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jena-sophia Studien und Editionen zum deutschen Idealismus und zur Frühromantik Herausgegeben von Christoph Jamme und Klaus Vieweg Abteilung II - Studien Band 6
2004
Chong-Fuk Lau
Hegels Urteilskritik Systematische Untersuchungen zum Grundproblem der spekulativen Logik
Wilhelm Fink Verlag
Gedruckt mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Umschlagabbildung Jena - Blick vom Philosophengang (um 1810), kolorierte Radierung von F. W., Stadtmuseum Jena
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bayerisch« Staatsbibliothek München
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PöM PAß
VORWORT
Die vorliegende Arbeit versteht sich als eine systematische Rekonstruktion und Reinterpretation der Kerngedanken der Hegeischen Metaphysik. Sie stellt sich der Urteilskritik als dem Grundproblem der spekulativen Logik Hegels. Die Urteilskritik ist die Kritik an der gewöhnlichen Auffassung der Form des Urteils hinsichtlich seiner logischen Struktur und den damit verbundenen ontologischen Implikationen. Es wird sich im Laufe der Untersuchung zeigen, daß das Leitmotiv der Hegeischen Metaphysik in einer doppelten Wendung gegen die Logik und die Ontologie des sogenannten „natürlichen Weltverstehens" besteht. Diese beiden Aspekte der gewöhnlichen Denkweise hängen insofern miteinander zusammen, als die logische Form des Denkens, die durch die Subjekt-PrädikatStruktur des Urteils gekennzeichnet ist, ontologisch als eine Dichotomie von Substanz und Akzidens hypostasiert wird. Hegels Urteilskritik besteht daher aus zwei Teilprojekten: Sie ist eine radikale Kritik sowohl der traditionellen Urteilslehre als auch der damit implizierten traditionellen Dingontologie, in deren Mittelpunkt die These von der Selbständigkeit der Einzeldinge steht. Hegel weist die traditionelle Urteilskonzeption und Ontologie nicht einfach abstrakt zurück. Die Wissenschaft der Logik entwickelt allererst in der Einheit von Kritik und Darstellung eine kritische Auseinandersetzung mit jener traditionellen Philosophie, die sich der einseitigen und insofern „wahrheitsunfähigen" Urteilsform unreflektiert bedient. Zugleich läuft Hegels Kritik nicht darauf hinaus, eine alternative Urteilsform oder gar eine neue Kunstsprache zu entwickeln, die der Unzulänglichkeit der natürlichen Sprachform einfach enthoben und auf diese Weise zur Darstellung der spekulativen Wahrheit geeignet wäre. Denn ein solches Unterfangen würde eben das Wesentliche der Problematik verfehlen und dabei genau den Fehler begehen, den Hegel als das sogenannte schlechte Unendliche verwirft. Während die ganze Wissenschaft der Logik als eine konkrete Durchführung der Urteilskritik angesehen werden kann, werden die Leitgedanken am prägnantesten in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes dargestellt, und zwar in der berühmten Lehre vom spekulativen Satz. Ein zentrales Anliegen der vorliegenden Studie ist, in Abgrenzung zur gängigen Hegelauffassung zu zeigen, daß die Lehre vom spekulativen Satz in Wahrheit gar keine Satzlehre, sondern vielmehr eine Satzkritik ist, in der
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VORWORT
sich die natürliche Satzform über die Grenzen ihrer logischen Möglichkeiten und über ihre eigenen ontologischen Festlegungen aufklären soll. Die auf Aristoteles zurückgehende traditionelle Substanzontologie wird in Hegels Subjektivitätsbegriff, der Kants transzendentalphilosophische Umdeutung der Substanz konsequent zu Ende führt, aufgehoben und reinterpretiert. Das Subjekt, das zugleich Substanz ist, ist Hegel zufolge nichts anderes als der Begriff, der aber nicht im Urteil, sondern erst im System der endlichen Begriffsbestimmungen als dialektisches Ganzes adäquat darzustellen ist, weil jedes einzelne Urteil aufgrund seiner trennenden Struktur nur jeweils einen einseitigen Aspekt des Begriffs auszudrücken vermag. So gesehen erweist sich die strukturelle Unzulänglichkeit der Urteilsform gerade als das Movens der Dialektik überhaupt. Hegels Philosophie des Absoluten ist daher im Sinne eines holistischen Denkens zu verstehen, in dem insgesamt die Endlichkeit des Endlichen durchsichtig gemacht und in dieser Selbstaufklärung überwunden wird. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist eine am Text ausgewiesene und zugleich systematische Auslegung der Hegeischen Urteilskritik, die die logisch-metaphysische Grundkonstruktion von Hegels System näher ans Licht bringt. Den Hauptteil der Untersuchung bilden die Kapitel 2 bis 4, die sich in jeweils zwei Unterkapitel gliedern. Der jeweils letzte Abschnitt der Unterkapitel faßt die wichtigsten Erkenntnisse und Konsequenzen zusammen und bereitet jeweils den Übergang zur nachfolgenden Diskussion vor. Nach der Einleitung (Kapitel 1) widmet sich das Kapitel 2 den systematischen Bedingungen, innerhalb derer Hegels Urteilskritik formuliert wird. In Kapitel 3 werden Hegels Begriff der Spekulation und seine Lehre vom spekulativen Satz diskutiert. Das Herzstück der gesamten Untersuchung ist die kritische Analyse des spekulativen Satzes, die in Abschnitt 3.2.2 ausgeführt wird. Das ganze Kapitel 4 versteht sich als eine Auslegung der konkreten Durchführung dessen, was der spekulative Satz programmatisch vorgestellt hat. Insbesondere wird die ontologische und systemtheoretische Konsequenz des spekulativen Satzes in Abschnitt 4.1.3 mit der Analyse von Substantialität und Subjektivität eruiert. In der Schlußreflexion (Kapitel 5) wird schließlich das Anliegen der gesamten Interpretation nochmals expliziert. Die vorliegende Studie ist eine leicht verkürzte und überarbeitete Fassung einer Arbeit, die von der Philosophisch-Historischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2001/2002 als Dissertation angenommen wurde. Zu Dank verpflichtet bin ich vor allem meinem Doktorvater, Professor Dr. Rüdiger Bubner, dessen philosophische Forschungen meine Untersuchung maßgeblich beeinflußt haben. Bei Professor Dr. Jens Halfwassen darf ich mich für das Zweitgutachten und lehrreiche Seminare bedanken. Für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe jena-sophia sei den Herausgebern, Professor Dr. Christoph Jamme und Hochschuldozent Dr. Klaus
VORWORT
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Vieweg, und dem Wilhelm Fink Verlag gedankt. Insbesondere gilt mein aufrichtiger Dank dem Deutschen Akademischen Austauschdienst, der mit einem großzügigen Promotionsstipendium meine wissenschaftliche Forschung in Deutschland erst ermöglicht und auch die Veröffentlichung der vorliegenden Studie finanziert hat. Danken möchte ich ebenfalls Dr. Roman Dilcher, Dr. Sabine Hieronymus, Privatdozent Dr. Walter Mesch, Johannes Schüttfort und Dr. ZhiHue Wang für wertvolle Hilfestellungen, die in verschiedener Weise zu meiner Arbeit beigetragen haben. Besonders danke ich Dr. Guido Kreis, der nicht nur die ganze Arbeit mit größter Sorgfalt und Sachkenntnis Korrektur gelesen und mir dabei sprachliche und inhaltliche Vorschläge gemacht hat, sondern mir auch während meines Aufenthalts in Heidelberg in vielfältiger Weise Hilfe geleistet hat. Meinen Eltern und Geschwistern, die mich vom anderen Ende der Erde stets unterstützt haben, möchte ich ebenfalls meine herzliche Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Ein ganz besonderer Dank gebührt schließlich meiner Frau, SzeMun, die mich aufopferungsvoll durch die guten und schlechten Zeiten begleitet hat. Ohne sie hätte nicht nur diese Arbeit sicher nicht entstehen können, sondern vieles wäre auch bedeutungslos gewesen. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Chong-Fuk Lau Schriesheim, September 2003
Für Sze-Mun
INHALTSVERZEICHNIS
Vorwort
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1. Einleitung 1.1. Formationsbedingungen von Hegels System 1.2. Urteilskritik als Problematik und Leitfaden 1.3. Ansatzpunkte und Untersuchungsmethode
11 11 20 29
2. Systembedingung und Urteilskritik 2.1. Wahrheit und Darstellung 2.1.1. Hegels Begriff der Wahrheit 2.1.1.1. Der klassische Wahrheitsbegriff 2.1.1.2. Aufhebung und Vollendung des Wahrheitsbegriffs 2.1.1.3. Der logisch-ontologische Doppelaspekt der Wahrheit 2.1.1.4. Monismus und Holismus 2.1.2. Das Problem der Darstellung 2.1.2.1. Das Problem des Unwahren und der kritische Aspekt der Darstellung 2.1.2.2. Die phänomenologische und die logische Kritik 2.1.2.3. Die Formen des Unwahren und die Sonderstellung des Urteils 2.2. Sprache und Philosophie 2.2.1. Philosophie der Sprache 2.2.1.1. Hegels Auffassung der Sprache 2.2.1.2. Exkurs: Das Problem der Intersubjektivität 2.2.2. Sprachlichkeit der Philosophie 2.2.2.1. Logik und Sprache 2.2.2.2. Das Dilemma der Sprache
35 37 37 37 45 53 58 62
77 85 85 85 92 97 97 107
3. Spekulation und der spekulative Satz 3.1. Vernunft und Spekulation 3.1.1. Endlichkeit und Unendlichkeit 3.1.1.1. Etwas und Anderes oder die Dialektik der Grenze 3.1.1.2. Die „schlechte" und die wahrhafte Unendlichkeit 3.1.2. Verstand und Vernunft 3.1.2.1. Der Standpunkt der Reflexion 3.1.2.2. Der Standpunkt der Spekulation
119 120 120 120 126 134 134 140
62 68
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INHALTSVERZEICHNIS
3.2. Urteilslehre und Urteilskritik 3.2.1. Hegels Lehre vom Urteil 3.2.1.1. Subjekt und Prädikat 3.2.1.2. Kopula und Urteilsbeziehung 3.2.1.3. Ansätze der Urteilskritik 3.2.2. Der spekulative Satz 3.2.2.1. Der gewöhnliche und der spekulative Satz 3.2.2.2. Der spekulative Satz als philosophischer Wesensatz? 3.2.2.3. Der spekulative Satz als Satzkritik
147 147 147 154 162 168 168 176 183
4. Logik und Ontologie 4.1. Subjekt und Substanz 4.1.1. Ansätze urteilslogischer Orientierung der Ontologie 4.1.1.1. Das Urteilssubjekt und die Aristotelische Substanzlehre 4.1.1.2. Die Kantische Umdeutung der Substanz und das Ding an sich 4.1.2. Gegenstandsbezug und Gegenständlichkeit 4.1.2.1. Name und Vorstellungsgegenstand 4.1.2.2. Das „Diese" und die radikale Unmittelbarkeit 4.1.2.3. Exkurs: Die Kennzeichnung und das Dilemma des Gegenstandsbezugs 4.1.3. Substantialität und Subjektivität 4.1.3.1. Destruktion der zugrundeliegenden Substanz 4.1.3.2. Rekonstruktion der Substanz im Subjekt 4.2. Prädikat und Begriff 4.2.1. Der Begriff des Begriffs 4.2.1.1. Allgemeinheit und Idealität - die Ansicht des Verstandes 4.2.1.2. Abstraktion und Beschränktheit - Kritik der abstrakten Allgemeinheit 4.2.1.3. Totalität und Negativitat - Selbstbestimmung des Begriffs 4.2.2. Die Ontologie des Begriffs 4.2.2.1. Substantialität als Genesis des Begriffs 4.2.2.2. Subjektivität als Prinzip des Begriffs 4.2.3. Die Bewegung des Begriffs 4.2.3.1. Urteilsformen und Kategorien 4.2.3.2. Widerspruch und Dialektik
193 195 195 195
247 253 258 258 264 269 269 274
5. Schlußreflexion
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Abkürzungsverzeichnis
293
Literaturverzeichnis I. Texte Hegels II. Sonstige Literatur
295 295 297
Personenregister
317
203 208 208 217 224 228 228 236 242 242 242
1.
EINLEITUNG
1.1.
Formationsbedingungen von Hegels System
„Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existirt, kann allein das wissenschafftliche System derselben seyn." (PG 11) Hegels Philosophie zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie sich trotz ihrer enzyklopädischen Problemvielfalt als ein sich in sich selbst schließendes System darstellt, das nicht nur an Komplexität und Umfassendheit behandelter Probleme, sondern auch an Schlüssigkeit interner Verweisungszusammenhänge kaum zu überbieten ist.1 Bei keinem anderen Denkgebäude in der Geschichte der Philosophie ist der Systemanspruch so radikal gestellt worden wie bei demjenigen Hegels, in dem so gut wie alle philosophischen Disziplinen systematisch untergebracht werden. Einerseits wird ein höchst komplexes und subtiles Gefüge rein logisch-metaphysischer Grundbegriffe in intensiver Auseinandersetzung mit der Gesamttradition der abendländischen Philosophie entwickelt; andererseits werden auch alle möglichen Einzelphänomene im natürlichen wie geistigen Bereich jeweils sachlich in ihrer vollen Konkretheit betrachtet und doch zugleich in das System so aufgenommen, daß sie sich mit der Begriffsgrundlage zu einem organischen Ganzen vereinigen. Kennzeichnend für das organische System ist es, daß die Selbständigkeit der Teile und ihre Abhängigkeit vom Ganzen in Einem zusammengedacht werden müssen. „Jeder der Theile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes," und zwar, so veranschaulicht Hegel, „ein sich in sich selbst schließender Kreis" (Enz. § 15, 56). Die einzelnen Kreise schließen sich aber nur insofern in sich, als sie sich zugleich miteinander zu einem Ganzen zusammenschließen, in dem die Vollständigkeit der einzelnen Kreise begründet wird; „das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von „Hegels Philosophie", so Karl Löwith, „ist, ihrer eigensten Absicht nach, ein .System', d. h. ein sich selber tragendes Ganzes, worin jeder Teil auf jeden anderen verweist und Teil eines Ganzen ist. Man kann daher weder seine Philosophie der Natur von der des Geistes isolieren, noch seine Lehre vom objektiven Geist von dessen Bezug auf den subjektiven und absoluten Geist abtrennen." K. Löwith: Aktualität und Inaktualität Hegels, in: R. Heede / J. Ritter (Hrsg.): Hegel-Bilanz. Zur Aktualität und Inaktualität der Philosophie Hegels, Frankfurt a. M. 1973, S. 3.
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EINLEITUNG
Kreisen dar, deren jeder ein nothwendiges Moment ist, so daß das System ihrer eigenthümlichen Elemente die ganze Idee ausmacht, die ebenso in jedem Einzelnen erscheint." (Enz. § 15, 56; vgl. WL III 252) Dieses systematische Ganze ist für Hegel die alleinige bzw. die ganze Wahrheit, nach der die Philosophie strebt, wobei sich Hegel über das antike Verständnis der Philo-Sophia hinaus nicht lediglich mit „der Liebe zum Wissen" zufriedengeben will, sondern nachdrücklich zum Ziel setzt, „wirkliches W i s s e n " (PG 11) zu erreichen oder gar zu vollenden. Bei Hegel geht es also wesentlich um die vollkommene Darstellung der Wahrheit, die nur in einem solchen System der Wissenschaft zu vollbringen ist. Die Systematik der Hegeischen Philosophie verdankt sich letztlich der logisch-metaphysischen Begriffsgrundlage, die in der Wissenschaft der Logik dargelegt wird. Die Logik ist eben derjenige Teil der Hegeischen Philosophie, auf den sich das ganze System stützt. Denn die in der Logik entwickelten Kategorien machen nicht nur die Organisationsform des Systems aus, sondern auch die Struktur der Wirklichkeit, deren besondere Bestimmungen jeweils in verschiedenen Teilen der Realphilosophie konkret abgehandelt werden. Den Inhalt, der sich in der Logik als reine Denkbestimmungen entfaltet, bezeichnet Hegel in Anlehnung an die christliche Schöpfungslehre als „die D a r s t e l l u n g Gottes [...], wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Nat u r und eines e n d l i c h e n Geistes ist." (WL I 34) Das Gesamt der logischen Kategorien ist sozusagen der Gedanke Gottes, den er in der Schöpfung Wirklichkeit werden läßt. In dieser Beziehung besteht der Forschritt der Geschichte in einer zunehmenden Realisierung des Logischen in der Welt. Auch die Entwicklung der ganzen Philosophiegeschichte selbst ist für Hegel eine Widerspiegelung der Entwicklung rein begrifflicher Gedanken, die allerdings in ihrem historischen Dasein stets mit geschichtlicher Äußerlichkeit behaftet ist.2 Es gehört ja zum unüberbietbaren Systemanspruch der Hegeischen Philosophie, daß er in der tatsächlichen Entwicklung der Philosophiegeschichte den Gang der rein logischen Kategorien gleichsam als ihr Skelett wiederfinden zu können glaubt. Die Wissenschaft der Logik ist darum das eigentliche Herzstück der Hegeischen Philosophie, weil in ihr das ganze System bereits in Form von reinen Begriffsbestimmungen enthalten ist. Aber daß die Logik geradezu die „wahre Geburtstätte" der Hegeischen Philosophie sein soll, ist in der 2
Zum Beispiel schreibt Hegel in der Enzyklopädie: „Dieselbe Entwicklung des Denkens, welche in der Geschichte der Philosophie dargestellt wird, wird in der Philosophie selbst dargestellt, aber befreit von jener geschichtlichen Aeußerlichkeit, rein im E l e m e n t e des D e n k e n s . " (Enz. § 14, 56) Zum Verhältnis der dialektisch-logischen und der geschichtlichen Entwicklung vgl. K. Düsing: Hegel und die Geschichte der Philosophie. Ontologie und Dialektik in Antike und Neuzeit, Darmstadt 1983, bes. S. 16 - 39.
FORMATIONSBEDINGUNGEN VON HEGELS SYSTEM
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jahrhundertlangen Rezeptionsgeschichte der intellektuellen Erbschaft Hegels alles anderes als selbstverständlich betrachtet worden. 3 Lange Zeit ist die Logik in der allgemeinen Aufmerksamkeit weit hinter dem gedankenreichen Genieprodukt der Phänomenologie des Geistes und hinter den Berliner Vorlesungen über Ästhetik, Religion, Geschichte und Rechtphilosophie zurückgeblieben, die die philosophische Welt des 19. Jahrhunderts aufgrund ihrer großartigen Anschaulichkeit und diagnostischen Kraft zutiefst begeistert haben. Es wäre aber offenkundig gegen Hegels eigene Systemkonzeption, wenn einzelne Abschnitte seiner Geistphilosophie, die bekanntlich zum großen Teil nur als Vorlesung vorgetragen wurden und von denen wir nicht einmal über eine gesicherte Textedition verfügen, ohne systematische Aufklärung ihrer begrifflichen Grundlage in der Logik bloß als originelle und scharfsinnige Auslegung geistphilosophischer Phänomene gelesen würden. Aus dieser Voraussetzung ergeben sich im besten Fall vereinzelte Theorien und Philosopheme, die aber für sich in einem vom System abgelösten Zusammenhang weder in ein von ihnen selbst her durchschaubares Verhältnis zueinander gebracht werden können, noch die gleiche diagnostische Kraft zu erzielen vermögen, die sie sonst auf der logisch-metaphysischen Grundlage als integrierte Momente des Systems aufweisen würden. Auch die Phänomenologie, die freilich eine subtile Einleitungsfunktion in Hegels System erfüllt,4 ist keine Systemgrundlage, selbst wenn sie dank ihrer genialen Analyse von verschiedenstufigen Gestalten des menschlichen Geistes noch bei den hegelfernsten Traditionen immer wieder Anklang gefunden hat. 5 „In Wahrheit ist aber", so 1
J 5
Zu denken ist etwa an die einflußreiche Interpretation von Karl Marx: „Man muß beginnen mit der hegel'schen Phänomenologie, der wahren Geburtsstätte und dem Geheimniß der hegel'schen Philosophie." K. Marx: Ökonomischphilosophische Manuskripte (Zweite Wiedergabe), in: ders.: Werke. Artikel. Entwürfe. März 1843 bis August 1844 [Karl Marx - Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), 1. Abteilung, Bd. 2], Berlin 1982, S. 399. Zum Problem des Systemverhältnisses der Phänomenologie vgl. unten Kap. 2.1.2.2: Die phänomenologische und die logische Kritik, S. 68 ff. Beispielsweise gibt Robert Brandom offen zu, daß sein Hauptwerk Making it Explicit (1994), das als ein Meilenstein in der sprachanalytischen Philosophie angesehen wird, der Hegeischen Philosophie, vor allem aber der Phänomenologie des Geistes, richtungweisende Ideen zu verdanken hat. Vgl. R. B. Brandom: Some Pragmatist Themes in Hegels Idealism: Negotiation and Administration in Hegel's Account ofthe Structure and Content ofConceptual Norms, in: European Journal of Philosophy 7:2 (1999), S. 185, Anm. 25 (dt. Ausgabe: Pragmatistische Themen in Hegels Idealismus. Unterhandlung und Verwaltung der Struktur und des Gehalts in Hegels Erklärung begrifflicher Normen, übers, v. R. Ansen, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 47 (1999), S. 369); ders.: Making it Explicit. Reasomng, Representing and Discursive Commitment, 2. Aufl., Cambridge, Massachusetts 1998 (dt. Ausgabe: Expressive Vernunft. Begründung, Repräsentation und diskursive Festlegung, übers, v. E. Gilmer u. H. Vetter,
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EINLEITUNG
schreibt Gadamer zu recht, „nicht die Phänomenologie des Geistes< das systematische Hauptwerk der Hegeischen Philosophie, wie sie das 19. Jahrhundert jahrzehntelang beherrscht hatte. Die Phänomenologie des Geistes< ist eher eine Art Vorwegnahme, in der Hegel das Ganze seines Denkens unter einem besonderen Gesichtspunkte zusammenzufassen versuchte. [...] Im Unterschied dazu ist die >Wissenschaft der Logik< nicht nur der erste Schritt in der Richtung auf den Aufbau des Systems der philosophischen Wissenschaften, wie es später die sog. >Enzyklopädie< zur Darstellung bringt, sondern ist dessen erster und grundlegender Teil."6 Erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat die Logik mit der Frage nach der Struktur und Geltung der dialektischen Methode in der Hegel-Forschung langsam die Aufmerksamkeit gewonnen, die sie als das eigentliche Fundament des Systems längst hätte bekommen sollen. Seitdem sind trotz des Übergewichts der philologischentwicklungsgeschichtlich orientierten Studien in der Hegel-Literatur 8 einige viel beachtete Beiträge zur begründungstheoretischen Problematik der Logik erschienen, mit denen der wohl dunkelste und rätselhafteste Text Hegels,9 der heutigen philosophischen Welt erheblich zugänglicher gemacht worden ist. Hervorzuheben ist eine Reihe von systematischen Untersuchungen Dieter Henrichs, die durch subtile Analyse der logischen Struktur der Dialektik zu einer konstruktiven Auslegung der Hegeischen Philosophie im allgemeinen und der Logik im besonderen einen substantiellen Beitrag geleistet haben.'" Eine programmatische Untersuchung, die
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Frankfurt a. M. 2000). H.-G. Gadamer: Die Idee der Hegeischen Logik (1971), in: ders.: Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger [Gesammelte Werke, Bd. 3], Tübingen 1987, S. 65 f. Vgl. H. F. Fulda: Die Hegelforschung am Ende unseres Jahrhunderts, in: Information Philosophie (1998), S. 7 - 18. So „fürchtet" Fulda ausdrücklich, „manches Produkt der Hegelforschung" habe der Tendenz „schon zu weit nachgegeben", Untersuchungen vornehmlich nur mit entwicklungsgeschichtlicher oder ideenhistorischer Fragestellung anzustellen, die mit dem genuin philosophischen Interesse wenig zu tun hat und stattdessen leicht zu einem „doxographischen und philologischen Nihilismus" führen kann. Vgl. a. a. O., S. 12 ff. Mit etwas rhetorischer Übertriebenheit beschreibt Theodor W. Adorno die Schwierigkeit, mit der man sich bei der Lektüre der Hegeischen Logik gelegentlich konfrontieren sieht: „Die Widerstände, welche die großen systemischen Werke Hegels, zumal die Wissenschaft der Logik, dem Verständnis entgegensetzen, sind qualitativ verschieden von denen, die andere verrufene Texte bereiten. [...] Im Bereich großer Philosophie ist Hegel wohl der einzige, bei dem man buchstäblich zuweilen nicht weiß und nicht bündig entscheiden kann, wovon überhaupt geredet wird, und bei dem selbst die Möglichkeit solcher Entscheidung nicht verbrieft ist." Th. W. Adorno: Skoteinos oder Wie zu lesen sie, in: ders.: Drei Studien zu Hegel [Gesammelte Schriften, Bd. 5], hrsg. v. G. Adorno u. R. Tiedemann, Frankfurt a. M. 1971, S. 326. Vgl. vor allem die folgenden Aufsätze von D. Henrich: Anfang und Methode
FORMATIONSBEDINGUNGEN VON HEGELS SYSTEM
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seine in verschiedenen Arbeiten entwickelten Thesen vom Systemgesichtspunkt aus zusammenfassend darstellt, findet sich in dem Aufsatz Die Formationsbedingungen der Dialektik (1982), der, wie der Untertitel hervorhebt, von der Untrennbarkeit der Methode Hegels von dessen System handelt." Die Hauptgedanken dieses Aufsatzes werden hier zunächst in groben Umrissen dargelegt, um die Problemstellung der vorliegenden Untersuchung zu Hegels spekulativer Logik durch die Kritik eines wesentlichen Ansatzes in Henrichs Rekonstruktionsversuch zu verdeutlichen. In seinem Aufsatz versucht Henrich für die Interpretation der Hegelschen Philosophie eine systematische Grundlage zu schaffen, die über eine bloße Paraphrase ihrer Selbstdarstellung hinaus der globalen Systemkonstruktion und deren geltungstheoretischem Grundprinzip gerecht werden soll. Darum müssen die Formationsbedingungen des Hegeischen Systems selbst durchsichtig gemacht werden. Diese bestehen nach Henrich aus zwei theoretischen Grundannahmen Hegels, die zwar im Einsatz voneinander unabhängig sind, in ihrer Anlage aber in Korrespondenz zueinander stehen, 12 indem sie sich gleichermaßen in kritischer Auseinandersetzung mit den Grundannahmen entwickeln, die „konstitutiv in das Denken im alltäglichen Weltverhältnis eingehen, das auch .natürlich' heißt." 13 Bei den zwei Einsatzpunkten, die den Widerstand gegen das „natürliche Weltverstehen" miteinander gemein haben, handelt es sich um die Begriffe vom Formellen und Wirklichen, d. h. um die Logik und die Ontologie bzw. Metaphysik. Die zwei gewöhnlich als selbständig betrachteten Disziplinen gehören nach Hegel bekanntlich zusammen (WL I 48 f.; Enz. § 9 A, 49; § 24, 67). u Henrich betrachtet nun die Einheit der Logik und Meta-
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der Logik, in: ders.: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1975, S. 73 - 94; ders.: Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik", in: U. Guzzoni / B. Rang / L. Siep (Hrsg.): Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, S. 208 - 230; ders.: Hegels Logik der Reflexion. Neue Fassung, in: ders. (Hrsg.): Die Wissenschaft der Logik und die Logik der Reflexion, Bonn 1978, S. 203 - 324; Formen der Negation in Hegels Logik, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt a. M. 1978, S. 213 - 229. Vgl. D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik. Über die Untrennbarkeit der Methode Hegels von Hegels System, in: Revue Internationale de Philosophie 139 - 140 (1982), S. 139 - 162. Vgl. a. a. O., S. 141. Ebd. Das Konzept der Einheit von Logik und Metaphysik ist ein zentraler Gedanke, der das reife System Hegels von seinen früheren Entwürfen unterscheidet. Obwohl es schon zu Ende seiner Jenaer Zeit Indizien für den Umbruch gibt, hat Hegel erst in seiner Nürnberger Zeit die Trennung von Logik und Metaphysik endgültig zugunsten einer einheitlichen „spekulativen Philosophie" aufgegeben, was jedenfalls für seine gesamte Denkentwicklung und die endgültige Systemkonzeption von einschneidender Bedeutung gewesen ist. Zur Entwick-
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EINLEITUNG
physik bei Hegel als eine notwendige Konsequenz daraus, daß jede der beiden im Vollzug ihrer eigenen Selbstentfaltung und Begründung gegen das natürliche Weltverstehen die andere schließlich nach sich zieht. So stehen Logik und Metaphysik in unauflösbarer Entsprechung zueinander.15 Nach Henrichs Interpretation entwickelt sich Hegels Metaphysik in der Kritik und Revision derjenigen Ontologie, die dem natürlichen Weltverstehen entsprechend auf die Voraussetzung gestellt ist, daß das zuletzt Wirkliche selbständige Einzelne sind.16 Es gibt demgemäß unbestimmt viele Einzeldinge, deren individuelle Existenz als ontologisch primär angesehen wird, wobei den Eigenschaften, die sie tragen, und ihren Verhältnissen zueinander und zur Welt als der Gesamtheit aller Existierenden nur eine untergeordnete und abgeleitete Bedeutung beigemessen wird.1" Dabei weist diese natürliche Ontologie ihre entscheidende Schwäche vor allem darin auf, daß ihr die Basis dazu fehlt, auf ihrem eigenen Standpunkt die Welt als ganze begreiflich zu machen, auch wenn sie zunächst unproblematisch zu sein scheint. Diese Unbegreiflichkeit der zusammenhängenden Gesamtheit läßt sich Henrich zufolge zwar unter Hinzufügung einer Reihe zusätzlicher Annahmen gewissermaßen relativieren, 18 dennoch kann die Welt als solche nur dann wirklich begreifbar werden, wenn die unreflektierte Annahme der Selbständigkeit von Einzeldingen von Grund auf revidiert wird. Sucht man einen Gegenentwurf zur Ontologie des natürlichen Weltverstehens, so scheint die Substanzlehre des Spinoza am nächsten zu liegen, eine monistische Ontologie, die die Selbständigkeit und Unredu-
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lung seiner verschiedenen Entwürfe vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, 3., um ein Nachwort erweiterte Aufl., Bonn 1995, bes. S. 198; 209. „Hegels Metaphysik", so Henrich, „leitet sich aus der Leugnung der Wahrheit derjenigen Annahmen her, welche im natürlichen Weltbild über Art und Verfassung dessen gemacht werden, was wirklich ist. Hegels Logik ergibt sich, wenn die Annahmen bestritten werden, die im natürlichen Weltverhalten hinsichtlich der Begriffe und Funktionen gemacht werden, welche bei der Bezugnahme auf und bei der Bestimmung von Wirklichem in Gebrauch sind." D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O., S. 142. Vgl. ebd. Diese „natürliche" Auffassung erinnert an die von Aristoteles in der Kategorienschrift entwickelte Lehre von der ersten Substanz (npcorq ouaia), die den Einzeldingen den logisch-ontologischen Primat zuspricht. Eine ausführlichere Analyse dazu findet sich unten im Kap 4.1.1.1: Das Urteilssubjekt und die Aristotelische Substanz, S. 195 ff. Zu den in Frage kommenden Optionen zählen Henrich zufolge der Physikalismus, die Erkenntniskritik und die natürliche Theologie, von denen aber keine die Unbegreiflichkeit der natürlichen Welt überzeugend beseitigen kann. Vgl. D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O , S. 143.
FORMATIONSBEDINGUNGEN VON HEGELS SYSTEM
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zierbarkeit der Vielen zugunsten des Einen bzw. des Absoluten bestreitet, das seinerseits als Singulares allein die wahre Wirklichkeit ausmachen soll.19 Dabei werden die Einzeldinge nur als abhängige Momente bzw. bloße Erscheinungen der einzigen unendlichen Existenz aufgefaßt. Henrich zufolge scheitert dieser traditionelle Monismus aber daran, daß er durch einfache Verlegung des ontologischen Primats vom Einzelnen auf das Eine weder das als radikal unselbständig gedachte Einzelne in dessen endlichem Dasein, noch das Eine als das wahrhaft Unendliche zu begreifen vermag, weil er noch von einer impliziten Entgegensetzung des Einen und des Vielen ausgeht. 20 Von diesem Monismus, der qua Theoria negativa die Selbständigkeit des Einzelnen kategorisch leugnet, indem er das Einzelne nur in das Eine zurückstellt, unterscheidet sich der Hegeische Monismus wesentlich dadurch, daß dieser „vielmehr in einem geschlossenen systematischen Gang den monistischen Gedanken von der Priorität und Selbstgenügsamkeit des Einen in ein Bild von der Welt [entfaltet], in dem die Einzelnen des natürlichen Weltverstehens als Implikate der AllEinheit hervortreten." 21 Den Hegeischen Monismus, in dem Eines als Alles gedacht wird, bezeichnet Henrich demnach als Theoria speculativa bzw. als die spekulative Theorie der All-Einheit. 22 Während die monistische Ontologie der Theoria negativa als einfache Gegenposition zur natürlichen Ontologie gilt, zeichnet sich Hegels spekulativer Monismus dadurch aus, daß dieser die Gegenpositionen als Momente seiner selbst in sich integriert und so die Einheit beider in ihrer Entgegensetzung zu begreifen sucht. Der spekulative Monismus stellt eine Ontologie dar, in der die Selbständigkeit des Einzelnen, die ihm als eine dem Endlichen zukommende Eigenschaft uneingeschränkt gewährt wird, mit seiner radikalen Abhängigkeit von dem Absoluten in Einem zusammenzudenken ist.23 Das Prinzip einer
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Diese einzige Substanz heißt für Spinoza bekanntlich nichts anderes als Gott, also das absolut unendliche Wesen. In der Ethik lautet der Lehrsatz 14: „Außer Gott kann es keine Substanz geben und keine begriffen werden. [...] Hieraus folgt ganz klar, [...] daß Gott einzig ist, d. h. [...], daß es in der Natur nur eine Substanz gibt und daß diese unbedingt unendlich ist", und der Lehrsatz 15: „Was auch immer ist, ist in Gott, und nichts kann ohne Gott sein oder begriffen werden." B. d. Spinoza: Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt [Sämtliche Werke, Bd. 2], Lateinisch - Deutsch, neu übers., hrsg., m. einer Einleitung versehen v. W. Bartuschat, Hamburg 1999, S. 31. Zu Hegels Kritik an der Spinozistischen Substanzlehre vgl. unten Kap. 4.2.2.1: Substantialität als Genesis des Begriffs, S. 258 ff. Vgl. D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O., S. 144 f. A. a. O., S. 145. Vgl. ebd. Zur näheren Exposition der All-Einheitslehre vgl. D. Henrich: Dunkelheit und Vergewisserung, in: ders. (Hrsg.): All-Einheit. Wege eines Gedankens in Ost und West, Stuttgart 1985, S. 33 - 52. Vgl. D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O., S. 146 f.
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EINLEITUNG
solchen spekulativen Theorie der All-Einheit, in der Differenz als Moment der Einheit begriffen wird, ist, hegelisch ausgedrückt, die „Einheit des Unterschieden- und des Nichtunterschiedenseyns" bzw. die „Identität der Identität und Nichtidentität" (WL I 60; vgl. G W IV 65 ff.).24 Um der strukturellen Besonderheit des spekulativen Monismus willen m u ß Hegel nun eine Darstellungsweise entwickeln, mittels derer die in einer Einheit zusammengedachte Identitäts- und Differenzbeziehung des Endlichen und des Absoluten adäquat zum Ausdruck kommt. Um das Endliche als Moment des Absoluten zu artikulieren, bedarf die spekulative Logik einer Struktur von Differenzbeziehungen innerhalb des Absoluten selbst, die aber letztlich als Momente seiner Selbstbeziehung zu fassen sind. Denn im System des Monismus ist überhaupt kein Platz für Beziehung auf Fremdes. In der umfassenden All-Einheit müssen demnach Selbstbeziehung und Differenzbeziehung vollständig ineinander integriert werden, indem sich jede der beiden gleichermaßen durch die Negation der anderen, also durch die verdoppelte Negativitat, wieder affirmativ auf sich bezieht und so mit der anderen als mit sich selbst zu einem umfangreichen Komplex von Bestimmungskorrelationen zusammenschließt, der als Ganzes die Struktur des in sich differenzierten Absoluten ausmacht. In diesem Zusammenhang stellt sich Hegels Logik genau der Aufgabe, im System des Monismus eine solche komplexe Formenlehre zu entwerfen, deren Kategorien für eine angemessene Auslegung des Absoluten notwendig sind. 25 Während die Ontologie des spekulativen Monismus einen der zwei Einsatzpunkte bildet, die sich in der Kritik des natürlichen Weltverstehens entwickeln, wendet sich der andere gegen die Form dessen, wie man auf die angeblich selbständigen Einzelnen als Gegenstände der Erkenntnis Bezug nimmt. Beim formellen bzw. logischen Aspekt geht es Henrich zufolge um die Revision derjenigen Funktionen, die für unsere Bezugnahme auf Einzelnes konstitutiv sind. 26 Sie bilden sich jeweils aus Paaren von entgegengesetzten Bestimmungen, wie vor allem IdentitätNichtidentität, Eines-Anderes, Affirmation-Negation und Kompatibilität-
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Dieses Hegeische Prinzip des spekulativen Denkens hat seinen Ursprung wohl in der Platonischen Dialektik. „Das spekulative Denken", so schreibt Hegel in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, „besteht darin, daß man die Gedanken zusammenbringt; man muß sie zusammenbringen; das ist es, worauf es ankommt. Dies Zusammenbringen der Verschiedenen, Sein und Nichtsein, Eins und Vieles usf., so daß nicht bloß von einem zum anderen übergegangen wird, - dies ist das Innerste und das wahrhaft Große der Pia tonischen Philosophie." (TW XIX 76) Vgl. die Analyse von R. Wiehl: Piatos Ontologie in Hegels Logik des Seins, in: Hegel-Studien 3 (1965), S. 165 ff. Vgl. D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O., S. 148 f. Vgl.a.a. O..S. 151.
FORMATIONSBEDINGUNGEN VON HEGELS SYSTEM
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Inkompatibilität,2' von denen jedesmal nur eine dem Objekt zu- oder abgesprochen wird, um es gegen Anderes zu bestimmen. Diese CoFunktionalitäten verbürgen die Objektbeziehung im natürlichen Weltverstehen. Denn die Annahme der Selbständigkeit von Einzelnen hat ihr logisches Pendant darin, daß die Unterschiede der vielen Einzelnen, die durch die Co-Funktionen zum Ausdruck kommen, als ursprünglich und unreduzierbar angesehen werden. Dies revidiert jedoch der logische Monismus in der Weise, daß die Ursprünglichkeit solcher Unterschiede bestritten wird, ohne diese aber als solche wegfallen zu lassen.28 Im System des Monismus sind entgegengesetzte Bestimmungen in ihrer Einheit zu begreifen, sofern sie als zwei Formaspekte einer einzigen Korrelation vollständig ineinander integriert werden. Jede der beiden Bestimmungen in einer Co-Funktion der Objektbeziehung findet sich nun wieder in ihrem Gegenteil, weil jede der beiden jeweils durch die Negation der Negation zu einer internen Bestimmung der anderen zusammengeschlossen wird. Die Integration der Entgegengesetzen zu einer Einheit führt notwendigerweise zu solchen „widersprüchlichen" Aussagen wie „Das Identische ist wesentlich unterschieden von sich", mit denen man sich in Hegels Logik immer wieder auseinandersetzen muß. Es ist eben eine unumgängliche Konsequenz des spekulativen Monismus, daß zwei gegensätzliche Bestimmungen, die zunächst miteinander inkompatibel zu sein scheinen, in einem Zusammenhang gedacht werden müssen, um die komplexe Struktur von Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes herauszuarbeiten.29 Der ontologische und der logische Einsatzpunkt gegen das natürliche Weltverstehen machen zusammen nach Henrichs Hegel-Interpretation die Formationsbedingungen von Hegels System aus, die auch die eigentümliche Beziehung von Logik und Metaphysik in seinem System definieren.30 Gegenüber den meisten Hegel-Interpretationen, die selten über eine Vgl. ebd. Vgl. a. a. O., S. 152. Die Logik, die derartig gegensätzliche Verhältnisse im System des Monismus zu einer allumfassenden Einheit erarbeitet, kann man durchaus mit Henrich als Mono-Logik charakterisieren (vgl. a. a. O., S. 156), wobei das Operationsmittel in ihr nichts anderes ist als die Negation der Negation im Sinne einer selbstbezüglichen Negativitat, die Henrich unter der Formel „das Andere seiner selbst" zur generativen Grundoperation von Hegels Logik weiterentwickelt hat. Vgl. D. Henrich: Hegels Grundoperation. Eine Einleitung in die „Wissenschaft der Logik", a. a. O.; ders.: Formen der Negation in Hegels Logik, a. a. O. Die Leitgedanken von Henrichs Rekonstruktionsversuch lassen sich in seinen eigenen Worten wie folgt zusammenfassen: „Hegels Ontologie entwickelt zum natürlichen Weltverstehen die direkte Gegenposition, indem sie als einzigen Leitfaden für die interne Entfaltung dieser Ontologie das Prinzip der AllEinheit annimmt. Darüber hinaus begründet Hegel den gesamten Gang der formalen Entwicklung des monistischen Prinzips auf nichts weiter als die Um-
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EINLEITUNG
bloße Paraphrase hinausgehen, hat Henrich mit diesem Rekonstruktionskonzept eine sehr solide Basis dafür geschaffen, Hegels Systemgedanken intentions- und sachgetreu auszulegen, ohne aber beim äußerlichen Buchstaben haften zu bleiben.31 Die außerordentlich stringent gegliederte Systematik der Hegeischen Logik führt bekanntlich zu der Interpretationsschwierigkeit, daß man entweder an der subtilen Entwicklung des Begriffs vorbeigeht, wenn man sich nicht nahe genug am Text orientiert, oder aber den globalen Zusammenhang aus dem Blick verliert, wenn man nicht den nötigen Abstand zum Text hat. Aufgrund dieses Dilemmas ist für eine Hegel-Interpretation besonders wichtig, die Formationsbedingungen des Systems selbst zu durchschauen. Nur dann, so ist Henrich Recht zu geben, ergibt sich die „Möglichkeit zu einer Vergegenwärtigung", „welche weder in jene Art von Verkürzung gerät, der alles für Hegel Wesentliche entgleitet, noch auch auf eine Imitation hinausläuft, welche zur Verständigung außerstande ist über das für Hegel theoretisch Zentrale."32
1.2.
Urteilskritik als Problematik und Leitfaden
Die Problematik der vorliegenden Untersuchung läßt sich am besten in Auseinandersetzung mit dem einführen, was in Henrichs systematischem Rekonstruktionsversuch zu kurz kommt. Sicherlich kann man bei Henrich nicht beanstanden, daß seine Argumente für eine derartig globale Interpretation innerhalb des Umfangs eines einzelnen Aufsatzes sehr knapp und thesenhaft bleiben. Doch in zentralen Punkten läßt seine Argumentation Grundsätzliches zu wünschen übrig, was eine erhebliche Schwächung des an sich vielversprechenden Programms zur Folge hat. Vor allem bleibt die Natürlichkeit des natürlichen Weltverstehens, das als der Gegenstand der Kritik und Revision in den Mittelpunkt der Rekonstruktion gestellt wird, nahezu unbegründet.33 Für die These, daß es so formulierung der dyadischen Grundfunktionen der Objektbeziehung im natürlichen Weltverhältnis. Sie erfolgt so, daß was ursprüngliche Dyas war, zu den beiden Formaspekten eines einzigen formalen Verhältnisses wird." D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O., S. 153 f. 31 Ausdrücklich sagt Henrich, daß er mit seinem Rekonstruktionsversuch ein Bild von Hegels System darstellen möchte, „das ganz mit dessen Intentionen, nicht aber mit Hegels Selbstdarstellung übereinstimmt." A. a. O., S. 141. 12 Ebd. " Rolf-Peter Horstmann, der Henrichs Rekonstruktion insgesamt schätzt, hegt mit Recht Zweifel daran, ob es innerhalb der Hegeischen Philosophie überhaupt so etwas wie die Ontologie des natürlichen Weltverstehens gibt. Allerdings scheint der Grund seines Zweifels auf einem Mißverständnis der Intention Henrichs zu beruhen. Nach Horstmann gibt es für Hegel die Ontologie des
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etwas wie die Philosophie des natürlichen Weltverstehens gibt, wird fast ausschließlich an ihre Selbstverständlichkeit appelliert. So stehen auch der ontologische und der logische Aspekt des natürlichen Weltverstehens im besten Fall nur in äußerlicher Parallelität zueinander, wenn die beiden nicht argumentativ aus einem gemeinsamen Ursprung entwickelt werden. Diese Argumentationslücke führt unvermeidlich dazu, daß die Einheit von Logik und Ontologie in Hegels System ebenfalls höchstens auf eine Entsprechung de facto hinausläuft, die ihrerseits dem radikalen Einheitsanspruch des spekulativen Monismus noch nicht gerecht werden kann. Es bedarf also weiterer Begründungen. Es liegt zunächst die Vermutung nahe, daß das, was Henrich als das „natürliche Weltverstehen" bezeichnet, sich vor allem auf das „natürliche Bewußtsein" in der Phänomenologie bezieht, das durch die phänomenologische Widerlegung zum Standpunkt des wahren Wissens aufzuheben ist (PG 55 f.). Darum aber, weil Henrichs Rekonstruktionsversuch in erster Linie nicht auf die Phänomenologie, sondern auf die Logik abzielt, muß der Standpunkt des natürlichen Weltverstehens hier ebenso als Gegenstand der Kritik präsent sein. Dabei handelt es sich um das, was Hegel als die „ b l o ß e V e r s t a n d e s - A n s i c h t " (Enz. § 27, 70) bezeichnet. 34 Denn diese ist der latente, aber allgegenwärtige Widerstand in Hegels Logik und Enzyklopädie, gegen den sich das spekulative Denken in kritischer Auseinandersetzung mit ihm durchsetzen muß. Es stellt sich freilich die Frage, worin die Natürlichkeit des natürlichen bzw. verständigen Standpunktes besteht, und aus welchem Grund unser Verstehen der Welt unvermeidlich an diesen Standpunkt gebunden ist. Das natürliche Weltverstehen bzw. die Verstandesansicht wurzelt, so die leitende These der vorliegenden Arbeit, nicht in irgendeiner Annah-
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natürlichen Bewußtseins deshalb nicht, weil in der Phänomenologie des Geistes mehr als eine Gestalt des natürlichen Bewußtseins dargestellt und widerlegt wird. (Vgl. R.-P. Horstmann: Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel, Frankfurt a. M. 1990, S. 87 f.) Dagegen kann man mit Henrich vorerst zumindest zweierlei einwenden: zum einem geht es bei den Formationsbedingungen des Hegeischen Systems nicht primär um die Phänomenologie, sondern vielmehr um die Logik; zum anderen lassen sich die verschiedenen Gestalten des natürlichen Bewußtseins in der Phänomenologie letztlich auf eine gemeinsame Basis zurückführen, durch die sich die unwahren Standpunkte gleichermaßen von dem Standpunkt des absoluten Wissens unterscheiden. Zwar trifft das „natürliche Bewußtsein" in einer Vielzahl von „Gestalten" auf, diese sind aber generell durch die Trennung von Wissen und Gewußtem zu charakterisieren. Denn „das unmittelbare Daseyn des Geistes, das B e w u ß t s e y n , hat die zwey Momente, des Wissens und der dem Wissen negativen Gegenständlichkeit. Indem in diesem Elemente sich der Geist entwickelt und seine Momente auslegt, so kommt ihnen dieser Gegensatz zu, und sie treten alle als Gestalten des Bewußtseyns auf." (PG 29) Zum Standpunkt des Verstandes vgl. unten Kap 3.1.2: Verstand und Vernunft, S. 134 ff.
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EINLEITUNG
me, die so oder auch nicht so sein kann, sondern vielmehr in der Form des Urteils als solcher.35 Denn es ist eben das Urteil, in dem sich das Denken zu der Welt verhält. Um auf Dinge in der Welt Bezug zu nehmen und über sie Erkenntnisse zu formulieren, kommt man nicht umhin, sich der Form des Urteils, das in seiner Grundkonstruktion eine Subjekt-PrädikatStruktur aufweist, zu bedienen. Diese legt aber nicht nur eine Konzeption von formellen Regeln im Sinne einer Logik fest, nach denen die Bezugnahme auf und die Bestimmung von Wirklichem operieren, sondern impliziert ebensosehr einen Begriff vom Wirklichen, nach dem die Seinsweisen der Dinge in der Welt verstanden werden. Die Subjekt-PrädikatStruktur des Urteils bestimmt also nicht nur die logischen Formen der Prädikation, sondern zieht auch hinsichtlich der möglichen Objekte eines Urteils eine ontologische Implikation nach sich, die mit dem logischen Charakter des Urteilssubjekts zusammenhängt. Im Urteil vereinigen sich somit zwei Aspekte eines einzigen Sachverhalts, deren jeweilige Systematisierung, um mit Henrich zu sprechen, als die Logik und die Ontologie des natürlichen Weltverstehens bezeichnet werden können, wobei ihre Natürlichkeitsansprüche die bei Henrich gefehlte Begründungsbasis nun zumindest ansatzweise in der Unerläßlichkeit der Urteilsform finden. An die Form des Urteils ist die Philosophie seit den ersten Anfängen in eben dem Maße gebunden, in dem sie mit der Wahrheit zu tun hat. Wenn es um die Wahrheit geht, ist die Form des Urteils immer schon vorausgesetzt. Denn die Grundform des Urteils, in der ein Subjekt und ein Prädikat durch eine Kopula zu einer bestimmten Aussage verbunden werden, wird zugleich als die Elementareinheit angesehen, der die Eigenschaft der Wahrheit zu- oder abgesprochen werden kann. Wenn man sich fragt, wovon wir sagen dürfen, es sei wahr oder falsch, so kann man wohl nicht anders antworten, als daß es eben Sätze oder Urteile sind, auf die sich Wahrheit oder Falschheit primär beziehen.36 So sehr diese Grundüberzeugung auch als selbstverständlich oder gar als unhinterfragbar angesehen werden mag, so ist sie doch bzw. erst recht der ausschlaggebende Widerstand, mit dem sich Hegel in der Entwicklung seiner spekulativen Logik immer wieder auseinandersetzen muß. Im reifen System der Enzyklopädie formuliert Hegel in aller Schärfe seine Kritik an der angenommenen Wahrheitsfähigkeit der Urteilsform: „Ohnehin ist die Form des Satzes oder bestimmter des Urtheils ungeschickt, das Concrete, - und das
Ansatzweise findet man bei Henrich auch Andeutungen, die auf meine These hinweisen, wie z. B.: „Das System der Formen unserer Bezugnahme auf Einzelnes und unser Selbstverständnis, das sich mit ihm zusammen entwickelt, kann geradezu die Natürlichkeit der Ontologie im natürlichen Weltverstehen definieren." D. Henrich: Die Formationsbedingungen der Dialektik, a. a. O , S. 150 f. Vgl. J. Habermas: Wahrheitstheorien, in: H. Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag, Pfullingen 1973, S. 211 ff.
URTEILSKRITIK ALS PROBLEMATIK U N D LEITFADEN
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W a h r e ist concret, - und Speculative auszudrücken; das Urtheil ist durch seine Form einseitig und in sofern falsch." (Enz. § 31 A, 72) Hegels Kritik an der „natürlichen" Auffassung der Form des Urteils hinsichtlich deren Funktion bzw. Fähigkeit zum Ausdrücken der Wahrheit ist eine Thematik, die vor allem unter dem Stichwort „der spekulative Satz" in der Hegel-Literatur behandelt wird. 37 In der vorliegenden Unter-
Die bisher detailliertste, aber leider nicht die überzeugendste Studie zu diesem Thema ist wohl die von G. Wohlfart: Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel, Berlin / New York 1981. Eine ebenfalls sehr ausführliche Untersuchung liefert R. Heede: Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel, Münster / Westfalen 1972, bes. S. 190 - 254. Die von Heede selbst als „schlicht" (a. a. O., S. 205) bezeichnete Interpretation hat das Verdienst, die vor ihm erschienene Literatur zu diesem Thema nahezu vollständig berücksichtigt zu haben. Kürzere, aber dafür gedankenreichere Diskussionen über das Problem des spekulativen Satzes finden sich vor allem bei W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache, Frankfurt a. M. 1967; J. Simon: Die Kategorien im „gewöhnlichen" und im „spekulativen" Satz. Bemerkungen zu Hegels Wissenschaftsbegriff, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 3 (1970), S. 9 - 37; J. P. Surber: Hegel's Speculative Sentence, in: Hegel-Studien 10 (1975), S. 211 230; R. Bubner: Strukturprobleme dialektischer Logik, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, S. 7 - 39; H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels, Meisenheim am Glan 1981, bes. S. 63 - 89; S. Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels, Kerlin 1992, bes. S. 76 - 87. Obwohl Hegels Kritik an der Form des Urteils bzw. das Problem der sprachlichen Darstellung des Spekulativen in der Hegel-Literatur weitgehend als ein ganz zentrales Problem der Hegeischen Philosophie anerkannt wird, gibt es doch außer der Arbeit Wohlfarts bisher kaum eine andere Studie, die sich zum Ziel setzt, diese Problematik systematisch oder entwicklungsgeschichtlich in vollem Umfang anzugehen. Um so merkwürdiger ist aber der Umstand, daß in vielen Arbeiten über systemtheoretische Probleme in Hegels Philosophie ein Nebenkapitel über dieses Problem zu finden ist, das aber selten über eine bloße Paraphrase der längst bekannten Theoreme hinausgeht. Die Rezensionsgeschichte dieses Kapitels in Hegels Philosophie dokumentiert eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber dem Problem, die sich daraus ergibt, daß man einerseits die zentrale Rolle des Problems in Hegels System einsieht, es aber andererseits nicht einer systematischen Rekonstruktion näherzubringen weiß. Hierzu vermißt man etwa die Literatur, die den zahlreichen systematischen Rekonstruktionen in der Kant-Literatur zu einem vergleichbar wichtigen Problem, wie der transzendentalen Deduktion, gleichkommen könnte. Im allgemeinen gilt der Vorwurf, den Henrich vor knapp 40 Jahren zum damaligen Forschungsstand der Hegel-Literatur gemacht hat, auch nach so vielen Jahren immer noch: „Ein Kommentar zu Hegels Logik, der mit den Werken von Cornford, Ross, Vaihinger und Paton zu gleichen wäre, ist bisher nicht geschrieben worden." D. Henrich: Anfang und Methode der Logik, in: ders.: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1975, S. 73 (zuerst in: Hegel-Studien. Beiheft 1 (1964), S. 19 - 35). Diese Forschungslücke könnte vielleicht der postum erschienene Kommentar Klaus Hartmanns zu Hegels Logik zum Teil füllen, dessen nachgelassenes Manuskript zwar einen vollständigen Durchgang durch die ganze Wissenschaft der Logik
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EINLEITUNG
suchung aber wird sie generell als Urteilskritik bezeichnet, um diese als eine textübergreifende Problematik von ihrer speziellen Ausführung in der Vorrede zur Phänomenologie zu unterscheiden. Schon ein flüchtiger Blick auf die möglichen Konsequenzen der Urteilskritik weist auf eine sehr eigentümliche Stellung Hegels zur Wahrheitsfähigkeit des Urteils hin. Mit der Urteilskritik setzt sich Hegel nicht nur dem gesunden Menschenverstand und der vorherrschenden Tradition der Philosophiegeschichte entgegen, sondern versetzt sich auch noch in eine Schwierigkeit, die ausweglos erscheint. Denn wie auch immer Hegel die Form des Urteils kritisieren will, soviel ist doch von vornherein klar, daß der Ausführung seiner Kritik ihrerseits nichts anderes übrigbleibt, als sich wiederum der Urteile bzw. Sätze zu bedienen, deren Form gerade in Kritik steht, sofern er weder überhaupt auf die Sprache verzichten noch von vornherein eine neue Kunstsprache einführen will, die der Unzulänglichkeit der natürlichen Sprachform einfach enthoben und auf diese Weise zur Darstellung der spekulativen Wahrheit geeignet wäre.38 Diese Aporie ist aber gerade das, was die subtile Problemstellung der Urteilskritik in der spekulativen Philosophie definiert. Die Darstellung der spekulativen Wahrheit bedient sich keineswegs einer nichturteilsmäßigen Sprachform, sondern vollzieht sich erst recht in der Kritik der Urteilsform, die in deren „natürlichem" bzw. „verstandesmäßigen" Gebrauch nur einen je einseitigen Sachverhalt auszudrücken vermag. Die Möglichkeit zur Überwindung der Unzulänglichkeit des Verstandesurteils besteht nämlich nirgendwo anders als in der kritischen Entfaltung ihres eigenen Selbstverständnisses. So schreibt Rüdiger Bubner zu Recht: „Der spekulative Satz ist also nicht eine andere Form von Satz, eine logische Alternative zum Verstandesurteil. Er ist der Prozeß der Aufhebung der logischen Struktur von Verstandesurteilen. Er setzt die Urteilsstruktur als solche voraus."39 Die eigentümliche Darstellungsform in der Wissenschaft bietet, der sich aber zum Zeitpunkt von Hartmanns Tod noch in sehr unterschiedlichem Zustand der Fertigstellung befand. Vgl. K. Hartmann: Hegels Logik, hrsg. v. O. Müller m. einem Vorwort v. K. Brinkmann, Berlin / New York 1999. Treffend schildert Stefan Majetschak die Sachlage der Urteilskritik: „Auf den ersten Blick scheint die Darstellungsidee nun in ein grundsätzliches Dilemma zu geraten. Einerseits ist die Darstellung wesentlich auf die Formen des Satzes angewiesen, weil der Gedanke nur in konkreten Prädikationen zum Ausdruck kommen kann. Andererseits scheint die Prädikation in der finiten Satzform selbst die >Verendlichung< und damit die >Verstellung< der Wahrheit derjenigen >Gegenstände< zu sein, die als unendliche aufzufassen sind. Hegel versucht dieses Dilemma in seiner Hermeneutik der spekulativen Sätze philosophischer Darstellungen aufzulösen, welche als eine Hermeneutik des Satz-Verstehens einen bewußten Anschluß an ein alltägliches Vorverständnis sucht." S. Majetschak: Die Logik des Absoluten, a. a. O., S. 78 f. R. Bubner: Strukturprobleme dialektischer Logik, a. a. O., S. 23.
URTEILSKRITIK ALS PROBLEMATIK U N D LEITFADEN
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der Logik ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Form des Urteils in einer sehr speziellen und sogar in gewissem Sinne „verkehrten" Weise zum Einsatz gebracht wird, u m durch die „Zerstörung" (PG 43) ihrer eigenen beschränkten Natur, also durch die verdoppelte Negativitat, das Positive herauszuentwickeln, in dem sich das Spekulative zur Darstellung bringt. Wer Hegel sorgfältig liest, wird unschwer zu der Einsicht kommen, daß die Urteilskritik nicht nur für die dialektische Bewegung logischer Kategorien von ausschlaggebender Bedeutung ist, sondern auch in Hegels eigener Denkentwicklung eine entscheidende Rolle spielt. Hegels kritische Auseinandersetzung mit der Urteilsform geht schon auf die sogenannten theologischen Jugendschriften zurück und taucht in den Jenaer Schriften immer wieder auf.40 Dem Problem der sprachlichen Darstellung des Spekulativen in Sätzen wird aber erst in der Phänomenologie des Geistes die programmatische Bedeutung beigemessen, die es im System der spekulativen Philosophie aufweist. In der Vorrede zur Phänomenologie, die ursprünglich als Vorrede zum gesamten System der Wissenschaft geplant wurde, findet sich nämlich die berühmte Lehre vom „spekulativen Satz", in der „die Art des gewöhnlichen Verhältnisses der Theile eines Satzes" (PG 45), d. h. die Beziehung von Subjekt und Prädikat, hinsichtlich seiner Angemessenheit für die Darstellung des Absoluten in Frage gestellt wird. Sollte die Vorrede zur Phänomenologie, wie Heinz Röttges meint, als „der philosophisch dichteste u n d zugleich für Hegels ganze Philosophie wichtigste programmatische Text" 4 1 gewürdigt werden dürfen, so gilt dies wohl insbesondere für das Textstück über den spekulativen Satz (Abs. 58 - 66, PG 41 - 46), das mit Recht als Kernstück der ganzen Vorrede angesehen werden kann. 42 Der „spekulative Satz" tritt in der Vorrede zur Phänomenologie keinesfalls lediglich als Episode auf,43 sondern bezieht sich als das Movens der dialektischen Bewegung auf das gesamte System, insbesondere aber auf die Logik. Denn „der spekulative Satz", so Bubner, „faßt nachgerade zusammen, was in der ganzen Logik Zum entwicklungsgeschichtlichen Aspekt der Hegeischen Urteilskritik vgl. unten Kap. 3.2.1.3: Ansätze der Urteilskritik, S. 162 ff H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels, a. a. O., S. 7. Vgl. G. Wohlfart: Der spekulative Satz, a. a. O., S. 184. Es ist in der Hegel-Literatur eine nicht unübliche These, die Lehre vom „spekulativen Satz" sei nur eine episodische Überlegung Hegels, die im endgültigen System nicht mehr beibehalten, sondern vielmehr durch die Urteils- bzw. Schlußlehre in der Logik abgelöst wird. (Vgl. z. B. K. Düsing: Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik, in: D. Henrich (Hrsg.): Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, S. 21.) Es gehört zu einer der Hauptaufgaben der vorliegenden Arbeit, die übergreifende Rolle des spekulativen Satzes bzw. der Urteilskritik in Hegels System zu verdeutlichen und somit diese Auffassung zu widerlegen. Vgl. unten Kap. 3.2.2.2: Der spekulative Satz als philosophischer Wesensatz?, S. 176 ff.
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vor sich geht."44 Voll Bedacht greift Hegel hier, wo die Einleitung in sein gesamtes System vorgenommen wird, den „natürlichen" Gebrauch der Urteilsform an, um den Weg für die Kritik der traditionellen Metaphysik und die Darstellung der spekulativen Wahrheit zu bahnen.45 Daß die Urteilskritik gerade den Ausgangspunkt für die kritische Darstellung der Wahrheit bildet, zeigt sich noch deutlicher in dem systematischen Aufbau der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, wo die Einleitung in das gesamte System durch einen „Vorbegriff' geleistet wird, der von den sogenannten drei „Stellungen des Gedankens zur Objektivität" handelt. In §§ 26 - 32 der dritten Auflage der Enzyklopädie, in denen die traditionelle Metaphysik als die erste Stellung zur Objektivität diskutiert wird, kritisiert Hegel das Versäumnis der traditionellen Metaphysik, auf ihre eigenen Voraussetzungen zu reflektieren. Sie geht nämlich davon aus, die wahrhafte Erkenntnis der Dinge geschehe in der Weise, daß diesen bestimmte Prädikate beigelegt werden. Aber „es wurde nicht untersucht, ob solche Prädicate an und für sich etwas Wahres seyen, noch ob die Form des Urtheils Form der Wahrheit seyn könne." (Enz. § 28 A, 71) Auf dieses gravierende Versäumnis lassen sich Hegel zufolge die entscheidenden Unzulänglichkeiten der traditionellen Metaphysik zurückführen. Wenn man trotzdem gegen die Wichtigkeit der Urteilskritik für Hegels Philosophie einwenden möchte, daß ihre beiden Ausführungen, nämlich in der Vorrede zur Phänomenologie und in dem Vorbegriff zur Enzyklopädie, gerade als bloße „Vordiskussion" weder zum Haupttext im strengen Sinn noch zum eigentlichen System gehören, so darf man sich nicht darüber täuschen, daß das Urteil doch in der „Subjektivität" der Begriffslogik (WL III 53 - 89) thematisiert wird und als Zwischenstufe zwischen Begriff und Schluß seinen wohlbestimmten Platz im System einnimmt. Während die ganze Begriffsentwicklung in der Logik als von der Urteilskritik motiviert gelesen werden kann, wird das Urteil erst in der Begriffslogik zum Gegenstand der Logik gemacht. Hier werden die Formen des Urteils, die sich vom „Urteil des Daseins" bis zum „Urteil des Begriffs" entwickeln, in ihren jeweiligen Konkretisierungen des Subjekt-PrädikatVerhältnisses analysiert.46 Hegel zufolge erweist sich das Urteil letztlich als 44 45 46
R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, Stut 1980, S. 98. Vgl. a. a. O, S. 99. Auf die Einzelheiten der Urteilsentwicklung vom „Urteil des Daseins" zum „Urteil des Begriffs" wird in der vorliegenden Arbeit nicht eingegangen, weil sie zur Entschlüsselung der systematischen Bedeutung des Urteils in Hegels System wenig beitragen würden. Eine ausführliche Analyse zur Entwicklung der verschiedenen Urteilsformen findet sich bei Werner Salomon: Urteil und Selbstverhältnis. Kommentierende Untersuchung zur Lehre vom Urteil in H »Wissenschaft der Logik«, Frankfurt a. M. 1982.
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ein „Durchgangsstadium"47 zwischen Begriff und Schluß, indem sich die Einheit des Begriffs um der Realisierung seiner selbst willen zunächst im Ur-teilen entzweien muß und erst dann am Schluß als erfüllte Einheit wiederherstellt. Die oben genannten drei Diskussionen über die Form des Urteils weisen, wie sich in der näheren Auslegung zeigen wird, grundsätzlich strenge gedankliche Konsistenz auf, so daß sie in der vorliegenden Untersuchung nur als verschiedene Ausführungen einer einzigen Urteilskritik betrachtet werden.48 Die verschiedenen Ausführungen variieren in ihren konkreten Zusammenhängen vornehmlich dadurch voneinander, daß sie ihrer jeweiligen systematischen Anordnung und Zielsetzung entsprechend unterschiedliche Gesichtspunkte hervorheben. Für unsere Untersuchung aber ist die Diskussion über den spekulativen Satz in der Vorrede zur Phänomenologie von maßgeblicher Bedeutung. Denn die systematische Bedeutung des Problems der Form des Urteils kommt eben hier, wo die Diskussion als Einleitung in das Gesamtsystem gedacht wird, besonders deutlich zur Geltung. Daher werden wir uns im folgenden vor allem an der Darstellung des spekulativen Satzes orientieren. Außer den genannten drei Hauptausführungen finden sich überall in den Hegeischen Schriften zahlreiche weniger ausführliche Äußerungen über die Unzulänglichkeit der Urteilsform. Eine der wichtigsten davon befindet sich in der zweiten Anmerkung zur ersten Kategorie der Logik „Sein" (WL I 77 - 80), wo Hegel zu zeigen versucht, daß die strukturelle Beschränktheit der Urteilsform gerade das ist, was zum Übergehen von Vgl. R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, a. a. O., S. 99 f. Werner Marx vertritt die Ansicht, daß es verfehlt wäre, die im System der Logik und der Enzyklopädie entwickelten Bestimmungen des Urteils auf die Problematik des spekulativen Satzes in der Phänomenologie anzuwenden. Dies begründet er damit, daß es sich bei der Lehre vom spekulativen Satz in der Phänomenologie nur um eine „Erfahrungsgeschichte" des sich noch nicht durchschauenden Geistes handelt, aufgrund derer sich das räsonierende Denken zum begreifenden verwandeln muß, um den Standpunkt des absoluten Wissens zu erreichen. Die systematischen Bestimmungen des Urteils in der Logik und der Enzyklopädie und die Lehre vom spekulativen Satz in der Phänomenologie befinden sich nach W. Marx' Interpretation sozusagen auf zwei verschiedenen Ebenen. Wenn es nur darum geht, daß die Urteilsbestimmungen im späteren System und die in der Phänomenologie nicht ohne Rücksicht auf ihre jeweiligen Zusammenhänge zur Interpretation der anderen herangezogen werden dürfen, kann man W. Marx' Ansicht durchaus zustimmen. Doch wenn seine Ansicht darauf hinausläuft, daß die Interpretation der einen von der der anderen getrennt behandelt werden soll, würde sie die Möglichkeit versäumen, die übergreifende Bedeutung der Urteilskritik in Hegels Philosophie überhaupt, aufgrund deren sie sowohl als Teil der „Erfahrungsgeschichte" in der Phänomenologie wie auch als Moment des Systems in der Logik und Enzyklopädie zur Diskussion gestellt wird, zu erkennen. Vgl. W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache, a. a. O., S. 8 f., Anm. 8.
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EINLEITUNG
Sein in Nichts, d. h. im allgemeinen zur Bewegung des Begriffs, führt. Diese exemplarische Anmerkung gilt aber ebensowohl für alle weiteren Kategorien. Denn das Absolute soll zwar durch die Kategorien gefaßt werden, aber es gelingt keiner von ihnen, sofern sie allein für sich genommen wird, es adäquat auszudrücken. Jeder Ausdrucksversuch durch eine Kategorie erweist sich als inadäquat, insofern die spekulative Wahrheit durch die beschränkte Form des Urteils jedesmal nur auf eine einseitige, mithin endliche Bestimmung reduziert wird. Vom ständigen Scheitern am adäquaten Ausdruck des Absoluten, das in der gewöhnlichen Urteilsstruktur wurzelt, wird der dialektische Fortgang in der Logik motiviert. Dies zwingt nämlich dazu, eine Kategorie erneut zu bestimmen bzw. in eine neue überzugehen. In dieser Hinsicht kann die anläßlich der ersten Kategorie gemachte Anmerkung ebenfalls als auf alle dialektischen Übergänge der Kategorien bezogen angesehen werden. Aus dieser vorläufigen Betrachtung über die Ausführungen der Urteilskritik in den Hegeischen Schriften ergibt sich schon die Einsicht, daß sich Hegels Urteilskritik zumindest in dreifacher Weise auszeichnet: Erstens drückt sich ihre besondere Wichtigkeit darin aus, daß das Problem der Urteilsform schon in seinen theologischen Jugendschriften ausdrücklich hervorgehoben wird und über die Weiterentwicklung in den Jenaer Schriften dann in der Phänomenologie und schließlich im endgültigen System eine Schlüsselrolle gewinnt. Zweitens zeigt sich die systematische Sonderstellung der Urteilskritik im Gesamtsystem darin, daß diese, obwohl sie als wesentlicher Systemteil in die Begriffslogik gehört, doch in den Einleitungsteilen von Phänomenologie und Enzyklopädie vorausblikkend diskutiert werden muß, um ihre übergreifende Rolle als Movens dialektischer Begriffsbewegung erkennbar zu machen. 49 Drittens drückt Daher kann ich Henrich nicht ohne weiteres zustimmen, wenn er schreibt: „Es ist [...] nicht zulässig, in irgendeinem späteren Kapitel der Logik ihr >eigentliches< Zentrum und den Motor ihres Prozesses zu suchen, weder in der Lehre von der Reflexion noch in der vom Urteil oder der vom Schluß." D. Henrich: Anfang und Methode der Logik, a. a. O., S. 93. Diese Einschätzung kann man jedoch unter Vorbehalt akzeptieren, wenn sie, worauf Michael Theunissen hinweist, nur „in geheimer Polemik" gegen die Interpretation Wolfgang Albrechts formuliert ist (vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegeischen Logik, Frankfurt a. M. 1980, S. 399; W. Albrecht: Hegels Gottesbeweis. Eine Studie zur „Wissenschaft der Logik", Berlin 1958). Denn die übergreifende Rolle der Urteilskritik besagt nicht, wie Albrecht meint, daß „sich die Entwicklung des Seins in ihren entscheidenden Etappen derjenigen des Urteils zuordnen läßt" (a. a. O., S. 107). Der Versuch, die Übergänge der Kategorien in der Seinslogik mit der Entwicklung der Urteilslehre in der Begriffslogik zu parallelisieren, verfehlt den systematischen Aufbau der Logik. Die Sonderstellung des Urteils in Hegels Logik verdeutlicht Theunissen vielmehr wie folgt: „Mit allem spricht Hegel nichts Geringeres aus als die Einsicht, daß dem urteilsmäßigen Satz der logisch-ontologische Vorrang vor den gemeinhin so genannten 'Begriffen« gebührt. Mit dem Übergang zum Urteil wird offenbar,
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sich darin auch die Reflexivität der Hegeischen Philosophie aus, indem das Movens des Systems selbst in der Entwicklung eben dieses Systems, und zwar in der Begriffslogik, reflexiv thematisiert und konstruktiv eingeholt wird. Denn Hegels System geht explizit als eine spekulative Selbstuntersuchung des Denkens vor, in der nicht einmal ihre eigenen Voraussetzungen und methodischen Bedingungen außer Betracht bleiben dürfen.
1.3.
Ansatzpunkte und Untersuchungsmethode
Mit der Urteilskritik haben wir nun einen Leitfaden an der Hand, mit dessen Hilfe die Systematik der Hegeischen Philosophie, die sich in der Wissenschaft der Logik gründet, näher ans Licht gebracht werden kann. Denn die Urteilskritik stellt, wie sich in der Untersuchung zeigen wird, das Grundproblem der spekulativen Logik dar. Nur in Auseinandersetzung mit diesem sind die Formationsbedingungen von Hegels System und dessen innere Dialektik aus einem einheitlichen Gesichtspunkt zu begreifen. Im Hinblick auf Henrichs Rekonstruktionsversuch, wie oben skizziert, lassen sich die grundlegenden Ansatzpunkte der vorliegenden Arbeit wie folgt formulieren: 1. Hegels System ist wesentlich ein System des spekulativen Monismus, in dem die Wahrheit als die All-Einheit bzw. als das Absolute ihre vollkommene Darstellung finden soll. Dieses monistische System der Wahrheit ist aber keineswegs wie „aus der Pistole" (PG 24) geschossen zu erreichen, sondern entwickelt sich erst in der spekulativen Selbstuntersuchung des Denkens. Daß die Wahrheit nicht auf einen Schlag zu erfassen ist, beruht auf dem Umstand, daß die „natürliche" bzw. „verstandesmäßige" Form des Urteils nicht geeignet ist, die Wahrheit angemessen darzustellen. Daraus entsteht die dialektische Bewegung des Begriffs. In diesem Sinne ist die strukturelle Unzulänglichkeit der Urteilsform, formal gesehen, das Movens der Dialektik. 2. Die dialektische Entwicklung der Denkbestimmungen bezieht sich sachlich als kritische Revision auf das „natürliche" Weltverstehen, das
daß die in der Wissenschaft der Logik bisher thematisch gewordenen Bestimmungen eben deshalb keine derartigen >Begriffe< sind, weU sie dem urteilsmäßigen Satz entspringen. Hierauf beruht die Schlüsselposition der Urteilslehre. Mag es auch töricht sein, das Kapitel über das Urteil in den Rang des Zentraltextes der Hegeischen Logik erheben zu wollen, so nimmt es doch gegenüber der gesamten Togischen Theorie insofern eure metatheoretische Stellung ein, als es in der Analyse seines Gegenstandes die eine Wahrheit in der Wahrheit aller bestimmten Begriffe freilegt." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 422.
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EINLEITUNG
wesentlich von dem logisch-ontologischen Primat der Einzeldinge ausgeht. Die Natürlichkeit dieses Weltverständnisses hat aber ihre Wurzel in der Form des Urteils, indem die Subjekt-Prädikat-Struktur unvermeidlich an die Vorstellung gebunden ist, daß dasjenige, worauf Bezug genommen werden kann, primär eines von vielen selbständigen Einzelnen ist. Für Hegel muß jedoch diese selbstverständliche Annahme radikal revidiert werden, indem die Vielheit der Einzelnen so aufgehoben und zugleich in ein System des spekulativen Monismus integriert wird, daß die Selbständigkeit der Einzelnen mit ihrer völligen Abhängigkeit von dem Absoluten in Einem zusammengedacht wird. Da sich in diesem Zusammenhang die Darstellung des spekulativen Monismus wesentlich in der kritischen Revision des natürlichen Weltverstehens vollzieht, ist das System, um mit Michael Theunissen zu sprechen, nur von dem methodischen Prinzip der Einheit von Darstellung und Kritik her faßbar.50 3. In der kritischen Darstellung des Hegeischen Systems vereinigen sich zwei selbstständig entfaltete, aber wesentlich aufeinander bezogene Einsatzpunkte, die sich gegen die Logik und die Ontologie des natürlichen Weltverstehens wenden. Diese zwei Aspekte hängen insofern gleichermaßen mit der verständigen Auffassung der Urteilsform zusammen, als diese nicht nur einen Begriff vom Formellen, sondern ebensosehr einen vom Wirklichen mit sich bringt. Die Urteilskritik destruiert und revidiert demnach nicht nur die als selbstverständlich betrachtete Form, in der die Wahrheit der Dinge auszudrücken sein soll, sondern auch die implizite Ontologie, nach der die Gegenständlichkeit der Dinge gewöhnlich ausgelegt wird. Angesichts dieses Doppelaspektes ist mit der Urteilskritik ein Angelpunkt gegeben, aus dem sich die substantielle Einheit von Logik und Ontologie in Hegels System näher beleuchten läßt. Mit diesen Ansatzpunkten macht es sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe, Hegels Urteilskritik mit Rücksicht auf ihre subtile Rolle in seinem gesamten System anzugehen, zu analysieren und einer nachvollziehbaren Rekonstruktion näherzubringen. Ziel der Untersuchung ist eine am Text ausgewiesene und zugleich systematische Auslegung der Hegelschen Urteilskritik, die die Konstruktion von Hegels spekulativer Logik näher ans Licht bringt. Wir werden zunächst den Hegeischen Begriff der Wahrheit samt dem damit verbundenen Problem der Darstellung in Diskussion stellen, um die Zielsetzung der Hegeischen Logik zu explizieren und im Hinblick darauf die Problemstellung der Urteilskritik festzulegen. Anschließend wird auf die sprachliche Dimension des Problems
Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O.
