Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums

Überdurchschnittlich viele Studierende in den ingenieurswissenschaftlichen Fächern brechen ihr Studium ab, am Arbeitsmarkt sind Ingenieure dagegen Mangelware. Umso lohnender ist da die Investition in eine zeitgemäße Didaktik. Unter der Berücksichtigung der zunehmenden Komplexität durch die Digitalisierung in den Ingenieurwissenschaften und am Arbeitsplatz zeigt das Buch, wie Lehrkräfte die Inhalte des Ingenieurstudiums und der technischen Lehre handlungsorientiert vermitteln können. Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Teil präsentieren die Autoren die didaktischen Grundlagen. Sie erläutern grundlegende pädagogische Ansätze wie Kompetenz- und Handlungsorientierung im Unterricht und die Bedeutung von Lehr- und Lernzielen mit speziellem Fokus auf der Didaktik technischer Fächer. Daneben verknüpfen sie die theoretischen Grundlagen wichtiger technischer Fachgebiete mit den praktischen Anwendungen der unterschiedlichen Branchen.Der zweite Teil bietet einen didaktisch durchdachten Lehr- und Übungskatalog mit einem breiten Spektrum an Methoden, der zur innovativen Lehrstoffvermittlung anregt. Am Beispiel der ingenieurswissenschaftlichen Grundlagenfächer bereiten die Autoren die technischen Inhalte fachlich auf und skizzieren auf der Basis dieses Grundlagenwissens einen möglichen Kompetenzerwerb. Mit Hilfe dieses Katalogs können die Leser adäquate Lehr- und Lernmethoden auswählen.Mit ihrem Buch wollen die Autoren Lust machen auf eine neue, innovative Art der technischen Lehre. Ein handlungsorientiertes pädagogisches Handbuch für Dozenten an technischen Universitäten, Hochschulen und Technischen Fachschulen, das ergänzend zur technischen Fachliteratur eingesetzt werden kann.


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Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums

Sabrina Romina Sorko · Wolfram Irsa Hrsg.

Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums Technische Inhalte handlungsorientiert unterrichten

Hrsg. Sabrina Romina Sorko FH JOANNEUM Graz Österreich

Wolfram Irsa FH JOANNEUM Hitzendorf Österreich

ISBN 978-3-662-56223-9    ISBN 978-3-662-56224-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Vieweg © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Vieweg ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

Vorwort

Warum wird in der Technik immer noch versucht Verantwortung aus Fachbüchern zu lernen? Und: Was hat dieses Buch damit zu tun? Diese Fragen sollen zum Reflektieren anregen und Inspiration für die eigene technische Lehre bieten. Auf den nächsten Zeilen beschreiben die Herausgeber, ihre Motivation für das vorliegende Lehr- und Übungsbuch und erzählen, wie das intensive Befassen mit der Thematik die eigene Lehre positiv beeinflusst hat. Technischer Unterricht ist nach wie vor sehr traditionell gestaltet: Das komplexe Fachwissen steht zumeist im Vordergrund und muss mit den vorhandenen zeitlichen und räumlichen Ressourcen vermittelt werden. Klassischer Frontalvortrag anhand von Fachliteratur prägt das tägliche Bild der Lehre. Nun leben wir jedoch in einer Zeit, in der sich der Anspruch an die künftigen Ingenieure massiv verändert. Diese sind und werden nicht nur mehr rein Techniker sein, sondern weitere Kompetenzen benötigen. Das Stichwort dazu heißt Digitalisierung. Ein Schwerpunkt dahingehend liegt aus unserer Erfahrung auf der Kommunikationskompetenz und der Teamfähigkeit. Dazu kommen die Anforderungen des vernetzten Denkens und des verantwortungsvollen Lösens komplexer technischer Problemstellungen, welche durch die reine Vermittlung von technischem Fachwissen nicht erreicht werden können. Wird von den späteren Technikern aktives, bedachtes Handeln erwartet, so muss dies auch in der Aus- und Weiterbildung trainiert werden. Solche Fähigkeiten können allein aus Büchern heraus nicht gelernt werden. Es ist also ein Bedarf da, um den Unterricht mit neuen didaktischen Methoden zu vermitteln und damit die Ingenieure auf ihre späteren Aufgaben im Berufsleben adäquat vorzubereiten. Das vorliegende Lehr- und Übungsbuch versucht den oftmals abstrakt wirkenden Begriff der Kompetenzorientierung greifbar zu machen und anschaulich auf die technische Lehre umzulegen. Die Autoren haben sich auf das „Experiment Methodenvielfalt“ eingelassen. Ausgehend von einer Kompetenzorieniterungsinitiative im Jahr 2012 am Institut Industrial Management der FH JOANNEUM wurde sukzessive eine Kompetenzroadmap für die technische Lehre aufgebaut. So verschwanden Schritt für Schritt reine Frontalvortragseinheiten und machten Platz für neue innovative Methoden. Ein Schlüsselerlebnis war der Einsatz der V

VIVorwort

Methode „Gruppenpuzzle“ in der Lehrveranstaltung Produktionstechnik. Bereits nach dem ersten Einsatz war eine deutliche Motivationssteigerung bei den Studierenden festzustellen. In den vergangenen Jahren wurde der Einsatz der Methode dann weiter verfeinert bis die Lernenden in der Lage waren, komplexe technische Aufgabenstellungen kompakt zu erklären und mit anderen Fachbereichen zu vernetzen. Der Sukkus daraus aus Sicht der Lehrperson: „Es ist eine Umstellung, die zwar anfangs zeitintensiv waren, aber einen weit höheren Outcome bei den Lernenden erzielt hat. Es konnten technische Themen aufgelockert und mit weiteren Schlüsselbereichen angereichert werden. Das hat auch dazu geführt, dass immer mehr Frauen ihre Stärken in dem traditionell männlich dominierten Technikfeld einbringen können.“ Die Herausgeber leisten nicht nur einen Beitrag dazu, den Spagat zwischen traditionellem Lernen und dynamischen neuen Anforderungen im technischen Bereich zu schließen, sondern nehmen auch ihre gesellschaftliche Verantwortung war, ein stark männlich dominiertes Themenfeld weiter für Frauen zu öffnen. Mit diesen Gedanken wünschen wir Ihnen viel Neugierde, Mut und Engagement für ihre Lehre und hoffen, dass Ihnen das Buch dabei hilft, Ihre Lehre ein Stück innovativer zu gestalten. Sabrina Romina Sorko und Wolfram Irsa

Geleitwort

Lehre Hochschulen ist forschungsgeleitet; mit der Nase im Wind der neuen, wissenschaftlichen Entwicklung. Der Fokus liegt auf dem Fach im Allgemeinen und den fachlichen Erkenntnissen im Speziellen, die aufgrund der Forschungs- und/oder Praxiserfahrung der Experten in den Lehrveranstaltungen vermittelt werden. Kaum eine Lehrperson im technischen Bereich an Hochschulen startet ihre Karriere als Lehrender oder Lehrbeauftragte mit didaktischer oder gar fachdidaktischer Ausbildung. Viele Hochschulen versuchen deswegen, dieses Manko mit Didaktik-Weiterbildungsmaßnahmen auszugleichen. Warum? Weil die Studierenden die angebotenen Feedback-Instrumente nutzen, um eines deutlich zu machen: „Wir wollen gute Lehre!“ Nun ist es schwierig, „gute“ Lehre festzumachen. Immer wieder werden wesentliche Prinzipien genannt: Handlungsorientierung, Outcome-Orientierung, Methodenmix, Aktualität der Fachinhalte, Authentizität der Lehrenden, Lehr-/Lernzielorientierung, Kommunikation auf Augenhöhe, Vorhandensein und Einhalten von Vereinbarungen (Syllabi), Fairness – Experten finden zu dieser unvollständigen Liste wichtige Ergänzungen. Aus Sicht eines Wirtschaftsingenieur-Instituts mit Technik- und Wirtschaftsinhalten gibt es tendenziell über Jahrzehnte unterschiedliches Feedback der Studierenden zu diesen „Erfolgsfaktoren für gute Lehre“. Wenngleich es aus Sicht der Studierenden in beiden Bereichen herausragende und überdurchschnittliche Lehre gibt – hier scheint die Persönlichkeit der Lehrperson ein wesentlicher Einflussfaktor zu sein –, sind es immer wieder technische Lehrveranstaltungen, bei denen Potenziale zur „besseren Vermittlung“ rückgemeldet werden. Auch hier sind die Begründungen und Hypothesen Legion: schwierige Inhalte, überforderte Studierende, tendenziell höhere Notendurchschnitte, Fokus auf die Fachlichkeit – you name it. Tatsache bleibt, dass sich international die Wirtschaftspädagogik als eigene Wissenschaftsdisziplin etabliert hat, wohingegen sich Technikpädagogik oder Technikdidaktik erst mit Lehrstühlen in Deutschland und der Schweiz formiert. Sicherlich nicht absprechen kann man technischen Lehrpersonen, dass sie Ihre Sache nicht lieben – im Gegenteil. Damit ist gemäß dem deutschen Kulturphilosophen Max Brod ein wichtiger Grundstein gelegt: „Lernen kann man stets nur von jenem, der seine Sache liebt, nicht von dem, der sie ablehnt.“ Vielleicht liegt es doch an einem (konstruktivistischem) Konzept und seiner Umsetzung mit (vielen) Methoden und Instrumenten? Schon VII

VIIIGeleitwort

Albert Einstein betonte, er unterrichte seine Schüler nie: „… ich versuche nur, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie lernen können.“ Am Institut Industrial Management waren diese und ähnliche Überlegungen der Ausgangspunkt für eine strategische Initiative „Technik lieben lernen“: neue Infrastruktur (Laboratorien, technische Lehrsätze etc.), Ausbildungsinitiativen, neue Auswahlkriterien für (technische) Lehrbeauftragte (siehe Kriterien oben), Beratung durch pädagogische Hochschulen, wiederkehrende Projekte zur Detektion von Problempunkten und Generierung von Lösungen, neue Literatur sowie zusätzliche Lehreinheiten in besonders schwierig wahrgenommenen Fächern (z.B. Mathematik) waren die bisherigen Schritte. Das vorliegende Buch ist ein wesentlicher weiterer Schritt in dieser Strategie. Es externalisiert und dokumentiert Erkenntnisse aus der Forschung und Erfahrungen aus der Praxis, und ermöglicht mit vielen Impulsen, Knowhow und Instrumenten motivierten technischen Experten die selbständige Qualitätsarbeit an der eigenen Lehre. Mein besonderer Dank gilt Frau Dr. Sabrina Romina Sorko und Herrn DI Wolfram Irsa, die mit der Initiative zu dem vorliegenden Buch „Interaktive Lehre des Ingenieurstudiums – technische Inhalte handlungsorientiert unterrichten“ mit großem Einsatz als Herausgeber und Autoren einen wichtigen Beitrag in der Weiterentwicklung der Technikdidaktik liefern. Die mit dem Buch verbundenen Einsichten und Instrumente werden auch unserem Institut helfen, die technischen Lehrveranstaltungen – und damit die angebotenen Studien – für unsere Studierenden zu optimieren. Prof. Dr. Martin Tschandl Leiter des Wirtschaftsingenieur-Instituts Industrial Management, FH JOANNEUM Kapfenberg

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    1 Sabrina Romina Sorko 1.1 Technik-Didaktik als Voraussetzung nachhaltiger technischer Lehre. . . . . .    1 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    3 Teil I Grundlagen der Technik-Didaktik 2 Kompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Romina Sorko und Birgit Rabel 2.1 Input-Output-Outcome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Grundlagen der Kompetenzentwicklung im ingenieurswissenschaftlichen Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Fachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Methodenkompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Sozialkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Persönliche Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Digitale Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Digitale Fachkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Digitale Methodenkompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Digitale soziale Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Digitale persönliche Kompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Sicherstellung des Kompetenzerwerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Lehr- und Lernmethoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Förderung digitaler Kompetenzen am Beispiel „Grundlagen technischer Programmierung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . .  25 Wolfram Irsa 3.1 Definitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  25

IX

XInhaltsverzeichnis

3.2 Grundlagen der Handlungsorientierung im ingenieurswissenschaftlichen Bereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Lernendenorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Lernorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Inhaltsorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Prozessorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Produktorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Methoden für die Handlungsorientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Stationenlernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Freiunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Projektunterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Lernen durch Lehren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Mehrdimensionales Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Vor- und Nachteile von Handlungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Bedeutung von Lehr-/Lernzielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Romina Sorko 4.1 Planung des technischen Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Gestaltung zielorientierten Unterrichts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Leitprinzipien für die Formulierung ingenieurswissenschaftlicher Lehr-/Lernziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Detaillierungsgrad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Harmonisierung von Lehr-/Lernzielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Lehrziele richtig kommunizieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Lernziele richtig abholen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil II  Technischer Lehr- und Übungskatalog 5 Index zum Übungskatalog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Romina Sorko und Wolfram Irsa 5.1 Fachlicher Umfang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Didaktische Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Verwendete Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Werkstoffeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Waldhauser und Eva Maria Neubauer 6.1 Grundlagen der Werkstoffkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Einteilung und strukturelle Betrachtung der Werkstoffe. . . . . . . . . . 6.1.2 Technische Werkstoffeigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Werkstoffauswahl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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InhaltsverzeichnisXI

6.2 Werkstoffprüfung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Lehr- und Übungsmaterial „Werkstoffeigenschaften“. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Übungen zu „Einteilung der Werkstoffe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Übungen zu „Technische Werkstoffeigenschaften“. . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Übungen zu „Werkstoffauswahl“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.5 Übungen zu „Werkstoffprüfung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Romina Sorko und Thomas Willidal 7.1 Gefüge von Stählen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Ferritisches/Perlitisches Gefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Bainit/Martensit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Herstellen eines metallografischen Schliffs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Heraustrennen der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Einbetten der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Schleifen der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Polieren der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Reinigen der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Ätzen der Probe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen. . . . . . 7.3.1 Ferritisches/Perlitisches Gefüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Bainit/Martensit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Lehr- und Übungsmaterial „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“ . . . . . . 7.5.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.2 Gefüge von Stählen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.3 Übungen zu „Herstellungsprozess eines metallografischen Schliffs“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5.4 Übungen zu „Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8 3-D-Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfram Irsa und Karin Besendorfer 8.1 Grundlagen des 3-D-Drucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Einordnung in die Fertigungsverfahren nach DIN 8580. . . . . . . . . 8.1.2 Verfahren der additiven Fertigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Rapid Prototyping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Rapid Prototyping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Rapid Tooling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XIIInhaltsverzeichnis

8.2.3 Rapid Manufacturing. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Verfahren mit festem Ausgangsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 3-D-Drucken mit Pulver – 3DP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Selektives Lasersintern – SLS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Selektives Wärmesintern – SHS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Selektives Laserschmelzen – SLM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.5 Schmelzschichtung – FDM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.6 Stick Deposition Moulding – SDM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.7 Folienlaminier-3-D-Druck – LOM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.8 Laserauftragsschweißen – DMD. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.9 Laminierverfahren – SDL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Verfahren mit flüssigem Ausgangsmaterial. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Multi-Jet Modeling – MJM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Stereolithografie – SLA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.3 Poly-Jet Modeling – PJM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.4 Elektronenstrahlschmelzen – EBM. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.5 Scan-LED-Verfahren – SLT. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.6 Lampen-Masken-Verfahren – DLP. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.7 Film Transfer Imaging – FTI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.8 Contour Crafting – CC. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Lehr- und Übungsmaterial „3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.2 Übungen zu „Physikalische Grundlagen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6.3 Übungen zu „Vielfalt der technologischen Möglichkeiten“ . . . . . . 8.6.4 Übungen zu „Technologie der Veredelung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9 Festkörperreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabrina Romina Sorko und Wolfgang Waldhauser 9.1 Grundlagen der Tribologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Aufgaben und Bedeutung der Tribologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Tribologische Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Reibungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Verschleiß, Verschleißarten und -mechanismen. . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Tribologische Mess- und Prüftechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Lehr- und Übungsmaterial „Festkörperreibung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Übungen zu „Grundlagen der Tribologie“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Übungen zu „Reibungs- und Verschleißarten“. . . . . . . . . . . . . . . .

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InhaltsverzeichnisXIII

9.4.4 Übungen zu „Tribologische Mess- und Prüftechnik“ . . . . . . . . . . .  168 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  173 10 Längenprüftechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Eck und Sabrina Romina Sorko 10.1 Grundlagen der Längenprüftechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Einordnung in den Fertigungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Maßtoleranzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Messen und Lehren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.4 Kalibrieren, Justieren und Eichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.5 Messabweichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Praktische Durchführung der Prüfungen mithilfe von Prüfmitteln. . . . . . . 10.2.1 Messschieber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Messschraube. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Parallelendmaße. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Lehr- und Übungsmaterial „Längenprüftechnik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.2 Übungen zu „Grundlagen der Längenprüftechnik“. . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Übungen zu „Messabweichungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.4 Übungen zu „Durchführen von Prüfungen“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11 Wälzlager. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerhard Hanzl und Clemens Fischer 11.1 Grundlagen der Wälzlagerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Anforderungen der Menschheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Geschichtliche Entwicklung der Wälzlagerung. . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Wälzlagerung heute. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Ausführungsarten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Radiallager. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Axiallager. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Lagerbezeichnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Werkstoffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Auswahl der Wälzlager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Wälzlagerauswahl bei SKF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.1 Schwerpunkt Fahrzeugbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.2 Weitere Einsatzgebiete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.6.3 Zukünftige Einsatzgebiete. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.7.1 Übungen zu „Grundlagen und Prinzip der Wälzlagerung“ . . . . . . . 11.7.2 Übungen zu „Bauformen für Einsätze“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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 175  177  178  179  180  180  184  184  186  187  188  189  189  190  198  201  204

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XIVInhaltsverzeichnis

11.7.3 Übungen zu „Richtige Auswahl von Wälzlagern“. . . . . . . . . . . . . . 11.7.4 Übungen zu „Anwendungen und Einsatzgebiete“. . . . . . . . . . . . . . 11.8 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.8.1 Lösungen zur Methode „Rechenbeispiel“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 Stirnradgetriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfram Irsa und Sabrina Romina Sorko 12.1 Grundlagen des Stirnradgetriebes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Einsatzbereich von Stirnrädern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Technische Zeichnung und Bemaßung eines Stirnradgetriebes. . . . . 12.1.3 Werkstoffe für die Herstellung von Stirnradgetrieben. . . . . . . . . . . 12.2 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Lehr- und Übungsmaterial „Stirnradgetriebe“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Übungen zu „Komponenten des Stirnradgetriebes“ . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Übungen zu „Technische Zeichnungen und Bemaßung“ . . . . . . . . 12.3.4 Übungen zu „Montage des Stirnradgetriebes“. . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Aufbauanleitung „Stirnradgetriebe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Montage Baugruppe 1: Antriebseinheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Montage Baugruppe 2: Abtriebseinheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.4 Zusammenbau von Baugruppe 1 und Baugruppe 2. . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13 MPS Workstation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Barbara Mayer und Eva Maria Neubauer 13.1 Grundbegriffe der Regelungstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Reglertypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Regelstrecken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Aufbau und Funktionsweise der „MPS Workstation“. . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Anwendungsfelder in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Lehr- und Übungsmaterial „MPS Workstation“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Übungen zu „Grundlagen zu Steuerung und Regelung“. . . . . . . . . 13.4.3 Übungen zu „Komponenten der Workstation (Aktorik und Sensorik)“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.4 Übungen zu „Automatische Regelung“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Über die Autoren

Karin Besendorfer, BSc  Karin Besendorfer, BSc hat an der FH JOANNEUM an Institut Industrial Management studiert und befindet sich derzeit im aufbauenden Masterstudium. Im Zuge ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mich mit dem Thema „3D-Druck – Additive Fertigung“ umfassend auseinandergesetzt. Darüber hinaus konnte Fr. Besendorfer bereits praktische Erfahrungen bei mehreren namhaften Industrieunternehmen, zuletzt bei voestalpine Wire Austria GmbH sammeln. DI Dr. Christian Eck  DI Dr. Christian Eck hat an der Technischen Universität Graz Maschinenbau studiert und auf dem Gebiet der Fertigungstechnik promoviert. Er hat langjährige Industrieerfahrung und ist derzeit als Produktionsleiter bei einem Automobilzulieferer beschäftigt. Darüber hinaus ist er in der Unternehmensberatung F&E und Produktion. Seit über 20 Jahren ist er auch als Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Graz und der FH JOANNEUM tätig. DI Clemens Fischer, BSc  DI Clemens Fischer, BSc war in unterschiedlichen internationalen Unternehmen tätig, zuletzt in der Automobilindustrie in Deutschland. Er hat Wirtschafsingenieurwesen an der FH JOANNEUM im Bachelor und Master studiert und arbeitet derzeit als Researcher am Institut Industrial Management der FH JOANNEUM. Seine Projekt- und Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Service Engineering und additive Fertigung. DI Gerhard Hanzl  DI Gerhard Hanzl studierte an der Technischen Universität Wien Maschinenbau-Betriebswissenschaften und war 25  Jahre in leitenden Funktionen der Privatindustrie tätig. 2005  wechselte er in die angewandte Hochschullehre. Aktuell vermittelt er sein Know-How an den Fachhochschulen FH JOANNEUM und FH Campus Wien. Seine Schwerpunkte liegen in der Logistik und im Industrial Engineering sowie Projekt- und Prozessmanagement. In dieser Funktion konzentriert sich Herr Hanzl permanent auf die grundlegende Didaktik technisch-betriebswirtschaftlicher Inhalte und deren Weiterentwicklung. XV

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Über die Autoren

DI Dr. Barbara Mayer  Frau DI Dr. Barbara Mayer, hat an der Technischen Universität Graz Technische Mathematik studiert und an der Technischen Universität Wien im Bereich Automatisierung promoviert. Sie war als Entwicklungsleiterin für Soft- und Hardwareabteilung in der Automatisierungsbranche tätig und widmet sich derzeit als Associate Professor der Lehre und Forschung. Ihre Schwerpunkte liegen in Steuerungs-, Regelungs- und Leittechnik, wobei dabei das Thema Digitalisierung eine zunehmende Bedeutung erlangt. Zudem ist sie die Leiterin des smart production lab der FH JOANNEUM Kapfenberg. Eva Maria Neubauer, BSc  Eva Maria Neubauer, BSc hat berufsbegleitend an der FH JOANNEUM das Bachelor-Studium in Industriewirtschaft abgeschlossen und befindet sich derzeit im letzten Semester des Master-Studiums „International Industrial Management“. Sie verfügt über 14jährige Berufserfahrung in der Industrie in den Bereichen Office Administration, Controlling und Projektmanagement. Neben ihren wirtschaftlich-technischen Kompetenzen beschäftigt sich Fr. Neubauer mit Themen der Erwachsenenbildung und hat sich in Projekten intensiv mit technischer Didaktik auseinandergesetzt. DI (FH) Birgit Rabel  Nach dem Studium Industrial Management war DI (FH) Birgit Rabel in den Bereichen Controlling, Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit sowie in der Erwachsenenbildung tätig. Seit 3  Jahren verbindet sie als Lektorin an der FH JOANNEUM ihre praktische und didaktische Erfahrung. Die Schwerpunkte in der Lehre sind die Bereiche Angewandte Informatik und Technische Programmierung. Der derzeitige Forschungsschwerpunkt im hauseigenen smart production lab liegt in der Implementierung und Weiterentwicklung des Manufacturing Execution Systems. DI Dr. Wolfgang Waldhauser  DI Dr. Wolfgang Waldhauser studierte an der Montanuniveristät Leoben Werkstoffwissenschaften, wo er auch eine Dissertation auf dem Gebiet der Oberflächen- und Beschichtungstechnik verfasste. 1999 begann seine Tätigkeit am ehemaligen Laserzentrum Leoben der JOANNEUM RESERACH, wo er neben anderen führenden Positionen seit 2016 Leiter der Forschungsgruppe Laser- und Plasma-Technologien ist. Seit ca. 20 Jahren übernimmt Hr. Waldhauser Lehraufträge an der FH JOANNEUM in den Fächern Werkstoffkunde und Produktionstechnik. Er ist (Co-) Autor von über 90 Publikationen und Erfinder von vier Patenten. DI Dr. Thomas Willidal, MBA  DI Dr. Thomas Willidal hat an der Montanuniversität Leoben Werkstoffwissenschaften studiert und anschließend im Bereich des Gießereiwesens promoviert. Er war in unterschiedlichen Industrieunternehmen tätig und ist derzeit bei der voestalpine Böhler welding Austria verantwortlich für die Forschung im Bereich der Fülldrähte. Nebenberuflich ist er langjähriger Lehrbeauftragter an der FH JOANNEUM für die produktionstechnischen Fächer und betreute zahlreiche Abschlussarbeiten in diesem Bereich.

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Einleitung Die Notwendigkeit didaktischer Grundlagen für die technische Lehre Sabrina Romina Sorko

Zusammenfassung

Die Didaktik allgemein bzw. die Fachdidaktik im Speziellen stellt ein grundlegendes Kernelement jeder Lehr-/Lernsituation dar. Sie beschreibt, wie und in welchem Rahmen ein nachhaltiger Kompetenzerwerb bei Lernenden sichergestellt werden kann. Kombiniert mit dem jeweiligen Fachinhalt professionalisiert didaktische Kompetenz die Tätigkeit der Lehrpersonen. Im ingenieurswissenschaftlichen Bereich steht die technische Didaktik erst am Anfang der wissenschaftlichen Verankerung. Dieses Kapitel zeigt Grundbegriffe der Technik-Didaktik auf und gibt einen Überblick über zugrundeliegende Prämissen dieser Wissenschaftsdisziplin.

1.1

Technik-Didaktik als Voraussetzung nachhaltiger technischer Lehre

Die zunehmende Digitalisierung und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen prägen das 21. Jahrhundert. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine zunehmende technische Komplexität, welche vor allem den ingenieurswissenschaftlichen Bereich stark beeinflusst. Dazu kommt die Notwendigkeit des vernetzten Denkens für alle Berufsgruppen. Fachexpertenwissen allein ist nicht mehr ausreichend, vielmehr werden Schnittstellenkompetenzen und ein ganzheitliches Verständnis für unternehmerische Prozesse immer wichtiger. Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen die Mitarbeiter multidimensionale Kompetenzen aufweisen, die es ihnen ermöglichen, mit ihrem gesammelten

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_1

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S. R. Sorko

Wissen kreative, ganzheitliche und damit innovative Lösungen für ihre täglichen Arbeitsaufgaben zu finden [2, 5]. Häufig hält diese Realität jedoch junge Menschen davon ab, eine berufliche Karriere im technischen Bereich zu beginnen [1, 3, 4]. Das Bildungssystem muss sich diesen Herausforderungen stellen und Ausbildungen schaffen, die nicht nur den fachlichen Anforderungen gerecht werden, sondern die junge Menschen auch adäquat vorbereiten und ihnen die Möglichkeiten aufzeigen, die das technische Umfeld bietet. Dazu müssen alte Lehr-/Lernmuster aufgebrochen und neue innovative Wege der Ausbildung im technischen Bereich gegangen werden. Abb.  1.1 gibt einen Überblick über die Rahmenbedingungen bzw. Charakteristika des technischen Unterrichts. Ausgangspunkt ist der ingenieurswissenschaftliche Fachinhalt, welcher auch als kognitive Grundlage bezeichnet werden kann. Ziel ist es, die technischen Lehr-/Lerninhalte so bei den Lernenden zu verankern, dass sie nach Absolvierung des Unterrichts in der Lage sind, technische Situationen zu analysieren und zu bewerten sowie technische Problemstellungen selbstgesteuert zu lösen. Dazu bedarf es eines möglichst realitätsnahen und ganzheitlichen Unterrichts, wobei der Kompetenzerwerb durch individuelles, selbstgesteuertes und sozial kooperatives aktives Tun der Lernenden erreicht werden soll. Dabei muss die Lehrperson die Fachinhalte mit den Erfahrungen der Lernenden und der realen Lebenspraxis verbinden. Es muss einen Wechsel vom klassischen Unterricht zum Coaching geben, um individuelle Lernprozesse in kontinuierlicher Reflexion zu unterstützen. Wenn dies möglich ist, kann ein mehrdimensionaler, breiter und praxisorientierter Kompetenzentwicklungsprozess angeboten werden. Diese intensive, aktive Auseinandersetzung mit technischen Themen erhöht das Bewusstsein für technisches Handeln und führt damit zu einer klareren Wahrnehmung möglicher Arbeitsfelder [6].

Abb. 1.1  Rahmenbedingungen des technischen Unterrichts

1 Einleitung3

Die Frage, wie dieser Prozess optimal erreicht bzw. technische Inhalte mit welchen methodischen Elementen ideal vermittelt werden kann, ist unter anderem die Aufgabe der wissenschaftlichen Disziplin „Technikpädagogik“ oder „Technik-Didaktik“. Dieses Lehrund Übungsbuch leistet dazu einen Beitrag. Das Ziel ist es aufzuzeigen, wie durch den Einsatz unterschiedlichster didaktischer Methoden technische Fachinhalte vermittelt und weitere notwendige Kompetenzbereiche der Lernenden trainiert werden können. Dazu ist das Buch in zwei Teile untergliedert: Teil I umfasst für die technische Lehre maßgebliche didaktische Grundlagen. Von der Kompetenz- und Handlungsorientierung bis zur Bedeutung von Lehr-/Lernzielen. Die Ausführungen machen die Notwendigkeit der technischen Didaktik deutlich und versuchen, einen strukturierten, anschaulichen Überblick über grundlegende pädagogische Ansätze der (Hochschul-)Lehre zu geben. Teil II umfasst einen umfangreichen Lehr- und Übungskatalog am Beispiel ingenieurswissenschaftlicher Grundlagen. So werden maßgebliche technische Inhalte zunächst fachlich aufgearbeitet. Abgeleitet daraus wird ein möglicher Kompetenzerwerb im Rahmen des behandelten Fachinhaltes skizziert, welcher wiederum als Basis für die Auswahl adäquater Lehr-/Lernmethoden dient. Das Buch stellt einen Appell an die Methodenvielfalt dar und soll Lust machen auf eine neue, innovative Art technischer Lehre. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir in diesem Buch überwiegend das generische Maskulinum. Dies impliziert immer beide Formen, schließt also die weibliche Form mit ein.

Literatur 1. Bloemen A, Schlömer T (2012) Berufliche Handlungskompetenz. In: Paechter M, Stock M, Schmölzer-Eibinger S, Slepcevic-Zach P, Weirer W (Hrsg) Handbuch Kompetenzorientierter Unterricht. Beltz, Weinheim, S 120–134 2. de Vries MJ (2006) Two decades of technology education in retrospect. In: de Vries MJ, Mottier I (Hrsg) International handbook of technology education. Reviewing the past twenty years. Sense Publishers, Rotterdam, S 3–12 3. Oberösterreichische Zukunftsakademie (2013) Technikinteresse und Technikattraktivität aus den Blickwinkeln von Bildung, Beruf und Gesellschaft. Ergebnisse einer Expertinnen- und Experten-Befragung in Oberösterreich. http://www.ooe-zukunftsakademie.at/Endbericht_Technikinteresse.pdf. Zugegriffen: 15. Apr. 2018 4. Sachs B (2001) Technikunterricht: Bedingungen und Perspektiven. tu-Zeitschrift für Technik im Unterricht 26(364):5–12 5. Sonntag K (2009) Kompetenztaxonomien und -modelle: Orientierungsrahmen und Referenzgröße beruflichen Lernens bei sich verändernden Umfeldbedingungen. Nova Acta Leopoldina NF 100(364):249–268 6. Sorko SR, Irsa W (2016) Engineering Education – Status quo in Austria in comparison with the academic field of business education. In: International Conference on New Horizons in Education (INTE) Proceedings Book, Bd. 2. TOJET The Turkish Online Journal of Educational Technology, Special Issue December. S 361–366. https://www.int-e.net/publication_folder/inte/ inte2016_v2.pdf

Teil I Grundlagen der Technik-Didaktik

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Kompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung Digitale Kompetenzen und wie sich die Anforderungen an Mitarbeiter und damit auch Studierende verändern Sabrina Romina Sorko und Birgit Rabel

Zusammenfassung

Die zunehmende Digitalisierung bringt einen Wandel der Anforderungen an die Arbeitskräfte von morgen mit sich. Um darauf als Bildungseinrichtung adäquat reagieren zu können, ist ein Grundverständnis über Kompetenzorientierung und deren Vorläufer notwendig. Die Entwicklung und Definition des klassischen Kompetenzbegriffs sowie eine Einführung über digitale Kompetenzen sind Inhalt dieses Kapitels.

2.1 Input-Output-Outcome Der Begriff Kompetenzorientierung hat sich in den vergangenen Jahren nicht nur im Bildungsbereich etabliert. Auch in Wirtschaft und Industrie wird nicht mehr nur vom Wissen der Mitarbeiter allein gesprochen, vielmehr rücken Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Vordergrund. Diese Entwicklung hängt mit einem Paradigmenwechsel in der Aus-, Fortund Weiterbildung zusammen. Ausgehend von der Prämisse, dass der zu vermittelnde Fachinhalt zentrales Erfolgselement guten Unterrichts sei, liegt der Fokus heute auf der Performanz der Lernenden: von der Input- zur Outcome-Orientierung. Der Begriff Performanz beschreibt ein sichtbares und somit messbares Ergebnis bzw. eine konkret erbrachte

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] B. Rabel Traboch, Österreich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_2

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und messbare Leistung. „Performanz als Prozess beschreibt [dabei] die Doppelbilanz von unmittelbarem Handlungsergebnis (Leistung) und Rückwirkung auf die Handlungskompetenz (Leistungsfähigkeit)“ [25]. Das Prinzip der Input-Orientierung baut auf der Bedeutung des Fachinhaltes auf und hebt die Lehrperson in den Vordergrund. Demnach kann von guter Lehre immer dann gesprochen werden, wenn der Lehr-/Lerninhalt qualitativ hochwertig ist und von einer qualifizierten Lehrperson vermittelt wird. Abgelöst wurde dieser Ansatz von der OutputOrientierung, wonach erfolgreiche Lehre nicht mehr am Fach-Input, sondern am Output der Lernenden gemessen wird. Diese Methode zeichnete sich vor allem durch ihre verhältnismäßig einfache Messbarkeit des Erfolges in Schule und Studium aus. Dennoch ist auch dieser Ansatz zu kurz gegriffen, da das übergeordnete Ziel der jeweiligen Bildungsmaßnahme außer Acht gelassen wurde: die betriebliche Handlungsfähigkeit. Ziel jeder Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahme muss es sein, die Wirkung der Maßnahme auf die individuelle Leistung der Lernenden positiv zu verändern [24, 27]. So sollte das Ziel einer Lehrveranstaltung nicht sein, mit einer guten Note abzuschließen, sondern das Trainierte erfolgreich in die Praxis zu überführen. Abb. 2.1 beschreibt den Kausalzusammenhang von Input- bis zur Outcome-Orientierung. Abb.  2.1 macht deutlich, dass sich jeder erhaltene Input in unterschiedlichen Verarbeitungsschritten auf den Outcome auswirkt. Die Verarbeitung ist jedoch stets individuell und kann nur auf einer Metaebene einheitlich beschrieben werden. So führt derselbe Input zu unterschiedlichem Outcome, abhängig von persönlichen Vorerfahrungen, der jeweiligen Lernkurve, individuellen Verhaltensweisen oder Intensität des Feedbackprozesses. Darüber hinaus ist anzumerken, dass Abb. 2.1 eine vereinfachte Darstellung des Lernprozesses, eine Monokausalität, zeigt. Die Verarbeitung von Input erfolgt in der Praxis in wiederkehrenden, sich wiederholenden oder zeitgleich ablaufenden Prozessen. Wie eingangs erwähnt, steht die Kompetenzorientierung in engem Zusammenhang mit dem beschriebenen Paradigmenwechsel. Abschn. 2.2 geht näher auf den Kompetenzbegriff ein, wobei der Fokus dabei auf der Kompetenzorientierung in der Arbeitswelt und weniger im schulischen Kontext liegt.

Abb. 2.1  Kausalzusammenhang von Input- und Outcome-Orientierung

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2.2

Grundlagen der Kompetenzentwicklung im ingenieurswissenschaftlichen Bereich

Der Kompetenzbegriff wurde maßgeblich von Weinert geprägt, welcher Kompetenz wie folgt definiert: „Unter Kompetenzen versteht man die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ [10, 33]. Erpenbeck und Rosenstiel ergänzen das Verständnis um die Selbstorganisationsfähigkeit der Menschen, die durch Regeln, Werte und Normen geprägt wird. Umgelegt auf die industrielle Praxis beschreibt die Kompetenzorientierung somit die Anforderung an die Mitarbeiter, die ihnen gestellten Aufgaben unter den beschriebenen Prämissen erwartungsgemäß zu erfüllen. Es wird die Kompetenzorientierung mit der Handlungsorientierung verknüpft. Dieser Ansatz ist vor allem im ingenieurswissenschaftlichen Bereich von Bedeutung. Gerade das Trainieren komplexer technischer Inhalte erfordert einen hohen Aktivitätsgrad der Lernenden, um den erwarteten Outcome erzielen zu können. So basieren zieladäquate technische Lehr-/LernKonzepte in der Regel auf dem Konzept der Handlungsorientierung [2, 23]. Wichtig ist dahingehend, dass ein angestrebter Kompetenzerwerb immer auch als solcher schriftlich gekennzeichnet werden muss. Dies erfolgt in der Regel durch eine aktive Formulierung des angestrebten Outcomes. Dem klassischen Kompetenzbegriff folgend, können Kompetenzen inhaltsorientiert in unterschiedliche Dimensionen gegliedert werden: • • • •

Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz, Persönliche Kompetenz.

Die Einteilung der Kompetenzbereiche ist nicht als absolut zu sehen, sondern stellt eine Grundorientierung bzw. -differenzierung dar.

2.2.1 Fachkompetenz Fachkompetenzen orientieren sich an kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten und werden umgangssprachlich auch als „Fachwissen“ oder „Theoriewissen“ bezeichnet. Die Fachkompetenz bildet die inhaltliche Basis zur situationsbezogenen Problemlösung im unternehmerischen Kontext. Orientiert sich ein Lehr-/Lernsetting an der Fachkompetenz, so besteht das übergeordnete Ziel darin, einschlägige Fachinhalte zu verknüpfen, Vernetzungen zu anderen Fachinhalten herzustellen und diese kritisch zu reflektieren. Somit umfasst

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Fachkompetenz zwei Dimensionen: theoretische Grundlagen und die Fähigkeit, diese in praktische Handlungen zu überführen. Fachkompetenz beschreibt somit das „Was“ in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Fachkompetenz findet sich auch im mehrperspektivischen Ansatz des technischen Unterrichts nach Sachs in Form der Inhaltsperspektive wieder. Die Fähigkeit, naturwissenschaftliche Grundlagen zur Lösung komplexer technischer Systeme heranzuziehen, unterschiedliche Ansätze zu verknüpfen und dadurch neue Lösungsstrategien für die Industrie zu entwickeln, ist das übergeordnete Ziel des Kompetenzerwerbs. Im Sinne der eingangs erwähnten Outcome-Orientierung ist daher bei der Auswahl des Fachinhaltes auf Aktualität und Relevanz für die Praxis besonders Wert zu legen [2, 18, 23, 35]. Auf die Ingenieurswissenschaften umgelegt beschreibt die Fachkompetenz die Fähigkeiten und Fertigkeiten, relevante Technologien verstehen, einsetzen und weiterentwickeln zu können. Die Fachkompetenz bildet die Inhaltsperspektive und somit das „Was“ des technischen Outcomes.

2.2.2 Methodenkompetenz Um praktische Problemstellungen effektiv und effizient lösen zu können, ist neben der inhaltlichen Expertise eine ausgeprägte Methodenkompetenz notwendig. Diese beschreibt die Fähigkeit und Fertigkeit von Personen, einerseits die richtigen Instrumente zur Lösung spezifischer Problemstellungen auszuwählen, andererseits diese optimal einzusetzen. Die Auswahl, Planung und Umsetzung adäquater Strategien zur Problemlösung stehen im Mittelpunkt. Beispiele dafür wären Organisations- und Planungskompetenz, Informations- und Dokumentationsverhalten oder Moderation. Methodenkompetenz adressiert damit das „Wie“ der Problembearbeitung. Die Methodenkompetenz kann auch als Querschnittskompetenz verstanden werden, da diese stets mit der Fachkompetenz gekoppelt ist. So ist das Trainieren reiner Methodenkompetenzen als solches nur sehr eingeschränkt möglich und wirkt sich in der Regel negativ auf die betriebliche Handlungsfähigkeit aus [18]. Im Umfeld der Ingenieurswissenschaften umfasst die Methodenkompetenz die Fähigkeit und Fertigkeit, Instrumente und Mittel zu beherrschen, um die relevanten Technologien situationsadäquat einsetzen zu können.

2.2.3 Sozialkompetenz Bedingt die gesetzte Handlung eine Interaktion mit anderen Personen, so ist der Einsatz sozialer Kompetenzen relevant. Darunter wird die Fertigkeit verstanden, kognitive und emotionale Verhaltensweisen adäquat in einer bestimmten Situation anzuwenden. Personen mit einer hohen sozialen Kompetenz sind in der Lage, sich in Interaktionspartner hineinzuversetzen, wodurch Kooperationen begünstigt werden. Dabei beschränkt sich der Austausch nicht auf Kontakte im gleichen Fachbereich oder Team, sondern umfasst jeglichen Diskurs mit anderen Personen [29].

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Unter Sozialkompetenz wird häufig Teamfähigkeit verstanden, aber auch die Fähigkeit, aktiv zu kommunizieren, ist hier zu nennen. Besonders die Kommunikationsfähigkeit ist für die Ingenieurswissenschaften relevant, da sie darauf abzielt, die Komplexität technischer Inhalte derart zu reduzieren, dass ein fachübergreifendes Verständnis erzeugt werden kann. Dies ist beispielsweise bei Investitionsentscheidungen im technischen Bereich relevant. Dabei gilt es, technisch fachfremden Personen die Notwendigkeit der Investition anhand technischer Parameter verständlich zu machen. Insgesamt ist anzumerken, dass die betriebliche Praxis ein stark interagierendes Umfeld darstellt, in welchem soziale Kompetenzen zwingend notwendig sind, um den Unternehmenserfolg langfristig sicherstellen zu können.

2.2.4 Persönliche Kompetenz Ergänzend zu den genannten Bereichen ist die persönliche oder personale Kompetenz zu sehen. Darunter werden all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten verstanden, die eine Person im Bereich des Selbstmanagements benötigt, um die gestellten Anforderungen erfolgreich bearbeiten zu können. Ein wichtiger Bestandteil ist unter anderem eine produktive Grundhaltung gegenüber sich selbst, der auszuübenden Tätigkeit und den Interaktionspartnern. Dies ist die Basis für Eigenverantwortlichkeit, Selbstorganisation und intrinsische Motivation und bildet die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Performanz am Arbeitsplatz [17, 29]. Persönliche Kompetenzen werden oft nicht aktiv eingesetzt, sondern wirken sich unbewusst auf die jeweilige Situation aus, da sie nicht nur durch verbale Sprache, sondern auch Mimik und Gestik übertragen werden. Eine gezielte Reflexion über Selbst- und Fremdbild ist nötig, um die persönlichen Kompetenzen zielgerichtet weiterentwickeln zu können. Für die Ingenieurswissenschaften spielen persönliche Kompetenzen für viele Berufsbilder eine wichtige Rolle. Vor allem im (mittleren) Management, als Produktions- oder Werksleiter, werden Entscheidungsstärke, Rhetorik und Präsentationsfähigkeit verlangt. Aber auch in der Fertigung werden, nicht zuletzt durch die zunehmende Digitalisierung, diese persönlichen Kompetenzen immer relevanter. Wichtig anzumerken ist an dieser Stelle, dass persönliche und soziale Kompetenzen von der Umwelt stärker beeinflusst werden als Fach- oder Methodenkompetenzen. Auch das Training sozialer und persönlicher Kompetenzen gestaltet sich komplexer und langwieriger, sodass eine Veränderung nur mittel- bis langfristig erzielt werden kann [10].

2.3

Digitale Kompetenz

Die fortschreitende Digitalisierung verursacht Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen: im privaten wie auch im beruflichen Umfeld [12]. Die Weiterentwicklung von Technologien fördert die Automatisierung und zunehmende Vernetzung von Mensch und Maschine. Dies führt zu veränderten Tätigkeitsprofilen in den unterschiedlichsten

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Branchen [11]. Mit der fortschreitenden Digitalisierung hat sich die Arbeitswelt besonders in der Industrie zusehends gewandelt und wird dies auch weiterhin tun. Monotone, automatisierbare Tätigkeiten wie beispielsweise Routinetätigkeiten treten bereits jetzt zusehends in den Hintergrund, wohingegen der Stellenwert analytischer, vernetzter Aufgaben stetig steigt. Zudem gewinnen soziale Kompetenzen, Empathie, Kreativität und die Fähigkeit, unstrukturierte Aufgaben lösen zu können, im Berufsleben an Bedeutung [4]. Die technologischen Entwicklungen ermöglichen der Industrie völlig neue Interaktionsmöglichkeiten. Eine Folge von Industrie 4.0 ist die zunehmende Vernetzung einerseits von Maschinen untereinander zu cyberphysischen Systemen. Andererseits führt dies zu einer Intensivierung der Kommunikation von Menschen zu Maschinen [5]. Die Arbeitnehmer werden künftig verstärkt dazu in der Lage sein müssen, große Datenmengen sinnbringend zu reduzieren und Schlüsse daraus zu ziehen, um mit ihrer Hilfe in weiterer Folge komplexe, übergreifende Aufgabenstellungen zu lösen [28, 34]. Dabei wird es nötig sein, bestehende Prozesse neu zu denken und bislang etablierte Geschäftsmodelle zu transformieren. Die innovativen technologischen Entwicklungen führen nicht nur zu neuartigen Anforderungen an die Mitarbeiter, sondern bedingen indirekt eine Veränderung etablierter Lehrkonzepte. Klassische Lehr-/Lern-Arrangements müssen überprüft und gegebenenfalls adaptiert werden, um in Aus-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zielgerichtet die entsprechenden Kompetenzen trainieren zu können [14]. In diesem Zusammenhang wird immer häufiger von der Forderung nach digitalen Kompetenzen gesprochen. Unter Berücksichtigung des bisher erläuterten Kompetenzbegriffs stellt sich die Frage, was unter digitalen Kompetenzen konkret verstanden wird und in welchem Bezug diese zu den vier aufgezeigten Kompetenzbereichen stehen. Unter dem Begriff der digitalen Kompetenz werden all jene Fähigkeiten und Fertigkeiten subsumiert, welche zur erfolgreichen Erfüllung der neuen Anforderungen im Zuge der Digitalisierung notwendig werden. Es ist also nicht von einem eigenständigen Kompetenzbereich zu sprechen, sondern vielmehr von einer inhaltsorientierten Einordnung. Demnach umfasst der Begriff spezifische Fach-, Methoden-, Sozial- und Persönliche Kompetenzen. Aufgrund des hohen Aktualitätsgrades und der damit verbundenen Wichtigkeit der Fähigkeiten und Fertigkeiten können digitale Kompetenzen auch als Schlüsselkompetenzen qualifiziert werden. Aus diesem Grund adressieren die didaktischen Übungen im vorliegenden Lehrbuch neben den technischen Grundlagen auch Themen, die durch Industrie 4.0 an Relevanz gewinnen.

2.3.1 Digitale Fachkompetenz Abgeleitet von den neuen Rahmenbedingungen industrieller Arbeit wird sich die geforderte Fachkompetenz immer mehr in Richtung IT-Fähigkeiten verschieben. Ziel ist es, die neuen Technologien nicht nur zu begreifen, sondern diese auch zu beherrschen. Dazu ist fundierte Kompetenz in Bereichen wie Informations- und Kommunikationstechnologie,

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Programmierung, Cloud-Architektur oder System Engineering nötig [1, 19]. Besonders für technische Berufsbilder spielt dies eine Rolle: Für Aus-, Fort- und Weiterbildungsstätten wird es nötig werden, nicht bei der Vermittlung technischer Grundlagen aufzuhören, sondern den Input derart zu ergänzen, dass der Erwerb digitaler Fachkompetenzen sichergestellt wird.

2.3.2 Digitale Methodenkompetenz Ein Resultat der technologischen Entwicklungen sind große Datenmengen und höchstmögliche Flexibilität. Instrumente und Methoden müssen gefunden und trainiert werden, um damit umgehen zu können. Erfolgreich wird jenes Unternehmen sein, das die vorhandene Datenmenge schnell zielorientiert auswerten und zur Optimierung der eigenen Leistung einsetzen kann. Dazu bedarf es jedoch Personen, die über solche Methodenkompetenz zur erfolgreichen Umsetzung verfügen [13]. Personen also, welche beispielsweise zielgerichtet recherchieren und eine große Datenmenge effizient analysieren können. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass dazu einerseits mathematische Fachkompetenz im Bereich Modellierung von Algorithmen, andererseits ein fundiertes Prozess- und Systemverständnis vorhanden sein muss.

2.3.3 Digitale soziale Kompetenz Im Bereich der sozialen Kompetenzen gewinnen vor allem die interkulturelle Kompetenz und die Teamfähigkeit an Bedeutung. Letztere wird primär aufgrund der stetig steigenden Komplexität der auftretenden Probleme relevanter. Auch deshalb, weil eine Person allein kaum alle Anforderungen der Digitalisierung erfüllen kann. Es wird nicht mehr maßgeblich sein jede Fähigkeit zu beherrschen, sondern zu wissen, wer über die benötigen Fertigkeiten verfügt, diese Person zu kontaktieren und entsprechend mit ihr zu kommunizieren [3, 8]. Die Arbeit der Zukunft wird von einer intensiven Zusammenarbeit in volatilen (Klein-) Gruppen geprägt sein. Es ist daher unumgänglich, bereits im Rahmen der Ausbildung die dafür notwendigen sozialen Kompetenzen anhand geeigneter Methoden, wie beispielsweise Gruppenarbeiten in unterschiedlicher Personenanzahl, zu trainieren. In diesem Sinne ist zu empfehlen, dass die Zusammensetzung der Gruppen bei jeder neuen Aufgabe wechseln sollte, um die nötige soziale Flexibilität trainieren zu können.

2.3.4 Digitale persönliche Kompetenz Industrie 4.0 führt zu stetig wachsender Komplexität der Aufgaben in Unternehmen und dadurch zu gesteigerten und neuartigen Anforderungen an die Mitarbeiter. Die Menschen

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werden zunehmend dazu in der Lage sein müssen, situationsbezogen kreative Problemlösungen zu finden und höchst flexibel auf jegliche Neuerungen zu reagieren. Dies sind Anforderungen, die primär den persönlichen Kompetenzbereich betreffen. Kernelement ist die Fähigkeit des Selbstlernens bzw. der Selbstqualifizierung. So wird vorausgesetzt, dass Mitarbeiter stets wissen, welche Entwicklungen individuell notwendig sind und wo bzw. von wem sie welche Informationen erhalten können. Kontinuierliche, selbstorganisierte betriebliche Weiterbildung wird zu einer Notwendigkeit [13, 32]. Die Erweiterung der Entscheidungskompetenz bedingt auch ein Umdenken der Mitarbeiter hinsichtlich der Auswirkungen ihrer Arbeit. Die Wirksamkeit der Leistungen auf den Unternehmenserfolg nimmt zu bzw. wird sichtbarer. Aufgrund dessen werden die Mitarbeiter immer mehr gefordert sein, selbst unternehmerisch zu denken und sich respektive die eigene Arbeit eigenständig zu organisieren [13].

2.4

Sicherstellung des Kompetenzerwerbs

Durch den digitalen Wandel erweitert sich der Zugang zu neuen Technologien, und es stellt sich die Frage, wie die in Abschn. 2.3 beschriebenen neuen Kompetenzen nun erworben werden können. Für Ingenieure von der Fertigung bis ins Management wird zukünftig das Verständnis über den gesamten industriellen Wertschöpfungsprozess obligatorisch sein. Besonders IT-Kompetenzen (Informationstechnik), welche sowohl Wissen über Betriebssysteme als auch technische Fähigkeiten wie Programmieren beinhalten, werden immer wichtiger. Ein grundsätzliches Programmierverständnis ist für das Steuern, Führen und Einstellen von komplexen Maschinen und Systemen Voraussetzung. Darüber hinaus fördert die Auseinandersetzung mit komplexen Problemstellungen, wie sie beim Programmieren notwendig ist, die Problemlösungskompetenz. Die Sicherstellung des (digitalen) Kompetenzerwerbs ist die zentrale Aufgabe der Bildungseinrichtungen, und vor allem für praxisnahe Bildungseinrichtungen ist es notwendig, auf die skizzierten Entwicklungen adäquat zu reagieren: Die Curricula müssen nicht nur im Bereich der Fachkompetenz laufend aktualisiert werden. Besonders die „weichen Kompetenzen“ im Bereich der sozialen und persönlichen Kompetenz müssen aktiv in den Lehrveranstaltungen adressiert werden. Dazu müssen passende Lehr- und Lernmethoden ausgewählt werden [6]. Die technische Didaktik bedient sich dabei des Konzepts der Handlungsorientierung, welches in Kap. 3 näher ausgeführt wird. Dieses Lehr- und Übungsbuch richtet sich primär an Lehrende und Studierende ingenieurswissenschaftlicher Studienrichtungen und soll vor allem den technischen Unterricht nachhaltiger gestalten. Durch die Digitalisierung kann die Technik aber nicht mehr isoliert betrachtet, sondern muss mit IT-Kompetenzen verbunden werden. Aus diesem Grund wird in den nachfolgenden Abschn. 2.4.1 und 2.4.2 aufgezeigt, wie eine interaktive Einführung in die Grundlagen technischer Programmierung erfolgen kann. In Abschn. 2.4.1 werden die dafür geeigneten und angewandten Lehr- und Lernmethoden beschrieben.

2  Kompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung 15

2.4.1 Lehr- und Lernmethoden Die Formen und Verfahren die verwendet werden, um den Lehr-/Lerninhalt zu vermitteln, werden als Methode bezeichnet. Methoden bedienen sich unterschiedlicher Medien (z. B. Bücher, Arbeitsblätter, Internet etc.) und sind für spezielle Sozialformen (Einzel-, Paar- oder Gruppenarbeit) geeignet. Die Auswahl der geeigneten Methode durch die Lehrperson ist für einen erfolgreichen zielgerichteten Unterricht ausschlaggebend und soll die Lernenden bei einem nachhaltigen und aktiven Lernprozess unterstützen [26]. Um dies zu erreichen, werden Methoden, Medien und Sozialformen entsprechend miteinander kombiniert, man spricht von Arrangements. Während die Methode die Art, Dauer und Aktivität des Lernprozesses bestimmt, beschreiben die Medien die eingesetzten Mittel. Unter der Sozialform versteht man, welche und wie viele Personen an der Methode beteiligt sind, beispielsweise im Einzel- oder Gruppensetting. Aufgabe des Lehrenden ist es, die Arrangements auf Basis der Zieldefinition zu entwickeln [22]. Um dies zu verdeutlichen, werden vier in der Hochschulbildung gängige Methoden vorgestellt. Vier-Stufen-Methode Zur Vermittlung spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten eignet sich das Konzept der Vier-Stufen-Methode (Abb. 2.2). Diese Lehr-/Lernmethode setzt einen Lernprozess mit selbstständigem Erarbeiten durch die Lernenden voraus, da sie Tätigkeiten selbst planen, ausführen und kontrollieren müssen [20]. In Stufe eins wird der Arbeitsvorgang durch die Lehrperson in Einzelschritte geteilt und die notwendigen Hilfsmittel für die Lösung der Aufgabenstellung zur Verfügung gestellt. Beispielhafte Erläuterungen und wichtige Zusammenhänge sollen die Lernenden motivieren. Als Medien eignen sich dafür Arbeitsblätter, aber auch Online-Datenbanken wie Wikis oder Glossare. Stufe zwei dient zur Erklärung der Vorgehensweise, Vorführung sowie Zusammenfassung der Kernaussagen, wobei etwaige Verständnisfragen geklärt werden. Die Lernenden sollen so weit vorbereitet werden, dass sie die ersten Nachahmversuche in Abb. 2.2  Vorgehensweise Vier-Stufen-Methode

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Stufe drei durchführen können. Die Lehrperson nimmt eine unterstützende und coachende Rolle ein. Die Lernenden haben dabei den Auftrag, jeden Einzelschritt zu erklären und zu widerlegen, um gegebenenfalls Verständnislücken zu schließen. Dies kann in Einzel-, Paar- oder Kleingruppenarbeit durchgeführt werden. In der letzten Stufe vier wird der Lernstoff eingeübt, Feedback eingeholt und der Lernfortschritt beurteilt [30]. Dazu eignet sich vor allem die Sozialform der Kleingruppe. Gruppenunterricht Gruppenunterricht ist keine reine Methode im klassischen Sinn, sondern kombiniert eine Sozialform mit einer Methode. Demnach kann diese Methode auch nur in Gruppen durchgeführt werden. Durch den Einsatz dieser Methode wird vor allem die soziale Kompetenz trainiert. Dies beginnt bereits in der Phase der Gruppeneinteilung. Bei der Gruppenbildung kann beispielsweise auf die Heterogenität der Lerngruppe eingegangen werden, da schwächer Lernende in heterogenen Gruppen besser lernen. Stärker Lernende wiederum können in homogenen Gruppen gleich, wenn nicht besser lernen. Die Gruppenteilnehmer erarbeiten selbstständig ein Thema, wobei die Gruppenarbeiten wettbewerbsorientiert, konkurrierend oder ergänzend organisiert werden können [20]. Dazu legt die Lehrperson im Vorfeld Ziele fest, wodurch gezielt soziale Kompetenzen gefördert werden sollen. Diese Ziele müssen dann für die Lernenden transparent und nachvollziehbar kommuniziert werden [22]. Häufig wird diese Methode mit einem Lehrendenvortrag zur Einführung in das Thema kombiniert. Danach erarbeiten die Lernenden in Gruppenarbeit das Thema und präsentieren die Resultate den restlichen Lernenden bzw. Gruppen [20]. Lehrgespräch Beim Lehrgespräch handelt es sich um eine Form interaktiven Unterrichts, bei welchem Fragen des Lehrenden von den Lernenden beantwortet werden. Die Lehrperson wiederholt die Antwort und ergänzt bei Bedarf bzw. gibt vertiefende Erklärungen [22]. Dieser Prozess ist sowohl inhaltlich als auch zeitlich schwer steuerbar und verlangt eine ausgeprägte Moderationsfähigkeit der Lehrperson. Ein gezielter Medieneinsatz beispielsweise durch Kärtchen mit Leitfragen oder virtuell zur Verfügung gestellten Diskussionsthemen kann dabei unterstützen. Die Bereitschaft der Lernenden, die Fragen zu beantworten, und das Geschick des Lehrenden, zielführende Fragen zu stellen, sind weitere wichtige Aspekte für das Gelingen dieser Methode [21]. Als Sozialform ist hier primär die Großgruppe geeignet. Lernendenvortrag Beim Lernendenvortrag werden die Inhalte durch die Lernenden in Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit vermittelt. Mit Medienunterstützung wird in mündlicher Form ein Thema zusammengefasst oder kurz dargestellt [9]. Die restlichen Zuhörer nehmen dabei eine passive Rolle ein, weshalb für sie kaum ein Unterschied zum klassischen Lehrendenvortrag besteht [22]. Wesentlich für den Lernerfolg ist jedoch, dass sich die vortragenden

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Teilnehmer im Vorfeld mit dem Thema aktiv auseinandersetzen. Somit werden neben fachlicher auch kommunikative (persönliche) und soziale Kompetenzen trainiert. Aufgabe der Lehrenden ist die Beurteilung des Vortrages nach Kriterien, die vorher bekanntgegeben werden müssen.

2.4.2 Förderung digitaler Kompetenzen am Beispiel „Grundlagen technischer Programmierung“ In diesem Abschnitt wird ein bereits umgesetztes Konzept der Informatik-Lehrveranstaltung „Technisches Programmieren“ an der Fachhochschule JOANNEUM, Studiengang Industrial Management, beschrieben. Dabei werden die Grundlagen der Programmierung anhand von Arduino, einem Open-Source-Projekt bestehend aus Hardware- und Softwarekomponente, erworben werden. Vor der Erstellung eines Lernarrangements für die Grundlagen technischer Programmierung wurde ein Benchmarking von bereits umgesetzten Konzepten zur Vermittlung von Programmierkenntnissen in sowohl hochschulischer als auch betrieblicher Weiterbildung durchgeführt. Zusätzlich wurde intern eine Bewertung der gängigsten Lehr-/ Lernmethoden für das Programmieren nach den Kriterien „für die Praxis sinnvoll“ und „praktikabel“ vorgenommen. Als praktikabel gilt die Methode, wenn sie hinsichtlich Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Lernarrangements nicht mit erhöhtem Zeitaufwand verbunden ist. Die für das Erlernen der Programmiergrundlagen besonders sinnvollen, praktikablen und in der Hochschulpraxis angewandten Methoden sollen im Folgenden skizziert werden. Im ersten Schritt wird auf die Physical Computing Plattform Arduino eingegangen. Danach werden konkrete Handlungsempfehlungen für den Kompetenzerwerb aufgezeigt und im Anschluss unter Einbeziehung der Praxiserfahrung in der Lehre kritisch gewürdigt. Programmieren mit Arduino „Physical Computing“ beschreibt die Verbindung von Hard- und Software zu vernetzten, physischen Systemen, wodurch die interaktive Wechselwirkung der Komponenten unmittelbar sichtbar gemacht werden kann. Lernenden können dadurch das Zusammenspiel von Hard- und Software verständlicher vermittelt und fächerübergreifende Prozesse können veranschaulicht werden [16]. Darüber hinaus ist das Erlernen von Elektronikgrundlagen und Sensoren relativ schnell möglich, und das Erstellen von Prototypen ist nur mit geringen Ausgaben verbunden. Es ist folglich ein kostengünstiges und zeitsparendes System. Im Sinne des Physical Computing umfasst die IT-Infrastruktur Arduino einen Hardware- und einen Softwareteil. Der Hardwareteil ist ein Mikrocontroller-Board, welches die Verbindung zur realen, physischen Welt darstellt, wobei unter Mikrocontrollern sehr stark verkleinerte Computer verstanden werden. Sie können bereits in einem Chip integriert werden und eignen sich, unter anderem durch die Größe, hervorragend für die Programmierung und Steuerung elektronischer Aktoren und Sensoren. Der Mikrocontroller

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arbeitet die von Sensoren erhaltenen Informationen, je nach Programmcode, im Softwareteil ab. Die Programmierung erfolgt dabei in der Open-Source-Entwicklungsumgebung IDE (Integrated Development Environment) und wird mit einer C++-ähnlichen Programmiersprache durchgeführt. Die Programme werden in weiterer Folge vom Hardwareteil ausgeführt. Durch dieses Zusammenspiel ist es möglich, den elektronischen Systemen verschiedenste Verhaltensweisen beizubringen [7]. Ziele und Inhalte des Unterrichts Das Richtziel der Lehrveranstaltung wurde von den Autoren folgendermaßen definiert: „Die Lernenden sollen nach der Lehrveranstaltung mit der Programmierumgebung von Arduino arbeiten können und die Wechselwirkungen zwischen IT-Komponenten mit physischen Objekten anhand von Beispielen mit Realitätsbezug verstehen.“ Dies bildet die Basis für die Formulierung der Richt-, Grob- und Feinziele, welche die Ziele des Unterrichts beschreiben. Die Lehr-/Lernziele sind ebenfalls entsprechend dem angestrebten Kompetenzerwerb bzw. dem zu erreichenden Kompetenzniveau formuliert. Nach dem Kompetenzniveau richten sich die Methodologie des Lehr-/Lernprozesses sowie die Vorgehensweise bei der Vermittlung der Inhalte [31]. Hier ein Auszug aus den definierten Grobzielen: 1. Die Lernenden sind in der Lage, die Funktionsweise der IT-Infrastruktur Arduino zu erläutern. 2. Die Lernenden können die Komponenten des Starterkits beim Erstellen eines Stromkreises anwenden. 3. Die Lernenden sind in der Lage, den Anwendungsbereich eines Arduino anzuführen. Die Grobziele hängen direkt mit den adäquaten Inhalten der Lehrveranstaltung zusammen und sind mit diesen zu homogenisieren. Nur so kann der angestrebte Kompetenzerwerb überhaupt erst möglich gemacht werden [15]. Beispielsweise ist für die Erreichung des Ziels „Die Lernenden können die Komponenten des Starterkits anwenden“ notwendig, dass die Lernenden die Aufgaben und Funktionen der Komponenten verstehen und kennenlernen. Daraus resultiert der Inhalt: „Funktionsweise der elektronischen Bauteile des Starterkits“. Anwendungsbeispiel Bei der Auswahl der passenden Methode wurden einerseits die ausgearbeiteten Ziele und Inhalte und andererseits die Lehr-/Lernmethoden als Basis herangezogen. Bei den Anwendungsbeispielen wurde generell darauf geachtet, dass sie einen nachvollziehbaren Realitätsbezug im Arbeitsumfeld von Ingenieuren haben. Bei der Umsetzung ist jeweils auf die individuellen Rahmenbedingungen der Lerngruppe bzw. der Hochschule zu achten, wie z. B. Dauer der Lehrveranstaltung, Räumlichkeiten, IT-Infrastruktur oder Anzahl der Lehrenden.

2  Kompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung 19 Tab. 2.1  Methodenauswahl für Anwendungsbeispiel „Ampelsteuerung“ Inhalt

Methode

Funktionsweise IT-Infrastruktur

Lehrendenvortrag

Theoretische Grundlagen zu Widerständen, LEDs, seriellem Monitor, Zeitfunktionen

Lehrgespräch

Anwendungsbeispiel „Ampelsteuerung“

Vier-Stufen-Methode

Wiederholung

Lernendenvortrag

An dieser Stelle wird der Erwerb digitaler (IT-)Kompetenzen am Arduino-Beispiel „Ampelschaltung“ veranschaulicht. Tab. 2.1 gibt zunächst Auskunft über die verwendeten Methoden, welche bereits in Abschn. 2.4.1 näher beschreiben wurden. Für die Vermittlung der Funktionen, Anwendungsbereiche und Aufbau von Arduino sowie die Bedeutung des Begriffs Software wurde die Methode Lehrendenvortrag ausgewählt. Sie ist praktikabel und für das Vermitteln von reinem Fachwissen optimal geeignet (Kompetenzstufe 1) [22]. Um das Beispiel durchführen zu können, sind eingangs theoretische Grundlagen Voraussetzung. Die Erklärung erfolgt in einem Lehrgespräch, da dadurch Unklarheiten unmittelbar beseitigt und das Verständnis bei den Lernenden erhöht werden kann. Im nächsten Schritt erfolgt die Durchführung des Beispiels als Paararbeit. Hierfür wird nach der Vier-Stufen-Methode vorgegangen. Vor allem beim Lösen des ersten Beispiels ist diese Methode sinnvoll, weil dadurch die Lernenden grundlegende theoretische Inhalte sowie die Vorgehensweise aktiv anhand der Lösung von Beispielen erlernen. Für die abschließende Wiederholung bietet sich der Lernendenvortrag an, da hier die theoretischen Inhalte nochmals gefestigt werden. Abschließend wird eine gemeinsame Reflexion empfohlen, wobei persönliche Eindrücke der Übung wie unerwartete Schwierigkeiten oder AhaErlebnisse mit der Gruppe geteilt werden können. Tab. 2.2 zeigt den Realitätsbezug, die angestrebten Fachkompetenzen und die dafür benötigten Komponenten für den Aufbau. Lernende, die noch nie oder wenige Male selbstständig experimentiert haben, haben oft Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer Schaltungsskizze. Deshalb werden sowohl der Aufbauplan als auch das zugehörige Schaltbild für das leichtere Verständnis zur Verfügung gestellt. Die Abbildungen wurden im Programm 123D Circuits erstellt (https://123d. circuits.io/). Diese Applikation bietet die Möglichkeit, online und kostenlos elektronische Schaltungen zu entwerfen, zu simulieren und zu dokumentieren. Abb. 2.3 zeigt den Aufbauplan einer Ampelsteuerung mittels Arduino. Die danach folgende Abb. 2.4 zeigt, wie der Schaltplan der Ampelsteuerung konkret umgesetzt werden kann. Schließlich ist noch der Programmcode für das Funktionieren des Systems notwendig. Hierbei kann die Lehrperson je nach Vorwissen der Lernenden bzw. nach dem vorhergehenden Theorie-Input entscheiden, ob der gesamte Code oder nur Teile den Lernenden ausgegeben werden. Es bietet sich beispielsweise auch an, dass die Lernenden die

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Tab. 2.2  Ampelschaltung. Rote, grüne und orangene LEDs, um eine Ampel zu simulieren Einleitung

Störung, Warnung oder unterbrochene Sicherheitskreise können angezeigt werden. Bereits aus der Ferne ist für Anlagenbediener oder Instandhalter ersichtlich, ob die Anlage in Ordnung ist, ohne genauer auf die Bedieneroberfläche der Anlage zu blicken

Inhalte

Hardware: Widerstände, LEDs Software: Digitalwertverarbeitung, serieller Monitor, Zeitfunktionen

Stückliste

Anzahl:

Bauteil:

1

Arduino Uno (Rev3)

Eigenschaft:

3

LEDs

rot, grün, gelb

3

220 Ω Widerstände

Toleranz ± 5 %

Applikationsbeschreibung

Die drei LEDs für die Ampelschaltung werden an jeweils einem digitalen Ausgang angeschlossen und über einen 220 Ω Widerstand auf Grund geführt

Varianten der Programmierung

Die Ampelsequenz kann nach einem fixen Ablauf mit fixen Zeitabständen programmiert werden. Die Schaltung könnte aber auch dazu verwendet werden, den Betriebszustand eines Motors oder die Lage einer Messung darzustellen. Bei einer Temperaturmessung könnte beispielsweise bei Überschreitung eines bestimmten Wertes die orangene LED aktiviert werden (Warnung) und bei noch höheren Werten die rote LED (Störung)

Abb. 2.3  Aufbauplan Ampelsteuerung

Beschreibung der Programmzeile als Protokoll erarbeiten sollen. Für die Konfiguration der Ein- und Ausgänge des Arduino-Boards könnten folgende Informationen zur Verfügung gestellt werden:

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Abb. 2.4  Schaltplan Ampelsteuerung

Beschreibung des Programmcodes Der Setup()-Teil des Programmes wird nur beim ersten Zyklus durchlaufen. Es handelt sich demnach um eine Initialisierungssequenz. Hier wird definiert, ob die Anschlüsse als Eingänge oder als Ausgänge verwendet werden. Die Anschlüsse werden bereits über die oben definierten Konstanten angesprochen. Mit dem Serial.begin-Befehl wird die serielle Schnittstelle für den seriellen Monitor initialisiert. void setup() { pinMode(LEDGruen, OUTPUT); pinMode(LEDGelb, OUTPUT); pinMode(LEDRot, OUTPUT); Serial.begin(9600); Serial.printIn(“Programm startet”); }

Leistungsfeststellung Nicht nur die Vermittlung von Inhalten, sondern auch die Messung des Kompetenzerwerbs, in schriftlicher oder mündlicher Form, wird im Rahmen der Didaktik behandelt [10]. Dies stellt sich vor allem bei der Überprüfung schwer messbarer Kompetenzen wie Teamfähigkeit oder Problemlösungskompetenz als herausfordernd dar. In der beschriebenen Lehrveranstaltung wurden die Lernenden aufgefordert, nach den Übungseinheiten Protokolle zu erstellen. Neben einem Foto des aufgebauten Systems soll

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der Programmcode kommentiert werden. Dadurch konnte sichergestellt werden, dass jede Gruppe das Anwendungsbeispiel eigenständig aufgebaut hat. Darüber hinaus stellt die Interpretation des Programmcodes eine Wiederholung des Theorie-Inputs dar und trägt somit zum besseren Verständnis bei. Außerdem fand eine schriftliche Feststellung des Wissensstandes nach der Lehrveranstaltung statt. Hierbei ist zu beachten, dass die Aufgabenstellung der Klausur auf das zu erzielende Kompetenzniveau abgestimmt wurde. War das Ziel der Lehre beispielsweise, Programmcode erklären zu können, so sollten bei der Leistungsfeststellung in schriftlicher Form beispielsweise Programmcodes interpretiert werden. Kritische Würdigung – Reflexion der Lehrveranstaltung Die praktische Durchführung in der Lehrveranstaltung hat gezeigt, dass Arduino als kostengünstige Open-Source-Variante für den Erwerb digitaler Kompetenzen im IT-Bereich geeignet ist. Neben der fachlichen Auseinandersetzung mit IT-Fachkompetenzen trainieren die Lernenden soziale und persönliche Kompetenzen. Aufgrund des hohen Aktivitätsgrads der Beispiele werden zudem methodische Kompetenzen gefördert. Durch die aktive Internet-Community rund um diese Plattform sind viele Beispiele frei verfügbar und können für etwaige Praxisbeispiele für viele Bereiche rasch adaptiert werden. Die Anwendung unterschiedlicher Methoden sorgt für einen abwechslungsreichen Unterricht; vor allem handlungsorientierte Methoden haben sich bei den Lernenden als sehr motivierend bewährt. Durch das direkte Zusammenspiel von physischer und elektronischer Komponente sind die Auswirkungen sofort sichtbar und ein schneller Lernerfolg ist erzielbar. In den Übungseinheiten sollte ausreichend Zeit eingeplant werden, um den Lernenden eigene Versuche und Abweichungen gegenüber dem Beispiel zu ermöglichen. Durch das Experimentieren können Technologien einfacher verstanden und die Hemmschwelle zum Umgang mit neuen digitalen Technologien verringert werden. Empfehlenswert bei der Durchführung der Lehre sind kleinere Gruppen (maximal 12 Personen), da der Bezug zu den Lernenden höher und die Betreuung durch die Lehrperson intensiver ist. Ein intensiveres Coaching ermöglicht eine auf die individuelle Lernkurve der Einzelnen abgestimmte Unterstützung, wodurch die langfristige Sicherung des Kompetenzerwerbs gewährleistet wird. Des Weiteren stehen kostenlose Online-Programme zur Verfügung, um elektronische Schaltungen zu entwerfen, zu simulieren und zu dokumentieren (z. B. siehe Seite 10). Somit können Lernende auch programmieren, wenn sie keinen Arduino zur Verfügung haben. Anhand dieses Beispiels wird ersichtlich, wie digitale Kompetenzen vor allem im ITBereich niederschwellig für Anfänger trainiert werden können. Spätestens an dieser Stelle sollte daher klar sein, dass die Digitalisierung und die damit verbundenen „neuen“ Kompetenzen nicht nur bestimmte Fachrichtungen betreffen. Es ist vielmehr notwendig, auch als technischer Experte Mitsprachekompetenz in anderen Bereichen wie der technischen Programmierung aufweisen zu können. In Teil II dieses Buches wird daher nicht nur rein auf den Erwerb technischer Kernkompetenzen eingegangen, sondern es wird versucht, im Sinne einer vernetzten Lehre die Mitsprachekompetenz der zukünftigen Ingenieure

2  Kompetenzen im Zeitalter der Digitalisierung 23

in anderen Bereichen zu schärfen. Dies nicht zuletzt, um die Lernenden optimal auf die zukünftigen Anforderungen (z. B. vernetztes Denken, ausgeprägte Kommunikationsfähigkeit etc.), die mit den Veränderungen der Arbeitswelt durch die Digitalisierung verbunden sind, vorzubereiten.

