in dieser Untersuchungsdimension die Eigenschaften des Minijobs, die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie die betrieblichen Rahmenbedingungen des Beschäftigungsverhältnisses betrachtet. Die Integration dieser Aspekte erfüllt zwei wesentliche Funktionen: zum einen dient es der Untersuchung der objektiven Bedingungen, in deren Rahmen und zu deren Konditionen Erwerbsarbeit im Minijob geleistet wird. Diese Befunde werden daher zur Validierung sowie Ergänzung des oben präsentierten Forschungsstandes zu Minijobs herangezogen und können die Diskussion um die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie hieraus resultierende Probleme und Risiken bereichern. Zum anderen können die Befunde auch hinsichtlich ihres Einflusses auf die subjektive Gesamtbeurteilung des Minijobs nutzbar gemacht werden. Dies ist insofern von Relevanz, als dass hierdurch die subjektiven Beurteilungen der geringfügig Beschäftigten mit deren objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen abgeglichen werden können und so geprüft werden kann, in welchem Verhältnis diese Aspekte zueinander stehen. Der Forschungsstand hat die Bedeutung einer solchen Betrachtungsweise untermauert, da durch die Integration beider Ebenen auch etwaige Widersprüche aufgespürt werden können. Ganz generell ermöglicht ein derartiges Vorgehen, zu überprüfen, ob und in welchem Maße die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bestimmte subjektive Beurteilungen der Beschäftigten nach sich ziehen. Die dritte Dimension ist die erste Dimension, in der explizit die subjektive Wahrnehmung der Beschäftigten und ihre Beurteilungen im Zentrum der Betrachtung stehen. Hier wird die subjektive Arbeitsqualität im Minijob untersucht und auf die im vorigen Kapitel präsentierten theoretisch-konzeptionellen Überlegungen aufgebaut. Auf Basis eines Soll-Ist-Abgleichs wird für 19 Facetten in vier Dimensionen untersucht, welche Ansprüche die Minijobber an Erwerbsarbeit stellen und in welchem Maße diese Aspekte im Rahmen des Minijobs erfüllt werden. Diese Untersuchungsdimension ist von hohem explorativen Interesse, da eine derartige Perspektive bislang nicht Gegenstand der Forschung zu Minijobs war und daher eine wichtige Ergänzung zu der Betrachtung der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen darstellt. Aus diesem Grund nimmt die Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität im Rahmen dieser Arbeit einen zentralen Stellenwert ein. Gleichzeitig wird diese Dimension in einem weiteren
164
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Schritt auch dazu herangezogen, einerseits nach möglichen Einflussvariablen für eine hohe oder niedrige subjektive Arbeitsqualität zu fahnden und andererseits danach zu fragen, in welchem Maße die subjektive Arbeitsqualität die Gesamtbeurteilung des Minijobs beeinflusst. In der vierten Dimension wird der Fokus auf die Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit sowie die Funktionen des Minijobs gerichtet. Hinsichtlich der Bedeutung von Erwerbsarbeit wird danach gefragt, wie stark erwerbsorientiert Minijobber denken und welche Bedeutung andere Lebensbereiche für sie im Vergleich haben. Hinsichtlich der Funktionen des Minijobs stehen hier, entgegen der dritten Dimension, nicht die Einschätzung konkreter Aspekte der Erwerbsarbeit im Rahmen des Minijobs im Zentrum, sondern die Frage, welche Funktionen das geringfügige Beschäftigungsverhältnis für die Minijobber einnimmt, etwa hinsichtlich der kurz- und langfristigen materiellen Absicherung oder der Möglichkeit, den Minijob als Einstieg in den Arbeitsmarkt zu nutzen. Diese Betrachtungen sind von Relevanz, als dass durch die Betrachtung der Motivlagen, Interessen und Bedeutungszuschreibungen der Minijobber wichtige Faktoren zur Einordnung ihrer subjektiven Wahrnehmung gewonnen werden können. Die fünfte Untersuchungsdimension hat dann die Handlungsabsichten und wahrgenommenen Handlungsoptionen der geringfügig Beschäftigten zum Gegenstand. Diese Dimension dient als wichtige Ergänzung zu den Inhalten in den anderen Untersuchungsdimensionen, da, wie oben angerissen, weder aus den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen noch aus der subjektiven Beurteilung der Erwerbssituation ohne weiteres auf ein bestimmtes Verhalten von Beschäftigten geschlossen werden kann. Im Zentrum dieser Untersuchungsdimension steht daher, zu untersuchen, welche Handlungsabsichten geringfügig Beschäftigte aufweisen (etwa hinsichtlich eines Arbeitgeber- oder Erwerbsformenwechsels) und wie sie ihre Arbeitsmarktchancen und Beschäftigungsoptionen subjektiv einschätzen. Zu guter Letzt werden in der sechsten Dimension die Sorgen und Befürchtungen der Minijobber betrachtet, wobei hier sowohl auf gegenwärtige als auch zukünftige Sorgen abgezielt wird. Die Bereiche möglicher Sorgen sind nicht auf den konkreten Minijob beschränkt, stehen jedoch in engem Zusammenhang mit der Erwerbsarbeit. Diese Untersuchungsdimension ist aus zwei Gründen von Bedeutung: zum einen lassen sich hiermit Aussagen zum Sorgenniveau und den Sorgenbereichen von Minijobbern treffen, so dass die empirischen Befunde sowohl anschlussfähig an die (arbeits-) soziologischen Diskurse um Prekarität und Abstiegsangst sind als auch einen vertieften Einblick in mögliche Sorgenquellen geringfügig Beschäftigter ermöglichen. Zum anderen können in der Analyse Zusammenhänge zu den soziodemografischen Merkmalen sowie den Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen der Minijobber überprüft und auf dieser Basis besondere Risikogruppen identifiziert werden.
5.1 Untersuchungskonzept
Abbildung 3:
165
Visualisierung des Untersuchungskonzeptes
Eigene Darstellung
Abbildung 3 visualisiert das dieser Arbeit zugrundeliegende Untersuchungskonzept. In einem ersten Schritt geht es zentral um eine explorative Betrachtung der jeweiligen Untersuchungsdimensionen. Dies gilt, wie dargelegt, insbesondere für jene Dimensionen mit einem starken Fokus auf die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der Minijobber. In einem zweiten Schritt steht dann die Frage im Zentrum, in welchem Zusammenhang die Befunde der einzelnen Dimensionen mit der subjektiven Gesamtbeurteilung des Minijobs stehen. In Anlehnung an die im vorigen Kapitel präsentierten theoretisch-konzeptionellen Überlegun-
166
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
gen wird die subjektive Gesamtbeurteilung mit der globalen Arbeitszufriedenheit als abhängige Variable operationalisiert. Dieser Operationalisierung liegt das Verständnis zugrunde, dass die globale Arbeitszufriedenheit als Gesamtmaß der subjektiven Beurteilung der Erwerbsarbeit angesehen werden kann. Die Visualisierung des Untersuchungskonzeptes macht darüber hinaus deutlich, dass auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Untersuchungsdimensionen beleuchtet werden sollen, um etwaige Zusammenhänge etwa zwischen der subjektiven Arbeitsqualität und den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie den soziodemografischen Merkmalen der Beschäftigten aufzuspüren. Das Untersuchungskonzept ermöglicht daher in seiner Gesamtheit eine differenzierte, sowohl objektive als auch subjektive Faktoren berücksichtigende Vermessung und Analyse von Minijobs und der in ihnen geleisteten Erwerbsarbeit. 5.2 Fragebogeninhalte und Forschungsdesign Für die quantitative empirische Erhebung, die für die Beantwortung der hier präsentierten zentralen Forschungsfragen durchgeführt wurde, ist ein Fragebogen erstellt worden, der sich an das im vorigen Abschnitt dargelegte Untersuchungskonzept anlehnt. Der Fragebogen umfasst insgesamt 69 Fragen und gliedert sich in sechs zentrale Themenblöcke. Die Blöcke spiegeln die sechs Untersuchungsdimensionen dieser Arbeit wider. Der erste Block unterteilt sich in die soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale der befragten Minijobber einerseits sowie deren Haushalts- und Familienkontexte andererseits. Hinsichtlich der soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale wurden das Alter, das Geschlecht, die Nationalität, der höchste Schul- sowie Berufsabschluss, die Statusgruppe (Schüler, Studierende, Rentner, Auszubildender sowie Hausfrau/-mann) und der Wohnort ebenso erhoben wie die Frage, ob die Befragungspersonen aktuell arbeitslos gemeldet sind und welche staatlichen Leistungen bezogen werden. Darüber hinaus wurden die Befragten um eine subjektive Schichteinstufung gebeten. Hinsichtlich des Haushaltsund Familienkontextes wurde der Familienstand, die Anzahl der Haushaltsmitglieder, die Frage nach Kindern unter 16 Jahren im Haushalt, die Anzahl der erwerbstätigen Personen im Haushalt, das monatliche Netto-Haushaltseinkommen und die Beurteilung des Haushaltseinkommens abgefragt. Ebenso wurde erhoben, ob die Befragungspersonen die Hauptverdiener im Haushalt sind. Der zweite inhaltliche Block erfasst die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Minijobber. Zu Beginn stehen hier die Eigenschaften des Minijobs im Vordergrund. Hierzu zählt die Art des Minijobs (geringfügig entlohnte oder kurzfristige Beschäftigung), die Anzahl der ausgebübten Minijobs sowie die Frage, ob der Minijob ausschließlich oder im Nebenjob ausgeübt wird.
5.2 Fragebogeninhalte und Forschungsdesign
167
Bei im Nebenjob geringfügig Beschäftigten wurde zudem die Erwerbsform der Hauptbeschäftigung erfragt. Ebenso erhoben wurde, ob der Minijob gewerblich oder in einem Privathaushalt ausgeübt wird, die Dauer des aktuellen Minijobs sowie die Erwerbssituation vor Aufnahme des Minijobs. Zudem wurde die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen abgefragt. Hinsichtlich der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen wurden Fragen zum Arbeitsvertrag (mündlich/schriftlich sowie befristet/unbefristet), der monetären Aspekte (Monatseinkommen, Stundenlohn, Bedeutung des Geldverdienens im Minijob) und zur Dauer und Lage der Arbeitszeit (vertraglich vereinbarte und tatsächliche Wochenarbeitszeit, Arbeitstage pro Woche, Arbeitszeitrandlagen, Organisation der Arbeitseinsätze und -zeiten sowie Arbeitszeitwünsche) erhoben. Zu guter Letzt wurde die konkrete Tätigkeit im Minijob, die Gewährung von Arbeitnehmerrechten, die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung und die Frage nach der Ausbildungsadäquatheit des Minijobs integriert. Hinsichtlich der betrieblichen Rahmenbedingungen standen die Branche bzw. der Wirtschaftszweig, die Betriebsgröße, das Vorhandensein eines Betriebs- oder Personalrates, die Tarifbindung des Betriebs sowie – als zusätzlicher flankierender Aspekt auf Seiten der Beschäftigten – eine Gewerkschaftsmitgliedschaft der Befragten im Fokus der Betrachtung. Der dritte Themenblock zur subjektiven Arbeitsqualität im Minijob greift die im vorigen Kapitel diskutierten Aspekte sowie die unter 4.4 vorgestellte Konzeptualisierung auf. Der Block enthält zunächst 19 Items in den vier zentralen Untersuchungsdimensionen subjektiver Arbeitsqualität (Sicherheits- und Entwicklungsdimension, intrinsische Dimension, soziale Dimension sowie salutogene Dimension) und fragt nach der Bedeutung, welche die Befragten diesen Facetten beimessen. Im zweiten Teil dieses Blocks wird für jede der 19 Facetten erhoben, in welchem Maße die jeweiligen Aspekte im Rahmen des Minijobs erfüllt werden. Im vierten Fragebogenblock wurden die Befragten zunächst gebeten, verschiedene Lebensbereiche nach ihrer Wichtigkeit zu ordnen, um so die subjektiv zugeschriebene Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit zu erheben. Neben der Erwerbsarbeit wurde die Bedeutung von Hausarbeit, Familie/Partnerschaft, Freunden, Freizeitaktivitäten/Hobbies sowie sozialem, ehrenamtlichen und/oder politischem Engagement abgefragt. Für die Erfassung der Funktionen des Minijobs wurden einerseits die Motive zur Aufnahme des Minijobs erhoben. Andererseits wurde eine Item-Batterie mit Aussagen zum Minijob genutzt und die Befragten um Ablehnung oder Zustimmung dieser Aussagen gebeten. Hierunter fallen etwa Aussagen zur materiellen Absicherung durch den Minijob, der sozialen Integrationsfunktion des Minijobs sowie die Möglichkeit eines Berufseinstiges durch das geringfügige Beschäftigungsverhältnis. Im fünften inhaltlichen Block stehen die Handlungsabsichten und Handlungsoptionen der Minijobber im Zentrum des Interesses. Zuvorderst wurden sie
168
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
nach ihrem Wunsch, die Beschäftigungsform zu wechseln, gefragt. Für Personen mit einem derartigen Wunsch wurde zudem erhoben, welche andere Beschäftigungsform angestrebt wird, welche Gründe für den Wechselwunsch ausschlaggebend sind und ob die gewünschte Beschäftigungsform in demselben beruflichen Bereich des aktuellen Minijobs angesiedelt sein sollte. Ebenso wurde erhoben, ob die Befragten innerhalb der kommenden 12 Monate einen Wechsel des Arbeitgebers anstreben und welche konkreten beruflichen Zukunftspläne sie haben. Darüber hinaus wurden die Befragten um eine Einschätzung gebeten, wie schwierig oder leicht das Finden einer neuen Stelle für sie wäre und in welchem Maße die im Minijob gewonnenen Kenntnisse und Fähigkeiten hierfür nützlich wären. Zu guter Letzt wurden die Minijobber gefragt, ob sie sich in der Retrospektive noch einmal für eine Erwerbstätigkeit im Rahmen eines Minijobs entscheiden würden. Im sechsten und letzten Themenblock standen die gegenwärtigen und zukünftigen Befürchtungen und Sorgen der Minijobber im Zentrum. Die Sorgenbereiche umfassen die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung sowie die eigene wirtschaftliche Situation, die Angst um Arbeitsplatzverlust, Sorgen vor langfristiger Arbeitslosigkeit, die Nicht-Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, die Sorge, vom Einkommen nicht leben zu können, sozial abzusteigen, die Angst vor Altersarmut sowie Sorgen um die eigene Gesundheit und davor, beruflich nicht voranzukommen. Die Beleuchtung und Analyse dieser Themenbereiche und die Beantwortung der zentralen Forschungsfragen folgt dem Ziel, möglichst breite und hierdurch generalisierbare empirische Befunde zu generieren und auf dieser Basis die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit geringfügiger Beschäftigung um neue Erkenntnisse zu erweitern. Aus diesen Gründen wurde für die empirische Untersuchung ein quantitatives methodisches Vorgehen gewählt. Zur Beantwortung der skizzierten Forschungsfragen wurde eine deutschlandweite OnlineBefragung von geringfügig Beschäftigten durchgeführt. Der Fragebogen wurde mithilfe der Software Unipark programmiert. Für die Durchführung der Befragung wurde auf das Markt- und Meinungsforschungsinstitut Respondi zurückgegriffen, welches die Versendung der Links zur Befragung an die Mitglieder eines Online-Panels übernahm. Das Online-Panel von Respondi umfasst in Deutschland rund 100.000 Personen und ist hinsichtlich der soziodemografischen und sozialstrukturellen Zusammensetzung repräsentativ für die Bevölkerung Deutschlands (vgl. respondi AG Online a). Das Online-Panel wird insbesondere für Zwecke der Meinungs- und Marktforschung sowie der empirischen Sozialforschung genutzt111. Hinsichtlich der Qualitätssicherung arbeitet Respondi eng mit der Abteilung „Survey Design and Methodology“ des deutschen Leibniz111 Die Mitglieder des Panels werden für die Teilnahme an einer Befragung incentiviert.
5.2 Fragebogeninhalte und Forschungsdesign
169
Instituts für Sozialwissenschaften (gesis) zusammen112. Respondi ist darüber hinaus als Panelanbieter ISO-zertifiziert (vgl. respondi AG Online b). Die Befragung von Beschäftigten im Minijob fand zwischen dem 20. und 28. April 2016 statt. Insgesamt konnten die Daten von 1.004 geringfügig beschäftigten Personen für die vorliegende Untersuchung genutzt werden. Hinsichtlich der Reichweite der Befragung richtete sich die Erhebung an alle Personen in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis, d.h. es wurden neben der quantitativ größten Gruppe der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten auch Personen befragt, die einer kurzfristigen Beschäftigung nachgehen sowie jene, die ihren Minijob im Nebenjob ausüben und zusätzlich eine weitere sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigung innehaben. Die Erhebung ermöglicht durch die Integration aller Unterarten der geringfügigen Beschäftigung daher eine breite Untersuchung von Beschäftigten in unterschiedlichen Formen des Minijobs. Da das genutzte Online-Panel hinsichtlich des Erwerbsstatus der Personen lediglich zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten unterscheidet, war es nicht möglich, die Links zur Online-Befragung explizit an geringfügig Beschäftigte zu versenden. Aus diesem Grund wurde zu Beginn der Befragung ein Screening durchgeführt. Hierbei wurden zu Beginn einige Fragen gestellt und hierbei die Information erhoben, ob die Befragungspersonen aktuell in Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses erwerbstätig sind. Personen, die diese Frage verneinten, wurden ausgescreent und konnten nicht an der Befragung teilnehmen. Um eine angemessene Verteilung der Befragungspersonen entsprechend der Verteilung in der Grundgesamtheit (ergo allen geringfügig Beschäftigten in Deutschland) sicherzustellen, wurde ein Quotierungsverfahren nach den Variablen Alter und Geschlecht vorgenommen. Wenngleich der Einsatz von Quotierungsverfahren hinsichtlich der Nutzung inferenzstatistischer Methoden in der Datenauswertung wissenschaftlich kontrovers diskutiert wird113 (vgl. Schönauer 2017: 99), überwiegen für die vorliegende Untersuchungsgruppe und die zentralen Forschungsfragen die Vorteile eindeutig die Nachteile. So wäre 112 Zur Qualitätssicherung gehört hierbei nicht zuletzt, dass Befragungsteilnehmer bei jeder Befragung eine personalisierte ID zugewiesen bekommen, so dass sichergestellt wird, dass sie nicht mehr als einmal an derselben Befragung teilnehmen können. 113 Schnell et al. (2011: 294ff.) etwa sprechen sich strikt gegen die Nutzung inferenzstatistischer Methoden bei Quotenstichproben aus und reduzieren die Anwendbarkeit ausschließlich auf Zufallsstichproben, während andere Autoren auch bei Quotenstichproben eine Zulässigkeit inferenzstatistischer Methoden sehen (vgl. etwa Marshall/Schultze 2012). Diese Kontroverse soll an dieser Stelle zumindest angesprochen werden, ohne dass im Rahmen dieser Arbeit diese methodische Kontroverse gelöst werden könnte. Hinsichtlich des Umgangs mit diesem „Problem“ orientiert sich diese Arbeit an der Vorgehensweise von Schönauer (2017: 99): Demnach werden bei multivariaten Analysen der Vollständigkeit halber und aus heuristischen Gründen Signifikanztests durchgeführt und deren Ergebnisse kommuniziert, ohne dass jedoch auf Basis statistischer Tests Entscheidungen etwa für die Auswahl von Variablen getroffen werden (vgl. ebd.).
170
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
eine starke Ungleichverteilung im Sample insbesondere für die Untersuchung von Minijobbern äußerst nachteilig, da, wie zuvor gezeigt (vgl. Abschnitt 3.3.2), diese Beschäftigungsform sehr heterogen zusammengesetzt ist und eine angemessene Berücksichtigung der unterschiedlichen Geschlechter und Altersgruppen systematische Verzerrungen verhindert und so die Aussagekraft der empirischen Befunde erhöht. Zur Ermittlung der Größe der Quoten wurde auf die zum Befragungszeitpunkt aktuellsten verfügbaren Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit zurückgegriffen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2016c, 2016g). Die nachfolgende Tabelle zeigt den Abgleich zwischen Grundgesamtheit und Sample hinsichtlich der quotierten Variablen Geschlecht und Alter sowie zusätzlich dem nicht quotierten höchsten beruflichen Abschluss der geringfügig Beschäftigten. Tabelle 4: Abgleich der soziodemografischen Merkmale zwischen Grundgesamtheit und Sample (Angaben in Prozent) Statistik der BA
Online-Befragung
Männlich
39,7
37,7
Weiblich
60,3
62,3
Unter 20
7,9
7,9
20 bis unter 30
19,0
18,8
30 bis unter 40
14,5
13,4
40 bis unter 50
18,4
18,4
50 bis unter 60
19,2
19,7
60 und älter
21,0
21,7
Ohne beruflichen Ausbildungsabschluss
19,2
17,8
Anerkannter Berufsabschluss
48,4
59,8
Akademischer Abschluss
6,4
22,4
Ausbildung unbekannt
26,0
///
Geschlecht
Altersgruppe
Berufsabschluss
Eigene Berechnung und Darstellung
Wie zu erkennen entspricht die Verteilung im Sample hinsichtlich der Variablen Geschlecht und Alter aufgrund des eingesetzten Quotierungsverfahrens weitgehend jener in der Grundgesamtheit. Leichte Abweichungen sind hierbei durch
5.2 Fragebogeninhalte und Forschungsdesign
171
die Datensatzbereinigung zu erklären (vgl. 5.4 in dieser Arbeit). Gleichwohl ist die Verteilung hinsichtlich des Geschlechts und Alters der Befragungspersonen im Sample deckungsgleich mit anderen quantitativen Erhebungen von geringfügig Beschäftigten, so dass die Verteilung der befragten Minijobbern der Grundgesamtheit entspricht (vgl. IAB 2015: 43). Deutlichere Unterschiede zeigen sich indes mit Blick auf den höchsten beruflichen Abschluss der Minijobber. Hier wurde kein Quotierungsverfahren eingesetzt, insbesondere da in der offiziellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit der höchste berufliche Abschluss für mehr als ein Viertel der Minijobber nicht bekannt ist. Der Vergleich der Angaben der Statistik der Bundesagentur für Arbeit und des Samples zeigt, dass sowohl der Anteil der Personen mit einem anerkannten mittleren Berufsabschluss als auch jener der Personen mit einem akademischen Berufsabschluss im Sample höher liegt als in der Grundgesamtheit. Allerdings ist die Reichweite einer möglichen Verzerrung hierbei nur schwer abschätzbar. Dies liegt in zwei wesentlichen Aspekten begründet. Zunächst einmal ist in der offiziellen Statistik für 26 Prozent der Minijobber der höchste berufliche Abschluss unbekannt, d.h hier liegen diesbezüglich schlicht keinerlei Informationen vor. Wenngleich nicht angenommen werden kann, dass all diese Personen über akademische Abschlüsse verfügen, ist eine letztendliche Abschätzung nicht möglich. Plausibel erscheint jedoch, dass die Anteile für mittlere und hohe Berufsabschlüsse in jedem Falle höher lägen, wenn die Informationen in der offiziellen Statistik bekannt wären. Folglich lässt sich ein Teil der Abweichungen zwischen Grundgesamtheit und Sample hinsichtlich des höchsten beruflichen Abschlusses auf die Informationslücken in der offiziellen Statistik zurückführen. Dafür spricht auch ein weiterer Grund: Studien, in deren Rahmen Minijobber quantitativ befragt wurden, weisen ebenfalls deutlich höhere Anteile an Personen mit mittleren und höheren Berufsabschlüssen auf. So beläuft sich in der IAB-Studie zur Situation atypisch Beschäftigter der Anteil von Minijobbern mit mittleren beruflichen Abschlüssen auf rund 60% und jener mit akademischen Abschlüssen auf rund 16% (IAB 2015: 45). Der Abgleich mit der offiziellen Statistik sowie vergleichbaren quantitativen Befragungen von Minijobbern (vgl. etwa auch RWI 2016: 137) zeigt daher zweierlei: zum einen liegen in anderen empirischen Erhebungen ebenso wie in der vorliegenden quantitativen Befragung die Anteile an Minijobbern mit mittleren und hohen Berufsabschlüssen höher als in der offiziellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Zum anderen zeigt sich je nach Datengrundlage insgesamt eine hohe Varianz. Für die vorliegende Untersuchung sollten diese Ausführungen im Hinterkopf behalten werden. So ist davon auszugehen, dass die hier befragten geringfügig Beschäftigten in der Tendenz beruflich etwas höher qualifiziert sind als dies in der Grundgesamtheit der Fall ist. Aus den skizzierten Einordnungen wird jedoch deutlich, dass diese Abweichung jedoch erstens hinsichtlich ihrer quantitativen Stärke nur
172
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
schwer abzuschätzen ist und sich zweitens auf Basis eines Abgleichs mit anderen quantitativen Erhebungen von Minijobbern deutlich relativiert. 5.3 Forschungsleitende Hypothesen Aus Gründen einer systematischen Auswertung der empirischen Daten werden für den Forschungsprozess einige zentrale forschungsleitende Hypothesen formuliert, wenngleich die Auswertung des empirischen Datenmaterials über die ausschließliche Überprüfung dieser Hypothesen hinausgeht. Die forschungsleitenden Hypothesen werden auf Basis des im dritten Kapitel präsentierten Forschungsstandes zu Minijobs sowie den im vierten Kapitel dargelegten theoretisch-konzeptionellen Überlegungen zur Arbeitsqualität und Arbeitszufriedenheit hergeleitet. Auf Grund der Vielzahl von Aspekten und Untersuchungsdimensionen in der vorliegenden Arbeit konzentrieren sich die Hypothesen auf einige zentrale Themen der empirischen Erhebung, wobei sowohl Hypothesen zu den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen als auch zu den subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der Minijobber sowie zusätzlich zu dem Wechselverhältnis dieser Untersuchungsgegenstände formuliert werden. Die Überprüfung der forschungsleitenden Hypothesen erfolgt in jenen Abschnitten der zwei folgenden Kapitel, in denen die jeweiligen Themen Gegenstand der empirischen Untersuchung sind. Hypothese 1 (H1): Minijobs werden durch den Familien- und Haushaltskontext der geringfügig Beschäftigten materiell abgefedert. Die obigen Ausführungen in dieser Arbeit haben die Bedeutung des Haushaltsund Familienkontextes für die geringfügige Beschäftigung unterstrichen. Es ist anzunehmen, dass sich in dieser Befragung die Befunde bisheriger Forschungen bestätigen. Folglich ist davon auszugehen, dass Minijobber überwiegend in Mehrpersonenhaushalten leben, es mehrere erwerbstätige Personen im Haushalt gibt und die befragten Minijobber nicht die Hauptverdiener im Haushaltskontext sind, d.h. andere Haushaltsmitglieder mehr zum gesamten Haushaltseinkommen beitragen. Ebenso ist davon auszugehen, dass (sozial-) staatliche Leistungen (etwa Renten-, Kindergeld-, BAföG- oder Arbeitslosengeldzahlungen) bedeutsam für eine materielle Abfederung von Minijobs sind. Hypothese 2 (H2): Minijobber sind mehrheitlich Niedriglohnbezieher. Wie in dieser Arbeit dargelegt, weisen sämtliche Studien zur Entlohnung von Minijobbern sowie zur Struktur des Niedriglohnsektors in Deutschland auf hohe
5.3 Forschungsleitende Hypothesen
173
Niedriglohnquoten unter geringfügig Beschäftigten hin. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die hier präsentierten Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten lediglich geringe Stundenlöhne erzielt, die unter der Niedriglohnschwelle liegen. Da zudem wissenschaftliche Studien auf eine nicht unerhebliche Nicht-Einhaltung des Gesetzlichen Mindestlohns bei Minijobbern hindeuten, wird zudem angenommen, dass einem Teil der geringfügig Beschäftigten der Gesetzliche Mindestlohn vorenthalten wird. Hypothese 3 (H3): Geringfügig Beschäftigten werden gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte häufig nicht gewährt. Auch hinsichtlich weiterer zentraler Arbeitnehmerrechte wie etwa der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall hat der oben präsentierte Forschungsstand zu Minijobs erhebliche Sicherungslücken der geringfügig Beschäftigten offenbart. Es ist davon auszugehen, dass sich diese Befunde auch in dieser Erhebung bestätigen, d.h. dass Minijobbern gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte in vielen Fällen nicht gewährt werden. Dies gilt trotz der Bemühungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Minijobzentrale, die Informationslage hierzu sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitig zu verbessern. Hypothese 4 (H4): Minijobs werden mehrheitlich in Betrieben ohne Möglichkeit zur kollektiven Interessenartikulation ausgeübt und sind tarifvertraglich nicht geschützt. Das Vorhandensein von Betriebs- oder Personalräten sowie eine Tarifbindung der Betriebe stellen die Ausnahme dar. Wie gezeigt konzentrieren sich geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auf bestimmte Dienstleistungsbranchen, die sich häufig durch kleinbetriebliche Strukturen auszeichnen. Da bekannt ist, dass in diesen Bereichen sowohl die Verbreitung kollektiver betrieblicher Interessenvertretungsorgane als auch die Tarifbindung der Betriebe unterdurchschnittlich ausgeprägt ist, kann davon ausgegangen werden, dass Minijobber mehrheitlich in Betrieben ohne Betriebs- oder Personalrat arbeiten und nicht durch tarifvertragliche Regelungen geschützt sind. Hypothese 5 (H5): Minijobber messen den Arbeitsinhalten und sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz eine höhere Bedeutung bei als den monetären Aspekten. Diese Hypothese fußt auf Befunden aus der Forschung, wonach Minijobber einerseits ihre Bezahlung trotz der weiten Verbreitung von Niedriglöhnen überproportional häufig als angemessen beurteilen und andererseits Aspekte wie „Spaß an der Tätigkeit“ als wichtigen Grund zur Ausübung des Minijobs nennen. Im Rahmen der Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern
174
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
werden auch die Ansprüche an die Erwerbsarbeit erhoben. Es ist davon auszugehen, dass sich diesbezüglich zeigt, dass die Beschäftigten den monetären Aspekten eine geringere Bedeutung beimessen als jenen, die mit der konkreten Tätigkeit, den Arbeitsinhalten sowie den sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz in Verbindung stehen. Hypothese 6 (H6): Hinsichtlich der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob werden insbesondere die intrinsischen und sozialen Aspekte der Erwerbsarbeit positiv beurteilt, wohingegen die materielle Sicherheit und die Aufstiegschancen als defizitär wahrgenommen werden. In der Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität wird der Fokus auf die Erfüllung verschiedener Aspekte der Erwerbsarbeit im Rahmen des Minijobs gelegt. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Aspekte der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (etwa das aus dem Minijob erzielte Einkommen, die Arbeitsplatzsicherheit sowie die Aufstiegschancen) aufgrund der objektiven Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse negativer beurteilt werden als jene Aspekte aus den drei anderen Dimensionen, wobei, in Anlehnung an Hypothese 5, angenommen werden kann, dass insbesondere die intrinsischen und sozialen Aspekte der Erwerbsarbeit deutlich positiver beurteilt werden. Hypothese 7 (H7): Minijobber messen der Erwerbsarbeit eine geringere Bedeutung bei als anderen Lebensbereichen. Für sie sind vielmehr Familie, Freizeitaktivitäten und soziale Kontakte außerhalb der Arbeit wichtig. Im obigen Forschungsstand zu Minijobs wurde das Spannungsverhältnis zwischen den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie den verhältnismäßig wenig verbreiteten Wünschen nach einem Wechsel der Beschäftigungsform deutlich. Hinzu kommt, dass für die Aufnahme des Minijobs häufig die Möglichkeit eines Hinzuverdienstes genannt wird. Bereits in Kapitel 3 dieser Arbeit wurde daher die Hypothese formuliert, dass die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Minijobs die Erwerbszentriertheit der Beschäftigten unter Umständen überschätzen. Dieser Gedanke wird aufgegriffen und einer empirischen Überprüfung unterzogen, in dem danach gefragt wird, welche Bedeutung geringfügig Beschäftigte verschiedenen Lebensbereichen beimessen. Es wird angenommen, dass für Minijobber andere Lebensbereiche einen höheren Stellenwert einnehmen als die Erwerbsarbeit. Hypothese 8 (H8): Die beruflichen Handlungsabsichten der Minijobber sind vom Erhalt des Status quo geprägt und Veränderungen mehrheitlich nicht beabsichtigt. Die individuellen Arbeitsmarktchancen und -optionen werden skeptisch beurteilt.
5.3 Forschungsleitende Hypothesen
175
Diese Hypothese bezieht sich auf die Handlungsabsichten und wahrgenommenen Handlungsoptionen der Minijobber. Da der Forschungsstand gezeigt hat, dass der Wunsch nach einem Wechsel der Beschäftigungsform (etwa einer Teil- oder Vollzeitbeschäftigung) nur von einer Minderheit der geringfügig Beschäftigten geäußert wird, ist davon auszugehen, dass hinsichtlich der beruflichen Zukunftspläne mehrheitlich kein Veränderungswunsch besteht. Mit Blick auf die wahrgenommenen Handlungsoptionen kann angenommen werden, dass die individuellen Arbeitsmarktchancen eher skeptisch beurteilt werden, d.h. das Finden einer neuen Stelle als schwierig beurteilt und den im Minijob gewonnenen Kenntnissen nur eine geringe Nützlichkeit bei einer möglichen Stellensuche zugeschrieben wird. Diese Vorannahme lässt sich mit den durchschnittlich eher niedrigen Qualifikationsanforderungen im Minijob sowie der geringen Weiter- und Fortbildungsquote geringfügig Beschäftigter begründen. Hypothese 9 (H9): Befürchtungen und Sorgen von Minijobbern sind hinsichtlich deren gegenwärtigen Erwerbs- und Lebenslagen schwächer ausgeprägt als mit Blick auf die längerfristigen Zukunftsrisiken. Diese Hypothese greift die im dritten Kapitel dieser Arbeit präsentierte Überlegung auf, dass hinsichtlich der Risiken von Minijobs zwischen gegenwärtigen und längerfristigen Risiken unterschieden werden muss. Es erscheint hierbei plausibel, dass sich diese Unterscheidung auch in der subjektiven Beurteilung der Beschäftigten zeigt. Da vermutet werden kann, dass Minijobs in vielen Fällen als Hinzuverdienst im Haushaltskontext fungieren und die wissenschaftlichen Befunde auf eine Kompensation der niedrigen Löhne durch weitere Haushaltsmitglieder hindeuten, wird angenommen, dass die Sorgen der Beschäftigten hinsichtlich der aktuellen Erwerbs- und Lebenslage eher mäßig ausgeprägt sind. Dahingegen erscheint es wahrscheinlich, dass Aspekte mit einem stärkeren Zukunftscharakter, etwa ein sozialer Abstieg oder eine drohende Altersarmut, in deutlich stärkerem Maße Quelle von Befürchtungen und Sorgen sind. Hypothese 10 (H10): Die subjektive Gesamtbeurteilung des Minijobs wird weder von den soziodemografischen Merkmalen der Beschäftigten noch deren objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen signifikant beeinflusst – entscheidend ist vielmehr die Beurteilung der subjektiven Arbeitsqualität. Wie oben dargelegt, wird die subjektive Gesamtbeurteilung des Minijobs mit der globalen Arbeitszufriedenheit operationalisiert. Es ist bekannt, dass die globale Arbeitszufriedenheit als Maß der Gesamtbeurteilung einer Arbeits- und Beschäftigungssituation zumeist nur eine geringe Varianz zwischen unterschiedlichen soziodemografischen Gruppen, Berufen, Tätigkeiten, Qualifikationsniveaus und
176
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Branchen aufweist und die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (etwa die Lohnhöhe oder der Vertragsstatus) ebenfalls zumeist keine nennenswerte Erklärungskraft besitzen. Da, wie in Kapitel 4 dargelegt, insbesondere die subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen von arbeits- und beschäftigungsbezogenen Aspekten der Erwerbsarbeit gewichtige Prädikatoren einer negativen oder positiven Beurteilung der eigenen Arbeitssituation sind, wird geschlussfolgert, dass sich dies in der vorliegenden Untersuchung bestätigt. Es wird daher angenommen, dass die subjektive Arbeitsqualität in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, der intrinsischen Dimension, der sozialen Dimension sowie der salutogenen Dimension gewichtige Einflussfaktoren für die Gesamtbeurteilung des Minijobs darstellen, d.h. nicht die objektiven Einflussfaktoren für das Gesamturteil der Beschäftigten entscheidend sind, sondern ihre subjektive Wahrnehmung und Beurteilung. Hypothese 11 (H11): Wenngleich die subjektive Arbeitsqualität entscheidend für die Gesamtbeurteilung des Minijobs aus Beschäftigtensicht ist, sind die verschiedenen Dimensionen der Arbeitsqualität unterschiedlich einflussreich. Die Beurteilung der intrinsischen und sozialen Facetten der Erwerbsarbeit sind hierbei gewichtigere Einflussfaktoren als die sicherheits- und entwicklungsbezogenen sowie salutogenen Aspekte. Diese Hypothese greift die Überlegungen der vorigen Annahme auf und basiert auf den in Kapitel 4 präsentierten theoretisch-konzeptionellen Überlegungen aus der Arbeitsqualitäts- und Arbeitszufriedenheitsforschung, die auch mit Blick auf empirische Untersuchungen insbesondere die Bedeutung der intrinsischen und sozialen Aspekte der Erwerbsarbeit für eine als zufriedenstellend wahrgenommene Arbeits- und Beschäftigungssituation hervorheben. Hieraus folgt die Hypothese, dass die unterschiedlichen Dimensionen der subjektiven Arbeitsqualität keinen gleich großen Einfluss auf die Gesamtbeurteilung des Minijobs ausüben. Es wird angenommen, dass die intrinsische Dimension (d.h. aufgaben- und tätigkeitsbezogene Aspekte) und die soziale Dimension (soziale Beziehungen und Wertschätzung) einen großen Einfluss auf die Gesamtbeurteilung des Minijobs ausüben, wohingegen Aspekte wie die Einschätzung der monetären Sicherheit und Beschäftigungsstabilität sowie die gesundheitsbezogenen Facetten des Minijobs geringere Einflussgrößen darstellen. 5.4 Auswertungsmethodik Für die Auswertung der quantitativ erhobenen Daten wurde in der vorliegenden Arbeit die Statistiksoftware SPSS (Version 24) genutzt. Die Auswertung der
5.4 Auswertungsmethodik
177
Daten umfasst sowohl die deskriptiven Auswertungen, die Berechnung und Nutzung von Indizes sowie multivariate Analyseverfahren. In einem ersten Schritt wurden die Rohdaten zunächst bereinigt, um die Qualität der Daten zu erhöhen und auf dieser Basis valide empirische Erkenntnisse generieren zu können. Für die Datensatzbereinigung wurde zunächst die Konsistenz im Antwortverhalten überprüft sowie offensichtliche, bewusste Falschangaben von Befragungspersonen identifiziert. Letztere Fälle lagen z.B. vor, wenn Befragungspersonen ein sehr niedriges Alter (etwa 11 Jahre) angegeben haben. Derartige unseriöse Falschangaben kamen in einigen Beobachtungsfällen vor, etwa auch hinsichtlich unplausibel hoher Einkommen. Zur Verifizierung wurden derartige Angaben stets mit weiteren Angaben der Personen abgeglichen114. Traten derartige Fälle auf, konnten in der Regel auch starke Inkonsistenzen im Antwortverhalten nachgewiesen werden. Diese Fälle wurden gelöscht und somit vom finalen Sample sowie der Auswertung des Datenmaterials ausgeschlossen115. Neben diesen bewussten Falschangaben und hieraus resultierenden Inkonsistenzen wurden zudem einige wenige Fälle identifiziert, in denen sich im Verlauf der Befragung herausstellte, dass diese Personen keiner geringfügigen Beschäftigung nachgehen. Zwar wurden die Befragten zu Beginn der Befragung gefragt, ob sie aktuell in einem geringfügig entlohnten oder kurzfristigen Beschäftigungsverhältnis angestellt sind. Bei einer Verneinung dieser Frage wurden diese Personen ausgescreent und damit von der Befragung ausgeschlossen. Gleichwohl kann es, dies bestätigen auch bilaterale Gespräche mit dem Anbieter respondi, immer einige wenige Fälle geben, in denen Befragungspersonen diesen Screening-Filter „erahnen“ oder sich schlicht bei ihrer Angabe „verklicken“ und erst im Laufe des Befragungsprozesses merken, dass sie selbst nicht zur anvisierten Zielgruppe der Befragung gehören. In einigen wenigen Fällen kam dies vor – zum Teil wiesen die Befragungspersonen in offenen Antwortfeldern ganz direkt darauf hin, dass sie keinen Minijob ausüben und daher nichts zu den Fragen beitragen könnten. In anderen „verdeckten“ Fällen dieser Art wurden einige wenige Personen identifiziert, die ganz offensichtlich keinem Minijob nachge114 In den meisten dieser offensichtlichen Fälle waren die Inkonsistenzen nicht schwer nachzuweisen, da die einzelnen Angaben nicht annähernd ein konsistentes Gesamtbild produziert haben. Beispiele sind etwa eindeutige Widersprüche hinsichtlich des Qualifikationsniveaus, des Abgleichs von Alter und sozialstaatlichen Leistungsbezügen, Inkonsistenzen hinsichtlich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (etwa sehr niedrige Arbeitszeiten sowie sehr niedrige Stundenlöhne bei gleichzeitig überproportional hohen Einkommen aus dem Minijob) sowie offensichtlich widersprüchliche Angaben zum Haushaltskontext. Häufig traten in diesen Problemfällen an mehreren Stellen gravierende Inkonsistenzen auf, welche einen Ausschluss dieser Fälle vom Sample erforderlich machten. 115 Darüber hinaus wurden diese Fälle auch dem Anbieter respondi gemeldet, da dieser ein Interesse an einer hohen Datenqualität hat und folglich Personen, die wiederholt durch ein unseriöses und inkonsistentes Antwortverhalten auffallen, aus dem Panel ausschließt.
178
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
hen. Hinweise waren etwa Kombinationen von einer ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigung, (sehr) hohen Wochenarbeitszeiten und (zu) hohen aus der Erwerbsarbeit generierten Monatseinkommen. Auch derartige Fälle wurden gelöscht und vom finalen Sample sowie der Auswertung ausgeschlossen. Neben diesen beiden Gruppen gab es zudem einige sogenannte „Durchklicker“. Derartige Personen, die auch als „Speeder“ oder „Straight-Liner“ bezeichnet werden (vgl. respondi AG Online b: 6), sind in Online-Befragungen ein bekanntes Problem, auf dass der Anbieter respondi auch explizit hinweist. Diese Personen klicken sich schnell durch eine Befragung mit dem Ziel, in möglichst kurzer Zeit die Befragung abzuschließen und somit incentiviert zu werden. Zur Identifizierung solcher Personen ist auch hier zunächst die Überprüfung und der Abgleich einzelner Variablen notwendig, um Inkonsistenzen (auch hier etwa hinsichtlich der persönlichen Angaben) zu identifizieren. Aus diesem Grund können sich die oben beschriebenen „Problemgruppen“ sowie die Gruppe der Durchklicker überschneiden. Eine weitere Möglichkeit zur Identifizierung solcher Fälle, die zusätzlich im Rahmen der hiesigen Datensatzbereinigung genutzt wurde, ist eine Überprüfung der Zeit, die Befragungspersonen für die Beantwortung des Fragebogens insgesamt benötigt haben. Diese Daten werden automatisch in den Rohdatensatz integriert, so dass für jeden Teilnehmer überprüft werden kann, wie lange er oder sie für die Beantwortung der Fragen benötigt hat. Als Faustregel gilt, dass jene Personen, die weniger als die Hälfte der durchschnittlichen Beantwortungszeit benötigen, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in die Gruppe der „Durchklicker“ fallen (vgl. ebd.)116. Die so durchgeführte Datensatzbereinigung führte zum Ausschluss von insgesamt 95 Fällen. Das Ziel war, eine Fallzahl von mindestens 1.000 Personen zu realisieren. Basierend auf einschlägigen Erfahrungen führt die respondi AG stets ein sogenanntes oversampling durch, d.h. es werden stets 10% mehr Fälle realisiert als vom Kunden gewünscht. Dies hängt damit zusammen, dass in OnlineBefragungen stets mit einem Ausfall von 5-10% der Befragungspersonen aus den oben genannten Gründen zu rechnen ist. In der hiesigen empirischen Erhebung konnten daher insgesamt 1.004 von ursprünglich 1.099 Fällen für die empirische Analyse und Auswertung genutzt werden. Im ersten Schritt der Auswertung wurden zunächst die im Datensatz enthaltenen offenen Kategorien nachcodiert. Beispiele hierfür waren etwa Angaben zum monatlichen Einkommen im Minijob, dem Stundenlohn und der arbeitsvertraglich festgeschriebenen sowie tatsächlichen (Wochen-) Arbeitszeit. In diesen Fällen wurden die offenen Angaben kategorisiert und in eine andere Variable umco116 Nichtsdestotrotz wurde auch in diesen Fällen zusätzlich das Antwortverhalten überprüft und auf Inkonsistenzen gecheckt.
5.4 Auswertungsmethodik
179
diert117. Ebenso gab es einige Variablen, bei denen neben vorgegebenen Antwortkategorien auch offene Angaben möglich waren (in der Regel als Kategorie „Sonstiges“). In diesen Fällen wurden auch diese offenen Angaben recodiert und entweder in bestehende Kategorien integriert oder zu einer weiteren Kategorie zusammengefasst118. Neben den offenen Angaben im Fragebogen wurden auch zahlreiche weitere Variablen in neue Variablen umcodiert und re-kategorisiert. In den meisten der Fälle geschah dies aus Gründen einer besseren Übersichtlichkeit und/oder Vergleichbarkeit. Beispiele sind etwa re-kategorisierte Variablen zur Betriebsgröße, der Dauer im aktuellen Minijob oder der Arbeitszufriedenheit119. Hinsichtlich der deskriptiven Auswertung wurde der Fokus auf univariate sowie bivariate Auswertungen gelegt. In Fällen bivariater Auswertungen wurden je nach Themenkomplex dieser Arbeit je unterschiedliche Variablen überprüft und für die Auswertungen genutzt. Häufig handelt es sich hierbei um Merkmale des Haushaltskontextes, soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der Beschäftigten sowie hinsichtlich all jener Analysen, die im Zusammenhang mit den subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen stehen, auch um objektive Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses sowie die betrieblichen Rahmenbedingungen. Die hohe Bedeutung der deskriptiven Auswertungen hängt zum einen mit methodischen Gründen (insbesondere dem Skalenniveau zahlreicher untersuchter Variablen) zusammen, leitet sich andererseits jedoch auch aus dem inhaltlichen Umstand ab, dass viele der im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Aspekte bislang nicht Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Minijobs waren und folglich einen explorativen Charakter aufweisen. Neben diesen Auswertungsschritten wurden zudem verschiedene Indizes berechnet. Diese beziehen sich inhaltlich allesamt auf den Themenschwerpunkt der subjektiven Arbeitsqualität. In einem ersten Schritt wurden für die vier Untersuchungsdimensionen der subjektiven Arbeitsqualität gleich gewichtete additive Indizes berechnet. Insgesamt wurden so die 19 untersuchten Einzelfacetten – wie unter 4.4 in dieser Arbeit erläutert – in den vier Untersuchungsdimensionen zusammengefasst. Für die Berechnung der Indizes gilt hierbei: 117 Die jeweiligen spezifischen Re-Kodierungen und Kategorisierungen werden an der jeweiligen Stelle der Präsentation der empirischen Ergebnisse dargelegt. 118 Ein Beispiel für ersteren Fall ist etwa, wenn Befragungspersonen als Tätigkeit im Minijob unter „Sonstiges“ angeben, dass sie zwei Mal pro Woche in einem Restaurant in der Küche helfen. Derartige Fälle wurden dann der bereits bestehenden Kategorie „Bewirten/Kellnern; Beherbergen; Speisen zubereiten“ zugeordnet. Ein Beispiel für letzteren Fall ist etwa, wenn Befragungspersonen als Tätigkeit „Bürotätigkeit“ angegeben haben. Da diese Kategorie nicht bestand, jedoch verhältnismäßig viele Beschäftigte dies als offene Angabe vermerkten, wurde eine dementsprechende Kategorie gebildet. 119 Auch hier gilt: derartige Re-Kategorisierungen werden an den entsprechenden Stellen der Präsentation der empirischen Ergebnisse angemerkt.
180
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Index = (Item1 + Item2 +…+ Itemn) / n Diese Indizes wurden sowohl für die Bedeutung der Facetten und Dimensionen sowie für deren Erfüllung im Rahmen des Minijobs berechnet. Da vier Untersuchungsdimensionen der subjektiven Arbeitsqualität (jeweils hinsichtlich der Bedeutung und Erfüllung) Gegenstand der Untersuchung waren, ergeben sich folglich insgesamt acht gleich gewichtete additive Indizes. Diese sind: Additiver Index der Bedeutung sowie der Erfüllung der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, additiver Index der Bedeutung sowie der Erfüllung der intrinsischen Dimension, additiver Index der Bedeutung sowie der Erfüllung der sozialen Dimension sowie letztlich additiver Index der Bedeutung sowie der Erfüllung der salutogenen Dimension. Neben diesen Indizes der subjektiven Arbeitsqualität wurden zudem weitere Indizes berechnet, die das Verhältnis zwischen der Bedeutungszuschreibung einzelner Facetten der Erwerbsarbeit einerseits und ihrer Erfüllung im Rahmen des Minijobs andererseits abbilden. Aus diesem Grund wurde für jede einzelne der insgesamt 19 Facetten aus den vier Untersuchungsdimensionen ein Mismatch-Index berechnet. Dieses Vorgehen lehnt sich an Hauff/Kirchner (2012: 11f.) an. Für die Berechnung des jeweiligen Mismatch-Index‘ gilt, dass er für jede Einzelfacette die Differenz zwischen zugeschriebener Bedeutung und Erfüllung im Minijob abbildet. Daher gilt: Indexmismatch = ItemBedeutung - ItemErfüllung Sowohl die Bedeutung als auch die Erfüllung der Einzelfacetten wurden auf einer fünf-stufigen-Skala gemessen (von 1=sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt bis hin zu 5= sehr wichtig/voll und ganz erfüllt). Folglich kann der Mismatch-Index Werte von 4 (maximaler Mismatch) bis -4 (maximale Übererfüllung/„oversupply“) annehmen. Da der Fokus der Analyse jedoch auf die Verbreitung von Mismatches konzentriert ist, d.h. untersucht werden soll, in welchem Maße die subjektive Bedeutungszuschreibung eines Aspektes der Erwerbsarbeit im Rahmen des Minijobs nicht erfüllt wird (und wie stark diese Untererfüllung ausfällt) und folglich ein Interesse an einem eindeutigen Mismatch-Index besteht (vgl. Hauff/Kirchner 2012: 12), wurden alle Wert mit negativem Vorzeichen (ergo Übererfüllung/„oversupply“) mit dem Wert 0 recodiert. Somit wurde eine Kategorie erschaffen, die alle Fälle eines Matches oder „oversupply“ beinhaltet. Der finale Mismatch-Index der Einzelfacetten der subjektiven Arbeitsqualität nimmt folglich Werte zwischen 0 und 4 an, wobei 0 ein Matching oder eine Übererfüllung der Bedeutungszuschreibung bedeutet und die Werte 1-4 die unterschiedlich starken Formen eines Mismatches zwischen Bedeutungszuschrei-
5.4 Auswertungsmethodik
181
bung einer Einzelfacette und ihrer Erfüllung im Rahmen des Minijobs abbilden (vgl. zu diesem Vorgehen auch Cennamo/Gardner 2008; Hult 2005). Zu guter Letzt wurde für die Untersuchung der subjektiven Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation der geringfügig Beschäftigten – in dieser Arbeit mithilfe der globalen Arbeitszufriedenheit operationalisiert – eine multivariate Analyse durchgeführt. Konkret geht es hierbei um die Untersuchung von Faktoren, die einen Einfluss auf die globale Arbeitszufriedenheit ausüben. Hierfür wurde eine multiple lineare Regressionsanalyse durchgeführt. Lineare Regressionsanalysen gehören heute in den Sozialwissenschaften zu den häufigsten Auswertungsverfahren, insbesondere, da sie erlauben, zu überprüfen, inwieweit ein interessierendes Merkmal auf andere Merkmale zurückgeführt werden kann (vgl. Wolf/Best 2010: 607) und sie eine Schätzung/Prognose der Werte der abhängigen Variable ermöglichen (vgl. Backhaus et al. 2016: 64). Lineare Regressionsanalysen basieren auf dem Verfahren, bei welchem unter Annahme eines linearen Zusammenhangs zwischen einer beobachteten abhängigen und (bei einer einfachen linearen Regression) einer beobachteten unabhängigen Variable die Werte für die abhängige Variable geschätzt werden, so dass auch nicht für nicht beobachtete Werte der unabhängigen Variable der Wert der abhängigen Variable prognostiziert werden kann (vgl. auch Schönauer 2017: 113ff.). In diesen Fällen stellt sich die Regressionsfunktion wie folgt dar: Ŷ = b 0 + b 1X mit Ŷ = Schätzung der abhängigen Variable Y b0 = konstantes Glied b1 = Regressionskoeffizient X = unabhängige Variable Für die Bestimmung der unbekannten Parameter b0 und b1 kommt die Methode der kleinsten Quadrate (KQ-Schätzung)120 zur Anwendung. Hinsichtlich vieler Fragestellungen wird die zu untersuchende Variable Y jedoch von mehr als nur einer Variable beeinflusst und es wird danach gefragt, wie stark der Einfluss einzelner unabhängiger Variablen ausfällt (vgl. Backhaus et al. 2016: 65). Hier bietet die multiple lineare Regressionsanalyse Abhilfe, da mit diesem Verfahren mehrere unabhängige Variablen in ein Modell integriert werden können. Folglich erweitert sich die Regressionsfunktion um weitere Regressionskoeffizienten: 120 Bei diesem Verfahren wird die Summe der quadrierten Residuen (ergo der geschätzten Störgrößen) so weit wie möglich minimiert.
182
5 Untersuchungskonzept und Forschungsdesign
Ŷ = b0 + b1x1 + b2x2 + … + bJxJ Eine solche multiple lineare Regressionsanalyse wurde für die globale Arbeitszufriedenheit der geringfügig Beschäftigten durchgeführt. Hierbei wurde das Einschlusverfahren gewählt und insgesamt drei Regressionsmodelle berechnet. Die abhängige Variable ist die metrisch skalierte globale Arbeitszufriedenheit. Als unabhängige Variablen (sogenannte Prädikatoren) gehen in das erste Regressionsmodell ausschließlich solche aus der Gruppe der soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale der Minijobber ein. Im zweiten Modell wird die Anzahl der Prädikatoren erhöht und um solche aus der Gruppe der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ergänzt. Zu guter Letzt fließen in das dritte Modell zusätzlich die Beurteilung der subjektiven Arbeitsqualität in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, der intrinsischen Dimension, der sozialen Dimension sowie der salutogenen Dimension ein. Ein derartiges methodisches Vorgehen ermöglicht, eine Vielzahl potentieller Einflussfaktoren hinsichtlich ihres Einflusses auf die globale Arbeitszufriedenheit und die Stärke dieses Einflusses zu überprüfen. Die Präsentation der Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse (vgl. Abschnitt 7.5 in dieser Arbeit) konzentriert sich im Speziellen auf die standardisierten Beta-Koeffizienten sowie die Varianzaufklärung des jeweiligen Modells. Die standardisierten Beta-Koeffizienten werden herangezogen, da die „regulären“ Regressionskoeffizienten bei einer Vielzahl von Prädikatoren aufgrund unterschiedlicher Messeinheiten nicht miteinander vergleichbar sind121. Die standardisierten Beta-Koeffizienten sind hingegen miteinander vergleichbar, so dass sie auch geeignet sind, die Stärke eines Einflusses zwischen unterschiedlichen unabhängigen Variablen zu vergleichen. Hinsichtlich der Varianzaufklärung wird das korrigierte R-Quadrat herangezogen. Generell gibt das R-Quadrat Auskunft darüber, welcher Anteil der Varianz einer abhängigen Variable mit dem jeweiligen Regressionsmodell aufgeklärt werden kann, wobei Werte zwischen 0 (gar keine Varianzaufklärung) und 1 (vollständige Varianzaufklärung) möglich sind. Bei der multiplen linearen Regression gilt hingegen das korrigierte R-Quadrat als valideres Gütemaß des Modells. Dies hängt damit zusammen, dass das („normale“) RQuadrat bei Hinzunahme weiterer Prädikatoren immer nur weiter ansteigen, jedoch nicht sinken kann – unabhängig davon, ob es sich bei den unabhängigen Variablen um tatsächlich statistisch bedeutsame Einflussgrößen handelt oder nicht. Das korrigierte R-Quadrat hingegen kann bei Hinzunahme weiterer Prädikatoren auch sinken, d.h. es ist nicht im gleichen Maße anfällig für ein sogenanntes „overfitting“, bei dem wahllos immer mehr unabhängige Variablen in das Modell aufgenommen werden (vgl. Ohr 2010: 673). 121 Dies ist etwa der Fall, wenn das Alter in Jahren, der Stundenlohn in Euro und die Betriebszugehörigkeit in Monaten gemessen wird.
5.4 Auswertungsmethodik
183
Zu beachten ist bei der Durchführung multipler linearer Regressionsanalysen, dass bestimmte Voraussetzungen bzw. Modellprämissen erfüllt sein müssen (vgl. für die folgenden Voraussetzungen und ihrer Überprüfung Ohr 2010 sowie Backhaus et al. 2016: 97ff.). Zunächst einmal muss die abhängige Variable metrisch skaliert sein, was im Fall der globalen Arbeitszufriedenheit der Fall ist. Die unabhängigen Variablen sollten entweder mindestens intervall- oder nominalskaliert sein, wobei hier dichotome Ausprägungen vonnöten sind. In der hier durchgeführten multiplen linearen Regressionsanalyse wurden die unabhängigen Variablen dementsprechend angepasst und wenn nötig dichotomisiert122. Darüber hinaus ist die Linearitäts-Annahme von Bedeutung, d.h. dass zwischen den im Regressionsmodell beteiligten Variablen ein (zumindest tendenziell) linearer Zusammenhang bestehen muss. Zur Überprüfung wurden die unstandardisierten vorhergesagten Werte mit den studentisierten Residuen geplottet und in einem Streudiagramm aufgetragen, worauf ein linearer Zusammenhang zu erkennen ist. Dieses Verfahren kann gleichzeitig auch zur Überprüfung einer weiteren Modellprämisse genutzt werden, der Homoskedastizität (Varianzgleichheit) der Residuen. Hierbei sollten die Punkte im Streudiagramm gleichmäßig über die horizontale Achse verteilt sein, was im Falle der hiesigen Regressionsanalyse der Fall ist. Ebenso von Bedeutung ist die Normalverteilung der Residuen. Diese lässt sich mithilfe eines Histogramms der Residuen inklusiver eingezeichneter Normalverteilungskurve überprüfen. Zusätzlich kann noch ein P-P-Diagramm genutzt werden. Beide Überprüfungen zeigen, dass die Residuen im Falle der hier durchgeführten Regressionsanalyse normalverteilt sind. Neben diesen Modellprämissen ist zudem von zentraler Bedeutung, dass keine Multikollinearität vorliegt, d.h. dass die Regressoren untereinander nicht exakt linear abhängig sind. Diese Voraussetzung kann mithilfe der Kollinearitätsstatistik überprüft werden. Von Bedeutung sind hier die Toleranzwerte sowie der variance inflation factor (VIF). Als Faustregel gilt hier, dass Toleranzwerte unter 0,1 sowie VIF-Werte von über 10 starke Anzeichen für das Vorliegen von Multikollinearität sind. Beides ist im Falle der in dieser Untersuchung durchgeführten multiplen linearen Regressionsanalyse nicht der Fall. Zu guter Letzt ist hinsichtlich der Residuen noch zu beachten, dass diese in der Grundgesamtheit unkorreliert sind, d.h. keine Autokorrelation vorliegt. Diese Voraussetzung lässt sich mithilfe der DurbinWatson-Statistik, die Werte von 0 bis 4 annehmen kann, überprüfen. Werte nahe 2 sind hierbei ein Beleg, dass keine Autokorrelation vorliegt. Dies ist in der hiesigen Untersuchung mit einem Wert der Durbin-Watson-Statistik von 2,053 der Fall. 122 Variablen, die zur Durchführung der Regressionsanalyse dichotomisiert worden sind, werden bei der Präsentation der Ergebnisse der multiplen linearen Regression (7.5) ersichtlich.