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eingegangen, um die Rolle der Sprache in Hegels spekulativer Logik zu verdeutlichen. Auf dieser Grundlage wird dann das Problem des „spekulativen Satzes" untersucht. Da Hegel der Meinung ist, daß die gewöhnliche Satzform für die Darstellung spekulativer Wahrheit nicht geeignet ist, so scheint die Ansicht nahezuliegen, daß die Lehre vom „spekulativen Satz" in der Phänomenologie eine Satz- bzw. Urteilsform darstellt, die sich als eine der Philosophie eigentümliche Sprache der Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Sprachform entziehen könnte. Diese Gegenüberstellung des „gewöhnlichen" und des „spekulativen" Satzes verfehlt aber das Wesentliche der Urteilskritik und der spekulativen Philosophie überhaupt. Der eigentliche Sinn des spekulativen Satzes besteht, wie sich zeigen wird, in Wahrheit vielmehr darin, die gewöhnliche Form des Satzes im Rahmen der gewöhnlichen Sprache selbst über ihre beschränkte Natur aufzuklären. Diese Selbstaufklärung veranlaßt der spekulative Satz dadurch, daß die Form des Urteils in einer „verkehrten" Weise zum Einsatz gebracht wird, um sie an ihre eigenen Grenzen gelangen zu lassen. In dieser Beziehung ist der spekulative Satz nicht, wie einige Hegel-Interpretationen meinen, eine alternative Urteilsform, die die gewöhnliche ablösen soll,51 sondern vielmehr eine kritische metatheoretische Betrachtung der logischen Bedingungen der Urteilsform. Denn die Wissenschaft der Logik ist, so Bubner, „einephilosophische Theorie vom Logischen""2. Das Eigentümliche einer Metatheorie spekulativer Art ist aber, daß in ihr eine durchgängige Trennung zwischen der Meta- und Objektstufe entfällt. Die Urteilskritik als eine Metatheorie bewegt sich vielmehr auf derselben Ebene wie das Objekt der Kritik, weil sie letztendlich eine Kritik ist, die sich selbst reflexiv zum Gegenstand hat. Diese Urteilskritik ist aber nicht nur eine Sprach- und Logikkritik, sondern wesentlich auch eine Metaphysik- und Ontologiekritik, da die traditionelle Auffassung des Urteils, so Horstmann, „zur Annahme einer Ontologie verführt, wenn nicht gar verpflichtet: zu der Annahme nämlich, daß die den Urteilssubjekten entsprechenden Gegenstände als Substanzen zu denken sind, denen die durch Prädikatbegriffe bezeichneten Eigenschaften zukommen."53 In der Analyse der Subjekt-Prädikat-Struktur wird also die Substanz-Akzidens-Dichotomie in der traditionellen Metaphysik zugleich thematisiert. Dabei zielt die Analyse darauf, die „natürliche" Annahme, daß das zuletzt Wirkliche selbständige Einzelne sind, auf die man im Urteil Bezug nehmen kann, in Frage zu stellen. Der ontologische Primat der Einzeldinge bzw. der „ersten Substanzen", wie sie in der Zu diesem Problem vgl. unten Kap. 3.2.2.2: Der spekulative Satz als philosophischer Wesensatz?, S. 176 ff. R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, a. a. O., S. 112. R.-P. Horstmann: Wahrheit aus dem Begriff, a. a. O., S. 36.
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EINLEITUNG
Aristotelischen Kategorienschrift dargestellt werden, wird im Hegeischen Monismus radikal revidiert. Denn das Wahre ist für Hegel letztlich das Eine, in dem alle endlichen Dinge ihre relative Wahrheit erhalten. Diese Eine Substanz ist jedoch nicht ein Ding neben oder über anderen Dingen, obwohl die Rede von Substanz aufgrund der ontologischen Implikation der gewöhnlichen Urteilsform zu einer „Dingontologie" verführt, sondern sie ist wesentlich Negativitat bzw. Subjektivität, die als reine Tätigkeit des Denkens zu bestimmen ist. Es kommt dabei darauf an, die spekulative Identität von Substanz und Subjekt adäquat aufzufassen und auszudrükken, eine Aufgabe, die erst durch die ganze Logik zu vollbringen ist. Die Vollendung der Logik besteht letztlich in der vollkommenen Realisierung des Begriffs, der als das monistisch-holistische System logischer Bestimmungen alle Wahrheit enthält. Darum ist der Begriff eben die Eine Substanz, die zugleich Subjekt ist. Bei der Kritik der Urteilsform und deren ontologischer Konsequenzen setzt sich Hegel zugleich mit der ganzen Tradition der abendländischen Philosophie auseinander. Das natürliche Weltverstehen oder die Verstandesansicht entspricht dennoch nicht einer bestimmten Position in der Geschichte der Philosophie, sondern spiegelt sich mehr oder weniger in allen philosophischen Unternehmen wider.54 Um den eigentlichen Sinn der Hegeischen Kritik nachvollziehen zu können, ist es unerläßlich, sich auch mit den maßgeblichen Positionen zu befassen, auf die sich die Kritik bezieht. Dabei sind Aristoteles, vor allem aber Kant die wichtigsten Autoren für unsere Problematik. Denn mit der Aristotelischen Logik und Metaphysik ist der Problemhorizont gegeben, auf dem die Diskussionen um das Problem des Urteils und dessen ontologische Implikation basieren. In der Kantischen Vernunftkritik erblickt Hegel einerseits den entscheidenden Umbruch, der ihm den Weg für seine Philosophie der
Konrad Cramer macht darauf aufmerksam, daß das „natürliche Bewußtsein" in der Phänomenologie für Hegel primär nicht, wie W. Marx meint, ,„die vorgefundenen Umstände, Lage, Gewohnheiten, Religion usw.', also alle das Bewußtsein bestimmenden Umstände der Gesamtsituation, in der es sich befindet" bedeutet (W. Marx: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimm ihrer Idee in „Vorrede" und „Einleitung", Frankfurt a. M. 1971, S. 23), sonde einen „argumentsstrategischen" Sinn hat, indem Hegel dem Inbegriff aller in Konkurrenz zum Standpunkt der philosophischen Wissenschaft stehenden Positionen, die als verschiedene Gestalte vom erscheinenden Geist in der Geschichte der Philosophie aufgetreten sind, „die Eigentümlichkeit zuweist, als Positionen von Bewußtsein gelten zu müssen". (K. Cramer: Bemerkungen zu Hegels Begriff vom Bewußtsein in der Einleitung zur Phänomenologie de stes, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Heg Frankfurt a. M. 1978, S. 365.) Ebenso vertritt der Verstand als der Gegenstand der Kritik in der Logik keine bestimmte philosophische Position in der Geschichte der Philosophie, sondern vielmehr die argumentsstrategische Gegenposition der spekulativen Philosophie überhaupt, in der sich die verschiedenen Positionen der Philosophie in unterschiedlichem Grade wiederfinden.
ANSATZPUNKTE UND UNTERSUCHUNGSMETHODE
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absoluten Subjektivität bahnt, aber andererseits auch seinen wahren Opponenten, mit dem er sich an allen zentralen Punkten immer wieder auseinandersetzen muß. Freilich bezieht sich Hegels Kritik nur auf die traditionelle Philosophie vor ihm, aber aufgrund dessen, daß die Urteilslehre in der nachhegelschen Entwicklung der Logik beachtenswerte Fortschritte erlebt hat, werden wir dort, wo uns die moderne Logik zum tieferen Verständnis der Sachlage verhilft, ebenfalls einige Einsichten aus der semantischen Analyse mitberücksichtigen.55 Vor allem werden wir einige zentrale Ansätze von Frege in die Diskussion einbeziehen, wenn sie Licht in die Problematik bringen können.
Man könnte Hegels Kritik zwar auch aus der Sicht der modernen Semantik bewerten. Mit dieser Einstellung versucht man etwa, Hegels Logik in die logische Sprache unserer Zeit zu übersetzen und sie mit dem gegenwärtigen Lehrbestand zu vergleichen. Einen derartigen „Übersetzungsversuch" hat Pirmin Stekeler-Weithofer unternommen in: Hegels analytische Philosophie. Die Wissenschaft der Logik als kritische Theorie der Bedeutung, Paderborn 1992. Vgl. auch A. Grau: Ein Kreis von Kreisen. Hegels postanalytische Erkenntnistheorie, Paderborn 2001. Aber es wäre verkehrt, die Tragweite der Hegeischen Logik allein nach dem Maßstab der analytischen Philosophie zu bemessen, die offenkundig eine andere Zielsetzung und Vorgehensweise unterstellt als Hegel.
2.
SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
Wie auch immer man Hegels Philosophie aufgrund ihrer eigentümlichen Darstellungsweise auslegen will, soviel ist doch unumstritten, daß es in ihr, wie schon in der Philosophie überhaupt, wesentlich um die Wahrheit geht, und zwar primär um die Wahrheit, die deren eigenem Anspruch in höchstem Maße gerecht werden soll. In der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften äußert Hegel ausdrücklich, daß dasjenige, worauf er überhaupt in seinen philosophischen Bemühungen hingearbeitet hat und immer noch hinarbeitet, nichts anderes ist als „die wissenschaftliche Erkenntniß der Wahrheit" (Enz. 5). Als die geltungstheoretische Grundlage des Gesamtsystems hat die Wissenschaft der Logik insbesondere „die absolute Wahrheit" (WL III 179) bzw. „die I d e e , das an und für sich W a h r e " (WL III 180) expressis verbis zum Gegenstand. Denn die sogenannte Pilatus-Frage „was i s t W a h r h e i t ? " (WL III 5) markiert genau das Zentralproblem, mit dem sich die ganze Logik in erster Linie zu beschäftigen hat. Obwohl sich alle Wissenschaften auch in der einen oder der anderen Weise die Wahrheit zum Ziel setzen, so hat die Logik doch in einer besonders ausgezeichneten Weise mit der Wahrheit zu tun, die sie diesbezüglich von allen übrigen entscheidend abhebt. 1 Die Logik versteht sich nämlich als eine Wissenschaft, die sich rein dem Wahrsein aller Wahrheit widmet. Für sie ist die Wahrheit sozusagen nicht nur das Ziel, sondern auch der einzige bzw. „absolute G e g e n s t a n d " (Enz. § 25, 68). Daß sich Hegel in seiner Logik mit der absoluten Wahrheit befaßt, ist von vornherein klar; nur stellt sich dann die Frage, welchen Begriff von Wahrheit er in
Selbst die moderne formale Logik, die ein viel bescheideneres Ziel verfolgt als die Hegeische, kennt ihre ausgezeichnete Aufgabenstellung hinsichtlich der Frage nach der Wahrheit. So unterstreicht z. B. Frege auch die besondere Art und Weise, wie die Logik mit der Wahrheit zu tun hat: „Wie das Wort .schön' der Ästhetik und ,gut' der Ethik, so weist ,wahr' der Logik die Richtung. Zwar haben alle Wissenschaften Wahrheit als Ziel; aber die Logik beschäftigt sich noch in ganz anderer Weise mit ihr. [...] Wahrheiten zu entdecken, ist Aufgabe aller Wissenschaften: der Logik kommt es zu, Gesetze des Wahrseins zu erkennen." G. Frege: Der Gedanke, in: ders.: Logische Untersuchungen, hrsg. u. eingeleitet v. G. Patzig, 4., durchgesehene u. bibliographisch ergänzte Aufl., Göttingen 1993, S. 30.
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SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
seiner Philosophie vertritt, oder was er unter so etwas wie „der absoluten Wahrheit" eigentlich versteht. Um Hegels Wahrheitsbegriff sach- und intentionsgemäß auslegen zu können, ist es unerläßlich, sich zunächst über Hegels eigentümliche Stellung zur traditionellen Wahrheitskonzeption klarzuwerden. Denn Hegels Wahrheitsbegriff zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die klassische Wahrheitskonzeption im Rahmen seiner spekulativen Philosophie ihre höchste Vollendung erreichen soll, die aber zugleich ihre eigene Aufhebung bedeutet. In dieser konsequenten Erschöpfung des Wahrheitsbegriffs werden zugleich divergente Aspekte der Wahrheitsproblematik in eine einheitliche Perspektive gebracht. Von der gewöhnlichen erkenntnistheoretischen Orientierung führt Hegel die Wahrheitsproblematik auf deren wirklichkeitstheoretische Grundlage zurück, mit der das antike Wahrheitsverständnis, und zwar die Platonische Idee des wahrhaften Seins (ÖVTCÜC, öv), rehabilitiert wird. Auf Hegels Wahrheitsbegriff gründet die Formation des Systems im Sinne des Monismus bzw. des Holismus. Denn erst das System als Ganzes macht das eigentliche Wahre aus. Mit dem Hegeischen Wahrheitsbegriff hängt aber wesentlich ein eigentümliches Problem der Darstellung zusammen, das aufgrund der spekulativen Denkweise eine Schlüsselstellung in dem gesamten System einnimmt. Für Hegel ist das Wahre eben in seiner Darstellung. Das Eigentümliche der Darstellungsproblematik ist, daß für die spekulative Philosophie die Darstellung des Wahren und die Kritik des Unwahren in einem zusammengedacht werden müssen. Denn aus dem monistischholistischen Wahrheitsbegriff ergibt sich die Konsequenz, daß auch das Unwahre von Grund auf durchschaut und innerhalb des Systems selbst aufgeklärt werden muß. Daß die Kritik des Unwahren ein unerläßliches Moment der Wahrheitsdarstellung in der Logik bildet, ist aber in der Hegel-Interpretation nicht gerade selbstverständlich. Dabei ist der Einwand zu berücksichtigen, die Phänomenologie habe schon die Kritik aller Unwahrheiten für die Logik erledigt, so daß diese sich der Auseinandersetzung mit dem Unwahren überhaupt entziehe. Wichtig ist somit, die unterschiedlichen Aufgaben und Problemstellungen der Kritik in der Phänomenologie und in der Logik näher zu betrachten. Nur dann läßt sich die ausgezeichnete Sonderstellung der auf der Urteilsform beruhenden Unzulänglichkeit in der Darstellungsproblematik mit Rücksicht auf die verschiedenen Konkretionen des Unwahren in der Logik verdeutlichen. Daß die Form des Urteils nicht geeignet ist, das Wahre adäquat darzustellen, beruht auf dem Wesen der Sprache, die der Mensch als endlicher Geist hat. Da das Urteil bzw. der Satz wesentlich sprachliches Gebilde ist, ist seine Form jedenfalls der Struktur der menschlichen Sprache unterworfen. In dieser Beziehung ist Hegels Urteilskritik wesentlich auch eine spekulative Sprachkritik, weil es eben um das Problem geht, ob und inwiefern sich die Wahrheit der spekulativen Philosophie sprachlich
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darstellen läßt. Ausschlaggebend für die Problematik ist ein im Wesen der Sprache liegendes Dilemma, indem sie zwar einerseits durch die Einseitigkeit ihrer Ausdrucksweise, also durch ihre Endlichkeit, begrenzt und bedingt wird, aber anderseits innerhalb ihrer selbst die Möglichkeit hat, über ihre eigene Grenze hinauszugehen. Nur im Hinblick auf diese wesentliche Janusköpfigkeit der menschlichen Sprachlichkeit sind die eigentliche Aufgaben- und Problemstellung der Hegeischen Urteilskritik zu erkennen.
2.1.
Wahrheit und Darstellung
2.1.1. Hegels Begriff der Wahrheit 2.1.1.1. D e r klassische Wahrheitsbegriff Der klassische Wahrheitsbegriff, an dem sich die Philosophie unserer heutigen Zeit noch weitgehend orientiert, 2 geht bekanntlich auf Aristoteles zurück. In seinem Organon hat Aristoteles den Grundstein zur klassischen Logik gelegt, ohne den die ganze Entwicklung der Logik gar nicht denkbar gewesen wäre. 3 Die erstaunliche Wirkungsgeschichte der Aristotelischen Logik zeigt sich nicht nur in ihrem prägenden Einfluß auf dem Gebiet, das heute als formale Logik verstanden wird, sondern mehr :
Trotz aller modernen „Wahrheitstheorien" bleibt die traditionelle Wahrheitskonzeption in einem weiteren Sinne der Übereinstimmung des Denkens mit dem Sein noch weitgehend die grundliegende Konzeption. Vgl. unten S. 43, Anm. 19. Kaum eine andere Disziplin der Wissenschaft hat einem einzelnen Autor soviel zu verdanken wie die Logik Aristoteles. Für Kant z. B. scheint die von Aristoteles entwickelte Logik trotz des philosophischen Umbruchs in der Neuzeit noch immer so geschlossen und vollendet zu sein, daß sie aus Kants Sicht bis zu seiner Zeit „keinen Schritt vorwärts hat thun können" (KrV B VIII). Auch wenn man die megarisch-stoische und scholastische Logik zu den Fortschritten rechnet, so bemerkt Hegel doch in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie ganz treffend: „Das Beste, was über die Formen des Urteils, Schlusses usf. in der gewöhnlichen Logik vorkommt, ist aus diesen Schriften des Aristoteles genommen; man hat viel im Detail daran ausgesponnen, aber das Wahrhafte findet sich schon bei Aristoteles." (TW XIX 238) Tatsächlich hat die Logik nach Aristoteles erst zu Ende des 19. Jahrhunderts vor allem dank Frege substantielle Fortschritte gemacht. Es herrscht Einigkeit darüber, daß Freges Begriffsschrift (1879) den Anfang der modernen Logik markiert, wobei die wesentlichen Teile der Aristotelischen Logik immer noch gültig bleiben. Vgl. G. Frege: Begriffsschrift und andere Aufsätze, mit E. Husserls u. H. Scholz' Anmerkungen hrsg. v. I. Angelelli, Darmstadt 1977.
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SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
noch in dem Umstand, wie sehr der grundlegende Problembestand der abendländischen Metaphysik mit ihr verbunden ist. Was die Aristotelische Konzeption der Wahrheit (üAnöeta) angeht, so findet sich ihre formale Bestimmung zunächst im Rahmen seiner Urteilslehre, die in der kleinen Schrift De interpretatione vorliegt. Wahrheit faßt Aristoteles primär als eine Eigenschaft auf, die sich in erster Linie auf eine im Urteil vollzogene Verbindung bzw. Synthesis (rjüvOeoic,) von Bedeutungselementen bezieht, denen aber allein für sich genommen noch kein Wahrheitswert zukommt. „Denn Falschheit wie Wahrheit sind an Verbindung und Trennung geknüpft (nepi yäp carvfJeotv Kai 6iaipeoiv EOTI TÖ V|/£Ü5ÖC te Kai TÖ dXqGec,). Es gleichen nun die Nennwörter und die Aussagewörter für sich allein einem Gedanken ohne Verbindung und Trennung, wie z. B. das Wort .Mensch' oder das Wort ,weiß', wenn nicht noch etwas hinzugefügt wird. Denn (für sich allein) ist (ein solches Wort) noch nicht falsch oder wahr, aber es ist (dennoch) ein Zeichen mit einer ganz bestimmten Bedeutung." (De int. 1, 16al2-16)4 Hinsichtlich des Wahrheitswerts unterscheidet Aristoteles zwischen zwei Gedankenarten. Es gibt neben Gedanken, mit denen etwas gedacht wird, ohne es zugleich mit einem anderen Gedanken zu verbinden oder von einem anderen zu trennen, noch Gedanken, mit denen eine bejahende oder verneinende Verbindung als solche im Denken vollzogen wird. Damit begründet Aristoteles die Grundthese, daß Wahrheit oder Falschheit dem Wesen nach nicht auf isolierte Worte oder Begriffe bezogen ist, sondern vielmehr auf deren Verbindung oder Trennung, die im Urteil als Behauptungssatz (Xöyoc, anocpavTiKÖc,)5 zum Ausdruck kommt. Ein Wort für sich kann zwar Bedeutung haben, aber niemals einen Wahrheitswert, weil es für sich allein, ohne irgend etwas bejahend noch verneinend zu behaupten, noch keinen Wahrheitsanspruch erhebt. So sind Kategorien, insofern sie noch unverbunden je für sich betrachtet werden, nur Konstruktionsglieder von Urteilen, die aber weder wahr noch falsch sind (Cat. 4, 2a5-ll). Erst indem der ursprünglich isolierte Gedanke mit einem anderen verbunden oder von einem anderen getrennt wird, wird man sagen können, daß die Verbindung oder Trennung richtig oder falsch ist.6 4
s
6
Zitiert werden die deutschen Übersetzungen der Aristotelischen Texte, sofern nicht anders bemerkt, nach der Ausgabe: Werke in deutscher Übersetzung, begründet v. E. Grumach, hrsg. v. H. Flashar, Berlin 1956 ff. In der Unterscheidung von Xöyoc; anocpavTiKÖc (Behauptungssatz) und Xöyoc OT|uavTiKÖc, (sinnvoller Satz) findet man bei Aristoteles die erste explizite Abgrenzung der Wahrheit beanspruchenden Sätze: „Jedes Wortgefüge hat zwar eine Bedeutung [...], ein Behauptungssatz aber ist nicht jedes, sondern nur eines dem es zukommt, wahr oder falsch zu sein. Nicht allen kommt dies zu. So ist z. B. eine Bitte zwar ein Wortgefüge, aber weder wahr noch falsch." (De int. 4, 16b33 - 17a4) Verbinden und Trennen sind zwei Kehrseiten derselben Medaille. Denn „man
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Urteil ist somit die elementare wahrheitsfähige Einheit, die dann als Prämisse im Syllogismus fungieren kann. 7 Das einfachste gedankliche Verbinden, auf dessen Vollzug im Urteilen sich Wahrheit und Falschheit beziehen, findet nach Aristoteles seinen sprachlichen Ausdruck darin, daß ein Nennwort (övoua) durch die Hinzufügung eines Aussageworts (pfjua) zu einem bejahenden oder verneinenden Urteil ergänzt wird. Wie überall in den aristotelischen Schriften findet man hier ebenfalls eine unübersehbare Auseinandersetzung mit Piaton. 8 Nach Ernst Kapp hat diese Aristotelische Konzeption ihre Vorgeschichte im späten Piaton, der sich durch die Kritik des Antisthenes, der ebenfalls Schüler von Sokrates war, zur Erklärung des Problems gezwungen sieht: Wie ist es überhaupt möglich, eine Idee durch Zusammensetzung mehrerer Worte zu definieren, die dennoch eine unteilbare Einheit darstellen soll?9 Im Sophistes zeigt Piaton, daß im Satz (Xöyoc.) nichts anderes wiedergegeben wird als eine Synthesis bzw. Verflechtung (ou(rnXoKf)), in der sich eine Idee (elöoc,) mit einer anderen zu einer Einheit verbindet. Die Ideenverbindung vollzieht sich aber nicht im beliebigen Zusammenstellen von Worten, sondern vielmehr im geregelten Verbinden verschiedener Satzelemente, wodurch ein sinnvoller Satz
8
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kann [...] alles [d.h. alle Verbindungen und Trennungen] auch als Trennung ansehen." (De an. III 6, 430b3f.) Keines von den beiden kann sich allein vollziehen, ohne das andere ebenfalls mit ins Spiel zu bringen, weil sich mit einem bestimmten Gedanken zu verbinden ebensoviel heißt als sich von dem Gegenteil desselben zu trennen. In dieser Beziehung läßt sich das Trennen als negatives Verbinden interpretieren. Vgl. R. Bubner: Was heißt Synthesis?, in: ders.: Antike Themen und ihre moderne Verwandlung, Frankfurt a. M. 1992, S. 97. Bei der Auslegung der Aristotelischen Logik muß man wohl den Umstand immer im Auge behalten, daß sich seine Logik, wie Ernst Kapp bemerkt, vornehmlich auf den Syllogismus, also auf die Lehre vom Schluß, richtet. Denn „Gegenstand der aristotelischen Logik ist das cruXXoyi(ea6ai, Fundamentalbegriff also der Syllogismus," und so kann „die aristotelische Logik in ihrer Eigenart nur vom Begriff des Syllogismus her faßbar sein". E. Kapp: Syllogistik (1931), in: ders.: Ausgewählte Schriften, hrsg. v. H. u. I. Diller, Berlin 1968, S. 261. So sehr es auch übertrieben sein mag, so ist Viertels Ansicht, von der seine Untersuchung zum Begriff der Substanz bei Aristoteles ausgeht, doch im großen und ganzen vertretbar: „Man kann in der aristotelischen Philosophie keinen Schritt tun, ohne Piatons Meinung zu kennen, jeder Satz der aristotelischen Philosophie ist nur angemessen zu begreifen als Antwort auf Piaton. Es gibt wohl kein Thema, das Aristoteles anschneidet, ohne nicht dabei die entsprechende Meinung Piatos auf das heftigste zu kritisieren." W. Viertel: Der Begriff der Substanz bei Aristoteles, Königstein / Ts. 1982, S. VII. Diese äußerst enge, aber kritische gedankliche Verbundenheit zwischen Piaton und Aristoteles findet sich wohl, wie sich in der vorliegenden Arbeit zeigen wird, in der Beziehung von Kant und Hegel wieder. Vgl. E. Kapp: Greek Foundations of Traditional Logic, New York 1942, S. 52 59; R. Brandt: Die Aristotelische Urteilslehre. Untersuchungen zur „Hermeneutik", Marburg 1965, S. 53 - 65.
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SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
erzeugt wird. Mit einem kleinen Gedankenexperiment zeigt Piaton, daß aus Hauptwörtern (övöuara) allein, hintereinander ausgesprochen, niemals eine Rede oder ein sinnvoller Satz entstehen kann und ebensowenig auch aus Zeitwörtern (prjuata), die ohne Hauptwörter ausgesprochen werden (Soph. 262a9-ll). „Denn weder auf diese noch auf jene Weise kann das Ausgesprochene weder eine Handlung noch eine Nichthandlung noch ein Wesen eines Seienden oder Nichtseienden darstellen, bis jemand mit den Hauptwörtern die Zeitwörter vermischt." (Soph. 262c2-5) Erst durch die Synthesis eines Hauptwortes mit einem Zeitwort, wie etwa „Theaitetos sitzt" oder „Theaitetos fliegt", kommt der kürzeste und einfachste sinnvolle Satz zustande, der sich auf die Wirklichkeit bezieht und zugleich Wahrheitsanspruch enthält. Damit war Piaton in der Philosophiegeschichte überhaupt der erste, der gezeigt hat, daß die Möglichkeit für einen Satz, wahr oder falsch zu sein, eben in der Struktur geregelter Synthesis gründet. Sein Hauptanliegen zielt aber in erster Linie nur darauf, die Möglichkeit der Falschheit im Reden und Denken zu erklären, die nach dem Sophistes darin besteht, daß man aus Zusammenstellung von Zeitwörtern und Hauptwörtern Seiendes als nichtseiend oder umgekehrt Nichtseiendes als seiend darstellen kann (Soph. 263dl-4).'°Die Falschheit jedes falschen Satzes (\|/eö6oc; Xöyoc,) führt Piaton letztlich darauf zurück, daß er sich hinsichtlich der Verschiedenheit des Dargestellten von dem bestehenden Sachverhalt auf N/crifseiendes (uf] öv) bezieht, d. h. auf einen Sachverhalt, der gar nicht besteht." Dabei geht es Piaton aber weniger um das Hauptproblem moderner Erkenntnistheorie, wie das im Satz Ausgedrückte mit dem wirklichen Sachverhalt übereinstimmt, oder wie sich die beanspruchte Korrespondenz zur Wirklichkeit verifizieren läßt, es geht ihm vielmehr hauptsächlich durch die Analyse des falschen Satzes primär um die Möglichkeit des Wahr- und Falschseins im Satz hinsichtlich der strukturierten Verknüpfbarkeit von Satzelementen, die eine sinnvolle Satzbildung regelt.12 Durch die Synthesis miteinander verträglicher Satzelemente wird eine Einheit hergestellt, die sich auf einen wirklichen Sachverhalt bezieht und somit als wahr oder falsch gelten kann. An das Ergebnis des Platonischen Gedankenexperiments schließt Aristoteles an, indem er Wahrheit und Falschheit als auf die als Einheit vorgestellte Synthesis von Bedeutungselementen bezogen auffaßt: „Wo 10
Vgl. W. Detel: Piatons Beschreibung des falschen Satzes im Theätet und Sophistes, Göttingen 1972, bes. S. 68 - 108. " Günther Patzig hält die von Piaton entwickelte Lösung zum Problem der Falschheit für unbefriedigend, weil Piaton das Nicht-Wirkliche als etwas auf faßt, das auf gleichem Niveau mit dem Wirklichen steht. Vgl. G. Patzig: Piaton und das Problem des Irrtums, in: ders.: Aufsätze zu antiken Philosophie [Gesammelte Schriften IIT\, Göttingen 1996, S. 73 - 92. u Vgl. R. Bubner: Was heißt Synthesis?, a. a. O., S. 98.
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[...] Irrtum und Wahrheit herrscht, da gibt es schon eine Verknüpfung der Begriffe zu einer Einheit (oüvöeoic, Tic, f\Sr\ voqudTüiv üianep ev ÖVTÜIV)" (De an. III 6, 430a27f). Diese synthetische Einheit, auf die sich Wahrheit bezieht, kommt aber erst aus der im Urteil vollzogenen Synthese zustande. Wahrheit liegt sozusagen erst im Urteilen vor. Daraus ergibt sich unmittelbar die Konsequenz, daß Wahrheit in eigentlichem Sinne nicht „in den Dingen", sondern „im Denken" anzutreffen ist (Met. E 4, 1027b25-27). 13 Dennoch zieht die synthetische Einheit notwendigerweise den Bezug auf wirkliche Dinge nach sich, einen Wirklichkeitsbezug, der im Wahrheitsanspruch eines Urteils mit enthalten ist. Denn wenn wahr richtige Verbindung und falsch dagegen unrichtige Verbindung heißen soll, so m u ß die Richtigkeit am wirklichen Sachverhalt gemessen werden. Hinsichtlich der Wirklichkeitsbezogenheit charakterisiert Aristoteles in der Metaphysik das Wahr- und Falschsein folgendermaßen: „Zu sagen nämlich, das Seiende sei nicht oder das Nicht-Seiende sei, ist falsch, dagegen zu sagen, das Seiende sei und das Nicht-Seiende sei nicht, ist wahr (TÖ uev yäp Xeyeiv TÖ ÖV uq elvai fj TÖ ufj öv eivai \|/eü6oc, TÖ 5e TÖ öv elvai Kai TÖ uf) öv uf| elvat aXr|8ec,)." (Met. T 7,101 lb26f.) 14 Wahr ist demnach, im Anklang an die Platonische Überlegung im Sophistes, ein Urteil, das von dem, was ist, aussagt, daß es ist. Die Möglichkeit, wahr oder falsch zu sein, besteht dadurch, daß das Urteil behauptet, die Dinge würden sich in Wirklichkeit so verhalten, wie sie durch die Verbindung von Bedeutungselementen dargestellt werden. Bei dieser Behauptung liegen genau die alternativen Möglichkeiten des Zutreffens und des Verfehlens vor. Man m u ß sich aber darüber klarwerden, daß ein Gedanke nie deswegen wahr wird, weil wir ihn für wahr halten, sondern vielmehr weil wir genau so denken und urteilen, wie sich die Dinge in Wirklichkeit verhalten. a In dieser Struktur des So-Wie liegt der entscheidende Hinweis auf die Wahrheitskonzeption, die sich über die scholasti13
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Zitiert wird die deutsche Übersetzung der Aristotelischen Metaphysik nach der Ausgabe: Aristoteles' Metaphysik, in der Übersetzung v. H. Bonitz, neu bearbeitet, m. Einl. u. Kommentar hrsg. v. H. Seidl, 2 Halbbände, Hamburg 1989 - 80. Auf diese Wahrheitsbestimmung von Aristoteles pflegt man als Beleg für den Aristotelischen Ursprung der Korrespondenztheorie hinzuweisen. Vgl. auch Met. E 4, 1027b20-23: „Das Wahre nämlich spricht die Bejahung aus von dem Verbundenen, die Verneinung von dem Getrennten, das Falsche aber spricht das kontradiktorische Gegenteil dieser Teilung aus." Vgl. Met. 0 10, 1051b3-9: „Dieses [d. h. das im eigentlichsten Sinne seiende Wahre oder Falsche] aber liegt bei den Dingen durch Zusammensetzung und Trennung vor, so daß der die Wahrheit sagt, der vom Getrennten urteilt, es sei getrennt, und von dem Zusammengesetzten, es sei zusammengesetzt, der dagegen im Irrtum ist, welcher anders denkt als die Dinge sich verhalten [...]. Nicht darum nämlich, weil unser Urteil, du seiest weiß, wahr ist, bist du weiß, sondern darum, weil du weiß bist, sagen wir die Wahrheit, indem wir dies behaupten."
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sehe Tradition zur sogenannten Korrespondenztheorie der Wahrheit entwickelt hat. Obwohl Aristoteles nicht unbedingt als der Begründer der Korrespondenztheorie gelten kann, so ist doch kaum bestreitbar, daß die heute noch vorherrschende Wahrheitstheorie ihre Wurzel in der Aristotelischen Logik und Metaphysik hat. Es ist wohl kein Zufall, daß die klassische Formulierung der Korrespondenztheorie gerade aus der Hand eines Aristotelikers schlechthin, Thomas von Aquin, stammt. Im Hinblick auf die Aristotelische Konzeption der Wahrheit präzisiert Thomas die Idee des So-Wie durch die Formel der adaequatio. In der Summa Theologica findet sich nämlich die maßgebende Definition der Wahrheit als „die Übereinstimmung von Sein und Denken (veritas est adaequatio rei et intellectus)"^. Die Definition der Wahrheit als adaequatio rei et intellectus hat Thomas schon in einer früheren Schrift Quaestiones disputatae de verdate entwickelt, wo er die Definition auch mit den Begriffen „assimilatio", „convenientia"', „conformitas"', vornehmlich aber mit dem Begriff „correspondentia" erläutert hat.17 In dieser Beziehung bezeichnet man mit Recht die Tradition der über Thomas auf Aristoteles zurückgehenden Wahrheitskonzeption als Korrespondenztheorie der Wahrheit. Während die zwei Relata der Korrespondenzrelation in ihrer Weiterentwicklung je nach Sinnzusammenhang und Theoriengrundlage verschiedene Konkretisierungen finden, wie etwa als Verstand und Sache, Erkenntnis und Gegenstand, Begriff und Realität, Urteil und Wirklichkeit, Sprache und Welt oder Aussage und Sachverhalt, so ist mit der adaequatio-¥orme\ bereits der locus classicus der Wahrheitsdefinitionen gegeben, der die unerläßliche Ausgangsbasis für alle Auseinandersetzung mit der Wahrheitsproblematik bildet. Die Stärke dieser klassischen Wahrheitsdefinition dürfte vor allem darin liegen, daß sie dem natürlichen Verständnis der Wahrheit sehr naheliegt. Sie entspricht ja dem Sinngehalt dessen, was man normalerweise versteht, wenn man von Wahrheit spricht. Aber diese Stärke ist wohl zugleich ihre entscheidende Schwäche, da die Definition, wie Kant es treffend schildert, als „die Namenerklärung der Wahrheit" zwar auf das Wesen der Wahrheit zutrifft, diese aber einer sachlichen Erkenntnis doch
Thomas von Aquin: Summa Theologica, vollständige, ungekürzte deutschlateinische Ausgabe, übers, v. Dominikanern u. Benediktinern Deutschlands u. Österreichs, hrsg. v. Katholischen Akademikerverband, Bd. 2, Salzburg / Leipzig 1934, Buch I, Frage 16, Art. 1. (In dieser Ausgabe wird die lateinische Formulierung „adaequatio rei et intellectus" durch die deutsche Übersetzun „vollkommene Angleichung von Sache und Verstand" wiedergegeben.) Vgl. Thomas von Aquin: Von der Wahrheit [Quaestiones disputatae de veri Quaestio I], lateinisch-deutsch, ausgewählt, übers, u. hrsg. v. Albert Zimmermann, Frage 1, Art. 1, Hamburg 1986, S. 2 ff.
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nicht näherbringt. 18 „Die Namenerklärung der Wahrheit, daß sie nämlich die Übereinstimmung der Erkenntniß mit ihrem Gegenstande sei, wird hier geschenkt und vorausgesetzt; man verlangt aber zu wissen, welches das allgemeine und sichere Kriterium der Wahrheit einer jeden Erkenntniß sei." (KrV A 58 / B 82) Die Wahrheitsdefinition der klassischen Logik ihrerseits ist Kant zufolge noch sehr dürftig, wenn nicht gar sachleer. Für Kant haben die Logiker bis zu seiner Zeit kaum Fortschritte gemacht zur Antwort auf „die alte und berühmte Frage [...]: W a s i s t W a h r h e i t ? " (KrV A 58 / B 82). Die „Namenerklärung" der Wahrheit durch die Formel der Übereinstimmung ist nichts mehr als eine inhaltslose Bestimmung der Wahrheit, die über kein objektives Kriterium für die Feststellung der Überstimmung oder Nichtübereinstimmung verfügt. Wenn Wahrheit in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande bestehen soll, so m u ß zumindest die Möglichkeit vorliegen, die im Urteil artikulierte Erkenntnis eines Objekts mit dem Objekt selbst, wie es in Wirklichkeit ist, zu vergleichen. „Nun kann ich aber", so argumentiert Kant in der Einleitung der Logik-Vorlesung weiter, „das Object nur mit meinem Erkenntnisse vergleichen, d a d u r c h d a ß i c h es e r k e n n e . Meine Erkenntniß soll sich also selbst bestätigen, welches aber zur Wahrheit noch lange nicht hinreichend ist. Denn da das Object außer mir und die Erkenntniß in mir ist, so kann ich immer doch nur beurtheilen: ob meine Erkenntniß vom Object mit meiner Erkenntniß vom Object übereinstimme. Einen solchen Cirkel im Erklären nannten die Alten Diallele." (AA IX 50) Der Kritikpunkt für die Korrespondenztheorie der Wahrheit besteht eben darin, daß die Korrespondenzrelation zwischen Erkenntnis und Gegenstand oder generell zwischen Denken und Sein nicht identifizierbar ist.19 Das Denken kann sich prinzipiell nicht mit etwas vergleichen, das 18
Da das Korrespondenzverhältnis seinerseits gelegenüich als im Wahrheitsbegriff implizit vorausgesetzt angesehen wird, beginnt die Wahrheitsproblematik bei einigen Wahrheitstheoretikern erst mit der Formalisierung dieses Verhältnisses. Vgl. L. B. Puntel: Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, Darmstadt 1993, S. 26. " Angesichts der grundsätzlichen Schwierigkeit oder gar der prinzipiellen Unmöglichkeit, die in der klassischen Wahrheitskonzeption beanspruchte Übereinstimmung zwischen Denken und Wirklichkeit einzulösen, versuchen die modernen Wahrheitstheorien, vor allem durch semantische Begründungen, den Wirklichkeitsbezug der Wahrheit überhaupt abzulösen. Den maßgeblichen Ansatz bietet bekanntlich Alfred Tarski mit seiner „semantischen Definition der Wahrheit" (A. Tarski: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (1936), in: ders.: Collected Papers, Bd. 2, hrsg. v. S. R. Givant u. R. N. McKenzie, Basel / Boston / Stuttgart 1985, S. 51 - 198), indem er die Übereinstimmungsrelation ausschließlich als ein Verhältnis zwischen Sätzen auffaßt, und zwar so, daß die Wahrheitsbedingung eines Satzes, anstatt auf die Wirklichkeit zu verweisen, wiederum durch einen anderen Satz angegeben werden soll. Dabei wird freilich vorausgesetzt, daß für die Feststellung des Wahrheits-
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ihm völlig fremd ist. Man kann ja nur einen Gedanken mit einem anderen Gedanken vergleichen, nicht aber mit einem Objekt, das jenseits des Denkens liegt. So geht die Vergleichung nie über einen Kreis von Vergleichungen des Denkens mit sich selbst hinaus, was schließlich zu „einer elenden Diallele" (KrV A 57 / B 82) führt.20 Die traditionelle Wahrheitsdefinition ironisiert Kant sogar mit einer Beschuldigung der Skeptiker, die den Logikern vorwerfen: „es verhalte sich mit jener Erklärung der Wahrheit eben so, wie wenn jemand vor Gericht eine Aussage thue und sich dabei auf einen Zeugen berufe, den niemand kenne, der sich aber dadurch glaubwürdig machen wolle, daß er behaupte, der, welcher ihn zum Zeugen aufgerufen, sei ein ehrlicher Mann. Die Beschuldigung war allerdings gegründet." (AA IX 50) Um die Erkenntnis der Wahrheit weiterzubringen, ist es nach Kant unerläßlich, zunächst zwischen dem materialen und dem formalen Aspekt der Wahrheit zu unterscheiden. Ein allgemeines materiales Kriterium der Wahrheit gibt es aber für Kant schlichtweg nicht; es kann gar keines geben, weil ein solches Kriterium in sich selbst widersprechend wäre. Denn als ein allgemeines Kriterium muß es für alle Objekte abgesehen von deren Unterschieden gelten; als ein materiales Kriterium aber m u ß es eben auf die Unterschiede gehen, um das Objekt, mit dem eine Erkenntnis übereinstimmen soll, von anderen Objekten unterscheiden und somit als das Objekt der Erkenntnis identifizieren zu können. „Es ist daher ungereimt, ein allgemeines materiales Kriterium der Wahrheit zu fordern, das von allem Unterschiede der Objecte zugleich abstrahiren und auch nicht abstrahiren solle." (AA IX 51; vgl. KrV A 58 f. / B 83)
werts eines Satzes immer schon ein anderer Satz zur Verfügung steht, dessen Wahrheitswert schon bekannt ist. Für die Konsistenz der Theorie muß schließ lieh eine Metasprache postuliert werden, durch die die Wahrheitsbedingungen der Sätze in der entsprechenden Objektsprache zu erklären sind. In dieser Beziehung hat die semantische Definition der Wahrheit das Problem nicht wirklich gelöst, sondern sozusagen lediglich nach hinten geschoben. Vgl. die kritische Rezension von Ernst Tugendhat: Tarskis semantische Definition der Wahrheit und ihre Stellung innerhalb der Geschichte des Wahrheitsproblems im logischen Positivismus, in: Philosophische Rundschau 8 (1960), S. 131 - 159; ders.: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, 6. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, bes. Vorlesungen 15 f. Eben aufgrund dieser Zirkulärität des Wahrheitsproblems zieht Frege die Möglichkeit, Wahrheit überhaupt eine Definition zu geben, ernsthaft in Zweifel. „So scheitert dieser Versuch, die Wahrheit als eine Übereinstimmung zu erklären. So scheitert aber auch jeder andere Versuch, das Wahrsein zu definieren. Denn in einer Definition gäbe man gewisse Merkmale an. Und bei der Anwendung auf einen besonderen Fall käme es dann immer darauf an, ob es wahr wäre, daß diese Merkmale zuträfen. So drehte man sich im Kreise. Hiernach ist es wahrscheinlich, daß der Inhalt des Wortes ,wahr' ganz einzigartig und undefinierbar ist." G. Frege: Der Gedanke, a. a. O., S. 32.
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Sollte es ein allgemeines Kriterium für die Wahrheit geben, so kann es nur den formalen Aspekt der Wahrheit betreffen, und zwar durch „die Übereinstimmung einer Erkenntniß mit den allgemeinen und formalen Gesetzen des Verstandes und der Vernunft" (KrV A 59 / B 84). Durch dieses formale Kriterium der Wahrheit, vor allem das Prinzip der Widerspruchsfreiheit, kann man jedoch nur das, was nicht wahr sein kann, ausscheiden, nicht aber eine wahre Erkenntnis bestätigen. Denn die Wahrheit einer Erkenntnis geht sowohl die Form als auch den Inhalt an. Das formale Kriterium ist zwar notwendig, für sich allein aber noch lange nicht hinreichend, um die Wahrheit einer Erkenntnis zu besiegeln. Es ist ja nicht einmal auszumachen, ob sich ein Urteil überhaupt auf etwas bezieht, das als Gegenstand möglicher Erkenntnis gelten kann. Was die Logik festlegen kann, ist daher ausschließlich eine „negative Bedingung der Wahrheit (conditio sine qua non)" (KrV A 59 / B 84), über die hinaus die Logik nichts entscheiden kann. An diese Kantische „Richtlinie" hält sich noch die moderne Logik heute, indem sie sich unter Verzicht auf alle objektbezogenen Bestimmungen der Wahrheit ausschließlich mit deren formellen Regeln beschäftigt, weshalb sie sich auch zu Recht als „formale Logik" bezeichnet. 21
2.1.1.2. Aufhebung und Vollendung des Wahrheitsbegriffs Hegels Stellung zum klassischen Wahrheitsbegriff ist durchaus kennzeichnend dafür, wie sich seine Philosophie im allgemeinen zur traditionellen Philosophie verhält. Man kann ja im hegelschen Sinne sagen, daß in seinem spekulativen Begriff der Wahrheit die klassische Wahrheitskon-
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Kant selber grenzt aber seine „transzendentale Logik" deutlich von der bloß „formalen Logik" ab. Während die formale, oder nach Kant, die alleemeine Logik „von allem Inhalt der Erkenntniß, d.i. von aller Beziehung derselben auf das Object [abstrahirt], und [...] nur die logische Form im Verhältnisse der Erkenntnisse auf einander, d.i. die Form des Denkens überhaupt" (KrV A 55 / B 79) betrachtet, hat die „ t r a n s s c e n d e n t a l e Logik [...] mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft zu thun [...], sofern sie auf Gegenstände a priori bezogen wird" (KrV A 57 / B 81 f.). Abgesehen davon, daß Kant die empirischen Anwendungen der logischen Regeln dem Gebiet der allgemeinen Logik zuordnet, besteht der entscheidende Unterschied darin, daß Kants transzendentale Logik über das formallogische Prinzip der Widerspruchsfreiheit hinaus einen Begriff des „Objects ü b e r h a u p t " (KrV B 158) konstruieren will, anhand dessen es sich, wenn die Wahrheit eines Urteils damit noch nicht hinreichend bestimmt werden kann, zumindest ausmachen läßt, ob ein Urteil als „objektiv" zu behaupten ist, in dem Sinne, daß es überhaupt in prinzipieller Überstimmung mit der Konstruktion eines Gegenstands möglicher Erkenntnis steht. Vgl. R. Stuhlmann-Laeisz: Kants Logik. Eine Interpretation auf der Grundlage von Vorlesungen, veröffentlichten Werken und Nachlaß, Berlin / New York 1976, bes. S. 19 - 53.
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zeption sowohl aufgehoben, als auch in höchstem Maße vollendet wird.22 Die klassische Wahrheitsdefinition der adaequatio, die schon von Kant „ironisch verabschiedet" 23 wurde, hat Hegel wieder aufgegriffen und zugleich rehabilitiert. Doch die Rehabilitation ist wesentlich eine radikale Reinterpretation, die dem klassischen Wahrheitsbegriff eine neue Dimension eröffnet, die ihm ohne die Aufhebung seiner selbst nicht zugänglich gewesen ist. Die „Namenerklärung" der Wahrheit als die Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstand, die für Kant als etwas „Triviales" gilt, weiß Hegel durchaus zu schätzen; für ihn ist sie „eine Definition, die von grossem, ja von dem höchsten Werthe ist." (WL III 26) 24 Vollkommen recht hat die klassische Wahrheitskonzeption aus Hegels Sicht zumindest darin, daß die Wahrheit durch eine Relation der Übereinstimmung ausgelegt wird. Nur ist sie noch nicht radikal genug gedacht, so daß die Relata, die miteinander übereinstimmen sollen, eine wirkliche Übereinstimmung nie erreichen können, weil sie nicht in ihrer ursprünglichen Einheit aufgefaßt werden. Um die Inkonsequenz der traditionellen Wahrheitskonzeption zu durchbrechen, läßt Hegel sie in der Einleitung der Phänomenologie einer „Prüfung" bzw. einer „Selbstprüfung" unterziehen, in der sie sich über ihre eigenen Voraussetzungen aufklären soll. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die in der adaequatio-Formel implizierte Trennung, nämlich den intellectus auf der einen Seite und die res auf der anderen Seite (PG 54). Die Ansicht einer Gegenüberstellung von Wissen und Gewußtem übernimmt in der Phänomenologie das „natürliche Bewußtsein", indem dieses sich dem Wesen nach notwendigerweise in zwei Seiten differenziert, nämlich in das Bewußtsein selbst und sein intentionales Korrelat, oder mit der husserlsch-phanomenologischen Terminologie, in die Intentionalitat der Noesis und das gegenständliche Noema. 23 Für die 22
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Man erinnert sich an die Einsicht Hegels: „Die höchste Reifte und Stufte, die irgend Etwas erreichen kann, ist diejenige, in welcher sein Untergang beginnt." (WL III 42) Vgl. M. Theunissen: Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels^Frankfurt a. M. 1978, S. 324 - 359. So charakterisiert Herbert Schnadelbach die Kantische Stellung zur klassischen Wahrheitsdefinition. Vgl. H. Drüe u. a.: Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß [Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken, hrsg. v. H. Schnadelbach, Bd. 3], Frankfurt a. M. 2000, S. 34. Vgl. R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, S. 91. Vgl. E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie [Husserliana. Edmund Husserl - Gesammelte Werke, Bd. 3], 1. Buch. Allgemeine Einführung in die reine Phänomenologie, neue, auf Grund der handschriftlichen Zusätze des Verfassers erweiterte Aufl., hrsg. v. W. Biemel, Haag 1950, bes. § 90, S. 223 ff. Hinsichtlich der Intentionalitätsstruktur des Bewußtseins meint Klaus Hartmann sogar, daß „Hegel eher Husserl als
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Struktur des Bewußtseins ist der doppelte Bezug charakteristisch, und zwar so, daß das Bewußtsein eben über seinen Selbstbezug, also indem es sich auf sich selbst bezieht, sich zugleich auf sein intentionales Objekt bezieht.26 Die Wahrheit soll erst dann vorliegen, wenn das subjektive Wissen mit seinem gegenständlichen Korrelat übereinstimmt. Daher bemüht sich diese Wahrheitskonzeption, wie Kant es fordert, um ein universal anwendbares Kriterium für die äußerliche Übereinstimmung. Sie verlangt ja aus „Furcht vor der Wahrheit" (PG 54) einen zuverlässigen „Maßstab" für die „Prüfung", ob ein im Urteil formuliertes Wissen wahr ist oder nicht. „Denn die Prüffung besteht in dem Anlegen eines angenommenen Maßstabes, und in der sich ergebenden Gleichheit oder Ungleichheit dessen, was geprüft wird, mit ihm, die Entscheidung, ob es richtig oder unrichtig ist; und der Maßstab überhaupt, und ebenso die Wissenschaft, wenn sie der Maßstab wäre, ist dabey als das Wesen oder als das an sich angenommen." (PG 58) Die Wahrheitsprüfung besteht gemäß des traditionellen Wahrheitsbegriffs in der Vergleichung der Erkenntnis mit dem Gegenstand, also des Wissens mit dem Gewußten, oder, in der phänomenologischen Terminologie, „des Seyns von Etwas für ein Bewußt seyn" mit dem „an sich seyn" (PG 58). Es wird sich aber durch die phänomenologische Analyse zeigen, daß diese Vergleichung des Wissens mit dem Ansich des Seienden in Wirklichkeit nur eine „Selbsttäuschung" des Bewußtseins ist, das auf seinem unaufgeklärten Standpunkt noch nicht einsehen kann, was tatsächlich in der angeblichen Vergleichung vor sich geht. Nun versucht Hegel, mit der phänomenologischen Analyse die Implikation einer solchen Vergleichung konsequent zu Ende zu denken. „Nennen wir das W i s s e n den Begriff, das Wesen oder das W a h r e aber, das Seyende oder den G e g e n s t a n d , so besteht die Prüffung darin, zuzusehen, ob der Begriff dem Gegenstande entspricht. Nennen wir aber das Wesen oder das an sich des G e g e n s t a n d e s den Begriff, und verstehen dagegen unter dem G e g e n s t a n d e , ihn als G e g e n s t a n d , nemlich wie er für ein a n d e r e s ist, so besteht die Prüffung darin, daß
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Kant nahe[steht]". Vgl. K. Hartmann: Hegels Logik, hrsg. v. O. Müller m. einem Vorwort v. K. Brinkmann, Berlin / New York 1999, S. 15. Vgl. die Analyse des Bewußtseins von Werner Marx: .„Bewußtsein' bedeutet für Hegel immer wissenden Bezug eines Selbst auf Gegenständlichkeit. [...] Das Eigentümliche dieser cogitationes lag in der Struktur der Bewegung, durch die das ego cogitans (das Subjekt), indem es sich auf sich selbst bezieht, sich zugleich auf das ihm Entgegenstehende, das andere, den Gegenstand (das Objekt) bezieht und aufgrund dieses doppelten Bezugs sowohl seiner selbst wie des auf sich bezogenen gewußten Gegenstandes gewiß wird." W. Marx: Hegels Phänomenologie des Geistes. Die Bestimmung ihrer Idee in „Vorrede" und „Einleitung", Frankfürt a. M. 1981, S. 22.
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wir zusehen, ob der Gegenstand seinem Begriffe entspricht." (PG 59) Hier spielt Hegel absichtlich mit der Zweideutigkeit der adaequatio rei et intellectus, indem er die Wahrheitsdefinition einmal als adaequatio intellectus ad rem, das andere Mal aber als adaequatio rei ad intellectum uminterpretiert. 2 " Philosophiegeschichtlich gesehen spielt er mit der ersten Umdeutung auf die traditionelle Adäquationskonzeption an, mit der zweiten dann auf die Kantische Wende, bei der das traditionelle Adäquationsverhältnis der Erkenntnis zum Gegenstand nach dem Kopernikanischen Vorbild in umgekehrter Richtung korrigiert wird (KrV B XVI). In seiner Reinterpretation macht sich Hegel den Doppelsinn zunutze, den die Relata der adaequatio aufweisen. Sowohl der Begriff als auch der Gegenstand lassen sich jeweils im subjektiven und im objektiven Sinne nehmen. Als adaequatio intellectus ad rem ist der Begriff nur ein subjektives Wissen, der Gegenstand demgegenüber das Ansich des Seienden, an dem die Wahrheit des Wissens zu messen ist; als adaequatio rei ad intellectum ist der Begriff nun ein objektives Wesen, das Ansich des Gewußten, und der Gegenstand hingegen nur ein Für-Anderes-Sein, ein reines intentionales Korrelat des Wissens, und sonst nichts. In diesem Zusammenhang fällt auch die Wahrheit selbst in zwei Sinne auseinander, und zwar einmal als die Entsprechungsrelation von Begriff und Gegenstand und zum anderen als das, woran das Wissen gemessen wird, d. h. das „Ansich" oder das „Wahre". 28 Aus der phänomenologischen Auseinanderlegung der strukturellen Zweideutigkeit ergibt sich die Einsicht, daß jede Variante der Adäquationsformel gleichermaßen eine perspektivische Voraussetzung unterstellt, die ihren eigenen Maßstab für Wahrheit aufgrund ihrer impliziten Konstellation von Maß und Gemessenem mit sich gebracht hat. Der eigentliche Sinn dieser phänomenologischen Analyse besteht aber gerade darin, die Nichtigkeit der verschiedenen Varianten, egal ob der Begriff dem Gegenstand, oder der Gegenstand dem Begriff entsprechen soll, durch Ironisierung ihrer Gleichgültigkeit zu demonstrieren. „Man sieht wohl, daß beydes dasselbe ist; das wesentliche aber ist, diß für die ganze Untersuchung festzuhalten, daß diese beyden Momente, B e g r i f f u n d G e g e n s t a n d , f ü r e i n a n d e r e s , und a n s i c h s e l b s t s e y n , in das Wissen,
Vgl. M. Theunissen: Begriff und Realität, a. a. O., S. 325. Die zwei Sinne der Wahrheit unterscheidet Reinhold Aschenberg als das „subjektive" und das „objektive" Moment der Wahrheit bzw. als der „implizite" und der „explizite" phänomenologische Begriff der Wahrheit. Vgl. R. Aschenberg: Der Wahrheitsbegriff in Hegels „Phänomenologie des Geistes", in: K. Hartmann (Hrsg.): Die ontologische Option. Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings Hegel-Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes, m. Beiträgen v. F. Schneider u. a., Berlin / New York 1976, S. 230 f., 248 - 253. Vgl. auch unten Kap. 2.1.1.3: Der logisch-ontologische Doppelaspekt der Wahrheit,S. 53 ff.
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das wir untersuchen, selbst fallen, und hiermit wir nicht nöthig haben, Maßstäbe mitzubringen, und u n s e r e Einfälle und Gedanken bey der Untersuchung zu appliciren; dadurch, daß wir diese weglassen, erreichen wir es, die Sache, wie sie an u n d für sich selbst ist, zu betrachten" (PG 59). Die beiden gegenläufigen Bestimmungen der Entsprechungsrelation laufen deswegen auf dasselbe hinaus, weil in den beiden Fällen die Unterscheidungen der zwei Momente, des Begriffs und des Gegenstands, gleichermaßen vom Bewußtsein selbst gemacht werden. Anders ausgedrückt: Die beiden Relata, auch wenn das eine als ein An-sich-selbst-Sein und das andere als ein Für-ein-Anderes-Sein gedacht wird, sind in Wahrheit gleichermaßen „für das B e w u ß t s e y n seyn" (PG 61). Das Bewußtsein ist sozusagen die alleinige Hauptfigur in der ganzen Prüfung. „Das Entscheidende", so kommentiert Heidegger in seinem Aufsatz Hegels Begriff der Erfahrung (1942/43), „ist: Jedesmal, wenn wir das Erscheinende in seinem Erscheinen vorstellen, fällt das, was wir messen, und das, womit wir messen, in das Bewußtsein selbst. Die beiden wesentlichen Momente des Prüfens bringt das Bewußtsein an ihm selbst bei."29 Es scheint so, als habe das Bewußtsein bei der Wahrheitsprüfung mit dem Ansich zu tun. Es ist aber eben das Bewußtsein, das „das für es Ansich" eigensinnig für ein objektives Ansich hält, indem es sein eigenes Wesen nicht begreift, daß es sich nur über den Bezug zu sich selbst auf seine Gegenständlichkeit beziehen kann. In diesem Sinne definiert das Bewußtsein sowohl das zu Messende als auch den Maßstab. Die Trennung entpuppt sich somit als Scheintrennung, weil die beiden Relata letztendlich gleichermaßen in das Bewußtsein fallen. „An dem also, was das Bewußtseyn innerhalb seiner für das an sich oder das W a h r e erklärt, haben wir den Maßstab, den es selbst aufstellt, sein Wissen daran zu messen." (PG 59) Für das wahre Wissen der Sache, wie sie an und für sich ist, gilt nach Hegel die Maxime, die vom Bewußtsein mitgebrachten Unterscheidungen und Voraussetzungen zunächst wegzulassen und stattdessen der Selbstentfaltung der Wahrheit nur zuzusehen?0 Bei der „Selbstprüfung" des Bewußtseins hat sich gezeigt, daß das, was ihm das Wahre ist, sich durch das ständige Hin und Her seines Fürwahrhaltens aufhebt. Die Wahrheit des Bewußtseins ist vielmehr, daß es bei der M. Heidegger: Hegels Begriff der Erfahrung (1942/43), in: ders.: Holzwege [Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1914 - 1970, Bd. 5], hrsg. v. F.-W. v. Herrmann, Frankfurt a. M. 1977, S. 171. Vgl. PG 59: „Aber nicht nur nach dieser Seite, daß Begriff und Gegenstand, der Maßstab und das zu Prüffende, in dem Bewußtseyn selbst vorhanden sind, wird eine Zuthat von uns überflüssig, sondern wir werden auch der Mühe der Vergleichung beyder, und der eigentlichen P r ü f f u n g überhoben, so daß indem das Bewußtseyn sich selbst prüfft, uns auch von dieser Seite nur das reine Zusehen bleibt."
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Artikulation der Entsprechungsrelation ständig zwischen verschiedenen Differenzierungen der Relata hin- und herpendelt und jedesmal noch seinen eigenen Maßstab unbewußt mitgebracht hat.31 Die Überwindung des bewußtseinssubjektiven Fürwahrhaltens erfolgt nur dann, wenn die Differenz, die der Sache nicht eigen ist, durch Rückführung auf ihre ursprünglichere Einheit aufgehoben wird. In Anlehnung an die klassische Logik wird Wahrheit bei Hegel generell als „die Uebereinstimmung des Begriffs und der Realität" aufgefaßt (WL III 60; vgl. auch 174 ff.; Enz. § 172 A, 187; § 213, 215). Doch unterscheidet sich Hegel von der klassischen Konzeption wesentlich dadurch, daß er nicht von einer Trennung der Relata ausgeht, denen die Übereinstimmung nachträglich zukommen soll, sondern vielmehr von einer ursprünglichen Identität, die der Differenz von Begriff und Realität zugrunde liegt. Der entscheidende Punkt besteht darin, daß Hegel einen sehr eigentümlichen Begriff von Begriff hat, der sich von der neuzeitlichen bewußtseinssubjektiven Auffassung substantiell abhebt.' 2 Denn für Hegel ist der Begriff auf keinen Fall eine subjektive Vorstellung des Bewußtseins, sondern selber immer schon objektiv. Die Realität, die mit dem Begriff übereinstimmen soll, kann nicht anders heißen als seine Realität bzw. „die Realisirung des Begriffs" (PG 56). Die ursprüngliche Identität zwischen Begriff und Realität besteht nämlich im ursprünglichen Übergreifen des Begriffs auf die Realität. Sollten die Dinge, wie sie an sich sind, schlechthin außer dem Begriff liegen, wie es nach der Kantischen Vernunftkritik der Fall sein soll, so fehlte jede Grundlage, Begriff und Realität von außen her miteinander in Übereinstimmung zu bringen. 33 Dabei vermag Kant im Rahmen seines " Dieses ständige Hin und Her entsteht durch den Perspektivenwechsel der strukturellen Differenz im Bewußtsein, der zwischen dem „Bewußtseyn dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtseyn seines Wissens davon" (PG 59) stattfindet. Von dieser lanusköpfigkeit des Bewußtseins, das als solches immer sowohl Bewußtsein des Gegenstandes als auch Bewußtsein seiner selbst ist, wird eine dialektische Bewegung motiviert, in der das Bewußtsein „Erfahrungen" über sich macht. „Die d i a l e k t i s c h e Bewegung, welche das Bewußtseyn an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen, als an seinem Gegenstande ausübt, in s o f e r n ihm der n e u e w a h r e G e g e n s t a n d daraus e n t s p r i n g t , " so sagt Hegel im Hinblick auf die ursprüngliche Konzeption der Phänomenologie als Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins, „ist eigentlich dasjenige, was E r f a h r u n g genannt wird." (PG 60) Diesen Hegeischen Begriff der Erfahrung legt Theunissen in Anlehnung an die phänomenologisch-hermeneutische Tradition als „Horizonterweiterung" aus. Vgl. M. Theunissen: Begriff und Realität, a. a. O., S. 327 ff.; M. Heidegger: Hegels Begriff der Erfahrung, a. a. O., S. 180 ff. ,2 Hier werden nur die für die Wahrheitsproblematik relevanten Aspekte von Hegels Begriff des Begriffs andeutungsweise zur Diskussion stellen. Auf die Einzelheiten werden wir später noch näher argumentativ eingehen. Vgl. unten Kap. 4.2.1: Der Begriff des Begriffs, S. 242 ff. 1 Vgl. WL III 26: „Wenn man sich derselben [d. h. der Definition der Wahrheit
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transzendentalen Idealismus nur einen „bescheideneren" Anspruch der Wahrheit zu retten, um den Preis, daß der im Subjekt wurzelnde Begriff nur mit einer Gegenständlichkeit übereinstimmen kann, die selber nicht das Ansich der Dinge ist, sondern nur auf das Für-uns-Sein, d. h. die Erscheinung, hinausläuft. 34 Diese transzendentalidealistische Konzeption der Wahrheit ist aber, wenn man so will, selber „unwahr", weil sie ihrem Begriff, nämlich der Realität, wie sie an und für sich ist, zu entsprechen, nicht entspricht. Aus der Kritik an der Kantischen Vernunftkritik zieht Hegel die Konsequenz, daß die Übereinstimmungsrelation, wenn sie ihrem Anspruch überhaupt gerecht werden soll, von einer ursprünglichen Einheit der Relata ausgehen muß. So hebt Hegel in seiner spekulativen Philosophie immer wieder die Einheit bzw. die Identität von Begriff und Realität hervor (WL III 199; 201; 246). Die Identität von Begriff und Realität ist eine Grundüberzeugung Hegels, die er als Vollender der auf Kant zurückgehenden subjektivitätsidealistischen Tradition durch die radikale Objektivität des Begriffs zu begründen sucht. Bei Hegel ist die Objektivität des Begriffs so radikal gedacht, daß nicht nur dieser seinen Gegenstand übergreift, sondern darüber hinaus auch der letztere erst durch den ersteren seine Realität erhält. Dieser Charakter des Begriffs beruht darauf, daß er sich als „die absolute Negativitat" auszeichnet; „so dirimirt er sich, und setzt sich als das N e g a t i v e oder als das A n d r e seiner selbst" (WL III 31). Die objektive Realität, die dem Begriff gegenüberzustehen scheint, ist somit nichts anderes als der Begriff in seinem Anderssein, wobei die Differenz von Begriff und Realität letzten Endes auf die Negativitat des Begriffs selbst zurückzuführen ist.35
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als Übereinstimmung] bey der Grundbehauptung des transcendentalen Idealismus erinnert, daß die V e r n u n f t e r k e n n t n i ß die D i n g e an sich zu erfassen nicht vermögend sey, daß die R e a l i t ä t s c h l e c h t h i n ausser dem B e g r i f f e liege, so zeigt sich sogleich, daß eine solche V e r n u n f t, die sich mit ihrem Gegenstande, den Dingen an sich, n i c h t in U e b e r e i n s t i m m u n g zu setzen vermag, und die D i n g e an s i c h , die nicht mit dem Vernunftbegriffe, der Begriff der nicht mit der Realität, eine Realität, die nicht mit dem Begriffe in Uebereinstimmung ist, u n w a h r e V o r s t e l l u n g e n sind." Schon in der Jenaer Schrift Glauben und Wissen (1802) hat Hegel gegen die Kantische Konzeption der Übereinstimmung eingewendet, daß er inkonsequenterweise eine unüberbrückbare Kluft zwischen dem denkenden Subjekt und der gedachten Welt unterstellt (GW IV 328 ff). Vgl. M. Baum: Wahrheit bei Kant und Hegel, in: D. Henrich (Hrsg.): Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie I Stuttgarter Hegel-Kongreß 1981, Stuttgart 1983, S 238 f. Denn der Kantische transzendentale Idealismus besagt gerade, daß „alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung nichts als Erscheinungen, d.i. bloße Vorstellungen, sind, die so, wie sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder Reihen von Veränderungen, außer unseren Gedanken keine an sich gegründete Existenz haben" (KrV A 490 f. / B 518 f.). Vgl. unten Kap. 4.2.1.3: Totalität und Negativitat - Selbstbestimmung des
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In diesem Zusammenhang ist die Wahrheit nach der Hegeischen Konzeption diejenige Entwicklung, die ursprüngliche Identität des Begriffs mit seiner Realität durch die Aufhebung der von seiner eigenen Negativitat erzeugten Differenz wiederherzustellen. Das Wahre ist, so Hegel, „das Einfache durch A u f h e b e n des U n t e r s c h i e d e s , das Positive durch Aufheben des Negativen, der Begriff, der sich durch das Andersseyn realisirt, und durch Aufheben dieser Realität mit sich zusammengegangen, und seine absolute Realität, seine einfache Beziehung auf sich hergestellt hat. Diß R e s u l t a t ist daher die W a h r h e i t . " (WL III 248) Das Entscheidende in dem Resultat ist eben, daß die Wahrheit nun als ein Prozeß erfaßt wird, in dem der Begriff über sein Andersein wieder zu sich kommt und mit sich in seiner Realisierung übereinstimmt. Hegels Begriff der Wahrheit zeichnet sich also durch die Prozessualität aus, in der es möglich wird, gegenüberstehende Relata als konstitutive Momente einer Einheit aufzufassen, die auf dem Weg zur Selbstrealisierung sich zunächst von sich selbst unterscheiden muß. In diesem Hegeischen Begriff der Wahrheit hebt sich zugleich die Differenz zwischen den beiden gegenläufigen Bestimmungen der Übereinstimmung, also zwischen der klassischen adaequatio intellectus ad rem und der kantischen adaequatio rei ad intellectum, auf, weil sie schließlich in eine viel radikaler gedachte Übereinstimmungsrelation integriert werden. Hegels Reinterpretation des klassischen Wahrheitsbegriffs kann als die Vollendung der Kantischen Kritik an der traditionellen Metaphysik angesehen werden, indem der idealistische Ansatz der Transzendentalphilosophie so konsequent zu Ende geführt wird, daß auf dem Begriff nicht lediglich die Objektivität der Erscheinung gründet, sondern auch die der Dinge, wie sie an und für sich sind.36 Mit diesem ursprünglichen Übergreifen des Begriffs auf die Realität legt Hegel den Identitätsbegriff der Wahrheit vor, der die traditionelle Auffassung der Übereinstimmung durch Überwindung ihrer unaufgeklärten Voraussetzung in höchstem Maße zu vollenden verspricht.
Begriffs, S. 253 ff. Im allgemeinen kann man Hegel durchaus als Vollender der TranszendentalPhilosophie deuten, obwohl er selber die Bezeichnung „Transzendentalphilosophie" wohl für seine spekulative Philosophie abgelehnt hätte (WL I 48). Eine umfassende Untersuchung zum gesamten System Hegels, die von der Deutung ausgeht, daß Hegels Philosophie eine konsequente Weiterfuhrung bzw. die Höchstform der Transzendentalphilosophie ist, findet sich bei V. Hösle: Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem des Intersubjektivität, Hamburg 1998, bes. Kap. 2.
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2.1.1.3. Der logisch-ontologische Doppelaspekt der Wahrheit Wenn nun die Trennung der Relata in der Übereinstimmungsrelation aufgrund der radikalen Objektivität des Begriffs in einer ursprünglichen Identität aufgehoben ist, so steht nichts mehr im Wege, die Wahrheit als ein Selbstverhältnis auszulegen, das mit gar keiner Fremdbestimmung zu tun hat. Denn die Wahrheit als Übereinstimmung des Begriffs mit seiner Realität ist schließlich die Übereinstimmung des Begriffs mit sich selbst in seiner Objektivität. Das traditionelle Verständnis der Wahrheit wird somit auf eine „tiefere (philosophische) Bedeutung der Wahrheit" zurückgeführt. „Im philosophischen Sinn", so Hegel, „heißt Wahrheit, überhaupt abstrakt ausgedrückt, Übereinstimmung eines Inhalts mit sich selbst." (Enz. § 24 Z, TW VIII 86) Oder wenn man von dem Gegenstand ausgeht, in dem sich der Begriff realisiert, so kann die Wahrheit auch genauso umgekehrt definiert werden als die „Übereinstimmung des Gegenstandes mit sich selbst, d. h. mit seinem Begriff' (Enz. § 172 Z, TW VIII 323). Diese „tiefere" Bedeutung der Wahrheit ist dem natürlichen Wahrheitsverständnis eigentlich nicht so fremd, wie es zunächst zu sein scheint. Schon im gewöhnlichen Sprachgebrauch findet sich zum Teil auch diese Bedeutung, und zwar im Sinne der Echtheit, Eigentlichkeit, Wirklichkeit oder Objektivität von etwas. „So spricht man z. B. von einem wahren Freund und versteht darunter einen solchen, dessen Handlungsweise dem Begriff der Freundschaft gemäß ist; ebenso spricht man von einem wahren Kunstwerk. Unwahr heißt dann soviel wie schlecht, in sich selbst unangemessen." (Enz. § 24 Z, TW VIII 86) Das Messen eines Gegenstandes an seinem Begriff stellt deswegen eine tiefere Bedeutung der Wahrheit dar, weil jede Vergleichung der Erkenntnis mit dem Gegenstand die Identifikation des Gegenstandes in Anspruch nehmen muß, die wiederum dessen Begriff voraussetzt. Sofern man z. B. etwas als ein Haus bezeichnet, muß der Begriff des Hauses vorausgesetzt werden, dem jenes mindestens zum Teil angemessen sein soll. „Ein schlechtes Haus", so schreibt Hegel in § 168 der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (1808 ff), „hat ein Dasein, das seinem Begriff nicht angemessen ist. Wäre es ihm aber nur nicht angemessen, so wäre es gar kein Haus." (TW IV 55) Diese Wahrheitskonzeption kann man durchaus im Rückblick auf den platonische Begriff der Teilhabe (ueGecx) auslegen. In diesem Sinne ist der Begriff nicht nur Denkbestimmung, sondern ebensosehr Seinbestimmung, weil sich die „wahre" Dingheit eines Dinges letztendlich dem Begriff verdankt, an dem es teilhat. Dennoch wird die Teilhabe für Hegel als ein begriffsinternes Verhältnis aufgefaßt, weil alle Dinge, die überhaupt Wahrheit haben können, notwendigerweise im Begriff sind. Damit führt Hegel die gewöhnliche Wahrheitskonzeption im Sinne einer Fremdentsprechung, die in einer externen Korrespondenz des einen zu dem anderen besteht, auf die identitätsphilosophische Bedeutung der Selbstentsprechung bzw. der Mit-sich-Übereinstimmung zurück. Also ist Wahrheit
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letzten Endes durch das Selbstsein gekennzeichnet. 3 " Aus der Struktur der Mit-sich-Übereinstimmung ergibt sich die Konsequenz, daß die Wahrheit am ehesten nur demjenigen zukommt, was mit sich selbst vollkommen übereinstimmt. Das eigentliche Wahre ist demnach allein die dem Begriff vollkommend entsprechende Realität; diese ist für Hegel das wahrhafte Sein bzw. die Idee: „Seyn hat die Bedeutung der W a h r h e i t erreicht, indem die Idee die Einheit des Begriffs und der Realität ist" (WL III 175). Dabei gilt Hegels Philosophie zu Recht als absoluter Idealismus, weil er allein die Idee, und zwar die absolute Idee, für „das an und für sich W a h r e " ( W L III 180) hält.38 Mit dem Begriff der absoluten Idee als der absoluten Wahrheit rehabilitiert Hegel zugleich ein antikes metaphysisches Verständnis der Wahrheit, und zwar Wahrheit im Sinne des wahrhaften Seins. Hegel knüpft nämlich an das ÖVTIOC, öv der Platonischen Metaphysik an (Soph. 240b), also an das wirklich bzw. das seiend Seiende, d. h. das, was „seiend" ist, mithin seinem Begriff, Seiendes zu sein, ganz entspricht. Das ÖVTUIC, ÖV ist wesentlich unterschieden von dem, was normalerweise als Ding genannt wird; es ist vielmehr das, was in Wahrheit an und für sich selbst ist (TW XIX 51). Mit diesem latenten Bezug zur Platonischen Idee des ÖVTÜJC ÖV führt Hegel die als Übereinstimmung gefaßte Wahrheit auf einen metaphysischen Begriff der Wahrheit zurück. Aus einer „erkenntnistheoretischen" Formel der Wahrheit ist nun ein „wirklichkeitstheoretischer" Entsprechungsgedanke geworden, bei dem die Wahrheit letztlich als „die wirkliche Wirklichkeit" begriffen wird.39 Damit hat Hegel eine ontologische Dimension der Wahrheit wiederentdeckt, die in ihrer logischen Formel der Entsprechung verborgen enthalten ist. Philosophiegeschichtlich betrachtet ist der Umschlag der erkenntnistheoretischen Bedeutung der Wahrheit in deren wirklichkeitstheoretische Bedeutung eine Rückführung der auf Aristoteles zurückgehenden Wahrheitskonzep-
Tugendhat weist daraufhin, daß die Charakterisierung der Wahrheit durch das Selbstsein auf Piaton zurückgeht. Denn „auch schon für Piaton ist dXr]0£c„ wahr, CIUTÖ TÖ öv, das Seiende selbst." E. Tugendhat: Zum Verhältnis von Wissenschaft und Wahrheit, in: E.-W. Boeckenfoerde (Hrsg.): Collegium Philosophicum (Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag), Basel / Stuttgart 1965, S. 392; vgl. auch ders.: TI KATA TINOZ. Eine Untersuchung zu Struktur und Ursprung Aristotelischer Grundbegriffe, Freiburg / München 1958, § 1, S. 6 - 12. So schreibt Hegel: „Die Idee ist der a d ä q u a t e Begriff, das objective W a h r e , oder das W a h r e als s o l c h e s . Wenn irgend Etwas Wahrheit hat, hat es sie durch seine Idee, oder Etwas hat n u r W a h r h e i t , i n s o f e r n es Idee ist." (WL III 173) Dies spitzt sich noch dadurch zu, daß Hegel die Idee im Schlußkapitel der Logik zur absoluten Idee fortbestimmt: „die absolute Idee allein ist Seyn, unvergängliches Leben, sich w i s s e n d e W a h r h e i t , und ist alle W a h r h e i t . " (WL III 236) Vgl. M. Theunissen: Begriff und Realität, a. a. O., S. 337 f.; ders.: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegeischen Logik, Frankfurt a. M. 1980, S. 45.
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tion auf den metaphysischen Wahrheitsbegriff Piatons. Durch die Radikalisierung der Übereinstimmungsrelation in die Selbstrelation ist es Hegel gelungen, die beiden Aspekte der Wahrheit in einem zusammenzudenken. Die erkenntnis- und die wirklichkeitstheoretische Bedeutung der Wahrheit bilden demnach zwei Aspekte einer einzigen Wahrheit. Wahrheit kann einerseits einem Wissen zugesprochen werden, das mit dem, wovon gewußt wird, übereinstimmt, aber anderseits auch einem Gegenstand, der mit dem, wovon er ein Gegenstand ist, d. h. mit seinem Begriff, übereinstimmt. Dennoch bezieht sich Wahrheit nach Hegel primär auf den Gegenstand des Wissens, erst dann auf das Verhältnis beider. Die zwei Bedeutungen sind Hegel zufolge als der subjektive und der objektive Sinn der Wahrheit zu unterscheiden.4" Die Objektivität der Wahrheit besteht nicht nur in der Gültigkeit des Wissens, sondern grundlegender noch in der Realität des Objekts selbst. „Wahrheit ist", so Herbert Schnadelbach, „für Hegel objektiv nicht nur im Sinne eines Geltungsanspruchs, sondern objektiv wie ein Objekt."41 Denn die Wahrheit (aXrjGeia) wird bei Hegel am ehesten als das Wahre (dXqöec.) aufgefaßt. Für Hegel ist der subjektive Sinn der Wahrheit an sich nicht unangemessen. Doch wenn sie von ihrer objektiven bzw. ontologischen Grundlage abstrahiert, so setzt sie sich zugleich auf etwas herab, das aus Hegels Sicht der Bezeichnung „Wahrheit" nicht mehr würdig ist. So würde Hegel eine solche äußerliche Übereinstimmung der Vorstellung mit einem Gegenstand der Wahrnehmung höchstens „Richtigkeit" nennen; denn „wer die Richtigkeit einer A n s c h a u u n g oder W a h r n e h m u n g , die Uebereinstimmung der V o r s t e l l u n g mit dem Gegenstand, W a h r h e i t nennte, hat wenigstens keinen Ausdruck mehr für dasjenige, was Gegenstand und Zweck der Philosophie ist." (WL III 65) Hegel ist der Meinung, daß das, was die Logiker als primären Sinn der Wahrheit betrachten, d. h. als Eigenschaft einzelner Aussagen, streng genommen keine Wahrheit enthält. Einzelne Sätze oder Urteile wie „die Rose ist rot" können nach Hegel wohl richtig sein, enthalten aber im strengen Sinne keine Wahrheit. Denn das Wahre ist für Hegel, wenn man so will, der Begriff, nicht aber das Urteil. 40
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So schreibt Hegel: „Wenn die o b j e c t i v e Wahrheit zwar die Idee selbst ist, als die dem Begriffe entsprechende Realität, und ein Gegenstand insofern an ihm Wahrheit haben kann oder nicht, so ist dagegen der bestimmtere Sinn der Wahrheit dieser, daß sie es für oder im subjectiven Begriff, im W i s s e n sey." (WL III 200) Noch expliziter heißt es in der Naturphilosophie der Enzyklopädie: „Wenn die Wahrheit im subjektiven Sinn die Übereinstimmung der Vorstellung mit dem Gegenstande ist, so heißt das Wahre im objektiven Sinne die Übereinstimmung des Objekts, der Sache mit sich selbst, daß ihre Realität ihrem Begriffe angemessen ist." (Enz. § 246 Z, TW IX 23) H. Schnadelbach: Hegels Lehre von Wahrheit, in: ders.: Philosophie in der modernen Kultur. Vorträge und Abhandlungen 3, Frankfürt a. M. 2000, S. 65 f.