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Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung Handlungsorientierung und wie sich die Anforderungen an die Didaktik verändern Wolfram Irsa

Sage es mir, und ich vergesse es; Zeige es mir, und ich erinnere mich; Lass es mich tun, und ich behalte es. Konfuzius

Zusammenfassung

Die zunehmende Digitalisierung bringt einen Wandel der Anforderungen an die Arbeitskräfte von morgen mit sich. Um darauf als Bildungseinrichtung adäquat reagieren zu können, ist ein Grundverständnis über Handlungsorientierung und dessen Vorläufer notwendig. Die Definition und Grundlagen des klassischen Handlungsbegriffs sowie die Methoden und die Vor-und Nachteile sind Inhalt dieses Kapitels.

3.1 Definitionen Das Lexikon der Psychologie definiert die Handlungsorientierung als einen Zustand, in dem sich die Aufmerksamkeit auf die Durchführung von Handlungen richtet und dabei vorhandene Kenntnisse und Fähigkeiten nutzt, um die Ausführung einer beabsichtigten Handlung zu steuern. Die Handlungsorientierung stellt die selbst durchgeführte Lösungsfindung in den Mittelpunkt. Das Gegenteil ist die Lageorientierung oder Kontrollorientierung, bei der dysfunktionale Gedankenabläufe um emotionale Zustände und um die

W. Irsa (*) Hitzendorf, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_3

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tatsächliche Lage kreisen, und nicht so sehr um die Lösungsmöglichkeiten. Die Lageorientierung kann einerseits durch situative Bedingungen ausgelöst werden oder liegt andererseits zu einem gewissen Grad in einer persönlichkeitsspezifischen Disposition begründet [15]. Die handlungsorientierte Didaktik hat ihren Ursprung bei den Klassikern der Pädagogik wie Comenius (1592–1670), Rousseau (1712–1778) und Pestalozzi (1746–1827). Sie setzt sich in den Industrieschulen des 19. Jahrhunderts fort und reicht bis zur Reformpädagogik (ab 1930). Der zugrundeliegende Handlungsbegriff leitet sich aus den vorwiegend psychologisch fundierten Handlungstheorien ab. Meyer bezeichnet Lehre als handlungsorientiert, wenn drei Merkmale erfüllt sind [8]: 1. Vortragende und Studierende versuchen, etwas mit Verstand, Empathie, Bewegung und allen Sinnen zu machen. Dabei können Handlungsergebnisse entstehen, die für den Vortragenden und die Studierenden einen sinnvollen Gebrauchswert haben. 2. In der handlungsorientierten Lehre soll versucht werden, den Hörsaal zu verlassen und mit den Handlungsergebnissen, die in einer Werkstätte oder einem Labor erarbeitet wurden, in reale gesellschaftliche Entwicklungen einzugreifen. 3. Die Studierenden sind an der Festlegung der Handlungsergebnisse und an der Gestaltung der Handlungsprozesse beteiligt. Die Studierenden werden schrittweise zu einer stets größeren Selbstbestimmung bei der Festlegung der Handlungsziele geführt. Die Begründung für handlungsorientierte Lehre liegt Curriculum-theoretisch im Versuch, das Zusammenspiel von Studium und Leben dadurch zu verbessern, dass der gesellschaftliche Verwertungszusammenhang des im Studium vermittelten Wissens für die Studierenden erfahrbar gemacht wird. Sie versucht erziehungstheoretisch, die Studierenden zu Subjekten ihrer Lernprozesse zu machen, und sie macht motivationstheoretisch den Versuch, über die Handlungsorientierung Freude und Interesse am gemeinsamen Tun zu finden. Ziel ist es, anhand komplexer Lernsituationen das praktische Handeln mit dem theoretischen Denken zu verbinden [6]. Durch die aktive Auseinandersetzung und durch die Handlungen der Studierenden dient als Ziel, in der Wirklichkeit Erfahrungs- und Handlungsspielräume zu schaffen. Die Trennung von Hochschule und Leben wird dadurch ein Stückweit aufgehoben, dennoch findet Ausbildung im geschützten Rahmen statt [2]. Das bedeutet für die Organisation von Lehrveranstaltungen nach Meyer, dass handlungsorientierter Unterricht ein ganzheitlicher und aktiver Unterricht – nämlich des Lernenden – ist, wo die vereinbarten Handlungen die Organisation der Lehrveranstaltungen leiten. Ein ganzheitliches, das heißt mehrdimensionales Lernerlebnis übertrifft die eindimensionale Kopfarbeit und erfordert in der Organisation einen systematischen Aufbau der Handlungskompetenz [8]. Die erfolgreiche Lehrveranstaltung zeichnet sich dadurch aus, dass Ergebnisse erzielt werden, die zum Anfassen oder zum Vorführen sind, mit denen man spielen oder arbeiten kann, die sofort und auch später für den Lernenden einen Gebrauchswert haben. Dieses Konzept bezeichnet Meyer (1987) als „handlungsorientiert“ [9]. Durch das Handeln wird

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 27

umfassend gelernt. Die Lehrveranstaltung wird für die Lernenden und für den Vortragenden spannender, offener, manchmal auch risikoreicher als der klassische Frontalvortrag [2, 8]. Die Voraussetzung für die Umsetzung eines solchen Konzepts ist die Akzeptanz eines Welt-, Gesellschafts- und Menschenbilds mit diesen fünf Aspekten [8]: 1. Handlungsorientierter Unterricht unterstellt, dass Vernunft und Freiheit den Menschen leiten, jedoch auch Selbstzerstörung möglich ist. 2. Handlungsorientierter Unterricht setzt voraus, dass Menschen neugierig sind, dass sie fragen und staunen, dass sie ihre Umwelt erfahren möchten und gerne experimentieren. 3. Handlungsorientierter Unterricht unterstellt, dass Lernen grundsätzlich ganzheitlich, also kognitiv, aber auch mit körperlichen Bewegungen und allen Sinnen abläuft. 4. Handlungsorientierter Unterricht setzt voraus, dass weder Vortragende noch Lernende perfekte Wesen sind, sondern Fehler machen und versagen, jedoch aus Fehlern lernen können. 5. Handlungsorientierter Unterricht braucht ein gesellschaftliches Umfeld, welches so strukturiert ist, ein selbstbestimmtes Leben und ein angstfreies Lernen im Unterricht zu ermöglichen. Diesem Welt-, Gesellschafts- und Menschenbild entsprechen nach Meyer (1987) folgende Plattformen für die Inszenierung [8]: • Werkstatt: Nutzung der Lehrveranstaltung zur Herstellung konkreter Produkte und zum Testen von Prozessen. • Labor: Nutzung der Lehrveranstaltung zur Erforschung von Sinn-, Sach- und Problemzusammenhängen. Dazu entwickeln die Studierenden und die Vortragenden bestimmte Forschungsziele, formulieren gegebenenfalls Hypothesen, führen Experimente durch und analysieren die Ergebnisse. • Theater: Nutzung der Lehrveranstaltung zum Nachspielen der sozialen Wirklichkeit oder zur Inszenierung einer Kunstwelt. • Exkursion: Nutzung der Lehrveranstaltung zum Verlassen des Hörsaals und zur Erkundung der natürlichen und sozialen Umgebung. • Gemeinde: Die Lehrveranstaltung soll zum gemeinsamen Gespräch, zum Spielen und gelegentlichen Feiern animieren. Schmidt-Wulffen begreift die Handlungsorientierung als eine Synergie von Denken und Tun [12]. Die Studierenden machen damit eine neue Erfahrung, die über die lesende Aneignung hinausgeht. Allerdings ein Handeln als Selbstzweck oder nur zum Spaß ist Zeitverschwendung, wenn der Sinn für die Studierenden nicht erkennbar und begründbar ist. Des Weiteren ist wichtig, dass sich die Handlungsorientierung nach den Studierenden richtet. Die handlungsorientierte Lehrveranstaltung involviert kommunikativ die Studierenden mit der Erarbeitung eines gemeinsamen Arbeitsplans mit den Vorstellungen, Erwartungen und Erfahrungen der Studierenden.

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Zum Abschluss der Definitionen noch zwei Begriffe nach Sitte [13], die zwar ähnlich, jedoch deutlich voneinander abgegrenzt sind: operative und handlungsorientierte Lehrveranstaltung. Eine operative Lehrveranstaltung bezeichnet die tätige Auseinandersetzung der Studierenden mit einem Lerngegenstand. Das Ergebnis ist ein durch geistige und manuelle Tätigkeit sichtbares Produkt. Die operative Lehrveranstaltung ist ein methodisches Prinzip, welches sich trotz Gemeinsamkeiten von der handlungsorientierten Lehrveranstaltung, die ein didaktisches Konzept darstellt, unterscheidet. Im Gegensatz dazu zielt die handlungsorientierte Lehrveranstaltung vorerst auf die Entwicklung gesellschaftlicher Handlungskompetenz zum Aufbau eines handlungsaktiven und sozialen Bewusstseins. Die Studierenden sind bereit Verantwortung zu übernehmen, sie identifizieren in ihrer Lebensumwelt mangelhafte bzw. zu kritisierende Prozesse. Sie versuchen sie zu ändern bzw. Transparenz und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Da die Ergebnisse einer handlungsorientierten Lehrveranstaltung von den Studierenden hinausgetragen werden, ist es möglich, eine Veränderungsbereitschaft in der Praxis auszulösen. Die Studierenden erkennen, dass ihre Arbeit gesellschaftlichen Gebrauchswert hat. Die operative Lehrveranstaltung dagegen zielt auf eine Relativierung des lehrerdominierten Frontalvortrags, um das noch immer weitverbreitete rezeptive Lernen – Zuhören, Mitschreiben und Wiedergeben im Rahmen einer Prüfung – zurückzudrängen. Das erheblich wirksamere aktivproduktive Lernen setzt keine fertigen Lernergebnisse voraus, sondern ermöglicht die Erarbeitung durch geistiges und manuelles Tun. Die Studierenden vollziehen insofern dabei Handlungen, allerdings stehen diese gewöhnlich nicht in direktem Zusammenhang mit nach außen gerichteten Aktionen, die sich mit Antworten zu betrieblichen Problemen befassen. Die in operativen Lehrveranstaltungen durchgeführten Handlungen dienen dem effektiven Aufbau von Methoden- und Fachkompetenzen. Methoden- und Fachkompetenz sind Voraussetzungen für eine handlungsorientierte Lehrveranstaltung mit einem didaktischen Konzept auf Basis einer kritisch-emanzipatorischen Didaktik. Die operative Lehrveranstaltung ist dagegen ein methodisches Prinzip. Deshalb ist es gerechtfertigt, eine begriffliche Unterscheidung zu treffen. Die operative Lehrveranstaltung ist ein wichtiger Schritt zur handlungsorientierten Lehrveranstaltung, da viele eingesetzte Arbeitsweisen aufgebaut und eingeübt werden [13].

3.2

Grundlagen der Handlungsorientierung im ingenieurswissenschaftlichen Bereich

Die Grundlage für eine Handlungsorientierung ist die Durchführung einer vollständigen Handlung [4] entsprechend dem Qualitätsregelkreis nach Deming [5], wonach eine Handlung erst dann abgeschlossen ist, wenn neben der Planung (plan) und Durchführung (do) auch eine Erfolgskontrolle (check) und Reflexion (act) erfolgt (s. Abb. 3.1). Informieren:  Die Studierenden werden vom Lehrenden über den Sinn und Zweck der Handlungsprozesse und der beabsichtigten Handlungsergebnisse informiert. Wichtig bei

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 29 Abb. 3.1  Kreislauf der vollständigen Handlung

diesem Schritt ist, Neugier zu erzeugen und gegebenenfalls eine positive Spannung aufzubauen. Das große Ganze steht im Vordergrund, ohne sich zeitaufwendig in Details zu verlieren. Planen:  Die Studierenden werden nun aktiv und planen mit der vorhandenen Information die Handlungsprozesse. Eventuelle Wissenslücken werden durch Recherche selbstständig gefüllt. Der Lehrende steht begleitend zur Verfügung und gibt – falls notwendig und von den Studierenden ausdrücklich angefragt – Richtungsoptionen für die Planung vor. Entscheiden:  Die Studierenden treffen nun aus den Handlungsmöglichkeiten konkrete Entscheidungen, wie sie die Aufgabenstellung meistern. Dabei werden Reihenfolgen, Zwischenüberprüfungen, Abstimmungen und Rollen festgelegt. Der Lehrende ist passiv im Hintergrund und greift nur ein, falls sicherheitsrelevante und/oder rechtliche Gefährdungen bei der Ausführung drohen. Ausführen:  Es werden nun von den Studierenden die einzelnen Handlungen ausgeführt. Eine detaillierte Dokumentation mit qualitativen und quantitativen Daten ist dabei essenziell. Diese Transparenz hilft bei den nachfolgenden Schritten, das Lernerlebnis nachvollziehbar und reproduzierbar zu gestalten. Eine zeitliche Begrenzung der Ausführung ist zweckmäßig, um strukturiert Ergebnisse zu produzieren. Der Lehrende unterstützt die Studierenden, falls explizit notwendig, nimmt sonst jedoch eine beobachtende Position ein.

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Überprüfen:  Dieser Schritt wird in der Literatur gerne als Kontrollieren bezeichnet, geht jedoch nach Ansicht des Autors über das einfache Abhaken von Punkten hinaus. Beim Überprüfen werden die Ergebnisse der Ausführung mit der ursprünglichen Planung verglichen. Da erfahrungsgemäß die Ergebnisse der Wirklichkeit selten kongruent zur Planung sind, erfordert die Feststellung der Abweichung eine aufmerksame und faktenbasierte Beschreibung. Das sinnerfassende Verstehen der Zusammenhänge wird dabei trainiert. Der Lehrende hilft Zusammenhänge zu erkennen, vor allem bei der Fundierung der Ergebnisse mit vorhandenen Theorien/Erkenntnissen. Analysieren:  Nun beginnt der letzte Schritt, bevor ein neuer Zyklus beginnen kann. Beim Analysieren kommen Methoden des Qualitätsmanagements zum Ansatz, insbesondere das Ursache-Wirkungs-Diagramm, das Flussdiagramm, das Scatter-Diagramm und die Pareto-Analyse. Die Qualität der Analyse bestimmt maßgeblich, wie gut das System in der Wirklichkeit verstanden wird. Das Finden von Korrelationen und das Entwickeln von Hypothesen runden diesen Schritt ab. Der Lehrende gibt strukturierte Rückmeldung, lobt die Studierenden und verankert die Erkenntnis, dass es sich gelohnt hat, die sechs Schritte zu durchlaufen. Dimensionen der Handlungsorientierung Der klassische Begriff der Handlungsorientierung kann in unterschiedliche Dimensionen gegliedert werden: • • • • •

Lernendenorientierung, Lernorientierung, Inhaltsorientierung, Prozessorientierung, Produktorientierung.

Zu beachten ist, dass die Einteilung der Handlungsorientierung nicht als absolut zu sehen ist, sondern eine Grundorientierung für die anlassbezogene Differenzierung darstellt. Die wichtigsten Merkmale werden nachfolgend behandelt.

3.2.1 Lernendenorientierung An erster Stelle steht die Orientierung der Lernenden. Das geht deutlich über eine Kundenorientierung hinaus. Die Studierenden werden als selbstbestimmte Subjekte wahrgenommen, die einen individuellen Kenntnisstand und Erfahrungshintergrund haben. Es obliegt der Kunst des Lehrenden, die Erwartungshaltung der Studierenden zu erfassen und mit der geeigneten Sprache an ihre Welt anzudocken [14]. Die Studierenden werden in die Planung, Durchführung und Auswertung der Aufgabenstellung involviert. Der Lehrende begegnet den Studierenden auf Augenhöhe. Die Empirie zeigt, dass Lehrende durch die Studierendenorientierung von den Studierenden

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 31

selbst lernen. Die Aneignung altersspezifischer Sprache hilft den Lehrenden, das handelsorientierte Lernen zum Erfolg zu machen.

3.2.2 Lernorientierung Die Lernorientierung unterstreicht die Ernsthaftigkeit des gemeinsamen Lernens. Das handlungsorientierte Lernen – speziell im ingenieurswissenschaftlichen Bereich – ist kein Selbstzweck, sondern dient der Aneignung von Kompetenzen, die in der Berufspraxis benötigt werden. Soziale zwischenmenschliche Beziehungen haben dabei eine nachweislich signifikante Auswirkung auf den Lernerfolg [3, 14], weshalb das Lehr-/Lernklima von besonderer Bedeutung ist. Es werden Freiräume für die Studierenden angeboten, um sanktionsfrei Fehler machen zu dürfen. Diese positive Grundhaltung ist essenziell und ermöglicht angstfreies Lernen. Das aus dem Englischen bekannte trial and error eröffnet Experimentierfreude.

3.2.3 Inhaltsorientierung Die Inhaltsorientierung basiert auf dem Lehrziel der Lehrveranstaltung. Das Curriculum gibt den Rahmen vor bezüglich der zu bearbeitenden Themen. Im ingenieurswissenschaftlichen Bereich reichen die Inhalte von Produktionstechnik bis zur angewandten Informatik. Das Vorhandensein von Maschinen, Materialien und Werkzeugen unterstützt die manuellen Tätigkeiten bei der Erarbeitung von Lehrinhalten. Handlungsorientierter Kompetenzerwerb baut dabei auf ganzheitlichen, komplexen Lehr-/Lernszenarien auf [3, 17]. Für die Ingenieurswissenschaften ist darüber hinaus auch die Praxisnähe von besonderer Bedeutung, da dadurch die wahrgenommene hohe Komplexität technischer Inhalte reduziert werden kann. Ein weiterer Aspekt der Inhaltsorientierung ist neben dem kognitiven Lernen der Umgang mit Emotionen, wenn Handlungen anders als beabsichtigt erfolgen. Die Bandbreite reicht vom Umgang mit Enttäuschungen über die Ausbildung von Resilienz bis hin zur Steuerung von Euphorie bei unerwarteten Erfolgserlebnissen. Diese Ergebnisorientierung beeinflusst auch die Motivation der Lernenden. Ein positiver Lernerfolg wirkt motivierend, negative Lernerfolge müssen aufgearbeitet und durch erneutes aktives Tun positiviert werden. Dazu ist die Unterstützung der kritischen Reflexionsfähigkeit der Lernenden maßgeblich [3, 16].

3.2.4 Prozessorientierung Die Prozessorientierung folgt dem Ablauf der vollständigen Handlung. Die Reihenfolge Informieren, Planen, Entscheiden, Ausführen, Überprüfen und Analysieren sollte präzise eingehalten werden. Abkürzungen durch das Überspringen einer oder mehrerer Schritte

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haben sich in der Praxis nicht bewährt. Vor allem der routinierte Lehrende neigt dazu, zu schnell durch die ersten beiden Schritte zu gehen und die Analyse zum Schluss nicht ausführlich genug zu behandeln. Jedoch gerade die Analyse bietet die Gelegenheit zur strukturierten und anlassbezogenen Rückmeldung. Die Lehrpraxis hat gezeigt, dass Studierende eine detaillierte Rückmeldung zur Analyse sehr schätzen, da sie die Quelle für weitere Verbesserungen sind, wenn aus dem Erfahrungsschatz des Vortragenden geschöpft wird [17]. Im ingenieurswissenschaftlichen Bereich spielt die narrative Erklärung (auch storytelling oder das Erzählen von Anekdoten genannt) eine große Rolle. Einprägsame Beispiele aus der beruflichen Praxis des Vortragenden begleiten die Studierenden später in ihrer eigenen Praxis und dienen als Handlungsrichtlinie. Viele Rückmeldungen von Studierenden bestätigen das. Die besten Narrative gelingen durch die umfassende Darstellung des Kontexts, der Ausgangssituation, des Prozesses zum Ergebnis und die langfristige Auswirkung.

3.2.5 Produktorientierung Die Produktorientierung bedeutet im ingenieurswissenschaftlichen Bereich das konkrete Üben von Handlungen an materiellen Gegenständen. Darüber hinaus gehören hierzu auch geistige Handlungsprodukte. Diese sollen gesellschaftsfähig, z.  B. in der betrieblichen Praxis, sein. Damit unterliegen sie auch dem Urheberrecht und steigern die Ernsthaftigkeit der Lehrveranstaltung [17]. Beispiele für die Produktorientierung sind Klassenzeitungen, ein Modell aus Materialien wie Holz, Metall, Pappe etc., eine Ausstellung, ein Poster, ein Montagesatz für ein Stirnradgetriebe, eine Webseite, eine Softwareapplikation (sogenannte App), eine Exkursion etc.

3.3

Methoden für die Handlungsorientierung

Die Fähigkeit der Lernenden, im beruflichen Umfeld handlungsorientiert agieren zu können, stellt für die Ingenieurswissenschaften eine maßgebliche Anforderung dar. Techniker müssen in der Lage sein, die teils sehr komplexen Fachinhalte verantwortungsvoll auf unterschiedliche Unternehmenssituationen zu transformieren. Eine hohe Eigenständigkeit wird dabei vorausgesetzt. Um diesen Anforderungen zu entsprechen, müssen die Lernenden bereits im Rahmen der Aus- und Weiterbildung ihre persönliche Handlungsfähigkeit trainieren. Dazu bedarf es des Einsatzes spezieller Methoden, da nicht alle Lehr-/ Lernmethoden auf einen solchen Kompetenzerwerb abzielen.

3.3.1 Stationenlernen Das Stationenlernen wurde ursprünglich wie das Zirkeltraining beim Sport als „Circuit Training“ bezeichnet. Es geht darum, mehrere Übungen – typischerweise zehn bis zwölf unterschiedliche – in einer didaktisch sinnvollen Reihenfolge unter Zeitvorgabe

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 33

durchzuführen. Die einzelnen Übungen bearbeiten einen Aspekt eines übergeordneten Themas. In Summe ermöglichen alle Übungen eine umfassende Bearbeitung von Themen, wie die Montage von Stirnradgetrieben [11]. Eine Spielart des Stationenlernens ist die Definition von Pflicht- und Wahlaufgaben. Eine Aufgabe ist an einer Station durchzuführen. Die Pflichtaufgaben müssen von allen Studierenden positiv erledigt werden und eignen sich damit zur positiven Leistungsfeststellung. Die Wahlaufgaben sind optional zu absolvieren und bieten den Studierenden bei entsprechender Motivation und positiven Ergebnissen die Möglichkeit, die Gesamtnote zu verbessern [7, 10]. Als Sozialform kann pro Station gewählt werden, ob die Aufgabe allein, als Zweierteam oder als Gruppe erledigt wird. Dabei ist zu beachten, dass die Gruppe höchstens aus sechs Personen besteht, besser fünf Personen, um dem Einzelnen ausreichend Interaktion mit dem Thema anbieten zu können. Eine detaillierte Dokumentation der Ereignisse und der Ergebnisse unterstützt die Studierenden beim Verfestigen des Lernerlebnisses.

3.3.2 Freiunterricht Der Freiunterricht wird auch als offener Unterricht bezeichnet. Im englischsprachigen Raum wird die Methode „The Open Classroom“ genannt. Damit ist gemeint, dass die Studierenden Freiheitsgrade hinsichtlich der Organisation, des Raums – damit ist explizit auch die freie Natur miteingeschlossen –, des Zeitbedarfs, der Methodik, der Sozialform und des Inhalts – allerdings in vorgegebenen Grenzen – in Anspruch nehmen können [10]. Diese Form der Lehrveranstaltung birgt das Risiko in sich, einen vorgegebenen Lehrplan unzureichend zu absolvieren. Vor allem der Freiheitsgrad Zeitbedarf verleitet zu sehr, in ein Einzelthema einzutauchen, um dann keine Zeit mehr zu haben, die anderen Themen des Lehrplans im Semester abzudecken. Für Forschungsaufgaben passt diese Lernmethode allerdings sehr gut, es ermöglicht die kreative Entfaltung von talentierten Nachwuchsforschern.

3.3.3 Projektunterricht Der Projektunterricht ist als Projekt work seit den 1970er-Jahren im angloamerikanischen Sprachraum als Lehrmethode populär. Die Aufgabenstellung geht deutlich über das Stationenlernen hinaus. Es wird ein komplexes Thema als Aufgabe gewählt, welches die Gruppe in einer mehrwöchigen Bearbeitung als eine Präsentation der Ergebnisse zum Abschluss bringt. Der Projektunterricht erfordert eine aktive Auseinandersetzung der Studierenden mit ihrer Umwelt. Tätigkeiten sind zu planen, durchzuführen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Dabei ist die soziale Dynamik in der Projektgruppe nicht zu unterschätzen. Es können unterschiedliche Rollen geübt werden. Die Studierenden sind selbstverantwortlich hinsichtlich Organisation und Ergebnisse. Die Merkmale des handlungsorientierten Unterrichts passen sehr gut zum Projektunterricht [10].

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3.3.4 Lernen durch Lehren Lernen durch Lehren dreht die Rollenverteilung von Lehrenden und Studierenden um. Ein oder mehrere Studierende bekommen die Aufgabe, eine Lehreinheit vorzubereiten und dann vorzutragen. Die Studierenden werden während der Vorbereitung vom Lehrenden unterstützt. Bei der Durchführung der Lehreinheit erleben die vortragenden Studierenden wie auch die „konsumierenden“ Studierenden das Wechselspiel von Geben und Nehmen. Es ist einerseits das Geben und Erklären von Informationen und andererseits das Annehmen und Verarbeiten eines neuen Wissensgebiets. Der Vorteil der Methode liegt darin, dass die Studierenden in ihrer altersüblichen Sprache kommunizieren und dadurch ein etwaiges Akzeptanzproblem vermieden wird.

3.3.5 Mehrdimensionales Lernen Das mehrdimensionale Lernen arbeitet mit dem bewussten Einsatz, auch Aktivierung genannt, von Lernpotenzen. Als Lernpotenzen werden bezeichnet: sensitive, intellektuelle, manuelle, handwerkliche, technische, soziale oder kreative Fähigkeiten. Dazu werden observative, explorative, analytische, experimentelle oder soziale (im Sinne von kooperierenden) Lerntechniken eingesetzt. Das mehrdimensionale Lernen grenzt sich vom ganzheitlichen Lernen dadurch ab, dass einzelne Lerntechniken bewusst für das Erreichen des einen Lernziels singulär eingesetzt werden. Im Gegensatz dazu werden beim ganzheitlichen Lernen die unterschiedlichen Lernpotenzen gleichzeitig zum Einsatz gebracht. Nach Bienhaus ist das mehrdimensionale Lernen für den Technikunterricht als mehrperspektivischer Ansatz definiert [1] (siehe Abb. 3.2). Die Wissensperspektive beschreibt dabei die Anforderung, Lernenden das Kennenlernen der Technik zu ermöglichen, während die Könnens- und Verhaltensperspektive sich bereits auf die Handhabung von Technik bezieht und die Verwendungs- und Nutzungsperspektive speziell auf die Nutzung von Technik eingeht. Das Ziel der Gestaltungsperspektive hingegen ist die Befähigung der Lernenden zur Technikgestaltung, und die Bewertungsperspektive strebt danach sie in die Lage zu versetzen, Techniklösungen zu beurteilen. Im Fokus der Verantwortungsperspektive steht die Mitverantwortung von Technik, wohingegen sich die Arbeitsweltperspektive auf das Zusammenspiel zwischen Technik und Arbeitsbereichen konzentriert. Die Grundaussage des mehrperspektivischen Ansatzes ist demnach, dass optimale Techniklehre nicht nur die Vermittlung rein objektbezogener, technikwissenschaftlicher Bildungsinhalte umfasst, sondern sämtliche, auch subjektbezogene Perspektiven mit einschließt [1].

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 35

Abb. 3.2  Mehrperspektivischer Ansatz für die Technik nach Bienhaus

3.4

Vor- und Nachteile von Handlungsorientierung

Tab. 3.1 zeigt die in der Empirie gefundenen Vor- und Nachteile der Handlungsorientierung. Es besteht weder ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Allgemeingültigkeit. Die Gegenüberstellung dient der Inspiration und Reflexion bezüglich der Handlungsorientierung in ingenieurswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen. Tab. 3.1  Vor-und Nachteile von Handlungsorientierung Vorteile

Nachteile

Stärkung der Motivation der Studierenden durch die Methodenvielfalt und die Unterstützung des Lernens durch aktive Handlungen

Die handlungsorientierte Lehre ist materialintensiver und störungsanfälliger als die lehrerzentrierte Lehre. Durch mangelnde Vorbereitung können die Vorteile eine gegenteilige Wirkung verursachen und zu Resignation führen

Kognitive Schlüsselqualifikationen wie das Denken in Systemen oder die Fähigkeit Probleme zu lösen werden intensiv vermittelt

Zur Vorbereitung und Information für die Studierenden besteht für den Vortragenden ein großer Zeitaufwand

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Tab. 1.2  (Fortsetzung) Vorteile

Nachteile

Die Handlungskompetenz der Studierenden, die durch handlungsorientierte Lehre erreicht werden soll, befähigt diese zu einer größeren Selbstständigkeit in ihrem Denken und Handeln

Das Grundkonzept allein beinhaltet wenig Konkretes für die didaktische Umsetzung – weitere Hilfestellungen für die Praxis der Lehre erscheinen notwendig

Durch das selbsttätige, studierendenaktive Lernen können sich die Studierenden besser mit der Lehre identifizieren, und sie übernehmen damit auch eher die Verantwortung für ihr eigenes Lernen

Team-teaching wird dann zum Problem, wenn nicht genügend Vortragende vorhanden sind oder die Zusammenarbeit nicht funktioniert

Erfolgt die Leistungsbewertung nicht mehr allein durch den Lehrenden, lernen die Studierenden Beurteilungskriterien zu entwickeln und sich und andere beim Lernprozess zu beobachten

Handlungsorientierte Lehre impliziert interessierte und engagierte Lehrende und Studierende

Verbesserung der Lernfähigkeit durch ein ausgewogenes Verhältnis von Kopf- und Handarbeit

Problem der Umgestaltung von Prüfungen am Ende der Ausbildung (programmierte Prüfungen sind nicht in der Lage, komplexe berufliche Handlungsfähigkeit abzuprüfen)

Förderung der Persönlichkeitsfindung durch die Unterstützung bei der Meinungsbildung und der Kritikfähigkeit Durch das Erschließen ganzheitlicher Zusammenhänge (auch unter anderem durch die praktische Tätigkeit) wird eine rein abstrakte und oft wirklichkeitsfremde Sichtweise verhindert Die stärker emotional orientierte Umgangsweise (die „neue Sinnlichkeit“) unterbindet eine Entwicklung hin zum ausschließlich Rationalen Gute Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt, wo in der Regel selbstständig handelnde Mitarbeiter verlangt werden Größere Berufszufriedenheit der Lehrer als Folge von entsprechendem Engagement Handlungsorientierung fördert die Handlungskompetenz

Bei der kritischen Betrachtung der handlungsorientierten Lehre wird deutlich, dass die Vorteile eindeutig überwiegen. Es bleibt jedoch anzumerken, dass die dargestellten Aspekte in erster Linie zur Diskussion und aktiven Auseinandersetzung mit diesem Prinzip in der Lehre anregen sollen.

3  Handlungsorientierung im Zeitalter der Digitalisierung 37

Literatur  1. Bienhaus W (2000) Das Fachraumsystem Technik – Ort theoretischen und praktischen Lernens. http://www.technik.ph-karlsruhe.de/fftb/didaktik/fachraumsystxt/fachraumsys-tp2. pdf. Zugegriffen: 10. Apr. 2018   2. Bönsch M (1990) Handlungsorientierter Unterricht. Bestimmungsmerkmale und Dimensionen. In: Praxis Geographie Handlungsorientierter Unterricht, Heft 7/8. Westermann Schulbuchverlag GmbH, Braunschweig, S 6–10   3. Caine RN, Caine G, McClintic C, Klimek KJ (2009) 12 Brain/Mind learning principles in action. Developing executive functions of the human brain, 2. Aufl. Corwin Press, Thousand Oaks   4. Dehnbostel P, Lindemann HJ, Ludwig C (2007) Lernen im Prozess der Arbeit in Schule und Betrieb. Waxmann Verlag, Münster   5. Deming WE (2007) Out of the Crisis. Massachusetts Institute of Technology, Cambridge 1982, S 88   6. Dubs R (1995) Entwicklung von Schlüsselqualifikationen in der Berufsschule. In: Arnold R, Lismeier A (Hrsg) Handbuch der Berufsbildung. Leske und Budrich, Obladen, S 171–182   7. Hegele I (1996) Lernziel: Stationenarbeit. Eine neue Form des offenen Unterrichts. Beltz, Weinheim   8. Meyer H (2014) Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung, 9. Aufl. Cornelsen Verlag, Königstein   9. Meyer H (1987) Unterrichtsmethoden, II. Praxisband. Cornelsen Verlag, Königstein 10. Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 11. Reich K (2008) Methodenpool. http://methodenpool.uni-koeln.de/download/stationenlernen. pdf. Zugegriffen: 10. Apr. 2018 12. Schmidt-Wulffen WD (2003) Erlebnisorientierter Geographieunterricht. Ein fachdidaktischer Beitrag zu verantwortlichem Handeln. Zeitschrift für Geographiedidaktik 31(3):181 13. Sitte W (2004) Operativer GW-Unterricht. In: Sitte W, Wohlschlägl H (Hrsg) Beiträge zur Didaktik des „Geographie- und Wirtschaftskunde“-Unterrichts, 4. Aufl. Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien, Wien 14. Spitzer M (2007) Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Springer Verlag, Berlin 15. Wenninger G (2000) Lexikon der Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 16. Widmann B, Jungkunz D (2008) Neurowissenschaften und Schulpädagogik. Eine Erörterung am Beispiel des Handlungsorientierten Unterrichts. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 104(3):407–430 17. Woolfolk A (2014) Pädagogische Psychologie, 12. Aufl. Pearson Studium, München

4

Bedeutung von Lehr-/Lernzielen Lehr-/Lernziele als Grundlage für handlungsorientierte Lehr-/Lernarrangements Sabrina Romina Sorko

Zusammenfassung

In den vorangegangenen Kapiteln wurde der Begriff der Lehr-/ bzw. Lernziele und ihre Bedeutung für kompetenzorientierte, handlungsorientierte Lehre besprochen. Dieses Kapitel geht näher auf den angesprochenen Nutzen von Lehr-/Lernzielen ein und gibt einen Überblick darüber, wie diese wirksam formuliert werden können. Zudem wird aufgezeigt, welche Rolle bzw. Wirkung Lehr-/Lernziele in der Aus-, Fort- und Weiterbildung einnehmen und welche Herausforderungen damit in Verbindung stehen.

4.1

Planung des technischen Unterrichts

Die technische Didaktik basiert auf dem Konzept der Handlungsorientierung und ist darauf ausgelegt, den technischen Fachinhalt derart zu vermitteln, dass die Lernenden einen praxisrelevanten Outcome erzielen können. Um dies zu erreichen, sind in der Planung eines ingenieurswissenschaftlichen Unterrichts verschiedene Perspektiven zu beleuchten. Insgesamt werden drei Planungsperspektiven unterschieden, welche untereinander in Interdependenz stehen. Abb. 4.1 zeigt, dass die Definition von Lehr-/Lernzielen die Basis der Vorbereitung bildet. Darauf aufbauend sollte im nächsten Schritt der Inhalt des Unterrichts abgegrenzt werden. Zuletzt wird das Arrangement des Lehr-/Lernsettings gestaltet, indem geeignete Methoden, Medien und Sozialformen gewählt werden [3]. Diese Vorgehensweise lässt sich auch für die technische Lehre übernehmen: Eine maßgebliche Anforderung handlungsorientierter Lehr-/Lernsettings ist die Zielgerichtetheit des Tuns

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_4

39

40

S. R. Sorko

Abb. 4.1  Perspektiven der Unterrichtsplanung basierend auf dem Weingartener Modell

der Lernenden, welche bereits in der Planungsphase der Lehrveranstaltung mitgedacht werden muss [3, 8]. So sollte sich die Lehrperson zu Beginn der Vorbereitung die Frage stellen, welche Kompetenzen die Lernenden erwerben sollen und daraus abgeleitet was die Grob- bzw. die Feinziele des Unterrichts sind. Dabei gilt es dem Anspruch des Mehrspektitivischen technischen Unterrichts sowie den aktuellen Bildungsstandards, insbesondere der Outcome-Orientierung und der Kompetenzorientierung, gerecht zu werden.

4.2

Gestaltung zielorientierten Unterrichts

Ziele dienen der Lehrperson selbst, aber auch den Lernenden als Orientierung im Unterricht. Wird davon abgesehen, Lehr-/Lernziele zu formulieren, besteht die Gefahr, dass der geforderte Outcome nicht erreicht werden kann. Eine systematische Vorgehensweise bei der Zielbestimmung ist dahingehend zu empfehlen.

4.2.1 Leitprinzipien für die Formulierung ingenieurswissenschaftlicher Lehr-/Lernziele In der Praxis orientiert sich die Auswahl der Ziele an unterschiedlichen Leitprinzipien, die je nach Wissenschaftsdisziplin mehr oder weniger relevant sind. Für den technisch didaktischen Bereich können, unter Berücksichtigung des mehrperspektivischen Ansatzes und

4  Bedeutung von Lehr-/Lernzielen41

der Anforderungen an zukünftige Mitarbeiter durch die Digitalisierung, folgende maßgebliche Prinzipien formuliert werden: • Wissenschaftsprinzip, • Situationsprinzip, • Persönlichkeitsprinzip. Wissenschaftsprinzip Das Wissenschaftsprinzip unterstreicht die Bedeutung des Stands der Fachdisziplin. So sind Ziele stets an wissenschaftlich aktuellen und relevanten Inhalten auszurichten [4]. Demnach sind diese auch laufend auf ihre Aktualität bzw. Gültigkeit hin zu überprüfen. Für die Ingenieurswissenschaften kommt diesem Prinzip aufgrund der raschen technologischen Entwicklungen aktuell sehr große Relevanz zu. Die zunehmende Digitalisierung bringt laufend neue Technologien hervor, die Eingang in die Aus-, Fort- und Weiterbildungspläne der Bildungsträger finden müssen, um die Lernenden auf die industrielle Praxis adäquat vorbereiten zu können. Situationsprinzip Das Situationsprinzip richtet den Fokus auf die praktische Relevanz der Ziele für die jeweilige Lerngruppe. Dahingehend sind die Anforderungen des jeweiligen Berufsfeldes, der Branche sowie der Zielgruppe der Aus-, Fort- und Weiterbildung mit einzubeziehen [4]. In diesem Zusammenhang ist von der Berücksichtigung der individuellen Relevanz zu sprechen. Demnach wird die Zielsetzung beispielsweise für Metallurgen eine andere sein als für Maschinenbauer; für Absolventen rein technischer Bildungseinrichtungen eine andere als für Absolventen des Wirtschaftsingenieurswesens. Persönlichkeitsprinzip Das Persönlichkeitsprinzip richtet sich konkret an die sogenannten soft skills der Lernenden. Es gilt festzulegen, über welche sozialen und persönlichen Kompetenzen die Absolventen verfügen sollten. Die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit steht im Vordergrund [4]. Dabei ist für die Ingenieurswissenschaften insbesondere auf die Anforderungen der Digitalisierung im Bereich Entscheidungsfähigkeit, vernetztes Denken oder Kommunikationsfähigkeit Rücksicht zu nehmen.

4.2.2 Inhaltliche Ausgestaltung Neben den bisher genannten Leitprinzipien stellt die technische Didaktik auch Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung von Lehr-/Lernzielen. Diese sind vor allem vor dem Hintergrund der Rahmenbedingungen nachhaltig erfolgreicher technischer Lehre relevant. Die zentrale Anforderung besteht darin, dass die Ziele auch tatsächlich alle relevanten Kompetenzbereiche abdecken. Nur dadurch wird gewährleistet, dass die

42

S. R. Sorko

Absolventen über jene Schlüsselkompetenzen verfügen, die in der Industrie im Zeitalter der Digitalisierung verlangt werden. Dies bedeutet, dass der technische Unterricht sich nicht rein auf Fach- und Methodenkompetenzen beschränken darf, sondern auch soziale und persönliche Kompetenzen der Lernenden trainieren muss. Dies wird vor allem durch einen vielseitigen Methodeneinsatz und die Arbeit mit variierenden Sozialformen erreicht [5].

4.2.3 Detaillierungsgrad Darüber hinaus werden Ziele nach ihrem Detaillierungsgrad in Richt-, Grob- und Feinziele unterschieden. Als Richtziele werden Rahmenvorgaben für die gesamte Aus-, Fortoder Weiterbildungsmaßnahme verstanden. Diese werden beispielsweise in Lehr- oder Ausbildungsplänen festgelegt. Grobziele gehen eine Ebene tiefer und formulieren Zielsetzungen, die für ein Fach, einen Gegenstand bzw. eine Lehrveranstaltung gelten. Diese werden durch Feinziele konkretisiert. Dabei orientieren sich diese an einzelnen Lehreinheiten und sind eindeutig interpretierbar [3, 4]. Bei der Festlegung der Feinziele ist darauf zu achten, dass diese auch entsprechend der Vorgaben der Kompetenzorientierung formuliert sind. Demnach müssen die Ziele konkret darüber informieren, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten von den Lernenden auf welchem Niveau bei Abschluss des Unterrichts beherrscht werden sollen [3]. Für dieses Buch sind vor allem Grob- und Feinziele relevant, da diese von der Lehrperson selbst zu definieren sind.

4.3

Harmonisierung von Lehr-/Lernzielen

Bislang wurde immer von Lehr-/Lernzielen gesprochen. Damit wurden zwei Sichtweisen auf den (technischen) Unterricht beleuchtet. Lehrziele beschreiben die von der Lehrperson vorab definierten Ziele des Lehr-/Lern-Settings. Diese sind, unter der Prämisse der Anwendbarkeit der Inhalte in der Praxis, entsprechend den didaktischen Anforderungen auf Inhalt und Arrangement abzustimmen. Demgegenüber beschreiben Lernziele die bewussten und unbewussten Erwartungen der Lernenden. Dabei sind diese mit dem individuellen Nutzenempfinden der einzelnen Lernenden verbunden [5]. Diese Dualität führt dazu, dass es zu Zielkonflikten im Unterricht kommen kann, welche sich negativ auf den Unterrichtsverlauf und auf den angestrebten Kompetenzerwerb auswirken können. Werden die unterschiedlichen Erwartungshaltungen nicht aufeinander abgestimmt, kann dies Folgen für das Verhalten der Lernenden und damit auch der Lehrenden haben. Je nach Persönlichkeitsstruktur zeigt sich dies aufseiten der Lernenden beispielsweise durch Rückzug, Verweigerung oder Störung des Lehr-/Lernsettings. Ein Beispiel soll diese Situation verdeutlichen.

4  Bedeutung von Lehr-/Lernzielen43 Beispiel

Ausgangssituation ist die Lehrveranstaltung Werkstoffkunde, die eine Einführung in unterschiedliche Werkstoffe der Industrie geben soll. Das Grobziel besteht darin, die Werkstoffe Metall, Kunststoff und Holz vergleichen und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüfen sowie bewerten zu können. Daraus leitet sich unter anderem folgendes Feinziel ab: „Die Lernenden können die in der Industrie gängigsten Holzarten anhand von Proben erkennen und die Eignung für vorgegebene Sachverhalte prüfen.“ Um dieses Lehrziel zu erreichen, hat die Lehrperson ergänzend zum Lehrbuch unterschiedliche Holzproben und aktuelle Fachartikel, die besonders die Einsetzbarkeit des Materials in der Industrie thematisieren, vorbereitet. Unter den Lernenden gibt es eine Person, die bereits in der Stahlindustrie tätig ist. Ihre Erwartung zu Beginn der Lehrveranstaltung war es, durch die Berufserfahrung schon sehr viel Kompetenz in diesem Bereich aufgebaut zu haben und entsprechend weniger Ressourcen in den Unterricht investieren zu müssen. Diese Erwartungshaltung steht jedoch im Widerspruch zu den Lehrzielen, da das detaillierte Befassen mit anderen Werkstoffen die Person unerwünscht stark fordert. Dies führt zur Unzufriedenheit der Person, weshalb diese den Unterricht durch unpassende Aussagen und Handlungen stört. Eine weitere Person möchte in Zukunft als Chemiker in der Kunststoffindustrie tätig sein. Dazu hat die Person eine hohe intrinsische Motivation und zeigt großes Interesse an den vermittelten Inhalten. Da der Fokus des Interesses jedoch auf dem Werkstoff Kunststoff liegt, stellt die Person auch bei der Vermittlung anderer Werkstoffe häufig Fragen in Bezug auf Kunststoff. Auch dieses Verhalten kann dazu führen, dass der von der Lehrperson angestrebte Kompetenzerwerb nicht erreicht werden kann. Zu den Aufgaben der Lehrperson zählt es unter anderem, sich solche Zielkonflikte vor Augen zu führen und diese bereits vor dem Eskalieren aufzulösen. Gelingt dies nicht, so wirkt sich das auf das Unterrichtsklima und die Zufriedenheit aller Personen aus. Es muss daher eine Stimmigkeit zwischen Zielen, Inhalten und Gestaltung des Lehr-/Lernarrangements erreicht werden [2]. Dazu ist es notwendig, die Gruppe der Lernenden zu kennen und sowohl die Lehr- als auch die Lernziele transparent zu machen, diese aufeinander abzustimmen und gegebenenfalls anzupassen. Klare, offene Kommunikation ist dazu unerlässlich.

4.3.1 Lehrziele richtig kommunizieren Im Präsenzunterricht, sei es analog oder virtuell, treffen die Erwartungen und Zielsetzungen der Lehrperson und der Teilnehmer aufeinander. Dies geschieht sowohl bewusst als auch unbewusst – vor allem aufseiten der Lernenden. Bevor mit der inhaltlichen Auseinandersetzung begonnen wird, ist es daher wichtig, die potenziellen Zielkonflikte

44

S. R. Sorko

anzusprechen und aufzulösen. Der erste Schritt dahingehend ist eine offene Kommunikation der Lehrziele. Dabei ist es nicht ausreichend, die Lehrziele den Lernenden zu vermitteln, vielmehr bedarf es der Darlegung der Legitimation der Lehrziele [3, 4]. Legitim sind Lehrziele dann, wenn sie den in Abschn. 4.2 genannten Gestaltungsvorgaben entsprechen. Werden Lehrziele kommuniziert, so sollte sich die Lehrperson stets der Grundlagen der zwischenmenschlichen Kommunikationsmechanismen bewusst sein. Besonders das Sender-Empfänger-Modell nach Shannon (1948) [7] und damit verknüpft das Vier-SeitenModell nach Schulz von Thun (1981) [6] spielen dahingehend eine Rolle. Sender-Empfänger-Modell Shannon bricht die zwischenmenschliche Kommunikation auf einen Basisprozess, vom Sender zum Empfänger der Nachricht, herunter. Jegliche soziale Interaktion, verbal oder non-verbal, folgt diesem grundlegenden Prozess. Wird eine Nachricht gesendet, so geschieht dies aus bestimmten Gedanken, Gefühlen und Intentionen, der sogenannten Informationsquelle. Auf ihrer Basis bildet sich die für den Empfänger sichtbare verbale oder non-verbale Kommunikation; es wird ein codiertes Signal verschickt. Der Empfänger der Nachricht muss sodann das erhaltene Signal decodieren. Dies erfolgt wiederum durch Anwendung eigener Erfahrungen, Gedanken und Gefühle. Zu beachten ist, dass dieser Prozess zumeist Störungen unterliegt, die ein fehlerfreies Decodieren erschweren. Ein systematischer Feedbackprozess kann helfen, solche Verständigungsfehler aufzulösen [7]. Der gesamte Prozess ist also von bewussten und unbewussten Nachrichten, Gedanken und Gefühlen der Interaktionspartner geprägt. In welche Richtung der Decodierungsprozess gelenkt wird bzw. welche Botschaft vom Empfänger verstanden wird, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, die Schulz von Thun in seinem Vier-Seiten-Modell beschreibt [6]. Vier-Seiten-Modell Eine kommunizierte Nachricht enthält unterschiedliche Botschaften und kann demnach divergierend verstanden werden. Welche Botschaft konkret vom Empfänger gehört wird, hängt von Faktoren wie der jeweiligen zwischenmenschlichen Beziehung, Vorerfahrungen oder vom aktuellen Wissensstand ab. Schulz von Thun unterteilt die Botschaften in vier Kategorien [6]: • • • •

Sachinhalt, Selbstoffenbarung, Beziehungshinweis, Appell.

Der Sachinhalt beschreibt die wertfreie Information der Nachricht, die sogenannten Fakten. Eine Botschaft sagt auch immer etwas über den Sender als Person aus, welche Eigenschaften oder Fähigkeiten und Fertigkeiten sie hat. Der Beziehungshinweis gibt Aufschluss darüber, in welcher sozialen Beziehung Sender und Empfänger stehen. Dies

4  Bedeutung von Lehr-/Lernzielen45

könnte freundschaftlich, konkurrierend, wertschätzend, geringschätzend oder Ähnliches sein. Die vierte Dimension beschreibt eine konkrete Aufforderung, die hinter der Nachricht steht bzw. mit der Botschaft ausgelöst werden könnte [6]. Diese Grundlagen des Kommunikationsprozesses spielen auch für den Ablauf von Lehr-/Lernsettings eine wesentliche Rolle. Welche Botschaft von den Lernenden gehört wird, hängt von der individuell ausgestalteten Beziehung zwischen Lehrperson und Lernendem ab. So könnte bei der Kommunikation der Lehrziele ein Teilnehmer das ausgesprochene Ziel als Lernaufforderung sehen, eine andere Person könnte es als positiv empfinden, diese Information zu bekommen, eine dritte Person könnte das Lehrziel als Mittel zur Selbstverwirklichung der Lehrperson betrachten. Ist die Lehrperson sich dieser Mechanismen bewusst, so wird sie die Reaktionen der Gruppe bewusster wahrnehmen und kann gegebenenfalls durch Feedback einer divergierenden Auffassung entgegenwirken.

4.3.2 Lernziele richtig abholen Wurden die Lehrziele entsprechend transparent kommuniziert, so gilt es auch, die Lernziele der Teilnehmer abzuholen. Dabei ist auf die Zusammensetzung der Gruppe und auf die Motive der einzelnen Lernenden individuell zu achten. Ein gesteigertes Wissen über die Gruppe, über das herrschende Sozialgefüge, wichtige Ereignisse innerhalb der Gruppe oder Ähnliches, führt zum Aufbau einer positiven Beziehungsebene, die sich wiederum positiv auf die Kommunikationsmechanismen auswirkt. „Relevantes Wissen“ über die Gruppe betrifft vorrangig unterrichtsrelevante Informationen wie vorhandenes Vorwissen bzw. aktuellen Wissensstand, Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit. Aber auch soziale Informationen über die Gruppe können helfen, ein produktives Unterrichtsklima zu erzeugen [1]. Ein positives Unterrichtsklima stellt eine auf Wertschätzung basierende Vertrauensbasis aller Akteure im Lehr-/Lernarrangement dar. Der Erwerb solcher Informationen ist oftmals eine Herausforderung für die Lehrperson. Voraussetzung dazu ist der Aufbau einer Vertrauensbasis zwischen Lehrenden und Lernenden, welcher in der Regel längere Zeit in Anspruch nimmt. Diese steht Lehrpersonen aber häufig nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung. Des Weiteren hängt es von der Gruppengröße ab, ob vor allem soziale Informationen erhoben werden können. Je größer die Gruppe, desto größer ist auch der Anonymitätsgrad der Lernenden innerhalb der Gruppe. Damit verbunden zeigt sich zumeist ein niedriges Zugehörigkeitsgefühl der Lernenden zur Gemeinschaft, was die Informationsgewinnung auch für die Lehrperson erschwert. Dennoch gibt es für Lehrpersonen Möglichkeiten, Informationen über eine Gruppe/einen Jahrgang einzuholen. So gibt es einerseits offensichtliche Rahmenbedingungen, wie die Uhrzeit des Lehr-/Lernsettings und ein damit anzunehmendes Verhalten (z. B. Müdigkeit in der Früh oder am Abend oder Vorfreude auf ein verlängertes Wochenende), die die Lehrperson aufgreifen kann. Andererseits sind auch individuelle Informationen wie beispielsweise das Wissen über Prüfungen im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der Lehrveranstaltung hilfreich, um eine soziale Beziehung zu den Lernenden aufbauen zu können.

46

S. R. Sorko

In Hinblick auf die Lernziele spielt dies eine wichtige Rolle: Haben die Lernenden das Gefühl, in ihrer Meinung wertgeschätzt zu werden, so wird die Bereitschaft, die eigenen Ziele (soweit sie bekannt sind) zu offenbaren, größer sein. Dabei ist aber zu empfehlen, dass zu Beginn des Unterrichts die Lehrziele mit den Lernzielen abgestimmt werden; dies bedeutet, dass eine Adaption der Lehrziele gegebenenfalls vorzunehmen ist.

Literatur 1. Dubs R (2009) Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2. Jank W, Meyer H (2014) Didaktische Modelle, 11. Aufl. Cornelsen Verlag, Berlin 3. Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 4. Reetz L (1984) Wirtschaftsdidaktik – Eine Einführung in Theorie und Praxis wirtschaftsberuflicher Curriculumentwicklung und Unterrichtsgestaltung. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 5. Riebenbauer E, Sorko SR (2013) Lehren und Lernen gestalten. In: Stock M, Slepcevic-Zach P, Tafner G (Hrsg) Wirtschaftspädagogik. Ein Lehrbuch. Uni-Press Graz, Graz, S 257–360 6. Schulz von Thun F (2001) Miteinander Reden 1, 34. Aufl. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 7. Shannon CE (1948) A mathematical theory of communication. Bell Syst Tech J 27(3):379–423 8. Slepcevic-Zach P, Tafner G, Klausner E (2013) Lernen verstehen: Lerntheoretische Grundlagen. In: Stock M, Slepcevic-Zach P, Tafner G (Hrsg) Wirtschaftspädagogik. Ein Lehrbuch. Uni-Press Graz, Graz, S 201–256

Teil II Technischer Lehr- und Übungskatalog

5

Index zum Übungskatalog Übersicht über die behandelten Themen, das angestrebte Kompetenzniveau und dazu verwendete Methoden Sabrina Romina Sorko und Wolfram Irsa

Zusammenfassung

Dieses Kapitel dient als Einstieg in den Lehr- und Übungskatalog und gibt eine Übersicht über den Umfang der vermittelten Fachinhalte und die dazu vorgeschlagenen Übungen. Ebenso finden sich in diesem Kapitel didaktische Hinweise zum Umgang mit dem Lehr- und Übungskatalog.

5.1

Fachlicher Umfang

Dieses Lehr- und Übungsbuch spannt einen Bogen von Werkstoffeigenschaften zur lichtmikroskopischen Gefügeanalyse, weiter zur Längenprüftechnik und zur Festkörperreibung. Diese Grundlagen werden verwendet, um Wälzlager den technikaffinen Studierenden näherzubringen und schließlich das erarbeitete Wissen mit einem Stirnradgetriebe anzuwenden. Eine Sonderstellung nimmt Kap.  8 über den 3-D-Druck ein. Hier wurde bewusst eine „hype“ Technologie gewählt, um den Lernenden die Vorzüge von Industrie 4.0 praxiskonform zu erläutern. Das Kapitel soll auch eine der wichtigsten neuen Möglichkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringt, aufzeigen. Die physikalischen Voraussetzungen dazu schließen den Kreis, den das Kapitel über die Werkstoffeigenschaften eröffnet hat.

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] W. Irsa Hitzendorf, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_5

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50

5.2

S. R. Sorko und W. Irsa

Didaktische Hinweise

Dieses Lehr- und Übungsbuch richtet sich primär an Lehrende ingenieurswissenschaftlicher Grundlagenfächer mit dem Ziel ihnen Anregungen zu geben, wie sie den Unterricht handlungsorientierter gestalten können. Die Kapitel des zweiten Teils dieses Lehr- und Übungsbuchs gliedern sich in den Fachinhalt und die darauf aufbauenden Methodenbeschreibungen inklusive Übungsbeispielen. Der Fachinhalt ist entsprechend den in Abschn.  5.1 beschriebenen Prämissen formuliert. Anschließend an den fachlichen Teil beinhaltet jedes Kapitel eine Übersicht über einen darauf aufbauenden möglichen Kompetenzerwerb der Lernenden. Dabei wurde der Fachinhalt in mögliche unterschiedliche Handlungsfelder unterteilt und entsprechend dem zu erreichenden Aktivitätsgrad in ansteigende Niveaustufen (N) untergliedert. Niveaustufe 1 (Nennen) beschreibt eine eher passive Rolle der Lernenden und umfasst hauptsächlich den Aufbau eines grundlegenden Verständnisses in den unterschiedlichen Fachbereichen. Die dadurch erworbene Fachkompetenz bietet die zwingende Basis für den Kompetenzerwerb auf einer höheren Stufe. Niveaustufe 2 (Anwenden) trainiert die Lernenden zum eigenständigen Handeln. Das aktive Tun (Berechnen, Zeichnen, Montieren etc.) steht dabei im Vordergrund. Die höchste Aktivitätsstufe, Niveau 3 (Bewerten), verlangt von den Lernenden die Fähigkeit vernetzt zu denken, kritisch zu reflektieren und verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen. Der daran anschließende Übungsteil beinhaltet zunächst jeweils eine kurze Einführung in die zum formulierten Kompetenzerwerb vorgeschlagene Methode. Dadurch werden Ziel und mögliche weitere Einsatzbereiche deutlich. Für diese Methoden wurden dann fachspezifische Beispiele erarbeitet. Zur besseren Orientierung beinhaltet jedes Methodenkapitel auch eine Fact-Box in Form einer Tabelle, die wichtige Metainformationen wie geeignete Gruppengröße, vorgeschlagene Zeit, Anforderungen an den Raum oder benötigtes Material beinhaltet. Darüber hinaus ist ersichtlich, zu welchem Zweck die Methode geeignet ist. Den Abschluss der Tabelle bilden didaktische Hinweise, welche sich aus der Praxis der Autoren als nützlich erwiesen haben. Bei der Auswahl und Beschreibung der Methoden haben die Autoren versucht, die Bedürfnisse kleiner wie auch großer Lerngruppen, die es vor allem an Technischen Universitäten häufig gibt, zu berücksichtigen. Es finden sich dahingehend auch punktuell Empfehlungen zu Adaptionen. Vernetzung und Bezug zur Digitalisierung Im Sinne der neuen Anforderungen aufgrund der steigenden Digitalisierung (Kap. 2) liegt ein Schwerpunkt der Übungen auf dem gezielten Erwerb digitaler Kompetenzen. Besonders der Umgang mit großen Datenmengen und die Fähigkeit, vernetzt zu denken und verantwortungsvoll Entscheidungen zu treffen, werden immer wieder adressiert. Darüber hinaus wurde auch der wachsenden Bedeutung sozialer und persönlicher Kompetenzen bei der Ausgestaltung der einzelnen Beispiele Rechnung getragen.

5  Index zum Übungskatalog51

Zwar ist die Entwicklung und Förderung solcher Kompetenzen nicht die Kernaufgabe ingenieurswissenschaftlicher Ausbildungen. Aus Sicht der Autoren sind diese jedoch zwingend notwendig, um in der Praxis langfristig persönlich erfolgreich sein zu können.

5.3

Verwendete Methoden

Bei der Erstellung des technischen Lehr- und Übungskataloges haben die Autoren versucht, ein möglichst breites Methodenspektrum aufzuzeigen. Die vorgestellten Übungen stellen dabei nur eine Möglichkeit dar, die jeweiligen Fachinhalte handlungsorientiert zu vermitteln und die entsprechenden (digitalen) Kompetenzen zu trainieren. Ebenso können die genannten Methoden innerhalb des beschriebenen Kompetenzerwerbs auf andere Fachbereiche übertragen werden. Die nachstehende Tab.  5.1 umfasst alle verwendeten Methoden in alphabetischer Reihenfolge unter Angabe des zu erreichenden Kompetenzniveaus. Um die Methoden schnell auffinden zu können, sind außerdem der Name des jeweiligen Kapitels mit Kapitelnummer angegeben. Tab. 5.1  Übersicht verwendeter Methoden Methode

Niveau

Kapitel

Aufgabenorientiertes Lernen

N1, N2, N3

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

Assoziationsschnecke

N1

Kap. 11 Wälzlager

Bilderquiz

N1, N2

Kap. 12 Stirnradgetriebe

Brainstorming

N1

Kap. 8 3-D-Druck Kap. 11 Wälzlager

Case-Incident-Methode

N1, N2, N3

Kap. 9 Festkörperreibung

Case-Study

N1, N2, N3

Kap. 10 Längenprüftechnik Kap. 13 MPS Workstation

Concept Map

N1, N2

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften Kap. 13 MPS Workstation

COOL-Auftrag

N2, N3

Kap. 12 Stirnradgetriebe

Experiment

N2, N3

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften Kap. 13 MPS Workstation

Gruppengelenkte Einzelarbeit

N2, N3

Kap. 12 Stirnradgetriebe

Gruppenpuzzle

N1, N2, N3

Kap. 8 3-D-Druck

Ideensalat

N3

Kap. 12 Stirnradgetriebe

Kleingruppen-Lerngespräch

N1, N2

Kap. 13 MPS Workstation

Kritischer Kollege

N1, N2, N3

Kap. 12 Stirnradgetriebe

52

S. R. Sorko und W. Irsa

Tab. 5.1  (Fortsetzung) Methode

Niveau

Kapitel

Kugellager

N1

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

Leittextmethode

N3

Kap. 9 Festkörperreibung

Lernkartei

N1

Kap. 10 Längenprüftechnik

Lernstraße

N1, N2, N3

Kap. 9 Festkörperreibung

Lernzirkel (siehe Stationenlernen)

N1, N2

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

M66

N3

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

Masterchart

N1, N2

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Mindmap

N1

Kap. 12 Stirnradgetriebe Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Museumsmethode

N1, N2, N3

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Netzwerke

N1

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

Planarbeit

N2, N3

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Praktisches Begreifen

N1

Kap. 11 Wälzlager

Problemfallmethode

N2, N3

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Räsonieren

N1, N2

Kap. 9 Festkörperreibung

Rätsel

N1, N2

Kap. 9 Festkörperreibung

Realbegegnung

N2

Kap. 10 Längenprüftechnik

Rechenaufgabe

N2

Kap. 11 Wälzlager

Reflexive Fertigungsaufgabe

N2, N3

Kap. 12 Stirnradgetriebe

Risiko

N1, N2, N3

Kap. 6 Werkstoffeigenschaften

Rollenspiel

N3

Kap. 10 Längenprüftechnik

Rundgang

N2, N3

Kap. 13 MPS Workstation

Schummelzettel (Spickzettel)

N2

Kap. 13 MPS Workstation

Skizzieren

N2

Kap. 11 Wälzlager

Stationenlernen (siehe Lernzirkel)

N1, N2, N3

Kap. 10 Längenprüftechnik

Struktur-Lege-Technik

N1, N2

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

World Café

N2, N3

Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse

WWW-Methode

N1

Kap. 13 MPS Workstation

Werkstoffeigenschaften Technische und wirtschaftliche Beurteilung von Werkstoffen Wolfgang Waldhauser und Eva Maria Neubauer

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält grundlegende Fachinhalte aus der Werkstoffkunde, wobei die technische und auch wirtschaftliche Bedeutung behandelt wird. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Einteilung der Werkstoffe und auf die Werkstoffeigenschaften gelegt. Als Vorbereitung auf den methodischen Teil werden auch grundlegende Inhalte zur Werkstoffauswahl und Werkstoffprüfung behandelt. Bei Verfügbarkeit eines gut ausgestatteten Prüflabors (z. B. Zugprüfmaschine, Härteprüfeinrichtungen etc.) wäre eine Vertiefung des technischen Stoffgebiets durch praktische Übungen sinnvoll. Im vorliegenden Kapitel werden Methoden und Übungen vorgestellt, die ohne kostenintensives Equipment durchgeführt werden können und zu einer Vertiefung des Verständnisses über Werkstoffe und deren Eigenschaften beitragen.

6.1

Grundlagen der Werkstoffkunde

Werkstoffe sind Stoffe, die sich bei Raumtemperatur im festen Aggregatzustand befinden und aus denen Werkzeuge, Bauteile und Konstruktionen hergestellt werden können. Die Bedeutung der Werkstoffe ist daran erkennbar, dass verschiedene Zeitalter der Menschheit nach den genutzten Werkstoffen bezeichnet wurden (z.  B. Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit). Aufgrund der Vielfalt der heute eingesetzten Werkstoffe kann unser jetziges

W. Waldhauser (*) Weißkirchen, Österreich e-mail: [email protected] E. M. Neubauer Graz, Österreich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_6

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6

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W. Waldhauser und E. M. Neubauer

Zeitalter nicht mehr einem einzigen Werkstoff zugeordnet werden. Mögliche Begriffe wären Silizium- und Halbleiterzeitalter oder auch Kunststoffzeit. Berücksichtigt man, dass in Bezug auf die Produktionsmengen unter den Konstruktionswerkstoffen der Werkstoff Stahl dominiert, würden wir uns noch immer in der Eisenzeit befinden. Der Umgang der Menschheit mit den Werkstoffen ist im Laufe der Geschichte sehr unterschiedlich gewesen und verändert sich kontinuierlich weiter. Am Anfang wurden natürliche Materialien wie Holz, Steine und formbare Erdsubstanzen (z. B. Ton) verwendet, und der Mensch hat die Bauteile und Konstruktionen an die Werkstoffeigenschaften angepasst. Die verwendeten Werkstoffe waren sehr rohstoffnah, und Fertigungsverfahren spielten eine untergeordnete Rolle. Danach wurde begonnen, die Materialeigenschaften zu optimieren, und es wurden Herstellverfahren entwickelt, um aus unterschiedlichen Rohstoffen, Werkstoffe wie Metalle, Keramiken oder Polymere zu gewinnen [5]. Gleichzeitig wurden und werden auch heute noch neue Fertigungsverfahren oder Technologien entwickelt, um aus den Werkstoffen durch Be- und Verarbeitung Produkte herstellen zu können. Der 3-D-Druck für Metalle stellt z. B. ein sehr neues Verfahren dar und wird der sogenannten additiven Fertigung zugeordnet. Heute verwenden wir bereits sogenannte maßgeschneiderte Werkstoffe (tailored materials). Dabei wird zuerst ein Nutzungs- und Anforderungsprofil vom geplanten Produkt erstellt. Danach wird ein optimal passender Werkstoff theoretisch entwickelt, und die stoffliche Umsetzung des Konzepts erfolgt innerhalb der herkömmlichen Werkstoffklassen oder als Verbundwerkstoff. Zukünftig werden wir intelligente oder adaptive Werkstoffe (smart materials) einsetzen, die in der Lage sind, während des Einsatzes auf Änderungen der Umgebungsbedingungen selbstständig zu reagieren und ihre Eigenschaften anzupassen. Dabei müssen in solchen Systemen neben dem Trägermaterial, das die strukturellen und mechanischen Eigenschaften gewährleistet, weitere funktionale Elemente integriert werden. Ein sehr aktuelles und interessantes Forschungsgebiet stellen dabei die sogenannten selbstheilenden Werkstoffe dar. Dabei werden Werkstoffschädigungen entsprechend den Vorbildern aus der Natur vom Werkstoff selbst „repariert“. Nach Arnold [1] sollten für einen zukunftsweisenden Einsatz von Werkstoffen grundsätzlich vier Leitsätze beachtet werden, die in Abb. 6.1 dargestellt sind. Zu den Disziplinen (Fachgebieten), die sich mit den Werkstoffen beschäftigen, zählen die Material- und Werkstoffwissenschaften sowie die Werkstoffkunde und Werkstofftechnik, die alle eng miteinander verknüpft sind. Ein wesentliches Merkmal der Material- und Werkstoffwissenschaft ist die Berücksichtigung des strukturellen Aufbaus der Werkstoffe und der davon abhängigen mechanischen, physikalischen und chemischen Eigenschaften, wobei die Herangehensweise stärker naturwissenschaftlich geprägt ist. Werkstoffkunde und Werkstofftechnik beschäftigen sich mit der ingenieurwissenschaftlich orientierten Werkstoffentwicklung sowie mit den entsprechenden Verarbeitungsverfahren und dem Betriebsverhalten von Bauteilen im Einsatz. Für die Werkstoffwissenschaft sind hier insbesondere die Verknüpfungen mit Chemie und Physik zu nennen, während für die Werkstofftechnik die Gebiete Mechanik, Konstruktionslehre, Produktionstechnik und Verfahrenstechnik relevant sind [5].

6 Werkstoffeigenschaften55 Abb. 6.1  Leitbild des nachhaltigen und zukunftsorientierten Umgangs mit Werkstoffen

Während im englischsprachigen Raum für Werkstoffe nur der Begriff materials existiert, wird bei genauer Betrachtung in der deutschen Sprache zwischen „Material“ und „Werkstoff“ unterschieden. Unter Material wird nach [11] jedes zur Ausübung einer Tätigkeit oder zur Herstellung von Erzeugnissen nötige Sachgut verstanden. Ein Werkstoff ist der Stoff, aus dem durch Bearbeitungs- und Verarbeitungsprozesse Halbfertig- oder Fertigfabrikate hergestellt werden. Die Werkstoffe stellen damit eine Untergruppe der Materialien dar. Materialien beinhalten nach dieser Definition auch Hilfsstoffe wie z. B. Schmierstoffe oder Kühlmittel [5].