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation geringfügig Beschäftigter 6
Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
In den folgenden Kapiteln und Abschnitten dieser Arbeit stehen die empirischen Befunde der Online-Befragung von geringfügig Beschäftigten im Zentrum des Interesses. Die Präsentation der empirischen Befunde orientiert sich an dem oben vorgestellten Untersuchungskonzept, welches dieser Arbeit zugrunde liegt. Zunächst wird im sechsten Kapitel die objektive Arbeits- und Beschäftigungssituation von Minijobbern beleuchtet. Wie oben beschrieben, stellen diese Informationen ein wichtiges Fundament für eine differenzierte Analyse geringfügiger Beschäftigung dar und können in den weiteren Analyseschritten um empirische Befunde zur subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung von Minijobs ergänzt werden. Im folgenden Abschnitt werden zunächst die soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale der Befragungspersonen sowie deren Familien- und Haushaltskontext betrachtet. Hierdurch können wichtige Informationen zur Zusammensetzung der geringfügig Beschäftigten sowie ihren sozioökonomischen Lebenslagen gewonnen werden. Im Abschnitt 6.2 stehen dann die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der geringfügig Beschäftigten im Fokus. Hier werden die Charakteristika des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses, die Art des Arbeitsvertrages sowie die Entlohnung, die Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeit, die Gewährung von Arbeitnehmerrechten, die Branchen und Tätigkeiten der Minijobber sowie die betrieblichen Rahmenbedingungen und die Verbreitung kollektiver betrieblicher Interessenvertretungsorgane in den Blick genommen. Ein Zwischenfazit (6.3) fasst die wesentlichen empirischen Befunde zu den sozioökonomischen Lebenslagen und den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Minijobber zusammen, bevor im darauffolgenden Kapitel die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation näher analysiert wird. 6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale sowie Familienund Haushaltskontexte 6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale In einem ersten Analyseschritt ist es von Bedeutung, zu klären, welche Personen im Minijob beschäftigt sind, d.h. welche soziodemografischen Gruppen hier © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_6
186
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
vorzufinden sind und ob sich die hierzu in Kapitel 3 dargelegten bisherigen Forschungserkenntnisse bestätigen. Tabelle 5 gibt einen Überblick über die wesentliche soziodemografische Zusammensetzung der befragten Minijobber. Hinsichtlich der Geschlechter- und Alterszusammensetzung wurde bereits in 5.2 darauf hingewiesen, dass diese Variablen im Rahmen der empirischen Erhebung quotiert wurden und demnach weitestgehend der Verteilung in der Grundgesamtheit entsprechen123. Hinsichtlich der Staatsangehörigkeit zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Befragungspersonen über eine ausschließlich deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, wohingegen Personen mit mehreren Staatsangehörigkeiten sowie Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit die Ausnahme darstellen124. Hinsichtlich des höchsten schulischen Abschlusses wird deutlich, dass 3,8% der Befragten zum Befragungszeitpunkt noch Schüler waren. Personen ohne jeglichen schulischen Abschluss sind im Sample quasi nicht existent. 17,4% der Befragungspersonen verfügen über einen Haupt- oder Volksschulabschluss125. Etwas weniger als ein Drittel der Befragten verfügt über einen Realschulabschluss126, wohingegen nur eine kleine Minderheit (1,9%) als höchsten Abschluss die 10. Klasse des Gymnasiums angibt. Deutlich höher liegen die Anteile für Personen mit Fachhochschulreife sowie Abitur. Rund jede zehnte Befragungsperson verfügt über die Fachhochschulreife, etwas mehr als ein Drittel über ein Abitur. Damit zeigt sich insgesamt ein heterogenes Bild hinsichtlich der schulischen Bildungsabschlüsse unter den Befragten, wobei sich der oben diskutierte Befund von relativ hohen beruflichen Abschlüssen auch im Gesamtbild der schulischen Bildungsabschlüsse widerspiegelt. Gleichzeitig bestätigen diese Befunde jene bisheriger wissenschaftlicher Studien. So zeigte auch die RWI-Studie von 2016, dass der häufigste Schulabschluss unter geringfügig Beschäftigten das Abitur ist, gefolgt vom Realschulabschluss (vgl. ebd.: 35). Dieser Befund verdeutlicht, dass die Gruppe der Minijobber nicht per se „bildungsarm“ ist, sondern Erwerbsarbeit in dieser Beschäftigungsform durchaus auch von Personen mit mittleren und hohen Bildungsabschlüssen ausgeübt wird. Gleichzeitig spielt hierbei die Tatsache eine Rolle, dass in der Gruppe der Minijobber Studierenden eine nicht unerhebliche quantitative Bedeutung zukommt, was eine zusätzliche Erklärung für die relativ weite Verbreitung hoher Bildungsabschlüsse darstellt. 123 Im weiteren Verlauf wird die Verteilung der Geschlechter, der Altersgruppen und der höchsten beruflichen Abschlüsse nicht noch einmal explizit dargelegt (vgl. hierzu Abschnitt 5.2). 124 Im Rahmen der empirischen Erhebung wurde auf eine weitere Ausdifferenzierung von Migrationshintergründen verzichtet. 125 Beziehungsweise äquivalent hierzu einen Abschluss an einer Polytechnischen Oberschule in der 8. oder 9. Klasse. 126 Beziehungsweise äquivalent hierzu einen Abschluss an einer Polytechnischen Oberschule in der 10. Klasse.
187
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale
Tabelle 5: Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der befragten Minijobber (Angaben in Prozent) Anteile in Prozent Geschlecht Männlich Weiblich Altersgruppe Unter 20 20 bis unter 30 30 bis unter 40 40 bis unter 50 50 bis unter 60 60 und älter Staatsangehörigkeit Ausschließlich deutsche Staatsangehörigkeit Deutsche sowie weitere Staatsangehörigkeit Ausländische Staatsangehörigkeit Schulabschluss Noch Schüler/in Kein Schulabschluss Haupt- oder Volksschulabschluss (bzw. Polytechnische Oberschule 8. oder 9. Klasse) Realschulabschluss (bzw. Polytechnische Oberschule 10. Klasse) 10. Klasse Gymnasium Fachhochschulreife Abitur Berufsabschluss Ohne beruflichen Ausbildungsabschluss Anerkannter Berufsabschluss Akademischer Abschluss Statusgruppe (Selbsteinschätzung) Schüler/in Student/in In Ausbildung Rentner/in bzw. Pensionär/in Hausfrau/Hausmann Nichts von alledem Arbeitslos gemeldet Nein Ja
Eigene Berechnung Darstellung, n=1.004
37,7 62,3 7,9 18,8 13,4 18,4 19,7 21,7 94,0 3,5 2,5 3,8 0,1 17,4 31,6 1,9 10,0 35,3 17,8 59,8 22,4 3,8 16,6 2,1 21,3 10,6 45,6 90,6 9,4
188
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Dies bestätigt sich auch mit Blick auf die wesentlichen Statusgruppen, die einen Minijob ausüben. Hierbei handelt es sich um Selbsteinschätzungen der Befragungspersonen. Die empirischen Befunde unterstreichen die in Kapitel 3 dargelegten Forschungserkenntnisse zu wesentlichen Statusgruppen innerhalb der geringfügig Beschäftigten, für die aufgrund der oben dargelegten besonderen Anreizmechanismen die Ausübung eines Minijobs attraktiv ist. 3,8% der Befragten waren zum Befragungszeitpunkt Schüler, weitere 16,6% Studierende. Auch die Gruppe der Rentner nimmt mit 21,3% erwartungsgemäß eine quantitativ bedeutsame Rolle ein, ebenso wie Hausfrauen/-männer mit 10,6%. 2,1% der Befragten waren zum Befragungszeitpunkt in beruflicher Ausbildung. 45,6% der befragten Minijobber gaben an, keiner dieser Statusgruppe anzugehören. Deutlich wird daher, dass sich auch im Rahmen der hier präsentierten empirischen Erhebung bestätigt, dass insbesondere Rentner/Pensionäre, Studierende und Hausfrauen/-männer wesentliche und quantitativ bedeutsame Gruppen innerhalb der geringfügig Beschäftigten darstellen. Mit 48,5% aller Befragten stellen allein diese drei Statusgruppen fast die Hälfte aller geringfügig Beschäftigten dar. Somit bestätigt sich, dass die weiter oben in dieser Arbeit diskutierten sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Anreize ihre Entsprechung in einer derartigen Verteilung geringfügig Beschäftigter finden, wenngleich mitunter auch weitere Einflussfaktoren wie die vorhandenen individuellen Zeitpotentiale zu berücksichtigen sind. Zu guter Letzt bestätigt sich, dass auch für arbeitslos gemeldete Personen ein Minijob nicht selten zum Hinzuverdienst genutzt wird. 9,4% der Befragungspersonen waren zum Befragungszeitpunkt offiziell arbeitslos gemeldet. Diese Quote bestätigt weitestgehend die Erkenntnisse bisheriger Forschung (vgl. Abschnitt 3.3.2 in dieser Arbeit). Wie weiter oben beschrieben, sind neben den individuellen soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmalen der geringfügig Beschäftigten insbesondere auch deren Familien- und Haushaltskontexte von Bedeutung, nicht zuletzt mit Blick auf etwaige monetäre Kompensationsleistungen. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Familien- und Haushaltskontexte der befragten Minijobber. Hinsichtlich des Familienstandes der Befragungspersonen zeigt sich, dass etwas mehr als ein Drittel ledig sind, weitere rund 38% verheiratet. 11,8% leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft, wohingegen 14,9% geschieden, getrennt lebend oder verwitwet sind. Insgesamt offenbaren sich kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Eine Ausnahme bildet die Kategorie geschieden/getrennt lebend/verwitwet. Während lediglich rund 9% der Männer in diese Kategorie fallen, sind es bei den Frauen rund 18,5%. Gleichzeitig sind hiervon insbesondere Personen ab 50 Jahren und in noch stärkerem Maße ab 60 Jahren betroffen. Möglicherweise spricht dies für einen nicht unerheblichen Anteil an Verwitwungen und die weibliche Singularisierung im Alter (vgl. hierzu auch Heinze et al. 2011: 43ff.).
189
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale
Tabelle 6: Familien- und Haushaltskontexte der befragten Minijobber (Angaben in Prozent) Anteile in Prozent Familienstand Ledig Verheiratet In einer eheähnlichen Gemeinschaft lebend Geschieden/getrennt lebend/verwitwet Haushaltsgröße Einpersonenhaushalt Zweipersonenhaushalt Dreipersonenhaushalt Vierpersonenhaushalt Fünfpersonenhaushalt Haushalt mit mehr als fünf Personen Kinder unter 16 im Haushalt Keine Eins Zwei Drei Mehr als 3 Erwerbstätige Personen im Haushalt Eine Zwei Drei Mehr als drei
35,1 38,2 11,8 14,9 23,2 38,5 16,9 15,8 3,8 1,7 78,3 13,3 7,0 1,0 0,4 43,9 42,4 10,6 3,1
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004
Hinsichtlich der Haushaltsgröße wird deutlich, dass Zweipersonenhaushalte den höchsten Anteil aufweisen, was auch durch andere Studien bestätigt wird (vgl. etwa RWI 2016: 36f.). 23,2% der befragten Minijobber leben hingegen in einem Einpersonenhaushalt. Dahingegen geben 16,9% der Befragten an, in einem Dreipersonenhaushalt zu leben, weitere 15,8% berichten von einem Vierpersonenhaushalt. Haushalte mit mehr als vier Personen machen mit rund 5,5% einen nur geringen Anteil aus. Insgesamt bestätigen die Befunde daher bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Haushaltskontexten geringfügig Beschäftigter (vgl. ebd.). Deutlich wird, dass die überwiegende Mehrheit der Minijobber in einem Mehrpersonenhaushalt lebt. Zusätzlich zur Haushaltsgröße wurde auch erhoben, ob Kinder unter 16 Jahren im Haushalt leben. Dies trifft insgesamt auf 21,7% der Befragten zu – ein Anteil, der etwas niedriger liegt als in anderen Erhebungen (vgl. ebd.). Am weitesten verbreitet sind Haushalte mit einem Kind unter 16 Jahren. Auch Haushalte mit zwei Kindern finden sich noch relativ häu-
190
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
fig, wohingegen das Vorhandensein von drei oder mehr Kindern die absolute Ausnahme darstellt. Für die Abschätzung etwaiger monetärer Kompensationseffekte durch die Familie oder den Haushalt ist zudem von Bedeutung, wie viele Erwerbstätige im Haushalt insgesamt vorhanden sind. Hier zeigt sich, dass in ganzen 43,9% der Haushalte lediglich eine Person erwerbstätig ist. Ein ähnlicher Anteil findet sich in der Kategorie „zwei Erwerbstätige“. Immerhin rund jede zehnte Befragungsperson berichtet davon, dass es drei Erwerbstätige im Haushalt gibt. Diese Befunde sind zunächst einmal relativ überraschend und bedürfen weiterer Erklärungen. Auffällig ist zunächst der hohe Anteil an Haushalten mit lediglich einer erwerbstätigen Person, welcher deutlich höher liegt als der Anteil von Einpersonenhaushalten. Bivariate Befunde zeigen hierbei eine relativ hohe Varianz zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern. Die Gruppe mit dem höchsten Anteil an lediglich einer erwerbstätigen Person im Haushalt ist jene der Rentner/Pensionäre. Hier berichten rund zwei Drittel aller Befragten von lediglich einer erwerbstätigen Person im Haushalt, wohingegen diese Anteile etwa bei Schülern (15,8%), Studierenden (32,3%) oder Hausfrauen/-männer (37,7%) deutlich niedriger liegen. Bei Schülern, Studierenden und Personen in Ausbildung fallen dahingegen insbesondere die Anteile für drei oder mehr Erwerbstätige im Haushalt überproportional hoch aus. Dieser Befund lässt sich mit einiger Sicherheit durch die Wohnsituation dieser Gruppe erklären, da viele von ihnen noch im Elternhaus wohnhaft sind oder möglicherweise in einer Wohngemeinschaft leben. Als Ergänzung zu diesen Befunden wurde im Rahmen der empirischen Erhebung auch danach gefragt, ob die Befragungsperson die Person im Haushalt ist, die am meisten zum Haushaltseinkommen beiträgt. Rund 48% der Befragten bejahen dies, wohingegen rund 41% darauf verwiesen, dass eine andere Person im Haushalt den größten Anteil zum Haushaltseinkommen beiträgt. Rund 10,5% konnten es nicht beurteilen bzw. gaben an, dass die Beiträge der Haushaltsmitglieder zum gesamten Haushaltseinkommen bei ihnen in etwa ausgeglichen sind. Auf den ersten Blick sprechen die Befunde für eine häufig nur marginale monetäre Kompensation im Haushaltskontext. Auch hier ist jedoch ein differenziert Blick notwendig. Besonders hohe Anteile an Befragten, die den größten Beitrag zum Haushaltseinkommen beitragen, finden sich bei Rentnern/Pensionären (rund 70%). Dahingegen berichten leidglich rund 22% der Hausfrauen/-männer davon, dass sie am meisten zum Haushaltseinkommen beitragen. Ähnlich niedrig liegen die Anteile bei Schülern und Studierenden. Zudem zeigen sich wesentliche Unterschiede zwischen ausschließlichen Minijobbern und jenen im Nebenjob. Während von ersterer Gruppe 41% angeben, am meisten zum Haushaltseinkommen beizutragen, sind es bei jenen Minijobbern, die zusätzlich einer weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen, rund 64%. Deutlich wird,
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale
191
dass bei ausschließlichen Minijobbern häufiger eine zusätzliche Einkommensquelle vorhanden ist, wenngleich der Anteil immer noch relativ hoch ausfällt. Bedacht werden muss jedoch die quantitativ bedeutsame Gruppe der Rentner/Pensionäre, die allesamt in die Kategorie der ausschließlichen Minijobber fallen und, wie gezeigt, überproportional häufig die Haupteinkommensquelle im Haushaltskontext darstellen. Insgesamt ist daher eine differenziert Betrachtung notwendig. Nicht in allen Fällen werden Minijobs finanziell im Haushaltskontext abgefedert und ergänzt. Die Befunde deuten jedoch an, dass Minijobber insbesondere dann die Haupteinkommensquelle im Haushaltskontext darstellen, wenn sie über andere Einnahmen, etwa durch sozialstaatliche Leistungen wie Rentenzahlungen oder zusätzliche Erwerbseinkommen aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, verfügen. Dass weitere Einnahmen, seien es sozialstaatliche (Transfer-) Leistungen oder zusätzliche Erwerbseinkommen, hinsichtlich des gesamten Haushaltseinkommens für einen großen Teil der befragten Minijobber von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, zeigt sich bei einem Blick auf die Verteilung der Haushaltseinkommen127. So geben lediglich 3,5% der Befragungspersonen an, über ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von unter 500 Euro zu verfügen. Dieser Befund unterstreicht die Bedeutung zusätzlicher Einnahmen, da dieser Anteil bei jeglicher fehlender Kompensation deutlich höher liegen müsste. Rund 12% der Befragten berichteten von einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von 500 bis unter 1.000 Euro, weitere 14,6% von einem Haushaltsnettoeinkommen von 1.000 bis unter 1.500 Euro. Rund 14% der Befragungspersonen verfügen über 1.500 bis unter 2.000 Euro, weitere rund 16% über 2.000 bis unter 2.500 Euro. Der größte Anteil aller Einkommenskategorien findet sich bei 2.500 bis unter 3.000 Euro – etwas mehr als 17% der Minijobber geben dies als monatliches Haushaltsnettoeinkommen an. Auch monatliche Haushaltseinkommen von über 3.000 Euro sind vertreten; mit mehr als 23% gibt fast ein Viertel der geringfügig Beschäftigten an, auf mehr als 3.000 Euro monatlich im Haushalt zugreifen zu können. Diese Befunde unterstreichen die finanziellen Kompensationseffekte durch die Familie, den Haushaltskontext, staatliche Leistungen und/oder zusätzliche individuelle Einnahmen durch eine sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigung. Deutlich werden darüber hinaus auch große Unterschiede im Haushaltseinkommen zwischen verschiedenen Haushaltsgrößen, die in nachfolgender Abbildung dargestellt sind128. 127 Hierbei handelt es sich um den monatlichen Netto-Betrag, also nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben und unter Hinzunahme regelmäßiger Zahlungen wie Renten, Wohngeld, Kindergeld, BAföG etc. 128 Für die Darstellung wurden die Haushaltseinkommens-Kategorien komprimiert und zu einer Dreier-Skala zusammengefasst.
192
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Abbildung 4:
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen geringfügig Beschäftigter nach Haushaltsgröße (Angaben in Prozent)
Einpersonenhaushalt
Zweipersonenhaushalt
Dreipersonenhaushalt
8,8
Fünfpersonenhaushalt
7,9
Unter 1.500 Euro
17,7
35,9
50
14,1
47,2
42,1
29,5
1.500 bis unter 3.000 Euro
0,4
18,5
57,9
23,5
Vierpersonenhaushalt
Haushalt mit mehr als 5 Personen
28,3
71,2
44
50,1
52,9
3.000 Euro und mehr
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004
Es zeigt sich, dass insbesondere Einpersonenhaushalte größtenteils über relativ niedrige monatliche Haushaltsnettoeinkommen verfügen. Ganze 71,2% geben hier an, auf weniger als 1.500 Euro monatlich zurückgreifen zu können, wohingegen Einpersonenhaushalte mit 3.000 und mehr quasi nicht existent sind unter geringfügig Beschäftigten. Schon bei Zweipersonenhaushalten jedoch zeigt sich eine deutliche Verschiebung in Richtung mittlerer und hoher monatlicher Haushaltsnettoeinkommen. Dieser Trend setzt sich bis hin zu Fünfpersonenhaushalten fort – insbesondere Haushaltsnettoeinkommen von 3.000 und mehr steigen hier linear an. Eine Polarisierung zeigt sich bei der (quantitativ jedoch sehr kleinen) Gruppe der Haushalte mit mehr als fünf Personen, in welcher die mittlere Einkommenskategorie relativ schwach und die Ränder dafür sehr stark ausgeprägt sind. Aufgrund der geringen Fallzahl fallen hier jedoch stichhaltige Interpretationsansätze schwer. Insgesamt untermauern die empirischen Befunde zur sozioökonomischen Lebenslage der Haushalte von geringfügig Beschäftigten die Bedeutung zusätzlicher Einkommen und Einnahmen im Haushaltskontext. Es deutet sich an, dass Minijobs in der Tat häufig eine zusätzliche Einnahmequelle im Haushalts- und Familienkontext darstellen und andere Erwerbseinkommen oder sozialstaatliche Leistungen ergänzen. Die Befunde unterstreichen somit die
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale
193
in Kapitel 3 dargelegte Argumentation, wonach in der Analyse der geringfügigen Beschäftigung und der sozioökonomischen Lebenslagen der Beschäftigten die Integration des Familien- und Haushaltskontextes von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Diese Kompensationseffekte spiegeln sich auch in der Einschätzung des Haushaltseinkommens wider. So gibt mit rund 58% der befragten Minijobber die Mehrheit an, mit dem verfügbaren monatlichen Haushaltsnettoeinkommen gut oder sehr gut über die Runden zu kommen. Dahingegen gibt etwas mehr als ein Drittel der Befragungspersonen an, lediglich mit gewissen Schwierigkeiten über die Runden zu kommen. Lediglich 7,7% berichten von großen Schwierigkeiten, mit dem verfügbaren monatlichen Haushaltseinkommen zurechtzukommen. Hierbei zeigen sich Zusammenhänge mit dem objektiv verfügbaren Haushaltseinkommen. So sind es insbesondere Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro monatlich, die von (großen) Schwierigkeiten berichten, wohingegen insbesondere Personen mit einem verfügbaren Haushaltseinkommen von mehr als 2.500 Euro monatlich überdurchschnittlich häufig berichten, mit dem verfügbaren Geld gut oder sehr gut zurecht zu kommen. Die Befunde zeichnen daher insgesamt ein heterogenes Bild der sozioökonomischen Lebenslagen geringfügig Beschäftigter und ihrer Einschätzungen der selbigen. Festzuhalten ist, dass niedrige monatliche Haushaltseinkommen nicht die Regel darstellen und die sozioökonomischen Lebenslagen auch subjektiv mehrheitlich nicht als schwierig oder prekär eingeschätzt werden. Dies bedeutet zweifelsohne nicht, dass die empirischen Befunde nicht auch Hinweise auf schwierige sozioökonomische Lebenslagen liefern. Mehrheitlich jedoch scheinen mittlere Soziallagen zu dominieren. Auf Basis dieser empirischen Befunde kann die forschungsleitende Hypothese 1 (H1) in weiten Teilen, jedoch mit gewissen Einschränkungen bestätigt werden. Angenommen wurde hier auf Basis bisheriger Forschungserkenntnisse, dass Minijobs durch den Familien- und Haushaltskontext der geringfügig Beschäftigten materiell abgefedert werden. Konkretisiert wurde die Hypothese dahingehend, dass vermutet wurde, dass Minijobber überwiegend in Mehrpersonenhaushalten leben, es mehrere erwerbstätige Personen im Haushalt gibt, die Minijobber nicht die Hauptverdiener im Haushaltskontext darstellen und zudem sozialstaatliche Leistungen eine kompensatorische Funktion erfüllen. Die empirischen Befunde bestätigen, dass Minijobber in der Tat in deutlicher Mehrheit in Mehrpersonenhaushalten leben. Ebenso gibt es mehrheitlich mehr als eine erwerbstätige Person im Haushalt, wenngleich fast 44% der Minijobber angeben, dass lediglich eine Person im Haushaltskontext erwerbstätig ist. Gleichzeitig zeigten vertiefende Analysen hierbei, dass dies insbesondere auf Rentner im Minijob zutrifft – gleiches gilt für die Frage, ob die geringfügig Beschäftigten am meisten zum Haushaltseinkommen beitragen.
194
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Die zusätzliche Betrachtung der monatlichen Haushaltsnettoeinkommen hat überdies die weite Verbreitung anderweitiger, die Einkommen aus dem Minijob ergänzende monetäre Kompensationseffekte verdeutlicht. Hinsichtlich der forschungsleitenden Hypothese 1 deuten die empirischen Befunde auf drei wesentliche monetäre Kompensationsmodi bei geringfügig Beschäftigten hin: erstens die Kompensation durch Erwerbs- oder weitere Einkommen anderer Familien- oder Haushaltsmitglieder, zweitens ergänzende staatliche Leistungen (insbesondere Renten-, Kindergeld-, Arbeitslosengeld sowie BAföG-Zahlungen) sowie drittens zusätzliche Erwerbseinkommen der Minijobber im Rahmen einer (sozialversicherungspflichtigen) Hauptbeschäftigung (vgl. hierzu auch 6.2). Auf die Mehrheit der Minijobber trifft mindestens einer dieser Kompensationsmodi zu, was nicht zuletzt durch die Verteilung der monatlichen Haushaltsnettoeinkommen und hierbei insbesondere die geringe Verbreitung sehr geringer monatlicher Haushaltsnettoeinkommen unterstrichen wird. Mehrheitlich, so die zentrale Schlussfolgerung, werden Minijobs daher in der Tat durch zusätzliche Einnahmequellen ganz unterschiedlicher Art ergänzt, wenngleich die Ausführungen auch gezeigt haben, dass dies nicht für alle Minijobber der Fall ist und bei einem, wenn auch geringen Teil der Minijobber, keine monetäre Kompensation stattfindet. Die forschungsleitende Hypothese 1 kann daher weitestgehend verifiziert werden. Hierauf deuten in der Tendenz auch die empirischen Befunde zur subjektiven Schichteinstufung hin, die im Rahmen der empirischen Erhebung analog zur Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) gewonnen wurden129. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die subjektive Schichteinstufung der befragten Minijobber und vergleicht die Anteile hierbei mit den Angaben des ALLBUS 2016 (vgl. hierzu GESIS 2017: 31).
129 Wenngleich es sich hierbei nicht um streng „objektive“ soziodemografische oder sozialstrukturelle Merkmale der Befragten, sondern vielmehr um eine subjektive Einschätzung handelt, kann die subjektive Schichteinstufung als ein inzwischen fest etabliertes Instrument zur sozialstrukturellen (Selbst-) Verortung von Individuen in sozialwissenschaftlichen Surveys betrachtet werden und wird aus diesem Grund in diesem inhaltlichen Block behandelt.
195
6.1 Soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale
Abbildung 5:
Subjektive Schichteinstufung (Vergleich zwischen Sample und dem ALLBUS 2016, Angaben in Prozent)
Unterschicht
2,4 10,5 24,5
Arbeiterschicht
30,9 59,2
Mittelschicht
51,6 13,4
Obere Mittelschicht
Oberschicht
6,8 0,5 0,3
ALLBUS 2016
Online-Befragung
Eigene Berechnung und Darstellung, n (Online-Befragung)= 1.004
Bei der Betrachtung der Befunde fallen mehrere Aspekte ins Auge. Zunächst einmal zeigen sich nicht unerhebliche Unterschiede in der subjektiven Schichteinstufung zwischen der Gesamtbevölkerung und den im Rahmen der hier präsentierten empirischen Erhebung befragten Minijobbern. Deutlich wird zunächst, dass insbesondere die unteren Schichten (Unter- und Arbeiterschicht) bei den Minijobbern deutlich höhere Anteile aufweisen. Während sich nur 2,4% der Bevölkerung in Deutschland der Unterschicht zurechnen, sind es bei den geringfügig Beschäftigten 10,5%. Etwas geringer fällt die Diskrepanz bei der Selbsteinstufung in der Arbeiterschicht aus. Hier liegen die Anteile bei 24,5% in der Gesamtbevölkerung und rund 31% unter den befragten Minijobbern. Folglich fällt die Zuordnung zur Mittelschicht unter Minijobbern geringer aus, wenngleich sich mit 51,6% immer noch mehr als die Hälfte von ihnen der Mittelschicht zugehörig fühlt. Geringer fallen unter den geringfügig Beschäftigten mit 6,8% ebenso die Anteile der Selbstzuschreibungen zur oberen Mittelschicht aus (13,4% in der Gesamtbevölkerung), wohingegen die Selbstverortung in der Oberschicht weder unter Minijobbern noch in der Gesamtbevölkerung eine nennenswerte Rolle spielt. Gerade der Vergleich zur Gesamtbevölkerung zeigt daher
196
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Unterschiede, welche darauf hindeuten, dass geringfügig Beschäftigte ihre sozioökonomischen Lebenslagen in der Tendenz schlechter beurteilen als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. Insbesondere die Tatsache, dass sich rund jede zehnte Befragungsperson der Unterschicht zurechnet, deutet auf teilweise zu beobachtende prekäre Lebenslagen hin, die sich auch in der sozialstrukturellen und soziokulturellen Selbstverortung der Individuen niederschlägt. Gleichwohl ordnet sich die Mehrheit der Minijobber sozialstrukturell und soziokulturell der Mittelschicht oder höheren Schichten zu, was insgesamt gegen die These spricht, dass es sich bei Minijobbern mehrheitlich um Beschäftigte in prekären Lebenslagen handelt, die von sozialer Exklusion betroffen sind und sich nicht (mehr) als vollwertiger Teil der Gesellschaft verstehen. Die Befunde zeichnen damit ein relativ uneinheitliches Bild, welches die Heterogenität der geringfügig Beschäftigten, sowohl hinsichtlich ihrer Lebensphasen und -lagen als auch ihrer (materiellen) Ressourcenausstattung, untermauert. 6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen Nach der Vorstellung der soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale sowie den Familien- und Haushaltskontexten der befragten Minijobber ist die Frage nach den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Rahmen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses zentral. Objektiv meint in diesem Zusammenhang, dass im Folgenden zunächst all jene Aspekte des Minijobs im Fokus der Betrachtung stehen, die sich auf die strukturelle Ausgestaltung des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses beziehen – etwa arbeitsvertragliche Festschreibungen, Entlohnung, Arbeitszeit und betriebliche Rahmenbedingungen. Es geht daher zunächst um Informationen über die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der befragten Minijobber, nicht um deren subjektive Wahrnehmung und Beurteilung. Die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sind hierbei, wie weiter oben dargelegt, zunächst einmal für eine grundlegende „Vermessung“ dieser Erwerbsform von Bedeutung, können in einem zweiten Analyseschritt jedoch ebenso als kontextuale Faktoren für die Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob nutzbar gemacht werden. 6.2.1 Charakteristika des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und vorherige Erwerbstätigkeit Hinsichtlich der Analyse der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter ist in einem ersten Schritt zunächst ein Überblick über
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
197
die grundlegenden Charakteristika des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses sowie den vorherigen Erwerbsstatus der befragten Minijobber von Interesse. Die nachfolgende Tabelle 7 gibt einen Überblick über wesentliche Eigenschaften der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse der Befragungspersonen. Hinsichtlich der Art des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses bestätigt sich zunächst der weiter oben in dieser Arbeit dargelegte Befund, wonach es sich bei Minijobs in den meisten aller Fälle um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, d.h. sogenannte 450-Euro-Jobs, handelt. 85,7% der Befragungspersonen gehen einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nach. Deutlich niedriger liegt dahingegen der Anteil an kurzfristig Beschäftigten, die im Sample 10,4% ausmachen. Dennoch liegt in der hier präsentierten Erhebung der Anteil kurzfristig Beschäftigter über dem Anteil in der Grundgesamtheit. Wie in Abschnitt 3.2 in dieser Arbeit präsentiert, machten die kurzfristig Beschäftigten im Jahr 2015 lediglich rund 3,2% aller geringfügig Beschäftigten aus. Deutlich wird zudem, dass sich mit 4% ein relativ geringer Teil der Befragungspersonen nicht sicher ist, in welch einer Form der geringfügigen Beschäftigung sie angestellt sind. Mit Blick auf die soziodemografische Zusammensetzung der verschiedenen Arten geringfügiger Beschäftigung zeigen sich keine gravierenden Geschlechterunterschiede. Der Anteil von Männern liegt bei den kurzfristig Beschäftigten mit 1,8 Prozentpunkten lediglich etwas höher als bei den geringfügig entlohnten Beschäftigten. Deutlichere Unterschiede offenbaren sich indes mit Blick auf die Alterszusammensetzung. Hier fällt auf, dass bei kurzfristig Beschäftigten der Anteil junger Personen unter 20 Jahren (21,2%) deutlich höher ausfällt als bei geringfügig entlohnten Beschäftigten (6%). Dieser Befund bestätigt bisherige Forschungserkenntnisse und kann durch die relativ hohe Zahl von Schülern unter den kurzfristig Beschäftigten erklärt werden, da diese Beschäftigungsform häufig für Saisonarbeiten oder Ferienjobs genutzt wird. Deutlich wird zudem, dass die Befragungspersonen in der überwiegenden Mehrheit lediglich einen Minijob ausüben. Dies trifft auf mehr als neun von zehn geringfügig Beschäftigten zu. 8,5% der befragten Minijobber geben an, zwei Minijobs auszuüben. Dieser Anteil liegt höher als in anderen Befragungen von Minijobbern (vgl. etwa RWI 2012: 32). Personen, die mehr als zwei Minijobs ausüben, bilden die absolute Ausnahme. Bivariate Analysen zeigen, dass es keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, wohingegen sich bezüglich der Altersverteilung andeutet, dass insbesondere jüngere Personen unter 30 Jahren zur Gruppe der Multi-Minijobber gehören.
198
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Tabelle 7: Charakteristika der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse (Angaben in Prozent) Anteile in Prozent Art des Minijobs Geringfügig entlohnte Beschäftigung
85,7
Kurzfristige Beschäftigung
10,4
Unsicher ob der Art des Minijobs
4,0
Anzahl Minijobs Einen
90,7
Zwei
8,5
Drei und mehr Minijobs
0,8
Ausschließlicher/Nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob
67,3
Minijob im Nebenjob
32,7
Bei Minijob im Nebenjob: Erwerbsform Hauptbeschäftigung Teilzeit
41,8
Vollzeit
49,7
Selbständige/freiberufliche Tätigkeit
3,0
Sonstiges*
5,5
Minijob gewerblich oder Privathaushalt Gewerblich
88,2
In einem Privathaushalt
11,8
Zahlung Rentenversicherungsbeiträge Nein Ja Unsicher
60,1 31,0 9,0
Eigene Berechnung und Darstellung; *= Sonstige Erwerbsformen wie z.B. Midijobs sowie nicht näher spezifizierbare Angaben der Befragungspersonen; n=1.004
Wie in Kapitel 3 dargelegt, ist zudem die Frage, ob der Minijob ausschließlich oder zusätzlich zu einer weiteren (sozialversicherungspflichtigen) Hauptbeschäftigung ausgeübt wird, wichtig in der Betrachtung dieser Erwerbsform. In der Befragung gaben 67,3% der Personen an, den Minijob ausschließlich auszuüben, wohingegen mit 32,7% rund ein Drittel der Befragungspersonen den Minijob im Nebenjob ausübt, d.h. zusätzlich noch einer weiteren Erwerbstätigkeit nachgeht.
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
199
Diese Verteilung entspricht nahezu jener in der Grundgesamtheit. Wie in Abschnitt 3.2 gezeigt, übten im Jahr 2016 deutschlandweit rund 33,9% aller geringfügig Beschäftigten ihren Minijob zusätzlich zu einer Hauptbeschäftigung aus. Ein genauerer Blick auf die Gruppe der Minijobber im Nebenjob zeigt, dass mehr als 90% von ihnen in der Haupterwerbstätigkeit in Teilzeit oder Vollzeit angestellt ist, wobei etwas mehr Personen zusätzlich zu ihrem Minijob einer Beschäftigung in Vollzeit nachgehen. Andere Erwerbsformen wie etwa freiberufliche/ selbständige Tätigkeiten spielen hingegen eine untergeordnete Rolle. Bivariate Auswertungen zeigen, dass Männer häufiger als Frauen den Minijob zusätzlich zu einer (sozialversicherungspflichtigen) Beschäftigung ausüben, ergo Frauen häufiger ausschließlich geringfügig beschäftigt sind. Darüber hinaus gehen insbesondere Personen in der Haupterwerbsphase ihres Lebens tendenziell mehreren Erwerbstätigkeiten nach, wohingegen jüngere Personen unter 20 und ältere Personen ab 60 Jahren überproportional häufig den Minijob ausschließlich ausüben. Dies ist sicherlich auch dadurch zu erklären, dass in ersterer Gruppe häufig andere, zumeist schulische Verpflichtungen bestehen und Personen ab 60 Jahren den Minijob häufig als Ergänzung zu staatlichen Rentenleistungen ausüben. Deutlich wird zudem, dass der Großteil der Minijobs im gewerblichen Kontext ausgeübt wird. Zwar ist mit 11,8% mehr als jede zehnte Befragungsperson in einem Privathaushalt angestellt, dominierend ist jedoch eine gewerbliche Ausübung des Minijobs. Bei Minijobs in Privathaushalten liegt der Frauenanteil mit 72% deutlich über dem Durchschnitt der gesamten geringfügigen Beschäftigung. Dies hängt möglicherweise mit den dort geleisteten Tätigkeiten im Feld haushaltsnaher Dienstleistungen zusammen, die anscheinend weiterhin eher von Frauen als von Männern ausgeübt werden. Mit Blick auf die zentralen Charakteristika der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse bestätigen die empirischen Befunde insgesamt die Erkenntnisse bisheriger Forschungen zu geringfügiger Beschäftigung. So handelt es sich bei Minijobs zu einem Großteil um geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse, die in der Regel gewerblich ausgeübt werden. Minijobber arbeiten in der Regel lediglich in einem Minijob, die überwiegende Mehrheit geht keiner weiteren bezahlten Arbeit nach. Nichtsdestotrotz ist der Anteil an Minijobbern im Nebenjob mit 32,7% relativ hoch, was der Verteilung in der Grundgesamtheit entspricht und sich dadurch erklären lässt, dass, wie weiter oben gezeigt, der quantitative Anstieg an geringfügig Beschäftigten seit 2005 insbesondere auf eine Zunahme von Minijobbern im Nebenjob zurückzuführen ist. Zu guter Letzt wird aus der Tabelle ebenso deutlich, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten keine Rentenversicherungsbeiträge im Rahmen des Minijobs zahlt. Zwar liegt der Anteil von Beschäftigten, welche die Möglichkeit zur freiwilligen Aufstockung der Rentenbeiträge nutzt, mit 31% über jenem Anteil, den die Minijobzentrale (18% für gewerbliche Minijobber, 14% für Minijobber in Privathaushalten) ausweist (vgl. Deutsche Rentenversicherung
200
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Knappschaft-Bahn-See/Minijob-Zentrale 2016: 7), dennoch bedeutet dies, dass immer noch weniger als ein Drittel der geringfügig Beschäftigten Rentenversicherungsbeiträge zahlt. Hinzu kommt, dass fast jede zehnte Befragungsperson unsicher ist, ob er/sie Beiträge in die Rentenversicherung einzahlt. Bezüglich der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen zeigen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Hinsichtlich unterschiedlicher Alterskohorten fällt auf, dass insbesondere Personen unter 20 Jahren sowie über 60 Jahren auf die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen verzichten. Während für erste Gruppe möglicherweise eine attraktive Brutto-Netto-Relation von primärer Bedeutung ist, dürfte bei älteren Minijobbern die Tatsache eine Rolle spielen, dass viele von ihnen bereits Rentner/Pensionäre sind und daher auf die Zahlung von Rentenbeiträgen verzichtet wird. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen Personen, die ihren aktuellen Minijob erst seit kurzem ausüben und jenen, die bereits seit längerer Zeit im aktuellen Minijob angestellt sind, zeigen. Anzunehmen wäre, dass insbesondere die Änderung von der Opt-In- hin zur Opt-Out-Variante zum Januar 2013 zu einer Erhöhung des Anteils von Minijobbern, die Rentenversicherungsbeiträge zahlen, hätte führen können. Diese Vermutung lässt sich auf Basis des empirischen Materials nicht bestätigen. So liegen die Rentenversicherungszahlungs-Anteile von Personen, die ihren aktuellen Minijob zum Befragungszeitpunkt seit weniger als zwei Jahren ausgeübt haben und daher unter die neugeregelte Opt-Out-Variante fallen, nicht höher als bei geringfügig Beschäftigten, die ihren aktuellen Minijob vor 2013 aufgenommen haben. Diese Befunde untermauern die Widerstände unter den geringfügig Beschäftigten, die weiterhin mehrheitlich bewusst auf die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträge verzichten – sei es aufgrund des Wunsches nach einer attraktiven Brutto-Netto-Relation oder der Tatsache, dass die etwaigen Rentenanwartschaften als zu niedrig und die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträge daher als „verschenkt“ wahrgenommen werden. Somit deutet sich an, dass die gesetzliche Neuregelung (Opt-Out-Variante) von 2013 nicht zu einer spürbaren Erhöhung rentenversicherter Minijobber geführt hat, ergo die politische Reform nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat. Neben diesen grundlegenden Ausgestaltungen der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ist zudem, wie in Kapitel 3 diskutiert, die Frage nach der Dauer des aktuellen Minijobs sowie den Erwerbsverläufen der Minijobber von Bedeutung. Wie oben gezeigt, entzünden sich wissenschaftlich und politisch gerade in Bezug auf diese Aspekte kontroverse Debatten. Mit Blick auf die Dauer des aktuellen Minijobs zeigen die empirischen Befunde ein uneinheitliches Bild, welches jedoch dem bisherigen Forschungsstand entspricht. 40,4% der befragten Minijobber geben an, erst seit weniger als einem Jahr im aktuellen Minijob zu arbeiten. 16,4% sind seit einem bis unter zwei Jahren im aktuellen Minijob tätig, weitere
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
201
11,8% seit zwei bis unter drei Jahren. 7,6% hingegen sind seit drei bis vier Jahren im aktuellen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis angestellt und mit 23,8% gibt fast jede vierte Befragungsperson an, den aktuellen Minijob seit mehr als vier Jahren auszuüben. Wenngleich, wie weiter oben diskutiert, diese Angaben keine finale Abschätzung der Netto-Gesamtbeschäftigung im Minijob ermöglichen, so geben sie doch Hinweise auf Fluktuationen und Beschäftigungsdauern im Minijob. Ähnlich den bisherigen Forschungserkenntnissen deuten auch die hier präsentierten empirischen Befunde eine hohe Heterogenität und Polarisierung unter den geringfügig Beschäftigten an. So finden sich sowohl lange Verweildauern im (aktuellen) Minijob, die darauf hindeuten, dass für einen Teil der geringfügig Beschäftigten der Minijob zur Dauererwerbsform wird. Gleichzeitig findet sich auch ein hoher Anteil an Befragten, die erst seit kurzer Zeit in einem Minijob beschäftigt sind. So sind ganze 27,5% der befragten Minijobber erst seit weniger als sechs Monaten im aktuellen Minijob angestellt, und mit rund 57% arbeiten mehr als die Hälfte seit weniger als zwei Jahren in ihrem aktuellen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis. Entgegen zum Teil geäußerter Vermutungen bestätigen die empirischen Befunde jedoch nicht, dass insbesondere Frauen über lange Verweildauern im Minijob verfügen. Während etwa 47,7% der Männer im Minijob seit mehr als zwei Jahren in ihrem aktuellen geringfügigen Beschäftigungsverhältnis angestellt sind, liegt der Anteil unter Frauen mit 40,4% sogar spürbar niedriger. Ebenso widerlegen die empirischen Befunde die Vermutung, wonach vor allem schlecht qualifizierte Personen über lange Beschäftigungsdauern im Minijob verfügen. Bezüglich des höchsten beruflichen Abschlusses weisen Personen mit beruflichem Ausbildungsabschluss sowie Personen mit einem akademischen Abschluss deutlich längere Verweildauern in ihrem aktuellen Minijob auf als Personen ohne beruflichen Abschluss. Einschränkend muss bedacht werden, dass unter den Personen ohne beruflichen Abschluss auch Schüler und Studierende vertreten sind, von denen angenommen werden kann, dass der Minijob häufig als temporäre Beschäftigungsmöglichkeit intendiert ist. Unabhängig von dieser Einschränkung deuten die Befunde jedoch an, dass die Verweildauern im Minijob nicht primär durch die berufliche (Aus-) Bildung und/oder das Geschlecht determiniert werden – vielmehr zeigt sich insgesamt eine hohe Varianz hinsichtlich der Frage, seit wann der aktuelle Minijob ausgeübt wird. Die Befunde bestätigen bisherige Forschungserkenntnisse und unterstreichen, dass innerhalb der geringfügigen Beschäftigung äußerst unterschiedliche „VerstetigungsTypen“ zu finden sind und sich sowohl relativ kurze Beschäftigungsphasen als auch langjährige Beschäftigungen im Minijob finden. Zu guter Letzt ist für eine Abschätzung der individuellen Erwerbsverläufe auch die Betrachtung der Erwerbssituation vor der Aufnahme des aktuellen Minijobs lohnenswert. Abbildung 6 gibt hierzu einen Überblick und vergleicht ausschließlich geringfügig Beschäftigte und Minijobber im Nebenjob.
202
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Abbildung 6:
Vergleich der Erwerbssituation vor Aufnahme des aktuellen Minijobs zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern (Angaben in Prozent)
In Vollzeit beschäftigt
16,1 17,5 13,4
In Ausbildung/ Studium
14,4 2,1
In Teilzeit beschäftigt
Gesamt
18,9 12
4,3
Selbständig tätig
4
15,7
6,1 10,4 5,2
0,6
20,4
12,5
9,5
Arbeitslos gemeldet
Bereits in Rente/ Pension
41,2
18,5 19,5 16,5
In einem anderen Minijob beschäftigt
Nicht erwerbstätig
22,8
13,9
7,4
Ausschließlich geringfügig Beschäftigte
Geringfügig Beschäftigte im Nebenjob
Eigene Berechnung und Darstellung; Prozentangaben summieren sich nicht zu 100% auf, da Mehrfachnennungen möglich waren; n=1.004
Betrachtet man zunächst die Gesamtanteile, so zeigt sich, dass mit 22,8% der größte Teil der Minijobber vor der Aufnahme des aktuellen Minijobs in Vollzeit beschäftigt war. 18,5% waren hingegen in einem anderen Minijob angestellt, 16,1% befanden sich zuvor in Ausbildung oder Studium. 14,4% waren nicht erwerbstätig, weitere 12,5% in Teilzeit beschäftigt. 12% waren arbeitslos gemeldet. Eine Selbständige Beschäftigung oder vorheriger Rentenbezug bilden die Ausnahme. Deutlich wird eine hohe Varianz individueller Erwerbsverläufe, die sich einem eindeutigen Muster entziehen. So scheinen Minijobs einerseits ein „Downgrading“ im Sinne einer vorherigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bedeuten zu können, andererseits jedoch auch ein „Upgrading“, da für immerhin mehr als ein Viertel der Befragungspersonen der Minijob eine vorherige Erwerbs- oder Arbeitslosigkeit abgelöst und so eine Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht hat. Der Vergleich zwischen ausschließlichen Minijobbern und jenen im Nebenjob offenbart indes erhebliche Unterschiede zwischen diesen Gruppen. Auffallend ist, dass Minijobber im Nebenjob überproportional häufig von einer vorherigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Teil- oder Vollzeit berichten – rund
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
203
60% verfügen über einen derartigen Erwerbsverlauf. Dieser Befund ist sicherlich auch dadurch zu erklären, dass in dieser Personengruppe häufig bereits eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorhanden war und der Minijob zusätzlich zu dieser Hauptbeschäftigung aufgenommen wurde. Gleichzeitig zeigt sich, dass ausschließliche Minijobber in deutlich geringerem Maße aus einer Teil- oder Vollzeitbeschäftigung in ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis gewechselt sind. Für diese Gruppe ist vielmehr der Übergang aus einer Nicht-Erwerbstätigkeit oder aus der Arbeitslosigkeit von Bedeutung. Mehr als ein Drittel der ausschließlich geringfügig Beschäftigten waren zuvor nicht erwerbstätig oder arbeitslos gemeldet, wohingegen dies bei den Minijobbern im Nebenjob lediglich auf 6,4% zutrifft. Damit scheinen insbesondere ausschließlich geringfügige Beschäftigungsverhältnisse von Personen aufgenommen zu werden, die zuvor nicht erwerbstätig oder arbeitslos waren. Insgesamt zeigt sich hinsichtlich der individuellen Erwerbsverläufe ein relativ „zerklüftetes“ Bild, welches unterstreicht, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in sehr unterschiedlichen Formen individueller Erwerbsverläufe vorkommen, wobei die empirischen Befunde deutliche Unterschiede zwischen ausschließlichen Minijobbern und jenen im Nebenjob offenbaren. In Kombination mit den zuvor präsentierten Befunden zur Dauer des aktuellen Minijobs wird zudem eine gewisse Volatilität in den Erwerbsverläufen deutlich: nicht nur können Minijobs von sehr unterschiedlicher Dauer sein, sondern auch Wechsel von Beschäftigungsformen oder eine Abwechslung von Phasen der Nicht-Erwerbstätigkeit oder Arbeitslosigkeit und Phasen der Erwerbsbeteiligung scheinen, sofern dies abschätzbar ist, keine Ausnahme zu sein. Damit bestätigen die empirischen Befunde die unter 2.4 diskutierten Forschungserkenntnisse, wonach insbesondere atypisch Beschäftigte häufig wechselhafte und potentiell diskontinuierliche Erwerbsverläufe und -biografien aufweisen. 6.2.2 Art des Arbeitsvertrages, Monatseinkommen und Stundenlöhne Wie in Kapitel 3 näher diskutiert, entzündet sich insbesondere an der Entlohnung geringfügig Beschäftigter häufig Kritik. Wie gezeigt wurde, beziehen geringfügig Beschäftigte mehrheitlich Niedriglöhne. Gleichzeitig wurde weiter oben in dieser Arbeit auch gezeigt, dass analog zu anderen Verletzungen von gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechten Minijobbern auch der seit 2015 gültige Gesetzliche Mindestlohn zum Teil vorenthalten wird. Ob sich derartige Tendenzen auch in der hiesigen Untersuchung abzeichnen, wird im Folgenden beleuchtet.
204
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Tabelle 8: Eigenschaften des Arbeitsvertrages nach Merkmalen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und des Betriebes (Angaben in Prozent) Schriftlicher Arbeitsvertrag 77,0
Befristeter Arbeitsvertrag 22,5
Geringfügig entlohnte Beschäftigung
78,7
Kurzfristige Beschäftigung Ausschließlicher/Nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob
73,1
18,5 56,7
77,8
24,3
Minijob im Nebenjob Minijob gewerblich oder Privathaushalt Gewerblich
75,3
18,9
78,9
23,7
In einem Privathaushalt
62,7
13,6
Keine Tarifbindung
70,5
13,1
Tarifbindung
89,3
34,4
Weniger als 5 Beschäftigte
64,3
10,4
5 bis unter 10 Beschäftigte
72,8
20,4
10 bis unter 20 Beschäftigte
77,3
17,4
20 bis unter 50 Beschäftigte
85,8
29,2
50 bis unter 100 Beschäftigte
85,7
26,8
100 bis unter 200 Beschäftigte
93,0
41,9
200 bis unter 500 Beschäftigte
86,0
46,5
500 Beschäftigte und mehr
91,8
34,7
Gesamt Art des Minijobs
Tarifbindung des Betriebes
Betriebsgröße
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004; n (Betriebsgröße)=881
Zunächst einmal wird die Frage nach den Eigenschaften des Arbeitsvertrages in den Fokus genommen. Im Zentrum stehen hier zwei Aspekte: einerseits die Frage, ob Minijobber über eine schriftliche Fixierung der arbeitsvertraglichen Kon-
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
205
ditionen verfügen und andererseits, ob ihr Arbeitsvertrag unbefristet oder befristet ist. Tabelle 8 gibt einen Überblick über die Eigenschaften des Arbeitsvertrages und differenziert nach Merkmalen des Beschäftigungsverhältnisses und Betriebes aus. Zunächst zeigt sich, dass mit 77% mehr als drei Viertel der Minijobber über einen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügen, wobei dies etwas häufiger auf geringfügig entlohnte als auf kurzfristig Beschäftigte zutrifft. Damit liegt der Anteil an Minijobbern, die einen schriftlichen Vertrag besitzen, höher als in vergleichbaren Studien (vgl. Körner et al. 2013: 53). Kaum nennenswerte Unterschiede offenbaren sich zwischen den Gruppen der ausschließlichen und der nebenberuflichen Minijobber. Anders gestaltet sich dies im Hinblick auf gewerbliche Minijobber, die deutlich häufiger als geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten über einen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügen. Möglicherweise ist dies dadurch zu erklären, dass Minijobber in Privathaushalten erstens auf keine betrieblichen Interessenvertretungsorgane zurückgreifen können (etwa zur Information) und sich zweitens in deutlich geringerem Umfang mit Arbeitskollegen über derartige Fragen austauschen können. Hierfür spricht, dass sich positive Zusammenhänge zwischen einem schriftlichen Arbeitsvertrag und dem Vorhandensein betrieblicher Interessenvertretungsorgane nachweisen lassen. 92,5% der Minijobber, die in einem Betrieb mit Betriebs- oder Personalrat angestellt sind, verfügen über einen schriftlichen Arbeitsvertrag, wohingegen es unter jenen Minijobbern, die in Betrieben ohne derartige betriebliche Interessenvertretungsorgane beschäftigt sind, lediglich 70,5% sind. Ebenso deutliche Unterschiede werden beim Vergleich von tarif- und nichttarifgebundenen Betrieben deutlich. Während lediglich 70,5% der Minijobber in nicht tarifgebundenen Betrieben über einen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügen, sind es in tarifgebundenen mehr als 89%. Deutlich wird, dass sich eine Tarifbindung des Betriebes sowie das Vorhandensein kollektiver betrieblicher Interessenvertretungsorgane positiv auf die schriftliche Fixierung von Arbeits- und Beschäftigungskonditionen auswirken. Gleiches gilt für die Betriebsgröße, anhand derer deutlich wird, dass die Verbreitung schriftlicher Arbeitsverträge positiv mit der Betriebsgröße korreliert, in Kleinbetrieben hingegen eine informelle Handhabung des Arbeitsvertrages weiter verbreitet ist. Bedacht werden muss hierbei, dass das Vorhandensein eines Betriebs- oder Personalrates, eine Tarifbindung sowie die Betriebsgröße miteinander korrelieren, da aus der sozialwissenschaftlichen Forschung wohl bekannt ist, dass insbesondere Großbetriebe häufig tarifgebunden und dort auch betriebliche Interessenvertretungsorgane der Arbeitnehmer überproportional häufig anzutreffen sind (vgl. Ellguth/Kohaut 2016). Hinsichtlich der Verbreitung befristeter Arbeitsverträge zeigt sich, dass mit 22,5% aller Minijobber mehr als jede fünfte Befragungsperson befristet ange-
206
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
stellt ist – ein Anteil, der höher ausfällt als in vergleichbaren Studien (vgl. Körner et al. 2013: 53). Ebenso liegt der Anteil an Befristungen hiermit über dem Durchschnitt aller Beschäftigten in Deutschland (vgl. auch 2.3.2 in dieser Arbeit). Massive Unterschiede offenbaren sich zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten. Bei letzter Gruppe verfügen mit 56,7% mehr als die Hälfte über einen befristeten Arbeitsvertrag. Dies ist sicherlich zu einem Großteil durch den grundlegenden Charakter dieser Form der geringfügigen Beschäftigung zu erklären, da es sich qua Definition um zeitlich befristete Tätigkeiten handelt. Gleichwohl ist es natürlich möglich, über den konkreten Arbeitseinsatz als kurzfristig Beschäftigter vertraglich unbefristet angestellt zu sein – dies scheint jedoch eher die Ausnahme zu sein. Deutlich werden darüber hinaus Unterschiede zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern. Letztere sind mit 18,9% seltener befristet angestellt als ausschließlich geringfügig Beschäftigte mit 24,3%. Gleiches gilt für die Unterscheidung von gewerblichen Minijobs und jenen in Privathaushalten. Es zeigt sich, dass Minijobber in Privathaushalten unterdurchschnittlich häufig befristet angestellt sind, wohingegen diese Vertragsart unter Minijobbern im gewerblichen Bereich deutlich verbreiteter ist. Hinsichtlich der Tarifbindung zeigt sich hingegen ein konträres Bild im Vergleich zur Verbreitung schriftlicher Arbeitsverträge. Hier sind es vor allem Minijobber in tarifgebundenen Betrieben, die deutlich häufiger über befristete Arbeitsverträge verfügen – gleiches gilt im Übrigen für die Unterscheidung zwischen Minijobbern in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat und jenen ohne betriebliche Interessenvertretung. Folglich spiegelt sich diese gegenläufige Tendenz auch in der Betriebsgröße wider, wobei im Speziellen Minijobber in Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten befristet beschäftigt sind. Dieser etwas überraschende Befund ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass in tarifgebundenen Großbetrieben mit betrieblicher Interessenvertretung die Nutzung der geringfügigen Beschäftigung stärker kritisch begleitet wird und von den Arbeitnehmervertretern lediglich als temporäre Ergänzung des Stammpersonals akzeptiert wird. Denkbar ist darüber hinaus, dass in Großbetrieben insbesondere in Zeiten von Nachfrage- und Auftragsspitzen temporär auf Minijobber zurückgegriffen wird, wohingegen sie in kleineren Betrieben unabhängig von der Auftragslage häufig genuiner Bestandteil der Beschäftigtenstruktur sind. Neben den Eigenschaften des Arbeitsvertrages steht in den Debatten um Minijobber häufig auch die materielle Vergütung der Beschäftigten im Zentrum des Interesses. Lohnenswert ist hierbei zunächst ein Blick auf die Verteilung der Monatseinkommen aus dem Minijob, die in nachfolgender Abbildung dargestellt ist.