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Die Ansicht, daß sich der Ort der Wahrheit nicht im Urteil, sondern im Begriff befinden soll, m u ß man allerdings mit äußerster Vorsicht auslegen. Mit dem logisch-ontologischen Primat des Begriffs fällt Hegel nicht auf den Standpunkt zurück, den schon Aristoteles in De interpretatione entkräftet hat.42 Hegel ist durchaus klar, daß nicht isolierte Worte oder Begriffe, sondern erst ihre Verbindungen im Urteil als wahr oder falsch gelten können. So bemerkt er z. B. ausdrücklich in § 65/97 der Logik für die Mittelklasse (1809 ff): „die Wahrheit ist Übereinstimmung des Begriffs mit seiner Gegenständlichkeit, und im Urteil fängt diese Darstellung des Begriffs in seiner Gegenständigkeit, somit das Gebiet der Wahrheit an." (TW IV 105, Hervorh. v. Verf.) Der Vorzug des Begriffs vor dem Urteil bedeutet in Wirklichkeit die Vollendung dessen, womit die Wahrheit nur ihren Anfang findet, da der Begriff bei Hegel schließlich ein System bedeutet, in dem die Urteile im organischen Zusammenhang zueinander stehen und in dem ihre relativen Wahrheitsansprüche zu begründen sind.43 Die Wahrheit sucht Hegel gerade nicht in den Elementen, aus denen sich das Urteil konstruiert, sondern vielmehr in der systematischen Einheit, zu der sich die Urteile zusammenschließen. Für Hegel ist nicht ein einzelnes Urteil, sondern erst das Begriffssystem als Ganzes die elementare und zugleich die einzige Einheit der Wahrheit. 44 Dieser 42 43
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Vgl. oben Kap. 2.1.1.1: Der klassische Wahrheitsbegriff, S. 38. In dieser Beziehung scheint die Einschätzung Tugendhats im Rahmen seiner Untersuchung zum Problem des Anfangs in Hegels Logik nicht ganz treffend zu sein: „Hegel blieb dem Vorurteil der formalen Logik seiner Zeit verhaftet, daß Urteile sich aus Begriffen zusammensetzen, und die spekulative Logik, die er entwickelte, ist eine Logik der Begriffe und Bestimmungen geblieben, sie verstößt auf Schritt und Tritt gegen die Einsicht Freges, daß die primäre logische - und wie man ergänzen kann: auch die primäre ontologische - Einheit, hinter die niemand ohne Schaden zu nehmen zurück kann, der Satz ist." E. Tugendhat: „Das Sein und das Nichts", in: V. Klostermann (Hrsg.): Durchblikke. Martin Heidegger zum 80. Geburtstag, Frankfurt a. M. 1970, S. 152. So wendet sich Robert Brandom in seiner Hegel-Interpretation auch gegen die angeblich elementare Einheit des Urteils, von der die moderne Semantik gewöhnlich ausgeht: „Die Einsicht, daß jeder faktisch in einem empirischen Urteil angewendete Begriff nur ein mehr oder minder adäquater Ausdruck der impliziten Artikulation der Dinge ist, bedeutet auch anzuerkennen, daß kein bestimmendes Urteil als uneingeschränkt wahr angenommen werden sollte. [...] Wenn man also das Urteil als Einheit oder Element der Erkenntnis betrachtet (wie Kant das tut, weil es die minimale Einheit kognitiver Verantwortlichkeit darstellt), dann legt man sich bereits auf eine ganz unhaltbare Ansicht der Natur des Bestimmtseins begrifflicher Gehalte fest." R. B. Brandom: Some Pragmatist Themes in Hegels ldealism: Negotiation and Administration in Hegel's Account of the Structure and Content of Conceptual Norms, in: European Journal of Philosophy 7:2 (1999), S. 184, Anm. 13 (dt. Ausgabe: Pragmatistische Themen in Hegels Idealismus. Unterhandlung und Verwaltung der Struktur und des Gehalts in Hegels Erklärung begrifflicher Normen, übers, v. R. Ansen, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 47 (1999), S. 361).
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Punkt ist für eine angemessene Auslegung der Urteilskritik von grundlegender Bedeutung. Hegels Bedenken gegen das Vorurteil der Logiker, daß einzelne Urteile Wahrheit enthalten könnten (Enz. § 172 A, 186), gründet auf einer zweifachen Überlegung: Einmal kann jedes Urteil für sich nur je einen einseitigen Sachverhalt ausdrücken, der dem konkreten Gegenstand prinzipiell nicht ganz angemessen sein kann. Selbst wenn das Urteil mit dem Sachverhalt übereinstimmen soll, darf es (im erkenntnistheoretischen Sinne) auch nicht als wahr gelten, sofern es sich um einen Gegenstand handelt, der selber (im wirklichkeitstheoretischen Sinne) nicht wahr ist, indem er seinem Begriff nicht vollkommen entspricht. 43 Hegel zufolge m u ß der erkenntnistheoretische Sinn der Wahrheit unbedingt den wirklichkeitstheoretischen Sinn zur Grundlage haben. Für Hegel wäre es eine interne Inkonsequenz, die angemessene Vorstellung eines Unwahren selbst wahr zu nennen, sie ist stattdessen bestenfalls richtig. Durch die Unterscheidung von Richtigkeit und Wahrheit will Hegel klarmachen, worum es der Philosophie geht. Er stellt einen Anspruch der Wahrheit auf, der die alltägliche Wahrheitskonzeption übertrifft. Dabei wird der Ausdruck „Wahrheit", oder deutlicher noch, der „Vernunftwahrheit" (WL III 65) mit Bedacht der Philosophie vorbehalten, die wesentlich auf die Erkenntnis des övTtoc, öv abzielt.46 Im Gegensatz zum wahrhaften Sein sind Dinge der Wahrnehmung streng genommen nie wahr, weil es sich nur um endliches Dasein handelt, das zwar einen Begriff hat, diesem aber nicht vollkommen angemessen ist. „Es ist die D e f i n i t i o n d e r e n d l i c h e n D i n g e , daß in ihnen Begriff und Seyn verschieden, Begriff und Realität, Seele und Leib, trennbar, sie damit vergänglich und sterblich sind" (WL I 77). Das Endliche ist für Hegel zugleich das Unwahre, weil es wesentlich durch die Nichtentsprechung von Begriff und Realität definiert ist. Die Spannung beider im Endlichen macht seine Widersprüchlichkeit aus, die im Sein des Endlichen als solchem wurzelt und dieses dazu verurteilt, zugrunde zu gehen, mithin vergänglich zu sein (WL I 116 ff). Aufmerksam muß man allerdings auf den Punkt sein, daß nicht die Nichtentsprechung von Begriff 45
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Darum bemängelt Hegel den sachleeren Formalismus der Wahrheitsdefinition nach der traditionellen Logik: „Ob ihr Inhalt an und für sich Wahrheit oder Zufälligkeit sey, diß liegt ausser ihrer Sphäre; die formelle Wahrheit aber, die Uebereinstimmung des in der Definition subjectiv gesetzten Begriffs und eines ausser ihm wirklichen Gegenstandes, kann darum nicht ausgemacht werden, weil der einzelne Gegenstand auch schlecht seyn kann." (WL III 214) Vgl. die Erläuterung Schnädelbachs: „Daß nur die Erkenntnis des Wahren wahr sein kann, bestätigt die sokratisch-platonische These, daß Wahrheit etwas sei, was als Eigenschaft dem, was wahr ist, nur durch das Wahre selbst zukommt; darum ist nach Hegel wahre Erkenntnis nur als Erkenntnis des Wahren möglich." H. Schnadelbach: Hegels Lehre von Wahrheit, a. a. O., S. 68.
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und Realität allein das Endliche zum Widerspruch führt, sondern erst der Umstand, daß die Realität des Endlichen seinem Begriff entspricht und zugleich nicht entspricht. 4 " Wenn etwas seinem Begriff gar nicht entspricht, so ist es nicht ein Endliches, sondern einfach „nichts" (WL III 174). Das Endliche ist aber das Sein und das Nichts in einem, in dem zwei Seiten, die Entsprechung und die Nichtentsprechung, bei gleichzeitiger Beibehaltung ihrer Spannung vereinigt sind. „Die endlichen Dinge sind darum endlich, insofern sie die Realität ihres Begriffs nicht vollständig an ihnen selbst haben [...]. Daß die wirklichen Dinge mit der Idee nicht congruiren, ist die Seite ihrer E n d l i c h k e i t , U n w a h r h e i t " (WL III 175). Da sie aber überhaupt Dinge sind, sind sie schon dem Begriff zum Teil angemessen und haben somit außer der Seite der Unwahrheit noch Anteil an der Wahrheit. Denn das Endliche ist für das wahrhaft Unendliche konstitutiv. Für das Endliche ist es kennzeichnend, daß sein Begriff und seine Realität zwar trennbar, aber doch zugleich in ihm als Widerspruch, also als sich aufhebendes, vorübergehendes Sein enthalten sind. Das Endliche muß jedoch über die Widersprüchlichkeit hinaus letztlich in seiner Beziehung auf das wahrhaft Unendliche, also das ÖVTUIC, ÖV, als auf seiner Wahrheit begriffen werden. 2.1.1.4. M o n i s m u s u n d H o l i s m u s Hegel teilt offenkundig die antike Weisheit, daß alles, was vergänglich ist, nicht die „wirkliche Wirklichkeit" ist. Dieser ontologische Grundsatz ist eine notwendige Konsequenz seines Wahrheitsbegriffs, insofern er die Endlichkeit im Hinblick auf die Nichtentsprechung von Begriff und Realität, mithin auf seine Unwahrheit, begründet. Die „wirkliche Wirklichkeit" ist für Hegel allein das, dessen Realität mit sich als mit seinem Begriff vollkommend übereinstimmt, und zwar das ÖVTCÜC, öv, die absolute Idee, das Absolute oder Gott. Diese Benennungen beziehen sich letztlich auf dasselbe, weil das Wahre letztlich nur eins ist. Für Hegel ist das Absolute nichts anderes als „Gott" im philosophischen Sinne,48 so daß es ° Denn die Nichtentsprechung allein reicht noch nicht aus, einen Widerspruch zu bilden; erst die zusammengedachte Einheit von Entsprechung und Nichtentsprechung macht die Widersprüchlichkeit aus. Theunissen weist daraufhin, daß sich die Hegel-Literatur seit fast hundert Jahren darin geirrt hat, die Widersprüchlichkeit des Endlichen einfach auf die Nichtentsprechung von Realität und Begriff in ihm zurückzuführen. Vgl. M. Theunissen: Begriff und Realität, a. a. O., S. 339 f. Zum Problem des Widerspruchs bei Hegel vgl. unten Kap. 4.2.3.2: Widerspruch und Dialektik, S. 274 ff. 48 In Anlehnung an Aristoteles begreift Hegel die Gottheit als sich selbst denken des Denken (vönoic, vorjaaoc,, Met. A 9, 1074b34). Dieser Gottheitsbegriff ist für Hegel geradezu der Gipfel aller philosophischen Begriffe, weshalb er zum Schluß der gesamten Enzyklopädie (Enz. 572), wo sich sein System mit dem sich selbst erkennenden absoluten Geist vollendet, noch einen entscheidenden
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einerlei ist, zu sagen, „daß das Absolute allem wahr, oder das Wahre allein absolut ist" (PG 54), oder zu sagen, „daß G o t t die Wahrheit und er a l l e i n die Wahrheit ist" (Enz. § 1, 39).49 Die Wahrheit als der Gegenstand der Logik ist für Hegel wesentlich ein singulärer.™ Es gibt nur eine Wahrheit; allein das Wahre ist. In diesem ist zugleich die relative Wahrheit der endlichen Dinge zu begründen, sofern sie an ihm teilhaben. Daß es nur eine Wahrheit geben kann, stützt sich auf den Gedanken, daß sich das Absolute nur dann als das Wahre erweist, wenn ihm nichts Wahres entgegengesetzt ist. Stände dem Absoluten noch ein Anderes gegenüber, das selber aus sich selbst wahr wäre, so gälte das Absolute nicht mehr als das wahrhaft Unendliche, sondern nur noch als ein Endliches, weil es somit durch das Andere abgegrenzt bzw. begrenzt würde. Die systematische Gestalt dessen, daß das Wahre ein Singular sein muß, ist der Monismus, eine Ontologie, die die Selbständigkeit und Unreduzierbarkeit der vielen Einzelnen zugunsten des Einen bzw. des Absoluten bestreitet. Dieses Eine Absolute ist, wenn man sich den Platonischen Hintergrund wiederum vergegenwärtigt, das wahrhafte Sein (ÖVTCÜC, öv), das zugleich die All-Einheit (ev rtövra) ist.31 Damit sind wir mit der Entfaltung des Hegeischen Wahrheitsbegriffs zu einer ausschlaggebenden Bestimmung von Hegels System gelangt, die bereits oben in der Einleitung in Anlehnung an Henrichs Rekonstruktionsversuch eingeführt wurde. 32 Aus Hegels Wahrheitsbegriff ergibt sich nämlich die Konsequenz, daß sein System wesentlich als System des spekulativen Monismus zu bestimmen ist. Dieses ist die All-Einheit, die
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Passus aus Metaphysik A 7 über diesen Gottheitsbegriff unkommentiert zitiert. Wenn die Unwahrheit durch die Nichtentsprechung von Begriff und Realität definiert ist, so ist „die abstracte Definition Gottes [... ] dagegen eben diß, daß sein Begriff und sein Seyn u n g e t r e n n t und u n t r e n n b a r sind." (WL I 77) Denn „Gott allein ist die wahrhafte Übereinstimmung des Begriffs und der Realität" (Enz. § 24 Z, TW VIII 86). Wenn man von der Bestimmung ausgeht, daß Gott allein das Wahre ist, dann kann man Hegels absoluten Idealismus auch als Pantheismus betrachten. Hegels Wissenschaft der Logik ist somit nicht nur eine Logik, die selber Ontologie ist, sondern sie ist ebensosehr Theologie. In dieser Beziehung bezeichnet Heidegger das komplexe Unternehmen zu Recht als „Onto-Theo-Logik". Vgl. M. Heidegger: Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik, in: ders.: Identität und Differenz, Pfullingen 1957, S. 35 -73. Vgl. H. Drüe u. a.: Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« (1830), a. a. O., S. 36 f. So schreibt Piaton in Parmenides: „wenn Eins ist, ist das Eins alles (EV ei ean, nävra [...] ean TÖ ev)" (160 b2). Dieser Gedanke wird bei Plotin noch weiterentwickelt. Dazu vgl. die ausführliche Studie über Hegels Beziehung zum spätantiken Neuplatonismus von Jens Halfwassen: Hegel und der spätantike Neuplatonismus. Untersuchungen zur Metaphysik des Einen und des Nous in Hegels spekulativer und geschichtlicher Deutung, Bonn 1999, bes. S. 277 ff. Vgl. oben Kap. 1.1: Formationsbedingungen von Hegels System, S. 15 ff.
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angesichts dessen, daß sie durch sich selbst und aus sich selbst die Totalität des Seienden, mithin die ganze Wahrheit entfaltet, den absoluten logisch-ontologischen Primat hat. Das Spekulative im Hegeischen Monismus, durch das er sich von der monistischen Tradition der Theoria negativa wesentlich unterscheidet, besteht darin, daß er zwar die Priorität der nach dem „natürlichen Weltverstehen" als das zuletzt Wirkliche angesehenen Einzeldinge von Grund auf ausräumt, diesen aber zugleich die Selbständigkeit als eine dem Endlichen zukommende Eigenschaft uneingeschränkt einräumt. In diesem Sinne wird die Ontologie des „natürlichen Weltverstehens" als Moment in das monistische System vollständig integriert, in dem die relative Wahrheit der endlichen Dinge in Beziehung auf das Unendliche begründbar gemacht wird. Diese spekulative Integration des Endlichen in die All-Einheit ermöglicht der Prozessualitätsaspekt des Hegeischen Wahrheitsbegriffs, insofern sich der Begriff auf dem Weg über sein Anderssein zurück zu sich selbst in den endlichen, transitorischen Dingen realisieren muß, die daher ihren wesentlichen Anteil an der Wahrheit des Absoluten haben. Aus dem Begriff der All-Einheit ergibt sich noch die unmittelbare Konsequenz, daß das Absolute nur als Ganzes wahr ist. Teile des Absoluten sind eben nicht die All-Einheit selbst. Das Wahre ist demnach wesentlich Totalität, oder nur als Ganzes ist es wahr.53 Das Absolute setzt sich also nicht aus kleineren Teilen zusammen, die für sich Wahrheit enthalten würden, sondern was allein wahr ist, ist seine Totalität als solche. Der gängigen Vorstellung von Wissenschaft, der zufolge sie nichts mehr sei als eine Sammlung von wahren, isolierbaren Sätzen, setzt sich Hegel entscheidend entgegen, indem er das berühmte Diktum formuliert: „Das Wahre ist das Ganze." (PG 19) Damit ist der Leitgedanke des Holismus ausgesprochen. 14 Für Hegel geht das Ganze seinen Teilen sowohl in 51
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Vgl. F. Chiereghin: Hegels Konzeption der Wahrheit als Ganzes, in: D. Henrich / R.-P. Horstmann (Hrsg.): Hegels Logik der Philosophie. Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes, Stuttgart 1984, S. 213 - 223. Dem Holismus als einer philosophischen Position wird in der modernen Philosophie vor allem dank Quine Aufmerksamkeit geschenkt. Aus seiner einflußreichenden Kritik an den empiristischen Dogmen der Analytizität und des Reduktionismus entwickelt er die Grundidee des erkenntnistheoretischen Holismus, der zufolge die logische bzw. die wahrheitsstiftende Einheit weder wie bei den klassischen Empiristen (Locke, Hume) in den sinnlich erzeugten Vorstellungen noch wie bei den logischen Empiristen (Frege) in einzelnen Sätzen besteht, sondern erst, soweit stimmt Quine hierin mit Hegel völlig überein, in der Totalität der Wissenschaft. Diese Idee veranschaulicht Quine am Bild eines „geflochtenen Netzes" bzw. eines „Kraftfeldes", das in seinem inneren Kern die reine Mathematik und Logik hat und nur an seinen Rändern mit der Erfahrung in Berührung steht. Nach dieser Konzeption läßt sich die Wahrheit isolierter Sätze weder durch ihre semantischen Gehalte (gegen das Dogma der Analytizität) noch durch unmittelbare Erfahrungen (gegen das Dogma des Reduktionismus) allein feststellen. Vgl. W. V. O. Quine: Two Dogmas of Empirism, in:
MONISMUS UND HOLISMUS
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logischer als auch in ontologischer Hinsicht voraus. Dieses Ganze nennt Hegel System, das sich durch seine interne Konsistenz und Umfassendheit auszeichnet." Das System des Holismus ist zugleich das des Monismus. Es ist ein organisches Ganzes von dem, was alles als wahr bezeichnet werden kann. Nur in Beziehung auf das System, das selber in eigentlichstem Sinne wahr ist, darf ein relativer Wahrheitsanspruch des Einzelnen erhoben werden. W e n n man die Wahrheit im erkenntnistheoretischen Sinne als einen Geltungsanspruch betrachtet, so ist das holistische System der einzige und letzte Rechtfertigungsgrund für alle Wahrheitsansprüche. In dieser Hinsicht erweist sich das System selbst als die Definition und zugleich das Kriterium der Wahrheit. Denn die Wahrheit von etwas zu bestimmen, ist demnach nichts anders als seine Stellung im und seine Beziehung zum System zu klären, wobei sein Wahrheitsanspruch nur dann berechtigt ist, wenn es sich als mit dem gesamten System kohärent erweist. Auf diesem Gedanken beruht die sogenannte Kohärenztheorie der Wahrheit, die gewöhnlich als die Gegenposition zur vorherrschenden Korrespondenztheorie betrachtet wird. Man kann wohl Hegel als den Vorläufer oder gar Gründer der Kohärenztheorie ansehen. 36 Nur m u ß man dann zweierlei
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ders.: From a logical Point of View. Nine Logico-Philosophical Essays, Cambridge, Massachusetts 1964, S. 20 - 46 (dt. Ausgabe: Zwei Dogmen des Empirismus, in: ders.: Von einem logischen Standpunkt. Neun logisch-philosophische Essays, übers, m. einem Nachwort v. P. Bosch, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1979, S. 27 - 50). Schnadelbach hält den Holismus für fälsch, weil dieser notwendigerweise zu Widerspruch führen soll. Schnadelbach erinnert an die Antinomenlehre Kants, um zu zeigen, daß das Unbedingte - das holistische Ganze ist eben das Unbedingte - ohne Widerspruch nicht gedacht werden kann. Nach Hegels Kritik an Kant ist aber diese Widersprüchlicnkeit gerade darauf zurückzuführen, daß das Unbedingte nicht konsequent bzw. nicht radikal genau gedacht ist. Antinomie ist für Hegel eine (unentbehrliche) Zwischenstufe vom Endlichen zum Unendlichen. Auf dem Niveau des wahrhaft Unendlichen soll der Widerspruch, der eben die Endlichkeit des Endlichen kennzeichnet, bereits überwunden sein. So geht Schnadelbach in die Irre, wenn er dem Hegeischen Holismus Widersprüchlichkeit vorwirft. Vgl. H. Schnadelbach: Hegels Lehre von Wahrheit, a. a. Ö., S. 71 ff. Dagegen schreibt Hösle zu Recht: „Das Endliche, das nicht ideelles Moment des Unendlichen ist, ist widersprüchlich; das Unendliche, das dem Endlichen entgegengestellt wird, ebenfalls. Das wahrhaft Unendliche hingegen, das die Einheit von Endlichkeit und Unendlichkeit ist, ist den Widersprüchen enthoben." V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 173. Nach einem der wichtigsten modernen Vertreter der Kohärenztheorie der Wahrheit, Nicholas Rescher, ist der Ansatz der Kohärenzepistemologie wesentlich auf Hegels Systemgedanken zurückzuführen: „Its approach [i.e., the approach of the coherence theory of truth] is fundamentally holistic, judging the acceptability of every purported item of Information by its capacity to contribute towards a well-ordered whole. In this, its essentially Hegelian approach, coherentist epistemology Stands in sharp contrast with the foundationalist approach of the mainstream tradition of western epistemology." N. Rescher: The
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beachten: Zum einen bildet der Gedanke der Kohärenz nur einen Aspekt von Hegels Wahrheitskonzeption, die selber vornehmlich durch den Kerngedanken der Identität von Begriff und Realität, also durch die Struktur der Mit-sich-Übereinstimmung des Begriffs, zu definieren ist. Zum anderen bilden der Kohärenz- und der Korrespondenzaspekt der Wahrheit bei Hegel keinen Gegensatz. Sie sind vielmehr zwei Formaspekte eines einzigen Wahrheitsbegriffs. Wenn man sich daran erinnert, daß der Begriff, oder genauer das System begrifflicher Bestimmungen, bei Hegel wesentlich objektiv ist, dann ist es nicht schwer zu erkennen, daß die Kohärenz mit dem System und die Korrespondenz zur Realität als zu deren Begriff letzten Endes auf dasselbe hinauslaufen. 3 " Es ist nicht zuletzt die Konsistenz und Reichhaltigkeit, durch die sich der Hegeische Wahrheitsbegriff auszeichnet. 38
2.1.2. Das Problem der Darstellung 2.1.2.1. Das Problem des Unwahren und der kritische Aspekt der Darstellung In seinem philosophischen System strebt Hegel danach, die Wahrheit im höchsten Maße zu vollbringen. Aber man fragt sich, wie eine derart anspruchvolle Wahrheitskonzeption überhaupt zu rechtfertigen ist. Wie läßt sich Hegels Begriff der Wahrheit selber als wahr erweisen? Es liegt auf der Hand, daß die Lösungsmöglichkeit zu diesem Problem nur in einer systeminternen Entfaltung des Hegeischen Wahrheitsbegriffs besteht. Denn für einen monistisch-holistischen Wahrheitsbegriff ist es gerade ein Grundsatz, daß alle Geltungsansprüche nur innerhalb des Systems selbst
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Coherence Theory ofTruth, Oxford 1973, S. 317. Der Grundgedanke der Kohärenztheorie der Wahrheit findet sich aber ansatzweise bereits bei Kant, wenn er unter dem Begriff der „Architektonik der reinen Vernunft" (KrV A 832 ff. / B 860 ff.) den logischen Vorgang des Ganzen vor dessen Teilen und die Notwendigkeit des Systems für die Philosophie begründet. Daher scheint mir die Interpretation Manfred Baums unangemessen zu sein, wenn er die Kantische und die Hegeische Wahrheitskonzeption durch den Gegensatz von der Korrespondenz- und der Kohärenztheorie der Wahrheit charakterisiert. Diesen Gegensatz konstruiert er vor allem zu dem Zweck, die Kantische Wahrheitskonzeption gegen Hegels Kritik zu verteidigen. Vgl. M. Baum: Wahrheit bei Kant und Hegel, in: D. Henrich (Hrsg.): Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie I Stuttgarter Hegel-Kongreß 1981, Stuttgart 1983, S. 230 - 249, bes. S. 246 f. Zum Beispiel unterscheidet Aschenberg zwischen Bedeutungen, die in Hegels Begriff der Wahrheit enthalten sind: 1. die wirklichkeitstheoretische, 2. die phänomenologische, 3. die erkenntnistheoretische und 4. die spekulative bzw. kategoriale Bedeutung der Wahrheit. Vgl. R. Aschenberg: Der Wahrheitsbegriff in Hegels „Phänomenologie des Geistes", a. a. O., S. 220 ff.
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begründbar sind. Auch das Wahrsein des gesamten Systems läßt sich also nur innerhalb seiner selbst beweisen.59 Es kann sozusagen keinen systemexternen Beweisgrund geben, von dem das Wahrsein des Systems abhängig wäre. Daraus ergibt sich die Konsequenz: Der einzig mögliche Beweis für das monistisch-holistische System der Wahrheit ist, wenn man so will, allein die Darstellung seiner selbst. So fallen Beweis und Darstellung im Rahmen des Hegeischen Wahrheitsbegriffs wesentlich zusammen. 60 Wenn man daran denkt, daß sich die Darstellung der Wahrheit bei Hegel in der Dialektik vollzieht, so versteht man, in welchem Sinne Hegel moniert: „Nachdem aber die Dialektik vom Beweise getrennt worden, ist in der That der Begriff des philosophischen Beweisens verloren gegangen." (PG 45) In diesem Zusammenhang stellt sich ein eigentümliches Problem der Darstellung, das von Hegels Wahrheitsbegriff untrennbar ist und daher eine Schlüsselstellung im gesamten System einnimmt. Für Hegel gibt es keine Wahrheit, die vor oder außer ihrer Darstellung für sich bestünde; denn das Wahre ist, spekulativ ausgedrückt, seine Darstellung. 61 Es geht für Hegel letztlich um „die Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes" (PG 45). Darin, daß sich die Darstellung der Wahrheit notwendigerweise in der dialektischen Bewegung des Satzes bzw. des Urteils vollzieht, liegt genau die Quintessenz der spekulativen Philosophie Hegels. Das Eigentümliche der Darstellungsproblematik ist, daß für die spekulative Philosophie die Darstellung des Wahren und die Kritik des Unwahren in einem zusammengedacht werden müssen. Daß Beweis und Darstellung in Hegels System zusammenfallen, beruht wesentlich auf dem kritischen Aspekt seines Wahrheitsbegriffs, der den Anspruch nach sich zieht, daß auch das Unwahre bzw. das Scheinwahre von Grund auf durchschaut und innerhalb des Systems aufgeklärt sein muß. Denn wenn man die monistisch-holistische Konzeption wirklich konsequent zu Ende denkt, so darf nicht einmal das, was gegenüber dem Wahren anders ist, außerhalb des Systems in einer schlichten Andersheit befangen bleiben. Die Andersheit des Unwahren m u ß vielmehr durch kritische Freilegung 59
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Es ist ein Verdienst Hegels, die Grundüberzeugung jedes konsequenten Systematikers geltend gemacht zu haben, daß sich alles Erkennen sowie Beweisen nur innerhalb eines Systems der Wissenschaft vollziehen kann. „Vor der Wissenschaft aber schon über das Erkennen ins Reine kommen wollen, heißt verlangen, daß es a u s s e r h a l b derselben erörtert werden sollte; a u s s e r h a l b der Wissenschaft läßt sich diß wenigstens nicht auf wissenschaftliche Weise [...] bewerkstelligen." (WL I 54) Man kann in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß das griechische Wort cmööei^ic sowohl Beweis als auch Darstellung bedeuten kann. So hebt Bruno L. Puntel in seiner Studie zu Hegels Systematik zu Recht Hegel eigentümliches Pathos der Darstellung hervor. Vgl. L. B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G. W. F. Hegels, Bonn 1973, S. 35 ff.
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seines Unwahrheitsgehalts in der Totalität des Wahren selbst aufgehoben werden. So ist das Unwahre schließlich, wenn man so will, als Moment des Wahren zu begreifen. Man kann den Hegeischen Begriff des Wahren sogar, wie Schnadelbach, als „die Einheit des Wahren und Unwahren" 62 betrachten, jedoch unter dem Vorbehalt, daß die Einheit nicht als bewegungslose „Sich-selbst-Gleichheit", sondern wesentlich als etwas Werdendes, das sich aus dem Entgegengesetzten zu einem organischen Ganzen hin entwickelt, zu verstehen ist. Es ist das Spekulative in Hegels Wahrheitsbegriff, daß auch das Unwahre schließlich in der wahren Wahrheit enthalten und begriffen werden muß. Einen derartig radikalen Begriff der Wahrheit vertritt auch Hölderlin, hierin mit dem alten Weggefährten aus dem Tübinger Stift übereinstimmend: „Nur das ist die wahrste Wahrheit, in der auch der Irrtum, weil sie ihn im Ganzen ihres Systems, in seine Zeit und seine Stelle setzt, zur Wahrheit wird." 63 Man formuliert zu Recht die Identität der Identität und Nichtidentität als das Prinzip der spekulativen Philosophie, da diese letztlich danach strebt, die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung aufzufassen. Sosehr der Schein für das Wesen wesentlich ist (WL II 244), oder sosehr das Zufällige für das Notwendige notwendig ist (WL II 385), M sosehr ist auch das Unwahre für das Wahre wahrhaft. Das vollständige Begreifen der Wahrheit erfordert nämlich das Durchschauen der Unwahrheit des Unwahren. In dieser Beziehung hat die Darstellung der Wahrheit in der monistisch-holistischen Konzeption notwendigerweise zwei Seiten, die Aufdeckung des Wahren einerseits und die Kritik des Unwahren andererseits. Die Darstellung des Wahren kann sich sozusagen nur in der Kritik des Unwahren entfalten, und zwar so, daß sich die Wahrheit erst dann enthüllt, wenn das Unwahre durch die Kritik aufgelöst ist. In diesem Zusammenhang ist Hegels Logik, wie Theunissen meint, nur im Hinblick auf die Einheit von Darstellung und Kritik faßbar. 6 " Diese janusköpfige Aufgabenstellung bringt Hegel so auf den Punkt: „Das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurtheilen, schwerer, es zu fassen, das schwerste, was beydes vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen." (PG 1,2 63
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H. Drüe u. a.: Hegels »Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften« (1830), a. a. O., S. 37. J. C. F. Hölderlin: Reflexion, in: ders.: Tod des Empedokles. Aufsätze [Sämtliche Werke. Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 4/1], hrsg. v. F. Beißner, Stuttgart 1961, S. 234. Zur geistigen Verwandtschaft Hegels mit Hölderlin vgl. D. Henrich: Hegel und Hölderlin, in: ders.: Hegel im Kontext, Frankfurt a. M. 1975, S. 9 - 40. Vgl. den subtilen Aufsatz von Henrich: Hegels Theorie über den Zufall, in: ders.: Hegel im Kontext, a. a. O., S. 157 - 186; auch K. Utz: Die Notwendigkeit des Zufalls. Hegels spekulative Dialektik in der Wissenschaft der Logik, Paderborn 2001. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O.
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11) Worauf Hegel in seiner Logik zielt, ist offenkundig das Schwerste, nämlich die Wahrheit in einer Darstellung, die wesentlich Kritik ist, zu vollenden. Aufgrund dieser janusköpfigen Problemstellung ist es unerläßlich, nicht nur den Gegenstand der Darstellung, sondern auch den der Kritik, also das Unwahre, zu klären.66 Da Hegel die Wahrheit vornehmlich durch die Struktur der Mit-sich-Ubereinstimmung auslegt, liegt die Ansicht nahe, das Unwahre als Nichtübereinstimmung bzw. Ungleichheit zu charakterisieren. So spricht Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie von der Falschheit eben im Sinne der Ungleichheit: „Man kann wohl falsch wissen. Es wird etwas falsch gewußt, heißt, das Wissen ist in Ungleichheit mit seiner Substanz." (PG 30) Hier bezieht sich Hegel zunächst auf den subjektiven bzw. erkenntnistheoretischen Aspekt der Wahrheit, bei dem es um das Verhältnis des Wissens zum Gewußten, also der Substanz, geht. Daß die Ungleichheit für die Erkenntnis der Wahrheit nicht nichtig ist, ist genau die Pointe, die Hegel hier im Hinblick auf die Aufgabe seiner Phänomenologie zu verdeutlichen versucht. „Allein eben diese Ungleichheit", so fährt Hegel fort, „ist das Unterscheiden überhaupt, das wesentliches Moment ist. Es wird aus dieser Unterscheidung wohl ihre Gleichheit, und diese gewordene Gleichheit ist die Wahrheit. Aber sie ist nicht so Wahrheit, als ob die Ungleichheit weggeworfen worden wäre, [...] sondern die Ungleichheit ist als das Negative, als das Selbst im Wahren als solchem selbst noch unmittelbar vorhanden." (PG 30 f.) Für Hegel ist das Negative nie mit dem Nichtigen gleichzusetzen. Das Negative ist wesentlich ein bestimmtes, weil es sich immer auf ein bestimmtes Etwas negierend bezieht, wodurch es ein Negatives wird. Aus dieser bestimmten Negativitat ist dann etwas Positives zu gewinnen, in dem die negative Bestimmtheit enthalten ist. Anhand der Struktur der bestimmten Negation ist hier auch die Ungleichheit als wesentliches Moment in einer Gleichheit aufzufassen, die in sich differenziert ist. Diejenige Gleichheit, durch die sich das Wahre auszeichnet, ist für Hegel nicht eine solche, die völlig unterschiedslos ist, sondern vielmehr eine, die vielfältige Ungleichheiten bereits in sich integrierend eingeschlossen hat. Dabei erinnert man sich an Hegels Polemik gegen Schillings Identitätsphilosophie, in der alle Unterschiede wegfallen.67 Eine Gleichheit, in der Vgl.A.a.O.,S.71. „In dieser absoluten Einheit", so schreibt Schelling z. B. in Bruno (1802), „weil in ihr [...] alles vollkommen und selbst absolut ist, ist nichts von dem andern unterscheidbar, denn die Dinge unterscheiden sich nur durch ihre Unvollkommenheiten und die Schranken, welche ihnen durch die Differenz des Wesens und der Form gesetzt sind; in jener allervollkommensten Natur aber ist die Form dem Wesen jederzeit gleich, weil das Endliche, welchem allein eine relative Verschiedenheit beider zukommt, in ihm selbst nicht als endlich, sondern unendlich, enthalten ist, ohne allen Unterschied beider." F. W. J. v. Schel-
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es keine Unterschiede mehr gibt, ist, so die berühmte Kritik Hegels, wie die Nacht, worin „alle Kühe schwarz sind"; dies „ist die Naivität der Leere an Erkenntniß" (PG 17). Die „wahrhafte" Gleichheit ist vielmehr ein strukturiertes Ganzes, d. h. ein System, in dem alle Beziehung-aufAnderes in Beziehung-auf-sich, bzw. aller Fremdbezug in Selbstbezug, übersetzt und dadurch ersetzt ist, so daß all das, was zunächst als Ungleichheit erschien, letztlich als Moment des Ganzen begriffen wird. Dabei muß man jedoch besonders darauf aufmerksam sein, daß sich Hegel hier wiederum eine Zweideutigkeit des Ausdrucks zunutze macht. Wenn Hegel die Falschheit durch die Ungleichheit des Wissens mit der Substanz definiert, sind zwei Bedeutungen der Ungleichheit gleichzeitig im Spiel. Zum einen ist sie spezifische Ungleichheit eines bestimmten Wissens mit einem bestimmten Gegenstand, der selber auch von anderen zu unterscheiden ist, und zum anderen ist sie die Ungleichheit überhaupt zwischen Wissen auf der einen Seite und Gewußtem auf der anderen.68 Dabei beginnt Hegel zunächst mit der ersten Bedeutung der Ungleichheit, der dem entspricht, was man gewöhnlich unter Falschsein versteht, geht aber dann zu der zweiten Bedeutung über, die sich eigentlich nicht auf das Falschsein, sondern auf dessen Voraussetzung bezieht. Denn der Unterschied des Wissens vom Gewußten bedeutet an sich nicht die Falschheit, sondern schafft vielmehr die Voraussetzung dafür, daß ein bestimmtes Wissen von der Substanz abweichen kann. Wenn Hegel sagt, „allein eben diese Ungleichheit ist das Unterscheiden überhaupt, das wesentliches Moment ist", bezieht er sich eindeutig auf die zweite Bedeutung der Ungleichheit. Und aus „dieser Unterscheidung überhaupt" wird ihre Gleichheit, d. h. die Wahrheit, in der das Wissen und die Substanz letztlich zusammenfallen. Diese Erläuterung der Ungleichheit steht wohl in einem engen gedanklichen Zusammenhang mit der „Prüfung" der bewußtseinssubjektiven Wahrheitskonzeption in der Einleitung der Phänomenologie, die oben erläutert wurde.69 Was sich in der „Prüfung" gezeigt hat, ist die Erkenntnis, daß die Unterscheidung des Wissens und der Substanz letztlich ein subjektives Produkt des Bewußtseins ist, das der Sache selbst nicht zueigen ist. Da „das Unterscheiden überhaupt" dem Begriff der Wahrheit nicht entspricht, fällt die zweite ling: Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch [Sämmtliche Werke, 1. Abteilung, Bd. 4], hrsg. v. K. F. A. Schelling, Stuttgart / Augsburg 1859, S. 258. Vgl. PG 30: „Das Falsche, denn nur von ihm ist hier die Rede, wäre das Andre, das Negative der Substanz, die als Inhalt des Wissens das Wahre ist. Aber die Substanz ist selbst wesentlich das Negative, theils als Unterscheidung und Bestimmung des Inhalts, theils als ein e i n f a c h e s Unterscheiden, d. h. als Selbst und Wissen überhaupt." Vgl. oben Kap. 2.1.1.2: Aufhebung und Vollendung des Wahrheitsbegriffs, S. 46
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Bedeutung der Ungleichheit wieder auf die erste zurück, die nun ihre Falschheit aufweist. Diese falsche Voraussetzung ist somit der Grund für alle spezifischen Falschheiten, die auf der Unterscheidung von Wissen und Gewußtem basieren. Hegel ist durchaus der Meinung, daß „an jedem Falschen etwas Wahres sey" (PG 31). Jede spezifische Ungleichheit trägt insofern zum Ganzen der Wahrheit bei, als sie eine Gegenbedingung vorlegt, durch deren Aufhebung das Wahre um eine Bestimmung reicher wird. Der Prozeß des Wahrwerdens ist eben für die Wahrheit wesentlich. Sie ist nicht lediglich das Resultat, in dem der Begriff mit sich in seiner Objektivität vollkommen übereinstimmt, sondern ebensosehr der Weg dazu; nur die beiden zusammen machen das Ganze der Wahrheit aus. „Denn die Sache ist nicht in ihrem Z w e c k e erschöpft, sondern in ihrer A u s f ü h r u n g , noch ist das R e s u l t a t das w i r k l i c h e Ganze, sondern es zusammen mit seinem Werden; der Zweck für sich ist das unlebendige Allgemeine, wie die Tendenz das bloße Treiben, das seiner Wirklichkeit noch entbehrt, und das nakte Resultat ist der Leichnam, der sie hinter sich gelassen." (PG 10 f.) In diesem Zusammenhang ist das Unwahre „als das Negative, als das Selbst im Wahren als solchem selbst noch unmittelbar vorhanden." (PG 31) 70 Aber in welcher Weise das Unwahre für das monistischholistische System der Wahrheit konstitutiv ist, ist noch zu klären. Die hier erläuterte Ungleichheit ist ebenfalls nur eine formale Bestimmung der Unwahrheit, die noch weiterer Präzisierung bedarf. Denn so reichhaltig der Begriff der Wahrheit bei Hegel ist, so vielfältig erscheinen auch in seinem System ihre Gegenstücke, die hinsichtlich der jeweiligen Charakteristika der Wahrheit durch Ungleichheit mit ihr gebildet sind und daher „Unwahrheit" genannt werden.
Die Ungleichheit ist zwar für die wahrhafte Gleichheit konstitutiv. „Es kann jedoch", so Hegel, „darum nicht gesagt werden, daß das F a l s c h e ein Moment oder gar einen Bestandtheil des Wahren ausmache." (PG 31) Mit dieser Aussage beabsichtigt Hegel nicht, die wesentliche Rolle des Falschen im Wahren, die er gerade noch verdeutlicht hat, wieder zu bestreiten, sondern versucht vielmehr das Falsche in einem noch radikaleren Sinne in das Wahre zu integrieren. Denn das Falsche, das in das holistische Ganze der Wahrheit integriert ist, ist nicht mehr das, was es zuvor war, weil sein Falschsein damit schon aufgehoben ist. Insofern das Falsche, das sich als das Andere des Wahren bestimmte, als dessen Moment aufgefaßt wird, ist zugleich sein Anderssein aufgehoben. „Gerade um der Bedeutung wülen, das Moment des v o l l k o m m e n e n A n d e r s seyns zu bezeichnen, müssen ihre Ausdrücke da, wo ihr Andersseyn aufgehoben ist, nicht mehr gebraucht werden." (PG 31) Es ist somit eine Ungeschicktheit des Ausdrucks, das Falsche, nach der Aufhebung seines Anderseins, noch als das Falsche zu nennen; „so ist das Falsche nicht mehr als Falsches ein Moment der Wahrheit." (PG 30)
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2.1.2.2. Die p h ä n o m e n o l o g i s c h e u n d die logische Kritik Die Erläuterung der Unwahrheit, die Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie ausgeführt hat, ist eine Kritik am gewöhnlichen Vorurteil des festen Gegensatzes zwischen dem Wahren und dem Falschen: „Das W a h r e und F a l s c h e gehört zu den bestimmten Gedanken, die bewegungslos für eigne Wesen gelten, deren eines drüben, das andre hüben ohne Gemeinschaft mit dem andern isolirt und fest steht." (PG 30) Mit der Auflösung dieses Gegensatzes ist zugleich die Voraussetzung gegeben, mit dem Unwahren in einer anderen Weise umzugehen, als es gewöhnlich in der Philosophie möglich ist. So sieht Hegel die verschiedenen Gestalten des Bewußtseins, die verschiedenen Erscheinungsformen der endlichen Dinge oder gar die verschiedenen philosophischen Systeme/ 1 auch wenn sie dem Wahren nicht ganz entsprechen, nicht mehr als etwas, das einfach zurückzuweisen ist, sondern als verschiedene Stadien einer fortschreitenden Entwicklung, in der sich das Wahre in kritischer Auseinandersetzung mit ihnen schrittweise entfaltet. Die Auseinandersetzung mit dem Unwahren ist streng genommen in der gesamten Darstellung der Wahrheit durchgängig präsent, also nicht nur in der Phänomenologie, sondern ebensosehr auch in der Logik. Denn das Wahre ist allein das Ganze seiner Entwicklung, das Resultat einschließlich des Prozesses. Bis zur Vollendung des Ganzen m u ß die Darstellung der Wahrheit unumgänglich in der Kritik dessen fortschreiten, was auf der jeweiligen Entwicklungsstufe im Sinne eines defizienten Modus als Unwahres auftritt. In diesem Sinne erhält sich die Einheit von Darstellung und Kritik durch die gesamte Entwicklung des Systems.72 Bei der Betonung des kritischen Aspektes der Darstellung im gesamten System ist der Einwand zu berücksichtigen, das Problem des Unwahren sei in der Phänomenologie schon erledigt, weil diese alle Formen der Unwahrheit zugunsten des absoluten Wissens widerlegt habe. Daraus Vgl. PG 10: „So fest der Meynung der Gegensatz des Wahren und des Falschen wird, so pflegt sie auch entweder Beystimmung oder Widerspruch gegen ein vorhandenes philosophisches System zu erwarten, und in einer Erklärung über ein solches nur entweder das eine oder das andre zu sehen. Sie begreifft die Verschiedenheit philosophischer Systeme nicht so sehr als die fortschreitende Entwicklung der Wahrheit, als sie in der Verschiedenheit nur den Widerspruch sieht." Nach Theunissen gilt die Einheit von Darstellung und Kritik, die er selbst sonst eindrucksvoll geltend gemacht hat, lediglich für die objektive Logik, nicht aber für die subjektive, weil diese sich auf einem Niveau bewege, wo aller Schein aufgelöst sein soll. Eine Kritik an dieser Inkonsequenz findet sich unten im Kap. 2.1.2.3: Die Formen des Unwahren und die Sonderstellung des Urteils, S. 81 f. Vgl. auch die Kritik von Fulda in: H. F. Fulda / R.-P. Horstmann / M. Theunissen: Kritische Darstellung der Metaphysik. Eine Diskussion über Hegels »Logik«, Frankfurt a. M. 1980, bes. S. 35 - 40.
DIE PHÄNOMENOLOGISCHE UND DIE LOGISCHE KRITIK
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ergäbe sich die Konsequenz, daß die Logik nicht mehr mit dem Unwahren zu kämpfen hätte und sich somit in ihrer Darstellung dem kritischen Aspekt vollständig entzöge. Die Einheit von Kritik und Darstellung würde so auseinandergelegt, daß die Phänomenologie allein die Aufgabe der Kritik, die Logik demgegenüber die der Darstellung übernähme. Dies ist durchaus ein berechtigter Einwand, weil Hegel selbst auch auf eine solche Aufgabenverteilung hinzuweisen scheint.n Dafür spricht vor allem die Problemstellung der Phänomenologie im Hinblick auf deren Verhältnis zur Logik. Um den kritischen Aspekt der Logik gegen diesen Einwand zu verteidigen, muß hier die Systemstellung der Phänomenologie sowie deren Verhältnis zur Logik näher betrachtet werden.74 Die Phänomenologie definiert sich bekanntlich als „die ausführliche Geschichte der Bildung des Bewußtseyns selbst zur Wissenschafft" (PG 56), indem sie sich zunächst auf die Standpunkte des erscheinenden Geistes einläßt, die dann in der phänomenologischen Analyse auf ihre Stichhaltigkeit hin geprüft werden. Diese Analyse der unwissenschaftlichen Standpunkte ist selber die „Wissenschafft der E r f a h r u n g des B e w u ß t s e y n s " (PG 61), die sich stufenweise aus der Selbstprüfung des Bewußtseins in seinem Wahrheitsanspruch konstituiert anhand der Maßstäbe, die sich das Bewußtsein selbst gibt und die dann wieder von ihm selbst korrigiert werden, wenn sie sich durch die phänomenologische Untersuchung als unangemessen erweisen. Die Phänomenologie weist aber die Wahrheitsansprüche der unwahren Standpunkte nicht einfach zurück, sondern versucht, dem jeweiligen Standpunkt in der dialektischen „Erfahrung" über ihn selbst seine Unwahrheit bzw. seine begrenzte Wahrheit beizubringen und ihn dadurch zum freiwilligen Eingeständnis der Unhaltbarkeit seines Wahrheitsanspruchs zu überzeugen. In kritischer Tuchfühlung mit den Gestalten des erscheinenden Geistes durchläuft die Phänomenologie alle Formen seines Verhältnisses zu dem, was er auf dem jeweiligen Standpunkt als Objekt hat, und gelangt schließlich Zu dieser Auffassung hat Hegel selber in gewisser Weise beigetragen, auch wenn sie der tatsächlichen Ausführung der Logik nicht entspricht, indem er diese, wie Theunissen es beschreibt, „gegen die explizit genetische Phänomenologie dadurch abzugrenzen [versucht], daß er sie auf den platonisierenden und im übrigen ganz unausgewiesenen Begriff der »reinen Wesenheiten« festlegt, so als eröffne sich am Ende des phänomenologischen Weges der Selbstaufhebung des Bewußtseins ein kosmos noetos, ein ewiges Reich koexistenter Ideen, in welchem Geschichte zur Ruhe kommt." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 80. Zu diesem „klassischen" Problem der Hegel-Interpretation vgl. die klassische Studie von Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, Frankfurt a. M. 1965, bes. I. Teil, 2. Kap. (Eine aufschlußreiche Zusammenfassung der vertretbaren Stellungen zum Systemverhältnis der Phänomenologie in schematischer Darstellung, S. 77 f.) Vgl. auch M. N. Forster: Hegels ldea of a Phenomenology ofSpirit, Chicago / London 1998.
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zum Standpunkt der Wissenschaft bzw. des absoluten Wissens, auf dem der Unterschied von Subjekt und Objekt aufgehoben wird, so daß das Wissen und das Gewußte, die Gewißheit und die Wahrheit letztlich zusammenfallen. Im Gegensatz dazu beginnt die Logik gerade dort, wo die Phänomenologie aufgehört hat (WL I 8). Da sie von Anfang an auf dem Standpunkt des absoluten Wissens steht, scheint die Vermutung nahezuliegen, daß sie sich überhaupt nicht auf die Auseinandersetzung mit dem Unwahren einlassen muß, weil sie die unwahren Standpunkte schon hinter sich gelassen hat. Angesichts dessen, daß die Phänomenologie alle unwahren Formen des Geistes widerlegt und dadurch den Begriff des reinen Wissens für die Logik gerechtfertigt hat, kann man die erstere als die „Voraussetzung" der letzteren betrachten. Diese „einfache" Beziehung der Phänomenologie zur Logik bzw. zum System der Enzyklopädie scheint auch die folgende Passage in der Einleitung der Logik zu belegen: „Dieser Weg [d. h. der Phänomenologie] geht durch alle Formen des V e r h ä l t n i s s e s d e s B e w u ß t s e i n s z u m O b j e c t e durch, und hat den B e g r i f f d e r W i s s e n s c h a f t zu seinem Resultate. Dieser Begriff bedarf also (abgesehen davon, daß er innerhalb der Logik selbst hervorgeht) hier keiner Rechtfertigung, weil er sie daselbst erhalten hat; und er ist keiner andern Rechtfertigung fähig, als nur dieser Hervorbringung desselben durch das Bewußtseyn, dem sich seine eigenen Gestalten alle in denselben als in die Wahrheit auflösen. [...] Der Begriff der reinen Wissenschaft und seine Deduktion wird in gegenwärtiger Abhandlung also insofern vorausgesetzt, als die Phänomenologie des Geistes nichts anderes als die Deduction desselben ist." (WL I 32 f.; vgl. HEnz. § 36 A, 34 f.; Enz § 25 A, 68 f.) Aus dem Textstück geht jedenfalls hervor, daß die Phänomenologie auch nach der endgültigen Systemkonzeption eine wesentliche Rolle spielt.75 Denn sie wird von der Logik vorausgesetzt, insofern als sie den Gemäß der ursprünglichen Konzeption war die Phänomenologie, die in ihrer ersten Auflage den Titel „System der Wissenschaft. Erster Theo" (PG 3) hatte, als Einleitung in das System der Wissenschaft konzipiert worden, wurde jedoch zugunsten des neuen Konzepts der Enzyklopädie umgedeutet, so daß jener Titel in der zweiten Auflage zurückgenommen werden sollte. Es ist zu beachten, daß sich die Umdeutung nicht erst in der Vorbereitung auf die zweite Auflage der Phänomenologie vollzog, sondern schon auf Hegels Nürnberger Zeit zurückgeht, als er als Gymnasiumsrektor eine Propädeutik zur Philosophie für die Schüler konzipierte. (Vgl. dazu die Einleitung von Wolfgang Bonsiepen in Hegel: Phänomenologie des Geistes, hrsg. v. H.-F. Wessels u. H. Clairmont, m. einer Einleitung v. W. Bonsiepen, Hamburg 1988, bes. S. L - LV.) Aufgrund dieser Umdeutung gibt es mehrere Interpretationen, die Phänomenologie auf eine bloß historisch-genetische Vorstufe oder sogar ein geniales Notprodukt aus biographischem Zwang zu verharmlosen. (Eine solche „erstaunliche" These hat z. B. Haering mit einer chronologisch-historischen Überschau über die Entstehungsgeschichte der Phänomenologie vorgebracht. Vgl. Th. Haering:
D I E PHÄNOMENOLOGISCHE UND DIE LOGISCHE KRITIK
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Begriff der reinen Wissenschaft für die Logik hervorbringt und rechtfertigt. Es stellt sich jedoch die Frage, in welchem Sinne eigentlich die Logik die Phänomenologie „voraussetzt". Sollte diese die geltungstheoretische Grundlage für jene bilden, so wäre dann das Logische von dem Phänomenologischen abhängig. Dies widerspräche offenkundig derjenigen Konzeption Hegels, der zufolge sich die Logik als eine Wissenschaft versteht, die sich mit sich selbst zusammenschließt und keines äußeren Beweises bedarf. Man m u ß ja daran denken, wie Klaus Hartmann betont, „daß die fertige Gestalt der Hegeischen Philosophie mit der Logik und der Enzyklopädie [...] gegeben ist. Nur hier ist Voraussetzungslosigkeit, Letztbegründung und Methode rein verwirklicht.""6 Die Logik ist wesentlich so konzipiert, daß sie sich aus sich selbst zu begründen vermag. Sie m u ß sozusagen voraussetzungslos sein.77 Daher m u ß die phänomenologische „Voraussetzung" für die Logik eine Bedeutung haben, die nicht gegen die globale Konzeption verstößt. Dafür spricht außerdem die Andeutung im obigen Zitat, daß der Begriff der Wissenschaft auch „innerhalb der Logik selbst hervorgeht." Es kommt also darauf an zu klären, in welchem Sinne der Begriff der Wissenschaft noch phänomenologischer Rechtfertigung bedarf, wenn er bereits aus dem Logischen selbst hervorgeht. Als „die ausführliche Geschichte der B i l d u n g des Bewußtseyns selbst zur Wissenschafft" (PG 56) hat die Phänomenologie die Funktion, das Bewußtsein über seine zunächst unwissenschaftlichen Standpunkte aufzuklären und zum Standpunkt des reinen Wissens hinzuführen. Die Logik hat ja das Resultat der Phänomenologie zur „Voraussetzung", allerdings nicht in dem Sinne, daß der Standpunkt des reinen Wissens durch sie begründet würde. Als Voraussetzung gilt die Phänomenologie vielmehr nur für das Bewußtsein des philosophierenden Subjekts, das als endlicher Geist der sich aufhebenden Vermittlung bedarf, um auf den
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Die Entstehungsgeschichte der Phänomenologie des Geistes, in: B. Wigersma (Hrsg.): Verhandlung des dritten Hegelkongresses vom 19. bis 23. April 1933 in Rom, Tübingen/Haarlem 1934, S. 118 - 138. Eine wohlbegründete Widerlegung der These Haerings ist bei Otto Pöggeler zu finden. Vgl. O. Pöggeler: Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes, in: ders.: Hegels Idee einer Phänomenologie, 2., durchgesehene u. erweiterte Aufl., Freiburg / München 1993, S. 193 ff.) Obwohl erst die Logik bzw. die Enzyklopädie als das Grundgerüst des endgültigen Hegeischen Systems gilt, soll die Phänomenologie nach der letzten Überarbeitungsnotiz Hegels noch als „eigenthümliche frühere Arbeit", als „Voraus der Wissenschaft" (PG 448) nicht umgearbeitet bleiben. K. Hartmann: Die ontologische Option, in: ders. (Hrsg.): Die ontologische Option. Studien zu Hegels Propädeutik, Schellings Hegel-Kritik und Hegels Phänomenologie des Geistes, m. Beiträgen v. F. Schneider u. a., Berlin / New York 1976, S. 25. Vgl. Verf.: Voraussetzungs- und Bestimmungslosigkeit. Bemerkungen zum Problem des Anfangs in Hegels Wissenschaft der Logik, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 26 (2000), S. 287 - 323.
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Standpunkt des unendlichen Wissens hinaufzusteigen, und damit in der Lage ist, sich zu entschließen, das Denken als solches zu betrachten. Aus der Sicht der Logik selbst ist somit die Voraussetzung nicht notwendig. „Soll aber keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbst u n m i t t e l b a r genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es der Anfang der Logik, des Denkens für sich, seyn soll. Nur der Entschluß, den man auch für eine Willkür ansehen kann, nemlich daß man das D e n k e n a l s s o l c h e s betrachten wolle, ist vorhanden." (WL I 56) Dieser Entschluß heißt nichts anderes als, alle Erkenntnisformen des endlichen Bewußtseins und alle Voraussetzungen sowie Entgegensetzungen, die gemacht wurden, zunächst beiseite zu setzen, damit das reine Denken in der einfachen Selbstbeziehung als ein Unmittelbares auftritt. Durch die phänomenologische Einleitung kommt das philosophierende Subjekt zu dem Entschluß, in das reine, philosophische Denken einzusteigen." 8 Das philosophierende Subjekt benötigt für den Entschluß eine solche Einleitung, weil das Bewußtsein, das noch nicht auf dem Standpunkt der Wissenschaft steht, nicht einsieht, daß es nur ein solches ist. Der Entschluß ist daher nur mittels der Einleitung zweckmäßig, bleibt aber, ohne von ihr erzwungen zu sein, ein freier Akt, „den man auch für eine Willkühr ansehen kann" (WL I 56). 79 In diesem Sinne erfüllt die Phänomenologie aus Sicht des endgültigen Systems der Enzyklopädie eine subtile Funktion, die weder den wissenschaftlichen Standpunkt zu begründen meint, noch bloß die Geschichte des erscheinenden Bewußtseins darzustellen sucht, sondern vielmehr eine unerläßliche propädeutische Funktion, die den endlichen Geist über den Standpunkt des reinen Wissens zu verständigen vermag. 80 Diese propädeutische Einleitung vollzieht sich Eine Einleitung in diesem Sinne konzipiert Hegel schon in der Vorlesung Introductio in philosophiam von 1801/02: „der Zwek einer Einleitung in die Philosophie könnte bloß seyn, diese subjectiven Standpunkte über sich selbst aufzuklären und sie mit dem objectiven der Philosophie zu verständigen" (GW V 259). Vgl. Enz. § 17, 59: „Allein es ist diß der freie Act des Denkens sich auf den Standpunkt zu stellen, wo es für sich selber ist und sich hiemit s e i n e n Geg e n s t a n d s e l b s t e r z e u g t und gibt." Vgl. auch H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O., S. 44 f. Diese Deutung trat zum ersten Mal schon vor dem Tod Hegels auf, als Georg Andreas Gabler 1827 das System der theoretischen Philosophie herauszugeben begann, in dem er sich an Hegels Phänomenologie orientiert und ihre propädeutische Funktion so bestimmt: „So hat in dieser Beziehung die Philosophie auch die Aufgabe, das noch nicht philosophisch gebildete Bewußtseyn auf dem zu ihr führenden Wege hinzuleiten, und demselben das ihm nicht unmittelbar gegebene Element, in welchem sie als reine Wissenschaft sich bewegt, zu vermitteln. Diesen Weg zur W i s s e n s c h a f t , welcher die Wissenschaft noch nicht selbst ist, aber sie zur i n n e r e n Leiterin hat, und n i c h t o h n e die M e t h o d e der Wissenschaft vollbracht werden kann, zeigt und führt die p h I l o s o p h i s c h e P r o p ä d e u t i k . " G. A. Gabler: System der theoretischen Philo-
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aber auf historischer Ebene, so daß das Subjekt durch Selbstwiderlegung alternativer Standpunkte des erscheinenden Bewußtseins die Absolutheit des Philosophischen erkennt. Der Name „Propädeutik" mag unangemessen sein, wenn die Phänomenologie damit so verstanden würde, als würde sie mit den üblichen Einleitungen oder Vorbegriffen in den Hegeischen Schriften, die bloß als vorläufiges Räsonnement gelten, gleichgestellt. Es handelt sich demgegenüber aber um ein propädeutisches Unternehmen, das für den endlichen Geist unerläßlich ist, weil er zum Standpunkt der absoluten Wissenschaft einer Hinführung bedarf, die sich selber nichtsdestoweniger als wissenschaftlich darstellen kann. 81 Aber wie verhält sich die phänomenologische Darstellung zu dem System, das durch die Logik begründet wird? Mit seiner ausführlichen Untersuchung zu diesem Problem schlägt Hans Friedrich Fulda vor, die phänomenologische als systemexterne Beglaubigung des Systems zu lesen.82 Allerdings scheint es von vornherein unangemessen, durch die Unterscheidung von Systeminternem und -externem das dialektische Ganze der Hegeischen Philosophie fassen zu wollen, wenn damit die Opposition des Internen gegen das Externe nur als ein gleichgültiges Nebeneinanderbestehen zu fixieren wäre. 83 Denn wenn der Weg des endlichen Bewußtseins zur Wissenschaft nur als systemexterne Beglaubigung zu verstehen wäre und sich nicht mit dem System des unendlichen Wissens zu einem dialektischen Ganzen zusammenschließen könnte, so entspräche eine solche Wissenschaft nicht mehr der wahrhaften Unendlichkeit, sondern nur noch der sogenannten „schlechten Unendlichkeit". Soll das Hegeische System den Standpunkt des wahrhaft unendlichen Wissens vertreten können, so darf es den endlichen Standpunkt nicht mehr außerhalb seiner selbst lassen, sondern m u ß ihn vielmehr in gewisser Weise ebenso in sich einschließen können; sonst würde die spekulative Philosophie Hegels, wie Lorenz Bruno Puntel zu Recht kritisiert, auf „einen ein-gestaltigen, ein-
sophie. Erster Band. Die Propädeutik der Philosophie [Lehrbuch der philosophischen Propädeutik als Einleitung zur Wissenschaft. Erste Abtheilung. Die Kritik des Bewußtseyns], Erlangen 1827, § 4, S. 11 f. Vgl. O. Pöggeler: Zur Deutung der Phänomenologie des Geistes, a. a. O., S. 170 - 230; V. Hösle: Hegels System, a. a. O , S. 58 f. 81 So formuliert Puntel zu Recht: „Die Hinführung des unwahren Wissens oder Bewußtseins zur Wissenschaft ist die Ausführung der Wissenschaft." L. B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, a. a. O., Bonn 1973, S. 211. *2 Vgl. Fuldas Argument: „Wenn das reine Wissen die Forderung billigt, auch für einen anderen Standpunkt als seinen eigenen überzeugend zu sein, muß es sich selbst und damit das System transzendieren, da das ganze System nur die Selbstexplikation seiner als des Elements ist. Es muß sich der Form des Begriffs entäußern und sich eine systemexterne Beglaubigung verschaffen." H. F. Fulda: Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik, a. a. O., S. 297. M Vgl. R. Bubner: Problemgeschichte und systematischer Sinn der >Phänomenologie< Hegels, in: ders.: Dialektik und Wissenschaft, Frankfurt a. M. 1974, S. 33 f.
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dimensionalen und ein-linearen Sachverhalt bzw. Zusammenschluß"84 reduziert. Die Frage nach dem Systemverhältnis der Phänomenologie eignet sich für Hegels spekulative Philosophie nicht, insofern als sie die Vorstellung unterstellt, daß die Phänomenologie der Enzyklopädie entweder unteroder «eingeordnet werden müsse. Puntel bietet eine plausiblere Deutung an, indem er die Möglichkeit einräumt, das System der spekulativen Philosophie in einer anderen Weise darzustellen als in der Enzyklopädie. „Es gibt bei Hegel nicht nur jene Weise oder Ebene des Zusammenschlusses oder des Selbstverständnisses des Ganzen, die in der Enzyklopädie zur Darstellung gebracht wird; vielmehr ist in der Konsequenz des Hegelschen Denkens die Einsicht eingeschlossen, daß auch andere Weisen des Zusammenschlusses des Ganzen mit sich nicht nur möglich, sondern auch notwendig sind. Dies bedeutet im Hinblick auf die Frage nach der Stellung der Phänomenologie des Geistes im .späteren' System: Die einzige Möglichkeit, der Phänomenologie des Geistes im Rahmen des .späteren' Systems eine fundierte Stellung zuzuweisen, beruht auf der Einsicht, daß das System eine andere - eben die phänomenologische - Darstellung des Ganzen zuläßt."83 Die Phänomenologie und die Logik stellen sozusagen in ihrer je eigenen Weise das Ganze des Systems dar, wobei die zwei sich selbst schließenden Darstellungen als gleichursprünglich gelten. Beide haben gleichermaßen die Darstellung der absoluten Wahrheit zum Ziel, auch wenn sie sie in unterschiedlicher Weise verwirklichen.86 Während die Phänomenologie in der Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung des Geistes fortschreitet, entfaltet sich die Logik durch rein begriffliche Analyse der Denkbestimmungen von einer Kategorie zur anderen. Für Hegel aber stellen diese beiden Weisen letzten Endes ein und dieselbe Bewegung nur aus verschiedenen Perspektiven dar, weil er der Meinung ist, daß in der tatsächlichen Entwicklung des Geistes der Gang der rein logischen Kate-
L. B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, a. a. O., S. 333. A. a. O., S. 320 f. Die Möglichkeit, das systematische Ganze in anderer Weise darzustellen und zusammenzuschließen, führt Puntel auf die Systembedeutung der Lehre von den „drei Schlüssen" am Ende der Enzyklopädie zurück, und zwar so, „daß nur der erste Schluß am Ende der Enzyklopädie als eine nachträgliche methodologische Reflexion über den enzyklopädischen systematischen Gang zu deuten ist, während der zweite und der dritte Schluß Andeutungen anderer Darstellungsformen des Systemganzen beinhalten." (A. a. O., S. 423) Leider hat Puntel diese These nicht eingehend begründet (vgl. a. a. O., S. 322 333). So schreibt Bubner: „Phänomenologie und Logik behandeln nicht unterschiedliche Themen, sondern dasselbe Thema in unterschiedlicher Weise." R. Bubner: Strukturprobleme dialektischer Logik, in: ders.: Zur Sache der Diale Stuttgart 1980, S. 12 f. Vgl. auch ders.: Problemgeschichte und systematisch Sinn der >Phänomenologie< Hegels, a. a. O., S. 9 - 43.
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gorien gleichsam als ihr Skelett wiederzufinden ist.87 Nur ist dem Logischen gegenüber dem Phänomenologischen dann der Vorzug zu geben, wenn es darauf ankommt, die Wahrheit in ungetrübter Reinheit zu fassen, weil die Logik, indem sie von jeglicher geschichtlicher und bewußtseinsabhängiger Äußerlichkeit befreit ist, das System der Wahrheit aus reinen Gedankenbestimmungen entwickelt. „Die Logik ist", so drückt Hegel ihre Reinheit aus, „als das System der reinen Vernunft, als das Reich des reinen Gedankens zu fassen. D i e s e s R e i c h ist die W a h r h e i t , w i e s i e o h n e H ü l l e a n u n d für s i c h s e l b s t i s t . " ( W L I 3 4 ) Es stimmt zwar, daß in der Phänomenologie der kritische Aspekt im Vordergrund steht, wohingegen die Logik eher den Darstellungsaspekt hervorhebt; die Einheit von Kritik und Darstellung gilt jedoch sowohl für die eine als auch für die andere. So wird die Phänomenologie bei Hegel auch als Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins verstanden, weil sie genausoviel Wahrheit darzustellen hat wie die Logik.m Andererseits hat die Logik ebensosehr auch mit dem Unwahren zu kämpfen, wie die Phänomenologie, auch wenn das Unwahre auf der logischen Ebene ganz anders konstituiert ist als auf der phänomenologischen. Die Phänomenologie hat zwar alle unwahren Formen des erscheinenden Geistes widerlegt, aber auf dem Niveau des reinen Wissens ist die Wahrheit noch lange nicht wie „aus der Pistole" (PG 24) geschossen zu gewinnen. So schreibt Wolfgang Wieland zu Recht: „Die Hegeische Logik hat zwar das Absolute zum Gegenstand, aber sie ist keine Spekulation, die den Anspruch erheben könnte, auf dem Standpunkt des Absoluten zu stehen. Es handelt sich vielmehr um das Unternehmen des endlichen Geistes, die Kategorien zu Diese Idee expliziert Hegel in einem Zusatz in der Enzyklopädie wie folgt: „Die verschiedenen Stufen der logischen Idee finden wir in der Geschichte der Philosophie in der Gestalt nacheinander hervorgetretener philosophischer Systeme, deren jedes eine besondere Definition des Absoluten zu seiner Grundlage hat. So wie nun die Entfaltung der logischen Idee sich als ein Fortgang vom Abstrakten zum Konkreten erweist, ebenso sind dann auch in der Geschichte der Philosophie die frühesten Systeme die abstraktesten und damit zugleich die ärmsten. Das Verhältnis aber der früheren zu den späteren philosophischen Systemen ist im allgemeinen dasselbe wie das Verhältnis der früheren zu den späteren Stufen der logischen Idee, und zwar von der Art, daß die früheren die späteren als aufgehoben in sich enthalten. Dies ist die wahre Bedeutung der in der Geschichte der Philosophie vorkommenden und so off mißverstandenen Widerlegung des einen philosophischen Systems durch ein anderes, und näher des früheren durch die späteren." (Enz. § 86 Z 2, TW VIII 184) Vgl. PG 61: „Die Erfahrung, welche das Bewußtseyn über sich macht, kann ihrem Begriffe nach nichts weniger in sich begreiffen, als das ganze System desselben, oder das ganze Reich der Wahrheit des Geistes, so daß die Momente derselben in dieser eigenthümlichen Bestimmtheit sich darstellen, nicht abstracte, reine Momente zu seyn, sondern so, wie sie für das Bewußtseyn sind, oder wie dieses selbst, in seiner Beziehung auf sie auftritt, wodurch die Momente des Ganzen, G e s t a l t e n des B e w u ß t s e y n s sind."
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entwickeln und zu erfassen, die für eine angemessene Auslegung des Absoluten notwendig sind. Auf dieser Ebene des endlichen Geistes bewegt sich die Darstellung der Logik."89 Die Bewegung des Begriffs in der Logik ist zwar auf ein anderes Movens zurückzuführen, als die phänomenologische „Erfahrungssammlung" des Bewußtseins. Doch kommt die Begriffsbewegung nur dann überhaupt zustande, wenn es noch Differenz zur absoluten Wahrheit gibt, die durch Kritik ihres Unwahrheitsgehalts zu überwinden ist. Für diese Problemstellung der Logik spricht eindeutig ein Passus aus dem Vorbegriff zur Enzyklopädie, in dem Hegel den Gegenstand der Logik, nämlich die Wahrheit in Form von „objectiven Gedanken", erläutert. „Sind die Denkbestimmungen mit einem festen Gegensatze behaftet, d. i. sind sie nur e n d l i c h e r Natur, so sind sie der Wahrheit, die absolut an und für sich ist, unangemessen, so kann die Wahrheit nicht in das Denken eintreten. [...] Näher ist die E n d l i c h k e i t der Denkbestimmungen auf die gedoppelte Weise aufzufassen, die eine, daß sie nur subjectiv sind und den bleibenden Gegensatz am Objectiven haben, die andere, daß sie als b e s c h r ä n k t e n I n h a l t e s überhaupt sowohl gegen einander als noch mehr gegen das Absolute im Gegensatze verharren." (Enz. § 25, 68) An dieser Stelle unterscheidet Hegel ausdrücklich zwischen dem subjektiven und dem objektiven Aspekt der Endlichkeit. Mit dem ersteren bezieht er sich auf den Gegensatz von Subjekt und Objekt, der in der phänomenologischen Kritik widerlegt wird.90 Doch bleibt noch der letztere, und zwar der objektive Gegensatz übrig, der die Inhalte der Bestimmungen selbst betrifft, insofern sie sich gegeneinander und somit gegen das Absolute als beschränkt erweisen. Die Denkbestimmungen bedürfen daher eingehender Kritik, um sie über ihre Beschränktheiten hinaus in ein dialektisches Begriffssystem zu verflüssigen, das für eine angemessene Auslegung des Absoluten notwendig ist. Genau darum berühmt sich die Logik. In dieser Beziehung ist der kritische Aspekt in der Logik genauso wesenüich wie der in der Phänomenologie, wobei sie sich so voneinander unterscheiden, daß diese den subjektiven Aspekt, jene aber den objektiven Aspekt der Endlichkeit und der Unwahrheit zu überwinden hat. Im Hinblick auf die Wesentlichkeit der Kritik in der Logik könnte man, wenn man will, mit Theunissen sagen: „Auch Hegels Logik [...] ist Phänomenologie."91 W. Wieland: Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt a. M. 1978, S. 203. Daß sich diese „subjektive" Endlichkeit der Dingbestimmungen auf die Phänomenologie bezieht, wird noch durch die anschließende Anmerkung zu diesem Paragraph bestätigt, die eben von der Systemstellung der Phänomenologie handelt (Enz. § 25 A, 68 f.). M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 80.
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2.1.2.3. Die F o r m e n des U n w a h r e n u n d die S o n d e r s t e l l u n g des Urteils Der kritische Aspekt der Darstellung in der Logik ist in Wahrheit viel ersichtlicher, als es zunächst scheint, wenn man sich nur die Hegeische Formbestimmung der Dialektik vergegenwärtigt. Die Dialektik zergliedert Hegel im Vorbegriff zur Enzyklopädie bekanntlich in drei Seiten: „Das L o g i s c h e hat der Form nach drei Seiten a) d i e a b s t r a c t e oder v e r s t ä n d i g e , ß) d i e d i a l e k t i s c h e oder n e g a t i v - v e r n ü n f t i g e , y) d i e s p e c u l a t i v e oder p o s i t i v - v e r n ü n f t i g e . " (Enz. § 79, 118)92 Daß sich das Logische formal gesehen in drei Schritten fortbewegt, hängt mit der Struktur des spekulativen Denkens zusammen. Als Verstand macht das Denken zunächst feste Bestimmungen, die sich aber gleich in seinem negativ-vernünftigen Moment wieder aufheben, insofern sie sich durch ihre eigene Dialektik als einseitige und beschränkte Denkbestimmungen erweisen. Das Spekulative ist dann das dritte Moment des Denkens, in dem ein Umfassenderes und Höheres aus dem Aufgehobenen wiederhergestellt wird. Aber das Wesentliche in dieser Formbestimmung der Dialektik ist, daß weder das eine noch das andere Moment, sondern erst das Ganze das Wahre ist, wobei in diesem keines von den drei Momenten fehlen darf. Im Schlußkapitel der Logik, in dem Hegel im Rückblick auf die ganze Entwicklung der Logik deren Methode expliziert, bezieht er sich auf die beiden ersten Momente des Logischen expressis verbis als „die a b s t r a c t e n , unwahren Momente, die eben darum dialektisch sind" (WL III 248).93 Damit kann man sich nicht mehr darüber hinwegtäuschen, daß die „unwahren" Momente für das Logische konstitutiv sind. Denn der kritische Aspekt der Darstellung der Wahrheit ist genau das Dialektische in dem Logischen.94
Diese Dreiteilung des Logischen findet sich schon in der Nürnberger Enzyklopädie (1808 ff.), vgl. § 12 der Philosophischen Enzyklopädie für die Oberklasse (TW IV 12). Das Dritte ist aber nur insofern nicht „unwahr", als es die beiden „unwahren" Momente in sich integriert hat. Hegel vergleicht die drei Momente ausdrücklich mit den drei Sätzen in einem Syllogismus. Das dritte Moment für sich allein wäre so, wie der Schlußsatz von den zwei Prämissen abstrahieren würde. Erst alle Momente zusammen mit der Schlußfolgerung machen das Wahre aus. Man kann die Idee der Einheit von Darstellung und Kritik sogar anhand der drei Seiten des Logischen auslegen, und zwar so, daß jedes Moment einer der drei Seiten entspricht. Die Darstellung entspricht dann der abstrakten oder verständigen Seite, die Kritik der dialektischen oder negativ-vernünftigen, und die Einheit von Darstellung und Kritik schließlich der spekulativen oder positiv-vernünftigen. So gesehen ist Theunissens Idee nur eine Umschreibung der Struktur der Hegeischen Dialektik. Die Neuheit seiner Interpretation besteht demgegenüber zum einen darin, daß er den Schein als das einzige intentionale Korrelat der Kritik auffaßt (vgl. unten S. 81 f.), und zum anderen darin, daß er
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Der kritische Aspekt der Logik ist nicht nur von dem der Phänomenologie zu unterscheiden, er bedarf auch interner Differenzierung. Denn die Kritik des Unwahren präzisiert sich je nachdem, hinsichtlich welcher Charakteristika das intentionale Korrelat der Kritik auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Logik seine Ungleichheit mit dem Wahren ausweist und darum als das Unwahre zu destruieren ist. Die Vielfältigkeit der Konkretionen des Unwahren ist gerade das Gegenstück der Komplexität des Hegeischen Wahrheitsbegriffs. Bei einem einfachen Blick auf Hegels Logik fällt bereits eine Vielfalt von Ausdrücken auf, mit denen Hegel verschiedene Konkretionen des Unwahren zu charakterisieren versucht. Neben der formalen Bestimmung der Unwahrheit als Ungleichheit spricht Hegel nämlich je nach Sinnzusammenhang von Endlichkeit, Beschränktheit, Einseitigkeit, Scheinhaftigkeit, Wesenlosigkeit, Zufälligkeit, Unwirklichkeit, Äußerlichkeit, Unvernünftigkeit und so weiter. Die verschiedenen Konkretionen der Unwahrheit hängen wesentlich mit dem logischen Charakter der jeweiligen Kategorienentwicklung zusammen. Durch die spezifische Konkretion des Unwahren kennzeichnet sich zugleich die Differenz der jeweiligen Kategorie zum Absoluten, die wiederum die Art und Weise der dialektischen Bewegung in dieser Kategorie bestimmt. Es besteht demnach eine logische Korrelation zwischen einer Kategorie, deren Unwahrheitsgehalt und ihrer Dialektik. Im Hinblick auf den Aufbau der Logik können die kategorienspezifischen Konkretionen der Unwahrheit gemäß der Dreiteilung der Logik generell drei Grundtypen zugeordnet werden, die sich durch die Besonderheiten des entsprechenden Teils charakterisieren. Die Gliederung der Logik in die Logik des Seins, des Wesens und des Begriffs entspricht nach Hegel dem Sichbestimmen des Begriffs in dessen An-sich-Sein, Für-sichSein und schließlich An-und-für-sich-Sein. Dabei dokumentiert die Logikgliederung die logische Entwicklung von der Unmittelbarkeit des
aus dieser kritischen Interpretation der Logik eine „universale Kommunikationstheorie" entwirft (vgl. unten Kap. 2.2.1.2: Exkurs: Das Problem der Intersub jektivität, S. 95 f.). Zudem hat Günther Maluschke bereits vor Theunissen auf den kritischen Aspekt der Hegeischen Dialektik hingewiesen. In seiner Untersuchung Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik geht Maluschke d von aus, daß die „Kritik" eben dem „negativen Moment der Hegeischen Dialektik" entspricht und somit eine wesentliche Funktion des „Systems" bzw. der „absoluten Methode" erfüllt. „Der kritische Aspekt der spekulativen Dialektik Hegels", so schreibt Maluschke, „besteht also darin, die kategorialen Bestimmungen und Resultate anderer philosophischer Systeme in ihrer Defizienz zu begreifen und diesen Inhalten gleichwohl einen Ort im Hegeischen System anzuweisen, und zwar derart, daß sie durch ihre Stellung, die sie in ihm einnehmen, als im wesentlichen negativ gekennzeichnete Kategorien des Denkens erscheinen, als kategoriale Bestimmungen also, bei denen das Denken nicht stehen bleiben kann, weil es sie als unvollkommen durchschaut." G. Maluschke: Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik, Bonn 1974, S. 11.