6.1.1 Einteilung und strukturelle Betrachtung der Werkstoffe Der Industrie und den Konstrukteuren stehen heute etwa 100.000 unterschiedliche Werkstoffe zur Verfügung, die nach verschiedenen Kriterien eingeteilt werden. Die wichtigste und üblichste Einteilung der Werkstoffe erfolgt nach ihrer Art und unter Berücksichtigung ihrer strukturellen Merkmale. Entsprechend ihrem chemischen Grundcharakter teilen wir die Werkstoffe dabei zuerst in drei große Gruppen ein: metallische, nichtmetallisch-organische und nichtmetallisch-anorganische Werkstoffe (Abb. 6.2) [1, 5, 16]. Metalle zählen zu den wichtigsten Werkstoffen in der Technik. Aufgrund ihrer metallischen Bindung zeichnen sie sich vor allem durch elektrische Leitfähigkeit und auch durch hohe Wärmeleitfähigkeiten aus. Wichtige Beispiele sind Stähle und Aluminiumwerkstoffe. Die Kunststoffe stellen nichtmetallische organische Werkstoffe dar, die den elektrischen Strom sehr schlecht leiten und sich im Gegensatz zu Metallen durch geringe Dichten, meist kleiner als 2 g/cm3 auszeichnen. Beispiele sind Polyethylen (PE), Polyamid

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Abb. 6.2  Einteilung der Werkstoffe nach ihrer Art in vier Hauptgruppen

(PA), Polyvinylchlorid (PVC). Sie sind auf der Basis von Kohlenstoffverbindungen aus Makromolekülen aufgebaut. Die Keramiken sind nichtmetallische anorganische Werkstoffe, die sich durch hohe Härten und Verschleißfestigkeiten sowie hohe Temperaturbeständigkeiten auszeichnen. Wichtige Hochleistungskeramiken sind Aluminiumoxid, Siliziumkarbid, Siliziumnitrid, Borkarbid. Als chemische Bindungen treten in den Stoffen die Atombindung (Elektronenpaarbindung oder homöopolare Bindung) oder auch die Ionenbindung (heteropolare Bindung) auf. Zur Herstellung von Verbundwerkstoffen werden verschiedenartige Werkstoffe miteinander kombiniert. Zu dieser Gruppe, die stark an Bedeutung gewinnt, zählen Faserverbundwerkstoffe und teilchenverstärkte Kunststoffe oder verstärkte Metalle. Beispiele sind CFK (Kohlefaser-verstärkte Kunststoffe), GFK (Glasfaser-verstärkte Kunststoffe) und MMC (Metal Matrix Composites), wo z. B. Keramikteilchen in Aluminiumlegierungen eingelagert werden. Die deutsche Sprache unterscheidet in dieser Gruppe zwischen Verbundwerkstoffen und Werkstoffverbunden, während im englischsprachigen Raum nur der Begriff composites üblich ist. Verbundwerkstoffe bestehen zwar aus unterschiedlichen Stoffen, bei makroskopischer Betrachtung erscheinen sie jedoch als ein homogener Werkstoff (z. B. CFK). Bei Werkstoffverbunden sind die verschiedenen Werkstoffe bei makroskopischer Betrachtung meist gut unterscheidbar (z. B. beschichtete Werkstoffe, Laminate, Stahlbeton). Zusätzlich finden in der Technik noch Werkstoffe Verwendung, die den vier großen Gruppen (Werkstoffhauptgruppen) nicht eindeutig zugeordnet werden können. Eine Übergangsstellung zwischen Metallen und Keramik nehmen die Halbleiter und die Supraleiter ein. Halbleiter zeichnen sich durch geringe, bei steigender Temperatur zunehmende elektrische Leitfähigkeit aus, die über Dotierungselemente stark variiert werden kann. Die am häufigsten verwendeten Halbleiter (Halbmetalle) sind Silizium und Germanium. Silikone, die als Öle, gummiartige Stoffe oder Kunstharze hergestellt werden, liegen zwischen den Kunststoffen und Keramiken.

6 Werkstoffeigenschaften57

Aus ökologischen Gründen ist auch die Gruppe der natürlichen Werkstoffe von Bedeutung. Dazu zählen unter anderem die nachwachsenden Rohstoffe Holz, Kork und Hanf, biologisch abbaubare Stoffe wie Papier und auch direkt verwendbare anorganische Stoffe, wie z. B. Kies. Zunehmend setzt sich in der Literatur eine sehr einfache Einteilung von Werkstoffen durch, die nur zwei Gruppen vorsieht und vor allem für den Anwender und Konstrukteur hilfreich ist. Nach ihrer Verwendung werden die Werkstoffe in Konstruktions- und Funktionswerkstoffe unterteilt. Konstruktionswerkstoffe (Strukturwerkstoffe) geben einem Bauteil seine geometrische Form und leisten Widerstand gegen Kräfte und andere Beanspruchungen. Damit stehen bei diesen Werkstoffen die mechanischen Eigenschaften (z. B. Festigkeit, Härte) und auch die Korrosionsbeständigkeit im Vordergrund. Die wichtigsten technischen Konstruktionswerkstoffe sind Baustähle. Funktionswerkstoffe übernehmen, meist örtlich begrenzt, spezielle Aufgaben aufgrund ihrer besonderen chemischen, physikalischen, elektrischen oder magnetischen Eigenschaften. Beispiele sind Beschichtungswerkstoffe, viele Keramiken und Halbleiter. An dieser Stelle muss jedoch erwähnt werden, dass diese Einteilung nicht immer eindeutig ist. So ist der Werkstoff Glas, wenn er für optische Linsen oder Glasfaserkabel verwendet wird, den Funktionswerkstoffen zuzuordnen. Eine in der Architektur eingesetzte Verglasung muss mechanischen Belastungen standhalten, und das Glas stellt somit in diesem Fall einen Konstruktionswerkstoff dar, der gegenüber Beton und Stahl den Vorteil der Durchsichtigkeit hat. Jeder Werkstoff hat eine chemische Zusammensetzung und eine Struktur (einen inneren Aufbau). Beides ist entscheidend für die Eigenschaften, das Verhalten und die Einsatzmöglichkeiten des Werkstoffes. Durch die Zusammensetzung hat der Werkstoff einen bestimmten Bindungszustand, der zwischen den vorhandenen Atomen auftritt. In der Disziplin der Chemie geht es dabei um die Information, welche chemischen Elemente in welchen Mengen (Konzentrationen) auftreten. In der Werkstoffkunde und Werkstofftechnik ist eine elementbezogene Information aber nicht immer sinnvoll und hilfreich. Nach Arnold [1] ist deshalb die Angabe der Zusammensetzung bei Werkstoffen unterschiedlich und werkstoffspezifisch. Bei Metallen werden als Zusammensetzung die Anteile der chemischen Elemente angegeben. So gibt z. B. die genormte Stahl-Bezeichnung X5CrNi18-10 an, dass der Stahl folgende Zusammensetzung besitzt: 0,05 Gewichts-% Kohlenstoff, 18  % Chrom, 10  % Nickel, Ergänzung auf 100 % Eisen. Bei keramischen Werkstoffen wird die chemische Verbindung genannt. Der Werkstoff Aluminiumoxid besteht somit aus den Elementen Aluminium und Sauerstoff, die eine chemische Verbindung bilden. Bei Kunststoffen wäre die Angabe der chemischen Elemente keine brauchbare Information. Hier liefert die Angabe des Polymers (Makromoleküls) die wichtigen Informationen, um sich den Aufbau des Werkstoffes vorstellen zu können. Beispiele sind Polyethylen, Polyamid, Polytetrafluorethylen.

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Abb. 6.3  Verschiedene Ebenen der Struktur in Abhängigkeit von der Dimension

Die Struktur der Werkstoffe lässt sich auf verschiedenen Ebenen betrachten, die unterschiedlichen Dimensionen (Maßstäbe) entsprechen. In Abb.  6.3 sind für das Beispiel eines Metalls diese Strukturebenen dargestellt [1]. Am Beispiel einer Schraube (Abb.  6.3a) wird dessen Gefüge (Abb. 6.3b), Feinstruktur (Abb. 6.3c) sowie die Atomstruktur (Abb. 6.3d) gezeigt. Die Änderung der Struktur (auf einer bestimmten Ebene) kann – bei gleichbleibender Zusammensetzung – eine Veränderung der Werkstoffeigenschaften bewirken. Festigkeit, Härte, Zähigkeit, Korrosionsbeständigkeit, Kalt- und Warmverformbarkeit, Schweißbarkeit und andere Eigenschaften sind von der Struktur abhängig. Andererseits sind die Dichte, Steifigkeit (Elastizitätsmodul) und Wärmeausdehnung strukturunabhängige Eigenschaften, die im Wesentlichen durch die chemische Zusammensetzung beeinflusst werden. Das oft komplexe Zusammenspiel zwischen chemischer Zusammensetzung und Struktur eines Werkstoffes bestimmt damit seine Gebrauchseigenschaften [1]. Ohne Vergrößerung (makroskopische Betrachtung) erscheinen Werkstoffe als einheitliche Stoffe ohne Untergliederung. Durch immer stärkere Vergrößerungen können wir die Gesamtstruktur erschließen und zu den kleinsten Materialteilchen gelangen. In jeder Strukturebene wurden eigene Strukturbausteine eingeführt, die für die Beschreibung notwendig sind. Am Beispiel des Metalls in Abb. 6.3 sehen wir ohne Vergrößerung die typische Metalloberfläche (Abb. 6.3a), deren Zustand – abhängig vom Bearbeitungsverfahren – rau oder glatt sein kann. Diese Oberflächenbeschaffenheit wird als Makrostruktur des Werkstoffes bezeichnet und liegt im Millimeterbereich. Sie liefert jedoch noch keinen Einblick in die innere Werkstoffstruktur. Nach einer speziellen Vorbereitung der Oberfläche oder einer Schnittfläche (Schliffpräparation) wird unter dem Lichtmikroskop eine strukturelle Ebene sichtbar, die als Gefüge oder auch als Mikrostruktur bezeichnet wird. Die Mikrostruktur liegt im Mikrometerbereich und hat ein körniges Aussehen (Abb. 6.3b). Eine Änderung des Gefüges ist bei vielen Werkstoffen möglich und hat immer eine Veränderung von Eigenschaften zur Folge. Wird ein kleiner Ausschnitt des Gefüges bei noch stärkerer Vergrößerung betrachtet, wird eine Feinstruktur sichtbar, die im Nanometerbereich liegt (Abb.  6.3c). Die

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Bausteine der Feinstruktur sind Atome, Ionen oder auch Moleküle. Im konkreten Beispiel besteht die Feinstruktur aus Atomen, die regelmäßig angeordnet sind und damit eine kristalline Struktur (Kristallgitter) bilden, die ebenfalls die Eigenschaften der Werkstoffe bestimmen. Eine Veränderung der kristallinen Struktur ist aber nicht bei allen Werkstoffen möglich. Könnten wir einen kleinen Ausschnitt der Feinstruktur vergrößern, so wären die Atome und ihr Aufbau erkennbar. Diese Ebene wird als Atomstruktur (Abb. 6.3d) bezeichnet und entspricht der chemischen Zusammensetzung. Aus ihr ergibt sich auch das Bindungsverhalten der Atome. Der Zusammenhalt von Bausteinen der Feinstruktur erfolgt mithilfe von chemischen Bindungen. Dieses Wissen gehört zum Bereich der Chemie, und die Werkstoffkunde übernimmt diese Erkenntnisse. An dieser Stelle sei daher auf die chemische Fachliteratur und entsprechende Lehrbücher [20] verwiesen, die die Arten der chemischen Bindung erklären [25].

6.1.2 Technische Werkstoffeigenschaften Zu Beginn des Kapitels gibt Abb. 6.4 einen Überblick über Werkstoffeigenschaften und die Kriterien für die Werkstoffauswahl. Ein Stoff kann nur dann als Werkstoff eingesetzt werden, wenn er: • • • •

bei Raumtemperatur (RT = 20 °C) im festen Aggregatzustand vorliegt, technisch verwertbare Eigenschaften besitzt, sich gut ver- und bearbeiten lässt, sich wirtschaftlich und umweltverträglich einsetzen lässt [1].

Die technischen Werkstoffeigenschaften lassen sich entsprechend Abb. 6.4 in verschiedene Gruppen (physikalische, chemische, mechanische und technologische Eigenschaften) untergliedern, wobei neben den technischen Anforderungen auch noch andere Aspekte wie z. B. Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden müssen. Die Anzahl der unterschiedlichen Werkstoffeigenschaften geht nach [8] in die Hunderte, und in Abb. 6.4 sind nur die wichtigsten Eigenschaften angeführt. Auf eine detaillierte werkstoffkundliche Erklärung der verschiedenen Eigenschaften wird an dieser Stelle verzichtet und auf die ausreichend vorhandene Literatur verwiesen (z.B [1, 2, 3, 4, 16].). Die oben dargestellten Werkstoffhauptgruppen, die sich jeweils durch einen unterschiedlichen inneren Aufbau unterscheiden, können entsprechend Tab. 6.1 anhand ihrer typischen Eigenschaften klassifiziert werden, wobei im Sinne eines Vergleichs der Werkstoffe jeweils vorteilhafte und nachteilige Eigenschaften genannt werden.

Abb. 6.4  Werkstoffeigenschaften und Kriterien für die Werkstoffauswahl. (In Anlehnung an [18])

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6 Werkstoffeigenschaften61 Tab. 6.1  Eigenschaften der Werkstoffhauptgruppen. (In Anlehnung an [7, 24]) Werkstoffgruppe

Vorteile

Nachteile

Metalle

• Hohe Zähigkeit • Hohe Elastizitätsmodule • Hohe Festigkeiten • Hohe Verschleißfestigkeiten • Gute thermische und elektrische Leitfähigkeiten • Gute Gieß-, Umform-, Schweißbarkeit • Unkompliziertes Konstruieren

• z. T. hohe Dichte • z. T. anfällig gegen Korrosion • Schlechte Dämpfungseigenschaften • Maximale Betriebstemperaturen unterhalb 1000 °C

Kunststoffe (Polymere)

• Geringe Dichte • Geringe Elastizitätsmodule • Relativ gute Korrosionsbeständigkeit • Gute Temperaturwechselfestigkeit • Gute elektrische Isolationseigenschaften • Gute Dämpfungseigenschaften • Gute Einfärbbarkeit • Mögliche Transparenz • Große konstruktive Gestaltungsfreiheit • Einfache und wirtschaftliche Fertigung komplizierter Massenteile

• Geringe Festigkeiten • Geringe Warmfestigkeiten • Geringe Bauteilsteifigkeiten • z. T. niedrige Verschleißfestigkeiten • Maximale Betriebstemperaturen unterhalb 200 °C • Brennbarkeit (mit daraus resultierender Umweltproblematik)

Keramik

• Hohe Verschleißfestigkeit • Hohe Warmfestigkeit • Gute Korrosionsbeständigkeit • Gute elektrische Isolationseigenschaften • Geringe thermische Ausdehnung • Hohe maximale Betriebstemperaturen (bis weit über 1000 °C möglich) • z. T. gute Gleiteigenschaften • Relativ niedrige Dichte

• Geringe Zähigkeit (hohe Sprödigkeit) • Probleme bei der Fertigung, Nachbearbeitung, Prüfbarkeit, thermische Wechselbeständigkeit, Fügen • Hohes Know-how bei der konstruktiven Gestaltung notwendig

Verbundwerkstoffe (je nach Komponenten)

• Hohe Festigkeiten • Hohe Steifigkeiten • Geringes spezifisches Gewicht • Gute chemische, thermische (o. Ä.) Beständigkeit • Hohe Verschleißfestigkeiten möglich • Belastungsgerechte Optimierung von Bauteilen • Hohe Flexibilität (in den Eigenschaften) durch Wahl der Verbundkomponenten

• Relativ geringe Zähigkeit • i. d. R. Anisotropie der Werkstoffeigenschaften • Hohe Fertigungskosten bei großen und komplizierten Teilen • Probleme beim Herstellen, Fügen, Recyclen • Hohes Know-how bei der konstruktiven Gestaltung notwendig

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6.1.3 Werkstoffauswahl Der Anlass, einen neuen Werkstoff einzusetzen oder einen verwendeten Werkstoff in einem Produkt zu ändern, hat verschiedene Ursachen, die auf die folgenden Sachverhalte zurückgeführt werden können [25]: • Die Märkte fordern z. B. die technische Verbesserung eines Produkts oder eine Herstellkostenreduzierung, um im Wettbewerb von Angebot und Nachfrage mithalten zu können. • Neue Produkte werden entwickelt, um neue Märkte und Kundenwünsche zu befriedigen. • Qualitätsprobleme an bestehenden Produkten zwingen zu Produktänderungen. • Normen, Vorschriften, gesetzliche Auflagen erfordern den Einsatz neuer Werkstoffe. • Das Unternehmen entschließt sich aus wirtschaftlichen Gründen zu einer Standardisierung der eingesetzten Werkstoffe. Neben diesen stark technisch und wirtschaftlich geprägten Beweggründen können weitere, oft marketingpolitische Aspekte für die Auswahl neuer Werkstoffe entscheidend sein, wie z.B [25].: • ästhetische Anforderungen der Märkte (z.  B. Bedeutung von Farben in unterschiedlichen Kulturkreisen: Rot als Farbe des Glücks und Reichtums in China, in Japan als Farbe der Frauen), • veränderte soziale Verantwortung gegenüber der Umwelt (z.  B. durch angestrebte Umweltzertifizierung nach ISO 14001), • Veränderung des Produktportfolios bzw. der Geschäftsstrategie, • Beachtung neuer Produkttrends, • veränderte Produktionsverfahren oder Prüfverfahren, • Übernahme vorhandener Konstruktionsweisen (z. B. durch werksinterne Normung von Standardlösungen oder durch Firmenfusionen), • Erhöhung von Rohstoffpreisen. Der Werkstoffauswahlprozess muss die wirtschaftlichen technischen und technologischen Risiken für das Produkt berücksichtigen, und seine Komplexität hängt vom Bekanntheitsgrad der Werkstoffe ab. Nach Ehrlenspiel und Kiewert [10] werden, wie in Abb. 6.5 dargestellt, beim Bekanntheitsgrad der Werkstoffe fünf Fälle unterschieden. Mit steigendem Bekanntheitsgrad der Werkstoffe sinken dabei für das Unternehmen die Produktrisiken. Bei der Suche nach einem Werkstoff sind die vielschichtigen Wechselwirkungen zwischen Konstruktion, Werkstoff und Technologie zu berücksichtigen, woraus die hohe Komplexität des Prozesses resultiert. In der Literatur werden viele Ansätze für den Ablauf einer methodischen Werkstoffauswahl vorgestellt [2, 3, 10, 25], die alle auf einen allgemein formulierten Problemlösungszyklus nach [15] zurückgeführt werden können. Ähnlich der VDI-Richtlinie 2221 [29], die für das Entwickeln und Konstruieren von technischen Systemen und Produkten empfohlen wird, kann der Prozess der Werkstoffauswahl

6 Werkstoffeigenschaften63

Abb. 6.5  Einstufungen des Bekanntheitsgrads von Werkstoffen

in vier Phasen untergliedert werden. In Abb. 6.6 ist der Gesamtprozess der Werkstoffauswahl mit einer Beschreibung der vier Phasen und den zu erstellenden Prozessdokumenten dargestellt [10, 25]. Das beschriebene Vorgehen folgt der Top-Down-Methode: Ausgehend von einer sehr großen Anzahl an verfügbaren Werkstoffen wird mit den Arbeitsergebnissen der einzelnen Arbeitsschritte die Zahl an Lösungsvarianten immer weiter eingeschränkt [25]. Der systematische Weg der allgemeinen Problemlösungsfindung, der ohne Vorurteile alle Werkstoffe für eine Auswahl miteinbezieht, ist für eine innovative Produktentwicklung ein sehr vielversprechender Ansatz. Zur Informationsbeschaffung für die Werkstoffvorauswahl wird die Verwendung sogenannter Werkstoffschaubilder empfohlen, in denen die Werkstoffeigenschaften für die verschiedenen Werkstoffgruppen dargestellt sind. Abb. 6.7 zeigt beispielhaft ein zweidimensionales Werkstoffschaubild, das für den Leichtbau relevant ist und in dem die Festigkeit und die Dichte der verschiedenen Werkstoffe eingetragen sind. In der Literatur [2, 3] findet man zahlreiche solche Diagramme, in denen die unterschiedlichen Werkstoffeigenschaften (mechanische Eigenschaften, thermische Eigenschaften, tribologische Eigenschaften, elektrische Eigenschaften), aber auch Werkstoffkosten angegeben sind und die oft als „Ashby Maps“ bezeichnet werden. Um die Nutzung dieser Werkstoffschaubilder noch effizienter und anwendungsspezifischer zu gestalten, wird der Gebrauch von Designparametern und Materialindizes vorgeschlagen, wobei an dieser Stelle auf die Fachliteratur verwiesen wird [2, 3, 25]. Zunehmend werden zur Werkstoffauswahl auch Werkstoffdatenbanken und Werkstoffexpertensysteme eingesetzt. Der Cambridge Engineering Selector (CES) ist beispielsweise eine Softwarelösung der Firma Granta Design Ltd. (Cambridge, Großbritannien), welche die Vorgehensweise nach Ashby rechnerunterstützt nachvollzieht. Der Einsatz dieses kommerziell vertriebenen Programms ist in den Konzept- und Entwurfsphasen und beim Redesign von Produkten sinnvoll und dient der Reduzierung von Produktkosten, der Verbesserung von Produkteigenschaften und der Produktqualität sowie der Suche innovativer Produktlösungen.

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Abb. 6.6  Werkstoffauswahl: Gesamtprozess

In Unternehmen werden oft auch vereinfachte und verkürzte Methoden der Werkstoffauswahl eingesetzt. Ihre Anwendung ist zweckmäßig, wenn Produkte im Unternehmen in ihren Anforderungen sich wiederholende (sehr ähnliche) Werkstoffeigenschaften erfordern [25].

6 Werkstoffeigenschaften65

Abb. 6.7  Werkstoffschaubild: Festigkeit und Dichte. (Nach [2])

Verkürzte Methoden zur Werkstoffauswahl sind: • die Anwendung von branchen- und werksbezogenen Standards oder • die Verwendung von Arbeits- und Leitblättern. Das nachgestellte Werkstoffschaubild Abb. 6.7 soll dies verdeutlichen.

6.2 Werkstoffprüfung Die Ermittlung der Eigenschaften von Werkstoffen gehört zu den Aufgaben der Werkstoffprüfung, die heute ein sehr umfangreiches Gebiet darstellt. Es werden zahlreiche, meist standardisierte (genormte) Prüfverfahren eingesetzt, die beispielsweise in vier Gruppen unterteilt werden können: • • • •

chemische Analysen und Strukturuntersuchungen, Eigenschaftsprüfungen, Ermittlung von Werkstoffkennwerten und -linien, Prüfung fertigungstechnischer Eigenschaften, Fehlersuche und Schadensanalyse.

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Die unterschiedlichen Prüfverfahren können auch nach dem Zustand der Proben nach einer Prüfung eingeteilt werden. Wir unterscheiden dabei zerstörende Prüfung, zerstörungsfreie Prüfung oder auch nahezu zerstörungsfreie Prüfverfahren. Neben der Werkstoffprüfung, die an genormten Werkstoffproben mit definierten Abmessungen und Geometrien durchgeführt werden und meist der Ermittlung von Werkstoffkennwerten dienen, werden in der Praxis auch Produkte und Bauteile geprüft, was oft als Werkstück- oder Bauteilprüfung bezeichnet wird. Die Untersuchungen und Prüfungen werden in Werkstoffprüflaboratorien durchgeführt, die bei Herstellern und Anwendern von Werkstoffen, bei Prüfeinrichtungen (z. B. TÜV (Technischer Überwachungsverein)), Versicherungen, Universitäten und Hochschulen und Forschungseinrichtungen (z. B. JOANNEUM RESEARCH, Austrian Institute of Technology (AIT), Max Plank-, Fraunhofer- oder Helmholtz-Instituten) zu finden sind. Es wird dabei erwartet, dass die Laboratorien, die die Prüfungen als Dienstleister anbieten, akkreditiert sind, d. h., dass ihre Prüfkompetenz entsprechend der internationalen Norm DIN EN ISO/IEC 17025 durch eine zuständige Organisation nachgewiesen ist [1]. Auf eine detaillierte Beschreibung der einzelnen Prüfverfahren wird aufgrund der Vielzahl an dieser Stelle verzichtet, und es wird auf die Fachliteratur z.B [4, 13, 14, 27, 30]. verwiesen. Nachfolgend werden nur die Gruppen und einige wichtige Prüfverfahren genannt. Die mechanischen Prüfverfahren gehören – mit Ausnahme der Härtemessungen – zu den zerstörenden Prüfungen, bei denen verschiedene Kennwerte und das Verhalten der Werkstoffe unter Krafteinwirkung bestimmt werden. Die Prüfungen dieser Gruppe werden im Allgemeinen unter extremen Bedingungen durchgeführt, d.  h. bei Kräften (Belastungen), die bis zum Bruch (Zerstörung) führen. Abb. 6.8 zeigt eine Einteilung der mechanischen Prüfverfahren und nennt zu jeder Gruppe die wichtigen Verfahren [1]. Die technologischen Prüfungen sollen Informationen darüber liefern, wie gut sich ein Werkstoff ver- und bearbeiten lässt. Es werden Verfahren eingesetzt, die schnell und meist mit einfachen Mitteln durchführbar sind und bei denen die Proben zerstört oder stark beschädigt werden. Beispiele von Verfahren sind der Tiefungsversuch nach Erichsen an Blechen, der Ringaufweitversuch an Rohren sowie Hin- und Herbiegeversuche an Drähten. Die zerstörungsfreien Prüfungen nutzen physikalische oder chemische Erscheinungen und zeichnen sich dadurch aus, dass an sicherheitsrelevanten Bauteilen (z. B. Flugzeugkomponenten, Komponenten von Kernkraftwerken) eine 100  %-Kontrolle möglich

Abb. 6.8  Einteilung und Beispiele mechanischer Prüfungen an Werkstoffen

6 Werkstoffeigenschaften67

ist, da die Proben und Prüflinge nicht zerstört werden. Die Verfahren liefern meist keine Kennwerte von Eigenschaften, sondern dienen zur Feststellung von Fehlern (z. B. Risse, Einschlüsse, Poren, Lunker) in Bauteilen, die hohe Belastungen ertragen und absolut sicher sein müssen [1]. Die wichtigsten Verfahren in dieser Gruppe sind Ultraschallprüfung, Magnetpulverprüfung, Röntgenprüfung, Computertomografie, Farbeindringverfahren. Materialografische Prüfungen dienen zur Untersuchung und Prüfung der Struktur und des Gefüges (siehe auch Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse) von Werkstoffen. Für die Prüfung werden Proben entnommen, die oft auch speziell präpariert (z. B. poliert, geätzt) werden müssen. Zum Einsatz kommen Licht- und Elektronenmikroskope. Auch das Rasterkraftmikroskop (AFM) kann diesen bildgebenden Verfahren zugeordnet werden. Mithilfe von hochauflösenden Durchstrahlungselektronenmikroskopen (HRTEM) und Rastertunnelmikroskopen (STM) können atomare Auflösungen bis in den ÅngströmBereich (10−10 m) erreicht werden. Die chemisch-technischen Prüfungen dienen zur Ermittlung der chemischen Zusammensetzung (z. B. Spektralanalyse) und zur Prüfung der chemischen Beständigkeit von Werkstoffen (Korrosionsprüfungen, Löslichkeitsprüfungen). Auch die im Kap. 9 Festkörperreibung beschriebenen tribologischen Prüfverfahren sind der Werkstoffprüfung zuzuordnen.

6.3

Anwendungsfelder in der Praxis

Die Werkstoffeigenschaften sind neben den sonstigen Aspekten wie Preis, Verfügbarkeit, Lieferzeit und Umweltverträglichkeit die entscheidenden Kriterien für die Anwendung von Werkstoffen und spielen daher in allen Anwendungsfeldern, wo Produkte, Bauteile, Werkzeuge, Fahrzeuge, Maschinen und Geräte hergestellt werden, die Hauptrolle. Dementsprechend finden sich in der Technik Begriffe wie Werkstoffe für die Elektronik, Werkstoffe für die Medizintechnik, Werkstoffe für die Luft- und Raumfahrt, Werkstoffe für den Maschinenbau, Werkstoffe für Werkzeuge, Werkstoffe im Bauwesen, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Die Hauptaufgabe der Werkstoffprüfung besteht in der Messung der Werkstoffeigenschaften. Damit finden die Verfahren der Werkstoffprüfung in allen genannten Anwendungsfeldern bei der Qualitätskontrolle, aber auch in der Werkstoffforschung und Produktentwicklung oder bei Schadensfalluntersuchungen ihren Einsatz. Selbst in der pharmazeutischen und Lebensmittelindustrie, wo Werkzeuge und Maschinen (z. B. Tablettenpressen, Backbleche, Schneidmaschinen, Rührwerke) zur Herstellung der Medikamente und Lebensmittel eingesetzt werden, ist eine zuverlässige Werkstoffprüfung eine Grundvoraussetzung für die Sicherheit und Gesundheit der Endverbraucher. Ein systematisches Vorgehen bei der Werkstoffauswahl ist eine wichtige Voraussetzung für technisch und wirtschaftlich optimierte Bauteile und Produkte. Während größere Unternehmen bei der Herstellung von hochwertigen oder hochbeanspruchten technischen Produkten derartige Methoden und Werkstoffexpertensysteme einsetzen, sind in vielen Anwendungsfeldern und vor allem bei sehr kleinen Unternehmen diese Methoden der

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Werkstoffauswahl noch nicht sehr weit verbreitet. Es muss an dieser Stelle aber auch darauf hingewiesen werden, dass in einigen Anwendungsfeldern (z. B. Medizintechnik, Luftfahrt) Gesetze und Normen den Einsatz von Werkstoffen stark regeln und die Auswahl möglicher Werkstoffe entsprechend einschränken.

6.4

Lehr- und Übungsmaterial „Werkstoffeigenschaften“

6.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab. 6.2 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele, die mit den in diesem Kapitel vorgestellten Methoden erreicht werden können, und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Die vorgestellten Übungen dienen als Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So bestehen im Handlungsfeld „Einteilung der Werkstoffe“ Vernetzungen zur Chemie. Im Handlungsfeld „Technische Werkstoffeigenschaften“ Tab. 6.2  Kompetenzerwerb durch Verwendung des Lehr- und Übungsmaterials „Werkstoffeigenschaften“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Einteilung der Werkstoffe

• Benennen der vier Hauptgruppen von Werkstoffen sowie Neben- und Untergruppen • Den grundlegenden strukturellen Aufbau der Werkstoffe beschreiben

• Zusammenhänge und Abgrenzung der Werkstoff-gruppen verstehen

• Einzelne Werkstoffgruppen auf ihre Einsatzeignung prüfen

Technische Werkstoffeigenschaften

• Benennen der Gruppen von technischen Werkstoffeigenschaften • Beschreiben von wichtigen Werkstoffeigenschaften in den verschiedenen Gruppen • Benennen der wichtigsten Aspekte, die neben den technischen Eigenschaften eine bedeutende Rolle spielen

• Zusammenhänge und Abgrenzung der Werkstoffeigenschaftsgruppen verstehen • Die Bedeutung der technischen Werkstoffeigenschaften in Bezug auf die Anwendungsmöglichkeiten der Werkstoffe verstehen

• Ungefähre Größenordnungen mit den technisch üblichen Einheiten für verschiedene Werkstoffe ermitteln (Experiment und/oder Recherche) und bewerten

6 Werkstoffeigenschaften69 Tab. 6.2  (Fortsetzung) Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Werkstoffauswahl

• Gründe für die Notwendigkeit einer Werkstoffauswahl benennen • Beschreiben der Phasen und Schritte beim Werkstoffauswahlprozess

• Verstehen der Unterschiede zwischen den Ausgangsgrößen des Werkstoffauswahlprozesses • Erstellen des Pflichten- oder Lastenheftes für ein Produkt oder Bauteil • Übersetzen der Produktanforderungen in eine Materialanforderungsliste

• Durchführung von Werkstoffauswahlprozessen für Produktbeispiele • Bewertung der erarbeiteten Werkstoffentscheidungen im Vergleich zu technisch realisierten Lösungen • Recherche zu Online-Werkstoffexpertensystemen • Durchführung eines Werkstoffauswahlprozesses mit einem kostenlos verfügbaren Online-Expertensystem

Werkstoffprüfung

• Begrifflichkeiten erklären und Aufgaben der Werkstoffprüfung auflisten • Benennen wichtiger Prüfverfahren

• Grundsätzliches Verständnis über die Einsatzmöglichkeiten und die Ergebnisse ausgewählter Prüfverfahren

• Auswählen der notwendigen Prüfverfahren für konkrete Produkt- und Werkstoffauswahlbeispiele

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [6].

finden sich Verknüpfungen zur Chemie, Physik, Mechanik, Festigkeitslehre. Im Bereich „Werkstoffauswahl“ besteht ein starker Bezug zu den Fächern Konstruieren, Industrial Design, und der Teil „Werkstoffprüfung“ weist Verbindungen zur Physik, Messtechnik, Qualitätssicherung in der Fertigungs- oder Produktionstechnik auf. In den nachfolgenden Abschn. 6.4.2, 6.4.3, 6.4.4 und 6.4.5 finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

6.4.2 Übungen zu „Einteilung der Werkstoffe“ Dieser erste Abschnitt umfasst die grundlegende Einteilung der Werkstoffe in ihre Hauptund Untergruppen und bietet die Basis für die weiterführenden Handlungsfelder. Die folgenden Methoden eignen sich zum Kompetenzerwerb in diesem Handlungsfeld und als Hinführung zur Thematik „Werkstoffeigenschaften“: • Mindmap (N1, N2), • Museumsmethode (N1, N2, N3). Die einzelnen Übungen sind ergänzt um Hinweise und Varianten, um die Übungen auf die Anforderungen von Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

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6.4.2.1 Mindmap Die „Mindmap“-Methode wurde in den 1960er-Jahren von Buzan entwickelt, der ihr seinen Ansatz des radialen Denkens zugrunde gelegt hat. Dieser besagt, dass assoziative Denkprozesse von einem Mittelpunkt ausgehen und Lernprozesse demnach leichter stattfinden, wenn Informationen ebenfalls in einer ganzheitlichen, systematischen und radialen Form gesammelt werden [9]. Eine Mindmap ist vielfältig einsetzbar und eignet sich gut, um auf ein Thema hinzuführen und um Lernstoff strukturiert anordnen zu lernen (s. Tab. 6.3). Sie lässt sich aber auch gut zur Lernstoffwiederholung einsetzen oder als persönliches Instrument zur Unterrichtsplanung für den Lehrenden [17]. Weitere Ausführungen zur Mindmap finden sich in Kap. 12 Stirnradgetriebe. ▶▶

Tipp Die Studierenden sollten bei dieser Methode aktiv zu freier Assoziation und Kreativität angeregt werden, um den Lernprozess zu unterstützen.

Ausgangspunkt für die Übung ist ein unbedrucktes Blatt Papier, welches den Studenten zur Verfügung gestellt wird. Dieses kann das Format DIN-A4 oder DIN-A3  haben, es eignet sich aber auch Packpapier, wenn die Inhalte in einer Gruppenarbeit erarbeitet und anschließend präsentiert werden sollen. Das Thema oder die Problemstellung wird in der Mitte des Blattes notiert. Von diesem Mittelpunkt ausgehend werden immer feiner werdende Verästelungen angelegt und mit Schlagwörtern beschriftet – vom Allgemeinen ausgehend und immer spezieller werdend. Der Fokus liegt auf Kreativität und persönlichem Ausdruck der Studierenden. Die Verwendung von Farben, Bildern und Codes erleichtert das längerfristige Speichern des erarbeiteten Stoffes [9, 17]. In Abb. 6.9 ist ersichtlich, wie eine fertiggestellte Mindmap – hier zum Thema „Einteilung der Werkstoffe“ – aussehen kann. Tab. 6.3  Fact-Box: Mindmap „Einteilung der Werkstoffe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Hinführung zur Thematik „Einteilung der Werkstoffe“ • Selbstständiges Abgrenzen der Werkstoffgruppen voneinander • Wiederholung des bisher Gelernten

Zeit

ca. 20 min je nach Sozialform, Intensität und Vorwissen

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit oder Kleingruppen (bis zu 5 Personen)

Raum/Platz

Hörsaal (für Großgruppen geeignet)

Material

Papier (DIN-A4, DIN-A3 oder Packpapier), (farbige) Stifte, dem Papierformat entsprechend

Lehr-/Lernziele

• Einteilung der Werkstoffe in Haupt-, Neben- und Untergruppen durchführen (N1) • Werkstoffgruppen voneinander abgrenzen (N2)

Abb. 6.9  Beispiel für eine Mindmap

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6.4.2.2 Museumsmethode Die „Museumsmethode“ ist ebenfalls gut für den Einstieg in ein Thema oder zur Vertiefung von Inhalten geeignet. Sie regt die Teilnehmer an, über ihre eigenen Kenntnisse, aber auch Einstellungen zu reflektieren und diese nachfolgend an die anderen weiterzugeben (s. Tab. 6.4) [17]. ▶▶

Tipp Diese Übung setzt voraus, dass ausreichend Gegenstände aus unter-

schiedlichen Werkstoffen vorhanden sind, um sie den Studierenden zur Verfügung zu stellen. Es sollten mindestens 25 % mehr Gegenstände als Lernende vorhanden sein. Alternativ kann mit Bildern gearbeitet werden, wobei hier die haptische Erfahrung wegfällt. Eine zweite Alternative ist, dass sich nicht jeder Teilnehmer einzeln, sondern Kleingruppen gemeinsam einen Gegenstand aussuchen.

Zur Durchführung der Übung werden im gesamten Hörsaal unterschiedliche Gegenstände aus unterschiedlichen Werkstoffen verteilt aufgestellt. Die Studierenden sind dann aufgefordert im Raum umherzugehen, sich die Objekte anzusehen und dann für ein Ausstellungsstück zu entscheiden. Anschließend reflektiert jeder sein Wissen zu diesem Gegenstand und vor allem zum Werkstoff, aus dem er gefertigt ist, und gibt dieses an die anderen Studierenden weiter. Dies kann als Kurzpräsentation vor dem Plenum oder in Kleingruppen geschehen. Die

Tab. 6.4  Fact-Box: Museumsmethode „Einteilung der Werkstoffe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in die Thematik „Einteilung der Werkstoffe“ • Anregung des gegenseitigen Austauschs über Werkstoffe

Zeit

0,5 EH

Gruppengröße/Sozialform

Klein- bis Großgruppe (ca. 3–30 Personen)

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Gegenstände aus unterschiedlichen Werkstoffen, ca. 25 % mehr Gegenstände als an der Übung beteiligte Teilnehmer Beispielsweise: Drehteile aus Automatenstahl, Gehäuse aus Gusseisen, Kupferkabel, Schneidplatte aus Hartmetall, Wälzlager aus Keramik, Kleingetriebe aus Kunststoff, in 3-D gedruckte Gegenstände etc.

Lehr-/Lernziele

• Einteilung der Werkstoffe in Haupt-, Neben- und Untergruppen durchführen (N1) • Werkstoffgruppen voneinander abgrenzen (N2) • Einsatzeignung der Werkstoffe prüfen (N3)

6 Werkstoffeigenschaften73

anderen Teilnehmer oder der Vortragende selbst können optional das Statement mit ihrem persönlichen Wissen ergänzen, um gegenseitiges Lernen zu ermöglichen [17, 26].

6.4.3 Übungen zu „Technische Werkstoffeigenschaften“ In diesem Abschnitt werden didaktische Übungen vorgestellt, welche den Wissenserwerb im Bereich der technischen Werkstoffeigenschaften unterstützen. Es wird dabei gleichermaßen die Einteilung der Werkstoffeigenschaften in sinnvolle Gruppen wie auch das Verstehen der Bedeutung der unterschiedlichen Charakteristika für die Auswahl von Materialien vermittelt. Folgende Methoden wurden hierfür ausgewählt: • Lernzirkel (N1, N2), • Risiko (N1, N2, N3).

6.4.3.1 Lernzirkel Der Lernzirkel, auch „Stationenlernen“ genannt, unterstützt eigenständigen Wissenserwerb und selbstständige Lernkompetenz. Er ist für die Erarbeitung neuer Inhalte ebenso geeignet wie für die Vertiefung einer Thematik. Diese Methode unterstützt offenen Unterricht, indem die Lernenden selbstständig die Inhalte der unterschiedlichen Stationen erarbeiten. Voraussetzung für die Durchführung eines Lernzirkels ist, dass das Themengebiet in Teilinhalte unterteilbar ist (s. Tab. 6.5) [19]. Tab. 6.5  Fact-Box: Lernzirkel „Technische Werkstoffeigenschaften“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Erstzugang zum Thema Werkstoffeigenschaften • Vertiefung der Thematik • Selbstständiger Wissenserwerb der Lernenden

Zeit

Mind. 2 EH

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit bis Klassenstärke

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Klar formulierter Arbeitsauftrag für jede StationBenötigte Materialien z. B. für unterschiedliche Versuche an den Stationen

Lehr-/Lernziele

• Benennen und Beschreiben der Gruppen von technischen Werkstoffeigenschaften (N1) • Benennen der wichtigsten Aspekte, die neben den technischen Eigenschaften eine bedeutende Rolle spielen (N1) • Bedeutung der technischen Werkstoffeigenschaften in Bezug auf die Anwendungsmöglichkeiten der Werkstoffe verstehen (N2)

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Hintergrundinformation Der Lernzirkel ist eine andere Bezeichnung für Stationenlernen (Kap. 10 Längenprüftechnik)

Bei dieser Methode unterteilt der Vortragende in der Vorbereitung ein Thema in unterschiedliche Teilbereiche, die gut von den Studierenden an Stationen erarbeitet werden können. Neben „Must-Have-Stationen“, die unbedingt abzuarbeiten sind, können natürlich auch „Should-Have-Stationen“ (welche wenn möglich bearbeitet werden sollen) und „Nice-to-Have-Stationen“ (welche als Erholungsstationen oder optionale Zusatzstationen dienen können) definiert werden. Der Lehrende bereitet die Stationen vor und formuliert klare Arbeitsaufträge und Zieldefinitionen für jede Station. Optimal ist es, eine Station so zu gestalten, dass sie unterschiedliche Lerntypen anspricht (visuell, kommunikativ, motorisch, auditiv). Besonders zu beachten ist, dass die Aufgabe und die zu erbringende Leistung eindeutig genannt sind, klare Zeitvorgaben bekannt sind und eventuelle Abgabetermine gut kommuniziert werden [21]. Die Durchführung der Methode in der Lehreinheit kann wie folgt strukturiert werden: 1. Einführung (ca. 1 EH) Der Vortragende gibt eine kurze theoretische Einführung in das Lerngebiet und stellt die einzelnen Stationen vor. Arbeitsaufträge und die Form einer eventuellen Präsentation der Ergebnisse werden besprochen, und die Art der Leistungsbeurteilung wird kommuniziert. Die Stationen werden im Klassenraum verteilt auf unterschiedlichen Tischen oder Tischgruppen, mit Aufgabenblättern und Arbeitsmaterialen versehen, vorbereitet und klar gekennzeichnet (z. B. nummeriert). 2. Stationenarbeit durch die Studierenden (> 1 EH, je nach Umfang der Stationen) Die Lernenden arbeiten selbstständig in Einzel-, Partner- oder Kleingruppenarbeit an den Stationen. Die Arbeitsergebnisse werden wie vereinbart, z. B. in einem „Stationenbuch“ oder in Form einer Präsentation, festgehalten. 3. Auswertung (ca. 1 EH) Zum Wissensabgleich können die einzelnen Ergebnisse beispielsweise vor dem Plenum präsentiert werden [17]. Abb.  6.10 zeigt, wie ein Lernzirkel zum Thema „Technische Werkstoffeigenschaften“ gestaltet werden könnte. Die detaillierte Ausgestaltung der Methode bleibt dem Vortragenden offengestellt. So kann z.  B. die Reihenfolge der Stationen vorgegeben werden oder den Lernenden die Sequenz der Bearbeitung auch komplett selbst überlassen werden. Das Lösen der Aufgaben kann in Einzel-, Partner- oder Kleingruppenarbeit erfolgen. Bei Vorhandensein eines Werkstoffprüflabors könnten die verschiedenen Stationen auch praktische Experimente (z. B. Durchführung eines Zugversuchs an unterschiedlichen Werkstoffproben) enthalten.

Abb. 6.10  Beispiel für einen Lernzirkel zum Thema „Technische Werkstoffeigenschaften“

6 Werkstoffeigenschaften75

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6.4.3.2 Risiko Diese Methode wird auch „Der große Preis“ genannt und bietet einen spielerischen Zugang zum Wissenserwerb. Sie eignet sich gut um neue Inhalte zu erarbeiten, Kenntnisse zu vertiefen und zu sichern. Des Weiteren spiegelt sie den Lernenden zurück, wie viel sie bereits zu einem bestimmten Thema wissen, und hilft Lücken zu identifizieren (s. Tab. 6.6) [21]. ▶▶

Tipp Diese Methode eignet sich gut für den Abschluss einer Lehreinheit.

Das erarbeitete Wissen wird auf spielerische Weise nochmals reflektiert und gefestigt. Zeigt sich in gewissen Teilgebieten noch fehlendes Wissen bei einem Großteil der Lernenden, so kann da anschließend mit weiteren Methoden angesetzt werden.

Der Vortragende schlüpft bei dieser Methode in die Rolle eines Quizmoderators, die Studierenden sind Teilnehmer an der Quizshow. Zunächst wird das Gesamtthema vorgestellt und das Plenum in Kleingruppen bzw. Spielerteams eingeteilt. Das erste Team wählt aus der vorbereiteten Punktewand ein Themengebiet und die gewünschte Punktezahl, um die gespielt werden soll, aus. Der Quizmoderator liest die vorbereitete Fragestellung mit drei möglichen Antworten vor. Das Team entscheidet sich für eine Antwort. Bei richtiger Antwort bekommt es die Punktezahl gutgeschrieben.

Tab. 6.6  Fact-Box: Risikomethode „Technische Werkstoffeigenschaften“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung der Kenntnisse zu „Werkstoffeigenschaften“ • Wissensüberprüfung • Aufzeigen möglicher Wissenslücken

Zeit

ca. 0,5 EH

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppe bis Klassenstärke

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Vorbereitete Punktewand mit Themengebieten, vorbereitete Fragen + Antworten, eventuell Preise für die Gewinner

Lehr-/Lernziele

• Benennen und Beschreiben der Gruppen von technischen Werkstoffeigenschaften (N1) • Benennen der wichtigsten Aspekte, die neben den technischen Eigenschaften eine bedeutende Rolle spielen (N1) • Die Bedeutung der technischen Werkstoffeigenschaften in Bezug auf die Anwendungsmöglichkeiten der Werkstoffe verstehen (N2) • Ungefähre Größenordnungen mit den technisch üblichen Einheiten für verschiedene Werkstoffe kennen (N3)

Abb. 6.11  Beispiel für ein Risikospiel zum Thema „Technische Werkstoffeigenschaften“

6 Werkstoffeigenschaften77

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Variante 1: Das Team ist so lange an der Reihe, bis es eine Frage falsch beantwortet. Variante 2: Nach jeder Antwort wird gewechselt. Variante 3: Jedes Team darf einen Antworttipp abgeben. Das Spiel ist dann zu Ende, wenn alle Punktezahlen aus allen Themengebieten gespielt wurden. Das Team mit der höchsten gesammelten Punktezahl gewinnt [17]. Abb. 6.11 zeigt beispielhaft ein Risikospiel zumThema „TechnischeWerkstoffeigenschaften“. Weitere Hinweise zur Methode • Die Frage mit den Antwortmöglichkeiten kann gleich auf die Rückseite der jeweiligen Punktekarte notiert werden. Die vom Team gewählte Karte wird dann abgenommen und die Rückseite vorgelesen. So lassen sich Doppelnennungen einer Kategorie und Punktezahl aus Unachtsamkeit vermeiden. Des Weiteren können die falsch beantworteten Fragen gleich für eine weitere Bearbeitung gesammelt werden. • Mit der Höhe der Punktezahl sollte auch die Schwierigkeitsstufe der Frage steigen.

6.4.4 Übungen zu „Werkstoffauswahl“ Dieser Abschnitt behandelt didaktische Übungen zum Thema Werkstoffauswahl. Die Übungen unterstützen den Wissenserwerb in allen Kompetenzniveaus. Besonderes Augenmerk wird auf selbstständiges Arbeiten der Studierenden und praxisnahe Aufgabenstellungen gelegt. Die dafür gewählten Methoden sind • Masterchart (N1, N2), • Planarbeit (N2, N3), • Problemfall (N2, N3).

6.4.4.1 Masterchart Das „Masterchart“ kann vor allem dann gut eingesetzt werden, wenn sich ein Lerngebiet oder eine Problemstellung unterteilen lässt in unterschiedliche, aufeinander basierende Fragestellungen. Die Methode fördert strukturiertes Denken und ermuntert die Studierenden dazu, eigene Kenntnisse einzubringen (s. Tab. 6.7) [17]. ▶▶

Tipp Diese Übung kann als Ausgangsbasis für eine fortführende, tiefergreifende

Fallstudie dienen. Mithilfe des Mastercharts definieren die Studenten die mögliche Vorgehensweise und erhalten dazu Feedback vom Vortragenden. Danach können die Inhalte detaillierter ausgearbeitet werden, und es kann schlussendlich eine Werkstoffauswahl getroffen werden.

6 Werkstoffeigenschaften79 Tab. 6.7  Fact-Box: Masterchart „Werkstoffauswahl“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in die Thematik „Werkstoffauswahl“ • Anregung des Austauschs über geeignete Vorgehensweise bei der Werkstoffauswahl • Vernetzung zur Vorgehensweise in der Praxis (StakeholderManagement) herstellen

Zeit

2 EH

Gruppengröße/Sozialform

Erarbeitung in Kleingruppen von 4 bis 8 Personen, Präsentation vor dem Plenum

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Eine Pinnwand je Kleingruppe Vorbereitetes Masterchart mit Kernthema und Fragestellungen oder Packpapierbogen, Karten mit aufgedrucktem Gesamtthema und Fragestellungen und Instruktionen, wie das Masterchart aussehen sollte Permanentmarker in mind. zwei unterschiedlichen Farben, Moderationskarten

Lehr-/Lernziele

• Beschreiben der Vorgehensweise bei Werkstoffauswahl (N1) • Übersetzen der Produktanforderungen in eine Materialanforderungsliste (N2) • Bestimmung geeigneter Werkstoffgruppen (N2) • Stakeholder identifizieren, benennen und begründen (N2)

Das Kernthema und die Fragestellungen werden vor dem Plenum erläutert, bevor sich dieses in Kleingruppen aufspaltet. Jede Kleingruppe erhält einen großen Packpapierbogen, der entweder bereits als Masterchart vorbereitet wurde, oder es werden Instruktionen, wie das Masterchart aussehen sollte, beigelegt. In den Kleingruppen ist sodann jeder Teilnehmer gefordert, zuerst in Einzelarbeit je zwei bis drei Karten pro Fragestellungen mit seinen Gedanken zu befüllen. Es sollten möglichst prägnante Kurzsätze ausformuliert werden. Danach stellen die Studierenden ihre eigenen Karten in der Kleingruppe vor. Diese werden gleich sinnvoll gruppiert auf dem Masterchart angeordnet. Sollten unterschiedliche Meinungen zu einer Fragestellung vorhanden sein, so werden diese durch einen aufgemalten „Blitz“ visualisiert. Nachdem jeder seine Karten vorgestellt und angepinnt hat, gilt es in der Gruppe zu diskutieren, ob noch ein wichtiger Gedanke oder Kernpunkt fehlt, und diesen entsprechend zu ergänzen. Ist die Masterchart aus Sicht der Gruppe vervollständigt, werden die Ergebnisse im Plenum präsentiert [17]. Grundsätzlich sieht die Methode Masterchart die Bearbeitung von vier Fragestellungen vor, d. h., das Masterchart wird in vier Bereiche unterteilt. Beim Einsatz an Hochschulen können aber natürlich auch komplexere Kernthemen bearbeitet werden, die sich, wie in Abb 6.12 dargestellt, auch in mehr als vier Fragestellungen untergliedern können.

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Abb. 6.12  Masterchart Werkstoffauswahl

Beispiel

Ein mögliches Grundthema, das mithilfe eines Mastercharts bearbeitet werden kann, wie in dargestellt, ist: „Wie könnte der Auswahlprozess eines Werkstoffes für ein Zahnrad oder die Komponenten eines Wälzlagers (Kap.  12 Stirnradgetriebe und Kap. 11 Wälzlager) aussehen?“

6 Werkstoffeigenschaften81

Als zu beantwortende Fragen dazu bieten sich die folgenden an: • • • • • •

Welche Anforderungen werden an das Produkt bzw. Bauteil gestellt? Welche Werkstoffanforderungen ergeben sich aus den Produktanforderungen? Welche Werkstoffgruppen kommen infrage? Wie gehen Sie bei der Auswahl vor? Wo finden Sie die erforderlichen Informationen? Welche Entscheidungsträger sind einzubeziehen?

6.4.4.2 Planarbeit Eine Planarbeit eignet sich zur weiterführenden Bearbeitung von Lerninhalten oder zur eigenständigen Erarbeitung neuer Themengebiete. Sie definiert sich durch einen vorbereiteten Arbeitsplan mit genauen Angaben, welcher den Studierenden bereitgestellt wird. Die Studierenden erarbeiten sich den Stoff einer Lehreinheit größtenteils selbstständig und erhalten nur geringe Hilfestellung durch den Vortragenden (s. Tab. 6.8) [17]. ▶▶

Tipp Diese Methode kann als Unterstützung für strukturierte, zielgerichtete Gruppenarbeiten dienen. Wichtig ist, den Arbeitsplan auf die Studierenden abgestimmt vorzubereiten, sodass diese weder über- noch unterfordert sind. Je nach Umfang der Aufgaben bzw. Recherchevorgaben kann die Methode auch über einen längeren Zeitraum begleitend zum Unterricht oder insgesamt länger angesetzt werden.

Tab. 6.8  Fact-Box: Planarbeit „Werkstoffauswahl“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung des Themengebietes „Werkstoffauswahl“ • Strukturierte, zielorientierte Einzel- oder Gruppenarbeit • Förderung digitaler Kompetenzen (Umgang mit großen Datenmengen und Informationsextraktion)

Zeit

Zumindest 1–2 EH (abhängig vom zu bearbeitenden Thema)

Gruppengröße/Sozialform

Erarbeitung in Einzelarbeit oder Kleingruppen von 4 bis 8 Personen

Raum/Platz

Hörsaal oder großer Raum, in dem die Kleingruppen ungestört zusammenarbeiten können

Material

Vorbereiteter Arbeitsplan je Studierendem/Gruppe, vorbereitete Musterlösung und diverse Hilfsmittel für die Recherche (PC, Literatur, Muster etc.)

Lehr-/Lernziele

• Erstellen des Pflichten- oder Lastenheftes für ein Produkt oder Bauteil (N2) • Übersetzen der Produktanforderungen in eine Materialanforderungsliste (N2) • Recherche zu Online-Werkstoffexpertensystemen (N3) • Durchführen eines Werkstoffauswahlprozesses mit einem kostenlos verfügbaren Online-Expertensystem (N3)

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Ausgangsbasis für diese Methode ist ein vom Vortragenden vorbereiteter Arbeitsplan, der genaue, strukturierte Anweisungen umfasst. In jedem Fall sollte er folgende Angaben enthalten: • • • • •

Ziele und Inhalte der Lehreinheit, gesamte Bearbeitungszeit (vor Ort oder virtuell), erlaubte Hilfsmittel, detaillierter Arbeitsauftrag, gewünschte Aufbereitung des Ergebnisses (Dokumentationsformat, Präsentationsart etc.).

Zu Beginn ist festzulegen, ob die Erarbeitung der Lerninhalte in Einzelarbeit oder Kleingruppen erfolgen soll. Jeder Studierende bzw. zumindest jede Kleingruppe erhält einen Arbeitsplan. Zusätzlich dazu sollten auch noch genaue Informationen zur Durchführung gegeben werden. Beispielsweise, dass eigenständiges Arbeiten erwünscht ist und der Vortragende nur minimale Hilfestellung bietet. Außerdem sollte definiert werden, wie der Erwartungshorizont des Lehrenden aussieht, d. h., wie soll die Lösung aussehen. Wird das von den Studierenden erarbeitete Ergebnis bewertet, so sollte das Schema der Bewertung klar dargestellt werden. Abschließend wird im Optimalfall eine Musterlösung bereitgestellt, sodass auch die Studierenden in der Lage sind, ihre eigenen Ergebnisse zu bewerten [17]. Abb. 6.13 zeigt einen beispielhaften Arbeitsauftrag.

Beispiel

Mögliche Arbeitsaufträge die mithilfe dieser Methode bearbeitet werden können, sind: • • • •

Erstellung eines Lastenheftes für ein Bauteil, Ausarbeitung eines Scoring-Modells für die Werkstoffauswahl für ein Bauteil, Durchführung einer Recherche zu online zugänglichen Werkstoffexpertensystemen, Realisierung eines Werkstoffauswahlprozesses mit einem Online-Expertensystem.

6.4.4.3 Problemfallmethode Die Fallstudie fand ihren Ausgangspunkt in der akademischen Ausbildung an US-amerikanischen Hochschulen und wurde als sogenannte „Harvard Case Method“ bekannt [12]. Die heutige Form wurde durch Kaiser entscheidend geprägt, der vier Hauptformen der Methode, je nach Art der Problemstellung und Schwerpunkt in der Bearbeitung, unterscheidet. Bei der Problemfallmethode (englisch: Case-Problem-Method) wird den Lernenden eine Fallbeschreibung bereitgestellt und bereits fallspezifische Probleme werden mit angegeben. Der Schwerpunkt liegt auf der Ermittlung von Lösungsvarianten (s. Tab. 6.9 und Abb. 6.13) [18].

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Abb. 6.13  Planarbeit Werkstoffauswahl

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Tab. 6.9  Fact-Box: Problemfallmethode „Werkstoffauswahl“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung des Themengebietes „Werkstoffauswahl“ • Förderung der Teamfähigkeit und des selbstgesteuerten Kompetenzerwerbs • Unterstützung des praktischen Verständnisses • Vernetzung zu anderen Fachbereichen wie Unternehmensführung, Kommunikation und Qualitätsmanagement • Förderung digitaler Kompetenzen (Umgang mit großen Datenmengen und Informationsextraktion)

Zeit

Zumindest 2 EH Präsenzzeit (abhängig vom zu bearbeitenden Thema); gegebenenfalls Erweiterung als Eigenarbeit zu Hause

Gruppengröße/Sozialform

Erarbeitung in Kleingruppen von 4 bis 8 Personen (für Großgruppen geeignet)

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Fallbeschreibung, Beschreibung der fallspezifischen Probleme und eventuell vorbereitete Musterlösung

Lehr-/Lernziele

• Erstellen des Pflichten- oder Lastenheftes für ein Produkt oder Bauteil (N2) • Übersetzen der Produktanforderungen in eine Materialanforderungsliste (N2) • Durchführen von Werkstoffauswahlprozessen für Produktbeispiele (N3) • Recherche zu Online-Werkstoffexpertensystemen (N3) • Durchführen eines Werkstoffauswahlprozesses mit einem kostenlos verfügbaren Online-Expertensystem (N3)

▶▶

Tipp Alternativ kann auch die „Stated-Problem-Method“ angewandt werden, bei welcher nicht nur das Fallbeispiel und zusätzliche Informationen zur Verfügung gestellt werden, sondern auch bereits eine fertige Lösung des Falles. Den Studierenden obliegt es dann, die Lösung und Begründungen nachzuvollziehen und eventuelle Alternativlösungen zu finden.

Die Methode läuft in sechs Phasen ab. In der Konfrontationsphase wird den Studierenden der Fall vorgestellt und in der anschließenden Informationsphase wird ihnen Material zum Fall bereitgestellt. Danach folgt die Exploration, in der die Lernenden unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten diskutieren, wobei erst in der Resolutionsphase eine Entscheidung für eine der erarbeiteten Varianten getroffen wird. Im Disputationsabschnitt steht die Verteidigung der in den Gruppen gefällten Entscheidungen mithilfe von Argumenten im Fokus. Den Abschluss bildet die Kollation, in der die einzelnen Lösungen der Gruppen mit der in der Realität getroffenen Entscheidung abgeglichen und diskutiert werden [18]. Abb. 6.14 zeigt die Phasen einer Fallstudie zum Thema „Werkstoffauswahl“.

6 Werkstoffeigenschaften85

Abb. 6.14  Fallstudie Werkstoffauswahl

Eine mögliche Problemstellung, die von Studierenden mit dieser Methode bearbeitet werden kann, ist die Werkstoffauswahl für eine Pkw-Karosserie. Anhand dieses Falles kann auch die Bedeutung von Verbundwerkstoffen und -bauteilen in der modernen Technik hervorgestrichen werden.

6.4.5 Übungen zu „Werkstoffprüfung“ In diesem Abschnitt werden didaktische Übungen zum Themengebiet der Werkstoffprüfung vorgestellt. Die Methoden unterstützen den theoretischen Wissenserwerb und die praktische Anwendung gleichermaßen. Dazu wurden die folgenden Unterrichtsmethoden ausgewählt: • Concept Map (N1, N2), • Experiment (N2, N3).

6.4.5.1 Concept Map Die Methode „Concept Map“ ist verwandt mit der besser bekannten Mindmap-Methode (siehe Abschn. „Mindmap“). Sie bietet jedoch den entscheidenden Vorteil, dass Wissen nicht nur visualisiert, sondern auch organisiert wird und Zusammenhänge sichtbar werden. Die Methode eignet sich als Instrument, um Lehrinhalte zu vermitteln, kann aber auch zur Wissensüberprüfung und -präsentation verwendet werden. Es bietet sich weiter an, eine Concept Map als Orientierungshilfe während des Vortrags oder als Zusammenfassung präsentierter Inhalte einzusetzen. Der Erarbeitung eigener Concept Maps durch die Studierenden sollte – wenn ausreichend Zeit vorhanden ist – Vorzug gegeben werden. Dadurch findet eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Stoffgebiet statt und Nichtwissen und nicht verstandene Zusammenhänge werden aufgedeckt (s. Tab. 6.10 und Abb. 6.13) [22, 28]. ▶▶

Tipp Die Concept Map kann entweder elektronisch über online verfügbare Tools oder manuell mit Post-its auf einem Blatt Papier (mindestens A3) oder mithilfe von Kärtchen und einem Flipchart erstellt werden.

Eine Concept Map besteht immer aus Begriffen (concepts) und deren Beziehungen zueinander (relationships). Begriffe bestehen aus einem oder mehreren Wörtern und werden in

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Tab. 6.10  Fact-Box: Concept Map „Werkstoffprüfung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden ermitteln • Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes • Aufdecken von Wissenslücken • Prüfungsvorbereitung

Zeit

1–2 EH, je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit bis zu 5 Personen

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Beschreibung der Methode, Post-its und A3Papier oder Kärtchen, Klebeband, Flipchart und PermanentmarkerAlternativ Online-Tool zur Erstellung einer Concept Map

Lehr-/Lernziele

• Begrifflichkeiten erklären und Aufgaben der Werkstoffprüfung auflisten (N1) • Benennen wichtiger Prüfverfahren (N1) • Grundsätzliches Verständnis über die Einsatzmöglichkeiten und die Ergebnisse ausgewählter Prüfverfahren (N2)

Kästchen dargestellt. Die Beziehungen werden über Linien, Pfeile und Verbindungswörter oder -sätze hergestellt. Zudem ist eine Concept Map meist hierarchisch aufgebaut: Allgemeine Begriffe werden eher oben angeführt, nach unten hin werden speziellere Themen und ganz zuletzt isolierte Fakten genannt. Zu Beginn der Erarbeitung einer Concept Map durch die Studierenden steht die Festlegung des zu bearbeitenden Themengebietes, welches den Studierenden bereits ­ bekannt und vertraut sein sollte. Am besten ist es, eine spezifische Fragestellung (sogenannte focus question) vorzugeben, welche mithilfe der Concept Map bearbeitet wird. Anhand von Kärtchen, Post-its oder eines Computerprogrammes wird eine vorläufige Concept Map erstellt und so oft wie nötig überarbeitet. Des Weiteren werden Querverweise auch zwischen einzelnen, weiter entfernten Kartenbereichen gesucht und eingezeichnet. Nach einer finalen Überarbeitung der Karte und einer letzten Anpassung von Farben, Formen und Schriftarten, um eventuell wichtigere Inhalte hervorzuheben, ist die Concept Map fertiggestellt [22, 28]. Abb. 6.15 zeigt den Auszug einer beispielhaften Concept Map im Bereich Werkstoffprüfung.

6.4.5.2 Experiment Gerade im Bereich der Werkstoffprüfung eignet sich die Experimentmethode besonders für den Wissenserwerb. Auch wenn nicht in jeder Lehranstalt Gerätschaften für selbstständige Versuche vorhanden sind, so können trotzdem kleine, aber doch anschauliche Experimente zur Werkstoffprüfung durchgeführt werden. Alternativ und unterstützend könnten auch Videofilme vorgeführt werden (Tab. 6.11) [23].

Abb. 6.15  Beispiel für eine Concept Map

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Tab. 6.11  Fact-Box: Experiment „Werkstoffprüfung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Selbstständiger Erwerb von Wissen und Fertigkeiten • Vertiefung eines Themengebietes

Zeit

1–2 EH, je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppen von 4 bis 8 Personen

Raum/Platz

Labor

Material

Zu prüfende Materialien, je nach Versuchsanordnung

Lehr-/Lernziele

• Grundsätzliches Verständnis über die Einsatzmöglichkeiten und die Ergebnisse ausgewählter Prüfverfahren (N2) • Auswählen der notwendigen Prüfverfahren für konkrete Produkt- und Werkstoffauswahlbeispiele

Den Ausgangspunkt der Methode bildet eine Fragestellung, anhand derer die Studierenden noch vor Durchführung des Experimentes eine Hypothese zur Beantwortung formulieren. Diese Hypothese wird dann im Zuge der Durchführung des praktischen Experiments überprüft. Die Erkenntnisse werden schriftlich festgehalten, im Anschluss von den Lernenden interpretiert und der eingangs formulierten Hypothese gegenübergestellt [23]. Die Erkenntnisse können beispielsweise in Form von Postern festgehalten werden, um sie nachfolgend den Mitstudierenden zu präsentieren. Werkstoffprüfungen wie Zugversuch, Druckversuch, Scherversuch, Kerbschlagbiegeversuch, Härteprüfungen, Dauerfestigkeitsprüfungen und zerstörfreie Werkstoffprüfungen können den Studierenden natürlich optimal an den entsprechenden Maschinen und Prüfgeräten nähergebracht werden. Ohne diese Geräte können jedoch auch einfache Versuche durchgeführt werden.

Beispiel

Hin- und Herbiegeversuche mit Drähten aus unterschiedlichen Werkstoffen: Die Probe wird dabei hin und her gebogen, und zwar so lange, bis ein Riss oder der Drahtbruch auftritt. Die Studierenden sind angehalten, die Anzahl der Biegevorgänge zu zählen und dies als Vergleichseinheit zu verwenden. Auch für eine Schweißnahtprüfung sind keine speziellen Einrichtungen erforderlich. Dabei werden geschweißte Proben in einem Schraubstock befestigt und durch Schläge mit dem Hammer so lange aus einer Schlagrichtung bearbeitet, bis die Schweißnaht bricht. Die Lernenden können dann die Bruchfläche und mögliche Schweißfehler beurteilen. Härteprüfungen können beispielsweise mit dem Rückprallverfahren überprüft werden. Dafür geeignete Materialprüfgeräte sind relativ kostengünstig, einfach bedienbar und durch ihre handliche Größe auch für ortsungebundene Messungen gut geeignet.

6 Werkstoffeigenschaften89

Eine mit geringem Aufwand durchzuführende Bauteilprüfung ist eine Rissprüfung mit dem Farbeindringverfahren, die es ermöglicht, auch feine Oberflächenrisse zu erkennen.

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7

Lichtmikroskopische Gefügeanalyse Beurteilung der Gefüge metallischer Werkstoffe durch Einsatz eines Lichtmikroskops Sabrina Romina Sorko und Thomas Willidal

Zusammenfassung

Im Zuge dieses Kapitels werden die Herstellung von metallografischen Schliffen und die lichtmikroskopische Beurteilung inklusive der wichtigsten Gefüge (Ferrit, Perlit, Bainit, Zementit und Martensit) näher erläutert und mit ausgewählten praktischen Übungsbeispielen gefestigt.

7.1

Gefüge von Stählen

Mithilfe der Metallografie kann das Gefüge metallischer Werkstoffe sichtbar und dadurch beurteilbar gemacht werden. Je nach gewählter Abkühlgeschwindigkeit und Kohlenstoffgehalt bilden sich bei Stählen unterschiedliche Gefüge in Form von Kristallgitterstrukturen aus. Diese Gefüge unterscheiden sich signifikant bezüglich der mechanischen Eigenschaften. Bekannte Gefügebestandteile bei Stählen sind Ferrit, Perlit, Bainit, Zementit und Martensit, wobei der Martensit bei hohen Abkühlgeschwindigkeiten entsteht und die höchste Härte bzw. Festigkeit und die geringste Duktilität, im Vergleich zu den anderen genannten Gefügebestandteilen, aufweist [7]. In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Gefüge von Stählen wie z. B. Ferrit, Perlit, Bainit und Martensit vorgestellt und kurz beschrieben. Eine zumindest rudimentäre Kenntnis dieser wichtigsten Gefügebestandteile ist notwendig, um einfache metallografische

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] T. Willidal Stattegg, Österreich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_7

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Schliffbeurteilungen durchführen zu können und ein erstes Verständnis für den Zusammenhang zwischen dem vorliegenden Gefüge und der „Vorgeschichte des Werkstoffes“ (z. B. durchgeführte Wärmebehandlungen) zu entwickeln.

7.1.1 Ferritisches/Perlitisches Gefüge Unter „Perlit“ versteht man einen lamellar angeordneten eutektoiden Gefügebestandteil von Stahl, welcher aus einem Phasengemisch besteht. Die Bildung des Perlits erfolgt durch eine gekoppelte Kristallisation von Ferrit und Zementit (Eisenkarbid). Bei der eutektoiden Bildung des Gefüges Perlit verarmt ein Teil des Gefüges an Kohlenstoff, während die umgebenden Bereiche durch Diffusion mit Kohlenstoff angereichert werden. Durch die abwechselnde Bildung von Bereichen mit einem hohen und niedrigen Kohlenstoffgehalt ergibt sich das typisch lamellare Gefüge des Perlits. Stellt sich durch Diffusion im Austenit ein Kohlenstoffgehalt von 0,02 % ein, kommt es zu einer Umwandlung in ein ferritisches Gefüge. Durch eine Anreicherung von Kohlenstoff im Austenit auf 6,67 % C kommt es zur Bildung von Eisenkarbid. Abb. 7.1 zeigt beispielhaft ein ferritisch/perlitisches Gefüge, wobei der körnige Aufbau klar erkennbar ist.

7.1.2 Bainit/Martensit Für den Gefügebestandteil Bainit wird im deutschen Sprachraum auch die Bezeichnung Zwischenstufe verwendet. Bainit bildet sich bei Abkühlgeschwindigkeiten, welche zwischen der Perlitstufe und der Martensitstufe liegen. Prinzipiell kann zwischen einem unteren Bainit und einem oberen Bainit unterschieden werden.

Abb. 7.1  Ferritisch/perlitisches Gefüge

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse93

Unter einer Umwandlung in die Bainitstufe wird das Austenitisieren mit einem anschließenden Abschrecken oberhalb der Martensitstarttemperatur und einem anschließenden Auslagern verstanden. Die Abkühlgeschwindigkeit ist dabei so zu wählen, dass eine Umwandlung in die Perlitstufe vermieden wird. Der obere Bainit entsteht im höheren Temperaturbereich der Bainitbildung durch Umklappvorgänge in Kombination mit Diffusionsvorgängen. Aufgrund der erhöhten Bildungstemperatur des oberen Bainits, im Vergleich zum unteren Bainit, besteht eine gewisse Diffusionsfähigkeit des Kohlenstoffes im Ferrit, wobei es zu Ausscheidungen von Eisenkarbid (Zementit) zwischen den Ferritnadeln kommt. Somit besteht die Struktur des oberen Bainit aus ferritischen Nadeln mit Ausscheidungen von Zementit an den Ferritkorngrenzen. Abb. 7.2 zeigt ein teilbainitisches Gefüge, wobei die im Schliffbild bräunlich erscheinenden Bereiche bainitisch sind. Werden Stähle austenitisiert und im Anschluss schnell genug (überkritisch) abgeschreckt, entsteht ein martensitisches Gefüge. Bei einer Überschreitung der kritischen Abkühlgeschwindigkeit kann keine Diffusion der Kohlenstoffatome im Gitter mehr stattfinden, und es kommt durch einen Umklappvorgang zur Ausbildung des Gefügebestandteils Martensit. Abb. 7.3 zeigt beispielhaft ein martensitisches Gefüge mit bainitischen Anteilen. Die Härte des martensitischen Gefüges hängt stark vom Kohlenstoffgehalt im Material ab. Enthält ein Stahl mehr als ungefähr 0,4 % C, ist der Martensit entsprechend hart und wird auch als Härtungsgefüge bezeichnet. Bei einem Material mit einem geringen Kohlenstoffgehalt (ca. 0,1–0,2 % C) ist der Martensit jedoch relativ weich und zäh. Die Höhe der kritischen Abkühlgeschwindigkeit (bei Erreichen der kritischen Abkühlgeschwindigkeit kommt es zur Martensitbildung) hängt stark von den Legierungselementen im Stahl ab. Gewisse Legierungselemente (z. B. Chrom) erschweren die Diffusion von

Abb. 7.2  Teilbainitisches Mikrogefüge

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S. R. Sorko und T. Willidal

Abb. 7.3  Martensitisches Gefüge mit bainitischen Anteilen

Kohlenstoff im Gitter und senken somit die kritische Abkühlgeschwindigkeit signifikant ab. Das heißt, ein mit Chrom legierter Stahl (z.  B. 42CrMo4) kann deutlich langsamer im Vergleich zu einem unlegierten Kohlenstoffstahl (z.  B. C45) abgeschreckt werden. Dies wird praktisch genutzt, wenn z. B. Bauteile mit größeren Wandstärken vollkommen durchgehärtet (martensitisches Gefüge) werden sollen. Im Inneren des Bauteiles kann die Abkühlgeschwindigkeit nicht beliebig gesteigert werden. Somit würde ein Bauteil aus einem unlegierten Kohlenstoffstahl nur randnah ein martensitisches Gefüge aufweisen (kritische Abkühlgeschwindigkeit kann überschritten werden) und im Inneren des Bauteiles ein bainitisch/perlitisches Gefüge. Durch Verwenden eines legierten Vergütungsstahls (z. B. 42CrMo4) kann die kritische Abkühlgeschwindigkeit derart gesenkt werden, dass auch im Inneren des Bauteiles überkritisch abgekühlt werden kann und somit ein martensitisches Gefüge sich ausbildet. Ein martensitisches Gefüge von höher gekohlten Stählen ist im Regelfall sehr hart und spröde. Für die meisten technischen Anwendungen ist jedoch auch eine gewisse Duktilität der Bauteile notwendig. Die Duktilität gehärteter (martensitischer) Bauteile (Härten ist das Austenitisieren und im Anschluss überkritische Abschrecken) kann durch ein anschließendes Anlassen eingestellt werden. Unter Anlassen versteht man das Erwärmen unter der Umwandlungstemperatur (Umwandlung von kubisch raumzentriertem Ferrit in kubisch flächenzentrierten Austenit), mit einem anschließenden Halten der Temperatur für einen bestimmten Zeitraum und einem darauffolgenden Abkühlen an ruhender Luft. Durch das Anlassen kommt es zu einer Entspannung des Martensits, d. h., die Härte sinkt und die Duktilität steigt. Somit kann durch ein entsprechendes Anlassen ein guter Kompromiss zwischen Härte und Zähigkeit gefunden werden. Sehr viele Bauteile in der Praxis werden vergütet. Diese häufig durchgeführte Wärmebehandlung setzt sich aus den Teilschritten Härten und Anlassen zusammen. Das vorliegende Mikrogefüge nach einer solchen Wärmebehandlung ist ein angelassener Martensit.