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Abbildung 7:
207
Verteilung der Monatseinkommen im Minijob (Angaben in Prozent)
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004; die Einkommen wurden auf Basis offener Angaben in der Befragung kategorisiert
Zunächst wird deutlich, dass niedrige Monatseinkommen von unter 100 Euro die absolute Ausnahme darstellen. Dahingegen sind die Anteile in den mittleren Einkommensklassen von 100 bis unter 200 Euro (15,1%) und 200 bis unter 300 Euro (17,5%) deutlich stärker vertreten. Somit verdienen mehr als 36% der Minijobber im Rahmen ihres geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses weniger als 300 Euro monatlich. Ein weiteres Fünftel der Befragungspersonen gibt an, monatlich zwischen 300 und unter 400 Euro zu verdienen, ein weiteres Fünftel berichtet von 400 bis unter 450 Euro. Mit 23,4% schöpft fast ein Viertel der Minijobber den monatlichen Höchstbetrag von 450 Euro aus. Die Verteilung der Monatseinkommen entspricht weitestgehend bisherigen Forschungserkenntnissen. Deutlich werden eine hohe Varianz in den monatlichen Einkommen sowie die Tatsache, dass bei Weitem nicht alle Minijobber den möglichen Höchstbetrag von 450 Euro ausschöpfen. Vertiefende bivariate Analysen zeigen zudem einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der geringfügig Beschäftigten. So beziehen geringfügig entlohnte Beschäftigte tendenziell höhere Monatseinkommen als kurzfristig Beschäftigte. Letztere weisen überproportional hohe Anteile an Beschäftigten mit einem Monatseinkommen von unter 100 Euro auf – möglicherweise ein Befund, der durch Ferienjobs von Schülern zu erklären ist, in denen häufig nur wenige Arbeitsstunden geleistet werden. Nahezu gleiche Tendenzen zeigen sich auch im Vergleich zwischen Minijobbern im gewerblichen Bereich und jenen in Privathaushalten. So beziehen letztere deutlich häufiger niedrige Monats-
208
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
einkommen. Dies ist sicherlich durch geringere Stundenbedarfe von Minijobbern in Privathaushalten zu erklären. Während sich hinsichtlich des Geschlechts keine einheitlichen Muster und keine gravierenden Unterschiede in der monatlichen Entlohnung zeigen, offenbaren sich diese sehr wohl zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern. Hier zeigt sich, dass ausschließliche Minijobber deutlich häufiger höhere Monatseinkommen von 400 Euro und mehr erzielen als nebenberuflicher Minijobber. Dieser Befund deutet darauf hin, dass nebenberufliche Minijobber nur über eingeschränkte Zeitpotentiale abseits ihrer Hauptbeschäftigung verfügen, folglich weniger Stunden im Rahmen des Minijobs arbeiten können und entsprechend niedrigere Monatseinkommen erzielen. Neben der Erfassung des Monatseinkommens wurde im Rahmen der empirischen Erhebung auch danach gefragt, welche Bedeutung das Geldverdienen durch den Minijob für die Befragungspersonen hat. Lediglich 4,4% der Befragungspersonen geben diesbezüglich an, das Geld aus dem Minijob sei für sie eher unwichtig. Dass das Geld nicht unbedingt notwendig, jedoch hilfreich zur Erfüllung von Extrawünschen sei, wird hingegen von rund 45% angegeben. Rund 51% und damit etwas mehr als die Hälfte der Minijobber verweist hingegen darauf, dass für sie das aus dem Minijob erzielte Einkommen unbedingt notwendig sei, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Für eine detailliertere Analyse gibt die nachfolgende Tabelle einen Überblick über die Anteile an Minijobbern, die angeben, das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu benötigen. Ins Auge fällt zunächst der relativ hohe Gesamtanteil an Minijobbern, die das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes benötigen – mit rund 51% geben dies mehr als die Hälfte aller Befragungspersonen an. Die monetären Aspekte der geringfügigen Beschäftigung scheinen damit für die Beschäftigten eine wesentliche Rolle zu spielen, kurzum: für die Hälfte der Minijobber ist das Einkommen keine optionale „On-Top-Leistung“, sondern von elementarer Bedeutung, um „über die Runden zu kommen“. Frauen berichten häufiger als Männer davon, das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zu benötigen. Hinsichtlich unterschiedlicher Statusgruppen innerhalb der Minijobber zeigt sich, dass Schüler und Auszubildende am seltensten auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen sind, wohingegen die Anteile bei Studierenden sowie Hausfrauen und -männer deutlich höher liegen. Gravierende Unterschiede manifestieren sich zwischen nicht arbeitslos und arbeitslos gemeldeten Personen. Letztere geben zu fast 79% an, das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu benötigen. Damit bestätigen sich die Befunde aus dem vorherigen Abschnitt dieser Arbeit, wonach sich insbesondere bei arbeitslos gemeldeten Minijobbern, sogenannten „Aufstockern“, sozioökonomisch prekäre Lebenslagen finden. Weniger überraschend ist hingegen, dass ausschließliche Minijobber in stärkerem Maße auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen sind als jene geringfügig Beschäftigten, die zusätzlich zum Minijob noch einer (sozialversiche-
209
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
rungspflichtigen) Hauptbeschäftigung nachgehen. Für letztere Gruppe stellt das Geld aus dem Minijob deutlich häufiger eine optionale „On-Top-Einnahme“ dar. Tabelle 9: Anteil geringfügig Beschäftigter, die das Einkommen aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes benötigen (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) Gesamt Geschlecht Männlich Weiblich Statusgruppe Schüler/innen Student/innen In Ausbildung Rentner/Pensionäre Hausfrau/Hausmann Arbeitslos gemeldet Nein Ja Ausschließlicher/nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob Minijob im Nebenjob Haushaltsgröße Einpersonenhaushalt Zweipersonenhaushalt Dreipersonenhaushalt Vierpersonenhaushalt Fünfpersonenhaushalt Mehr als fünf Personen Familienstand Ledig Verheiratet In eheähnlicher Gemeinschaft lebend Geschieden/getrennt lebend/verwitwet
Anteile in Prozent 50,9 46,4 53,6 36,8 50,9 28,6 49,5 54,7 48,0 78,7 55,0 42,4 62,7 47,3 51,2 42,8 39,5 70,6 52,3 44,0 50,8 65,3
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004
Hinsichtlich der Haushaltsgröße zeigen sich kaum eindeutige Befunde. Interessanterweise fransen hier die Ränder besonders stark aus, d.h. dass insbesondere Einpersonenhaushalte sowie jene mit mehr als fünf Personen stark auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen sind. Während bei Einpersonenhaushalte das Fehlen etwaiger Abfederungen im Haushaltskontext eine Rolle spielen dürf-
210
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
te, könnten bei sehr großen Haushalten die dementsprechend hohen Bedarfe eine Rolle spielen. Für Minijobber in Vier- und Fünfpersonenhaushalte hingegen stellt das Einkommen aus dem Minijob häufig eher eine optionale Ergänzung des Haushaltseinkommens dar. Zu guter Letzt zeigt sich, dass verheiratete Minijobber deutlich seltener angeben, auf das Einkommen aus dem Minijob angewiesen zu sein, als ledige und, in noch stärkerem Maße, geschiedene, getrennt lebende oder verwitwete Personen. Diese Befunde unterstreichen nochmalig die Bedeutung des Haushalts- und Familienkontextes, wobei generell gilt, dass die Bedeutung des Geldes aus dem Minijob abnimmt, je stärker das Einkommen eine Ergänzung anderer Einkommen im Haushaltskontext darstellt130. Da, wie weiter oben bereits diskutiert, die Monatseinkommen im Minijob aufgrund der gesetzlichen festgelegten Verdienstobergrenze von 450 Euro einer begrenzten Spreizung unterliegen, ist insbesondere die Betrachtung der Stundenlöhne im Minijob von Bedeutung – nicht zuletzt, da sie bessere Vergleichsmöglichkeiten mit Beschäftigten in anderen Erwerbsformen ebenso erlauben wie eine Betrachtung der Verbreitung von Niedriglöhnen oder der Verletzung von Mindestlohnstandards. Abbildung 8 gibt zunächst einen Überblick über die Verteilung der Stundenlöhne unter den befragten Minijobbern. Auf den ersten Blick fällt die relativ weite Verbreitung niedriger Stundenlöhne auf. 1% der Befragungspersonen gibt an, weniger als 5 Euro in der Stunde zu verdienen, weitere 3,6% beziehen einen Stundenlohn von 5 bis unter 7 Euro. Hinzu kommen weitere 7,1% der Minijobber, die 7 bis unter 8,50 Euro verdienen. Diese Lohngrenze ist insofern von Bedeutung, als dass sie die zum Befragungszeitpunkt gültige gesetzliche Mindestlohngrenze darstellt. Hieraus folgt, dass zum Befragungszeitpunkt 11,7% aller befragten geringfügig Beschäftigten einen Stundenlohn unter der gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohnschwelle bezogen. Hiermit bestätigen sich die in 3.4.1 in dieser Arbeit vorgestellten Forschungserkenntnisse zur Verletzung des Gesetzlichen Mindestlohnes unter geringfügig Beschäftigten. Immerhin mehr als jeder zehnten Befragungsperson wird der Mindestlohn verwehrt. Die Befunde sprechen daher für einen nicht unerheblichen Gesetzesverstoß bei einem Teil der geringfügig Beschäftigten131. Es ist daher den bisherigen, weiter 130 Hierfür spricht auch, dass Minijobber, welche die einzige Erwerbsperson im Haushalt sind, deutlich häufiger angeben, das Geld aus dem Minijob unbedingt zur Bestreitung des Lebensunterhaltes zu benötigen als Minijobber, die in Haushalten mit mehr als einer erwerbstätigen Person leben. 131 Angemerkt sei an dieser Stelle, dass es durchaus denkbar ist, dass für einen Teil der geringfügig Beschäftigten die Nicht-Gewährung des Gesetzlichen Mindestlohns nicht rechtswidrig ist. Dies gilt insbesondere für Personen, die seit mindestens einem Jahr arbeitslos gemeldet sind und für die eine Ausnahmeregelung existiert. Demnach ist es gesetzlich legitim, diesen Personen für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Neueinstellung einen Stundenlohn unter der Mindestlohnschwelle zu zahlen. Wie groß dieser Anteil unter den befragten Minijobbern ist, kann nicht abschließend beantwortet werden. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass auch unter Berücksichti-
211
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
oben dargelegten Studien zu diesem Themenkomplex insofern zuzustimmen, als dass die Befunde darauf schließen lassen, dass die alleinige gesetzliche Festschreibung einer verbindlichen Lohnuntergrenze nicht ausreicht, sondern es trotz alledem zu einer quantitativ nicht unerheblichen Verletzung des Mindestlohngesetzes unter geringfügig Beschäftigten kommt. Dies wirft folglich Fragen nach effektiven Kontrollen der Mindestlohneinhaltung in der Praxis auf. Abbildung 8:
Verteilung der Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten (Angaben in Prozent)
Unter 5 Euro 5 bis unter 7 Euro 7 bis unter 8,50 Euro
1,0 3,6 7,1
8,50 bis unter 10 Euro
49,3
10 bis unter 11,50 Euro 11,50 bis unter 13 Euro 13 Euro und mehr
23,8 6,6 8,7
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004; die Stundenlöhne wurden auf Basis offener Angaben in der Befragung kategorisiert
Betrachtet man die weitere Verteilung der Stundenlöhne, zeigt sich, dass mit 49,3% fast jede zweite Befragungsperson zwischen 8,50 Euro und unter 10 Euro verdient. Fast ein Drittel der Minijobber gibt an, ganz genau 8,50 Euro zu verdienen. Dies ist sicherlich als Folge der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes zu interpretieren. Dieser Befund deutet an, dass ein nicht geringer Teil der Minijobber von der Einführung des Gesetzlichen Mindestlohnes profitiert hat. Fast ein weiteres Viertel verfügt über einen Stundenlohn von 10 bis unter 11,50 Euro, weitere 6,6% verdienen zwischen 11,50 Euro und unter 13 Euro. Vergung dieser Sonderregelung die gesetzeswidrige Nicht-Gewährung des Mindestlohns keine Seltenheit darstellt, worauf auch andere Forschungserkenntnisse hinweisen (vgl. etwa Bachmann et al. 2017; Pusch/Seifert 2017).
212
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
gleichsweise hohe Stundenlöhne von 13 Euro und mehr sind nicht allzu weit verbreitet, jedoch geben immerhin 8,7% der Befragten an, über einen derartigen Stundenlohn zu verfügen. Insgesamt jedoch bestätigen die empirischen Befunde die vergleichsweise niedrige Stundenvergütung von geringfügig Beschäftigten. Neben der Verletzung des Mindestlohnes ist hinsichtlich der Stundenlöhne zudem die Frage von Interesse, wie hoch der Anteil an geringfügig Beschäftigten ist, die lediglich einen Niedriglohn erhalten. Wie oben in dieser Arbeit beschrieben, wird die Niedriglohnschwelle gemeinhin bei zwei Dritteln des Medianverdienstes angesetzt. Niedriglohnbezieher sind demnach Beschäftigte, deren Verdienst weniger als zwei Drittel des mittleren Verdienstes aller Arbeitnehmer beträgt. 2015 lag die Niedriglohnschwelle für Deutschland bei einem Stundenlohn von 10,22 Euro (vgl. Kalina/Weinkopf 2017:1). Bezogen auf die hiesige Untersuchung lag demnach die Niedriglohnquote unter den befragten Minijobbern bei 80,1%. Dies bedeutet, dass vier von fünf Minijobbern einen Stundenlohn erhalten, der unter der Niedriglohngrenze für Deutschland liegt. Auf Basis dieser empirischen Befunde lässt sich die forschungsleitende Hypothese 2 (H2) somit bestätigen. Angenommen wurde hierbei, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten lediglich einen Stundenlohn, der unter der Niedriglohnschwelle liegt, erhält. Angenommen wurde darüber hinaus, dass einem Teil der Minijobber der Gesetzliche Mindestlohn verwehrt wird, ergo einige der befragten geringfügig Beschäftigten einen Stundenlohn von unter 8,50 Euro erhalten, was der zum Befragungszeitpunkt gültigen Mindestlohnschwelle entspricht. Wie gezeigt liegt die Niedriglohnquote unter den befragten Minijobbern bei rund 80%. Die insgesamt niedrige Entlohnung bestätigt sich auch bei einem Blick auf den Median-Stundenlohn, der unter den befragten Minijobbern bei 9 Euro liegt; zum Vergleich: im Jahr 2014 betrug der Median-Stundenlohn für alle Arbeitnehmer in Deutschland 17,78 Euro (vgl. Deutscher Bundestag 2017: 3). 11,7% der geringfügig Beschäftigten erhielten zum Befragungszeitpunkt zudem einen Stundenlohn von unter 8,50 Euro, d.h. mehr als jedem zehnten Minijobber wurde der Gesetzliche Mindestlohn nicht gewährt. Die Befunde untermauern somit die Diagnose, dass Minijobs mehrheitlich eine Form der Niedriglohnbeschäftigung darstellen, die zudem mit nicht unerheblichen Rechtsbrüchen wie der Vorenthaltung des Gesetzlichen Mindestlohns einhergeht. Die forschungsleitende Hypothese 2 kann daher eindeutig verifiziert werden. In einem zweiten Analyseschritt stellt sich die Frage, welche Personengruppen unter den geringfügig Beschäftigten von niedrigen Stundenlöhnen betroffen sind. Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die Verteilung der Stundenlöhne von Minijobbern und differenziert hierbei zwischen verschiedenen soziodemografischen Gruppen.
213
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Abbildung 9:
Verteilung der Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen (Angaben in Prozent) 11,7
73,1
15,3
Männlich
9,8
73
17,1
Weiblich
12,8
Gesamt
Unter 20 20 bis unter 30
73
15,2
73,5
9,1 13,2
40 bis unter 50
13,1
70,1
50 bis unter 60
9
76,3
60 und älter
Berufliche Ausbildung Studium Nicht arbeitslos gemeldet Arbeitslos gemeldet
11,4
77,7
30 bis unter 40
Keinen Berufsabschluss
14,1
65,9
12,9
20,8 16,9 14,7
72,8
10,6
14,3
81,5
12,9 9,3
13,2
7,8
74,1
13
63,6
10,8
27,1 72,8
20,5
Unter 8,50
16,5 76,3
8,50 bis unter 11,50
3,3
11,50 und mehr
Eigene Berechnung und Darstellung; Stundenlöhne wurden zur besseren Übersichtlichkeit in drei Kategorien eingeteilt; n=1.004
Für die Abbildung wurden die Stundenlöhne der Minijobber in drei Kategorien eingeteilt. Hinsichtlich des Geschlechts der Befragungspersonen zeigt sich, dass etwas mehr Frauen als Männer einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro erhalten, wohingegen die Anteile in der mittleren Entlohnungskategorie (8,50 bis unter 11,50 Euro) identisch sind. Dementsprechend liegt der Anteil an Beziehern von vergleichsweise höheren Stundenlöhnen unter den Männern höher als bei den weiblichen geringfügig Beschäftigten. Hinsichtlich verschiedener Alterskohorten fällt ins Auge, dass junge Personen unter 20 Jahren überproportional häufig niedrige Stundenlöhne und vergleichsweise selten höhere Stundenlöhne von über 11,50 beziehen. Auffallend ist zudem, dass die mittleren Altersklassen von 30 bis 50 Jahren eine Ausfransung an den Rändern aufweisen, d.h. vergleichsweise häufig entweder sehr niedrige oder vergleichsweise hohe Stundenlöhne erzielen.
214
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Unterschiede in der Stundenentlohnung von Minijobbern werden zudem mit Blick auf unterschiedliche berufliche Qualifikationsniveaus deutlich. Personen ohne einen beruflichen Abschluss verdienen unterdurchschnittlich häufig 11,50 Euro oder mehr, weisen aber gleichzeitig einen hohen Anteil an mittleren Stundenlöhnen auf. Ihr Anteil an sehr niedrigen Stundenlöhnen unter 8,50 Euro liegt hierbei sogar unter dem Gesamtdurchschnitt. Deutlichere Polarisierungstendenzen weisen hingegen Personen mit einem mittleren Berufsabschluss auf. Zwar liegt bei ihnen der Anteil an Beschäftigten mit vergleichsweise hohen Stundenlöhnen höher als bei Personen ohne beruflichen Abschluss, gleichzeitig sind mittlere Stundenlöhne geringer ausgeprägt und der Anteil an Beziehern von sehr niedrigen Stundenlöhnen höher. Personen mit einem akademischen Berufsabschluss hingegen weisen die vergleichsweise höchsten Stundenlöhne auf. Zum einen liegt bei ihnen der Anteil von Beziehern sehr niedriger Löhne mit 9,3% am niedrigsten, zum anderen sind höhere Stundenlöhne von 11,50 Euro und mehr bei ihnen am stärksten verbreitet. Insgesamt ist daher durchaus ein Einfluss des beruflichen Qualifikationsniveaus auf die Höhe der Stundenlöhne zu erkennen, wobei insbesondere Personen mit einem Studium nach oben ausreißen. Die Unterschiede zwischen Personen ohne beruflichen Abschluss und jenen mit mittleren beruflichen Abschlüssen sind hingegen geringer ausgeprägt und zeigen widersprüchliche Tendenzen. Zu guter Letzt offenbaren sich deutliche Unterschiede zwischen arbeitslos gemeldeten und nicht arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Die empirischen Befunde zeigen eine deutlich schlechtere Entlohnung von arbeitslos gemeldeten Personen. Zum einen verdient jede fünfte arbeitslos gemeldete Person unter 8,50 Euro, was darauf hindeutet, dass die sogenannten Aufstocker überproportional stark von Verletzungen des gesetzlichen Mindestlohns betroffen sind132. Auffällig ist zudem die sehr geringe Verbreitung von höheren Stundenlöhnen über 11,50 Euro – lediglich 3,3% der arbeitslos gemeldeten Minijobber erzielen einen solchen Stundenlohn, wohingegen es unter allen Minijobbern mehr als 15% sind. Die weiter oben in dieser Arbeit skizzierten Forschungserkenntnisse zur Entlohnung von „Aufstockern“ im Minijob scheinen sich damit weitestgehend zu bestätigen. Ob es sich hierbei um ein von Arbeitgebern intendiertes Lohndumping 132 Wie oben bereits angemerkt, ist es denkbar, dass für einen Teil der Aufstocker die NichtGewährung des Mindestlohns gesetzeskonform ist, sofern sie bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind und den aktuellen Minijob seit weniger als 6 Monaten ausüben. Vertiefte Analysen zeigen, dass lediglich 38,3% der arbeitslos gemeldeten Minijobber seit unter 6 Monaten im aktuellen Minijob angestellt sind. Bedacht werden muss hierbei, dass zudem nicht alle von ihnen zwangsläufig auch seit mehr als einem Jahr arbeitslos sein müssen. Es kann daher festgehalten werden, dass der höhere Anteil von Mindestlohnverletzungen unter arbeitslos gemeldeten Minijobbern zum Teil auf gesetzliche Ausnahmeregelungen zurückgeführt werden kann, wobei die empirischen Befunde unterstreichen, dass die Mehrheit der Aufstocker gesetzlich nicht unter eine Ausnahmeregelung fällt und die Nicht-Gewährung des Mindestlohns daher rechtswidrig ist.
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
215
handelt oder andere Einflussfaktoren eine Rolle spielen, kann nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Deutlich wird jedoch, dass diese Befunde insbesondere unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Lebenslagen arbeitslos gemeldeter Minijobber auf eine Problemgruppe unter den geringfügig Beschäftigten hindeuten, bei denen prekäre ökonomische Lebenslagen häufig auf eine fehlende materielle Kompensation im Haushaltskontext sowie unterdurchschnittliche Entlohnungsniveaus im Minijob treffen. Für einen nicht geringen Teil der Aufstocker zeigen sich daher kumulative Risiken. Abschließend lohnt zudem eine genauere Analyse von Minijobbern, die weniger als 8,50 Euro verdienen und deren Stundenlohn damit unter der zum Befragungszeitpunkt gültigen Mindestlohnschwelle lag. Wenngleich hier die Fallzahl relativ niedrig ausfällt, zeigen sich bei einer genaueren Betrachtung diskussionswürdige Befunde. Die nachfolgende Tabelle 10 gibt hierzu einen Überblick und differenziert nach ausgewählten Merkmalen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses und des Arbeitgebers. Zunächst werden deutliche Unterschiede zwischen der Art des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses sichtbar. Demnach liegt der Anteil an Minijobbern mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro unter den kurzfristig Beschäftigten mit 20,4% deutlich höher als unter geringfügig entlohnten Beschäftigten. Hierfür kommen zwei wesentliche Erklärungsansätze in Frage. Zum einen zeigt sich, dass kurzfristig Beschäftigte deutlich häufiger in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind. Diese Branche verfügt über eine Ausnahme vom gesetzlichen Mindestlohn. Zum Befragungszeitpunkt 2016 galt für Westdeutschland eine Lohnuntergrenze von 8 Euro, für Ostdeutschland von 7,90 Euro (vgl. BMEL 2016). Zum anderen liegt, wie gezeigt wurde, der Anteil an jungen Personen unter 20 Jahren unter den kurzfristig Beschäftigten deutlich höher als unter den geringfügig entlohnten Beschäftigten. Denkbar erscheint daher, dass einige der Minijobber nur über marginale Informationen über gesetzlich zugesicherte Entlohnungsniveaus haben, was sich unter Umständen negativ auf die Stundenlöhne auswirkt. Neben diesen Unterschieden zeigt sich zudem, dass befristet beschäftigte Minijobber höhere Anteile an Beschäftigten mit Stundenlohn unter der Mindestlohnschwelle aufweisen als unbefristet Beschäftigte. Ebenso sind Stundenlöhne unter Mindestlohnniveau bei Minijobbern in Privathaushalten stärker verbreitet als bei Minijobbern im gewerblichen Bereich. Hinsichtlich der Betriebsgröße zeigen sich unterdessen relativ widersprüchliche Befunde, die sich einem eindeutigen Muster entziehen. So stechen Betriebe mit 20 bis unter 50 sowie jene mit 100 bis unter 200 Beschäftigten negativ hervor, wohingegen in der Tendenz insbesondere Minijobber in Klein- und Großbetrieben seltener von einer Stundenentlohnung unter der Mindestlohngrenze berichten.
216
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Tabelle 10: Anteil geringfügig Beschäftigter mit Stundenlöhnen unter Mindestlohnschwelle (nach ausgewählten Merkmalen des Beschäftigungsverhältnisses und Arbeitgebers, Angaben in Prozent) Gesamt Minijobart Geringfügig entlohnte Beschäftigung Kurzfristige Beschäftigung Ausschließlicher/nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob Minijob im Nebenjob Arbeitsvertrag Unbefristet Befristet Minijob gewerblich oder Privathaushalt Gewerblich Privathaushalt Betriebsgröße Weniger als 5 Beschäftigte 5 bis unter 10 Beschäftigte 10 bis unter 20 Beschäftigte 20 bis unter 50 Beschäftigte 50 bis unter 100 Beschäftigte 100 bis unter 200 Beschäftigte 200 bis unter 500 Beschäftigte 500 Beschäftigte und mehr Tarifbindung des Betriebes Keine Tarifbindung Tarifbindung Betriebs-/Personalrat vorhanden Nein Ja
Anteile in Prozent 11,7 10,4 20,4 12,9 9,2 10,6 15,0 11,0 16,9 11,0 8,6 9,2 15,1 9,1 14,0 2,3 6,1 11,5 7,3 10,4 6,5
Eigene Berechnung und Darstellung; n=117
Dahingegen zeigen sich im Hinblick auf die Tarifbindung des Betriebes und das Vorhandensein einer kollektiven betrieblichen Interessenvertretung recht eindeutige Befunde. Minijobber, die in tarifgebundenen Betrieben oder solchen mit Betriebs- oder Personalrat beschäftigt sind, erzielen seltener niedrige Stundenlöhne von unter 8,50 Euro, wenngleich auch deutlich wird, dass eine Tarifbindung oder das Vorhandensein kollektiver betrieblicher Interessenvertretungsorgane keinen
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
217
kompletten Schutz vor Unterschreitung des Mindestlohnes gewährleistet. Nichtsdestotrotz wirken sich eine Tarifbindung und/oder Betriebs- und Personalräte tendenziell positiv auf die Einhaltung des Gesetzlichen Mindestlohns aus. Hierfür dürften zum einen formale tarifvertragliche Regelungen ursächlich sein, zum anderen auch betriebliche Informations- und Kommunikationsangebote, die gesetzeswidrige Entlohnungen weniger wahrscheinlicher machen. Insgesamt zeigt sich, dass sich bezüglich sehr niedriger Entlohnungen unter Mindestlohnniveau deutliche Unterschiede sowohl zwischen unterschiedlichen soziodemografischen Gruppen unter Minijobbern als auch unterschiedlichen Beschäftigungsarten und Merkmalen des Arbeitsgebers aufspüren lassen. In der Gesamtschau deuten die Befunde an, dass sehr niedrige Entlohnungen insbesondere dort vorzufinden sind, wo Beschäftigungsverhältnisse nur schwach reguliert sind, wobei ebenso etwaige Ausnahmen von der Mindestlohnregelung, speziell im Falle der kurzfristig Beschäftigten, einen zusätzlichen Erklärungsfaktor darstellen. 6.2.3 Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeit Neben der Entlohnung stellen die Arbeitszeit und ihre Organisation einen zentralen Kern von Beschäftigungsverhältnissen dar. Der oben präsentierte Forschungsstand hat gezeigt, dass Minijobber, wenig überraschend, häufig relativ kurze Arbeitszeiten und wenige Arbeitstage aufweisen, was sich insbesondere bei geringfügig entlohnten Beschäftigten durch die „natürliche“ Beschränkung der Arbeitszeiten auf Basis der monatlichen Verdienstobergrenze erklären lässt. Gleichzeitig wurde gezeigt, dass Minijobs teilweise im Verdacht stehen, als Puffer für unattraktive Randlagen herhalten zu müssen, um hierdurch die Stammbelegschaft zu entlasten. Neben diesen Aspekten stellt sich auch die Frage, wie viel Mitspracherecht geringfügig Beschäftigte hinsichtlich ihrer Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze haben und wie dies betrieblich organisiert wird. Tabelle 11 gibt einen Überblick über die Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeit der befragten Minijobber. Auffallend ist, dass mit 58,7% die Mehrheit der Minijobber über keine vertragliche Festlegung der Arbeitszeit verfügt. Dies untermauert die bereits in Kapitel 3 dieser Arbeit geäußerte Vermutung, wonach geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in der Praxis häufig informeller gehandhabt werden als sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Der hohe Anteil an Minijobbern ohne arbeitsvertragliche Festschreibung einer konkreten Arbeitszeit deutet an, dass Minijobber häufig nach Bedarf eingesetzt werden, was mitunter auch zu schwankenden wöchentlichen Arbeitsstunden führen kann. Betrachtet man die Verteilung der tatsächlich geleisteten wöchentlichen Arbeitsstunden, bestätigt sich, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten geringe wöchentliche Stundenumfänge aufweist. Rund 16% arbeiten weniger als fünf Stunden pro Woche, weitere rund
218
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
19% arbeiten zwischen fünf und siebeneinhalb Stunden. 16,7% der Minijobber arbeiten siebeneinhalb bis zu zehn Stunden pro Woche, woraus folgt, dass mehr als die Hälfte der Minijobber weniger als zehn Stunden pro Woche in ihrem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis tätig sind. Der größte Anteil aller Kategorien zeigt sich bei den Minijobbern, die zwischen zehn und 12,5 Stunden pro Woche arbeiten – dies trifft mit 30% auf fast ein Drittel der Befragungspersonen zu. Weitere 18,2% weisen relativ hohe wöchentliche Arbeitszeiten von 12,5 Stunden und mehr auf. Diese Befunde decken sich mit jenen anderer empirischer Erhebungen unter Minijobbern (vgl. etwa RWI 2016: 48f.). Folglich überwiegen hinsichtlich der wöchentlichen Arbeitstage auch jene Minijobber, die lediglich an einem oder zwei Tagen pro Woche in ihrem Minijob arbeiten. Dies trifft mit 56% auf mehr als die Hälfte aller geringfügig Beschäftigten zu. Etwas seltener finden sich Minijobber, die an drei oder gar an mehr als drei Tagen pro Woche im Minijob arbeiten. Unter Berücksichtigung der wöchentlichen Arbeitszeiten deutet dies darauf hin, dass ein (wenn auch vergleichsweise geringer) Teil der geringfügig Beschäftigten über relativ fragmentierte Arbeitszeiten verfügt, d.h. mehrmals pro Woche für nur sehr wenige Stunden im Einsatz ist. Hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit wird zum Teil vermutet, dass Minijobber insbesondere für die Abdeckung unattraktiver Randlagen eingesetzt werden. Die empirischen Befunde bestätigen dies jedoch nicht. Mit Blick auf die Verbreitung von Nachtarbeit133 unter Minijobbern zeigt sich, dass für die überwiegende Mehrheit der geringfügig Beschäftigten eine derartige Randlage bedeutungslos ist. Mit 79,2% geben rund vier von fünf Minijobbern an, nie nachts arbeiten zu müssen, weitere 13% berichten über seltene, d.h. weniger als die Hälfte der gesamten Arbeitszeit umfassende Nachteinsätze. Lediglich rund 4% der Minijobber arbeiten häufig zwischen 23 und 6 Uhr, 3,7% arbeiten ausschließlich zu diesen Zeiten. Deutlich wird, dass Nachtarbeit unter Minijobbern zwar vorkommt, jedoch die absolute Ausnahme darstellt und die meisten Minijobber keine Berührungspunkte mit nächtlichen Arbeitseinsätzen aufweisen. Die Mutmaßung, wonach geringfügig Beschäftigte häufig zur Abdeckung arbeitszeitlicher Randlagen eingesetzt werden, kann daher im Hinblick auf Nachtarbeit nicht bestätigt werden.
133 Unter Nachtarbeit werden Arbeitseinsätze gefasst, die zwischen 23 und 6 Uhr liegen.
219
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Tabelle 11: Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze geringfügig Beschäftigter (Angaben in Prozent) Anteile in Prozent Arbeitszeitfestschreibung Arbeitszeit vertraglich vereinbart Keine Arbeitszeit vertraglich vereinbart Tatsächlich geleistete Arbeitsstunden pro Woche Weniger als 5 5 bis unter 7,5 7,5 bis unter 10 10 bis unter 12,5 12,5 und mehr Arbeitstage pro Woche Ein Arbeitstag Zwei Arbeitstage Drei Arbeitstage Mehr als drei Arbeitstage Nachtarbeit Nie Selten (< 50% der Arbeitszeit) Häufig (> 50% der Arbeitszeit) Immer Wochenendarbeit Nie Selten (< 50% der Arbeitszeit) Häufig (> 50% der Arbeitszeit) Immer Organisation Arbeitszeiten und -einsätze Vom Arbeitsgeber vorgegeben In Absprache mit Arbeitgeber festgelegt Frei wählbar Zeitliche Information über Arbeitseinsatz Weniger als vier Tage im Voraus Mindestens vier Tage im Voraus Arbeitseinsätze immer unterschiedlich Arbeitseinsätze immer gleich
41,3 58,7 15,9 19,1 16,7 30,0 18,2 23,7 32,3 22,0 22,0 79,2 13,0 4,1 3,7 38,1 28,2 19,4 14,2 26,3 49,6 24,1 16,2 16,9 31,9 35,0
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004; tatsächlich geleistete Wochenarbeitsstunden wurden auf Basis offener Antwortkategorien in der Befragung nachträglich kategorisiert
Eine weitere Verbreitung zeigt sich hingegen bei der Wochenendarbeit, also Arbeit an Samstagen und Sonntagen, wobei dies insofern wenig überraschend ist, als dass Wochenendarbeit auch unter allen Arbeitnehmern in Deutschland deutlich verbreiteter ist als Nachtarbeit. Trotz der höheren Anteile an Minijobbern, die angeben,
220
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
am Wochenende arbeiten zu müssen, berichten immerhin rund 38% der geringfügig Beschäftigten davon, nie an Samstagen oder Sonntagen arbeiten zu müssen. Weitere rund 28% müssen lediglich selten an Wochenenden arbeiten, so dass insgesamt rund zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten nie oder nur selten an Wochenenden arbeiten müssen. Rund 19% der Befragungspersonen arbeiten hingegen häufig, weitere 14% ausschließlich an Samstagen und Sonntagen. Die empirischen Befunde zur Verbreitung von Wochenendarbeit bestätigen somit in der Tendenz jene zur Verbreitung von Nachtarbeit. Zwar ist Wochenendarbeit deutlich verbreiteter als Nachtarbeit, ohne dass sich jedoch Hinweise dafür finden, dass Minijobber in besonderem Maße von Arbeitszeiten in Randlagen betroffen sind. Es lässt sich daher insgesamt nicht bestätigen, dass geringfügig Beschäftigte in Betrieben als „Puffer“ für die Stammbelegschaft herhalten müssen und für unattraktive Randlagen eingesetzt werden. Für diese relativ arbeitnehmerfreundliche Gestaltung von Arbeitszeiten spricht auch ein Blick auf die empirischen Befunde zur Organisation der Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze. Mit 26,3% berichtet lediglich eine Minderheit der Minijobber davon, dass ihnen die Arbeitszeiten und -einsätze vom Arbeitgeber vorgegeben werden, ohne dass sie hierbei ein Mitspracherecht hätten. Deutlich verbreiteter sind mit 49,6% Organisationsformen, in denen die Arbeitszeiten und -einsätze in Absprache mit dem Arbeitgeber festgelegt werden, d.h. in denen die betrieblichen Erfordernisse mit den Präferenzen der Beschäftigten abgeglichen werden. Rund ein weiteres Viertel der Minijobber gibt darüber hinaus an, die Arbeitszeiten und -einsätze ganz frei wählen zu können. Die Befunde sprechen dafür, dass Minijobber in den meisten Fällen in die Organisation und Regelung der Arbeitszeiten und -einsätze eingebunden werden, was dagegen spricht, dass Arbeitgeber mehrheitlich auf dem Rücken der Beschäftigten über deren Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze fremdbestimmen. Diese Befunde bestätigen sich auch in anderen empirischen Studien (vgl. Körner et al. 2013: 55). Zusätzlich wurden die Minijobber danach gefragt, wann sie über einen bevorstehenden Arbeitseinsatz informiert werden. 16,2% der Befragungspersonen geben hier an, weniger als vier Tage im Voraus informiert zu werden. Angermerkt werden muss, dass Beschäftigten gesetzlich zusteht, mindestens vier Tage im Voraus über einen Arbeitseinsatz informiert zu werden. Dass dies für rund 16% der Minijobber nicht geschieht, ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass, wie oben gezeigt, häufig keine Arbeitszeiten vertraglich festgelegt sind und daher sowohl die Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze für einen Teil der geringfügig Beschäftigten relativ informell gehandhabt werden. 16,9% der Befragten geben hingegen an, mindestens vier Tage im Voraus informiert zu werden, rund 32% berichten von stetig wechselnden Arbeitseinsätzen. Auch dies spricht für die oben genannte Hypothese, wonach Minijobber häufig je nach aktuellem Bedarf eingesetzt werden. Mit 35% berichtet zudem mehr als ein
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
221
Drittel der Befragungspersonen davon, über stets gleiche Arbeitseinsätze, also zu immer identischen Tagen und Zeiten, zu verfügen. Mit Blick auf die Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten und Arbeitseinsätze bestätigt sich somit insgesamt die relativ informelle Handhabung in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Gleichwohl liefern die empirischen Befunde keine Hinweise dafür, dass Minijobber in Bezug auf die Arbeitszeiten und -einsätze systematisch benachteiligt oder schlechter gestellt werden. So sind weder Arbeitszeiten in Randlagen noch fremdbestimmte Vorgaben des Arbeitgebers die Regel. Insgesamt zeigen sich hinsichtlich der Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten deutlich unproblematischere Tendenzen als mit Blick auf die oben präsentierte materielle Entlohnung von Minijobbern. Zu guter Letzt ist für die Analyse der Arbeitszeiten auch die Frage nach den Arbeitszeitwünschen der geringfügig Beschäftigten von zentraler Bedeutung. Der oben präsentierte Forschungsstand (vgl. Abschnitt 3.4.4) hat verdeutlicht, dass hierzu häufig widersprüchliche Befunde generiert wurden. Darüber hinaus ist zu unterscheiden zwischen Arbeitszeitveränderungswünschen und dem Wunsch nach einem Wechsel der Beschäftigungsform. Letzter Aspekt wird im folgenden Kapitel noch näher beleuchtet. Für den Themenkomplex „Arbeitszeit“ steht zunächst einmal die Frage im Zentrum des Interesses, ob sich unter den Minijobbern Wünsche nach einer Veränderung der Arbeitszeit nachweisen lassen. Abbildung 10 gibt hierzu einen Überblick und differenziert zwischen unterschiedlichen soziodemografischen Gruppen sowie Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses. Ein Blick auf die Gesamtverteilung zeigt, dass mit 62,5% die deutliche Mehrheit der geringfügig Beschäftigten keine Veränderung der Arbeitszeit wünscht. 29,6% der Befragungspersonen wünschen sich eine Erhöhung der Arbeitsstunden, 8% möchten hingegen weniger arbeiten als bislang. Diese Verteilung entspricht in etwa den empirischen Befunden anderer wissenschaftlicher Studien (vgl. etwa RWI 2016: 49; Körner et al. 2013: 56). Insgesamt zeigt sich, dass die Mehrheit der Minijobber mit ihrer Arbeitszeit zufrieden ist, Reduzierungswünsche eher die Ausnahme darstellen und immerhin mehr als 29% gerne mehr Stunden arbeiten möchten als bislang. Unterschiede manifestieren sich hierbei zwischen den Geschlechtern. Während männliche Minijobber überdurchschnittlich häufig keine Veränderung der Arbeitszeit wünschen, berichten Frauen im Minijob deutlich häufiger von dem Wunsch nach einer Erhöhung der Arbeitszeit. Gleichzeitig liegt bei ihnen auch der Anteil der Personen, die weniger Stunden als bislang arbeiten möchten, etwas höher als bei den Männern. Der Befund, wonach Frauen im Minijob häufiger angeben, mehr Stunden als bislang arbeiten zu möchten, deckt sich mit anderen Forschungserkenntnissen (vgl. RWI 2016: 49). Erhebliche Unterschiede zeigen sich zudem zwischen arbeitslos gemeldeten und nicht arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Von allen soziodemografischen Gruppen weisen arbeitslos gemeldete
222
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Personen die höchsten Anteile an Personen auf, die eine Erhöhung der Arbeitsstunden wünschen (46,8%). Gleichzeitig berichten sie unterdurchschnittlich häufig von Reduzierungswünschen. Dieser Befund ist sicherlich maßgeblich auf die bereits dargelegten sozioökonomischen Lebenslagen arbeitslos gemeldeter Minijobber zurückzuführen. Gleichzeitig unterliegen sie als „Aufstocker“, wie oben gezeigt, gesetzlich festgelegten Freibeiträgen, so dass eine Erhöhung der Arbeitszeit und damit einhergehend des monatlichen Einkommens für diese Gruppe keinen realen monetären Mehrgewinn darstellt. Deutlich wird somit ein Dilemma zwischen den Erwerbspräferenzen der „Aufstocker“ einerseits und den institutionellen „Schranken“ andererseits. Abbildung 10: Arbeitszeitwünsche geringfügig Beschäftigter (nach ausgewählten soziodemografischen Merkmalen sowie Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses, Angaben in Prozent) Gesamt
8
Männlich
7,4
Weiblich
8,3
Nicht arbeitslos gemeldet
8,5
62,5 67,5
9,8
Gewerblich
8,6
62,8 60,2
Rentner/ Pensionäre
5,1 6,6
Weniger Stunden als jetzt
28,7 31,6
58,1
19
26,2 36,4
65,8
11,4
Hausfrau/Hausmann
31,2
64
Schüler 2,6
In Ausbildung
27,8 46,8
61,7
Privathaushalt 3,4
Studenten
32,3
63,7 50
7,1
Minijob im Nebenjob
25,1
59,4
Arbeitslos gemeldet 3,2 Ausschließlicher Minijob
29,6
42,9
30,5 38,1
74,8 53,8 Genauso viele Stunden wie jetzt
20,1 39,6 Mehr Stunden als jetzt
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004
Darüber hinaus werden auch Unterschiede zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern deutlich. Letztere Gruppe ist häufiger mit der aktuellen Arbeitszeit zufrieden und berichtet seltener von Erhöhungs- und häufiger von Reduzierungswünschen als ausschließliche Minijobber. Hier dürften auch einge-
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
223
schränkte Zeitpotentiale eine Rolle spielen, da eine Erhöhung der Arbeitsstunden im Minijob häufig nur schwierig in Einklang mit den Verpflichtungen in der (sozialversicherungspflichtigen) Hauptbeschäftigung zu bringen sein dürften. Auffällig ist darüber hinaus, dass Minijobber in Privathaushalten häufiger von Erhöhungsabsichten der Arbeitszeit berichten als gewerbliche Minijobber. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass geringfügig Beschäftigte in Privathaushalten häufig nur vergleichsweise wenige Arbeitsstunden pro Woche leisten und dementsprechend vergleichsweise niedrige monatliche Einkommen im Minijob erzielen (vgl. auch den vorigen Abschnitt). Zu guter Letzt offenbaren sich auch hinsichtlich verschiedener Statusgruppen Unterschiede in den Arbeitszeitwünschen. Schüler sind mehrheitlich mit ihrer Arbeitszeit zufrieden, berichten jedoch etwas häufiger als der Durchschnitt auch von Erhöhungswünschen. Studierende hingegen geben häufiger als der Durchschnitt an, gerne weniger Stunden als bislang arbeiten zu wollen, wenngleich auch hier die Mehrheit mit der aktuellen Arbeitszeit zufrieden ist. Auffällig sind Auszubildende, die unterdurchschnittlich häufig keine Veränderung der Arbeitszeit wünschen. Stattdessen geben sie überproportional häufig Reduzierungs- und Erhöhungswünsche an. Die Gruppe der Rentner und Pensionäre indes ist jene, die von allen soziodemografischen Gruppen am häufigsten keine Veränderung der Arbeitszeit wünscht. Drei von vier Rentnern möchten weiterhin genauso viele Stunden wie bislang arbeiten. Anders gestaltet sich dies bei Hausfrauen/männer aus. Hier geben mit fast 40% überproportional viele Befragungspersonen einen Erhöhungswunsch der Arbeitsstunden an. Möglicherweise ist dies auf vorhandene Zeitpotentiale zurückzuführen, die aus Sicht dieser Gruppe eine Erhöhung der Arbeitsstunden praktikabel und wünschenswert erscheinen lassen. Insgesamt zeigen die empirischen Befunde zu den Arbeitszeitwünschen von Minijobbern, dass die Mehrheit von ihnen keine Veränderung der Arbeitszeit wünscht. Ist ein solcher Wunsch doch vorhanden, überwiegen die Erhöhungs- die Reduzierungswünsche deutlich. Erkennbar sind darüber hinaus Unterschiede zwischen unterschiedlichen soziodemografischen Gruppen unter den Minijobbern. Besonders häufig geben arbeitslos gemeldete Personen, Beschäftigte in Privathaushalten, Auszubildende und Hausfrauen/-männer an, mehr Stunden als bislang arbeiten zu wollen. Ursächlich dürften hierfür sowohl vorhandene Zeitpotentiale als auch ökonomische Notwendigkeiten sein, wobei sich beides auch ergänzen kann. Trotz dieser Erhöhungswünsche bei einzelnen Gruppen von Minijobbern berichten insgesamt mehr als 70% der Befragungspersonen, genauso viele Stunden oder sogar weniger Stunden als bislang arbeiten zu wollen. Diese Befunde unterstreichen, dass Minijobber in der Mehrheit nicht entgegen ihren Willen lediglich relativ wenige Arbeitsstunden leisten, sondern es ihren individuellen Vorstellungen einer als angemessen beurteilten Arbeitszeit entspricht.
224
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
6.2.4 Gewährung von Arbeitnehmerrechten Wie im obigen Forschungsstand dargelegt (vgl. 3.4.6 in dieser Arbeit), entzündet sich im Hinblick auf die Gewährung von Arbeitnehmerrechten bei geringfügig Beschäftigten häufig Kritik. Bisherige Forschungserkenntnisse weisen auf nicht unerhebliche Arbeitsrechtsverletzungen bei Minijobbern hin, wobei die NichtGewährung von gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechten ein exklusives Charakteristikum der geringfügigen Beschäftigung darstellt und bei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so gut wie nicht existiert. Die empirischen Befunde zur Entlohnung von Minijobbern haben bereits auf teilweise zu beobachtende Rechtsverletzungen – in diesem Fall im Hinblick auf die Gewährung des Gesetzlichen Mindestlohns – hingewiesen. Zusätzlich hierzu wurde in der empirischen Erhebung auch die Gewährung anderer Arbeitnehmerrechte überprüft, wobei sowohl gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte als auch freiwillige, jedoch gesetzlich nicht verpflichtende Leistungen des Arbeitgebers im Zentrum des Interesses standen. Die nachfolgende Abbildung 11 gibt zunächst einen Überblick über die Gewährung von gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechten (hier: bezahlter Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall) und die Verbreitung freiwilliger Arbeitgeberleistungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld). Bereits auf den ersten Blick fällt die massive Nicht-Gewährung von Arbeitnehmerrechten ins Auge. Bezüglich des bezahlten Urlaubs, dem sogenannten Urlaubsentgelt, gibt mit 55,1% die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten an, dass ihnen diese Leistung vom Arbeitgeber nicht gewährt wird. 39,7% bekommen diese Leistung vom Arbeitgeber gewährt, rund 5% wissen es nicht. Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Auch hier ist es mit rund 53% mehr als die Hälfe der Minijobber, denen diese Leistung nicht gewährt wird. Rund 38% bekommen hingegen im Krankheitsfall den Lohn fortgezahlt, 9,3% wissen es nicht. Damit bestätigen sich im Hinblick auf gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte die weiter oben in dieser Arbeit präsentierten Forschungserkenntnisse, wobei die Nicht-Gewährung von bezahltem Urlaub und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der hier präsentierten empirischen Erhebung noch drastischer ausfallen als in vergleichbaren Studien (vgl. etwa Stegmaier et al. 2015; RWI 2016: 60). Die weiter oben dargelegten Ansätze des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie der Minijobzentrale, mit Informationskampagnen auf derartige Missstände hinzuweisen und sowohl Arbeitgeber als auch Beschäftigte über die gesetzliche Notwendigkeit der Leistungsgewährung in Kenntnis zu setzen, scheinen sich bislang nicht in einer Verbesserung in der Praxis niederzuschlagen.
225
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Abbildung 11: Gewährung von gesetzlich verankerten Arbeitnehmerrechten sowie freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers unter Minijobbern (Angaben in Prozent)
Bezahlter Urlaub
55,1
Lohnfortzahlung bei Krankheit
52,9
39,7
37,8
Urlaubsgeld
78,5
Weihnachtsgeld
76,1
Nein
5,2
Ja
9,3
13,9
7,6
16
7,8
Weiß nicht
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004
Auf Basis dieser empirischen Befunde kann die forschungsleitende Hypothese 3 (H3) daher vollumfänglich bestätigt werden. Hierbei wurde auf Basis bisheriger Forschungserkenntnisse angenommen, dass Minijobbern gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte häufig nicht gewährt werden. Die Befunde unterstreichen dies, wobei deutlich wird, dass die Nicht-Gewährung bezahlten Urlaubs und einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht nur weit verbreitet ist, sondern sogar die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten betrifft. Folglich stellt nicht die Vorenthaltung, sondern die Gewährung dieser gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechte die Ausnahme im Bereich der geringfügigen Beschäftigung dar. Wenig überraschend liegen die Anteile der Nicht-Gewährung bei den freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers noch höher. 78,5% der Minijobber erhalten kein Urlaubsgeld, 76,1% kein Weihnachtsgeld. Jene Minijobber, die diese freiwilligen Arbeitgeberleistungen erhalten, sind mit 13,9% bzw. 16% in der deutlichen Minderheit. Diese Befunde sind jedoch insbesondere unter Berücksichtigung der Häufigkeit der Nicht-Gewährung von Leistungen, zu denen Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind, wenig überraschend. Wenn den Minijobbern gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte häufig nicht zugestanden werden, ist
226
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
die geringe Verbreitung freiwilliger „On-Top-Leistungen“ der Arbeitgeber gewissermaßen die logische Konsequenz. In einem zweiten Analyseschritt stellt sich die Frage, welche Gruppen von Minijobbern von der Nicht-Gewährung gesetzlich zugesicherter Arbeitnehmerrechte betroffen sind und welche Zusammenhänge es zu den Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses und des Arbeitgebers gibt. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, als dass bisherige Forschungen kaum eine vertiefte Analyse hierzu durchgeführt haben. Die nachfolgende Tabelle gibt diesbezüglich eine Übersicht und konzentriert sich auf die gesetzlich verankerten Arbeitnehmerrechte „Bezahlter Urlaub“ sowie „Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“. Hinsichtlich des Geschlechtes der Minijobber zeigen sich keine gravierenden Unterschiede, wobei Männer sowohl in Bezug auf bezahlten Urlaub als auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall etwas häufiger von einer Nicht-Gewährung berichten. Sehr viel drastischer fallen hingegen die Unterschiede zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten aus. Letztere Gruppe berichtet überproportional häufig von einer Nicht-Gewährung von Arbeitnehmerrechten. 78,8% der kurzfristig Beschäftigten erhalten keinen bezahlten Urlaub, 75,7% bekommen im Krankheitsfall das Entgelt nicht fortgezahlt. Geringfügig entlohnte Beschäftigte berichten hingegen deutlich häufiger von einer Gewährung dieser Arbeitnehmerrechte – gleichwohl sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in dieser Gruppe rund die Hälfte von einer Nicht-Gewährung berichtet. Wie diese gravierenden Unterschiede und insbesondere das negative Herausstechen kurzfristig Beschäftigter erklärt werden kann, bleibt offen. Möglicherweise werden diese Rechte von den häufig sehr jungen Beschäftigten nicht eingefordert, mitunter auch aufgrund von Unwissen. Gleichzeitig haben die obigen Befunde bereits angedeutet, dass kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse häufig noch informeller gehandhabt werden als geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse (etwa hinsichtlich schriftlicher Arbeitsverträge etc.), was sich möglicherweise auch negativ auf die Gewährung von Arbeitnehmerrechten auswirkt. Ergänzend hierzu zeigen die empirischen Befunde Unterschiede zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern. Letztere berichten vergleichsweise häufiger von einer NichtGewährung von Arbeitnehmerrechten. Dies ist insofern überraschend, als dass angenommen werden könnte, dass insbesondere diese Personen durch ihre sozialversicherungspflichtige Hauptbeschäftigung über die Existenz dieser Rechte informiert sind. Möglicherweise wird von ihnen jedoch der Minijob lediglich als kleine „On-Top-Erwerbstätigkeit“ betrachtet, an die nicht dieselben RechtsMaßstäbe angelegt werden wie an die Hauptbeschäftigung.
227
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Tabelle 12: Anteil geringfügig Beschäftigter, denen gesetzlich zugesicherte Arbeitnehmerrechte vorenthalten werden (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) Bezahlter Urlaub 55,1
Entgeltfortzahlung bei Krankheit 52,9
Männlich
56,2
54,0
Weiblich
54,4
52,2
Geringfügig entlohnte Beschäftigung
51,4
49,4
Kurzfristige Beschäftigung Ausschließlicher/nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob
78,8
75,7
52,8
50,2
Minijob im Nebenjob Minijob gewerblich oder Privathaushalt Gewerblich
59,8
58,3
53,3
50,8
Privathaushalt
68,4
68,4
Mündliche Vereinbarung
75,0
73,5
Schriftlicher Arbeitsvertrag
48,8
46,6
Keine Tarifbindung
65,7
64,6
Tarifbindung
36,5
35,1
Nein
61,5
58,5
Ja
37,4
38,3
Gesamt Geschlecht
Minijobart
Art des Arbeitsvertrages
Tarifbindung des Betriebes
Betriebs-/Personalrat vorhanden
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004
Zusätzlich berichten auch Minijobber, die in Privathaushalten angestellt sind, deutlich häufiger von einer Nicht-Gewährung der angesprochenen Arbeitnehmerrechte. 68,4% von ihnen erhalten keinen bezahlten Urlaub, ebenso viele keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Möglicherweise spielen hier Informationsdefizite so-
228
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
wohl auf Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite eine Rolle. Darüber hinaus zeigen die empirischen Befunde, dass die Niederschrift arbeitsvertraglicher Regelungen tendenziell die Wahrscheinlichkeit einer Gewährung von Arbeitnehmerrechten erhöht. So berichten Minijobber, die lediglich über eine mündliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber verfügen, deutlich häufiger von arbeitsrechtlichen Verletzungen. Hier zeigen sich gewissermaßen die Schattenseiten informeller und loser Absprachen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenngleich deutlich wird, dass auch die schriftliche Fixierung der arbeitsvertraglichen Konditionen keinen wirksamen Schutz vor der Nicht-Gewährung von Arbeitnehmerrechten bietet, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit erhöht, diese Recht in Anspruch nehmen zu können. Zu guter Letzt zeigen die bivariaten Analysen deutliche Zusammenhänge zwischen der Gewährung von Arbeitnehmerrechten einerseits und der Tarifbindung und des Vorhandenseins von Betriebs- oder Personalräten andererseits134. Während 65,7% der Minijobber, die in Betrieben ohne Tarifbindung angestellt sind, keinen bezahlten Urlaub bekommen, sind es unter Minijobbern in tarifgebundenen Betrieben lediglich 36,5%. Hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall liegt das Verhältnis bei 64,6% zu 35,1% und zeigt daher dieselbe Tendenz. Ähnliche Befunde offenbaren sich mit Blick auf das Vorhandensein von Betriebs- oder Personalräten. Minijobber, die nicht auf ein betriebliches kollektives Interessenvertretungsorgan zurückgreifen können, berichten mehrheitlich von einer Nicht-Gewährung bezahlten Urlaubs (61,5%) und der Vorenthaltung einer Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (58,5%). Arbeiten Minijobber hingegen in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat, liegen die Anteile der Nicht-Gewährung mit 37,4% bzw. 38,3% deutlich niedriger. Die empirischen Befunde untermauern somit den positiven Zusammenhang zwischen einer Tarifbindung und/oder der Existenz betrieblicher Interessenvertretungsorgane einerseits und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten andererseits. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in tarifgebundenen Betrieben und solchen mit Betriebs- und Personalrat die Anteile an Minijobbern, die von einer Nicht-Gewährung berichten, immer noch sehr hoch sind; dennoch sind sie insofern vergleichsweise niedrig, als dass in nicht-tarifgebundenen Betrieben und/oder jenen ohne betriebliche Interessenvertretungsorgane die NichtGewährung von Arbeitnehmerrechten deutlich verbreiteter ist. Diese Befunde dürften durch zwei wesentliche Faktoren erklärbar sein. Zum einen kann angenommen werden, dass in tarifgebundenen und/oder Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat Arbeitnehmerrechte auch für Minijobber häufiger eingefordert und 134 Angemerkt sei, dass in der Präsentation dieser Befunde jene Minijobber, die nicht wissen, ob ihr Betrieb einer Tarifbindung unterliegt und/oder ob ein Betriebs- oder Personalrat vorhanden ist, nicht beachtet werden (vgl. für eine Übersicht vertiefend 6.2.6 in dieser Arbeit).
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
229
durchgesetzt werden. Zum anderen hat der Forschungsstand auch auf die Korrelationen zwischen der Kenntnis und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten hingewiesen (vgl. hierzu Stegmaier et al. 2015). Es erscheint plausibel, dass in tarifgebundenen Betrieben und jenen mit betrieblichen Interessenvertretungsorganen Minijobber besser über Arbeitsrechte informiert werden als in Betrieben, in denen es keine derartigen Informations- und Kommunikationskanäle gibt. Insbesondere für Minijobber dürften diese Informationsmöglichkeiten von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein, da sie häufig nur relativ kurze Arbeitszeiten und daher eine geringe Präsenz im Betrieb aufweisen und ein nicht geringer Teil von ihnen über nur geringe erwerbstätigkeitsrelevante Vorerfahrungen verfügt (etwa Schüler und Studierende). Insgesamt lässt sich mit Blick auf die Gewährung von Arbeitnehmerrechten bei Minijobbern festhalten, dass einem Großteil von ihnen gesetzlich zugesicherte Rechte vorenthalten werden, wobei sich, wie gezeigt, zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen unterschiedlichen Gruppen von Minijobbern zeigen. Die empirischen Befunde bestätigen damit die weite Verbreitung von arbeitsrechtlichen Verletzungen bei geringfügig Beschäftigten, die trotz Informationsoffensiven des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und der Minijobzentrale fortbestehen. Mit Rückgriff auf bisherige Forschungserkenntnisse kann angenommen werden, dass die Nicht-Gewährung dieser Arbeitnehmerrechte sowohl auf Unwissenheit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern als auch die bewusst intendierte Vorenthaltung zurückzuführen ist. Ganz generell kommt bei Minijobs die bereits skizzierte weite Verbreitung einer informellen Handhabung erschwerend hinzu. Durch die kurzen Arbeitszeiten, die häufig informelle Organisation der Arbeitseinsätze sowie die schwankenden betrieblichen Bedarfe mit dementsprechend variierenden Einsätzen trifft etwa die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in der Praxis auf Probleme, die eine indirekte Folge dieser informellen Regelungen darstellen: Ist etwa ein Minijobber erkrankt, dürften Regelungen wie ein „Nacharbeiten“ in der Folgewoche weit verbreitet sein. Dies ist selbstredend rechtswidrig, für die Minijobber jedoch mitunter insofern nicht befremdlich, als dass sie a) unter Umständen nicht wissen, dass eine solche Vorgehensweise rechtswidrig ist und sie b) auch in Zeiten von Nicht-Erkrankungen mit variierenden Arbeitszeiten und -einsätzen vertraut sind. Abschließend lässt sich festhalten, dass die Nicht-Gewährung von gesetzlich zugesicherten Arbeitnehmerrechten eine persistierende Problemlage geringfügiger Beschäftigung darstellt. 6.2.5 Branchen, Tätigkeiten, Weiterbildung Neben den bereits dargestellten Aspekten der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen ist eine Betrachtung der betrieblichen Rahmenbedingungen
230
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
geringfügiger Beschäftigung für ein umfassendes Gesamtbild der „harten“ Faktoren unerlässlich. In den folgenden zwei Abschnitten wird daher der Fokus auf ebendiese betrieblichen Rahmenbedingungen gelegt, wobei zunächst die Branchen und Tätigkeiten sowie die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung beleuchtet werden, um darauf aufbauend die Verbreitung der Tarifbindung und kollektiver Interessenvertretungsorgane in den Blick zu nehmen. Hinsichtlich der wesentlichen betrieblichen Rahmenbedingungen der befragten Minijobber zeigt ein Blick auf die Verteilung nach Betriebsgrößen zunächst, dass geringfügig Beschäftigte zu einem überwiegenden Teil in klein- und mittelgroßen Betrieben angestellt sind. Mit 35,9% sind mehr als ein Drittel der Befragungspersonen in Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten angestellt, ein weiteres Drittel (33,4%) in Betrieben mit 10 bis unter 100 Beschäftigten. Lediglich rund 15% der geringfügig Beschäftigten arbeitet in einem Betrieb mit 100 Beschäftigten und mehr, wohingegen ein ebenso großer Teil der Befragten keine Angaben zur Betriebsgröße machen konnte. Die Befunde bestätigen den in 3.4.2 präsentierten Forschungsstand. Die weite Verbreitung von Minijobbern in Klein- und Mittelbetrieben ist hierbei insbesondere auf die hohen Anteile von Tätigkeiten im Dienstleistungssektor zurückzuführen, welcher sich bekanntermaßen stärker durch klein- und mittelgroße Betriebsstrukturen auszeichnet. Diese Vermutung wird auch bei einem Blick auf die Branchenverteilung der befragten Minijobber deutlich, die in Abbildung 12 dargestellt ist. Abgebildet ist hier sowohl die Gesamtverteilung als auch eine Differenzierung zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten. Zunächst einmal bestätigt das Gesamtbild die bisherigen Forschungserkenntnisse zur Branchenverteilung geringfügig Beschäftigter. Bei den sieben beschäftigungsintensivsten Branchen handelt es sich ausschließlich um Branchen aus dem Dienstleistungssektor. 12,7% der Befragungspersonen arbeiten im Gastgewerbe, weitere 12,2% im Handel und 10,8% im Gesundheits- und Sozialwesen. Damit entfallen allein auf diese drei Branchen mehr als ein Drittel aller geringfügig Beschäftigten. Es folgen die relativ unspezifischen „sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“ sowie „sonstige Dienstleistungen“, in denen weitere 15,4% der Minijobber beschäftigt sind. Es folgt ein Mittelfeld mit einigen Branchen sowohl aus dem primären, sekundären als auch tertiären Sektor. Schlusslicht sind das Baugewerbe, die öffentliche Verwaltung, das Grundstücks- und Wohnungswesen, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen, Energieversorgung sowie Wasserversorgung und Abfallentsorgung, in denen lediglich jeweils zwischen 2,3% und 0,3% der Minijobber beschäftigt sind und die somit eine nur marginale Rolle spielen.