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Seins, über die Vermittlung bzw. die Reflexion des Wesens, zur Einheit der beiden in dem „entwickelten Bei-sich-seyn" des Begriffs, wo der Gedanke über den Schein des Begriffs wieder in sich selbst zurückgekehrt ist (Enz. § 83, 120).95 Diese logischen Unterschiede unterstreichen zugleich die unterschiedliche Art und Weise, wie sich das Denken in der jeweiligen Sphäre entfaltet. So ist nach Hegel das Fortgehen des Begriffs in der Seinslogik als Übergehen, in der Wesenslogik als Scheinen und in der Begriffslogik als Entwicklung zu fassen.96 Die drei Fortgehensweisen sind darauf zurückzuführen, daß der dialektische Prozeß in der jeweiligen Sphäre von einer jeweils unterschiedlichen Differenz des Begriffs zu sich selbst motiviert wird. In der Sphäre des Seins ist das Sichbestimmen des Begriffs selbst erst nur an sich, da seine Bestimmungen nicht explizit aufeinander verweisen. Das Endliche z. B. ist zunächst auch ohne sein Anderes, das Unendliche, denkbar, weil sein Sinn für sich auf den ersten Blick als vollendet scheint auch ohne sein Anderes, obwohl sich seine implizite Bezogenheit auf Anderes später im Fortgehen als seine Wahrheit erweisen wird. In dieser Beziehung bedeutet das Fortgehen in der Sphäre des Seins immer über sich hinaus in Anderes zu gehen, d. h. Übergehen in Anderes (WL I 109 f.). Die entsprechende Konkretion der Unwahrheit in der Seinslogik läßt sich am ehesten als Endlichkeit charakterisieren. Denn das Endliche bestimmt sich kategorienlogisch als etwas, das durch seine eigene Grenze begrenzt und beschränkt wird. Durch diese zunächst für sich bestehende Bestimmung des Endlichen wird es dann über sich hinaus in sein Anderes gewiesen, weil es, um seine immanente Grenze zu ziehen, immer schon über sich hinausgegangen sein muß. Diese Dialektik der Grenze im Endlichen markiert in dieser Beziehung die generelle Struktur des Übergehens in Anderes innerhalb der Sphäre des Seins. In der Sphäre des Wesens ist hingegen die Bezogenheit auf Anderes in jeder Wesens- bzw. Reflexionsbestimmung explizit enthalten. Denn diese sind in erster Linie paarweise aufgestellte relationale Bestimmungen, bei denen jedes Moment nur einen Sinn hat, wenn das andere auch mit einbezogen ist. In der Bestimmung der Wirkung z. B. ist der Verweis auf den Begriff der Ursache unmittelbar präsent. So findet in der Sphäre des Wesens kein Übergehen mehr statt, sondern stattdessen „das Scheinen seiner im andern und selbst das Setzen seiner als des andern" (WL II 283). Dabei drückt sich das Unwahre in der Wesenslogik nicht mehr als End-
Zur Struktur der drei Logikteile Hegels vgl. V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 210 ff. Vgl. die neunte Vorlesung in den Vorlesungen über die Beweise von Daseyn Gottes von 1829 (GW XVIII 270 ff.). Analyse der drei grundlegenden Dialektiktypen findet sich bei Rainer Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchung, Hamburg 2001, S. 295 ff.
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lichkeit aus, sondern viel eher als Schein. Dieser ist das wesenlose Sein bzw. „der ganze Rest, der noch von der Sphäre des Seyns übrig geblieben ist." (WL II 246) Er unterscheidet sich vom Unwahren in der Seinslogik dadurch, daß er nicht wie das Endliche zwei Momente des Daseins und des Nichtdaseins hat, sondern nur „das r e i n e M o m e n t d e s N i c h t d a s e y n s " (WLII 246). Für Hegel ist der Schein die Kehrseite des Wesens; oder er ist wesentlich als Kehrseite, worauf sein Nichtdasein bzw. seine Nichtigkeit zurückzuführen ist.97 Der dialektische Prozeß in der Wesenslogik ist deshalb als Scheinen ineinander zu charakterisieren, weil es gerade darum geht, den Schein, der dem Wesen einer Reflexionsbestimmung anhaftet, durch das Setzen bzw. das begriffliche Vollziehen dessen, was in jener Bestimmung zu sein scheint, aufzulösen und damit das Wesentliche zu enthüllen. In der Begriffslogik ist der Begriff an sein An-und-für-sich-Sein gelangt, wo das Anderssein schließlich als Selbstsein des Begriffs gefaßt wird. „Das Fortgehen des Begriffs ist nicht mehr Uebergehen noch Scheinen in Anderes, sondern E n t w i c k l u n g , indem das Unterschiedene unmittelbar zugleich als das identische miteinander und mit dem Ganzen gesetzt, die Bestimmtheit als ein freies Seyn des ganzen Begriffes ist." (Enz. § 161, 177) Dabei ist in der Sphäre des Begriffs die Form des Unwahren wesentlich anders als in der Seins- und Wesenslogik. Der wesentliche Unterschied drückt sich auch in der Gliederung der Logik aus, und zwar so, daß die Seins- und Wesenslogik zusammen der objektiven Logik zugeordnet werden, wohingegen die Begriffslogik allein die subjektive Logik bildet. Während die objektive Logik „an die Stelle der vormaligen M e t a p h y s i k [tritt], als welche das wissenschaftliche Gebäude über die Welt war, das nur durch G e d a n k e n aufgeführt seyn sollte" (WL I 48), behandelt die subjektive Logik nicht diejenigen Denkbestimmungen, in denen sich der gesamte Bereich des Seienden konstituiert. Sie bezieht sich vielmehr über ihre eigene „Entwicklung" auf die begrifflichen Bedingungen, die der objektiven Logik zugrunde liegen. Die Kategorien, die in der objektiven Logik gewonnen wurden, werden nochmals auf dem Niveau systematisiert, auf dem der Begriff an und für sich ist. Die Begriffslogik ist sozusagen eine metalogische Selbstthematisierung der Logik. Im Hinblick auf das Verhältnis der Begriffslogik zu der Seins- und Wesenslogik schreibt Rüdiger Bubner zu Recht: „Die Begriffslogik kündigt kein neues Thema an, sie verspricht vielmehr, das alte in den richtigen
Denn „der Schein ist diß u n m i t t e l b a r e Nichtdaseyn, so in der Bestimmtheit des Seyns, daß es nur in der Beziehung auf anderes, in seinem Nichtdaseyn Daseyn hat; das Unselbständige, das nur in seiner Negation ist." (WL II 246) Vgl. G. M. Wölfle: Die Wesenslogik in Hegels „Wissenschaft der Logik". Versuch einer Rekonstruktion und Kritik unter besonderer Berücksichtigung der philosophischen Tradition, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 120 f.
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Zusammenhang zu stellen. Über das hinaus, was wir bis jetzt schon wissen, werden wir nur noch erfahren, wie es in eine Einheit zu bringen ist oder welchen Stellenwert es im Ganzen einnimmt. Da dies bislang jedoch verborgen war, so daß die vorangegangen Teile der Logik notgedrungen ihre relative Wahrheit für das Ganze nehmen mußten, liefert der dritte Teil in der Hauptsache Aufklärung über die bestimmt gegliederte Einheit der Logik als solcher und schließt mithin den Kreis zwischen den Teilen und dem Ganzen."98 Die Sonderstellung der Begriffslogik drückt sich vor allem in ihrem „Abschlußcharakter"99 aus, indem sie durch die Systematisierung derjenigen Teile der Logik, die „an die Stelle der vormaligen Metaphysik" treten sollen, diese zugleich zur Wissenschaft der Wahrheit vollendet. Wenn man die objektive Logik als kritische Darstellung der Metaphysik auslegen darf, so muß man die subjektive Logik konsequenterweise als kritische Darstellung der Logik, die selber Metaphysik ist, lesen. Diese Konsequenz hat Theunissen jedoch übersehen. Für ihn gilt die Einheit von Darstellung und Kritik, die er sonst überzeugend begründet hat, ausschließlich innerhalb der objektiven Logik, während in der subjektiven Logik der kritische Aspekt hinter die reine Darstellung zurücktritt.100 Er meint nämlich, daß „die Begriffslogik den Anspruch [erhebt], ein Niveau erreicht zu haben, auf dem es zwischen dem betrachtenden und dem betrachteten Denken keinen Unterschied mehr gibt."101 Es stimmt zwar, daß es in der Begriffslogik nicht mehr den Unterschied gibt, von dem die dialektische Bewegung in der Seins- und Wesenslogik motiviert wird. Aber wenn es überhaupt keinen Unterschied mehr gäbe, wenn der Begriff mit sich selbst vollkommen übereinstimmte, so gäbe es auf dieser Stufe auch keine dialektische Bewegung, also keine „Entwicklung", mehr, was aber offenkundig der tatsächlichen Darstellung der Begriffslogik widerspricht.102 In der Logik ist vielmehr eindeutig, daß die dialektische Bewegung erst in der absoluten Idee, nicht aber schon zu Eingang der subjektiven Logik an einen Punkt gelangt, an dem das Wahre als die realisierte Übereinstimmung des Begriffs mit sich selbst vollkommen enthüllt ist und sich mit der ganzen dialektischen Bewegung der Logik zu einem organischen System zusammengeschlossen hat. Theunissens inkonsequente Auffassung der Einheit von Darstellung und Kritik ist auf eine andere Hauptthese seiner Hegel-Interpretation R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, a. a. O., S. 76. A. a. O , S. 77. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., bes. S. 37 - 60. A. a.O.,S.81. Vgl. Fuldas Kritik an Theunissen in: H. F. Fulda / R.-P. Horstmann / M. Theunissen: Kritische Darstellung der Metaphysik, a. a. O., S. 35 - 40. In Erwiderung auf Fuldas Kritik hat Theunissen selbst seine eigene Position relativiert, vgl. a. a. O , S. 70 - 80.
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zurückzuführen: Er faßt nämlich den Schein als den einzigen „wahren" Gegenbegriff zu Wahrheit. Er ist sich zwar völlig bewußt, daß Hegel an verschiedenen Stellen der Logik von unterschiedlichen Bedeutungen der Unwahrheit spricht, aber als Unwahrheit schlechthin betrachtet er ausschließlich den Schein, während alle übrigen Formen der Unwahrheit als „Noch-nicht-Wahrheit" relativiert werden. 103 Aufgrund dessen, daß der Schein nach Theunissen als eine Unwahrheit gilt, die an der Wahrheit gar nicht teilzunehmen fähig ist, ist er das einzige intentionale Korrelat der Kritik, das in der objektiven Logik destruiert wird und somit in der subjektiven Logik entfällt. Diese These kann jedoch nicht stimmen, wenn man bedenkt, daß die Unwahrheit, die in formaler Hinsicht durch die Ungleichheit des Begriffs mit sich selbst gekennzeichnet ist, in der Logik verschiedene Konkretionen annimmt. 104 Der Schein ist in Wahrheit nur für die spezifische Form der Unwahrheit in der Wesenslogik charakteristisch. Man kann zwar mit dem wesenslogischen Begriff des Scheins die dialektische Bewegung in der Seinslogik im Rückblick erklären, weil der gesamte Problembestand der Seinslogik in der Wesenslogik auf einer höheren Stufe wieder aufgegriffen und thematisiert wird, aber die Interpretation, die den Schein als Unwahrheit schlechthin versteht, muß dort, nämlich in der Begriffslogik, scheitern, in der der Schein nicht mehr als die Konkretion der Unwahrheit gilt. Denn sosehr die logischen Bestimmungen am Ende der Seinslogik aufhören, ineinander überzugehen, sosehr hat es auch am Ende der Wesenslogik mit dem Scheinen ein Ende. Das Fortgehen in der Begriffslogik heißt hingegen „Entwicklung", deren unwahres Gegenstück nicht mehr als Schein zu fassen ist. Die entsprechende Konkretion der Unwahrheit in der Begriffslogik, in der sich das Fortgehen als Entwicklung bestimmt, ist vielmehr die Einsei-
So schreibt Theunissen: „Auf der einen Seite befindet sich eine Unwahrheit, die als Noch-nicht-Wahrheit an Wahrheit sehr wohl teilnimmt, auf der anderen die Unwahrheit schlechthin, dasjenige, das auf Realität gar keinen Anspruch erheben darf, weder auf weltliche Realität noch auf die des Gedankens. [...] Diese Unwahrheit, die an Wahrheit nicht teilnehmende Unwahrheit des Scheins, begegnet in der spekulativen Logik als intentionales Korrelat der Kritik." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 72. Ob es aber für Hegel eine Unwahrheit gibt, die schlechthin nicht an der holistischen Wahrheit teilnimmt, scheint sehr fraglich zu sein. Denn wenn man die Prozessualität des Hegelschen Wahrheitsbegriffs konsequent zu Ende denkt, so ist jede Konkretion der Unwahrheit vielmehr eine notwendige Stufe des Wahrwerdens, die das endgültig Wahre auf dem Weg zu sich selbst durchlaufen muß. Auch der Schein, den Theunissen als die Unwahrheit schlechthin betrachtet, ist dem Wesen so wesentlich, daß er letztlich als konstitutives Moment der Wahrheit angesehen werden muß. In diesem Sinne ist jede Konkretion der Unwahrheit gleichermaßen als „Noch-nicht-Wahrheit" auszulegen. Vgl. H. F. Fulda / R.-P. Horstmann / M. Theunissen: Kritische Darstellung der Metaphysik, a. a. O , S. 24 - 29.
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tigkeit bzw. Unentwickeltheit.105 Diese Bedeutung der Unwahrheit bezieht sich auf das Gegenteil dessen, worauf die Idee „das Wahre ist das Ganze" abhebt. Das Gegenstück des monistisch-holistischen Aspekts des Hegelschen Wahrheitsbegriffs ist deshalb für die Begriffslogik bestimmend, weil es für diese eben darauf ankommt, die vorangegangen Teile der Logik zu einem systematischen Ganzen zu entwickeln. Dabei stellt sich heraus, daß diese Konkretion der Unwahrheit aufgrund der Problemstellung der Begriffslogik eine ausgezeichnete Sonderstellung einnimmt. Da sich die subjektive Logik als eine Selbstthematisierung der Logik auf die objektive Logik bezieht, handelt es sich bei der Einseitigkeit oder Unentwickeltheit um eine Form der Unwahrheit, die in dem Übergehen oder Scheinen jeder Seins- und Wesensbestimmung implizit enthalten ist, obwohl sie auf jener Stufe noch nicht thematisch behandelt werden konnte. Während die Konkretionen der Unwahrheit in der Seins- und Wesenslogik das inhaltliche Defizit der jeweiligen Kategorie betreffen, ist die begriffslogische Unwahrheit eine formale Unzulänglichkeit, derer sich keine Denkbestimmung entziehen kann. Die Einseitigkeit wohnt ja insofern jeder Kategorie notwendigerweise inne, als sie jede für sich nur je eine Seite des Wahren darzustellen vermag. Es gibt demnach außer der kategorienspezifischen Konkretion der Unwahrheit noch eine generelle, formale Unwahrheit, die bei der ganzen dialektischen Bewegung in der Logik mitwirkt. Die Einseitigkeit als die durchgängige Konkretion der Unwahrheit in der Logik ist nach Hegel letztlich auf die Form des Urteils zurückzuführen. Man erinnert sich daran, daß das „wirkliche Spekulative", wie es in der Vorrede zur Phänomenologie erläutert wird, eben die dialektische Bewegung des Satzes bzw. des Urteils ist (PG 45). Wenn die Bewegung in der Phänomenologie durch die Unwahrheit des subjektiven Meinens vom Bewußtsein vorangetrieben wird, so gilt die Unwahrheit der Urteilsform wohl als das Movens der Begriffsbewegung in der Logik überhaupt. 106 Die beiden Bestimmungen kann man mit Theunissen so präzisieren: „Die Einseitigkeit charakterisiert das im Ganzen enthaltene Moment, die Unentwikkeltheit die anfängliche Gestalt des Ganzen selber." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 72. Aufgrund der holistischen Konzeption der Wahrheit läßt sich jede Konkretion der Unwahrheit, die in der Seins- oder der Wesenslogik zu finden ist, letztlich als bestimmte Form der Einseitigkeit auslegen (vgl. z. B. GW XVIII 270 f.). So schreibt Heinz Röttges: „die Positivität des Urteils als die nur am Begriff gesetzte Bestimmtheit desselben tritt in der ,Logik' an die Stelle der Negativitat, der Diskrepanz von Ansichsein und für das Bewußtsein Sein als des Prinzips der Selbstbewegung des Inhalts in der .Phänomenologie'". H. Röttges: Zur Methodenfrage bei Hegel, in: ders. u. a. (Hrsg.): Sprache und Begriff. Festschrift für Bruno Liebrucks, Meisenheim 1974, S. 98. Zum Unterschied der Dialektik in der Phänomenologie und in der Logik vgl. auch die Analyse von H.-G. Gadamer: Die Idee der Hegeischen Logik, in: ders.: Neuere Philosophie I. Hegel, Hus-
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Denn es ist das Urteil, in dem sich das Denken entwickelt und darstellt. Um auf irgendein Seiendes in der Welt Bezug zu nehmen oder einen Gedanken zu bestimmen, kommt man nicht darum herum, sich der Form des Urteils zu bedienen. Wenn es um die Wahrheit geht, ist die Form des Urteils immer schon vorausgesetzt. Aber vom Standpunkt der spekulativen Philosophie aus ist die „wahrheitsfähige" Einheit des Urteils noch wesentlich einseitig und beschränkt, so daß Hegel eine Kritik an der Form des Urteils hinsichtlich deren Wahrheitsfähigkeit entwickeln muß. Anders als die kategorienspezifischen Formen der Unwahrheit, die beim Fortgehen des Logischen stufenweise destruiert und überwunden werden, hält die Unzulänglichkeit der Urteilsform bis zum Ende der Logik an. Insofern gilt dies als das Grundproblem überhaupt, mit dem sich die ganze Logik auseinanderzusetzen hat. Nicht nur die Darstellung der relativen Wahrheit durch die logischen Kategorien, sondern auch die Kritik des jeweiligen Unwahrheitsgehalts selbst vollzieht sich im Urteil. Nicht einmal die Ausführung der Urteilskritik selbst kann umhin, wiederum Urteile als Ausdrucksmittel in Anspruch zu nehmen. Diese Schwierigkeit ist aber gerade das, was die subtile Problemstellung der Urteilskritik in einer spekulativen Philosophie definiert. „Die genannte Schwierigkeit", so Puntel, „besteht nun, näher betrachtet, darin, daß die spekulative Darstellung ständig auf die Form des Satzes, d. h. auf das nichtspekulative Denken, angewiesen ist, um überhaupt das Wahre als das Konkret-Spekulative artikulieren zu können - aber so, daß die spekulative Darstellung dennoch der Form des Satzes nicht verfallen darf. Wie die spekulative Darstellung, indem sie sich durch die nichtspekulative Form der Sprache vermitteln muß, spekulativ bleibt: darin liegt das ganze Problem der Darstellung bei Hegel."107 Die Darstellung der spekulativen Wahrheit bedient sich keineswegs einer nichturteilsmäßigen Sprachform, sondern vollzieht sich erst recht in der Kritik der Urteilsform, die in deren „verstandesmäßigem" Gebrauch nur einen jeweils einseitigen Sachverhalt auszudrücken vermag. Die Möglichkeit zur Überwindung der Unzulänglichkeit des Verstandesurteils besteht also nirgendwo anders als in der kritischen Entfaltung ihres eigenen Selbstverständnisses. Angesichts dieser Vollzugsstruktur ist die Einheit von Darstellung und Kritik in Hegels System letztlich in der Urteilskritik zu verankern. Diese ist das eigentliche Movens, das die Dialektik solange in Bewegung hält, bis die für sich beschränkten Urteile in ihrer dialektischen Bewegung zu einem monistisch-holistischen System des Begriffs entwickelt worden sind, das selber die einzige wahre Darstellung der Wahrheit ausmacht.
serl, Heidegger [Gesammelte Werke, Bd. 3), Tübingen 1999, S. 69 ff. L. B. Puntel: Darstellung, Methode und Struktur, a. a. O., S. 34.
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Sprache und Philosophie
2.2.1. Philosophie der Sprache 2.2.1.1. Hegels Auffassung der Sprache Mit der Problematik der Darstellung berührt Hegel zugleich ein grundlegendes Problem, das seit je im Zentrum der Philosophie liegt, aber in ihrer geschichtlichen Entwicklung nicht immer die Aufmerksamkeit erlangt hat, die seiner Bedeutsamkeit angemessen ist. Es handelt sich um das Problem der Sprache. Daß die Sprache für die philosophischen Probleme von ausschlaggebender Bedeutung ist, ist nicht eine Erkenntnis, die die Philosophie erst nach dem sogenannten „Linguistic Turn"m gewonnen hat. Die antike Philosophie des Logos ist ohnehin nicht vor der Sprache zu trennen; denn der griechische Ausdrück Xöyoc, steht bekanntlich nicht nur für Logik, sondern ebensosehr für Vernunft und zugleich Sprache, eine ursprüngliche Einheit, die jedoch in der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie eher zurückgetreten ist und nun in der Hegelschen Darstellungsproblematik der Wahrheit eine Rehabilitation findet. Für Hegel spielt das Problem der Sprache, auch wenn es in der HegelLiteratur nicht unbedingt unumstritten ist, in Wahrheit eine Schlüsselrolle, weil er einen Begriff der Wahrheit derart vertritt, daß sie von ihrer Darstellung gar nicht zu trennen ist. Denn die Darstellung der Wahrheit vollzieht sich notwendigerweise in der Sprache, und zwar einer menschlichen Sprache, in der man sich denkt und versteht. Obwohl Hegel offenbar keine systematische „Sprachphilosophie" entwickelt hat, die seiner in Form von Vorlesungen vorgetragenen Rechts-, Geschichts-, Kunst- oder Religionsphilosophie vergleichbar wäre, so finden sich doch überall in seinen Schriften zahlreiche Bemerkungen zur Sprache, die eindeutig darauf hinweisen, daß er sich der subtilen Stellung der Sprache in seinem philosophischen System durchaus bewußt ist.109 Die verschiedenen philosophischen Strömungen im 20. Jahrhundert sind nämlich auf unterschiedliche Weisen zu der gemeinsamen Überzeugung gelangt, daß sich die der Philosophie vorgegebenen Probleme unter Umgehung einer tiefgreifenden Analyse der Sprache bzw. der menschlichen Sprachfichkeit keineswegs lösen lassen. Hinsichtlich dieses Umstandes kann man die Epoche der modernen Philosophie durchaus durch den „Linguistic Turn" charakterisieren. Vgl. R. M. Rorty (Hrsg.): The Linguistic Turn. Recent Essays in Philosophical Method, Chicago 1967. Vgl. Th. Bodammer: Hegels Deutung der Sprache. Interpretationen zu Hegels Äußerungen über die Sprache, Hamburg 1969. In seiner Arbeit über Hegels Deutung der Sprache bemüht sich Bodammer, alle Äußerungen Hegels über die Sprache aus verschiedenen Schriften möglichst erschöpfend zu eruieren. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag dazu, die gängige Meinung, Hegel habe
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Nur ist dieses Sprachbewußtsein bei Hegel noch nicht so weit ausgereift und kristallisiert, daß er die außerordentliche Wichtigkeit der Sprache sachgerecht artikulieren und systematisch begründen kann. Denn wie originell auch immer ein Philosoph ist, so ist er doch, wie Hegel selbst richtig einsieht, „ein Sohn seiner Zeit" (GPR 16) und kann somit nicht umhin, dem Lehrbestand und dem Vorurteil seiner Zeit in gewissem Maße verhaftet zu bleiben. Dennoch bemerkt Bruno Liebrucks jedenfalls mit Recht, „daß die Sprache in der Hegeischen Philosophie einen sehr viel breiteren Raum einnimmt als bei ihm ausdrücklich gesagt wird".110 Bekanntlich wird die Sprache bei Hegel im dritten Teil der Enzyklopädie als eine Gestalt des subjektiven Geistes, und zwar im Kontext der Psychologie, abgehandelt. Innerhalb des theoretischen Geistes der Psychologie wird die Sprache unter der „Vorstellung" als „Product der Intelligenz" (Enz. § 459 A, 453) hinsichtlich ihres Zeichencharakters expliziert. Die Psychologie, die sich in die des theoretischen, des praktischen und des freien Geistes gliedert, ist die dritte und die letzte Stufe des subjektiven Geistes, der selber als der erste Teil der gesamten Geistphilosophie mit der Anthropologie der Seele anfängt und über die Phänomenologie des Bewußtseins schließlich in der Psychologie „zur Wahrheit der Seele und des Bewußtseyns" gelangt, wo „die Vermögen oder allgemeinen Thätigkeitsweisen des Geistes als solchen" (Enz. § 440 A, 434) betrachtet werden. Anschauen, Vorstellen, Erinnern u. s. f. werden hier im Gegensatz zu den früheren Stadien nicht als Formen der empirischen Seele oder des natürlichen Bewußtseins behandelt, sondern als immanente Bestimmungen der Vernunft, die nur sich selbst zum Gegenstand hat. 1 " Denn die Vernunft
in seinem philosophischen System das Problem der Sprache nicht thematisiert, zu widerlegen. Doch fehlt in seiner Arbeit ein überzeugender Argumentationsversuch, die zentrale Stellung der Sprache in Hegels Philosophie systematisch zu begründen. Eine systematischere Untersuchung findet sich bei J. Simon: Das Problem der Sprache, Stuttgart 1966. Alles in allem kann man sagen, daß die jüngeren Interessen an Hegels Sprachphilosophie keinesfalls ausschließlich von dem „äußerlichen" Umstand motiviert sind, daß die Philosophie der Sprache das vorherrschende Thema in der gegenwärtigen Philosophie ist, sondern ebensosehr von der Sache selbst, also von der wesentlichen Stellung der Sprache in der Hegeischen Philosophie, was allerdings die frühere Hegel-Literatur nicht einzusehen in der Lage war. "" B. Liebrucks: Zur Theorie des Weltgeistes in Theodor Litts Hegelbuch, in: KantStudien 46 (1954/55), S. 240. Wie ernst Liebrucks die sprachliche Motivation in der Hegeischen Philosophie nimmt, ist in seinem mehrbändigen sprachphilosophisch orientierten Kommentar zu Hegels Phänomenologie und Logik zu beobachten, vgl. ders.: Sprache und Bewußtsein (Bd. 5: Die zweite Revolution der Denkungsart. Hegel. Phänomenologie des Geistes, Bd. 6: Der menschliche Begriff. Sprachliche Genesis der Logik, logische Genesis der Sprache], Frankfurt M. 1970 ff. '" Hegels Konzeption der Psychologie entwickelt sich wohl in Polemik gegen die Kantische Vernunftkritik, die eine prinzipielle Scheidung der Erkenntnis-
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ist für Hegel „das Selbstbewußtseyn so die Gewißheit, daß seine Bestimmungen eben so sehr gegenständlich, Bestimmungen des Wesens der Dinge, als seine eigenen Gedanken sind"; dabei ist sie „als diese Identität nicht nur die absolute S u b s t a n z , sondern die W a h r h e i t als Wissen" (Enz. § 439, 434). Mit der Vernunft fängt die Psychologie dort an, wo die Phänomenologie gerade aufgehört hat, und stellt sich somit vor die Aufgabe, in der Manifestation des Geistes diese sich wissende Wahrheit zu erkennen. „Die Sprache ist", so Hegel in der Einleitung der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, „die Tat der theoretischen Intelligenz im eigentlichen Sinne, denn sie ist die äußerliche Äußerung derselben." (TW XII 85) Aufgrund dieser wesentlichen Äußerungsfunktion weist die Sprache eine ausgezeichnete Rolle in der Philosophie des Geistes auf. Denn für Hegel bestimmt sich der Geist eben als seine Äußerung. „Die Bestimmtheit des Geistes ist daher die M a n i f e s t a t i o n . Er ist nicht irgend eine Bestimmtheit oder Inhalt, dessen Aeußerung oder Aeußerlichkeit nur davon unterschiedene Form wäre; so daß er nicht E t w a s offenbart, sondern seine Bestimmtheit und Inhalt ist dieses Offenbaren selbst." (Enz. § 383, 382) Dabei ist die Sprache die Existenz aus der Tätigkeit des Geistes, der sich in ihr manifestiert und verwirklicht. Für die Äußerungsfunktion der Sprache sind nach Hegel mehrere der Vorstellung untergeordnete theoretische Fähigkeiten des Geistes tätig, die sich zeichengenetisch auf die Einbildungskraft oder genauer auf deren letzte Form, die „ Z e i c h e n m a c h e n d e P h a n t a s i e " (Enz. § 457, 451), stützt und zur Konsolidierung und Verwendung der erschaffenen Zeichen verschiedene Stufen des Gedächtnisses erfaßt." 2 Die Vorstellung ihrerseits ist eine der drei Stufen des theoretischen Geistes, die als „Mitte in dem Schlüsse der Erhebung der Intelligenz" (Enz. § 455 A, 449) zwischen Anschauung und Denken steht. Während die Anschauung sinnlich auf unmittelbar einzelne Gegenstände und das Denken begrifflich auf deren konkrete Allgemeinheit ausgerichtet ist, nimmt die Vorstellung eine mittlere Stellung ein, indem sie sich aus dem Verhältnis zur Einzelheit der Gegenstände in sich zurücknimmt und diese auf ein Allgemeines bezieht
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stamme in die Sinnlichkeit und den Verstand unterstellt (KrV A 15 f. / B 29 f.). Das Gedächtnis wird bei Hegel begrifflich gegen die Erinnerung abgegrenzt, die ihrerseits zwar auch der Vorstellung untergeordnet, aber vor der Einbildungskraft eingestuft wird (Enz. §§ 452 - 454). Hinsichtlich der Funktionen in der Zeichenbildung unterscheidet Hegel drei Stufen des Gedächtnisses: 1. das namenbehaltende, 2. das reproduktive und 3. das mechanische Gedächtnis (Enz. §§ 461 - 464). Angesehen dessen, daß die „Zeichen erschaffende Thätigkeit", die zunächst der Einbildungskraft zugeordnet wird, auch „das p r o d u c tive Gedächtniß (die zunächst abstracte Mnemosyne) vornehmlich genannt werden" kann, ist das Gedächtnis nach Hegel eben dasjenige Vermögen der Intelligenz, das „überhaupt nur mit Zeichen zu thun hat" (Enz. § 458 A, 453).
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(Enz. § 20 A, 63 ff; § 455 A, 448 f.). Hegel zufolge läßt sich der Zeichencharakter der Sprache nur im Hinblick auf diese Zwischenstellung der Vorstellung aufhellen, weil ein Zeichen selbst in Form von Ton oder Schrift eine sinnliche Anschauung ist, die aber zugleich allgemeine Bedeutungen in sich verkörpert." 3 „Das Z e i c h e n ist irgend eine unmittelbare Anschauung, die einen ganz anderen Inhalt vorstellt, als den sie für sich hat; - die P y r a m i d e , in welche eine fremde Seele versetzt und aufbewahrt ist. Das Z e i c h e n ist vom S y m b o l verschieden, einer Anschauung, deren e i g e n e Bestimmtheit ihrem Wesen und Begriffe nach mehr oder weniger der Inhalt ist, den sie als Symbol ausdrückt; beim Zeichen als solchen hingegen geht der eigene Inhalt der Anschauung, und der, dessen Zeichen sie ist, einander nichts an. Als b e z e i c h n e n d beweist daher die Intelligenz eine freiere Willkühr und Herrschaft im Gebrauch der Anschauung, denn als symbolisirend." (Enz. § 458 A, 452) Hegel unterscheidet das Zeichen vom Symbol, das normalerweise ähnlich aussieht wie das, worauf es sich beziehen soll. Aber man verfehlt sicher das Wesen der sprachlichen Zeichen, wenn man daran glaubt, daß die sprachlichen Zeichen ähnlich wie Symbole irgendeine natürliche Gemeinsamkeit mit den bezeichneten Inhalten aufweisen müßten. Die wesentliche Funktion eines sprachlichen 113
Auf die mittlere (bzw. vermittelnde) Stellung der Sprache zwischen Anschauung und Denken hat zunächst Johann Georg Hamann hingewiesen in seinem äußerst kurzen und kritischen Aufsatz gegen Kant, der Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784). Im Zusammenhang mit der Kritik an der Kantischen Transzendentalphilosophie, insbesondere an deren Lehre von den doppelten und nicht aufeinander reduzierbaren Erkenntnisstämmen verdeutlicht Hamann die Schlüsselstellung bzw. „genealogische Priorität der S p r a c h e " (S. 286), indem diese in sich sowohl den Charakter der Sinnlichkeit als auch den des Verstandes aufweist und die beiden Stämme in Beziehung aufeinander stellt. „Wörter haben", so Hamann, „ein ä s t h e t i s c h e s und l o g i sches Vermögen. Als sichüiche und lautbare Gegenstände gehören sie mit ihren Elementen zur S i n n l i c h k e i t und A n s c h a u u n g , aber nach dem Geist ihrer E i n s e t z u n g und B e d e u t u n g , zum V e r s t a n d und Begriffe n. Folglich sind Wörter sowohl reine und empirische A n s c h a u u n g e n , als auch reine und empirische Begriffe: e m p i r i s c h , weil Empfindung des Gesichts oder Gehörs durch sie bewirkt; r e i n , in so fern ihre Bedeutung durch nichts, was zu jenen Empfindungen gehört, bestimmt wird. [...] Diese Bedeutung und ihre Bestimmung entspringt, weltkundiger maaßen, aus der Verknüpfung eines a priori willkührlichen und gleichgiltigen, a posteriori aber nothwendigen und unentbehrlichen Wortzeichens mit der Anschauung des Gegenstandes selbst, und durch dieses wiederholte Band wird dem Verstände eben der Begriff vermittelst des Wortzeichens als vermittelst der Anschauung selbst mitgetheilt, eingeprägt und einverleibet." J. G. Hamann: Metakritik über den Purismum der Vernunft, in: ders.: Schriften über Sprache I Mysterien / Vernunft (1772 - 1788) [Sämtliche Werke, Bd. 3], hrsg. v. J. Nadler, Wien 1951, S. 288. Vgl. Hegels zustimmende Rezension von Hamanns Schriften (1828) in GW XVI 129 - 187, bes. 167 ff.
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Zeichens besteht vielmehr darin, auf etwas anderes, als es selbst seiner unmittelbaren Beschaffenheit nach ist, hinzuweisen. Ganz anders als das Symbol verhält sich das Zeichen zum Bezeichneten; es ist völlig gleichgültig, welche Bedeutung einem Zeichen zugeschrieben wird. Die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten ist also äußerlich und willkürlich. Denn gerade die Willkürlichkeit, hierin stimmt Hegel mit Saussure völlig überein, macht das Zeichen als Zeichen aus." 4 Jedes Zeichen ist an sich eine wahrnehmbare Anschauung, die ebenso als solche gegenständlich betrachtet werden könnte. Aber sofern es als Zeichen verwendet wird, ist es nur hinsichtlich dessen interessant, worauf es sich bezieht, wobei seine unmittelbare Anschauung hinter seine Bedeutung zurückgetreten ist. Denn „die Anschauung als unmittelbare zunächst ein gegebenes und räumliches erhält, insofern sie zu einem Zeichen gebraucht wird, die wesentliche Bestimmung, nur als aufgehobene zu seyn." (Enz. § 459, 453) Es liegt im Wesen des Zeichens, die äußerliche Erscheinung, vor allem als Ton oder Schrift," 3 „aufzuheben" und über sich hinaus auf etwas anderes, als es unmittelbar erscheint, zu beziehen. Diese Negativitat im Sinne von Idealisierung des Natürlichen verdankt
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Die Willkürlichkeit des Zeichens charakterisiert Hegel in § 155 der Philosophischen Propädeutik für die Oberklasse (1808 ff.) so: „Die willkürliche Verknüpfung eines äußerlichen Daseins mit einer ihm nicht entsprechenden, sondern auch dem Inhalt nach davon verschiedenen Vorstellung, so daß jenes die Vorstellung oder Bedeutung von dieser sein soll, macht dasselbe zu einem Zeichen." (TW IV 51) Saussure macht genau dieselbe Abgrenzung von Zeichen und Symbol wie Hegel, indem er das Wesen des Zeichens ebenfalls in dessen Beliebigkeit bzw. Arbitrarität sieht („le signe linguistique est arbitraire"). Aber um den Eindruck zu vermeiden, als hänge die Bezeichnung von der freien Wahl der sprechenden Person ab, schlägt Saussure vor, die „Beliebigkeit" durch die „Unmotiviertheit" auszulegen, „d. h. beliebig im Verhältnis zum Bezeichneten, mit welchem es [das Zeichen] in Wirklichkeit keinerlei natürliche Zusammengehörigkeit hat." Vgl. M. F. d. Saussure: Cours de linguistique generale (1916), hrsg. v. T. de Mauro, Paris 1982, Teil I, Kap. I, § 2, S. 100 - 102 (dt. Ausgabe: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, hrsg. v. C. Bally u. A. Sechehaye unter Mitwirkung v. A. Riedlingen übers, v. H. Lommel, m. neuem Register u. einem Nachwort v. Peter v. Potenz, Berlin 1967, S. 79 - 82). 115 Unter den zwei möglichen Gestalten der Sprache hält Hegel die Tonsprache für wesentlich ursprünglicher als die Schriftsprache. Denn „die wahrhaftere Gestalt der Anschauung, die ein Zeichen ist, [ist] ein Daseyn in der Zeit, - ein Verschwinden des Daseyns, indem es ist, und nach seiner weitern äußerlichen, psychischen Bestimmtheit ein von der Intelligenz aus ihrer (anthropologischen) eigenen Natürlichkeit hervorgehendes G e s e t z t s e y n , - der T o n , die erfüllte Aeußerung der sich kund gebenden Innerlichkeit." (Enz. § 459, 453) Aus diesem Grund hält Hegel im Gegensatz zu Leibniz diejenige Schrift, die ein einfaches und unvermitteltes Abbild des Gesprochenen ist, also die Buchstaben- bzw. Lautschrift, für die intelligentere als die Hieroglyphenschrift (Enz. § 459 A, 455). Vgl. Th. Bodammer: Hegels Deutung der Sprache, a. a. O., S. 126 ff.
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das Zeichen der Intelligenz, die es aus seinem bloß sinnlichen Dasein ablöst und ihm eine allgemeine Bedeutung zuschreibt. Das Wesen des Zeichens überhaupt, auf eine ihm fremde, willkürlich zugeschriebene Bedeutung hinzuweisen, zeigt sich auf schlichteste und primitivste Weise im Namen. Denn „der Name ist das einfache Zeichen für die eigentliche, d.i. einfache, nicht in ihre Bestimmungen aufgelößte und aus ihnen zusammengesetzte Vorstellung." (Enz. § 459 A, 456) Die Einfachheit des Namens kennzeichnet sich dabei durch eine einfache Vorstellung, die mit dem Namen assoziiert ist."6 Nach Hegel ist diese Bedeutungsassoziation eine Leistung der Intelligenz, die zwei Stufen durchläuft. Sie ist „zunächst eine einzelne vorübergehende Production" (Enz. § 460, 459), bei der eine Bedeutung mit einem Zeichen, der ihm fremd ist, durch schöpferische Phantasie verbunden wird. Diese ursprünglich äußerliche Verknüpfung wird dann im Gedächtnis dem Zeichen innerlich gemacht, so daß es eine allgemein gültige Bedeutung gewinnt. „Jene Verknüpfung, die das Zeichen ist, zu dem ihrigen machend, erhebt sie [d. h. die Intelligenz] durch diese Erinnerung die einzelne Verknüpfung zu einer a l l g e m e i n e n , d. i. bleibenden Verknüpfung, in welcher Name und Bedeutung objectiv für sie verbunden sind, und macht die Anschauung, welche der Name zunächst ist, zu einer V o r s t e l l u n g , so daß der Inhalt, die Bedeutung, und das Zeichen identificirt, Eine Vorstellung sind und das Vorstellen in seiner Innerlichkeit concret, der Inhalt als dessen Daseyn ist; - der Namen b e h a l t e n d e Gedächtniß." (Enz. § 461,459) Die einzelne subjektiv gemachte Verknüpfung muß zur allgemeinen erhoben werden, um dem Zeichen eine Bedeutung zuzuschreiben, die als bleibende Verknüpfung objektiv gültig sein soll. Denn die jeweiligen Verknüpfungen von Anschauungen und Bedeutungen ergeben erst dann eine Sprache, wenn sie wiederholt und objektiviert werden können. Das Gedächtnis ist nach Hegel diejenige Funktion der Intelligenz, die die objektiv anerkannten Bedeutungen der Zeichen behält und wiedergibt. Wenn die erste Stufe der einzelnen Verknüpfung als subjektiv bezeichnet werden kann, so gilt die zweite Stufe der bleibenden Verknüpfung als objektiv bzw. intersubjektiv. Mit der Erhebung zur allgemein gültigen Verknüpfung wird der bloß subjektive Aspekt der Bedeutungszuschreibung aufgehoben, weil es nicht mehr darauf ankommt, welche Bedeutung sich ein individuelles Subjekt beim Gebrauch des Zeichens denkt, sondern vielmehr welche intersubjektiv geltende Bedeutung das Zeichen mit sich bringt. Denn Zeichen haben hinter ihrem äußerlichen Dasein als Ton oder Schrift noch „ein zweites höheres, als ihr unmittelbares Daseyn, Zum logisch-semantischen Charakter des Namens und dem damit verbünde nen Problem des Gegenstandsbezugs vgl. unten Kap. 4.1.2.1: Name und Vor Stellungsgegenstand, S. 208 ff.
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überhaupt eine Existenz, die i m R e i c h e d e s V o r s t e l l e n s gilt." (Enz. § 459, 453) Diese Existenz der Zeichen ist ein ideales Dasein, das als ihre objektive Bedeutung nicht bloß vom individuellen Subjekt abhängig ist, sondern intersubjektive Geltung innerhalb einer Zeichen- bzw. Sprachgemeinschaft hat. In der Sprache als System von Zeichen erhebt sich der Geist demnach aus dem Sinnlich-Anschaulichen, das raum-zeitlich bedingt ist, zu einem Reich, in dem sich der Geist durch Verinnerlichung des Äußerlichen, also durch Idealisierung des Natürlichen, frei zu sich verhält, was der Eintritt in das Denken bedeutet. Für Hegel kommt die Sprache in der Psychologie insbesondere durch ihre vermittelnde Stellung zwischen der Anschauung und dem Denken zur Geltung, während andere Aspekte, wie etwa die Bedeutung der Sprache für die Logik, unzulänglich thematisiert bleiben. Allerdings muß man zugleich bedenken, daß die Sprache im Zusammenhang der Psychologie lediglich unter einem bestimmten Gesichtspunkt, nämlich hinsichtlich ihres Zeichencharakters bzw. ihrer Bezeichnungsfunktion, als Produkt der Intelligenz in Betracht gezogen wird, so daß sie dort nicht in ihrem vollen Sinn und Umfang abgehandelt wird. Es trifft wohl daher nur mit Einschränkung zu, wenn man, wie z. B. Vittorio Hösle, meint, daß Hegel die genaue Stelle der Sprache im System des theoretischen Geistes aufgedeckt hat." Diese gängige Ansicht stützt sich nicht zuletzt auf die folgende Anmerkung Hegels: „Gewöhnlich wird das Z e i c h e n und die S p r a c h e irgendwo als A n h a n g in der Psychologie oder auch in der Logik eingeschoben, ohne daß an ihre Notwendigkeit und Zusammenhang in dem Systeme der Thätigkeit der Intelligenz gedacht würde. Die wahrhafte Stelle des Zeichens ist die aufgezeigte, daß die Intelligenz, welche als anschauend, die Form der Zeit und des Raums erzeugt, aber den sinnlichen Inhalt als aufnehmend und aus diesem Stoffe sich Vorstellungen bildend erscheint, nun ihren selbstständigen Vorstellungen ein bestimmtes Daseyn aus sich gibt, den erfüllten Raum und Zeit, die Anschauung a l s d i e i h r i g e g e b r a u c h t , deren unmittelbaren und eigenthümlichen Inhalt tilgt, und ihr einen andern Inhalt zur Bedeutung und Seele gibt." (Enz. § 458 A, 452) Auf den ersten Blick scheint Hegel der Sprache tatsächlich ihren Systemplatz in der Psychologie zuweisen zu wollen. Aber wenn man genauer hinschaut, fällt die vorsichtige und eingeschränkte Formulierung auf, mit der Hegel Stellung bezieht. Er spricht nämlich eher vom Zeichen als von der Sprache als solcher. In der Tat legt Hegel, worauf Theodor Bodammer zu Recht hinweist, lediglich „die wahrhafte Stelle des Zeichens" fest, wobei die Sprache offenkundig nicht ausschließlich als ein System von Zeichen aufzufassen ist.118 Daß die Sprache im System des theoretiVgl. V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 399. Vgl. Th. Bodammer: Hegels Deutung der Sprache, a. a. O., S. 24 ff. Aber man
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sehen Geistes nur unter einem beschränkten Gesichtspunkt betrachtet wird, bemerkt Hegel selber ausdrücklich in der Anmerkung zum nächstfolgenden Paragraphen: „Die Sprache kommt hier nur nach der eigenthümlichen Bestimmtheit als das Product der Intelligenz, ihre Vorstellungen in einem äußerlichen Elemente zu manifestiren, in Betracht." (Enz. § 459 A, 453) An dieser Stelle spricht Hegel völlig bewußt nur von einem bestimmten Aspekt der Sprache, nicht aber von ihrem vollen Umfang. Hegel weist also der Sprache lediglich hinsichtlich ihrer Bezeichnungsfunktion ihre Systemstelle im Aufbau des Geistes zu. Dabei läßt er offenbar die Möglichkeit zu, die Sprache noch in anderer Hinsicht zu betrachten. In Hegels komplexem System spielt die Sprache tatsächlich auch an mehreren Stellen hinsichtlich ihrer verschiedenen Funktionen eine entscheidende Rolle." 9 In derselben Anmerkung deutet Hegel bereits zwei weitere Aspekte der Sprache an, nämlich den materialen (den lexikalischen) und den formellen (den grammatischen). 120 Mit dem letzteren, da er einen wesentlichen Zusammenhang mit der Logik aufweist, werden wir uns später noch näher auseinandersetzen müssen. 2.2.1.2. Exkurs: D a s P r o b l e m d e r Intersubjektivität Recht hat Hösle, wenn er schreibt, „daß die Hegeische Philosophie innerhalb der neueren Philosophie eine entscheidende Zäsur darstellt". 121 Damit bezieht er sich auf die Differenz zwischen der „neuzeitlichen" und der „modernen" Philosophie, die seiner Meinung nach vornehmlich auf den Gegensatz der Prinzipien von Subjektivität und Intersubjektivität zurückzuführen sind. Wenn Hegels System als Vollendung der traditionellen, insbesondere aber der neuzeiüichen Philosophie angesehen werden kann, so ist es zugleich, wie wir oben in der Beziehung seines Wahrmuß auch zugeben, daß wesentliche andere Aspekte der Sprache in Hegels System eher zu kurz kommen. So hat z. B. Franz Schmidt Recht zu „erstaunen", „daß Hegel die Sprache nicht als ein Feld des objektiven Geistes in der Kulturphilosophie" behandelt. F. Schmidt: Hegels Philosophie der Sprache, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 9/II (1961), S. 1480. "' So spielt die Sprache, um nur ein Beispiel zu nennen, in der Phänomenologie gleich im Anfangskapitel über die erste Auftrittsform des erscheinenden Geistes eine entscheidende Rolle in der Widerlegung der vermeintlich sachhaltigsten Wahrheit der sinnlichen Gewißheit (vgl. unten Kap. 4.1.2.2: Das „Diese" und die radikale Unmittelbarkeit, S. 217 ff). Die umfassende Studie Bodammers über Hegels Deutung der Sprache belegt eindrucksvoll, in welcher Aspektvielfalt die Sprache in Hegels Philosophie betrachtet wird. Vgl. Th. Bodammer: Hegels Deutung der Sprache, a. a. O. 120 Vgl. Enz. § 459, 453: „Wenn von der Sprache auf concrete Weise gehandelt werden sollte, so wäre für das M a t e r i a l (das Lexicalische) derselben der anthropologische, näher der psychisch-physiologische [...] Standpunkt zurückzurufen, für die F o r m (die Grammatik) der des Verstandes zu antieipiren." 121 V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 7.
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heitsbegriffs zum traditionellen gesehen haben, eine Aufhebung der traditionellen Philosophie, wodurch neue Perspektiven eröffnet werden, die dem Noch-nicht-Vollendeten nicht zugänglich gewesen sind.122 Dabei ist zu erwarten, daß in Hegels System eine gewisse Spannung zu finden ist, die sich konsequenterweise aus den zwei unterschiedlichen Ausgangspunkten ergibt. 123 Eine Spannung dieser Art kommt vor allem in jenem Problemfeld zum Vorschein, in dem sich der moderne Ansatz der Intersubjektivität besonders bewährt, d. h. in der Sprache. In Hegels Auffassung der Sprache ist freilich die Dimension der Intersubjektivität in gewisser Weise impliziert, was allerdings in der Enzyklopädie zu kurz kommt, insofern es hier hauptsächlich darum geht, die Sprache hinsichtlich ihrer Bezeichnungsfunktion zu explizieren. Doch Hegel hat in seinen früheren Systementwürfen gedankenreiche Überlegungen zum intersubjektiven Charakter der Sprache angestellt.124 Im Fragment 22 der Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes (1803/04) erläutert Hegel die intersubjektive Basis der Sprache wie folgt: „Nur als Werk eines Volks ist d i e S p r a c h e d i e i d e a l e E x i s t e n z d e s G e i s t e s , in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen [nach] und in seinem Seyn ist; sie ist ein allgemeines an sich anerkanntes im Bewußtseyn aller auf dieselbe Weise widerhallendes; jedes sprechende Bewußtseyn wird unmittelbar darin zu einem andern Bewußtseyn." (JSE I 318) 125 123
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Motiviert von der Frage danach, warum „die kritisch-systematische Philosophie seit Descartes, im besonderen aber der Deutsche Idealismus seit Kant, in so auffalliger Weise an der Sprache als philosophischem Gegenstand vorbeigegangen sind," (S. 51) führt Derbolav seine Untersuchung über Hegels Sprachphilosophie durch, weil er eine Aufklärung über die gestellte Frage in Hegel als systematischem Vollender neuzeitlicher Bewußtseins- und Geistphilosophie finden zu können glaubt. Vgl. J. Derbolav: Hegel und die Sprache. Ein Beitrag zur Standortbestimmung der Sprachphilosophie im Systemdenken des Deutschen Idealismus, in: H. Gipper (Hrsg.): Sprache. Schlüssel zur Welt, Festschrift für Leo Weisgerber, Düsseldorf 1959, S. 56 - 86. Während die intersubjektive Dimension eine entscheidende Rolle in der Philosophie des Geistes, vor allem in der des objektiven und des absoluten Geistes, spielt, bemängelt Hösle, daß es in der Logik, die letzüich in der Theorie der absoluten Subjektivität gipfelt, eine begriffliche Grundlage der Intersubjektivität fehlt. Es ist diese Spannung, von der Hösle kritische Untersuchung zu Hegels System motiviert wird. Vgl V. Hösle: Hegels System, a. a. O., bes. S. 7 11,263-275. Vgl. J. Derbolav: Hegel und die Sprache, a. a. O., S. 70 ff. Für Hösle ist aber der intersubjektive Aspekt der Sprache, der in den lenaer Systementwürfen erwähnt wurde, in der Enzyklopädie völlig verlorengegangen, vgl. V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 404 ff. Der Akzent auf der Intersubjektivität wird noch deutlicher, wenn man sich vor Augen führt, daß dieses Fragment vornehmlich den Kampf um Anerkennung zum Thema hat (JSE I 307 - 326). Vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels, Berlin 1992, S. 211 ff.
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In der Anerkennung der Intersubjektivität der Sprache setzt sich Hegel vor der neuzeitlichen subjektivistischen Sprachauffassung ab. Diese geht nämlich von der Annahme aus, die Sprache sei ein bloß äußerliches Instrument zur nachträglichen Bezeichnung der Gedanken, so daß es nicht primär darauf ankomme, welche Bedeutung das Ausgedrückte für sich hat, sondern vielmehr auf die Gedanken, die das Subjekt mit dem Ausdruck zu vermitteln beabsichtigt. Nach der instrumentalistischen Sprachauffassung, die mit der Grundstellung der neuzeitlichen Bewußtseinsphilosophie hinsichtlich des logisch-ontologischen Primats des Bewußtseinsinhalts zusammenhängt, ist die in einer Sprachgemeinschaft anerkannte Bedeutung eines Wortes nur insofern relevant, als sie sich dem Gedanken des Subjekts anpaßt, der für sich im Bewußtsein vorhanden sein und nur nachträglich mittels des Wortes ausgedrückt werden soll.126 Für Hegel gründet sich aber die Geltung einer Sprache nicht auf ein einzelnes Subjekt, sondern auf die intersubjektive, gegenseitige Anerkennung der Subjekte. Im Prinzip könnte zwar der Einzelne ein Wort nach seiner Willkür gebrauchen, indem er ihm eine beliebige Bedeutung zuspräche; diese könnte aber erst insofern als Bedeutung des Wortes gelten, als sie in das „Gedächtnis" der Sprachgemeinschaft aufgenommen wäre. Im Fragment 20 aus denselben Vorlesungsmanuskripten, das von der Potenz der Sprache handelt, charakterisiert Hegel die bloß vom Subjekt abhängige Bedeutung eines Zeichens als „stumme Bezeichnung" 127 , Als typischer Vertreter für die neuzeitliche instrumentalistische Auffassung der Sprache dürfte John Locke gelten, wenn er in An Essay Concerning Human Understanding (1690) die Bedeutung der Worte so festlegt: „Der Wert, den diese Kennzeichen für die Menschen besitzen, besteht entweder darin, daß sie sich ihre eigenen Gedanken zur Unterstützung ihres Gedächtnisses einprägen, oder daß sie ihre Ideen gleichsam zutage fördern und den Blicken anderer unterbreiten. Die Wörter vertreten also ihrer ursprünglichen oder unmittelbaren Bedeutung nach nur die Ideen im Geistes dessen, der sie benutzt; dabei ist es belanglos, wie unvollkommen oder sorglos auch immer diese Ideen den Dingen, die sie darstellen sollen, entnommen sein mögen. Wenn jemand zu einem andern spricht, so will er verstanden werden; die Absicht seiner Rede ist, daß bestimmte als Kennzeichen dienende Laute dem Hörer seine Ideen kundtun sollen. Demnach sind es die Ideen des Sprechenden, als deren Kennzeichen die Wörter dienen wollen. In dieser Eigenschaft kann sie niemand unmittelbar für etwas anderes verwenden als für seine eigenen Ideen." J. Locke: An Essay Concerning Human Understanding, hrsg. v. P. H. Nidditch, Oxford 1975, 3. Buch, 2. Kap., § 2, S. 405 (dt. Ausgabe: Versuch über den menschlichen Verstand, Nachdruck der Neubearbeitung der C. Wincklerschen Ausgabe (1911-13), Bd. 2, Hamburg 1988, S. 5 f.). Hegels Gedanke der „stummen Bezeichnung" steht erstaunlicherweise in einer gewissen Verwandtschaft mit dem Argument, das Wittgenstein gegen die fiktive Privatsprache entwickelt hat. Vgl. L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, in: ders.: Werkausgabe in acht Bänden, neu durchgesehen v. J. Schulte, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1984, §§ 243 ff, S. 356 ff.
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die in einer gemeinsamen Sprache aufgehoben werden muß. „Diese s t u m m e B e z e i c h n u n g muß die Indifferenz des Bestehens der idealen Glieder absolut aufheben; die B e d e u t u n g m u ß für sich seyn; entgegengesetzt dem, das bedeutet, und dem, für welches es die Bedeutung hat; das Zeichen als ein wirkliches ebenso unmittelbar verschwinden. Die Idee dieser Existenz des Bewußtseyns ist das G e d a c h t n i ß , und seine Existenz selbst, die Sprache." (JSE I 287) Die Idealisierung der natürlichen Dinge durch die Sprache, und zwar durch Namengebung, demonstriert zugleich eine sich auf das gegenseitige Sich-Anerkennen der Subjekte gründende Herrschaft über die Welt, in der die natürlichen Dinge durch sprachliche Bezeichnung zum persönlichen Eigentum gemacht werden. „Der erste Act, wodurch Adam seine Herrschafft über die Thiere constituirt hat, ist, daß er ihnen Nahmen gab, d. h. sie als seyende vernichtete, und sie zu für sich ideellen machte." (JSE I 288) Man hat zu Recht bemängelt, daß die intersubjektiven Aspekte der Sprache, deren Bedeutung sich in der modernen Philosophie als wesentlich und fruchtbar erwiesen hat,128 trotz Hegels Aufmerksamkeit in seinen Jenaer Systementwürfen bei der Behandlung der Sprache im endgültigen System der Enzyklopädie vernachlässigt worden ist. Dies ist zum einen darauf zurückzuführen, daß die Sprache in der Enzyklopädie, wie erläutert, nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt betrachtet wird, zum anderen jedoch darauf, daß Hegel die Intersubjektivität nur als einen Aspekt der Sprache sieht, nicht aber als das, was die Sprachlichkeit als solche ausmacht. Vor allem die logische Struktur der Sprache führt Hegel nicht auf die Basis der Intersubjektivität, sondern vielmehr auf seine Theorie der absoluten Subjektivität zurück. Man würde daher Hegels eigene Konzeption verfehlen, wenn man dem spekulativen Satz, wie Theunissen, ein „Ziel" zuschriebe, „dessen affirmativer Sinn intersubjektivitätstheoretisch als kommunikative Freiheit auszudrücken wäre."129 Theunissen stützt die These der Intersubjektivität auf seine Interpretation der gesamten Hegeischen Logik, deren objektiven Teil er, wie erörtert, als eine kritische Darstellung der Metaphysik auffaßt, die dann in der subjektiven Logik in den Entwurf einer „universalen Kommunikationstheorie"130 mündet. Das Logische erreicht in der Begriffslogik ein Niveau, auf dem sich der Begriff frei zu sich verhält; in diese Freiheit des Begriffs In den neueren, insbesondere angelsächsischen Hegel-Interpretationen ist die Struktur des gegenseitigen Sich-Änerkennens der Subjekte ein aktuelles und vieldiskutiertes Thema geworden. Robert B. Pippin z. B. hat gezeigt, inwiefern die Selbstbestimmung eines Selbstbewußtseins nach Hegel durch die Anerkennung eines anderen Selbstbewußtseins vermittelt werden muß. Vgl. R. B. Pippin: Hegels Idealism. The Satisfactions of Self-Consciousness, Cambridge 1989, bes. Kap. 7. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 60. Ebd.
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aber liest Theunissen einen Sinn der Intersubjektivität hinein. „Da aber der Begriff selber Liebe ist, muß die mit ihm hervorkommende Freiheit eine bestimmte sein: die kommunikative. Kommunikative Freiheit bedeutet, daß der eine den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt."131 Theunissen faßt dabei die Überführung der objektiven in die subjektive Logik durch Enthüllung aller seins- und wesenslogischen Scheinverhältnisse in gesellschaftspolitischer Hinsicht als Aufhebung des einseitigen Herrschaftsverhältnisses in die universale kommunikative Freiheit auf. Diesen Gegensatz gesellschaftspolitischer Struktur deutet er näher im Kontext seiner Interpretation der subjektiven Logik, die im Ganzen als „Satztheorie"132 zu verstehen sei, anhand der logischen Struktur der Sprache, die sich in Form des „gewöhnlichen" und des „spekulativen" Satzes unterscheiden läßt. Während die Subjekt-Prädikat-Beziehung im gewöhnlichen Satz ein Subsumtionsverhältnis aufweise, die gesellschaftspolitisch als Herrschaftsverhältnis zu fassen sei, biete der spekulative Satz eine Alternative an, in der Subjekt und Prädikat eine gleichrangige Stellung hätten, so daß „das einseitige Herrschaftsverhältnis sich in die Gemeinschaft wechselseitiger Teilnahme"133 aufhebe. Theunissens an sich originelle Interpretation läßt sich am Wortlauf von Hegels Erörterungen allerdings nur mit großen Schwierigkeiten ausweisen.134 Es entbehrt bei genauer Lektüre einer sicheren Textgrundlage, den spekulativen Satz als eine herrschaftsfreie Kommunikations- oder gar eine ideale Gesellschaftsform zu interpretieren. „Die gemäß der subjektivitätstheoretischen Urteilslehre im Urteil angesprochen Gegenstände", so Fulda, „sind allenfalls Referenten für Aussagen; als solche aber nicht schon Kommunikationspartner, die miteinander sprechen; geschweige denn diejenigen Kommunikationspartner, die in Äußerung der betreffenden Urteile miteinander sprechen."135 Der entscheidende Kritikpunkt besteht aber darin, daß keine der in der Hegeischen Urteilslehre abgehandelten Formen „das für eine Theorie kommunikativer Freiheit unerläßliche Implikat einer Subjekte-Pluralität"136 enthält. Hegels Auffas131 132 133 134
A. a. O., S. 45 f. A. a. O., S. 58. A. a. O..S.60. Zu Theunissens intersubjektiver Interpretation der Hegeischen Urteilslehre vgl. H. F. Fulda / R.-P. Horstmann / M. Theunissen: Kritische Darstellung de Metaphysik, a. a. O., S. 40 ff; V. Hösle: Hegels System, a. a. O., S. 269 ff; Hackenesch: Die Logik der Andersheit. Eine Untersuchung zu Hegels Begr Reflexion, Frankfurt a. M. 1987, S. 137 ff; P. Braitling: Hegels Subjektivitätsb griff. Eine Analyse mit Berücksichtigung intersubjektiver Aspekte, Wü 1991, S. 197 ff. 135 A. a. O., S. 46. I3h Ebd.
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sung der Sprache enthält zwar eine intersubjektive Dimension, die vor allem die gegenseitige Anerkennung der Bedeutung von Zeichen in einer Sprache betrifft, diese intersubjektive Dimension aber hat wenig mit der logischen Struktur der Satzform zu tun. Hegel zufolge läßt sich das Logische nur im Rahmen seiner Theorie der absoluten Subjektivität fassen, die sich letztlich in einem monistisch-holistischen System des Begriffs realisiert.
2.2.2. Sprachlichkeit der Philosophie 2.2.2.1. Logik und Sprache Da die Darstellung der Wahrheit letztendlich in Sätzen formuliert werden und dadurch auch deren Form unterliegen muß, ist es von großer Wichtigkeit, das Verhältnis des Logischen zum Formellen der Sprache aufzuhellen. Hegel drückt dies in einer prägnanten Bemerkung aus: „Das F o r m e l l e der Sprache [...] ist das Werk des Verstandes, der seine Kategorien in sie einbildet; dieser logische Instinkt bringt das Grammatische derselben hervor." (Enz. § 459 A, 454) In bezug auf die formelle Struktur der Sprache vertritt Hegel die Ansicht, daß der „logische Instinkt" tiefgreifend auf die Sprache wirkt und sich gewissermaßen in der Grammatik der Sprache widerspiegelt. Mit dem Ausdruck des „logischen Instinkts", den er in der Logik auch als „Instinct der gesunden Vernunft" (WL I 16) bezeichnet, meint Hegel ein bewußtloses, aber zwanghaftes Streben nach dem Logischen, das sich in der Entwicklung der Sprache so durchsetzt, daß jener Instinkt dem Formellen der Sprache, der Grammatik, seine Kategorien aufprägt (WL I 15). Anders formuliert: In der grammatischen Durchgestaltung der Sprache sollen bereits die logischen Kategorien im Sinne einer „natürlichen Logik" (WL I 13, 15) in gewisser Weise ausgedrückt sein.137 So schreibt Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte: „die ausgedehnte konsequente Grammatik ist das Werk des Denkens, das seine Kategorien darin bemerklich macht." (TW XII 85) Hegel sieht also im Grunde eine wesentliche Entsprechung zwischen Grammatik und Logik, nicht nur insofern die logischen Strukturen in den sprachlichen Formen ihren Ausdruck finden, sondern vielmehr auch insofern sich das Logische in die Struktur der Sprache eingedrängt hat. Die grundlegende Bedeutung der Sprache für die Hegeische Logik zeigt sich besonders deutlich in einer oft zitierten Stelle aus der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Logik: „Die Denkformen sind zunächst in der Sprache des Menschen herausgesetzt und niedergelegt [...]. In Alles, was ihm 13
" Vgl. H.-G. Gadamer: Die Idee der Hegeischen Logik, a. a. O., S. 80 f. Bayerische \ Staatsbibliothek München J
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zu einem Innerlichen, zur Vorstellung überhaupt, wird, was er zu dem seinigen macht, hat sich die Sprache eingedrängt, und was er zur Sprache macht und in ihr äussert, enthält eingehüllter, vermischter, oder herausgearbeitet, eine Kategorie; sosehr natürlich ist ihm das Logische, oder vielmehr dasselbige ist seine eigenthümliche N a t u r selbst." (WL I 10) Im Vergleich zu den neuzeitlichen Philosophen, vor allem Kant, bei denen die Sprache trotz ihrer systematischen Relevanz nie zu einem vollwertigen Gegenstand der Philosophie gemacht wurde, ist Hegel sich zumindest völlig dessen bewußt, wie sehr die Logik oder gar die Philosophie überhaupt in der menschlichen Sprache befangen ist. Der These von der „Unaufhebbarkeit unserer Sprachgebundenheit" "*, die Gadamer in Wahrheit und Methode (1960) nachdrücklich verteidigt, könnte Hegel in gewissem Sinne auch zustimmen. Denn die logischen Kategorien, in deren Formen nicht nur das Denken, sondern auch das Sein auszulegen sind, sind nach Hegel bereits in der Sprache ausgebildet. Das Denken, durch das sich der Mensch überhaupt vom Tier unterscheidet,119 kann sich außerhalb der Sprache gar nicht vollziehen. Denken ist nach Hegel wesentlich Denken in der Sprache bzw. in Worten. Denn „ohne Worte denken zu wollen" ist „eine Unvernunft", die einen „zum Wahnsinn" führen könnte (Enz. § 462 Z, TW X 280). Sosehr auch das Denken auf die Sprache angewiesen ist, so darf das Verhältnis des Logischen zur Sprache doch nicht als einfache Korrespondenz gedeutet werden. Man vereinfacht sicher die wesentlich dialektische Beziehung beider, wenn man der Meinung ist, die logischen Kategorien seien einfach aus den grammatischen Strukturen der Sprache zu erschließen. Zwar stimmt es, daß sich die logischen Strukturen aufgrund der Einwirkung des logischen Instinkts auf die Sprache in deren faktisch grammatischen Strukturen gewissermaßen wiederfinden. Dennoch läuft das Ganze nicht darauf hinaus, daß die Grammatik einer Sprache zwangsläufig um so differenzierter und ausgeprägter wird, je fortgeschrittener eine Zivilisation wird. Erstaunlicherweise wird in den empirischlinguistischen Forschungen über Ursprachen, die zu Hegels Zeit vor allem durch die noch von Herder verfolgte Frage nach dem Ursprung der
H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophisc Hermeneutik (1960), in: ders.: Hermeneutik I [Gesammelte Werke, Bd. 1 Aufl., Tübingen 1990, S. 425. Descartes weist bereits daraufhin, daß eben die Fähigkeit, durch den Gebrauch von sprachlichen Zeichen Gedanken auszudrücken, den eigentlichen Unterschied zwischen Mensch und Tier kennzeichnet. Vgl. R. Descartes: Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen F [Discours de la methode pour bien conduire sa raison, et chercher la ve les sciences], in: ders.: Philosophische Schriften in einem Band, m. einer rung v. R. Specht u. »Descartes' Wahrheitsbegriff« v. E. Cassirer, Hamburg 1996, 5. Teil, §11,S. 92 ff.
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menschlichen Sprache motiviert sind und einen Aufschwung erleben,14" genau das Gegenteil nachgewiesen. Die Sprachen früherer Entwicklungsstufen scheinen demnach hinsichtlich der grammatikalischen Formen vielmehr in höherem Maße ausgebildet zu sein als die Sprachen zivilisierterer Völker.141 Diese Beobachtungen der zeitgenössischen Sprachforschung, durch die die Durchsetzungskraft der Vernunft in Frage gestellt zu werden scheint, erklärt Hegel in den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte als „ein eigentümliches Phänomen, daß das in sich geistiger werdende, die Vernünftigkeit heraustreibende und bildende Fortschreiten jene verständige Ausführlichkeit und Verständigkeit vernachlässigt, hemmend findet und entbehrlich macht." (TW XII 85) Trotz des Befundes der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft bezweifelt Hegel nicht, daß sich die Vernunft durch ihren logischen Instinkt in der Entwicklung einer Sprache durchsetzen und sich somit diese auf die Logik hin bewegen kann. Nur läßt sich die Entwicklungsstufe der Sprache nicht einfach danach bemessen, in welchem Ausmaß sich die grammatischen Unterschiede einer Sprache ausdifferenzieren. Denn die grammatischen Formen entsprechen nicht in einfacher Weise den logischen, obwohl beide Hegel zufolge auf denselben Ursprung der Vernunft
Vgl. J. G. v. Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772), in: Herders sämmtliche Werke, Bd. 5, hrsg. v. B. Suphan, Berlin 1891, S. 1 - 156. Bei dieser Preisschrift handelt es sich um die Frage, wie die Menschen in Abgrenzung zum bloßen Tier über ein Bewußtsein verfügen, dem Sprache eignet. Die Frage nach dem Ursprung der Sprache behält über Herder hinaus im Zeitraum vom Ende 18. bis zum Mitte 19. Jahrhundert ihre große Wirksamkeit und wird in unterschiedlichem Sinne von Fichte, Schelling, Wilhelm von Humboldt und Jacob Grimm wieder aufgegriffen (vgl. vor allem W. v. Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830 - 1835), in: ders.: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, Bd. 7,1. Hälfte, hrsg. v. A. Leitzmann, Berlin 1907). Aber Hegel hält die Frage nach dem Ursprung der Sprache für grundsätzlich unbeantwortbar. Denn die „Voreiligkeit der Sprache" (TW XII 86) zeigt, daß die Vernunft schon tätig gewesen ist, noch bevor sie sich geschichtlich bewußt wird. Zum Thema über die Geschichte der Sprache vgl. Th. Bodammer: Hegel Deutung der Sprache, a. a. O., S. 130 - 148. Der Abhandlung Humboldts Über den Dualis (1827) entnimmt Hegel die folgende Beobachtung: „Das Studium von ursprünglich gebliebenen Sprachen, die man in neueren Zeiten erst gründlich kennen zu lernen angefangen hat, hat hierüber gezeigt, daß sie eine sehr ins Einzelne ausgebildete Grammatik enthalten und Unterschiede ausdrücken, die in Sprachen gebildeterer Völker mangeln oder verwischt worden sind; es scheint, daß die Sprache der gebildetsten Völker die unvollkommenere Grammatik, und dieselbe Sprache bey einem ungebildeteren Zustande ihres Volkes eine vollkommenere als bey dem höher gebildeten hat." (Enz. § 459 A, 454) Vgl. W. v. Humboldt: Über den Dualis (1827), in: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, Bd. 6, 1. Hälfte, hrsg. v. A. Leitzmann, Berlin 1907, S. 4 - 30.