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse95

7.2

Herstellen eines metallografischen Schliffs

Um ein Metall auf sein Gefüge hin überprüfen zu können, muss zunächst ein korrekter metallografischer Schliff angefertigt werden. In diesem Abschnitt wird die Herstellung eines metallografischen Schliffs näher beschrieben. Dieser Prozess kann in folgende Teilprozesse untergliedert werden: 1. Heraustrennen der Probe, 2. Einbetten der Probe, 3. Schleifen der Probe, 4. Polieren der Probe, 5. Reinigen der Probe, 6. Ätzen der Probe. Besonders wichtig ist, dass die Schliffpräparation und das Ätzen entsprechend fachmännisch vorgenommen werden, da sich auch ein sehr erfahrener Metallkundler bei der Befundung von metallografischen Schliffen auf eine entsprechende Probenpräparation verlassen muss. Bei einer Probenpräparation, welche nicht nach dem Stand der Technik durchgeführt wurde, kann es leicht passieren, dass Präparationsartefakte fehlinterpretiert werden und somit das Ergebnis der Befundung entscheidend beeinflusst wird. Im Folgenden wird näher auf die einzelnen Teilprozesse eingegangen.

7.2.1 Heraustrennen der Probe Aus dem zu untersuchenden Objekt wird eine Probe herausgetrennt, wobei darauf zu achten ist, dass durch die mechanische Bearbeitung keine unzulässige Erwärmung der zu untersuchenden Probe auftritt. Durch eine entsprechende Erwärmung kann es zu einer Gefügeveränderung kommen, welche das Untersuchungsergebnis entscheidend verfälschen würde.

7.2.2 Einbetten der Probe Im Regelfall werden die herausgetrennten Proben in einem Einbettmittel eingebettet. Durch das Einbetten werden zerbrechliche oder beschichtete Materialien während der Präparation geschützt, und zusätzlich kann durch das Einbetten eine hohe Randschärfe an den Proben erzielt werden, da ein bevorzugtes Abschleifen an den Probenrändern verhindert werden kann. Es besteht die Möglichkeit, die Proben warm oder kalt einzubetten. Beim Warmeinbetten wird die saubere und trockene Probe in einem Einbettzylinder in eine Warmeinbettpresse gelegt und ein geeignetes Einbettmittel (z. B. duroplastische oder thermoplastische Einbettmittel) zugegeben. Das Einbetten erfolgt bei einem ungefähren Druck von 250 bar

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Abb. 7.4  Warm eingebettete metallografische Probe

und einer Temperatur von etwa 180 °C. Um die Einbettzeit so kurz als möglich zu halten (mögliche Gefügebeeinflussung) wird mit Wasser gekühlt. Temperaturempfindliche Proben können in Epoxid- oder Acryl-Einbettmittel kalt eingebettet werden [8]. Die geringeren Kosten und die schnellere Anwendbarkeit gelten Hauptvorteile der Kalteinbettung gegenüber der Warmeinbettung. Als Hauptnachteil ist in der Spaltbildung (Schwindung des Einbettmittels) zwischen Einbettmittel und Probe zu sehen. Dies kann Nachteile bezüglich der Kantenschärfe der Probe und auch Probleme beim nachfolgenden Ätzvorgang (Sammlung von Ätzmittel im Spalt) bewirken [4]. Abb. 7.4 zeigt eine metallografische Probe, welche warm eingebettet wurde. Der nächste Präparationsschritt besteht aus einem entsprechenden Schleifen der metallografischen Probe.

7.2.3 Schleifen der Probe Das Schleifen der Probe dient der Abarbeitung der Unebenheiten und gegebenenfalls der Entfernung der obersten Schicht, welche durch eine vorgeschaltete Bearbeitung eventuell beeinflusst wurde. Im Regelfall ist der Schleifvorgang in mehreren Schritten auszuführen, wobei Schleifpapier von grober bis sehr feiner Körnung zum Einsatz kommt (z. B. von Körnung 100 bis zur Körnung 1000). Es ist besonders beim Schleifvorgang darauf zu achten, dass sich die Probe nicht zu stark erwärmt und es somit nicht zu einer unzulässigen Beeinflussung des Gefüges im Bereich der Schleifebene kommt. Wichtig ist auch

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse97

Abb. 7.5  Geschliffene metallografische Probe

noch zu erwähnen, dass nach jeder Schleifstufe die Probe gründlich zu reinigen ist, um ein Verschleppen von Schleifkörnern von einer in die nächste Schleifstufe zu verhindern [4]. Abb. 7.5 zeigt eine metallografische Probe, welche entsprechend geschliffen wurde.

7.2.4 Polieren der Probe Nach dem Schleifen ist noch das Polieren der metallografischen Probe notwendig. Durch diesen Poliervorgang sollten die feinen Unebenheiten, welche nach dem Schleifvorgang noch vorhanden sind, abgetragen werden. Typische Poliermittel, welche zum Einsatz kommen, sind Tonerde oder Diamantsuspension. Zum Vorpolieren wird typischerweise eine Korngröße von 6 bis 15 µm und zum Fertigpolieren eine Korngröße von 3 µm oder feiner verwendet. Durch das Polieren kann es zu einer Reliefbildung kommen. Diese hängt mit dem Vorhandensein von unterschiedlich harten bzw. zähen Gefügebestandteilen zusammen [4]. Zur Herstellung eines qualitativ hochwertigen Schliffs ist ein sorgfältiges und fachgerechtes Polieren unumgänglich.

7.2.5 Reinigen der Probe Im Anschluss an das Polieren ist es unbedingt notwendig, die Schliffe entsprechend zu reinigen. Reste der Probenpräparation können den anschließenden Ätzvorgang massiv negativ beeinflussen (Ätzartefakte). Die Schliffe sind im Regelfall unter fließendem

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Abb. 7.6  Polierte und gereinigte metallografische Probe

Wasser zu reinigen, mit Alkohol abzuspülen und in einem warmen Luftstrom (z. B. Fön) zu trocknen [3]. Abb. 7.6 zeigt eine polierte und gereinigte metallografische Probe.

7.2.6 Ätzen der Probe Zur Sichtbarmachung des Gefüges müssen in der Regel die metallografischen Schliffe geätzt werden, da sich ohne Ätzung nur Materialfehler wie Risse, Poren oder nichtmetallische Einschlüsse lichtmikroskopisch kontrastieren lassen. Dabei kann zwischen einer Makroätzung und einer Mikroätzung unterschieden werden. Mithilfe einer Makroätzung kann ein Überblick über Seigerungen und in weiterer Folge die Primärstruktur gegeben werden. Seigerung beschreibt die Entmischung eines Schmelzgutes im Abkühlvorgang aufgrund der Löslichkeit der verschiedenen Legierungsbestandteile. Für eine Makroätzung werden im Regelfall maximal dreißigfache Vergrößerungen verwendet. Durch eine Mikroätzung kann das Mikrogefüge von metallischen Proben sichtbar gemacht werden. Die bei der lichtmikroskopischen Begutachtung verwendeten Vergrößerungen liegen zwischen fünfzigfach und tausendfach [3, 6]. Aufgrund der Tatsache, dass die einzelnen Bestandteile des Gefüges unterschiedlich chemisch zusammengesetzt und/oder unterschiedlich kristallografisch orientiert sind, werden sie bei einer Ätzung unterschiedlich stark angegriffen. Je nach verwendetem Ätzmittel werden entweder Kornflächen, einzelne Phasen oder Korngrenzen verstärkt angegriffen und somit lichtmikroskopisch kontrastierbar. Abb. 7.7 zeigt eine durch Ätzen kontrastierte Probe, wobei mit bloßem Auge der Unterschied zu Abb. 7.6 schlecht erkennbar ist. Der Unterschied wird erst bei mikroskopischer Betrachtung deutlich.

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse99

Abb. 7.7  Kontrastierung des Mikrogefüges durch Ätzen

Ein wichtiges Standardwerk, welches sich mit dieser Thematik beschäftigt, ist Metallograhisches, keramographisches und plastographisches Ätzen von Petow [6].

7.3

Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen

Das Gefüge der erstellten Schliffe kann mithilfe eines Lichtmikroskops detailliert untersucht werden. Bei einer entsprechenden Kenntnis und Erfahrung mit der Materie können den kontrastierten lichtmikroskopischen Schliffbildern einzelne Mikrogefüge wie z.  B. Perlit, Martensit oder Bainit zugeordnet werden. Somit kann bei z. B. bei einem Schadensfall eine Beurteilung über die durchgeführte Wärmebehandlung des Bauteiles vorgenommen werden. Bereits bei den Römern war das Prinzip der Vergrößerung durch mit Wasser gefüllte Glasschalen bekannt. Jedoch erst um 1873 wurde durch Ernst Abbe aufgrund der Erforschung der nötigen physikalischen Grundlagen der Bau von modernen zusammengesetzten Mikroskopen möglich. In der Metallografie werden in der Regel Auflichtmikroskope benutzt. Abb. 7.8 zeigt ein modernes Auflichtmikroskop, wie es bei heutigen metallografischen Untersuchungen verwendet wird. In der Auflichtmikroskopie gilt die Hellfeldbeleuchtung als Standard. Bei diesem Verfahren wird das Objekt im Regelfall senkrecht beleuchtet und das reflektierte und gebeugte Licht wird zur Abbildung genutzt (Amplitudenkontrast). Das im Lichtmikroskop nach einer entsprechenden Probenvorbereitung erkennbare Gefüge eines Metalls besteht aus Körnern. Diese weisen eine unregelmäßige Begrenzung auf (sogenannte Korngrenzen) und sind scheinbar mit Materie gefüllt. Bei Metallen sind im Regelfall die kleinsten Bausteine der Materie, die Atome, regelmäßig nach

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Abb. 7.8  Modernes Auflichtmikroskop

einem bestimmten geometrischen Muster angeordnet. Man spricht von einem kristallinen Aufbau der Metalle. Bei einer unregelmäßigen Anordnung der Atome spricht man von einem amorphen Aufbau, welcher typisch für Gläser ist [7].

7.3.1 Ferritisches/Perlitisches Gefüge Bei der Bestimmung des Gefüges ist auf den Lamellenabstand zu achten. Dieser hängt von der Abkühlungsgeschwindigkeit aus dem Austenitgebiet ab. Abb. 7.9 verdeutlicht dies. Mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit nimmt der Abstand zwischen den Ferrit- und Zementitlamellen ab. Der Grund dafür ist, dass die Perlitbildung ein diffusionsbasierter

Abb. 7.9  Mechanismus der Perlitbildung

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse101

Prozess ist und mit abnehmender Temperatur die Diffusionsgeschwindigkeit und damit verbunden die möglichen Diffusionswege kleiner werden. Dies führt zu einem kleineren Lamellenabstand (feinerer Perlit) und einer entsprechenden Verbesserung der mechanischen Eigenschaften (s. Abb. 7.9). Bei einer weiteren Steigerung der Abkühlgeschwindigkeit wird die Diffusionsfähigkeit des Kohlenstoffs immer weiter eingeschränkt, bis schließlich eine Perlitbildung nicht mehr möglich ist.

7.3.2 Bainit/Martensit Ist eine Perlitbildung nicht mehr möglich, so kommt es zu einer Ausbildung des Gefügebestandteils Bainit. Abb.  7.10 und 7.11 zeigen den Mechanismus der unteren und der oberen Bainitbildung. Wie oben vermerkt, erfolgt die Bildung des unteren Bainits, im Vergleich zum oberen Bainit, bei deutlich niedrigerer Temperatur. Somit ist die Diffusionsfähigkeit des

Abb. 7.10  Bildungsmechanismus des unteren Bainit

Abb. 7.11  Bildungsmechanismus des oberen Bainit

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Kohlenstoffes im Ferrit erheblich eingeschränkt und eine Diffusion an die Ferritkorngrenzen nicht mehr möglich. Im Regelfall scheidet sich beim unteren Bainit der Kohlenstoff in Form von Zementitkristallen innerhalb der Ferritkörner aus.

7.4

Anwendungsfelder in der Praxis

Die lichtmikroskopische Gefügebeurteilung ist im industriellen Umfeld weitverbreitet. Sie wird beispielsweise als Instrument der Qualitätssicherung in der metallverarbeitenden Industrie angewandt. Des Weiteren wäre eine technisch fundierte Schadensanalyse ohne den Einsatz einer entsprechenden Gefügeanalyse nicht möglich. Beispielsweise wird aus einem gebrochenen Bauteil im Bereich des vermuteten Rissausganges zur Ursachenfindung eine Probe entnommen, ein metallograhisches Schliff angefertigt und entsprechend beurteilt. Auch im wissenschaftlichen Bereich wäre ohne eine Gefügeanalyse eine entsprechende Werkstoffforschung bzw. -entwicklung undenkbar. Aufgrund der Tatsache, dass aus dem Gefüge praktisch die Historie des Werkstoffs herausgelesen werden kann, ist eine qualitativ hochwertige Schliffpräparation essenziell wichtig. Eine nicht sachgemäße Präparation der metallografischen Schliffe kann leicht zu Fehlinterpretationen und falschen Schlüssen führen. Daher ist in der Praxis unbedingt darauf zu achten, dass diese Arbeiten von entsprechend geschulten und erfahrenen Mitarbeitern durchgeführt werden.

7.5

Lehr- und Übungsmaterial „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“

7.5.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Ausgangspunkt des Lehr- und Übungskataloges zum Thema „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“ bildet die Definition beispielhafter Lehr-/Lernziele entsprechend den unterschiedlichen Kompetenzniveaus. Die Übungsbeispiele orientieren sich am zuvor dargestellten Fachinhalt und dienen dazu, diesen nachhaltig zu trainieren. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten (s. Tab. 7.1). Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen oftmals Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen und beziehen digitale Kompetenzbereiche mit ein. So finden sich Anknüpfungspunkte zum Qualitätsmanagement, IT & Big Data, Controlling und Produktionstechnik. In den Abschn. 7.5.2, 7.5.3 und 7.5.4 finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse103 Tab. 7.1  Kompetenzerwerb zum Thema „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Gefüge von Stählen

• Relevante Fachbegriffe erklären • Gefügearten nach Härte und Abkühlgeschwindigkeit ordnen

• Gefügearten anhand von Skizzen vergleichen • Arten von Gefügen recherchieren

• Skizze einer Gefügeart analysieren • Einsetzbarkeit der Gefüge in der Praxis bewerten

Herstellungs-prozess eines metallografischen Schliffs

• Prozess der Herstellung eines metallografischen Schliffs beschreiben • Risikofaktoren anhand der Phasen der Herstellung erklären

• Herstellungsprozess anhand von praktischen Bildern sortieren und mit Kenngrößen versehen

• Qualität des Schliffs anhand der 6 Phasen bewerten • Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Erstellung eines Schliffs entwickeln • Digitalisierungspotenziale bei der Herstellung von metallografischen Schliffen erarbeiten

Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen

• Funktionsweise eines Lichtmikroskops beschreiben • Qualitätskriterien bei der lichtmikroskopischen Beurteilung nennen

• Skizzen den entsprechenden lichtmikroskopischen Bildern zuordnen

• Schliffe nach lichtmikroskopischer Analyse beschreiben • Schliffe nach lichtmikroskopischer Analyse ausgewählten Anwendungen zuordnen • Potenziale der Digitalisierung bei der Verwendung eines Lichtmikroskops diskutieren

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [2].

7.5.2 Gefüge von Stählen Das Beherrschen der Grundlagen der Metallografie ist Voraussetzung für den weiteren Kompetenzaufbau, vor allem um Gefüge erkennen und beurteilen zu können. Um die in diesem Abschnitt dargestellten Kompetenzen zu trainieren, werden folgende Methoden/ Übungen empfohlen: • Netzwerke (N1), • Aufgabenbearbeitendes Lernen mit abschließender Gruppendiskussion (N1, N2 und N3).

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Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

7.5.2.1 Netzwerke Die Methode „Netzwerke“ ist eine aktivierende Methode, die sich gut dazu eignet, vorhandenes Fachwissen zu wiederholen und zu festigen. Darüber hinaus wird durch den Einsatz dieser Methode auch die Kommunikationskompetenz der Lernenden trainiert. Durch die Dynamik der Übung ist diese auch sehr gut als Auflockerung bei längeren Lernblöcken oder zu Randzeiten (früh morgens bzw. spät abends) geeignet. Der Umfang richtet sich nach der Menge des zu wiederholenden Stoffes, wobei mehrere kürzere Phasen sinnvoller sind. Zur Durchführung der Methode werden Lernkarten benötigt, die entweder von der Lehrperson vorbereitet oder von den Lernenden im Vorfeld erarbeitet werden können. Ist das Lernmaterial einmal vorhanden, so kann die Methode auch kurzfristig in die Lehrveranstaltung integriert werden. Aufbauend auf das Netzwerk können Sortieraufgaben oder die Struktur-Lege-Technik (siehe dazu Abschn. „Struktur-Lege-Technik“) durchgeführt werden [5]. Aufgrund der Einfachheit ist das Netzwerklernen auch für kleinere Lerngruppen zur Vorbereitung für Prüfungen geeignet (s. Tab. 7.2). ▶▶



Tipp Das Netzwerk kann zu einem einfachen Gruppenpuzzle erweitert werden, indem nicht nur Fachbegriffe, sondern auch dazugehörige Inhalte auf Kärtchen verteilt werden. So könnten beispielsweise neben dem Fachbegriff (je nach Thema) dazugehörige Anwendungsbereiche, Bilder, Formeln oder Ähnliches beschrieben werden. Die Lernenden haben dann zunächst die Aufgabe, sich zu einer passenden Gruppe zusammenzufinden und anschließend den Fachbegriff im Plenum zu erklären. Die Kärtchen können auch zur Durchführung der SLT-Methode verwendet werden.

Das Netzwerk eignet sich vor allem für hochtechnische Themen, die mit vielen Fachbegriffen arbeiten oder ein fundiertes Verständnis für eine Menge an Fachbegriffen voraussetzen. Tab. 7.2  Fact-Box: Netzwerke „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden im Bereich Gefügeanalyse ermitteln • Aktivierende Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

10–30 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Plenum – für Großgruppe nur als Gruppenpuzzle geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Kärtchen mit relevanten Fachbegriffen des zu behandelnden Themas

Lehr-Lernziele

• Relevante Fachbegriffe erklären (N1)

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse105

Der Ablauf ist in zwei (fakultativ drei) Schritte gegliedert: 1. Die zu diskutierenden Fachbegriffe (wie z.  B. Duktilität, eutektisch, Diffusion, Austenitisieren Umklappvorgang, Ferrit, Perlit, Bainit, Martensit, Eisenkarbid etc.) werden einzeln auf Kärtchen geschrieben, wobei darauf zu achten ist, dass mehr Kärtchen als Lernende vorhanden sind. Nach dem Zufallsprinzip werden die Kärtchen an die Studierenden verteilt, welche sodann die Möglichkeit haben, Kärtchen zu tauschen. Das Ziel des Tauschens ist es, jene Fachbegriffe zu holen, welche auch selbst bereits erklärt werden können. Im Zuge dieser Phase können die Lernenden auch Informationen zu eigenen Fachbegriffen bei anderen erfragen, um so ihr Wissen zu vergrößern. 2. Ist die erste Phase abgeschlossen, trifft die Gruppe wieder im Plenum zusammen, und jeder erklärt den jeweils eigenen Begriff. Ist ein Begriff zweimal vorhanden, beginnt die erste Person mit der Erklärung und wird dann von der zweiten Person ergänzt. 3. Fakultativ kann darauf folgend eine dritte Phase durchgeführt werden: Die Lernenden haben die Aufgabe, ihren Begriff mit den erfragten/ergänzten Informationen in ein Online-WIKI (wird von unterschiedlichen Lernplattformen unterstützt, kann aber auch als einfache Offline-Datenbank auf einem Server zur Verfügung gestellt werden) einzupflegen. Dabei kann hinsichtlich der Aufbereitung der Inhalte beispielsweise auf Lehrinhalte aus Wissensmanagement verwiesen werden. Die Fachbegriffe für das Netzwerk können alternativ auch von den Studierenden erarbeitet werden. So kann beispielsweise ein Thema zu Hause vorbereitet werden, und im Zuge dessen notiert jeder Lernende jene Begriffe, die als unklar oder schwer verständlich empfunden werden. Vor der Lehreinheit werden die Kärtchen dann gesammelt, Doppelnennungen aussortiert und das Netzwerk begonnen. Diese Vorgehensweise empfiehlt sich vor allem für Wiederholungsphasen.

7.5.2.2 Aufgabenbearbeitendes Lernen mit abschließender Gruppendiskussion Im Sinne der Handlungsorientierung ist eigenständiges Arbeiten der Lernenden unabdingbar. Ein hoher Aktivitätsgrad kann beispielsweise durch das Erteilen von Arbeitsaufträgen bzw. Aufgaben erzeugt werden. Dabei ist wichtig, dass die Aufgaben für das Lehr-/Lernziel aus didaktischer Sicht angemessen gewählt sind. Dies betrifft Dimensionen wie Fachinhalt, bestehender Kompetenzstand der Lernenden oder verfügbare Ressourcen. Je nach Lehr-/Lernziel werden sechs unterschiedliche Aufgabenarten unterschieden [1]: • • • • • •

Abgrenzungsaufgabe, Antwortaufgabe, Auswahlaufgabe, Entdeckungsaufgabe, Ordnungsaufgabe, Unterscheidungsaufgabe.

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Tab. 7.3  Fact-Box: Aufgabenbearbeitendes Lernen „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung der theoretischen Grundlagen • Praxisbezogene Auseinandersetzung mit dem Thema Gefügeanalyse

Zeit

30 min Präsenzzeit zur Zusammenführung der Ergebnisse (abhängig vom Umfang der Recherchetätigkeit und der gewählten Reflexionsmethode) zuzüglich mind. 2 Wochen Recherche- und Ausarbeitungszeit

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit und Diskussion in Kleingruppen

Raum/Platz

Hörsaal – für Großgruppen geeignet

Material

Arbeitsaufträge offline oder online via Lernplattform und Präsentationsmaterial

Lehr-/Lernziele

• Gefügearten nach Härte und Abkühlgeschwindigkeit ordnen (N1) • Gefügearten anhand von Skizzen vergleichen (N2) • Arten von Gefügen recherchieren (N2) • Skizze einer Gefügeart analysieren (N3) • Einsetzbarkeit der Gefüge in der Praxis bewerten (N3)

Aufgabenbearbeitendes Lernen kann unter Berücksichtigung der genannten Dimensionen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein und von kurzen Einstiegssequenzen bis zu längerfristigen Arbeitsphasen (vergleichbar mit dem COOL-Auftrag) reichen. Je nach Art der Aufgabe ist diese Methode für diverse Zwecke geeignet und kann in jeder Sozialform durchgeführt werden. Aufgrund dieser breiten Einsetzbarkeit wird Aufgabenbearbeitendes Lernen häufig als didaktischer Grundsatz und weniger als klassische Methode angesehen. Mit dem folgenden komplexeren Beispiel werden verschiedene Aufgabenarten adressiert, um die breite Einsetzbarkeit praktisch darzustellen (s. Tab. 7.3). Hintergrundinformation Dieses Übungsbeispiel zeigt beispielhaft unterschiedliche Aufgabenarten adäquat zum jeweiligen Kompetenzerwerb. Welche Kompetenzen (N1–N3) durch die jeweilige Aufgabenart trainiert werden, ist an entsprechender Stelle vermerkt.

Für das Thema „Gefügeanalyse“ und die vorab definierten Lehr-/Lernziele könnten Arbeitsaufträge wie folgt gestaltet werden.

Beispiel

Abgrenzungs- und Unterscheidungsaufgabe Die Studierenden erhalten die Abbildungen (hier am Ende richtige Verweise auf die Skizzen aller Gefügearten) und müssen folgende Aufgabenstellungen lösen:

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse107

1. Vergleichen Sie die unterschiedlichen Gefügearten anhand der Skizzen, ordnen Sie zunächst die Bilder den einzelnen Gefügearten zu. 2. Arbeiten Sie die sichtbaren Unterschiede heraus und leiten Sie daraus Abgrenzungsmerkmale heraus. Entdeckungsaufgabe Diese Aufgabe kann direkt in der Präsenzzeit oder auch als eLearning-Inhalt oder Hausarbeit gestellt werden. Folgende Aufgabenstellungen wären beispielhaft möglich: 1. Recherchieren Sie in unterschiedlichen Medien (online und offline), welche Gefügearten in der Praxis zu welchen Zwecken eingesetzt werden. 2. Vergleichen Sie Ihre Rechercheergebnisse und versuchen Sie daraus abzuleiten, unter welchen Bedingungen die Gefügearten in der Praxis eingesetzt werden. 3. Leiten Sie daraus ein Bewertungsschema für die Einsetzbarkeit der Gefüge in der Praxis ab. Auswahlaufgabe Alternativ zur eigenen Recherche können den Studierenden auch vorab Informationen zur Einsetzbarkeit in der Praxis in Form von Firmenunterlagen oder wissenschaftlichen Artikeln zur Verfügung gestellt werden. Die Anforderung besteht darin, die inhaltlich richtigen Unterlagen für eine bestimmte Gefügeart auszuwählen und zu analysieren.

7.5.3 Übungen zu „Herstellungsprozess eines metallografischen Schliffs“ Im Handlungsfeld „Herstellen eines metallografischen Schliffs“ wird für manche Übungen als Trainingsmaterial ein Schliffkoffer empfohlen. Dadurch ist ein Kompetenzerwerb nahe an der Praxis möglich. Ergänzend dazu werden aber auch Übungen vorgestellt, die mit gängigen Lehrmaterialien durchgeführt werden können: • Struktur-Lege-Technik (N1 und N2), • M66 (N3). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

7.5.3.1 Struktur-Lege-Technik Die Struktur-Lege-Technik, kurz SLT, stellt keine klassische Methode, sondern vielmehr eine Lerntechnik dar, um Inhalte systematisch zu erfassen und strukturiert zu festigen. Die SLT eignet sich besonders zur Wiederholung oder Zusammenfassung von Fachinhalten und kann gut mit anderen Methoden, wie dem in Abschn. „Netzwerke“ beschriebenen Netzwerk, verbunden werden. Bei Anwendung der SLT versuchen die Lernenden, komplexe Themen

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zunächst aufzugliedern und dann systematisch-vernetzend neu zu strukturieren. Diese Technik kann vor allem zum Trainieren der Kompetenz „vernetztes Denken“ bzw. zum Ausbau der Mitsprachekompetenz und des Prozessverständnisses eingesetzt werden [5]. Auch diese Methode kann in unterschiedlichen Sozialformen je nach angestrebtem Kompetenzerwerb durchgeführt werden, wobei der individuelle Lernerfolg stets im Mittelpunkt steht. Tab. 7.4 zeigt die Rahmenbedingungen zum Einsatz der Methode „Struktur-Lege-Technik“. ▶▶

Tipp Die Kärtchen, die hier verwendet werden, können auch für die Methode Netzwerk verwendet werden.

Wie die zuvor behandelte Netzwerkmethode läuft auch diese Methode in zwei (fakultativ drei) Phasen ab: 1. Die Lernenden erhalten je Gruppe oder Paar einen Stapel mit Fachbegriffen. Diese müssen sie nun in einen aus ihrer Sicht sinnvollen Zusammenhang bringen bzw. diesen strukturieren. Dazu haben sie ca. 20 Minuten Zeit. Werden einzelne Stapel öfter ausgegeben, so ist darauf zu achten, dass die bearbeitenden Lerngruppen nicht direkt nebeneinandersitzen. 2. Wurden die Strukturen gebildet, so werden diese vorgestellt und die Qualität der Struktur mit der gesamten Gruppe diskutiert. Dazu sollten, je nach Anzahl der Gruppen, zumindest 20 bis 30  Minuten eingeplant werden. Die Vorstellung der Struktur kann via Online-Abgabe (Upload eines Fotos) anonymisiert stattfinden. Dies ermöglicht die Diskussion der Ergebnisse auch in einer großen Gruppe. 3. Bei Bedarf können die Ergebnisse in ein WIKI überführt werden. Dazu ist empfehlenswert, dass die Studierendengruppen die gefundenen Strukturbilder anhand der Diskussionsergebnisse adaptieren, neu anordnen und textuell erklären. Tab. 7.4  Fact-Box: SLT „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Festigen der Grundlagen im Bereich „Herstellen eines metallografischen Schliffs“ • Wiederholung des bisher Gelernten

Zeit

1 EH

Gruppengröße/Sozialform

Paar- oder Kleingruppenarbeit – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Kärtchen mit Fachbegriffen (je Studierendengruppe ein Kartenset)

Lehr-/Lernziele

• Prozess der Herstellung eines metallografischen Schliffs beschreiben (N1) • Risikofaktoren anhand der Phasen der Herstellung erklären (N1) • Herstellungsprozess anhand von praktischen Bildern sortieren und mit Kenngrößen versehen (N2)

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse109

Abb. 7.12 zeigt beispielhaft ein (kleines) Kartenset, das strukturiert wurde. Die Struktur dient als Diskussionsgrundlage im Plenum.

7.5.3.2 M66 M66 steht für „sechs Lernende für sechs Minuten“ und beschreibt eine Methode, die nicht nur zur Festigung von Fachkompetenz dient, sondern auch die Kommunikationsund Kooperationskompetenzen trainiert. Außerdem ist dies eine gute Methode, um die Entscheidungsfähigkeit der Studierenden und deren Problemlösungskompetenz weiter zu entwickeln. Diese Kompetenzen sind vor allem im Hinblick auf die Digitalisierung relevant [5]. Durch den Wissenstransfer in Kleingruppen werden alle Lernenden aktiviert und in den Lernprozess eingebunden. In einer abschließenden Großgruppendiskussion werden die Gruppenergebnisse reflektiert und verbunden. Das Setting der Diskussion (Präsentationsart, Dauer, Visualisierung) im Plenum kann, entsprechend dem angestrebten Kompetenzerwerb bzw. der Zielsetzung der Methode, frei gewählt werden (s. Tab. 7.5) [5]. Hintergrundinformation Die Anzahl der Kleingruppenphasen hängt beim ersten Lehr-/Lernziel von der Anzahl der Schliffproben ab.

Wird die Methode eingesetzt, so führt die Lehrperson zunächst in die Thematik ein und stellt die zu bearbeitenden Aufgaben. Danach versuchen die Studierenden, die Fragestellungen in Einzelarbeit bestmöglich zu beantworten. Dafür ist die Nutzung digitaler Geräte vorgesehen, um die Studierenden beim effizienten Recherchieren bzw. beim Umgang mit großen Datenmengen zu trainieren. Nach der Vorbereitungsphase bilden sich Studierendenteams zu sechs Personen und gruppieren sich, gut aufgeteilt, im Raum. Die Einteilung der Gruppen kann mit unterschiedlichen Verfahren erfolgen und von der Lehrperson fremd- oder von den Lernenden

Abb. 7.12  Beispiel Struktur-Lege-Technik

110

S. R. Sorko und T. Willidal

Tab. 7.5  Fact-Box: M66 „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Zur kurzfristigen Aktivierung im Rahmen längerer Lehrblöcke bzw. an Randzeiten • Inhaltlich am Ende eines Themas, wenn die Grundlagen gefestigt sind (aufbauend) • Training kommunikativer Kompetenzen • Förderung der Problemlösungskompetenz und Entscheidungsfreudigkeit • Schulung des Umgangs mit digitalen Medien und großen Datenmengen

Zeit

1 EH Präsenzzeit je Fragestellung: • 5 min Einführung in die Methode inkl. Aufgabenstellung • 20 min Einzelvorbereitung inkl. Recherche • 10 min Gruppenphase • 10 min Diskussion der Ergebnisse

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- und Gruppenarbeit (6 Personen) – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Tischgruppen oder Bewegungsfreiraum (Raum muss groß genug sein, dass sich die Gruppen bei der Ausarbeitung nicht gegenseitig stören)

Material

Fragestellungen, Digitale Geräte (Smart Phone, Tablet oder ähnliches) für die Recherchephase, verschiedene Schliffproben (je Gruppe eine)

Lehr-/Lernziele

• Qualität des Schliffs anhand der 6 Phasen bewerten (N3) • Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Erstellung eines Schliffs entwickeln (N3) • Digitalisierungspotenziale bei der Herstellung von metallografischen Schliffen erarbeiten (N3)

selbstgesteuert werden. Innerhalb von sechs Minuten muss die Gruppe die eigenen Ergebnisse abgleichen und zu einem gemeinsamen Ergebnis hinsichtlich der gestellten Frage kommen. In diesem Beispiel treffen sich die Studierenden dreimal in unterschiedlichen Gruppen und geben je Frage eine Gruppenantwort ab. Die Ergebnisse werden dann von der Lehrperson gesammelt und im Plenum diskutiert. Folgende Fragestellungen könnten von der Lehrperson gegeben werden: 1. Bewerten Sie die Qualität des gezeigten Schliffs anhand der 6 Phasen. 2. Entwickeln Sie Maßnahmen zur Qualitätssicherung bei der Erstellung eines Schliffs. 3. Erarbeiten Sie Digitalisierungspotenziale bei der Herstellung von metallografischen Schliffen. Aus didaktischer Sicht wird die Verwendung von originalen Schliffen empfohlen. Für die Vorbereitungsphase kann mit einer Dokumentenkamera gearbeitet werden: Die

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse111

zu analysierenden Schliffe werden unter die Kamera gelegt, und das Bild wird für das Plenum sichtbar. Alternativ kann mit Fotografien, die online zur Verfügung gestellt werden, gearbeitet werden; dies bietet sich vor allem dann an, wenn lediglich ein oder zwei Schliffe beispielhaft analysiert werden sollen.

7.5.4 Übungen zu „Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen“ Zur Förderung des Kompetenzerwerbs im Handlungsfeld „Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen“ wird vor allem auf Niveaustufe drei die Verwendung eines Lichtmikroskops empfohlen. Hinweise dazu finden sich bei den entsprechenden Übungen. Ist der Einsatz von Lichtmikroskopen nicht möglich, so ist die Verwendung von qualitativ hochwertigem Bildmaterial jedenfalls erforderlich, um einen adäquaten Trainingserfolg ermöglichen zu können. Folgende Methoden sind für den Kompetenzerwerb geeignet: • Kugellager (N1), • World Café (N2 und N3). Die Anwendung der Methoden kann auch hier unterschiedlich erfolgen. Didaktische Hinweise und Durchführungsvarianten ergänzen die jeweiligen nachfolgenden Beispiele.

7.5.4.1 Kugellager Das Kugellager ist eine Methode, mit der in kurzer Zeit viel Fachinhalt bearbeitet oder gefestigt werden kann. Demnach kann sie besonders gut zum Angleichen des Wissensstands der Lernenden, zur Diskussion oder zur Wiederholung eingesetzt werden. Der Ablauf richtet sich nach der Funktionsweise eines echten Kugellagers: zwei (Studierenden-)Kreise, die sich entgegengesetzt drehen und sich dazwischen zu zweit über ein Thema austauschen [5]. Diese Methode weist ebenfalls einen hohen Aktivitäts- und Kommunikationsgrad auf und ist auch bei größeren Studierendengruppen geeignet. Einzig die räumlichen Ressourcen müssen berücksichtigt werden. Auch zeitlich kann die Methode von einer kurzen Einstiegsaktivierung (10–15  Minuten) bis zu einer ganzen Lehreinheit gestaltet werden (s. Tab. 7.6). ▶▶

Tipp Zur Durchführung der Übung wird noch kein Lichtmikroskop benötigt, allerdings sollte zum besseren Verständnis mit Bildmaterial als Anschauungsmittel gearbeitet werden.

Die Studierenden teilen sich in zwei gleich große Gruppen und stellen/setzen sich gegenüber (idealerweise in einen Kreis). In einem klassischen Hörsaal kann die Aufstellung

112

S. R. Sorko und T. Willidal

Tab. 7.6  Fact-Box: Kugellager „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in die Thematik „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“ • Wiederholung der theoretischen Grundlagen im Bereich „Lichtmikroskopische Gefügeanalyse“

Zeit

10–20 min (je nach Anzahl der Wechsel)

Gruppengröße/Sozialform

Plenum – für Großgruppen bedingt geeignet (wenn Platz verfügbar)

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Keines

Lehr-/Lernziele

• Funktionsweise eines Lichtmikroskops beschreiben (N1) • Gefügebestandteile Ferrit, Perlit, Bainit und Martensit beschreiben (N1)

auch nach Reihen erfolgen, wobei bei einem Wechsel die Randperson(en) jeweils die Reihe wechseln müssen. In dieser Konstellation diskutieren die Studierenden zu zweit über ein vorgegebenes Thema. Zur Sicherung des Wiederholten ist es sinnvoll, sich Notizen zu machen. Nach einer beliebigen Zeitspanne, meist drei bis fünf Minuten, findet ein Wechsel statt, in dem sich beide Kreise gegeneinander drehen. So kommt jeder einen neuen Diskussionspartner, kann bisher Gesagtes aufgreifen, ändern oder ergänzen. Nach beliebig vielen Wechseln wird die Frage gemeinsam im Plenum reflektiert und beantwortet. Fragestellungen zum Thema „Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen“ könnten wie folgt lauten: 1. Beschreiben Sie die Funktionsweise eines Lichtmikroskops. 2. Beschreiben Sie Gefügebestandteile Ferrit, Perlit, Bainit und Martensit anhand der lichtmikroskopischen Analyse.

7.5.4.2 World Café Das World Café ist ähnlich einem Stationenbetrieb und zielt darauf ab, in kurzer Zeit unterschiedliche Themenstellungen zu bearbeiten und das Wissen aller Lernenden zusammenzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Die Methode eignet sich besonders zur Förderung der Problemlösungskompetenz der Studierenden, kann aber auch zur Wiederholung oder Diskussion eingesetzt werden. Wichtig für die Nachhaltigkeit der Methode ist eine abschließende Reflexion und Visualisierung der Ergebnisse durch die Lehrperson oder alternativ angeleitet durch die Lernenden [3].

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse113

Die einzelnen Stationen werden als Tischgruppen mit Medienunterstützung (Flip Chart, (interaktives) Whiteboard, Pinnwand etc.) vorbereitet. Daher sind für die Durchführung der Methode einerseits entsprechende räumliche, aber auch zeitliche Ressourcen nötig [3]. Besonders die Rüstzeit (Auf- und Abbau der Stationen) muss berücksichtigt werden (s. Tab. 7.7). ▶▶

Tipp Diese Übung lässt sich mit unterschiedlichen Arten von Lichtmikroskopen durchführen. Im Sinne des Trainings digitaler Kompetenzen wird die Anschaffung zumindest eines Lichtmikroskops empfohlen, um die Studierenden in der praktischen Anwendung zu unterstützen. Ideal wäre ein Lichtmikroskop für drei bis fünf Personen, um eine entsprechende Übungsintensität gewährleisten zu können. Alternativ kann mit Fotografien oder einer Dokumentenkamera gearbeitet werden.

Aufbau: Je Fragestellung eine Tischgruppe, die mit einem Flipchart-Bogen und Stiften versehen wird. Ergänzendes Material ist ebenfalls bereitzustellen. Die Studierenden sind gleichmäßig auf die Tische zu verteilen. Dabei ist zu beachten, dass maximal sechs Personen pro Tisch bzw. Frage sinnvoll sind. Die Anzahl der Fragen muss also auf die Anzahl der Studierenden abgestimmt werden. Ablauf: Die Studierenden diskutieren nun 10–15 Minuten die jeweilige Fragestellung und verschriftlichen die Antworten auf dem Flipchart-Papier. Nach Ablauf der Zeit bleibt eine Person am Tisch, die übrigen verteilen sich neu auf die anderen Tische. Nun wird wieder Tab. 7.7  Fact-Box: World Café „Gefügeanalyse“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Üben einer systematisch-strukturierten Arbeitsweise • Vernetzung zur Lehrveranstaltung Qualitätsmanagement • Erhöhung des Praxisbezugs der Lehre • Üben der richtigen Verwendung eines Lichtmikroskops • Auswirkungen der Digitalisierung anhand eines praktischen Beispiels verdeutlichen

Zeit

2 EH (je nach Anzahl der Fragen)

Gruppengröße/ Sozialform

Kleingruppen (6–8 Personen) und Plenum – für Großgruppen geeignet, sofern die räumlichen Ressourcen und genügend Fragen vorhanden sind

Raum/Platz

Tischgruppen

Material

Skizzen von Gefügearten, Fotos von lichtmikroskopischen Analysen, Lichtmikroskop, Schliffproben, Flipchart Papier, Stifte

Lehr-/Lernziele

• Schliffe nach lichtmikroskopischer Analyse beschreiben (N2) • Schliffe nach lichtmikroskopischer Analyse ausgewählten Anwendungen zuordnen (N3) • Potenziale der Digitalisierung bei der Verwendung eines Lichtmikroskops diskutieren (N3)

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S. R. Sorko und T. Willidal

10–15 Minuten diskutiert, und die Ergebnisse, die bereits ermittelt wurden, werden kontrolliert bzw. ergänzt. Der am Tisch Verbliebene hat die Aufgabe, zunächst die bisherigen Ergebnisse zusammenzufassen. Ist die Zeit abgelaufen, so wechseln die Studierenden wiederum. Wichtig ist, dass wieder eine Person am Tisch verbleiben muss, dies sollte aber nicht dieselbe Person sein wie in der Vorrunde (eine Person darf maximal einmal am Tisch verbleiben). Die Anzahl der Runden kann von der Lehrperson definiert werden und muss nicht zwingend der Anzahl an Fragen entsprechen. Nach Ablauf der Runden stellt jeder Tisch die Ergebnisse in Form einer Kurzpräsentation vor. Dies kann auch in Form einer PitchPräsentation erfolgen, bei der die Gruppe nur 60 Sekunden insgesamt Zeit hat, um die Kernergebnisse zu transportieren. Diese Art des Präsentierens wird auch in der Praxis immer häufiger. Da diese Form die Präsentierenden in eine Stresssituation bringt, sollte diese Präsentationstechnik jedenfalls im Rahmen eines Studiums geübt werden. Das World Café zum Thema „Lichtmikroskopische Beurteilung von metallografischen Schliffen“ könnte wie folgt gestaltet sein (s. Tab. 7.8). Die Gruppengröße beträgt 45 Personen an sechs Tischen. ▶▶

Tipp Bei Tisch 1 ist es zu empfehlen, dass nur ausgewählte Skizzen verwendet



werden, um ein Bestimmen nach dem Ausschlussverfahren durch die Studierenden zu unterbinden. Die Schliffprobe bei Tisch 4 und 5 sollten unterschiedlich sein.

Tab. 7.8  Beispiel für World Café „Lichtmikroskopische Beurteilung“ Tisch

Fragestellung

Ergänzendes Material

1

Analysieren Sie die Schliffproben und ordnen Sie diese den entsprechenden Skizzen zu

Skizzen von Gefügearten, Lichtmikroskop, Schliffkoffer

2

Ordnen Sie die Skizzen den richtigen Aufnahmen von lichtmikroskopischen Analysen zu

Skizzen von Gefügearten, Fotos von lichtmikroskopischen Analysen

3

Beschreiben und bestimmen Sie das Mikrogefüge der Schliffe anhand der relevanten Parameter

Lichtmikroskop, Schliffkoffer

4

Analysieren Sie das Gefüge und erarbeiten Sie mögliche Anwendungen für den Werkstoff

Lichtmikroskop, Schliffprobe, Digital Devices

6

Diskutieren Sie, welche Potenziale die Digitalisierung bei der Verwendung eines Lichtmikroskops hat

Digital Devices

7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse115

Literatur 1. Baumgartner P (2011) Taxonomie von Unterrichtsmethoden. Ein Plädoyer für didaktische Vielfalt. Waxmann, Münster 2. Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR (1956) Taxonomy of educational objectives: the classification of educational goals. Handbook I: cognitive domain. David McKay Company, New York 3. Brown J, Isaacs D (2005) The world café. Shaping our futures through conversations that matter. Berrett-Koehler Publishers, Inc., San Francisco 4. Lober D (2018) http://www.metallograf.de. Zugegriffen: 27. März 2018 5. Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 6. Petow G (2015) Metallographisches, keramographisches und plastographisches Ätzen. 7. Aufl. Bornträger, Gebrüder 7. Schumann H, Cyrener K, Molle W, Oettel H, Ohser J, Steyer H (2001) Metallographie. 13. Aufl. Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Stuttgart 8. Struers GmbH (2018) http://www.struers.com. Zugegriffen: 27. März 2018

8

3-D-Druck Additive Fertigung mit mittlerer Oberflächengüte Wolfram Irsa und Karin Besendorfer

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält eingangs grundlegende Fachinhalte zur Additiven Fertigung. Es wird insbesondere auf die Einordnung zu bewährten Strukturen (DIN8580) in der Produktionstechnik geachtet sowie auf einen umfassenden Überblick über die Einteilung der verschiedenen 3-D-Druck Technologien. Daran anknüpfend werden die Verfahren mit festen Ausgangsmaterialien detailliert erläutert. Die Verfahren mit flüssigen Ausgangsmaterialien werden danach behandelt. Es werden in Summe 17  verschiedene Verfahren beschrieben. Insbesondere werden erreichbare Maßgenauigkeit, Oberflächengüte, Temperaturbereiche und Anwendungsgebiete besprochen inklusive der Erläuterung von Vor- und Nachteilen. Danach sind vier Übungen im Methodischen Teil vorbereitet, um die Inhalte weiter zu vertiefen und das Wissen zu verfestigen. Dabei wird besonders Wert auf die physikalischen Grundlagen der Ausgangsstoffe gelegt, um die Möglichkeiten der Verfahren besser bewerten zu können.

8.1

Grundlagen des 3-D-Drucks

Die Erstellung von geometrischen Formen durch dreidimensionales Drucken ist unter den Begriffen 3-D-Druck, additive Fertigung, generative Fertigung oder Rapid Prototyping bekannt. Allen Verfahren ist gemeinsam, dass ein dreidimensionales Werkstück durch das

W. Irsa (*) Hitzendorf, Österreich e-mail: [email protected] K. Besendorfer Knittelfeld, Österreich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_8

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W. Irsa und K. Besendorfer

Auftragen von Material entsteht. Dadurch können Unternehmen auf vom Markt geforderte kurze Lebenszyklen kosteneffizient und dynamisch reagieren. Auch Privatpersonen interessieren sich für die Technologie, um ihre Kreativität durch 3-D-Modelle auszudrücken. Durch die Digitalisierung im Zuge von Industrie 4.0 werden täglich neue Anwendungsgebiete des 3-D-Drucks veröffentlicht. Heute sind Produkte der additiven Fertigung weitverbreitet, so finden sie beispielsweise in der Luft- und Raumfahrtindustrie, in der Medizin, in der Werkzeugfertigung sowie in der Architektur Einsatz [10]. Im Allgemeinen wird dabei ein Prozess durchlaufen, bei welchem der Verwendungszweck in erster Linie keine Rolle spielt. Ob das Produkt als Prototyp oder Fertigteil verwendet wird, kann in der weiteren Folge relevant sein, etwa bei bestimmten Arbeitsschritten in der Nachbearbeitung. 1. Erstellung des Modells: Geometriedaten der zu erstellenden Form werden digital in einem CAD-System zur Verfügung gestellt, gezeichnet oder gescannt. 2. STL-Schnittstelle: Überführung der CAD-Daten in ein neutrales Format (STL: Standard Transformation Language), hierbei wird das Modell durch eine Vielzahl von Dreiecken beschrieben. Relevant ist dabei die Anzahl der Dreiecke, denn sie setzt fest, wie genau die Form wird. Jedoch muss beachtet werden, dass mit größeren Datenmengen auch die benötigte Rechenleistung steigt. 3. Slicen: Das Modell wird in Schichten geschnitten; dabei wird die Dreiecksdarstellung genutzt, da dadurch die Eckpunkte mathematisch berechenbar sind. 4. Bauprozess: Je nach Verfahren wird das Modell erstellt; zu beachten ist hier die Schichtdicke, die ebenfalls zur Genauigkeit beiträgt. 5. Nachbearbeitung: Oft werden hier Verfahren zur Verbesserung der Oberflächengüte oder Ähnlichem eingesetzt [28]. Die Einstellung der Parameter zeigt oft schon, wie komplex diese Techniken sind. Des Weiteren sind meist Erfahrungswerte und eine kontinuierliche Überwachung der Prozesse unerlässlich. Die Verwendung von Methoden zur additiven Fertigung setzt außerdem Fähigkeiten zur konstruktiven Gestaltung von Modellen voraus. Weitere Kritikpunkte sind, dass Baufehler während der Herstellung nicht korrigiert werden können oder nur schwer zu erkennen sind und dass die weitere Bearbeitung nicht nur vom gewählten Verfahren, sondern auch vom verwendeten Material und der Geometrie des Körpers abhängt [10]. Um sich für ein geeignetes Verfahren entscheiden zu können, ist es einerseits notwendig, das zu erstellende Gut zu kennen. Nicht nur das verwendete Material spielt hierbei eine Rolle, sondern auch die Art der Form. Andererseits ist Wissen über die unterschiedlichen Methoden der additiven Fertigung essenziell. Jedes Verfahren hat technische Grenzen, Vor- und Nachteile, über die im Vorhinein Informationen eingeholt werden müssen [5].

8 3-D-Druck119

8.1.1 Einordnung in die Fertigungsverfahren nach DIN 8580 In der Literatur finden sich verschiedene Argumente zur Einordnung in diese Norm, in der die additive Fertigung noch nicht kategorisiert wurde. Einerseits gibt es eine klare Abweichung zum Ur- und Umformen, da man für additive Fertigungsverfahren kein Formwerkzeug benötigt [2]. Andererseits wird in vielen Feststellungen aufgezeigt, dass beim Fertigen das Material verbunden wird, um ein Bauteil zu erstellen. Durch diese schichtweise Zusammenfügung werden die Verfahren nach der Definition in der Norm zu den Methoden des Urformens hinzugezählt [15]. Da die additive Fertigung noch nicht in der Norm festgehalten wurde, findet sich in der Fachliteratur häufig eine Einteilung in subtraktive (Material wird entfernt, z. B. Drehen, Fräsen), formative (Form wird verändert, z. B. Schmieden, Tiefziehen) und additive Fertigungsverfahren (Material wird aufgebaut). Hierbei orientiert sich die Zuteilung hauptsächlich an der Erstellung der Geometrie des Bauteils [11].

8.1.2 Verfahren der additiven Fertigung Es existieren bereits viele verschiedene Methoden zu den generativen Fertigungsverfahren. Ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass Material schichtweise zusammengefügt wird,

Abb. 8.1  Einteilung der generativen Fertigungsverfahren

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W. Irsa und K. Besendorfer

um ein Bauteil zu erstellen. Alle Modelle benötigen zuvor eine digitale Abbildung (CAD), welche in ein neutrales Format umgewandelt wird [26]. Bevor die Verfahren näher beschrieben werden, folgt in Abb. 8.1 eine grobe Einteilung der generativen Fertigungsverfahren in Anlehnung an Breuninger [6] und Horsch [16]. In Abb. 8.1a befindet sich der Zustand des Ausgangsmaterials, in Abb. 8.1b das technologische Prinzip und in Abb. 8.1c sind einige Verfahren angeführt. Oft führen die Bezeichnungen der Verfahren zur Verwirrung, da sie von den Herstellern festgelegt werden. Sinnvoller ist deshalb die Einteilung nach dem Ausgangsmaterial, da die Verfahren so eindeutiger abgegrenzt werden können [6].

8.2

Rapid Prototyping

8.2.1 Rapid Prototyping Durch Rapid Prototyping ist die schnelle Herstellung von Modellen und Prototypen möglich. Durch additive Fertigungsverfahren werden Kosten und Zeit gespart, welche sonst durch die Erstellung von Werkzeugen oder Vorrichtungen aufgebracht werden müssten. Die Autonomie der Maschine ermöglicht eine Fertigung während nicht von Mitarbeitern besetzten Nachtstunden, sodass das gewünschte Bauteil am Tag konstruiert werden kann, über Nacht produziert wird und am nächsten Tag begutachtet oder getestet werden kann. Generative Fertigungsverfahren waren in der Vergangenheit unter dem Namen Rapid Prototyping bekannt. Heute werden allerdings nicht nur Prototypen erstellt, weshalb diese Bezeichnung die Komplexität des Themas nicht mehr angemessen beschreibt. Geeinigt hat man sich auf den Überbegriff „Additive Fertigung“, aber auch „3-D-Druck“.

8.2.2 Rapid Tooling Unter diesem Begriff versteht man die Herstellung von Werkzeugen und Formen mittels 3-D-Druckverfahren. Die daraus entstehenden Werkzeugformen müssen die gleichen mechanischen und thermischen Qualitäten aufweisen wie eine vergleichbare Form, die mittels subtraktiver Verfahren wie Bohren, Drehen oder Fräsen hergestellt wurde. Durch den schichtweisen Aufbau können komplizierte Kühlkanäle in die Form miteingebracht werden, wodurch sich die Langlebigkeit verbessern lässt. In der Literatur findet man diesen Begriff auch unter der Bezeichnung Direct Tooling.

8.2.3 Rapid Manufacturing Beim Rapid Manufacturing werden im Prozess des 3-D-Druckens direkt die gewünschten Bauteile erzeugt. Formen und Spannsysteme fallen hierbei gänzlich weg, wodurch Rapid Manufacturing eine interessante Alternative zu den subtraktiven Verfahren darstellt. Der

8 3-D-Druck121

Prozess eignet sich aufgrund der hohen Durchlaufzeit eher für Kleinserien von Endprodukten, da die Durchlaufzeit bei Bearbeitungsmaschinen noch kürzer ist. Rapid Manufacturing wird in der Literatur auch als Direct Manufacturing bezeichnet.

8.3

Verfahren mit festem Ausgangsmaterial

8.3.1 3-D-Drucken mit Pulver – 3DP Die Schichtbindung von Pulverpartikeln in der Größenordnung von 50 μm durch selektives Einspritzen eines flüssigen Bindemittels in den oberen Bereich eines Pulverbettes nennt man dreidimensionales Drucken (Three Dimensional Printing, 3DP). Hierbei können viele pulverförmige Materialien verwendet werden; die bekanntesten Vertreter sind Gips- und Kunststoffpulver. Das Verfahren wurde in den frühen 1990er-Jahren am MIT entwickelt und registriert. Später wurde es von mehreren Unternehmen erworben und am Markt angeboten. Die Methode hat sich stark weiterentwickelt, da heute Kunststoff, Metall, Komposit, Sand oder Keramiken als Werkstoffe infrage kommen und im Handel erhältlich sind. 3-D-Drucken wurde zum Synonym für die gesamte additive Fertigung, weshalb der Terminus mit besonderer Sorgfalt eingesetzt werden sollte. Der Begriff hat sich durchgesetzt, da er leicht zu erklären ist. Oft wird damit aber nicht direkt das Druckverfahren gemeint, weshalb es zu Unklarheiten kommt [8, 12]. Die nachstehende Abb. 8.2 zeigt die Bestandteile eines durchschnittlichen 3-D-Druckers. Aus den Druckköpfen werden Bindemittel auf das Pulver getropft, welches kristallisiert. Dabei können unterschiedliche Farben beigemengt werden, sodass bunte Modelle entstehen können. Das Pulverbett bewegt sich mit jeder Schicht nach unten, damit der Körper aufgebaut werden kann. Nach dem Druck muss das Modell vom Pulver befreit und eventuell imprägniert werden, etwa durch Epoxidharz [8]. Zu den Vorteilen dieser Methode zählt unter anderem die Herstellung von vollfarbigen Bauteilen und komplexen Modellen. Allerdings müssen die erzeugten Produkte nachbehandelt werden, und sie verfügen über beschränkte mechanische Eigenschaften sowie eine raue Oberfläche [23].

Abb. 8.2  3-D-Druck

122

W. Irsa und K. Besendorfer

8.3.2 Selektives Lasersintern – SLS Eine größere industrielle Bedeutung hat das selektive Lasersintern (Selective Laser Sintering, SLS). Der Unterschied zum klassischen Sintern besteht darin, dass hierbei der Werkstoff in Pulverform selektiv durch einen Laser bearbeitet und nicht auf einmal aufgeschmolzen wird. Aufgrund der großen Materialauswahl wird dieses Verfahren oft angewandt, da Komposit, Metall, Kunststoff und Sand verwendbar sind. Des Weiteren kann durch die vielen möglichen Geometrien eine große Anzahl an Formen hergestellt werden. Wie hervorgeht, wird bei diesem Verfahren erst Pulver in dünnen Schichten durch eine Walze auf die Fläche aufgebracht. Danach wird der Laser auf einen Spiegel gerichtet, wodurch die zuvor benötigten Informationen auf die Pulverschicht übermittelt werden. Der Laser bewirkt dabei, dass die Partikel des Pulvers aufgeschmolzen und danach wieder verfestigt werden. Nach jeder fertigen Schicht senkt sich die Bauplattform, das Modell kann nach oben erstellt werden. So entstehen nach und nach die Schichten, welche dann das Bauteil ergeben. Die zuvor erwähnte Aufteilung in Datenpunkte ist gerade bei diesem Verfahren von großer Bedeutung, da es bei zu geringer Auflösung zu Bauteilfehlern kommen kann [26]. Diese Methode wird oft eingesetzt, da keine Stützkonstruktionen benötigt werden. Des Weiteren entstehen so flexible Bauteile, die mechanisch und thermisch belastbar sind. Selektives Lasersintern zeichnet sich nicht nur durch die Möglichkeit der Erstellung von komplexen Formen, sondern auch durch die vielen verwendbaren Materialien aus. Es ist eine raue Oberfläche erzeugbar, der Herstellungsprozess ist langsamer als andere und die Formen können nur einfarbig sein. Außerdem verfügen die Bauteile nicht über die gleichen Eigenschaften wie ihre Gegenstücke, die durch Spritzguss erstellt werden [23].

8.3.3 Selektives Wärmesintern – SHS Diese Technologie ähnelt dem selektiven Lasersintern, verwendet aber einen Thermodruckkopf anstelle eines teureren Lasers. Beim selektiven Wärmesintern (Selective Heat Sintering, SHS) wird das Pulver also nicht punktförmig, sondern flächig aufgeschmolzen. SHS ist eine Drucktechnologie, die mit einem Thermodruckkopf arbeitet, um Wärme auf Schichten aus pulverisiertem Thermoplast aufzubringen. Durch den Druckkopf verschmilzt das Pulver nach der Vorlage. Wenn eine ganze Schicht vom Modell verschmolzen ist, so wird erneut eine Schicht des verwendeten Pulvers aufgebracht. Dieser Vorgang wird wiederholt, bis das Modell fertiggestellt ist. Diese Technologie braucht keine Stützstrukturen. Jedes Pulver, das nicht verschmolzen ist und somit als Trägermaterial fungiert, kann wiederverwendet werden. Die Bauteile verfügen über gute mechanische Eigenschaften, und simultan können mehrere Modelle gleichzeitig erstellt werden. Jedoch ist dieses Verfahren langsamer als das selektive Laserschmelzen [1].

8 3-D-Druck123

8.3.4 Selektives Laserschmelzen – SLM Selektives Laserschmelzen (Selective Laser Melting, SLM) ist ein Begriff, der von einem Unternehmen geschützt wurde, weshalb das Verfahren in der Literatur häufig als Laser Beam Melting (LBM) bezeichnet wird [25]. Dabei können Formen mit höchster Geometriefreiheit aus pulverförmigen Werkstoffen hergestellt werden. Wirtschaftliche und umweltfreundliche Vorteile können durch die Leichtbauweise und den Wegfall anderer Herstellungsverfahren erreicht werden [29]. Abb. 8.3 zeigt diesen Vorgang. Eine Schicht des pulverförmigen Materials wird aufgetragen und mit einem Laser bestrahlt. Dieser Prozess wird Belichtung genannt. Nach diesem Vorgang erstarrt das aufgetragene Material und die Bauplattform wird um die Schichtdicke abgesenkt, wiederum wird der pulverförmige Werkstoff aufgebracht. Dieser Vorgang wird wiederholt, bis das Modell fertig ist. Durch das neuerliche Belichten werden die zuvor erstellten Schichten stoffschlüssig miteinander verbunden. Bei diesem Verfahren werden Stützstrukturen verwendet, die gleichzeitig die entstehende Wärme auf die Bauplattform weiterleiten. Diese müssen nach der Fertigstellung des Modells entfernt werden. Das kann manuell oder durch spanende Nachbearbeitung auch automatisiert erfolgen. Das selektive Laserschmelzen ermöglicht es, Bauteile mit hoher Dichte herzustellen, jedoch ist oft eine Nachbearbeitung erforderlich, das Verfahren ist nicht sehr schnell und kostenintensiv. Außerdem ist die Oberflächenqualität eher gering. Zur Erstellung von Modellen können Metalle und Kunststoffe verwendet werden [19].

8.3.5 Schmelzschichtung – FDM Das FDM-Verfahren (Fused Deposition Modeling) funktioniert ähnlich wie ein Plotter, der dreidimensionale Objekte drucken kann (s. Abb. 8.4). Zur Durchführung dieser Methode Abb. 8.3  Selektives Laserschmelzen

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W. Irsa und K. Besendorfer

Abb. 8.4  Schmelzschichtung

benötigt man Stützkonstruktionen, vor allem um komplexe Geometrien herstellen zu können. Meist werden die Stützen aus einem wasserlöslichen Polymer gefertigt, sodass die Entfernung einfach zu realisieren ist. Aufgrund der Anlagengröße eignen sich Geräte, die mit der Schmelzschichttechnologie funktionieren, für Büros und Entwicklungsabteilungen. Vor allem auch, da sie einfach und sauber zu bedienen sind [14]. Bei der Schmelzschichtung wird schmelzbarer Draht in eine beheizte Düse gegeben. Dort wird er aufgeschmolzen und auf die Bauplattform gebracht. Die Düse bewegt sich horizontal, die Bauplattform kann vertikal bewegt werden. Schicht für Schicht wird der geschmolzene Draht aufgebracht, wobei beim Erkalten der Stoffschluss hergestellt wird [24]. Durch das FDM-Verfahren können resistente, kostengünstige Bauteile hergestellt werden; sie sind jedoch aufgrund der Oberflächengüte nicht für Modelle mit hohem Detailierungsgrad geeignet. Des Weiteren ist der Prozess der Fertigung eher langsam. Das Verfahren kann Kompositwerkstoffe, Kunststoffe und Wachs verarbeiten [23].

8.3.6 Stick Deposition Moulding – SDM Dieses Verfahren ähnelt dem Schmelzschichten, allerdings werden hierbei anstelle von Kunststoffdrähten Sticks verwendet (s. Abb.  8.5). Durch Kunststoffspritzguss werden Sticks hergestellt, welche seitlich Profile aufweisen. Sie sind etwa 25 Zentimeter lang, werden dem Extruder nach und nach zugeführt und befinden sich in einem Vorratsmagazin. Da sie profiliert sind, können die Sticks durch Zahnräder vorangeschoben werden. Die Verwendung dieser Methode ermöglicht eine genauere Regelung der Schichtdicke, somit können Bauteile exakter hergestellt werden [7]. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Druckvorgang nicht unterbrochen werden muss, falls ein Stick aus unterschiedlichem Material oder in einer anderen Farbe eingelegt werden muss. Dies lässt sich einfach durch den

8 3-D-Druck125 Abb. 8.5  Stick Deposition Moulding

Vorratsbehälter ändern. Der Drucker, welcher mit diesem Verfahren arbeitet, ist jedoch nicht für industrielle Anwendungen konzipiert [22].

8.3.7 Folienlaminier-3-D-Druck – LOM Der Folienlaminier-3-D-Druck (Laminated Object Modeling, LOM) ist eine ältere Methode der additiven Fertigung (s. Abb. 8.6). Hierbei werden Folien (aus Kunststoff, Keramik oder Aluminium) oder Papier aufeinander geklebt. Durch eine geheizte Andruckrolle werden die Folienschichten miteinander verbunden. Ein Laserstrahl schneidet die Kontur ein, durch eine exakte Fokussierung des Strahls kann nur die zuletzt aufgetragene Schicht weiterbearbeitet werden [7]. Der Vorteil dieser Methode ist, dass die Fertigungskosten gering sind. Die Geschwindigkeit ist größenunabhängig, durch die schichtweise Laminierung entsteht nur wenig innere Spannung, wodurch die Bauteile weitgehend verzugsfrei sind. Jedoch ist das

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W. Irsa und K. Besendorfer

Abb. 8.6  Folienlaminier-3-DDruck

Verfahren eher ungenau, einfarbig, und die Anwendungsgebiete sind eingeschränkt. Das Restmaterial ist nicht wiederverwendbar und oft schwierig zu entfernen. Hinzu kommt, dass dieses Fertigungsverfahren nur noch selten vorkommt [6, 23].

8.3.8 Laserauftragsschweißen – DMD Das Laserauftragsschweißen (Direct Metal Deposition, DMD) verwendet einen Laser mittels CNC-Steuerung, um das Metallpulver zu schmelzen, welches sich schnell verfestigt. Dadurch entstehen eine kleine wärmebeeinflusste Zone und eine feinkörnige Struktur. Schichtweise wird das Bauteil erstellt. Dieses Verfahren ermöglicht die Erstellung von Objekten, wie beispielsweise funktionale Metallprototypen oder bearbeitbare Spritzgusswerkzeuge [18]. Durch den Laser wird auf der Oberfläche ein Schmelzbad hergestellt. Das Material wird pulverförmig oder als Draht zugeführt. Der Schweißkopf wird mechanisch über das Bauteil bewegt, wodurch die gewünschten Flächen aufgeschmolzen werden. Er besteht aus dem Laserstrahl, um den meist vier Düsen befestigt sind. Wenn die Schicht fertig ist, wird der Schweißkopf nach oben bewegt, um den Zyklus zu wiederholen [15]. Da beim Auftragsschweißen Schichten auf ein bestehendes Modell aufgetragen werden können, eignet sich dieses Verfahren besonders für Reparaturen und zum Korrosionsschutz. Außerdem können Änderungen hinsichtlich der Geometrie eines Bauteiles vorgenommen werden. Durch diese Methode können Formen jeglicher Größe bearbeitet werden. Als Nachteile sind die geringe Präzision der Maßhaltigkeit und die reduzierte geometrische Freiheit gegenüber dem selektiven Laserschmelzen zu erwähnen [3].

8 3-D-Druck127

8.3.9 Laminierverfahren – SDL Das Laminierverfahren (Selective Deposition Lamination, SDL) beschreibt ein 3-D-Druckverfahren, bei dem Papierschichten aufgebaut werden (s. Abb. 8.7). Aufgrund des Druckprozesses, des Schichtens und Formens von Papier, funktioniert diese Technologie ähnlich wie der Folienlaminier-3-D-Druck (LOM), der in den 1990er-Jahren etabliert wurde. Der SDL-3-D-Druckprozess baut Teile schichtweise mit Standardkopierpapier auf. Jede neue Schicht wird mit einem Kleber auf die vorherige Schicht angebracht. Ein neues Blatt Papier wird von der Papierzuführungsmaschine in den 3-D-Drucker eingespeist, der Klebstoff selektiv auf die vorhergehende Schicht aufgebracht, dann wird die Bauplatte unter Druck auf eine Heizplatte gepresst. Der Druck sorgt für eine feste Bindung zwischen den beiden Blättern. Dann schneidet ein einstellbares Wolframkarbidmesser aus dem Blatt Papier die Kontur der Form [21]. Durch diese Methode können mehrfarbige Bauteile ökonomisch und ökologisch hergestellt werden, jedoch ist die Festigkeit gering. Hauptsächlich wird das Verfahren angewandt, um Prototypen oder Anschauungsmodelle herzustellen [23].

8.4

Verfahren mit flüssigem Ausgangsmaterial

8.4.1 Multi-Jet Modeling – MJM Dieses Verfahren ähnelt dem Tintenstrahldrucken, bis auf die Beweglichkeit des Druckkopfes (s. Abb. 8.8). Es ermöglicht die Erstellung von detaillierten Bauteilen, da beim Drucken

Abb. 8.7  Laminierverfahren

128

W. Irsa und K. Besendorfer

Abb. 8.8  Multi-Jet Modeling

sehr kleine Tropfen erzeugt werden. Die Ergebnisse sind denen der Stereolithografie ähnlich. Für die Stützstruktur eignen sich Materialien wie Wachs oder nadelartige Objekte [8]. Beim Multi-Jet Modeling wird der Werkstoff aufgeschmolzen und daraufhin über Druckköpfe aufgebracht. Die Druckköpfe sind beheizt, die Düsen sind linienförmig angebracht. Die Arbeitsplatte kann vertikal bewegt werden. Das Material härtet direkt nach dem Aufbringen aus, Stützen können über separate Düsen eingesetzt werden. Der Prozess funktioniert schnell, da mit dem Druckkopf der gesamte Bereich des Bauraumes erreicht werden kann [10]. Durch dieses Verfahren können Bauteile erstellt werden, die über hohe Genauigkeit und glatte Oberflächen verfügen. Sowohl flexible als auch stabile, einfarbige oder bunte Modelle sind möglich. Des Weiteren handelt es sich hierbei um ein schnelles Fertigungsverfahren, bei dem unterschiedliche Materialien verwendet werden können. Die Hitzebeständigkeit der Bauteile ist aus diesem Grund begrenzt, außerdem sind die Fertigungskosten hoch. Es können unterschiedliche Kunststoffe und Wachse eingesetzt werden [23].

8.4.2 Stereolithografie – SLA Bereits im Jahr 1988 wurde diese Methode kommerzialisiert, welche das erste Verfahren der additiven Fertigung war, das zur industriellen Verwendung eingesetzt wurde. Bei der Stereolithografie (Stereolithography, SLA) wird ein Laserstrahl verwendet, um Fotopolymer (lichtempfindliches Kunstharz) auszuhärten. Die Bauplattform senkt sich dabei nach unten ab, somit entsteht das Bauteil schichtweise nach oben. Eine Anlage besteht aus zwei Teilen, es werden ein Laser benötigt und ein Fotopolymerbad mit einer absenkbaren Plattform [17]. Über ein Strahlführungssystem wird der Laserstrahl gesteuert, welcher über die Oberfläche des Bades geführt wird. Nach jeder Schicht wird die Plattform um die Schichtdicke abgesenkt, woraufhin durch den Wischer eine neue Schicht des Harzes aufgetragen wird. Dieser Vorgang wiederholt sich, bis das Bauteil vollständig hergestellt wurde. Nach der Fertigstellung wird das Bauteil gereinigt und gegebenenfalls nachbehandelt, z. B. durch Bestrahlung gehärtet. Die erstellten Modelle verfügen über eine transparente Färbung, abhängig von der Anlage können verschieden große Formen hergestellt werden. Es ist auch möglich, Einzelteile zu fertigen, die im Anschluss verbunden werden können [17].

8 3-D-Druck129

Durch die Stereolithografie kann eine detaillierte Oberfläche und eine hohe Fertigungsgenauigkeit erreicht werden. Die Bauteile sind transparent und können komplexe Formen widerspiegeln. Jedoch können nur Materialien verwendet werden, die durch UVBestrahlung gehärtet werden. Die Kosten sind im Vergleich zu anderen Verfahren höher, der Prozess ist zeitaufwendig. Des Weiteren können nur einfarbige Modelle hergestellt werden, und nicht jede Geometrie ist druckbar. Die benötigten Stützstrukturen müssen im Nachhinein entfernt werden. Für diese Methode werden Keramik, Kunststoff oder Wachs als Material verwendet [23].