231
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Abbildung 12: Verteilung der Minijobber auf Wirtschaftsbranchen nach Art der geringfügigen Beschäftigung (Angaben in Prozent) 12,7 12,9 13,5
Gastgewerbe Handel
12,2 13,4
4,8
Gesundheits- und Sozialwesen
10,8 11,5
4,8
Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen
8,3 8,9
3,8
Sonstige Dienstleistungen
7,1 6,8
Information und Kommunikation
6,8 7,3
3,8
6,7 5,9
Erziehung und Unterricht
Verkehr und Lagerei
4,2 4 3,3 2,8
Freiberufliche, wissenschaftliche, technische DL
2,8 2,1
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
2,3 2,1
Baugewerbe
6,7 8,7
3,8
1,5 1,5 1,9
Grundstücks- und Wohnungswesen
Gesamt
6,7
2,3 2,3 2,9
Öffentliche Verwaltung
Wasserversorgung; Abfallentsorgung
5,3 5,8
2,9
Kunst und Unterhaltung
Energieversorgung
12,5
5,5 5,4 5,8
Verarbeitendes Gewerbe
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen
9,6
0
1,2 1,4 0,7 0,6
0,3 0,1
1,9 1,9
Geringfügig entlohnte Beschäftigte
Kurzfristig Beschäftigte
Eigene Berechnung und Darstellung; n=939
Bei genauerer Betrachtung fallen hinsichtlich der Branchenverteilung geringfügig Beschäftigter zudem erhebliche Unterschiede zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten ins Auge. So sind kurzfristig Beschäftigte im Handel, dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen nur unterdurchschnittlich vertreten, wohingegen sie
232
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
im Bereich Erziehung und Unterricht, bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen sowie in der Land- und Forstwirtschaft und Fischerei überrepräsentiert sind. Damit bestätigen sich die Forschungserkenntnisse, wonach hinsichtlich der Branchenverteilung von Minijobbern eine Unterscheidung zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten zwingend geboten ist, da sie in je unterschiedlichen Branchen unterschiedlich stark vertreten sind. Auffällig ist, dass zwar auch unter den kurzfristig Beschäftigten eine deutliche Dienstleistungsdominanz erkennbar ist, sie in der Tendenz jedoch häufiger im primären und sekundären Sektor angestellt sind. Insbesondere die relativ weite Verbreitung kurzfristig Beschäftigter im Bereich der Land- und Forstwirtschaft kann auf Saisonarbeiten (etwa Erntehelfer) zurückgeführt werden. Darüber hinaus zeigen sich in einigen Branchen auch deutliche Geschlechterunterschiede. Einen besonders hohen „Männerüberschuss“ weisen das verarbeitende Gewerbe, der Bereich Verkehr und Lagerei sowie das Baugewerbe auf. Ein deutliches Übergewicht der Frauen zeigt sich hingegen im Handel, dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich Erziehung und Unterricht, womit insgesamt bisherige Forschungen zu männer- und frauendominierten Branchen in der Tendenz bestätigt werden. Die zu beobachtende Dominanz der genannten Dienstleistungsbranchen zeigt sich auch im Hinblick auf die von den befragten Minijobbern ausgeübten Tätigkeiten. Die höchsten Anteile finden sich in der Kategorie „Packen; Güter verladen/sortieren/zustellen“. 13,1% der Minijobber geben dies als ihre primäre Tätigkeit im Rahmen des Minijobs an. 12,1% geben an, zu reinigen oder Abfall zu beseitigen, weitere 11,9% nennen als Haupttätigkeit „Einkaufen; Verkaufen; Kassieren“. Ebenfalls hohe Anteile finden sich in den Kategorien „Bewirten/Kellnern; Beherbergen“ (10,2%), „Beraten/Informieren“ (9,1%) sowie Büroarbeiten (7,7%). Allein auf diese sieben am häufigsten genannten Kategorien entfallen mit rund 64% fast zwei Drittel aller Tätigkeiten im Rahmen des Minijobs. Die empirischen Befunde zu den ausgeübten Tätigkeiten von Minijobbern spiegeln somit einerseits die oben dargestellte Branchenverteilung wider und unterstreichen andererseits die in 3.4.2 dargelegte Diagnose, wonach es sich im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zu einem Großteil um „einfache“ Dienstleistungs- und Helfertätigkeiten handelt135. 135 Anzumerken ist, dass analog zu den skizzierten Geschlechterunterschieden im Hinblick auf die Branchen sich diese auch bei den Tätigkeiten der Minijobber finden. Frauen in Minijobs putzen und reinigen, bewirten und kellnern, verkaufen und kassieren häufiger und erledigen darüber hinaus deutlich häufiger als Männer Büroarbeiten. Diese wiederum führen deutlich häufiger Fahrzeuge und/oder be- und entladen Güter und üben häufiger Reparatur- und Renovierungstätigkeiten sowie Fertigungs- und Verarbeitungsarbeiten aus. Deutlich wird, dass sich auch im Hinblick auf die ausgeübten Tätigkeiten eine Ausdifferenzierung in „klassische“ Männer- und Frauendomänen nachweisen lässt.
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
233
Da, wie in Kapitel 3 näher diskutiert, Minijobs nicht selten im Verdacht stehen, lediglich „unterwertige“ bzw. ausbildungsinadäquate Tätigkeiten offerieren zu können, ist neben den tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten der geringfügig Beschäftigten auch die Frage von Relevanz, in welchem Maße die ausgeübten Tätigkeiten dem beruflichen Ausbildungsniveau entsprechen. Die nachfolgende Abbildung 13 gibt einen Überblick über die empirischen Befunde hierzu. Abbildung 13: Ausbildungsadäquatheit der Tätigkeiten im Rahmen des Minijobs (Angaben in Prozent)
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.004
Deutlich wird, dass sich diese Vermutung weitestgehend bestätigt. So gibt mit 49,7% rund die Hälfte der Befragungspersonen an, die im Rahmen des Minijobs ausgeübte Tätigkeit habe mit der eigenen beruflichen Ausbildung nichts zu tun. 13,5% geben hingegen an, die ausgeübten Tätigkeiten hätten nur am Rande mit dem ursprünglich erlernten Beruf zu tun, wohingegen mit 18,5% weniger als jede fünfte Befragungsperson sagt, die im Minijob ausgeübte Tätigkeit entspreche der eigenen beruflichen Ausbildung. 18,2% können dies nicht beurteilen bzw. verfügen (noch) über keine berufliche Ausbildung. Deutlich wird, dass sich die zum Teil geäußerte Kritik, dass Minijobber im Rahmen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses lediglich ausbildungsinadäquat beschäftigt sind, weitestgehend bestätigt. Positiv gewendet kann dieser Befund als Beleg dafür gewertet werden, dass
234
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Minijobs anscheinend einen niedrigschwelligen Zugang zu Arbeit ebenso ermöglichen wie berufliche Quereinstiege. Negativ gewendet können die Befunde jedoch ebenso als Beispiel für die weite Verbreitung „unterwertiger“ und dem Ausbildungsniveau nicht entsprechender Beschäftigung gedeutet werden. Bivariate Analysen deuten zudem darauf hin, dass Frauen häufiger als Männer eine Tätigkeit ausüben, die ihrer beruflichen Ausbildung entspricht (21,1% vs. 14,2%) und seltener angeben, eine Tätigkeit auszuüben, die nichts mit dem erlernten Beruf zu tun hat (47,7% vs. 53%). Die weite Verbreitung ausbildungsinadäquater Beschäftigung ist daher tendenziell eher ein Problem von Männern im Minijob. Neben der Ausbildungsadäquatheit der Tätigkeiten im Minijob sind, wie unter 3.4.5 dieser Arbeit diskutiert, häufig auch die beruflichen Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten geringfügig Beschäftigter Gegenstand von Kritik. Die oben präsentierten Forschungserkenntnisse haben verdeutlicht, dass atypisch Beschäftigte deutlich geringere Fort- und Weiterbildungsquoten aufweisen als Normalarbeitnehmer. Besonders negativ, so wurde gezeigt, stechen hierbei geringfügig Beschäftigte sowie Leiharbeitnehmer hervor. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der empirischen Erhebung unter Minijobbern auch danach gefragt, ob die Befragungspersonen in den vergangenen zwölf Monaten an einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben. Die Befunde sind in der nachfolgenden Tabelle 13 dargestellt, wobei zwischen unterschiedlichen soziodemografischen Gruppen sowie Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses und Arbeitgebers unterschieden wird. Der Tabelle ist zu entnehmen, dass sich auch in der hier präsentierten empirischen Erhebung die nur geringe Fort- und Weiterbildungsquote geringfügig Beschäftigter bestätigt. Lediglich 16,7% der Befragungspersonen geben an, in den vergangenen zwölf Monaten an einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen zu haben. Zum Vergleich: 2012 lag die Weiterbildungsquote unter Normalarbeitnehmern in Deutschland bei 68,2% (vgl. Bellmann et al. 2013: 22). Es bestätigt sich daher die Diskrepanz in den Weiterbildungsquoten zwischen Minijobbern und Normalarbeitnehmern. Bezüglich des Geschlechtes zeigen sich unter den Minijobbern keine gravierenden Unterschiede, wenngleich Männer etwas häufiger an beruflicher Fort- und Weiterbildung teilnehmen als Frauen. Nichtsdestotrotz ist die Weiterbildungsquote bei beiden Geschlechtern ähnlich niedrig. Hinsichtlich unterschiedlicher Alterskohorten wird sichtbar, dass tendenziell eher jüngere Personen an Fort- und Weiterbildungen teilnehmen als ältere Beschäftigte. Insbesondere Minijobber über 50 Jahren weisen eine unterdurchschnittliche Weiterbildungsquote auf. Dieser Befund bestätigt bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse und ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass ältere Arbeitnehmer tendenziell weniger fortbildungsaffin sind als jüngere Beschäftigte und Arbeitgeber zudem dazu neigen, eher in Fortbildungen für jüngere und aus ihrer Sicht entwicklungsfähigere Mitarbeiter zu investieren (vgl. ebd.).
235
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
Tabelle 13: Anteil geringfügig Beschäftigter, die in den vergangenen zwölf Monaten an einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) Anteile in Prozent Gesamt
16,7
Geschlecht Männlich
17,4
Weiblich
16,3
Altersgruppen Unter 20
21,5
20 bis unter 30
22,2
30 bis unter 40
20,0
40 bis unter 50
16,8
50 bis unter 60
11,6
60 und älter
12,8
Berufsabschluss Ohne beruflichen Ausbildungsabschluss
16,2
Anerkannter Berufsabschluss
15,2
Akademischer Abschluss
21,3
Arbeitslos gemeldet Nein
17,7
Ja
7,4
Minijobart Geringfügig entlohnte Beschäftigung
16,3
Kurzfristige Beschäftigung
21,2
Ausschließlicher/nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob
14,6
Minijob im Nebenjob
21,0
Tarifbindung des Betriebes Keine Tarifbindung
14,4
Tarifbindung
20,6
Betriebs-/Personalrat vorhanden Nein
15,0
Ja
22,6
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004
Mit Blick auf den höchsten beruflichen Abschluss zeigen die Befunde, dass sich zwischen Personen ohne beruflichen und jenen mit mittleren beruflichen Ab-
236
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
schlüssen lediglich geringe Unterschiede zeigen, wohingegen Personen mit einem akademischen Berufsabschluss deutlich häufiger an einer Fort- oder Weiterbildung teilnehmen. Auch hier ist denkbar, dass diese Personengruppe in größerem Maße fortbildungsaffin ist und Arbeitgeber zudem eher in höherqualifizierte Beschäftigte investieren. Auffällig sind darüber hinaus die Unterschiede zwischen arbeitslos gemeldeten und nicht arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Auch hier bestätigt sich die bereits dargelegte strukturelle Schlechterstellung von „Aufstockern“ im Minijob. Mit 7,4% weisen sie – selbst für „Minijob-Verhältnisse“ – eine unterdurchschnittliche Weiterbildungsquote auf. Dies ist möglicherweise auch darauf zurückzuführen, dass sie aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zu Freibeträgen häufig weniger Stunden im Minijob arbeiten (können), was sich möglicherweise negativ auf Fort- und Weiterbildungsangebote des Arbeitgebers auswirkt. Gleichwohl sind die Befunde insofern problematisch, als dass „Aufstockern“ hierdurch mitunter zusätzliche Qualifikationen ebenso erschwert werden wie eine berufliche Aufstiegsmobilität. Darüber hinaus geben kurzfristig Beschäftigte häufiger als geringfügig entlohnte Beschäftigte an, in den vergangenen zwölf Monaten an einer Fort- oder Weiterbildung teilgenommen zu haben. Ähnliche Unterschiede offenbaren sich auch im Vergleich zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern, wobei letztere eine höhere Weiterbildungsquote aufweisen. Hierbei kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die Befragungspersonen auch im Rahmen ihrer Hauptbeschäftigung an einer Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben. Zu guter Letzt weisen die empirischen Befunde darauf hin, dass sich eine Tarifbindung des Betriebes sowie die Existenz kollektiver Interessenvertretungsorgane positiv auf die Weiterbildungsquote auswirken. So geben 20,6% der Minijobber, die in tarifgebundenen Betrieben angestellt sind, an, in den vergangenen zwölf Monaten an einer Fort- oder Weiterbildung teilgenommen zu haben; bei den Beschäftigten, die in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat arbeiten, liegt die Quote mit 22,6% sogar noch etwas höher. Wenngleich diese Befunde die Bedeutung tarifvertraglicher Regelungen sowie betrieblicher Mitbestimmungsmöglichkeiten auch für die Teilnahme an beruflicher Weiterbildung von Minijobbern unterstreichen, sind die Weiterbildungsquoten auch hier sehr niedrig. Insgesamt bestätigen die empirischen Befunde daher die wissenschaftliche Erkenntnis, wonach Minijobber nur selten an beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen. Über die Ursachen für die nur geringen Weiterbildungsquoten unter Minijobbern kann lediglich spekuliert werden. Wahrscheinlich spielen jedoch sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitige Aspekte eine Rolle. Führt man sich die Zusammensetzung der Minijobber vor Augen, so kann angenommen werden, dass für einen nicht geringen Teil von ihnen etwaige Weiterbildungsmaßnahmen nicht von großem Interesse sein dürften – sei es aufgrund der Tatsache, dass der Minijob
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
237
lediglich als temporäre Erwerbsmöglichkeit betrachtet (Schüler, Studierende), als Ergänzung des Einkommens aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gesehen (nebenberufliche Minijobber) oder zum Ende des Erwerbslebens ausgeübt wird (Rentner/Pensionäre). Arbeitgeberseitig kann angenommen werden, dass hier eher in sozialversicherungspflichtige Beschäftigte „investiert“ wird, da diese mehr Arbeitsstunden im Betrieb leisten und häufiger Führungsaufgaben übernehmen, d.h. für Arbeitgeber der „Return on Investment“ höher ist als bei Minijobbern. Gleichzeitig sind die Befunde nicht unproblematisch, da insbesondere bei langjähriger Ausübung eines Minijobs, in dessen Rahmen bspw. lediglich einfache Hilfstätigkeiten ausgeübt werden und keine zusätzliche berufliche Weiterbildung stattfindet, die Gefahr besteht, dass Beschäftigte bei einem Jobverlust aufgrund geringer Zusatzqualifikationen Probleme beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt haben können. Ganz generell besteht das Risiko, dass Minijobber aufgrund der skizzierten Aspekte nur eine geringe berufliche Aufwärtsmobilität entwickeln bzw. diese zumindest erschwert wird. 6.2.6 Tarifbindung und betriebliche Mitbestimmung Neben den angesprochenen betrieblichen Rahmenbedingungen geringfügig Beschäftigter stellt sich die Frage, in welchem Maße Minijobber in tarifgebundenen Betrieben angestellt sind und ob es in ihren Betrieben Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Arbeitnehmer gibt. Diese Aspekte wurden bislang in der Forschung zu geringfügiger Beschäftigung nur marginal beleuchtet, stellen jedoch wichtige ergänzende Informationen zur Analyse der betrieblichen Kontexte von Minijobbern dar. Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf die Verbreitung tarifgebundener Betriebe und die Existenz von kollektiven betrieblichen Interessenvertretungsorganen der Arbeitnehmer, wobei hier ausschließlich das Vorhandensein von Betriebs- und Personalräten beleuchtet wird136. Zu guter Letzt wird flankierend hierzu der Frage nachgegangen, wie hoch die Gewerkschaftsmitgliedschaftsdichte unter geringfügig Beschäftigten ausfällt. Die empirischen Befunde zur Tarifbindung der Betriebe, in denen die befragten Minijobber angestellt sind, zeigen, dass 35,4% der Befragungspersonen angeben, ihr Betriebe unterliege keiner Tarifbindung. Dahingegen berichten 29,7% der Minijobber von einer Tarifbindung ihres Betriebes. Auffällig ist, dass mit 34,8% mehr als ein Drittel der Befragten nicht weiß, ob ihr Betrieb einem Tarifvertrag unterliegt. Zwei zentrale Befunde können auf Basis der univariaten Analyse hervorgehoben werden: zum einen arbeiten Minijobber unterdurchschnittlich häufig in 136 In die Analyse fließen hierbei ausschließlich jene Minijobber ein, die gewerblich und nicht in einem Privathaushalt angestellt sind.
238
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
tarifgebundenen Betrieben. Während 2016 in Deutschland gesamtwirtschaftlich 59% (Westdeutschland) bzw. 47% (Ostdeutschland) der Beschäftigten durch einen Branchen- oder Haus-/Firmentarifvertrag geschützt waren (vgl. Ellguth/Kohaut 2017: 280), liegt der Anteil unter den geringfügig Beschäftigten mit 29,7% deutlich unter diesem Niveau. Zum anderen zeigt sich eine relativ weit verbreitete Unkenntnis unter Minijobbern – mehr als ein Drittel von ihnen weiß nicht, ob ihr Betrieb tarifgebunden ist oder nicht. Dieser hohe Anteil erschwert eine finale Abschätzung der tatsächlichen Tarifdeckung, da für mehr als 35% der befragten Minijobber keine Aussage möglich ist. Gleichwohl deuten die Befunde eine nur unterdurchschnittliche Tarifbindung der Betriebe, die Minijobber beschäftigen, an. Diese Tendenz erscheint auch deshalb plausibel, als dass Minijobber, wie oben gezeigt, häufig eher in kleineren Betrieben des Dienstleistungssektors beschäftigt sind und bekannt ist, dass hier die Tarifbindung unterdurchschnittlich ausgeprägt ist (vgl. ebd.). Ein ähnliches Bild zeigt sich mit Blick auf die Verbreitung von Betriebs- und Personalräten. Hier geben 54,6% der befragten Minijobber an, in ihrem Betrieb gebe es kein derartiges kollektives Interessenvertretungsorgan. Lediglich 22,6% der geringfügig Beschäftigten arbeiten hingegen in einem Betrieb mit formalen Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer. Auch hier fällt der Anteil an Personen, die nicht wissen, ob in ihrem Betrieb ein Betriebs- oder Personalrat vorhanden ist, mit 22,6% relativ hoch aus. Damit bestätigen die empirischen Befunde zur Verbreitung von betrieblichen Mitbestimmungsorganen die Befunde zur Tarifdeckung der Betriebe. Während 2016 in Deutschland 41% der Beschäftigten in einem Betrieb mit Betriebsrat beschäftigt waren (vgl. Ellguth/Kohaut 2017: 284), liegt auch hier der Anteil unter Minijobbern mit 22,6% deutlich unter diesem Niveau. Die empirischen Befunde deuten daher an, dass Minijobber deutlich seltener als der Durschnitt aller Arbeitnehmer in Deutschland in tarifgebundenen Betrieben und jenen mit Möglichkeiten der kollektiven Interessenartikulation beschäftigt sind. Damit kann die forschungsleitende Hypothese 4 (H4) weitestgehend bestätigt werden. Angenommen wurde hierbei, dass Minijobs mehrheitlich in nicht tarifgebundenen Betrieben und solchen ohne Möglichkeiten zur betrieblichen Mitbestimmung ausgeübt werden. Wie gezeigt, ist eine finale Abschätzung aufgrund der hohen Anteile an Minijobbern, die hierzu keine Aussage machen können bzw. es nicht wissen, schwierig. Gleichwohl bestätigt sich die in der Hypothese geäußerte Vermutung einer unterdurchschnittlichen Verbreitung tarifgebundener Betriebe und jenen mit Möglichkeiten zur kollektiven Interessenartikulation der Arbeitnehmer, die insbesondere auch durch den Vergleich mit allen Arbeitnehmern in Deutschland untermauert werden. Unter der genannten Einschränkung kann Hypothese 4 somit in der Tendenz verifiziert werden.
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
239
Die Befunde werfen in einem zweiten Schritt die Frage auf, welche Zusammenhänge zwischen der Tarifbindung und der Existenz von Betriebs- und Personalräten einerseits und Eigenschaften des Beschäftigungsverhältnisses und des Arbeitgebers andererseits aufgespürt werden können. Die nachfolgende Tabelle 14 gibt einen Überblick über diesbezügliche bivariate Zusammenhänge. Hinsichtlich der Art des Minijobs offenbaren die empirischen Befunde zunächst Unterschiede zwischen geringfügig entlohnten und kurzfristig Beschäftigten. Letztere sind sowohl häufiger in tarifgebundenen Betrieben als auch in solchen mit Betriebs- oder Personalrat beschäftigt. Hinsichtlich der Unterscheidung von ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern zeigen sich geringere Unterschiede, die sich jedoch einem klaren Muster entziehen. Während nebenberufliche Minijobber häufiger in tarifgebundenen Betrieben angestellt sind als ausschließliche Minijobber, zeigt sich hinsichtlich der betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten ein gegensätzliches Bild: 23,7% der ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind in einem Betrieb mit Betriebs- oder Personalrat angestellt, unter den nebenberuflichen Minijobbern sind es lediglich 20,2%. Erheblich Unterschiede werden zudem im Vergleich verschiedener Branchen sichtbar. Die Analyse konzentriert sich hierbei auf jene fünf Branchen mit den höchsten Anteilen an Minijobbern. Hinsichtlich der Tarifbindung zeigt sich, dass der Handel, das Gesundheits- und Sozialwesen sowie der Bereich sonstige Dienstleistungen überdurchschnittlich hohe Anteile tarifgebundener Betriebe aufweisen, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Anteile dennoch unter dem Durchschnitt aller Branchen und Arbeitnehmer in Deutschland liegen. Der Bereich sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen hingegen weist eine, wenn auch vergleichsweise geringe, unterdurchschnittliche Tarifdeckung auf. Am auffälligsten ist jedoch die negative Sonderrolle des Gastgewerbes. Lediglich 17,1% der hier beschäftigten Minijobber geben an, dass ihr Betrieb einer Tarifbindung unterliegt. Damit weist die „minijobaffinste“ Branche eine äußerst unterdurchschnittliche Verbreitung tarifvertraglicher Regelungen auf. Ein in der Tendenz ähnliches Bild wird auch bei Betrachtung der Verbreitung kollektiver Mitbestimmungsorgane sichtbar. Auch hier liegen der Handel und das Gesundheits- und Sozialwesen mit 36,8% bzw. 33% über dem Gesamtdurchschnitt von 22,6%, und auch im Bereich sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen liegt der Anteil mit 23,8% der hier Beschäftigten etwas über dem Durschnitt. Der Bereich sonstige Dienstleistungen weist hingegen, anders als bei der Tarifbindung, mit 15,2% der hier Beschäftigten eine nur unterdurchschnittliche Verbreitung von Betriebs- und Personalräten auf. Negatives Schlusslicht ist auch mit Blick auf die betrieblichen Mitbestimmungsmöglichkeiten das Gastgewerbe – mit 9,8% gibt weniger als jeder zehnte hier beschäftigte Minijobber an, in einem Betrieb mit Betriebsrat zu arbeiten.
240
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Tabelle 14: Tarifbindung und Verbreitung von Betriebs-/Personalräten in den Betrieben der Minijobber (nach ausgewählten Merkmalen, Angaben in Prozent) Tarifbindung
Betriebs-/Personalrat
29,7
22,6
Geringfügig entlohnte Beschäftigung
29,5
21,9
Kurzfristige Beschäftigung
35,2
28,4
Gesamt Minijobart
Ausschließlicher/nebenberuflicher Minijob Ausschließlicher Minijob
29,1
23,7
Minijob im Nebenjob
31,0
20,2
Branche (Top 5 Beschäftigungsintensität) Gastgewerbe
17,1
9,8
Handel
38,5
36,8
Gesundheits- und Sozialwesen
38,3
33,0
Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen
28,8
23,8
Sonstige Dienstleistungen
37,9
15,2
Betriebsgröße Weniger als 5 Beschäftigte
14,3
///
5 bis unter 10 Beschäftigte
20,5
6,8
10 bis unter 20 Beschäftigte
25,0
15,9
20 bis unter 50 Beschäftigte
35,8
22,6
50 bis unter 100 Beschäftigte
30,4
33,9
100 bis unter 200 Beschäftigte
55,8
51,2
200 bis unter 500 Beschäftigte
51,2
58,1
500 Beschäftigte und mehr
63,3
75,5
Keine Tarifbindung
///
6,1
Tarifbindung
///
50,4
Nein
16,6
///
Ja
66,3
///
Tarifbindung
Betriebs-/Personalrat vorhanden
Eigene Berechnung und Darstellung; n=881
6.2 Objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
241
Auch hinsichtlich der Betriebsgröße zeigen sich deutliche Zusammenhänge sowohl zur Tarifdeckung der Betriebe als auch zur Verbreitung kollektiver Interessenvertretungsorgane der Arbeitnehmer. Wenngleich die Befunde keine vollständig linearen Zusammenhänge aufzeigen, gilt in der Tendenz, dass die Verbreitung tarifgebundener Betriebe positiv mit der Betriebsgröße korreliert – gleiches gilt für die Verbreitung von Betriebs- und Personalräten. Während etwa lediglich 14,3% der Minijobber in Betrieben mit weniger als 5 Beschäftigten von einer Tarifbindung berichten, sind es bei Beschäftigten in Betrieben mit 100 bis unter 200 Beschäftigten fast 56%, in Betrieben mit 500 Beschäftigten und mehr gar 63,3%. Gleiches gilt für die Verbreitung kollektiver Interessenvertretungsorgane der Arbeitnehmer. Lediglich 6,8% der Minijobber in Betrieben mit 5 bis unter 10 Beschäftigten berichten von der Existenz eines Betriebs- oder Personalrates, wohingegen dieser Anteil bei Beschäftigten in Betrieben mit 500 Beschäftigten und mehr bei über 75% liegt. Die Befunde bestätigen bisherige sozialwissenschaftliche Forschungen zum Zusammenhang zwischen der Betriebsgröße und der Verbreitung tarifgebundener Betriebe sowie jenen mit Mitbestimmungsorganen (vgl. Ellguth/Kohaut 2017). Zu guter Letzt bestätigt sich ebenso der starke Zusammenhang zwischen der Tarifbindung von Betrieben und der Verbreitung von betrieblichen Mitbestimmungsorganen. Mehr als die Hälfte der Minijobber, die in einem tarifgebundenen Betrieb beschäftigt sind, berichten ebenso von der Existenz eines Betriebs- oder Personalrates, wohingegen dieser Anteil bei Minijobbern in nicht-tarifgebundenen Betrieben mit 6,1% verschwindend gering ist. Ähnlich starke Zusammenhänge finden sich auch unter jenen Minijobbern, die in Betrieben mit Betriebs- oder Personalrat angestellt sind und deutlich häufiger ebenso einer Tarifbindung unterliegen. Deutlich werden die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen der überbetrieblichen und betrieblichen Regulierung von Arbeit, die sich auch im Feld der geringfügigen Beschäftigung manifestiert. Zu guter Letzt wurden die Minijobber im Rahmen der empirischen Erhebung auch nach einer Gewerkschaftsmitgliedschaft gefragt. Die Befunde ergänzen die obigen Ausführungen zur Verbreitung von tarifgebundenen Betrieben und jenen mit Mitbestimmungsmöglichkeiten insofern, als dass sich auch hinsichtlich der Gewerkschaftsmitgliedschaft nur unterdurchschnittliche Werte zeigen. Gerade einmal 6% der Minijobber geben an, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Mit 94% ist die überwiegende Mehrheit nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Trotz insgesamt sinkender Mitgliederzahlen von Gewerkschaften (vgl. Ebbinghaus/Göbel 2014) fällt damit der Organisationsgrad unter Minijobbern deutlich niedriger aus als im gesamten Bundesdurchschnitt. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln waren im Jahr 2014 15% aller Arbeitnehmer in Deutschland Mitglied in einer Gewerkschaft (vgl. Dieke/Lesch 2016). Von jenen Minijobbern, die von einer Gewerkschaftsmitgliedschaft be-
242
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
richten, sind die meisten bei Ver.di (44,1%), der IG Metall (22%) sowie der IG BCE (10,2%) organisiert. Andere Einzelgewerkschaften nehmen dahingegen lediglich eine marginale Rolle ein. Bivariate Analysen zeigen darüber hinaus, dass Männer mit 9% häufiger Mitglied in einer Gewerkschaft sind als Frauen (4,2%). Zudem korreliert eine Gewerkschaftsmitgliedschaft positiv mit dem Alter der Minijobber: während lediglich 3,7% der Minijobber im Alter zwischen 20 und unter 30 Jahren Mitglied in einer Gewerkschaft sind, liegt der Anteil bei den über 60-Jährigen mit 8,7% deutlich höher. Folglich sind insbesondere Rentner mit 9,3% überdurchschnittlich häufig Mitglied in einer Gewerkschaft. Dieser Befund ist insofern bedeutsam, als dass angenommen werden kann, dass bei einem Teil der Rentner die Gewerkschaftsmitgliedschaft nicht im direkten Zusammenhang mit dem Minijob steht, sondern vielmehr ein „Relikt“ der vorherigen Erwerbstätigkeit in der Haupterwerbsphase darstellt. Auffällig ist zudem die geringe Verbreitung einer Gewerkschaftsmitgliedschaft unter Schülern (0%), Studierenden (3%) und Hausfrauen/-männer (2,8%). Die Gründe für die nur geringe Verbreitung einer Gewerkschaftsmitgliedschaft unter Minijobbern dürften vielfältig sein. Zum einen stehen die Befunde in direktem Zusammenhang mit den präsentierten Erkenntnissen zur Verbreitung von tarifgebundenen Betrieben und jenen mit kollektiven Mitbestimmungsorganen der Arbeitnehmer. So erscheint es plausibel, dass die geringe Verbreitung von Gewerkschaftsmitgliedschaften auch darauf zurückzuführen ist, dass ein großer Teil der Minijobber im betrieblichen Kontext kaum Berührungspunkte mit Gewerkschaften und Betriebs- oder Personalräten hat. Dies wirft auch Fragen nach den Organisierungspotentialen der Gewerkschaften auf, denn anscheinend gelingt es ihnen nur unzureichend, Minijobber zu organisieren. Dies dürfte angesichts der hohen Heterogenität der Beschäftigten durchaus ein schwieriges Unterfangen sein. Gleichzeitig zeichnet sich hier Handlungsbedarf für die Arbeitnehmervertreter ab – dies gilt umso mehr, als dass Gewerkschaften Minijobs in regelmäßigen Abständen stark kritisieren und für Reformen dieser Erwerbsform plädieren, sie jedoch, darauf deuten die Befunde hin, bislang einen nur unzureichenden Zugang zu dieser Erwerbsgruppe herzustellen vermochten. Dies gilt, wie weiter oben in dieser Arbeit beschrieben, generell für die Gruppe der atypisch Beschäftigten, wobei die hiesigen Befunde unterstreichen, dass insbesondere geringfügig Beschäftigte nur marginal gewerkschaftlich organisiert sind. Gleichwohl muss auch bedacht werden, dass Teile der Minijobber vermutlich über ein nur geringes Interesse einer Gewerkschaftsmitgliedschaft verfügen – zum einen, da häufig die Erwerbstätigkeit lediglich einen geringen Teil der individuellen Zeitpotentiale einnimmt und ihr unter Umständen eine eher untergeordnete Bedeutung beigemessen wird, zum anderen, da für Teile der Minijobber die geringfügige Beschäftigung lediglich eine temporäre Erwerbspartizipation darstellt, was eine gewerkschaftliche Organisierung erschwert.
6.3 Zwischenfazit
243
In der Gesamtschau deuten die empirischen Befunde auf eine nur unterdurchschnittliche Regulierung der geringfügigen Beschäftigung hin – dies gilt sowohl für die überbetriebliche als auch die betriebliche Ebene. Diese Befunde offenbaren ein nicht unerhebliches Problemfeld dieser Erwerbsform. Die obigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass sich etwa überbetriebliche und betriebliche Regulierungen positiv auf die Gewährung von Arbeitnehmerrechten auswirken, etwa im Hinblick auf die Einhaltung von Mindestlohnstandards sowie der Gewährung bezahlten Urlaubs und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall. Die weit verbreiteten Rechtsverstöße im Bereich der geringfügigen Beschäftigung sind daher vermutlich auch darauf zurückzuführen, dass ein großer Teil der Minijobber in nicht-tarifgebundenen Betrieben und solchen ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten beschäftigt ist. Keinesfalls rechtfertigt dies die Verstöße eines nicht unerheblichen Teils der Arbeitgeber. Es zeigt aber, dass die unterdurchschnittliche überbetriebliche und betriebliche Regulierung dieser Erwerbsform diese Problematiken tendenziell verstärkt, ganz gemäß des Ausspruches „wo kein Kläger, da kein Richter“. 6.3 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurden die empirischen Befunde zu der soziodemografischen Zusammensetzung geringfügig Beschäftigter, ihrer Familien- und Haushaltskontexte sowie den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen präsentiert. Hinsichtlich der soziodemografischen Merkmale der Minijobber bestätigen die empirischen Befunde einen großen Teil der Forschungsliteratur. Unter geringfügig Beschäftigten finden sich demnach mehr Frauen als Männer und die Altersverteilung von Minijobbern ist breit gestreut, wobei sich relativ hohe Anteile vergleichsweise jüngerer Personen als auch älterer Personen über 60 Jahren finden. Das Qualifikationsniveau ist insgesamt heterogen. Es bestätigt sich, dass unter Minijobbern die Anteile von Personen ohne Berufsabschluss überproportional hoch sind, wenngleich eingeschränkt werden muss, dass dies auch darauf zurückzuführen ist, dass ein Teil der Minijobber noch über keinen beruflichen Abschluss verfügt, was insbesondere auf Schüler und Studierende zutrifft. Ebenso bestätigen die empirischen Befunde, dass unter Minijobbern eine relativ hohe Konzentration bestimmter Statusgruppen vorzufinden ist. Hierbei stechen Studierende, Rentner/Pensionäre sowie Hausfrauen/-männer hervor – mit 48,5% machen sie fast die Hälfte aller geringfügig Beschäftigten aus. Die Befunde bestätigen die weiter oben in dieser Arbeit dargelegte Argumentation, wonach die institutionellen Rahmenbedingungen geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse spezielle steuer- und sozialversicherungsrechtliche Anreize für bestimmte Personengruppen setzen.
244
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
Dies bestätigt sich in der Tendenz auch mit Blick auf die Familien- und Haushaltskontexte geringfügig Beschäftigter. Rund die Hälfte von ihnen ist verheiratet oder lebt in einer eheähnlichen Gemeinschaft, wohingegen die andere Hälfte zumeist ledig und seltener geschieden, getrennt lebend oder verwitwet ist. Minijobber leben zu überwiegenden Teilen in Mehrpersonenhaushalten, wobei rund ein Fünftel mit Kindern unter 16 Jahren in einem gemeinsamen Haushalt lebt. 56% der Minijobber geben an, dass es mehr als eine erwerbstätige Person im Haushalt gibt. In Haushalten mit lediglich einer erwerbstätigen Person finden sich hohe Anteile an Rentnern bzw. Pensionären. Bei den monatlichen Haushaltsnettoeinkommen zeigt sich eine Konzentration in mittleren Einkommensklassen. Die Befunde zeigen zudem, dass die aus dem Minijob erzielten Einkommen häufig durch weitere Einkommen oder Einnahmen ergänzt werden. Im Zentrum der Analyse stand daher auch die Frage, in welchem Maße die Einkommen aus dem Minijob im Familien- und Haushaltskontext kompensiert werden. Die empirischen Befunde lieferten hierbei Hinweise darauf, dass bei der deutlichen Mehrheit der geringfügig Beschäftigten das im Rahmen des Minijobs verdiente Geld eine Ergänzung des Haushaltseinkommens darstellt. Hierfür spricht auch, dass lediglich 3,5% der Minijobber auf ein Haushaltsnettoeinkommen von unter 500 Euro zurückgreifen können. Die Analyse offenbarte, dass hierbei drei zentrale monetäre Kompensationsmodi von Bedeutung sind: (1) weitere Einkommen anderer Familien- und/oder Haushaltsmitglieder, (2) sozialstaatliche Leistungen, wobei hier insbesondere Renten- und Kindergeldzahlungen, Arbeitslosengeld sowie BAföG von Bedeutung sind sowie (3) zusätzliche Erwerbseinkommen nebenberuflicher Minijobber (zumeist im Rahmen von Teiloder Vollzeitbeschäftigungen), welche gut ein Drittel aller geringfügig Beschäftigten ausmachen. Die empirischen Befunde bestätigen damit zu einem großen Teil die Ergebnisse bisheriger Forschungsarbeiten, wonach Minijobs häufig durch andere Einkommen und Einnahmequellen ergänzt werden und nur für eine Minderheit die alleinige Einkommensquelle darstellen. Auch hinsichtlich der grundlegenden Charakteristika der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse konnten die präsentierten Befunde bisherige Forschungserkenntnisse bestätigen. Bei Minijobs handelt es sich zu einem großen Teil um geringfügig entlohnte Beschäftigung, also sogenannte 450-Euro-Jobs, und in weitaus geringerem Maße um kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse. Rund ein Drittel der geringfügig Beschäftigten übt neben dem Minijob noch eine weitere Hauptbeschäftigung aus, wobei die große Mehrheit einer Teil- oder Vollzeitbeschäftigung nachgeht. Minijobs werden überwiegend gewerblich und deutlich seltener in Privathaushalten ausgeübt. Deutlich wurde zudem, dass die Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen im Rahmen des Minijobs weiterhin die Ausnahme darstellt – lediglich 31% der Befragungspersonen zahlen Rentenversicherungsbeiträge. Tiefergehende Analysen zeigen, dass dies auch auf jene Minijobber zutrifft, die ihren
6.3 Zwischenfazit
245
Minijob erst nach Januar 2013 aufgenommen haben und daher unter die neugeregelte „Opt-Out-Variante“ fallen. Die politischen Ziele, mithilfe einer Umkehr der Rentenversicherungspflicht (Opt-Out anstelle von Opt-In) die Zahl der Minijobber, die Rentenversicherungsbeiträge zahlen, zu erhöhen, muss daher als weitestgehend gescheitert beurteilt werden. Anscheinend überwiegen für eine Mehrheit der Minijobber die Nachteile die Vorteile, wobei insbesondere eine unattraktivere BruttoNetto-Relation des Minijob-Einkommens sowie nur geringe Rentenanwartschaften eine zentrale Rolle spielen dürften. Hinsichtlich der Dauer der Beschäftigungsverhältnisse zeigen die empirischen Befunde eine hohe Heterogenität unter den Minijobbern. Während rund 40% von ihnen seit weniger als einem Jahr im aktuellen Minijob beschäftigt sind, finden sich mit mehr als 30% auch recht hohe Anteile von Beschäftigten, die seit mehr als drei Jahren im aktuellen Minijob arbeiten. Wenngleich diese Befunde keine Auskünfte über die Netto-Gesamtbeschäftigungsdauer im Minijob zulassen, deuten sie auf eine gewisse Polarisierung hin, die sich auch in anderen wissenschaftlichen Studien bereits abgezeichnet hat: während für einen nicht geringen Teil der Minijobber diese Erwerbsform lediglich eine temporäre Erwerbsmöglichkeit darstellt, ist sie für andere genuiner Bestandteil der Erwerbsbiografie. Minijobs sind für die Mehrheit der Beschäftigten daher nicht per se eine berufliche „Sackgasse“ (im Sinne einer Dauerbeschäftigung in dieser Erwerbsform), gleichzeitig aber ebenso wenig ausschließlich eine temporäre Erwerbsmöglichkeit. Eine hohe Heterogenität haben auch die empirischen Befunde zu der Erwerbssituation vor der Aufnahme des aktuellen Minijobs offenbart. Hier ist kaum ein eindeutiges Muster unter den geringfügig Beschäftigten zu erkennen. So finden sich sowohl Personen, die zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, als auch solche, die zuvor nicht erwerbstätig oder arbeitslos waren. Auffällig sind hierbei die Unterschiede zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern: während letztere zu einem Großteil zuvor bereits sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, liegen bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten die Anteile an Personen, die zuvor nicht erwerbstätig oder arbeitslos waren, deutlich höher. Ein Wechsel von einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in einen ausschließlichen Minijob stellt insgesamt eher die Ausnahme dar. Mit Blick auf die arbeitsvertraglichen Regelungen geringfügig Beschäftigter zeigen die empirischen Befunde, dass die Mehrheit von ihnen über einen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügt, wenngleich ebenso ein nicht geringer Anteil lediglich von einer mündlichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber berichtet. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere in Privathaushalten deutlich häufiger mündliche Vereinbarungen geschlossen werden, sich eine Tarifbindung des Betriebes positiv auf eine Niederschrift der Arbeits- und Beschäftigungskonditionen auswirkt und mündliche Vereinbarungen vor allem in kleineren Betrieben häufiger vorkommen. Zudem konnte gezeigt werden, dass mehr als 22% der Minijobber und damit mehr
246
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
als der Durchschnitt aller Arbeitnehmer in Deutschland befristet angestellt sind. Besonders häufig betroffen sind hierbei kurzfristig Beschäftigte. Auffällig ist zudem, dass, entgegen den Befunden zur Verbreitung von schriftlichen Arbeitsverträgen, Befristungen in Groß- und tarifgebundenen Betrieben deutlich häufiger vorkommen als in kleineren und nicht-tarifgebundenen Betrieben. Die empirischen Befunde zur Entlohnung von geringfügig Beschäftigten haben vor allem im Hinblick auf die Stundenlöhne einige bemerkenswerte Aspekte geliefert. Zuvorderst zeigt die Gesamtverteilung der Stundenlöhne, dass es sich bei Minijobs mehrheitlich um Niedriglohnbeschäftigung handelt. Die insgesamt niedrigen Monatseinkommen sind daher nicht ausschließlich auf geringe Arbeitsumfänge zurückzuführen, sondern primär auf einen überproportional hohen Anteil an Niedriglohnbeschäftigten. Rund 80% der Minijobber erhalten lediglich einen Niedriglohn, d.h. einen Stundenlohn, der unter zwei Dritteln des mittleren Verdienstes (Median) aller Arbeitnehmer liegt. Darüber hinaus konnten ebenfalls Verletzungen des Gesetzlichen Mindestlohns nachgewiesen werden. Fast 12% aller Minijobber wird der Mindestlohn vorenthalten. Die Analysen liefern hierbei Hinweise, dass diese Nicht-Gewährung nur in einer Minderheit der Fälle auf Ausnahmeregelungen, etwa für Beschäftigte im primären Sektor oder Langzeitarbeitslose für einen Zeitraum von sechs Monaten nach Neueinstellung, zurückgeführt werden kann. Die Befunde ergänzen daher andere Forschungserkenntnisse, die auf eine nicht unerhebliche Mindestlohnverletzung unter geringfügig Beschäftigten hindeuten. Gleichzeitig zeigten tiefergehende Analysen bemerkenswerte Unterschiede in der Entlohnung zwischen verschiedenen Gruppen von geringfügig Beschäftigten. Besonders niedrige Entlohnungsniveaus weisen im Speziellen jüngere Beschäftigte, Personen ohne akademischen Abschluss sowie arbeitslos gemeldete Minijobber auf. Zu guter Letzt lieferten die Analysen Hinweise darauf, dass Entlohnungsniveaus unter der Mindestlohngrenze insbesondere bei kurzfristig Beschäftigten vorkommen. Zwar kann ein Teil dieser Befunde auf die oben angesprochenen Ausnahmeregelungen für den primären Sektor, in dem vergleichsweise viele kurzfristig Beschäftigte angestellt sind, zurückgeführt werden, ohne dass sich die Befunde alleinig hierdurch erklären ließen. Deutlich wurde zudem die häufigere Verletzung des Mindestlohns in Privathaushalten sowie in privatwirtschaftlichen Betrieben, die nicht-tarifgebunden sind und in denen keine kollektiven Interessenvertretungsorgane der Arbeitnehmer vorhanden sind. Dies deutet auf eine positive Informations- und Kontrollfunktion überbetrieblicher und betrieblicher Regulierungsformen geringfügiger Beschäftigung hin. Deutlich weniger problematisch zeigen sich indes die empirischen Befunde zur Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten und -einsätze geringfügig Beschäftigter. Zunächst wurde gezeigt, dass die Mehrheit der Minijobber relativ geringe Wochenarbeitsstunden leistet. Folglich arbeiten Minijobber mehrheitlich lediglich an ein oder zwei Tagen pro Woche. Wenngleich sich auch bezüglich
6.3 Zwischenfazit
247
der Arbeitszeiten abzeichnet, dass Minijobs häufig informeller als sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse gehandhabt werden, liefern die empirischen Befunde keine Hinweise auf eine systematische Benachteiligung geringfügig Beschäftigter. Die zum Teil geäußerte Vermutung, wonach Minijobber insbesondere für unattraktive Randlagen eingesetzt werden, bestätigt sich in der Untersuchung weder für die Nacht- noch die Wochenendarbeit. Diese positive Tendenz bestätigen auch die Befunde zur Organisation der Arbeitseinsätze, die mehrheitlich dialogisch mit dem Arbeitgeber abgesprochen werden, für ein Viertel sogar frei wählbar sind. Insgesamt belegen die empirischen Befunde daher, dass sich hinsichtlich der Dauer, Lage und Organisation der Arbeitszeiten und -einsätze keine systematische Schlechterstellung von Minijobbern nachweisen lässt. Zu guter Letzt wurden bezüglich der Arbeitszeiten auch die Arbeitszeitwünsche der Minijobber betrachtet – insbesondere, da dieser Erwerbsform häufig eine Diskrepanz zwischen gewünschten und realisierbaren Arbeitszeiten attestiert wird. Diese Vermutung lässt sich auf Basis der empirischen Befunde in dieser Pauschalität nicht bestätigen. 62,5% der Minijobber wünschen keine Veränderung der Arbeitszeit, weitere 8% möchten sogar weniger als bislang arbeiten. Etwas mehr als 29% der Befragungspersonen geben hingegen an, im Rahmen des Minijobs gerne mehr Stunden als bislang arbeiten zu wollen. Dies trifft in der Tendenz vor allem auf arbeitslos gemeldete Minijobber, jenen in Privathaushalten sowie Hausfrauen/-männer zu. Dahingegen haben die Befunde zur Gewährung von Arbeitnehmerrechten unter Minijobbern deutlich kritischere Ergebnisse geliefert. Die empirischen Befunde bestätigen bisherige Forschungserkenntnisse, wonach Arbeitsrechtsverletzungen unter geringfügig Beschäftigten weit verbreitet sind. 55% der Minijobber bekommen keinen bezahlten Urlaub gewährt, weitere 53% erhalten im Krankheitsfall keine Lohnfortzahlung. Tiefergehende Analysen zeigen, dass vor allem kurzfristig Beschäftigte von der Vorenthaltung von Arbeitnehmerrechten betroffen sind. Auch unter Minijobbern, die in Privathaushalten angestellt sind, zeigt sich eine deutlich größere Verbreitung dieser Rechtsbrüche. Dies gilt ebenso für Minijobber, die über keinen schriftlichen Arbeitsvertrag verfügen. Zu guter Letzt zeigen die empirischen Befunde eklatante Unterschiede hinsichtlich der überbetrieblichen und betrieblichen Regulierung der Arbeitsverhältnisse einerseits und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten andererseits. Rund zwei Drittel der Minijobber, die in tarifgebundenen Betrieben arbeiten, bekommen sowohl bezahlten Urlaub als auch eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gewährt – bei Beschäftigten in Betrieben ohne Tarifvertrag liegen die Anteile deutlich niedriger. Ähnliche Tendenzen manifestieren sich auch hinsichtlich der Existenz betrieblicher Mitbestimmungsorgane, welche sich ebenfalls positiv auf die Gewährung der genannten Arbeitnehmerrechte auswirkt. Dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit zum einen darauf zurückzuführen, dass Beschäftigungsver-
248
6 Empirische Befunde zur objektiven Arbeits- und Beschäftigungssituation
hältnisse hier häufig formaler ausgestaltet sind und die Einhaltung vertraglich und arbeitsrechtlich festgeschriebener Zusagen stärker (oder überhaupt) kontrolliert wird. Zum anderen dürften auch bessere Informationsmöglichkeiten im betrieblichen Kontext eine wesentliche Rolle spielen, da bisherige Forschungserkenntnisse auf einen positiven Zusammenhang zwischen der Kenntnis und der Gewährung von Arbeitnehmerrechten hinweisen (vgl. Stegmaier et al. 2015). Hinsichtlich der Branchenverteilung der befragten Minijobber zeigt sich eine deutliche Konzentration geringfügiger Beschäftigung im Dienstleistungssektor. Die beschäftigungsintensivsten Branchen entsprechen weitestgehend jenen, die bereits in anderen wissenschaftlichen Studien als besonders „minijobaffin“ herausgearbeitet wurden. So arbeiten Minijobber besonders häufig im Gastgewerbe, im Handel, dem Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Bereich sonstiger (wirtschaftlicher) Dienstleistungen. Die Branchenverteilung spiegelt sich folglich auch in den ausgeübten Tätigkeiten der Minijobber wider. Die Befunde bestätigen hierbei, dass es sich bei den Tätigkeiten im Minijob zumeist um „einfache“ Dienstleistungs- sowie Hilfstätigkeiten mit vergleichsweise niedrigen Anforderungsniveaus handelt. Gleichzeitig bestätigen die Befunde, dass Minijobber häufig ausbildungsinadäquat beschäftigt sind. Rund die Hälfte der Minijobber gibt an, dass die im Minijob ausgeübte Tätigkeit nichts mit der eigenen beruflichen Ausbildung zu tun hat. Wie oben beschrieben, können diese Befunde einerseits als Beleg für einen niedrigschwelligen Zugang und gute Möglichkeiten eines Quereinstiegs in Minijobs gedeutet werden. Andererseits können sie ebenso als Beleg für eine weit verbreitete ausbildungsinadäquate Beschäftigung und eine Entwertung beruflicher Abschlüsse und erlernter Berufe im Feld der geringfügigen Beschäftigung dienen. Ebenso wurde der Frage nachgegangen, wie hoch die Weiterbildungsquote geringfügig Beschäftigter ausfällt. Hier bestätigen die empirischen Befunde bisherige Forschungserkenntnisse, wonach Minijobber nur marginal an beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen partizipieren. Besonders niedrige Weiterbildungsquoten weisen ältere Minijobber, „Aufstocker“ und ausschließlich geringfügig Beschäftigte auf. Auch hier zeigt sich überdies ein positiver Einfluss von Tarifverträgen und kollektiven Mitbestimmungsorganen im betrieblichen Kontext. Diese insgesamt nur geringe Weiterbildungsquote kann sowohl durch arbeitgeberals auch arbeitnehmerseitige Aspekte erklärt werden. Zum einen dürften Teile der Minijobber eine nur geringes Interesse an beruflichen Fortbildungsmaßnahmen haben (etwa Schüler, Studierende und Rentner), gleichzeitig ist bekannt, dass Arbeitgeber insbesondere in Beschäftigte investieren, von denen sie sich einen „Return on Investment“ erhoffen. Die nur geringe Weiterbildungsquote unter geringfügig Beschäftigten ist, zumindest für Teile der Minijobber, insofern nicht unproblematisch, als dass sich dies möglicherweise negativ bei einer etwaigen Stellensuche auswirken kann und die berufliche Aufwärtsmobilität hierdurch tendenziell
6.3 Zwischenfazit
249
erschwert wird – dies ist jedoch auch abhängig von den individuellen Erwerbspräferenzen und beruflichen Zukunftsplänen. Zu guter Letzt wurden in diesem Kapitel die Verbreitung der Tarifbindung sowie die Mitbestimmungsmöglichkeiten geringfügig Beschäftigter beleuchtet – Aspekte, die bislang in der Diskussion um geringfügige Beschäftigung eher randständig behandelt wurden. Die Befunde zeigen ein relativ klares Bild. Lediglich rund 30% der Minijobber arbeiten in tarifgebundenen Betrieben, nur 23% berichten von der Existenz eines Betriebs- oder Personalrates in ihrem Betrieb. Besonders negativ sticht das Gastgewerbe hervor, welches sowohl eine unterdurchschnittliche Tarifabdeckung der Minijobber als auch eine geringe Verbreitung von Betriebsräten aufweist. Die empirischen Befunde bestätigen überdies bisherige Forschungserkenntnisse: so korreliert die Betriebsgröße positiv sowohl mit der Tarifbindung der Betriebe als auch mit der Existenz betrieblicher Mitbestimmungsorgane der Arbeitnehmer. Darüber hinaus weisen die empirischen Befunde auf eine nur unterdurchschnittliche Verbreitung von Gewerkschaftsmitgliedschaften unter Minijobbern hin – gerade einmal 6% von ihnen sind Mitglied in einer Gewerkschaft, im Vergleich zu 15% unter allen Arbeitnehmern in Deutschland. Insgesamt unterstreichen die Befunde, dass geringfügige Beschäftigungsverhältnisse tendenziell in nur schwach regulierten Bereichen des Arbeitsmarktes vorkommen – dies gilt sowohl für die überbetriebliche als auch die betriebliche Ebene.