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bzw. des Logos zurückzuführen sind.142 Für Hegel sind die Vernünftigkeit und die Sprachlichkeit letzten Endes identisch. So lobt er an mehreren Stellen ausdrücklich das griechische Wort Xöyoc, das die Bedeutungen der Sprache und der Vernunft in sich vereint: „Aöyoc. ist bestimmter als Wort. Es ist schöne Zweideutigkeit des griechischen Worts, - Vernunft und zugleich Sprache. Denn Sprache ist die reine Existenz des Geistes" (TW XX 106 f.).143 Dabei stellt sich jedoch die Frage, woher die Vielfalt der menschlichen Sprachen stammt und wie sie überhaupt erklärbar ist, wenn es nur eine Vernünftigkeit gibt, die logischerweise auch zu einer einzigen Form der Sprachlichkeit führen müßte. Man fragt sich z. B., ob und inwiefern die von der idealistischen Tradition als universal geltend angesehenen Formen des Denkens und des Wirklichen von den zufällig vorgegebenen Sprachstrukturen der indogermanischen Sprachen abhängig sind, also ob und inwiefern die logischontologische Problematik, die mit der Eigenart der indogermanischen Sprachen eng zusammenhängt, auch für einen Kulturkreis, der eine andere Sprachform aufweist, überhaupt noch Geltung hat.144 Speziell für die vorliegende Problematik der Urteilskritik ist die Frage besonders prekär, ob die logisch-ontologische Struktur des Urteils, die durch die kopulative Verbindung von Subjekt und Prädikat gekennzeichnet ist, tatsächlich universale Geltung hat, oder nur eine kultur- oder sprachrelative Struktur darstellt, die auf die zufällige grammatische Beschaffenheit einer besonderen Sprachfamilie zurückzuführen ist.145 Hegel ist offenbar der Ansicht, daß es nur eine Vernunft gibt. Es kann ja überhaupt nur eine Vernunft geben, weil der Begriff der Vernunft eine Vielzahl ihrer selbst von vornherein ausschließt. Eine Vernunft, die außer sich selbst noch ein Gegenüber, mithin nur „regionale" Herrschaft hätte, wäre in Wahrheit gar keine Vernunft. Für Hegel ist es vielmehr die Eine Vernunft, die die gesamte We/fgeschichte diktiert hat und immer noch
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Zur Erläuterung des Logos-Begriffs bei Hegel vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten, a. a. O., S. 59 ff. Die Mehrdeutigkeit des griechischen Wortes Xöyoc erläutert Hegel im Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie (1805/06) noch genauer: „Xoyoc Vernunft Wesen des Dings und Rede, Sache und Sage, Kategorie." (JSE tll 190) 144 Hinsichtlich der Sprachbefangenheit der Logik hat Fritz Mauthner gute Gründe zu behaupten: „Die ganze Logik des Aristoteles ist nichts als eine Betrachtung der griechischen Grammatik von einem interessanten Standpunkte aus. Hätte Aristoteles Chinesisch oder Dakotasich gesprochen, er hätte zu einer ganz anderen Logik gelangen müssen, oder doch zu einer ganz anderen Kategorienlehre." F. Mauthner: Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 3: Zur Grammatik und Logik, 2. Aufl., Stuttgart / Berlin 1913, S. 4. '^ Zum Problem des sprachlichen Relativismus in Hegels Philosophie vgl. R. Brauch: Hegels „Wissenschaft der Logik". Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Ontologie, Tübingen 1986, S. 55 ff. 143
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diktiert. 146 Aber so unterschiedlich die tatsächlichen Entwicklungen der von der Vernunft beherrschten Geschichte in den verschiedenen Regionen der Erde zu beobachten sind, so vielfältig zeigt sich auch die Art und Weise, wie sich die Vernunft in den verschiedenen Sprachen durchsetzt und ausdrückt. Für Hegel haben die Denkformen, die nicht nur logische, sondern auch ontologische Geltung haben, in der Sprache des Menschen Gestalt angenommen; nur sind die logisch-ontologisch geltenden Formen nicht mit den grammatischen Strukturen der einzelnen Sprachen gleichzusetzen. Die Grammatik muß sich von der Logik unterscheiden, auch wenn beide dieselbe Wurzel in der Vernunft bzw. im Logos haben. Für Hegels Überzeugung, daß allen menschlichen Sprachen ein und derselbe Logos zugrunde liegt, spricht die linguistische Tatsache, daß die verschiedenen Sprachen trotz der Unterschiedlichkeit ihrer grammatischsyntaktischen Strukturen grundsätzlich ineinander übersetzbar sind.147 Damit ist zwar nicht gesagt, daß jeder Satz in jeder Sprache sinn- und strukturgemäß wiedergegeben werden kann; aber von tiefgreifender Bedeutung ist der Umstand, daß sich die verschiedenen Sprachen im großen und ganzen gegenseitig verstehen können. Diese intersprachliche Kommunizierbarkeit kann man, wie Wittgenstein, mit der gemeinsamen menschlichen Handlungsweise pragmatisch begründen. 148 Doch ist sie ein Indiz dafür, daß alle menschlichen Sprachen jenseits der bloß pragmatischen Gemeinsamkeit bestimmten logischen Formen und Regeln unterliegen, die als gemeinsame Basis den intersprachlichen Austausch ermöglichen. Dies motiviert auch Chomskys Versuch, eine universelle Grammatik zu gründen, die der Tiefenstruktur der Sprache entspricht und ausnahmslos für alle menschlichen Sprachen gelten soll.149 Für Hegel ist es „Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist", so Hegel in der Einleitung der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, „der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei. Diese Überzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher überhaupt; in der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung." (TW XII 20) Es gibt nämlich philosophisch orientierte Forschungen der vergleichenden Sprachwissenschaft, die belegen, daß die meisten logischen Formen und Partikeln, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Umschreibungen und mit kleineren Abweichungen, in alle höher entwickelten Sprachen übersetzt werden können. Dazu vgl. H. Lenk: Kritik der logischen Konstanten. Philosophische Begründungen der Urteilsformen vom Idealismus bis zur Gegenwart, Berlin 1968, S. 619 - 628. So meint Wittgenstein: „Die gemeinsame menschliche Handlungsweise ist das Bezugssystem, mittels welches wir uns eine fremde Sprache deuten." L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, a. a. O., § 206, S. 346. Man erinnert sich auch daran, daß Wittgenstein der Meinung ist: „Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen." A. a. O , Teil II, S. 568. Vgl. N. Chomsky: Aspects of the Theory of Syntax, Cambridge, Massachusetts 1965 (dt. Ausgabe: Aspekte der Syntax-Theorie, übers, u. hrsg. v. einem Kollek-
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eben der „logische Instinkt" der Einen Vernunft, der bei der Ausbildung und Entwicklung jeder Sprache mitwirkt und dieser ihre logischen Kategorien aufprägt, auch wenn sich die Wirkung der Vernunft auf die Sprache je nach äußerlicher Bedingung in sehr unterschiedlicher Weise zeigen kann. Dennoch ist Hegel der Meinung, daß trotz des letztlich identischen Logos einige Sprachen aufgrund ihrer grammatisch-syntaktischen Struktur besser als andere dafür geeignet sind, das Logische zu tage kommen zu lassen. Für seine spekulative Philosophie lobt Hegel insbesondere die deutsche Sprache aufgrund dessen, daß in ihr der spekulative Geist besonders deutlich zum Ausdruck kommt: „die deutsche Sprache hat darin viele Vorzüge vor den andern modernen Sprachen; sogar sind manche ihrer Wörter von der weitern Eigenheit, verschiedene Bedeutungen nicht nur, sondern entgegengesetzte zu haben, so daß darin selbst ein spekulativer Geist der Sprache nicht zu verkennen ist" (WL I ll). 1 3 " Dabei
tiv unter der Leitung v. E. Lang, Frankfurt a. M. 1969). Um die Möglichkeit einer universellen Grammatik zu begründen, greift Chomsky auf die Unterscheidung von Tiefenstruktur (deep structure) und Oberflächenstruktur (surface structure) des Satzes zurück, mit der er ausdrücklich auf Humboldts Unterscheidung von „innerer" und „äußerer Sprachform" und auf Wittgensteins Unterscheidung von „Tiefengrammatik" und „Oberflächengrammatik" Bezug nimmt (vgl. W. v. Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, a. a. O., § 22, S. 96; L. Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, a. a. O , § 664, S. 478; N. Chomsky: Aspects ofthe Theory of Syntax, a. a. O., S. 198 ff). Während sich die Oberflächenstruktur eines Satzes auf die phonologische Komponente einer Grammatik bezieht, die sich in jeder einzelnen menschlichen Sprache unterschiedlich formuliert, wird die Tiefenstruktur dagegen durch die syntaktische Komponente einer Grammatik spezifiziert, die jede denkbare Satzkonstruktion in jeder denkbaren Sprache determinieren soll. Angesichts dessen, daß die Oberflächenstruktur Chomsky zufolge durch „grammatische Transformationen", d. h. durch wiederholte Anwendungen bestimmter formaler Operationen auf einige elementare Einheiten, aus denen sich die Tiefenstruktur konstituiert, erzeugt wird, ist seine Sprachtheorie auch als generative bzw. Transformationsgrammatik zu bezeichnen (vgl. N. Chomsky: Aspects ofthe Theory of Syntax, a. a. O., S. 16 ff). Man könnte die Logik durchaus als eine Lehre vom Formellen ansehen, die in der Tiefenstruktur der Sprache liegt; nur geht es dabei nicht, wie bei der Chomskyschen Grammatik, um die universellen Regeln für den sinnvollen Satzbau, sondern vielmehr um die Strukturen, in denen nicht nur das Denken, sondern auch die Wirklichkeit selbst sich konstituiert. 130 Der deutschen Sprache gegenüber sieht Hegel die chinesische im Nachteil: „Es ist der Vortheil einer Sprache, wenn sie einen Reichthum an logischen Ausdrücken, nemlich eigenthümlichen und abgesonderten, für die Denkbestimmungen selbst besitzt; von den Präpositionen, Artikeln, gehören schon viele solchen Verhältnißen an, die auf dem Denken beruhen; die chinesische Sprache soll es in ihrer Ausbildung gar nicht oder nur dürftig bis dahin gebracht haben" (WL 111). Trotzdem glaubt Humboldt, daß die chinesische Sprache
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denkt Hegel vor allem an das deutsche Wort „Aufheben", das den gedoppelten, entgegengesetzten Sinn des Negierens und des Aufbewahrens in sich vereinigt enthält (WL I 94). Daß sich verschiedene Sprachen aus einer einzigen universalen Vernunft herausbilden können, ist für Hegels spekulative Sprachauffassung gar nichts Erstaunliches. Denn es liegt im Wesen der Sprache, das Äußerliche bzw. das Zufällige, das seinerseits ein notwendiges, konstitutives Moment des Wirklichen ausmacht, in ihrer konkreten Entwicklung in sich zu integrieren. Im Gegenteil moniert Hegel die Meinung, das Logische komme am ehesten in einer geläuterten, formalisierten Universalsprache zum Ausdruck. Dieser auf die Leibnizische Konzeption einer Characteristica universalis'51 zurückgehende und durch die moderne formale Logik, vor allem aber durch Freges Begriffsschrift'''2 ausgeführte Versuch, nach dem Vorbild der Mathematik eine „künstliche" Universalsprache zu entwerfen, in der die logischen Formen durch wohldefinierte, somit eindeutige Vokabulare adäquat artikulierbar sein sollen, würde nach Hegel sicher das Wesen der Sprache, in der sich der Begriff aus-
ihre mangelhaften grammatikalisch-syntaktischen Strukturen in anderer Weise kompensieren kann. Denn die chinesische Sprache ist in ihrer Entwicklung einen ganz anderen Weg gegangen als die indogermanischen Sprachen. Obwohl Humboldt das Chinesisch gemessen an grammatischen Kategorien als die ärmste und Sanskrit dagegen als die reichste Sprache auffaßt, sieht er die zwei Sprachen nicht als das Anfangs- und das Endstadium einer Entwicklungsskala der menschlichen Sprache an, sondern vielmehr als „zwei feste Endpunkte", die „einander nicht an Angemessenheit zur Geistesentwicklung, allein allerdings an innerer Consequenz und vollendeter Durchführung ihres Systems gleich" sind. W. v. Humboldt: Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts (1830 - 1835), a. a. O., S. 274. Vgl. ders.: Über den grammatischen Bau der chinesischen Sprache (1826), in: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, Bd. 5, hrsg. v. A. Leitzmann, Berlin 1906, S. 309 - 324; ders.: Lettre ä Monsieur Abel-Remusat sur la nature des formes grammaticales en general et sur le genie de la langue chtnoise en particulier (1825 - 1826), in: Wilhelm von Humboldts Gesammelte Schriften, Bd. 5, a. a. O., S. 254 - 308 (dt. Ausgabe: Brief an Monsieur Abel-Remusat über die Natur grammatischer Formen im allgemeinen und über den Geist der chinesischen Sprache im besondern, in: C. Harbsmeier: Wilhelm von Humboldts Brief an Abel Remusat und die philosophische Grammatik des Altchinesischen, Stuttgart 1979, S. 7 - 88). Vgl. auch T.W. Kwan: Wilhelm von Humboldt on the Chinese Language. Interpretation and Reconstruction, in: Journal of Chinese Linguistics 29/11 (2001), S. 169 - 242. 131 Vgl. G. W. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (1703-05) [Nouveaux essais sur lebtebdenebt humain], übersetzt, m. Einl. und Anm. versehn v. E. Cassirer, Hamburg 1996, Buch IV, Kap. 3, § 18, S. 405. 132 Vgl. G. Frege: Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens (1879), in: ders.: Begriffsschrift und andere Aufsätze, mit E. Husserls u. H. Scholz' Anmerkungen hrsg. v. I. Angelelli, 3. Aufl., Darmstadt 1977.
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drückt, sowie deren Verhältnis zur Logik verfehlen.1M „Da der Mensch die Sprache hat, als das der Vernunft eigenthümliche Bezeichnungsmittel, so ist es ein müssiger Einfall, sich nach einer unvollkommenem Darstellungsweise umsehen und damit quälen zu wollen." (WL III 48) Jede künstliche Sprache ist gleichwohl eine „unvollkommenere" Sprache, indem sie sich nur durch Übersetzung vorhandener Bedeutungen aus wirklichen Sprachen in ihre erfundenen Vokabulare „versprachlichen" kann.134 Dabei besteht das Paradox einer solchen „Idealsprache" darin, daß sie gerade das Durchschauen derjenigen logischen Strukturen voraussetzt, die erst durch Formulierung der „Idealsprache" selbst eindeutig definierbar gemacht werden sollen. Für Hegel läßt sich das Logische nur in einer konkreten, lebendigen Sprache erkennen und darstellen. Beim Verhältnis der sprachlichen Struktur zum Logischen muß aber das Wesentliche vom Äußerlichen unterschieden werden. Die grammatische Struktur einzelner Sprachen stellt nur die Formen und Gesetze dar, denen beim Bau sinnvoller Sätze in der jeweiligen Sprache gefolgt werden muß. Sie ist also nur eine Erscheinungsform des Logischen, die mit aller möglichen Äußerlichkeit verbunden ist. Man muß ja die linguistischen Kategorien und Regeln von den logischen unterscheiden. In Rücksicht auf die Bildung eines Individuums zur Logik bemerkt Hegel, daß man zwar nicht einfach durch das Erlernen grammatischer Regeln den logischen Geist der Sprache durchschaut, aber nach dem Vertrautwerden mit der Sprache den Zugang eröffnet bekommt, „durch die Grammatik hindurch den Ausdruck des Geistes überhaupt, die Logik, [zu] erkennen" (WL I 41). Denn in der Struktur der Sprache verbirgt sich der „logische Instinkt", der in jedem Moment des Denkens maßgeblich wirkt und das Logische in einzelnen Sprachen erscheinen läßt. Aber so sehr uns auch die grammatische Struktur der So wendet Hegel sich in der Begriffslogik entschieden gegen die Frege vorwegnehmenden Versuche, die logischen Beziehungsweisen in einem Kalkül zu ordnen und diesen dann mit Hilfe eines mathematisch-geometrischen Zeichensystems zu formulieren: „Der grosse [...] Euler, besonders der trocken verständige Lambert und andere haben für diese Art von Verhältnissen der Begriffsbestimmungen eine Bezeichnung durch Linien, Figuren und dergleichen versucht; man beabsichtigte überhaupt, die logischen Beziehungsweisen zu einem Calcul zu erheben;- oder vielmehr in der That herabzusetzen. Schon der Versuch der Bezeichnung stellt sich sogleich als an und für sich nichtig dar, wenn man die Natur des Zeichens und dessen, was bezeichnet werden soll, mit einander vergleicht. Die Begriffsbestimmungen, Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit sind (...) nicht so ein todtliegendes, wie Zahlen und Linien, denen ihre Beziehung nicht selbst angehört; sie sind lebendige Bewegungen; die unterschiedene Bestimmtheit der einen Seite ist unmittelbar auch der andern innerlich; was bey Zahlen und Linien ein vollkommener Widerspruch wäre, ist der Natur des Begriffes wesentlich." (WL III 47) Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 425.
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Sprache schon längst bekannt ist, so heißt dies doch lange nicht, daß wir die logische Struktur der Sprache bereits erkannt haben. 133 „Diese l o g i s c h e Natur, die den Geist beseelt, in ihm treibt und wirkt, zum Bewußtseyn zu bringen, diß ist", so hebt Hegel hervor, „die Aufgabe" (WL I 15). Mit Blick auf diese Beziehung der Sprache zur Logik unterscheidet Hegel im Rahmen der Urteilskritik das Urteil als eine logische Kategorie vom bloßen Satz, der nur als ein grammatisches Gebilde gilt, weil „ein S a t z zwar im grammatischen Sinne ein Subject und Prädicat hat, aber darum noch kein U r t h e i l ist" (WL III 55).136 Grammatische Subjekte und Prädikate sind eben nicht identisch mit den logischen Subjekten und Prädikaten. Denn das, was im Satz als grammatisches Subjekt oder Prädikat füngiert, weist nicht unbedingt den logischen Charakter eines Urteilssubjekts oder Prädikats auf. Diese Einsicht ist nicht erst durch die moderne semantische Sprachanalyse zu gewinnen, auch wenn der Unterschied dadurch präziser abgegrenzt wird.13" Schon Hegel bemüht sich darum, durch die grammatische Subjekt-Prädikat-Beziehung hindurch die logische Struktur des Urteils festzustellen. Zu dem, was nicht bloß ein Satz, sondern ein Urteil ist, gehört nach Hegel, „daß das Prädicat sich zum Subject nach dem Verhältniß von Begriffsbestimmungen, also als ein allgemeines zu einem besondern oder einzelnen verhalte. Drückt das, was vom einzelnen Subjecte gesagt wird, selbst nur etwas einzelnes aus, so ist diß ein blosser Satz." (WL III 55)158 135
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„Das Bekannte überhaupt", so spielt Hegel mit der morphologischen Verwandtschaft zwei Wörter, „ist darum, weil es b e k a n n t ist, nicht erkannt. Es ist die gewöhnlichste Selbsttäuschung wie Täuschung anderer, beym Erkennen etwas als bekannt voraus zu setzen, und es sich ebenso gefallen zu lassen" (PG 26 f.). Den Unterscheid zwischen „Satz" und „Urteil" hat Hegel in seinen früheren Schriften einschließlich der Phänomenologie, wo die Lehre vom spekulativen Satz eingeführt wird, noch nicht gemacht. Diese Unterscheidung führt Hegel erst in § 63/95 der Logik für die Mittelklasse von 1808/09 (TW IV 104) bzw. § 12 der Begriffslehre für die Oberklasse von 1809/10 ein (TW IV 142). Dennoch verwendet Hegel die beiden Termini auch nach der Einführung der Unterscheidung nicht immer konsequent. Sie werden gelegentlich synonym, oder je nach Kontext im Hinblick auf ihre etymologischen Assoziationen gebraucht, also „Satz" im Sinne von „Setzen" sowie „Grundsatz" und „Urteil" im Sinne von „Ur-Teilung". Vgl. unten Kap. 3.2.1.1: Subjekt und Prädikat, S. 147 ff. In der Wesenslogik aber wird der Satz vom Urteil in anderer Hinsicht unterschieden: „der Satz unterscheidet sich vom Urtheil vornemlich dadurch, daß in jenem der I n h a l t die B e z i e h u n g selbst ausmacht, oder daß er eine bes t i m m t e B e z i e h u n g ist. Das Urtheil dagegen verlegt den Inhalt in das Prädicat, als eine allgemeine Bestimmtheit, die für sich und von ihrer Beziehung, der einfachen COPULA, unterschieden ist. Wenn ein Satz in ein Urtheil verwandelt werden soll, so wird der bestimmte Inhalt, wenn er z. B. in einem Zeitworte liegt, in ein Particip verwandelt, um auf diese Art die Bestimmung selbst und ihre Beziehung auf ein Subject zu trennen." (WL II 259) Hier bezieht
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Das Urteil ist also ein sprachliches Gebilde, in dem sich das logische Verhältnis von Begriffsbestimmungen darstellt. Ein Subjekt ist im logischen Sinne etwas Einzelnes, das einen Gegenstand bezeichnet, und das Prädikat demgegenüber etwas Allgemeines, das einen Begriff ausdrückt, wobei eine Begriffsbestimmung in der Form geschieht, daß ein Gegenstand beim Urteilen auf einen Allgemeinbegriff hin bestimmt wird. Man kann diese Hegeische Abgrenzung der Urteilsstruktur gegen die grammatische Form des Satzes durchaus, wie Theunissen, in der Sprache der modernen Semantik formulieren: „Als Urteil läßt Hegel einen Satz nur unter der Bedingung gelten, daß der singulare Terminus, der in Subjektstellung steht, auf das Prädikatsnomen als auf einen generellen Terminus oder als »Klassifikationsausdruck« bezogen ist."139 Dennoch kommt es nicht allein darauf an, ob eine bestimmte Zusammenstellung von Worten einen Satz oder ein Urteil darstellt, weil diejenige, die dem Verhältnis von Begriffsbestimmung zunächst nicht entspricht, mithin als bloßer Satz erscheint, auch in anderer Hinsicht, wie Hegels Beispiele zeigen sollen, als Urteil gelten kann (WL III 55 f.). Das Entscheidende dafür, ob ein Wortgefüge als Satz oder Urteil gilt, liegt nach Hegel darin, in welchem Zusammenhang und unter welchem Gesichtspunkt es verstanden wird. Der Satz und das Urteil oder das Grammatische und das Logische sind nach Hegel zwei Aspekte, die in der philosophischen Betrachtung auseinandergehalten werden müssen. Denn das bloß Grammatische der Sprache kann unseren Verstand zum Scheinwesen von logischen Verhältnissen verführen. Die gewöhnliche Auffassung des Urteils, nämlich daß das Subjekt und das Prädikat als zunächst für sich Bestehende nur durch eine subjektive Synthesis äußerlich miteinander verbunden seien, ist nach Hegel nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß das wahrhafte logische Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat hinter dem grammatischen im verborgenen bleibt. „Im g r a m m a t i s c h e n Sinne hat jenes subjective Verhältniß, in welchem von der gleichgültigen Aeußerlichkeit des Subjects und Pradicats ausgegangen wird, sein vollständiges Gelten; denn es sind W o r t e , die hier ausserlich verbunden werden." (WL III 55) Das
sich Hegel auf den syntaktischen Unterschied zwischen zwei Formen, also „der Mensch geht" als Satz und „der Mensch ist gehend" als Urteil, die aber in Wahrheit, worauf schon Aristoteles hinweist (Met. A 7, 1017a27-30), dieselbe logische Struktur aufweisen. Manfred Wetzel liefert eine eigentümliche, aber am Text nicht überzeugend begründete Interpretation der Hegeischen Unterscheidung von Satz und Urteil, indem er das „Urteil" als einen objektsprachlichen und den „Satz" dagegen als einen metasprachlichen Terminus auffaßt. Vgl. M. Wetzel: Dialektik als Ontologie auf der Basis selbstreflexiver Erkenntniskritik. Neue Grundlegung einer „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins" und Prolegomena zu einer Dialektik in systematischer Absicht, Freiburg / München 1986, S. 653 ff. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 59.
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grammatische Verhältnis wird sich jedoch bei näherer Betrachtung als irreführend erweisen, indem sich zeigen wird, daß das Subjekt und das Prädikat dem Wesen nach auf eine ursprüngliche Einheit bezogen sind, die den als selbständig erscheinenden Gliedern des Urteils zugrunde liegt.160 Es gehört also zu den wesentlichen Aufgaben der Logik, das Wesentliche vom äußerlichen Schein zu befreien und das Logische in der lebendigen Sprache zu enthüllen.
2.2.2.2. Das Dilemma der Sprache Hegels komplexe Stellung zur Sprache ist vor allem durch die in seinen ganzen philosophischen Anstrengungen anhaltende Spannung gekennzeichnet, die darin besteht, daß er sich einerseits der Sprachbefangenheit des Denkens völlig bewußt ist, aber andererseits über die beschränkten Formen der Sprache hinausgehen will, um das Wahre bzw. das Absolute adäquat zu erfassen und darzustellen. Diese dilemmatische Sachlage entspricht dem inneren Widerspruch der Vernunft, der durch die Kantische Vernunftkritik exponiert worden ist und der die gesamte Tradition der idealistischen Philosophie im Innersten bewegt hat. Es handelt sich um „das besondere Schicksal" der menschlichen Vernunft, wie Kant es zu Eingang der Vorrede zur ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft auf den Punkt bringt, nämlich „daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft." (KrV A VII) Die menschliche Vernunft befindet sich Kant zufolge in dem Dilemma, daß sie einerseits eine endliche Natur aufweist, aber anderseits schicksalhaft nach dem Unbedingen und Unendlichen strebt, das sie allerdings nie erreichen kann. Die Vernunft hat nach Kant ihren berechtigten Rahmen des Gebrauchs ausschließlich in der möglichen Erfahrung, außerhalb deren kein Objektivitäts- bzw. Wahrheitsanspruch erhoben werden darf. Denn die „mögliche Erfahrung ist das, was unseren Begriffen allein Realität geben kann; ohne das ist aller Begriff nur Idee, ohne Wahrheit und Beziehung auf einen Gegenstand." (KrV A 489 / B 517) Trotzdem kann sich die Vernunft niemals mit dem zufriedengeben, was ihr die Erfahrung zu bieten hat, weil in dieser nur Erscheinung, nicht aber das Unbedingte zu finden ist. Die endliche Vernunft des Menschen trägt somit das „tragische" Diese Einsicht läßt sich in der semantischen Terminologie Freges formulieren: Das Subjekt und das Prädikat müssen als unselbständige Satzelemente im Hinblick auf ihre Funktionen im Satz verstanden werden, der die primäre logische Einheit ausmacht. Vgl. auch unten Kap. 3.2.1.2: Kopula und Urteilsbeziehung, S. 157 ff.
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Schicksal, daß sie von Natur aus stets über das hinausgehen will, wozu sie eigentlich fähig ist. Die Vernunft strebt immer nach dem Unbedingten, das jenseits der Erfahrung liegt. Aber sobald der Boden der Erfahrung verlassen wird, stürzt sich die Vernunft „in Dunkelheit und Widersprüche" (KrV A VIII). Aus diesem Schicksal der Vernunft entsteht eine prinzipiell endlose Streiterei, als deren Kampfplatz Kant eben die klassische Metaphysik bestimmte. Nun hat Kant beabsichtigt, diese endlosen Streitigkeiten der Metaphysik, die ihrerseits als „Naturanlage (metaphysica naturalis)" (KrV B 21) der menschlichen Vernunft nicht einfach aus der Welt geschafft werden kann, durch seine Kritik ein für allemal beizulegen, sobald nämlich die menschliche Vernunft ihre eigene Endlichkeit durchschaut und solange sie sich in Grenzen ihres berechtigten Gebrauchs hält. Bei Kant grenzt sich die Endlichkeit der menschlichen Vernunft gegen die Idee einer unendlichen bzw. göttlichen Vernunft ab (KrV B 72). Diese faßt Kant als eine ursprüngliche Anschauung (intuitus originarius) auf, die sich zu ihren Gegenständen wesentlich anders verhält als die abgeleitete Anschauung des Menschen (intuitus derivativus). Ihr kommen die Gegenstände nicht als gegeben vor, sondern als von ihr selbst geschaffen, und zwar so, daß die Gegenstände eben in dem Moment hervorgebracht werden, in dem sie sie anschaut (KrV B 145). Die Anschauung der göttlichen, unendlichen Vernunft ist demnach eine Schöpfung.161 Indem die göttliche Vernunft im Anschauen das Seiende aus sich selbst hervorbringt und es dabei in seiner Ganzheit durchschaut, bedarf sie keines Denkens mehr. Nur die endliche Vernunft des Menschen muß überhaupt denken, um die Dinge, die ihr fremd sind, zu erkennen. „Denken als solches ist demnach", so Heidegger, „schon das Siegel der Endlichkeit."162 Die göttliche unendliche Vernunft hingegen ist reine „Anschauung (denn dergleichen muß alles sein Erkenntniß sein und nicht d e n k e n , welches jederzeit Schranken beweiset)" (KrV B 71). Das, was die Unendlichkeit der göttlichen Vernunft ausmacht, liegt darin, daß sie durch ihre ursprüngliche Anschauung eine unmittelbare Beziehung zu ihren Gegenständen hat und somit diese, wie sie an und für sich sind, zu erkennen imstande ist. Denken ist hingegen eine Tätigkeit der endlichen Vernunft, weil es seine Gegenstände nur durch Vermittlung der Denkbestimmungen erkennen kann, die sich gegeneinander abgrenM
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„Der Unterschied zwischen der unendlichen und der endlichen Anschauung", so Heideggers Kant-Interpretation, „besteht nun darin, daß jene in ihrem unmittelbaren Vorstellen des Einzelnen, d. h. des einmaligen einzigen Seienden im ganzen, dieses Seiende allererst in sein Sein bringt, ihm zu seinem Entstehen (origo) verhilft." M. Heidegger: Kant und das Problem der Metaphysik [Gesamtausgabe. I. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910 - 1976, Bd. 3], hrsg. v. F.-W. v. Herrmann, Frankfurt a. M. 1991, § 4, S. 24. A. a. O , § 4, S. 24.
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zen und nur jeweils einen Teilaspekt der konkreten Gegenstände zu charakterisieren vermögen. Diese Endlichkeit ist formal gesehen auf die Struktur des Urteils zurückzuführen, weil sich das Denken im Urteil vollziehen muß, um überhaupt etwas Bestimmtes zu denken. Das Vermögen zu denken ist daher, so präzisiert Kant, das „ V e r m ö g e n zu u r t h e i l e n " (KrV A 69 / B 94; A 81 / B 106).163 Der Urteilscharakter des Denkens ist zwar im Rahmen des transzendentalen Idealismus für die Endlichkeit der menschlichen Vernunft entscheidend. Doch geht Kant hier, wo der Weg zur tieferen Begründung der Endlichkeit durch das Wesen der Sprachlichkeit naheliegt, an dem Problem der Sprache vorbei.164 Diese Schwäche hat Johann Georg Hamann, einer der frühsten Kantkritiker überhaupt, richtig erkannt und kritisiert. In einem äußerst kurzen, aber durchaus kritischen Aufsatz gegen Kant, der Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784), den Hegel in der Hamann-Rezension (1828) als „sehr merkwürdig", jedoch „geistreich" bezeichnet (GW XVI 167), stellt Hamann die Sprache in die Mitte der Kantischen Vernunftproblematik." 0 Hamann verwirft Kants Trennung des Erkenntnisvermögens in zwei unreduzierbare Stämme von Sinnlichkeit und Verstand, und weist stattdessen auf „die genealogische Priorität der S p r a c h e " 1 6 6 h i n . Der Primat der Sprache ist nach Hamann darauf zurückzuführen, daß sich das ganze Vermögen zu denken bzw. zu urteilen auf die Sprache als „das einzige erste und letzte Organon und Kriterion der Vernunft" 167
Bereits in einer früheren vorkritischen Abhandlung Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren von 1762 bemerkt Kant, „daß die obere Erkenntnißkraft schlechterdings nur auf dem Vermögen zu urtheilen beruhe" (AA II 59). Hegel wirft Kant die Psychologisierung des Problems vor. Kant habe die Vernunftkritik mit dem Gedanken der synthetischen Urteile a priori zwar richtig angefangen. „Diesem Anfange entspricht jedoch die weitere Ausführung wenig. Schon der Ausdruck: S y n t h e s i s leitet leicht wieder zur Vorstellung einer ä u s s e r l i c h e n Einheit, und blossen V e r b i n d u n g von solchen, die an u n d für sich g e t r e n n t sind. Alsdenn ist die Kantische Philosophie nur bey dem psychologischen Reflexe des Begriffs stehen geblieben, und ist wieder zur Behauptung der bleibenden Bedingtheit des Begriffs durch ein Mannichfaltiges der Anschauung zurück gegangen." (WL III 22) In ähnlicher Weise kritisiert Herder die Kantische Vernunftkritik. Vgl. J. G. v. Herder: Verstand und Erfahrung, Vernunft und Sprache. Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft (1799) [Herders sämmtliche Werke, Bd. 21], hrsg. v. B. Suphan, Berlin 1881. Zum Problem der Sprache in der Kantischen Vernunftkritik vgl. auch M. Riedel: Vernunft und Sprache. Grundmodell der transzendentalen Grammatik in Kants Lehre vom Kategoriengebrauch, in: ders.: Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung, Frankfurt a. M. 1989, S. 44 - 6 0 . J. G. Hamann: Metakritik über den Purismum der Vernunft, a. a. O., S. 286. A. a. O., S. 284.
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stützt. Dieses einzig verfügbare Organon der Vernunft erweist sich aber in seiner gewöhnlichen Struktur als ein endliches bzw. einseitiges Mittel, das dem schicksalhaften Streben der Vernunft nach dem Unendlichen nicht gerecht werden kann. Diese der Sprache wesentliche Einseitigkeit bringt Goethe im expliziten Bezug auf Hamann so zum Ausdruck: „Das Wort m u ß sich ablösen, es m u ß sich vereinzeln, um etwas zu sagen, zu bedeuten. Der Mensch, indem er spricht, muß für den Augenblick einseitig werden; es gibt keine Mitteilung, keine Lehre ohne Sonderung." 168 Dadurch, daß sich die Vernunft nur in der Sprache begrifflich zum Ausdruck kommen kann, kann die Vernunft, indem sie sich ausdrückt, nur einseitig, mithin endlich sein. Das Problem der Sprachlichkeit und Endlichkeit ist ein Thema, mit dem sich die gegenwärtige Philosophie noch näher und intensiver befaßt als die neuzeitliche. So findet z. B. die auf Kant bezogene Bestimmung Heideggers, daß das Denken als solches das Siegel der Endlichkeit ist, bei Gadamer ihren hermeneutischen Widerhall darin, daß er die Sprache expressiv verbis als die „Spur der Endlichkeit" 169 bezeichnet. Auf die Endlichkeit der Sprache deutet Hegel öfter hin, indem er sie an mehreren Stellten als „Werk des Verstandes" (WL I 105; Enz. § 459 A, 454) charakterisiert. Für Hegel bewegt sich der Verstand im Gegensatz zur Vernunft auf dem Niveau der Endlichkeit, indem er dem Wesen nach bei der festen Bestimmtheit und der Unterschiedenheit derselben gegen andere stehenbleibt (WL I 8; Enz. § 80, 118). Diese Natur des Verstandes hängt insofern mit der Form des Urteils zusammen, als dieses eine Struktur der Bestimmung unterstellt, die zugleich eine Beschränkung bedeutet. Denn etwas ist insofern, aber auch nur insofern bestimmt, als es zugleich gegen etwas anderes bestimmt wird. Jede im Urteil vollzogene Bestimmung erhält demnach ihre Bestimmtheit dadurch, daß sie sich affirmativ gegen die Negation ihrer selbst abgrenzt. „Die Bestimmtheit", so Hegel, „ist die Negation als affirmativ gesetzt" (WL I 101). Dieser Leitgedanke der Hegeischen Philosophie geht bekanntlich auf den Grundsatz des Spinoza „alle Bestimmtheit ist Negation (omnis determinatio est negatio)"'70 zurück, einen Satz, der für Hegel, insbesondere aber für die Formation der Dialektik, „von unendlicher Wichtigkeit" (WL I 101) ist. J. W. v. Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 12. Buch, in: Goethes Werke, textkritisch durchgesehen v. L. Blumenthal m. Anm. versehen v. E. Trunz, Bd. 9, Hamburg 1955, S. 514. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 461. Vgl. Spinozas Brief an Jarig Jelles vom 2. Juni 1674, in: Spinoza: Briefwechsel [Sämtliche Werke, Bd. 6], übers, u. Anm. v. C. Gebhardt, 2., durch weitere Briefe ergänzte Aufl. m. Einleitung u. Bibliographie v. M. Walther, Hamburg 1977, S. 209 f.; vgl. auch F. H. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn (1785), in: Schriften zum Spinozastreit [Werke, Bd. 1,1], hrsg. v. K. Hammacher u. Irmgard-Maria Piske, Hamburg 1998, S. 100.
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Angesichts der wesentlichen Negativitat aller Bestimmtheiten stimmt Hegel offenkundig mit Goethe darin überein, daß das Denken, indem es etwas bestimmtes aussagt, einseitig werden muß. Die Form der Sprache bzw. des Urteils macht für Hegel, formal gesehen, den Grund der Endlichkeit überhaupt aus. Dabei handelt es sich nicht lediglich um unsere subjektive Bestimmungs- bzw. Erkenntnisformen der Dinge, sondern ebenso um die Daseinsformen derselben, sofern die Dinge nur in der Sprache, oder genauer durch den urteilenden Bezug auf sie, als Gegenstände für uns zugänglich sind. Darum führt Hegel in der enzyklopädischen Begriffslogik die Endlichkeit der Dinge auf den Standpunkt des Urteils zurück: „Der Standpunkt des Urtheils ist die E n d l i c h k e i t , und die E n d l i c h k e i t der Dinge besteht auf demselben darin, daß sie ein U r t e i l sind" (Enz. § 168, 184).1"1 Nun stellt sich aber natürlich die Frage, wie sich das Absolute oder gar das Göttliche überhaupt in unserer Sprache darstellen läßt, wenn diese einer beschränkten und endlichen Struktur unterliegt. Man könnte hier den Kantischen Weg der Vernunftkritik einschlagen, indem man an der Endlichkeit der menschlichen Vernunft festhält und deren unerfüllbares Streben nach dem Unendlichen für immer aufgibt. Dabei begnügte sich die Philosophie mit dem, was eben der Leistungsfähigkeit unserer Sprache entspricht, und stellte jeden Anspruch auf wahrhafte Erkenntnis des Absoluten zurück. Oder man könnte auch, indem man auf die Sprache überhaupt verzichtet, die Auffassung der den späteren Romantikern nahestehenden, intuitionistischen Tradition teilen, daß es nämlich neben der Sprache noch andere Wege gebe, wie etwa Kunst, Religion, Gefühl oder intellektuelle Anschauung, über die man unter Umgehung der endlichen Sprache einen richtigen und unmittelbaren Zugang zum Absoluten hätte. Schelling z. B. teilt die gängige Überzeugung seines Zeitalters, indem er in einer frühen Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie (1795) schreibt, „daß jenes Absolute in uns durch kein blosses Wort einer menschlichen Sprache gefesselt wird, und daß nur selbsterrungenes Anschauen des Intellektualen in uns dem Stükwerk unsrer Sprache zu Hülfe kommt."172 Den angemessenen Zugang zum Absoluten bietet Schelling zufolge vielmehr die intellektuelle Anschauung, die ihrerseits nicht mehr durch Begriffe, also nicht sprachlich, vermittelt ist, sondern sich unmittelbar auf das Absolute in seiner Totalität richtet. Dabei ist in der Identitätsphiloso11 12
Zur näheren Charakterisierung der Endlichkeit des Urteils vgl. R. Heede: Die Dialektik des spekulativen Satzes, Hegel-Jahrbuch 1974, S. 280 ff. F. W. J. v. Schelling: Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, in: ders.: Werke 2, hrsg. v. H. Buchner u. J. Jantzen unter Mitwirkung v. A. Schurr u. A.-M. Schurr-Lorusso, Stuttgart 1980, § 15, S. 146.
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phie aufgrund ihrer eigenen Konzeption der Wissenschaftlichkeitscharakter der Philosophie zugunsten der ästhetischen, genieartigen Produktivität des menschlichen Geistes zurückzustellen, weshalb Schellung auch die Philosophie der Kunst für das wahre Organon der Philosophie hält.1 3 Gegen diese zeitgenössische Tendenz der Philosophie wendet sich Hegel in der Phänomenologie, wenn er in Polemik gegen Schelling schreibt: „Wir sehen uns [...] oft von philosophischen Expositionen an dieses i n n r e Anschauen verwiesen, und dadurch die Darstellung der dialektischen Bewegung des Satzes erspart, die wir verlangten." (PG 45) Wodurch sich Hegels spekulative Philosophie von allen seinen Vorgängern auszeichnet, ist eben dies, daß er das Problem der sprachlichen Darstellung des Absoluten in seinem grundlegenden Widerspruch aufgreift, ohne bei dem einen oder bei dem anderen einseitigen Lösungsangebot Zuflucht suchen zu wollen.1"4 Hegel gibt weder den der Philosophie wesentlichen Anspruch auf die Wahrheit des Absoluten, noch das der Vernunft einzig verfügbare Organon der Begriffssprache auf. Einerseits verwirft Hegel Kants Begrenzung des Vernunftgebrauchs auf die mögliche Erfahrung nicht nur als dem Begriff der Philosophie bzw. der Wahrheit widersprechend, sondern auch als in sich inkonsequent, weil Kant mit der Idee des Dings an sich in der Tat schon über die Grenzen der Erscheinung hinausgegangen ist. Kants Vernunftkritik ist in dieser Perspektive nicht konsequent genug weitergedacht worden, so daß sie nicht in der Lage ist zu begreifen, daß die Rede von der Endlichkeit schon den Begriff der Unendlichkeit voraussetzt. 175 Andererseits wendet sich Hegel gegen die intuitionistische Auffassung des Absoluten entschieden: „Wenn nemlich das Wahre", so Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie, „nur in demjenigen oder vielmehr nur als dasjenige existirt, was bald Anschauung, bald unmittelbares Wissen des 173
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So schreibt Schelling: „Die Philosophie beruht also ebenso gut wie die Kunst auf dem produktiven Vermögen, und der Unterschied beider bloß auf der verschiedenen Richtung der produktiven Kraft. Denn anstatt daß die Produktion in der Kunst nach außen sich richtet, um das Unbewußte durch Produkte zu reflektiren, richtet sich die philosophische Produktion unmittelbar nach innen, um es in intellektueller Anschauung zu reflektiren. - Der eigentliche Sinn, mit dem diese Art der Philosophie aufgefaßt werden muß, ist also der ä s t h e t i s c h e , und eben darum die Philosophie der Kunst das wahre Organon der Philosophie". F. W. J. v. Schelling: System des transcendentalen Idealismus [Sämmtliche Werke, 1. Abteilung, Bd. 3], hrsg. v. K. F. A. Schelling, Stuttgart / Augsburg 1858, § 4, S. 351. Jere Surber meint sogar, Hegel sei „perhaps the first thinker of our tradition to directly and positively confront the question of the possibility of systematic metaphysical reflection expressed through the admittedly finite capacities of natural language". J. P. Surber: Hegels Speculative Sentence, in: Hegel-Studien 10(1975), S. 211. Vgl. unten Kap. 4.1.1.2: Die Kantische Umdeutung der Substanz und das Ding an sich, S. 203 ff.
DAS DILEMMA DER SPRACHE
113
Absoluten, Religion, das Seyn [...] genannt wird, so wird von da aus zugleich für die Darstellung der Philosophie vielmehr das Gegentheil der Form des Begriffs gefordert. Das Absolute soll nicht begriffen, sondern gefühlt und angeschaut, nicht sein Begriff, sondern sein Gefühl und Anschauung sollen das Wort führen und ausgesprochen werden." (PG 12) Dies widerspricht aber offenkundig dem Wissenschaftlichkeitsanspruch der Philosophie, nämlich daß die Wahrheit nur „an dem Begriffe allein das Element ihrer Existenz" (PG 12) hat. Obwohl Hegel die Bedeutsamkeit der Kunst und Religion völlig anerkennt, insofern die beiden Disziplinen, wenn auch in verschiedenen Weisen, mit der Philosophie „denselben Inhalt und denselben Zweck" haben, ist die Philosophie allein „die höchste Weise, die absolute Idee zu erfassen, weil ihre Weise die höchste, der Begriff ist." (WL III 236) Die Philosophie ist demnach keineswegs durch Kunst oder Religion ersetzbar; im Vergleich zum intuitiven Zugang zur Wahrheit muß sie als „denkende B e t r a c h t u n g der Gegenstände" (Enz. § 2, 40) in der Lage sein, in denkender, begreifender Weise das Absolute aufzufassen und auch noch auszudrücken. Um das Absolute begrifflich darzustellen, bleibt der Philosophie nichts anderes übrig, als auf die Sprache zurückzugreifen, da dem endlichen Geist dazu nur die Sphäre des sich in der Sprache ausdrückenden Begriffs zur Verfügung steht. „Hegel", so Wieland, „macht nie einen Ansatz, eine neue Kunstsprache einzuführen oder gar ein neues, außersprachliches Organon der Philosophie zu entwickeln. Es gibt keinen Weg, der hinter die in der Gestalt des Satzes erreichte Vergegenständlichung zurückführen könnte."176 Der Mensch kann nie den Rahmen der Sprache sprengen, um das Absolute als solches auf einen Schlag zu fassen. Daß Hegel überhaupt eine Logik entwerfen muß, weist allein schon daraufhin, daß es sich dabei um ein Unternehmen des endlichen, aber sich zugleich seiner Endlichkeit bewußten Geistes handelt, das das Absolute zum Inhalt hat. Denn „ein in sich ruhendes und sich selbst genügendes Absolute bedürfte keiner Logik."177 Der entscheidende Schritt dahin, das Absolute durch sprachliche Mittel bestimmbar zu machen, besteht in der Einsicht, daß die Sprache zwar als „Werk des Verstandes" endlich ist, aber innerhalb ihrer selbst über die Möglichkeit verfügt, ihre eigene Endlichkeit zu überwinden. Der menschlichen Sprache steht also die Unendlichkeit offen. Denn das wahre Unendliche ist eben nicht etwas, das jenseits des Endlichen liegt. Das, was sich einfach dem Endlichen entgegensetzt, ist für Hegel nur die „schlechte" Unendlichkeit. Das Absolute geht zwar über die natürliche Sprachlichkeit hinaus, ist aber kein Übersprachliches in dem Sinne, daß es
W. Wieland: Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik, a. a. O., S. 204. A. a. O., S. 205.
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SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
überhaupt nicht zur Sprache gebracht werden könnte, sondern bedarf nur einer spekulativen Darstellungsweise."s Auf die Möglichkeit, das Unendliche in der Sprache darzustellen, hat Hegel an verschiedenen Stellen hingewiesen. In der Begriffslogik z. B. verwirft er diejenige Ansicht, die der Sprache mißtraut und nach einer eventuell vollkommeneren Darstellungsweise sucht und weist stattdessen darauf hin, daß die Sprache nicht nur „Werk des Verstandes", sondern auch „das der Vernunft eigenthümliche Bezeichnungsmittel" (WL III 48, Hervorh. v. Verf.) ist. Die Sprache kann ja nicht nur Bestimmungen festlegen, sondern auch diese wieder auflösen. Denn „die S p r a c h e ist", so Hegel im Fragment 22 der Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes (1803/04), „ebenso V e r s t a n d u n d V e r n u n f t . " (JSE I 318) Es ist eben diese wesentliche Janusköpfigkeit der Sprache, die das heikle Problem der Darstellung des Absoluten in der spekulativen Philosophie definiert. Daß die Sprache zugleich Vernunft ist, ist eine alte Weisheit, die die antiken Griechen von Anfang an haben. „Allein die Griechen", so Hegel in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, „achteten das reine Wort und die reine Behandlung eines Satzes ebenso als die Sache. Und wenn Wort und Sache einander entgegengesetzt wird, ist das Wort das Höhere; denn die nicht ausgesprochene Sache ist eigentlich ein unvernünftiges Ding, das Vernünftige existiert nur als Sprache." (TW XVIII 527) In dieser Beziehung zeigt sich die Sprache nicht lediglich als etwas, das der Vernunft gehört, sondern vielmehr als das, was die Vernunft als solche ausmacht. Was sich nicht aussprechen läßt, entzieht sich dem Vernünftigen. Die Sprache ist eben die Existenz der Vernunft. Die Vernünftigkeit der Sprache, die bei den Griechen über die Sache gestellt wird, findet auch bei Hegel ihren Widerhall. Bei der Widerlegung der sinnlichen Gewißheit in der Phänomenologie bringt Hegel das wahrhafte Wesen der Sprache zum Ausdruck und spricht dabei expressiv verbis von der „göttlichen Natur" der Sprache (PG 70), der es zu verdanken ist, daß sich die subjektive und private „Meinung" (6ö2;a) im Augenblick des Aussprechens unmittelbar in ihr Gegenteil verkehrt und auf diese Weise widerlegt. Denn „die Sprache [...] ist, wie wir sehen, das wahrhaftere; in ihr widerlegen wir selbst unmittelbar unsere M e y n u n g " (PG 65). Dabei wendet sich Hegel nachdrücklich gegen die gewöhnliche Meinung seiner Zeit, das Unaussprechliche sei das Vortrefflichste oder das Wahrste; für die spekulative Darstellung des Absoluten gilt vielmehr
„Das Spekulative des Denkens ist", so schreibt Günter Wohlfart, „nicht als ein jenseits der Sprache liegendes Übersprachliches zu verstehen, - wovon keine Rede sein kann - sondern als ein sprachliches Übersprachliches, sozusagen als ein Jenseits im Diesseits." G. Wohlfart: Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekulation bei Hegel, Berlin / New York 1981, S. 96.
D A S DILEMMA DER SPRACHE
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die Grundüberzeugung, daß das, „was das Unaussprechliche genannt wird, nichts anderes ist als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeynte." (PG 70; vgl. Enz. § 20 A, 65) 179 Für Hegel ist das Absolute grundsätzlich nicht unaussprechlich; es stellt sich nicht die Frage, ob, sondern wie sich das Absolute, das unendlich ist, in einer Sprache des endlichen Geistes darstellen läßt. Dabei scheint Hegel in der Vorrede zur zweiten Ausgabe der Enzyklopädie für eine der Philosophie eigentümliche Sprache zu plädieren, die sich von der gewöhnlichen Sprache absetzt. „Die Religion ist die Art und Weise des Bewußtseyns, wie die Wahrheit für alle Menschen, für die Menschen aller Bildung, ist; die wissenschaftliche Erkenntniß der Wahrheit aber ist eine besondere Art ihres Bewußtseyns, deren Arbeit sich nicht Alle, vielmehr nur wenige unterziehen. D e r G e h a l t i s t d e r s e l b e , aber wie Homer von einigen Dingen sagt, daß sie zwei Namen haben, den einen in der Sprache der Götter, den andern in der Sprache der übertägigen Menschen, so gibt es für jenen Gehalt zwei Sprachen, die eine des Gefühls, der Vorstellung und des verständigen, in endlichen Kategorien und einseitigen Abstractionen nistenden Denkens, die andere des concreten Begriffs." (Enz. 13) Es stellt sich die Frage, wie sich die eine Sprache zur anderen verhält, und worauf Hegel eigentlich hinaus will, wenn er in Anlehnung an Homer auf die Unterscheidung von der Sprache der Götter und der der Menschen hinweist. Sie darf auf jeden Fall nicht als absolut unüberbrückbarer Unterschied interpretiert werden. Auf die „Sprache der Götter" zurückzugreifen, die, wie z. B. Kierkegaard in der Krankheit zum Tode (1849) meint, kein Mensch sprechen könne, 180 ist überhaupt kein Ausweg für die Philosophie. Denn eine solche „Sprache der Götter" oder „Sprache der Vernunft", die nicht zu sprechen und zu verstehen ist, ist schlichtweg
Noch deutlicher sagt Hegel im Zusatz zu einem Paragraph über den theoretischen Geist in der Enzyklopädie: „denn obgleich man gewöhnlich meint, das Unaussprechliche sei gerade das Vortrefflichste, so hat diese von der Eitelkeit gehegte Meinung doch gar keinen Grund, da das Unaussprechliche in Wahrheit nur etwas Trübes, Gärendes ist, das erst, wenn es zu Worte zu kommen vermag, Klarheit gewinnt. Das Wort gibt demnach den Gedanken ihr würdigstes und wahrhaftestes Dasein." (Enz. § 462 Z, TW X 280) In diesem Zusammenhang läßt sich eine nicht unübliche Interpretation der Hegeischen Sprachauffassung eindeutig widerlegen. Eine solche These vertritt z. B. Richard Kroner, wenn er schreibt: „Hegel stimmt [...] vollständig mit Fichte und Schelling überein, die beide die Unausdenkbarkeit und Unaussprechlichkeit des Absoluten behauptet hatten." R. Kroner: Von Kant bis Hegel, Bd. 2, Tübingen 1924, S. 442. Vgl. S. Kierkegaard: Die Krankheit zum Tode. Der Hohepriester - der Zöllner die Sünderin [Gesammelte Werke, 24. u. 25. Abt.], übers, v. E. Hirsch, Düsseldorf 1954, S. 129. Vgl. auch J. Simon: Das Problem der Sprache bei Hegel, a. a. O., S. 12 f.
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SYSTEMBEDINGUNG UND URTEILSKRITIK
keine Sprache.181 Selbst die Logik als Darstellung der Gedanken Gottes m u ß ja letztendlich auch in einer menschlichen Sprache formuliert und geschrieben werden. Die Idee der Wissenschaftlichkeit setzt bei der Begriffssprache an, über die der Mensch als endlicher Geist verfügt. Die Hegeische Dialektik, auch wenn sie sich jeder Verständlichkeit zu entziehen scheint, ist in keiner Hinsicht eine „Mythologie der Vernunft" (TW I 234).182 Das Programm der Dialektik zielt vielmehr darauf ab, die Sprachlichkeit der Sprache bzw. die Verständigkeit des Verstandes begrifflich durchsichtig zu machen, worin die wahrhafte Vernünftigkeit besteht.183 Wonach Hegel strebt, ist also die in der menschlichen Sprache liegende Möglichkeit zu realisieren, die gewöhnliche verstandesmäßige Sprache, in der die einseitigen und endlichen Kategorien herrschen, durch konsequente und kritische Entfaltung ihres Selbstverständnisses zu einer Sprache zu erheben, in der der konkrete Begriff zum Ausdruck kommen kann. Die zwei verschiedenen Sprachen bzw. Sprechweisen lassen sich vorerst als die Sprache des Verstandes und die Sprache der Vernunft, oder speziell im Hinblick auf die Kritik der Urteilsform, als der gewöhnliche und der spekulative Satz unterscheiden. In welcher Weise sich aber die philosophische oder spekulative Sprechweise von der gewöhnlichen 11
Vgl. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, a. a. O., S. 425. Die Idee einer „Mythologie der Vernunft" stammt aus dem Altesten Systemprogramm des deutschen Idealismus (1796/97). Dieser fragmentarische Text, der 1917 von Franz Rosenzweig in den Sitzungsberichten der Heidelberger Akademie der Wissenschaften veröffentlicht und betitelt worden ist, ist zwar in Hegels Handschrift überliefert, aber seine Autorschaft ist nach wie vor umstritten (vgl. F. Rosenzweig: Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus. Ein handschriftlicher Fund, Heidelberg 1917). Zwischen der Hegel-, Hölderlinund Schellingforschung gibt es immer noch Streit um die adäquate Zuordnung dieses zweiseitig beschriebenen Papiers. Auf jeden Fall ist die Idee einer „Mythologie der Vernunft" für den späteren Hegel zugunsten der Wissenschaftlichkeit der Philosophie aufgehoben. Um die „Mythologie der Vernunft" bemüht sich vielmehr Hölderlin, der sie in seinen Dichtungen zu realisieren sucht (vgl. U. Beyer: Mythologie und Vernunft. Vier philosophische Studien zu Friedrich Hölderlin, Tübingen 1993). Vgl. auch R. Bubner (Hrsg.): Das älteste Systemprogramm. Studien zur Frühgeschichte der deutschen Idealismus, Bonn 1973; M. Frank: Der kommende Gott. Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt a. M. 1982; C. Jamme / H. Schneider (Hrsg.): Mythologie der Vernunft. Hegeb „Ältestes Systemprogramm des deutschen Idealismus", Frankfürt a. M. 1984; F.-P. Hansen: „Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus". Rezeptionsgeschichte und Interpretation, Berlin / New York 1989. 1 „Das Programm [der dialektischen Logik] entsagt", so Bubner, „jeglicher Illusion, aus dem Bannkreis des Redens in Sätzen, in dem wir allemal befangen sind, mit einem Sprung hinauszugelangen, um die umfassende Wahrheit in einer einzigen mystischen Formel zu bergen oder vollkommen der sprachlosen Intuition zu überlassen. Das Programm der dialektischen Logik bedeutet in jeder Hinsicht das Gegenteil einer »Misologie«, die aus der kleinmütigen Verzweiflung des Gedankens über das Reden erwachsen mag." R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, a. a. O., S. 112.
12
DAS DILEMMA DER SPRACHE
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unterscheidet und auszeichnet, ist im folgenden näher zu betrachten. An dieser Stelle ist mit einer Bemerkung Hegels zu schließen, die jede Mystifizierung oder „Entsprachlichung" der Philosophie moniert: „Erst was vollkommen bestimmt ist, ist zugleich exoterisch, begreifflich, und fähig, gelernt und das Eigentum aller zu seyn. Die verständige Form der Wissenschaft ist der Allen dargebotene und für Alle gleichgemachte Weg zu ihr, und durch den Verstand zum vernünftigen Wissen zu gelangen, ist die gerechte Forderung des Bewußtseyns, das zur Wissenschaft hinzutritt" (PG15L).
3.
SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
Hegels Urteilskritik bezieht sich auf das Problem, ob und inwiefern sich die spekulative Wahrheit der Philosophie sprachlich darstellen läßt. Daß das, was dargestellt werden muß, das Absolute heißt, ist für Hegel kein Grund dafür, auf die endliche Sprache der Menschen zu verzichten. Die philosophische Darstellung des Absoluten muß und kann sich nur in der menschlichen Sprache vollziehen, indem sie ebensosehr Sätze in Anspruch nimmt wie jede andere Wissenschaft. Nur geschieht dies in einer besonderen Art und Weise des Umgangs mit der Sprache. Es ist bekanntlich die Lehre vom spekulativen Satz in der Vorrede zur Phänomenologie, in der die eigentümliche Darstellungsweise der spekulativen Philosophie durch eine kritische Betrachtung der gewöhnlichen Satzform zum Thema wird. Hegel steht vor dem heiklen Problem, daß er innerhalb der gewöhnlichen Sprache, die aufgrund der Form des Urteils nur einseitige Sachverhalte auszudrücken vermag, eine sprachliche Darstellungsweise entwikkeln muß, die über ihre Endlichkeit hinaus dem Absoluten gerecht werden soll. Er muß nämlich mit der Sprache in einer derart eigentümlichen Weise umgehen, daß sie ihr gewöhnliches Selbstverständnis hemmt oder gar „zerstört" (PG 43), um ihr ihre eigene Möglichkeit zur Unendlichkeit beizubringen. „Auf diesem ungewohnten Hemmen", so Hegel, „beruhen großenteils die Klagen über die Unverständlichkeit philosophischer Schriften, wenn anders im Individuum die sonstigen Bedingungen der Bildung, sie zu verstehen, vorhanden sind." (PG 44) Die eigentümliche Darstellungsweise der Hegeischen Philosophie, die oft als überhaupt unverständlich und widersinnig bemängelt wird, hat ihren zwingenden Grund eben in dieser philosophisch reflektierten Haltung gegenüber der Sprache. Wer Hegel liest, sieht sich so gleich mit seinen eigentümlichen Ausdrucksformen konfrontiert. Sätze wie etwa „Gott ist das Sein" oder „das Allgemeine ist das Wirkliche", die uns Hegel als Beispiele für den spekulativen Satz gibt, findet man überall in der Logik.1 Aber wie unterscheiden sich solche Sätze eigentlich von den gewöhnlichen Sätzen? Wie verhalten Vgl. H. F. Fulda: Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfürt a. M 1978, S. 54.
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
sie sich zueinander? In welcher Weise und in welchem Sinne können die als spekulativ bezeichneten Sätze die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Sätze überwinden, um das Absolute angemessen darzustellen? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir zunächst den Hegeischen Begriff der Spekulation klären, der dem Sinn des spekulativen Satzes zugrunde liegt. Darum bedarf die Analyse einiger operativer Begriffe, vor allem der seinslogischen Kategorien der Endlichkeit und der Unendlichkeit, die für das Verständnis der spekulativen Philosophie im allgemeinen von grundlegender Bedeutung sind. Erst wenn man den Hegeischen Begriff der wahrhaften Unendlichkeit versteht, ist die Voraussetzung gegeben, die Dialektik von Verstand und Vernunft nachzuvollziehen. Diese dialektische Beziehung ist darum für unsere Problematik von ausschlaggebender Bedeutung, weil „der spekulative Satz", so Erich Heintel, „nichts anderes [formuliert] als die prädikationstheoretische (sprachlogische) Problematik der Dialektik von Verstand und Vernunft."2 Das Wesentliche in der Hegeischen Lehre vom spekulativen Satz ist, daß sie in keiner Weise eine eigenständige Satz- oder Urteilsform entwickeln will, die für die Darstellung des Absoluten geeignet wäre, auch wenn einiges dafür zu sprechen scheint, sondern vielmehr als eine spekulative Kritik der Urteilsform deren Grenzen aufzeigt und durchsichtig macht.3
3.1.
Vernunft und Spekulation
3.1.1. Endlichkeit und Unendlichkeit 3.1.1.1. Etwas und Anderes oder die Dialektik der Grenze Endlichkeit ist nach Hegel eine seinslogische Kategorie, die unter die qualitative Bestimmtheit fällt. Diese durchläuft zunächst die abstrakten Kategorien des Seins und des Nichts, deren Einheit bzw. deren Wahrheit im Werden besteht, aus dem das Dasein als die erste bestimmte Kategorie 2 3
E. Heintel: Der Begriff des Menschen und der „spekulative Satz", in: Hegel Studien 1 (1961), S. 221. So schreibt Surber völlig zu Recht: „Hegel's analysis of the most elementary form of language, the subject-predicate relation, provides the ground for the dialectical mode of unity of Hegel's system and, at the same time, yields Hegel's answer to the question concerning the possibility of an access to an ultimate metaphysical reflection from within thefimtudeof human language. This ean only be aecomplished, however, by actually explicating the structure and meaning of Hegel's coneeption of the .speculative sentence.'" J. P. Surber: Hegel's Speculative Sentence, in: Hegel-Studien 10 (1975), S. 212.
ETWAS UND ANDERES ODER DIE DIALEKTIK DER GRENZE
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in der Logik überhaupt hervorgeht. 4 Das Dasein tritt zunächst wieder in Form eines Unmittelbaren auf, das einerseits die Vermittlung des Seins und Nichts im Werden hinter sich hat und anderseits aufgrund der immanenten Grenze jedes Seienden den Gedanken der Endlichkeit impliziert. Aber als „das einfache Einsseyn des Seyns und Nichts" (WL I 97) ist das Dasein nicht mehr ein unbestimmtes Unmittelbares, sondern bestimmtes Seiendes bzw. „Daseiendes"; in diesem Sinne ist das Dasein ein Etwas. „Das Etwas ist die e r s t e N e g a t i o n d e r N e g a t i o n , als einfache seyende Beziehung auf sich." (WL I 103) Das Etwas gilt als Negation der Negation, insofern die einfache Beziehung-auf-sich eine solche ist, die durch Aufhebung der Vermittlung im Werden wiederhergestellt wird und somit auch als Vermittlung-mit-sich gilt. Daß aber das Etwas die erste Negation der Negation ist, drückt sich in seiner Einfachheit oder Seiendheit dieser mit sich vermittelten Beziehung aus. 3 „Diese Vermittlung mit sich, die Etwas a n s i c h ist, hat, nur als Negation der Negation genommen, keine concreten Bestimmungen zu ihren Seiten; so fällt sie in die einfache Einheit zusammen, welche S e y n ist." (WL I 104) Hinsichtlich dieser in sich unbestimmten Selbstbeziehung ist das Etwas „als einfaches I d e n t i s c h e s bestimmt" (WL I 104), in dem gar kein Unterschied vorhanden ist. Denn das Etwas entsteht Hegel zufolge aus dem Dasein gerade „ d u r c h A u f h e b e n d e s U n t e r s c h i e d s " (WL I 103). So hat das bloße Etwas an sich noch keine Bestimmtheit, durch die es sich von anderem unterscheiden würde. Insofern ist das Etwas abstrakt genommen eine an sich leere Bezeichnung, die sich auf nichts Bestimmtes bezieht, weil jedes ebensogut als „einfaches Identisches" gelten und als ein Etwas bezeichnet werden kann. Mit dem abstrakten Etwas, das sich sprachlich in der bloßen Deixis „Dieses-da" ausdrückt, meint man zwar
4
Gadamer macht uns auf die Sonderstellung der ersten drei Kategorien der Logik aufmerksam, indem der Übergang von Sein und Nichts in Werden aufgrund der totalen Bestimmungslosigkeit des Anfangs eine ganz andere Struktur aufweist als die dialektischen Übergänge der darauf folgenden Kategorien, die gerade um der genaueren Bestimmtheit jener Kategorien willen stattfinden müssen. „Hegel scheint selbst diesen Fall als einen Sonderfall zu markieren, wenn er bemerkt, daß Sein und Nichts »nur im Meinen verschieden sind«. Das heißt doch, daß beide, rein für sich gedacht, jedes von dem anderen nicht unterscheidbar sind. Der reine Gedanke des Seins und der reine Gedanke des Nichts sind daher so wenig verschieden, daß ihre Synthese gar nicht eine neue, reichere Wahrheit des Gedankens sein könnte." H.-G. Gadamer: Die Idee der Hegeischen Logik (1971), in: ders.: Neuere Philosophie I. Hegel, Husserl, Heidegger [Gesammelte Werke, Bd. 3], Tübingen 1987, S. 76. Vgl. auch Verf.: Voraussetzungs- und Bestimmungslosigkeit. Bemerkungen zum Problem des Anfangs in Hegels Wissenschaft der Logik, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 26 (2000), bes. S. 307 ff Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegebchen Logik, Frankfurt a. M. 1980, S. 234.
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
einen bestimmten Gegenstand, spricht aber in der Tat nur einen leeren Bezug oder ein abstraktes Allgemeines aus (WL I 105; Enz. § 20 A).6 Da das Etwas an sich selbst leer ist, kann die Bestimmtheit nur äußerlich erfolgen, und zwar gegen etwas anderes. Es ist das Andere, nicht aber wie gewöhnlich das Nichts, das sich dem Etwas entgegensetzt, da das reine Nichts, genauso wie das reine Sein, in seiner unbestimmten Unmittelbarkeit „keine Verschiedenheit innerhalb seiner, noch nach Aussen" (WL I 69) hat und sich somit gar nicht von irgend etwas unterscheidet (WL I 70). Innerhalb seiner selbst unterscheidet sich Etwas von Anderem ebenfalls nicht, sondern nur nach außen. Es ist nur durch einen äußerlichen Standpunkt möglich, daß ein bestimmtes Etwas vom Anderen unterscheidbar wird. Denn jedes Etwas ist an sich ebenso ein Anderes, sofern es gegen ein anderes Etwas bestimmt wird, und umgekehrt. „Es ist gleichgültig, welches zuerst und bloß darum E t w a s genannt wird" (WL I 105). Die Äußerlichkeit der Entgegensetzung stellt sich damit als eine Gleichgültigkeit heraus. Diese Gleichgültigkeit ist jedoch der Wechselbeziehung zwischen Etwas und Anderem weder äußerlich noch gleichgültig, sondern immanent und wesentlich. Die Gleichgültigkeit gegen anderes ist letzten Endes konstitutiv dafür, was das Etwas an sich ist. Denn dieses bestimmt sich durch seine negative, aber wesentliche Beziehung auf das, was es nicht ist. Jedes Etwas verdankt also seine Bestimmtheit dem Anderen, auch wenn sein Sinn zunächst als vollendet erscheint ohne sein Anderes (WL I 109 f.). Mit dem Verweis auf den Platonischen Begriff des Anderen bzw. des Verschiedenen, und zwar auf „TÖ rrepov des Plato, der es als eines der Momente der Totalität d e m E i n e n entgegensetzt, und d e m A n d e r e n auf diese Weise eine eigene N a t u r zuschreibt" (WL I 106; vgl. Parm. 143b), zeigt Hegel, in welchem Sinne die Dialektik von Etwas und Ande rem allein aus dem Anderen als einem auf sich bezogenen Rektum auszulegen ist.8 Im ersten unmittelbaren Stadium erscheinen Etwas und Ande6
8
Hier erkennt man das logisch-ontologische Pendant des epistemologisch orientierten Kapitels der „sinnlichen Gewißheit" in der Phänomenologie (PG 63 ff.). Vgl. K. rlartmann: Hegels Logik, hrsg. v. O. Müller m. einem Vorwort v. K. Brinkmann, Berlin / New York 1999, S. 69; vgl. auch unten 4.1.2.2: Das „Diese" und die radikale Unmittelbarkeit, S. 217 ff. Die Gleichgültigkeit des Etwas gegen Anderes präzisiert Theunissen mit Hilfe dreier Aspekte: sie ist erstens die immanente Gleichgültigkeit des Anderen selber (in dem Sinne, daß Etwas gegen irgendein anderes bestimmt wird, gleichgültig welches), zweitens die Gleichgültigkeit von Etwas und Anderem gegeneinander und drittens die Gleichgültigkeit beider Beziehungsglieder gegenüber den Rollen, die sie als Etwas und als Anderes spielen. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 243 - 258. Der Platonische Hintergrund besteht darin, daß Piaton im Sophistes (251a 259d) ebenfalls versucht, das Nichtsein (TÖ uij öv) auf die Natur des Anderen (ij ödTcpou (pOmc) zurückzuführen. Aber die Idee einer auf sich bezogenen
ETWAS U N D ANDERES ODER DIE DIALEKTIK DER GRENZE
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res beide ebenso als Etwas, das für sich „als einfaches I d e n t i s c h e s bestimmt" (WL I 104) werden kann; mit Blick auf ihre negative Wechselbeziehung aber sind sie beide gleichermaßen ein Anderes, das nicht bloß gegeneinander, sondern gegen sein Nichtsein bzw. das Andere seiner selbst bestimmt wird. Es ist das Andere, das sich in verdoppelter Negation, also gerade in der Beziehung auf das Andere, auf sich selbst bezieht. „So ist das A n d e r e allein als solches gefaßt, nicht das Andere von Etwas, sondern das Andere an ihm selbst, d. i. das Andere seiner selbst." (WL I 106) Die weitreichende Konsequenz dieser auf sich bezogenen Andersheit besteht nach Henrich darin, daß die Verdoppelung der Andersheit „in einem Gedanken von Negation zum ersten Male Selbstbezüglichkeit herstellt." 9 Im Gedanken des Anderen seiner selbst wird eine Relation des Spekulativen formuliert, der zufolge Selbstbeziehung und Beziehung auf Anderes in einem gedacht sind. Wenn man wie Henrich die Hegeische Logik als ein höchst komplexes System von Kategorien auffaßt, in dem eben Selbstbezug und Bezug auf Anderes dialektisch auseinander entfaltet werden, so kann man ihm zufolge tatsächlich den „strikten Selbstbezug von Negation im Sinne eines Anderen seiner selbst (...) zum wichtigsten Operationsmittel" 10 der Hegeischen Logik rechnen. Mit diesem generativen Operationsmittel entfalten sich Etwas und Anderes als zwei Momente ein und desselben Sachverhalts. Was das Etwas an sich ist, bestimmt sich wesentlich in Beziehung auf sein Anderssein. „Das Andersseyn ist zugleich in ihm enthalten, und zugleich noch davon g e t r e n n t ; es ist S e y n - f ü r - A n d e r e s . " (WL I 106) Die scheinbar inkompatiblen Bestimmungen des Ansichseins und Seins-für-Anderes erweisen sich vielmehr als konstitutiv dafür, wie Etwas als solches zu denken ist. Denn jedes Etwas bezieht sich auf sich selbst eben nur vermittels des Aufhebens seines Andersseins, das als sein eigenes Moment in
9 10
Negativitat würde Piaton wohl ablehnen, weil das Verschiedene im Sophistes immer nur in Beziehung auf Anderes, das es nicht ist, niemals aber in Beziehung auf sich selbst verschieden ist. Vgl. K. Düsing: Ontologie und Dialektik bei Plato und Hegel, in: Hegel-Studien 15 (1980), S. 95 - 150, bes. S. 135 ff. D. Henrich: Formen der Negation in Hegels Logik, R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt a. M. 1978, S. 219. D. Henrich: Formen der Negation in Hegels Logik, a. a. O., S. 220. Mit dem Begriff der autonomisierten bzw. autonomen Negation demonstriert Henrich ferner in einem „vereinfachten" Aufsatz, in welcher Weise die Verdoppelung der Andersheit die Grundoperation der Hegeischen Logik ausmacht. Vgl. D. Henrich: Hegels Grundoperation. Ein Einleitung in die „Wissenschaft der Logik", in: U. Guzzoni / B. Rang / L. Siep (Hrsg.): Der Idealismus und seine Gegenwart. Festschrift für Werner Marx zum 65. Geburtstag, Hamburg 1976, S. 208 - 230; und eine auf Henrichs Ansatz aufbauende Weiterfuhrung von Anton Friedrich Koch: Die Selbstbeziehung der Negation in Hegels Logik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 53 (1999), S. 1 - 29.
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
ihm enthalten und somit bereits in das Ansichsein reflektiert ist. Etwas verhält sich so notwendigerweise aus sich selbst zum Anderen, indem es nur durch die verdoppelte Negation in sich sein affirmatives Dasein, also sein „Insichsein", erhält (WL I 113). Ansichsein und Sein-für-Anderes sind zwei Momente einer Bestimmung, die den Beziehungsgehalt des Etwas gleichursprünglich darstellen und jeweils an sich zugleich auch das andere Moment mit enthalten (WL I 108). Sowohl Etwas und Anderes als auch Ansichsein und Sein-für-Anderes sind Paare von Bestimmungen, die die Dialektik von Selbstbezug und negativem Bezug auf Anderes zum Ausdruck bringen. Die beide aufeinander bezogenen Gedanken lassen sich nichtsdestoweniger in einer Bestimmtheit zusammendenken, und zwar in der Bestimmtheit der Grenze.'1 Daß dem Etwas die Unterscheidung von und die Beziehung auf das Andere konstitutiv ist, zeigt sich nirgendwo anders deutlicher als in der Grenze. An der Grenze stellen sich Etwas und Anderes nämlich gleichermaßen als ein solches dar, das als Negierendes seiner Negation auf eine Seite der Grenze tritt und sich vermittels der doppelten Negation als das Andere seiner selbst auf sich bezieht. So fallen an der Grenze Ansichsein und Sein-für-Anderes zusammen. In der Bestimmtheit der Grenze zeigt sich ein wesentlicher Widerspruch, der im Gedanken des Daseins als solchem wurzelt und dabei die Dialektik der Endlichkeit in Gang setzt. Denn jede Grenze enthält in sich zwei Seiten: Indem sie gerade dort steht, wo Etwas aufhört und das Andere anfängt, fallen Dasein und Nichtdasein an ihr zusammen. Dennoch ist sie nicht nur die Grenze jenes Etwas, sondern auch die des Anderen, weil dieses als ein Etwas ebenso an ihr seine eigene Grenze hat; „so ist sie nicht nur Nichtseyn des Andern, sondern des einen wie des andern Etwas, somit des E t w a s überhaupt." (WL I 114) Die Grenze ist also auch das Nichtssein des Anderen, indem dieses ebenso durch sie begrenzt wird. Angesichts dessen, daß sich Etwas durch Aufheben des Anderen und so durch die Grenze als Nichtssein des Anderen bestimmt, ist Etwas eben „ d u r c h s i e d a s , w a s es i s t , hat i n i h r s e i n e Q u a l i t ä t " (WL I 114). In diesem Sinne macht die Grenze sowohl das Sei« als auch das Nichtsein des Etwas und des Anderen aus. Anders ausgedrückt: „Sie ist die Vermittlung, wodurch Etwas und Anderes s o w o h l i s t , als n i c h t i s t . " (WLI114) Die Vermittlung der Grenze konkretisiert sich in der Weise, daß an der Grenze das Sein des Etwas auf eine Seite und das Nichtsein desselben auf Vgl. WL I 113: „Es ist Eine Bestimmtheit derselben, welche sowohl mit dem Insichseyn der Etwas identisch, als Negation der Negation, als auch, indem diese Negationen als andere Etwas gegeneinander sind, sie aus ihnen selbst zusammenschließt und ebenso von einander, jedes das Andere negirend, abscheidet, - die G r e n z e."
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die andere Seite fällt. Die Grenze ist nun das Dritte bzw. die Mitte zwischen den zwei Etwas, und „als das Nichtseyn eines jeden" ist sie in diesem Zusammenhang „das Andre von beyden" (WL I 114). Somit beziehen sich das Etwas und seine Grenze zunächst nur negierend aufeinander, oder Etwas hat sein Dasein nur außerhalb seiner Grenze. Dennoch ist das Etwas von seinem anderen überhaupt nicht zu unterscheiden, wenn jenes sich nur als das Nichtsein bzw. das „Außerhalb" der Grenze bestimmt, weil diese Bestimmtheit ebenso für sein Anderes gilt. Darum m u ß sich das Etwas näher bestimmen, indem es sich in der Grenze zugleich über sich hinaus auf das Jenseits der Grenze negierend bezieht. Daraus ergibt sich eine doppelte Konsequenz, „daß das Etwas sein Daseyn nur in der Grenze hat, und daß, indem die Grenze und das unmittelbare Daseyn beyde zugleich das Negative von einander sind, das Etwas, welches nur in seiner Grenze ist, eben sosehr sich von sich selbst trennt und über sich hinaus auf sein Nichtseyn weißt und diß als sein Seyn ausspricht, und so in dasselbe übergeht." (WL I 115) Was Hegel damit erklären will, ist die sogenannte Dialektik der Grenze: Um etwas bestimmen zu können, muß man es begrenzen; aber um eine Grenze überhaupt ziehen zu können, muß man schon über die Grenze hinausgegangen sein. Denn jede Grenze hat notwendigerweise zwei Seiten, die des Etwas und des Anderen, durch die sie selbst „begrenzt" wird. Eine Grenze zu ziehen heißt somit den Unterschied zwischen dem Etwas und seinem Anderen festzulegen, was freilich die beiden Seiten voraussetzt. 12 Diese Dialektik der Grenze entwickelt Hegel bekanntlich in Polemik gegen Kants Vernunftkritik. 13 Nach Hegel besteht Kants Inkonsequenz darin, daß er einerseits die menschliche Erkenntnis auf die Erscheinungswelt begrenzen will, aber andererseits verweigert, die Voraussetzung der Erkenntnis des Jenseits, also die grundsätzliche Erkennbarkeit des Dings an sich, zuzugeben. 14 Denn er kann den Widerspruch, der in jeder Grenze steckt, nicht erkennen. Das Movens für die Dialektik der Grenze ist Hegel zufolge eben „die Unruhe des Etwas in seiner Grenze, in der es immanent ist, der W i d e r s p r u c h zu seyn, der es über sich selbst hinausschickt." (WL I 115) Dabei gilt die Grenze eben als das Prinzip dessen, was sie
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So schreibt auch Wittgenstein im Vorwort zum Tractatus logico-philosophicus: „um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können." L. Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung I Tractatus Logico-Philosophicus, kritische Edition, hrsg. v. B. McGuinness u. J. Schulte, Frankfurt a. M. 1989, S. 2. Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik (1960), in: ders.: Hermeneutik I [Gesammelte Werke, Bd. 1], 6. Aufl., Tübingen 1990, S. 348. Zur Kritik an der Kantischen Lehre vom Ding an sich vgl. unten Kap. 4.1.1.2: Die Kantische Umdeutung der Substanz und das Ding an sich, S. 205 ff.
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begrenzt, und in ihr wird das Etwas sowohl hinsichtlich seines Seins als auch seines Nichtseins bestimmt. 3.1.1.2. Die „schlechte" und die wahrhafte Unendlichkeit Ausschlaggebend für die Dialektik der Grenze ist die Unruhe, die in jedem Dasein als Etwas herrscht, indem es, um das zu sein, was es ist, immer von sich aus über sich hinausgehen muß. Aus diesem Über-sichhinaus entfaltet sich der Begriff der Endlichkeit: „Etwas mit seiner immanenten Grenze gesetzt als der Widerspruch seiner selbst, durch den es über sich hinausgewiesen und getrieben wird, ist das Endliche." (WL I 116) Damit wird eine neue kategoriale Ebene erreicht, die sich aus der Dialektik von Etwas und Anderem herausgebildet hat. Das Endliche ist ein solches, das von sich aus begrenzt ist. Charakteristisch für die Endlichkeit ist es, daß das Sein und das Ende in seiner Bestimmtheit zusammengedacht werden müssen. Denn „die Bestimmung der endlichen Dinge ist nicht eine weitere als ihr Ende." (WL I 117) Der Begriff der Endlichkeit drückt nun auf einer höheren kategorialen Ebene die Wahrheit des Daseins aus, weil dieses wesentlich das Andere in sich selbst oder das Nichtssein in seinem eigenen Sein hat. Da das Sein endlicher Dinge nichts anderes bedeutet als ihr Ende, so müssen sie notwendigerweise vergehen. Dadurch, daß dem Endlichen die Grenze immanent und bestimmend ist, verhält es sich negativ auf sich, und zwar so, daß es von Anfang an darauf angelegt ist, sein eigenes Dasein zu negieren und so zugrunde zu gehen. Das Vergehen ist sozusagen das Schicksal des Endlichen.15 Das Endliche bestimmt sich als ein solches, das beschränkt, bedingt und vergänglich ist. Ihm steht der Verstandesansicht nach das Unendliche im Sinne eines Unbeschränkten, Unbedingten und Unvergänglichen schroff gegenüber. „Es ist die ausdrückliche Behauptung, daß das Endliche mit dem Unendlichen unverträglich und unvereinbar sey, das Endliche dem Unendlichen schlechthin entgegengesetzt sey. Dem Unendlichen ist Seyn, absolutes Seyn zugeschrieben; ihm gegenüber bleibt so das Endliche festgehalten als das Negative desselben; unvereinbar mit dem Unendlichen bleibt es absolut auf seiner eigenen Seite" (WL I 117 f.). Angesichts dessen, daß der Gegensatz von Endlichkeit und Unendlichkeit nicht nur nach dem Grundsatz der sogenannten Reftexionsphilosophie, wie der Kantischen Vernunftkritik,16 sondern auch nach dem gesunden
Vgl. WL I 116: „Das Endliche verändert sich nicht nur, wie Etwas überhaupt, sondern es vergeht, und es ist nicht bloß möglich, daß es vergeht, so daß es sein könnte, ohne zu vergehen. Sondern das Seyn der endlichen Dinge als solches ist, den Keim des Vergehens als ihr Insichseyn zu haben, die Stunde ihrer Geburt ist die Stunde ihres Todes." So bemerkt Hegel schon im Glauben und Wissen: „Dieser Charakter der Kantischen Philosophie, daß das Wissen ein formales ist, und die Vernunft als
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Menschenverstand überhaupt für absolut unüberwindbar gehalten wird, sieht Hegel den Gedanken der Endlichkeit sogar als „die hartnäckigste Kategorie des Verstandes" (WL I 117). Für Hegel liegt der entscheidende Kritikpunkt der Reflexionsphilosophie eben darin, daß diese mit der hartnäckigen Kategorie der Endlichkeit behaftet bleibt und somit den wahrhaft unendlichen Standpunkt der Vernunft nicht erreichen kann (GW IV 16 ff.). Insofern der Verstand bei festen Trennungen und einseitigen Bestimmungen stehenbleibt, beschränkt er sich auf das Niveau der Endlichkeit. Denn „das Denken, nur e n d l i c h e Bestimmungen hervorbringend und in solchen sich bewegend, heißt V e r s t a n d (im genauem Sinne des Wortes)." (Enz. § 25, 68) Für Hegel aber besteht die Möglichkeit, daß der Verstand, indem er seine Endlichkeit einsieht und begreift, sich zur Vernunft entwickelt. Die Hartnäckigkeit der Endlichkeit führt jedoch dazu, daß diese Möglichkeit oder gar Notwendigkeit des Verstandes verborgen bleibt und damit die Wahrheit der unendlichen Vernunft in Zweifel gezogen wird. Denn wenn das Urteil als Ausdruck des Verstandes seine Geltung nur in den Bestimmungen endlicher Dinge hat und somit über die Vernunftgegenstände, wie etwa Seele, Welt und Gott in der klassischen Metaphysik, nichts aussagen kann, so ist, wie uns die Kantische Kritik belehrt, jeder Anspruch auf Erkenntnis des Unendlichen unberechtigt und unrealisierbar. Diese Skepsis der Vernunft gegen sich selbst stützt sich nach Hegel in kategorienlogischer Hinsicht darauf, daß der Begriff der wahrhaften Unendlichkeit und das essentielle Moment der Endlichkeit in ihr nicht richtig erfaßt werden. Die Kluft zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit ist vom Standpunkt des Verstandes bzw. der Endlichkeit selbst aus schlechthin unüberbrückbar, indem diese sich bedingungslos auf ihre eigene Negativitat fixiert und sich dadurch als das Gegenüber der Unendlichkeit verabsolutiert. Daß das Endliche in dieser Konsequenz als absolut angesehen wird, „ist das Factum eben in derjenigen Ansicht des Endlichen, welche das V e r g e h e n zum Letzten des E n d l i c h e n macht." (WL I 117) Dabei vermag der Verstand die Endlichkeit seiner Endlichkeit oder die Vergänglichkeit des Vergehens selbst nicht zu durchschauen.
eine reine Negativitat ein absolutes Jenseits, das als Jenseits und Negativitat bedingt ist, durch ein Dießeits und Positivität, Unendlichkeit und Endlichkeit, beyde mit ihrer Entgegensetzung gleich absolut sind, ist der allgemeine Charakter der Reflexions-Philosophieen" (GW IV 346). Als Reflexionsphilosophie betrachtet Hegel nicht nur die Kantische, sondern auch die Jacobische und Fichtesche Philosophie. So lautet der Untertitel der Jenaer Schrift Glauben und Wissen bekanntlich „Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie" (GW IV 313 ff.).