8.4.3 Poly-Jet Modeling – PJM Ebenso wie bei der Stereolithografie findet hierbei die Erstellung eines Modells durch Polymerisation statt (s. Abb. 8.9). Im Unterschied zum Multi-Jet Modeling werden jedoch zwei oder mehr Druckköpfe verwendet. So können Formen erstellt werden, für die mehrere verschiedene Materialien und unterschiedliche Farben eingesetzt werden. Diese Methode findet in verschiedenen Fällen Anwendung, so beispielsweise als Konzeptmodelle, Funktions- und Fertigungsmodelle, hauptsächlich in Bereichen der Automobil-, Elektronik- und Medizinindustrie. Außerdem können verschiedene Materialien mit unterschiedlichen Eigenschaften als Werkstoff dienen. Dies spielt für die Medizin eine Rolle (Hautverträglichkeit). Es können außerdem flexible und stabile Bauteile hergestellt werden. Ähnlich wie beim Multi-Jet Modeling wird hierbei das Material erst verflüssigt und durch eine Vielzahl von Düsen im Druckkopf aufgespritzt. Beim Poly-Jet Modeling werden auch Stützkonstruktionen aus einer separaten Düse aufgebracht. Im Druckkopf befinden sich UV-Lampen, die bereits während des Druckens einer Schicht das Material aushärten. Auf diese Weise können Bauteile erstellt werden, die eine gute Oberflächenqualität und eine gute Maßhaltigkeit aufweisen. Des Weiteren können dünnwandige Modelle aus unterschiedlichen Materialien in unterschiedlichen Farben gefertigt werden. Im Gegensatz

Abb. 8.9  Poly-Jet Modeling

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W. Irsa und K. Besendorfer

zu vielen anderen Verfahren ist ein nachträgliches Aushärten nicht erforderlich. Trotzdem sind hierbei auch Stützkonstruktionen nötig, welche allerdings durch die richtige Materialwahl leicht zu entfernen sind [8, 9].

8.4.4 Elektronenstrahlschmelzen – EBM Das Elektronenstrahlschmelzen (Electron-Beam Melting, EBM) ist dem selektiven Laserschmelzen sehr ähnlich (s. Abb. 8.10). Hierbei wird lediglich eine andere Energiequelle genutzt. Anstelle des Laserstrahls wird dazu eine Elektronenstrahlquelle verwendet, wodurch sich einige Unterschiede ergeben. Beim EBM wird ein grobkörnigeres Pulver verwendet als beim SLM. Da größere Schichtstärken möglich sind, können höhere Aufbauarten erstellt werden, jedoch ergibt sich daraus auch ein geringerer Detailierungsgrad. Das Elektronenstrahlschmelzen wird unter Vakuum durchgeführt, während das selektive Laserschmelzen unter Schutzgas angewandt wird [27]. Die Glühkathode, meist aus Wolfram oder Lathanexaborid, wird aufgeheizt, indem eine Spannung angelegt wird; es entsteht eine Elektronenwolke. Der Strahl entsteht, da die freien Elektronen im Feld zwischen Anode und Kathode beschleunigt werden. Es befinden sich weitere Spulen im Drucker, damit der Strahl geformt und geführt werden kann. Wie beim selektiven Laserschmelzen wird das aufgebrachte Pulver selektiv belichtet. Die Bauplattform senkt sich nach jeder Schicht ab, sodass das Modell nach oben aufgebaut werden kann [15]. Prinzipiell können nur leitfähige Materialien verwendet werden, die Bauteile weisen eine hohe Dichte auf. Jedoch ist die Materialauswahl eingeschränkt und der Prozess kostenintensiv und langsam [23].

Abb. 8.10  Elektronenstrahlschmelzen

8 3-D-Druck131 Abb. 8.11  Scan-LED-Verfahren. (3D-LABS GmbH (2015) http://3d-labs.de/slt/ Zugegriffen: 28. Sep. 2018)

8.4.5 Scan-LED-Verfahren – SLT Dieses Verfahren wird als Weiterentwicklung der konventionellen Stereolithografie betrachtet. Der Unterschied besteht darin, dass anstelle eines Lasers hierbei eine UVLichtquelle verwendet wird (s. Abb. 8.11). Das Verfahren wird vor allem in der Medizin eingesetzt, da so Präzisionsteile wie etwa Dentalapplikationen oder Hörgeräte erstellt werden können. Der Vorteil besteht darin, dass Wartungs- und Reparaturkosten verringert werden können. Des Weiteren können hierbei Materialkosten gespart werden, da Nutzer auch eigene Harze entwickeln können, die als Material verwendet werden [11].

8.4.6 Lampen-Masken-Verfahren – DLP Hierbei wird ein DLP-Projektor (Digital Light Processing) verwendet, der als Lichtquelle dient und mit UV-Licht arbeitet. Die Lichtquelle projiziert die Kontur der Schicht auf das Bauteil, was gleichzeitig zur Verfestigung führt (s. Abb. 8.12). Der Projektor ist bei diesem Gerät im unteren Teil eingebaut. Der Werkstoff befindet sich oberhalb des Projektors in einem Glasbehälter. Wie bereits erwähnt, wird die Kontur der zu erstellenden Form projiziert, woraufhin sich die Bauplattform senkt und in die Harzvorlage

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W. Irsa und K. Besendorfer

Abb. 8.12  Lampen-MaskenVerfahren

eintaucht. Sie bleibt im Abstand der gewünschten Schichtdicke zum Glasboden des Harzbehälters. Nach dem Verfestigen der Schicht hebt sich die Bauplattform um die Schichtdicke, wodurch die nächste Schicht entstehen kann. Durch Unterdruck fließt das Material nach. Bei diesem Verfahren können preiswerte Geräte mit exakten Ergebnissen eingesetzt werden. Es eignet sich für kleine Bauteile und erlaubt schnelle Materialwechsel. Jedoch erfordert es Stützstrukturen aus demselben Material. Die mechanischen und thermischen Eigenschaften sind deutlich schlechter als beim Lasersintern. Wie ähnliche Verfahren dieser Art wird die Methode hauptsächlich im Medizinbereich eingesetzt [13].

8.4.7 Film Transfer Imaging – FTI Dieses Verfahren basiert auf einem System zur Bildprojektion (s. Abb. 8.13). Es ähnelt der Stereolithografie, jedoch wird hierbei anstelle eines Lasers ein Beamer verwendet. Diese Technologie ermöglicht eine hohe Auflösung, wodurch auch eine feine Oberfläche erzielt werden kann. Die benötigten Stützstrukturen müssen allerdings im Nachhinein entfernt werden. Trotzdem ermöglicht dieses Verfahren das Erstellen von einfachen Druckgeräten.

Abb. 8.13  Film Transfer Imaging

8 3-D-Druck133

Auf einer Folie wird eine dünne Schicht flüssigen Kunststoffes aufgebracht, der Beamer lässt das Druckmaterial aushärten. Durch die Folie wird die aufgetragene Schicht beleuchtet. Sobald die Lage ausgehärtet ist, wird sie von der Folie angehoben. Daraufhin wird eine neue Schicht aufgetragen und wieder auf die Folie gesenkt. So können die Schichten miteinander verbunden werden [20].

8.4.8 Contour Crafting – CC Contour Crafting ist die fachliche Benennung für die Erstellung von Gebäuden mittels 3-D-Druck. Dazu wird erst ein Modell auf dem Computer hergestellt, welches dann mithilfe eines vollautomatischen Portalroboters umgesetzt wird. Voraussetzung dafür ist, dass dieser Roboter größer ist als das zu erstellende Gebäude. Verwendet wird hierbei ein betonähnliches Material, welches schnell bindend ist. Zusätzlich wird ein mobiler Roboter oder ein Aluminiumgerüst eingesetzt, über das die Schichten erstellt werden. Ein anorganisches Bindemittel verfestigt dabei die eingesetzten Materialien. Notwendige Einbauten wie Installationsschächte, Fenster, Türen, Lüftungen, Elektrik und Rohrleitungen können im Nachhinein in die im Druck berücksichtigten Freiräume vorgenommen werden. Vorteile können unter anderem Kosteneinsparungen hinsichtlich Arbeit, Finanzierung und Ausschuss sein. Häuser können in kurzer Zeit erstellt werden, dabei fällt kein Bauschutt an. Sollte sich dieses Verfahren gegenüber dem herkömmlichen durchsetzen, so würden allerdings ganze Berufsgruppen arbeitslos werden [8].

8.5

Anwendungsfelder in der Praxis

Der 3-D-Druck nimmt im industriellen Umfeld immer größere Bedeutung ein. Neben dem Prototypenbau und der Ersatzteilproduktion werden bereits Kleinserien bis zu 100 Stück mit 3-D-Druck erzeugt. In der Praxis bedeutet das nicht nur eine weitere Option für die Produktion, sondern der 3-D-Druck wird für die Industrie Europas eine besondere Bedeutung spielen. Es ist bereits von der Re-Industrialisierung Europas die Rede, wenn die nach Asien ausgelagerte Massenproduktion wieder als kundenorientierte Produktion, sogenannte masscustomization nahe dem Bedarf der Konsumenten in Europa stattfindet. Der 3-D-Druck mit flüssigen Ausgangsmaterialien nimmt eine Sonderstellung im industriellen Umfeld ein. Die Materialien sind oft toxisch und erfordern daher eine sachgerechte Lagerung und Verwendung. Hinsichtlich des Kostenniveaus rentiert sich eine Serienfertigung noch nicht. Jedoch ist absehbar – vergleichbar zu anderen Lernkurven neuer Technologien –, dass der 3-D-Druck mit flüssigen Ausgangsmaterialien in wenigen Jahren fest in der kundenspezifischen Fertigung etabliert sein wird.

134

8.6

W. Irsa und K. Besendorfer

Lehr- und Übungsmaterial „3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien“

8.6.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab. 8.1 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele zum Thema „3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien“ und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Jedes Lehr-/Lernziel kann mithilfe didaktischer Methoden erreicht werden. Die Abschn.  8.6.2, 8.6.3 und 8.6.4 geben anschauliche Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So finden sich im Handlungsfeld „Vertiefung der physikalischen Grundlagen“ Verknüpfungen zu Physik, Werkstoffkunde und Werkstoffprüfung. Tab. 8.1  Kompetenzerwerb durch den Einsatz der Übungen zu „3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Physikalische Grundlagen (Einstieg)

• Definition erklären • Merkmale benennen • Verarbeitung anführen

• Bauteile nach ihrer Dichte sortieren • Unterschiedliche Fertigungsverfahren recherchieren • Temperaturbereiche recherchieren

• Alternative Werkstoffe beurteilen • Fertigungsverfahren bewerten

Physikalische Grundlagen (Vertiefung)

• Physikalische Kenngrößen erklären • Materialien beschreiben • Testverfahren beschreiben

• Materialien auswählen • Physikalische Kenngrößen erkennen

• Materialien bewerten • Testverfahren in der Praxis vergleichen

Vielfalt der technologischen Möglichkeiten

• Branchenspezifika benennen • Voraussetzungen erkennen • Branchenspezifika erklären

• Voraussetzungen recherchieren

• Branchenspezifika bewerten • Voraussetzungen vergleichen • Benchmark erstellen

Technologie der Veredelung

• Veredelungen anführen • Benötigte Maschinen und Werkzeuge sowie deren Funktionsweise nennen

• Veredelungen korrekt einsetzen

• Veredelungen bewerten • Optimierungspotenziale ableiten • Digitalisierungsmöglichkeiten ableiten

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [4].

8 3-D-Druck135

Im Handlungsfeld „Technologie der Veredelung“ kann ein Bezug zu Produktionstechnik, Qualitätsmanagement und Betriebswirtschaft hergestellt werden.

8.6.2 Übungen zu „Physikalische Grundlagen“ Das Beherrschen der Grundlagen der Physik ist Voraussetzung für den weiteren Kompetenzaufbau, vor allem, um die Verfahren verstehen und beurteilen zu können. Um die in den Handlungsfeldern „Physikalische Grundlagen Einstieg und Vertiefung“ dargestellten Kompetenzen zu trainieren, wird folgende Methode/Übung empfohlen: • Gruppenpuzzle (N1, N2, N3). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um diese gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

8.6.2.1 Gruppenpuzzle – Einstieg Ziel dieser Methode ist der selbstständige Erwerb gemeinsamen Wissens. Durch die Zusammenarbeit im Team eignen sich die Lernenden nicht nur fachliches Wissen an, sondern trainieren auch Team-fähigkeit und Kommunikationsstärke. Die Methode eignet sich für sämtliche Lehrinhalte, die von den Studierenden selbst erarbeitet werden können. Da die Gruppenmitglieder gegenseitig die Rolle des Lehrenden einnehmen, hängen aber Qualität des erworbenen Wissens und Effektivität des Erwerbs stark von den einzelnen Teilnehmern und deren Zusammenarbeit ab. Tab. 8.2 gibt einen Überblick über die nötigen Rahmenbedingungen für ein Gruppenpuzzle. Tab. 8.2  Fact-Box: Gruppenpuzzle – Einstieg Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden im Bereich Werkstoffkunde • Aktivierende Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

40–60 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppen von 5–6 Personen, Reflexion in der Großgruppe

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Tablet zum Präsentieren in der Kleingruppe

Lehr-/Lernziele

• Definition erklären (N1) • Merkmale benennen (N1) • Verarbeitung anführen (N1) • Bauteile nach ihrer Dichte sortieren (N2) • Unterschiedliche Fertigungsverfahren recherchieren (N2) • Temperaturbereiche recherchieren (N2) • Alternative Werkstoffe beurteilen (N3) • Fertigungsverfahren bewerten (N3)

136 ▶▶

W. Irsa und K. Besendorfer Tipp Die Methode eignet sich sehr gut, um die Rechercheergebnisse verständ-

lich erklären zu können.

Die Methode besteht aus zwei Schritten (s. Abb. 8.14). Im ersten Schritt erfolgt eine Ausarbeitung zu einem vorgegebenen Thema. Im zweiten Schritt wird die Ausarbeitung in kleiner Runde erklärt. Für den ersten Schritt werden durch Abzählen vier gleich große Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe hatte eine Stunde Zeit, eine von vier Aufgabenstellungen auszuarbeiten. Dabei ist darauf zu achten, dass jedes Gruppenmitglied seine eigenen Notizen für die dann folgende Erklärung erstellt. Die Ausarbeitung soll einfach nachvollziehbar sein und großflächige Bilder verwenden. Den Lernenden müssen Input und Output der Methode (s. Abb. 8.15) transparent gemacht werden. Nach der Fertigstellung der Ausarbeitungen werden für die Erklärung neue Gruppen gebildet. Jede Gruppe besteht nun aus vier Personen, die jeweils ein ausgearbeitetes Thema mitbringt. In der Praxis hat sich bewährt, dass die Studierenden für die Einteilung der Gruppen für die Erklärung in der gleichen Reihenfolge wie beim ersten Schritt sitzen und dann jeweils vier Studierende in dieser Reihenfolge eine Erklärungsgruppe bilden. Die Studierenden erklären nun untereinander in ihren Worten ihr Thema. Dabei sind Fragen und Diskussionen erwünscht. Der Lehrgangsleiter steht bei der Ausarbeitung mit Hinweisen zur Verfügung und achtet darauf, dass die passenden Begriffe verwendet werden. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen beispielhafte Themen für ein Gruppenpuzzle über physikalische Grundlagen fester (s. Abb. 8.16) bzw. flüssiger Ausgangsmaterialien (s. Abb. 8.17). Die physikalischen Erkenntnisse zu den Werkstoffen helfen, die Verarbeitung mit den 3-D-Drucktechnologien zu verstehen. Dabei stehen die anwendungsspezifischen Eigenschaften im Vordergrund. Abb. 8.14  Gruppenpuzzle – Vorgehensmodell in zwei Schritten

8 3-D-Druck137 Abb. 8.15  Gruppenpuzzle – Input und Output

Abb. 8.16  Erstes Gruppenpuzzle – physikalische Grundlagen fester Ausgangsmaterialien

Abb. 8.17  Erstes Gruppenpuzzle – physikalische Grundlagen flüssiger Ausgangsmaterialien

138

W. Irsa und K. Besendorfer

8.6.2.2 Gruppenpuzzle – Vertiefung Als Vertiefung wird ein weiteres Gruppenpuzzle angeboten (s. Tab. 8.3). Dabei werden konkret in der Praxis eingesetzte Werkstoffe für feste und flüssige Ausgangsmaterialien recherchiert. Es sind spezifische Kenngrößen, nämlich Dichte, Bruchdehnung, Zugfestigkeit, Schlagfestigkeit und Wärmeformbeständigkeit zu eruieren. ▶▶

Tipp Die Methode eignet sich sehr gut, um die Rechercheergebnisse verständ-

lich erklären zu können.

Abb. 8.18 zeigt mögliche Themen für ein vertiefendes Gruppenpuzzle zum Thema physikalische Eigenschaften für feste Materialien in der Praxis. Abb. 8.19 zeigt demgegenüber mögliche Themen für ein vertiefendes Gruppenpuzzle zum Thema physikalische Eigenschaften für flüssige Ausgangsmaterialien in der Praxis. Bei dieser Übung ist zu beachten, dass die Einheiten der Kenngrößen verstanden und in Relation gesetzt werden können. Des Weiteren ist das Testverfahren für die Kenngrößen zu bestimmen. Hier bietet ASTM International (ursprünglich American Society for Testing and Materials) die besten anerkannten Verfahren an.

8.6.3 Übungen zu „Vielfalt der technologischen Möglichkeiten“ Neben den Grundlagen der Physik ist das Kennen, Anwenden und Weiterentwickeln technologischer Möglichkeiten im 3-D-Druck besonders wichtig. Um diese Kompetenzen zu trainieren, wird folgende Methode/Übung empfohlen: • Brainstorming (N1). Tab. 8.3  Fact-Box: Gruppenpuzzle – Vertiefung Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung von Fachwissen im Bereich 3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien • Vernetztes Denken im Sinne der Digitalisierung fördern

Zeit

40–60 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppen von 5–6 Personen, Reflexion in der Großgruppe

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Tablet zum Präsentieren in der Kleingruppe

Lehr-/Lernziele

• Physikalische Kenngrößen erklären (N1) • Materialien beschreiben (N1) • Testverfahren beschreiben (N1) • Materialien auswählen (N2) • Physikalische Kenngrößen erkennen (N2) • Materialien bewerten (N3) • Testverfahren in der Praxis vergleichen (N3)

8 3-D-Druck139 Abb. 8.18  Zweites Gruppenpuzzle – physikalische Eigenschaften für feste Materialien in der Praxis

Abb. 8.19  Zweites Gruppenpuzzle – physikalische Eigenschaften für flüssige Materialien in der Praxis

Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut an die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

8.6.3.1 Brainstorming Das Brainstorming zählt zu den Kreativitätstechniken und wird zu unterschiedlichen Zwecken der Ideengenerierung und Erhebung des aktuellen Wissensstands eingesetzt. Sollen die Ergebnisse weiterverarbeitet werden, dann ist als Sozialform ist ein Kleingruppensetting von bis zu 6

140

W. Irsa und K. Besendorfer

Tab. 8.4  Fact-Box: Brainstorming „Vielfalt der technologischen Möglichkeiten“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen im Bereich 3-D-Druck mit festen und flüssigen Ausgangsmaterialien erheben • Aktivierende Wiederholung/Festigung des Lehrstoffs • Bei zusätzlicher Recherche: Training der digitalen Kompetenz (Umgang mit großen Informationsmengen) • Bei zusätzlicher Recherche: Trainieren des selbstgesteuerten Erarbeitens von Inhalten

Zeit

30 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Plenum – für Großgruppe geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Medium zur Visualisierung wie Flipchart, Pinnwand, Tafel, interaktives Whiteboard oder Ähnliches

Lehr-/Lernziele

• Branchenspezifika benennen • Voraussetzungen erkennen

Personen sinnvoll. Ein weiteres Anwendungsbeispiel dieser Methode findet sich in Kap. 11 Wälzlager. Die nachstehende Tab. 8.4 gibt einen Überblick über ein mögliches Setting der Methode. ▶▶

Tipp Die Methode eignet sich sehr gut, um die Lernenden alle auf denselben

Wissensstand zu bringen. Das Brainstorming kann mit einer Einzel- oder Gruppenrecherche im Vorfeld über mehrere Tage/Wochen gekoppelt werden, um nicht nur die Kompetenzen auf N1, sondern auch N2 und N3 zu trainieren.

Das Brainstorming kann so moderiert werden, dass die Studierenden Vorbereitungszeit bekommen, ihre Ideen zu skizzieren oder auszudrucken. Dann sollten die Ideen unter Nutzung der Gruppendynamik gesammelt und weiterentwickelt werden. Für das Thema 3-D-Druck in der Praxis könnten beispielsweise folgende Fragestellungen zur Ideenfindung bearbeitet werden:

Beispiel

• Welche Bauteile könnten in der Automobilindustrie durch die Verfahren mit festen/ flüssigen Ausgangsmaterialien produziert werden? • Welche Bauteile könnten in der Luftfahrtindustrie durch die Verfahren mit festen/ flüssigen Ausgangsmaterialien produziert werden? • Welche Bauteile könnten in der Medizintechnik durch die Verfahren mit festen/flüssigen Ausgangsmaterialien produziert werden? • Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit die Verfahren in der Serienfertigung angewandt werden können?

8 3-D-Druck141

8.6.4 Übungen zu „Technologie der Veredelung“ Als Experten des 3-D-Drucks reicht es nicht aus, einfache Druckverfahren erklären und durchführen zu können, erforderlich ist auch die Veredelung als wichtige Kernkompetenz zur Professionalisierung. Um die in den Handlungsfeldern „Technologie der Veredelung“ dargestellten Kompetenzen zu trainieren, wird folgende Methode/Übung empfohlen: • Gruppenpuzzle (N1, N2, N3). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut an die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

8.6.4.1 Gruppenpuzzle Auch zur Bearbeitung des Themas „Technologie der Veredelung“ bietet sich der Einsatz der Methode „Gruppenpuzzle“ mit folgenden Rahmenbedingungen (s. Tab. 8.5) an. ▶▶

Tipp Die Methode eignet sich sehr gut, um die Rechercheergebnisse verständ-

lich erklären und synthetisieren zu können.

Die nachfolgenden Gruppenpuzzles (s. Abb. 8.20 und 8.21) sind aufbauend auf den vorherigen Übungen zu verstehen und eignen sich auch dazu, um ein Thema abzuschließen. Hier mit dem Fokus, wie Veredelungsschritte für die Verfahren mit festen (s. Abb. 8.20) und flüssigen (s. Abb. 8.21) Ausgangsmaterialien durchgeführt werden. Tab. 8.5  Fact-Box: Gruppenpuzzle „Technologie der Veredelung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung von Fachwissen im Bereich Technologie der Veredelung • Vernetztes Denken im Sinne der Digitalisierung fördern

Zeit

40–60 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppen von 5–6 Personen, Reflexion in der Großgruppe

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Tablet zum Präsentieren in der Kleingruppe

Lehr-/Lernziele

• Veredelungen anführen (N1) • Benötigte Maschinen und Werkzeuge sowie deren Funktionsweise nennen (N1) • Veredelungen korrekt einsetzen (N2) • Veredelungen bewerten (N3) • Optimierungspotenziale ableiten (N3) • Digitalisierungsmöglichkeiten ableiten (N3)

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Abb. 8.20  Gruppenpuzzle – Veredelung von Werkstücken gefertigt aus festem Ausgangsmaterial

Abb. 8.21  Gruppenpuzzle – Veredelung von Werkstücken gefertigt aus flüssigem Ausgangsmaterial

Bei den Veredelungsmethoden ist insbesondere auf eine schlüssige Erklärung der Funktionsweise zu achten. Des Weiteren sind die 3-D-Druckverfahren aus festen und flüssigen Ausgangsmaterialien zu identifizieren, die für die Veredelungen geeignet sind. Bei den Anwendungen geht es darum, Beispiele aus der Praxis, d. h. Branche, Firma, Werkstücke und Kunde, zu finden.

8 3-D-Druck143

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W. Irsa und K. Besendorfer

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9

Festkörperreibung Technische und wirtschaftliche Beurteilung von Reibpaarungen Sabrina Romina Sorko und Wolfgang Waldhauser

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält neben grundlegenden Fachinhalten zur Tribologie auch damit einhergehende technische und wirtschaftliche Aspekte. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Festkörperreibung gelegt, und es werden auch die wichtigsten Verschleißmechanismen als Folge der Reibung vorgestellt. Im methodischen Teil werden Übungen mit einem Präzisionsreibungsmessgerät vorgestellt, die einerseits zur Veranschaulichung und Verifizierung des Coulomb’schen Reibungsgesetzes dienen und andererseits zum Verständnis und zur Demonstration der Unterschiede zwischen Gleit- und Haftreibung sowie der Einflüsse von Gleitgeschwindigkeit, Materialpaarung und Oberflächenbeschaffenheit der Gleitpartner auf die Reibungskraft beitragen.

9.1

Grundlagen der Tribologie

Die Tribologie (griechisch: Reibungslehre) beschäftigt sich mit der Beschreibung von Reibung, der Berechnung und Messung von Reibungskoeffizienten, dem Verschleiß und der erforderlichen Schmierung zwischen aufeinander einwirkenden, in Relativbewegung befindlichen Festkörperoberflächen. Czichos [4] definiert diesen Begriff folgendermaßen: „Tribologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet zur Optimierung mechanischer Technologien durch Verminderung reibungs- und verschleißbedingter Energie- und Stoffverluste.“

S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] W. Waldhauser Weißkirchen, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_9

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S. R. Sorko und W. Waldhauser

Schon Leonardo da Vinci hat Reibungsuntersuchungen durchgeführt und festgestellt, dass sich der Reibungswiderstand fester Körper entsprechend der Beschaffenheit der sich berührenden Flächen verändert. Der Widerstand ist abhängig von der Glätte der Flächen, jedoch unabhängig von der Größe der berührenden Flächen und nimmt proportional zur Last zu. Die Reibung kann durch zwischengeschobene Rollen oder Schmiermittel verringert werden [5]. Coulomb [3] hat in einem einfachen Versuchsaufbau die Reibungskraft FR einer Reibpaarung experimentell über die Gewichtskraft FG eines am Gleitkörper über Umlenkrollen montierten Gewichts bestimmt (|FR| = |FG|). Durch Verändern der auf den Gleitkörper wirkenden Belastungsnormalkraft FN konnte er das Reibungsgesetz FR = µ· FN definieren, wobei der Proportionalitätsfaktor µ als Reibungszahl oder heute auch als Reibungskoeffizient bezeichnet wird. Abb. 9.1 zeigt einen Coulomb-Tribometer zur experimentellen Bestimmung der Reibung. Das heutige Wissenschafts- und Technikgebiet Tribologie hat Mitte des 20. Jahrhunderts unter anderem aufgrund einer umfassenden Studie zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen von Reibung und Verschleiß [8] seine Bedeutung in den Ingenieurdisziplinen erhalten. Reibungs- und Verschleißprobleme werden durch das interdisziplinäre Zusammenwirken von Physik, Chemie, Werkstoff- und Ingenieurwissenschaften bearbeitet, wobei hier, abhängig von den Dimensionen, zwischen Makro-, Mikro- und Nanotribologie

Abb. 9.1  Coulomb-Tribometer zur experimentellen Bestimmung der Reibung und Modellnachbau (M. Gienau, Labor für Tribometrie und Tribophysik, BAM Berlin, 1987)

9 Festkörperreibung147

unterschieden wird [4]. Die Tribologie beschreibt Grenzflächenwechselwirkungen sowohl zwischen Festkörpern als auch zwischen Festkörpern und Flüssigkeiten und/oder Gasen. In diesem Kapitel wird der Fokus auf die Festkörperreibung gelegt.

9.1.1 Aufgaben und Bedeutung der Tribologie Reibung und Verschleiß sind häufig unerwünscht. Während Reibung den Wirkungsgrad von Maschinenelementen, Maschinen und Anlagen verschlechtert und damit den Energiebedarf erhöht, mindert Verschleiß den Wert von Bauteilen und Baugruppen und kann zum Ausfall von Maschinen und Anlagen führen. Im Gegensatz dazu wird bei vielen technischen Anwendungen eine hohe Reibung angestrebt (Tab.  9.1). Auch Verschleiß kann in Sonderfällen in begrenztem Umfang nützlich sein, wie z. B. bei Einlaufvorgängen in Getrieben, Gleitlagern und Motoren [6]. Entsprechend Tab. 9.1 können in der Technik zahlreiche Aufgaben nur über Wirkflächen (meist Festkörperoberflächen), die sich berühren und gegeneinander eine Relativbewegung ausführen, realisiert werden. Zur Tribotechnik zählen daher nach [4] die Bereiche • • • • •

Kinematik → Bewegungserzeugung, Bewegungsübertragung, Bewegungshemmung, Dynamik → Kraftübertragung über Kontaktgrenzflächen, Arbeit, mechanische Energie → Übertragung, Umwandlung mechanischer Energie, Transportvorgänge → Stofftransport fester, flüssiger oder gasförmiger Medien, Formgebung → spanende (Trennen) und spanlose Fertigung (Umformen).

In all diesen Bereichen kann die Tribotechnik zur Erhöhung von Leistung und Wirkungsgrad, zur Verbesserung von Qualität, Zuverlässigkeit und Gebrauchsdauer, zu Energie- und Materialeinsparungen sowie zur Verminderung von Umweltbelastungen beitragen [13]. Wie bereits ausgeführt, kann es in der Technik auch zu unerwünschter Reibung kommen, die es zu vermeiden gilt. Unerwünschte Reibung verursacht große wirtschaftliche Tab. 9.1  Beispiele für technische Anwendungen mit erwünschter und unerwünschter Reibung [6] Anwendungen mit erwünschter Reibung

Anwendungen mit unerwünschter Reibung

• Bremsen, Kupplungen • Rad/Schiene, Autoreifen/Straße • Reibradgetriebe • Keil- und Flachriemengetriebe • Schraubenverbindungen • Kegelsitze, Spannelemente, Presssitze • Dämpfer • Transportband/Transportgut • etc.

• Gleitlager, Wälzlager und Führungen • Dichtungen • Zahnrad- und Kettengetriebe • Bewegungsschrauben • Kolbenring/Zylinder • Ventil/Ventilführung, Nocken/Stößel • Ur- und Umformprozesse • Spanende Bearbeitung • etc.

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Schäden: Schätzungen zufolge gehen jährlich 5  % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) durch Verschleiß verloren [11]. Und: Je stärker die Reibung in Maschinen, desto höher sind der Energieverbrauch und der Ausstoß des Treibhausgases CO2. In den USA werden nach einer Studie der American Society of Mechanical Engineers ca. 25 % des Energieverbrauchs von Industrie und Transportwesen tribologischen Verlustprozessen zugeschrieben und beträchtliche jährliche Einsparungen durch die verstärkte Anwendung tribologischer Erkenntnisse für möglich gehalten [4, 13]. In der Wissenschaft ist die Aufgabe der Tribologie die Erforschung der Mechanismen und Pfade der Energiedissipation in Reibkontakten und der auslösenden Prozesse der zum Verschleiß führenden Werkstoffveränderungen.

9.1.2 Tribologische Systeme In den vorherigen Ausführungen wurde aufgezeigt, dass zahlreiche Funktionen in der Technik – von der Bewegungsmechanik bis zur Produktionstechnik – durch Wirkflächen von Festkörpern in Relativbewegungen realisiert werden. Dies ist mit Reibung und sehr oft mit Verschleiß der beteiligten Werkstoffe, Bauteile und Konstruktionen verbunden. Reibung und Verschleiß sind jedoch keine Materialeigenschaften und können nicht durch einfache Werkstoffkenndaten (wie z. B. Härte oder Elastizitätsmodul) beschrieben werden. Reibung und Verschleiß sind Systemeigenschaften und erfordern immer die Analyse und Berücksichtigung der unterschiedlichen Parameter und Einflussgrößen des jeweiligen tribologischen Systems. In der Fachliteratur werden tribologische Systeme oft auch als tribotechnische Systeme [6] oder kurz Tribosysteme bezeichnet [4] und stellen eine Untergruppe der technischen Systeme dar. Einen Überblick gibt Abb. 9.2. Maschinen, Baugruppen oder Bauteile sind künstliche und konkrete Systeme, welche aus einer Gesamtheit geordneter Elemente bestehen, die aufgrund ihrer Eigenschaften durch Beziehungen miteinander verknüpft sind [7]. Die Systeme sind von ihrer Umgebung abgegrenzt, wobei die Verbindungen zur Umgebung als Ein- und Ausgangsgrößen bezeichnet werden. Technische Systeme dienen der Leitung und/oder Veränderung von Energie, Stoffen und Information (Signalen). Sie lassen sich mithilfe der zu erfüllenden Funktion, der Wirk- und Baustruktur sowie der Wechsel- und Rückwirkungen zwischen den Systemelementen einerseits und zwischen der Umgebung und den Systemelementen andererseits beschreiben. Die an der Reibung und am Verschleiß beteiligten Stoffe und Abb. 9.2  Allgemeine Darstellung eines tribotechnischen Systems (TTS)

9 Festkörperreibung149

Bauteile sind die Elemente des tribotechnischen Systems; sie sind durch ihre Stoff- und Formeigenschaften charakterisiert. Abb. 9.2 zeigt die schematische Darstellung eines tribologischen bzw. tribotechnischen Systems [6]. Es wird durch die zu erfüllende Funktion, die Eingangsgrößen (Belastungskollektiv), die Ausgangsgrößen, die Verlustgrößen und die Struktur beschrieben. Neben den gewollten Eingangsgrößen treten auch ungewollte Eingangsgrößen, die als Störgrößen bezeichnet werden, auf. Zusammen mit der Struktur beeinflussen die Eingangs- und Störgrößen die Ausgangs- und Verlustgrößen des Tribosystems. Entsprechend ihrer Funktion werden nach [4] die in Tab. 9.2 aufgelisteten Tribosysteme unterschieden. Abb. 9.3 zeigt mit Beispielen aus dem Maschinenbau, dass Tribosysteme immer Strukturen mit vier Strukturelementen (Bauteile und Fluide) haben:

(1)/(2)

Wirkflächenpaar,

(3)

Zwischenstoff (z. B. Schmierstoff),

(4)

Umgebungsmedium.

Tab. 9.2  Arten und Funktionen von Tribosystemen mit konkreten Beispielen. (Nach [4]) Energieumsetzende tribologische Systeme → Maschinenbau, Feinwerktechnik • Bewegungsübertragung • Bewegungshemmung • Kraftübertragung • Energieübertragung

• Führungen, Gelenke, Lager • Bremsen recherchieren • Kupplungen • Getriebe

Informationsumsetzende tribologische Systeme → Informationstechnik • Speichertechnologien • Signalübertragung • Signalausgabe

• Computer-Festplattenlaufwerk, CD, DVD • Nocken/Stöße-Systeme, Schaltrelais • Typenraddrucker, Tintenstrahldrucker

Stoffumsetzende tribologische Systeme → Produktionstechnik, Transportwesen • Urformen • Umformen • Trennen • Fügen • Beschichten • Stoffeigenschaften ändern • Stoffabdichten • Stofftransport • Gütertransport

• Gieß-, Press-, Extrudierwerkzeuge • Biege-, Walz-, Schmiede-, Ziehwerkzeuge • Bohr-, Dreh-, Fräs-, Schleifwerkzeuge • Passungen, Reibschweißen • Oberflächentechnologien • Erodierverfahren, Lithografie • Dichtungen, Ventile, Kolben, Zylinder • Fördersysteme, Pipeline, Fluidik • Reifen/Straße, Rad/Schiene

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Abb. 9.3  Struktur von Tribosystemen, Beispiele aus dem Maschinenbau [4]

Reibung und Verschleiß resultieren aus Dissipationseffekten in örtlich und zeitlich stochastisch verteilten Mikrokontakten (Wirkorte) innerhalb der geometrischen Kontaktfläche in Abhängigkeit vom Beanspruchungskollektiv (Kräfte, Geschwindigkeit, Beanspruchungsdauer, Temperatur) und der Systemstruktur [4]. Bei der Struktur der Tribosysteme wird zwischen geschlossenen und offenen Systemstrukturen unterschieden. Geschlossene Systemstrukturen dienen funktionell hauptsächlich der Bewegungs-, Kraft-, Energie- oder Signalübertragung. Ihre Systemelemente unterliegen an den Wirkorten dauernd oder intermittierend den tribologischen Beanspruchungen. Tribosysteme mit offenen Systemstrukturen (z.  B. Fördersysteme, Fertigungssysteme) sind primär stoffdeterminiert, d.  h., bei ihnen findet ein ständiger Stofffluss in das System hinein und aus ihm heraus statt [4]. Dies wird in Abb. 9.3 näher aufgezeigt. Beim Bearbeiten von Reibungs- und Verschleißproblemstellungen empfiehlt es sich, die zu betrachtenden Tribosysteme mit den in Tab.  9.3 aufgelisteten Eigenschaften zu beschreiben.

9.1.3 Reibungsarten Die Reibung lässt sich nach verschiedenen Merkmalen einteilen. Grundlegend wird zunächst zwischen Haft- und Bewegungsreibung unterschieden. Die Haftreibung ist jener Widerstand, der überwunden werden muss, um bei ruhenden Reibpartnern eine Relativbewegung einzuleiten. Die Bewegungsreibung tritt auf, sobald sich die Reibpartner

9 Festkörperreibung151 Tab. 9.3  Tribologisch relevante Eigenschaften von Elementen des tribotechnischen Systems [6] Grund- und Gegenkörper Geometrische Eigenschaften

• Äußere Abmessungen • Form- und Lageabweichungen • Welligkeiten • Oberflächen-Rauheiten

Werkstoffeigenschaften – Grundmaterial

• Festigkeit • Härte • Struktur, Textur, Gefüge und Phasen (Verteilung, Größe, Anzahl und Art) • E-Modul, Querkontraktionszahl • Eigenspannungen • Chemische Zusammensetzung

Werkstoffeigenschaften – Oberflächennaher Bereich

• Härte • Struktur, Textur, Gefüge und Phasen (Verteilung, Größe, Anzahl und Art) • E-Modul, Querkontraktionszahl • Eigenspannungen • Chemische Zusammensetzung • Oberflächenenergie • Dicke und Aufbau der Grenzschicht

Werkstoffeigenschaften – physikalische Größen

• Dichte • Wärmeleitfähigkeit • Wärmeausdehnungskoeffizient • Schmelzpunkt • Wärmekapazität • Hygroskopisches Verhalten

Zwischenstoff Aggregatzustand fest

• Härte • Korngrößenverteilung • Kornform • Kornmenge, Kornanzahl • Anzahl der Komponenten, Mischungsverhältnis • Chemische Zusammensetzung

Aggregatzustand flüssig

• Viskosität abhängig von Temperatur, Druck, Schergefälle • Konsistenz • Benetzungsfähigkeit • Schmierstoffmenge, Schmierstoffdruck • Chemische Zusammensetzung • Mischungsverhältnis der Komponenten

Umgebungsmedium • Aggregatzustand (flüssig, gasförmig) • Wärmeleitfähigkeit • Chemische Zusammensetzung • Feuchtigkeit • Umgebungsdruck

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Abb. 9.4  Reibungsarten bei Bewegungsreibung [6]

gegeneinander bewegen. In der Regel ist die Reibungskraft bei der Haftreibung größer als bei der Bewegungsreibung. In Abhängigkeit von der Art der Relativbewegung der Reibkörper wird zwischen verschiedenen (Bewegungs-)Reibungsarten unterschieden. In Abb.  9.4 werden die wichtigsten Reibungsarten mit Beispielen dargestellt. Es gibt drei Hauptreibungsarten: • Gleitreibung, • Rollreibung, • Bohrreibung. Unter Gleiten wird eine translatorische Relativbewegung zweier Körper verstanden, bei denen ihre jeweilige Einzelgeschwindigkeit nach Größe und Richtung unterschiedlich ist. Typische Maschinenelemente, in denen Gleitbewegung und Gleitreibung vorliegen, sind die in vielen Ausführungen vorliegenden Gleitlager. Bei einem Drehkörper, dessen Drehachse parallel zur Kontaktfläche angeordnet ist und dessen Bewegung senkrecht zur Drehachse verläuft, wird idealisiert von Rollen gesprochen. Da bei technischen Rollvorgängen häufig im Kontaktbereich Mikroschlupf auftritt, wird für technische Rollbewegungen auch der Begriff Wälzen verwendet, was in weiterer Folge zur Wälzreibung führt. Bei einem Drehkörper, dessen Drehachse senkrecht zur Kontaktfläche steht und in dem nur eine Drehung um diese Achse stattfindet, während

9 Festkörperreibung153

sich die Kontaktfläche makroskopisch nicht bewegt, wird von Bohren oder Bohrreibung gesprochen, die z. B. bei Spitzenlagern auftritt [4]. Neben diesen drei kinematisch definierten Reibungsarten sind auch Überlagerungen (Mischformen) in technischen Anwendungen möglich, die mit den Begriffen Gleit-Rollreibung (Wälzreibung), Gleit-Bohrreibung und Roll-Bohrreibung bezeichnet werden [6]. Abb. 9.4 gibt einen Überblick über Reibungsarten bei Bewegungsreibung.

9.1.4 Verschleiß, Verschleißarten und -mechanismen Verschleiß ist der fortschreitende Materialverlust aus der Oberfläche eines festen Körpers (Grundkörper), hervorgerufen durch tribologische Beanspruchungen, d. h. durch Kontakt und Relativbewegung eines festen, flüssigen oder gasförmigen Gegenkörpers [4] Die messtechnische oder zahlenmäßige Kennzeichnung des Verschleißes und der Resultate von Verschleißvorgängen kann auf zwei Arten erfolgen: • Ermittlung von Verschleißmessgrößen, die durch Maßzahlen die Änderungen der Gestalt, des Volumens oder der Masse eines Körpers durch Verschleiß beschreiben, • Untersuchung der Verschleißerscheinungsformen, die durch Verschleiß verursachten Veränderungen der Oberfläche tribologisch beanspruchter Werkstoffe oder Bauteile (chemische Zusammensetzung, Mikrostruktur etc.) und die Art und Form von anfallenden Verschleißpartikeln. Maßzahlen für den Verschleiß können als Verschleißbeträge in unterschiedlichen messbaren Dimensionen angegeben werden. Die Reziprokwerte der Verschleißbeträge werden als Verschleißwiderstände bezeichnet. Sehr häufig wird ein Verschleißkoeffizient berechnet, indem das Verschleißvolumen WV durch die Normalkraft FN und den Gleitweg s dividiert wird. Nach einer Konvention der International Research Group on Wear of Engineering Materials (IRG-OECD) wird als Grenze zwischen mildem Verschleiß und schwerem Verschleiß ein Wert von 10–6 mm3/(N m) angegeben [4]. In der Technik wird der Verschleiß in Abhängigkeit von der Struktur der tribologischen Systeme und der Kinematik der tribologischen Beanspruchung in Verschleißarten untergliedert. Abb. 9.5 gibt einen Überblick über die wichtigsten Verschleißarten und wirkenden Verschleißmechanismen. Je nach Art der tribologischen Beanspruchung treten unterschiedliche Verschleißarten wie z. B. Gleitverschleiß, Schwingungsverschleiß, Furchungsverschleiß, Werkstoffkavitation etc. auf. Die wichtigsten Verschleißmechanismen sind dabei (Abb. 9.6) • • • •

Abrasion, Adhäsion, Oberflächenzerrüttung, tribochemische Reaktion.

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Abb. 9.5  Gliederung des Verschleißgebietes nach Verschleißarten [2]

9 Festkörperreibung155

Abb. 9.6  Grundlegende Verschleißmechanismen bei mikroskopischer Betrachtungsweise [6] (Fn Nomalkraft auf nomineller Berührungsfläche, Ff Reibungskraft zwischen Grund- und Gegenkörper, Fn, as Normalkraft auf Rauheitskontakt, Δv Relativgeschwindigkeit, HV Vickers-Härte)

Bei der Abrasion führen wiederholtes Ritzen und Mikrozerspanungen des Grundkörpers durch harte Rauheitshügel des Gegenkörpers oder durch harte Partikel im Zwischenstoff zum Verschleiß. Bei der Adhäsion werden atomare Verbindungen (Mikroverschweißungen) vor allem an den plastisch deformierten Mikrokontakten zwischen Grund- und Gegenkörper gebildet. Ist die Festigkeit der adhäsiven Bindungen höher als die des weicheren Reibpartners, kommt es zu Ausbrüchen aus dem weicheren Material und zum Materialübertrag auf den härteren Reibpartner. Das übertragene Material kann entweder auf dem härteren Reibpartner anhaften oder abgetrennt bzw. auch zurückübertragen werden. Die Oberflächenzerrüttung äußert sich durch Rissbildung, Risswachstum und Abtrennung von Verschleißpartikeln und wird durch wechselnde Beanspruchungen in den oberflächennahen Bereichen von Grund- und Gegenkörper (Ermüdung) hervorgerufen. Bei den tribochemischen Reaktionen finden infolge einer reibbedingten Aktivierung der beanspruchten Oberflächen chemische Reaktionen zwischen Bestandteilen des Grundund/oder Gegenkörpers und den Bestandteilen eines Schmierstoffes oder des Umgebungsmediums statt [6].

9.2

Tribologische Mess- und Prüftechnik

Die tribologische Mess- und Prüftechnik, auch Tribometrie genannt, reicht von Untersuchungen an kompletten technischen Systemen unter realen Betriebsbedingungen bis zu labormäßigen Modellprüfungen mit einfachen Probekörpern. Das breite Aufgabenfeld der

156

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tribologischen Mess- und Prüftechnik wurde mit Blick auf seine Bedeutung in der Technik in der ehemaligen Norm DIN 50322 wie folgt beschrieben [4]: • • • • • • • •

Bestimmung verschleißbedingter Einflüsse auf die Gesamtfunktion von Maschinen, Überwachung der verschleißabhängigen Einsatzfähigkeit von Maschinen, Diagnose von Betriebszuständen, Optimieren von Bauteilen bzw. tribotechnischen Systemen zum Erreichen einer vorgegebenen verschleißbedingten Gebrauchsdauer, Schaffung von Daten für die Instandhaltung, Vorauswahl von Werk- und Schmierstoffen, Qualitätskontrolle von Werk- und Schmierstoffen Verschleißforschung, mechanismenorientierte Verschleißprüfung.

Die tribologische Prüftechnik wird in sechs unterschiedliche Kategorien unterteilt (Abb. 9.7) [4]: I. Betriebsversuch: Prüfung und Untersuchung von originalen kompletten tribotechnischen Systemen unter originalen Betriebs- und Beanspruchungsbedingungen (Feldversuche), II. Prüfstandversuch: Prüfung und Untersuchung originaler kompletter tribotechnischer Systeme unter praxisnahen Betriebsbedingungen auf einem Prüfstand, III. Aggregatversuch: Prüfung und Untersuchung originaler Einzelaggregate unter praxisnahen Bedingungen, IV. Bauteilversuch: Bauteiluntersuchungen (Originalbauteile oder vereinfachte Bauteile) unter praxisnahen Bedingungen, V. Probekörperversuch: beanspruchungsähnlicher Versuch mit bauteilähnlichen Probekörpern, VI. Modellversuch: grundlagenorientierte Untersuchung von Reibungs- und Verschleißprozessen mit speziellen Probekörpern unter beliebigen, aber definierten Beanspruchungen. In Abb. 9.7 werden die Kategorien der tribologischen Prüftechnik aufgezeigt. Das in Tab.  9.5 für Lehr- und Übungszwecke empfohlene Präzisionsreibungsmessgerät TM 210 der Firma G.U.N.T: Gerätebau GmbH [11] ist der Kategorie VI „Modellversuch“ zuzuordnen. Das Gerät ist einfach und robust aufgebaut, übersichtlich in der Funktion und kann auch für Demonstrationsversuche eingesetzt werden (s. Abb.  9.8). Im Lieferumfang ist eine Auswahl verschiedener Reibplatten (Aluminium, Glas, Kunststoff (PVC), Filz) und Reibkörper (Messing, Aluminium (rau und glatt), Filz) enthalten, wodurch die Reibung an unterschiedlichen Werkstoffpaarungen untersucht werden kann. Das Gerät besitzt zur Bestimmung der Reibungskraft einen Kraftmesser von 0 bis 2  N mit einer Skalenteilung von 0,05  N. Zur Unterdrückung von Schwingungen und Ungleichmäßigkeiten ist am Kraftmesser ein Dämpfungszylinder angebracht. Die Normalkraft wird über mehrere Gewichtskörper (8 Stück) mit jeweils einer Gewichtskraft

9 Festkörperreibung157

Abb. 9.7  Kategorien der tribologischen Prüftechnik [4]

von 0,5  N aufgebracht und ist somit variierbar. Unter Berücksichtigung des Eigengewichts des Reibkörpers (1 N) kann eine maximale Normalkraft von bis zu 5 N erreicht werden. Über einen Antriebsmotor mit Getriebe (Drehzahl: 10  U/min) und einer austauschbaren Seiltrommel (Durchmesser: 15 oder 7,5  mm) können zwei verschiedene Gleitgeschwindigkeiten eingestellt werden. Mithilfe der Untersuchungsergebnisse der in der Gerätedokumentation [9] sehr genau beschriebenen Versuche kann im Unterricht das Reibungsgesetz sehr anschaulich verifiziert werden. Abb. 9.8 zeigt den Aufbau eines Präzisionsreibungsmessgeräts.

9.3

Anwendungsfelder in der Praxis

Die Festkörperreibung, d. h. zwei Körper, die sich berühren und gegeneinander eine Relativbewegung ausführen, findet man in unzähligen technischen Anwendungen, aber auch im täglichen Leben (z.  B. Reibung zwischen der Schuhsohle und dem Fußboden beim Gehen und Laufen). In Tab.  9.1 wurde bereits aufgezeigt, dass es viele Beispiele gibt, wo Reibung erwünscht und notwendig ist (z. B. Bremsen, Kupplungen), auf der anderen Seite finden wir aber zahlreiche Anwendungen, wo Reibung als eine unerwünschte, aber

158

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Abb. 9.8  Aufbau des Präzisionsreibungsmessgeräts TM 210

oft nicht zu vermeidende Erscheinung auftritt (z.  B. Gleitlager, Führungen, Stirnradgetriebe), weil es dadurch zu Energieverlusten, Bauteilerwärmungen oder Werkstoffschädigung durch die bereits diskutierten Verschleißmechanismen kommt. Besonders wichtige Anwendungsfelder, in denen die Festkörperreibung eine Rolle spielt, sind Maschinen und Fahrzeuge, die Energiegewinnung aus Wasser- und Windkraft und die Fertigungstechnik (z. B. Umformen, Zerspanen). Aber auch in vielen Sportarten (z. B. Rad-, Ski- und Motorrennsport, Eiskunstlauf und Eisschnelllauf) spielt die Reibung eine entscheidende Rolle. Zunehmend werden heute Reibungsvorgänge auch in Mikrosystemen (z. B. Aktuatoren, Sensoren, Mikroantriebe) betrachtet und optimiert. Die tribologische Mess- und Prüftechnik, die es ermöglicht, Reibungsvorgänge quantitativ zu beschreiben, ist damit für alle

9 Festkörperreibung159

genannten Anwendungsfelder von großer Bedeutung. Laut Abb. 9.7 stehen unterschiedliche Kategorien von Versuchen für die tribologische Prüftechnik zur Verfügung, die von Modellversuchen bis hin zu Betriebsversuchen (Feldversuche) reichen.

9.4

Lehr- und Übungsmaterial „Festkörperreibung“

9.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab.  9.4 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele zum Thema „Festkörperreibung“ und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Jedes Lehr-/Lernziel kann mithilfe didaktischer Methoden erreicht werden. Die folgenden Abschn. 9.4.2, 9.4.3 und Tab. 9.4  Kompetenzerwerb durch Verwendung des Lehr- und Übungsmaterials „Festkörperreibung“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Grundlagen der Tribologie

• B edeutung der Tribologie unter Berücksichtigung des Reibungsgesetzes erklären • Auswirkungen unerwünschter Reibung beschreiben • Alle Elemente, Eigenschaften sowie Eingangs- und Ausgangsgrößen des Tribosystems benennen

• Technische Anwendungen erwünschter und unerwünschter Reibung sowie Arten und Funktionen des Tribosystems zuordnen • Coulomb’schen Reibungsgesetz experimentell verifizieren

• Möglichkeiten der Digitalisierung zur Verminderung unerwünschter Reibung bewerten

Reibungs- und Verschleißarten

• Die Begriffe Reibung und Verschleiß erklären • Reibungsarten systematisch skizzieren • Verschleißmechanismen beschreiben

• Hauptreibungsarten anhand von Beispielen unterscheiden • Verschleißarten unterschiedlichen Verschleißmechanismen zuordnen

• Einfluss der Werkstoffart auf Reibung und Verschleiß diskutieren

Tribologische Mess- und Prüftechnik

• Aufgaben der tribologischen Mess- und Prüftechnik auflisten

• Reibungsmessung anhand von Beispielen durchführen

• Praktische Anwendungsfälle je Kategorie tribologischer Prüftechnik diskutieren • Relevante Messdaten für Fachfremde verständlich aufbereiten und Handlungsempfehlungen ableiten

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [1].

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9.4.4 geben anschauliche Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So bestehen im Handlungsfeld „Grundlagen der Tribologie“ Vernetzungen zu Qualitätsmanagement und Automatisierungstechnik. Im Handlungsfeld „Reibungs- und Verschleißarten“ finden sich Verknüpfungen zur Werkstoffkunde wieder. Im Bereich „Tribologische Mess- und Prüftechnik“ besteht ein starker Bezug zur Physik, zum Maschinenbau und zur Werkstoffkunde, wobei in der zweiten Niveaustufe auch Kompetenzen aus der Mathematik (z. B. lineare Regression) und Statistik erforderlich sind. In den nachfolgenden Abschn. 9.4.2, 9.4.3 und 9.4.4 geben finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

9.4.2 Übungen zu „Grundlagen der Tribologie“ Der erste inhaltliche Abschnitt umfasst die Aufgaben und Bedeutung der Tribologie sowie der tribologischen Systeme. Das Handlungsfeld gestaltet sich hinsichtlich des Kompetenzerwerbs stark aufbauend und kann auch als solches durch eine gezielte Methode gefördert werden: • Lernstraße (N1, N2 und N3). Auch hier finden sich Hinweise und Varianten zur Methode allgemein, aber auch zu den einzelnen Lernstationen.

9.4.2.1 Lernstraße Die Methode „Lernstraße“ ist eine Sonderform des Stationenlernens und besonders zur Behandlung aufbauender Fachinhalte geeignet. Wichtig dabei ist, dass die Stationen in einer systematisch nachvollziehbaren Reihenfolge aufeinanderfolgen. Demnach muss deren Abfolge von der Lehrperson vorgegeben werden. Zwischen den inhaltsorientierten Stationen ist es sinnvoll, sogenannte Pufferbereiche vorzusehen. Diese sind auf den Erwerb anderer Kompetenzbereiche ausgerichtet und dienen der Vermeidung von Methodengleichheit [12]. Die Einsetzbarkeit von Lernstraßen ist vielfältig: Sie sind für den Erwerb neuer Fachkompetenzen ebenso einsetzbar wie zur Wiederholung und Vertiefung. Des Weiteren lässt die Methode gestalterischen Spielraum hinsichtlich der einzelnen Stationen. Die Lernstraße selbst bedient sich also weiterer Methoden wie der Recherche oder des experimentellen Lernens. Tab. 9.5 zeigt die wichtigsten Eckpunkte der Methode.

9 Festkörperreibung161 Tab. 9.5  Fact-Box: Lernstraße „Festkörperreibung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Wiederholung des bisher Gelernten und Festigen der Grundlagen im Bereich Tribologie • Vertiefung der Fachkompetenz im Bereich Tribologie mit Schwerpunkt auf die Tribosysteme • Vernetzung zu anderen Fachbereichen im Thema Digitalisierung

Zeit

Mind. 2 EH, max. 5 EH (je nach Anzahl der Stationen)

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- und Kleingruppenarbeit – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Arbeitsblätter/Aufträge, Coulomb-Tribometer

Lehr-/Lernziele

• Bedeutung der Tribologie unter Berücksichtigung des Reibungsgesetzes erklären (N1) • Auswirkungen unerwünschter Reibung beschreiben (N1) • Alle Elemente, Eigenschaften sowie Eingangs- und Ausgangsgrößen des Tribosystems benennen (N1) • Technische Anwendungen erwünschter und unerwünschter Reibung sowie Arten und Funktionen des Tribosystems zuordnen (N2) • Coulomb’sches Reibungsgesetz experimentell verifizieren (N2) • Möglichkeiten der Digitalisierung zur Verminderung unerwünschter Reibung bewerten (N3)

▶▶

Tipp Die einzelnen Stationen können teilweise real oder virtuell gestaltet

sein. Je nachdem unterscheiden sich die Anforderungen an Raum und Material. Besonders bei der virtuellen Bearbeitung bieten Lernplattformen wie moodle gute Möglichkeiten, die zeitliche Abfolge bzw. den Zeitrahmen klar vorzugeben. Die Bearbeitung der einzelnen Stationen kann zum Teil auch in Eigenarbeit erfolgen bzw. eigenständige Vorbereitung in Form von Recherche voraussetzen. Dies ist vor allem bei Rechercheaufgaben zu empfehlen, welche keine klar definierte Lösung aufweisen. Für die Verifizierung des Coulomb’schen Reibungsgesetzes wird die Anschaffung eines Coulomb’schen Tribometers empfohlen. Das Präzisionsreibungsmessgerät TM 210 [9] ist primär für die Verwendung als Praktikumsversuch geeignet, beruht auf dem Prinzip des Coulomb-Tribometers und enthält im Lieferumfang eine Auswahl verschiedener Reibplatten und Reibkörper.

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Folgende Untersuchungen sind mit dem Gerät möglich [9]: •• •• •• •• •• ••

Abhängigkeit der Reibungskraft von der Normalkraft, Einfluss der Gleitgeschwindigkeit, Einfluss der Materialpaarung, Einfluss der Oberflächenbeschaffenheit der Gleitpartner, Einfluss der Größe der Kontaktfläche, Unterschied zwischen Gleit- und Haftreibung.

Mithilfe der Untersuchungsergebnisse kann das Reibungsgesetz sehr anschaulich formuliert werden.

Die Basis für die Lernstraße ist eine gute Vorbereitung vonseiten der Lehrperson. Diese entscheidet, wie viele Stationen insgesamt durchlaufen werden sollen, und legt auch die inhaltlich sinnvolle Reihenfolge fest. Die methodische Gestaltung der einzelnen Stationen muss stets auf den angestrebten Kompetenzerwerb abgestimmt sein. Dahingehend ist es sinnvoll, die ersten Stationen auf die Lehr-/Lernziele mit Niveau 1 auszurichten und entsprechend darauf aufzubauen. Um die in Tab. 9.4 genannten Lehr-/Lernziele zu erreichen, könnten folgende Stationen definiert werden:

Beispiel

1. Die ersten beiden Lehr-/Lernziele könnten beispielsweise durch eine händische Visualisierung mit dazugehöriger schriftlicher Erklärung erreicht werden. Die Lernenden haben die Aufgabe, die Bedeutung der Tribologie und die Auswirkungen unerwünschter Reibung grafisch darzustellen. Zur Vermeidung von Missverständnissen dient eine kurze verschriftlichte Erklärung. 2. Mindmap über die Elemente, Eigenschaften sowie Eingangs- und Ausgangsgrößen eines Tribosystems erstellen. Näheres über die Methode Mindmap befindet sich in Kap. 12 Stirnradgetriebe). Wurden die ersten beiden Stationen erfolgreich absolviert, werden die nächsten beiden Stationen freigeschaltet. 3. Die Zuordnung der technischen Anwendungen kann mit der Methode „Struktur-Lege-Technik“, beschrieben in Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse, in Kombination mit einem Bilderquiz, beschrieben in Kap. 12 Stirnradgetriebe, erfolgen. 4. Für das Verifizieren des Coulomb’schen Reibungsgesetzes ist der Einsatz eines Coulomb- Tribometers erforderlich. Je nach verfügbarer Anzahl kann das Verifizieren in kleinen bis mittleren Gruppen von maximal sechs Personen durchgeführt werden. Für die Durchführung sollte eine Versuchs- bzw. Gebrauchsanleitung des jeweiligen Herstellers zur Verfügung gestellt werden. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass das Messgerät nicht zwingend real vorhanden sein muss. Es wäre auch denkbar, die Übung mittels eines virtuellen Abbilds des Gerätes durchzuführen und den

9 Festkörperreibung163

Lernenden Messdaten für eine Auswertung zur Verfügung zu stellen. Augmented Reality-gestützte Systeme, welche mit 3-D-Modellen arbeiten, bieten die Möglichkeit dazu. Steht das nötige Material nicht zur Verfügung, kann eine experimentelle Verifizierung nicht stattfinden, weshalb auch die Erfüllung dieses Lehr-/Lernziels nicht gegeben wäre. Nach erfolgreichem Erfüllen der Aufgaben von Niveau zwei wird die letzte Station zugänglich. 5. Als letzte Station bietet sich eine Kleingruppenrecherche mit anschließender Gruppendiskussion (real während einer Präsenzeinheit oder virtuell über ein Forum) an.

9.4.3 Übungen zu „Reibungs- und Verschleißarten“ Das Handlungsfeld „Reibungs- und Verschleißarten“ ist von vielen ähnlich gelagerten Begrifflichkeiten geprägt, welche eine präzise Abgrenzung verlangen. Dahingehend ist genaues Arbeiten sehr wichtig, weshalb die vorgeschlagenen Methoden auch dies trainieren: • Rätsel (N1 und N2), • Case-Incident-Methode (N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden eingehen zu können und den Kompetenzerwerb auch hinsichtlich digitaler Kompetenzen sicherzustellen.

9.4.3.1 Rätsel Das „Rätsel“ zielt darauf ab, die Lernenden durch anschauliche und konkrete Beschreibungen zu der gewünschten Lösung hinzuführen. Das Rätsel kann dabei in verschiedenen Formen bzw. Lehr-/Lernsettings eingesetzt werden. So kann ein Rätsel nicht nur von der Lehrperson vorgegeben, sondern beispielsweise auch von den Lernenden selbst erarbeitet werden. Ebenfalls ist es möglich, das Rätsel mündlich oder schriftlich zu stellen und mit anderen Methoden wie der Recherche zu verknüpfen [12]. Hinsichtlich der Sozialform gibt es auch unterschiedliche Möglichkeiten: Einzelbearbeitung ist ebenso möglich wie die Bearbeitung des Rätsels in der Gruppe. Außerdem kann die Methode „Rätsel“ mit Parametern der beruflichen Praxis verknüpft werden. Das „Rätsel“ ist aufgrund der Fragetechnik von ähnlichen Formen wie dem Quiz oder dem Test abzugrenzen. So wird hier keine aktive Frage gestellt, sondern versucht, die Lernenden systematisch zum Ergebnis hinzuführen. Im vorliegenden Fall wird eine Form des Rätsels gewählt, welche sowohl für kleine als auch größere Gruppen geeignet ist und entsprechend des digitalen Kompetenzerwerbs digital unterstützt wird. Tab. 9.6 zeigt die Rahmenbedingungen für die Methode.

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Tab. 9.6  Fact-Box: Rätsel „Festkörperreibung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden in den Bereichen Verschleiß und Reibung ermitteln • Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

10–30 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Je nach Rätseltyp Arbeitsblatt mit den Rätseln

Lehr-/Lernziele

• Die Begriffe Reibung und Verschleiß erklären (N1) • Reibungsarten systematisch skizzieren (N1) • Verschleißmechanismen beschreiben (N1) • Hauptreibungsarten anhand von Beispielen unterscheiden (N2) • Verschleißarten unterschiedlichen Verschleißmechanismen zuordnen (N2)

▶▶

Tipp Ein Vorteil des Rätsels ist es, dass die Lösung oftmals in Selbststudium bzw.

Partnerarbeit kontrolliert werden kann. Dies erhöht den Lerneffekt und entlastet die Lehrperson.

In der Theorie gibt es verschiedene Rätseltypen. An dieser Stelle werden unterschiedliche Arten anhand von Beispielen vorgestellt. Es gibt eine Vielzahl an Online-Tools, die bei der Erstellung von Rätseln unterstützen. Besonders zu erwähnen ist die Plattform Kahoot!, welche nicht nur die Erstellung von Rätseln ermöglicht, sondern diese den Lernenden auch via App auf einem smart device zur Verfügung stellt. Darüber hinaus kann auf eine Vielzahl bereits erstellter Rätsel aus diversen thematischen Bereichen zurückgegriffen werden. Kreuzworträtsel  Zur Erstellung von Kreuzworträtsel gibt es eine Vielzahl an kostenlosten Online-Tools. Die nachfolgende Abb. 9.9 wurde mit dem Generator von XWords erstellt. Einfache Frage  Einfache Fragen eignen sich besonders, um unterschiedliche Definitionen Fachbegriffen zuzuordnen.

Beispiel

• Welche Reibungsart beschäftigt sich mit der translatorischen Relativbewegung zweier Körper? • Wie wird der fortschreitende Materialverlust aus der Oberfläche eines Grundkörpers verstanden?

Abb. 9.9  Kreuzworträtsel Tribologie

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S. R. Sorko und W. Waldhauser

Auch die Korrektur von Definitionen wäre möglich:

Beispiel

Originaler Text Die messtechnische oder zahlenmäßige Kennzeichnung des Verschleißes und der Resultate von Verschleißvorgängen kann auf zwei Arten erfolgen. Einerseits durch die Ermittlung von Verschleißmessgrößen, die durch Maßzahlen die Änderungen der Gestalt, des Volumens oder der Masse eines Körpers durch Verschleiß beschreiben. Andererseits durch die Untersuchung der Verschleißerscheinungsformen, die durch Verschleiß verursachten Veränderungen der Oberfläche tribologisch beanspruchter Werkstoffe oder Bauteile (chemische Zusammensetzung, Mikrostruktur etc.) sowie die Art und Form von anfallenden Verschleißpartikeln. Falscher Text für die Studierenden Die messtechnische oder zahlenmäßige Kennzeichnung der Reibung und der Resultate von Verschleißvorgängen kann auf zwei Arten erfolgen. Einerseits durch die Ermittlung von Verschleißmessgrößen, die durch Maßzahlen die Änderungen der Temperatur, des Gewichts oder der Masse eines Körpers durch Reibung beschreiben. Andererseits durch die Untersuchung der Verschleißerscheinungsformen, die durch Verschleiß verursachten Veränderungen der Struktur tribologisch beanspruchter Werkstoffe oder Bauteile (chemische Zusammensetzung, Mikrostruktur etc.) sowie die Art und Form von zugeführten Stoffen. Silbenrätsel  Zur Erstellung von Silbenrätseln sind keine eigenen Tools notwendig. Die Lehrperson erstellt eine Reihe von Fragen und stellt die einzelnen Silben der Lösungswörter in alphabetischer Reihenfolge zur Verfügung:

Beispiel

Aufgabe: Beantworten Sie die Fragen, indem Sie die richtigen Silben miteinander verbinden. 1. Bei welcher Reibungsart tritt oft Mikroschlupf auf? 2. Was wird unter dem Kürzel Fn verstanden? 3. Beschreibung für den fortschreitenden Materialverlust aus der Oberfläche eines festen Körpers. 4. Was wird unter dem Kürzel s verstanden? 5. Bei welchem Vorgang (Verschleißmechanismus) werden atomare Verbindungen gebildet? 6. Was bezeichnet wiederholtes Ritzen und Mikrozerspanungen des Grundkörpers? 7. Was wird unter dem Kürzel Wv verstanden?

9 Festkörperreibung167

ab – ad – bung – gleit – hä – kraft – lu – mal – men – nor – ra – rei – roll – schleiß – schleiß – sion – sion – ver – ver – vo – weg

9.4.3.2 Case-Incident-Methode Die Case-Incident-Methode ist eine Sonderform der Fallstudie (case-study). Fallstudien sind an der Praxis orientiert und zielen darauf ab, die Studierenden auf reale Problemstellungen vorzubereiten. Dabei ist es von großer Bedeutung, die Fälle weitgehend realitätsgetreu zu gestalten, um kein verzerrtes Bild der Wirklichkeit bei den Lernenden zu erzeugen. Fallstudien werden in der Regel in Kleingruppen bearbeitet, können aber auch in Einzel- oder Partnerarbeit gelöst werden. Je nach Zielsetzung der Fallstudie werden unterschiedliche Sonderformen unterschieden. Bei der Case-Incident-Methode liegt der Schwerpunkt, neben der fachlichen Auflösung des geschilderten Problems, auf der selbstständigen Informationsbeschaffung durch die Lernenden [12]. In einem ersten Schritt sind die für die Lösung des Falles relevanten Zusatzinformationen zu beschaffen, anhand welcher dieser dann bearbeitet und aufgelöst werden kann. Wichtig ist, dass die Fallbeschreibung – wie in der Praxis auch – unvollständig ist und die Lernenden selbstorganisiert die fehlenden (richtigen) Daten beschaffen müssen [10]. Tab. 9.7 gibt einen Überblick über die Methode „Case-Incident“. Tab. 9.7  Fact-Box: Case-Incident-Methode „Festkörperreibung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Erarbeiten des Themas „Auswirkungen von Reibung und Verschleiß auf unterschiedliche Werkstoffe in der Praxis“ • Erwerben von Mittsprachekompetenz hinsichtlich einer Vielzahl von Werkstoffen im Bereich Reibung und Verschleiß • Trainieren des problemzentrierten Arbeitens und der selbstständigen Arbeitsweise • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, wie Qualitätsmanagement, Kostenrechnung und Controlling

Zeit

15 min Einführung in die Methode und zweimal je 1 EH Präsenzzeit; zwischen den Präsenzeinheiten findet in Einzel- und Gruppenarbeit die Recherchearbeit statt. Die angegebene Zeit muss entsprechend der didaktischen Gestaltung des Ergebnisberichtes verlängert werden.

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit (mind. 4 Personen je Gruppe)

Raum/Platz

Tischgruppen (jede Gruppe muss die Möglichkeit haben, gemeinsam in den Präsenzzeiten an ihrer Ausarbeitung zu arbeiten)

Material

Fallbeschreibung

Lehr-/Lernziele

• Einfluss der Werkstoffart auf Reibung und Verschleiß diskutieren (N3)

168 ▶▶

S. R. Sorko und W. Waldhauser Tipp Je nach Gruppengröße und angestrebtem sozialem bzw. persönlichem

Kompetenzerwerb kann die Ergebnispräsentation als einfache Abgabe, Kurzpräsentation oder Gruppendiskussion gestaltet werden. Jedenfalls sollte von der Lehrperson sichergestellt werden, dass am Ende der Methode alle Lernenden den gleichen Informationsstand haben.

Zu Beginn sollte die Lehrperson den Lernenden einen Überblick über Ablauf und Zweck der Methode geben. Dadurch wird gewährleistet, dass die Lernenden auch tatsächlich eigenständig Informationen beschaffen. Ein Musterfall könnte wie folgt aussehen:

Beispiel

Aufgabe Diskutieren Sie anhand der vorliegenden Situation, wie sich Reibung und Verschleiß auf die Wahl des Werkstoffes auswirken und welche(r) Werkstoff(e) im gegenständlichen Fall geeignet wären, bzw. welche gänzlich ausgeschlossen werden können. Geben Sie auch jeweils eine Begründung dazu an. Angabe Das Unternehmen „Jetrex“ ist ein am europäischen Markt etablierter Automobilhersteller im Segment Klein- und Kompaktwagen. Neben innovativen Konzepten zur Elektromobilität hat das Unternehmen zuletzt den Fokus auf die Optimierung des Treibstoffeinsatzes gelegt. Mögliches Optimierungspotenzial wurde bereits im Bereich der verwendeten Werkstoffe für die Scheibenbremsen erkannt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Mitbewerber in diesem Bereich bereits nachweisliche Erfolge erzielt hat.

9.4.4 Übungen zu „Tribologische Mess- und Prüftechnik“ In der Praxis besonders relevant ist die Fähigkeit, Reibungsmessungen durchführen und die Ergebnisse bewerten zu können. Diese Kompetenzen werden im Handlungsfeld „Messung der Festkörperreibung“ adressiert, wobei der Kompetenzerwerb den gesamten Bereich der Versuchsdurchführung in Theorie und Praxis abdeckt. Folgende Methoden sind beispielsweise dafür geeignet: • Räsonieren (N1 und N2), • Leittextmethode (N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Lernenden anpassen zu können.

9 Festkörperreibung169

Für das praktische Räsonieren wird als Trainingsmaterial der Einsatz von Probekörpern empfohlen. Dadurch ist ein Kompetenzerwerb nahe an der Praxis möglich. Ergänzend dazu werden aber auch Übungen vorgestellt, die mit gängigen Lehrmaterialien durchgeführt werden können.