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten: Zur subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung von Minijobs 7
Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Nachdem die soziodemografische Zusammensetzung, die Haushalts- und Familienkontexte sowie die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen geringfügig Beschäftigter ausgeleuchtet wurden, stehen im Folgenden die subjektiven Wahrnehmungen und Beurteilungen der Minijobber im Zentrum der Analyse. Die obigen Ausführungen in dieser Arbeit haben unterstrichen, dass durch die Integration der subjektiven Perspektiven der geringfügig Beschäftigten eine differenziertere und mehrdimensionale Vermessung dieser Erwerbsform und der hier geleisteten Erwerbsarbeit möglich ist. Die Hinzunahme subjektiver Einschätzungen kann somit wichtige zusätzliche Forschungserkenntnisse liefern und bislang nur wenig beachtete Aspekte dieser Erwerbsform zu Tage fördern, die auch dabei helfen können, die Diskrepanz zwischen den zum Teil unterdurchschnittlichen objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen – etwa hinsichtlich der Entlohnung oder der Gewährung gesetzlich zugesicherter Arbeitnehmerrechte – und der ungebrochen hohen Attraktivität dieser Erwerbsform zu erklären. Wie in Kapitel 3 dieser Arbeit gezeigt, hat die bisherige (sozialwissenschaftliche) Arbeits-(markt)forschung diesbezüglich zumeist auf die sozialversicherungs- und steuerrechtliche Sonderstellung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse einerseits sowie Zwänge auf Arbeitnehmerseite (etwa fehlende Beschäftigungsalternativen) andererseits fokussiert. Dahingegen spielten bislang subjektive Einschätzungen, etwa hinsichtlich der geleisteten Erwerbsarbeit oder der betrieblichen Kontexte, eine nur marginale Rolle. Die folgenden Ausführungen nehmen daher gezielt verschiedene Aspekte der subjektiven Wahrnehmung dieser Erwerbsform in den Blick, um diese Forschungslücken zu schließen. Auf Basis des unter 5.1 in dieser Arbeit vorgestellten Untersuchungskonzeptes werden vier zentrale Untersuchungsdimensionen zu den subjektiven Wahrnehmungen in den Blick genommen. Ein zentraler Fokus liegt auf der Analyse der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob (7.1). Hier werden auf Basis der oben vorgestellten theoretisch-konzeptionellen Annäherungen vier Dimensionen der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern beleuchtet. Im darauffolgenden Abschnitt stehen die Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit sowie die Funktionen, die der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 F. Beckmann, Minijobs in Deutschland, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23625-0_7
252
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Minijob subjektiv für die Beschäftigten erfüllt, im Zentrum (7.2). Neben diesen generellen subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen wird darauf aufbauend nach den Handlungsimplikationen gefragt und untersucht, welche erwerbsrelevanten Handlungsabsichten sich bei Minijobbern nachweisen lassen und wie sie ihre Handlungsoptionen auf dem Arbeitsmarkt beurteilen (7.3). Zu guter Letzt werden in der letzten subjektiven Dimension die Gegenwarts- und Zukunftssorgen der geringfügig Beschäftigten in den Blick genommen (7.4). Den Abschluss bildet die Untersuchung der subjektiven Gesamtbeurteilung, wobei hier insbesondere die Einflussfaktoren für eine positive oder negative Gesamtbeurteilung des Minijobs aus Sicht der Beschäftigten im Zentrum der Analyse stehen (7.5). 7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob Eine zentrale, bislang jedoch kaum systematisch untersuchte Dimension für eine differenzierte Diskussion geringfügiger Beschäftigung, ist die Arbeitsqualität, wie sie von den Beschäftigten selbst wahrgenommen wird. Die theoretisch-konzeptionellen Vorüberlegungen im vierten Kapitel dieser Arbeit haben unterstrichen, dass für eine Untersuchung der Arbeitsqualität erstens eine subjektive Perspektive am gewinnbringendsten ist, zweitens ein multidimensionaler Ansatz, der viele verschiedene Aspekte von Erwerbsarbeit umfasst, gewählt werden sollte und drittens Arbeitsqualität als evaluativ-relationales Konstrukt verstanden und der Fokus daher auf die Bedeutungszuschreibungen einzelner Facetten von Erwerbsarbeit, ihrer Erfüllung sowie der Differenz von Soll- und Ist-Zustand gelegt werden sollte. Wie oben beschrieben, wird die subjektive Arbeitsqualität von Minijobs in dieser Arbeit anhand vier zentraler Dimensionen untersucht: der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, in welcher die Entlohnung, die Arbeitsplatzsicherheit sowie die Aufstiegschancen beleuchtet werden; der intrinsischen Dimension, welche aufgaben- und tätigkeitsbezogene Aspekte umfasst; der sozialen Dimension, in welcher die sozialen Aspekte der Erwerbsarbeit im Zentrum stehen sowie der salutogenen Dimension, in welcher die gesundheitsbezogenen Aspekte von Erwerbsarbeit Gegenstand der Untersuchung sind. Im Folgenden werden die empirischen Befunde zu der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobs präsentiert. Die Analyse erfolgt in einem dreiteiligen Vorgehen: zunächst wird für die einzelnen Facetten der jeweiligen Dimension ausgeleuchtet, welche Bedeutung die Minijobber ihnen zuschreiben und welche Unterschiede sich zwischen verschiedenen Beschäftigten- und/oder soziodemografischen Gruppen beobachten lassen. Darauf aufbauend wird die Erfüllung dieser Facetten in den Blick genommen, d.h. die Frage beleuchtet, in welchem Maße der Minijob die Erfüllung der als wünschenswert erachteten Facetten ermöglicht. Auch hier werden Unter-
253
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
schiede zwischen verschiedenen Personengruppen in den Blick genommen. Im dritten Analyseschritt werden die Bedeutungszuschreibung und die Erfüllung im Rahmen des Minijobs zusammengefasst. Zunächst wird hier für jede Facette der jeweiligen Dimension die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand beleuchtet. Danach wird auf Basis von Mismatch-Indizes (vgl. 5.4 in dieser Arbeit) analysiert, wie weit verbreitet etwaige Matches oder Mismatches hinsichtlich der jeweiligen Facetten sind, wie stark die Mismatches ausfallen und welche Personengruppen im Besonderen von einer hohen Diskrepanz zwischen der gewünschten und der erlebten Arbeitssituation berichten. 7.1.1 Sicherheits- und Entwicklungsdimension Die erste Untersuchungsdimension der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob ist die Sicherheits- und Entwicklungsdimension. Diese Dimension setzt sich aus vier Facetten zusammen. Diese sind „ein gutes Einkommen“, „ein leistungsgerechtes Einkommen“, „ein sicherer Arbeitsplatz“ sowie „gute Aufstiegschancen“. Abbildung 14 gibt zunächst einen Überblick über die Bedeutungszuschreibung jeder dieser Facetten unter den befragten Minijobbern. Abbildung 14: Bedeutung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Angaben in Prozent) Gutes Einkommen 2 4
Leistungsgerechtes Einkommen 2 3
13
Sicherer Arbeitsplatz 2 4
13
Gute Aufstiegschancen
Sehr unwichtig
9
36
41
17
41
41
48
34
Eher unwichtig
26
32
20
Teils/ teils
Eigene Berechnung und Darstellung, n=998-1.002
Eher wichtig
Sehr wichtig
14
254
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Bereits auf den ersten Blick fallen Unterschiede in der Bedeutungszuschreibung der einzelnen Facetten dieser Dimension ins Auge. Rund 77% der befragten Minijobber erachten ein gutes Einkommen als eher oder sehr wichtig, wohingegen immerhin 17% „teils/teils“ angeben. Für lediglich rund sechs Prozent der Minijobber ist ein gutes Einkommen in der Erwerbsarbeit eher oder sehr unwichtig. Als noch bedeutsamer beurteilen die Befragten die Leistungsgerechtigkeit des eigenen Einkommens. Fast 82% von ihnen erachten diesen Aspekt als eher oder sehr wichtig, wohingegen nur fünf Prozent angeben, die Leistungsgerechtigkeit des eigenen Einkommens sei eher oder sehr unwichtig. Damit wird der Leistungsgerechtigkeit des Einkommens eine höhere Bedeutung beigemessen als der Höhe des Einkommens. Von ebenso großer Bedeutung ist zudem die Arbeitsplatzsicherheit – ebenfalls rund 82% erachten dies als eher oder sehr wichtig, wohingegen die Anteile von Personen, die diesem Aspekt eine nur geringe Bedeutung beimessen, ebenfalls sehr gering sind. Während die drei erstgenannten Facetten daher ein insgesamt ähnliches Bild aufweisen, zeigen sich mit Blick auf die Bedeutung guter Aufstiegschancen große Unterschiede. Lediglich rund 40% der Minijobber erachten dies als eher oder sehr wichtig, für 32% ist es weder besonders wichtig noch unwichtig und immerhin rund 29% erachten gute Aufstiegschancen für ihre berufliche Arbeit als eher oder sehr unwichtig. Deutlich wird daher, dass den monetären Aspekten sowie der Arbeitsplatzsicherheit eine insgesamt hohe Bedeutung beigemessen wird, wohingegen den individuellen Entwicklungsperspektiven im Sinne eines beruflichen Aufstiegs eine tendenziell untergeordnete Bedeutung von Minijobbern zugeschrieben wird. Mit Blick auf verschiedene soziodemografische Gruppen zeigen sich hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension zum Teil Unterschiede. Kaum nennenswerte Unterschiede weisen Männer und Frauen im Minijob auf. Einzig hinsichtlich der Bedeutung eines sicheren Arbeitsplatzes finden sich bei weiblichen Minijobbern deutlich höhere Anteile an Personen, die dies als eher oder sehr wichtig erachten (84,9% vs. 76,4% bei männlichen Minijobbern). Ebenso wenig lässt sich ein klares Muster in Abhängigkeit der verschiedenen Altersgruppen beobachten. Ein gutes Einkommen wird insbesondere von eher jüngeren Personen unter 30 sowie Personen zwischen 40 und 50 Jahren als wichtig erachtet, wohingegen Personen über 50 Jahren diesem Aspekt nur eine unterdurchschnittliche Bedeutung beimessen. In Bezug auf die Bedeutung der Leistungsgerechtigkeit des Einkommens spielt das Alter keine wesentliche Rolle und auch ein sicherer Arbeitsplatz wird altersunabhängig als wichtig erachtet – eine Ausnahme sind hier die Minijobber über 60 Jahren, die der Arbeitsplatzsicherheit eine vergleichsweise geringe Bedeutung zuschreiben. Da es sich bei einem großen Teil dieser Altersgruppe um Rentner handelt, kann angenommen werden, dass ein etwaiger Ar-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
255
beitsplatzverlust aufgrund des Renten- oder Pensionsbezugs keine so gravierenden Folgen hätte wie für Personen in der Haupterwerbsphase. Wenig überraschend zeigen sich zudem Unterschiede in der Bedeutungszuschreibung guter Aufstiegschancen in der beruflichen Arbeit: während insbesondere Personen unter 40 Jahren diesem Aspekt eine überdurchschnittliche Bedeutung beimessen, sinkt der Anteil bei älteren Personengruppen linear von 39,4% bei den 40 bis unter 50-Jährige bis auf 23,0% bei den über 60-Jährigen. Dieser Befund überrascht jedoch nur in geringem Maße, da es plausibel erscheint, dass beruflicher Aufstieg mit zunehmendem Alter an Bedeutung verliert. Spürbare Unterschiede zeigen sich zudem zwischen nicht-arbeitslos gemeldeten und arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Auffällig ist, dass die „Aufstocker“ allen Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension durchschnittlich eine geringere Bedeutung beimessen als nicht-arbeitslos gemeldete Beschäftigte. Die Unterschiede liegen zumeist um die fünf Prozentpunkte, fallen hinsichtlich der beruflichen Aufstiegschancen mit rund 11 Prozentpunkten jedoch noch einmal deutlich größer aus. Wenngleich die monetären Aspekte der Erwerbsarbeit sowie die Arbeitsplatzsicherheit auch von der überwiegenden Mehrheit arbeitslos gemeldeter Minijobber als wichtig erachtet werden, deuten die Befunde an, dass sie diesen Aspekten in der Tendenz eine geringere Bedeutung beimessen. Möglicherweise führt bei einem Teil dieser Gruppe die erlebte Arbeitslosigkeit zu einer Reduzierung der Ansprüche. Zu guter Letzt manifestieren sich hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung der einzelnen Facetten deutliche Unterschiede zwischen den ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern. Diese Unterschiede folgen über alle untersuchten Facetten hinweg einem Muster: Minijobber, die ihre geringfügige Beschäftigung zusätzlich zu einer (zumeist sozialversicherungspflichtigen) Hauptbeschäftigung ausüben, messen allen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension eine deutlich höhere Bedeutung bei als ausschließliche Minijobber. Besonders groß fallen die Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung eines guten Einkommens (85% vs. 73%) sowie guter Aufstiegschancen (49% vs. 35%) aus. Möglicherweise spielt hier die Hauptbeschäftigung der Minijobber im Nebenjob eine Rolle. Denkbar ist, dass die Erfahrungen aus der Voll- oder Teilzeitstelle bei dieser Personengruppe zu einer Erhöhung der Ansprüche führt. Zudem handelt es sich bei den nebenberuflichen Minijobbern um Personen in der Haupterwerbsphase, die, wie eben gezeigt, in der Tendenz höhere Ansprüche in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension aufweisen als Personen in der Endphase ihrer Erwerbsbiografie. Nach der Betrachtung der Bedeutungszuschreibung dieser einzelnen Facetten ist in einem nächsten Schritt deren Erfüllung im Rahmen des Minijobs von Interesse. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die Verteilung.
256
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Abbildung 15: Erfüllung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent)
Gutes Einkommen
6
Leistungsgerechtes Einkommen
6
Sicherer Arbeitsplatz
5
Gute Aufstiegschancen
Ganz und gar nicht
20
31
16
10
27
26
34
21
30
Eher nicht
18
36
38
Teils/ teils
16
Größtenteils
28
20
8
5
Voll und ganz
Eigene Berechnung und Darstellung, n=950-988137
Schon ein erster Blick auf die Verteilung offenbart vergleichsweise hohe Anteile an Personen, die angeben, dass die jeweiligen Facetten im Rahmen ihres Minijobs nicht erfüllt werden. Hinsichtlich eines guten Einkommens geben lediglich rund 43% der Minijobber an, dass dies in ihrem aktuellen Minijob erfüllt wird. Etwas mehr als ein Viertel der Befragungspersonen verneint dies eher oder voll und ganz. Fast ein weiteres Drittel ist hier unentschlossen. Etwas positiver fällt die Gesamtverteilung hinsichtlich der Leistungsgerechtigkeit des eigenen Einkommens aus. Gleichwohl ist es hier lediglich knapp mehr als die Hälfte der Minijobber, die ihr Einkommen im Minijob als leistungsgerecht empfinden. Fast 23% der Befragungspersonen empfinden hingegen das eigene Einkommen als ganz und gar oder eher leistungsungerecht. Eine in der Tendenz positivere Einschätzung zeigt sich hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit. Hier sind es mit 64% immerhin fast zwei Drittel der Minijobber, die eine hohe Arbeitsplatzsicherheit als größtenteils oder voll und ganz erfüllt sehen. Damit erweist sich die Facette 137 Die niedrigeren Fallzahlen hinsichtlich der Items, welche die Erfüllung der jeweiligen Facetten umfassen, ist dadurch zu erklären, dass die Befragten hinsichtlich der Erfüllung auch angeben konnten, dass sie dies nicht beurteilen können. Diese Fälle gehen nicht mit in die Analyse ein. Gleiches gilt für die anderen Untersuchungsdimensionen von subjektiver Arbeitsqualität.
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
257
Arbeitsplatzsicherheit als jener Aspekt der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, der am positivsten, d.h. als am stärksten erfüllt beurteilt wird. Ein konträres Bild zeigt sich mit Blick auf die Facette „gute Aufstiegschancen“. Weniger als 13% der befragten Minijobber geben an, dass ihr Minijob ihnen gute berufliche Aufstiegschancen bietet, wohingegen dies ganze 68% verneinen. Trotz der Tatsache, dass diesem Aspekt von den Minijobbern auch eine nur geringe Bedeutung beigemessen wird, fällt die Deutlichkeit dieses Befundes ins Auge. Anscheinend ist für die überwiegende Mehrheit der geringfügig Beschäftigten klar, dass ihr Minijob als Sprungbrett für einen beruflichen Aufstieg ungeeignet ist. Hinsichtlich der Erfüllung der einzelnen Facetten fallen zunächst einige Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Männer berichten häufiger als Frauen von einem guten Einkommen in ihrem Minijob, wenngleich es sich hierbei immer noch um weniger als jeden zweiten männlichen Minijobber handelt. Kaum nenenswerte Unterschiede finden sich bezüglich der Einschätzung der Erfüllung eines leistungsgerechten Einkommens sowie guter Aufstiegschancen. Dahingegen beurteilen Frauen im Minijob die Arbeitsplatzsicherheit deutlich positiver als Männer. Während mit 67% mehr als zwei Drittel der Frauen den eigenen Minijob als sicher einstuft, sind es bei den Männern lediglich 59%. Ebenso zeigen sich auch zwischen verschiedenen Altersgruppen Unterschiede, die sich jedoch einem klaren Muster entziehen. Die Erfüllung eines guten Einkommens wird insbesondere von eher jüngeren Minijobbern und jenen, die älter als 60 Jahre sind, berichtet. Die Leistungsgerechtigkeit des Einkommens wird insbesondere von Personen zwischen 40 und 60 Jahren negiert, wohingegen hier insbesondere Minijobber über 60 Jahren von einer überdurchschnittlichen Erfüllung berichten. Hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit zeigen sich keine eindeutigen Unterschiede, wohingegen gute Aufstiegschancen insbesondere von Personen im mittleren Altersspektrum berichtet werden – wenn auch auf niedrigem Gesamtniveau. Deutlichere und zum Teil eklatante Unterschiede zeigen sich mit Blick auf die Erfüllung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension zwischen nicht-arbeitslos gemeldeten und arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Letztere berichten hinsichtlich aller Einzelfacetten deutlich seltener von einer Erfüllung. Dies trifft insbesondere auf die monetären Facetten dieser Dimension zu: während rund 45% der nicht-arbeitslos gemeldeten Minijobber von einem guten Einkommen berichten, sind es unter den „Aufstockern“ gerade einmal 24%. Auch die Leistungsgerechtigkeit des Einkommens wird als unterschiedlich stark erfüllt beurteilt (53% vs. 36%). Diese Unterschiede sind mit großer Wahrscheinlichkeit auf zwei Aspekte zurückzuführen. Zum einen sind „Aufstocker“ im Minijob mit einer natürlichen Einkommensgrenze in Form des Freibetrages konfrontiert, der deutlich unter der für die übrigen Minijobber geltenden monatlichen Verdiensthöchstgrenze liegt. Zum anderen sind arbeitslos-
258
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
gemeldete Minijobber, wie unter 6.2.2 in dieser Arbeit dargelegt, in besonderem Maße von niedrigen Stundenlöhnen betroffen. Bivariate Auswertungen zeigen hierbei – und dies gilt auch, jedoch nicht ausschließlich für arbeitslos gemeldete Minijobber – einen deutlichen Zusammenhang zwischen der objektiven Entlohnung und ihrer subjektiven Beurteilung. Während Minijobber mit einem (gesetzeswidrigen) Stundenlohn von unter 8,50 Euro lediglich zu rund 25% von einem subjektiv als gut erachteten Einkommen berichten, sind es bei Beschäftigten mit mittlerem Stundenlohn (8,50 bis unter 11,50 Euro) 41%, bei Beschäftigten mit einem Stundenlohn von 11,50 und mehr sogar 65%. Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch hinsichtlich der subjektiven Einschätzung der Arbeitsplatzsicherheit. Auch hier existiert ein „objektives“ Pendant, nämlich die Frage nach einer Befristung des Arbeitsvertrages. Auch hier wirkt sich die objektive Sicherheit eines unbefristeten Arbeitsvertrages positiv auf die subjektive Wahrnehmung aus: während rund 68% der unbefristet angestellten Minijobber die Arbeitsplatzsicherheit als gut erfüllt bewerten, sind es bei befristeten Minijobbern mit rund 51% deutlich weniger. Zu guter Letzt zeigen sich auch hinsichtlich der Erfüllung der Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension Unterschiede zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern. Die Erfüllung eines guten Einkommens wird von nebenberuflichen Minijobbern (51%) spürbar häufiger angegeben als von ausschließlichen Minijobbern (39%). Gleiches gilt für die Leistungsgerechtigkeit des Einkommens (60% vs. 48%) und in abgeschwächter Form für die Erfüllung guter Aufstiegschancen (15% vs. 12%). Einzig die Arbeitsplatzsicherheit wird von nebenberuflichen Minijobbern (62%) etwas seltener als erfüllt betrachtet als dies bei ausschließlichen Minijobbern der Fall ist (65%). Zusammenfassend offenbaren die Beurteilungen zur Erfüllung der untersuchten Facetten in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension ein ernüchterndes Bild. Minijobber berichten hier am häufigsten von einer Erfüllung einer hohen Arbeitsplatzsicherheit, wohingegen die Facetten „gutes Einkommen“ und „leistungsgerechtes Einkommen“ mehrheitlich als nicht erfüllt beurteilt werden, was in besonderem Maße auch für die subjektive Beurteilung der beruflichen Aufstiegschancen gilt. In einem letzten Analyseschritt sind folglich die Diskrepanzen zwischen den als wünschenswert erachteten Soll-Zustände und den im Minijob erlebten IstZuständen von Interesse. Die nachfolgende Abbildung gibt hierzu einen Überblick, indem für jede der einzelnen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension ein Vergleich der durchschnittlichen Bedeutungszuschreibung und der durchschnittlichen Erfüllung im Rahmen des Minijobs durchgeführt wird.
259
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
Abbildung 16: Soll- und Ist-Zustand in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Mittelwertvergleich) Gutes Einkommen
Gute Aufstiegschancen
Leistungsgerechtes Einkommen
Soll-Zustand Ist-Zustand
Sicherer Arbeitsplatz
Eigene Berechnung und Darstellung; Skala von 1 (sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr wichtig/voll und ganz erfüllt); n= 950-1.002
In der Abbildung wird deutlich, dass die einzelnen Facetten in der Sicherheitsund Entwicklungsdimension eine relativ große Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand aufweisen. Bis auf die Facette „gute Aufstiegschancen“ weisen alle Facetten hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung einen Mittelwert höher vier auf, was bedeutet, dass diese Facetten durchschnittlich als eher wichtig erachtet werden. Lediglich die Bedeutung der Aufstiegschancen wird mit einem Mittelwert von 3,15 ambivalent beurteilt. Die Mittelwerte in Bezug auf die Erfüllung der einzelnen Facetten im Rahmen des Minijobs liegen dahingegen zumeist im mittleren Bereich von 3,26 (gutes Einkommen) bis 3,73 (Arbeitsplatzsicherheit). Negativ stechen mit einem Mittelwert von 2,2 – und damit einer weitgehenden durchschnittlichen Nicht-Erfüllung – die Aufstiegschancen ins Auge. Insgesamt offenbaren sich bei allen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension deutliche Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, d.h. zwischen als wünschenswert erachteten und tatsächlich erlebten Arbeitsrealitäten im Minijob. Festgehalten werden kann daher, dass hinsichtlich der monetären und erwerbsbiografischen Sicherheiten sowie der Entwicklungsperspektiven geringfügige Beschäftigungsverhältnisse in der Tendenz nicht die Erwartungen der Beschäftigten erfüllen. Auffällig ist, dass die Diskrepanz bei den Aufstiegschancen bei jener Facette am größten ausfällt, welcher von den Minijobbern eine nicht sonderlich
260
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
hohe Bedeutung beigemessen wird. Gleichzeitig fällt die Diskrepanz hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit am geringsten aus – dem Aspekt, welchem von den Minijobbern in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension die höchste Bedeutung zugeschrieben wird. Um die Diskrepanzen in dieser Untersuchungsdimension näher analysieren zu können, folgt zu guter Letzt die Betrachtung der individuellen Mismatches auf Basis eines Mismatch-Index‘ (vgl. zur Methodik Abschnitt 5.4). Wenngleich der Mittelwertvergleich für die einzelnen Facetten bereits einen generellen Überblick über die Verteilung und das Niveau der Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zustand ermöglicht, ist auf dieser Basis keine Aussage möglich, wie viele Minijobber einen Match oder Mismatch zwischen Soll- und Ist-Zustand aufweisen und wie stark etwaige Mismatches, d.h. Untererfüllungen ausfallen. Die Mismatch-Indizes ermöglichen eine genaue Betrachtung ebendieser Fragen. Die Verteilung hierzu ist in der folgenden Abbildung dargestellt. Abbildung 17: Mismatch-Indizes in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension (Angaben in Prozent)
Gutes Einkommen
47
Leistungsgerechtes Einkommen
48
Sicherer Arbeitsplatz
Gute Aufstiegschancen
24
17
27
55
41
Match/ Übererfüllung
Leichter Mismatch
Starker Mismatch
Maximaler Mismatch
14
25
26
9
3
8
3
11
19
6 2
9
5
Mittlerer Mismatch
Eigene Berechnung und Darstellung; alle Fälle einer Übererfüllung wurden der Kategorie „Match“ zugeordnet; Mismatches reichen von „leicht“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 1) bis „maximal“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 4); n= 945-986
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
261
Die Befunde der individuellen Mismatch-Indizes bestätigen auf den ersten Blick die Befunde des obigen Mittelwertvergleiches, geben jedoch wertvolle zusätzliche Informationen. Die Matches, zu denen auch Fälle einer Übererfüllung der Ansprüche gezählt werden, in den Facetten „gutes Einkommen“ und „leistungsgerechtes Einkommen“ sind auf etwa dem gleichen Niveau. 47% bzw. 48% der befragten Minijobber weisen eine Passung bzw. Übererfüllung der eigenen Erwartungen hinsichtlich dieser Facetten auf. Höher liegt der Anteil der Matches mit rund 55% bei der Arbeitsplatzsicherheit. Auffällig ist, dass trotz der insgesamt hohen Diskrepanz zwischen Bedeutung und Erfüllung guter Aufstiegschancen immerhin 41% der Minijobber einen Match aufweisen, d.h. ihre Erwartungen hier (über-)erfüllt werden. Ebenso deutlich wird, dass bei den Mismatches in allen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension leichte Formen überwiegen, d.h. die Diskrepanz zwischen Bedeutungszuschreibung und Erfüllung im aktuellen Minijob den Wert 1 beträgt138. Ebenso sind mittlere Mismatches (Diskrepanz eines Wertes von 2) relativ weit verbreitet, wohingegen starke Mismatches deutlich seltener vorkommen. Nichtsdestotrotz zeigt sich auch, dass immerhin zwischen 6% (Arbeitsplatzsicherheit) und 9% (gute Aufstiegschancen) der Minijobber einen starken Mismatch aufweisen. In diesen Fällen werden die Erwartungen in starkem Maße nicht erfüllt. Maximale Mismatches – d.h. eine größtmögliche Bedeutungszuschreibung bei kleinstmöglicher Erfüllung im Rahmen des Minijobs – kommen vergleichsweise selten vor und sind hinsichtlich der Facette „gute Aufstiegschancen“ am stärksten verbreitet. Hinsichtlich der Mismatches lässt sich daher festhalten, dass die einzelnen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension nur vergleichsweise niedrige Matches aufweisen. Lediglich hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherheit werden in mehr als der Hälfte der Fälle die Erwartungen der Minijobber (über-)erfüllt. Folglich sind auch die Mismatches bei allen Facetten weit verbreitet. Hier dominieren leichte und mittlere Mismatches, d.h. eine leichte bis mittlere Unterschreitung des als wünschenswert erachteten Zustandes im aktuellen Minijob. Gleichzeitig offenbaren sich jedoch auch Konstellationen, in denen die Erwartungen der Minijobber stark untererfüllt werden – die Anteile liegen hier bezüglich eines leistungsgerechtes Einkommens bei 8,5%, bezüglich eines guten Einkommens bei 8,6 und hinsichtlich guter Aufstiegschancen bei 9,4%. Maximale Mismatches stellen in allen Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension die absolute Ausnahme dar, kommen jedoch vor. Betrachtet man die Mismatch-Indizes detaillierter, zeigt sich, dass hinsichtlich der Facette „gutes Einkommen“ keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Minijob beobachtbar sind. Dahingegen wird deutlich, dass Frauen spürbar häu138 Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Befragte die Bedeutung als sehr wichtig einstufen (5), die Facette aber lediglich als größtenteils erfüllt (4) beurteilen.
262
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
figer einen Mismatch hinsichtlich eines leistungsgerechten Einkommens aufweisen: während die Erwartungen an ein leistungsgerechtes Einkommen bei 53% der Männer im Minijob (über-)erfüllt werden, ist dies bei lediglich rund 44% der Frauen der Fall. Dieser Befund überrascht, da weder die objektive Entlohnung noch die subjektive Beurteilung der Höhe der Entlohnung große Unterschiede zwischen den Geschlechtern aufweist. Anscheinend nehmen Frauen die eigene Bezahlung angesichts der eigenen Leistung deutlich häufiger als defizitär wahr. Eine ähnlich hohe Diskrepanz offenbart sich auch mit Blick auf die Arbeitsplatzsicherheit. Auch hier werden die Ansprüche bei Männern deutlich häufiger erfüllt als bei Frauen im Minijob. Wenngleich mehr Frauen davon berichten, dass ihnen der Minijob eine hohe Arbeitsplatzsicherheit bietet, weisen sie mehr Mismatches auf. Dies hängt auch damit zusammen, dass sie diesem Aspekt in der Erwerbsarbeit eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung beimessen, wodurch die häufigere Verbreitung von Mismatches zu erklären ist. Hinsichtlich unterschiedlicher Mismatch-Niveaus verschiedener Altersgruppen zeigt sich über alle Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension kein eindeutiges Muster. Auffällig ist jedoch, dass insbesondere ältere Minijobber über 60 Jahre in allen Facetten sehr hohe Matchings aufweisen. Dies ist, wie weiter oben deutlich wurde, nicht primär dadurch zu erklären, dass diese Personengruppe geringere Ansprüche aufweist, die folglich auch durch mittlere Erfüllungsniveaus befriedigt werden können. Denkbar ist eher, dass ältere Personen bereits vielfältige Erwerbserfahrungen gesammelt haben und hierdurch die Soll-Vorstellungen häufiger der realen Arbeitssituation entsprechen. Auch zeigen die Mismatches von gewünschter und erlebter Arbeitssituation zum Teil deutliche Unterschiede zwischen nicht-arbeitslos gemeldeten und arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Entsprechend den obigen Befunden äußern sich diese Unterschiede in einem geringeren Matching-Niveau von „Aufstockern“, die insbesondere hinsichtlich der monetären Facetten dieser Dimension offenkundig sind. Trotz der geringeren Ansprüche von „Aufstockern“ werden deren subjektive Erwartungen in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension überdurchschnittlich häufig nicht erfüllt. Im Vergleich zwischen ausschließlichen und nebenberuflichen Minijobbern zeigt sich zu guter Letzt, dass die Unterschiede mit Blick auf die monetären Facetten dieser Dimension schwach ausgeprägt sind. Bei der Arbeitsplatzsicherheit hingegen berichten ausschließliche Minijobber deutlich häufiger als nebenberufliche Minijobber von einem Match zwischen Erwartung und Erfüllung. Gleiches gilt für die Aufstiegschancen: während 44% der ausschließlichen Minijobber hier einen Match aufweisen, ist es bei den nebenberuflichen Minijobbern mit 33% nur ein Drittel. Möglicherweise spielt hier die Hauptbeschäftigung der nebenberuflichen Minijobber eine Rolle. Denkbar ist, dass etwa die Aufstiegschancen mit der sozialversicherungspflichtigen Hauptbeschäftigung abgeglichen werden und die Mismatches auch vor dieser Referenzfolie entstehen.
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
263
In der Zusammenschau zeigen die Befunde in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension der subjektiven Arbeitsqualität ein durchwachsenes Bild. Mit Ausnahme guter Aufstiegschancen wird allen Facetten dieser Dimension eine hohe Bedeutung beigemessen, wobei die Erfüllung der Facetten dieses hohe Niveau nicht einhalten kann. Dementsprechend groß ist auch die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand in den einzelnen Facetten, was sich auch auf individueller Ebene anhand der Mismatch-Indizes zeigt. Drei der vier Facetten weisen Matching-Quoten von unter 50% auf, lediglich die Arbeitsplatzsicherheit nimmt hier eine Sonderstellung ein. Es kann daher festgehalten werden, dass die Facetten „gutes Einkommen“, „leistungsgerechtes Einkommen“ sowie „gute Aufstiegschancen“ hohe Mismatch-Anteile aufweisen, d.h. hinsichtlich dieser Aspekte des Minijobs die Erwartungen der Beschäftigten häufig nicht erfüllt werden. Wenngleich sich auch starke und maximale Mismatches zeigen, überwiegen in der Gesamtschau leichte Mismatches, d.h. Fälle, in denen die reale Arbeitssituation die Erwartungen der Beschäftigten hinsichtlich der jeweiligen Aspekte dieser Dimension geringfügig unterschreitet. Nichtsdestotrotz offenbaren sich in den präsentierten Befunden zur Sicherheits- und Entwicklungsdimension die objektiven Beschäftigungsbedingungen eines großen Teils der Minijobber. Die weite Verbreitung von Niedriglöhnen, die zum Teil beobachtbare Unterschreitung des Gesetzlichen Mindestlohnes, die im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung überproportional hohen Befristungsquoten sowie die geringe Weiter- und Fortbildungsquote von Minijobbern scheinen sich in der subjektiven Einschätzung dieser erwerbsrelevanten Facetten widerzuspiegeln. Die hohen Anteile an Mismatches resultieren folglich auch aus dem Umstand, dass, wie in dieser Arbeit bereits gezeigt, die objektiven Beschäftigungsbedingungen, die mit der Sicherheits- und Entwicklungsdimension im Zusammenhang stehen, häufig problematische Aspekte aufweisen, wobei die Minijobber dennoch unverändert hohe Ansprüche an diese Facetten von Erwerbsarbeit richten. Diese hohe Bedeutungszuschreibung wird in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension in der realen Arbeits- und Beschäftigungssituation nicht selten enttäuscht und führt zu einer weit verbreiteten Untererfüllung der individuellen Ansprüche. 7.1.2 Intrinsische Dimension Die zweite Untersuchungsdimension subjektiver Arbeitsqualität im Minijob ist die intrinsische Dimension, welche die im Rahmen des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses geleisteten Aufgaben und Tätigkeiten zum Gegenstand hat. Diese Dimension setzt sich aus sechs Facetten zusammen: eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit; eine interessante Tätigkeit; selbstständiges Arbeiten; abwechslungsreiche Aufgaben; die Passung von Tätigkeiten und eigenen Fähigkei-
264
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
ten sowie die Möglichkeit zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten. Auch hinsichtlich dieser Untersuchungsdimension wird im Folgenden zunächst ein Überblick über die diesen Facetten zugeschrieben Bedeutung seitens der Minijobber gegeben (vgl. Abbildung 18). Auch hier wird auf den ersten Blick offenbar, dass einer Vielzahl dieser Facetten eine hohe Bedeutung von den Minijobbern zugeschrieben wird. Gleichwohl zeigen sich nennenswerte Unterschiede zwischen den einzelnen Facetten dieser Dimension von subjektiver Arbeitsqualität. Die geringste Bedeutung wird dem Aspekt zugeschrieben, eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit auszuüben. Für lediglich 42% ist dies in der beruflichen Arbeit wichtig. Mit 19% gibt fast ein Fünftel der Befragungspersonen an, dieser Aspekt sei eher oder sehr unwichtig, wohingegen fast 40% diesen Aspekt als weder besonders wichtig noch ganz unwichtig erachten. Abbildung 18: Bedeutung der Facetten in der intrinsischen Dimension (Angaben in Prozent) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit
5
14
39
29
13
Interessante Tätigkeit 2 3
16
43
36
Selbstständiges Arbeiten 2 4
16
41
37
Abwechslungsreiche Aufgaben 2 4
Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten 2 5
Weiterentwicklung von Fähigkeiten 2 6
Sehr unwichtig
Eher unwichtig
24
18
21
Teils/ teils
42
43
41
Eher wichtig
28
33
30
Sehr wichtig
Eigene Berechnung und Darstellung, n=1.000-1.003
Anders zeigt sich die Verteilung bei der Facette, eine interessante Tätigkeit auszuüben. Hier geben mit rund 79% fast vier von fünf Minijobbern an, dieser Aspekt sei eher oder sehr wichtig, wohingegen diesem Aspekt lediglich 5% eine geringe Bedeutung beimessen. Ein nahezu identisches Bild zeigt sich hinsichtlich der Be-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
265
deutung selbstständigen Arbeitens. Auch hier sind es fast 79%, die dies als eher oder sehr wichtig erachten, wohingegen nur eine kleine Minderheit von einer geringen Bedeutung dieses Aspektes berichtet. Auch abwechslungsreiche Aufgaben werden mit rund 70% von der überwiegenden Mehrheit der Minijobber als wichtig erachtet, wobei hier ein weiteres Viertel eine mittlere Bedeutung angibt. Ebenso von Bedeutung ist die Passung von der ausgeübten Tätigkeit und den eigenen Fähigkeiten, die von mehr als drei Viertel der geringfügig Beschäftigten als wichtig angesehen wird. Zu guter Letzt wird auch der Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten im Rahmen der eigenen Erwerbsarbeit eine große Bedeutung zugeschrieben. Insgesamt zeigen sich über alle Facetten dieser Dimension hinweg hohe Bedeutungszuschreibungen. Eine Ausnahme bildet die Nützlichkeit der eigenen Tätigkeit für die Gesellschaft, wobei insgesamt deutlich wird, dass Minijobber den intrinsischen, d.h. tätigkeits- und aufgabenbezogenen Aspekten ihrer Erwerbsarbeit eine große Bedeutung beimessen. Gerade unter Rückbezug der oben präsentierten Befunde zur Sicherheits- und Entwicklungsdimension zeigt sich, dass Minijobber mehrheitlich nicht allein den direkten monetären Aspekten der eigenen Erwerbsarbeit eine hohe Bedeutung zuschreiben, sondern auch Ansprüche an die inhaltliche Ausgestaltung der ausgeübten Tätigkeiten formulieren. Mit Blick auf verschiedene (soziodemografische) Gruppen unter den Minijobbern zeigen sich über alle Facetten der intrinsischen Dimension hinweg keine nennenswerten Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Minijob. Eine Ausnahme bildet hier die Facette „Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten“. Dieser Aspekt wird von Frauen deutlich wichtiger eingestuft als von Männern. Deutlichere Unterschiede manifestieren sich mit Blick auf verschiedene Altersgruppen, wenngleich sich hier häufig kein klares Muster zeigt. Bemerkenswert ist der Aspekt des selbstständigen Arbeitens, der mit zunehmendem Alter deutlich an Bedeutung gewinnt. Während lediglich rund 58% der unter 20-Jährigen selbstständiges Arbeiten als wichtig erachten, sind es bei den über 60-Jährigen ganze 84%. Möglicherweise gehen vertiefte Arbeitserfahrungen mit einem höheren Autonomieanspruch einher, wohingegen jüngere Beschäftigte unter Umständen auch aus Lernbedarf fremdbestimmtere Formen der Erwerbsarbeit nicht im selben Maße ablehnen wie ältere Beschäftigte. Bei allen anderen Facetten dieser Dimension entziehen sich die empirischen Befunde einem klaren „Altersmuster“, was dafür spricht, dass intrinsische, d.h. aufgaben- und tätigkeitsbezogene Aspekte der Erwerbsarbeit, altersunabhängig von großer Bedeutung sind139. 139 Mit Blick auf die hier präsentierten Befunde kann, zumindest für die Gruppe der Minijobber, auch nicht die zum Teil geäußerte These eines generellen Bedeutungszuwachses intrinsischer Motive wie Selbstständigkeit oder Lern- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten in jüngeren Alterskohorten bestätigt werden. Richtig ist, dass derartigen Facetten auch für jüngere Beschäftigte eine zentrale Bedeutung zukommt, falsch hingegen, dass dies ein exklusives Charakteristikum dieser Alterskohorten ist.
266
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Einige nennenswerte Unterschiede offenbaren sich indes mit Blick auf den höchsten Berufsabschluss der Beschäftigten. Mit Ausnahme des Aspektes „selbstständiges Arbeiten“ wird allen Facetten der intrinsischen Dimension von Personen mit akademischem Berufsabschluss die höchste Bedeutung beigemessen, wobei die Unterschiede zu Personen ohne beruflichen Abschluss und jenen mit einem mittleren beruflichen Abschluss hinsichtlich der Facetten „interessante Tätigkeit“ sowie „abwechslungsreiche Aufgaben“ am höchsten ist. Auch die Aspekte, dass die Tätigkeit den eigenen Fähigkeiten entspricht und dass man Fähigkeiten weiterentwickeln kann, wird von Personen mit akademischem Berufsabschluss spürbar wichtiger erachtet als von den Vergleichsgruppen. Anscheinend gehen höhere berufliche Qualifikationen auch mit erhöhten Ansprüchen an die tätigkeits- und aufgabenbezogene Ausgestaltung der eigenen Erwerbsarbeit einher. Darüber hinaus zeigen sich auch hinsichtlich der intrinsischen Dimension zum Teil eklatante Unterschiede in der Bedeutungszuschreibung zwischen nicht-arbeitslos und arbeitslos gemeldeten Personen. Fast ausnahmslos messen letztere den intrinsischen Aspekten in der beruflichen Arbeit eine geringere Bedeutung bei. Besonders groß fallen die Unterschiede hinsichtlich einer gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit (43% vs. 32%), einer interessanten Tätigkeit (80% vs. 69%) und den Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten (72% vs. 64%) aus. Anscheinend schrauben „Aufstocker“ auch die intrinsischen Ansprüche an Erwerbsarbeit herunter, möglicherweise nicht zuletzt deshalb, da für sie die Arbeitsmarktintegration an erster Stelle steht, intrinsische Aspekte in der Erwerbsarbeit hingegen in der Tendenz häufiger als in der Vergleichsgruppe den Charakter einer optionalen „OnTop-Leistung“ haben. Im Gesamtbild zeigt sich unter Minijobbern eine hohe Bedeutungszuschreibung tätigkeits- und aufgabenbezogener Facetten in der Erwerbsarbeit. Es stellt sich folglich die Frage, wie sie die Erfüllung dieser Aspekte im Rahmen des ausgeübten Minijobs beurteilen. Die folgende Abbildung gibt hierzu einen Überblick. Die empirischen Befunde zeigen eine breite Streuung in dem Maß der Erfüllung der intrinsischen Aspekte. Hinsichtlich einer gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit geben rund 42% der Befragungspersonen an, dies werde im Rahmen ihres Minijobs erfüllt, wohingegen ein Drittel dies ambivalent beurteilt und etwas mehr als jede vierte Befragungsperson als nicht erfüllt ansieht. Eine höhere Erfüllungsquote zeigt sich hinsichtlich einer interessanten Tätigkeit. Hier sind es immerhin 58,5% der Minijobber, die angeben, ihr Minijob biete ihnen eine interessante Tätigkeit. Rund 17% sagen, dies sei nicht der Fall. Die höchste Erfüllungsquote zeigt sich hinsichtlich des selbstständigen Arbeitens – ein Aspekt, dem von den Minijobbern eine hohe Bedeutung für die berufliche Arbeit beigemessen wird. Mit 78% geben fast vier Fünftel der Minijobber an, ihr Minijob ermögliche ihnen ein hohes Maß an Möglichkeiten zum selbstständigen Arbeiten. Deutlich reservierter fallen dahingegen die Einschätzungen zur Erfüllung abwechslungsreicher Aufga-
267
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
ben im Minijob aus – mit rund 49% gibt weniger als die Hälfte der Befragungspersonen an, ihr Minijob biete ihnen abwechslungsreiche Aufgaben. Etwas positiver fallen die Einschätzungen zu der Passung von der ausgeübten Tätigkeit und den eigenen Fähigkeiten aus. Rund 54% sehen dies in ihrem Minijob als erfüllt an. Negativer werden hingegen die Weiterentwicklungsmöglichkeiten bzw. das Dazulernen im Rahmen des Minijobs beurteilt. 42% geben an, dass ihnen der Minijob solche Chancen ermögliche. Insgesamt zeigt sich daher eine breite Streuung in dem Maß der Erfüllung der intrinsischen Facetten von Erwerbsarbeit. Abbildung 19: Erfüllung der Facetten in der intrinsischen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit
Interessante Tätigkeit
9
5
Selbstständiges Arbeiten 1 4
Abwechslungsreiche Aufgaben
6
Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten
8
Weiterentwicklung von Fähigkeiten
8
Ganz und gar nicht
Eher nicht
17
12
31
24
17
23
33
25
31
16
47
29
13
21
Teils/ teils
19
29
24
20
30
29
Größtenteils
24
26
17
Voll und ganz
Eigene Berechnung und Darstellung, n=969-991
Tiefergehende Analysen machen kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Minijob sichtbar. Während Frauen etwas häufiger davon berichten, der Minijob biete ihnen eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit und die Möglichkeit zu selbstständigem Arbeiten, fallen bei den Männern die Erfüllungsquoten hinsichtlich der Aspekte „interessante Tätigkeit“ und dem Abwechslungsreichtum der Aufgaben geringfügig höher aus. Ein ähnlich uneinheitliches Bild zeigt sich mit Blick auf die verschiedenen Altersgruppen. Auffällig ist hier, dass insbesondere ältere Beschäftigte über 50 Jahren deutlich häufiger von der Erfüllung einzelner Facetten der intrinsischen Dimension berichten. Im Vergleich zu jüngeren Beschäftigten fallen die Unterschiede vor allem hinsichtlich des Aspektes „interessante Tätigkeit“, dem Maß an selbstständigem Arbeiten sowie der Passung von Tätig-
268
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
keit und eigenen Fähigkeiten vergleichsweise hoch aus. Dahingegen beurteilen jüngere Beschäftigte die Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten in der Tendenz positiver als ältere Beschäftigte, wenngleich sich die Befunde hier einem stringenten Muster entziehen. Wie die Befunde, wonach ältere Minijobber tendenziell deutlich häufiger von einer Erfüllung der intrinsischen Aspekte im Rahmen ihres geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses berichten, letztendlich zu erklären sind, bleibt offen. Denkbar erscheint auch hier, dass ältere Beschäftigte aufgrund ihrer Arbeitserfahrungen eine realistischere Vorstellung von zu erwartenden Aspekten in der Erwerbsarbeit haben. Gleichzeitig erscheint es auch plausibel, dass ältere Minijobber möglicherweise mit passgenaueren Aufgaben betraut werden und sich ihre Arbeitserfahrung positiv auf die subjektive Beurteilung der intrinsischen Facetten auswirkt. Hinsichtlich des höchsten Berufsabschlusses zeigen die Befunde kein stringentes Muster. Auffällig ist jedoch, dass Personen ohne beruflichen Abschluss über alle Facetten der intrinsischen Dimension die niedrigsten Erfüllungsquoten aufweisen. Zum Teil fallen die Unterschiede zu Personen mit mittleren oder akademischen Berufsabschlüssen sehr hoch aus – etwa hinsichtlich des Aspektes „interessante Tätigkeit“, dem Maß an selbstständigem Arbeiten oder dem Abwechslungsreichtum der Aufgaben. Bei diesen Facetten trennen die Minijobber ohne Berufsabschluss zwischen 14 und 18 Prozentpunkten von Personen mit mittleren oder akademischen Berufsabschlüssen. Dieser Befund ist zum Teil dadurch zu erklären, dass unter den Personen ohne Berufsabschluss auch viele jüngere Personen (etwa Studierende und Schüler) zu finden sind, die, wie gezeigt, tendenziell seltener von einer Erfüllung der intrinsischen Aspekte berichten. Gleichzeitig erscheint es plausibel, dass Personen ohne Berufsabschluss häufig mit eher leichten, repetitiven und monotonen Hilfstätigkeiten betraut werden, was sich folglich negativ auf die subjektive Beurteilung tätigkeits- und aufgabenbezogener Aspekte in der Erwerbsarbeit auswirkt. Zu guter Letzt zeigen sich auch hinsichtlich der Erfüllung in der intrinsischen Dimensionen die bereits oben dargelegten Unterschiede zwischen arbeitslos gemeldeten Minijobbern und den „regulären“ geringfügig Beschäftigten. Das Muster ist auch hier – mit Ausnahme des selbstständigen Arbeitens – eindeutig und in der Stärke gravierend: „Aufstocker“ berichten in deutlich geringerem Maße von der Erfüllung intrinsischer Facetten in ihrem Minijob. Besonders stark sind die Unterschiede hinsichtlich der Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten (56% vs. 42%) sowie der Weiterentwicklung eigener Fähigkeiten (44% vs. 29%). Auch der Abwechslungsreichtum der Aufgaben wird von den „Aufstockern“ deutlich negativer beurteilt als von der Vergleichsgruppe. Dieser Befund ist sicherlich zum Teil auf niedrige berufliche Qualifikationsniveaus der arbeitslos gemeldeten Minijobber zurückzuführen, kann hierdurch jedoch nicht in Gänze erklärt werden. Möglicher-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
269
weise werden „Aufstocker“ häufiger mit einfachen Hilfstätigkeiten betraut, ohne dass dies jedoch auf Basis der Daten zweifelsfrei belegt werden kann. Problematisch ist die unterdurchschnittliche Bewertung der Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Rahmen des Minijobs. Insbesondere für „Arbeitsmarkt-Grenzgänger“ wie „Aufstocker“ könnten verbesserte Learning-on-the-job-Möglichkeiten neue Erwerbschancen eröffnen. Zumindest im subjektiven Urteil dieser Gruppe scheint dies jedoch eher die Ausnahme darzustellen. Final stellt sich hinsichtlich der intrinsischen Dimension der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob die Frage nach dem Verhältnis von Soll-und IstZustand. Die nachfolgende Abbildung 20 gibt analog zu den oben präsentierten Befunden zur Sicherheits- und Entwicklungsdimension einen Überblick über den Gesamt-Abgleich der als wünschenswert erachteten Soll-Zustände und den im Rahmen des Minijobs erlebten Ist-Zuständen. Bereits auf den ersten Blick zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Befunden in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension. Bezogen auf die Nützlichkeit der ausgeübten Tätigkeit für die Gesellschaft liegt die durchschnittliche Bedeutungszuschreibung fast gleichauf mit der durchschnittlichen Erfüllung – allerdings auf vergleichsweise niedrigem Niveau, da diesem Aspekt eine im Vergleich zu den anderen Facetten dieser Dimension geringere Bedeutung beigemessen wird. Eine spürbar größere Diskrepanz zeigt sich hinsichtlich der Facette „interessante Tätigkeit“. Diese wird mit einem Mittelwert von 4,07 insgesamt als wichtig erachtet, das durchschnittliche Maß der Erfüllung (Mittelwert 3,62) bleibt jedoch unter diesem Niveau. Eine Besonderheit der bislang untersuchten Facetten der subjektiven Arbeitsqualität stellt das selbstständige Arbeiten dar. Zum einen handelt es sich hierbei um die Facette, welcher von den Minijobbern die höchste Bedeutung in der intrinsischen Dimension zugeschrieben wird, gleichzeitig übertrifft die durchschnittliche Erfüllung jene der Bedeutungszuschreibung. Mit einem Mittelwert von 4,19 hinsichtlich der Erfüllung sticht diese Facette positiv hervor. Die Möglichkeit zu selbstständigem Arbeiten ist daher in der subjektiven Beurteilung der Beschäftigten in einem großen Teil der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse gegeben. Eine größere Diskrepanz offenbart sich hinsichtlich des Abwechslungsreichtums der Aufgaben. Hier können die durchschnittlichen Erwartungen (Mittelwert 3,89) nicht in Gänze erfüllt werden (3,42). Ein nahezu identisches Bild zeigt sich hinsichtlich der Passung von der ausgeübten Tätigkeit und den eigenen Fähigkeiten. Auch hier liegt die durchschnittliche Bedeutungszuschreibung mit einem Mittelwert von 3,99 verhältnismäßig hoch, wohingegen die durchschnittliche Erfüllung unter diesem Niveau (3,49) zurückbleibt. Die größte Diskrepanz hinsichtlich der Mittelwertvergleiche findet sich bei dem Aspekt „Weiterentwicklung von Fähigkeiten“. Dieser Facette wird ebenfalls eine hohe Bedeutung beigemessen (3,90), die jedoch durchschnittlich nicht im selben Maße im Mi-
270
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
nijob erfüllt wird (3,22). Insbesondere hinsichtlich der Weiterentwicklungs- und Lernmöglichkeiten lässt sich im Vergleich der Mittelwerte daher eine Diskrepanz von Soll- und Ist-Zustand im Minijob konstatieren. Insgesamt fallen die Befunde in der intrinsischen Dimension damit relativ heterogen aus, wenngleich die durchschnittliche Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand spürbar geringer ausgeprägt ist als in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension. Abbildung 20: Soll- und Ist-Zustand in der intrinsischen Dimension (Mittelwertvergleich) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit
Interessante Tätigkeit
Weiterentwicklung von Fähigkeiten
Soll-Zustand Ist-Zustand Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten
Selbstständiges Arbeiten
Abwechslungsreiche Aufgaben
Eigene Berechnung und Darstellung; Skala von 1 (sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr wichtig/voll und ganz erfüllt); n= 969-1.003
Zu guter Letzt soll daher auf Basis der Mismatch-Indizes in dieser Dimension die Verteilung der individuellen Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zustand in den Blick genommen werden. Die folgende Abbildung gibt hierzu einen Überblick. Die Befunde der Mismatch-Indizes zeigen in der intrinsischen Dimension deutliche Unterschiede zu den oben präsentierten Ergebnissen in der Sicherheitsund Entwicklungsdimension. Während in letzterer Dimension in drei der vier Facetten weniger als die Hälfte der Minijobber einen Match aufwiesen, liegen in der intrinsischen Dimension diese Anteile über alle Facetten hinweg deutlich höher. Hinsichtlich der Nützlichkeit der ausgeübten Tätigkeit für die Gesellschaft weisen mit 70% mehr als zwei Drittel der Befragungspersonen einen Match zwischen gewünschtem Soll- und erlebtem Ist-Zustand auf. Bei 18% lässt sich hingegen ein leichter Mismatch, bei weiteren 9% ein mittlerer Mismatch beobachten. Auffällig sind die im Vergleich zur Sicherheits- und Entwicklungsdimension nur marginalen
271
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
Anteile an Minijobbern, die einen starken oder gar maximalen Mismatch aufweisen. Hinsichtlich dieser Facette trifft dies auf gerade einmal drei Prozent der geringfügig Beschäftigten zu. Eine etwas größere Verbreitung von Mismatches weist die Facette „interessante Tätigkeit“ auf. Zwar fällt auch hier mit 58,6% die Mehrheit der Minijobber in die Kategorie „Match/Übererfüllung“, gleichzeitig weisen aber auch 23% einen leichten und rund 11% einen mittleren Mismatch auf. Allerdings sind auch hier die starken und maximalen Mismatches mit insgesamt rund 7,5% vergleichsweise gering verbreitet. Die höchste Übereinstimmung zwischen Soll- und Ist-Zustand zeigt sich hinsichtlich des selbstständigen Arbeitens. Fast vier von fünf Minijobbern weisen hier eine (Über-) Erfüllung der eigenen Ansprüche auf, wohingegen sich lediglich bei rund 15% ein leichter Mismatch beobachten lässt. Alle anderen Formen von Mismatches spielen hier so gut wie keine Rolle. Abbildung 21: Mismatch-Indizes in der intrinsischen Dimension (Angaben in Prozent) Gesellschaftlich nützliche Tätigkeit
Interessante Tätigkeit
70
18
59
Selbstständiges Arbeiten
23
79
Abwechslungsreiche Aufgaben
58
23
Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten
60
19
Weiterentwicklung von Fähigkeiten
9 3
52
Match/ Übererfüllung
Leichter Mismatch
Starker Mismatch
Maximaler Mismatch
23
11
6
15
42
12
5
11
15
6
8
Mittlerer Mismatch
Eigene Berechnung und Darstellung; alle Fälle einer Übererfüllung wurden der Kategorie „Match“ zugeordnet; Mismatches reichen von „leicht“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 1) bis „maximal“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 4); n= 965-989
272
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Mit Blick auf den Abwechslungsreichtum der Aufgaben zeigt sich wiederum ein etwas negativeres Bild, was in etwa der Verteilung der Facette „interessante Tätigkeit“ entspricht. Es überwiegen in der Mehrheit die Fälle einer (Über-)Erfüllung, wobei gleichzeitig auch leichte und mittlere Mismatches bei etwas mehr als einem Drittel der Minijobber zu beobachten sind. Etwas höher fällt die Matching-Quote bei dem Aspekt „Passung von Tätigkeit und eigenen Fähigkeiten“ aus. Hier findet sich bei 60% der Minijobber eine (Über-) Erfüllung der eigenen Ansprüche, wobei gleichzeitig auch die Anteile starker und maximaler Mismatches mit zusammengenommen rund 9% vergleichsweise hoch ausfallen. Ob die Mismatches hinsichtlich dieser Facette eher als individuelle Unter- oder Überforderung im Minijob gedeutet werden können, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben, da eine genauere Differenzierung nicht möglich ist. Ein ähnliches Bild zeigt sich zu guter Letzt mit Blick auf die letzte Facette dieser Dimension, der Möglichkeit zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten. Hier liegt der Anteil der Matches mit rund 52% am niedrigsten aller intrinsischen Facetten, die leichten und mittleren Mismatches folglich vergleichsweise hoch. Ebenso jedoch weisen hier fast 10% der Minijobber starke oder maximale Mismatches auf, was dafür spricht, dass für einen nicht geringen Teil der Minijobber das Dazulernen und die Weiterentwicklung von Fähigkeiten eine (sehr) große Bedeutung genießt, diese Ansprüche im Rahmen des Minijobs jedoch stark bis maximal unerfüllt bleiben, d.h. der „Lernhunger“ dieser Beschäftigten enttäuscht wird. Hinsichtlich der Frage, welche Gruppen von Minijobbern hohe (Mis-)MatchQuoten in der intrinsischen Dimension aufweisen, zeigt sich mit Blick auf das Geschlecht zunächst, dass Frauen in der Tendenz in geringerem Maße einer (Über-) Erfüllung der eigenen Erwartungen aufweisen als Männer. Eine Ausnahme bildet das selbstständige Arbeiten. Bei allen anderen intrinsischen Facetten liegt der Matching-Anteil von Frauen unter jenem der Männer. Die Unterschiede betragen zwischen 3,1 (interessante Tätigkeit) und 7 (Weiterentwicklung von Fähigkeiten) Prozentpunkten. Dieser Befund ist insofern überraschend, als dass Frauen, wie oben dargelegt, keine deutlich höheren Ansprüche hinsichtlich der intrinsischen Aspekte der Erwerbsarbeit formulieren als Männer. Mit Blick auf verschiedene Altersgruppen bestätigt sich tendenziell ein Befund, der bereits für die Sicherheits- und Entwicklungsdimension gezeigt werden konnte. Demnach weisen ältere Beschäftigte ab 50 Jahren zum Teil deutlich höhere MatchingQuoten auf als jüngere Minijobber. Bei der Facette „interessante Tätigkeit“ etwa liegt der Match zwischen Anspruch und erlebter Arbeitssituation bei den unter 20Jährigen (47%) und den 20- bis unter 30-Jährigen (46%) deutlich niedriger als bei den 50- bis unter 60-Jährigen (63%) und den Personen, die 60 Jahre und älter sind (66%) – ähnliche Befunde zeigen sich auch mit Blick auf den Abwechslungsreichtum der Aufgaben und der Passung von Tätigkeit und eigenen Fähigkeiten.