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Die Unzulänglichkeit der Verstandesansicht der Endlichkeit ist darauf zurückzuführen, daß die Negativitat, auf die die Endlichkeit fixiert wird, nicht in ihrer vollen Konsequenz als die verdoppelte Negation gedacht wird. Dadurch ist dem Verstand auf seinem endlichen Standpunkt nicht klar, daß allein in dem Gedanken, „daß das E t w a s endlich ist, oder daß das Endliche i s t " (WL I 118), bereits ein Widerspruch enthalten ist, durch den die Selbstaufhebung der Endlichkeit in die wahrhafte Unendlichkeit bedingt wird. Zur Freilegung der im Begriff der Endlichkeit verborgenen Konsequenz bedient sich Hegel des Operationsmittels, das in der Dialektik von Etwas und Anderem entwickelt wurde, wobei die Dialektik der Grenze auf dem kategorialen Niveau der Endlichkeit durch die Wechselbeziehung von Schranke und Sollen präzisiert wird. Die Grenze ist für das Endliche zunächst eine Schranke, insofern es durch sie auf seine Endlichkeit beschränkt wird. Allerdings ist die Schranke für das Endliche eine Negation, die in sich verdoppelt bzw. „zweyschneidig" (WL 1119) ist, oder sie ist für es eben nur insofern eine Schranke, als sie von ihm zugleich überschritten werden soll. „Daß die Grenze, die am Etwas überhaupt ist, Schranke sey, muß es zugleich in sich selbst ü b e r sie h i n a u s g e h e n , sich an ihm selbst a u f s i e a l s a u f e i n N i c h t s e y e n d e s beziehen." (WL I 119) Denn eine Grenze bedeutet für etwas nur dann eine Schranke, wenn es schon über diese hinaus sein Anderssein erblickt hat und dadurch sie als eine Beschränkung für sich empfindet. 1 So gilt die menschliche Sprache nur insofern als eine Schranke für die Darstellung des Absoluten, als sie sich schon über ihre Endlichkeit hinaus die Unendlichkeit des Absoluten zugänglich gemacht hat. Jede Schranke soll in diesem Sinnzusammenhang gleichwohl überstiegen werden, so daß sie zugleich das Sollen für das Beschränkte markiert. 18 „Als S o l l e n ist somit Etwas ü b e r s e i n e S c h r a n k e e r h a b e n , umgekehrt aber hat es nur als S o l l e n seine S c h r a n k e . Beydes ist untrennbar." (WL I 120) Die Grenze ist somit als Negation der Negation einerseits das, wodurch das Endliche beschränkt wird, und andererseits das, worüber es hinausgehen soll. Das Sollen und die Schranke stellen demnach zwei Momente einer Beziehung dar, die wechselseitig aufeinander bezogen und ineinander 17
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Dies illustriert Hegel in der Anmerkung mit dem folgenden Beispiel: „Der Stein, das Metall ist nicht über seine Schranke hinaus, darum weil sie für ihn nicht Schranke ist. (...) Weil der Stein nicht denkt, nicht einmal empfindet, ist seine Beschränktheit für ihn keine Schranke, d. h. in ihm nicht eine Negation für die Empfindung, Vorstellung, Denken u.s.f. die er nicht hat." (WL I 121 f.) Wie die Grenze und die Schranke zwei Seiten haben, so hat das Sollen auch eine doppelte Bestimmung: „Das Sollen enthält also die verdoppelte Bestim mung, e i n m a l sie als ansichseyende Bestimmung gegen die Negation, das a n d r e mal aber dieselbe als ein Nichtseyn, das als Schranke von ihr unterschieden, aber zugleich selbst ansichseyende Bestimmung ist." (WL 1119)
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enthalten sind. „Ihre Beziehung auf einander ist das Endliche selbst, das sie beyde in seinem Insichseyn enthält. Diese Momente seiner Bestimmung sind sich qualitativ entgegengesetzt; die Schranke ist bestimmt als das Negative des Sollens, und das Sollen ebenso als das Negative der Schranke. Das Endliche ist so der Widerspruch seiner in sich; es hebt sich auf, vergeht." (WL I 123) Das Vergehen, das zuvor als das Schicksal des Endlichen bestimmt wurde, ist ihm somit keineswegs von außen durch irgendeine fremde Gewalt aufgedrängt, sondern auf den in ihm selbst wurzelnden Widerspruch zurückzuführen. Das Endliche muß vergehen, indem es über sich hinaus in sein Anderes übergeht. Das Andere bestimmt sich zunächst einfach negativ nur als ein anderes Endliches, das selber ebenso als Vergängliches in ein anderes Endliches übergehen muß. Aber als verdoppelte Negation muß die Vergänglichkeit selbst auch vergehen; das Endliche muß in das Andere des Endlichen überhaupt übergehen, das als Negation der Negation ein affirmatives Sein hat. Dieses Andere ist nun das Unendliche. „Es ist die Natur des Endlichen selbst, über sich hinauszugehen, seine Negation zu negiren und unendlich zu werden." (WL I 125) An die dialektische Beziehung von Sollen und Schranke knüpft sich nun die Kategorie der Unendlichkeit. Denn „im Sollen beginnt das Hinausgehen über die Endlichkeit, die Unendlichkeit." (WL I 121) Die Unendlichkeit ist gewiß ein Begriff, der die Kraft und Originalität des spekulativen Denkens besonders deutlich zeigt und der für die Problemstellung der spekulativen Philosophie von tiefgreifender Bedeutung ist.19 Das Unendliche bestimmt sich zunächst als das, was in bezug auf das Endliche anders ist, oder es ist die Negation des Endlichen als Affirmatives gesetzt. Indem aber das Unendliche als etwas Affirmatives genommen wird, wird es zugleich als Etwas angesehen, das seinerseits als „reales Daseyn" (WL I 126) dem Endlichen gegenübersteht. Dieser geläufige Begriff der Unendlichkeit ist allerdings nur ein solcher des Verstandes, nicht aber der Vernunft. Eine derart verstandene Unendlichkeit ist keine wahre Unendlichkeit, weil sie immer noch mit der Kategorie des Etwas ausgelegt wird; sie ist demnach nur eine „endliche" oder „verendlichte" Unendlichkeit oder auch, wie Hegel es gerne nennt, die „schlechte" Unendlichkeit. Der entscheidende Punkt besteht darin, daß sich der Verstand in der Ansicht irrt, das Endliche verhalte sich so zum Unendlichen, wie Etwas zum Anderen.20 Das Endliche und das Unendliche stehen in Wahrheit in 19 20
Vgl. K Hartmann: Hegels Logik, hrsg. v. O. Müller m. einem Vorwort v. K. Brinkmann, Berlin / New York 1999, S. 79. So schreibt Theunissen: „Gegen diese Vorstellung, daß das Unendliche und das Endliche sich wie Etwas und ein Anderes zueinander verhalten, richtet sich Hegels ganze Kritik." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O, S. 283.
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einer völlig anderen Beziehung; „die beyden Seiten sind weiter bestimmt, als bloß A n d e r e gegeneinander zu seyn." (WL I 126) In der abstrakten Entgegensetzung gälte das Endliche als „die als Schranke gesetzte Schranke" und das Unendliche demgegenüber als ihr Sollen, und zwar „das ausgeführte Sollen" (WL I 126). Die Vergänglichkeit und Beschränktheit des Endlichen scheinen somit im Unendlichen aufgehoben zu werden, weil dieses als „einfache" Negation des Endlichen, also als das „Nichtendliche" (WL I 126), bestimmt wird. „Das Unendliche ist" jedoch, so Hegel, „auf diese Weise mit dem Gegensatze gegen das Endliche behaftet, welches, als Anderes, das bestimmte, reale Daseyn zugleich bleibt [...]. Gegen das Endliche, den Kreis der seyenden Bestimmtheiten, der Realitäten, ist das Unendliche das unbestimmte Leere, das Jenseits des Endlichen, welches sein Ansichseyn nicht an seinem Daseyn, das ein bestimmtes ist, hat." (WL 1126) Der Verstand ist nicht in der Lage, zu durchschauen, daß seine Vorstellung der Unendlichkeit deren wahrhaftem Begriff widerspricht. Denn sein hartnäckiger Eigensinn besteht gerade darin, das Unendliche angesichts seiner Bestimmung als Negation des Endlichen für ein von diesem absolut getrenntes Etwas zu halten;21 demgegenüber aber „wird sich ergeben, daß eben indem das Unendliche vom Endlichen rein und entfernt gehalten werden soll, es nur verendlicht wird." (WL I 124) Denn sofern die Beziehung zwischen dem Endlichen und Unendlichen aufgrund ihrer qualitativen Verschiedenheit als unüberwindbarer Gegensatz aufgefaßt wird, stellen sie zwei Welten dar, also die Welt des Endlichen gegen die des Unendlichen, oder die des Diesseits gegen die des Jenseits, die getrennt voneinander bestehen bleiben und sich gegeneinander abgrenzen. „Wenn somit der sich aus dieser endlichen Welt erhebende Verstand zu seinem Höchsten, dem Unendlichen, aufsteigt, so bleibt ihm diese endliche Welt als ein Disseits stehen, so daß das Unendliche nur über dem Endlichen gesetzt, von diesem a b g e s o n d e r t und eben damit das Endliche von dem Unendlichen abgesondert wird; - beyde an einen v e r s c h i e d e n e n Platz g e s t e l l t , - das Endliche als das hiesige Daseyn, das Unendliche aber, zwar das Ansich des Endlichen, doch als ein Jenseits in die trübe, unerreichbare Ferne, a u s s e r h a l b welcher jenes sich befinde und dableibe." (WL I 127) Aus dieser Entgegensetzung entsteht nun eine „neue Grenze" (WL I 129). Dabei setzt nicht nur die Unendlichkeit die Grenze für die Endlichkeit, sondern auch diese eine Grenze für jene, so daß die Unendlichkeit
„Der Eigensinn des Verstands", so Hegel in der Differenzschrift, „vermag die Entgegensetzung des Bestimmten und Unbestimmten, der Endlichkeit und der aufgegebenen Unendlichkeit unvereinigt neben einander bestehen zu lassen; und das Seyn gegen das ihm eben so nothwendige NichtSeyn festzuhalten." (GW IV 17)
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ihrem wahrhaften Begriff zuwider auf etwas Begrenztes, also etwas Endliches, herabgesetzt wird. Insofern das Unendliche auch die Grenze in seinem Ansichsein hat, enthält es ebenso den gleichen Widerspruch des Endlichen in sich und m u ß demzufolge über sich als über seine eigene Schranke hinausgehen. Das Unendliche geht so in das Endliche über. Dieses Übergehen ist jedoch ein Rückfall in die alte defizitäre Kategorie des Endlichen, weil es eben auf das zurückgeht, womit das Über-sichHinausgehen angefangen hatte. So wiederholt sich das Übergehen des einen in das andere, „ u n d s o f o r t i n s U n e n d l i c h e " . Bei der Wechselbestimmung entsteht immer eine neue Grenze, die wiederum aufzuheben ist (WL I 129). Die Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen konkretisiert sich demnach in dem unendlichen Prozeß des Herüber- und Hinübergehens, bei dem der Widerspruch von Schranke und Sollen unaufgelöst bleibt. Die „schlechte" Unendlichkeit ist in dieser Beziehung der eine Pol, der immer die Endlichkeit zum Gegenpol hat. Jene vermag diese nicht in sich einzuschließen noch aufzuheben. „Der Progreß ins Unendliche ist daher nur die sich wiederholende Einerleyheit, eine und dieselbe langweilige A b w e c h s l u n g dieses Endlichen und Unendlichen." (WL I 129) Es sind in dieser Beziehung nur zwei Endliche vorhanden, die einander äußerlich sind und ineinander übergehen. Der Verstand bleibt so stehen bei dieser „ L a n g e w e i l e der Wiederholung, welche eine Grenze verschwinden und wieder auftreten und wieder verschwinden, so immer das eine u m das andere, und eins i m andern, in dem Jenseits das Disseits, in dem Disseits das Jenseits perennirend entstehen und vergehen läßt, und nur das Gefühl der O h n m a c h t dieses Unendlichen oder dieses Sollens gibt, das über das Endliche Meister werden will und nicht kann." (WL I 223) Dabei fehlt dem Verstand nur ein gedanklicher Sprung, um einsehen zu können, daß im Wechselbestimmen des Endlichen und Unendlichen die Wahrheit des ganzen Sachverhalts an sich schon vorhanden ist und nur noch durchsichtig gemacht werden muß. 22 Die wahrhafte Unendlichkeit m u ß nämlich im Wechselbestimmen des Endlichen und Unendlichen als deren Einheit begriffen werden, und zwar als eine affirmative, aber dynamische Einheit, die durch die Negation der Negation vermittelt und wiederhergestellt wird. Was der Verstand übersieht, ist der Umstand, daß in der Bestimmung des Unendlichen als die Negation des Endlichen Vgl. WL I 135: „Gegen die Einheit des Endlichen und Unendlichen sträubt sich der Verstand nur darum so sehr, weil er die Schranke und das Endliche wie das Ansichseyn als p e r e n n i r e n d voraussetzt; damit ü b e r s i e h t er die Negation beyder, die im unendlichen Progresse factisch vorhanden ist, wie ebenso, daß sie darin nur als Momente eines Ganzen vorkommen und daß sie nur vermittelst ihres Gegentheils aber wesentlich ebenso vermittelst des Aufhebens ihres Gegentheils hervortreten."
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dieses schon mit enthalten ist. „Wenn g e s a g t wird, was das Unendliche ist, nemlich die Negation des E n d l i c h e n , so wird das Endliche selbst mit a u s g e s p r o c h e n ; es kann zur Bestimmung des Unendlichen n i c h t e n t b e h r t werden. Man bedarf nur zu w i s s e n , w a s m a n s a g t , um die Bestimmung des Endlichen im Unendlichen zu finden." (WL I 131)23 Die Wahrheit der Beziehung von Endlichem und Unendlichem besteht darin, daß das erstere dem letzteren nicht mehr als reales Dasein gegenübersteht, sondern in diesem schon aufgehoben enthalten ist, und zwar als Ideelles. Denn „die Wahrheit des Endlichen ist vielmehr seine I d e a l i t ä t . Eben so sehr ist auch das Verstandes-Unendliche, welches n e b e n das Endliche gestellt, selbst nur eins der beiden Endlichen ist, ein unwahres, ein i d e e l l e s . " (Enz. § 95 A, 133) Indem aber das Endliche als Ideelles ein konstitutives Moment des Unendlichen ausmacht, wird es sozusagen zum Unendlichen erhoben bzw. „als das v e r u n e n d l i c h t e Endliche gesetzt." (WL I 132) In diesem Sinne wird die Einheit des Endlichen und Unendlichen in jeder seiner Bestimmungen schon impliziert, auch wenn der Verstand dabei den wahren Sachverhalt aufgrund seiner Vergeßlichkeit verfälscht.24 Die Einheit des Endlichen und Unendlichen kommt nicht dadurch zustande, daß sie äußerlich zusammengebracht werden, „sondern jedes ist an ihm selbst diese Einheit, und diß nur als A u f h e b e n seiner selbst" (WL I 133). Das Übergehen des einen in das andere ist keines von beiden durch eine fremde Macht aufgedrängt; das Bewegen ist wesentlich SichBewegen und das Aufheben ist ebenfalls Sich-Aufheben. So geht das Endliche, indem es durch die eigene Unendlichkeit an ihm bewegt wird, über sich hinaus in das Andere seiner selbst, in das Unendliche; dieses Unendliche, insofern es dem Endlichen gegenübersteht, ist ebenfalls begrenzt und endlich, so daß es wieder über sich hinausgeht, d. h. in das Endliche zurückfällt. Dies ist die Kreisbewegung aus dem Endlichen, die sich mit sich selbst zusammenschließt: „es entsteht d a s s e l b e , von d e m a u s g e g a n g e n w o r d e n w a r , d. i. das Endliche ist wiederhergestellt; dasselbe ist also m i t s i c h s e l b s t z u s a m m e n g e g a n g e n , hat nur s i c h in s e i n e m J e n s e i t s w i e d e r g e f u n d e n . " (WL I 134) So ist die Jenseitigkeit des Jenseits oder die Andersheit des Anderen in diesem Prozeß aufgehoben, weil das Endliche, indem es über sich hinausgeht in sein Anderes, in diesem nichts anderes wiederfindet als sich selbst. Das 21
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„Wissen, was man sagt" läßt sich durchaus als ein maßgebliches Prinzip der Hegeischen Logik betrachten. Vgl. R. Bubner: Strukturprobleme dialektischer Logik, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, a. a. O., S. 7 - 39. Vgl. WL I 133: „Die Verfälschung, die der Verstand mit dem Endlichen und Unendlichen vornimmt, ihre Beziehung aufeinander als qualitative Verschiedenheit festzuhalten, sie in ihrer Bestimmung als getrennt und zwar absolut getrennt zu behaupten, gründet sich auf das Vergessen dessen, was für ihn selbst der Begriff dieser Momente ist."
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Über-sich-Hinausgehen stellt sich somit in Wahrheit als Mit-sichZusammengehen heraus. Dieselbe Bewegung findet ebenfalls mit dem Unendlichen statt. „So ist beydes, das Endliche und das Unendliche, diese B e w e g u n g , zu sich durch seine Negation zurückzukehren; sie sind nur als V e r m i t t l u n g in sich, und das Affirmative beyder enthält die Negation beyder, und ist die Negation der Negation." (WL 1135) Der Verstand versteht diese Hin- und Herbewegung nur als langweilige Abwechslung und übersieht dabei, daß sie als Ganzes betrachtet die wahrhafte Unendlichkeit, nämlich das Sichaufheben des Unendlichen sowie des Endlichen als Prozeß, darstellt (WL I 124). Um die wahrhafte Unendlichkeit begreifen zu können, ist unerläßlich, den doppelten Blickwinkel des Sachverhalts bzw. den „ D o p p e l s i n n " (WL 135) der Endlichkeit und Unendlichkeit zu differenzieren und daraus den Überblick über die dialektische Ganzheit zu gewinnen. Der Doppelsinn ergibt sich daraus, daß sowohl das Endliche als auch das Unendliche selbst zunächst einmal Momente des Progresses sind und das andere Mal Resultate des Ganzen. 23 Indem sie als Momente des Progresses genommen werden, sind sie gemeinschaftlich ein Endliches; indem sie aber als Resultate des Progresses genommen werden, in denen die beiden Momente negiert und als Aufgehobene, als Ideelle eingeschlossen werden, sind sie beide gemeinschaftlich als Negation beider endlicher Momente das Unendliche. 26 Das wahrhaft Unendliche ist kurzum nichts anderes als der gesamte Prozeß des Sich-Aufhebens bzw. des Über-sich-Hinausgehens beider Momente. Statt sich dem Endlichen entgegenzusetzen, stellt es sozusagen eine Metakategorie dar, in der das Endliche konsequent thematisiert und durchsichtig gemacht wird. Was der Verstand für eine absolute Entgegensetzung hält, erweist sich nun als zwei sich aufhebende, also ideelle Momente einer Bestimmung. Diese Bestimmung der wahrhaften Unendlichkeit darf jedoch nicht lediglich als die Einheit des Endlichen und Unendlichen gefaßt werden, sofern die Einheit als „abstracte bewegungslose Sichselbstgleichheit" und ihre Momente als „unbewegte Seyende" (WL I Vgl. WL I 135 f.: „Das Endliche hat den Doppelsinn, erstens nur das Endliche gegen das Unendliche zu seyn, das ihm gegenübersteht, und zweytens das Endliche und das ihm gegenüberstehende Unendliche zugleich zu seyn. Auch das Unendliche hat den Doppelsinn, eines jener beyden Momente zu seyn, so ist es das Schlechtunendliche, und das Unendliche zu seyn, in welchem jene beyden, es selbst und sein anderes, nur Momente sind. Wie also das Unendliche in der That vorhanden ist, ist der Proceß zu seyn, in welchem es sich herabsetzt, nur eine seiner Bestimmungen, dem Endlichen gegenüber und damit selbst nur eines der Endlichen zu seyn, und diesen Unterschied seiner von sich selbst zur Affirmation seiner aufzuheben und durch diese Vermittlung ais w a h r h a f t U n e n d l i c h e s zu seyn." Oder in Thennissens Worten: „Endlich sind sie als Momente des Prozesses, unendlich als der Prozeß selber. Die affirmative Unendlichkeit ist mithin die reine Prozessualität" M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 294.
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136) betrachtet werden.2 Denn das wahre Unendliche ist, „wie seine beyden Momente, vielmehr wesentlich nur als W e r d e n , aber das nun in seinen Momenten weiter b e s t i m m t e Werden." (WL I 136) Es ist somit eine Verfälschung des Begriffs, die wahrhafte Unendlichkeit in einem bestimmten Augenblick auf eines ihrer Stadien herabzusetzen; vielmehr muß sie in ihrem Zu-sich-Werden als das Ganze der sich selbst schließenden Kreisbewegung gefaßt werden.
3.1.2. Verstand und Vernunft 3.1.2.1. Der Standpunkt der Reflexion Bei der Destruktion der verstandesmäßigen Vorstellung von Endlichkeit und Unendlichkeit ist offensichtlich auch der vermeintliche Gegensatz von Verstand und Vernunft mit thematisiert. Es handelt sich dabei um zwei unterschiedliche „Ansichten". So unterscheidet Hegel ausdrücklich „das Unendliche der Vernunft von dem Unendlichen des Verstandes" (WL I 124). In Analogie dazu können die Verstandes- und die Vernunftansicht retrospektiv auch auf die Bestimmung und Beziehung von Verstand und Vernunft selbst angewendet werden. Man kann nämlich die wahrhafte bzw. spekulative Vernunft von der „schlechten" Vernunft unterscheiden, die den Verstand von außen bzw. oben her überwinden zu können meint. Sosehr aber der Begriff der wahrhaften Unendlichkeit erst durch dialektische Destruktion der verstandesmäßigen Unendlichkeit zu gewinnen ist, sosehr läßt sich die wahrhafte Vernunft auch nur in Auseinandersetzung mit der Verstandesansicht der Vernunft begreifen. Die Unterscheidung der menschlichen Denkanlage in zwei verschiedene Vermögen hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte. Schon Aristoteles unterscheidet in De anima zwischen einem leidenden und einem tätigen Geist (voüc, naGnTiKÖc. und voüc TioinriKÖc;, De an. III 5, 430al0-26). Während beim leidenden bzw. passiven Geist das Wahrnehmungsmaterial, das aus dem leiblichen Dasein des einzelnen Menschen entstammt, für den Geist die Möglichkeiten und Anlässe seiner Funktion gewährt und daraufhin von ihm durchgearbeitet und gestaltet wird, wird
Vgl. Enz. § 95 A, 132: „Wenn man nach der angestellten Betrachtung der Nichtigkeit des Verstandes-Gegensatzes vom Endlichen und Unendlichen (...) auch hier leicht auf den Ausdruck verfallen kann, daß das Unendliche und Endliche hiemit Eins sey, daß das Wahre, die wahrhafte Unendlichkeit als Einheit des Unendlichen und Endlichen bestimmt und ausgesagt werde, so enthält solcher Ausdruck zwar Richtiges, aber er ist eben so sehr schief und falsch wie vorhin von der Einheit des Seyns und Nichts bemerkt worden ist." Dies ist dasselbe Problem wie beim Ausdruck des Einheitsgedankens von Wahrem und Falschem, vgl. oben Kap. 2.1.2.1: Das Problem des Unwahren und d kritische Aspekt der Darstellung, S. 67, Anm. 70.
D E R STANDPUNKT DER REFLEXION
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unter dem tätigen oder aktiven Geist dagegen die reine Denk- bzw. Vernunfttätigkeit selbst verstanden, die ihrerseits unsterblich ist. In der scholastischen Philosophie ist dann meist die ratio als der Verstand, d. h. das diskursive Denken des Menschen, von dem intellectus zu unterscheiden, der über die Grenze der Erfahrbarkeit hinaus das Übersinnliche einheitlich zu erfassen vermag und später in der deutschen Philosophie als Vernunft aufgenommen wird.28 Die schärfste und philosophiegeschichtlich bedeutendste Gegenüberstellung von Verstand und Vernunft rührt aber von Kant her. 29 Die Abgrenzung der beiden Denkvermögen ist ein Kerngedanke Kants, der nicht nur den zentralen Argumenten der Kritik der reinen Vernunft zugrunde liegt, sondern auch der Grundfigur der Reflexionsphilosophie. Es ist, so schreibt Hegel in der Einleitung der Logik in einer Polemik gegen seine zeitgenössischen Opponenten, „der r e f l e k t i e r e n d e Verstand", und zwar „der abstrahirende und damit trennende Verstand" (WL I 29), der sich der Philosophie in jener Epoche bemächtigt. Im allgemeinen unterscheidet Kant Verstand und Vernunft voneinander dadurch, daß jener das Endliche und Bedingte, diese aber das Unendliche und Unbedingte zum Gegenstand hat. Allerdings werden sowohl der Ausdruck „Verstand" als auch der Ausdruck „Vernunft" in der Kritik mehrdeutig gebraucht. Im weiteren Sinne sind die beiden Ausdrücke nahezu synonym, indem sie gleichermaßen das „obere Erkenntnißvermögen" (KrV A 130 / B 169; A 835 / B 863)30, d. h. das Vermögen des Denkens bzw. der Spontaneität, bezeichnen und zusammen mit der Sinnlichkeit als Vermögen der Rezeptivität (KrV A 50 / B 74) die zwei Stämme der menschlichen Erkenntnis bilden. Im engeren Sinne aber sind der Verstand und die Vernunft zwei verschiedene Denkvermögen, die zwar gleichfalls unter das obere Erkenntnisvermögen fallen,31 deren Funktio28
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So findet man z. B. bei Johannes Scotus Eriugena, den man gewöhnlich als Anfang der scholastischen Philosophie sieht (TW XIX 551 f.), die Einteilung der Seele in Vernunft (intellectus), Verstand (ratio) und inneren Sinn (sensus), die mit der späteren Kantischen Einleitung nahezu identisch ist. Vgl. J. S. Eriugena: Über die Einteilung der Natur [De Divisione Naturae], übers, v. L. Noack, m. einer Vorbemerkung und neuer Bibliographie, hrsg. v. W. Beierwaltes, Hamburg 1994, 2. Buch, Kap. 23, S. 173 ff. „Erst durch Kant", so Hegel, „ist der Unterschied zwischen Verstand und Vernunft bestimmt hervorgehoben und in der Art festgestellt worden, daß jener das Endliche und Bedingte, diese aber das Unendliche und Unbedingte zum Gegenstand hat." (Enz. § 45 Z, TW VIII 121 f.) Vgl. auch § 40 der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798), AA VII 196 f.; Erste Einleitung in die Kritik der Urteilskraft (1790), AA XX 201. Neben dem Verstand und der Vernunft fällt noch die Urteilskraft unter das obere Erkenntnisvermögen. Sie ist nämlich dasjenige Vermögen, das den Zusammenhang von Verstand und Vernunft vermittelt. Parallel zu den drei Teilen der traditionellen Logik, also zu den Lehren vom Begriff, Urteil und Schluß, gliedert sich das obere Erkenntnisvermögen nach Kant systematisch in den
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nen und Aufgaben aber klar gegeneinander abzugrenzen sind: Verstand ist für Kant das Vermögen der Begriffe, deren oberste die Kategorien sind, und Vernunft demgegenüber das Vermögen der Ideen. Diese zeichnen sich gegenüber den Verstandesbegriffen im wesentlichen dadurch aus, daß sie den Bereich der möglichen Erfahrung übersteigen und nach dem Unbedingten streben (KrV A 320 / B 377). Verstand ist in der Transzendentalphilosophie sozusagen das Denken in erfahrungsmäßigen, endlichen Verhältnissen, Vernunft aber das Denken, das über alle mögliche Erfahrung hinaus das Unbedingte und Unendliche zum Ziel hat. Für die Kantische Vernunftkritik ist es von grundlegender Bedeutung, die verschiedenen Erkenntnisvermögen streng voneinander zu unterscheiden, um den legitimen Gebrauch der Begriffe gegen den illegitimen abzugrenzen. Dieses der transzendentalen Untersuchung zugrundeliegende Unterscheidungsverfahren nennt Kant Reflexion. „Sie ist das Bewußtsein des Verhältnisses gegebener Vorstellungen zu unseren verschiedenen Erkenntnißquellen, durch welches allein ihr Verhältniß unter einander richtig bestimmt werden kann." (KrV A 260 / B 316) Durch seine auf Reflexion gegründete „ t r a n s s c e n d e n t a l e T o p i k " (KrV A 268 / B 324), also durch die transzendentale Ortbestimmung der Erkenntnisquellen, versucht Kant zwischen den Gegenpositionen der empiristischen und der rationalistischen Tradition zu vermitteln und zugleich die Einseitigkeit der beiden zu überwinden, indem er die Vorstellungen der Sinnlichkeit und des Verstandes voneinander unterscheidet und ihnen ihre jeweils unentbehrliche Rolle im Zusammenspiel der beiden Erkenntnisquellen zuerkennt. 32 In gleicher Weise m u ß die Reflexion ebenso auf das obere Erkenntnisvermögen angewendet werden, um den Verstandesgebrauch der Begriffe vom Vernunftgebrauch zu unterscheiden. Während die Aufgabe des Verstandes darin besteht, die in der Anschauung gegebene Mannigfaltigkeit mit Hilfe der Kategorien und Grundsätze in eine jeweils bestimmte Einheit zu bringen, versucht die Vernunft schließlich mittels der reinen Vernunftbegriffe, die kategorial verfaßten Einzelerkenntnisse in der
Verstand, in die Urteüskraft und in die Vernunft (KrV A 130 / B 169). Die Einseitigkeiten der beiden Traditionen verdeutlicht Kant mit der bekannten Gegenüberstellung: „LEIBNIZ i n t e l l e c t u i r t e die Erscheinungen, so wie LOCKE die Verstandesbegriffe nach seinem System der N o o g o n i e (...) insgesammt s e n s i f i c i r t , d.i. für nichts als empirische oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im Verstände und der Sinnlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verk n ü p f u n g objectiv gültig von Dingen urtheilen könnten, hielt sich ein jeder dieser großen Männer nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezöge, indessen daß die andere nichts that, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen." (KrV A 271/B 327)
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Perspektive einer höchsten Einheit zu ordnen. Denn „die Einheit aller möglichen empirischen Verstandeshandlungen systematisch zu machen, ist ein Geschäfte der Vernunft, so wie der Verstand das Mannigfaltige der Erscheinungen durch Begriffe verknüpft und unter empirische Gesetze bringt." (KrV A 664 / B 692) Die höchste Einheit der Vernunft ist aber erst dann erreicht, wenn die Totalität aller Bedingungen vollkommen begriffen wird, so daß jene Einheit selbst nicht mehr bedingt ist. Die Funktion der Vernunft besteht in diesem Zusammenhang darin, aus dem gegebenen Bedingten die absolute Totalität aller Bedingungen, mithin das Unbedingte zu erschließen; die reinen Vernunftbegriffe bzw. die transzendentalen Ideen sind daher nichts anderes als Begriffe des Unbedingten (KrV A 321 f. / B 378 f.).33 In der transzendentalen Dialektik der Kritik wird gezeigt, daß die Versuche der reinen Vernunft, über alle möglichen Erfahrung hinaus die übersinnliche Welt als das wahrhaft Seiende zu erkennen, schon von Ansatz her unabwendbar mißlingen. Sobald die Vernunft den sicheren Boden der Erfahrung oder „das Land der Wahrheit" verlassen hat, stürzt sie sich gleich in Abenteuer auf „einem weiten und stürmischen Oceane, dem eigentlichen Sitze des Scheins" (KrV A 235 / B 294 f.). Die Suche nach einem fruchtbareren Neuland im Jenseits ist Kant zufolge grundsätzlich zum Scheitern verurteilt. Denn bei konsequenter Entfaltung dessen, was die Vernunft in bezug auf die Gegenstände der klassischen Metaphysik erkannt zu haben meint, zeigt sich eher, daß sie sich getäuscht hat, indem sie ihre eigene Anlage mißbraucht und überschritten hat. So kann die Vernunft in Wahrheit keinen untrüglichen Beweis dafür liefern, daß die Seele unsterblich und der Wille frei ist, oder daß Gott existiert. Die vermeintliche Erkenntnis des Unbedingten stellt sich bei näherer Betrachtung als Scheinerkenntnis heraus, mit der die Vernunft immer wieder zu kämpfen hat. Die Kritik unternimmt in dieser Problemlage einen entscheidenden Schritt. Sie läßt die Vernunft sich einer Selbstkritik unterziehen, um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis zu klären und damit den Gebrauch der menschlichen Vernunft trotz des ihr eigenen Hangs zur Selbstüberschätzung auf einen bodenständigen Bereich zu begrenzen. In diesem Zusammenhang ist es für Kants Erkenntniskritik unerläßlich, den Verstand und die Vernunft als zwei verschiedene Vermögen klar voneinander zu unterscheiden, so daß eine Begrenzung des berechtigten Gebrauches reiner Begriffe möglich wird. Der entscheidende Punkt der " Dabei handelt es sich Kant zufolge um die drei Gegenstände der klassischen Metaphysik, und zwar um das Unbedingte als die absolute Einheit des denkenden Subjekts (die Seele), als die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinung (die Welt) und schließlich als die absolute Einheit der Bedingung aller Gegenstände des Denkens überhaupt (Gott) (KrV A 334 / B 391).
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Erkenntniskritik besteht nun darin, daß alle reinen Begriffe, auch wenn sie nicht aus der Erfahrung stammen, nur dann objektive Realität haben können, wenn sie sich letzten Endes auf mögliche Erfahrung beziehen. Dabei erweist sich der Verstand als dasjenige Vermögen, das für jede objektive Erkenntnis konstitutiv ist, insofern er seine Begriffe auf die Anschauung regelgerecht anwendet, die Vernunft hingegen als ein Vermögen, deren Begriffe, also die Ideen, in keinem Fall von konstitutivem Gebrauch sind, weil sie über die Möglichkeit der Erfahrung hinausgehen. Die Vernunft darf von den Ideen stattdessen nur regulativen Gebrauch machen (KrV A 642 ff. / B 670 ff), und zwar so, daß mit Hilfe der reinen Ideen die durch die Verstandeskategorien konstituierten Erfahrungserkenntnisse in die Perspektive ihrer Vollständigkeit gestellt und in systematischen Zusammenhang gebracht werden. Die Vernunft trägt zur Erweiterung der legitimen Erkenntnis nichts bei, sondern ordnet sie nur und gibt ihr jene Einheit, die die Erkenntnis zum System macht, wobei dies ein unendlicher Prozeß ist, der sich grundsätzlich nie vollenden läßt. Die reinen Vernunftideen, deren erkenntniskonstitutiven Gebrauch Kant in der ersten Kritik als illegitim verwirft und zurückweist, rehabilitiert er bekanntlich im Zusammenhang der zweiten Kritik als Postulate der reinen praktischen Vernunft (AA V 132 ff.). Trotz der theoretischen Unbeweisbarkeit und Unerkennbarkeit müssen Kant zufolge die Unsterblichkeit der Seele, die Freiheit des Willens und das Dasein Gottes doch als Postulate vorausgesetzt werden, um die Möglichkeit des moralischen Gesetzes zu begründen, dessen objektiver Geltung sich die Vernunft als eines „Factums der Vernunft" (AA V 31) unmittelbar bewußt ist. Es ist für Kant am Ende ein und dieselbe Vernunft, die von den übersinnlichen Ideen theoretischen und praktischen Gebrauch machen kann (AA IV 391); den „Primat" aber räumt er im Gegensatz zur üblichen Tradition der Philosophie dem praktischen Vernunftgebrauch ein, weil die praktische Vernunft nicht nur fähig ist, zu gewährleisten, worauf die theoretische Vernunft verzichten muß, sondern weil zudem auch ihrem eigenen „Interesse" das Interesse der theoretischen Vernunft untergeordnet ist (AA V I 19 ff.). Allerdings bleibt die Kantische Vernunft sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht doch letztlich bei der Ohnmacht ihrer Endlichkeit stehen. Denn „der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche geht es um nichts besser" (AA V 108), insofern sie ebenfalls nie erreichen kann, was sie sucht. Die Kantische Moralität, deren Vollendung im „höchsten Gut" als der „unbedingten Totalität des G e g e n s t a n d e s der reinen praktischen Vernunft" (AA V 108) besteht, ist in der wirklichen Welt nicht zu realisieren. Die Forderung der Vernunft, „wir sollen das höchste Gut (...) zu befördern suchen" (AA V 115), bleibt letztendlich ein
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Sollen, das von der Vernunft postuliert ist, aber als unendlicher Progreß nie vollständig erfüllt werden kann. 34 „Für die Vernunft", so kritisiert Hegel in der Differenzschrift, „bleibt nichts als die Ohnmacht des sich selbst aufhebenden Forderns, und der Schein einer, - aber verständigen, formalen - Vermittlung der Natur und Freyheit in der blossen I d e e der Aufhebung der Gegensätze" (GW IV 51). Gegen die transzendentalphilosophische Ansicht der Vernunft wendet Hegel ein, daß sie in Wahrheit nur „die Vernunft mit Verstand behandelt" (GW IV 6)33, so daß sie „dem Standpunkte der blossen Reflexion und dem Verstand unterlegen" (GW IV 51) ist. In dieser Hinsicht erweist sich dasjenige Unendliche, nach dem die Kantische Vernunft strebt, als das Unendliche des Verstandes bzw. das „Schlecht-Unendliche", wobei der regulative Gebrauch der Vernunft aus Hegels Sicht eine Selbsterniedrigung der Vernunft ist (WL III 23). Insofern die Vernunft nie vollbringen kann, was vollbracht werden soll, ist sie nur eine ohnmächtige oder gar „schlechte" Vernunft, die ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird und die es zusammen mit dem „schlechten" Unendlichen in der Entfaltung des wahrhaften Begriffs von Unendlichkeit in Hegels Logik zu destruieren gilt.36 Durch die Gegenüberstellung von Verstand und Vernunft wird nicht nur der Verstand, sondern auch die Vernunft selbst begrenzt und beschränkt. Dennoch hat die Vernunft das „besondere Schicksal", daß sie sich niemals mit dem zufriedengibt, was der endliche Verstand im Rahmen der möglichen Erfahrung zu leisten imstande ist, und von Natur aus immer danach strebt, über ihre Grenze hinaus das Unbedingte, Unendliche zu erreichen. Daher gerät sie immer wieder in Widerspruch mit sich selbst, der sich nie durch die verstandesmäßige Vernunft selbst lösen läßt. 37 M 35
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Vgl. R. Hiltscher: Kant und das Problem der Einheit der endlichen Vernunft, Würzburg 1987, S. 107 ff. Demgegenüber wird aber in der Kritik der reinen Vernunft der Verstand dank des spekulativen Prinzips der transzendentalen Deduktion, und zwar der transzendentalen Apperzeption des „Ich denke", eigentlich mit Vernunft behandelt (GW IV 6). So gelten die Aussagen, die gegen das „Schlecht-Unendliche" gemacht werden, in gleichem Maße für die „schlechte" Vernunft: „Es [das wahrhaft Unendliche] ist, und ist da, präsent, gegenwärtig. Nur das Schlechtunendliche ist das J e n s e i t s , weil es n u r die Negation des als r e a 1 gesetzten Endlichen ist, - so ist es die abstracte, erste Negation; n u r als negativ bestimmt, hat es nicht die Affirmation des D a s e y n s in ihm; festgehalten als nur Negatives soll es sogar n i c h t da, soll unerreichbar seyn. Diese Unerreichbarkeit ist aber nicht seine Hoheit, sondern sein Mangel, welcher seinen letzten Grund darin hat, daß das Endliche als solches als seyend festgehalten wird. Das Unwahre ist das Unerreichbare; und es ist einzusehen, daß solches Unendliche das Unwahre ist." (WLI136) „Die Kantische und Fichtesche Philosophie", so bringt es Hegel auf den Punkt, „gibt als den höchsten Punkt der Auflösung der Widersprüche der Vernunft
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Für Hegel bleibt die Kantische Vernunffkritik genau dort stehen, wo sich die Verstandes- bzw. Reflexionsansicht der Vernunft durch ihren Widerspruch mit sich selbst aufzuheben beginnt. Doch das Hinausgehen über die „schlechte" Vernunft wird durch den Verstand bei seiner „hartnäckigsten Kategorie", also der Endlichkeit, aufgehalten, indem er sich selbst als das allein Wahrhafte des menschlichen Denkens hinstellt.38 Auf dem Standpunkt der Reflexion ist demnach die Möglichkeit des Verstandes, sich über die eigene Endlichkeit hinaus zur wahrhaft unendlichen Vernunft zu entwickeln, verborgen. Die „Amphibolie", die in der Kantischen Vernunftkritik zur Verwechslung führt, macht Hegel in der Differenzschrift mit seinem spekulativen Begriffsinstrumentarium völlig durchsichtig: „Der Verstand ahmt die Vernunft im absoluten Setzen nach, und giebt sich durch diese Form selbst den Schein der Vernunft, wenn gleich die Gesetzten an sich entgegengesetzte also endliche sind; er thut dieß mit so viel größerem Schein, wenn er das vernünftige Negiren in ein Produkt verwandelt und fixirt; das Unendliche, insofern es dem Endlichen entgegengesetzt wird, ist ein solches vom Verstand gesetztes Vernünftiges; es drükt für sich als vernünftiges, nur das Negiren des Endlichen aus; indem der Verstand es fixirt, setzt er es dem Endlichen absolut entgegen; und die Reflexion, die sich zur Vernunft erhoben hatte, indem sie das Endliche aufhob, hat sich wieder zum Verstand erniedrigt, indem sie das Thun der Vernunft in Entgegensetzung fixirte; überdem macht sie nun die Prätension, auch in diesem Rükfall vernünftig zu seyn." (GW IV 13) 3.1.2.2. Der Standpunkt der Spekulation In der Kantischen Vernunftkritik erblickt Hegel die Vollendung dessen, was der Verstand oder die Reflexion zu leisten imstande ist. Doch hat sie den Sprung nicht machen können, der sie in die wahrhafte Vernunft überführen würde.39 Die Kantische Kritik hat aus der Sicht der spekulativen Philosophie die wahrhafte Vernunft noch gar nicht berührt, weil sie
das Sollen an, was aber vielmehr nur der Standpunkt des Beharrens in der Endlichkeit und damit im Widerspruche, ist." (WL I 123; vgl. Enz. § 45 Z, TW VIII 12) So bemängelt Hegel in Glauben und Wissen, daß „der Verstand das Absolute des menschlichen Geistes ist, darüber scheint Kant nie ein leiser Zweifel aufgestiegen zu seyn, sondern der Verstand ist die absolut fixirte unüberwindliche Endlichkeit der menschlichen Vernunft." (GW IV 333) Vgl. WL III 23: „Die formelle Stellung, welche er [der Begriff) als Verstand behält, wird in der Kantischen Darstellung dessen, was Vernunft sey, vollendet. In der Vernunft, der höchsten Stufte des Denkens, sollte man erwarten, der Begriff werde die Bedingtheit, in welcher er auf der Stufe des Verstandes noch erscheint, verlieren, und zur vollendeten Wahrheit kommen. Diese Erwartung wird aber getäuscht."
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die Vernunft nur mit Verstand, also vom Standpunkt des Verstandes aus, behandelt hat. Sie ist der wahren Vernunft dort am nächsten gekommen, wo sich die Vernunftideen zur Antinomie entwickeln, da „der höchst mögliche Ausdruk der Vernunft durch den Verstand" nichts anderes ist als „der Ausdruk der Antinomie" (GW IV 26). Daraus erklärt sich auch, warum Hegel Kants Entdeckung der Antinomie so sehr schätzt. Kant hat demnach einen großen Schritt auf dem Weg zum wahren Begriff der Vernunft gemacht, indem er zur entscheidenden „Einsicht von dem n o t w e n d i g e n W i d e r s t r e i t e der Bestimmungen des Verstandes mit sich selbst" (WL I 30) gelangte. Doch versäumt er es Hegel zufolge letztlich über die Verstandesansicht der Vernunft hinauszugehen, insofern er die Antinomie nur als bloßen Schein betrachtet, ohne dessen wesentliche Rolle für die Vernunft erkennen zu können. Die Antinomie wird vielmehr zum Anlaß genommen, die Vernunft auf den Bereich möglicher Erfahrung zu beschränken. Die Reflexion der Kantischen Vernunft kommt also nur soweit voran, bis sie an Widersprüche gelangt, und kehrt dann an den Punkt zurück, wo ihr der Aufstieg zur wahrhaften Vernunft gerade noch bevorsteht: „Das immanente Gesetz, wodurch sie [die Reflexion] sich aus eigner Kraft als absolut konstituirte, wäre das Gesetz des Widerspruchs; nemlich daß ihr Gesetztseyn sey und bleibe; sie fixirte hierdurch ihre Produkte als absolut entgegengesetzte dem Absoluten, machte es sich zum ewigen Gesetz, Verstand zu bleiben und nicht Vernunft zu werden" (GW IV 18, Hervorh. v. Verf.).40 Die entscheidende Einsicht besteht darin, die wahrhaft unendliche Vernunft nicht im Jenseits des Verstandes zu suchen. 41 Es ist der gravierendste, aber oft genug begangene Fehler, Verstand und Vernunft als einander entgegengesetzt aufzufassen. Sowenig das wahrhaft Unendliche als die einfache Negation bzw. das Andere des Endlichen gilt, sowenig 40
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„.Sich Gott zu nähern', sich im Endlichen zum Unendlichen zu erheben, ohne das Unendliche wieder zu einem für sich Fixierten und damit auch nur Endlichen werden zu lassen," ist nach Otto Pöggeler eben die Aufgabe, „die Hegel sich in seinen Jugendschriften durch theologisch-politische Überlegungen vergegenwärtigte" und „nun philosophisch, innerhalb einer Logik und Metaphysik lösen" will. O. Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption, in: ders.: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, Freiburg 1993, S. 138. Der Begriff „Vernunft' hat bei Hegel je nach dem systematischen Kontext verschiedene Bedeutungen: in der Phänomenologie ist die Vernunft eine Gestalt des erscheinenden Geistes, die auf die des Selbstbewußtseins folgt, in der Enzyklopädie ist sie ein Moment des subjektiven Geistes, das zur Psychologie führt. Hier geht es um die Vernunft als die spekulative, unendliche Einheit, die ihren spezifischen Bedeutungen zugrunde liegt. Die grundlegende bzw. absolute Vernunft ist für Hegel nichts anderes als die die Objektivität übergreifende Subjektivität. Vgl. K. Düsing: Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie, in: D. Köhler / O. Pöggeler (Hrsg.): Phänomenologie des Geistes, Berlin 1998, S. 160.
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setzt sich auch die Vernunft dem Verstand entgegen. „Es ist daher in jeder Rücksicht zu verwerfen, Verstand und die Vernunft so, wie gewöhnlich geschieht, zu trennen. Wenn der Begriff als vernunftlos betrachtet wird, so muß es vielmehr als eine Unfähigkeit der Vernunft betrachtet werden, sich in ihm zu erkennen." (WL III 42 f.) Verstand und Vernunft sind für Hegel, anders als bei Kant, nicht zwei verschiedene Vermögen, sondern vielmehr zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Logischen.42 Dennoch ist in der angeblichen Entgegensetzung, wenn sie spekulativ aufgefaßt wird, schon die Wahrheit implizit enthalten. So wie sich das wahrhaft Unendliche letztendlich als der gesamte Prozeß des SichAufhebens des Endlichen und des Unendlichen erweist, ist die wahrhafte Vernunft nichts anderes als die vollständige Bewegung der Dialektik, in der sich die beiden Momente des Verstandes und der Vernunft wechselseitig aufheben. Es ist wichtig, sich dabei nochmals die drei Seiten des Logischen zu vergegenwärtigen, nämlich die abstrakte oder verständige, die dialektische oder negativ-vernünftige und die spekulativ oder positivvernünftige Seite (Enz. § 79, 118).43 Sowohl das Verständige als auch das Vernünftige tauchen hier als Momente des Logischen auf; aber das Wahre ist weder das eine noch das andere Moment, sondern erst das Ganze, in dem alle Momente in dialektischer Beziehung aufeinander bezogen sind. Andererseits ist keines der drei Momente für das Wahre entbehrlich. Der Verstand stellt zwar nur einen endlichen Standpunkt dar und hält einseitige Bestimmungen fest, die Vernunft muß diese Stufe jedoch durchlaufen, um überhaupt Vernunft zu sein. Der Verstand muß zur Vernunft als seiner eigenen Wahrheit werden. Das Positiv-Vernünftige oder das Spekulative hat die „unwahren Momente" des Logischen zur Voraussetzung (WL III 248). Die Endlichkeit des Verständigen muß als solche anerkannt und somit als konstruktives Moment eingeholt werden. Indem der Verstand seine Grenze, die seine Endlichkeit ausmacht, erkennt, ist er bereits über sie hinausgegangen in das Negative seiner selbst. Dieses Negativ-Vernünftige aber, insofern es sich als das Andere des Verständigen bestimmt, hat selbst die Grenze gegen dieses, so daß es auch über sich hinausgehen muß in das Negative 42
„Im Hinblick auf die Logik", so Puntel, „bedeuten .Verstand' und .Vernunft' bei Hegel nicht zwei Vermögen (wie etwa bei Kant) oder, wie sie Hegel - umdeutend - nennt, .Tätigkeitsweisen des Geistes', sondern es handelt sich (i) um zwei verschiedene Betrachtungsweisen der logischen Bestimmungen bzw. um zwei verschiedene Standpunkte in bezug auf das Logische; sowie (ii) um das (logische) .Produkt' dieser beiden Betrachtungsweisen: das .Verständige' und das .Vernünftige'." L. B. Puntel: Verstand und Vernunft in Hegeb „ Wissensch der Logik", in: D. Henrich (Hrsg.): Hegeb Wissenschaft der Logik. Forma und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, S. 230. 4 ' Vgl. oben Kap. 2.1.2.3: Die Formen des Unwahren und die Sonderstellung Urteib, S. 77.
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des Negativen, also das Positiv-Vernünftige. Im Prozeß der Vernunftwerdung hebt sich das Verständige immer wieder auf. Dabei wird ihm die Aufhebung nicht durch die Vernunft als eine ihm fremde Gewalt angetan, sondern es ist seine eigene Dialektik, die das Verständige hinsichtlich seiner Endlichkeit thematisiert und zugleich überwindet. „In ihrer eigenthümlichen Bestimmtheit ist die Dialektik vielmehr die eigene, wahrhafte Natur der Verstandesbestimmungen, der Dinge und des Endlichen überhaupt." (Enz. § 81, 119) Der dialektische Prozeß schreitet in der Logik so fort, bis alle Grenzen durchsichtig gemacht werden und alle einseitigen Momente in das holistische Ganze eingeholt und integriert sind. Im Kontext der so beschriebenen Aufhebungsbewegung ist insbesondere der subtile Doppelsinn im Vernunftbegriff zu beachten: die Vernunft ist zum einen das, was sich auf den Verstand negierend bezieht, und zum anderen das, was ihn in sich enthält. Sie ist im einen Sinne ein Moment der Dialektik, im anderen Sinne aber das Ganze der Dialektik. Im letzteren Sinne, also in ihrer Wahrheit, ist die Vernunft, so hebt Hegel hervor, Geist.44 Als Geist ist die Vernunft das Spekulative, in dem sie die dialektische Einheit aller Momente in ihrer Entgegensetzung darstellt. Ähnlich wie beim Doppelsinn der wahrhaften Unendlichkeit verdankt sich der Doppelsinn im Vernunftbegriff nicht mangelnder Präzision, sondern trägt einem komplexen Sachverhalt Rechnung. Eben kraft der Zweideutigkeit des Begriffs kommt das Wesen des Spekulativen, nämlich die Einheit in der Entgegensetzung oder, mit einem der emphatischsten Ausdrücke der Hegeischen Philosophie: die Identität von Identität und Nicht-Identität, zum Ausdruck. Denn die wahrhafte Vernunft enthält wesentlich nicht nur ihr Eigenes sondern auch ihr Anderes und ist an ihr das Andere ihrer selbst. Sie ist eben die sich selbst schließende Bewegung des Zu-sich-Werdens, bei dem sie in jedem ihrer Momente, also auch in ihrem Anderssein, sich wiedererkennt und immer bei sich ist. Durch diesen dialektischen Prozeß macht das Denken sich selbst durchsichtig und gelangt schließlich zu dem Standpunkt, auf dem die Differenz aller endlichen Standpunkte durchschaut ist. Die Operation, mit der das Denken den Weg des Zu-sich-Werdens der Vernunft einschlägt,
Wie die unterschiedlichen Momente in der wahrhaften Vernunft enthalten sind, erläutert Hegel in der Logik folgendermaßen: „Der V e r s t a n d bes t i m m t und hält die Bestimmungen fest; die V e r n u n f t ist negativ und d i a l e k t i s c h , weil sie die Bestimmungen des Verstands in Nichts auflöst; sie ist p o s i t i v , weil sie das A l l g e m e i n e erzeugt, und das Besondere darin begreift. Wie der Verstand als etwas getrenntes von der Vernunft überhaupt, so pflegt auch die dialektische Vernunft als etwas getrenntes von der positiven Vernunft genommen zu werden. Aber in ihrer Wahrheit ist die Vernunft Geist, der höher als beydes, verständige Vernunft oder vernünftiger Verstand ist." (WL I 8)
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nennt Hegel in Polemik gegen die Reflexionsphilosophie Spekulation.45 Für Hegel sind sowohl Reflexion als auch Spekulation philosophische Anstrengungen, mit denen die Tiefenstruktur der Sache erkannt werden soll. Nur unterscheiden sie sich voneinander dadurch, in welchem Verhältnis sie zur Sache selbst stehen, also inwiefern sie die Struktur der Sache nur von außen her betrachten, oder die immanente Dialektik derselben nachvollziehen. „Die Reflexion ist zunächst das Hinausgehen über die isolirte Bestimmtheit und ein Beziehen derselben, wodurch diese in Verhältniß gesetzt, übrigens in ihrem isolirten Gelten erhalten wird. Die Dialektik dagegen ist diß i m m a n e n t e Hinausgehen, worin die Einseitigkeit und Beschränktheit der Verstandesbestimmungen sich, als das was sie ist, nämlich als ihre Negation darstellt." (Enz. § 81 A, 119) Die Hegeische Spekulation entwickelt sich zwar aus der Kritik der verstandesmäßigen Reflexion, wie diese in der Kantischen und Fichteschen Philosophie vorliegt, sie ist aber kein mystisches oder intuitives Betrachten des sich dem intellectus unmittelbar offenbarenden Übersinnlichen. Obwohl Hegel in der Differenzschrift, wo er den Begriff der Spekulation im Zusammenhang mit der Kritik der Reflexionsphilosophie am ausführlichsten erläutert, noch die Schellingsche Position der Identitätsphilosophie teilt, entwickelt sich die Spekulation, so wie sie in der Phänomenologie etabliert und in der Logik systematisch ausgeführt wird, in genau gegenläufiger Richtung zur Schellingschen Idee der intellektuellen Anschauung. Die immanente Beziehung zur Sache selbst, durch die sich die Spekulation vor der Reflexion auszeichnet, stützt sich nicht auf einen absolut unmittelbaren Zugang zu ihr, wie ihn die intellektuelle Anschauung durch Umgehung der Reflexion zu haben meint, sondern vielmehr auf das Durchdenken aller Vermittlungen, die das Denken in der Reflexion in Anspruch nehmen muß. Spekulation bedeutet in Wahrheit, so Gadamer, „das Verhältnis des Spiegelns"4". Denn das Wort „Spekulation" läßt sich ohnehin nicht nur indirekt von „spectare" (betrachten), sondern direkter von „speculum" (Spiegel) ableiten. Die wahre Spekulation fungiert als ein Spiegel, in dem alles Denken seine eigenen Bedingungen einsieht und durchschaut, wodurch sich das Dogmatische in allen Denkansätzen auflöst. „Spekulativ" bedeutet demnach nicht nur den „Gegensatz zum Dogmatismus der alltäglichen Erfahrung"4", sondern zum Dogmatismus der Reflexion bzw. zum Dogmatismus überhaupt. Die Reflexion, die der Verstand anstellt, 4
' Zur Unterscheidung von Reflexion und Spekulation, wie sie Hegel in Zusammenarbeit mit Schelling in seiner Jenaer Zeit gegen die Fichtesche Philosophie entwickelt hat, vgl. K. Düsing: Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarb Schellings und Hegeb in Jena, in: Hegel-Studien 5 (1969), S. 95 - 128. 46 H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, a. a. O, S. 469. • A. a. O., S. 470.
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wird nicht einfach zugunsten der intellektuellen Anschauung vernichtet, sondern vielmehr konsequent so weitergeführt, daß sie sich über ihre Grenzen aufklärt und dadurch über ihre Endlichkeit hinausgeht. Die Philosophie ist wesentlich eine Wissenschaft, eine „Anstrengung des Begriffs" (PG 41), in der die Denkbestimmungen des Verstandes nicht entbehrt werden können, auch wenn sie dann durch die Vernunft wieder verflüssigt werden müssen. „Es ist daher ein Verkennen der Vernunft, wenn die Reflexion aus dem Wahren ausgeschlossen und nicht als positives Moment des Absoluten erfaßt wird." (PG 19 f.)48 Die Spekulation ist demnach nicht als Denken ohne Reflexion, sondern mit Bubner vielmehr als „Reflexion der Reflexion"49 zu qualifizieren. „Es handelt sich um eine von der Reflexion selbst zu erbringende Leistung der Auflösung ihrer sklerotischen Produkte. Durch metatheoretische Anwendung der Reflexion auf Reflexion wird strukturell die Spekulation in Gang gebracht. (...) Wichtig ist nämlich, daß die Selbstbeziehung der Reflexion nicht zur iterativen Reproduktion von Metaebenen ad infinitum verkommt. Das wäre die sog. .schlechte Unendlichkeit'."30 Als Reflexion der Reflexion bezieht sich die Spekulation auf das, wovon die Reflexion des objektbezogenen Denkens unreflektiert ausgeht. Sie reflektiert also nicht unmittelbar auf Objekte der Erkenntnis, wie die Reflexion es tut, sondern im Sinne der Spiegel-Metapher auf die Voraussetzungen, die das Denken in seiner reflektierenden Beziehung auf die Welt gemacht hat, aber selber nicht einzuholen vermag. In dieser Beziehung ist die Spekulation, so Arend Kulenkampff, „die voraussetzungsbezogene Reflexion". „Das besagt methodisch-allgemein: die spekulative philosophische Reflexion ist das Denken der Welt noch einmal, aber als Denken des Denkens der Welt."31 Die spekulative Vernunft ist insofern und nur insofern Denken des Unbedingten und Unendlichen, als sie 48
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Daß die endliche Reflexion in die Spekulation integriert werden muß, versucht Hegel mit dem folgenden Bild zu vermitteln: „Für die Spekulation sind die Endlichkeiten Radien des unendlichen Fokus, der sie ausstrahlt, und zugleich von ihnen gebildet ist; in ihnen ist der Fokus, und im Fokus sie gesetzt" (GW IV 28). Vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten. Spekulation und Zeitlichkeit in der Philosophie Hegels, Berlin 1992, S. 90. R. Bubner: Die Metaphysik im Hintergrund der Unterscheidung des Transzendentalen vom Spekulativen, in: R. Enskat (Hrsg.): Amicus Plato magis amica veritas. Festschrift für Wolfgang Wieland zum 65. Geburtstag, Berlin / New York 1998, S. 50. Vgl. auch ders.: Die »Sache selbst« in Hegeb System, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, S. 49; ders.: Problemgeschichte und systematischer Sinn der >Phänomenologie< Hegeb, in: ders.: Dialektik und Wissen schaft, Frankfurt a. M. 1974, bes. S. 26 - 36. R. Bubner: Die Metaphysik im Hintergrund der Unterscheidung des Transzendentalen vom Spekulativen, a. a. O, S. 55. A. Kulenkampff: Antinomie und Dialektik. Zur Funktion des Widerspruchs in der Philosophie, Stuttgart 1970, S. 16.
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wissendich als Selbstreflexion des bedingten, endlichen oder verstandesmäßigen Denkens vor sich geht. Als metatheoretische Betrachtung des Denkens erhält sich die Spekulation von dem, was durch sie zu diagnostizieren und zu überwinden ist.'2 Indem sie sich wesentlich auf der Metaebene bewegt, ist sie demnach nicht in demselben Sinne selbständig, wie es das verstandesmäßige Denken ist.' 3 So findet sich im Jenaer Notizenbuch (1803-1806) die folgende Bemerkung: „Die Vernunft ohne Verstand ist nichts, der Verstand doch etwas ohne Vernunft. Der Verstand kann nicht geschenkt werden." (GW V 496) Die spekulative Vernunft ist ein Denken, das sich auf sich nur vermittels des kritischen Bezugs auf die Reflexion bezieht. Der kritische Aspekt ist also der Spekulation wesentlich. Ohne Reflexion ist die Spekulation überhaupt bezugslos. Dabei handelt es sich nicht um eine metatheoretisch-kritische Besinnung, die von außen bzw. oben her auf die Reflexion angewendet wird, sondern vielmehr um die eigene, immanente Negativitat der Reflexion, der die Spekulation zur Bewegung verhilft, in der die Endlichkeit der endlichen Reflexion durchsichtig gemacht wird. „Die Spekulation erfüllt sich logisch mithin im Begreifen dessen, was Reflexion in Wahrheit ist. (...) Das Begreifen der Wahrheit der Reflexion ist", so fährt Bubner fort, „das Selbstbegreifen der Reflexion, und das bedeutet die selbsttätige Einsicht in den Derivatcharakter der eigenen, unmittelbar vorhandenen Formen." 54 Die Spekulation verschafft sich gegenüber allen anderen philosophischen Standpunkten ihren entscheidenden Vorteil dadurch, daß sie der zu überwindenden Position nicht erneut ihre eigene Position entgegensetzt. Als absolute Negativitat läßt die Spekulation vielmehr die einander entgegengesetzten Positionen sich einer immanenten Selbstkritik unterwerfen, in der sie über ihre Endlichkeit zur Aufklärung über sich selbst gelangen. Der Standpunkt der Spekulation ist streng genommen kein Standpunkt 32
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Zum metatheoretischen Sinn der Hegeischen Spekulation vgl. eine unorthodo xe, aber nicht unzutreffende Analyse von Pirmin Stekeler-Weithofer: Verstand und Vernunft. Zu den Grundbegriffen der Hegebchen Logik, in: C. Demmerling / F. Kambartel (Hrsg.): Vernunftkritik nach Hegel. Analytisch-kritische Interpretation zur Dialektik, Frankfurt a. M. 1992, S. 139 - 197, bes. S. 171 ff. Vgl. die Analyse Bubners: „Das Denken des unwissenschaftlichen Bewußtseins ist nämlich auf unmittelbare Weise für sich und daher gegenüber dem absoluten Fürsichsein der Wissenschaft durchaus selbständig. Der spekulativen Bewegung gilt diese Selbständigkeit nur als Erstarrung und Hemmnis, sie verhält sich demnach ihr gegenüber auch nur negativ. Sie schafft sich ihre eigene Selbständigkeit auf Kosten der Selbständigkeit des vor ihr vorhandenen Denkens. (...) Diese Situation ist offenkundig für das unwissenschaftliche Bewußtein weniger prekär als für die Wissenschaft, da es ohne sie sehr wohl auskommt, nicht aber umgekehrt." R. Bubner: Problemgeschichte und systematischer Sinn der >Phänomenologie< Hegels, a. a. O., S. 32 f. A.a.O.,S.26.
SUBJEKT UND PRÄDIKAT
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mehr, so daß sie sich der Einseitigkeit entziehen kann, die allen Standpunkten als solchen unumgänglich zukommt. Denn „das Spekulative", so schreibt Hegel in den Vorlesungen über die Beweise von Daseyn Gottes (1829), „besteht im Allgemeinen in nichts anderem, als seine Gedanken, d. i. die man schon hat, nur zusammen zu bringen." (GW XVIII 283) Das Zusammenbringen der Gedanken läuft aber offenkundig nicht darauf hinaus, das, was vorhanden ist, einfach nebeneinander aufzustellen, sondern vielmehr im durchsichtigen Verhältnis miteinander zu systematisieren. Spekulation heißt daher, so kann man wie Bubner sagen, „in Wahrheit nur den Vorgang des Durchsichtigwerdens von Formationen der Reflexionsstruktur, die sich fundamentalistisch versteift haben. (...) Hegels Spekulation hat es dann vermocht, die Problemlage offenzuhalten und nicht durch Standpunktwahl zu verengen." 33 Nur mit diesem Verständnis der Spekulation läßt sich auch der eigentliche Sinn des spekulativen Satzes erhellen.
3.2.
Urteilslehre und Urteilskritik
3.2.1. Hegels Lehre vom Urteil 3.2.1.1. Subjekt und Prädikat Systematisch wird das Urteil bei Hegel im zweiten Kapitel des Abschnitts Subjektivität in der Begriffslogik abgehandelt (WL III 53 - 89), wo er in Auseinandersetzung mit der traditionellen Urteilslehre die Struktur des Urteils ausführlich analysiert. Die Form des Urteils ist für Hegel durch die Differenz bzw. Trennung zwischen zwei gegenüberstehenden Momenten charakterisiert, die in der traditionellen Urteilslehre als Subjekt und Prädikat bestimmt werden. 36 Das Urteil wird als einheitliche Synthesis R. Bubner: Die Metaphysik im Hintergrund der Unterscheidung des Transzendentalen vom Spekulativen, a. a. O , S. 59. Diese traditionelle Urteilsbestimmung geht bekanntlich auf die Aristotelische Logik zurück, der zufolge das Urteil als Vereinheitlichung von zwei Einheitlichen verstanden wird: „Eine einheitliche bejahende und (eine einheitliche) verneinende Aussage ist eine solche, die ihrer Bedeutung nach etwas Einheitliches von etwas Einheitlichem aussagt (uia öe ean tcciTatpaaic. Kai anöyaaic, f) ev Ka0 evöc, ar|uaivouaa)" (De int. 8, 18al3f). Dabei bezeichnet Aristoteles das Einheitliche, wovon etwas ausgesagt wird, als das Zugrundeliegende (Ü7toKei(ievov), und das Einheitliche, das vom Zugrundeliegenden ausgesagt wird, demgegenüber als das Ausgesagte (KaTqyopoüuevov). Die zwei Urteilsglieder werden dann in der SchuUogik durch die lateinische Übersetzung als
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
zweier ursprünglich Getrennter aufgefaßt, die sich in der Beilegung eines Prädikats zu einem Subjekt vollzieht. Dabei findet die synthetische Vereinheitlichung ihren sprachlichen Ausdruck in der Kopula „ist", durch die die selbständigen Momente des Subjekts und des Prädikats nachträglich zu einer Einheit verbunden werden, auf die sich die Wahrheit bzw. Falschheit des Urteils bezieht. Diese traditionelle Urteilslehre versucht Hegel nun begrifflich näher zu charakterisieren, um die „verknöcherte" Beziehung von Subjekt und Prädikat, die für die Darstellung der spekulativen Wahrheit nicht geeignet ist, einer gründlichen Kritik zu unterziehen und in ihr den lebendigen Geist wieder zu entfachen (WL III 5). Zur näheren Charakterisierung des Urteils bedient sich Hegel der drei Bestimmungen des Begriffs, nämlich die Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit, die an sich zwar schon in der klassischen Logik vorhanden waren, die aber aus Hegels Sicht nicht so verwendet wurden, daß die begriffslogische Beziehung des Urteils angemessen zum Ausdruck kommt. Stattdessen pflegte das Urteil, in Abstraktion von allen möglichen Inhalten, in der Formulierung „A ist B" bezeichnet zu werden, die Hegel als gänzlich bedeutungslose Benennung bemängelt, weil die Stellvertreter „A" und „B" gar keinen logischen Charakter des Subjekts und Prädikats ausdrücken (WL III 61). Der Umstand, daß die klassische Logik die logische Form des Urteils nicht näher zu charakterisieren vermag, gilt Hegel als ein Indiz für die Verlegenheit der klassischen Urteilslogik: „Es ist für einen verwundernswürdigen Mangel an Beobachtung anzusehen, das Factum in den Logiken nicht angegeben zu finden, daß in jedem Urtheil solcher Satz ausgesprochen wird: das Einzelne ist das Allgemeine, oder noch bestimmter: das Subject ist das P r ä d i c a t " (Enz. § 166 A, 183). Das Urteil läßt sich nun nach Hegel in den Sätzen „das Einzelne ist das Allgemeine" bzw. „das Subjekt ist das Prädikat" auslegen, die als metalogische Bestimmungen die rein logische Form des Urteils zum Inhalt haben. Denn die philosophische Betrachtung des Urteils soll zwar um der rein logischen Form willen von den einzelnen Inhalten eines Urteils abstrahieren, die reine Form erweist sich jedoch auf der Metastufe als der Inhalt der „Wissenschaft der Logik", die das Logische als solches thematisiert. Solche Bestimmungen machen sozusagen „den wahrhaft logischen I n halt" (WL III 64) aus. Mit der Formel „das Subjekt ist das Prädikat", die als urteilslogische Bestimmung des Urteils genannt werden kann, wird zwar die Struktur des Urteils richtig charakterisiert. Dennoch ist die Bestimmung „das Subjekt ist das, wovon etwas ausgesagt [wird], und das Prädikat ist das Ausgesagte" allein, so Hegel, „etwas sehr Triviales, und man erfährt dadurch nichts Näheres über den Unterschied dieser beiden."
Subjekt (subjectum) und Prädikat (praedicatum) aufgenommen
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149
(Enz. § 169 Z, TW VIII 320) Darum präzisiert Hegel mit der Formel „das Einzelne ist das Allgemeine" den begriffslogischen Charakter des Urteils, der Subjekt und Prädikat zunächst zukommt. Mit dieser begriffslogischen Bestimmung des Urteils setzt sich Hegel von einer bloß grammatischen Charakterisierung des Subjekts und Prädikats ab, weil dem grammatischen Subjekt und Prädikat keineswegs immer die Einzelheit und Allgemeinheit zukommen. Bemerkenswert ist, daß Hegel die logische Form des Urteils in erster Linie auf das Urteil mit einem Einzelnem als Subjekt, also auf das singulare Urteil, festlegt, das in der traditionellen Logik eher eine geringere Rolle spielt. Nach der traditionellen Auffassung wird das singulare Urteil (Judicium singulare) entweder dem allgemeinen Urteil (Judicium communium) untergeordnet, oder höchstens wie bei Kant als dritter Urteilstyp den allgemeinen und besonderen Urteilen nebengeordnet (KrV A 70 ff. / B 95 ff.)/ wobei dem allgemeinen Urteil aufgrund seiner zentralen Rolle in der Syllogistik und Wissenschaftstheorie eine vorrangige Bedeutung beigemessen wird. Im Gegensatz dazu antizipiert Hegel mit der Bestimmung des Urteils als „das Einzelne ist das Allgemeine" die in der modernen Logik durch die semantische Analyse gewonnene Einsicht, daß das singulare Urteil gegenüber den anderen Urteilsformen von logischer Struktur her eine grundlegendere Stellung einnimmt. Abstrakt genommen setzt sich das Urteil primär aus einem Subjekt, das sich als Einzelnes auf einen Gegenstand bezieht, und einem Prädikat, das als Allgemeines mehreren Dingen zukommt, zusammen. „Das abstracte Urtheil ist der Satz: das Einzelne ist das A l l g e m e i n e . Diß sind die Bestimmungen, die das Subject und P r ä d i c a t zunächst gegen einander haben, indem die Momente des Begriffs in ihrer unmittelbaren Bestimmtheit oder ersten Abstraction genommen werden. (Die Sätze: das B e s o n d r e ist das A l l g e m e i n e , und: das Einzelne ist das Besondere, gehören der weiteren Fortbestimmung des Urtheils an.)" (Enz. § 166 A, 182 f.) Das singulare Urteil ist also als die primäre logische Form des Urteils ausgezeichnet, während die übrigen Formen, die durch andere Kombinationen von Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelheit zu kennzeichnen sind, nur „der weiteren Fortbestimmung des Urteils" angehören. Der logische Primat des singulären Urteils wird noch durch die Dialektik im „Urteil der Reflexion" (WL III 71 - 77) untermauert, wo Hegel das partikuläre und universale Urteil mittels logisch-dialektischer Aber anders als in der „transzendentalen Logik" wird das singulare Urteil bei Kant in der „allgemeinen Logik" nur als ein spezieller Fall des allgemeinen Urteils angesehen. In der Logik-Vorlesungfindetsich nämlich die folgende Anmerkung: „Die einzelnen Urtheile sind der logischen Form nach im Gebrauche den allgemeinen gleich zu schätzen, denn bei beiden gilt das Prädicat vom Subject ohne Ausnahme." (AA IX 102)
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
Analyse aus dem singulären zu entwickeln versucht. Das singulare Urteil unterscheidet sich vom partikulären und allgemeinen Urteil in logischsemantischer Hinsicht nicht primär durch den begrifflichen Umfang, also nicht dadurch, ob dasjenige, worauf sich das Urteilssubjekt bezieht, der Zahl nach eines ist oder nicht. Der Unterschied ist vielmehr in den logisch-semantischen Konsequenzen der Einzelheit des Subjekts zu sehen; das Subjekt hat nämlich eine andere Funktion als im partikulären und allgemeinen Urteil. Da der Subjektausdruck im singulären Urteil für einen Gegenstand steht, wird er in der modernen Logik als singulärer Terminus bezeichnet, wohingegen die Prädikate generelle Termini genannt werden.38 Prädikate sind darum generelle Termini bzw. Klassifikationsausdrücke, weil sie auf alle diejenigen Gegenstände anwendbar sind, die unter sie fallen. Einen Gegenstand durch ein Prädikat zu bestimmen heißt in diesem Zusammenhang nichts anderes, als ihn einem Begriff unterzuordnen, der als Allgemeines den Gegenstand in der entsprechenden Hinsicht bestimmt. Die singulären und die generellen Termini als mögliche Subjekte und Prädikate in Urteilen verfügen dabei über unterschiedliche logische Charaktere, die mit der Unterscheidung der Singularität und Allgemeinheit allein noch nicht hinreichend geklärt sind. Der entscheidende Unterschied von Subjekt und Prädikat besteht vielmehr darin, daß sie im Urteil unterschiedliche Funktionen übernehmen: Das Subjekt hat nämlich die Funktion, auf einen Gegenstand Bezug zu nehmen, das Prädikat demgegenüber, etwas vom Gegenstand auszusagen. Ein Name fixiert jenen Gegenstand, von dem ein Prädikat aussagt, unter welchen Begriff er fällt. Insofern sind Subjekt und Prädikat im Urteil nicht zu verwechseln.39 Die wesentliche Unterscheidung von Subjekt und Prädikat ist dennoch nicht bloß grammatisch, sondern logisch bzw. semantisch. Denn was in normalen Sätzen als grammatisches Subjekt oder Prädikat gilt, weist nicht unbedingt den logischen Charakter des Urteilssubjekts und Prädikats auf. In der traditionellen Logik wurde aber die logische Unterscheidung nicht konsequent genug festgehalten, so daß die Ausdrücke „Subjekt" und „Prädikat" gelegentlich mehrdeutig verwendet wurden. Diese Mehrdeutigkeit wird dann vermeidbar, wenn der logische Sinn gegen das bloß
Vg. E. Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Ph sophie, Frankfurt a. M. 1994, S. 37 ff. Die logische Asymmetrie von Subjekt und Prädikat zeigt sich schon sehr deutlich in der Aristotelischen Urteilslehre. Das Grundschema der Aristotelischen Urteils- bzw. Prädikationsanalyse hat bekanntlich die Form „etwas wird von etwas ausgesagt" (Xey£Tai TI Kard TIVOC,, vgl. z. B. An. pr. II 15, 64al4f). Darin kommen die unterschiedlichen Rollen von Subjekt und Prädikat deutlich zum Ausdruck. Nur wird der Unterschied in der Schullogik durch die Auslegung des Urteils als Synthesis von Subjekts- und Prädikatsfre^njff verschleiert.
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grammatische Verständnis von Subjekt und Prädikat im Satz klar abgegrenzt wird. Darum ersetzt Frege die grammatischen Kategorien „Subjekt" und „Prädikat", indem er „einen rein logischen Gebrauch streng durchzuführen" 60 sucht, durch die logischen Kategorien „Gegenstandsname" und „Begriff: „Der Begriff (...) ist prädikativ [Anm.: Er ist nämlich Bedeutung eines grammatischen Prädikats). Ein Gegenstandsname hingegen, ein Eigenname ist durchaus unfähig, als grammatisches Prädikat gebraucht zu werden." 61 Aber dagegen könnte eingewendet werden, daß es sinnvolle Sätze gibt, in denen der Gegenstandsname an der Stelle des Prädikats steht, wie z. B. im Urteil „Der Autor der Wissenschaft der Logik ist Hegel." Allerdings m u ß man nach Frege zwischen Urteilen differenzieren, die in grammatischer Hinsicht gleich aussehen, aber trotzdem unterschiedliche logische Strukturen aufweisen. Es ist nicht dasselbe, von etwas auszusagen, es sei
G. Frege: Über Begriff und Gegenstand, in: ders.: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien, hrsg. u. eingeleitet v. G. Patzig, Göttingen 1994, S. 66. A. a. O., S. 67. Die entscheidende Neuerung aus Freges Analyse ist, daß dem Begriff eine funktionelle Bedeutung zukommt. Im Aufsatz Funktion und Begriff (1891), in dem er seine in der Begriffsschrift (1879) entwickelte formallogische Sprache weiterentwickelt und präzisiert, entnimmt Frege der Mathematik den Begriff „Funktion" und setzt diesen in einem erweiterten Sinne in die semantische Analyse der prädikativen Bestimmung ein. Das Prädikat wird nämlich bei Frege als Funktionsausdruck verstanden. Ausgangspunkt ist die Konzeption mathematischer Funktionen, die geregelte Zuordnungsverhältnisse zwischen Argumenten und den daraus resultierten Werten darstellen. In übertragenem Sinne bezieht Frege den Funktionsausdruck auf einen Ausdruck mit einer oder mehreren Leerstellen, die für Argumente stehen, wie „der Autor von ( )". Funktionsausdrücke sind demnach durch die Variable als unvollständige bzw. ergänzungsbedürftige Ausdrücke gekennzeichnet, während Argumente demgegenüber Ausdrücke für Partikulare sind, die nach der Einsetzung in einen Funktionsausdruck diesen zu einem vollständigen wahrheitsfähigen Ganzen machen. Diese Unterscheidung wird bei Frege noch in einer aus der Sprache der Chemie übernommenen Analogie durch den Gegensatz von Gesättigtheit und Ungesättigtheit wiedergegeben. Gesättigte, also vollständige Ausdrücke sind nach Frage singulare Termini oder Sätze, unvollständig oder ungesättigt sind demgegenüber alle Funktionsausdrücke, wie „der Autor von ( ) " oder „( ) ist ein Mensch", weil sie noch durch vollständige Ausdrücke ergänzt werden müssen, um den Gegenstand oder den Wahrheitswert festzulegen. Prädikate, wie „( ) ist ein Mensch", bilden demnach eine Art von Funktionsausdrücken, deren Ergänzung durch ein Argument zu einem wahren oder falschen Satz führt. Das, was von einem Funktionsausdruck bezeichnet wird, ist eine Funktion, und diejenige Funktion, die von einem Prädikat ausgedrückt wird, ist nach Frege Begriff. Nach Frege ist somit nicht der Begriff, sondern erst der Satz die elementare logische Einheit, weil der Begriff als unvollständiger bzw. ungesättigter Ausdruck nur in Hinblick auf seine Satzfunktion auszulegen ist. Vgl. G. Frege: Funktion und Begriff, in: ders.: Funktion, Begriff, Bedeutung, a. a. O., S. 17 - 39; E. Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, a. a. O., S. 191 ff.
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
Hegel, oder aber, es sei weiß, bzw. es sei ein Mensch. Eine Aussage der ersten Art stellt nämlich kein prädikatives, sondern ein identisches Urteil bzw. eine Identitätsaussage dar,62 in der das Wort „ist" offenkundig anders gebraucht wird als in einer Aussage zweiter Art. Es drückt im ersten Fall ähnlich wie das Gleichheitszeichen in der Arithmetik eine Identität aus, im zweiten Fall hingegen ein Subsumtions- bzw. Klassifikationsverhältnis. Während eine Identitätsrelation umkehrbar ist, ist die Bestimmung eines Gegenstandes durch einen Begriff eine nicht umkehrbare Beziehung. 63 Daher ist der Name „Hegel" im identischen Urteil kein Begriffswort, also kein Prädikat, auch wenn er an der Stelle des Prädikats eines Urteils steht. Nach der Schullogik lassen sich alle Urteile in eine einfache Urteilsform überführen. Dementsprechend sollen Urteile wie „Alle Menschen sind sterblich" und „Einige Menschen sind nicht sterblich" derselben prädikativen Struktur unterliegen wie „Hegel ist sterblich", indem Ausdrücke wie „alle", „jede", „einige" und „kein" zum Subjekt, und die Verneinung „nicht" zum Prädikat gerechnet werden. So werden das singulare, das universale und das partikulare Urteil als analoge Urteilsformen angesehen. Grammatisch gesehen können sie zwar im gleichen Schema analytisiert werden, logisch gesehen weisen sie aber verschiedene Strukturen auf. Nach Frege unterscheidet sich das singulare Urteil deutlich von den allgemeinen und partikulären Urteilen, indem jenes die Beziehung der Grundurteilsform Gegenstand-Begriff aufweist, wohingegen diese, da die Subjekte in diesen Fällen nicht als Gegenstandsnamen fungieren, nur Beziehungen zwischen Begriffen ausdrücken. 64 Nach der modernen Logik nimmt das singulare Urteil eine vorrangige Stellung ein, weil die generellen und die partikulären Urteile bei Angabe ihrer Wahrheitsbedingungen auf singulare Urteile verweisen müssen. 63 62
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Es ist aber vorweg zu bemerken, daß das identische Urteil bei Hegel eine sehr eigentümliche Bedeutung besitzt. Die spekulativen Sätze bei Hegel werden nicht in der herkömmlichen Form des prädikativen Satzes dargestellt, sondern in Form des identischen Satzes, so wie die von Hegel selbst gegebenen Beispiele „Gott ist das Seyn" und „das W i r k l i c h e ist das A l l g e m e i n e " (PG 44). Doch wird die Form des identischen Satzes bei Hegel nicht in ihrem gewöhnlichen Sinne gebraucht, sie hat vielmehr eine subtile strategische Funktion, dazu vgl. unten Kap. 3.2.2.3: Der spekulative Satz ab Satzkritik, S. 183 ff. Vgl. G. Frege: Über Begriff und Gegenstand, a. a. O , S. 68. Frege drückt den Unterschied folgendermaßen aus: „Begriff ist Bedeutung eines Prädikates, Gegenstand ist, was nie die ganze Bedeutung eines Prädikates, wohl aber Bedeutung eines Subjekts sein kann. Dabei ist zu bemerken, daß die Wörter ,alle', .jeder', .kein', .einige' vor Begriffswörtern stehen. Wir sprechen in den allgemein und partikulär bejahenden und verneinenden Sätzen Beziehungen zwischen Begriffen aus und deuten die besondere Art dieser Beziehung durch jene Wörter an, die als logisch nicht enger mit dem darauffolgenden Begriffsworte zu verbinden, sondern auf den ganzen Satz zu beziehen sind." G. Frege: Über Begriff und Gegenstand, a. a. O , S. 72. Vgl. z. B. E. Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische
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Mit der modernen Urteilslogik stimmt Hegel darin überein, daß das Subjekt und das Prädikat in der primären Form des Urteils durch eine Asymmetrie der logischen Funktionen gekennzeichnet sind.66 Die asymmetrischen Bestimmungen von Subjekt und Prädikat, die zunächst gegeneinander als Einzelnes und Allgemeines zu kennzeichnen sind, lassen sich Hegel zufolge, hierin Frege vorwegnehmend, durch den Gegensatz von Namen und Begriff näher charakterisieren: „Der Nähme (...) steht der Sache oder dem Begriffe gegenüber; diese Unterscheidung kommt an dem Urtheile als solchem selbst vor; indem das Subject überhaupt das Bestimmte, und daher mehr das unmittelbar S e y e n d e , das Prädicat aber das A l l g e m e i n e , das Wesen oder den Begriff ausdrückt, so ist das Subject als solches zunächst nur eine Art von Nahmen" (WL III 54). Nach Hegel wird das Subjekt in der primären Form des Urteils als Name bestimmt, der für ein unmittelbar Konkretes oder Seiendes, d. h. einen Gegenstand steht, das Prädikat demgegenüber als allgemeines Wesen, das den Begriff ausdrückt. Im Anschluß an die Hegeische Bestimmungsweise kann das abstrakte Urteil ebenso in dem Satz „der Gegenstand ist der Begriff ausgesprochen werden. Diese Formel kann ja als wahrheitslogische Bestimmung des Urteils bezeichnet werden, da Wahrheit bei Hegel, wie oben erläutert, gerade als Übereinstimmung des Gegenstandes mit seinem Begriff aufgefaßt wird. Wenn diese Formel mit in die Hegeischen Bestimmungen des Urteils einbezogen werden darf, so ergeben sich die folgenden drei metalogischen Bestimmungen, die den logischen Charakter des Urteils in verschiedener Hinsicht ausdrücken: 1. „das Subjekt ist das Prädikat" als die urteilslogische Bestimmung, 2. „das Einzelne ist das Allgemeine" als die begriffslogische Bestimmung und 3. „der Gegenstand ist der Begriff als die wahrheitslogische Bestimmung.
Philosophie, a. a. O., 18. Vorlesung, S. 309 ff. Dennoch unterscheidet sich die Hegeische Urteilslehre von der modernen Urteilslogik dadurch, daß der Gegensatz von Subjekt und Prädikat im Urteil schließlich in der dialektischen Entwicklung des Urteils bzw. des Begriffs relativiert werden muß, da er nach Hegel nur auf einer bestimmten Abstraktionsstufe festgehalten werden kann. „Das Subject kann also zunächst gegen das Prädicat als das Einzelne gegen das Allgemeine, oder auch als das Besondere gegen das Allgemeine, oder als das Einzelne gegen das Besondere genommen werden; insofern sie nur überhaupt als das Bestimmtere und das Allgemeinere einander gegenüberstehen." (WL III 53, Hervorh. v. Verf.) „In der weiteren Entwicklung des Urteils geschieht es dann, daß das Subjekt nicht bloß das unmittelbar Einzelne und das Prädikat nicht bloß das abstrakt Allgemeine bleibt; Subjekt und Prädikat erhalten demnächst auch die Bedeutung jenes, des Besonderen und des Allgemeinen, und dieses, des Besonderen und des Einzelnen. Dieser Wechsel in der Bedeutung der beiden Seiten des Urteils ist es, welcher unter den beiden Benennungen Subjekt und Prädikat stattfindet." (Enz. § 169 Z, TW VIII 320)
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Mit den Bestimmungen: Subjekt und Prädikat, Einzelheit und Allgemeinheit und schließlich Gegenstand und Begriff, sind die ersten Grundvokabeln gegeben, die für eine kritische Betrachtung der Urteilsform nötig sind. Dabei kommt es aber vor allem darauf an, welche Beziehung die beiden Urteilsglieder zueinander haben. Zwischen ihnen steht im Urteil nämlich das entscheidende Wort „ist", das nicht nur für die Urteilslehre, sondern auch für die Metaphysik im allgemeinen von großer Bedeutung ist. 3.2.1.2. Kopula u n d Urteilsbeziehung Entgegen der traditionellen Auffassung hält Hegel die Kopula des Urteils nicht für ein drittes Glied des Urteils,6" weil sie in Wahrheit nicht auf derselben Ebene steht wie das Subjekt und das Prädikat. In der Kopula erblickt Hegel vielmehr die Einheit des Urteils als solche. „Die Begriffse i n h e i t ist a l s d i e B e s t i m m t h e i t , welche die sie beziehende Copula ausmacht, zugleich von ihnen [dem Subjekt und dem Prädikat] unterschieden. (...) Aber indem sie wesentlich das B e z i e h e n d e ist, ist sie nicht nur solche unmittelbare Beschaffenheit, sondern das durch Subject und Prädicat h i n d u r c h g e h e n d e , und A l l g e m e i n e . " (WL III 89) In diesem Zusammenhang steht Hegel der modernen semantischen Analyse der Urteilsstruktur näher, der zufolge die Kopula ebenfalls nicht als ein selbständiges Glied des Urteils, sondern als Teil des Prädikats angesehen wird.68 Für die Urteilsstruktur kommt es darauf an, welche Beziehung von Subjekt und Prädikat sich in dem Wort „ist" ausdrückt. Diese Beziehung, die den Sinn des Urteils ausmacht, ist durch den begriffslogischen Charakter der Einzelheit und der Allgemeinheit bestimmt. Wenn z. B. gesagt wird, diese Rose sei rot, ist damit gemeint, daß der individuelle Gegenstand „Rose" einer Gruppe von Dingen zugeordnet wird, die als „rot" bezeichnet werden können. In diesem Sinne fällt der Gegenstand „Rose" unter den Allgemeinbegriff „rot". Diese Beziehung, die ein Einzelnes zu Das Wort „ist", also die Kopula, gilt in der Schullogik generell als dritter Bestandteil des Urteüs, durch den das Subjekt und Prädikat als zwei ursprünglich getrennte Glieder des Urteils zu einer Einheit verknüpft werden. Diese Ansicht geht auf die Aristotelische Urteilslehre zurück: „In einer bejahenden Aussage wie dieser („Ein Mensch ist gerecht") ist das Wort ,ist'", so meint Aristoteles, „als Drittes «mit dem> Nennwort oder vielmehr Aussagewort zusammengefügt" (De int. 10,19b24f.). Daher hat Theunissen Recht, wenn er schreibt, „daß Hegel >Urteil< keineswegs aus Subjekt, Prädikat und Copula »besteht«. Es besteht, wie nach moderner Auffassung der elementare Aussagesatz, nur aus Subjekt und Prädikat. Hegel erklärt ausdrücklich, daß »an und für sich Subjekt und Prädikat die Totalität des Begriffes sind«, der im Urteil seine Realität hat." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 395; vgl. auch S. 397 ff.
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einem Allgemeinen aufweist, wird nach der modernen Semantik als Klassifikation verstanden, indem das Prädikat als Klassifikationsausdruck die Klasse angibt, unter die der vom singulären Terminus bezeichnete Gegenstand fallen soll. Die Klassifikationsfunktion des Urteils ist eine semantische Präzisierung der Beziehung von Subjekt und Prädikat, die unter dem Begriff der Subsumtion in der neuzeitlichen Philosophie behandelt wird. So bezeichnet Kant die Urteilskraft ausdrücklich als „das Vermögen unter Regeln zu s u b s u m i r e n , d.i. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht" (KrV A 132 / B 171; vgl. AA V 179), wobei das Prädikat im Urteil als Regel der Subsumtion fungiert.69 Die Beziehung von Subjekt und Prädikat versucht Hegel ebenfalls durch das Subsumtionsverhältnis zu charakterisieren. Diese Interpretationsweise zeigt sich besonders deutlich in seiner Jenaer Logik von 1804/05, wo Hegel im Unterschied zur späteren Logik die gegenläufigen Beziehungen vom Subjekt zum Prädikat und vom Prädikat zum Subjekt gleichermaßen als Subsumtion auffaßt." Dabei hat Hegel den Begriff der Subsumtion dermaßen erweitert, daß das Verhältnis nicht nur, wie üblich, auf Einzelnes zu Allgemeinem, sondern umgekehrt auch auf Allgemeines zu Einzelnem angewendet wird. Die beiden Subsumtionsverhältnisse stellen demnach die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat aus zwei gegenläufigen Blickwinkeln dar, insofern das eine Mal „das Prädicat von der Seite des Subjekts aus" und das andere Mal umgekehrt das Subjekt „von der Seite des Pradicats aus" (JSE II 81) betrachtet wird. Die zwei verschie-
Die Anwendungsweise des Begriffs im Subsumtionsverhältnis erläutert Kant folgendermaßen: „In allen Subsumtionen eines Gegenstandes unter einen Begriff muß die Vorstellung des ersteren mit der letztern g l e i c h a r t i g sein, d. i. der Begriff muß dasjenige enthalten, was in dem darunter zu subsumirenden Gegenstande vorgestellt wird, denn das bedeutet eben der Ausdruck: ein Gegenstand sei u n t e r einem Begriffe enthalten." (KrV A 137 / B 176) „Der Begriff vom Hunde", so lautet ein berühmtes Beispiel Kants, „bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Thieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgend eine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung darbietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein." (KrV A 141 / B 180) „Die Urteilslehre der Jenenser Logik ist," so Theunissen, „durchweg und von Grund auf Subsumtionstheorie." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O, S. 443. Das Subsumtionsverhältnis zwischen Subjekt und Prädikat deutet Theunissen auf der Grundlage seiner intersubjektiven Interpretation der Hegeischen Urteilslehre als eine Beziehung der Herrschaft, die das eine über das andere ausübt. Dabei stützt er sich weitgehend auf die Jenaer Logik von 1804/05, wonach die Beziehung, die sich im Urteil darstellt, als „Selbsterhaltung durch Bezwingung des andern unter sich" (JSE II 82) charakterisiert wird. Das Inhärenzverhältnis aber, das Hegel in der Wissenschaft der Logik einführt, stellt aus der Sicht Theunissens kein Herrschaftsverhältnis dar, sondern ein Verhältnis der Gleichgültigkeit. Vgl. M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O, S. 444 ff.
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denen Perspektiven beziehen sich zwar auf ein und dieselbe Urteilsbeziehung, bringen jedoch zwei unterschiedliche Akzente zum Ausdruck, indem jeweils dem einen, unter dem das andere subsumiert wird, eine wesentlichere Bedeutung beigemessen wird (JSE II 81). Das Urteil bewegt sich also nach der Darstellung in der Jenaer Logik in diesen zwei entgegengesetzten Betrachtungsweisen, die zusammen genommen das Wesen des Urteils ausmachen. „So ist das Urtheil durch die beyden entgegengesetzten Subsumtionen, des Subjects und unter das Prädicat, des Pradicats unter das Subject vollendet." (JSE II 91) In der Wissenschaft der Logik hat Hegel die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat differenzierter ausgeführt, indem er die gegenläufigen Subsumtionsverhältnisse als Inhärenz und Subsumtion präzisiert. Die beiden Beziehungen unterscheiden sich dadurch, welchem Glied des Urteils der logisch-ontologische Primat zugesprochen wird. Insofern das Subjekt als ein für sich bestehendes Zugrundeliegendes und das Prädikat hingegen als ein unselbständiges Glied, das nur im Subjekt Bestehen hat, betrachtet wird, erscheint die Urteilsbeziehung zunächst als Inhärenz (WL III 58). Die Beschreibung der Inhärenzbeziehung erinnert an die klassische Substanzlehre, in der Subjekte als selbständige Einzeldinge mit mannigfaltigen, aber eben nur als Akzidenzen angesehenen Bestimmtheiten verstanden werden. Dabei drückt ein Prädikat nur eine Eigenschaft des Subjekts aus, das selber noch viele andere Eigenschaften in sich trägt und insofern ein konkretes Ding ist. „Insofern hiernach das Prädicat vom Subjecte unterschieden wird, so ist es nur eine v e r e i n z e l t e Bestimmtheit desselben, nur Eine seiner Eigenschaften; das Subject selbst aber ist das C o n c r e t e , die Totalität von mannichfaltigen Bestimmtheiten" (WL III 58). Aber was als Inhärenz eines Prädikates im Subjekt betrachtet werden kann, läßt sich ebensogut als eine Subsumtion des Subjekts unter ein Prädikat ansehen. Die Urteilsbeziehung kann auch aus dem Inhärenzverhältnis heraus in das Subsumtionsverhältnis umschlagen, sobald man von der Selbständigkeit des Prädikates ausgeht. In diesem Zusammenhang ist „das Prädicat selbstständige Allgemeinheit, und das Subject umgekehrt nur eine Bestimmung desselben. Das Prädicat s u b s u m i r t insofern das Subject; die Einzelheit und Besonderheit ist nicht für sich, sondern hat ihr Wesen und ihre Substanz im Allgemeinen. Das Prädicat drückt das Subject in seinem Begriffe aus; das Einzelne und Besondere sind zufallige Bestimmungen an demselben; es ist deren absolute Möglichkeit." (WL III 58) Vom Blickwinkel der Subsumtion aus erscheint das Prädikat als das Wesentliche, weil das Subjekt nur in dem Allgemeinen sein Wesen und seine Existenz erhält. Im einzelnen Subjekt findet sich das Prädikat sozusagen in Form seiner Instantiierung wieder, indem „das nur an sich seyende Allgemeine im Einzelnen ins Daseyn heruntersteigt" (WL III 57). Die gegenläufigen Verhältnisse von Inhärenz und Subsumtion scheinen auf den ersten Blick zwei gleichwertige Interpretationsweisen der
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Urteilsbeziehung zu sein. Dennoch neigt Hegel dazu, das Subsumtionsgegenüber dem Inhärenzverhältnis als das Wesendichere anzusehen. Denn das einzelne Subjekt für sich wird bei Hegel als das Begrifflose aufgefaßt, dessen Wesen niemals aus sich, sondern nur durch das Prädikat zum Ausdruck gebracht werden kann."1 Der Vorrang der Subsumtion zeigt sich unter anderem darin, daß Hegel die ersten Urteilsformen, also die Daseinsurteile, a l s „ U r t h e i l e d e r I n h ä r e n z " und die entwickelteren Formen der Reflexionsurteile als „ U r t h e i l e d e r S u b s u m t i o n " (WL III 72) auffaßt. Die beiden Beschreibungen der Urteilsbeziehung sind Hegel zufolge zwar nicht unzulässig, aber doch wesentlich einseitig, weil sie jeweils nur einen Aspekt der Urteilsbeziehung hervorhebt. Egal ob das Einzelne unter das Allgemeine subsumiert wird, oder das Allgemeine dem Einzelnen inhäriert, in beiden Fällen werden das Subjekt und das Prädikat im Urteil nur hinsichtlich eines bestimmten Gesichtspunktes miteinander identifiziert. Die Einheit, die dabei entsteht, ist nur eine partielle Einheit, nicht aber eine vollkommene, die Hegel mit seiner Wahrheitskonzeption erreichen will. „Die w a h r e Beziehung des Subjects auf das Prädicat" ist Hegel zufolge nur eine „ u n t e r s c h i e d s l o s e I d e n t i t ä t " (WL III 58). Denn „im Urtheile (...) ist diese Identität noch nicht gesetzt [...]. Wäre das I s t der Copula schon g e s e t z t als jene bestimmte und erfüllte E i n h e i t des Subjects und Pradicats, als ihr Begriff, so wäre es bereits d e r S c h l u ß . " (WL III 59) Die durch die Kopula ausgedrückte Identität bezeichnet Hegel auch als „eine a n s i c h s e y e n d e " (WL III 58), weil sie auf einer Voraussetzung beruht, die in der Bestimmung des Urteils durch das Inhärenz- oder Subsumtionsverhältnis impliziert, aber noch nicht durchschaut ist. Es handelt sich um die Trennung zwischen Subjekt und Prädikat, die erst nachträglich und äußerlich zu einer Einheit verbunden werden sollen. „Gewöhnlich denkt man beim Urtheil zuerst an die S e l b s t s t ä n d i g k e i t der Extreme, des Subjects und Pradicats, daß jenes ein Ding oder eine Bestimmung für sich, und ebenso das Prädicat eine allgemeine Bestimmung außer jenem Subject etwa in meinem Kopfe sey, - die dann von mir mit jener zusammengebracht, und hiemit geurtheilt werde." (Enz. § 166 Theunissen faßt den Unterschied folgendermaßen zusammen: „Sich selbst übersteigend zielt das Urteil darauf ab, daß das Prädikat den Begriff des Subjekts ausdrücke; nach seiner Unwesentlichkeit betrachtet und in seinem defizienten Dasein ist es so beschafften, daß das Prädikat dem Subjekt inhäriert; seine faktische Wesensverfassung aber, die auch in faktischen Formen verwirklicht ist, schreibt vor, daß das Prädikat das Subjekt subsumiere. Dabei ist das Urteil jeweils das, was das Prädikat leistet, weil es im ganzen »die andere Funktion des Begriffes« ausübt, den das Prädikat wenigstens intendiert. Die dem Urteil als solchem eigentümliche Funktion ist mithin die Subsumtion." M. Theunissen: Sein und Schein, a. a. O., S. 443.
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A, 182) Nach der gewöhnlichen, „ s u b j e c t i v e n Betrachtung" des Urteils bestehen Subjekt und Prädikat jedes als außer dem anderen für sich, und zwar so, daß „das Subject als ein Gegenstand, der auch wäre, wenn er dieses Prädicat nicht hätte; das Prädicat als eine allgemeine Bestimmung, die auch wäre, wenn sie diesem Subjecte nicht zukäme." (WL III 55) Das Urteilen wird dabei als eine subjektive Leistung des Denkens angesehen, die zwei ursprünglich Getrennte zu einer Einheit verbindet, die erst in der Synthesis zustande kommt. Die Verbindung vollzieht sich demnach in einem Denken, das mit den Dingen, wie sie an und für sich sind, nicht übereinstimmen muß. Denn „das Urtheil wird gewöhnlich in s u b j e c t i v e m Sinn genommen, als eine O p e r a t i o n und Form, die blos im s e l b s t b e w u ß t e n Denken vorkomme." (Enz. § 167, 183) Hier setzt sich Hegel offenkundig mit der neuzeitlichen, vor allem aber der Kantischen Erkenntnis- bzw. Urteilstheorie auseinander, deren Kernpunkt darin besteht, daß die urteilende Leistung des Verstandes als Synthesis analysiert wird.72 Was die Synthesis betrifft, geht es bei Kant darum, wie Einheit durch die synthetische Leistung des Urteils in die Mannigfaltigkeit der Vorstellungen gebracht werden kann. Diese synthetische Leistung bezieht Kant auf eine in unserem Denkvermögen gelegene Potenz, mannigfaltige Vorstellungen durch die Handlung des Verstandes unter einer Einheit zu vereinigen. 3 Dabei zeichnet sich die synthetische Handlung dadurch aus, Vgl. KrV A 77 / B 102 f.: „Allein die Spontaneität unseres Denkens erfordert es, daß dieses Mannigfaltige zuerst auf gewisse Weise durchgegangen, aufgenommen und verbunden werde, um daraus eine Erkenntniß zu machen. Diese Handlung nenne ich Synthesis. Ich verstehe aber unter S y n t h e s i s in der allgemeinsten Bedeutung die Handlung, verschiedene Vorstellungen zu einander hinzuzuthun und ihre Mannigfaltigkeit in einer Erkenntniß zu begreifen." Kant zufolge durchläuft die Synthesis mehrere Stufen, bei denen verschiedene Vorstellungen nach bestimmten Einheitsgesichtspunkten miteinander verbunden und schließlich in einer begrifflich artikulierbaren Gegenstandserkenntnis vereinigt werden. In der ersten Auflage der Kritik unterteilt Kant die Synthesis in die folgenden drei Stufen: Erstens werden die vielfältigen Gegebenheiten durch die „Synthesis der Apprehension in der Anschauung' (KrV A 98) in der Vorstellung einer Anschauung zusammengefaßt, ohne deren Einheit es in keiner Weise zu unterscheiden möglich wäre, welche Gegebenheiten in ein und demselben Augenblick gegeben worden sind. Damit allein wäre es noch nicht möglich, einen Gegenstand, der in gewisser Weise beharrlich sein soll, zu erkennen, wenn jede Anschauung nach ihrem Auftreten im Bewußtsein sofort verschwände, so daß das Subjekt lediglich über die aktuellen Wahrnehmungsinhalte im Bewußtsein verfügen könnte. So muß es zweitens eine „Synthesis der Reproduction in der Einbildung" (KrV A 100) geben, durch die verschiedene Anschauungen von einem Gegenstand, die zu verschiedenen Zeitpunkten wahrgenommen worden sind, dem Bewußtsein vergegenwärtigt und als Anschauungen von ein und demselben Gegenstand aufgefaßt werden. Erst dann ist ein Gegenstand als solcher denkbar. Aus diesen zwei Stufen der Synthesis allein ergibt sich aber nach Kant immer noch keine Erkenntnis, weil es noch
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daß sie als eine originelle Leistung unseres Erkenntnisvermögens betrachtet wird, weil sie ihrerseits nicht von außen verursacht wird, sondern sich kraft der Spontaneität unseres Denkvermögens aus sich selbst hervorruft und im Urteilen vollzieht. Denn die Einheit, unter die gegebene Vorstellungen vereinigt werden, kann nicht wiederum gegeben werden, sondern m u ß aus dem Denken selbst stammen." 4 Der Akt des selbsttätigen Denkens verbindet im Vollzug des Urteilens das Subjekt und das Prädikat zu einer Einheit, auf die sich die Wahrheit oder Falschheit des Urteils bezieht. Aus dieser transzendentalidealistischen Auffassung des Urteils ergibt sich aber die Konsequenz, daß das Urteil nur imstande ist, über einen Gegenstand auszusagen, wie er für denjenigen, der das Urteil vollzieht, erscheint, nicht aber wie er an sich ist. Wenn aber das Urteil nur ein subjektives, äußerliches Denken über die Wirklichkeit ist, so ist es Hegel zufolge unmöglich, die Wahrheit in das Denken nachträglich hereinzubringen. Sollte die Wahrheit in irgendeiner Weise erreichbar sein, so muß die Möglichkeit bestehen, etwas über die wirkliche Wirklichkeit auszusagen. Das Urteil m u ß darüber Auskunft geben, was der Gegenstand eigentlich ist. Für Hegel ist erst dieser objektive Sinn des Urteils die wahre Bedeutung der Kopula. „Jenem bloß subjectivseynsollenden Sinne des Urtheils, als ob I c h einem Subjecte ein Prädicat b e y l e g t e , widerspricht der vielmehr objective Ausdruck des Urtheils: die Rose i s t roth, das Gold ist Metall u.s.f; nicht Ich lege ihnen etwas erst bey." (Enz. § 167 A, 183) Denn „die COPULA zeigt an, daß das Prädicat zum S e y n des Subjects gehört, und nicht bloß ausserlich damit verbunden wird." (WL III 55)75 der Begriffe bedarf, um Gegenstände artikulieren und identifizieren zu können. Daher ist drittens noch eine „Synthesis der Recognition im Begriffe" (KrV A 103) erforderlich, um Gegenstände unter entsprechende Begriffe zu bringen und so artikulierte Erkenntnis über sie zu gewinnen. Diese dritte Stufe der Synthesis ist eben die Subsumtion des Gegenstandes unter einen Begriff, die sich im Urteilen vollzieht. Vgl. KrV B 129 f.: „Allein die Verbindung (conjunctio) eines Mannigfaltigen überhaupt kann niemals durch Sinne in uns kommen [...]; denn sie ist ein Actus der Spontaneität der Vorstellungskraft, (...) so ist alle Verbindung, (...) eine Verstandeshandlung, die wir mit der allgemeinen Benennung S y n t h e s i s belegen würden, um dadurch zugleich bemerklich zu machen, daß wir uns nichts als im Object verbunden vorstellen können, ohne es vorher selbst verbunden zu haben, und unter allen Vorstellungen die V e r b i n d u n g die einzige ist, die nicht durch Objecte gegeben, sondern nur vom Subjecte selbst verrichtet werden kann, weil sie ein Actus seiner Selbstthätigkeit ist." Kant würde zwar auf keinen Fall sagen, daß die Kopula nur eine subjektive Verbindung von Subjekt und Prädikat ausdrückt. Denn das Urteil ist Kant zufolge „ein Verhältniß, das o b j e c t i v g ü l t i g ist und [unterscheidet] sich von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjective Gültigkeit wäre, z.B. nach Gesetzen der Association, hinreichend" (KrV B 142). Es ist eben eine Grundvoraussetzung für die transzendentale Deduktion der
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Der objektive Sinn des Urteils wird ferner bei Hegel in einer gesteigerten Bedeutung aufgefaßt, indem es nicht nur um die objektiven Bestimmtheiten der Dinge geht, sondern um die Objektivität der Dinge als solche. In der Kopula erblickt Hegel also nicht nur die logische Struktur des Urteilens, sondern auch die ontologische Struktur der Wirklichkeit, die dem Denken im urteilenden Bezug zugänglich wird. Denn „im Zeitwort: S e y n " (WL II 241) der europäischen Sprachen hat sich eine bemerkenswerte Mehrdeutigkeit herausgebildet, indem der Ausdruck „ist" nicht nur als Kopula eine prädikative Bedeutung, sondern auch, wie etwa in dem Satz „Gott ist", als Vollverb eine existentielle Bedeutung hat."6 Für Hegel ist dies mehr als ein äußerlicher Anlaß dafür, dem Urteil über seinen subjektiven Sinn hinaus eine ontologische Bedeutung zuzuerkennen. „Das Urtheil ist ganz allgemein zu nehmen: alle Dinge sind ein Urtheil" (Enz. § 167, 183)."" Dies ist eine „objektive" Auffassung des Kategorien, daß das kopulative Urteil den Objektivitätsanspruch erhebt. Ein empirisches Urteil, das nur subjektiv gemeint ist, also ein sogenanntes „Wahrnehmungsurteil", unterscheidet sich nach Kant von einem als objektiv ausgesagten „Erfahrungsurteil" dadurch, daß jenes sich nicht der kopulativen Urteilsform bedient. Anstatt zu sagen, „der Körper ist schwer", würde ein Wahrnehmungsurteil so formulieren: „wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere" (KrV B 142; AA IV 298 f; AA IX 113). Aber die Objektivität, die das Urteil nach Kant beansprucht, ist für Hegel unzulänglich oder gar widersprüchlich. Denn es handelt sich ausschließlich um die Objektivität der Erscheinung, nicht aber der Dinge, wie sie an und für sich sind. Vgl. unten Kap. 4.1.1.2: Die Kantische Umdeutung der Substanz und das Ding an sich, S. 203 ff. Neben der prädikativen und der existentiellen Bedeutung läßt sich noch die „veritative" Bedeutung des Verbs „sein" als eine seiner selbständigen Gebrauchsweisen unterscheiden, wie etwa in dem Satz „es ist der Fall, daß p". Erläuterung zur veritativen Bedeutung des Seins findet sich bereits bei Aristoteles in Met. 0 10. Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, a. a. O., S. 60 ff. Trotz dieser linguistischsemantischen Unterscheidung versucht Charles H. Kahn in einer linguistischphilosophischen Untersuchung des Verbs „sein" in der indioeuropäischen Sprachfamilie eine Theorie des Verbs „sein" zu entwickeln, in der das Zusammentreffen der verschiedenen Bedeutungen in einem einzigen Wort nicht bloß als ein glücklicher Zufall angesehen, sondern in einem theoretischen Zusammenhang begründet wird. Den begrifflichen Vorrang schreibt er dabei dem prädikativen Gebrauch des Verbs „sein" zu, der dem Verstehen des existentiellen und des veritativen Gebrauchs zugrunde liegen soll. Vgl. C. H. Kahn: On the Theory of the Verb "To Be", in: M. K. Munitz (Hrsg.): Logic and Ontology, New York 1973, S. 1 - 20; ders.: The Verb 'Be' in Ancient Greek [The Verb 'Be' and Its Synonyms (6)], Dordrecht 1973. Hegel sagt allerdings auch: „Alle Dinge sind der S c h l u ß , ein Allgemeines, das durch die Besonderheit mit der Einzelnheit zusammengeschlossen ist" (WL III 95) Für Hegel haben sowohl das Urteil als auch der Schluß eine Vermittlungs struktur, in der Allgemeinheit und Einzelheit vereinigt werden. Insofern alle Dinge diese Einheit der Entgegensetzung in sich aufweisen, können sie in diesem Sinne als Urteil oder als Schluß bezeichnet werden. Der Schluß ist für He-
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Urteils im wahrsten Sinne des Wortes, indem Hegel sich nicht nur gegen die gewöhnliche Auffassung des Urteils wendet, die von zwei selbständigen, getrennten Extremen des Subjekts und des Prädikats ausgeht, sondern auch der ontologischen Konsequenz des Urteils Rechnung trägt. Für Hegel ist jedes Ding erst dann ein konkretes Ding, das Bestehen hat, sofern es die Urteilsbeziehung aufweist, in der Einzelheit und Allgemeinheit vereinigt sind. Hegel Einwand gegen die subjektive Auffassung des Urteils, die von der Trennung zweier Extreme ausgeht, hängt bekanntlich mit seinem etymologischen Verständnis des deutschen Worts „Urteil" zusammen, das er mit Hölderlin teilt. Für Hölderlin ist das Urteil, wie er es in dem Fragment über Urtheil und Seyn (1795) darstellt, „im höchsten und strengsten Sinne die ursprüngliche Trennung des in der intellectualen Anschauung innigst vereinigten Objects und Subjects". 8 Die Beziehung, die Objekt und Subjekt zueinander haben, wird wesentlich durch diese Ur-Teilung geprägt. Denn „im Begriffe der Theilung liegt schon der Begriff der gegenseitigen Beziehung des Objects und Subjects aufeinander, und die nothwendige Voraussetzung eines Ganzen wovon Object und Subject die Theile sind". Trennung und Vereinigung sind damit zwei aufeinander bezogene Momente, die im Ur-Teil vereinigt sind. Als „das passendste Beispiel" zu diesem Begriff der Urteilung in theoretischer Hinsicht nennt Hölderlin in Anlehnung an Fichte das Urteil „Ich bin Ich".79 Diese Hölderlinsche Konzeption hat Hegel offenkundig im Blick, wenn er schreibt: „Die e t y m o l o g i s c h e Bedeutung des U r t h e i l s in unsrer Sprache ist tiefer und drückt die Einheit des Begriffs als das Erste, und dessen Unterscheidung als die u r s p r ü n g l i c h e Theilung aus, was das Urtheil in Wahrheit ist." (Enz § 166 A, 182) Im Fall des Wortes „Urteil" hat aus Hegels Sicht der spekulative Geist der Sprache wohl seine Spuren besonders auffällig hinterlassen, da die Deutung des Urteils als „ursprünggel jedoch eine differenziertere und somit vollkommenere Struktur als das Urteil, insofern die noch unbestimmte Beziehung der Kopula durch den Mittelbegriff im Schluß gesetzt und bestimmt wird. Daher ist der Schluß „die Wahrheit des Urtheils" (WL III 95). Vgl. J. C. F. Hölderlin: Urtheil und Seyn, in: ders.: Tod des Empedokles. Aufsätze, [Sämtliche Werke. Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 4/1,] hrsg. v. F. Beißner, Stuttgart 1961, S. 216 f. Vgl. D. Henrich: Hölderlin über Urteil und Sein. Eine Studie zur Entstehungsgeschichte des Idealismus, in: Hölderlin-Jahrbuch 14 (1965/66), S. 73-96. Den Satz „Ich bin Ich" betrachtet Fichte bekanntlich als „den absolutersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens". Vgl. J. G. Fichte: Grundlage dergesammten Wissenschaftslehre (1794/95), in: ders.: Werke 1793 - 1795 [). G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaft, Reihe I, Bd. 2], hrsg. v. R. Lauth u. H. Jacob unter Mitwirkung v. M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, § 1, S. 255 ff.
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liehe Teilung" zur dialektischen Bewegung des Logischen aus dem Begriff über das Urteil zum Schluß geradezu optimal paßt.80 Denn der Differenz, die das Urteil aufweist, liegt Hegel zufolge die ursprüngliche Einheit des Begriffs zugrunde, der sich aber auf dem Weg zu der sich mit sich selbst vermittelten Einheit im Schluß zunächst auf der Stufe des Urteils entzweien muß. „Das Urtheil ist", so Hegel, „die am Begriffe selbst gesetzte B e s t i m m t h e i t desselben" (WL III 53), oder bestimmter noch in der Jenaer Logik, „das Moment des Andersseyns des bestimmten Begriffes, oder seine (schlechte) Realität, worin das was in ihm als eins gesetzt ist, auseinandertritt, und unterschieden für sich ist." (JSE II 80) Das Ur-teil spricht aus, daß Subjekt und Prädikat, Einzelheit und Allgemeinheit, Sein und Begriff trennbar sind, indem es die im Begriff ursprünglich vereinigten Momente zu selbständigen Extremen differenziert, deren Wahrheit in der Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit besteht. 3.2.1.3. Ansätze der Urteilskritik Schon in seiner früheren Zeit ist Hegel zu der Einsicht gekommen, daß man mit der gewöhnlichen Urteilsform Schwierigkeiten hat, philosophische Gedanken adäquat darzustellen. Die Auseinandersetzung mit der Urteilsform geht auf die sogenannten theologischen Jugendschriften zurück, in denen die Urteilskritik ihre erste Vorform findet. Auf die Unzulänglichkeit des Urteils stößt Hegel zunächst in einer Jugendschrift aus seiner Frankfurter Zeit Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798 - 1800), wenn er sich mit dem Gedanken auseinandersetzt, daß Jesus sowohl Sohn Gottes als auch Menschensohn ist.81 Aber das Denken gerät in Widerspruch, sobald es diesen wesentlichen Gedanken im Urteil formuliert. Denn die Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus ist eine göttliche Idee, die der Verstand mit seiner abstrakten Vorstellung der Transzendenz im Jenseits nicht zu fassen vermag. Durch die feste Trennung von Subjekt und Prädikat, von Einzelnem und Allgemeinem ist das Urteil nicht in der Lage, diese göttliche Einheit als solche auszudrücken. Der junge Hegel findet in der abstrahierenden Struktur des Urteils die
Vgl. W. Salomon: Urteil und Selbstverhältnis. Kommentierende Untersuch zur Lehre vom Urteil in Hegels »Wissenschaft der Logik«, Frankfurt a. M. S. 24 - 33. Vgl. TW I 377 f.: „Jesus nennt sich (...) nicht nur Sohn Gottes, er nennt sich auch Sohn des Menschen; (...) Jesus ist Mensch, ist ein eigentliches Urteil, das Prädikat ist nicht ein Wesen, sondern ein Allgemeines, (ävöpumoc, der Mensch; uiöc, dvöpiimou ein Mensch.) Der Gottessohn ist auch Menschensohn; das Göttliche in einer besonderen Gestalt erscheint als ein Mensch; der Zusammenhang des Unendlichen und des Endlichen ist freilich ein heiliges Geheimnis". Eine Erläuterung zu diesem Passus im Zusammenhang mit dem spekulativen Satzfindetsich bei Erich Heintel: Der Begriff des Menschen und der „s kulative Satz", a. a. O., S. 223 ff.
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grundsätzliche Aporie, daß die philosophische Erkenntnis des Göttlichen überhaupt unmöglich ist, „weil unmittelbar jedes über Göttliches in Form der Reflexion Ausgedrückte widersinnig ist" (TW I 373). In der Differenzschrift von 1801 hat Hegel dann seine Einwände gegen die gewöhnliche Satzform substantiell weiterentwickelt, besonders im Zusammenhang mit seiner Kritik an den Voraussetzungen der Reflexionsphilosophie. Dort wendet sich Hegel gegen die Systemkonzeption der Reflexionsphilosophie, die an „das System als eine Organisation von Sätzen" die Forderung stellt, „daß ihm das Absolute, welches der Reflexion zum Grunde liegt, auch nach Weise der Reflexion, als oberster absoluter Grundsatz vorhanden sei." (GW IV 23) Damit bezieht sich Hegel vor allem auf die Fichtesche Idee der Wissenschaftslehre. 82 „Eine solche Forderung trägt aber", so Hegel „ihre Nichtigkeit schon in sich; denn ein durch die Reflexion gesetztes, ein Satz ist für sich ein Beschränktes und Bedingtes, und bedarf einen andern zu seiner Begründung u.s.f. ins Unendliche." (GW IV 23) Für Hegel ist jeder Versuch, das ganze philosophische System an einem obersten absoluten Grundsatz zu hängen bzw. auf diesem zu gründen, unausweichlich zum Scheitern verurteilt, unabhängig davon, welcher Grundsatz genommen wird. Denn er scheitert schon vom Ansatz her daran, daß der Grundsatz als ein Satz bzw. als ein Gesetztes überhaupt, durch seine Form beschränkt und bedingt ist. Aus einem solchen läßt sich das Absolute weder herleiten noch begründen. Der Satz ist Hegel zufolge insofern mangelhaft, als er durch die Verbindung eines Subjekts und eines Prädikats nur eine Abstraktion auszudrücken imstande ist, wodurch die Konkretheit des Absoluten vereinseitigt wird. Sollte ein „Grundsatz" an die Spitze eines Systems gestellt „Jede Wissenschaft", so schreibt Fichte in einer programmatischen Schrift Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794), „muss einen Grundsatz haben [...]. Sie kann aber auch nicht mehr als Einen Grundsatz haben, weil sie sonst nicht Eine, sondern mehrere Wissenschaften ausmachen würde." (§ 1, S. 115) Die Philosophie, also für Fichte die Wissenschaftslehre als die Wissenschaft aller Wissenschaften, ist selber auch „eine Wissenschaft". „Auch sie muss daher zuvörderst einen Grundsatz haben, der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern zum Behuf ihrer Möglichkeit als Wissenschaft vorausgesetzt wird. Aber dieser Grundsatz kann auch in keiner andern höhern Wissenschaft erwiesen werden; denn dann wäre diese höhere Wissenschaft selbst die Wissenschaftslehre, und diejenige, deren Grundsatz erst erwiesen werden müsste, wäre es nicht. Dieser Grundsatz der Wissenschaftslehre, und vermittelst ihrer aller Wissenschaften und alles Wissens ist daher schlechterdings keines Beweises fähig, d. h. er ist auf keinen höhern Satz zurück zu führen, aus dessen Verhältnisse zu ihm seine Gewissheit erhelle." J. G. Fichte: Ueber den Begriff der Wissenschaft oder der sogenannten Philosophie, als Einladungsschrift zu seinen Vorlesungen über diese Wissenschaft (1794), in: ders.: Werke 1793 - 1795 [J. G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaft, Reihe I, Bd. 2], hrsg. v. R. Lauth u. H. Jacob unter Mitwirkung v. M. Zahn, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, § 2, S. 120.Vgl. auch V. Hösle: Hegeb System, a. a. O., S. 22 ff.
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werden, so könnte er bestenfalls als Antinomie auftreten, die jedoch nicht in einem Satz auszudrücken ist. Denn „er steht als Satz unter dem Gesetz des Verstandes, daß er sich nicht in sich widerspreche, nicht sich aufhebe sondern ein gesetztes seye, als Antinomie aber hebt er sich auf." (GW IV 24) Die Unzulänglichkeit des Satzes führt Hegel grundsätzlich auf den Umstand zurück, daß er als ein Gesetztes wesentlich zugleich ein Entgegengesetztes ist. Ein Satz hat nämlich erst dann einen bestimmten Sinn, wenn er sich gegen einen anderen Satz abgrenzt, der ihm nach dem Gesetz des Verstandes entgegengesetzt ist. Jeder Satz verweist demnach von sich aus auf den Inhalt des ihm entgegengesetzten Satzes. Diese im Satz nicht ausgedrückte, aber implizierte Entgegensetzung weist dabei auf die Bedingtheit des Satzes und damit auf die Ungeeignetheit seiner Form für die Darstellung des Absoluten hin. „Denn von einem Gedachten, das der Satz ausdrükt, läßt sich sehr leicht erweisen, daß es durch ein Entgegengesetztes bedingt, also nicht absolut ist; es wird von diesem dem Satze Entgegengesetzten erwiesen, daß es gesetzt werden müsse, daß also jenes Gedachte, das der Satz ausdrückt, nichtig ist." (GW IV 24) Selbst der Satz der Identität „A = A", insofern er als ein Satz aufgefaßt wird, drückt nur eine abstrakte Gleichheit aus, in der alle Ungleichheit wegfällt.83 Möchte man der unausgedrückten Differenz dadurch Rechnung tragen, daß dem positiven Urteil das ihm entgegengesetzte negative Urteil beigefügt wird, so ergibt sich daraus nur eine Gegenüberstellung von zwei entgegengesetzten Urteilen, von denen das eine die Identität und das andere die Differenz ausdrückt. Dies ist dann die Antinomie, die sich aus zwei entgegengesetzten Sätzen zusammensetzt. Dadurch aber kommt das Vernünftige bzw. das Spekulative noch nicht zum Ausdruck, weil sich die Antinomie zweier entgegensetzter Sätze bedient, deren Einheit nicht vermittelt wird.84 In der Form des Satzes wird also das Vernünftige unumgänglich auf das Verständige herabgesetzt; mit seinen endlichen Mitteln vermag der Verstand nur das auszudrücken, was er überhaupt versteht. Während Hegel in der Differenzschrift von 1801 noch der Meinung ist, daß die Form des Urteils notwendigerweise den endlichen Standpunkt des Vgl. GW IV 25: „A = A, der Ausdruk des absoluten Denkens, oder der Vernunft, hat für die formale, in verständigen Sätzen sprechende Reflexion nur die Bedeutung der Verstandes-Identität, der reinen Einheit d. h. einer solchen, worin von der Entgegensetzung abstrahirt ist." Durch die Zusammensetzung zwei entgegengesetzter Sätze entsteht nämlich der „Mangel, daß diese Sätze unverbunden sind, somit den Inhalt nur in der Antinomie darstellen, während doch ihr Inhalt sich auf Ein und Dasselbe bezieht, und die Bestimmungen, die in den zwey Sätzen ausgedrückt sind, schlechthin vereinigt seyn sollen, - eine Vereinigung, welche dann nur als eine Unruhe zugleich unverträglicher, als eine Bewegung ausgesprochen werden kann." (WL I 78)
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Verstandes vertritt, führt er im Skeptizismusaufsatz von 1802 eine Unterscheidung ein, die für eine der Philosophie eigentümliche Satzform zu plädieren scheint. Im Skeptizismusaufsatz unterscheidet Hegel nämlich die philosophischen Sätze als vernünftige Sätze von den gewöhnlichen verständigen Sätzen: „Wenn in irgend einem Satze, der eine Vernunfterkenntniß ausdrückt, das Reflectirte desselben, die Begriffe, die in ihm enthalten sind, isolirt, und die Art, wie sie verbunden sind, betrachtet wird, so muß es sich zeigen, daß diese Begriffe zugleich aufgehoben, oder auf eine solche Art vereinigt sind, daß sie sich widersprechen, sonst wäre es kein vernünftiger, sondern ein verständiger Satz." (GW IV 208) Damit scheint Hegel eine Gegenüberstellung von zwei Satzformen vornehmen zu wollen: Während die eine Form fixierte und einseitige Bestimmungen angibt, werden diese in der anderen Form aufgehoben oder, in Hegels Worten, auf eine solche Art vereinigt, daß sie sich widersprechen. Aber worin besteht der entscheidende Unterschied, daß die eine Satzform Widersprüche vereinigt in sich enthalten kann, während die andere nur einseitige Bestimmungen anzugeben vermag? Welchen Sinn hat der vernünftige Satz gegenüber dem gewöhnlichen verständigen Satz? Wenn man genauer hinschaut, worauf sich Hegel mit seinen Vernunftsätzen im Skeptizismusaufsatz eigentlich bezieht, so findet man Beispiele wie „Gott ist Ursache und Gott ist nicht Ursache; er ist Eins, und nicht Eins, Vieles und nicht Vieles" (GW IV 208). Diese Vernunftsätze sind ja schlichte Widersprüche, da sie einem Subjekt ein Prädikat zugleich zuund absprechen. Lassen wir aber vorerst Hegels eigentümliche Stellung zum Satz vom Widerspruch, auf die wir später noch eingehen werden,83 beiseite und konzentrieren wir uns auf die strukturelle Besonderheit derartiger Vernunftsätze, so ist nicht zu übersehen, daß die Vernunftsätze nicht anderes sind als zwei entgegengesetzte Sätze zusammen ausgesprochen. „Gott ist Ursache" z. B. ist ein positives Urteil, und „Gott ist nicht Ursache" genau sein negatives Gegenstück; das eine sagt die Identität von Gott und Ursache aus, das andere aber genau im Gegenteil die Nichtidentität. Freilich meint Hegel nicht, daß der Vernunftsatz in Form einer schlechtweg sich widersprechenden Aussage geeignet ist, die spekulative Wahrheit darzustellen. Eine solche „wahrheitsfähige" Satzform würde auf jeden Fall mit der später in der Phänomenologie entwickelten Lehre vom spekulativen Satz nicht übereinstimmen, selbst wenn man der Meinung ist, daß Hegel mit dem spekulativen Satz die Absicht habe, eine spezielle Satzform für seine spekulative Philosophie geltend zu machen. Worauf er mit der Erläuterung der Vernunftsätze zielt, ist vielmehr, die Notwendigkeit des Widerspruchs in der Vernunfterkenntnis zu demonstrieren.
Vgl. unten Kap 4.2.3.2: Widerspruch und Dialektik, S. 274 ff.
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„Indem jeder solcher Vernunftsatz sich in zwey sich schlechthin widerstreitende auflösen läßt [...], so tritt das Princip des Skepticismus: navTi \oyü) \oyoc, iooc, ävTixeiTai, in seiner ganzen Stärke auf." (GW IV 208) In diesem Zusammenhang erweist sich jedes positive Urteil insofern wesentlich als einseitig, als es nur die positive Seite einer Vernunfterkenntnis auszudrücken vermag, wobei „jede echte Philosophie" notwendigerweise auch die „negative Seite hat" (GW IV 208). Dennoch würde es auch nicht helfen, wenn das positive und das negative Urteil einfach zusammengenommen und in einem „Vernunftsatz" ausgesprochen würden. Denn daraus ergibt sich höchstens eine Antinomie, die aus „zwei sich schlechthin widerstreitenden" Sätzen besteht. Es wurde aber bereits in der Differenzschrift gezeigt, daß die Antinomie zwar für die Vernunft notwendig und konstitutiv ist, als solche jedoch noch nicht mit der spekulativen Einheit in der Entgegensetzung vollkommen übereinstimmt. Obwohl die Antinomie bereits „der höchst mögliche Ausdruk der Vernunft durch den Verstand" (GW IV 26) ist, findet die Vernunft in ihr die spekulative Identität noch nicht ausgedrückt, sofern sie beim Widerspruch zweier entgegengesetzter Sätze stehenbleibt und nicht durch Aufhebung des Widerspruches zu einer umfassenderen Einheit fortschreitet.86 Die adäquate Darstellung des Vernünftigen läßt sich nur dann realisieren, wenn die Darstellungsform der spekulativen Struktur der Identität von Identität und Nichtidentität gerecht werden kann, wozu aber ein Urteil für sich grundsätzlich nicht fähig ist. „Das Vernünftige", so Hegel in Glauben und Wissen von 1802, „oder (...) die absolute Identität, als Mittelbegriff, stellt sich (...) im Urtheil nicht, sondern im Schluß dar" (GW IV 328). Die absolute Identität vermag das Urteil allein nicht darzustellen, weil es wesentlich durch die Trennung von ursprünglich Einheitlichem in Subjekt und Prädikat gekennzeichnet ist. Die Identität, die im Urteil zum Ausdruck kommt, ist Hegel zufolge „nur die COPULA: ist, ein Bewußtloses" (GW IV 328). Denn „die COPULA ist nicht ein Gedachtes, Erkanntes, sondern drückt gerade das Nichterkanntseyn des Vernünftigen aus" (GW IV 329). Hegel erblickt bekanntlich in der Begriff-, Urteils- und Schlußlehre der klassischen Logik eine dialektische Entwicklung des Begriffs selbst. Während der Begriff als solcher zunächst durch die ursprüngliche Identität charakterisiert ist, entzweit er sich im Ur-teilen in einer Differenzbezie-
So schreibt W. Marx: „Es gehört zu den entscheidenden Einsichten Hegels in die Natur des Begriffes, daß sich das Unterschiedensein, die Nicht-Identität, und die Identität als eine »entgegengesetzte Bewegung« zu einem höchsten Widerspruch von Extremen entwickeln, der aber - weil diese Extreme in Wahrheit eine Sinnstruktur ausmachen - positiv gefaßt werden muß." W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache, Frankfurt a. M. 1967, S. 14.
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hung. Denn „das Urtheil selbst ist nur die überwiegende Erscheinung der Differenz." (GW IV 328) Die ursprüngliche Einheit des Begriffs ist dann durch das Zwischenstadium des Urteils hindurch erst im Schluß als eine erfüllte, vermittelte Einheit wiederherzustellen. So entspricht der Begriff der Identität, das Urteil der Differenz, und der Schluß schließlich der Identität beider. Aus dem Umstand, daß das Urteil zwischen „Begriff und „Schluß" in Hegels Systemkonzeption eine Zwischenstellung einnimmt, ergibt sich die Konsequenz, daß das Urteil in der Bewegung des Begriffs dem transitorischen Standpunkt der Endlichkeit entspricht.8 Daraus wird ersichtlich, warum Hegel der Meinung ist, daß sich die absolute Identität nicht im Urteil, sondern erst im Schluß darstellen läßt.88 Es ist aber darauf hinzuweisen, daß diese dialektische Struktur von Begriff, Urteil und Schluß nicht erst in der Wissenschaft der Logik von 1816 entwickelt wird, sondern schon in Glauben und Wissen von 1802 impliziert ist, spätestens aber in der Jenaer Logik von 1804/05 konzipiert wird (JSE II 75 ff), obwohl sie doch in der späteren Logik viel differenzierter und systematischer zur Ausführung gelangt. Die entwicklungsgeschichtliche Skizze von Hegels Urteilskritik macht deutlich, daß Hegel schon seit seiner früheren Zeit die kaum überwindlichen Schwierigkeiten erkannt hat, die der Vernunft gegenüberstehen, wenn sie das Absolute bzw. das Spekulative aufzufassen und auszudrükken versucht. Hegels Skepsis gegenüber der Wahrheitsfähigkeit der Urteilsform hat sich im Lauf seiner Denkentwicklung weiter konsolidiert und systematisiert. An einigen Stellen hat man den Eindruck, daß Hegel der Darstellungsfähigkeit des Satzes völlig mißtraut. „Das Spekulative kann", so äußert sich Hegel deutlich in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, „nicht als Satz ausgedrückt werden." (TW XIX 397) Denn für Hegel ist die Form des Satzes bzw. Urteils gerade das, was Bewegungen „tötet".89 Dabei stellt sich aber die Frage, wie man mit dem Schluß, der selber auch aus Urteilen besteht, darstellen kann, wozu das Urteil nicht fähig ist. Schlüsse müssen letztendlich auch die beschränkte Form der Sprache in Anspruch nehmen. Es ist daher nicht von vornher-
88 89
Im allgemeinen gilt für Hegel jede zweite Bestimmung auf einer meist triadisch strukturierten Kategorienebene als Bestimmung des Endlichen (Enz. § 85, 121). Im Urteil erblickt Hegel aber nicht bloß ein Endliches, wie bei jeder anderen zweiten Bestimmung, sondern vielmehr den begriffslogischen Grund des Endlichen überhaupt (Enz. § 168, 184). Vgl. R. Heede: Die Dialektik des spekulativen Satzes, in: Hegel-Jahrbuch 1974, S. 280 ff. Vgl. HEnz. § 114 A, 76: „Die philosophische Wahrheit läßt sich eben deswegen nicht in einem einzelnen Urtheile ausdrücken; der Geist, Leben, der Begriff überhaupt, ist nur Bewegung in sich, die gerade in dem Urtheil getödtet ist. Es ist darum allein schon um der Form des Urtheils willen, daß solcher Inhalt nicht die Wahrheit hat."
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ein klar, ob und inwiefern der Schluß die Unzulänglichkeit des Urteils überwinden kann. Diese Frage läßt sich aber nur dann klären, wenn Klarheit über ein damit zusammenhängendes, aber noch grundsätzlicheres Problem besteht. Hegel hat doch offenbar tatsächlich eine spezielle Satzform entwikkeln wollen, die für die Darstellung spekulativer Wahrheit geeignet sein soll. In der Vorrede zur Phänomenologie, also zum System der Wissenschaft nach der damaligen Systemkonzeption (1806/07), hat Hegel bekanntlich eine programmatische Diskussion über die Form des Satzes in der Lehre vom sogenannten spekulativen Satz bzw. spekulativen Urteil ausgeführt.90 Aber wie paßt diese Lehre mit Hegels bisheriger Skepsis gegenüber der Form des Satzes bzw. der Sprache zusammen? Gibt es nun neben der gewöhnlichen Satzform noch eine spekulative Form, die die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen Sätze durch ihre eigentümliche Struktur überwinden kann? Was für einen Satz könnte der spekulative Satz überhaupt darstellen? Ist er überhaupt noch ein Satz?
3.2.2. Der spekulative Satz 3.2.2.1. Der gewöhnliche und der spekulative Satz Die gängige Auffassung, die Philosophie, insbesondere die spekulative Philosophie Hegels, bediene sich einer speziellen Satz- bzw. Urteilsform, die sich der Unzulänglichkeit der gewöhnlichen, verstandesmäßigen Form entziehe, um das Absolute adäquat darzustellen, entspricht nicht der eigentlichen Absicht Hegels. In Wahrheit ist der spekulative Satz keine Satz- bzw. Urteilslehre im üblichen Sinne, sondern wesentlich eine Urteilskritik, und nur insofern auch eine Urteilslehre auf metatheoretischer Ebene. Denn der spekulative Satz ist eigentlich, wenn man so will, die Spekulation über die Satzform.91 Die Lehre vom spekulativen Satz ist
Die Unterscheidung von Satz und Urteil ist zu dieser Zeit noch ohne Belang, so daß die Lehre vom spekulativen Satz ebensogut als die vom spekulativen Urteil bezeichnet werden kann. Nach Heinz Röttges ist aber der Terminus „spekulativer Satz" an Stelle des Terminus „spekulatives Urteil" gewählt, weil der Satz als solcher dem begreifenden Denken näher stehen soll. Vgl. H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegeb, Meisenheim am Glan 1981, S. 66. Ob ein Satz spekulativ ist oder nicht, hängt nicht von seiner syntaktischen oder grammatischen Form ab, sondern vielmehr davon, wie er gebraucht und betrachtet wird. So schreibt Surber: „the sentence 'God is Being' ean express both simple identity and the dialectic of the 'speculative'. However, the manner in which we consider and reflect upon such a sentence is precisely what is in question for Hegel. The same sentence becomes speculative by virtue of the very manner in which we comprehend and reflect upon it. Taken simply in its imm diate, objeetive oecurrence, there is no 'external' difference between the 'speculative sentence' and any other 'kind' of sentence. Hegel's crucial point, how-
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eine metatheoretisch-kritische Betrachtung der natürlichen Urteilsform, in der diese sich über ihre eigenen Grenzen und Beschränktheiten aufklärt. Diese Interpretation soll im folgenden durch eine textnahe Untersuchung zu dem Passus über den spekulativen Satz in der Vorrede zur Phänomenologie belegt und begründet werden (Abs. 58 - 66, PG 41 - 46). Im Anschluß an die Kritik des schematisierenden Formalismus bringt Hegel im Absatz 58 der Vorrede das Wesenüiche für das „Studium der W i s s e n s c h a f t " zur Sprache. Das Denken muß sich anstrengen, sich nicht von einseitigen und beschränkten Perspektiven verführen zu lassen, sondern sich gänzlich auf die Sache als solche zu richten. Denn das Wahre ist weder bloß das Materielle noch das Formale der Sache, sondern der Begriff als die Bewegung der Sache selbst, in der sich die beiden Seiten entfalten. So muß sich der Begriff bzw. das begreifende Denken um des Wahren willen durchsetzen einerseits gegen das materielle Denken, also gegen „ein zufälliges Bewußtseyn, das in den Stoff nur versenkt ist," und andererseits gegen das formale Denken oder „das Räsonniren"92 als „die Freyheit von dem Inhalt, und die Eitelkeit über ihn" (PG 41). Was das begreifende Denken tun oder worauf es sich einlassen muß, ist vielmehr, sich so in die Sache selbst zu versenken, daß es sich durch sie als durch sich selbst bewegt, und zugleich diese Bewegung, die auch seine eigene ist, zu betrachten. In bezug auf die Form des Satzes, bei der es vor allem auf das Verhältnis des Satzsubjekts zum Prädikat ankommt, muß das begreifende Denken insbesondere die der Sache äußerliche Denkweise des Räsonierens, das sich allerdings als das wahre Philosophieren hinstellt, überwinden. Das negative Verhalten des räsonierenden Denkens besteht darin, daß es sich aus der Freiheit vom Inhalt der Sache selbst auf seine Vorstellung verläßt und diese aufgrund der „Eitelkeit" seiner äußeren Reflexion für das wahrhaftere hält; so „verhält sich jenes [das räsonierende Denken] negativ gegen den aufgefaßten Inhalt, weiß ihn zu widerlegen und zu nichte zu machen." (PG 42) Seine Eitelkeit stützt sich aber lediglich auf „die Reflexion in das leere Ich", aus der es sich einbildet, „mit der Behauptung der Leere immer weiter zu seyn, als eine inhaltsreiche Einsicht." (PG 42)
ever, is that language is so related to our reflection upon it that such a purely objective and externa! view of a sentence is impossible to maintain in the face of the activity of reflection." J. P. Surber: Hegel's Speculative Sentence, in: Hegel-Studien 10 (1975), S. 228. Das Räsonieren hat für Hegel in diesem Zusammenhang, indem es als äußerliche Reflexion über die Sache füngiert, die Rolle einer negativen Kontrastfolie zum begreifenden bzw. spekulativen Denken, die sonst mit dem Terminus „Verstand" oder „Verstandesreflexion" bezeichnet wird. Vgl. oben Kap. 1.3: Ansatzpunkte und Untersuchungsmethode, S. 11, Anm. 54.
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Indem das räsonierende Denken der Sache nur äußerlich gegenübersteht und sie nur von außen her betrachtet, verliert es in Wahrheit jeden Anhaltspunkt dafür, die Sache, wie sie an und für sich ist, zu erkennen. Dieses negative Verhalten des räsonierenden Denkens hat aber in derselben Wurzel eine positive Kehrseite, die dem begreifenden Denken noch bedeutend größere Schwierigkeiten bereitet. Diese Seite betrifft die logisch-ontologische Struktur des Urteils: „Wie nemlich in seinem negativen Verhalten, (...) das räsonnirende Denken selber das Selbst ist, in das der Inhalt zurückgeht, so ist dagegen in seinem positiven Erkennen das Selbst ein vorgestelltes Subject, worauf sich der Inhalt als Accidens und Prädicat bezieht. Diß Subject macht die Basis aus, an die er geknüpft wird, und auf der die Bewegung hin und wider läufft." (PG 42) Im positiven Verhalten des räsonierenden Denkens wird das Selbst, das der Reflexion in das leere Ich im negativen Verhalten entspricht, so auf ein dem Denken äußerliches Subjekt projiziert, als sei dieses die Substanz der ganzen Sache, die für sich unabhängig von allen „zufälligen" Bestimmtheiten besteht. Die Subjektivität des räsonierenden Denkens, die sich über die Sache gestellt hat, aber ihrerseits nicht über sich hinauszuweisen vermag, schlägt in die in sich ruhende Substantialität um.93 Diese Vorstellung des Subjekts entspricht seiner Bestimmung in der klassischen Logik als Substrat bzw. Zugrundeliegendes (imoKeiuevov). Als Substrat macht das Subjekt eine fixierte Basis aus, die verschiedene Prädikate in sich trägt. Es ist sozusagen der Angelpunkt des ganzen Urteils. Das Erkennen ist in dieser Beziehung eine Prädizierung hinsichtlich eines Subjekts, das seinerseits als bekannt und gegeben vorausgesetzt wird, und zwar „als das g e g e n s t ä n d l i c h e fixe Selbst zu Grunde gelegt; von hier aus geht die nothwendige Bewegung zur Mannichfaltigkeit der Bestimmungen oder der Prädicate fort" (PG 43). Das Subjekt wird somit als das allein Wesentliche des Urteils verstanden und das Prädikat demgegenüber als das Unwesentliche, Zufällige, das nur durch die Kopula mit dem Subjekt äußerlich verbunden wird. Auch verhalten sich die verschiedenen Prädikate, die einem Subjekt beigelegt werden, nur äußerlich zueinander. Dieser Umstand der Äußerlichkeit führt dazu, daß das Urteil nicht geeignet ist, den inneren Zusammenhang eines Gegenstandes sachgemäß und vollständig zu bestimmen. Denn durch die Verbindung eines fixierten Subjekts mit einem Prädikat kommt nur eine Bestimmtheit isoliert zum Ausdruck, die den konkreten Gegenstand, also die Einheit in den vielfältigen bzw. entgegengesetzten Bestimmungen eines Gegenstandes, durch ihre beschränkte Form verfälscht. Dies erläutert Hegel in einer Anmerkung zu den ersten seinslogischen „Gemeint ist", so Heinz Röttges, „das Umschlagen von reiner Subjektivität in reine Substanzialität, von reiner Entdinglichung in reine Verdinglichung". H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels, a. a. O., S. 63.
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Kategorien folgendermaßen: „Das Urteil ist eine i d e n t i s c h e Beziehung zwischen Subject und Prädicat; es wird dabey davon abstrahirt, daß das Subject noch mehrere Bestimmtheiten hat als die des Pradicats, so wie davon, daß das Prädicat weiter ist als das Subjekt." (WL I 78) Es liegt im Wesen der gewöhnlichen Urteilsform, daß das beigelegte Prädikat den inhaltlichen Umfang des Satzsubjekts nie ausfüllt, bzw. daß das Subjekt nicht alles ausmacht, was unter das Prädikat fällt. Daher kommt Hegel zufolge die Identität zwischen Subjekt und Prädikat nie vollkommen zustande. Denn wenn man z. B. sagt, die Rose sei rot, so bedeutet die Aussage nicht, daß die Röte den ganzen Begriffsumfang der Rose bedeckt, oder daß die Rose identisch mit dem ist, was rot ist. Denn Rosen sind nicht nur rot, und nicht alles, was rot ist, ist auch eine Rose. Mit dem Urteil wird vielmehr nur eine Teilbestimmung der Rose ausgedrückt, durch die allein es noch nicht ausgemacht ist, was die Rose ist, weil sie dadurch nicht einmal von einem anderen roten Objekt unterscheidbar ist.94 Der Charakter der Teilbestimmtheit im Urteil hängt wesentlich mit der Asymmetrie der logischen Bestimmungen von Subjekt und Prädikat zusammen. Sofern das Subjekt als ein Individuum gilt, ist es nur einzelner Erfüllungsfall von dem, was durch das allgemeine Prädikat charakterisiert werden kann. Im Urteil wird somit der Gegenstand unter das klassifikatorischen Allgemeinbegriff subsumiert. Die asymmetrische Beziehung von Einzelnem und Allgemeinem kann man, wie erläutert, je nach Perspektive als Inhärenzverhältnis oder als Subsumtionsverhältnis deuten. Dennoch wird die Wahrheit des Subjekts nie durch ein prädikatives Urteil, also weder im Sinne der Subsumtion noch im Sinne der Inhärenz ausgedrückt, weil es sich wesentlich nur um eine partielle Identität von Subjekt und Prädikat handelt. Da Hegel zufolge die Wahrheit nur dann erzielt werden kann, wenn der Gegenstand mit seinem Begriff vollkommen übereinstimmt, so zeigt sich, daß die partielle Identität, die das Urteil zum Ausdruck bringt, nicht dem Anspruch der Wahrheit gerecht werden kann. In dieser Hinsicht erweist sich Hegel zufolge die Form des Urteils als unfähig, Wahrheit darzustellen.9^ Diese Unzulänglichkeit der Urteilsform sucht das begreiZum Problem der Teilbestimmung vgl. unten Kap. 4.2.1.2: Abstraktion und Beschränktheit - Kritik der abstrakten Allgemeinheit, S. 247 ff. Vgl. WL III 27 f.: „Es wird geradezu dafür gehalten, daß diß Urtheil für sich fähig, Wahrheit zu enthalten, und jener Satz, den jedes positive Urtheil ausspricht, ein wahrer sey; obschon unmittelbar erhellt, daß ihm dasjenige fehlt, was die Definition der Wahrheit fodert, nemlich die Übereinstimmung des Begriffs und seines Gegenstandes; das Prädicat, welches hier das Allgemeine ist, als den Begriff, das Subjekt, welches das Einzelne ist, als den Gegenstand genommen, so stimmt das eine mit dem andern nicht überein. (...) Diß ist daher vielmehr das unmögliche und ungereimte, in dergleichen Formen, wie ein positives Urtheil und wie das Urteil überhaupt ist, die Wahrheit fassen
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fende Denken zu überwinden, indem es die gewöhnliche Auffassung der Urteilsstruktur völlig auf den Kopf stellt und die Vorstellung eines als Substanz zugrundeliegenden Subjekts destruiert. „Indem der Begriff das eigene Selbst des Gegenstandes ist, das sich als sein W e r d e n darstellt, ist es nicht ein ruhendes Subject, das unbewegt die Accidenzen trägt, sondern der sich bewegende und seine Bestimmungen in sich zurücknehmende Begriff." (PG 42 f.) Im begreifenden Denken verhält es sich also wesentlich anders als im räsonierenden, insofern anstatt der Gegenüberstellung von Subjekt und Prädikat nun die Bewegung des Begriffs, die zwischen zwei Extremen stattfindet und in die sich der Begriff während seiner Selbstbestimmung entzweit, die Struktur des Urteils ausmacht. „In dieser Bewegung", so fährt Hegel fort, „geht jenes ruhende Subject selbst zu Grunde; es geht in die Unterschiede und den Inhalt ein, und macht vielmehr die Bestimmtheit, das heißt, den unterschiednen Inhalt wie die Bewegung desselben aus, statt ihr gegenüberstehen zu bleiben." (PG 42 f.) Für das begreifende Denken ist das Subjekt nicht mehr eine unbewegte Basis, um die als festen Bezugspunkt sich alle prädikativen Bestimmungen drehen sollen. Das Subjekt ist sozusagen nicht das, was zugrunde liegt, sondern vielmehr das, was im Vollzug begrifflicher Bestimmungen zugrunde geht. Die Vorstellung des Subjekts als Zugrundeliegendes bzw. als Substrat gilt im spekulativen Satz nicht mehr, weil sich das Satzsubjekt zum Prädikat nun im spekulativen Denken wesentlich anders verhält, als die selbständige Substanz zum zufälligen Akzidens in der klassischen Metaphysik. Hegel führt die Gegenüberstellung des Subjekts und Prädikats im Satz auf die der Sache äußerliche Reflexion des räsonierenden Denkens zurück, das die ursprüngliche Einheit in der Entgegensetzung der beiden Satzteile nicht zu begreifen vermag. Sowenig die Wahrheit als Übereinstimmung des Gegenstandes mit dem Begriff von einer ursprünglichen Trennung der beiden Relata aus zu vollbringen ist, so wenig kann ein Urteil nach Hegel als wahr gelten, sofern es sich um eine nachträgliche Verbindung zweier gegenüberstehender Urteilselemente handelt. Die Kopula im Satz soll nicht lediglich ein äußerliches Verbinden von zwei ursprünglich Getrennten ausdrücken, sondern eine ursprüngliche Identität, die sich erst im Urteilen entzweit. Das Subjekt ist das Prädikat, in dem Sinne, daß sich die beiden im vollen Begriffsumfang übereinstimmen und miteinander identisch sind. Mit Bedacht faßt Hegel den Ausdruck „ist" in seinem emphatischen Sinne auf, um die Grenze des gewöhnlichen Verhältnisses zwischen Subjekt und Prädikat aufzuzeigen. So bringt er die Form des identischen Satzes bzw. der Identitätsaussage ins Spiel, wie z. B. „Gott ist das
zu wollen."
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Seyn" und „das W i r k l i c h e ist das A l l g e m e i n e " (PG 44). Die Form der Identitätsaussage zeichnet sich gegenüber der gewöhnlichen Form dadurch aus, daß an der Stelle des Prädikats der prädikativen Aussage nun ein Substantiv steht, das von einem bestimmten Artikel begleitet ist. Anstatt eine Subjekt-Prädikat-Beziehung bzw. Gegenstand-BegriffBeziehung auszudrücken, handelt es sich nun um eine solche, in der zwei singulare Termini durch das Wort „ist" miteinander identifiziert werden. Das, was an der Prädikatsstelle steht, drückt nun nicht mehr eine Teilbestimmung des Subjekts aus, sondern ist mit diesem begriffsmäßig vollkommen identisch. „Das Subjekt, das seinen Inhalt erfüllt, hört auf, über diesen hinaus zu gehen, und kann nicht noch andre Prädicate oder Accidenzen haben. Die Zerstreutheit des Inhalts ist umgekehrt dadurch unter das Selbst gebunden; er ist nicht das allgemeine, das frey vom Subjecte mehrern zukäme." (PG 43) Im „Prädikat" findet das Subjekt bereits den Inhalt, der seine Bestimmung vollkommen erfüllt, so daß es keiner weiteren Bestimmtheit bedarf, um das zu sein, was es ist. Dies zerstört das als Inhärenz charakterisierte Verhältnis des Subjekts zum Prädikat. Anderseits, indem das „Prädikat" den vollen Begriffsumfang des Subjekts abdeckt und so mit diesem identisch ist, fällt unter ihn nun nicht mehr als eben das mit ihm identische Subjekt; somit hebt sich der Sinn der Subsumtion auf, weil sich das „Prädikat" selbst als singulär erweist. Das „Prädikat" im identischen Satz entzieht sich demnach der Bestimmung eines abstrakt Allgemeinen, das gerade aufgrund dessen, daß es nie für sich, sondern nur als Akzidens in anderen Substanzen existiert, selbst nicht Substanz sein kann.96 Es ist vielmehr ein konkret Allgemeines, das die substantielle Bedeutung des Satzsubjekts erfüllt und zum Ausdruck bringt. In diesem Sinne hebt sich das Prädikatsein des „Prädikats" auf, das im Sinne der abstrakten Allgemeinheit mehreren Subjekten zukommen können müßte. Was das „Prädikat" ausdrückt, stellt sich in der spekulativen Betrachtung vielmehr als Substanz heraus: „Der Inhalt ist somit in der That nicht mehr Prädicat des Subjects, sondern ist die Substanz, ist das Wesen und der Begriff dessen, wovon die Rede ist." (PG 43) Es liegt im Wesen der räsonierenden Denkweise, dem Subjekt den logisch-ontologischen Primat gegenüber dem Prädikat zuzusprechen. So entsteht ja das Bedürfnis, auch das „Absolute als Subject", und zwar als festen Punkt, an den als ihren Halt die Prädikate geheftet sind, vorzustellen (PG 20). Dazu bedient sich das räsonierende Denken solcher Sätze wie: „Gott ist das Ewige, oder die moralische Weltordnung oder die Liebe u.s.f" (PG 20) Das Subjekt scheint alles, was dem Bezuggegenstand eigen ist, in sich enthalten zu haben, ist aber für sich genommen ein leeres Vgl. Aristoteles' Kritik des Allgemeinen (KCIÖÖXOU) in der Metaphysik (Z 13); vgl. auch unten Kap. 4.2.1.1: Allgemeinheit und Idealität - die Ansicht des Verstandes, S. 244 ff.
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Wort. „Es wird in einem Satze der Art mit dem Worte: G o t t , angefangen. Diß für sich ist ein sinnloser Laut, ein blosser Nähme; erst das Prädicat sagt, was er ist, ist seine Erfüllung und Bedeutung; der leere Anfang wird nur in diesem Ende ein wirkliches Wissen." (PG 20) Nach Hegel entsteht ein wirkliches Wissen erst dann, wenn die Bestimmung des Subjekts durch das Prädikat als Bewegung, und zwar „als die Bewegung des sich in sich selbst Reflectirens" (PG 20), erfaßt wird. Die festen Bestimmungen, die vom Verstand gemacht werden, können nur beschränkte Perspektiven des konkreten Sachverhaltes ausdrücken; das Konkrete vermag erst die Vernunft zu erfassen, indem sie die Verstandesbestimmungen auflöst und die Einheit in ihren Entgegensetzungen als Bewegung auffaßt. Sofern das Subjekt als fester Punkt vorgestellt wird, entbehrt es jedes Ansatzes, das Wahre in seiner Konkretheit, also in seiner Bewegung, zu begreifen (PG 21). Das Denken muß sich so in die Bewegung des Satzes versetzen, daß es den Übergang vom Subjekt zum Prädikat mit vollzieht. „Das vorstellende Denken, da seine Natur ist, an den Accidenzen oder Prädicaten fortzulauffen, und mit Recht, weil sie nicht mehr als Prädicate und Accidenzen sind, über sie hinauszugehen, wird, indem das, was im Satze die Form eines Pradicats hat, die Substanz selbst ist, in seinem Fortlauffen gehemmt. Es erleidet, es so vorzustellen, einen Gegenstoß." (PG 43) Wenn das Denken die Bewegung des Satzes mitmacht, findet es das Wesen des Subjekts eher im Prädikat, weil dieses nun die substantielle Bedeutung trägt, in der das Subjekt zerfließt (PG 44). Indem das Prädikat den Inhalt des Subjekts erschöpfend ausdrückt, ist das Gewicht des ganzen Satzes auf das Prädikat verschoben, und zwar so, daß das, was der Satz zum Ausdruck bringt, allein vom Prädikat getragen wird. Der Übergang vom Subjekt zum Prädikat ist also eine Verschiebung der Substantialität von dem einen zu dem anderen. Dennoch endet die Bewegung nicht sogleich im Prädikat, in dem das Wesen des Satzes liegt, sondern es findet eine Rückbewegung statt, indem das Denken vom Subjekt anfangend über das Prädikat nun durch einen „Gegenstoß" wieder zum ersteren zurückgeworfen wird. Bei dieser Rückkehr vom Prädikat zum Subjekt findet aber der für den spekulativen Satz entscheidende Perspektivenwechsel statt, indem das Subjekt, zu dem das Denken zurückläuft, nicht mehr dasjenige ist, mit dem das Denken im Urteil angefangen hatte. Das Satzoder Urteilssubjekt ist nun ein Erkenntnis- oder Denksubjekt geworden, weil das Subjekt, das als Substrat zugrunde liegen soll, sich in der Bewegung schon aufgehoben hat. Das Wesentliche im Satz ist somit „das wissende Ich selbst", und zwar „das Verknüpfen der Prädicate und das sie haltende Subject" (PG 43).97
Vgl. W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache, a. a. O., S. 15 f.
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Der spekulative Satz läßt sich zusammenfassend durch eine dialektische Bewegung charakterisieren, die vom Subjekt aus- und über das Prädikat wieder in das Subjekt selbst zurückgeht. Dieses ist aber nun nicht mehr das anfängliche Satzsubjekt, das als Basis des Satzes zugrundegelegt ist, sondern das sich wissende Subjekt, das die ganze Bewegung mitgemacht hat und den Inhalt des Satzes als sein eigenes Wesen begreift. Es ist „dieser sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückgehende Gang" (PG 45, Hervorh. v. Verf.), in dem das Spekulative zur Darstellung kommt.98 In dieser Bewegung soll also die Unzulänglichkeit des gewöhnlichen Satzes überwunden werden. Aber um den spekulativen Satz als diese sich selbst erzeugende, fortleitende und in sich zurückgehende Bewegung aufzufassen, muß man eine Reihe von Voraussetzungen mitmachen, die alles anders als unproblematisch sind. Wenn man sich mit einer bloßen Paraphrase des spekulativen Satzes, wie in diesem Abschnitt im Umriß dargelegt, zufriedengibt, ohne zu hinterfragen, welchen Sinn und welche Geltung der spekulative Satz gegenüber dem gewöhnlichen hat, und wie die Hin- und Herbewegung überhaupt in jenem zustande kommt, so kann man nicht nur den eigentlichen Sinn des spekulativen Satzes, sondern auch dessen programmatische Bedeutung für das gesamte System nicht begreifen. Das entscheidende Problem besteht darin, daß jeder Satz in seinem Kontext einen bestimmten Sinn hat, der in der Sprache festgelegt wird. Man darf nämlich den Sinn eines Satzes nicht einfach nach Belieben interpretieren. Das begreifende Denken ist jedenfalls dem räsonierenden Denken, also dem Verstand, eine Erklärung darüber schuldig, mit welchem Recht es eine Identitätsaussage wie „das Allgemeine ist das Wirkliche" als ein dialektisches Ineinanderübergehen von Subjekt und Prädikat interpretiert. Es kann nicht so sein, daß Hegel in der Vorrede zum Gesamtsystem nur eine äußerliche Leseanweisung geben will, wie die philosophischen Sätze „mit Gehalt" gelesen werden sollen. „Denn wie und was von Philosophie in einer Vorrede zu sagen schicklich wäre," so wendet sich Hegel in der Vorrede gegen die gewöhnliche Vorstellung der Funktion einer Vorrede, „- etwa (...) eine Verbindung von hin und her sprechenden Behauptungen und Versicherungen über das Wahre -, kann nicht für die Art und Weise gelten, in der die philosophische Wahrheit darzustellen sey." (PG 9) Die philosophischen Sätze, wenn sie sich einer eigentümlichen Form bedienen sollen, müssen anstatt durch eine äußerliche Versicherung darüber, wie sie gelesen werden sollen, vielmehr allein aus sich selbst in den konkreten Zusammenhängen verständlich sein. Die Art und Weise, wie ein Satz etwas zu verstehen gibt, kann ihm nicht von außen her aufgedrängt werden. Daher müssen wir uns mit der gewöhnliZur ontologischen Bedeutung dieser Hin- und Herbewegung des spekulativen Satzes vgl. unten Kap. 4.1.3.2: Rekonstruktion der Substanz im Subjekt, S. 236 ff.
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chen Interpretation des spekulativen Satzes noch näher auseinandersetzen, um uns über seinen subtilen strategischen Sinn zu verständigen.
3.2.2.2. Der spekulative Satz als philosophischer Wesensatz? Um den eigentlichen Sinn des spekulativen Satzes zu erhellen, beginnen wir mit einer Analyse seiner syntaktischen Form. Als Beispiel haben wir die Sätze „Gott ist das Seyn" und „das W i r k l i c h e ist das Allgem e i n e " (PG 44). Solche Sätze sind auf den ersten Blick schon durch ihre merkwürdige Form auffällig, indem an der Stelle des Prädikats nicht wie gewöhnlich ein Adjektiv oder ein Substantiv ohne oder mit einem unbestimmten Artikel auftritt, wie etwa „Gott ist unendlich" oder „Gott ist ein unendliches Wesen", sondern ein substantiviertes Verb oder Adjektiv, das allerdings von einem bestimmten Artikel begleitet wird. Darum bezeichnet Hegel dasjenige, was an der Prädikatstelle des spekulativen Satzes steht, im Unterschied zum gewöhnlichen Prädikat als „das speculative Prädicat" (PG 46)." Das spekulative Prädikat ist aber in Wahrheit kein Prädikat, auch wenn es an dessen Stelle steht. Es fungiert deshalb nicht als Prädikat, weil es nicht denjenigen logisch-semantischen Charakter aufweist, den ein Prädikat haben muß. Wie oben erörtert, unterscheidet sich das Prädikat vom Subjekt dadurch, daß dieses ein singulärer und jenes ein genereller Terminus ist. Als generelle Termini sind Prädikate Klassifikationsausdrücke, die auf mehrere Gegenstände, und zwar diejenigen, die unter sie fallen, anwendbar sind. Ausdrücke wie „das Sein" oder „das Allgemeine", weil sie mit einem bestimmten Artikel begleitet sind, sind jedoch keine Klassifikationsausdrücke bzw. Allgemeinbegriffe, sondern eindeutig singulare Termini bzw. Namen.100 Anders gesagt: Sie drücken nicht die Allgemeinbegriffe „sein" und „allgemein" aus, sondern nehmen Bezug auf diese Begriffe als abstrakte Gegenstände. Insofern die „spekulativen Prädikate" nicht als Klassifikationsausdrücke füngieren, sondern sich auf abstrakte Gegenstände beziehen, können sie im eigentlichen Sinne nicht mehr als Prädikate gelten, auch wenn sie an die Prädikatsstelle gesetzt
Vgl. G. Wohlfart: Der spekulative Satz. Bemerkungen zum Begriff der Spekul on bei Hegel, Berlin / New York 1981, S. 192. Frege macht darauf aufmerksam, daß der Gebrauch des bestimmten oder unbestimmten Artikels für den logisch-semantischen Charakter des Terminus in einer Aussage von ausschlaggebender Bedeutung ist: „Ein allgemeines Begriffswort bezeichnet eben einen Begriff. Nur mit dem bestimmten Artikel oder einem Demonstrativpronomen gilt es als Eigenname eines Dinges, hört aber damit auf, als Begriffswort zu gelten. (...) Sobald ein Wort mit dem unbe stimmten Artikel oder im Plural ohne Artikel gebraucht wird, ist es Begriffswort." G. Frege: Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch mathematis Untersuchung über den Begriff der Zahl (1884), Centenarausgabe, m. ergänze den Texten kritisch hrsg. v. C. Thiel, Hamburg 1986, § 51, S. 63 f.
DER SPEKULATIVE SATZ ALS PHILOSOPHISCHER WESENSATZ?
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werden. Da das „spekulative Prädikat" in Wahrheit nicht den logischsemantischen Charakter des Prädikats aufweist, ist der spekulative Satz ebensowenig ein prädikativer Satz, der durch die logisch-semantische Asymmetrie von Subjekts und Prädikat gekennzeichnet ist. Der Gebrauch solcher „spekulativer" oder gar „Pseudo-Prädikate" ist allerdings kein unüberlegter Leichtsinn von Hegel, er stellt vielmehr eine bewußte Strategie seiner Urteilskritik dar, wie sich noch zeigen wird. Daß Hegel die Form der prädikativen Sätze regelrecht normwidrig verwendet, ist ihm selbst völlig bewußt: „So auch wenn gesagt wird, das W i r k l i c h e ist das A l l g e m e i n e , so vergeht das Wirkliche als Subject in seinem Prädicate. Das Allgemeine soll nicht nur die Bedeutung des Pradicats haben, so daß der Satz diß aussagte, das Wirkliche sey allgemein, sondern das Allgemeine soll das Wesen des Wirklichen ausdrücken." (PG 44) Der nicht unwesentliche Unterscheid zwischen den beiden Formulierungen, „das Wirkliche ist allgemein" und „das Wirkliche ist das Allgemeine", ist offenbar dafür entscheidend, in welchem Sinne der spekulative Satz verstanden werden muß und wie er sich zur gewöhnlichen Satzform verhält. Die erste Formulierung entspricht der Form des gewöhnlichen prädikativen Satzes wie „Die Rose ist rot". „Das Wirkliche ist allgemein" heißt eben, daß der Gegenstand, worauf sich der Ausdruck „das Wirkliche" bezieht, zu derjenigen Klasse gehört, die durch das Prädikat „allgemein" ausgedrückt wird. Aber der Satz „das Wirkliche ist das Allgemeine" ist kein prädikativer Satz mehr, weil es sich nicht um eine GegenstandBegriff-Beziehung handelt, sondern vielmehr um eine GegenstandGegenstand-Beziehung. Was der Satz dabei ausdrückt, ist kein Inhärenzbzw. Subsumtionsverhältnis, sondern die Identität zwischen zwei Objekten, wie etwa „der Autor der Phänomenologie des Geistes ist der Autor der Wissenschaft der Logik". Semantisch gesehen handelt es sich um eine Identitätsaussage, oder in Hegels Worten, einen „identischen Satz" (PG 43), wobei der Ausdruck „ist" in einer Identitätsaussage nicht als Kopula gebraucht wird, sondern als Gleichheitszeichen. Hegel ist sich völlig bewußt, daß der identische Satz der logischer Struktur nach vom prädikativen Satz abweicht. Und trotzdem bedient er sich voll Bedacht der Identitätsform, um spekulative Sätze zu formulieren. Dabei scheint die Vermutung nahezuliegen, daß Hegel nur diese Form für die Darstellung des Spekulativen für geeignet hält. Demnach bedient sich der Verstand der gewöhnlichen prädikativen Sätze, um die endlichen Bestimmungen zu formulieren, die Philosophie oder die Vernunft demgegenüber der identischen Sätze, um die absolute Identität darzustellen. Diese gängige Auffassung vertritt z. B. Klaus Düsing, wenn er den spekulativen Satz in Anlehnung an die Aristotelische Unterscheidung von der Akzidenz- und der Wesensbestimmung als den „philosophischen We-
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senssatz" charakterisiert, „in dem das Prädikat den Wesensbegriff (das Aristotelische ri fjv elvai) des Subjekts (der ersten oüoia) enthält"."" Während das gewöhnliche Denken „zu einem vorgestellten Subjekt aus der Fülle der möglichen Prädikate, die nur .Akzidenzien' sind, nach seiner Willkür eines aus(wählt), um es mit dem Subjekt in Verbindung zu bringen", liefert der spekulative Satz dagegen, so Düsing, „eine Wesenserkenntnis", weil das Prädikat in diesem nicht eines unter vielen ist, sondern die „Substanz", das „Wesen" oder den „Begriff des Subjekts ausdrückt. ",2 Nach dieser Konzeption des philosophischen Wesensatzes „kommt einem einzelnen Seienden, einer ersten oüoia, der jeweilige Wesensbegriff, das ri i)\ elvai, notwendigerweise zu, wenn diese oüoia in ihrem Sein erkannt werden soll; sie steht nach Aristoteles mit ihrem Wesensbegriff nicht nur in logisch-definitorischer, sondern auch in ontologischer Einheit."103 Wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Wesensbestimmung, also die Bestimmung des „Was-es-ist", für Aristoteles nichts anderes bedeutet als das, was in einer Definition angegeben wird,1"4 so kann der spekulative Satz ebenfalls als eine ausgezeichnete Art philosophischer Definition angesehen werden, insofern die Inhalte von Subjekt und Prädikat, wie Düsing meint, „in \ogisch-definitorischer Einheit" stehen. In dieser Beziehung soll z. B. das identische Urteil „Das A b s o l u t e ist d a s S e y n " (Enz. § 86 A, 123) nicht lediglich eine Bestimmung des Absoluten aussagen, sondern eben dasjenige, was das Absolute als solches ausmacht, bzw. wodurch das Absolute definiert ist. Düsings Interpretation scheint auf den ersten Blick völlig Recht zu haben, weil Hegel selber daraufhinweist, daß „die logischen Bestimmungen überhaupt", wie die Kategorien „Sein", „Dasein" und so weiter, als Definitionen des Absoluten, als die m e t a p h y s i s c h e n D e f i n i t i o n e n G o t t e s angesehen werden [können]" (Enz. §85, 121).103 Doch bei dieser Deutungsweise der logischen Kategorien handelt es sich, wie Wolfgang Wieland richtig einschätzt, „lediglich um eine Ver101
K. Düsing: Syllogistik und Dialektik in Hegeb spekulativer Logik, in: D. Henrich (Hrsg.): Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986, S. 20. lo: Vgl. K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegeb Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, 3„ um ein Nachwort erweiterte Aufl., Bonn 1995, S. 198 ff. 103 A. a. O., S. 198 f. 104 „Eine Definition nämlich", so Aristoteles, „richtet sich auf das Was-es-ist und eine grundlegende Struktur [öpiauöc, uev yäp TOÖ TI EOTI Kai oüaiacj." (An. post. II 3, 90b30f.) Vgl. auch Top. I 8; VII 5; An. post. II 7; II 10. 10 '' Als Definition des Absoluten gelten jedoch ausschließlich die ersten und dritten Bestimmungen auf einer Kategorienebene, nicht aber die zweiten. „Die zweiten Bestimmungen, als welche eine Sphäre in ihrer D i f f e r e n z sind, dagegen sind die Definitionen des E n d l i c h e n . " (Enz. § 85, 121)
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standnishilfe".106 Zum einen weisen die Abschnitte, in denen Hegel auf diese Deutungsmöglichkeit hinweist, nur korollarartigen Charakter auf, insofern es hier eigentlich nicht um das rein Logische geht. Zum anderen sagt Hegel nur, daß man die jeweilige Kategorie als Definition des Absoluten ansehen könne, nicht aber unbedingt auch so ansehen müsse. Noch entscheidender ist aber, daß die Form der Definition, wie sie Hegel in der Begriffslogik analysiert hat (WL III 210 ff), genauso wie die gewöhnliche Urteilsform eine Unzulänglichkeit darin aufweist, daß das Subjekt, also das Definiendum der Definition, zur Sphäre der Vorstellung gehört und nicht zum Begriff erhoben wird. „Wenn (...) die Form von Definitionen gebraucht würde," so schränkt Hegel seinen Deutungsvorschlag unmittelbar wieder ein, „so würde sie diß enthalten, daß ein Substrat der Vorstellung vorschwebt; denn auch das A b s o l u t e , als welches Gott im Sinne und in der Form des Gedankens ausdrücken soll, bleibt im Verhältnisse zu seinem Prädicate, dem bestimmten und wirklichen Ausdruck in Gedanken, nur ein g e m e y n t e r Gedanke, ein für sich unbestimmtes Substrat." (Enz. § 85, 121 f.) Aber selbst wenn wir von allen Schwierigkeiten absehen, die die Form der Definition mit sich bringt, so stößt die Interpretation des spekulativen Satzes als eine spezielle Form des Satzes als solche bereits auf erhebliche Schwierigkeiten, und zwar sowohl in entwicklungsgeschichtlicher als auch in systematischer Hinsicht. Denn wenn der spekulative Satz als philosophischer Wesenssatz gedeutet wird, so muß man zugleich die Konsequenz akzeptieren, daß das Wahre bzw. das Spekulative in einer speziellen Form des Satzes, die spekulativer Satz heißt, angemessen darstellbar ist. Dies steht jedoch offensichtlich in Widerspruch zu Hegels Position. Angesichts der generell kritischen Haltung, die Hegel zur Form des Satzes einnimmt, ist Düsing gezwungen, die Lehre vom spekulativen Satz als eine vorläufige Inspiration zu deuten, die Hegel zur Zeit der Ausarbeitung der Phänomenologie beschäftigt habe, die er aber bald darauf zugunsten seiner Schlußlehre im endgültigen System wieder aufgegeben habe.10 Düsings Deutung ist schon aus rein entwicklungsgeschichtlichen Gründen kaum haltbar. Denn Hegel ist bereits in seiner Frankfurter Zeit, noch deutlicher aber in seiner Jenaer Zeit, zu der Einsicht gekommen, daß die Form des Satzes überhaupt nicht geeignet ist, das Wahre darzustellen. W. Wieland: Bemerkungen zum Anfang von Hegeb Logik, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfürt a. M. 1978, S. 205. So schreibt Düsing: „Der spekulative Inhalt, die dialektische Bewegung des Begriffs, zerstört nun die Form des Satzes oder Urteils, das z. B. immer nur positiv oder negativ sein kann. Einen spekulativen Satz in der Form eines Satzes kann es daher nicht geben; deshalb behält Hegel später die Lehre vom .spekulativen Satz' nicht bei." K. Düsing: Syllogistik und Dialektik in Hegeb spekulativer Logik, a. a. O., S. 21.
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Diese Skepsis gegenüber der Satzform hat sich in seiner Denkentwicklung immer weiter verschärft, so daß es kaum vorstellbar ist, daß Hegel ausgerechnet in der Vorrede zur Phänomenologie, die als Einleitung in das Gesamtsystem konzipiert wurde, eine spezielle Satzform für die Philosophie einführen wollte, die später dann, wie Düsing meint, von seiner Schlußlehre in der Logik ersetzt wird. Daß das Wahre nicht im Urteil, sondern erst im Schluß adäquat zum Ausdruck kommen kann, ist eine Einsicht Hegels, auf die er, wie oben angedeutet, spätestens in Glauben und Wissen von 1802 ausdrücklich hingewiesen hat, wenn man nicht schon die zweite These in seiner Habilitation von 1801 „Syllogismus est principium idealismi" (GW V 227) als Indiz dafür zählt. Ferner ist die dialektische Trias von Begriff, Urteil und Schluß nicht erst eine Konzeption des endgültigen Systems, sondern schon in der ersten ausgeführten Logik Hegels von 1804/05 konzipiert; das ist eine entwicklungsgeschichtliche Tatsache. 108 Alles in allem ist es sehr unwahrscheinlich, daß Hegel gerade bei der Ausarbeitung der Phänomenologie den darstellungstheoretischen Primat des Schlusses zugunsten einer Satzform, die spekulativer Satz heißt, aufgegeben haben soll, nur um dies kurze Zeit später wieder zurückzunehmen. 109 So schreibt Düsing selbst: „Auch in seinem ersten Ansatz der spekulativen Erkenntnis des Absoluten behielt Hegel aber den Gedanken bei, daß sich das trennende Urteil zur Erfassung des Absoluten nicht eigne; das Vernünftige könne erst im Schluß erkannt werden." K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegeb Logik, a. a. O., S. 200; vgl. auch ders.: Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik, a. a. O., S. 18 - 22. Als Indiz für seine Interpretation, Hegel traue der Form des Satzes zwischenzeitlich Wahrheitsfähigkeit zu, sieht Düsing eine Überlegung Hegels an, die aus zwei kurzen Anmerkungen zum System stammt, die zwar nicht zum Manuskript der Logik, Metaphysik, Naturphilosophie von 1804/05 gehören, aber wohl auf das Jahr 1804 zu datieren sind. „Die Philosophie", schreibt Hegel dort, „hat sonst keinen Satz, als diesen einzigen; der ihren ganzen Innhalt ausmacht, so daß sie nie aus ihm heraustritt, oder zu einem andern übergeht." (JSE II 343) Düsing meint, diese Überlegung führe „unmittelbar zur Theorie des spekulativen Satzes hin" (K. Düsing: Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, a. a. Oi S. 200), weil sie darauf hinweise, daß Hegel es zu jener Zeit für möglich halte, die Philosophie in einem einzigen Satz darzustellen. Leider ist nicht überliefert, welchen Satz Hegel damit eigentlich meint. Aber wenn man die Textstelle genauer liest, so wird ersichtlich, worauf Hegel mit der Anmerkung abzielt. Es handelt sich in Wahrheit um „den A n f a n g des philosophischen Systemes" (JSE II 343). Hegel meint also nicht, daß sich die Philosophie mit einem einzigen Satz begnügen könne, sondern vielmehr, daß das philosophische System einen Satz zu seinem Anfang hat, mit dem die ganze Ausführung des Systems zu tun hat. In der späteren Logik aber hat Hegel nicht mit einem Satz angefangen, sondern mit einer Kategorie, und zwar mit dem Sein: „Sey n, r e i n e s S e y n , - ohne alle weitere Bestimmung." (WL I 68) Daß die Logik nicht mit einem vollständigen Satz, sondern mit einem „Anakoluth" anfängt, ist ein anderes Problem (vgl. W. Wieland, Bemerkungen zum Anfang von Hegels Logik, a. a. O., S. 195 f.). Aber die Überlegungen, die Hegel in der Logik
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Entscheidender als die Diskussion der entwicklungsgeschichtlichen Aspekte ist aber vielmehr, welche systematische Bedeutung die Interpretation des spekulativen Satzes als philosophischen Wesensatz für Hegels Philosophie hätte. Es wird sich zeigen, daß man die systematische Bedeutung des spekulativen Satzes verfehlen würde, wenn man ihn mit Düsing als eine spezielle Satzform auffaßte. Erstens bringt der spekulativ genannte identische Satz, wie oben erläutert, überhaupt keine Wesensbestimm u n g zum Ausdruck, sondern nur die Identität zweier singulärer Termini. Denn das identische Urteil „das Sein ist das Nichts" z. B. besagt nicht mehr, aber auch nicht weniger als „Seyn u n d N i c h t s ist e i n s u n d d a s s e l b e " (WL I 77), ohne jedoch den begrifflichen Gehalt von Sein oder Nichts angegeben zu haben. 110 Es handelt sich also nicht um eine begriffliche Definition, sondern um eine Gleichsetzung. In diesem Sinne kann der identische Satz sogar als begriffslos bezeichnet werden. „Es ist ja", so schreibt Fulda in bezug auf solche identischen Sätze, „keine Definition. Es ist auch kein Prädikat. Man kann sich also nicht mit der Auskunft helfen, es komme zwei verschiedenen Gegenständen zu, auf die durch die anderen abstrakt singulären Termini mit ihren verschiedenen Deskriptoren hingewiesen wurde."" 1 Zweitens ist diese identische Beziehung nur eine abstrakte Identität, weil das Nichtidentische dabei nicht ausgedrückt werden kann. Wenn es aber um die spekulative Wahrheit geht, die im Fall des genannten Beispiels die vollständige Begriffsbestimmung von Sein und Nichts fordert,
besonders über den Anfang angestellt hat, stimmen mit dieser Interpretation des problematischen Fragments überein. Hegel meint nämlich: „Der F o r t gang (...) von dem, was den Anfang macht, ist nur als eine weitere Bestimmung desselben zu betrachten, so daß das Anfangende allem Folgenden zu Grunde liegen bleibt, und nicht daraus verschwindet. (...) So ist der Anfang der Philosophie, die in allen folgenden Entwicklungen gegenwärtige und sich erhaltende Grundlage, das seinen weiteren Bestimmungen durchaus immanent bleibende." (WL I 58) In dieser Beziehung könnte man sagen, daß die Philosophie in ihrer Entwicklung nie über den Anfang, sei er ein Satz oder eine Kategorie, hinausgegangen ist. Nur in diesem Sinne ist es verständlich, warum Hegel in dem Fragment behauptet, daß die Philosophie „nie aus ihm [dem einzigen Satz] heraustritt, oder zu einem andern übergeht". "" Da das Wort „ist" in einem identischen Urteil nur eine einfache Identität zweier singulärer Termini ausdrückt, kann man es durch das Gleichheitszeichen ersetzen. „Das Sein ist das Nichts" bedeutet also nichts anderes als „das Sein = das Nichts". Aber „Ausdrücke von der Form »a=b« sind", so Wittgenstein, „nur Behelfe der Darstellung; sie sagen nichts über die Bedeutung der Zeichen »a«, »b« aus." L. Wittgenstein: Logisch-philosophische Abhandlung I Tractatus Logico-Philosophicus, a. a. O., § 4.242, S. 70; vgl. auch §§ 5.53 ff, S. 124 ff. 111 H.-F. Fulda: Unzulängliche Bemerkungen zur Dialektik, in: R.-P. Horstmann (Hrsg.): Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfürt a. M. 1978, S. 56.
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„so ist auch das N i c h t i d e n t i s c h e des Subjects und Pradicats wesentliches Moment, aber diß ist im Urtheile nicht ausgedrückt. (...) Der Mangel wird, zum Behuff, die speculative Wahrheit auszudrücken, zunächst so ergänzt, daß der entgegengesetzte Satz hinzugefügt wird, der Satz: S e y n u n d N i c h t s i s t n i c h t d a s s e l b e " (WL I 78). Damit haben wir zwei Urteile, aus denen sich eine Antinomie ergibt, weil sich ihre Bestimmungen hinsichtlich eines und desselben Gegenstandes kontradiktorisch entgegensetzen, wobei weder das positive noch das negative Urteil die spekulative Identität von Subjekt und Prädikat darzustellen vermag. In dieser Hinsicht weist das identische Urteil dieselbe Einseitigkeit auf, wie das gewöhnliche Urteil in prädikativer Form. Drittens, und das ist das Wichtigste, würde man den eigentlichen Sinn der Spekulation von Grund auf verfehlen, wenn man den spekulativen Satz als eine statische Satzform auffaßte, die durch seine Andersheit gegenüber der gewöhnlichen Form des prädikativen Satzes deren Unzulänglichkeit überwinden sollte. Der spekulative Satz sei eine höhere oder wahrhaftere Form des Satzes als die gewöhnliche, sowie das begreifende Denken ein höheres Denkvermögen als das räsonierende Denken. Demnach hätten wir eine philosophische Sprache auf der einen (wahrhafteren) Seite und die Umgang- oder Alltagsprache auf der anderen Seite. Mit der abstrakten Gegenüberstellung von der gewöhnlichen und der spekulativen Satzform aber würde, wie oben dargestellt, genau der Fehler der schlechten Unendlichkeit begangen, wodurch die dialektische Bewegung, also das immanente Hinausgehen des Spekulativen, nie begreifbar würde.112 Wenn die beiden Sprech- und Denkweisen einander gegenüberstünden, könnte sich die spekulative Satzform nicht einmal der gewöhnlichen gegenüber als das wahrhaftere geltend machen. Denn mit den Sätzen wie „das Sein ist das Nichts", „das Wirkliche ist das Allgemeine" allein käme die Philosophie ja offenkundig kaum einen Schritt weiter. Wäre der spekulative Satz eine spezielle Satzform, die von der gewöhnlichen abweicht, so müßte er, um zu erklären, was er ist, letztlich auf die gewöhnliche Satzform zurückgreifen, weil sein Sinn letztlich nur über gewöhnliche, verständliche Sätze zu vermitteln ist. Die gewöhnlichen Sätze sind aus sich allein verständlich, weil sie die unhintergehbare Basis dafür ausmachen, " : Röttges hat somit Recht, wenn er schreibt: „die wichtigste bzw. bedenklichste Folgerung aus der Etablierung einer esoterischen philosophischen Sprache oberhalb der esoterischen [muß richtig heißen: exoterischen, der Verf.] Umgangssprache wäre die Unmöglichkeit der Einsehbarkeit der Selbstbewegung des Inhalts, da ja dann die Bewegung hervorgerufen würde allein durch das Sprach- bzw. Reflexionsniveau des philosophierenden Subjekts, womit der Methodenbegriff Hegels, der ja an der Selbstbewegung des Inhalts hängt, im Kern getroffen, nämlich zerstört wäre." H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegels, a. a. O , S. 67.
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daß überhaupt etwas zu verstehen ist. Es ist ein unüberwindlicher Mangel jeder „künstlichen" Sprechweise, daß sie ohne Rekurs auf die „natürliche" nicht auskommen könnte. 3.2.2.3. Der spekulative Satz als Satzkritik Die unüberwindlichen Schwierigkeiten, auf die die gängigen Interpretationen der Hegeischen Lehre vom spekulativen Satz stoßen, sind wesentlich darauf zurückzuführen, daß sie unhinterfragt von dem Vorurteil ausgehen, der spekulative Satz selber müsse eine Form des Satzes sein. Er ist aber in Wahrheit, auch wenn es zunächst paradox oder widersprüchlich klingen mag, kein Satz; die Lehre vom spekulativen Satz ist keine Satzlehre, sondern vielmehr Satzkritik. Mit dem spekulativen Satz will Hegel keine neue Satzform in die Philosophie einführen, die die „gewöhnliche" überbieten soll."3 Jedenfalls stammt die Unterscheidung des „gewöhnlichen" Satzes vom „spekulativen" Satz nicht von Hegel selbst. Obwohl man mit Recht auf eine solche Unterscheidung zurückgreift, wenn man die als spekulativ bezeichneten Sätze im Vergleich zu denjenigen Sätzen, derer man sich in gewöhnlichen Sprechsituationen bedient, näher zu charakterisieren versucht, so verführt dies doch fälschlicherweise zu der Auffassung, daß der spekulative Satz der Philosophie eine alternative Satzform anzubieten habe, die für ihre Darstellung besonders geeignet sei. Hegel selber ist beim Gebrauch des Ausdrucks eigentlich viel vorsichtiger. Den Ausdruck „spekulativer Satz", der in der Hegel-Interpretation längst zum Fachjargon geworden ist, hat Hegel, soweit ich sehe, in seinem umfangreichen Werk gerade vier Male gebraucht."4 In der Vorrede zur Phänomenologie, wenn es um den Unterschied zwischen dem „gewöhnlichen" und dem „spekulativen" Satz geht, spricht Hegel eher von dem räsonierenden und dem begreifenden Denken der Satzform. Dies ist wohl mehr als ein Indiz dafür, daß es sich dabei primär nicht um zwei Satzformen handelt, sondern vielmehr um zwei Betrachtungsweisen einer Satzform, der sich auch die Philosophie bedienen muß.
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So schreibt Bubner: „Es beweist ein gründliches Mitverstehen von Hegels Absicht, wenn man das Konzept des spekulativen Satzes als eine andere, bessere, reichere oder lebendigere Möglichkeit ausgibt, mit Anspruch auf Wahrheit zu urteilen. Wie auch immer man Hegels Logik einschätzen mag, eine alternative Urteilstheorie bietet sie nicht\" R. Bubner: Hegels Logik des Begriffs, in: ders.: Zur Sache der Dialektik, Stuttgart 1980, S. 103. Hegel hat den Ausdruck „spekulativer Satz" nur zwei Male in der Phänomenologie (PG 43; 45) und jeweils einmal in der Enzyklopädie (Enz. § 88 A, 126) und in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (TW XIX 241) verwendet.
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Nur stellt sich die Frage, in welchem Sinn der spekulative Satz dann verstanden werden soll. Warum versucht Hegel die Form des identischen Satzes, wie etwa „das Wirkliche ist das Allgemeine", die tatsächlich in der Logik durchgängig eingesetzt wird, geltend zu machen, wenn der spekulative Satz nicht Teil einer eigenen Satzlehre ist? Wenn der identische Satz als Gleichsetzung zweier abstrakter singulärer Termini keine Begriffsbestimmung auszudrücken vermag, warum wird er dann gerade in der Logik, und zwar an vielen zentralen Stellen, verwendet, in der es doch gerade um die begriffliche Darstellung des Absoluten geht? Den entscheidendsten Passus für die Bestimmung des spekulativen Satzes gibt Hegel im Absatz 61 der Vorrede zur Phänomenologie an: „Formell kann das Gesagte so ausgedrückt werden, daß die Natur des Urtheils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjects und Pradicats in sich schließt, durch den speculativen Satz zerstört wird, und der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoß zu jenem Verhältnisse enthält." (PG 43) Dies ist nicht nur eine der wenigen Stellen, wo der „spekulative Satz" terminologisch als solcher auftaucht, sondern auch die wichtigste Bestimmung dessen, wie der spekulative Satz überhaupt zu verstehen ist. In den Absätzen 58 - 60 der Vorrede hatte Hegel bereits den spekulativen Satz als das begreifende Auffassen der Satzbewegung erläutert. Im Absatz 61 wird nun das Gesagte „formell" zusammengefaßt, und zwar in zwei Gedanken, die in zwei parallel konstruierten Nebensätzen dargestellt werden: 1. Die Natur des Urteils oder Satzes überhaupt, die den Unterschied des Subjekts und Prädikats in sich schließt, wird durch den spekulativen Satz zerstört. 2. Der identische Satz enthält den Gegenstoß zu jenem Verhältnis. Mit dem ersten Gedanken wird hervorgehoben, daß die Funktion des spekulativen Satzes gerade darin besteht, die Natur des Satzes zu zerstören. Diese Zerstörung bezieht sich auf die Satzform in der Perspektive des räsonierenden Denkens, das von einem fertig gegebenen Subjekt bzw. von der Vorstellung eines solchen Subjekts ausgeht, an das verschiedene Prädikate dann „angeheftet" werden können. Diese „lineare" Prädikationsform, die das natürliche gegenständliche Denken dem Urteil unterstellt, gilt es also durch den spekulativen Satz zu zerstören."'Aber in welcher Weise und in welchem Sinne gelingt es dem spekulativen Satz, diese natürliche Form des Satzes zu zerstören? Wie kann die Natur des Satzes überhaupt durch identische Sätze zerstört werden? Es ist zwar von vornherein klar, was Hegel durch die Zerstörung der verstandesmäßigen Urteilsauffassung wiederherstellen will, nämlich die spekulative Identität von Subjekt und Prädikat, aber klar ist noch lange nicht, in welcher Weise sich die Zerstörung und die Wiederherstellung vollziehen. 115
Vgl. K. Schrader-Klebert: Das Problem des Anfangs in Hegels Philosophie, Wien / München 1969, S. 58; G. Wohlfart: Der spekulative Satz, a. a. O., S. 194.
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Es kommt darauf an, sich über das Verhältnis des spekulativen Satzes zum gewöhnlichen klarzuwerden. Der spekulative Satz ist keine Satzform, die neben oder über der gewöhnlichen Form liegt, sondern vielmehr eine Bewegung, die jeder philosophischen Satzbildung immanent ist. Das Spekulative des spekulativen Satzes ist das, wodurch die gewöhnliche Satzform in Bewegung gebracht und über sich hinausgewiesen wird. Denn die Spekulation ist, wie gezeigt, als „Reflexion der Reflexion" eine metatheoretische, zugleich aber immanente Besinnung desjenigen Denkens, das auf dem endlichen Standpunkt seine eigene Beschränktheit nicht durchschauen kann. Sowenig die Spekulation selbst einen Standpunkt bildet, der den anderen gegenüber als das Wahrhaftere gälte, sowenig ist der spekulative Satz eine selbständige Satzform, die der Unzulänglichkeit der gewöhnlichen einfach enthoben wäre. Der spekulative Satz hat also nicht die gleiche Selbständigkeit wie der gewöhnliche prädikative Satz. Auch darf man den spekulativen Satz nicht mit dem gewöhnlichen identischen Satz gleichsetzen, der als eine nichtprädikative Aussagenform seine eigene Gebrauchsnorm in bestimmten Sprachkontexten hat. Es m u ß nun eine Art und Weise geben, in der sich die gewöhnliche Form der Prädikatikon aus sich heraus beim Vollzug des spekulativen Satzes zerstört. Denn die einzig mögliche Zerstörung ist ja Selbstzerstörung; die Form des Satzes m u ß sich nämlich durch den spekulativen Satz als durch sich zerstören. Der Schlüssel zu diesem Problem liegt im oben genannten zweiten Gedanken, der nicht lediglich eine Ergänzung zum ersten bildet, sondern mit diesem in einem zusammengedacht werden muß, weil erst aus den beiden zusammen der eigentliche Sinn des spekulativen Satzes zu verstehen ist. Es wird gesagt, daß „der identische Satz, zu dem der erstere wird, den Gegenstoß zu jenem Verhältnisse enthält" (PG 43)." 6 Damit macht Hegel einen Unterschied zwischen dem spekulativen und dem identischen Satz, und zwar so, daß dieser den Gegenstoß zum natürlichen Satzverhältnis enthält und jener die Zerstörung vollzieht. Der Vollzug der Zerstörung bedient sich der identischen Sätze wie „Gott ist das Sein" oder „das Wirkliche ist das Allgemeine". Was in einem
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Wohlfart ist der Meinung, daß „der ,erstere' Satz, der zum identischen Satz wird, nicht nur der spekulative Satz sein kann, sondern zumindest ebensogut auch der (gewöhnliche) Satz oder das gewöhnliche Urteil. [... ] Charakterisierte man zunächst kurz den gewöhnlichen Satz durch die Nichtidentität von Subjekt und Prädikat, den identischen Satz dagegen durch deren abstrakte Identität und den spekulativen Satz schließlich durch die absolute Identität (die Identität der Identität und der Nichtidentität) von Subjekt und Prädikat, so käme es in der ersten Lesart darauf an, daß der spekulative Satz auch zum identischen Satz bestimmte, um als identischer Satz den Gegenstoß zu dem Verhältnis der Nichtidentität auszulösen, während es in der zweiten Lesart darauf ankommt, daß der gewöhnliche Satz oder das abstrakte Urteil sich zum identischen Satz fortbestimmt." G. Wohlfart: Der spekulative Satz, a. a. O., S. 195 f.
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solchen identischen Satz wesentlich ist, ist nicht seine Sprachform als solche, die nur eine begriffslose Gleichsetzung zweier abstrakter singulärer Termini ausdrückt, sondern der „Gegenstoß" zum Verhältnis der natürlichen Prädikation, der durch den eigentümlichen Gebrauch des identischen Satzes hervorgebracht wird. In dieser Hinsicht kann man vom spekulativ gebrauchten identischen Satz sprechen, um diesen vom „gewöhnlichen identischen Satz" zu unterscheiden. Der Unterschied liegt nämlich darin, daß das, was an der Prädikatsstelle steht, zwar den logischsemantischen Charakter eines singulären Terminus, also eines Gegenstandes, hat, in der ersteren aber wesentlich als (spekulatives) Prädikat gedacht wird. Denn der spekulativ gebrauchte identische Satz stellt sich nicht als abgeschlossene Sinneinheit dar, sondern bezieht sich als eine immanente metatheoretische Reflexion auf die prädikativen Sätze, deren Bewegung durch ihn als einen Gegenstoß in Gang gebracht wird. Das Spekulative bezieht sich also nicht auf eine besondere Eigenschaft, die der identische Satz aufweisen soll, sondern vielmehr auf eine besondere Art und Weise, wie dieser gebraucht wird. Der Gegenstoß zur gewöhnlichen Satzform verkörpert sich im absichtlich normwidrigen Gebrauch des Prädikats bzw. des Verbindungsworts „ist", in dem die gewöhnliche Vorstellung des prädikativen Satzverhältnisses auf den Kopf gestellt und „zerstört" wird: Das Verhältnis von Subjekt und Prädikat im Satz wird einerseits so radikalisiert, daß beide über die partielle Identität des prädikativen Inhärenz- bzw. Subsumtionsverhältnisses hinaus als miteinander vollkommen identisch gedacht werden sollen, und andererseits so verkehrt, daß das Substantielle des Satzes vom Subjekt auf das substantivierte Prädikat übertragen wird. Die Zerstörung wird also der prädikativen Satzform nicht von außen her angetan, sondern dadurch veranlaßt, daß die gewöhnliche Satzform in einer ungewöhnlichen oder gar verkehrten Weise zum Einsatz gebracht wird,"7 um ihr selbst ihr unreflektiertes Selbstverständnis bewußt zu machen. Im spekulativ gebrauchten identischen Satz verbirgt sich die wesentliche Diskrepanz zwischen dem, was zu verstehen ist, und dem, was zu lesen ist."8 In seiner äußerlichen Form ist er ein identischer Satz, wie jede " Vgl. PG 23: „Daß das natürliche Bewußtseyn sich der Wissenschaft unmittelbar anvertraut, ist ein Versuch, den es, es weiß nicht von was angezogen, macht, auch einmal auf dem Kopfe zu gehen; der Zwang, diese ungewohnte Stellung anzunehmen und sich in ihr zu bewegen, ist eine so unvorbereitete als unnöthig scheinende Gewalt, die ihm angemuthet wird, sich anzuthun. - Die Wissenschaft sey an ihr selbst, was sie will; im Verhältnisse zum unmittelbaren Selbstbewußtseyn stellt sie sich als ein Verkehrtes gegen es dar". 118 „Es handelt sich eigenüich", so Majetschak, „um einen Konflikt zwischen Darstellung und Sinn des Satzes. Philosophische, spekulative Sätze, die im Angesicht der Aufgabenstellung der Philosophie als >Darstellung des Absolutem
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Gleichsetzung. Doch ist er im jeweiligen Kontext so gebraucht, daß die gewöhnliche Lesart nicht aufrechtzuerhalten ist, wenn man zu einem Verständnis des Ganzen kommen soll. Darum m u ß das Denken über das hinausgehen, was es zunächst verstanden zu haben meint. In diesem Sinne gelangt das räsonierende Denken zu einer immanenten Selbstprüfung bzw. Selbstzerstörung. Die Destruktionsstrategie des spekulativen Satzes bezeichnet Kulenkampff daher zu Recht als ein „systematisches Falschmachen", dessen Sinn sich „nur von der korrekt verstandenen Urteilsbeziehung her einsehen"" 9 läßt. Die Form des Satzes wird sozusagen nur gebraucht, um sie zu „vernichten". 120 Der Einsatz des identischen Satzes, der den Gegenstoß zum Verhältnis der gewöhnlichen Sätze mit sich bringt, erweist sich, methodisch gesehen, als ein geschickter strategischer Schachzug, um die Selbstzerstörung der gewöhnlichen Satzform in Gang kommen zu lassen. Will man den identischen Satz, der ja mit Bedacht verkehrt gebraucht wird, selber noch als eine spezifische Form des Satzes nehmen, so wäre diese als ein Grenzfall des Sprachlichen zu denken, in dem sich die Sprache über ihre Grenzen und Beschränktheiten aufklären soll. Hegel will auf keinen Fall die Form des identischen Urteils als eine der Philosophie eigentümliche Aussagenform geltend machen; das identische Urteil bringt er vielmehr nur ins Spiel, um die gewöhnliche Form des prädikativen Urteils einer Selbstthematisierung zu unterwerfen. Die Strategie, die Hegel einsetzt, um das gewöhnliche Verständnis des Satzes zu zerstören und zugleich die Bewegung des Spekulativen in Gang zu bringen, besteht ja darin, eine Form des Satzes zu gebrauchen, die im Vergleich zum gewöhnlichen Satz anders erscheint, um die Grenze jener Form zu ziehen. Indem das Denken durch das gezielte, systematische gebildet sind und deshalb zu Endliches und Unendliches identifizierenden Satzfügungen greifen, machen diesen Zusammenhang für die naive Interpretation des Subjekt-Prädikat-Schemas bewußt." S. Majetschak: Die Logik des Absoluten, a. a. O., S. 82. "' A. Kulenkampff: Antinomie und Dialektik. Zur Funktion des Widerspruchs in der Philosophie, Stuttgart 1970, S. 44, 66 f. In ähnlicher Weise schreibt Heede: „der spekulative Gebrauch des Urteils läßt dieses nicht so, wie es seinem Wesen nach ist, sondern verstößt methodisch bewußt gegen die immanenten Gesetzlichkeiten des Urteils, so daß diese in der Zerstörung ihres endlichen Sinnes die spekulativen Strukturen hervortreten lassen." R. Heede: Die göttliche Idee und ihre Erscheinung in der Religion. Untersuchungen zum Verhältnis von Logik und Religionsphilosophie bei Hegel, Münster / Westfalen 1972, S. 206; vgl. auch W. Marx: Absolute Reflexion und Sprache, Frankfurt a. M. 1967, S. 25. 12( „Man kann", so schreibt Hegel im Hinblick auf die christliche Idee der Dreieinigkeit in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion, „mit der Vernunft alle Verstandesverhältnisse gebrauchen, aber sie vernichtet sie auch, - so auch hier. Aber das ist hart für den Verstand; denn er meint, damit, daß man sie gebraucht, ein Recht gewonnen zu haben. Aber man mißbraucht sie, wenn man sie so wie hier gebraucht, indem man sagt: drei ist eins.' (TW XVII 230)
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Falschmachen an seine eigenen Grenzen stößt, ist es schon über seine Grenze und seine Endlichkeit hinausgegangen, und zwar insofern, als diese dadurch erkennt, woran sie scheitert. So gesehen ist der spekulative Satz, wenn man so will, kein Ausdruck der Wahrheit, sondern vielmehr die Demonstration des Schreitens. Aber gerade die Erkenntnis der Grenzen hebt die Beschränktheit der Schranke auf. Diese Strategie ist wohl die einzige Möglichkeit, eine Kritik der Satzform durchzuführen, in der auch das Metatheoretische selbst befangen ist.121 Auf diese selbstzerstörerische Umgangsweise mit der Sprache ist das Problem zurückzuführen, warum die Hegeische Philosophie so unverständlich oder gar widersinnig erscheint (PG 44; WL I 78). Die Selbstzerstörung der Natur des Satzes ist aber wesentlich als Selbstaufklärung derselben zu lesen, da die Zerstörung notwendigerweise die Einsicht dessen, was eigentlich zerstört werden soll, voraussetzt. Der spekulative Satz ist somit wesentlich eine Satz- bzw. SprachÄririA:, die aber keinesfalls in der Zerstörung des natürlichen Satzverhältnisses endet. „Die Vernünftigkeit beginnt", so kann man wohl mit Stefan Majetschak sagen, „gerade darin, daß es nicht bei der finiten Formulierung eines isolierten Urteils bleiben kann." 122 Die Lehre vom spekulativen Satz ist kein Plädoyer gegen die menschliche Sprache hinsichtlich ihrer Darstellungsunfähigkeit der spekulativen Wahrheit, sondern vielmehr eine Vorbemerkung - und gerade deshalb wird sie in der Vorrede zur Phänomenologie bzw. zum gesamten System ausgeführt - zu einer dialektischen Umgangsweise mit der Sprache, in der die verknöcherten Satzbeziehungen des räsonierenden Denkens durch die in der Sprache angelegte Möglichkeit der spekulativ-kritischen Selbstthematisierung wieder verflüssigt und in Bewegung gebracht werden. Es wird also demonstriert, wie der Satz aus sich selbst über sich selbst hinausweist und so zur dialektischen Satzbewegung führt. Der Gegenstoß, den der spekulativ gebrauchte identische Satz dem natürlichen Satzverhältnis entgegenbringt, gibt dem Denken in Wahrheit vielmehr einen Anstoß, in den Inhalt der Sache selbst „vertieft zu seyn" (PG 44). In diesem Zusammenhang wird der Gegensatz der räsonieren121
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In seiner spekulativen Kritik der Satzform kann Hegel nicht, wie es heute üblich ist, auf eine strikte Unterscheidung von Objekt- und Metasprache zurückgreifen, weil ihm eben nichts anderes zur Verfügung steht, als dasjenige, was zugleich einer Kritik unterzogen werden soll. So schreibt Röttges: „Hegels Alternative, und es handelt sich hier ja durchaus nicht um mögliche Verfeinerungen der Sprache, sondern um unverträgliche Gegensätze der Form, Hegels Alternative ist nun nicht ein künstliches Zeichensystem, sondern die extensive Ausnutzung von in der Sprache angelegten Möglichkeiten, wie die der Zerstörung der Urteilsstruktur durch den spekulativen Satz." H. Röttges: a. a. O., S. 67. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten, a. a. O., S. 64.
DER SPEKULATIVE SATZ ALS SATZKRITIK
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den und der begreifenden Auffassung des Satzes noch deutlicher: Bei der ersteren geht es darum, eine Aussage zu machen, die sich als eine für sich wahrheitsfähige Einheit darstellt; bei der letzteren aber primär um eine Bewegung, die diese vermeintlich wahrhafte Einheit zerstört und dadurch den Erkenntnisprozeß vorantreibt, in dessen Zusammenhang dann aber jene Einheit ihre eigentliche Bedeutung gewinnt. 123 Das Wesentliche ist somit nicht der einzelne Satz, sondern der Übergang von dem einen zu dem anderen. Solange ein Satz bei einer bestimmten, linearen SubjektPrädikat-Beziehung stehenbleibt, ist er „durch seine Form einseitig und in sofern falsch." (Enz. § 31 A, 72) Der Anstoß zur Vertiefung in die Sache erweist sich dabei als Ansatz zur Überwindung dieser strukturellen Einseitigkeit. Die Vollendung dessen aber, was dieser Anstoß intendiert, kann erst durch die dialektische Bewegung im gesamten monistisch-holistischen System erreicht werden kann. Erst im Hinblick auf das gesamte Begriffssystem kann die wahrhafte Beziehung von Subjekt und Prädikat in einem einzelnen Urteil durchschaut und begründet werden. Für sich genommen ist jedes Urteil, sei es ein prädikatives oder ein identisches, in derselben Weise einseitig und insofern falsch. Darum moniert Hegel: „Das gewöhnlichste Unrecht, welches speculativem Gehalte angethan wird, ist, ihn einseitig zu machen, d. i. den einen der Sätze nur, in die er aufgelöst werden kann, heraus zu heben. Es kann dann nicht geleugnet werden, daß dieser Satz behauptet wird; so r i c h t i g d i e A n g a b e i s t , so f a l s c h ist s i e , denn wenn einmal Ein Satz aus dem Speculativen genommen ist, so müßte wenigstens ebensosehr der andere gleichfalls beachtet und angegeben werden." (WL I 78) Im spekulativen Satz vereinigen sich nun zwei scheinbar entgegengesetzte Motive, und zwar das der Destruktion und das der Rekonstruktion, analog zu der Einheit von Kritik und Darstellung. 124 Denn er zerstört zwar 12
' Den Unterschied erläutert Josef Simon folgendermaßen: „Der Hegeische Begriff des Satzes .zerstört' die gewohnte Vorstellung vom Satz. Er zerstört damit den Spiegel der traditionellen Spekulation und setzt an dessen Stelle den wirklichen Sprachgebrauch, in dem sich nicht die Möglichkeit der Satzbildung rein von der logischen Syntax und von einem fixierten semantischen System von Regeln der Verknüpfbarkeit von Bedeutungen her versteht, sondern auch umgekehrt die Satzbildung innerhalb eines unbegrenzten Erkenntnisprozesses die Bedeutung bestimmt." J. Simon: Die Kategorien im „gewöhnlichen" und im „spekulativen ' Satz. Bemerkungen zu Hegeb Wissenschaftsbegriff, in: Wiener Jahrbuch für Philosophie 3 (1970), S. 25. 124 Röttges scheint aber nur die negative Funktion des spekulativen Satzes gesehen zu haben, wenn er schreibt: „Der spekulative Satz löst also nur den ersten Teil der Darstellungsproblematik, nämlich die Hemmung des aus der Umgangssprache vertrauten Fortgehens vom Satzsubjekt zum Prädikat, nicht aber die Darstellung der rückläufigen Bewegung, die erst die Subjektivität des Begriffs ausmacht, auch wenn diese Bewegung durch den spekulativen Satz evoziert
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
die Natur des Satzes, dies tut er aber nur zu dem Zweck, eine systematische bzw. spekulative Einheit wiederherzustellen, in die alle Unterschiede des Verständigen integriert sind. Dieses gespaltene, aber doch vereinigte Motiv des spekulativen Satzes versucht Hegel durch ein musikalisches Bild zu veranschaulichen: „Dieser Conflict der Form eines Satzes überhaupt, und der sie zerstörenden Einheit des Begriffs ist dem ähnlich, der im Rythmus zwischen dem Metrum und dem Accente statt findet. Der Rythmus resultirt aus der schwebenden Mitte und Vereinigung beyder." (PG 43) Mit dieser Metapher des harmonischen Rhythmus zielt Hegel darauf ab, die spekulative Identität, also eine Identität, in der Differenz das unentbehrliche Moment ist, dem Verstand näher zu bringen. 123 „So soll auch im philosophischen Satze die Identität des Subjects und Pradicats den Unterschied derselben, den die Form des Satzes ausdrückt, nicht vernichten, sondern ihre Einheit als eine Harmonie hervorgehen." (PG 43 f) Diese spekulative Identität von Subjekt und Prädikat kann sich aber nicht im Satz als einer isolierten Sinneinheit realisieren. Der identische Satz ist selber nur eine Erscheinungsform, die nur ein Moment der Bewegung des spekulativen Satzes darstellt. Denn „die Form des Satzes ist die Erscheinung des bestimmten Sinnes oder der Accent, der seine Erfüllung unterscheidet" (PG 44). Hier betont Hegel einen wichtigen Sachaspekt, indem er zwischen der Erscheinung und der Erfüllung eines Satzes unterscheidet. Der Satz, insofern er bloß ein Satz ist, kann die Wahrheit nicht ganz aussprechen. In einem Satz bleibt sie sozusagen ein „Versprechen", dessen Erfüllung über das bloße Aussprechen des Satzes hinausgeht. Der spekulative Satz erscheint zwar als ein identischer Satz, er erfüllt sich aber wird; aber dargestellt als solche wird diese rückläufige Bewegung eben nicht. (...) Beim spekulativen Satz handelt es sich um eine Aufhebung der vorphilosophischen Darstellungsform auf erster Stufe." H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegeb, a. a. O, S. 71. Was diese Metapher betrifft, so braucht man zwar nicht, wie Röttges, zu meinen, daß „das Ausweichen Hegels in Bilder bzw. Analogien [...] auf prinzipielle methodologische Unsicherheiten" (H. Röttges, a. a. O., S. 68) deutet, aber man darf auf keinen Fall, wie Wohlfart, die zentralen Interpretationsansätze des spekulativen Satzes auf eine solche Metapher stützen. Immerhin handelt es sich nur um eine Veranschaulichung durch eine Metapher, die zur reinen Begriffsdarstellung kaum Substantielles beiträgt. Zumindest ist man noch weit davon entfernt, daraus den Schluß ziehen zu dürfen, „daß das spekulative Denken dasjenige Denken ist, das Kunst und Religion als seine Momente philosophisch begreift und aufhebt." (G. Wohlfart: Der spekulative Satz, a. a. O., S. 199 f.) Es handelt sich wohl bestenfalls um eine Metapher aus dem Bereich der Musik und der Kunst, die den spekulativen Satz verdeutlichen soll, um eine Bestimmung der Kunst und der Religion hinsichtlich deren Beziehung zur Philosophie handelt es sich beim besten Willen nicht. Vgl. R. Schäfer: Die Dialektik und ihre besonderen Formen in Hegels Logik. Entwicklungsgeschichtliche und systematische Untersuchung, Hamburg 2001, S. 181, Anm. 63.
DER SPEKULATIVE SATZ ALS SATZKRITIK
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nicht in dem, was in jener Form gesagt wird. Zwischen der Erscheinung und der Erfüllung eines Satzes, also zwischen dem, was gesagt ist, und dem, was gemeint ist, liegt wesentlich eine strukturelle Diskrepanz, die als Movens der Dialektik den spekulativen Satz in Bewegung hält.126 „Der philosophische Satz, weil er Satz ist, erweckt die Meynung des gewöhnlichen Verhältnisses des Subjects und Pradicats, und des gewohnten Verhaltens des Wissens. Diß Verhalten und die Meynung desselben zerstört sein philosophischer Inhalt; die Meynung erfährt, daß es anders gemeynt ist, als sie meynte, und diese Correction seiner Meynung nöthigt das Wissen auf den Satz zurückzukommen und ihn nun anders zu fassen." (PG 44) Mit diesem Korrektionsprozeß beschreibt Hegel im Vorblick genau das, was man erfährt, wenn man ihn liest. Denn auch die spekulativ genannten Sätze haben die äußere Gestalt der gewöhnlichen Sätze, nur gelten besondere Regeln für den Umgang mit ihnen, so daß „Mehreres erst wiederholt gelesen werden müsse, ehe es verstanden werden könne" (PG 44). 12 "Der Korrekturbedarf entsteht nämlich durch den Umstand, daß der spekulative Satz die Intention verfolgt, das natürliche Satzverhältnis zu zerstören und das Denken damit stets zur neuen Auslegung zu zwingen. 128 So beschreibt Hegel die Bewegung des spekulativen Satzes, wie oben erläutert, als ein von der Diskrepanz motiviertes Hin- und Herpendeln vom Subjekt zum Prädikat und wieder zurück zum Subjekt, eine Bewegung, die aber schließlich zum System des Ganzen führt, in dem sich alle enthaltenen Sätzen wechselseitig erhellen. Als Einzelnes kann ein Satz ebensowenig seine Unwahrheit aufheben, als seine Wahrheit ausdrücken. „Daß die Form des Satzes aufgehoben wird, m u ß nicht nur auf u n m i t t e l b a r e Weise geschehen, nicht durch den blossen Inhalt des Satzes. Sondern diese entgegengesetzte Bewegung muß ausgesprochen werden; sie muß nicht nur jene innerliche Hemmung, sondern diß Zurückgehen des Begriffs in sich muß d a r g e s t e l l t seyn. Diese Bewegung, welche das ausmacht, was sonst der Beweis leisten sollte, ist die dialektische Bewegung des Satzes selbst." (PG 45) Diese Bewegung des Satzes ist der wahre Schluß, in dem die Wahrheit adäquat 126
So schreibt Röttges zu Recht: „die Selbstbewegung der Bestimmtheit lebt demnach von der Spannung zwischen dem Urteil und dem spekulativen Satz, also von der Diskrepanz der Darstellungsformen des vorstellenden und des begreifenden Denkens. Weder überläßt sich Hegel kritiklos den durch die Sprache vorgegebenen Denkstrukturen bzw. -bahnen, noch versucht er sie zu substituieren, sondern die schrittweise Explikation des Inhalts wird zu dessen Selbstbewegung durch die Reflexion des Zusammenhangs von Inhalt und Form in der Darstellung." H. Röttges: Der Begriff der Methode in der Philosophie Hegeb, a. a. O., S. 81. Auf diese strukturelle Diskrepanz, die vor allem als dialektischer Widerspruch ein Begriff ist, werden wir später noch näher eingehen, vgl. unten Kap. 4.2.3.2: Widerspruch und Dialektik, S. 274 ff. 127 Vgl. W. Wieland: Bemerkungen zum Anfang von Hegeb Logik, a. a. O., S. 204. !2 * Vgl. S. Majetschak: Die Logik des Absoluten, a. a. O., S. 81.
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SPEKULATION UND DER SPEKULATIVE SATZ
zur Darstellung kommt. Denn „das Wahre" ist nicht das „trockene Ist", das als Kopula unbewegt im Satz steht, „sondern wesentlich Prozeß." (TW XIX 380)129 Das Wesentliche ist also nicht der eine oder der andere Satz, sondern die Bewegung, und zwar das Ganze des wechselseitigen Aufhebungsprozesses. Denn „als Satz ist das Speculative nur die i n n e r l i c h e Hemmung und die n i c h t d a s e y e n d e Rückkehr des Wesens in sich." (PG 45) Der identische Satz für sich ist nicht „das w i r k l i c h e Speculative" (PG 45) , sondern nur das sprachliche Gebilde, in dem der Gegenstoß oder die Hemmung zum gewöhnlichen Satzverhältnis zur Erscheinung kommt. Der spekulative Satz ist „das wirkliche Speculative", insofern er als die Bewegung des Satzes diesen einer spekulativen Selbstkritik unterwirft. „Gott ist das Sein" oder „das Wirkliche ist das Allgemeine" sind demnach spekulative Sätze nur im bestimmten Kontext, in dem sie sich in die dialektische Bewegung des Satzes verflüssigen. Wie der spekulative Satz als Bewegung des Satzes aussieht, hat Hegel in der Vorrede zur Phänomenologie nur äußerst kurz dargelegt. Diese Bewegung aber charakterisiert die Art und Weise, wie sich das gesamte System spekulativer Philosophie aus sich entfaltet und entwickelt. Dabei geht es nicht nur um das logische Verhältnis von Subjekt und Prädikat, sondern ebensosehr um die verbundene ontologische Vorstellung. Die Hin- und Herbewegung zwischen Subjekt und Prädikat, die der spekulative Satz beschreibt, ist eine Bewegung, in der die ontologische Vorstellung von Substanz und Akzidens zugunsten des Hegeischen subjektivitätsontologischen Monismus destruiert wird. In diesem Sinne ist der spekulative Satz nicht nur eine Satz- und Logikkritik, sondern wesentlich zugleich Ontologie- und Metaphysikkritik. Im allgemeinen entspricht die dialektische Bewegung vom Subjekt zum Prädikat der Destruktion der traditionellen Substanzkonzeption, und die Bewegung vom Prädikat zum Subjekt der Rekonstruktion der subjektivitätsidealistischen Substanz. Mit dieser ontologischen Dimension der Urteilskritik im Kontext des Systems werden wir uns im folgenden näher beschäftigen.
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Erst in diesem Prozeß der ständigen Korrektur konstituiert sich der wahre Bedeutungsgehalt eines Begriffs. So kann man mit Simon sagen, „nach Hegel bestehe die Bedeutung eines Wortes oder seine Begrifflichkeit gerade darin, daß es in einer der gewohnten Vorstellung des fürsichseienden Ich offensichtlich zuwiderlaufenden Weise gebraucht (und unter Umständen dennoch verstanden) werden kann und dadurch dessen anfangliche Meinung verkehrt, es verfüge von sich aus über apriorische Begriffe der Bestimmung aller möglichen Erfahrung". J. Simon: Sprachphilosophische Aspekte der neueren Philosophiegeschichte, in: ders. (Hrsg.): Aspekte und Probleme der Sprachphilosophie, München 1974, S. 39.
4.
LOGIK UND ONTOLOGIE
„Es muß hierüber sogleich im Anfange", so Hegel in einer Anmerkung zu den ersten Kategorien der Logik, „diese allgemeine Bemerkung gemacht werden, daß der Satz, in Form eines U r t h e i l s , nicht geschickt ist, speculative Wahrheiten auszudrücken". Mit dieser „allgemeinen Bemerkung" am Anfang der Logik verfolgt Hegel offenkundig die Absicht, das besondere Gewicht der strukturellen Unzulänglichkeit des Urteils für die kategoriale Entwicklung in der gesamten Logik hervorzuheben. Denn „die Bekanntschaft mit diesem Umstände wäre geeignet, viele Mißverständnisse speculativer Wahrheiten zu beseitigen." (WL I 78) Hegel sieht den Grund für viele Mißverständnisse der spekulativen Philosophie eben in der nahezu als selbstverständlich angesehenen Überzeugung, das Urteil sei die elementare logische Einheit der Wahrheit. Für Hegel hat jedes spekulativ gebrauchte Urteil in der Logik vielmehr die Funktion, die Beschränktheit dieser vermeintlichen Einheit im konkreten Begriffszusammenhang zu demonstrieren und dadurch den Fortgang der logischen Bestimmungen als Bewegung des Begriffs notwendig zu machen. Entgegen der von Aristoteles über Kant bis in die moderne Logik vererbten philosophischen Selbstverständigkeit erblickt Hegel erst im System als Ganzem die kleinste bzw. die einzige logische und ontologische Einheit der Wahrheit. Dabei kann die gesamte Logik als ein Unternehmen angesehen werden, das diesen logisch-ontologischen Holismus geltend zu machen versucht, indem sie im spekulativ-kritischen Umgang mit der Form des Urteils die Kategorien zu einer systematischen Einheit entwikkelt, in der das Absolute oder die absolute Wahrheit zur Darstellung kommt. Nachdem wir bislang die komplexe Strategie der Hegeischen Urteilskritik erörtert haben, gehen wir nun auf ihre logisch-ontologischen Implikationen für das System der spekulativen Logik ein, wobei die gesamte folgende Diskussion als Explikation des spekulativen Satzes angesehen werden kann. Daß das Urteil „durch seine Form einseitig und in sofern falsch" (Enz. § 31 A, 72) ist, ist nur eine formelle Charakterisierung der strukturellen Unzulänglichkeit des Urteils. In der strukturellen Einseitigkeit der Urteilsform ist aber darüber hinaus noch eine Verstandesansicht der logisch-ontologischen Struktur der Wirklichkeit verborgen, mit der sich die spekulative Philosophie stets auseinanderzusetzen hat.
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LOGIK UND ONTOLOGIE
Die urteilslogische Dichotomie von Subjekt und Prädikat hat ihr ontologisches Pendant darin, daß die Wirklichkeit, auf die man im Urteil Bezug nimmt, durch die Struktur von Substanz und Akzidenz ausgelegt wird. Der logisch-ontologische Primat wird dabei der Substanz zugesprochen, die nach der auf Aristoteles zurückgehenden Tradition als selbständiges Einzelding aufgefaßt wird. Mit seiner Urteilskritik bezieht sich Hegel nicht nur auf die logische Form der Bezugnahme auf Wirkliches und dessen Bestimmung, sondern ebensosehr auf die ontologische Struktur des Wirklichen selbst. Die Annahme des logisch-ontologischen Primats der „ersten Substanz" wird bei Hegel radikal revidiert, indem er die traditionelle Substanzkonzeption dahingehend destruiert, daß sie letztlich in seinem subjektivitätsontologischen Monismus ihre wahre Bedeutung erhält. Die Destruktion der traditionellen Substanzkonzeption, die mit der Vorstellung des Urteilssubjekts als Zugrundeliegendem (Ü7toK£i|i£vov) verbunden ist, und ihre spekulative Rekonstruktion in einer Substanz, die zugleich wesentlich Subjekt ist - und die für Hegel wiederum nichts anderes ist als der Begriff -, sind die grundlegenden Motive, von denen die Hegeische Metaphysik bewegt wird. Diese metaphysischen Auseinandersetzungen versuchen wir nun im Lichte der Hegeischen Urteilskritik näher zu erhellen, indem wir die Argumente rekonstruieren, die Hegel gegen die traditionelle Auffassung des logischen Charakters von Subjekt und Prädikat anführt, und daraus die ontologischen Konsequenzen ziehen. Da das Subjekt und das Prädikat aufgrund ihrer jeweils unterschiedlichen Rolle im Urteil auch durch unterschiedliche Problemstellungen charakterisiert sind, ist es sinnvoll, die Diskussion in zwei Teile zu gliedern.1 Während sich das SubjektKapitel mit den Problemen befaßt, wie mit dem Urteilssubjekt auf Gegenstände Bezug genommen wird, und wie die traditionelle Konzeption der Substanz mit der damit verbundenen Vorstellung von Gegenständlichkeit zusammenhängt, setzt sich das Prädikat-Kapitel mit der Struktur begrifflicher Bestimmungen auseinander. Es wird sich schließlich zeigen, inwiefern der Begriff als ein monistisch-holistisches System begrifflicher Zusammenhänge, wie es in der Logik dargestellt wird, die logischontologische Grundlage für alles bildet, was überhaupt Wahrheit hat. Die beiden Diskussionsteile über Subjekt und Prädikat entsprechen global gesehen etwa den systematischen Stufen der Seins- bzw. der Wesenslogik, wobei die im vorherigen Kapitel angestellten Überlegungen Eine ähnliche Gliederung unterlegt Horstmann seiner Untersuchung zu Hegels Urteilskritik, indem er das Kapitel „Hegels Kritik an der »Form des Urteils« ' in zwei Abschnitte, „Einwände gegen Prädikatbegriffe" und „Einwände gegen Subjektsbegriffe", unterteilt. Allerdings beschränkt sich seine Untersuchung fast ausschließlich auf die Textbasis aus dem Vorbegriff zur Enzyklopädie. Vgl. R.-P. Horstmann: Wahrheit aus dem Begriff. Eine Einführung in Hegel, Frankfurt a. M. 1990, bez. S. 23 - 34.
DAS URTEILSSUBJEKT UND DIE ARISTOTELISCHE SUBSTANZLEHRE
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über die metalogische Bedeutung des spekulativen Satzes als dem Niveau der Begriffslogik entsprechend angesehen werden könnten.2 Denn Hegels Einwand gegen die natürliche Auffassung des Subjekts richtet sich in ontologischer Hinsicht auf den Begriff des Seins und greift vornehmlich die naive Vorstellung der Unmittelbarkeit an; der Einwand gegen den Begriff des Prädikats richtet sich demgegenüber auf das Wesen und klärt dabei die Struktur der Vermittlung von logischen Bestimmungen auf. Die ganze Diskussion entwickelt sich wesentlich in kritischer Auseinandersetzung mit der „vormaligen Metaphysik", die ihre Vollendung in der objektiven Logik finden soll. Insbesondere liegt die traditionelle Substanzontologie als Gegenstand der Kritik der ganzen Auseinandersetzung zugrunde. Darum beginnen wir mit einer knappen Skizze der Grundzüge derjenigen Substanzkonzeption, die den Problembestand der traditionellen Metaphysik bestimmt hat.
4.1.
Subjekt und Substanz
4.1.1. Ansätze urteilslogischer Orientierung der Ontologie 4.1.1.1. Das Urteilssubjekt und die Aristotelische Substanzlehre Das natürliche Weltverstehen stellt sich die Wirklichkeit gewöhnlich so vor, als gebe es unbestimmt viele Einzeldinge, die für sich bestehen und unabhängig von unserem subjektiven Erkennen selbständig existieren. Eigenschaften, Zustände und alle sonstigen Bestimmungen, die jenen selbständigen Dingen zukommen können, haben Dasein nur im sekundären Sinne, weil sie nicht außer ihnen für sich existieren können. Dieses oder jenes konkrete Einzelding ist also das Grundlegendste von dem, was es überhaupt gibt. Der ontologische Primat der Einzeldinge geht bekanntlich auf die Aristotelische Lehre von der „ersten Substanz" zurück, die in der Kategorienschrift entwickelt wird, beruht aber, wie sich zeigen wird, auf einer stark vereinfachten Version der subtilen Substanzlehre, die Aristoteles im Laufe seiner Denkentwicklung, vor allem in der Metaphysik, weiterentwickelt und viel differenzierter ausgeführt hat. 2
Richard Kroner glaubt sogar die Dreiteilung der Logik schon in dem Satz „das Sein ist Nichts" ablesen zu können: „Die Logik zerlegt sich in diese drei Bestandteile, indem sie vom Sein zum Wesen und vom Wesen zum Begriff fortschreitet. In diesem Fortschreiten enthüllt sich das Nichts des ersten Satzes als Wesen, und das „Ist" als Tätigkeit des Begreifens." R. Kroner: Von Kant bis Hegel, Bd. 2, Tübingen 1924, S. 441.
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LOGIK U N D O N T O L O G I E
„Substanz" ist zweifellos ein zentraler und gewichtiger Begriff bei Aristoteles, der für die Entwicklung der abendländischen Metaphysik von maßgeblicher Bedeutung ist.' Die Art und Weise, wie Aristoteles überhaupt den Begriff der ersten Substanz entwickelt, ist aber ein deutliches Indiz dafür, wie sehr dieser ontologische Begriff mit dem logischen Charakter des Urteilssubjekts verbunden ist. Wie in den meisten seiner Untersuchungen orientiert sich Aristoteles beim Entwurf seiner Substanzlehre äußerst eng an dem, was in der Sprache (Xöyoc,) vorliegt. Dennoch geht es Aristoteles, genauso wie später Hegel auch, niemals primär nur um die Sprache als solche, sondern vielmehr um die Seienden (övra), die in der Sprache zum Ausdruck kommen. 4 Für Aristoteles sind die sprachlogischen und ontologischen Probleme der Sache nach untrennbar. Den Auftakt der Aristotelischen Substanzlehre bildet dabei eine Analyse des Urteils, die aber von Anfang an über ein rein grammatisches oder logisches Interesse hinaus auf die fundamentalen ontologischen Strukturen des Seienden zielt, die sich in den Grundformen der möglichen Prädikation widerspiegeln. „Subjekt" (imoKeiuevov) und „Prädikat" (KaTriyopoü^evov) beziehen sich ohnehin nicht lediglich auf sprachliche Ausdrücke, sondern immer auch zugleich oder gar primär auf außersprachliche Gegenstände und Sachverhalte/ Die Aristotelische Substanzlehre hat sich zunächst im Zusammenhang seiner Kategorienlehre herausgebildet, bei der es sowohl um die Frage geht, auf welche Weisen sich etwas über ein Satzsubjekt aussagen läßt, als gleichzeitig darum, welche Weisen es gibt, zu sein. Bekanntlich werden in der Kategorienschrift (4, lb26ff), ebenso wie in der früheren Topik (I 9, 103b22ff), zehn Kategorien aufgeführt, wobei die Substanz (oüoia) als die erste Kategorie gegenüber den übrigen eine logisch-ontologische Sonderstellung einnimmt. 6 Substanz heißt, so Aristoteles in der Kategorienschrift, '
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Vgl. W. Viertel: Der Begriff der Substanz bei Aristoteles, Königstein / Ts. 1982. Dieser Einstellung gegenüber der Sprache liegt offensichtlich die bei den altgriechischen Philosophen herrschende Annahme zugrunde, daß Sein und Denken bzw. Sprache nicht getrennt sind. Man erinnert sich an das berühmte Diktum von Parmenides: „denn dasselbe ist Denken und Sein (TÖ yäp aürö voelv Ecrriv XE Kai elvai)." (DK 22 B 3) Vgl. K. Oehler: Die Lehre vom noetischen und dianoetischen Denken bei Piaton und Aristoteles. Ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Bewußtseinsproblems in der Antike, München 1962, S. 20 - 30; 147 - 150. Für die beiden Aristotelischen Termini imoKeiuevov und KaTn,yopoüuEvov, aus denen die lateinischen Begriffe von Subjekt und Prädikat abgeleitet sind, ist die ontologische Konnotation grundlegend. Wenn es hauptsächlich um die grammatisch-syntaktische Analyse des Satzes geht, werden sowohl bei Piaton als auch bei Aristoteles die Termini övoua (Hauptwort / Nennwort) und pfjua (Zeitwort / Aussagewort) verwendet. Vgl. C. H. Kahn: The Verb 'Be' in Ancient Greek [The Verb 'Be'and Its Synonyms (6)], Dordrecht 1973, S 46 - 48. Der logisch-ontologische Primat der Substanz kommt erst in der Kategorienschrift deutlich zur Geltung. Die beiden Versionen der Kategorienlehre in der
D A S URTEILSSUBJEKT UND DIE ARISTOTELISCHE SUBSTANZLEHRE
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„hauptsächlich und an erster Stelle und vorzüglich" (Cat. 5, 2 a 12) die erste Substanz (TtpaiTq oüoia), d. h. ein sinnlich wahrnehmbares Einzelding, wie ein individueller Mensch, ein individuelles Pferd oder abstrakt gesagt ein „Dieses-da" (TÖ5E TI), das individuell (ärouov) und der Zahl nach eins (ev äpiöudi) ist. Dabei kommen Gattungen wie Menschen und Lebewesen die Bezeichnung der Substanz nur im sekundären und untergeordneten Sinne zu; die „zweiten Substanzen" werden im engeren Sinne nicht zur Substanz gerechnet, weil ihre Bestimmung eher etwas Qualitatives bezeichnet. Nach der Kategorienschrift zeichnet sich der logisch-ontologische Primat der ersten Substanz durch zwei Kriterien aus: Es kommt zum einen darauf an, ob das, was in Frage steht, „von etwas als einem Zugrundeliegenden ausgesagt wird (xa9 ÜTTOKEIUEVOU Aeyerai)", und zum anderen darauf, ob es „in etwas als einem Zugrundeliegenden ist (ev UTTOKEIUEVÜ) EOTIV)" (Cat. 2, la20ff.). 8 Beim ersten Kriterium handelt es sich darum, ob etwas als Prädikat in einer Aussage fungieren kann, wobei sich herausstellt, daß das, was singulär ist, aufgrund der Form des prädikativen Satzes ausschließlich als Satzsubjekt auftritt, aber niemals von einem Subjekt
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Topik und in der Kategorienschrift unterscheiden sich vor allem dadurch, daß in der Topik das Satzsubjekt noch nicht als das Zugrundeliegende der Prädikation thematisiert wird, d. h. es gibt in der Topik noch keine Analyse der Substanz (oüoia). Stattdessen wird die erste Kategorie als Antwort auf die Frage „Was ist es?" (ri EOTI;) verstanden. Demzufolge ist die erste Kategorie in der Topik noch ein Prädikat bzw. eine Art Prädikation, auch wenn sie sich als essentielle Prädikation von den übrigen akzidentiellen Prädikationen auszeichnet. Die erste Kategorie in der Kategorienschrifi ist aber nicht mehr ein Prädikat, da die erste Substanz (npaiTn oüoia), wie ein individueller Mensch, prinzipiell nicht an der Stelle des Prädikats im Satz auftreten und ebensowenig die Antwort auf die Frage „Was ist es?" bilden kann. Sie ist vielmehr ein Subjekt bzw. ein Zugrundeliegendes, dem Prädikate zugesprochen werden können. In dieser Beziehung wird die erste Kategorie von den übrigen grundsätzlich abgehoben. Vgl. die Erläuterung von K. Oehler zu Aristoteles: Kategorien [ Werke in deutscher Übersetzung, begründet v. E. Grumach, hrsg. v. H. Flashar, Bd. 1/1], übers, u. erläutert v. K. Oehler, Berlin 1984, S. 84 - 89. Vgl. Cat. 5, 3bl 1-18: „Jede Substanz scheint ein bestimmtes .Dieses' zu bezeichnen. Bezüglich der ersten Substanzen ist es zweifellos und wahr, daß jede ein bestimmtes .Dieses' bezeichnet; denn das angezeigte Ding ist individuell und der Zahl nach eins. Bezüglich der zweiten Substanzen jedoch hat es zwar durch die Form der Benennung den Anschein, daß, wenn man von Mensch oder Lebewesen spricht, eine zweite Substanz in gleicher Weise ein .Dieses' bezeichnet, aber es ist nicht wahr, eher bezeichnet sie etwas Qualitatives; denn das Zugrundeliegende ist nicht, wie die erste Substanz, eins, sondern Mensch und Lebewesen werden von vielen ausgesagt." Vgl. G. Patzig: Bemerkungen zu den Kategorien des Aristoteles, in: ders.: Aufsätze zu antiken Philosophie [Gesammelte Schriften III], Göttingen 1996, S. % ff; C.-H. Chen: On Aristotle's Two Expressions: K, Bonn 1974. Heintel, Erich: Der Begriff des Menschen und der „spekulative Satz", in: Hegel-Studien 1 (1961), S. 201 - 227. Hennigfeld, Jochem: Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter, Berlin / New York 1994.
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