9.4.4.1 Räsonieren Im früheren Sprachgebrauch wurde unter Räsonieren vernünftiges Reden und das Ziehen von Schlüssen verstanden. Überführt in die Bildungswissenschaften beschreibt der Begriff, dass jede menschliche Interaktion von zwei Seiten geprägt ist: Denken und Handeln. Diese hängen also zwingend miteinander zusammen und sollen im Zuge des Räsonierens durch beschreibendes Reden aktiv von den Lernenden verbunden werden. Das Räsonieren erfolgt in drei wiederkehrenden Schritten, die von folgenden Leitfragen geprägt sind: 1. Denken – Was soll ich tun? 2. Reden – Was tue ich? 3. Handeln – Was habe ich getan? Durch diese Vorgehensweise wird das individuelle Handlungsbewusstsein gestärkt und in weiterer Folge die Handlungsfähigkeit der Lernenden gefördert. Um zudem die sozialen Kompetenzen der Lernenden zu unterstützen, kann Räsonieren auch in Kleingruppen mit direkter Interaktionsmöglichkeit durchgeführt werden [12]. Tab. 9.8 gibt einen Überblick über die Methode Räsonieren. Tab. 9.8  Fact-Box: Räsonieren „Festkörperreibung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Wiederholung des Kapitels „Tribologische Mess- und Prüftechnik“ • Eigenständige praktische Durchführung von Reibungsmessungen

Zeit

Für das theoretische Räsonieren 10–20 min Präsenzzeit; für das praktische Räsonieren ca. 1 EH Präsenzzeit

Gruppengröße/Sozialform

Partner- oder Kleingruppenarbeit

Raum/Platz

Für das theoretische Räsonieren einen Hörsaal; für das praktische Räsonieren sollte je Kleingruppe ein separierter Arbeitsbereich in der – je nach Prüfkategorie – notwendigen Arbeitsumgebung eingerichtet werden

Material

Leitfragen bzw. stichwortartige Versuchsanleitung und für den Versuch notwendiges Material

Lehr-/Lernziele

• Aufgaben der tribologischen Mess- und Prüftechnik auflisten (N1) • Reibungsmessungen anhand von Beispielen durchführen (N2)

170 ▶▶

S. R. Sorko und W. Waldhauser Tipp Das Räsonieren kann von einer Einzelperson grundsätzlich auch vor einer

größeren Gruppe wie einem Jahrgang durchgeführt werden. Aus didaktischer Sicht ist dies jedoch nur dann ratsam, wenn ein gutes Gruppenklima herrscht, da sonst die Gefahr besteht, dass sich die räsonierende Person bloßgestellt oder vorgeführt fühlt.

Theoretisches Räsonieren Das theoretische Räsonieren kann in Partnerarbeit durchgeführt werden, wobei die beiden Lernenden sich stets mit dem aktiven Prozess des Räsonierens abwechseln. Inhaltlich gibt die Lehrperson eine Frage- oder Themenstellung vor, über welche räsoniert werden soll. Im ersten Schritt – dem Denken – bereiten sich beide Lernenden gedanklich auf die Themenstellung vor. Sodann beginnt der Erste einen Teil der Aufgabenstellung zu bearbeiten, indem er versucht, die Aufgabenstellung verbal zu lösen und anhand von Beispielen zu verdeutlichen (Reden). Während dieses Prozesses hört der Zweite aktiv zu, ergänzt oder stellt Fragen. Im letzten Schritt wiederholt/reflektiert der Erste die Kernelemente der Aufgabenstellung (Handeln). Nun werden die Rollen getauscht. In Bezug auf das Thema Tribologie könnte die Themenstellung wie folgt lauten:

Beispiel

Räsonieren Sie über die Aufgabenfelder der tribologischen Mess- und Prüftechnik. Gehen Sie dabei auch auf die Bedeutung der Aufgaben in der Praxis ein und geben Sie Beispiele.

Praktisches Räsonieren Das praktische Räsonieren ist an ein aktives Tun der Lernenden gekoppelt, wobei der Prozess den drei Prozessschritten des Räsonierens folgt. Auf Basis der Aufgabenstellung wird zunächst gedanklich vorbereitet, dann findet die kommentierte Durchführung statt und im Anschluss daran die Reflexion. Bei praktischen Übungen bietet sich die Arbeit in Kleingruppen an, da eine Person allein oftmals zu wenig beobachten und kommentieren kann. Eine solche praktische Aufgabe könnte lauten: Führen Sie Reibungsmessungen in Form eines (zu definieren) Versuches anhand von Beispielen durch. Maßgeblich für die Aufgabenstellung ist die technische Ausstattung des Bildungsanbieters. So kann ein räsonierender Versuch sowohl an einem Prüfstand als auch als Modellversuch durchgeführt werden. Für den Kompetenzerwerb in (Hoch-)Schulen eignen sich

9 Festkörperreibung171

vor allem Bauteil-, Probekörper- oder Modellversuche, da hierfür keine vollständigen technischen Systeme oder praxisnahe Bedingungen erforderlich sind. Dazu ist das Vorliegen von Anschauungsmaterial in Form von Probekörpern ausreichend.

9.4.4.2 Leittextmethode Die „Leittextmethode“, auch „Leittextlernen“ genannt, wurde übergreifend von unterschiedlichen Unternehmen entwickelt und hat sich vorrangig im berufsbildenden Bereich etabliert. Es stellt eine Methode aus der Praxis für die Praxis dar. Auch Leittextlernen fördert besonders die berufliche Handlungsfähigkeit der Lernenden, indem der Selbstorganisation eine wichtige Rolle zukommt. Kernelement sind anleitende Texte, die nicht nur die Aufgabenstellungen umfassen, sondern auch gezielte Informationen zur Problemlösung und Kontrolle beinhalten. Es kommt zu einer indirekten Steuerung der Lernenden, wodurch der Lernerfolg selbstgesteuert eintritt und als persönlicher Erfolg wahrgenommen wird [1, 12]. Darüber hinaus bildet diese Methode die Praxis sehr gut ab, da die Lernenden auch im betrieblichen Kontext in der Lage sein müssen, Lösungen anhand bestehender Informationen zu abstrahieren. Zu betonen ist, dass die Grundprinzipien der Methode (eigenständige Informationsbeschaffung durch die Lernenden, Hinweise durch Leitfragen und Leittexte) zu Beginn klar kommuniziert werden müssen. Wird dies nicht gemacht, besteht die Gefahr, dass die Lernenden unstrukturierte oder wenig fundierte Ergebnisse erzielen. Die Leittextmethode läuft zyklisch in sechs Schritten ab: 1. Informieren (Leitfragen, die den Auftrag an die Lernenden darstellen), 2. Planen (Strukturierung des Vorgehens mithilfe von Planungsinstrumenten wie Aufgabenlisten, Zeitplänen etc.), 3. Entscheiden (Festlegen auf die nächsten Schritte und Maßnahmen), 4. Ausführen (Abarbeiten der Maßnahmen laut Plan), 5. Kontrollieren (Ergebniskontrolle mithilfe eines Kontrollbogens), 6. Bewerten (Reflexion über den Erfolg des gesamten Bearbeitungsprozesses). Insgesamt ist die Leittextmethode eine besonders geeignete Form, um alle vier Kompetenzbereiche der Lernenden zu trainieren. Die Intensität der Entwicklung ist unter anderem von der Wahl der Sozialform und der Kontroll- und Bewertungsmechanismen abhängig. Tab. 9.9 zeigt die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Leittextmethode auf. ▶▶

Tipp Die Leittextmethode kann unterschiedlich umfassend angesetzt werden.

In der Regel bietet sich eine Bearbeitungszeit über mehrere Wochen hinweg an.

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S. R. Sorko und W. Waldhauser

Tab. 9.9  Fact-Box: Leittextmethode „Festkörperreibung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Festigen und Vertiefen des bisher Gelernten im Bereich „tribologische Mess- und Prüftechnik“ • Trainieren der Recherchefähigkeit und des Umgangs mit großen Datenmengen • Kommunikations- und Präsentationstechnik trainieren

Zeit

30 min Einführung in die Methodik; aufgeteilt insgesamt mind. 5 EH Präsenzzeit; zwischen den Präsenzzeiten sind Heimarbeitsphasen einzuplanen

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit zu 4–6 Personen und anschließende Diskussion im Plenum

Raum/Platz

Tischgruppen, an welchen die Lerngruppen möglichst ungestört arbeiten können

Material

Leittexte, Smart Board, Whiteboard oder Tafel zur Visualisierung (inkl. Moderationskoffer)

Lehr-/Lernziele

• Praktische Anwendungsfälle je Kategorie tribologischer Prüftechnik diskutieren (N3) • Relevante Messdaten für Fachfremde verständlich aufbereiten und Handlungsempfehlungen ableiten (N3)

Für die genannten Lehr-/Lernziele könnte die Leittextmethode wie folgt aussehen:

Beispiel

Thema Tribologische Prüftechnik in der Praxis; Kategorien, Auswertungsmöglichkeiten, Ergebnisvisualisierung und -interpretation sowie Handlungsempfehlungen Leitfragen • In welchen Branchen und bei welchen Produkten wird eine tribologische Prüftechnik in der Industrie angewandt und warum? • Welche Kategorien der tribologischen Prüftechnik finden sich besonders häufig in der Industrie? • Welche weiteren Institutionen nehmen tribologische Prüfungen vor und warum? • Welche Ergebnisse liefern tribologische Prüfungen und welche Schlüsse können daraus gezogen werden? • Welche Relevanz haben die Prüfergebnisse für Bereiche außerhalb der Produktion wie Controlling, Unternehmensführung, Qualitätsmanagement, Vertrieb? • Wie können Messergebnisse grafisch aufbereitet und mit aussagekräftigen (Finanz-) Daten verknüpft werden?

9 Festkörperreibung173

Leittexte • https://www.ecoplus.at/media/1085/leporello_technopol_wn_tribologiekompetenz.pdf, • https://www.dynamore.de/de/download/papers/2016-ls-dyna-forum/Papers%20 2016/mittwoch-12.10.16/simulation/messung-und-simulation-von-verschleiss-ineinem-anwendungsnahen-tribologischen-pruefstand, • http://www.bestsens.de/files/bestsens_ag_lars_meisenbach.pdf.

Literatur   1.

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11. 12. 13.

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Längenprüftechnik Längenprüftechnik als Teil der Qualitätskontrolle

10

Christian Eck und Sabrina Romina Sorko

Zusammenfassung

In diesem Kapitel werden theoretische und praktische Fachinhalte zur Durchführung von Messungen vermittelt. Nach einer kurzen grundlegenden Einführung in die Thematik zeigt das Kapitel anschaulich, wie die Lernenden Messungen durchführen und auf ihre Richtigkeit hin beurteilen können. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Umgang mit Messabweichungen. Der zweite Schwerpunkt gibt einen Überblick über unterschiedliche Prüfmittel und die damit durchgeführten Prüfverfahren. Durch die didaktischen Übungen kann sichergestellt werden, dass die Lernenden die Grundlagen zur Längenprüftechnik nicht nur erklären, sondern auch anwenden können.

10.1 Grundlagen der Längenprüftechnik In technischen Betrieben ist die Längenprüftechnik ein Teilbereich der Mess- und Prüftechnik und wird im Rahmen der Qualitätskontrolle angewendet. Zweck ist die Überprüfung vorgegebener Toleranzen in der Fertigung physikalischer Bauteile. Dazu ist eine fundierte Fachkompetenz über die relevanten Kenngrößen und Abweichungsmöglichkeiten

C. Eck St. Ägyd am Neuwalde, Österreich S. R. Sorko (*) Graz, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_10

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C. Eck und S. R. Sorko

relevant. Nachfolgend werden die zur Durchführung von Messungen in der Praxis maßgeblichen Werte aufgelistet und näher beschrieben [1, 2, 12]. ▶▶

Begriffsdefinitionen

Messgröße M Die Messgröße ist diejenige Größe, der eine Messung gilt. Messwert x Der Messwert ist der von einem Messgerät gelieferte Wert einer Messgröße. Skalenteilungswert Der Skaleneinteilungswert ist der Abstand zwischen zwei Skalenstrichen einer Messskala.s Messunsicherheit U Die Messunsicherheit beinhaltet alle Abweichungen (zufällige und nicht korrigierte systematische Abweichungen) bei einer Messung. Messabweichung Die Messabweichung ist die Differenz zwischen Messwert und wahrem Wert der Messgröße. Zufällige Messabweichung Ist die Messabweichung bei wiederholter Messung trotz gleicher Bedingungen immer unterschiedlich, spricht man von zufälligen Messabweichungen. Systematische Messabweichung A Ergeben sich bei wiederholter Messung bei gleichen Bedingungen immer dieselben Messabweichungen, spricht man von systematischen Messabweichungen. Korrektionswert K Der Korrektionswert gleicht bekannte und systematische Abweichungen aus. Berichtigtes Messergebnis y Das berichtigte Messergebnis ist der um systematische Messabweichungen A korrigierte Messwert. Vollständiges Messergebnis Y Das vollständige Messergebnis ist das berichtigte Messergebnis mit der Angabe der Messunsicherheit in der Form Y = y ± U. Messbereich Der Messbereich ist derjenige Bereich eines Messgerätes, in dem die Messabweichung innerhalb festgelegter Grenzen bleibt. Diese Grenze nennt man Fehlergrenze. Fehlergrenze Die Fehlergrenze ist der vom Hersteller der Messgeräte angegebene Grenzwert der Messabweichung. Nennmaß      Ein Nennmaß gibt den geplanten Wert einer Länge in einer technischen Zeichnung an. Ein Nennmaß ist ein Idealmaß und wird auch Sollmaß genannt. Es ist das geplante Maß der Messgröße M. Maßtoleranz Eine Maßtoleranz gibt die zulässige Abweichung vom Nennmaß eines Werkstückes an, damit die Funktion des Werkstückes gewährleistet bleibt. Die Maßtoleranz ist somit eine konstruktionsund fertigungsbedingte Maßgröße. Sie wird zusammen mit dem Nennmaß als deren Abweichung angegeben, z. B. 10 ± 0,1.

10 Längenprüftechnik177

10.1.1 Einordnung in den Fertigungsprozess Am Beginn der Herstellung eines neuen Produktes stehen der Entwurf und die Entwicklung des Produktes. Der Entwurf erfolgt normalerweise in der Form technischer Zeichnungen, in denen möglichst vollständig die technischen Produkteigenschaften festgehalten werden, wie beispielsweise Material, Form, Maße und Toleranzen des Produktes. Diese Daten dienen anschließend der Fertigung als Vorgaben zur möglichst optimalen Umsetzung des Produktes. Die Längenprüftechnik ist dabei ein Teil der Qualitätskontrolle und -überprüfung. Mit ihr kann man das reale Produkt und seine Maße mit der Idealdarstellung auf der technischen Zeichnung vergleichen. Zur Längenprüftechnik gehört einerseits das Messen von Abständen wie Längen, Durchmesser etc., aber auch die Interpretation des Messergebnisses. Eine Interpretation des Messergebnisses ist insofern notwendig, da dabei Fragen geklärt werden, die das Messgerät bzw. die Messdurchführung betreffen. Eine simple Frage wäre beispielsweise, wie zuverlässig das Messergebnis ist. Als Antwort könnte ergänzend zum Messergebnis die Messtoleranz angegeben werden, mit welcher gemessen wurde. Es liegt beispielsweise auf der Hand, dass die Messtoleranz kleiner sein sollte als die Toleranz der Messgröße aus der technischen Zeichnung. Die Interpretation des Messergebnisses ermöglicht es in weiterer Folge, Schlüsse zu ziehen. So kann beispielsweise ermittelt werden, ob das Produkt der technischen Zeichnung entspricht oder nicht. Des Weiteren können die Messergebnisse zur Prozesssteuerung dienen. Abb. 10.1 stellt ein Produkt mit einer technischen Skizze gegenüber. Zur Kontrolle der technischen Forderungen wird beispielsweise die Längenprüftechnik eingesetzt. Je nach Güte der Qualitätsprüfung werden dabei die Intensität und der Kontrollaufwand durch die Fertigung vorgegeben. So ist der Einsatz von Grenzlehren dort sinnvoll, wo mit geringem Zeitaufwand sofort und einfach eine Gut-/Schlecht-Entscheidung durch Produktionsmitarbeiter gefällt werden soll. Demgegenüber erfordert der Einsatz von Messschrauben bereits einen höheren Zeitaufwand und besitzt eine höhere Fehlerquelle durch die Empfindlichkeit des Messmittels oder durch Fehlbedienung. Dafür kann eine Messschraube Messwerte liefern, die z. B. für die Prozesssteuerung verwendet werden können und nicht nur für eine Gut-/Schlecht-Entscheidung. Abb. 10.1  Von der technischen Zeichnung zum Produkt

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C. Eck und S. R. Sorko

10.1.2 Maßtoleranzen Wenn ein Bauteil gezeichnet wird, legt die Konstruktion die idealen Maße fest. Diese sind in der Fertigung nie vollständig und in gleichbleibender Qualität herstellbar. Gründe dafür sind beispielsweise Verschleiß der Werkzeuge, Verschleiß und Spiel der Maschinenführungen und Spindellager, elastisches Verhalten der Maschinenträger und äußere Einflüsse wie Temperaturänderungen und der damit verbundene Verzug der Produktionsmittel. Ein Bauteil kann aber trotz Abweichungen ohne Weiteres seine Funktion erfüllen. Ab wann dies nicht mehr der Fall ist, muss in der Konstruktion bereits vorab festgelegt werden. Zu den idealen Maßen in den Konstruktionszeichnungen werden Toleranzen definiert. Diese legen einen „Maßbereich“ fest, in dem das reale Maß liegen darf [10]. Idealmaße werden in der Technik als „Nennmaß“ bezeichnet. Die Toleranzen besagen, dass das Nennmaß um einen bestimmten Betrag über- und unterschritten werden darf. Die Maßangabe 30−+00,.15 10 mit dem Nennmaß 30 mm gibt an, dass die Bauteilgröße um 0,15 mm größer und um 0,10 mm kleiner sein kann. Die reale Bauteilgröße darf somit zwischen 29,90 mm und 30,15 mm liegen. In der Praxis werden nicht alle Maße gesondert toleriert, sondern in einem Standard festgelegt. Nach diesem werden die Maße toleriert. Bekannt ist beispielsweise die ISO 2768, die in der Zeichnung mit dem Zusatz der Toleranzklasse angegeben wird: fein, mittel, grob oder sehr grob. So bedeutet die Angabe „ISO 2768-m“, dass die Maße mit mittlerer Toleranzklasse toleriert sind. In der Zeichnung sind damit sämtliche Nennmaße ohne weitere Angabe toleriert. Die Toleranzgrenzen werden für Maßbereiche in der Norm festgehalten, so beträgt die Toleranzgrenze für das Nennmaß 30 mm ± 0,30 mm. Für andere Maßbereiche und andere Toleranzklassen gibt die Norm andere Toleranzgrenzen vor [10]. Neben Längenangaben werden auch andere Maße toleriert, z. B. Radiusangaben oder Winkelangaben, aber auch Form- und Lagetoleranzen. Folgende Normen regeln die Anwendung von Toleranzen: • ISO 8015 legt die Grundlagen und Prinzipien der Toleranzen fest [9], • ISO 2768  legt für Konstruktionszeichnungen die allgemeinen Fertigungstoleranzen fest [10], • ISO 14405-1 seit 2011 Zeichnungsnorm für Längenmaße [11]. In der Prüftechnik sind die Toleranzen wichtige Vorgaben, sie geben Grenzen vor. Innerhalb dieser Grenzen müssen die Maße der Bauteile liegen. Liegen keine Toleranzen zu den Nennmaßen vor, so kann der reale Messwert keinem erlaubten (oder nicht erlaubten) Bereich zugeordnet werden und somit keine Aussage zur Funktionstüchtigkeit des Bauteils getroffen werden. Eine Prüfung untolerierter Maße gibt damit keine Aussage, ob das Produkt „korrekt“ oder „nicht korrekt“ gefertigt wurde.

10 Längenprüftechnik179

10.1.3 Messen und Lehren Unter Prüfen versteht man im Allgemeinen den Vergleich eines IST-Wertes mit einem SOLL-Wert. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: • das messende Verfahren, • der Einsatz von Lehren. Beim messenden Verfahren verwendet man ein Messgerät mit einer Skala, an der man die Messgröße abliest. Als Ergebnis erhält man einen Zahlenwert mit Einheit. Die Skala kann starr sein wie beim Lineal oder beweglich wie beim Messschieber. Beispiele: Messschieber, Messschraube, Messuhr (s. Abb. 10.2). Lehren sind feste Instrumente, die ein bestimmtes Maß verkörpern. Dieses feste Maß wird mit dem Prüfling verglichen; als Ergebnis erhält man die Aussage, ob der Prüfling größer oder kleiner ist. Die Lehre stellt die Negativform zum Prüfling dar, sie ist ein Gegenstück. Die Lehre hat keine beweglichen Teile [1, 2, 12]. Kombiniert man zwei Lehren, kann man zur Aussage gelangen, ob ein Prüfling innerhalb vorgegebener Toleranzen liegt. Dies erfolgt bei einer Rachenlehre durch Ausführen einer „Gut“-Seite und einer „Schlecht“-Seite. Passt der Prüfling in die „Gut“-Seite, ist der Prüfling nicht zu groß. Passt der Prüfling auch noch nicht in die „Schlecht“-Seite, ist er nicht zu klein. Der Prüfling liegt damit zwischen den beiden Rachenlehremaßen „Gut“ und „Schlecht“. Weitere Beispiele neben den Rachenlehren sind Grenzlehrdorne und Radiuslehren. Lehren haben den Vorteil der einfachen und schnellen Anwendbarkeit, was auch die Fehleranfälligkeit reduziert. Die Aussage ist auf gut/schlecht oder größer/kleiner beschränkt. Messende Verfahren haben den Vorteil, dass Zahlenwerte als Ergebnis vorliegen. Diese geben auch darüber Auskunft, wie knapp an den Toleranzgrenzen sich der reale Messwert befindet. Das kann auch der Prozesssteuerung von Produktionsmittel dienen. Abb. 10.2  Prüfmittel © Hoffmann GmbH Qualitätswerkzeuge, 2018

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C. Eck und S. R. Sorko

10.1.4 Kalibrieren, Justieren und Eichen Wie Produktionsmittel unterliegen Prüfmittel ebenso natürlichen Prozessen wie Verschleiß, Verformung durch ständige Temperaturwechsel, unsachgemäße Behandlung etc. Diese beeinträchtigen die Genauigkeit und können mit der Zeit zu Abweichungen des ermittelten Messwertes führen oder bei Lehren das Vergleichsmaß verändern. Aus diesem Grund ist es notwendig, eine regelmäßige Überprüfung der Prüfmittel durchzuführen. Das erfolgt durch Kalibrieren, Justieren oder Eichen. Dabei werden die Prüfmittel mit einer Referenz verglichen. Kalibrieren Das Prüfmittel wird mit einer Referenz verglichen und die Abweichung notiert. Dabei wird festgestellt, wie groß die Abweichung zwischen beiden Werten ist (bei Messgeräten) oder ob die Abweichung zwischen beiden Werten innerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt (bei Lehren). Beim Kalibrieren wird das Messmittel nicht verändert. Umgangssprachlich wird unter Kalibrieren aber auch verstanden, dass die ermittelte Abweichung bei der anschließenden Benutzung des Messgerätes zur Korrektur der abgelesenen Werte berücksichtigt wird [4]. Justieren Justieren ist das Ändern der Anzeige eines Messgerätes aufgrund einer Abweichung, die bei der Kalibrierung ermittelt wurde. Nach einer Justierung ist es erforderlich, das Messgerät noch einmal zu kalibrieren. Lehren können nicht justiert werden [4]. Eichen Eichen ist das Kalibrieren und Justieren eines Messgerätes durch eine amtliche Stelle, beispielsweise durch das Eichamt [4].

Beispiel

Ein Messschieber wird kalibriert, indem die Differenz zu einer Referenz (beispielsweise mehrere unterschiedlich lange Endmaße) gemessen und notiert wird. Beim Justieren wird die Nullanzeige einer Messuhr auf null eingestellt, wenn der Messtaster auf den Untergrund trifft, ohne dass ein Werkstück dazwischenliegt. Geeicht werden Waagen in Lebensmittelgeschäften von amtlicher Stelle, damit bestätigt eine gesetzliche Stelle die vorschriftsmäßig vorgenommene Justierung.

10.1.5 Messabweichungen Die Messabweichung definiert die Genauigkeit der Messung an sich. Sie ist definiert mit „Messwert minus Referenzwert“ und gibt die Genauigkeit des Messmittels an. Messabweichungen können sich systematisch oder zufällig ergeben [1, 12]. Systematische

10 Längenprüftechnik181

Abweichungen sind im Prinzip feststellbare Ursachen, zufällige Abweichungen sind nicht feststellbare und somit nicht beherrschbare Abweichungen, die nicht einseitig gerichtet sind [6]. Tab. 10.1 stellt die einige der wichtigsten Messabweichungen und deren Ursachen dar.

10.1.5.1 Systematische Messabweichungen Unter den wichtigsten systematischen Messabweichungen sind der Temperatureinfluss und das Abbe‘sche Komparatorprinzip zu nennen. Temperatur Die Bezugstemperatur für Prüfmittel und Prüfobjekt liegt bei 20 °C. Besitzen beide an der Messung beteiligten Teile diese Temperatur, so ist die systematische Abweichung durch Temperatur nicht vorhanden. Besitzen die beteiligten Objekte unterschiedliche Temperaturen, ändert sich die Länge durch Wärmeausdehnung und es tritt eine Abweichung auf. Diese ist durch den Temperaturunterschied und die Ausdehnungskoeffizienten der beteiligten Materialien gegeben. Im komplizierteren Fall einer ungleichen Temperaturverteilung im Werkstück oder Prüfmittel treten zusätzliche innere Verspannungen auf, die zu Verformungen der Teile führen können [4]. Der Ausdehnungskoeffizient α gibt an, um wie viele Mikrometer sich ein Meter des Materials bei Temperaturänderung von einem Grad Kelvin ausdehnt. Die Formel lautet: α=

∆L , L ⋅ ∆T

dabei ist ∆T die Temperaturänderung, ∆L die dadurch bewirkte Längenänderung und L die Länge bei der Ausgangstemperatur. Tab. 10.2 zeigt den Ausdehnungskoeffizienten häufig verwendeter Materialien. Überschlagsmäßig kann man damit den systematischen Fehler bestimmen, wenn die Temperaturen des Messobjektes und des Prüfmittels sich unterscheiden: Tab. 10.1  Arten von Messabweichungen Systematische Messabweichungen

Zufällige Messabweichungen

Abweichungen von der Bezugstemperatur

Unsaubere Flächen

Abbe‘sches Komparatorprinzip

Formabweichungen des Messkörpers

Verformung des Messkörpers bei gleichbleibender Messkraft, z. B. Durchmessermessung bei dünnwandigen Rohren

Verformung des Messkörpers durch ungleichmäßige Messkraft (z. B. ungleichmäßiges Andrehen der Messspindel bei Messschrauben)

Abnutzung der Messflächen der Messgeräte

Kippfehler des Benutzers beim Messen

Dauerhafte Verformung der Messgeräte

Unsicheres Aufsetzen des Messgerätes auf den Messkörper Parallaxenfehler – Ablesefehler

182

C. Eck und S. R. Sorko

Tab. 10.2  Ausdehnungskoeffizienten α häufig verwendeter Materialien Material

 µm  Ausdehnungskoeffizient α    m.K 

Eisen (Fe)

11,8

Nichtrostender Stahl

16

Aluminium (Al)

23,8

Eisen und ferritischer Stahl (niedriglegiert), nichtrostender Stahl ist austenitischer Stahl

∆L = α ⋅ L ⋅ ∆T



Beispiel

Ein Werkstück aus nichtrostendem Stahl ist bei 20 °C exakt 100 mm lang. Es liegt in der Sonne und wird deshalb auf 25 °C erwärmt. Die Messschraube hat die vorgeschriebene Temperatur von 20 °C. Wie groß ist die Messabweichung, wenn das Werkstück mit der Messschraube gemessen wird? Antwort: Das 25 °C warme Werkstück besitzt in einer 20 °C warmen Umgebung die Länge von 100,008 mm. Das 25 °C warme Werkstück ist somit um 8 µm größer als dasselbe Werkstück bei 20 °C. Rechenweg: ∆L = 16 µm ⋅ 100 m ⋅ 5 K = 8µm m.K 1000

mit α= 16 µm , m.K der Werkstücklänge L = 100 mm = 100 m 1000

und der Temperaturdifferenz 25 °C – 20 °C = 5 C In dieser Größenordnung liegt auch die Abweichung, wenn die Messschraube entsprechend angewärmt und das Werkstück 20 °C warm ist. In diesem Fall wird die Messabweichung in die entgegengesetzte Richtung ausweichen, d. h., das abweichende Messergebnis fällt kleiner als der tatsächliche Messwert aus. Abb. 10.3 stellt die Messabweichungen der unterschiedlichen Werkstoffe gegenüber. Um diese systematischen Messabweichungen so gering als möglich zu halten, sind die Griffe der Messschrauben mit wärmeisolierendem Handschutz versehen. Abbe‘sches Komparatorprinzip Das Abbe‘sche Komparatorprinzip besagt, dass messende Länge und Maßstab des Messgerätes in einer Flucht angeordnet sein sollen. Der Mitinhaber der Firma Carl Zeiss, Ernst

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Abb. 10.3  Messabweichungen durch Temperatur

Abbe, hat dieses Prinzip 1893 aufgestellt. Die Bügelmessschraube erfüllt dieses Prinzip, da das zu messende Objekt und die Maßverkörperung (die Messskala) in einer Flucht liegen [1, 3, 12]. Der Messschieber erfüllt dieses Prinzip nicht. In Abb. 10.4 wird gezeigt, wie ein Messfehler durch kippen des Messchiebers entstehen kann. Abb. 10.4  Abbe‘sches Komparatorprinzip

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Abb. 10.5  Parallaxenfehler

10.1.5.2 Zufällige Messabweichung Zufällige Messabweichungen entziehen sich einer systematischen Korrektur, die man durch eine Kalibrierung korrigieren kann. Sie sind nicht vorhersehbar und bei jeder Messung unterschiedlich, es sind nicht beherrschbare Einflüsse der Messgeräte und der Umgebung. Auch Einflüsse des messenden Beobachters, z. B. Ablesefehler, Parallaxenfehler (s. Abb. 10.5) beim Ablesen und ungenaues Aufsetzen der Prüfmittel zählen zu den zufälligen Messabweichungen [5, 6]. Es ist ratsam, Prüfmittel getrennt von Prüfobjekten in einem Labor aufzubewahren. Die Aufbewahrung soll in sauberer Umgebung erfolgen, d. h. geschützt vor korrosiven Einflüssen wie Feuchtigkeit, Staub oder Aerosolen in der Luft. Auch vor Temperaturschwankungen sollen Prüfmittel so weit wie möglich geschützt werden, da auch dieser Einfluss zu ungewollten Verformungen und Veränderungen der Messmittel führen kann. Dazu zählt beispielsweise die Vergrößerung des Umkehrspiels bei Messgewinden, wie sie bei Messschrauben eingesetzt werden.

10.2 Praktische Durchführung der Prüfungen mithilfe von Prüfmitteln 10.2.1 Messschieber Der Messschieber (s. Abb. 10.6) ist mit seiner einfachen Ausführung und robusten Bauart eines der wichtigsten Längenmessmittel in metallverarbeitenden Betrieben. Der Messschieber wird folgendermaßen abgelesen [3]: • Der Nullstrich des Nonius wird als Komma gelesen. Hier werden die ganzen Millimeter abgelesen.

10 Längenprüftechnik185

Abb. 10.6  Messschieber

• Rechts vom Nullstrich wird jener Teilstrich des Nonius gesucht, der sich mit einem Teilstrich der Skala deckt. Dort werden die Zehntelmillimeter abgelesen. Zur Verdeutlichung dient Abb. 10.7.

Abb. 10.7  Messschieber ablesen

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10.2.2 Messschraube Die Messschraube erzeugt über ein Gewinde die Längsbewegung in Messrichtung. Sie wird über die Skalentrommel bewegt, eine Ratsche begrenzt die Messkraft auf ein konstantes Niveau. Dadurch werden Verformungen des Messobjektes verhindert [3]. Im Allgemeinen gilt: Die Messschraube (s. Abb. 10.8) misst genauer als ein Messschieber, ihr Messbereich ist aber geringer. Mit dem Klemmhebel kann die Messschraube fixiert und als Lehre verwendet werden. Das Gewinde der Messschraube besitzt in der Regel eine Gewindesteigung von 0,5 mm. Bei einer Umdrehung der Skalentrommel wird die Messspindel um 0,5 mm bewegt. Die Skalentrommel ist in gleichen Abständen eingeteilt, beispielsweise in einen 50-Skalenstrich. Eine Drehung von Skalenstrich zu Skalenstrich bewegt damit die Messspindel um 0,01 mm [5]. Abgelesen wird die Messschraube folgendermaßen: • Ganze und halbe Millimeter werden an der Skalenhülse abgelesen. • Hundertstelmillimeter werden an der Skalentrommel abgelesen. Zur Verdeutlichung dient Abb. 10.9.

Abb. 10.8  Messschraube

10 Längenprüftechnik187

Abb. 10.9  Messschraube ablesen

10.2.3 Parallelendmaße Parallelendmaße sind kleine Blöcke zum Prüfen und Kalibrieren von Messgeräten und Prüfmitteln (s. Abb.  10.10). Sie können auch direkt zum Messen in der Fertigung verwendet werden, man spricht dann von sekundären Normalen. Parallelendmaße werden aus verschiedenen Materialien gefertigt, z. B. aus Stahl, Hartmetall oder Keramik, und sind in unterschiedlichen Genauigkeitsklassen erhältlich [3, 8]. Parallelendmaße werden in unterschiedliche Toleranzklassen unterteilt, wie in Tab. 10.3 ersichtlich. Ein Normalsatz Endmaße, wie er in Werkstätten verwendet wird, besteht aus fünf Reihen mit jeweils neun Endmaßen [6, 7]: • • • • •

1,001 bis 1,009 in 0,001 mm Abstufung, 1,01 bis 1,09 in 0,01 mm Abstufung, 1,1 bis 1,9 in 0,1 mm Abstufung, 1 bis 9 in 1 mm Abstufung, 10 bis 90 in 10 mm Abstufung.

Parallelendmaße können aneinandergeschoben werden, was auch als Ansprengen bezeichnet wird. Damit können unterschiedliche Längen realisiert werden. Da es keine Endmaße unter einem Millimeter Länge gibt, können nicht alle Längen realisiert werden. Das gilt auch für Maße über einem Millimeter.

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Abb. 10.10  Parallelendmaße Tab. 10.3  Klassen von Parallelendmaßen Toleranzklasse

Verwendung

Toleranzklasse K

Bezugsnormalendmaße, werden vorwiegend für Endmaßprüfung mit Endmaßprüfgeräten im Kalibrierlabor eingesetzt

Toleranzklasse 0

Werks- und Gebrauchsnormal im Kalibrierlabor bzw. im klimatisierten Messraum zum Einstellen oder Kalibrieren von Lehren und Messgeräten

Toleranzklasse 1

Meist verwendetes Gebrauchsnormal für die Prüfung von Lehren und zum Einstellen von Messgeräten. Verwendung im Messraum und am Prüfplatz in der Fertigung

Toleranzklasse 2

Endmaße dieser Klasse werden als Gebrauchsnormal an Prüfplätzen in Fertigungsbereichen, zum Einstellen und Kalibrieren von Messgeräten und zum Einstellen, Prüfen von Werkzeugen, Vorrichtungen und Maschinen verwendet

nach DIN EN ISO 3650 [8]

10.3 Anwendungsfelder in der Praxis Die Längenprüfung gehört zu den elementaren technischen Fertigkeiten in der Industrie. Sämtliche Anwendungen, die aus mehreren technischen Komponenten zusammengebaut werden, benötigen eine verlässliche Längenprüfung für die Garantie der Funktionalität. Die Einsatzbereiche reichen vom Maschinenbau inklusive Kraftfahrzeugbau und Luftfahrttechnik, der Verfahrenstechnik, aber auch in der Elektro- und Elektronikindustrie mit Passungen für zu fügende Teile. Für die industrielle Fertigung ist eine objektive Längenprüfung unabdingbar, um wiederholbar und messmittelunabhängig überprüfbare Ergebnisse zu erzeugen. Die Kenntnis der physikalischen Theorie zur Längenprüfung hilft, bei schwierigen, zuerst oft unerklärlichen Abweichungen die Ursache(n) zu finden und diese nachhaltig zu beheben

10 Längenprüftechnik189

10.4 Lehr- und Übungsmaterial „Längenprüftechnik“ 10.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab. 10.4 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele zum Thema „Längenprüftechnik“ und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Jedes Lehr-/Lernziel kann mithilfe didaktischer Methoden erreicht werden. Die folgenden Abschn. 10.4.2, 10.4.3 und 10.4.4 geben anschauliche Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So besteht im Handlungsfeld „Grundlagen der Längenprüftechnik“ ein enger Bezug zum Qualitätsmanagement. Im Bereich „Messabweichungen“ werden in Niveaustufe zwei grundlegende mathematische Kompetenzen gefordert Tab. 10.4  Kompetenzerwerb im Bereich Längenprüftechnik Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Grundlagen der Längenprüftechnik

• Kennwerte der Längenprüftechnik erklären und den entsprechenden Variablen zuordnen • Den Nutzen von Maßtoleranzen beschreiben

• Prüfverfahren hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit analysieren

• Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität von Messergebnissen ableiten

Messabweichungen

• Arten von Messabweichungen beschreiben • Abbe‘sches Komparatorprinzip erklären • Systematische und zufällige Messabweichungen unterscheiden

• Messabweichung bei Temperatureinfluss berechnen

• Messabweichungen hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit in der Praxis und ihren Auswirkungen auf das Unternehmen bewerten

Durchführen von Prüfungen

• Prüfmittel beschreiben

• Messungen anhand praktischer Beispiele durchführen

• Messergebnisse bewerten und Optimierungspotenziale herleiten • Einsetzbarkeit von Prüfmitteln in der Praxis beurteilen

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [1].

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und Niveaustufe drei baut auf grundlegendem Prozessverständnis auf. Das Handlungsfeld „Durchführen von Prüfungen“ weist Bezüge zu den Fachbereichen Werkstoffkunde, Maschinenelemente, Automatisierungstechnik und Controlling auf. In den Abschn. 10.4.2, 10.4.3 und 10.4.4 finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

10.4.2 Übungen zu „Grundlagen der Längenprüftechnik“ Den Einstieg in das Thema bilden die Grundlagen der Längenprüftechnik. Das Handlungsfeld ist inhaltlich stark heterogen gestaltet, weshalb an dieser Stelle drei verschiedene Methoden zum Kompetenzerwerb vorgestellt werden: • Lernkartei (N1), • Realbegegnung (N2), • Rollenspiel (N3). Bei der Beschreibung der einzelnen Methoden finden sich didaktische Hinweise und Vorschläge für alternative Methodengestaltung.

10.4.2.1 Lernkartei Das Arbeiten mit Lernkarteien nach Leitner folgt dem Prinzip des selbstgesteuerten Lernens. Demnach sollten die Lernenden ein Werkzeug bereitgestellt bekommen, mit dem der nachhaltige Erwerb von Fachkompetenzen unterstützt wird. Eine Lernkartei ist dem Speichermechanismus des menschlichen Gehirns nachempfunden und versucht, Fachwissen vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu transferieren. Maßgeblich dafür ist die Anzahl der Wiederholungen, die durch die Anzahl der Fächer der Lernkartei bestimmt wird. Generell sind zwischen fünf und sieben Fächer bzw. Wiederholungen zu empfehlen; das vorderste, erste Fach kann als „Start“, das letzte als „Fertig“ bezeichnet werden. Zu Beginn des Lernprozesses befinden sich die Kärtchen alle im ersten Fach, und auch neue Karten sind dort einzuordnen. Wird das Kärtchen vollständig richtig bearbeitet, so wandert dieses in das nächste dahinterliegende Fach. Mit jeder korrekten Bearbeitung des Kärtchens wird dieses dadurch weiter nach hinten in der Lernkartei geschoben und bis ans Ende umsortiert. Wird das Kärtchen einmal nicht vollständig richtig bearbeitet, so wird es wieder in das Start-Fach sortiert und muss wiederum bis nach hinten wiederholt werden [14, 16]. Neben der Gestaltung der Lernkartei an sich ist es wichtig, dass die zu trainierenden Fachinhalte von den Lernenden selbst erstellt werden. Dadurch kann ein maximaler Output generiert werden. Gestaltung und Erstellung der Lernkartei sind ebenso relevant wie die Art der Arbeit mit der Lernkartei. Je nach Vorgehensweise kann zwischen visuellen, taktilen und akustischen Lernanlässen unterschieden werden. Aus Tab. 10.5 sind die wichtigsten Eckpunkte der Methode Lernkartei zu entnehmen.

10 Längenprüftechnik191 Tab. 10.5  Fact-Box: Lernkartei „Längenprüftechnik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Festigen der Inhalte „Kennwerte der Längenprüftechnik“ und „Maßtoleranzen“ • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen • Förderung der persönlichen Kompetenz „genaues, strukturiertes Arbeiten“

Zeit

Flexibel je nach Anzahl der Lernkarten

Gruppengröße/ Sozialform

Einzelarbeit (dabei kann eine Korrektur der Inhalte durch eine andere Person vorgesehen werden)

Raum/Platz

Hörsaal, keine besonderen Anforderungen

Material

Karteikarten

Lehr-/Lernziele

• Kennwerte der Längenprüftechnik erklären (N1) • Den Nutzen von Maßtoleranzen beschreiben (N1)

▶▶

Tipp Die Lernkartei wird als Methode oftmals in Einzelarbeit zu Hause durch-

geführt. Zur Steuerung wird empfohlen, den Lernenden am Ende jeder Lehrveranstaltung fünf Minuten zur Verfügung zu stellen, in welchen diese die neuen Erkenntnisse auf Lernkarten verschriftlichen. Dies verlangt eine aktive, coachende Rolle der Lehrenden.

Lernkarteien fordern die Lernenden nicht nur inhaltlich, sondern auch in Bezug auf ihre Arbeitsweise. Konsequentes Fortführen der Lernkartei und eine klare Strukturierung der Inhalte sind für den Erfolg der Methode unerlässlich. Dazu ist es von Vorteil, dass die Methode auch entsprechend durch die Lehrperson vorgestellt und der Rahmen erklärt wird. So sollten folgende Punkte jedenfalls besprochen werden: • Nutzen der Methode, • Empfohlene Vorgehensweise, • Hinweise zur Struktur: –– eine Seite Fachbegriff, eine Seite Erklärung, –– leserlich schreiben, –– übersichtliche Strukturierung. Abb. 10.11 zeigt ein Beispiel für eine Lernkartei.

10.4.2.2 Realbegegnung Unter „Realbegegnung“ wird eine praxisnahe Methode verstanden, die von den Lernenden ein aktives Tun nahe der Wirklichkeit verlangt. Zentrale Zielsetzung der Methode ist es, trotz der räumlichen und zeitlichen Entfernung die zu erwerbenden Kompetenzen im praxisrelevanten Umfeld zu trainieren. Die Lehrperson nimmt eine beratende und coachende Funktion ein und verantwortet den organisationalen Rahmen des Lehr-/Lernsettings. Dazu zählt eine intensive Planungs- und Vorbereitungsphase vor dem Beginn der Lehre [15, 16].

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Abb. 10.11  Beispiel für eine Lernkartei

In dieser ersten Phase werden konkrete Lehr-/Lernziele formuliert und festgelegt, was genau mit welchen Werkzeugen erreicht werden soll. Im Zuge dessen werden die zu bearbeitenden Aufgabenstellungen entwickelt, und auch die Formulierung der Erstinformation an die Lernenden ist ein zentraler Bestandteil. Inwieweit die Lehrperson die Entwicklung der Aufgabenstellungen mitgestaltet, liegt am angestrebten Kompetenzerwerb im sozialen und persönlichen Bereich. Im Sinne der Anforderungen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung ist jedoch eine weitgehend selbstständige Arbeitsweise der Lernenden zu empfehlen [15, 16]. Die Durchführung bildet die zweite Phase. Hierbei ist es wichtig, dass die Lehrperson nur regulierend eingreift, sofern die Notwendigkeit dringlich gegeben ist. Die Lernenden sollen in dieser Phase eigenständig arbeiten, Informationen beschaffen, Aufgaben lösen etc [15, 16]. Abschließend zur Methode findet eine Auswertungsphase statt. Dabei werden unterschiedliche methodische Ansätze wie auch inhaltliche Ergebnisse verglichen und im Plenum diskutiert [15, 16]. Aus Tab. 10.6 sind die wichtigsten Eckpunkte der Methode zu entnehmen. ▶▶

Tipp Bevor diese Methode angewandt wird, sollten die unterschiedlichen Prüf-

verfahren jedenfalls theoretisch, idealerweise auch praktisch trainiert worden sein. Um im Rahmen dieser Übung auch das vernetzte Denken anzuregen und die Problemlösungs- und Organisationskompetenz der Lernenden zu fördern, bietet es sich an, diesen in der Vorbereitung nur Leitziele vorzugeben und sie dann als Coach zu unterstützen. So ist es eine weitere Aufgabe der Gruppe,

10 Längenprüftechnik193 Tab. 10.6  Fact-Box: Realbegegnung „Längenprüftechnik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung der Anwendung unterschiedlicher Prüfverfahren • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, insbesondere Controlling und Qualitätsmanagement • Förderung digitaler Kommunikations- und Präsentationskompetenzen

Zeit

10 min Erklärung der Methode und des Arbeitsauftrages; Erarbeitung in der Praxis über mindestens 4 Wochen; 1 EH Präsentation und Diskussion im Plenum Bei Einbeziehung von Experten nochmals extra 1 EH Fachinput und Fragen der Lernenden

Gruppengröße/Sozialform

Vorbereitung/Recherche als Einzelarbeit; Realerfahrung als Kleingruppe von 3–5 Personen

Raum/Platz

Hörsaal (auch für Großgruppen geeignet)

Material

• Aufgabenstellung (digital oder gedruckt zur Verfügung gestellt) • Prüfmittel zur Vorbereitung auf die Realbegegnung • Möglichkeit zur virtuellen Konferenz (bei Integration von Fachexperten)

Lehr-/Lernziele

• Prüfmittel beschreiben (N1) • Prüfverfahren hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit analysieren (N2)

sich zu strukturieren und den Kompetenzerwerb im Sinne vorgegebener Lehr-/ Lernziele eigenständig zu gestalten.

Zur Durchführung der Realbegegnung empfiehlt es sich, die einzelnen Phasen der Methode in Form eines Arbeitsauftrages kurz zu beschreiben. Dadurch ist den Lernenden zu jeder Zeit klar, was bis zu welchem Zeitpunkt von ihnen erwartet wird. Wichtig ist, dass die Lehrperson als Coach für Rückfragen zur Verfügung steht. Durch diesen kritischen Fachinput wird das Vorgehen in der Realbegegnung geschärft, und ein qualitativ hochwertigerer Kompetenzerwerb kann erzielt werden. Neben dem Ausformulieren der Arbeitsaufträge besteht die wichtigste Aufgabe der Lehrperson in der Sicherstellung der Realbegegnung, da die Methode zwingend im jeweiligen praktischen Umfeld durchgeführt werden muss. Für den ingenieurswissenschaftlichen Bereich bedeutet das, dass jedenfalls ein Firmenbesuch mit Werksführung (idealerweise in kleineren Gruppen bis zu zehn Personen) organisiert werden muss. Auch wenn dies häufig zu einem erhöhten organisatorischen Aufwand für die Lehrperson führt, so sollte die Praxiserfahrung der Lernenden diesen Mehraufwand kompensieren. Abb. 10.12 zeigt ein ausführliches Beispiel für den Einsatz der Methode „Realbegegnung“ zum Thema „Längenprüftechnik“.

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Abb. 10.12  Beispiel für eine Realbegegnung zum Thema „Längenprüftechnik“

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10.4.2.3 Rollenspiel Das Rollenspiel stellt eine komplexe Lehr-/Lernmethode dar und eignet sich sehr gut, um unterschiedliche Blickwinkel im Lösungsfindungsprozess darzustellen. „Rollenspiele arbeiten mit didaktisch-dramaturgisch gestalteten Situationen“ [13], in welchen die Lernenden unterschiedliche vorgegebene Rollenbilder einnehmen. Maßgeblich ist, dass die Lernenden ihre vorgegebenen Rollenbilder verinnerlichen, sodass diese in der aktiven Diskussion nicht verlassen werden. Die Aufgabenstellung der Methode besteht sodann zumeist darin, innerhalb der definierten Rollengrenzen durch soziale Interaktion eine gemeinschaftliche Lösung zu finden [17]. Rollenspiele funktionieren nach einer klar definierten Phasenabfolge. Dabei stehen die Hinführung zur Methode und die Aufwärme- bzw. Briefing-Phase am Beginn. Erst wenn diese adäquat durchlaufen wurde, ist es möglich, das Rollenspiel zielgerichtet durchführen zu können. Wichtig ist auch bei dieser Methode ein adäquater Abschluss. Dieser erfolgt in einer Auswert- und Abkühlphase, in welcher gemeinschaftlich über das Rollenspiel reflektiert wird. Tab. 10.7 gibt einen Überblick über die Methode „Rollenspiel“. ▶▶

Tipp Das Rollenspiel ist eine optimale Möglichkeit, um die Lernenden auf die

Auswirkungen ihres Handelns zu sensibilisieren und ihre Entscheidungsfähigkeit zu fördern.

Das Rollenspiel wird in drei Phasen durchgeführt, wobei für jede Phase zumindest 30  Minuten vorgesehen werden sollten. Bevor mit dem Rollenspiel begonnen werden kann, werden den Lernenden in der Briefingphase die Vorgehensweise der Methodik, die Rahmenbedingungen und der Ablauf des Lehr-/Lernsettings transparent gemacht. Außerdem werden die einzelnen Rollen kurz beschrieben. Wichtig ist dabei, dass nicht zu viele Tab. 10.7  Fact-Box: Rollenspiel „Längenprüftechnik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung in das Thema Grundlagen der Längenprüftechnik • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, wie Controlling oder Unternehmensführung • Förderung persönlicher Kompetenzen im Bereich Kommunikation und Entscheidungsfähigkeit sowie vernetztes Denken

Zeit

ca. 2 EH Präsenzzeit (30 min Vorbereitung, 30 min Rollenspiel, 30 min Reflexion und Ergebnisanalyse)

Gruppengröße/Sozialform

Kleingruppen entsprechend der Anzahl an Rollen

Raum/Platz

Großer flexibler Hörsaal oder mehrere Räume (Gruppen müssen ungestört miteinander reden können)

Material

Methodenbeschreibung, Rollenbeschreibungen und Ausgangssituation (digital oder gedruckt zur Verfügung gestellt)

Lehr-/Lernziele

• Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität von Messergebnissen ableiten (N3)

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Informationen der einzelnen Rollen an die gesamte Gruppe weitergegeben werden, um die Diskussion nicht zu sehr zu lenken. Vor allem bei längeren Rollenspielen ist es von Vorteil, diese Methodeninformationen für alle permanent sichtbar bzw. verfügbar bereitzustellen. Phase 1 – Vorbereitung Nach Abschluss der Briefingphase erhalten die Lernenden Informationen zur Ausgangssituation und ihre individuellen Rollenkarten. Die Ausgangssituation erhält eine Unternehmensbeschreibung und Informationen zu einer konkreten Problemstellung im Unternehmen, welche als Gruppe gelöst bzw. entschieden werden muss. Die Rollenkarten enthalten neben einer allgemeinen Charakterbeschreibung auch Informationen zur Einstellung der jeweiligen Rolle bezüglich der zu diskutierenden Problemstellung. Für die Vorbereitung wird ein zweistufiges Vorgehen empfohlen. Im ersten Schritt bereiten sich die Lernenden in Einzelarbeit auf ihre Rolle in der jeweiligen Situation vor. Wurde die Rolle verinnerlicht, dann wird im zweiten Schritt die Diskussionsstrategie erarbeitet. Dazu bilden alle Personen artgleicher Rolle Gruppen von drei bis fünf Personen und erarbeiten einerseits Argumente, die ihrem Rollenbild entsprechen, andererseits mögliche Gegenargumente der übrigen Rollen. Ziel dieser Vorbereitung ist es, das individuelle Rollenverständnis zu schärfen und ein erstes Verstehen der anderen Sichtweisen der Ausgangssituation zu erreichen. Phase 2 – Durchführung Kern der Durchführungsphase ist die gemeinschaftliche Diskussion der vorgegebenen Problemstellung mit dem Ziel der Entscheidungsfindung. Die Gruppen finden sich so zusammen, dass jede Rolle einmal vertreten ist. Die Mitglieder der einzelnen Kleingruppen beginnen nun sich zunächst kurz vorzustellen und versuchen dann, entsprechend ihren Rollenkarten, in der Diskussion zu agieren, um die Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Hier wird deutlich, dass eine gute Vorbereitung dazu eine zwingende Voraussetzung ist. Die Lehrperson hat dabei die Aufgabe, die Einhaltung der Rollencharakteristika zu überwachen und gegebenenfalls steuernd in die Diskussion einzugreifen. Außerdem moderiert die Lehrperson die zeitlichen Rahmenbedingungen und muss sicherstellen, dass nach Ablauf der Zeit eine Gruppenentscheidung gefunden wurde. Phase 3 – Präsentation und Reflexion In der letzten Phase präsentiert jede Gruppe ihre erarbeitete Lösung des Problems. Dies kann virtuell über Präsentationsmedien wie Prezi (www.prezi.com) oder PowerPoint oder über klassische analoge Medien erfolgen. Die Lösungen werden gesammelt und müssen in einer abschließenden Reflexion in der Großgruppe gemeinsam diskutiert, gegenübergestellt und gegebenenfalls bewertet werden.

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Ein Rollenspiel für die angeführten Lehr-/Lernziele kann wie folgt aussehen: Rollenspiel Längenprüftechnik

Ausgangssituation Die Maschinenfabrik Holzmann GmbH produziert technische Anlagen für die Automobilindustrie und hat zuletzt den Zuschlag für die Produktion einer neuen Fertigungsmaschine erhalten. Die Planungsabteilung hat für die Konstruktion bereits Nennmaße festgelegt, welche die Zielwerte für die Fertigung darstellen. Erste Prototypen haben jedoch gezeigt, dass die vorgegebene Qualität mit den vorhandenen Mitteln nicht erreicht werden kann. Signifikant negativ wirken sich derzeit die zur Verfügung stehenden Werkzeuge und die Temperaturgegebenheiten bei der Fertigung aus. Eine Fertigung innerhalb der möglichen Maßtoleranzen kann nur durch eine Stabilisierung der Temperatur in der Produktion erreicht werden. Um den Liefertermin für die neue technische Anlage halten zu können, muss schnell eine Lösung für das Problem gefunden werden. Dazu treffen sich die Verantwortlichen des Unternehmens, um gemeinsam eine optimale Lösung zu erarbeiten.

Rollenbeschreibungen • Leitung Planungsabteilung Als Leitung der Planungsabteilung sind Sie darauf bedacht, eine technisch optimale Lösung unter Einhaltung aller ISO-Normen für das zu produzierende Bauteil zu realisieren. Dazu kommt, dass Sie als Person einen hohen Qualitätsanspruch an sich selbst und Ihre Mitarbeiter legen. Genauigkeit und Präzision sind Ihnen besonders wichtig, schließlich werden Sie dafür auch vonseiten der Geschäftsführung sehr geschätzt. Keinesfalls wollen Sie diesen guten Ruf gefährden. • Produktionsleitung Als Produktionsleitung sind Sie dafür verantwortlich, dass die benötigten Bauteile möglichst effizient und in benötigter Qualität hergestellt werden. In den vergangenen Jahren wurden häufig Sie für Kundenreklamationen verantwortlich gemacht, obwohl Ihre Abteilung nicht immer ausschlaggebend dafür war. Sie selbst sind ein großer Befürworter der Digitalisierung und haben sich schon intensiv mit möglichen Neuerungen in der Produktion beschäftigt. Bislang wurden Ihre Bemühungen vonseiten der Geschäftsführung wie auch der Personalvertretung nicht befürwortet. Nun sehen Sie in der Produktion der neuen technischen Anlage eine Möglichkeit, Ihre Digitalisierungsbestrebungen durch den Ankauf neuer digitaler Werkzeuge zumindest teilweise zu realisieren. • Leitung Einkauf Als Einkaufsleitung pflegen Sie einen engen Kontakt zu Ihren Lieferanten und kennen großteils auch deren Liefermöglichkeiten. Die bislang verwendeten Werkzeuge in der Produktion werden von dem ältesten Stammlieferanten des Unternehmens geliefert und gewartet. Sie kennen die Digitalisierungsbestrebungen der Produktionsleitung

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und haben Bedenken, dass Ihr Stammlieferant die neuen Anforderungen nicht erfüllen kann. Daher können Sie auch nicht mit Sicherheit sagen, dass die Lieferung neuer Werkzeuge in der nötigen Zeit und Zuverlässigkeit erfolgen kann. Dennoch finden auch Sie das Thema Digitalisierung interessant und sehen ebenso in Ihrem Bereich durchaus Potenziale dafür. Eine Idee wäre die rein digitale Abwicklung von Einkaufsprozessen, was einen gewissen Digitalisierungsgrad bei den Lieferanten voraussetzen würde. Leitung Controlling Die Leitung des Controllings arbeitet sehr eng mit der Geschäftsführung zusammen und hat die Aufgabe, Optimierungspotenziale der Abteilungen zu erkennen, zu bewerten und anzustoßen. Aufgrund eines personellen Engpasses in der Abteilung konnte man sich noch nicht mit etwaigen Optimierungspotenzialen durch die Erhöhung des Digitalisierungsgrades beschäftigen. Besonders mit der Produktionsleitung gab es in der Vergangenheit immer wieder Konflikte über die Notwendigkeit von Investitionen. Aus Sicht des Controllings wirkt es, als würde die Produktion jegliche Möglichkeit nutzen, um „neues Spielzeug“ anzuschaffen. Personalvertretung Die Personalvertretung hat die Aufgabe, die neuen Anforderungen und geänderten Arbeitsbedingungen durch die geplanten Neuanschaffungen zu bewerten. Im Sinne des Change Managements ist es auch die Aufgabe der Personalvertretung dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer in die Veränderungsprozesse der Produktion mit eingebunden werden. So sieht die Personalvertretung es als zwingend notwendig an, sich vor weiteren Schritten mit Konstrukteuren und Mitarbeitern am in der Fertigung zu beraten, um eine realistische Lösung zu finden.

10.4.3 Übungen zu „Messabweichungen“ Das Handlungsfeld „Messabweichungen“ weist einen hohen Aktivitätsgrad der Studierenden auf und eignet sich gut für praxisnahe Übungen. Aus diesem Grund wird in diesem Abschnitt folgende Methode näher beschrieben: • Case-Study (N1, N2 und N3). Die beispielhaft formulierte Case-Study zeigt eine mögliche Unternehmenssituation auf und kann entsprechend dem fachlichen Schwerpunkt des Studiums einer dominierenden Branche in der Region oder Ähnlichem adaptiert werden.

10.4.3.1 Case-Study Eine Case-Study oder Fallstudie greift reale Unternehmenssituationen auf und versucht, diese möglichst unverändert den Lernenden zur Verfügung zu stellen. Die modellhaftstrukturierten Aufgaben sollen gängig auftretende Anforderungen aus der Praxis umfassen und so die Lernenden zu selbstständigem Handeln führen. Neben der fachlichen

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Kompetenz wird die individuelle Entscheidungskompetenz gestärkt; das Prinzip „Lernen am Modell“ steht dabei im Vordergrund [13, 16]. Bedeutend für die Arbeit mit Case-Studies ist die Methodengenauigkeit hinsichtlich der Durchführung. Erst dadurch wird ein optimaler Kompetenzerwerb ermöglicht. Kaiser entwickelte hierfür das Sechs-Phasen-Modell mit den Schritten Konfrontation, Information, Exploration, Resolution, Disputation und Kollation [13, 16]. Die Konfrontationsphase dient dazu, dass die Lernenden ein Problembewusstsein für die gegebene Unternehmenssituation entwickeln. Dazu werden alle nötigen Informationen in Form einer Fallbeschreibung zur Verfügung gestellt. Ergänzend dazu kann auch auf Zusatzdokumente, Literaturquellen oder andere Fundstellen verwiesen werden. Diese sollten jedoch nicht bereits vorsortiert und aufbereitet sein, sondern ähnlich der Realität zusammenhängend dargestellt werden. Aufbauend auf diesen Informationen beginnen die Lernenden mit dem Sichten, Bewerten und Ergänzen der Unterlagen, um damit die Lösungsvorschläge zu erarbeiten (Exploration). Der gesammelte Vorschlagskatalog wird dann im Rahmen der Resolution analysiert und beurteilt, um eine optimale Lösung für das Problem zu finden. Die Entscheidungsfindung muss dabei nachvollziehbar schlüssig begründet werden. Die Präsentation der Ergebnisse, auch Disputation genannt, erfolgt je nach Vorgabe vonseiten der Lehrperson und kann je nach eingesetzter Methode mehr oder weniger interaktiv erfolgen. Von einer klassischen Präsentation über messeartige Aufbereitung anhand von Forschungspostern bis zu reinen Abgaben ist alles möglich. In der letzten Phase, der Kollation, werden die gefundenen Lösungsansätze in der Großgruppe reflektiert und mit Lösungen aus der Praxis verglichen [13, 16]. Die wichtigsten Eckpunkte zur Methode sind in Tab. 10.8 ersichtlich. ▶▶

Tipp Die Arbeit an der Fallstudie kann außerhalb oder innerhalb der Präsenzzei-

ten erfolgen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich eine Kombination daraus als sehr effektiv erwiesen hat. Wird den Lernenden Arbeitszeit innerhalb der Lehrveranstaltung eingeräumt, so kann die Lehrperson unterstützend und gegebenenfalls steuernd eingreifen, falls die Gruppe sich in eine falsche Richtung bewegt. Außerdem wird der Erarbeitungsfortschritt transparent, und die Sicherung des Lernerfolgs kann gezielt gefördert werden. Eingeräumte zusätzliche Arbeitszeit sollte am Stück mindestens anderthalb Stunden betragen, damit eine intensive Bearbeitung des Themas möglich ist.

Zu Beginn muss die Unternehmenssituation analysiert und die akute Problemstellung erfasst werden. Darauf aufbauend werden nötige Informationen beschafft und Alternativen daraus abgeleitet. Diese werden anschließend verglichen und bewertet, sodass die Lösungen auf wenige eingegrenzt werden können. Die finale Entscheidung muss dann eingehend begründet werden, wobei relevante Interessenszusammenhänge abgewogen werden müssen. Eine Case-Study im Bereich Längenprüftechnik könnte wie folgt formuliert werden.

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Tab. 10.8  Fact-Box: Case-Study „Längenprüftechnik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung der Fach- und Methodenkompetenz im Bereich Messabweichungen • Verknüpfung des Theoretischen mit der Praxis • Förderung digitaler Kompetenzen (Umgang mit großen Datenmengen)

Zeit

Je nach Umfang der Case-Study und Art der Abschlusspräsentation, aber mindestens 1 Monat, idealerweise mit Arbeitszeit innerhalb der Präsenzzeit

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit zu 4–6 Personen

Raum/Platz

Mehrere Räume (Gruppen müssen ungestört miteinander reden können)

Material

Case-Study inkl. Leitfragen (digital oder gedruckt zur Verfügung gestellt), Moderationsmaterial, Pinnwand oder Flipchart

Lehr-/Lernziele

• Arten von Messabweichungen beschreiben (N1) • Abbe‘sches Komparatorprinzip erklären (N1) • Systematische und zufällige Messabweichungen unterscheiden (N1) • Messabweichung bei Temperatureinfluss berechnen (N2) • Messabweichungen hinsichtlich ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit in der Praxis und ihren Auswirkungen auf das Unternehmen bewerten (N3)

Fallbeschreibung Case-Study Längenprüftechnik

Die Maschinenfabrik Holzmann GmbH produziert technische Komponenten für die Automobilindustrie und hat zuletzt den Zuschlag für die Produktion einer neuen Kurbelwelle erhalten. Die Entwicklung hat für die Konstruktion bereits Nennmaße festgelegt, welche die Zielwerte für die Fertigung darstellen. Nach der Produktion des Prototypen wurde dieser vermessen, wobei es zu zahlreichen Messabweichungen beim mittleren Wellenzapfen gekommen ist. Nun gilt es festzustellen, welche Abweichungen eingetreten sind und wie diese verringert werden können. Dazu hat die Geschäftsleitung Sie beauftragt, die Messergebnisse zu überprüfen und die einzelnen Messabweichungen genau zu analysieren. Zur Bearbeitung des Problems sind die Vorgaben gemäß IATF16949 (automotiv standard) und die fachliche Richtigkeit der Argumente zu berücksichtigen: • Nennmaß: 20 mm, • Toleranz: +/- 0.4 mm, • Messwerte in mm einer Tagesschichtproduktion: 19,5; 19,6; 19,6; 19,8; 19,8; 19,8; 19,9; 19,9;19,9; 19,9; 19,9; 20,0; 20,0; 20,0; 20,0; 20,0; 20,0; 20;0; 20,0; 20,0; 20,1; 20,1; 20,1; 20,1; 20,1; 20,1; 20,3; 20,3; 20,3; 20,3; 20,3; 20,4; 20,4; 20,4; 20,5; 20,8

10 Längenprüftechnik201

Aufgaben 1. Stellen Sie bitte die Verteilung der Messwerte in einem Histogramm dar. (N1) 2. Befinden sich alle Messwerte innerhalb der Toleranz? (N1) 3. Berechnen Sie bitte die Standardabweichung. (N2) 4. Mit welchem Messinstrument werden Sie bevorzugt den Wellenzapfen vermessen? Wie können Sie das Abbe’sche Komparatorprinzip anwenden? (N1) 5. Es werden Messungen in der Nacht- und Tagschicht durchgeführt. Der Temperaturunterschied im (nicht klimatisierten) Messraum kann in der Jahresperiode 10 °C betragen (18 °C im Winter und 28 °C im Sommer). Berechnen Sie bitte für den Nenndurchmesser die Messabweichung von der Bezugstemperatur (20 °C) durch den Temperatureinfluss. (N1, N2) 6. Sammeln Sie bitte durch Brainstorming Ideen, welche Ereignisse im Betrieb Messabweichungen verursachen. Diskutieren Sie die Eintrittswahrscheinlichkeit und mit welchen Maßnahmen ihr begegnet werden kann. Beschreiben Sie bitte eine Reaktionskette von der Messabweichung bis zur Absicherung des Unternehmensgewinns. (N3)

10.4.4 Übungen zu „Durchführen von Prüfungen“ Das Handlungsfeld „Durchführen von Prüfungen“ ist ebenfalls sehr praxisorientiert und eignet sich zudem für Methoden, die nach dem Anspruchsniveau aufgebaut sind. Folgende Methode wäre an dieser Stelle beispielsweise geeignet: • Stationenlernen (N1, N2 und N3). An dieser Stelle sei nochmals angemerkt, dass die jeweils vorgeschlagenen Methoden auf den angestrebten Kompetenzerwerb abgestimmt sind. Dennoch handelt es sich lediglich um eine mögliche Methode, dementsprechend kann der dargestellte Fachinhalt gleichsam durch andere Methoden trainiert werden.

10.4.4.1 Stationenlernen Das Lernen in aufeinanderfolgenden Stationen eignet sich als Grundform für jeglichen Inhalt, ob aufbauend oder nicht. Ziel der Methodik ist es, den Lernenden unterschiedliche Aufgabenstellungen in loser oder vorgegebener Reihenfolge zur Verfügung zu stellen, wobei ein selbstorganisierter Lernprozess damit angestoßen wird. Die Lernenden haben die Aufgabe, sich selbstständig/individuell mit den jeweiligen Anforderungen auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden [16]. Dahingehend kann das Stationenlernen als Metamethode angesehen werden, die den Rahmen für den Lernprozess vorgibt, sich aber anderer Methoden bei den einzelnen Stationen bedient.

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C. Eck und S. R. Sorko

Bei der Gestaltung von Stationen sind folgende Parameter zu beachten [16]: • Ziel sollte ein hoher Aktivitätsgrad der Lernenden sein, was die Wahl der Aufgabenstellungen beeinflusst. • Die Inhalte sind so zu wählen, dass sie in sinnvolle, möglichst nicht zusammenhängende Stationen eingeteilt werden können. • Die einzelnen Stationen sollten mit unterschiedlichen Methoden gestaltet sein, sodass auch in der Sozialform abgewechselt wird. • Die Lehrperson muss sich bewusst im Hintergrund halten, um die Selbstqualifizierungskompetenz bei den Lernenden zu fördern. • Am Ende jedes Stationenlernens sind die Ergebnisse im Zuge einer Reflexion aufzulösen und zu verstetigen. Zusammengefasst ist zu sagen, dass es viele Unterformen des Stationenlernens gibt und nachfolgend nur eine mögliche Umsetzung dargestellt werden kann. Tab. 10.9 zeigt die Eckpunkte dazu auf.

Tab. 10.9  Fact-Box: Stationenlernen „Längenprüftechnik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Erarbeitung des Themas „Prüfmittel der Längenprüftechnik“ • Integration aktiver Übungen in die Lehre • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, wie Controlling oder Einkauf • Förderung digitaler Fach- und Methodenkompetenzen

Zeit

ca. 3 EH Präsenzzeit (abhängig von Anzahl und Umfang der Stationen)

Gruppengröße/Sozialform

Partnerarbeit oder Kleingruppen von 3–4 Personen; bei kleineren Teilnehmergruppen oder entsprechend viel Material sind die handlungsorientierten Stationen auch als Einzelarbeit möglich

Raum/Platz

Großer flexibler Hörsaal um alle Stationen ungestört bearbeiten zu können

Material

Aufgabenstellungen (digital oder gedruckt zur Verfügung gestellt), Moderationsmaterial, Pinnwände, unterschiedliche Messwerkzeuge, Internetzugang, Fachliteratur (Lehrbücher und aktuelle Artikel)

Lehr-/Lernziele

• Prüfmittel beschreiben (N1) • Messungen anhand praktischer Beispiele durchführen (N2) • Messergebnisse bewerten und Optimierungspotenziale herleiten (N3) • Einsatzbarkeit von Prüfmitteln in der Praxis beurteilen (N3)

10 Längenprüftechnik203 ▶▶

Tipp Stationenlernen bietet sich besonders dann an, wenn das zur Verfügung

stehende Material für praktische Übungen nicht für die gleichzeitige Bearbeitung durch die gesamte Gruppe ausreicht.

Für die oben angeführten Lehr-/Lernziele könnten beispielsweise folgende Stationen geplant werden.

Beispiel

Station 1 – Prüfmittel Methode: Struktur-Lege-Technik (Kap. 7 Lichtmikroskopische Gefügeanalyse) Zu den Prüfmitteln Messschieber, Messschraube und Parallelendmaße werden Bilder des Prüfmittels, Hinweise zur richtigen Verwendung und Eigenschaften bzw. Anwendungsbereiche der entsprechenden Prüfmittel jeweils auf Kärtchen vorbereitet. Die Lernenden haben an dieser Station dann die Aufgabe, die Kärtchen richtig zuzuordnen. Dies kann online über eine Lernplattform wie moodle erfolgen, aber auch analog. In letzterem Fall ist das Ergebnis von den Lernenden dann zu dokumentieren und abzugeben. Wird die Zuordnung über eine Online-Plattform gemacht, so besteht der Vorteil, dass die Lernenden sofort bei Abgabe Feedback über die Richtigkeit der Zuordnung erhalten können. Bei einer analogen Abgabe muss diese Reflexion über eine manuelle Korrektur erfolgen. Station 2 – Prüfmittel Methode: Case-Incident-Methode (Kap. 9 Festkörperreibung) An dieser Station erhalten die Lernenden Informationen zu unterschiedlichen praktischen Anwendungsbereichen von Prüfmitteln. Anhand der gegebenen Informationen muss recherchiert werden, welche Prüfmittel für die jeweilige Anwendung praktikabel bzw. sinnvoll sind. Die Anzahl der praktischen Beispiele hängt von den zeitlichen Ressourcen der Methode und von der Gruppengröße ab. Unterstützt wird die Station mit einem PC und durch einschlägige Literaturempfehlungen. Stationen 3–5 – Durchführen von Messungen mit dem Messschieber, der Messschraube und den Parallelendmaßen Methode: Kritischer Kollege (Kap. 12 Stirnradgetriebe) An den Stationen 3–5 müssen die Lernenden aktiv Messungen mit dem jeweiligen Prüfmittel vornehmen. Das Vorgehen bei der Messung wird während der Durchführung den anderen Gruppenmitgliedern erklärt, welche wiederum Feedback dazu geben. Wichtig ist hierbei, dass jedes Gruppenmitglied einmal eigenständig eine Messung durchführt. Dadurch wird jeder einmal aktiv, und die mehrfache Wiederholung verstetigt das Gelernte.

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C. Eck und S. R. Sorko

Stationen 6–8 – Messergebnisse bewerten und optimieren Methode: Gruppengelenkte Einzelarbeit (Kap. 12 Stirnradgetriebe) Entsprechend den drei genannten Prüfmitteln werden an drei Stationen jeweils damit erzielte Messergebnisse und Informationen zum Umfeld der Messung bereitgestellt. Die Kleingruppe berät zunächst gemeinsam, wie die Messergebnisse zu beurteilen sind. (Hinweis: Dies ist nur möglich, wenn die Fachinhalte zuvor bereits trainiert wurden.) Wurde eine gemeinschaftliche Einschätzung getroffen, wird gemeinschaftlich festgelegt, wie die Recherche nach Optimierungspotenzialen aussehen soll. Dazu werden Einzelaufgaben an die Gruppenmitglieder vergeben, welche sodann in Einzelarbeit die Recherche durchführen. Nach einer vorgegebenen Zeit (zumindest 30 Minuten) trifft die Gruppe wieder zusammen und formuliert ihr Ergebnis. Dieses kann dann elektronisch abgegeben oder analog beispielsweise mittels Flipchart visualisiert werden.

Literatur   1.

Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR (1956) Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals. Handbook I: cognitive domain. David McKay Company, New York   2. Brinkmann B (2012) Internationales Wörterbuch der Metrologie: Grundlegende und allgemeine Begriffe und zugeordnete Benennungen (VIM) Deutsch-englische Fassung ISO/IECLeitfaden 99:2007, 4. Aufl. Beuth Verlag GmbH, Berlin   3. DIN (2017) Längenprüftechnik 3. Messgeräte und Messverfahren für die Längenprüftechnik, 12. Aufl. Beuth Verlag GmbH, Berlin   4. DIN 1319-1:1995-01, Grundlagen der Messtechnik – Teil 1: Grundbegriffe. Beuth Verlag GmbH, Berlin   5. DIN 1319-2:2005-10, Grundlagen der Messtechnik – Teil 2: Begriffe für Messmittel. Beuth Verlag GmbH, Berlin   6. DIN 1319-3:1996-05, Grundlagen der Messtechnik – Teil 3: Auswertung von Messungen einer einzelnen Messgröße, Messunsicherheit. Beuth Verlag GmbH, Berlin   7. DIN 1319-4:1999-02, Grundlagen der Messtechnik – Teil 4: Auswertung von Messungen, Messunsicherheit. Beuth Verlag GmbH, Berlin   8. DIN EN ISO 3650:1999-02, Geometrische Produktspezifikationen (GPS) – Längennormale – Parallelendmaße. Beuth Verlag GmbH, Berlin   9. DIN EN ISO 8015:2011-09, Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Grundlagen – Konzepte, Prinzipien und Regeln. Beuth Verlag GmbH, Berlin 10. DIN ISO 2768-1:1991-06, Allgemeintoleranzen; Toleranzen für Längen- und Winkelmaße ohne einzelne Toleranzeintragung. Beuth Verlag GmbH, Berlin 11. ISO 14405-1:2016-08, Geometrische Produktspezifikation (GPS) – Dimensionelle Tolerierung – Teil 1: Lineare Größenmaße. Beuth Verlag GmbH, Berlin 12. JCGM 200 (2012) International vocabulary of metrology – Basic and general concepts and associated terms (VIM), Definition 2.16. https://www.bipm.org/utils/common/documents/ jcgm/JCGM_200_2012.pdf. Zugegriffen: 09. Apr. 2018 13. Kaiser F-J (1983) Grundlagen der Fallstudiendidaktik – Historische Entwicklung – Theoretische Grundlagen – Unterrichtliche Praxis. In: Kaiser F-J (Hrsg) Die Fallstudie – Theorie und Praxis der Fallstudiendidaktik. Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn

10 Längenprüftechnik205 14. 15. 16. 17.

Leitner S (1987) So lernt man lernen. Herder Verlag, Freiburg Peterßen WH (1994) Anschaulich Unterrichten. Oldenbourg Schulbuchverlag, München Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München Riebenbauer E, Sorko SR (2013) Lehren und Lernen gestalten. In: Stock M, Slepcevic-Zach P, Tafner G (Hrsg) Wirtschaftspädagogik. Ein Lehrbuch. Uni-Press Graz, Graz, S 257–360

Wälzlager Maschinenelement Wälzlager in der industriellen Wertschöpfung

11

Gerhard Hanzl und Clemens Fischer

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält die grundlegenden Fachinhalte zum Maschinenelement Wälzlager, welche zum Kompetenzerwerb für Wirtschaftsingenieure erforderlich sind. Dazu werden der Hintergrund, die prinzipiellen Ausführungsarten und deren Eigenschaften, die Bezeichnungsnormen und die für den richtigen Einsatz erforderliche Auswahl beschrieben. Ein Einblick in die vielfältigen Einsatzgebiete von Wälzlagern und ein Ausblick auf zukünftige Schwerpunkte runden den fachlichen Beitrag ab.

11.1 Grundlagen der Wälzlagerung Der Begriff Lager bezieht sich in der Technik auf das Aufliegen einer Last (Masse) und bezeichnet im Maschinenbau das Maschinenelement zum Führen gegeneinander beweglicher Bauteile. Die Bewegungen sind dabei vorgegeben und meist rotatorisch oder translatorisch.

G. Hanzl (*) Wien, Österreich e-mail: [email protected] C. Fischer Kapfenberg, Österreich © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_11

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G. Hanzl und C. Fischer

11.1.1 Anforderungen der Menschheit Wie die eigene Mobilität stellen die Bewegung und Verbringung von Materie bereits seit Urzeiten ein Grundbedürfnis des Menschen dar. Seither werden Hilfsmittel entwickelt, mit welchen unter möglichst geringem Kraftaufwand Lasten bewegt werden können. Als Meilenstein gilt dabei das Rad, die wohl wichtigste Erfindung des Menschen. Durch Dreh- und Abrollbewegungen von Massen können damit unter anderem wesentlich geringere Reibungskräfte am festen Untergrund (Rollreibung) gegenüber translatorischen Bewegungen (Gleitreibung) genutzt werden (Kap. 9 Festkörperreibung).

11.1.2 Geschichtliche Entwicklung der Wälzlagerung Ein belegbarer Einsatz der Nutzung von Rollreibung und damit von einer Art von Wälzlager erfolgte bereits um 1900 v. Chr. Es wurden runde Hölzer genutzt, auf denen durch eine Rollbewegung Lasten bewegt wurden [8]. Aus der Zeit der Kelten um 700 v. Chr. wurden kleine zylinderförmige Buchenholzstücke in der Nähe von Radnaben gefunden. Bei der Bergung der Nemi-Schiffe des Kaisers Caligula (37–41  n.  Chr.) wurde ein Drucklager gefunden, das möglicherweise zu einer drehbaren Statuenbasis gehörte, und im späten römischen Reich wurden Kugellager in Hebezeugen verwendet [1, 8]. Die jüngere technische Entwicklung der Wälzlagerung zum anerkannten Maschinenelement wird von Albrecht 1987 in sieben Meilensteinen beschrieben [1]: 1. Beschreibung der „rollenden Reibung“ von Leonardo da Vinci um 1500, 2. fabrikmäßige Erzeugung des Fahrrades um 1870 in Europa und Ausdehnung des Einsatzgebietes von Kugel- und Rollenlager auf den allgemeinen Maschinenbau und Eisenbahnwesen in den USA, 3. 1890 Erfindung des Prinzips der „Kugelmühle“ zur Bearbeitung gehärteter Kugeln, welches noch heute unverändert angewendet wird, 4. um 1900 Erforschung von Tragfähigkeit, Reibung und zweckmäßigen Bauarten von Kugellagern, 5. Normierung und Massenfertigung in der rasch wachsenden Automobilindustrie, 6. 1924 erstmals Berechnung der „Lebensdauer“, was zur Anerkennung des Wälzlagers als allgemeines Maschinenelement führte, 7. 1947 Berechnung der „Dynamischen Tragfähigkeit“ und Aufnahme in der ersten internationalen Norm ISO/R281, sprunghafte Entwicklung von Präzision, Laufruhe und Herstellung in Großserien, 8. Internationale Norm ISO 281/1-1977 zur Berechnung der „Modifizierten nominellen Lebensdauer“ und 1981 Nachweis der Dauerfestigkeit wie jedes andere Maschinenelement, Anstieg des Jahresbedarfs bis in die 1990er-Jahre auf über vier Milliarden Lager.

11 Wälzlager209

11.1.3 Wälzlagerung heute Bei Wälzlagern wird Kraft mittels Wälzkörper übertragen, welche aus Kugeln oder Rollen bestehen können. Demnach erfolgt in unbelastetem Zustand theoretisch eine Punktberührung (Kugellager) oder Linienberührung (Rollenlager). Da sich die Wälzkörper aufgrund der Geometrie ohne Schlupf abwälzen, gibt es an den Berührungsstellen im Wesentlichen nur Rollreibung mit einem niederen Reibungskoeffizienten (μ r = 0,001 bis 0,002), welcher sich nur gering mit Drehzahl und Belastung verändert [7]. Bei Gleitlagern hingegen bewegen sich Achse und Lager auf einer Gleitfläche gegeneinander. Diese Gleitfläche kann auf einer aufgebrachten festen Schicht (z. B. Kunststoff oder Bronze) oder durch einen Schmierfilm zwischen den zueinander bewegten Oberflächen entstehen [4]. Abb. 11.1 stellt die Wirkprinzipien der Wälzlager mit jenen der Gleitlager gegenüber. Das Wälzlager erfüllt zwei Hauptfunktionen: Einerseits stützt und führt es Bauteile, die zueinander beweglich sind, beispielsweise sich zueinander drehen. Ein Wälzlager dient dann etwa als Fest- oder Loslager zur Fixierung von Achsen und Wellen. Andererseits nimmt es die radialen und axialen Kräfte auf und ermöglicht so die Rotation der Welle bzw. der Bauteile, die darauf befestigt sind. Dies ist bei einem Rad der Fall. Loslager lassen eine axiale Verschiebung zu, Stützlager führen eine Welle in einer axialen Richtung, und Festlager führen eine Welle in beiden axialen Richtungen. Außerdem können Lager auch Winkelfehler ausgleichen. Aufgrund der Funktion und damit verbundenen Beanspruchungen lassen sich Wälzlager in die Gruppen für vorwiegend radiale Belastung und für vorwiegend axiale Belastung einordnen. Die entsprechenden Ausführungsarten folgen dem Prinzip des Radiallagers (s. Abb. 11.2a) bzw. des Axiallagers (s. Abb. 11.2b). Der Aufbau des Wälzlagers besteht in der Regel aus zwei Ringen oder Scheiben, in welchen die Wälzkörper (Kugeln oder Rollen) abrollen, und in den meisten Lagern aus einem sogenannten Käfig, welcher die Wälzkörper auf gleichmäßigen Abstand untereinander hält (Abb. 11.2). An den wandernden Berührungsstellen verformen sich die Laufflächen und die Wälzkörper elastisch, was zu einem Rollwiderstand infolge innerer Reibung führt. Abb. 11.1  Wirkprinzip Wälzlager im Vergleich zum Gleitlager [6]

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G. Hanzl und C. Fischer

Abb. 11.2  Aufbau Wälzlager [7]

11.2 Ausführungsarten Wälzlager können als Kugellager oder Rollenlager ausgeführt sein. Wälzkörper für Rollenlager sind z. B. Zylinderrollen, Nadeln, Walzen, Kegelrollen und Tonnenrollen [7]. Nachfolgend werden die wichtigsten Bauformen von Wälzlagern und deren Eigenschaften erläutert.

11.2.1 Radiallager Radiallager werden dann eingesetzt, wenn vorwiegend Querkräfte auf das Lager wirken. Nachstehend werden die wichtigsten Bauformen und ihre Eigenschaften beschrieben. Rillenkugellager Abb.  11.3 zeigt ein Rillenkugellager als einreihiges (s. Abb.  11.3a) und zweireihiges (s. Abb. 11.3b), geschlossenes und selbsthaltendes Kugellager. Einreihige Rillenkugellager Abb. 11.3  Rillenkugellager

11 Wälzlager211

werden als „Hochschulterkugellager“ ohne Füllnuten hergestellt. Diese sind vor allem für die Aufnahme von Radialkräften geeignet, können aber auch große Axialkräfte in beiden Richtungen aufnehmen. Sie gehören zu den am meisten verwendeten Wälzlagern. Zweireihige Kugellager werden nur in eingeschränktem Umfang für besondere Einsatzgebiete wie z. B. im Landmaschinenbau eingesetzt [1]. Schrägkugellager Abb.  11.4 zeigt ein Schrägkugellager als einreihige (s. Abb.  11.4a) und zweireihige (s. Abb. 11.4b) Ausführung. Diese Art der Kugellager wird dann eingesetzt, wenn sowohl große radiale als auch große axiale Kräfte auftreten und eine genaue axiale Führung gefordert wird. Die Berührungspunkte der Wälzkörper mit den Lagerringen bestimmen den Druck- bzw. Berührungswinkel. Da einreihige Schrägkugellager axiale Belastungen nur in einer Richtung aufnehmen und auch radiale Belastungen immer eine exakte Reaktionskraft hervorrufen, ist eine Gegenführung durch ein zweites Lager notwendig. Diese Lager müssen deshalb immer paarweise verwendet und gegeneinander montiert werden (Abb. 11.5) [6]. Es wird zwischen Tandem-, O- und X-Anordnung unterschieden. Eine Unterart ist das zweireihige Schrägkugellager (Abb. 11.4), das durch seine Eigenschaften direkt mit zwei satzweise eingebauten einreihigen Lagern in O-Anordnung vergleichbar ist. Eine Sonderbauform des einreihigen Schrägkugellagers ist das Vierpunktlager (s. Abb. 11.6) mit geteiltem Innenring. Die Laufbahnen sind so ausgeführt, dass die Kugeln diese an vier Punkten berühren. Da der Innenring geteilt ist, lassen sich viele Kugeln unterbringen, sodass bei geringer Baubreite eine hohe radiale und axiale Tragfähigkeit erreicht wird [7]. Pendelkugellager Bei einem Pendelkugellager (Abb. 11.7) laufen die beiden Kugelreihen in zwei normalen Rillen des Innenrings. Die Laufbahn im Außenring ist als Hohlkugel ausgebildet, sodass der Innenring mit den beiden Kugelreihen schwenken kann. Diese Art der Lager wird vor allem dann angewandt, wenn infolge von Wellendurchbiegungen oder Ungenauigkeiten bei der Herstellung und Montage eine Gleichachsigkeit der

Abb. 11.4  Schrägkugellager

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Abb. 11.5  Anordnung von einreihigen Schrägkugellagern Abb. 11.6  Vierpunktlager

Abb. 11.7  Pendelkugellager

G. Hanzl und C. Fischer

11 Wälzlager213 Abb. 11.8  Schulterkugellager

Lager nicht gewährleistet werden kann. Es wird hauptsächlich in Gehäusen als Stehlager, Flanschlager etc. und für die Lagerung längerer Wellen angewendet [7]. Schulterkugellager Schulterkugellager sind nicht selbsthaltende Lager, bei denen die eine Schulter im Außenring weggelassen wird, wie in Abb. 11.8 ersichtlich. Die dadurch entstehende Zerlegbarkeit bietet eine wesentliche Erleichterung beim Einbau. Diese Lager müssen jedoch, wie einreihige Schrägkugellager, paarweise verwendet und gegeneinander eingestellt werden. Sie sind vornehmlich für die Lagerung von feinmechanischen Geräten, Lichtmaschinen, elektrischen Kleinmotoren und dergleichen bestimmt und werden bis zu einem Wellendurchmesser von 30 mm hergestellt. Zylinderrollenlager Bei Zylinderrollenlagern sind die Wälzkörper zylindrisch. Dadurch wird der Kontakt zwischen Wälzkörper und Lagerring zu einer Linienberührung. Zylinderrollenlager haben deshalb bei gleichen Abmessungen eine größere Tragfähigkeit als Rillenkugellager und sind für Stoßbelastungen besser geeignet [7]. In Abb. 11.9 werden die fünf Typen der Zylinderrollenlager dargestellt: 1. mit bordlosem Innenring (s. Abb. 11.9a), 2. mit bordlosem Außenring (s. Abb. 11.9b), 3. mit einem festen Bord am Innenring (s. Abb. 11.9c), 4. mit zusätzlichem Winkelring (s. Abb. 11.9d), 5. mit einem festen Bord am Innenring und loser Bordscheibe (s. Abb. 11.9e). Zylinderrollenlager sind nicht selbsthaltend und können somit zerlegt werden. Dies ermöglicht den getrennten Einbau von Innen- und Außenring [7].

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Abb. 11.9  Zylinderrollenlager

Nadellager Nadellager (s. Abb. 11.10) sind eine Sonderausführung der Zylinderrollenlager. Bei dieser Art der Lager werden sehr feine zylindrische Rollen als Wälzkörper benutzt. Es gibt käfiggeführte Nadellager und Nadellager ohne Innenring [8]. Diese Lager haben eine sehr geringe Bauhöhe für ihre relativ große radiale Tragfähigkeit. Nadellager werden zur Lagerung von Getriebewellen bei beschränkten Raumverhältnissen, für Hebel- und Bolzenlagerungen, Schwenkarmen und dergleichen eingesetzt [7]. Kegelrollenlager Kegelrollenlager (s. Abb. 11.11) sind nicht selbsthaltende Lager, welche kegelige Rollen als Wälzkörper haben. Der Außenring lässt sich von dem Innenring, der den Rollenkranz trägt, abnehmen. Durch die schräge Stellung der Kegelrollen können neben großen Radialbelastungen auch wesentliche Axialbelastungen aufgenommen werden. Solche

Abb. 11.10  Nadellager

11 Wälzlager215 Abb. 11.11  Kegelrollenlager

Lager werden nur in einer Richtung axial geführt, sodass sie paarweise eingebaut und gegenseitig auf eine positive Axiallagerluft eingestellt werden müssen [8]. Tonnen- und Pendelrollenlager Tonnenlager sind mit tonnenförmigen Rollen ausgerüstet und die Laufbahnen der Außenringe als Hohlkugel geschliffen (s. Abb. 11.12a). Solche Lager sind schwenkbar, was deren Einsatz bei etwaigen Fluchtfehlern verbessert. Zweireihige Tonnenlager werden auch als Pendelrollenlager bezeichnet (s. Abb. 11.12b). Diese sind in der Lage, neben den Radialkräften auch große Axialkräfte in beiden Richtungen aufnehmen zu können. Aufgrund ihrer Bauart sind sie die Wälzlager mit der größten Tragfähigkeit [1]. Ihr Verwendungsgebiet umfasst den gesamten Schwermaschinenbau, Walzwerke, Papiermaschinen, Hebezeuge, Achsbuchsen für schwere Schienenfahrzeuge und Förderseilscheiben [7]. Abb. 11.12  Tonnen- und Pendelrollenlager

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G. Hanzl und C. Fischer

11.2.2 Axiallager Axiallager können keine Radialkräfte übertragen. Sie werden meist als Ergänzung zu Radiallagern eingebaut [7]. Axialrillenkugellager Axiale Rillenkugellager sind starre, nicht selbsthaltende Rillenlager, deren Laufbahnkörper scheibenförmig sind. Die Scheibe, welche mit der Welle gedreht wird, nennt man Wellenscheibe. Jene Scheibe, welche sich im Gehäuse abstützt, wird Gehäusescheibe genannt. Es gibt einseitig (Abb. 11.13a) und zweiseitig (Abb. 11.13b) wirkende Axialkugellager. Bei den zweiseitig wirkenden Lagern, welche aus drei Scheiben und zwei Kugelkränzen bestehen, sind die mittlere Scheibe als Wellenscheibe, die beiden anderen als Gehäusescheiben ausgebildet [14]. Axialzylinderrollenlager Axialzylinderrollenlager (Abb. 11.14) sind für sehr große Axialkräfte und stoßartige Belastungen geeignet. Da aufgrund der unterschiedlichen Umfangsgeschwindigkeit kein reines Abrollen der Wälzkörper möglich ist, werden kurze Zylinderrollen als Wälzkörper eingesetzt [14]. Axialpendelrollenlager Beim Axialpendelrollenlager (s. Abb. 11.15) handelt es sich um ein einseitig wirkendes Lager, bei dem tonnenförmige Wälzkörper in einem bestimmten Winkel, meist 45° zur Lagerachse, eingesetzt werden. Die Gehäusescheibe ist hohlkugelig, damit ein sicheres

Abb. 11.13  Axialrillenkugellager einseitig und zweiseitig wirkend Abb. 11.14  Axialzylinderrollenlager

11 Wälzlager217 Abb. 11.15  Axialpendelrollenlager

Einstellen und gleichmäßiges Verteilen der Last auf die Rollen gegeben ist. Solche Lager sind die axial tragkräftigsten Wälzlager, die im Gebrauch sind [14]. Ihr Anwendungsgebiet ist sehr vielseitig, denn sie können nicht nur bei Schwenkbewegungen, sondern auch bei verhältnismäßig hohen Drehzahlen eingesetzt werden. Beispiele sind schwere Schneckengetriebe, Kranstützlager, Lokomotivdrehscheiben, Schiffsdrucklager [6].

11.3 Lagerbezeichnung Wälzlager sind Normteile und haben deswegen eine einheitliche Bezeichnungsform. Die Bezeichnung erfolgt einheitlich mit Kurzzeichen, welche die Bauart, Abmessungen, Toleranzen, Lagerluft und gegebenenfalls weitere wichtige Merkmale aufzeigen (Abb. 11.16) [14].

Abb. 11.16  Lagerbezeichnung nach DIN 623

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Das Vorsetzzeichen kennzeichnet die Lagereinzelteile, wird aber auch für bestimmte Sonderlager nach amerikanischen Firmennormen eingesetzt. Folgende Abkürzungen werden verwendet: • K … Käfig mit Wälzkörpern, • L … Freier Ring eines zerlegbaren Lagers, • R … Lagerring mit Rollenkranz bei nicht selbsthaltenden Lagern ohne freien Innenoder Außenring, • S … Kennzeichnung eines Lagers aus nichtrostendem Stahl. Das Basiskennzeichen enthält in verschlüsselter Form die Bauart, die Maßreihe (Breite B und Außendurchmesser D) und den Bohrungsdurchmesser (d = Wellendurchmesser) des Lagers. Die Lagerart wird mit Zahlen oder Buchstaben festgelegt. Das Nachsetzzeichen gibt Abweichungen von der Standardausführung an.

11.4 Werkstoffe Wälzbeanspruchte Werkstoffe müssen sehr rein und in den hoch beanspruchten Zonen ausreichende Härte und Zähigkeit aufweisen, was durch entsprechende Erschmelzungsverfahren und durch Vergüten erreicht werden kann [6]. Wälzkörper und kleine bis mittlere Wälzlagerringe werden in Europa meist durchgehärtet, in den USA (v. a. Kegelrollenlager) vorwiegend einsatzgehärtet. Typische Beispiele sind durchgehärteter Stahl 100Cr6 oder Einsatzstahl 17MnCr5. Bei geringen Anforderungen an Tragfähigkeit werden auch naturharte Stähle verwendet, bei Spezialanwendungen mit hohen Temperaturen (z.  B. Triebwerksanlagen in Flugzeugen) werden warmfeste Stähle eingesetzt. Bei hohen Drehzahlen werden die Wälzkörper zunehmend aus Keramik (wegen geringerer Dichte und geringerem Schmierungsanspruch) verwendet. Vollständig keramische Wälzlager finden bei höchsten Temperaturen und aggressiven Medien Einsatz. Im Bereich von Lebensmitteln und korrosiven Medien werden bei höheren Belastungen hochlegierte, korrosionsbeständige Stähle, bei niedrigen vorzugsweise Kunststofflager eingesetzt. Um die Schmierung zu verbessern, können Beschichtungen aufgebracht werden (z. B. Wolframkarbid-Kohlenstoff im PVD-Verfahren).

11.5 Auswahl der Wälzlager Aufgrund der heutigen Vielfalt von Arten und Ausführungen ist die Auswahl der für einen Verwendungszweck am besten geeigneten Wälzlager zu einer anspruchsvollen Aufgabe geworden. Bei der Wahl des richtigen Lagertyps sind einige Aspekte zu berücksichtigen: Art der Belastung, Höhe der Drehzahl, Lebensdauer, Schmierungsart des Lagers, Einbau, Wartung,

11 Wälzlager219

Umgebungstemperatur und andere Umgebungsbedingungen wie Schmutz, Einwirken von Vibrationen durch die Maschine etc., Anforderungen an die Genauigkeit, Anforderungen hinsichtlich Montage und Demontage. In Abb. 11.17 wird ein Überblick der wichtigsten Bauformen und deren Funktionsmerkmale als Auswahlhilfe gegeben [10]. Darüber hinaus stellen viele Hersteller Kataloge und Auswahlprogramme zur Verfügung.

11.5.1 Wälzlagerauswahl bei SKF Der global agierende, 1907 gegründete Konzern Svenska Kullagerfabriken (SKF) weist zu Beginn seines umfangreichen Katalogs zur Auswahl von Wälzlager darauf hin, dass neben der Auswahl des Lagers sowohl die unmittelbar anschließenden Bauteile, wie die Welle und das Gehäuse, als auch die Schmierung und Abdichtung Einfluss auf das Ergebnis haben. Um die Leistung eines Lagers voll ausnutzen zu können, muss dieses mit der richtigen Menge des geeigneten Schmierstoffs geschmiert und wirksam gegen Korrosion geschützt sein. Dichtungen sind ebenso von wesentlicher Bedeutung, denn die Sauberkeit des Schmierstoffs hat beträchtliche Auswirkungen auf die Lebensdauer des Lagers [13] (s. Abb. 11.18). Bei der Wahl eines Lagers sind meist mehrere Einflussgrößen zu berücksichtigen. Die Bestimmung des dynamischen Verhaltens der Lagerung ist dabei das Wichtigste. Unter dynamischem Verhalten sind unter anderem zu verstehen: • • • • • • • • •

verfügbarer Einbauraum, Größe und Richtung der Belastung, Schiefstellung, Genauigkeit und Steifigkeit, Drehzahl, Betriebstemperatur, Schwingungen, Verschmutzungsgrad, Schmierstoffart und Schmierverfahren.

Sobald das dynamische Verhalten der Lagerung bestimmt ist, kann die Wahl der geeigneten Art und der erforderlichen Größe des Lagers erfolgen. Beim Lagerauswahlverfahren sind jedoch zusätzlich noch weitere Arbeitsschritte erforderlich: • zweckmäßige Gestaltung aller Einzelteile der Lagerung, • Festlegung geeigneter Einbaupassungen und der erforderlichen Lagerluft bzw. Vorspannung, • Festlegung eventueller Sicherungselemente, • Auswahl geeigneter Dichtungen, • Bestimmung von Art und Menge des Schmierstoffs, • Überprüfung der Einbau- und Ausbaumöglichkeiten.

Abb. 11.17  Auswahlhilfe für umlaufende Wälzlager

220 G. Hanzl und C. Fischer

Abb. 11.18  Ablauf zur Auswahl von Wälzlagern

222

G. Hanzl und C. Fischer

11.6 Anwendungsfelder in der Praxis In den letzten Jahrzehnten sind für Wälzlager in vielen Bereichen neue Anwendungen entstanden. Hierzu gehören der Windkraftanlagenbau, die Unterhaltungselektronik, die Medizintechnik, der Werkzeugmaschinenbau und viele weitere Anwendungsgebiete. Für Wälzlagerhersteller stellt das eine Herausforderung dar, da die Nachfrage nach Lagern mit höherer Leistungsfähigkeit, Genauigkeit und Betriebssicherheit ständig steigt. Hersteller von Geräten, Maschinen und Anlagen stellen die vielfältigsten Anforderungen an Wälzlager, darunter höhere ertragbare Drehzahlen, geringere Reibung, geräusch- und vibrationsarmer Betrieb, Wartungsfreiheit, Einsatz unter verschiedensten Umgebungsbedingungen, einfache Integration in Anlagen und vieles mehr [11].

11.6.1 Schwerpunkt Fahrzeugbau Als bereits klassisches Einsatzgebiet, in welchem Wälzlager zum Massenelement geworden sind, gilt der Automobilbau (s. Abschn.  11.1.2). In ist eine anschauliche Übersicht über Einbaustellen von Wälzlagern wiedergegeben [4]. Das Beispiel des Radlagers und dessen Entwicklung zeigt eingehend, wie das Anwendungsgebiet und der Bedarf von Wälzlagern permanent steigt [2].

11.6.2 Weitere Einsatzgebiete Wälzlager werden auch in weiteren Gebieten eingesetzt, zwei Marken der Schaeffler Gruppe (INA, FAG) erstellen derzeit ein sehr breites Programm für die folgenden Einsatzgebiete [5]: • Produktionsmaschinen (Textil- und Werkzeugmaschinen oder Getränkefüllautomaten), • Antriebs- und Schienenverkehrstechnik (Radsatzlager für Eisenbahnen oder Lager für Windräder), • Schwerindustrie (Lager für Walzwerke, Papiermaschinen oder schwere Bergbautechnik), • Consumer Products (Lager für Motorräder oder Bohrmaschinen).

11.6.3 Zukünftige Einsatzgebiete Auch in Zukunft werden Wälzlager in verschiedensten Gebieten eingesetzt. Als zukunftsorientierte Anwendungsfelder werden hierbei Energie- und Umwelttechnik, Mobilität und Mechatronik genannt [9]. Dabei sind steigende Anforderungen an Lebensdauer und Zuverlässigkeit zu erwarten.

11 Wälzlager223

Energie- und Umwelttechnik Wälzlager spielen im Rahmen der Energiewende beim Betrieb von Windanlagen eine Rolle. Die Großlager der Rotoren der Windräder werden vor deren Inbetriebnahme unter anderem hinsichtlich ihres Reibungsverhaltens, Auswirkungen bei unterschiedlichen Temperaturen und auf mögliche Verformungen der Lager durch Beanspruchung getestet. Durch die Weiterentwicklung der Wälzlager kann die Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit von Windkraftanlagen erhöht werden. Im Bereich Schiffsbau, Pumpenbau oder Wasserturbinenbau können Wälzlager mithilfe von neuen Erkenntnissen, teilweise schon ohne die übliche und seit vielen Jahrzehnten praktizierte Schmierung der Lager mit Öl und Fett, ihre Funktionen dauerhaft erfüllen. Mobilität Das Wälzlager wird auch für Land- und Baumaschinen sowie Motorräder und verschiedene andere Komponenten für Motor, Getriebe und Fahrwerk eingesetzt. Auf dem Fahrradmarkt werden verschiedene Lager sowohl für konventionelle Fahrräder als auch für E-Bikes verwendet. Weiterhin finden Wälzlager Anwendung bei Schienenfahrzeugen sowie bei der Herstellung von Triebwerken für Flugzeuge und Hubschrauber und in der Raketentechnologie und Raumfahrt. Technische Innovationen in der Mechatronik bieten neue Lösungsansätze Durch technische Innovationen gewinnt die Mechatronik, d. h. das Zusammenwirken von mechanischen, elektronischen und informationstechnischen Elementen und Modulen, bei der Entwicklung von Wälzlagern zunehmend an Bedeutung. Wälzlager mit integrierten Sensoren und mit eingebauter Energieversorgung bieten diversen Branchen neue Möglichkeiten und Einsatzgebiete. Beispiele hierfür sind die Medizintechnik und der Werkzeugmaschinenbau. Die intelligente Kommunikation zwischen Maschinen mithilfe von Sensoren, Prozessoren und Funkverbindungen und somit die Entwicklung von autonom denkenden und handelnden Maschinen – auch bekannt unter dem Schlagwort Industrie 4.0 – ist in einigen Bereichen schon Realität und wird in den nächsten Jahren die Produktion in zahlreichen Branchen revolutionieren [9].

11.7 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Obiger Fachinhalt geht von einem gewünschten Kompetenzerwerb von Bachelor-Studierenden der sogenannten „Industriewirtschaft“ aus. Dieser Begriff wird unter anderem verwendet, um einen Rahmen für technisch wirtschaftliche Curricula mit dem Fokus auf das Management industrieller Wertschöpfung zu geben. Dabei sollen die relevanten technischen und wirtschaftlichen (vorwiegend betriebswirtschaftlichen) Aspekte von Funktion, Herstellung und des gewinnbringenden Einsatzes von industriellen Erzeugnissen

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G. Hanzl und C. Fischer

vermittelt werden. Aus dieser Sicht ist der gegenwärtige und zukünftige Beitrag des Wälzlagers zur industriellen Wertschöpfung von Interesse. Daraus ergibt sich die allgemeine Frage: „Wie kann mithilfe von Wälzlagern Wertschöpfung erzielt werden?“ und für Lehrpersonen im Speziellen „Welches Wissen benötigt der ‚gute Industriewirt‛, um das Potenzial von Wälzlagern gewinnbringend einsetzen zu können?“ Da es sich bei Wälzlagern um eine Komponente handelt, die sowohl in Produkten als auch in Maschinen und Anlagen Einsatz findet, geht es um das Denken in bekannten und technischen Wirkungszusammenhängen. Es müssen Funktionen von Wälzlagern und deren Auswirkungen generell bekannt sein, damit das Einsatzfeld heute und das Potenzial künftiger Anwendungen erkannt werden kann. Dieser breite Ansatz bedingt, dass Funktionswissen und Fähigkeit zur Kreativität bei Einsatz von Wälzlagern dem enzyklopädischen Wissen über dieses Maschinenelement vorzuziehen ist. Daraus ergeben sich jedenfalls folgende relevante Fachinhalte: • • • • • • • •

Kenntnisse über Werkstoffe, physikalische Bedingungen (Kräfte, Drehzahlen etc.), relevante Dimensionen, Funktionen von Wälzlagern, Bauarten und deren Eignungen, Auswahl und Produktintegration, Kennen der potenziellen Einsatzmöglichkeiten, Einschätzen der Wirtschaftlichkeit von Wälzlagern.

Basis des Lehr- und Übungskataloges zum Thema „Wälzlager“ sind die Lehr-/Lernziele. Gemäß dem zuvor beschriebenen Fachinhalt werden Handlungsfelder definiert und diesen entsprechenden Kompetenzniveaus zugeordnet. Die folgenden Übungsbeispiele beziehen sich auf die einzelnen Handlungsfelder (s. Tab. 11.1) und dienen dazu, die angeführten Kompetenzen zu erwerben. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen in der Regel Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So gibt es Anknüpfungspunkte zu Physik und Werkstoffwissenschaften sowie Anwendungsgebiete in Technischer Logistik, Qualitätsmanagement und Produktionstechnik. In den nachfolgenden Abschn. 11.7.1, 11.7.2, 11.7.3 und 11.7.4 finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben. Die Übungen wurden so konzipiert, dass sie die Studierenden die gesamte Studiendauer begleiten und zu einem umfassenden Verständnis der Industriewirtschaft führen sollen. Lösungen zu den Rechenbeispielen befinden sich am Ende des Kapitels (s. Abschn. 11.8.1).

11 Wälzlager225 Tab. 11.1  Kompetenzerwerb zum Thema „Wälzlager“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Grundlagen und Prinzip der Wälzlagerung

• Physikalischer Hintergrund und damit Verstehen der Wälzlagerung • Entwicklungsstufen des Maschinen-elementes erklären

• Wälz- und Gleitlager zuordnen

• Potenziale von dynamischen Systemen bewerten

Bauformen für Einsätze

• Alle bekannten Ausführungen mit Eigenschaften und Einsetzbarkeit unter bestimmten Bedingungen beschreiben

• Kriterien für bestimmte Bauarten zuordnen • Skizzen von Wellenlagerungen anfertigen

• Einsatz unter-schiedlicher Bauformen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Gesamtsysteme bewerten

Richtige Auswahl von Wälzlagern

• Lagerwerkstoffe (Ringe, Wälzkörper, Käfige), deren Aufbau und Berechnungsverfahren erklären

• Für vorgegebene Anordnung und Belastung Lagerauswahl treffen

• Statische Lagerkräfte berechnen und bewerten • Auswahlergebnisse bewerten

Anwendungen Einsatzgebiete

• Typische Anwendungen zu jeder Bauform beschreiben

• Richtung der Belastbarkeit sowie Vor- und Nachteile ableiten • Bauformen statisch vergleichen

• Einsetzbarkeit beurteilen • Belastbarkeit zu Bauform bewerten

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [3].

11.7.1 Übungen zu „Grundlagen und Prinzip der Wälzlagerung“ Die Kenntnis des physikalischen Hintergrundes ist sowohl für das Verstehen der Funktion und des Aufbaus des Wälzlagers im Vergleich zum Gleitlager als auch zur Beurteilung der Potenziale Grundvoraussetzung. Um die im Handlungsfeld „Grundlagen und Prinzip der Wälzlagerung“ dargestellten Kompetenzen zu trainieren, wird folgende Methode empfohlen: • Assoziationsschnecke (N1). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

11.7.1.1 Assoziationsschnecke Die Methode „Assoziationsschnecke“ nach Bayer-Nierlich eignet sich vor allem für thematische Einstiege, aber auch zur Entwicklung verwandter Fragen und damit Lösungen.

226

G. Hanzl und C. Fischer

Ähnlich den Methoden „Mindmapping“ und „Clustering“ erfolgt hier eine Zuordnung von einzelnen Begriffen und Fragestellungen in Form einer Spirale [2, 12]. Die fließende Schneckenform unterstützt dabei das Denken in Wirkungszusammenhängen mit einem konkreten Ergebnis im Zentrum. Es können auch mehrere Schnecken übereinandergelegt werden, z. B. geschichtliche Entwicklung und heutiger Aufbau des Wälzlagers, womit auch bis dahin unbekannte Assoziationsmuster entstehen können [2, 12]. Die kreative Einbindung der Studierenden bei der Herleitung der physikalischen Grundlagen oder bei der Entstehungsgeschichte der industriellen Entwicklung des Maschinenelements „Wälzlager“ und Bildung schlüssiger Assoziationen bei den Ausführungsarten verstärkt die Motivation zur Auseinandersetzung und erhöht die Merkfähigkeit bzw. die „Behaltensrate“. Tab. 11.2 gibt einen Überblick über die Methode. ▶▶

Tipp Die Assoziationsschnecke wird als Methode oftmals mit „Brainstorming“

( Kap. 8 3-D-Druck) kombiniert. Dies verlangt eine aktive, coachende Rolle der Lehrenden.

Die Arbeit an bzw. mit einer Assoziationsschnecke kann in zwei Phasen verlaufen. In der ersten Phase erarbeiten die Lernenden in Einzelarbeit (ca. zehn Minuten) jeweils eine Assoziationsschnecke ohne Verwendung der Unterlagen. Ist noch wenig Vorwissen vorhanden, kann die Zeit auch verkürzt werden. In der zweiten Phase besprechen die Lernenden in Partnerarbeit ihre Assoziationen und versuchen, durch den Abgleich ihrer Assoziationsschnecken weitere Verbindungen zu erkennen. Dies kann je nach Umfang, Gruppengröße und Raummöglichkeiten auch in Kleingruppen von drei bis vier Personen durchgeführt werden. Abb. 11.19 stellt einen Auszug einer Assoziationsschnecke im Bereich Grundlagen der Wälzlagerung dar.

Tab. 11.2  Fact-Box: Assoziationsschnecke „Wälzlager“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in das Thema „Grundlagen und Prinzip der Wälzlager“ • Verständnis von Zusammenhängen schaffen • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen

Zeit

ca. 20 min (je nach Umfang der Assoziation)

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- und Partnerarbeit (für Großgruppen geeignet)

Raum/Platz

Hörsaal, keine besonderen Anforderungen

Material

Tafel, Whiteboard, Pinnwand mit Metaplankarten, Vorlage der Schneckenform (analog oder digital)

Lehr-/Lernziele

• Entwicklung der Wälzlager erklären (N1) • Prinzip und Definition von Gleitlager versus Wälzlager beschreiben (N1)

11 Wälzlager227

Abb. 11.19  Assoziationsschnecke Grundlagen Wälzlager

11.7.2 Übungen zu „Bauformen für Einsätze“ In diesem für das Verständnis und den Einsatz für das Maschinenelement bedeutenden Handlungsfeld geht es unter anderem um die Kompetenz, einzelne Ausführungsarten von Wälzlagern den in der Anwendung gegebenen Einsatzbedingungen zuordnen zu können. Dazu sind sowohl die Kenntnis der wesentlichen Ausführungen als auch die Eigenschaften der Wälzlager und die Kriterien für den Einsatz bestimmter Ausführungen zu beherrschen. Um die im Handlungsfeld „Bauformen für Einsätze“ dargestellten Kompetenzen zu entwickeln, können folgende Methoden empfohlen werden: • Praktisches Begreifen (N1), • Skizzieren (N2). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

11.7.2.1 Praktisches Begreifen Das praktische Begreifen ist weniger eine klassische Lehr-/Lernmethode als ein didaktisches Element, das vor allem in der Technikdidaktik bzw. in der ingenieurswissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung besondere Relevanz hat. Ziel ist es, den Praxisbezug des Unterrichts zu erhöhen.

228

G. Hanzl und C. Fischer

Tab. 11.3  Fact-Box: Praktisches Begreifen „Wälzlager“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in das Thema „Grundlagen und Prinzip der Wälzlager“ • Steigerung des Praxisbezuges im Bereich Wälzlager

Zeit

ca. 10 min (je nach Umfang der Assoziation)

Gruppengröße/Sozialform

Plenum (für Großgruppen geeignet)

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Unterschiedliche Wälzlager, die auch in der Praxis verwendet werden

Lehr-/Lernziele

• Alle bekannten Ausführungen mit Eigenschaften und Einsetzbarkeit unter bestimmten Bedingungen beschreiben (N1) • Kriterien für bestimmte Bauarten zuordnen (N2)

Die nachfolgende Tab. 11.3 gibt einen Überblick, wann und unter welchen Voraussetzungen die Methode eingesetzt werden kann und gibt dazu weitere didaktische Hinweise. ▶▶

Tipp Das „Begreifen“ von Musterexponaten wird in der Regel mit Erklärungen

und Unterweisungen durch Vortragende kombiniert. Hintergrundinformation Die Anschauungsmaterialien können von unterschiedlichen Anbietern als vollständiger Schaukoffer zugekauft werden. Alternativ dazu kann die Bereitstellung einzelner Wälzlager auch direkt bei Industrieunternehmen angefragt werden. Der in diesem Kapitel vorgestellte Übungskoffer wurde von der Firma G.U.N.T. Gerätebau GmbH angekauft.

Kernelement der technischen Didaktik ist das Überführen theoretischer Kompetenzen in die Praxis. Dazu ist es unerlässlich, den Unterricht mit realen Anschauungsmaterialien anzureichern. Durch die Verknüpfung von Skizzen, Modellen und fertigen Bauteilen kann die Performanz der Lernenden in der Praxis positiv beeinflusst werden. Die Differenzierung und der Umfang der Bausätze bzw. Exponate bestimmen mögliche Erklärungen, das Begreifen von Unterschieden in Dimensionen, Bauarten und Funktionswirkungen. Abb. 11.20 zeigt einen Übungskoffer zum Thema Kugellager. Die darauf folgende Abb. 11.21 stellt Kugellager im Detail dar.

11.7.2.2 Skizzieren Die Skizze als Freihandzeichnung dient der Verdeutlichung einer Form oder Anordnung und unterstützt die Erklärung von technischen Wirkungsweisen sowie Zusammenhängen in einer sehr freien, vorläufigen und unverbindlichen Art und ist daher für die Aufnahme und das Verarbeiten von technischen Funktionen besonders gut geeignet. Auch dient das Skizzieren der Entwicklung und dem Training des Abstraktionsvermögens, welches für die technische Lösungskompetenz unverzichtbar ist. (s. Tab. 11.4)

11 Wälzlager229 Abb. 11.20  Übungskoffer Kugellager

Abb. 11.21  Kugellager Detail

▶▶

Tipp Das Skizzieren wird als Standard in jeder technischen Ausbildung angese-

hen. Es bedarf ausreichend Zeit zu Übung und individueller Betreuung durch den Lehrenden.

Die Aufgabe für den Lernenden könnte lauten:

Beispiel

Skizzieren Sie die folgenden Kugellager im Schnitt: • • • • • •

radiales Rillenkugellager, radiales Nadellager, axiales Rillenkugellager, Kegelrollenlager, radiales Zylinderrollenlager, Pendelrollenlager.

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G. Hanzl und C. Fischer

Tab. 11.4  Fact-Box: Skizzieren „Bauformen für Einsätze“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Abbildung und Veranschaulichung technischer Komponenten und Produkte zur Erklärung von Grundlagen, Funktion und Dimensionierung • Vermittlung von Grundkenntnissen zur technischen Abbildung • Steigerung des individuellen Abstraktionsniveaus und räumlichen Vorstellungsvermögens

Zeit

15–25 min

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit (Feedback in Partnerarbeit möglich)

Raum/Platz

Hörsaal (für Großgruppen geeignet)

Material

Papier, Tablet oder PC

Lehr-/Lernziele

• Skizzen von Wellenlagerungen anfertigen (N2)

11.7.3 Übungen zu „Richtige Auswahl von Wälzlagern“ Für die praktische Umsetzung und Bewertung von Wälzlagern in einem konkreten Produkt ist die richtige Auswahl von entscheidender Bedeutung. Während die definitive Wahl eines Lagers in der Regel über Angebotskataloge der Hersteller erfolgt, ist dazu das Wissen über Werkstoffe und den Aufbau der standardisierten Lagerbezeichnung ebenso erforderlich wie Bauformen aus dem vorgenannten Handlungsfeld. Die prinzipielle Auslegung von Wälzlagern aufgrund der statischen Belastungssituation ist eine weitere Grundvoraussetzung, die vor einer erfolgreichen Lagerauswahl zu erfolgen hat. Um den Erwerb dieser Kompetenzen der Lernenden im Handlungsfeld „Richtige Auswahl von Wälzlager“ zu unterstützen, werden folgende Methoden gewählt: • Brainstorming (N1), • Rechenaufgabe (N2). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

11.7.3.1 Brainstorming Die Methode „Brainstorming“, welche ursprünglich als Problemlösetechnik entwickelt wurde, ist eine aktivierende Methode, die sich gut dazu eignet, vorhandenes Fachwissen zu wiederholen und zu festigen. Darüber hinaus kann die Methode verwendet werden, um Inhalte aus anderen Fachbereichen abzurufen und mit Anwendungsfeldern zu kombinieren. Dies trifft praktisch in nahezu allen Fällen einer Auswahl und Zuordnung von Werkstoffen zu. In diesem Zusammenhang gibt Tab. 11.5 einen Überblick über die Rahmenbedingungen der Methode am Beispiel „Wälzlager“.

11 Wälzlager231 Tab. 11.5  Fact-Box: Brainstorming „Richtige Auswahl von Wälzlagern“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Verständnis von Zusammenhängen schaffen • Wiederholung der Fachinhalte des Bereichs „Richtige Auswahl von Wälzlagern“ • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen

Zeit

ca. 10 min, abhängig von Anzahl der Teilnehmer

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit (max. etwa 20 Personen)

Raum/Platz

Hörsaal, keine besonderen Anforderungen

Material

Tafel, Whiteboard, Pinnwand mit Metaplankarten

Lehr-/Lernziele

Hinführen zu den Kriterien für die Auswahl von Wälzlagern (N1)

Bei Wälzlagern, aber auch bei anderen Maschinenelementen, setzt diese wichtige Kompetenz kombiniertes Wissen aus den Fachbereichen Physik, Mechanik, Chemie und Werkstoffkunde voraus. Hintergrundinformation Nähere Ausführungen zur Methode „Brainstorming“ in Kap. 8 3-D-Druck.

Im Falle Wälzlager können beispielsweise folgende Zielfragen gestellt werden:

Beispiel

1. Wie unterscheiden sich Werkstoffe in ihren relevanten Eigenschaften? 2. Welche Eigenschaften sind für Wälzlager relevant? 3. Wo liegen Ihrer Meinung nach Vor- und Nachteile von Kunststoff- und Keramikwerkstoffen bei der Herstellung von Wälzlagern? Auch hier soll die kreative Einbindung der Lernenden bei der Zuordnung von Werkstoffen zu Ausführungsformen und Einsatzbedingungen für unterschiedliche Einsatzfälle des Maschinenelementes „Wälzlager“ und die Bildung schlüssiger Assoziationen zu erhöhter Motivation und damit Merkfähigkeit führen. Die Methode „Brainstorming“ kann auch hier mit der Methode „Assoziationsschnecke“ Abschn.  11.7.1.1) kombiniert werden, um beispielsweise noch besser fundierte Ergebnisse zu erzielen.

11.7.3.2 Rechenaufgabe Die Berechnung eines gegebenen Beispiels ist seit jeher eine Kernaufgabe in der Didaktik für technischen Kompetenzerwerb. Sie trainiert unter anderem in besonderem Maße Abstraktion, Verständnis von eindeutigen Zusammenhängen, Vorstellungs- und

232

G. Hanzl und C. Fischer

Tab. 11.6  Fact-Box: Rechenaufgabe „Wälzlager“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Verständnis von Zusammenhängen schaffen • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen

Zeit

15 min

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- oder Kleingruppenarbeit (max. etwa 3 Personen)

Raum/Platz

Hörsaal, keine besonderen Anforderungen

Material

Papier, Schreibgerät, PC

Lehr-/Lernziele

Fähigkeit zur Berechnung von Lagerkräften (N2)

Abschätzungsvermögen und Erkennen von Potenzialen. Allerdings setzt jede Berechnung entsprechendes Vorwissen bzw. den Umgang mit Formeln und Mathematik voraus. Dieses Vorwissen ist bei Lernenden meist unterschiedlich weit gediehen, sodass soziale Arbeitsformen etwa in kleinen Gruppen zum gegenseitigen Vorteil genutzt werden können (s. Tab. 11.6). ▶▶

Tipp Das Rechenbeispiel kann mit der Methode „Kritischer Kollege“ (Kap.  12

Stirnradgetriebe) verbunden werden, um den Lernenden direkt Feedback zu den erzielten Rechenergebnissen geben zu können.

Im vorliegenden Fall sollen im Rechenbeispiel Reaktionskräfte einer Welle auf die Lager berechnet werden [15].

Beispiel

Gegeben ist ein auf einer Welle fliegend gelagertes Zahnrad.

Wellenskizze

11 Wälzlager233

Angetrieben wird es durch eine (hier nicht dargestellte) Kupplung rechtsseitig. Am Teilkreisdurchmesser des Zahnrads wirken in radialer, tangentialer und axialer Richtung die Kräfte FR, Ft, Fa. Gegeben: Kräfte am Zahnrad: • FR = 2,000 N, • Ft = 2,500 N, • Fa = 1,000 N, • Drehzahl n = 6,000 min-1, • Teilkreisdurchmesser Zahnrad: d = 50 mm.

Längenabmessungen: • l1 = 100 mm, • l2 = 50 mm, • verwendetes Wälzlager an den Stellen A und B: 6305, normale Lagerluft (CN), • Ölsorte: ISO VG 32, • mittlere Öltemperatur: ϑeff = 70 C.

Gesucht: Ermitteln Sie die Reaktionskräfte in den Lagern A und B.

11.7.4 Übungen zu „Anwendungen und Einsatzgebiete“ Das vierte Handlungsfeld zur Vermittlung von Wissen um das Potenzial Wälzlager für den „Industriewirt“ ist die Kenntnis von Anwendungen und Einsatzgebieten dieses Maschinenelementes. Dabei geht es hauptsächlich darum, typische Anwendungen zu jeder Bauform, deren Vor- und Nachteile sowie Belastungsgrenzen zu kennen, um damit deren Einsatzpotenzial abschätzen und bewerten zu können. Um die im Handlungsfeld „Anwendungen und Einsatzgebiete“ dargestellten Kompetenzen zu trainieren, wird folgende Methode empfohlen: • Gruppenpuzzle (N1, N2 ,N3). Zu den Übungen werden an entsprechender Stelle auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

11.7.4.1 Gruppenpuzzle Die Methode „Gruppenpuzzle“ geht auf die Methode „Jigsaw“ zurück und nutzt vor allem die Möglichkeit des teamorganisierten Wissenserwerbs. Die einzelnen Gruppenmitglieder befinden sich in einer „sozialen Interdependenz“, und der Erfolg hängt sehr von ihrer Zusammenarbeit als Team ab [12]. Aus Tab.  11.7 sind die durchschnittlich empfohlenen Rahmenbedingungen für diese Methode ersichtlich. ▶▶

Tipp Das Gruppenpuzzle verlangt eine entsprechende Vorbereitung sowie und

eine aktive, coachende Rolle der Lehrenden während der Durchführung.

234

G. Hanzl und C. Fischer

Tab. 11.7  Fact-Box: Gruppenpuzzle „Anwendungen und Einsatzgebiete“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Tieferes Verständnis von technischen Funktionen und Zusammenhängen sowie Anwendungsgebieten • Trainieren der Kommunikationskompetenz der Lernenden

Zeit

60 min

Gruppengröße/Sozialform

Max. 6 Stammgruppen mit je 4 Personen

Raum/Platz

Hörsaal, genügend Platz für Sesselkreise schaffen

Material

Gegebenenfalls Tafel, Whiteboard, Flipchart zur Vorbereitung

Lehr-/Lernziele

Kenntnisse zu den Wälzlagerarten vertiefen (N1, N2, N3)

Hintergrundinformation Nähere Ausführungen zur Methode finden sich in Kap. 8 3-D-Druck.

Die Aufgabenstellung kann wie folgt lauten:

Beispiel

Erarbeiten Sie in den Expertengruppen zu der Ihnen zugewiesenen, nachstehend angeführten Wälzlagerart Hintergrundinformationen zu • Richtung der Belastbarkeit, • Einsatzgebiet, • Vor- und Nachteilen. Versuchen Sie die Wälzlagerart, sofern vorhanden, in dem Übungskoffer zu identifizieren. Geben Sie die erarbeiteten Informationen anschließend an Ihre Studienkollegen in der Stammgruppe weiter. Themenauswahl: • Rillenkugellager, • Schrägkugellager, • Pendelkugellager, • Axialrillenkugellager, • Zylinderrollenlager, • Kegelrollenlager,

• Tonnenlager, • Pendelrollenlager • Axialzylinderrollenlager, • Axialpendelrollenlager, • Radialnadellager, • Axialnadellager.

11 Wälzlager235

11.8 Anhang 11.8.1 Lösungen zur Methode „Rechenbeispiel“ Nachstehend sind Lösungen zu den Rechnungsbeispielen [15] des Abschn. 11.7.3.2. Lagerreaktionskräfte → Fa − FAx = 0 ⇒ FAx = Fa = 1000N 

Moment um B

Fr (l1 + l2) − Fa ⋅

d − FAy ⋅ l1 = 0 2

FAy =

Fr (l1 + l2) − Fa ⋅ l1

d 50mm 2000N ⋅ (100 + 50)mm −1000N 2 = 27500N  2= 100mm Ft (l1 + l2) − FA≈ ⋅ l1 = 0

FA≈ =

Ft (l1 + l2) 2500N (100 + 50mm) = = 3750N 100mm l1



Kraft in y-Richtung FAy − FBy − Fr = 0 FBy = FAy − Fr = 2750N − 2000N = 750N



Kraft in z-Richtung Ft − FA≈ + FB≈ = 0 FB≈ = FA≈ − Ft = 3750N − 2500N = 1250N FAa = AAx = 1000N 2 + F 2 = (2750N )2 + (3750N )2 = 4650N FAr = FAy A≈

2 + F 2 = (750N )2 + (1250N )2 = 1458N FBr = FBy B≈

236

G. Hanzl und C. Fischer

Literatur   1. Albert M, Köttritsch H (1987) Wälzlager Theorie und Praxis. Springer Verlag, Wien   2. Bayer-Nierlich A (2002) Die Assoziationsschnecke. Von Ideen zur Gestaltung. HTW Praxis (4):9   3. Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR (1956) Taxonomy of educational objectives: the classification of educational goals. Handbook I: cognitive domain. David McKay Company, New York   4. Braess HH, Seiffert U (2007) Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik, 5. Aufl. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden  5. FAG. https://www.fag-ina.at/explorer/download/waelzlager/KleineWaelzlagerkunde. Zugegriffen: 13. Apr. 2018   6. Grote KH, Feldhusen J (2007) Dubbel Taschenbuch für den Maschinenbau, 22. Aufl. Springer Verlag, Berlin   7. Haberhauer H, Bodenstein F (2014) Maschinenelemente – Gestaltung, Berechnung, Anwendung. Vieweg+Teubner Verlag, Wiesbaden   8. Jürgensmeyer W (1983) Die Wälzlager. Springer Verlag, Berlin  9. Motorline KG https://www.motorline.cc/service/2015/Wlzlager---die-unbekannten-WesenAlles-Walzer-194857.html. Zugegriffen: 13. Apr. 2018 10. Niemann G, Winter H, Höhn BR (2003) Maschinenelemente Band 1 Konstruktion und Berechnung von Verbindungen, 4. Aufl. Springer Verlag, Berlin 11. NSK. http://www.nskeurope.de/. Zugegriffen: 12. Apr. 2018 12. Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 13. SKF. http://www.skf.com/at/index.html. Zugegriffen: 12. Apr. 2018 14. Steinhilper W, Röper R (1996) Maschinen- und Konstruktionselemente 3, 2. Aufl. Springer Verlag, Berlin 15. Winkler FS Mathematical Engineering – Prüfungsaufgabe 3: Wälzlager, http://me-lrt.de/prufungsaufgabe-walzlager. Zugegriffen: 13. Apr. 2018

Stirnradgetriebe Von der technischen Zeichnung zur Montage eines Stirnradgetriebes

12

Wolfram Irsa und Sabrina Romina Sorko

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält eingangs grundlegende Fachinhalte wie Nutzen und Unterarten von Stirnrädern. Daran anknüpfend werden unterschiedliche Einsatzbereiche von Stirnrädern beschrieben. Darüber hinaus gibt das Kapitel Einblick in die technischen Skizzen von Stirnradgetrieben inklusive Bemaßung und geht näher auf geeignete Werkstoffe ein. Konkrete Beispiele für Anwendungsfelder in der Praxis runden den fachlichen Teil des Kapitels ab. Im methodischen Teil werden Übungen vorgestellt, die Kompetenzen auf allen Niveaustufen in den Handlungsfeldern „Komponenten des Stirnradgetriebes“, „Technische Zeichnungen und Bemaßung des Stirnradgetriebes“ sowie „Montage des Stirnradgetriebes“ trainieren.

12.1 Grundlagen des Stirnradgetriebes Stirnradgetriebe dienen zur Übertragung von Drehmomenten und helfen, Drehzahlen zu übersetzen. Eine hohe Drehzahl eines Elektromotors kann damit in langsamer drehender Bewegung zum Antrieb von Rädern verwendet werden. Stirnradgetriebe gehören zur Gruppe der Zahnradgetriebe (Abb. 12.1) [8].

W. Irsa (*) Hitzendorf, Österreich e-mail: [email protected] S. R. Sorko Graz, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_12

237

238

W. Irsa und S. R. Sorko

Abb. 12.1  Systematische Einteilung der Getriebe

Gleichförmig übersetzende Getriebe können in mechanische und hydraulische Getriebe eingeteilt werden. Die mechanischen Getriebe werden auf der nächsten Ebene in formschlüssige oder reibschlüssige Getriebe unterteilt. Die hydraulischen Getriebe sind auch weiter unterteilbar, jedoch nicht Untersuchungsgestand dieses Kapitels und werden deswegen nicht näher behandelt. Die formschlüssigen Getriebe werden des Weiteren in Zahnradgetriebe und Zugmittelgetriebe unterschieden. Formschlüssig bedeutet, dass eine geometrische Struktur die Übertragung der Kräfte ermöglicht. In die Gruppe der Zahnradgetriebe gehören das Stirnradgetriebe, das Kegelradgetriebe, das Schneckengetriebe und das Schraubradgetriebe. Wir konzentrieren uns in nachfolgend auf das Stirnradgetriebe [8]. Abb. 12.2 zeigt in diesem Fall ein Planeten- und ein Schneckengetriebe.

12.1.1 Einsatzbereich von Stirnrädern Stirnräder werden eingesetzt, um eine Drehrichtung zu ändern, die Drehzahl zu erhöhen oder zu reduzieren und um die Kräfte am Rad zu verstärken bzw. abzumindern. Die Unterscheidung des treibenden Rades und des angetriebenen Rades ist wichtig und bestimmt das Übersetzungsverhältnis, welches in Abschn.  12.1.2 erläutert wird. Die einfachste

12 Stirnradgetriebe239 Abb. 12.2  Gegenüberstellung Planeten- und Schneckengetriebe

Bauform ist ein Stirnradpaar, auch einstufiges Stirnradgetriebe genannt. Es besteht aus zwei parallelen Wellen mit jeweils einem Zahnrad. Die Zahnräder greifen ineinander und übertragen damit die Drehrichtung und das Drehmoment. Durch das Hinzufügen weiterer Wellen mit Zahnrädern können mehrstufige und sehr komplexe Getriebe gebaut werden. Zur Vorbereitung des richtigen Zusammenbaus beginnen wir mit der Basis, dem Stirnradpaar (Abb. 12.3) [8]. Abb. 12.3 zeigt, dass ein Stirnradpaar durch parallele Achsen charakterisiert ist. Die Zahnräder sind unterschiedlich groß. Es sind bei einstufigen Stirnradgetrieben Übersetzungsverhältnisse von bis zu 8:1 möglich. Das heißt, acht Umdrehungen des kleinen Zahnrades verursachen eine Umdrehung des großen Zahnrades. Übersetzungsverhältnisse darüber hinaus sind selten und werden nur in Ausnahmefällen verwendet. Der Grund ist, dass der Größenunterschied der Räder zu signifikant wird für die Einbettung der Zahnräder in einem Getriebekasten [8].

Abb. 12.3  Stirnradpaar nach DIN 3990

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Der Getriebekasten, auch Gehäuse genannt, hält die Lager der Wellen. Meistens sind die Getriebekästen aus einer Gusskonstruktion, um die dämpfenden Eigenschaften zur Reduzierung von Vibrationen zu nutzen [8].

12.1.2 Technische Zeichnung und Bemaßung eines Stirnradgetriebes Abb. 12.4 zeigt die Fachbegriffe in der detaillierten technischen Darstellung. Die Anzahl der Zähne am Umfang, auch Zähnezahl z genannt, ist die auf dem vollen Radumfang ganzzahlige Anzahl der Zähne [8]. Die Zahnbreite b ist der Abstand der beiden Stirnflächen und bestimmt die Tragfähigkeit des Getriebes. Je breiter b, desto mehr Kraft kann durch das Zahnrad übertragen werden [8]. Die Teilung p ist der Abstand einer rechten Zahnflanke zur nächsten rechten Zahnflanke. Die Teilung wird am Teilkreis gemessen. Das ist der ideelle Kreis, an dem sich die beiden Zahnräder berühren, so wird das Übersetzungsverhältnis auf den Teilkreis bezogen [8]. Der Teilkreisdurchmesser d ist der Durchmesser, an dem Zähne und Lücken gleich dick sind [8]. Die Zahndicke s und die Lückenweite e ergänzen sich zu p = s + e. Die Varianz aller Zahndicken und aller Zahnlücken soll so gering wie möglich sein, um ein möglichst vibrationsfreies Getriebe und eine gleichmäßige Abnutzung zu erhalten [8]. Ein weiterer wichtiger Fachbegriff ist der Zahndickenhalbwinkel psi. Es ist der Winkel von einer Zahnflanke am Teilkreis zur Mittellinie. Man unterscheidet links- und rechtsdrehende [8]. Zurück zum Übersetzungsverhältnis: Ist das Übersetzungsverhältnis größer als eins, spricht man von der Übersetzung ins Langsame, wie beim Beispiel von 8:1 oben. Ist das Übersetzungsverhältnis kleiner als eins, erfolgt eine Übersetzung ins Schnelle. Falls Abb. 12.4  Fachbegriffe des Stirnrads

12 Stirnradgetriebe241

größere Übersetzungsverhältnisse benötigt werden, wird das einstufige Getriebe mit weiteren Zahnrädern auf einer Welle in ein zwei- und mehrstufiges Getriebe weiter übersetzt [3]. Die grundlegende Geometrie der Zahnräder ist die Voraussetzung für das Funktionieren eines Stirnradgetriebes. Durch das Ineinandergreifen der Zähne erfolgt eine Kraftübertragung von einem Zahnrad auf das andere. Das Übersetzungsverhältnis bestimmt die Übertragung des Drehmoments. Das Drehmoment ist definiert als Kraft mal Abstand – in unserem Fall wird als Abstand der Radius des Rades verwendet. Gemäß dem Hebelgesetz der Mechanik ermöglicht ein Übersetzungsverhältnis von 8:1, dass das große Zahnrad mit einem achtfach größeren Drehmoment – im Vergleich zum kleinen Rad – getrieben wird. Diese beachtliche Steigerung des Drehmomentes nutzt man, um Maschinen Arbeiten zu verrichten zu lassen, für welche die menschliche Muskelkraft nicht ausreichen würde [1].

12.1.3 Werkstoffe für die Herstellung von Stirnradgetrieben Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Herstellung von Stirnradgetrieben ist die Verwendung der geeigneten Werkstoffe. Es wird Metall, insbesondere Stahl, Kunststoff, aber auch Holz zur Herstellung von Zahnrädern eingesetzt. Die Verwendung orientiert sich sowohl am Einsatzgebiet des Getriebes als auch an den Kosten. Zu den relevanten Kosten zählen nicht nur die Material-, sondern auch die Prozesskosten, also die Montagekosten für den Zusammenbau des Getriebes. So sind Getriebe aus hochfestem, nichtrostendem Stahl in der Verarbeitung wie auch in der Montage deutlich aufwendiger als Kunststoffgetriebe, die aus Spritzgussteilen hergestellt sind. Die Verwendung von Holzgetrieben hat eine lange Tradition, und sie wurden bereits bei den ersten Maschinen von Leonardo da Vinci eingesetzt. Bei der Herstellung von Zahnrädern ist die Formgebung des Zahns am teuersten. Die Präzision der Ausführung bestimmt die Laufruhe des Getriebes. Natürlich wird die Laufruhe des Getriebes darüber hinaus von der Exaktheit der Lagerung und von der eventuell notwendigen Schmierung bestimmt. Bei der Produktion der Zahnräder wird darauf geachtet, durch Abwälzverfahren die geometrisch ideale Form der Evolvente zu erreichen. Die Evolvente (s. Abb. 12.5a) – auch Fadenlinie genannt – entsteht durch das Abwickeln eines Fadens am Umfang eines Kreises. Eine andere geometrische Form für die Herstellung wäre die Zykloidenflanke. Eine Zykloide (s. Abb. 12.5b) entsteht durch das Abrollen eines Punktes am Umfang eines Kreises (das kleine Rad) auf einen Wälzkreis (das große Rad). Die Herstellung ist schwierig und erfordert viel Erfahrung. Im Maschinenbau werden fast ausschließlich Evolventenverzahnungen verwendet. Die Tragfähigkeitsberechnung von Stirnradgetrieben ist in der DIN 3990 genormt [3]. Damit steht ein umfangreiches Werk zur Verfügung, mit dem der jeweilige Genauigkeitsgrad robuster Zahnräder dimensioniert werden kann. Detaillierte Softwarelösungen unterstützen die Berechnung. Die Daten für die Dimensionierung des Zahnrades werden

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Abb. 12.5  Evolvente und Zykloide

durch digitalisierte Verfahren unmittelbar der Konstruktion und in weiterer Folge der Fertigungsmaschine zur Verfügung gestellt. Mit dieser digitalen Durchgängigkeit werden Schnittstellen- bzw. Übertragungsfehler ausgeschlossen.

12.2 Anwendungsfelder in der Praxis Das Stirnradgetriebe ist weitverbreitet: Einsatzbereiche reichen vom Landmaschinenbau über Uhrwerke, elektronische Geräte (z. B. die DVD-Lade von Computern bzw. Unterhaltungselektronik), bis zu Kfz-Schaltgetriebe oder große, mehrere hundert Kilogramm schwere Industriegetriebe. Es besteht sogar die Möglichkeit, sehr kleine Stirnradgetriebe durch MEMS-Technologie herzustellen. MEMS steht für Micro-Electro-Mechanical Systems. Damit können Zahnraddurchmesser von weniger als einem Zehntel Millimeter produziert werden. Eingesetzt werden derart kleine Stirnradgetriebe für Positionieranwendungen in der Halbleiterindustrie. Die wichtigsten Vorteile von Stirnradgetrieben bestehen in der einfachen Bauweise und in ihrer Robustheit. Es werden nur wenige bewegte Teile benötigt. Die Herstellung der außenverzahnten Stirnräder ist bis zu den höchsten Präzisionsstufen sicher beherrschbar. Sie haben einen hohen Wirkungsgrad von bis zu 99 % durch die direkte, formschlüssige Übertragung. Nachteile sind die kleine Übersetzung (8:1) pro Stufe und das daraus folgende hohe Gewicht, wenn wegen der kleinen Übersetzung mehrere Stufen notwendig sind. Im Vergleich zum Planetengetriebe ist ein Stirnradgetriebe größer und damit schwerer bei gleicher Übertragungsleistung. Als weiterer Nachteil muss die geringere Laufruhe genannt werden.

12 Stirnradgetriebe243

12.3 Lehr- und Übungsmaterial „Stirnradgetriebe“ 12.3.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab. 12.1 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele zum Thema „Stirnradgetriebe“ und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Jedes Lehr-/Lernziel kann mithilfe didaktischer Methoden erreicht werden. Die Abschn.  12.3.2, 12.3.3 und 12.3.4 geben anschauliche Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Im Sinne der durch die Digitalisierung geforderten komplexen Problemlösungskompetenzen adressiert der Übungskatalog primär die Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So finden sich im Handlungsfeld „Konstruktion“ Verknüpfungen zum Qualitätsmanagement, zu Prozessoptimierung und digitaler Produktion. Im Handlungsfeld „Aufbau“ kann ein Bezug zur Werkstoffkunde, Verfahrenstechnik und dem Controlling hergestellt werden. Tab. 12.1  Kompetenzerwerb durch den Einsatz des Bausatzes „Stirnradgetriebe“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Komponenten des Stirnradgetriebes

• Einzelne Bauteile erklären • Werkstoffe der Bauteile benennen • Fertigungsverfahren der Bauteile anführen

• Bauteile nach ihrer Festigkeit sortieren • Unterschiedliche Fertigungsverfahren recherchieren • Eigenschaften unterschiedlicher Werkstoffe recherchieren

• Alternative Werkstoffe beurteilen • Mögliche Fertigungsverfahren bewerten

Technische Zeichnungen und Bemaßung des Stirnradgetriebes

• Bauteile in einer technischen Zeichnung erkennen • Messwerkzeuge und Bemaßungen beschreiben

• In einer technischen Zeichnung markierte Bauteile in der Realität auswählen • Bauteile ausmessen • Kenngrößen berechnen (z. B. Übersetzungsverhältnis)

• Messergebnisse bewerten • Messverfahren in der Praxis vergleichen

Montage des Stirnradgetriebes

• Baugruppen anführen • Benötigte Werkzeuge nennen

• Werkzeuge korrekt einsetzen • Komponenten richtig zusammenführen

• Qualität der Montage bewerten (z. B. Dauer, Anzahl der Fehler) • Optimierungspotenziale ableiten • Digitalisierungsmöglichkeiten ableiten

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [2].

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Zu jedem Handlungsfeld finden sich mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

12.3.2 Übungen zu „Komponenten des Stirnradgetriebes“ Um die im Handlungsfeld „Komponenten des Stirnradgetriebes“ dargestellten Kompetenzen zu vermitteln, werden zwei Methoden/Übungen vorgestellt: • Bilderquiz (N1 und N2), • COOL-Auftrag (N2 und N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

12.3.2.1 Bilderquiz Die Methode „Quiz“ ist ein Frage-Antwort-Spiel, das primär zur Abfrage von kognitivem Wissen dient. Es eignet sich besonders zum Einstieg in eine Thematik oder zur Wiederholung der wichtigsten Inhalte, kann aber auch zur Auflockerung von längeren Lehrveranstaltungsblöcken eingesetzt werden. Je nach verwendeten Medien kann ein Quiz kurzfristig in die Lehrveranstaltung integriert oder explizit geplant werden. Auch die Durchführung eines Quiz kann auf unterschiedliche Arten erfolgen. So ist es für alle Sozialformen (Einzelarbeit, Paar, Klein- und Großgruppe) geeignet und kann mündlich oder schriftlich durchgeführt werden [7]. An dieser Stelle wird das „Bilderquiz“ als Unterart der Methode vorgestellt (s.  Tab.  12.2), welches sowohl auditive als auch visuelle Lerntypen anspricht. Dies ist Tab. 12.2  Fact-Box: Bilderquiz „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden in den Bereichen Stirnradgetriebe, Bauteile und Werkstoffe ermitteln • Einführung in das Stirnradgetriebe • Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

10–30 min je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit oder Plenum – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Fotomaterial zum Stirnradgetriebe und dessen Komponenten

Lehr-/Lernziele

• Einzelne Bauteile erklären (N1) • Werkstoffe der Bauteile benennen (N1) • Fertigungsverfahren der Bauteile anführen (N1) • Bauteile nach ihrer Festigkeit sortieren (N2)

12 Stirnradgetriebe245

besonders für die technische Lehre wichtig, da Werkstücke oder Maschinenteile von den Lernenden aufgrund der Komplexität kaum visualisierbar sind. ▶▶

Tipp Das Bilderquiz kann entweder elektronisch mittels PowerPoint oder über eine Lernplattform, mit Schaukarten oder einem Bausatz „Stirnradgetriebe“ durchgeführt werden.

Maximaler Kompetenzerwerb wird dann erzielt, wenn auch das Bilderquiz mit realen Schaustücken durchgeführt wird. Mit Variante eins kann das Vorwissen der Studierenden ermittelt werden, Variante zwei eignet sich gut zur Festigung des Gelernten. 1. Die einzelnen Bauteile des Stirnradgetriebes werden für alle gut sichtbar platziert. Die Studierenden haben dann die Aufgabe, die Bauteile zu benennen und alternativ Eigenschaften dazu zu notieren. Nach der Einzelarbeit tauschen die Studierenden die Antwortbogen aus und kontrollieren die Ergebnisse. 2. Die Lehrperson zeigt nacheinander Bauteile und fragt nach deren Namen und Eigenschaften. Die Antwort kann von einer Person allein oder durch mehrere im Kollektiv (ergänzende Antworten) gegeben werden. Das Bilderquiz kann alternativ auch anhand von Abbildungen durchgeführt werden, welche mit einem Arbeitsblatt oder elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Wird mit Abbildungen gearbeitet, so muss darauf geachtet werden, dass diese in einer guten Qualität vorliegen, damit die Studierenden sich tatsächlich etwas darunter vorstellen können. Bildmaterial zum Stirnradgetriebe findet sich in der Übung „Reflexive Fertigungsaufgabe“ (s. Abschn. 12.3.4.2).

12.3.2.2 COOL-Auftrag Das Konzept „Cooperatives Offenes Lernen“ (COOL) ist primär im kaufmännischen Bildungsbereich angesiedelt, weist aber Ähnlichkeiten zur Projektarbeit in der Industrie auf. Basierend auf dem COOL-Auftrag (vergleichbar mit einem Projektauftrag) werden Arbeitspakete definiert, die in unterschiedlichen Sozialformen und in einem klar definierten Zeitrahmen zu bearbeiten sind. Durch diese Methode werden neben fachlichen Kompetenzen auch persönliche und soziale Kompetenzen trainiert [4, 6]. Der COOL-Auftrag eignet sich daher besonders, um die durch die Digitalisierung geforderten Kompetenzbereiche „vernetztes, problemlösungsorientiertes Denken“ und „Umgang mit großen Informationsmengen“ zu fördern (s. Tab. 12.3). ▶▶

Tipp Die Art der Präsentation kann variieren und hängt vom jeweiligen Ziel der Lehrveranstaltung ab. Sollen neben fachlichen und methodischen Kompetenzen auch persönliche Kompetenzen trainiert werden (wie das Präsentieren der

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Tab. 12.3  Fact-Box: COOL-Auftrag „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung in das Thema Fertigungsverfahren bzw. Werkstoffkunde • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, wie Controlling oder Präsentationstechnik • Förderung digitaler Kompetenzen (Informationsextraktion)

Zeit

c a. 3 EH Präsenzzeit (abhängig vom Umfang des Arbeitsauftrages und der Zahl der Studierenden), zuzüglich mind. 2 Wochen Recherche- und Ausarbeitungszeit

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit zu 3 Personen sowie Diskussion im Plenum

Raum/Platz

Hörsaal – für Großgruppen geeignet

Material

COOL-Auftrag, Digital Devices und Präsentationsmaterial

Lehr-/Lernziele

• Unterschiedliche Fertigungsverfahren recherchieren (N2) • Eigenschaften unterschiedlicher Werkstoffe recherchieren (N2) • Alternative Werkstoffe beurteilen (N3) • Mögliche Fertigungsverfahren bewerten (N3) • Auswirkungen des eigenen Handelns auf andere Unternehmensbereiche einschätzen (N3)

Ergebnisse), dann bietet sich eine Präsentation vor den Lehrveranstaltungsteilnehmern an. Es muss dann mit mehr zeitlichen Ressourcen geplant werden. Wird auf eine Präsentation verzichtet, so können die Ergebnisse auch nur in schriftlicher Form abgegeben werden.

Für das Thema „Stirnradgetriebe“ und die vorab definierten Lehr-/Lernziele könnte ein COOL-Auftrag wie in Abb. 12.6 formuliert werden.

12.3.3 Übungen zu „Technische Zeichnungen und Bemaßung“ Im Handlungsfeld „Technische Zeichnungen und Bemaßung“ werden die dargestellten Kompetenzen primär anhand von Konstruktionsplänen trainiert. Diese können unterschiedlich eingesetzt werden: • Kritischer Kollege (N1, N2 und N3), • Gruppengelenkte Einzelarbeit (N2 und N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

12 Stirnradgetriebe247

Abb. 12.6  COOL-Auftrag eines Stirnradgetriebes

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Tab. 12.4  Fact-Box: Kritischer Kollege „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Festigen der Grundlagen im Bereich technische Zeichnungen und Bemaßung • Aufbau von Mitsprachekompetenz hinsichtlich technischer Zeichnungen • Wiederholung des bisher Gelernten

Zeit

1 EH

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- und Partnerarbeit – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Konstruktionspläne eines Stirnradgetriebes, reales Modell eines Stirnradgetriebes

Lehr-Lernziele

• Bauteile in einer technischen Zeichnung erkennen (N1) • Messwerkzeuge und Bemaßungen beschreiben (N1) • In einer technischen Zeichnung markierte Bauteile in der Realität auswählen (N2) • Feedback geben und nehmen (N3)

12.3.3.1 Kritischer Kollege Die Methode „Kritischer Kollege“ basiert auf dem Prinzip des erklärenden Lernens, kombiniert mit Elementen des Übens. Zunächst erfolgt eine Übungsphase in Einzelarbeit. Die Ergebnisse daraus werden dann zu zweit besprochen. Dabei soll primär Anwendungssicherheit des Fachinhaltes geschaffen werden, wobei dies an Hochschulen anhand von Realkontexten geschehen sollte. Durch Erklären und aktives Zuhören bzw. Hinterfragen trainieren die Studierenden die Mitsprachekompetenz [7] (Tab. 12.4). ▶▶

Tipp Alternativ zum realen Modell des Stirnradgetriebes können auch Fotogra-

fien herangezogen werden.

Den Studierenden werden technische Skizzen eines Stirnradgetriebes zur Verfügung gestellt (gedruckt oder elektronisch). Anhand dieser Skizzen sollen nun unterschiedliche Aufgaben in Einzelarbeit gelöst werden. Der Arbeitsauftrag könnte beispielhaft wie folgt aussehen:

Beispiel

Technische Skizze eines Stirnradgetriebes (Abb. 12.7) Beantworten Sie folgende Fragen: Was sagt die Bemaßung aus? Ist das Bauteil Ihrer Meinung nach korrekt bemaßt? Wie wird ein Bauteil richtig bemaßt? Wie werden Toleranzen korrekt angegeben? Wurden die Aufgaben in Einzelarbeit gelöst, so werden die Ergebnisse mit dem Nachbarn besprochen. Dazu liest der Studierende die Ergebnisse einer Frage vor, sein Nachbar hört

12 Stirnradgetriebe249 Abb. 12.7  Technische Skizze eines Stirnradgetriebes

aktiv zu und stellt kritische Fragen oder bestätigt das Ergebnis. Die Studierenden wechseln sich bei jeder Frage ab.

12.3.3.2 Gruppengelenkte Einzelarbeit Die gruppengelenkte Einzelarbeit (s. Tab. 12.5) ist eine Methode, die gerade für die berufliche Bildung besondere Relevanz hat. Ziel ist es, durch aktives Tun Lernhandlungen mit beruflichen Handlungen zu verknüpfen. Ausgehend von der Erstinformation durch die Lehrperson findet zunächst eine Beratungs- und Planungsphase in der Gruppe statt. Dabei werden gemeinsam Umsetzungsstrategien diskutiert und entwickelt. Diese geben den Rahmen für die Phase der Ausführung vor, welche in Einzelarbeit durchgeführt wird. Abschließend werden die Ergebnisse der Einzelarbeiten in der Gruppe analysiert und bewertet [7]. ▶▶

Tipp Die Dauer variiert je nachdem, wie viel Wert auf die Gruppendiskussionen

gelegt wird. Dabei ist zu beachten, dass die Lehrperson die Moderation leiten sollte, um ein Abschweifen zu verhindern.

Folgende Aufgabenstellung könnte von der Lehrperson gegeben werden:

Beispiel

1. Bewerten Sie anhand der technischen Skizze die Bemaßung der Bauteile anhand folgender Kriterien: a. Richtigkeit/Qualität der Angaben (inklusive Toleranzen), b. Informationsgehalt (Welche Kenngrößen können berechnet werden bzw. welche sind sinnvoll?). 2. Ermitteln Sie, welche Messverfahren in der Praxis zur Bemaßung von technischen Skizzen angewandt werden, und vergleichen Sie die Ergebnisse anhand sinnvoller Kriterien.

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Tab. 12.5  Fact-Box: Gruppengelenkte Einzelarbeit „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Erarbeiten der Themen „Bauteile ausmessen und Kenngrößen berechnen“ und „Geeignete Messverfahren“ • Epochale Lehrveranstaltung zur Mathematik • Aufbau von Mitsprachekompetenz hinsichtlich technischer Zeichnungen und Messverfahren • Erwerb analytischer Kompetenzen • Schulung des Umgangs mit digitalen Medien und großen Datenmengen

Zeit

1 EH Präsenzzeit (abhängig vom Umfang des Arbeitsauftrages und der Zahl der Studierenden) zur Planung und Beratung, mind. 1 Woche Zeit für die Ausführung, 1 EH Präsenzzeit für die Analyse und Bewertung

Gruppengröße/Sozialform

Einzel- und Gruppenarbeit (3–5 Personen) – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Tischgruppen (Raum muss groß genug sein, dass sich die Gruppen bei der Ausarbeitung nicht gegenseitig stören)

Material

Konstruktionspläne eines Stirnradgetriebes, reales Modell eines Stirnradgetriebes

Lehr-/Lernziele

• Bauteile ausmessen (N2) • Kenngrößen berechnen (z. B. Übersetzungsverhältnis) (N2) • Messergebnisse bewerten (N3) • Messverfahren in der Praxis vergleichen (N3) • Große Datenmengen auf Relevanz überprüfen (N3)

Die Aufgabenstellung wird zunächst in der Gruppe diskutiert, und es wird gemeinsam ein Vorgehensmodell entwickelt, nach welchem die Studierenden die Aufgaben in Einzelarbeit lösen. Die Einzelarbeit erfolgt außerhalb der Präsenzzeit. Nach der Erarbeitungsphase werden die Einzelergebnisse in der Gruppe zusammengeführt und zur Präsentation oder Abgabe aufbereitet.

12.3.4 Übungen zu „Montage des Stirnradgetriebes“ Das Handlungsfeld „Montage des Stirnradgetriebes“ adressiert primär Kompetenzen der zweiten und dritten Niveaustufe und setzt entsprechendes kognitives Grundlagenwissen der Studierenden voraus. Folgende Methoden sind für den Kompetenzerwerb geeignet: • Mindmap (N1), • Reflexive Fertigungsaufgabe (N2 und N3), • Ideensalat (N3).

12 Stirnradgetriebe251

Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

12.3.4.1 Mindmap Mindmapping ist eine zeitsparende Methode zur visuellen Strukturierung von Themen und ist für alle Sozialformen geeignet. Besonders visuellen Lerntypen erleichtert ein Mindmap die Orientierung in einem Fachbereich und unterstützt damit den Kompetenzaufbau. Inhalt eines Mindmaps sind Assoziationen zu einem bestimmten Thema, die entsprechend ihrer Zugehörigkeit geordnet werden [7]. Die nachfolgende Tab.  12.6 gibt einen Überblick über die Rahmenbedingungen der Methode. ▶▶

Tipp Ein Mindmap kann für jegliche Lehr-/Lernziele des Niveaus eins eingesetzt

werden und eignet sich vor allem für Inhalte mit vielen Untergliederungsmöglichkeiten oder Varianten. Das Mindmap bringt Struktur in die Fakten und hilft Zusammenhänge zu erkennen. Weiters kann Mindmapping gut mit der Methode „Brainstorming“ verbunden werden, wenn es in der Großgruppe beispielsweise zum Einstieg in ein Thema erstellt wird.

Möchte die Lehrperson beispielsweise den aktuellen Wissensstand der Studierenden zum Thema „Montage eines Stirnradgetriebes“ ermitteln, so könnte die Frage lauten: Welche Begriffe fallen Ihnen im Zusammenhang mit der Montage eines Stirnradgetriebes ein? Die Studierenden geben dazu Wortmeldungen ab, die von der Lehrperson gesammelt werden. Nach der letzten Wortmeldung sammelt die Lehrperson die Angaben zu einem Mindmap, wiederholt dabei die genannten Begriffe und stellt eine Struktur her. Das Mindmap könnte entsprechend Abb. 12.8 aussehen.

Tab. 12.6  Fact-Box: Mindmap „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Abfragen des aktuellen Wissensstandes • Einstieg in das Thema (Visualisierung dient als Agenda für den weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung) • Wiederholung des Themas Stirnradgetriebe

Zeit

5 min

Gruppengröße/Sozialform

Plenum – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Smartboard, Whiteboard oder Tafel zur Visualisierung

Lehr-/Lernziele

• Baugruppen anführen (N1) • Benötigte Werkzeuge nennen (N1)

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Abb. 12.8  Mindmap „Montage eines Stirnradgetriebes“

12.3.4.2 Reflexive Fertigungsaufgabe – Baukasten Kernelement technischer Lehre ist das aktive Tun der Studierenden in unterschiedlichen Ausprägungen. Eine Möglichkeit stellt die reflexive Fertigungsaufgabe mittels Baukasten dar. Dabei fertigen die Studierenden „planvoll und gezielt einen Gegenstand nach einem vorgegebenen Entwurf“ [7] an und reflektieren über die Qualität des Fertigungsprozesses bzw. des Ergebnisses [7]. Voraussetzung dafür ist das Vorliegen eines realitätsgetreuen Bausatzes, wie jener der Firma G.U.N.T. Gerätebau GmbH. Der Bausatz „Stirnradgetriebe“ beinhaltet ein einstufiges, in sich geschlossenes Festgetriebe mit eigenem Gehäuse. Die einzelnen Bestandteile können händisch, mit einfachen Werkzeugen montiert werden [5]. Der Bausatz kann unterstützend auch bei anderen Übungsbeispielen eingesetzt werden. Ein entsprechender Hinweis findet sich bei der jeweiligen Beschreibung. Tab.  12.7 beschreibt die Methode am Beispiel „Stirnradgetriebe“ näher. Hintergrundinformation Der vorgestellte Bausatz ist von der G.U.N.T. Gerätebau GmbH [5] entwickelt worden und umfasst ergänzend umfangreiches Übungsmaterial. Für den Einsatz in der Lehrveranstaltung können auch andere Bausätze verwendet werden. Wichtig ist dabei lediglich, dass die Komponenten realitätsgetreu sind und sich ähnlich wie im vorgestellten Beispiel zusammenbauen lassen.

Die Übung verläuft in fünf Phasen: • • • • •

Phase 1: erster Montagedurchlauf, Phase 2: Reflexion und Ableiten von Optimierungsmöglichkeiten, Phase 3: Input durch die Lehrperson (5S-Methode), wenn nötig, Phase 4: zweiter Montagedurchlauf, Phase 5: Reflexion und Ableiten von Digitalisierungsmöglichkeiten.

Phase 1: Anhand einer Aufbauanleitung (Aufbauanleitung inklusive Fotos, s. Anhang Abschn. 12.4) sollen die Studierenden ein Stirnradgetriebe montieren. Dabei werden die

12 Stirnradgetriebe253 Tab. 12.7  Fact-Box: Reflexive Fertigungsaufgabe „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Erarbeiten des Themas „praktische Anwendungen des Stirnradgetriebes“ • Erarbeiten des Themas „Produktion des Stirnradgetriebes“ • Üben der richtigen Verwendung von Werkzeugen • Bewusstseinsbildung in den Bereichen „Strukturiertes Arbeiten (5S-Methode)“ und „Auswirkungen des eigenen Handelns auf den Produktionsprozess“

Zeit

1 EH

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit (mind. 4 Personen je Gruppe)

Raum/Platz

Tischgruppen (jede Gruppe muss so viel Platz haben, dass sie sich gegenseitig beim Zusammenbauen der einzelnen Komponenten nicht behindern)

Material

Bausatz „Stirnradgetriebe“ inkl. Werkzeug (je Gruppe) und Aufbauanleitung

Lehr-/Lernziele

• Werkzeuge korrekt einsetzen (N2) • Komponenten richtig zusammenführen (N2) • Qualität der Montage bewerten (z. B. Dauer, Anzahl der Fehler) (N3) • Optimierungspotenziale ableiten (N3) • Digitalisierungsmöglichkeiten ableiten (N3)

Gruppen in zwei Teilgruppen aufgeteilt, die sich jeweils mit Baugruppe 1 oder Baugruppe 2 beschäftigen. Die Baugruppen werden am Ende zusammengefügt. Im ersten Durchgang gibt die Lehrperson keine weiteren Hinweise zur Montage und lässt die Gruppen selbstgesteuert arbeiten. Wichtig ist, dass die Montagezeit der jeweiligen Gruppen ab Ausgabe der Bausätze gemessen wird. Dies ist notwendig für den zweiten Durchgang Phase 2: In der Regel arbeiten die Gruppen unterschiedlich strukturiert. Dadurch ergibt sich ein deutlicher Zeitunterschied. Diesen gilt es im zweiten Durchgang zu optimieren. Dazu wird im Plenum über den Montageprozess reflektiert, wobei die Studierenden versuchen, Optimierungsmöglichkeiten zu finden. Phase 3: Sofern nicht von den Studierenden genannt, erklärt die Lehrperson, wie durch methodisches Vorgehen (z. B. mithilfe von 5S) eine Optimierung möglich ist. Phase 4: Zweiter Montagedurchlauf unter Berücksichtigung der 5S-Methode. Phase 5: In der Gruppe wird reflektiert, ob und welche Prozessschritte digitalisiert werden können und ob dies sinnvoll wäre.

12.3.4.3 Ideensalat Die Methode „Ideensalat“ ist eine Art der gemeinschaftlichen Themensammlung und Ausarbeitung. Die Lehrperson gibt Fragestellungen oder Impulse vor, zu welchen jeder Studierende Ideen notiert. Dabei muss jeder Impuls auf einem eigenen Blatt Papier notiert

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bzw. in eine eigene Kategorie eines Forums (bei elektronischer Bearbeitung) gepostet werden. In einer zweiten Phase werden die einzelnen Impulse auf Kleingruppen aufgeteilt, welche die gegebenen Antworten analysieren, diskutieren und bewerten. Das Ergebnis der Reflexion wird dann in der Großgruppe diskutiert [7]. Aus Tab.  12.8 sind die zur Umsetzung der Methode nötigen Rahmenbedingungen ersichtlich. ▶▶

Tipp Die Methode „Ideensalat“ ist besonders effizient, wenn die Lehrperson

vorab Leitfragen verfasst. Je mehr Studierende in der Gruppe sind, desto mehr Leitfragen sind nötig, um effizientes Arbeiten zu gewährleisten.

Für die genannten Lehr-/Lernziele können beispielsweise folgende Leitfragen formuliert werden:

Beispiel

• Wie kann der Fertigungsprozess eines Stirnradgetriebes optimiert werden? • Welche Digitalisierungsmöglichkeiten gibt es bei der Produktion bzw. dem Einsatz eines Stirnradgetriebes? Die Studierenden beantworten die Fragen zunächst in Einzelarbeit (entweder im Rahmen der Lehrveranstaltung oder außerhalb der Präsenzzeit). Dann finden sich die Studierenden in Themengruppen zu maximal fünf Personen zusammen und diskutieren die eingebrachten Vorschläge zu einem Thema. Bei einer größeren Anzahl an Studierenden können die Tab. 12.8  Fact-Box: Ideensalat „Stirnradgetriebe“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vertiefung/Aufbau von Expertenwissen im Bereich Produktions- bzw. Prozessoptimierung • Verknüpfung zur Digitalisierung herstellen • Vernetzung zu anderen Fachgebieten herstellen, wie Qualitätsmanagement, Prozessmanagement oder angewandte Informatik

Zeit

2 EH Präsenzzeit oder alternativ 1 Woche Vorbereitungszeit und 1 EH Präsenzzeit

Gruppengröße/ Sozialform

Einzel- und Gruppenarbeit sowie Plenum – für Großgruppen geeignet

Raum/Platz

Tischgruppen (Raum muss groß genug sein, dass sich die Gruppen bei der Ausarbeitung nicht gegenseitig stören)

Material

Leitfragen, Papier, digitale Geräte für Recherche (z. B. Smart Phone, Tablet etc), FlipChart und FlipChart-Stifte für die Reflexion

Lehr-Lernziele

• Optimierungspotenziale ableiten (N3) • Digitalisierungsmöglichkeiten ableiten (N3)

12 Stirnradgetriebe255

Ergebnisse einer Frage auf mehrere Gruppen aufgeteilt werden. Die Studierenden bewerten und priorisieren die Ergebnisse anhand von ihnen selbst festgelegter Kriterien. Die Ergebnisse werden dann von jeder Gruppe vorgestellt und im Plenum diskutiert.

12.4 Anhang 12.4.1 Aufbauanleitung „Stirnradgetriebe“ Das Stirnradgetriebe besteht im Wesentlichen aus zwei Baugruppen (BG), anhand welcher die Montage des Stirnradgetriebes erfolgt (Abb. 12.9). Zur Montage des Stirnradgetriebes wird das Werkzeug von Abb. 12.10 benötigt.

Abb. 12.9  Baugruppen des Stirnradgetriebes Abb. 12.10  Werkzeuge zur Montage des Stirnradgetriebes

256

12.4.2 Montage Baugruppe 1: Antriebseinheit Siehe hierzu Abb. 12.11, 12.12, 12.13, 12.14, 12.15, 12.16, 12.17.

Abb. 12.11  Montage Baugruppe 1 (Schritte 1–3)

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12 Stirnradgetriebe257

Abb. 12.12  Montage Baugruppe 1 (Schritte 4–7)

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Abb. 12.13  Montage Baugruppe 1 (Schritte 8–10)

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12 Stirnradgetriebe259

Abb. 12.14  Montage Baugruppe 1 (Schritte 11–14)

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Abb. 12.15  Montage Baugruppe 1 (Schritte 15–18)

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12 Stirnradgetriebe261

Abb. 12.16  Montage Baugruppe 1 (Schritte 19–22)

262

Abb. 12.17  Montage Baugruppe 1 (Schritt 23)

12.4.3 Montage Baugruppe 2: Abtriebseinheit Siehe hierzu Abb. 12.18, 12.19, 12.20, 12.21, 12.22, 12.23.

Abb. 12.18  Montage Baugruppe 2 (Schritte 1–2)

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12 Stirnradgetriebe263

Abb. 12.19  Montage Baugruppe 2 (Schritte 3–6)

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Abb. 12.20  Montage Baugruppe 2 (Schritte 7–10)

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12 Stirnradgetriebe265

Abb. 12.21  Montage Baugruppe 2 (Schritte 11–13)

266

Abb. 12.22  Montage Baugruppe 2 (Schritte 14–17)

W. Irsa und S. R. Sorko

12 Stirnradgetriebe267

Abb. 12.23  Montage Baugruppe 2 (Schritte 18–20)

268

W. Irsa und S. R. Sorko

12.4.4 Zusammenbau von Baugruppe 1 und Baugruppe 2 Siehe hierzu Abb. 12.24

Abb. 12.24  Zusammenbau der Baugruppen 1 und 2

12 Stirnradgetriebe269

Literatur 1. Bartenschlager J, Dillinger J, Escherich W, Günter W, Ignatowitz E, Oesterle S, Reißler L, Stephan A, Vetter R, Wieneke F (2013) Fachkunde Metall, 57. Aufl. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten 2. Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR (1956) Taxonomy of educational objectives: The classification of educational goals. Handbook I: cognitive domain. David McKay Company, New York 3. DIN 3990-1:1987-12: Tragfähigkeitsberechnung von Stirnrädern; Einführung und allgemeine Einflußfaktoren 4. Greimel-Fuhrmann B, Rechberger J (2008) Wenn Schüler selbstorganisiert lernen, was tun dann die Lehrer? Analyse der Anforderungen an Lehrkräfte, gezeigt am Beispiel des kooperativen offenen Lernens an berufsbildenden Schulen. bwpat Ausgabe 13. http://www.bwpat.de/ ausgabe13/greimel-fuhrmann_rechberger_bwpat13.shtml. Zugegriffen: 20. März 2018 5. GUNT Gerätebau GmbH. online http://www.gunt.de/de/. Zugegriffen: 20. März 2018 6. Mathes C (2009) Wirtschaft unterrichten – Methodik und Didaktik der Wirtschaftslehre. Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten 7. Peterßen WH (2009) Kleines Methoden-Lexikon. Oldenbourg Schulbuchverlag, München 8. Wittel H, Muhs D, Jannasch D, Voßiek J (2015) Roloff/Matek Maschinenelemente. Normung, Berechnung, Gestaltung – Lehrbuch und Tabellenbuch, 22. Aufl. Springer Vieweg, Wiesbaden

MPS Workstation Regelungstechnik zum Begreifen

13

Barbara Mayer und Eva Maria Neubauer

Zusammenfassung

Dieses Kapitel enthält eingangs grundlegende Begrifflichkeiten und Fachinhalte zur Regelungstechnik. Daran anknüpfend werden unterschiedliche Reglertypen sowie Regelstrecken und deren Einsatzbereiche beschrieben. Darüber hinaus gibt das Kapitel Einblick in den Aufbau und die Funktionsweise der Festo MPS Workstation. Im methodischen Teil werden Übungen vorgestellt, die Kompetenzen auf allen Niveaustufen in den Handlungsfeldern „Grundlagen zu Steuerung und Regelung“, „Komponenten der Workstation (Aktorik und Sensorik)“ sowie „Automatische Regelung“ trainieren.

13.1 Grundbegriffe der Regelungstechnik Die Regelungstechnik ist eine Disziplin, die sich mit der Herausforderung beschäftigt, einen sich zeitlich verändernden Prozess so zu beeinflussen, dass dieser einer vorgegebenen Weise entspricht. Hierbei ist es die Aufgabe des Reglers, eine (oder mehrere) physikalische Größe(n) mittels Veränderung einer (oder mehrerer) beeinflussbarer Größe(n) trotz Einfluss äußerer Größen (Störgrößen) auf einen gewissen Sollwert zu bringen und dort stabil zu halten. Als Grundlage für die Berechnung der beeinflussbaren Größe dienen dem Regler die Sollvorgabe (Führungsgröße) und der gemessene Istwert der Regelgröße. Dieser zyklisch wiederkehrende Kreislauf und der damit verbundene Zusammenhang der beschriebenen Größen wird in einem Regelkreis abgebildet (Abb. 13.1) [10].

B. Mayer (*) · E. M. Neubauer Graz, Österreich e-mail: [email protected] © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6_13

271

272

B. Mayer und E. M. Neubauer

Abb. 13.1  Blockschaltbild eines Standard-Eingrößenregelkreises

Eine solche Aufgabenstellung ist nicht nur in der Technik, sondern auch im täglichen Leben anzutreffen. Beispiele sind hier die Raumtemperaturregelung, Tempomaten als Assistenzsystem im Auto, aber auch die körpereigene Regelung des Blutzuckerhaushalts oder der Körpertemperatur. Konkreter formuliert kann gesagt werden, dass sich die Regelungstechnik mit der Steuerung dynamischer Systeme auseinandersetzt. Für die nachfolgenden Zusammenhänge bedarf es einer näheren Beschreibung der Begriffe „dynamisches System“ und „Steuerung“. Diese Begriffe lassen sich wie folgt definieren: „Ein dynamisches System wird als eine Funktionseinheit bezeichnet, deren wichtigsten Kenngrößen sich zeitlich ändern und deshalb als Funktion der Zeit dargestellt werden [10].“ In diesem Kontext wird zwischen Eingangsgrößen, die auf das dynamische System einwirken und zeitliche Veränderungen innerhalb des Systems verursachen, und Ausgangsgrößen unterschieden. Ausgangsgrößen beschreiben das Verhalten eines Systems als Reaktion auf die Eingangsgröße. „Unter Steuerung wird die zielgerichtete Beeinflussung von dynamischen Systemen verstanden [10].“ Für die zielgerichtete Beeinflussung von dynamischen Systemen kommt hier der Begriff der Steuergröße zum Tragen. Mit Hilfe einer Regeleinheit kann die Steuergröße in direkter Abhängigkeit zur Ausgangsgröße berechnet werden. Dieser Prozess geschieht in sehr kurzen Zeitabständen, also kontinuierlich bzw. quasikontinuierlich. Die Steuergröße und das dynamische System stehen dadurch in ständiger Wechselwirkung und bilden einen Kreislauf. Es handelt sich hierbei um eine Steuerung im geschlossenen Wirkungsbereich (closed loop) oder vereinfacht gesagt um eine Regelung [10]. Zusammengefasst bedeutet dies, dass sich die Regelung von der Steuerung dahingehend unterscheidet, dass bei einer Regelung die Ausgangsgröße eine Auswirkung auf die Steuergröße hat. Da dieser Zusammenhang wiederum die Ausgangsgröße beeinflusst, liegt dadurch eine kreisförmige Verknüpfung vor – es wird von einem Regelkreis gesprochen, wie in Abb. 13.1 dargestellt. Es liegt also ein dynamisches System – die Regelstrecke – vor. Des Weiteren ist eine von außen beeinflussbare Größe (Stellgröße) und eine messbare Größe (Regelgröße) gegeben. Die Aufgabenstellung besteht darin, die Regelgröße auf einen gewünschten konstanten Wert zu halten und gleichzeitig die Wirkung von äußeren Störungen (Störgröße) zu kompensieren. Die Regelgröße hängt hierbei unmittelbar mit der Stellgröße u(t) und der Störgröße d(t), die nicht beeinflussbar ist, zusammen. Das Ziel der Regeleinric­htung ist es deshalb, die Stellgröße unter Berücksichtigung der Störgröße so zu wählen, dass

13  MPS Workstation273

die Regelgröße y(t) zu allen Zeitpunkten der Führungsgröße w(t), also e (t ) =w (t ) – y (t ), entspricht. Aus der Führungsgröße und der aktuell gemessenen Regelgröße wird als Eingang für den Regler die sogenannte Regelabweichung e(t) als Differenz der Führungs- und der Regelgröße (bzw. Summe der Führungsgröße und der negativ genommenen Regelgröße) berechnet: e (t ) =w (t ) --y (t ) .

13.1.1 Reglertypen Beim Entwurf eines Reglers kommt es essenziell auf das Verständnis des zu regelnden Prozesses bzw. auf die Modellierung des zugrunde liegenden dynamischen Systems an. Dynamische Systeme können anhand der Eigenschaften ihrer Größen in deterministische oder stochastische, zeitdiskrete oder zeitkontinuierliche, Systeme mit konzentrierten oder verteilten Parametern sowie zeitvariante und zeitinvariante Systeme unterteilt werden. Letzteren werden wiederum lineare und nichtlineare Systeme zugeordnet. Bei den für die didaktischen Zwecke hier betrachteten Systemen handelt es sich um lineare zeitinvariante Systeme. Diese werden mathematisch über gewöhnliche Differenzialgleichungen mit konstanten Koeffizienten beschrieben. Der mathematische Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsgröße – also Stellund Regelgröße – eines linearen dynamischen Systems wird über eine Übertragungsfunktion G(s) im Frequenzraum beschrieben. Diese kann mathematisch als Quotient der Laplace-Transformierten der Ausgangsgröße Y(s) und der Eingangsgröße U(s) mit G (s) =Y (s) /U (s) formuliert werden [10]. Für den Reglerentwurf ist daher das Übertragungsverhalten des Systems entscheidend. Die geeignete Wahl des Reglers und dessen (Start-)Parameter können daraus abgelesen werden.

13.1.1.1 P-Regler Der P-Regler (Proportionalregler) weist ein proportionales Übertragungsverhalten auf. Beim P-Regler wird also die Stellgröße u(t) proportional zur Regelabweichung e(t) berechnet. Ist die Regelabweichung e(t) groß, ist auch der Wert der Stellgröße u(t) groß. Bei kleiner Regelabweichung e(t) ist auch die Stellgröße entsprechend klein. Mit dem Regelalgorithmus wird aus der Regelabweichung e(t) dynamisch die Stellgröße u(t) berechnet. Die Übertragungsfunktion des Reglers kann mit G R (s) =U (s) /E (s) =Kp angegeben werden. U(s) bzw. E(s) bezeichnen hier die Laplace-Transformierte von u(t) bzw. e(t). Wegen des fehlenden Zeitverhaltens reagiert der P-Regler unmittelbar, jedoch ist sein Einsatz sehr begrenzt, weil die Verstärkung je nach Verhalten der Regelstrecke stark reduziert werden muss [10]. Abb. 13.2 zeigt die Einheitssprungantwort des P-Reglers, also das Ausgangssignal des Reglers, wenn die Eingangsgröße des Reglers mit Sprungfunktion zugeführt wird.

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B. Mayer und E. M. Neubauer

Abb. 13.2  Sprungantwort des P-Reglers

13.1.1.2 I-Regler Der I-Regler weist integratives Übertragungsverhalten auf. Die Änderungsgeschwindigkeit der Ausgangsgröße wird von der Höhe der Amplitudenänderung der Eingangsgröße bestimmt. Der I-Regler integriert und summiert die Regelabweichung e(t) über die Zeit auf. Die Übertragungsfunktion des Reglers kann mit G R (s) =U (s) /E (s) =K I /s bezeichnet werden. KI gilt hier als Verstärkungsfaktor. Die Nachstellzeit TN = 1/KI bedingt hierbei die Gewichtung. Bei einem reinen I-Regler entspricht TN dem Gradienten des Anstiegs. Der I-Regler ist durch seine (theoretisch) unendliche Verstärkung ein genauer, aber langsamer Regler [10]. Abb. 13.3 zeigt die Einheitssprungantwort des I-Reglers, also das Ausgangssignal des Reglers, wenn die Eingangsgröße des Reglers mit Sprungfunktion zugeführt wird. 13.1.1.3 D-Glied Das D-Glied ist ein Differenzierer, der nur in Verbindung zu Reglern mit P- und/oder I-Verhalten als Regler eingesetzt wird. Er reagiert nicht auf die Höhe der Regelabweichung e(t), sondern nur auf deren Änderungsgeschwindigkeit. Je größer die Änderungsgeschwindigkeit, desto stärker wirkt der D-Anteil. Die Übertragungsfunktion ist mit G R (s) =U (s) /E (s) =K D*s . KD wird auch als Vorhaltzeit TV bezeichnet. Er verstärkt daher die Regelabweichung mit hoher Frequenz stark, somit verstärkt er in unerwünschter Weise auch Rauschen am Reglereingang. Seine Realisierung ist daher in der Praxis oft problematisch. Abb. 13.4 zeigt die Einheitssprungantwort des D-Reglers, also das Ausgangssignal des Reglers, wenn die Eingangsgröße des Reglers mit Sprungfunktion zugeführt wird. Abb. 13.3  Sprungantwort des I-Reglers

13  MPS Workstation275 Abb. 13.4  Sprungantwort des D-Reglers

13.1.1.4 PID-Regler Aus den drei oben genannten elementaren zeitinvarianten Übertragungsgliedern P, I und D lassen sich die Variationen PI, PD und PID Regler kombinieren. Der PID-Regler ist der in der industriellen Praxis am häufigsten eingesetzte Reglertyp. Er besteht aus den linearen zeitinvarianten Übertragungsgliedern P, I und D. Die Übertragungsfunktion besteht daher zusammengesetzt aus den Übertragungsfunktionen der einzelnen Glieder. Sie lautet für den (idealen) PID-Regler G R (s) =K P+K I /s+K D*s. Dadurch wird neben einer schnellen Reaktion und dem Ausgleich der bleibenden Regelabweichung e(t) auch die Änderungsgeschwindigkeit der Regelabweichung e(t) berücksichtigt. Erhöht sich die Regelabweichung e(t) stark, sorgt der D-Anteil zunächst für eine kurzzeitige, extreme Überhöhung der Stellgröße u(t). Während der Einfluss des D-Anteils sofort wieder zurückgeht, wächst langsam der I-Anteil an. Ändert sich die Regelabweichung e(t) wenig, ist der Anteil des D-Verhaltens vernachlässigbar. Abb. 13.5 zeigt die Einheitssprungantwort des PID-Reglers, also das Ausgangssignal des Reglers, wenn die Eingangsgröße des Reglers mit Sprungfunktion zugeführt wird.

13.1.2 Regelstrecken Die Regelung einer bestimmten physikalischen Größe weist fast immer ein spezifisches Problem auf, wobei hier die Regelstrecke, also das dynamische System, dessen Ausgangsgröße die Regelgröße ist. Für jede der im Folgenden genannten Regelstrecken gilt es in der Übung, an der Festo MPS Workstation die jeweils passenden Regler der in Abschn. 13.1.1 beschriebenen Typen zu untersuchen. Ein kurzer Überblick sei nachfolgend über Besonderheiten und Unterschiede jener Regelstrecken gegeben, die an der Festo MPS® PA praktisch behandelt werden können. Eine Charakterisierung der Regelstrecke erfolgt in der klassischen Regelungstechnik über Übertragungsfunktionen.

276

B. Mayer und E. M. Neubauer

Abb. 13.5  Sprungantwort des idealen PID-Reglers

13.1.2.1 Füllstandregelstrecke Füllstandregelungen bilden aus didaktischen Gründen oftmals den Einstieg in die Regelungstechnik, da die direkt sichtbare Regelgröße – die Füllstandhöhe eines Behälters – ein besonders anschauliches Experiment darstellt und die Dynamik des Systems ist. Mittels einer Pumpe wird hierbei Wasser aus einem Vorratsbehälter in den Zieltank befördert. Als mögliche Störgrößen dienen Klappen oder stufenlose Ventile, die mehr oder weniger Abfluss bewirken. 13.1.2.2 Durchflussregelstrecke Diese Art von Regelung verhält sich in der Praxis ähnlich wie schnelle Druckregelungen. Voraussetzung für eine Durchfluss- und Mengenregelung ist eine hochwertige und störunempfindliche Ausführung der Sensorik. Die Stellglieder sind meist Ventile, wobei die Qualität der Stellsignale hinsichtlich Verschleiß und Verbrauch an pneumatischer Hilfsenergie eine wesentliche Rolle spielt. Regler mit einem D-Anteil sind daher bei Durchflussregelungen nicht ratsam. Zur Messung des Durchflusses können Strömungszähler, Wirkdruckmesser, Verdrängungszähler oder Ultraschalldurchflussmesser eingesetzt werden. 13.1.2.3 Druckregelstrecke Druckregelungen, wie beispielsweise in Rohrleitungen, können im Allgemeinen als schnelle Regelungen gesehen werden. Regelungen dieser Art, die in großen Behältern eingesetzt werden, verhalten sich dagegen eher wie Temperaturregelstrecken. Abhängig von der Art und Lage der Stelleinrichtung können Druckregelungen eine positive oder eine negative Wirkung haben. So kann das Öffnen eines Ventils in einem Zulauf einen Druckanstieg bewirken. Der Eingriff über ein Ventil im Ablauf bewirkt wiederum einen Druckabfall. Druckregelstrecken sind in der Regel reine Verzögerungsstrecken niedriger Ordnung und sind damit leicht zu optimieren. Die Messung erfolgt über Resonanzdrahtsensoren, induktive, piezoresistive oder kapazitive Verfahren mit Dehnungsmessstreifen.

13  MPS Workstation277

13.1.2.4 Temperaturregelstrecke Temperaturregelstrecken zählen in der Regelungstechnik zu den einfachen Regelungsaufgaben. Diese laufen meist, aufgrund ihres unterschiedlichen Verhaltens beim Aufheizen und Abkühlen, unsymmetrisch ab und erhalten durch die eingesetzte Sensorik und Aktorik ein nichtlineares Verhalten. Temperaturregelungen zählen zu den langsamen Regelvorgängen und sind dennoch schwer zu optimieren, da sie oftmals Kopplungen von Stell- und Regelgrößen aufweisen. Zum Messen der Temperatur werden Thermoelemente, Widerstandsthermometer und Pyrometer eingesetzt.

13.2 Aufbau und Funktionsweise der „MPS Workstation“ Die MPS PA Workstation ist ein Lernmodell mit vier kombinierten Regelstrecken. Die Workstation ist mit unterschiedlichsten binären und analogen Sensoren und Aktuatoren ausgestattet, die je nach Regler einzeln, parallel oder kaskadiert betrieben werden können. Abb. 13.6 zeigt die MPS PA Compact Workstation. In der kompakten Einheit sind sämtliche Bestandteile für eine Füllstand-, Temperatur-, Druck- und Durchflussregelung vorhanden. Es ist möglich, die jeweiligen Regelkreisläufe einzeln zu betreiben. Abb. 13.6  MPS PA Compact Workstation [4]

278

B. Mayer und E. M. Neubauer

Die gegenwärtig verwendete Grundausführung setzt sich unter anderem aus folgenden wesentlichen Bauteilen zusammen: • • • • •

Behälter zur Wasseraufnahme, Rohrsystem, Heizstab, Anschlussboard inklusive Messwandler, sämtliche Dokumentationen.

Des Weiteren beinhaltet die Workstation sämtliche Aktoren- und Sensorenbestandteile für eine Füllstand-, Temperatur-, Druck- und Durchflussregelung. Diese sind v. a. Ultraschall-, Druck-, Durchfluss- und Temperatursensoren sowie Messumformer, kapazitive Sensoren, Schwimmschalter, eine zentrale Pumpe und Elektromotoren sowie ein pneumatisches Ventil, ein elektrisches Ventil und diverse Handventile.

13.3 Anwendungsfelder in der Praxis Grundlagen der Regelungstechnik finden sich in der Praxis in jedem Haushalt und sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. So beispielsweise bei der automatisierten Zentralheizung, der Klimaautomatik oder dem Tempomat. Aber auch in der industriellen Fertigung spielt die Regelungstechnik eine maßgebliche Rolle. Bei vielen Produktionsverfahren ist es notwendig, Umweltfaktoren wie die Temperatur oder den Druck während der Fertigung konstant zu halten, um eine gleichbleibende Qualität der produzierten Güter sicherstellen zu können. Die Regelungstechnik gibt laufend Rückmeldung, ob die notwendigen Kennwerte eingehalten werden.

13.4 Lehr- und Übungsmaterial „MPS Workstation“ 13.4.1 Lehr-/Lernziele und Kompetenzerwerb Tab. 13.1 beschreibt unterschiedliche Lehr-/Lernziele, die mithilfe der Festo MPS® PA Compact Workstation erreicht werden können, und ordnet diese unterschiedlichen Kompetenzniveaus zu. Jedes Lehr-/Lernziel kann durch didaktische Methoden erreicht werden. Die in den folgenden Abschn. 13.4.2, 13.4.3 und 13.4.4 vorgestellten Übungen dienen als Beispiele, wie die einzelnen Kompetenzen trainiert werden können. Besonderer Fokus liegt dabei auf den Niveaustufen Anwenden und Bewerten. Lehr-/Lernziele der dritten Niveaustufe nehmen stets Bezug auf andere Fachinhalte bzw. Lehrveranstaltungen. So finden sich im Handlungsfeld „Komponenten der Workstation“ Verknüpfungen zu Elektrotechnik und Controlling. Im Handlungsfeld „Betrieb der Workstation“ kann ein Bezug zu Prozessoptimierung und Verfahrenstechnik hergestellt werden.

13  MPS Workstation279 Tab. 13.1  Kompetenzerwerb zum Thema „MPS Workstation“ Handlungsfeld

Nennen (N1)

Anwenden (N2)

Bewerten (N3)

Grundlagen zu Regelung und Steuerung

• Abgrenzung der Begriffe „Steuerung“ und „Regelung“ • Theoretische Grundlagen zu Regelungen erklären (Regelkreis, Reglertypen etc.)

• Zusammenhänge der theoretischen Grundlagen zu Regelungen verstehen



Komponenten der Workstation (Aktorik und Sensorik)

• Bedeutung von Aktorik und Sensorik erkennen • Einzelne Aktoren und Sensoren identifizieren • Bauarten der Aktoren und Sensoren erkennen

• Detaillierte Funktionsweise der einzelnen Aktoren und Sensoren recherchieren • Auswahl der einzelnen Aktoren und Sensoren nachvollziehen • Eigene Erfahrungen mit Aktorik und Sensorik abrufen

• Alternative Aktoren und Sensoren beurteilen • Mögliche Alternativauswahl für die Workstation ergründen und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilen

Betrieb der Workstation

• Kernpunkte im Inbetriebnahme-vorgang nennen • Fließbild interpretieren

• Regelstrecke identifizieren • Funktionalitäten der Software zur Ansteuerung der Workstation ergründen • Steuerung „Mensch als Regler“ durchführen • Regelung durchführen

• Einzelne Reglertypen bewerten • Entscheidung über optimale Reglerauswahl für jeweilige Regelstrecke treffen

Der Kompetenzraster basiert auf einem vereinfachten Modell der Taxonomietabelle nach Bloom [2].

In den Abschn. 13.4.2, 13.4.3 und 13.4.4 finden sich zu jedem Handlungsfeld mögliche Übungsbeispiele. Dabei wird auch das jeweils angestrebte Kompetenzniveau in Klammern angegeben.

13.4.2 Übungen zu „Grundlagen zu Steuerung und Regelung“ Um die im Handlungsfeld „Grundlagen zu Steuerung und Regelung“ dargestellten Kompetenzen zu vermitteln, werden zwei Methoden/Übungen vorgestellt:

280

B. Mayer und E. M. Neubauer

• Concept Map (N1 und N2), • Schummelzettel (Spickzettel) (N2). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

13.4.2.1 Concept Map Die Methode „Concept Map“ ist verwandt mit der besser bekannten Mindmap-Methode. Sie bietet jedoch den entscheidenden Vorteil, dass Wissen nicht nur visualisiert, sondern auch organisiert wird und Zusammenhänge sichtbar werden. Die Methode eignet sich nicht nur als Instrument, um Lehrinhalte zu vermitteln, sondern kann auch zur Wissensüberprüfung und -präsentation verwendet werden. Sie kann außerdem auch gut als Orientierungshilfe während des Vortrags oder als Zusammenfassung präsentierter Inhalte eingesetzt werden. Der Erarbeitung eigener Concept Maps durch die Studierenden sollte – wenn ausreichend Zeit vorhanden ist – Vorzug gegeben werden. Dadurch findet eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Stoffgebiet statt, und Nichtwissen und nicht verstandene Zusammenhänge werden aufgedeckt [6, 10]. In Tab. 13.2 sind die wesentlichsten Rahmenbedingungen für den Einsatz der Methode „Concept Map“ angeführt. ▶▶

Tipp Die Concept Map kann entweder elektronisch über online verfügbare

Tools oder manuell mit Post-its auf einem Blatt Papier (mindestens A3) oder mit Hilfe von Kärtchen und einem Flipchart erstellt werden. Die Workstation selbst wird für diese Übung nicht benötigt.

Eine Concept Map besteht immer aus Begriffen (concepts) und deren Beziehungen zueinander (relationships). Die Begriffe bestehen aus einem oder mehreren Wörtern und werden in Kästchen dargestellt. Die Beziehungen werden über Linien, Pfeile und Tab. 13.2  Fact-Box: Concept Map „Grundlagen zu Steuerung und Regelung” Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Vorwissen der Studierenden in den Bereichen Steuerung und Regelung ermitteln • Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

1–2 EH, je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit bis zu 5 Personen

Raum/Platz

Hörsaal

Material

 eschreibung der Methode, Post-its und A3-Papier oder KärtB chen, Klebeband, Flipchart und Permanentmarker

Lehr-/Lernziele

• Abgrenzung der Begriffe „Steuerung“ und „Regelung“ (N1) • Zusammenhänge der theoretischen Grundlagen zu Regelungen verstehen (Regelkreis, Reglertypen etc.) (N2)

13  MPS Workstation281

Verbindungswörter oder -sätze hergestellt. Zudem ist eine Concept Map meist hierarchisch aufgebaut: Allgemeine Begriffe werden eher oben angeführt, nach unten hin werden speziellere Themen und ganz zuletzt isolierte Fakten genannt. Zu Beginn der Erarbeitung einer Concept Map durch die Studierenden steht die Festlegung des zu bearbeitenden Themengebietes, welches den Studierenden bereits bekannt und vertraut sein sollte. Am besten ist es, eine spezifische Fragestellung (sogenannte focus question) vorzugeben, welche mithilfe der Concept Map bearbeitet wird. Anhand von Kärtchen, Post-its oder eines Computerprogrammes wird eine vorläufige Concept Map erstellt und so oft wie nötig überarbeitet. Des Weiteren werden Querverweise auch zwischen einzelnen, weiter entfernten Kartenbereichen gesucht und eingezeichnet. Nach einer finalen Überarbeitung der Karte und einer letzten Anpassung von Farben, Formen und Schriftarten, um eventuell wichtigere Inhalte hervorzuheben, ist die Concept Map fertiggestellt [6]. Die nachfolgende Abb. 13.7 zeigt eine beispielhafte Concept Map.

13.4.2.2 Schummelzettel (Spickzettel) Ein Schummelzettel oder auch Spickzettel genannt ist im Normalfall von Vortragenden nicht gerne gesehen. Als didaktische Methode zur Festigung des Lernstoffes kann er jedoch von Nutzen sein. Bei der Anfertigung eines Schummelzettels ist es notwendig, die Lerninhalte zusammenzufassen und sich auf das Wesentliche zu beschränken. Die

Abb. 13.7  Beispiel für eine Concept Map

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B. Mayer und E. M. Neubauer

Tab. 13.3  Fact-Box: Schummelzettel „Grundlagen zu Steuerung und Regelung“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Wiederholung/Festigung des Lehrstoffes

Zeit

15–30 min, je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Einzelarbeit

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Leere Zettel

Lehr-/Lernziele

ww Abgrenzung der Begriffe „Steuerung“ und „Regelung“ (N1) • Zusammenhänge der theoretischen Grundlagen zu Regelungen verstehen (Regelkreis, Reglertypen etc.) (N2) • Kerninformationen der Grundlagen zu Steuerung und Regelung selbstständig herausarbeiten (N2)

Studierenden setzen sich dabei intensiv mit den Informationen auseinander und lernen diese unbewusst beim Schreiben des Schummelzettels. Bei Anwendung der Methode werden die Studierenden angehalten, die wichtigsten Inhalte auf einem Schummelzettel (beidseitig) festzuhalten. Bei einer folgenden Lernerfolgskontrolle (Prüfung) kann der Schummelzettel gegebenenfalls von der Lehrperson als erlaubtes Hilfsmittel freigegeben werden [8]. Einen Überblick über die Rahmenbedingungen bei Anwendung der Methode gibt Tab. 13.3. ▶▶

Tipp Es können leere Zettel ausgegeben werden, die handschriftlich auszufüllen

sind. Alternativ ist es auch möglich, die Studierenden an PCs arbeiten zu lassen – in diesem Fall ist jedoch die maximale Größe des Schummelzettels vorzugeben, um die Studierenden wirklich dazu zu nötigen, sich auf die wesentlichen Informationen zu beschränken.

13.4.3 Übungen zu „Komponenten der Workstation (Aktorik und Sensorik)“ Im Handlungsfeld „Technische Zeichnungen und Bemaßung“ werden die dargestellten Kompetenzen primär anhand von Konstruktionsplänen trainiert. Diese können unterschiedlich eingesetzt werden: • WWW-Methode (N1), • Kleingruppen Lerngespräch (N1 und N2), • Case-Study (N2 und N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden abstimmen zu können.

13  MPS Workstation283 Tab. 13.4  Fact-Box: WWW-Methode „Aktorik/Sensorik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Einstieg in ein neues Lerngebiet • Hinführung zum Thema • Verknüpfung des theoretischen Inhalts mit dem persönlichen Umfeld der Studenten

Zeit

30 min (15 min Sammeln der Ideen, 15 min Ergebnisaufbereitung)

Gruppengröße/Sozialform

Ideenfindung 3–5 Personen, Diskussion im Plenum

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Tafel, Pinnwand oder Flipchart

Lehr-/Lernziele

• Erkennen, wo Aktoren und Sensoren in der Praxis eine Rolle spielen (N1) • Eigene Erfahrungen mit Aktorik und Sensorik abrufen (N2)

13.4.3.1 WWW-Methode Die „WWW-Methode“ eignet sich gut für den Einstieg in ein neues Lernfeld (s. Tab. 13.4). Den Studierenden wird eine „Was wäre, wenn … “-Frage gestellt, und sie haben den Auftrag, möglichst viele Ideen zum Thema zu finden. Durch diese Methode wird vor allem kreatives Denken und Querdenken angeregt. ▶▶

Tipp Sich ergebende interessante Themen oder Fragen könnten sich beispiels-

weise für weiterführende Gruppenarbeiten eignen.

Zu Beginn der Methode wird die „Was wäre, wenn … “-Leitfrage vorgegeben. Diese könnte zum Beispiel heißen: „Was wäre, wenn es von heute auf morgen keine Aktoren und Sensoren mehr geben würde? Wie würde dies Ihren Alltag beeinflussen?“ Die Studierenden kommen dann in Kleingruppen zusammen, um ihre Assoziationen zur gestellten Frage zu sammeln. Anschließend werden die Aspekte aller Gruppen im Plenum gesammelt und strukturiert, beispielsweise nach Vorteilen und Nachteilen, die sich daraus ergeben, und ergebnisoffenen Aspekten.

13.4.3.2 Kleingruppen-Lerngespräch Die Methode „Kleingruppen-Lerngespräch“ ist eine Methodik des wechselseitigen Lernens. Sie zielt darauf ab, dass sich die Studierenden durch strukturierten Informations- und Meinungsaustausch gegenseitig Wissen über persönliche Erfahrungen, Bewertungen und Einstellungen vermitteln. Kernpunkt des Lerngespräches ist es, einen freien Austausch von Ideen, Meinungen und Argumenten zuzulassen, dessen Ziel jedoch letztendlich eine Problemlösung ist [8]. Tab. 13.5 gibt einen Überblick über die Rahmenbedingungen für die Anwendung der Methode.

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Tab. 13.5  Fact-Box: Kleingruppen-Lerngespräch „Aktorik/Sensorik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Hinführung zum Thema Aktorik/Sensorik • Verknüpfung bisheriger Erfahrungen mit Lerninhalten • Erwerb sozialer Kompetenzen

Zeit

1–2 EH (je nach Fragestellung)

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit für 2–7 Personen

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Komponentenliste zur Workstation, Präsentationsmaterial (Flipchart, Permanentmarker oder PowerPoint)

Lehr-/Lernziele

• Bauarten von Aktoren und Sensoren kennen (N1) • Vertiefung der Kenntnisse über Aktorik/Sensorik (N1) • Eigene Erfahrungen mit Aktorik und Sensorik abrufen (N2) • Durch fremde Erfahrungen mit Aktorik und Sensorik lernen (N2)

▶▶

Tipp Alternativ kann die Methode auch ohne Bereitstellung einer Komponen-

tenliste direkt an der Workstation durchgeführt werden. Der erste Auftrag an die Gruppe ist dann, die einzelnen Komponenten zu identifizieren.

Das Lerngespräch eignet sich, um problemlösendes Denken und Arbeiten zu erlernen. Des Weiteren sind Teamfähigkeit und soziale Kompetenzen gefordert. Um die Methode zielführend zu gestalten und das Ergebnis entsprechend zu kommunizieren, sollte sie am besten mit einer Form der Präsentation verbunden werden. Erfolgskritisch sind außerdem die Beachtung von Regeln und eine gewisse vorgegebene Struktur des Gespräches [9]. Die Arbeitsanweisung an die Studierenden könnte folgendermaßen lauten:

Beispiel

Diskutieren Sie in der Gruppe über die in der Festo MPS verbaute Sensorik und Aktorik. Führen Sie ein freies Gespräch über Ihre Meinungen und Erfahrungen. Diskutieren Sie frei, geben Sie Ihr Wissen an Ihre Kollegen weiter. Achten Sie darauf, jedes Gruppenmitglied gleichermaßen zu Wort kommen zu lassen. Stellen Sie Fragen an die „Experten“ in Ihrer Gruppe. Versuchen Sie, die grundlegenden Fragestellungen zu diskutieren, lassen Sie sich davon aber nicht einschränken. Verwenden Sie zum Schluss etwas Zeit darauf, das Ergebnis Ihrer Diskussion strukturiert in Form zu bringen, um sie anschließend präsentieren zu können (Flipchart, PowerPoint etc.). Fragestellungen können beispielsweise folgende sein: 1. Warum wurde Ihrer Meinung nach der jeweilige Aktor/Sensor gewählt? 2. Wie funktioniert der jeweilige Aktor/Sensor im Detail? 3. Welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Aktoren und Sensoren?

13  MPS Workstation285

4. Welche Alternativen gäbe es? 5. Wo konnten Sie schon Erfahrungen mit dem Einsatz von Aktoren/Sensoren sammeln? 6. Was sind Ihre Erfahrungen? Gibt es Einschränkungen/Hürden/Problemstellungen, die beim Einsatz dieser Aktoren und Sensoren zu beachten sind? 7. Würde sich Ihrer Meinung nach ein anderer Sensor oder Aktor besser für den Einsatz in der Workstation eignen? Begründen Sie Ihre Antwort!

13.4.3.3 Case-Study Die Fallstudie wird oftmals auch als Fallmethode oder im englischen Originalausdruck als „Case- Study“ bezeichnet. Diese Methode lässt Studierende Fälle bearbeiten, welche an die Praxis angelehnt und so weit abstrahiert sind, dass eine selbstständige Lösung des Falles möglich ist. Studierende eignen sich Technikverständnis an, verstehen Technikwirkungen und erlernen Problemlösungskompetenz [1, 8, 10, 11]. Anhand von Tab. 13.6 kann die Einsetzbarkeit der Methode beurteilt werden. ▶▶

Tipp Die Fallstudien spiegeln Gegebenheiten und Situationen aus der industriellen Praxis wider. Damit werden die Studierenden speziell auf spätere mögliche Aufgabenstellungen zur Ermittlung von geeigneter Aktorik bzw. Sensorik im Unternehmen vorbereitet.

Hintergrundinformation Eine weitere Case-Study beinhaltet Kap. 10 Längenprüftechnik.

Die heutige Form der Fallstudien-Methode wurde durch Kaiser entscheidend geprägt, welcher vier Unterformen der Methode (s. Tab. 13.7) unterschied [7, 8].

Tab. 13.6  Fact-Box: Case-Study „Aktorik/Sensorik“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Beurteilung des Einsatzes unterschiedlicher Aktorik/Sensorik • Problemlösungskompetenz erlernen • Alternativen finden und beurteilen

Zeit

2 EH

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit bis zu 5 Personen

Raum/Platz

Hörsaal

Material

Präsentationsmaterial (Flipchart, Permanentmarker oder PowerPoint

Lehr-/Lernziele

• Funktionsweisen verbauter Aktoren und Sensoren kennen (N2) • Anhand eines praktischen Beispiels Alternativauswahl ergründen und beurteilen (N3)

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Tab. 13.7  Unterformen der Fallstudienmethode Schwerpunkte

Probleme

Informationen

Problemlösung

Lösungskritik

Case-StudyMethode (Kap. 10 Längenprüftechnik)

Identifikation der Probleme

Müssen identifiziert werden

Werden umfangreich dargeboten

Lösungsvarianten sind zu ermitteln und Entscheidungen treffen

Vergleich gefundener Lösungen mit realem Lösungsweg

Case-ProblemMethode

Finden von Lösungsvarianten und Entscheidungsfindung

Sind eindeutig genannt

Werden umfangreich dargeboten

Lösungsvarianten sind zu ermitteln und Entscheidungen zu treffen

Vergleich gefundener Lösungen mit realem Lösungsweg ist optional

Case IncidentMethode (Kap. 9 Festkörperreibung)

Selbstständige Informationsbeschaffung

Lückenhafte Darstellung des Falles

Sind selbstständig zu beschaffen

Lösungsvarianten sind zu ermitteln und der Fall zu lösen

Stated-Problem-Methode

Kritisches Hinterfragen vorhandener Lösungsansätze

Sind vorgegeben

Werden gegeben

Vorgegebene Lösungen und Begründungen sind nachzuvollziehen

Methode

▶▶

Analyse und Kritik der gebotenen Lösungen

Tipp Werden Methoden mit selbstständiger Informationsbeschaffung gewählt,

so sind entsprechend mehr Zeiteinheiten für die Durchführung einzuplanen.

13.4.4 Übungen zu „Automatische Regelung“ Die Übungen zum „Betrieb der Workstation“ adressieren vor allem Kompetenzen der zweiten und dritten Niveaustufe. Sie setzen entsprechendes Grundlagenwissen der Studierenden voraus. Folgende Methoden beispielsweise sind dafür geeignet: • Experiment (N2 und N3), • Rundgang (N2 und N3). Zu jeder Übung werden auch Hinweise und Varianten angeboten, um die Übungen gut auf die Bedürfnisse der Lehrenden und Studierenden anpassen zu können.

13  MPS Workstation287

13.4.4.1 Experiment Mithilfe der „Experiment“-Methode eignen sich Studierende Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen an, indem sie in einer speziell aufbereiteten Lernumgebung ein Experiment oder eine Versuchsanordnung selbst durchführen. Die Studierenden lernen an realen, jedoch vereinfachten Objekten, Geräten und Beispielen. Durch das eigene Durchführen der Handlung wird eine intensive Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglicht und der Lerninhalt entsprechend besser im Gedächtnis verankert, [8, 11]. Zu Beginn formulieren die Lernenden eine Hypothese zur Beantwortung einer Fragestellung. Diese Hypothese wird nachfolgend über die Durchführung des praktischen Experiments überprüft. Die Erkenntnisse sind schriftlich festzuhalten und werden im Weiteren interpretiert und der anfangs formulierten Hypothese gegenübergestellt [5]. Die Erkenntnisse können beispielsweise in Form von Postern festgehalten werden, um sie anschließend mit der Methode „Rundgang“ den Mitstudierenden zu präsentieren. Nähere Informationen zur Methode können Tab. 13.8 entnommen werden. Hintergrundinformation Jeder Gruppe wird eine der vier mit der Festo MPS® PA Compact Workstation abbildbaren Regelstrecken zugeteilt. Die Gruppen bewältigen also dieselbe Aufgabenstellung für eine jeweils andere Regelstrecke.

▶▶

Tipp Die Aufzeichnung und Präsentation der Erkenntnisse vor den anderen

Gruppen ist deshalb wichtig, um allen Studierenden ein ganzheitliches Bild zu vermitteln. Die Präsentation kann beispielsweise im Zuge eines „Rundganges“ erfolgen. Tab. 13.8  Fact-Box: Experiment „Betrieb Workstation“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Selbstständiges Arbeiten an der Workstation • Bewertung einzelner Reglertypen • Entscheidung über optimale Reglerauswahl für die jeweilige Regelstrecke treffen

Zeit

1–2 EH, je nach Umfang

Gruppengröße/Sozialform

Gruppenarbeit für 4 Gruppen mit jeweils bis zu 5 Personen

Raum/Platz

Labor

Material

Festo MPS® PA Compact Workstation, Flipchart

Lehr-/Lernziele

• Unterschied Steuerung/Regelung durch eigenes Handeln erkennen (N2) • Unterschiedliches Verhalten der Reglertypen erkennen (N2) • Eignung der einzelnen Reglertypen für den Einsatz bei unterschiedlichen Regelstrecken bewerten (N3)

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B. Mayer und E. M. Neubauer

Es wird vorgeschlagen, die Studierenden jeden möglichen Reglertyp (P, I, PI, PD und PID) für ihre Regelstrecke erforschen zu lassen. Anschließend soll die Verhaltensweise der unterschiedlichen Reglertypen zur Regelung der spezifischen Regelstrecke beurteilt und eine Empfehlung für den optimalen Regler für den speziellen Einsatzbereich abgegeben werden.

13.4.4.2 Rundgang Um die Ergebnisse selbstständigen Arbeitens in einzelnen Gruppen festzuhalten und dem gesamten Kreis der Studierenden zugänglich zu machen, eignet sich die Methode „Rundgang“ (s. Tab.  13.9). Besonders geeignet ist diese Methode dann, wenn arbeitsgleiche Aufträge zu verschiedenen Ergebnissen führen. Durch die ungezwungene Atmosphäre ergeben sich oft angeregte Gespräche zwischen den Studierenden. Die Vorgehensweise bei Einsatz dieser Methode ist wie folgt: Die Studierenden bilden die Ergebnisse ihrer selbstständigen Arbeit auf Postern oder Collagen ab. Diese werden dann an verschiedenen Stellen im Hörsaal aufgehängt. An jeder Station verbleibt ein Studierender, um Auskunft zu den Resultaten zu geben. Der Rest begibt sich auf einen Rundgang durch den Raum, lässt die Poster und Ergebnisse der anderen Gruppen auf sich wirken und hat die Chance, Fragen zu stellen [13]. ▶▶

Tipp Die Position der Auskunftsperson sollte im Zeitverlauf der Methode abge-

wechselt werden, und im Optimalfall sollte jeder der Studierenden einmal die Rolle des Experten, der Auskunft gibt, wahrnehmen.

Die Methode eignet sich gut, um mit dem aufgabenorientierten Lernen Kap.  7  Lichtmikroskopische Gefügeanalyse kombiniert zu werden, um den Kompetenzerwerb zur Eignung von Reglertypen sinnvoll zu ergänzen [13]. Die Aufgabe könnte wie folgt formuliert sein: Tab. 13.9  Fact-Box: Rundgang „Betrieb Workstation“ Ressourcen

Umfang

Wann geeignet

• Präsentation der erarbeiteten Ergebnisse • Erwerb sozialer Kompetenz und von Fähigkeiten, als „Experte“ zu einem Thema Auskunft zu geben • Konsolidierung der Ergebnisse zum optimalen Reglertyp für bestimmte Regelstrecken

Zeit

30 min

Gruppengröße/Sozialform

Plenum

Raum/Platz

Hörsaal mit Pinnwänden als Präsentationsstationen

Material

Pinnwände

Lehr-Lernziele

• Reglertypen bewerten (N3) • Entscheidung über optimale Reglerauswahl für jeweilige Regelstrecke treffen (N3)

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Beispiel

Ermitteln Sie die fehlenden Werte und füllen Sie das nachstehende Formular aus:

Arbeitsauftrag

Die Studierenden sind angehalten, eine Entscheidung zu treffen, ob der Reglertyp ihrer Meinung nach für die Regelstrecke geeignet oder nicht geeignet ist. Des Weiteren ist auch eine Begründung für diese Entscheidung zu finden. Eventuell sind Reglertypen auch nur eingeschränkt geeignet – dies kann ebenfalls entsprechend vermerkt werden.

Literatur   1. Baumgartner P (2011) Taxonomie von Unterrichtsmethoden – Ein Plädoyer für didaktische Vielfalt. Waxmann, Münster   2. Bloom BS, Engelhart MD, Furst EJ, Hill WH, Krathwohl DR (1956) Taxonomy of educational objectives: the classification of educational goals. Handbook I: Cognitive domain. David McKay Company, New York   3. Festo Didactic: Arbeitsbuch für MPS® PA Compact Workstation.   4. Flechsig K (1996) Kleines Handbuch didaktischer Modelle. Neuland – Verlag für lebendiges Lernen, Eichenzell   5. Novak J, Canas A (2008) The theory underlying concept maps and how to construct and use them, Technical Report IHMC CmpaTools 2006-01 Rev 01-2008. online http://cmap.ihmc.us/ Publications/ResearchPapers/TheoryUnderlyingConceptMaps.pdf. Zugegriffen: 10. Apr. 2018  6. Hallet W (2006) Didaktische Kompetenzen: Lehr- und Lernprozesse erfolgreich gestalten. Klett Lernen und Wissen GmbH, Stuttgart

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B. Mayer und E. M. Neubauer

  7. Hugenschmidt B, Technau A (2016) Methoden schnell zur Hand – 66 schüler- und handlungsorientierte Unterrichtsmethoden, 4. Aufl. Friedrich Verlag GmbH, Selze   8. Kaiser F (1983) Die Fallstudie – Theorie und Praxis der Fallstudiendidaktik. Julius Klinkhardt Verlag, Bad Heilbrunn   9. Lunze J (2016) Regelungstechnik 1: Systemtheoretische Grundlagen, Analyse und Entwurf einschleifiger Regelungen, 11. Aufl. Springer Vieweg, Berlin Heidelberg 10. Macke G, Hanke U, Viehmann P (2012) Hochschuldidaktik – Lehren – vortragen – prüfen – beraten, 2. erweiterte Aufl. Beltz Verlag, Weinheim 11. Peterßen W (2009) Kleines Methoden-Lexikon, 3. überarbeitete und erweiterte Aufl. Oldenbourg Schulbuchverlag GmbH, München

Stichwortverzeichnis

A Abbe‘sche Komparatorprinzip, 181 additive Fertigung, 119 Assoziationsschnecke, 225 Aufgabenbearbeitendes Lernen, 105 Axiallager, 216 B Benützungshinweise, 50 Bilderquiz, 244 Brainstorming, 139, 230 C CAD-System, 118 Case-Incident-Methode, 167 Case-Study, 198, 285 Concept Map, 85, 280 COOL-Auftrag, 245 D Digitalisierung, 7 DIN 3990, 241 DIN 623, 217 DIN8580, 117 E Experiment, 86, 287 G Gefüge von Stählen, 91 Bainit, 92

Ferrit, 92 Martensit, 93 Perlit, 92 generative Fertigung, 117 Getriebekasten, 240 Gleitlagern, 209 Gruppendiskussion, 105 Gruppengelenkte Einzelarbeit, 249 Gruppenpuzzle, 135, 233 H Handlungsorientierung, 25 Dimensionen, 30 handlungsorientierte Didaktik, 26 Inhaltsorientierung, 31 Lernendenorientierung, 30 Lernorientierung, 31 Mehrdimensionales Lernen, 34 Produktorientierung, 32 Prozessorientierung, 31 I Ideensalat, 253 Input-Output-Outcome, 7 K Kleingruppen-Lerngespräch, 283 Kleinserien, 133 Kommunikation im Unterricht, 43 Sender-Empfänger-Modell, 44 Vier-Seiten-Modell, 44

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 S. R. Sorko, W. Irsa (Hrsg.), Interaktive Lehre des Ingenieursstudiums, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56224-6

291

292Stichwortverzeichnis Kompetenzerwerb, 14 Kompetenzorientierung, 7 Digitale Kompetenz, 11 Fachkompetenz, 9 Methodenkompetenz, 10 Persönliche Kompetenz, 11 Schlüsselkompetenzen, 42 Sozialkompetenz, 10 Konstruktionsplan, 246 Kritischer Kollege, 248 Kugellagermethode, 111 L Lehr-/Lernarrangements, 39 Lehr-/Lernziele, 39 Lebenswelt der Lernenden, 45 Persönlichkeitsprinzip, 41 Situationsprinzip, 41 Wissenschaftsprinzip, 41 Zielkonflikte, 42 Lehrplanung, 39 Weingartener Modell, 39 Leittextmethode, 171 Lernkartei, 190 Lernstraße, 160 Lernzirkel, 73 Lichtmikroskop, 99 Beurteilung der Wärmebehandlung, 99 M M66 Methode, 109 Maßbereich, 178 Masterchart, 78 mehrdimensionaler Ansatz, 2 MEMS-Technologie, 242 Messabweichung, 180 Messtechnik, 175 Metallografie, 91 metallografische Schliffprobe, 95 Methodenübersicht, 51 Mindmap, 69, 251 Museumsmethode, 72 N Netzwerkmethode, 104

P Performanz, 7 Planarbeit, 81 Praktisches Begreifen, 227 Problemfallmethode, 82 Prüfmittel, 180 Q Qualitätskontrolle, 175 Qualitätsregelkreis, 28 R Radiallager, 210 Rapid Prototyping, 117 Räsonieren, 169 Rätsel, 163 Realbegegnung, 191 Rechenaufgabe, 231 Reflexive Fertigungsaufgabe – Baukasten, 252 Regelstrecke, 272 Regelungstechnik, 271 dynamischer Systeme, 272 Modellierung, 273 Steuerung, 272 Reibung, 145 Anwendungen, 147 Reibungsarten, 150 wirtschaftliche Schäden, 148 Risikomethode, 76 Rollenspiel, 195 rotatorische Bewegung, 207 Rundgang, 288 S Schnittstellenkompetenzen, 1 Schummelzettel, 281 Skizzieren, 228 Stationenlernen, 201 Stirnrad, 237 Stirnradgetriebe, 237 Übersetzungsverhältnis, 238 Zähne, 240 Störgrößen, 271 Struktur-Lege-Technik, 107 Stützkonstruktionen, 122

Stichwortverzeichnis293 T Technik-Didaktik, 1 Technikpädagogik, 3 Toleranzen Normvorgaben, 178 translatorische Bewegung, 207 Tribologie, 145 Coulomb, 146 Tribometrie, 155 DIN 50322, 156 Tribosysteme, 148 V Verschleiß, 145 Verschleißarten, 153

W Wälzkörper, 209 Werkstoffe, 53 allgemeine Eigenschaften, 57 Arten, 55 Material, 55 Stirnradgetriebe, 241 strukturelle Merkmale, 55 technische Eigenschaften, 59 wälzbeanspruchte, 218 Werkstoffauswahl, 62 Werkstoffprüfung, 65 World Café, 112 WWW-Methode, 283

Smile Life

When life gives you a hundred reasons to cry, show life that you have a thousand reasons to smile

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