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
273
Eine Ausnahme bildet das selbstständige Arbeiten, bei dem sich keine eindeutigen Muster identifizieren lassen. Auch in der intrinsischen Dimension bestätigt sich zudem, dass Personen ohne beruflichen Abschluss tendenziell deutlich höhere Mismatch-Quoten aufweisen als Beschäftigte mit mittleren oder hohen Berufsabschlüssen. Wie oben dargelegt, korreliert das Alter zum Teil mit dem höchsten beruflichen Abschluss. Gleichwohl gilt auch hier, dass die Unterschiede zwischen diesen beruflichen Qualifikationsgruppen nicht allein auf das Alter zurückgeführt werden können. Indes bestätigen sich die oben gezeigten Befunde hinsichtlich der „regulären“ Minijobber und den „Aufstockern“ in der intrinsischen Dimension nicht in der Deutlichkeit – zumindest mit Blick auf die Matches und Mismatches. Ins Auge fällt, dass arbeitslos gemeldete Minijobber deutlich häufiger als nicht-arbeitslos gemeldete Minijobber ein Matching zwischen Soll- und Ist-Zustand hinsichtlich der Nützlichkeit der eigenen Tätigkeit für die Gesellschaft aufweisen (77% vs. 69%). Defizitär sind jedoch die vergleichsweise hohen Mismatch-Quoten bei „Aufstockern“ in den Facetten „Passung von Tätigkeit und Fähigkeiten“ und den Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten – ein Befund, auf dessen mittelfristig negative Folgen weiter oben bereits eingegangen wurde. In der Gesamtschau zeigt sich, dass in der intrinsischen Dimension eine differenzierte Betrachtung notwendig ist. Zum einen liegen die Matching-Quoten über alle Facetten dieser Dimension hinweg deutlich über jenen in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, was jedoch, wie oben gezeigt, nicht bedeutet, dass nicht auch zum Teil (starke) Mismatches zu beobachten sind. Allerdings überwiegen auch in der intrinsischen Dimension in Fällen der Untererfüllung mehrheitlich Formen eines leichten Mismatches, d.h. geringfügige Unterschreitungen der individuellen Ansprüche der geringfügig Beschäftigten. Deutlich wird zudem, dass die verschiedenen Facetten in dieser Untersuchungsdimension mitunter sehr unterschiedlich bewertet werden – sowohl hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung und der Erfüllung als auch der hieraus resultierenden Matches und Mismatches. 7.1.3 Soziale Dimension Die dritte Untersuchungsdimension der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern ist die soziale Dimension, in welcher insbesondere die betrieblichen und zwischenmenschlichen Aspekte der Erwerbsarbeit und ihre subjektive Wahrnehmung im Zentrum des Interesses stehen. Die soziale Dimension umfasst fünf Facetten der Erwerbsarbeit: ein gutes Verhältnis zu Kollegen, ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten, die Gleichbehandlung aller Beschäftigten, die Wertschätzung der eigenen Arbeit sowie die Möglichkeiten, eigene Anliegen, Interessen
274
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
und Probleme vortragen zu können. Ähnlich der vorigen, intrinsischen Dimension der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern wird hiermit das Augenmerk auf Aspekte der Erwerbsarbeit gelegt, die zwar einerseits, wie in Kapitel 4 diskutiert, sich in anderen wissenschaftlichen Untersuchungen als gewichtige Faktoren für die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung von Erwerbsarbeit seitens der Beschäftigten erwiesen haben, in den wissenschaftlichen und politischen Diskursen um Minijobs bislang jedoch kaum eine nennenswerte Rolle gespielt haben. Analog zu den ersten beiden Untersuchungsdimensionen wird im Folgenden zunächst ein Überblick über die Bedeutungszuschreibung der Facetten in der sozialen Dimension gegeben, welcher in der folgenden Abbildung dargestellt ist. Abbildung 22: Bedeutung der Facetten in der sozialen Dimension (Angaben in Prozent) Gutes Verhältnis zu Kollegen
3 11
Gutes Verhältnis zu Vorgesetzten
2 11
Gleichbehandlung aller Beschäftigten
Wertschätzung der eigenen Arbeit
3
Sehr unwichtig
12
Eher unwichtig
5
41
43
38
45
52
36
2 10
Möglichkeiten zur Interessenartikulation
48
36
21
Teils/ teils
41
Eher wichtig
31
Sehr wichtig
Eigene Berechnung und Darstellung; n=996-1.002
Deutlich wird zunächst die über alle Facetten dieser Dimension hinweg beobachtbare hohe Bedeutungszuschreibung der sozialen Aspekte von Erwerbsarbeit. Ein gutes Verhältnis zu den Kollegen wird von 84% und damit einer großen Mehrheit der Minijobber als eher oder sehr wichtig erachtet, wohingegen rund jeder zehnte geringfügig Beschäftigte diesem Aspekt eine mittlere Bedeutung beimisst. Lediglich rund 5% der Befragungspersonen erachten ein gutes Verhältnis zu Kollegen als unwichtig. Ein ähnliches Bild zeigt sich hinsichtlich eines guten Verhältnisses zu Vorgesetzten. Hier sind es 85%, die dies als wichtig erachten, wohingegen mittlere und niedrige Bedeutungszuschreibungen in etwa auf dem Niveau der vori-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
275
gen Facette liegen. Auch die Gleichbehandlung aller Beschäftigten ist für rund 83% der Minijobber von großer Bedeutung. Auch hier finden sich nur geringe Anteile an Befragungspersonen, die diesen Aspekt als unwichtig in der beruflichen Arbeit einschätzen. Die höchste Bedeutung aller Facetten der sozialen Dimension wird der Wertschätzung der eigenen Arbeit beigemessen. Hier sind es fast 88% und damit fast neun von zehn Minijobbern, die diesen Aspekt als wichtig in der beruflichen Arbeit erachten. Lediglich 3% stufen die Wertschätzung der eigenen Arbeit als unwichtig ein, ein weiteres Zehntel weist eine mittlere Bedeutungszuschreibung auf. Zu guter zeigt sich hinsichtlich der Möglichkeiten zur Interessenartikulation, dass auch diese Facette der sozialen Dimension von einem Großteil der Beschäftigten als wichtig erachtet wird – dies trifft auf rund 72% der Befragungspersonen zu. Gleichwohl handelt es sich hierbei um jene Facette, der im Vergleich die niedrigste Bedeutung in der sozialen Dimension beigemessen wird. Gerade unter Rückbezug auf die zuvor vorgestellten Dimensionen und Facetten ist jedoch zu konstatieren, dass die Möglichkeiten zur Interessenartikulation immer noch eine hohe Bedeutung unter geringfügig Beschäftigten genießen. Auffällig ist hier der vergleichsweise hohe Anteil an Personen, die diesem Aspekt eine mittlere Bedeutung beimessen, wohingegen der Anteil an Personen, die den Möglichkeiten zur Interessenartikulation eine geringe Bedeutung für die berufliche Arbeit beimessen, mit 7% gering ausfällt. Hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung der genannten Facetten in der sozialen Dimension zeigen tiefergehende Analysen einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern. Entgegen den Befunden in den anderen Dimensionen zeigen sich hier deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die einem klaren Muster folgen: Frauen messen sämtlichen Facetten der sozialen Dimension der Arbeitsqualität eine deutlich höhere Bedeutung bei als Männer im Minijob. Während etwa rund 79% der Männer ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten als wichtig erachten, sind es bei den Frauen 89%. Gleiche Tendenzen in ähnlicher Stärke zeigen sich hinsichtlich der Bedeutung einer Gleichbehandlung aller Beschäftigten (77% vs. 86%) und der Wertschätzung der eigenen Arbeit (82% vs. 91%). Offensichtlich sind für Frauen die zwischenmenschlichen, sozialen Aspekte im betrieblichen Kontext von besonderer Bedeutung, wenngleich auch Männer den sozialen Aspekten eine insgesamt hohe Bedeutung zuschreiben. Während in dieser Untersuchungsdimension also deutliche Geschlechterunterschiede hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung beobachtbar sind, entziehen sich die Befunde bezüglich verschiedener Altersgruppen einem klaren Muster. Einzig mit Blick auf die Gleichbehandlung aller Beschäftigten wird deutlich, dass ältere Beschäftigte diesem Aspekt tendenziell eine höhere Bedeutung beimessen als jüngere Beschäftigte. Insgesamt jedoch fällt auf, dass das Alter der Minijobber keine nennenswerten Zusammenhänge zu der Bedeutungszuschreibung sozialer Facetten in der Erwerbsarbeit aufweist.
276
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Dahingegen bestätigt sich hinsichtlich des beruflichen Qualifikationsniveaus ein bereits zuvor beobachteter Trend: Personen ohne beruflichen Abschluss messen auch den sozialen Aspekten der Erwerbsarbeit in der Tendenz eine geringere Bedeutung bei als Minijobber mit mittleren oder hohen Berufsabschlüssen. Besonders groß sind die Differenzen bei der Gleichbehandlung aller Beschäftigten (Differenz von rund sieben Prozentpunkten zwischen Personen mit fehlenden und jenen mit hohen Berufsabschlüssen), der Wertschätzung der eigenen Arbeit (ebenfalls sieben Prozentpunkte) sowie den Möglichkeiten zur Interessenartikulation (rund acht Prozentpunkte). Auch hier wird deutlich, dass dieser Befund sich nicht primär durch den hohen Anteil an jüngeren Personen unter Beschäftigten ohne Berufsabschluss erklären lässt. Möglich erscheint, dass die vergleichsweise schwierige Position von Niedrigqualifizierten auf dem Arbeitsmarkt tendenziell mit einer Reduzierung der subjektiven Ansprüche an Erwerbsarbeit einhergeht. Gleiches gilt, wie oben bereits diskutiert, auch für die Gruppe der „Aufstocker“. Auch mit Blick auf die Facetten der sozialen Dimension bestätigt sich, dass arbeitslos gemeldete Minijobber diesen Facetten eine tendenziell geringere Bedeutung beimessen als Minijobber, die offiziell nicht arbeitslos gemeldet sind. Besonders groß sind hier die Differenzen hinsichtlich einer hohen Bedeutungszuschreibung eines guten Verhältnisses zu Kollegen (85% vs. 75%), der Gleichbehandlung aller Beschäftigten (84% vs. 77%) sowie den Möglichkeiten zur Interessenartikulation (73% vs. 62%). Die insgesamt hohe Bedeutungszuschreibung sozialer Aspekte in der Erwerbsarbeit unter Minijobbern wirft folglich die Frage auf, in welchem Maße diese hohen Ansprüche erfüllt werden. Die nachfolgende Abbildung gibt hierzu für jede der genannten Facetten einen Überblick. Hinsichtlich eines guten Verhältnisses zu Kollegen geben mit rund 78% nahezu vier von fünf Minijobbern an, dass dieser Aspekt in ihrem Minijob erfüllt wird. Rund 15% antworten „teils/teils“, wohingegen der Anteil der Minijobbern, die ein gutes Verhältnis zu den Arbeitskollegen als nicht erfüllt sehen, mit 6% niedrig ausfällt. Ein fast identisches Bild zeigt sich auch im Hinblick auf ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten. Ebenfalls rund 78% sehen dies als größtenteils oder voll und ganz erfüllt an, 16% hingegen als teilweise erfüllt. Dieser Befund mag angesichts der in Kapitel 6 dieser Arbeit dargelegten weitverbreiteten Arbeitsrechtsverstöße in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen überraschen, deutet jedoch darauf hin, dass die zwischenmenschlich-sozialen Beziehungen im betrieblichen Kontext anscheinend für die Minijobber subjektiv mehr beinhalten als die Regeltreue des Arbeitgebers. Immer noch in der Tendenz positiv, jedoch ambivalenter, beurteilen die Beschäftigten die Erfüllung einer Gleichbehandlung aller Beschäftigten. Mit rund 68% sind es mehr als zwei Drittel, die diesen Aspekt in ihrem Minijob als größtenteils oder voll und ganz erfüllt beurteilen. Ein
277
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
Fünftel hingegen sieht dies als teilweise erfüllt und immerhin rund 12% als nicht erfüllt an. Damit fällt die Einschätzung dieses Aspektes etwas reservierter aus als die Beurteilung der Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten. Gleichwohl überwiegen auch hier die Angaben einer Erfüllung dieses Aspektes, was darauf hindeutet, dass die überwiegende Mehrheit der Minijobber nicht das Gefühl hat, als geringfügig Beschäftigte einer Randbelegschaft im Betrieb anzugehören. Abbildung 23: Erfüllung der Facetten in der sozialen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) Gutes Verhältnis zu Kollegen 2 4
15
35
43
Gutes Verhältnis zu Vorgesetzten 2 5
16
34
44
Gleichbehandlung aller Beschäftigten 3 9
21
34
33
Wertschätzung der eigenen Arbeit 2 9
22
33
34
Möglichkeiten zur Interessenartikulation
Ganz und gar nicht
4
Eher nicht
11
25
Teils/ teils
34
Größtenteils
27
Voll und ganz
Eigene Berechnung und Darstellung; n=894-969
Ein nahezu identisches Bild weist das Item „Wertschätzung der eigenen Arbeit“ auf. Rund 67% sehen die Wertschätzung als erfüllt, etwas mehr als ein Fünftel als teilweise und rund jede zehnte Befragungsperson als nicht erfüllt an. Die geringste Erfüllungsquote aller Facetten der sozialen Dimension weist mit den Möglichkeiten zur Interessenartikulation jener Aspekt auf, dem auch die geringste Bedeutung von den Minijobbern zugeschrieben wird. Nichtsdestotrotz geben rund 61% der Befragungspersonen an, in ihrem Minijob sei die Möglichkeit zur Interessenartikulation gegeben. Ein weiteres Viertel sieht dies als teilweise erfüllt, weitere 15% als nicht erfüllt an. Hinsichtlich des Geschlechtes zeigen sich mit Blick auf die Erfüllung der sozialen Facetten keine derart gravierenden Unterschiede wie bei der Bedeutungszuschreibung. Frauen berichten etwas häufiger als Männer von einem guten Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten, Männer hingegen etwas häufiger von einer
278
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Gleichbehandlung der Beschäftigten und der Wertschätzung der eigenen Arbeit. Insgesamt fallen die Geschlechterunterschiede hier jedoch relativ gering aus. Hinsichtlich verschiedener Altersgruppen zeigen sich Unterschiede, die jedoch je nach Facette variieren. Jüngere Beschäftigte bis zu 40 Jahren berichten häufiger als ältere Beschäftigte von einem guten Verhältnis zu Kollegen, wohingegen ältere Beschäftigte über 50 Jahren tendenziell häufiger von einem guten Verhältnis zu Vorgesetzten berichten als jüngere Minijobber. Die Gleichbehandlung aller Beschäftigten wird vor allem von Beschäftigten unter 30 Jahren als unterdurchschnittlich erfüllt beurteilt. Relativ groß fallen die Unterschiede hinsichtlich der Wertschätzung der eigenen Arbeit aus. Hier zeigt sich ein deutliches Altersgefälle, bei dem tendenziell gilt, dass die Wertschätzung umso positiver beurteilt wird, je älter die Minijobber sind. Während etwa rund 57% der unter 20-Jährigen die Wertschätzung der eigenen Arbeit als erfüllt ansehen, liegt dieser Anteil bei über 60-Jährigen bei 79%. Gleiches gilt für die Möglichkeiten der Interessenartikulation, welche ebenfalls von älteren Beschäftigten deutlich häufiger als erfüllt beurteilt werden. Auffällig ist hinsichtlich dieses Aspektes, dass sich die Existenz betrieblicher Mitbestimmungsorgane nicht in starkem Maße auf die subjektive Beurteilung der Möglichkeiten zu Interessenartikulation auswirkt. Während 60% der Beschäftigten, die in Betrieben ohne Betriebsrat- oder Personalrat angestellt sind, die Möglichkeiten zur Interessenartikulation als erfüllt ansehen, sind es unter Beschäftigten, die in Betrieben mit Mitbestimmungsorganen angestellt sind, 59%. Zumindest in der subjektiven Beurteilung der Minijobber ist daher die Möglichkeit, eigene Interessen und Probleme vortragen zu können, nicht maßgeblich durch die Existenz formaler betrieblicher Mitbestimmungsorgane bestimmt. Ebenfalls wichtig ist das berufliche Qualifikationsniveau der Minijobber, welches bereits hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung einige nennenswerte Unterschiede hervorgebracht hat. Während das Verhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten keine nennenswerten Unterschiede zwischen unterschiedlichen Qualifikationsniveaus der Minijobber aufweist, werden die Gleichbehandlung aller Beschäftigten, die Wertschätzung der eigenen Arbeit sowie die Möglichkeiten zur Interessenartikulation von Personen ohne Berufsabschluss als deutlich weniger erfüllt beurteilt als bei Minijobbern mit mittleren und hohen beruflichen Abschlüssen. Gleiches gilt in der Tendenz auch für die Unterscheidung von arbeitslos gemeldeten und nicht-arbeitslos gemeldeten Minijobbern. Hier zeigt sich jedoch die Besonderheit, dass „Aufstocker“ deutlich seltener von einem guten Verhältnis zu Kollegen berichten, gleichzeitig das Verhältnis zu Vorgesetzten jedoch etwas positiver beurteilen als die Vergleichsgruppe. Als vergleichsweise defizitär erleben „Aufstocker“ insbesondere die Wertschätzung der eigenen Arbeit sowie die Möglichkeiten zur Interessenartikulation. Somit zeichnet sich hinsichtlich des Einfluss des höchsten Berufsabschlusses und einer Arbeitslosigkeit in der Tendenz ein Bild ab, welches bereits für die intrinsische Dimension gezeigt werden konnte.
279
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
Nach der Darstellung der Bedeutungszuschreibung sowie der Erfüllung der sozialen Facetten stellt sich schließlich die Frage nach dem Verhältnis von gewünschtem Soll- und erlebtem Ist-Zustand. Analog zu den bisherigen Dimensionen subjektiver Arbeitsqualität wird zunächst ein Mittelwertvergleich für die einzelnen Facetten der sozialen Dimension herangezogen. Die nachfolgende Abbildung 24 gibt hierzu einen Überblick. Abbildung 24: Soll- und Ist-Zustand in der sozialen Dimension (Mittelwertvergleich) Gutes Verhältnis zu Kollegen
Möglichkeiten zur Interessenartikulation
Gutes Verhältnis zu Vorgesetzten Soll-Zustand Ist-Zustand
Wertschätzung der eigenen Arbeit
Gleichbehandlung aller Beschäftigten
Eigene Berechnung und Darstellung; Skala von 1 (sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr wichtig/voll und ganz erfüllt); n= 894-1.002
Deutlich wird auch im Mittelwertvergleich zunächst die insgesamt hohe Bedeutungszuschreibung der sozialen Facetten unter Minijobbern. Ebenso deutlich werden jedoch auch die Unterschiede in den Diskrepanzen zwischen gewünschtem Soll- und im Minijob erlebten Ist-Zustand. Nahezu eine Deckungsgleichheit der Mittelwerte zeigt sich hinsichtlich der Facette „gutes Verhältnis zu Kollegen“. Diesem Aspekt wird durchschnittlich eine äußerst hohe Bedeutung beigemessen (Mittelwert 4,24), doch auch die durchschnittliche Erfüllung liegt nahezu auf diesem Niveau (Mittelwert 4,13). Die Facette „gutes Verhältnis zu Vorgesetzten“ weist ein fast identisches Bild auf. Auch dieser Aspekt genießt eine sehr hohe Bedeutung unter Minijobbern (4,22), die Erfüllung im geringfügigen Beschäftigungsverhältnis liegt ebenfalls auf einem hohen Niveau (4,14). Größer fällt die Diskrepanz hinsichtlich der Gleichbehandlung aller Beschäftigten aus. Mit einem Mittelwert von 4,22 wird dieser Aspekt im Durchschnitt als ebenso wichtig erachtet wie ein gutes Verhältnis zu Vorgesetzten, die Erfüllung bleibt
280
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
jedoch unter diesem Niveau (3,87). Nichtsdestotrotz deutet letzterer Mittelwert an, dass die Minijobber die Erfüllung einer Gleichbehandlung aller Beschäftigten im Durchschnitt als weitestgehend erfüllt beurteilen. Die größte Diskrepanz findet sich in Bezug auf die Wertschätzung der eigenen Arbeit. Im Durchschnitt wird diese Facette mit einem Mittelwert von 4,35 als am wichtigsten unter allen Aspekten der sozialen Dimension beurteilt, die Erfüllung hingegen kann mit einem Mittelwert von 3,86 diesen hohen Erwartungen nicht standhalten. Gleichwohl gilt auch hier, dass die durchschnittliche Erfüllung dieser Facette nah am Wert 4 und damit einer weitgehenden Erfüllung liegt. Deutlich geringer ist die Diskrepanz bei der letzten Facette der sozialen Dimension, den Möglichkeiten zur Interessenartikulation. Hier bewegen sich die durchschnittlichen Bedeutungszuschreibungen (3,94) und Erfüllungsbeurteilungen (3,70) zwar auf einem insgesamt niedrigeren Niveau als bei den übrigen Facetten dieser Dimension, gleichzeitig klaffen Anspruch und Wirklichkeit hier nicht sehr weit auseinander. Zu guter Letzt interessieren auch in der Analyse dieser Untersuchungsdimension die Anteile der individuellen Matches und Mismatches, die in nachfolgender Abbildung dargestellt sind. Abbildung 25: Mismatch-Indizes in der sozialen Dimension (Angaben in Prozent) Gutes Verhältnis zu Kollegen
73
19
51
Gutes Verhältnis zu Vorgesetzten
75
18
6 2
Gleichbehandlung aller Beschäftigten
Wertschätzung der eigenen Arbeit
Möglichkeiten zur Interessenartikulation
64
59
65
Match/ Übererfüllung
Leichter Mismatch
Starker Mismatch
Maximaler Mismatch
21
22
9
11
20
4
6
10 4
Mittlerer Mismatch
Eigene Berechnung und Darstellung; alle Fälle einer Übererfüllung wurden der Kategorie „Match“ zugeordnet; Mismatches reichen von „leicht“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 1) bis „maximal“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 4); n= 891-963
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
281
Die bisher dargelegten empirischen Befunde zur sozialen Dimension der subjektiven Arbeitsqualität im Minijob bestätigen sich auch bei der Betrachtung der Mismatch-Indizes der jeweiligen Facetten dieser Dimension. Bezüglich eines guten Verhältnisses zu Kollegen weisen mit 73,5% fast drei Viertel der Minijobber ein Matching zwischen der individuellen Bedeutungszuschreibung und der Erfüllung im Minijob auf. Treten bezüglich dieser Facette Mismatches auf, so handelt es sich überwiegend um eine leichte Form, d.h. eine geringfügige Unterschreitung des Anspruchsniveaus. Mittlere (5%), starke (1%) und maximale Mismatches (1%) spielen in dieser Facette eine nur marginale Rolle. Ein nahezu identisches Bild zeigt sich bezüglich eines guten Verhältnisses zu Vorgesetzten. Hier weisen drei Viertel der befragten Minijobber ein Matching auf und auch hier überwiegen in Fällen einer Untererfüllung der eigenen Ansprüche leichte Mismatch-Formen. Spürbar niedriger sind die Anteile einer (Über-) Erfüllung hinsichtlich der Gleichbehandlung aller Beschäftigten. Nichtsdestotrotz werden für fast zwei Drittel der Minijobber hier die eigenen Erwartungen erfüllt. Ebenso gilt, dass auch bezüglich dieser Facette leichte Mismatch-Formen dominieren, mittlere jedoch ebenfalls häufiger beobachtbar sind als in den erstgenannten Facetten dieser Dimension. Gleichwohl kommt auch hier starken und maximalen Untererfüllungen nur eine randständige Bedeutung zu. Bezüglich der Wertschätzung der eigenen Arbeit zeigt sich mit rund 59% indes der niedrigste Matching-Anteil aller sozialen Facetten. Folglich liegen die Anteile leichter und mittlerer Mismatches höher als in den anderen Facetten, wenngleich sich auch hier das Gesamtbild bestätigt, dass starke und maximale Untererfüllungen der individuellen Ansprüche nur vergleichsweise selten vorkommen – dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der bereits vorgestellten Befunde zu den anderen Untersuchungsdimensionen und hierbei im Speziellen der Sicherheits- und Entwicklungsdimension. Spürbar höher liegen zu guter Letzt die Matching-Anteile hinsichtlich der Möglichkeiten zur Interessenartikulation (65%). Rund ein Fünftel der Minijobber weist hier einen leichten, ein weiteres Zehntel einen mittleren Mismatch auf. Analog zu den anderen Facetten sind starke und maximale Mismatches kaum zu beobachten. Insgesamt liegen damit die Matching-Quoten in den Facetten der sozialen Dimension auf einem hohen Niveau, wobei hier insbesondere jene Facetten, die im Zusammenhang mit den zwischenmenschlichen Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten stehen, positiv herausstechen. Auffallend ist zudem, dass trotz der insgesamt hohen Bedeutungszuschreibung über alle sozialen Facetten hinweg starke und maximale Untererfüllungen der individuellen Ansprüche kaum eine nennenswerte Rolle spielen. Werden die Erwartungen der Beschäftigten nicht erfüllt, handelt es sich überwiegend um geringfügige Mismatches und seltener um (mittel-) starke Formen. Zu guter Letzt stellt sich die Frage, ob unterschiedliche Matching-Quoten unter verschiedenen Personengruppen im Minijob zu beobachten sind. Bezüglich des
282
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Geschlechts der Beschäftigten zeigen sich hierbei spürbare Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Auffällig ist, dass Männer hinsichtlich jeder Facette der sozialen Dimension höhere Matching-Quoten aufweisen als Frauen. Die Unterschiede reichen von 3,6 Prozentpunkten (gutes Verhältnis zu Kollegen) bis hin zu 10,5 Prozentpunkten (Gleichbehandlung aller Beschäftigten). Dieser Befund ist auch auf das hohe Anspruchsniveau von Frauen bezüglich sozialer Aspekte in der Erwerbsarbeit zurückzuführen, denn die Analysen zeigen, dass die weiter verbreiteten Mismatches unter Frauen im Minijob nicht primär dadurch zu erklären sind, dass die sozialen Aspekte nicht erfüllt werden, sondern nicht in dem (hohen) Maße erfüllt werden, wie es gewünscht wird. Hinsichtlich des Alters der Minijobber zeigen sich auch mit Blick auf die Matches und Mismatches deutliche Unterschiede, die über so gut wie alle Facetten der sozialen Dimension einem (inzwischen bekannten) Muster folgen: in der Tendenz steigt mit zunehmendem Alter der Matching-Anteil zwischen Anspruch und erlebter Arbeitssituation. Deutlich stärker sind folglich die Mismatches bei jüngeren Minijobbern verbreitet, wobei hier insbesondere die unter 20-Jährigen hervorstechen. Ein ähnliches Muster offenbart sich hinsichtlich des höchsten beruflichen Abschlusses. Hier weisen in der Tendenz Minijobber ohne beruflichen Abschluss niedrigere Matching-Quoten auf als Minijobber mit mittleren und hohen beruflichen Abschlüssen. Bemerkenswert ist dieser Befund insbesondere deshalb, da Minijobber ohne beruflichen Abschluss, wie oben gezeigt, gleichzeitig vergleichsweise geringere Ansprüche an die sozialen Aspekte ihrer Arbeit formulieren als die Vergleichsgruppen, diese relativ niedrigen Ansprüche jedoch nicht erfüllt werden. Anders als bei Frauen im Minijob sind die hohen Mismatch-Anteile daher kaum auf hohe Anspruchsniveaus zurückzuführen. Anders gestaltet sich dies im Vergleich von nicht-arbeitslos gemeldeten Minijobbern und „Aufstockern“ aus. Wenngleich die Befunde zur Bedeutungszuschreibung und der Erfüllung hier zum Teil deutliche Unterschiede offenbart haben, zeigt sich dies mit Blick auf die Mismatch-Indizes nicht. Hier liegen die Anteile relativ gleichauf, wobei nicht-arbeitlos gemeldete Minijobber häufiger ein Matching hinsichtlich eines guten Verhältnisses zu Kollegen aufweisen, wohingegen dies bei „Aufstockern“ für die Möglichkeiten der Interessenartikulation gilt. 7.1.4 Salutogene Dimension Die letzte der vier Untersuchungsdimensionen der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern ist die salutogene Dimension. In dieser Dimension stehen die gesundheitsfördernden Aspekte von Erwerbsarbeit im Zentrum, wobei sowohl auf körperliche als auch psychische Belastungen abgezielt wird. Diese Untersuchungsdimension setzt sich aus vier Facetten zusammen: dem Fehlen körperlicher Belastungen
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
283
(z.B. Tragen schwerer Lasten, einseitige Körperhaltungen), dem Fehlen psychischer Belastungen (z.B. Leistungsdruck, Stress), der Gefahrenfreiheit in der Erwerbsarbeit (etwa Risiko von Unfällen) sowie den Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, der sogenannten Work-Life-Balance. Auch für diese Dimension wird in der Analyse zunächst ein Blick auf die Bedeutungszuschreibungen dieser vier Facetten unter Minijobbern gelegt. Abbildung 26 zeigt die Häufigkeitsverteilungen. Hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung der einzelnen Facetten wird deutlich, dass diese für drei der vier Items tendenziell niedriger ausfällt als bei zahlreichen Facetten in den bisher untersuchten Dimensionen. Für rund 60% der Minijobber ist das Fehlen körperlicher Belastungen in der beruflichen Arbeit eher oder sehr wichtig, 56% empfinden das Fehlen psychischer Belastungen als wichtig und rund 62% geben an, dass für sie die Gefahrenfreiheit von großer Bedeutung ist. Wenngleich die Anteile hoher Bedeutungszuschreibungen für alle diese Facetten vergleichsweise niedrig ausfallen, werden zwei Aspekte deutlich: zum einen sind diese salutogenen Aspekte dennoch für die Mehrheit der Befragungspersonen eher oder sehr wichtig, andererseits können relativ hohe Anteile mittlerer Bedeutungszuschreibungen beobachtet werden. Hieraus folgt, dass die Anteile an Beschäftigten, welche die genannten salutogenen Aspekte als unwichtig beurteilen, nicht so hoch ausfallen wie die vergleichsweise niedrigen Anteile hoher Bedeutungszuschreibungen vermuten ließen. Die Befunde deuten darauf hin, dass ein nicht geringer Anteil der Minijobber das absolute Fehlen körperlicher und psychischer Belastungen nicht als zentral für die berufliche Arbeit wahrnimmt, sondern lediglich das Überschreiten bestimmter individueller Belastungsgrenzen als problematisch empfände. Darüber hinaus ist ersichtlich, dass die Facette „Work-LifeBalance“ dem genannten Muster kaum entspricht. Ganze 84% der befragten Minijobber erachten gute Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben als wichtig – exakt die Hälfte aller Befragungspersonen sogar als sehr wichtig. Folglich beurteilen diesen Aspekt auch lediglich 12% als weder besonders wichtig noch unwichtig und gerade einmal vier Prozent als unwichtig. Tiefergehende Analysen bestätigen auch in dieser Untersuchungsdimension die bereits zuvor skizzierten Geschlechterunterschiede. Über alle salutogenen Facetten hinweg messen Frauen den genannten Aspekten eine höhere Bedeutung für die berufliche Arbeit bei als Männer – die Unterschiede sind zum Teil eklatant. Während etwa lediglich 53% der Männer das Fehlen körperlicher Belastungen als wichtig für die berufliche Arbeit einschätzen, sind es bei den Frauen mehr als 64%. Ähnliche Tendenzen zeigen sich hinsichtlich des Fehlens psychischer Belastungen (51% vs. 60%), der Gefahrenfreiheit bei der Arbeit (54% vs. 67%) sowie der Work-Life-Balance (77% vs. 87%). Ähnlich starke Differenzen zeigen sich bezüglich verschiedener Altersgruppen unter Minijobbern. Da diese Dimension insbesondere Belastungen und Gefahren thematisiert, sind die Befunde in der generellen
284
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Tendenz wenig, hinsichtlich der Stärke jedoch durchaus überraschend. Generell gilt, dass die Wichtigkeit der salutogenen Facetten mit zunehmendem Alter der Minijobber steigt. Während etwa 43% der unter 20-Jährigen das Fehlen körperlicher Belastungen in der Arbeit als wichtig erachten, sind es bei den Minijobbern, die 60 Jahre und älter sind, 73%. Gleiche Tendenzen zeigen sich hinsichtlich des Fehlens psychischer Belastungen (32% vs. 61%) und der Gefahrenfreiheit bei der Arbeit (47% vs. 72%). Interessanterweise zeigt sich dasselbe Muster auch hinsichtlich der Bedeutungszuschreibung einer guten Work-Life-Balance, der von Personen, die 50 Jahre und älter sind, eine spürbar höhere Bedeutung beigemessen wird als von jüngeren Minijobbern unter 40 Jahren. Abbildung 26: Bedeutung der Facetten in der salutogenen Dimension (Angaben in Prozent) Fehlen körperlicher Belastungen 2
10
Fehlen psychischer Belastungen 3
11
Gefahrenfreiheit 3
Work-Life-Balance 1 3
Sehr unwichtig
9
28
31
30
30
26
12
Eher unwichtig
29
26
34
34
Teils/ teils
28
50
Eher wichtig
Sehr wichtig
Eigene Berechnung und Darstellung; n=999-1.003
Dahingegen zeigen sich hinsichtlich des höchsten beruflichen Abschlusses, anders als in den bisherigen Dimensionen, keine klaren Unterschiede – zumindest nicht im Sinne einer tendenziell niedrigeren Bedeutungszuschreibung verschiedener Facetten von Personen ohne beruflichen Abschluss. Bezüglich der salutogenen Facetten sind es insbesondere Personen mit mittleren Berufsabschlüssen, welche diesen Aspekten eine überdurchschnittlich hohe Bedeutung für die berufliche Arbeit beimessen. Die Unterscheidung „regulärer“ Minijobber und „Aufstocker“ zeigt indes lediglich bei zwei Facetten nennenswerte Unterschiede. So messen nicht-arbeitslos gemeldete Minijobber dem Fehlen psychischer Belastungen eine
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
285
deutlich höhere Bedeutung bei als „Aufstocker“. Gleiches gilt für die Work-LifeBalance. Möglicherweise spricht dieser Befund dafür, dass auch hinsichtlich einzelner salutogener Aspekte in der Erwerbsarbeit arbeitslos gemeldete Beschäftigte eher zu Zugeständnissen bereit sind und Aspekten wie Stressfreiheit in der Arbeit oder einer guten Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben deshalb eine niedrigere Bedeutung beimessen. Neben der Bedeutungszuschreibung ist auch in der salutogenen Dimension die Erfüllung der einzelnen Facetten zentral für eine Abschätzung der subjektiven Arbeitsqualität von geringfügig Beschäftigten. Die nachfolgende Abbildung 27 gibt hierzu einen Überblick. Die Facette „Fehlen körperlicher Belastungen“ wird von rund 56% der Befragungspersonen als erfüllt beurteilt, wohingegen mit rund 19% fast ein Fünftel dies verneint. Ein weiteres Viertel gibt an, diese Facette sei teilweise erfüllt und teilweise nicht erfüllt in ihrem Minijob. Eine höhere Erfüllungsquote weist das Item „Fehlen psychischer Belastungen“ auf. Hier sind es rund 60%, die diesen Aspekt als befriedigt in ihrem Minijob wahrnehmen. Folglich liegen auch die Anteile mittlerer und niedriger Erfüllung niedriger als bei den körperlichen Belastungen. Auffallend ist auch hier der relativ große Anteil an Minijobbern, die in die Kategorie „teils/teils“ fallen. Hinsichtlich der Gefahrenfreiheit geben rund 62% der Befragungspersonen an, dieser Aspekt sei in ihrem Minijob erfüllt. 15% vereinen dies und auch hier sind mit 23% nicht wenige Minijobber unentschlossen. Die Facette „Work-Life-Balance“ weist unter allen salutogenen Facetten die höchste Erfüllungsquote auf – mit 76% berichten mehr als drei Viertel der Minijobber von einer zufriedenstellenden Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben in ihrem Minijob. Auffallend ist hier, dass lediglich rund 7% der Befragungspersonen eine derartige Vereinbarkeit als unerfüllt beurteilen. Insgesamt liegen die Erfüllungsquoten in der salutogenen Dimension damit im mittleren Bereich, wenn man die anderen Untersuchungsdimensionen subjektiver Arbeitsqualität als Vergleichsmaßstab heranzieht. Hinsichtlich des Geschlechtes zeigen sich kaum nennenswerte Unterschiede in der Erfüllung der salutogenen Facetten. Einzig die Work-Life-Balance wird von Frauen spürbar häufiger als erfüllt beurteilt, wenngleich hier die Differenz zu den Männern mit rund viereinhalb Prozentpunkten relativ gering ausfällt. Mit Blick auf verschiedene Altersgruppen zeigen die Befunde insgesamt kein stringentes Muster. Auffällig ist jedoch, dass Minijobber, die 60 Jahre und älter sind, über alle Facetten hinweg die höchsten Anteile der Erfüllung der salutogenen Facetten aufweisen. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die zuvor vorgestellte Bedeutungszuschreibung gezeigt hat, dass diese Altersgruppe den salutogenen Aspekten in der Erwerbsarbeit auch die vergleichsweise höchste Bedeutung beimisst. Hinsichtlich unterschiedlicher beruflicher Qualifikationsniveaus bestätigt sich der bereits angesprochene Trend, dass Minijobber ohne Berufsabschluss tendenziell seltener von
286
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
einer Erfüllung der salutogenen Aspekte berichten. Gleichwohl fallen die Unterschiede zumeist relativ gering aus. Eine Ausnahme bildet das Fehlen körperlicher Belastungen, welches von Minijobbern ohne Berufsabschluss deutlich seltener als erfüllt beurteilt wird als von Minijobbern mit mittleren und hohen beruflichen Abschlüssen. Gerade unter Einbezug der intrinsischen Dimension der Arbeitsqualität könnten die Befunde dafür sprechen, dass niedrig qualifizierte Minijobber in der Tendenz häufiger körperlich anstrengende (Hilfs-) Tätigkeiten ausüben (etwa Heben schwerer Lasten). Auch hinsichtlich der salutogenen Dimension bestätigt sich außerdem, dass arbeitslos gemeldete Minijobber seltener von einer Erfüllung berichten als nicht-arbeitslos gemeldete Minijobber. Besonders groß fallen die Unterschiede beim Fehlen körperlicher Belastungen (rund 10 Prozentpunkte) sowie dem Fehlen psychischer Belastungen (10 Prozentpunkte) aus. Auch dieser Befund gibt Anlass zu der Vermutung, dass „Aufstocker“ häufig nur relativ einfache Hilfstätigkeiten mit einem relativ hohen objektiven Belastungsniveau ausüben. Hierfür sprechen, ähnlich wie bei den gering qualifizierten Minijobbern, sowohl die Beurteilungen der hiesigen salutogenen als auch der bereits vorgestellten intrinsischen Dimension. Abbildung 27: Erfüllung der Facetten in der salutogenen Dimension im aktuellen Minijob (Angaben in Prozent) Fehlen körperlicher Belastungen
4
Fehlen psychischer Belastungen
4
13
Gefahrenfreiheit
4
11
Work-Life-Balance 2 5
Ganz und gar nicht
15
25
26
23
33
23
18
Eher nicht
Eigene Berechnung und Darstellung; n=983-988
27
29
31
Teils/ teils
30
33
45
Größtenteils
Voll und ganz
287
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
In einem letzten Analyseschritt werden auch mit Blick auf die salutogene Dimension die Diskrepanzen zwischen gewünschtem Soll- und erlebtem Ist-Zustand in den Blick genommen. Hierfür wird zunächst ein Mittelwertvergleich der Einzelfacetten dieser Dimension herangezogen, der in der nachfolgenden Abbildung dargestellt ist. Abbildung 28: Soll- und Ist-Zustand in der salutogenen Dimension (Mittelwertvergleich) Fehlen körperlicher Belastungen
Fehlen psychischer Belastungen
Work-Life-Balance
Soll-Zustand Ist-Zustand
Gefahrenfreiheit
Eigene Berechnung und Darstellung; Skala von 1 (sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr wichtig/voll und ganz erfüllt); n= 983-1.003
Bereits auf den ersten Blick zeigt sich, dass die Befunde des Mittelwertvergleiches von Soll- und Ist-Zustand für die einzelnen salutogenen Facetten ein gänzlich anderes Bild aufwerfen als in den anderen Untersuchungsdimensionen. Auffallend ist vor allem die hohe Übereinstimmung zwischen dem durchschnittlichen Niveau der Soll-Zustände und jenem der Ist-Zustände. Die vier Facetten der salutogenen Dimension weisen hier im Durschnitt fast eine absolute Deckungsgleichheit auf. Bei der Facette „Fehlen körperlicher Belastungen“ liegt der Mittelwert der Bedeutungszuschreibung bei 3,74, jener der Erfüllung bei 3,63 und damit nur geringfügig unter dem durchschnittlichen Anspruchsniveau. Hinsichtlich des Fehlens psychischer Belastungen zeigt sich, dass hier das durchschnittliche Erfüllungsniveau unter Minijobbern mit einem Mittelwert von 3,67 sogar über der durchschnittlichen Bedeutungszuschreibung (3,65) liegt. Fast deckungsgleich ist auch das Soll-IstVerhältnis hinsichtlich der Gefahrenfreiheit bei der Arbeit. Diese Facette wird im
288
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Durchschnitt mit 3,77 bei der Bedeutung beurteilt, die durchschnittliche Erfüllung liegt mit 3,75 quasi auf demselben Niveau. Geringfügig größer ist hingegen die Diskrepanz hinsichtlich der Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Hier zeigt sich sowohl die durchschnittlich höchste Bedeutungszuschreibung (Mittelwert 4,27) als auch die höchste durchschnittliche Erfüllung (4,13). Wenngleich hier also die Diskrepanz etwas größer ausfällt als bei den anderen Facetten der salutogenen Dimension, ist sie im Vergleich zu den Befunden der anderen Dimensionen quasi nicht existent. Insgesamt zeigt der Mittelwertvergleich der Soll- und Ist-Zustände in der salutogenen Dimension damit eine insgesamt hohe Deckungsgleichheit zwischen der durchschnittlichen Bedeutungszuschreibung und der durchschnittlichen Erfüllung in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Neben dem Mittelwertvergleich interessieren auch in dieser Untersuchungsdimension zu guter Letzt die Anteile individueller Matches und Mismatches. Die Befunde hierzu sind in der nachfolgenden Abbildung dargestellt. Abbildung 29: Mismatch-Indizes in der salutogenen Dimension (Angaben in Prozent) Fehlen körperlicher Belastungen
69
18
9
3
Fehlen psychischer Belastungen
70
17
8
3
Gefahrenfreiheit
72
17
Work-Life-Balance
70
20
Match/ Übererfüllung
Leichter Mismatch
Starker Mismatch
Maximaler Mismatch
7 3
7 2
Mittlerer Mismatch
Eigene Berechnung und Darstellung; alle Fälle einer Übererfüllung wurden der Kategorie „Match“ zugeordnet; Mismatches reichen von „leicht“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 1) bis „maximal“ (Bedeutungs-Erfüllungs-Diskrepanz von 4); n= 980-984
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
289
Die empirischen Befunde auf Basis der Mismatch-Indizes bestätigen in weiten Teilen die bisherigen Erkenntnisse. Deutlich wird, dass in der salutogenen Dimension auch auf individueller Ebene der Minijobber eine hohe Passung von als wünschenswert erachteten Zuständen einerseits und im Minijob realisierten Arbeitssituationen andererseits zu beobachten ist. Hinsichtlich des Fehlens körperlicher Belastungen in der Arbeit weisen mit rund 69% mehr als zwei Drittel der Minijobber eine (Über-) Erfüllung der eigenen Ansprüche auf. Dort, wo es zu einer Untererfüllung kommt, dominieren Formen eines leichten Mismatches. Immerhin 9% der Minijobber weisen einen mittleren Mismatch auf, wohingegen starke und maximale Mismatches nur für einen Bruchteil der geringfügig Beschäftigten nachzuweisen sind. Ein nahezu identisches Bild zeigt sich bei der Facette „Fehlen psychischer Belastungen“, welche ebenfalls hohe MatchingAnteile und im Falle einer Untererfüllung leichte Formen eines Mismatches aufweist. Hinsichtlich der Gefahrenfreiheit bei der Arbeit zeigen sich sogar geringfügig höhere Anteile an Matchings, wohingegen die leichten Mismatches auf dem Niveau der eben genannten salutogenen Facetten liegen. Auch hier spielen stärkere Mismatch-Formen eine nur untergeordnete Rolle. Eine ebenso hohe Übereinstimmung zwischen Anspruch und Arbeitsrealität zeigt sich hinsichtlich der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. 70% der geringfügig Beschäftigten weisen hier einen Match auf, weitere rund 20% einen leichten Mismatch. Mittlere Mismatches stellen mit 7% die Ausnahme dar, starke und maximale Mismatches kommen hinsichtlich der Work-Life-Balance von Minijobbern so gut wie gar nicht vor. Insgesamt zeigt sich in der salutogenen Dimension somit ein hohes Übereinstimmungsniveau von gewünschtem Soll- und erlebtem IstZustand. Wie bei einer Mehrheit der anderen Untersuchungsdimensionen offenbart sich, dass in Fällen einer Untererfüllung der eigenen Ansprüche über alle Facetten hinweg leichte Mismatches den größten Anteil ausmachen, wohingegen starke und maximale Mismatches keine nennenswerte Rolle spielen. Betrachtet man zu guter Letzt die Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der geringfügig Beschäftigten, fallen zunächst, und dies stellt eine Parallele zu den bisherigen empirischen Erkenntnissen der anderen Untersuchungsdimension dar, Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Minijobbern ins Auge. Ähnlich den Befunden zur sozialen Dimension liegen in der salutogenen Dimension die Anteile der Matches unter Männern höher als bei den Frauen. Auch hier kann auf den im Zusammenhang mit der sozialen Dimension bereits formulierten Erklärungsansatz zurückgegriffen werden, wonach diese Unterschiede nicht primär dadurch zu erklären sind, dass Frauen deutlich seltener von einer Erfüllung der einzelnen salutogenen Facetten berichten, sondern sie insgesamt über ein höheres Anspruchsniveau verfügen. Hinsichtlich verschiedener Altersgruppen zeigen sich, wie oben dargestellt, zwar gewichtige Unterschiede hin-
290
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
sichtlich der Bedeutung und Erfüllung der einzelnen Facetten, die sich jedoch mit Blick auf die Mismatches relativieren. Auffällig ist, dass in Bezug auf die meisten salutogenen Facetten vor allem jüngere Beschäftigte unter 30 Jahren sowie ältere Personen (60+) hohe Matchings aufweisen. Die Gründe hierfür sind jedoch unterschiedlicher Natur: während jüngere Minijobber den salutogenen Aspekten der Erwerbsarbeit eine tendenziell eher niedrige Bedeutung beimessen, die folglich bereits mit mittleren Erfüllungsniveaus befriedigt werden können, berichten ältere Arbeitnehmer sowohl von einer durchschnittlich hohen Bedeutung salutogener Aspekte in der Erwerbsarbeit, die für diese Gruppe aber auch auf ebendiesem hohen Niveau erfüllt wird. Eine Ausnahme bildet die Facette „Work-Life-Balance“, in der sich ein linearer positiver Zusammenhang zwischen dem Alter und der Passung von Anspruch und erlebter Arbeitssituation zeigt. Die Befunde zu verschiedenen Qualifikationsniveau der geringfügig Beschäftigten zeigen indes kein klares Muster. Eine Ausnahme bildet auch hier die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Hier weisen Minijobber ohne Berufsabschluss eine deutlich geringere Matching-Quote auf als Minijobber mit mittleren oder hohen beruflichen Abschlüssen. Auch in der salutogenen Dimension bestätigt sich zu guter Letzt, dass die Erwartungen der „Aufstocker“ häufiger nicht erfüllt werden als jene der nicht-arbeitslos gemeldeten Minijobber. Besonders groß fällt die Diskrepanz hinsichtlich der Gefahrenfreiheit bei der Arbeit sowie der WorkLife-Balance aus. 7.1.5 Gesamtschau Gegenstand der hiesigen Ausführungen war die Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern. Anhand vier zentraler Dimensionen wurde einerseits erhoben, welche Bedeutung geringfügig Beschäftigte einzelnen Facetten der Erwerbsarbeit beimessen und in welchem Maße diese andererseits im Rahmen des Minijobs erfüllt werden. In der Gesamtschau der hier präsentierten empirischen Befunde lassen sich einige zentrale Ergebnisse festhalten. Zunächst einmal basiert der Soll-Ist-Abgleich auf einem evaluativ-relationalen Verständnis von Arbeitsqualität. Zum Teil wird hierbei die Kritik geäußert, dass insbesondere die Erfassung der Arbeitswerte, also der Bedeutung, die Beschäftigte einzelnen Facetten der beruflichen Arbeit beimessen, nur wenig aussagekräftige Befunde generieren könne, da für die meisten Beschäftigten alle Arbeitswerte gleichermaßen wichtig seien (vgl. etwa Borg 2006: 63). Diese Hypothese kann auf Basis der hier präsentierten empirischen Befunde nicht bestätigt werden. Richtig ist zunächst, dass ein großer Teil der (geringfügig) Beschäftigten die meisten Facetten in den einzelnen Untersuchungsdimensionen als wichtig erachtet. Dies ist jedoch nur wenig verwunderlich, da es sich um als wünschenswert erachte-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
291
te Zustände in der beruflichen Arbeit handelt. Gleichwohl zeigen die empirischen Befunde, dass Beschäftigte sehr wohl in der Lage sind, unterschiedliche Facetten zu gewichten und zu eigenständigen Urteilen zu kommen, die keineswegs zu einer praktisch nicht vorhandenen Varianz von Bedeutungszuschreibungen einzelner Facetten der Erwerbsarbeit führen. Folglich haben die hier präsentierten Befunde gezeigt, dass es durchaus einzelne Facetten der beruflichen Arbeit gibt, die für geringfügig Beschäftigte – gerade im Vergleich zu anderen, als äußerst wichtig erachteten Aspekten – im Durchschnitt keinen besonders hohen Stellenwert einnehmen. Beispiele hierfür sind etwa das Vorhandensein guter Aufstiegschancen oder die Ausübung einer gesellschaftlich nützlichen Tätigkeit. Will man nun, abseits methodisch-konzeptioneller Fragen, die zentralen Befunde der Untersuchung der subjektiven Arbeitsqualität zusammenfassen, ist als erstes ein Blick auf die Bedeutungszuschreibungen sinnvoll. Auffällig an den Befunden ist zunächst einmal, dass den Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension zwar durchschnittlich eine durchaus hohe Bedeutung beigemessen wird, andere Facetten in der beruflichen Arbeit für Minijobber jedoch von größerer Wichtigkeit sind. Dieser Befund ist insofern interessant, als dass in Diskursen um die Qualität von Erwerbsarbeit in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen zumeist die monetären Aspekte betont und häufig kritisiert werden. Wie diese Arbeit bereits gezeigt hat, entspricht dies durchaus den objektiven Fakten zur Entlohnung von Minijobbern und folglich ist geäußerte Kritik auch nicht obsolet. Gleichwohl spielen die monetären und arbeitsvertraglichen Sicherheiten für die Minijobber in der subjektiven Wahrnehmung nicht die größte – vor allem nicht einzige – Rolle, wenn es um die subjektive Wahrnehmung ihrer Arbeits- und Beschäftigungssituation geht. Von allen 19 untersuchten Facetten über die vier Untersuchungsdimensionen hinweg findet sich unter den fünf als am wichtigsten erachteten Arbeitswerten keine Facette aus der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, dafür jedoch vier aus der sozialen Dimension. Gleiches gilt für die „Top 5“ der Facetten, welche die höchsten Anteile der Erfüllung im Minijob aufweisen. Hier finden sich drei Facetten der sozialen, eine Facette der intrinsischen sowie eine der salutogenen Dimension. Für eine zusammenfassende Betrachtung der einzelnen Dimensionen wird in einem letzten Analyseschritt ein Mittelwertvergleich für die vier Dimensionen der subjektiven Arbeitsqualität präsentiert, um von der Ebene der hier einzeln untersuchten Facetten zu abstrahieren und ein Gesamtfazit hinsichtlich der vier Untersuchungsdimensionen ziehen zu können. Hierfür werden die gleich gewichteten additiven Indizes, jeweils für die Bedeutungszuschreibung sowie die Erfüllung, der vier Untersuchungsdimensionen genutzt. Abbildung 30 gibt einen Gesamtüberblick über das durchschnittliche Verhältnis von gewünschtem Soll- und erlebtem Ist-Zustand in den vier zentralen Untersuchungsdimensionen subjektiver Arbeitsqualität. Deutlich wird, dass allen
292
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Dimensionen der Arbeitsqualität durchschnittlich eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Die durchschnittliche Bedeutungszuschreibung der Sicherheitsund Entwicklungsdimension, der intrinsischen Dimension sowie der salutogenen Dimension ist hierbei mit einem Mittelwert von 3,8 bis auf die erste Nachkommastelle identisch. Einzig die soziale Dimension sticht hervor und wird mit einer durchschnittlichen Bedeutungszuschreibung von 4,2 als am wichtigsten bewertet. Abbildung 30: Soll- und Ist-Zustände in den vier Dimensionen subjektiver Arbeitsqualität von geringfügig Beschäftigten (Mittelwertvergleich auf Basis gleich gewichteter additiver Indizes) Sicherheits- und Entwicklungsdimension
Salutogene Dimension
Intrinsische Dimension
Soll-Zustand Ist-Zustand
Soziale Dimension
Eigene Berechnung und Darstellung; Grundlage: Mittelwertvergleich der ungewichteten additiven Indizes; Skala von 1 (sehr unwichtig/ganz und gar nicht erfüllt) bis 5 (sehr wichtig/voll und ganz erfüllt); n= 859-992
Deutlich größere Unterschiede zeigen sich indes hinsichtlich der subjektiv wahrgenommenen Erfüllung der einzelnen Dimensionen der Arbeitsqualität, woraus auch unterschiedlich große Diskrepanzen zwischen Soll- und Ist-Zustand in den vier Untersuchungsdimensionen resultieren. Am größten fällt die Diskrepanz in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension aus. Hierfür spricht neben dem in der obigen Abbildung dargestellten Mittelwertvergleich auch die Tatsache, dass unter den fünf Facetten mit der insgesamt höchsten Diskrepanz zwischen Sollund Ist-Zustand alle vier Einzelfacetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension vorzufinden sind. Eine ähnlich hohe durchschnittliche Bedeutungszu-
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
293
schreibung erfährt die intrinsische Dimension, in der jedoch das Maß der Erfüllung dieser Ansprüche höher ausfällt als in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension. Folglich ist auch die durchschnittliche Diskrepanz zwischen Sollund Ist-Zustand geringer ausgeprägt, wenngleich das Maß der Erfüllung immer noch hinter den Erwartungen der Minijobber zurückbleibt. Eine Besonderheit stellt die soziale Dimension dar. Ihr wird durchschnittlich die höchste Bedeutung aller Untersuchungsdimensionen beigemessen und auch die durchschnittliche Erfüllung liegt in keiner anderen Dimension höher. Die Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand ist in der sozialen Dimension folglich geringer ausgeprägt als in der Sicherheits- und Entwicklungs- sowie der intrinsischen Dimension. Zu guter Letzt stellt auch die salutogene Dimension eine Besonderheit dar, weil hier die geringste Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Zustand zu beobachten ist und es nahezu zu einer absoluten Deckungsgleichheit der durchschnittlichen Bedeutungszuschreibung und dem Maß der Erfüllung im Minijob kommt. Diese Befunde bestätigen sich auch mit einem Blick auf jene Facetten, welche auf individueller Ebene der Minijobber die höchsten bzw. niedrigsten MatchingQuoten aufweisen. Die größte Übereinstimmung über alle Dimensionen hinweg erfährt die Facette „selbstständiges Arbeiten“ aus der intrinsischen Dimension. 79% der Minijobber weisen hier eine Passung von Anspruch und erlebter Arbeitsrealität auf. Es folgen mit den Facetten „gutes Verhältnis zu Vorgesetzten“ (75%) und „gutes Verhältnis zu Kollegen“ (74%) zwei Aspekte aus der sozialen Dimension. Rang vier und fünf nehmen die Gefahrenfreiheit bei der Arbeit (72%) sowie das Fehlen psychischer Belastungen (70%) aus der salutogenen Dimension ein. Unter den „Flop 5“ der Matchings hingegen finden sich alle vier Facetten der Sicherheits- und Entwicklungsdimension: gute Aufstiegschancen (41% der Minijobber weisen ein Match zwischen Soll- und Ist-Zustand auf), gutes Einkommen (47%), leistungsgerechtes Einkommen (48%) sowie Arbeitsplatzsicherheit (55%). Vervollständigt werden die hinteren Ränge von der Facette „Möglichkeiten zur Weiterentwicklung von Fähigkeiten“ (52%) aus der intrinsischen Dimension. An dieser Stelle können daher auf Basis der vorgestellten empirischen Analysen auch die zwei forschungsleitenden Hypothesen zur subjektiven Arbeitsqualität überprüft werden. Hypothese 5 (H5) ging davon aus, dass Minijobber den Arbeitsinhalten und sozialen Aspekten am Arbeitsplatz eine höhere Bedeutung beimessen als den monetären Aspekten. Diese Hypothese kann auf Basis der oben präsentierten empirischen Befunde lediglich zu Teilen bestätigt werden. Richtig ist, dass insbesondere die sozialen Aspekte der Erwerbsarbeit eine hohe Bedeutungszuschreibung seitens der Minijobber erfahren – dies gilt für nahezu alle Facetten dieser Untersuchungsdimension. Auch die Mittelwertvergleiche der vier Untersuchungsdimensionen haben bestätigt, dass die Minijobber der sozialen Dimension der Arbeitsqualität insgesamt die höchste Bedeutung beimessen. Daher kann dieser Teil der forschungsleitenden Hypothese verifiziert werden.
294
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Falsifiziert werden muss hingegen die Annahme, dass die intrinsischen Aspekte eine größere Bedeutung genießen als die monetären Aspekte der Erwerbsarbeit. Im Durchschnitt wird der Sicherheits- und Entwicklungsdimension eine ebenso hohe Bedeutung beigemessen wie der intrinsischen Dimension. Hierbei wurde auch deutlich, dass in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension den monetären Aspekten sowie der Arbeitsplatzsicherheit eine deutlich höhere Bedeutung zugeschrieben wird als den Aufstiegschancen. Festgehalten werden kann daher, dass die intrinsischen, d.h. aufgaben- und tätigkeitsbezogenen Aspekte von Minijobbern größtenteils als wichtig erachtet werden, jedoch nicht in stärkerem Maße, als dies bei den monetären Aspekten der Fall ist. Hypothese 6 (H6) konzentrierte sich hingegen auf die Erfüllung einzelner Facetten der subjektiven Arbeitsqualität und ging davon aus, dass die intrinsischen und sozialen Facetten von den Minijobbern positiver, d.h. als in stärkerem Maße erfüllt beurteilt werden als die materielle Sicherheit und die Aufstiegschancen. Die obigen empirischen Befunde haben verdeutlicht, dass diese Hypothese uneingeschränkt verifiziert werden kann. Hierfür sprechen die dargelegten Befunde zu den Erfüllungsquoten und den Mittelwerten für die interessierenden Facetten sowie die präsentierten Mismatch-Anteile. Die Analyse hat belegt, dass die monetären Aspekte als deutlich weniger erfüllt und damit spürbar negativer beurteilt werden als die Facetten der intrinsischen und, in noch stärkerem Maße, der sozialen Dimension. Sichtbar wurde ebenso, dass insbesondere die Aufstiegschancen als defizitär erlebt werden. Von allen untersuchten Facetten über alle Untersuchungsdimensionen hinweg findet sich hier der niedrigste Anteil der Erfüllung sowie die größte Diskrepanz zwischen Anspruch und erlebter Arbeitsrealität – wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Die Hypothese hat sich damit in der empirischen Untersuchung bestätigt. Was bleibt also abschließend von der subjektiven Arbeitsqualität von Minijobbern? Ein zentraler Befund der Analyse besteht zunächst in einer Sensibilisierung für die Tatsache, dass Arbeitsqualität, verstanden als subjektives und evaluativ-relationales Konstrukt, aus Sicht der Minijobber weit mehr Aspekte der Erwerbsarbeit umfasst als die „klassischen“ harten Beschäftigungsbedingungen wie die Entlohnung oder der Vertragsstatus. Folglich greift eine alleinige Konzentration auf diese Aspekte in den Diskussionen um die Qualität von Arbeit in Minijobs zu kurz. Minijobber messen neben den „harten“ Faktoren auch den aufgaben- und tätigkeitsbezogenen, den sozialen sowie den gesundheitsförderlichen Aspekten eine hohe Bedeutung bei, die darüber hinaus in vielen Fällen im Minijob erfüllt werden. Deutlich wird darüber hinaus, dass die objektiv unterdurchschnittlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sich auch in der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung der Minijobber niederschlagen. Dies gilt allen voran für die Entlohnung und die Arbeitsplatzsicherheit, wo sich auch klare Zusammenhänge zwischen objektiven Bedingungen und subjektiven Wahrnehmungen nachweisen
7.1 Subjektive Arbeitsqualität im Minijob
295
lassen. Als defizitär müssen auch die Weiterentwicklungsmöglichkeiten von Fähigkeiten sowie die Aufstiegschancen beurteilt werden. Auch hier bestätigen die subjektiven Urteile der Minijobber ihre objektiven Lagen, die im Rahmen dieser Arbeit bereits thematisiert wurden – etwa die geringen Fort- und Weiterbildungsquoten. Insgesamt scheinen Minijobber daher ein gutes Gespür für ihre objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und die hiermit einhergehenden Problemfelder zu haben. Neben diesen problematischen Facetten in der Erwerbsarbeit von Minijobbern hat die Analyse aber auch offenbart, dass viele Aspekte in der Erwerbsarbeit von Minijobbern positiv wahrgenommen werden und sie von einer Passung der eigenen Erwartungen sowie deren Erfüllung im Minijob berichten. Dies gilt für einige Aspekte der intrinsischen Dimension, in welcher insbesondere die Möglichkeiten zum selbstständigen Arbeiten, eine gesellschaftlich nützliche Tätigkeit sowie die Passung von Tätigkeiten und eigenen Fähigkeiten vergleichsweise hohe Matchings aufweisen. Noch positiver fällt die Einschätzung hinsichtlich der sozialen Aspekte aus, die im Vergleich aller Untersuchungsdimensionen gleichzeitig als am wichtigsten in der Erwerbsarbeit eingeschätzt werden. Die Befunde haben verdeutlicht, dass die soziale Dimension für Minijobber eine positive Quelle der subjektiven Arbeitsqualität ist. Die zwischenmenschlichen Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten werden hier ebenso positiv, da erfüllt, beurteilt wie die Gleichbehandlung der Beschäftigten und die Möglichkeiten zur Artikulation eigener Interessen. Die Befunde dieser subjektiven Einschätzungen der Minijobber widersprechen damit der zum Teil geäußerten Vermutung, wonach Minijobber in betrieblichen Kontexten Arbeitnehmer zweiter Klasse und betrieblich nicht integriert seien sowie Interessen nicht vortragen können. Gleiches gilt für die salutogene Dimension, die insgesamt die höchste Passung zwischen den Ansprüchen und deren Erfüllung aufweist. Die befragten Minijobber scheinen insgesamt nicht der Auffassung zu sein, für besonders belastende oder gefährliche Arbeiten „missbraucht“ zu werden oder unter Arbeitsbedingungen beschäftigt zu sein, die ihre körperlichen und psychischen Belastungsgrenzen überschreiten. Hierzu zählt auch, dass die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben von mehr als drei Viertel der Beschäftigten als erfüllt beurteilt werden. Gleichzeitig haben die empirischen Analysen auch einige bemerkenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen unter den Minijobbern und hiermit auch einzelne Problemgruppen offengelegt. Auffällig ist zunächst, dass Frauen über so gut wie alle Einzelfacetten der vier Dimension der Arbeitsqualität hinweg niedrigere Quoten der Erfüllung ihrer eigenen Ansprüche aufweisen. Wenngleich dies mit einiger Wahrscheinlichkeit auch mit den objektiven und subjektiv erlebten Arbeitsrealitäten von Frauen in Zusammenhang stehen dürfte, haben die Analysen auch Hinweise dafür geliefert, dass die tendenziell stärker verbreitete Nicht-Erfüllung der eigenen Ansprüche auch mit einem insge-
296
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
samt hohen Anspruchsniveau von Frauen begründet werden kann. Warum Frauen so gut wie allen untersuchten Facetten eine, zum Teil deutlich, höhere Bedeutung beimessen als Männer, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden. Hinsichtlich der verschiedenen Altersgruppen unter Minijobbern zeigen sich deutlich diffusere Zusammenhänge, wobei ein zentraler Befund ins Auge fällt: insbesondere ältere Minijobber (60+) und damit auch viele der Rentner im Minijob berichten überdurchschnittlich häufig von einer generellen Erfüllung einzelner Facetten als auch einer Erfüllung der eigenen Ansprüche. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass sie, ähnlich wie die weiblichen Minijobber, in der Tendenz überdurchschnittliche Ansprüche formulieren, die jedoch subjektiv im Rahmen des Minijobs auch erfüllt werden. Die hohe Erfüllung der eigenen Ansprüche von älteren Minijobbern und Rentnern ist zu guter Letzt auch vor dem Hintergrund interessant, dass häufig insbesondere auch die Ausübung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse von Rentnern stark problematisiert wird. Die Befunde zur subjektiven Arbeitsqualität relativieren dies in gewisser Weise, da deutlich wird, dass ältere Minijobber und Rentner im Minijob viele intrinsische, soziale und salutogene Facetten ihrer Erwerbsarbeit positiv bewerten. Zu guter Letzt haben die Analysen mit den geringqualifizierten Minijobbern und den „Aufstockern“ auch zwei zentrale Problemgruppen hinsichtlich der subjektiven Arbeitsqualität ausfindig gemacht. Beiden Gruppen von Minijobbern ist gemein, dass sie über alle Dimensionen hinweg die Einzelfacetten der Erwerbsarbeit tendenziell als weniger erfüllt wahrnehmen und damit die subjektive Arbeitsqualität unter jener der Vergleichsgruppen liegt. Auffällig ist, dass die vergleichsweise hohen Mismatches trotz eines insgesamt niedrigeren Anspruchsniveaus zustande kommen. Geringqualifizierte Minijobber ohne beruflichen Abschluss sowie arbeitslos-gemeldete Minijobber „schrauben“ ihre Ansprüche bereits herunter und dennoch werden diese überdurchschnittlich häufig nicht erfüllt. Im Besonderen fallen hier die „Aufstocker“ ins Auge. Die Befunde, gerade auch unter Rückbezug der in Kapitel 6 dargelegten objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, liefern klare Hinweise dafür, dass sie sowohl hinsichtlich vieler objektiver Aspekte (etwa Entlohnung, Gewährung von Arbeitnehmerrechten, Möglichkeiten zur Fort- und Weiterbildung) als auch der subjektiven Wahrnehmung der Arbeitssituation zu einer Problemgruppe unter Minijobbern zählen. Insgesamt zeigt sich in der Gesamtschau jedoch, dass Minijobber viele Aspekte ihrer Erwerbsarbeit positiv beurteilen. Dies gilt insbesondere für jene Facetten ihrer Arbeit, die nicht im direkten Zusammenhang mit der objektiv unterdurchschnittlichen Entlohnung und den nur geringen Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten stehen. Angemerkt werden muss zudem, dass in Fällen der NichtErfüllung der individuellen Ansprüche leichte Mismatch-Formen überwiegen. Es ist daher keinesfalls so, dass Minijobs für die Beschäftigten wesentliche, als wichtig erachtete Aspekte der Erwerbsarbeit massenhaft und in maximaler Stärke unter-
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
297
schreiten. Somit ist mit Blick auf die subjektive Arbeitsqualität von Minijobbern eine differenzierte Bilanz notwendig, die konsequent zwischen verschiedenen Dimensionen der Erwerbsarbeit unterscheiden muss. Dies gilt insbesondere deshalb, da erstens die intrinsischen, sozialen und salutogenen Aspekte der Erwerbsarbeit deutlich positiver beurteilt werden als jene der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, was zweitens auch darauf schließen lässt, dass es keinen zwangsläufig linearen Zusammenhang zwischen den objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und den subjektiven Beurteilungen diverser Aspekte der Erwerbsarbeit geben muss; kurzum: Minijobs können auf individueller Ebene schlecht entlohnt sein und nur geringe Lern- und Aufstiegsmöglichkeiten bieten, gleichzeitig jedoch hinsichtlich der sozialen Aspekte im betrieblichen Kontext, der ausgeübten Tätigkeiten und den gesundheitsförderlichen Aspekten der Arbeit positiv beurteilt werden. Aus diesem Grund untermauen die empirischen Erkenntnisse die Notwendigkeit, für eine Vermessung der subjektiven Arbeitsqualität – in diesem Fall von Beschäftigten in einer bestimmten Erwerbsform – multidimensionale Analysezugänge zu wählen, da für die subjektive Beurteilung der eigenen Erwerbsarbeit deutlich mehr Facetten von Bedeutung sind als ausschließlich die Entlohnung oder soziale Absicherung. Dies bedeutet keinesfalls, die vorhandenen strukturellen Probleme der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung zu negieren oder zu ignorieren, wohl aber, der Komplexität und Vielschichtigkeit von Erwerbsarbeit und insbesondere ihrer subjektiven Wahrnehmung in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Minijobs Rechnung zu tragen. 7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs Nach der Analyse der subjektiven Arbeitsqualität stehen im Folgenden zunächst zwei zentrale weitere Aspekte der subjektiven Wahrnehmung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse im Zentrum der Betrachtung. Nachdem im vorigen Abschnitt unter anderem die Bedeutungszuschreibungen einzelner Aspekte der Erwerbsarbeit im Fokus standen, wird nun der Blick etwas geweitet und beleuchtet, welche Bedeutung Minijobber der Sphäre Erwerbsarbeit – insbesondere im Vergleich zu anderen Lebensbereichen – beimessen. Darauf aufbauend wird analysiert, welche Funktionen der Minijob für die Beschäftigten subjektiv erfüllt, wobei hier einerseits die Gründe für die Aufnahme des Minijobs beleuchtet sowie andererseits einige zentrale Funktionen für die Ausübung des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses untersucht werden. Im Verlauf dieser Arbeit wurde bereits gemutmaßt, dass Minijobber der Erwerbsarbeit möglicherweise eine nur untergeordnete Rolle beimessen und sie weniger erwerbszentriert denken und handeln, wie es mitunter implizit unterstellt
298
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
wird. Hierzu wurde auch die forschungsleitende Hypothese 7 (H7) formuliert, die davon ausgeht, dass Minijobber anderen Lebensbereichen eine höhere Bedeutung beimessen als der Erwerbsarbeit. Im Rahmen der empirischen Erhebung wurden die Befragungspersonen daher darum gebeten, sechs Lebensbereiche nach der ihr subjektiv zugeschriebenen Wichtigkeit zu ranken. Diese Lebensbereiche umfassen: bezahlte Arbeit/Erwerbsarbeit, Hausarbeit, Familie/Partnerschaft, Freunde, Freizeitaktivitäten/Hobbies sowie soziales, ehrenamtliches und/oder politisches Engagement. Für eine übersichtliche Möglichkeit der Auswertung der individuellen Rankings wurden die Bedeutungszuschreibungen der Minijobber zu drei Kategorien zusammengefasst: in Fällen, in denen die Befragungspersonen einen Lebensbereich an erster oder zweiter Stelle ranken, wird von einer hohen Priorität dieses Lebensbereiches gesprochen. Wird ein Lebensbereich auf Rang 3 oder 4 platziert, fallen diese Angaben in die Kategorie „mittlere Priorität“, wohingegen Rangzuschreibungen von 5 und 6 in der Kategorie „niedrige Priorität“ zusammengefasst werden. Die nachfolgende Abbildung 31 gibt für die genannten sechs Lebensbereiche eine Übersicht der Bedeutung, welche die Befragungspersonen den jeweiligen Lebensbereichen beimessen. Abbildung 31: Bedeutung verschiedener Lebensbereiche unter geringfügig Beschäftigten (Angaben in Prozent) Familie/ Partnerschaft
4
Bezahlte Arbeit Freunde Hobbies/ Freizeit Hausarbeit Ehrenamtliches Engagement
Niedrige Priorität
11
86
10
33 18
57 52
33
30 53
52
15 38
82
Mittlere Priorität
9 13
5
Hohe Priorität
Eigene Berechnung und Darstellung; niedrige Priorität= Ranking 5 und 6; mittlere Priorität= Ranking 3 und 4; hohe Priorität= Ranking 1 und 2; n=979-991
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
299
Von allen Lebensbereichen messen die geringfügig Beschäftigten der Familie/ Partnerschaft die mit großem Abstand höchste Bedeutung bei. Für 86% hat dieser Lebensbereich eine hohe, für 11% eine mittlere und für gerade einmal 4% eine niedrige Priorität. Darauf folgt die Erwerbsarbeit bzw. bezahlte Arbeit, welche im Durschnitt als am zweitwichtigsten der genannten Lebensbereiche beurteilt wird. Mit 57% hat dieser Lebensbereich für mehr als die Hälfte der Minijobber eine hohe Priorität, für ein Drittel eine mittlere. Lediglich jeder zehnte Minijobber gibt an, dass Erwerbsarbeit nur eine geringe Priorität einnimmt. Hiermit kann bereits an dieser Stelle die oben angesprochene forschungsleitende Hypothese 7 (H7) falsifiziert werden. Die Annahme, wonach Minijobbern der Familie, den Freizeitaktivitäten und sozialen Kontakten außerhalb der Arbeit eine höhere Bedeutung beimessen als der Erwerbsarbeit, kann in dieser Absolutheit auf Basis der Empirie nicht bestätigt werden. Wie gezeigt, wird zwar der Lebensbereich „Familie/Partnerschaft“ deutlich wichtiger beurteilt, jedoch folgt auf Rang zwei bereits die Sphäre Erwerbsarbeit, welche die zweithöchsten Anteile einer hohen Bedeutungszuschreibung und die zweitniedrigsten Anteile einer niedrigen Bedeutungszuschreibung aufweist. Erwerbsarbeit zählt daher auch für die Gruppe der Minijobber zu einem Lebensbereich mit hoher Priorität, was sich mit Forschungserkenntnissen deckt, die auf eine insgesamt und in allen gesellschaftlichen Sphären zu beobachtende hohe Bedeutung von Erwerbsarbeit im Leben der meisten Menschen hinweisen (vgl., unter vielen, Allmendinger 2017: 94ff.). Die Befunde untermauern, dass dies auch für jene Erwerbstätigen gilt, die vergleichsweise geringe Arbeitsvolumen aufweisen; kurzum: die Zentralität von Erwerbsarbeit im Leben der meisten Menschen beschränkt sich nicht ausschließlich auf Vollzeiterwerbstätige, für welche die Erwerbsarbeit auch zeitlich eine große Stellung im Leben einnimmt. Gefolgt werden die genannten Lebensbereiche von dem Lebensbereich „Freunde“. 30% erachten diesen Lebensbereichen als wichtig, 52% messen ihm eine mittlere Priorität bei, wohingegen etwa jeder fünfte Minijobber angibt, Freunde genössen in seinem oder ihrem Leben eine nur geringe Priorität. Der Bereich „Hobbies/Freizeit“ wird insgesamt als am viertwichtigsten eingestuft. Ein Drittel der Befragungspersonen erachtet diesen Lebensbereich als eher unwichtig, für etwas mehr als die Hälfte ist er von mittlerer Bedeutung und 15% messen ihm eine hohe Priorität bei. Die zwei als am wenigsten wichtig erachteten Lebensbereiche sind Hausarbeit sowie ehrenamtliches Engagement. Insbesondere letzterer Lebensbereich fällt in der Bedeutungszuschreibung deutlich hinter den anderen Lebensbereichen zurück und wird von rund vier Fünfteln der Befragungspersonen als nicht wichtig erachtet140. 140 Dieser Befund ist mit Sicherheit zum einen darauf zurückzuführen, dass trotz insgesamt hoher Engagementquoten in Deutschland (vgl. Simonson et al. 2016) nicht wenige der Minijobber keinerlei Berührungspunkte mit ehrenamtlichem Engagement haben, gleichzeitig jedoch auch mög-
300
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Die mehrheitlich zu beobachtende hohe Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit unter Minijobbern wirft die Frage auf, ob sich hier Unterschiede zwischen unterschiedlichen Gruppen von geringfügig Beschäftigten beobachten lassen. Hinsichtlich des Geschlechtes zeigt sich, dass Männer der Erwerbsarbeit häufiger eine hohe Priorität beimessen als Frauen (61% vs. 54%). Bei den Frauen ist dafür der Anteil an Personen mit mittlerer Bedeutungszuschreibung stärker ausgeprägt, wohingegen Männer höhere Anteile an niedrigen Bedeutungszuschreibungen aufweisen (13% vs. 9%). Auffällig sind zudem die Unterschiede zwischen verschiedenen Statusgruppen unter den Minijobbern. Hier sind es insbesondere Schüler, Studierende und Rentner, die der Erwerbsarbeit eine nur unterdurchschnittliche Priorität im eigenen Leben beimessen. Während für Schüler und Studierende die eigene Ausbildung sowie eine hohe Bedeutung sozialer Kontakte hierfür verantwortlich sein dürfte, spricht hinsichtlich der Rentner einiges dafür, dass der Minijob als Abschluss der eigenen Erwerbstätigkeit angesehen wird, der jedoch nicht den Stellenwert der vorigen Erwerbstätigkeit in der Haupterwerbsphase hat. Vergleichsweise hohe Bedeutungszuschreibungen der Sphäre Erwerbsarbeit finden sich darüber hinaus bei arbeitslos-gemeldeten Minijobbern sowie jenen, die ihren Minijob zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ausüben. Während dieser Befund für letztere Gruppe möglicherweise auf eine generell stärker ausgeprägte Erwerbsorientierung zurückzuführen ist, könnte die hohe Bedeutungszuschreibung von Erwerbsarbeit unter „Aufstockern“ darin begründet liegen, dass angesichts der mitunter schwierigen individuellen Lebensund Erwerbslagen dieser Personengruppe Erwerbsarbeit allein aufgrund der Notwendigkeit eine hohe Bedeutung einnimmt. Hierfür spricht auch, dass Personen, die sich subjektiv der Unter- oder Arbeiterschicht zugehörig fühlen, der Erwerbsarbeit eine höhere Bedeutung beimessen als Personen aus der Mittelund oberen Mittelschicht. Etwas überspitzt könnte man daher schlussfolgern, dass sich Individuen eine niedrige Bedeutungszuschreibung von Erwerbsarbeit auch leisten können müssen. Insgesamt deuten die vertieften Analysen darauf hin, dass es mehrere Erklärungsfaktoren gibt, warum einige Minijobber der Erwerbsarbeit eine niedrige und andere eine hohe Bedeutung beimessen. Neben unterschiedlichen Lebensphasen und dem Maß der geleisteten Stunden in der Erwerbsarbeit spielen offensichtlich auch (finanzielle) Notwendigkeiten und Abhängigkeiten bzw. unterschiedliche Grade der Angewiesenheit auf Erwerbsarbeit und dem hieraus generierten Einkommen eine wesentliche Rolle. Während der Lebensbereich Erwerbsarbeit also für die Mehrheit der Minijobber von großer Bedeutung ist, stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, welche Funktionen die geringfügig Beschäftigten mit der Ausübung eines licherweise dadurch zu erklären, dass selbst bei einer Ausübung eines Engagements andere Lebensbereiche in der individuellen Bedeutungszuschreibung als wichtiger erachtet werden.
301
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
Minijobs verbinden. Hierfür ist es zunächst ratsam, sich mit den Motiven für die Aufnahme des Minijobs zu befassen, sprich mit der Frage, warum Personen sich überhaupt dafür entscheiden, ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Abbildung 32 gibt hierzu einen Überblick. Abbildung 32: Motive für die Aufnahme des Minijobs (Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich) Geld verdienen
82
Tätigkeit macht Spaß
50
Kontakt zum Arbeitsleben halten
31
Mit anderen Leuten zusammenkommen
30
Zeit sinnvoll nutzen
26
Gute Abwechslung zum Alltag
26
Flexible Arbeitszeiten
22
Kein anderes Beschäftigungsverhältnis gefunden
10
Bedürfnis zu helfen
9
Kann mich dadurch weiterbilden
8
Hoffnung auf beruflichen Einstieg
7
Wollte unbedingt für diesen Arbeitgeber arbeiten
6
Vereinbarkeit Berufs- und Privatleben
6
Weil ich über meinen Ehepartner krankenversichert bin Um zukünftig eine nicht geringfügige Beschäftigung zu finden
4 3
Vermeiden hoher Steuerabzüge in Steuerklasse V
3
Sonstige Gründe
2
Eigene Berechnung und Darstellung; n=1.004
Deutlich werden auf den ersten Blick zunächst einmal zwei zentrale Aspekte: zum einen überragt das Motiv des Geldverdienens alle anderen Motive um ein vielfaches. Dieser Befund steht hierbei im Einklang mit bisherigen Forschungs-
302
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
erkenntnissen (vgl. Abschnitt 3.3.2), welche die Bedeutung des Geld- sowie Hinzuverdienens durch den Minijob bereits als zentralen Grund identifiziert haben, warum Personen einen Minijob aufnehmen. Neben diesem Aspekt fällt darüber hinaus auf, dass die weiteren Motive breit streuen, d.h. ganz unterschiedliche Gründe für die Aufnahme eines Minijobs ausschlaggebend sind. Das am zweithäufigsten genannte Motiv ist, dass die Tätigkeit Spaß bereitet, was die im vorigen Abschnitt dargestellte Bedeutung intrinsischer Aspekte unterstreicht. Auch die Möglichkeit, durch den Minijob den Kontakt zum Arbeitsleben zu halten, wird von immerhin rund 31% der Befragungspersonen als ein Grund zur Aufnahme des Minijobs genannt. 30% geben darüber hinaus an, durch den Minijob mit anderen Leuten zusammenzukommen, 26%, hierdurch ihre Zeit sinnvoll nutzen zu können sowie eine gute Abwechslung zum Alltag zu haben. Diese Aspekte unterstreichen, dass neben den monetären Aspekten auch soziale Gründe eine Rolle für die Aufnahme des Minijobs spielen. 22% der Befragungspersonen geben darüber hinaus an, dass die flexiblen Arbeitszeiten ein Grund für die Aufnahme ihres Minijobs gewesen seien. Alle anderen Motive spielen im Vergleich zu diesen häufiger genannten Gründen eine untergeordnete Rolle. Auf zwei Befunde soll an dieser Stelle noch einmal näher eingegangen werden, da sie in engem Zusammenhang mit den wissenschaftlichen und politischen Diskursen um Minijobs stehen (vgl. 3.5 in dieser Arbeit). Zum einen geben lediglich 4% der Minijobber an, dass die Krankenversicherung über den Ehepartner ein Motiv für die Aufnahme des Minijobs gewesen sei, weitere 3% geben die Vermeidung hoher Steuerabzüge in Steuerklasse V als Grund an. Wenngleich diese Motive ausschließlich für verheiratete Minijobber von Relevanz sein können, zeigt sich, dass diese Aspekte nur eine marginale Rolle in den individuellen Entscheidungen verheirateter Minijobber spielen. Neben diesem Befund fällt ein anderer ebenso ins Auge: lediglich ein Zehntel der Minijobber gibt an, der Grund für die Aufnahme ihres geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses seien fehlende Alternativen gewesen. 7% geben an, mit der Aufnahme des Minijobs die Hoffnung eines beruflichen Einstiegs verbunden zu haben und gerade einmal 3% aller Minijobber haben das geringfügige Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, um zukünftig eine nicht geringfügige Beschäftigung zu finden. Diese Befunde werden, wie in dieser Arbeit gezeigt (vgl. die Abschnitte 3.3.2 sowie 3.5.1), durch andere wissenschaftliche Untersuchungen tendenziell bestätigt. Deutlich wird zweierlei: erstens liegt die Aufnahme von Minijobs in neun von zehn Fällen nicht in fehlenden Beschäftigungsalternativen begründet, d.h. Beschäftigte werden in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle – zumindest in ihrer subjektiven Perspektive – nicht in diese Erwerbsform „gedrängt“, weil es etwa an Beschäftigungsalternativen mangelt. Zweitens verbindet nur ein kleiner Bruchteil der Minijobber mit der Aufnahme eines geringfügigen Beschäftigungs-
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
303
verhältnisses die Hoffnung eines (breiteren) beruflichen Einstiegs oder eines Findens einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Die hiesigen Befunde bestätigen somit, dass die politisch intendierte Brückenfunktion von Minijobs auch deshalb häufig nicht gelingt, da sie in vielen Fällen auf subjektive Motivlagen der Beschäftigten trifft, die einer solchen Brückenfunktion diametral gegenüberstehen. Dies bedeutet nicht automatisch, dass sich nicht im Laufe der Ausübung eines Minijobs „Brückenwünsche“ im Sinne eines Wechsels in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entwickeln können (vgl. hierzu vertiefend den folgenden Abschnitt dieser Arbeit) – zumindest hinsichtlich der Intentionen der Beschäftigten, einen Minijob aufzunehmen, spielt eine solche Funktion so gut wie keine Rolle. Bei einer tiefergehenden Betrachtung der Motive für die Aufnahme des Minijobs fallen kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf. Einzig hinsichtlich des Motives, mit der Aufnahme des Minijobs den Kontakt zum Arbeitsleben halten zu wollen, zeigt sich, dass Frauen dies deutlich häufiger als Motiv nennen als Männer. Bei den übrigen Motiven finden sich keinerlei gravierende Unterschiede. Dies gilt auch für eine erhoffte Brückenfunktion: während 2,9% der männlichen Minijobber dies als Motiv für die Aufnahme des Minijobs angeben, liegt der Anteil bei Frauen mit 3,5% nur geringfügig über diesem Niveau. Hinsichtlich unterschiedlicher Statusgruppen im Minijob zeigen sich indes einige Unterschiede. Das Motiv des Geldverdienens wird von Schülern und Studierenden überdurchschnittlich häufig, von Rentnern/Pensionären hingegen überdurchschnittlich selten als Grund für die Aufnahme des Minijobs angeführt. Zwar geben immer noch drei Viertel der Rentner dies als Motiv an, jedoch liegt ihr Anteil am niedrigsten von allen betrachteten Statusgruppen. Der Befund deutet darauf hin, dass Rentner erstens nicht ausschließlich aus monetären Gründen einen Minijob aufnehmen und dies zweitens sogar seltener tun als etwa Schüler, Studierende oder Hausfrauen/-männer. Das Motiv, mit der Aufnahme des Minijobs den Kontakt zum Arbeitsleben zu halten, spielt für Rentner hingegen in deutlich größerem Maße als in anderen Gruppen eine Rolle. Eine Ausnahme bilden Hausfrauen/-männer: ganze 45% geben dieses Motiv an (im Vergleich zu rund 31% unter allen Minijobbern). Darüber hinaus ist dieses Motiv auch für arbeitslos gemeldete Minijobber zentral. Rund 47% der „Aufstocker“ geben an, mit der Aufnahme des Minijobs den Kontakt zum Arbeitsleben halten zu wollen. Für diese Gruppe spielen zudem die Motive „mit Leuten zusammenkommen“ sowie die eigene Zeit sinnvoll zu nutzen eine überdurchschnittliche Bedeutung. Somit erfüllen Minijobs für arbeitslos gemeldete Personen subjektiv zum Teil andere Funktionen als für die Vergleichsgruppe. Deutlich wird: für „Aufstocker“ sind Minijobs nicht ausschließlich ein Mittel zum Geldverdienen, sondern in deutlich stärkerem Maße ein Verbindungsglied in die Arbeitswelt und ein Mittel zur Vermeidung sozialer Desintegration.
304
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Nachdem nun die Motive für die Aufnahme des Minijobs beleuchtet wurden, stellt sich zu guter Letzt die Frage, welche Funktionen der Minijob in der (mitunter längerfristigen) Ausübung für geringfügig Beschäftigte spielt. Um sich dieser Frage anzunähern, wurden im Rahmen der Befragung Aussagen mit Funktionen, die der Minijob erfüllen kann, formuliert und die Befragungspersonen um eine Einschätzung gebeten, in welchem Maße der Minijob für sie diese Funktionen subjektiv erfüllt. Die nachfolgende Abbildung gibt einen Überblick über die empirischen Befunde. Abbildung 33: Funktionen des Minijobs: Mein(en) Minijob... (Angaben in Prozent) …bringt mich mit Leuten zusammen
69
22
9
…bietet mir ein dauerhaftes Einkommen
14
…ermöglicht mir eine dauerhafte Beschäftigung
16
30
55
…gibt mir das Gefühl, gebraucht zu werden
17
29
54
…ist ein Mittel, um Geld zu verdienen - mehr nicht
20
…würde ich auch ausüben, wenn ich das Geld nicht bräuchte
33 38
…ist nützlich, um in Berufsfelder reinzuschnuppern
39
Lehne (eher) ab
Teils/ teils
52
28
…ist nur eine vorübergehende Überbrückung
…sichert mich finanziell gut ab
57
29
31
44
23 25 29 38
37 32 31
Stimme (eher) zu
Eigene Berechnung und Darstellung; n=965-991
Von allen Funktionen erfährt die Aussage, dass der Minijob einen mit Leuten zusammenbringt, die insgesamt höchste Zustimmung. Mit 69% sehen mehr als zwei Drittel der Minijobber diese Funktion als erfüllt an, lediglich 9% widersprechen dem. Hier finden sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern. Eine Ausnahme bilden Rentner/Pensionäre, die dieser Aussage deutlich häufiger zustimmen als andere (soziodemografische) Gruppen. Die Ermöglichung eines dauerhaften Einkommens erfährt die zweithöchste Zustimmung (57%), gefolgt von der Ermöglichung einer dauerhaften Beschäftigung (55%). Deutlich wird: so problematisch die objektive Entlohnungs- und Einkommenssituation der Minijobber ist, so ermöglicht die geringfügige Beschäftigung
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
305
subjektiv zumindest eine dauerhafte und damit einigermaßen verlässliche Einkommensquelle und Beschäftigungsmöglichkeit. Wenngleich sich bezüglich dieser Items relativ hohe Anteile ambivalenter Einschätzungen finden, geben jeweils lediglich um die 15% der Befragungspersonen an, dass der Minijob für sie diese Funktionen nicht erfüllt. Auffällig ist, dass arbeitslos gemeldete Minijobber diesen Aussagen deutlich seltener zustimmen als nicht-arbeitslos gemeldete Minijobber. Dies kann sicherlich auch auf die Anrechnungsmodalitäten des Erwerbseinkommens auf die staatlichen Transferleistungen zurückgeführt werden. Im Gegensatz dazu zeigt sich, dass Rentner/Pensionäre auch diesen Aussagen in überdurchschnittlichem Maße zustimmen. Gleiches gilt auch für Personen, die verheiratet sind oder in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Offensichtlich wird dem Minijob insbesondere dann eine dauerhafte Beschäftigungs- und Einkommensermöglichungsfunktion zugesprochen, wenn der Minijob das Einkommen eines (Ehe-) Partners ergänzt. Ledige Minijobber hingegen stimmen diesen Aussagen deutlich seltener zu, wobei die Diskrepanz zu verheirateten Personen rund 13 Prozentpunkte beträgt. Ebenfalls eine relativ breite Zustimmung erfährt die Aussage, dass der Minijob den Beschäftigten das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. 54% stimmen dieser Aussage voll und ganz oder eher zu, weitere 29% geben als Antwort „teils/teils“ an. Besonders hohe Zustimmungswerte finden sich bezüglich dieses Items bei Rentnern sowie verheirateten Personen. Auf dieses Item folgen zwei relativ extreme, weil sehr absolute Aussagen zur Funktion des Minijobs. Zum einen wurden die Befragten um eine Einschätzung der Aussage gebeten, dass der Minijob ein Mittel zum Geldverdienen sei und mehr nicht. Auf der anderen Seite sollten sie beurteilen, ob sie den Minijob auch ausüben würden, wenn sie das Geld nicht bräuchten. 52% der Befragten stimmen der Aussage zu, dass der Minijob ausschließlich ein Mittel zum Geldverdienen ist. 28% stimmen lediglich teilweise zu, jeder fünfte Minijobber lehnt diese Aussage ab. Dieser Befund bestätigt, dass für eine Mehrheit in der Tat die rein monetären Aspekte im Vordergrund stehen, d.h. der Minijob vor allem (zusätzliches) Geld bzw. Einkommen einbringen soll. Gleichwohl lehnt die Hälfte der geringfügig Beschäftigten diese Aussage in dieser Absolutheit ab bzw. stimmt ihr zumindest nicht vollumfänglich zu. Bivariate Analyse zeigen hier keine gravierenden Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern. Der Aussage, den Minijob auch auszuüben, wenn sie das Geld nicht bräuchten, stimmen hingegen etwas weniger Personen zu, jedoch mit immerhin 44% ein nicht geringer Anteil der Befragungspersonen. Besonders Rentner geben überdurchschnittlich häufig an, den Minijob auch dann auszuüben, wenn sie das Geld nicht bräuchten. Dieser Befund deutet an, insbesondere unter Rückgriff der bisherigen empirischen Befunde, dass entgegen der weit verbreiteten Kritik an Rentnern in Minijobs diese nicht
306
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
ausschließlich aus finanzieller Notwendigkeit ein derartiges Beschäftigungsverhältnis antreten, sondern gerade für sie auch soziale Funktionen abseits der monetären Aspekte von Bedeutung sind. Bezüglich dieser zwei Funktionen zeigt sich somit ein recht ambivalentes Bild: einerseits nimmt die monetäre Funktion, dafür sprechen auch die oben dargelegten Befunde zu den Motiven der Aufnahme eines Minijobs, einen zentralen Stellenwert für die Mehrheit der Minijobber ein, andererseits ist ihr Selbstverständnis der geringfügigen Beschäftigung nicht ausschließlich auf eine instrumentelle Funktionslogik zu reduzieren. Hinsichtlich der Aussage, dass dem Minijob lediglich die Funktion einer vorübergehenden Überbrückung zukommt, finden sich indes niedrigere Zustimmungs- und höhere Ablehnungsanteile. 37% der Befragungspersonen sehen in ihrem Minijob lediglich eine temporäre Überbrückung, ein Viertel fällt in die Kategorie „teils/teils“ und 38% lehnen diese Aussage ab. Tiefergehende Analysen zeigen, dass die Einschätzungen bezüglich dieser Funktionen zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern stark divergieren. Rund zwei Drittel der Schüler und Studierenden sehen den Minijob als vorübergehende Überbrückung an (im Vergleich zu 37% unter allen Minijobbern). Außerdem beurteilen Frauen den Minijob häufiger als Männer, „Aufstocker“ häufiger als nicht-arbeitslos gemeldete Beschäftigte sowie ledige häufiger als „gebundene“ Personen den Minijob als vorübergehende Überbrückung. Rentner, Hausfrauen/-männer sowie nebenberufliche Minijobber hingegen sehen in ihrem Minijob deutlich seltener eine temporäre Überbrückungsmöglichkeit. Die Befunde unterstreichen somit einerseits die Bedeutung unterschiedlicher Lebensphasen (etwa Ausbildungsphasen); andererseits wird deutlich, dass zusätzliche (Erwerbs-)einkommen im Familien- und Haushaltskontext die Ausübung von Minijobs als lediglich temporäre Überbrückung deutlich unwahrscheinlicher machen. Ambivalent bis negativ wird zudem die Aussage beurteilt, der Minijob sei nützlich, um in Berufsfelder reinzuschnuppern. 32% der Minijobber stimmen dieser Aussage zu, 29% sind unentschlossen und 39% lehnen diese Aussage ab. Damit scheinen Minijobs aus Sicht der Beschäftigten kein geeignetes Instrument zu sein, um Berufsbilder oder Tätigkeiten näher kennenzulernen. Bedenklich ist hier, dass insbesondere arbeitslos gemeldete Minijobber diese Aussage ablehnen, wobei gerade für sie eine solche Funktion sinnvoll wäre. Zu guter Letzt findet sich bei dem Item „Der Minijob sichert mich finanziell gut ab“ die geringste Zustimmung aller untersuchten Aussagen zu den Funktionen des Minijobs; lediglich 31% stimmen dieser Aussage zu. Gleichwohl fällt auch die Ablehnung dieser Aussage nicht überproportional hoch aus. Hinsichtlich der finanziellen Absicherung durch den Minijob dominieren ambivalente Einschätzungen. So werden die Möglichkeiten, sich durch den Minijob finanziell abzusichern, sehr unterschiedlich beurteilt, wobei der größte Anteil der Befragungspersonen die Einschätzung vertritt, der Minijob
7.2 Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit und Funktionen des Minijobs
307
sichere sie teilweise gut ab. Auffällig ist auch hier die große Varianz zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern. Eine gute finanzielle Absicherung durch den Minijob sehen tendenziell eher Männer, Schüler, Studierende, Rentner, nicht arbeitslos gemeldete Minijobber sowie nebenberufliche Minijobber, wohingegen Frauen, Hausfrauen/-männer, „Aufstocker“, ausschließliche Minijobber sowie verheiratete Personen die Absicherung tendenziell eher als nicht gut einschätzen. In der Tendenz gilt daher, dass bei zusätzlichen Einkommensquellen die finanzielle Absicherung durch den Minijob positiver beurteilt wird, wenngleich die verheirateten Personen hier aus dem Raster fallen. Festgehalten werden können daher an dieser Stelle folgende Befunde: Minijobber weisen eine durchaus hohe Erwerbszentriertheit auf, d.h. die Mehrheit von ihnen misst der bezahlten Arbeit eine im Vergleich zu anderen Lebensbereichen hohe Bedeutung bei. Zwar hängt diese Bedeutungszuschreibung mit der Lebensphase, den Lebensumständen sowie der Angewiesenheit auf durch Erwerbsarbeit erzielte Einkommen zusammen, wovon der generelle Befund jedoch unberührt bleibt. Dieser Befund bekräftigt daher wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Erwerbsarbeit für die meisten Menschen eine zentrale Rolle im eigenen Leben spielt. Dies gilt auch für Minijobber, also einer Gruppe, die im Vergleich zu Beschäftigten in anderen Erwerbsformen vergleichsweise wenig (Lebens-) Zeit mit bezahlter Arbeit verbringt, wobei dies vor allem auf ausschließlich geringfügig Beschäftigte zutrifft. Hinsichtlich der zentralen Motive für die Aufnahme eines Minijobs zeigt sich, dass der monetäre Aspekt alle anderen Motive in den Schatten stellt. Gleichwohl spielen auch intrinsische Motive wie etwa Spaß an der Tätigkeit oder soziale Motive wie das Zusammenkommen mit anderen Menschen eine vergleichsweise große Rolle. Dahingegen zeigen die Analysen, dass Minijobs nur in den seltensten Fällen aus Alternativlosigkeit und mehrheitlich nicht mit der Intention aufgenommen werden, eine nicht geringfügige Beschäftigung zu finden. Wie oben angemerkt, prallt daher eine erwünschte Brücken- bzw. Sprungbrettfunktion bereits bei der Aufnahme eines Minijobs auf subjektive Motivlagen der Beschäftigten, die diesem Anliegen in keiner Weise entsprechen. Hinsichtlich der Funktionen des Minijobs bei (längerfristiger) Ausübung haben die Ergebnisse gezeigt, dass sowohl soziale, intrinsische als auch monetäre Funktionen für die Beschäftigten subjektiv von Bedeutung sind. So gibt die Mehrheit der Befragungspersonen an, dass ihnen der Minijob eine dauerhafte Beschäftigung sowie ein dauerhaftes Einkommen ermöglicht, sie darüber hinaus mit anderen Menschen zusammenbringt, ihnen das Gefühl gibt, gebraucht zu werden, gleichzeitig jedoch für die Mehrheit primär ein Mittel zum Geldverdienen ist. Gleichwohl befriedigen Minijobs nicht ausschließlich eine instrumentelle Funktionslogik, wofür spricht, dass lediglich ein Drittel die Aussage ablehnt, den Minijob auch dann auszuüben, wenn sie das Geld nicht bräuchten.
308
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Deutlich wird somit die insgesamt hohe Heterogenität von Funktionen, die Minijobs für die Beschäftigten subjektiv erfüllen. 7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen Nachdem in diesem Kapitel zunächst die subjektive Arbeitsqualität der Minijobber beleuchtet wurde und daraufhin die Bedeutung der Sphäre Erwerbsarbeit sowie die Funktionen, die der Minijob für die Beschäftigten subjektiv erfüllt, im Fokus standen, wird nun das Augenmerk auf die Handlungsebene geringfügig Beschäftigter gelenkt. Im Zentrum stehen hier die beruflichen Handlungsabsichten und Zukunftspläne sowie die subjektive Wahrnehmung der individuellen Handlungsoptionen bzw. Arbeitsmarktchancen. Die Analyse folgt hierbei in drei Schritten: zuerst wird das Augenmerk auf die konkreten gegenwärtigen Handlungsabsichten der Minijobber gerichtet. Dazu wird die Frage nach der Brückenfunktion tiefergehend beleuchtet und danach gefragt, ob die geringfügig Beschäftigten einen Wechsel in eine andere Beschäftigungsform beabsichtigen. Hierbei wird auch auf die Gründe etwaiger Veränderungswünsche sowie das anvisierte Beschäftigungsfeld eingegangen. Darauf aufbauend werden die konkreten beruflichen Pläne für die kommenden zwölf Monate beleuchtet sowie die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Arbeitgeberwechsels thematisiert. Neben den konkreten gegenwärtigen Plänen wird nach den wahrgenommenen Arbeitsmarktchancen bei hypothetischem Verlust des jetzigen Minijobs ebenso gefragt wie nach der Nützlichkeit der im Minijob gewonnen Fertigkeiten und Kenntnisse. Zu guter Letzt folgt ein Aspekt, der die Handlungsebene der Minijobber in der Retrospektive aufgreift, nämlich die Frage, ob sich die Befragungspersonen rückblickend noch einmal für die Ausübung eines Minijobs entscheiden würden. Zu Beginn der Analyse wird die Frage nach der Brückenfunktion von Minijobs aufgegriffen und beleuchtet, inwieweit Minijobs als Sprungbrett in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsform dienen (sollen). Im vorigen Abschnitt wurde dargelegt, dass eine solche Funktion zumindest bei der Aufnahme von Minijobs für die Beschäftigten kaum eine Rolle spielt. Gleichwohl kann sich ein Wunsch nach einem Erwerbsformwechsel auch im Laufe der Ausübung eines Minijobs entwickeln – etwa aufgrund veränderter Erwerbspräferenzen oder gewandelter Lebensumstände. Im Rahmen der empirischen Erhebung wurden die Minijobber daher gefragt, ob sie aktuell, d.h. zum Zeitpunkt der Befragung, gerne in eine andere Beschäftigungsform wechseln möchten. Die nachfolgende Abbildung 34 gibt einen Überblick über die empirischen Befunde und unterscheidet hierbei nach dem Geschlecht der Befragungspersonen.
309
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass mit 61% die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten keinen Wunsch nach einem Wechsel der Erwerbsform äußert. 13% hingegen wünschen sich eine Beschäftigung in einem Midi-Job, weitere 15% eine Teilzeitbeschäftigung. Lediglich rund jeder zehnte Minijobber würde gerne in Vollzeit arbeiten. Der Wunsch nach selbstständiger Beschäftigung nimmt mit 3% nur eine marginale Rolle ein. Damit fallen hinsichtlich der Brückenfunktion von Minijobs zunächst zwei zentrale Befunde ins Auge: zum einen wird von der Mehrheit der geringfügig Beschäftigten kein Wunsch nach einem Wechsel der Erwerbsform geäußert. Dieser Befund bestätigt damit die Erkenntnisse bisheriger wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit den Erwerbswünschen von Minijobbern (vgl. 3.5.1 in dieser Arbeit). Deutlich wird: zwar liegt der Anteil an Minijobbern, die einen Wechsel der Erwerbsform beabsichtigen, deutlich höher als jener Anteil unter ihnen, der dies bereits bei der Aufnahme des Minijobs als Motiv angibt. Gleichwohl zeigt sich ebenso, dass eine Mehrheit der Minijobber keine Brückenfunktion ihres Minijobs erwünscht. Abbildung 34: Wunsch nach Wechsel der Erwerbsform unter Minijobbern (nach Geschlecht, Angaben in Prozent) 61 63 60
Kein Wunsch nach Wechsel der Erwerbsform
13 12 14
Wunsch nach Wechsel in Midi-Job
15 Wunsch nach Beschäftigung in Teilzeit
9 13 10 12 8
Wunsch nach Beschäftigung in Vollzeit
Wunsch nach selbstständiger Beschäftigung
Gesamt
3 4 3 Männer
Frauen
Eigene Berechnung und Darstellung, n=926; fehlende Angaben beinhalten die Antwortkategorie „weiß nicht“, die für die Analyse als ‚missing‘ codiert wurden
310
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Darüber hinaus machen die Befunde deutlich, dass in Fällen eines vorhandenen Erwerbsformwechselwunsches die Aufnahme von Beschäftigungen im niedrigen und mittleren Stundenbereich überwiegen: 28% der Minijobber wünschen sich eine Beschäftigung in einem Midi-Job oder einem Teilzeitarbeitsverhältnis. Dahingegen spielt der „große Sprung“ in Vollzeit eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Dies ist insofern interessant, da insbesondere eine Vollzeitbeschäftigung häufig als wünschenswerte Erwerbsperspektive für Minijobber diskutiert wird – etwa im Rahmen der Diskurse um das „adult worker model“ (vgl. 3.5.4 in dieser Arbeit). Die Befunde zeigen, dass derartige wissenschaftliche Diskurse an den Handlungsabsichten von Minijobbern vorbeigehen, da diese mehrheitlich keinen Wechsel der Erwerbsform erwünschen und in Fällen eines vorhandenen Wechselwunsches eine Anstellung in einem Midi-Job oder einer Teilzeitbeschäftigung vorziehen. Eine Erwerbspartizipation im Rahmen eines „klassischen“ Normalarbeitsverhältnisses wird hingegen nur von einem kleinen Teil der Minijobber als wünschenswerte Erwerbsperspektive erachtet. Dieser Befund deutet die Probleme einer teilweise zu beobachtenden starken NAV-Fokussierung der sozialwissenschaftlichen Arbeitsforschung an, da dieser „Normalfall“ von Erwerbsarbeit nur für eine Minderheit der Minijobber die normative Referenzfolie darzustellen scheint. Da zum Teil, wie in dieser Arbeit bereits diskutiert, insbesondere Frauen eine Diskrepanz zwischen aktueller und erwünschter Erwerbsform attestiert wird, sind in der Abbildung zudem die Anteile von Männern und Frauen in den jeweiligen Kategorien ausgewiesen. Mit Blick auf die Verbreitung von Wechselwünschen fällt auf, dass Frauen in der Tendenz eher einen Wechsel der Erwerbsform wünschen als Männer, diese Unterschiede jedoch mit einem Unterschied von drei Prozentpunkten gering ausfallen. Mit Blick auf die gewünschte Erwerbsform in Fällen eines Wechselwunsches offenbart sich, dass Frauen in der Tendenz eher eine Anstellung in einem Midijob oder in Teilzeit angeben als Männer (zusammengenommen 27% vs. 21%), wohingegen Männer mit 12% häufiger berichten, gerne in Vollzeit arbeiten zu wollen als dies bei Frauen der Fall ist (8%). Die Befunde bestätigen damit bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse, wonach Frauen tendenziell Beschäftigungen im mittleren Stundenbereich (etwa einer Teilzeitstelle) präferieren und seltener eine Vollzeitbeschäftigung wünschen als Männer (vgl. 3.4.4 in dieser Arbeit). Neben dem Geschlecht spielt jedoch auch das Alter der Beschäftigten eine Rolle hinsichtlich der Verbreitung von Wechselwünschen der Erwerbsform. Einen Verbleib im Minijob wünschen sich demnach insbesondere jüngere Beschäftigte unter 20 Jahren sowie Minijobber, die 60 Jahre und älter sind. Mit rund 77% geben überdurchschnittlich viele ältere Minijobber an, keinen Wunsch nach einem Wechsel der Erwerbsform zu hegen. In der Haupterwerbsphase hingegen sind Veränderungswünsche in der
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
311
Tendenz weiter verbreitet. Einen Wechsel in einen Midi-Job beabsichtigen insbesondere Minijobber unter 30 Jahren, wohingegen Minijobber zwischen 30 und unter 60 Jahren überdurchschnittliche Anteile hinsichtlich eines Wechsels in eine Teilzeitbeschäftigung aufweisen. Ein Wechsel in Vollzeit wird hingegen von jungen sowie älteren Minijobbern deutlich seltener erwünscht als etwa in der Altersgruppe der 40 bis unter 50-Jährigen. Neben diesen Unterschieden fällt zudem auf, dass vor allem arbeitslos gemeldete Minijobber die geringfügige Beschäftigung nicht als Non-Plus-Ultra ihrer Erwerbspartizipation ansehen. Lediglich rund 27% von ihnen – im Vergleich zu rund 65% bei nicht-arbeitslos gemeldeten Minijobbern – wünschen keinen Wechsel der Erwerbsform. Auffällig ist, dass „Aufstocker“ überdurchschnittlich häufig eine Anstellung in Teil- (27%) und Vollzeit (34%) wünschen. Dieser Befund ist sicherlich zum einen durch den Arbeitslosigkeitsstatus und die Anrechnungsmodalitäten zu erklären, zum anderen jedoch auch durch die oben in dieser Arbeit dargelegten problematischen objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie deren subjektiver Wahrnehmung durch arbeitslos gemeldete Minijobber. Hinsichtlich weiterer unabhängiger Variablen zeigt sich darüber hinaus, dass kurzfristig Beschäftigte deutlich häufiger einen Wechselwunsch äußern als geringfügig entlohnte Beschäftigte, wobei hier in Fällen eines Wechselwunsches insbesondere Teil- und Vollzeitbeschäftigungen präferiert werden. Hinsichtlich des Familienstandes zeigen die Befunde, dass verheiratete Minijobber etwas häufiger als die Vergleichsgruppen keinen Wechselwunsch hegen und sie darüber hinaus in Fällen eines derartigen Wunsches überdurchschnittlich häufig eine Teilzeit- und nur sehr selten eine Vollzeitbeschäftigung anstreben. Ein überraschender Befund zeigt sich hinsichtlich der Frage, ob im Haushalt der Minijobber Kinder unter 16 Jahren leben. Während rund 64% der Minijobber, auf die dies nicht zutrifft, einen Verbleib im Minijob präferieren, sind es bei den Minijobbern mit Kindern unter 16 Jahren im Haushalt lediglich 49%. Dieser Befund ist sicherlich zum einen darauf zurückzuführen, dass zu der Gruppe der „kinderlosen“ Haushalte insbesondere Schüler, Studierende sowie Rentner zählen, die, wie gezeigt, nur vergleichsweise selten einen Wechselwunsch äußern. Zum anderen jedoch erscheint es plausibel, dass etwa Frauen, deren Kinder bereits etwas älter sind, eine verstärkte Erwerbsintegration wünschen. Zu guter Letzt könnten auch finanzielle Notwendigkeiten eine Rolle spielen. Hierfür spricht, dass mit steigendem Haushaltseinkommen der Wunsch nach einem Verbleib im Minijob steigt: während rund 52% der Minijobber mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.500 Euro einen Verbleib im Minijob präferieren, sind es bei Minijobbern mit einem Haushaltseinkommen von 1.5003.000 Euro 62% und bei Minijobbern mit einem Haushaltseinkommen von 3.000 Euro und mehr sogar 71%.
312
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Neben diesem Wechselwunsch wurden jene Minijobber, die einen solchen Wunsch angeben, im Rahmen der empirischen Erhebung auch nach den Gründen eines solchen Wechselwunsches gefragt. Die überwiegende Mehrheit (84%, wobei hier Mehrfachnennungen möglich waren) der wechselwilligen Minijobber gibt an, mit einem Wechsel der Erwerbsform mehr Geld verdienen zu wollen, wobei Frauen dies deutlich häufiger als Grund angeben als Männer. Weitere 40% der Wechselwilligen geben als Grund zudem eine verbesserte finanzielle Absicherung für das Alter an. Neben den direkten monetären Effekten scheint daher auch die mittelund langfristige Perspektive höherer Rentenanwartschaften für die Minijobber im Falle eines Erwerbsformwechselwunsches von nicht geringer Bedeutung zu sein. Neben diesen monetären Aspekten geben zudem 28% der wechselwilligen Minijobber an, ein Grund sei, dass ihnen die Tätigkeit Spaß mache – Männer geben dies vergleichsweise häufiger als Grund an. 21% wollen durch eine andere Erwerbsform zudem den Kontakt zum Arbeitsleben halten und für 19% liegt ebenso ein Grund darin, dass sie die jetzige Beschäftigung im Minijob nicht auslaste. Durch den Wechsel in eine andere Beschäftigungsform festere bzw. besser planbare Arbeitszeiten zu haben, spielt hingegen eine eher untergeordnete Rolle (15%), ebenso wie eine gute Arbeitsatmosphäre (11%). Damit dominieren insgesamt die monetären Aspekte die Beweggründe von Minijobbern, einen Wechsel in eine andere Erwerbsform zu beabsichtigen, wobei hier sowohl den gegenwärtigen als auch den längerfristigen finanziellen Effekten eine hohe Bedeutung zukommt. Zu guter Letzt wurden jene Minijobber, die einen Wechselwunsch äußern, danach gefragt, ob sie eine potentielle Beschäftigung in einer erwünschten anderen Erwerbsform in demselben Bereich ausüben möchten wie ihren aktuellen Minijob. Diesbezüglich zeigt sich ein disperses Bild: mit 35% gibt etwas mehr als ein Drittel der wechselwilligen Befragungspersonen an, diese potentielle Beschäftigung lieber in einem anderen Bereich als jenen des aktuellen Minijobs ausüben zu wollen. 45% würden gerne im Bereich des aktuellen Minijobs wechseln, d.h. gerne in einer anderen Erwerbsform arbeiten, die Tätigkeit und Branche des aktuellen Minijobs jedoch beibehalten. Ein weiteres Fünftel der Befragten ist sich hierbei unsicher. Deutlich wird, dass mit dem Wunsch nach einem Wechsel der Beschäftigungsform auch eine berufliche Veränderung (andere Tätigkeiten oder Branchen) verbunden sein kann, jedoch immerhin fast die Hälfte der wechselwilligen Minijobber versuchen würde, im selben Bereich des aktuellen Minijobs eine Anstellung in einer anderen Erwerbsform zu bekommen. Die Befunde hinsichtlich eines beabsichtigten Wechsels der Erwerbsform bestätigen sich auch mit Blick auf die konkreten gegenwärtigen beruflichen Zukunftspläne der geringfügig Beschäftigten innerhalb der kommenden zwölf Monate. 57% beabsichtigen keine Veränderung, ein Fünftel der Minijobber möchte innerhalb eines Jahres eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. Lediglich 12% der Befragungspersonen planen, innerhalb der kommenden
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
313
zwölf Monate ihren Minijob zu beenden. Weitere 8% beabsichtigen sogar, einen weiteren Minijob aufzunehmen, 7% die Aufnahme eines Studiums, 6% den Beginn einer beruflichen Ausbildung und 4% den Übergang in den Ruhestand. Besonders häufig äußern Schüler und Studierende, ihre berufliche Situation in den kommenden zwölf Monaten verändern zu wollen. Dieser Befund überrascht jedoch kaum, da die Beendigung der Schulzeit bzw. des Studiums fast zwangsläufig mit einer veränderten Lebens- und Berufssituation einhergeht. Im Kontrast hierzu geben vier von fünf Rentnern an, an ihrer beruflichen Situation in den kommenden zwölf Monaten nichts ändern zu wollen. Neben Schülern und Studierenden sind es zudem arbeitslos gemeldete Minijobber, die überdurchschnittlich häufig von Veränderungswünschen der eigenen beruflichen Situation berichten. Dieser Befund zeichnete sich bereits hinsichtlich der Wechselwünsche in eine andere Erwerbsform ab und unterstreicht, dass „Aufstocker“ nicht nur objektiv zu einer Problemgruppe unter Minijobbern gehören, sondern sie dies auch subjektiv so wahrnehmen und mehrheitlich eine Veränderung der eigenen Erwerbssituation wünschen. Auch mit Blick auf die beruflichen Pläne in den kommenden zwölf Monaten bestätigt sich zudem, dass ledige Personen deutlich häufiger Veränderungen beabsichtigen als verheiratete und in eheähnlicher Gemeinschaft lebende Minijobber. Außerdem bestätigt sich, dass ökonomische Notwendigkeiten einen deutlichen Zusammenhang zu beabsichtigten beruflichen Veränderungen aufweisen. Insbesondere Minijobber mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.500 Euro planen überdurchschnittlich häufig eine Veränderung ihrer beruflichen Situation. Neben den skizzierten generellen beruflichen Zukunftsplänen wurde im Rahmen der empirischen Erhebung außerdem beleuchtet, ob die geringfügig Beschäftigten in den kommenden zwölf Monaten einen Wechsel ihres aktuellen Arbeitgebers beabsichtigen. Die Befunde hierzu zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der Befragungspersonen nicht davon ausgeht, dass es bei ihnen in den kommenden zwölf Monaten zu einem Arbeitgeberwechsel kommt. Ganze 44% halten dies für sehr unwahrscheinlich, weitere 28% für eher unwahrscheinlich. Dahingegen gibt mit 28% der Minijobber nur eine Minderheit an, einen Arbeitgeberwechsel als eher oder sehr wahrscheinlich zu empfinden. Besonders häufig berichten hiervon Schüler und Studierende. Die obigen Befunde haben bereits verdeutlicht, dass diese Gruppe überproportional häufig von beabsichtigten beruflichen Veränderungen ausgeht, die sich auch in der Einschätzung eines Arbeitgeberwechsels manifestieren. Bezüglich anderer unabhängiger Variablen bestätigen die Befunde jene zu den beabsichtigten beruflichen Veränderungen. So sind es in der Tendenz vor allem „Aufstocker“, ledige Minijobber, jene mit Kindern unter 16 Jahren im Haushalt sowie Minijobber mit einem niedrigen monatlichen Haushaltseinkommen, die von einem Arbeitgeberwechsel in den kommenden zwölf Monaten ausgehen. Auffällig ist zudem, dass Minijobber mit geringen (unter 8,50 Euro) und mittleren Stunden-
314
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
löhnen (8,50-11,50 Euro) häufiger von einem Wechsel des Arbeitgebers ausgehen als Personen mit vergleichsweise hohen Stundenlöhnen von 11,50 Euro und mehr. Insgesamt jedoch überwiegen jene Einschätzungen, die von einem Verbleib beim aktuellen Arbeitgeber ausgehen. Mit Blick auf die hier vorgestellten konkreten gegenwärtigen Zukunftspläne der geringfügig Beschäftigten kann somit festgehalten werden, dass diese Pläne maßgeblich durch einen insgesamt nur verhaltenen Veränderungswunsch charakterisiert sind. Die deutliche Mehrheit der Minijobber wünscht sich keinen Wechsel der Erwerbsform. Liegt ein solcher Wechselwunsch vor, dominieren „Aufstiegswünsche“ in niedrige oder mittlere Stundenumfänge im Rahmen von Midi-Jobund Teilzeitbeschäftigungen. Folglich planen die meisten Minijobber auch keine berufliche Veränderung in den kommenden zwölf Monaten. Insbesondere die Beendigung des Minijobs spielt hier mit einem Anteil von 12% eine eher untergeordnete Rolle. Diese Befunde bestätigen sich auch hinsichtlich der Einschätzung eines Arbeitgeberwechsels in den kommenden zwölf Monaten, der von einer deutlichen Mehrheit der Beschäftigten als unwahrscheinlich beurteilt wird. Neben diesen gegenwärtigen beruflichen Plänen der Minijobber waren im Rahmen der empirischen Erhebung auch die wahrgenommenen Handlungsoptionen und die Einschätzung der individuellen Arbeitsmarktchancen Gegenstand der Untersuchung. Hierfür wurden zwei Fragen gestellt, die eher hypothetischer Natur sind. Zunächst sollten die Befragungspersonen einschätzen, wie schwierig oder leicht es für sie wäre, bei einem Verlust des aktuellen Minijobs eine neue Stelle zu finden. Hier zeigen die empirischen Befunde eine Zweiteilung unter den Befragungspersonen. Etwas mehr als die Hälfte (54%) der geringfügig Beschäftigten glaubt, es wäre (eher) leicht, eine neue Stelle zu finden, etwas weniger als die Hälfte (46%) empfände dies als (eher) schwierig. Eine genauere Analyse letzterer Gruppe zeigt, dass Frauen deutlich häufiger als Männer angeben, das Finden einer neuen Arbeitsstelle wäre eher schwierig (50% vs. 41%). Auch hinsichtlich des Alters der Minijobber zeigen sich deutliche Befunde: so findet sich ein nahezu linearer Zusammenhang zwischen dem Alter und der Einschätzung, das Finden einer neuen Stelle wäre schwierig. Während dies etwa rund 24% der unter 20-Jährigen und 23% der 20- bis unter 30-Jährigen angeben, sind es bei den 50 bis unter 60-Jährigen fast 61% und bei den über 60-Jährigen 59%. Die wahrgenommenen Erwerbsalternativen werden daher mit zunehmendem Alter stetig pessimistischer eingeschätzt, was angesichts der Arbeitsmarktchancen und Beschäftigungsperspektiven insbesondere von Personen über 50 Jahren auch der objektiven Lage entsprechen dürfte. Unterschiede manifestieren sich zudem hinsichtlich der Schulbildung der Minijobber. Ein Vergleich zwischen Personen mit und jenen ohne Abitur zeigt, dass letztere deutlich häufiger angeben (52%), das Finden einer neuen Stelle wäre für sie schwierig als dies bei Personen mit Abitur der Fall ist (36%). Dieser Befund
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
315
deutet auf einen positiven Zusammenhang zwischen dem „Humankapital“ und dem Maße einer optimistischen Einschätzung der eigenen Arbeitsmarktoptionen und -chancen hin. Darüber hinaus zeigt sich eine überdurchschnittlich pessimistische Einschätzung unter arbeitslos gemeldeten Minijobber: ganze 76% und damit mehr als drei Viertel von ihnen glauben, dass bei einem Verlust des aktuellen Minijobs das Finden einer neuen Stelle für sie schwierig wäre. Unter Berücksichtigung der bisherigen empirischen Befunde zeigt sich hinsichtlich der Gruppe der „Aufstocker“ damit in gewisser Weise ein Dilemma: einerseits arbeiten sie in der Tendenz unter schlechteren objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und auch ihre subjektiven Ansprüche an Erwerbsarbeit werden vergleichsweise häufig nicht erfüllt. Darüber hinaus ist ihr Ziel mehrheitlich, den Minijob zu verlassen und eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Gleichzeitig schätzen sie ihre subjektiven Arbeitsmarktperspektiven sehr pessimistisch ein, was darauf hindeutet, dass für sie die Möglichkeiten zur Realisierung der eigenen Erwerbspräferenzen eingeschränkt sind. Es scheint nicht zu weit hergeholt, in diesem Zusammenhang das Risiko für subjektive Frustrations- und Ohnmachtsgefühle unter „Aufstockern“ als relativ hoch einzuschätzen. Neben diesem Aspekt wurde im Rahmen der empirischen Erhebung auch nach der Nützlichkeit der im Minijob gewonnenen Arbeitsfertigkeiten und Kenntnisse bei einer potentiellen Jobsuche gefragt. 22% der befragten Minijobber schätzen die im Rahmen der geringfügigen Beschäftigung gewonnenen Kenntnisse als sehr nützlich bei einer potentiellen Jobsuche ein, weitere 43% geben an, diese Kenntnisse seien eher nützlich. Damit beurteilen rund zwei Drittel der Befragungspersonen die im Rahmen des Minijobs gewonnenen Arbeitsfertigkeiten als nützlich bei einer potentiellen Jobsuche. Ein Viertel der Befragten gibt hingegen an, die gewonnenen Kenntnisse seien nicht besonders nützlich, jeder zehnte Minijobber sieht sie gar als überhaupt nicht nützlich an. Damit fällt die Einschätzung hinsichtlich dieses Aspektes verhalten positiv aus. Anscheinend überwiegt bei den Minijobbern das Gefühl, im Rahmen ihrer Beschäftigung trotz defizitärer Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten gewisse Kenntnisse und Fähigkeiten zu erlangen, die für eine potentielle Jobsuche von Vorteil wären. Bezüglich dieser Einschätzungen zeigen tiefergehende Analysen keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Minijob. Schüler und Studierende hingegen geben häufiger als der Durchschnitt der Befragungspersonen an, die gewonnenen Kenntnisse als nützlich bei der Jobsuche zu beurteilen. Dieser Befund deutet darauf hin, dass insbesondere für jene Minijobber, die sich noch in der schulischen oder beruflichen Ausbildungsphase befinden, die Tätigkeiten im Minijob subjektiv mit einem Mehrwert hinsichtlich der eigenen beruflichen Zukunft verbunden sind. Auffällig ist auch die wiederkehrende Diskrepanz der subjektiven Einschätzung von „Aufstockern“ und nicht-arbeitslos gemeldeten Beschäftigten. Während in
316
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
letzterer Gruppe 67% der Befragungspersonen angeben, die gewonnenen Arbeitsfertigkeiten seien bei einer potentiellen Jobsuche eher oder sehr nützlich, sind es unter „Aufstockern“ lediglich 53%. Auch hier fällt deren Einschätzung deutlich pessimistischer aus als in der Vergleichsgruppe. Auffällig ist zu guter Letzt der starke Zusammenhang zwischen der wahrgenommenen Nützlichkeit erlernter Kenntnisse und der Teilnahme an beruflichen Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen. So beurteilen 82% jener Minijobber, die in den vergangenen zwölf Monaten an einer beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben, die im Minijob gewonnenen Kenntnisse als nützlich bei einer potentiellen Jobsuche. Unter geringfügig Beschäftigten, die an keiner beruflichen Fort- oder Weiterbildung teilgenommen haben, liegt der Anteil lediglich bei 62% und damit ganze 20 Prozentpunkte niedriger. Deutlich wird der positive Zusammenhang zwischen den Möglichkeiten zur beruflichen Weiterbildung und den subjektiv wahrgenommenen Handlungsoptionen und Arbeitsmarktchancen. Umso schwerer fällt daher ins Gewicht, dass derartige berufliche Weiterbildungsmaßnahmen, wie oben in dieser Arbeit gezeigt, unter Minijobbern die Ausnahme darstellen und ein nur geringer Anteil von ihnen in den „Genuss“ solcher Maßnahmen kommt. Eine Verbesserung der beruflichen Fortbildungschancen von Minijobbern könnte daher auch auf die subjektive Wahrnehmung der individuellen Arbeitsmarktperspektiven einen positiven Einfluss haben. Zu guter Letzt wurde mit Blick auf die Handlungsdimension geringfügiger Beschäftigung im Rahmen der Untersuchung auch eine retrospektive Einschätzung der Beschäftigten abgefragt. Hierbei stand die Frage im Zentrum, ob sich Minijobber mit dem Wissen und den Erfahrungen, die sie in ihrem Minijob gemacht haben, im Rückblick noch einmal für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis entscheiden würden. Dieser Aspekt ist aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Erstens war eine solche Perspektive bislang nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen von Minijobs, was zweitens verwundert, da im Zusammenhang mit geringfügiger Beschäftigung häufig das Bild der „MinijobFalle“ bemüht wird. Die grundlegende Hypothese lautet, wie in der Einleitung angerissen, dass die Aufnahme eines Minijobs für Beschäftigte zunächst attraktiv sei, sie jedoch im Rahmen der längerfristigen Ausübung eines Minijobs mit den gemachten Erfahrungen zunehmend die Nachteile dieser Beschäftigungsform entdecken. So häufig diese Vermutung geäußert wird, so wenig wurde bislang beleuchtet, ob dies tatsächlich der Fall ist, sprich ob Minijobber die Entscheidung für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis im Nachhinein bereuen. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über die empirischen Befunde hierzu.
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
317
Abbildung 35: „Mit dem Wissen und den Erfahrungen, die Sie in Ihrem Minijob gemacht haben: Würden Sie sich, wenn Sie die Wahl hätten, noch einmal für einen Minijob entscheiden?“ (Angaben in Prozent)
Ja, auf jeden Fall
46
Ja, eher schon
Nein, eher nicht
44
8
Nein, auf keinen Fall 1
Eigene Berechnung und Darstellung; an 100% fehlende Werte beruhen auf Rundungsfehlern; Antworten der Kategorie „weiß nicht“ wurden zur besseren Übersicht als missings codiert; n=961
Die Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. 46% der Minijobber würden sich vor dem Hintergrund des Wissens und der Erfahrungen, die sie in ihrem Minijob gemacht haben, auf jeden Fall noch einmal für ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis entscheiden. Weitere 44% geben „ja, eher schon“ an. Lediglich 8% der befragten Minijobber hingegen berichten, dass sie sich eher nicht noch einmal für einen Minijob entscheiden würden, wohingegen nur 1% der Befragungspersonen sich sicher ist, dies auf keinen Fall noch einmal zu tun. Damit sprechen die Befunde dafür, dass die These einer „Minijob-Falle“ zumindest im subjektiven Urteil der geringfügig Beschäftigten keine nennenswerte Rolle spielt. Neun von zehn Minijobbern würden sich auch mit den im Minijob gemachten Erfahrungen im Rückblick noch einmal für eine Erwerbstätigkeit im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses entscheiden. Dieser Befund spricht gegen die These, dass Minijobs für Beschäftigte zunächst von großer Attraktivität sind, sie jedoch im Laufe der Zeit zunehmend die Schattenseiten dieser Beschäftigungsform erkennen und letztendlich bereuen, sich ursprünglich für einen Minijob entschieden zu haben. Wenn daher das Bild der „Minijob-Falle“ in wissenschaftlichen und politischen Diskursen wiederkehrend
318
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
bemüht wird, muss auf Basis der hiesigen empirischen Erkenntnisse bilanziert werden, dass eine solche „Falle“ für die Minijobber subjektiv nicht zu erkennen ist oder sie wohlwissend noch einmal hineintreten würden. Tiefergehende Analysen zeigen, dass sich kaum nennenswerte Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen von Minijobbern zeigen, sondern vielmehr über alle soziodemografischen und sozialstrukturellen Gruppen hinweg die Einschätzung dominiert, dass man sich auch im Nachhinein noch einmal für einen Minijob entscheiden würde. Auf drei Aspekte soll hierbei jedoch abschließend eingegangen werden. Zunächst zeigt sich, dass sich ganze 93% der „Aufstocker“ noch einmal für einen Minijob entscheiden würden. Vor dem Hintergrund der oben diskutierten Befunde überrascht dieser hohe Anteil, zeigt jedoch gleichermaßen die anscheinend relativ große Abhängigkeit zusätzlicher – wenn auch geringer – finanzieller Einnahmequellen für diese Gruppe. Die Handlungseinschätzungen deuten daher darauf hin, dass der Minijob für „Aufstocker“ eher eine Not- als Wunschlösung ist, welche jedoch subjektiv immer noch als bessere Alternative im Vergleich zum vollständigen Erwerbsausschluss wahrgenommen wird. Neben diesem Befund sticht eine weitere Gruppe unter Minijobbern hervor: Beschäftigte mit einem Stundenlohn unter der zum Befragungszeitpunkt gültigen Mindestlohnschwelle von 8,50 Euro geben deutlich seltener an, dass sie sich rückblickend noch einmal für einen Minijob entscheiden würden. Zwar liegt der Anteil jener, die sich wieder für einen Minijob entscheiden würden, mit 75% immer noch sehr hoch, jedoch deutlich niedriger als bei Beschäftigten mit einem Stundenlohn von 8,50 bis 11,50 Euro (92%) und einem Stundenlohn von 11,50 und mehr (93%). Eine sehr niedrige Entlohnung im Minijob scheint daher in der Tendenz die Einschätzung zu verstärken, sich in der Retrospektive nicht noch einmal für einen Minijob zu entscheiden. Zu guter Letzt finden sich keinerlei Zusammenhänge zwischen der Dauer des aktuellen Minijobs und der Einschätzung, sich retrospektiv noch einmal für einen Minijob zu entscheiden. Während die These der „Minijob-Falle“ häufig impliziert, dass Beschäftigte insbesondere bei langfristiger Ausübung die Schattenseiten dieser Erwerbsform kennenlernen und die Entscheidung für einen Minijob bereuen, liefern die hiesigen empirischen Befunde keine Hinweise, die eine derartige Lesart untermauern würden. Auf Basis der empirischen Befunde zu den Handlungsabsichten und wahrgenommenen Handlungsoptionen von Minijobbern kann an dieser Stelle auch die forschungsleitende Hypothese 8 (H8) beantwortet werden. Diese Hypothese ging davon aus, dass die beruflichen Handlungsabsichten der Minijobber vom Erhalt des Status-quo geprägt und Veränderungen mehrheitlich nicht beabsichtigt sind, wobei die individuellen Arbeitsmarktchancen und -optionen mehrheitlich skeptisch beurteilt werden. Hinsichtlich des ersten Teils dieser Annahme haben die empirischen Befunde verdeutlicht, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten in der Tat keine Veränderung ihrer aktuellen Erwerbssituation
7.3 Handlungsabsichten und wahrgenommene Handlungsoptionen
319
beabsichtigt. Mehr als 60% von ihnen äußern in diesem Zusammenhang keinen Wunsch, in eine andere Erwerbsform wechseln zu wollen. In Fällen, in denen ein solcher Wechselwunsch besteht, überwiegen Formen einer geringfügigen Erhöhung des Arbeitsumfangs im Rahmen von Midi-Job- und Teilzeitbeschäftigungen. Analog hierzu gibt auch eine Mehrheit der Befragungspersonen an, in den kommenden zwölf Monaten keine Veränderung der eigenen beruflichen Situation anzustreben. Lediglich 12% der geringfügig Beschäftigten äußern in diesem Zusammenhang die Absicht, den Minijob beenden zu wollen. Zu guter Letzt zeigte auch die Frage nach der Wahrscheinlichkeit eines Arbeitgeberwechsels im kommenden Jahr, dass die überwiegende Mehrheit nicht davon ausgeht, in diesem Zeitraum bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt zu sein. Insgesamt kann daher dieser Teil der forschungsleitenden Hypothese 8 in der überwiegenden Tendenz verifiziert werden. Gleichwohl haben die Analysen auch offenbart, dass es sehr wohl Gruppen innerhalb der Minijobber gibt, die in größerem Maße eine Veränderung ihrer beruflichen Situation beabsichtigen. Die Untersuchung hat hierbei hervorgebracht, dass sowohl die Lebensphasen als auch sozioökonomischen Lebenslagen eine zentrale Rolle spielen. Allen voran arbeitslos-gemeldete Minijobber, ledige Personen sowie geringfügig Beschäftigte mit einem niedrigen monatlichen Haushaltsnettoeinkommen berichten überdurchschnittlich häufig von beruflichen Veränderungsabsichten. Damit spielen hinsichtlich etwaiger Veränderungswünsche sowohl Pull- (Aussicht auf eine berufliche Ausbildung oder ein Studium unter Schüler sowie Übergang in die Haupt-Erwerbsphase nach Studienabschluss unter Studierenden) als auch Push-Faktoren (erwünschte Beendigung des Leistungsbezugs unter „Aufstockern“ oder finanzielle Notwendigkeit bei Personen mit niedrigem Haushaltsnettoeinkommen) eine Rolle. Insgesamt jedoch überwiegen mehrheitlich jene subjektiven Absichten, die auf den Erhalt der aktuellen Erwerbssituation gerichtet sind. Mit Blick auf den zweiten Teil der formulierten Hypothese, wonach Minijobber ihre individuellen Arbeitsmarktchancen skeptisch beurteilen, fällt eine eindeutige Verifizierung oder Falsifizierung der Hypothese nicht ganz leicht. Etwas mehr als die Hälfte der Minijobber gibt an, dass es für sie leicht wäre, bei Verlust des aktuellen Minijobs eine neue Stelle zu finden. Immerhin 46% von ihnen sehen dies jedoch als schwierig an. Somit zeigt sich hier ein zwiespältiges Bild. Anzumerken ist, dass jedoch die überwiegende Mehrheit der Minijobber die im Rahmen des aktuellen Beschäftigungsverhältnisses gewonnenen Arbeitsfertigkeiten und Kenntnisse als hilfreich bei einer potentiellen Stellensuche beurteilt. Es kann daher abschließend weder konstatiert werden, dass die geringfügig Beschäftigten ihre individuellen Arbeitsmarktchancen in der großen Mehrheit sehr positiv einschätzen, jedoch ebenso wenig festgehalten werden, dass diese Einschätzung von einer massiven Skepsis überschattet wird. In jedem Fall jedoch
320
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
wird der Minijob von der überwiegenden Mehrheit als zumindest hilfreich für die berufliche Zukunft angesehen, da er – trotz der weiter oben beschriebenen häufig defizitären Weiterbildungs- und Lernmöglichkeiten – Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt, denen die Minijobber einen positiven Mehrwert für ihre zukünftige Erwerbsbiografie zusprechen. 7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen Die letzte Untersuchungsdimension, welche sich mit der subjektiven Wahrnehmung und Beurteilung von Minijobs durch die geringfügig Beschäftigten beschäftigt, sind die Gegenwarts- und Zukunftssorgen dieser Beschäftigtengruppe. Während die in diesem Kapitel bislang dargelegten Untersuchungsdimensionen, die im Zusammenhang mit der subjektiven Wahrnehmung stehen (subjektive Arbeitsqualität, Funktionen des Minijobs sowie Handlungsabsichten und -optionen), einen direkten Zusammenhang zu der konkreten Arbeits- und Beschäftigungssituation aufweisen, ermöglicht die Betrachtung der Sorgen dieser Beschäftigtengruppe eine erweiterte Perspektive, die zwar viele erwerbsrelevante Themen einschließt, jedoch stärker auf die subjektiven Wahrnehmungen der individuellen Erwerbs- und Lebenslagen sowie damit einhergehender Sorgen abzielt. Aus diesem Grund wurde im Rahmen der empirischen Erhebung nach relevanten möglichen Sorgen der Minijobber gefragt. Diese beziehen sich sowohl auf gegenwärtige als auch stärker in der Zukunft liegende Aspekte. Konkret wurde nach den Sorgen hinsichtlich folgender Gebiete gefragt: der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, der eigenen wirtschaftlichen Situation, der Sorge vor Arbeitsplatzverlust, der Sorge vor langfristiger Arbeitslosigkeit, den Sorgen vor einer Nicht-Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben, der Sorge, vom eigenen Einkommen nicht mehr leben zu können, beruflich nicht voran zu kommen, der Sorge vor sozialem Abstieg, der Sorge, eines Tages von der Rente nicht leben zu können sowie Sorgen um die eigene Gesundheit. Deutlich wird, dass einige der Aspekte einen stärkeren Zukunftscharakter aufweisen (langfristige Arbeitslosigkeit, Altersarmut, sozialer Abstieg), andere hingegen tendenziell eher auf die gegenwärtige Erwerbs- und Lebenslage abzielen (eigene wirtschaftliche Situation, Arbeitsplatzverlust, vom Einkommen nicht leben zu können). Im Folgenden wird zunächst einen Überblick gegeben, wie weit verbreitet die genannten Sorgen unter Minijobbern sind, um darauf aufbauend auf Basis tiefergehender Analysen unterschiedliche Sorgenniveaus verschiedener Gruppen von Minijobbern zu beleuchten. Die nachfolgende Abbildung 36 gibt einen Überblick über die Sorgen in den angesprochenen Gebieten. Hinsichtlich der Sorgen in den unterschiedlichen Gebieten konnten die Befragungspersonen jeweils angeben, dass sie sich bezüglich des
321
7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen
jeweiligen Aspektes „gar keine Sorgen“, „einige Sorgen“ oder „große Sorgen“ machen141. Abbildung 36: Sorgen von Minijobbern in ausgewählten Lebensbereichen (Angaben in Prozent) Eines Tages von der Rente nicht leben zu können Von meinem Einkommen nicht leben zu können Eigene Gesundheit Eigene wirtschaftliche Situation
18
37
27
41
20
45 54
Beruflich nicht voran zu kommen
Meine Arbeit/ Stelle zu verlieren Einige Sorgen
23 33
23
Berufs- und Privatleben nicht (mehr) vereinbaren zu können
Gar keine Sorgen
28
52
Langfristig arbeitslos zu sein Allgemeine wirtschaftliche Entwicklung
33
52
24
Sozial abzusteigen
45
21 25
21
61 54 51 57
16 32 35 31
14 14 12
Große Sorgen
Eigene Berechnung und Darstellung; n= 999-1.004
Auf den ersten Blick fällt bei Betrachtung der empirischen Befunde auf, dass die Sorgenniveaus stark zwischen unterschiedlichen Sorgengebieten variieren. Der Aspekt mit dem insgesamt deutlich höchsten Sorgenniveau ist die Sorge, eines Tages von der Rente nicht leben zu können. Ganze 45% der Minijobber machen sich diesbezüglich große Sorgen, weitere 37% einige Sorgen. Lediglich 18% der geringfügig Beschäftigten geben an, sich hinsichtlich einer potentiellen Altersarmut gar keine Sorgen zu machen. Dieser Befund fällt hinsichtlich seiner Stärke durchaus ins Auge, spiegelt gleichzeitig jedoch die tatsächlich unterdurchschnittliche eigenständige Altersabsicherung dieser Beschäftigtengruppe wider. So wurde bereits dargelegt, dass Minijobber aufgrund der rechtlichen Regulierung dieser Erwerbsform in der Tat nur marginal, wenn überhaupt, gegen Armut im Alter abgesichert sind – zumindest, wenn man ausschließlich die auf Basis des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses generierten Ansprüche an die Ren141 Das methodische Vorgehen orientiert sich daher an jenem des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), wobei für die hier vorliegende Untersuchung andere und weitergehende, d.h. vor allem auf die Fragestellung und Untersuchungsgruppe dieser Arbeit zugeschnittene Sorgengebiete ausgewählt wurden.
322
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
tenversicherung betrachtet142. Die hiesigen Befunde verdeutlichen, dass diese objektiven Sicherungslücken auch subjektiv von den Minijobbern als solche erkannt werden, wofür die weit verbreitete Sorge vor einer potentiell drohenden Altersarmut spricht (vgl. auch BMFSFJ 2012). Neben der Sorge vor einer drohenden Altersarmut ist auch die Sorge, vom eigenen Einkommen nicht leben zu können, unter Minijobbern weit verbreitet. Ein Drittel der Befragungspersonen gibt an, sich diesbezüglich große Sorgen zu machen, weitere 41% berichten von einigen Sorgen. Zwar fällt der Anteil der sorgenfreien Personen hier höher aus als hinsichtlich einer drohenden Altersarmut (27% vs. 18%), gleichwohl bleibt das Sorgenniveau hoch. Auch dieser Aspekt fällt hinsichtlich der weiten Verbreitung von Sorgen ins Auge. Gleichwohl ist auch hier auf die objektiven Beschäftigungsbedingungen hinsichtlich der Entlohnung von Minijobbern (vgl. 6.2.2 in dieser Arbeit) ebenso zu verweisen wie auf deren subjektive Wahrnehmung und Beurteilung (vgl. 7.1 in dieser Arbeit). In Kombination dieser empirischen Befunde überrascht es kaum, dass die materielle Absicherung durch das im Rahmen des Minijobs generierte Einkommen Quelle von Sorgen unter den Beschäftigten ist. Sowohl die monatliche Einkommenshöchstgrenze von 450 Euro als auch die insgesamt sehr niedrigen Stundenlöhne dürften hier eine entscheidende Rolle spielen. Dieser Befund spricht ebenso dafür, dass die Minijobber subjektiv der Ansicht sind, dass ein Minijob zwar als Hinzuverdienst im Haushaltskontext oder als „Aufstockung“ anderer (Transfer)Einnahmen (etwa Rente, BaföG etc.) materielle Besserung bringen kann, für sich genommen jedoch nur eine marginale finanzielle Absicherung ermöglicht. Hinsichtlich der eigenen Gesundheit zeigt sich ein etwas anderes Bild. Auch hier überwiegen die Minijobber, die sich große Sorgen (28%) oder zumindest einige Sorgen (52%) machen jenen Teil unter ihnen, die diesbezüglich sorgenfrei sind (20%). Gleichwohl fällt hier die „Klumpung“ in der Kategorie „einige Sorgen“ auf: die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten ist mittelmäßig besorgt ob der eigenen Gesundheit. Ein ähnliches Bild zeigt sich mit Blick auf die Wahrnehmung der eigenen wirtschaftlichen Situation: auch hier weist der größte Anteil der Minijobber einige Sorgen auf (52%), wohingegen hier der Anteil an Personen mit großen Sorgen geringer ausfällt als bei den zuvor genannten Aspekten (23%). Rund ein Viertel der Beschäftigten gibt an, sich hinsichtlich der eigenen wirtschaftlichen Situation gar keine Sorgen zu machen. Damit zeigt sich hinsichtlich dieses Sorgengebietes ein ambivalentes Bild. Auf diesen Aspekt folgt mit den Sorgen vor einem sozialen Abstieg ein Gebiet, welches sich durch einen stärker mittel- und langfristigen Charakter auszeichnet. Rund ein Fünftel der geringfügig Beschäftigten hat große Sorgen vor 142 Wie ebenfalls gezeigt, fallen die individuellen Absicherungsniveaus positiver aus, wenn darüber hinaus auch abgeleitete Ansprüche (etwa über den Ehepartner) berücksichtigt werden.
7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen
323
einem sozialen Abstieg, ein weiteres Drittel macht sich diesbezüglich einige Sorgen. Auffällig ist jedoch der im Vergleich zu den bisher beleuchteten Aspekten hohe Anteil an Minijobbern, die sich gar keine Sorgen vor einem sozialen Abstieg machen (45%). Die deutliche Diskrepanz zwischen den Sorgen vor Altersarmut und davor, vom Einkommen nicht leben zu können auf der einen Seite und den Sorgen vor einem sozialen Abstieg auf der anderen Seite fällt hierbei ins Auge. Die Befunde könnten für ein großes Vertrauen in andere Formen der Absicherung sprechen – etwa durch sozialstaatliche Leistungen oder finanzielle Kompensationen durch Familienangehörige und Ehepartner. Denkbar erscheint, dass ein sozialer Abstieg deshalb weniger Quelle von (großen) Sorgen ist, da unter Minijobbern unter Umständen die Gewissheit verbreitet ist, anderweitig aufgefangen zu werden. Gleichwohl sollte selbstredend nicht unterschlagen werden, dass immerhin ein Fünftel sehr große Sorgen vor einem sozialen Abstieg äußert, was für diese Gruppe auch als geringes Vertrauen in die finanzielle Absicherung durch den Minijob und fehlende Kompensationsmodi zu interpretieren ist. Ein gleich hoher Anteil der Minijobber weist darüber hinaus große Sorgen vor einer langfristigen Arbeitslosigkeit auf. Rund ein Fünftel macht sich diesbezüglich große Sorgen, wohingegen mit 25% rund ein Viertel der Befragungspersonen angibt, sich einige Sorgen zu machen. Auffällig ist, dass folglich auch der Anteil an sorgenfreien Beschäftigten mit 54% deutlich höher ausfällt als hinsichtlich eines möglichen sozialen Abstiegs. Auch hier zeigt sich ein ambivalentes Bild, denn während eine knappe Mehrheit der Minijobber keinerlei Sorgen vor einer langfristigen Arbeitslosigkeit aufweist, zeigt sich die andere Hälfte mittelmäßig oder stark besorgt. Dieses Gesamtbild entspricht in etwa auch den im vorigen Abschnitt präsentierten Befunden zur subjektiven Einschätzung der eigenen Arbeitsmarktchancen. Hier wurde ebenfalls deutlich, dass etwas mehr als die Hälfte der Minijobber das Finden einer neuen Stelle bei hypothetischem Stellenverlust als leicht einschätzt, etwas weniger als die Hälfte hingegen als schwierig. Die subjektiven Einschätzungen der individuellen Arbeitsmarktchancen scheinen sich somit auch in den Sorgen vor einer langfristigen Arbeitslosigkeit abzubilden. Ein Aspekt, der nur in indirektem Zusammenhang mit dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis steht, ist die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Hier zeigt sich ein besonderes Bild dahingehend, dass sowohl die Anteile an Minijobbern, die sich gar keine Sorgen machen (23%) als auch jene, die sich große Sorgen machen (16%), verhältnismäßig gering ausfallen, ambivalente Einschätzungen (einige Sorgen) hingegen mit 61% sehr weit verbreitet sind. Die Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung ist daher bei Minijobbern von einigen Sorgen geprägt, fällt insgesamt jedoch weder sonderlich optimistisch noch pessimistisch aus. Ein anderes Bild zeigt sich indes hinsichtlich der Sorge, beruflich nicht voran zu kommen. Lediglich 14% der Befragungspersonen machen sich
324
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
hierzu große Sorgen, ein weiteres Drittel weist einige Sorgen auf. Mit 54% gibt hingegen die Mehrheit der Minijobber an, sich gar keine Sorgen vor einem beruflichen Stillstand zu machen. Dieser vergleichsweise hohe Anteil ist sicherlich auch unter Rückgriff der in Kapitel 7.1 diskutierten Befunde zur subjektiven Arbeitsqualität zu erklären. Dort konnte gezeigt werden, dass für Minijobber berufliche Aufstiegsperspektiven im Vergleich zu anderen Aspekten in der Erwerbsarbeit eine untergeordnete Rolle spielen. Zieht man darüber hinaus die Erkenntnisse zu den mehrheitlich vom Erhalt des Status-quo geprägten beruflichen Handlungsabsichten hinzu, kann der vergleichsweise hohe Anteil an Personen, die sich gar keine Sorgen vor einem beruflichen Stillstand machen, schlichtweg dadurch erklärt werden, dass Minijobber mehrheitlich keinen beruflichen Aufstieg beabsichtigen und ihnen dies subjektiv auch nicht sonderlich wichtig ist. Ein ähnliches Bild zu diesem Sorgengebiet manifestiert sich mit Blick auf die Sorgen, Berufs- und Privatleben nicht (mehr) vereinbaren zu können. Hier machen sich leidglich 12% der Befragungspersonen große Sorgen, etwas mehr als ein Drittel einige Sorgen. Auch bezüglich dieses Aspektes berichtet eine knappe Mehrheit (51%) von gar keinen Sorgen. Der niedrige Anteil an Beschäftigten mit großen Sorgen ist auch hier vor dem Hintergrund der Befunde zur subjektiven Arbeitsqualität zu erklären. Gezeigt werden konnte hier, dass die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben einerseits als wichtig, gleichzeitig jedoch auch als mehrheitlich im Minijob erfüllt beurteilt werden. Diese Erkenntnisse spiegeln sich im niedrigen Anteil an Personen mit großen Sorgen. Gleichzeitig deutet der Anteil von 35% an Personen mit einigen Sorgen auch darauf hin, dass eine gute Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben zwar mehrheitlich als im Rahmen des aktuellen Minijobs realisiert wahrgenommen wird, jedoch möglicherweise bei einem Teil der Minijobber bezweifelt wird, dass dies auch zukünftig in gleichem Maße so sein wird. Plausibel erscheint daher, dass jene Personen mit einigen Sorgen befürchten, Berufs- und Privatleben zukünftig nicht mehr gut miteinander vereinbaren zu können. Zu guter Letzt folgt als insgesamt „sorgenfreister“ Aspekt ein möglicher Arbeitsplatzverlust. Zwei Befunde sollen hier beleuchtet werden. Zunächst einmal wird deutlich, dass mit 12% vergleichsweise wenige Minijobber von großen Sorgen vor einem Verlust der aktuellen Stelle berichten. Weitere 31% äußern einige Sorgen, wohingegen 57% der Befragungspersonen angeben, sich diesbezüglich gar keine Sorgen zu machen. Somit weist das Gebiet „Arbeitsplatzverlust“ sowohl den geringsten Anteil an sehr besorgten als auch den höchsten Anteil an sorgenfreien Minijobbern auf. Dieser Befund deckt sich in etwa mit jenen Befunden zur Arbeitsplatzsicherheit, die im Rahmen der Analyse der subjektiven Arbeitsqualität beleuchtet wurden (vgl. Abschnitt 7.1). Auch hinsichtlich der Sorgen zeigt sich, dass selbstredend nicht alle Minijobber ihren Arbeitsplatz als
7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen
325
sehr sicher beurteilen und sich folglich auch Sorgen vor einem Verlust der Stelle beobachten lassen, gleichwohl Minijobs für die Mehrheit der Befragungspersonen subjektiv eine relativ hohe Beschäftigungsstabilität aufzuweisen scheinen. Darüber hinaus fällt ein weiterer, einen größeren Kontext betreffender Befund ins Auge. Die hiesigen Befunde zeigen, dass sowohl die Sorge vor langfristiger Arbeitslosigkeit als – in noch stärkerem Maße – die Sorge vor dem Verlust der aktuellen Stelle deutlich schwächer ausgeprägt sind als die Sorge vor einem sozialen Abstieg. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen zu Abstiegsangst und gesellschaftlichen Verunsicherungstendenzen die Sorge vor dem Verlust des Arbeitsplatzes nicht selten als alleiniger Indikator für die Sorge vor einem sozialen Abstieg herangezogen und operationalisiert wird (vgl. etwa Lengfeld 2017b). Abseits der hier präsentierten Befunde zu den Minijobbern deuten die Ergebnisse darauf hin, dass eine solche Operationalisierung Schwächen aufweist. Zumindest für die Gruppe der geringfügig Beschäftigten lässt sich festhalten, dass die Sorgen vor sozialem Abstieg weiter verbreitet sind als die Sorgen vor langfristiger und insbesondere kurzfristiger Arbeitslosigkeit. Sozialer Abstieg scheint somit für erwerbstätige Personen mehr zu beinhalten als ein Verlust des Arbeitsplatzes, möglicherweise etwa, trotz Erwerbstätigkeit den „Anschluss zu verpassen“ oder den eigenen Lebensstandard nicht halten zu können. Die hiesigen Befunde sensibilisieren daher für diese Problematik und deuten an, dass sozialer Abstieg ein mannigfaltiges Konstrukt ist143. Bei einem tiefergehenden Blick auf die Sorgen der Minijobber zeigen sich beachtliche Unterschiede zwischen verschiedenen Personengruppen. Im Folgenden wird nicht auf jedes Sorgengebiet im Einzelnen eingegangen, sondern vielmehr bestimmte sich herausbildende „Sorgen-Muster“ diskutiert. Auffällig ist in der tiefergehenden Analyse, dass sich derartige Muster im Sorgenniveau zeigen, die nicht auf einzelne Gebiete oder Aspekte reduziert sind, sondern vielmehr über alle Gebiete hinweg fast ohne Ausnahme zu beobachten sind. Starke Zusammenhänge zum Maß an Sorgen offenbaren sich insbesondere hinsichtlich des Geschlechts, des Alters, einer Arbeitslosigkeit der Minijobber, der subjektiven Schichteinstufung sowie des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens. Bezüglich der genannten Variablen gilt in der Tendenz:
143 Angemerkt sei, dass natürlich auch die hier präsentierte Operationalisierung nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Gleichwohl deuten sich die angesprochenen Diskrepanzen an, woraus folgt, dass eine detaillierte Erfassung sozialer Abstiegssorgen oder zumindest eine nicht ausschließliche Reduktion dieses Konstrukts auf die Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust sinnvoll sein kann.
326
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Frauen weisen deutlich höhere Sorgenniveaus auf als Männer; Jüngere Beschäftigte unter 30 Jahren sowie ältere über 60 Jahren sind deutlich sorgenfreier als Minijobber im mittleren Alter; „Aufstocker“ zeigen ein deutlich höheres Sorgenniveau als geringfügig Beschäftigte, die nicht-arbeitslos gemeldet sind; Personen, die sich subjektiv der Mittelschicht oder oberen Mittelschicht zugehörig fühlen, sind deutlich sorgenfreier als Personen aus der subjektiven Unter- oder Arbeiterschicht; Das Sorgenniveau sinkt mit zunehmendem monatlichem Haushaltsnettoeinkommen, wobei insbesondere Personen mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen von unter 1.500 Euro besonders häufig von Sorgen berichten.
Betrachtet man die einzelnen Sorgengebiete etwas genauer, werden diese generellen empirischen Befunde greifbarer. Wie gezeigt ist die Sorge davor, eines Tages von der Rente nicht leben zu können, jenes Gebiet, welches insgesamt das höchste Sorgenniveau aufweist. Während allerdings 26% der Männer angeben, sich diesbezüglich gar keine Sorgen zu machen, sind es unter Frauen gerade einmal 13%, d.h. die Sorge vor Altersarmut ist tendenziell insbesondere bei Frauen zu beobachten. Ebenso zeigen sich hier vor allem ältere Beschäftigte überdurchschnittlich sorgenfrei, wenngleich auch hier mehr als ein Drittel angibt, sich große Sorgen zu machen. Da insbesondere in der Gruppe 60+ viele Rentner vertreten sind, ist davon auszugehen, dass die zusätzlich zum Minijob erhaltenen Rentenzahlungen die Sorge vor Altersarmut senken. Darüber hinaus zeigen sich ebenfalls massive Unterschiede zwischen „regulären“ Minijobbern und „Aufstockern“: während von letzterer Gruppe ganze 64% angeben, sich große Sorgen vor Altersarmut zu machen, sind es in ersterer Gruppe „lediglich“ 43%. Wenngleich dieser Anteil immer noch hoch ist, wird deutlich, dass insbesondere arbeitslos gemeldete Minijobber ein großes Sorgenniveau hinsichtlich ihrer Absicherung für das Alter aufweisen. Damit komplementieren diese Befunde das Gesamtbild zu dieser Personengruppe im Minijob. Bereits zuvor wurde gezeigt, dass sie sowohl hinsichtlich ihrer objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen viele Defizite aufweisen und sich auch hinsichtlich der subjektiven Beurteilung ihrer Erwerbstätigkeit im Minijob deutlich pessimistischere Einschätzungen finden als in der Vergleichsgruppe. Die hiesigen Befunde deuten darauf hin, dass sich diese Aspekte auf die Einschätzung der gesamten Lebenslage ausweiten, d.h. die eigenen Lebenschancen als vergleichsweise gering eingeschätzt werden und mehrheitlich Pessimismus vorherrscht. Ebenso zeigen sich hinsichtlich der Sorgen vor Altersarmut die angesprochenen Unterschiede zwischen unterschiedlichen subjektiven und objektiven sozialen Schichten. 70,5% jener Minijobber, die sich selbst der Unterschicht zugehörig fühlen, haben große Sorgen vor Altersarmut. In der (subjektiven) Arbeiterschicht sind es mit 54% immer noch
7.4 Gegenwarts- und Zukunftssorgen
327
überdurchschnittlich viele, in der Mittel- (38%) und oberen Mittelschicht (25%) sind es hingegen deutlich weniger Personen144. Eine ähnliche Tendenz bestätigt sich auch bezüglich des monatlichen Haushaltsnettoeinkommens, bei dem sich zeigt, dass Personen mit einem Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.500 Euro deutlich seltener sorgenfrei vor Altersarmut sind (13%) als Personen mit mittleren (17%) oder hohen monatlichen Haushaltsnettoeinkommen (25%). Dieses skizzierte Muster zieht sich, wie oben angesprochen, über so gut wie alle Sorgengebiete hinweg – selbstverständlich jeweils auf einem anderen Niveau. Der generelle Trend bleibt jedoch bestehen. Ein nahezu identisches Muster wie hinsichtlich der Sorge vor Altersarmut manifestiert sich bezüglich der Sorge, vom eigenen Einkommen nicht leben zu können, der Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation, der Sorge sowohl vor lang- als auch kurzfristiger Arbeitslosigkeit sowie der Sorge vor sozialem Abstieg. Hinsichtlich des letztgenannten Items offenbaren sich zwar vergleichsweise geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern, jedoch starke Unterschiede zwischen verschiedenen Altersgruppen: insbesondere jüngere Minijobber unter 30 Jahren sowie ältere Minijobber (60+) berichten deutlich seltener von Sorgen vor einem sozialen Abstieg als Personen im mittleren Alter. Während für jüngere Beschäftigte diesbezüglich die Tatsache, dass sie sich noch in der Ausbildungsphase befinden und das Erwerbsleben noch weitestgehend vor sich zu haben, eine Rolle spielen dürfte, erscheint es bei den älteren Minijobbern plausibel, dass sie subjektiv ihren Lebensstandard erreicht haben, welcher sich nicht mehr groß verändern wird und folglich zu einer geringeren Verbreitung der Sorge vor einem sozialen Abstieg führt. Auch hinsichtlich eines sozialen Abstiegs sind „Aufstocker“ besonders von Sorgen geplagt: 37% machen sich große Sorgen, während dies lediglich 19% der nicht arbeitslos gemeldeten Minijobber angeben. Auch hier zeigen sich zu guter Letzt starke Zusammenhänge zu der subjektiven und objektiven sozialen Lebenslage der Minijobber. Große Sorgen vor einem sozialen Abstieg finden sich im Besonderen in der Unter- und Arbeiterschicht (43% bzw. 29%), in deutlich geringerem Maße hingegen in der Mittel- (13%) und oberen Mittelschicht (7%). Gleiches gilt für das verfügbare monatliche Haushaltsnettoeinkommen. Während sich lediglich 38% der Minijobber mit niedrigem monatlichem Haushaltseinkommen gar keine Sorgen vor einem sozialen Abstieg machen, sind es unter geringfügig Beschäftigten mit mittlerem (47%) oder hohem Haushaltseinkommen (53%) deutlich mehr Personen. Festzuhalten sind daher mit Blick auf die skizzierten Befunde folgende Aspekte: wenngleich es zunächst wenig überraschen mag, dass das Maß an Sorgen in Gebieten mit starkem Erwerbsbezug oder zumindest einem Bezug zu monetä144 Die Anteile für Personen, die sich subjektiv der Oberschicht zugehörig fühlen, werden hier aufgrund sehr geringer Fallzahlen und einer damit einhergehenden geringen Aussagekraft nicht näher thematisiert.
328
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
ren Aspekten stark von der tatsächlichen sozioökonomischen Lebenslage der Minijobber abhängt, überrascht das stringente Muster über all diese Sorgengebiete hinweg. Generell gilt: je schlechter die objektive soziale Lage sowie deren subjektive Wahrnehmung, desto stärker sind die Sorgen ausgeprägt – wobei hier sowohl Gegenwarts- als auch Zukunftssorgen gewichtiger sind. Darüber hinaus kristallisiert sich heraus, dass „Aufstocker“ zu einer zentralen Problemgruppe gehören, die nicht nur aufgrund der objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und ihrer subjektiven Perzeption, sondern auch hinsichtlich ihrer gesamten Lebenslage und den hiermit in Verbindung stehenden Sorgen negativ herausstechen. Hinsichtlich des Alters zeigen sich insbesondere jüngere und ältere Beschäftigte häufiger sorgenfrei – eine Ausnahme bildet die eigene Gesundheit, die mit zunehmendem Alter häufiger Gegenstand von Sorgen ist. Während, wie oben bereits angesprochen, jüngere Minijobber häufig noch in der Ausbildungsphase sind und ihre Haupterwerbsphase in der Regel noch vor sich haben, ist ebendiese für viele ältere Minijobber, insbesondere Rentner, bereits beendet, die Lebenslage daher einigermaßen „festgezurrt“ und die Sorgen niedriger ausgeprägt. Warum schließlich Frauen ein derart auffällig größeres Sorgenniveau aufweisen als Männer, kann in dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden. Die Ergebnisse in dieser Arbeit hinsichtlich der Familien- und Haushaltskontexte, der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie der sozioökonomischen Lebenslagen (vgl. insbesondere Kapitel 6 in dieser Arbeit) haben jedoch gezeigt, dass sich dort nicht derart gravierende Unterschiede zwischen Männern und Frauen nachweisen lassen wie hinsichtlich der Sorgenniveaus, d.h. dass das deutlich höhere Sorgenniveau von Frauen nicht primär dadurch erklärt werden kann, dass sie objektiv mehrheitlich deutlich defizitärere soziale Lagen aufweisen oder unter objektiv schlechteren Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Minijob angestellt sind als Männer. Insgesamt zeigen die Befunde einen deutlichen Zusammenhang zwischen objektiver sozialer Lage und materieller Ressourcenausstattung einerseits sowie den Sorgen in einzelnen Gebieten andererseits. Die Befunde offenbaren daher auch, dass das Ausmaß der materiellen Abfederung von Minijobs – sei es durch sozialstaatliche Transferleistungen oder zusätzliche (Erwerbs-) Einkommen anderer Haushalts- oder Familienmitglieder – nicht nur einen wichtigen Einfluss auf die sozioökonomischen Lebenslagen von geringfügig Beschäftigten ausübt, sondern auch auf die subjektiven Einschätzungen dieser Lebenslagen und die Verbreitung von Sorgen. Zu guter Letzt kann an dieser Stelle auf Basis der präsentierten empirischen Befunde zum Sorgenniveau unter Minijobbern die forschungsleitende Hypothese 9 (H9) beantwortet werden. Diese Hypothese ging davon aus, dass die Sorgen von Minijobbern hinsichtlich ihren gegenwärtigen Erwerbs- und Lebenslagen schwächer ausgeprägt sind als mit Blick auf längerfristige Zukunftsrisiken. Eine eindeutige Verifizierung oder Falsifizierung dieser Hypothese fällt schwer. Ei-
7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung
329
nerseits hat sich gezeigt, dass die größte Sorgenquelle – eines Tages von der Rente nicht leben zu können – tatsächlich ein Aspekt mit (starkem) Zukunftscharakter ist. Ebenso sind die Sorgen hinsichtlich eines Arbeitsplatzverlustes bei einem Aspekt mit starkem Gegenwartsbezug am geringsten ausgeprägt. In Kombination dieser Befunde könnte die Hypothese bestätigt werden. Andererseits zeigt sich in der Gesamtverteilung kein klares Muster, welches eine solche Interpretation bestätigen würde. So sind ebenfalls die Sorgen, vom Einkommen nicht leben zu können sowie die Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation vergleichsweise breit verbreitet – beides Aspekte, die tendenziell eher die gegenwärtige Erwerbs- und Lebenslage betreffen als die mittel- oder langfristige Zukunft. Stärker auf eine ebensolche mittel- und langfristige Zukunft abzielende Aspekte wie die Sorge vor einem sozialen Abstieg oder einer langfristigen Arbeitslosigkeit befinden sich hingegen im „Mittelfeld“ der Sorgen von Minijobbern, d.h. sie spielen durchaus eine Rolle, sind jedoch nicht in deutlich stärkerem Maße Gegenstand der individuellen Befürchtungen als gegenwärtige Sorgen. Daher kann Hypothese 9 abschließend teilweise verifiziert werden, da die empirischen Befunde zum stärksten und geringsten Sorgengebiet dem in der Hypothese vermuteten Muster entsprechen. Gleichwohl muss die Hypothese teilweise auch zurückgewiesen werden, da die empirischen Befunde nicht bestätigen, dass alle Gebiete mit starkem Zukunftscharakter in besonderem Maße Gegenstand von Sorgen sind, sondern sich vielmehr eine Verzahnung unterschiedlicher Sorgen nachweisen lässt, die sowohl die gegenwärtigen als auch die zukünftigen Erwerbs- und Lebenslagen der Minijobber berühren. 7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung: Multivariate Analyse der globalen Arbeitszufriedenheit geringfügig Beschäftigter 7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung Die bisherigen empirischen Analysen haben, wie unter 5.1 in dieser Arbeit dargelegt, verschiedene Untersuchungsdimensionen beleuchtet, welche sowohl die Haushalts- und Familienkontextekontexte der Beschäftigten (Abschnitt 6.1), ihre objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (Abschnitt 6.2) sowie die subjektive Wahrnehmung der Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob (Abschnitte 7.1 bis 7.4) in den Blick genommen haben. Hinsichtlich der subjektiven Wahrnehmung stand in der Analyse zunächst die subjektive Arbeitsqualität in vier zentralen Untersuchungsdimensionen im Zentrum der Analyse (7.1), um darauf aufbauend die Bedeutung von Erwerbsarbeit sowie die Funktionen des Minijobs (7.2), die individuellen Handlungsabsichten und -optionen (7.3) sowie die Gegenwarts- und Zukunftssorgen (7.4) darzustellen und zu diskutieren. In einem letzten empirischen Analyseschritt werden diese Stränge der Untersuchung zusammengeführt und nach der subjektiven Gesamtbeurteilung der Ar-
330
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
beits- und Beschäftigungssituation von geringfügig Beschäftigten gefragt. Wie in Kapitel 4 dieser Arbeit dargelegt, wird die subjektive Gesamtbeurteilung mithilfe der globalen Arbeitszufriedenheit operationalisiert. Die globale Arbeitszufriedenheit wird hierbei als Output-Größe verstanden, d.h. es geht um einen Überblick, wie zufrieden Minijobber mit ihrer Arbeits- und Beschäftigungssituation sind, um darauf aufbauend Faktoren zu identifizieren, welche die Arbeitszufriedenheit geringfügig Beschäftigter beeinflussen. Im Folgenden werden daher zwei Analyseschritte unternommen: zunächst wird ein Überblick über die globale Arbeitszufriedenheit unter den befragten Minijobber gegeben. Diese Befunde werden unter Rückgriff auf Daten des Soziooekonomischen Panels (SOEP) kontextualisiert, um die Arbeitszufriedenheit der befragten Minijobber mit jener aller Erwerbstätigen in Deutschland zu vergleichen. Für die Analyse der Einflussfaktoren der Arbeitszufriedenheit von Minijobbern wird in einem zweiten Schritt, wie unter 5.4 in dieser Arbeit dargelegt, eine multiple lineare Regressionsanalyse durchgeführt. Um eigenständige und statistisch signifikante Einflussvariablen aufzuspüren, wurden drei Regressionsmodelle berechnet, welche die wesentlichen Prädikatoren der unterschiedlichen Untersuchungsdimensionen berücksichtigen. Das erste Modell enthält ausschließlich soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der Beschäftigten. Im zweiten Modell werden zusätzlich die objektiven Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses in das Modell integriert. Zu guter Letzt wird dieses Modell im dritten seiner Art um die Beurteilung der subjektiven Arbeitsqualität in den vier Untersuchungsdimensionen von Arbeitsqualität ergänzt. Ziel der Analyse ist zum einen die Identifikation von statistisch signifikanten Einflussvariablen für die globale Arbeitszufriedenheit von Minijobbern, zum anderen eine Überprüfung der Frage, wie stark der Einfluss einzelner Variablen auf die globale Arbeitszufriedenheit ausfällt145. Die multiple lineare Regressionsanalyse ermöglicht vor allem, zu beleuchten, wovon die subjektive Gesamtbeurteilung der Arbeits- und Beschäftigungssituation von Minijobbern beeinflusst wird, d.h. ob hierfür soziodemografische Merkmale, die objektiven Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen oder die subjektive Beurteilung der eigenen Arbeits- und Beschäftigungssituation entscheidend sind und wie stark die jeweiligen Einflüsse ausfallen. Zunächst wird im ersten Analyseschritt die univariate Verteilung der Arbeitszufriedenheit der befragten Minijobber dargelegt und mit den Daten des SOEP für 145 Es sei an dieser Stelle nochmalig auf die methodischen Kontroversen hinsichtlich der Nutzung inferenzstatistischer Methoden bei Quotenstichproben hingewiesen, welche bereits unter 5.2 in dieser Arbeit thematisiert wurden. Wie dort dargelegt wurde, gibt es in der empirischen Sozialforschung unterschiedliche Beurteilungen, inwiefern inferenzstatistische Methoden bei Quotenstichproben genutzt werden sollten. In dieser Arbeit werden, wie dargelegt, aus heuristischen Gründen die Signifikanzniveaus der Prädikatoren der multiplen linearen Regressionsanalyse ausgewiesen und kommuniziert (vgl. für ein ähnliches Vorgehen etwa Marshall/Schultze 2012).
331
7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung
alle Erwerbstätigen in Deutschland abgeglichen. Da auch in der hier präsentierten empirischen Erhebung die globale Arbeitszufriedenheit wie im SOEP auf einer elfstufigen Skala von 0-10 erhoben wurde, ist die Messung der Arbeitszufriedenheit in beiden Fällen deckungsgleich und somit gut vergleichbar. Abbildung 37 gibt einen Überblick über die Verteilung der Arbeitszufriedenheit unter den befragten Minijobbern und allen Erwerbstätigen in Deutschland. Abbildung 37: Arbeitszufriedenheit von Minijobbern im Vergleich zu allen Erwerbstätigen in Deutschland (Angaben in Prozent; Skala von 0= sehr unzufrieden bis 10= sehr zufrieden) 30 25 20 15 10 5 0 0
1
2 Minijobber
3
4
5
6
7
8
9
10
Erwerbstätige in Deutschland (SOEP)
Eigene Berechnung und Darstellung; n (Befragung)=1.004; n (SOEP)= 14.242; SOEP v30 für das Jahr 2013; Daten verfügbar im SOEP-Info
Die empirischen Befunde zur globalen Arbeitszufriedenheit der befragten Minijobber offenbaren zwei wesentliche Erkenntnisse. Zunächst einmal wird deutlich, dass die deutliche Mehrheit der Minijobber mit ihrer Arbeits- und Beschäftigungssituation im Minijob insgesamt zufrieden ist. Extrem niedrige Zufriedenheitswerte von 0 und 1 werden lediglich von 1,3% der Befragungspersonen angegeben. Auch Werte von 2 bis 4 auf der elfstufigen Skala bilden die Minderheit. Ab dem Wert 5, also einer mittelmäßigen Zufriedenheit, steigen die prozentualen Anteile an. Deutlich wird, dass Zufriedenheitswerte von 7 bis 10 die höchsten Anteile aufweisen, was unterstreicht, dass die Mehrheit der geringfügig Beschäftigten mit ihrer Erwerbsarbeit im Rahmen des Minijobs zufrieden ist. Neben diesem Befund fällt unter Rückgriff auf die Daten des SOEP für alle Erwerbstätigen in Deutschland ebenso ins Auge, dass hier eine große Deckungsgleichheit
332
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
besteht. Deutlich wird, dass Minijobber nicht unzufriedener mit ihrer Erwerbsarbeit sind als der Querschnitt der Erwerbstätigen in Deutschland. Für eine bessere Übersichtlichkeit wurde die elf-stufige Skala auch zu einer fünfstufigen Skala zusammengefasst146, welche die Werte in die fünf Kategorien „sehr unzufrieden“, „eher unzufrieden“, „teils/teils“, „eher zufrieden“ sowie „sehr zufrieden“ zusammenfasst. Nimmt man diese Einordnung als Grundlage, wird die hohe Deckungsgleichheit in der Arbeitszufriedenheit der befragten Minijobber und der Erwerbstätigen in Deutschland noch einmal greifbarer. Gerade einmal 1,3% der Minijobber geben an, mit ihrer Erwerbsarbeit sehr unzufrieden zu sein. Unter allen Erwerbstätigen in Deutschland liegt dieser Anteil mit 2,1% etwas über diesem Niveau. Weitere 6,5% der Minijobber sind eher unzufrieden (4,8% unter allen Erwerbstätigen). Nahezu deckungsgleich fallen die Anteile in der Kategorie „teils/teils“ aus, also hinsichtlich einer mittelmäßigen Arbeitszufriedenheit. 22,6% der Minijobber fallen in diese Kategorie, wohingegen es unter allen Erwerbstätigen in Deutschland mit 23% ein nahezu gleich großer Anteil ist. 42% der befragten Minijobber fallen hingegen in die Kategorie „eher zufrieden“. Unter allen Erwerbstätigen liegt der Anteil mit 44,2% etwas höher. Ein umgekehrtes Bild zeigt sich hinsichtlich der Anteile an sehr zufriedenen Beschäftigten: hier liegt der Anteil unter den Minijobbern mit 27,6% etwas höher als unter den Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt (25,9%). Zusammenfassend zeigt sich somit, dass Minijobber in gleichem Maße mit ihrer Erwerbsarbeit zufrieden sind wie die Erwerbstätigen in Deutschland insgesamt. Rund 70% der befragten Minijobber sind mit ihrer Erwerbsarbeit eher oder sehr zufrieden, wohingegen lediglich 7,8% angeben, eher oder sehr unzufrieden zu sein. Die Befunde widerlegen somit Annahmen, welche geringfügig Beschäftigten ein hohes Maß subjektiver Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeits- und Beschäftigungssituation attestieren. Sinnverluste und Frustrationen als mögliche Folgen einer Unzufriedenheit mit der eigenen Erwerbsarbeit sind mehrheitlich nicht anzunehmen. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle das hohe Zufriedenheitsniveau unter Minijobbern sowie die Feststellung, dass die Arbeitszufriedenheit anscheinend nicht maßgeblich durch die Erwerbsform beeinflusst wird (vgl. hierzu auch Brenke 2015). In einem zweiten Analyseschritt stellt sich die Frage, wovon die globale Arbeitszufriedenheit als Indikator für die subjektive Gesamtbeurteilung der eige146 Diese Skala reicht von 1 (sehr unzufrieden) über 2 (eher unzufrieden) und 3 (teils/teils) bis hin zu 4 (eher zufrieden) und 5 (sehr zufrieden). Werte von 0 und 1 auf der elf-stufigen Skala wurden als Wert 1 (sehr unzufrieden) umcodiert, Werte von 2 und 3 als Wert 2 (eher unzufrieden). Die Werte 4,5 und 6 wurden der Kategorie „teils/teils“ zugeordnet, wohingegen die Werte 7 und 8 in die Kategorie „eher zufrieden“ sowie die Werte 9 und 10 in die Kategorie „sehr zufrieden“ eingeordnet wurden.
7.5 Die subjektive Gesamtbeurteilung
333
nen Arbeits- und Beschäftigungssituation beeinflusst wird. Wie oben dargelegt, wurde aus diesem Grund eine multiple lineare Regressionsanalyse durchgeführt und drei Regressionsmodelle berechnet. Die abhängige Variable des Modells ist die globale Arbeitszufriedenheit. In das erste Modell gehen ausschließlich soziodemografische und sozialstrukturelle Merkmale der Minijobber ein147. Konkret sind dies das Geschlecht, das Alter, der höchste Schulabschluss, der höchste berufliche Abschluss, das monatliche Haushaltsnettoeinkommen, eine mögliche offizielle Arbeitslosigkeit, die subjektive Schichteinstufung148 sowie die Statusgruppe, wobei hier die Rentner/Pensionäre im Vergleich zu anderen Statusgruppen in den Blick genommen werden. Das zweite Modell integriert neben diesen soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmalen der Beschäftigten deren objektive Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Als Prädikatoren werden hier folgende Variablen in das Modell integriert: nebenberuflicher vs. ausschließlicher Minijob, gewerblich vs. Privathaushalt, die Dauer des aktuellen Minijobs, das monatliche Einkommen im Minijob, der Stundenlohn, eine Befristung des Arbeitsvertrages, die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit, die Frage, in welchem Maße Nacht- und Wochenendarbeit geleistet wird sowie die Gewährung bezahlten Urlaubs sowie einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In Addition dieser Prädikatoren werden im dritten Modell zusätzlich die subjektiven Beurteilungen der Arbeitsqualität im Minijob integriert. Hierfür werden die gleich gewichteten additiven Indizes in den vier Untersuchungsdimensionen der subjektiven Arbeitsqualität herangezogen, d.h. die Erfüllung in der Sicherheits- und Entwicklungsdimension, der intrinsischen Dimension, der sozialen Dimension sowie der salutogenen Dimension. Die nachfolgende Tabelle 15 gibt einen Überblick über die empirischen Ergebnisse der multiplen linearen Regressionsanalyse. Auf der linken Seite finden sich die angesprochenen Prädikatoren. Für jedes der drei Modelle werden die standardisierten Beta-Koeffizienten ebenso ausgewiesen wie das korrigierte RQuadrat als Gütemaß des jeweiligen Modells. Das korrigierte R-Quadrat gibt darüber Aufschluss, wie hoch die Varianzaufklärung der abhängigen Variable durch das jeweilige Modell ist, d.h. wie gut das Modell zur Erklärung der globalen Arbeitszufriedenheit von Minijobbern geeignet ist.
147 Wie unter 5.4 in dieser Arbeit dargelegt, handelt es sich bei den unabhängigen Variablen entweder um (quasi-) metrische Variablen oder dichotome Variablen. Für letzteren Fall wurden die entsprechenden Variablen mit nominalem Skalenniveau dichotomisiert. 148 Wenngleich es sich bei der Schichteinstufung um eine subjektive Beurteilung handelt, kann sie als Indikator für die Selbstpositionierung im sozialstrukturellen Gefüge herangezogen werden und wird in der Analyse daher der Dimension der soziodemografischen und sozialstrukturellen Merkmale zugerechnet.
334
7 Minijobs im Spiegel der Beschäftigten
Tabelle 15: Multiple lineare Regression zur globalen Arbeitszufriedenheit von geringfügig Beschäftigten Prädikatoren Geschlecht: weiblich (Referenz: männlich) Alter Schulabschluss: Abitur (Referenz: kein Abitur) Berufsabschluss: mittel/hoch (Referenz: kein Berufsabschluss) Mtl. HH-Nettoeinkommen Arbeitslos gemeldet (Referenz: nicht arbeitslos gemeldet) Subjektive Schichteinstufung Statusgruppe: Rentner/Pensionär (Referenz: kein Rentner/Pensionär) Minijob nebenberuflich (Referenz: ausschließlich) Minijob im Privathaushalt (Referenz: gewerblich) Dauer aktueller Minijob: 1 Jahr und mehr (Referenz: