Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

Das erfolgreiche Handbuch für Praktiker - bislang bekannt als "der Steiger-Lippmann" - fasst das gesamte, für Führungskräfte aller Ebenen relevante Wissen der Psychologie in einem Werk zusammen und ist, nun schon in der 5. Auflage mit neuem Herausgeberteam, ein bewährter Wegweiser in allen Führungssituationen, wie ein Blick auf die Themen des Buches zeigt: Leistungsbeeinflussung, Führung der eigenen Person, Kommunikation, Teamführung, Recruiting, Personalentwicklung, Motivation, Projektmanagement, Change Management, Konfliktmanagement, Coaching u.v.m. - all das funktioniert im Alltag nicht ohne Know-how aus der Psychologie! Auch zeitaktuelle Themen wie Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten, Burnout etc., Managing Diversity, Virtuelle Führung oder Einsatz von Social Media u.a. sind enthalten.Eine sorgfältige didaktische Aufbereitung des Textes mit Checklisten, Fallbeispielen, Leitfragen, Arbeitsblättern u.a. erleichtert das Lesen.Herausgeber und Autoren sind erfahrene Praktiker in der Führungskräfteentwicklung und Dozenten am renommierten IAP Institut für Angewandte Psychologie in Zürich.

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Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

Eric Lippmann Andres Pfister Urs Jörg (Hrsg.)

Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte Führungskompetenz und Führungswissen 5., vollständig überarbeitete Auflage 2019 Mit 168 Abbildungen, 63 Tabellen und Illustrationen

Herausgeber Eric Lippmann IAP Institut für Angewandte Psychologie ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich, Schweiz

Urs Jörg IAP Institut für Angewandte Psychologie ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich, Schweiz

Andres Pfister IAP Institut für Angewandte Psychologie ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich, Schweiz

ISBN 978-3-662-55809-6 ISBN 978-3-662-55810-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 1999, 2004, 2008, 2013, 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Illustrationen: Tobias Leuenberger Einbandabbildung: © euregiocontent / stock.adobe.com Umschlaggestaltung: deblik Berlin Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

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Vorwort zur 5. Auflage Mit großer Freude legen wir Ihnen die inzwischen 5. Auflage des Handbuches Angewandte Psychologie für Führungskräfte vor. Dieses Buch ist mehr als das Ergebnis der Zusammenarbeit einer Gruppe von Autoren und Autorinnen. Es ist entstanden aus der 70-jährigen Geschichte der Ausbildung von Führungskräften an einem Institut, das sich der angewandten Psychologie verpflichtet fühlt. 1947 ist das „Vorgesetzten Seminar“ als eine einjährige berufsbegleitende Schulung von Führungskräften am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) Zürich gegründet worden. Damals war das eine absolute Pionierleistung und unseres Wissens im wirtschaftlichen Bereich die einzige Führungskräfteausbildung in der Schweiz überhaupt. Vor 19 Jahren, beim Verfassen der 1. Auflage, war das „Vorgesetzten-Seminar“ eine zweijährige berufsbegleitende Institution zur überbetrieblichen Entwicklung von Führungskräften. Die 3. und 4. Auflage waren das Ergebnis verschiedener Revisionen und Weiterentwicklungen dieses Führungscurriculums, welches sich heute als ein Weiterbildungs-Masterstudiengang in Leadership und Management präsentiert. Die Teilnehmenden kommen aus allen Bereichen von Industrie, Gewerbe, Dienstleistung, Pflege, Medizin und Verwaltung sowie aus schulischen, sozialen und kirchlichen Organisationen. Weit über 6000 Teilnehmende haben sich bis heute am IAP Zürich in ihren Führungskompetenzen weiterqualifiziert. Heute beträgt der Frauenanteil rund 50 % – ein für Führungsausbildungen weit überdurchschnittlicher Wert. Themen dieses Bildungsprogramms sind alle Fragen der Gestaltung struktureller, kultureller, motivationaler Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung durch die Mitarbeitenden. Mit anderen Worten stehen alle Fragen der Gestaltung der Zusammenarbeit von Menschen in Organisationen im Zentrum des Interesses. Die 5. Auflage stellt in der Geschichte des Handbuches eine bedeutende Änderung dar: Mitherausgeber Thomas Steiger, langjähriger Studienleiter des Lehrgangs und danach Leiter der Managemententwicklung der Stadt Zürich, ist in den Ruhestand getreten. Als Nachfolge zeichnen Prof. Dr. Andres Pfister und Urs Jörg zusammen mit Prof. Dr. Eric Lippmann als Herausgeber.

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Vorwort zur 5. Auflage

Die Autorinnen und Autoren sind weiterhin mit wenigen Ausnahmen festangestellte, ehemalige bzw. freie Mitarbeitende des IAP Institutes für Angewandte Psychologie Zürich. Sie waren oder sind Dozentinnen und Dozenten im Studiengang am IAP oder sind auch in anderen Führungskräftequalifizierungen involviert. Wir danken unseren Autorinnen und Autoren, dass sie mit jeder Auflage immer wieder die Energie aufbringen, Texte zu verfassen oder zu überarbeiten und auf den neuesten Stand zu bringen. Auch die 5. Auflage wird wieder mit Zeichnungen illustriert. Hier fand ebenfalls ein Generationenwechsel statt. Das IAP ist seit ein paar Jahren ins Toniareal in Zürich West umgezogen und seitdem mit den Zürcher Hochschulen der Künste (ZHdK) unter einem Dach. Daher lag es nahe, ein Nachwuchstalent unter diesem Dach zu suchen. Wir sind sicher, in der Person von Tobias Leuenberger fündig geworden zu sein. Ihm danken wir ganz herzlich, denn seine trefflichen Bilder verweisen mit einem Schmunzeln auf Kerngedanken unserer Texte und regen zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit ihnen an. Weiterer Dank gilt erneut den vielen Kundinnen und Kunden des IAP wie auch allen Leserinnen und Lesern. Aus Ihrem Kreis kamen Anregungen, welche in die Überarbeitung einfließen konnten. Besonderer Dank gebührt dem Planer bei Springer, Herrn Joachim Coch, und der Projektmanagerin, Frau Judith Danziger. Herr Coch hat nun schon bei einigen Auflagen mitgewirkt und mit dem IAP in den letzten Jahren manch andere Publikationen verwirklicht. Die bisherigen Auflagen haben schon viele Führungskräfte in ihrer Arbeit erfolgreich begleitet und unterstützt. Viele Rückmeldungen haben uns das bestätigt. Wir hoffen, dass auch diese aktualisierte 5. Auflage weiterhin für viele unserer Leser ein Wegweiser sein kann im variantenreichen Feld der Führung, welches sich weiterhin und zunehmend durch Komplexität und Dynamik auszeichnet. Prof. Dr. Eric Lippmann, Prof. Dr. Andres Pfister, Urs Jörg

Zürich, im Frühjahr 2018

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Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art von Führung, die sich Führungskräfte einmal aneignen können und die sie dann als erfolgreiche Vorgesetzte auszeichnet. Vielmehr gehen wir davon aus, dass Führungskräfte virtuos über eine große Vielfalt von Verhaltensweisen und Instrumentarien verfügen müssen, um der komplexen Vielfalt und der Dynamik der Organisationsrealität gewachsen zu sein. Der Umgang mit Unvorhersehbarem, mit unkontrollierbaren Einflüssen, mit Vielgestaltigem erfordert ein vielfältiges Handlungsrepertoire. Ein begrenzt ausgestatteter „Werkzeugkasten“ dagegen verleitet zum Einsatz von unangemessenen Methoden. Wenn Führung nichts Vorgegebenes ist, dann entsteht sie also in einer bestimmten Situation, gestaltet von der damit betrauten Führungskraft. Sie gestaltet Führung, Wirkung und damit Wirklichkeit. Ansichten, Einstellungen, Werthaltungen der Führungskräfte – häufig unbewusstes, implizites „Wissen“ – bestimmen deren Verhalten, d. h. sie schränken Verhalten ein. Dieses eingeschränkte Verhalten ermöglicht aber auch nur eingeschränkte Wirkungen, die natürlich wiederum die Tendenz haben, die Erwartungen der Führungskraft zu erfüllen. So wird sie in ihren Annahmen bestätigt und damit dazu verleitet, wieder ähnlich zu reagieren. Hat z. B. eine Führungskraft Mühe, Aufgaben an Mitarbeiter zu delegieren (etwa aus Angst vor Machtverlust, zu wenig Vertrauen in Mitarbeiter usw.), so werden die Mitarbeiter nicht gefördert, selbst mehr Verantwortung zu übernehmen. Falls dann bei einer Delegation tatsächlich etwas misslingen sollte, sieht sich die Führungskraft in ihrer Haltung bestätigt. Der Führungsalltag ist voll von solchen „sich selbst erfüllenden Prophezeiungen“, deren Existenz den Führungskräften zumeist verborgen bleibt.

Vielfalt anstelle von „richtig“ oder „falsch“

Die Fähigkeit, solche zumeist unbewusste Einstellungen und Haltungen aufzugeben bzw. neue nützlichere Spielmöglichkeiten und Verhaltensvariationen aufzunehmen, lässt sich mit dem Begriff Führungsintelligenz umschreiben. Führungsintelligenz bezeichnet in diesem Sinne die gelungene Verbindung von kognitiver mit emotionaler Intelligenz: die Fähigkeit, Einflüsse und Zusammenhänge zu sehen, gleichzeitig die zugehörigen Gefühle der eigenen Person und betroffener Dritter wahrzunehmen und diese Wahrnehmungen bewusst in das eigene Verhalten mit einzubeziehen.

Führungskraft schafft Wirklichkeiten

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Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch

Führungsintelligenz

Führungskräfte in unserer komplexen und dynamischen Welt müssen dabei unterstützt werden, ihre vielgestaltigen Führungswirklichkeiten intelligent zu erzeugen und zu gestalten. Dieses Buch leistet einen Beitrag dazu. Es liefert zumindest eine große Vielfalt an Theorien, Denkmuster, Hypothesen, Annahmen, Methoden, Instrumente, Tipps, die geeignet sind, eigene Denkmuster zu hinterfragen und Neues auszuprobieren. Praxisbezogene Vertiefungsfragen unterstützen den Transfer in den Führungsalltag. Gleichzeitig ergeben sich aus diesem Anspruch auch Beschränkungen: was das Buch nicht kann oder was es auch nicht will.

Anspruch dieses Buches

Im Gegensatz zu einem wissenschaftlichen Kompendium ist das Buch für Praktiker geschrieben, die sich mit anspruchsvollen Fragestellungen der Führung wissenschaftlich fundiert und kritisch auseinandersetzen, und sich in ihrem Führungshandeln anregen lassen wollen. Das Buch eignet sich hervorragend auch als Grundlage betrieblicher und überbetrieblicher Bildungsmaßnahmen, aus deren Kontext es entstanden ist. Die Literaturverweise sind bewusst den Bedürfnissen der praktizierenden Führungskraft angepasst und beschränken sich auf ein Minimum. Eine Besonderheit dieser Publikation ist wohl der Umstand, dass sie größtenteils von einem Autorenkollektiv verfasst worden ist, das sich auf ein bestehendes und über Jahrzehnte weiterentwickeltes und bewährtes Bildungsprogramm für Führungskräfte bezieht. Das Resultat ist eine umfassende Textsammlung, die das Phänomen „Führung“ aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und sich dabei aber immer wieder auf gemeinsame Grundlagen bzw. Grundanschauungen stützt. Die Texte stehen miteinander in einer engen Beziehung und sind miteinander vernetzt. Auch wenn die einzelne Perspektive in den Vordergrund tritt, so bleibt der Einzelaspekt mit dem Gesamtkontext verbunden und wird in dieser Weise dem komplexen Thema „Führung“ erst gerecht.

Autorenkollektiv mit vernetzter Perspektive

Diese gemeinsamen Grundlagen des Führungsverständnisses sind Gegenstand der ersten Sektion des vorliegenden Werkes. Ausgehend von der Frage, inwiefern zumeist unreflektierte, unbewusste Menschenbilder Führungsverhalten beeinflussen, beziehen sich spätere Überlegungen immer auf ein komplexes Menschenbild (7 Kap.  1). Die kritische Würdigung herkömmlicher Vorstellungen von Organisationen führt zur Darstellung eines systemischen Organisationsverständnisses (7 Kap. 2). Die Betrachtung von Entwicklungen auf dem Gebiet der Führungsforschung und -theorien (7 Kap. 3) mündet in die Formulierung eines komplexen Führungsverständnisses, des Rollenkonzepts der Führung (7 Kap. 4). Alle weiteren Texte nehmen immer wieder Bezug auf diese Grundlagen.

Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch

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Die Bezugnahme auf das Rollenkonzept bildet den roten Faden des gesamten Werks. Dabei kann man Führung als einen doppelten Vorgang der Rollengestaltung verstehen: die Gestaltung der eigenen Führungsrolle durch den Vorgesetzten selbst sowie die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Rollenübernahme durch die Mitarbeitenden.

Grundlagen des Führungs­ verständnisses

Auf die aktive Gestaltung der eigenen Führungsrolle bezieht sich eine Reihe von Texten mit sehr unterschiedlichen Fragestellungen: Was sollte eine Führungskraft über Psychologie wissen? Die psychologischen Grundlagen in 7 Kap. 5 erklären, wie Menschen erleben, fühlen, denken, handeln und was sie antreibt. Diese Prozesse bilden die Grundlagen allen Verhaltens von Menschen in einer Organisation. In den nachfolgenden Kapiteln wird zuerst ein vertiefter Blick auch die Führungskraft selbst geworfen und wie diese Leistung und Verhalten von sich selbst aber auch andern konkret beeinflussen können (7 Kap. 6). Wie geht eine Führungskraft mit ihren eigenen Ressourcen und denen der Mitarbeitenden um? Wie führt sie die eigene Person? Welche methodischen Ansätze könnten ihr dafür nützlich sein? (7 Kap. 7) Als Führungskraft aber auch als Mitarbeitende ist man häufig damit konfrontiert, Probleme konstruktiv zu lösen und Entscheidungen zu fällen. Kreativitätstechniken helfen dabei, die Lösungsalternativen zu erweitern und bessere Lösungen zu finden (7 Kap. 8). Wie gelingt es einer Führungskraft, durch Kommunikation die Beziehung zu ihren Mitarbeitenden tragfähig zu gestalten? Vertieft wird auf die Thematik der Kommunikation, der Gesprächsführung und des Feedbackgebens eingegangen (7 Kap. 9). Anschließend wird auf die Gestaltung der Arbeit in und mit Gruppen das Augenmerk gelegt: Was sind die Ansprüche, Möglichkeiten und Konzepte (7 Kap. 10)?

Rollenkonzept als roter Faden

Der nächste Abschnitt des Buches fokussiert diejenigen Aspekte von Führung, die sich auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Rollen der Mitarbeitenden beziehen. Zuerst geht es um verschiedene Formen der Beratung, die den Prozess der Rollenübernahme professionell unterstützen: Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting (7 Kap. 11). Im Weiteren betreffen alle Aspekte des Organisierens diese Rahmenbedingungen. Organisation wird so zu einer zentralen Führungsaufgabe (7 Kap. 12). Die Auswahl der Mitarbeitenden sowie deren Förderung und Entwicklung sind kritische Faktoren für die erfolgreiche Rollenbesetzung. Die optimale Gestaltung von Trennungsprozessen ist nicht nur menschlich wichtig, sondern hat auch große Wirkung auf die in der Organisation verbleibenden Mitarbeitenden (7 Kap. 13). Von ebenso großer Bedeutung ist es, wissensmäßige und emotionale Voraussetzungen für die Zusammenarbeit zu schaffen bzw. Informieren, Wissen durchlässig machen, Lernchancen schaffen, Identifikation und Motivation ermöglichen (7 Kap. 14). Die Führungs-

Gestaltung der eigenen Führungsrolle

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Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch

kraft ist auch Teil einer Organisation und das kollektive Handeln dient einem gemeinsamen Zweck und bestimmten Zielen. Führen mit Zielen ist Inhalt des 7 Kap. 15. Gestaltung der Rahmen­ bedingungen für die Rollen der Mitarbeitenden

Einige wichtige Führungsaufgaben entziehen sich einer monografischen Darstellung, also der Hervorhebung einer einzelnen Erscheinung des Führungsprozesses; sie erfordern vielmehr eine ganzheitliche Wahrnehmung. Die letzte Sektion des Buches befasst sich in diesem Sinne mit dem Management von komplexen Führungssituationen. Die Beschreibung und Umsetzung von Führung in diesen komplexen Situationen setzt einerseits alle weiter oben angesprochenen Betrachtungen voraus, integriert sie aber andererseits in eine Gesamtdarstellung. Die hier behandelten Situationen befassen sich mit dem Management von Projekten (7 Kap. 16), dem Umgang mit Konflikten als Führungsaufgabe (7 Kap.  17) und der Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen (7 Kap. 18). Dazu gehören auch neuere Gesichtspunkte des Managements, wie das Bewältigen von Unterschieden in Organisationen: Unterschiedliche Generationen, Männer und Frauen, Menschen unterschiedlichster Herkunft, Ausbildung und Sozialisation als auch Menschen mit Beeinträchtigung sind heutzutage in Organisationen tätig. Diversity Management beleuchtet den konstruktiven Umgang mit diesen Ressourcen (7 Kap. 19). Es ist nicht auszuschließen, dass eine Führungskraft auch auf Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten trifft. 7 Kap. 20 zeigt auf, wie konstruktiv mit diesen Herausforderungen umgegangen werden kann, um diese Menschen adäquat zu führen. Letztendlich erhält man mit einer Führungsrolle auch Macht. Der Umgang damit wie auch die Mikropolitik, welche Entscheidungen maßgeblich beeinflussen, sind Bestandteil des 7 Kap. 21. Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit neuen Entwicklungen und Formen der Führung, welche Führungskräfte überall auf der Welt in naher Zukunft vermehrt beschäftigen können (7 Kap. 22).

Management komplexer Führungssituationen

Wir haben schon darauf hingewiesen: Das Buch entstammt dem Kontext einer umfassenden Führungsausbildung und stellt nur einen Teil eines didaktischen Gesamtpaketes dar. Dieser Teil repräsentiert vornehmlich wichtige Grundannahmen und den theoretischen Rahmen für das Verständnis von Führungsprozessen. Führungskompetenzen können allerdings nicht rein theoretisch angeeignet werden. Das veranlasst uns, unseren Leserinnen und Lesern einige Hinweise für den Umgang mit dieser Lektüre und ergänzende Maßnahmen vorzuschlagen, um den Transfer in die Praxis zu erleichtern.

Grundlagentexte zuerst lesen

Die Grundlagentexte der ersten Sektion sind fundamental und wichtig für die übrigen Kapitel. Wir empfehlen den Lesern dringend, diese Kapitel zuerst zu studieren. Vielleicht wird deren Wich-

Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch

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tigkeit erst nach der weiterführenden Lektüre wirklich deutlich. Wir empfehlen deshalb, auf diese Basistexte immer wieder zurückzukommen: Sie sind gewissermaßen die Schlüssel zum Gesamttext. Die meisten Texte dieses Buches betonen einzelne Aspekte des Phänomens Führung und ermöglichen einen raschen Zugriff auf konkrete Fragestellungen zum jeweiligen Thema. Ein viel weiter gehender Nutzen erschließt sich allerdings, wenn die Vernetzung dieser Texte verfolgt wird. Wenn die Querbezüge in den Texten bewusst verfolgt und immer wieder hergestellt werden, zeichnen sich Muster, Analogien, Verwandtschaften von nützlichen Haltungen und wirkungsvollem Verhalten ab, die durch die Betrachtung aus den verschiedensten Perspektiven besser verinnerlicht werden können. Führungskompetenzen entstehen nicht durch die Zurkenntnisnahme rezeptartiger Hinweise, sondern durch das Verstehen und Verinnerlichen von Zusammenhängen und dem Anspruch, diese im Führungsalltag zu berücksichtigen.

erweiterter Nutzen durch Vernetzung der Texte

Viele Texte schließen mit Vertiefungsfragen zum Thema. Wir empfehlen unseren Lesern die Nachbereitung der Lektüre, indem sie diese Fragen bearbeiten. Die meisten Fragen stellen einen Bezug her zur konkreten Führungsrealität des Lesers. Diese Fragen stellen also auch eine wichtige Möglichkeit des Transfers in die eigene Führungspraxis dar.

Vertiefungsfragen unter­ stützen Praxistransfer

Das Erarbeiten bzw. das Lernen von stark haltungs- und verhaltensorientierten Fähigkeiten und Fertigkeiten ist grundsätzlich schwieriger und weniger effektiv, wenn es allein, d. h. vereinzelt vor sich geht. Deutlich ergiebiger ist jede Form des kollektiven Lernens. Wir empfehlen deshalb dringend, die Lektüre dieses Buches oder von Teilen davon mit geeigneten Maßnahmen des Lernens in Gruppen zu unterstützen. Hier einige Möglichkeiten: Kapitelweise Austausch mit einem oder mehreren Partnern über das Verständnis des Textes und konkrete Anwendung auf konkrete Führungssituationen der Beteiligten. Gründung einer „Qualitätsgruppe Führung“ im Betrieb, die ausgewählte Vorhaben der Verbesserung der Führungsprozesse vor dem Hintergrund dieses Buches reflektiert und umsetzt. Für jede Form inner- oder überbetrieblich organisierter Bildungsmaßnahmen für Führungskräfte kann dieses Buch den theoretischen Rahmen abstecken, dokumentieren und als Basis für Vertiefung und Verarbeitung dienen. Intervisionsgruppe Führung: Eine inner- oder überbetrieblich zusammengesetzte Gruppe bearbeitet Fälle aus der eigenen Führungspraxis. Die Gruppe berät dabei die fallgebende Person, indem sie die Anregungen dieses Buches verarbeitet. Als Vorbereitung auf die Fallbesprechung und hinsichtlich

kollektives Lernen in Gruppen

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Intervision: kollegiales Beraten

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Einleitung und Hinweise zur Arbeit mit diesem Buch

der Anwendung auf den Fall werden die betreffenden Kapitel kritisch gelesen. Intervision ist eine der leistungsfähigsten Möglichkeiten der Führungsentwicklung. In diesem Zusammenhang verweisen wir gerne auf das Buch von Lippmann (2013): Intervision – Kollegiales Coaching professionell gestalten. Dieses Buch gibt eine Fülle von Anregungen und Methoden für die Gestaltung von kollegialem Lernen. Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine inspirierende Lektüre und dann eine erfolgreiche Umsetzung in ihrem Führungsalltag.

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Kurzinformationen Über die Herausgeber Jörg, Urs Master of Science (M. Sc.), Studium der Arbeits- und Organisationspsychologie, der klinischen Psychologie und Psychotherapie an den Universitäten Bern und Fribourg. Eidgenössisch diplomierter Augenoptikermeister. Langjährige internationale Führungstätigkeit in verschiedenen Unternehmungen und als Coach, Trainer und Berater von Fach- und Führungskräften sowie von Organisationen. Seit 2011 wirkt Urs Jörg am Institut für angewandte Psychologie (IAP), der Zürcher Hochschulen für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er ist als Studienleiter des Master of Advanced Studies Leadership & Management (MAS L&M) und als Berater, Coach, Dozent und Trainer tätig.

Lippmann, Eric, Prof. Dr. Prof. Dr. phil. I, Studium der Psychologie und Soziologie an der Universität Zürich. Ausbildung in Paar-/Familientherapie, Organisationsentwicklung, Supervision und Coaching. Mehrjährige Tätigkeit in Jugend-/ Familienberatung und Suchtprävention. Seit 1991 am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) Zürich als Trainer, Supervisor und Coach tätig. Leiter des Zentrums Leadership, Coaching & Change Management am IAP innerhalb der ZHAW und Studienleiter im „Master of Advanced Studies (MAS) Coaching, Supervision und Organisationsberatung“. Dozent an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Im Springer-Verlag sind von ihm bereits erschienen: Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis. (3. Auflage 2013) Intervision: Kollegiales Coaching professionell gestalten. (3. Auflage 2013) Drogenabhängigkeit: Familientherapie und Prävention. (1990)

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Weitere Publikationen: Identität im Zeitalter des Chamäleons (3. aktualisierte Auflage 2018)

Pfister, Andres, Prof. Dr. Studium der Psychologie mit Vertiefung Sozial- und Wirtschaftspsychologie (Universität Basel), Dissertation in der Psychologie mit Fokus Führung (Universität Zürich), Wissenschaftlicher Assistent und Dozent an der Militärakademie an der ETH Zürich (MILAK), am IAP als Professor für Leadership tätig, Forschungsinteressen in den Bereichen destruktives Führungsverhalten, klassische Führungsherausforderungen und Führung in Architektur und Bauwesen.

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Kurzinformationen

Über die Autorinnen und Autoren Alter, Urs, Dr. Dr. phil. I, Studium der Psychologie und Soziologie. Lehrer, Redaktor an Tageszeitungen und beim Fernsehen. Mehrere Jahre tätig als Ausbilder von Journalisten und als Ausbildungsleiter für das Schweizer Radio und Fernsehen. Schwerpunkte der heutigen Tätigkeit: Dozent an Universitäten und Fachhochschulen, Organisationsberatung, Management- und Teamentwicklung, Coaching.

Beutter, Claudia lic. phil. Psychologin und Organisationsberaterin BSO. Internationale Weiterbildungen, in Organisationsentwicklung und Change Beratung. Langjährige Führungserfahrung auf verschiedenen Stufen in mehrsprachigen Unternehmen der Industrie und Dienstleistungsbranche. Führungsentwicklung-und Projektverantwortung in Pionierfunktionen und Restrukturierungen. Am IAP Institut für Angewandte Psychologie arbeitet sie als Beraterin und Dozentin im Bereich Leadership, Change und Beratungsweiterbildungen. Ihre Schwerpunkte sind Organisationsberatung und -entwicklung, Feedback und Reflexion.

Bremi, Renée Studium an der Universität Zürich. Seit 2002 am Institut für Angewandte Psychologie mit Schwerpunkt Personaldiagnostik. Beratungsmandate und Coaching für HR-Verantwortliche im Bereich Potenzialeinschätzung und Personalentwicklung, Interviewtechnik. Kaderselektion, Development Center für Fach- und Führungskräfte. Studienleitung CAS Personalentwicklung & -diagnostik. Dozentin an der Fachhochschule für Angewandte Psychologie (ZHAW-P) in den Bachelor- und Masterstudiengängen.

Burla, Stephan, Dr. Dr. rer. pol., Studium der Wirtschaftswissenschaften in St. Gallen und Basel, Zertifikat in Hochschuldidaktik. Langjährige empirische Forschungsarbeit zu Führungskulturen. Seminarleiter mit Schwerpunkt Führung im politischen Kontext. Managementberater bei burla management, Basel. Geschäftsführer der Stiftung Medizinische Notrufzentrale MNZ, Basel. Verwaltungsratspräsident einer Privatklinik.

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Kurzinformationen

Chlopczik, Andrea M. A., MSc Coach, Changebegleiterin und Dozentin am IAP Institut für Angewandte Psychologie in Zürich. Studium der Angewandten Psychologie mit Vertiefungsrichtung Arbeits- und Organisationspsychologie an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Studium der Germanistik und Amerikanistik an der Philipps-Universität Marburg. Vielfältige Berufserfahrungen im Kulturbereich (Theater, Übersetzung, Buchhandel und Verlagswesen) sowie als Trainerin und Lektorin in der strategischen Unternehmensberatung.

Duméril, Jean-Christophe Dipl. Ing. ETH (MSc.), NDS in Fachdidaktik und in Betriebswirtschaft (EMBA). Weiterbildungen in führungspsychologischen und betriebsorganisatorischen Themen. Langjährige Berufserfahrung als Ingenieur und Berater in unterschiedlichen Führungspositionen (Industrie, IT, Consulting und Dienstleitungen). Management internationaler Engineering-Projekte. Beratung und Begleitung komplexer Change-Projekte. Mehrjährige Erfahrung als Consultant, Coach und Trainer von Führungskräften und Geschäftsleiter. Begleitung ganzer Unternehmungen auf dem Weg zu agilen Organisationen. Seit 2017 vollamtlicher Dozent, Berater und Studiengangleiter am IAP im Zentrum für Leadership, Coaching und Change-Management.

Eberhardt, Daniela, Prof. Dr. Psychologin und Verwaltungswirtin. Interdisziplinäre Promotion in Psychologie und Management. Direktorin Human Resources Management Stadt Zürich. Verantwortlich für die stadtweite Umsetzung der HR Strategie und gesamtstädtische HR Aufgaben für ca. 28.000 Mitarbeitende. Leiterin der Abteilung HR Stadt Zürich mit ca. 140 Mitarbeitenden. Umfassende internationale Erfahrungen in der Führungsentwicklung, der Einführung von Führungssystemen und im Change Management. Erfahrungen als Führungsperson, externe und interne Beraterin in diversen Branchen und als wissenschaftliche Mitarbeiterin/Dozentin an Hochschulen in Deutschland, den USA und in der Schweiz. Von 2008–2015 Leiterin des IAP Institut für Angewandte Psychologie in Zürich.

Garcia, Tamara M. Sc. Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Fribourg. Weiterbildung in Coaching und Organisationsentwicklung mit hypnosystemischen und lösungsorientierten Konzepten am Milton Erickson Institut Heidelberg. Am IAP als Beraterin und Dozentin im Zentrum für Leadership, Coaching und Change Management in der Weiterbildung, Dienstleistung und Forschung tätig. Schwerpunkte: Kommunikation, Coaching von Führungskräften, Führungskräfteentwicklung in Organisationen und interkulturelle Kompetenz.

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Kurzinformationen

Gundrum, Ellen Ellen Gundrum studierte Betriebswirtschaftslehre an der Berufsakademie Mannheim; nach einem Trainee-Programm im Bereich Marketing-Vertrieb in einem internationalen Industrieunternehmen war sie über 15 Jahre als Beraterin und Strategische Planerin in Kommunikationsagenturen in Deutschland und der Schweiz tätig; 2006/2007 begleitete Ellen Gundrum als Leiterin Marketing und Kommunikation die Überführung der Marke IAP Institut für Angewandte Psychologie in die ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seit 2008 ist sie Leiterin der Stabsstelle Strategische Marktbearbeitung; seit 2015 leitet sie ein Projekt, das sich mit dem digitalen Wandel in der Arbeitswelt, Weiterbildung und Beratung befasst und diesen Wandel am IAP fördert. Ellen Gundrum ist zudem als freie Kommunikationsberaterin tätig.

Heer, Stefan Unternehmer, Berater, Dozent. Studium in Angewandter Psychologie (M.Sc) und Elektrotechnik (FH). Forschungsarbeit zum Thema „Die menschliche Seite der Innovation“. 15 Jahre Industrieerfahrung als Führungskraft, Projektleiter, Organisationsentwickler. Lehrbeauftragter auf B.Sc.- und M.Sc.-Niveau. Selbstständiger Unternehmensberater in den Bereichen Führung, Innovation, Organisationsentwicklung, Kulturentwicklung, Mitarbeiterbefragung.

Hoffmann, Christoph Dipl. Psych. FH, Dipl. Ing. HTL, Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der HAP. Weiterbildung in Andragogik und interkultureller Kommunikation. Erfahrungen in der Leitung in diversen Erwachsenenbildungsinstitutionen. Am IAP als Berater und Dozent im Zentrum für Leadership, Coaching und Change Management tätig. Studiengangleiter des CAS Leadership Basic und von diversen Weiterbildungskursen. Schwerpunkte: Führungskräfteentwicklung, Coaching von Führungskräften, Neuroleadership, Begleitung von Veränderungsprozessen, Teambildung und Organisationsentwicklung.

Jonassen, Marion Dipl. Psych. FH, Dipl.-Verwaltungswirtin. Marion Jonassen war nach ihrem Verwaltungswirtschaftsstudium in unterschiedlichen Bereichen der Hamburgischen Verwaltung tätig, davon mehr als 16 Jahre in verschiedenen Führungspositionen. Als HR-Leiterin im IT- und Kommunikationszentrum der Stadt Hamburg begleitete und steuerte sie eine Vielzahl von Veränderungsprojekten und Personalentwicklungsmaßnahmen. 2004–2008 studierte sie in Zürich Angewandte Psychologie mit Vertiefung der Arbeits- und Organisationspsychologie. Nach dem Studium absolvierte sie mehrjährige Weiterbildungen in Transaktionsanalyse und in systemisch-lösungsorientierter Beratung. Seit 2009 ist sie im IAP Institut

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Kurzinformationen

für Angewandte Psychologie im Zentrum Leadership, Coaching und Change Management als Dozentin und Beraterin sowie als Studiengang­ leitung in der Coachingausbildung tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind Coaching, Team- und Organisationsentwicklung, Kommunikation und Gesprächsführung.

Kernen, Hans, Dr. Dr. phil. I, Studium der Psychologie, Pädagogik und Präventivmedizin an der Universität Zürich. Seine Dissertation zum Thema Burnout-Prophylaxe im Management erschien 1999 in dritter Auflage, das zweite Buch „Arbeit als Ressource“ im Jahr 2005, das dritte Buch „Achtung Burn-out!“ im Jahr 2012. Seit 17 Jahren in eigener Firma selbstständig beratend tätig und Gestalter von Organisations- und Unternehmensentwicklungsprozessen, wobei das Ressourcenmanagement eine zentrale Rolle spielt.

Kiel, Volker, Prof. Dr. Dr. phil.; Diplom-Pädagoge. Langjährige Aus- und Weiterbildungen in Gestalttherapie und Ansätzen der Humanistischen Psychologie (am IHP, Eschweiler), Systemischer Beratung und Therapie (am HSI, Heidelberg) und in hypnosystemischen Ansätzen für Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung (am MEI, Heidelberg). Mehrjährige Tätigkeit als Personalund Organisationsentwickler in leitender Funktion, Führungstrainer und Berater in der Industrie und in Dienstleistungsunternehmen. Seit 2009 Lehrsupervisor, Berater und Dozent am IAP, Zürich.

Klink, Thomas, Dr. Dr. phil., Dipl. Ing. (FH) Studium des Ingenieurwesens (FH Furtwangen, D) und der Psychologie (Universität Fribourg, CH), Vertiefung in Arbeits- und Organisationspsychologie und Dissertation im Bereich der Stressforschung. Weiterbildung zum diplomierten Laufbahnberater. Internationale Berufserfahrung in der Fertigungsoptimierung (Japan, USA), im Produktmarketing und langjährige Erfahrung in Leitungsfunktionen im Bereich Human Resources in der Privatwirtschaft. Am IAP als Dozent und Berater im Bereich Leadership, Coaching & Change Management tätig.

Knafla, Imke, Dr. Dr. phil., Psychologin und Psychotherapeutin, Studium der Psychologie an der Universität Trier, Promotion an der Universität Zürich. Weiterbildung an der Universität Bern zur Psychotherapeutin. Leitung der psychologischen Beratungsstelle der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und Co-Studienleitung des „Master of Advanced Studies“ in Systemische Beratung. Mehrjährige Tätigkeit als Coach, Supervisorin, Dozentin und Psychotherapeutin am IAP Institut für Angewandte Psychologie.

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Kurzinformationen

Künzli, Hansjörg, Prof. Prof., lic. phil. I, nach einer kaufmännischen Ausbildung Studium der Psychologie und Betriebswirtschaft an der Universität Zürich. Langjährig in der betriebswirtschaftlichen Erwachsenenbildung tätig. Ausbildungen in systemischer Organisationsentwicklung und hypnosystemischem Coaching. Co-Leiter der Fachgruppe Diagnostik und Beratung am Psychologischen Institut (PI). Forschungsprojekte und Publikationen in den Bereichen Laufbahnberatung, Coaching, Training und Organisationsentwicklung. Dozent für Beratungspsychologie und Methodenlehre. An der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Departement Psychologie tätig seit 1996.

Meier, Gerda Lic. phil., nach einer kaufmännischen Berufslehre Studium der Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Präventivmedizin an der Universität Zürich. Ihre Forschungsarbeit verfasste sie zum Thema „Organisationsklima und Kohärenzgefühl“. Mitautorin des Buches „Arbeit als Ressource“ (2005) und von „Achtung Burn-out!“ (2012). Seit 2002 Tätigkeit als selbstständige Unternehmensberaterin und Mitinhaberin der Kernen Resource Management AG in Küsnacht/Zürich.

Negri, Christoph, Prof. Dr. Dr. phil. I, Arbeits- & Organisationspsychologe und Fachpsychologe für Sportpsychologie SBAP. Langjährige Erfahrung als Leiter in der Aus- und Weiterbildung in Schweizer Detailhandelsunternehmen. Leitet das IAP Institut für Angewandte Psychologie. Er arbeitet als Dozent, hält Beratungsmandate für verschiedene Profit- und Non-Profit-Organisationen inne und berät diverse Schweizer Spitzensportlerinnen und Spitzensportler. Seit 2015 führt er am IAP verstärkt neue Entwicklungen im Bereich Lernen und Lehren ein und treibt den digitalen Wandel in Weiterbildung und Dienstleistung voran. Im Springer-Verlag ist von ihm bereits erschienen: Angewandte Psychologie für die Personalentwicklung (2010)

Neumann, Stefanie M. Sc., Studium der Politikwissenschaften, der Japanologie und des Völkerrechts in Deutschland und Japan. Internationale Berufserfahrung im Bereich Business Development für Asien-Pazifik (Schweiz und Hongkong) in einem globalen Finanzunternehmen. Führung eines globalen Teams im Bereich Leadership und Talent Development. Vertiefung u. a. in den Bereichen systemisch-lösungsorientiertes Coaching (MAS), Strukturaufstellungen und hypnosystemische Beratung. Am IAP als Dozentin und Beraterin im Bereich Leadership, Coaching & Change Management tätig.

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Kurzinformationen

Neumann, Uwe Diplom-Pädagoge (Schwerpunkte Erwachsenenbildung und Beratung), Ausbildung in General Managementthemen in St. Gallen, Fortbildungen in Systemischer Organisationsentwicklung, NLP, Transaktionsanalyse und Projektmanagement. Langjährige Erfahrung als Führungskraft, Berater und Führungsentwickler in der Industrie und in Dienstleistungsunternehmen. Am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) Zürich als Berater und Dozent tätig mit den Arbeitsschwerpunkten Leadership und Management Development, Senior Management Beratung und Begleitung von Entwicklungsprozessen in den Bereichen Strategie, Struktur und Kultur. Studiengangleiter im CAS Leadership Basic Flex und CAS Laterale Führung.

Nordmann, Daniel Dipl.-Psych. IAP (Betriebs- und Organisationspsychologie) und Executive Master of Business Administration, Universität St. Gallen. Seit 2014 selbstständiger Unternehmensberater. Davor Regional Director EMEA eines global tätigen Logistikkonzerns. 2000–2007 CEO SBB Cargo AG, 1998–2000 Konzernpersonalchef der SBB AG. 1991–1997 Geschäftsführender Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). 1981–1991 Zentralsekretär verschiedener Mitgliedsverbände des SGB.

Schär Gmelch, Marcel, Prof. Dr. Prof. Dr. phil., Psychologe und Psychotherapeut. Studium der Psychologie und Philosophie an der Universität Fribourg, Doktorarbeit an der Universität Zürich, Weiterbildung in Paarberatung und -therapie bei Prof. Dr. Bodenmann, Ausbildung zum Psychotherapeuten an der Universität Bern (Prof. Dr. K. Grawe & Prof. Dr. F. Caspar). Seit 2011 Leitung des Zentrums Klinische Psychologie und Psychotherapie am IAP Institut für Angewandte Psychologie und Co-Studienleitung vom MAS Systemischer Beratung.

Steiger, Thomas, Dr. Dr. phil. I, Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Stv. Gesamtleiter und Leiter Aus- und Weiterbildung einer renommierten Institution der Erwachsenenbildung in der Schweiz. Mehrjährige Tätigkeit als Unternehmensberater. Während 10 Jahren am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) Zürich als Dozent und Berater und als Leiter des Fachbereichs Managementbildung tätig. Ausbildungen in Organisationsentwicklung und systemischer Beratung. Nach 9 Jahren als Verantwortlicher für Management-Entwicklung im zentralen Personaldienst der Stadtverwaltung Zürich heute im Ruhestand.

XX

Kurzinformationen

Streuli, Elisa, Dr. Studium der Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Sprachwissenschaft an den Universitäten Basel und Zürich. Mehrjährige Tätigkeit in Wirtschaftsinformatik, Sozialforschung, Lehre und Verwaltung. Seit 2012 am Institut für Angewandte Psychologie (IAP) der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) als Dozentin und Beraterin im Bereich Leadership, Coaching und Konfliktmanagement tätig. Buchpublikationen zu Reichtum in der Schweiz, Verschuldung junger Erwachsener sowie Führungskarrieren („Mit Biss und Bravour – Lebenswege von Topmanagerinnen“).

Ullmann, Gisela Gisela Ullmann, Dipl.-Supervisorin, Studium der Sozialarbeit und Supervision in Berlin und an der Gesamthochschule Kassel. Ausbildung in systemischer Beratung von Organisationen. Trainerin für Gruppen- und Organisationsdynamik DGGO. Langjährige freiberufliche Tätigkeit als Organisationsberaterin und Trainerin im Profit- und Non-Profit-Bereich. Lehrtätigkeit in verschiedenen Hochschulen und Weiterbildungsorganisationen, Teamentwicklung, Coaching und Konfliktberatungen. Von 2001 bis 2017 Studienleiterin im MAS Supervision & Coaching in Organisationen und im MAS Coaching & Organisationsberatung. Am IAP/ZHAW als Dozentin, Coach, Lehrsupervisorin und Mediatorin tätig.

Werkmann-Karcher, Birgit Dipl.-Psychologin, Studium der Psychologie und Verwaltungswissenschaften an der Universität Konstanz. MSc in Organisationsentwicklung. Weiterbildungen in Supervision, Coaching und in Konfliktmanagement. Langjährige Tätigkeit in der innerbetrieblichen Personal- und Organisationsentwicklung und als freiberufliche Supervisorin. Am IAP als Dozentin und Beraterin tätig, Schwerpunkte: Human Resource Management, HR-Beratung, Arbeitswelt 4.0, Teamarbeit und Teamentwicklung. Leiterin des Zentrums Human Resources, Development und Sportpsychologie am Institut für Angewandte Psychologie (IAP).

Zirkler, Michael, Prof. Dr. Prof. Dr. phil. I., Dipl.-Psychologe. Studium der Psychologie und Sexualwissenschaft an der Universität Hamburg. Weiterbildungen in Gruppenmoderationsverfahren und systemischer Beratung. Bis 2008 Assistenzprofessor für Organisation, Führung und Personal an der Universität Basel, Wirtschaftswissenschaftliches Zentrum. Seither Leitung der Fachgruppe Organisationsentwicklung und -beratung am Departement Angewandte Psychologie. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Transformationen von Organisationen mit derzeitigem Schwerpunkt auf selbstorganisierte Sozialsysteme (Holacracy), positive Organisation und Führungsforschung. Internationale Lehr-, Forschungs- und Beratungstätigkeit mit Fokus Indien, Israel, Thailand, China.

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Kurzinformationen

Über den Cartoonisten Tobias Leuenberger 1993 in eine Grafikerfamilie geboren. Besuch des Kunstgymnasiums Liceo Artistico in Zürich, danach Studium an der Zürcher Hochschule der Künste, Fachrichtung Visuelle Kommunikation. Seit 2016 tätig als User Interface Designer und Illustrator. Zeichnet, malt, sprayt leidenschaftlich gerne und stellt an Kunstausstellungen aus.

Über das IAP Institut für Angewandte Psychologie Das IAP ist das führende Beratungs- und Weiterbildungsinstitut für Angewandte Psychologie in der Schweiz. Seit 1923 entwickelt das IAP auf der Basis wissenschaftlich fundierter Psychologie konkrete Lösungen für die Herausforderungen in der Praxis. Das IAP bietet Weiterbildungskurse für Fach- und Führungskräfte aus Privatwirtschaft, Organisationen der öffentlichen Hand und sozialen Institutionen sowie für Psychologinnen und Psychologen. Das Beratungsangebot umfasst Berufs-/Studienberatung, Laufbahnberatung, Organisations- und Managementberatung, verkehrs- und sicherheitspsychologische Beratung, psychologische Beratung für Schule und Familien sowie Krisenberatung. Das IAP ist das Hochschulinstitut des Departements Angewandte Psychologie der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

XXIII

Inhaltsverzeichnis I

Grundlagen des Führungs­verständnisses

1 Menschenbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3

Andres Pfister 1.1 Definition und Funktion von Menschenbildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ursachen für den Wandel der Menschenbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Menschenbilder in der Organisationslehre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Klassischer Ansatz „economic man“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Beziehungsorientierter Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Motivationsorientierter Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Systemischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.5 Neuroansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2



4 6 7 7 10 11 12 15 17

Organisationsverständnis und dessen Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Urs Jörg, Thomas Steiger

2.1 Historische Entwicklung der Organisationsbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Klassische Ansätze, ökonomisch-rationale Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Verhaltenswissenschaftliche Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Systemtheoretische Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Traditionelles Organisationsverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Organisation als komplexes System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Organisation als soziotechnisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 2.4.1 Existenzgrund und Aufgabe („Primary Task“) von Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Systemidentität und Selbstorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Aufgabenverständnis, Ziele und Strategien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Struktur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Rückkoppelung und Feedbacksysteme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



21 21 22 24 25 27 29 29 30 32 32 33 34 38

3 Führungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

Andres Pfister, Uwe Neumann 3.1 Kernziel und -aufgabe der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungstheorien im Laufe der Zeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 3.2.1 Personenzentrierte Führungstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Führungsstilforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Situative Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Dyadische Führungstheorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Adaptive Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Systemischer Führungsansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.7 Neurosystemisches Modell der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



40 42 42 44 45 51 54 55 57

XXIV

Inhaltsverzeichnis

3.3 3.3.1 3.3.2

Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Führungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien der wirksamen Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4



61 62 67 71

Das Rollenkonzept der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Eric Lippmann, Thomas Steiger

Führung als Ergebnis einer komplexen Begegnung von Persönlichkeit und Organisation: Das Rollenkonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begriff der Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 4.2.1 Rollenübernahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollenbezogene Konflikte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Rollendistanz, Rollenidentifikation und Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Rolle als (soziotechnisches) System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 4.6.1 Führungsaufgaben und Führungsrollen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4.1

II 5



76 76 79 84 84 84 87 88 93

Die aktive Gestaltung der eigenen Führungsrolle Psychologische Grundlagen für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Tamara Garcia, Christoph Hoffmann, Andres Pfister

5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Was ist Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Grundlegende psychologische Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Psychologische Betrachtungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Theoretische Sichtweisen in der Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Anwendungsgebiete in der Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neurosystemische Betrachtung der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 5.2.1 Systemische Einflussfaktoren auf Führungsverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Grundlegende psychologische Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Systemischer Austausch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuropsychologisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 5.3.1 Funktionsweise des Gehirns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Übersicht neuropsychologisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Konsistenztheorie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Konklusion neuropsychologisches Modell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Bewusste vs. unbewusste Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Emotionen und somatische Marker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 5.5.1 Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Somatische Marker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Emotionen und kluge Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verarbeitungssysteme des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 5.6.1 System 1: Automatische, unbewusste Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 System 2: Kontrollierte, bewusste Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99 100 100 101 102 104 106 106 107 108 109 109 111 113 118 118 119 121 121 122 123 124 126 131

Inhaltsverzeichnis

5.6.3 5.6.4 5.7 5.7.1 5.7.2 5.8 5.9 5.9.1

6

XXV

Interaktion von System 1 und System 2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Denk- und Beurteilungsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernen und Erinnern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernprozesse auf neuronaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abrufen und Erinnern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mensch im Austausch mit anderen Menschenin komplexen Umwelten . . . . . . Der Mensch in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



134 136 138 142 144 146 153 153 155

Leistung und Verhalten beeinflussen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Urs Jörg, Thomas Steiger

6.1 6.2 6.3 6.4

7

Führung als Einflussnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozessuale, interaktionelle Maßnahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



158 159 162 164 166

Führung der eigenen Person. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Hans Kernen, Gerda Meier, Christoph Negri, Ellen Gundrum

Mit den eigenen Ressourcen haushalten – persönliches Ressourcenmanagement für Führungskräfte und die Mitarbeitenden . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Bedeutung von Arbeit und Leistung für die persönliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Persönliche Gesundheit und Life-Balance im Kontext unserer verschiedenen „Lebenswelten“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Regulation von Belastung und Ressourcen als Schlüsselkompetenz. . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Einbezug der persönlichen und Umfeldressourcen: Ressourcenmodell und Ressourcenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Ausgewählte, spezifisch wirksame Ressourcen im betrieblichen Kontext . . . . . . . . . . . . 7.1.6 Ressourcenmanagement für Führungskräfte und die Mitarbeitenden – wirksame Ansatzpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.7 Ausblick: Betriebliches Ressourcenmanagement – Beeinflussung der strukturellen, kulturellen und Teamfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Persönliche Arbeitstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 7.2.1 Persönliche Arbeitstechnikund ganzheitliches Selbstmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Persönliche Arbeitstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Lebenssinn und Ziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Zielplanung und -findung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Planung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.6 Prioritätensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.7 Erfassung und Analyse des Ist-Zustandes der persönlichen Arbeitstechnik . . . . . . . . . . 7.2.8 Informationsbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.9 Umgang mit E-Mails. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rhetorik und Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 7.3.1 Gute Vorbereitung wirkt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Visualisieren heißt veranschaulichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Der Körper redet immer mit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Gute Sprache ist einfach und anschaulich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7.1

169 170 172 177 183 186 190

193 196 197 199 200 201 201 204 205 207 209 210 211 222 224 229

XXVI

Inhaltsverzeichnis

7.3.5 7.3.6 7.3.7

Die Präsentation (er‑)leben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mentale Stärke gewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach der Präsentation ist vor der Präsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

8



230 231 234 236

Problemlösen und Entscheiden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Andres Pfister, Eric Lippmann, Claudia Beutter

8.1 Eine Kernaufgabe der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Urteilen, Entscheiden, Problemlösen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Natürliche Entscheidungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 8.3.1 Automatische/unbewusste Entscheidungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Kontrollierte/bewusste Entscheidungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Systematisches, rationales Problemlösen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Von bewussten zu unbewussten Entscheidungsprozessen und zurück . . . . . . . . . . . . . . Was ist überhaupt ein Problem?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 8.4.1 Einfache, komplizierte und komplexe Problemsituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Problemlösezyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1 1. Phase: Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.2 Zwischenschritt: Vorentscheid, Sofortmaßnahmen, Zeitplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.3 2. Phase: Lösungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.4 3. Phase: Entscheidungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.5 4. Phase: Umsetzung und Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lösungsorientiert Probleme lösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 8.6.1 Lösungszyklus in vier Phasen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Problemlösezyklus in der Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Problemlösung mit Hilfe von Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8 8.8.1 Einzel- oder Gruppenentscheidungen?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.8.2 Problemlösung in Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verantwortungsvolles Führungshandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.9 8.10 Strategisches Denken und Planen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.1 Was ist eine Strategie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.2 Strategie und Vision. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.10.3 Strategieentwicklung als Problemlösungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11 Kreativität und Kreativitätstechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.1 Begriff „Kreativität“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.2 Parameter der Kreativität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.11.3 Kreativitätstechniken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

242 243 245 246 247 248 248 249 250 254 256 266 267 269 272 274 275 280 281 281 283 285 289 289 293 295 299 299 301 308 322

Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Marion Jonassen, Andrea Chlopczik, Eric Lippmann, Claudia Beutter

9.1 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Psychologische Grundannahmen über zwischenmenschliche Kommunikation. . . . . . 9.1.2 Resonanz und Intuition in der Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Zwischenmenschliche Kommunikation durch Synchronisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.4 Kommunikative Kompetenz in der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Storytelling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Storytelling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



327 327 334 336 338 341 342

Inhaltsverzeichnis

XXVII

9.2.2 Wirkung von Storytelling. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Einsatzbereiche von Storytelling in der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.4 Aufbau von Storytelling-Kompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Gesprächsführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Einflussfaktoren auf die Gesprächsführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Ablaufschema eines Führungsgesprächs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Gesprächspsychologische Grundsätze für Gespräche mit Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . 9.3.5 Führungsgespräche im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Feedback: Herkunft und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Feedback als quantitatives Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.3 Feedback als Entwicklungshaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.4 Gegenüberstellung von zwei unterschiedlichen Ansätzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.5 Einführung von Feedback als Entwicklungshaltung im Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.6 Vorgesetztenperspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.7 Auswirkung aktueller Trends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.8 Entwicklungsstrategie als Basis der Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10



342 344 346 351 351 354 355 361 368 376 377 378 381 383 384 385 387 388 389

Arbeiten in und mit Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Gisela Ullmann, Urs Jörg

10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 10.6 10.7 10.8 10.8.1 10.8.2 10.8.3 10.8.4 10.8.5 10.8.6

Gruppe als soziales System/Definition von Gruppe und Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppe als Sozialisationsfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gruppendynamische Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungsstil und die Auswirkung auf die Dynamik in Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollen in Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexionsebenen in Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsbereitschaft in Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führen von Gruppen und Teams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führen von Gruppen und Teams: Grundsätzliche Betrachtungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weshalb in Gruppen und/oder Teams arbeiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Führung von Gruppen und Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führung von Gruppen und Teams: grundlegende Erfolgsfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedingungen für wirksame Gruppen- und Teamarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führung in Gruppen und Teams: spezifische Ansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III

Die Gestaltung von Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Rollenübernahme der Mitarbeitenden

11



394 396 397 398 403 403 406 408 408 409 412 412 413 424 453

Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 Eric Lippmann

11.1 Was ist Beratung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 11.1.1 Professionelle Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 11.1.2 Anlässe für Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

11.1.3 11.2 11.3 11.3.1 11.3.2 11.4 11.5

Experten‑, Prozess- und Komplementärberatung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ablauf und Design von Beratungsprojekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formen von Beratung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensberatung, Organisationsberatung und -entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . Supervision und Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Suche und Auswahl von Beratern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungskraft als Coach? Möglichkeiten und Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12



463 465 470 470 472 477 479 481

Organisieren als Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 Urs Jörg, Stephan Burla

12.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Organisationsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Instrumente der Aufbauorganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Instrumente der Ablauforganisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Projektorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Prinzipien der Organisationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Formale Gestaltungsprinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Organisationspsychologische Gestaltungsprinzipien: Soziotechnische Aufgabengestaltung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Methoden der Organisationsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Prozessorientierte Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Strukturorientierte Methoden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Neue Organisationsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Organisation zwischen Stabilität und Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5.1 Flexibilität und Zukunftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5.2 Stabilität und Effizienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5.3 Arbeitsteilung, Hierarchie und Macht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Folgerungen für die Führungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

484 486 487 492 496 497 497 499 502 503 505 506 509 510 510 511 512 515

Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement. . . . . . . . . 517 Renée Bremi, Christoph Negri, Birgit Werkmann-Karcher, Daniel Nordmann, Claudia Beutter

13.1 Mitarbeitende gewinnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Selektionsprozess aus Sicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Checkliste Stellenanzeigen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.4 Recruiting-Trends der letzten Jahre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.5 Erstellen des Anforderungsprofils und der Anforderungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.6 Das Bewerbungsgespräch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.7 Interpretation und Selektionsentscheidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.8 Evaluation des Rekrutierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.9 Einführung neuer Mitarbeitenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Personalentwicklung als Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Begriff und Ziele der Personalentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Personalentwicklungsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Einbindung der Personalentwicklung in den Zielvereinbarungsprozess . . . . . . . . . . . . .



519 519 520 521 523 526 531 542 545 548 552 552 553 555

Inhaltsverzeichnis

XXIX

13.2.4 Sind Führungskräfte für die Personalentwicklung verantwortlich?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.5 Personalentwicklung als arbeitsplatzbezogene Kompetenzerweiterung. . . . . . . . . . . . . 13.2.6 Personalentwicklung als individuelle Laufbahnentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.7 Personalentwicklung im Zeitalter virtueller Arbeitswelten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Mitarbeitende beurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Grundlagen und Systematik der Mitarbeiterbeurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Kommunizieren der Leistungsbeurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Herausforderungen und Trends in der Leistungsbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Trennungsprozesse gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Individuelle Trennungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Betriebsbedingte Kündigungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Trennungskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.4 Trennungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.5 Schlüsselpersonen und deren Rolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.6 Vorbereitung des Trennungsgesprächs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.7 Verlauf des Gesprächs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.8 Reaktionsmuster der Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.9 Achterbahnfahrt der Gefühle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.10 Begleitung bei Austritt und Stellensuche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.11 Verbleibende Mitarbeiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

558 560 561 562 564 564 581 584 587 588 589 590 590 591 592 595 596 597 599 599 602

Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 Urs Alter, Jean-Christophe Duméril, Stefan Heer, Hansjörg Künzli

14.1 Informieren als Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Information: ein existenzielles Grundbedürfnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.2 Information: ein betriebswirtschaftliches Grundbedürfnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3 Informieren ist zentrale Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.4 Information oder Kommunikation?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.5 Bringpflicht und Holschuld gilt für alle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.6 Schlechte Informationstätigkeit beschädigt Vertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.7 Informationswege. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.8 Informieren in Krisensituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.9 Zehn Grundregeln des Informierens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.10 (Micro‑)Computersicherheit, Spionage und Fälschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.11 Elektronische Informationsmittel, analog und digital. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.12 Gute oder schlechte Informationsquellen, Vertrauenswürdigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.13 Faktor Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.14 Mitteilungsbedürfnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.15 Informationsmittel richtig auswählen und richtig einsetzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Wissensarbeit und Innovation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Innovation und Wissensarbeit – eine Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Denkfehler der Wissensarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.3 Wie führt man Wissensarbeiter?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.4 Innovation und Wissensarbeit auf einen Punkt gebracht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



609 609 611 612 614 615 615 616 618 619 620 621 624 625 625 631 635 635 640 644 652 654 654

XXX

Inhaltsverzeichnis

14.3.2 Motivation und motivieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Rahmenmodell motivierten Handelns – Motivation als Produkt von Person und Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.4 Motivation und Motive: Leistung, Anschluss und Macht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.5 Annäherung und Vermeidung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.6 Implizite und explizite Motive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.7 Intrinsische und extrinsische Motivation – Wege oder Ziele? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.8 Führung und Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

654

655 657 658 659 660 661 673

Führen mit Zielen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 Christoph Hoffmann, Andres Pfister

15.1 Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2 Individuelles Führen mit Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Absicht und Zweck von MbO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.2 MbO-Prozesse in Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.3 Rahmenbedingungen für MbO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.4 Arten von Zielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.5 Ziele formulieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.6 Zielvereinbarungsgespräche durchführen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.7 Zielcontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4 Kritik an MbO. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.1 Fehler in der Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.2 Fehler in der Leistungsrückmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.4.3 Fehler in der Unterstützung der Leistungserbringung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5 Delegation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.1 Auftragserteilung und Delegation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.2 Was kann, soll und muss ich delegieren und was nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.3 Prozess der Delegation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.5.4 Chancen und Gefahren der Delegation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV

676 677 681 682 685 691 692 695 700 703 707 708 709 710 711 712 713 715 720 722



Das Management komplexer Führungssituationen

16 Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727

Uwe Neumann 16.1 16.2 16.2.1 16.2.2 16.3 16.4 16.5 16.6 16.6.1

Auf einen Blick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Führungskompass als Leitfadenfür erfolgreiches Projektmanagement. . . . . . . Die Führungsaufgaben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien der wirksamen Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemisches Projektmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Merkmale eines Projektes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition von Projektmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Für Ziele sorgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



728 729 730 735 739 740 741 741 742

Inhaltsverzeichnis

XXXI

16.6.2 Organisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.3 Kontrollieren und Beurteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.4 Entscheiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.5 Potenziale entfalten und Menschen entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.6.6 Für Zusammenarbeit sorgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7 Der Blick auf das Projektteam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.1 Forming-Phase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.2 Storming-Phase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.3 Norming-Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.4 Performing-Phase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.7.5 Adjourning-Phase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

747 751 752 752 753 756 756 757 757 757 758 760



17 Konfliktmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763

Eric Lippmann 17.1 Konflikte in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2 Konfliktdefinitionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Funktionalität von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4 Konfliktarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.1 Klassifikation nach Ebenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.2 Klassifikation nach Konfliktgegenständen: „Issues“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.4.3 Klassifikation nach der Äußerungsform. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5 Konflikteskalation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5.1 Konflikteskalationsmechanismen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.5.2 Eskalationsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6 Konfliktmanagement als Führungsaufgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.1 Grundstrategien zur Lösung von Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.2 Verhaltensmuster in Konfliktsituationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.3 Harvard-Konzept. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.6.4 Mediation als spezifisches Verfahren des sachgerechten Verhandelns . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

764 765 766 768 768 774 776 779 779 780 783 784 789 792 804 808

Führen in Zeiten des Wandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 Volker Kiel

18.1 18.2 18.2.1 18.2.2 18.3 18.4 18.5 18.5.1 18.5.2

Phänomene des Wandels– Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der systemische Blickwinkel auf die Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Systemrelevante Elemente einer Organisation – Strategie, Struktur und Kultur. . . . . . Organisation als soziales System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorstellungen und innere Bilder: die Leitmotive für das subjektive Erleben in Veränderungssituationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kognitive Schemata: die mentale Repräsentation der wahrgenommenen Veränderungssituation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen aus systemischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische und soziale Systeme in Anbetracht der Autopoiese. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien der Selbstorganisation in psychischen und sozialen Systemen. . . . . . . . . . . .



812 817 818 821

824 827 832 832 843

XXXII

Inhaltsverzeichnis

18.6

Der sogenannte Widerstand– oder: wahrgenommene Reaktionen als dienliche Hinweise nutzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . Formen der Veränderungen – radikaler und evolutionärer Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien der Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ebenen der Veränderungen – sachlogische und psychosoziale Aspekte . . . . . . . . . . . . . Werte als Ansatz organisationaler Kulturentwicklung – Zugang zu den mentalen Modellen finden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Auftrag im Veränderungsprozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prinzipien für die Führung von Veränderungsprozessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

18.7 18.7.1 18.7.2 18.7.3 18.7.4 18.8 18.8.1 18.8.2

19

854 858 859 861 863 866 870 870 872 882

Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 885 Daniela Eberhardt, Stefanie Neumann, Elisa Streuli

19.1 19.2 19.2.1 19.2.2 19.2.3 19.3 19.3.1 19.4 19.4.1 19.4.2 19.4.3 19.5

20

Diversity und Vielfalt – ein Führungsthema. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Altersgerechte Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Alter und Generation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herausforderungen für die Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungsstile für verschiedene Generationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frauen, Männer und Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konsequenzen für die Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führung und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Muster und Kulturdimensionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führungskompetenzen in interkulturellen Kontexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Führen multikulturell zusammengesetzter Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen für die Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



887 890 890 891 892 895 896 898 898 901 903 905 908

Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung. . . . . . . . . . . . . 911 Imke Knafla, Marcel Schär Gmelch

20.1 20.1.1 20.1.2 20.1.3 20.2 20.2.1 20.2.2 20.2.3 20.3 20.3.1 20.3.2 20.3.3

Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen? . . . . . . . . . . . . . Psychische Störung als Abweichung von der Norm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychische Störung als innere Spannung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erstes Fazit: Psychische Gesundheit als labiles Gleichgewicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie erkennt man Verhaltensauffälligkeiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Problem der (Nicht‑)Sichtbarkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Probleme frühzeitig erkennen: Symptome, Warnzeichen und Verhaltensänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweites Fazit: Private Probleme und Arbeitsleistungen sind nicht trennbar. . . . . . . . . . Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Gespräch vorbereiten und leiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie geht es nach dem ersten Gespräch weiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittes Fazit: Führung so gestalten, dass Mitarbeitende bei Problemen auf den Vorgesetzten zukommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



912 913 913 918 918 918

919 923 923 923 931 933 934

Inhaltsverzeichnis

21

XXXIII

Macht und Mikropolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 Andres Pfister, Michael Zirkler

21.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.2 Einfluss, Autorität und Macht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.3 Ein Wirkungsmodell der Macht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4 Quellen und Wege der Machtausübung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.1 Macht aufgrund von Person, Position und sozialem System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.4.2 Veränderungen der Machtquellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5 Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.1 Einflussprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.2 Wirkung von Einfluss und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.3 Taktiken der Einflussnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.4 Drohen und Versprechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.5.5 Widerstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6 Systemische Aspekte der Macht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.1 Herrschaftssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.2 Mikropolitik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.3 Strategie und Taktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.4 Macht und „Spiele“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.5 Schließen von Rationalitätslücken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.6.6 Macht, Vertrauen, Verständigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21.7 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22



938 939 940 942 942 943 945 945 946 946 948 950 951 951 952 954 955 959 960 961 961

Neue Formen der Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 963 Urs Jörg, Thomas Klink

22.1 Dynamik und Komplexität nehmen zu. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.1.1 Evolutionäre Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2 Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.2 Möglichkeiten zur Umsetzung einer Meditationspraxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.3 Das meditative Modell der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22.2.4 Anwendung in der Führung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



964 965 984 984 986 989 993 999

Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 Index. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1002

1

Grundlagen des Führungs­ verständnisses Kapitel 1

Menschenbilder – 3 Andres Pfister

Kapitel 2 Organisationsverständnis und dessen Einfluss  –  19 Urs Jörg, Thomas Steiger Kapitel 3

Führungstheorien – 39 Andres Pfister, Uwe Neumann

Kapitel 4

Das Rollenkonzept der Führung  –  75 Eric Lippmann, Thomas Steiger

I

3

Menschenbilder Andres Pfister 1.1

Definition und Funktion von Menschenbildern  –  4

1.2

Ursachen für den Wandel der Menschenbilder  –  6

1.3

Menschenbilder in der Organisationslehre  –  7

1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.4 1.3.5

Klassischer Ansatz „economic man“  –  7 Beziehungsorientierter Ansatz – 10 Motivationsorientierter Ansatz – 11 Systemischer Ansatz – 12 Neuroansatz – 15

Literatur – 17

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_1

1

4

1

Kapitel 1 • Menschenbilder

Auf einen Blick

Auf einen Blick Das Bild des Menschen in der Arbeit hat sich über die letzten Dekaden grundsätzlich geändert und weiterentwickelt. Die jeweiligen Menschenbilder der entsprechenden Dekaden beschrieben, wie der Mensch im Grunde genommen ist, wie dieser arbeitet und wie er zu führen ist. Mit jedem Entwicklungsschritt wurde jedoch dem komplexen Wesen Mensch mehr Rechnung getragen. Insgesamt hat diese Entwicklung in allen Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Gesellschaft positive Veränderungen bewirkt, sei dies durch die Humanisierung der Arbeit, mehr Autonomie und Gestaltungsspielraum und die stärkere Berücksichtigung individueller Bedürfnisse. Die Entwicklung der Menschenbilder ist nicht abgeschlossen, da sie immer auch ein Ausdruck der derzeitigen erlebten Welt darstellt.

1.1

Menschenbilder erklären das Wesen des Menschen

subjektive Wahrnehmungen

Definition: Menschenbilder

Definition und Funktion von Menschenbildern

Menschenbilder liefern eine Antwort auf die grundlegende Frage

„Was ist der Mensch?“ (Hug 2013). Sie geben somit eine Erklärung zum generellen Wesen des Menschen. Jeder Mensch findet im Verlauf seiner Entwicklung seine eigene „Antwort“ auf diese grundlegende Frage und konstruiert dadurch sein individuelles Menschenbild. Das Menschenbild hilft dabei, Sinn und Verständnis für die komplexen sozialen Dynamiken zu generieren. In allen Gesellschaften finden sich jedoch übergeordnete Menschenbilder wieder. Hug beschreibt dies als die Bündelung unterschiedlichster subjektiver Wahrnehmungen über das Wesen des Menschen. Somit definiert Hug Menschenbilder wie folgt: Definition  Unter dem Begriff Menschenbilder sammeln und analysieren die Humanwissenschaften allgemeingültige Vorstellungen oder Meta-Erzählungen über die sogenannte Natur des Menschen. Menschenbilder sind gebündelte Annahmen und Werthaltungen über das Wesen des Menschen, die in sozialen Gemeinschaften entstehen und sich als Versuche generieren, die Natur des Menschen zu verstehen und ihr Sinn zu verleihen. Diese Bilder prägen und formen die Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder von Gesellschaften und Organisationen. Sie generieren allgemeine Werthaltungen über das, wie der Mensch sein soll und wie er sich zu verhalten habe.

1.1  •  Definition und Funktion von Menschenbildern

5

1

..Abb. 1.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

Diese Vorstellungen sind uns teilweise bewusst, teilweise tradieren sie sich durch den Prozess der Sozialisierung ohne unser bewusstes Nachdenken darüber, welche der Annahmen in diesen Bildern unseren Beobachtungen und Erfahrungen tatsächlich entsprechen. Die Bilder erheben den Anspruch auf Wahrheit, auch wenn diese im sozialen Leben kaum überprüfbar ist … (Hug 2013, S. 5). 

Psychologisch gesehen ist das Menschenbild ein Schema, d. h. eine durch Erfahrung und Lernen konstruierte Kategorie, welche die von uns wahrgenommenen und selbst identifizierten Grundeigenschaften und -annahmen über Menschen und dessen Platz in der Gesellschaft in sich vereint. Sie helfen dabei, die angetroffene Komplexität der Umwelt zu reduzieren. Sie geben Orientierung in der komplexen sozialen Umwelt, da sie einfache Erklärungen für das Verhalten anderer liefern. Sie helfen somit bei der Wahl von passendem Verhalten und regeln daher bis zu einem gewissen Grad ein organisiertes Zusammenleben von Menschen (Hug 2013). Auch hinsichtlich der Frage „Was ist ein Mitarbeiter und wie ist dieser zu führen?“ haben sich unterschiedliche Menschenbilder im Verlauf der Zeit entwickelt und finden heute noch Niederschlag im Handeln von Führungskräften in den unterschiedlichsten Organisationen. Menschenbilder sind vereinfachte Annahmen über die Natur der Mitmenschen und im Falle der Führung über die Natur des Menschen im wirtschaftlichen Kontext (Schein 1980). Somit beantworten diese Menschenbilder die Frage: „Was ist die Natur eines Mitarbeitenden? Weinert (1998 S. 672) definiert Menschenbilder im wirtschaftlichen Kontext als: Definition  Menschenbilder sind Grundannahmen, Einstellungen und Erwartungen von Führungskräften gegenüber Zielen, Fähigkeiten, Motiven und Werten von Mitarbeitern (Weinert 1998, S. 672). 

Grundeigenschaften und Grundannahmen über den Menschen

vereinfachte Annahmen

Definition: Menschenbilder nach Weinert

6

Kapitel 1 • Menschenbilder

1

Menschenbild

prägt

Organisationsverständnis

Führungsverständnis ..Abb. 1.2  Zusammenhang Menschenbild, Organisationsverständnis, Führungsverständnis

Menschenbilder, Organisations­verständnis, Führungs­verständnis

Im organisationalen Kontext geben Menschenbilder somit Aufschluss darüber, wie Mitarbeitende im Generellen sind. Menschenbilder wirken sich somit direkt auf die Gestaltung von Organisationsstrukturen als auch auf die Art und Weise der darin gelebten Führung aus (. Abb. 1.2). Sie tun dies, indem die Grundannahmen, welche mit dem entsprechenden Menschenbild verknüpft sind, die Einstellung und Erwartung und somit das effektive Verhalten von Führungskräften beeinflussen (Peters 2015; Peters und Ghadiri 2013). Diese wirtschaftlichen Menschenbilder finden Niederschlag in den Führungsgrundsätzen einer Organisation und zeigen sich in deren Prozessen, in der Gestaltung von Aufgaben und speziell in der Auftragserteilung und Delegation (Hug 2013). 1.2

Menschenbilder ändern über die Zeit

Ursachen für den Wandel der Menschenbilder

Unterschiedlichste Prozesse sind an der Entstehung eines Menschenbildes beteiligt. Auf der individuellen Ebene spielen Wahrnehmung, Erfahrung, als auch die kulturelle Sozialisation eine wichtige Rolle. Auf der gesellschaftlichen Ebene sind gesellschaftliche und politische Veränderungen, technologische und ökonomische Fortschritte, Erkenntnisse aus der Forschung und ökologische Veränderungen Treiber für die Veränderung der vorherrschenden Menschenbilder (Hug 2013). Da die Veränderungsgeschwindigkeit in der Gesellschaft aber auch in Organisationen zugenommen hat, trifft man nicht selten auf mehrere Menschenbilder, welche gleichzeitig nebeneinander existieren. Dies führt immer wieder zu Konflikten, da teils nicht miteinander vereinbare Denkweisen das Handeln der unterschiedlichen Akteure leiten (Hug 2013). Gleichzeitig ermöglichen die Auflösungen dieser Konflikte eine gemeinsame Weiterentwicklung des vorherrschenden Menschenbildes und somit der Organisation und der Führung.

1.3  •  Menschenbilder in der Organisationslehre

7

1

Je bewusster man sich das eigene Menschenbild macht und je klarer man sich über die damit verbundenen Werte und Normen wird, desto besser kann es gelingen, entstehende Konflikte zu erkennen und lösungsorientiert zu handeln (Hug 2013). 1.3 Menschenbilder

in der Organisationslehre

Die Arbeits- und Organisationspsychologie als auch die Betriebswirtschaftslehre sind sich einig darüber, dass in den letzten rund 130 Jahren mehrere Schritte mit entsprechenden Menschenbildern unterschieden werden können (Peters 2015). In der aktuellen Phase ist es jedoch noch nicht ganz klar, was das vorherrschende Menschenbild sein wird. Unbestritten ist jedoch, dass ein neues Menschenbild aktuell entsteht. Die Entwicklung der Menschenbilder in dieser Zeit war und ist eng verflochten mit wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und insbesondere technologischen Entwicklungen. Nachfolgend werden die wichtigsten Menschenbilder und die Entwicklungen der entsprechenden Epochen dargestellt. Zu beachten bleibt, dass diese Menschenbilder in verschiedenen Organisationen und Wirtschaften noch heute Bestand haben, bzw. sogar in einer Organisation nebeneinander existieren können. 1.3.1

Klassischer Ansatz „economic man“

Zu Beginn des Industriezeitalters am Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts veränderte sich durch den von der Dampfmaschine und Elektrizität hervorgerufenen technologischen Sprung die Art der Produktion grundlegend. Massenproduktion wurde möglich, wodurch die Grundbedürfnisse viel einfacher gedeckt werden konnten. Dies führte jedoch gleichzeitig dazu, dass einerseits die Bevölkerungszahlen stiegen, Städte wuchsen und viele arbeitsintensive Handarbeiten durch Maschinen ersetzt wurden. Obwohl in den entstehenden Fabriken stetig mehr Arbeitskräfte benötigt wurden, war gleichzeitig eine große Anzahl an ungelernten Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt jederzeit verfügbar. Somit waren ungelernte, nicht leistungsfähige oder widerspenstige Arbeitskräfte leicht ersetzbar. Die Arbeitskräfte waren nicht selten als Tagelöhner unterwegs und suchten vor den Fabriken nach Arbeit, um mit dem entsprechenden Lohn die Grundbedürfnisse ihrer Familien zu decken. Die Maschine war der Taktgeber für die Geschwindigkeit der Arbeit, und die Menschen dienten dieser Maschine zu. Entsprechend blieb diese Entwicklung nicht ohne Einfluss auf das Menschenbild. Der Mensch wurde als Maschine betrachtet,

Industrialisierung

Mensch als Maschine

8

Kapitel 1 • Menschenbilder

welche jedoch fehlerhaft funktioniert. Der Mensch musste jedoch möglichst gut funktionieren, damit effizient produziert werden konnte. Mit der Einführung der Fließbandarbeit und dem Stücklohnsystem in den Fabriken akzentuierte sich diese wahrgenommene Problematik zusätzlich (Hug 2013; Peters 2015).

1

zz Taylorismus

Taylorismus, „economic man“

Aus seinen Untersuchungen zur Arbeitstätigkeit in der Fabrik entwickelt Frederik Winslow Taylor (1856-1919) seine wissenschaftliche Doktrin der Aufgabenerfüllung und Arbeitsteilung. Bekannt als „The Principles of Scientific Management“ (Taylor 1913) liefert Taylor die wissenschaftlichen Grundlagen für das Menschenbild des „economic man“. Der Mensch ist getrieben durch finanzielle Anreize wie den Lohn. Die Arbeit muss so organisiert sein, dass der gesamte Arbeitsprozess mit der schlecht funktionierenden Maschine Mensch optimiert wird. Taylor führte Arbeitszeit- und Bewegungsstudien durch und rationalisierte damit die Arbeitsabläufe. Die strikte Arbeitsteilung brauchte ebenso intensive Kontrollen. Hierbei verfolgte der Ansatz von Taylor zwei Zielsetzungen (Peters 2015): 1. Höhere Leistungsergebnisse durch systematische Nutzung der Mitarbeiter unter Anwendung wissenschaftlicher Methoden 2. Verbesserung der Lebensstandards der Mitarbeiter durch entsprechend höhere Löhne (aufgrund einer höheren Produktivität) Die Führung hatte die Aufgabe, die Kenntnisse und Fähigkeiten der Arbeiter zu klassifizieren und die Arbeiter auszuwählen und auszubilden (Hug 2013). Gleichzeitig hatte das Management zu kontrollieren, dass die vordefinierten Tätigkeiten auch entsprechend umgesetzt wurden. zz Bürokratisch-administrativer Ansatz

bürokratisch-administrativer Ansatz

Ungefähr zeitgleich wurden in Europa durch die Industrialisierung und die Bürokratisierung intensiver an Organisations- und Verwaltungsprinzipien geforscht. Der Franzose Fayol (1841–1925) entwickelte zur gleichen Zeit wie Taylor Führungsprinzipien. Er unterschied jedoch zwischen zwei grundsätzlichen Funktionen in einem Unternehmen (Hug 2013): 1. Ressourcen schaffende Funktionen wie Technik, Absatz und Finanzen, 2. betriebsmittelerhaltende Funktionen wie Rechnungsführung, Sicherheit und Administration.

Verwaltungsprinzipien

Die von Fayol daraus abgeleiteten Verwaltungsprinzipien fußen wie bei Taylor auf dem Menschenbild des „economic man“. Für Fayol ist es zentral, dass die Autorität jederzeit im Betrieb anwe-

1.3  •  Menschenbilder in der Organisationslehre

9

1

..Tab. 1.1  Verwaltungsprinzipien nach Fayol (1956) Arbeitsteilung

Klare Autoritätshierarchie

Autorität und Verantwortung

Ordnung (ein Platz für jeden und ein jeder an seinem Platz)

Disziplin

Gleichheit

Einheit der Leitung

Firmentreue der Angestellten

Unterordnung von Einzelinteressen unter das Gesamtinteresse

Initiative

Zufriedenstellende Vergütung für das Unternehmen und die Angestellten

Corpsgeist

Zentralisierung

send oder vertreten ist beispielsweise durch die Vorarbeiter. Seine wichtigsten Verwaltungsprinzipien sind in . Tab. 1.1 aufgeführt (Fayol 1956). Viele der in . Tab. 1.1 aufgeführten Prinzipien finden sich heute noch in unterschiedlichsten Unternehmen wieder. Ebenso finden sich diese Prinzipien heute noch in organisationalen Hilfsmitteln wie beispielsweise Stellenbeschreibungen und Organigrammen (Hug 2013). zz Bürokratietheorie Max Weber (1864–1920) war zur gleichen Zeit in Deutschland

mit der Untersuchung der Gesellschaft und Unternehmen tätig. Er gilt als Begründer der Soziologie in Deutschland und prägte mit seiner Bürokratietheorie die Organisation von Unternehmen und deren Führung im deutschsprachigen Raum. Er bezeichnete Angestellte und Arbeiter als „Amtsträger“. Obwohl im Grunde genommen frei, so waren sie im Rahmen ihrer Amtspflicht verantwortlich für das Wohlergehen der Organisation. Die Organisationen zeichneten sich durch eine strenge Hierarchie aus, in welche die Angestellten und Arbeiter eingebunden waren. Innerhalb dieser Hierarchie waren sie mit Kompetenzen ausgestattet, erhielten feste Entlohnung und hatten Anspruch auf eine Altersvorsorge. Innerhalb dieser Hierarchie herrschte eine homogene Amtsdisziplin, welche die Beteiligten vor Willkür schützen sollte. Für Weber war somit die Bürokratie der Idealtypus einer Organisation. Sie war gekennzeichnet durch Ämter und Stellen, welche eine Person übernahm. Die entsprechenden Ämter und Stellen in einer Organisation waren auf bestimmte Kompetenzen und Ausbildung ausgerichtet. Entsprechend erfolgte die Einstellung einer Person aufgrund ihrer Qualifikation (Hug 2013; Peters 2015; Weber 1922).

Bürokratietheorie Amtsträger, Kompetenzen, homogene Amtsdisziplin

10

Kapitel 1 • Menschenbilder

1.3.2

1 Entwicklung von Gewerkschaften

Human-Relations-Bewegung, „social man”

Mensch ist Bedürfnisträger

Zugehörigkeit, Aufmerksamkeit, soziale Interaktion, kooperativer Führungsstil

Beziehungsorientierter Ansatz

Nach dem 1. Weltkrieg und dem Wegfall der klassischen Gesellschaftsstrukturen wie Monarchien ist die industrialisierte Welt in einem grundlegenden Wandel. Streiks von Gewerkschaften in vielen Ländern führen zu fundamentalen Veränderungen im Wirtschaftsgefüge. Arbeitnehmer erhalten mehr Rechte, werden in verschiedenen Ländern stärker sozial abgesichert, und man will nach den Leiden des industriell geführten Krieges nicht mehr nur leben um zu arbeiten und zu sterben. In dieser sozial bewegten Zeit beschäftigen sich Forscher und Organisationen wieder mit der Frage, wie Leistungssteigerung in Organisationen erreicht werden können. Die Human-Relations-Bewegung etablierte ein neues Menschenbild. Die Grundlage hierfür waren unterschiedliche Studien zur Leistung von Mitarbeitenden, welche entgegen den gängigen Erwartungen völlig andere Ergebnisse hervorbrachten. Die bekanntesten sind die Untersuchungen im Jahre 1923 bei der „Western Electric Company“ in Hawthorne (Chicago). Wie bei Taylor waren die Untersuchungen darauf ausgerichtet, die Arbeitsumgebung und Arbeitsgestaltung zu verbessern um die Produktivität zu steigern. Arbeitsraumgestaltung, Pausenlänge, Beleuchtungsverhältnisse und Belüftung wurden experimentell variiert. Interessanterweise zeigte auch die Kontrollgruppe, bei welcher keine Veränderungen stattfanden ebenfalls eine äquivalente Steigerung der Produktivität. Zudem zeigte die Experimentalgruppe weiterhin steigende Leistung, selbst wenn die positiven Veränderungen der Arbeitsumgebung zurückgenommen wurden. Die Forscher um den Psychologen George Elton Mayo erklären dieses Phänomen dahingehend, dass die erhöhte Aufmerksamkeit der Unternehmensleitung als auch das Interesse der Forscher an den Arbeitsgruppen der ausschlaggebende Faktor für die in allen Gruppen erhöhte Arbeitsproduktivität sei (Mayo 1933). Die Durchführung der Studie selbst führte schon zu einem besseren Betriebsklima (Peters 2015). Daraus entwickelte sich das Menschenbild des „social man“. zz Social Man Der Mensch ist ein Bedürfnisträger und ist als soziales Wesen

wahrzunehmen. Neben der Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse wie Schlaf, Nahrung und Sicherheit existieren weitere Bedürfnisse, welche sich ebenfalls auf das produktive Handeln eines Menschen auswirken. Entsprechend sollten Organisationen so strukturiert sein, dass sie die Bedürfnisse der Menschen insbesondere derjenigen nach Zugehörigkeit und Aufmerksamkeit befriedigen. Führung sollte weniger kontrollieren sondern vielmehr die soziale Interaktion fördern. Hierzu war es notwendig, dass die Führungskraft als Vermittler zwischen den Beschäftigten agierte und sich nach-

1.3  •  Menschenbilder in der Organisationslehre

11

1

haltig darum kümmerte, ein positives Betriebsklima zu schaffen. Jenes Menschenbild des „Social Man“ ist somit die Grundlage des kooperativen Führungsstils (Peters 2015). 1.3.3

Motivationsorientierter Ansatz

Die Folgen des 2. Weltkrieges auf die Gesellschaft und Wirtschaft war tiefgreifend. Einerseits erfolgte eine große technologische Umwälzung, andererseits wurden für den Wiederaufbau viele Arbeitskräfte benötigt, welche durch den zweiten Weltkrieg nicht mehr vorhanden waren. Im Zuge dieser Umwälzungen und der günstigen wirtschaftlichen Lage für die Arbeitnehmer wurden Firmen vermehrt mit hohen Fluktuationsraten, langen Fehlzeiten und wiederkehrenden Streiks konfrontiert (Hug 2013; Peters 2015). Herrick und Maccoby (1975) sahen darin eine Krise der Arbeitsmotivation, welcher mit den vorherrschenden Menschenbildern nicht beizukommen war. Als Reaktion wurde der Human-Relations-Ansatz weiterentwickelt und neben der zwischenmenschlichen Arbeitsbeziehung trat vermehrt der Mensch als Arbeitsressource und seine motivationalen Treiber in das Zentrum des Forschungsinteresses.

Veränderung der Gesellschaft und Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg

Mensch als Arbeitsressource mit motivationalen Treibern

zz Self-actualizing Man

Spätere Forscher erweiterten die bestehenden Ansätze. Sie erkannten, dass Motivation zur Arbeit auf dem Ausmaß an wahrgenommener Autonomie und Kontrolle fußt. Maslow (1977) entwickelte das bekannte Modell der Bedürfnispyramide mit seinen Defizitund Wachstumsbedürfnissen. Herzberg (1966) erweiterte dies, indem er zwischen Hygienefaktoren und Motivationsfaktoren unterschied (Kapitel Motivation). Maslow prägte zudem das Menschenbild des „self-actualizing man“. Dieser strebt nach Selbstverwirklichung und will sich entwickeln. Selbstverwirklichung bedeutet hierbei den Wunsch, seine individuellen Fähigkeiten auszuschöpfen, um sich selbst zu entfalten (Peters 2015). Organisationen können diesem Bedürfnis entgegenkommen, indem sie Tätigkeiten zuweisen, welche Autonomie und Handlungsspielräume gewähren. Führungskräfte hatten somit die Aufgabe, durch Deckung der Bedürfnisse der jeweiligen Stufen dem Mitarbeitenden zu ermöglichen, die nächste Stufe in der Bedürfnispyramide zu erklimmen. Weiterentwicklung durch gezielte Förderung sind hierbei zentrale Aspekte des Führungsverhaltens. In demselben Zeitraum erkennt McGregor (1960) einen Zusammenhang zwischen der Einstellung und dem Verhalten des Managements und dem Arbeitsveralten von Angestellten. Er beschreibt zwei zugrunde liegende Annahmen, welche Führungskräfte über ihre Mitarbeitenden haben (. Tab. 1.2). Das darauf fußende Führungsverhalten produziert im Sinne der „selbst-

Motivation, Selbstverwirklichung

Bedürfnispyramide nach Maslow Zwei-Faktoren-Theorie von Herzberg X-/Y-Theorie von McGregor

12

Kapitel 1 • Menschenbilder

1

..Tab. 1.2  Theorie X und Y von McGregor (1960, © D. M. McGregor) Theorie X

Theorie Y

Mitarbeitende …

Mitarbeitende …

Haben eine Abneigung gegen Arbeit Müssen gezwungen, gelenkt, geführt werden Wollen „an die Hand genommen werden“ Brauchen externe Kontrollen und Strafen

Sehen einen hohen Stellenwert in der Arbeit Befriedigen ihre Ich-Bedürfnisse Streben nach Selbstverwirklichung Haben Selbstdisziplin und Selbstkontrolle

Führungskraft zeigt einen …

Führungskraft zeigt einen …

Autoritären Führungsstil

Kooperativen Führungsstil

erfüllenden Prophezeiung“ genau jenes erwartete Verhalten bei den Mitarbeitenden. McGregor bezeichnete diese beiden Grundannahmen als Theorie X und Theorie Y. Auch heute noch finden sich ähnliche Grundannahmen bei Führungskräften in Organisationen wieder. Gemeinsam haben alle Modelle des beziehungsorientierten Ansatzes, dass sie auf einem Menschenbild gründen, welches neben ökonomischen auch soziale Bedürfnisse als zentrale Wesenseigenschaften des Menschen erkennt. Die Organisation wird zwar weiterhin als Maschine betrachtet, in denen Menschen als integrale Teile mitwirken. Da jedoch der Mensch als soziales Wesen auf Anreize und Versagungen reagiert, muss der Mensch im Betrieb optimal behandelt werden, damit eine optimale Leistung gezeigt werden kann (Hug 2013). systemischer Ansatz

1.3.4

Systemischer Ansatz

soziale Systeme, beschränkte Rationalität, Entscheiden unter Unsicherheit

Noch in den 1950er-Jahren entwickelte das Travistock Institut auf der Grundlage ihrer Studien über die Einführung neuer Technologien im Steinkohlebergbau den soziotechnischen Systemansatz, welcher ein stärkeres Gewicht auf den Einbezug des sozialen Systems setzt (Trist und Bamforth 1951). Entwicklungen haben Auswirkungen auf das gesamte Organisationssystem inklusive der komplexen Interaktionsnetze zwischen den Menschen. Eine Organisation ist somit nicht nur ein technisches Gebilde, sondern ein komplexes System von interagierenden Individuen, das sich selbst bewusst und unbewusst organisiert. Gleichzeitig führten neue Technologien nicht nur im Bergbau, sondern in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft zu Veränderungen. Die gesamte Arbeitsumwelt wurde komplexer. Der Mensch war gezwungen, mit

1.3  •  Menschenbilder in der Organisationslehre

13

1

seinen beschränkten Ressourcen unter Unsicherheit Entscheidungen in einer sich dynamisch verändernden Umwelt zu treffen. Die Flexibilisierung und Digitalisierung der Arbeit stellten sowohl Unternehmen als auch Menschen vor neue Herausforderungen. zz Complex Man

Das Menschenbild des „complex man“ integriert die unterschiedlichsten Aspekte der zuvor schon existierenden Menschenbilder. Zentral hierbei ist, dass sich Menschen in unterschiedlichster Hinsicht, wie beispielsweise Motivation, Werte, Ziele, Fähigkeiten und Bedürfnisse individuell unterscheiden. Diese Aspekte verändern sich zusätzlich über die Zeit bei jedem Menschen. Gleichzeitig muss sich der Mensch als Teil einer Unternehmung und die Unternehmung in der Umwelt adaptiv und flexibel verhalten. Edgar Schein (1980) führte den Begriff des „complex man“ ein und basierte dieses auf den folgenden sechs Annahmen: 1. Bedürfnisse variieren inter- und intraindividuell. 2. Motive wirken nicht unabhängig voneinander, sondern sind zu komplexem Muster verwoben. 3. Häufig werden neue Motive im Austausch mit der Organisation gelernt. 4. Einzelne Person kann in verschiedenen Organisationen oder verschiedenen Bereichen einer Organisation unterschiedliche Motive verfolgen (z. B. Selbstverwirklichung in Freizeit). 5. Arbeitszufriedenheit und Effizienz lassen sich nur zum Teil auf Motive der Arbeiter zurückführen. 6. Führungsverhalten sollte Ansprüchen der Arbeitnehmer angepasst sein. Für Schein haben alle Menschen im Unternehmen einen bewussten freien Willen, mit welchem sie ihre Ziele verfolgen. Die Kooperation der Mitglieder und die Bereitschaft an der Organisation teilzunehmen, basiert auf der Abwägung von Vor- und Nachteilen für sich als auch für das System. Im Rahmen der vorherrschenden Entscheidungsstruktur treffen die Mitarbeiter dann ihre Entscheidungen über die nötigen Handlungen. Die Führung hat die Aufgabe, den Mitarbeitenden absichtsvolle, bewusste und zielgerichtete Verhaltensweisen zu erteilen, die notwendigen Kommunikationsnetze aufzubauen und die Unternehmensziele festlegen, im Rahmen derer die Mitarbeiter eigenständig Entscheidungen über das notwendige Verhalten treffen können. Die größte Herausforderung besteht jedoch darin, dass die Mitarbeitenden nur beschränkt Zugang zu Informationen haben, da immer gewisse Informationen unbewusst sind oder nicht zur Verfügung stehen. Somit entscheiden Führungskräfte als auch Mitarbeitende mit einer eingeschränkten Rationalität. Führung hat somit die Aufgabe, unter diesen Bedingungen Entscheide zu treffen. Der Mensch in der Arbeitswelt als auch die Führungskräfte sind somit Komplexi-

„complex man“ Menschen unterscheiden sich individuell und verhalten sich adaptiv und flexibel in einer ändernden Umwelt

Mensch ist Komplexitätsbewältiger, Sinn der Arbeit

14

Kapitel 1 • Menschenbilder

tätsbewältiger (Hug 2013). Sie sind auf der Suche nach dem Sinn der Arbeit.

1

zz Systemisches Menschenbild

Konstruktivismus

Die systemische Betrachtung des Menschen fußt auf den Arbeiten von Luhmann (1984) als auch Maturana und Varela (1987). Der Mensch wird als ein biologisches System gesehen, welches sich durch Rückkopplungsschlaufen dynamisch einer sich verändernden Umwelt, bestehend aus anderen Systemen, anpasst. Durch dessen Interaktion mit der Umwelt und die Verarbeitung der Informationen über die eigenen Sinneskanäle kreiert sich der Mensch das eigene Bild der Realität (Konstruktivismus). Zusammen mit anderen Menschen bilden sie soziale Systeme, welche sich ebenfalls über interne und externe Rückkopplungsschlaufen dynamisch der verändernden Umwelt anpassen und sich selbst organisieren (Autopoesis). Individuum und Umwelt stehen in einem dauerhaften sich gegenseitig beeinflussenden Austausch, welcher vielschichtig und über unterschiedlichste Kanäle erfolgt. Organisationen sind somit bewusst und unbewusst gestaltete Systeme, welche durch die dynamische Interaktion zwischen Menschen entstehen. Jeder Mensch wirkt auf diese Systeme ein und verändert diese. Durch Veränderung der Strukturen und Prozesse in einer Organisation besitzt der Mensch die Fähigkeit, die eigenen Ziele zu integrieren oder seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Probst (1992) definiert diese systemische Sicht des Menschen wie folgt: Definition 

Definition: systemische Sicht

Systemische Sicht: Der Mensch ist ein komplexes individuelles Wesen und verhält sich als Angehöriger von Organisationen oder Systemen zugleich als Gestalteter und Gestaltender. In der von ihm subjektiv wahrgenommenen Realität sucht er seine Bedürfnisse zu befriedigen, indem er reagiert und agiert. Die Realität, auf die organisatorisch, ist also kein objektives Ganzes, sondern das Ergebnis vieler subjektiver Wahrnehmungen und Vorstellungen (Probst 1992, S. 391 ff.). 

gemeinsam kreiert man die organisationale Realität

Somit ist die zentrale Aufgabe der Führungskraft einerseits, die eigene Realität bewusst zu steuern als auch eine Systemumwelt zusammen mit den Mitarbeitenden zu schaffen, welche einerseits die individuellen als auch die kollektiven Bedürfnisse befriedigen kann. Alle Organisationsbeteiligten kreieren die organisationale Realität und was als Organisation wahrgenommen wird. Gemeinsam kann man diese auch verändern, wobei man jedoch auf Rückkopplungsmechanismen und Prozesse stößt, welche erst in der Veränderung ihre vorherige Existenz aufzeigen.

1.3  •  Menschenbilder in der Organisationslehre

15

1

1.3.5 Neuroansatz

In den letzten rund 30 Jahren erlebte die Welt erneut tiefgreifende Umbrüche. Einerseits zerbrach der Ostblock, und der über 50 Jahre dauernde Kalte Krieg war zu Ende. Die Informationstechnologie in Form von Computer, Internet, Mobiltelefonie veränderte die Arbeit und die Zusammenarbeit von Menschen grundlegend. Gleichzeitig ermöglichten neue Technologien in der Wissenschaft ein tieferes Verständnis für die grundlegenden Funktionen des Menschen, insbesondere des Gehirns. Das aktuell immer stärker entstehende Menschenbild des „brain-directed man“ (Peters 2015) versucht die Motive und die Handlungs- und Entscheidungsprozesse des Menschen anhand der im Gehirn ablaufenden Prozesse zu erklären und zu verstehen. Nach Peters sind folgende Aspekte dieses Menschenbildes zentral (Peters 2015, S. 11 f.; Peters und Ghadiri 2013): 1. Unterschiedliche Gehirnareale sind Ausgangspunkt für das Handeln des Menschen und seine Bedürfnisse. Nicht nur rationale Überlegungen bestimmen die Motive und das Handeln des Menschen. Nicht wenige Handlungsmuster sind vorprogrammiert und werden unbewusst ausgelöst. 2. Emotionen spielen eine zentrale Rolle als aktive Handlungstreiber unseres Verhaltens, wobei sowohl Emotionen und Affekt die im Gehirn ablaufenden kognitiven Prozesse unterschiedlich stark beeinflussen können. Die rationalen und bewussten Verarbeitungsprozesse im Gehirn haben ein Vetorecht beim täglichen Agieren des Menschen. 3. Der Mensch ist ein wandlungsfähiges Wesen, obschon viele Handlungsmuster automatisiert ablaufen. Günstige Bedingungen, welche auf das Belohnungssystem im Gehirn wirken, verstärken die Lern- und Anpassungsprozesse. 4. Die Erfüllung der neurowissenschaftlichen Grundbedürfnisse ist von zentraler Bedeutung für die Mitarbeiterzufriedenheit. Die Grundbedürfnisse wirken in allen Menschen und werden somit in diesem Menschenbild als allgemeingültig betrachtet. Sozialisation, Lernen, Persönlichkeit und viele andere Einflussgrößen führen zu einer unterschiedlichen Akzentuierung dieser Grundbedürfnisse.

„brain-directed man“, Verarbeitungsprozesse im Gehirn

Organisationen sollten so konzipiert werden, dass sie den grundlegenden psychologischen Verarbeitungsprozessen im Menschen Rechnung tragen. Insbesondere die Befriedigung der Grundbedürfnisse kann nur durch individuelle Anpassungen der angetroffenen Organisationsumwelt an das einzelne Individuum gewährleistet werden. Hierbei sollte jedoch das einzelne Individuum selbst mitentscheiden und die hierfür relevante Umwelt mitgestalten können.

Grundbedürfnisse

16

Kapitel 1 • Menschenbilder

Es gilt, dass „alte“ Verhaltensweisen nie verlernt werden. Neue Handlungsmuster existieren zuerst parallel zu den schon vorherrschenden. Durch die entsprechende Gestaltung der Umwelt anhand von Lernerfahrungen und konstruktiven Rückmeldungen können die neuen Handlungsmuster verfestigt und mit der Zeit automatisiert werden. Erst die dadurch „verinnerlichten“ Handlungsmuster werden langfristig erfolgreich wirksam. Als Führungskraft ist darauf zu achten, dass das durch sie gestaltete Arbeitsumfeld jene Voraussetzungen bietet, dass das individuelle Belohnungssystem die hilfreichen Handlungsmuster verstärkt. Klarheit über die aktuell wichtigen Grundbedürfnisse bei den Mitarbeitern hilft der Führungskraft dabei, durch das eigene Verhalten jenes günstige Arbeitsumfeld zu generieren.

1

Zusammenfassung

Zusammenfassung Die Entwicklung der Menschenbilder erfolgte in den letzten 130 Jahren in mehreren Schritten. Am Anfang stand die Sichtweise des Menschen als schlecht funktionierende Maschine, welche primär durch finanzielle Anreize getrieben wird und egoistisch denkt und handelt („economic man“). Spätere wissenschaftliche Untersuchungen zeigten jedoch, dass der Mensch ein soziales Wesen ist auf der Suche nach Anerkennung und Zugehörigkeit („social man“). Obwohl in den frühen Jahren dieser Entwicklung hin zu einem neuen Menschenbild das Verständnis des Menschen als Teil einer Maschine bestehen blieb, veränderte sich auch dies, als die Motivation der Mitarbeitenden in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückte. Die Erkenntnis, dass der Mensch nach der Befriedigung von Bedürfnissen und nach Selbstverwirklichung strebt, führte erneut zu einem Wandel des Menschenbildes („self-actualizing man“). Die Betrachtung von Organisationen, Gesellschaften und des Menschen als komplexe, dynamische Systeme, welche miteinander interagieren und sich gegenseitig beeinflussen, führte zu einem erneuten Wandel des Menschenbildes. Der Mensch konstruiert sich seine Realität in dieser komplexen Systemumwelt selbst und ist auf der Suche nach dem Sinn der Arbeit („complex man“). Die neuste Entwicklung basiert auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Neuropsychologie und setzt die Grundbedürfnisse als auch die psychologischen Verarbeitungsprozesse des Gehirns ins Zentrum der Betrachtung („brain-directed man“).

Literatur

Literatur Fayol, H. (1956). Principes généraux d’administration. Administration industrielle et générale. Paris: Dunod. Herrick, N. Q., & Maccoby, M. (1975). Humanizing work: Priority goal in the 1970's. In Davis & A. B. Cherns (Hrsg.), Problems, prospects, and the state of the art. The quality of working life, Bd. 1. New York: Free Press. Herzberg, F. I. (1966). Working and the nature of man. New York: Crowell. Hug, B. (2013). Menschenbilder. In S. Steiger & E. Lippmann (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte 4. Aufl. Heidelberg: Springer. Luhman, N. (1984). Soziale Systeme – Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Maslow, A. H. (1977). Motivation und Persönlichkeit. Olten: rororo. Maturana, H. R. & Varela, F. J. (1987). Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des Erkennens. München: Goldmann. Mayo, E. (1933). The human problems of an industrial civilization. Cambridge: Harvard. McGregor, D. M. (1960). The human side of enterprise. New York: McGraw-Hill. Peters, T. (2015). Leadership: Traditionelle und moderne Konzepte. Wiesbaden: Springer Gabler. Peters, T., & Ghadiri, A. (2013). Neuroleadership – Grundlagen, Konzepte, Beispiele: Erkenntnisse der Neurowissenschaften für die Mitarbeiterführung (2. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Probst, G. J. P. (1992). Organisation: Strukturen, Lenkungsinstrumente, Entwicklungsperspektiven. Landsberg/Lech: mi. Schein, E. H. (1980). Organizational psychology (3. Aufl.). Engelwood Cliffs: Pearson. Taylor, F. W. (1913). Principles of scientific management. New York, London: Harper. Trist, E. L., & Bamforth, K. (1951). Some social and psychological consequences of the longwall method of coal-getting: an examination of the psychological situation and defences of a work group in relation to the social structure and technological content of the work system. Human Relations, 4(1), 3–38. Weber, M. (1922). Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr. Weinert, A. B. (1998). Organisationspsychologie (4. Aufl.). Weinheim: Beltz.

17

1

19

Organisationsverständnis und dessen Einfluss Urs Jörg, Thomas Steiger 2.1

Historische Entwicklung der Organisationsbetrachtung – 21

2.1.1 2.1.2 2.1.3

Klassische Ansätze, ökonomisch-rationale Perspektive  –  21 Verhaltenswissenschaftliche Perspektive – 22 Systemtheoretische Perspektive – 24

2.2

Traditionelles Organisationsverständnis – 25

2.3

Organisation als komplexes System  –  27

2.4

Organisation als soziotechnisches System  –  29

2.4.1

Existenzgrund und Aufgabe („Primary Task“) von Systemen – 29 Systemidentität und Selbstorganisation  –  30 Aufgabenverständnis, Ziele und Strategien  –  32 Struktur – 32 Kultur – 33 Rückkoppelung und Feedbacksysteme  –  34

2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6

Literatur – 38

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_2

2

20

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

Auf einen Blick

2

Auf einen Blick Das persönliche Verständnis darüber wie Organisationen funktionieren, bestimmt das Verhalten der Menschen in Organisationen maßgeblich. Dies gilt besonders für Führungshandeln und die Interpretation dieses Handelns durch die verschiedenen Akteure innerhalb und außerhalb der Organisation. Im folgenden Kapitel erfolgen ein kurzer Überblick und eine kritische Würdigung verschiedener relevanter Organisationskonzepte. Die vorgestellten Ansätze liefern für die Führungspraxis hilfreiche Anhaltspunkte und ermöglichen eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Organisationsverständnis. Dies mit dem Ziel ein vertieftes und reflektiertes Organisationsverständnis zu erlangen und die Wirksamkeit des persönlichen Führungshandelns zu steigern. Das Verständnis, wie Organisationen funktionieren bzw. aufgebaut werden müssen um möglichst zielführende Antworten auf die praktischen Anforderungen zu liefern war und ist abhängig von eben diesen praktischen Anforderungen, dem Zeitgeist, den vorherrschenden Menschenbildern und neben anderem den technologischen Möglichkeiten. Zudem prägt die fachliche Perspektive der Personen, die Organisationstheorien entwickeln das entsprechende Organisationsverständnis. Es gibt kein „richtiges“ oder allgemeingültiges Organisationsverständnis. Die verschiedenen Perspektiven sollen vielmehr helfen ein Verständnis zu entwickeln um wirksam und zielführend zu handeln und zu führen. Organisationskonzepte aus der Vergangenheit prägen unser heutiges Organisationsverständnis implizit oder explizit mit. Sie beeinflussen das Denken und Handeln der Menschen weiterhin. Umso wichtiger ist es kritisch zu prüfen, welche Perspektiven adäquate Antworten auf die heutigen Führungsherausforderungen liefern.

..Abb. 2.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

2.1  •  Historische Entwicklung der Organisationsbetrachtung

2.1 2.1.1

21

2

Historische Entwicklung der Organisationsbetrachtung Klassische Ansätze, ökonomisch-rationale Perspektive

Der Bürokratieansatz von Max Weber Der deutsche Soziologe Max Weber erläutert 1921/1922 die modernen, leistungsfähigen Strukturen von Wirtschaft und Verwaltung. Er beschreibt einen Idealtypus rationaler und legaler Herrschaft im Gegensatz zu charismatischer oder traditionaler Herrschaft. Kennzeichnend sind gezielt festgelegte Regeln und dauerhaft eingerichtete „Verwaltungen“ in „Büros“ mit hauptamtlichem, fachlich ausgebildetem Personal. Typische Merkmale dieses Konzepts sind unter anderem die professionelle Ausbildung der Mitarbeiter und ein beruflicher Werdegang in Laufbahnen als Anreizsystem. Es handelt sich um ein organisatorisches Konzept, das Leistungsfähigkeit und Berechenbarkeit gewährleistet durch Arbeitsteilung, Amtshierarchie, Dienst- und Fachaufsicht sowie die Aktenmäßigkeit.

Scientific Management und Taylorismus Durch den verstärkten Einsatz von Maschinen und das Aufkommen der Massenproduktionen im Zuge der industriellen Revolution, entwickelte sich eine starke Nachfrage nach Managementleitfäden zur Gestaltung der neuartigen Fabriken. Frederick Winslow Taylor (1856–1915) entwickelte den Ansatz des Scientific Management, in der Weiterentwicklung auch Taylorismus genannt. Ziel war es, sowohl die Produktivität der Arbeiter als auch die Effizienz des Managements zu steigern. Folgende Managementprinzipien sind typisch: Trennung von Hand- und Kopfarbeit, Analyse der menschlichen Arbeit in Zeitstudien, Differenzial-Lohnsystem, Festlegung des täglichen Arbeitspensums und Funktionsmeistersystem.

Administrations- und Managementlehre Henri Fayol (1841–1925) lieferte mit seiner Arbeit die Basis für die in den USA und England entwickelte Managementlehre. Im Mittelpunkt standen Fragen der Verwaltung und Probleme der Unternehmensführung. Fayol zeigte, das bestimmte Funktionen und präzise Prinzipien das Management wirksam machen. Nach ihm sind wichtige Managementfunktionen: Vorausplanung, Organisation, Auftragserteilung, Koordination und Kontrolle. Der Grundsatz der Einheit der Auftragserteilung ist ein weiteres Charakteristikum. Das bedeutet, dass eine in der Hierarchie nachgeordnete Stelle jeweils nur von einer übergeordneten Instanz Weisungen

Idee der Machbarkeit, Organisation als steuerbare Maschine

22

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

erhalten kann. Damit lange Informationswege vermieden werden, ist der Kontakt zwischen gleichrangigen Positionen erlaubt.

2

zz Betriebswirtschaftliche Organisationslehre

In Deutschland entwickelte sich ab 1930 die betriebswirtschaftliche Organisationslehre. Im Mittelpunkt stand hier die Aufgabe. Der Begriff des Aufgabenträgers wurde in diesem Zusammenhang geprägt sowie die Aufbau- und Ablauforganisation entwickelt. Gemeinsam ist allen diesen Ansätzen die ökonomisch-rationale Perspektive, welche sich im Verlauf der Industrialisierung durchgesetzt hat. Sie ist geprägt von der Idee der Machbarkeit. Die Organisation wird – analog einer komplizierten Maschine – durch möglichst perfekte Arbeitsteilung letztendlich als exakt und fehlerfrei steuerbar gesehen. Der Mensch ist Produktionsfaktor und wird auch so behandelt. Sein Einsatz wird wissenschaftlich im Sinne einer Minimierung der Kosten bei Maximierung des Leistungsergebnisses um maximale Effizienz zu erreichen, zentral geplant und durchgesetzt. Wichtigster Vertreter dieser Sichtweise ist Taylor (1913). Die beschriebenen Organisationsmodelle führten zu zwei wichtigen Entwicklungen: Organisationen konnten nun kurzund langfristig planen, es gelang auch Organisationsstrukturen zu schaffen, die stabil waren und Wachstum ermöglichten. 2.1.2 Verhaltenswissenschaftliche

Perspektive

Mensch rückt ins Zentrum der Betrachtung

Organisation als sozialer Verbund mit eigenem Charakter, zentrales Thema: Motivation, weitgehende Steuerbarkeit der Organisation

Die verhaltenswissenschaftliche Perspektive rückt – auch als Gegenreaktion auf die Anschauungen des ökonomisch-rationalen Paradigmas – den Menschen in dem Sinne ins Zentrum der Betrachtung, als sie feststellt, dass Organisationen durch interagierende Menschen mit eigenen Bedürfnissen gebildet werden. Diese Menschen und Gruppen entwickeln eigene Verhaltensnormen und Selbstverständnisse. Geführt wird aus dieser Perspektive deshalb eine Organisation nicht primär durch das Mittel der effizienten Arbeitsteilung, sondern durch Schaffung geeigneter Bedingungen der Zusammenarbeit. Gemeint sind damit Normen, Regeln und Anreize, die die Verhaltensweisen des einzelnen Organisationsmitgliedes in seiner Gruppe und das Verhalten ganzer Arbeitsgruppen im Sinne von übergeordneten Interessen und unter Wahrung der individuellen Autonomiebedürfnisse steuern. Zentrales Thema der Führung ist hier die Motivierung der Mitarbeiter. Auch hier ist das Organisationsverständnis durch die Idee der prinzipiellen Machbarkeit geprägt: Die durchdachte Organisation der Zusammenarbeit macht diese weitgehend steuerbar, planbar, d. h. prognostizierbar und kontrollierbar. Die Vertreter dieser Perspektive sind die große

2.1  •  Historische Entwicklung der Organisationsbetrachtung

Zahl der Human-Relations-Theoretiker, eine wissenschaftliche Bewegung der 1930er- bis 1950er-Jahre, die durch Untersuchungen über die Arbeitszufriedenheit von Industriearbeitern in den USA inspiriert worden war. Diese Perspektive ist bis in die 1970er-Jahre von Motivationstheoretikern wie z. B. Maslow und Herzberg wissenschaftlich weiterentwickelt und vertieft worden.

Verhaltensorientierte Ansätze im Überblick zz Organizational Behaviour

Organizational Behaviour liefert Antworten auf die Frage, wie sich Menschen, aufgrund ihres Wahrnehmens, Denkens und Fühlens in Organisationen verhalten. Dabei können verschiedene Betrachtungsebenen gewählt werden (Gruppe/Team, Abteilung, Geschäftseinheit bis hin zur Gesamtorganisation). Die Gestaltung und Implementierung von sozialen Regeln, Prozessen, Funktionen und Strukturen welche helfen, die gesteckten Ziele zu erreichen, stehen im Fokus. Konstrukte wie Rollenerwartungen, Interaktion, Anpassung oder Sinnstiftung werden empirisch untersucht und Ihre Wirkungen geprüft. Floyd Henry Allport ist ein wichtiger Exponent dieser Perspektive. zz Human-Relations-Ansatz

Der Ausgangspunkt der Human-Relations-Bewegung waren die Hawthorne-Studien, in denen die Auswirkungen verschiedener Arbeitsbedingungen auf die Arbeitsleistung untersucht wurden. Die Kernaussage dieser Betrachtungsweise lautet: der Mensch ist ein soziales Wesen und funktioniert nach eigenen Gesetzen. Weiter wird davon ausgegangen, dass eine positive Einstellung der Organisationsmitglieder gegenüber der Arbeit zu einer hohen Zufriedenheit führt. Diese Zufriedenheit bewirkt gemäß dem Human-Relations-Ansatz eine hohe Arbeitsleistung. zz Motivationstheoretische Ansätze

Mit den Motivationstheorien entwickelte sich aufbauend auf den Human-Relations-Ansatz eine weitere Forschungsrichtung mit erheblichem Einfluss auf das Verständnis von Organisationen und ihrer Funktionsweise. Im Zentrum steht der Zusammenhang zwischen Motivation, Zufriedenheit und Leistung. Abraham Maslow entwickelte die Bedürfnispyramide mit den fünf Stufen handlungsleitender Motive. Die X-Y-Theorie von Douglas McGregor besagt, dass Führungsentscheidungen durch ein bestimmtes Menschenbild geprägt werden. Im Sinne einer Selbsterfüllenden Prophezeiung werden durch das so motivierte Führungshandeln Reaktionen ausgelöst, welche die bereits bestehenden Überzeugungen der Führungsperson bestätigen. Die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg postuliert zwei unabhängige Einflussfaktoren, die Hygienefaktoren und die Moti-

23

2

24

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

vatoren, welche die Motivation und Zufriedenheit der Menschen in Organisationen maßgeblich bestimmen. Der Gewinn dieser Betrachtungen bestand darin, dass Organisationen stärker auf die Bedürfnisse der darin arbeitenden Menschen Bezug nahmen und im besten Fall zu einer Humanisierung der Organisationen beitrugen.

2

2.1.3 Komplexität und Dynamik

Systemtheoretische Perspektive

Die systemtheoretische Perspektive erweitert die Sichtweisen der vorangegangenen Ansätze grundlegend. Definition 

Definition: System Systeme bestehen aus mehreren Elementen, welche dynamisch interagieren

Als „System“ bezeichnen wir in unserem Zusammenhang jede Form menschlicher Zusammenarbeit, die auf eine gemeinsame Aufgabe ausgerichtet ist: Arbeits- oder Projektgruppen, Abteilungen, Bereiche, ganze Firmen etc. können als System erfasst, beobachtet und beschrieben werden. Jedes System besteht aus einem dynamischen Zusammenspiel von Elementen, die zusammen ein Ganzes bilden. In einem komplexen Zusammenspiel dieser Elemente verarbeitet jedes System Inputs aus seiner Umwelt in Outputs an seine Umwelt. 

Organisation als lebender Organismus, als soziales System, Abschied von der Machbarkeit, Führen unter Bedingungen der Unsicherheit

Die Umwelt – verstanden als sämtliche Bedingungen, die außerhalb der beobachteten Organisation liegen – rückt ins Blickfeld der Managementwissenschaften. Das Unternehmen oder allgemein die Organisation erscheint als ein lebendiger Organismus, der von seiner Umwelt beeinflusst wird und welcher gleichzeitig seine Umwelt mitbeeinflusst. Sowohl die Umwelt wie auch die einzelne Organisation und ihre Subsysteme haben eine Eigendynamik. Sie verändern und entwickeln sich auch aus sich selbst, ohne kausalen Anstoß, von außen. Das Verhalten von und in Organisationen basiert auf einer intensiven Vernetzung und gegenseitigen Beeinflussungsprozessen. Es bestehen mannigfaltige Interdependenzen. Diese Perspektive, welche der Komplexität Rechnung trägt, nimmt Abschied von der Vorstellung der vollständigen Planbarkeit, Kontrollierbarkeit und exakten Prognostizierbarkeit, also vom mechanistischen Weltbild der Machbarkeit. Führen von und in Organisationen ist damit nur unter Bedingungen der Unsicherheit möglich (Rieckmann, 2007). Dieser Umstand hat tief greifende Auswirkungen auf die Grundhaltung von Führungskräften und auf die Gestaltung und den Einsatz von Führungsinstrumenten aller Art. Sprachliche Ausdrücke wie „die Situation im Griff haben“, Führungskräfte als „Macher“, „Beherrscher“ verweisen auf alte Haltungen und Denkmuster, die mit der neueren systemischen Perspektive nicht mehr

2

25

2.2  •  Traditionelles Organisationsverständnis

..Tab. 2.1  Perspektiven und Grundprinzipien historischer Organisationsverständnisse. (Adaptiert nach Probst 1992) Perspektive

Ökonomisch-rational

Verhaltenswissenschaftlich

Systemisch

Entstehung

Seit Mitte 19. Jahrhundert

1920er-Jahre

1970er-Jahre

Zugrunde liegendes Menschenbild (7 Kap. 1, „Menschenbild“)

„economic man“

„social man“

„complex man“

Prinzipien der Organisation

Rentabilität Aufgabenbezogene Organisationsgestaltung Effiziente Mittelverwendung Wissenschaftlicher, betriebswirtschaftlicher Ansatz Kostenüberwachung Zentralisierte Autorität und Verantwortung Disziplin Begrenzte Leistungsspanne Standardisierte Abläufe Konzentration auf formale Aspekte Maximierung

Dezentralisierung der Machtbefugnisse Selbstverwirklichung Befriedigung persönlicher Bedürfnisse Arbeit in der Gruppe Partizipation und Motivation Gutes Betriebsklima Vertrauensfundierte Organisation Übertragung von mehr Verantwortung Konsens und Dialog Betonung der informellen Aspekte

„Überleben“ durch Anpassung und Flexibilität Effektivität (Nutzenoptimierung) Umgang mit Komplexität Selbstorganisation Zentralisieren und Dezentralisieren Das System beeinflusst die Umwelt, die Umwelt beeinflusst das System Statt Ideallösung eine Varietät möglicher Verhaltensweisen Ganzheitliche Problemstellung Nutzung von Synergieeffekten Information und Kommunikation als Regulierungsfaktor Das Unternehmen als Netzwerk von Interaktionen

Zentrales Leitmotiv

Machbarkeit

Motivation

Selbstorganisation

vereinbar sind. Die hier vorgestellten Denkanstöße basieren auf diesem systemischen Ansatz, sie wollen diesen verständlich und für die Praxis nutzbar machen (Steinkellner, 2007). . Tab. 2.1 zeigt die charakteristischen Organisationsprinzipien dieser drei Konzepte. 2.2

drei historische Perspektiven

Traditionelles Organisationsverständnis

Zur Verdeutlichung der Unterschiede zum systemischen Verständnis werden hier zunächst eine traditionelle Organisationssicht und deren wichtigste Eigenschaften plakativ dargestellt. Die Form der . Abb. 2.2 bringt die starke Funktionalisierung durch Abgrenzung von Aufgaben- und Verantwortungsfeldern

Eigenschaften

26

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

Direktion

2

Hierarchie

Personalwesen ”Human Resources”

Organisation

Führung

Marketing

Produktion

Materialwirtschaft

Forschung und Entwicklung

Rechnungswesen

Finanzen Controlling

Geschäftsleitung

Funktionen (Organisationsbereiche) ..Abb. 2.2  Organisation in funktionaler Betrachtung

Funktionalisierung durch Abgrenzung, Kontrolle statt Kommunikation, Spezialisierung statt Vernetzung, Zielorientierung, fehlende Umweltbezüge

traditionelles Organisationsverständnis ist überholt

zum Ausdruck. Tatsächlich handelt es sich mehr um Abgrenzung als um ein Zusammenspiel, was sich in der Form von wenig durchlässigen horizontalen und vertikalen Strukturen manifestiert. Kommuniziert wird über die (Um‑)Wege der Hierarchie. Nicht Vernetzung, sondern Spezialisierung ist dominierend. Die Organisationssicht ist funktionalistisch im Gegensatz zu organisch. Dem zugrunde liegt eine mechanistische Überzeugung: Organisationen können exakt konstruiert werden und ihr Verhalten ist im Sinne einer klaren Ziel- und Zweckorientierung planbar, steuerbar und vorhersehbar. Die Organisationssicht ist mechanistisch im Gegensatz zu evolvierend, sich entwickelnd. . Abb. 2.2 stellt eine gewisse Selbstgenügsamkeit der Organisation dar. Bezüge zum Umfeld der Organisation fehlen. In diesem traditionellen Organisationsverständnis ist nur ein eingeschränktes Bewusstsein für die Interdependenzen mit der Außenwelt vorhanden. Dank stark wachsender Märkte und ausreichender oder ersetzbarer kostengünstiger Ressourcen hatte dies lange Zeit keine negativen Auswirkungen auf den Erfolg. Das Organisationsverständnis ist reduktionistisch, analytisch und statisch im Gegensatz zu vernetzt, Muster und Zusammenhänge erkennend und dynamisch: es nimmt Komplexität wenig wahr. Unsere Welt hat sich inzwischen zweifellos verändert. Moderne Technologien und Kommunikationsmittel haben eine vernetzte, dynamische Welt geschaffen. Beweise für unerwartete und ungewollte Folgen unseres Handelns, gibt es viele. Die von uns mitveränderte Welt wirkt in unkontrollierbarer Weise auf uns zurück und konfrontiert uns mit neuen Rahmenbedingungen. Komplexität wahrzunehmen und konstruktiv damit umzugehen, sind wichtige Schlüssel, um Organisationen sinnvoll und produktiv zu gestal-

2.3  •  Organisation als komplexes System

27

2

ten. Die Geschwindigkeit von Veränderungen, technologischen Neuerungen und in der Entstehung von konkurrierenden Organisationen hat exponentiell zugenommen. Die systemische Sicht von Organisationen erleichtert im Vergleich zu traditionelleren Perspektiven den konstruktiven Umgang mit diesen Entwicklungen. 2.3

Organisation als komplexes System

Kompliziert verwenden wir im Sinne von „schwer zu verstehen“: Es geht um schwierig darzustellende Sachverhalte, die allerdings eindeutig bestimmt sind. Eine mathematische Formel, ein Superrechner der neuesten Generation oder ein Roboter. Kompliziert ist also etwas, das zwar schwer zu durchschauen ist, aus vielen Faktoren und Verbindungen besteht. Diese sind bestimmt und folgen eindeutigen und bekannten Gesetzmäßigkeiten. Durch aufwendige Analyse, d. h. durch Zerlegung in Einzelaspekte, werden komplizierte Probleme lösbar. Die einzelnen Elemente eines komplizierten Systems sind in ihrem Verhalten bestimmt. Eine komplizierte Maschine verändert sich nicht von selbst, sie entwickelt sich auch nicht eigenständig weiter. Wird die Maschine eingeschaltet, wirken die Teile in geplanter Art und Weise aufeinander ein und erzeugen ein prognostizierbares Verhalten der gesamten Maschine. Technische Systeme sind zwar kompliziert, aber sie sind statisch und werden deshalb auch als trivial bezeichnet. Im Gegensatz dazu sind soziale Systeme komplex und dynamisch. Komplexe Systeme sind eigendynamisch, ihre Elemente und ihre sie beeinflussenden Umwelten verändern sich unabhängig vom System selbst. So entwickeln sich die Menschen in einer Organisation, einem Unternehmen zum Beispiel, auch unabhängig von der Aufgabe und den Beziehungen, die sie in diesem Unternehmen haben. Diese eigendynamischen Veränderungen beeinflussen das Verhalten der Organisation insgesamt. Gleichzeitig wirkt die Organisation mit ihren Arbeitsbedingungen auf die Menschen ein und prägt sie. Im Gegenzug beeinflussen die Menschen die bestehenden Bedingungen bewusst oder unbewusst mit und wirken dadurch Systemgestaltend. Komplexe soziale Systeme sind durch eine große Anzahl von Beziehungsverhältnissen zwischen den Systemelementen, den Menschen und den Umwelten des Systems gekennzeichnet: Komplexe Systeme sind vernetzt. Die große Anzahl und Vielfalt von Eigenschaften und Wirkungsweisen dieser Beziehungen schränken die Übersicht und die Möglichkeit der Kontrolle drastisch ein: Komplexe Systeme sind intransparent. Die Dynamik, Vernetzung und Intransparenz verhindern eine exakte Prognostizierbarkeit des Verhaltens komplexer Systeme; sie sind nicht trivial. Das Verhalten komplexer Systeme lässt sich nur in Wahrscheinlichkeiten beschreiben.

Abgrenzung „kompliziert“ von „komplex“

technische Systeme sind kompliziert und prognostizierbar

soziale Systeme sind komplex und nicht trivial, Eigendynamik, Interdependenzen und Vernetzung, Intransparenz, keine exakte Vorhersehbarkeit

28

2

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

komplexe Systeme erfordern andere Methoden der Steuerung

Organisationen sind soziale und damit komplexe Systeme und haben grundsätzlich andere Gesetzmäßigkeiten als technische Systeme. Demzufolge müssen auch die Methoden der Steuerung solcher Systeme andere sein. Führen unter solchen Bedingungen bedeutet, mit Komplexität, d. h. mit dem Handeln und Entscheiden unter Unsicherheit, umgehen zu können bzw. dieses zu lernen. Als Grundlage dafür soll zunächst ein hilfreiches Organisationsverständnis entwickelt werden, das diesen Bedingungen Rechnung trägt. Ulrich (1984, S. 52–57) liefert hierzu wichtige Hinweise: Organisationen werden als offene soziale Systeme aufgefasst, die mit ihrer Umwelt in vielfältigen Wechselbeziehungen stehen. Organisationen sind damit einem stetigen Anpassungsprozess an dynamische und komplexe Umweltbedingungen unterworfen. Dies mit dem Ziel ein Fließgleichgewicht herzustellen und aufrecht zu erhalten. Die Integration von Analyse und Synthese ermöglicht die Anpassung des Detaillierungsgrads systemtheoretischer Modellierung. Detailkenntnisse über bestimmte Systemteile werden mit Globalkenntnissen verbunden. Das Denken in Verknüpfungen und Regelkreisen ersetzt die Vorstellung linearer Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge; existierende Interdependenzen werden integriert. Das Verhalten eines sozialen Systems wird maßgeblich durch Struktur und Information beeinflusst. Dynamische Unternehmensumwelten erfordern anpassungsfähige Organisationsstrukturen und angemessene Management-Informationssysteme. Interdisziplinarität wird im systemorientierten Denken gefordert und gefördert.

-

Obige Sichtweise fußt unter anderem auf den Erkenntnissen des Management-Kybernetikers Stafford Beer (1967) und der St. Galler Managementlehre (Bleicher 2004). Zudem sind Aspekte des soziotechnischen Systemansatzes darin enthalten. Soziotechnisch nennen wir Systeme, die durch eine Kombination sich gegenseitig beeinflussender sozialer und technischer Aspekte gekennzeichnet sind. In den entwickelten Gesellschaften sind die technisch-betriebswirtschaftlich-strukturellen Aspekte in fast allen Organisationen von enormer Bedeutung. In solchen Organisationen findet eine symbiotische Verknüpfung von sozialen und technischen Systemen statt.

2.4  •  Organisation als soziotechnisches System

2.4

29

2

Organisation als soziotechnisches System

Definition 

Definition: Organisation

Mit Organisation bezeichnen wir jedes von Menschen getragene soziale System, welches auf ein Ziel, einen Zweck, eine Aufgabenerfüllung ausgerichtet ist, also sowohl private Unternehmen wie auch staatliche, soziale, karitative Institutionen, Vereine usw. 

Organisationen haben also Merkmale und Eigenschaften soziotechnischer Systeme, die wir im Folgenden näher beleuchten wollen. Die Begriffe „Organisation“ und „(soziotechnisches) System“ werden dabei synonym verwendet. 2.4.1

Existenzgrund und Aufgabe („Primary Task“) von Systemen

Mit der Ausrichtung auf eine Aufgabe haben wir die erste wichtige Eigenschaft von soziotechnischen Systemen genannt. Organisationen stehen in einem Austauschverhältnis mit ihrer Umwelt (. Abb. 2.3). Sie existieren, weil ihre Umwelt ihnen dafür einen Grund bietet, den Existenzgrund. Die Umwelt ist Abnehmer von dem, was die Organisation als Output in ihre Umwelt entlässt. Die Organisation bzw. das betrachtete System erfüllt einen Zweck. Die Umwelt stellt der Organisation Ressourcen als Input zur Verfügung, welche das System benötigt, um durch geeignete Transformationsprozesse den Output zu erzeugen und damit seinen Zweck zu erfüllen. Definition  Die Umwelt, oder treffender, die Systemumwelten verkörpern alle für das System bedeutsamen Rahmenbedingungen. Bei einem Unternehmen sind das beispielsweise die Rohstoff‑, Arbeits- und Absatzmärkte, verfügbares Know-how, die herrschende Rechtsprechung, der Fiskus, gesellschaftliche Werte und Normen. Anders ausgedrückt ist die nächsthöhere Systemebene für das betrachtete System immer „Umwelt“. Ist das betrachtete System beispielsweise eine Abteilung eines Unternehmens, so ist die Umwelt das ganze Unternehmen. Systeme sind also immer Teil oder Subsystem eines übergeordneten Suprasystems. Was als System jeweils betrachtet wird, hängt damit von der Beobachtungsperspektive ab. Es ist von besonderer Wichtigkeit für die Praxis der Arbeit in und an Systemen, sich über die eigene Beobachterposition im Klaren zu sein. Nur so ist es möglich, Grenzen und Reichweite der Interventionsspielräume zu erkennen. 

soziotechnisches System

Aufgabe der Organisation

Definition: Umwelt

30

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

te Sys

mgre

nz e

Umwelt

2

Existenzgrund

Transformationsprozesse

Input

Output

Aufgabe Primary Task

..Abb. 2.3  Soziotechnische Systeme sind auf eine Aufgabe ausgerichtet

Aufgabe (Primary Task)

In der jeweiligen Umwelt liegt also der Grund für die Existenz eines Systems. Die Umwelt delegiert eine Aufgabe, die Primary Task an das System. Sie tut das mindestens so lange, wie das System den Erwartungen der Umwelt gerecht wird und den beabsichtigten Zweck erfüllt.

Beispiel Autohaus

Beispiel

Autohäuser verdanken ihre Existenz der Tatsache, dass Menschen Auto fahren. Diese Autos werden verkauft und gewartet. Daraus ergeben sich eine Reihe von Charakteristika der Hauptaufgabe (Primary Task) eines Autohauses: Verkauf und Reparatur von Fahrzeugen, Verkauf von Ersatzteilen sowie von Betriebsmitteln. Zu den Erwartungen der Umwelt an die Garagen gehört auch die Bereitstellung eines umfassenden Services (Serviceorganisation, Ersatzwagen etc.). Daneben sind Ansprüche des Staates (Fahrzeugsicherheit, Abgaben, Abfallentsorgung) und des Versicherungswesens (betreffend Versicherungsschäden) zu beachten.

Definition 

Definition: Input und Output eines Systems

Die Umwelt wird einem System Input und damit Ressourcen zur Verfügung stellen, so lange das System die Erwartungen mit seinem Output erfüllt. Die Begriffe Input und Output umfassen aus systemischer Perspektive nicht einfach Rohstoffe und fertige Produkte. Vielmehr ist damit die ganze Vielfalt aller materiellen und nichtmateriellen Faktoren gemeint, die in das System Eingang finden, bzw. das System verlassen. 

2.4.2 Wie entsteht die unverwechselbare Eigenart einer Organisation?

Systemidentität und Selbstorganisation

Durch das Erkennen des Existenzgrundes und der damit verbundenen Primary Task sowie der autonomen Möglichkeiten, die Transformationsprozesse zu steuern, erhält ein System seine

2.4  •  Organisation als soziotechnisches System

31

2

Identität. Es verfügt über beobachtbare Grenzen gegenüber seiner

Umwelt: Es grenzt sich ab und bleibt trotzdem durchlässig. Dieser Vorgang ist äußerst komplex und von herausragender Bedeutung für das Verständnis von soziotechnischen Systemen. Beispiel

Beispiel Autohaus

Am Autohausbeispiel lässt sich dies illustrieren. Der gelernte Automechaniker wird zum Jungunternehmer, nachdem er erkannt hat, dass an seinem Wohnort im Einzugsgebiet einer Großstadt eine vielversprechende Automarke untervertreten ist. Nach einigen Vorabklärungen schließt er mit der Generalvertretung, mit einer Immobilienfirma und mit der Bank Vorverträge ab, die ihm die Gründung einer Aktiengesellschaft ermöglichen. In diesem Moment werden die Konturen des neuen Systems (des Unternehmens) deutlich: Als sichtbares Zeichen erhält das Autohaus einen Namen. Es ist benennbar geworden, und unterscheidet sich von anderen Autohäusern. Dadurch, dass es sich von anderen unterscheidet, erhält das Autohaus auch seine Identität. Es wird von der Umwelt (beispielsweise den Kunden oder den Banken), aber auch von der Innenwelt (den Mitarbeitern) in ganz spezifischer Art und Weise wahrgenommen, was Folgen hat. Entweder werden Kunden angezogen und kaufen Autos, oder sie bleiben fern. Mitarbeiter arbeiten gerne und mit Engagement für das Unternehmen oder eben einfach, weil sie gerade keinen anderen Job haben.

Das komplexe Phänomen, das dazu führt, dass entstehende und sich entwickelnde (evolvierende) Systeme sich unterschiedlich ausformen, mit anderen Worten eine eigene Gestalt annehmen, sich von anderen unterscheiden und damit eine Identität entwickeln können, hängt mit dem Prinzip der Selbstorganisation zusammen. Organisationen haben vom Moment ihrer Entstehung an die Fähigkeit, ihre Entwicklung innerhalb der von der Umwelt gesetzten Rahmenbedingungen autonom zu gestalten (Laloux, 2015). Im Austausch mit ihrer Umwelt und durch die Anpassung an relevante Rahmenbedingungen entwickeln und verändern Organisationen ihre Strukturen um zu überleben. Das System produziert und reproduziert sich selbst (Baitsch 1993). Beispiel

Im Beispiel des neu gegründeten Autohauses heißt das, dass der Unternehmer und seine Mitarbeiter vom Moment der Gründung an ihr Wissen, ihre Fähigkeiten dafür einsetzen, die Kundenwünsche zu erfüllen. In der Festlegung der konkreten Vorstellungen davon, was diese Kundenwünsche sind, d. h. in

Selbstgestaltung und Autonomie …

… am Beispiel Autohaus

32

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

der Formulierung konkreter Ziele und Aufgaben, sind diese Menschen autonom. Natürlich gibt es allgemeine Vorstellungen in der Umwelt, was und wie ein Autohaus zu sein hat, welchen Zweck es erfüllen soll. Die Realisierung dessen kann auf vielfältige Weise geschehen.

2

2.4.3

Aufgabenverständnis als Interpretation des Existenzgrundes

begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit von Organisationen

Beispiel Autohaus

Aufgabenverständnis, Ziele und Strategien

Der erste autonome Akt eines neu entstandenen Systems, der sich in bestehenden Organisationen in Anpassung an jede Umweltveränderung immer wiederholen muss, ist also die Entwicklung einer eigenen, individuellen Vorstellung davon, wie der wahrgenommene Existenzgrund und die daraus abgeleitete Primary Task für das eigene System interpretiert werden soll (. Abb. 2.4). Systeme sind in der Möglichkeit eingeschränkt, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen, dies beeinträchtigt die Interpretation ihrer Primary Task. Grund sind bestehende Verhaltensmuster und Strukturen, welche die Wahrnehmungsfähigkeit des Systems bestimmen (Systeme sind strukturdeterminiert). Das System hört bildlich gesprochen nur die eigene Musik und spielt nur die eigene Melodie. Die Systemgrenze ist also nur teilweise durchlässig für Signale aus der Umwelt. Je besser und umfassender die Wahrnehmung der Ansprüche und Veränderungen in der Umwelt, umso besser sind die Anpassungsfähigkeit und damit auch die Überlebenschancen von Organisationen. Nicht zuletzt bestimmt die Wahrnehmungsfähigkeit von Organisationen auch deren Lernfähigkeit mit. Beispiel

In unserem Beispiel macht sich der Autohausbesitzer ein konkretes Bild seiner Kunden und der herrschenden Anforderungen an den Betrieb seines Unternehmens. Er entwickelt ein eigenes Aufgabenverständnis, d. h. individuelle Ziele und Strategien, um mit seinen Dienstleistungen die Bedürfnisse seiner (vielfältigen) Umwelt(en) zu treffen.

2.4.4 Struktur Strukturen zur Steuerung der Transformationsprozesse

Um das Aufgabenverständnis in Handlungen bzw. in einen Produktions- oder Dienstleistungsprozess umzusetzen und die notwendigen Transformationsprozesse (. Abb. 2.3) zu steuern, sind schon in kleinsten Systemen eine Aufgabenteilung und eine entsprechende

33

2.4  •  Organisation als soziotechnisches System

2

Umwelt te Sys

mgre

nz e Aufgabenverständnis, Ziele, Strategien

Existenzgrund

Input

Output Strukturelemente der Organisation

Systemverhalten, Kultur

Aufgabe Primary Task

..Abb. 2.4  Systeme entwickeln autonom ihr Aufgabenverständnis, ihre Strukturen und ihre Kultur

Ressourcenzuteilung angezeigt. Die Anwendung verschiedener technisch-organisatorischer Steuerungsinstrumente findet statt. Die Organisation muss sich organisieren, um produktiv zu werden. Es entstehen bewusst geschaffene (formale) sowie nicht willentlich gestaltete (informelle) Strukturen (7 Kap. 8, 7 Kap. 10, 7 Kap. 14, 7 Kap. 15, 7 Kap. 16, 7 Kap. 17, 7 Kap. 18). Konkret geht es hier um Stellenbildung, -besetzung, Schaffung technischer Grundlagen, Gestaltung von Produktionsprozessen, Ausformung von Kommunikations‑, Entscheidungs- und Kontrollsystemen etc. (. Abb. 2.4). Beispiel

Beispiel Autohaus

In unserem Autohaus werden Öffnungs- und Arbeitszeiten festgelegt, Aufgabenverteilung und Zuständigkeiten geregelt. Fähigkeiten, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten werden zugeordnet und vieles mehr „organisiert“.

2.4.5 Kultur

Das Aufgabenverständnis, also die konkreten Ziele und Strategien der Organisation, so wie die herausgebildeten Strukturen beruhen unter anderem auf Werthaltungen der beteiligten Menschen (welche nicht unabhängig sind von der Systemumwelt!). Das Aufgabenverständnis und die Strukturen beeinflussen ihrerseits das Verhalten des ganzen Systems nach innen und nach außen. Definition  Die Gefühle und Einstellungen der Systemmitglieder, das Arbeits‑, Leistungs- und Problemlösungsverhalten, geltende Spielregeln, Werte und Normen, das Führungsverhalten, das Organisationsklima bezeichnen wir als die System- bzw. Organisationskultur. 

Definition: Organisationskultur

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Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

Beispiel Autohaus

Beispiel

In unserem Autohaus entwickelt sich ein bestimmtes Verständnis über die Qualität der Dienstleistung, die Art und Weise, wie mit den Kunden und innerhalb des Unternehmens, z. B. zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften kommuniziert wird, wie informiert wird, wie Konflikte angegangen werden, wie gute Leistungen wertgeschätzt werden etc.

2

Zusammenhang von Aufgabe, Struktur und Kultur …

… drei Perspektiven

Organisationskultur entsteht in unserem Verständnis einerseits als Ergebnis des Aufgabenverständnisses und der strukturellen Gestaltung des Systems. Gleichzeitig bestimmt die Kultur mit, wie das System seine Aufgabe interpretiert und welche Strukturen geschaffen werden um seinen Zweck zu erfüllen. In komplexen Systemen lassen sich Ursache und Wirkung nicht mehr eindeutig trennen! Die drei beschriebenen Aspekte eines soziotechnischen Systems, also Aufgabenverständnis, Struktur und Kultur beschreiben das System aus jeweils einer anderen Perspektive. Jede Perspektive hat die beiden anderen zur Voraussetzung. 2.4.6

Fähigkeit, Unterschiede wahrzunehmen, ermöglicht Anpassung, Feedback bildet die Voraussetzung dazu

Anpassung an die Umweltbedürfnisse … und an innere Bedürfnisse des Systems

Rückkoppelung und Feedbacksysteme

Eine wichtige Eigenschaft soziotechnischer Systeme bleibt anzufügen: Lebende Systeme haben die Fähigkeit, Abweichungen zwischen Erwartetem oder Gewünschtem und dem, was ist, wahrzunehmen. Aufgrund dieser Informationen ist ein System in der Lage, unerwünschte Entwicklungen bzw. Veränderungen in der Umwelt zu entdecken und darauf zu reagieren. Es ist dies ein Regelvorgang, wie er analog in technischen Systemen vorkommt: Ein Thermometer liefert z. B. Informationen über die Raumtemperatur an die Heizungssteuerung, die die Brenneraktivität regelt und damit die Raumtemperatur auf einem gewünschten Niveau konstant hält. Der Brenner ist „rückgekoppelt“ oder – mit dem englischen Fachwort ausgedrückt – er erhält über einen Sensor, den „Thermometer“ ein Feedback über die Zweckmäßigkeit seiner Aktivität. Die „Sensoren“, d. h. das Wahrnehmungssystem eines soziotechnischen Systems sind vielfältig, vernetzt und im echten Sinne des Wortes komplex. Signale über die Wirkungen der Systemaktivitäten werden auch in den Subsystemen empfangen, interpretiert und weitervermittelt (oder eben auch nicht). Es geht aber nicht nur um Signale aus der Umwelt, die wahrgenommen werden sollten. Auch Informationen aus dem System selbst sollten erfasst und interpretiert werden, um das Zusammenspiel von Aufgabenverständnis, Strukturelementen und Kultur des Systems möglichst zielführend zu gestalten (Neuberger, 2002).

2

35

2.4  •  Organisation als soziotechnisches System

Beispiel Autohaus

Beispiel

Beispielsweise stellt unser Unternehmer zu seinem Leidwesen fest, dass einige Mitarbeiter die Kunden abschätzig behandeln (. Abb. 2.5, Feedback zur Qualität des Outputs). Es gilt nun herauszufinden woran das liegt. Ein möglicher Grund könnte sein, dass seine eigene fehlende Wertschätzung gegenüber seinen Mitarbeitern im scharfen Kontrast steht zu der von ihm von den Mitarbeitern verlangten Wertschätzung der Kunden (. Abb. 2.5, Systeminterne Rückkoppelung). Er hätte damit den Schlüssel in der Hand, die Dienstleistungsqualität seines Unternehmens zu verbessern. Sowohl er selbst, als auch das System als Ganzes würde daraus lernen.

An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie wenig selbstverständlich es ist, dass ein soziales System das Prinzip der Rückkoppelung versteht und nutzen kann. Die Realität ist vielmehr, dass das Wahrnehmungsvermögen von Organisationen eingeschränkt ist (7 Abschn. 2.4.2). Eine wichtige Führungsaufgabe ist, diese Wahrnehmungsfähigkeit und damit die Anpassungs- und Überlebensfähigkeit der Organisation, Abteilungen und Gruppen zu entwickeln und zu erhalten (Häfele, 2015). Feedback hat gerade darum für Vorgesetzte eine so große Bedeutung. Viele der im vorliegenden Buch besprochenen Führungs- und Organisationsinstrumente und Empfeh-

Grenzen der Wahrnehmungsfähigkeit von Systemen

Sicherstellung von Feedbackmechanismen als Führungsaufgabe, Rolle des externen Beraters

Umwelt

Aufgabenverständnis Input

Transformations-

Systeminterne Rückkoppelungen

Struktur

Prozesse

Existenzgrund Output

Kultur

Feedback zu den Systemergebnissen: Regelung der Qualität des Outputs Feedback zur Situation des Systems in seiner Umwelt: Regelung der Systemerneuerung bezüglich Existenzgrund und Primary Task Soziotechnische Systeme sind rückgekoppelt. Feedback ermöglicht die Wahrnehmung von Abweichungen und damit Anpassungsvorgänge, d. h. Systemlernen.

..Abb. 2.5  Feedback zur Systemerneuerung

Aufgabe Primary Task

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Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

lungen zum Umgang mit Gruppen schaffen die Voraussetzung, um differenzierte und praxistaugliche Feedbackmechanismen zu entwickeln um die Lernfähigkeit der Organisation zu fördern. Hier setzt die Rolle (der Existenzgrund) externer Beratender an. Ihre Sicht auf „das System“ ermöglicht, Dinge und Zusammenhänge zu erkennen und dem System mitzuteilen, die sonst als blinder Fleck verborgen blieben (Königswieser & Exner, 2008).

2

Zusammenfassung Komplexität und Dynamik, Unsicherheit

systemische Theorien

Organisationsverständnis

Eigenschaften soziotechnischer Systeme auf eine Aufgabe ausgerichtet, selbstorganisierend Identität

Zusammenfassung Komplexität und Dynamik prägen zunehmend die Rahmenbedingungen unseres Denkens und Handelns. Es gibt viele Entscheidungsbereiche, in denen wir unter Zeitdruck mit unübersichtlichen Verhältnissen konfrontiert sind. Zunehmend sehen wir uns Situationen ausgesetzt, in denen wir über Abhängigkeiten, Einflussfaktoren und Auswirkungen unseres Handelns nur undeutlich Bescheid wissen: Wir sind gezwungen, unter Bedingungen der Unsicherheit zu entscheiden. Dies trifft generell zu für Aufgaben und Entscheidungen in Arbeitsorganisationen, also Unternehmen und Institutionen aller Art. Führungspersonen sind besonders stark davon betroffen. Traditionelle Vorstellungen über die Natur von Organisationen und ihre dahinter stehenden Werthaltungen liefern nur ungenügende Hilfestellungen für die Bewältigung von Komplexität und Unsicherheit. Die Managementwissenschaften greifen deshalb immer häufiger auf Theorien über das Wesen von Organisationen zurück, die ihre Wurzeln in der Systemforschung haben. Wir sprechen deshalb von systemischen Theorien. In 7 Abschn. 2.3 und 7 Abschn. 2.4 wurde ein solches systemisches Organisationsverständnis beschrieben. Weil in menschlichen Organisationen immer eine symbiotische Verbindung von sozialen und technischen Systemen stattfindet, bezeichnen wir Organisationen als soziotechnische Systeme. Wichtige Eigenschaften solcher Systeme sind: Systeme sind auf eine Aufgabe ausgerichtet, sie haben einen in ihrer Umwelt liegenden Grund für ihre Existenz. Systeme verändern und organisieren sich selbst. Das heißt, sie verfügen über die Fähigkeit, sich im Rahmen der Um­welt­ bedingungen autonom (selbstorganisierend) zu ent­wickeln. Systeme haben Grenzen, sie lassen sich in ihrer Umwelt beobachten und unterscheiden. Systeme haben damit eine unverwechselbare Identität, welche durch ihre Aufgabe und die autonome Art und Weise der Aufgabenerfüllung geprägt ist. Organisationen bzw. soziotechnische Systeme können aus drei Blickwinkeln betrachtet werden. Jeder der drei Aspekte beschreibt dasselbe, aber unter einer anderen Fragestellung.

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2.4  •  Organisation als soziotechnisches System

-

– Aufgabe: Wie interpretiert die Organisation ihre Aufgabe bzw. den Auftrag ihrer Umwelt? Welches Aufgabenverständnis wird entwickelt, d. h. was für konkrete Ziele und Strategien gibt sich das System? – Struktur: Mit welchen Instrumenten und Verfahren versucht die Organisation, ihre Ziele zu erreichen? Wie organisiert sich die Organisation? – Kultur: Wie verhält sich das System, sowohl nach innen (z. B. gegenüber den Mitarbeitern) als auch nach außen (gegenüber der Umwelt, z. B. Kunden)? Welche Werthaltungen und Normen liegen dem Verhalten des Systems zugrunde? Wie ist das Betriebsklima, welche Gefühle herrschen im Betrieb vor? Systeme sind rückgekoppelt, d. h. sie können lernen. Systeme sind in der Lage, Feedback aufzunehmen und damit Korrekturen an ihrem Verhalten anzubringen. Gleichzeitig sind Systeme in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit auch begrenzt. Das bestehende Aufgabenverständnis, die aktuellen Strukturen der Organisation und die Organisationskultur bestimmen die Wahrnehmungs- und Lernfähigkeit des Systems. Deshalb sind Systeme „blind“ für bestimmte Informationen. Diese Tatsache beschränkt ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit.

Fragen zur Vertiefung 1. Was ist der Existenzgrund Ihrer Organisation? 2. Wie würden Sie den Existenzgrund Ihres Verantwortungsbereiches umschreiben? 3. Davon ausgehend: Was ist die Primary Task des von Ihnen geführten Systems? 4. Was ist Ihr Aufgabenverständnis? 5. Ist es möglich, dass dieses Aufgabenverständnis mit der Primary Task nicht so recht harmonieren will? Das heißt: Gibt es aufgabenfremde Ziele in Ihrem Aufgabenverständnis? 6. Versuchen Sie, sich vom Grad der Selbstorganisation ein Bild zu machen, der Ihnen von Ihrer Umwelt (dem übergeordneten System) zugestanden wird: Wo sind Sie und Ihre Mitarbeiter weitgehend für die Qualität der Erbringung Ihrer Systemergebnisse verantwortlich? 7. Was tragen Sie zum spezifischen Aufgabenverständnis Ihres Arbeitsbereiches bei? 8. Was sind konkrete Strukturen, die von Ihrem eigenen Willen (und eventuell demjenigen Ihrer Mitarbeiter) geprägt sind?

37

2 Aufgabe

Struktur

Kultur

Feedback, begrenzte Wahrnehmungsfähigkeit

Fragen zur Vertiefung

38

2

Kapitel 2  •  Organisationsverständnis und dessen Einfluss

9. Was macht die spezifische Kultur Ihres Verantwortungsbereiches aus? 10. Wie prüfen Sie, ob Aufgabenverständnis, Strukturen und die Kultur Ihres Verantwortungsbereiches harmonieren, d. h. alle im Wesentlichen auf ein und dasselbe Ziel ausgerichtet sind? 11. Welche Praktiken und Hilfsmittel wenden Sie an, um sicherzustellen, dass Sie etwas über die Wirkungen Ihres Verantwortungsbereiches auf die Umwelt erfahren? Wie spüren Sie, dass in Ihrem Umfeld sich für Sie wesentliche Dinge ändern? 12. Entwickeln Sie praktische Vorstellungen über die Einrichtung von geeigneten Feedbackmechanismen, um solche Informationen für Ihre Führungs- und Leitungsaufgaben zur Verfügung zu haben.

Literatur Baitsch, C. (1993). Was bewegt Organisationen? Selbstorganisation aus psychologischer Sicht. Frankfurt am Main: Campus. Beer, S. (1967). Kybernetik und Management. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag. Originalausgabe: Cybernetics and management, 1959 Bleicher, K. (2004). Das Konzept Integriertes Management: Visionen – Missionen – Programme (7. Aufl.). Frankfurt am Main: Campus. Häfele, W. (Hrsg.). (2015). OE-Prozesse initiieren und gestalten. Ein Handbuch für Führungskräfte, Berater/innen und Projektleiter/innen (3. Aufl.). Bern: Haupt. Königswieser, R., & Exner, A. (2008). Systemische Intervention. Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager (9. Aufl.). Stuttgart: SchäfferPoeschel. Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. München: Vahlen. Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen. Stuttgart: Lucius & Lucius UTB. Probst, G. J. B. (1992). Organisation: Strukturen, Lenkungsinstrumente und Entwicklungsperspektiven. Landsberg/Lech: verlag moderne industrie. Rieckmann, H. (2007). Managen und Führen am Rande des 3. Jahrhunderts: Praktisches, Theoretisches, Bedenkliches (4. Aufl.). Frankfurt am Main: Peter Lang. Steinkellner, P. (2007). Systemische Intervention in der Mitarbeiterführung (2. Aufl.). Heidelberg: Auer. Taylor, F. W. (1913). Principles of scientific management. New York: Harper. Ulrich, H. (1984). Management. Bern: Haupt.

39

Führungstheorien Andres Pfister, Uwe Neumann 3.1

Kernziel und -aufgabe der Führung  –  40

3.2

Führungstheorien im Laufe der Zeit  –  42

3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7

Personenzentrierte Führungstheorien – 42 Führungsstilforschung – 44 Situative Führung – 45 Dyadische Führungstheorien – 51 Adaptive Führung – 54 Systemischer Führungsansatz – 55 Neurosystemisches Modell der Führung  –  57

3.3

Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung  –  61

3.3.1 3.3.2

Die Führungsaufgaben – 62 Prinzipien der wirksamen Führung  –  67

Literatur – 71

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_3

3

40

Kapitel 3 • Führungstheorien

Auf einen Blick

Auf einen Blick Im Verlaufe der letzten rund 150 Jahre wurden unterschiedlichste Einflussfaktoren auf Führung gefunden. Lag der Fokus am Anfang auf den Eigenschaften der Führungsperson, so erkannte man später die Wichtigkeit des Mitarbeiters, der Situation und des gesamten sozialen Systems als wichtige Einflussfaktoren auf Führung. Entsprechend fanden sich unterschiedliche Führungsverhalten, welche eine effektive Wirkung zeigen. Beziehungsorientierte, aufgabenorientierte Führung, Führung von Wandel, Führung nach Außen und Selbstführung sind jene als die fünf zentralen Führungsverhalten identifiziert worden. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die wichtigsten Führungstheorien im Verlauf der Zeit und führt das neurosystemische Führungsmodell als auch eine neue Definition von Führung ein. Es schließt mit dem Führungskompass, welcher die zentralen Führungsaufgaben und -prinzipien vereint.

3

3.1 Kernziel und Kernaufgabe

Kernziel und -aufgabe der Führung

Yukl (2013) beschreibt das große Dilemma der Führungsforschung treffend. Es gibt so viele Definitionen von Führung wie es Forscher gibt, welche sich mit diesem Thema auseinandersetzten. Hilfreich ist es, wenn zuerst ein Blick darauf geworfen wird, was das übergeordnete Ziel der Führung ist. zz Kernziel

Drucker (2005) definiert die zentrale Aufgabe einer Organisation oder Unternehmung darin, Kunden zu finden. Die Organisation als solches ist in ihrer Tätigkeit als Teil der Gesellschaft dazu da, ein Bedürfnis des Kunden zu befriedigen und diesem Kunden somit einen Nutzen zu stiften. Um dies möglichst lange tun zu können, ist die primäre Aufgabe der Führung einer Organisation, das Überleben der Organisation jetzt und in Zukunft zu sichern, indem Kundennutzen durch die zur Verfügungsstellung von Produkten oder Dienstleistungen generiert wird. Diese wiederum müssen ein Bedürfnis des Kunden decken. Der Kunde wiederum ist gewillt, für die Bedürfnisbefriedigung der Organisation Ressourcen in irgendeiner Form zu überlassen, sei dies Geld, Zeit, die Unterstützung der Reputation, Vertrauen, oder sogar eine individuelle Leistung. Eine Organisation überlebt langfristig nur, wenn die von allen Kunden zur Verfügung gestellten Ressourcen (oftmals vornehmlich Geld) größer sind als die Summe aller Kosten, welche durch die Leistungserbringung der Organisation generiert werden.

3.1  •  Kernziel und -aufgabe der Führung

41

3

..Abb. 3.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

zz Kernaufgaben

Um jenen Überschuss zu generieren, gilt es die Organisation so zu gestalten und zu führen, dass die Leistung und somit die Produktivität jeder einzelnen Person in der Organisation und in der Summe somit der Organisation als Ganzes einen Output generiert, der den Kundennutzen befriedigt. Es gilt den Transformationsprozess in der Organisation, welcher den erhaltenen Input in den gewünschten Output umwandelt, effektiv zu gestalten und diesen stetig den veränderten Umweltbedingungen (z. B. veränderten Kundenbedürfnissen) anzupassen. kDer k Mensch im Zentrum des Transformationsprozesses

In der Organisation sind es die Menschen, welche durch ihr Verhalten und ihre Handlungen diesen Transformationsprozess erst ermöglichen. Diese Organisationsmitglieder müssen also dazu bereit sein, den Transformationsprozess der Organisation durch ihre Leistung effektiv umzusetzen. Die Führungskräfte haben in vielerlei Hinsicht großen Einfluss auf jene Prozesse der Leistungserbringung der einzelnen Mitarbeiter, als auch auf die Organisation als Gesamtes. Was eine Führungskraft genau tut, damit der Transformationsprozess einer Organisation produktiv und effektiv erbracht wird, welche Voraussetzungen sie mitbringen sollte, welches Verhalten förderlich ist und wie das Gesamtsystem der Organisation von einer Führungskraft beeinflusst werden kann, ist Gegenstand der Führungsforschung. Letztendlich geht es um die entscheidende Frage: >>Was muss ich als Führungskraft/müssen alle Organisations-

mitglieder tun und wie muss ich/müssen alle Organisationsmitglieder sein und was muss ich/müssen alle Organisationsmitglieder können, damit ich, meine Mitarbeiter und Kollegen als auch die Organisation als Ganzes jene produktiven Verhaltensweisen zeigen, welche unser eigenes als auch gemeinsames aktuelles und langfristiges Überleben sichern?

Die Führungsforschung hat im Verlauf der letzten 100 Jahre verschiedenste Antworten für diese Frage geliefert.

Mensch und T­ ransformationsprozess

42

Kapitel 3 • Führungstheorien

3.2 Entwicklungsschritte der Führungsforschung

3

Führungstheorien im Laufe der Zeit

Stippler et al. (2014) beschreiben in einem kurzen Überblick die Entwicklung der Führungstheorien der letzten rund 100 Jahre. Sie unterscheiden hierbei zwischen mehreren größeren Entwicklungsschritten: Personenzentrierte Führungstheorien, Führungsstilansatz, Dyadische Führungstheorien und Systemische Führungstheorien.

---

Die Erkenntnisse der jeweiligen Schritte gelten in ähnlichem Rahmen auch für die späteren neueren Theorien und Modelle. 3.2.1 Personenzentrierte ­Führungstheorien

Personenzentrierte Führungstheorien

Theorien der Führung, welche sich auf die Eigenschaften der Führungsperson fokussieren, sind mitunter wohl die ältesten Theorien der Führung. Nach Bass und Stogdill (1990) lassen sich diese Ansätze weit in der Menschheitsgeschichte zurückverfolgen. Die bekanntesten moderneren personenzentrierten Führungstheorien sind die Great Man-Theorie, der Eigenschaftsansatz als auch die Skills-Theorie (vgl. Stippler et al. 2014).

Great Man-Theorie Great Man

William James (1882) ging davon aus, dass Veränderungen in der Gesellschaft auf große Persönlichkeiten zurückzuführen sind, welche die entsprechenden Bewegungen initiierten und andere daran hinderten die Gesellschaft in eine andere Richtung zu führen (vgl. Bass 2008). Entsprechend betrachtet James die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte von Großen Männern (Great Men). Man betrachtete die Führungsperson als eine Person mit einzigartigen Qualitäten, welche fähig waren, die Begeisterung und die Vorstellungskraft der Massen zu entfachen. Galton (1869) und Woods (1914) verstärkten diese Betrachtungsweise noch zusätzlich durch Studien über die Erbfolgen und Königshäuser. Woods (1914) fand heraus, dass die Brüder von Königen ebenfalls einen großen Einfluss in der Gesellschaft erreichten (vgl. Bass 2008). Gemeinsam haben alle diese Ansätze, dass die begnadeten Führungspersönlichkeiten den Gang der Geschichte beeinflussten, ohne Zutun der unteren Massen und dass diese Persönlichkeiten in jedem Falle Führungspersönlichkeiten geworden wären. Diese Theorien hielten sich teilweise bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts (vgl. Stippler et al. 2014).

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

43

3

..Tab. 3.1  Führungseigenschaften nach Stippler et al. (2014, S. 17, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Bertelsmann Stiftung) Wichtige Führungseigenschaften Streben nach Verantwortung und Aufgabenerfüllung

Bereitschaft, Konsequenzen zu tragen

Ehrgeiz und Beharrlichkeit bei der Zielerreichung

Stresstoleranz

Risikobereitschaft und Originalität bei der Lösung von Problemen

Frustrationstoleranz

Initiative und Zugehen auf andere

die Fähigkeit, andere Menschen zu beeinflussen

Selbstvertrauen und Selbstkenntnis

die Fähigkeit, soziale Strukturen zu schaffen

Eigenschaftsansatz

In den frühen Phasen des 20. Jahrhunderts versuchte die Wissenschaft die Eigenschaften und Fähigkeiten von erfolgreichen Führungspersönlichkeiten zu erfassen (Stippler et al. 2014). Bird (1940) fasste eine Liste von 79 Eigenschaften zusammen, welche erfolgreiche Führungspersonen ausmachten. Stogdill (1949) erstellte eine ähnliche Liste. Wichtig waren aus seiner Sicht Eigenschaften wie Intelligenz, Aufmerksamkeit, Ausdauer, Selbstvertrauen und Initiative (vgl. Stippler et al. 2014). Stogdill fand 10 Eigenschaften, welche die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Führung in allen anzutreffenden Situationen steigert (Stogdill 1974). Stippler et  al. fassten diese folgendermaßen zusammen (. Tab. 3.1). Mann (1959) identifizierte Faktoren wie Intelligenz, Maskulinität, Dominanz und Extraversion als Eigenschaften als wichtige Komponenten für Führungserfolg. Obwohl bestimmte Eigenschaften auch heutzutage als förderlich für erfolgreiche Führung angesehen werden (Bspw. Intelligenz und Ausdauer), so ließ sich bis zum heutigen Zeitpunkt nicht eindeutig beweisen, welche Eigenschaften übersituativ immer dem Führungserfolg zuträglich sind. Des Weiteren herrscht auch Einigkeit darüber, dass der Einfluss der Geführten in diesen Theorien grundsätzlich vernachlässigt wird (vgl. Stippler et al. 2014). Dieser Ansatz erfuhr in den letzten Jahren wieder eine Renaissance, indem erneut der Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften und Charisma von Führungspersonen verstärkt untersucht wurden.

Eigenschaftsansatz

Skills-Theorie In späteren Verlauf der 20. Jahrhunderts rückten die Fähigkeiten, welche erlernt und entwickelt werden konnten, in den Fokus der Forschung. Katz (1955) beschrieb beispielsweise technische,

Skills-Theorie

44

Kapitel 3 • Führungstheorien

..Tab. 3.2  Kompetenzen nach Katz. (Zusammengestellt aus Stippler et al. 2014, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Bertelsmann Stiftung)

3

Fähigkeit

Beschreibung

Technisch

Fachwissen, Methodenkenntnisse, Wissen über Prozessabläufe und Organisationsstruktur

Sozial

Verständnis für menschliches Verhalten und Gruppenprozesse, Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Fähigkeit Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten

Konzeptionell

Logisches und analytisches Denken, Erfassen komplexer Zusammenhänge, Urteilsfähigkeit, Weitsicht, Intuition, Kreativität, Auflösung von Widersprüchen

soziale und konzeptionelle Fähigkeiten als wichtig für erfolg-

reiche Führungskräfte (. Tab. 3.2). In der heutigen Forschung lebt dieser Ansatz erneut auf, indem Basiskompetenzen für Führungspersonen untersucht werden. Neu ist jedoch die Annahme, dass diese Basiskompetenzen durch die Erfahrungen und die Umwelt geprägt und verändert werden (vgl. Stippler et al. 2014). Mumford et al. (2000) beschreiben in ihrem modernen Ansatz fünf unabhängige Komponenten, welche effektive Führung begünstigen. Diese sind: Kompetenzen, individuelle Attribute, Führungsresultat, Karriereerwartungen und Einflüsse von außen (Umwelt).

---

Wie beim Eigenschaftsansatz ist es auch in der Skills-Theorie schwierig, eine abschließende Liste an Führungsfähigkeiten und Eigenschaften zu generieren. Wie auch im Eigenschaftsansatz, fokussiert der Skills-Ansatz einzig auf „beständige“ Eigenschaften einer Führungsperson, um den Führungserfolg vorherzusagen. Verhalten von Personen oder die Mitarbeitenden insgesamt werden nicht betrachtet. 3.2.2 Führungsstilforschung Führungsstilforschung

In das Zentrum der Forschung rückte in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Interaktion zwischen Führungsperson und Geführtem. Nachdem die Forschung zwei zentrale erfolgreiche Führungsstile fand, konzentrierte sie sich nachfolgend darauf, welchen Einfluss die Geführten (z. B. deren Reifegrad in bestimmten Aufgaben) als auch die Situation auf die Wahl und Kombination der Führungs-

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

45

3

stile hatten. Zusätzlich untersuchte die Forschung ebenfalls die Thematik der Motivation (vgl. 7 Kap. 14). Zu den bekanntesten Theorien gehören hier einerseits der Führungsstilansatz (Blake und Mouton 1964), die Situative Führung (Hersey und Blanchard 1969), die Kontingenztheorie (Fiedler 1967) sowie die Weg-ZielTheorie (House und Mitchell 1974).

Führungsstilansatz Ausschlaggebend für die Entdeckung der beiden Führungsstile waren einerseits die Forschung von Kurt Lewin und Kollegen (Lewin et al. 1939), als auch die Ohio State (Fleischman 1953) und die Michigan State Studien (Likert 1961), sowie die Forschung von Blake und Mouton (1964). Sie fanden jeweils zwei zentrale Gruppen von Führungsverhalten, welche Führungserfolg begünstigten. In der Ohio State waren dies Initiating Structure (Strukturen initiieren) und Consideration (Rücksichtnahme). Initiating Structure beschreibt aufgabenorientierte Führungsverhalten wie klare Zuteilung von Verantwortlichkeiten, Definition von Regeln, Prozessen und Strukturen, als auch Kontrolle. Consideration beschreibt beziehungsorientierte Führungsverhalten wie Respekt gegenüber anderen, Aufbau von Vertrauen, Unterstützung der anderen, offene Kommunikation und sich für andere einsetzen. Erfolgreiche Führungskräfte sind fähig, beide Führungsstile der Situation angemessen zu kombinieren (vgl. Stippler et al. 2014). Die Michigan State Studie beschrieb dieses Führungsverhalten als Leistungsorientierung und Mitarbeiterorientierung. Hierbei bezeichnete Aufgabenorientierung all jene Verhaltensweisen, welche sich auf die Erledigung der Aufgabe konzentrierten. Mitarbeiterorientierung bezeichnete all jene Verhaltensweisen, welche sich auf die Gestaltung einer produktiven Führenden-GeführtenBeziehung konzentrierten. Das Leadership Grid von Blake und Mouton (1964) ist ein Ansatz, welcher beide Verhaltensweisen kombiniert. Blake und Mouton definierten dadurch fünf unterschiedliche Verhaltensstile (. Abb. 3.2). Nachfolgende Studien zeigten, dass eine hohe Ausprägung auf beiden Achsen am effektivsten sei. Zugleich zeigten sie jedoch auch auf, dass der Erfolg des Führungsstils stark von der Situation abhängig ist (vgl. Yukl 2013). 3.2.3

Führungsstilansatz

Situative Führung

Hersey und Blanchard (1969) untersuchten, welche Kombination von aufgabenorientiertem und mitarbeiterorientiertem Führungsverhalten je nach Reifegrad (Maturität) eines Geführten in einer bestimmten Aufgabe am effektivsten war. Maturität oder Reife wird

Situative Führung: K ­ ontingenztheorie, Weg-Ziel Theorie

46

Kapitel 3 • Führungstheorien

Der ”ideale” Führungsstil: Die geleistete Arbeit kommt von verpflichteten Mitarbeitern; gegenseitige Abhängigkeit (durch gemeinsamen Einsatz für die Organisationsziele) führt zu einer Beziehung von Vertrauen und Respekt

Rücksichtsvolle Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürfnissen der Mitarbeiter (im Hinblick auf eine zufriedensstellende Beziehung) führt zu angenehmer und freundlicher Arbeitsatmosphäre und zu Arbeitsleistung

Mitarbeiterorientierung: Interesse für Personen, Klima

3

Eine angemessene Arbeits- und Organisationsleistung ist möglich durch ein Ausbalancieren der Notwendigkeit, die Arbeit verrichtet zu bekommen, mit der Aufrechterhaltung der Arbeitszufriedenheit unter den Mitarbeitern auf einem zufriedenstellenden Niveau

Einsatz minimaler Bemühungen, um die erforderliche Arbeit zu erledigen; ist angemessen, um die Mitgliedschaft in der Organisation aufrecht zu erhalten

Die Effizienz in Handlungen und Prozessen resultiert aus der Planung und Festlegung der Arbeitsbedingungen, was in der Form geschieht, dass die menschlichen Elemente nur minimal stören und beeinträchtigen dürfen

Leistungsorientierung: Interesse für Ziele, Aufgaben, Produktion ..Abb. 3.2  Leadership Grid von Blake und Mouton (1964, © Grid International, zit. nach Weinert 2004, S. 476, mit freundlicher Genehmigung von Beltz-PVU)

als die Fähigkeit und das Vertrauen einer Person, eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, verstanden. Hersey und Blanchard bezeichneten die beiden Führungsstile jedoch als directive (direktiv, aufgabenorientiert) und supportive (unterstützend, mitarbeiterorientiert). Entsprechend der Maturität als situative Variable ist einer von vier Stilen am effektivsten in der Führung. Mit zunehmendem Reifegrad passt sich das Führungsverhalten an. . Tab. 3.3 fasst die Führungsverhalten kurz zusammen und . Abb. 3.3 setzt die Verhalten in Bezug zu direktiver und unterstützender Führung. Das Führungsverhalten muss sich der jeweiligen Person aber auch der Aufgabe anpassen. Eine Person kann in einer Aufgabe schon einen hohen Reifegrad haben, in einer anderen jedoch Novize sein. Diese Führungsverhalten finden sich auch wieder bei der Führung von Gruppen in ihren unterschiedlichen Gruppenbildungsphasen.

Kontingenztheorie Fiedler (1967) untersuchte eine weitere Reihe von situativen Faktoren, welche die Effektivität von aufgabenorientiertem und mitarbeiterorientiertem Verhalten beeinflussen. Er ging davon aus, dass die Führungskraft in jenen Situationen besonders effektiv ist, welche ihrem natürlichen Führungsstil entsprechen. Fiedler be-

47

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

..Tab. 3.3  Situational Leadership® Model. (Nach Hersey et al. 2013, © The Center for Leadership Studies) Führungsstil

Verhalten

Ziel

Instruieren

Rollen definieren, Standards und Prozesse klären, Arbeit dirigieren, Fortschritt monitoren

Aufbau der Grundkompetenzen, um eine Aufgabe erfüllen zu können

Trainieren

Trainieren der Arbeitsabläufe, Ausnahmen üben, Loben und konstruktive Rückmeldung, Korrigieren Vertrauen verstärken

Einüben der zentralen Verhaltensabläufe, Sicherheit und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aufbauen und konsolidieren

Partizipieren/ Coachen

Konsultieren, Coachen, bei der Bewältigung von Ausnahmen, unterstützen, Sicherheit generieren, in Entscheidungen einbinden und Entscheidungsfähigkeit fördern

Sicherheit und Vertrauen weiter verstärken, bei der Bewältigung von Ausnahmefällen unterstützen, Kompetenzen ausweiten

Delegieren

Kontakt pflegen, Vertrauen schenken, monitoren

Eigenständige Erledigung der Aufgabe fördern, Zugehörigkeit zur Organisation sicherstellen

schrieb die Führungssituation anhand von drei Variablen, welche gemeinsam die Günstigkeit einer Situation beschreiben (vgl. Stippler et al. 2014). Günstigkeit kann auch als Ausmaß von Klarheit und Kontrolle über die Situation angesehen werden. Diese sind: Die Beziehung zwischen Führendem und Geführten beschreibt den Grad der Gruppenkohäsion und Bewunderung für den Führenden. Die Aufgabenstruktur beschreibt, wie klar Aufgaben abgegrenzt oder vorgegeben sind. Hochstrukturierte Aufgaben sind klar formuliert und werden von allen verstanden. Was getan werden muss ist ebenfalls klar, und die notwendigen Ressourcen sind vorhanden. Die Positionsmacht beschreibt, wie groß die Autorität der Führungsperson ist als auch die durch die Hierarchie zugeschriebene Macht. Fiedler entdeckte, dass aufgabenorientierte Führung in sehr günstigen als auch sehr ungünstigen Situationen effektiv ist (hohe bzw. tiefe Klarheit und Situationskontrolle). Mitarbeiterorientierte Führung ist hingegen in Situationen effektiv, welche eine mittlere Günstigkeit haben (. Abb. 3.4).

3

48

Kapitel 3 • Führungstheorien

3

..Abb. 3.3  Situational Leadership® Model. (Nach Hersey et al. 2013, © The Center for Leadership Studies)

aufgabenorientierte Führung

schlecht

Leistung

gut

3

49

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

beziehungsorientierte Führung

Situaon

günsg

Führungsbeziehung

moderat

ungünsg

gut

gut

gut

gut

schlecht

schlecht

schlecht

schlecht

Aufgabenstruktur

hoch

hoch

ef

ef

hoch

hoch

ef

ef

Posi onsmacht

stark

schwach

stark

schwach

stark

schwach

stark

schwach

..Abb. 3.4  Kontingenztheorie nach Fiedler (1967, © F. E. Fiedler)

Weg-Ziel-Theorie Evans (1970a) als auch House (1971) entwickelten die Weg-ZielTheorie, welche einige Jahre später noch ergänzt wurde (House und Mitchell 1974). Zentral hierbei ist die Annahme, dass die Führungskraft die Motivation der Geführten durch die Wahl eines Führungsverhaltens beeinflusst, indem sie die Erreichung der Ziele für die geführte Person einfacher und attraktiver macht (Stippler et  al. 2014). Die Führungsperson ergänzt durch ihr Führungsverhalten Aspekte der Arbeitsumgebung, welche den Mitarbeitenden fehlen (Northouse 2016). Zentral bei dieser Aufgabe ist es: das Ziel der geführten Person zu erklären, dieses Ziel durch entsprechende motivationale Anreize an die geführte Person zu binden, den Weg zur Zielerreichung aufzuzeigen und die Person dabei zu unterstützen, organisationale Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

--

Die Führungskraft wirkt, indem sie der geführten Person aufzeigt, was die Konsequenzen ihrer Handlungen sein werden und wie sie dabei unterstützt wird. Sie zeigt somit die Ziele auf, klärt beidseitig Erwartungen und zeigt Wege zum Ziel auf. Dadurch steigert dies die Motivation der geführten Person, das notwendige Verhalten zu zeigen, insbesondere dann, wenn das Ziel als wertvoll erachtet wird. House und Mitchell (1974) beschreiben vier mögliche

50

Kapitel 3 • Führungstheorien

..Tab. 3.4  Führungsverhalten nach House und Mitchell. (In Anlehnung an Stippler et al. 2014, S. 26, mit freundlicher Genehmigung des Verlags Bertelsmann Stiftung)

3

Führungsverhalten

Beschreibung

Direktive Führung

Deutlich machen, was erwartet wird Regeln klarstellen Zeitplanung, welche vorgegeben ist

Unterstützende Führung

Sorgt für freundliche Atmosphäre Interessiert am Wohlergehen der Geführten Respektvoller Umgang miteinander

Partizipative Führung

Berät sich mit Geführten Ideen und Meinungen fließen in Entscheidungsfindung mit ein

Leistungsorientierte Führung

Stellt hohe Anforderungen Betont Leistungsverbesserung Zeigt Vertrauen in Geführte

Aspekte der Geführten - Fähigkeiten - Bedürfnisse - Erwartungen - Selbstwert - …

Führungsverhalten - Direkv - Unterstützend - Parzipav - leistungsorienert

Wahrnehmung und Mo va on der Geführten (Ziele, Erwartungen, Wert)

Leistung und Zufriedenheit

Aspekte der Arbeitsumgebung - Struktur der Aufgabe - Formalisierungsgrad - Arbeitsgruppe - …

..Abb. 3.5  Weg-Ziel-Theorie. (In Anlehnung an Weinert 2004, S. 476, © 2004 PVU in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel)

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

51

3

Verhaltensweisen, welche in Abhängigkeit der Situation gewählt

werden (. Tab. 3.4). Aus Sicht der Weg-Ziel-Theorie beeinflussen somit die Merkmale der Organisation und der Aufgabe, die Merkmale der Geführten und das Verhalten der Führungskraft die Geführten und generieren somit gemeinsam Leistung und Zufriedenheit. Die Führungskraft ist dahingehend gefordert, im Rahmen der Organisationsumgebung die Ziele zu definieren, den Mitarbeitenden ein motivationsförderndes Umfeld zu schaffen und sie bei der Zielerreichung zu begleiten (. Abb. 3.5). Gemeinsam ist allen bisherigen Theorien jedoch, dass sie den Einflüssen und Auswirkungen des Systems, in welchem sie stattfinden, wenig Rechnung tragen. So werden beispielsweise organisationale oder Kontextfaktoren in diesen Theorien nicht berücksichtigt. Zudem lässt sich mit diesen Theorien auch nicht erklären, wie Führung entsteht und welche Funktion Führung in einer Organisation hat. 3.2.4

Dyadische Führungstheorien

Zu den bekanntesten Führungstheorien der letzten Jahre gehören die Leader-Member-Exchange Theorie (Dansereau et al. 1975; Graen und Cashman 1975), als auch die Transaktionale und Transformationale Führung (Burns 1978). Diese fokussieren auf dyadische Beziehungsgestaltung zwischen Führungsperson und Geführten.

Leader-Member-Exchange Theorie Die Leader-Member-Exchange Theorie (LMX) beschreibt den Prozess der Rollenkreierung zwischen Führendem und dem individuellen Geführten und versucht zu beschreiben, wie das Phänomen der In-Group und Out-Group zustande kommt. Die In-Group ist jene Gruppe von Menschen, die die Führungsperson als ihr zugehörig betrachtet. Die Out-Group ist dementsprechend jene Gruppe, die die Führungsperson als nicht zugehörig betrachtet. Zudem beschreibt die Theorie die Austauschbeziehung zwischen Führenden und Geführten, welche über die Zeit entsteht (Dansereau et al. 1975; Graen und Cashman 1975). Die Grundprämisse dieser Theorie ist, dass die Führungsperson eine Austauschbeziehung mit jedem Geführten entwickelt, während beide Parteien miteinander die Rolle des Geführten definieren (Yukl 2013). Führungspersonen schenken hierbei Mitgliedern der In-Group mehr Aufmerksamkeit und entwickeln eine andere Beziehung zu diesen Personen im Vergleich zu Mitgliedern der Out-Group (Bass 2008). Führungskräfte entwickeln diese intensive Austauschbeziehung mit ihren In-Group-Mitgliedern, indem sie die Kontrolle über die für die Mitglieder erwünschten Ergebnisse

Dyadische Führungstheorien: Leader-Member-Exchange Theorie (LMX) Transaktionale und transformationale Führung

52

Kapitel 3 • Führungstheorien

haben. Als Gegenleistung bieten die Geführten eine Vielzahl an Unterstützung für die Führungskraft.

3

Führungsverhalten und Gegenleistungen der In-Group nach Yukl (2013)

-

Führungskräfte – Zuweisung zu interessanten Aufgaben – Delegation von mehr Verantwortung und Autorität – Zugang zu Informationen – Einbezug in die Entscheidungsfindung – Belohnungen wie Gehaltserhöhungen – Persönliche Unterstützung und Anerkennung – Unterstützung der Karriere In-Group-Mitglieder – Höherer Leistungswille – Größeres Engagement und Verpflichtung für die übernommenen Aufgaben und Ziele – Loyalität zur Führungsperson – Hilfe bei administrativen Arbeiten

Out-Group Mitglieder haben eine geringere Austauschbeziehung

mit der Führungsperson. Sie erfüllen die Aufgaben im Rahmen der vorgegebenen Rolle und erhalten hierfür die geplanten Vergütungen (Yukl 2013). Hilfreich für die Führungskraft ist es somit, zu vielen Organisationsmitgliedern In-Group-Beziehungen aufzubauen. Notwendig hierfür ist eine offene Kommunikation und Fairness. Kritisch ist hierbei anzumerken, dass dieser Ansatz schon bestehende Vorurteile in einer Organisation noch verstärken kann und somit Ungleichheit vergrößert und zur Entstehung von Konflikten beitragen kann (Stippler et  al. 2014). Zudem betrachtet LMX die Beziehung zwischen Führungsperson und geführter Person nur als eine Austauschbeziehung (einer Transaktion).

Transaktionale und transformationale Führung James McGregor Burns beschrieb 1978 als Erster die transformationale Führung. Er stellt diese Führung der transaktionalen Führung gegenüber. In der transaktionalen Führung ist die Austauschbeziehung zwischen Führenden und Geführten ausschlaggebend für die Leistung. Ziel dieser Austauschbeziehung ist es, die Eigeninteressen zu befriedigen. Auf der Grundlage einer zuvor vereinbarten Transaktion (z. B. Vertrag) zeigt der Geführte das dafür notwendige Verhalten. Der Geführte erhält dafür eine Vergütung oder Belohnung. Im Falle der Nichterfüllung erfolgt

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

eine Bestrafung. Bass (1985, 2008) beschrieb die entsprechenden Führungsverhalten folgendermaßen:

-

Elemente der transaktionalen Führung nach Bass (2008) Kontingente Belohnung – Klärung was erreicht werden muss, um die Belohnung zu erhalten – Verwendung von Belohnungen Aktives Management by Exception – Erfolgt, wenn noch keine Probleme auftreten – Aktive Fehlersuche und Abweichungen der Leistung mit anschließendem Korrekturverhalten – Durchsetzung von Regeln, um Fehler zu vermeiden Passives Management by Exception – Erfolgt erst, wenn Probleme auftreten – Negative Rückmeldungen – Bestrafung bei Abweichung – Andere Korrekturmaßnahmen Laisser-Faire – Passive Indifferenz hinsichtlich Aufgabe und Mitarbeiter – Probleme und Bedürfnisse der Geführten ignorieren – (Abwesenheit von Führung)

Transformationale Führung geht davon aus, dass ein geeignetes

Führungsverhalten dazu führt, dass sich sowohl Führende als auch Geführte, sowie deren Beziehung und Leistung nachhaltig verändern (transformieren) (Bass und Avolio 1994). Die Folge ist eine Mehrleistung aus eigenem, intrinsischem Antrieb heraus, welche zu höherer Zielerreichung oder zum Übertreffen der gesetzten Ziele führt. Gleichzeitig erzeugt transformationale Führung mehr Nachhaltigkeit, da dieser Transformationsprozess nach der Aufgabenerfüllung anhält. Bass beschreibt hierzu vier Verhalten, welche in der transformationalen Führung maßgebend sind und gemeinhin als die vier I‘s bekannt sind: Elemente der transformationalen Führung. (Zusammengeführt aus Bass 2008; Stippler et al. 2014; Yukl 2013)

-

Idealisierter Einfluss (Charismatische Führung) – Erhöht die Identifikation mit der Führungsperson durch Beispielhaftes Verhalten

53

3

54

Kapitel 3 • Führungstheorien

-

3

-

– Courage und Entschlossenheit – Selbst-Aufopferung für die Geführten – Enthusiasmus vermitteln – Integres Handeln Individualisierte Fürsorge – Individuelle Beachtung der Geführten – Individuelle Führung und Förderung der Geführten (individuelles Coaching) – Unterstützung geben und Ermunterung Inspirierende Motivation – Kommunikation einer ansprechenden/fesselnden Vision und über diese die Geführten motivieren – Bedeutung von Zielen und Aufgaben erhöhen – Verwendung von Symbolen um den Effort der Geführten zu fokussieren Intellektuelle Stimulation – Geführte zu kritischem Mitdenken anhalten – Etablierte Denkmuster aufbrechen – Neue Einsichten vermitteln

Letztlich ist noch zu vermerken, dass die transformationale Führung auf der transaktionalen Führung aufbaut. Die transaktionale Führung kann schon sehr gute Leistungen der Geführten hervorbringen. Die transformationale Führung hingegen ermöglicht es, dass geführte Person als auch Führungsperson zusammen die erwarteten Leistungen übertreffen. 3.2.5 adaptive Führung

Adaptive Führung

Nach Heifez (1994) spielen Führungskräfte eine zentrale Rolle dabei, Mitarbeitern dabei zu helfen, schwierige Probleme zu lösen und die Arbeit zu erledigen. Heifez orientiert sich an der Frage, wie Menschen sich an neue Herausforderungen anpassen und sich verändern. Somit betrachtet er primär das Verhalten, welches den Geführten dabei hilft, sich zu adaptieren. Entsprechend wird Führung als von der Position unabhängig gesehen. Jeder kann somit in Führung gehen (Northouse 2016). Adaptive Führungskräfte mobilisieren, motivieren, organisieren, orientieren und fokussieren die Aufmerksamkeit anderer (Heifez 1994). Northouse (2016) fasst die Arbeiten von Heifez zusammen und identifiziert die drei zentralen situativen Herausforderungen. Diese sind technische, adaptive und gleichzeitig technisch als auch adaptive Herausforderungen (Northouse 2016). Sechs Führungsverhalten sind in der adaptiven Führung wichtig (. Tab. 3.5).

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

55

3

..Tab. 3.5  Adaptive Führungsverhalten nach Northouse. (Zusammengefasst aus Northouse 2016, mit freundlicher Genehmigung von SAGE Publications) Auf den Balkon gehen

Aus Metaperspektive Problem betrachten, Überblick verschaffen, erkennen von Werteund Machtkonflikten, Arbeitsvermeidung, dysfunktionale Reaktionen auf Veränderung (Heifez und Laurie 1997),

Identifikation der Herausforderung

Analyse und Diagnose der Herausforderung, unterscheiden zwischen technischer und adaptiver Herausforderung

Distress regulieren

Helfen, Notwendigkeit für Veränderung zu erkennen, Überforderungen registrieren, Stressniveau der Mitarbeitenden beobachten und reduzieren, evtl. Richtung vorgeben, beschützen, orientieren, Konflikte lösen, produktive Normen implementieren, individuell bei der Stressbewältigung unterstützen

Aufrechterhaltung disziplinierter Aufmerksamkeit

Unterstützen, den persönlichen Fokus auf die Erfüllung der Aufgabe zu behalten, helfen anstehende Veränderungen anzugehen, konfliktträchtige Themen ansprechen, Formen für Austausch finden, um Probleme zu lösen

Arbeit an Menschen zurückgeben

Menschen ihre Arbeit sobald als möglich zurückgeben, nicht Probleme der anderen konstant lösen, Orientierung geben um Sicherheit zu generieren, Entscheidungsbefugnisse zurückdelegieren, ermutigen selber zu denken

Führungsstimmen von unten schützen

Offen sein für Ideen der Mitarbeitenden, aufmerksam zuhören, Ideen nicht marginalisieren, genau zuhören bei denen, die sich schlecht ausdrücken können und bei Verbalisierung helfen, Stimmen von außerhalb und innerhalb der Gruppe Gehör verschaffen

Im Unterschied zu den vorhergehenden Führungstheorien betont Heifez die Adaptivität von Führung, welche in einem organisationalen System stattfindet. Die systemischen Führungstheorien gehen hierbei noch einen Schritt weiter. 3.2.6

Systemischer Führungsansatz

Insbesondere im deutschen Sprachraum entstand der systemische Ansatz in der Führung, welcher die Organisation als Ganzes betrachtet und versucht, die Führung als einen wichtigen Prozess innerhalb des konstanten Stabilisierungs- und Anpassungsprozesses eines Systems zu erfassen. Dieser Ansatz definiert die

Systemischer Führungsansatz

56

Kapitel 3 • Führungstheorien

Ko ntr oll ier en M e Be ss en ur te ile n

en er

si ni ga Or

3

Entscheiden

AUFGABEN

3

Für Zie le sorg en

2

Grundsätze

1

Mgmt von Neuem

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Mgmt von Bekannten

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Mgmt von Bekannten 6

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4

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W E R K ZE U G E ..Abb. 3.6  Führungsrad von Malik (2006, S. 378, mit freundlicher Genehmigung des Campus Verlags, Frankfurt am Main)

Organisation als ein komplexes soziales System. Dieses System organisiert sich selbst (Autopoesis) und ist von außen nicht direkt steuerbar (Stippler et al. 2014). Führung wird als Prozess verstanden, welcher jene Rahmenbedingungen schafft, in welcher die Eigendynamik des Systems konstruktiv wirken kann. Diese Betrachtungsweise geht auf die Arbeiten von Luhmann (1984) als auch Maturana und Varela (1980) zurück, welche als zentrale Exponenten der Systemtheorie gelten.

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

57

3

St.-Galler-Ansatz

Im St.-Galler-Ansatz nach Malik (2006) wird die Führungskraft als lenkendes Element innerhalb des Organisationssystems verstanden und fokussiert stark auf eine technokratische Steuerung des Systems (vgl. Stippler et al. 2015). Führung ist als ein Satz an erlernbaren Grundsätzen, Werkzeugen und Aufgaben beschrieben, welcher die Führungskraft wirksam macht (. Abb. 3.6). Innerhalb dieses Ansatzes wird insbesondere die Verantwortung der Führungskraft hervorgehoben. Dies bedeutet, für das eigene Handeln verantwortlich zu sein, als auch die persönliche oder auch institutionell verliehene Macht nicht zu missbrauchen (vgl. Stippler et al. 2015). Zentrales Element der Führung ist die Kommunikation. Sie fungiert als Transmissionsriemen zwischen den voneinander abhängigen und sich gegenseitig beeinflussenden Aufgaben. Führung ist somit ein ständiges Adaptieren und Austarieren zwischen den unterschiedlichen Aufgaben, um für die Mitarbeiter eine Systemumgebung zu gestalten, in welcher diese erfolgreich arbeiten können und das System Organisation als Ganzen überlebensfähig und adaptiv macht. 3.2.7

St.-Galler-Ansatz

Neurosystemisches Modell der Führung

Dieses Modell fußt einerseits auf einer neurosystemischen Betrachtung der Psychologie, dem Menschenbild des Brain-Directed Man Modell der Führung, als auch systemtheoretischen Betrachtungen der Führung. Die Ursprünge des Models liegen in der holistischen Betrachtung von Führung als ein Ergebnis des komplexen Zusammenspiels mehrerer Einflussfaktoren in einer dynamischen Systemumwelt, wie sie Seiler und Pfister (2009; 2012) als auch Pfister (2011) beschreiben. Führungsverhalten wird nach Seiler und Pfister beeinflusst von: der Führungsperson, spezifischer von deren individueller Kompetenz, anderen Personen und Gruppen, mit welcher die Führungsperson in Austausch steht, der Organisation, in welcher Person und Gruppe eingebettet sind, dem weiteren Kontext, in welchem die Organisation eingebettet ist und der spezifische Situation, die in einem jeweiligen Moment von der Führungsperson angetroffen wird.

-

Ergänzend zu Seiler und Pfister sind nicht die individuelle Kompetenz einer Person und die realen Einflüsse, sondern die von einer Person – seien dies Führungskraft oder Mitarbeitende – wahrgenommenen Einflüsse relevant für das Verhalten. Somit sind die psychologischen Verarbeitungsprozesse im Menschen

Neurosystemisches Modell der Führung

58

Kapitel 3 • Führungstheorien

Wahrnehmung der Person

3

psych. Prozesse

Wahrgenommene Einflüsse

Person

Situation Andere Personen / Gruppe Organisation Kontext / Umfeld

..Abb. 3.7  Neurosystemische Betrachtung

ausschlaggebend für die Anpassung des Verhaltes in einer sich dynamisch verändernden Umwelt (7 Kap. 5). Durch das gezeigte Verhalten wirkt eine Person sowohl auf die unterschiedlichen Einflussfaktoren, als auch direkt auf sich selbst ein (. Abb. 3.7). Effektive Führungsverhalten wirken sowohl auf die Einflussfaktoren in der Umwelt, als auch auf die unterschiedlichen Elemente der psychologischen Verarbeitungsprozesse ein und beeinflussen dadurch das Verhalten von anderen Personen und einem selbst in günstiger Art und Weise.

Effektive Führungsverhalten Effektive Führungsverhalten



Yukl (2012) fasst die in der bisherigen Führungsforschung identifizierten effektiven Führungsverhalten zusammen. Unterschieden wird zwischen aufgabenorientierter und beziehungsorientierter Führung. Des Weiteren sind sowohl wandelorientierte Führungsverhalten als auch Führungsverhalten, die nach außen zielen, effektiv (. Abb. 3.8). Yukl vernachlässigt jedoch die Selbstführung. Unter Selbstführung wird die bewusste Steuerung der eignen Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns verstanden und somit die bewusste

59

3.2  •  Führungstheorien im Laufe der Zeit

3

Klären Aufgaben-Orientiert

Planen Ausführung überwachen

Wahrnehmung steuern

Probleme lösen Unterstützen Beziehungs-Orientiert

Beachten Befähigen Für Wandel einstehen

Wandel-Orientiert

Wandel vorstellen Innovation ermutigen Kollektives Lernen fördern

Nach Außen

Denken steuern

Entwickeln SelbstFührung

Emotionen beachten Entscheide treffen Motivation generieren Handlungen umsetzen

Netzwerken Umwelt überwachen Repräsentieren

..Abb. 3.8  Effektive Führungsverhalten von Yukl (2012, © Academy of Management) ergänzt

Kontrolle der eigenen psychologischen Verarbeitungsprozesse. Auch die bewusste Gestaltung der eigenen Umgebung ist Teil der Selbstführung, da diese günstige Umgebung am Ende die entsprechenden eigenen Verhaltensweisen möglich machen (7 Kap. 7). Aus der Sicht des neurosystemischen Führungsmodells sind die von Yukl aufgeführten Führungsverhalten effektiv, da sie entweder die äußeren Einflüsse auf Mitarbeitende (Situation, Gruppe, Organisation, Kontext) und somit deren Wahrnehmung durch die Mitarbeitenden verändern oder direkt auf die Person selbst einwirken bzw. auf die in der Person wirkenden psychologischen Prozesse und dadurch andere Wahrnehmungen, Denk- und Handlungsmuster ermöglichen. Durch ihr Verhalten erhöht die Führungskraft somit die Wahrscheinlichkeit, dass eine geführte Person (auch sie selbst) in einer entsprechend günstig gestalteten Umwelt aufgrund einer hilfreichen psychologischen Verarbeitung die entsprechend hilfreichen Handlungsmuster zeigt (. Abb. 3.9). Führung kann daher aus einer neurosystemischen Betrachtung folgendermaßen definiert werden: Definition  Führung ist jener Prozess der Einflussnahme, welcher einerseits ein für die Geführten günstiges Umfeld generiert und sie andererseits in der Wahrnehmung und Verarbeitung dieses Umfeldes so unterstützt, dass sich die Auftretenswahrscheinlichkeit jenes zielgerichteten, selbstmotivierten und selbstkoordinierten Verhaltens der Geführten erhöht, welches

Definition: Führung

60

Kapitel 3 • Führungstheorien

Wahrnehmung

3

psych. Prozesse

Wahrgenommene Einflüsse

Geführte

Situation psych. Prozesse

Führungsperson

Andere Personen / Gruppe Organisation Kontext / Umfeld

..Abb. 3.9  Führung im neurosystemischen Modell

das Überleben der Organisation als auch der beteiligten Individuen jetzt und in Zukunft sichert. 

Die Kapitel dieses Buches zu den unterschiedlichen Aspekten der Führung vertiefen auf vielfältige Weise die praktikable Anwendung der effektiven Führungsverhalten im Führungsalltag und ihre Verknüpfung mit wichtigen psychologischen Prozessen, welche im Menschen und zwischen Menschen wirken. Der nachfolgend vorgestellte Führungskompass ist eine praktikable Orientierungshilfe für Führungskräfte, welche die wichtigsten Aufgaben und Prinzipien der Führung anwendungsorientiert vereint. Der Kompass dient primär als Analyse- und Hilfsmittel für die Führungskraft, damit wichtige Aspekte der Führung, wie sie über die Jahre erforscht und erkannt wurden, im Führungsalltag nicht vergessen gehen und daher die Effektivität der Führung schmälern.

3.3  •  Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

3.3

3

Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

Der Führungskompass (. Abb. 3.10) dient als Orientierungshilfe für die Führungskraft und fokussiert die handwerkliche Ebene der Führung. Er beinhaltet die Führungsaufgaben und die wesentlichen Prinzipien, um wirksam zu sein. Wenn man ihn einmal wirklich durchdrungen hat, kann er einem eine gute Orientierung in der Führung sein, ganz gleich ob es sich um die Mitarbeitendenführung, die Führung eines Bereiches oder einer ganzen Organisation handelt. Die grundsätzlichen Aufgaben und Prinzipien sind die gleichen, jedoch die Werkzeuge und Interventionen sind unterschiedlich, s. a. interaktionelle und strukturelle Führung. Der Führungskompass basiert auf dem Führungsverständnis i. S. von Drucker (2007, 2009) und Malik (2014) und ist mit neueren Erkenntnissen der Leadershipforschung, der Psychologie, der Neurowissenschaften und Erfahrungen aus der Praxis verknüpft. Die Führungsaufgaben beschreiben, was eine Führungskraft zu tun hat (für Ziele sorgen, organisieren etc.) oder besser, wofür sie zu sorgen hat. Die Prinzipien der Führung beschreiben, welche Haltung dabei eingenommen werden sollte, um wirksam – also effektiv – zu sein. Die Prinzipien sind als Ganzheit zu sehen, die bei allen Aufgaben zu berücksichtigen sind. In der Ausführung der Aufgaben wird sichtbar, wie die Prinzipien realisiert werden. Die Kommunikation dient als Transmissionsriemen. Weiterhin wird das WIE der Ausführung durch die Unternehmenskultur, die Werte und Normen der Organisation bestimmt.

Kommunikation

Wertorientierte Führung

61

Für Zusammenarbeit sorgen

Für Ziele sorgen

Organisieren FührungsVerantwortung

Potentiale entfalten

prinzipien

Entscheiden

..Abb. 3.10 Führungskompass

Kontrollieren und Beurteilen

Der Führungskompass als pragmatische Orientierungshilfe für die Führungskraft.

62

Kapitel 3 • Führungstheorien

Das Zentrum bildet die Verantwortung der Führungskraft für ihr Tun und ihre Unterlassungen. 3.3.1

3 abgestimmte, bewertbare Ziele und Zielcommitment

Die Führungsaufgaben

zz Für Ziele sorgen Für Ziele sorgen bedeutet, dass die Führungskraft dafür verant-

wortlich ist, ihre Ziele mit dem relevanten Umfeld (Vorgesetzte, Kunden, Kollegen etc.) zu klären und ebenso für Zielklarheit in ihrem Verantwortungsbereich zu sorgen (vgl. Judge et al. 2004; Yukl et  al. 2002). Neben der Zielklarheit, die häufig mit dem Akronym SMART (spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert) in einem Atemzug genannt wird, ist das Zielcommitment (Gollwitzer 1992; Soucek 2006) entscheidend. Das heißt, dass das Ziel so zu gestalten ist, dass eine innere Verpflichtung empfunden wird, das Ziel auch zu erreichen. Diese Verpflichtung führt dazu, dass man versucht, Hindernisse zu überwinden, indem man sich etwas mehr anstrengt, andere Mittel einsetzt, sich mehr Zeit nimmt oder gleich ganz andere Wege der Zielerreichung einschlägt. Zielcommitment bezieht sich also auf die Entschlossenheit, ein Ziel zu erreichen und die Bereitschaft, jeglichen Aufwand zu Zielerreichung in Kauf zu nehmen. Dieser Aspekt ist gegenüber der SMARTen Zielformulierung wesentlich anspruchsvoller. Zielcommitment kann z. B. dadurch entstehen, dass Systemziele und individuelle Ziele gut zueinander passen. >>„Stimmen Systemziel und individuelle Bedürfnisse … gut

überein, bzw. führt das Erreichen des Systemziels gleichzeitig in hohem Masse zur Befriedigung der individuellen Ziele …, so ist in dem System ein hoher Kongruenzwert vorhanden. Dieser führt zu einer hohen Motivation der Elemente. Je höher der Kongruenzwert eines Systems ist, umso mehr Energie fliesst in die Erreichung des Systemziels“ (Heinrich 2015, S. 50).

Die Mitwirkung der Mitarbeitenden bei der Festlegung der Ziele wirkt sinnstiftend und verbessert damit die Voraussetzung für die Identifikation und Motivation der Mitarbeitenden mit den Zielen der Organisation (Steiger 2008); darüber hinaus wird das Bedürfnis nach Autonomie (vgl. Grawe 2004) gespeist. Wenn die Ziele nicht mit den persönlichen Werten der Mitarbeitenden übereinstimmen, sinkt die Motivation und Bereitschaft das Ziel zu erreichen, was sich negativ auf die Leistung auswirkt (Bipp und Kleingeld 2011). Auch Sprenger betont die Bedeutung von Zielcommitment.

3.3  •  Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

63

3

Gerechgkeit der Verfahren (Prozedural Fairness)

Parzipaon bei Zielvereinbarung

Zielcommitment

(Goal-se ng Parcipaon)

Vertrauen

(Interpersonal Trust)

..Abb. 3.11  Partizipation, Zielvereinbarung und Zielcommitment. (Nach Sholihin et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

» Wenn also Menschen nicht zusammenarbeiten, dann sind dafür selten individuelle Defizite verantwortlich. Zumeist fehlt ein Problem, das als gemeinsames Problem erkannt ist. (Sprenger 2012, S. 58)

Das folgende Modell zeigt, dass die Partizipation der Mitarbeitenden an der Zielvereinbarung einen Einfluss auf das Zielcommitment hat. Dieser Zusammenhang wird durch eine vertrauensvolle Beziehung zum Vorgesetzten und durch gerechte Entscheidungsprozesse verstärkt (. Abb. 3.11). zz Organisieren Organisieren ist die zweite Führungsaufgabe. Sie kann logischer-

weise erst nach der Zielklärung erfolgen. Ganz im Sinne von: „Structure follows Strategy“. Nach Drucker (2007, 2009) soll die Organisation die folgenden Regeln berücksichtigen: Die Organisation muss auf den Kunden ausgerichtet sein. Das Management muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren können. Die Organisation muss es den Mitarbeitern leicht machen, ihre Stärken zu nutzen und Resultate zu erzielen. Die Organisation benötigt ausreichend Flexibilität für zukünftige Entwicklungen. Die Komplexität muss für das Management noch steuerbar sein.

--

Stafford Beer (1981), ein Managementkybernetiker, ergänzt diese Regeln um einige weitere:

Die Organisation soll auf den Kunden ausgerichtet und ausreichend flexibel für Veränderungen gestaltet werden

64

Kapitel 3 • Führungstheorien

-

Bilde Einheiten mit größtmöglicher Autonomie. Dezentralisiere die Kompetenzen, die direkte Auswirkung auf kaufentscheidende Kriterien des Kunden haben. Zentralisiere, was du dir nicht leisten kannst zu dezentralisieren oder worin du Synergien nutzen willst. Minimiere die Überschneidungen und Abhängigkeiten von den anderen Einheiten.

3

Organisieren ist jedoch kein reiner Top-down Prozess. Die Führungskraft hat dafür zu sorgen, dass eine hilfreiche Organisation aufgebaut wird. Dieser Prozess soll so gestaltet werden, dass er die oberen Aspekte berücksichtigt und für die Mitarbeitenden die besten Rahmenbedingungen liefert, damit sie ihre Potenziale im Sinne der Organisation entfalten können und wollen, z. B. indem sie den Organisationsprozess aktiv mitgestalten (Gloger und Rösner 2014). Ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit der Einbeziehung der Mitarbeitenden bei der Arbeitsgestaltung fanden Wrzesniewski und Dutton (2001). Ihnen fielen Mitarbeitende auf, die aus eigenem Antrieb heraus den Ablauf, die Inhalte und den sozialen Kontext ihrer Arbeitstätigkeit derart veränderten, dass sie den eigenen Stärken und Interessen besser entsprachen. zz Kontrollieren und Beurteilen Selbstkontrolle ermöglichen

Nachdem die Arbeit strukturiert und organisiert wurde, ist es erforderlich zu überprüfen, inwieweit dies auch zu dem gewünschten Ergebnis führt. Daher besteht die nächste Führungsaufgabe im Kontrollieren und Beurteilen. In den Zeiten der zunehmenden Komplexität ist darauf zu achten, dass die Beteiligten vor allem Indikatoren zur Hand haben, um sich selbst zu kontrollieren und Feedbackschleifen wirksam werden, ohne dass die Führungskraft intervenieren muss. Das Stichwort lautet hier „Selbstkontrolle“. zz Entscheiden Entscheiden ist eine weitere Führungsaufgabe. Es ist von der

nachvollziehbare Entscheidungen

Führungskraft zu klären, wie die Entscheidungen getroffen werden und wer dabei wie einbezogen wird. Die Entscheidungen sollten transparent und nachvollziehbar sein und aufzeigen, unter welchen Grundannahmen sie getroffen wurden. Das Engagement für die Umsetzung der Entscheidungen ist höher, wenn die Teammitglieder den Entscheidungsprozess als fair wahrnehmen und nachvollziehen können. Darüber hinaus steigen das Zielcommitment der Mitarbeitenden sowie die Loyalität zur Gruppe und zum Unternehmen. zz Potenziale entfalten

Menschen und Organisationen entwickeln

Neben diesen scheinbar sehr sachlogischen Führungsaufgaben gibt es noch zwei weitere, die offensichtlich stärker psychologische

3.3  •  Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

Aspekte berücksichtigen. Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, Potentiale zu entfalten. Diese Aufgabe hat zwei Dimensionen, zum einen geht es darum, die Organisation zu entwickeln bzw. weiter zu entwickeln und zum anderen Menschen zu entwickeln. Drucker spricht ganz bewusst von Menschen und nicht von Mitarbeitenden, da er hier das gesamte menschliche Umfeld der Führungskraft betrachtet, vom Mitarbeitenden über die Kollegen bis zum Vorgesetzten. Darüber hinaus ist auch die Führungskraft selbst zu entwickeln. In der Zusammenarbeit ist es wichtig, die Interessen von Arbeitgeber und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Dieser Aspekt wird sehr eindrücklich durch das Rollenmodell (7 Kap. 4) beschrieben. Das Resultat dieses Prozesses ist ein psychologischer Vertrag zwischen den Beteiligten (Rousseau 1995). Je größer diese Diskrepanz zwischen den gegenseitigen Erwartungen und Angeboten ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines wahrgenommenen Vertragsbruchs. Die möglichen Folgen einer Verletzung des psychologischen Vertrags durch den Arbeitgeber sind geringere Arbeitszufriedenheit, tieferes Commitment, höhere Kündigungsabsichten der Beschäftigten, sowie eine geringere Bereitschaft, sich einzubringen im Sinne der Organisation. Da psychologische Verträge wechselseitige Anforderungen von Arbeitgebern und Beschäftigten berücksichtigen, können psychologische Verträge auch durch den Arbeitnehmenden verletzt werden. Ein psychologischer Vertragsbruch resultiert, wenn die Erwartungen der Arbeitgeber an ihre Mitarbeitenden zum Beispiel hinsichtlich Flexibilität, Eigenverantwortung oder Leistungsorientierung nicht erfüllt sind. Ebenso erfolgt ein psychologischer Vertragsbruch, wenn die Erwartungen der Mitarbeitenden an ihre Arbeitgeber nicht erfüllt werden. >>„Menschen zu entwickeln heisst zuerst und vor allem, sie nicht

ändern zu wollen, sondern sie so zu nehmen, wie sie sind und daraus das Beste zu machen. Es heisst ihre Stärken zu nutzen und ihre Schwächen bedeutungslos zu machen – nicht dadurch, dass man diese beseitigt (was ohnehin nur selten gelingt) sondern dadurch, dass man Menschen dort einsetzt, wo ihre Schwächen keine Rolle spielen.“ (Malik 2005, S. 59)

Die Organisation zu entwickeln meint, die Organisation so aufzustellen, damit sie sich optimal an sich verändernde Bedingungen anpassen kann (vgl. Judge und Piccolo 2004; Yukl et al. 2002) und dabei produktiv und effizient und vor allem lebensfähig bleibt. Je dynamischer, turbulenter das Umfeld ist, umso bedeutsamer ist dieser Aspekt für den Unternehmenserfolg (Brews und Purohit 2007).

65

3

66

Kapitel 3 • Führungstheorien

zz Für Zusammenarbeit sorgen

Förderliche Zusammenarbeits- und Entwicklungskultur

3

Die letzte Aufgabe der Führungskraft bezieht sich auf das eigene „Team“ und die Zusammenarbeit mit anderen: Für Zusammenarbeit sorgen. Diese Aufgabe beinhaltet alle Aspekte des Zwischenmenschlichen. Es geht darum, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen, die förderlich erlebt wird. Es geht nicht nur darum, Schnittstellenmanagement und Stakeholder Management zu betreiben. Dies wären Unteraufgaben von Organisieren. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften (Grawe 2004; Hüther 2009) als auch unterschiedlicher aktueller Leadershipansätze (Creusen et  al. 2010; Jenewein und Heidbrink 2008) machen deutlich, dass eine Zusammenarbeitskultur für die Motivation, die Potentialentfaltung und letztlich der Produktivität in einer komplexen Umwelt entscheidend ist. Es gilt, ein Klima aufzubauen, in dem Mitarbeitende sich trauen, authentisch und kontrovers miteinander zu kommunizieren, zu experimentieren und zu lernen, z. B. durch Reflektion, Fehlschläge zu überwinden und dadurch gestärkt hervorzugehen, zu erkennen, welche Stärken sie haben und diese einsetzen zu können, Selbstvertrauen aufbauen zu können und einander vertrauen zu können, die Unterschiedlichkeiten, die Vielfalt zu nutzen, anstatt sie zu egalisieren, positive soziale Kontakte untereinander aufbauen zu können und sich miteinander zu vernetzen, mehr Kooperation als Wettbewerb zu (er‑)leben, sich einbringen zu können und Verantwortung zu übernehmen und sich weiter entwickeln zu können.

---

>>Die Kultur des Gelingens, wie Hüther es ausdrückt (s. a.

Purps-Pardigol 2015) geht von der Überzeugung aus, dass wir von dem mehr bekommen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Daher sollte der Fokus auf dem liegen, was schon gut gelingt. Kultur des Gelingens

Reiter und Elefant

Die Kommunikation wird als Transmissionsriemen verstanden, der notwendig ist, um die einzelnen Inhalte zu vermitteln und die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bildet. Zusammenfassend geht es folglich um die in . Abb. 3.12 aufgeführten Aufgaben. Die Abbildung in der Mitte – Reiter und Elefant – symbolisieren die Bedeutung der rationalen (Reiter) und emotionalen, psychologischen (Elefant) – häufig auch unbewussten – Aspekte der Führung. Die Größenverhältnisse repräsentieren gut die Bedeutung der einzelnen Elemente.

3.3  •  Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

67

3

Für Ziele sorgen

Für Zusammenarbeit sorgen

Organisieren

Potenziale entfalten

Kontrollieren und Beurteilen

Entscheiden

..Abb. 3.12 Führungsaufgaben

3.3.2

Prinzipien der wirksamen Führung

Die Prinzipien wirksamer Führung dienen als Leitplanken des wirksamen Handelns, gerade in Zeiten zunehmender Komplexität. Wie oben schon erwähnt, bilden sie eine Einheit und wirken sich auf alle Führungsaufgaben aus. Insgesamt sind es sechs Prinzipien, die Malik (2014) aus dem Werk von Drucker herausgearbeitet hat. Die hier aufgeführten Prinzipien fördern die Effektivität der Führung.

Leitplanken des wirksamen Handelns

zz Resultatorientierung

Das erste Prinzip ist abgeleitet aus der Vorstellung, dass Organisationen nicht zu einem Selbstzweck existieren, sondern einen relevanten Output für ihre Umwelt liefern müssen, um ihre Lebensfähigkeit heute und in Zukunft zu generieren (Ulrich 2001). Führungskräfte sind demnach dafür verantwortlich, Resultate mit ihrem Verantwortungsbereich zu erwirken. Resultatorientierung ist also die Frage zu beantworten, wofür die Führungskraft oder ihr Verantwortungsbereich etwas tut.

relevanter Output

68

Kapitel 3 • Führungstheorien

zz Beitrag zum Ganzen Sinnstiftung durch bedeutende Beiträge

3

Es geht jedoch nicht darum, beliebige Resultate zu erwirken, sondern solche, die einen Beitrag zum Ganzen leisten. Diese Perspektive kann ausgeweitet werden auf die beteiligten Personen. Welchen Beitrag zum Ganzen leistet jeder Beteiligte? >>„Nichts ist überzeugender als die Einsicht: „Ja, wir brauchen

einander.“ Und nichts motiviert mehr als die Erfahrung, dass der eigene Beitrag unverzichtbar für das gemeinsam zu bewältigende Problem ist.“ (Sprenger 2012, S. 59)

zz Konzentration auf Wesentliches und Weniges Pareto-Prinzip 20/80

Eines der größten Herausforderungen in der Praxis ist es, seine Arbeitskraft gezielt einzusetzen und sich mit den Themen zu beschäftigen, die die größte Wirkung für die Organisation erzielen. Dies wird mit dem dritten Führungsprinzip ausgedrückt: Konzentration auf Wesentliches und Weniges. In gewisser Weise kommt hier das Pareto-Prinzip zum Tragen. Welche 20 % meiner Tätigkeiten erwirken 80 % des relevanten Outputs? Welche Informationen sind wirklich relevant? zz Vorhandene Stärken nutzen

Der effektive Mitteleinsatz wird unterstützt, wenn man die vorhandenen Stärken nutzt und die Schwächen kompensiert oder irrelevant macht. Dies gilt sowohl für Menschen als auch für Organisationen. zz Robustes Vertrauen aufbauen Aufbau eines 360°-Vertrauens

Im täglichen Zusammenspiel geht es nicht ohne Vertrauen, nicht nur wenn Fehler passieren; sondern Vertrauen stärkt auch das Miteinander. Der fünfte Grundsatz bezieht sich auf das Thema Vertrauen. Um diesen Aspekt besser greifen zu können, folgen hierzu weitere Erläuterungen. Wie kann ich dafür sorgen, dass man mir vertraut? Was brauche ich, damit ich anderen vertraue? Wie gut ist mein Selbstvertrauen und wie kann ich es stärken?“ Wie kann ich das Selbstvertrauen der Mitarbeiter so stärken, dass sie sich etwas zutrauen und wachsen können, dass sie ihr Potential entfalten können?

---

Vertrauensvolles Verhalten bedeutet in einer Situation, die Bereitschaft einer Person gegenüber einer anderen, Risiken einzugehen und sich damit verwundbar zu machen, dabei freiwillig auf Verhaltenskontrolle zu verzichten und von dem Wohlwollen des anderen auszugehen. Eine stabile Vertrauensbeziehung hilft, auch negative Informationen zu teilen und über kurzfristige Verletzungen der Vertrauensbeziehung hinwegzusehen. Das Vertrauen der Mitarbeitenden schafft für die Führungskraft Handlungsspielräume, unterstützt Ideengenerierung und

3.3  •  Der Führungskompass als Leitfaden für wirksame Führung

Resultatorientierung An das Ganze denken

Chancen erkennen und nutzen

Verantwortung

Konzentration auf Wesentliches

Vertrauen

Vorhandene Stärken nutzen

..Abb. 3.13 Führungsprinzipien

Problemlösungsprozesse, unterstützt Konfliktlösungsprozesse, erlaubt höhere Fehlertoleranz durch weniger Angst vor Misserfolgen und es erhöht das Commitment gegenüber Neuerungen (Sonntag und Spellenberg 2005). Folgendes Verhalten begünstigt eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Vorgesetzten und den Mitarbeitenden (Sholihin et al. 2011): Der Vorgesetzte ist zuverlässig und berechenbar (Konsistenz/ Übereinstimmung in verschiedenen Situationen). Die Kommunikation und das tatsächliche Handeln des Vorgesetzten stimmen überein (Integrität). Die Kontrolle wird geteilt und delegiert, der Vorgesetzte lässt Mitarbeitende an Entscheidungen teilhaben (Partizipation). Der Vorgesetzte ermutigt seine Mitarbeitenden zum offenen Austausch von Ideen. Der Vorgesetzte zeigt Interesse und Wohlwollen gegenüber seinen Mitarbeitenden. Er schützt deren Interessen auf sensible und rücksichtsvolle Weise. Ein robustes Vertrauen benötigt auch eine Haltung, dass man zu seinen Fehlern steht und sie zugibt. Da Vorgesetzte eine Vorbildfunktion haben, ist dieser Aspekt für die Fehlerkultur der Organisation von herausragender Bedeutung.

-

69

3

70

Kapitel 3 • Führungstheorien

zz Chancen entdecken und nutzen

Entrepreneurship/Intrapreneurship

3

Zusammenfassung

Der letzte Grundsatz beschreibt etwas, was in letzter Zeit häufiger als Entrepreneurship oder auch Intrapreneurship betitelt wird. Es geht um eine unternehmerische Haltung, die eher schaut, was geht, was möglich ist und sich nicht so sehr mit den Limitationen beschäftigt. Es ist der Grundsatz: Chancen entdecken und nutzen. Hierbei geht es nicht um positives Denken, sondern vielmehr um Optimismus, Selbstwirksamkeit und Unternehmer-tun. Im Zentrum der Grundsätze steht die Verantwortung der Führungskraft (. Abb. 3.13). Zusammenfassung Zentral für das moderne Verständnis von Führung ist, dass Führung einen Prozess innerhalb eines sozialen Systems darstellt. Führung ermöglicht, dass sich einzelne Personen, Personengruppen und auch ganze Organisationen auf die sich stetig verändernde Umwelt neu ausrichten und das Verhalten zeigen, dass jetzt und in Zukunft ihr Überleben sichert. Hierzu ist es nötig, dass alle Mitglieder einer Organisation ein Verhalten zeigen, das den organisationalen Transformationsprozess ermöglicht, welcher am Ende ein Produkt oder eine Dienstleistung mit genügend Kundennutzen generiert. Die Führungsforschung hat im Verlauf der Zeit unterschiedliche Faktoren gefunden, welche konstruktive Führung ausmachen. Neben der Führungsperson und ihren Eigenschaften spielen die Motivation und die Bedürfnisse der Mitarbeiter, deren Reifegrad bei bestimmten Aufgaben ebenso eine Rolle wie andere situative. Nehmen Führungskräfte die unterschiedlichen Führungsaufgaben war und unterstützen sie ihre Mitarbeiter dabei, sich an neue Gegebenheiten anzupassen, so wirken sie auch auf das gesamte soziale System einer Organisation ein und verändern dieses. Effektive Führungsverhalten wirken auf unterschiedlichen Wegen auf die Geführten ein. Einerseits kann die Führungskraft das wahrgenommene Umfeld einer geführten Person verändern, indem sie auf andere Personen, auf die Organisation, auf den Kontext oder auf die aktuelle Situation konstruktiv einwirkt und damit die wahrgenommenen Einflüsse des Umfeldes auf die Geführten verändert – andererseits kann eine Führungsperson direkt auf die psychologischen Verarbeitungsprozesse der Geführten einwirken und dabei unterstützen, dass sich die Wahrnehmung, das Denken, der Umgang mit Emotionen, die Motivation der Geführten und als Folge davon ihr Handeln verändern. Als effektive Führungsverhalten wurden beziehungsorientierte, aufgabenorientierte und wandelorientierte Führungsverhalten, Verhalten die nach außen gerichtet sind und die

Literatur

Selbstführung identifiziert. Der Führungskompass dient als praxisorientierter Leitfaden, welcher Aufgaben und Prinzipien der Führung einfach vereint.

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3

72

3

Kapitel 3 • Führungstheorien

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73

3

75

Das Rollenkonzept der Führung Eric Lippmann, Thomas Steiger 4.1

Führung als Ergebnis einer komplexen Begegnung von Persönlichkeit und Organisation: Das Rollenkonzept  –  76

4.2

Begriff der Rolle  –  76

4.2.1

Rollenübernahme – 79

4.3

Rollenbezogene Konflikte – 84

4.4

Rollendistanz, Rollenidentifikation und Gesundheit – 84

4.5

Rolle als (soziotechnisches) System  –  84

4.6

Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen – 87

4.6.1

Führungsaufgaben und Führungsrollen  –  88

Literatur – 93

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_4

4

76

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Auf einen Blick

Auf einen Blick Dieses Kapitel beschreibt ein Konzept, welches sehr gut zu einem systemisch-konstruktivistischen Führungsverständnis passt: Das Rollenkonzept stellt eine geeignete Grundlage und ein anwendungsorientiertes Denkmuster für die bessere Bewältigung von Komplexität und Dynamik im modernen Führungsalltag bereit. Ausgehend von diesem Modell des Führungsverständnisses werden verschiedene zentrale Fragen bezüglich Funktion, Aufgaben und Rahmenbedingungen der Führungstätigkeit erläutert.

4

4.1

Aufgaben und Inhalte der Führungstätigkeit

Führungsinstrumente; Was beschäftigt Führungskräfte wirklich? Kommunikation als Hauptaufgabe

Führungshandeln heißt Rollengestaltung

Führung als Ergebnis einer komplexen Begegnung von Persönlichkeit und Organisation: Das Rollenkonzept

Die Frage, was Aufgaben und Inhalte der Führungstätigkeit seien, ist in der Managementliteratur im Wesentlichen auf zwei verschiedene Arten beantwortet worden (Staehle 1991, S. 13 ff.). Eine der beiden Sichtweisen ist die analytische Betrachtung von Funktionen, welche Führungskräfte wahrnehmen: Daraus entstanden ist der in unzähligen Varianten gehandelte Führungsregelkreis (. Abb. 4.1). Viele Ausbildungen für Führungskräfte sind durch die Vermittlung von Instrumenten für die Erfüllung solcher theoretischer Funktionen geprägt. Führungskräfte allerdings, wenn sie ihre alltägliche Arbeit betrachten, erkennen sich wenig in diesen Funktionen. Ihre konkreten Tätigkeiten lassen sich durch diese analytischen Kategorien nur schlecht beschreiben. Ihr Erleben in der Arbeitswelt ist vielmehr geprägt von „Konflikte lösen“, „Umgang mit Widerständen“, „Umgang mit Informationen“. Mit anderen Worten: Die Führungskräfte von heute kommunizieren hauptsächlich. Der zweite Ansatz erfasst deshalb das tatsächliche Handeln von Managern in ihrer konkreten Umgebung und versucht, dieses Führungshandeln als Wahrnehmen und Ausüben von Rollen zu verstehen. 4.2

Anpassungsprozesse zwischen „Individuum“ und „Organisation“

Begriff der Rolle

Soziale Systeme neigen dazu, sich durch Aufgaben- und Machtteilung zu strukturieren: Es entstehen Stellen, und zwar zunächst unabhängig von den Menschen, die möglicherweise diese Stellen besetzen werden. Der Stelle ist normalerweise ein Platz in einer hierarchischen Rangfolge zugewiesen. Wir sprechen dann von

77

4.2  •  Begriff der Rolle

4

Zielsetzung

Kontrolle

Planung

Organisation

Entscheidung ..Abb. 4.1 Führungsfunktionen

einer Position, die mit bestimmten Kompetenzen verbunden ist. Jede Position ist mit einem bestimmten Status (Ansehen, Prestige als Ausdruck der Wertschätzung der übrigen Systemmitglieder) verbunden. An das Verhalten des Positionsinhabers werden nun von „den Anderen“ des sozialen Systems (Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen, Kunden als Rollensender) ganz bestimmte Erwartungen geknüpft (. Abb. 4.2). Dieses Set oder diese Kombination von Erwartungen bezeichnen wir als Rolle. Jemand übt also eine Rolle aus, spielt eine Rolle, wird Rollenträger, indem er als Rollenempfänger den Ansprüchen bzw. Erwartungen anderer gerecht wird und sich den Erwartungen gemäß verhält. (Rollen sind in diesem Sinne immer komplementär, sie ergänzen sich, sind notwendiger Bestandteil einer anderen Rolle: Ohne Rollensender gibt es keine -empfänger und umgekehrt, ohne Mitarbeitende keine Vorgesetzten, ohne Kunden keinen Anbieter, ohne Patient keinen Arzt.) Die Aufgaben der Mitarbeitenden in einer Organisation entstehen zudem aus einer Vielzahl von Rollen und damit zusammenhängenden Verantwortungen. Das Konzept der Rollen betont damit die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, welche für komplexe Systeme zentral sind für deren Überleben. In dieser Definition ergibt sich Führungserfolg als Resultat einer optimalen Übereinstimmung der Erwartungen der Organisation an die Führungskraft mit dem konkreten Verhalten der Person. Diese Sichtweise ist nun aber erneut eine „schlimme Vereinfachung“ des Phänomens Führung: Sie ist schlicht unrealistisch.

soziologische Rollentheorie, Strukturbildung durch Aufgaben- und Machtteilung. Erwartungen sind die Substanz der Rolle.

Kritik am klassischen rollentheoretischen Ansatz. Führen als dynamischer Prozess des Aushandelns von Rollenerwartungen. Berücksichtigung von Komplexität und Dynamik

78

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Umwelt Or

4

ga

ni

io sat

n Aufgabe (Verständnis der Primary Task)

Struktur (Stellenbildung, Positionen, Macht)

Kultur (Werthaltungen)

Rolle sit Po Ne

igu

ng

en,

ion

nsender (die andern)

Erwartungen St at u Rolle Verh alten

Wert hal

tungen, Wünsch

s

hig e, Fä

Persönlichkeit (Rollenempfänger, -träger)

kei

te n

Familie

andere Rollen

..Abb. 4.2  Begriff der Rolle

Sie geht davon aus, dass sämtliche Rollenerwartungen, die für den Fortbestand der Organisation notwendig sind, bis ins letzte Detail bekannt sind, und dass es nur eine gültige Verhaltensweise gibt, diesen Erwartungen zu entsprechen. Demnach wäre Führungserfolg durch Auswahl und Entwicklung von Führungskräften „nach Maß“ herstellbar. Dieser klassische rollentheoretische Ansatz ist so nicht in der Lage, die Komplexität der Interaktion von Personen und von Organisationen in ihrem jeweiligen Umfeld angemessen abzubilden und verlangt deshalb nach einer grundsätzlichen Erweiterung. In der Realität sind die Rollenerwartungen zum großen Teil weder explizit formuliert noch bewusst. Rollenerwartungen (. Abb.  4.2) entstammen der komplexen Dynamik und dem Spannungsfeld von Aufgabenverständnis, Struktur und Kultur der Organisation und werden übermittelt durch Personen, die ihrerseits Rollenträger sind und die nicht nur die Interessen der Organisation vertreten. Auch Rollenträger haben ihrerseits Erwartungen an die Besetzung der Rollen, haben eigene Werthaltungen,

Professionsrollen

Werthaltungen Wünsche Neigungen Fähigkeiten usw.

Rollensender (die Anderen)

Rolle(n) Organisaonsrollen

Erwartungen

Rollenübernahme

bewusst/unbewusste Beiträge

Verhalten

fachliche, persönliche Autorität

• Rollendefinion (Primary Task der Rolle)

Klarheit der Erwartungen bezüglich Aufgaben und Kompetenzen

• Rollengestaltung Person: Fähigkeiten Idenfikaon Hemmnisse

Organisaon Strategie / Aufgabe Struktur

Kultur

Aufgabendelegaon (Stelle, Posion, Status) Erwartungen

bewusst/unbewusste explizite/unausgesprochene Beiträge

Organisaon: strukturelle Voraussetzungen Kooperaon, Hindernisse

Unterstützung

• • • • •

Rollensender

instuonelle Autorität

Rollen im Kontext der (UrsprungsFamilie)

Person / Persönlichkeit

Anforderungen

Rollen in anderen Systemen

4

79

4.2  •  Begriff der Rolle

• Rollendurchsetzung

persönliche und instuonelle Ermächgung

persönliche Anteile

Führungserfolg

(bzw. Konfliktpotenzial)

organisaonale Anteile

..Abb. 4.3 Rollenübernahme

Wünsche und Vorstellungen, die ihr Verhalten – auch unbewusst – bestimmen. Ihr konkretes Verhalten kann diesen (formbaren) Rollenerwartungen mehr oder weniger entsprechen. Der Erfolg der Rolle resp. die Zufriedenheit aller Beteiligten ist also das Resultat eines gelungenen dynamischen Prozesses des Aushandelns (des Kommunizierens) von Rollenerwartungen. Oder anders ausgedrückt, ist Führungserfolg das Ergebnis eines gelungenen Ausgleichs zwischen den fordernden Erwartungen der Rollensender einerseits und dem Spielraum der Handlungs- und Gestaltungsfreiheiten des Rollenempfängers andererseits. 4.2.1 Rollenübernahme

Die Rollenübernahme ist demnach ein Austausch- und Anpassungsprozess zwischen der Organisation und den Rollenempfängern, den wir im Folgenden detaillierter anschauen. Der obere Teil der . Abb. 4.3 veranschaulicht nochmals den Begriff der Rolle: dargestellt als Verschränkung der Organisation (bzw. deren Bedürfnis nach Delegation von Aufgaben und den entsprechenden Erwartungen) mit der Person (bzw. deren Ansprüchen und Fähigkeiten). Dieses Bild entspricht quasi einer Wunsch-

Austausch- und Anpassungsprozess Person und Organisation in ihrer Verschränkung

80

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

4 Rollenübernahme als zweiseitiger Prozess. Rollenmanagement als zentrale Führungsaufgabe.

oder SOLL-Vorstellung, aber bringt nicht zum Ausdruck, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um das Ziel, nämlich die erfolgreiche Rollenübernahme, zu ermöglichen. Dabei werden zwei Rollenkategorien unterschieden: Berufsrollen umfassen Rollen, die primär durch berufs- bzw. fachspezifische Anforderungen geprägt sind (z. B. Medizin, Ökonomie, Jurisprudenz, Pädagogik usw.). Bei Organisationsrollen steht die Arbeit im und am System im Vordergrund (z. B. Führung, Projektleitung, Management). Darüber hinaus können auch Rollen in anderen Systemen von Interesse sein, besonders bei Fragen nach der Balance verschiedener Lebensfelder und damit nach einem guten Selbstmanagement. Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Rollenübernahme werden im unteren Teil von . Abb. 4.3 dargestellt. Unter drei verschiedenen Gesichtspunkten muss eine Rollenübernahme betrachtet werden und vonseiten aller Beteiligter – der Organisation (alle Rollensender) und der Person – müssen die notwendigen Beiträge erfolgen. Durch diesen Prozess wird eine Rolle permanent geschaffen, verändert, den Bedürfnissen angepasst. Die Rolle erhält so die Bedeutung von etwas Formbarem, Gestaltbarem, sie ist nicht mehr unabhängig von der Person und der Situation denkbar, sondern entsteht in ihrer Substanz erst durch den Austauschprozess der Rollenübernahme. Partner dieses Austausch- und Rollenverhandlungsprozesses sind die Rollenträger zum einen und andererseits die Organisation, deren Interessen durch verschiedene Stakeholder („die anderen“), insbesondere durch die direkten Vorgesetzten vertreten werden. Wie noch deutlicher werden wird, ist in diesem Führungsverständnis das Rollenmanagement (nach unten die Rollen der Mitarbeiter und nach oben die Gestaltung der eigenen Rolle) die zentrale Führungsaufgabe. In diesem Punkt begründet sich die fundamentale Bedeutung des Rollenkonzeptes für die Ausbildung von Führungskräften.

Rollendefinition Klärung von Erwartungen: Aufgaben und Kompetenzen, unter komplexen Bedingungen, als zweiseitiger Prozess

Der Prozess der Rollendefinition meint die Schaffung von beidseitiger Klarheit bezüglich der Erwartungen (Aufgabenverständnis, Anforderungen an Handlungen und Haltungen) sowie der Kompetenzen (Entscheidungsbefugnisse). Selbst unter normalen Bedingungen von nicht ausgeprägter Komplexität ist es niemals möglich, im Rahmen einer Stellenbesetzung den neuen Mitarbeiter mit allen Facetten der Erwartungen, die an ihn gestellt werden, vertraut zu machen. Es wird in der Praxis sehr vieles offen gelassen – um dann (leider nur allzu selten) im Verlaufe der Aufgabenerfüllung Schritt für Schritt geklärt und bearbeitet zu werden. Erst recht kritisch und in der Praxis zu wenig beachtet wird dieser Gesichtspunkt der Rollenklärung dann, wenn es sich um komplexe Aufgaben handelt, also zum Beispiel um Führungsaufgaben. Erwartungen beziehen sich hier nicht nur auf sachliche Ziele und

4.2  •  Begriff der Rolle

81

4

zugehörige Verhaltensweisen eines engen Aufgabenbereiches. Im Blickpunkt steht jetzt ein ganzes Aufgabengebiet, das durch verschiedene Rollen besetzt ist. Die Aufgabe der Führungskraft selbst ist Klärung und Steuerung aller dieser seinem Verantwortungsbereich zugeordneten Rollen. Sowohl die Inhalte, wie die Art und Weise, wie diese Führungsaufgabe wahrgenommen werden soll, sind in der Praxis viel zu variantenreich, viel zu komplex, als dass das jemals gänzlich geklärt werden könnte. Umso dringender wird die permanente Klärung „on the job“. Nur das stetige Bemühen, im Austausch und durch Verhandeln mit den „Rollensendern“ Klarheit zu schaffen, hilft Übersicht zu gewinnen und damit Komplexität zu bewältigen. In diesem Verständnis ist eine Rolle also kein von Organisationsfachleuten vorgefertigter Papiertiger, sondern ein lebendiges, durch die Rollenträger mitgestaltetes Phänomen.

Rollengestaltung Eine Rolle, die an Klarheit und an Prägnanz gewonnen hat, ist noch nicht „belebt“. Rollengestaltung meint die Art und Weise, wie den geklärten Erwartungen entsprochen wird, wie Handlungsspielräume, die nun sichtbar sind, auch tatsächlich ausgefüllt werden, aber auch, wie mit verbliebenen Unklarheiten und Grenzen umgegangen wird. Auch hier haben beide beteiligten Rollenpartner – die Organisation und die Person – ihre Beiträge zu leisten. Die Organisation muss für die optimale Unterstützung der mit der Rolle betrauten Person sorgen. Die Organisation schafft die Rahmenbedingungen, welche die Erfüllung der Erwartungen eher behindern oder eher fördern. Gemeint sind damit organisatorische Voraussetzungen wie beispielsweise Verfügbarkeit von notwendigen und geeigneten Hilfsmitteln, angemessene Entscheidungswege, Flexibilität bei der Behandlung von Ausnahmesituationen, Verfügbarkeit von Know-how, Unterstützung bei Schwierigkeiten im Umgang mit Neuem oder Unklarem. Wie entwicklungsförderlich ist die Aufgabengestaltung (Ganzheitlichkeit, Anforderungsvielfalt, Autonomie, soziale Interaktion, Lernpotenzial)? Aber nicht nur organisatorisch-strukturelle Eigenheiten der Organisation sind gemeint, sondern auch kulturelle Aspekte, welche eher hemmend oder fördernd sein können. Wie unterstützend ist die Kommunikationskultur, wie offen, wie aufgaben-, wie machtorientiert? Wie entwicklungsorientiert ist die Führungskultur, wie beteiligend, wie autoritär? Wie unterstützend verhält sich die Organisation bei der Lösung von Interessengegensätzen, d. h. wie ist die Konfliktkultur? Die für die Rollenübernahme der Mitarbeitenden optimale Gestaltung der Rahmenbedingungen ist die zentrale Aufgabe der übergeordneten Führungsrollen! Diese übergeordneten Führungspositionen verfolgen auch ihre persönlichen Interessen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Machtmitteln und dienen damit beileibe nicht nur den rationalen Zielen der Organisation. Vor diesem Hintergrund ist es alles andere als selbstverständlich, dass

Art und Weise, wie die Rolle gelebt wird

Beiträge der Organisation, Gestaltung der Rahmenbedingungen als Führungsaufgabe

82

4

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Beiträge der Person, Identifikation, Entwicklungspotenziale

Organisationen dafür sorgen, dass Mitarbeitende optimale Rahmenbedingungen für ihre Aufgabenerfüllung vorfinden. Laloux (2015) beschreibt erfolgreiche Organisationen aus verschiedenen Branchen, welche ein „integrales evolutionäres Paradigma“ leben. Diese Organisationen zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass an der Spitze Führungskräfte sind, welche ihr „Ego“ hinter den Interessen der Organisation zurückstellen und in erster Linie bestrebt sind, die optimalen Rahmenbedingungen für alle Beteiligten zu fördern (7 Abschn. 4.6). Das Individuum, die Person, die eine Rolle übernehmen soll, ist deshalb in diesem Prozess herausgefordert. Die Person des Rollenträgers bringt mehr oder weniger Fähigkeiten und Kenntnisse ein. Sie identifiziert sich mehr oder weniger mit den Zielen und Aufgaben der Organisation und ihres Verantwortungsbereiches. Sie verfügt über mehr oder weniger persönliche Reserven, um ihre Aufgabe zu formen. Sie ist mehr oder weniger bereit, ihre persönliche Energie für die Sache der Organisation zur Verfügung zu stellen. Selbstverständlich ist das Ausmaß der Identifikation der Person mit ihrer Rolle dabei abhängig von den oben beschriebenen Rahmenbedingungen, die ihr angeboten werden (7 Abschn. 14.3). Werthaltungen, Neigungen, Prägungen und individuelle Ziele der Person sind förderlich oder hinderlich für die aufgabenbezogene wirkungsvolle Nutzung der Freiräume, die der Rolle zur Verfügung stehen. Die Person ist damit mehr oder weniger in der Lage, auch persönliche Entwicklungsmöglichkeiten der Rolle zu nutzen, d. h. als Person mit der Aufgabe zu wachsen, und damit die persönlichen Voraussetzungen für die Bewältigung der Rolle zu verbessern.

Rollendurchsetzung Autorität, formale Autorität

Die Klärung der Erwartungen bezüglich Aufgaben und Kompetenzen und die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für deren Umsetzung sind notwendige aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Rollenübernahme. Eine Rolle muss darüber hinaus in der Wirklichkeit auch gegen Widerstände und widrige Umstände durchgesetzt werden können. Die dazu nötige Kraft muss wieder von beiden beteiligten Rollenpartnern kommen, von der Person und von der Organisation (. Abb. 4.3). Der Hebel, der diese Kraft entfaltet, ist die Autorität. Sie ist auf der Seite der Organisation gestützt durch die institutionelle oder formale Autorität. Diese ist unabhängig vom Rollenträger verbunden mit der Position und Stelle. So wird einer Führungskraft, kraft ihrer Stelle, das Recht und die Pflicht delegiert, die Aufgabenerfüllung auf der untergeordneten Ebene zu steuern, zu kontrollieren und für die Einhaltung der in der Organisation geltenden Regeln und Vorschriften zu sorgen. Zur Durchsetzung dieser organisationalen Interessen wird den Vorgesetzten auch das Sanktionsrecht, also das Recht zu belohnen und zu bestrafen, übertragen. Mangelhafte und mit der Führungsverantwortung nicht abgestimmte institutionelle Autorität untergräbt die Möglichkeiten der

4.2  •  Begriff der Rolle

Rollenübernahme v. a. unter schwierigen Bedingungen. Bei selbstorganisierten Organisationsformen (Laloux 2015) wird das Recht, Entscheidungen zu treffen, auf alle Mitglieder des entsprechenden Systems übertragen. Dazu braucht es flankierend entsprechende Spielregeln zur Entscheidungsfindung (7 Abschn. 4.6.1). Die Person trägt über ihre fachliche und persönliche Autorität zur Durchsetzung der Rolle bei. Die fachliche Autorität rückt bei Führungsaufgaben in der heutigen Zeit eher in den Hintergrund. Zunehmend ist die fachliche Autorität an Spezialisten gebunden und nicht mehr an Führungspositionen geknüpft. Vorgesetzte sorgen für die Arbeitsbedingungen von Spezialisten, verstehen deren Bedürfnisse und Ergebnisse und sorgen für die Wahrung der Interessen der Organisation, sie sind diesen Spezialisten aber nicht mehr fachlich überlegen. Die fachliche Autorität der Vorgesetzten besteht in diesem Sinne in der Meisterschaft, die Führungsaufgabe auszuüben, und das ist die Fähigkeit zur optimalen Unterstützung der Mitarbeiter bei deren Rollengestaltung (s. oben). Mit persönlicher Autorität ist die Ausstrahlungskraft, die Überzeugungskraft, das Charisma eines Menschen gemeint. Wenn von „Führernaturen“ oder heute modischer von „Leader“ und „Leadership“ gesprochen wird, von Menschen also, die eine natürliche Begabung haben, auf andere einzuwirken, so ist damit meistens diese „persönliche Autorität“ gemeint. Vorgesetzte, die über persönliche Autorität verfügen, brauchen zur Durchsetzung ihrer Interessen und Anordnungen weniger institutionelle Machtmittel. Sie können sich auf die Überzeugungskraft ihrer Persönlichkeit verlassen. Solche charismatischen Führer sind aber immer auch (ein klein wenig bis sehr stark) Ver-Führer. Es könnte ihnen auch gelingen, Personen unter Bedingungen hinter sich zu scharen, die in keiner Weise optimale Rahmen- und Entwicklungsbedingungen für Mitarbeitende im geschilderten Sinne darstellen. Der nie ganz verstummte, immer wieder aufkeimende Wunsch nach der richtungweisenden, glaubhaften, standfesten, alles verstehenden, gerechten, mit anderen Worten (vermeintliche) Sicherheit bietenden Führungs-(Vater)figur in Unternehmen und in der Politik, könnte glauben machen, dass Führungserfolg vor allem auf diese Fähigkeiten oder „Naturgabe“ zurückzuführen sei. Wobei wir wieder auf den Eigenschaftsansatz der Führungstheorie zurückgeworfen wären. Tatsächlich darf die Bedeutung dieser Fähigkeiten, die Wirkung dieser Ausstrahlung von Persönlichkeiten für ihre Führungsaufgabe nicht unterschätzt werden. In unserem Verständnis von Zusammenarbeit in Organisationen reicht diese persönliche Autorität aber nicht aus, um Führungserfolg zu erklären. Sie erleichtert lediglich die Durchsetzung der Führungsrolle. Im Übrigen braucht der Prozess der Führung von Mitarbeitern einen soliden handwerklichen Boden, und viele Menschen verfügen über Voraussetzungen zur Entwicklung von Eigenschaften und Haltungen, die der Wahrnehmung einer Führungsaufgabe angemessen sind.

83

4

fachliche Autorität, persönliche Autorität erleichtert die Durchsetzung der Führungsrolle

84

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

4.3 Rollenkonzept als Diagnosemodell für Konflikte in Organisationen

4

Die Qualität des Prozesses der Rollenübernahme bestimmt demnach weitgehend den möglichen Führungserfolg, umgekehrt aber auch das Konfliktpotenzial (. Abb. 4.3). Ohne hier näher darauf einzugehen (7 Kap. 17), lassen sich anhand der Modellvorstellung des Rollenkonzeptes vielfältige Konfliktquellen im Prozess der Rollenübernahme identifizieren, die die Erfüllung der Primary Task und die Entwicklung von Organisationen und damit den Führungserfolg behindern. Das Rollenkonzept (. Abb. 4.3) wird damit auch zu einem hervorragenden Diagnoseinstrument, um Konflikte in Organisationen zu bewältigen. 4.4

..Abb. 4.4  © 2018 by Tobias Leuenberger

Rollenidentifikation als Spannungsbogen der Rollenübernahme, Selbstregulierung der Person

Umwelt und Existenzgrund

Rollendistanz, Rollenidentifikation und Gesundheit

Im Sog der Rollenerwartungen und der eigenen Bedürfnisse ist die Person des Rollenträgers einer permanenten Zerreißprobe ausgesetzt zwischen Rollenidentifikation und Distanzwahrung, zwischen der Neigung zur Selbstaufgabe und der Schutzreaktion des Rückzugs bzw. der Abkoppelung. Es leuchtet unmittelbar ein, dass die Bereitschaft zur Rollenübernahme, das Lernen einer Rolle und die Gestaltung der Rolle ganz wesentlich davon abhängen, wie es der Person gelingt, mit diesem Spannungsverhältnis umzugehen. Rollendistanz und Rollenidentifikation sind einerseits Reaktionen auf die Inhalte und Umstände der Rollenübernahme. Andererseits sind sie aber auch grundsätzliche und psychologisch gesehen äußerst wichtige Fähigkeiten zur Selbstregulierung der Person und damit Grundlage der psychischen und physischen Gesundheit (7 Abschn. 7.1). 4.5

systemtheoretisches Verständnis der Rolle

Rollenbezogene Konflikte

Rolle als (soziotechnisches) System

Das so entworfene Rollenkonzept ist voll kompatibel, d. h. es steht in absoluter Übereinstimmung mit unserem systemtheoretischen Ansatz, der in 7 Kap.  2 „Organisationsverständnis“ entworfen wurde. Nachfolgend wird das verdeutlicht (. Abb. 4.5). Das System Führungsrolle, mit der eine Führungskraft betraut worden ist, ist Teil seiner Umwelten. Zur Umwelt gehören einerseits die engere und weitere Systemumgebung, also die geführten Mitarbeiter, die übergeordneten Führungsebenen (das Suprasystem, die Organisation, die Anderen) und natürlich die Person des Rollenträgers, die Führungskraft selbst. (Das System „Rolle“ darf nicht mit dem Rollenträger selbst verwechselt werden! Die Person des Rollenträgers ist gleichzeitig zentrale Ressource und Beobachter des Systems, also Umwelt.) Systemisch gesehen agiert

4

85

4.5  •  Rolle als (soziotechnisches) System

organisationales Umfeld Person der Führungskraft selbst privates Umfeld

Umwelten

Aufgabenverständnis

Ressourcen der Person Ressourcen der Organisation

Struktur Kommunikations-, Entscheidungs-, Kontroll-, Sanktionsstrukturen Arbeitsorganisation Arbeitstechnik

Output Outcome

Input Income

Interpretation des Führungsauftrages

Führungsprozesse Selbstorganisation

Führungsleistung Führungsverhalten

Führungsaufgabe Primary Task Existenzgrund der Führungsrolle

Kultur Werthaltungen Regeln, N ormen Einstellungen

Feedback

..Abb. 4.5  Führungsrolle als System

(interveniert) die Führungskraft als Person in enger Koppelung mit dem System Führungsrolle – im permanenten Dilemma von Systemblindheit einerseits und Gestaltungswillen (Intervention) andererseits. Zur Umwelt gehören aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Führungskraft und das ganze private und außerberufliche Umfeld. Der Existenzgrund für diese Führungsrolle liegt in den durchaus kontroversen expliziten und unausgesprochenen Erwartungen dieser verschiedenen Umwelten. Aus diesen Erwartungen der Umwelt leitet sich eine Aufgabe (Primary Task) ab, hier eine Führungsaufgabe. Das System „Rolle“ wird versuchen, sich selbst so zu organisieren, dass es diese Aufgabe möglichst präzise wahrnehmen kann, um sich so seinen Existenzgrund zu sichern. Das rollentragende System konstituiert sich, d. h. es nimmt eine unverwechselbare Gestalt an, es entwickelt eine Identität, indem es in einen weitgehend autonomen Prozess der Selbstorganisation und Selbstdefinition eintritt. Unter den Einschränkungen der herrschenden Rahmenbedingungen und unter Auslotung und Nutzung der Freiräume interpretiert das System die Aufgabe und entwickelt ein eigenes Aufgabenverständnis. Es organisiert sich durch Schaffung oder Nutzung geeigneter Strukturen: Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen, Kontroll- und Sanktionsstrukturen, Führungsinstrumente, Arbeitsorganisation und persönliche Arbeitstechnik etc. Das sich herausbildende Aufgabenverständnis und die entstehenden Strukturen zur Bewältigung der Transformationsprozesse (der Führungsprozesse) sind geprägt von Werthaltungen, von gültigen Normen und Regeln, d. h. von der Kultur des Systems „Führungsrolle“.

Aufgabe (Primary Task)

Identität durch Ausprägung von Aufgabenverständnis, Strukturen, Kultur

86

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Systeminput, Systemoutput

4 Führungsstil als Ergebnis (Outcome), nicht als Rezept

Wahrnehmungsfähigkeit bestimmt Entwicklungspotenzial der Rolle

Die Umwelt wird das System „Führungsrolle“ so lange (an) erkennen und mit Input versehen, als ihre Erwartungen durch den Systemoutput genügend befriedigt werden. Input sind hier einerseits Werthaltungen, Fähigkeiten und das Engagement, die Identifikation der Führungsperson und andererseits die finanzielle Entschädigung, Status, Privilegien, strukturelle Unterstützung mit Organisation, Hilfsmitteln und Informationen, Autorität etc. Output ist das konkrete Führungshandeln, sind die ganzen positiven und negativen Wirkungen dieses Führungshandelns, also beispielsweise auch die „Umweltverschmutzung“ durch destruktive Haltungen und Ausstrahlung. Dieser Output oder eigentlich besser „outcome“ im Sinne von „was das System in die Umwelt entlässt“ hat beobachtbare Eigenschaften. Zum Beispiel lassen sich bei verschiedenen Führungsrollensystemen verschiedene Führungsstile feststellen. In dieser systemischen Betrachtung ist ein beobachteter Führungsstil das Resultat komplexer Voraussetzungen zur Erbringung einer „umweltverträglichen“ Führungsleistung. In einem Kernkraftwerk beispielsweise mag ein rigider, wenig Spielräume bietender Führungsstil Ausdruck der hohen Sicherheitsanforderungen und der damit verbundenen rigiden technisch-strukturellen Vorkehrungen sein. In einem Heim für behinderte Jugendliche, in welchem das Aufgabenverständnis durch die Beziehungs- und Entwicklungsbedürfnisse der Klientel bestimmt wird, wird möglicherweise auch die Führung der Betreuer von einem solchen Beziehungs- und Entwicklungsgedanken geprägt sein. Der beobachtete Führungsstil ist Bedingung und Ergebnis des systemdynamischen Dreiklangs von Aufgabe ↔ Struktur ↔ Kultur. Der Führungsstil ist damit – im Unterschied zur klassischen Führungsstildiskussion – nicht mehr ein Rezept, um Führungserfolg zu erzeugen bzw. dessen monokausale Erklärung. Die Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit des Systems „Rolle“ ist abhängig von funktionsfähigen Rückkoppelungs- bzw. Feedbackmechanismen. Je ausgeprägter die Wahrnehmungsfähigkeit des Systems ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Anpassungs‑, Entwicklungs- und damit Überlebensfähigkeit der Rolle in ihrem dynamischen Umfeld. Führungserfolg zeigt sich in dieser Betrachtung als existenziell abhängig von der (System‑) Fähigkeit, Erwartungen und Bedürfnisse der Umwelt sowie die eigenen Antriebe des Führungshandelns und seine Wirkungen kritisch zu reflektieren.

4.6  •  Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen

4.6

4

Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen

Unser Führungsverständnis bezieht sich also auf einen Prozess der permanenten Rollendefinition, -gestaltung und -durchsetzung im Austausch mit den betroffenen „Anderen“. Führungswirklichkeit entsteht im Prozess dieser Interaktion als Gegenstand der Wahrnehmung im Kopf der Führenden. Führungswirklichkeit ist eine soziale Konstruktion (Burla et al. 1995, S. 19 ff.), abhängig von den handelnden Individuen und den herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen in der Gesellschaft bzw. der betreffenden Organisation. Führung wird damit immer wieder neu „erfunden“, oder genauer erschaffen (7 Kap. 3, 7 Kap. 12). Mit diesem Verständnis eignet sich das Rollenkonzept auch sehr gut für die Führung in evolutionären Organisationen. Laloux (2015) beschreibt unter diesem Begriff Organisationen, welche sich vor allem durch drei Charakteristika auszeichnen: Selbstführung: Es gibt keine pyramidenförmige Hierarchie, sondern es funktionieren komplexe adaptive Systeme, wie wir sie aus der Natur kennen. Ganzheit: In evolutionären Organisationen bringen sich die Menschen mit allen Teilen ihres „Selbst“ ein. Damit sind neben rationalen auch emotionale, intuitive und spirituelle Aspekte von allen Mitarbeitenden gefragt. Evolutionärer Sinn: Organisationen sind eigenständige lebende Systeme, die sich aus sich selbst heraus im Austausch mit den Umwelten entwickeln. Strategien entstehen organisch aus der kollektiven Intelligenz der selbstführenden Mitarbeitenden.

-

Bezogen auf die Rollenverteilung heißt dies, dass es keine Organigramme und Stellenbeschreibungen gibt. Jede Person nimmt eine Reihe von Rollen ein, denen sie zugestimmt und deren Erfüllung sie sich verpflichtet hat. Mit den verändernden Anforderungen in der Organisation entwickeln sich die Rollen ebenfalls organisch weiter bzw. es werden ganz neue Rollen geschaffen. Im Modell der Holokratie (Robertson 2016) besteht ein Marktplatz der Rollen, die nach bestimmten Vorgehensweisen bewertet, getauscht bzw. neu vergeben werden können. Auf einer Skala von -3 bis +3 geben die Mitarbeitenden an, ob sie die Rolle inspirierend (+) oder erschöpfend (–) empfinden, ob die Rolle mit ihren Talenten übereinstimmt (+) oder nicht (–) oder ob sie den Eindruck haben, dass ihre Kompetenzen für diese Rolle förderlich (+) oder begrenzend (–) sind.

-

87

Führung als permanenter Prozess des Aushandelns Führungswirklichkeit entsteht im Kopf

88

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Für die Entscheidungsfindung bestehen in Organisationen ohne Hierarchien in der Regel klar vorgegebene Prozesse (Laloux 2015, S. 99 ff.). Dabei kann jedes Organisationsmitglied jede Entscheidung treffen. Davor muss es aber den Rat aller vom Entscheid betroffenen Personen und von Expertinnen bzw. Experten in Bezug auf das jeweilige Thema einholen. Je größer die Entscheidung, desto größer ist der Kreis der zu involvierenden Personen. Am Schluss bleibt die Verantwortung für die Entscheidung bei der Person, welche die Entscheidung trifft. Das Resultat ist selten eine Konsenslösung, sondern beinhaltet die Aspekte, welche die Entscheidungsträger am meisten überzeugt haben.

4

4.6.1 konkrete Erwartungen an Führungskräfte, typische Erwartungen und Aspekte von Führungsrollen

Was tun Manager? Typologie von Rollen

Verhalten von Führungskräften

Führungsaufgaben und Führungsrollen

Wir haben bisher die Führungsrolle als komplexes Resultat der Begegnung von Organisation und Führungskraft beschrieben. Ergebnis dieser Begegnung ist ein mehr oder weniger explizites und bewusstes Set von Erwartungen an die Führungskraft, mehr oder weniger angemessene organisationale Voraussetzungen und ein mehr oder weniger nützliches Verhalten der Führungskraft, um diese Erwartungen zu erfüllen. Wir haben dabei noch sehr wenig über die konkrete Natur von Erwartungen an Führungskräfte gesagt. Die Managementwissenschaftler zerbrechen sich schon seit langer Zeit die Köpfe darüber, inwiefern sich Führungsaufgaben allgemeingültig beschreiben lassen. Ein Ansatz – nämlich die Beschreibung von Führungsfunktionen – wurde am Anfang des Kapitels über das Rollenkonzept (. Abb. 4.1) erwähnt. Für die Aufgabenerklärung ist es nützlicher, die Frage nach den Erwartungen zu stellen, die Organisationen typischerweise an Führungskräfte stellen. Solche Erwartungen können im Einzelnen verschiedenste Teilaspekte der gesamten Führungsaufgabe betreffen, d. h., es können damit verschiedene Führungsrollen, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen lassen, beschrieben werden. In der Literatur gibt es eine große Vielfalt solcher Rollenunterscheidungen. Wir wollen drei interessante Beispiele hier zitieren, überlassen es aber dem Leser, die Beispiele im Detail zu vergleichen und daraufhin zu überprüfen, inwiefern sie in die Wirklichkeit seiner eigenen Rolle passen. Die Untersuchung von Mintzberg (1973) zu den Aktivitäten von Managern gilt heute als klassische Studie zum Thema Führungsrollen. Mintzberg untersuchte das Verhalten von Führungskräften, um daraus eine Typologie von Rollen ableiten zu können. Das Resultat bilden wir in . Tab. 4.1 ab. Empirische Untersuchungen von Stogdill (1974) über das Verhalten von Führungskräften führten zur Unterscheidung folgender Führungsrollen:

4.6  •  Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen

89

..Tab. 4.1  Zehn Führungsrollen von Managern nach Mintzberg. (Adaptiert nach Mintzberg 1973, zit. nach Wiswede 1995, S. 831) Interpersonelle Rollen

a) Repräsentant („Figurehead“) Der Manager fungiert nach innen und außen als symbolischer Kopf einer Organisation oder Abteilung und erfüllt Repräsentationsroutinen gesetzlicher oder sozialer Art (z. B. Jubiläumsreden). b) Führer („Leader“) Im Mittelpunkt dieser Rolle stehen Aufgaben der Motivation und Anleitung von Mitarbeitern, der Stellenbesetzung und Personalentwicklung. c) Koordinator („Liaison“) Aufbau und Pflege interner und externer Kontakte auf formellen und informellen Wegen stehen im Zentrum dieser Rolle.

Informationelle Rollen

a) Informationssammler („Monitor“) Als Informationssammler sucht und empfängt der Manager sehr unterschiedliche Informationen, die sein Verständnis über das Funktionieren der Organisation und ihrer Umwelt fördern. b) Informationsverteiler („Disseminator“) Diese Rolle beschreibt die Weitergabe externer und interner Informationen – sowohl Fakten als auch Spekulationen – an Organisationsmitglieder. c) Sprecher („Spokesperson“) Als Sprecher gibt der Manager Informationen über Pläne, Maßnahmen oder erzielte Ergebnisse der Unternehmung an Externe weiter.

Entscheidungsrollen

d) Unternehmer („Entrepreneur“) Als Unternehmer sucht der Manager in der Organisation und ihrer Umwelt nach Chancen zu Innovation und Wandel und leitet gegebenenfalls Innovationsprojekte (ein). e) Krisenmanager („Disturbance Handler“) Mit dieser Rolle werden Aufgaben der (durch Sachzwänge induzierten) Handhabung unerwarteter und wichtiger Störungen des betrieblichen Leistungsprozesses erfasst. f) Ressourcenzuteiler („Resource Allocator“) Kern dieser Rolle sind Entscheidungen über Vergabe von Ressourcen aller Art an Personen oder Abteilungen; durch den Entscheidungsvorbehalt behält der Manager die Kontrolle über Zusammenhänge zwischen verschiedenen Einzelentscheidungen. g) Verhandlungsführer („Negotiator“) In dieser Rolle tritt der Manager als Verhandlungsführer gegenüber Externen auf und verpflichtet die Organisation für künftige Aktivitäten.

Führungsrollen nach Stogdill (zit. nach Staehle 1991, S. 374) 1. Repräsentation: Spricht und handelt als Repräsentant der Gruppe. 2. Versöhnung von Ansprüchen: Bringt widersprüchliche organisatorische Ansprüche in Einklang und verringert oder beseitigt Störungen. 3. Unsicherheitstoleranz: Ist fähig, Ungewissheit und Verzögerungen ohne Angst oder Aufregung zu tolerieren.

4

90

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

4. Überzeugungskraft: Setzt Überzeugung und Argumentation effektiv ein; zeigt starke Überzeugungen. 5. Einführung von Struktur: Definiert seine eigene Rolle klar und lässt die Geführten wissen, was von ihnen erwartet wird. 6. Zugestehen von Handlungsfreiheit: Gesteht den Geführten Spielraum für Initiative, Entscheidung und Handlung zu. 7. Festhalten an der Führerrolle: Nimmt aktiv seine Führerrolle wahr, anstatt die Führung anderen zu überlassen. 8. Praktische Besorgtheit: Achtet auf Wohlbefinden, Status und Beteiligung der Geführten. 9. Betonung der Produktion: Dringt auf produktive Leistung. 10. Präzise Vorausschau: Zeigt Weitblick und die Fähigkeit, Ergebnisse genau vorherzusagen. 11. Einfluss bei Vorgesetzten: Hält freundliche Beziehungen zu höheren Vorgesetzten; findet Gehör bei ihnen; strebt nach höherem Status.

4

Schlüsselrollen in Teams

Zusammenfassung Analyse von Voraussetzungen und Ergebnissen von Führung, systemisch-konstruktivistisches Führungsverständnis

Margerison und McCann (1985) haben eines der bekanntesten Teamrollen-Modelle entwickelt. Sie erkannten, dass acht Tätigkeitsbereiche für dauerhaften Erfolg von Bedeutung sind, Menschen aber dazu neigen nur zwei oder drei Bereiche besonders gerne auszufüllen. . Abb.  4.6 zeigt das Margerison-McCann Team Management Rad, das die Teamrollen benennt. Im Zentrum steht das Verbinden der einzelnen Teamrollen zur gemeinsamen Leistung. Auch dieses Modell lässt sich für selbstorganisierte Organisationen adaptieren, indem die Rollen flexibel auf die Mitglieder verteilt werden, basierend auf einen wechselseitigen Übereinkunft (Laloux 2015). Ein Team hat gute Chancen, möglichst viele der zentralen Rollen zu realisieren, vor allem wenn bei der Zusammensetzung auf diese Unterschiedlichkeiten achtet. Dabei ist es für den Teamerfolg zentral, dass die Unterschiedlichkeiten der Rollen als notwendig und bereichernd und nicht als bedrohend erlebt werden (7 Kap. 10, 7 Kap. 19). Zusammenfassung Seit es sie gibt, versucht die Führungsforschung, Führungserfolg zu erklären, um damit Modelle und Anleitungen für die Führungspraxis zur Verfügung stellen zu können. Das Rollenkonzept beschreibt Führung als einen komplexen Prozess der Begegnung von Führungskraft und Organisation, den wir als Rollenübernahme bezeichnen. Die Rahmenbedingungen und die Art und Weise, wie diese Rollenübernahme im Einzelfall

4.6  •  Das Rollenkonzept in evolutionären Organisationen

..Abb. 4.6  Das Team Management Rad von Margerison-McCann. (Das Team Management Rad von Margerison-McCann ist ein geschütztes Warenzeichen. Nutzung mit freundlicher Genehmigung durch TMS Development International Ltd., York/UK. www.tmsdi.com)

abläuft, entscheiden über den Führungserfolg. Das Rollenkonzept bietet einen hervorragenden diagnostischen Rahmen zur Analyse der Voraussetzungen und Ergebnisse von Führung. Dem Rollenkonzept liegt ein systemisch-konstruktivistisches Führungsverständnis zugrunde. Führungserfolg kann demnach nicht planmäßig erzeugt werden, sondern ergibt sich aus der komplexen Interaktion der Beteiligten. Voraussetzung und Ergebnis dieser Interaktion ist eine subjektiv erfahrene Wirklichkeit. Von der Fähigkeit der Führungskraft, die eigene Wahrnehmung ihrer Führungssituation aus kritischer Distanz neu zu betrachten, ihre eigenen Grundannahmen zu erkennen und durch bewussten Einbezug neuer Informationen hinsichtlich ihrer Nützlichkeit zu überprüfen, hängt es ab, inwieweit die Führungskraft in der Lage ist, Komplexität zu bewältigen und damit auch in schwierigen Situationen erfolgreich zu sein. Das Rollenkonzept eignet sich auch sehr gut für evolutionäre Organisationen ohne Hierarchien, bei denen Rollen flexibel auf mehrere Mitglieder verteilt werden.

91

4

92

Kapitel 4  •  Das Rollenkonzept der Führung

Aspekte meiner Person

Rollenübernahme

Aspekte der Organisation

Meine Erwartungen

Rollendefinition Aufgaben,

Erwartungen der Organisation,

Kompetenzen (Klarheit,

der Anderen

Eindeutigkeit, Konflikte)

4

Fähigkeiten – Lücken,

Rollengestaltung

Unterstützung, Kooperation,

Identifikation –

Behinderung,

Distanzierung

strukturelle Mängel

Persönliche Potenziale

Autorität und Rollendurch-

Kompetenzen und

im Umgang

setzung

Sanktionsmittel

Möglichkeiten und Grenzen

Was ändern,

der Einflussnahme

was hinnehmen?

mit Schwierigkeiten und Widerständen

Was ändern, mit was leben?

© 2018, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Lippmann, E., Pfister, A., Jörg, U.: Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

..Abb. 4.7  Arbeitsblatt: Analyse der eigenen Führungsrolle

Literatur

Vertiefung des Stoffes Das vorliegende Arbeitsblatt bietet dem Leser eine gedankliche Struktur zur Analyse der eigenen aktuellen Führungsrolle an, die sich an den Ausführungen zum Rollenkonzept orientiert. Dem Prozess der Rollenübernahme (mittlere Spalte: Rollendefinition, Rollengestaltung, Rollendurchsetzung) folgend, laden wir Sie ein, die Erwartungen und Bedingungen sowohl aus der Sicht der Organisation (3. Spalte), als auch aus Ihrer persönlichen Sicht als Träger der Führungsrolle (1. Spalte) zu beschreiben. Der unterste Teil des Arbeitsblattes (. Abb. 4.7) soll Raum bieten für das Formulieren von Schlussfolgerungen und Konsequenzen: Was können oder müssen Sie hinnehmen, was bleibt unveränderbar? Was wollen Sie wie anpacken, um den Prozess der Rollenübernahme optimal zu gestalten oder anders gesagt: Wo liegen Ihre konkreten Handlungsspielräume und wie können Sie diese optimal nützen?

Literatur Burla, S., Alioth, A., Frei, F., & Müller, W. R. (1995). Die Erfindung von Führung. Vom Mythos der Machbarkeit in der Führungsausbildung. Zürich: Verlag der Fachvereine. Laloux, F. (2015). Reinventing Organiszations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. Margerison, Ch , & McCann, I. (1985). How to lead a winning team. Bradford: MCB University Press. Mintzberg, H. (1973). The nature of managerial work. New York: Harper & Row. Robertson, B. (2016). Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. München: Vahlen. Staehle, W. H. (Hrsg.). (1991). Handbuch Management. Die 24 Rollen der exzellenten Führungskraft. Wiesbaden: Gabler. Stogdill, R. M. (1974). Handbook of leadership. New York: Free Press. Wiswede, G. (1995). Führungsrollen. In A. Kieser & al (Hrsg.), Handwörterbuch der Führung (2. Aufl. S. 826–839). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

93

4

Vertiefung des Stoffes

95

Die aktive Gestaltung der eigenen Führungsrolle Kapitel 5

Psychologische Grundlagen für Führungskräfte – 97 Tamara Garcia, Christoph Hoffmann, Andres Pfister

Kapitel 6

Leistung und Verhalten beeinflussen  –  157 Urs Jörg, Thomas Steiger

Kapitel 7

Führung der eigenen Person  –  167 Hans Kernen, Gerda Meier, Christoph Negri, Ellen Gundrum

Kapitel 8

Problemlösen und Entscheiden  –  239 Andres Pfister, Eric Lippmann, Claudia Beutter

Kapitel 9

Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden – 325 Marion Jonassen, Andrea Chlopczik, Eric Lippmann, Claudia Beutter

Kapitel 10

Arbeiten in und mit Gruppen  –  393 Gisela Ullmann, Urs Jörg

II

97

Psychologische Grundlagen für Führungskräfte Tamara Garcia, Christoph Hoffmann, Andres Pfister 5.1

Einführung – 99

5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5

Was ist Psychologie?  –  100 Grundlegende psychologische Tätigkeiten – 100 Psychologische Betrachtungsweisen – 101 Theoretische Sichtweisen in der Psychologie  –  102 Anwendungsgebiete in der Psychologie  –  104

5.2

Neurosystemische Betrachtung der Führung  –  106

5.2.1 5.2.2 5.2.3

Systemische Einflussfaktoren auf Führungsverhalten  –  106 Grundlegende psychologische Prozesse  –  107 Systemischer Austausch – 108

5.3

Neuropsychologisches Modell – 109

5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4

Funktionsweise des Gehirns  –  109 Übersicht neuropsychologisches Modell  –  111 Konsistenztheorie – 113 Konklusion neuropsychologisches Modell  –  118

5.4

Wahrnehmung – 118

5.4.1

Bewusste vs. unbewusste Verarbeitung  –  119

5.5

Emotionen und somatische Marker  –  121

5.5.1 5.5.2 5.5.3

Emotionen – 121 Somatische Marker – 122 Emotionen und kluge Entscheidungen  –  123

5.6

Verarbeitungssysteme des Gehirns  –  124

5.6.1 5.6.2

System 1: Automatische, unbewusste Prozesse  –  126 System 2: Kontrollierte, bewusste Prozesse  –  131

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_5

5

5.6.3 5.6.4

Interaktion von System 1 und System 2  –  134 Denk- und Beurteilungsfehler  –  136

5.7

Lernen und Erinnern  –  138

5.7.1 5.7.2

Lernprozesse auf neuronaler Ebene  –  142 Abrufen und Erinnern  –  144

5.8

Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität  –  146

5.9

Der Mensch im Austausch mit anderen Menschenin komplexen Umwelten  –  153

5.9.1

Der Mensch in Organisationen  –  153

Literatur – 155

5.1 • Einführung

Auf einen Blick

99

5 Auf einen Blick

Das Kapitel Einführung in die Psychologie für Führungskräfte beschäftigt sich mit Grundmechanismen des Wahrnehmens, Fühlens, Denkens, Entscheidens und Handelns und beleuchtet grundlegende psychologische Tätigkeiten, Betrachtungsweisen, theoretische Sichtweisen und Anwendungsgebiete in der Psychologie.

5.1 Einführung

Eine einfache Suche zu Führung gibt bei Google knapp 38 Mio. Hits und bei Amazon.com sind in der Kategorie Leadership über 183.000 Buchtitel eingetragen. Das Thema Führung steht hoch im Kurs und der Einfluss von Führungskräften auf die Leistungsfähigkeit einer Organisation und auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden gilt inzwischen als bewiesen. Somit ist das Interesse am Thema legitim. Führungspersonen sind permanent Entscheidungsprozessen zu Strategie, Mitarbeiterentwicklung und -beurteilung, zu Lösungsvarianten und Konfliktbearbeitung ausgesetzt. Um diese Aufgaben für die Unternehmung und die Mitarbeitenden erfolgreich ausführen zu können, sind Kenntnisse der Psychologie insbesondere von Führungspsychologie von großer Bedeutung. Führungskräfte, die über psychologische Grundlagen verfügen, können die Zusammenhänge und Phänomene in der Wahrnehmung und Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitenden und mit sich selbst besser verstehen und verändern. Dieses einführende Kapitel in die Psychologie für Führungskräfte dient dazu, der Führungskraft einen Überblick zu geben, wo und wie Psychologie im Führungsalltag wirkt. Folgende Fragen sind dabei leitend: Womit beschäftigt sich die Psychologie? Wie ist das psychische System aufgebaut und welchen Einfluss darauf kann eine Führungskraft zur Gestaltung ihrer Arbeit ausüben? Welche psychologischen Phänomene, Wirkungsweisen und Mechanismen üben im Führungsprozess einen Einfluss aus und sind für die Bewältigung der Führungsaufgaben hilfreich? Wie können Führungskräfte bestimmte Denk‑, Emotions- und Verhaltensweisen von sich selbst und von Mitarbeitenden besser erklären und so zu einem ganzheitlichen Verständnis gelangen?

--

Interesse an Führungsthemen ist ungebrochen groß

Psychologische Kenntnisse für Führungskräfte sind essenziell

Wie wirkt Psychologie im Führungsalltag

100

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5.1.1 Erleben und Gefühle müssen verbalisiert werden

Verhalten ist beobachtbar

5

Die Psychologie beschäftigt sich mit menschlichem Erleben und Denken und dem daraus resultierenden Verhalten. Erleben, verstanden als unmittelbare innere Erfahrung und Denkprozesse, als Verarbeitung von verschiedenen Informationen im Gehirn, sind der direkten Beobachtung nicht zugänglich. Dafür bedienen wir uns bereits eines komplexen Interaktionsprozesses, der Sprache. Verhalten von Menschen hingegen ist der Selbstbeobachtung und der Fremdbeobachtung zugänglich. Verhalten reicht von offensichtlichen, gut beobachtbaren Verhaltensweisen (z. B. Bewegen, Gehen, Tanzen) bis hin zu komplexen körperlichen Äußerungen (z. B. Lachen, Stirnrunzeln, Gestik, Mimik, Sprechen etc.). Diese sichtbaren Verhaltensweisen und Handlungen sind das Endprodukt von inneren Prozessen im Denken, Empfinden und Erleben. Die meisten dieser inneren psychologischen Prozesse laufen „automatisch“, sind uns nicht bewusst und daher unserer Sprache nicht zugänglich. Selbst in der Wahrnehmung unserer Umwelt läuft vieles ohne unser Zutun. Und dies ist auch gut so. Müssten wir nämlich beim Autofahren immer so viel nachdenken wie in der ersten Fahrstunde, dann führen die meisten Menschen mit dem Zug in Urlaub. Von Interesse für die Führung ist das sichtbare Verhalten und die Zusammenhänge zu den unbewussten und bewussten psychologischen Prozessen, welche dieses Verhalten generieren. Die Führungskraft nimmt daher immer auch eine psychologische Perspektive ein. Es interessiert daher, welche Verhalten und Reaktionen beobachtet werden können und was die beobachteten Personen dabei erleben und denken. Eine Projektmitarbeitende zeigt wenig Engagement im Projekt. Was wird wohl der Grund sein? Oder ist sie aus eigener Perspektive und Wahrnehmung genug engagiert? 5.1.2

Psychologie ist beschreiben, erklären, vorhersagen, verändern und bewerten von Verhalten

Was ist Psychologie?

Grundlegende psychologische Tätigkeiten

Wesentlich erscheint die Frage, ob sich dieses Verhalten beschreiben lässt und die Gründe, warum die Mitarbeiterin in diesem Projekt wenig motiviert scheint (z. B. ob in der Teamzusammensetzung etwas nicht stimmt, ob sie sich über- oder unterfordert fühlt, ob ihr die zugewiesene Arbeit keine Freude bereitet oder ob sie sich zu wenig wertgeschätzt fühlt). Ebenfalls interessant wäre zu erfahren, ob es anderen Projektmitgliedern genauso ergeht und ob die Mitarbeiterin sich in anderen Projektteams ebenso fühlen wird oder nicht. Hier steht also die Frage nach einer Erklärung und einer Vorhersage von Verhalten im Vordergrund. Nun wird sich die Führungskraft überlegen, wie sie dieses Verhalten der Passivität

5.1 • Einführung

101

5

beeinflussen und verändern könnte oder welche Maßnahmen der

Person selbst hilfreich erscheinen, um ihr Verhalten zu ändern. Die Führungskraft muss sich auch überlegen, welches Verhalten in dem Projektteam noch toleriert werden kann und welche Konsequenzen es in der Gruppe auslöst. Hier werden Beeinflussen/ Verändern sowie Verhalten bewerten wichtige Tätigkeiten. Die psychologischen Tätigkeiten einer Führungsperson sind somit: 1. Beschreiben (Wie verhält sich Mitarbeiterin  A gegenüber dem Projektteam, worin unterscheidet sich die Leistung von B und C, wie zeigt sich mangelnde Integration von Mitarbeiter X in Team Y, wie diejenige von Z?) 2. Erklären (Welchen Einfluss hat die Teamzusammensetzung auf die Integrationsfähigkeit ihrer Mitglieder? Welcher Grund liegt bei der mangelnden Motivation vor?) 3. Vorhersagen (Wird X es schaffen, die Angst vor der neuen Produktionsmaschine abzubauen? Wird Y ein guter Projektleiter sein? Werden A und B eine erfolgreiche Zusammenarbeit gestalten können?) 4. Beeinflussen/Verändern (Was braucht A an Sicherheit, um sich in die neue Arbeit einarbeiten zu können? Was kann man tun, dass sich B herausfordernde Ziele zutraut?) 5. Bewerten (Wann ist das Verhalten von A nicht mehr tragbar? Soll Leistungssteigerung oder Arbeitszufriedenheit vorrangiges Ziel sein? Welche Leistung wird als gut bezeichnet?) Diese Tätigkeiten oder Aktivitäten haben nach Nolting und Paulus (2015) gewissermaßen universellen Charakter. Führungspsychologisch zu handeln bzw. zu führen bedeutet immer, diese Tätigkeiten auszuüben. 5.1.3

Psychologische Betrachtungsweisen

Als psychologische Betrachtungsweisen verstehen wir verschiedene Grundlagengebiete, mit denen sich die Psychologie beschäftigt. Die allgemeine Psychologie untersucht allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten des psychischen Geschehens. Die Grundprozesse des Wahrnehmens, des Denken, der Motivation und der Emotionen sowie Lern- und Gedächtnisprozesse stehen hier im Fokus und werden weiter unten beschrieben. Auch Erkenntnisse von psychologischen Aspekten der Sprache, der Kommunikation, der Entscheidungsfindung, Handlungsplanung und -steuerung geben gute Hinwiese für erfolgreiches Führungshandeln. Die Persönlichkeitspsychologie untersucht die interindividuellen Unterschiede zwischen den Menschen. Hierbei wird das Forschungsinteresse auf Unterschiede in der Persönlichkeit, den

allgemeine Psychologie

102

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Eigenschaften und deren Auswirkungen auf das Erleben, Denken, Fühlen und Handeln gelegt. Die Fragestellungen der Persönlichkeitspsychologie sind: Gibt es überindividuelle Persönlichkeitsmerkmale und welche davon sind über das Leben stabil und welche veränderbar? Welchen Einfluss haben solche Eigenschaften auf unsere Grundprozesse? Gibt es Eigenschaften, die sich besser für die Bewältigung der Aufgaben von Führungspersonen eignen als andere? Welche Bedeutung kommt der Situation zu, in der sich eine Eigenschaft zeigt?

-

5 Entwicklungspsychologie

Sozialpsychologie

Biopsychologie

Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit den individuellen Dispositionen, welche sich im Laufe der Zeit verändern können. Reifen und Lernen treiben die Entwicklung voran. In der Arbeitswelt sind Fragen der Personalentwicklung, der Berufslaufbahnentwicklung aber auch Fragen der Vorhersage und Veränderung von Entwicklungsverläufen, z. B. im Alter, von Interesse. Hierzu gehören ebenfalls die psychischen Entwicklungsstufen vom Kleinkind- bis ins Greisenalter. Die Sozialpsychologie untersucht die Interaktion der Menschen untereinander. Das Verhalten von Gruppen/Teams und die Gruppenprozesse interessieren hier ebenso wie Personenwahrnehmung (soziale Kognition), soziale Einstellungen, soziale Interaktionen und Kommunikation. Letzteres ist in der Führung zentrales Steuerungselement und fehlt in keiner Führungsausbildung. In der Biopsychologie oder Psychophysiologie werden die Beziehungen von körperlichen und biologischen Prozessen und psychischen Vorgängen betrachtet. Jede wahrgenommene Situation ist begleitet von körperlichen Symptomen. Angst kann beispielsweise Herzklopfen, Blutdruckerhöhung verursachen und das Bedürfnis nach Flucht auslösen. Embodiment und mentales Training arbeiten in umgekehrter Weise zur Stärkung der psychischen Stabilität oder zur gezielten Leistungssteigerung z. B. im Sport. 5.1.4

theoretische Sichtweisen der Psychologie

Theoretische Sichtweisen in der Psychologie

Die Psychologie hat viele „Brillen“ entwickelt, die den Blick auf menschliches Denken, Fühlen und Verhalten aus unterschiedlichen Perspektiven zulässt. Diese Sichtweisen (. Abb. 5.1) sind oft historisch bedingt und kennzeichnen auch Denkweisen und Forschungsschwerpunkte in verschiedenen Zeitepochen.

5

103

5.1 • Einführung

Psychologie

Theoretische Sichtweise

Betrachtungsweise

Allgemeine ψ

Wahrnehmung Denken Lernen Gedächtnis Motivation Emotion

Tiefen-ψ

Konsistenz

Persönlichkeits-ψ

Menschenbild

Behaviorismus-ψ

Persönlichkeitstheorie

Entwicklungs- ψ

Sozial-ψ

Sprache Motorik Kognition Soziales Verhalten Spiel Moral Soz. Kognition Soz. Interaktion u. Kommunikation Gruppenprozesse Sozialisation Verhaltensweisen Motivation Konsistenz

Psychophysiologie

Anwendungsgebiete

klinischer Bereich

Schichtenmodell

Lerntheoretischer Ansatz Lernen durch Erfolg und Misserfolg

Kognitivismus-ψ

Wahrnehmen, Denken, bewusste Erkenntnis

Humanistische-ψ

Ganzheit von Emotion, Motivation und Kognition

Gemeinde- und Gesundheits-ψ Bildung und Erziehung Umwelt

Kultur und Freizeit Öffentlichkeit und Gesellschaft

Systemische-ψ

Menschenbild Persönlichkeitstheorie

Nero-ψ

Der Mensch als System bildet übergeordnete Systeme Repräsentation Automatismen Entscheidungen Annäherung/Vermeidung

Wirtschafts-ψ

Arbeit und Beruf

..Abb. 5.1  Betrachtungsweisen, theoretische Sichtweisen und Anwendungsgebiete der Psychologie

Die Tiefenpsychologie betrachtet das bewusste Verhalten einer Person unter Analyse unterbewusster Gedanken und Vorgänge. Es wird versucht, unbewusste Ursachen von Verhalten und psychischen Geschehnissen bewusst zu machen und zu verändern. Solche Veränderungsprozesse sind sehr langsam und in der Arbeitswelt von untergeordneter Bedeutung. Der Behaviorismus zielt auf wissenschaftlich beobachtbare, empirisch überprüfbare Daten des menschlichen Verhaltens. Innere Prozesse wie Motivation, Bedürfnisse oder Absichten sind nicht von Interesse. Verhalten wird als Ergebnis von verstärkenden und abschwächenden Faktoren aufgefasst. Der Kognitivismus beschäftigt sich mit der Informationsverarbeitung und den höheren kognitiven Funktionen des Menschen. Verhalten wird aus der Perspektive von kognitiven Prozessen erklärt. Die Art, wie Menschen Informationen wahrnehmen, verarbeiten, speichern und erinnern wird untersucht. Kognitivistisches Lernen kann man auch als Lernen durch Einsicht, d. h. Lernen durch Verstehen und Nachvollziehen bezeichnen. Die Humanistische Psychologie wurzelt in der Überzeugung, dass der Mensch ein individuelles, stark auf Wachstum und Reifung ausgerichtetes Wesen ist. Humanistische Psychologen ent-

Tiefenpsychologie

Behaviorismus

Kognitivismus

Humanistische Psychologie

104

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5

systemische Sichtweise, Konstruktivismus

Neuropsychologie

wickelten Konzepte und Methoden, die das Wachstumspotenzial gesunder Menschen betont. Der Mensch wird betrachtet als ein aktiver, autonomer, selbstbestimmter Handelnder und steht im Zentrum seines eigenen Lebens. Diese Haltung ist auch heute noch in vielen Werten von Unternehmen und von Führungsleitbildern zu finden. Daraus entstand die Strömung der Positiven Psychologie, welche untersucht, was Menschen glücklich macht. Die systemische Sichtweise ermöglicht es, komplexe menschliche Systeme und deren Phänomene zu charakterisieren und komplexitätsgerecht aufzufassen. Die systemische Sichtweise des Menschen interessiert sich für die dynamische Wechselwirkung zwischen den biologischen und psychischen Eigenschaften einerseits und den sozialen Bedingungen des Lebens andererseits. Die systemische Sichtweise kommt aus dem Konstruktivismus. Der Konstruktivismus, der in lernpsychologischer Hinsicht sagt, dass menschliches Erleben und Lernen Konstruktionsprozessen unterworfen sind. Sie basieren auf sinnesphysiologischen, neuronalen, kognitiven und sozialen Prozessen. Nach dem Konstruktivismus kreiert jeder Mensch eine individuelle Repräsentation (Abbild) der Welt im Kopf, welche alle weiteren psychischen Prozesse weiter maßgeblich beeinflusst. Die Neuropsychologie beschränkte sich in den Anfängen auf die Schädigung des Gehirns durch Erkrankungen und Verletzungen. Heute kann man mit funktionellen Magnetresonanztomografen erstmals auch in denkende Gehirne schauen. Die Disziplin versucht das menschliche Erleben, Denken, Lernen und Verhalten mit Erkenntnissen aus der neuropsychologischen Forschung zu bereichern. Neuroleadership fokussiert auf die Betrachtungsweise der Mechanismen im Gehirn und versucht daraus Hinweise für wirkungsvolles und erfolgreiches Führungshandeln abzuleiten. Im Zentrum stehen die Bedeutung der Emotionen, des Denkapparates und die Verarbeitung von Information. 5.1.5

Klinische Psychologie ist auch heute noch wichtig

Psychologie findet Anwendung in sehr vielen Gebieten

Anwendungsgebiete in der Psychologie

Die Anwendungsgebiete der Psychologie sind sehr breit. Ein großes Gebiet in der Psychologie ist auch heute noch der klinische Bereich, der sich mit der Prävention, Diagnostik und auch der Therapie von psychischen Störungen und Krankheiten beschäftigt. Darunter subsumieren sich Gebiete wie die Psychopathologie, die Forensische Psychologie, die Psychiatrie etc. Mit dem wirtschaftlichen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Aufschwung entstanden viele Anwendungsgebiete, die nicht die Defizite der Menschen im Fokus hatten, sondern die Psychologie auch für das Arbeits- und Zusammenleben der Menschen

5.1 • Einführung

105

5

nutzbar macht. So entstanden Gemeinde und Gesundheitspsychologie, Umweltpsychologie sowie Anwendungsgebiete in Kultur, Freizeit, Bildung, Wirtschaft, Militär, Öffentlichkeit und anderen Gesellschaftsgebieten. Für die Arbeitswelt von großem Interesse ist die Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie beschäftigt sich mit dem menschlichen Erleben und Verhalten in der Arbeit und in Organisationen. Demzufolge versucht die Organisationspsychologie Fragen zu beantworten wie z. B.: Wie finden Organisationen die für sie richtigen Mitarbeiter? Wie sieht ein wirkungsvolles Zielführungssystem aus? Wie kann die Bindung von Mitarbeitern an die Organisation gestärkt werden? Was zeichnet ein innovatives Organisationsklima aus? Wie gestaltet man konstruktive Konfliktgespräche? Welche Aspekte sind bei Veränderungsprojekten zu beachten, damit diese erfolgreich verlaufen? Wie kann die Zusammenarbeit im Team verbessert werden? Wie kann ein Training (z. B. zum Thema Führung) nachhaltig gestaltet werden? Wie können Arbeitsbedingungen verbessert werden, damit sie gesundheitsförderlich sind?

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Das Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte versucht aus unterschiedlichen Betrachtungsweisen mit einer Vielfalt theoretischer Sichtweisen, Fragen der Arbeits- und Organisationspsychologie und der benachbarten Anwendungsgebiete zu beleuchten und für den Arbeitsalltag von Führungskräften nutzbar zu machen. Die nachfolgenden Abschnitte beschreiben zuerst eine neurosystemische Betrachtung von Führung. Darauf folgt die Einführung eines neuropsychologischen Modells, welches die Prozesse der Wahrnehmung, des Denken und des Verhalten mit den Prozessen der Emotionen, den damit eng verbundenen Grundbedürfnissen und der Motivation im Rahmen der Führung verknüpft. Gleichzeitig werden auch die biologischen Eigenschaften des Organs Gehirn näher beleuchtet. Anschließend werden unterschiedliche Eigenschaften und Wirkungsweisen der beiden zugrunde liegenden Verarbeitungssysteme des Gehirns (automatisch vs. kontrolliert) anhand unterschiedlicher Beispiele aufgezeigt. Die darauf folgenden Abschnitte vertiefen die psychologischen Prozesse des Lernens und Erinnerns, der Entwicklung als auch psychologischen Prozessen, welche direkt mit der Formung unseres eigenen Selbstbildes und unserer Identität verknüpft sind. Da diese Mechanismen in unterschiedlicher Ausprägung bei allen Menschen wirken, nimmt deren Verständnis für die Führungstätigkeit eine zentrale Bedeutung ein.

Arbeits- und Organisationspsychologie

106

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5.2 5.2.1

Führung, ein dynamischer Interaktionsprozess zwischen Menschen

5

Einflussfaktoren sind andere Menschen, die Organisation, der Kontext, die spezifische Situation und die handelnde Person selbst

Neurosystemische Betrachtung der Führung Systemische Einflussfaktoren auf Führungsverhalten

Führung ist ein Verhalten, welches aus einem dynamischen Interaktionsprozess zwischen Menschen entsteht. Führungsverhalten ist hierbei eingebettet in eine komplexe, dynamische Systemumwelt und verändert sich auf der Grundlage der Veränderung von Einflüssen auf die Person. Innerhalb dieser Systemumwelt können unterschiedliche Einflussfaktoren auf die jeweiligen beteiligten Menschen differenziert werden (Seiler und Pfister 2009). Einerseits sind dies die anderen Menschen, mit denen eine Person in direktem Kontakt und Beziehung steht, seien dies Kollegen, Vorgesetzte, Mitarbeiter oder Kunden, als auch Familie und Freunde. Deren Verhalten und die Dynamik, welche zwischen diesen Menschen und Menschengruppen auftreten, beeinflussen das Verhalten einer beteiligten Person. Oft sind diese Menschen in bestimmten Systemumwelten (. Abb. 5.2) miteinander verbunden, welche wiederum Einfluss ausüben. Einerseits existiert der Einflussfaktor Organisation, da Führungskräfte meist in organisationale Strukturen eingebettet sind. Die in der Organisation definierten Prozesse, Strukturen, Kultur, Ziele, Rollen und Aufgaben generieren Einflüsse auf das Verhalten einer Person. Gleichzeitig gibt es viele andere, weiter gefasste Umweltfaktoren, welche ebenfalls Einfluss auf uns haben. Hierzu gehören kontextuelle Faktoren, welche sich gar nicht ändern wie beispielsweise die Geographie, oder andere kontextuelle Faktoren, welche sich relativ langsam verändern wie die Jahreszeiten oder die grundlegende Zusammensetzung der Gesellschaft. Die Jahreszeit ist für das Führungsverhalten eines Baustellenleiters ausschlaggebend, denn Hitze, Schnee oder Sturm verlangt ein anderes Führungshandeln. Eine schwere Rezession oder ein angespannter Arbeitsmarkt haben ebenfalls eine direkte Auswirkung auf das Führungsverhalten in Unternehmen, denn es erschwert oder erleichtert den Ersatz von Mitarbeitenden. Zusammen generieren die Faktoren (andere Menschen, Organisation, Kontext) spezifische Situationen, die eine Führungskraft antrifft. Auch die angetroffene Situation selbst beeinflusst das Führungsverhalten. Zeitdruck, Gefahr oder Unklarheiten wirken sich direkt auf das Führungshandeln aus. Führungsverhalten ergibt sich demnach aus der Zusammenführung und Verarbeitung aller Faktoren: Der Selbstwahrnehmung der handelnden Person, anderen Menschen, der Organisation, der Situation selbst und dem Kontext, in dem sie stattfindet.

107

5.2  •  Neurosystemische Betrachtung der Führung

Wahrnehmung der Person

5

psych. Prozesse

Wahrgenommene Einflüsse

Person

Situation Andere Personen / Gruppe Organisation Kontext / Umfeld

..Abb. 5.2  Neurosystemische Betrachtung

Die psychologischen Prozesse, die im Menschen wirken, dienen dazu die Welt wahrzunehmen, aus den Wahrnehmungen der Einflussfaktoren ein sinnhaftes, stimmiges Bild zu konstruieren, auf dessen Grundlage dann eine möglichst hilfreiche Handlung resultiert (Betsch et al. 2011; Kahneman 2015; Naughton 2016). 5.2.2

Grundlegende psychologische Prozesse

Über unsere Sinneskanäle nehmen wir Sinneseindrücke zu den Veränderungen der unterschiedlichen Einflussfaktoren unserer Umwelt und über uns selbst auf. Automatische Prozesse in spezialisierten Gehirnarealen verarbeiten diese große Menge an Information zu sinnvollen Einheiten und verknüpfen diese sinnvoll miteinander. Gedächtnisinhalte werden automatisch aktiviert und mit den Informationen der Sinneskanäle als auch deren schon weiter verarbeiteten Informationseinheiten in Beziehung gesetzt. Diese automatischen Prozesse generieren unsere Wahrnehmung. Emotionen werden aktiviert und helfen uns zu bewerten, wie gut oder schlecht die wahrgenommenen Umweltveränderungen für

Automatische, unbewusste und kontrollierte, bewusste Verarbeitungsprozesse steuern unsere Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Handeln

108

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5

..Abb. 5.3  © 2018 by Tobias Leuenberger

Verhaltensveränderung zur Anpassung an veränderte Umweltgegebenheiten

uns sind. Dem zugrunde liegen unsere Grundbedürfnisse, welche durch Umweltveränderungen tangiert werden. Die Grundbedürfnisse bilden die Basis für die Bewertung der Umweltveränderungen und sind Ausgangspunkt für eine spätere Motivation, in eine bestimmte Richtung zu denken und zu handeln. Unterschiedliche automatische Verarbeitungsprozesse im Gehirn arbeiten unbewusst an Problemlösungen, welche nicht selten auch unbewusst in eine Handlung umgesetzt werden (wir fangen ein Glas auf, das uns aus der Hand gerutscht ist). Jedoch nutzen wir auch bewusste, kontrollierte Verarbeitungsprozesse um unser Denken zu steuern, um weitere Gedächtnisinhalte zu aktivieren, unsere Emotionen zu kontrollieren, Probleme bewusst zu lösen, unsere Wahrnehmung zu steuern, unsere Bedürfnisse anzupassen, unsere Motivation zu steigern oder zu verringern und unsere Handlungen bewusst zu kontrollieren. Gleichzeitig sind unterschiedlichste Lernprozesse aktiv, welche sowohl automatisch als auch bewusst Informationen miteinander verknüpfen und neue Lösungswege entwickeln. Wie wir die Umwelt wahrnehmen, wie wir diese Verarbeiten, welches Bild wir von der Umwelt und von uns selbst konstruieren, wie wir denken, welche Grundbedürfnisse tangiert werden, welche Emotionen wir fühlen, was wir lernen, wie wir uns motivieren und welche Handlungsmuster wir zeigen, ist geprägt durch unsere individuelle Entwicklung, unsere Persönlichkeit und unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstbild. Aus all diesen Prozessen konstruiert unser Gehirn automatisch und stetig unser Bild der Realität auf Grundlage dessen, wie wir denken und handeln (Kahneman 2015). Diese Prozesse ermöglichen uns, unser Verhalten den veränderten Umweltbedingungen so anzupassen, dass wir unser Überleben und unser Wohlbefinden langfristig sichern können. 5.2.3

Menschen sind Teil einer komplexen dynamischen Interaktion in komplexen Systemen

Systemischer Austausch

Der Mensch besteht somit aus einer Vielzahl an biologischen, neurologischen und psychologischen Systemen, welche dynamisch auf Umweltreize reagieren und miteinander in einer komplexen dynamischen Interaktion stehen. Zusammen generieren diese Systeme das, was wir als Menschen wahrnehmen und empfinden und was wir als Mensch sind. Gleichzeitig sind wir als Menschen mit anderen Menschen in nicht minder komplexen dynamischen Interaktionen verbunden und bilden dadurch ebenso komplexe Systeme (z. B. Organisationen und Staaten), welche durch eine Vielzahl an Wechselwirkungen gekennzeichnet sind. Als Menschen leben wir zusammen in einer Umwelt, welche ebenfalls durch eine Vielzahl an biologischen, gesellschaftlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen Systemen gekennzeichnet ist. All diese Systeme stehen in einer dynamischen

5.3 • Neuropsychologisches Modell

Interaktion miteinander mit vielfältigen Rückkopplungsmechanismen. Komplexität, Ambiguität, dynamische Veränderung und gleichzeitig hohe Systemstabilität sind einige markante Kennzeichen unserer Umwelt. Gemeinsamen ist all diesen Systemen, dass sie einerseits mit ihrer Umwelt in einem stetigen Austausch stehen, sie eine Wirkung auf sich selbst haben (Rückkopplungen), sie bestrebt sind sich selbst zu erhalten und von zwei grundlegenden Prozessen getrieben sind. Diese beiden grundlegenden Prozesse, welche man überall findet, sind die Prozesse, welche ein System stabilisieren und Prozesse, welche ein System verändern. 5.3

109

5

Stabilität vs. Veränderung

Neuropsychologisches Modell

Das menschliche Gehirn ist unser Verarbeitungszentrum von Informationen. Es ist Sitz des Gedächtnisses und der Emotionen sowie des Bewusstseins. Nach Storch und Krause (2002) kann man das Gehirn als ein dynamisches und selbstorganisierendes System betrachten, dessen Ziel es ist, den Körper und seine Organe zu steuern und alle seelischen und geistigen Leistungen und Erkenntnisprozesse zu koordinieren. 5.3.1

Funktionsweise des Gehirns

In jedem Augenblick des Lebens fließen unendlich viele Informationen einerseits als Wahrnehmungen über die Sinnesorgane und andererseits aus dem Körper selbst zum Gehirn, werden da verarbeitet und über das zentrale Nervensystem zurück an den Körper geleitet. Demnach besteht die Aufgabe unseres Gehirns darin, die tatsächlichen Geschehnisse dieser Welt mit dem Ich (Körper und Geist) sinnvoll zu verbinden. Primäres Ziel dieses Verarbeitungszentrums ist es dafür zu sorgen, dass der Organismus, dem das Gehirn angehört, im Rahmen der gegebenen Verhältnisse gut überlebt (Storch 2003) oder sogar psychobiologisches Wohlbefinden erfährt (. Abb. 5.4). Beispiel

Eine Bankangestellte sieht sich am Schalter einer Bank mit einer Einzahlung eines Kunden in einer Höhe konfrontiert, die eine genauere Abklärung der Herkunft gemäß Geldwäschereigesetz erfordert. Und so könnte eine mögliche Verknüpfung im Gehirn aussehen: Sehzentrum: Kunde, Geld; Gedächtnis: Wissen über Geldwäschereigesetz und die Vorgehensweise bei hohen einzuzahlenden Geldbeträgen;

--

Das Gehirn verbindet die Welt mit dem Ich (Körper und Geist)

Beispiel Bankangestellte

110

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Gedächtnis, Erinnerung

Analyse, Bewertung, Entscheidung

Sehzentrum

5 Sprachzentrum Emotionen

..Abb. 5.4  Interaktionen von möglichen beteiligten Hirnstrukturen bei einem Schaltergespräch mit einem Kunden

--

Emotionen: Nervosität, Angespanntheit, Unsicherheit; Entscheidung: Was ist zu tun? Vorgesetzten informieren, Kunden informieren, Abklärungen einleiten; Sprachzentrum: Informationen über die weitere Vorgehensweise an den Kunden.

Konsequenzen für die Führung

Wahrnehmung ist äußerst subjektiv und basiert mehrheitlich auf unserer Erinnerung.

Unser Gehirn ist ein vernetztes System, das neben neuen Inputs, welche über die Sinnesorgane ins Gehirn gelangen, die bereits abgespeicherten Erfahrungen und das Wissen für die Weiterverarbeitung und Entscheidungsfindung mit einbezieht. Der Wahrnehmung ist also ein Lernprozess vorausgegangen. Demnach ist Wahrnehmung äußerst individuell, persönlich und subjektiv. Führungskräfte müssen sich dessen bewusst sein. Führungskräfte können dem aktiv entgegenwirken, indem sie Gespräche Führungshandeln bewusst vorbereiten, möglichst viele Perspektiven und Meinungen einbeziehen und sich bei Entscheidungen Zeit nehmen.

5

111

5.3 • Neuropsychologisches Modell

Ich-Welt

Körperempfindungen Somatische Marker Limbisches System Emotionen Gefühle

Stirnhirn: Logik Denken

Um-Welt

Körper-Welt

Plastizität Wahrnehmung (von außen)

Sinneswelt Aktionswelt

Verhalten

..Abb. 5.5  Die drei Welten des Menschen. (Eigene Darstellung nach Roth 2003, mit freundlicher Genehmigung von Gerhard Roth)

5.3.2

Übersicht neuropsychologisches Modell

Um menschliches Empfinden und Verhalten im Führungskontext besser verstehen und zielführender lenken zu können, fassen wir wichtige Erkenntnisse der Psychologie in einem einfachen neuropsychologischen Modell zusammen. Die Sektoren der einzelnen Welten sind mit Wolken bezeichnet und durch Linien voneinander abgetrennt. Die erste Welt ist die Um-Welt. Sie besteht aus den Phänomenen und Gegenständen außerhalb des eigenen Körpers. Die Körper-Welt hat die Aufgabe, uns diese Um-Welt durch unsere Sinne zu erschließen (Sinneswelt = Input/Wahrnehmung) und uns zu Verhalten (Aktionswelt = Output/Handlungen) zu veranlassen. Die Ich-Welt stellt die Verarbeitung der Informationen aus der Umwelt durch unser Gehirn dar (. Abb. 5.5). Eine wichtige Rolle spielt das Stirnhirn, welches für die langsame rationale Analyse und das bewusste Verarbeiten von Informationen zuständig ist (Gehirn-Symbol). Für die schnelle, unbewusste Verarbeitung (Emotionen) ist das limbische System zuständig. (Herzsymbol). Die somatischen Marker (symbolisiert durch Frauensilhouette) sind die Körperreaktionen auf Emotionen und helfen uns bei der schnellen Entscheidung, ob etwas angenehm oder un-

Neuropsychologisches Modell Um-Welt = Äußere Fakten/ Geschehnisse Körper-Welt = Wahrnehmung und Verhalten Ich-Welt = Verarbeitung des Gehirns

somatische Marker = Körperreaktionen auf Emotionen

112

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5

Vermeidungsreaktionen Flucht, Kampf, Vermeidung; Annäherungsreaktionen bewusst beabsichtigte, positive Ziele

Beispiel Mitarbeiter

angenehm ist. Die Ich-Welt und die Körper-Welt bilden physisch eine Einheit und sind dennoch in weiten Bereichen eigenständig betrachtbar, was mit einer gestrichelten Trennlinie der Sektoren symbolisiert ist. Wir nehmen über die Sinnesorgane Informationen aus der Umwelt wahr (blauer Pfeil). Diese „Informationen“ werden im Gehirn danach überprüft, ob Grundbedürfnisse verletzt oder nicht befriedigt sind. Dies geschieht durch den Abruf von bereits abgelegten Erfahrungen und den entsprechenden körperlichen Reaktionen (somatische Marker). Auf dieser Grundlage wird das Gehirn entscheiden, ob eine schnelle Vermeidungsreaktion notwendig ist, und wenn ja, welches motivationale Schema (Flucht, Kampf, Erstarren) hier die beste und schnellste Erleichterung verspricht, um das Grundbedürfnis vor weiterer Verletzung zu schützen. Oder es wird eine Annäherungsreaktion eingeleitet mit dem Ziel, durch bewusst eingeleitete Verhaltensweisen das Grundbedürfnis aktiv zu befriedigen, um damit Erleichterung zu erfahren (Wohlbefinden, Kongruenz). Dies ist dann der Fall, wenn die somatischen Marker die Bewusstseinsschwelle überwinden und als wahrnehmbare körperliche Veränderung (z. B. Körperanspannung, Angst, Freude etc.) bewusst werden. So gelingt es dem Verstand (präfrontaler Kortex), die durch das limbische System ausgewählte sofortige Handlungsstrategie nochmals zu reflektieren, deren Konsequenzen abzuschätzen und gegebenenfalls zu korrigieren. Hier besteht das Potenzial, vom Vermeidungsschema (Vermeidungsziel) in ein Annäherungsschema (Annäherungsziel) zu wechseln (Grawe 2004). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ich-Welt die Körper-Welt in der Um-Welt steuert, von den einkommenden Informationen zu den Handlungen und Verhaltensweisen. Der Mensch bewegt sich demnach als denkendes und fühlendes Wesen (Ich-Welt) mit seinem Körper (Körper-Welt) in einer von ihm getrennten Welt (Um-Welt). Beispiel

Ein Mitarbeiter ärgert sich über die erneute Schichteinteilung. Er beschließt, die Problematik mit seinem Vorgesetzten in Ruhe zu besprechen und nach Lösungen zu suchen (Annäherungsreaktion). Ein anderer Mitarbeiter gerät außer sich vor Wut, sodass er den Vorgesetzten beschimpft und beleidigt (Vermeidungsreaktion Kampf ). Wieder ein anderer wird vor lauter Sorge krank (Vermeidungsreaktion Vermeiden).

5.3 • Neuropsychologisches Modell

113

5

5.3.3 Konsistenztheorie zz Psychisches Wohlbefinden

Was die Psychologie bereits weiß ist, dass neben den physiologischen auch die psychischen Bedürfnisse befriedigt sein müssen, dass sich der Mensch wohl fühlt, dass es ihm gut geht, dass er gesund und glücklich bleibt und eine hohe Leistung erbringen kann. Diese Aufgabe übernimmt die Ich-Welt, also unser Gehirn.

Oberstes Ziel von Lebewesen ist es, neben dem Überleben sichern, psychisches und physisches Wohlbefinden zu erlangen.

zz Grundbedürfnisse

Die zentrale Frage für die Menschen sowohl im Privaten wie auch am Arbeitsplatz ist demnach: >>Welche Anforderungen an die (Arbeits‑)Umgebung, an die

(Arbeitsplatz‑)Bedingungen und Beziehungsgestaltung müssen erfüllt sein, um ein größtmögliches Maß an Wohlbefinden zu erlangen?

Eine Antwort darauf liefert Grawe (2004) mit seiner Konsistenztheorie. Dieses Konzept der psychologischen Grundbedürfnisse ist empirisch sehr gut abgestützt. Jeder Mensch versucht, grundlegende Bedürfnisse in hoher Priorität zu befriedigen oder zu schützen. Dazu hat ein erwachsener Mensch im Laufe seines Lebens viele Strategien entwickelt. Diese Strategien nennt Grawe (2004) motivationale Schemata und sie können, wie wir bereits wissen, zwei grundsätzlich unterschiedliche Ausprägungen haben, nämlich entweder die Erreichung eines bestimmten Zielzustandes oder die Vermeidung eines unerwünschten Zielzustandes. Wir nennen die bedürfnisbefriedigenden motivationalen Schemata Annäherungsstrategien, jene zum Schutz vor Verletzung des Bedürfnisses Vermeidungsstrategien. Grawe (2004) schreibt dazu:

» Wächst ein Mensch in einer Umgebung auf, die ganz auf die Befriedigung seiner Bedürfnisse eingestellt ist, wird er hauptsächlich annähernde motivationale Ziele entwickeln und erwirbt viel Erfahrung mit ihrer positiven Befriedigung … Wächst ein Mensch dagegen in einer Umgebung auf, in der seine Grundbedürfnisse immer wieder verletzt, bedroht oder enttäuscht werden, entwickelt er Vermeidungsschemata, um sich vor weiteren Verletzungen zu schützen. (Grawe 2004, S. 188)

Die Grundbedürfnisse nach Grawe (2004) sind: 1. Bedürfnis nach Bindung, 2. Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung, 3. Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung und Kontrolle, 4. Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung.

Handlungsmuster (motivationale Schemata) können Annäherungs- oder Vermeidungsstrategien sein

114

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Im folgenden Abschnitt werden die vier Grundbedürfnisse aus der Perspektive der Arbeitswelt genauer erläutert. zz Das Bindungsbedürfnis Sicherer Bindungsstil führt zu Zuwendung und Vertrauen

5

Unsicherer Bindungsstil kann sich in Unnahbarkeit und Misstrauen äußern

Als Bindungsbedürfnis versteht Grawe (2004) den Wunsch einer Person, eine Bindungsbeziehung mit einer anderen Person aufzubauen, welche ein Gefühl von Vertrautheit, Fürsorge, Trost, Verlässlichkeit aber auch von Wertschätzung vermittelt. Personen mit einem sicheren Bindungsstil wenden sich einander zu, wo das nötig ist, können sich aufeinander verlassen und sind konfliktfähig. (Grawe 2004, S. 208). Personen mit einem unsicheren Bindungsstil haben eine misstrauische Grundhaltung gegenüber Menschen und wirken vorsichtig und unnahbar. Konsequenzen für die Führung

Führungskräfte sollten ihr Bindungsbedürfnis kennen und bewusst die Bindung in der Führung gestalten.

Beispiel Neue Angestellte

Führung ist Beziehungsgestaltung. Daher kommt diesem Grundbedürfnis in Unternehmen eine zentrale Rolle zu. Führungspersonen mit einem ausgeprägten Bindungsbedürfnis und einem Streben nach Harmonie laufen Gefahr, dass sie anstehende Arbeiten ungleich gut delegieren können und daher viele Arbeiten selbst erledigen. Das Risiko für ein Burnout steigt. Studien zeigen, dass die Chance, an einem Burnout zu leiden und dem Bedürfnis nach Bindung (untersucht: Harmoniebedürftigkeit) korrelieren.

Beispiel

Eine neue Angestellte mit ausgeprägtem Bindungsbedürfnis im Back-Office einer Schule, die ein ruhiges Einzelbüro erhalten hat, konnte durch die Versetzung in ein Großraumbüro mit integriertem Empfang zu neuer Leistungsmotivation zurückfinden.

zz Das Bedürfnis nach Orientierung, Kontrolle und Sicherheit Gesunde Kontrollüberzeugung und Selbstwirksamkeitserwartung sind Voraussetzungen für Leistung und Wohlbefinden

Grawe (2004) misst dem Bedürfnis nach Kontrolle eine besondere Bedeutung zu. Er schreibt: „Das Kontrollbedürfnis ist also ein Bedürfnis, etwas zu können, was zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung der eigenen Ziele wichtig ist“ (Grawe 2004, S. 232). Eng an das Bedürfnis der Kontrolle ist der Begriff der Sicherheit geknüpft. Sich sicher fühlen bedeutet, überzeugt sein, die Kontrolle über die Situation zu haben (Selbstwirksamkeit), über die nötigen Erfahrungen und Ideen zu verfügen, eine Herausforderung meistern zu können. Unsichere Personen hingegen sind Neuerungen gegenüber eher verschlossen.

5.3 • Neuropsychologisches Modell

115

5

Werden die Grundbedürfnisse nach Lustgewinn, nach Bindung und nach Selbstwert verletzt, ist in den meisten Fällen auch das Bedürfnis nach Sicherheit, Orientierung und Kontrolle verletzt, weil die Selbstwirksamkeit als Steuerung bei allen Grundbedürfnissen eine relevante Rolle spielt. Konsequenzen für die Führung Der professionelle Umgang mit dem Grundbedürfnis nach Orientierung, Kontrolle und Sicherheit ist ein Führungsinstrument. Motivationale Ziele des Mitarbeitenden sollten durch die eigenen Fähigkeiten in Kombination mit der in Aussicht gestellten Hilfe als erreichbar eingeschätzt werden. Dabei spielt es eine Rolle, auf welchem Niveau das Kontrollbedürfnis der untergebenen Person ist, und welche Unterstützung (Sicherheit) man für die Bewältigung der Aufgabe fähig und willig ist, zur Verfügung zu stellen. Davon hängen in wesentlichem Maße die Leistungsfähigkeit und die Zufriedenheit, und damit die langfristige Gesundheit der Person ab. Fazit: Eine Führungskraft muss sich demnach mit dem individuellen Niveau der Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeitenden auseinandersetzen, um adäquat führen zu können.

Beispiel

Ein Back-Office-Mitarbeiter der Verkaufsabteilung konnte die Neuorganisation eines unübersichtlich gewordenen Archives nur deshalb effizient vorantreiben, weil ihn der Vorgesetzte klar über das Ziel und die möglichen Wege in einer professionellen Delegation informiert hat. Hier wurde Handeln im Annäherungsmodus ermöglicht.

Gute Führung bedeutet, die Balance (Forderung) zwischen Herausforderung und Überforderung zu finden

Beispiel Back-Office-Mitarbeiter

zz Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung oder Selbstwertschutz

Jeder Mensch möchte wertvoll sein, in der Familie, dem Freundeskreis und der Unternehmung eine Bedeutung haben und seinem Handeln einen Sinn geben. Personen mit hohem Selbstwert fühlen sich wertvoll, respektiert und von der Umgebung und insbesondere von den Vorgesetzten Personen anerkannt. Spricht man mit Personen mit einem hohen, befriedigten und stabilen Selbstwertgefühl, sind sie mit sich und der Leistung zufrieden, achten sich selbst und kennen ihre Stärken, worauf sie stolz sind. Krampe (2014, S. 22) schreibt, „… dass Personen mit hohem Selbstwertniveau jenes v. a. über dominantes und kompetentes Auftreten zu erhöhen bzw. stabilisieren versuchen, wohingegen Personen mit niedrigem Selbstwertniveau eher darauf bedacht

Gutes Selbstwertgefühl führt zu Stolz, Engagement und Leistungsmotivation

116

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

sind, Fehler zu vermeiden und riskanten bzw. schwierigen Situationen aus dem Weg zu gehen.“ Konsequenzen für die Führung Eine Führungskraft unterstützt Selbstwert mit Wertschätzung, Anerkennung, Vertrauen sowie positiver Fehlerkultur

5

Führungspersonen, aber auch Kolleginnen und Kollegen im Arbeitsumfeld, tragen eine wesentliche Mitverantwortung, wie gut es den Mitarbeitenden gelingt, ihr Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung zu befriedigen. Personen mit niedrigem, eher instabilem Selbstwert sollten selbstwerterhöhende Erfahrungen machen können. Dabei spielen Anerkennung und Lob, sowie eine Führungskultur von Vertrauen, Wertschätzung und Fehlertoleranz eine herausragende Rolle.

zz Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung Aufgaben im Unternehmen sollten die Neugierde weckend, herausfordernd, interessant sein

Nach Grawe (2004) zählt das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung zum offensichtlichsten Grundbedürfnis. Neben physiologischen Bedürfnissen (z. B. Hunger und Durst, frische Luft, sexuelle Lust, angenehme Temperaturen etc.) gibt es auch innere, geistige Genüsse. Zu diesen gehört z. B. die Neugierde am Forschen, die Freude am Entdecken neuer Kulturen, das Interesse, Zusammenhänge zu verstehen, das Lösen von Rätseln (oder schwierigen Fällen), das Schreiben von Gedichten oder die Lust am Lernen. Konsequenzen für die Führung

Führungskräfte fragen ihre Mitarbeitenden danach, was ihnen Spaß macht und suchen Wege der Umsetzung

Beispiel Stellenangebot

Führungskräfte sollten lustvolle Arbeit ermöglichen. Sind Aufgaben und Arbeitstätigkeit entsprechend den Ansprüchen an Herausforderungen sowie den Fähigkeiten und Kompetenzen der Mitarbeitenden gestaltet, befriedigt das den Lustgewinn oder verstärkt ihn noch. Regelmäßige Gespräche darüber, ob die Arbeit „Freude“ bereitet und welche Gestaltungsmöglichkeiten in der Unternehmung bestehen, sind wichtig. Die jährlichen Zielvereinbarungsgespräche und Zwischenevaluationen (7 Kap. 15) sind ein Instrument dazu.

Beispiel

Francine Neuheim bekommt ein Stellenangebot für eine NPO in Äthiopien. Sie kann dort eine neue Krankenstation aufbauen und leiten. Auf eine solche Stelle hat sie sehr lange gewartet (Lustgewinn) und sich auch in diese Richtung weitergebildet. Um sich dieser Herausforderung zu stellen, von der sie sich gute Glücksgefühle und Befriedigung erhofft, ist sie durchaus bereit, ihre gewohnte Umgebung und ihre Arbeitskolleginnen zu verlassen (Sicherheits- und Bindungsbedürfnis).

5.3 • Neuropsychologisches Modell

117

5

Hier wird das starke bisher wenig befriedigte Bedürfnis nach Lustgewinn im Sinne einer beruflichen Herausforderung zum Entscheidungskriterium für den Stellenwechsel. Würde sie sich schwer tun damit, kann das auch zu einem Dilemma führen (siehe folgender Abschnitt „Inkonsistenz der Grundbedürfnisse“).

zz Inkonsistenz der Grundbedürfnisse

Nach Grawe (2004) ist unser subjektives Wohlbefinden immer auch abhängig davon, wie gut es uns gelingt, alle vier Grundbedürfnisse gleichzeitig zu befriedigen. Grawe (2004, S. 303) schreibt: „Wenn bestimmte Grundbedürfnisse oder motivationale Ziele auf Kosten der anderen überwertig werden, führt dies zwangsläufig dazu, dass die anderen Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden.“ Hier entsteht ein Schemakonflikt und er wird als mehr oder weniger belastend erlebt. Von Schemakonflikt oder Diskordanz spricht Grawe (2004), wenn sich zwei oder mehrere motivationale Ziele gegenseitig behindern oder einander einschränken. Beispiel

Gleichzeitig alle Grundbedürfnisse befriedigen zu können, ist unwahrscheinlich

Beispiel Projektgruppe

Mitarbeiter X möchte in einer Projektgruppe mitarbeiten, weil er durch die Fachkenntnisse einen wesentlichen Beitrag leisten könnte (Annäherungsziel). Gleichzeitig hat er eine große Abneigung, mit Mitarbeiter Y aus der Projektgruppe zusammenzuarbeiten, weil er von ihm schon oft beleidigt und diskreditiert worden ist (Vermeidung).

Eine weitere Form der Inkonsistenz tritt bei Inkongruenz auf. Von Inkongruenz spricht Grawe (2004), wenn ein aus einem Grundbedürfnis hervorgegangenes Vermeidungs- oder Annäherungsziel nicht erreicht wurde. Z. B. möchte ich mit einer Kollegin eine tiefere Beziehung eingehen, aber sie verweigert eine Annäherung, so hat mein „psychisches“ System das Ziel verfehlt und ich werde mich ausgeschossen fühlen. Inkongruenz und Diskordanz sind unter dem Oberbegriff Inkonsistenz zusammengefasst. Grawe (2004) spricht von der Konsistenz als einem Grundprinzip des psychischen Funktionierens. Konsistenz geht mit positiven, Inkonsistenz mit negativen Gefühlen einher. Demnach beinhalten Gefühle Botschaften, die wir als Führungspersonen lesen, interpretieren, deuten und verstehen sollten.

Für psychische Stabilität und Gesundheit sollten die positiven die negativen Gefühle immer überwiegen.

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Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5

..Abb. 5.6  © 2018 by Tobias Leuenberger

5.3.4

Konklusion neuropsychologisches Modell

Alle Menschen verfolgen ein und dasselbe Ziel: psychisches Wohlbefinden zu schützen oder wieder zu erlangen. Dazu stehen uns vermeidende, schnelle Handlungsalternativen (Flucht, Kampf, Erstarren) oder langsamere, annähernde Verhaltensprozesse (bewusstes Handeln) zur Verfügung. 5.4 Wahrnehmung

..Abb. 5.7  © 2018 by Tobias Leuenberger

Die Wahrnehmung stellt die Verbindung her zwischen mir als Individuum und der Um-Welt, in der ich lebe. Technisch betrachtet bezeichnen wir als Wahrnehmung grundsätzlich die Informationsaufnahme von meist außerhalb des Körpers stattfindenden physikalischen und chemischen Phänomenen, die für unsere Existenz von Bedeutung sind. Zum einen geben sie uns Auskunft über die Materie selbst (Dichte, fest, flüssig, gasförmig) und über die chemische Beschaffenheit (Zusammensetzung, Geruch, Geschmack) oder die atomare Beschaffenheit (Wellenlängen der Phänomene Ton, Licht). Für viele (fast die meisten) vertrauten Phänomene, die wir vermeintlich wahrzunehmen glauben, sind komplizierte Verrechnungen im Gehirn notwendig (z. B. Form, Farbe, Helligkeit, Ort, Raum, Gewicht, Temperatur,

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5.4 • Wahrnehmung

Verrechnete Wahrnehmungen

Physikalisches Phänomen Materie Chemische Beschaffenheit Atomare Beschaffenheit

Zeit

Dichte Gaströpfchen Feste Stoffe Schallwellen (20 Hz bis 18 kHz) Licht (380 – 760 nm) Bereits eine Verrechnung im Gehirn notwendig

5

Form, Farbe, Helligkeit, Ort, Raum, Zeitgefühl, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Geruch, Geschmack, Schall, Kräfte, Gravitation, Magnetismus, Starke Kraft, Temperatur etc.

Physikalische Phänomene ohne direkte oder verrechnete Wahrnehmung Magnetismus, Elektromagnetismus, Mikrowellen, Infrarot Radioaktivität, Ultraschall ..Abb. 5.8  Physikalische Phänomene der Wahrnehmung

Kräfte, Gravitation, Geschwindigkeit, Beschleunigung, Drehbewegung usw.). Es gibt jedoch viele Phänomene, für die der Mensch keine direkten Sinne besitzt und die ihm nur indirekt zugänglich sind. z. B. Magnetismus, Elektromagnetismus (Mikrowellen, Radiowellen), Radioaktivität, Ultraschall, Infrarot, Chemische Zusammensetzung (giftige Gase, Gifte). Zur Wahrnehmung der Phänomene stehen uns die fünf bekannten Sinnesorgane Augen, Ohren, Nase, Zunge und die Haut zur Verfügung. Der Vestibulärapparat mit den Vorhofsäckchen des Innenohrs ermöglicht die Verrechnung im Gehirn der Bewegungswahrnehmung. Unsere Bänder, Sehnen, Gelenke, und die Muskulatur als kinästhetische Sinnesorgane sind zur Erfassung der Gravitation (Lage im Raum) verantwortlich (. Abb. 5.8). 5.4.1

Physikalische Phänomene werden in elektrische Signale umgewandelt

Bewusste vs. unbewusste Verarbeitung

Unsere Sinnesorgane melden dem Gehirn ununterbrochen Informationen. Der großen Mehrheit der Informationen sind wir uns gar nicht bewusst, sie werden schon sehr früh weiter verarbeitet und aggregiert. Das Gehirn wählt nun die im Moment wichtigen Informationen aus, um möglichst konfliktfrei und konsistent den Körper durch die Welt zu führen. Wir können aber unsere Aufmerksamkeit bewusst auf einzelne Phänomene lenken, und

Aufmerksamkeitsschwelle

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5

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

damit die automatischen Entscheidungsmechanismen wesentlich beeinflussen. Wenn wir uns auf das Lesen des vorliegenden Textes konzentrieren, dann werden wir das Pfeifen eines Vogels oder das Geräusch eines vorbeifahrenden Zuges nicht bemerken oder realisieren die einbrechende Dunkelheit nicht. Ein zweiter Faktor, ob wir Reize von außen wahrnehmen oder nicht, ist die Intensität des Reizes selbst. Ist der Reiz stärker als die Aufmerksamkeitsschwelle, dann werden wir uns des Reizes bewusst. Ansonsten hören wir ihn genauso, er durchdringt jedoch nicht die Schwelle des Bewusstseins und „stört“ uns nicht bei der Arbeit. Dieser Filter hat seinen guten Grund. Würden wir alle einkommenden Signale in gleicher Intensität wahrnehmen und bewusst verarbeiten, würde dies die Möglichkeiten des Stirnhirns sprengen. Wir würden durch die Reizüberflutung krank. Menschen mit Schädigungen des Hypothalamus und Hirnstammes oder Menschen in dauernder Reizüberflutung leiden unter Stress. Denn der Sympathikus bewirkt insgesamt eine Leistungssteigerung des Organismus (Ergotropie). Er versetzt den Körper in hohe Leistungsbereitschaft, bereitet ihn auf Stressreaktionen wie Angriff oder Flucht oder andere außergewöhnliche Anstrengungen vor. Dieser Zustand dauernd gesteigerter Herztätigkeit und erhöhten Blutdrucks sowie gehemmter Darm- und Nierentätigkeit schädigt auf lange Sicht den Organismus. zz Wahrnehmungs- und Bewertungsfehler

Es gibt aber auch Informationen und Reize, die unsere Aufmerksamkeit geradezu auf sich ziehen. Erwarte ich beispielswiese eine wichtigen Anruf, so ist mein neuronales Netzwerk im Gehirn bereits aktiviert. Ich werde das Signal des Telefons schon bei einer sehr viel tieferen Signalschwelle wahrnehmen, selbst wenn ich mich im Garten oder Keller aufhalte und nur ein schwaches Klingeln ertönt. zz Bewusste Aufmerksamkeitslenkung

Was ist zu tun? Erst müssen wir uns klar werden, welche Ziele und Interessen wir wirklich verfolgen wollen. Dies ist nicht ganz trivial, stehen uns doch oft wesentlich mehr Optionen zur Verfügung, als uns lieb ist. Danach sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf die Informationen lenken und konzentrieren, die uns diesem Ziel näher bringen können. Es ist eine zielgesteuerte Wahl und eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung. Von besonderer Bedeutung ist die Aufmerksamkeitslenkung in einer Umgebung, in der z. B. einzelne Mitarbeitende durch herausragende Leistungen, ungewöhnliche Verhaltensweisen oder besonders markante Aussagen stillere und unauffälligere Mitarbeitende eines Teams überstrahlen. Dieser Auffälligkeit der Information kann nur durch bewusst geplante Aufmerksamkeitslenkung entgegengewirkt werden.

5.5  •  Emotionen und somatische Marker

121

5

zz Reizeindeutigkeit

Oft empfangen wir Reize, die je nach Kenntnis- und Erfahrungsstand sehr unterschiedliche Bedeutung haben können. Sie sind also mehrdeutig. Erscheint z. B. eine Person nicht zur Arbeit, kann das zusammen mit dem Vorwissen, dass die Person gestern stark Kopfschmerzen hatte als „ist vermutlich krank“ gedeutet werden. Ist mir jedoch nur bekannt, dass die Person gestern einen Angehörigen im Krankenhaus besucht hat, dann zu einer anderen Deutung führen. Es wird umso schwieriger, die übermittelten Informationen „korrekt“ wahrzunehmen, je komplexer und mehrdeutiger sie interpretiert werden können. Das Kapitel der Kommunikation (7 Kap. 9) befasst sich mit den Auswegen aus diesem Dilemma.

Oft sind empfangene Reize mehrdeutig

zz Wahrnehmungsverzerrungen

Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende sind in der Wahrnehmung zahlreichen Verzerrungen in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt ausgesetzt. Eine der zentralsten ist die Erwartung. Der Wahrnehmung voraus geht meist eine Erwartung. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die erwarteten Phänomene, Aussagen und Geschehnisse. Wichtig ist, dass wir uns und insbesondere als Führungskraft dessen erstens gewahr sein sollten, und zweitens, dass wir uns ganz bewusst und absichtsvoll einen guten Überblick über die Situation, die Zusammenhänge und über den Menschen verschaffen. Wir müssen genügend Informationen sammeln, Fragen stellen und die Sachverhalte analysieren. Für ganz wichtige Inhalte, und falls die Zeit reicht, bereichert und erweitert ein Fremdbild einer außenstehenden Person unsere Wahrnehmung. Weitere Verzerrungen und Fehler werden in späteren Abschnitten beschrieben. 5.5

Die eigene Erwartung ist bei der Wahrnehmung die größte Verzerrung

Emotionen und somatische Marker

5.5.1 Emotionen

Emotionen spielen eine wichtige Rolle, wenn wir über psychologische Grundprinzipien nachdenken. Die Emotionen sind die ersten und einzigen Signalgeber von psychischem und physischem Wohlbefinden, von Konsistenz und Inkonsistenz. Sie sind der Schlüssel und Zugang, sich gerade ablaufende Prozesse bewusst zu machen und sich damit auseinanderzusetzen. Lange Jahre glaubte man, die Emotionen seien eine angenehme aber manchmal auch störende Begleiterscheinung des menschlichen Daseins. Heute wissen wir um die wichtige Bedeutung der Emotionen. Gerade auch in der Führung.

Emotionen sind die Signalgeber von psychischem und physischem Wohlbefinden

122

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Definitionen 

Definition: Emotion, Gefühl

Emotion Eine Emotion ist eine Körperreaktion auf ein reales oder ein gedachtes Objekt, welche dazu dient, den Organismus auf eine Handlung vorzubereiten. Gefühl Ein Gefühl ist das bewusste Erleben dieser Körperreaktion und das bewusste Interpretieren der Situation, in der diese Körperreaktion stattfindet. 

5

5.5.2 somatische Marker und ­Körperreaktionen

bewährte Handlungsmuster, z. B. Gefahr → Angst → Flucht

Somatische Marker

Wir erleben Emotionen als Gefühle einer veränderten Körperbefindlichkeit, die wir entweder als positiv oder als negativ wahrnehmen. Dieses Körpererleben ist nach Damasio (2005) ein Signalsystem, das angenehm sein kann, mich entspannt und beruhigt oder aber unangenehm ist, anspannt und mich für irgendeine körperliche Handlung mobilisiert (Flucht, Kampf, Erstarren). Die Hirnforschung spricht bei diesen Körperreaktionen von somatischen Markern. Nach Damasio (2005) sind alle unsere vergangenen Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben mit einem entsprechenden körperlichen Signal (somatischer Marker) „gut“ oder „schlecht“ gewesen, im Erfahrungsgedächtnis gespeichert. Interessant ist, dass alle menschlichen Wahrnehmungen (primäre Auslöser) und Gedanken (sekundäre, bewusste oder unbewusste Auslöser) eine unmittelbare körperliche Reaktion induzieren. In sehr wichtigen Entscheidungssituationen können wir die somatischen Marker deutlich spüren. Somatische Marker sind vereinfacht ausgedrückt die Bewertung emotionaler Befindlichkeiten, welche ein Individuum in einer Situation gemacht hat. Diese Marker im Gehirn sind laut Damasio (2005) bei schnellen Entscheidungen wegweisend. Gelingt es mir, die mit den somatischen Markern einhergehende Körperreaktion bewusst zu spüren, dann ist mein Bewusstsein aktiv und es kann versuchen, mein Verhalten bewusst zu steuern. Wenn ich ein wichtiges Referat vor 300 Personen halten muss, dann spüre ich das deutlich im Bauch und kann mich mit einer Entspannungsoder Konzentrationsübung beruhigen. Einige Körperreaktionen sind so stark, dass wir sie auch an anderen Personen sehen können. Weil wir viele davon am eigenen Leib erfahren haben, können wir sie mit hoher Treffsicherheit deuten. z. B. bei Freude, Überraschungen, Furcht oder Enttäuschungen. So entsteht Empathie. Eine große Zahl somatischer Marker ist allerdings so subtil, dass sie nur durch sensible Messgeräte erfasst werden können (erhöhter Herzschlag oder Blutdruck, veränderter Hautwiderstand, Körpertemperatur, Muskelanspannungen etc.).

5.5  •  Emotionen und somatische Marker

123

5

..Abb. 5.9  a–g Mimische Ausdrucksweise der Basisemotionen. a Wut, b Verachtung, c Überraschung, d Traurigkeit, e Furcht, f Freude, g Ekel. (© camrocker/stock.adobe.com, © Focus Pocus LTD/stock.adobe.com, © Yakobchuk­ Olena/stock.adobe.com, © olly/stock.adobe.com, © Kurhan/stock.adobe.com, © Kurhan/stock.adobe.com, © Wayhome Studio/stock.adobe.com)

Als sehr schnelle unwillkürliche und ehrliche Manifestation solcher somatischer Marker sind die mimischen Ausdrucksformen zu sehen (. Abb. 5.9). Die mimische Ausdrucksweise der sieben Basisemotionen können wir sofort kulturübergreifend und altersunabhängig deuten und verstehen. In der Konsequenz gilt es daher in der Arbeit als Führungskraft, seine eigenen somatischen Marker besser kennenzulernen, sie zu erforschen um die damit einhergehenden Reaktionen zu verstehen. Nicht immer gelingt es uns, unsere somatischen Marker bewusst wahrzunehmen, zu deuten und danach zu handeln. Nicht selten entpuppt sich im Nachhinein einer Fehlentscheidung ein diffuses, ungutes „Gefühl“ als Zeichen eines somatischen Markers 5.5.3

Die mimischen Ausdrucksweisen der Basisemotionen sind universell.

Achtsamkeit auf die eigenen somatischen Marker ist wichtig

Emotionen und kluge Entscheidungen

Der Mensch ist den ganzen Tag über damit beschäftigt, ununterbrochen Entscheidungen zu fällen. Doch wie fällen wir, oder wie

Kongruenz für Verstand und Gefühl

124

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5

Erfahrungsgedächtnis knapp unterhalb der Bewusstseinsschwelle

Zugang zum vorbewussten Erfahrungsgedächtnis ermöglichen

fällt unser Gehirn eine kluge Entscheidung? Und gibt es eine Technik für eine „gute“ Entscheidung? Sie ist dann vernünftig, wenn sie für den Verstand und für das Gefühl kongruent ist, also beide damit leben können. Diese gegenläufigen Tendenzen des Verstandes und der Gefühle ist uns allen wohlbekannt. Die Gefühle treiben uns dazu, viele Handlungen vorzunehmen, wovor uns der Verstand abhalten will, oder auch umgekehrt. Das vorbewusste Erfahrungsgedächtnis (Roth 2010) liegt knapp unterhalb unserer Bewusstseinsschwelle. In diesem Gedächtnis sind alle vergangenen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Entscheidungen mit ihren angenehmen oder unangenehmen Emotionen und somatischen Markern gespeichert. Es ist leicht verständlich, dass wir, um gute Entscheidungen zu treffen, erst auf diesen großen Erfahrungsschatz Zugang haben sollten. Da sich dieses Erfahrungsgedächtnis dem direkten, willentlichen Zugang entzieht, sollten wir durch entsprechende Techniken und Methoden unserem Gehirn Zugang dazu verschaffen. Bemüht man sich, im Gedächtnis nach einem Erlebnis oder einem Namen zu suchen oder möchte den Traum der vergangenen Nacht erinnern, funktioniert es nicht. Gibt man dem Gehirn jedoch den Raum, werden „… Netzwerke im Vorbewussten angestossen“ (Roth 2010, S. 26) und diese Erfahrungen werden als wertvolle Basis von Entscheidungen einbezogen und haben sogar das Potenzial, bewusst zu werden. Solche Abläufe werden als intuitive Prozesse bezeichnet. Wie sieht nun der Ablauf für eine gute Entscheidung aus? Zuerst sollten wir ergründen, welche Gefühle wir bei einer Entscheidung wahrnehmen. Dabei achten wir auf unsere somatischen Marker. Danach versuchen wir, alle übrigen Argumente zu erheben und zu analysieren. Anschließend sollten wir nicht mehr nachdenken und einfach mal darüber schlafen. Oder wir bedienen uns kreativer Methoden, die den Zugang zu unserem Erfahrungsgedächtnis ermöglichen. Nach dieser Pause sollte man „… anschließend mehr oder weniger spontan entscheiden“ (Roth 2010, S. 25). 5.6

Zwei grundlegende Verarbeitungssysteme wirken in unserem Gehirn

Verarbeitungssysteme des Gehirns

Die vorangegangenen Abschnitte zeigen mehrmals auf, dass sowohl bewusste als auch unbewusste Prozesse im Gehirn unser Erleben, Fühlen, Denken und Verhalten kreieren. Zusammenfassend kann man sagen, dass zwei grundlegend unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Verarbeitungsprozessen in unserem Gehirn und Körper vorhanden sind. Das erste, ältere und weitaus mächtigere Verarbeitungssystem ist jenes, welches Informationen automatisch und zu weiten Teilen unbewusst verarbeitet. Hierzu gehören unter anderem die Systeme des emotionalen und kognitiven Erfahrungsgedächtnisses als auch das limbische System. Das zweite

125

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

5

..Tab. 5.1  Zusammenfassung der Eigenschaften beider Verarbeitungssysteme System 1

System 2

Heuristisch

Systematisch

Analysearm

Analysereich

Geringer kognitiver Aufwand, mühelos

Hoher kognitiver Aufwand

Automatisch, unbewusst, schnell

Kontrolliert, bewusst, langsam

Assoziativ,

Logisch,

Parallel verarbeitend

Seriell verarbeitend

Große Verarbeitungskapazität

Begrenzte Verarbeitungskapazität

Ohne willentliche Steuerung

Oft subjektives Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration

Lenkt Aufmerksamkeit unbewusst

Lenkt Aufmerksamkeit bewusst Kann Funktion von System 1 in gewissem Umfang verändern, indem es automatische Prozesse programmiert

System ist jenes, welches uns erlaubt, Informationen bewusst zu verarbeiten und uns selbst sowohl bewusst als auch kontrolliert zu steuern, situiert im präfrontalen Kortex, dem Stirnhirn. Beide Verarbeitungssysteme unterscheiden sich grundsätzlich in ihrer Arbeitsweise. Die Prozesse, welche beiden Systemen zugrunde liegen, erlauben es uns, die Welt wahrzunehmen, zu fühlen, zu denken, zu entscheiden, zu wollen und zu handeln. In der aktuellen wissenschaftlichen Literatur werden unterschiedliche Bezeichnungen für diese beiden Systeme verwendet. So werden diese beispielsweise als System 1 und 2, heuristisch und systematisch, unbewusst und bewusst oder automatisch und kontrolliert genannt (Betsch et al. 2011; Kahneman 2015; Lieberman et al. 2002; Stanovich und West 2000; Naughton 2016). Die nachfolgende Tabelle (. Tab. 5.1) listet die grundlegenden Unterschiede der beiden Systeme auf. Hierbei stehen beide Systeme vor der Herausforderung, aus der beschränkten Information, welche unsere Sinneskanäle aufnehmen können und der beschränkten Verarbeitungskapazität unseres Nervensystems (kognitive Kapazität), ein stimmiges und realistisches Bild unserer Umgebung und von uns selbst zu konstruieren, was wir dann als Realität wahrnehmen. Das Gehirn ist zudem dazu da, Sinn aus all der zur Verfügung stehenden, komplexen Information zu extrahieren, indem es eigenständig Zusammenhänge erkennt,

System 1: automatisch, ­unbewusst System 2: kontrolliert, bewusst

Trotz beschränkter Information und beschränkter Verarbeitungskapazität ein stimmiges Bild der Welt

126

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Wir sind von Natur aus denkfaul

Ziele bestimmt und angetroffene Probleme löst (Kahneman 2015; Naughton 2016). Beide Systeme tun dies, wobei beide Systeme versuchen, diese komplexen Leistungen mit so wenig Einsatz wie möglich zu bewerkstelligen. Wir sind daher von Natur aus denkfaul und suchen mentale Abkürzungen. Gleichzeitig ermöglicht dies aber auch, im Normalfall schon mit wenigen Informationen, sehr effektiv ein sehr gutes Bild der Realität als auch von uns selbst zu erhalten, als auch gute Lösungen für Probleme zu finden und unser Handeln adäquat an die sich verändernde dynamische Umwelt anzupassen.

5 5.6.1

Viele Verarbeitungsprozesse entziehen sich unserer ­Kontrolle

System 1: Automatische, unbewusste Prozesse

Der weitaus größte Teil aller neuronalen Verarbeitungsprozesse in unserem Körper ist automatisiert und entzieht sich praktisch vollständig unserer Kontrolle, insbesondere all jene Prozesse, welche unsere internen Körperfunktionen steuern (Blutzirkulation, Verdauung, Schlaf-Wach-Rhythmus, Muskelkoordination etc.). Nicht wenige sind sogar vom Großhirn ausgelagert und werden vom Rückenmark, dem Stammhirn oder dem Kleinhirn kontrolliert (z. B. Herzrhythmus, Blutdruck). Einige lassen sich bewusst für einen kurzen Moment steuern oder übersteuern. Bei anderen Prozessen ist dies nicht möglich. So können wir bewusst und willentlich die Luft anhalten. Jedoch siegen in jedem Fall die automatischen Prozesse, die im Falle der Atmung sogar soweit eingreifen können, dass sie uns bewusstlos machen, um ihre Arbeit wieder normal verrichten zu können. Sie trennen somit mit Gewalt die Kontrolle von System 2 über wichtige Prozesse des Systems 1). Mehrere Eigenschaften dieses Systems lassen sich aber identifizieren und veranschaulichen. zz Automatisch Sinn generieren

automatische Konstruktion unseres Bildes der Realität

Selbst ein großer Teil der komplexeren Informationsverarbeitung unseres Gehirns erfolgt automatisch durch eine Vielzahl spezialisierter und miteinander vernetzter Gehirnareale. Die Prozesse des Systems 1 sind darauf ausgerichtet sinnvolle Muster und Zusammenhänge zwischen den zur Verfügung stehenden, meist sehr begrenzten Informationen automatisch zu finden oder zu konstruieren. Zusammen generieren sie Sinn aus den einkommenden und den zusätzlich im Gehirn aktivierten Informationen, konstruieren automatisch unser Bild der Realität, bilden gemeinsam den stetigen Strom unseres Bewusstseins (Lieberman et al. 2002) und der Wahrnehmung von uns selbst.

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

Beispiel

127

5 Beispiel Wut

Wenn sie das Bild in . Abb. 5.9a betrachten, erkennen sie sofort, ohne nachzudenken, dass diese Person wütend ist. Ihr Gehirn hat alle vorhandenen Informationen in kürzester Zeit verarbeitet (sie erkennen ein menschliches Gesicht) und in einen Sinnzusammenhang gebracht (die Person ist wütend). Gleichzeitig macht das Gehirn sogar noch vorhersagen, was passieren könnte (die Person wird sich im nächsten Moment heftig beschweren). Sollte dies unsere Partnerin sein, würden wir wahrscheinlich ein erstes unangenehmes Gefühl verspüren (somatische Marker), welches maßgeblich für unsere folgende Reaktion sein wird.

Beispiel

Das folgende Bild zeigt einen weiteren voll automatisierten, visuellen Verarbeitungsprozess (. Abb. 5.10) exemplarisch auf, welcher von sich aus einen sinnvollen Zusammenhang zwischen den Informationen generiert. Egal, wie viel Wille Sie als Leser

Beispiel Automatisierter visueller Verarbeitungsprozess

..Abb. 5.10  Visueller Verarbeitungsprozess. (© Akiyoshi Kitaoka, University Kyoto, mit freundlicher Genehmigung)

128

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

jetzt aufbringen, die Kreise in der Abbildung bewegen sich, obwohl Sie genau wissen, dass bedrucktes Papier sich nicht bewegt. Die Verarbeitungsprozesse im Gehirn interpretieren die eingehenden Informationen sinnstiftend, sodass im Bewusstsein eine Rotation der Kreise wahrgenommen wird. Die hierfür verantwortlichen Prozesse lassen sich nicht bewusst steuern.

zz Ergänzen, Interpretieren

5

Fehlende Informationen werden automatisch ergänzt

Das Gehirn verbindet die Informationen zu größeren Sinneinheiten, ruft automatisch Erfahrungen aus dem Gedächtnis ab, ergänzt mit dem automatisch aktivierten Wissen fehlende Informationen und interpretiert alles zu einer sinnvollen Gesamtheit.

Beispiel Komplexer visueller Verarbeitungsprozess

Informationen werden a­ utomatisch korrigiert Beispiel Korrigieren von Informationen

Beispiel

In der Abbildung sieht man zwei Dreiecke (. Abb. 5.11). Bewusst betrachtet sind jedoch nur drei Winkel und drei angeschnittene schwarze Kreise zu sehen. Wir nehmen jedoch bewusst zwei Dreiecke wahr. Gleichzeitig stellt das Gehirn automatisch sinnvolle Zusammenhänge zwischen den verarbeiteten Informationen her. Bewusst wahrgenommen wird, dass das „helle“ Dreieck vor dem „dunklen“ Dreieck liegt. Dieser ganze, komplexe visuelle Verarbeitungsprozess passiert augenblicklich, automatisch und unkontrolliert.

zz Korrigieren

Automatische Prozesse korrigieren eingehende Informationen durch den automatischen Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis, sodass diese gesamthaft Sinn machen. Beispiel

D1353 435CHN1TT Z31GT, ZU W3LCH3N L315TUNG3N UN53R G3H1RN F43H1G 15T. 4M 4NF4NG W4R 35 51CH3R NOCH 5CHW3R, D45 ZU L353N. 5CHN3LL L3RNT D45 G3H1RN D13 F3HL3R ZU K0RR1G13R3N UND D13 Z4HL3N ZU 3R53TZ3N. M1TTL3W31L3 L353N 51CH D14 W0RT3 W4HR5CH31NL1ICH G4NZ 31NF4CH, OHN3 D455 35 W1RKL1CH 4N5TR3NGT.

..Abb. 5.11 Kanizsa-Dreieck. (Aus Kanizsa 1979, republished with permission of ABC-CLIO Inc, © 1979; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.)

Das Gehirn korrigiert die wahrgenommenen Zahlen mit den entsprechenden aus dem Gedächtnis automatisch abgerufenen Buchstaben. Eventuell ist Ihnen aufgefallen, dass der zweite Teil der Texte bedeutend einfacher zu lesen war. Ihr Gehirn hat sich automatisch an diese Herausforderungen angepasst und dabei versucht, es Ihnen so einfach wie möglich zu machen, den Sinn bewusst zu erkennen.

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

129

5

..Abb. 5.12  Gerade oder gebogen?

zz In Bezug zueinander setzen Informationen im Gehirn werden nicht einzeln, sondern sehr oft in Bezug zueinander verarbeitet, um den Sinn zu ermitteln.

Informationen werden in Bezug miteinander gesetzt, um den Sinn zu ermitteln

Beispiel

Die Grundfragen bei dieser Wahrnehmungsaufgabe lautet: Sind die zwei Linienpaare gerade (. Abb. 5.12)?

Beispiel Wahrnehmungsaufgaben

Das Gehirn interpretiert die eingehenden Informationen in Bezug zu allen anderen vorhandenen Informationen und generiert somit den Sinn im Wahrgenommenen, welcher uns dann bewusst wird. Das Lineal verrät uns jedoch, dass diese sinnhafte Interpretation falsch ist.

zz Saliente Informationen, Präferenzen

Da ständig Informationen unser Gehirn erreichen, werden fortlaufend Gedächtnisinhalte aktiviert. Jedoch hängt es vom Ausmaß der Aktivierung ab, ob ein Gedächtnisinhalt für die weitere Verarbeitung verfügbar wird. Neurologisch gesehen werden die einzelnen Neuronen oder Neuronengruppen mit den eingehenden elektrischen Signalen von anderen Neuronen mit einem elek-

Informationen, die voraktiviert, aber nicht bewusst wurden, sind leichter abrufbar (salienter)

130

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5 ..Abb. 5.13 Reihenfolgeeffekt

Beispiel Präferenzen

trischen Potenzial aufgeladen. Jedoch muss dieses Potenzial eine bestimmte Schwelle überschreiten, bevor die Neuronen von selbst anfangen, elektrische Impulse an jene Neuronen weiterzuleiten, mit denen sie verbunden sind. Die durch die Neuronen und Neuronengruppen gespeicherten Inhalte werden dadurch für die weitere Verarbeitung verfügbar und in letzter Konsequenz uns bewusst. Viele Neuronen und Neuronengruppen werden jedoch nicht genügend aktiviert, um über jene kritische Schwelle zu kommen. Sie bleiben hingegen für eine gewisse Zeit weiterhin mit einem gewissen elektrischen Potenzial versorgt. Während dieser Zeit ist es leichter, durch zusätzlichen elektrischen Impuls diese Neuronen zum „schießen“ zu bringen. Dies hat zur Folge, dass durch eine Voraktivierung die gespeicherten Informationen leichter abrufbar werden. Sie sind salienter. Beispiel

Je nachdem, in welcher Richtung (links – rechts/oben – unten) diese Figur gelesen wird (. Abb. 5.13), werden die Zeichen in der Mitte als B oder als 13 erkannt. Die zuvor wahrgenommenen Inhalte machen die Erkennung des mittleren Zeichens als Buchstabe oder als Zahl wahrscheinlicher. Die entsprechende Interpretation ist somit zugänglicher (salienter). Dieses Beispiel illustriert ebenfalls, dass der Kontext maßgeblich für die Interpretation einer Information verantwortlich ist.

..Abb. 5.14 Kippfigur Delfine („Liebesbotschaft der Delphine“, 1987 von Sandro Del-Prête, mit freundlicher Genehmigung von Carlo Del-Prête)

Jedoch ist nicht nur der Kontext ausschlaggebend, auch die Präferenzen eines Menschen beeinflussen automatisch die Verarbeitung. Präferenzen sind Inhalte, welche grundsätzlich einfacher abgerufen werden können. Das zweite Beispiel illustriert dies. Würden sie diese Figur (. Abb. 5.14) für das Zimmer ihrer Kinder kaufen? Erwachsene werden durch ihre Präferenz geleitet, die vorhandenen Informationen als Menschen zu interpretieren. Kinder werden von der Präferenz geleitet, die Delphine oder Wale zu sehen.

zz Schemaaktivierung Schema ist eine kognitive Struktur, die unser individuelles Wissen über einen Gegenstandsbereich repräsentiert Definition: Schema

Wie schon beschrieben, versucht unser Gehirn die aufgenommenen Informationen miteinander zu verbinden und generiert somit automatisch Sinnzusammenhänge. Neue Informationen werden mit schon vorhandenen verknüpft. Eine Folge davon ist, dass wir Schemas bilden. Definition  „Ein Schema ist eine kognitive Struktur, welche das Wissen einer Person über einen Gegenstandsbereich repräsentiert

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

131

5

und die wichtigsten Merkmale dieses Gegenstandsbereichs inklusive der Beziehungen zwischen diesen Merkmalen wiedergibt.“ (Betsch et al. 2011, S. 31; Hervorhebung des Autors) 

Wir haben somit Schemas über Dinge, Menschen, Menschengruppen (auch genannt Stereotypen), Tiere, Pflanzen und vieles mehr. Diese Schemas werden ebenfalls automatisch aktiviert und helfen, die einströmende Information einzuordnen und ihr Sinn zu geben. Zudem liefern die aktivierten Schemas zusätzliche Informationen, welche nicht direkt in der Umwelt wahrgenommen werden. Somit erkennen wir einen Tisch oder Stuhl, sobald wir einen sehen oder sogar nur Teile davon sehen. Innerhalb des Schemas sind wiederum eine Reihe Prototypen besonders leicht zugänglich (salient). Beispiel

--

Was fällt spontan zu den drei folgenden Begriffen ein: Werkzeug, Farbe, Tier.

Informationen werden mit Schemas verknüpft

Beispiel Aktivierung eines Schemas

Die weitaus größte Zahl an Menschen antworten ohne langes Nachdenken mit Hammer, Rot und Hund. Durch die oben genannten Begriffe werden die entsprechenden Schemas aktiviert und Hammer, Rot und Hund sind die salientesten Prototypen, welche automatisch aktiviert werden und am einfachsten abzurufen sind. Durch die Aktivierung eines Schemas werden uns auch automatisch zusätzliche Informationen verfügbar. Beispielsweise kann man sich nun leichter verschiedene Hunderassen vor seinem inneren Auge vorstellen.

5.6.2

System 2: Kontrollierte, bewusste Prozesse

Neben den schon beschriebenen automatischen, unbewussten Prozessen hat der Mensch jedoch auch die Fähigkeit, wahrgenommene Informationen bewusst zu verarbeiten. Obwohl die automatischen Prozesse weiter arbeiten, können wir mit Hilfe unserer kontrollierten, bewussten Verarbeitungsprozesse die Ergebnisse der automatischen Prozesse überschreiben, korrigieren, oder bewusst steuern.

Bewusste Verarbeitungsprozesse können die automatischen Prozesse überschreiben, korrigieren, steuern

132

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

zz Bewusste Lenkung Wir können unsere Aufmerksamkeit bewusst lenken

5

Beispiel Ente-KaninchenFigur

..Abb. 5.15  „Kaninchen und Ente“. (Quelle: Universitätsbibliothek Heidelberg, Fliegende Blätter — 97.1892 [Nr. 24492474], Seite 147 – CC-BY-SA-3.0, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/fb97/0147)

Wir können nur eine Information nach der anderen bewusst verarbeiten

Wir können mit Hilfe dieser bewussten Prozesse unsere Aufmerksamkeit lenken, bewusst Dinge greifen, bewusst Dinge hören, schmecken, riechen und uns bewusst an Dinge erinnern. Diese Prozesse ermöglichen es uns zusätzlich, Ziele zu identifizieren, logisch zu denken, zu urteilen, zu entscheiden, unsere Handlungen zu planen und Probleme zu lösen als auch unsere Wahrnehmung und Handlungen bewusst zu steuern. Beispiel

Das folgende Beispiel ist als Ente-Kaninchen-Figur bekannt (. Abb. 5.15). Wir können bewusst unsere Wahrnehmung und somit die Informationsverarbeitung steuern und entweder die Ente oder das Kaninchen sehen. Auch bei einigen den vorher schon aufgezeigten Beispielen kann die Verarbeitung bewusst gesteuert werden. So können mit einiger bewusster Anstrengung anstatt der beiden Dreiecke nur die einzelnen Elemente wahrgenommen werden oder die Zahlen im Text als Zahlen erkannt werden. Die automatische Gesamtinterpretation kann somit bewusst korrigiert werden.

zz Das Arbeitsgedächtnis

Die Prozesse der bewussten Verarbeitung funktionieren jedoch im Gegensatz zu den automatischen seriell. Dies bedeutet, die Informationen werden eine nach der anderen verarbeitet. Dem zugrunde liegen die Verarbeitungsprozesse des Arbeitsgedächtnisses. Im Gegensatz zu vielen anderen spezialisierten Verarbeitungsprozessen in unserem Gehirn (z. B. visuelle, auditive Verarbeitung) hat das Arbeitsgedächtnis keine spezifische Funktion. Seine zentrale Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass andere Gehirnareale und die Funktionen der Informationsverarbeitung, die sie ausführen, zusammenarbeiten und die vielen Einzelinformationen zu einer Gesamtheit zusammengefügt werden. Dadurch können wir erst neue Gedanken entwickeln, planen, entscheiden und Probleme lösen. Das Arbeitsgedächtnis ermöglicht es, mehrere Fakten und Informationen gleichzeitig verfügbar zu halten und gemeinsam zu verarbeiten. Das Arbeitsgedächtnis ist der CEO unseres Gehirns (Buschman und Miller 2007), „da es die Wahl trifft, welche kognitiven Funktionen zur Ausführung von Plänen herangezogen werden müssen. Außerdem muss es diese dann noch koordinieren, in der passenden Abfolge anwenden, am Ende sogar deren Erfolg bewerten“ (Naughton 2016, S. 32). zz Beschränkte Kapazität

Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist stark beschränkt

Zwei Aspekte sind hierfür besonders wichtig. A. Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses ist sehr beschränkt. Wir können nur 4 ± 1 größere Informationseinheiten (Chunks)

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

133

5

gleichzeitig in unserem Arbeitsgedächtnis halten (Cowan 2001). Bei einzelnen Informationseinheiten wie Zahlen sind dies 7 ± 2 Einheiten. Beispiel

Beispiel Wortlängeneffekt

Folgendes Beispiel illustriert dies anhand des Wortlängeneffektes. Lesen Sie die Wörter und sagen Sie diese direkt danach aus dem Gedächtnis auf (aus Naughton 2016): Wind → Gras → Hirn → Duft → Keks → Zwerg → Auto

-

Versuchen Sie das Gleiche mit folgenden Wörtern: Lokomotive → Vegetation → Marionette → Aluminium → Stanniol → Chemikalie → Abiturient

Die Wörter im zweiten Beispiel sind länger und im Vergleich zum ersten Beispiel mehrsilbig. Im ersten Beispiel muss das Arbeitsgedächtnis 5 Silben speichern, im zweiten Beispiel sind dies über 30 Silben. Längere, mehrsilbige Wörter bringen das Arbeitsgedächtnis an seine Grenzen.

zz Delegation an Subsysteme

B. Das Arbeitsgedächtnis delegiert deswegen Aufgaben an Subsysteme. Die wichtigsten Systeme sind die phonologische Schleife, welche sich um alle gehörten Informationen kümmert und der visuell-räumliche Notizblock, welcher sich um die Bereithaltung bildlicher Eindrücke kümmert (Naughton 2016). Beispiel

Das folgende Beispiel zeigt auf, wie die beiden Subsysteme miteinander interagieren und vom Arbeitsgedächtnis gesteuert werden, um ein Problem zu lösen. Rechnen Sie folgende Aufgabe im Kopf:

.59 − 14/ 8 Naughton beschreibt, was in unserem Arbeitsgedächtnis stattfindet, hierbei als Information abrufen, zwischenspeichern, verändern, zu neuem Ergebnis verbinden, zwischenspeichern etc. – die Basis unseres Denkens. In Ihrem Kopf haben Sie wahrscheinlich beständig Ihre phonologische Schleife gehört, welche laut die erste Kalkulation gerechnet hat. Gleichzeitig generierte der visuell-räumliche Notizblock ein Bild der 45, welche als Ergebnis der Subtraktion über dem Strich hervorgeht. Anschließend wurden Zahlen in der Nähe von 45 aus dem Gedächtnis abgerufen, welche durch 8 teilbar sind (die 40 und 48), wobei dann für eine ent-

Aufgaben werden an S­ ubsysteme delegiert

Beispiel Phonologische Schleife

134

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

schieden wurde (40), welche wiederum in der phonologischen Schleife gespeichert wurde, um dann den ersten Teil des Ergebnisses zu ermitteln (40 : 8 = 5) mit dem Rest 5 (wieder in der phonologischen Schleife).

Wie Sie auch festgestellt haben, haben Sie die Informationen seriell, d. h. eine nach der anderen, verarbeitet und es braucht viel Konzentration und Aufmerksamkeit. Sowohl die phonogische Schleife als auch der räumlich-visuelle Notizblock ermöglichen es uns, Dinge vorzustellen, zu planen, Folgen abzuschätzen und somit ein noch besseres Verständnis der Umwelt zu generieren. Bewusste Prozesse helfen uns somit, mehr Sinn in der wahrgenommenen Umwelt zu konstruieren. Wir können auch bewusst andere Subsysteme oder automatische Systeme aktivieren und ihnen bestimmte Aufträge erteilen, welche dann bearbeitet werden. Beispielsweise können Sie jetzt Ihren Gedächtnissystemen die Aufgabe geben, einen guten Witz zu erinnern. Dies wird wahrscheinlich einen kurzen Moment an automatischer Verarbeitungszeit brauchen, bis der dann erinnerte Witz für die weitere bewusste Verarbeitung (erzählen) bereit steht.

5

5.6.3 Beide Systeme stehen in konstantem Austausch

Interaktion von System 1 und System 2

Beide Systeme stehen in konstantem Austausch miteinander. Die bewussten Prozesse können die automatischen kontrollieren oder mit bestimmten Aufträgen aktivieren. zz Lernprozesse

Durch wiederholte Nutzung von bewussten Denkprozessen können diese automatisiert werden

Gleichzeitig spielen, wie schon erwähnt, Lernprozesse eine zentrale Rolle. Durch wiederholte Nutzung von bewussten Denkprozessen können diese automatisiert und somit von System 2 in System 1 verschoben werden. Beispielsweise kann systematisches Problemlösen nach einem bestimmten Schema durch mehrmaliges Üben und Anwenden soweit automatisiert werden, dass diese bewusste Verarbeitung automatisch oder teilautomatisch aktiviert wird, wenn dies notwendig wird. Ein noch besseres Beispiel ist das Erlernen von Auto- oder Fahrradfahren. Fahrrad- und Autofahren fordern uns zu Anfang intensiv, da wir bewusst die unterschiedlichen Abläufe lernen und kontrollieren müssen. Mit einiger Übung werden diese automatisiert. Mit zunehmender Erfahrung und Automatisierung wird wieder kognitive Kapazität frei, um während des Fahrens ein Gespräch zu führen oder geschäftliche Probleme zu lösen, oder während des Lesens über das Gelesene

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

135

5

..Tab. 5.2  Einflussfaktoren auf die bewusste Informationsverarbeitung Faktor

Effekt

Beschränkte Verarbeitungskapazität

Nur eine beschränkte Menge an Informationen kann seriell verarbeitet werden. Zuviel oder zu schnelle Information überfordert das System

Motivation

Nur wenn die Motivation vorhanden ist, wird bewusst und tief verarbeitet

Aufmerksamkeit

Störungen und Ablenkungen vermindern die bewusste Verarbeitung drastisch

Stimmung

Gute Stimmung führt zu weniger tiefen Verarbeitung Negativere Stimmung führt zu tieferer Verarbeitung, da mehr über Gründe nachgedacht wird und die Umwelt tiefer analysiert wird, um Gründe und Lösungen zu finden

Emotionen

Starke Emotionen wie Wut und Angst reduzieren bewusste Verarbeitung drastisch. Logische, rationale Argumentation ist nicht möglich und zeigt keine Wirkung

Stress

Stress erhöht die bewusste Verarbeitung. Ein Übermaß an Stress reduziert bewusste Verarbeitung. Klassische Effekte sind hierbei beispielsweise hohe Leistungen, als auch Blackouts bei Prüfungen und Wettkämpfen

Gefahr für Leib und Leben

Bewusste Verarbeitungsprozesse können vollständig von der Körperkontrolle abgekoppelt werden. Automatische Flucht, Angriffs- oder Totstellreaktionen bestimmen das Verhalten

nachzudenken. Gleiches gilt für eine Vielzahl an Tätigkeiten, welche wir in unserem Berufsalltag ausführen. Unser Gehirn nimmt uns sogar bestimmte Automatisierungsprozesse ab, wenn wir beispielsweise durch Erfahrung lernen und ein Expertentum in einem bestimmten Aufgabenbereich entwickeln, beispielsweise kritische Gespräche zu führen. zz Beschränkungen

Obwohl die bewussten Verarbeitungsprozesse zur Steuerung unserer Wahrnehmung, unseres Denkens und Handelns wichtig sind, unterliegen sie jedoch wichtigen Einschränkungen. . Tab. 5.2 zeigt auf, wie unterschiedliche Faktoren das bewusste, kontrollierte, tiefe Verarbeiten von Informationen beeinflussen.

Die Nutzung der bewussten Verarbeitungsprozesse wird vielfältig beschränkt

136

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

5.6.4 Denk- und Beurteilungsfehler beeinflussen unser Verhalten

5

Primacy- und Recency-Effekt

Reihenfolge der Informationen hat einen starken Effekt; wie wir Informationen miteinander vergleichen, hat ein starken Effekt

Vorwissen und Erwartungen beeinflussen, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken; selbsterfüllende Prophezeiung

Denk- und Beurteilungsfehler

Obwohl die unterschiedlichen Verarbeitungsprozesse sehr effizient und effektiv ein Bild von der uns umgebenden Welt in unserem Kopf konstruieren und wir mit diesem unser Verhalten planen und steuern, existieren eine Reihe von Verarbeitungsfehlern, welche unser Denken und Beurteilen und somit unser Verhalten stark beeinflussen. Nachfolgend werden einige der wichtigsten Fehler besprochen, welche für den Führungsalltag hohe Relevanz haben. zz Primacy- und Recency-Effekt Wir können uns an zuerst und zuletzt erhaltene Informationen

besser erinnern und diese einfacher wieder abrufen (Asch 1946). Daher ist in einem Vortrag der Anfang als auch der Schluss ausschlaggebend dafür, was von dem Vortrag erinnert wird. Gleichwohl kann man auch sagen, dass der erste wie auch der letzte Eindruck haften bleiben und beide täuschen können. zz Sequenz- und Vergleichseffekte Wir lassen uns stark von der Reihenfolge von Informationen beeinflussen, als auch davon, welche Informationen wir für Vergleiche herbeiziehen. Je nachdem welche Information wir zuerst

erhalten, überschätzen wir die Ähnlichkeit oder die Unterschiede. Wurde in einem Bewerbungsgespräch eine sehr gute Kandidatin interviewt, so wird der Unterschied zum darauf folgenden etwas schwächeren Kandidaten beispielsweise akzentuiert. Wir nehmen den zweiten Kandidaten als schlechter wahr, als er eigentlich ist (Kontrasteffekt nach Tajfel und Wilkes 1963). Gleichzeitig besteht ein gegenteiliger Effekt (Assimilationseffekt). So werden Menschen als attraktiver wahrgenommen, je nachdem welche andere Person sie begleitet. zz Vorwissen und Erwartungen Je nachdem welches Vorwissen wir haben und welche Erwartungen wir hegen, beeinflusst dies, wie wir bewusst und unbewusst

Informationen verarbeiten und wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken. Die selbsterfüllende Prophezeiung (Rosenthal und Jacobson 1968) ist hierbei das prägnanteste Beispiel. Wenn wir davon ausgehen, dass jemand einer Aufgabe nicht gewachsen ist, nehmen wir jene Informationen wahr, welche unsere Erwartung bestätigen. Wir ignorieren systematisch gegenteilige Informationen. Da wir auf dieser Informationsgrundlage Rückmeldung geben, verstärken wir das erwartete Verhalten. zz Bestätigende Informationssuche

Wir suchen Informationen, die unsere Annahmen stützen

Grundlage für die selbsterfüllende Prophezeiung ist ein weiterer Fehler. Wir suchen viel zu oft Informationen, welche unsere automatischen Annahmen stützen, als dass wir bewusst Informationen

5.6  •  Verarbeitungssysteme des Gehirns

137

5

suchen, welche unseren Annahmen widersprechen (Kahneman 2015). Wir glauben, ein Kunde ist schwierig und wir nehmen primär Informationen wahr, die dies bestätigen. zz Illusorische Korrelationen

Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, aus der Gleichzeitigkeit und der Reihenfolge von Ereignissen sinngebende Zusammenhänge automatisch zu extrahieren. Daher passiert es nicht selten, dass unser Gehirn Zusammenhänge erkennt, wo keine existieren. So denken wir beispielsweise, dass wenn jemand mehrmals Erfolg oder Misserfolg hatte, dies auch weiterhin passieren wird.

Wir erkennen Zusammenhänge, wo keine sind

zz Fundamentaler Attributionsfehler Wir schätzen bei der Ursachensuche für Verhalten von Personen

fundamentaler A ­ ttributionsfehler

systematisch den Einfluss der Person als auch der Situation auf das Verhalten falsch ein. Da wir auf der Grundlage des wahrgenommen Verhaltens einer Person auf deren Motivation, ihre Persönlichkeit, Einstellung und Meinung schließen, überschätzen wir generell den Einfluss der Person auf das gezeigte Verhalten und unterschätzen systematisch den Einfluss der Situation. Wir sehen primär die Person und deren Eigenschaften als wichtig für eine Handlung und ignorieren wichtige Umwelteinflüsse, da wir keine eigenen Informationen dazu haben. Wir machen somit einen fundamentalen Fehler in der Zuschreibung von Ursachen (fundamentaler Attributionsfehler nach Ross)

Wir unterschätzen ­systematisch den Einfluss der Situation auf das Verhalten

zz Selbstwertdienliche Ursachenzuschreibung

Wir ignorieren die Umwelteinflüsse bei anderen Personen jedoch nicht kategorisch. Wir sehen uns als Person, mit all unseren Qualitäten, oft als Ursache für unseren Erfolg und sehen unseren Misserfolg oft in den Widrigkeiten der Situation begründet. Jedoch sehen wir den Grund von Erfolg von anderen Personen, besonders missliebigen, in den günstigen Situationsbedingungen und deren Misserfolg in ihnen als Person. Diese selbstwertdienliche Ursachenzuschreibung (Miller und Ross 1975) wird besonders wichtig, wenn unsere Mitarbeitenden tatsächlich Misserfolg hatten. Im nachfolgenden Gespräch erwarten wir nicht selten, dass sie Verantwortung übernehmen (sich selbst als Grund für den Misserfolg sehen). Jedoch erklären die Mitarbeitenden die unterschiedlichen situativen Ursachen für den Misserfolg, was wir als Ausflüchte beurteilen (die Situation als Grund für den Misserfolg).

selbstwertdienliche Ursachenzuschreibung; was für mich gilt, gilt nicht für andere

zz Streben nach Konsistenz

Letztlich sind alle Menschen danach bestrebt, dass ihre Wahrnehmung, ihr Denken und ihr Handeln konsistent und somit in sich stimmig sind. Sind Wahrnehmung, Denken und Handeln in Widerspruch zu einander, so erfährt man eine innere Spannung (kognitive Dissonanz nach Festinger 1957). Diese kann nur auf-

Wir streben nach Konsistenz in unserer Wahrnehmung, unserem Denken und unseren Handlungen

138

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

gelöst werden, wenn man einen oder mehrere der Faktoren anpasst. So verändert der Mensch einen oder mehrere dieser Faktoren so lange, bis sie wieder miteinander konsistent sind. Obwohl man gemeinhin erwartet, dass das Verhalten sich dem Denken und der Wahrnehmung anpasst, ist es viel häufiger der Fall, dass Wahrnehmung und Denken dem Verhalten angepasst werden. zz Nachträgliche Begründungen Wir suchen oft nachher nach Gründen für unser Verhalten

5

Da unsere Fähigkeit, bewusst zu denken und unser Verhalten zu steuern begrenzt ist, ist es nicht selten, dass wir aus Automatismen heraus Dinge tun. Oft sind diese Verhaltensmuster über lange Zeit eingeübt und automatisiert worden. Da wir in unserem Denken, Wahrnehmen und Verhalten konsistent sein wollen, suchen wir oft nachträglich Begründungen für unser automatisiertes Verhalten. Entsprechend suchen Menschen immer nach sinnvollen Begründungen für ihr Verhalten, wenn sie danach gefragt werden, auch wenn das Verhalten automatischen Ursprungs war. Obwohl einige dieser Fehler in den natürlichen Verarbeitungsprozessen unseres Gehirns verankert sind, haben wir andere über die Zeit erlernt. In Asien beispielsweise existiert der fundamentale Attributionsfehler nicht, da alles Handeln immer in Bezug zur Situation und zum Umfeld gesetzt wird. Wie schon erwähnt spielen Lernprozesse eine zentrale Rolle, denn sie bestimmen, was wir können, wie wir denken, wie wir wahrnehmen und welche Verhaltensmuster uns zur Verfügung stehen. Gleichzeitig können wir durch Lernen auch neues Wissen generieren, Dinge anders wahrnehmen, und wir erweitern unsere Fähigkeiten und somit unser Verhaltensrepertoire. 5.7

Lernen und Erinnern

zz Was ist Lernen? Lernen wird als Erfahrungsprozess verstanden, der zu einer Änderung des Verhaltens führt

Im Alltag wird Lernen oft als eine aktive Aneignung von Wissen durch Schulung verstanden. Doch in der Psychologie wird Lernen als Erfahrungsprozess gesehen, der zu einer Änderung des Verhaltens führt, wobei das Aneignen von intellektuellem, kulturellem und sozialem Wissen gleichermaßen auch als Erwerb von Verhalten zu verstehen ist (Drei Zugänge zum wissenschaftlichen Verstehen des Lernens). Das menschliche Gehirn ist komplex und besteht aus einem Netzwerk verschiedener Neuronen. Diese Nervenbahnen werden durch Erfahrungen in der Interaktion mit der Umwelt gebildet und verstärkt. Je vielfältiger die Wahrnehmungen, Eindrücke, Denk- und Handlungsmuster sind, welche ein Kind in der Entwicklung kennen lernen darf, desto komplexer werden die Verknüpfungen, die im Gehirn gebildet werden. Auch unterschiedliche, intensive Beziehungen und verschiedene Gelegenheiten zum Entdecken, Erkunden und Erpro-

5.7  •  Lernen und Erinnern

139

5

..Abb. 5.16  © 2018 by Tobias Leuenberger

ben seiner Lebenswelt tragen zu den neuronalen Verknüpfungen und damit zum Lernen bei (Hüther 2016). Das Ausbleiben dieser Erfahrungen führt dazu, dass die angelegten Potenziale nicht zu Kompetenzen reifen können und die entsprechenden Nervenbahnen verkümmern. Drei Zugänge zum wissenschaftlichen Verstehen des Lernens. (Nach Gasser 2010, S. 19)

-

Behavioristisch – Lernen ist Aufbau und Erweiterung von Verhaltenspotenzialen und Verhaltensbereitschaft im Sinne von Verhaltensänderung – Wie kann man sicheres, fehlerfreies und flexibles Verhalten aufbauen und abrufbar machen? Kognitivistisch – Lernen ist Aufbau und Erweiterung von Wissen und Können bzw. kognitiven Strukturen und mentalen Repräsentationen – Wie ist etwas in seiner Tiefenstruktur zu verstehen, zu formalisieren und zu bewältigen? Neurobiologisch – Lernen ist Aufbau, Stärkung und Erweiterung neuronaler Netze und synaptischer Funktionen – Wie lassen sich Lerninhalte assoziativ, intuitiv, unbewusst und bewusst in vorhandene Netze integrieren?

Definition  „Nach dem heutigen Stand kann Lernen definiert werden als Verhaltensänderung in der Zeit, die zu einer Einheit von Kognition (Wissen als die Fähigkeit zu Unterscheidungen) und

Definition: Lernen

140

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Handeln (Entscheidungen, Strategien) führt. Dabei ist ganz entscheidend, dass es zu einer gemeinsamen Entwicklung (Koevolution) kommen kann, denn solange sich diese nicht ergibt, kann auch kein effektives Lernen stattfinden“ (Negri 2005, S. 17). 

Neben diesen gelernten Verhaltensweisen gibt es auch solche, die nicht Resultat eines Lernprozesses sind, sondern biologisch oder genetisch bedingt sind, wie zum Beispiel Reflexe, Prägung und Instinkte, welche im Folgenden kurz erläutert werden (Bodenmann et al. 2011).

5

Reflex: unwillkürliche Reaktion auf einen Reiz

Prägung: biologische Form des Lernens

Instinkte: vor allem in der Tierwelt anzutreffen

Unter Konditionierung versteht man die Lernprozesse, die durch eine Koppelung von vorhergehenden Bedingungen mit nachfolgenden Reizen entstehen

zz Reflexe, Prägung, Instinkte Ein Reflex ist eine natürliche, automatische, ungelernte und unwill-

kürliche Reaktion auf einen Reiz. Der Organismus reagiert rasch, natürlich und sicher auf Veränderungen der Umwelt. Beispiele für Reflexe sind der Lidschlagreflex, der Greif- und Saugreflex (z. B. bei Babys) sowie auch kompliziertere Reflexe wie der Schutz‑, Abwehr- und Fluchtreflex. So gehört z. B. das sofortige Ausweichen vor einem sich nähernden Zweig auf Augenhöhe beim Joggen im Wald zu den Reflexen. Die Prägung spielt vor allem in der frühkindlichen Entwicklung eine Rolle. Eine Prägung ist eine Fixierung eines Organismus auf einen bestimmten Auslöser. Es ist eine biologische Form des Lernens, die an ein Entwicklungsstadium gebunden ist. Das heißt, gewisse Verhaltensweisen können in bestimmten Phasen der Entwicklung besser gelernt werden. So kann nach Bowlby die Bindungsfähigkeit eines Kindes zum Beispiel nur in den ersten 6–9 Monaten erlernt und zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgeholt werden. Instinkte sind Mechanismen, die auf bestimmte innere und äußere Impulse ansprechen und mit wohl koordiniertem Verhalten antworten. Instinkte sind vor allem in der Tierwelt anzutreffen (z. B. Nestbau, Migration der Zugvögel, Überwinterungsverhalten, Paarungsverhalten). Angeborene und erlernte Verhaltensweisen stehen oft in einem komplexen Wechselspiel und können deswegen nicht ausschließlich „angeboren“ oder „erlernt“ zugeordnet werden. Im 20. Jahrhundert versuchten zahlreiche Forscher, erlernte Verhaltensweisen durch Theorien und Modelle zu erklären. Die wichtigsten Modelle, welche die Lernpsychologie nachhaltig geprägt haben, werden nachfolgend erklärt. zz Klassische Konditionierung

Eine bekannte Theorie geht auf den russischen Nobelpreisträger Iwan  P. Pavlov (1927) zurück und wird als „klassische Kon-

5.7  •  Lernen und Erinnern

141

5

ditionierung“ bezeichnet. Unter Konditionierung versteht man

die Lernprozesse, die durch eine Koppelung von vorhergehenden Bedingungen mit nachfolgenden Reizen entstehen. Pavlov (1927) wies nach, dass ein Hund auf bestimmte Reize (z. B. der Anblick von Fleisch) mit einer ganz bestimmten Reaktion (Speichelfluss) reagiert. Daher hat er zeitgleich den angeborenen Reiz mit einem neutralen Reiz gekoppelt (Glockenton). Nach einigen Wiederholungen zeigte der Hund auch dann Speichelfluss, wenn nur der Glockenton erklang. Der vorher neutrale Reiz (Glocke) wurde konditioniert (im Gehirn verschiedene neuronale Netzwerke durch Gleichzeitigkeit verknüpft) und übernimmt somit die Wirkung des angeborenen Reizes (Fleisch; della Picca und Spisak 2013). Beispiel

Beispiel Spitalbesuch

Ein Spitalbesuch von Jonas ist sehr belastend. Er übersteht die Operation zwar gut, wenn er auch mit schlechten Gefühlen daran zurückdenkt. Im Spitalaufenthalt hat sich der „Spitalgeruch“ dahingehend mit den schlechten Gefühlen verbunden, dass er beim Besuch einer Kollegin in einem anderen Krankenhaus ein mulmiges Gefühl bekommt das wiederum die unangenehme Erinnerung an die Operation weckt.

zz Operante Konditionierung

Das Lernprinzip des instrumentellen Lernens, das auf den Verhaltensforscher B. F. Skinner (1938) zurückgeht, hilft uns, die Nachhaltigkeit von Anerkennung und Kritik zu verstehen. Werden Verhaltensweisen, die eine Person in einer bestimmten Situation zeigt, belohnt – z. B. wenn ihr pünktliches Erscheinen in Sitzungen anerkennend gewürdigt wird, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie dieses Verhalten künftig häufiger zeigt. Wichtig bei diesem Prinzip ist, dass einer positiven, also erwünschten Verhaltensweise in der Regel auch die positive Konsequenz folgt (Belohnung).

Wenn erwünschte Verhaltensweisen belohnt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass diese häufiger gezeigt werden

zz Soziales Lernen

Die Theorie von Bandura Aneignung vWerhalten kann auch durch

Beobachten (Beobachtungslernen) stattfinden. Bandura konnte das in einem Laborexperiment ganz eindrücklich zeigen. Eine Gruppe von Kindern, die beobachtete, wie Erwachsene Modelle einer großen Plastikpuppe boxten, schlugen und traten, zeigte im weiteren Verlauf des Experiments häufiger derartige Verhaltensweisen als Kinder aus Kontrollgruppen, die die aggressiven Modelle nicht beobachtet hatten. Nachfolgeuntersuchungen erbrachten, dass Kinder aggressive Verhaltensweisen schon dann nachahmten, wenn sie die Modelle lediglich im Film gesehen hatten oder wenn die Modelle sogar nur Zeichentrickfiguren gewesen waren.

Beobachtungslernen

142

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

zz Lernen durch Einsicht

Die Außenwelt wird durch Wahrnehmung erkannt und eine Problemlösung wird durch Kognition herbeigeführt

5

Beim Lernen durch Einsicht geht es darum, die Außenwelt durch Wahrnehmung zu erkennen und durch Kognition (Denkprozesse) eine Problemlösung anzuwenden oder herbeizuführen. Yerkes (1925) fasst einige Merkmale des Lernens durch Einsicht zusammen (Bodenmann et al. 2011, S. 255): Erforschung: Introspektion oder Prüfung von Problemen. Zögern: Innehalten, Ausdruck konzentrierter Aufmerksamkeit. Versuch- und Irrtum: Versuch mit einer mehr oder weniger geeigneten Reaktionsweise. Erneuter Versuch-Irrtum: Bei Irrtum: Versuch mit einer anderen Reaktion, oft mit plötzlichem Übergang zu anderen Lösungsversuchen. Fokussierte Aufmerksamkeit: ständige, auf das Zielobjekt gerichtete Aufmerksamkeit mit motivierender Wirkung. Problemlösung: Erreichen eines kritischen Punktes, an dem der Organismus die Lösung plötzlich vollzieht. Leichte Wiederholbarkeit dieser adaptiven Reaktion nach ihrem ersten Auftreten. Diskrimination: Fähigkeit, die wesentlichen Aspekte bzw. Beziehungen der Problemsituation zu entdecken und zu beachten bzw. unwesentliche Aspekte der Situation zu übersehen.

--

Definitionen 

Definition: formales Lernen, nichtformales Lernen, informelles Lernen

Formales Lernen bezieht sich auf das Lernen durch ein Unterrichtsprogramm in einer Bildungseinrichtung, in einem Erwachsenenbildungszentrum oder am Arbeitsplatz, welche in der Regel zu einer Qualifikation oder einem Zertifikat führen. Nichtformales Lernen bezieht sich auf Lernen über ein Programm. Das Gelernte wird in der Regel nicht evaluiert oder kontrolliert und führt auch nicht zu einem Zertifikat. Informelles Lernen bezieht sich auf das Lernen aus der täglichen Arbeit, der Familie oder aus Freizeitaktivitäten (OECD 2006a). 

5.7.1

Lernprozesse auf neuronaler Ebene

zz Was passiert im Gehirn, wenn gelernt wird? Wie bildet sich ein ­neuronales Netzwerk aus?

Jede einzelne Nervenzelle, wie sie . Abb. 5.17 zeigt, ist über viele kleine Kontaktpunkte, den Synapsen, mit tausenden anderer Nervenzellen verbunden. Die Synapsen haben die Aufgabe, einen elektrischen Impuls (Aktionspotenzial) von einer Nervenzelle an eine andere zu übertragen. Für eine Wahrnehmung oder einen Gedanken oder für die Steuerung einer bestimmten Bewegung sind immer Millionen von Nervenzellen gleichzeitig aktiv. Bei ähnlichen Aktivitäten, z. B. Geige spielen, sind ähnliche Netzwerke aktiv. Wenn

143

5.7  •  Lernen und Erinnern

elektrische Übertragung

Synapse

präsynaptische Membran

Neurotransmitter= Chem. Übertragung

synaptischer Spalt postsynaptische Membran Rezeptor

elektrische Übertragung

Dendriten

Zellkern Axon

Zellkörper

Nervenzelle (Neuron) ..Abb. 5.17  Neuron und Synapse

Nervenzellen im Gehirn aktiv sind, dann verändern sich die Synapsen. War eine Synapse bei der Weitergabe eines Impulses erfolgreich beteiligt, dann merkt sich das die Synapse und sie wird bei der nächsten Aktivierung eine höhere Bedeutung haben. Kommen viele erfolgreiche Impulse, werden an der Synapse zusätzliche Rezeptoren eingebaut. Das bedeutet mehr Kanäle, in denen die Neurotransmitter den synaptischen Spalt durchqueren können und in der postsynaptischen Membran aufgenommen werden. Deshalb wird die Zelle jetzt den Impuls schon bei viel weniger Energie weitergeben können. Auf diese Weise entsteht Lernen. Ist die Aktivität dauerhaft, so werden synaptische Kontaktstellen verdickt, es wachsen sogenannte Dornen, Synapsen werden zusätzlich aufgebaut und das Aktionspotenzial verstärkt. Ein neues neuronales Netzwerk bildet sich aus, Inhalte werden in das Langzeitgedächtnis überführt. Das heißt also, dass Lernaktivitäten die Anzahl der Synapsenverbindungen und auch die Synapsenstärke verändern. Bleibt die Aktivität allerdings aus, so bilden sich die Rezeptoren wieder zurück, Synapsen werden abgebaut und das Gelernte geht wieder verloren. Das „Use-it-or-lose-it-Prinzip“ (Prinzip des Verfalls bei Nichtnutzung) gilt sowohl für unsere Muskeln als auch für unsere synaptischen Verbindungen im Gehirn. Es ist sozusagen das biologische Grund-

5

144

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

prinzip des Aufbaus und Zerfalls von Zellen und gilt ebenfalls in jedem Alter. Wissenschaftler auf der ganzen Welt sind sich darüber einig: Ein geistig reges Leben steigert die geistige Leistungsfähigkeit und -flexibilität. Das Gehirn ist bis ins hohe Alter plastisch, also fähig, neue Verbindungen aufzubauen und bestehende zu stärken oder auch abzubauen, vermutlich bis wir sterben (Jäncke 2010). Diese Abbauprozesse finden aber auch sehr eigenverantwortlich statt. Dem kann entgegengewirkt werden. Herausfordernde Aufgaben, aber auch Sport, Musik und Spiel stimulieren das Gehirn.

5

Generell gilt: „use it or lose it“. Das Gehirn braucht stetiges Training

>>Unser Gehirn ist für das Abarbeiten von herausfordernden

Aufgaben ausgelegt. Je intensiver wir unser Gehirn stimulieren, je mehr Probleme wir lösen, je mehr neue Situationen wir kennenlernen und je häufiger wir bereits Gelerntes benutzen, desto lernfähiger, flexibler und agiler bleibt unser Gehirn. Gefühle beeinflussen das Lernen. Der Einfluss von Emotion und Motivation auf das Lernen ist gründlich untersucht worden. „Was individuell bedeutsam und emotional intensiv erlebt wird, ist meistens besser erinnerbar“ (Gasser 2010, S. 36). Wissen und Erfahrungen werden erhalten, wenn sie gebraucht werden und vergessen, wenn sie nicht gebraucht werden. Wir sind lernfähig bis ins hohe Alter.

5.7.2

Abrufen und Erinnern

zz Wie funktioniert das Gedächtnis? Wie speichern wir Wissen ab? Gelerntes wird ständig sortiert, selektioniert und ins Langzeitgedächtnis überführt

Das Gedächtnis dient, wie auch das Gehirn, dem Überleben der Lebewesen. Sie müssen sich daran erinnern, wo Gefahren und Nahrung liegen, was ihnen guttut und was nicht. Dafür ist das limbische System zuständig. Dort werden neue Situationen nach „bedrohlich“ und „unbedrohlich“ bewertet und neue Inhalte nach „bekannt“ und „unbekannt“ eingeteilt. Das Gelernte wird somit ständig sortiert und ins Langzeitgedächtnis überführt. Einspeichern und Abrufen erfolgen getrennt, sind aber eng miteinander verbunden. zz Das Gedächtnis und seine Störungen: Wie vergessen wir gespeichertes Wissen? Was können wir dagegen tun?

Wir erleben, sehen, hören und lesen täglich Unzähliges, daher selektioniert und sortiert das Gehirn, was wir speichern und was wir vergessen. Insbesondere Dinge, die uns nicht interessieren und die wir nicht verstehen, vergessen wir schnell wieder. Es gibt mehrere Formen des Vergessens. Im Folgenden werden einige Formen des Vergessens und Vorschläge, was dagegen getan werden könnte, dargestellt (Gasser 2010, S. 43–45).

5.7  •  Lernen und Erinnern

Verblassen  Z. B.: Was haben wir in der letzten Sitzung vereinbart?

Was sind unsere To do’s und bis wann? Gegen diese Form des Vergessens helfen zum Beispiel Protokolle, Notizen und Merkzettel.

145

5 Verblassen

Blockierung  Z. B.: Der Name einer Person ist mir soeben entfallen.

Wie heißt sie bloß wieder? In solchen Situationen ist es wichtig, sich nicht unter Druck zu setzen und das Unbewusste suchen lassen. Oft geschehen diese Blockierungen unter starkem Druck, wie zum Beispiel während einer Prüfung. Da ist es besonders wichtig, den Zugang zum Wissen durch Entspannung zurückzuerlangen. Beim Abrufen von Erinnerungen wird das limbische System aktiv, was zum Beispiel auch erklärt, weshalb bei starkem Stress und bei Belastungen (z. B. bei Prüfungen), der Zugang auf das Wissen blockiert wird (Gasser 2010). Merkhilfen, wie z. B. „Eselsbrücken“, können der Blockierung entgegenwirken.

Blockierung

Ähnlichkeitshemmung Werden nacheinander zu ähnliche Inhalte

wie ähnlich klingende Sprachen gelernt (zuerst Italienisch und nachher Spanisch), merkt man, dass sich das Gelernte oft „konkurrenziert“. Während man zum Beispiel italienisch spricht, erinnert man sich nur an die spanischen Wörter und umgekehrt. Hier hilft es in der Regel, die Gemeinsamkeiten der Sprachen bewusst herauszuarbeiten (auch „false friends“, gleiche Wörter, die aber unterschiedliche Bedeutungen haben). Nacheinander zu ähnliche Inhalte zu lernen, ist ungünstig. Die häufigste Ursache für das Vergessen ist jedoch die einfachste: Die Gedächtnisspur ist zu schwach, um etwas zu behalten oder es wird als nicht bedeutsam empfunden. Wiederholen und Verstehen reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass etwas vergessen wird. Grundsätzlich gilt auch, dass sich Erinnerungen täglich verändern und nicht als Abbild dessen, was geschehen ist, eingeprägt werden. Erinnerungen werden immer verzerrt abgespeichert und verändern sich mit der Zeit. Erinnerungshilfen wie Erzählen, Fotos oder Filme schaffen Abhilfe; im Privaten ebenso wie in der Arbeitswelt. zz Lerntipps für das Abrufen und Erinnern

Aufmerksamkeitsfokussierung Sich-Einlassen auf den Lerninhalt

und das Fokussieren sind die Basis für Lernen.

Priming  Der Priming-Effekt ist ein Reiz-Reaktions-Schema. Die

Forschung hat gezeigt, dass bestimmte Reize (z. B. ein Wort, Bild, Geruch, Muster, Modell) Assoziationen triggern können und so ganze Gedächtnisinhalte abgerufen werden. Priming ist eine Art unbewusste Bahnung, daher kann es sinnvoll sein, die Lernumgebung durch sachgebundene Bilder, Modelle oder Wörter zu ge-

Ähnlichkeitshemmung

Häufigste Ursache für Vergessen: Die Gedächtnisspur ist zu schwach

146

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

stalten, um dieses Priming herzustellen. Beispiel: Ein Bild oder ein Wort kann ich nutzen, um mich an ein Ziel zu erinnern. Repetition  Vor dem Repetieren soll das, was vom Gelernten noch

vorhanden ist, zuerst abgerufen werden. Es gilt: Je besser das Vorwissen gesichert ist, desto besser lässt sich neues Wissen abspeichern und verknüpfen. Ähnliche Inhalte sollen nicht miteinander gelernt werden.

5

Aufmerksamkeitsfokussierung, Priming, Repetition

Weg des Speicherns über das limbische System  Emotional bedeut-

sames und bildhaftes Wissen lässt sich besser abspeichern.

>>Wissen wird nicht „vergessen“, sondern es ist nicht zugäng-

lich, weil es oft durch anderes, neues Wissen „verdrängt“ wurde (Interferenz).

Durch die Reifung des Gehirns und durch die vielfältigen Lernprozesse entwickelt jeder Mensch eine Persönlichkeit, ein Selbstkonzept und eine Identität. 5.8

Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität

zz Selbstkonzept

Ein facettenreiches Selbstkonzept entwickelt sich prozesshaft. Lernerfahrungen passen das Selbstkonzept stetig an

Eine zentrale Aufgabe in der Entwicklung der Persönlichkeit des Menschen ist die Entwicklung der Identität und des Selbstkonzeptes. Wie gut uns dies gelingt, hat unmittelbare Auswirkungen auf viele Lebensbereiche und tangiert auch den Arbeits- und den Managementbereich. Unser Selbstkonzept entwickelt sich in der Regel in der Kindheit und Jugend und verändert sich stetig. Der Mensch entwickelt eine eigene Wirklichkeit, indem er selbst eine Rolle wahrnimmt, sie lebt und so das eigene Bild über sich und die Umwelt um sich entwickelt (Selbstkonzept). Durch Meta-Reflexion und durch neue (Lern‑)Erfahrungen wird das eigene Selbstkonzept stetig anpasst. Idealerweise entsteht so ein immer facettenreicheres und emanzipiertes Selbst. Wenn der oben beschriebene Prozess gelingt, entwickelt der Mensch eine starke und flexible Identität und ein adäquates Selbstwertgefühl. Zudem werden dadurch die Basis und der Zugang zur Selbstkenntnis gelegt. Ein klares Selbstkonzept und eine gute Selbsteinschätzung sind wichtige Voraussetzungen für viele Tätigkeiten und eine essenzielle Grundlage zur erfolgreichen Übernahme einer Führungsrolle (della Picca und Spisak 2013). zz Persönlichkeitsmerkmale: Die Big Five

Psychologen gehen von der Existenz bestimmter Dimensionen aus, auf denen Individuen positioniert werden können. In den moderne-

5.8  •  Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität

147

5

..Tab. 5.3  Big-Five-Persönlichkeitsmodell. (Erläuterungen aus SaumAldehoff 2007) Big-Five-Faktor

Beschreibung

Facetten

Neurotizismus

Emotionale Empfindlichkeit und Robustheit

Ängstlichkeit, Reizbarkeit, Depression, soziale Befangenheit, Impulsivität und Verletzlichkeit

Extraversion

Quantität und Intensität der Beziehungen zur Umwelt

Herzlichkeit, Geselligkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Aktivität, Erlebnishunger und Frohsinn

Offenheit für Erfahrungen

Interesse und Ausmaß der Beschäftigung mit neuen Erfahrungen, Erlebnissen und Eindrücken

Fantasie, Ästhetik, Gefühle, Handlungen, Ideen, Normen- und Wertesysteme

Verträglichkeit

Einstellungen und gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen in sozialen Beziehungen

Vertrauen, Freimütigkeit, Altruismus, Entgegenkommen, Bescheidenheit und Gutherzigkeit

Gewissenhaftigkeit

Art und Weise wie Aufgaben erledigt werden

Kompetenz, Pflichtbewusstsein, Ordnungsliebe, Selbstdisziplin, Besonnenheit und Leistungsstreben

..Abb. 5.18  © 2018 by Tobias Leuenberger

ren Ansätzen haben sich Forscher darum bemüht, eine umfassende Beschreibung und Klassifikation der Persönlichkeitseigenschaften zu entwickeln. In zahlreichen Untersuchungen haben sich fünf Faktoren herauskristallisiert und durchgesetzt, die mittlerweile als die zentralen Dimensionen zur Beschreibung der Persönlichkeit gelten – die „Big Five“ (McCrae und Costa 1987). . Tab. 5.3 bietet einen kurzen Überblick und Erläuterungen zum Big-Five-Persönlichkeitsmodell.

In zahlreichen Untersuchungen haben sich die “Big Five” herauskristallisiert

148

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

zz Fünf Säulen der Identität fünf Säulen der Identität

5

Identitätsarbeit besteht vereinfacht daraus, dass der Mensch sich selbst in verschiedener Hinsicht erlebt und dieses Erleben bewertet (Selbstattribution). Auch von anderen Menschen wird man hinsichtlich des eigenen Handelns und der Wirkung bewertet (Fremdattribution). Der Mensch setzt sich im Verlauf der Entwicklung ständig mit Selbst- und Fremdbildern auseinander, verwirft einiges und nimmt anderes an. Sinnstrukturen, bestimmte Muster und Überzeugungen werden verinnerlicht. kWas k ist identitätsstiftend für ein Individuum?

Auseinandersetzung mit Selbst- und Fremdbildern ist identitätsstiftend

Die fünf Säulen der Identität sind ein Versuch, Identität als Modell darzustellen, obwohl gewiss ist, dass sich Identität prozesshaft entwickelt und nicht statisch ist. Die Säulen sind nicht klar voneinander trennbar, sondern eng miteinander verbunden. Natürlich beinhaltet Identität mehr als die hier dargestellten Bereiche. Dies ist ein Versuch, Identität schematisch nach Säulen darzustellen (Lippmann 2013).

-

Die fünf Säulen der Identität. (Nach Lippmann 2013, S. 31) Soziales Netz/Beziehungen: Herkunftsfamilie, Partnerschaften, Hinkunftsfamilie, Heimat, virtuelle Beziehungen, innere Familie usw. Arbeit und Beruf: Aus- und Weiterbildungen, Beruf, Karriere, Anerkennung in der Arbeit usw. Körper und Leiblichkeit: Leib-Seele-Thematik, Gesundheit, Geschlechteridentität, Sexualität usw. Besitz und Materielles: Besitz, geliebte Objekte, Eigentum, finanzielle/materielle Sicherheiten usw. Glaube, Werte und Sinn: Religion und Glaube, narrative Identität, Werte, Normen, Sinn des Lebens, Umgang mit Widersprüchen, Spirituelles, „Verrücktes“ usw.

Im Folgenden sollen die fünf Säulen der Identität erläutert und beschrieben werden. kDie k Säule „soziale Beziehungen“ Herkunftsfamilie: erste Beziehungserfahrungen

Ohne Beziehungen können Menschen nicht überleben und keine Identität aufbauen. Schon als Säugling beginnt sich das Selbstempfinden erst dann zu gestalten, wenn ein Dialog mit dem Gegenüber stattfindet. Damit ist klar, dass die ersten Beziehungserfahrungen aus der Herkunftsfamilie kommen, welche eine zentrale Bedeutung in der Entwicklung von Identität bildet. In der modernen Gesellschaft, die offene Strukturen zulässt, kann die Herkunftsfamilie unterschiedlich aussehen. Von heterosexuellen oder homosexuellen Eltern, Patchwork-Familien bis hin zu Familien mit zwei Vätern

5.8  •  Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität

(einen genetischen und einen sozialen) und drei Müttern (eine genetische, eine soziale und eine biologische, die das Kind ausgetragen und geboren hat) ist alles möglich. Diese unterschiedlichen Konstellationen machen es immer schwieriger, die eigene Identität von der Herkunftsfamilie abzuleiten. Somit wird eine „multiple Identität immer häufiger dem Individuum schon in die Wiege gelegt“, so Lippmann (2013, S. 44). Weitere soziale Beziehungen, die unsere Identität prägen, sind zweifellos die Partnerschaft und die sogenannte Hinkunftsfamilie. Auch hier ist ein Flexibilisierungstrend zu beobachten. Die lebenslange Einheitsfamilie wird zur Ausnahme und serielle Partnerschaften nehmen zu. Das Internet hat diesen Trend nach wechselnden Partnerschaften noch zusätzlich verstärkt. Im Gegensatz dazu kann man sagen, dass die Beziehungen zu den eigenen Kindern die letzten sind, die bleiben und die nicht austauschbar oder kündbar sind. Die Partner kommen und gehen, die Kinder bleiben jedoch ein Leben lang. Auch Heimat kann identitätsstiftend sein. Es löst ein Gefühl von Vertrautheit und Zugehörigkeit aus, was ein Identitätsempfinden entstehen lässt. Die Multioptionsgesellschaft, die Migrationsbewegungen und Globalisierung führen vermehrt zu Mischidentitäten und zu einer Schwächung des Heimatgefühls. Zugenommen haben auch Identitäten in den digitalen Medien. Virtuelle Identitäten in sozialen Medien, Blogs oder Online-Games nehmen zu und lassen ein Experimentieren mit verschiedenen Aspekten der eigenen Identität zu. So kann sich ein Mann online als eine Frau ausgeben oder umgekehrt, und man kann Teile von sich selbst zeigen, die in der realen Welt weniger möglich sind. In den vorangegangen Abschnitten wurde klar, dass sich ein großer Teil unserer Identität aus der Interaktion mit der Umwelt bildet. Wir interagieren aber auch mit uns selbst und unseren „inneren Stimmen“. Durch die vielen Reflexionsprozesse im Verlauf unseres Lebens entstehen verschiedene „Teile“ in uns. Mit diesen inneren Teilen können wir interagieren und sie verändern. Schulz von Thun nennt es das „innere Team“ (1998). Er geht davon aus, dass in uns mehrere Teammitglieder und ein Teamoberhaupt existieren, mit denen wir ständig in Interaktion treten. Dass wir mit dem inneren Team kommunizieren, fällt den meisten vor Entscheidungen auf. Da moderiert das Teamoberhaupt eine „Teamkonferenz“ und hört alle Stimmen an bis eine Entscheidung getroffen wird. Lippmann (2013, S. 168) empfiehlt in diesem Zusammenhang, Selbstgespräche zu führen, in denen man sich Fragen nach den Auswirkungen stellt wie z. B.: „Was passiert, wenn ich das so mache?“, „Wie kann ich das schaffen?“ und „Was muss ich tun, um eine optimale Lösung zu erreichen?“ (Lippmann 2013, S. 32-66, S. 165-168). Hirnbiologisch werden verschiedene ähnliche Netzwerke (Erfahrungen) aus dem emotionalen und kognitiven Erfah-

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5

Hinkunftsfamilie: Ein Flexibilisierungstrend ist zu beobachten

Ein großer Teil unserer Identität bildet sich aus der Interaktion mit der Umwelt

150

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

rungsgedächtnis abgerufen und nach den Konsequenzen (Emotionen, physisches und psychisches Wohlbefinden) untersucht. kDie k Säule Arbeit und Beruf Flexibilität ist heute wichtiger als Loyalität zum Arbeitgeber

5

Eine wesentliche Bedeutung kommt in der heutigen Gesellschaft der Säule Arbeit und Beruf zu. In der schnelllebigen Leistungsgesellschaft nehmen auch in der Arbeitswelt Bindungen ab. Flexibilität ist wichtiger als Loyalität zum Arbeitgeber. Das bedeutet auch, dass Ordnung und Pünktlichkeit nicht mehr so gewichtet werden wie Flexibilität und Mobilität. Stetige Weiterentwicklung und Qualifizierung werden erwartet und sind mittlerweile selbstverständlich. Wer da nicht mitmacht und meint, nach der ersten Ausbildung sich ausruhen zu können, wird in gewissen Branchen spätestens bei der nächsten Rationalisierungsmaßnahme durch Roboter ersetzt, oder der Arbeitsplatz wird in Billiglohnländer ausgelagert. Die stabile ausgereifte Persönlichkeit, die ihre Identität gefunden und gefestigt hat, ist heute nicht mehr gefragt. Um sich immer wieder anzupassen, nennt Lippmann (2013, S. 82) nötige Ressourcen wie: Die Fähigkeit, Unsicherheiten auszuhalten und in der Vielzahl der Optionen eine Entscheidung treffen zu können. Eine minimale materielle Absicherung. Kreative Selbstorganisations- und Gestaltungskompetenz. Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit. Auch Arbeitsort und die Arbeitszeiten werden flexibilisiert und die Grenzen des Unternehmen unscharf. Das Ergebnis ist wichtiger als die Frage, wo und wann es entstanden ist, was zu einem besseren Gleichgewicht zwischen Arbeitsleben und anderen Lebensbereichen führt. Dass diese Säule zentral für die Identitätsbildung ist, zeigt sich insbesondere, wenn jemand die Arbeit verliert. Flexibel zu sein bedeutet, einen für sich guten Umgang mit den Widersprüchen in der heutigen Arbeitswelt zu finden (Lippmann 2013, S. 78–83, S. 168–169).

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kDie k Säule Körper und Leiblichkeit Embodiment-Konzept Wechselwirkung von Körper und Psyche

Die dritte Säule zeigt auf, dass Identität sich durch die Tatsache bildet, dass wir leibliche Wesen sind. Bei der Leib-Seele-Thematik geht es darum, die Aufmerksamkeit mehr auf den Körper (den Leib) zu richten und auf das, was uns der Körper mitteilen will. Denn unser Körper ist die Verbindung zwischen unserem Inneren und der Umwelt und ist auch deshalb identitätsstiftend. Dass sich Körper und Psyche gegenseitig beeinflussen und daher nicht getrennt voneinander betrachtet werden können, wurde in diversen Experimenten gezeigt (Storch 2003; Beispiele auch in Lippmann 2013, S.  102–104). Eines der bekanntesten Konzepte über die Wechselwirkung von Körper und Psyche ist das von Maja Storch beschriebene Embodiment-Konzept (Storch 2003). Das psy-

5.8  •  Selbstkonzept, Persönlichkeit und Identität

151

5

chische System steht zusammen mit dem Gehirn immer in Bezug zum Körper und kann nicht alleinstehend betrachtet werden. Das bedeutet, dass wir Areale im Gehirn aktivieren, die für Motorik und Sinneswahrnehmung zuständig sind, wenn wir denken und fühlen. Aus diesen Erkenntnissen wurden Empfehlungen für den Alltag abgeleitet, die zu einer besseren Achtsamkeit führen sollen (Lippmann 2013, S. 171): Die Körperhaltung kann unsere Stimmung beeinflussen, darum sollen wir auf eine aufrechte Haltung achten und uns vorstellen, in welcher Körperverfassung wir unsere Ziele am besten erreichen: In aufrechter und stolzer Haltung oder gebückt und gekrümmt? Gunther Schmidt formuliert es folgendermaßen: „So wie man geht, so geht es einem“. Die Ziele, die wir uns vornehmen, sollen stets positiv formuliert werden („hin zu“ statt „weg von“) Die im 7 Abschn. 5.5.2 erwähnten somatischen Marker sollen uns in der Körperwahrnehmung als diagnostisches Element für Selbstkongruenz dienen. Das Achten auf somatische Marker (positive oder negative) kann uns dementsprechend bei Entscheidungen und in der Entwicklung der Identität als Wegweiser dienen.

-

kDie k Säule Besitz und Materielles

Beisitz und Eigentum geben dem Individuum nicht nur Sicherheit, sondern auch gemäß Habermas (1996, S. 52 f., zit. n. Lippmann 2013, S. 128) fünf Identitätsfunktionen: Dient der Person als Instrument, das sie beherrschen und über das sie verfügen kann und das deshalb als zur eigenen Person gehörend erlebt wird. Vergrößert damit den Handlungsspielraum der Person. Kann in Form von Produkten auf Tätigkeiten und Fähigkeiten einer Person verweisen. Bildet der Person ein relativ konstantes Umfeld. Ist insofern ein essenzieller Teil der Person, als er eine gewisse Kontinuität der Person mit sich selbst verstärken kann. Weil zum Beispiel Liebesbeziehungen im Vergleich zu früher nicht mehr so stark auf Langfristigkeit ausgelegt sind, weichen viele auf Besitz und Konsum aus, weil diese zuverlässigere Identitätsfaktoren sind (Precht 2007, S. 333; Lippmann 2013, S. 175).

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kDie k Säule Glaube, Werte und Sinn

Der Glaube ist insofern identitätsbildend, weil er einerseits Antworten auf Fragen liefern kann, die wir nicht rational beantworten können und andererseits dem Leben einen Sinn geben kann, ohne dass man danach suchen muss. Dem Einzelnen kann dies einen Rahmen zur Orientierung geben und kann somit als Fragment der eigenen Identität gesehen werden.

Weil Liebesbeziehungen im Vergleich zu früher nicht mehr so stark auf Langfristigkeit ausgelegt sind, weichen viele auf Besitz und Konsum aus

152

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

kFazit k zu den 5 Säulen der Identität – Woran erkennt man ein authentisches Leben? Woran erkennt man ein authentisches Leben?

5

Die Frage, ob es ein wahres Selbst gibt und wann wir uns authentisch verhalten, bleibt offen

Die Frage, ob es ein wahres Selbst gibt und wann wir uns authentisch verhalten, bleibt offen. Es ist für jedes Individuum anders, was als identitätsstiftend erlebt wird und was nicht. Auf die Frage nach der wahren Identität antwortet Abels (2006, S. 43) deshalb folgendermaßen: „Für das Individuum ist seine Identität das, was es gerade von sich annimmt“. Lippmann (2013, S. 181) fasst Merkmale zusammen, woran man ein authentisches Leben erkennt: Unabhängigkeit von anderen Menschen und deren Meinungen, die eigene Meinung auch dann vertreten, wenn sie unpopulär ist. Kein Zwang, sich ständig mit anderen vergleichen zu müssen, um sich überlegen zu fühlen. Gefühl, wertvoll zu sein und gelassen bleiben, auch wenn man angegriffen wird, unsicher oder ambivalent ist. Eigene Gefühle kennen und ihnen angemessen Ausdruck verleihen, ohne konformistisch zu werden. Bewusste Entscheidungen treffen im Sinne der eigenen Werte. Optimistisch, offen für Neues sein, Verantwortung übernehmen und die eigenen Grenzen kennen, um auch Hilfe annehmen zu können. Besitz und Status sind weniger wichtig. Das tun und verfolgen, was man am besten kann, mutig sein.

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Wie schon erwähnt, helfen uns die leicht beobachtbaren somatischen Marker dabei, für uns passende Entscheidungen zu treffen und so Selbstkongruenz herzustellen. Eine wichtige, dafür benötigte Kompetenz ist unter anderem der Umgang mit dem permanenten Wandel, den Widersprüchen und Paradoxien des heutigen Zeitalters, ohne dabei die eigenen Überzeugungen zu ignorieren und dafür einzustehen. In den Worten von Lippmann (2013, S. 182) heißt dies konkret: „Im Zeitalter des Chamäleons: flexibel sein und Farbe bekennen.“ zz Selbstwirksamkeit („Locus of control“) Starke internale Kontrollüberzeugung: die Überzeugung die Dinge fest im Griff zu haben

Menschen unterscheiden sich in ihrer Überzeugung, ob und wie beeinflussbar sie ihre Ziele wahrnehmen. Einige glauben, ihre Ziele durch ihr Handeln beeinflussen zu können, während Andere die Erreichbarkeit eher äußeren Faktoren zuschreiben. Personen, die der Überzeugung sind, „die Dinge fest im Griff zu haben“ oder „alles selbst zu machen“, verfügen über eine starke internale Kontrollüberzeugung („internal locus of control“; Rotter 1966). Andere tendieren dazu, die Ergebnisse meist dem Zufall oder der Unterstützung durch Kollegen zuzuschreiben, die als externe Kontrollüberzeugung („external locus of control“) bezeichnet wird. Personen mit einer internen Kontrollüberzeugung fällt es in der Regel

5.9  •  Der Mensch im Austausch mit anderen Menschen

153

5

leichter, Verantwortung zu übernehmen als den anderen. Die internale Kontrollüberzeugung wirkt sich positiv auf das Leistungsverhalten und die Arbeitszufriedenheit aus. Für die Führungspraxis ist es interessant zu wissen, dass der „locus of control“ oft mit der Lerngeschichte und der Erfolgsgeschichte einer Person zusammenhängt und daher entwicklungsfähig ist. Menschen erleben gerne Erfolge in ihrer Arbeit, vor allem, wenn sie sie den eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zuschreiben können. Ein entsprechendes und glaubwürdiges Feedback seitens der Führung ist dabei eine unabdingbare Voraussetzung. Dieser Prozess ist selbstwertaufbauend und leistungsfördernd (della Picca und Spisak 2013). 5.9

Der Mensch im Austausch mit anderen Menschenin komplexen Umwelten

Die oben beschriebenen psychologischen Prozesse, als auch eine Vielzahl anderer Prozesse generieren das, was wir wahrnehmen, fühlen, denken und wie wir handeln. Sie generieren das, was wir als Realität konstruieren und das, was wir als unser Selbst erleben. Der weitaus größte Teil dessen, was heutzutage unsere Umwelt ausmacht, sind andere Menschen, welche wir in unterschiedlichsten Situationen, Kontexten und Rollen erleben. Gleichzeitig sind wir selbst in unterschiedlichsten Organisationen und Rollen unterwegs und beeinflussen durch unser Verhalten andere Personen. 5.9.1

Der Mensch in Organisationen

Einen nicht unerheblichen Teil unseres Alltags verbringen wir zusammen mit anderen Menschen in Organisationen. Diese sind selbst wiederum komplexe dynamische Systeme und generieren somit eine komplexe, dynamische Umwelt für alle, welche Teil dieser Organisation sind. Innerhalb der Organisationen koordinieren wir unsere Hand-

lungen, damit gemeinsam der Zweck der Organisation erfüllt wird. Der Vorteil von kollektivem Handeln in Organisationen liegt darin, dass durch die fokussierte Anstrengung vieler die Umwelt in eine für viele günstige Art und Weise verändert werden kann. Diese Veränderung wäre durch das Handeln einer einzelnen

Person nicht möglich. Zentral für die Koordination von Verhalten mehrerer Personen ist, dass diese Personen ein ähnliches Bild der Realität konstruieren, von welchem aus sie ihre weiteren Handlungen ableiten können. Ein gemeinsames Bild der Realität zu konstruieren erfolgt durch Kommunikation. In der Kommunikation tauschen wir uns über unsere Wahrnehmung, Gefühle, unser Denken, Urteilen und unsere Handlungsabsichten aus. Mit Hilfe der somit gewonnenen

Organisationen sind komplexe Systeme und bilden eine komplexe, dynamische Umwelt für ihre Mitglieder Gemeinsame Anstrengung verändert die Umwelt in eine günstige Richtung

Kommunikation ist der Kern für die Angleichung der Bilder der Realität

154

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

Verschiedene Aspekte der Organisation erleichtern die Konstruktion einer geteilten Realität

5

Führungskräfte haben durch ihr Handeln einen zentralen Einfluss auf die Konstruktion der Realität von anderen Personen und somit auf ihr Erleben, Denken, Fühlen und Handeln

Zusammenfassung

Informationen von anderen Personen schärfen wir unser eigenes Bild von der Realität. Als Konsequenz können wir gemeinsam über etwas nachdenken und gemeinsam Entscheidungen über weitere Handlungsschritte treffen. Verschiedene Aspekte einer Organisation erleichtern sowohl die Konstruktion einer geteilten Realität als auch die Handlungen, die zu tätigen sind. Strukturen, Prozesse und Aufgaben führen zur Definition von bestimmten Rollen. Diese bestimmten Rollen implizieren immer auch eine bestimmte Bandbreite an Verantwortlichkeiten und möglichen Verhalten, die adäquat sind. Die in einer Organisation sich entwickelnde Kultur beeinflusst den Umgang der Organisationsmitglieder untereinander, als auch mit anderen externen Stellen. Gleichzeitig beeinflusst sie die Wahrnehmung und somit wiederum die Konstruktion der Realität. Hierbei wirken das Menschenbild, das Organisationsverständnis und das Führungsverständnis latent auf die Kultur und somit das Verständnis über Rollen, Prozesse, Aufgaben und adäquate Handlungen in einer Organisation ein. Personen, welche eine Führungsrolle übernehmen, können auf unterschiedlichste Art und Weise durch ihr Führungsverhalten die Organisation, als auch einzelne Individuen und Gruppen von Individuen in der Organisation nachhaltig beeinflussen. Sie haben durch ihr Verhalten einen zentralen Einfluss darauf, wie die Organisationsmitglieder die organisationale Umwelt erleben, wie sie denken und fühlen, wie sie sich austauschen, wie sie Probleme erkennen und lösen, wie sie sich koordinieren und welche Handlungen gemeinsam umgesetzt werden. Zusammenfassung Das Kapitel beschäftigt sich mit Grundmechanismen des Wahrnehmens, Fühlens, Denkens, Entscheidens und Handelns. Zu den psychologischen Tätigkeiten einer Führungsperson zählen beschreiben, erklären, vorhersagen, beeinflussen und bewerten von Handlungen als auch entscheiden. Die Psychologie betrachtet den Menschen dabei aus verschiedenen Blickwinkeln, z. B. aus verschiedenen Anwendungsgebieten, Sichtweisen und theoretischen Betrachtungen. Aus einer neurosystemischen Perspektive ist der Mensch über vielfältige dynamische Interaktionsprozesse mit seiner Umwelt in konstantem Austausch. Die psychologischen Grundprozesse im Gehirn ermöglichen es, ein kohärentes Bild der Umwelt zu konstruieren und erfolgreich in der komplexen und sich verändernden Umwelt zu handeln. Hierbei spielen die individuellen Grundbedürfnisse, die Emotionen, die bewussten und unbewussten Verarbeitungsprozesse, das Gedächtnis als auch Lernprozesse eine zentrale Rolle. Eine besondere Bedeutung kommt den Wahrnehmungsprozessen zu, denn dabei können unterschied-

5.9  •  Der Mensch im Austausch mit anderen Menschen

liche Fehler passieren. Der Prozess des Lernens und Erinnerns prägt in einem großen Umfang unsere Wahrnehmung, unser Denken als auch unser Handeln. Daraus entwickeln sich unsere Persönlichkeit, unser Selbstkonzept und unsere Identität. Erfolgreiches Führungshalten besteht darin, sich dieser Prozesse bewusst zu sein und diese ins eigene Führungshandeln zu integrieren, damit Menschen gemeinsam in Organisationen gesund und leistungsfähig zusammenarbeiten.

Literatur Abels, H. (2006). Identität. Über die Entstehung des Gedankens, dass der Mensch ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden Anspruch auf Individualität und die Tatsache, dass Identität in Zeiten der Individualisierung von der Hand in den Mund lebt. Wiesbaden: VS. Asch, S. E. (1946). Forming impression of personality. Journal of Abnormal and Social Psychology, 41, 258–290. Betsch, T., Funke, J., & Plessner, H. (2011). Denken – Urteilen, Entscheiden, Problemlösen. Heidelberg: Springer. Bodenmann, G., Perrez, M., & Gmelch, S. M. (2011). Klassische Lerntheorien. Grundlagen und Anwendung in Erziehung und Psychotherapie (2. Aufl.). Bern: Huber. Buschman, T. J., & Miller, E. K. (2007). Top-down versus bottom-up control of attention in the prefrontal and posterior parietal cortices. Science, 315, 1860–1862. Cowan, N. (2001). The magical number 4 in short-term memory: a reconsideration of mental storage capacity. Behavioral and Brain Science, 24, 87–185. Damasio, A. R. (2005). Der Spinoza-Effekt. Wie Gefühle unser Leben bestimmen. Berlin: Ullstein. Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance. Stanford: Stanford University Press. Gasser, P. (2010). Gehirngerecht lernen. Eine Lernanleitung auf neuropsychologischer Grundlage. Bern: Hep. Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe. Habermas, T. (1996). Geliebte Objekte. Symbole und Instrumente der Identitätsbildung. Berlin: De Gruyter. Hüther, G. (2016). Mit Freude lernen ein Leben lang. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kahneman, D. (2015). Schnelles Denken, Langsames Denken (17. Aufl.). München: Siedler. Kanizsa, G. (1979). Organization in vision: essays on gestalt perception. New York: Praeger. Krampe, D. (2014). Selbstwert als kritische Variable des Unternehmenserfolges: Eine empirische Analyse im Rahmen des Neuroleadership-Gedankens. Wiesbaden: Springer Gabler Lieberman, M. D., Gaunt, R., Gilbert, D. T., & Trope, Y. (2002). Reflection and reflexion: a social cognitive neuroscience approach to attributional inference. In M. Zanna (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (Bd. 34, S. 199–249). New York: Academic Press. Lippmann, E. (2013). Identität im Zeitalter des Chamäleons: Flexibel sein und Farbe bekennen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

155

5

156

5

Kapitel 5  •  Psychologische Grundlagen für Führungskräfte

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157

Leistung und Verhalten beeinflussen Urs Jörg, Thomas Steiger 6.1

Führung als Einflussnahme  –  158

6.2

Strukturelle Maßnahmen – 159

6.3

Instrumentelle Maßnahmen – 162

6.4

Prozessuale, interaktionelle Maßnahmen  –  164 Literatur – 166

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_6

6

158

Kapitel 6  •  Leistung und Verhalten beeinflussen

Auf einen Blick

Auf einen Blick Durch Führung soll das Verhalten und die Leistung der Mitarbeitenden im Sinne übergeordneter Organisationsinteressen beeinflusst werden. Um dieses Ziel zu erreichen bedient sich die Führung verschiedener Mittel. In diesem Kapitel wird ein kurzer Überblick über diesbezüglich relevante Aspekte geliefert. Wir gehen der Frage nach, auf welche Art und Weise und mit welchen Mitteln, Verhaltens- und damit Leistungsbeeinflussung durch Führung stattfinden kann. Damit wird auch eine Verbindung zwischen den im Buch dargestellten und jeweils eigenständig behandelten Aspekten der Verhaltensbeeinflussung geschaffen. Das Kapitel dient zudem der Orientierung für eine systematische Vertiefung des Stoffes.

6

6.1 Definitionen in der Literatur

gezielte Einflussnahme

Führung als Einflussnahme

In der Literatur finden sich unterschiedliche Führungsdefinitionen. Fast alle in der Literatur auffindbaren Definitionen von Führung (Neuberger 2002, S. 11 ff.) stellen Bezüge zu zwei wichtigen Elementen her: 1. Führung ist Einflussnahme von Personen auf andere und 2. diese Einflussnahme erfolgt gezielt, d. h. in Verfolgung von Zielen, welche nicht a priori auch die Ziele der Geführten sind. Diese gezielte Einflussnahme findet im Rahmen von Interaktionsprozessen statt und kann nach Wegge (2002, S. 98) in drei Bereiche verschiedener Reichweite eingeteilt werden: Unternehmensführung umfasst alle Interaktionsprozesse (z. B. Entscheidungen, Handlungen, Strategieplanungen) zur Beschaffung, Verteilung, Nutzung, Kontrolle und Entwicklung einzelner Ressourcen (z. B. Kapital, Personal, Information, Technik) um die wesentlichen Organisationsziele zu erreichen. Personalmanagement umfasst alle Interaktionsprozesse (Entscheidungen, Handlungen, Gespräche etc.) im Dienste der Unternehmensführung um die Humanressourcen (z. B. Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Kompetenzen) der Organisationsmitglieder zu steuern. Personale Führung umfasst alle unmittelbaren wechselseitigen und tendenziell eher asymmetrischen Interaktionsprozesse im Dienste der Unternehmensführung, die zwischen Führungsperson und Mitarbeitenden stattfinden. Diese Prozesse können von jedem Mitarbeitenden und jeder Gruppe einer Organisation ausgehen, dies im Sinne einer „lateralen Führung“ unter Gleichgestellten oder als „Führung von unten“.

-

6.2 • Strukturelle Maßnahmen

Im bereits beschriebenen Rollenkonzept (7 Kap. 4), wird die Führungsaufgabe als ein von der Organisation (dem übergeordneten System) erteilten Auftrag (Primary Task) an die Führungskraft verstanden: die Bedingungen der Mitarbeitenden für ihre jeweilige Aufgabenerfüllung im Sinne der Organisation zu optimieren. Dieses Verständnis schließt einige Überlegungen mit ein, die hier nochmals erläutert werden: Mitarbeitende brauchen hilfreiche Bedingungen, um ihre Aufgabe, ihre Rolle im Sinne der Organisation, erfolgreich übernehmen zu können. Diese Voraussetzungen betreffen sowohl die Mitarbeitenden selbst als auch die organisationalen Rahmenbedingungen. Die Schaffung geeigneter Voraussetzungen ist nicht nur das Ergebnis von guter Planung, geeigneter Strukturen und angemessener Abläufe, sondern auch das Resultat von Lern- und Aushandlungsprozessen, welche Zeit und Energie in Anspruch nehmen. Die Mitarbeitenden selbst nehmen auch Einfluss auf die Arbeitsbedingungen und auf die Führung. Aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten sind sie bewusst und unbewusst mitgestaltende der Arbeitssituation. Dies gilt nicht nur aber auch, wenn die Rahmenbedingungen als suboptimal empfunden werden. Damit beeinflussen die Mitarbeitenden ihrerseits laufend die Voraussetzungen für das, was wir als Führung bezeichnen. Führung funktioniert also nie nur in eine Richtung. Auch die Vorgesetzten werden durch ihre Mitarbeitenden beeinflusst. Dies geschieht bewusst und unbewusst und kann mehr oder weniger hilfreich und sinnvoll sein. Die Führungskraft selbst bringt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ihre eigenen, persönlichen Absichten, Haltungen und Neigungen mit ein, die sich auf die Zusammenarbeit in ihrem Verantwortungsbereich auswirken. Möglicherweise verfolgt die Führungskraft neben den offiziellen Organisationszielen auch eigene, persönliche Ziele, welche mehr oder weniger im Einklang mit den erstgenannten stehen. Selbstverständlich gilt dies auch für die Mitarbeitenden.

-

Die Übersicht in . Tab. 6.1 unterscheidet drei Maßnahmenebenen nach ihrem jeweiligen Zeithorizont und dem Wirkungsspektrum. 6.2

159

6

ergänzende Sichtweisen des Rollenkonzeptes

Führen heißt, die ­ edingungen der ZusamB menarbeit zu optimieren und Lernprozesse zu fördern

Mitarbeitende nehmen selbst Einfluss und verändern die Bedingungen von Führung

„hidden agenda“

drei Maßnahmenebenen

Strukturelle Maßnahmen

Mitarbeitendenführung geschieht immer im Kontext struktureller Entscheide der Unternehmensführung und des Personalmanagements. Die personale Führung findet grundsätzlich im gegebenen

Aufbau- und Ablauf­ organisation

160

Kapitel 6  •  Leistung und Verhalten beeinflussen

..Tab. 6.1  Ebenen der Leistungs- und Verhaltensbeeinflussung

6

Ebene, Perspektive und Wirkung

Maßnahmen

Strukturell – langfristig – zur optimalen Allokation von personellen Ressourcen auf der Ebene der Gesamtorganisation

– Aufbauorganisation – Ablauforganisation

Instrumentell – mittelfristig, – zur Erhöhung der Wirksamkeit der Mitarbeitenden in ihrem Aufgabengebiet

– Delegation – Führen durch Zielvereinbarung – Information – Ressourcenplanung – Qualifikation (Beurteilung der Mitarbeitenden) – systematische Personalentwicklung – Leistungsanreize

Prozessual (interaktionell) – kurzfristig, spontan – zur Optimierung des Arbeitsund Beziehungsverhaltens der Mitarbeitenden

– Interventionen in Problemlösungsprozesse – Beziehungsgestaltung – Anerkennung und Kritik, Feedback – Teamentwicklung – Gestaltung von Veränderungsprozessen – Konfliktinterventionen

--

strukturellen Rahmen statt. Im Mittelpunkt struktureller Führung stehen drei Steuerungsmedien: Kultur (gemeinsam geteilte Werte und Normen), Strategie (Ziele und Mittel/Instrumente) und Organisation (Verteilung von bzw. Zuordnung von Aufgaben und Kompetenzen). Diese werden von der Führungskraft in ihrem eigenen Gestaltungsbereich im Rahmen der Vorgaben situativ interpretiert, modifiziert, kommuniziert und umgesetzt sowie als Sollwerte für die eigenverantwortliche Mitarbeitendenführung verwendet. Schließlich sind diese Vorgaben auch für die Selbstorganisation und die Beeinflussung der Führungspersonen durch die Mitarbeitenden von Bedeutung (Wunderer 1997 S. 385–408). Eine funktionale strukturelle Führung, welche eher generell, personenunabhängig und häufig formalisiert (z. B. über Richtlinien, Instrumente) erfolgt, soll für informierte, motivierte und qualifizierte Mitarbeiter sorgen und damit idealerweise, den Bedarf an personaler Führung reduzieren.

6.2 • Strukturelle Maßnahmen

Die Führungskultur macht Aussagen zum Sinn und Zweck sowie über Art und Umfang wechselseitiger Beeinflussung. Sie liefert Informationen zur Gestaltung wichtiger Themen wie zum Beispiel Persönlichkeitsrechte, Autonomie, Kooperation, Arbeit und Leistung. Idealerweise handelt es sich um eine Kultur des Mitdenkens, Mithandelns und Mitverantwortens. Die Führungsstrategie setzt diese Werte um. Dies kann in Führungsleitbildern oder -grundsätzen in spezifischen Führungszielen und –mittel geschehen. Sie kann schließlich auch auf einzelne Mitarbeiter und Vorgesetzte individualisiert angewendet werden. Die Führungs- und Arbeitsorganisation hat schließlich die Aufgabe, Führungswerte und führungsstrategische Entscheide in der Aufbau- und Ablauforganisation umzusetzen. Damit erfolgt Führung, resp. die Beeinflussung von Leistung und Verhalten, über die verbindliche Zuweisung von Aufgaben und Zuständigkeiten an die Mitglieder der Organisation (Aufbauorganisation) sowie über die verbindliche Regelung von Prozessen (Ablauforganisation). Diese Maßnahmen zur Aufbau- und Ablauforganisation sind im Allgemeinen langfristig angelegt, d. h. wenigstens drei Jahre oder länger. Aufbau- und Ablauforganisationsstrukturen können förderliche und hinderliche Effekte haben. Es besteht das Risiko der Überbestimmtheit, Überorganisation, Starrheit bzw. Verlust an Flexibilität, wenn sie zu eng gefasst oder zu starr sind. Im gegenteiligen Fall kann es zu Unterbestimmtheit, Willkür, Kontrollverlust, Chaos, Überhandnehmen „privater“ Interessen kommen. Organisationsstrukturen zu schaffen, welche die Leistung der Mitarbeiter fördern, ist eine zentrale Führungsaufgabe. Organisationen, d. h. soziotechnische Systeme ganz allgemein, reagieren auf suboptimale strukturelle Voraussetzungen regelmäßig mit der Hervorbringung informeller Strukturen, welche mehr oder weniger sinnvoll sind. Die Wirkungen struktureller Führung sind vielfältig. Die Aufbau- und Ablauforganisation bestimmt unter anderem die Qualität der Aufgabengestaltung. Die Merkmale dieser Aufgabengestaltung (Ganzheitlichkeit und Vielfalt der Aufgaben, Grad der Selbstständigkeit und der Kommunikationsanforderungen, Entwicklungsund Lernmöglichkeiten) beeinflussen unter anderem die Motivation, das Verhalten, die Leistung und die Entwicklung der Mitarbeitenden maßgeblich mit. In diesem Buch befasst sich zunächst das 7 Kap. 2 mit Aspekten dieser Maßnahmenebene. Das 7 Kap. 12 ist speziell dieser Thematik gewidmet. 7 Kap. 18 beschreibt Anforderungen an die Veränderung bestehender oder die Einführung neuer Strukturen.

161

6

..Abb. 6.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

Starrheit vs. Chaos, informelle Strukturen

Auswirkungen auf Leistung und Verhalten

wichtige Kapitel in diesem Buch

162

Kapitel 6  •  Leistung und Verhalten beeinflussen

6.3

6

Planungshorizont

Instrumentelle Maßnahmen

Aus der übergeordneten strukturellen Führung werden im Idealfall konkrete Führungsinstrumente abgeleitet, welche im Einklang mit den Organisationszielen und der konkreten Aufgabenerfüllung der Mitarbeitenden stehen. Mit den instrumentellen Maßnahmen sind jene Führungssysteme resp. -techniken und -praktiken gemeint, die im Rahmen bestehender Strukturen den Umgang der Führung mit den Mitarbeitern verbindlich regeln. Führungsinstrumente sind unter anderem Werkzeuge zur Durchsetzung qualitativer Mindestanforderungen an die Führungsarbeit. Im Idealfall werden die Mitarbeitenden zugleich verpflichtet („Sollen“) und ermächtigt („Dürfen“), im Rahmen der Sollvorgaben (Ziele, Werte, Normen bzw. Rollenerwartungen und Leitplanken), möglichst selbstständig zu handeln und zugleich Freiräume und Anreize für mitunternehmerisches Verhalten zu sehen. Ziel ist ein optimaler Einsatz der „Human Resources“. Führungsinstrumente benötigen eine bestimmte Entwicklungsund Einführungszeit. Sie gehören üblicherweise für einige Jahre zum „Repertoire“ der Personal- und Führungsarbeit einer Organisation. Der Zeit- oder Planungshorizont dieser Maßnahmen ist eher mittelfristig (1–3 Jahre). Der Einsatz dieser Instrumente erfolgt normalerweise organisationsweit, gleichzeitig wird damit jeder Mitarbeitende direkt verpflichtet („Sollen“) und ermächtigt. Es werden nun einige wirksame und bewährte Führungsinstrumente vorgestellt.

Delegation

Delegation  ist ein Führungsinstrument, welches richtig ange-

Management by Objectives

Führen durch Zielvereinbarung („Management by Objectives – MbO“)  Zielvereinbarungen sind ein wirksames Mittel, Verhalten

wandt die Effektivität und Effizienz der Zusammenarbeit und die Wirksamkeit sowie die Entwicklung der betroffenen Mitarbeitenden positiv beeinflusst. Delegieren will gelernt sein und braucht gewisse organisationale Voraussetzungen (7 Abschn. 15.5).

und Leistung der Mitarbeitenden auf die übergeordneten Ziele auszurichten und gleichzeitig Identifikation mit der Organisation zu ermöglichen. Organisationsweites Führen mit Zielvereinbarungen setzt ein praktikables Instrumentarium voraus, welches auch unter den Aspekten der Information (7 Abschn. 6.1) und Kommunikation (7 Abschn. 9.1) durchdacht ist. Ziele vereinbaren bedeutet auch Kontrolle vereinbaren (7 Abschn. 15.2 „Führen mit Zielvereinbarung“). Ressourcenplanung

Ressourcenplanung  Zu den unabdingbaren Mitteln der Steue-

rung der Mitarbeitenden gehört die Ressourcenplanung und -zuteilung. Im Wesentlichen sind damit die Instrumente der Aufwand- und Ertragsermittlung und der Budgetierung gemeint.

6.3 • Instrumentelle Maßnahmen

163

6

Wichtig ist, dass diese betriebswirtschaftlichen Führungsinstrumente in eine angemessene Zielvereinbarungs- und Informationspraxis eingebettet sind. Qualifikation  Die Beurteilung der Mitarbeitenden erfüllt idealer-

Beurteilung der ­Mitarbeitenden

Personalentwicklung  Führen heißt auch Menschen entwickeln.

Personalentwicklung

Leistungsanreizsysteme  Diese werden als Mittel zur Motivation,

Leistungsanreize (Incentives) und Motivation, Salär- und Bonussysteme

weise mehrere Funktionen. Neben der Einschätzung der aktuellen Leistung, dient sie der Entfaltung der Potenziale und der Entwicklung der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der einzelnen Mitarbeitenden. Wichtig sind die entwicklungsorientierte und auf die konkreten Bedürfnisse der Organisation abgestimmte Gestaltung sowie eine sorgfältige Einführung des Qualifikationssystems. Dadurch kann eine breite Akzeptanz bei den Mitarbeitenden und bei den Führungskräften geschaffen werden (7 Abschn. 13.1). Die bereits genannten Führungsinstrumente dienen neben anderem diesem Zweck. Es existieren weitere Instrumente zur systematischen Personalentwicklung. Gemeint sind damit einerseits Personalauswahl und -einführung (7 Abschn. 13.1). Andererseits Fördermaßnahmen „off the job“ wie z. B. Fort- und Weiterbildung sowie „On-the-job-Förderung“ durch „job rotation“, „job enlargement“, „job enrichment“, Beratung (Coaching), Mentoring etc. Personalentwicklung erfolgt sowohl unter aufgaben- als auch unter personenbezogenen Gesichtspunkten. In größeren Unternehmen hat sich ein Trend zur Verlagerung der Verantwortlichkeit für die Personalentwicklung in die Hände eines professionalisierten Human-Resources-Managements (HRM) abgezeichnet. Neuere Tendenzen verlagern diese Verantwortung wieder vermehrt in die Linienführung, die durch HRM-Spezialisten unterstützt wird. Grundsätzlich ist die Personalentwicklung eine Führungsaufgabe, welche durch das HRM angemessen unterstützt werden soll (7 Abschn. 13.2).

zur Leistungssteuerung und zur Mitarbeiterbindung breit diskutiert und in Organisationen sehr unterschiedlich angewandt. Unter dem Stichwort „Incentives“ wird die Bedeutung von Salär- und Bonussystemen, die Rolle von Gratifikationen und anderen materiellen Formen von Entgelt für die Stimulation von überdurchschnittlichen Leistungen und zur Bindung von Mitarbeitenden beleuchtet. Diese Maßnahmen zielen vor allem auf die Erhöhung der extrinsischen Motivation. 7 Abschn. 12.3 befasst sich näher mit den Voraussetzungen von Motivation. Diese liegen eher im intrinsischen als im extrinsischen Bereich. Obschon eine durch die jeweiligen Mitarbeitenden als fair betrachtete Entlohnung wichtig ist, sind andere Aspekte zwingend zu berücksichtigen (Frey und Osterloh, 2002).

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Kapitel 6  •  Leistung und Verhalten beeinflussen

6 ..Abb. 6.2  © 2018 by Tobias Leuenberger

6.4 beschränkte ­Handlungsspielräume

hohe spontane Verfügbarkeit

hohe Ansprüche an die Fähigkeiten der Vorgesetzten

Interventionsbereiche

sachbezogene ­Interventionen

Prozessuale, interaktionelle Maßnahmen

Strukturelle und instrumentelle Maßnahmen der Beeinflussung

von Leistung und Verhalten haben einen engen institutionellen Bezug. Die Führungskräfte werden mit solchen Instrumenten häufig „top-down“ konfrontiert oder müssen ihre Maßnahmen mit ihren Vorgesetzten zumindest absprechen. Darüber hinaus sind die Führungskräfte meist angewiesen, diese Instrumente in einem vorgegebenen Rahmen und Prozess einzusetzen, was nicht immer hilfreich ist. Im Gegensatz dazu sind prozessuale Maßnahmen wesentlich flexibler und rascher einsetzbar. Sie stehen kurzfristig und spontan also ohne Langfristplanung und ohne Konsultation höherer Entscheidungsebenen zur Verfügung. Bei den prozessualen Maßnahmen handelt es sich um Interventionen der Führungskraft im Hier und Jetzt. Die Interventionen haben ihre Auslöser in Beobachtungen des Arbeits- und des sozialen Verhaltens der Mitarbeitenden. Diese Eigenschaften machen Interventionen dieser Art zur Verhaltensbeeinflussung im Idealfall sehr wirksam und effizient. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass sie ungünstig angewandt kontraproduktiv wirken. Sie müssen also gezielt und professionell erfolgen. Folgende zentrale Prozessinterventionsbereiche lassen sich unterscheiden und werden in diesem Doppelband eingehend erläutert: Gestaltung von Problemlösungsprozessen  Gemeint sind damit

die vielfältigen Möglichkeiten des sachbezogenen methodischen Eingreifens in die Art und Weise, wie Mitarbeitende einzeln oder in Gruppen Aufgaben lösen. Voraussetzung dafür ist zunächst

6.4  •  Prozessuale, interaktionelle Maßnahmen

165

6

..Abb. 6.3  © 2018 by Tobias Leuenberger

eine gut verstandene Problemlösungsmethodik (7 Abschn.  8.1, 7 Abschn. 8.2, 7 Abschn. 8.3, 7 Abschn. 8.4). Wichtig ist die Sensibilität bezüglich der Autonomie- und Entwicklungsbedürfnisse der Mitarbeitenden (z. B. 7 Abschn. 12.3, 7 Kap. 10), ein Verständnis für die Didaktik der Intervention (7 Abschn. 14.2) und ein klares Konzept, wie die Mitarbeitenden mit den notwendigen Informationen zu versorgen sind (7 Abschn. 14.1). Das Thema „Persönliche Arbeitstechnik“ (7 Abschn. 7.2) liefert hier zusätzlich nützliche Informationen. Interventionen zur Gestaltung der Beziehungen zu den Mitarbeitenden und der Mitarbeitenden unter sich  Feedback ist die wohl

Gestaltung der Zusammenarbeit, Anerkennung und Kritik, Teamentwicklung

Gestaltung von Veränderungsprozessen  Ein wesentlicher Teil

Interventionen in Veränderungs­prozessen

unmittelbarste und – richtig angewandt – eine sehr wirkungsvolle Form der vertrauensbildenden und verhaltenskorrigierenden bzw. -verstärkenden Einflussnahme auf Mitarbeitende und Kollegen (7 Abschn. 9.2, 7 Abschn. 9.3 und  7 Abschn. 13.3). Wo Menschen zusammenarbeiten, spielen gruppendynamische Aspekte eine wichtige Rolle. Gruppen oder Teams zu führen, stellt hohe Anforderungen an die jeweiligen Führungskräfte. Ein differenziertes Verständnis über die Funktionsweise von Gruppen und Teams, die Kenntnis entsprechender Führungsinterventionen und die Fähigkeit diese angemessen und zieldienlich einzusetzen sind Voraussetzung um diese Aufgabe kompetent wahr zu nehmen. Maßnahmen zur Steigerung der Leistung und des Zusammenhalts von Gruppen und Teams werden häufig unter dem Aspekt der Teamentwicklung beleuchtet (7 Kap. 10). der Führungsaufgabe ist es, konstruktiv mit Veränderungen umzugehen. Dies beinhaltet sowohl das zielführende Umsetzen von angeordneten Veränderungsvorhaben als auch das frühzeitige initiieren von sinnvollen Veränderungen bzw. Entwicklungen aus Eigeninitiative. Die Art und Weise, wie mit diesem Thema umgegangen wird, hat wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft der Mitarbeitenden ihren Beitrag zu leisten. Gleichzeitig wird die

166

Kapitel 6  •  Leistung und Verhalten beeinflussen

Lernfähigkeit des einzelnen und des gesamten Systems geprägt was einen wesentlichen Einfluss auf die zukünftige Leistungsfähigkeit hat. Anforderungen und Methoden der professionellen Gestaltung von Veränderungsprozessen sind Thema von 7 Kap. 18. Behandlung von Konflikten

6

Konfliktinterventionen  Wo Menschen zusammenarbeiten, kann

es zu Konflikten kommen. Um die Leistungsfähigkeit der Organisationseinheit zu erhalten und zu fördern, muss die Führungskraft Methoden zur Konfliktprävention und zum konstruktiven Umgang mit Konflikten kennen und in der Lage sein, diese zielführend einzusetzen. Ziel ist eine konstruktive Konfliktkultur zu entwickeln um die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der einzelnen Mitarbeitenden und der Gruppe als Ganzes zu erhalten bzw. zu steigern (7 Kap. 17, 7 Kap. 19, 7 Kap. 21).

Literatur Frey, B. S., & Osterloh, M. (2002). Yes, managers should be paid like bureaucrats. Journal of Management Inquiry, 14(1), 96–111. Hilb, M. (2006). Integriertes Personal-Management: Ziele, Strategien, Instrumente (15. Aufl.). München: Luchterhand. Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen. Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung (6. Aufl.). Stuttgart: UTB; Lucius & Lucius. Riekhof, H.-C. (1995). Personalentwicklung als Führungsinstrument. In A. Kieser & al (Hrsg.), Handwörterbuch der Führung (S. 1704–1716). Stuttgart: SchäfferPoeschel. Wegge, J. (2004). Führung von Arbeitsgruppen. Göttingen: Hogrefe. Wunderer, R. (1997). Führung und Zusammenarbeit. Zeitschrift für Personalforschung (ZfP), 4(96), 385–408.

167

Führung der eigenen Person Hans Kernen, Gerda Meier, Christoph Negri, Ellen Gundrum 7.1

Mit den eigenen Ressourcen haushalten – persönliches Ressourcenmanagement für Führungskräfte und die Mitarbeitenden  –  169

7.1.1

Bedeutung von Arbeit und Leistung für die persönliche Entwicklung  –  170 Persönliche Gesundheit und Life-Balance im Kontext unserer verschiedenen „Lebenswelten“ – 172 Regulation von Belastung und Ressourcen als Schlüsselkompetenz – 177 Einbezug der persönlichen und Umfeldressourcen: Ressourcenmodell und Ressourcenmanagement  –  183 Ausgewählte, spezifisch wirksame Ressourcen im betrieblichen Kontext  –  186 Ressourcenmanagement für Führungskräfte und die Mitarbeitenden – wirksame Ansatzpunkte  –  190 Ausblick: Betriebliches Ressourcenmanagement – Beeinflussung der strukturellen, kulturellen und Teamfaktoren – 193

7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7

7.2

Persönliche Arbeitstechnik – 196

7.2.1

Persönliche Arbeitstechnikund ganzheitliches Selbstmanagement – 197 Persönliche Arbeitstechnik – 199 Lebenssinn und Ziele  –  200 Zielplanung und -findung  –  201 Planung – 201 Prioritätensetzung – 204 Erfassung und Analyse des Ist-Zustandes der persönlichen Arbeitstechnik – 205

7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.2.7

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_7

7

7.2.8 7.2.9

Informationsbewältigung – 207 Umgang mit E-Mails  –  209

7.3

Rhetorik und Präsentation  –  210

7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.3.5 7.3.6 7.3.7

Gute Vorbereitung wirkt – 211 Visualisieren heißt veranschaulichen  –  222 Der Körper redet immer mit  –  224 Gute Sprache ist einfach und anschaulich  –  229 Die Präsentation (er‑)leben  –  230 Mentale Stärke gewinnen  –  231 Nach der Präsentation ist vor der Präsentation  –  234

Literatur – 236

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

7.1

169

7

Mit den eigenen Ressourcen haushalten – persönliches Ressourcenmanagement für Führungskräfte und die Mitarbeitenden

Hans Kernen, Gerda Meier Auf einen Blick

Auf einen Blick Für ein langfristig erfüllendes und positiv herausforderndes (Arbeits‑)Leben sind eine ausgewogene Life-Balance und die Förderung unserer Ressourcen wichtig. Wir können persönlich eine Raubbau-Strategie verfolgen und bereits im frühen Lebensalter an den Grenzen unserer Möglichkeiten und Kräfte leben. Oder eine aktive, herausfordernde und trotzdem ressourcenfördernde Lebensgestaltung wählen, die uns lange über das Arbeitsleben hinaus eine tragende Ressourcenbasis verspricht und zugleich die Gesundheit fördert. Dies streben wir mit dem Ressourcenmanagement-Ansatz an. Speziell für Führungskräfte stellen sich folgende Fragen: Ist Arbeit grundsätzlich nur als Belastung zu werten und demzufolge bei größerem Volumen krank machend – oder kann Arbeit sogar gesundheitsfördernd wirken? Ist es möglich, die Arbeit und Organisation so zu gestalten, dass wir Leistungserbringung und zugleich die Gesundheit fördern können? Wie können sich in diesem Kontext Führungskräfte selbst und ihre Mitarbeitenden führen, um eine langfristig tragende Ressourcenbasis zu sichern? Wenn wir diese Frage beantworten können, werden die Lebensqualität, Gesundheit und Leistungserbringung langfristig unterstützt. Führungskräfte und Unternehmen, die diesem Ansatz Rechnung tragen, haben hinsichtlich Personalführung, der Personalpolitik und Produktivität die Nase vorn. In diesem Abschnitt diskutieren wir die Gesundheit und eine ausgewogene Life-Balance der berufstätigen Menschen, die sich im Spannungsfeld zwischen Berufs- und Privatwelt befinden. Spezielle Aufmerksamkeit erhält in diesem Zusammenhang die Arbeits- und Organisationsgestaltung, weil die Führungskräfte darauf direkt Einfluss nehmen können.

170

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

7.1.1

Arbeit als anthropologische Konstante

Ambivalenz der Arbeit

7

Arbeit kann krank machen, kann aber auch ein Beitrag zu einem erfüllenden Leben sein

Der Mensch ist nicht auf Passivität, sondern auf Aktivität ausgerichtet

Bedeutung von Arbeit und Leistung für die persönliche Entwicklung

Unsere Grundhaltung gegenüber der Arbeit und Leistung ist einer der wesentlichen Faktoren, die die Life-Balance und das Gesundheitsverhalten beeinflussen. Speziell Führungskräfte sollten ihre diesbezügliche Haltung kennen und reflektieren, um sich selbst und ihre Mitarbeitenden in den Bereichen der Life-Balance, der Leistungserbringung und der Belastungsregulation gezielt und wirkungsvoll zu führen und zu fördern. Arbeit war für die breite Bevölkerung seit jeher ein integraler Bestandteil des Lebens und kann in diesem Sinne als anthropologische Konstante bezeichnet werden. In der Arbeit zeigt sich indessen eine Ambivalenz, die sich bis in die aktuellen Diskussionen nachweisen lässt, vorab im Kontext der Erwerbsarbeit. Ist (Erwerbs‑)Arbeit ein Segen oder ein Fluch – ist sie Freude und Wonne oder nur Mühsal und Plage? Es liegt auf der Hand, dass diese einerseits als Belastung, anderseits aber auch als Ressource erlebt wird. Oft wird vor allem zu Beginn der neuen Arbeitswoche Arbeit als Mühsal hingestellt und das nahende Wochenende als erlösender Faktor. Demgegenüber wissen wir, dass Glücksgefühle/ positive Aktivierung eher bei der Arbeit als in der Freizeit erlebt werden (Csikszentmihalyi 1999; Rheinberg et al. 2007). Liegt der Grund vielleicht darin, dass negative Aspekte der Arbeit meist unmittelbarer zu spüren sind und deshalb öfter thematisiert werden? Faktum ist, dass im Spannungsfeld dieser Ambivalenz die positiven, aufbauenden Seiten der (Erwerbs‑)Arbeit zu wenig deutlich wahrgenommen werden resp. zur Sprache kommen (Kernen und Meier, 2014; von Rosenstiel 2005). Arbeit kann krank machen, das dokumentieren Berichte über psychosoziale Erkrankungen bei Arbeitnehmenden wie Burn-out oder Folgen des chronischen Stresses, die drastisch zunehmen. Anderseits aber stellen Berufstätigkeit und Arbeit auch entscheidende Faktoren für ein erfülltes Leben dar. Vorausgesetzt, wir schaffen es, unsere persönlichen und beruflichen Ressourcen nicht zu vernachlässigen, und unser Arbeits- und Privatleben in Balance zu halten. Daher ist es wichtig, dass sich Führungskräfte mit den zentralen Stressoren, aber auch mit den Ressourcen des Arbeitsfeldes auseinandersetzen – vor allem mit den ausgewählten spezifischen Seiten der Arbeit, die eine positive Wirkung auf den Menschen haben. Gemäß von Cube (2006) hat sich im Laufe der Entwicklung hin zur Freizeitgesellschaft ein Irrtum hartnäckig gehalten: Arbeit ist zu meiden, mehr Freizeit ist anzustreben, von ihr erhofft man sich den „notwendigen Lustgewinn“. Der Irrtum liegt genau in der Vorstellung, dass sich Lustgewinn einstellen wird, ohne dass man sich anstrengen müsste. Demzufolge ist der Mensch nicht auf

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

171

7

Passivität, sondern grundsätzlich, von Natur aus auf Aktivität ausgerichtet (von Cube 2006). Das Gefühl der Befriedigung und der Anerkennung ohne persönlichen Einsatz und ohne – im positiven Sinn verstandene – „Anstrengung“ hat nur für kurze Zeit Bestand. Das wird erlebbar und nachvollziehbar, wenn wir bei der Arbeit längere Zeit unterfordert sind oder wenn die Ferien mehrheitlich aus Nichtstun und Konsumieren bestehen. Echte und anhaltende Zufriedenheit und Befriedigung erfahren wir durch persönliches Handeln, bei dem wir eine positive Wirkung, einen Erfolg, erleben können.

Für den Ressourcenhaushalt wichtiger Wert der Arbeit

Arbeit hat, abgesehen von der Sicherung der materiellen Basis, einen psychischen und sozialen Nutzen und beeinflusst oder prägt die Persönlichkeitsentwicklung. Dazu kommt, dass die Berufstätigkeit selbst eine der wichtigsten externen positiven Einflussfaktoren für den Menschen ist – mit einer gesundheitlich stabilisierenden Funktion (Paul und Moser 2015; Resetka et al. 1996). Am deutlichsten kommt der Wert der Arbeit zum Ausdruck bei der Langzeitarbeitslosigkeit. Nach einer Untersuchung von Rosenstiel (2005) wirkt anhaltende Erwerbslosigkeit gesundheitsschädigend: Sie ist mit Verlust von Macht, Prestige und finanziellem Entscheidungsspielraum verbunden. Sie wirkt im sozialen Umfeld destabilisierend auf Kinder. Sie macht den Arbeitslosen für die Familie zum Belastungsfaktor. Sie geht mit dem Zusammenbruch sozialer Beziehungen und dem Rückzug ehemaliger Kollegen und Bekannten einher, was insgesamt wiederum prägend auf die Persönlichkeit des Arbeitslosen zurückwirkt. Sie legt Suizidgedanken nahe, die Suizidrate ist erhöht.

Arbeit ist eine der wichtigsten externen positiven Einflussfaktoren für den Menschen mit gesundheitlich stabilisierender Funktion

Diese Forschungen über die Auswirkung von Erwerbslosigkeit und die daraus gewonnenen Resultate erlauben Rückschlüsse auch auf den hohen psychischen und sozialen Nutzen der Arbeit. Die psychosoziale Funktion der Arbeit wurde zudem aus arbeits- und organisationspsychologischer Sicht nachgewiesen (Semmer und Udris 2007; Ulich 2011). Relevante Größen sind: Aktivität und Kompetenz: Durch berufliche Aktivität werden Fähigkeiten, Kenntnisse und Qualifikationen entwickelt. Dadurch wird auch das Gefühl der Handlungskompetenz gefördert. Strukturierung der Zeiträume: Die Arbeit strukturiert unseren Tages‑, Wochen- und Jahresverlauf. Struktur gibt Orientierung.

psychosoziale Funktion

--

172

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

-

Kooperation und Kontakt: Berufliche Aufgaben sind meist an Kontakte und Zusammenarbeit gebunden, was als wichtige Grundlage für die Entwicklung von sozialen Kompetenzen gilt. Das Arbeitsfeld ist zudem ein wesentliches soziales Kontaktfeld. Soziale Anerkennung: Durch die eigene Leistungserbringung und durch die Kooperation mit anderen erfahren wir im positiven Fall soziale Anerkennung und Wertschätzung. Persönliche Identität: Die Berufsrolle, Arbeitsaufgabe und soziale Erfahrungen bilden eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung und Förderung des Selbstwertgefühls und der Identität.

Life-Balance, Arbeit und Gesundheit

7

Life-Balance, adäquater Arbeitsbezug und ressourcenorientierte Arbeitsgestaltung

Damit sich der Wert und Nutzen der Arbeit positiv auswirken kann, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein. Einerseits gilt es, ein einseitiges Selbstverständnis des Berufstätigen, das sich nur oder fast ausschließlich über die Arbeit definiert, zu vermeiden. Durch eine zu starke Identifikation mit der eigenen Arbeit ist eine ausgewogene Life-Balance nicht gewährleistet, was mittelfristig negative Konsequenzen für die Person nach sich ziehen kann. Anderseits ist durch die Organisation resp. durch deren Führungskräfte eine ressourcenorientierte Arbeits- und Organisationsgestaltung zu sichern, die die Leistungserbringung, Arbeitszufriedenheit und Gesundheit zugleich fördert (vgl. Kernen 2005). Dies wird in der Folge weiter ausgeführt. 7.1.2

die absolute Gesundheit gibt es nicht

Persönliche Gesundheit und Life-Balance im Kontext unserer verschiedenen „Lebenswelten“

Bei weltweiten Umfragen gilt kulturübergreifend die Gesundheit als das wichtigste Gut. Aber verhalten wir uns auch nach dieser Überzeugung? Ist es nicht so, dass wir erst dann an unsere Gesundheit denken, wenn erste Krankheitssymptome auftauchen? Wir kennen das Prozedere: Wir bekämpfen mit unterschiedlichen Mitteln die Symptome. Nach deren Abklingen „vergessen“ wir die vielleicht wichtigen Warnzeichen und nehmen „die Gesundheit“ einfach wieder als selbstverständliches Gut hin. Bis sich erneut und vielleicht noch hartnäckigere Krankheitssymptome zeigen … Ein solcher krankheitsorientierter Ansatz greift zu kurz. Demgegenüber steht ein gesundheitsfördernder Ansatz, mit dem wir die eigene gesundheitliche Balance aktiv unterstützen. Dazu einige grundlegende Gedanken. Gesundheit gilt als das wertvollste Gut des Menschen. Doch was ist Gesundheit? Gemäß der reichlich utopisch anmutenden De-

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

finition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) kann Gesundheit als „Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“ verstanden werden und nicht bloß als „Fehlen von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 1948). In dieser Definition schwingt das Idealbild eines gesunden Menschen mit, der sozial völlig integriert, physisch und psychisch vollkommen ausgeglichen und frei von jeglichen Spannungen und Dysbalancen ist. Wenn man auf eine derart idealistische Definition vertraut, wäre Gesundheit niemals erreichbar – denn „die absolute Gesundheit“ gibt es nicht. Um dem Alltagserleben von Gesundheit näherzukommen, ist ein Modell realistischer, das von einem Kontinuum zwischen zwei Polen „gesund“ und „krank“ ausgeht. Wir erleben meistens gesunde und kranke Anteile, je nach Situation und Zeitpunkt in unterschiedlichem Verhältnis. Da unser Alltagsleben immer geprägt ist von gesundheitsfördernden und krankmachenden Kräften, verstehen wir: Definition  Gesundheit als das Ergebnis eines lebenslangen Prozesses der Auseinandersetzung zwischen salutogenen (gesundheitsfördernden) und pathogenen (krankmachenden) Kräften. Beide Kräfte finden sich in jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt.

173

7

Kontinuum zwischen „krank“ und „gesund“

Definition: Gesundheit als Ergebnis eines lebenslangen Prozesses



Dieses Gesundheitsverständnis, das auf dem Salutogenesekonzept von Antonovsky aufbaut (7 Abschn. 7.1.4; Antonovsky 1997), ist alltagsnah und ermöglicht eine einfache Analyse jeder Lebenssituation. Gesundheit ist also ein dynamischer Prozess, in dem das Individuum immer wieder ein Fließgleichgewicht innerhalb seiner Person und mit seiner Umwelt herzustellen versucht, um sein Wohlbefinden zu optimieren. Dabei wird von einem ständigen Optimierungsprozess ausgegangen, den das Individuum zu gestalten hat. Aufgrund der unterschiedlich stark wirkenden Einflussfaktoren des Privat- und Arbeitsfeldes wird die Person immer wieder Schwankungen in der Beanspruchung erleben. Im günstigen Fall können diese abgefedert werden, sodass das Individuum, trotz der Abweichungen von der Gleichgewichtsachse, insgesamt in einem relativ stabilen Gleichgewichtszustand bleibt. Damit ist das Kriterium des stabilen, dynamischen Fließgleichgewichts des Individuums skizziert, das in . Abb. 7.1 abgebildet ist. Dieses gesundheitlich stabile dynamische Fließgleichgewicht gilt es immer wieder durch einen aktiven Regulationsprozess neu zu sichern – durch einen wirksamen Abstimmungsprozess zwischen Ressourcen und Belastungen, was im 7 Abschn. 7.1.3 vertieft diskutiert wird.

Kriterium: stabiles dynamisches Fließgleichgewicht

wirksame Regulation von Ressourcen und Belastungen als Ziel

174

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Gesundheit als dynamisches, stabiles Fließgleichgewicht von Ressourcen Belastungen u. und potenziell krank Belastungen machende Faktoren

7

dem Individuum zur Verfügung stehende Ressourcen

Anwendung des Gesundheitskriteriums auf das Handlungsfeld- und Wellnessmodell

professionelles Handlungsfeld

institutionelles Handlungsfeld

Bewegung/ Spannung

Entspannung

Persönlichkeit

Persönlichkeit

privates Handlungsfeld

Ernährung

..Abb. 7.1  Gesundheitskriterium, stabiles dynamisches Fließgleichgewicht als Resultat eines wirksamen Abstimmungsprozesses zwischen Ressourcen und Belastungen – angewendet auf zwei alltagsnahe Modelle: Handlungsfeld- und Wellnessmodell

Anwendung des Gesundheitskriteriums auf verschiedene Lebensbereiche und Handlungsfelder Das dem dargestellten Gesundheitsverständnis zugrunde liegende Gesundheitskriterium wird in zwei alltagsnahen Modellen angewendet: im Wellness- sowie im Handlungsfeldmodell. Letzteres bietet eine hilfreiche Unterscheidungsmöglichkeit bei der Analyse des Arbeitsfeldes, um professionell-arbeitsbezogenen Fragen von institutionellen (strukturell/kulturellen) Fragestellungen voneinander abzugrenzen. Damit wird auch deutlich, dass ein nur individuell ausgerichteter Ansatz zu kurz greifen würde. Vielmehr gilt es, auch die strukturellen und kulturellen Faktoren des (Ar-

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

175

7

beits‑)Umfeldes in den alltagsbezogenen Handlungsansatz einzubeziehen. Ziel ist das wiederkehrende Herstellen des gesundheitlichen Fließgleichgewichts von Ressourcen und Belastungen innerhalb und zwischen den Lebensfeldern – sodass die Life-Balance gesichert ist.

Das Modell der drei Handlungsfelder geht von der Annahme aus, dass wir uns im Alltag in unterschiedlichen Rollen in den drei Feldern bewegen, in dem privaten Handlungsfeld, dem professionellen und dem institutionellen Handlungsfeld. Im privaten Feld nehmen wir unterschiedlichste Rollen ein: Partner, Freund, Schulpflegemitglied, Joggingpartner, Elternteil etc. Neben der Sozialzeit mit der Familie und Freunden haben wir nicht zuletzt auch uns selbst gegenüber gerecht zu werden mit dem Anspruch an Selbstzeit, Zeit für Hobby etc. Im professionellen Feld bringen wir durch unser Handeln unsere professionellen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Entfaltung und Wirkung. Der persönliche Bezug zur Arbeit sowie das Entfaltungspotenzial, welches ich durch die Arbeit selbst erfahren kann, sind dabei zentrale Größen. Ziel ist ein möglichst positives Arbeitserleben durch das Gefühl, die vorhandenen und noch weiter zu entwickelnden professionellen Fähigkeiten anzuwenden resp. in der Arbeit zur Wirkung bringen zu können. Das institutionelle Feld schließt u. a. die Organisation mit den Strukturen, Funktionen und der Organisationskultur mit ein. Gemäß dem Auftrag der Funktion wird die quantitative sowie qualitative Leistungserbringung ins Zentrum der Betrachtung gerückt, die in einem unterstützenden, tragenden Sozialklima erbracht werden kann. Alle drei Handlungsfelder sind miteinander vernetzt, alle Handlungen werden auch von ein und derselben Person ausgeführt. Die Persönlichkeit dieses einen Menschen durchdringt und prägt alle diese Felder, diese wiederum beeinflussen die Persönlichkeit.

gesundheitliches Gleichgewicht innerhalb und zwischen den verschiedenen Lebensfeldern

privates Feld

professionelles Feld

institutionelles Feld

Interpendenz von Person und Handlungsfeldern

Ansatzpunkte für die Förderung des gesundheitlichen Gleichgewichts und der persönlichen Ressourcen Ausgewogene Life-Balance als langfristiges Ziel …

In Anlehnung an das Modell der drei Handlungsfelder sollte das gesundheitliche Gleichgewicht im Leben, speziell zwischen der „Arbeitswelt“, der „Privatwelt“ und der „Selbstwelt“ als langfristiges Ziel sichergestellt werden. Damit sind wir bei denjenigen Fragen angelangt, die oft im Zusammenhang mit dem Life-Balance-Ansatz diskutiert werden, der unsere Aufmerksamkeit auf das (Un‑)Gleichgewicht zwischen

ausgewogene Life-Balance als langfristiges Ziel

176

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Privatwelt und Arbeitsleben lenkt. Ein längerfristig wirksames Ressourcenmanagement kommt um die Beantwortung solcher Fragen nicht herum. Dazu gehören z. B.: Welchen Stellenwert hat in meinem Alltag das Verhältnis von Arbeits- und Privatwelt? Habe ich, hat mein privates Umfeld ähnliche Werte hinsichtlich Fragen der Life-Balance wie die arbeitgebende Organisation? Wo sind Gemeinsamkeiten, wo Differenzen? In welcher Form torpedieren, bedingen, unterstützen sich meine unterschiedlichen Lebensfelder? Leiden beispielsweise die Ressourcen der Privatwelt durch das hohe Engagement in der Arbeitswelt? Wer ist dabei wie betroffen? Wie zeigt sich das private Feld? Was zähle ich dazu? Was ist mir besonders wertvoll? Was vernachlässige, was pflege, was fördere ich?

7

Wie sehen und erleben die in meinen Lebensfeldern direkt betroffenen Menschen das momentane Gefüge? Ist ein gegenseitig wertvoller Ressourcenaustausch sichergestellt? Oder sichert jemand anderes (z. B. Lebenspartner/-in) die Logistik von Essen, Kleidung, sozialen und familiären Verpflichtungen? Habe ich auch genügend „Selbstzeit“ – das heißt Zeit, die ich zu meiner alleinigen Verfügung habe – zum Beispiel die eine wertvolle Stunde am Sonntagvormittag? … Zusammenspiel der verschiedenen Handlungsfelder

-

Letztlich geht es um die Übernahme und Integration von verschiedenen Funktionen und Rollen, die wir auf vielfältige Art leben – z. B. als Logistiker oder Abteilungsleiterin, als Ehefrau oder Partner, als Vater, als Ortsparteipräsidentin, als Freund usw. Das heißt, dass in der Beurteilung einer aktuellen Situation nicht nur das Handeln in und Erleben von einzelnen Handlungsfeldern im Zentrum steht, sondern ebenso das Zusammenspiel aller für mich relevanten Handlungsfelder. Dabei geht es um das übergeordnete Gleichgewicht, das immer wieder und lebenslang als Prozess beurteilt und gestaltet werden muss – als nicht unwesentlicher Beitrag zum gesundheitlichen Gleichgewicht. Ein „Auslaugen“ eines Lebensfeldes zugunsten eines andern ist Raubbau an der eigenen Ressourcenbasis und an derjenigen der dadurch betroffenen Menschen, etwa des Partners, der Familie oder des Freundeskreises.

… sowie Ressourcenförderung durch angemessene Bewegung, Ernährung, Entspannung … Wellness

Das Wellnessmodell geht von der Annahme aus, dass die gesundheitliche Balance durch angepasste Bewegung/Spannung, Entspannung und Ernährung stark unterstützt wird.

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

7.1.3

177

7

Regulation von Belastung und Ressourcen als Schlüsselkompetenz

Gesundheit wird als stabiles, dynamisches Fließgleichgewicht des Individuums im Kontext seines Umfeldes beschrieben. Dieser lebenslangen Herausforderung liegt ein Regulationsprozess zwischen Belastungen und Ressourcen zugrunde. Dabei geht es z. B. um folgende Fragen: Warum werden ähnliche Situationen durch den einen Menschen als hoch beanspruchend und als Stress erzeugend, durch den andern als wenig oder gar nicht belastend erlebt? Einige fühlen sich in diesen Situationen sogar positiv herausgefordert. Wie kann dieses unterschiedliche Erleben erklärt werden? Damit diese Frage beantwortet werden kann, werden zuerst ein paar zentrale Begriffe definiert und danach das Ressourcen-Belastungs-Regulationsmodell von Kernen (2005) herbeigezogen. Belastung  Unter Belastungen werden alle von außen auf einen

Menschen einwirkenden Faktoren verstanden – ein objektives Geschehen also. Beanspruchung  Die Auswirkung der Belastung auf den Men-

schen hingegen wird als Beanspruchung bezeichnet. Beanspruchung ist also die subjektiv erlebte Belastung. Bei gleicher oder ähnlicher Belastung kann die Beanspruchung individuell sehr unterschiedlich sein (Semmer und Udris 2007). Beanspruchungsfolgen  Wenn z. B. die Anforderungen an den Ar-

beitstätigen nicht den individuellen Leistungsvoraussetzungen entsprechen, können Beanspruchungsfolgen resultieren. Im negativen Fall kann eine Person über- oder unterfordert sein, im günstigen Fall fühlt sie sich positiv herausgefordert. Im Arbeitsfeld gibt es eine Vielzahl von belastenden Einflussfaktoren, die beim Individuum zu einer gesundheitlichen Dysbalance führen können. Diese Belastungsfaktoren werden als Stressoren bezeichnet und können – aber müssen nicht – zu Stress führen. Mögliche Stressoren im Arbeitskontext sind z. B. zwischenmenschliche Konflikte, quantitative und qualitative Überforderung bei der Arbeit, aber auch Unterforderung über einen längeren Zeitraum hinweg. Waren früher ergonomische, physikalische und chemische Belastungen von hoher gesundheitlicher Bedeutung, treten seit einiger Zeit die psychosozialen Belastungen in den Vordergrund. Nicht zuletzt wegen den sich wandelnden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Anforderungen und einschneidenden Veränderungsprozessen. Weitere Stressoren wie z. B. Mobbing resultieren aus zwischenmenschlichen Konflikten (7 Kap. 17). Vor allem in sozia-

Stressoren im Arbeitsfeld, psychosoziale Belastungen treten in den Vordergrund, „Freundlichkeit als Ware“

178

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

len Berufen und im Dienstleistungssektor, wo die Interaktion mit den Klienten und den Kunden eine zentrale Arbeitsanforderung darstellt, gilt die emotionale Dissonanz im Kontext der Emotionsarbeit als hoch relevanter Belastungsfaktor (Hochschild 1990; Zapf et al. 2003). Mitarbeitende eines Callcenters müssen sich z. B. gegenüber einem Kunden, der verärgert reagiert oder gar ausfällig wird, stets freundlich und einfühlsam verhalten, obwohl ihnen oft ganz anders zumute sein dürfte.

Stressoren im Arbeitsfeld

7

Exemplarisch sind nachstehend die am häufigsten zu beobachtenden Stressoren im Arbeitsfeld aufgelistet. Diese sind wissenschaftlich breit abgestützt und in der Literatur differenziert dokumentiert (Grebner et al. 2010; Semmer und Udris 2007; Büssing 1999; Udris und Frese 1999). Über- und Unterforderung

Aufgabenbezogene Stressoren  werden hervorgerufen durch ein

Arbeitsorganisation

Stressoren durch mangelnde Arbeitsorganisation  mangelhafte Infrastruktur; inadäquate Werkzeuge; mangelnder Support; Mangel an Handlungsspielraum; zu geringe Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten etc.

Arbeitszeit

Stressoren in der zeitlichen Dimension  beeinträchtigter physio-

Umweltbelastung

Physikalisch-chemische Stressoren  schädliche Umgebungsbe-

Arbeitsklima

Soziale Bedingungen als Stressor  schlechtes Arbeitsklima; (Rol-

Störungen

Organisatorisch bedingte Stressoren  ständige Unterbrechungen/ Störungen des Arbeitsablaufes; verschärft bei Verursachung durch Kollegen und in Kombination mit Leistungsdruck etc.

fehlende Anerkennung

Soziokulturelle Rahmenaspekte als Stressoren  aus subjektiver

--

Missverhältnis von Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Kompetenzen oder Ressourcen: quantitative Unter- oder Überforderung (Arbeitsvolumen), qualitative Unter- oder Überforderung (inhaltlicher Art).

logischer Tag-Nacht-Rhythmus, oft mit Schicht- und Nachtarbeit verbunden; Wechselschichtarbeit; Arbeitszeit auf Abruf mit geringer Planbarkeit des eigenen Tagesablaufes etc. dingungen wie ungenügende/falsche Beleuchtung; schlechte Luft; Hitze; Lärm; schädliche Arbeitsstoffe; mangelnde Ergonomie; einseitige Körperhaltung etc. len)Konflikte; unfaire Behandlung; Rollenambiguität; Mobbing etc.

Sicht ungerechtfertigt geringer Status; mangelnde Anerkennung; zu geringe oder einseitige Information; inadäquate Lohnpolitik etc.

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

179

7

Antizipation von Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit be-

lastende Zukunftsaussichten; Angst oder Antizipation von Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit etc. Stressoren in der Berufskarriere  diverse Formen des „Realitäts-

schocks“ beim Eintritt ins Berufsleben oder bei Umstellungsprozessen in der Arbeit etc. Bei der Wirkung von Stressoren steht nicht der einzelne Stressor, sondern das Stressorenbündel im Zentrum der Aufmerksamkeit, da die Mehrfachbelastungen entscheidend sind. Zudem wissen wir, dass für das Individuum das subjektive Erleben der Gesamtkonstellation entscheidend ist, und dass jeder Mensch seine Stressorensituation subjektiv unterschiedlich empfindet. Warum? Weil unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie unterschiedlich starke Ressourcen zur Verfügung stehen. Wie das zusammenhängt, wird im Ressourcen-Belastungs-Regulationsmodell erläutert. Definition 

Gesamtkonstellation mit den Mehrfachbelastungen ist entscheidend

Definition: Ressourcen

Unter Ressourcen verstehen wir die insgesamt einer Person zur Verfügung stehenden, internen (personalen) und Umfeldbezogenen Kräfte, Kompetenzen und Handlungsmöglichkeiten, die gesundheitsschützende und -fördernde Wirkung haben, also Schutzfaktoren und solche, die den Umgang mit einer Situation erleichtern (in Anlehnung an Semmer und Udris 2007). 

Die Dynamik und Wirkung des Regulationsprozesses, bei dem Belastungen und Ressourcen im Spiel sind und gegeneinander verrechnet werden, sind hochgradig subjektiv. Außenstehende Personen können kaum beurteilen, wie und wie stark sich eine (vielleicht belastende) Situation auf einen Menschen auswirkt. Deshalb muss die eigene, persönliche Beurteilung der Betroffenen ins Zentrum gestellt werden. Diese Beurteilung hat einen direkten Bezug zur persönlichen Ressourcenbasis, die einem Menschen im Alltag zur Verfügung steht. Die subjektiv erlebte Belastung hängt also in hohem Maße von den aktuell zur Verfügung stehenden, aktivierbaren Ressourcen ab. Zur Erklärung dieses Vorganges dient das Ressourcen-Belastungs-Regulationsmodell von Kernen (2005), das sich an das transaktionale Stressmodell von Lazarus und Launier (1981) anlehnt (. Abb. 7.3). Der Ausgangspunkt des Modells bildet das Geschehen zwischen der Person und den Anforderungen, die sie erlebt. Dabei handelt es sich einerseits um die externen Anforderungen/Belastungen, andererseits um die inneren Anforderungen z. B. persönliche Ziele und Werte, die das subjektive Erleben beeinflussen.

..Abb. 7.2  © 2018 by Tobias Leuenberger

Ressourcen-BelastungsRegulationsmodell

externe und interne Anforderungen

180

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

externe Anforderung

primäre Bewertung

interne Anforderung

sekundäre Bewertung

Beanspruchung

Ressourcenbasis des Individuums

problembezogenes Coping

psychophysische Balance = Gesundheit/ Leistungsfähigkeit

emotionsbezogenes Coping

oder: psychophysische Dysbalance = z.B. chronischer Stress/Burnout

..Abb. 7.3  Ressourcen-Belastungs-Regulations-Modell. (Nach Kernen und Meier 2014, © by Haupt Bern, mit freundlicher Genehmigung)

7

primär eingeschätzte Belastung

sekundär eingeschätzte Belastung

Bewertungsprozess, Beanspruchung und Ressourcenbasis

Bewältigungsstrategien (Coping) problembezogenes Coping

Jeder Mensch bewertet Situationen und deren Belastung unterschiedlich. In einer anforderungsreichen Lebenssituation findet eine erste Beurteilung statt, ob die Anforderungen für die Person a) günstig resp. positiv, b) schädigend resp. bedrohend oder c) herausfordernd sind. Das wird als primäre Bewertung bezeichnet (Lazarus und Launier 1981). Die primär eingeschätzte Belastung wird nun vom Individuum mit seinen verfügbaren Ressourcen und den Bewältigungsmöglichkeiten (Coping) verglichen – dies entspricht dem sekundären Bewertungsprozess. Wenn ungenügende Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, dann steigt die – subjektiv erlebte – Beanspruchung. Im Anschluss an diesen Bewertungsprozess wird ein Bewältigungsverhalten angewendet, das von der Situation abhängig ist, der Disposition und den Möglichkeiten der Person. Über Erfolgs- oder Misserfolgsrückmeldungen lernt die Person, ihre Ressourcen und Bewältigungsstrategien anzupassen. Es sei betont, dass die Einteilung der Bewertungen in primäre und sekundäre Bewertungsprozesse keine zeitliche Abfolge und keine Priorisierung der Wichtigkeit beinhaltet. Primäre und sekundäre Bewertungsprozesse beeinflussen einander wechselseitig. Es findet ein umfassender Interaktionsprozess zwischen Umwelt und Person statt (Lazarus und Folkman, 1984). Wie schon darauf hingewiesen, kann die Beanspruchung bei „gleicher“ Belastung für unterschiedliche Individuen verschieden sein – je nach Ausgang dieses Bewertungsprozesses und der aktuell zur Verfügung stehenden Ressourcen. Die primäre und sekundäre Bewertung erfolgen also auch ressourcengesteuert. Lazarus unterscheidet zwei Arten von Bewältigungsstrategien: Das problemorientierte Coping einerseits und das emotionsregulierende Coping anderseits. Beim problemorientierten Coping versucht das Individuum, durch Informationssuche, durch direktes Handeln oder auch durch Unterlassen von Handlungen die gestellten Problemsituationen zu

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

überwinden oder sich den Gegebenheiten der Situation anzupassen. Beim emotionsregulierenden Coping wird in erster Linie versucht, die durch die Beanspruchung der Situation entstandene emotionale Erregung abzubauen, ohne sich spezifisch mit den möglichen Ursachen dieser Belastungssituation auseinandersetzen zu müssen. Hornung und Gutscher (1994) gehen davon aus, dass bei ausreichend vorhandenen Ressourcen öfters direkt problemlösendes Copingverhalten zu beobachten ist, während bei gering vorhanden Ressourcen wenigstens emotionsregulierend auf die Beanspruchung reagiert wird. Emotionsbezogene Bewältigungsstrategien spielen eine wichtige Rolle und sollen keineswegs negativ beurteilt werden, solange sie nicht auf Kosten problemlösender Strategien dominant werden. Je nach Beanspruchung und Wirkung des Coping resultiert für das Individuum eine Situation, die mit einem Abbau, einem Erhalten oder einem Aufbau seiner Kräfte resp. Ressourcen verbunden ist. Das Resultat dieses Prozesses wird in der „psychophysischen Balance“ deutlich. Die psychophysische Balance ist ein Zustand der Homöostase, also einer gut funktionierenden Regulation i. S. d. Fließgleichgewichts – das System funktioniert trotz steigender und/oder fallender Beanspruchung, ohne dass es zu einem Ressourcenabbau kommt. In einem solchen Zustand wechselnder Beanspruchung, in dem die negativen Effekte laufend abgefedert werden können, ist ein längerfristiger Ressourcenaufbau zu erwarten. Denn eine gelingende Regulation kann ein Erfolgserlebnis und einen Kompetenzgewinn bedeuten. Ist aber ein Regulationsprozess zu verzeichnen, bei dem die Ressourcen über längere Zeit hinweg übermäßig beansprucht werden, kippt die „Kosten-Nutzen-Rechnung“ von Beanspruchung und Ressourcen ins Negative. Es fehlt an Elastizität, problembezogenes Coping wird schwierig. In diesem Fall liegt eine Stressregulationssituation vor, in der die Bilanz nur kurzfristig und in Extremsituationen positiv sein kann. Dauert eine solche Situation längere Zeit, kommt es zu einer Dysregulation und zu einer negativen psychophysischen Bilanz. Ein Ressourcenabbau ist mit großer Sicherheit zu erwarten – und in der Folge eine gesundheitliche Dysbalance. Im System erfolgt eine Rückkoppelung, und diese kann als Ganzes aus dem Ruder laufen, was sich z. B. in chronischem Stress oder Burn-out manifestieren kann. Um eine wirkungsvolle Regulation von Belastung und Ressourcen zu sichern, ist eine Kenntnis unabdingbar: Das Erkennen der eigenen Frühwarnzeichen einer drohenden Dysbalance. Das Erkennen alleine aber reicht noch nicht aus – es muss wirkungsvoll gehandelt werden, um die gesundheitliche Balance auch zu sichern (7 Abschn. 7.1.3).

181

7

emotionsregulierendes Coping

Ressourcenbasis und Coping

psychophysische Balance

psychophysische Dysbalance

Achtung: Frühwarnzeichen einer Dysbalance

182

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Ressourcenauf- oder -abbauprozesse

Wirkung der Ressourcenbasis auf die Beanspruchung

Förderung der Stresstoleranz

Je nach Wirkung des Copingverhaltens und der Ausprägung der psychophysischen Balance wird die Ressourcenbasis auf- oder abgebaut. Diese Prozesse sind ausschlaggebend dafür, ob ein Individuum in Zukunft auf genügend Ressourcen zurückgreifen kann oder nicht. Diese nun aktuell vorhandene, subjektiv erlebte Ressourcenbasis beeinflusst wiederum die Wahrnehmung der Anforderungen und Belastungen, die neu auf das Individuum einströmen. Damit ist der Ausgangspunkt unserer Betrachtung wieder erreicht. Es konnte wissenschaftlich nachgewiesen werden, dass Menschen, die über eine ausreichende Ressourcenbasis verfügen, subjektiv tiefere Belastung erleben und dadurch im Arbeitsalltag stresstoleranter sind als jene mit schwächeren Ressourcen (Kernen 1999).

Burn-out als ein Beispiel gesundheitlicher Dysbalance

7

Definition 

Definition: Burn-out

Burn-out ist ein Prozess, der sich langsam, über einen Zeitraum von andauerndem Stress und Energieeinsatz entwickelt … Burn-out ist ein Energieverschleiß, eine Erschöpfung aufgrund von Überforderung, die von innen oder von außen (Familie, Arbeit, Freunde, Wertesysteme, Gesellschaft …) kommen kann und einer Person Energie, Bewältigungsmechanismen und innere Kraft raubt. Burn-out ist ein Gefühlszustand, der begleitet ist von übermäßigem Stress, und der schließlich persönliche Motivationen, Einstellungen und Verhalten beeinträchtigt (Freudenberger und North, 2003). Oder einfacher gesagt: … eine affektive Reaktion auf kontinuierliche Stressbelastungen im Beruf (Maslach und Leiter 2001). 

Ursachen, Symptome

Burn-out ist gemäß Definition die Folge einer nicht genügend wirksamen Regulation von Belastungen und Ressourcen. Damit ist aber noch nicht festgehalten, wo die ursächlichen Faktoren liegen. Führende Burn-out-Forscher gehen davon aus, dass die Ursache in einer mangelnden Arbeits- und Organisationsgestaltung liegt (Maslach und Leiter 2001). Ergänzend dazu schließen wir das nicht genügend wirksame Coping des Individuums mit ein. Welches sind die Symptomfelder?

Müdigkeit

Gefühl emotionaler Erschöpfung  Der ausgebrannte Mensch erlebt

eine andauernde Müdigkeit, auch schon beim Aufstehen und fühlt sich nie mehr wirklich ausgeruht. Er muss sich stets – emotional – zu sehr anstrengen, dominierend ist das Gefühl des emotionalen Ausgelaugtseins, die Lebensenergie ist gering.

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

183

7

Psychosomatische Beeinträchtigung  Der ausgebrannte Mensch

Beschwerden

Reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit  Oft ist eine nachlas-

Leistungsabfall

Depersonalisierung  Zu Beginn ist ein häufiges ärgerliches oder

Depersonalisierung

Burn-out ist nie ein akutes, sondern ein schleichendes, chronisches Geschehen. Lange Zeit bleibt der Burn-out-Kranke unentdeckt. Bei deutlich auftretenden Symptomen aber ist die Krankheit bereits stark fortgeschritten und das private wie berufliche soziale Umfeld ist beeinträchtigt. Es kommt vermehrt zu Fehlentscheiden, und die Leistung und Kreativität sind reduziert. Es lohnt sich, Burn-out vorzubeugen – die im 7 Abschn. 7.1.5 dargestellten Ressourcen weisen eine Burn-out-prophylaktische Wirkung auf (Kernen 1999; Kernen und Meier 2014). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht nur individuelle, sondern vor allem auch betriebliche (strukturelle und kulturelle) Einflussfaktoren eine zentrale Rolle spielen. Zudem wird zu schnell von Burn-out gesprochen und zu häufig Burn-out diagnostiziert. Da ist Vorsicht geboten.

Charakteristiken und Prävention von Burn-out

erlebt Stresswirkungen bis in die Freizeit hinein, sein Bewegungsverhalten ist reduziert, begleitet von individuell sehr unterschiedlichen psychosomatischen Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen etc. sende Tatkraft zu beobachten, was zu vermehrten Anstrengungen führt – ein Teufelskreis ohne Gewinner.

gereiztes Reagieren gegenüber Kunden, Kollegen und/oder Mitarbeitenden zu beobachten. Die Arbeit mit Menschen wird mehr und mehr als Strapaze erlebt. Der ausgebrannte Mensch kann sich immer schlechter in das Gegenüber hineinversetzen, meidet den Kontakt, Gleichgültigkeit/Zynismus gegenüber anderen Menschen nimmt zu. Diese werden immer mehr als unpersönliche Objekte behandelt, was als Depersonalisierung bezeichnet wird. Mit stark negativen Folgen bei bspw. Kundenkontakt und Personalführungsverantwortung.

7.1.4

Einbezug der persönlichen und Umfeldressourcen: Ressourcenmodell und Ressourcenmanagement

Ressourcenorientierung als Fokus Führungskräfte können das Arbeitsfeld primär als Stressorenfeld betrachten mit dem Ziel, die negative Wirkung der Stressoren zu reduzieren – wie es die traditionellen Stressmanagement-Ansätze vermitteln. Damit wird aber nur ein Teil der Einflussmöglichkeiten berücksichtigt. Das Arbeitsfeld kann aber ebenso als Ressourcen-

184

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

feld betrachtet werden! Mit dieser neuen Perspektive erschließen sich den Führungskräften neue Perspektiven der positiven Einflussnahme – für sich selbst wie für die Mitarbeitenden. Durch ein gezieltes Reduzieren der belastenden Faktoren sowie Fördern der Ressourcen (= Ressourcenmanagement) wird ein enormes Potenzial des Arbeitsfeldes erschlossen.

Ressourcen im betrieblichen Alltag und das Ressourcenmodell Ressourcen im betrieblichen Alltag Ressourcenmodell: interne (personale) und externe (Umfeld‑)Ressourcen

7 zwei interdependente Systeme mit Austauschprozessen

Führungskraft und die gezielte Beeinflussung der Ressourcen

Wenn im betrieblichen Alltag von Ressourcen die Rede ist, stehen meistens die materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen zur Diskussion. Der Ressourcenbegriff sollte aber breiter gefasst werden, um durch ein wirksames Ressourcenmanagement die Produktivität im Betrieb und das Befinden der Mitarbeitenden umfassender zu fördern. Welche Führungskraft denkt im Kontext des Arbeitsprozesses an psychosoziale, soziokulturelle oder biologische Ressourcen? Anhand des Ressourcenmodells (. Abb. 7.4) lässt sich das Arbeitsfeld als Ressourcenfeld differenzierter beschreiben. Die erste Unterscheidung in interne (oder personale) Ressourcen – also solche, die an unsere Person gebunden sind – und externe (Umfeld)Ressourcen spiegelt unser Alltagserleben wider: Wir Menschen bewegen uns als handelnde Individuen in verschiedenen Umgebungen, beispielsweise im privaten oder im beruflichen Umfeld. In diesem Modell verstehen wir das Individuum und sein Umfeld als sich gegenseitig beeinflussende, offene Systeme, die durch Austauschprozesse verbunden und in ständiger Veränderung begriffen sind. Beide Bereiche, der personale/interne wie auch der externe Ressourcenbereich, lassen sich gemäß dem Modell in Unterbereiche einteilen. Die personalen Ressourcen stehen mit den Umfeld-Ressourcen in ständigem Austausch – ohne diese Wechselwirkungen könnten wir gar nicht leben. Beispielsweise speisen starke Umfeldressourcen auch die internen Ressourcen und umgekehrt. Zudem haben wir die Möglichkeit, diese vielfältigen Ressourcen gezielt zu beeinflussen. Beispielsweise können wir als Führungskraft für uns selbst wie für die Mitarbeitenden die soziokulturellen Ressourcen (Atmosphäre, Vertrauensbasis, sozialer Umgang, Führungsklima), die psychosozialen Ressourcen (Wertschätzung, Anerkennung, Machtausübung), die Prozess-/technischen Ressourcen (Einsatz von Instrumenten, geklärten Prozessabläufen, Sicherstellen leistungsfähiger Hard/Software) u. a. m. aufbauen. Bei positiver Beeinflussung der Ressourcen unterstützen wir die Leistungserbringung wie das Befinden der Mitarbeitenden (oder im privaten Kontext das Wohlbefinden der Familienmitglieder), was sich wiederum durch Feedbackprozesse auf die internen Ressourcen der Führungskraft und Mitarbeitenden (z. B. Selbstwertgefühl, Kompetenzerleben) positiv auswirkt. NegativBeeinflussungen wirken natürlich Ressourcen abbauend.

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

185

7

..Abb. 7.4  Ressourcenmodell, konkretisiert auf den betrieblichen Alltag (Auszug)

Durch ein bewusstes Ressourcenmanagement im Führungsalltag werden die im Team für die Leistungserbringung, Kooperation und Zusammenarbeit wichtigen Ressourcen gezielt gefördert. Dadurch sollen das gesundheitliche Fließgleichgewicht gefördert sowie die Ressourcenbasis – für sich wie für die Mitarbeitenden – gepflegt und ausgebaut werden. Da nicht alle Ressourcen gleich wichtig sind und die Führungskraft nicht alle Ressourcen gleichsam im Auge behalten kann, wird in der Folge eine gezielte Auswahl an spezifisch wirksamen Ressourcen, die für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber relevant sind, beschrieben.

Ressourcenmanagement im Führungsalltag

186

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

7.1.5

gezielte Auswahl an spezifisch wirksamen Ressourcen

Ausgewählte, spezifisch wirksame Ressourcen im betrieblichen Kontext

Es ist klar, dass wir alle unsere Ressourcen, die uns wichtig sind, pflegen und fördern sollten. Speziell gilt dies nebst den persönlichen Ressourcen auch für diejenigen des Arbeitsfeldes. Doch können wir im Arbeitskontext nicht alle zugleich fokussieren. Führungskräfte tun gut daran, sich zunächst auf diejenigen Res-

sourcen zu beschränken, die im Arbeitskontext beeinflussbar sind und deren starke Wirkung nachgewiesen ist. Diese können

7

Ressourcenmanagement, Unternehmensstrategie, Zielsetzungen und Leistungsprozesse

wir auch messen und grafisch darstellen (. Abb. 7.5). Wenn nun Führungskräfte diese spezifischen Ressourcen bei sich selbst wie bei den Mitarbeitenden fördern, unterstützen sie damit die Gesundheit und sichern zugleich die Leistungserbringung bzw. Leistungsfähigkeit langfristig (vgl. Kernen 2005). Als nicht gering einzustufender Zusatznutzen weisen diese Ressourcen auch eine Burn-out-prophylaktische Wirkung auf (vgl. Kernen 1999). Für die Beschreibung dieser Ressourcen nutzen wir wieder das Handlungsfeldmodell und sprechen von den institutionellen, den professionellen und persönlichen Ressourcen. Mit Ressourcenmanagement wird ein gezieltes Reduzieren der Belastungen sowie das Fördern von ausgewählten Ressourcen verstanden. Es ist selbstverständlich, dass ein Ressourcenmanagement eine vorhandene wirksame Strategie, klare Zielsetzungen und Leistungsprozesse nicht ersetzen, aber deren Umsetzung resp. Zielerreichung wirksam unterstützen.

Gezielte Auswahl an „professionellen Ressourcen“ professionelle Ressourcen, die bei der Arbeit die individuellen Entfaltungsmöglichkeiten unterstützen

Das professionelle Arbeitsfeld gibt uns die Möglichkeit, unsere beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Wirkung zu bringen und diese weiter zu entwickeln, indem wir bspw. neue berufsinhaltliche Erfahrungen sammeln. Eine Auswahl von solchen Entfaltungsmöglichkeiten, die wir bei der Ausübung unserer Arbeitstätigkeit erleben, wird im Feld der professionellen Ressourcen zusammengefasst und durch folgende Indikatoren operationalisiert (7 Abschn. 12.3): Aufgabenvariabilität: Erlebe ich meine Tätigkeit im Arbeitsalltag als abwechslungsreich oder als monoton? Transparenz in der Arbeit: Weiß ich, was meine Arbeit bewirkt oder wie das von mir Erzeugte im Arbeitsprozess weiterverwendet wird? Ganzheitlichkeit: Erlebe ich meine Arbeit als abgerundet, als vollständigen Arbeitsprozess oder als Stückwerk? Qualifikationspotenzial: Kann ich meine vorhandenen Fähigkeiten einsetzen? Kann ich mich weiterentwickeln, Neues dazulernen – oder fühle ich mich hinsichtlich meiner Weiterentwicklung in einer Sackgasse?

-

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

187

7

..Abb. 7.5  Links ein Ressourcenprofil eines 45-jährigen Abteilungsleiters mit stark ausgeprägten Ressourcen, rechts ein Profil mit gering ausgeprägten Ressourcen und starker Burn-out-Gefährdung. (Aus Kernen und Meier 2014, © by Haupt Bern, mit freundlicher Genehmigung)

-

Entscheidungs- und Kontrollspielraum: Ist es mir möglich, eigene Entscheidungen zu treffen, kann ich meine Arbeit selbst einteilen, oder wird mir vieles vorgeschrieben?

Mit diesen Indikatoren werden traditionelle arbeitspsychologische Aspekte der Arbeitsgestaltung als wirksame Ressourcen ein weiteres Mal bestätigt (vgl. Ulich 2011).

Gezielte Auswahl an „institutionellen Ressourcen“ Es gibt eine Vielzahl von institutionellen Ressourcen. Bei einer Auswahl resp. Fokussierung sind zwei Themenkomplexe unbedingt zu berücksichtigen: Die Abstimmung von Anforderungen und Fähigkeiten sowie ein tragendes Sozialklima, in dem die Arbeit erbracht wird. Bei der Leistungserbringung im institutionellen Feld ist die Frage von hoher Bedeutung, wie sich das Verhältnis von Anforderungen der Arbeit und den Fähigkeiten des Arbeitnehmenden zeigt. Anders ausgedrückt: Inwieweit die Anforderungen der zu erbringenden Arbeit mit den vorhandenen Leistungsmöglichkeiten des Funktionsträgers abgestimmt sind, sodass eine Unter- oder Überforderung vermieden und eine positive Herausforderung erlebt werden kann (. Abb. 7.6). Eine länger dauernde Unter- wie eine Überforderung sind ernst zu nehmende Stressoren und sollten unbedingt vermieden werden.

institutionelle Ressourcen: Abstimmung von Anforderungen und Fähigkeiten

188

7

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

positive Herausforderung quantitativ und qualitativ

Dabei geht es um die Herausforderung der Arbeit in qualitativer wie quantitativer Hinsicht. Die zwei zentralen Indikatoren sind also: Quantitative positive Herausforderung: Bin ich vom Arbeitsvolumen her weder über- noch unterfordert, anders gefragt: Bin ich quantitativ positiv herausgefordert? Qualitative positive Herausforderung: Kann ich meine Fähigkeiten wirklich einsetzen? Bin ich zu wenig oder zu gut ausgebildet für meine Arbeit? Bin ich qualitativ weder unternoch überfordert, sondern bin ich in qualitativer Hinsicht positiv herausgefordert?

institutionelle Ressourcen: tragendes Sozialklima durch positives Sozialverhalten des Vorgesetzten und der Kollegen

Arbeit findet in einem – hoffentlich positiv erlebten – sozialen Klima statt, das das Befinden der Mitarbeitenden und deren Leistungserbringung unterstützt. Indikatoren sind: Sozialverhalten der Kollegen: Erlebe ich das Klima mit meinen Kollegen als offen und von Vertrauen geprägt? Sozialverhalten des Vorgesetzten: Wie erlebe ich das Sozialverhalten des/der Vorgesetzten (unterstützendes Verhalten, faire Behandlung, guter Zugang)?

-

Gezielte Auswahl an „persönlichen Ressourcen“ persönliche Ressourcen: Kohärenzgefühl im Alltag und die Fähigkeit, ein soziales Netz zu pflegen

Bei den persönlichen Ressourcen handelt es sich nach dem Ressourcenmodell um interne, personale Ressourcen. Zwei ausgewählte Ressourcen haben für die Lebensgestaltung zentrale Bedeutung: Das Kohärenzgefühl und die berufliche wie private soziale Unterstützung. Das Kohärenzgefühl ist ein Gefühl, das wir alle haben und je nach Lebensphase und Lebenssituation stärker oder schwächer ausgeprägt sein kann. Es ist die Kraft in uns, die uns das Gefühl gibt, den Herausforderungen des Lebens gewachsen zu sein.

Differenzierter ausgedrückt: Definition: Kohärenzgefühl

Definition  Das Kohärenzgefühl ist eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass erstens die Anforderungen aus der inneren oder äußeren Erfahrenswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit) und dass zweitens die Ressourcen verfügbar sind, die nötig sind, um den Anforderungen gerecht zu werden (Handhabbarkeit).

189

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

Leistung

7

Bereich der positiven Herausforderung Kennen der eigenen Frühwarnzeichen einer drohenden Dysbalance

Herausforderung

Bereich der Unterforderung

Bereich der positiven Stimulierung

Bereich der Überforderung

..Abb. 7.6  Unterschiedliche Qualitäten von Herausforderungen. Ziel: Positive Herausforderung in qualitativer wie quantitativer Hinsicht

Und drittens, dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und Engagement verdienen (Sinnhaftigkeit; Antonovsky 1997). 

--

Es sind also 3 Dimensionen, die das Kohärenzgefühl ausmachen: Das kognitive Verarbeitungsmuster Verstehbarkeit, Das kognitiv-emotionale Verarbeitungsmuster Handhabbarkeit, Die motivationale Komponente Sinnhaftigkeit. Die Sinnhaftigkeit erachtet Antonovsky als die wichtigste der drei Dimensionen. Denn ohne die Erfahrung von Sinnhaftigkeit und ohne positive Erwartung an das Leben ergibt sich trotz einer hohen Ausprägung der anderen beiden Dimensionen kein hoher Wert des gesamten Kohärenzgefühls (Antonovsky 1997). Soziale Unterstützung umschreibt die Fähigkeit des Menschen, soziale Kontakte zu schließen, beziehungsweise ein soziales Netz aufzubauen und zu pflegen, das bei Bedarf Unterstützung bieten kann. Soziale Unterstützung zählen wir aus dem Grund zu den persönlichen Ressourcen, weil es maßgeblich von unserer eigenen persönlichen Fähigkeit abhängt, tragende, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Die dargestellten Ressourcen sind wissenschaftlich wie im konkreten Führungsalltag in ihrer Wirkung und Beeinflussbar-

Soziale Unterstützung

diagnostisches Instrument

190

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

keit nachgewiesen (vgl. Kernen 1999; Kernen und Meier 2014). Führungskräfte haben somit die Möglichkeit, diese Ressourcen – für sich selbst wie für die Mitarbeitenden – im Führungs- und Arbeitsalltag zu reflektieren und ggf. zu fördern. Mit den gegebenen Möglichkeiten können Führungskräfte die gesetzlich vorgeschriebene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber Mitarbeitenden wahrnehmen (Artikel 328 Obligationenrecht und Artikel 6 Arbeitsgesetz). Um auf einen Blick eine Übersicht über die Stärke dieser Ressourcen zu erhalten, liegt ein diagnostisches Instrument vor, das die Ressourcen misst und darstellt. Dieses dient als Screeningmöglichkeit und als Basis eines Reflexionsprozesses mit dem Ziel, das persönliche Ressourcenmanagement gezielt zu unterstützen (. Abb. 7.5).

Persönliches Ressourcenmanagement und wirksame Life-Balance – ein Erfolgsfaktor

7

Es ist leicht nachvollziehbar, dass mit einer solchen Visualisierung der Interaktions- und Reflexionsprozess für das eigene Ressourcenmanagement stark unterstützt wird. In Kombination mit einem wirksamen Life-Balance-Prozess (7 Abschn. 7.1.2) wird die Gesundheit und langfristige Leistungserbringung gefördert. Das gilt für sich selbst als Führungskraft wie für die Mitarbeitenden. 7.1.6 Ressourcenmanagement

für Führungskräfte und die Mitarbeitenden – wirksame Ansatzpunkte

Kohärenzgefühl

Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter und zeigen, wie das Ressourcenmanagement durch die Führungskräfte im Arbeitsalltag gezielt unterstützt werden kann. Daraus wird noch einmal deutlich, dass die Arbeit selbst eine Ressource ist, und es zeigt sich auch, dass eine wirksame Arbeitsgestaltung die Leistungserbringung und Arbeitszufriedenheit unterstützt. Die Erhaltung oder noch besser die Stärkung des Kohärenzgefühls der Mitarbeitenden geschieht meistens indirekt durch die Beeinflussung der Betriebskultur oder Arbeitssituation und durch Einflussfaktoren aus der persönlichen und privaten Umwelt. Die soziale Unterstützung, welche die Mitarbeitenden aus ihrer Privatwelt erhalten, ist eine entscheidende Quelle, die auch einem Unternehmen zugutekommt. So nähren die bedeutsamen zwischenmenschlichen Lebensfelder wie z. B. Partnerschaft, Familie, Kinder, Politik, Verein usw. das Kohärenzgefühl. Ein Unternehmen ist wohl beraten, wenn es im Rahmen von strukturellen und kulturellen Maßnahmen belastende Einflüsse auf die außerberuflichen, sozial bedeutsamen Lebensfelder vermeidet (vgl. Kernen 1999).

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

191

7

Gehen wir nun näher auf die verschiedenen Merkmale der Arbeitssituation ein, die eine förderliche Wirkung auf das Kohärenzgefühl haben. Ausgehend von den drei Dimensionen Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit werden einige

unterstützende Maßnahmen exemplarisch auf der individuellen wie auch auf der organisationalen Ebene aufgezeigt (Bengel et al. 1998; Kernen 1999; Udris und Rimann 2010). Verstehbarkeit  Persönlichkeitsfördernde Arbeitsgestaltung mit

Verstehbarkeit

Handhabbarkeit  Mitarbeitende benötigen die Erfahrung, dass sie ihre Aufgabe bewältigen können. Eine Grundvoraussetzung einer „handhabbaren“ Arbeit ist das Prinzip, dass Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz transparent und aufeinander abgestimmt sein sollten (7 Abschn. 13.1). Die Mitarbeitenden dürfen mit ihren Aufgaben nicht über- oder unterfordert sein, sondern sie sollen sich positiv herausgefordert fühlen (7 Abschn. 12.3). Und sie sollen auf die Unterstützung durch Vorgesetzte und ein kollegiales Umfeld bauen können – und auch auf Weiterbildungsmöglichkeiten, um ihre fachlichen, methodischen und sozialen Kompetenzen zu entwickeln und zu festigen. Ein wesentlicher Beitrag zur Förderung der Dimension des Kohärenzgefühls liegt in der Reflexion und Verbesserung des Bewältigungsverhaltens. Stehen mir genügend differenzierte Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung, um in verschiedenen Situationen adäquat, das heißt wirkungsvoll zu handeln? Kann ich mein Bewältigungsverhalten immer wieder anreichern durch Erfahrungen und Schulungen?

Handhabbarkeit

Sinnhaftigkeit  Damit Mitarbeitende ihre eigene Arbeit als sinn-

Sinnhaftigkeit

Entwicklungsmöglichkeiten („job enrichment“, „job enlargement“, „job rotation“ etc.), geklärte betriebliche Abläufe und Aufträge sowie transparente Entscheidungsprozesse unterstützen bei den Mitarbeitenden das Gefühl der Verstehbarkeit. Insgesamt spielt eine verbindliche Kommunikationspolitik innerhalb des Unternehmens eine tragende Rolle. Damit Mitarbeitende ihr Arbeitsumfeld verstehen und in ihrem Arbeitsalltag konsistente Erfahrungen sammeln können, sollten Informationen – z. B. von Veränderungen – transparent, nachvollziehbar und verlässlich sein (7 Abschn. 12.1, 7 Abschn. 15.2). Schwierige Entscheide, Entwicklungen und größere Zäsuren werden am besten akzeptiert, wenn sie nachvollziehbar, das heißt begründet und erklärt sind. Das Gefühl des Verstehens, der Verstehbarkeit ist vielfältig förderbar.

und bedeutungsvoll empfinden, muss einerseits der Arbeitsinhalt für den Arbeitnehmenden selbst als sinnvoll erscheinen. Andererseits sollte die Arbeitstätigkeit so gestaltet werden können, dass sie die Dimension Sinnhaftigkeit unterstützt. Sinnhaft ist eine Aufgabe dann, wenn die Mitarbeitenden das eigene Tun in einen Sinnzusammenhang mit den übergeordneten kollektiven Tätig-

192

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

positive Herausforderung

7 professionelle Ressourcen können gefördert werden durch Aufgabenvariabilität

Transparenz

ganzheitliche Prozesse

Qualifikationspotenzial

Entscheidungs- und Kontrollspielraum subjektives Erleben

keitsvollzügen bringen können, wenn die Nützlichkeit der eigenen Aufgabe und des Gesamtproduktes für sie subjektiv erkennbar, nachvollziehbar und akzeptierbar ist (Ulich 2011). Dieser Effekt kann durch partizipative Entscheidungsprozesse – im Rahmen des eigenen Arbeitsfeldes – unterstützt werden, kombiniert mit der Förderung der Eigenverantwortung. Aufgaben mit hohem Entscheidungs- und Kontrollspielraum werden stärker als sinnhaft erlebt. Als weiterer Schlüsselfaktor gilt Anerkennung und Wertschätzung – einerseits dem Mitarbeitenden als Mensch gegenüber, anderseits für die erbrachte Leistung. Eine als sinnvoll erlebte Tätigkeit fördert neben dem Kohärenzgefühl zugleich die Arbeitszufriedenheit und Arbeitsfreude. Die positive Herausforderung bei der Arbeit ist ein ressourcenaufbauender Faktor und kann dann erlebt werden, wenn die eigenen Fähigkeiten mit den Anforderungen der Aufgaben und der Funktion sorgfältig abgestimmt sind (7 Abschn. 7.1.5 „Gezielte Auswahl an ‚institutionellen Ressourcen‘“). Wenn ich mich bei der Bewältigung der positiven Herausforderung bewähren resp. bestätigen kann, werden Ressourcen aufgebaut. Bei der Ausübung unserer Arbeitstätigkeit können die professionellen Ressourcen durch folgende exemplarischen Maßnahmen gefördert werden: Damit der Arbeitsalltag als abwechslungsreich erlebt wird, sind Zusatz-Aufgaben, Projektarbeiten, Führungsaufgaben, „job enrichment“, „job enlargement“, „job rotation“ etc. geeignete Möglichkeiten. Durch eine transparente Informations- und Kommunikationspolitik und durch das Aufzeigen von übergeordneten betrieblichen Zusammenhängen und Prozessabläufen können die Mitarbeitenden besser nachvollziehen, was ihre Arbeit bewirkt oder wie das von ihnen Erzeugte weiterverwendet wird. Ein ganzheitlicher Arbeitsprozess, bei dem die Mitarbeitenden ein Produkt oder einen Ablauf von A bis Z begreifen und gegebenenfalls auch selbst ausführen können, erhöht das Erleben der Ganzheitlichkeit. Damit sich die Mitarbeitenden bei der Arbeit fachlich wie hierarchisch weiterentwickeln können, braucht es persönliche wie betriebliche Voraussetzungen (7 Abschn. 11.2). Die Motivation für ein lebenslanges Lernen ist von den Mitarbeitenden gefordert und der Betrieb soll geeignete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen (z. B. „learning – off the job“, „learning – on the job“, „learning near the job“). Angepassten Entscheidungs- und Kontrollspielraum für die Mitarbeitenden schaffen, indem ihnen nebst der Aufgabe und der Verantwortung auch die notwendigen Kompetenzen zugeteilt werden. Das Erleben aller Ressourcen basiert auf einer rein subjektiven Einschätzung. Deshalb ist es zentral, dass die Führungskräfte im-

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

193

7

mer wieder das Gespräch mit ihren Mitarbeitenden suchen, um zu erfahren, wie diese die Arbeit erleben. 7.1.7

Ausblick: Betriebliches Ressourcenmanagement – Beeinflussung der strukturellen, kulturellen und Teamfaktoren

Bis hierher haben wir schwerpunktmäßig die individuelle Perspektive verfolgt. Der umfassende Ressourcenmanagement-Ansatz integriert zusätzlich eine betriebliche systemische Sichtweise. Dazu gehören der Teamkontext strukturelle wie betriebskulturelle Faktoren innerhalb der Organisation. Diese werden nun kurz skizziert.

betriebliche Perspektive

Ebene der Teams  Ziel eines wirksamen Ressourcenmanagements

Team

Einbezug der strukturellen Faktoren  Als weiterer Ansatzpunkt im

strukturelle und betriebskulturelle Ansatzpunkte

in einem Team ist, eine für alle Beteiligten möglichst starke Ressourcenbasis zu erreichen. Dies dient als manifester Beitrag zur Arbeitszufriedenheit, Gesundheitsförderung und zur Leistungssicherung nicht nur des Einzelnen, sondern für das Arbeitsteam als relevante Leistungseinheit (7 Abschn.  8.1, 7 Abschn.  8.2). Dabei kommen erfahrungsgemäß die für die Zusammenarbeit und Führung relevanten Ressourcen zur Sprache. Als Ausgangspunkt der Diskussion kann ein Vergleich der Ressourcenprofile der Teammitglieder stehen, um in Abstimmung mit den Zielsetzungen der Organisationseinheit schwache Ressourcen gezielt zu fördern. Team und in der Organisationseinheit bietet sich das Beurteilen von organisations-strukturellen Faktoren an, welche die Arbeitssituation unterstützen oder beeinträchtigen. Diese werden differenziert erfasst und bei Bedarf angepasst, sodass u. a. die Prozessabläufe verbessert werden. Gezielte Auswahl an betriebskulturellen Faktoren: Die Arbeit der Führungskräfte wie diejenige der Mitarbeitenden findet auch in einem betriebskulturellen Rahmen statt, der je nach Ausprägung Ressourcen fördernde oder Ressourcen abbauende Wirkung haben kann. Basierend auf einer Untersuchung konnten folgende drei Kulturressourcen evaluiert werden, die das persönliche Wohlbefinden sowie die Leistungserbringung fördern: Vertrauenskultur: Vertrauen in das Topmanagement, das heißt: Zuversicht gegenüber der geltenden Strategie und den anvisierten Zielen der Organisation; Vertrauen gegenüber Mitteilungen der Organisationsleitung; Vorgesetzte setzen sich für Mitarbeitende ein; Vertrauen in die Arbeitsplatzsicherheit. Kooperations- und Konfliktbewältigungskultur: Die Zusammenarbeit ist vorbildlich – auch über Abteilungsgrenzen hinaus,

-

194

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

-

Auseinandersetzungen werden sachlich bewältigt, und Konflikte werden dort geregelt, wo sie entstanden sind (7 Kap. 17). Lern- und Innovationskultur: Die Mitarbeitenden können ihre Fähigkeiten entwickeln; Fehler werden nicht sanktioniert, aus Fehlern zu lernen ist erwünscht; Weiterbildung ist ein wesentlicher Wert. Auf Änderungen der Kundenwünsche wird rasch reagiert, und es herrscht ein vielversprechendes Innovationsklima (7 Abschn. 12.2).

Es ließ sich empirisch belegen, dass eine solchermaßen erlebte Betriebskultur mit einem erhöhten gesundheitlichen Wohlbefinden der Beschäftigten einhergeht (Kernen und Meier 2014).

7

Ressourcenmanagement als Aspekt der Unternehmensentwicklung

Ebene der Strategie – Betriebsstrukturen – Betriebskultur  Diese

Ausführungen dokumentieren deutlich, dass Ressourcenmanagement nicht im luftleeren Raum stattfindet. Es lohnt sich, dabei eine umfassende Unternehmensperspektive einzunehmen und die drei relevanten Faktoren Unternehmensstruktur, -kultur und -strategie mit der Ressourcenmanagement-Dimension zu verknüpfen (vgl. dazu auch Hausammann 2007). Damit docken wir an ein bewährtes Konzept des St.-GallerManagementmodells an (vgl. Rüegg-Stürm 2003) und modifizieren es ein wenig: Wir verstehen Unternehmensentwicklung als einen umfassenden Prozess, der in der Strukturanpassung und Unternehmenskulturentwicklung unter Berücksichtigung der Unternehmensstrategie die notwendigen personalen und betrieblichen Ressourcen mit einschließt (. Abb. 7.7; Kernen und Meier 2014). Strategieumsetzung Welche Strategie und welche davon abgeleiteten Ziele/Richtungen sind für unsere Organisation zukunftssichernd?

Personale und betriebliche Ressourcenbasis (Ressourcenfeld der Organisation) Mit welchen Ressourcen ist die erwünschte angestrebte Wirkung zu erreichen? Strukturanpassung Welche Strukturen/Prozesse sichern die Strategieumsetzung? Welche Strukturen unterstützen ein wirkungsvolles Ressourcenmanagement?

Kulturentwicklung Welche Kultur der Organisation unterstützt die Strategieumsetzung? Welche Kulturmerkmale haben eine gesundheitsfördernde und leistungsunterstützende Wirkung?

..Abb. 7.7  Ressourcenmanagement als integraler Bestandteil des Unternehmensentwicklungs-Prozesses. (Aus Kernen und Meier 2014, © by Haupt Bern, mit freundlicher Genehmigung)

7.1  •  Mit den eigenen Ressourcen haushalten

Zusammenfassung

195

7

Zusammenfassung

Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert und gilt als einer der wichtigsten positiven externen Einflussfaktoren auf den arbeitenden Menschen mit einer gesundheitlich stabilisierenden Funktion. Zudem kann Leistungserbringung ressourcenaufbauende Wirkung haben. Die Life-Balance und die Gesundheit als dynamisches, stabiles Fließgleichgewicht von Belastung und Ressourcen muss immer wieder neu reguliert werden. Dies geschieht auf individueller Ebene wie in unseren Lebensfeldern, in denen wir uns zusammen mit anderen Menschen bewegen. Dies gilt unter der Bedingung, dass die Arbeit und Organisation den ressourcenorientierten Kriterien entsprechend beeinflusst werden können: Führungskräfte sollten die Prinzipien des Ressourcenmanagements berücksichtigen, damit die Gesundheit und Arbeitszufriedenheit sowie die Leistungserbringung und Stresstoleranz zugleich gefördert werden. Die relevanten Ressourcen sind bekannt, messbar und fügen sich in den allgemeinen betrieblichen Management- und Optimierungsprozess bestens ein. Diese gesundheits- und arbeitsorientierten Kriterien können Führungskräfte zur Förderung der eigenen Gesundheit, LifeBalance und positiv erlebten Leistungserbringung berücksichtigen – für sich selbst, aber auch in ihrem Führungsalltag für ihre Mitarbeitenden und die eigene Organisationseinheit. Fragen zur Vertiefung

Fragen zur Vertiefung 1. Führungskräfte sollten ihre eigene Haltung gegenüber der Arbeit, Leistung und Gesundheit kennen und reflektieren, um das eigene Ressourcenmanagement und dasjenige ihrer Mitarbeitenden gezielt und wirksam beeinflussen zu können. Wie lässt sich Ihre Haltung der Arbeit, Leistung und Gesundheit gegenüber beschreiben? 2. Warum werden ähnliche Situationen durch den einen Menschen als hoch beanspruchend und als „stressreich“, durch den andern als wenig oder gar nicht belastend erlebt? Erklären Sie dieses unterschiedliche Erleben anhand des Ressourcen-Belastungs-Regulationsmodells. 3. Welches sind in Ihrem Alltag die für Sie relevantesten Stressoren und Ihre wichtigsten Ressourcen? Welche Faktoren des Arbeitsalltages erleben Ihre Mitarbeitenden als Stressor resp. Ressource? 4. Kennen Sie Ihre persönlichen Frühwarnzeichen und Ihre Stresssymptome? Wie äußert sich Beanspruchung bei Ihren Mitarbeitenden (z. B. im Verhalten oder bezüglich

196

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Leistungserbringung)? Wie reagieren Sie, wenn Sie diese wahrnehmen? 5. Was hilft Ihnen, ein gesundheitliches Wohlbefinden und eine ausgewogene Life-Balance herzustellen? 6. Wenden Sie das Ressourcenmodell auf Ihren Alltag hin an. Welche Ressourcen sind bei Ihnen stark, welche weniger stark ausgeprägt? (Für Berufs- wie für Privatfeld geeignet) Welche internen und externen Ressourcen des Arbeits(Privat‑)Feldes sind Ihnen besonders wichtig? 7. Wie kann die Arbeit gestaltet werden, damit sie als Ressource und nicht als Belastung erlebt wird? 8. Erklären Sie den Begriff der positiven Herausforderung und durch welche Maßnahmen kann dieses Erleben im Arbeitsalltag gefördert werden? 9. Wie können Führungskräfte die persönliche Ressource „Kohärenzgefühl“ ihrer Mitarbeitenden im Arbeitskontext fördern? 10. Wer trägt (Führungskräfte, Mitarbeitende selbst) im Arbeitskontext für das gesundheitliche Wohlbefinden der Mitarbeitenden welche Verantwortung? Durch welche Maßnahmen können die Führungskräfte die Leistungserbringung und die Gesundheit der Mitarbeitenden unterstützen?

7

7.2

Persönliche Arbeitstechnik1

Christoph Negri Auf einen Blick

Auf einen Blick Persönliche Arbeitstechnik und Arbeitsgestaltung sind Methoden, die helfen, die anstehende Arbeit besser zu organisieren, um dadurch effizienter und effektiver die übertragenen Arbeiten zu lösen. Arbeitstechnik und Zeitplanung sind ein wesentlicher Teil eines ganzheitlichen Selbstmanagements. Es geht darum, sich selbst zu führen, die Arbeit sachlich und zeitlich planen zu lernen, um so das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag zu verbessern. Voraussetzung dafür ist, dass eine Bestandsaufnahme erstellt wird, dass aus der Analyse des Ist-Zustandes, unter Zuhilfenahme verschiedener Techniken Verbesserungsziele abgeleitet werden. Dabei geht es auch darum, dass Sie sich selbst bewusster wahrnehmen, mit dem

1

Dieser Text ist neu verfasst. Einzelne Abschnitte wurden auf der Grundlage der 2. Auflage (Autor: Max Moser) überarbeitet.

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

197

7

Ziel, Ihr Leben eigenverantwortlich zu steuern. Arbeitstechnik greift nur, wenn sie in einem stimmigen Umfeld angewendet wird. Aus diesem Grund ist der erste Schritt das Bewusstwerden der eigenen Lebensentwicklung und das Überprüfen der Übereinstimmung dieser Vision mit den Berufs- und Arbeitszielen. Methoden der Zeitplanung und Arbeitstechnik können Sie unterstützen, effizienter und besser organisiert Ihre Arbeit zu bewältigen. Wenig durchdacht eingesetzt, haben sie jedoch häufig mehr Zeitdruck zur Folge. Arbeitstechnik erfordert bei der Einführung einen beträchtlichen Arbeitsaufwand. Der Gewinn stellt sich erst nach einer gewissen Zeit ein und führt zu mehr Energie und Zeit für das Wesentliche, weniger Hektik und ein zufriedeneres Arbeiten. Viele Führungskräfte haben in der neueren Zeit erfahren und erkannt, dass es mit einem ausgeklügelten Zeitmanagement, Formularen, Zeitmessung und -bewertungen, Prioritäten setzen usw. alleine nicht geht. Hilfsmittel und Methoden der Arbeitstechnik können jedoch jeden individuell unterstützen. In diesem Kapitel werden einige dieser Techniken beschrieben.

7.2.1

Persönliche Arbeitstechnik und ganzheitliches Selbstmanagement

Persönliche Arbeitstechnik ist ein wichtiger Aspekt des Selbstmanagements. Dabei ist zu beachten, dass erfolgversprechendes Bemühen um eine verbesserte persönliche Arbeitstechnik drei grundsätzliche Voraussetzungen erfüllen muss: a. Fähigkeit, die eigenen Handlungen selbstkritisch zu prüfen; dazu gehört vor allem Offenheit gegenüber Veränderungen, gegenüber sich selbst und gegenüber anderen (Vorgesetzte, Kollegen usw.) b. Veränderungswille; im Sinne der Bereitschaft, nach dem Erkennen von Schwachstellen auch wirklich etwas Konkretes zu tun. c. Durchhaltewille; im Sinne von: eine „Durststrecke“ durchstehen, denn paradoxerweise führt jede Verbesserung der persönlichen Arbeitstechnik in der ersten Zeit oft zu einem leichten Absinken der Leistung, weil man sich an die Veränderungen gewöhnen muss. Die Welt wird immer schneller und komplexer. Wir sind mithilfe der neuen Technologien jederzeit und überall erreichbar. Es wird erwartet, dass Sie in der Regel auf Anfragen, Informationen usw. sofort und umgehend reagieren. Es ist wichtig, dass dieser Komplexität Rechnung getragen wird und dass neben den altbewährten Themen wie Zeitmanagement, Zielmanagement und Arbeitstech-

persönliche Arbeitstechnik als wichtiger Aspekt des Selbstmanagements Fähigkeit zur Selbstkritik

Bereitschaft zur Veränderung Durststrecken durchstehen wollen und können

198

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

niken auch den Aspekten wie Werte, Normen, Haltungen und Überzeugungen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies bedeutet, dass Selbstmanagement aus einer ganzheitlichen Sichtweise des Menschen und seiner Umwelt betrachtet wird. Definition 

Definition: Selbstmanagement

Selbstmanagement ist die gezielte, selbstgesteuerte und eigenverantwortliche Entwicklung Ihres Lebens in die Richtung, die Sie für sich als die beste empfinden, um erfolgreich zu sein (Jäger 2007). 

Handlungskompetenzmodell als Grundlage

7

Definition: Handlungskompetenz

Grundlage für ein ganzheitliches Selbstmanagement bildet ein Handlungskompetenzmodell, das aus den folgenden vier Kompetenzfeldern besteht (. Abb. 7.8): Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz.

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Definition  Als Handlungskompetenz definiert man die Fähigkeit und Bereitschaft, Probleme der Berufs- und Lebenssituation zielorientiert auf der Basis methodisch geeigneter Handlungsschemata selbstständig zu lösen, die gefundenen Lösungen zu bewerten und das Repertoire der Handlungsfähigkeiten zu entwickeln. Handlungskompetenz umfasst das Wollen und das Können und umschließt die oben genannten vier Kompetenzfelder. Handlungskompetenz zeigt sich erst im täglichen Leben.



Aspekte der Methodenkompetenz

Unter der Perspektive der Arbeitstechnik wird nun das Handlungsfeld der methodischen Fähigkeiten genauer betrachtet. Zur Methodenkompetenz gehören unter anderem folgende Aspekte: Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbstkontrolle, persönliche Arbeitstechniken einschließlich Selbstkontrolle, Fähigkeit, Ziele zu formulieren, zu planen, zu realisieren und zu kontrollieren, Fähigkeit im Umgang mit Informationen und neuen Medien (E-Mail usw.).

--

Der Themenbereich wird in diesem Kapitel schwerpunktmäßig behandelt. Es geht im Folgenden also um Ihre persönliche Arbeitstechnik.

199

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

Fachkompetenz

7

Methodenkompetenz

Handlungskompetenz

Selbstkompetenz

Sozialkompetenz

..Abb. 7.8 Handlungskompetenzmodell

7.2.2

Persönliche Arbeitstechnik

Wie notwendig die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist, und welches Potenzial durch eine Verbesserung der „persönlichen Arbeitstechnik“ noch aktiviert werden kann, lassen die täglichen Stoßseufzer ahnen: „Ich komme nie dazu, die wirklichen Probleme anzupacken; immer kommt etwas Dringendes dazwischen.“; „Wenn ich mir am Abend überlege, was ich den ganzen Tag hindurch eigentlich getan habe, so fällt mir nur Kleinkram ein – das meiste ist wieder liegengeblieben.“ Oder schlicht: „Ich habe nie Zeit.“ Zunächst eine Klärung: „Persönliche Arbeitstechnik“ heißt nicht umsonst persönliche, denn es gibt nicht nur eine Technik oder ein unfehlbares Rezept. Arbeitende müssen ihre eigenen, ihnen und ihren Aufgaben angemessenen Arbeitstechniken, Methoden und Hilfsmittel entwickeln. Es gibt keine Arbeitstechnik für alle! In der Folge werden verschiedene Techniken vorgestellt; es liegt an Ihnen, die für Ihre Arbeit relevanten Mittel auszusuchen und vor allem auch anzuwenden. Ob und welche Arbeitstechniken für Sie ein anzustrebendes Ziel sind, ist jedoch nur in einem größeren Zusammenhang erkennbar. Arbeitstechnik kann nur greifen, wenn es zwischen Person und Aufgabe der Organisation einen Sinneszusammenhang gibt, d. h. wenn zwischen Lebenssinn, Berufs‑, Arbeitszielen und tätigkeitsbezogenen Zielen eine gewisse Übereinstimmung besteht.

Arbeitstechnik ist eine individuell zu lösende Aufgabe

für Arbeitstechnik ist eine Übereinstimmung zwischen persönlichen Werten und Zielen wichtig

200

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

7.2.3

Lebenssinn und Ziele

Das Leben aller Menschen ist auf Ziele ausgerichtet, doch sehr oft sind diese Ziele sehr vage und nicht bewusst. Nach Frankl (2005) kann der Mensch seinen Lebenssinn und damit sein Lebensziel, in einem der folgenden drei Lebensbereiche finden: durch Erarbeiten von produktiven/kreativen Werten (ein Werk schaffen, eine übernommene Arbeit erfüllen), durch Erarbeiten von sozialen Erlebniswerten (eine Aufgabe im sozialen Bereich übernehmen, Kollegialität und Solidarität pflegen), durch Erarbeiten ideeller Werte (ideeller, religiöser oder sonstiger Werte).

7

Lebenssinn kann sowohl im Beruf als auch in der Privatsphäre gefunden werden

Da der Lebenssinn sowohl in der Berufswelt als auch in der Privatsphäre gefunden werden kann, ist es wichtig, dass bei der Festlegung von Lebenszielen das Berufsleben wie auch die Privatsphäre einbezogen werden. Folgende Fragen können dabei unterstützend wirken: „Wo will ich etwas leisten? Was sind meine Wertvorstellungen? Was ist für mich gut/schlecht? In welchem Beruf kann und will ich meinen Lebenssinn verwirklichen?“ zz Berufsziele

Zone der Lebenserfüllung

Hier geht es vor allem um die Frage, ob der ausgeübte Beruf mit dem Lebenssinn kongruent ist. Gibt es eine Übereinstimmung, so hat der Betroffene eine „Zone der Lebenserfüllung“ gefunden, ist von der Berufswahl aus gesehen, am richtigen Platz. Von der Berufswahl aus gesehen „am richtigen Platz sein“, heißt noch nicht, die richtige Arbeit zu haben. Es ist daher zu prüfen, ob der derzeitige Aufgabenbereich die Verwirklichung der Lebensziele unterstützen kann. Arbeitsziele sind konkrete Ziele (mehr zu den Zielen im 7 Abschn. 7.2.4). Fragen nach Arbeitsinhalt, Stellung in der Organisation, Entlohnung, Beziehungen zu Kollegen und den Vorgesetzten müssen beachtet werden. zz Arbeitsplatzziele

Voraussetzung jeder Veränderung ist Kenntnis der Ausgangslage

Arbeitsplatzziele sind Ziele, die die Funktion, Aufgaben, Gestaltung und Abläufe des konkreten Arbeitsplatzes betreffen. Durch bewusstes Einsetzen von Arbeitstechniken und -methoden können Arbeitsplatzbelastungen reduziert und die Ergebnisse verbessert werden. Voraussetzung jeder Veränderung ist jedoch die genaue Kenntnis der Ausgangslage (Ist-Zustand, 7 Abschn. 7.1.1). „Welche Tätigkeit führe ich aus? Wie viel Zeit benötige ich für die einzelnen Arbeiten? Wer stört mich bei der Arbeit?“ usw. sind Fragen, die zur Erfassung des Ist-Zustandes führen.

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

7.2.4

201

7

Zielplanung und -findung

Ziele beschreiben vorausgedachte Ergebnisse. Sie geben die Richtung an, in die Energie eingesetzt werden soll. Wer die Zielplanung vernachlässigt, verliert den Blick auf das Wesentliche. Bei den Lebens- und Berufszielen handelt es sich um längerfristige Haltungsziele (vgl. Storch und Krause 2010). Die Arbeitsziele und Arbeitsplatzziele dagegen sind konkrete und kurzfristige Ziele, welche nach den SMART-Kriterien (spezifisch, messbar, aktionsorientiert und attraktiv, realistisch und relevant, terminiert und transparent) formuliert werden sollen.

Wer die Zielsetzung vernachlässigt, verliert den Blick auf das Wesentliche

zz Zielfindung

Beim Weg, um vom Traum (Wunsch) zur Realität (Ziel) zu kommen, können Sie sich an der Disney-Strategie orientieren. Walt Disney, der legendäre Zeichentrickfilmpionier, hat eine einfache, aber höchst wirksame Strategie genutzt, um seine Visionen zu verwirklichen: Er betrachtete seine visionären Projekte aus drei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln: Zuerst versetzte er sich in die Position eines Träumers und ließ seinen Phantasien freien Lauf. Er skizzierte, schrieb einfach drauflos oder diktierte seine Ideen auf Band. Auch die ganz verrückten Ideen hielt er fest. Danach nahm er die Seite eines Realisten ein und prüfte sehr sorgfältig, wie seine Träume wahr werden können, was machbar war und was nicht. Er erstellte genaue Pläne, welche ihn vom Traum zum Ziel führen sollten. Zur genauen Prüfung der Pläne nahm Disney die Rolle eines Kritikers ein und durchleuchtete seine Pläne von allen Seiten. Er suchte nach Schwachpunkten, Stolpersteinen und Verbesserungsmöglichkeiten. Diesen Prozess hat Disney so lange durchgemacht, bis er überzeugt war, dass es an seiner Vision nichts mehr zu kritisieren gab. Wichtig ist, dass Sie jede Rolle gleich stark zu Wort kommen lassen, und dass Sie nicht der Rolle, die sich am lautesten meldet, das Feld überlassen. Es geht darum, dass Sie die Perspektiven des Träumers, Realisten und Kritikers ins Gleichgewicht bringen können.

Disney-Strategie, Betrachtung aus drei Blickwinkeln

-

7.2.5 Planung

In den letzten Jahren wurde vermehrt erkannt, dass viele Menschen mit einer strukturierten Arbeitsweise und einem ausgeklügelten Zeitmanagement-System ihre eigene Organisation, Zeitplanung und Prioritätensetzung nicht besser in den Griff bekommen und

2 Menschentypen

202

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

damit an ihre Grenzen stoßen. Es wurden auch neue kreativere Methoden, wie zum Beispiel die Mind-Map-Methodik bekannt und populär. In der Zwischenzeit wird von 2 Typen von Menschen gesprochen (. Tab. 7.1; Seiwert 2006). A-Typ wird von der linken Hirnhälfte dominiert und hat gerne klare Strukturen und geregelte Abläufe. Das klassische Zeitmanagement ist genau auf diesen Typen zugeschnitten. B-Typ ist der rechtshirnige Typ und kann mit dem klassischen Zeitmanagement wenig anfangen. Beherrscht eigentlich das Chaos und arbeitet gerne an verschiedenen Dingen gleichzeitig. Auf Außenstehende wirkt dieser Typ sehr unorganisiert.

7

eigenes Zeitverhalten und eigene Arbeitsweise erkennen

Wichtig ist, dass wir unser eigenes Zeitverhalten und unsere Arbeitsweise erkennen und berücksichtigen. Nur so können wir effektiver und effizienter werden und Zeit für das Wesentliche gewinnen. zz Tagesplanung

ALPEN-Methode, Einstimmung auf den nächsten Tag durch Planung am Vorabend

Es ist empfehlenswert, mit der Tagesplanung zu beginnen. Die Planung eines Tages ist überschaubar und die kleinste Einheit einer systematischen Zeitplanung. Damit bekommen Sie die notwendige Routine für eine spätere Wochen‑, Monats- und/oder Jahresplanung. Eine sehr bewährte und einfache Methode ist die ALPEN-Methode. Mit dieser Vorgehensweise können Sie in durchschnittlich 8 Minuten Ihren Tag relativ einfach und gut planen. Es ist günstig, den Tagesplan schon am Vorabend zu erstellen und diesen schriftlich festzuhalten. Auf diese Weise spielen Sie den nächsten Tag schon einmal kurz durch und Sie sind mental auf den neuen Tag eingestimmt. Auf diese Weise erhalten Sie zusätzlich Sicherheit und Selbstvertrauen (Seiwert 2005): Aufgaben, Aktivitäten und Termine aufschreiben Notieren Sie alle Aktivitäten, Aufgaben und Termine, die wahrzunehmen sind: Unerledigtes vom Vortag, Telefonate und Korrespondenzen, die zu erledigen sind, neu hinzukommende Tagesarbeiten, periodisch wiederkehrende Aufgaben (z. B. Meetings). Länge (Dauer) der Aktivitäten schätzen Notieren Sie hinter jeder Aktivität den Zeitbedarf, den Sie ungefähr veranschlagen müssen. Kalkulieren Sie den Zeitaufwand möglichst realistisch. Pufferzeit reservieren Planen Sie unbedingt Pufferzeiten für Unvorhergesehenes, Unterbrechungen, persönliche Bedürfnisse und Probleme ein. Empfehlenswert ist es, nicht mehr als 50–60 % zu verplanen und die restliche Zeit als Pufferzeit zu reservieren.

----- --

203

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

..Tab. 7.1  Praktische Tipps für die Zeitplanung. (Adaptiert nach Seiwert 2006, S. 141) Klassisches Zeitmanagement (A-Typ)

Flexibles Zeitmanagement (B-Typ)

Planen Sie Ihr Leben nicht nur nach der Uhr

Beenden Sie angefangene Aufgaben, bevor Sie etwas Neues beginnen

Lassen Sie Raum für Spontaneität und Lebensfreude

Arbeiten Sie konsequent an Ihren Projekten

Reservieren Sie sich Zeitpuffer – bleiben Sie flexibel!

Versuchen Sie, Ordnung zu halten

Sagen Sie Ihrem Perfektionismus Ade! Feilen Sie nicht so lange an einem Projekt, bis es Ihrer Meinung nach perfekt ist

Vermeiden Sie ständige Unterbrechungen

Verwenden Sie weniger Zeit darauf, Dinge zu analysieren

Zwingen Sie sich dazu, realistisch einzuschätzen, wie lange etwas dauern wird

Schieben Sie die Dinge nicht auf, weil Sie befürchten, diese nicht erstklassig erledigen zu können

Legen Sie nicht nur den Endtermin fest, sondern auch die Zwischenschritte

Treffen Sie Entscheidungen, auch wenn Ihnen weniger Informationen zur Verfügung stehen, als Ihnen lieb ist

Überschätzen Sie Ihre Leistungsfähigkeit nicht

Seien Sie nicht so sehr auf die Zeit fixiert, dass Sie egoistisch oder unkollegial wirken. Dauert eine Besprechung länger, starren Sie nicht dauernd auf die Uhr, sondern unterbrechen Sie freundlich, aber bestimmt

Verwerfen Sie nicht ständig Ihre Terminplanung. Erstellen Sie eine Liste mit den Terminen, die Sie in den nächsten 14 Tagen auf keinen Fall versäumen dürfen und behalten Sie die Liste immer im Blick

Achten Sie auch auf die Menschen, die hinter den Projekten stehen. Reservieren Sie auch Zeit für Zwischenmenschliches

Setzen Sie sich zum Ziel, niemals mehr als drei Dinge parallel zu erledigen

Haken Sie Erledigtes mit Freude ab

Freuen Sie sich über Ihre Zeit-Erfolge

---

Entscheidungen treffen In der Regel müssen Sie Ihre Aufgaben stark zusammenkürzen, damit Sie die 50-%-Regel einhalten können. Dazu müssen Sie Prioritäten setzen, Kürzungen vornehmen und delegieren. Nachkontrolle Kontrollieren Sie jeden Abend ehrlich und selbstkritisch, ob Sie das Tagesprogramm erfüllen konnten und übertragen Sie Unerledigtes auf den nächsten Tag. Überlegen Sie jeweils auch, aus welchen Gründen Sie eine Aufgabe nicht erledigen konnten und finden Sie heraus, wo es noch Verbesserungsmöglichkeiten in Ihrer Planung gibt.

-

7

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

204

7.2.6 Prioritätensetzung Prioritäten systematisch und nach Kriterien setzen

Aufgaben können nach unterschiedlichen Systemen und Logiken geplant werden. So zum Beispiel in der Reihenfolge ihres Auftretens, nach Schwierigkeitsgrad, Lust und Laune, Zeitaufwand, Wichtigkeit, Chefsache zuerst usw. Es ist hilfreich, Prioritäten systematisch und nach Kriterien zu setzen. Im Folgenden werden wir zwei gängige Vorgehensweisen vorstellen:

20 : 80-%-Faustregel

zz Pareto-Prinzip

Zeit

Ergebnisse

20 %

7

80 %

80 %

20 %

Zeit

Ergebnisse

..Abb. 7.9 Pareto-Prinzip. (Aus Seiwert 2005, S. 29, mit freundlicher Genehmigung von Gräfe und Unzer)

In den meisten Lehrbüchern für Zeitmanagement wird die vom italienischen Volkswirtschaftler und Soziologen aus dem 19. Jahrhundert, Vilfredo Pareto, stammende 20 : 80-%-Faustregel vorgestellt (. Abb. 7.9). Mit 20 % strategisch richtig eingesetzter Zeit werden 80 % der Ergebnisse erzielt. Diese Regel ist für viele Situationen gültig: 20 % der Kunden oder Waren bringen 80 % des Umsatzes. 20 % der Produktionsfelder verursachen 80 % des Ausschusses. 20 % eines Artikels enthalten 80 % der Nachrichten 20 % der Beziehungen bringen 80 % des persönlichen Glücks 20 % der Besprechungszeit bewirkt 80 % der Beschlüsse

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Finden Sie die 20 : 80-%-Regel in Ihrem beruflichen und privaten Bereich heraus und erstellen Sie dazu eine Liste mit allen Schlüsselzielen, -aktivitäten, und -verantwortlichkeiten in Ihrem Leben. Welche davon gehören zu den 20 % der Aufgaben, aus denen 80 % Ihrer Ergebnisse und Erfolge entstehen können? zz Eisenhower-Prinzip/ABC-Analyse

ABC-Analyse, Unterscheidung zwischen wichtigen und unwichtigen Aufgaben

Eisenhower-Prinzip, Wichtigkeit und Dringlichkeit unterscheiden

Die ABC-Analyse und das Eisenhower-Prinzip sind Verfahren, durch die einzelne Tätigkeiten einer Priorität zugeordnet werden. Bei der ABC-Analyse werden die zu erledigenden Tätigkeiten vom Individuum in dem Sinne bewertet, inwieweit sie wichtig sind, um eine Zielsetzung zu erreichen. Es soll differenziert werden zwischen den wichtigsten Aufgaben (A-Aufgaben), durchschnittlich wichtigen Aufgaben (B-Aufgaben) und weniger wichtigen und unwichtigen Aufgaben (C-Aufgaben). Aufgaben, die weder wichtig noch dringend sind, sollten überhaupt nicht bearbeitet werden, sondern in den Papierkorb wandern. Einen etwas veränderten Ansatz bietet das Eisenhower-Prinzip. Bei diesem praktischen Entscheidungsraster (Eisenhower, 1890– 1969) wird zwischen der Wichtigkeit und Dringlichkeit einer Aufgabe unterschieden. Je nach Grad der Wichtigkeit oder Dringlichkeit einer Aufgabe lassen sich vier Möglichkeiten der Bewertung

205

wichtig

B-Aufgaben

unwichtig

Wichtigkeit

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

Warten evtl. delegieren

Nicht tun, in Papierkorb

7

A-Aufgaben

Sofort und in der Regel selber tun

C-Aufgaben Notfalls selbst tun, besser rechtzeitig delegieren

nicht dringend

dringend

Dringlichkeit ..Abb. 7.10 Eisenhower-Prinzip

-

und (anschließender) Erledigung von Aufgaben unterscheiden (. Abb. 7.10): A-Aufgaben: Aufgaben, die sowohl dringend als auch wichtig sind, müssen Sie sich selbst widmen und sofort in Angriff nehmen. B-Aufgaben: Aufgaben von hoher Wichtigkeit, die aber noch nicht dringlich sind, können zunächst warten, sollten jedoch geplant, terminiert oder kontrolliert delegiert werden. C-Aufgaben: Aufgaben, die keine hohe Wichtigkeit haben, aber dringend sind, sollten delegiert bzw. nachrangig erledigt werden. Papierkorb: Aufgaben, die sowohl eine geringe Dringlichkeit als auch eine geringe Wichtigkeit haben, sollten Sie in den Papierkorb tun. 7.2.7

Erfassung und Analyse des Ist-Zustandes der persönlichen Arbeitstechnik

Der Ist-Zustand der individuellen Arbeitstechnik kann erfasst werden, indem während 3–6 typischer Arbeitstage die ausgeführ-

Arbeitsblatt Arbeits- und Zeitanalyse

206

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Zeit

Beginn

Tätigkeit

Ende

Dauer

Ziel, Inhalt, Partner, usw.

ABCAnalyse

Störungen

s

Persönliche Leistungskurve f

++/+/–/––

7

© 2018, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Lippmann, E., Pfister, A., Jörg, U.: Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

..Abb. 7.11  Arbeitsblatt: Arbeits- und Zeitanalyse. ↯-Zeichen Störungen, s selbstverursacht, f fremdverursacht

ten Tätigkeiten notiert werden. Dazu können Sie das Arbeitsblatt (. Abb. 7.11) verwenden. In Spalte „Zeit“ vermerken Sie Anfang und Ende jeder Tätigkeit und berechnen daraus den Zeitbedarf. In der Rubrik „Tätigkeit“ notieren Sie wertfrei das Ziel, den Inhalt und eventuell Partner. Bei den Störungen erfassen Sie die Störungen mit einem ↯-Zeichen und vermerken zugleich den Verursacher (s: selbstverursacht, f: fremdverursacht). Die Rubriken „ABC-Analyse“ und „persönliche Leistungsfähigkeit“ bleiben vorerst frei; sie dienen der eigentlichen Analyse. Eine seriös durchgeführte IstAufnahme bedeutet eine beträchtliche Mehrarbeit – doch diese Mehrarbeit zahlt sich in der Zukunft aus, weil Sie Verbesserungsmöglichkeiten erkennen.

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

207

7

zz Analyse des Ist-Zustandes

Nach der Erfassung der Ausgangslage kann nun diese mit verschiedenen Analyseinstrumenten untersucht werden. Ziel ist: Schwachstellen in der persönlichen Arbeitstechnik zu erkennen, um Verbesserungen einzuleiten. Tätigkeitsanalyse: Bei der Durchsicht der Tätigkeiten werden Sie feststellen, dass ein Großteil der Arbeiten sogenannte Routinearbeiten sind. Es sind wiederkehrende Arbeiten, die einen großen Teil Ihrer Arbeitszeit beanspruchen. Es lohnt sich daher, einzelne Routinearbeiten genauer zu untersuchen. Die Praxis zeigt, dass durch bessere Organisation dieser Arbeiten sehr viel Zeit eingespart werden kann. ABC-Analyse: (7 Abschn. 7.2.6). Persönliche Leistungskurve: Jeder Mensch ist in der Leistungsfähigkeit während eines Tages Schwankungen unterworfen. Jeder hat also Zeiten, in denen er mehr oder weniger Leistung bringen kann. Diese Schwankungen sind in der Regel voraussagbar. Für die persönliche Arbeitstechnik ist es wichtig, die individuelle Leistungskurve zu kennen. Störungen: Störungen sind Zeit- und Qualitätsfresser, aber auch kreative Pausen. Sie sind sowohl fremd- als auch selbstverursacht. Analysieren Sie die selbst- und fremdverursachten Störungen. Wer ist der Verursacher? Was ist das Ziel der Störung? Wie lange dauert die Störung?

Schwachstellen in der persönlichen Arbeitstechnik ermitteln

Zum Schluss der Analyse des Ist-Zustandes fassen Sie Ihre Erkenntnisse zusammen und legen fest, wie Sie weiter vorgehen wollen. Es wäre eine Überforderung, nun alle Erkenntnisse sofort in die Tat umzusetzen. Um schrittweise vorgehen zu können, bewerten Sie am besten die einzelnen Punkte nach ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit. Dazu eignet sich die ABC-Analyse. In den folgenden Unterkapiteln werden einige Methoden und Techniken beschrieben, die die Umsetzung der Erkenntnisse unterstützen.

schrittweises Vorgehen planen und Prioritäten setzen

--

7.2.8 Informationsbewältigung

In der Informationsgesellschaft haben wir es mit einer Paradoxie zu tun. Einerseits sind wir einer Informationsflut ausgesetzt, anderseits fehlen uns wichtige Informationen oder wir finden diese nicht. Wir sind quantitativ überinformiert, qualitativ unterinformiert und werden aus vielen Quellen desinformiert. Häufig ist das Finden der richtigen Quellen vom Zufall abhängig. Es gibt ein Überangebot an Information, aber über die richtige Nutzung entscheiden Sie allein. Dieses Überangebot zwingt Sie zu mehr und strukturierteren Auswahlentscheidungen. Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, so kann der menschliche „Ar-

208

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Informationsfülle zwingt zum kontrollierten Umgang mit Informationen Informationsbedarfsanalyse

7 Referenzwissen aneignen

Informationen ordnen, ablegen und finden

Unterlagen vernetzen

beitsspeicher“ zum Beispiel maximal 20 Buchstaben pro Sekunde aufnehmen. Die Informationsfülle zwingt Sie zum geplanten, strukturierten und kontrollierten Umgang mit Informationen. Welche Möglichkeiten haben Sie, um ein sinnvolles Informationsmanagement einzurichten? Informationsbedarfsanalyse: Welche Themen sind für meinen persönlichen und beruflichen Erfolg wichtig? Welche Medien (Zeitungen, Zeitschriften, TV usw.) bieten mir wertvolle Informationen zu diesen Themen? Wie viel Zeit wende ich täglich/wöchentlich auf, um für mich wichtige Informationen aufzunehmen? Wie viel Zeit müsste ich aufwenden, um aktuell informiert zu bleiben? Ist die Informationsaufnahme ein fest geplanter Teil meines Tagesprogramms? Welche Informationen interessieren mich sonst noch (Allgemeinwissen)? Welche Zeitungen/Zeitschriften will ich abbestellen und welche TV-Sendungen will ich mir bewusst nicht mehr ansehen? Erstellen Sie eine Liste der Informationen, nach denen Sie regelmäßig suchen wollen und wo Sie sie finden können (welche Suchmaschine, Bibliothek, Zeitschrift usw.). Auf diese Weise können Sie sich Referenzwissen aneignen, auf das Sie jederzeit zurückgreifen können. Informationen ordnen, ablegen und finden: Richten Sie entsprechend der Informationsbearbeitung Aktenkörbe (Eingangskorb, Ausgangskorb, heute erledigen, Ablage) ein. Bestimmen Sie ebenfalls, wie Sie später die Informationen wieder verwenden wollen. Ordnen Sie diesen mithilfe entsprechender Markierungen, Vermerke, Kürzel eine zukünftige Verwendung zu. Werfen Sie Ungenutztes regelmäßig weg. Nach Schätzungen werden 75 % des abgelegten Informationsmaterials nie mehr genutzt (Simon 2007). Legen Sie Informationen, die Sie problemlos über Suchmaschinen wie Google finden können, nicht auch noch zusätzlich ab. Legen Sie eine Ordnungsform fest (z. B. alphabetisch, numerisch, chronologisch, nach Stichwörtern). Bei der Informationsbearbeitung sollten Sie darauf achten, dass Sie jedes Dokument nur einmal anfassen. Entscheiden Sie sofort, ob Sie es selbst bearbeiten müssen, weitergeben oder wegwerfen. Erledigen Sie Ihre Eingangspost zu festen Zeiten. Unterlagen vernetzen: Wichtige Dokumente sollten Sie mit Verweisen zu ähnlichen Unterlagen beschriften.

-

-

-

7.2 • Persönliche Arbeitstechnik

7.2.9

-

7

Umgang mit E-Mails

In Deutschland verbringen Mitarbeitende in Büros täglich durchschnittlich eineinhalb Stunden mit dem Bearbeiten von Mails (Seiwert et al. 2011). Trotz der vielen Vorteile, die dieses Kommunikationsmedium bietet, empfinden es viele als Zeitfresser. Überfüllte Mailboxen und permanente Erreichbarkeit geben uns das Gefühl, der eigenen Zeit hinterherzurennen. Doch nicht die Nachrichten sind das Problem, sondern die Art, wie wir sie empfangen und bearbeiten. Probieren Sie folgende Strategien (Seiwert et al. 2011; Jäger 2007): Deaktivieren Sie die Benachrichtigung über neue Mails und bearbeiten Sie Ihre Nachrichten zu bestimmten Tageszeiten im Block. Sagen Sie den wichtigen Kunden oder Ihren Vorgesetzten, dass Sie in dringenden Fällen telefonisch oder per SMS zu erreichen sind. Behalten Sie maximal 30–50 Mails in Ihrem Posteingang und arbeiten Sie mit dem AHA-System: Abfall sofort löschen, einfache Aufgaben durch sofortiges Handeln beantworten und schwierigere Arbeiten in die Ablage für Aufgaben und Termine verschieben. Erstellen Sie eine sinnvolle Ordnerstruktur: Legen Sie Regeln fest und lassen Sie Outlook die Post für Sie vorsortieren. Schreiben Sie empfängerorientiert: Sorgen Sie für eindeutige und klare Kommunikation. Wählen Sie einen prägnanten Betreff. Reduzieren Sie CC und BCC. Vermeiden Sie Antworten an alle, so tragen Sie aktiv dazu bei, die E-Mail-Flut einzudämmen. Machen Sie Ihren Rückmeldungswunsch deutlich verständlich. Senden Sie eine E-Mail nur an die Empfänger, die die Nachricht wirklich benötigen. Für wen ist Ihre Frage oder Information wirklich relevant? Welchen Stil bevorzugen die Empfänger? Vermeiden Sie lange Diskussionen und Konfliktlösungen per E-Mail. Durch den knappen Schreibstil können E-Mails zu Missverständnissen führen. Verringern Sie Ladezeiten. Große Datenmengen verlängern die Ladezeiten. Machen Sie dem Empfänger das Verarbeiten von Informationen leicht und entlasten Sie sein Netz. Beugen Sie sich nicht dem Druck, schnell auf Mails zu antworten. In den USA wird spätestens nach 8 Stunden eine Antwort erwartet. In der Regel genügt es jedoch, wenn Sie innerhalb von 24 Stunden antworten. Nur Mails mit hoher Wichtigkeit sollten schneller beantwortet werden. Fazit: Wenn Sie Kommunikation via E-Mail nutzen möchten, um tatsächlich Zeit zu sparen, dann sollten Sie sich kurz fassen. Sie kommen schneller mit dem Schreiben voran und auch die Empfänger wissen es zu schätzen (Seiwert et al. 2011).

-

209

nicht die Nachrichten sind das Problem, sondern die Art, wie sie empfangen und bearbeitet werden

210

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Zusammenfassung

Zusammenfassung Das vielzitierte Sprichwort „Eile mit Weile“ passt ausgezeichnet zum Thema persönliche Arbeitstechnik, Arbeitsgestaltung und Zeitmanagement. Weile bedeutet hier: Halte ein, überprüfe die Arbeitstechnik und leite schrittweise Verbesserungen ein. Eile: Erledige dadurch die Aufgaben effizienter und mit weniger Druck. Das vorliegende Kapitel gibt Ihnen einige hilfreiche Anleitungen zu Arbeitstechniken, die Sie auf dem Weg zum effizienteren und effektiveren Arbeiten unterstützen. Umsetzen müssen Sie sie selbst. Bleiben Sie wach, hören Sie nicht auf, sich immer wieder mit sich selbst in einer systematischen Weise zu beschäftigen. Es ist eine immer wiederkehrende Aufgabe, besonders in einer Zeit, wo stete Veränderung die einzige Konstante zu sein scheint.

7

7.3

Rhetorik und Präsentation

Ellen Gundrum Auf einen Blick

Auf einen Blick Führungskräfte sind regelmäßig in unterschiedlichen Präsentationssituationen gefordert. Dazu gehören Präsentationen in der eigenen Organisation, z. B. im Team, in Projektteams, in Leitungsgremien, genau wie Präsentationen bei Kunden, Investoren, in Fachkreisen, gegenüber Medien oder der Öffentlichkeit. Kommunikations- und Präsentationskompetenz sind erfolgskritisch im Kompetenzen-Mix einer Führungskraft. Wann ist eine Präsentation erfolgreich? Einfach gesagt, wenn das, was der Redner/die Rednerin ausdrücken und erreichen will, beim Publikum ankommt und erinnert wird, wenn das Publikum ihm/ihr glaubt und vertraut, überzeugt ist und im Idealfall im Sinne des Redners/der Rednerin entscheidet und handelt. Damit das gelingen kann, sollte das was der Redner/ die Rednerin sagt oder in der Präsentation zeigt mit dem, wie er/sie die Botschaft und sich selbst präsentiert, eine Symbiose bilden. Leser/-innen erfahren, wie sie eine Präsentation gut vorbereiten, durchführen und nachbereiten. Dazu gehört: sich der inneren Einstellung bewusst sein, das Thema prüfen, den Kontext analysieren, das Publikum besser kennenlernen, das Ziel definieren, Inhalte und Ideen sammeln, die Präsentation

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

211

7

strukturieren, einen guten Einstieg und einen bleibenden Schluss kreieren, auf die Sprache und Sprechweise achten, sich der Kommunikationskraft des Körpers bewusst sein, sich mental vorbereiten und die Präsentation üben. In diesem Beitrag wird die Präsentation als ein Anwendungsgebiet der Rhetorik betrachtet. Dabei kommt der inneren Einstellung zur Präsentation, genau wie der Wertschätzung der Zuhörerschaft eine entscheidende Bedeutung zu. Der Beitrag will Führungskräfte in ihrer Präsentationspraxis unmittelbar unterstützen. Deswegen wird auf Beispiele und konkrete Handlungsempfehlungen, welche die direkte Umsetzung in eigenen Präsentationssituationen erleichtern, besonders Wert gelegt. Dazu wählt die Autorin vermehrt die direkte Ansprache der Leserschaft. Die Hinweise im Beitrag können in jeder Präsentationssituation, vor großem und kleinem Publikum, genau wie in Gesprächen, Besprechungen oder Arbeitsmeetings hilfreich sein.

Definition 

Definition: Rhetorik

„Zu anderen oder mit anderen überlegt, gezielt und intendiert zu sprechen, zu reden, zu diskutieren, zu debattieren, zu verhandeln ist keine Kunst, sondern die Notwendigkeit, Informationen zu empfangen und weiterzugeben, überzeugend zu präsentieren, Probleme kooperativ zu lösen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, Prozesse zielorientiert zu moderieren, sich mit anderen zu verständigen, zwischenmenschliche Beziehungen herzustellen und zu erhalten: genau das sind Inhalte und Ziele einer emanzipatorischen, wertschätzenden und kooperativen Rhetorik. Unter Rhetorik verstehen wir Theorie und Praxis mündlicher Kommunikation.“ (Allhoff und Allhoff 2016, S. 15) „Etwas kann die Rhetorik allerdings nicht lehren, sondern muss es voraussetzen: den Willen zum gemeinsamen Gespräch, die Bereitschaft zum Geben und Nehmen und die Achtung vor der (auch anderen) Meinung und die Wertschätzung der Persönlichkeit der Gesprächspartnerin, des Gesprächspartners.“ (Allhoff und Allhoff 2016, S. 16 f.) 

7.3.1

Gute Vorbereitung wirkt

Beispiel

Viele kennen die Situation: Wir wenden sehr viel Zeit und Energie auf, für die Entwicklung einer Problemlösung, für die Ausarbeitung einer Idee oder für die Kontaktanbahnung

Beispiel Vorbereitung

212

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

7

..Abb. 7.12  © 2018 by Tobias Leuenberger

mit einem potenziellen Kunden. Für die Vorbereitung der entscheidenden Präsentation, in der wir unsere Lösung vorstellen dürfen, wird die Zeit oft knapp. Die Zeit, die verbleibt, setzen wir häufig dafür ein, um nochmals an unseren Inhalten oder der Visualisierung zu feilen. Für die Art und Weise, wie wir als Redner/-in die Inhalte und uns selbst präsentieren, verwenden wir vergleichsweise wenig Zeit, obwohl diese einen wichtigen Anteil der Wirkkraft der Präsentation ausmacht.

Im eng getakteten Berufs- und Führungsalltag ist Zeit ein kostbares Gut. Die Vorbereitung einer Präsentation braucht Zeit. Diese ist dann sinnvoll investiert, wenn alle Einflussfaktoren, die eine Präsentation wirkungsvoll machen, einbezogen und harmonisiert werden. Sorgfältige Vorbereitung ist auch für den konstruktiven Umgang mit Unsicherheit, Nervosität und Lampenfieber entscheidend.

Das Thema für sich klären Führungskräfte definieren das Thema selbst oder werden aufgefordert, z. B. vor dem Leitungsgremium der Organisation oder als externe/r Referent/-in zu einem Thema zu sprechen. Dann gilt es, in Anlehnung an Rohr (2008), diese Fragen zu beantworten:

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

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Bin ich für dieses Thema kompetent? Welche innere Einstellung habe ich zum Thema? Ist mir das Thema wichtig? Will ich mich zu diesem Thema exponieren? Macht der Auftraggeber Vorgaben? Will ich diese akzeptieren? Wer spricht noch mit welcher Perspektive zum Thema? Will ich in diesem Rahmen meine Perspektive einbringen?

213

7 Thema klären

Wenn Sie Zweifel haben, klären Sie diese, bevor Sie zusagen. Wenn der Auftrag von Ihrem Management kommt, können Sie wahrscheinlich nicht ablehnen, aber Sie können das Thema klären und präzisieren, sodass es für Sie stimmig ist. Fokussieren Sie auf Inhalte und Positionen, hinter denen Sie stehen. Nur wenn Sie selbst überzeugt sind, kann es gelingen, das Publikum zu überzeugen. Wenn Sie sich mit dem Thema nicht wohl fühlen, der Auftritt für Sie nicht entscheidend ist und Sie nicht bereit sind, in die Klärung zu investieren, lehnen Sie besser ab.

Das Ziel ist wegweisend Bevor Sie weiter über mögliche Inhalte der Präsentation nachdenken, definieren Sie das Ziel der Präsentation. Was wollen Sie erreichen? Beispiel

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Ziele: Das Management erkennt den Nutzen des Lösungsvorschlags und bewilligt die nötigen Ressourcen für das Projekt. Meine Mitarbeitenden verstehen, warum die bevorstehende Veränderung nötig ist, erkennen Positives, vertrauen mir und unterstützen mich bei der Umsetzung.

Die Vorbereitung der Präsentation ist auf das Ziel ausgerichtet. Kernbotschaften, Argumente, Struktur und Dramaturgie leisten einen Beitrag zur Zielerreichung. Das Ziel sollte klar und realistisch sein und es steht immer im Zusammenhang mit dem Zielpublikum. Was soll das Publikum nach der Präsentation tun? Wie soll sich das Publikum fühlen? Was soll die Präsentation verändern? Oft klären Redner/-innen nicht bewusst, warum sie zu ihrem Publikum sprechen. Nur wenn Sie selbst genau wissen, was Sie bei Ihrem Publikum erreichen wollen, kann das Publikum dies nachvollziehen. Das Ziel steht immer im Zusammenhang mit der inneren Haltung. Eine klare innere Haltung ermöglicht eine klare Körpersprache. Eine klare Körpersprache, die im Einklang mit den Inhalten steht, wirkt glaubwürdig (Spies 2004).

Beispiel Ziele

214

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Will (2013, S.  16) weist darauf hin, dass eine Präsentation immer auch der persönlichen Profilierung dient. Es ist deshalb sinnvoll darüber nachzudenken, wie der Redner/die Rednerin vom Publikum erinnert werden will; z. B. als fachkompetente/r Experte/-in, als kreativer Kopf oder als entscheidungsstarke Führungspersönlichkeit. Ein klares Ziel ermöglicht es zudem nach der Präsentation zu evaluieren und zu beurteilen, ob der Auftritt erfolgreich war, ob das Ziel erreicht wurde.

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Folgende Fragen helfen, das Ziel zu formulieren

7

Was will ich mit der Präsentation beim Publikum bewirken? Was soll das Publikum nach der Präsentation denken und fühlen? Was soll das Publikum nach der Präsentation tun? Wie soll das Publikum mich als Person erinnern?

Das Zielpublikum besser kennenlernen

Zielpublikum kennen

Die Zeit des Publikums ist ebenso kostbar wie die des Redners/der Rednerin! Schon deswegen gebührt ein respektvoller Umgang mit dem Publikum eine intensive Auseinandersetzung mit den Fragen, Interessen oder Bedenken des Zielpublikums. Ob das Ziel erreicht werden kann, hängt in hohem Maße vom Zielpublikum ab. Vergewissern Sie sich, wer und wie groß das Publikum sein wird. Das Publikum definiert, wie Sie den Auftritt gestalten, welche Geschichte Sie erzählen, welche Sprache Sie sprechen, welchen Ton Sie anschlagen, wie Sie begrüßen und mehr (Rohr 2008, S. 48). Folgende Fragen helfen, das Publikum besser kennenzulernen

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Wer wird zuhören? Warum kommen sie zur Präsentation? Welches Vorwissen/Fachwissen haben sie? Welche Einstellungen, Interessen, Erwartungen hat das Publikum? Mit welchen Vorbehalten muss ich rechnen? Welche Fragen hat das Publikum? Welche Sprache spricht das Publikum? Welchen kulturellen Hintergrund hat es? Wie alt ist es? Gibt es Gender-Schwerpunkte? In welchem Kontext sieht das Publikum das Thema? Welche Vorgeschichte gibt es zum Thema?

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

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215

7

Wie kann ich dieses Publikum am besten erreichen? Kenne ich Personen im Publikum? Sind entscheidende oder beeinflussende Personen im Publikum? Sind Träger/-innen eines öffentlichen Amtes oder Personen aus Aufsichtsgremien im Publikum? Sind Medienvertreter/-innen im Publikum?

Wann immer möglich, sprechen Sie im Vorfeld mit Personen aus dem Zielpublikum, validieren Sie Ihre Annahmen und fragen Sie ganz konkret nach, was Ihr Publikum erwartet, welche Fragen beantwortet werden sollen und welche Bedürfnisse die Zuhörer/innen haben. Treten Sie bei Kunden auf, kann diese Art der Auftragsklärung eine Bindungsmaßnahme sein.

Die innere Haltung entscheidet Welche innere Haltung habe ich zu mir selbst als Führungskraft und Redner/-in? Das ist eine wichtige Frage, über die es sich nachzudenken lohnt. Eine „selbstvertrauende“ innere Haltung ermöglicht eine positive Ausstrahlung. Dr. Amy Cuddy, Sozialpsychologin, die an der Harvard Business School über Körpersprache und deren Einfluss auf unsere Wahrnehmung forscht, schreibt in ihrem Buch „Dein Körper spricht für dich“, (Cuddy 2016, S. 13): „Positive Ausstrahlung wurzelt im Glauben an und Vertrauen in uns selbst – unsere wahren, aufrichtigen Gefühle, Werte und Fähigkeiten. Das ist wichtig, denn wie sollen andere Ihnen vertrauen, wenn Sie es selbst nicht tun?“ In anspruchsvollen Situationen, wie z. B. einer Präsentation vor großem Publikum, kann Ausstrahlung helfen, diese zu meistern. Positive Ausstrahlung oder Präsenz bezeichnet Cuddy (2016, S. 39 f.) als „den Zustand, in dem ich mich mit den eigenen Gedanken, Gefühlen, Werten und Fähigkeiten im Einklang fühle und in der Lage bin, ihnen Ausdruck zu verleihen. … Fühlen wir uns jedoch präsent, dann stimmen unsere Sprache, Mimik und Haltung überein. Sie synchronisieren sich und haben einen Fokus. Und diese innere Konvergenz, diese Harmonie ist greifbar und resonant – weil sie echt ist. Das macht uns unwiderstehlich.“ Cuddy (2016, S. 41) bezeichnet positive Ausstrahlung/ Präsenz als „etwas Gewöhnliches“, das für uns alle möglich ist; dabei hilft uns unsere Körpersprache und Einstellung. Zudem ist die innere Einstellung des Redners/der Rednerin zum Publikum entscheidend. Ist er/sie ehrlich bereit, sich mit den kritischen oder aus seiner/ihrer Perspektive „laienhaften“ Fragen des Publikums auseinanderzusetzen und diese zu beantworten? Eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Publikum beinhaltet, dass die Präsentation aus der Perspektive des Zielpublikums einen hohen Nutzwert hat, für die Zuhörerenden interessant ist und wichtige Fragen beantwortet.

innere Haltung

216

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Inhalte und Ideen sammeln Inhalte und Ideen sammeln

Wenn klar ist, was Sie erreichen wollen und Sie die Zielgruppe besser kennen, beginnen Sie mit der inhaltlichen Aufbereitung. Sammeln Sie Ideen, Fakten, Argumente, Geschichten, Erfahrungen, Erlebnisse, Bilder, Fragen, Antworten, Beiträge und Meinungen zum Thema. Für das Sammeln und Strukturieren eignen sich unterschiedliche Methoden, wie z. B. Mindmap (Buzan und Buzan 2013). Ich selbst verwende Teile der Moderationsmethode (Klebert et al. 2006) in Einzelanwendung: Kartenabfrage (Sammeln), Gruppieren, Punkten (Bewerten und Priorisieren). Kurze Anleitung zum Sammeln, Gruppieren und Priorisieren Sie benötigen Pinnwand, Moderationskarten und Klebepunkte. Phase 1: Sammeln Sie, schreiben Sie Inhalte, die Ihnen zum Thema einfallen, in Stichworten auf Moderationskarten (benutzen Sie eine Farbe/Form; schreiben je 1 Inhalt auf 1 Karte). Phase 2: Gruppieren Sie die Inhalte, die zusammengehören. Bilden Sie Überschriften (Schwerpunktthemen) für die einzelnen Gruppen. Schreiben Sie die Überschriften auf Moderationskarten in einer anderen Farbe/Form. Phase 3: Bewerten und priorisieren Sie die Themengruppen. Legen Sie Kriterien fest, nach denen Sie die Wichtigkeit bewerten, z. B. Beitrag zur Zielerreichung, interessant für das Zielpublikum. Bewerten und priorisieren Sie die Themengruppen, indem Sie Punkte vergeben. Die Anzahl der Punkte, die vergeben werden, richtet sich nach der Anzahl der Gruppen (50 % der Anzahl Gruppen). Wenn eine Themengruppe besonders wichtig erscheint, vergeben Sie maximal 2 Punkte pro Gruppe. Phase 4: Trennen Sie sich von Inhalten, die nicht zielführend sind, das Publikum zu wenig involvieren oder überfordern. Weniger ist mehr!

-

7

-

Die wichtigste Botschaft Kernbotschaft

Sie haben relevante Inhalte zusammengetragen, die einen Beitrag zur Zielerreichung leisten können und für das Zielpublikum interessant und verdaubar sind. Jetzt stellt sich die Frage nach der wichtigsten Botschaft, die das Publikum mitnehmen soll. Die Kernbotschaft repräsentiert die innere Haltung. Ein Beispiel für eine kurze, einfache, emotionale Kernbotschaft gibt Barack Obama mit „Yes, we can“ in seinem Präsidentschaftswahlkampf. Die Kernbotschaft harmoniert mit dem Ziel und ist relevant für das Zielpublikum. Sie ist der Leuchtturm in der Präsentation. Steht die Kernbot-

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

217

7

schaft, fällt es leicht, die drei wichtigsten Inhalte oder Argumente zu formulieren, die die Kernbotschaft herleiten, untermauern und begründen. Ob die Kernbotschaft beim Zielpublikum ankommt, heißt nicht nur, dass sie verstanden wird, sondern auch, dass sie glaubwürdig ist, überzeugt und im Idealfall dazu führt, Meinungen zu verändern, Präferenzen zu bilden und Verhalten auszulösen.

Den roten Faden legen

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Der Drei-Teiler eignet sich als Grundstruktur für Reden und Präsentationen (. Abb. 7.13): Start, Hauptteil und Schluss. Will (2013, S. 34 f.), empfiehlt für den Einstieg rund 10 % der Vortragszeit einzuplanen. Zu Beginn der Präsentation geht es darum, den Kontakt zum Publikum herzustellen, das Interesse zu wecken und Orientierung zu geben. Der Hauptteil untermauert das Thema. Genau wie bei der Gesamtpräsentation ist es empfehlenswert, den Hauptteil wiederum in drei Teile zu gliedern. Jeder der drei Inhaltsteile hat einen ganz kurzen Start, einen Hauptteil und einen kurzen Schluss. Der Hauptteil nimmt rund 80 % der Vortragszeit ein. Der Schluss der Präsentation nimmt rund 10 % der Vortragszeit ein, fasst zusammen, schlägt den Bogen zum Anfang und macht den Zuhörer/-innen klar, was der Redner/die Rednerin will. Es gilt, die Kernbotschaft beim Publikum zu verankern. Wiederholungen unterstützen den Prozess der Verankerung und stellen sicher, dass die Präsentation insgesamt auf die Kernbotschaft und auf das Ziel ausgerichtet ist. Kurze Anleitung zur Strukturierung, in Anlehnung an Will (2013) Übernehmen Sie die priorisierten Themengruppen aus der Ideensammlung zusammen mit der Kernbotschaft und ordnen Sie diese in die Struktur der Präsentation aus . Abb. 7.13 ein. Legen Sie fest, wann Sie Ihre Kernbotschaft platzieren und wiederholen. Definieren Sie, mit welchen inhaltlichen Schwerpunkten und Argumenten Sie die Kernbotschaft untermauern und in welcher Reihenfolge diese logisch und für das Publikum nachvollziehbar sind. Sie werden sofort erkennen, welche Abfolge schlüssig ist, wo Sie zu viele Inhalte haben oder an welcher Stelle Sie noch ergänzen sollten. Überlegen Sie sich jetzt auch, wie Sie die Präsentation beginnen wollen und mit welcher Botschaft oder mit welchem Appell Sie enden wollen. Steht das inhaltliche Grundgerüst, gilt es im nächsten Schritt Ideen zur Inszenierung und Visualisierung zu entwickeln.

Struktur

218

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

10% Einstieg

10% Hauptteil(e)

Schluss

..Abb. 7.13  Struktur für Präsentationen. (Aus Will 2013, S. 34, © 2000 Beltz Verlag in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel)

7

Überlegen Sie sich, mit welchen Bildern, Videos, Gegenständen, Beispielen, Geschichten, Erfahrungen, aktuellen Bezügen, o. ä. Sie Ihre Inhalte erlebbar machen und verankern wollen. Notieren Sie Ideen auf Moderationskarten (in anderer Farbe/ Form) und ergänzen Sie die inhaltliche Grundstruktur damit.

Die inhaltliche Grundstruktur mit Einstieg, Hauptteil und Schluss, die Kernbotschaft mit den drei inhaltlichen Pfeilern, welche die Kernbotschaft tragen, und die Inszenierung der Botschaften machen die Dramaturgie der Präsentation aus.

Der aufmerksamkeitsstarke Einstieg Der Einstieg in die Präsentation entscheidet, ob und wie schnell Sie die Aufmerksamkeit des Publikums gewinnen können. „In den ersten Minuten entscheidet der Hörer intuitiv und pauschal über Fachkompetenz und Sicherheit des Sprechers, Kommunikationsfähigkeit und -willigkeit des Sprechers, (zu erwartende) Qualität des Inhalts, (zu erwartende) Nützlichkeit des Inhalts für ihn selbst.“ (Allhoff und Allhoff 2016, S. 77) Beispiel starker Einstieg

Beispiel

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Mögliche Einstiege: Eine (persönliche) Geschichte erzählen (die das Thema mit dem Redner/der Rednerin verbindet). Ein Bild zeigen (das emotional involviert). Eine spannende Frage stellen, die bewegt (und Neugier auf die Antwort erzeugt).

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

-

219

7

Eine (provokante) These in den Raum stellen (und Aufmerksamkeit für die Begründung erzeugen). Mit einer machtvollen Zahl starten (und sie in den Kontext des Themas/der Kernbotschaft stellen). An eine aktuelle Tagesmeldung erinnern (und Bezug zum Thema/zur Kernbotschaft herstellen). Einen Gegenstand zeigen/enthüllen (und die Symbolik auf das Thema transferieren). Ein kurzes Video zeigen (z. B. ein Ausschnitt aus Film/Doku/ Nachrichten-Sendung, Interview).

Steigen Sie überraschend ein und stellen Sie den Bezug zum Thema her. Danach folgen die Begrüßung und die persönliche Vorstellung. Anschließend geben Sie dem Publikum Orientierung, legen den „roten Faden“ für die Präsentation, offenbaren die inhaltlichen Schwerpunkte und teilen dem Publikum mit, welchen Nutzen es aus der Präsentation generieren kann. „Wenn wir jemand neu kennenlernen, beantworten wir uns bald zwei Fragen: „Kann ich diesem Menschen trauen?“ und „Kann ich diesen Menschen respektieren?“ (Cuddy 2016, S. 101). Cuddy (2016, S. 101) bezeichnet dies in ihrer Forschung als „Wärme“ und „Kompetenz“. „Zuerst urteilen wir über Wärme oder Vertrauenswürdigkeit, die wir für die wichtigere der beiden Dimensionen halten. … Weil es aus evolutionärer Sicht für unser Überleben wichtiger ist, ob jemand unser Vertrauen verdient. … Wir schätzen Menschen, die fähig sind, zwar, vor allem in Umständen, unter denen diese Eigenschaft nötig ist, aber wir bemerken sie erst, nachdem wir über ihre Vertrauenswürdigkeit entschieden haben.“ (Cuddy 2016, S. 102) Vertrauen erzeugen wir nicht nur mit dem, was wir sagen, sondern vor allem damit wie wir auftreten – mit unserer Ausstrahlung.

Der fundierte Hauptteil Der Hauptteil gliedert sich in drei bis fünf inhaltliche Schwerpunkte (Will 2013, S. 34). Jeder Teil ist inhaltlich in sich abgeschlossen, kann also für sich stehen oder bei Zeitknappheit einfach gestrichen werden. Die Reihenfolge der Themenblöcke definiert die Argumentationskette und richtet sich nach den Bedürfnissen der Zuhörerschaft; sie ist der rote Faden, den der Redner/die Rednerin zu Beginn der Präsentation gelegt hat. Um Inhalte zu verankern, gilt es, diese in Szene zu setzen, mit einer Geschichte, einem Beispiel, einer persönlichen Erfahrung. Involvieren Sie das Publikum mit Fragen, Situationen aus deren Alltag oder direkter Ansprache.

Der bleibende Schluss Der Schluss beeinflusst signifikant, was die Zuhörer/-innen mitnehmen, erinnern oder ob sich das gewünschte Verhalten einstellt. Die „zusammenfassende Wiederholung“ fokussiert nochmals auf

Vertrauen

220

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

die wichtigsten Erkenntnisse. Wenn Sie möchten, dass Ihr Publikum etwas tut, dann steht der Appell am Ende der Präsentation. Häufig plätschern Reden dem Ende entgegen, anstatt einen klaren, bleibenden Schlusspunkt zu setzen. Redner/-innen sollten rechtzeitig zum Ende kommen, nämlich dann, wenn das Publikum noch „zuhörbereit“ ist. Es empfiehlt sich, den Schluss anzukündigen, um die Aufmerksamkeit des Publikums darauf zu lenken und zeitnah zu enden. Es ist hilfreich den Einstieg und den Schluss einer Präsentation/Rede auszuformulieren und einzustudieren. Das erhöht die Sicherheit, gut zu starten sowie gut und gehaltvoll zu enden (Allhoff und Allhoff 2016, S. 81 f.).

Das Manuskript als Sicherheitsanker bleibender Schluss

7

Manuskript

Ausformulierte Redemanuskripte verleiten dazu abzulesen. Dies verhindert, dass der Redner/die Rednerin mit dem Blick bei den Zuhörern/-innen bleibt und birgt die Gefahr, den Kontakt zum Publikum zu verlieren. Wenn Sie die Rede trotzdem ausformulieren, verfassen Sie das Manuskript in einfacher, gesprochener Sprache, in ausreichend großer Schrift, klar und übersichtlich gegliedert. Die „freiere“ Alternative ist ein Stichwortmanuskript. Die Stichwörter definieren die Struktur der Rede/Präsentation. In der Art und Weise, wie Sie diese ausführen, sind Sie frei. In jedem Fall tun Sie dies automatisch in gesprochener Sprache, in Ihrer Ausdrucksweise, was einen Beitrag zur Echtheit leistet (Rohr 2008). „Spickzettel reduzieren Lampenfieber, geben Sicherheit und Ihr Publikum sieht, dass Sie sich vorbereitet haben“ (Will 2013, S. 39). Für das Stichwortmanuskript sind stabile Karteikarten in DIN A5 oder DIN A6 ideal. Wenn Sie länger sprechen, bildet die Reihenfolge der Stichwortkarten die Redestruktur ab. Einstieg, Themenblöcke des Hauptteils und Schluss ergeben das Stichwortkarten-Set. Achten Sie auf eine ausreichend große Schrift, nummerieren Sie die Karten. Versehen Sie das Stichwortmanuskript mit Zeitmarken, sodass Sie sich während der Rede orientieren und notfalls auf einen Themenblock (eine Karte) verzichten können (Will 2013, S. 40 f.). Wenn Sie mit PowerPoint präsentieren, sind die Slides Ihre Stichwortkarten.

Übung macht den Meister/die Meisterin Üben Sie die Präsentation in möglichst realistischem Setting. Das ist nicht immer möglich, besonders, wenn Sie vor großem Publikum sprechen. Bitten Sie Kollegen um Feedback. Nur wenn Sie die Präsentation „live“ halten, entdecken Sie Stolpersteine und bekommen das Timing in den Griff.

Der Rahmen für die Präsentation Üben

Die Atmosphäre und damit die Wirkung der Präsentation wird stark vom Ort/Raum, in dem die Präsentation stattfindet, geprägt. Wenn Sie Ort und Raum selbst bestimmen können, wählen Sie die

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

221

7

Location mit Bedacht und passend zu Ihnen, zum Thema, zum Ziel. Wenn Sie z. B. über die Zukunft des Unternehmens sprechen und die Vision aufzeigen, sollte der Ort diesen Weitblick antizipieren. Räume können eine starke Wirkung entfalten, sie können inspirieren, befreien, genau wie dominieren und einschüchtern. Wenn Sie den Ort nicht bestimmen können, dann machen Sie sich im Vorfeld mit dem Ambiente vertraut. Zu wissen, was Sie vor Ort antreffen werden, gehört zur sorgfältigen Vorbereitung, macht es möglich, dass Sie sich vor Ort auf das Wesentliche konzentrieren können, nämlich die emotionale Einstimmung auf das Publikum. Folgende Fragen helfen, den organisatorischen Rahmen abzuklären

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Ort/Raum Wo und in welchem Rahmen findet die Präsentation statt? Passt die Location zu mir/zum Thema/zum Ziel? Wie groß ist die Distanz zum Publikum? Welche Medien eignen sich dafür? Wie sind die Lichtverhältnisse im Raum? Kann ich das Publikum gut sehen? Gibt es eine Bühne, einen Rednerpult? Wie ist die Sitzordnung? Wie viel Präsentationsraum habe ich? Zeit Wie viel Zeit habe ich für die Präsentation? Wie viel Zeit plane ich für Fragen ein? Was mache ich, wenn ich weniger/mehr Zeit habe, als geplant? Zu welcher (Tages‑)Zeit findet die Präsentation statt? Wie viel Anreisezeit muss ich einplanen, um mit Zeitreserve anzukommen? Kleidung Welche Kleidung passt zum Rahmen/zum Publikum/zu mir/zum Thema? In welcher Kleidung fühle ich mich im definierten Rahmen wohl? Technik Welche technischen Hilfsmittel kann ich vor Ort einsetzen? Welche Stromanschlüsse existieren? Wie weit sind diese entfernt? Wie sind die Lichtverhältnisse? Welche Medien eignen sich dafür? Was muss ich selbst mitbringen? Spreche ich mit Mikrofon? (Stand‑/Hand-Mikrofon oder Headset) Was mache ich, wenn die Technik ausfällt?

organisatorischer Rahmen

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Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Das entspannende Zeitmanagement Zeitplanung

7

Planen Sie genügend Zeit ein für die Anreise und Einstimmung am Ort der Präsentation. Findet der Auftritt vor größerem Publikum statt, gibt es meist eine Technikprobe. Diese findet kurz vor der Eröffnung der Veranstaltung statt. Nehmen Sie diese Gelegenheit wahr, um sich mit dem Präsentationsambiente und der Technik vertraut zu machen. Erkunden Sie den Präsentationsraum, finden Sie Ihren Standplatz und Bewegungsraum, den Sie während der Präsentation einnehmen werden. Blicken Sie in Ihr virtuelles Publikum, visualisieren Sie das Publikum. Planen Sie Zeit ein für Ihre persönliche Vorbereitung, die Ihnen hilft, sich vor der Präsentation auf das Ziel und die Kernbotschaft zu fokussieren. Wenn die Zuhörerschaft eintrifft, nehmen Sie Kontakt auf, stimmen Sie sich auf das Publikum ein. Ihre Präsentation ist zeitlich so geplant, dass Sie problemlos kürzen oder ausweiten können, falls es erforderlich ist. 7.3.2

Präsentationsunterstützung

Pinnwand, Flipchart

Visualisieren heißt veranschaulichen

Jeder Mensch hat einen „bevorzugten Eingangskanal“. „Die meisten Menschen sind (zumindest auch) ‚visuelle Typen‘“ (Seifert 2008, S. 11). Durch unterstützende visuelle Darstellung (Bilder, Symbole, sichtbarer Text) können wir Inhalte besser behalten (. Abb. 7.14). Visualisieren hilft dabei (Seifert 2008, S. 12): auf Wichtiges aufmerksam zu machen, das Wichtige zu verdeutlichen und zu vertiefen, Orientierung zu geben, Inhalte leichter zu erfassen sowie Inhalte merkfähiger zu machen.

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Wir lernen effektiver, wenn wir die gleiche Information sprachlich und bildlich erhalten. Wenn Sie Text verbal und visualisiert zeigen, lassen Sie Ihr Publikum die Stich‑/Schlüsselwörter lesen, kommentieren Sie den Text dann in der gleichen Reihenfolge, benutzen Sie beim Reden die gleichen Wörter. Wenn Sie ein Bild zeigen, synchronisieren Sie zwischen Bild und Kommentar, sagen Sie, worum es geht, erläutern Sie z. B. die verschiedenen Felder oder Farben einer Grafik und enden Sie mit der Hauptbotschaft (Weidenmann 2015, S. 8 f.). Zur Visualisierung werden verschiedene Medien, z. B. Pinnwand, Flipchart, Präsentationssoftware (z. B. PowerPoint oder Prezi), Video eingesetzt. Die Pinnwand (mit Pinnwandpapier) und das Flipchart eignen sich eher für ein kleineres Publikum. In beiden Fällen wird mit speziellen Filzstiften mit Kalligraphspitze beschrieben (Seifert 2008). Ergänzend kann mit selbstklebenden Moderationskarten gearbeitet werden. Pinnwände und Flipchart können fertig beschrieben/bemalt/beklebt mitgebracht oder wäh-

223

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

7

Behaltensquote Selbst tun

Behalten (%)

Hören und Sehen

50

20

Hören Sinne

..Abb. 7.14  Behaltensquote. (Aus Seifert 2008, S. 11, mit freundlicher Genehmigung von GABAL)

rend der Präsentation erarbeitet werden. Hilfreich ist auch eine Mischform, in der bestimmte Inhalte vorbereitet sind und vor Ort ergänzt werden. Pinnwände (und zum Teil auch Flipchart) haben den Vorteil, dass sie während der gesamten Präsentation sichtbar bleiben (Will 2013). Beides sind Medien, die „handschriftlich“ erarbeitet werden, eine „persönliche Note“ und eine „Arbeitsatmosphäre“ in die Präsentation einbringen. Projizierte Präsentationen, z. B. mittels PowerPoint oder Prezi, eignen sich für eine große Zuschauerschaft. Beide Präsentationsprogramme bieten vielfältige Gestaltungs- und Animationsmöglichkeiten für professionell anmutende Präsentationen. Perfekte Gestaltung/Technik kann auch nachteilig wirken, wenn sie den Präsentator/die Präsentatorin überstrahlt oder durch gestalterische/technische Raffinessen vom Wesentlichen ablenkt. Große Organisationen arbeiten häufig mit bis ins Detail ausgefeilten Präsentationsvorlagen. Diese Layoutvorlagen stellen einerseits sicher, dass das Corporate Design eingehalten wird, andererseits können sie dazu führen, dass jede Präsentation gleich anmutet und zu Ermüdungseffekten führt. Wenn jeder Denkprozess am Ende in eine ausgefeilte Präsentationsvorlage münden muss, kann dies auf dem Weg dorthin stark einengen. An dieser Stelle sei betont, dass Präsentationssoftware ein sehr gutes Tool zur Erstellung von wirkungsvollen Präsentationen ist; sie eignet sich in vielen Fällen sehr gut zur Darstellung von Inhalten; dabei kommt es darauf an, was der Präsentator/die Präsentatorin daraus macht. Es liegt also nicht an der Präsentationssoftware, dass viele Präsentationen nicht den gewünschten Effekt erzielen, sondern daran, wie diese eingesetzt wird. Wenn die Anzahl der Zuschauer/-innen es erlaubt, bieten Sie dem Publikum Abwechslung bei der Gestaltung und beim Medienmix. Setzen Sie „handschriftliche“ Medien zusammen mit elektronischen Medien ein. Medienwechsel erzeugen Aufmerksamkeit

projizierte Präsentation

224

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

und helfen Ihnen dabei, die Aufmerksamkeit des Publikums zu behalten. Für alle Medien gilt: Die Präsentatoren/-innen sind immer das „zentrale Medium“. Sie kündigen die nächste Visualisierung an, machen neugierig, erklären, erzählen dazu, heben Wichtiges hervor und kommentieren aus eigener Perspektive (Will 2013, S. 59, 61).

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Gestaltungshilfen für Medien

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Groß: Für jede Art von Text, Grafik oder Bild gilt, zeigen Sie es so groß, dass es alle im Raum lesen können; Groß‑/Kleinschreibung ist lesbarer; Botschaften groß geschrieben und große Bilder sind wirkungsvoller Wenig Text: Stellen Sie Texte in Stichwörtern oder ganz kurzen Sätzen dar; das regt Sie an, die Geschichte dazu zu erzählen; die Präsentation ist das Stichwortmanuskript Wenige Zahlen: Zahlen können sehr eindrucksvoll sein, wenn Sie sich auf die wichtigste Zahl beschränken; Zahlen, über die Sie nicht sprechen, gehören nicht in die Präsentation Ruhe: Achten Sie auf ruhige Gestaltung und ruhige Animation; zu viele Farben, Schriftgrößen, Formen und zu viel Bewegung lenkt vom Wesentlichen und von Ihnen ab Ordnung: Der Aufbau der Präsentation und jedes Flipchart/jedes Slide hat eine erkennbare, nachvollziehbare Ordnung und hilft bei der Orientierung Botschaft: Jede Pinnwand, jedes Flipchart, jedes Slide hat eine zentrale Botschaft und eine interessante, aussagekräftige Überschrift Visualisierungspausen: Halten Sie Teile Ihrer Präsentation frei; blenden Sie eine Schwarzfolie ein oder entfernen Sie sich von Flipchart oder Pinnwand; ziehen Sie die Aufmerksamkeit des Publikums in diesen Pausen wieder ganz auf sich Handout: Slides sind kein Handout; im Handout steht in der Regel mehr, nämlich alles das, was Sie bei Ihrer Präsentation erzählt und gezeigt haben

Vertiefende Informationen zu Mediengestaltung und Medieneinsatz finden Sie bei Will (2013), Weidenmann (2015) und Seifert (2008).

7.3.3

Der Körper redet immer mit

Redner/-innen kommunizieren nicht nur mit dem, was sie sagen, sondern auch damit, wie sie es sagen. „Sprachliches“ und „nichtsprachliches“ Agieren gibt dem Publikum Informationen über den Redner/die Rednerin, z. B. über die Einstellung oder Stimmung.

225

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

Redner/-innen und Zuhörer/-innen senden und empfangen „nichtsprachliche Informationen“ häufig nicht bewusst; diese haben großen Einfluss darauf, wie der Zuhörer/die Zuhörerin den Redner/die Rednerin einschätzt (Allhoff und Allhoff 2016, S. 19). Jede Kommunikation besteht aus verbaler, paraverbaler und nonverbaler Kommunikation. Verbale Kommunikation Sprache/Text

Paraverbale Kommunikation Stimme Betonung Lautstärke Geschwindigkeit Aussprache

Nonverbale Kommunikation Körperhaltung und -bewegung Gestik Mimik Blickkontakt Räumliches Verhalten

Para- und nonverbale Kommunikation kann verbale Kommunikation verstärken, abschwächen oder dieser widersprechen. Sie kann Interesse oder Desinteresse, Zustimmung oder Ablehnung ausdrücken. In ihr kann sich die Stimmung und Gefühlslage des Redners/ der Rednerin und der Zuhörerschaft widerspiegeln. Sie signalisiert Anspannung oder Entspannung, Sicherheit oder Unsicherheit, Macht/Dominanz oder Ohnmacht, Offenheit oder Distanziertheit, Ehrlichkeit oder Unehrlichkeit. Sie kann die Beziehung zwischen Gesprächspartnern oder zwischen Redner/-in und Zuhörer/-in offenbaren (Allhoff und Allhoff 2016). In der Köpersprache drückt sich die innere Haltung des Redners/der Rednerin aus. Wenn Sie überzeugt, engagiert, entschlossen für eine Sache eintreten, wird Ihr Körper Sie dabei unterstützen. Wenn Sie Zweifel oder wenig Interesse haben, unentschlossen oder sogar gegenteiliger Meinung sind, wird Ihr Körper das auch ausdrücken. An dieser Stelle sei explizit betont, dass es bei der Vorbereitung einer Präsentation nicht hilfreich und wirkungsvoll ist, Körpersprache einzustudieren. Vielmehr muss es darum gehen, sich der eigenen Körpersprache und deren Wirkung auf andere bewusst zu werden, zu beobachten und durch eine klare innere Haltung zu einer unterstützenden Körpersprache zu gelangen (Spies 2004; Allhoff und Allhoff 2016). Der Anspannung und Entspannung kommt beim Reden große Wirkkraft zu. Psychische Anspannung verspannt auch den Körper. Körperliche Entspannung kann inneren Druck abbauen; Redner/innen werden ruhiger und sicherer. Spannungsregulierende Techniken, die helfen, den eigenen Spannungs‑/Erregungszustand z. B. vor Präsentationen einzuschätzen und bewusst zu verändern, können dazu dienen, sich selbst in einen besseren Zustand zu bringen und damit auch Einfluss auf die eigene Körpersprache zu nehmen (Allhoff und Allhoff 2016, S. 31).

7

Körpersprache

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Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Körperhaltung und Gestik

Eine aufrechte, dem Publikum zugewandte, offene Körperhaltung, mit einem stabilen Stand kann es dem Publikum erleichtern, sich dem Redner/der Rednerin und der Präsentation offen zuzuwenden. Beispiel Körperhaltung

Beispiel

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Tipps zur Körperhaltung: Verzichten Sie darauf Arme/Hände vor/hinter dem Körper zu verschränken oder sich auf dem Rednerpult abzustützen. Im Stehen kann ein stabiler Stand, mit dem Gewicht auf beiden Beinen, mit aufrechtem Oberkörper, tiefen Schultern, gerader Kopfhaltung und lockeren Armen/Händen eine gute Startposition sein. Im Sitzen kann eine stabile Haltung, mit beiden Beinen parallel auf dem Boden, aufrechtem Oberkörper, tiefen Schultern, gerader Kopfhaltung und beiden Händen/ Unterarmen locker auf der Tischkante abgelegt eine gute Ausgangsposition sein.

7

Das „Reden mit den Händen“ kann individuell ausgeprägt temperamentvoll oder eher ruhig sein. In entspannten Kommunikationssituationen entsteht Gestik automatisch. „Bei zunehmender Öffentlichkeit und dem subjektiven Gefühl, besonders gefordert zu sein, steigt die Tendenz, eine Haltung einzunehmen, die Gestik unterdrückt und nicht mehr zulässt“ (Allhoff und Allhoff 2016, S. 32). Untersuchungen an der Universität Regensburg haben ergeben, dass sich Redner/-innen, die Gestik zurückhalten, öfter versprechen, kompliziertere Sätze formulieren und leichter hängenbleiben (Allhoff und Allhoff 2016, S. 32 f.). Gestik unterstützt, unterstreicht und veranschaulicht das Gesagte. Sie kann auch bei der stimmlichen Modulation helfen. Eine offene, synchrone Gestik, die mit dem Gesagten zusammenpasst, erleichtert es dem Publikum, den Redner/die Rednerin ganzheitlich stimmig und glaubwürdig wahrzunehmen. Beispiel Gestik

Beispiel

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Tipps zur Gestik: Nehmen Sie eine Körperhaltung ein, die es erleichtert in die Gestik zu kommen: aufrecht, offen. Vermeiden Sie geschlossene Haltungen, wie z. B. verschränkte Hände/Arme, Hände in den Taschen. Arme locker seitlich am Körper. Wenn Sie die Hände, locker vor dem Körper (nicht verschränkt) halten, kann das eine gute Ausgangsposition für eine aktive Gestik auf Brusthöhe sein.

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

227

7

Mimik und Blickkontakt

Mimik zeigt Emotionen und ist auch Ausdruck für die innere Haltung, mit unserem Gesichtsausdruck signalisieren wir, z. B. Zustimmung oder Ablehnung, Ärger, Zweifel oder Überraschung. Beispiel

-

Beispiel Mimik

Tipps zur Mimik: Seien Sie sich der Kommunikationskraft der Mimik bewusst und beobachten Sie die Mimik der Zuhörer/-innen. Suchen Sie sich Personen im Publikum, die Ihnen während der Präsentation mimisch Interesse, Zustimmung und Wohlwollen signalisieren und Energie spenden. Viele Redner/-innen sind sehr konzentriert, wenn sie eine Präsentation halten. Konzentration kann sich in einer sehr ernsten, angestrengten Mimik ausdrücken. Das Publikum kann die Mimik falsch interpretieren, z. B. als problembelastet, angestrengt, verkrampft. Überprüfen Sie Ihre Mimik bewusst in fordernden Situationen (Spies 2004, S. 244). Lächeln hilft den Gesichtsausdruck zu entspannen und wirkt positiv, wenn das Thema es zulässt.

-

Mittels Blickkontakt nehmen wir Kontakt mit den Zuhörern/innen auf. Der Blickkontakt signalisiert Aufmerksamkeit und vermittelt Feedback. „Blickkontakt nimmt mit zunehmender Verunsicherung oder auch bei zunehmender Konzentration auf ein zu lösendes Problem immer mehr ab“ (Allhoff und Allhoff 2016, S. 36). Beispiel

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Tipps zum Blickkontakt: Achten Sie als Redner/-innen darauf, den Blickkontakt zu den Zuhörer/-innen zu halten, um damit nah beim Publikum zu bleiben – auch wenn Sie sich auf die Inhalte konzentrieren. Verwenden Sie das Stichwortmanuskript als „Spickzettel“, auf dem Sie sich nur kurz orientieren und dann wieder den Blickkontakt zum Publikum suchen. Sprechen Sie nicht zur Wand/zum Laptop/zum Flipchart, sondern bleiben Sie mit dem Blick beim Publikum. Bei größerem Publikum suchen Sie sich einzelne Personen in unterschiedlichen Bereichen des Zuschauerraums und adressieren Sie diese mit Blickkontakt. Damit verkleinern Sie den Raum und halten Blickkontakt, obwohl Sie nicht alle persönlich adressieren können.

Beispiel Blickkontakt

228

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Sprechweise und Stimme

Stimme, Sprechweise

7

Sprechatmung, Pausen

Beispiel Stimme

Ob wir den Redner/die Rednerin als verständlich, kompetent und glaubwürdig empfinden, hängt wesentlich von der Sprechweise ab, also von der Stimme, der Artikulation, der Betonung, der Lautstärke, der Sprechgeschwindigkeit. In fordernden Kommunikationssituationen, wie z. B. das Reden vor größerem Publikum, bei Aufregung, Unsicherheit oder Lampenfieber neigen Redner/-innen dazu in höherer Stimmlage zu sprechen, als sie das in entspannten Situationen tun würden (Allhoff und Allhoff 2016, S. 43). Körperhaltung und Atmung nehmen wesentlichen Einfluss auf die Stimme und Sprechweise. Eine aufrechte Körperhaltung mit guter Bodenhaftung (Gewicht gleichmäßig auf beiden Beinen verteilt, Knie locker, Gesäß locker, Schultern tief/locker, Kopf gerade) ist eine gute Ausgangslage, um das Potenzial der Stimme einzubringen. Damit die Stimme klingen kann, müssen wir einund ausatmen. Vor allem wie wir einatmen beeinflusst den Klang der Stimme. Wir unterscheiden Ruheatmung, Hochatmung und Sprechatmung. Bei der Ruheatmung (auch Entspannungsatmung) atmen wir tiefer, nach unten in den Bauch. Die Ruheatmung fließt gewissermaßen unbemerkt. Die Hochatmung stellt sich bei körperlicher Leistung oder Anspannung ein. Wir atmen dann weiter oben in den Brustkorb (Wittstock 2015, S. 26/33; . Tab. 7.2). Die Sprechatmung unterscheidet sich darin, dass sie keinem gleichmäßigen Atemrhythmus folgt, wie die Ruheatmung, sondern das Atmen mit dem Sprechen koordiniert. Die Atmung passt sich dem Sprechen an. Gute Sprechatmung atmet nach unten in den Bauch ein und verschafft uns ausreichend Luft zum Sprechen (Wittstock 2015, S. 47). Sprechpausen sind der Atmung, Stimme, Betonung und Strukturierung des Sprechens zuträglich. Sprechpausen dienen dem Redner/der Rednerin der kurzen Entspannung. Zudem können Sie die Dramaturgie unterstützen, indem sie wichtige Botschaften einrahmen und damit Aufmerksamkeit generieren. Sprechpausen helfen auch die Sprechgeschwindigkeit und Lautstärke zu regulieren und zu variieren. Beispiel

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Tipps zur Stimme: Eine aufrechte Haltung mit Bodenhaftung unterstützt die Stimme. Der Körper hat eine angenehme Spannung, Knie, Gesäß, Schultern und Kiefer sind locker. Beim Sprechen in den Bauch atmen; aus dem Bauch sprechen. Wenn Sie aufgeregt sind, konzentrieren Sie sich auf das Ausatmen. Machen Sie Sprechpausen.

229

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

7

..Tab. 7.2  Vergleich von Ruhe- und Hochatmung. (Aus Wittstock 2015, S. 33, mit freundlicher Genehmigung von Lehmanns Media) Ruheatmung

Hochatmung

– Involviert Zwerchfell, Zwischenrippenmuskulatur

– Involviert Hals, Schultern, Nase

– Belüftung Lungenräume und Sauerstoffzufuhr optimal

– Belüftung nur in oberen Arealen – Geringere Sauerstoffzufuhr

– Einatmen entspannt, unbemerkt – Ausatmen gründlich

– Einatmen anstrengend(er) – Ausatmen ungenügend, CO2 bleibt anteilig in der Lunge

– Langsamer Atemrhythmus

– Schneller, kürzerer Atemrhythmus

– Stimme klingt voll, klar, eher tief

– Stimme klingt höher

7.3.4

Gute Sprache ist einfach und anschaulich

Das Publikum sollte Ihre Sprache verstehen. Gesprochene Sprache unterscheidet sich wesentlich von Schriftsprache. Erzählen Sie Ihre Geschichte auf einfache, verständliche Art und Weise. Wenngleich ein Fachpublikum mehr Fachsprache versteht als ein Laienpublikum, sind doch beide dankbar, wenn sie mühelos folgen können. Wenn Sie sich einfach ausdrücken, fällt es der Zuhörerschaft leichter, dabeizubleiben und zuzuhören. Beispiel

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Tipps zur Sprache: Sprechen Sie so einfach wie möglich; verwenden Sie einfache Wörter. Gehen Sie mit Fremd- und Fachwörtern sparsam um; erklären Sie diese immer dann, wenn Sie in der Präsentation vorkommen. Machen Sie kurze, einfache Hauptsätze. Sprechen Sie aktiv. Gehen Sie sparsam mit Zahlen um. Formulieren Sie konkret. Setzen Sie Aufmerksamkeitsimpulse und Erinnerungsanker, z. B. eine persönliche Erfahrung, ein Beispiel, eine Anekdote. Erzählen Sie Geschichten/Ihre Geschichte. Involvieren Sie Ihr Publikum, z. B. mit einer (rhetorischen) Frage, mit einem Beispiel aus dem Arbeitsalltag Ihres Publikums. Sprechen Sie Ihr Publikum direkt an. Sprechen Sie in Bildern.

Beispiel Sprache

230

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

7.3.5

7 präsentieren

Die Präsentation (er‑)leben

Ihre Präsentation beginnt bereits, wenn Sie den Raum betreten oder sich von Ihrem Platz erheben, um nach vorne zu laufen, die Bühne betreten und Ihren Präsentationsraum einnehmen. Achten Sie auf eine aufrechte Haltung und einen ruhigen Gang, mit dem Sie nach vorne schreiten. Bereits jetzt haben Sie Gelegenheit (Blick‑)Kontakt mit Ihrem Publikum aufzunehmen. Richten Sie sich in Ihrem Präsentationsraum in Ruhe ein, wenn Sie mit Hilfsmitteln präsentieren; die Projektionswand hinter Ihnen ist noch schwarz oder auf Ihrem Flipchart stehen noch keine Informationen, die von Ihrem Einstieg ablenken könnten; wenn Sie fertig sind, treten Sie vor Ihr Publikum, überprüfen Ihre aufrechte Haltung mit Bodenhaftung, die Ihre Präsenz unterstützt und aktive Gestik begünstigt; Sie nehmen Blickkontakt auf; machen eine kurze Pause; atmen nochmals bewusst aus; dann starten Sie mit Ihrer ersten Botschaft. Erst danach begrüßen Sie, stellen einen Bezug zu Ihrer Person her, erläutern, warum Sie zum Thema sprechen, geben Orientierung und machen deutlich, welchen Nutzen Ihr Publikum mitnehmen kann. Der Hauptteil Ihrer Präsentation ist klar gegliedert; Sie nehmen Ihr Publikum an die Hand und navigieren es durch die Inhaltsteile der Präsentation. Sie benutzen eine einfache Sprache, unterstreichen Gesagtes mit aktiver Gestik, achten darauf, dass Sie Ihren Gesichtsausdruck entspannen, auch mal lächeln, wenn es passend ist; Sie sprechen in angemessenem Tempo und variieren die Lautstärke; dabei achten Sie darauf, dass Sie in Ihrer gewohnten Stimmlage sprechen, nicht höher; Sie sprechen deutlich und machen Sprechpausen, die Ihnen und Ihrem Publikum erlauben zu verdauen und auf die nächste Botschaft zu fokussieren. Sie atmen in den Bauch, wenn Aufregung aufkommt, atmen Sie bewusst aus. Ihre zentrale Botschaft wiederholen Sie mehrfach. Wenn Sie mit Slides arbeiten, kündigen Sie diese an, lassen Ihr Publikum lesen und sprechen erst dann dazu. Achten Sie darauf, dass Sie mit dem Blick beim Publikum bleiben und nicht zur Wand, zum Laptop oder zum Flipchart sprechen. Während der Präsentation gibt es auch „unterstützungsfreie“ Phasen, in denen Sie kein Slide projizieren und kein Flipchart zeigen; damit lenken Sie die Aufmerksamkeit wieder ganz auf sich. Sie kündigen den Schluss an, fassen kurz die wichtigsten Erkenntnisse zusammen, schlagen den Bogen zum Einstieg, machen eine Pause und richten dann Ihre letzte Botschaft oder einen Appell an das Publikum; damit begünstigen Sie, dass Ihr Publikum sich an diese Botschaft erinnert oder in Ihrem Sinne handelt; am Ende senken Sie die Stimme, nehmen ein letztes Mal aktiv Blickkontakt auf und enden. Pause. Sie nehmen den Applaus entgegen, warten ab, bevor Sie Ihren Präsentationsraum verlassen, zu Ihrem Platz gehen. Dabei ist Ihnen bewusst, dass Ihr Auftritt erst beendet ist, wenn Sie wieder auf Ihrem Platz sitzen oder den Raum verlassen haben. Wenn Sie ein Mikrofon tragen, schalten Sie es aus.

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

7.3.6

7

Mentale Stärke gewinnen

Wichtige Präsentationsituationen sind vergleichbar mit Wettkampfsituationen im Sport. Redner/-innen definieren ein realistisches Ziel für ihre Präsentation, planen und üben den Auftritt, optimieren den Auftritt, üben wieder, bereiten sich gut auf die Präsentation vor. In der „realen“ Präsentationssituation kommt es ähnlich wie beim Wettkampf darauf an, ob wir in der Lage sind, die Leistung abzurufen und mit der Präsentation zu überzeugen. Jörg Wetzel, Sportpsychologe und verantwortlicher Psychologe des Schweizer Olympia-Teams, definiert mentale Stärke: „Wenn Sie das eigene Leistungspotenzial im entscheidenden Moment auf höchstem Niveau regelmäßig abrufen können, dann sind Sie mental stark“ (Wetzel 2011, S. 13). Es geht darum, den „optimalen Leistungszustand“ erreichen zu können, unabhängig von persönlichen oder äußeren Einflüssen, also auch in Belastungssituationen. Mental stark sein, heißt, in ebensolchen Situationen Denken, Wahrnehmen und Verhalten beeinflussen und auf das Ziel ausrichten zu können (Wetzel 2011, S. 13). Das Yerkes-Dodson-Gesetz veranschaulicht den Zusammenhang zwischen Aktivationsniveau und Leistung; dabei wird davon ausgegangen, dass es für jede Anforderung ein optimales Aktivationsniveau gibt. Mittels Aktivierung kann bis zum Erreichen des optimalen Aktivationsniveaus eine Leistungssteigerung erreicht werden. Wird dieses Optimum überschritten, der Grad der Aktivierung/Erregung/Spannung also zu hoch, dann nimmt die Leistung ab. Der optimale Leistungszustand/das optimale Aktivationsniveau ist individuell und je nach Situation/Anforderung ganz unterschiedlich (Eberspächer 2012, S. 56). Für die Präsentationssituation heißt das, dass der Redner/die Rednerin den persönlichen Erregungszustand erspüren/einschätzen kann und in der Lage ist, mit (im Vorfeld geübten/trainierten) Maßnahmen den Erregungszustand zu regulieren, sprich sich bei zu tiefem Erregungszustand zu aktivieren oder bei zu hohem Erregungszustand zu beruhigen. Das Aktivationsniveau kann über eine Veränderung von Verhalten, Wahrnehmung und Umfeld erreicht werden. Mittels Relaxationstechniken wird eine Beruhigung angestrebt, wenn die Person zu aufgeregt ist, um angemessen handeln zu können. Mittels Mobilisationstechniken wird eine Aktivierung angestrebt, wenn die Person zu entspannt ist, um angemessen handeln zu können (Eberspächer 2012, S. 57/68).

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231

Möglichkeiten der Entspannung (Relaxation): Langsam oder nicht bewegen Vorbereitungstätigkeiten/-rituale ganz in Ruhe machen; Präsentationsraum in Ruhe erkunden

mentale Stärke

Erregungszustand, Leistung

232

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

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Sich an einen ruhigen Ort zurückziehen Sich auf Ruhe einstellen, angenehmes, beruhigendes Selbstgespräch führen, sich in Entspanntheit visualisieren Entspannungsatmung: sich auf das Ausatmen konzentrieren; Ausatmen bewusst verlängern; „Anspannung ausatmen“

Möglichkeiten der Aktivierung (Mobilisation): Schnell bewegen; z. B. auf der Stelle springen Belebte Umgebung aufsuchen; Gespräch suchen Sich auf „Power“ einstellen; mittels Selbstgespräch oder Visualisierung in Aktion Aktivierungsatmung: auf das Einatmen konzentrieren; länger einatmen als ausatmen; „Aktivierung einatmen“ (in Anlehnung an Eberspächer 2012 und Wetzel 2011)

7

mentale Grundtechniken, Atmung

Im Folgenden werden drei mentale Grundtechniken, die Sie bei der Vorbereitung auf Ihre Präsentation unterstützen können, kurz vorgestellt: Atmung, Selbstgespräch und Visualisierung. Durch die Variation der Atmung (Entspannungsatmung und Aktivierungsatmung) können Sie Ihren Erregungszustand regulieren und sich Ihrem optimalen Leistungszustand annähern. Atemtechnik ist wie alle mentalen Trainingsformen vor allem Übungssache! Wenn Sie sich kurz vor Ihrem Auftritt erstmals mittels Atmung beruhigen wollen, wird das schwerlich funktionieren. Atemtechniken lassen sich fast überall üben (zuhause und unterwegs) und anwenden (z. B. im Präsentationsraum, im Meeting). Die meisten Menschen kämpfen vor Auftritten eher mit Übererregung. Dies zeigt sich auch körperlich; wir schwitzen, haben feuchte Hände, eine trockene Kehle, rote Flecken im Bereich von Gesicht/Hals/ Dekolleté, ein flaues Gefühl im Magen, weiche Knie, unser Herz hämmert gegen den Brustkorb. In unserem Kopf macht sich Leere breit; Inhalte der Präsentation verschwimmen oder verschwinden. Entspannungsatmung kann helfen, den Erregungszustand zu reduzieren und die Kontrolle zu behalten/zurückzuerlangen.

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Übungsanleitung zur Entspannungsatmung Setzen Sie sich bequem hin: Füße parallel, Hände locker Schließen Sie die Augen (optional) Einatmen geht automatisch; konzentrieren Sie sich auf das Ausatmen Sagen Sie sich innerlich: Ich bin ruhig. Das Ausatmen verlängern; beim Ausatmen langsam runterzählen Genießen Sie den Entspannungszustand

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

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233

7

Wiederholen Sie das einige Minuten lang Zum Beenden Körper lockern Üben Sie regelmäßig: täglich Wenden Sie es zum Zeitpunkt der Erregung, z. B. vor einem Auftritt, an

Sie sitzen im Publikum der Veranstaltung, bei der Sie in Kürze reden werden. Ihre Vorredner/-innen haben eloquente Auftritte gezeigt. Sie versuchen sich auf Ihre Präsentation zu konzentrieren, da tauchen störende Gedanken auf: „heute wird es schwer, ich bin nicht gut in Form, vielleicht habe ich mich doch zu wenig vorbereitet, das sind echte Hochkaräter auf der Bühne, dagegen bin ich nur ein kleines Licht“. Um dem „Teufelchen“ in Ihrem Ohr vor Ihrer Präsentation den Garaus zu machen, haben Sie sich vor der Präsentation positive Gedanken/Sätze zurechtgelegt und im Selbstgespräch eingeübt. Nun können Sie diese hervorholen und anwenden: „Ich kann das; ich bin gut vorbereitet; ich bin hier, um zu überzeugen“. Das positive Selbstgespräch kann die innere Einstellung formulieren und im Vorfeld und während der Präsentation helfen, sich darauf zu besinnen und zu konzentrieren. Genau wie bei der Atmung wird dies nur funktionieren, wenn Sie es vorher intensiv geübt haben. Es ist daher empfehlenswert, sich bei der Vorund Nachbereitung von Präsentationen, genau wie vor Meetings, zu erinnern, welche negativen Gedanken/Sätze in vergangenen Situationen störend und energieraubend waren, sich diese zu vergegenwärtigen, dann in positive Gedanken/Sätze umzuformulieren und regelmäßig zu erinnern/anzuwenden. Das Selbstgespräch wird im Sport als sogenanntes subvokales Training auch eingesetzt, um sich Bewegungsabläufe vorzusprechen und so im Detail vorzustellen und zu verinnerlichen (Eberspächer 2012, S. 70). Bei der Präsentationsvorbereitung kann es unterstützen, Teile der Präsentation, z. B. den genauen Ablauf des Einstiegs mittels Selbstgespräch zu üben. Dabei erfolgt eine möglichst detailgenaue Beschreibung, die viele Sinne anspricht. Beispiel

Ich höre, dass die Moderatorin meinen Namen sagt, das Thema meiner Präsentation nennt und mich auf die Bühne bittet. Ich erhebe mich von meinem Platz, richte mich auf, blicke ins Publikum, suche Blickkontakt mit einzelnen Zuhörern, lächle; dann gehe ich nach vorne, mein Gang ist aufrecht und ruhig, mein Kopf gerade, meine Schritte sind angemessen weit, vor der Bühne nehme ich die drei Stufen aktiv, auf der Bühne nehme ich meinen Präsentationsraum ein, ich stelle mich in die Mitte, nehme einen stabilen Stand ein, Füße

Selbstgespräch

Beispiel Selbstgespräch

234

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

hüftbreit parallel, Gewicht auf beiden Beinen verteilt, meine Knie, mein Gesäß, meine Schultern sind locker, mein Kopf ist gerade, ich spüre das Scheinwerferlicht auf meinem Gesicht, mein Publikum ist still, ich höre, wie sich einige räuspern, ich schaue in mein Publikum, nehme Blickkontakt mit einzelnen Zuhörern auf, lächle ganz leicht, meine Hände habe ich locker vor meinem Körper ineinandergelegt, ich mache eine Pause, atme aus, jetzt bin ich bereit, los geht’s.

7

Visualisierung

Eine andere mentale Grundtechnik ist die Visualisierung. Dabei kann Unterschiedliches visualisiert werden, z. B. Bewegungsabläufe, Streckenabläufe oder Erfolge. Die Sportpsychologie beschreibt verschiedene mentale Trainingsformen: das subvokale Training (Selbstgespräch), das verdeckte Wahrnehmungstraining (die Person beobachtet sich selbst bei der Ausführung von Bewegungsabläufen; Außenperspektive) und das ideomotorische Training (dabei empfindet/spürt die Person sich selbst bei der Ausführung der Bewegung; Innenperspektive; Eberspächer 2012, S. 70 f.; Wetzel 2011, S. 73). Ziel der Visualisierung ist es, Denken, Fühlen und Handeln zu beeinflussen. Ähnlich wie beim Sport können Redner/-innen wesentliche, für sie erfolgskritische Teile der Präsentation/Rede, wie z. B. den Anfang und den Schluss visualisieren. Dazu erstellen Sie eine möglichst detailgenaue Beschreibung (Drehbuch), das alle Sinne anspricht und neben Bildern auch auditive, taktile oder olfaktorische Elemente beinhaltet. Je genauer die Vorstellung ist, z. B. je genauer der Einstieg sichtbar, hörbar, fühlbar, riechbar ist, desto wirkungsvoller die Übung. Den Erfolg zu visualisieren kann helfen, mentale Stärke zu gewinnen. Redner/-innen, die zur Vorbereitung die erfolgreiche Präsentation regelmäßig visualisieren, können Zuversicht gewinnen (In Anlehnung an Wetzel 2011). Alle Techniken können dabei unterstützen, mentale Stärke zu erlangen, um im Augenblick, wenn es darauf ankommt, die bestmögliche Leistung zu erbringen – regelmäßiges Üben vorausgesetzt. Vor allem zu Beginn ist es zu empfehlen, die Anwendung durch Experten begleiten zu lassen. 7.3.7

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Nach der Präsentation ist vor der Präsentation

Folgende Fragen können nach der Präsentation helfen, den Präsentationserfolg einzuordnen: Habe ich mein Ziel erreicht? Woran messe ich das? Wie habe ich auf mein Publikum gewirkt? Wie habe ich mich vor, während und nach der Präsentation gefühlt?

7.3  •  Rhetorik und Präsentation

235

7

--

Welche positiven/negativen Gedanken hatte ich? Was war gut? Was kann ich bei der nächsten Präsentation besser machen?

Machen Sie sich zuerst selbst ein Bild (Eigenbild) und holen Sie dann nach Möglichkeit von mehreren Personen Feedback ein (Fremdbild). Um das Bild zu ergänzen, ist es empfehlenswert, die Präsentation auf Video aufzeichnen zu lassen; so können Sie anschließend Eigen- und Fremdbild vergleichen und auf dieser Basis den Aufritt analysieren. Fremde Perspektiven ermöglichen es, sogenannte „blinde Flecken“ zu erkennen. Damit ist z. B. wiederkehrendes Verhalten gemeint, das Sie selbst nicht bewusst wahrnehmen, für das Publikum aber störend sein kann (z. B. mit dem Stift spielen, am Körper reiben, mit dem Ring spielen). Wenn Sie Ihre Präsentations‑/Redefähigkeit nachhaltig verbessern wollen, ist es empfehlenswert, ein Präsentationstagebuch zu führen. Reflektieren und dokumentieren Sie dort nach jeder Präsentation Ihre Einschätzung und das Feedback aus dem Publikum. Markieren Sie identifizierte „blinde Flecken“ und überprüfen Sie diese regelmäßig. Legen Sie auch schriftlich fest, was Sie beim nächsten Auftritt verbessern wollen. Beschränken Sie sich auf eine Sache, wenn diese gelingt, machen Sie den nächsten Schritt. Mit Hilfe des Präsentationstagebuchs dokumentieren Sie Ihre Entwicklung; es hilft auch dabei dran zu bleiben und kann als „Ressourcenquelle“ dienen, wenn eine Präsentation mal suboptimal gelaufen ist. Viel Erfolg! Zusammenfassung Leser/-innen erfahren wie sie eine Präsentation gut vorbereiten, durchführen und nachbereiten. Dabei kommt der inneren Einstellung zur Präsentation, zu sich selbst und zum Zielpublikum Bedeutung zu. Gute Vorbereitung heißt alle Einflussfaktoren, die eine Präsentation wirkungsvoll machen, einzubeziehen. Es ist wichtig ein klares, realistisches Ziel zu haben und das Zielpublikum gut zu kennen. Leser/-innen erhalten Hinweise zum Aufbau, zur Strukturierung und Visualisierung einer Präsentation. Redner/-innen kommunizieren nicht nur mit dem, was sie sagen, sondern auch damit, wie sie es sagen. Para- und nonverbale Kommunikation machen einen signifikanten Anteil der Wirkung aus. Sich der Wirkkraft der Körperhaltung, Gestik, Mimik, Stimme und Sprechweise bewusst sein, wird im Beitrag unterstützt. Es werden drei mentale Grundtechniken „Atmung, Selbstgespräch und Visualisierung“ vorgestellt, die bei intensiver Übung helfen können, bei der Präsentation eine gute Leistung abzurufen.

Eigen‑/Fremdbild

Zusammenfassung

236

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Fragen zur Vertiefung

7

-

Fragen zur Vertiefung Wie viel Zeit wenden Sie für welche Vorbereitung auf? Beziehen Sie alle Faktoren, welche die Wirkung einer Präsentation beeinflussen, mit ein? Wie können Sie Ihre Vorbereitungszeit effektiver einsetzen? Welche Stärken identifizieren Sie bei sich, wenn Sie präsentieren? Was könnte diese noch verstärken? Welche Defizite identifizieren Sie bei sich, wenn Sie präsentieren? Was könnte helfen, mit diesen besser umzugehen? Was wollen Sie verändern/ausprobieren, um Ihre Präsentationsleistung zu verbessern? Wie werden Sie erkennen, ob Ihre Präsentation beim Publikum erfolgreich war? Wie werden Sie erkennen, ob Sie sich bei Ihrer Präsentation besser gefühlt haben?

Literatur Literatur zu Abschn. 7.1 Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt. Bengel, J., Strittmatter, R., & Willimann, H. (1998). Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Eine Expertise (5. Aufl.). Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Büssing, A. (1999). Psychopathologie der Arbeit. In C. Graf Hoyos & D. Frey (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie. Ein Lehrbuch (S. 200–211). Weinheim: Beltz. Csikszentmihalyi, M. (1999). Lebe gut! Wie Sie das Beste aus Ihrem Leben machen (2. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. von Cube, F. (2006). Lust auf Leistung. Die Naturgesetze der Führung. München: Piper. Freudenberger, H., & North, G. (2003). Burnout bei Frauen: Über das Gefühl des Ausgebranntseins (11. Aufl.). Frankfurt a. M.: Fischer. Grebner, S., Berlowit, I., Alvarado, V., & Cassina, M. (2010). Stressstudie 2010, Stress bei Schweizer ErwerbstätigenZusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen, Personenmerkmalen, Befinden und Gesundheit. http:// www.stressnostress.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente_und_PDFFiles/2010_seco_stress_lang.pdf. Zugegriffen: 07.2016. Hausammann, F. (2007). Personal Governance als unverzichtbarer Teil der Corporate Governance und Unternehmensführung. Bern: Haupt. Health Organization Basic Documents [online]. Verfügbar auf http://apps.who. int/gb/bd. Zugegriffen im Juli 2016, 1. Hochschild, A. R. (1990). Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt am Main/New York: Campus. Hornung, R., & Gutscher, H. (1994). Gesundheitspsychologie: Die psychosoziale Perspektive. In P. Schwenkmezger & L. Schmidt (Hrsg.), Lehrbuch der Gesundheitspsychologie (S. 65–84). Stuttgart: Enke. Kernen, H. (1999). Burn-out-Prophylaxe im Management. Erfolgreiches individuelles und institutionelles Ressourcenmanagement (3. Aufl.). Bern: Haupt.

Literatur

Kernen, H. (2005). Arbeit als Ressource. Gesund und leistungsfähig dank persönlichem und betrieblichem Ressourcenmanagement. Bern: Haupt. Kernen, H., & Meier, G. (2014). Achtung Burn-out! Leistungsfähig und gesund durch Ressourcenmanagement (3. Aufl.). Bern: Haupt. Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. New York: Springer. Lazarus, R. S., & Launier, R. (1981). Stressbezogene Transaktion zwischen Person und Umwelt. In J. R. Nitsch (Hrsg.), Stress (S. 213–259). Bern: Huber. Maslach, C., & Leiter, M. P. (2001). Die Wahrheit über Burnout. Stress am Arbeitsplatz und was Sie dagegen tun können. Berlin: Springer. Paul, K., & Moser, K. (2015). Arbeitslosigkeit. In K. Moser (Hrsg.), Wirtschaftspsychologie (S. 263–281). Berlin, Heidelberg: Springer. Resetka, H. J., Liepmann, D., & Frank, G. (1996). Qualifizierungsmaßnahmen und psychosoziale Befindlichkeit bei Arbeitslosen. In Wirtschaftspsychologie Bd. 3. Frankfurt a. M.: Peter Lang. Rheinberg, F., Manig, Y., Kliegl, R., Engeser, S., & Vollmeyer, R. (2007). Flow bei der Arbeit, doch Glück in der Freizeit: Zielausrichtung, Flow und Glücksgefühle. Zeitschrift für Arbeits-und Organisationspsychologie, 51(3), 105–115. von Rosenstiel, L. (2005). Die Bedeutung von Arbeit. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (2. Aufl. S. 15–44). Göttingen: Hogrefe. Rüegg-Stürm, J. (2003). Das neue St. Galler Managementmodell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre: Der HSG-Ansatz (2. Aufl.). Bern: Haupt. Semmer, N. K., & Udris, I. (2007). Bedeutung und Wirkung von Arbeit. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Organisationspsychologie (4. Aufl. S. 157–196). Bern: Huber. Udris, I., & Frese, M. (1999). Belastung und Beanspruchung. In C. Graf Hoyos & D. Frey (Hrsg.), Arbeits- und Organisationspsychologie. Ein Lehrbuch. Weinhein: Beltz. Udris, I., & Rimann, M. (2010). Das Kohärenzgefühl: Gesundheitsressource oder Gesundheit selbst? Strukturelle und funktionale Aspekte und ein Validierungsversuch. In H. Wydler, P. Kolip & T. Abel (Hrsg.), Salutogenese und Kohärenzgefühl. Grundlagen, Empirie und Praxis eines gesundheitswissenschaftlichen Konzepts 4. Aufl. Weinheim: Juventa. Ulich, E. (2011). Arbeitspsychologie (7. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. World Health Organisation (1948). Constitution of the World Health Organization. Geneva: WHO. Zapf, D., Isic, A., Fischbach, A., & Dormann, C. (2003). Emotionsarbeit in Dienstleistungsberufen. Das Konzept und seine Implikationen für die Personal- und Organisationsentwicklung. In K. C. Hamborg & H. Holling (Hrsg.), Innovative Personal-und Organisationsentwicklung (S. 266–288). Göttingen: Hogrefe. Literatur zu Abschn. 7.2 Frankl, V. E. (2005). Der Mensch vor der Frage nach dem Sinn: Eine Auswahl aus dem Gesamtwerk. München: Piper. Jäger, R. (2007). Selbstmanagement und persönliche Arbeitstechniken (4. Aufl.). Gießen: Dr. Götz Schmidt. Seiwert, L. (2005). Das neue 1 x1 des Zeitmanagement (27. Aufl.). München: GU. Seiwert, L. (2006). Noch mehr Zeit für das Wesentliche. Kreuzlingen, München: Ariston im Heinrich Hugendubel Verlag. Seiwert, L., Wöltje, H., & Obermayr, C. (2011). Zeitmanagement mit Microsoft Office Outlook (8. Aufl.). Unterschleißheim: Microsoft Press Deutschland. Simon, W. (2007). Gabals großer Methodenkoffer. Grundlagen der Arbeitsorganisation (2. Aufl.). Offenbach: Gabal. Storch, M., & Krause, F. (2010). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell – ZRM (4. Aufl.). Bern: Huber.

237

7

238

7

Kapitel 7  •  Führung der eigenen Person

Literatur zu Abschn. 7.3 Allhoff, D.-W., & Allhoff, W. (2016). Rhetorik & Kommunikation (17. Aufl.). München: Reinhardt. Buzan, T., & Buzan, B. (2013). Das Mind-Map-Buch: die beste Methode zur Steigerung Ihres geistigen Potenzials (1. Aufl.). München: mvg. Cuddy, A. (2016). Dein Körper spricht für dich: Von innen wirken, überzeugen, ausstrahlen. München: Mosaik, Goldmann. Deutsche Erstausgabe, 1. Aufl. Eberspächer, H. (2012). Mentales Training (8. Aufl.). München: Copress Stiebner. Klebert, K., Schrader, E., & Straub, W. G. (2006). Moderations-Methode: Das Standardwerk. Bd. 3. Hamburg: Windmühle. Rohr, P. (2008). Reden wie ein Profi: Selbstsicher auftreten – im Beruf, privat, in der Öffentlichkeit. Zürich: Axel Springer Schweiz, Beobachter Buchverlag. Seifert, J. W. (2008). Visualisieren – Präsentieren – Moderieren: Der Klassiker (25. Aufl.). Offenbach: Gabal. Spies, S. (2004). Authentische Körpersprache: Ihr souveräner Auftritt im Beruf – Erfolgsstrategien eines Regisseurs (2. Aufl.). Hamburg: Hoffmann & Campe. Weidenmann, B. (2015). 100 Tipps & Tricks für Pinnwand und Flipchart (5. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz. Wetzel, J. (2011). Gold: Mental stark zur Bestleistung (2. Aufl.). Zürich: Orell Füssli. Will, H. (2013). Mini-Handbuch Vortrag und Präsentation: Für Ihren nächsten Auftritt vor Publikum (8. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz. Wittstock, S. (2015). Stimmig sprechen – Stimmig leben. Berlin: Lehmanns Media.

239

Problemlösen und Entscheiden Andres Pfister, Eric Lippmann, Claudia Beutter 8.1

Eine Kernaufgabe der Führung  –  242

8.2

Urteilen, Entscheiden, Problemlösen  –  243

8.3

Natürliche Entscheidungsprozesse – 245

8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4

Automatische/unbewusste Entscheidungsprozesse – 246 Kontrollierte/bewusste Entscheidungsprozesse – 247 Systematisches, rationales Problemlösen  –  248 Von bewussten zu unbewussten Entscheidungsprozessen und zurück  –  248

8.4

Was ist überhaupt ein Problem?  –  249

8.4.1

Einfache, komplizierte und komplexe Problemsituationen – 250

8.5

Problemlösezyklus – 254

8.5.1 1. Phase: Analyse – 256 Zwischenschritt: Vorentscheid, 8.5.2 Sofortmaßnahmen, Zeitplanung – 266 8.5.3 2. Phase: Lösungsentwicklung – 267 8.5.4 3. Phase: Entscheidungsprozess – 269 8.5.5 4. Phase: Umsetzung und Reflexion  –  272

8.6

Lösungsorientiert Probleme lösen  –  274

8.6.1

Lösungszyklus in vier Phasen  –  275

8.7

Der Problemlösezyklus in der Organisation  –  280

8.8

Problemlösung mit Hilfe von Gruppen  –  281

8.8.1 8.8.2

Einzel- oder Gruppenentscheidungen?  –  281 Problemlösung in Gruppen  –  283

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_8

8

8.9

Verantwortungsvolles Führungshandeln – 285

8.10

Strategisches Denken und Planen  –  289

8.10.1 Was ist eine Strategie  –  289 8.10.2 Strategie und Vision – 293 8.10.3 Strategieentwicklung als Problemlösungsprozess  –  295

8.11

Kreativität und Kreativitätstechniken  –  299

8.11.1 Begriff „Kreativität“ – 299 8.11.2 Parameter der Kreativität  –  301 8.11.3 Kreativitätstechniken – 308

Literatur – 322

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Auf einen Blick Entscheidungen treffen, Urteile fällen und Probleme lösen sind Kernaufgaben der Führung. Unser Gehirn ist eine Problemlösemaschine, welche durch ihre automatischen, kontrollierten und emotionalen Prozesse uns bei diesen wichtigen Aufgaben unterstützt. Als eine der wichtigsten rationalen Problemlösemethoden erweist sich der Problemlösezyklus, welcher in vier unterschiedlichen Phasen unterteilt ist. Diese sind die Analyse, die Lösungssuche (inklusive der dazugehörenden kreativen Prozesse), der Entscheid und die Umsetzung. Der Problemlösezyklus findet sich in unterschiedlichsten Stellen in einer Organisation und ist somit einer der zentralen organisationalen Führungsprozesse. Unterschiedliche Analyse und Bewertungsmethoden können darin angewendet werde. Gleichzeitig stellt sich immer die Frage, ob alleine oder als Gruppe entschieden werden soll. Letztlich muss jede Problemlösung, jedes Urteil und jede Entscheidung verantwortungsvoll gefällt und umgesetzt werden. Verantwortungsvolle Entscheide sind insbesondere bei der Entwicklung von Strategien wichtig, welche im Grunde ein Problemlöseprozess für die Organisation ist. Strategien können hierbei analytisch (Problemlösungszyklus) oder visionsgeleitet (Lösungszyklus) entwickelt werden.

..Abb. 8.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

241

8 Auf einen Blick

242

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

8.1

Eine Kernaufgabe der Führung1

Andres Pfister Problemlösen, Urteilen, ­Entscheiden sind Kernaufgaben der Führung

Jeder Mensch wird konstant mit Problemen und Herausforderungen konfrontiert, welche sich aus der dynamischen Veränderung der Umwelt ergeben. Probleme zu lösen, Urteile zu fällen und Entscheide zu treffen gehört somit zu den Kerntätigkeiten des Menschen. Betsch et al. (2011) schreiben hierzu:

» Problemlösendes Denken stellt eine der höchsten Formen

geistiger Aktivität dar, … Bis heute kennen wir keine andere Lebewesen auf diesem Planeten, die in vergleichbarer Weise ihr Leben durch planvolles Handeln und problemlösendes Denken formen und gestalten. (S. 137)

Entsprechend definieren sie Problemlösen als:

8

Definition 

Definition: Problemlösen

„Problemlösen bedeutet das Beseitigen eines Hindernisses oder das Schließen einer Lücke in einem Handlungsplan durch bewusste kognitive Aktivitäten, die das Erreichen eines beabsichtigten Zieles möglich machen sollen.“ (S. 138) 

In der Rolle einer Führungskraft gehören diese „natürlichen“ Tätigkeiten zu den Kernaufgaben innerhalb eines sozialen Systems wie beispielsweise einer Organisation. Nicht selten werden Probleme lösen, Urteilen und Entscheiden mit Führungshandeln gleichgesetzt. Dies gründet in der Ausgestaltung von Führungsrollen in allen sozialen Systemen. Führungsrollen beinhalten vermehrt im Vergleich zu anderen Rollen die Kompetenzen über ein breiteres Spektrum an Themen Entscheide treffen zu können und zu müssen. Diese Entscheide beeinflussen direkt die Mitarbeitenden. Eine Führungskraft urteilt auch über die Mitarbeitenden und ihr Handeln. Gleichzeitig lösen von Führungskräfte komplexere Probleme oft auch auf einer höheren Stufe, da aufgrund der Rolle die Führungskraft entweder die entsprechende Entscheidungsbefugnis hat, die notwendigen Ressourcen verwaltet, die wichtigen Beziehungen hat, die entsprechende Legitimation besitzt, die entsprechende Expertise hat etc. Im Zuge neuerer Organisationsansätze wie Agilität und Selbstorganisation verschiebt sich jedoch 1 Basierend, überarbeitet und ergänzt auf den Abschnitten „Systematisches Problemlösen“ und „Entscheidungen herbeiführen“ von Heinz Vetter, Sieglind Chies und Carin Mussmann und „Strategisches Denken und Planen“ von Heinz Vetter und Carin Mussmann aus Steiger, T. & Lippmann, E. (2013). Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte. Heidelberg: Springer.

8.2  •  Urteilen, Entscheiden, Problemlösen

243

8

die Entscheidungsbefugnis stärker zu den Mitarbeitenden und Teams. zz Die intuitive und rationale Problemlösemaschine

Da sowohl Probleme lösen, Urteilen und Entscheiden seit Jahrtausenden alltägliche Prozesse des Denkens sind, kann jeder Mensch auf eine Problemlösemaschine zurückgreifen, die sowohl einfache wie komplexe Probleme lösen, gute Entscheidungen treffen und hilfreiche Urteile fällen kann. Das Gehirn ist jene komplexe Problemlösemaschine. Im Verlauf der Evolution hat sich das Gehirn so entwickelt, dass einfache Probleme, Entscheidungen und Urteile möglichst energieeffizient gelöst und getroffen werden können (Kahneman 2013; Naughton 2016). Dies erfolgt durch eine Vielzahl von automatisierten Prozessen und mentalen Abkürzungen/Daumenregeln. Wir handeln intuitiv. Gleichzeitig hat der Mensch dank dem Gehirn die Fähigkeit, sehr komplexe, dynamische Probleme zu lösen, schwierige Urteile zu fällen und weitreichende Entscheidungen zu treffen. Bewusste, rationale Verarbeitung gekoppelt mit automatisierten oder halbautomatisierten Prozessen spielen dabei eine zentrale Rolle (7 Kap. 5). Sowohl bei einfachen als auch komplexen Sachverhalten sind emotionale Prozesse beteiligt. Sie helfen dabei, Urteile zu fällen und unterschiedlichste Dinge zu bewerten. Letztendlich ist unser Gehirn nicht nur eine Problemlösemaschine, sondern alle beteiligten Prozesse versuchen Entwicklungen in der Zukunft bis zu einem gewissen Grad vorherzusagen und somit die Auswirkungen von Handlungen und mögliche zukünftige Probleme zu antizipieren. Wir versuchen also, auf der Grundlage unseres Wissens und allen uns zugänglichen Informationen Vorhersagen über die Zukunft zu machen (Kahneman 2013; Naughton 2016). Problemlösen ist im Grunde jener Prozess, bei welchem wir versuchen, intuitiv als auch systematisch die Zukunft vorher zu sagen und unser Verhalten entsprechend auszurichten. 8.2

Urteilen, Entscheiden, Problemlösen

Andres Pfister

Urteilen, Entscheiden und Problemlösen sind eng miteinander verknüpft. Sie bilden zusammen das, was dem Menschen ermöglicht, in dynamischen, sich konstant verändernden Situationen und Umwelten handlungsfähig zu bleiben.

Gehirn ist die Problemlösemaschine

Bewusste, unbewusste und emotionale Prozesse spielen eine zentrale Rolle

Das Gehirn versucht die Zukunft vorher zu sagen

244

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

zz Urteilen Urteilen

Entscheiden

Betsch et al. (2011) beschreiben Urteilen als einen Denkprozess, bei welchem ein Urteilsobjekt (Mitarbeiter, Gewinn, Kundenrückmeldungen, …) ein Wert auf einer Urteilsdimension (Ziele erfüllt/ nicht erfüllt, gemäß Budget, wichtig – unwichtig, …) zugeordnet wird. Urteilen und Bewerten sind direkt mit Emotionen verknüpft, denn es ist eines der evolutionär ältesten Systeme des Problemlösens. Dinge die positive Emotionen hervorrufen sind beizubehalten, Dinge die negative Emotionen hervorrufen sind zu vermeiden. zz Entscheiden Entscheiden bezeichnet nach Betsch et al. (2011) einen Denkprozess, bei der eine Person mindestens zwischen zwei Alternativen (Optionen) wählen kann (Qualität erhöhen vs. Liefergeschwin-

digkeit erhöhen). Im Kern der meisten Entscheidungen geht es um einen Konflikt zwischen Zielen der Person (weiterhin Teil des Teams bleiben vs. nächster Schritt auf der Karriereleiter und Teamleiter werden). Da die Optionen gegeneinander abgewogen werden, ist der Prozess des Urteilens immer am Entscheidungsprozess beteiligt. Das heißt, emotionale Prozesse sind bei fast allen Entscheidungen relevant. Es gibt folglich praktisch keine Möglichkeit, etwas einmal rein sachlich, ohne Emotionen zu entscheiden.

8

zz Problemlösen Problemlösen

Problemlösefähigkeit

Entscheidungen setzten voraus, dass die nötigen Ressourcen vorhanden sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Ist der Anfangszustand, das Ziel oder der Weg dorthin nicht bekannt, dann hat man ein Problem. Problemlösen ist nach Betsch et al. daher jener Denkprozess, der sich mit der Beseitigung von Hindernissen befasst. Da wir hierbei oft mehrere Entscheidungen treffen, urteilen wir auch. Der Prozess des Lernens durch Einsicht spielt beim Problemlösen eine wichtige Rolle, da wir durch die durch Nachdenken und Analyse gewonnene Einsicht und somit die Erkenntnis für die Entwicklung von Problemlösevarianten nutzen (7 Kap. 5). zz Problemlösefähigkeit Problemlösefähigkeit, welche sowohl Entscheidungen als auch

Urteilen beinhaltet, ist eine der wesentlichen Schlüsselqualifikationen, die es ermöglichen, erfolgreich zu führen (Vetter et al. 2013). Im Führungsalltag sind Führungskräfte konstant mit Problemen unterschiedlichster Komplexität konfrontiert welche gelöst werden müssen. Führungsprobleme sind nicht selten komplexe Probleme mit einer Vielzahl an unbekannten Variablen und Dynamiken. Erschwerend kommt hinzu, dass Führungskräfte nur selten alles nötige Wissen für die Problemlösung selbst haben. Sie müssen daher mit anderen Menschen in der Problemlösung zusammenarbeiten. Gleichzeitig sind Führungskräfte immer wieder mit Problemen

8.3 • Natürliche Entscheidungsprozesse

245

8

konfrontiert, bei welchen wichtige Werte und Normen direkt tangiert sind. Vetter et al. (2013, S. 162) sagen daher nicht ohne Grund:

» Die Beherrschung einer zweckmässigen und praktischen

Systematik für die Lösung von Problemen gehört daher zum Handwerkszeug jeder Führungskraft.

zz Einflussfaktoren

Unterschiedliche Faktoren haben einen Einfluss auf das Lösen von Problemen, das fällen von Urteilen und das Treffen von Entscheiden. Die Art der angetroffenen Probleme, die an der Problemlösung beteiligten Prozesse des Gehirns, die Art Entscheide zu treffen, die verwendeten Methoden, die Notwendigkeit zusammen mit anderen in Gruppen zu entscheiden, Urteilen und Probleme zu lösen als auch die einer Person, einer Organisation oder einer Gesellschaft wichtigen Werte und Normen spielen in diesen Prozess hinein. Ob wir und wie tief wir uns bei Urteilen, Entscheiden und Problemlösen engagieren und Energie aufwenden, hängt direkt von unserer Motivation, der zur Verfügung stehenden kognitiven Kapazität und der Aufmerksamkeit ab. Diese beeinflussen stark, welche Prozesse unseres Gehirns wir für die Entscheidungsfindung und somit zur Problemlösung nutzen. 8.3

Motivation, kognitive Kapazität, Aufmerksamkeit

Natürliche Entscheidungsprozesse

Andres Pfister

Die Verarbeitungsprozesse des Gehirns dienen einerseits dazu, ein individuelles „Bild“ der Realität zu konstruieren (Konstruktivismus). Sie dienen jedoch auch dazu, Herausforderungen und Probleme die angetroffen werden möglichst effizient und effektiv zu lösen. Automatische, unbewusste Prozesse im Gehirn generieren Lösungen für Probleme und treffen zum Teil lebenswichtige Entscheidungen ohne bewusstes Zutun. Angriffs, Flucht und Tot-Stell-Reaktionen sind Auswirkungen solcher automatischen Problemlöse- und Entscheidungsprozesse. Auch Reflexe nehmen uns Entscheide ab, da eine schnelle Handlung des Körpers in jenen Situationen unabdingbar ist. Die bewussten, kontrollierten Verarbeitungsprozesse im Gehirn, welche jedoch in ihrer Kapazität begrenzt sind, erlauben es zusätzlich sehr komplexe Probleme zu lösen und sehr umfangreiche als auch schwierige Entscheide zu treffen. Lernprozesse erlauben es zudem, zuvor bewusste Entscheidungsprozesse mit der Zeit zu automatisieren.

Das Gehirn kreiert unser „Bild“ der Realität und des Problems

246

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

..Tab. 8.1  Unterschiedliche Heuristiken und Daumenregeln und ihre Verwendung

8

Grad der Automatisierung

Heuristik

Verwendung

Automatisiert und unbewusst, muss nicht erlernt werden

Stopp bei plötzlich abfallendem Boden

Schützt vor abstürzen

Abstand von Spinnen und Schlangen

Schützt vor Vergiftungen

Erlernt und vollkommen automatisiert (einmalig)

Heiße Herdplatte nicht anfassen

Schützt vor schweren Verbrennungen

Erlernt und vollkommen automatisiert (durch üben)

Blick Rückspiegel, Blick Seitenspiegel, Blinker-Setzen, Blick Rück‑/Seitenspiegel, Blick über Schulter, Spur wechseln/abbiegen

Autofahren

Erlernt, muss aber bewusst angestoßen werden

GABI, ABCD

Vorgehen für erste Hilfe

Natürliche Daumenregeln und Heuristiken schützen den Menschen grundsätzlich vor natürliche auftretenden, potenziell lebensgefährlichen Entscheidungen und Handlungen. Erlernte Heuristiken werden automatisiert und automatisch abgerufen. Hierbei gibt es solche, welche mit einmaligem Lernen sofort automatisiert werden und andere, welche durch Übung automatisiert werden. Andere Heuristiken müssen bewusst angestoßen werden und liefern automatisch die nötigen Informationen für Entscheidungen und Handlungen

8.3.1 Automatische/unbewusste

Entscheidungsprozesse

Wir nutzen Daumenregeln und mentale Abkürzungen um Probleme zu lösen und zu entscheiden

Viele Entscheide werden von unserem Körper und Gehirn getroffen, ohne unser bewusstes Zutun. Diese automatischen, unbewussten Prozesse lösen für uns dadurch eine Vielzahl an Problemen, ohne dass wir wichtige kognitive Kapazität aufwenden müssen. Reflexe beispielsweise schützen unseren Körper automatisch vor Beschädigung. Entscheide über das, was zu Mittag gegessen werden soll, werden stark vom der Präferenz als auch von Gewohnheit beeinflusst. Dabei nutzen wir eine Vielzahl an Daumenregeln (Heuristiken) und mentale Abkürzungen. Manche davon sind tief in der evolutionären Entwicklung verankert und schützen uns vor lebensbedrohlichen Situationen. Andere werden erlernt und automatisiert. Andere wiederum müsse bewusst angestoßen werden, leiten unser Problemlöse-Entscheidungs-Verhalten danach jedoch automatisch. Gigerenzer (2007) als auch Kahneman (2013) haben sich intensiv mit Heuristiken auseinandergesetzt. In . Tab.  8.1 sind verschiedene automatische und halbautomatische Entscheidungs- und Problemlöseregeln exemplarisch aufgeführt.

8.3 • Natürliche Entscheidungsprozesse

247

8

Automatisierte Problemlöse- und Entscheidungsprozesse sind ebenfalls bei der bewussten, kontrollierten Problemlösung und Entscheidungsfindung relevant, denn sie versorgen den rationalen, bewussten Prozess konstant mit wichtigen Informationen. Heuristiken und Daumenregeln können auch in der Führung genutzt werden. Einerseits können Daumenregeln erstellt werden, nach welchen Entscheide getroffen werden. Andererseits können Daumenregeln durch geschickte wiederholte Präsentation auch das Verhalten von Mitarbeitenden leiten. Beispiel

Der Vorgesetzte einer Serviceabteilung stellte immer wieder fest, dass seine Mitarbeitenden oft am Morgen wichtiges Material vergessen und dadurch regelmäßig und unnötig wieder zurück in die Zentrale kommen mussten, um das Material zu holen. Er entschied sich, eine Daumenregel zu entwickeln, mit deren Hilfe kurz kontrolliert werden konnte, ob alles am Morgen mitgenommen wurde. Diese Daumenregel wurde prominent an den wichtigsten Wegpunkten zu den Fahrzeugen platziert, sodass sie allen Mitarbeitenden sichtbar war, wenn sie zu den Fahrzeugen gingen. Die Menge an vergessenem Material reduzierte sich innerhalb einer Woche auf null.

8.3.2 Kontrollierte/bewusste

Entscheidungsprozesse

Die Prozesse der bewussten Verarbeitung von Informationen im Gehirn sind durch die Leistung des Arbeitsgedächtnisses beschränkt (7 Kap. 5, „Psychologische Grundlagen“). Um komplexe Probleme zu lösen und rationale Entscheidungen zu treffen ist es daher wichtig, die relevanten Informationen zur Verfügung zu haben und diese bewusst und systematisch zu bearbeiten. Unterschiedlichste Methoden wie Visualisierung, SWOT-Analysen, Stakeholder-Landkarten etc. helfen hierbei. Ebenso wichtig ist es, Zeit für die Verarbeitung zu haben, da diese Prozesse nur seriell arbeiten und diverse Zwischenschritte nötig sind. Das Ergebnis eines bewussten Problemlöse- und Entscheidungsprozesses hängt maßgeblich davon ab, welche Informationen über die Ausgangslage, den Zielzustand, das Problem und wichtige Kriterien zur Verfügung stehen. Entsprechend beeinflussen die Menge und Qualität dieser Informationen den endgültigen Entscheid und somit die Lösung des Problems nachhaltig.

Beispiel Daumenregel

248

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

8.3.3

Der Problemlösezyklus vereint alle wichtigen Aspekte des menschlichen Denkens zur systematischen, rationalen Problemlösung

Der Prozess des systematischen, rationalen Problemlösens und Entscheidens in Form des Problemlösezyklus vereint alle wichtigen Aspekte. Es ist daher nicht erstaunlich, dass dieser in unterschiedlicher Form an vielen Stellen im täglichen Führungsalltag auftritt. Der Problemlösezyklus selbst kann alleine oder in Gruppen durchgeführt werden. Auch Projektmanagement ist im Grunde dem Problemlösezyklus als eine rationale Problemlösestrategie (7 Kap. 16, „Projektmanagement“). 8.3.4

8

Entscheidungsprozesse können automatisiert oder teilautomatisiert werden

Beispiel Automatisierter ­Entscheidungsprozess

Unbewusste Prozesse bewusst machen schützt vor Fehler

Systematisches, rationales Problemlösen

Von bewussten zu unbewussten Entscheidungsprozessen und zurück

Lernprozesse sind ständig im Gehirn aktiv. Während wir Probleme

lösen und Entscheidungen treffen lernen wir. Je öfter bewusste, systematische Problemlöseprozesse angewendet werden, desto stärker werden diese einerseits mit Erfahrungen, Erinnerungen und wirksamen Handlungsmustern verknüpft. Diese verstärkte Verknüpfung hat zur Folge, dass mit der Zeit diese systematischen Problemlöseprozesse automatisiert werden. Dies heißt nicht, dass die systematische Problemlösung ohne bewusstes Zutun passiert, sondern, dass das Abrufen der Schritte und der dabei hilfreichen Methoden automatisiert ist. Übung und wiederholte Anwendung des Problemlösezyklus in unterschiedlichen Feldern führt folglich dazu, dass dies über die Zeit hinweg für die Führungskraft einfacher wird. Beispiel

Als junge Führungskraft ist das erste Mal, bei welchem ein Konflikt gelöst werden muss, am schwierigsten. Erfahrene Führungskräfte, welche schon viele Konflikte beigelegt haben, haben oft wichtige Teilschritte automatisiert, d. h. sie folgen automatisch einem konstruktiven Konfliktlöseprozess, welcher auf dem Problemlösezyklus basiert.

Gleichzeitig ist es ebenfalls hilfreich, wenn man den unbewussten, intuitiven Problemlöse- und Entscheidungsprozessen immer wieder bewusst wird, welche auch während der systematischen, bewussten Problemlösung und Entscheidungsfindung aktiv sind. Auch hier spielen Lernprozesse eine zentrale Rolle. Je häufiger eine Führungskraft sich den unbewusst ablaufenden Prozessen bewusst wird, desto automatisierter wird diese Bewusstmachung mit der Zeit. Informationen, die dadurch erhalten werden, können somit direkt in die rationale Problemlösung einfließen.

8.4  •  Was ist überhaupt ein Problem?

249

8

>>In allen Fällen ist es wichtig, sich immer wieder als Führungs-

kraft bewusst zu machen, auf welchen Wahrnehmungen meine Urteile basieren und welche Grundannahmen das eigene Handeln leiten. Je bewusster eine Führungskraft diese Ergebnisse von automatischen unbewussten Prozessen sich bewusst macht, desto besser gelingt ihr auch die Problemlösung. Habe ich beispielsweise meine zu bewertende Mitarbeitern nur erlebt, wenn ein Problem aufgetaucht ist, dass sie nicht selbst lösen konnte oder habe ich sie auch in erfolgreichen Situationen erlebt. In ersterem Fall wird die bewusste Beurteilung negativer Ausfallen, da die zur Beurteilung zur Verfügung stehenden Informationen einseitig sind und ein falsches Bild der Mitarbeitenden ergeben.

8.4

Was ist überhaupt ein Problem?

Andres Pfister

Umgangssprachlich wird der Problembegriff sehr unscharf verwendet. Auch subjektiv wird er sehr unterschiedlich interpretiert. Allen Definitionen gemeinsam ist, dass darin eine Diskrepanz zwischen Ausgangs- und Zielzustand beschrieben wird. Dörner, der Denken (als spezifische Kognition) dem Problemlösen gleichsetzt weil es bei beiden mentalen Prozessen um die Erreichung eines Ziels geht, definiert das Problem folgendermaßen (vgl. Dörner 1987, S. 10 f.): Definition  Unter einem Problem versteht man die Barriere zwischen einem unerwünschten, problematischen Anfangszustand (Ist-Zustand) und einem gewünschten, mehr oder weniger problemfreien Endzustand (Soll-Zustand). Und für die Überwindung der Barriere ist im Moment kein Weg bekannt. 

Ein Problem ist anders gesagt die Differenz zwischen einem Soll und einem Ist, für deren Aufhebung oder Überwindung im Moment kein Weg bekannt ist. Die Lösung des Problems besteht darin, Wege zu finden, wie wir vom unerwünschten, problematischen Anfangszustand (Ist) zum gewünschten, mehr oder weniger problemfreien Endzustand (Soll) gelangen können. Die Überwindung der Barriere oder des Hindernisses ist gleichsam die Lösung des Problems. Probleme gelten grundsätzlich als unangenehm. Von einem Problem kann aber auch dann die Rede sein, wenn die Barriere zwischen Ist und Soll besteht, die Ausgangslage aber deutlich besser war, als erwartet: So hat eine staatlich unterstützte Firma das Pro-

Diskrepanz zwischen ­ usgangs- und Endzustand A ohne das Wissen über einen Lösungsweg

Definition: Problem

250

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

blem, dass sie mehr Umsatz gemacht hat, als sie eigentlich gemäß Bundesvorgaben dürfte (… nur wird der entsprechende CEO wohl deshalb weniger schlaflose Nächte haben als im umgekehrten Fall). Ist ein Weg vom Ist zum Soll bekannt, sprechen wir nicht von einem Problem, sondern von einer Aufgabe. Jemand möchte z. B. ein Messestand muss aufgebaut werden. Ein Problem wird es dann, wenn die Person nicht weiß, ob genügend Hilfspersonal vorhanden ist und ob das Material reicht. Ob etwas ein Problem oder eine Aufgabe ist, hängt also stark vom Wissen, der Erfahrung und vom Können der Person ab, die damit konfrontiert ist. 8.4.1

8

einfache, komplizierte und komplexe Probleme

Einfache, komplizierte und komplexe Problemsituationen

In Anlehnung an Ulrich und Probst (1995, S. 61) können Probleme wie in . Abb. 8.2 dargestellt werden. Aus der Vielzahl möglicher Einteilungen von Problemen (Problemarten, s. Eck 1981) wird im Folgenden die Gliederung in die drei Problemarten vorgenommen: einfache, komplizierte und komplexe Probleme (vgl. Gomez und Probst 1999, S.  11–26). Dieser Unterscheidung liegen zwei Grunddimensionen zugrunde: die Vielzahl und Vielfalt von Einflussgrößen und die Veränderlichkeit dieser Einflussgrößen sowie deren Dynamik und Verknüpfungen untereinander.

-Wenige Einflussgrößen, die kaum miteinander verknüpft sind

Beispiel Einfache ­Problemsituationen

Zahlreiche, relativ stark miteinander verknüpfte Einflussfaktoren mit geringer Dynamik

zz Einfache Problemsituationen Diese Probleme sind durch wenige Einflussgrößen gekennzeich-

net, die gar nicht oder nur wenig miteinander verknüpft sind. Für die Lösung solcher Probleme reichen die vorhandenen Kenntnisse und die Routine aus, sie werden jeden Tag fast unbewusst bewältigt. Ein Handlungsschema zur Problemlösung ist hier nicht zwingend notwendig, oftmals reichen der gesunde Menschenverstand oder die berufliche Erfahrung aus. Beispiel

Erstmalige Planung einer Teamsitzung oder Planung der Stellvertretung während der Ferienzeit.

zz Komplizierte Problemsituationen Bei dieser Problemart sind zahlreiche verschiedene Einflussfaktoren vorhanden, die relativ stark miteinander verknüpft sind,

was ein Problem „verkompliziert“. Erleichternd ist hingegen die Tatsache, dass diese Einflussgrößen sich wenig verändern und auch untereinander nur eine geringe Dynamik aufweisen. Die Strukturen, die ein solches Problem umgeben, sind über die Zeit stabil.

251

8.4  •  Was ist überhaupt ein Problem?

Äußerst komplex e Problemsituationen

Einfache Problemsituationen

Komplizierte Problemsituationen

Veränderunge n / Dynamik

Relativ komplexe Problemsituationen

8

Vielzahl / Vielfalt ..Abb. 8.2  Problemarten: Einfache, komplizierte und komplexe Probleme. (Aus Vetter et al. 2013, nach Ulrich und Probst 1995, © by Haupt Bern, mit freundlicher Genehmigung)

Beispiel

Erstellung des Jahresbudgets, Revision einer größeren Industrieanlage, Organisation einer größeren Veranstaltung.

Beispiel Komplizierte Problemsituationen

zz Komplexe Problemsituationen

Wie bei den komplizierten Problemen sind auch bei den komplexen Problemen viele verschiedene, stark verknüpfte Einflussfaktoren vorhanden, die die Problemsituation kennzeichnen. Im Gegensatz zu Ersteren ist die Dynamik bei den komplexen Problemen höher, sowohl innerhalb der einzelnen Faktoren als auch bei den Verknüpfungen untereinander: Die Folge ist eine sich laufend verändernde Problemsituation, bei der kontinuierlich und nicht voraussagbar neue Konstellationen berücksichtigt werden müssen. Beispiel

Die Fallbearbeitung einer Führungssituation, die Leitung größerer Projekte.

--

Dörner und Schaub (1995, S. 38) nennen zusammenfassend folgende Merkmale unbestimmter und komplexer Situationen: Vielzahl von Variablen, Vernetztheit, Eigendynamik,

viele, stark verknüpfte, d ­ ynamische Einflussfaktoren; sich laufend verändernde Problemsituation

Beispiel Komplexe P ­ roblemsituationen

252

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

--

Zielvielfalt (Polytelie), Offenheit der Zielsituation und Neuartigkeit.

zz Relativ komplexe und äußerst komplexe Problemsituationen

Einer Unterscheidung von Ulrich und Probst folgend kann diese Problemart weiter eingeteilt werden in relativ komplexe und äußerst komplexe Probleme. Beide Probleme sind gekennzeichnet durch eine hohe Dynamik zwischen den Einflussgrößen. Relativ komplexe Probleme haben jedoch weniger Einflussgrößen als äußerst komplexe Probleme (. Abb. 8.2). Beispiel Relativ und äußerst komplexe Systeme

8

Beispiel

Beispiele für relativ komplexe Probleme: Umgang mit unzureichenden Leistungen eines Mitarbeiters mit persönlichen Schwierigkeiten während einer Umstrukturierung, Klärung von Problemen innerhalb eines Teams, eine Strategie entwickeln. Beispiele äußerst komplexer Probleme: Arbeitslosigkeit auf der gesellschaftlichen Ebene, Firmenfusionen, Stellenabbau, Reorganisation einer Abteilung.

Probleme in lebendigen sozialen Systemen sind immer mehr oder weniger komplex

Beispiel Einheitlichkeit, Qualität, Verantwortung

Die genaue Zuordnung von Problemen zu den einzelnen Problemarten ist nicht immer möglich, zumal es – ganz im konstruktivistischen Sinn – eine, für alle Beteiligte gültige Wahrnehmung nicht gibt. Auf der subjektiven  Ebene spielen die individuelle Problemlösungsfähigkeit, der Erfahrungshintergrund und die aktuelle Situation der beteiligten Personen sowie der Kontext, in dem das Problem angesiedelt ist, eine wichtige Rolle. Probleme in lebendigen sozialen Systemen sind immer mehr oder weniger komplex. Manche Probleme sind in der Natur von Organisationen begründet. Es existieren natürliche Spannungsfelder, welche nicht aufgelöst werden können und daher immer eine mehr oder weniger komplexe Problemstellung vorgeben. Beispiel

Die Produktion verlangt nach Einheitlichkeit vs. Der Verkauf möchte möglichst individuelle Produkte verkaufen. Qualität eines Projektes, Produktes etc. vs. die Geschwindigkeit mit der dieses fertiggestellt wird. Verantwortung gegenüber Einzelpersonen vs. Verantwortung gegenüber dem Team, der Organisation.

253

8.4  •  Was ist überhaupt ein Problem?

8

..Tab. 8.2  Gegenüberstellung einfache und komplexe Problemsituationen. (Aus Vetter et al. 2013; nach Ulrich und Probst 1995, © by Haupt Bern, mit freundlicher Genehmigung) Einfache Situation

Komplexe Situation

Charakteristika

– Wenige, gleichartige Elemente – Geringe Vernetztheit – Wenig Verhaltensmöglichkeiten der Elemente – Determinierte, stabile Wirkungsverläufe

– Viele verschiedene Elemente – Starke Vernetztheit – Viele verschiedene Verhaltensmöglichkeiten – Viele veränderliche Wirkungsverläufe

Erfassbarkeit

– Vollständig analysierbar – Quantifizierbar – Verhalten prognostizierbar = Analytisch erklärbar = Sicherheit erreichbar

– – – – –

Geeigneter Modellierungsansatz

– Vorbild: „Maschine“ – Systemtyp: triviales System

– Vorbild: „Ökosystem“ – Systemtyp: nichttriviales System

Geeignete Denkweise

– Kausalanalytische Denkweise

– Ganzheitliches Denken

Geeignete Problemlösemethoden

– „Exakte, quantitative Methoden“ – Algorithmen

– „Inexakte, qualitative Methoden“ – Heuristiken

Faktische Beeinflussbarkeit

– Konstruierbar – Beherrschbar mit „Restrisiko“

– Beschränkt gestaltbar – Beschränkt lenkbar „kultivierbar“

Beschränkt analysierbar Beschränkt quantifizierbar Verhaltensmuster erkennbar Synthetisch verstehbar Unsicherheit reduzierbar

Häufig werden komplexe Probleme durch Vereinfachungen auch als einfache behandelt. Gegen Vereinfachungen ist grundsätzlich nichts einzuwenden: Der in diesem Kapitel vorgestellte Problemlösungszyklus ist zwar für komplexe Probleme die empfohlene Methode, doch auch hier ist es bei bestimmten Schritten wichtig, die Komplexität bewusst zu reduzieren und einen Fokus bei der Problemlösung zu setzen. Es gibt eine Grenze der Vereinfachung, deren Unterschreitung zu unzulänglichen oder falschen Schlüssen führt. Hier sei an eine Aussage von Albert Einstein erinnert:

» Ein Problem soll immer so einfach wie möglich gesehen

werden, aber nicht einfacher! (Gomez & Probst 1999, S. 18)

Das Phänomen der Vereinfachung zeigt sich oft als Schwarz-WeißMalerei, was häufig in gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen anzutreffen ist. Eine Gegenüberstellung weiterer Merkmale einfacher und komplexer Situationen zeigt, worin ihre Unterschiede liegen (. Tab. 8.2). zz Komplexität im mittleren und unteren Management

Nicht nur das obere, sondern auch das mittlere und das untere Management, als auch selbstorganisierte oder agile Teams sind in ihrer Führungspraxis zunehmend mit Komplexität konfrontiert. Wir leben

Mittleres und unteres Management sind in der Führungspraxis zunehmend mit Komplexität konfrontiert

254

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

heute sowohl im gesellschaftlichen wie auch im wirtschaftlichen Bereich in einer Zeit grundlegenden Wandels. In Organisationen finden strategische, strukturelle und kulturelle Neuausrichtungen fast alltäglich statt. Das untere und mittlere Management sind vor allem in den Umsetzungsprozess solcher Veränderungen involviert, manchmal auch bei der Entwicklung. Gleichzeitig wird immer häufiger verlangt, dass auch die unteren Führungsebenen unternehmerisches Denken und Handeln zeigen. Neue Führungskonzepte wie demokratische Führung oder agile Teams setzten eine hohe Problemlösekompetenz bei allen Beteiligten voraus. Folgende Beispiele sind für viele Führungskräfte auf allen Stufen heute alltäglich. Beispiel Komplexität

Beispiel

Reorganisationsprojekte, Entwicklung von Bereichsstrategien, Umsetzung von technologischem Wandel (Arbeitsorganisation), Bildung und Entwicklung neuer Teams, Veränderungen in Gruppen usw. Auch Führung von Mitarbeitenden ist durch veränderte Ansprüche schwieriger geworden. Ferner wirken sich hoher Leistungsdruck und die Forderung nach Verhaltensveränderungen (z. B. in Richtung mehr Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Qualitätsbewusstsein, Effizienz) stark auf Probleme aus.

8

Wie schon anfangs erwähnt, ist das Gehirn jedes Menschen jedoch eine hervorragende Problemlösemaschine, welche fähig ist, alleine oder zusammen mit anderen Problemen unterschiedlichster Komplexität einer Lösung zuzuführen. Hierbei spielen die grundlegenden Verarbeitungsprozesse des Gehirns eine ausschlaggebende Rolle. 8.5 Problemlösezyklus Andres Pfister Problemlösezyklus als rationale Problem­ lösemethode

Einsichten und Ergebnisse bilden die Grundlage für weitere Phasen, Kreis- oder spiralförmiger Prozess, Fragen haben im Problemlöseprozess eine entscheidende Bedeutung

Es leuchtet ein, dass es eine universelle Problemlösungsmethodik nicht geben kann. Ein Großteil der Problemlösungsmethoden wurde für technische Systeme und Probleme entwickelt. Sie unterscheiden sich in erster Linie durch ihren Detaillierungsgrad (Anzahl der Vorgehensschritte) und die Abfolge der Vorgehensschritte. Es sind Methoden, die sich – trotz ihrer Herkunft – durchaus auf soziale Systeme übertragen lassen. Vorgestellt wird eine Problemlösungsmethode, die sich für komplizierte wie auch relativ komplexe Probleme eignet. Sie ist nicht zu detailliert, aber auch nicht zu simpel. . Abb. 8.3 stellt den Problemlösungszyklus dar, der in vier Phasen mit insgesamt neun Schritten unterteilt ist. Zusätzlich existiert noch ein Zwischenschritt, welcher aber nur ausgeführt werden sollte, wenn

8

255

8.5 • Problemlösezyklus

1. Analyse Zwischenschritt Vorentscheid

Situationsanalyse

Sofortmassnahmen Problembenennung

Zeitplanung

Zielformulierung

4. Umsetzung und Reflexion

Planung von Massnahmen und Realisierung

Kontrolle und Evaluation

2. Lösungsentwicklung

Problem-lösungszyklus

Klärung des Lösungsspielraums

3. Entscheidungsprozess

Bewertung der Lösungsalternativen

Entscheidung

..Abb. 8.3  Problemlösezyklus, zirkuläre Darstellung. (Aus Vetter et al. 2013)

dieser nötig ist. Der Ablauf ist stark strukturiert. Gerade dieses Vorgehensschema leitet dazu an, eine Situation strukturiert zu betrachten, die Gedanken sozusagen zu „disziplinieren“ … auch in Situationen, in denen durch die Betroffenheit der Überblick verloren ging. Problemlöseprozesse sind selten linear, auch wenn die Abfolge der Phasen dies suggerieren kann. Einsichten und Ergebnisse, die aus einer Phase resultieren, bilden eine wichtige Grundlage für die weiteren Phasen. Der Ablauf eines Problemlösungsprozesses sollte als kreis- oder spiralförmiger Prozess verstanden werden. Das heißt, dass es von jeder Phase und von jedem der darin enthaltenden einzelnen Schritte aus möglich und manchmal zwingend ist, zu einer vorherigen Phase oder einem vorherigen Schritt zurückzugehen, und zwar solange, bis eine befriedigende Klärung oder Lösung gefunden wird. Es kann vorkommen, dass beim Versuch, Ziele zu formulieren, festgestellt wird,

Entwicklung von alternativen Lösungen

256

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

dass die Situation noch nicht genügend klar ist und gewisse Fragen neu oder nochmals gestellt werden müssen. Die Beschäftigung mit einzelnen Phasen und Schritten kann Folgerungen hervorbringen, die ein erneutes Betrachten und Hinterfragen der bisher zusammengetragenen Erkenntnisse zwingend macht. Solche Reflexionen weisen auf Lernprozesse hin, die während eines solchen Problemlösungszyklus stattfinden, was durchaus ein Hinweis auf eine qualitativ wertvolle Auseinandersetzung mit dem Probleminhalt sein kann. Tauchen neue Fragen auf, gilt es, diese entsprechend zu würdigen, denn die Frage hat im Problemlöseprozess eine entscheidende Bedeutung: In einer gewissen Weise lässt sich sagen, dass die Kunst des Problemlösens darin besteht, immer wieder mit neuen Fragen an das Problem bzw. seine Teilaspekte heranzugehen. Je konstruktiver, kreativer die Fragen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Antworten ebenfalls schlüssig, weiterführend, kreativ sind (Eck 1981, S. 42). Gleichzeitig vereint der Problemlösezyklus die Stärken der zur Verfügung stehenden Denkprozesse im Gehirn. In unterschiedlichsten Phasen der Problemlösung werden sowohl die bewussten als auch automatischen Verarbeitungsprozesse verwendet. Emotionale Bewertungsprozesse spielen in mehreren Phasen und Schritten eine wichtige Rolle.

8

Blick auf die momentane Ausgangssituation, der Mensch neigt dazu, sogleich Lösungen zu suchen 1. Analyse

Situationsanalyse

Problembenennung

Zielformulierung

..Abb. 8.4  Analyse. (Aus Vetter et al. 2013)

8.5.1 1.   Phase:

Analyse

Der wichtigste Aspekt der ersten Phase besteht darin, ein möglichst adäquates Bild der Ausgangssituation als auch des Zielzustandes zu entwickeln (. Abb. 8.4). Erst wenn dies geschehen ist, lassen sich die tatsächlich vorhandenen Probleme benennen, welche in den späteren Phasen gelöst werden können. Die Herausforderung besteht darin, nicht bereits in Lösungskategorien zu denken, sondern vorher den Gegenstand des Problems zu analysieren (Vetter et al. 2013). Dies ist leichter gesagt als getan, liegt es doch „in der Natur des Menschen“, sich sogleich mit Lösungsideen zu beschäftigen. Kahneman (2013), Naughton (2016) als auch Betsch et al. (2011) schreiben dies der Grundfunktion des Gehirns zu. Diese liegt in der automatischen Lösung von Problemen, basierend auf allen zur Verfügung stehenden automatischen, unbewussten Verarbeitungsprozessen. Oft wird dadurch die angetroffene Situation anhand weniger Details bewertet. Eine Gefahr besteht darin, dass Lösungsideen simplifiziert sind. Sich Zeit für die Analyse zu nehmen, ist gerade für Führungskräfte besonders herausfordernd, da sie die eigene Führungsqualität oder diejenige anderer oftmals am Tempo der Lösungsfindung messen. Gute Führung misst sich aber in effektiven und somit wirksamen Lösungen. Diese benötigen jedoch eine gute Analyse.

8.5 • Problemlösezyklus

257

8

Schritt 1: Situationsanalyse

Ausgangspunkt einer Problemsituation ist die Wahrnehmung eines Problems. Probleme teilen sich in einer ersten Problembenennung meist diffus emotional durch somatische Marker mit. Es „stimmt“ etwas nicht. Solche Ausdrucksweisen zeigen, dass wir Probleme oft zuerst emotional wahrnehmen. Damit ein Problemlösungsprozess überhaupt in Gang kommt, braucht es also ein gewisses Problembewusstsein und den Willen, etwas ändern zu wollen. Beispiel

Wahrnehmung ist zentral für das Erkennen eines Problems

Beispiel Ausgangssituation

Ausgangssituation: In einer Abteilung herrscht eine schlechte Arbeitsstimmung: Einzelne Personen äußern Unzufriedenheit über die Zusammenarbeit, zwei Personen haben unerwartet gekündigt, die jährliche Mitarbeiterumfrage war dieses Jahr kritischer als im Vorjahr. Zudem ist die Arbeitsleistung in den letzten Monaten gesunken. Bekannt ist auch, dass in der Geschäftsleitung Unstimmigkeit in strategischen Fragen herrscht. Für den Abteilungsleiter, der nicht Mitglied der Geschäftsleitung ist, wird bald klar, dass sich etwas ändern, verbessern muss.

Die Situationsanalyse legt den Fokus auf den Ist-Zustand: Dabei geht es um die Unterscheidung zwischen Fakten und Vermutungen. Eine in ein Problem verstrickte Person sieht oftmals „vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr“. Ihr Leidensdruck ist geprägt durch objektive, sachliche Begebenheiten, die auch andere Betrachter so sehen würden, aber auch durch individuelle Wahrnehmungen, die der Interpretationen des Ist-Zustandes eine persönliche Note geben. Somit leiten bei der Situationsanalyse schon bewusste/kontrollierte (objektive Sachlage), unbewusste/automatische (Hypothesen über Gründe, Irritationen, …) als auch emotionale Prozesse (schlechtes Gefühl) einen zentralen Beitrag zur Analyse des IstZustandes. Die Aufteilung in die Kategorien „Fakten“ und „Vermutungen“ soll insbesondere diese beiden unterschiedlichen Perspektiven (bewusst und unbewusst) sichtbarer machen. Vermutungen dürfen – neben dem Sammeln von Fakten – auch angestellt werden, wenn es darum geht, den Blickwinkel weiterer Parteien einzubeziehen: Wie sehen der Vorgesetzte, die Mitarbeiterin, der Kunde, Außenstehende usw. die Problemsituation? Vermutungen und Hypothesen werden in der Regel sehr schnell gebildet und sind das bewusste Ergebnis von unbewussten Verarbeitungsprozessen im Gehirn, welche die eingehenden Informationen mit schon bestehendem Wissen automatisch verknüpfen und in einen Sinnzusammenhang bringen.

Ist-Zustand: Unterscheidung zwischen Fakten und Vermutungen

258

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Beispiel Fakten, Fragen und Vermutungen

Beispiel

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Fakten: Zwei Personen haben gekündigt. Die jährliche Mitarbeiterumfrage war dieses Jahr kritischer als im Vorjahr. Die Arbeitsleistung ist in den letzten Monaten gesunken. In der Geschäftsleitung besteht Unstimmigkeit.

Fragen und Vermutungen: Die unerwarteten Kündigungen weisen auf ein Problem in der Abteilung hin: Gibt es Konflikte im Team? Die Probleme in der Geschäftsleitung (schlechte Stimmung, fehlende Strategie) werfen ihren Schatten auf die einzelnen Abteilungen.

8

Problembündel bilden, priorisieren und untereinander abgrenzen ordnen und priorisieren

Unterscheidung von zentralen und peripheren Problemen

Beispiel Problembündel

Eine weitere zentrale Frage ist, was zur Problemsituation gehört und was nicht. Wahrgenommene „Probleme“ hängen oft mit anderen Problemen zusammen, die durchaus mit anderen Organisationseinheiten verknüpft sein können. Und dennoch kann nicht bei jedem Problem die ganze Organisation miteinbezogen werden. Nicht alle „Probleme“ können gleichzeitig gelöst werden, obwohl sie meist irgendwie zusammenhängen. Problembündel müssen geordnet und priorisiert werden. Es gilt, einen Fokus für das Problem festzulegen. Dies ist ein erster bewusster Entscheidungs- und Urteilsprozess. Zum Beispiel kann eine Gewichtung der „Probleme“ durch die Unterscheidung von Zentralproblemen und peripheren Problemen erreicht werden. Wenn es gelingt, die Zentralprobleme einer Problemsituation zu finden, ist das ein großer Vorteil. Der Schwerpunkt der Lösung kann dann auf diesen Fokus gelegt werden. Beispiel

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Problembündel: Probleme in der Geschäftsleitung. Die Zusammenarbeit und die Stimmung im Team sowie die Arbeitsleistung sind schlechter geworden. Der Abteilungsleiter beschließt, das zweite Problembündel als Zentralproblem zu bezeichnen.

Symptom vs. tiefer liegende Ursache?

Nun geht es darum, für die Zentralprobleme die relevanten Einflussfaktoren festzustellen und sie miteinander in Beziehung zu setzen. Wie beeinflussen sich die Faktoren gegenseitig? Dabei ist zu beachten, dass das zu Beginn genannte „Problem“ möglicherweise

8.5 • Problemlösezyklus

nur ein Symptom für eine tiefer liegende Ursache sein kann. Eine andere Möglichkeit, die „Probleme“ innerhalb eines Problembündels zu gewichten, besteht in der Klassifizierung nach Wichtigkeit. Auch wenn es in der Situationsanalyse darum geht, sich ein möglichst umfassendes Bild der Problemsituation zu verschaffen, ist es eine Tatsache, dass die Information über das Problem nie vollständig sein kann und auch nicht vollständig sein muss. Es geht darum, sich für einen Fokus im Rahmen der gegenwärtigen Situation zu entscheiden und die Komplexität so zu reduzieren, dass ein erstes „Feld der Bearbeitung“ identifiziert werden kann. Hilfreich ist es in jedem Fall, wenn man versucht die Ausgangslage in irgendeiner Form zu visualisieren. Hierbei kann man beispielsweise ein Bild der Ausgangssituation zeichnen, eine Mindmap anfertigen, mit Metaplanwänden und Pinkarten arbeiten, oder die soziale Situation mit Hilfe von Stakeholderlandkarten bewusst machen. Fragen zur Situationsanalyse

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Allgemein Worum geht es? Was ist wann, wo und wie aufgetreten? Wie ist das „Problem“ entstanden? Wie hat sich das Problem bis jetzt ausgewirkt?

Fakten, Vermutungen Was sind objektive Fakten und subjektive Vermutungen? Wie könnten andere Beteilige diese Situation beurteilen? Welcher Nutzen ist für wen bei einer möglichen Lösung zu erwarten? Wer ist wofür verantwortlich? Problembündel Womit hängt das „Problem“ zusammen? Lassen sich Problembündel erkennen? Welche neuen Probleme könnten auftauchen, wenn das „Problem“ gelöst wird? Unter welchen Bedingungen zeigt sich das „Problem“, unter welchen nicht? Was ist das Zentral- und das Peripherproblem? Weiterführende Fragen Welche Maßnahmen sind schon ergriffen worden, um das „Problem“ zu lösen? Was geschieht, wenn nichts geschieht? Wie kann sich das „Problem“ weiterentwickeln? Welche Ressourcen sind verfügbar (Informationen, Strukturen, Systeme, Personal)?

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8

Klassifizierung nach Wichtigkeit und Dringlichkeit, erstes „Feld der Bearbeitung“ fokussieren

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Analyse anhand von fünf Faktoren fünf Faktoren helfen bei der Problemanalyse

Um eine Ausgangssituation in möglichst vielen Facetten anschauen zu können, ist es auch hilfreich, wenn man unterschiedliche Einflussfaktoren in der Situation gesondert betrachtet. Als hilfreich haben sich folgende fünf Faktoren erwiesen (Seiler und Pfister 2009): 1.) Ich, 2.) andere direkt beteiligte Personen, 3.) die Organisation, 4.) das Umfeld/der Kontext, 5.) die spezifische Situation. Folgende Fragen sind für die Analyse hilfreich: Was ist mein Einfluss? Was habe ich getan/gedacht? Wie nehme ich den Ist-Zustand war? Wer sind die beteiligten Personen? Was haben diese getan, mit welchen Auswirkungen? Welche Gruppenprozesse nehme ich evtl. wahr? Welche Interessen verfolge ich? Welche Interessen verfolgen sie? Was ist der Beitrag der Organisation? Welche Stellen sind involviert? Welche Prozesse sind tangiert? Was ist das Organisationsziel und die Strategie? Welche organisationskulturellen Werte und Normen werden tangiert? Welche Interessen verfolgen sie? Welchen Einfluss hat der Kontext? Gibt es Organisationen, Gruppierungen außerhalb der Organisation die wichtig sind? Was haben diese bisher getan? Wie entwickelt sich das Umfeld? Welches sind wichtige Dinge des Umfelds, welche berücksichtigt werden müssen (gesetzt, Kultur, Jahreszeit, …) Welches sind Aspekte der Situation, die wichtig sind (Zeitdruck, Unklarheit, Gefahr, …)? Was ist jetzt konkret in der Situation passiert? Welche Auswirkungen hat dies? Was ist der Einfluss der Situation und was der Person auf das Handeln der unterschiedlichen Akteure?

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8

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Schritt 2: Zielformulierung Analyse des Soll-Zustandes

Nachdem es bei der Situationsanalyse darum geht, sich intensiv mit dem Ist-Zustand auseinanderzusetzen, bietet die Betrachtung des Soll-Zustandes die Gelegenheit, Abstand zum Problem zu gewinnen. Es geht darum, klare Zielformulierungen zu finden.

Visualisierung Um diese Ziele zu finden und zu definieren, ist es hilfreich, wenn man sich den Zielzustand in irgendeiner Form visualisiert. Dies ermöglicht es dem Gehirn ein konkretes Bild dieses beabsichtigten Zustandes zu konstruieren und daraus konkrete Aspekte als auch Handlungen abzuleiten. Bei der Visualisierung des Ziels sind alle wichtigen Verarbeitungsprozesse des Gehirns beteiligt. Insbesondere die unbewussten/automatischen Prozesse arbeiten meist schon länger an einer Lösung bzw. haben schon einen erstrebenswerten Zielzustand konstruiert, welcher jedoch noch nicht bewusst ist. Visualisierungs- und Coachingmethoden helfen

261

8.5 • Problemlösezyklus

8

dabei, diese unbewusste Information bewusst zur Verfügung zu stellen. Um den Zielzustand zu visualisieren, haben sich unter anderem folgende Methoden bewährt: Visualisierung durch malen eines Bildes des Zielzustandes (Organigramm, Ablaufprozesse, Netzwerke, …) sowie unterschiedliche Coachingmethoden wie Wunderfrage, Aufstellungen, Zeitsprung, …

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Beispiel Wunderfrage

Beispiel

Wunderfrage Angenommen, Sie gehen am Freitagabend in Ihr wohlverdientes Wochenende. Während diesem Wochenende passiert unerwartet ein Wunder und alles in der Organisation/Ihrem Team/in der Beziehung mit … verändert sich so, dass es ideal ist. Am kommenden Montag kommen Sie wieder ins Büro. Jedoch haben Sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht mitbekommen, dass ein Wunder geschehen ist. Woran erkennen Sie konkret, dass das Wunder passiert ist? Was tun Sie? Was tun die anderen? Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Was wird wann von wem wie angesprochen?

Annäherungsziele statt Vermeidungsziele

Ziele sind Aussagen darüber, was erreicht bzw. vermieden werden soll. Oft fällt es uns leichter zu formulieren, was wir nicht wollen, als das, was wir wollen (z. B. Arbeitslosigkeit, schlechtes Betriebsklima usw.). In diesem Fall sprechen wir von Vermeidungszielen. Motivierender und konstruktiver ist es, Annäherungsziele zu formulieren. Sie beinhalten möglichst konkrete Aussagen über Anzustrebendes im Sinne eines positiven Ergebnisses oder Endzustandes und beschreiben einen erreichten Endzustand. Beim Fallbeispiel dieses Kapitels würden die beiden Zielarten folgendermaßen lauten: Vermeidungsziel Ich möchte mich nicht mehr über die schlechte Kooperation in meinem Team ärgern

Annäherungsziel Ich habe mit meinem Team eine funktionierende Kooperation entwickelt

Im eigenen Handlungsspielraum bleiben Ein Ziel können wir dann erreichen, wenn es aus der eigenen Perspektive formuliert wird und unter der eigenen Kontrolle steht. Greifen wir auf die zwei Problembündel des Fallbeispiels zurück, die in der Situationsanalyse gebildet wurden und nehmen wir die

Annäherungsziele motivieren

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Perspektive des Abteilungsleiters ein, so ist anzunehmen, dass er auf die Bereiche unterschiedlichen Einfluss hat. Problembündel Probleme in der Geschäftsleitung Die Zusammenarbeit und die Stimmung im Team sowie die Arbeitsleistung sind schlechter geworden

Bezug zum Handlungsspielraum des Abteilungsleiters Der Abteilungsleiter ist kein Mitglied der Geschäftsleitung. Sein Einfluss ist gering Für eine gute Zusammenarbeit im Team sind sowohl die Mitarbeiter als auch der Abteilungsleiter verantwortlich. Dieser Bereich liegt also klar in seinem Handlungsspielraum

Unterscheidung von Muss- und Wunschzielen Unterscheidung in Muss- und Wunschziele

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In komplexen Problemsituationen kann oft nicht nur ein Ziel angestrebt werden. Ziele sind meistens miteinander vernetzt, wodurch sich häufig Zielkonflikte bzw. Widersprüchlichkeiten ergeben. Diese gilt es zu erkennen und wenn möglich zu beseitigen. Wichtig ist es, Prioritäten zu setzen, darin resultiert die Reduktion der Komplexität. Jungermann et al. (2005, S. 106 ff.) sprechen von fundamentalen Zielen, die sie als die eigentlichen Ziele bezeichnen (also nicht die Folgeziele sondern die eigentlichen Ziele). Sie weisen aber auch darauf hin, wie schwierig es ist, den „hierarchischen Strukturen“ der Ziele gerecht zu werden, v. a. dann, wenn Stress und andere Emotionen unsere Auswahl der Ziele prägen. Es ist in der Folge sinnvoll und zweckmäßig, Ziele in Muss- und Wunschziele zu unterscheiden. Mussziele sind Ziele, die unbedingt erfüllt sein müssen, damit die Lösung akzeptabel ist. Alle anderen Ziele gehen in die Kategorie Wunschziele.

Zielformulierungen sollen lösungsneutral sein Zielformulierungen definieren das „Was“, lassen aber das „Wie“ offen

Beschrieben werden soll ein Endzustand bzw. eine Wirkung, der bzw. die durch die noch unbekannte Lösung hervorgebracht werden soll. Zielformulierungen sollen keine Maßnahmen enthalten. Sie sollen das „Was“ definieren und das „Wie“ offenlassen. In der Praxis werden Lösungen bzw. Maßnahmen als Ziele formuliert. Dies ist zu vermeiden, da es den Lösungsspielraum in unzulässiger Weise einengt. Lösungsneutrale Zielformulierung Ich habe mit meinem Team eine funktionierende Kooperation entwickelt

Ziel formuliert Nach einer Teamentwicklungsmaßnahme durch die Beratungsfirma xy habe ich mit meinem Team eine funktionierende Kooperation entwickelt

Kriterien für Zielformulierungen Zielformulierung nach SMART

Die Zielformulierung nach SMART (ein Akronym für spezifisch, messbar, aktiv beeinflussbar, realistisch und terminiert) fasst einige

8.5 • Problemlösezyklus

der bereits oben genannten Aspekte zusammen und ergänzt diese durch weitere relevante Kriterien. Ein gutes, im Problemlösungszyklus geeignetes Ziel zeichnet sich dadurch aus, dass es möglichst konkrete Aussagen über Anzustrebendes im Sinne eines positiven Endzustandes beinhaltet. Entscheidend ist das Vorhandensein von Kriterien, aufgrund derer entschieden werden kann, ob das Ziel erreicht worden ist oder nicht. Diese Kriterien lassen sich für komplexe Zielsituationen relativ gut aus der Visualisierung des Zielzustandes ableiten. Ein Ziel zu operationalisieren heißt also, es so zu formulieren, dass es überprüfbar ist. Aber woran sehen oder merken wir, dass das Ziel erreicht ist? Relativ einfach ist dies, wenn ein Ziel quantifiziert werden kann (z. B. Ertragssteigerung um 3 %). Viel schwieriger ist es bei qualitativen Zielen. Hier gilt es festzuhalten, anhand welcher Indikatoren wir sehen, ob das Ziel erreicht wurde ist. Dies ist nicht immer messbar, sondern oft „nur“ beobachtbar. Dann gilt es, ein Ziel zu verwenden, das aus der Perspektive der Person formuliert wird, die ein Problem lösen will. Nur realisierbare Ziele sind sinnvolle Ziele. Die Erkenntnis bzw. Ernüchterung über die Erreichbarkeit eines Ziels erfolgt manchmal erst in der Auseinandersetzung mit dem Problem während der Arbeit mit dem Problemlösungszyklus. Was bedeuten nun diese SMART-Kriterien für unseren Abteilungsleiter? Wie überprüft unser Abteilungsleiter sein Ziel („Ich führe ein Team, das gut kooperiert“) mit den SMART-Kriterien? Spezifisch-konkret Dem Abteilungsleiter ist das Ziel konkret genug. Messbar (oder einDer Abteilungsleiter merkt, dass er über keine deutig beobachtbare messbaren Beobachtungskriterien verfügt. Verhaltensweisen) Er kann jedoch folgende Verhaltensweisen beobachten: – Teammitglieder hören einander besser zu, kommunizieren in wertschätzender Weise miteinander – Vereinbarte Gesprächsregeln werden eingehalten – Wenn ein Mitarbeiter unter großem Arbeitsdruck steht, entlasten ihn die anderen – Die jährliche Mitarbeiterumfrage zeigt bei der Frage „Kooperation im Team“ bessere Resultate Aktiv beeinflussbar Der Abteilungsleiter kann zur Erreichung des Ziels einen aktiven Beitrag leisten Realistisch Der Abteilungsleiter hält sein Ziel für recht anspruchsvoll, aber für durchaus erreichbar

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8

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Wie überprüft unser Abteilungsleiter sein Ziel („Ich führe ein Team, das gut kooperiert“) mit den SMART-Kriterien? Terminiert Der Abteilungsleiter muss diesen Aspekt ergänzen. Es ist Spätsommer. Er formuliert für sich das Ziel neu „Ich habe mit meinem Team bis Ende Dezember eine funktionierende Kooperation entwickelt.“

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Fragen zur Zielformulierung

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Sind Annäherungsziele statt Vermeidungsziele formuliert? Sind Muss- und Wunschziele unterschieden? Werden unterschiedliche Ziele priorisiert? Sind die Zielformulierungen lösungsneutral? Sind die Ziele SMART formuliert? Welche positiven bzw. negativen Zielauswirkungen sind zu erwarten? Welche Zielkonflikte bzw. Widersprüchlichkeiten liegen vor bzw. könnten auftreten?

Die Festlegung der Kriterien für die Zielbewertung ist von großer Wichtigkeit für den Problemlöseprozess. Aufgrund dieser Kriterien erfolgen später die Bewertung der unterschiedlichen Lösungsvarianten und auch die Bewertung der umgesetzten Lösung.

Schritt 3: Problembenennung primäre und sekundäre Problembenennung

analysierter Ist-Zustand weicht vom formulierten Soll-Zustand ab

Es ist denkbar, dass sich durch die Situationsanalyse und die Zielformulierung eine neue Benennung des Problems ergeben hat, die wir als sekundäre Problembenennung bezeichnen. Die Überprüfung durch die Problembenennung kann ergeben, dass der Ist- oder der Soll-Zustand unzulänglich beschrieben sind. Dies bedeutet, dass nochmals zu diesen Schritten zurückgegangen werden sollte. Erst mit der Zielformulierung kristallisiert sich oftmals das eigentliche Problem heraus, nämlich die Abweichung des analysierten Ist-Zustandes vom präzise formulierten Soll-Zustand. Diese Abweichung ist das eigentliche Problem. Die Lösung des Problems besteht darin, diese Abweichung aufzuheben oder zu reduzieren. Wenn es gelingt, jetzt das Problem kurz und prägnant zu definieren, ist die Lösungssuche meistens relativ einfach.

Konstruktivistische Betrachtungsweise Identifikation des Problems ist schwieriger als die Problemlösung

Sollte sich nun der Eindruck ergeben, dass die Benennung des Problems sozusagen mathematisch erfolgt und dadurch sachlich und objektiv ist, so würde dies auf einen Trugschluss hinweisen. Gomez und Probst (1999, S. 37) sind der Ansicht, dass die Identifikation des Problems oftmals bedeutend schwieriger ist als die Problemlösung selbst.

8.5 • Problemlösezyklus

Der konstruktivistischen (bzw. systemischen) Betrachtungsweise (vgl. Gomez und Probst 1999, S. 40 ff.) zufolge gibt es eine eindeutige, für alle allgemeingültige Wahrheit nicht, genauso wenig gibt es die für alle richtige Problembenennung. So betrachten Problemlösende eine schwierige Situation, und überhaupt die Welt, aus ihrer eigenen Perspektive. Diese ist geprägt durch unsere Erfahrung, Ausbildung und Vorgeschichte, als auch durch die zugrunde liegenden Verarbeitungsprozesse im Gehirn. Wir können gar nicht anders, als die Welt durch jeweils eine bestimmte Brille zu sehen. Wir können probieren, verschiedene Brillen anzulegen, indem wir uns in die Standpunkte verschiedener Beteiligter und Betroffener versetzen. Dadurch entsteht eine ganzheitlichere Betrachtungsweise, wobei der gemeinsame Nenner der verschiedenen Standpunkte unterschiedlich groß sein kann, was die Komplexität erhöht. Die problemlösende Person hat nun – nebst den Erkenntnissen aus der Situationsanalyse – mehr Informationen und muss sich entscheiden, an welchem Problem sie sich hauptsächlich orientieren soll, wobei der eigene Handlungsspielraum nach wie vor ein wichtiges Kriterium ist. Das Problem wird eingegrenzt und die Komplexität damit reduziert. Dabei gilt es auszuhalten, dass nicht alle anderen, „brennenden“ Probleme gleichzeitig gelöst werden können. Die Problembenennung sollte – wie die Zielformulierung – einfach, präzise, motivierend, vom Positiven ausgehend, nicht unnötigerweise einengend formuliert sein. Die klare Benennung des Problems ist das Tor zur Lösung! Beispiel

So benennt unser Abteilungsleiter sein Problem – nachdem er verschiedene Standpunkte eingenommen oder erfragt hat und das Problemfeld gemäß seinem Handlungsspielraum wieder eingegrenzt hat – folgendermaßen: „Mein Team braucht eine klarere Führung und mehr Sicherheit durch mich.“

-

Fragen zur Problembenennung Worin besteht das eigentliche Hindernis zwischen Ist und Soll? Kommt dies in der Problembenennung genügend zum Ausdruck? Wie benennen andere Beteiligte, Betroffene, Außenstehende das Problem? Habe ich die Problembenennung klar abgegrenzt und auf meinen Handlungsspielraum bezogen? Ist die Problembenennung anregend, einfach, präzise, positiv formuliert?

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es gibt keine für alle ­ eteiligten richtige B ­Problembenennung

klare Benennung des Problems ist das Tor zur Lösung

Beispiel Problembenennung

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

8.5.2

Zwischenschritt: Vorentscheid, Sofortmaßnahmen, Zeitplanung

Zwischenschritt Vorentscheid Sofortmaßnahmen

Zeitplanung

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..Abb. 8.5 Zwischenschritt. (Nach Greenberg 2010)

Beispiel Vorentscheide

Zwischenschritt: Vorentscheid, Sofortmaßnahmen, Zeitplanung

Greenberg (2010) beschreibt einen Zwischenschritt (. Abb. 8.5), welcher zwischen der Situationsanalyse und der Lösungsentwicklung steht. Mehrere Teilschritte lassen sich in diesem Zwischenschritt subsummieren, wobei jeder der Schritte einer definitiven Problemlösung und einem entsprechenden Entscheid nicht vorgreift.

Vorentscheid: Entscheiden, wie entschieden wird Greenberg postuliert, dass nach der Phase der Analyse entschieden werden muss, nach welcher Methode und wie der definitive Entscheid zustande kommen soll. Man trifft einen Vorentscheid. Dies bedeutet nicht, dass eine Person zu diesem Zeitpunkt schon einen Entscheid über eine mögliche Lösung trifft. Die wichtigste Frage hierbei ist diejenige, ob das Problem alleine oder die Problemlösung zusammen mit anderen Personen gemacht werden muss. Es kann aber auch bedeuten, dass die Problemlösung und Entscheidung an eine andere Stelle delegiert wird. Beispiel

Unser Abteilungsleiter hat nach der Situationsanalyse, Zielformulierung und Benennung des Problems folgende Vorentscheide getroffen: Das Kernproblem des Teams wird durch den Abteilungsleiter selbst gelöst. Ev. wird er sich im Verlauf der Umsetzung seiner Lösung Hilfe bei externen Partnern holen. Das Problem der Geschäftsleitung kann er nicht selbst lösen, daher verzichtet er darauf, dieses Problem weiter selbstständig zu bearbeiten. Er könnte sich aber vornehmen, die Thematik bei einer guten Gelegenheit anzusprechen und wäre gewillt, an einer Problemlösung auf dieser höheren Stufe aktiv mitzuarbeiten.

-

Sofortmaßnahmen

Unter Sofortmaßnahmen werden Maßnahmen verstanden, welche umgehend umgesetzt werden. Auch diese greifen einer Entscheidung noch nicht vor, denn das primäre Ziel von Sofortmaßnahmen ist es, die Situation zu entspannen, mehr Informationen und damit einen besseren Überblick zu erhalten oder auch wichtige Personen oder Organisationseinheiten über Geschehnisse zu informieren.

8

267

8.5 • Problemlösezyklus

Beispiel

Im Falle eines handgreiflichen Konflikts in einem Büro ist die wichtigste Sofortmaßnahme, noch bevor überhaupt eine Phase des Problemlösens aktiv angegangen wird, das Trennen der in die handgreifliche Auseinandersetzung involvierten Personen.

Beispiel Handgreiflicher Konflikt

Im Falle unseres Abteilungsleiters kann eine Sofortmaßnahme sein, dass Zeit für die Bearbeitung der Problemlösung im Terminkalender als nicht verschiebbare Termine reserviert wird.

Zeitplanung

Unter Zeitplanung als Teilschritt des Vorentscheides versteht man die grundsätzliche zeitliche Orientierung für die Problemlösung. Die Zeitplanung erfolgt in jedem Fall ausgehend vom Zeitpunkt, an welchem das Problem gelöst oder die Maßnahmen umgesetzt werden sollen. Dies ergibt sich meist schon aus der Zielformulierung nach SMART. Ausgehend von diesem Zeitpunkt muss abgeschätzt werden, wie viel Zeit für die einzelnen Schritte des Problemlösezyklus und der Umsetzung zur Verfügung steht. Wichtig ist hierbei zu beachten, dass immer Reservezeit bei jedem Schritt eingerechnet werden muss. Wenn die Problemlösung über mehrere Organisationsstufen erfolgen muss, da ein Problem auf jeder Stufe detaillierter gelöst wird, so empfiehlt sich eine Grundregel aus der militärischen Problemlösung. Diese wird als ¼-Regel bezeichnet. >>Jede Entscheidungsstufe kann bis zu einem Viertel der

noch zur Verfügung stehenden Zeit für Problemlösung und Planung verwenden.

Alle drei Teilschritte des Zwischenschrittes führen noch nicht zu einem Entscheid, wie das Problem gelöst wird, aber sie ermöglichen es, dass die richtigen Leute das Problem lösen, dass sich das Problem nicht noch zusätzlich verschärft und dass genügend zeitliche Ressourcen vorhanden sind, um das Problem bis zum anvisierten Zielzeitpunkt zu lösen. 8.5.3 2.   Phase:

Lösungsentwicklung

Nach der Analyse und dem Zwischenschritt Vorentscheid folgt die Phase der Lösungsentwicklung (. Abb. 8.6). Sie beinhaltet die folgenden beiden Schritte: Die Klärung des Lösungsspielraumes und die Entwicklung alternativer Lösungen. Wie die . Abb. 8.4 zeigt, stehen die Schritte 4 und 5 in einer gegenseitigen Wechselwirkung und können wiederholt miteinander in Bezug gebracht werden.

alle Aspekte des Zwischenschrittes greifen der Problemlösung nicht vor

2. Lösungsentwicklung

Klärung des Lösungsspielraums

Entwicklung von alternativen Lösungen

..Abb. 8.6 Lösungsentwicklung. (Aus Vetter et al. 2013)

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Schritt 4: Klärung des Lösungsspielraumes Ressourcen und Restriktionen

Nachdem die Randbedingungen (Anforderungen, Ressourcen und Restriktionen) für mögliche Lösungen vergegenwärtigt worden sind, geht es darum, alternative Lösungen zu entwickeln. Es lohnt sich, den Lösungsspielraum zu klären, beispielsweise, was eine Lösung kosten darf. Vielleicht haben hierarchisch Höhergestellte noch Entscheidungen zu treffen, vielleicht gilt es, ergänzende Abklärungen zu treffen, oder bestimmte organisationale Werte und Normen dürfen nicht verletzt werden. Optimal ist es dabei, den Lösungsspielraum möglichst groß zu halten und maximal auszunutzen. Die Auslotung des Lösungsspielraums führt auch zu wichtigen Aspekten, welche später für die Begründung eines Entscheides notwendig sind, so können beispielsweise rechtliche Aspekte die Wahl einer „optimalen“ Lösung verunmöglichen.

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Fragen zum Lösungsspielraum

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Sind die Rahmenbedingungen (lokale, personelle, rechtliche, finanzielle, strukturelle) zutreffend eingeschätzt? Welche Ressourcen (andere Mitglieder der Organisation, Kunden, Konkurrenten, Außenstehende usw.) sind mögliche zusätzliche Hilfsquellen für das Finden und Realisieren von Lösungen?

Schritt 5: Entwicklung von alternativen Lösungen kreativer Teil des Prozesses

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Diese Phase ist der kreative Teil des Problemlösungsprozesses. Sie besteht aus 4 Teilschritten: geeignete Methode bestimmen, Ideen erzeugen, Ideen analysieren und besonders lösungsträchtige Ideen weiterentwickeln. Durch Anwendung von Kreativitätsmethoden (7 Abschn. 8.11 „Kreativität und Kreativitätstechnik“) gilt es, neue Lösungsideen hervorzubringen. Auch hier werden wieder bewusste/kontrollierte als auch unbewusste/automatische Verarbeitungsprozesse wichtig, denn beide bieten eine Vielzahl an adäquaten Lösungsvarianten. Das Ziel ist letztendlich, möglichst viele brauchbare Ideen zu erzeugen. Wichtig ist, die Lösungen in einem ersten Schritt  nicht zu bewerten, da dies die Kreativität hemmt. Entsprechend heißt dies, dass die emotionalen Bewertungsprozesse bewusst kontrolliert werden müssen. Lösungsideen dürfen zu Beginn durchaus intuitiv, unsachlich, utopisch oder absurd sein. Die Trennung von Ideenerzeugung und -analyse ist äußerst wichtig. Als hilfreich hat sich auch erwiesen, Extremlösungen in Betracht zu ziehen (z. B. bewusste Verletzung von Organisationsnormen und Regeln). Ob-

8

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8.5 • Problemlösezyklus

wohl diese Lösungen häufig nicht umsetzbar sind, führen sie oft noch zu weiteren umsetzbaren Lösungsvarianten, welche im ersten Moment nicht bewusst vorhanden waren. Besonders lösungsträchtige Ideen werden weiterentwickelt. Dabei gilt es, die Lösungen auf die Einhaltung der Mussziele zu überprüfen. Optimal ist, wenn jeweils mehrere alternative Lösungen entwickelt werden, um für die nächste Phase über eine echte Auswahl zu verfügen, bei der die Alternativen systematisch gegenübergestellt und bewertet werden können. Fragen und Merkpunkte zur Entwicklung von Lösungsalternativen

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Geeignete Methode bestimmen: Welche Methoden können sinnvoll (Aufwand/Nutzen) angewendet werden? Wer ist für welche Methode Spezialist bzw. in anderer Hinsicht besonders geeignet? Ideen erzeugen: Ideen, mehr Ideen, noch mehr Ideen … Extremvarianten berücksichtigen Bewertung aufschieben! Ideen analysieren: Erfüllen die Ideen die Mussziele? Sind die Wunsch-Ziele mit diesen Lösungsideen erreichbar? Lassen sich die Lösungsideen weiter entwickeln?

8.5.4 3.   Phase:

Entscheidungsprozess

Diese Phase wird in zwei Schritte gegliedert: Die Bewertung der Lösungsalternativen (der Entscheidungsvorbereitung) und die Entscheidung. Die beiden Schritte müssen nicht zwingend chronologisch erarbeitet werden. So kann es durchaus sein, dass eine Entscheidung nicht getroffen werden kann, weil die Entscheidungskriterien nicht passend definiert worden sind, womit Schritt 6 wiederholt werden muss. Dies ist für den Prozess der Entscheidungsfindung durchaus typisch und sinnvoll (. Abb. 8.7).

3. Entscheidungsprozess

Bewertung der Lösungsalternativen

Entscheidung

..Abb. 8.7 Entscheidungsprozess. (Aus Vetter et al. 2013)

Schritt 6: Bewertung der Lösungsalternativen Die Bewertung von Lösungsalternativen kann entweder summarisch oder aufgrund von Bewertungskriterien erfolgen. Im ersten Fall werden die Alternativen als Ganzes verglichen und bewertet. Es handelt sich hier um eine mehr oder weniger intuitive Bewertung. Bei den Bewertungen spielen emotionale Prozesse eine zentrale Rolle. Daher sollte immer auch auf das Bauchgefühl gehört werden.

Intuitive oder sachliche Bewertung?

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Gegenüberstellung von Vorund Nachteilen

Nutzwertanalyse

SWOT/TOWS

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Im zweiten Fall werden die Lösungsalternativen anhand von Bewertungskriterien verglichen. Dem ganzen Bewertungsvorgang wird eine Systematik zugrunde gelegt, z. B. eine Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen. Eine weitere verbreitete Methode ist die Nutzwertanalyse. Hier wird eine Bewertung von meistens unterschiedlich gewichteten Kriterien vorgenommen. Die Gesamtbewertung ergibt sich durch eine Summation der Einzelbewertungen der Kriterien. Eine weitere gängige Methode ist diejenige der SWOT-Analyse. Hier werden für jede Lösungsalternative die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken (Strength, Weaknesses, Opportunities, Threats = SWOT) analysiert und die Alternativen verglichen. Bei der TOWS-Analyse werden die gleichen Aspekte jedoch in umgekehrter Reihenfolge analysiert. Die SWOT-Analyse wird auch häufig bei der Situationsanalyse eingesetzt. Es gibt noch verschiedene weitere Möglichkeiten Lösungsalternativen zu bewerten. So kann man mit geeigneten technischen Mitteln die zur Auswahl stehenden Lösungsalternativen simulieren und dadurch ihre Effekte abschätzen, Expertenbefragungen durchführen, eine Effektanalyse für unterschiedlichste Bezugsgruppen durchführen (Welchen Effekt hat die entsprechende Lösung auf z. B. Kunden, Mitarbeitende, Geschäftsleitung, Konkurrenten, …?) oder die Alternativen dahingehend bewerten, wie diese ethisch, moralische und rechtliche Grundlagen verletzen oder erfüllen. Der große Vorteil von systematischen Bewertungsmethoden liegt darin, dass dadurch Entscheidungen versachlicht werden können. In der Praxis werden systematische Verfahren vor allem dann angewendet, wenn man sich in einem Entscheidungsgremium nicht einig wird und die Systematik so zur Reduktion der Komplexität beitragen kann. Systematische Verfahren leisten somit einen wichtigen Beitrag für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten. Fragen und Merkpunkte zur Bewertung

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Bewertungskriterien festlegen: Bewertungskriterien aus Zielen und Teilzielen (Muss- und Wunschziele) ableiten. Welche zusätzlichen Bewertungskriterien sind nötig? (Vgl. „Problemdefinition“ und „Analyse des Lösungsspielraumes“)

Bewertungskriterien gewichten: Welche Kriterien sind wichtiger als andere? Wie verändert sich das Ergebnis der Bewertung, wenn die Gewichtung der Bewertungskriterien verändert wird?

8.5 • Problemlösezyklus

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Lösungsalternativen bewerten: Wie gut erfüllen die jeweiligen Lösungsalternativen die einzelnen Bewertungskriterien? Welche Lösung hat den höchsten Gesamtnutzen?

Die bewusste Bewertung der unterschiedlichen Lösungsvarianten ist ein wichtiger Schritt im Problemlösezyklus. Einerseits versachlicht dieser Schritt die Entscheidungsfindung. Andererseits bildet die Bewertung der Lösungsvarianten auch die Grundlage für die Begründung des später getroffenen Entscheides als auch die Begründung, wieso andere Alternativen nicht gewählt wurden. Eine Entscheidung zu begründen hilft den Betroffenen maßgeblich dabei, den Sinn von Entscheidungen zu verstehen und diese nachvollziehen zu können.

Schritt 7: Entscheidung Während die Bewertung die Vorbereitung der Entscheidung ist, ist die Entscheidung der eigentliche Urteilsakt. Es ist sinnvoll, den Vorgang der Entscheidungsvorbereitung (Bewertung) und des Urteils (Entscheidung) zu trennen. Dies aus zwei Gründen: Bei der Entscheidungsvorbereitung geht es um ein unvoreingenommenes Bewerten der einzelnen Lösungsalternativen, jedoch noch nicht um die Wahl einer Lösung. Häufig werden die Entscheidungsvorbereitung (Bewertung) und die Entscheidung (Urteil) hierarchisch getrennt.

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Trotz klarem Bewertungsergebnis zugunsten einer Alternative kommt es vor, dass nicht entsprechend entschieden wird. Das kann aus übergeordneten Gesichtspunkten gerechtfertigt sein. Bei der Entscheidung können politische Gesichtspunkte hinzukommen, sodass die Entscheidung nicht für die beste Lösung, sondern für eine andere gefällt wird. In diesem Fall wäre jedoch zu fragen, ob diese übergeordneten Gesichtspunkte nicht bereits bei der Zielformulierung, bzw. der Analyse des Lösungsspielraumes hätten berücksichtigt werden müssen. Falls Entscheidungsfindung (Bewertung) und Entscheidung (Urteil) in einer Organisation wiederholt nicht übereinstimmen, ist allerdings grundsätzlicher zu fragen, wie effizient die Entscheidungsprozesse wirklich sind, und ob sich hier nicht ein dysfunktionales Organisationsmuster zeigt. Der Entscheid muss auch nicht zwingend eine bestimmte Lösungsalternative bevorzugen. Es ist ebenso möglich, dass aus der Lösungsgenerierung und der Bewertung derselben am Ende ein Entscheid resultiert, welcher sich aus Teilen der unterschiedlichen Lösungsalternativen zusammensetzt.

Entscheidungsvorbereitung und Urteilsprozesse trennen

272

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Zentral für die spätere Umsetzung ist jedoch, dass aus der Situationsanalyse, der Zieldefinition, der Bewertung der Lösungsalternativen und der Analyse des Lösungsspielraums die Begründung für die gewählte Problemlösung resultiert. Diese Begründung ist in jedem Falle den Beteiligten und Betroffenen mitzuteilen, denn sie ist in hohem Maße sinnstiftend ist und sie fördert das Verständnis als auch das Commitment für eine Lösung. Zudem ermöglicht es eine Begründung für ein Ziel und eine Lösung, dass Betroffene und Beteiligte in Situationen der Unklarheit sich daran orientieren können, um die Auswirkung ihrer eigenen Handlungen in diesen unklaren Situationen abschätzen zu können. Beispiel Teamausflug

Beispiel

Im Falle des Abteilungsleiters hat dieser entschieden, unter anderem jeden Sommer einen gemeinsamen Teamausflug zu organisieren, um die Kommunikation untereinander und das gegenseitige Kennenlernen zu fördern. Da nicht klar definiert wurde, wie an diesem Tag die Anreise verläuft, können die Teammitglieder aufgrund der Begründung zum Schluss kommen, dass Fahrgemeinschaften gebildet werden. Man soll sich ja schließlich besser kennen lernen.

8

8.5.5 4.   Phase:

Umsetzung und Reflexion

Schritt 8: Planung von Maßnahmen und Realisierung

Planen entspricht Probehandeln

4. Umsetzung + Reflexion

Planung von Maßnahmen und Realisierung

Kontrolle und Evaluation

..Abb. 8.8  Umsetzung und Reflexion. (Aus Vetter et al. 2013)

Planungsstrategien

„Ehe man etwas tut, muss man zunächst planen“ (. Abb. 8.8). Dieses Planen (vgl. Dörner 2004, S. 235–275) entspricht einem „Probehandeln“ und findet immer noch im Kopf oder auf dem Papier statt. Die Realisierung der gefundenen Lösung sollte vorausgedacht werden. Es wird überlegt, welche ganz konkreten Schritte in welcher Reihenfolge unternommen werden sollen, um die Lösung zu realisieren. Dies geschieht oft in Form eines Maßnahmenplans, auf dem aufgelistet wird, wer was wie bis wann mit wem zu machen hat und in welcher Reihenfolge es zu geschehen hat. Eine saubere Planung ist wichtig für die Umsetzung der gewählten Lösung. Planen ist der Entwurf neuer Handlungswege. Es ist die Synthese eines Weges durch ein Labyrinth von Möglichkeiten hin zum gewünschten Ziel (vgl. Dörner und Schaub 1995, S.  41). Auch die Auswirkungen der einzelnen Planungsschritte gilt es genau zu überlegen. Die Entdeckung unerwünschter Auswirkungen von Maßnahmen könnte dazu zwingen, nochmals zu früheren Phasen des Problemlösungszyklus zurückzukehren. Die Planung soll jedoch nicht zu detailliert sein, da der tatsächliche Verlauf der Umsetzung ein Prozess ist, der nicht bis ins letzte

8.5 • Problemlösezyklus

273

8

Detail geplant werden kann und auch nicht muss. Häufig gewählte, wenn einseitig angewandt aber auch problematische Strategien beim Planen sind (vgl. Dörner und Schaub 1995, S. 42): Strategie des „hill climbing“: Man wählt den Weg, wo es am steilsten bergauf geht, um den Gipfel so schnell wie möglich zu erreichen. Strategie „Tiefe zuerst“: Ein Weg zum Ziel wird in aller Tiefe ausgearbeitet. Strategie „Breite zuerst“: Es werden parallel mehrere Lösungsansätze verfolgt.

-

Die Realisierung ist die tatsächliche Ausführung der geplanten Maßnahmen, d. h. die eigentliche Umsetzung. Die Umsetzung einer Maßnahme ist noch nicht gleichbedeutend mit ihrem Erfolg. Die Realisierung von getroffenen Maßnahmen setzt ein stetiges Handeln voraus. In sozialen Systemen ist hier oft eine kontinuierliche Überzeugungsarbeit wichtig und notwendig. Besonders hilfreich sind hier die schon in den früheren Phasen der Problemlösung erarbeiteten klaren Ziele als auch die klaren Begründungen für einen Entscheid. Der kontinuierlichen Information von Betroffenen kommt in dieser Phase eine zentrale Bedeutung zu.

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Umsetzung

Fragen zu Maßnahmen und Realisierung Welches Ergebnis muss genau erreicht werden? Welches sind die wichtigsten Teilaufgaben? Welche unerwünschten Auswirkungen können die geplanten Maßnahmen haben? Mit welchen Widerständen und Schwierigkeiten muss gerechnet werden? Wie kann ihnen begegnet werden?

Schritt 9: Kontrolle und Evaluation

Die Umsetzung von Maßnahmen gilt es laufend zu kontrollieren. In etwas größeren Zeitabschnitten sind größere Kontrollen oder Evaluationen sinnvoll. Es geht dabei auch darum, das eigene Denken und Handeln einer Analyse zu unterziehen und dementsprechend selbstkritisch zu reflektieren. Eine offene, ehrliche Kontrolle eröffnet Lernchancen. Erfolg kann dazu verführen, weniger selbstreflexiv zu sein. Gleichzeitig erlaubt eine gewisse Kontrolle auch zu erkennen, wenn der zuvor getroffene Entscheid falsch war oder nicht mehr den sich in dieser Zeit veränderten Umweltbedingungen genügt. Eine Revision des Entscheides ist dann unabdingbar.

eigenes Denken und Handeln selbstkritisch reflektieren

274

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

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Fragen zu Kontrolle und Evaluation

8.6

Wer überprüft wann und wie die Fortschritte der Realisierung (Zwischenergebnisse, Meilensteine)? Wer überprüft wann die Zielerreichung? Was wurde gut gemacht, wo sind Mängel feststellbar (= Analyse der eigenen Fehler)? Wo wurde die jeweilige Realität falsch eingeschätzt? Gibt es Indikatoren, welche jetzt schon auf einen Fehlentscheid hindeuten?

Lösungsorientiert Probleme lösen

Andres Pfister

8

Lösungsorientierung ist eine Haltung

Einer der wichtigen Punkte im Problemlösezyklus ist die Analyse der Situation, die Zieldefinition und die möglichst exakte Problembenennung. De Shazer (2010) hat eine Vorgehensweise entwickelt, bei der die Aufmerksamkeit weniger auf die Problemebene als vielmehr auf die Lösungsebene fokussiert wird. Auf die Analyse von Problemen wird in diesem Ansatz weitgehend verzichtet, da sich der lösungsorientierte Prozess an einer erfolgreichen Bewältigung in der Zukunft orientiert (Vetter et al. 2013). Dieser Ansatz fußt in der Positiven Psychologie und hat vornehmlich schon frühere positive Bewältigungsstrategien als auch die Nutzbarmachung von vorhandenen und versteckten Ressourcen zum Ziel. Insbesondere Coachingmethoden nutzen den Lösungszyklus (Mussmann 2011; Mussmann und Zbinden 2005). Selbstverständlich lassen sich sowohl Problemlösezyklus als auch Lösungszyklus miteinander kombinieren. Durch Fragen werden Suchprozesse ausgelöst, die den Blick auf eine Situation lenken, in der das Problem reduziert oder behoben ist. Entsprechend sind diese Fragen beispielsweise auch sehr hilfreich in der Definition des angestrebten Zielzustandes im Problemlösezyklus. >>Die Grundannahme dieses Vorgehens lautet: Wir nehmen

eine andere Sichtweise, eine andere Haltung ein, wenn wir uns nicht vorrangig mit den Ursachen eines Konflikts oder eines Problems beschäftigen, sondern mit dessen erfolgreichen Bewältigung und daher mit dessen Lösung. Fokus auf die Zukunft

Das lösungsorientierte Vorgehen nutzt die vorhandenen Potenziale und Ressourcen für ein gedankliches Probehandeln im Hinblick auf eine erfolgreiche Bewältigung. Somit nutzt es die kreativen

8.6  •  Lösungsorientiert Probleme lösen

8

275

Prozesse, welche sowohl in bewussten als auch in unbewussten

Verarbeitungsprozessen des Gehirns schlummern. Die Erfahrung zeigt, dass die Motivation, etwas anders zu tun als bisher, in einem positiven Kontext wesentlich stärker entwickelt werden kann. Die Suche nach Lösungen ist eine vorwärts gerichtete Strategie und ist in ihrer Art viel stärker handlungsleitend, da über konkrete Handlungen nachgedacht wird, welche zu einer Problemlösung beitragen. Die lösungsorientierte Vorgehensweise konzentriert sich auf eine kurze Beschreibung des Problems. Dabei dominiert eine wertschätzende Haltung, die anerkennt, dass eine schwierige Situation vorliegt. Der Fokus liegt auf der Frage: „Was könnte stattdessen sein?“ Oft besteht bereits eine vage Vorstellung davon, wie es sein könnte, auch wenn die einzelnen Schritte, um dorthin zu gelangen noch unklar sind. Das lösungsorientierte Vorgehen unterstützt darin, Ideen zu entwickeln und Motivation aufzubauen. Die Betroffenen werden in ihrer Selbstverantwortung für die Umsetzung gestärkt. 8.6.1

Lösungszyklus in vier Phasen

Der Lösungszyklus umfasst vier Phasen, die sich vor allem in der 2. und 3. Phase in der Bearbeitung vom Problemlösezyklus unterscheiden (. Abb. 8.9). Die einzelnen Schritte (. Abb. 8.10, . Abb.  8.11, . Abb.  8.12, . Abb.  8.13) sind weniger festgelegt und können in der Reihenfolge flexibel gehandhabt werden. Die Person, die das Anliegen vorbringt, liefert teils umfassende, teils knappe Informationen, die es je nach Kontext zu vertiefen gilt oder nicht. Die Bearbeitung innerhalb der Phasen kann wie auch im Problemlösezyklus spielerisch variiert werden.

1. Phase: Situationsklärung In der ersten Phase geht es darum, das Problem bzw. die Problemsituation kurz zu beschreiben (. Abb. 8.10). Ein hilfreiches Ergebnis dieser Beschreibung ist eine visualisierte Problemlandkarte. Mit Fragen wird die Wahrnehmung erweitert und der Kontext erfasst. Handelt es sich für die Beteiligten um ein relevantes Problem, das es ernst zu nehmen gilt, wird dessen Schwierigkeit anerkannt. Bereits zu Beginn sollte ein erstes Bild davon entstehen, wie eine verbesserte, gelöste Situation aussehen sollte, um eine Vorstellung vom Lösungszustand und seiner Richtung zu erhalten. Dieses im Gehirn konstruierte Bild enthält einerseits schon wichtige Informationen zu Handlungen, die nötig sind, um dorthin zu gelangen. Gleichzeitig erzeugt dieses positive und konkretere Bild der Zukunft aus sich heraus schon Motivation, Handlungen umzusetzen, um dorthin zu gelangen.

Situationsklärung

1. Situationsklärung Wahrnehmung, Kontext

Lösungsrichtung

Anerkennung, Wertschätzung

..Abb. 8.9 Situationsklärung. (Aus Vetter et al. 2013)

276

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Lösungszyklus, kreisförmige Darstellung 1. Situationsklärung Wahrnehmung, Kontext Anerkennung, Wertschätzung

Lösungsrichtung

4. Umsetzung und Reflexion

8

2. Ressourcen und Visionen

Realisierung

Reflexion, Erkenntnisse

Ausnahmen

Funktionalität, Korrekturen

Visionen

Wissen, Erfahrung

3. Ziele und Lösungen Ziele

Maßnahmen

Lösungsschritte

..Abb. 8.10  Lösungszyklus, zirkuläre Darstellung. (Aus Vetter et al. 2013)

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Hilfreiche Fragen Worum geht es? Wer ist beteiligt? Was gehört zum Problemkontext? Wie wäre die Situation, wenn das Problem gelöst wäre?

8.6  •  Lösungsorientiert Probleme lösen

8

277

2. Phase: Ressourcen und Visionen erkunden

In der zweiten Phase geht es darum, Ressourcen zu erkunden und Visionen zu entwickeln, die für die Lösungssuche hilfreich sein können (. Abb. 8.11). Es folgt die Suche nach Ausnahmen, in denen der problematische Zustand gar nicht oder in geringerem Ausmaß bestand, sich Momente und Handlungen ereigneten, die als weniger belastend oder als erfolgreicher erlebt wurden. Diese Suche zielt darauf ab, in diesem Moment im Gehirn nicht zugängliche Lösungsverhalten und -strategien wieder bewusst zugänglich zu machen. Stehen diese Erfahrungen und das entsprechende Wissen bewusst der Person zur Verfügung, können andere Lösungswege beschritten werden. Diese Ausnahmen vom Problemzustand lassen sich in der Regel auch als Hinweis für zukünftige Veränderungen nutzen. Sie enthalten nicht selten Teile einer Lösung. Es geht also darum, hilfreiche Fähigkeiten, Potenziale oder Erfahrungen bewusst zu machen. Mit diesen Ressourcen, über die Personen oder Organisationen bereits verfügen und die Lösungspotenziale beinhalten, lässt sich eine Lösung konstruieren. Im lösungsorientierten Vorgehen wird eine erfolgreiche Lösung vorweggenommen und damit ein gedankliches Probehandeln eingeleitet. Die Personen, die das Problem benannt haben, sind dadurch auch verantwortlich für die Suche nach einer Lösung. In einer Gruppe werden Lösungsvisionen gemeinsam entwickelt. Beispiel

-

Zwei Beispiele für die Umsetzung der 2. Phase: Angenommen, Sie hätten das Problem gelöst, oder Sie würden zumindest denken, dass Sie auf dem Weg wären, es zu lösen, was wäre dann anders und was würden Sie dann anders machen? Wir machen einen Zeitsprung und sind jetzt zwei Jahre voraus. Ein Reporterteam hat erfahren, dass Sie als Team, als Organisation es geschafft haben, eine sehr schwierige Situation (Situation konkret beschreiben) erfolgreich zu bewältigen. Es kommt nun zu Ihnen und führt ein Interview mit Ihnen, um zu erfahren, was Sie konkret unternommen haben, wie Sie Ihre Situation so eindrücklich und erfolgreich bewältigt haben. Was erzählen Sie den Reportern?

-

Hilfreiche Fragen Wann war die Situation weniger schwierig? Was war damals anders? Gab es ähnliche Situationen, die bereits gemeistert wurden? Was war damals hilfreich?

Ressourcen erkunden und Visionen entwickeln

erfolgreiche Bewältigung antizipieren

Beispiele Umsetzung der 2. Phase

2. Ressourcen und Visionen

Ausnahmen

Visionen

Wissen, Erfahrung

..Abb. 8.11  Ressourcen und Visionen. (Aus Vetter et al. 2013)

278

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

-

Was wurde bisher erfolgreich unternommen? Was sollte anders gemacht werden? Wie würde die Situation aussehen, wenn Sie diese erfolgreich bewältigt hätten? Was haben Sie dann dazu getan?

3. Phase: Ziele und Lösungen entwickeln Ziele und Lösungen entwickeln

8

Skaleneinschätzung

Beispiel Zielzustand

-

Beispiel

„Wenn zehn der Zustand ist, den Sie als Vision oder als gelösten Zielzustand beschreiben und eins der Zustand, als sich Ihr Problem in der schwierigsten Situation befand, die Sie bisher hatten, wo befinden Sie sich jetzt?“

Angenommen die Ausgangssituation wird auf der Skala von 1 bis 10 auf Punkt 3 eingeschätzt, so lassen sich von diesem Punkt aus erste Schritte in Richtung auf den Zielzustand hin formulieren. Dann lässt sich fortfahren: „Wenn Sie einen Skalenpunkt weiter wären, wie würde die Situation dann aussehen? Was hätten Sie konkret getan, um zu diesem Punkt zu gelangen?“

3. Ziele und

-

Lösungen

Ziele

Maßnahmen

Aus den Visionen gilt es nun in der dritten Phase, Ziele und Lösungsschritte abzuleiten (. Abb. 8.12). Auch im Lösungszyklus ist die Zielformulierung ein zentrales Element. Gut formulierte Ziele wirken wie Magnete auf die anvisierte Zukunft. Der Zielformulierungsprozess entwickelt sich vielfach von vagen Äußerungen zu klaren Definitionen. Ziele lassen sich meist nicht auf Anhieb spezifisch und konkret benennen. Die Erfolgschance für die Umsetzung der Ziele erhöht sich, wenn diese mit den persönlichen Interessen und Möglichkeiten der am Problem Beteiligten im Einklang stehen und als sinnvoll erlebt werden. Mit Hilfe von Skalen lässt sich eine Situation gut einschätzen. Mit Blick auf den Zielzustand oder die Vision können dann kleine Schritte erarbeitet werden. Hier zwei Beispiele:

Lösungsschritte

..Abb. 8.12  Ziele und Lösungen. (Aus Vetter et al. 2013)

Aus den einzelnen Schritten in Richtung einer geeigneten Lösung lassen sich nun konkrete Maßnahmen zur Umsetzung einleiten. Gleichzeitig lässt sich auch die Motivation für eine Umsetzung erkennen.

8.6  •  Lösungsorientiert Probleme lösen

-

8

279

Hilfreiche Fragestellungen Woran werden Sie erkennen (sehen, hören, fühlen), dass Sie Ihr Ziel/Teilziel erreicht haben? Woran würden Sie merken, dass Sie auf der Skala von 1 bis 10 einen Schritt weiter gekommen sind als heute? Was benötigen Sie noch, um einen Schritt weiterzukommen?

4. Phase: Umsetzung und Reflexion

In der letzten Phase gilt es, die Lösungsschritte beziehungsweise die Maßnahmen umzusetzen (. Abb. 8.13). In der Umsetzung gilt es zu überprüfen, ob die einzelnen Vorgehensschritte zu einer angemessenen Problemlösung führen und ob die angestrebten Ziele auch tatsächlich erreicht werden. Oftmals zeigen sich erst in der Umsetzung notwendige Kurskorrekturen. Vielleicht reichen vorhandene Ressourcen nicht aus, vielleicht zeigt sich, dass bestimmte Prozesse schneller erfolgen als geplant. Vielleicht zeigt sich aber auch Widerstand, weil bestimmte Faktoren bei der Lösungssuche nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Der Umsetzungsprozess ist der zentrale Lernprozess, bei dem weiterhin das Motto gilt: Wenn es gut funktioniert, weiter so, und wenn es nicht funktioniert, Alternativen suchen! Im lösungsorientierten Vorgehen spielen Anerkennung und Lob für Erreichtes eine große Rolle, da die Erfolge wiederum den Boden dafür bilden, dass neue Herausforderungen gemeistert werden. So heißt es in dieser Phase innehalten, zurückblicken und das loben, was gut gemacht wurde und für das neue Wege suchen, was bisher noch nicht funktional ist. Werden im gesamten Lösungszyklus ständig Kenntnisse und Erfahrungen gewonnen, so gilt es, diese systematisch auszuwerten. Auch negative Erkenntnisse sind Erkenntnisse, dass es anders gemacht werden sollte. Am Abschluss sollte immer die Dokumentation der „lessons learned“ stehen.

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Hilfreiche Fragen Was ist in Ihrer Problembearbeitung gut gelaufen? Was würden Sie in einer neuen Situation wieder genauso machen? Was würden Sie in jedem Fall anders machen? Wer oder was war besonders hilfreich?

Umsetzung und Reflexion

4. Umsetzung + Reflexion

Planung von Maßnahmen und Realisierung

Kontrolle und Evaluation

..Abb. 8.13  Umsetzung und Reflexion. (Aus Vetter et al. 2013)

280

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Möglichkeiten und Grenzen des lösungsorientierten Vorgehens Möglichkeiten

Grenzen

8

Der Lösungszyklus setzt eine grundsätzlich positive und zukunftsgerichtete Haltung voraus, die auf die Lösungsfähigkeit der Beteiligten vertraut. Auch echte Möglichkeiten zur Einflussnahme und zur Übernahme von Verantwortung bilden eine Voraussetzung für die Umsetzung der Lösungsideen. In der Regel wird weniger Zeit für die Lösungsfindung benötigt, wenn der Fokus auf Ressourcen und Lösungsvisionen liegt. Wird der Lösungszyklus angeleitet, so sollte die Person, die moderiert, sich auf unterstützende Fragen konzentrieren und die Lösungsverantwortung den am Problem Beteiligten übergeben. Fehlen sowohl die Initiative als auch die Möglichkeiten der Beteiligten, aktiv eine Lösung zu entwickeln, stößt das lösungsorientierte Vorgehen klar an seine Grenzen. Liegen in der Geschichte der Problemsituation Hindernisse, die verhindern, dass sich die Beteiligten eine Lösungssituation vorstellen können, kann es ebenfalls sinnvoll sein, sich mit der Problemsituation ausgiebiger zu befassen oder zunächst Ressourcen für die Bewältigung aufzubauen. Oder aber, die Komplexität einer Problemsituation bringt es mit sich, dass eine Tendenz besteht, eine zu einfache Lösung zu wählen, die dem Kontext nicht gerecht wird. Auch hier ist eine differenzierte Analyse der Problemsituation angemessen. 8.7

Der Problemlösezyklus in der Organisation

Andres Pfister Problemlösezyklus als eine zentrale Methode in der Organisationsführung

Der Problemlösezyklus ist in Organisationen an vielen Stellen anzutreffen. Nachfolgend werden einige wichtige Prozesse kurz angeschnitten, welche sich klar nach dem Problemlösezyklus richten. Mitarbeitergespräche folgen im Generellen dem Akronym ZIELEN. Dieses steht für: Ziele erklären, Ist-Situation erörtern, Einbeziehen des anderen, Lösungswege suchen, Entscheiden und Maßnahmen festlegen, Nachkontrolle Vereinbaren.

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Fast alle Mitarbeitergespräche vom Zielvereinbarungs‑, Delegations‑, Einstellungs‑, Trennungs‑, Kritik- bis hin zum Konfliktlösegespräch folgen in ihrer Struktur dem Problemlösezyklus. Strategieprozesse folgen dem Problemlösezyklus als auch dem Lösungszyklus. In der Situationsanalyse werden zusätzliche Analysemethoden verwendet, welche einerseits Aufschluss über den

8.8  •  Problemlösung mit Hilfe von Gruppen

281

8

Zustand der Organisation als auch über die Entwicklungen der Umwelt geben. Gewisse Organisationen verwenden beispielsweise eine Stakeholdermap als zentrales strategisches Steuerungsinstrument. Die Balanced Scorecard ist ein Mittel, um die Strategie für eine Organisation auf unterschiedliche Bedürfnisse der Organisation auszutarieren (Vetter und Mussmann 2013). Der MbO-Prozess ist jener Prozess, welcher die Strategie in der Organisation verankert, indem die Verhalten aller Organisationsmitglieder auf die Strategie ausgerichtet werden (vgl. 7 Kap. 15 Führen mit Zielen). Im 7 Abschnitt 8.10 wird auf die Entwicklung von Strategien und den Zusammenhang zum Problemlöse- und Lösungszyklus vertieft eingegangen. In der Führung in Krisen wird der Problemlösezyklus gekoppelt mit einem Informationsbeschaffungszyklus. Die Darstellung in . Abb. 8.14 zeigt die Führung in Krisen nach Carrel (2010). Der Problemlösezyklus findet sich ebenso in der Verhandlungsführung als auch in Projektarbeit wieder. Der Problemlösezyklus als auch der Lösungszyklus (welcher speziell beim Coaching von Mitarbeitenden sinnvoll ist) sind somit in an unterschiedlichsten Stellen der Organisationsführung wiederzufinden und stellen dadurch einen zentralen Prozess der Organisationsführung auf allen Ebenen dar. 8.8

Problemlösung mit Hilfe von Gruppen

Andres Pfister 8.8.1

Einzel- oder Gruppenentscheidungen?

In der Führungspraxis stellen sich Führungskräfte häufig die Frage, wie weit sie Mitarbeitende (einzeln oder als Gruppe) an ihren Entscheidungen beteiligen sollen. Ob eine einzelne Person oder ob mehrere Personen zusammen entscheiden sollen, hängt von einer Vielzahl situativer Faktoren ab. Aufgrund der Komplexität von Entscheidungssituationen ist der Einbezug einer Gruppe oft nötig. Ebenso kann es für die Umsetzung von Entscheidungen wichtig sein, andere Personen bei Entscheidungen zu beteiligen. Wer an Entscheidungen beteiligt wird, ist engagierter, diese auch umzusetzen. Auch der Anspruch eines partizipativen Führungsstils kann ein Grund für die Beteiligung mehrerer Personen bei Entscheidungen sein.

-

Generell kann gesagt werden, dass Gruppen komplexe Probleme besser lösen als Einzelpersonen. Einerseits offerieren mehrere Perspektiven auf ein Problem eine bessere Analyse und die Kreativität

Wer an Entscheidungen beteiligt wurde, ist engagierter

Gruppe sollte heterogen sein und sich frei austauschen können

282

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Information / Kommunikation

Regelung des Führungssystems

Umsetzung und Vollzug der Entscheidung

Permanent

Nachrichtenund Informationsbeschaffung

8

Krisenproblem erfassen

In logischer Folge

Krisenproblem einer Lösung zuführen

Entschlussfassung und Entscheid

..Abb. 8.14  Führung in Krisen nach Carrel (2010, S. 109, mit freundlicher Genehmigung von Laurent F. Carrel)

von mehreren Personen generieren mehr Lösungsvarianten. Zudem ist der Akt des Problemlösens gegenseitig geistig befruchtend, sodass durch unterschiedliche Aussagen von anderen Personen wiederum andere Assoziationen, Bilder und Gedanken in den Köpfen der einzelnen Personen entstehen. Greenberg (2010) definiert aber zwei zentrale Faktoren, die die Problemlöse- und Entscheidungsfähigkeit von Gruppen erhöhen. Gruppen sollten heterogen sein und aus Mitgliedern mit sich ergänzenden Fähigkeiten bestehen. Dies führt zu umfangreicherem Vorwissen und differenziertere Betrachtungen von Problemen. Auch können die Auswirkungen von Entscheiden umfangreicher abgeschätzt werden. Gruppenmitglieder müssen frei untereinander ihre Ideen in einer offenen, nicht aggressiven Art kommunizieren. Entsprechend muss darauf geachtet werden, dass die kompetentesten Mitglieder zu dem entsprechenden Thema auch Gehör geschenkt wird.

-

Führungskräfte sind somit dafür verantwortlich, dass eine Gruppe, die Probleme lösen und Entscheidungen treffen muss, diese beiden Punkte erfüllen.

8.8  •  Problemlösung mit Hilfe von Gruppen

283

8

Bei einfachen Problemen ist der Vorteil der Gruppe nicht mehr direkt beobachtbar, da die Leistung meist von einem qualifizierten Mitglied stammt. Entsprechend ist darüber nachzudenken, ob die Lösung einfacher Probleme tatsächlich an Gruppen delegiert werden soll oder ob nicht ein Experte sich dessen annimmt. Müssen jedoch gleichzeitig viele einfache Probleme gelöst werden, so ist die Masse einer Gruppe ein gewichtiger Vorteil. Unterschiedliche gruppendynamische Phänomene und Prozesse können die Problemlösung und Entscheidungsfindung maßgeblich beeinträchtigen. Gruppendenken, Konflikte, Profilierungssucht von einzelnen Mitgliedern und weitere Aspekte, wie sie schon in anderen Kapiteln erläutert wurden, führen dazu, dass eine Gruppe entweder keinen oder einen schlechten Entscheid fällen und somit Probleme gar nicht oder nur unvollständig lösen. 8.8.2

Problemlösung in Gruppen

Um Probleme in Gruppen zu lösen, empfiehlt es sich, sich auch die individuelle als auch kollektive Problemlösekompetenz in jedem Schritt der Problemlösung zu Nutze zu machen. Unterschiedliche kollektive Problemlösemethoden sind bekannt wie die Delphi-Methode oder die Nominale-Gruppen-Technik. Diese haben gemeinsam, dass die jeweiligen Mitglieder zuerst das Problem selbst lösen und dann die jeweiligen Analysen und Lösungen miteinander vergleichen. Aus diesem Vergleich resultieren eine Analyse der Gruppe, Lösungsvarianten der Gruppe und ein entsprechender Gruppenentscheid. Nachfolgend wird eine Methode vorgestellt, welche ein Zusammenzug aus unterschiedlichsten kollektiven Problemlösemethoden sind.

..Abb. 8.15  © 2018 by Tobias Leuenberger

Gruppe hilft, zu einer ganzheitlichen Sicht des Problems zu gelangen

284

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Nominal Group Technik

-

Analyse: Die Mitglieder erhalten das Problem, bzw. ein Mitglied erklärt die Ausgangslage. Allfällig Klärungsfragen können gestellt werden. Jedes Mitglied erarbeitet individuell eine Situationsanalyse, eine Zieldefinition und benennt das Problem Die Situationsanalysen, Zieldefinitionen und Problembenennungen werden nacheinander vorgestellt, zusammengetragen und in der Gruppe konsolidiert. Wichtige Kriterien für die Zielerreichung werden gemeinsam definiert.

8

Lösungssuche: Gemeinsam wird der Lösungsspielraum in Form eines Brainstormings definiert. Auf der Grundlage der gemeinsamen Analyse entwickelt jedes Mitglied Lösungsvarianten. Die Lösungsvarianten werden vorgestellt und gesammelt, jedoch von keinem Mitglied bewertet. Pinkarten und Metaplanwände können hier sehr hilfreich sein. Entscheid: Anhand der Kriterien für die Zielerreichung als auch eventuell weiterer Kriterien werden die Lösungsvarianten individuell bewertet. Jedes Mitglied fällt individuell einen begründeten Entscheid. Die Bewertungen der Lösungsvarianten als auch die Entscheide werden zusammengetragen, inklusive der entsprechenden Begründungen. Auf der Grundlage der nun vorhandenen Informationen entscheidet die Gruppe sich für eine Lösung oder eine Lösungskombination. Alternativ kann auch jene Lösung von der Gruppe gewählt werden, welche die höchste Zustimmung erhält.

-

Umsetzung: Falls notwendig können wieder individuell Umsetzungsmaßnahmen erarbeitet und dann gesammelt werden. Die Gruppe bestimmt, welche Personen für die Implementation als auch die Kontrolle verantwortlich sind.

In kollegialen Coachingansätzen und Intervisionsmethoden (7 Kap. 11) wird in einer abgewandelten Form die kollektive Problemlösefähigkeit mit der individuellen Problemlösefähigkeit kombiniert. Letztendlich gilt für Einzel- als auch Gruppenentscheide, dass Personen Verantwortung übernehmen und im Prozess der

8.9  •  Verantwortungsvolles Führungshandeln

285

8

Lösungsfindung, in ihren Entscheiden und in deren Umsetzung verantwortungsvoll handeln und sich der Konsequenzen ihres Handelns stets bewusst sind. 8.9

Verantwortungsvolles Führungshandeln

Andres Pfister

Probleme lösen, Urteilen und Entscheiden sind, wie schon beschrieben, Kernaufgaben von Führungskräften. Jedoch werden durch deren Auswirkungen praktisch immer andere Menschen betroffen. Dadurch sind diese Kernaufgaben eng mit der Übernahme von Verantwortung verknüpft. Es ist daher nicht erstaunlich, dass Verantwortung übernehmen und verantwortungsvoll Handeln elementare Aspekte der Führung sind. Sich der Konsequenzen der eigenen Führungstätigkeit bewusst sein und abschätzen zu können, welche Auswirkungen andere Personen durch das eigene Tun oder Lassen erfahren, ist ein wichtiger Schritt zur Übernahme von Verantwortung. Besonders herausfordernd wird dies für Führungskräfte, wenn verantwortungsvolles Entscheiden und Handeln in Spannungsfelder und in Dilemmas gefragt ist.

Verantwortung übernehmen ist ein elementarer Aspekt der Führung

zz Spannungsfelder

Soziale Systeme wie Organisationen es sind beherbergen schon von Natur aus eine Vielzahl an Spannungsfelder, welche verantwortungsvolles Handeln per se nötig macht. Spannungsfelder sind gekennzeichnet durch mindestens zwei gegensätzlich wirkende Kräfte, welche gleichzeitig unterschiedlichste Auswirkungen auf die Mitglieder eines sozialen Systems haben.

Spannungsfelder: gegensätzliche Handlungsanforderungen

Definition  Grote et al. (2012) definieren Spannungsfelder als Situationen, die durch antagonistische Handlungsanforderungen charakterisiert sind.

Definition: Spannungsfelder



Spannungsfelder und Dilemmas ergeben sich zwangsläufig aus der Komplexität und Dynamik einer sich stetig verändernden Umwelt, der sich anpassenden Organisation und der sich stetig weiter entwickelnden Menschen. Per se wird in der Führung immer ein elementares Spannungsfeld angetroffen: zz Stabilität vs. Anpassung

Ein Existenzgrund der Führung ist es, die entstehenden oder bestehenden Spannungsfelder auszutarieren und auftretende Dilemmata einer verantwortungsvollen Lösung zuzuführen. Hierbei können sich Führungskräfte als auch alle anderen Menschen auf

elementarstes Spannungsfeld: Stabilität vs. Anpassung

286

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

natürliche Mechanismen stützen, welche per se auf die Ausbalancierung von Spannungsfeldern und zum Lösen von Dilemmata ausgerichtet sind. Alle geistigen Prozesse des Gehirns sind darauf ausgerichtet, auf unterschiedlichste Weise mit Stabilität und Veränderung umzugehen. Neben dem zentralen, oben erwähnten Spannungsfeld treffen Führungskräfte noch auf viele andere. Malik (2006) zeigt beispielsweise anhand des Spannungsfeldes der Führung grundsätzliche Herausforderungen von Führungspersonen auf (. Abb. 8.16). Neben diesen Spannungsfeldern existieren noch weitere, welche in der Natur von Organisationen begründet sind. Neuenberger (1995) als auch Kreyenberg (2005) haben unterschiedlichste Spannungsfelder identifiziert. Einige sind nachfolgend exemplarisch aufgeführt.

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Beispiel Spannungsfelder

Beispiel

8

Dilemma: zwei gleichermaßen günstige oder ungünstige Lösungen zur Wahl

Mittel vs. Zweck Gleichbehandlung aller vs. Eingehen auf den Einzelfall Distanz vs. Nähe Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung Konkurrenz vs. Kooperation Zielorientierung vs. Verfahrensorientierung Projekt vs. Linie Mitarbeiter vs. Unternehmen

zz Dilemmata

Ein zentraler Aspekt aller oben beschriebenen Spannungsfelder ist, dass sie nicht selten in ein Dilemma münden. Definition 

Definition: Dilemma

Ein Dilemma ist eine Zwangslage, Situation, in der sich jemand befindet, besonders wenn er zwischen zwei in gleicher Weise schwierigen oder unangenehmen Dingen wählen soll oder muss (Duden 2015). 

Werte und Normen bewusst bei der Problemlösung mitberücksichtigen

Oft liegen den Dilemmas Werte- oder Normenkonflikte zugrunde, welcher durch die Wahl einer Alternative nicht vollständig aufgelöst werden können. Entsprechend werden Führungskraft und andere Personen durch die Wahl einer Alternative mit unangenehmen und zum Teil unbeabsichtigten Konsequenzen konfrontiert, welche ebenjene Werte oder Normen verletzen können. Ein Weg, wie verantwortungsvoll gehandelt werden kann, ist, sich im Verlauf eines Problemlöseprozesses, bei Urteilen und bei Entscheidungen die wichtigen Normen und Werte bewusst

287

8.9  •  Verantwortungsvolles Führungshandeln

8

Chef Führung des Chefs

Außenwelt

Führungskraft

Management der Außenwelt (z.B. Kunde, Geschäft, Institution)

Führung der eigenen Person

Kollegen Führung von Kollegen

Mitarbeiter Führung von Mitarbeitern

..Abb. 8.16  Spannungsfelder der Führung. (Nach Malik 2006, mit freundlicher Genehmigung des Campus Verlags, Frankfurt am Main)

machen. Besonders in jenen Situationen, in welchen somatische

Marker klare Hinweisreize geben, sind persönliche Werte und Normen verletzt worden. Dies kann man für die Bewusstmachung derselben verwenden. Die Bewusstwerdung der eigenen als auch der organisationalen und gesellschaftlichen Werte und Normen erleichtern es, in Dilemmasituationen eine verantwortungsvolle Lösung und einen verantwortungsvollen Entscheid zu treffen. zz Zone of Responsible Action (ZORA)

Spannungsfelder besitzen meist zwei gegensätzliche Pole. Dilemmata besitzen zwei Alternativen, welche beide gleich günstig oder ungünstig sind. Entsprechend bilden diese Gegensätze immer eine Zone der möglichen Handlungen. Die bewussten Normen, Werte und insbesondere die individuellen, unumstößlichen Grundwerte bilden innerhalb dieser Zone der möglichen Handlungen jedoch Grenzen. Überschreitet eine mögliche Lösung des Problems eine solche Grenze, so werden die die Normen, Werte und Grundwerte grundlegend Verletzt. Eine solche Lösung ist aus moralischer Sicht nicht akzeptabel und wäre nicht persönliche Verantwortbar. Die Zone, in welcher verantwortungsvolles Handeln möglich ist, auch wenn weiterhin zwischen unterschiedlichen Alternativen mit ihren

Zone of Responsible Action (ZORA)

288

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Zone of Responsible Acon Volle Fremdbesmmung Grenze: Stabsstelle koordiniert die Handlungen aller

Volle Selbstbesmmung Grenze: Vorgaben Organisaon und Standardprozesse sind jederzeit einzuhalten

..Abb. 8.17  Zone of Responsible Action (Zone der verantwortungsvollen Aktionen)

Vor- und Nachteilen gewählt werden muss, nennt sich die Zone of Responsible Action (ZORA; . Abb. 8.17). Das nachfolgende Beispiel illustriert ein entsprechendes Vorgehen.

8

Beispiel ZORA

Beispiel

Nicht selten sind Führungskräfte mit der Situation konfrontiert, dass sie Fremdbestimmung und Selbstbestimmung gegeneinander abwägen müssen. Soll alles von der Organisation kontrolliert und vorgegeben werden oder sollen die Mitarbeitenden frei selbst über alles entscheiden. Die ZORA in . Abb. 8.17 wird durch zwei Grenzpunkte eingerahmt. Alle Lösungen, welche eine der Grenzpunkte verletzt sind für die Führungskraft nicht akzeptabel.

zz Kompensationshandlungen Kompensationshandlungen mildern die negativen Auswirkungen von Entscheiden

Selbst in der ZORA trifft man auf Situationen, bei welcher die Wahl einer Lösung immer bestimmte wichtige Werte oder Verantwortungen verletzt. Eine Kündigung aussprechen verletzt den Wert der Verantwortung für den Einzelnen, erfüllt aber die Verantwortung gegenüber der Organisation oder Team. In diesem Falle ist es ratsam, Kompensationshandlungen zu initiieren. Kompensationshandlungen sind Handlungen, welche die negativen Auswirkungen eines Entscheides, welche durch die Verletzung eines Wertes oder einer Norm entstehen, abschwächen. Im Falle einer Kündigung wären dies beispielsweise eine lange Kündigungsfrist, ein Sozialplan, Hilfe bei der Stellensuche, das Angebot einer Laufbahnberatung oder eine Abfindung. Eine Führungskraft entscheidet und handelt dann verantwortungsvoll, wenn sie die grundlegenden Werte und Normen der Gesellschaft, der Organisation und ihrer selbst in ihren Entscheiden und Handlungen bewusst respektiert und bei Verletzungen adäquate Kompensationshandlungen tätigt. Gleichzeitig verhält sie sich ebenfalls verantwortungsvoll, wenn sie ihre Entscheide und Handlungen begründet und dadurch anderen verständlich macht.

8.10  •  Strategisches Denken und Planen

Der Austausch mit anderen Führungskräften, Mitarbeitenden, Freunden und Familie über schwierige Führungssituationen hilft dabei, selbst zu verstehen und zu realisieren, welche Werte, Normen und individuellen Grundwerte mir als Führungskraft wichtig sind und an welchen ich mich in meiner Führungstätigkeit orientieren werde (Seiler et al. 2010). 8.10

289

8

Austausch miteinander macht wichtige Werte und Normen bewusst

Strategisches Denken und Planen

Andres Pfister

Organisationen als Ganzes sind ebenfalls immer damit konfrontiert, sehr komplexe Probleme zu lösen. Insbesondere das Grundproblem langfristig Erfolg zu haben in einer sich stetig verändernden Umwelt stellt eine zentrale Herausforderung dar. Hierbei kann die Entwicklung von Strategien auf organisationaler als auch auf individueller Ebene sowohl dem Problemlöse- als auch dem Lösungszyklus folgen. Gewählte Strategien sind jedoch nur dann erfolgreich, wenn sich alle Organisationsmitglieder in ihrem Handeln im Sinne der Strategie ausrichten. Zuerst muss jedoch noch geklärt werden, was eine Strategie ist und auf welchen Ebenen strategisches Denken und Handeln ansetzt. 8.10.1

Was ist eine Strategie

Herkunft des strategischen Denkens Der Begriff „Strategie“ und „strategisch“ stammen ursprünglich aus der militärischen Führung. Der Begriff „Strategie“ leitet sich aus dem griechischen „strategiea“ ab; ein Wort, das sich aus den Wortteilen „stratos“ (Heer) und „agein“ (Führen) zusammensetzt. Ursprünglich bedeutete Strategie die Kunst der Heerführung. Erst in den 1960-Jahren hat der Begriff Strategie im Management Eingang gefunden. Heute sind die Begriffe sowohl im Management als auch in unserer Alltagssprache gebräuchlich. Im Management wird der Begriff keineswegs einheitlich verwendet. Auch hat sich das Denken über Strategien im Laufe der Zeit im Management stark gewandelt.

Strategiebegriff stammt aus dem militärischen Führungsalltag

Begriff der Strategie im Management und in der Betriebswirtschaftslehre

Unter Strategie im Management und der Betriebswirtschaftslehre versteht man Aussagen über die längerfristige zukünftige Ausrichtung der Organisation, die es ermöglichen soll, sich gegenüber den kommenden Herausforderungen aus der Um- und Innenwelt zu behaupten (vgl. Thommen 2008). Strategisches Denken bedeuten demnach, die Organisation in seinen dynamischen Wechselwirkungen zu seinem Umfeld

Begriff Strategie

Zeithorizont

290

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

zu verstehen und daraus überlebenssichernde Handlungsweisen abzuleiten. Ziel des strategischen Denkens und Planens ist es, die zukünftige Ausrichtung der Organisation auf den Existenzgrund zu optimieren und mögliche Änderungen des Existenzgrundes in einem dynamischen Umfeld vorwegzunehmen. Strategisches Denken ist längerfristig ausgerichtet. Früher war der Zeithorizont noch auf 5–10 Jahre ausgelegt, heute spricht man schon bei einem Zeithorizont von 2–5 Jahren von strategischem Denken. Senge (2006, S. 18) charakterisiert strategisches Denken folgendermaßen: Definition  Definition: Strategisches Denken

Strategisches Denken beginnt damit, dass man über das wirklich Wesentliche einer Unternehmung nachdenkt und über die zentralen Herausforderungen, die damit verbunden sind. Es entwickelt sich aus einem gewissen Verständnis für Fokus und Timing. Fokus bedeutet, dass man weiss, wohin man seine Aufmerksamkeit richten muss. Was ist wirklich wesentlich? Was ist sekundär? Was kann man nicht ignorieren, ohne den Erfolg des Unternehmens zu gefährden? Timing bedeutet, dass man ein Gespür für eine entfaltende Dynamik entwickelt.

8



Eine Strategie leitet zusammen mit den organisationalen Leitsätzen, Programmen, Plänen und der Kultur die Handlungen der einzelnen Personen und kann somit als eine Art Leitplanke verstanden werden. Die Merkmale des strategischen Denkens sind nach Vetter und Mussmann (2013) die folgenden:

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Strategisches Denken ist Zielgerichtet, zukunftsbezogen (längerfristig), umweltbezogen, auf das Wesentliche gerichtet, ganzheitlich und vernetzt sowie antizipativ (vorausschauend).

Strategiebegriff und die Ebenen unternehmerischen Denkens und Handelns drei Ebenen: normativ, strategisch, operativ

Unternehmerisches Denken und Handeln lässt sich in drei Ebenen bzw. Orientierungsdimensionen gliedern (vgl. Bleicher 1992, S. 16–19; Rüegg-Stürm 2003, S. 71): normativ, strategisch und

--

8.10  •  Strategisches Denken und Planen

291

8

--

operativ. Zum besseren Verständnis des Strategiebegriffs ist seine Einordnung in die Ebenen unternehmerischen Denkens und Handelns hilfreich.

zz Normative Ebene

Dazu gehören die generellen Zielsetzungen, Prinzipien, Werte, Norme, Unternehmensphilosophie, unternehmenspolitisches Handeln und Verhalten. Sie gibt eine Begründung für Aktivitäten, gibt Antwort auf die Frage, warum und wozu eine Organisation etwas tut (Legitimität).

Prinzipien und Werte

zz Strategische Ebene

Das sind Aufbau, Pflege und Nutzung von Erfolgspotentialen. Ziel jeder strategischen Entwicklung ist die Etablierung von Strategischen Erfolgs-Positionen (SEP) (= Verbesserung der Überlebenschancen). Ziel ist es, etwas zu schaffen, das die Unternehmung auszeichnet, ihr Erfolge verschafft, und das nicht leicht nachgeahmt werden kann. Im Mittelpunkt steht die Gestaltung von Strukturen und Systemen sowie von Problemlöseverhalten der Organisation. Bei strategischen Fragen und Überlegungen geht es um die Wettbewerbsfähigkeit und die grundsätzliche Frage: Was müssen wir tun, um langfristig erfolgreiche zu sein und zu überleben?

Erfolgspotentiale

Systeme und Strukturen

zz Operative Ebene

Sie besteht im Vollzug des normativen und strategischen Managements im unmittelbaren Alltagsgeschäft. Hierbei geht es um die wirtschaftliche Effizienz (vgl. Bleicher 1992, S. 19–17). . Abb.  8.18 zeigt eine Gegenüberstellung nach Vetter und Mussmann (2013) Die linke Seite zeigt fünf Ebenen (Philosophie, Politik, Strategie, Taktik, Ausführung) in Abhängigkeit vom Konkretisierungsgrad und Zeithorizont. Auf der obersten Ebene (normative Ebene) haben wir es mit grundsätzlichen, oft allgemein formulierten Aussagen zur Begründung der Existenz eines Unternehmens sowie Aussagen zu seiner Philosophie und seinen Werten zu tun. Hier geht es um die Frage der Legitimität eines Unternehmens in der Gesellschaft. Die Aussagen auf dieser Ebene haben den längsten Zeithorizont. Entscheidungen auf der normativen Ebene können nicht alle paar Jahre geändert werden, sondern haben einen gewissen Bestand. Wenn beispielsweise eine Unternehmung Umwelt- und Ressourcenschonung als einen wichtigen Wert formuliert, kann dieser Wert nicht kurzfristigen Nachteilen (z. B. Mehrkosten) geopfert werden. Auf der untersten Ebene (operative Ebene) geht es um konkrete Handlungen. Hier ist der Konkretisierungsgrad am größten und der Zeithorizont ist am kürzesten. Es können Tätigkeiten sein, die

Alltagsgeschäft

292

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

8

hoch

Konkretisierungsgrad

gering

kurzfristig

Vision

Zeithorizont

Philosophie ”Werte”

Warum

Politik ”Ziele”

Was

Strategie ”Mittel und Methoden”

Wie

Vision

Normative Ebene Unternehmenspolitik Missionen

Strategische Ebene Methoden, Mittel Programme

Taktik ”Programme”

Ausführung ”Tätigkeit”

langfristig

Vision

Normative Ebene Philosophie,”Werte” Strategische Ebene

Ziele (Politik) Methoden, Mittel Programme

Womit

Wer Wann Wo

Operative Ebene

Operative Ebene

Aufträge, Aktivitäten, Handlungen

Aufträge, Aktivitäten, Handlungen

Strategiebegriff im engeren Sinn

Strategiebegriff im weiteren Sinn

..Abb. 8.18  Ebenen unternehmerischen Denkens und Handelns. (Aus Vetter und Mussmann 2013)

Strategie im engeren Sinne

Strategie im weiteren Sinne

auf die nächste Stunde oder den nächsten Tag ausgerichtet sind (z. B. eine Besprechung, das Erstellen eines Planes usw.). Die Darstellung in der Mitte zeigt den Zusammenhang der drei Ebenen normativ, strategisch und operativ mit den fünf Ebenen auf der linken Seite. Der Strategiebegriff umfasst hier das Wie und das Womit. Es geht um den Weg, wie die in der Politik formulierten Ziele erreicht werden können. Man kann in diesem Zusammenhang auch vom Strategiebegriff im engeren Sinn sprechen. Er bezieht sich einzig auf das Wie und Womit. Die Darstellung rechts schließt die Ebene der Politik in der strategischen Ebene mit ein. Wir können hier vom Strategiebegriff im weiteren Sinn sprechen. Er beinhaltet neben dem Wie und dem Womit auch das Was, d. h. die Ziele. In der Managementpraxis wird der Strategiebegriff nicht einheitlich gebraucht. Er wird jedoch häufiger im weiteren Sinne verwendet. Wie Politik und Strategien in Unternehmungen formuliert werden, ist sehr firmenspezifisch. Es gibt Firmen, die den Begriff Politik kaum verwenden und einfach von Strategien sprechen, die verfolgt werden. Damit ist gemeint: „Wir verfolgen die Ziele mit bestimmten Methoden und Mitteln.“ Aus . Abb. 8.18 geht hervor, dass die drei Ebenen nicht isoliert voneinander betrachtet werden dürfen, sondern hochgradig miteinander interagieren. Eine Organisation arbeitet dann optimal,

8.10  •  Strategisches Denken und Planen

293

8

wenn operative Tätigkeiten (z. B. ein Telefongespräch mit einem Kunden) auf die Strategie ausgerichtet und im Geiste der herrschenden Normen und Werte durchgeführt werden (z. B. wie ich telefoniere, kundenfreundlich, wertschätzend). Die einzelnen Ebenen müssen verknüpft werden, sonst arbeitet eine Unternehmung suboptimal, d. h. zu wenig effizient. Eine Verknüpfung findet einerseits über Zielvereinbarungsprozesse oder auch über Leitlinien, Leitsätze, geteilte Visionen, etc. und insbesondere über das Führungshandeln jeder einzelnen Führungsperson statt. 8.10.2

Strategie und Vision

Ein weiterer, häufig verwendeter Begriff, der mit Strategien und strategischem Denken in einem engen Zusammenhang steht, ist der Begriff der Vision. Begriffe wie visionäres Management, visionäre Führung, Visionsworkshop usw. werden oft und gerne benutzt. Das Denken in Strategien und das Denken in Visionen reichen sich sozusagen die Hand (. Abb. 8.19). In der Praxis wird zwischen Visionen und Strategien häufig nicht einmal unterschieden. Eine Vision ist ein möglichst konkretes, motivierendes Bild der Zukunft, das eine Ausstrahlung hat und das zu begeistern vermag (. Abb. 8.19). Es setzt in Menschen Engagement und Energien frei im Sinne von: „Das wollen wir erreichen“. Menschen fühlen sich motiviert, den durch das Bild vermittelten zukünftigen Zustand anzustreben (z. B. eine humane und friedliche Welt). Strategien werden oft als Konkretisierungen dieser Zukunftsbilder verstanden. Sie beschreiben den Weg, die Methoden und die Mittel, wie das Ziel zu erreichen ist. Die Wirkung von Visionen lässt sich mit der Psychologie des Menschen, von Gruppen und von Organisationen erklären. Geteilte gemeinsame Visionen vermögen die Energien von Menschen zu bündeln, zu motivieren und entfalten so eine eindrucksvolle Kraft. Sie erzeugen ein Gefühl der Gemeinschaft und schaffen eine gemeinsame Identität. Visionen werden als Bilder oder in einer bildhaften Sprache kommuniziert. Sie haben daher oft auch etwas Unbestimmtes. Sie lassen Interpretationen zu. Doch gerade dieses Unbestimmte lässt dem einzelnen Menschen Freiraum. Gemeinsame Visionen sind dann am stärksten, wenn sie mit möglichst vielen persönlichen Visionen oder tiefen Interessen oder Werten der Organisationsmitglieder übereinstimmen (vgl. Senge 2006, S.  251–283). Das Entwickeln einer gemeinsamen Vision muss auch als zentrales Element der alltäglichen Führungsarbeit betrachtet werden. Es ist ein fortlaufender, nie endender Prozess. Eine gemeinsame Vision schafft Identifikation und damit Motivation der Organisationsmitglieder. Sie erzeugt Engagement und Begeisterung.

Strategie und Vision

Vision sind konkrete Bilder der Zukunft

Entwicklung einer gemeinsamen Vision ist eine zentrale Führungsaufgabe

294

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Denken in Strategien

8

Denken in Visionen

- analytische Ziele

- Bilder mit Ausstrahlung, mit Kraft

- logische Grundlagen

- Logik ergänzt durch Intuition

- Inhalt entscheidend

- Form und Inhalt entscheidend

- Vollständigkeit, Konsistenz

- Nützlichkeit

- wirkt vor allem im TopManagement

- ist einsichtig und wirksam für größeren Mitarbeiterkreis

- intellektuelle Einsicht

- einfach nachvollziehbar

- spricht den Kopf an (Verstand)

- spricht das Herz an (Gefühlsebene), erzeugt Engagement und Begeisterung

- persönliche Werturteile werden nicht explizit berücksichtigt

- bewusstes Arbeiten mit Neigungen und Werthaltungen

Strategien und Visionen ergänzen sich

Die Strategie ist die Konkretisierung einer Vision, und die Vision ist im Ergebnis immer zugleich ein verdichteter Ausdruck einer Strategie. ..Abb. 8.19  Denken in Strategien und Denken in Visionen. (Aus Vetter und Mussmann 2013)

Zusammenhang zwischen Vision, Strategie, Pläne und Budgets

-

Vision: ein erstrebenswertes und motivierendes Bild der Zukunft Strategie: eine Logik, ein Weg, wie die Vision erreicht werden kann Pläne: spezifische Schritte und Zeitpläne, wie Strategien umgesetzt werden können Budgets: in finanzielle Vorstellungen und Ziele übersetzte Pläne

295

8.10  •  Strategisches Denken und Planen

Umwelt gre tem Sys

nz e

• • • • • • • •

8

Wertewandel Ökologie Technologie Wirtschaft Markt Gesellschaft Politik etc.

Ziele, Strategien, Aufgaben

Existenzgrund Input

Output Strukturelemente der Organisation

Das Systemverhalten, die Kultur

Aufgabe Primary Task

..Abb. 8.20  Organisation als offenes System und ihr Umfeld. (Aus Vetter und Mussmann 2013)

8.10.3 Strategieentwicklung

als Problemlösungsprozess

Worin besteht das strategische Problem? Bei der Strategieentwicklung und der späteren Umsetzung von Strategien geht es darum, das offene soziale, dynamische System Organisation im komplexen und dynamischen Umfeld so auszurichten und seine Energien so zu vereinen, dass es längerfristig erfolgreich ist. Dies ist ein äußerst komplexes Problem. Das Augenmerk richtet sich dabei sowohl auf die Außenwelt der Organisation als auch auf ihre Innenwelt. Beides sind soziale Systeme mit den Hauptmerkmalen Komplexität und Dynamik. Hinzu kommt, dass das Problem in die Zukunft mit ihrer nicht berechenbaren Unbestimmtheit gerichtet ist. Meistens geht der Impuls für die Entwicklung neuer Strategien von Veränderungen vom Umfeld aus. Systemisch gesprochen sind neue Strategien meist Anpassungen des Systems Organisation oder Unternehmen an Veränderungen im Umfeld. Strategisches Denken und Planen richtet sich auf Veränderungen in einer dynamischen und komplexen Umwelt. Wegen der großen Dynamik dieses Umfeldes ist die Beschäftigung mit Strategiefragen eine Daueraufgabe für Führungskräfte. Zumindest muss das Umfeld dauernd beobachtet und analysiert werden. Dass dabei – sowohl innen wie außen – eine Vielzahl von Elementen, die miteinander in vielfältigen dynamischen Wechselbeziehungen stehen, berücksichtigt werden müssen, liegt auf der Hand. . Abb.  8.20 der Organisation als offenes soziotechnisches System mit ihrem Umfeld veranschaulicht einige der zu berücksichtigenden Einflussfaktoren (7 Kap. 2). Das prinzipielle Problem kann daher ebenso gut auch für eine Organisationseinheit (Bereich, Abteilung, Gruppe) formuliert wer-

Strategieentwicklung und -umsetzung als äußerst komplexes Problem

neue Strategie als Anpassung auf Veränderungen im Umfeld

296

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

den. Es lautet dann wie folgt: „Wie richten wir uns in einer Organisationseinheit aus, um im Rahmen der übergeordneten Strategie längerfristig einen möglichst großen Beitrag zum Gesamterfolg der Organisation zu leisten?“ Strategisches Denken ist also nicht nur eine Aufgabe des obersten Managements, sondern betrifft alle Managementstufen. Im Zuge der vermehrten Anwendung von Selbstorganisationsmodellen und agilen Methoden in Organisationen wird die Beschäftigung mit Strategiefragen jedoch auch vermehrt eine Aufgabe von Teams und Einzelpersonen, welche nicht direkt in einer klassischen Führungsrolle sind. Auch im Rahmen von Projekten sind strategische Überlegungen und strategisches Handeln gefragt. In der Praxis ist es leider jedoch häufig so, dass sich Führungskräfte wegen der Fülle der „Alltagsgeschäfte“ kaum Zeit für strategische Überlegungen nehmen.

Grundsätzliche Wege der Strategieentwicklung

8

Wege für das strategische Problem

analytische Strategieentwicklung

visionsgeleitete Strategieentwicklung Unterschied zwischen Vorgehensweisen

Wie kann das Problem angepackt werden? Dazu gibt es viele Wege. In der Praxis wird mehr oder weniger systematisch vorgegangen, wobei jede Organisation ihre spezifischen Wege hat. Aus dem ganzen Spektrum möglicher Lösungswege werden zwei kurz beschrieben, die sich als Pole eines ganzen Kontinuums von Lösungsansätzen verstehen lassen: analytische Strategieentwicklung, visionsgeleitete Strategieentwicklung.

--

Analytische Strategieentwicklung Bei diesem Vorgehen wird zuerst eine genaue Analyse des Umfeldes und der Organisation selbst vorgenommen (Ist-Analyse). Dann wird der Soll-Zustand formuliert (Zielformulierung). Für die Überbrückung des Ist zum Soll werden geeignete Strategien entwickelt. Bei diesem Vorgehen wird die Analyse stark betont. Ausgangspunkt ist eine möglichst exakte Erfassung der Daten und Fakten der beteiligten Systeme. Sie sollen die Grundlage für eine erfolgreiche Strategie bilden. Dieses Vorgehen entspricht stark der traditionellen strategischen Planung. Es gleicht stark der Problemlösungsmethodik, wie sie in vorangehend in diesem Kapitel dargestellt ist.

Visionsgeleitete Strategieentwicklung Bei diesem Vorgehen steht am Anfang die Entwicklung einer gemeinsamen Vision. Ideal ist, wenn eine größere Anzahl der Organisationsmitglieder daran mitwirken kann. Der Ist-Zustand wird erst in einem zweiten Schritt näher betrachtet. In einem dritten Schritt werden dann Strategien entwickelt, wie in der Realität die Vision angestrebt werden kann. Es werden die kritischen Lücken ermittelt, woraus strategische Prioritäten formuliert werden (. Tab. 8.3; vgl. Senge 2006, S. 399). Dieses Vorgehen hat viele Parallelen zum Lösungszyklus, welcher ebenfalls in diesem Kapitel schon vorgestellt

8.10  •  Strategisches Denken und Planen

297

8

..Tab. 8.3  Analytische und visionsgeleitete Strategieentwicklung. (Aus Vetter und Mussmann 2013) Analytische Strategieentwicklung

Visionsgeleitete Strategieentwicklung

1. Situationsanalyse (Ist-Zustand)

1. Veränderungsbedarf (Suchen)

2. Ziele/Handlungsalternativen (Soll-Zustand)

2. Vision entwickeln

3. Strategie entwickeln, Lücken schließen, Lösungen suchen (IstSoll-Abgleich)

3. Bereitschaft für Veränderung des Ist-Zustands, (Abklären)

4. Bewertung und Auswahl der geeigneten Strategie (Strategieplanung)

4. Strategieplanung

5. Realisierung und Kontrolle der Strategie

5. Realisierung und Reflexion der Umsetzung

wurde. Statt von einem visionsgeleiteten Vorgehen könnte man auch von einer lösungsfokussierten Haltung in der Strategieentwicklung sprechen. Eine Strategie lässt sich im Grunde genommen nicht logisch ableiten und planen. Strategieentwicklung ist kein linearer, sondern vielmehr ein zyklischer Prozess, der auch chaotisch wirken kann. Dabei geht es darum, all das zu erfassen, was Manager aus vielen Quellen lernen und dann zu einer Vision zu synthetisieren, in welche Richtung sich das Unternehmen bewegen soll. Strategieentwicklung ist ein enorm komplizierter Vorgang, der die raffiniertesten, subtilsten und zugleich völlig unbewussten Anteile menschlichen Denkens einschließt (vgl. Mintzberg 1994). Dabei können selbstverständlich Methoden der Kreativitätstechnik (7 Abschn. 8.11.3) angewandt werden. In der Regel werden heute in größeren Firmen die Strategien durch das oberste Management entwickelt, oft unterstützt durch externe Berater. Viele Strategien werden dann mit der „Bombenwurfmethode“ eingeführt. Das mittlere und das untere Management haben sie dann umzusetzen. Die Bombenwurfstrategie hat schwerwiegende Nachteile und lässt sich nur in Fällen rechtfertigen, wo Geheimhaltung unumgänglich ist, wie z. B. bei Fusionen von Firmen, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. Obwohl die Bombenwurfmethode ein häufig gewähltes Vorgehen ist, erhält eine Strategie ein viel solideres Fundament, wenn unterschiedliche Ebenen in der Strategieentwicklung beteiligt wurden. Partizipation im Strategieprozess erhöht das Commitment jener Stufen, welche beteiligt werden. Gleichzeitig besteht die Chance, allfällige Probleme bei der Implementierung der Strategie schon frühzeitig zu erkennen. Letztlich sind es auch die operativen Kräfte in einer

Partizipation im Strategieprozess

298

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Unternehmung, welche ihre „Fühler“ im Markt haben und somit auch im Besitz wichtiger Informationen über die Marktentwicklung und Trends in der Umwelt aber auch innerhalb der Organisation sind, welche für die Entwicklung und Umsetzung einer Strategie elementare Dienste erweisen können. Somit sind die Entwicklungen von Strategien, seien diese visions- oder analytisch getrieben, ein Problemlöseprozess, welcher in Gruppen stattfindet, um die komplexen und vielschichtigen Herausforderungen, welche eine Organisation jetzt und in Zukunft antrifft, zu meistern. Strategieentwicklung und Implementierung ist somit der Problemlöseprozess einer Organisation als Ganzes. Hierbei verantwortungsvolle Entscheide für sich, die Organisation als auch die Gesellschaft zu treffen ist eines der wichtigsten Elemente der Strategieentwicklung. Zusammenfassung

8

Zusammenfassung Der Mensch ist dank seines Gehirns hervorragend dazu ausgestattet, einfach und sehr komplexe Probleme zu lösen. Unterschiedliche Verarbeitungsprozesse im Gehirn werden sowohl bei der Lösung von einfachen und komplexen Problemen verwendet. Lernprozesse ermöglichen es einerseits wichtige Einsichten für die Problemlösung zu erhalten und auch wiederkehrende Problemlösungen zu automatisieren. Heuristiken sind beispielsweise solche automatisierten oder teilautomatisierten Problemlösestrategien. Probleme lösen ist immer eine Kombination von Urteilen, Entscheiden und Umsetzen. Diese werden auch als zentrale Grundtätigkeiten der Führung betrachtet. Führungskräfte sind nicht selten mit komplexen, vielschichten Problemen konfrontiert, welche nicht mit einfachen Strategien zu lösen sind. Rationale, bewusste Problemlösung wird nötig. Der Problemlösezyklus ist eine Methode, mit welcher unterschiedlichste Probleme einer Lösung zugeführt werden können. Der Zyklus besteht aus vier Phasen, welche flexibel bearbeitet werden können, da die Ergebnisse einer Phase teilweise große Auswirkungen auf die nachfolgenden Phasen hat. Die Phasen sind die Analyse, die Lösungsfindung, der Entscheidungsprozess und die Umsetzung und Reflexion. Alternativ dazu existiert der Lösungszyklus, welcher primär auf die Lösung der angetroffenen Herausforderung, auf Ressourcen und die Vision der möglichen Zukunft fokussiert. Die Problemanalyse wird im Gegensatz zum Problemlösezyklus viel weniger tief durchgeführt. Unterschiedliche Methoden der Situationsanalyse als auch der Bewertung von Lösungsvarianten sind bekannt, wobei die Pro‑/Kontraals auch die Nutzwertanalyse am häufigsten angewendet werden. Eine Führungskraft steht jedoch auch immer vor der

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

299

8

Entscheidung, ob alleine oder zusammen mit anderen entschieden und Probleme gelöst werden sollen. Nicht in jedem Fall ist eine kollektive oder eine individuelle Problemlösung sinnvoll. Letztendlich hat jede Problemlösung, jedes Urteil als auch jede Entscheidung Auswirkung auf andere Menschen. Entsprechend müssen Führungskräfte verantwortungsvoll Entscheiden, Urteilen und Probleme lösen. Wichtig hierbei ist es, die eigenen Werte und Normen, als auch diejenigen der Organisation und der Gesellschaft in die Problemlösung mit einfließen zu lassen. In Dilemmasituationen hilft es, die Zone of Responsible Action genauer zu bestimmen. Strategische Entscheide sind das Resultat eines Problemlöseprozesses, welcher Antworten auf die komplexen und vielschichtigen Probleme einer Organisation liefert. Hierbei können Strategien entwickelt werden, indem man dem Problemlösezyklus folgt und somit analytisch Strategien entwickelt. Gleichwohl können Strategien auch entwickelt werden, indem man dem Lösungszyklus folgt. Hierbei steht die Generierung einer Vision für die Organisation im Zentrum. Strategien werden dadurch visionsgeleitet entwickelt. Auch bei der Strategieentwicklung bleibt ein zentrales Element das Fällen von verantwortungsvollen strategischen Entscheidungen und eine verantwortungsvolle Implementierung der Strategie in der Organisation.

8.11

Kreativität und Kreativitätstechniken

Eric Lippmann, Claudia Beutter

Die vorliegenden Ausführungen sind die Einführung in das Thema „Kreativität“. Beschrieben werden bedeutende Parameter der Kreativität: Person, Prozess, Produkt und Umwelt. Unter anderem werden die folgenden Fragen diskutiert: Können die Einstellungen einer Person kreatives Denken blockieren? Wie ist das Thema Kreativität in den Problemlösezyklus zu integrieren? Was unterscheidet ein kreatives Produkt von einem nichtkreativen Produkt? Wie muss die soziale Umwelt gestaltet sein, um in Hinblick auf die Kreativität dem Individuum unterstützend und fördernd zur Seite zu stehen? Kreativitätstechniken werden im Anschluss behandelt. 8.11.1

Begriff „Kreativität“

Sie planen als Führungskraft den alljährlich stattfindenden Ausflug Ihrer Arbeitsgruppe. Um Ideen der Teammitglieder berücksichtigen zu können, geben Sie die folgende Nachricht in Umlauf:

zum Begriff

300

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

keine einheitliche Definition

Forschungsfeld seit 1950

8

Wortstamm „creare“

Bestimmungsfaktoren, Einflussgrößen, Parameter

„Mitteilung: Unser alljährlicher Teamausflug wird voraussichtlich Anfang Juni durchgeführt werden. Kreative Ideen und Vorschläge nehme ich gerne entgegen.“ Mit einiger Sicherheit können Sie davon ausgehen, dass Ihre Mitarbeitenden den Begriff „kreativ“ zu deuten wissen. Schon frühe Forschungsarbeiten (Sikora 1976) belegen, dass der Begriff „Kreativität“ keiner weiteren Erläuterung bedarf, um hinreichend eindeutig verstanden zu werden. In der Wissenschaft hat sich hingegen keine einheitliche Definition des Begriffs „Kreativität“ durchgesetzt; obwohl (oder gerade weil) die Anzahl der publizierten Forschungsarbeiten zum Thema Kreativität seit den 1950erJahren exponentiell zugenommen hat. Dies wurde im Wesentlichen durch zwei Ereignisse ausgelöst: 1950 beklagt der Psychologe und Wissenschaftler Guilford in einer „Presidential Address“ an die American Psychological Association den Mangel an kreativen Personen in Wissenschaft und Wirtschaft der USA und fordert die Erforschung, Erfassung und Förderung der Kreativität. Wenige Jahre später (1957) löste der erste künstliche Erdsatellit, der von den Sowjets ins Weltall geschossen wurde, in den USA das aus, was als „Sputnik-Schock“ in die Geschichte Eingang fand. Um das naturwissenschaftlichtechnische Defizit wettzumachen, wurden unter anderem erhebliche Mittel in die Kreativitätsforschung investiert. Gegen Ende der 1960er‑, Anfang der 1970er-Jahre wurde dem Thema der Kreativität auch in Europa erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Nachdem daraufhin das Thema Kreativität in der Literatur gegen Ende der 1970er-Jahre fast in Vergessenheit geriet, setzte Mitte der 1980er-Jahre ein erneuter Anstieg des Interesses ein, das bis heute anhält; angesichts der vielen Probleme einer globalisierten Welt, die Lösungen bedürfen, ist das kaum verwunderlich (vgl. Preiser und Buchholz 2008). Der Wortstamm des Begriffs „Kreativität“ liegt im lateinischen „creare“. Dieser kann mit zeugen, gebären, erschaffen übersetzt werden. Im Duden wird Kreativität kurz mit „das Schöpferische, Schöpferkraft“ beschrieben und kreativ als „schöpferisch, Ideen habend und diese gestalterisch verwirklichend“ definiert. Neben einer allgemeinen Einführung in das Thema Kreativität wird die Frage, wie Führungskräfte das kreative Potenzial einer Arbeitsgruppe fördern können, beantwortet. Eine pragmatische, erste Antwort nehmen wir vorweg: Indem sie beim Arbeiten in Gruppen Kreativitätstechniken anwenden. Im Folgenden werden die Grundlagen für ein tieferes Verständnis von Kreativitätstechniken gelegt; wichtige Bestimmungs- oder Einflussfaktoren erläutert. Solche Bestimmungsfaktoren oder Einflussgrößen werden auch als Parameter bezeichnet.

Einstellungen

Motivation

8

301

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

Fähigkeiten

Denkstile

Persönlichkeitsmerkmale

Person Problem - W ahrnehmung

Physische Umwelt Gruppe

Problem - D efinition

Kreativität

Umwelt

Organisation

Ideen - F indung

Prozess

Ideen - B ewertung

Soziale Umwelt

Ideen - R ealisierung

Kultur Gesellschaft

Produkt

expressive Kreativität

produktive Kreativität

erfinderische Kreativität

innovatorische Kreativität

emergentive Kreativität

..Abb. 8.21  Parameter der Kreativität. (Mod. nach Sikora 1976, mit freundlicher Genehmigung von Quelle & Meyer)

8.11.2

Parameter der Kreativität

Vier Parameter der Kreativität werden in Anlehnung an Sikora (1976) sowie Preiser und Buchholz (2008) beschrieben: die Person, der Prozess, das Produkt und die Umwelt. Zunächst erörtern wir, inwieweit Einstellungen, Motivationen, Fähigkeiten, Denkstile und Persönlichkeitsmerkmale einer Person Einfluss auf die Kreativität nehmen. Im Anschluss daran wird das Thema Kreativität in den Prozess der Problemlösung eingebettet. Daraufhin wird das Thema „kreative Produkte“ erörtert, um schließlich zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und inwiefern die physische und soziale Umwelt Einfluss auf die Kreativität nimmt. Eine Übersicht der Parameter zeigt . Abb. 8.21.

vier Parameter

Person Auf das kreative Denken und Handeln einer Person wirken sich insbesondere ihre Einstellungen und Motivation, aber auch ihre Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale aus.

Person (1. Parameter)

Einstellungen Unter einer Einstellung wird eine seelische Haltung gegenüber einer Person, einer Idee oder Sache verstanden, verbunden mit einer Wertung oder einer Erwartung (Sikora 1976). In einer komplexen sozialen Umwelt helfen Einstellungen, tägliche Erfahrungen und Eindrücke zu ordnen und ihnen Sinn zu geben. Andererseits können Einstellungen auch dazu führen, kreatives Potenzial zu unterbinden. Einstellungen dürften immer dann mit kreativem Denken kollidieren,

Einstellungen können hinderlich sein

302

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

--

wenn sie zu Mustern oder Stereotypen erstarren, wenn sie zumindest zeitweilig Verunsicherung verhindern und somit u. U. dazu führen, ein Problem zu ignorieren oder vorschnell eine Lösung zu akzeptieren, wenn sie für eine permanente und vorschnelle Selektion zwischen Relevantem und Nichtrelevantem sorgen, wenn sie Kontinuität gegenüber wechselnden Situationen erreichen wollen, wenn sie als Mittel der sozialen Anpassung der Konformität fungieren.

blockierende Einstellungen abbauen bzw. modifizieren

8

Eine wesentliche Forderung, die an die verschiedenen Kreativitätstechniken zu stellen ist, lautet, dass sie die beschriebenen negativen Auswirkungen zumindest zeitweise außer Kraft setzen. Kreativitätstechniken sehen beispielsweise in der Regel vor, dass die Beurteilung von Ideen zeitlich vom Sammeln der Ideen getrennt ist. Damit wäre dem Hemmnis der „vorschnellen Selektion zwischen Relevantem und Nichtrelevantem“ teilweise Rechnung getragen. Entscheidend ist, ob es mit Hilfe der angewandten Kreativitätstechniken gelingt, Wahrnehmung und Denkprozess blockierende Einstellungen abzubauen. Wo dies nicht durch Technik allein gelingt, gehört es zu den Aufgaben der Führung, kreativitätshemmende Einstellungen einer Gruppe transparent zu machen und beispielsweise durch zusätzliche Informationen zu modifizieren versuchen.

Motivation Was motiviert zu Kreativität?

Sensitivität für Lücken, Leistungsmotivation

„Flow“

Zunächst gehen wir auf die Frage ein: Was motiviert Personen zu schöpferischen Leistungen? Oder: Warum handelt ein Individuum kreativ? So wie man umgangssprachlich eher arbeitsscheuen Menschen attestiert „der sieht halt die Arbeit nicht“, könnte für kreativ handelnde Menschen gelten „die erkennen ständig, dass etwas getan werden muss und neue (kreative) Lösungen wichtig sind.“ Dies kommt zum Ausdruck, wenn in der Literatur formuliert wird, dass kreativ handelnde Personen eine größere Sensitivität für Lücken und für das Fehlen an Geschlossenheit in der Umwelt haben (Sikora 1976). Weiter wird davon ausgegangen, dass kreative Personen generell über eine stärkere Leistungsmotivation verfügen als weniger kreativ handelnde Menschen. Weniger Kreative lassen sich auch eher durch Belohnungen ihrer Umwelt (extrinsisch) motivieren (beispielsweise durch Gehalt oder Statussymbole). Im Gegensatz dazu sind kreativ handelnde Personen eher intrinsisch („aus sich heraus“) motiviert. Csikszentmihalyi hat als „Glücksforscher“ untersucht, wie es Menschen gelingt, Erlebnisse und Situationen herbeizuführen, die sie besonders erfüllen. Solche Erlebnisse hat er mit dem Begriff „Flow“ bezeichnet, ein Phänomen, das in der Gestaltpädagogik als „Kon-

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

303

8

taktvollzug“ bezeichnet wird und auch für kreative Tätigkeiten von Bedeutung ist: die Grenze zwischen Individuum und dem Gegenstand der Beschäftigung ist aufgelöst. Beim „Flow“ ist das Zeitgefühl aufgehoben, dazu gehört u. a. auch eine Selbstvergessenheit (Csikszentmihalyi 2010; Burow 1999). Analog zum Thema Motivation (7 Abschn. 14.3) kann die Führungskraft ihr Gegenüber nicht einfach zu einem „Flow“ bringen. Hingegen kann sie die Parameter, auf die sie Einfluss hat, in eine kreativitäts-fördernde Richtung zu steuern versuchen

Fähigkeiten Gibt es kreativitätsfördernde Fähigkeiten? Kreativität ist v. a. dann gefragt, wenn es auf eine Frage- bzw. Problemstellung nicht nur eine richtige Lösung, sondern mehrere gibt, die sich in ihrem Wert und Nutzen sehr unterscheiden können. Um solche Lösungen zu finden, sind divergente Denkoperationen erforderlich, das sind Denkprozesse, bei denen eine quantitative und qualitative Vielfalt von Lösungen oder Einfällen zu entwickeln ist (vgl. Preiser und Buchholz 2008). Für divergentes Denken sind insbesondere die folgenden Fähigkeiten von Bedeutung: Sensitivität, Flüssigkeit, Flexibilität und Originalität.

Fähigkeiten

Die Fähigkeit, ein Problem überhaupt als solches zu erkennen, wird als Problemsensitivität bezeichnet. Die Flüssigkeit des Denkens bezieht sich auf die Gesamtzahl der Ideen, die in einem vorgegebenen Zeitraum produziert werden. Demgegenüber wird unter der Flexibilität des Denkens die Anzahl deutlich voneinander zu unterscheidender Kategorien von Assoziationen verstanden. Die Originalität des Denkens beschreibt die Seltenheit oder Einzigartigkeit von Assoziationen.

Problemsensitivität, Flüssigkeit des Denkens

---

Beispiel

Folgendes Beispiel veranschaulicht die Konzepte Flüssigkeit, Flexibilität und Originalität. Nehmen wir an, Ihnen wird die Frage gestellt, welche Verwendungsmöglichkeiten Sie für einen Ziegelstein sehen. Fünf Minuten lang haben Sie Zeit, Ideen zu produzieren. Die ersten Antworten könnten beispielsweise lauten: „zum Hausbauen, zum Bau einer Kirche, zum Bau einer Schule“. Die Flüssigkeit Ihres Denkens bezieht sich auf die Anzahl der Ideen; (hier sind es drei). Um die Flexibilität des Denkens zu beschreiben, würde man prüfen, ob die genannten Ideen unterschiedliche Kategorien von Assoziationen beschreiben. Im genannten Beispiel könnte man alle Antworten einer Kategorie zuteilen, der Kategorie: „Ziegelstein als Bau-

Beispiel Flexibilität und ­Originalität des Denkens

304

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

element benützen“. Eine andere Kategorie könnte man bilden durch die Beschreibung: „Ziegelstein als Gewicht verwenden“. Dieser Kategorie würde man Antworten zuordnen wie: „als Briefbeschwerer, als Gewicht für eine Plastikplane, damit sie im Wind nicht wegfliegt, etc“. Würde sich die Antwort „Ziegelstein als Briefbeschwerer benützen“ als selten erweisen, so wäre sie als originell einzustufen. Man kann den meisten Kreativitätstechniken zwar bescheinigen, dass sie divergentes Denken fördern, aber durch die Anwendung einer bestimmten Technik wird nicht automatisch divergent gedacht. >>Je mehr Kategorien in den Antworten zu finden sind, desto

ausgeprägter ist die Flexibilität des Denkens. Die Originalität des Denkens lässt sich nur über den Vergleich mit den Antworten von anderen Personen bzw. Personengruppen bestimmen.

8

Fähigkeit zur Umstrukturierung, Ausarbeitung, Durchdringung

Drei weitere Fähigkeiten gelten für Kreativität als zentral: Die Fähigkeit zur Umstrukturierung besteht darin, Gegenstände, Informationen in völlig neuer Weise zu sehen, anzuordnen und zu nutzen. Umstrukturierung schärft den Blick für neue Ordnungen und Sichtweisen. Die Fähigkeit zur Ausarbeitung bedeutet, von einer Idee zu einem konkreten und realistischen Plan übergehen zu können und damit einen Einfall zur praktischen Umsetzung zu bringen. Die Durchdringung schließlich ist die Fähigkeit, ein Problem in Gedanken gründlich zu durchdringen und nicht nur an der Oberfläche zu bleiben.

Denkstile Denkstile bei der Informationsaufnahme und ­-verarbeitung

Denkstile sind unbewusst gesteuerte Gewohnheiten der Informationsaufnahme und -verarbeitung und entwickeln sich beim Umgang mit geistigen Aufgabenstellungen (Sikora 1976). Dazu gehören: kognitive Komplexität: ist die Bereitschaft, vielseitige und unterschiedliche Informationen zur Kenntnis zu nehmen und Widersprüche zu integrieren; Impulsivität und Reflexivität: sind die gegenläufigen Tendenzen, spontan, ohne längeres Nachdenken zu reagieren und zu urteilen – andererseits ein Problem vor einer Beurteilung, Entscheidung oder Reaktion zu überdenken und mögliche Konsequenzen abzuwägen; Verfügbarkeit von Funktionen und funktionale Offenheit: sind die Denkfähigkeit und Offenheit, Gegenstände von ihrer üblichen Funktion zu trennen und für unübliche Arten zu verwenden (z. B. Lupen als Brennglas nutzen); komplexe und variable Denkstrategien und offene Denkprinzipien: Nutzen verschiedener Denkstrategien (z. B. sprachlich, mathematisch, bildhaft) und Offenheit für verschiedene Prinzipien (z. B. verfremden, zerlegen, Umwege gehen usw.).

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8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

305

8

Persönlichkeitsmerkmale

Analysiert man die Literatur über die Persönlichkeitsmerkmale kreativer Personen, so stößt man auf diverse Widersprüche und Unstimmigkeiten (Sikora 1976). Es ist deshalb unzulässig anzunehmen, es gäbe einen konstanten Satz von Merkmalen, die alle kreativen Personen aufweisen. Man kann jedoch fragen, welche Persönlichkeitsstrukturen Kreativität begünstigen. Folgende Persönlichkeitsmerkmale werden als kreativitätsfördernd betrachtet (Sikora 1976): Unabhängigkeit im Denken und Verhalten (Nonkonformismus), Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Neugierde, Freude am Spiel, Ambiguitätstoleranz (Ambiguität ist die Doppel- oder Mehrdeutigkeit von Sachverhalten, aber auch von Wörtern, Werten oder Symbolen), Vorliebe für komplexe, originelle und mehrdeutige Situationen, Akzeptanz und aktives Verarbeiten von Konfliktsituationen.

Persönlichkeitsmerkmale kreativer Menschen …

Denkstile und die Persönlichkeit der einzelnen Gruppenmitglieder lassen sich durch die Leitung nicht beeinflussen. Der pragmatische Nutzen, den man aus den oben genannten Aspekten ableiten kann, weist auf die Gruppenzusammensetzung: Vorausgesetzt, die Persönlichkeitsmerkmale können hinreichend genau beurteilt werden. So sollte man diejenigen Personen in eine „Kreativgruppe“ aufnehmen, die die beschriebenen Merkmale erfüllen.

… als Kriterium für die Gruppenzusammensetzung

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Kreativität im Prozess der Problemlösung Kreativität spielt eine wichtige Rolle beim Umgang mit Problemen. Das Ziel der folgenden Ausführungen ist, das Thema Kreativität und Kreativitätstechniken in den Prozess des Problemlösens einzubetten. Als Arbeitsdefinition für die folgenden Ausführungen wird ein Problem verstanden als eine Lebenssituation, die von einer Gruppe oder einer Person effektives Handeln erfordert, das aber noch nicht im Verhaltensrepertoire abrufbereit ist (7 Abschn. 8.8). Wie bereits beim Thema „Sensitivität“ erwähnt, ist die Voraussetzung zur Lösung dieses Problems, das Problem zu erkennen. Im Rahmen des Problemlöseprozesses wird diese Phase als „Problemwahrnehmung“ bezeichnet. Die Bedeutung der nächsten Phase, der Phase der Problemformulierung, wird in der Alltagsweisheit: „Ein Problem ist halb gelöst, wenn es klar formuliert ist“, deutlich. Wurde ein Problem hinreichend genau definiert, so ist es möglich, zur Ideenfindung überzugehen. In dieser Phase können Kreativitätstechniken zum Einsatz kommen. (Natürlich ist Kreativität als Problemlöseressource in allen Phasen des Problemlösungsprozesses gefragt.) Die meisten Techniken basieren auf drei Hauptprinzipien:

Kreativität im Prozess der Problemlösung (2. Parameter)

Problemwahrnehmung

Problemformulierung, Ideenfindung

306

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

-

Unter dem Prinzip der Verfremdung sind alle Aktivitäten zu subsumieren, die dazu beitragen, ein Problem aus seiner üblichen Betrachtungsweise herauszulösen. Aufgabe der Kreativitätstechniken ist es, das Feld der Realität für eine begrenzte Zeit verlassen zu können. Das Prinzip der verzögerten Bewertung bezieht sich primär auf negative Bewertungen. Aber auch positive Bewertungen sollten unterbleiben. Die Begründung dieses Vorgehens liegt in der Tatsache, dass jede Bewertung den Prozess der Ideenfindung unterbricht. Schließlich sei noch das Prinzip des „spielerischen Experimentierens“ genannt. Damit werden zufällige und unerwartete Entdeckungen beschrieben. Dieses Prinzip bildet die Basis jener Kreativitätstechniken, die auf einem assoziationstheoretischen Ansatz aufbauen.

Ideenbewertung

8 Ideenrealisierung

Nach der Ideenfindung folgt die Phase der Ideenbewertung (Evaluation). Der mögliche Wert der zuvor entwickelten Ideen wird im Hinblick auf die Problemstellung festgelegt. Dabei sollen möglichst klare und vielfältige Kriterien zur Anwendung kommen. Schließlich geht es um die Realisierung der Ideen (Phase der Ideenrealisierung). Keine Lösung verwirklicht sich von selbst. In dieser Phase wird die Umsetzung der Lösungen diskutiert. Ob sich eine Idee überhaupt in der Praxis bewährt, hängt weitgehend von dieser Phase ab.

Kreatives Produkt kreative Produkte (­ 3. Parameter) vier Kriterien für Kreativität

Definition: fünf Ebenen der Kreativität

In den bisherigen Ausführungen wurden kreative Ideen oder kreativ handelnde Menschen reflektiert. Auf ein neues Themenfeld führt die Frage: Was unterscheidet ein kreatives Produkt von einem nichtkreativen Produkt? Guntern (1991) nennt vier Kriterien: 1. Originalität. Ein Produkt muss originell oder einmalig sein. 2. Funktionelle Angemessenheit. Ein Produkt muss seine Funktion richtig erfüllen. 3. Formale Perfektion. Ein Produkt soll den Sinnen und dem ästhetischen Urteil gefallen. 4. Wertschätzung. Ein Produkt muss von sachkompetenten und kritischen Menschen als wertvoll beurteilt werden. Definition  Sikora (1976) sowie Preiser und Buchholz (2008) verweisen auf Taylor, der versucht, unterschiedliche kreative Produkte in Gruppen zusammenzufassen. Er unterscheidet fünf Ebenen der Kreativität. Je nach Qualität des Produktes entstammt es einer der fünf Ebenen der Kreativität (vgl. auch Preiser und Buchholz 2008):

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

-

307

8

Die expressive Kreativität ist gekennzeichnet durch Spontaneität und Freiheit ohne besondere Fähigkeiten. Sie ist die fundamentalste Form der Kreativität (beispielsweise Kinderzeichnungen). Die produktive Kreativität ist die Ebene der technischen Konstruktion. Spontaneität und Freiheit werden durch Wissen und Material eingeengt; das Individuum misst sich an der Realität (beispielsweise die Neukonstruktion einer Scheinwerferanlage für einen neuen Fahrzeugtyp). Die erfinderische Kreativität schafft noch keine neuen Ideen. Die Erfindung liegt in der Herstellung neuer Beziehungen. Entdeckt werden sozusagen neue Wege, alte Dinge zu sehen (beispielsweise die Argumentationen, die vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild führten). Die erneuernde (innovative) Kreativität schließt ein tiefes Verständnis der fundamentalen Grundsätze des Problembereiches ein und bringt bedeutsame Neuerungen hervor (beispielsweise die Erfindung der Dampfmaschine, der Glühlampe oder des Telefons). Die emergentive Kreativität schafft die Ideen der neuen „Schulen“. Die Umstrukturierung der Erfahrungen vollzieht sich auf so hohem Niveau, dass es jenseits des Verständnisses der anderen Ebenen bleibt (beispielsweise die Relativitätstheorie, die Quantentheorie).



Umwelt

Kreatives Handeln findet immer in einer sozialen wie auch physischen Umwelt statt.Was die physische Umwelt betrifft, so ist es eben wesentlich, ob sie anregend gestaltet ist, sodass die Inspiration gefördert und schöpferische Verknüpfungen erleichtert werden. Bei der Auswahl des Sitzungszimmers und der konkreten Raumgestaltung sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt: Ist beispielsweise für ein definiertes Problem in einem Krankenhaus die Perspektive der Patienten von besonderer Bedeutung, so könnte eine Problemlösesitzung zur Abwechslung in einem Krankenzimmer stattfinden. Zu den gestaltbaren Variablen der Raumgestaltung zählen unter anderem die Sitzordnung und das Angebot von Materialien und Medien. Das Ziel der Gestaltung der physischen Umwelt soll sein, eine kreativitätsfördernde Umgebung zu schaffen und nicht für unnötige Ablenkung zu sorgen. Die Grenzen liegen häufig recht eng beieinander.Wie muss die soziale Umwelt gestaltet sein, um im Hinblick auf die Kreativität dem Individuum unterstützend und fördernd zur Seite zu stehen? Folgende drei Aussagen fassen dies prägnant zusammen: Die Gruppe sollte das Individuum stimulieren. Die Organisationen sollten zu Innovationen bereit sein, und die Kulturen sollten den Nonkonformisten tolerieren.

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Umwelt (4. Parameter) physische Umwelt

soziale Umwelt

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Kreativität der Gruppe

Innovationsbereitschaft einer Organisation

Inwieweit eine Gruppe produktivere Lösungen generiert als ein Individuum, ist von zahlreichen Faktoren abhängig. Unter anderem wird der Druck in Richtung Konformität als produktivitätshemmend, in diesem Sinne auch als kreativitätshemmend beschrieben (vgl. Preiser und Buchholz 2008 und 7 Abschn. 8.2). Die Innovationsbereitschaft von Organisationen ist unter anderem davon abhängig, wie eine Organisation ihre Primary Task definiert, beziehungsweise interpretiert (7 Kap. 2).

Beispiel Verständnis der Primary Task

Beispiel

Nehmen wir beispielsweise an, Organisation A und B produzieren seit den 1960er-Jahren erfolgreich elektrische Küchenherde. Organisation A definiert ausschließlich die „Produktion von elektrischen Küchenherden“ als ihre Primary Task. Hingegen fasst Organisation B ihre Primary Task weiter, als „Produktion von Kochhilfen im Küchenhaushalt“ auf. Nehmen wir weiter an, dass Organisation B inzwischen auch Mikrowellen- und Glaskeramikherde im Angebot führt, dank rechtzeitig erkanntem Bedarf und entsprechender innovativer Umsetzung. Damit wäre sie ihrem Konkurrenten Organisation A durchaus überlegen. Die Interpretation der Primary Task in der Organisation A dürfte sicherlich kreativitätshemmend gewirkt haben.

8

Struktur

Kultur

Eine weitere Bestimmungsgröße für die Innovationsbereitschaft von Organisationen stellen die Strukturen der Organisation dar. Zu viele Strukturen bedeuten Starrheit, Verlust an Flexibilität (7 Kap. 12) und wirken kreativitätshemmend. Die Kultur, in der wir leben, prägt unser Denken und Verhalten entscheidend – und speziell hier hat die Führung wesentliche Einflussmöglichkeiten, die Kreativität der Mitarbeitenden zu fördern (vgl. Rütten 2015), etwa durch: Sinnstiftung, Ausrichtung auf gemeinsame Ziele, Förderung der kreativen Potenziale, Ermunterung zur Nonkonformität, Wertschätzung der Mitarbeitenden, Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen und einer Fehlerkultur und motivierende Gesprächsführung und optimistische Grundhaltung.

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8.11.3 Kreativitätstechniken Problemlöse- und Innovationsprozess

Kreativitätstechniken unterstützen und erleichtern grundsätzlich die Ideenfindung und sind demnach in der Regel in einen Problemlösungsprozess oder in einen Innovationsprozess eingebunden. In den

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

Phasen der Ideensuche kommen sie entlang des Prozesses immer wieder auf unterschiedlicher Stufe der Konkretisierung vor. Zudem kommen spezifische Techniken auch bei der Evaluation von Ideen zum Einsatz. Den flexiblen und neugierigen Menschen dienen die Instrumente, um ihre Ideen besser fließen zu lassen. Diese Techniken machen nicht grundsätzlich kreativ. Es braucht die spielerische, neugierige, offene und lockere Einstellung, um die Techniken optimal nutzen zu können. Die Wirkung ihres Einsatzes hängt insbesondere auch damit zusammen, dass sich die Nutzer mit allen Sinnen einlassen und auch die Phasen der Leere durchstehen. Auch für die Kreativitätsmethodik gilt: Es gibt bestimmte Techniken und Instrumente die mehr oder weniger zusagen, bzw. die mehr oder weniger geeignet sind für eine spezifische Fragestellung. Dann gilt es das Instrument zu wechseln oder es abzuändern. Ein Werkzeug sollte gut in der Hand, respektive im Geist liegen.

309

8

..Abb. 8.22  © 2018 by Tobias Leuenberger

Kreativität braucht Regeln Kreativität wird einerseits als „regelloser Raum“ betrachtet und anderseits als einen Ort, an dem Begrenzungen schädlich sind. Nach Luther (2013) gilt Beides gleichzeitig (in Anlehnung an Pricken 2010; Luther 2013). Damit ein Kreativprozess überhaupt richtig in Gang kommt, sind insbesondere zu Unzeit eingebrachte „ABER“ (Sachargumente) zu lassen. Zudem werden weitere Leitlinien als förderlich beschrieben, wenn sich Teams in Innovationen bzw. Problemlösen trainieren wollen. Leitlinien für den kreativen Prozess Teamklima – Vertrauen In einem humorvollen, stressfreien und wohlwollenden Klima ist das Erproben von neuen Ideen und Vorgehensweisen einfacher möglich. Alle können darauf vertrauen, dass man nicht ausgelacht oder disqualifiziert wird. Alle Ideen werden als Teil des entstehenden Endproduktes verstanden. Somit sind alle Beiträge wertvoll, wichtig und geschätzt. Initialzündung Zu Beginn entsteht eine hohe Motivation durch Sinngebung, dargestellten Nutzen, gemeinsames Suchen, gegenseitige Unterstützung. Allen ist klar, worum es eigentlich geht. Fünf Sinne Bis die fünf Sinne warm gelaufen sind, braucht es Anregung. Dazu können eine DVD oder CD eingesetzt werden um alle Sinne anzuregen. Es gibt auch einfache, kurze Einstiegsübungen, die jeden Sinn einzeln schärfen. Alle Unterlagen, Bilder, Produkte, die als Basis der Innovation definiert sind, sollten vor Ort sein, sodass sie aus allen Perspektiven betrachtet werden können und dass mit den Daten „gespielt“ werden kann.

Leitlinien für den kreativen Prozess

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Bsp.: Jedes Teammitglied nimmt sich einen der Sinne vor und sammelt während 10 Minuten entsprechende Wahrnehmungen (draußen, im Treppenhaus, Fahrstuhl, am Fenster, in der Teeküche, … etc.). Die gesammelten Sinneseindrücke werden in Stichworte gefasst, auf Moderationskarten festgehalten und gemeinsam im Austausch an der Pinnwand gesammelt. Ziel präzisieren Damit die Kreativen arbeitsfähig werden, ist es hilfreich, das Problem zu klären, besser zu verstehen und ein Ziel zu präzisieren.

8

Phasen einhalten Die Phasen Ideenfindung (Sammeln) und Bewertung (Prüfen) sind klar zu trennen. In der Sammelphase soll die eine Idee die nächste oder andere ergeben, auf dieser aufbauen oder eine Variante oder das Gegenteil davon sein. Der Fluss sollte nicht durch Diskussion oder Bewertung unterbrochen werden. So viele Ideen wie möglich; aus der Sammlung werden in der Regel ungefähr 10 % der produzierten Ideen weiterverwendet. „Ideenkiller“ vermeiden und nutzen Ideenkiller kommen oft aus der „Küche“ Erfahrungen und Wissen. Killer können in Optionen umgewandelt werden „… ja, und, was machen wir jetzt?“ Killerphrasen können ganz bewusst gesucht und daraufhin in kreative Möglichkeiten umgeschrieben werden. Visualisieren Skizzen und Visualisierung der Beiträge sollten jederzeit verfügbar und sichtbar sein. Die Bildsprache verschafft Überblick und eröffnet weitere Sichtweisen und Einsichten. Ideen-Pingpong Ideen schließen sich nicht aus, sie bauen aufeinander auf und werden weiterentwickelt. Ideen sollten also an Ideen anderer Personen anknüpfen und in rasch aufeinander folgen. Spaß an Fehlern Einander Fehler zuzugestehen setzt Vertrauen voraus. Gemeinsam lernen und kreativ sein bedeutet, Fehler und Abweichungen von der Norm zu nutzen. Es sind die Fragen erlaubt: „Was ist der größte Fehler, der uns passieren könnte?“ „Was lernen wir daraus?“ Teams die mit Fehlern Spaß haben, sind produktiver in der Ideenentwicklung. Durchhalten Viele geben zu früh auf, wenn die Ideen ausgehen. Hier gilt es durchzuhalten und auch „Leeren“ durchzustehen bzw. sie als eine wichtige Phase für die Aktivierung anderen Sinne zu erkennen. Die Leere ist ein sensibler Raum, der mit allen

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

311

8

Sinnen wahrgenommen werden kann. Dabei öffnen sich neue Zugänge zur Fragestellung und oft kommen die guten Ideen gerade in dieser Phase. Sinn für Humor Spielerische Neugierde, Alberei und Lachen – wie bei spielenden Kindern beobachtbar – sind förderlich für die Lösungsfindung. Pause vor der Ideenbewertung Nach der Ideenproduktion ist Abstand gewinnen sinnvoll. Damit können sich die Ideen etwas „setzen“: Eine Pause oder einen Spaziergang machen, eine Nacht verstreichen lassen, etwas anderes tun … Ideenauswahl mit Kreativität Menschen geben dem Vertrauten meist den Vorrang. Was anders und unangenehm ist, wird oft weggelassen, übersehen und entwertet. Allerdings liegen im Widerstand oft Chancen für Neues und für Durchbrüche. Mut sollte also auch bei der Auswahl von Ideen hoch gewichtet werden.

Die „ungewohnten“ Regeln werden gut sichtbar aufhängt; zu Beginn wird wohl wiederholt darauf verwiesen werden müssen. Die Erlebnisse während kreativer Problemlösungen und die Reflexion der Prozesse im Anschluss unterstützen die rasche Einübung im Team.

Arbeiten mit Regeln

Zwei Techniken zum Strukturieren Die zwei folgenden Techniken helfen, den kreativen Prozess zu strukturieren, Übersicht zu behalten und spielerisch in verschiedene Denkmodi zu wechseln. Über eine gemeinsame Wahl der Methode im Team können dabei bereits die kreativen Geister geweckt werden. Diese Techniken sind eigentlich klassische Problemlösungstechniken, die über die Kreativitätsmethoden noch wenig aussagen. Um diese Techniken mit Inhalt zu füllen, kann anschließend aus den vorgeschlagenen Kreativitätsmethoden auswählt werden.

Strukturieren des kreativen Prozesses

Träumer, Realist, Kritiker Disney (Luther 2013) benutzte im kreativen Prozess drei Denkstühle oder drei unterschiedliche Räume für drei verschiedene Rollen: Träumer, Realist und Kritiker, die er konsequent nacheinander einsetzte. Wir vermischen diese Rollen oft, wenn wir eine Idee entwickeln. Werden die Rollen konsequent getrennt, können u. A. unterschiedliche Talente der Teammitglieder dazu genutzt werden. Die Rollen werden drei verschiedenen Stühlen oder drei verschiedenen Räumen zugeordnet. Alle drei Rollen sollen ausgewogen Beachtung erhalten.

drei „Denkstühle“

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

zz Durchführung Träumer

Realist

Kritiker

8

Mit dem Träumer wird begonnen: Visionen werden entwickelt, Luftschlösser gebaut und Grenzen überschritten – träumen und fantasieren ist erwünscht. Danach ist der Realist an der Reihe – betrachtet den Traum mit der Frage: Wie könnten die Ideen des Träumers realisiert werden, wie müsste man dabei vorgehen? Wer macht was, wo, wie, womit, mit wem bis wann? Anschließend wird der Kritiker aktiviert; die Denkergebnisse des Realisten werden unter die Lupe genommen. Geht das wirklich? Wird sich die Mühe lohnen? Wollen wir das wirklich? Mit welchen Problemen ist zu rechnen? Wo sind die Schwachpunkte? Zurück in der Träumerposition wird aufgrund der Einwände eine erweiterte Vision entworfen, die alle kritischen Punkte in den Traum einbindet. Wieder sind die Rollen des Realisten und Kritikers gefragt. Der Dreierschritt wird sooft durchlaufen, bis Sie eine Vision entwickelt ist, die der Kritik standhält.

6 Denkhüte 6 Farben, 6 Denkhüte

Es muss nicht alles unter einen Hut

De Bono (1987) geht davon aus, dass wir leichter eine bestimmte Rolle einnehmen können, wenn wir uns einen Hut aufsetzen. So schlägt er für den kreativen Prozess sechs verschiedenfarbige Hüte vor, die wir virtuell oder physisch aufsetzen. Die Farben werden dabei konsequent getrennt. Jede Idee kann zudem mit den sechs Denkhüten überprüft oder weiterentwickelt werden. 1. Der weiße Hut steht für Zahlen, Daten, Fakten und soll die neutrale und sachliche Rolle darstellen. 2. Der rote Hut symbolisiert die Emotionen, die bei jeder Idee, Lösung und Möglichkeit im Spiel sind. 3. Der grüne Hut soll unzensiert Ideen, Wünsche, Träume wachsen lassen. 4. Der gelbe Hut sucht nach Chancen und positiven Ansätzen der entwickelten Lösungen. 5. Der schwarze Hut kritisiert konstruktiv. 6. Der blaue Hut fasst zusammen, stellt weiterführende und öffnende Fragen und moderiert die andern Hüte. zz Durchführung

hirngerecht

Alle können im selben Hut denken, d. h. ein Team beginnt z. B. mit dem weißen Faktenhut und trägt alle Daten, Zahlen und Fakten zusammen. Oder die Hüte werden auf Teammitglieder oder Personengruppen verteilt. Diese haben dann die Aufgabe, konsequent aus der eingenommenen Rolle heraus ins Gespräch zu kommen. Hilfreich ist es dabei, einen Kreis mit sechs farbigen Segmenten gut sichtbar aufzuzeichnen, um die Gedanken und Ideen sogleich protokollieren und visualisieren zu können.

313

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

auf Hauptäste schreiben

auf „13.00“ Uhr beginnen

nie drehen

Groß - und Kleinbuchstaben verwenden

8

Druckschrift

Blatt quer große Formate (DIN A3)

Frage/Problem

maximal 7 Hauptäste

Schlüsselwörter aufschreiben

Bilder, Symbole, Farben verwenden

..Abb. 8.23  Regeln für Mindmapping

Mindmapping Mindmapping ist heute aus den Kreativitätstechniken kaum mehr wegzudenken, denn es wird oft u. a. als Protokollmethode des Brainstormings angewandt. Die Technik geht auf Buzan (1996) zurück, der sie aufgrund der menschlichen Hirnstrukturen und Naturbeobachtungen in den 1970er-Jahren entwickelte (. Abb. 8.23). zz Durchführung

Mindmapping kann sowohl alleine, als auch im Team angewendet werden. Wie schon erwähnt, ist es beim Brainstorming verwendbar, dient auch zur Strukturierung von Ideen, hilft bei der Planung und bei Zusammenfassungen. Das Thema oder die Fragestellung wird in die Mitte eines Blattes gesetzt (DIN-A4-Blatt quer, DIN-A3 quer, Flipchart oder Pinnwand). Die Beiträge werden direkt auf das Blatt geschrieben oder gezeichnet oder aber auf Moderationskarten festgehalten, um in der Anordnung flexibler zu sein. Verschiedene Farben, Symbole und Bilder unterstützen die Kreativität. Ursprüngliche Regeln können verlassen und eine eigene Art der geistigen Landkarte kreiert werden.

Variante: Rotierendes Mindmapping im Team Die Gruppe sollte dabei nicht mehr als 5–6 Personen umfassen. Alle haben ein DIN-A3-Blatt vor sich, schreiben das Thema in die Mitte und beginnen mit der Ideensuche. Nach ungefähr 3 Minuten werden die Blätter im Uhrzeigersinn weitergereicht. Jetzt arbeiten alle am bereits begonnenen Mindmap des Nachbarn weiter. Nach weiteren drei Minuten wird wieder gewechselt bis Ihr persönliches Blatt wieder vor Ihnen liegt. Diese Methode ähnelt der Methode 6–3–5, die weiter unten beschrieben wird.

alleine oder im Team

Mindmap im Team

Brainstorming von Alex Osborn (1963) Die Technik des Brainstormings ist wohl die beliebteste und am meisten verbreitete Methode bei der Ideenfindung im Team.

geeignet für einfachere Probleme

314

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

5 Regeln zur Durchführung

Wichtig dabei ist, dass die Bewertung auf jeden Fall zurückgestellt werden muss. Brainstorming ist in der Regel nicht für komplexe Problemstellungen geeignet, da die Assoziationen, die genannt werden, zu viele Aspekte des Problems ansprechen. Die Regeln wurden eigentlich schon umfassend bei den allgemeinen Spielregeln vorgestellt, sollen jedoch hier nochmals kurz zusammengefasst werden:

---

Regeln:

keinerlei Kritik an geäußerten Ideen sondern eigene Idee einbringen, auch „wilde“ Assoziationen sind zugelassen, Ideenfluss ist wichtig, es wird nur geredet, um Ideen einzubringen, Quantität vor Qualität, Weiterentwicklung von Ideen anderer ist erwünscht.

zz Durchführung

8

Probleme als Frage formulieren, Durststrecken durchhalten

Die ideale Gruppengröße liegt bei 7–15 Personen, also die Urhorde. Das Problem wird als Frage formuliert, geklärt, ob es alle verstanden haben und dann gut sichtbar aufgeschrieben. Die Regeln werden nochmals kurz vorgestellt. Es ist unter Umständen sinnvoll, eine Person zu bestimmen, die interveniert, wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Eine Person führt Protokoll. Nun können den Assoziationen freien Lauf gelassen werden. Es wird alles notiert und eventuell visualisiert, was genannt wird (es gibt keine Verbesserungen oder Änderungen durch die protokollierende Person). Für die Phase der Ideensammlung sind 15–20 Minuten sinnvoll. Halten Sie Durststrecken und Leere aus. Ist die Phase der Ideenfindung abgeschlossen, können Sie die Vorschläge ordnen, kritisieren und bewerten.

Stolpersteine des Brainstormings Offenheit bedingt Vertrauen

Ideen werden bereits „vorgefiltert“, Abwegiges wird nicht ausgesprochen, weil das Vertrauen im Team fehlt. Es wird zu früh abgebrochen. Nach Weidenmann (2010) sind es oft die Ideen, die nach einer Leere entstehen, die zur Umsetzung kommen. Weiter empfiehlt er, eine schriftliche Variante (Brainwriting) anzuwenden, wenn es Teammitglieder gibt, die sich unter Druck fühlen weil sie weniger Ideen produzieren als andere.

Variante: Brainstorming for one (nach Birkenbihl 2013) Brainstorming alleine

Ein Stapel Kärtchen liegt bereit. Pro Kärtchen wird eine Idee zur Fragestellung notiert. Wenn 30–50  Kärtchen beschrieben sind, werden diese gemischt und zwei Karten gezogen. Diese geben den Anstoß für weitere Inspirationen, weil andere Assoziationen ausgelöst werden. Die neuen Ideen ergänzen den Stapel. Anschließend wird geordnet, bewertet, ausgewählt und umgesetzt.

315

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

8

Problem/Fragestellung:

Idee 1.1

Idee 1.2

Idee 1.3

Idee 2.1

Idee 2.2

Idee 2.3

Idee 3.1

Idee 3.2

Idee 3.3

Idee 4.1

Idee 4.2

Idee 4.3

Idee 5.1

Idee 5.2

Idee 5.3

Idee 6.1

Idee 6.2

Idee 6.3

..Abb. 8.24  Blatt für die 6-3-5-Methode

Methode 6–3–5 von Horst Geschka (Rustler 2016) Es wurde oft festgestellt, dass die Weiterentwicklung von Ideen anderer zu fruchtbarsten Ergebnissen führte. Die Methode 6–3–5 (. Abb. 8.24), die dem Brainstorming und dem rotierenden Mindmap sehr ähnlich ist, verwendet diese Erkenntnisse. Die Ideen werden von den einzelnen Teilnehmern für sich aufgeschrieben. Während dieser Phase wird nicht gesprochen. Die Grundideen werden systematisch vertieft und sind meist konkreter als beim Brainstorming.

Grundidee vertiefen

zz Regeln und Durchführung

Jeder der sechs Teilnehmer erhält ein Blatt (. Abb. 8.24) auf das er schriftlich oder durch eine Skizze drei Ideen zur Problemlösung einträgt und das im Uhrzeigersinn fünfmal weitergereicht wird. Aufbauend auf den drei vorliegenden Ideen fügen die Teilnehmer weitere drei Gedanken hinzu. Die Lösungsvorschläge können weiterentwickelt werden, es dürfen jedoch auch ganz neue Ideen eingetragen werden. Empfohlene Zeitvorgaben: 1. Runde: 5 Minuten, 2. Runde: 6 Minuten, 3. Runde. 7 Minuten, 4. Runde: 8 Minuten,

6 Personen, 3 Ideen, 5-mal weitergeben

Zeitvorgaben

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

5. Runde: 9 Minuten und 6. Runde: 10 Minuten. Weiterentwicklung von Ideen

Es steht somit genügend Zeit für Lesen und Weiterentwickeln zur Verfügung. Die Methode kann auch verwendet werden, wenn die Teilnehmer nicht zusammenkommen. Das Formular wird über E-Mail weitergesendet oder mit speziellen Tools für Zusammenarbeit bearbeitet. Ebenso kann sie als Nachfolgetechnik für ein Brainstorming eingesetzt werden, um Ideen zu vertiefen und weiterzuentwickeln. Die Methode 6–3–5 ist besonders dann zu empfehlen, wenn in einer Gruppe dominierende Personen oder ungelöste Konflikte vorhanden sind oder vermutet werden. Als Variante ist die Brainwriting-Pool-Methode bei Weidenmann (2010) nachzulesen oder im Internet ganz einfach unter diesem Begriff zu finden.

Analogietechnik (Vohle und Reinmann-Rothmeier 2000)

8

„Das ist doch wie …“

Eine Analogie (Entsprechung) nutzt die Ähnlichkeit zwischen zwei Strukturen, die aber nicht die gleiche Entstehungsgeschichte haben. Bei der Analogietechnik wird demnach versucht, eine Lösung eines Problems aus dem einen Bereich auf ein Problem aus einem anderen Bereich zu übertragen. Dies kann auf entdeckende Art und Weise alte Denkmuster und Strukturen auflösen. zz Regeln und Durchführung

Arbeiten mit Bildern, Prozesse und Techniken

Beispiel Analogiemethode

Als Analogie können Bilder, Prozesse und Techniken gewählt werden, die möglichst nicht dem ursprünglichen Problem entsprechen. Nach der Problemklärung werden zunächst verschiedene Analogien gesucht und danach eine ausgewählt, welche sich als Ideenspeicher anbietet. Anschließend werden die Analogie und ihre Merkmale, Struktur, Funktionsweise, Verhalten usw. ausführlich beschrieben. In der nächsten Phase wird versucht, die beschriebenen Eigenschaften auf das aktuelle Problem zu übertragen. Danach wird modifiziert, bewertet, entschieden und umgesetzt. Beispiel

Analogiemethode, um ein Problem, zu lösen 1. Problemstellung: Wie gehen wir mit Widerständen von Mitarbeitenden bei der Einführung einer Neuerung um? 2. Analogien: Esel, Mauer, Gefängnis, Physik. 3. Auswahl „Mauer“: Sie bietet Schutz, trennt und grenzt ab, sie wurde einmal Stein für Stein errichtet, sie wirkt unüberwindbar, wir können sie umgehen, überklettern, aus der Luft betrachten, sprengen, besprayen, langsam abtragen, untergraben, durchlöchern …

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

317

8

4. Lösungsansätze: Was hat der Widerstand für eine Schutzfunktion bei den Mitarbeitenden? Wie gehen wir mit Angst, Überforderung, Größe, mangelndem Selbstvertrauen um? Wo zieht der Widerstand eine Grenze im Alltag? Von was trennt uns die Neuerung? Wie können wir Neugier für die andere Seite wecken? Verbindung von Altem und Neuen, an der Grenze blüht das Leben. Wir müssen Geduld haben und in kleinen Schritten vorgehen. Wir stellen farbige Plakate her und hängen die überall auf. Wir vermitteln einen Überblick und machen eine gelungene Informationsveranstaltung an einer Mauer. Wir beachten den Widerstand nicht. Wir setzen uns knallhart durch … 5. Weiterentwickeln, bewerten, auswählen und umsetzen der Ideen.

Bisoziation

Der Begriff wurde von Köstler 1964 in Rustler (2016) in Anlehnung an das Wort Assoziation eingeführt. Bisoziation ist heute ein Grundbegriff der Kreativität, denn er bezeichnet einen kreativen Vorgang zur Verknüpfung von Begriffen, Bildern oder Vorstellungen aus zufällig gewählten Bereichen. So kommen Dinge zusammen, die nach dem üblichen Denken nicht zusammengehören.

Suche nach der u ­ ngewohnten Idee

zz Regeln und Durchführung

Nach der Erläuterung der Problemstellung wählt die Gruppe Bilder oder verschiedene Begriffe, an denen sie Spaß hat und die ihr Interesse wecken. Die Bilder sollten möglichst weit vom Ursprungsproblem entfernt sein. Die Bilder werden nun so ausführlich wie möglich beschrieben. Danach werden Verbindungen zum Problem gesucht, anschließend Lösungen entwickelt, diese bewertet und umgesetzt. Beispiel

Bisoziationsmethode, um ein Problem zu lösen 1. Problemstellung: Wie kann das Image des Unternehmens am Markt optimiert werden? 2. Bildvorschläge: Fahrrad, Kastanie, Kaffeemaschine, PC. 3. Auswahl des Bildes Fahrrad: ökologisch, leise, sparsam, trendig, kommt im Straßenverkehr gut durch, kann gestohlen werden, von gemütlich bis sportlich, wenig Gepäck, erholsam, Fitness. 4. Übertragung auf die Problemstellung: Die ökologische Komponente müsste im Unternehmen entwickelt und be-

Beispiel Zufällig ausgewählte Bilder

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Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

tont werden. Wir machen etwas besonders Trendiges, das nicht kopiert werden kann. Wir tun etwas gegen Stress und für die Fitness unserer Mitarbeitenden. 5. Weiterentwicklung, Bewertung, Auswahl und Umsetzung. Variante

zz Variante „Lexikon- oder Reizwortmethode“

Zufällig werden aus einem Lexikon Begriffe ausgewählt und dann wie oben beschrieben verfahren.

Fluchtmethode laterales Denken anstoßen

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Die Methode, die Florian Rustler (2016) beschreibt, geht auf de Bono (1987) zurück. Sie nutzt laterales Denken (also nicht vertiefendes Denken) zum Erzeugen von Ideen, die aus dem Gewohnten hinausführen. Dieser bewusste „Spurwechsel“ versucht bestehende Grundannahmen zu identifizieren und diese dann bewusst in Frage zu stellen. Der Einsatz der Fluchtmethode ist dann sinnvoll, wenn bereits einige Ideen entwickelt worden sind und durch weitere, ungewohnte Möglichkeiten ergänzt werden sollen. Bedingung für die Anwendung ist eine bestehende Version der Lösung, Dienstleistung oder des Produktes. zz Regeln und Durchführung

Das Ausgangsthema wird auf „darin steckende“ Grundannahmen überprüft. Dazu werden die Grundeigenschaften und die Annahmen aufgelistet. Zu jeder Grundeigenschaft wird im zweiten Schritt das Gegenteil formuliert und so „die Flucht „vollzogen. Das Gegenteil ist Ideenstifter für eine Lösung des Problems und sollte nicht wortwörtlich genommen werden. Beispiel Ein neuartiges Restaurant entwickeln

Beispiel

Ein neuartiges Restaurant entwickeln Charakteristika Servicepersonal

Gegenteil Niemand serviert

Tische und Stühle Küche

Ohne Tische/ Stühle Keine Küche

Osborn-Checkliste Begriffe als Anregung zur Ideensuche

Neue Ideen Digitales Bestellsystem im Tisch Essen auf Förderband Essen wird vom Gast geholt Hängematten Gekocht wird am Tisch Offene, integrierte Küche

Der Amerikaner Alex Osborn entwickelte Anfang der 1950er-Jahre eine Checkliste mit Begriffen, die gezielt zu neuen Ideen anregen sollen. Ausgangslage bildet die konkrete Zielformulierung oder Fragestellung. Die Checkliste und die Zielfrage werden kombiniert.

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

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8

Alle Ideen werden notiert, Skizzen gemacht und vertieft. Auch hier gilt: Dranbleiben und Hänger durchstehen. Eine abgeänderte Form der Checkliste folgt:

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Checkliste

-

Wo gibt es ähnliche Dinge, Abläufe, Organisationen, Natur? Was ist daraus zu lernen? Andere Anwendungen? Für andere Personen oder Zielgruppen? Andere Anwendungsmöglichkeiten durch das Verändern des Objektes oder des Problems? Neue Einsatzmöglichkeiten? Stärken? Potenzial? Vernetzen? Weiterbildung? Anpassen? Wem ähnelt es? Welche anderen Ideen suggeriert es? Gibt es Parallelbeispiele? Was könnte man davon übernehmen? Wen oder was könnte ich nachahmen? Weniger Druck? Weniger Leistung? Verändern? Ihm eine neue Form geben? Den Zweck verändern? Die Farbe, den Ton, den Geruch, das Aussehen verändern? Könnte das Problem zu etwas dienen? Vergrößern? Was kann man hinzufügen? Es widerstandsfähiger machen? Größer? Länger? Dicker? Schwerer? Gibt es einen Zusatznutzen? Mehr Aufwand? Übertreiben? Verdoppeln? Wie könnte man das Problem vergrößern? Wieso investieren wir so viel Energie in dieses Problem? Verkleinern? Was ist entbehrlich? Was kann man weglassen? Kleiner? Kompakter? Niedriger? Kürzer? Flacher? In seine Einzelteile zerlegen? Weniger Aufwand? Weniger eingreifen? Energie entziehen? Energie umleiten, für etwas anderes verwenden … Umformen? Die Bestandteile neu gruppieren? Die Reihenfolge verändern? Ursache und Wirkung vertauschen? Die Geschwindigkeit verändern? Ins Gegenteil verkehren? Wie kann man das Gegenteil des Gewünschten erreichen? Das Untere nach oben bringen? Die Rollen tauschen? Die Position der Person ändern? Die Reihenfolge des Ablaufes neu ordnen? Mehr oder weniger Druck? Tempo? Rückseite? Was, wenn das Problem zur Norm wird? Kombinieren? Mit einer Mischung versuchen? Einen Verbund machen? Eine Auswahl? Mehrere Objekte zu einem verbinden? Mit andern zusammenarbeiten lassen? Gemeinsamkeiten suchen? Ersetzen? Gibt es eine Person, die dies besser machen könnte? Hilfestellungen? Andere Kraftquellen? Anderes Material? Anderer Zugang? Versetzen? Neue Umgebung? Von außen einkaufen? Outsourcen?

Checkliste

320

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

--

Nichts tun? …

Kopfstandtechnik (nach Klein 2015)

Grundlage der Methode ist ein bewusst herbeigeführter Rollentausch und Perspektivenwechsel. Die Problemfrage wird dabei auf den Kopf gestellt, d. h. in ihr Gegenteil verkehrt. Oft werden alte Sichtweisen durch das Gegenteil spielerisch und humorvoll aufgelöst. Daran schließt die Ideensuche zum Beispiel durch Brainstorming an. Beispiel Rollentausch, ­Perspektivenwechsel

Beispiel

Kopfstandtechnik Ausgangsfrage: Wie erfüllen wir optimal die Erwartungen unserer Kunden?

8

Gegenteil: Wie erfüllen wir die Erwartungen unserer Kunden in keiner Art und Weise?

Identifikation neue Blickwinkel anwenden

Die Identifikation mit anderen Rollen, Sichtweisen und Standpunkten eröffnet neue Perspektiven. Beispiel: Was würden kleine Kinder im Altersheimen tun? Was würden Punks im Private Banking veranlassen? Was würde ich als Fertigsuppe empfinden und am liebsten alles tun? zz Regeln und Durchführung

Identifikation mit dem Problem

Das Problem wird als Frage formuliert und gut sichtbar aufgeschrieben. Die Teilnehmenden identifizieren sich nun mit einem Produkt oder einer Person oder Personengruppe aus einem ganz andern Umfeld, d. h. sie wechseln ihre gewohnte Perspektive. Die Teilnehmenden erhalten etwas Zeit, allenfalls auch Bilder und Gegenstände, um sich besser identifizieren zu können. Jetzt werden mit und aus dieser Rolle heraus Ideen produziert. Abschließend werden die Ideen geordnet, bewertet, ausgewählt und angewendet.

Abschlussgedanke üben, üben, üben

Die Kreativitätstechniken werden am einprägsamsten vertieft, indem sie geübt und anhand von Beispielen durchgespielt werden. Anfangsschwierigkeiten sind üblich, werden in der Regel aber rasch überwunden, wenn einfach weiter geübt wird. Wir empfehlen, zunächst mit einfachen Problemstellungen zu beginnen, um zeitnah Erfolge mit den Methoden zu erleben.

8.11  •  Kreativität und Kreativitätstechniken

Zusammenfassung

321

8 Zusammenfassung

In der Einführung in das Thema „Kreativität“ werden verschiedene Parameter der Kreativität diskutiert. Im Zusammenhang mit dem Einflussfaktor „Person“ ist beschrieben, inwiefern sich Einstellungen, Motivation, Fähigkeiten, Denkstile und Persönlichkeitsmerkmale auf das kreative Denken und Handeln auswirken. Darüber hinaus werden Implikationen für das Arbeiten mit Gruppen abgeleitet. Der folgende Abschnitt verbindet Kreativität mit dem Prozess der Problemlösung und erörtert, welche Kriterien an Produkte angelegt werden können, um zu bestimmen, inwieweit sie die Bezeichnung „kreativ“ verdienen. Abschließend werden Überlegungen bezüglich der sozialen wie auch der physischen Umwelt, in der kreatives Handeln stattfindet, dargelegt. Bei den Kreativitätstechniken werden zuerst die „Spielregeln“ für deren Anwendung sowie zwei mögliche Techniken angeführt, die helfen können, den kreativen Prozess zu strukturieren. Aus der Vielzahl von Techniken werden folgende näher beschrieben: Mindmapping als Protokollmethode, Brainstorming mit Hinweisen auf Regeln und Stolpersteine, Methode 6–3–5, die aus dem Brainstorming entwickelt wurde, Analogietechnik, die mit Analogien arbeitet, die aus einem problemfernen Bereich stammen, Bisoziation, bei der man mit zufällig ausgewählten Bildern arbeitet, Fluchtmethode, bei der insbesondere laterales Denken angeregt wird, Osborn-Checkliste mit Begriffen, die gezielt zu neuen Ideen anregen sollen, Kopfstandtechnik, bei der das Problem in sein Gegenteil verkehrt wird, Identifikation, bei der sich die Teilnehmenden mit Teilaspekten oder -perspektiven identifizieren.

--

Fragen zur Vertiefung 1. Wie beschrieben, können Einstellungen kreatives Potenzial unterbinden. Überdenken Sie Ihre eigenen Einstellungen (beispielsweise gegenüber Ihrer Organisation, Ihren Mitarbeitern oder Ihren Vorgesetzten). Orten Sie bei sich allenfalls kreativitätshemmende Einstellungen? 2. Wie würden Sie den nächsten Teamausflug gestalten? Welche weiteren Aufgaben könnten mittelfristig von Ihrem Team übernommen werden? Notieren Sie die Antworten auf diese oder andere für Sie aktuell relevante Fragen.

Fragen zur Vertiefung

322

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Überprüfen Sie dann in einem weiteren Schritt, inwiefern in den von Ihnen gemachten Angaben die Flüssigkeit des Denkens und die Flexibilität des Denkens zum Ausdruck kommen. 3. Welche kreativitätsfördernden Möglichkeiten der Gestaltung der physischen Umwelt oder der von Ihnen organisierten Meetings gibt es in Ihrem Arbeitsumfeld?

8

Anregungen: Die Kreativitätstechniken werden am einprägsamsten vertieft, indem sie geübt und anhand von Beispielen durchgeführt werden. Einige Überlegungen sollen dem vorausgehen. Im Unterschied zu der Brainstorming-Regel „Die Menge, nicht die Qualität ist wichtig“ gilt für die Einübung der Techniken: „Qualität ist wichtig, nicht Menge“. Bei der Beschreibung der Kreativitätstechniken wird häufig genannt, dass die Teilnehmenden Spaß an dem ausgewählten Material haben sollten. Dies kann man auch für die Auswahl der Kreativitätstechniken, die man vertiefen möchte, zum Kriterium machen. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass die ersten Durchführungen bestimmter Techniken auch mühevoll sein können und möglicherweise den Eindruck hinterlassen, künstlich zu sein. Mit der Vertrautheit wächst allerdings häufig auch die Leichtigkeit. Es empfiehlt sich auf jeden Fall, beim Ausprobieren einer Technik einfachere Probleme zur Bearbeitung auszuwählen. Instrumentalmusik, angenehme Sitze und Getränke können die Kreativität einer Gruppe unterstützen. Bei der Darstellung der Kreativitätstechniken stand eine Anwendung im Team im Zentrum. Einzelne Kreativitätstechniken lassen sich mit „kreativen Abwandlungen“ auch alleine anwenden. Solche Abwandlungen und die Durchführung anhand konkreter Problemstellungen stellen eine erste Vertiefung dar.

Literatur Literatur zu Abschn. 8.1–8.10 Betsch, T., Funke, J., & Plessner, H. (2011). Denken – Urteilen, Entscheiden, Problemlösen. Heidelberg: Springer. Bleicher, K. (1992). Leitbilder. Orientierungsrahmen für eine integrative Management-Philosophie. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Carrel, L. F. (2010). Leadership in Krisen: Ein Leitfaden für die Praxis (2. Aufl.). Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung. de Shazer, S. (2010). Der Dreh (11. Aufl.). Heidelberg: Auer. Dörner, D. (1987). Problemlösen als Informationsverarbeitung (3. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Dörner, D. (2004). Die Logik des Misslingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen (3. Aufl.). Reinbek: Rowohlt. Dörner, D., & Schaub, H. (1995). Handeln in Unbestimmtheit und Komplexität. Zeitschrift für Organisationsentwicklung, 3, 34–47. Duden 2015

Literatur

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323

8

324

8

Kapitel 8  •  Problemlösen und Entscheiden

Csikszentmihalyi, M. (2010). Kreativität. Wie Sie das Unmögliche schaffen und Ihre Grenzen überwinden (8. Aufl.). Stuttgart: Klett. Guntern, G. (1991). Der kreative Weg. Zürich: Moderne Industrie. Klein, A. Z. (2015). Kreative Geister wecken (4. Aufl.). Bonn: ManagerSeminare. Luther, M. (2013). Das große Handbuch der Kreativitätsmethoden. Wie Sie in vier Schritten mit Pfiff und Methode Ihre Problemlösungskompetenz entwickeln und zum Ideen-Profi werden. Bonn: ManagerSeminare. Osborn, A. F. (1963). Applied imagination: principles and procedures of creative problem-solving (3. Aufl.). New York: Scribner. Preiser, S., & Buchholz, N. (2008). Kreativität. Ein Trainingsprogramm für Alltag und Beruf (3. Aufl.). Heidelberg: Asanger. Pricken, M. (2010). Kribbeln im Kopf (11. Aufl.). Mainz: Schmidt. Rustler, F. (2016). Denkwerkzeuge der Kreativität und Innovation. Das kleine Handbuch der Innovationsmethoden (3. Aufl.). Zürich: Midas Management Verlag. Rütten, L. (2015). Kreative Mitarbeiter. Wegweiser für Führungskräfte zu mehr Kreativität und Innovation. Wiesbaden: Springer Gabler. Sikora, J. (1976). Handbuch der Kreativ-Methoden. Heidelberg: Quelle & Meyer. Vohle, F., & Reinmann-Rothmeier, G. (2000). Analogietraining zur Förderung von Kommunikation und Innovation im Rahmen des Wissensmanagements. Forschungsbericht Nr. 128. München: Ludwig-Maximilians-Universität, Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie. Weidenmann, B. (2010). Handbuch Kreativität. Weinheim, Basel: Beltz.

325

Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden Marion Jonassen, Andrea Chlopczik, Eric Lippmann, Claudia Beutter 9.1

Kommunikation – 327

9.1.1

9.1.4

Psychologische Grundannahmen über zwischenmenschliche Kommunikation – 327 Resonanz und Intuition in der Kommunikation  –  334 Zwischenmenschliche Kommunikation durch Synchronisation – 336 Kommunikative Kompetenz in der Führung  –  338

9.2

Storytelling – 341

9.2.1 9.2.2 9.2.3 9.2.4

Storytelling – 342 Wirkung von Storytelling  –  342 Einsatzbereiche von Storytelling in der Führung  –  344 Aufbau von Storytelling-Kompetenz  –  346

9.1.2 9.1.3

9.3

Gesprächsführung – 351

9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4 9.3.5

Bedeutung der Kommunikationsfähigkeit  –  351 Einflussfaktoren auf die Gesprächsführung  –  354 Ablaufschema eines Führungsgesprächs  –  355 Gesprächspsychologische Grundsätze für Gespräche mit Mitarbeitern  –  361 Führungsgespräche im Überblick  –  368

9.4

Feedback – 376

9.4.1 Feedback: Herkunft und Definitionen  –  377 Feedback als quantitatives Instrument  –  378 9.4.2 Feedback als Entwicklungshaltung  –  381 9.4.3 9.4.4 Gegenüberstellung von zwei unterschiedlichen Ansätzen  –  383 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_9

9

9.4.5 9.4.6 9.4.7 9.4.8

Einführung von Feedback als Entwicklungshaltung im Unternehmen – 384 Vorgesetztenperspektive – 385 Auswirkung aktueller Trends – 387 Entwicklungsstrategie als Basis der Organisation  –  388

Literatur – 389

9.1 • Kommunikation

327

9

9.1 Kommunikation Marion Jonassen

Auf einen Blick

Auf einen Blick

In diesem Abschnitt geht es um die Einführung in das Themenfeld Kommunikation und die Auseinandersetzung mit grundlegenden psychologischen Modellen über zwischenmenschliche Kommunikation. Es wird zurückgegriffen auf bewährte Konzepte wie auch auf neuere neurowissenschaftlich begründete Erkenntnisse. Hierbei wird aufgezeigt, wie bedeutsam (unbewusste) Wahrnehmungs- und Selbstorganisationsprozesse für die Kommunikation sind. Welche Schlussfolgerungen daraus für die Kommunikation in der Führung zu ziehen sind, wird am Ende des Kapitels behandelt.

9.1.1

Psychologische Grundannahmen über zwischenmenschliche Kommunikation

Definition 

Definition: Kommunikation

Der Begriff Kommunikation stammt vom lateinischen „communicatio“ ab und bedeutet „Mitteilung“, „teilen“, „gemeinsam machen“. Erst seit dem 20. Jahrhundert wird der Begriff Kommunikation im deutschen Sprachraum verwendet und in verschiedensten Wissenschaftsbereichen gibt es eine Vielzahl von Definitionen. Delhees (1994) definiert soziale Kommunikation als gegeben, wenn Lebewesen Informationen in ihrem Bedeutungsgehalt aufeinander beziehen und folglich mit einer Intention, beabsichtigt und mit einem Ziel kommunizieren. Er schlägt folgende Arbeitsdefinition vor: „Menschliche soziale Kommunikation handelt von Prozessen, Personen, Absichten, Zeichen, Übertragung, Gegenseitigkeit, Koordination und Bedeutung“ (S. 13 f.). 

Luhmann (2010) grenzt seine Definition vom handlungstheoretischen Zugang ab. Nach seiner sozialen Systemtheorie ist Kommunikation kein menschliches Handeln, sondern eher eine Operation sozialer Systeme, mit der diese sich selbst erhalten. Dem nähern sich auch Storch und Tschacher (2014) an, die unter „Embodied Communication“ eine verkörperte Kommunikation verstehen, die sich durch eine Wechselwirkung innerer und äußerer, vorwiegend unbewusster, Prozesse auszeichnet. Kommunikation wird

Kommunikation ist ein Selbstorganisationsprozess

328

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

verstanden als Selbstorganisation des lebenden Systems Mensch, der im Kontakt mit anderen eine Synchronisation erzeugt. Dieses systemtheoretische Verständnis wird unter 7 Abschn. 9.1.3 näher erläutert.

Kommunikationsebenen nach Friedemann Schulz von Thun

Sachinhalt

Selbstoffenbarung

Nachricht

Appell

Beziehung

9

..Abb. 9.1  Vier Seiten einer Nachricht. (Aus Boneberg 2013, nach Schulz von Thun 2006, Copyright © 1981 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, mit freundlicher Genehmigung)

Tenor: „Es ist …“

Ein psychologisches Modell, welches in vielen Kommunikationsseminaren angewendet wird und verschiedene Ebenen der Kommunikation beschreibt, ist das Vier-Seiten-Modell nach Schulz von Thun (2002) auf das nachfolgend eingegangen wird. Nach dem Vier-Seiten-Modell über zwischenmenschliche Kommunikation, auch „Kommunikationsquadrat“ genannt, enthält eine Nachricht stets mehrere Aussagen, auch als „Botschaften“ bezeichnet, die folgenden vier Ebenen zugeordnet werden können (. Abb. 9.1; . Tab. 9.1). Nehmen wir folgendes Kommunikationsbeispiel von Boneberg (2013), um die Vielseitigkeit von Botschaften zu verdeutlichen: Es ist Freitagnachmittag, am Morgen wurde via E-Mail das neue Spesenreglement an alle Mitarbeitenden geschickt. Nun stehen Sie gerade mit Ihren Mitarbeitenden am Kaffeeautomat und unterhalten sich über die Veränderungen. Ihre Vorgesetzte kommt vorbei, schnappt das Thema auf und wirft dann in die Runde: „Das neue Spesenreglement ist doch wirklich leicht zu verstehen!“ Welche Aussagen enthält diese Botschaft? Sachinhalt  Die Nachricht enthält Sachinformationen. Sie erfahren, dass es ein Spesenreglement gibt, dass dieses neu ist und dass die Vorgesetzte glaubt (oder weiß?), dass dieses Spesenreglement

..Tab. 9.1  Vier Seiten einer Nachricht. (Aus Boneberg 2013, adaptiert nach Schulz von Thun 2006, Copyright © 2006 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, mit freundlicher Genehmigung) 4 Seiten einer Nachricht

– oder

Tenor

Sachinhalt

Worüber ich informiere

„Es ist …“

Selbstoffenbarung

Was ich von mir selbst kundgebe

„Ich bin …“

Beziehung

Was ich von dir halte, und wie wir zu einander stehen

„Du bist …“ „Wir sind …“

Appell

Wozu ich dich veranlassen möchte

„Ich möchte, dass du …“

9.1 • Kommunikation

329

9

leicht verständlich sei. Allein in Bezug auf den Sachinhalt enthält die Nachricht viele Botschaften. Selbstoffenbarung  Die Selbstoffenbarung schließt die gewollte

Tenor: „Ich bin …“

Beziehung  Auf der Beziehungsseite können wir zwei Arten von

Tenor: „Du bist …“ „Wir sind …“

Appell  Fast alle Nachrichten haben die Funktion, auf den Empfänger Einfluss zu nehmen. Nachrichten dienen dazu, den Empfänger zu veranlassen, bestimmte Dinge zu tun, zu unterlassen, zu denken oder zu fühlen. Der Appell der Vorgesetzten könnte beispielsweise lauten: „Ich möchte, dass ihr das neue Reglement auf keinen Fall kritisiert“ oder: „Ich möchte, dass ihr die Neuerungen des Reglements schnell in die Tat umsetzt“.

Tenor: Ich möchte, dass du …“

Selbstdarstellung ebenso ein wie die unfreiwillige Selbstenthüllung. Über Botschaften der Selbstoffenbarungsseite können wir spekulieren: Vielleicht möchte die Vorgesetzte zeigen, dass sie sich in Ihre Lage versetzt und weiß, was auf Sie zukommt („Ich bin aufmerksam und einfühlend“). Oder sie freut sich über die Veränderung und möchte vielleicht zum Ausdruck bringen: „Ich bin erleichtert, dass wir dieses Mal so einen unkomplizierten Weg gefunden haben.“ Botschaften unterscheiden. Einerseits Botschaften, aus denen hervorgeht, was der Sender vom Empfänger hält (im Sinne: „Du bist …“), andererseits Botschaften, die zeigen, wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger sieht (im Sinne: „Wir sind …“). Die Botschaft der Vorgesetzten könnte lauten: „Du bist oder ihr seid schwer von Begriff “ (im Sinne: „Verstehst du das Reglement wirklich nicht?“) oder aber auch: „Wir sind Partner (ich teile dir/euch mit, was ich über aktuelle Veränderungen im Unternehmen denke.)“

zz Vierohriger Empfänger

Der weitere Kommunikationsablauf ist davon abhängig, auf welche Botschaft der Empfänger reagiert. Schulz von Thun (2006, S. 44) kommt zu dem Schluss: „Der Empfänger ist mit seinen zwei Ohren biologisch schlecht ausgerüstet: Im Grunde braucht er „vier Ohren“ – eines für jede Seite“ einer Nachricht. Er visualisiert diesen „vierohrigen Empfänger“, wie in . Abb.  9.2. Ein solch vierohriger Empfänger hätte die Möglichkeit, ein Ohr für jede der vier Seiten einer Nachricht zu „spitzen“. Das SachinhaltsOhr würde analysieren: „Wie ist der Sachinhalt zu verstehen?“. Das Appell-Ohr würde darauf achten: „Was soll ich tun, denken, fühlen aufgrund der Mitteilung?“ Die Fragen: „Was ist das für einer? Was ist mit ihm?“ würden vom Selbstoffenbarungs-Ohr analysiert werden. Und schließlich würde das Beziehungs-Ohr darauf achten: „Wie redet der eigentlich mit mir? Wen glaubt er, vor sich zu haben?“

Der Empfänger wählt aus diesen Botschaften aus

330

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Was ist das für einer? Was ist mit ihm?

Wie redet der eigentlich mit mir? Wen glaubt er, vor sich zu haben?

Wie ist der Sachverhalt zu verstehen? Was soll ich tun, denken, fühlen aufgrund seiner Mitteilung?

..Abb. 9.2  „Vierohriger Empfänger“. (Aus Boneberg 2013, nach Schulz von Thun 2006, Copyright © 2006 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, mit freundlicher Genehmigung)

zz Geglückte Kommunikation und Kommunikationsstörungen

9

Stimmen gesendete und empfangene Nachrichten überein?

Kommunikation glückt dann, wenn der Empfänger genau auf die Seite der Nachricht Bezug nimmt, auf die der Sender auch Gewicht legen wollte, generell dann, wenn es dem Empfänger gelingt, möglichst genau zu erfassen, was der Sender äußern wollte. Zu Schwierigkeiten kommt es umgekehrt, wenn Empfänger einseitige Hörgewohnheiten haben, z. B. immer nur den Sachinhalt hören, oder immer nur darauf achten, was der andere von sich kund tut und so fort. Der Sachempfänger wird versuchen, eine Diskussion immer zuerst auf der Sachebene abzuwickeln. Er kommt dann natürlich in Schwierigkeiten, wenn er zwischenmenschliche Probleme diskutieren sollte. Der Selbstoffenbarungsempfänger wird versuchen, so viel wie möglich von der Situation des Senders zu verstehen, um sich in die Situation des Senders hineinversetzen zu können. Hier besteht die Gefahr, dass eigene Bedürfnisse zurückgestellt und mit der Zeit kaum noch wahrgenommen werden. Der Beziehungsempfänger wird versuchen, alle Botschaften auf seine Situation zu beziehen. Diese Empfänger sind in der Lage, auch Sachbotschaften auf sich zu beziehen; sie nehmen alles persönlich, fühlen sich leicht angegriffen und beleidigt. Wenn jemand wütend ist, fühlen sie sich beschuldigt; wenn jemand lacht, fühlen sie sich ausgelacht; wenn jemand guckt, fühlen sie sich beobachtet; wenn jemand wegguckt, fühlen sie sich vernachlässigt und abgelehnt. Diese Empfänger liegen also ständig auf der Beziehungslauer. Der Appellempfänger wird versuchen, jeder Botschaft nachzukommen. Er ist vom Wunsch beseelt, es allen recht zu machen und auch den unausgesprochenen Erwartungen der Mitmenschen zu entsprechen. Der Appellempfänger wird mit der Zeit dermaßen sensibel, dass er auf der Appellseite geradezu das „Gras wachsen“ hört. Diese Empfänger sind dauernd auf dem Appellsprung. Je nach Kontext, ob in der Familie, im Berufsumfeld oder im Zusammensein mit Freunden haben wir bevorzugte Sender- oder Empfängertendenzen. Sich dessen bewusst zu werden und zu hin-

9.1 • Kommunikation

331

9

terfragen, kann dazu beitragen, Kommunikation als „stimmiger“ wahrzunehmen oder zu führen. Stimmigkeit hat nach Schulz von Thun et al. (2015, S. 27) drei Komponenten. Ich kommuniziere „wesensgemäß“, d. h. in Übereinstimmung mit mir selbst mit Klarheit über meine Werte, meine Gefühle, meine Gedanken und meine Rolle als Führungskraft, system- und situationsgerecht im jeweiligen Kontext, metakommunikativ, d. h. in Auseinandersetzung mit den Rollenpartnern über das „Wie“ der gemeinsamen Kommunikation. Dem Kommunikationsmodell von Schulz von Thun liegen die folgenden Grundannahmen zugrunde. Sie werden für den Prozess der metakommunikativen Auseinandersetzung als hilfreich erachtet.

Vier Axiome nach Paul Watzlawick Watzlawick et al. (1969) haben in langjährigen Studien zwischenmenschliche Kommunikation beobachtet und Grundannahmen, sogenannte Axiome definiert. Vier dieser Axiome werden hier vorgestellt. Obwohl sie seinerzeit eher provisorisch formuliert worden sind, sind sie heute noch wegen ihrer praktischen Nützlichkeit hilfreiche Grundlagen, kommunikative Vorgänge zu beschreiben.

Verhalten ist Kommunikation Jedes Verhalten in Gegenwart eines Zweiten hat einen kommunikativen Mitteilungscharakter. Wir kennen das aus vielen Alltagserlebnissen: Menschen die sich im Zug gegenübersitzen, aus dem Fenster schauen oder den Blickkontakt meiden, geben ein Signal: Ich will mit dir kein Gespräch, ich will keine Interaktion. Wer schweigt, kommuniziert, auch wenn er bewusst nicht kommunizieren will. Ganz gleich, wie sich andere verhalten, führt dies beim Gegenüber wiederum zu bewussten oder unbewussten Wahrnehmungsprozessen, die ihr eigenes Verhalten beeinflussen. Beschäftige ich mich ebenfalls? Wie ist das Schweigen zu verstehen? Möchte die andere Person nicht gestört werden? Was sie wohl gerade denkt? Dies sind mögliche Gedanken und die Antworten hierzu liefern Interpretationen und intuitive Bewertungen, die unser weiteres Verhalten beeinflussen. Verhalten hat kein Gegenteil, man kann sich nicht nicht verhalten. >>Axiom: Man kann nicht nicht kommunizieren.

Inhalts- und Beziehungsaspekt – oder: das Wie bestimmt das Was

Je nachdem, wie wir unseren Gesprächspartnern gegenüberstehen, nehmen wir ihre Informationen auf. Ist die Beziehung im Großen und Ganzen entspannt, sind wir eher gewillt, Äußerungen offen entgegenzunehmen und nicht jedes Wort „auf die Goldwaage zu

Wer schweigt, kommuniziert

332

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

legen“. Ist die Beziehung besonders vertrauensvoll, nehmen wir selbst kritische Äußerungen offen auf. Haben wir uns dagegen (über jemanden) geärgert oder sind generell verunsichert, nehmen wir die Informationen nicht annähernd so leicht auf. >>Axiom: Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen

Beziehungsaspekt, derart, dass letzterer den ersteren bestimmt und daher eine Metakommunikation ist. Informationen über die Information sind Metakommunikation

9

Wo es um zwischenmenschliche Kommunikation geht, ist im Sinne dieses Axioms immer auch die Beziehungsebene von Bedeutung. Auch wenn eine Information erst einmal nur Daten und Sachinformationen enthält, ist der Beziehungsaspekt relevant dafür, wie die inhaltlichen Informationen aufzufassen sein könnten oder aufgefasst werden sollten. Es geht um die Information über die Information und damit um eine Metakommunikation, auf die im zweiten Teil des Axioms hingewiesen wird. Hier wird besonders deutlich, dass die Axiome als Grundlagen für das Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation von Schulz von Thun gedient haben. Die Art der Anrede in Emails oder SMS-Nachrichten, der Gruß am Ende einer geschriebenen Nachricht und auch die zunehmende Verwendung von Zeichen wie Smilies und sogenannten Emoticon sind Ausdruck unseres Bedürfnisses, Auskunft darüber zu geben, wie eine Nachricht zu verstehen ist. Sie sind auch Ausdruck unseres Bedürfnisses, Hinweise auf den Beziehungsaspekt zu erhalten.

Ursache-Wirkungs-Zusammenhang Kommunikationspartner gliedern einen Kommunikationsablauf unterschiedlich und interpretieren so ihr eigenes Verhalten als Reaktion auf das Verhalten des anderen. Wer hat angefangen? Was war die Ursache für die Störung in unserer Beziehung oder gar für unseren Konflikt? Das Dilemma ist, dass Anfänge der Kommunikation als sogenannte Interpunktionen unterschiedlich gesetzt werden. Beispielsweise wenn ich meine Kollegin meide, weil sie so unfreundlich guckt und meine Kollegin mich so unfreundlich anschaut, weil ich ihr aus dem Weg gehe. >>Axiom: Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion

der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bestimmt. Suche nach Lösungen statt nach Ursachen

Es entsteht ein Teufelskreis gegenseitiger Ursachenzuschreibungen. Erfolgreiche Kommunikation wird möglich, wenn beide Partner nach Lösungen, statt nach Ursachen suchen. Zur Veränderung in der Beziehungsdynamik kann eine Metakommunikation über den Teufelskreis und das, was in einem vorgeht, helfen. Aber auch eine andere Betrachtung des Verhaltens des Gegenübers hilft, eine neue

333

9.1 • Kommunikation

9

Sicht einzunehmen: Welche Kompetenz zeigt sich hier, wenn ich das Verhalten nicht als „gegen mich gerichtet“ betrachte? Dann könnte aus dem „unfreundlich schauen“ eine Fähigkeit „sich gut abgrenzen zu können“ werden (vgl. Schulz von Thun et al. 2015, S. 44).

Nonverbale und verbale Kommunikation Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Formen, in denen Objekte oder Botschaften dargestellt werden. Die digitale Form umfasst nach Watzlawick et  al. (1969) Schriftverkehr und gesprochene Sprache ohne affektive Komponenten. Die analoge Kommunikationsform ist die – entwicklungsgeschichtlich gesehen – wesentlich ältere und umfassendere Form. Gemeint sind Tonfall, Mimik und Gestik, Körperkontakt, Blickrichtung, Körperhaltung, Zeichensprache und Bilder. Sie ermöglicht, uns verständlich zu machen, wo wir mit inhaltlicher, genauer gesagt „digitaler Sprache“ an Grenzen stoßen. Beispielsweise in anderen Ländern, im Kontakt mit Menschen, deren Sprache wir nicht beherrschen. Analoge Sprache hilft uns aber auch, das auszudrücken, was wir meinen. Wir gestikulieren beispielsweise, um Wörter zu finden und Sätze zu formulieren. >>Axiom: Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler

und analoger Modalitäten.

Die digitale Kommunikationsform ermöglicht eine präzisere und differenziertere Vermittlung von Inhalten. Sie wird jedoch fast bedeutungslos, wo Beziehungen von zentraler Bedeutung sind, z. B. im Umgang mit Kindern, in Liebesbeziehungen, zwischen Menschen und Tieren und dort, wo Fürsorge und Empathie erforderlich sind. Diese Grundannahmen finden auch ihre Bestätigung in der Arbeit von Mehrabian (1972) über die Wirkfaktoren der Kommunikation. Der Wirkungsgrad der verbalen Kommunikation macht in der Regel 7 % bei den Kommunikationsanteilen aus. Die Stimmmodulation, die sogenannte paraverbale Kommunikation, welche auch zur Kategorie der nonverbalen Kommunikation zählt, macht 38 % des Wirkungsgrades aus; und die Körpersprache wie Mimik, Körperhaltung und Gestik macht 55 % aus (. Abb. 9.3). Erfolgreiche Kommunikation wird ermöglicht bei Übereinstimmung zwischen analoger und digitaler Modalität und wenn beide eindeutig sind. Diese Übereinstimmung wird als kongruent bezeichnet. Störungen entstehen schnell dort, wo ein Nichtbewusstsein der eigenen analogen Kommunikation gegeben ist. Inkongruenz entsteht beispielsweise bei Widerspruch: Wenn ein gähnender Zuhörer versichert, er sei am Gespräch sehr interessiert. Ebenso wird ein „unechter“ Kommunikationsstil als inkon-

hoher Wirkungsgrad non­verbaler Kommunikation

Nonverbal 55%

7% Worte, Inhalt

38% Stimme Tonfall

..Abb. 9.3  Anteile nonverbaler, paraverbaler und verbaler Wirkfaktoren. (Nach Mehrabian 1971)

334

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

gruent wahrgenommen: Eine Vorgesetzte, die dauernd beteuert, Vertrauen zu den Mitarbeitenden zu haben, diese aber ständig kontrolliert. Hier entstehen Doppelbotschaften, bei denen das Verhalten eine größere Wirkung hat, als die inhaltliche Botschaft. Man gewinnt den Eindruck, dass es anspruchsvoll ist, kongruent zu sein und fast unmöglich ist, wirklich zu erfassen, was andere meinen und wie wir zueinander stehen. Dennoch ist es so, dass wir oft sehr wohl erkennen, was andere wirklich beabsichtigen oder sich wünschen, manchmal sogar entgegen dem, was gesagt wurde. Zu diesem Phänomen gibt es Erkenntnisse, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden. 9.1.2

Intuition und Empathie Dank Spiegelnervenzellen

9

Resonanz und Intuition in der Kommunikation

Wir können intuitiv wahrnehmen, was los ist. Nach Bauer (2016) tendiert der Mensch dazu, sich auf den emotionalen und körperlichen Zustand eines anderen Menschen einzuschwingen. Die intuitive Übertragung von Gefühlen und körperlichen Gesten sind Resonanzphänomene, die mit der Entdeckung der Spiegelnervenzellen neurobiologisch erklärt werden können. „Ohne die Spiegelnervenzellen gäbe es keine Intuition und keine Empathie“ (Bauer 2016, S. 12). Unter „Resonanz“ wird verstanden, dass etwas zum Schwingen oder Erklingen gebracht wird. Zu den Phänomenen gehört, dass wir Mimik, Blicke, Gesten und Verhaltensweisen, die wir bei anderen wahrnehmen, unwillkürlich übernehmen, beispielsweise wenn wir die gleiche Sitzweise wie unser Gegenüber einnehmen. Die neuronale Resonanz bewirkt, dass beobachtete Handlungen beim Beobachtenden ein eigenes neurobiologisches Programm aktivieren, das die beobachtete Handlung bei ihm selbst zur Ausführung bringen könnte. Wenn wir also beobachten, wie jemand schreibt, werden die gleichen Nervenzellen aktiv, die bei uns selbst dieses Schreiben realisieren können. Diese Nervenzellen werden als „Spiegelneurone“ bezeichnet. Des Weiteren hat die Forschung erkannt, dass das, was wir bei anderen wahrnehmen, zu einem inneren Wissen, einer intuitiven Gewissheit, führen kann über das, was eine gegebene Situation unmittelbar nach sich ziehen wird (Bauer 2016, S. 27 ff.). Zusätzlich zum intuitiv arbeitenden System der Spiegelnervenzellen sind wir Menschen aber auch mit einem neuronalen Instrument ausgestattet, das im Stirnhirn sitzt (dem sogenannten präfrontalen Kortex). Mit diesem System können wir ganz bewusst über die Motive und Absichten anderer Menschen nachdenken (. Abb. 9.4). Der analytische Verstand kann jedoch auch hinderlich dabei sein, intuitiv das Richtige zu erkennen. „Beide, Intuition

9.1 • Kommunikation

335

9

..Abb. 9.4  Zwei Köpfe mit Funken. (© Science Photo Library/mauritius images)

und Intellekt, können uns in die Irre führen, wenn wir das Eine oder das Andere benutzen“ (Bauer 2016, S. 20). Unsere Intuition ist, auch durch bestimmte Vorerfahrungen und daraus entwickelte Interpretationsschemata, unterschiedlich ausgeprägt. Diese Interpretationsschemata, aber auch Angst, Anspannung und Stress können bewirken, dass das Vermögen, sich einzufühlen, andere zu verstehen und Feinheiten wahrzunehmen, reduziert ist und zu Irrtum führen kann. Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, in Stresssituationen oder bei emotionaler Beteiligung, Gespräche gut vorzubereiten und für sich und andere gute Randbedingungen zu schaffen. Die Beobachtung dessen, was andere tun oder fühlen, führt also zu einer neuronalen und psychischen Resonanz. Ausgewertet werden Körperbewegungen, Gesichtsausdruck, Mundbewegungen und die Blicke der anderen. Blickbewegungen der Menschen um uns herum sorgen dafür, dass wir, in einer wiederum spontanen und intuitiven Reaktion, selbst in die Richtung sehen, in die andere gerade blicken. Aus den Augenbewegungen lassen sich mehr als aus allen anderen Zeichen der Körpersprache weitreichende Schlüsse ziehen, „vor allem im Hinblick (!) auf die Gedanken, Intentionen und Handlungsabsichten der uns umgebenden Personen“ (Bauer 2016, S. 59). Dieser Aspekt ist relevant und bekräftigt die Sinnhaftigkeit von Blickkontakten in der Gesprächsführung. Spiegelnervenzellen feuern, wenn wir Emotionen wie Freude oder Angst fühlen, aber auch dann, wenn wir einen Menschen mit solchen Gefühlen sehen. „Indem wir die Handlungsabsichten,

Ich fühle was du fühlst

336

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Empfindungen und Gefühle eines Menschen selbst in uns spüren, gewinnen wir ein spontanes, intuitives Verstehen dessen, was den anderen bewegt“ (Bauer 2016, S. 90). Gleichzeitig können bei uns Veränderungen eintreten und die guten oder schlechten Gefühle des anderen bei uns die gleichen Empfindungen erzeugen. Alle empfangenen Signale, die der Mensch sowohl aus dem eigenen Körper wie auch aus der Umwelt erhält, werden registriert, abgeglichen und bewertet. Die Schlüsse, die daraus gezogen werden und in teils unwillkürlichen, teils bewusst gesteuerten Abläufen, in Verhalten umgesetzt werden, sind das Ergebnis eines biologischen Selbstorganisationsprozesses. Die Zentralstelle dieser biologischen Selbstorganisation ist das Gehirn. Hieraus resultiert die enorme Fähigkeit des Menschen, sich an laufend wechselnde Umweltsituationen anzupassen (Bauer 2016, S. 160). Aus den Selbstorganisationsprozessen des Menschen im Kontakt mit anderen entsteht Kommunikation. Die vorangegangenen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse sind bestätigende Argumentationen für die nachfolgenden Ausführungen über ein weiterentwickeltes Verständnis von Kommunikation.

9

9.1.3

Kommunikation ist ­verkörpert

Zwischenmenschliche Kommunikation durch Synchronisation

Storch und Tschacher (2014) gehen ebenfalls davon aus, dass miteinander kommunizierende Personen gemeinsam Kommunikation erzeugen. Sie beschreiben Synchronieprozesse wie auch den Aufforderungscharakter der Umwelt, die auf uns einwirken. Dabei betonen sie den Einbezug des Körpers in die Kommunikation. „Wir vertreten die Auffassung, dass Kommunikation ‚verkörpert‘ ist, und nennen diesen Vorgang deswegen auch ‚Embodied Communication‘, kurz EC“ (S. 19). Sie führen weiter aus, dass ein großer Teil des psychischen Geschehens unbewusst verläuft, was insbesondere Bedürfnisse und Motive betrifft. Da wir uns oft unserer Bedürfnisse und Motive nicht im Klaren sind, können wir auch nicht präzise wissen, was für eine Botschaft wir senden. Ebenso können wir nicht präzise wissen, wann unsere Botschaft vom anderen verstanden wurde. Storch und Tschacher (2014) postulieren die „Illusion“ von der Gerichtetheit der Kommunikation und bekräftigen die Grundannahme, dass es unmöglich ist, nicht zu kommunizieren (S. 54). Während wir kommunizieren, lösen Worte, Sätze oder Wahrnehmungen, die dem Gehirn als Input gegeben werden, in körperbezogenen neuronalen Netzwerken Aktivität aus. Die Bedeutung der abstrakten sprachlichen Inhalte kann erst im Zusammenwirken mit dieser Aktivität erfasst werden. Informationsverarbeitung im Gehirn bezieht folglich stets den Körper mit ein wie auch Hauk et al. (2004) aufzeigen konnten. Worte für Aktionen verschiedener

9.1 • Kommunikation

Körperteile, wie zum Beispiel „Lecken“, „Greifen“ oder „Kicken“, aktivieren jeweils die entsprechenden Areale im Gehirn, die auch für die realen Aktionen von Zunge, Fingern oder Beinen steuern. Auch für Gerüche wurde das entsprechende gefunden: Wenn man das Wort „Zimt“ liest, wird dadurch Aktivität im Zentrum für Geruchsbildung erzeugt (Gonzales et al. 2006). Daraus wird gefolgert, dass das Gehirn einen nicht vorhandenen Geruch stimuliert, um das durch Schriftzeichen vorgegebene Wort zu verarbeiten. Der Körper spricht praktisch immer mit. Die wichtigste Erkenntnis, die sich laut Storch und Tschacher (2014) aus wissenschaftlichen Entwicklungen entnehmen lässt, ist die Illusion, Kommunikation könne kontrolliert werden. Denn Kommunikation entstehe mitsamt ihren vielen Bedeutungen innerhalb des neuen Systems, das sich beim Zusammentreffen von zwei oder mehr beteiligten Personen jeweils erst bilden würde. Anders formuliert entsteht das neue System durch die selbstorganisierte Synchronisation der Beteiligten (S. 56). „Synchronisation“ bezeichnet das Phänomen der Musterbildung im neu entstehenden System und das Endresultat der Synchronisation bezeichnet der Begriff „Synchronie“ (Synchronie kommt von griechisch „syn“ = „zusammen“ und „chronos“ = „Zeit“). Zwei Menschen sind nach Storch und Tschacher (2014) synchron, wenn sie sich gleichzeitig und in gleicher Weise bewegen (S. 58). Wenn Kommunikation sich ohne unsere Kontrolle selbst organisiert, bleibt die Frage, wie es gelingen kann, einander zu verstehen. Nach Storch und Tschacher (2014) geht es darum, die Randbedingungen und Voraussetzungen für befriedigende Kommunikation zu schaffen. Zentrale und wichtige Wirkfaktoren sind dabei zunächst einmal Echtheit und Authentizität. Nachahmungen oder Manipulation würden zu Verstimmungen führen. „Verstehen“ stellt sich ein, wenn die beteiligten Personen in Kontakt sind und ein Stimmigkeitsgefühl entsteht. Verstehen wird eher als affektiver Vorgang, denn als Einsicht in den wahren Inhalt von Botschaften verstanden. Stimmigkeit bedeutet, dass die Gesprächspartner Synchronie erzeugen, und zwar sowohl auf körperlicher nonverbaler Ebene als auch auf geistiger Ebene. Erkennbar ist das häufig daran, dass eine gemeinsame Sprache und zunehmend dieselben Wörter verwendet werden. Zu den Stimmigkeitszeichen gehört auch die Art des Sprechens wie Sprachmelodie, Lautstärke oder Sprechgeschwindigkeit. Das Gefühl des „Verstandenwerdens“ ist das Kernelement jeder erfolgreichen Kommunikation. Dies erfolgt durch gelungene Synchronisation der an der Interaktion beteiligten Personen (Storch und Tschacher 2014, S. 117). Da wir keinen direkten Einfluss auf unser Gegenüber und den Verlauf der Kommunikation haben, geht es darum, optimale Randbedingungen zu schaffen. Wir können uns bis zu einem gewissen Grad selbst steuern und in eine Verfassung und eine Haltung bringen, die diese Randbedingungen schaffen:

337

9

Kontrolle in der Kommunikation ist eine Illusion

Stimmigkeit wird durch S­ ynchronisation erzeugt

338

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Optimale Randbedingungen nach Storch und Tschacher: optimale Randbedingungen

9

Aufmerksam sein mit folgenden Aspekten: auf die Situation, auf

die eigenen Affekte und auf die des Gegenübers, im Hier und Jetzt anwesend sein. Augen auf und in Blickkontakt mit dem Gegenüber (bei einem angemessen Wechsel zwischen direktem Blickkontakt und peripherem Gesichtsfeld). Ohren auf und aktiv Zuhören. Wobei unter aktivem Zuhören verstanden wird, die eigene Geschichte im eigenen psychischen System mit der Geschichte des Gegenübers zu synchronisieren. „Indem man Inhalte, die das Gegenüber erzählt mit eigenen Worten wiedergibt, baut man dessen Geschichte in das eigene assoziative Netzwerk ein, und die Assoziationen werden ähnlich. Es entsteht eine gemeinsame Sprache“ (Storch und Tschacher 2014, S. 126). Die genannten Randbedingungen werden im folgenden Abschnitt als zentrale Haltungen für erfolgreiche Kommunikation in der Führung nochmals aufgegriffen. 9.1.4

Kommunikative Kompetenz in der Führung

Kommunikationsfähigkeit ist eine der wichtigsten Kompetenzen für den Führungserfolg. Die Kommunikations- und Gesprächskultur, die am stärksten von Führungskräften geprägt wird, ist für alle notwendigen Prozesse der Aufgabenverteilung, Zielvereinbarung, Motivation und Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung. Nach Schulz von Thun (2015) ist für die kluge und sensible Gestaltung der menschlichen Beziehungsebenen erforderlich, Einsichten in menschliche und zwischenmenschliche Dynamiken zu gewinnen und sich situativ „stimmig“ verhalten zu können. Unter Einbezug der vorausgegangenen Ausführungen geht es in diesem Abschnitt nun darum, konkrete Verhaltens- und Gesprächstechniken zu beschreiben. Diese sind geeignet, gute Randbedingungen für einen Beziehungsaufbau herstellen zu können. Detailliertere Ausführungen zur Gesprächsführung, Feedback, Anerkennung und Kritik sind unter 7 Abschn. 9.3 und 7 Abschn. 9.4 zu finden.

Sich seiner Körpersprache und Wirkung bewusst sein

Wir haben also erfahren, dass die Kongruenz, die Übereinstimmung von verbalen und nonverbalen Botschaften zur Vermeidung von Irritationen notwendig ist. Es wird jedoch davon abgeraten, sich auf die Techniken und das Imitieren von Körperbewegungen des Gegenübers zu konzentrieren. Wenn wir in dem, was wir tun, nicht authentisch sind, können wir auch nicht kongruent sein. Unser Gegenüber spürt, ob wir „echt“ sind und das, was wir sagen, auch

9.1 • Kommunikation

meinen. Dabei ist unser Bild, das wir als Realität vom Arbeitsalltag, von uns selbst und von anderen sehen, immer unvollkommen. Menschen werden von ihren Gesprächspartnern oft anders wahrgenommen als sie sich selbst sehen. Jeder hat ein Bild von sich, wie er dem Gesprächspartner gegenüber oder in der Gruppe wirkt. Das sogenannte Selbstbild. Der andere oder die anderen Gruppenmitglieder haben meist ein anderes Bild, hier spricht man von Fremdbild. Unser soziales Verhalten wird zum einen Teil von unseren Vermutungen darüber geprägt, welches Fremdbild die anderen von uns haben. Feedback hilft, die eigene Wirkung auf andere zu verstehen. Feedback empfangen und reflektieren ermöglicht, blinde Flecken bei sich selbst sichtbar zu machen und etwas über sich neu zu erfahren. Voraussetzung beim Feedback empfangen ist, dass ich gut zuhöre und über das, was ich höre – auch wenn es mich trifft oder spontan innere Abwehr auslöst – nachdenke ohne mich zu rechtfertigen.

Aktives Zuhören und Randbedingungen für stimmige Kommunikation

Das „aktive Zuhören“ geht über das reine Zuhören hinaus. Dabei sind folgende Gesprächshaltungen nach Rogers (2006) die Grundvoraussetzungen für einen guten Kontakt und Beziehungsaufbau: Ehrlichkeit mit der Bereitschaft, sich in Worten und Verhalten zu seinen Gefühlen und Einstellungen zu bekennen. Dies ermöglicht Transparenz und Authentizität. Akzeptanz verbunden mit (warmherzigem) Anerkennen seines Gegenübers als Person mit eigenen Rechten und Werten. Hier geht es darum, Verschiedenheiten und das Gegenüber in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren (vgl. auch Thomann & Schulz von Thun 2001). Mitfühlendes Verstehen mit dem Bestreben, die Sichtweisen des anderen und eventuell damit verbundene Gefühle zu erkennen und auch anzusprechen.

-

Diese Grundhaltungen ermöglichen erst das „einfühlende Zuhören“, das sogenannte aktive Zuhören. Sie umfassen bereits zwei Elemente der von Storch und Tschacher (2014) genannten Randbedingungen für Synchronisation: „aufmerksam sein“ und „Ohren auf “. Als drittes Element für den Synchronisationsprozess kommt das „Augen auf “ hinzu, welches ebenfalls zum aktiven Zuhören gehört und durch eine zugewandte Körperhalt und Blickkontakt ermöglicht wird. Mit Hinweis auf die Funktionsweise unseres Systems der Spiegelnervenzellen wird einmal mehr deutlich wie wichtig das Augen auf für unsere Wahrnehmung ist. Folgende verbale und nonverbale Kommunikationsmittel begleiten das aktive Zuhören, wobei diese als reine „Gesprächstechniken“ angewendet manipulativ wirken würden. Im Kontakt mit dem Gegenüber laufen die nonverbalen und auch viele verbale Muster

339

9

Wie ist das Fremdbild von mir?

340

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

-

in der Regel wie von selbst, als Teile und gleichzeitig als Ergebnisse eines Selbstorganisationsprozesses. Nonverbale Kommunikation: Zugewandte Körperhaltung, Nicken, aufmerksame Mimik, aufmerksames Zuhören und Blickkontakt. Verbale Kommunikation: Lautäußerungen wie: ja, genau, mmh, aha usw. sowie Nachfragen, Zusammenfassen, Klären und Paraphrasieren. assoziative Annäherung durch Wiederholung

9

Paraphrasieren meint das, was man verstanden hat, mit eigenen

Worten möglichst kurz und wertneutral wiederzugeben („Wenn ich Sie richtig verstehe …“). Es bewirkt, dass ich klären kann, ob ich richtig verstanden habe und es bewirkt, dass ich die Geschichte meines Gegenübers in das eigene assoziative Netzwerk einflechten kann. Gleichzeitig kann mein Gegenüber erfahren, was verstanden wurde und wird in seinem inneren Klärungs-(Selbstorganisations‑) Prozess unterstützt. Eine weitere Wirkung ist, dass mit der erlebten Wertschätzung, die mit dem aufmerksamen Zuhören einhergeht, Ressourcen aktiviert und der Selbstwert erhöht werden. (Rogers 2010). Zuhören heißt nicht zustimmen. Gerade dann, wenn es in Gesprächen um verschiedene Sichtweisen geht, ist es besonders schwierig aufmerksam zuzuhören ohne schon die eigenen Gegenargumente zurechtzulegen. Voraussetzung für das aktive Zuhören ist jedoch ein echtes Interesse am Gegenüber und die Bereitschaft ganz zuzuhören. Dass ich erst einmal den Standpunkt des anderen ergründe um ihn zu verstehen, bedeutet nicht, dass ich ihn übernehmen muss.

Du- und Ich-Botschaften Wie kann es gelingen, etwas Unangenehmes zur Sprache zu bringen und zu dem zu stehen, was ich denke? Wenn ich mit jemandem ein Problem habe, kann ich auf zwei Arten reagieren: Mit Du-Botschaften („Du solltest …“, „Warum haben Sie nicht …“, „Ich glaube, Sie sollten …“) wird das Problem ausschließlich beim Empfänger lokalisiert. Sie sind unvollständige Botschaften, denn zunächst habe ich und nicht der Empfänger ein Problem. Daher verstärken sie in einem Konflikt bestehende Fronten und provozieren eine Abwehrhaltung. Sie wirken als Bevormundung, werden als einseitige Schuldzuweisung erlebt, verursachen Schuldgefühle und rufen nach Rechtfertigungen. Mit Ich-Botschaften kann dem Gegenüber mitgeteilt werden, welche Gefühle, Empfindungen und Gedanken sein Verhalten beim Sender der Ich-Botschaft ausgelöst haben. Die Ich-Botschaft zeigt etwas vom Innenleben des Senders und beschreibt seine innere Wirklichkeit. Im Vergleich zu „Du-Botschaften“ werden „IchBotschaften“ vom Gegenüber leichter akzeptiert und tragen somit zu einem konstruktiveren Gesprächsverlauf bei. Man stelle sich nur

9.2 • Storytelling

seine eigene Reaktion vor auf Sätze wie: „Du bist rücksichtslos“, im Gegensatz zu: „Ich fühle mich bei diesem Vorgehen übergangen“. Eine vollständige Ich-Botschaft nach Gordon (2012) enthält drei Merkmale. Dabei sind nicht die Reihenfolge oder die Vollständigkeit der Botschaft relevant, sondern die Haltung und der Ton in dem diese übermittelt werden. In der Ich-Botschaft geht es um die Beschreibung 1.) des auslösenden Verhaltens, 2.) der Auswirkungen durch das Verhalten und 3.) der eigenen Gefühle, die ausgelöst wurden. Auch Ich-Botschaften können brüskieren und Abwehrreaktionen hervorrufen. In dem Fall könnte es hilfreich sein, aktiv zuzuhören. Zusammenfassung

341

9

in Ich-Botschaften benenne ich das störende Verhalten des anderen, die Wirkung und meine eigenen Gefühle

Zusammenfassung

Zwischenmenschliche Kommunikation gelingt dann, wenn durch geeignete Bedingungen der Synchronisationsprozess zwischen den Beteiligten unterstützt wird. Zu diesen Bedingungen gehören die Haltung und die Techniken des aktiven Zuhörens. Sie sind die wichtigsten Grundlagen für kommunikative Kompetenz.

9.2 Storytelling Andrea Chlopczik

Auf einen Blick In diesem Abschnitt geht es um Storytelling als Kommunikationsinstrument für Führungskräfte. Anknüpfend an die allgemeinen Kommunikationsmodelle aus dem vorhergehenden Abschnitt wird die Wirkweise von Storytelling aufgezeigt. Der Unterschied, den der Einsatz von Storytelling in der Unternehmenskommunikation ausmacht, wird herausgearbeitet. Mit Storytelling können die im Unternehmen vorhandenen Geschichten sichtbar gemacht oder neue Geschichten ins Unternehmen eingeführt werden, um Führungsziele zu erreichen. Verschiedene Einsatzbereiche werden aufgezeigt. Abschließend werden Übersichtsmodelle vorgesellt, mit denen die erforderlichen Grundkompetenzen – Zuhören und Erzählungsaufbau – trainiert werden können. Dieser Abschnitt ist in vier Unterabschnitte untergliedert: Definition Storytelling, Wirkung von Storytelling, Einsatzbereiche von Storytelling in der Führung und Aufbau von Storytelling-Kompetenz.

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Auf einen Blick

342

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Geschichten hineintragen und herausholen

..Abb. 9.5  © 2018 by Tobias Leuenberger

9.2.1 Storytelling

Begriff Storytelling

Der Begriff Storytelling stammt aus dem Angloamerikanischen und bedeutet „Geschichten erzählen“. Business Storytelling – Geschichten erzählen in der Geschäftswelt – ist eine Kommunikationsmethode. Fakten und sachliche Inhalte werden in Form von Geschichten für ihre relevanten Nutzer, das Zielpublikum, aufbereitet. Das Verpacken in eine Geschichte geschieht mit bestimmten Absichten. Für Führungszwecke kann Storytelling mit zwei verschiedenen Schwerpunkten definiert werden. Laut Erler (2008) werden Geschichten von Managern in die Organisation getragen, um gezielt darin etwas zu bewirken oder Geschichten sind schon in der Organisation und wirken unbewusst. Im zweiten Fall werden die Geschichten gesammelt und das Zuhören ist gefragt, um das in den Geschichten enthaltene Wissen nutzbar zu machen.

Definition von Storytelling Nach Thier (2006) ist Storytelling „eine Methode, mit der (Erfahrungs‑)Wissen von Mitarbeitern über einschneidende Ereignisse im Unternehmen (wie z B. ein Pilotprojekt, eine Fusion, Reorganisationen oder eine Produkteinführung) aus unterschiedlichsten Perspektiven der Beteiligten erfasst, ausgewertet und in Form einer gemeinsamen Erfahrungsgeschichte aufbereitet wird. Ziel ist, die gemachten Erfahrungen, Tipps und Tricks zu dokumentieren und damit für das gesamte Unternehmen übertragbar und nutzbar zu machen.“ (S. 17) Diese Definition bezieht sich auf die im Unternehmen bereits vorhandenen Geschichten. Analog ließe sich Storytelling für das Einführen neuer Geschichten ins Unternehmen wie folgt definieren: Storytelling ist eine Methode, mit der Führungskräfte ihr Verständnis der Organisation, ihrer Mitarbeitenden und von sich selbst in der Rolle als Führungskraft auf eine ganzheitliche Art ausdrücken können. Ziel ist, neben der Informationsweitergabe eine tragende Beziehung zu den Mitarbeitenden aufzubauen.

9

9.2.2 Storytelling als Instrument ganzheitlicher ­Kommunikation

Sachaspekt und Beziehungsaspekt

Wirkung von Storytelling

Storytelling ist ein Instrument ganzheitlicher Kommunikation im Unternehmen. Führungskräfte können sich Geschichten zunutze machen, um den Mitarbeitenden einen umfassenderen Zugang zum Unternehmen, zu seiner Identität, zu seiner Strategie und zu seinen Zielen zu bieten. Mit emotionalen und symbolischen Kontexten werden Zahlen und Fakten in analoge, über den analytischen Verstand hinausgehende Netzwerke eingebunden. Neben dem Sachaspekt einer Nachricht wird bewusst der Beziehungsaspekt eingesetzt (vgl. Watzlawick et al. 1969): Ausgedrückte

9.2 • Storytelling

Emotionen sorgen für eine Mehrfachkodierung der Botschaft. Die Inhalte bleiben haften, Aufforderungen zum Handeln und Mittun kommen an (beim Adressaten wird wirksam das Appell-Ohr erreicht, vgl. Schulz von Thun 2008). In der Geschichte ausgemalte Bilder knüpfen an vorhandene Bilder an und zeigen weiter reichende Sinnzusammenhänge auf (der analoge Anteil der Kommunikation wird aktiviert und gesteigert). Das alles wirkt zusammen, um z. B. Kultur und Werte eines Unternehmens zu transportieren, Identität zu bilden, Motivation zu fördern, Sinn zu stiften. Bereits das Interesse für die Geschichte, die einzelne Mitglieder von der Organisation erzählen können, ist eine wirksame Intervention. Beispielsweise werden mit Geschichten von positiven Ausnahmen die Voraussetzungen geschaffen, dass Innovationen auf den Weg gebracht werden. Stephen Denning (2011) nennt diese Geschichten „Sprungbrettgeschichten“. In ihnen wird ein bereits erfolgreich realisierter Prototyp der wünschenswerten zukünftigen Entwicklung aufgezeigt. Das an einem detailliert berichteten konkreten Beispiel verwirklicht zu sehen, was in seiner Machbarkeit und Wirksamkeit noch bezweifelt wird, motiviert zögerliche Mitarbeitende, sich mit aller Kraft für eine Veränderung einzusetzen.

343

9

Appell

Muster des Gelingens ­„vorspuren“

Nachhaltiges Speichern von Informationen Christine Erler, die sich seit 1998 mit narrativem Wissensmanagement und Storytelling beschäftigt, geht davon aus, „dass Erzählungen das natürliche Format sind, das alle Menschen intuitiv wählen, um anderen etwas über ihre Erfahrungen oder Einstellungen mitzuteilen“ (Erler 2008). Das Faktische wird in einem Kontext präsentiert, der ihm mehr Sinn verleiht. Der Kontext hat mit Beispielen des emotionalen Erlebens der Erzählenden und Zuhörenden zu tun, sodass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Inhalte der Story mit dem eigenen Erleben verknüpft werden. Auf diese Weise können in Stories verpackte Informationen besser erinnert werden und das Entscheiden und Handeln aktiv beeinflussen. >>Wenn Informationen in eine einfache, fesselnde und emo-

tional mitreißende Geschichte verpackt sind, werden 65–70 % der Inhalte behalten, im Vergleich zu 5–10 %, wenn die gleichen Informationen in Powerpoint-Folien präsentiert werden (Love 2008).

Story-Inhalte bleiben besser haften

Storytelling und transformationale Führung Kristi Lewis Tyran (2015, S. 121) geht davon aus, dass Leadership ein Prozess der sozialen Beeinflussung ist. Er findet statt zwischen Individuen, die zusammen auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Die Fähigkeit, eigene Emotionen auszudrücken, wird in den von Tyran (2015) ausgewerteten Studien als förderlich für den Erfolg transfor-

Transformational führen: Emotionen authentisch a­ usdrücken

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Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

mationaler und authentischer Führung (7 Kap. 2, 7 Kap. 10) angesehen. Transformational agierende Führungskräfte wollen authentisch wirken nicht nur in ihren Handlungen, sondern auch im Ausdruck ihrer Emotionen. Das macht sie in den Augen ihrer Mitarbeitenden glaubwürdig. Mit Storytelling kann die emotionale Ausdrucksweise in der Kommunikation bewusst als Führungsinstrument eingesetzt werden. Der Ausdruck positiver Emotionen (Freude, Stolz) oder der Situation angemessener negativer Emotionen (Wut über Ungerechtigkeit) wirkt ansteckend und motivierend auf die Mitarbeitenden. Durch Ausdruck von Empathie und Feinfühligkeit können Führungskräfte die ablehnenden oder ängstlichen Reaktionen ihrer Mitarbeitenden in Veränderungsprozessen günstig beeinflussen (Aufbau und Stärkung von Zuversicht). Storytelling gibt Führungskräften die Möglichkeit, durch das Vorbild ihrer eigenen Geschichte die kollektive Interpretation von herausfordernden Situationen anzuleiten und eine Stimmung zu erzeugen, in der Herausforderungen eher als Chance für die gemeinsame Weiterentwicklung denn als Bedrohung wahrgenommen werden (Tyran 2015, S. 134).

9

9.2.3

-

Einsatzbereiche von Storytelling in der Führung

Anwendungsgebiete von Storytelling sind nach Thier (2006): Informations- und Wissensmanagement – zur Ergänzung faktenorientierter Instrumente, Dokumentation wichtiger Projekte – Lernen aus gemachten Fehlern, Übertragen von Erfolgsstrategien auf ähnliche Projekte, Projektdebriefing – zur standardisierten Erfassung von Erfahrungen, Qualitätsmanagement – z. B. als Methode des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP), Change-Prozesse – Entwicklung einer von Geschäftsleitung und Mitarbeitern gemeinsam getragenen Vision der Zukunft, Kooperation – Managen der zwischenmenschlichen Aspekte, Erlangen von gegenseitigem Vertrauen, Leaving Experts – Sicherung und Dokumentation des Wissens ausscheidender Mitarbeiter und betriebliches Verbesserungswesen – quantitative und qualitative Steigerung der Rate an Verbesserungen.

Wissensmanagement Lernergebnisse dokumentieren

Wenn ein Experte das Unternehmen verlässt, sollte es im Unternehmen mindestens eine Person geben, die sich seine Geschichte angehört hat und das darin enthaltene Wissen im Unternehmen weiter trägt. Bevor ein Team nach einem außergewöhnlichen Projekt zur Tagesordnung übergeht, sollte es die Projektgeschichte

9.2 • Storytelling

345

9

erzählt haben, um die gerade gemachten Erfahrungen für andere Teams nutzbar zu machen (Loebbert 2008).

Kulturentwicklung Geschichten bilden die Entstehungsgeschichte des Unternehmens ab und dienen dazu, das Unternehmen als ein nach außen abgegrenztes, sich von anderen unterscheidendes System zu konstruieren. Führungskräften nutzen die Geschichten, die sie ins Unternehmen hineintragen, um ihre eigene Rolle in diesem System zu definieren (wer erzählt?), um die Kommunikation mitzugestalten (wie wird erzählt?) und um die sozialen Beziehungen im System zu stärken (welche Verbindung entsteht mit den Zuhörenden?)

Ausdruck der Firmenkultur

Strategieumsetzung Laut Love (2008) wird Storytelling zunehmend in Unternehmen genutzt, um bei den Mitarbeitenden ein besseres Verständnis der Strategie und mehr Bewusstheit bei ihrer Umsetzung zu erreichen. Beispiel

Storytelling im Strategieumsetzungsprozess bei Microsoft (Love 2008)

Beispiel Microsoft: Neue Strategie in Bildern und Anekdoten

Bei Microsoft wurde eine neue Strategie mit Hilfe von Bildern und Anekdoten umgesetzt. Auf diese Weise konnte eine emotionale Verbindung mit denjenigen hergestellt werden, die letzten Endes die gewünschte Veränderung praktisch umsetzen sollten. Statt der klassischen Darstellung in Form von Diagrammen und Tabellen wurden die Fakten und statistische Referenzen in sinnlich wahrnehmbare Bilder übersetzt. Durch Einsatz von Humor und Selbstironie rückten „die da oben“ und „die da unten“ näher zusammen und konnten die gemeinsame Aufgabe mit einem Augenzwinkern über sich selbst angehen. Sachinhalte und Personen wurden gleichermaßen konkreter und erreichbarer.

Rollen- und Funktionsklärung Damit eine Führungskraft, insbesondere bei Antritt ihrer Führungsstelle, überhaupt lernen kann, nach welchen ungeschriebenen Regeln die Organisation funktioniert, sollte sie auf die Geschichten lauschen, die von der inoffiziellen Unternehmenskultur erzählen, welche das Denken und Handeln der Organisationsmitglieder weit stärker prägt als die offizielle. „In Geschichten, die erzählt werden, werden die sonst unbewussten Muster für Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken und Handlungen dargestellt.“ (Loebbert 2008).

Stories: Verständigung über inoffizielle Verhaltensmuster

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Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Digitale Kommunikation Blogs und soziale Netzwerke

Bereits ganz selbstverständlich eingesetzte Formen von Storytelling in Organisationen sind interne und externe Blogs, Auftritte in sozialen Netzwerken sowie der Austausch unter den Teilnehmern dieser Netzwerke (Love 2008). 9.2.4

Aufbau von Storytelling-Kompetenz

Zwei Richtungen: Zuhören und Erzählen Storytelling = Dialog

9

Beispiel Change Management: Orientierung geben

Laut Tyran (2015) braucht wirksames Storytelling das Zuhören genauso wie das Erzählen. Storytelling als Kommunikationsform im Unternehmen ist eine Form des Dialogs, die durch den Austausch über gemeinsame Erfahrungen einem vertieften Sinnstiftungsprozess dient. Der Einsatz von Geschichten gibt Führungskräften die Möglichkeit, zum einen ihre Emotionen auszudrücken und zum anderen Empathie für die emotionalen Reaktionen ihrer Mitarbeitenden zu zeigen. Beispiel

Eine Abteilung in der schwierigen Anfangsphase eines Veränderungsprozesses Der Abteilungsleiter erzählt davon, wie er selbst einmal an einer Veränderungsaufgabe beinahe gescheitert wäre. Er berichtet von seiner Wut auf die Initianten der Veränderung und von seiner Verzweiflung über den Verlust seiner liebgewonnenen Routine. Er beschreibt, wie er sich hin- und hergerissen fühlte zwischen dem Neuen, das ihn irgendwie interessierte, und dem Alten, das er über lange Zeit und mit großer Mühe aufgebaut hatte, und für dessen Erfolg er verantwortlich war. Seine Mitarbeitenden fühlen sich in ihren eigenen ambivalenten Gefühlen verstanden. Wenn der Abteilungsleiter dann noch anhand einer selbst erlebten, beispielhaften Situation beschreibt, was ihn persönlich dazu ermutigt hat, die Herausforderung aktiv zu meistern, kann er die Stimmung seiner Mitarbeitenden in motivierender Weise beeinflussen.

Schlüsselkompetenzen: Empathisches und vorurteilsloses Zuhören

Ausschlaggebend für den Erfolg von Storytelling ist die Art des Zuhörens, mit der der Zugang zu den relevanten Geschichten erst geschaffen wird. Otto Scharmer unterscheidet insgesamt vier Ebenen des Zuhörens (Scharmer 2009; Scharmer und Käufer 2014): 1. Downloading, 2. faktisches Zuhören, 3. empathisches Zuhören und 4. generatives Zuhören.

9.2 • Storytelling

347

9

Die vier Ebenen unterscheiden sich in der Ausrichtung der Aufmerksamkeit. 1. Zuhören im Downloading-Modus ist selbstbestätigend. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die Wiederholung des Bekannten, was zur Stagnation führt. 2. Faktisches Zuhören setzt ein Interesse an anderen Positionen oder Auffassungen voraus als den bereits bekannten. Die Aufmerksamkeit gilt dem Sammeln von Unterschieden und Neuem. 3. Empathisches Zuhören erfordert die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Die Aufmerksamkeit zielt auf das Sich-Hineinversetzen in andere Positionen, um die Unterschiede nicht nur kognitiv zu beschreiben, sondern emotional nachzuvollziehen. 4. Beim generativen Zuhören ist die Aufmerksamkeit der Beteiligten auf die entstehenden Möglichkeiten gerichtet. Ein gemeinsames Gestalten innovativer Ansätze und Lösungen wird möglich. Die Beobachtung des eigenen Zuhörverhaltens gibt Aufschluss über das Ausmaß des offenen Interesses für die Positionen und die damit verbundenen Geschichten anderer. Je genauer das faktische Zuhören und je beweglicher das empathische Zuhören, umso wirkungsvoller die Geschichten, die daraus entstehen. Das Geschichtenerzählen beginnt mit dem Zuhören. Durch interessiertes, vorurteilsloses Fragen (Schein 2016) finden Führungskräfte heraus, welche Geschichten in ihrem Unternehmen jeweils aktuell und relevant sind. Typische Geschichten, die je nach aktuellen Fragestellungen im Unternehmen erzählt werden sollten, sind (vgl. Frielinghaus 2013): Entstehungs- oder Gründungsgeschichten, Leitbildgeschichten, Geschichten vom gemeinsamen Auftreten (Corporate Identity), Produktgeschichten, Qualitätsgeschichten, Zukunftsgeschichten: Visionen und Strategien, Kundengeschichten, Geschichten vom Gelingen oder vom Scheitern von Projekten und Veränderungsgeschichten (Geschichten vom Lernen in der Organisation).

faktisches und empathisches Zuhören trainieren

Schlüsselkompetenz von Führungskräften: Vorurteilsloses Fragen

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Dramaturgie Damit Storytelling funktioniert, sind „handwerkliche“ Fertigkeiten erforderlich, die es zu trainieren gilt. Wichtig für das Gelingen ist die Dramaturgie der Geschichte – der Aufbau des Spannungsbogens und die Herstellung des Bezugs zum Kontext, der für die erzählende Person und die Zuhörenden gleichermaßen relevant ist.

Spannungsaufbau und ­Kontextbezug

348

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

..Tab. 9.2  Die SUCCES-Formel. (Aus Heath und Heath 2008, Copyright © 2007 by Chip Heath and Dan Heath) Simple

Schildere einfach und direkt, was die Kernbotschaft ist, lasse alles Überflüssige weg.

Unexpected

Baue etwas Unerwartetes ein, das den gewohnheitsmäßigen Erwartungen der Zuhörenden zuwiderläuft – das weckt ihre Aufmerksamkeit.

Credible

Schildere das Unerwartete glaubhaft – wie den Rest der Geschichte.

Concrete

Nutze Beispiele aus der Erfahrungswelt der Zuhörenden, …

Emotional

… um emotionale Reaktionen hervorzurufen – und wecke Begeisterung …

Story

… mit deiner Geschichte!

Spannung aufbauen und auflösen

Im Interview mit Arianna Huffington nennt Peter Guber (2011) die aus seiner Sicht notwendigen vier Dinge, die eine Führungskraft tun sollte, damit das Geschichtenerzählen zum Erfolg führt: 1. Zuallererst die Aufmerksamkeit der Zuhörenden gewinnen und diese behalten. 2. Durch einen wahrhaftigen Auftritt die Zuhörenden motivieren. 3. Beim Erzählen das in den Vordergrund rücken, was für die Zuhörenden von Nutzen und Vorteil ist. 4. Aus passiven Zuhörenden aktive Teilnehmende machen.

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Die SUCCES-Formel: Informationen werden besser erinnert

Heath und Heath (2008) haben erforscht, welche Merkmale eine Geschichte aufweisen sollte, damit ihre Botschaft bei den Adressaten hängen bleibt. Ihre Formel lautet: Erzähle eine simple, unerwartete, konkrete, glaubhafte und emotionale Geschichte – oder im englischen Original SUCCES (. Tab. 9.2).

Einbettung in den Kontext Story und Kontext: Das Umfeld – die Story – das Fazit: Veränderungen

Die Story wird mit der Absicht erzählt, etwas zu bewirken. Damit das gelingt, muss sie in den relevanten Kontext eingebunden werden. Dieser Kontext besteht zum einen aus den äußeren Schauplätzen und Zielsetzungen (Unternehmen, Veränderungsziele) und zum anderen aus dem inneren Lernprozess der beteiligten Individuen. Ein für die umfassende Kontext-Einbettung einer Business-Story geeigneter Aufbau in fünf Schritten stammt aus dem Business-Storytelling-Seminar des theater anundpfirsich (7 www.pfirsich.ch): 1. Unternehmenskontext: Unternehmensrelevante Fragestellung, auf die sich die Story bezieht; „Ich möchte heute über die geplanten Veränderungen in unserer Produktpalette sprechen. …“

9.2 • Storytelling

349

9

2. (Kurze) Überleitung zur Story: „Bevor ich auf die Neuerungen im Einzelnen eingehe, möchte ich Ihnen eine kurze Geschichte erzählen. …“ 3. Die Story: Schilderung der konkret erlebten Begebenheit; „Am Abend bevor wir unser derzeit erfolgreichstes Produkt mit einer grossen Pressekonferenz einführen wollten, erhielt ich einen Anruf unseres damaligen CEO …“ 4. Persönliche Einsicht: „Was ich daraus gelernt habe …“ 5. Botschaft ans Publikum: „Was wir daraus lernen können …“

Von Hollywoods Drehbuchschreibern lernen Robert McKee lehrt die Kunst des Geschichtenerzählens. Zu seinen Kunden zählen Drehbuchautoren und Regisseure genauso wie Manager. Nach McKees Auffassung können Menschen in keinem Fall ausschließlich intellektuell überzeugt werden. Nachhaltige Überzeugung und Motivation braucht den Einbezug der Gefühle und des Körpers (vgl. Storch und Tschacher 2014). Viel besser als mit der klassischen rationalen Rhetorik lassen sich Menschen überzeugen, wenn eine Idee mit einem Gefühl verknüpft wird. Geschichten handeln davon, „wie und warum sich das Leben ändert.“ (McKee 2003, S. 3). Etwas Unerwartetes passiert, das das Weiterleben in den alten Mustern unmöglich macht. Der Held der Geschichte wird aus seiner gewohnten Bahn geworfen. Erzählt wird dann, wie dieser Held – ein Individuum oder ein Team oder eine Organisation – beim Versuch, wieder ins Gleichgewicht zu kommen, mit der objektiven Realität in Konflikt gerät und diesen Konflikt löst. Geschichten, auch Business-Geschichten, handeln vom Umgang mit „dem fundamentalen Konflikt zwischen subjektiver Erwartung und harter Wirklichkeit“ (McKee 2003, S. 3). Eine gute Geschichte wird nach McKee nicht linear von Anfang bis Ende durcherzählt. Die Geschichte ruft komplexe Erinnerungsnetzwerke wach – Assoziationen, Sinneseindrücke, Gefühlsreaktionen. Sie verläuft in Schlaufen, ihr Gegenstand sind die Hindernisse, die der Zielerreichung im Wege stehen. Je mehr und je stärkere Gegner zu überwinden sind, um ein Ziel zu erreichen, desto mehr positive Eigenschaften werden dem Helden zugeschrieben (Beharrlichkeit, Disziplin, Optimismus, Kreativität). Die Geschichte wird gerade dadurch wahrhaftig, dass Rückschläge und bedrohliche Ereignisse nicht ausgeklammert werden. Beispiel

Pharmaunternehmen sucht Investoren (nach McKee 2003) Ein Pharmaunternehmen entdeckt ein Protein, das sich kurz vor einem Herzanfall im Blut bildet. Das Unternehmen entwickelt einen einfachen, preisgünstigen Test, der dieses Protein nachweist, sodass einem Herzanfall wirksam vorgebeugt

Ansprechen von analytischem Verstand, Gefühl und Körper

Überraschungsmoment nutzen: Konflikt mit dem Unerwarteten

Einbezug von Erinnerungsnetzwerken

Beispiel Pharmaunternehmen sucht Investoren

350

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

werden kann. Zur Überzeugung von potenziellen Investoren erzählt der CEO nun die Geschichte der Gegner, die bereits überwunden wurden. Erster Gegner ist die Natur – ein Verwandter, der an einem Herzanfall gestorben ist. Nächster Gegner ist die Arzneimittelbehörde, die die Zulassung für den Test zunächst ablehnt. Weitere Forschungsprojekte liefern bessere Nachweise für die Wirksamkeit, sodass der Test schließlich zugelassen wird. Als nächstes verlässt einer der maßgeblich beteiligten Wissenschaftler das Unternehmen und der Kampf um das Patent beginnt. Der CEO hat bis hierhin die Spannung so aufgebaut, dass seine Zuhörenden mit dem Schlimmsten rechnen. Wenn er nun verkünden kann, dass sein Unternehmen den Kampf um das Patent gewonnen hat und auf der Stelle damit beginnen kann, das Mittel zu produzieren, sodass pro Jahr eine Viertelmillion Leben gerettet werden können, dann sind ihm die notwendigen Investitionen sicher.

9

Überzeugend wirksam: Licht- und Schattenseiten

Zusammenfassung

Spannend sind nicht die Geschichten, in denen alles nach Plan läuft, sondern die, in denen die Ziele gegen Widerstände weiter verfolgt (Beharrlichkeit und Disziplin), verändert (Lern- und Anpassungsfähigkeit) und schließlich erreicht werden. Nur eine Geschichte, die sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten enthält, ist wahrhaftig. Letztendlich wirkt sie motivierend und löst bei den Zuhörenden positive Überzeugungen aus (Widerstände sind überwindbar; ein Rückschlag bedeutetet nicht das Ende; erstaunlich, welche Kräfte in mir/in uns stecken etc.). Zusammenfassung Storytelling als Kommunikationstechnik bezieht neben den zu überbringenden Sachinformationen auch damit verknüpfte gefühlsmäßige Reaktionen in die Botschaft mit ein. Eine Betonung des Beziehungsaspekts der Kommunikation durch Ausdrücken von Gefühlen in Geschichten kann Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Führungskräften stärken. Sinnlich wahrnehmbare sprachliche Bilder werden eingesetzt, um zusätzlich zum analytischen Verstand (Kognition) auch das ganzheitliche Erleben der Adressaten (Emotion und Körper) anzusprechen. Storytelling bewirkt, dass Fakten besser im Gedächtnis verankert werden; Zuhörende zu eigenständigem Entscheiden und Handeln motiviert werden; das in Organisationen vorhandene Wissen festgehalten und leicht verständlich weitergegeben werden kann (Wissensmanagement);

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9.3 • Gesprächsführung

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9

351

die nachhaltige Kulturentwicklung in der Organisation Teil der alltäglichen Abläufe ist.

Was Führungskräfte von Geschichtenerzählern lernen können: Setze kognitive UND emotionale Intelligenz ein. Nutze die Erfahrungen deines Lebens, die angenehmen wie die herausfordernden. Beobachte dich selbst. Hör gut zu. Nutze die Möglichkeit, dich in andere hineinzuversetzen. Stelle dich und deine Geschichten in den Dienst der ­Zuhörenden.

9.3 Gesprächsführung Eric Lippmann

Auf einen Blick Führungskräfte verbringen den weitaus größten Teil ihrer Arbeitszeit beim Kommunizieren mit ihren Mitarbeitern, Vorgesetzten, Kunden usw. Im Zentrum dieses Abschnitts steht das Gespräch mit Mitarbeitern; dabei werden nicht nur betriebliche Angelegenheiten geregelt und entsprechende Ziele verfolgt, sondern es geht immer auch um die Gestaltung der Beziehung zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Die folgenden Ausführungen behandeln Einflussfaktoren, Phasen und wichtige gesprächspsychologische Grundsätze, die es bei Führungsgesprächen zu beachten gilt. Ergänzt durch einen Überblick über die wichtigsten Gesprächsarten verhilft dieser Abschnitt dazu, das eigene Verhalten in Führungsgesprächen bewusster zu gestalten.

9.3.1 Bedeutung

der Kommunikationsfähigkeit

Kommunikationsfähigkeit ist eine der wichtigsten Kompetenzen für den Führungserfolg. Kommunikationspsychologische Grundlagen gelten für die menschliche Kommunikation in allen Lebensbereichen, sei es privat oder im Beruf. Wenn hier das Gespräch mit Mitarbeitern im Zentrum steht, so sind die allgemeingültigen Aussagen zur Kommunikation im Kontext der Organisation zu betrachten. Die zentralen Aspekte von soziotechnischen Systemen, die Aufgaben und Strukturen prägen die Kommunikation, die wiederum

Auf einen Blick

..Abb. 9.6  © 2018 by Tobias Leuenberger

352

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

an der Aufgabe Orientieren Sie sich gleichrangig

WAS Sie sagen indem Sie gleichrangig darauf achten

an Ihrem Mitarbeiter

WIE Sie es sagen

..Abb. 9.7  Leitsätze für Führungsgespräche. (Aus Saul 1995, S. 22, © 1995, 2012 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel)

Kommunikation als ­Kulturelement

9

-

als wesentliches Kulturelement Aufgabenverständnis und -erfüllung sowie die Strukturen beeinflusst: „Ohne Kommunikation ist ein zielorientiertes Handeln mehrerer Individuen undenkbar“ (Wahren 1992). Vorgesetzte verbringen sehr viel Zeit mit kommunizieren. Dass die Kommunikation in Organisationen einen wichtigen Bestandteil der „betrieblichen Wirklichkeit“ ausmacht, wird noch deutlicher, wenn man Gespräche von Vorgesetzten unter einem quantitativen Aspekt näher betrachtet. Wahren führt einige wichtige Ergebnisse aus Zeitanalysen von Führungskräften auf, die zeigen, dass Vorgesetzte 50–90 % ihrer Zeit für verbale Kommunikation verwenden; sich der Arbeitstag von Vorgesetzten weitgehend aus einer großen Anzahl kurzer Gesprächsepisoden zusammensetzt (ungeplante, Ad-hoc- und Telefongespräche); etwa 80 % der Kommunikationszeit auf geplante (und vorbereitete) Gespräche verwendet wird, die insgesamt aber nur etwa einen Drittel der Gesprächsaktivitäten ausmachen; in Klein- und Mittelbetrieben das Einzelgespräch dominiert, während in Großbetrieben Gruppengespräche mehr Zeit als Einzelgespräche beanspruchen; im Durchschnitt auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen etwa 20 % auf die Kommunikation mit Vorgesetzten, 20 % auf die Kommunikation mit Kollegen, 60 % auf die Kommunikation mit Unterstellten entfallen.

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Allein diese quantitativen Aspekte zeigen, welche Bedeutung der Kommunikation in Organisationen und speziell den Gesprächen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern zukommt.

353

9.3 • Gesprächsführung

9

Gesprächsleitung Organisation und Gesellschaft

Historische Variablen

Gesprächspartner

Ziel- und Situationsvariablen

Gespräch

Prozess- und Interaktionsvariablen

Variablen der Gruppenzugehörigkeit Außenvariablen

..Abb. 9.8  Einflussfaktoren auf Führungsgespräche

Die Aspekte der Qualität, die Art und Weise, wie diese Gespräche geführt werden, sind aber noch zentraler und stehen in engem Zusammenhang mit Fragen der Zufriedenheit, Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter. Ausgehend von den Grundlagen der Kommunikation (7 Abschn. 9.1) finden Führungsgespräche immer auf zwei Hauptebenen statt, nämlich auf der Sachebene (Sachinformationen, die übermittelt werden); auf der Beziehungsebene (Aussagen über Sender, Empfänger, ihre Beziehung, emotionale Aspekte usw.).

-

Daraus lassen sich in Anlehnung an Saul (2012) Leitsätze für Führungsgespräche ableiten (. Abb. 9.7). Darüber hinaus lassen sich wichtige Einflussfaktoren auf Führungsgespräche in einer Grafik zusammenfassen (vgl. Dutfield und Eling 1993; . Abb. 9.8). Der Ablauf von Führungsgesprächen lässt sich im Allgemeinen in folgende 4 Phasen einteilen: Definition und Festlegung der Gesprächsziele, Gesprächsvorbereitung, Gesprächsdurchführung und Gesprächsauswertung.

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Leitsätze für Führungsgespräche Einflussfaktoren auf Führungsgespräche Ablauf von Führungsgesprächen

354

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Sich der spezifischen Schwierigkeiten einzelner Gesprächsarten bewusst sein und mit ihnen optimal umgehen

Zu einzelnen Gesprächen entsprechende Vorgehensweisen kennen bzw. entwickeln und umsetzen

Professionelle Gestaltung von Führungsgesprächen

Die verschiedenen Gesprächsarten differenzieren und erkennen, welche Gespräche wann sinnvoll sind.

9

Wichtige Einflussfaktoren auf Führungsgespräche erkennen und berücksichtigen

Die vier Phasen im Ablauf von Gesprächen kennen und anwenden

Die drei zentralen Elemente in Gesprächen: Mitteilen – Zuhören – Verstehen bewusst gestalten und beeinflussen

..Abb. 9.9  Elemente der professionellen Gestaltung von Führungsgesprächen

Elemente des Gesprächs

Formen von Führungsgesprächen

professionelle Gestaltung von Führungsgesprächen

Die Gesprächsdurchführung wird in erster Linie von den Verhaltensweisen der Teilnehmenden geprägt, wobei hauptsächlich drei Elemente für einen erfolgreichen Verlauf mitverantwortlich sind: Mitteilen, Zuhören, Verstehen (7 Abschn. 9.3.4). Diese einleitenden Überlegungen gelten für alle Formen der Führungsgespräche. Die Einteilung in einzelne Gesprächsformen kann nach verschiedenen Kriterien erfolgen, z. B. nach Zielsetzung, Aufgabe oder Situation, Gesprächsanlass, Anzahl der beteiligten Personen, Schwierigkeitsgrad in Bezug auf Inhalts- und Beziehungsebene („einfach“ bist „komplex“ und nah Gesprächsstilen (direktiv bis nondirektiv).Ein Überblick und die Beschreibung einzelner Gespräche im Detail tragen dazu bei, die wichtigsten Gesprächsarten unterscheiden und entsprechend führen zu können. Zur professionellen Gestaltung von Führungsgesprächen siehe . Abb. 9.9. Nachfolgend wird auf diese unterschiedlichen Aspekte eingegangen. 9.3.2 Einflussfaktoren

auf die Gesprächsführung

Faktoren, die auf Mitarbeitergespräche einen wichtigen Einfluss haben

In Anlehnung an Dutfield und Eling (1993) sind hauptsächlich folgende Faktoren zu nennen, die auf Mitarbeitergespräche einen wichtigen Einfluss nehmen (. Abb. 9.9).

9.3 • Gesprächsführung

355

9

Gesprächsleitung/-partner

Zum Beispiel Rolle, Status, Erfahrung, Einstellungen, Werte, Bedürfnisse, Erwartungen, Wahrnehmungen, Verhaltensweise, rhetorische Fähigkeiten, Persönlichkeitsstruktur.

Ziel und Situationsvariablen Ziele, die verfolgt werden, Art und Situation des Mitarbeitergesprächs (z. B. Beratungsgespräch, Maßnahmengespräch, Einzelund Gruppengespräch).

Prozess- und Interaktionsvariablen Beziehung zwischen den Gesprächspartnern, Vertrauen, Akzeptanz, Bereitschaft zur Offenheit, Art und Weise des Gesprächsverlaufs.

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Außenvariablen Gesprächsrahmen (z. B. formell/informell); Zeitaspekte: Zeit, die zur Verfügung steht; Zeitpunkt, der gewählt bzw. bestimmt wird; räumliche Verhältnisse: z. B. Ort, Sitzordnung, für Außenstehende beobachtbar oder nicht.

Variablen zur Gruppenzugehörigkeit Soziale Rolle und Status der Beteiligten (z. B. Außenseiter; Lieblingsmitarbeiter eines Vorgesetzten; Fachexperte usw.); personelle Faktoren wie z. B. Alter, Geschlecht, Nationalität, Dienstalter; Stereotype: Vorurteile z. B. aufgrund obiger Faktoren; andere wichtige Personen (z. B. Vorgesetzte, Kollegen: ihre Erwartungen an das Gespräch; Art und Weise, wie sie involviert sind usw.

Historische Variable Einflüsse aus früheren Erfahrungen der Gesprächspartner miteinander oder in anderen ähnlichen Gesprächssituationen.

Einflüsse der Organisation und der Gesellschaft Zum Beispiel betriebliche Strukturen/Regelungen; Gewerkschaften; rechtliche und kulturelle Rahmenbedingungen. 9.3.3

Ablaufschema eines Führungsgesprächs

Bei Führungsgesprächen werden im Allgemeinen vier Phasen durchlaufen, die in diesem Abschnitt näher ausgeführt werden (vgl. dazu Crisand und Pitzek 1993): Definition und Festlegung der Gesprächsziele, Gesprächsvorbereitung, Gesprächsdurchführung und Gesprächsauswertung.

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4 Phasen eines Gesprächs

356

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Definition und Festlegung der Gesprächsziele Gesprächsziele

Vor jedem Mitarbeitergespräch ist genau zu überlegen, welche Ziele in diesem Gespräch angestrebt werden und was erreicht werden soll. Dazu passt das Zitat von R. F. Mager:

» Wer nicht weiß, wohin er will, braucht sich nicht zu wundern,

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wenn er ganz woanders ankommt. (Mager)

Klar formulierte Gesprächsziele begünstigen u. a.: ein systematisches Vorgehen und thematische Konzentration; eine höhere Sicherheit der Gesprächsleitung (d. h. des Vorgesetzten); konkretere Ergebnisse und eine bessere Ergebniskontrolle. Merkmale von Gesprächszielen

9

klar formulierte Gesprächsziele sind konkret

drücken einen E­ ndzustand aus

sind erreichbar und a­ dressatenbezogen

Optimaler Weise genügen klar formulierte Gesprächsziele den wichtigsten Anforderungskriterien, wenn sie a. konkret sind, d. h. klar umgrenzt, verständlich, eindeutig. Negatives Beispiel: „Ich möchte, dass der Mitarbeiter teamfähiger wird.“ Positives Beispiel: „Ich will zusammen mit dem Mitarbeiter Maßnahmen festlegen, die es ihm ermöglichen, sich im nächsten halben Jahr besser ins Team zu integrieren.“ b. einen Endzustand ausdrücken: Sie sagen etwas darüber aus, was Sie am Ende des Gesprächs wissen, erreicht oder festgelegt haben wollen. Hier handelt es sich nie um langfristige Verhaltens- oder Leistungsziele, sondern immer um Gesprächsziele, d. h. Ziele, die im Laufe des Gesprächs erreicht werden können. c. in der zur Verfügung stehenden Gesprächszeit erreichbar sind. d. adressatenbezogen sind, sie müssen z. B. auf die Aufnahmefähigkeit, die Möglichkeit zur Verarbeitung und Realisierung, auf die psychische Verfassung des Gegenübers und dessen kulturellen Hintergrundes abgestimmt sein.

Um die festgelegten Gesprächsziele erreichen zu können, ist es notwendig, sich auf das Gespräch vorzubereiten, womit auf die zweite Phase übergeleitet wird: Gesprächsvorbereitung

Gesprächsvorbereitung Je besser das Gespräch vorbereitet wird, desto wahrscheinlicher ist es, das Gesprächsziel zu erreichen. Die Vorbereitung lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: organisatorische Vorbereitung und psychologische Vorbereitung:

» If you fail to prepare, you prepare to fail. (Benjamin Franklin)

9.3 • Gesprächsführung

357

9

Die organisatorische Vorbereitung erlaubt, dass einerseits eine für das Gespräch förderlicher Rahmen vorgefunden wird und dass die relevanten Gesprächspartner am Gespräch teilnehmen. Die psychologische Vorbereitung hilft, dass das Gespräch im vorbereiteten Rahmen auch erfolgreich geführt werden kann. zz Organisatorische Gesprächsvorbereitung

-

Um einen förderlichen Rahmen zu schaffen, hilft es, wenn man folgende Aspekte berücksichtigt: Wer nimmt am Gespräch teil? Die Auswahl der Gesprächsteilnehmer ergibt sich aus dem jeweiligen Gesprächsanlass bzw. Gesprächsziel. Rahmenbedingungen: Ort, Zeitpunkt und Dauer der Durchführung für alle Beteiligten optimal bestimmen und organisieren. Vorinformation und Hilfsmittel: Wer muss im Voraus worüber informiert werden? Allfällige Unterlagen bereitlegen (oder wenn nötig vorher verteilen). Visuelle Hilfsmittel organisieren, sofern benötigt. zz Psychologische Gesprächsvorbereitung

Darunter ist das psychologisch-taktische Vorgehen zur Erreichung des Gesprächsziels zu verstehen. Am besten erstellt die Gesprächsleitung dazu einen Vorgehensplan, in dem z. B. folgende Punkte enthalten sind (. Tab. 9.3). Diesen Gesprächsplan kann man schriftlich oder in Gedanken erstellen. Als Hilfsmittel bietet er die nötige Sicherheit für die Gesprächsführung, ohne jedoch die Flexibilität, die jedes Gespräch erfordert, unnötig einzuschränken.

Gesprächsdurchführung

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Die Durchführung eines Mitarbeitergesprächs gliedert sich im Allgemeinen in folgende Abschnitte (vgl. Crisand und Pitzek 1993): Eröffnung, Darstellung des Gesprächsanlasses, Kerngespräch und Abschluss. zz Eröffnung des Gesprächs

» Wenn man das erste Knopfloch verfehlt, bekommt man die Weste nicht mehr zu. (Goethe)

Die Eröffnung eines Gesprächs bestimmt den gesamten weiteren Verlauf. Zu Beginn geht es darum, einen persönlichen Kontakt zum Gesprächspartner herzustellen. Dies geschieht zum einen durch nonverbales Verhalten, dem in dieser Phase ganz besondere Beachtung geschenkt werden soll (7 Abschn. 9.1), zum anderen durch situationsangepasstes Ansprechen des Gegenübers.

Durchführung in vier Abschnitten

Eröffnung

358

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

..Tab. 9.3  Vorgehensplan der psychologischen Gesprächsvorbereitung Was

Welches Gesprächsziel von mir bzw. des Partners möchte ich erreichen (Haupt‑, Neben‑, Minimalziele)?

Wie

Wie will ich das Gesprächsziel erreichen?

Vergegenwärtigen des Gegenübers:

Meine Einstellung zu ihm? Erfahrungen aus früheren Gesprächen (vgl. Auswertung)? Bedürfnisse, psychische und physische Verfassung des Gegenübers? Wie wird er sich verhalten(wo erwarte ich Übereinstimmung mit mir, wo Ablehnung, Widerspruch)?

Was kann ich dem Gegenüber in diesem Gespräch bieten, etwa:

9

Information (Denkanstöße, neue Ideen, Problemlösungen etc.) persönliche Förderung (Anerkennung, Kritik etc.); fachliche Förderung (anspruchsvollere Aufgaben zuteilen, Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten etc.);

Gesprächsverlauf

Eröffnung Reihenfolge der Gesprächspunkte; Schwerpunkte (vgl. Gesprächsziel); Weichenstellungen, Verzweigungspunkte, wichtige Fragestellungen; Was ist sonst zu beachten, damit das Gespräch erfolgreich verläuft (vgl. Einflussfaktoren)? Wie und wann schließe ich ab (z. B. welche Minimalziele sollten erreicht sein)?

Grundsätzlich ist eine kurze Gesprächseröffnung sinnvoll. Es können kurze Worte persönlichen oder allgemein betrieblichen, aktuellen Inhalts sein, die als „Warming-up“ dienen. Eine längere Gesprächseröffnung kann problematisch sein, da diese einerseits wichtige Zeit in Anspruch nimmt, welche für das Kerngespräch gebraucht wird. Andererseits kann die Wirkung entstehen, dass man „um den heißen Brei herumredet“, auf die Folter spannt oder dass es gekünstelt wirkt vor allem, wenn nachher ein negativer Inhalt folgt. Dies kann schon im Vorfeld des Kerngespräches unnötigen Widerstand erzeugen. In vielen Kulturen ist jedoch eine lange Gesprächseröffnung, in welchem Familie, Arbeit, etc. angesprochen werden von zentraler Bedeutung für den Aufbau einer fruchtbaren Beziehung für das nach-

9.3 • Gesprächsführung

359

9

folgende Kerngespräch. Schnell auf den Punkt des Gespräches zu kommen, wird in diesen Fällen als sehr unhöflich wahrgenommen. zz Darstellung des Gesprächsanlasses

Nach der Gesprächseröffnung wird zum eigentlichen Gesprächsthema übergeleitet. Hierzu genügt häufig ein Satz. Bei komplexeren Themen (. Tab. 9.4) können jedoch auch längere Ausführungen erforderlich sein. In der Regel bewährt es sich, die Thematik bereits bei der Terminierung mitzuteilen. Um eine sachliche Gesprächsatmosphäre herzustellen, sind folgende Punkte wichtig: Informieren über den Gesprächsanlass, Einleitung des Themas mit den zentralen Punkten; Rahmenbedingungen (nochmals) nennen; Konkretisieren des Gesprächsanlasses, indem etwa auf ein bestimmtes Ereignis, einen Schriftwechsel, eine Statistik, eine Dokumentation hingewiesen wird; Zielsetzung nennen und wenn möglich vereinbaren; Bedeutung des Themas umreißen.

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zz Kerngespräch

Damit ist die Hauptphase des Gesprächs gemeint, in der es um die Erörterung des Themas geht. Je nach Art des Gesprächs gilt es hier, unterschiedliche (Schwer‑) Punkte zu beachten (vgl. die einzelnen Führungsgespräche); deshalb seien in . Tab. 9.4 lediglich allgemein wichtige Aspekte aufgeführt. zz Abschluss des Gesprächs

Auch der Abschluss eines Mitarbeitergesprächs hängt von der jeweiligen Situation ab. In jedem Fall kommt dem Gesprächsende eine bedeutende Rolle zu, weil es oft Ausgangspunkt für weitere Gespräche ist. Was am Ende gesagt wird, bleibt lange haften und klingt nach, deshalb sollte der Gesprächsabschluss in einer möglichst angenehmen und positiven Atmosphäre erfolgen. Selbst wenn bis zum Schluss unterschiedliche Standpunkte vorherrschen, soll die Beziehung zu Ihrem Gegenüber möglichst wenig beeinträchtigt sein. Es gibt auch Situationen, in denen es von der vorgesetzten Person unmöglich ist, das Gespräch positiv ausklingen zu lassen. In solchen Momenten nützen Techniken und Empfehlungen wenig. Es gibt natürlich keine Garantie dafür, dass Sie in jedem Fall Ihr Ziel einvernehmlich erreichen und das Gespräch positiv beenden können – auch das Aushalten von Differenzen zum Ideal gehört zur Vorgesetztentätigkeit. Dennoch einige Empfehlungen zum Gesprächsabschluss (in Anlehnung an Saul 2012): Behandeln Sie Unangenehmes nicht erst am Ende des Gesprächs; Ihr Gegenüber sollte genügend Zeit haben, um

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Gesprächsanlass

Kerngespräch

Abschluss

360

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

..Tab. 9.4  Wichtige Aspekte des Kerngesprächs

9

Informationen verständlich formulieren, gemäß den vier Aspekten, um Gespräche verständlich zu machen (7 Abschn. 9.2.4):

– Einfachheit, – Gliederung/Ordnung, – Kürze/Prägnanz, – Stimulierung/Anregung.

Dialog fördern, indem Sie das Gesprächsziel stets im Auge behalten und auf das Ziel lenken durch:

– – – –

Beteiligung des M ­ itarbeiters fördern:

– zu Stellungnahmen herausfordern; – offene Fragen stellen; – Pausen nicht scheuen, sondern als Zeit zum Überdenken, zur Stellungnahme des Gegenübers einsetzen; – Aussagen des Gesprächspartners aufnehmen.

Wertschätzung zeigen:

– „sachlich“ zuhören, nicht „persönlich“ werden; – den Mitarbeiter ausreden lassen, nicht unterbrechen; – Verständnis für Argumente des Gesprächspartners zeigen, auch wenn sie nicht Ihren Ansichten entsprechen; – die Regeln des Takts einhalten, indem Sie auf Ihre Formulierungen achten. – Beispiel für Formulierungen „Darf ich Sie so verstehen …“ anstelle von: „Bitte drücken Sie sich etwas deutlicher aus.“ „Sind Sie sicher, dass dies stimmt?“ anstelle von: „Das stimmt nicht. Das ist falsch.“ „Da habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt.“ anstelle von: „Da haben Sie mich falsch verstanden.“

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phasengerechte Strukturierung des Gesprächs; Schwerpunkte setzen; Zwischenzusammenfassungen machen; Maßnahmen zur Verwirklichung geben (was werde ich tun/was muss mein Gegenüber unternehmen).

darauf reagieren zu können, damit ein positiver Ausklang des Gesprächs nicht verbaut wird. Fassen Sie das Gesprächsergebnis in wenigen Sätzen zusammen und prüfen Sie, ob das von Ihrem Gegenüber auch so verstanden worden ist. Äußern Sie sich darüber, wie Sie das Gespräch erlebt haben und zeigen Sie Zufriedenheit oder Freude über das Ergebnis, sofern dies für Sie zutrifft. Fordern Sie Ihr Gegenüber zu Stellungnahme und Feedback auf und geben Sie auch ein kurzes Feedback, sofern die Situation dafür günstig ist (vgl. „Feedback geben und empfangen“). Formulieren Sie abschließend etwas darüber, was nun folgt (Aufforderung, Ausblick, Bitte …) Ihren Dank (konkret bezogen auf das Gespräch, nicht als Floskel).

-

9

361

9.3 • Gesprächsführung

Gesprächsauswertung

Die Gesprächsauswertung (. Tab.  9.5) dient dazu, den Verlauf des Gesprächs zu analysieren, Hinweise für die Vorbereitung zukünftiger Gespräche abzuleiten und konkrete Maßnahmen zu veranlassen, die sich aufgrund des Gesprächs ergeben. Crisand und Pitzek (1993) schlagen eine Analyse auf der persönlichen/gesprächspsychologischen und auf der sachlichen Ebene vor. Auf der ersten Analyseebene stehen die Verhaltensweisen der Gesprächsteilnehmer im Zentrum. Auf der zweiten Ebene geht es um organisatorische Maßnahmen, die sich aufgrund des Gesprächs ergeben. In . Tab. 9.5 sind mögliche Fragen als auch Themen für die Analyse aufgeführt. Eine gute Gesprächsauswertung kann als Basis und damit als Vorbereitung für weitere Gespräche dienen. Daher ist es empfehlenswert, sich möglichst bald nach dem Gespräch dafür Zeit zu nehmen, auch wenn der Alltag noch so hektisch ist. 9.3.4

Auswertung

Gesprächspsychologische Grundsätze für Gespräche mit Mitarbeitern

Der Verlauf von Gesprächen mit Mitarbeitern wird hauptsächlich durch die Verhaltensweisen der Beteiligten geprägt; die Verhaltensweisen konzentrieren sich um die drei Grundelemente der Gesprächsführung: Mitteilen – Zuhören – Verstehen (. Abb. 9.10). Dabei steht im Zentrum, dass die individuell konstruierten Bilder der Gesprächspartner untereinander abgestimmt werden. Dadurch entsteht für beide Seiten mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Verständnis dafür, welche Umwelt man wahrgenommen hat und was dadurch in einem selbst ausgelöst wurde. Im Folgenden wird auf einzelne Faktoren näher eingegangen, weil sie in allen Gesprächen von zentraler Bedeutung sind. Der Schwerpunkt liegt beim Mitteilen, Aspekte des Zuhörens und Verstehens werden am Schluss kurz aufgenommen.

Mitteilen Verstehen

Zuhören

..Abb. 9.10 Grundelemente eines Gesprächs

Mitteilen

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Folgende Aspekte seien für Führungsgespräche besonders hervorgehoben (7 Abschn. 7.3): Informationen geben, Argumentieren/Überzeugen, Fragen und Ich-Botschaften. zz Informationen geben

In jedem Führungsgespräch werden Informationen ausgetauscht, deshalb ist es wichtig, dem Aspekt der Verständlichkeit einen Abschnitt zu widmen. Denn was nützen eine sorgfältige Gesprächs-

Bei Informationen ist zu beachten: Verständlichkeit

362

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

..Tab. 9.5 Gesprächsauswertung Persönliche/gesprächspsychologische Ebene

Sind die gesteckten Gesprächsziele (ganz/teilweise/nicht) erreicht worden? Wie beurteile ich das Gespräch: Sind wir weitergekommen (neue Aspekte, neue Wege, gemeinsame Lösungen, Einsichten, Maßnahmen)? Wie beurteilt mein Gegenüber dieses Gespräch? Weicht diese Beurteilung von meiner ab? Wie habe ich mich im Gespräch verhalten? Habe ich dem Gegenüber Wertschätzung entgegengebracht? Oder habe ich Widerstand erzeugt und falls ja, wie hätte ich mich ausdrücken müssen, um diese Reaktion zu vermeiden? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich z. B. mein Gegenüber nicht ausreden lassen oder zu wenig Zeit gegeben, die eigenen Ansichten und Anliegen zum Ausdruck zu bringen? Wie war das Gesprächsklima? Was habe ich dazu beigetragen? Welches Bild hat das Gegenüber von mir? Welchen Eindruck habe ich von ihm? Haben wir die wichtigen Punkte und Ergebnisse gleich verstanden?

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Habe ich irgendetwas versprochen, von dem ich nicht sicher bin, ob ich es halten kann (z. B. Gehaltserhöhung, Beförderungen oder eigenes Verhalten)? Wie wäre meine Reaktion gewesen, wenn ich als Gesprächsteilnehmer auf der anderen Seite gesessen hätte? Was muss ich bei weiteren Gesprächen mit diesem Partner beachten? Sachliche Auswertung/ organisatorische Ebene

Gesprächsnotizen auswerten (Informationsbasis für weitere Gespräche). Protokolle erstellen. Folgehandlungen ausführen oder veranlassen (Telefonate, Informationen …). Maßnahmen veranlassen (Delegieren an Mitarbeiter; zu nächsten Gesprächen einladen usw.). Hilfestellungen geben, sofern nötig zur Durchführung von Maßnahmen.

vorbereitung, gute Unterlagen und Argumente, wenn Vorgesetzte sich nicht verständlich ausdrücken können? Informationen werden dann optimal aufgenommen und verarbeitet, wenn folgende Faktoren beachtet werden (vgl. Schulz von Thun 2015): Einfachheit

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zz Einfachheit

Verwenden Sie Tätigkeitswörter. Sprechen Sie möglichst in Gegenwartsform. Bilden Sie kurze Sätze mit bekannten Wörtern. Vermeiden Sie möglichst Fremdwörter; erklären Sie Fachausdrücke.

9.3 • Gesprächsführung

zz Gliederung und Ordnung

Schulz von Thun unterscheidet eine äußere und eine innere Gliederung: Eine äußere Gliederung empfiehlt sich besonders bei längeren Gesprächen. Sie hilft dem Gegenüber, den Überblick nicht zu verlieren und wird unterstützt, wenn Sie Übersicht geben bzw. Informationen strukturieren, z. B.: „Heute besprechen wir …“; „Der nächste Punkt …“. Wesentliches betonen, z. B.: „Besonders wichtig in diesem Zusammenhang …“. Sprechpausen einlegen, Fakten und Meinungen trennen und (Zwischen‑)Zusammenfassungen machen.

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Eine innere Gliederung bedeutet vor allem, dass Gedankengänge logisch aufeinander aufgebaut und Informationen in sinnvoller Weise wiedergegeben werden.

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zz Kürze und Prägnanz

Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche und formulieren Sie klar und knapp.

363

9

äußere Gliederung

innere Gliederung

Kürze und Prägnanz

Diese zwei Verständlichkeitsmacher vermeiden, dass das Gespräch verflattert und das Gegenüber müde wird oder die Aufmerksamkeit verliert. Je nach Gesprächsart oder -phase kann es jedoch auch sinnvoll sein, etwas in mehr Worten zu sagen oder zu wiederholen; solche Redundanzen („überflüssige“ Informationen) können gerade in der mündlichen Kommunikation die Chance erhöhen, dass Wesentliches richtig verstanden wird. zz Anschaulichkeit

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Die Aufmerksamkeit des Gegenübers kann durch eine anschauliche Sprechweise erhöht werden, dazu gehört z. B.: Formulieren Sie konkret und anschaulich: Bringen Sie Beispiele. Verwenden Sie Bilder oder Zitate. Sprechen Sie das Gegenüber persönlich an („Sie“ statt „man“). Sprechen Sie Gefühle an (eigene und die des Gegenübers). Beziehen Sie Ihr Gegenüber in Ihre Ausführungen ein, indem Sie beispielsweise sagen: „Sie haben sicher schon vernommen …“, „Sie kennen vermutlich …“. Visualisieren Sie besonders dann, wenn es um komplizierte Sachverhalte geht (zur Visualisierung in Gruppen). Achten Sie auch auf die wichtigsten Aspekte der Sprechtechnik: Lautstärke, Sprechtempo und Stimmlage.

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Anschaulichkeit

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Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

zz Argumentieren/Überzeugen

Argument = begründete Behauptung

Fragen zur Vorbereitung von Argumenten

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In vielen Führungsgesprächen wird über verschiedene Sachfragen verhandelt oder diskutiert. Besonders wenn sich konkurrierende Sachverhalte und Meinungen gegenüberstehen und eine Entscheidung getroffen oder begründet werden soll, dann sind Ihre Fähigkeiten zum Argumentieren gefragt. Einige zentrale Aspekte seien hier kurz angeführt. Unter Argument wird eine begründete Behauptung verstanden. Als erste wichtige Argumentationsgrundlage kann die Vorbereitung der Beweise/Begründungen betrachtet werden. Dazu dienen Ihnen folgende Fragen: Welche Argumentationsziele habe ich (z. B. überzeugen oder überreden)? Welche Argumente habe ich bzw. muss ich mir noch erarbeiten? Welche Gegenargumente erwarte ich? Wie kann ich die Gegenargumente entkräften? Welche Argumentationsmethoden wende ich an (s. unten)? Benötige ich Hilfsmittel zur Unterstützung meiner Aussagen?

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Beweismittel/Argumente können Sie ableiten aus (vgl. Saul 2012): betrieblichen Erfordernissen, Grundsätzen und Vereinbarungen, der eigenen Erfahrung, dem gesunden Menschenverstand (allgemeingültige Erfahrungen), Fakten, Untersuchungen, Statistiken, Aussagen von Fachpersonen, Normen aus Recht, Ethik und Moral. Überlegen Sie sich als nächstes, wie Sie die Argumente zu einer logischen und überzeugenden Gesamtmenge aufbauen. Dazu helfen Ihnen Kenntnisse über die gebräuchlichsten Argumentationsfiguren, -methoden und -techniken (vgl. dazu ausführlicher Crisand und Pitzek 1993). Grundsätzlich lassen sich zwei verschiedene Arten der Argumentation unterscheiden, je nachdem, welche Ziele verfolgt werden (Crisand und Pitzek 1993) beschreiben diese als kooperativ/ sachorientierte und strategisch/gewinnorientierte Argumentation. kooperative Argumentation

zz Kooperative Argumentation

Diese Argumentationsform hat zum Ziel, das Gegenüber zu überzeugen und zusammen Lösungen zu erarbeiten, die für alle Seiten optimal sind (jedoch nicht unbedingt die für nur eine Seite maximal möglichen Ergebnisse anstrebt). Durch die Kooperation der Gesprächsteilnehmer werden Ziele eher schnell und leicht erreicht als bei der strategischen Argumentation. Auf der Beziehungsebene wird eine offene, vertrauensvolle

365

9.3 • Gesprächsführung

9

..Tab. 9.6  Methoden der strategischen Argumentation Definitionsmethode

Das Gegenüber soll von ihm verwendete Begriffe genau definieren; da dies oft schwer ist, soll seine Inkompetenz bzw. Unglaubwürdigkeit aufgezeigt werden

Fremdwortmethode

Möglichst viele Fremdwörter sollen das Gegenüber einschüchtern

Unterbrechungsmethode

Die Argumentation des Gegenübers wird durch ständige Unterbrechung gestört

Vorwurfsmethode

Durch Überhäufen mit Vorwürfen (meist in Form von Warum-Fragen) wird das Gegenüber verunsichert

Persönliche-AngriffsMethode

Statt auf Sachverhalte einzugehen wird das Gegenüber mit persönlichen Angriffen provoziert

Killer-Phrasen-­ Methode

Durch Sätze wie „Das funktioniert in der Praxis doch nicht“ werden Ideen des Gegenübers abgeblockt

Scheinargumentmethode

Begriffe mit hohem Stellenwert (z. B. „meine Erfahrung“, „Tradition“, „Wissenschaft“) werden ohne Bezug zu echten Sachargumenten verwendet

Ausweichmethode

Vor allem mangels Gegenargumenten eine Methode, um den Argumenten des Gegenübers zu entrinnen (z. B. durch Übergehen, Themenwechsel oder durch Ablenken)

Atmosphäre gefördert, und die gegenseitige Anerkennung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass getroffene Lösungen später auch tatsächlich umgesetzt werden (vgl. dazu insbesondere Fisher, Ury und Patton 2015). zz Strategische Argumentation

Bei dieser Argumentationsmethode geht es in erster Linie darum, das eigene Gesprächsziel durchzusetzen, ohne die Zielvorstellung des Gegenübers zu berücksichtigen. Die Hauptgefahr liegt jedoch darin, dass die Beziehungsebene getrübt wird, indem etwa Abwehrreaktionen beim Gegenüber provoziert werden, das Klima beeinträchtigt wird, das Selbstwertgefühl des Gegenübers tangiert wird.

--

Die zu dieser Strategie gehörenden Methoden seien lediglich in Stichworten angeführt, weil es wichtig ist, diese zu (er)kennen, sofern sie von Ihrem Gegenüber angewendet werden (vgl. ausführlicher Crisand und Pitzek 1993; Lay 2003; . Tab. 9.6).

strategische Argumentation

Methoden der strategischen Argumentation sollen sie (er) kennen, um darauf reagieren zu können

366

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Soweit einige Aspekte zum Argumentieren/Überzeugen im Führungsgespräch. Ausführlicher finden Sie einzelne Techniken und Methoden beschrieben in Lay (2003). zz Fragen

Grundregeln für das Formulieren von Fragen

Fragen sind einerseits ein wichtiges Mittel, um Informationen einzuholen, darüber hinaus eine beliebte Methode, um das Gegenüber zu aktivieren und dabei das Gespräch unaufdringlich zu leiten. Mit Fragen lassen sich Gespräche eröffnen, in Gang halten, das Interesse des Gegenübers auf ein Ziel hin lenken oder generell die Aufmerksamkeit erhöhen. Saul (2012) unterscheidet zwischen vier Fragearten, die für Führungsgespräche relevant sind: offene, geschlossene, Rangier- und Spiegelungsfragen (. Tab. 9.7). Wer richtig fragt, der führt. Deshalb seien ein paar Grundregeln für das Formulieren von Fragen angeführt: Überlegen Sie sich wichtige Fragen bereits in der Vorbereitung. Verwenden Sie vorwiegend offene Fragen, um dem Gegenüber möglichst viel Freiraum zu lassen. Stellen Sie jeweils nur eine Frage. Formulieren Sie möglichst eindeutig, konkret und verständlich. Beachten Sie die Umkehrbarkeitsregel: Gehen Sie mit Ihrem Gegenüber so um, wie Sie auch selbst behandelt werden möchten (vgl. Wertschätzung).

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9 Ich-Botschaften fördern ein entspanntes Gesprächsklima

zz Ich-Botschaften

Ich-Botschaften wurden unter 7 Abschn. 9.1.4 beschrieben (vgl. auch Feedbackregeln, 7 Abschn. 9.4). Die Ich-Botschaft bezweckt dem Gesprächspartner auf eine konstruktive Art aufzuzeigen, wie man seine Umwelt und sein Gegenüber wahrnimmt, was diese bei einem auslösen und welche weiterführenden Verhaltensweisen als hilfreich betrachtet werden. An dieser Stelle sei lediglich auf ein paar Situationen in Führungsgesprächen verwiesen, in denen IchBotschaften besonders geeignet sind, beispielsweise wenn: Sie dem Mitarbeiter mitteilen, dass die Leistungen dem Soll entsprechen, darüber oder darunter liegen; Sie ein Verhalten Ihres Gegenübers bewerten wollen, für das Ihnen der Beurteilungsmaßstab fehlt; Ihr Mitarbeiter sich Ihnen gegenüber bzw. in einer bestimmten Situation besonders geschickt oder aber besonders unangemessen verhält.

-

Generell fördern Ich-Botschaften ein Gespräch, indem sie das Gegenüber nicht gleich zu Widerspruch, Rechtfertigung und Kritik provozieren. Aber wie bei jeder effektiven Kommunikationsform gilt es, Extreme zu vermeiden; eine Führungskraft, die vorwiegend Ich-Botschaften aussendet, läuft Gefahr, als egozentrische Person wahrgenommen und etikettiert zu werden.

367

9.3 • Gesprächsführung

..Tab. 9.7  Fragearten in Führungsgesprächen. (Adaptiert nach Saul 2012, S. 56, © 1995, 2012 Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz, Weinheim Basel) Beispiele

Merkmale

Wirkung

Offene Fragen

Welche Erfahrungen haben Sie mit … gemacht? Was meinen Sie dazu? Wie denken Sie darüber? Was ist geschehen? Wie beurteilen Sie …?

Sie beginnen mit einem Fragewort: Was, wer, wie, wo usw. Sie können nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden. Sie lassen Ihrem Mitarbeiter große Freiräume hinsichtlich des Inhalts und der Formulierung der Antwort.

Sie ergeben eine große Informationsausbeute. Sie werden als partnerschaftlich erlebt. Sie werden als geringe Lenkung erlebt.

Geschlossene Fragen

Haben Sie schon mit dem Personalchef gesprochen? Passt es Ihnen am Freitag um 13.30 Uhr? Wären Sie mit dieser Lösung einverstanden? Ist das so? Können Sie das bestätigen?

Sie beginnen mit einem Verb. Sie lassen nur wenig Antwortmöglichkeiten zu; im Regelfall Ja oder Nein.

Sie bringen geringe Informationsausbeute. Sie zwingen zu eindeutiger Stellungnahme. Sie werden als starke Lenkung erlebt. Sie sind insbesondere dann angebracht, wenn Sie einzelne Fakten zusammentragen wollen, wenn Sie die Gedanken Ihres Mitarbeiters auf einen bestimmten Punkt lenken wollen.

Rangierfragen

Ich stimme mit Ihnen überein, Herr Huber, aber sollten wir uns nicht wieder dem vereinbarten Thema widmen? Wollen wir nicht erst diesen Punkt besprechen? Über welche Punkte Ihres Problems, Frau Schäfer, sind wir einer Meinung?

Können sowohl mit einem Fragewort als auch mit einem Verb beginnen.

Sie helfen, das Gespräch auf den Gesprächsgegenstand/auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Spiegelungsfragen (Rückkoppelungsfragen)

Sie sind also der Auffassung, dass …? Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie …? Sie halten es also für denkbar, dass …? Wollen Sie damit sagen, dass …?

Beginnen im Regelfall nicht mit einem Fragewort. Geben Inhalte vorangehender Aussagen des Gesprächspartners wieder.

Signalisieren Anteilnahme. Sichern gegenseitiges Verstehen. Verhindern, dass aneinander vorbeigeredet wird. Verbessern das Klima. Vermindern Mehrdeutigkeiten.

9

368

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

zz Zuhören und Verstehen

» Ich muß erst die Antwort hören, um zu wissen, was ich gesagt habe. (Norbert Wiener)

In den kommunikationspsychologischen Grundlagen wurde die Wichtigkeit des Zuhörens und Verstehens betont. Ziel des aktiven Zuhörens ist es zu verstehen, wieso jemand auf eine bestimmte Art und Weise denkt oder handelt. Gleichzeitig helfen die Techniken des aktiven Zuhörens (Paraphrasieren, Verbalisieren, Nachfragen, etc.) auch dem Gesprächspartner dabei, seine eigenen Gedanken, Emotionen und Wahrnehmungen nochmals zu konkretisieren und zu schärfen. Gleichzeitig hilft es beiden Gesprächspartnern ebenfalls das gegenseitige Verstehen sicherzustellen. Da sich das Zuhörerverhalten der Gesprächsteilnehmer auf den Gesprächsverlauf auswirkt (auf der Sach- wie auf der Beziehungsebene), seien hier nochmals die für Führungsgespräche wichtigen Arten des Zuhörens in Stichworten erwähnt (vgl. dazu auch Crisand und Pitzek 1993).

9

aktives Zuhören

--

zz Aktives Zuhören

Damit zeige ich dem Gegenüber, dass ich mich für ihn interessiere und dafür, was gesagt wird; ich versuche, ihn zu verstehen; ich aufmerksam und konzentriert zuhöre. Die wichtigsten Techniken des aktiven Zuhörens sind in . Tab. 9.8 aufgeführt.

Analytisches Zuhören

zz Analytisches Zuhören

Beim analytischen Zuhören konzentrieren wir uns auf die Sachaussage und versuchen herauszufinden, ob wir den Sachverhalt richtig verstanden haben und ob die Aussagen sachlich richtig und die Argumente beweiskräftig sind. Bei der Überprüfung der Sachaussagen achten wir besonders auf: stillschweigende Voraussetzungen und Scheinargumente.

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9.3.5 Unterscheidungsmerkmale von Führungsgesprächen

Führungsgespräche im Überblick

Einleitend seien in diesem Abschnitt einige Beispiele aufgezeigt, wie sich Führungsgespräche unterscheiden lassen. Anschließend folgt ein Überblick über die häufigsten Gesprächsarten. Viele der standardisierten Führungsgespräche folgen einem impliziten Problemlösezyklus, denn es können in diesen Gesprächen verschiedene Phasen der Problemlösung (Situationsanalyse, Zieldefinition, Lösungsvarianten entwickeln, Entscheidung fällen, Maßnahmen

369

9.3 • Gesprächsführung

9

..Tab. 9.8  Die wichtigsten Techniken des aktiven Zuhörens Technik

Erläuterung/Beispiel

Paraphrasieren

Das Gehörte mit eigenen Worten wiederholen. „Sie sagen also, dass …“

Verbalisieren

Emotionen, Gefühle des Gegenübers spiegeln. „Ich kann mir vorstellen, dass Sie nun verärgert sind …“

Nachfragen

Durch Nachfragen etwas konkretisieren lassen, zum Erzählen ermutigen und so Verständnislücken vervollständigen. „Können Sie mir das bitte an einer konkreten Situation schildern?“

Zusammenfassen

Das Gehörte mit eigenen Worten zusammenfassen. „Ich habe verstanden, dass Sie folgende Punkte verunsichern …“

Klären

Unklarheiten durch klärende Fragen beseitigen. „Verstehe ich Sie richtig, dass …?“

Weiterführen

An Gesagtes anknüpfen und weiterführende Fragen stellen. „Sie erwähnten vorhin, dass … Bedeutet dies, dass Sie …?“

Abwägen

Zwei Äußerungen gegenseitig abwägend in eine Frage umformulieren „Was erscheint Ihnen bedeutsamer X oder Y?“

und Kontrolle definieren) unterschieden werden. Je nach Gespräch werden die Phasen unterschiedlich gewichtet oder methodisch in den Phasen unterschiedlich vorgegangen. zz Unterscheidung von Führungsgesprächen 1. Nach der Anzahl der beteiligten Personen: Das Zweiergespräch für Inhalte, welche nur die Betei-

-

ligten betreffen (zeitökonomischer Aspekt) bzw. deren emotionaler Gehalt oder Vertraulichkeit die Intimität eines Gesprächs „unter vier Augen“ erfordert. Die Aussprache unter wenigen Personen mit dem Ziel, die persönliche Sicht und Beziehung der Gesprächspartner bezüglich einer Sache, einer Situation oder ihres Verhältnisses zueinander zu klären. Beispiele: Aussprache über einen Vorfall, einen Konflikt etc. Konferenzen als Gespräche von Gruppen unter einer Leitung mit bestimmten Zielen, z. B. zu informieren, Probleme zu lösen, Vorhaben zu realisieren.

-

Anzahl beteiligter Personen

370

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Zielsetzung

Gesprächsanlass

Schwierigkeitsgrad

9

Gesprächsstile

-

2. Nach genereller Zielsetzung des Gesprächs: Informationssammlung, z. B. sich orientieren, etwas untersuchen, über etwas berichten lassen etc. Einschätzen bzw. Beurteilen des Gesprächspartners, z. B. Ausleseinterview, Beurteilungsgespräch etc. Einflussnahme auf das Verhalten des Gegenübers, z. B. Instruktionsgespräch, Maßnahmegespräch etc. Herbeiführung einer Entscheidung, z. B. Verhandlungen, Zustimmung oder Ablehnung eines Antrages, Problemlösung etc. 3. Nach Gesprächsanlass: Der Mitarbeiter ergreift die Initiative zum Gespräch, um beispielsweise zu informieren, ein Anliegen anzubringen etc. Das Gespräch wird von der vorgesetzten Person veranlasst, wobei das Gegenüber dies positiv, neutral oder negativ beurteilt und entsprechend mehr oder weniger freiwillig kommt. 4. Nach Schwierigkeitsgrad des Gesprächs: Inhalt (intellektueller, fachlicher Aspekt), Bedeutung (emotionaler Aspekt bezüglich Thema oder Ergebnis), Beziehung der Gesprächsteilnehmer in formaler (hierarchischer) und qualitativer Hinsicht. Hier gibt es graduelle Schwierigkeitsgrade von einfach („Routinegespräch“) bis komplex („Problemgespräch“). Der Schwierigkeitsgrad von Gesprächen wird zusätzlich noch beeinflusst von den Aspekten Ort, Raum, Zeit, Vorbereitung versus Überraschung. 5. Nach Gesprächsstilen: Gesprächsstile lassen sich beispielsweise entlang zweier Achsen einordnen (vgl. Neumann 2003): – Steuerung durch die vorgesetzte Person (stark bis gering) und – Eingehen auf persönliche Sichtweisen des Gegenübers (stark bis gering). Entsprechend unterscheidet Neumann (2003) direktives Gespräch, Beratung, „üblichen“ Dialog, belangloses Geplauder und nondirektives Gespräch.

--

. Tab. 9.9 über die häufigsten Führungsgespräche enthält bei den

jeweiligen Gesprächsarten (mit allfälligen Verweisen zu anderen Themen) Stichworte zu Ausgangslage, Zielsetzung, Inhalte und Vorgehensweisen sowie Besonderheiten, die es beim Gespräch zu beachten gilt (vgl. dazu auch Braig und Wille 2014).

Ausgangslage

Bedarfsabklärung, Anwerbung und Vorselektion haben stattgefunden, bis es zu einem Bewerbungsgespräch kommt.

Mitarbeiter ist am neuen Ort tendenziell verunsichert und unerfahren, hat oftmals große Erwartungen, aber auch Angst vor Misslingen.

Je nach Situation (z. B. Einführungsphase nach Versetzung, Stellenwechsel, betrieblichen Innovationen und Veränderungen) ist der Mitarbeiter mehr oder weniger motiviert, etwas Neues zu lernen.

– Geplant oder spontan, – meist von kurzer Dauer, Initiative von Vorgesetzten oder Mitarbeitern.

Gesprächsart

Bewerbungsgespräch Ausleseinterview (Mitarbeitende gewinnen, 7 Abschn. 13.1)

Begrüßungs- oder Einführungsgespräche (Einführung von neuen Mitarbeitenden, 7 Abschn. 13.1)

Instruktions- oder Lehrgespräche

Tägliche Arbeitsgespräche „Kleine Mitarbeitergespräche“ (Saul 1995)

..Tab. 9.9 Führungsgespräche und ihre Charakteristika

(Verkauf einer Stelle)

(sich verkaufen)

Vorgesetzter berücksichtigt Vorkenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiter und setzt entsprechend die Ziele fest. Lernauftrag als Form der „delegierten“ Instruktion.

Auch wenn oft nicht geplant und vorbereitet, ist es wichtig, dass sich beide Seiten angemessen Zeit für diese Gespräche nehmen. Wichtig für Kontakt- und Beziehungspflege Vorgesetzter/Mitarbeiter.

Beispiele: – Informationen geben/erhalten, – Steuerung von Arbeitsprozessen (Kontrolle, Korrekturen), Feedback (Kritik und Anerkennung), – “Smalltalk“.

Zu berücksichtigen sind z. B.: – Mitarbeiter befindet sich in Übergangsphase, besondere Einflussfaktoren (ob Wechsel freiwillig, ob Auf- oder Abstieg usw.) sind zu berücksichtigen, Information ohne Überforderung, – Lernpsychologische Grundsätze.

Vorgesetzter und Mitarbeiter möchten möglichst viele Informationen erhalten. Entscheidend für ein erfolgreiches Interview ist eine richtige Fragetechnik, mit v. a. konkreten, verhaltensbezogenen Fragen, offenen Fragen.

Besonderheiten

Mitarbeiter lernt Neues auf den Ebenen – Wissen, – Einsichten, Handhabungen. Die wichtigsten Schritte sind – selbst machen, – alleine arbeiten, – Selbstkontrolle.

Erleichterung der Integration des neuen Mitarbeiters am neuen Arbeitsort. Gesprächsinhalte sind z. B.: – Einführungs- und Ausbildungsplan, – Informationen, – Gespräch am Ende des 1. Tages/der 1. Woche über allgemeine Eindrücke, offene Fragen.

Anwerbung

des Bewerbers

Vorgesetzter

Präsentation

von Erwartungen und Angebot

Vergleich

des Betriebes und der Stelle

Diagnose

Mitarbeiter

Ziel(e), Inhalte

9.3 • Gesprächsführung 371

9

Beide Gesprächspartner überlegen sich v. a. aufgaben- und unternehmensorientierte Ziele im Vorfeld bzw. aufgrund vorhergehender Gespräche.

Zielsetzungsgespräch (Führen durch Zielvereinbarungen, 7 Kap. 15)

Vereinbarung von Wachstums‑, Verbesserungs- oder Erhaltungszielen, die quantitativ, qualitativ, zeitlich und bedingungsmäßig möglichst klar formuliert sind.

– Standortbestimmung, – Rückmeldung, Stellungnahme und Analyse zu Leistungen und Verhaltensweisen, Basis für Laufbahngespräch → Förderung, – Rückmeldung an VG über Führungsarbeit.

Das Gespräch ist ein zentraler Bestandteil in der MA-Qualifikation. Neben dem Qualifikationssystem spielen v. a. dessen Einführung, Handhabung und Pflege eine wichtige Rolle für die Akzeptanz bei den Betroffenen.

Qualifikationsgespräche (Mitarbeitende beurteilen, 7 Abschn. 13.3)

Realistische Situationseinschätzungen und damit weder Übernoch Unterforderung des MA sind wichtige Durchführungs- und Erfolgskriterien.

Klarheit der Soll-Anforderungen erleichtert Überprüfung, ob Ziele erreicht sind; Qualifikatoren müssen sich Urteilstendenzen und Verzerrungen bewusst sein.

– Gespräch ist heikel, da es naturgemäß sehr persönlich geführt werden muss; – Informationsstand ist beim MA größer als beim VG – Gratwanderung zwischen teilnehmender Fürsorge (v. a. bei zu rascher Rückkehr) und Aufklärungsinteresse (v. a. bei Verdacht auf Blaumachen).

– Fakten darlegen und fragen, was los ist; – Fragen, ob es „auskuriert“ ist und ob Unterstützung gebraucht wird; – Frage nach dem „wie weiter?“ – Auswirkungen der vielen Fehlzeiten für den Betrieb klar machen.

VG kommen nicht darum herum, mit MA, die häufiger fehlen, ein klärendes Gespräch zu führen; wenn solche Gespräche ausbleiben, entstehen bei MA Gefühle wie: „Die merken das gar nicht“, „Das stört niemanden groß“ oder „So wichtig bin ich nicht“.

Fehlzeitengespräch

– Gespräch darf kurz sein; – viele VG vergessen die Bedeutung dieses Gesprächs für die rückkehrende Person oder scheuen sich, persönliche Fragen zu stellen.

– Durch Smalltalk zeigen, dass man sich über Rückkehr freut; – Rückfragen, was los war und wie es MA jetzt geht; – Berichten über wichtige Vorkommnisse, Veränderungen.

Nach einer (krankheitsbedingten) Abwesenheit ist es wichtig, dass VG sich Zeit nimmt, mit der rückkehrenden Person ein Gespräch zu führen. Dies bestärkt MA im Gefühl, willkommen zu sein und gebraucht zu werden.

(Kranken-)Rückkehrgespräch

Besonderheiten

9

Ziel(e), Inhalte

Ausgangslage

Gesprächsart

..Tab. 9.9 (Fortsetzung)

372 Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Verstehen des MA MA fühlt sich ernst genommen „Hilfe zur Selbsthilfe“

– Gemeinsame Betrachtungsweise des Problems und Problemdefinition; – Ursachenanalyse; – Lösung(en) erarbeiten.

Kann ein Teil des Bewerbungsoder Laufbahngesprächs sein.

Je nach Ausgangslage (Krise oder Normalsituation) handelt es sich dabei um Befehl, Auftrag, Anregung und Wunsch.

MA kommt freiwillig, will etwas besprechen Vertrauensverhältnis muss vorhanden sein, sonst ist Beratung schlecht möglich.

– Problem ist „neu“, noch nicht x-mal aufgetreten; – oft ist MA Teil des Problems (z. B. Sozial-oder Leistungsverhalten); – nicht im täglichen Arbeitsgespräch anzugehen; – Problem ist (noch) nicht zum Konflikt geworden.

Gehaltsgespräch

Aufträge erteilen (Delegation, 7 Kap. 15)

Beratungsgespräch (Beratung und Coaching, 7 Kap. 11)

Problemlösungsgespräch (7 Abschn. 8)

– Über Ausgangslage und Ziel informieren, – Auftrag begründen, – Erwartungen hinsichtlich Ergebnis äußern (inkl. Handlungsspielraum, Mittel), – Art und Weise der Kontrolle festlegen und sicherstellen, dass Auftrag verstanden.

Einigung über Gehalt des MA. Sofern kein Verhandlungsspielraum bzw. bei Gehaltskürzungen: MA akzeptiert Entscheid.

Berufliche, positionale und persönliche Förderung des MA, bezogen auf Aufgabenstellungen, Weiterbildung, Einkommensentwicklung etc.

Optimalerweise regelmäßig (z. B. alle zwei Jahre) und durch VG initiiert.

Laufbahngespräche

Ziel(e), Inhalte

Ausgangslage

Gesprächsart

..Tab. 9.9 (Fortsetzung)

Schwierigkeiten ergeben sich, wenn z. B. – keine gemeinsame Problemsicht zustande kommt, – Sündenböcke gesucht werden, – Art der Problemlösung das Problem ist bzw. neue Probleme ergibt, – Lösungen aufgedrängt statt erarbeitet werden.

Oft will MA fertige Lösungen bzw. VG gibt gerne Lösungen weiter → Gefahr der Unmündigkeit des MA.

Wichtige Faktoren, ob Auftragserteilung gelingt: – VG (klar informieren, loslassen können, Spielraum geben usw.) – MA (traut er sich Auftrag zu usw.) – Beziehung VG-MA (Vertrauensbasis)

Gehaltspolitik der Organisation als Richtlinie; je nach Situation ein Verhandlungs- oder Schlechte-Nachricht-Gespräch.

Balance finden zwischen – MA-Wünschen und Vorstellungen – VG (und Abteilungs‑) Interessen – Gesamtinteressen oder Organisation

Besonderheiten

9.3 • Gesprächsführung 373

9

– Meistens schon Problemlösungsgespräche vorausgegangen – VG kann MA dazu „zitieren“ → MA nicht freiwillig – VG hat evtl. schon Vorentscheide im Kopf → ist nicht mehr so offen wie beim Problemlösungsgespräch – evtl. bereits konflikthafte Beziehung

– In der Regel nach mehreren Problemlösungs- bzw. Maßnahmengesprächen (außer bei plötzlichen Ereignissen). – Inhalt der Nachricht ist endgültig, nicht umkehrbar. – Nachricht hat negative Konsequenzen für MA (ohne Spielraum). – VG ist Überbringer der schlechten Nachricht.

Konflikthafte Beziehungen und Probleme, wobei – VG nicht Teil des Konfliktes, – VG Teil des Konfliktes sein kann.

Maßnahmengespräch

„Schlechte-Nachricht“Gespräch (z. B. Trennungsgespräch, 7 Abschn. 13.4)

Konfliktgespräch (7 Abschn. 17.6)

– Verbesserung der Zusammenarbeit, arbeitsfähige Beziehung (wieder) herstellen; – Problemlösung als Minimalziel; – Erkennen, wenn Konflikt nicht lösbar ist (z. B. Wertekonflikt).

Gefahren und Schwierigkeiten: – Aufschaukeln der Parteien → Eskalation. – Schuldzuweisungen (GewinnerVerlierer). – Vermischung von Sach- und Beziehungsebenen.

Gefahren und Schwierigkeiten: – MA will schlechte Nachricht nicht wahrhaben. – VG und/oder MA hat Mühe, mit Affekten umzugehen. → Vermeidungstendenzen.

Gefahren und Schwierigkeiten: – VG hat oft selbst Widerstände gegen solche Gespräche; – Opposition seitens MA: Beziehungsthema wird auf Inhaltsebene ausgetragen; – zu viele Maßnahmengespräche ohne Veränderung zu bewirken schwächen Glaubwürdigkeit beider Seiten.

– Neue Informationen erhalten, verstehen, weshalb Lösungen nicht realisiert werden konnten. – Neue Lösungen treffen, die Veränderung herbeiführen. – Akzeptanz der Lösungsentscheide. – Klare Abmachungen treffen (was, bis wann …).

– Überbringen der Nachricht, sodass sie bei MA ankommt und aufgenommen wird; – Affekte zulassen und dafür Verständnis zeigen; – Aufnahmen der Nachricht bei MA ermöglicht Ausblick über „wie weiter?“

Besonderheiten

Ziel(e), Inhalte

9

MA Mitarbeitende, VG Vorgesetzte

Ausgangslage

Gesprächsart

..Tab. 9.9 (Fortsetzung)

374 Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

9.3 • Gesprächsführung

Zusammenfassung

375

9

Zusammenfassung

Das Gespräch mit Mitarbeitern gehört zu den wichtigsten Führungsaufgaben von Vorgesetzten. Neben dem Berücksichtigen entscheidender Einflussfaktoren auf Führungsgespräche ist es wichtig, klare Ziele festzulegen und eine gute Vorbereitung zu treffen. Die Gesprächsdurchführung erfordert eine sinnvolle Gliederung und die Fähigkeit, sich klar mitzuteilen und je nach Situation so zu fragen oder zu argumentieren, dass für alle Beteiligten ein optimales Resultat erzielt werden kann. Der Gesprächsverlauf wird zudem maßgeblich geprägt von der Kunst des gegenseitigen Zuhörens und Verstehens – Faktoren, die Vorgesetzte bewusst in ihrer Rolle gestalten und beeinflussen können. Die Auswertung jedes Gesprächs orientiert sich in erster Linie an der Zielsetzung. Dabei sind in jedem Fall sowohl Inhalts- wie auch Beziehungsaspekte zu berücksichtigen. Die Unterscheidung in verschiedene Gesprächsarten dient Vorgesetzten dazu, die jeweiligen Ausgangslagen, Inhalte und Besonderheiten bewusster in ihr Denken, Fühlen und Handeln mit einzubeziehen.

Fragen zur Vertiefung 1. Wie viel Zeit verbringen Sie mit welchen Gesprächen? (Tätigkeitsanalyse, 7 Abschn. 7.2) 2. Wie sieht die Verteilung der Gesprächspartner aus? – Gespräche mit eigenem Vorgesetzten, – Gespräche mit anderen Vorgesetzten, – Gespräche mit Kollegen, – Gespräche mit Mitarbeitern, – Gespräche mit Mitarbeitern und Kollegen, – Gespräche mit Nichtangehörigen des Unternehmens. 3. Fällt Ihnen ein Gespräch ein, das Sie erfolgreich geführt haben? Könnten Sie erklären, woran das lag? 4. Welche Gesprächssituationen bewältigen Sie am besten? Warum? 5. Welche Gesprächssituationen bereiten Ihnen am meisten Mühe? Warum?

Fragen zur Vertiefung

376

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

9.4 Feedback Claudia Beutter Auf einen Blick

Auf einen Blick Feedback dient im Unternehmenskontext der Reflexion des individuellen oder Teamverhaltens im Sinne einer wirkungsvollen Kooperation in Abteilungen, n Projekten oder auch im Gesamtunternehmen. Angebotene Feedbackinstrumente erlauben es heute ortsunabhängig, digital und „online“ die Verhaltensweisen der oder des Vorgesetzten, Peer, Mitarbeitenden, internen Partners etc. quantitativ zu beurteilen. Graphiken ermöglichen eine übersichtliche Darstellung der Resultate, u. A. als Balken- oder Spinnendiagramme. Ein sinnvoller Einsatz dieser Messinstrumente setzt eine Prüfung der Auswirkungen (z. B. Kultur) im Unternehmen voraus. In diesem Abschnitt wird anhand von Fragen und Hinweisen dargestellt, welche Auswirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Führungsinstrumenten durch einen Einsatz von Rückmelde- und/oder Beurteilungsinstrumenten zu beachten sind. Neue Führungsansätze nutzen heute selbstgesteuertes und entwicklungsorientiertes Feedback für Feedbackgebende und Feedbacknehmende. Im Anwendungsteil liegt der Fokus einerseits auf der Gestaltung der Einführung von Feedback in einem Team oder einer Organisation. Andererseits geben Beispiele und Erfahrungen einen Einblick, wie wirkungsvolles und Lernumfeld förderliches Feedback etabliert werden kann.

9

zz Feedback in der Alltagssprache

..Abb. 9.11  © 2018 by Tobias Leuenberger

Feedback wird im Arbeitsalltag heute bei jeder Gelegenheit verwendet. Alle Arten einer „Reaktion“ werden mit „Feedback“ betitelt. Beispiele: Eine Antwort auf ein E-Mail, die Reaktion auf die Anfrage für eine Teilnahme, die Beurteilung der Arbeit oder Leistung einer Person. Feedback wird zudem verwendet für Verbesserungsvorschläge, Begutachtung, Qualitätsprüfungen. Dazu kommen alle Varianten von Erhebungen, Fragebögen, Evaluationsformulare und Survey-Instrumente, für die der Begriff Feedback Anwendung findet. Es geht daher darum zu klären, wie der Begriff „Feedback“ durch Führungskräfte professionell verwendet werden kann und was mit „Feedback“ im Team, im Bereich oder Gesamtunternehmen erreicht werden kann.

9.4 • Feedback

9.4.1

377

9

Feedback: Herkunft und Definitionen

Der Begriff Feedback wurde in der Schaltungstechnik eingeführt. Er bezeichnet die Rückkoppelung eines Systemwertes mit der Ausgangsposition und diente somit der Regulierung des Systems. Viele Disziplinen haben den Begriff aufgenommen und verwenden ihn für Prozesse, die eine Funktion von Gleichgewichterhalt erfüllen. McCulloch und Pitts (1943) haben zeigen können, dass Netzwerke von Nervenzellen „… in der Lage sind, logische Operationen … auszuführen“ und Rosenblueth et al. (1943) zeigten, „dass Systeme mit Hilfe von Rückkoppelungsmechanismen sich selbst steuern können.“ (Müller und Müller 2015, S. 564). Seit den Arbeiten von Foerster und Maturana in den 1960er-Jahren ist die Bedeutung der Beobachtung bzw. des Beobachterstatus für die Selbststeuerung betont. Die beiden Autoren prägten den Begriff der Kybernetik 2. Ordnung. Diese besagt, dass Strukturen und Systeme keinen Anfang haben. Damit wurde der Begriff der Zirkularität, also der gegenseitigen Wechselwirkungen von Systemen und Strukturen aufeinander begründet. Im Gegensatz zu einem einfachen Regelkreis in einem maschinellen Input-Output-Abgleich ist es einem beteiligten Menschen nicht möglich, reinen Beobachterstatus einzunehmen und über den Systemzustand zu berichten (unabhängiges Feedback zu geben). Damit haben Foerster und Maturana die Steuerung der Steuerung angesprochen oder anders gesagt, die Rückkoppelungsprozesse durch Reflexion ergänzt. Feedback wird in der Physik für Rückkoppelungen in Kreisläufen, in der Biologie für Homöostasen, in der Soziologie für gesellschaftliche Systeme und in der Psychologie für die individuelle Adaptation des Organismus in seiner Umwelt verwendet. Diese Gedanken sind in zahlreichen psychologischen Ansätzen zur Kommunikation und Führung (7 Abschn. 9.1.4, Johari-Fenster, Selbstbild-Fremdbild-Abgleich, Selbstwerterhalt, Gesprächsführung etc.) sowie in Ratgebern und Feedbackinstrumenten wie z. B. Maurer (1994), Doppler und Lauterburg (2014), Harvard Business School Press (2006) vorhanden. Die zentrale Frage bei der Wahl und beim Einsatz von Feedback kommt der Wirkung zu, die sich eine Führungskraft – oder ein gesamtes Unternehmen – davon verspricht. Ein sinnvoller Einsatz von Feedback setzt Klarheit darüber voraus, was Sinn, Zweck und Nutzen für das Unternehmen sind. Führungskräfte sind zunehmend gefordert, ihre Organisationseinheit oder Organisation kontinuierlich zu entwickeln. Dies bedingt die Beachtung und auch die aktive Pflege der Kultur durch die Führungsperson selbst (gelebte Werte, Umgang miteinander, Zusammenarbeit). Kommen also Instrumente der Personalentwicklung oder -beurteilung zum Einsatz, so müssen diese der Kultur entsprechen, um so den gewünschten Effekt an die Entwicklung der Einheit erreichen zu können. Deshalb kann die Wahl und

Herkunft „Feedback“, Selbstregulation von Systemen

Feedback in systemischen Disziplinen

378

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

der Einsatz von Personalinstrumenten nicht an die HR-Abteilung oder einen Support delegiert werden. Vielmehr ist es Führungsaufgabe, die Passung von Instrumenten zur Führungskultur und die Auswirkungen auf die Entwicklung einzuschätzen. Die unten stehenden Überlegungen zu quantitativen und zu qualitativen Feedbackmethoden sollen dabei helfen, die Vorteile des Einsatzes zu nutzen und die möglichen Nachteile von Instrumenten für die eigene Organisationsentwicklung zu minimieren. 9.4.2

Feedback als quantitatives Instrument

Feedback als Messung im Controlling

9

jährliche oder 2-jährliche, automatisierte Feedbackprozesse

Wirkung von Beurteilungsinstrumenten auf andere Instrumente

In den letzten rund 10 Jahren hat sich Feedback als quantitatives Controllinginstrument in top-down gesteuerten Führungs- und Mitarbeitenden Beurteilungen etabliert. Zunehmendes Tempo, rasch aufeinander folgende Veränderungen, Marktdynamik und Unvorhersehbarkeit (Digitalisierung, VUCA-Zeitalter, Komplexität) haben das Bewusstsein über die Bedeutung von individuellem Verhalten in Unternehmen gesteigert. Gleichzeitig wollen die Unternehmen auch bei den subjektiven „soft factors“ den Grundsatz umsetzen: „What doesn’t get measured, doesn’t get done“. Auf dem Feedbacktool-Markt gibt es dafür unzählig viele, meist elektronisch gestützte Methoden und Instrumente. Insbesondere große und globalisierte Unternehmen nutzen solche Möglichkeiten, um eine konzernweite und globale Ausrichtung auf definierte Unternehmensgrundsätze und -werte umzusetzen. Fokusperson der Messung ist der Feedbacknehmende. Diese jährlichen, automatisierten Feedbackinstrumente sind mehrheitlich eine Mischform aus Entwicklungshinweisen für die Person, Beurteilungen der Einhaltung von Unternehmenswerten oder Leitlinien und aus Leistungsbeurteilungen der Person. Vielfach weisen diese online gesteuerten Feedbackprozesse automatisch die für die Fokusperson entsprechenden Feedbackgebenden (Anspruchsgruppen) zu. Sie versenden die Einladungslinks und Feedbackbögen an die entsprechenden Feedbackgebenden und erstellen die programmierten Auswertungen sowohl für die Fokusperson als auch auf Team‑, Abteilungs‑, Divisions- und Unternehmensebene. Oft sind diese sogenannten 360°Feedbacks (MultigruppenFeedback von unterschiedlichen Anspruchsgruppen) auch Teil von Mitarbeitenden-Beurteilungsgesprächen. Einige Instrumentarien lassen sich inzwischen nahtlos in die Prozesse der Mitarbeitendenqualifikation (-beurteilung) einfügen und haben Auswirkungen auf die Karriere oder sind gar bonusrelevant. Soll Feedback im Sinne eines Controllings (in der Regel für Führungskräfte) genutzt werden, sind mögliche Wechselwirkungen mit bereits vorhandenen Instrumenten zu beachten.

9.4 • Feedback

Je nach Feedbackinstrument sind lediglich die direkten Mitarbeitenden, die Vorsitzenden oder bis zu vier weitere Gruppen als Feedbackgebende (wie Peers, Kunden, interne Partner etc.) zur Teilnahme aufgefordert. Die Feedbackgebenden bewerten ihre Aussagen auf einer Skala. Alle Skalenwerte fließen in die Bewertung der jeweils zugehörigen Gruppe (z. B. Peers) ein und werden in der Auswertung als Gruppenresultat (z. B. Mittelwert mit Quartilen) angezeigt. Beispiel

Beispiel-Item in 360°-Feedback-Instrumenten

379

9

„Multirater-Modelle”

Beispiel-Item in 360°-Feedback-Instrumenten

Führungsgrundsatz 7 – Wertschätzung Herr/Frau X … verhält sich den Mitarbeitenden gegenüber wertschätzend: Zustimmung von gar nicht (1) bis ausgeprägt (5)

Es gibt inzwischen viele Varianten dieser Feedbackinstrumente. Neben dem oben beschriebenen, unternehmensspezifisch entwickelten Formular gibt es vorgefertigte Verhaltenskataloge, die auf Kompetenzmodellen beruhen. Die Personen, welche die Feedbackinstrumente entwickeln, wählen ein Set an passenden Verhaltensbeschreibungen für das Unternehmen oder den Bereich aus. Sie definieren Fokuspersonen und Feedbackgebende und setzen den Befragungsprozess – meist auf einer Onlineplattform – auf. Wird diese Art von Rückmeldungsinstrument genutzt, ist es ratsam, die Kommunikation zum Instrument, zu Sinn und Zweck und zur Verwendung der Daten sorgfältig vorzubereiten. Beispiel

Beispiel Feedbackverhalten

In einer unveröffentlichten, internen Studie über das Feedbackverhalten in einer großen Schweizer Unternehmung zeigte sich deutlich, dass in mehreren Teams die gegenseitigen Beurteilungen abgesprochen waren. Bei der Einführung von Feedback wurden die Auswirkungen auf andere Instrumente zu wenig beachtet. Die „Bonustopf“-Höhe“ hat sich bei sehr guten Feedbackresultaten für die Teams entsprechend erhöht. Damit hat sich die potenzielle Bonushöhe für jedes einzelne Teammitglied ebenfalls gesteigert.

Beispiel

Auswirkung von Instrumenten In einer Nachbefragung der Feedbackteilnehmenden eines in der Schweiz ansässigen Dienstleistungsunternehmens zeigte sich, dass die Feedbackgebenden nicht an die Anonymität der

Beispiel Auswirkung von Instrumenten

380

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Rückmeldungen geglaubt hatten und deshalb „politisches“ Antworteverhalten zeigten. Die über Jahre investierte Zeit und Energie in die Entwicklung des Feedbackinstruments war weitgehend wirkungslos.

Risiken der Anwendung

SOLL-Profile in Zeiten stetiger Veränderungen

9

Bis heute ist kaum bekannt, welchen „Return on Investment“ der Einsatz dieser Instrumentarien den Unternehmen bringt. Allerdings gibt es zunehmend Hinweise darauf, dass an Stelle eines erhofften Nutzens durch den Einsatz solcher Feedbackinstrumente oft eher ein Schaden entsteht. Schulz von Thun (2014) zeigt seine Erfahrung auf, nach der Mitarbeitende aller Hierarchiestufen Schutz- und Abwehrmechanismen gegenüber den eigenen Resultaten aufbauen und die Feedbackinstrumente daher taktisch-politisch bedienen. Digitalisierte Feedbackinstrumentarien sind auf SOLL-Profile der entsprechenden Stelle oder Funktion ausgelegt. Interessant sind dabei die Veränderungen der Resultate über mehrere Messungen. In Anbetracht zunehmender Dynamik und sich rasch folgender struktureller Änderungen (Reorganisationen, Post-Merger-Integrationen, Outsourcing etc.) stehen alle langfristig angelegten Messinstrumente vor fast unlösbaren Herausforderungen. Im Vorfeld der Entscheidung über die Einführung von quantitativen Feedbackprozessen helfen untenstehende Überlegungen, die Vorteile des Einsatzes zu nutzen und Nachteile zu minimieren.

Auswirkungen durch den Einsatz quantitativer, anonymer Instrumente Überlegungen zum Einsatz quantitativer Instrumente

Beurteilungscharakter

Einseitigkeit

Den Beurteilungs- oder Einschätzungsfragebögen (bzw. Feedbackbögen) liegt meist ein SOLL-Profil für die Stelle/Funktion der Fokusperson zugrunde. Folglich wird die Fokusperson an einem beschriebenen „SOLL“ gemessen. Dieses Vorgehen entspricht einer Beurteilung, auch wenn der Begriff Feedback verwendet wird. Je nach Kultur und Umgang mit den Resultaten (z. B. für die Karriere oder bonusrelevant) können Beurteilungen Abwehrreaktionen und Ängste bei allen Beteiligten auslösen. Diese bilden keine förderliche Basis für eine Entwicklung. Diese Art der Beurteilung ist einseitig, insbesondere dann, wenn ausschließlich Fokuspersonen aus der Führungs- oder Managementebene definiert sind. Die offenen Textaussagen und die Bewertungsdiskrepanzen können in den anonymisierten Instrumenten nicht nachgefragt werden. Für eine gezielte Entwicklung der Fokusperson kann dies hinderlich sein. Die ausgearbeiteten Maßnahmen und Handlungen der Fokusperson beruhen folglich (Punkt 2) auf Interpretationen und Annahmen über das erhaltene Resultat. Teilweise werden interne oder externe Coaches benötigt, damit Fokuspersonen, ihre Multirater-Auswertungen verstehen und Schlussfolgerungen daraus ziehen können.

9.4 • Feedback

Widersprüchlichkeiten in den Antworten der Befragungsteilnehmenden sind üblich und oft nicht auflösbar. Es können demnach Maßnahmen erarbeitet werden, ohne zu wissen, ob bzw. was diese im Führungsalltag bewirken. Die Fokusperson kann die persönlichen Schlussfolgerungen bei den Anspruchsgruppen vorstellen und nachfragen, inwieweit die Maßnahmen in die erwünschte Richtung gehen. Die Organisation des Beurteilungsprozesses hat einen Einfluss auf die Resultate. Die Einbettung der Multirater-Instrumente in ein Gesamtkonzept ist unerlässlich. Verbunden damit sind die Transparenz des Ablaufs und der transparente Umgang mit den Resultaten. Zudem gehört eine realistische Aufwandschätzung für die Kommunikation, die Durchführung und die Verarbeitung der Resultate und die Maßnahmenentwicklung zur professionellen Nutzung von quantitativen Instrumenten. Nicht nur die Fokuspersonen sind betroffen. Alle Teilnehmenden an derartigen Beurteilungsprozessen sollten beachtet werden. Pro Feedbackgebende kann und soll eine begrenzte Anzahl Fokuspersonen geplant werden (Zeitaufwand und Motivation). 9.4.3

381

9

Interpretationsbedarf durch Anonymität der Rückmeldungen

Umgang mit Widersprüchen

Abwägung von Aufwand und Nutzen

Feedback als Entwicklungshaltung

Im Kontext der Dynamik von Veränderungen und den damit verbundenen angepassten Anforderungen entstehen neue Geschäftsmodelle und neue Organisationsformen. Unternehmen sollen agiler, wandlungsfähiger und flexibler werden. Ein neues Verständnis für Hierarchie und Führung entsteht. Neue Modelle der dezentralen Steuerung und der Zusammenarbeit werden entwickelt (Laloux 2014; Pfläging 2015). Daraus abgeleitet sind auch neue Formen von Feedback gefragt, die stärker auf Gegenseitigkeit beruhen, demokratischeren Ansätzen folgen und vor allem Lernen und Entwicklung für alle Individuen, Teams und Organisationen betonen. Dieser Trend kommt auch den jüngeren Arbeitnehmenden entgegen. Diese wählen ihren Arbeitgeber zunehmend mit Fokus auf der aktiven Entwicklung und Förderung, sowohl auf fachlicher als auch persönlicher Ebene. Leitlinien, Werte des Unternehmens und die Arbeitsatmosphäre (z. B. Lernkultur) sind Hauptkriterien für die Arbeitgeberwahl. Feedback mit der Absicht, Lernen und Entwicklung zu fördern, wird dabei als wichtiger Teil der Zusammenarbeit definiert. Diese Haltung betont die Begegnung aller am Feedback Beteiligten auf gleicher Augenhöhe und der großen Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Beim sogenannten Entwicklungsfeedback geht es für die involvierten Teams oder Einzelpersonen vor allem darum, zu verstehen wie Andere das eigene Verhalten interpretieren und welche Wirkung sich bei ihnen ergibt: sowohl kognitiv als auch emotional. So kann die Fokusperson (oder ein Fokusteam) für sich prüfen, ob

neuer Kontext für den Einsatz von Feedback

382

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

..Tab. 9.10  Modell: Indirektes Feedback Modell

Indirektes Feedback

Art der Durchführung

– Anonym – schriftlich (Papier, online)

Feedback-Richtung

1 : n; auf die Person des FN konzentriert, einseitige Aktion: FN erhält FB

Zeitpunkt/Frequenz

Führungs-FB: jährlich, 2-jährlich

Auslöser bzw. Anlass

Wahl in ein Nachwuchsprogramm; Förderungspool; Führungs-FB im Rahmen der Kader-Teamentwicklung; Beurteilung bzw. Überprüfung der Umsetzung von (neuen) Führungsleitlinien, Unternehmenswerten etc.

Direkter Nutzen

Standardisierte Befragungen, rasch auswertete Resultate, oft auch automatisierte Auslösung der Befragung; integrierbar in ein digitales Monitoring/ Controlling des Unternehmens; Zahlen haben Status „neutral und objektiv“ (ernst genommen); Vergleichbarkeit zwischen Führungskräften, Einheiten etc. sind möglich; Wirkung von HR-Maßnahmen wie Führungsentwicklungsprogramme messen können

Aussagen (implizit) und Wirkungen

FB muss anonym sein; ist nicht immer konstruktiv bzw. kann negative Konsequenzen für FG haben durch Führungskräfte, die nicht damit umgehen können; FB ist eine einseitige Beurteilung des FN; Autor/-in von Aussagen muss nicht konkret werden und bleibt unerkannt; Rückfragen sind nicht oder nur in seltensten Fällen möglich; für die Interpretation der Resultate wird FN meist eine neutrale Person für ein Auswertungsgespräch angeboten

Zu beachten

Instrument kann für missbraucht werden (eigene/politische Zwecke); Maßnahmen des FN haben keinen Effekt bei den FG (falsche Interpretation der Resultate); Unternehmensweite Schlussfolgerungen (aufgrund der Resultate) sind teuer oder bringen nicht die erwünschten Effekte

Zeit und Kosten

Konzepterstellung meist zentral (HR), Instrumentewahl und Programmierung, Schulungen, Einbettung in vorhandene Systeme und Kommunikation

9

FB Feedback, 1 : n 1 FB-Nehmer/-in mit mehreren FB-Gebenden, FN feedbacknehmende Person, FG feedbackgebende Person, HR Human-Resources-Management bzw. Personalbereich

Wert des Feedbacks zeigt sich in realisierten Entwicklungen

aktive Selbststeuerung durch Feedbacknehmende

die Wirkung des Verhaltens beabsichtigt war, einem anzustrebenden Ziel dienlich bzw. für die Teamzusammenarbeit hilfreich ist. Feedbacknutzen entsteht nur dann, wenn Personen oder Teams aufgrund des Feedbacks agieren und die Veränderung sichtbar wird. Veränderung bezieht sich hier vor allem auf höhere Wirksamkeit, bessere Zusammenarbeit, Vertrauen und Lernen. Die Selbstwirksamkeit als wichtiger Motivationstreiber zeigt sich auch im Zuwachs an Können und Verstehen, wie Arbeitsbeziehungen erfolgreich gestaltet werden können. Feedback wird demnach eher als eine Kultur der Reflexion und des Umgangs miteinander eingeführt und weniger als ein, wie in 7 Abschn. 9.4.2 beschriebenen „Instrument“, das zu bestimmten Zeitpunkten angewendet wird.

383

9.4 • Feedback

9

..Tab. 9.11  Modell: Direktes Feedback Modell

Direktes Feedback

Art der Durchführung

– Nicht anonym – schriftlich oder mündlich

Feedback-Richtung

1 : n oder n : n; Interaktion bzw. Rückfragemöglichkeit

Zeitpunkt/Frequenz

Gewählte und freie Themen in regelmäßigem Abstand

Auslöser bzw. Anlass

Wunsch/Anliegen der Führungsperson oder des/der Mitarbeitenden; Standortbestimmung, neue Aufgabe/Laufbahnplanung; regelmäßige Führungsreflexion; Teamentwicklung etc.

Direkter Nutzen

Individuelle, direkte Interaktion; Interpretation verifizierbar; sofort verwendbare Inputs; gegenseitige Wünsche, Bedürfnisse werden thematisiert; aufkommende Themen können eingebracht werden; Beziehung und Vertrauen werden gestärkt

Aussagen (implizit) und Wirkungen

FB ist gegenseitig, konkret, individuell; FN agiert in einer bestimmten Art, FG nimmt in bestimmter Art wahr; Klärungsfragen sichern angemessene Interpretation beim FN; erhöhtes Verständnis für einander auch über das besprochene Verhalten hinaus; unterschiedliche Sichtweisen werden transparent

zu beachten

Bedingt: einheitliches Verständnis für FB und Lernprozess für alle; Haltung „wohlwollende Hilfe für die Weiterentwicklung des Anderen“, Offenheit; Kommunikationskompetenz (Beobachtung, Wahrnehmung, Emotionen/Wirkung unterscheiden können); Vorbereitungsdauer und Einbezug verschiedener Anspruchsgruppen im Unternehmen berücksichtigen

Zeit und Kosten

Verständnis und Bedeutung für FB-Kultur erarbeiten; Kommunikationskompetenzen klären, FB-Modell erstellen; gemeinsamen Lernprozess lancieren; Begleitung in der Startphase

FB Feedback, 1 : n 1 FB-Nehmer/-in mit mehreren FB-Gebenden, FN feedbacknehmende Person, FG feedbackgebende Person

9.4.4 Gegenüberstellung

von zwei unterschiedlichen Ansätzen

Für die beschriebenen, sehr unterschiedlichen Feedbackansätze sind jeweils andere Feedbackmodelle sinnvoll. Hier werden die beiden Modelle des Feedbacknutzens entlang ausgewählter Kriterien gegenübergestellt (. Tab. 9.10, . Tab. 9.11). Eine ausführlichere Beschäftigung mit Erfolgskriterien und Risiken von Feedbackinstrumenten für eine konkrete Organisation hilft unerwünschte Neben- oder Wechselwirkungen mit anderen Personalführungsinstrumenten zu vermeiden. Unabhängig vom gewählten Modell ist Feedback für Mitarbeitende, Führungskräfte und Management und die Einführung einer gelebten Feedbackkultur von zentraler Bedeutung.

zwei Ansätze im Überblick

384

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

9.4.5

wichtige Aspekte bei der Einführung

Selbstwert und Lernmotivation der Feedbacknehmenden erhalten

9

drei zentrale, psychologische Mechanismen, Schutzmechanismus und Abwehrreaktion

Bei der Einführung von Feedback in Unternehmen sind psychologische Mechanismen zu beachten, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Feedback durch die Mitarbeitenden angenommen und in eine Weiterentwicklung oder Verhaltensveränderung übersetzt wird – anders gesagt, dass ein Feedback eine konkrete Wirkung erzeugt. Angesichts des erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwands für die Einführung einer Feedbackkultur ist die Berücksichtigung psychologischer Faktoren angezeigt. Feedback zeigt auf, wo Mitarbeitende sich entwickeln Können oder solle. Allenfalls deckt Feedback einen, der Person nicht bewusst zugänglichen Aspekt ihrer Persönlichkeit auf, welchen das bisherige Selbstbild oder die Identität bedrohen kann (7 Abschn. 9.1.4 und 7 Abschn. 5.3.4 für ausführliche Beschreibung von Selbstbild/ Selbstwert). Die persönliche Entwicklung bedingt neues zu Lernen. Demzufolge betreten Mitarbeitende Neuland, machen Fehler und erleben sich im Lernprozess unter Umständen als weniger kompetent Um möglichst förderliche Bedingungen für Feedback gestalten zu können, müssen zentrale psychologische Mechanismen berücksichtigt werden.Fokuspersonen sind im Moment des Feedbacks von „Anderen“ in einer Abhängigkeit. Zum einen haben Feedbackgebende in der Regel Einfluss auf die Wirksamkeit der Fokusperson: Arbeiten mit ihnen zusammen, sind Partner, Mitarbeitende oder Vorgesetzte. Zum anderen ist davon auszugehen, dass das Selbstbild der Fokusperson durch das Feedback verändert wird: Wirkungen auf Andere, die nicht bewusst sind, können allenfalls auch verunsichern. Das kann zur Aktivierung von Schutzmechanismen der Fokusperson führen. Diese wirken stärker, wenn: das Feedback (Erwartungen) für die Person schwer einschätzbar ist, der Zeitpunkt und die Themen des Feedbacks nicht von der Fokusperson selbst bestimmt werden und das Vertrauen unter den Feedbackbeteiligten (noch) gering ist.

Augenhöhe durch ausgeglichene „Vulnerabilität“ (Verwundbarkeit)

Einführung von Feedback als Entwicklungshaltung im Unternehmen

Entsteht dadurch eine Verteidigungshaltung, sinkt die Offenheit für die erhaltenen Feedbacks, was wiederum das Annehmen des Feedbacks durch die Fokusperson schmälern kann. Feedbacks, die von Fokuspersonen als Hilfe verstanden werden, erhöhen die Offenheit für Entwicklungshinweise. Feedbackgebende achten auf ihre Absicht und Haltung während dem Feedback. Sie fokussieren in der Kommunikation auf beobachtetes Verhalten und beschreiben ihre persönlichen Reaktionen darauf: Wahrnehmung, Interpretation, emotionale Reaktionen. Damit geben sie „Etwas“ von sich selbst Preis und ermöglichen ein Gleichgewicht der Feedbackpartner bezüglich Vulnerabilität. Dies ermöglicht den „Dialog auf Augenhöhe“ und fördert das gegenseitige Vertrauen (vgl. auch

9.4 • Feedback

385

9

Studien von Miller und Rose (2009); van Woerkom und Croon (2008)).

Wirkungsvollste Entwicklungsmaßnahmen durch FB der Schwächsten

Wenn Feedback der persönlichen Entwicklung dient, führt es zu einer Veränderung im Verhalten, im Denken oder in der Haltung der Fokusperson. Auch vermeintlich kleine Verhaltensänderungen können für Fokuspersonen herausfordernd sein, vor allem dann, wenn die Macht der Gewohnheit oder lange eingeprägte Verhaltensweisen überwunden werden müssen. Für eine nachhaltige Veränderung sind demnach „sehr gute“ Motive (Wille, Motivation), ein sinnvolles und attraktives Ziel (z. B. im Job erfolgreicher sein) und die wohlwollende Unterstützung aus dem Umfeld (Mitarbeitende, Kollegen) notwendig (Kegan und Lahey 2009). Entscheidend ist Kegan und Lahey (2009) zufolge, dass die Entwicklungsziele von der Fokusperson selbst gesetzt werden, dass Feedbackgebende gleichzeitig auch Feedbacknehmende sind und, dass ihre wohlwollende Haltung bei der Begleitung von Entwicklungsmaßnahmen spürbar wird (für Studien, die dies verdeutlichen, siehe Maurer et al. 2002). Aus vertraulichen Interviews mit Führungskräften auf Management- und Basisstufe ist hervorgegangen, dass über 80 % der interviewten Personen vor den üblichen Feedbackprozessen ausgeprägten Stress erleben, ausgelöst durch die Beurteilungszeitpunkte. Insbesondere leiden die Peerbeziehungen auf Führungs- und Managementstufe, zumal davon ausgegangen wird, dass die individuellen Nachfolgechancen mit den Resultaten zusammenhängen. Belastend wirkt nicht nur das „Beurteilt-Werden“ durch andere Personen sondern explizit auch das „Beurteilen-Müssen“, v. a. der Peerkollegen.

Selbststeuerung und Haltung als Kriterien für Entwicklung

9.4.6 Vorgesetztenperspektive

Vorgesetzte sind in der Beziehung zu ihren Mitarbeitenden Feedbackgebende und Feedbacknehmende. Aus Sicht der Führung sind Feedback und Beurteilungen ein wichtiger Teil der Kommunikation. Es geht in erster Linie darum, eine „optimale“ Arbeit an den Zielen im verantworteten Einflussbereich zu ermöglichen oder zu fördern. Abgrenzung Entwicklungsfeedback und Erwartungsklärung Kritik und Beurteilung sind ein Teil der Führungskommunikation. In Abgrenzung zu einem Entwicklungsfeedback, haben diese Mitteilungen korrektiven Charakter: Sie zeigen Mitarbeitenden auf, was diese allenfalls wo/wie Dinge falsch

Nutzen von Feedback an die Mitarbeitenden

386

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

machen oder benennen Diskrepanzen der zwischen erbrachten Leistungen und den Erwartungen der Organisation oder Rolle. Ausführlicheres zu Beurteilungs- und Kritikgesprächen (7 Abschn. 9.3.1).

Lernkultur als Ziel

9

Überwindung zur Offenlegung (unbekannter/unbewusster Themen) von beiden Seiten gefordert

Förderung von gegenseitigem Verstehen, Vertrauen und Lernen

Soll die Entwicklung als zentraler Wert aufgebaut werden, gilt es diese sowohl bei den einzelnen Teammitgliedern als auch im Gesamtteam als eine „gemeinsame Sache“ zu etablieren. Sind Transparenz und einheitliches Verständnis für die Sinnhaftigkeit von angestrebten Verbesserungen sowohl auf Team, wie auch auf individueller Ebene gegeben, so kann eine Lern- oder Feedbackkultur entwickelt werden. Die Unterscheidung von Beurteilung und Feedback ist sinnvoll, wenn eine Lern- oder Fehlerkultur aufgebaut werden soll. Voneinander und miteinander Lernen gelingt nur dort nachhaltig, wo Fehler grundsätzlich als „gemachte Versuche“ und Verhaltensweisen Anderer als „beste Absicht“ im Sinne der Zielerreichung gedeutet werden. Implizit und explizit sollte dabei gelten, dass die wahrnehmende Person (Feedbackgebende) ihre Sicht und Beobachtung den Feedbacknehmenden zur Verfügung stellen. Feedbacknehmende sollten dadurch ihre Aufgabe noch wirkungsvoller erfüllen können. Das Feedback hat also nicht den Anspruch einer anderen Person zu sagen, was sie tun oder ändern sollte. Vielmehr wirken Feedbackgebende sozusagen als „Seismographen“ im Dienst der Feedbacknehmenden. Wenn sich nur eine Seite öffnen „muss“, bleibt in der Kommunikation ein Gefälle vorhanden und die Wahrscheinlichkeit der Abwehr steigt. Anstelle des in 7 Abschn. 9.3.4 beschriebenen Beurteilungsfeedback geht es in diesem Ansatz um das Offenlegen von Wahrnehmung und Wirkung bei Feedbackgebenden im Sinne der Feedbacknehmenden. Abwehrhaltungen und Rechtfertigungsimpulse werden bei Feedbacknehmenden weniger aktiviert, wenn die „Verwundbarkeit“ in Balance ist. Wie in 7 Abschn. 9.4.5 ausgeführt, ist eine Balance dann gegeben, wenn Feedbackgebende ebenfalls „etwas“ von sich offenbaren. Offenbarung meint hier das Offenlegen der eigenen, durch die persönliche Geschichte und Erfahrung geprägte Wahrnehmung, bzw. eigene eingeschliffene Reaktionsmuster. Durch diese Offenbarung entsteht zwischen Feedbackgebenden und -nehmenden die Begegnung auf gleicher Augenhöhe. In diesem Verständnis von Feedback zeigt sich die Haltung, dass Verhalten oder Handlungen nicht einfach falsch oder richtig sind, sondern es vielmehr darum geht voneinander zu wissen, welche Art der Beziehungsgestaltung und Zusammenarbeit „das Beste“ aus den Beteiligten hervorzubringen vermag. In diesem Sinne wird Feedback nicht als positiv oder negativ verstanden, sondern als Erweiterung des Wissens um die eigene Wirkung.

9.4 • Feedback

Beispiel

Einführung von Entwicklungsfeedbacks

387

9

Beispiel Einführung von Entwicklungsfeedbacks

Die Einführung von Feedback als Teil der Zusammenarbeit hat in einem Service-Center den Aufbau einer gemeinsamen Lernkultur unterstützt. Die Mitarbeitenden haben sich ihre Entwicklungsthemen und die Feedbackpartner selbst ausgewählt. Rahmengebend waren die Grundsätze des zuvor gemeinsam erarbeiteten Verständnisses für Feedback und das Üben von Feedback im definierten Sinne in einem gemeinsamen Workshop. Neben der allmählich sichtbaren Lernkultur haben sich weitere positive Effekte ergeben: Führungskräfte wurden von den Mitarbeitenden als wertschätzender erlebt, weil zudem auch ausgesprochenes Lob oder eine Kritik differenzierter angebracht wurden. In den Jahresbeurteilungen waren die Mitarbeitenden selbstsicherer: Sie waren in der Lage, ihre Stärken, Schwachpunkte und Potenziale selbst zu benennen.

>>Wenn Feedbackgebende sich in der Haltung von Entwick-

lungsfeedback üben, resultiert generell eine differenziertere Beziehungsgestaltung im Arbeitsumfeld: genaueres Beobachten, bewussteres Trennen von Wahrnehmungen und eigenen emotionalen Reaktionen bzw. Beschreibung von Auswirkungen des Verhaltens auf die Zusammenarbeit in einem Team.

9.4.7

Auswirkung aktueller Trends

In Anbetracht der VUCA-Welt (vgl. Wülser et al. 2015) und der fortschreitenden Demokratisierung der Unternehmen (Laloux 2014; Pfläging und Hermann 2016) muss die Bedeutung von Feedback neu betrachtet werden. Gerade in mehrfach un-eindeutigen, äußerst dynamischen Arbeitswelten müssen sich Teammitglieder kontinuierlich und unmittelbar austauschen, um das gegenseitige Verständnis sicher zu stellen und zielgerichtet zu arbeiten. Wird Feedback im Sinne von Reflexion, als Beobachtungs- und Mustererkennungskompetenz im einem Team aufgebaut (Pfläging 2015), fördert dies das gegenseitige Vertrauen und somit die Zusammenarbeit, die Beziehungen, den Austausch auf Augenhöhe im Sinne gemeinsamer Ziele und die Entwicklungsunterstützung. In einer so entstandenen Feedbackkultur hat Feedback keine eindimensionale Richtung: Es gibt also nicht den oder die Feedbackgebenden und den oder die Feedbacknehmenden. Vielmehr ist Feedback ein Dialog über Kommunikation und Wechselwirkungen der Verhaltensweisen, über die Wirksamkeit von Handlungen

zukünftige Bedeutung von Feedback

388

9

Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

Einzelner oder des gesamten Teams bezogen auf die Erfüllung der Aufgaben („primary task“, 7 Abschn. 10.8.5). Es wird somit zur gemeinsamen Reflexion der Qualität der Aufgabenerfüllung und/oder der Entwicklung der einzelnen Mitarbeitenden bzw. des Teams oder der Organisation. Dieses Verständnis von Feedback ist nicht neu, er wird seit Jahren (Jenewein und Bruch 2005) in Hochleistungsteams (X-Teams) gelebt. Grundgedanke dabei ist, dass es nie Einzelpersonen sondern immer ganze Teams sind, die eine Leistung erbringen oder ein Produkt entwickeln. Damit wird auch das Verhalten von Einzelnen nur im Kontext des Teams bzw. als Wechselwirkung des Verhaltens anderer Teammitglieder verstanden. Ähnliche Überlegungen kommen aus der neueren Innovationsforschung. Was früher besonders innovativen Persönlichkeiten (Dyer et al. 2009) zugeschrieben wurde, wird heute immer mehr als Zusammenspiel mehrerer Personen und unterschiedlicher Kompetenzen verstanden. Welches nur dann zu den erhofften Ergebnissen führt, wenn eine Haltung der Gleichwertigkeit und des gegenseitigen Wohlwollens und Vertrauens als Basis gegeben ist (Huy 2010; Suddaby et al. 2011). 9.4.8

Entwicklungsstrategie als Basis der Organisation

Unternehmen, die einen Rahmen schaffen, welcher Entwicklung aktiv fördert und die alltägliche Auseinandersetzung mit dieser einfordert (Kegan und Lahey 2009), tun dies mit einer klaren Strategie, die der Logik folgt: Wenn sich unsere Mitarbeitenden entwickeln, entwickelt sich das Geschäft. Diese Unternehmen schenken der Entwicklung der Angestellten dieselbe Beachtung wie der Geschäftsentwicklung. Das bedeutet in der Folge, dass jede Person ihr relevantes, aktuelles Entwicklungsthema erarbeitet und allen Teamkollegen transparent macht. Die gegenseitige Unterstützung beruht darauf, sich Rückmeldungen und Hinweise zu geben: einerseits zu Fortschritten, andererseits auch zu Stagnation oder Rückfällen in „alte Muster“. Dies gilt für alle Mitarbeitenden über alle Hierarchiestufen hinweg gleichermaßen. Somit fallen die Hierarchieunterschiede bezüglich Lernen weg, denn jede Person hat sich auf die Umsetzung der Entwicklungsstrategie committet, sowohl auf die eigene wie auch auf die Unterstützung für die Entwicklung der Anderen (Beutter und Aveni 2016). Das führt gemäß Kegan und Lahey (2009) dazu, dass Mitarbeitende neue Aufgaben übernehmen müssen, wenn sie sich in der aktuellen Aufgabe nicht mehr entwickeln können/müssen. Diese Erkenntnis ist in den Unternehmen noch wenig umgesetzt, auch wenn die strategische Bedeutung der Mitarbeitenden-Entwicklung in vielen Unternehmensleitbildern bereits verankert ist.

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9

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Kapitel 9  •  Gestaltung der Beziehung zu einzelnen Mitarbeitenden

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391

9

393

Arbeiten in und mit Gruppen Gisela Ullmann, Urs Jörg 10.1

Gruppe als soziales System/Definition von Gruppe und Team  –  394

10.2

Gruppe als Sozialisationsfeld  –  396

10.3

Gruppendynamische Begriffe – 397

10.4

Führungsstil und die Auswirkung auf die Dynamik in Gruppen  –  398

10.5

Rollen in Gruppen  –  403

10.6

Reflexionsebenen in Gruppe  –  403

10.7

Leistungsbereitschaft in Gruppen  –  406

10.8

Führen von Gruppen und Teams  –  408

10.8.1

Führen von Gruppen und Teams: Grundsätzliche Betrachtungen – 408 Weshalb in Gruppen und/oder Teams arbeiten?  –  409 Die Führung von Gruppen und Teams  –  412 Führung von Gruppen und Teams: grundlegende Erfolgsfaktoren – 412 Bedingungen für wirksame Gruppen- und Teamarbeit  –  413 Führung in Gruppen und Teams: spezifische Ansätze  –  424

10.8.2 10.8.3 10.8.4 10.8.5 10.8.6

Literatur – 453

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_10

10

394

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Auf einen Blick

Auf einen Blick In diesem Kapitel werden die wichtigen Grundlagen in der Zusammenarbeit von Menschen in Teams beschrieben. Was wird unter sozialen Systemen verstanden, welchen Einfluss hat die Gruppendynamik innerhalb eines Teams und wie lassen sich diese Gruppenprozesse so erfolgreich steuern, dass ein leistungsfähiges Team entsteht. Führungskräfte werden anders herausgefordert, wenn sie mit einem engagierten und selbstbewussten Team zusammenarbeiten und dieses auch führen sollen. Gefordert wird daher die Bereitschaft sich als Führungskraft sowohl als integrierender Moderator wie auch als Leader zu verstehen, um die Balance zwischen der Selbststeuerung der Teams und der erfolgreichen Umsetzung der vereinbarten Arbeitsziele innerhalb der Organisation zu gewährleisten.

Wir bewegen uns in unserem beruflichem wie privaten Alltag beinahe mühelos zwischen Gruppen, realen und virtuellen Teams sowie auch in unterschiedlichen Netzwerken. Nach Geißler (2006) sind Gruppen und Teams Konformitätssysteme, in denen sich die Mitglieder mit den Fragen nach Zugehörigkeit, Autonomie und Macht auseinandersetzen. Wie viel Klärung ist in einem Team notwendig, um erfolgreich arbeiten zu können? Was muss ich als Führungskraft über Identität, Prozesse, Rollen und Steuerung wissen, damit Mitarbeitende in unterschiedlichen Settings zusammenarbeiten können? Diesen Fragen soll im ersten Teil nachgegangen werden und zusätzlich wird ein Überblick der wichtigsten Begriffe präsentiert.

10

10.1

Gruppe als soziales System/Definition von Gruppe und Team

Gisela Ullmann Was ist eine Gruppe? Was ist ein Team? Definition: Gruppe, Team

Was ist eine Gruppe? Was kennzeichnet ein Team? Definitionen  „Unter einer Gruppe verstehen wir eine soziale Einheit von Personen, die in bestimmten Rollen und Statusbeziehungen zueinander stehen. Diese soziale Einheit hat eine gewisse Lebensdauer und die Personen der sozialen Einheit haben gemeinsame Normen und Werte herausgearbeitet, die ihr Handeln innerhalb der Gruppe steuern.“ (Ullmann-Jungfer und Werkmann-Karcher, 2010, S. 398)

10.1  •  Gruppe als soziales System/Definition von Gruppe und Team

395

10

Unter einem arbeitsfähigen Team verstehen wir eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Aufgabe im beruflichen Organisationskontext verbindet. Zusätzlich sind eine wertschätzende Kommunikationskultur, tragfähige Beziehungen und eine bestimmte Autonomie innerhalb der Organisation erkennbar (vgl. Ullmann-Jungfer und Werkmann-Karcher, 2010). 

In allen Definitionen wird als ein Merkmal von Gruppen von der sogenannten Gruppenkohäsion und dem Wir-Gefühl gesprochen. Damit ist das Gefühl der Verbundenheit und der Bezogenheit gemeint, die sich zum einen aus dem Stellenwert ergibt, den eine Gruppe für eine Person hat und zum anderen wie viel emotionale Energie eine Person in eine Gruppe investiert. So kann am Ende von einer dreitägigen Weiterbildung bei einigen Teilnehmenden durchaus der Wunsch nach einem gemeinsamen Ausklang in einem Restaurant auftauchen, während andere Teilnehmende möglichst rasch dieses Gruppensetting verlassen möchten. Dies ist besonders verständlich, da sich die Teilnehmenden nicht als Gruppe gegenseitig gewählt haben, sondern durch das gemeinsame Lerninteresse miteinander verbunden sind. Bei Bewerbungsgesprächen wird von den Stellensuchenden häufig nach der Teamkultur bzw. Dynamik gefragt. Gibt die Qualität und Art der Teamkultur doch entscheidende Hinweise über eine erfolgversprechende Zusammenarbeit. Teams sind daher immer Gruppen und sind als zusätzliches Merkmal dadurch gekennzeichnet, dass ihre Mitglieder durch den organisationalen Kontext, der mehr oder weniger erkennbaren gemeinsamen beruflichen Aufgabe und über die Teamführung miteinander verbunden sind. König und Schattenhofer (2015) sprechen hier von dem „Doppelgesicht“ des Teams. Teams werden als Organisationseinheit zur Erfüllung von Arbeitsleistung verstanden und stellen ein eigenes soziales System mit ihrer spezifischen Dynamik dar. Viele Unternehmen im Profitwie Non-Profitbereich nutzen dies, um eine humanere Arbeitswelt zu schaffen. Gemeinsame Ziele und die Kompetenz Arbeitsabläufe und die Qualität der Interaktionen wertschätzend als Team zu überprüfen, macht diese Konstellation reizvoll wie anspruchsvoll. Nebst den Begriffen von Gruppe und Team kennen wir noch andere soziale Formen wie Menge oder Masse. Unter Menge kann man zum Beispiel eine Menge Menschen an der Bushaltestelle verstehen, die zwar ein gemeinsames Teilziel haben, mit dem Bus zu fahren, jedoch keine weiteren Verbindungen untereinander haben. Das Gleiche gilt für eine Masse von Menschen, die sich zum Beispiel bei einer Sportveranstaltung treffen; hier gibt es ein gemeinsames, zeitlich begrenztes Ziel. Es können und wollen aber nicht alle Beteiligten miteinander in einen längerfristigen Kontakt treten, sondern das Erlebnis wird mit den anderen partiell

Merkmale von einem Team

396

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

geteilt, was auch zu einer Art Wir-Gefühl beiträgt. Als letztes soll noch der Begriff des Netzwerkes beschrieben werden. Netzwerke ermöglichen den Beteiligten zwanglosen, häufig informellen Kontakt, der soziale wie berufliche Kontakte umfasst. Gruppen verfügen über eine bestimmte inhaltliche, zeitliche und soziale Verbindlichkeit, während in den Netzwerken der lockere, bedarfsorientierte Austausch von Informationen wie Kontakten im Vordergrund steht. 10.2

10

Gruppe als Sozialisationsfeld

Sozialisation als Entwicklungsaufgabe; dies bedeutet die schrittweise Integration des Individuums in die Gesellschaft mit ihren jeweiligen Verhaltensnormen und Sitten. Es können drei Ebenen unterschieden werden: Primäre Ebene = grundlegende emotionale und kognitive Verhaltensmuster und Regeln. Sekundäre Ebene = Normen und Werte, Fähigkeiten in einer Gesellschaft zu leben. Tertiäre Ebene = Bewältigung und Auseinandersetzung der bzw. mit den sozialen und beruflichen Anforderungen.

Der biografische Lernprozess prägt das Verhalten der Teammitglieder

Dieser Sozialisationsprozess beginnt in der frühen Kindheit, in dem das Kind in der Regel in der Familie die grundlegenden sozialen, kulturellen und religiösen Gepflogenheiten und Werte erlebt und sich damit zugehörig zu seiner Familie, zu seiner Gemeinde und der Region wahrnehmen kann. Mit dem Beginn des Schuleintritts erweitern Kinder ihre primäre Prägung und erwerben sich die sogenannten Schlüsselqualifikationen. Sie setzen sich mit den Normen und Werten auseinander, die es zum Leben in einer Gesellschaft braucht. Wer hat welche Freiheiten, wer muss welche Aufgaben zuhause übernehmen, wer trägt was für Kleidung, welche Eltern fahren was für ein Auto, sind nur einige Merkmale zur Differenzierung von Status, Rang, Normen und Werte. Im Ablösungsprozess beginnen Jugendliche besonders die normativen Vorgaben zu hinterfragen und nicht selten werden eigene, neue Normen und Werte aufgestellt. Die emotionale Beziehung und Solidarität muss mit den Bezugspersonen neu ausgehandelt werden. Die Entwicklung der eigenen Identität steht im Vordergrund. Welche Verhaltensmuster und Werte der frühen Sozialisation werden übernommen, welchen Verhaltensanforderungen von anderen möchte man entsprechen, wie werden persönliche Anforderungen an sich selbst umgesetzt. Hier beginnt der biografische Lernprozess, der als kontinuierliche und sich stetig verändernde Sozialisation verstanden wird (Erikson, 2003). Die Herkunftsfamilie, die Bildung und der damit erworbene Status, die Kommunikationserfahrungen sowie die Gestaltung von Beziehungen und Interessen legen die

10.3 • Gruppendynamische Begriffe

397

10

ersten Grundlagen für das Aushandeln der Rollen in Gruppen in den Organisationen. 10.3

Gruppendynamische Begriffe

zz Historischer Überblick

Nach Antons (2015) entstanden die konzeptionellen Grundlagen zur Dynamik in Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland als „Reimport“ aus den USA. Kurt Lewin (2012), Jacob Moreno (2008) und Raoul Schindler (1968) entwickelten die Gruppendynamik als Ansatz zur Selbstreflexion, als einen Beitrag zum sozialen Lernen und als einen neuen und anderen Zugang im Umgang mit Macht. Lewin (2012), der von Berlin in die USA emigriert war, beschäftigte sich in den ersten Jahren speziell mit der Frage, wie man den Auswirkungen rassistischer und autoritärer Strukturen entgegensteuern kann. Die Notwendigkeit über Gruppenverhalten in totalitären Systemen nachzudenken, war nach dem 2. Weltkrieg besonders wichtig. Im Zuge dieser wachsenden politischen Entwicklung wurde die Gruppendynamik nach und nach als eine Form zur Demokratisierung und zur Förderung von Aktionsforschung (vgl. Lewin 2012: „action research“) genutzt. Raoul Schindler (1968) sprach bereits Ende der 1930er-Jahre vom Begriff der Gruppendynamik. Er entwickelte das Interaktionsmodell zur Rangdynamik in Gruppen. Fünf Positionen sind in Gruppen erkennbar, werden jedoch nicht immer vollständig besetzt. Alpha = Anführer, G = Gruppenaufgabe, Beta = Experte, Gamma = einfache Gruppenmitglieder, Omega = Gegenposition zu Alpha im Sinne von „Kritiker“.

---

Beispiel

Eine Gruppe soll gemeinsam einen Turm bauen. Alpha übernimmt hier die Führung, macht Vorschläge und verteilt die Aufgaben an die Gruppenmitglieder. G wird als Gruppenaufgabe bzw. Ziel bezeichnet, in diesem Fall der Turm. Beta stellt den Experten bzw. die Expertin dar, welche/r in der Regel eine beratende Funktion übernimmt und Alpha loyal unterstützt. Beta könnte vom Rang her durchaus auch selbst führen; wenn Alpha jedoch erfolgreich führt, erhebt Beta keinerlei Führungsansprüche. Beta bringt also fachliche Vorschläge zum Bauen und dem Umgang mit dem Material ein. Unter Gamma verstehen wir die Gruppenmitglieder, die sich bei dieser Aufgabe gern führen lassen. Gammamitglieder bauen also nach Vorgabe den Turm. Als letzte Rangposition gibt es noch Omega. Im Unterschied zur Tierwelt, wo Omega die unterste

Beispiel Gruppendynamik als Konzept zum gemeinsamen Lernen in der Reflexion

398

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Hierarchieebene in einer Gruppe darstellt, übernimmt Omega die Funktion des Kritikers. Relativ rasch hinterfragt Omega nach Bekanntwerden einer Aufgabe die Vorgehensweisen von Alpha und erkennt häufig die Schwachstellen bzw. Lücken in der vorgeschlagenen Strategie von Alpha. Daher hat Omega in Gruppen schnell die unbeliebte Rolle des Nörglers, eines Besserwissers, der immer etwas zu bemängeln hat. Bei der Turmaufgabe könnte Omega erkennen, dass die Konstruktion zu schwach ist, die Masse nicht stimmen usw.

Jakob Moreno (2008) hat mit seinen Konzepten zum Psychodrama und dem Verfahren der Soziometrie seinerseits einen weiteren grundlegenden Beitrag zur Beobachtung und Reflexion von sozialem Lernen in Gruppen geleistet. Gruppendynamik ist darin sowohl eine Methode wie auch ein theoretisches Konzept. Nach Moreno (2008) entwickelt sich der Mensch in und durch seine Beziehungen und Interaktionen. Mit seinem soziometrischen Verfahren können in Gruppen zum Beispiel Rollen, Interaktions- und Beziehungsmuster dargestellt werden. In seinen Forschungen erkannte Lewin (2012), dass in sich selbst steuernden und reflektierenden Gruppen bestimmte Lernerfahrungen für die Beteiligten möglich waren. Wenn Gruppenmitglieder ihr eigenes Verhalten beobachten und anschließend reflektieren, kann es gelingen, dass vorhandene Machtkoalitionen, hinderliche Kommunikationsmuster, emotionale Abhängigkeiten und ausgrenzende Tendenzen gegenüber Gruppenmitgliedern hinterfragt und auch aufgelöst werden. Diese Form der Reflexion im Hier-und-Jetzt etabliert sich in den folgenden Jahrzehnten als zentrale Lernerfahrung auf der sogenannten Metaebene. Am Ende von Teamsitzungen, Intervisionsgruppen usw. wird dieses als Reflexionsschleife bekannte Verfahren regelmäßig eingesetzt. 1. Thematische Ebene: Was haben wir inhaltlich erreicht? 2. Soziale Ebene: Wie sind wir miteinander umgegangen? 3. Methodische Ebene: Welche Verfahren und Hilfsmittel haben wir angewandt?

10

10.4

unterschiedliche Führungsstile und die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden

Führungsstil und die Auswirkung auf die Dynamik in Gruppen

Zwei Aspekte sind bei der Dynamik einer Gruppe von Bedeutung. Aus der Individualpsychologie wissen wir, dass in der Entwicklung jedes Individuums ein Gegenüber benötigt wird. Dieses Gegenüber kann als Freund, Helfer, Unterstützer aber auch als Feind bzw. Kritiker oder Bewerter wahrgenommen werden. Lewin (2012) hat bei seinen Felduntersuchungen erkannt, dass folgende Führungs-

10.4  •  Führungsstil und die Auswirkung auf die Dynamik in Gruppen

--

stile unterschiedliche Verhaltensmuster bei Gruppenmitgliedern hervorrufen können: autoritäre Führung, Laissez-Faire-Führung und freiheitlich-demokratische Führung. Der autoritäre Führungsstil bewirkte zwar bei den Mitarbeitenden klare Regelungen und offen deklarierte Leistungsziele, die Nachteile waren jedoch sehr deutlich erkennbar. Die Mitarbeitenden konzentrierten sich auf eine Führungskraft, bei welcher alle Entscheidungen zusammenlaufen. Die Führungskraft ist Wissensträger von den verfügbaren Informationen, sie lässt häufig keine Widersprüche zu und die Bedürfnisse und Interessen der Mitarbeitenden kommen nicht zum Tragen. Zusätzlich besteht ein höheres Risiko zu Fehlentscheidungen, da Mitarbeitende sich nicht inhaltlich engagieren. Lewin (2012) erkannte, dass unsichere Personen solche klaren Anweisungen bevorzugten, da diese ihnen Sicherheit und Orientierung gaben. Beim Laissez-Faire-Stil halten sich die Vorgesetzten sehr zurück und strukturieren nicht die einzelnen Arbeitsabläufe. Dies hat zur Folge, dass die Mitarbeitenden selbst über Abläufe und Ziele entscheiden und dies in der Regel jede Person für sich alleine vornimmt. Es herrscht ein distanziertes Arbeitsklima, in dem jede Person für sich selbst sorgen muss. Einzelleistungen können dadurch besonders hoch ausfallen, wenn die Person sich selbst sehr motivieren kann. Fehlendes Feedback und eingeschränktes Engagement der Vorgesetzten sowohl auf der inhaltlichen wie auf der Beziehungsebene können bei den Mitarbeitenden eine Überforderung in der Selbststeuerung auslösen. Es besteht die Gefahr zum Burnout, da sich die Mitarbeitenden die Grenzen selbst setzen müssen. Der freiheitlich-demokratische Führungsstil oder wie wir es heute beschreiben würden, der kooperative Führungsstil, baut darauf, alle Beteiligten „ins Boot zu holen“. Die Aufgaben und die dazugehörenden Verantwortlichkeiten werden nach Absprache mit den Vorgesetzten definiert. Es herrscht eine offene Kultur, in der Ideen und Kritik ihren Platz haben. Lewin (2012) erkannte diese gemeinsame Reflektion über den Prozess als Ursprung für eine Kultur des gemeinsamen Lernens, die eine hohe und dauerhafte Motivation mit sich brachte. Diese Fähigkeiten müssen jedoch von allen Beteiligten gewollt und erarbeitet werden und brauchen Zeit. Weshalb kann dieser Lernprozess so anstrengend sein? Welche Fähigkeiten und Kompetenzen brauchen die Mitglieder einer Gruppe, um erfolgreich zu kooperieren?

399

10

400

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Beispiel Attraktivere und unterschiedlichere Lösungen

10

Beispiel

In einer bestimmten Phase eines Projektes soll sich die große Projektgruppe in zwei Halbgruppen aufteilen, um Lösungsideen zu erarbeiten. Die Projektleitung verspricht sich bei einer Aufteilung attraktivere und unterschiedlichere Lösungen als wenn die Gruppe zusammen bleiben würde. Nach einer Stunde Arbeitszeit sollen beide Gruppen ihre Ideen präsentieren. In der einen Gruppe gelingt es rasch ein gemeinsames Verständnis über die Ausgangslage zu erarbeiten. Es werden viele Fragen gestellt, unterschiedliche Sichtweisen werden aufgenommen und die Gruppe erkennt die bisherigen Unvereinbarkeiten, welche zuerst gelöst werden müssen. Das hindert sie jedoch nicht eine Reihe von wertvollen Lösungsansätzen zu sammeln und auch schon eine erste Bewertung vorzunehmen. In der anderen Gruppe verläuft der Arbeitsprozess völlig anders. Ein Mitglied der Gruppe startet sehr rasch, gibt sich die Leitungsrolle, bestimmt einen Kollegen am Flipchart die Beiträge zu notieren. Die selbsternannte Leitung zählt sofort drei Lösungsideen auf und lässt sie schriftlich festhalten. Die anderen Gruppenmitglieder schweigen. Die Leitung erinnert an die Zeit und bittet eher ungeduldig um weitere Beiträge. Schließlich bricht ein anderes Mitglied das Schweigen und äußert sich irritiert über das Vorgehen. Sie hätten doch gar nicht miteinander abgesprochen wie sie Ideen sammeln wollen, auch seien das Ziel und die Rahmenbedingungen noch unklar. Und es sei auch nicht klar, weshalb sich Person X die Leitungsrolle genommen habe. In der Folge startet eine laute Diskussion über das Vorgehen. Unmut und Ärger über die selbsternannte Leitung machen sich breit. Ein drittes Mitglied versucht die Wogen zu glätten und bittet die Teilnehmenden sachlich zu bleiben. Das wird nicht gehört, worauf das „Leitungsmitglied“ den Raum verlässt und die anderen die Situation besprechen. Ganz zum Schluss werden noch zwei Ideen benannt.

zz Was ist passiert?

Die Gruppen sollten eine vorgegebene Aufgabe innerhalb einer bestimmten Zeit im Rahmen ihrer Rolle als Mitglieder eines Projektes lösen. Diese erkennbare Ebene, die äußere Umwelt (vgl. König und Schattenhofer 2015), bezieht sich auf alle materiellen, personellen und rechtlichen Anforderungen. Auch der Grad der Freiwilligkeit spielt hier eine Rolle oder wie leicht bzw. wie schwer sich Mitarbeitende innerhalb ihres Arbeitsvertrages für einzelne Aufgaben motivieren können. Die unausgesprochenen Erwartungen, Interessen und Befürchtungen bilden die unsichtbare Ebene bzw. die innere Umwelt. Auch der Status, der Rang und die Normen werden auf dieser Ebene ausgehandelt. Die große Bedeutung dieser

10.4  •  Führungsstil und die Auswirkung auf die Dynamik in Gruppen

401

10

..Abb. 10.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

zweiten Ebene ergibt sich aus der Sozialisation, in der Regel durch unsere Familie. Diese primären Gruppenbeziehungen haben einen Modellcharakter für unsere späteren psychosozialen Kontakte. So kann es passieren, dass Menschen in Gruppen mit Haltungen reagieren, die sich stärker an Affekten bzw. Trieben orientieren. Wir orientieren uns an unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis und ergreifen die Flucht, erstarren und gehen zum Angriff über. Die frühe Objektbeziehung prägt unsere Ich-Entwicklung durch unsere ersten Kommunikationserfahrungen. Fällt diese positiv und vertrauensvoll aus, so entsteht das Urvertrauen, auf dem später aufgebaut werden kann. Arbeits‑, Projektgruppen und Teams orientieren sich primär nach Außen bzw. an den Anforderungen der Organisation. In Selbsthilfegruppen oder therapeutischen Gruppen steht im Unterschied dazu die innere Welt im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Frühere Erfahrungen können jedoch auch in arbeitsbezogenen Gruppen durch Teilnehmende aktiviert werden. Mitglieder reagieren dann mittels Übertragungen aufgrund von Ähnlichkeiten. Überraschend starke Gefühle, die nicht wirklich der aktuellen Situation passend scheinen, sind ein Merkmal. Wenn es möglich ist, durch Reflexion über das Erlebte ein neues Bewusstsein zu schaffen, dann erweitern all diese Erfahrungen in Gruppen unsere Identität. Gruppen bzw. Teammitglieder lernen sozusagen nach und nach situationsgerecht zu reagieren. Jede Mitarbeit in einer Gruppe erfordert von jedem Mitglied sich seiner Erwartungen bewusst zu werden und gleichzeitig sich zu Gunsten des gemeinsamen Ziels anzupassen. Beispiel

Das betroffene Teammitglied, welches rasch die Leitung übernommen hatte, war als ältestes Kind mit drei Geschwistern aufgewachsen und dadurch gewohnt, sofort die Führung und die Verantwortung zu übernehmen.

frühere persönliche Erfahrungen von Beteiligten können aktuelle Auswirkungen auf das Arbeitsverhalten in Teams haben

Beispiel Verhaltensgewohnheit

402

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

..Tab. 10.1  Rollenmodelle und Erklärungen auf der Grundlage des Belbin-Modells (Belbin 1993, © Belbin Associates) nach Rauch (2016, mit freundlicher Genehmigung) Rollentyp

Eigenschaften

Qualitäten

Kommunikationsorientierte Rollen Koordinator/Integrator

Selbstsicher, kommunikativ, entschlusskräftig, guter Zuhörer

Koordiniert den Arbeitsprozess, setzt Ziele und Prioritäten, damit Teammitglieder entsprechend ihrer Fähigkeiten einen Beitrag zum Teamerfolg leisten

Teamarbeiter/Vermittler

Freundlich, kommunikativ, empfindsam, kooperativ, diplomatisch

Vermittelt und berät bei Schwierigkeiten. Fördert den Teamgeist. Geht auf Mensch und Situationen ein

Wegbereiter/Weichensteller

Aktiv, kommunikativ, extravertiert

Trägt die Ideen des Teams nach außen und knüpft wertvolle Kontakte

Macher/Durchsetzer

Dynamisch, energiegeladen, angespannt, herausfordernd, ungeduldig, kann aus sich herausgehen

Gibt ersten Plänen eine Richtung und den Weg zu konkreten Aktivitäten frei. Formuliert Teilziele und liefert den entsprechenden Antrieb, um sicherzustellen, dass sich, dass sich das Team bewegt und das gewünschte Ergebnis im Blick behält.

Umsetzer/Realisierer

Sorgfältig, zuverlässig, fleißig, diszipliniert, systematisch

Kümmert sich um Schwierigkeiten im Umsetzungsprozess und setzt Pläne in die Tat um

Perfektionist/Kritiker

Perfektionistisch, pünktlich, zuverlässig, vorsichtig, pflichtgetreu

Meldet Abweichungen in der Umsetzung. Achtet auf Fehler und sichert Qualität

Beobachter/Controller

Nüchtern, diskret, besonnen, scharfsinnig, vorsichtig

Steht für Diskretion. Achtet auf Erhaltung bewährter Prozesse und prüft Vorschläge in Bezug auf ihre Machbarkeit

Spezialist

Engagiert, professionell, zielstrebig, technisch versiert, eher selbstbezogen

Bei gewissen Aufgabestellungen ist ein tiefes Fachwissen als Teambeitrag unerlässlich. Setzt hohe Standards durch, tritt für Professionalität ein

Neuerer/Erfinder

Kreativ, unorthodox, unkonventionell, phantasievoll

Tendiert zu einer außerordentlichen Kreativität und löst Probleme auf einem unkonventionellen Weg

Handlungsorientierte Rollen

10

Wissensorientierte Rollen

10.6  •  Reflexionsebenen in Gruppe

10.5

Darstellung der verschiedenen Rollen in Teams und ihre Bedeutung für die Zusammenarbeit.

Reflexionsebenen in Gruppe

Das Eisbergmodell (. Abb. 10.2) verdeutlicht, auf welchen Ebenen die Interaktionen in Gruppen verlaufen. Analog zum Eisberg gibt es eine sichtbare thematische, sachliche Ebene. Das Thema ist in der Regel für alle Beteiligten klar formuliert und verständlich: Können wir so unser Ziel erreichen? Funktionale Überlegungen werden gemacht: Bringt das, was wir hier tun, den gewünschten Erfolg? Unterhalb der Wasseroberfläche verbergen sich andere Schichten, hier befindet sich die soziodynamische Ebene. Damit ist die Ebene der Interaktion und der Gestaltung der Beziehungen gemeint. Die Frage nach dem Wie wird gestellt. Wie reden wir miteinander? Wie gehen wir miteinander um? Haben wir untereinander eine wertschätzende Kommunikation? Tauchen auf dieser Ebene Irritationen und Spannungen auf, schränkt dies die Zusammenarbeit ein oder verhindert diese sogar. Was macht das Ansprechen des Unwohlseins so schwer? Dies hat u. a. folgende Hintergründe. Der Wunsch, sachlich bleiben zu wollen. Die Unsicherheit der Betroffenen, ob dies anzusprechen erlaubt ist. Die Sorge, den Arbeitsprozess und das gute Arbeitsklima zu stören. Die strenge Beurteilung der persönlichen Wahrnehmung und Gefühle. Die Befürchtung, dadurch einen Konflikt auszulösen.

--

10

Rollen in Gruppen

In Gruppen lassen sich unterschiedliche Rollenmuster beobachten. Drei verschiedene Arten sind zu erkennen: kommunikationsorientierte, handlungsorientierte und wissensorientierte Rollen (. Tab. 10.1). Kommunikationsorientierte Mitglieder verfügen über eine gute Beziehungskompetenz, koordinieren und vermitteln innerhalb und außerhalb des Teams und steuern den Einstieg in den Arbeitsprozess. Handlungsorientierte Mitglieder formulieren Teilziele und setzen diese aktiv um, sie analysieren Probleme und suchen aktiv nach Lösungen. Zudem achten sie auf Fehler und Abweichungen und sichern damit die Qualität eines Arbeitsprodukts. Sie besitzen ein hohes Durchhaltevermögen und können Abweichungen erkennen und melden diese auch zurück. Teammitglieder verfügen in der Regel über unterschiedliche Rollenkompetenzen. Es ist daher sinnvoll diese Rollenflexibilität zu fördern und keine fixen Zuschreibungen vorzunehmen. Dies erleichtert das Verständnis und die Wertschätzung aller Teammitglieder in ihren jeweiligen Rollenanteilen. 10.6

403

Sache/ Thema

Beziehungs- / Gruppendynamik Verhalten / Rolle / Muster Bez. / Bedeutungsebene Übertragung Kernkonflikt der Gruppe

..Abb. 10.2 Eisbergmodell

404

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Auf der Metaebene können die Störungen und Spannungen in der Zusammenarbeit angesprochen und geklärt werden

Beispiel Teammitglied, das sofort die Leitung übernahm

10

Kernkonflikt in einer Gruppe

Um Störungen auf der Beziehungsebene ansprechen zu können bzw. um in der Lage zu sein, in einem Arbeitskontext auf die sogenannte Metaebene wechseln zu können, brauchen Gruppenmitglieder positive Erfahrungen (Cohn, 2009). Dabei ist die Unterstützung durch die Leitung bzw. durch die Führungskraft hilfreich. Beispiel

In der Projektgruppe gab es ein Teammitglied, welches sofort die Leitung übernahm. Einige andere Teammitglieder waren irritiert, weil sie nicht um ihre Zustimmung gebeten wurden. Zwei Mitgliedern war es recht, da sie sich durch die Leitung ein besseres Ergebnis erhofft hatten. Ein Teammitglied erlebte zum wiederholten Mal, dass diese Person die Leitung förmlich an sich riss und fühlte sich dadurch bevormundet.

Laufende Arbeitsprozesse zu unterbrechen, um stattdessen den Austausch der Wahrnehmungen aller Beteiligten auf der Metaebene auszutauschen, kann schwerfallen. Darf ich mit meiner Wahrnehmung den Arbeitsprozess stören? Was denken die anderen über mich, wenn ich mich bevormundet fühle? Wird man mich ernst nehmen? Wäre es nicht besser, still zu schweigen und in der Pause mit „Gleichgesinnten“ darüber zu reden? Der Austausch über ein Gespräch muss also trainiert werden. Diese Metakommunikation wird als wichtige Grundqualifikation für die Zusammenarbeit in Gruppen und Teams erachtet (Cohn, 2009). Die psychodynamische Ebene lässt sich bei Teamentwicklungen besonders gut beobachten. In dem geschützten Raum können die Mitglieder offener über ihre Sorgen und Wünsche sprechen. Es gibt in der Regel eine hohe Bereitschaft, aufeinander zuzugehen und gleichzeitig eine große Sorge, abgelehnt zu werden. Wie viel Nähe und Distanz darf in einem Team sein, was braucht es zu einer guten Arbeitsfähigkeit? Die Frage, wer mit wem häufig Mittag isst oder wer mit wem redet, kann frühere Erlebnisse aktivieren, bei denen man sich ausgeschlossen fühlte. Im beruflichen Kontext bedeutet dies sensibel und aufmerksam auf solche Spannungen zu reagieren und auf eine situationsgerechte Klärung zu achten. Führungskräfte müssen Spannungen und Konflikte ansprechen und bearbeiten können. Bei Bedarf kann sich die Person auch externe Unterstützung holen, wenn die eigenen Ressourcen hier nicht ausreichen oder eine persönliche Betroffenheit vorliegt. Der Vollständigkeit halber ist hier auch die unterste Ebene des Kernkonflikts beschrieben. Der Kernkonflikt kann zunächst nur als Hypothese formuliert werden. Erst Rückblickend wird deutlich, was für Bilder, Vorstellungen und Befürchtungen die Mitglieder einer Gruppe zu Beginn über ihre Gruppe gehabt hatten. Aus der Summe dieser Erwartungen bildet sich die individuelle Beschrei-

10.6  •  Reflexionsebenen in Gruppe

bung der Gruppe, wie die Gruppe miteinander Spannungsfelder, die in der Gruppe bestehen, bewältigt. Dies wird als Kernkonflikt in einer Gruppe bezeichnet. Nach Brocher (2015) wird Führung hier nicht als Funktion einer Person, sondern auch als Funktion der Gruppe selbst, d. h. aller Beteiligten verstanden. Dieser Entwicklungsprozess setzt sich aus folgenden Phasen(vgl. Tuckman 1965) zusammen. Wenn Menschen miteinander in einer Gruppe arbeiten, dann haben sie ein Ziel, eine Aufgabe, die sie miteinander erfüllen sollen. Die Gruppe bildet ein System, umgeben von anderen Systemen. Innerhalb dieses Systems werden bestimmte Anforderungen an die einzelnen Mitglieder und ihre Leitung gestellt. Diese Anforderungen setzen sich aus der Aufgabe, der Funktion und den gegenseitigen Rollenerwartungen zusammen. zz 1. Phase: Orientierung

Es ist die Aufgabe der Leitung dafür zu sorgen, dass die Mitglieder einer Arbeitsgruppe sich sowohl mit der Leitung wie auch untereinander kennenlernen können. Die Teilnehmenden setzen sich mit ihren jeweiligen spezifischen Anforderungen, Erwartungen und Bedürfnissen sowohl auf der inhaltlichen wie auf der sozialen Ebene auseinander. Häufig werden die Anforderungen nur auf der inhaltlichen Ebene geklärt, dabei ist die soziale Ebene für die Zusammenarbeit sehr viel bedeutsamer. Die oft unausgesprochenen Erwartungen, Sorgen und Befürchtungen beeinflussen und behindern die Arbeitsleistung der Gruppenmitglieder auf der inhaltlichen Ebene. Daher lohnt es sich, hier Zeit zu investieren. Wer ist hier mit welchen Kenntnissen zum Thema? Welche früheren Erfahrungen sind für die Zusammenarbeit bedeutsam? Was soll sich nicht wiederholen? Was soll angesprochen werden, damit wir inhaltlich unser Ziel erreichen? Was brauchen wir für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit?

--

zz 2. Phase: Differenzierung

Die einzelnen Mitglieder vertreten in dieser Phase ihre Meinung und positionieren sich damit. Man kann sagen, sie geben sich zu erkennen hinsichtlich ihrer Ansichten, Interessen und Normen und Wertvorstellungen. Dadurch entsteht im günstigen Fall eine positive Entwicklungsdynamik, in der sich die Mitglieder gegenseitig ergänzen und gemeinsam etwas zur Zielerreichung beitragen. Unterschiedliche Bewertungen, die Sorge einzelner Mitglieder mit ihren Beiträgen keine Resonanz auszulösen, nicht Beachtung und Wertschätzung zu erzielen, kann den inhaltlichen Arbeitsprozess verlangsamen. Die Leitung der Arbeitsgruppe soll diesen Differenzierungsprozess fördern, indem dafür ein angemessener zeitlicher Raum zur Verfügung gestellt wird. Wie kann hier jeder Einfluss nehmen?

-

405

10

406

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

der psychosoziale Prozess und sein Einfluss auf den Arbeitsinhalt

--

Was muss besprochen werden, um vertrauensvoll miteinander zusammenzuarbeiten? Worauf soll besonders geachtet werden? Was kann die Leitung zur Förderung dieser Klärung bei­ tragen? Was brauchen die Mitglieder?

zz 3. Phase: Integration

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe kennen ihre persönlichen Verhaltensmuster und können in unterschiedlichen Situationen miteinander kooperieren. Wo es angebracht ist, werden Spannungen bzw. Unterschiede offen angesprochen und die Lösungen können gemeinsam erarbeitet werden. Die Mitglieder haben genügend emotionale Belastbarkeit untereinander entwickelt, dass nicht immer alle Irritationen bzw. Unsicherheiten angesprochen werden müssen. Nicht Störungen haben Vorrang, sondern die Arbeit tritt in den Vordergrund. Die Leitung der Arbeitsgruppe muss zunehmend weniger auf der sozialen Ebene steuern und kann sich diesbezüglich häufig zurückhalten. Die Bearbeitung der Aufgabenstellung steht eindeutig im Vordergrund der gemeinsamen Aufmerksamkeit. Wer kann welchen Beitrag leisten? Worauf wollen wir regelmäßig in der Reflektion achten?

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10

zz 4. Phase: Abschluss und Auflösung

Im Vordergrund stehen die Ergebnissicherung und, soweit es sinnvoll ist, die Bekanntgabe des Abschlusses der Arbeitsgruppe an alle Beteiligten und deren Stakeholder. Wird eine Arbeitsgruppe ohne Ergebnis beendet, so ist auch dies zu kommunizieren. In jedem Fall braucht es eine angepasste Auswertung des gemeinsamen Arbeitsprozesses. Dies ist als Wertschätzung gegenüber den Leistungen der Mitglieder zu sehen. Was haben wir erreicht? Wer hat was dazu beigetragen? Was haben wir verpasst, nicht gemacht? Weshalb? Was können wir als persönliche und gemeinsame Lernerfahrungen nebst den inhaltlichen Erkenntnissen benennen?

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10.7 unterstützende soziale Beziehungen steigern die Leistungsbereitschaft in Gruppen und Teams

Leistungsbereitschaft in Gruppen

Bereits in den 1930er-Jahren begann das Interesse an Gruppenverhalten und Gruppenleistung von Mitarbeitenden in den Betrieben und Organisationen zu wachsen. Erste Untersuchungen bestätigten, dass es einen Zusammenhang zwischen sozialen Beziehungen (vgl. König und Schattenhofer 2015) von Mitarbeitern untereinander und der Arbeitsleistung gibt. Nach Floyd Allport (1924) gibt es keine Psychologie der Gruppe, welche sich nicht auch mit dem Individuum beschäftigt. Diese Interdependenztheorie stützt sich darauf ab, dass Menschen zur Bedürfniserreichung von-

10.7  •  Leistungsbereitschaft in Gruppen

einander abhängen, da sie sich gegenseitig beeinflussen können. Zusätzlich können häufig durch gemeinsame Absprachen Ziele erreicht werden, die individuell nicht erreichbar wären. Diese Kooperationsbereitschaft untereinander erfolgt unter der Annahme, dass gemeinsam ein höherer Gewinn erzielt werden kann. Aus dem gleichen Grund verlassen Mitglieder eine Gruppe, wenn sie annehmen, dass sie allein das angestrebte Ziel erreichen können. Interdependenz wird als ein Ansatz zur Erklärung von Kooperation in Gruppen verstanden. Die Theorie der sozialen Identität nach Tajfel und Turner (1986) lenkt die Aufmerksamkeit speziell auf die kognitiven Grundlagen von Gruppenbildungen. Mitglieder entwickeln auf Grund bestimmter gemeinsamer Kategorien ein Zugehörigkeitsgefühl innerhalb einer Gruppe gegenüber einer anderen und daraus entsteht eine soziale Identität. Diese soziale Identität wirkt sich neben der personalen Identität in inter- und intragruppalen Prozessen aus. Konkret bedeutet dies, wie einzelne Gruppen bzw. Teammitglieder mit dem sozialen Einfluss und den geltenden Normen und Regeln umgehen und in welcher Art und Weise Entscheidungen dem sozialen Einfluss unterliegen. Dies lässt sich mit dem berühmten Experiment von Asch (1956) gut nachvollziehen. Eine Gruppe von Untersuchungspersonen wurde aufgefordert die Länge von Vergleichslinien im Unterschied zur Standardlinie zu beschreiben. Ein Teil der Untersuchungspersonen ist in das Experiment eingeführt worden und hat wissentlich falsche Einschätzungen in Bezug auf die Länge abgegeben. Die nicht eingeweihten Untersuchungspersonen haben nach und nach ihr Urteil der Mehrheit der Kandidaten angepasst. Diese Anpassung sank deutlich, wenn die Untersuchungsperson in ihrer Sitzreihe eine 2. Person bei sich hatte, die korrekt und damit abweichend zur Gruppe stimmte. In späteren Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass sich jedoch nur 24 % der Untersuchungspersonen nicht beeinflussen ließen (vgl. Stürmer und Siem 2013). Dieses Phänomen konnte auch in kleinen Gruppen mit drei Personen nachgewiesen werden. Deutlich anders fiel das Abstimmungsverhalten einzelner aus, wenn es in den Gruppen andere Abweichler gab bzw. das Ergebnis schriftlich formuliert werden konnte. Dies hat sich nach Asch (1956) auch dann bestätigt, wenn bestimmte Versuchspersonen eine eigene, jedoch objektiv falsche Einschätzung machten. Abweichende Einschätzungen erwiesen sich als genauso unterstützend wie zustimmende Einschätzung. Offensichtlich sind persönliche und abweichende Einschätzungen und Meinungen einfacher zu artikulieren, wenn es Gleichgesinnte gibt. Man ist nicht allein dagegen. Für eine Gruppe bzw. für ein Team öffnet sich damit der Raum für eine Vielfalt in der Meinungsbildung. Zwei Aspekte kommen hier zum Tragen. Zum einen wünschen sich Mitglieder einer Gruppe Anerkennung und wollen zu einer Gruppe, einem Team gehören und zum anderen ist man bereit, der inhaltlichen Einschätzung mehrerer zu folgen

407

10

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

und hält dies für „richtig“. Viele von uns kennen die Situation, wenn bei einer Wanderung der Weg unklar wird und es verschiedene Meinungen gibt. Selten setzt sich dann in einer Gruppe eine Einzelperson durch, wenn sie von der Gruppe als Abweichler definiert wird. Nach Moscovici (1980) sind hier zwei verschiedene Prozesse zu nennen. Der Einfluss von Einzelnen gelingt vor allem dann, wenn dieser über einen längeren Zeitraum angemessen und konstant vertreten wird. So stehen Minoritätsprozesse häufig für Veränderungen, Wandel und Entwicklungen. Majoritätsprozesse wirken sich stabilisierend und erhaltend aus. 10.8

Führen von Gruppen und Teams

Urs Jörg 10.8.1

10

Die Beeinflussung einer interaktiven Gruppe ist komplexer als das Führen einer einzelnen Person

Führen von Gruppen und Teams: Grundsätzliche Betrachtungen

Im Folgenden werden die Begriffe Gruppe und Team der Einfachheit halber synonym verwendet, da das Geschriebene für beide Formen der Zusammenarbeit gilt. Wo dies nicht gilt, wird explizit darauf hingewiesen. Weil im Kontext von Gruppen- bzw. Teamarbeit mit einer Vielzahl von Kräften und Prozessen zu rechnen ist, sollten Arbeitsgruppen sowohl Gruppenintern und/oder -extern geführt werden. Professionelle Führung kann und muss gewisse Prozesse und Kräfte zielgerichtet beeinflussen, um die Funktionsfähigkeit eines Teams sicherzustellen und das vorhandene Potenzial zu nutzen. Gruppenhandeln ist als mehrstufiger Prozess zu verstehen, der ohne eine Koordination von Individuen und ohne zielorientierte Einflussnahme kaum denkbar ist (Wegge 2004). Die Führung von Gruppen oder Teams und das Führen mehrerer einzelner Personen ist nicht das Gleiche. Die unmittelbare Beeinflussung einer interaktiven Gruppe ist ein komplexeres Unterfangen als die Führung einzelner Personen. Der Gruppenkontext kann zum Beispiel Konflikte verschärfen, die Selbstkategorisierung der beteiligten Individuen als Mitglied ihrer Gruppe anregen, oder wie bereits früher in diesem Kapitel erläutert, zu Motivationsverlusten bzw. -gewinnen führen. Mit der Nutzung von eigenverantwortlicher Gruppenarbeit nimmt die Komplexität, Intransparenz und Eigendynamik von personalen Führungsprozessen deutlich zu. Durch die Teilautonomie der Gruppe verliert die Führungsperson Kontroll- und Einflussmöglichkeiten. Dies kann zum Beispiel zur Folge haben, dass sich ungewünschter Machtmissbrauch in der Gruppe entwickelt. Die Vielfalt und Dynamik der personalen Führungsprozesse in und zwischen Gruppen nimmt bei der Nutzung von Gruppen-

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

arbeit auch zu, da verschiedene Prozesse auf der individuellen Ebene so zusammenwirken können, dass auf Gruppenebene ein neuer Prozess bzw. Wirkfaktor entsteht und weil bestimmte Variablen nur auf Gruppenebene relevant sind, wie zum Beispiel die Gruppengröße oder die Zusammensetzung des Teams (Wegge 2004). Teams dürfen nicht isoliert betrachtet werden, denn die organisationale Einbettung spielt eine wichtige Rolle (Kauffeld et al. 2014). Nach Cummings und Worley (2015) stellt das Team die Verbindung zwischen der Organisation und dem Individuum dar. Somit beeinflusst es, wie und ob organisationale Ziele verwirklicht werden und wie die Organisation als Ganzes wahrgenommen wird. Eine Gruppe oder ein Team verfügt über akkumuliertes Wissen bzgl. der Arbeit und beeinflusst Einstellungen, Werte, Emotionen und nicht zuletzt das Verhalten der jeweiligen Mitglieder in der Organisation. Obwohl heute viel Wissen zu Teams und ihrer Leistungsfähigkeit existiert, ist deren praktische Bedeutung in Organisationen zwiespältig geblieben. Der gesellschaftliche Prozess der Individualisierung schafft ungünstige Voraussetzungen für erfolgreiche Teamarbeit. Der Druck, sich persönlich zu profilieren, motiviert dafür zu sorgen, dass Erfolge dem einzelnen zugeschrieben werden. Bei Misserfolgen ist es in dieser Logik attraktiv, die Verantwortung external, zum Beispiel dem Team zuzuschreiben. Gruppen bildeten für die Eigenlogik hierarchisch-bürokratischer Strukturen immer einen störungsanfälligen Fremdkörper. Gruppe und Hierarchie vertragen sich nur schwer miteinander. Die genannten Faktoren haben dazu geführt, dass das Vertrauen zu teamförmigen Strukturen in komplexen Organisationen bisher wenig entwickelt ist. Trotzdem wird immer wieder auf die Wichtigkeit der Kooperation in Teams hingewiesen (Wimmer 2008). Hingegen nutzen neue, agile Formen der Zusammenarbeit und die Holacracy-Methodik die Teamarbeit sehr intensiv. Weshalb soll trotz der genannten Herausforderungen in Gruppen und Teams gearbeitet werden? Dieser Frage gehen wir im nächsten Abschnitt nach. 10.8.2

Weshalb in Gruppen und/oder Teams arbeiten?

Weshalb soll denn überhaupt in Teams oder Gruppen gearbeitet werden, wenn die Anforderungen an die Führung steigen?

Argumente gegen die Nutzung von Gruppenarbeit in Organisationen (. Abb. 10.3)

Team- bzw. Gruppenarbeit in Organisationen ist eine wichtige Methode, um potenziell ein breites Spektrum an möglichen Leistungsvorteilen zu erzielen. Im Idealfall leistet Teamarbeit einen wichtigen Beitrag zur Effektivität einer Organisation, zum effizienten Einsatz

409

10

Die Komplexität, Intransparenz und Eigendynamik personaler Führungsprozesse nimmt zu

410

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Zunahme der

Schwierigkeit

geringer

Prinzipielle

Komplexität

der Messung

Einfluss auf

Nachteile

der Interaktion

und

Einzelne in

der Arbeit

und große

Bewertung

der Gruppe

in Gruppen

Dynamik der

von Leistung

von Außen

gegenüber

Prozesse

in und von

und höhere

der

in Gruppen

Gruppen

Komplexität

Einzelarbeit

von Führung

vier zentrale Gründe gegen die Einführung von Gruppenarbeit

..Abb. 10.3  Argumente gegen die Nutzung von Gruppenarbeit in Organisationen. (Aus Wegge 2004, S. 67, courtesy of Hogrefe)

10

von Ressourcen, zur Arbeitszufriedenheit und zum Wohlbefinden der Mitarbeitenden, zu höherer Qualität und mehr Innovation. Teammitglieder, die gut zusammenarbeitenden, erfahren einerseits weniger Stress, und das Bedürfnis nach Bindung bzw. Anschluss wird befriedigt; das Gleiche gilt für das Leistungsmotiv (Wegge 2004). Andererseits sind sie ein Schlüssel zur Koordination relativ autonomer Subeinheiten, zur Erledigung komplexer Kundenaufträge, zur Entwicklung neuer Produkte, für bereichsübergreifendes Lernen sowie zur Überwindung der negativen Folgen einer tayloristischen Arbeitsorganisation. Die Treiber für die vermehrte Nutzung von Teamarbeit sind unter anderem: die Entwicklung neuer Informations‑, Kommunikations- und Fertigungstechnologien, die zunehmende Erfordernis der Kooperation verschiedener Experten aufgrund einer wachsenden strukturellen Komplexität und vernetzter Technologien, der Wertewandel mit einem zunehmenden Wunsch der Mitarbeiter nach ganzheitlichen Arbeitsinhalten, die Dezentralisierung von Entscheidungen, vermehrte Verantwortungsübernahme und der Wunsch nach sozialen Beziehungen (Kauffeld 2001).

-

Die genannten Gründe zeigen, dass die Arbeit in Teams zu einer Voraussetzung für das erfolgreiche Agieren von vielen Organisationen geworden ist. Die Einsicht in diese Strukturerfordernis ver-

411

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

vier zentrale Gründe für die Einführung von Gruppenarbeit

steigende

zunehmender

technischer

prinzipielle

Komplexität

Wunsch

Fortschritt

Vorteile

und

nach

mit kürzer

der Arbeit

Dynamik

Selbstver-

werdenden

in Gruppen

des Marktes

wirklichung

Innovations-

gegenüber

und der

bei der Arbeit

zyklen und

der

zugehörigen

mehr Lern-

Einzelarbeit

Prozesse

anforderungen

..Abb. 10.4  Argumente für die Nutzung von Gruppenarbeit in Organisationen. (Aus Wegge 2004, S. 30, courtesy of Hogrefe)

breitert sich zusehends. Die Fähigkeit, sie im Organisationsalltag auch praktisch umzusetzen, ist hingegen vielerorts noch nicht weit entwickelt (Wimmer 2008). Dies trotz neuer Trends von Führung, Organisation und Zusammenarbeit, wie sie zum Beispiel durch „Holacracy“ und „agile“ Ansätze propagiert werden.

Argumente für die Nutzung von Gruppenarbeit in Organisationen

Eine angemessene Führung trägt zu effektiven Teamprozessen und damit zu hoher Arbeitsqualität und Leistung sowie Innovationen bei (. Abb. 10.4). Letzteres wird auch durch ein breites Spektrum an Berufsgruppen in einem Team unterstützt. Teamarbeit fördert im Idealfall die Mitarbeitermotivation, den Einsatz von Fähigkeiten und Expertise. Damit kann sie auch zu kompetenz- und persönlichkeitsförderlicher Arbeits- und Organisationsgestaltung beitragen. Wirksame Teamarbeit kann die Arbeitsbelastung eines einzelnen Teammitgliedes verringern und hat einen Einfluss auf die Reduktion der krankheitsbedingten Abwesenheiten. Dies führt zu einer Senkung der Personalkosten (Borrill et al. 2001). In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Faktoren und Interventionen erläutert, welche Führungskräfte befähigen Gruppen und Teams erfolgreich zu führen. Dieses Wissen und das daraus resultierende Führungshandeln werden aller Voraußicht nach in Zukunft noch wichtiger werden.

10

412

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

10.8.3

10

Die Führung von Gruppen und Teams

Die Team- oder Gruppenführung kann, was oft der Fall ist, einer einzelnen Person zugeteilt werden, welche Teil des Teams sein kann oder außerhalb des Teams agiert, hier im Sinne des klassischen Vorgesetzten. Es ist auch möglich, dass die Führung von unterschiedlichen Teammitgliedern geteilt wahrgenommen wird („shared leadership“) oder nach einem Turnus von Personen wechselnd. Dies ist oft in den sogenannten teilautonomen Arbeitsgruppen der Fall. Zunehmend ist die Rolle der Teamführung darauf ausgerichtet, andere Teammitglieder als Coach zu unterstützen, die Mitarbeitenden zu befähigen oder etwas Bestimmtes zu ermöglichen. Dazu gehört zum Beispiel, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, Teamprozesse zu erleichtern oder andere Teammitglieder zu fördern und ihnen zu helfen, ihre Kompetenzen zu erweitern. Teamführung ist entscheidend für eine wirksame Teamzusammenarbeit. Die Aufgabe der Teamleitung ist es die Potenziale des Teams zu maximieren und die Schwächen zu minimieren. Hauptaufgaben sind, das Team zu managen (Managing), zu coachen (Coaching), das Team zu führen, die Richtung und Vision vorzugeben (Leadership). Egal, ob eine Person diese Aufgabe übernimmt oder die Führungsrolle geteilt wird, wichtig ist, dass sowohl Team wie Teamleitung wissen, wer für welche Aufgaben verantwortlich ist. Regelmäßig sollte geprüft und diskutiert werden, wie gut die Führung und Zusammenarbeit funktioniert und gegebenenfalls Maßnahmen eingeleitet werden, um Verbesserungen zu erzielen (van Dick und West, 2013). 10.8.4

Führung von Gruppen und Teams: grundlegende Erfolgsfaktoren

Bevor wir die Thematik einer etwas gründlicheren Analyse unterziehen und wichtige Aspekte der Teamführung beleuchten, soll an dieser Stelle eine erste Auswahl grundlegender Erfolgsfaktoren dargestellt werden: Individuen sollten das Gefühl haben, einen Beitrag zum Erfolg des Teams zu leisten. Rollen im Team sollten so entwickelt werden, dass die einzelnen Mitglieder einen einzigartigen Beitrag leisten können. Mitglieder fühlen sich dem Team verpflichtet, wenn die Aufgaben kreativ, interessant und herausfordernd sind. Beiträge des Einzelnen zur Teamleistung sollten identifizierbar und somit auch evaluierbar sein. Sowohl bei Individuen, wie auch Teams ist es förderlich über klare, gemeinsame Ziele zu verfügen, so verbessert sich sowohl die Leistung des Einzelnen, wie auch des Teams (Borrill, West, Rees, Dawson, Shapiro, Richards, Carletta, Garrard, 2001). Folgender Überblick fasst wichtige Erfolgsfaktoren zusammen:

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

-

Erfolgsfaktoren erfolgreicher Teamarbeit Individuen sollten merken, dass sie für den Teamerfolg wichtig sind, die Rollen sollten so entwickelt werden, dass sie einen essenziellen, „einzigartigen“ Beitrag ermöglichen. Die individuellen Rollen sollten bedeutsam und in sich „belohnend“ sein. Zudem steigen das Commitment und die Kreativität bei herausfordernden, interessanten Aufgaben. Das Team als Ganzes sollte ebenfalls eine interessante Aufgabe haben, die es zu bewältigen gilt. Individuelle Beiträge sollten identifizierbar und evaluierbar sein. Die betreffenden Personen sollten merken, dass ihr Beitrag nicht nur wichtig ist, sondern durch die anderen Teammitglieder auch wahrgenommen und entsprechend gewürdigt wird. Geteilte, klare und fordernde Teamziele mit eingebautem Feedback zur erbrachten Leistung sind weitere Erfolgsfaktoren. Der organisationale Kontext sollte Teamarbeit fördern und die Teamführung sollte effektiv sein, indem sie unter anderem die oben genannten Punkte berücksichtigt.

10.8.5

Bedingungen für wirksame Gruppen- und Teamarbeit

Um uns einen systematischen Überblick zu verschaffen, welche Faktoren Gruppen- und Teamleistungen mitbestimmen, ist es hilfreich, A. Voraussetzungen (Inputs), B. Prozesse (Process) und C. Ergebnisse bzw. Determinanten (Outputs) zu unterscheiden. Auf dieser Basis kann geprüft werden, welche Komponenten jeweils für eine gegebene Fragestellung relevant sind und wie Führung darauf Einfluss nehmen kann. Untenstehende Abbildung, das Input-Prozess-Output-Modell (IPO-Modell) nach von Dick und West (2013), stellt diesen Sachverhalt vereinfacht dar (. Abb. 10.5).

A. Voraussetzungen (Inputs) In der Logik des hier verwendeten Input-Prozess-Output-Modells wird davon ausgegangen, dass Variablen der Gruppe bzw. des Teams, die Art der zu bewältigenden Aufgabe, der kulturelle sowie der organisationale Kontext, die nachfolgenden Prozesse und somit auch die Ergebnisse bzw. Konsequenzen der Zusammenarbeit maßgeblich bestimmen. Wir sprechen hier von sogenannten Input-

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10

414

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Inputs Gruppenzusammensetzung Gruppengröße Heterogenität Ausbildung und Background

Prozesse

Outputs

Führung

Leistung

Kommunikation Entscheidungsfindung Autonomie

Qualität Quantität

Effizienz Innovation

Art der Aufgabe

Partizipation

Kultureller Kontext

Minderheiteneinfluss

Zufriedenheit und Wohlbefinden der Teammitglieder

Organisationaler Kontext

Kohäsion/Identifikation

Team-Lebendigkeit





..Abb. 10.5  Input-Process-Output-Modell des Teamerfolges. (Aus von Dick und West 2003, S. 31, courtesy of Hogrefe)

variablen. Diese Variablen können effektives Zusammenarbeiten fördern und günstige Voraussetzungen schaffen und sind deshalb anzustreben, gleichzeitig gibt es ungünstige Faktoren bzw. Konstellationen, die es zu vermeiden gilt. Die Führungsperson muss also darauf achten die im Einzelfall günstigen Voraussetzungen zu schaffen.

10

Die Gruppenzusammensetzung Die Größe des Teams und dessen Zusammensetzung sind wichtige Voraussetzungen für eine effektive Zusammenarbeit

Die Gruppen- bzw. Teamgröße hat einen großen Einfluss auf die Zusammenarbeit. Um eine effektive Zusammenarbeit in Gruppen und Teams zu erreichen, sollte die Gruppe nicht zu groß sein. Teams bzw. Gruppen mit mehr als 20 Personen sind schwierig zu führen, der Koordinationsaufwand ist beträchtlich, die Gefahr von Motivations- und Koordinationsverlusten ist hoch und das Risiko von ungewollten Subgruppenbildungen nimmt zu. Für die Praxis bedeutet das, die Teams nach Möglichkeit nicht über 20 Personen anwachsen zu lassen bzw. frühzeitig neue Teams bzw. Gruppen zu bilden. Im Zweifelsfall ist es ratsam, weniger Personen in Gruppen und Teams zusammenarbeiten zu lassen als mehr. Im Sinne von: die Gruppe soll so klein wie möglich und so groß wie nötig sein. Im konkreten Fall ist zu prüfen, welche Anzahl Personen im Idealfall für die zu bewältigenden Aufgaben in einem Team zusammenarbeiten sollen. Dies auch unter Berücksichtigung der Frage, welche Kompetenzen, Rollen etc. im Team vorhanden sein müssen bzw. wahrgenommen werden sollten. Die Homogenität bzw. Heterogenität der Teammitglieder ist ein weiterer wichtiger Inputfaktor und beeinflusst die Kooperation bzw. Effektivität eines Teams maßgeblich. Heute arbeiten in den meisten Organisationen, Menschen verschiedener Generationen, mit unterschiedlichen kulturellen und/oder religiösen Hintergründen, unterschiedlichen Bildungs- und Sozialisationsbiographien um nur einige Merkmale, welche die Heterogenität bzw. die Diversität von Gruppen und Teams beeinflussen zu nennen. Grund-

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

sätzlich lässt sich nicht bestimmen, ob es generell zielführender ist eine eher homogene oder eher heterogene Gruppe zu bilden. Auch hier stellt sich die Frage, welche Konsequenzen die Diversität des Teams mit sich bringt und welche davon gewünscht oder eher unerwünscht sind; immer auch im Hinblick auf die zu erfüllenden Aufgaben. Generell kann festgehalten werden, dass heterogene Gruppen anfälliger für Differenzen sowohl auf der Sach- als auch auf der Beziehungsebene sind. Die Konfliktgefahr nimmt also mit der Heterogenität einer Gruppe zu. Andererseits fördert Heterogenität meist kreativere, bessere Problemlösungen und Entscheidungen sowie Innovation. Ob eine heterogene oder homogene Gruppe bzw. Team zielführender ist, hängt unter anderem von der Art der Aufgabe, den organisationalen Rahmenbedingungen und auch von der Fähigkeit der Teamleitung ab, durch geschickte Führung vor allem die Vorteile der Heterogenität zu nutzen und die Nachteile zu minimieren. Eine zentrale Frage ist dabei, ob das Team über die erforderlichen Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kompetenzen und das nötige Wissen verfügt. Als Führungskraft gilt es dafür zu sorgen, dass diese Frage mit ja beantwortet werden kann. Dies wird durch eine entsprechende personelle Zusammenstellung erreicht oder durch Entwicklungsmaßnahmen auf der Ebene einzelner Personen oder der Gruppe. Es gilt zu bedenken, dass dabei nicht nur „klassische“ Aspekte, wie Ausbildung, berufliche Qualifikation etc. relevant sind, sondern auch unterschiedliche Persönlichkeitstypen, Motivdispositionen oder Rollenpräferenzen einen Einfluss haben. Aufgrund der genannten Aspekte sind folgende Leifragen hilfreich bei der Auswahl geeigneter Personen: Welche Erfahrung bzgl. Teamarbeit bringt die Person mit? Wie motiviert ist die Person in einem Team zu arbeiten? Welche besonderen Fähigkeiten zur Teamarbeit bringt die Person mit? Welche Teamrollen bevorzugt die betreffende Person? Wie gut passen diese bevorzugten Teamrollen zum betreffenden Team? Wie gut passen die persönlichen Motive zur Teamarbeit? Wie gut passt die „Persönlichkeit“ zu Teamarbeit bzw. zum betreffenden Team?

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Generell lässt sich festhalten, dass der jeweils richtige Mix entscheidend ist. Extravertierte, offene Personen sind eher für die Arbeit in Gruppen und Teams geeignet. Gegebenenfalls kann es hilfreich sein, eine eher vorsichtige Person, welche vor Risiken warnt, im Team zu haben (von Dick und West 2013). Natürlich spielt auch die Akzeptanz durch die anderen Teammitglieder und die generelle Passung ins Team eine Rolle. Um diese beiden Punkte zu berücksichtigen, ist es angebracht, die bestehenden Teammitglieder am Auswahlprozess zu beteiligen. Dies kann bis zur Delegation der abschließenden Entscheidung ans Team ge-

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

hen. Die Führungsperson ist hier gefordert, einen angemessenen Prozess sicherzustellen. Bestimmte Vorbedingungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit erfolgreicher Gruppen- und Teamarbeit

Art der Aufgabe Ein weiterer wichtiger Inputfaktor bzw. eine Vorbedingung für die erfolgreiche Nutzung von Gruppen- bzw. Teamarbeit ist die Art der Aufgabe und weitere Kontextbedingungen, welche die Aufgabe oder im Sinne des soziotechnischen Systemansatzes ausgedrückt, welche die Erbringung der „primary task“ maßgeblich beeinflussen (Wegge 2004). Dazu ein Überblick. Vorbedingungen für die erfolgreiche Nutzung insbesondere eigenverantwortlicher Formen von Gruppenarbeit in Organisationen. (Aus Wegge 2004, S. 93, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

10

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Hohe Dynamik und Unsicherheit des Marktes (Käufermärkte) Hohe Ansprüche an die Informationsverarbeitung (Lernen) und hohe Entscheidungserfordernisse im Aufgabenvollzug Hohe Kooperationsanforderungen seitens der zu verwendenden Technik bei der Ausführung von Aufgaben Hohe Kooperationsanforderungen seitens der Aufgabe selbst Hohe Komplexität (und gleichzeitige Teilbarkeit) von Aufgaben Gefahr der Fehlbeanspruchung ohne die Nutzung von Arbeitsteilung Hohe Ansprüche an die Innovation von Produkten und Dienstleistungen Hohe Ansprüche an die Schnelligkeit und Qualität von Leistungen Personal mit stark ausgeprägten Bedürfnissen nach Zusammenarbeit und nach Selbstverwirklichung bei der Arbeit Personal mit unterschiedlichen Fertigkeiten gemäß der zu erfüllenden Teilaufgaben, die bei der Artteilung von Aufträgen resultieren Eine Unternehmenskultur, die für Gruppenarbeit offen ist Ausreichende Ressourcen zur Deckung des organisatorischen Mehraufwands bei Nutzung von Gruppenarbeit

Kultureller Kontext

Teams und Gruppen werden durch die darin zusammenarbeitenden Menschen geprägt. Diese wiederum sind stark durch ihre jeweiligen Herkunftskulturen und durch den aktuellen kulturellen Kontext beeinflusst. Das Berücksichtigen kultureller Rahmen-

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

417

10

bedingungen und Unterschiede ist sinnvoll. Dadurch gelingt es leichter das Verhalten der Teammitglieder „richtig“ zu verstehen und ein auf den ersten Blick unverständliches und scheinbar unpassendes Verhalten einzuordnen (van Dick und West 2013). Kulturelle Unterschiede sind selbstredend auch eine Dimension der Heterogenität mit den entsprechenden Vor- und Nachteilen. Teamund Gruppenarbeit ist in unterschiedlichen Kulturen auch unterschiedlich zu gestalten, um eine zielführende Zusammenarbeit zu erreichen. Die Kulturdimensionen nach Hofstede (2005) können dazu eine erste Orientierung geben und Hinweise liefern, wie den kulturellen Eigenheiten konstruktiv zu begegnen ist. In 7 Kap. 19 wird vertieft auf die interkulturelle Thematik eingegangen.

Organisationaler Kontext Hier geht es um die Frage, welche Rahmenbedingungen und Unterstützung für Teamarbeit die Organisation bereithält. Einige Aspekte zur Gruppenzusammensetzung sind direkt mit dem organisationalen Kontext verbunden. Zum Beispiel die Selektion der Mitarbeitenden kann mehr oder weniger auf die Bedürfnisse von Gruppen und Teams abgestimmt sein. Nach Hackman (1990) sind unter anderem folgende, nach wie vor gültigen Faktoren wichtig, wenn Gruppenarbeit gefördert werden soll: Das Belohnungs- bzw. Anreizsystem muss auf die Teamarbeit abgestimmt sein. Informationen und Feedback müssen auch auf Gruppenebene funktionieren. Trainingsmöglichkeiten, welche die spezifischen Bedürfnisse von Gruppen und Teams berücksichtigen, müssen vorhanden sein.

-

Die Organisation muss Team- und Gruppenarbeit grundsätzlich unterstützen und entsprechende Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, damit das volle Potenzial ausgeschöpft werden kann

Zusätzlich sollten die Organisationsstrukturen auf die Teamarbeit abgestimmt sein und eine Organisationskultur vorherrschen, welche die Arbeit in Teams erleichtert bzw. fördert.

B. Prozesse Im Input-Prozess-Output-Modell beschreiben die Prozesse, welche Mechanismen und Vorgänge auf der Basis der vorhandenen Voraussetzungen zu bestimmten Outputs, also Ergebnissen führen. Ziel hierbei ist es, möglichst günstige Ergebnisse zu erzielen. Dabei spielen zielführende Prozesse eine zentrale Rolle. Sie können auch auf einer eher ungünstigen Basis einen Beitrag dazu leisten, dass die Ergebnisse im erwünschten Rahmen ausfallen. Es gilt die Wirkung nachteiliger Inputs zu minimieren und günstige Inputs maximal zu nutzen. Die im I-P-O-Modell von von Dick und West (2013) genannten Prozesse werden im Folgenden erläutert.

Die Prozesse transformieren die Inputs in Ergebnisse

418

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Führung Führung beeinflusst die Gruppenleistung maßgeblich; transformationale Führung führt zu höheren Gruppenleistungen

10

Die Führung beeinflusst die Gruppenleistung maßgeblich. Dabei werden an die Führung vielfältige Ansprüche gestellt. Führung muss besonders im Kontext von Gruppen- und Teamarbeit verschiedene Aspekte beachten und die Zusammenarbeit auf vielen Ebenen erleichtern bzw. ermöglichen, um das vorhandene Potenzial zu nutzen. Es konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass durch gemeinsam mit dem Team vereinbarte herausfordernde Teamziele die Teamleistung gesteigert wird (Wegge 2004). Das Gleiche gilt für die transformationale Führung. Transformationale Führung führt sowohl zu höheren individuellen Leistungen wie auch zu höheren Gruppenleistungen (7 Kap. 6). Nach von Dick und West (2013) lassen sich verschiedene Führungsrollen unterscheiden, die erfolgreiche Team- bzw. Gruppenführung ausmachen (. Tab. 10.2). Diesen Rollen bzw. Funktionen sind bestimmte Aufgaben und damit verbundene Fähigkeiten zugeordnet. . Tab. 10.2 liefert dazu einen Überblick. Dieselben Autoren (von Dick und West 2013) unterscheiden bei der Teamarbeit drei Hauptgruppen von Führungsaufgaben, welche unterschiedlichen Nutzen stiften können und die auch in der Führung von einzelnen Personen zum Einsatz kommen.

..Tab. 10.2  Rollen und Aufgaben der Teamleitung. (Aus von Dick und West 2013, S. 32; nach West 2012, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons, und Krüger 2013, mit freundlicher Genehmigung von Haufe) Rolle

Aufgaben

Fähigkeiten

Koordinator

Ziele klären und vereinbaren, Arbeitsteilung und Prozesse organisieren, auf Zeiten achten, Abstimmungen mit anderen vornehmen

Verzichtet auf Dominanz, muss verbindlich aber hartnäckig sein

Moderator

Jeden zu Wort kommen lassen, Probleme in der Kommunikation erkennen und lösen, Zwischenergebnisse festhalten

Visualisieren können, neutral bleiben können, zusammenfassen und den roten Faden behalten können

Berater

Klären von Beziehungsproblemen zwischen Teammitgliedern, Fach- und Methodenfragen

Gesprächsführungstechniken beherrschen (z. B. aktives Zuhören), Alternativen aufzeigen können

Konfliktmanager

Rollenkonflikte lösen

Kommunikationsstrukturen und -probleme analysieren können, Grundverständnis von Mediationstechniken

Darsteller

Ergebnisse und Erfolge des Teams nach außen darstellen

Visualisieren, sprechen und überzeugen können

Repräsentant

Teaminteressen gegenüber Organisation und anderen Teams vertreten

Selbstbewusstsein

Verhandlungsführer

Über Ressourcen wie Zeit, Geld, Ausstattung mit der Organisation verhandeln können

Realistisch sein können, Verhandlungsstrategien beherrschen

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

419

10

1. Management: meint hier in erster Linie planen und organisieren. Konkret geht es um das klären und bestimmen von Strategie, Zielen, Prozessen, Strukturen, Aufgaben und Rollen. Die Teamzusammenstellung, Koordination und Abstimmung gehört ebenfalls zu dieser Gruppe. Auswertung und Feedback zu den Leistungen und Beiträgen auf individueller und auf Teamebene komplettieren diesen Bereich. 2. Führung: Führen bedeutet hier Visionen entwickeln und Menschen dafür begeistern, Vorbild sein, Krisen bewältigen und die Interessen der Gruppe nach innen und außen vertreten. Hilfreiche Rahmenbedingungen schaffen und die ganze Palette transaktionaler- und transformationaler Führung gehört ebenfalls dazu. 3. Coaching: als Hilfe zur Selbsthilfe geht es hier darum, dass die Führungsperson einzelne Teammitglieder oder die ganze Gruppe bei der Bearbeitung herausfordernder Situationen unterstützt und berät. Vor allem Fragetechniken sind hier wichtig, um das vorhandene Wissen und Können zu aktivieren und ein „Aus-sich-selbst-heraus-Entwickeln“ zu ermöglichen. Die Führung von Gruppen und Teams kann unterschiedlich wahrgenommen werden (Kriz und Nöbauer 2008). Zum Beispiel in Form eines traditionellen Vorgesetzten, durch einen externen Coach oder durch eine teaminterne (eventuell gewählte) Person bis hin zu verteilter Führung, bei der mehrere Personen spezifische Führungsaufgaben bzw. Rollen übernehmen. Im Falle des traditionellen Vorgesetzten wird die Führungskraft meist durch das Management eingesetzt und ist meist wenig in die Teamarbeit eingebunden. Der externe Coach oder Facilitator unterstützt die Gruppe hin zur Selbststeuerung, während eine teaminterne Führungsperson als Teil des Teams in die tägliche Arbeit der Gruppe eingebunden ist und zusätzlich Führungsaufgaben übernimmt oder, die Führungsaufgaben werden im Falle der verteilten Führung von mehreren Personen wahrgenommen. Trotz unterschiedlicher Führungsmodelle sind die oben erwähnten Aufgaben und Rollen wahrzunehmen, um eine erfolgreiche Zusammenarbeit sicher zu stellen und den gewünschten Output zu realisieren. Die beiden Aufgaben von Gruppen- bzw. Teamführung, nämlich die Kohäsion (Zusammenhalt) der Gruppe zu fördern bzw. aufrecht zu erhalten und die Lokomotion (Voranbringen der Gruppe zu erfolgreichen Aufgabenerfüllung) sicherzustellen, bleiben unabhängig vom angewendeten Führungsmodell bestehen.

Kommunikation Ein weiterer Schlüssel zur erfolgreichen Zusammenarbeit in Gruppen und Teams ist eine effektive Kommunikation innerhalb des Teams. Nach Blakar (1985, zitiert nach von Dick und West 2013)

Die Führung von Gruppen und Teams kann unterschiedlich wahrgenommen werden

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Effektive Kommunikation im Team ist ein Schlüssel zum Erfolg

sind fünf Voraussetzungen wichtig, um eine effektive Kommunikation im Team zu gewährleisten. 1. Die Teammitglieder verfügen über den Willen und die Motivation zu einer effektiven Kommunikation untereinander. 2. Die Teammitglieder haben eine „gemeinsame Realität“ bzw. ein geteiltes mentales Modell gekoppelt mit einer gemeinsamen Sprache. 3. Die Teammitglieder sind in der Lage die Perspektiven der anderen sowohl sachlich wie auch emotional einzunehmen. 4. Es existieren gemeinsame verbindliche Regeln wie und was kommuniziert wird. Konkret besteht ein Einverständnis, welche Kanäle wie benutzt werden und welche Formalisierungen gelten. 5. Störungen einer der vier genannten Punkte werden frühzeitig erkannt, thematisiert und eine Lösung gefunden.

Entscheidungsfindung, Problemlösung

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Die Team- oder Gruppenarbeit bringt bezüglich der Entscheidungsfindung und Problemlösung Eigenheiten mit sich, die zu berücksichtigen sind. Der Vorteil einer Gruppe ist, dass das Wissen, die Erfahrung und das Können mehrerer Personen genutzt werden können. Damit dies gelingt, ist es wichtig, das einzigartige Wissen der einzelnen Beteiligten zu integrieren. Gruppen neigen dazu, vor allem Informationen und Wissen zu nutzen und zu diskutieren, das von allen geteilt wird. Das spezifische Wissen, welches einzelnen Personen vorbehalten ist, wird meist (zu) wenig genutzt. Hier kommt der Moderation von Entscheidungs- und Problemlöseprozessen eine wichtige Bedeutung zu. Es gilt nämlich das ungeteilte Wissen anzuzapfen und für die Aufgabe nutzbar zu machen. Dazu gehört, den einzelnen Personen genügend Raum und Zeit zur Verfügung zu stellen, um ihre Sicht verständlich darzulegen und auch abweichende Meinungen und Ansichten zu würdigen und auf ihre Nützlichkeit hin zu prüfen. Da Gruppen insgesamt zu risikoreicheren Entscheidungen neigen als Einzelpersonen, ist diesem Aspekt besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Gruppen können durch die enge Zusammenarbeit transaktive, also personenübergreifende Gedächtnis- und Wissensstrukturen aufbauen, die für eine zielführende und effiziente Problemlösung und Entscheidungsfindung genutzt werden können. Durch zeitnahes und informatives Feedback, können in Gruppen und Teams Lernprozesse auf der Gruppen- und der individuellen Ebene ausgelöst werden, die bei einer individuellen Arbeit so nicht möglich wären. Führungsaufgabe ist es, diese Prozesse insgesamt angemessen zu steuern bzw. steuern zu lassen, um den Vorteil der Gruppe auch tatsächlich zu nutzen und Nachteile zu minimieren.

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

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Autonomie

Damit eine Gruppe ihr Potenzial entfalten kann, muss sie über ein angemessenes Maß an Autonomie verfügen. Damit ist gemeint, dass Fragen der Arbeitsteilung, der Prozessgestaltung und der Aufgaben- bzw. Rollengestaltung innerhalb der Gruppe geklärt und auch entschieden werden können. Hier ist zu beachten, dass die Gruppe in der Lage sein sollte, die vorhandenen Freiräume konstruktiv zu nutzen. Die Voraussetzung dazu ist, dass sowohl das notwendige Wissen und Können vorhanden sind und die Mitarbeitenden auch motiviert sind, die entsprechende Verantwortung zu übernehmen und die Freiräume zu nutzen. Nicht zuletzt muss dem Team dazu auch explizit die Erlaubnis gegeben werden. Die Führungskraft hat dafür zu sorgen, dass diese Bedingungen erfüllt sind bzw. bei erkennbaren Defiziten entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. Autonomie bzw. Handlungsspielraum wirkt sich positiv auf die Motivation und den Gesundheitszustand der betreffenden Mitarbeitenden aus (vgl. dazu auch Wegge 2004; Hackman und Oldham 1980; Semmer et al. 1996).

Angemessene Freiheitsgrade sind wichtig damit die Gruppe ihr Potenzial entfalten kann

Partizipation Die Beteiligung der Mitarbeitenden an wichtigen Entscheidungen ihre Arbeit betreffend, ist ein weiterer wichtiger Prozessfaktor, welcher im günstigen Fall zu einer konstruktiven Zusammenarbeit und hohen Leistungen führt. Insbesondere die Beteiligung an der Definition und der Vereinbarung von Zielen hat laut Wegge (2004) positive Auswirkungen auf die Gruppenleistung. Generell kann gesagt werden, dass eine angemessene Partizipation der Mitarbeitenden sich positiv auf die Gruppenprozesse auswirkt. Zu vermeiden gilt in jedem Fall eine sogenannte Pseudopartizipation, welche zu Frustration und zu Demotivation führt, da die Mitarbeitenden nur scheinbar beteiligt werden. Nach Wegge (2004) sind fünf Voraussetzungen für eine erfolgreiche personale Partizipation in Organisationen von Bedeutung. 1. Gegenseitiges Vertrauen der beteiligten Parteien. 2. Soziale Kompetenzen der Vorgesetzten und Mitarbeitenden. 3. Verlässliches Wissen muss vorhanden sein und wird geteilt bzw. ausgetauscht. 4. Nutzung eines klugen Konfliktmanagements. 5. Der Wunsch nach Partizipation ist bei allen Beteiligten vorhanden. An dieser Stelle soll auch auf die möglichen Nachteile bzw. Gefahren der personalen Partizipation in Organisationen kurz eingegangen werden. Nach Wegge (2004) sind die wichtigsten Punkte: zusätzliche Kosten aufgrund des Zeitaufwands und nötiger Schulungen Fehlentscheidungen aufgrund des Austauschs unverlässlichen Wissens

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Partizipation ist ein wichtiger Prozessfaktor in Gruppen und Teams

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

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Anregung von unrealistischen Erwartungen und nachfolgende Enttäuschungen aufgrund des Ausbleibens des Erhofften Angst vor Machtverlusten bei den Vorgesetzten (Führungsschwäche) Gefahr des Vorwurfs der „Pseudopartizipation“ (Täuschung) keine Verantwortungsübernahme bei Kontrollablehnung Unlust aufgrund von Neulernen und Angst vor Blamage Gefahr der Konflikteskalation und Auftreten von Reaktanz unklare Verantwortungszuschreibung bei Gruppenentscheidungen Entstehen von Gruppendruck bei gemeinsamen Entscheidungen

Auch hier gilt, dass die Führung gefordert ist, eine angemessene Partizipation zu ermöglichen und die Vorteile derselben zu nutzen, bei gleichzeitiger Minimierung der potenziellen Nachteile.

Minderheiteneinfluss Dieser Aspekt knüpft an die Themen Problemlösen und Entscheiden sowie Partizipation im Gruppenkontext an und steht in Bezug zum Diversitythema. Durch die Phänomene des „Groupthink“ und des Konformitätsdruckes, der mehr oder weniger in Gruppen oder Teams herrscht (Janis 1982), steigt die Gefahr suboptimale Entscheidungen zu treffen und wichtige Aspekte aus den Überlegungen auszuklammern. Minderheiten, welche durch abweichende Meinungen gekennzeichnet sind, können durch ihre Beiträge zu einer besseren, elaborierteren Informationsverarbeitung beitragen und dadurch die Gruppenleistung verbessern. Durch die Diskussion unterschiedlicher Standpunkte und Perspektiven, werden kreativere und bessere Entscheidungen bzw. Lösungen gefunden. Führungspersonen haben deshalb den Auftrag, den Meinungen und Ansichten von Minderheiten angemessenes Gehör zu verschaffen und für ein Klima der Offenheit gegenüber unterschiedlichen Sichtweisen zu sorgen.

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Kohäsion/Identifikation Hohe Identifikation und Kohäsion führt zusammen mit anspruchsvollen Zielen zu höheren Leistungen

Die Gruppenkohäsion bezeichnet die Intensität des Zusammenhaltes in einer Gruppe. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beeinflusst die soziale Identität, welche Teil des Selbstkonzeptes eines Menschen ist und affektive wie auch kognitive Aspekte umfasst. Die kognitiven Aspekte beinhalten unter anderem das Wissen um die Gruppenzugehörigkeit und Gruppennormen, die affektiven Aspekte beziehen sich auf den emotionalen Wert, einer bestimmten Gruppe anzugehören. Menschen möchten attraktiven, im Vergleich zu anderen besser dastehenden Gruppen angehören, um ihren Selbstwert zu steigern. Eine hohe Kohäsion und Identifikation führt in Kombination mit anspruchsvollen Zielen und

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

entsprechenden Gruppennormen zu höheren Leistungen (Wegge 2004). Zudem steigt die Anstrengung der Mitglieder, wenn es darum geht im Vergleich zu anderen Gruppen bessere Ergebnisse zu erzielen, sofern dies dem Anspruch der Gruppe als solches entspricht. Führungspersonen können durch kluge partizipative Zielsetzungen und durch das Anregen hoher Leistungsstandards gepaart mit Maßnahmen, welche den Gruppenzusammenhalt und die Identifikation steigern, die Teamleistung erhöhen.

C. Outputs Outputs oder Ergebnisse sind die dritte Kategorie des InputProcess-Output-Modells und beinhalten alle Ergebnisse bzw. Konsequenzen der vorgängigen Stufen Input und Prozesse. Der Output kann anhand verschiedener Kriterien gemessen werden. Typischerweise werden Leistungen in Form von Qualität und/oder Quantität gemessen (van Dick und West 2013). Die Leistung ist auf individueller oder kollektiver Ebene messbar. Hier geht es in erster Linie um die Leistung auf Gruppen- bzw. Teamebene, obwohl die beiden Ebenen voneinander abhängig sind. Oft werden ausgewählte Aspekte der Gesamtleistung erhoben. Beispiele dafür sind Fehlerraten, Geschwindigkeit, Ressourcenverbrauch usw. Grundsätzlich muss geklärt sein, welche Leistungskriterien relevant sind und wie sie gemessen werden. Es muss auch klar sein, wie sie gewichtet werden. Das ist eine Führungsaufgabe. Weiter können nach Borman und Motowidlo (1993) Leistungen danach unterschieden werden, ob sie den an die Rolle gestellten Erwartungen entsprechen („in-role-performance“) oder darüber hinausgehen („contextual-performance“). Bei „contextual performance“ oder auch „extra-role performance“ handelt es sich um Leistungen, die nicht explizit erwartet werden und als Zusatzengagement gelten, wie z. B. das Einbringen neuer Ideen zur Optimierung von Produkten, Prozessen oder Dienstleistungen (van Dijk et al. 2012).

Wie werden diese gewürdigt bzw. gemessen? Müssen Outputs kontinuierlich erfolgen z. B. in Form von Produktivität oder können sie auch schwanken, indem sich Phasen des Lernens und Entwickelns mit Phasen der Produktivität im engeren Sinne abwechseln (Yukl 2012)? Diese Fragen müssen geklärt und periodisch geprüft werden. Auch dabei handelt es sich um eine Führungsaufgabe. Das Wohlbefinden und die Zufriedenheit der einzelnen Teammitglieder und der Gruppe als Ganzes sind weitere wichtige Kriterien, die sich teilweise in Zahlen zur Fluktuation und Fehlzeiten niederschlagen. Bei Schlüsselpersonen oder -teams ist dieser Aspekt besonders wichtig. Kurzfristig ist es möglich, dass Teams auf hohem Niveau arbeiten ohne diese Punkte zu berücksichtigen, aber nicht auf Dauer. Sonst kann es neben erhöhten Fehlzeiten oder Fluktuation vermehrt zu Fehlern und/oder Kon-

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10

424

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

flikten kommen. Zudem kann bei mangelnder Berücksichtigung der Mitarbeitendenbedürfnisse der Stresslevel steigen, mit den damit einhergehenden unerwünschten Nebeneffekten. Im Endeffekt würden sich solche unerwünschten Outputs auf andere Aspekte auswirken und die eigentliche Arbeitsleistung gefährden. Die Nachhaltigkeit und Harmonie der Zusammenarbeit entscheidet unter anderem darüber, ob die betroffenen Menschen gerne im Team mitarbeiten und das auch künftig tun möchten.

-

>>Führungsaufgabe ist demnach, dafür zu sorgen, dass

die zu erreichenden Outputs tatsächlich erreicht werden und deren Messung klar ist, dass die Ergebnisse nicht auf Kosten anderer wichtiger Aspekte erzielt werden.

..Abb. 10.6  © 2018 by Tobias Leuenberger

10

Dazu müssen die Ergebnisse nicht nur gemessen, sondern auch regelmäßig mit dem Team diskutiert werden, um auch andere Gesichtspunkte zu beachten. Die Ergebnisse der Messungen und der Diskussionen müssen zur Steuerung von Input und Prozessen und deren Optimierung genutzt werden. Diese Sichtweise entspricht weitgehend dem soziotechnischen Organisationsverständnis. 10.8.6

..Abb. 10.7  © 2018 by Tobias Leuenberger

..Abb. 10.8  © 2018 by Tobias Leuenberger

Ziel ist, die Entwicklungsphasen nachhaltig zu durchlaufen, um in die Performingphase zu kommen und dort möglichst zu bleiben

Führung in Gruppen und Teams: spezifische Ansätze

Führung in den verschiedenen Teamphasen nach Tuckman

Wie weiter oben bereits beschrieben, durchlaufen Gruppen und Teams über die Zeit hinweg typischerweise fünf Phasen, welche Tuckman (1965) beschrieb. Diese von Tuckman als Forming, Storming, Norming, Performing und Adjorning bezeichneten Phasen zeichnen sich durch spezifische Charakteristika aus. Die fünfte, sogenannte Auflösungsphase bzw. Adjorningphase wurde später eingeführt und ist vor allem für zeitlich begrenzte Zusammenarbeit, wie sie typischerweise in Projekten vorkommt, relevant. Um die jeweiligen Phasen erfolgreich zu durchlaufen und dadurch eine höhere Leistungsfähigkeit der Gruppe zu erreichen, ist ein daran angepasstes Führungsverhalten sinnvoll. . Tab. 10.3 liefert dazu eine Übersicht, den jeweiligen Entwicklungsphasen ist sowohl förderliches wie hinderlicheres Führungsverhalten zugeordnet. Ziel der Teamführung ist, die jeweilige Teamphase konstruktiv zu bewältigen und möglichst die Performingphase zu erreichen. Die von Tuckman postulierten Phasen sind in ihrer Zeitdauer nicht definiert. Während eine Gruppe die Phasen relativ rasch

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

durchlaufen kann um innert einiger Tage oder Wochen in der Performingphase anzukommen, kann der Prozess bei einer anderen Gruppe sehr lange dauern. Dabei ist es auch möglich, dass die Gruppe gar nie über bestimmte Phasen hinauskommt. Zudem ist es auch möglich, dass Gruppen auf eine frühere Entwicklungsstufe zurückfallen. Dies kann funktional sein, wenn zum Beispiel nach einiger Zeit in der Performingphase die Gruppe bemerkt, dass aufgrund geänderter Bedingungen die Art der Zusammenarbeit grundlegend überdacht werden muss, um auch in Zukunft eine hohe Leistung erbringen zu können. Nach dieser Neuorientierung wird die Gruppe wieder eine hohe Leistung abrufen können. Allerdings kann es auch vorkommen, dass auftretende Konflikte oder ungünstige Rahmenbedingungen eine Gruppe zurückwirft und lange oder dauerhaft eine hohe Leistung verunmöglicht wird. Die Führung, wie auch immer sie strukturiert ist, ist gefordert, konstruktiv mit diesen Entwicklungen und Dynamiken umzugehen.

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10

..Abb. 10.9  © 2018 by Tobias Leuenberger

Shared Leadership Von der vertikalen Führung kann die laterale Führung unterschieden werden, welche unmittelbar aus der Gruppe hervorgeht und lateral unter Kollegen stattfindet. Definition  Shared Leadership beschreibt einen Führungsansatz innerhalb von Arbeitsgruppen mit dem Ziel gegenseitiger Führung zur Erreichung der Gruppen- oder Organisationsziele. Die Führung ist über ein Team verteilt (Pearce und Manz 2005), sodass mehrere, wenn nicht sogar alle Teammitglieder Führungsaufgaben übernehmen (Carson et al. 2007). Damit unterscheidet sich der Ansatz der geteilten Führung von dem der vertikalen Führung, in der nur eine einzelne Person Einfluss auf andere ausübt (Pearce und Sims 2002). 

Unter dem Begriff „shared leadership“ wird in der Managementliteratur aktuell die Implementierung lateraler Führung intensiv diskutiert und propagiert (Pearce und Sims 2002; Ensley et al. 2003, Carson et al. 2007). Gerade in Teams, so wird berichtet, fördern formale Gleichberechtigung bzw. laterale Führungsstrukturen die Leistung. In diesem Abschnitt soll das Konzept der geteilten Führung und dessen Relevanz für die Führung von Gruppen und Teams näher beleuchtet werden. Selbstverständlich gilt es in der Praxis aufgrund der organisationalen Situation zu prüfen, ob eher hierarchische oder laterale Kooperationsbeziehungen erfolgsversprechend erscheinen. Dabei ist zu fragen, wie sich die jeweilige Form der Zusammenarbeit auf die Vertrauens‑, Verständigungsund Machtprozesse auswirken wird. Laterales Führen basiert nach

Definition: Shared Leadership

10

Forming

– Aufgabe und Ziele gemeinsam klären – Eigene Rolle und Erwartungen klären – Spielregeln der Zusammenarbeit vereinbaren – Zeit für Kennenlernen und Kommunikation einberechnen – Arbeitsfähigkeit unterstützen (Teamentwicklung) – „Wir Gefühl“ ermöglichen

– Eigene Rolle nicht definieren – Sofort in die Aufgabenbearbeitung einsteigen statt sorgfältige Ziel- und Ergebnisklärung – Zu wenig Zeit für Kommunikation geben – Team „bemuttern“ oder bevormunden

Phase

Förderliches ­Führungsverhalten

Hinderliches ­Führungsverhalten

– Harmoniebedürfnis der Team zu stark unterstützen – Zu stark führen – Führung vernachlässigen – Zu viel Nähe zum Team

– Fokus auf Leistung und Ergebnis richten, Zwischenresultate „feiern“ – Latente/verdrängte Konflikte thematisieren – auf Einhaltung der Regeln achten – Arbeitsfähigkeit und Selbständigkeit im Team nutzen und fördern (Delegieren) – Controlling beibehalten – Meinungsvielfalt unterstützen

– Konflikte früh erkennen und thematisieren – Präsent sein, eigene Rolle und Erwartungen klar machen – allparteilich bleiben – Fokus auf Aufgabenstellung, Ziele und Ergebnis legen, Emotionales jedoch zulassen – Aktiv Zuhören, Kritik ernst nehmen – Formen der Zusammenarbeit klären, Spielregeln evtl. neu definieren – Sich zurückziehen, heraushalten oder verteidigen – Beziehungsebene zu stark gewichten – Polarisierungen im Team unterstützen, Machtspiele mitspielen – Zu schnelle Lösungen und Entscheide fällen

Norming

Storming

..Tab. 10.3  Teamentwicklungsphasen nach Tuckman (1965) und Führungsverhalten (mit freundlicher Genehmigung der APA)

– Zu starke Führung und „Kontrollitis“ – Keine Zeit mehr für Team aufwenden – Ergebnisse bloss zur Kenntnis nehmen – Arbeitsprozess nicht reflektieren – Keinen „Abschluss der Zusammenarbeit“

– Selbständigkeit des Teams unterstützen und nutzen und Ressourcen optimal einsetzen – Partnerschaftliche Führung – „Kontrolle aus Distanz“, Überblick behalten – Ergebnisse und Leistungen anerkennen, wertschätzen und „kritisieren“ – Anleitung zur Selbstreflexion bezüglich Ergebnis und Arbeitsprozess

Performing

426 Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

Kühl und Mathiesen (2012) auf den drei Wirkmechanismen Vertrauen, Macht und Verständigung. Bei der Verständigung geht es darum, die mentalen Modelle des Gegenübers zu verstehen und gleichzeitig anschlussfähige neue Perspektiven einzubringen, um die gemeinsame Sicht so zu entwickeln, dass neue Handlungsoptionen erschlossen werden. Gegenseitiges Vertrauen kann zum Beispiel durch Vorleistungen einer beteiligten Person erreicht werden, wenn dieses Vertrauen später erwidert wird oder zumindest nicht missbraucht wird. Macht spielt auch bei lateralem Führen eine wichtige Rolle. Sie zeigt sich nicht in der Form hierarchischer Anweisungen, sondern nutzt andere Machtquellen. Macht entsteht zum Beispiel durch Kontrolle der internen oft informellen Kommunikation, den Einsatz von Expertenwissen oder die geschickte Nutzung von internen und externen Netzwerken (Kühl und Mathiesen 2012). Nach Kauffeld et al. (2014) hat sich die Führungsforschung traditionell auf individuelle Führungskräfte und vertikale Organisation von Arbeitsaufgaben konzentriert. Die Arbeits- und Organisationsstruktur vieler Organisationen hat sich allerdings in den letzten Jahren massiv verändert. Organisationen sind zunehmend durch komplexe und dringliche Problemstellungen gefordert. In einer durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt, ist es ein Vorteil, wenn die Synergien verschiedener personaler Kompetenzen genutzt werden. Das bietet zum Beispiel die Teamarbeit. In Organisationen wird zudem besonders bei wissensbasierter Arbeit auf Teams zurückgegriffen (Wegge 2004). Vermehrt wird in Projektgruppen, teilautonomen und virtuellen Teams gearbeitet. Alle diese Entwicklungen machen es einer einzelnen Person sehr schwer bis praktisch unmöglich, die Führungsaufgaben in vielen verschiedenen, komplexen Arbeitssituationen angemessen wahrzunehmen und anstehende Probleme effektiv zu lösen. Gerade in eigenverantwortlich arbeitenden Gruppen oder Teams verlieren Führungskräfte zunehmend die Kontrolle, da sie gar nicht mehr über alle Vorgänge im Team auf dem Laufenden sein können (Wegge 2004). Auf die Führung in Gruppen kann trotzdem oder gerade deshalb nicht verzichtet werden. Durch die Gründung von Teams ist noch keine hohe Leistung garantiert. Im Gegenteil, diese Form der Zusammenarbeit stellt eine Herausforderung an die Führung in Organisationen dar. Gleichzeitig sind die Bedürfnisse vieler Mitarbeitender nach Verantwortung, Autonomie und Selbstwerterhöhung eine vielversprechende Basis, um die Mitarbeitenden kontinuierlich an den Führungsaufgaben und -prozessen zu beteiligen. Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Führung nicht an eine formale Führungsposition gebunden ist, sondern aus sehr unterschiedlichen Positionen erfolgen kann und tatsächlich auch erfolgt. Das Konzept „geteilte Führung“ oder „shared leadership“ berücksichtigt

427

10

Vertrauen kann durch Vorleistungen, die erwidert werden, geschaffen werden

Shared Leadership beschreibt einen dynamischen, interaktiven Einflussprozess zur gegenseitigen Führung in Arbeitsgruppen, um deren Ziele zu erreichen

428

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

a

b Vorgesetzter Gruppenmitglied Richtung des Führungseinflusses

..Abb. 10.10  Darstellung der (a) vertikalen und (b) geteilten Führung. (Aus Piecha et al. 2012, S. 561, Abb. 29.1)

10 Situation und Aufgabe bestimmen idealerweise, wer aus der Gruppe am besten die Führung übernimmt

genau diese Aspekte und nutzt diese systematisch. Bei der geteilten Führung übernimmt die Gruppe als Ganzes die Führungsverantwortung. Die einzelnen Führungsaktivitäten erfolgen direkt durch die Teammitglieder. Damit geteilte Führung gelingen kann, muss die Gruppe über die nötigen Kompetenzen verfügen, entsprechendes Wissen haben und auch die Führungs- und Steuerungsfähigkeiten müssen vorhanden sein. Dies, weil bei der geteilten Führung idealerweise die Gruppe als Ganzes die Führungsverantwortung übernimmt. Die einzelnen Führungsaktivitäten erfolgen direkt durch die Teammitglieder. Obenstehende . Abb. 10.10 zeigt die hauptsächlichen Einflussrichtungen bei geteilter und vertikaler Führung. Ergänzend zum weiter oben Gesagten muss in der Gruppe ein gemeinsames Problemverständnis entwickelt werden bzw. vorhanden sein. Eine tragfähige Vertrauensbasis bildet das Fundament für die zu erfolgenden Führungsaktivitäten. Die tatsächlich anzuwendenden Führungsverhaltensweisen sind die gleichen wie bei der vertikalen Führung aber Richtung und Quelle des jeweiligen Verhaltens unterscheiden sich. Die jeweilige Situation bzw. die zu bearbeitende Aufgabe bestimmt, wer aus der Gruppe am besten die Führung übernimmt, weil die Person über das nötige Wissen und Können verfügt. Die Führung wird abgegeben oder von jemand anderem übernommen, sobald dies angezeigt ist (Pearce und Sims 2002). Vertikale und geteilte Führung schließen sich nach Wegge (2004) nicht aus, sondern ergänzen sich idealerweise. Generell ist Shared Leadership nicht als Ersatz für vertikale Führung konzipiert. Damit Arbeitsgruppen ihre Ziele erreichen, benötigen sie nach Wegge (2004) Führung von außerhalb und innerhalb der Gruppe. Geteilte Führung will die Effektivität von Teams über dynamische laterale Einflussprozesse innerhalb des Teams erhöhen. Die . Tab. 10.4 zeigt die Hauptunterschiede zwischen klassischer und geteilter Führung (Kauffeld et al. 2014). Mittlerweile existiert eine überzeugende Befundlage zur Wirksamkeit von geteilter Führung. Shared Leadership erhöht die wahrgenommene Effektivität von Teams (z. B. Carson et al. 2007).

429

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

10

..Tab. 10.4  Unterschiede zwischen klassischer und geteilter Führung. (Aus Kauffeld et al. 2014, S. 88) Klassische Führung

Geteilte Führung

Führungsanspruch

Durch die Hierarchie oder Position in der Gruppe festgelegt

Durch die Übernahme von Aufgaben in der Gruppe gekennzeichnet

Führungsqualität

Problemlösefähigkeiten der Führungskraft

Güte der Zusammenarbeit

Führungsaufgabe

Führungskraft verteilt Aufgaben, strukturiert Arbeitsprozess

Alle arbeiten zusammen, um den Arbeitsprozess zu fördern

Führungs­ eigenschaften

Distinkte Unterscheidung zwischen Führenden und Geführten anhand der Fähigkeiten, Persönlichkeit etc.

Alle Kollegen sind voneinander abhängig und aktiv am Führungsprozess beteiligt

Einwirkungsmacht

Führungskraft besitzt Belohnungs- und Bestrafungsmacht

Zusammenarbeit als demokratischer Prozess mit einem gemeinsamen Ziel

Geteilte Führung erhöht die wahrgenommene Teamwirksamkeit (Solansky 2008). Das heißt, die Teammitglieder eines so geführten Teams gehen eher davon aus, über die notwendigen Fähigkeiten zu verfügen, um die gestellten Aufgaben zu bewältigen. Zudem konnte gezeigt werden, dass Shared Leadership positiv mit dem transaktiven Gedächtnis im Team zusammenhängt (Solansky 2008; 7 Kap. 8). Darunter wird das Wissen der Teammitglieder um die Kenntnisse und Fähigkeiten der anderen Gruppenmitglieder verstanden, dies erleichtert effektives Zusammenarbeiten. Bergmann et al. (1999) haben gezeigt, dass die geteilte Führung in Teams Konflikte reduziert, den Konsens erhöht und den Zusammenhalt sowie das Vertrauen erhöht. Pearce und Sims (2002) konnten bei Prozessoptimierungsteams folgendes feststellen: je mehr geteilte Führung erfolgte, desto höher wurde die Effektivität des Teams durch das Team selbst, deren Vorgesetzte und auch deren Kunden beurteilt. Für Top-Management-Teams, welche die Strategie für das gesamte Unternehmen vorgeben, scheint die geteilte Führung eine wichtige Rolle zu spielen. Es konnte gezeigt werden, dass dadurch deren Zusammenarbeit verbessert wird, was sich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt (Hmieleski et al. 2012). Damit nun diese postulierten Gewinne bei der Nutzung geteilter Führung auch tatsächlich eintreten können, gilt es nach Piecha et al. (2012) bestimmte Faktoren zu beachten, welche im Folgenden kurz dargestellt und erläutert werden. Es sind dies die: Aufgabencharakteristika, Gruppencharakteristika und organisationalen Bedingungen.

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Aufgabencharakteristika  Komplexe Aufgaben, welche hohe An-

forderungen an die Zusammenarbeit stellen, nach einer Kom-

Geteilte Führung kann viele positive Effekte auf das Team und dessen Leistung haben; dabei spielen Charakteristika der Aufgabe, der Gruppe und der Organisation eine wichtige Rolle

430

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

bination der verschiedenen aktuell vorhandenen Kompetenzen verlangen und eine hohe gegenseitige Abhängigkeit verursachen, eignen sich sehr gut für die geteilte Führung. Hingegen können Aufgabenstellungen, welche hohen Zeitdruck generieren, mit vertikaler Führung besser bewältigt werden. Gruppencharakteristika  Damit geteilte Führung erfolgreich im-

plementiert und im Alltag gelebt werden kann, müssen ein Großteil der Gruppenmitglieder über entsprechende fachliche Kompetenzen und Führungsfähigkeiten verfügen. Gegebenenfalls müssen diese beiden Punkte entwickelt werden. Auch sollte die Gruppe bereits gefestigt sein und sich nicht mehr in der Findungsphase befinden. Dabei kann es Sinn machen, in der Forming- und Stormingphase eine Gruppe vertikal zu führen und dann mit zunehmender Reife der Gruppe als Ganzes, die geteilte Führung zu etablieren. Geteilte Führung und hierarchische Führung ergänzen sich idealerweise

10

Organisationale Bedingungen  Grundsätzlich sollte die geteilte

Führung in der Organisation erwünscht sein und Aspekte wie Eigeninitiative, Partizipation, Autonomie und das Einbringen unterschiedlicher Perspektiven nicht nur toleriert, sondern auch gefördert werden. Das Gleiche gilt für die Selbstführung. Belohnungssysteme sollten auf die geteilte Führung ausgerichtet sein. Individuelle Belohnungen können die Zusammenarbeit erschweren. Selbstverständlich sind diese Ausführungen nicht erschöpfend, sondern beleuchten nur einige zu beachtende Aspekte. Nun kommen wir zur Frage, wie die hierarchische Führung geteilte Führung einführen, fördern und erhalten kann. Neben den bereits genannten Faktoren, welche von der Führungskraft mitbeeinflusst werden können, benennen Houghton et al. (2003) in ihrem Modell zur geteilten Führung die direkten Einflussmöglich-

-

keiten der Führung: Selektion der Teammitglieder mit dem Fokus auf das notwendige Fachwissen und die gewünschten Führungskompetenzen. Die benötigten Führungskompetenzen im Team weiterentwickeln. Bei Bedarf die Gruppe unterstützen, z. B., wenn bestimmte Fähigkeiten fehlen. Bewusste Regulation der Grenzen zwischen der Gruppe und anderen Organisationsbereichen.

Neben der passenden Verteilung von Fachwissen und Führungskompetenzen, was über eine entsprechende Selektion und ggf. durch die Entwicklung bzw. Förderung einzelner oder der ganzen Gruppe erreicht werden kann und der anderen genannten Aspekte, welche die direkten Einflussmöglichkeiten der Führung beschreiben; gehen Houghton et al. (2003) davon aus, dass die indirekte Förderung von geteilter Führung noch wichtiger ist.

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

431

10

-

Dabei gehen sie von folgenden zwei Indirekten Einflussmöglichkeiten aus: Empowerment (Befähigung): Damit ist hier gemeint, dass

Autorität und Verantwortung an die Gruppe delegiert wird. Volles Empowerment beinhaltet im Falle der Gruppe die Erlaubnis und Kompetenz, sich selbst zu steuern und gruppenrelevante Entscheide selbst zu fällen. Geteilte Führung setzt Empowerment voraus und beinhaltet zusätzlich die aktive Führung durch die Gruppenmitglieder. Förderung der Selbstführung: Hier wird davon ausgegangen, dass die Fähigkeit, sich selbst zu führen, eine Voraussetzung ist, um auch andere führen zu können. Durch den Aufbau von Selbstführungskompetenzen wird auch die Selbstwirksamkeitserwartung gestärkt, was sich positiv auf die Bereitschaft, Führungsverantwortung zu übernehmen, auswirkt.

-

Diese Aspekte gilt es also durch die Führungskraft indirekt zu fördern (Houghton et al. 2003). Etwas detaillierter zeigt die folgende Auflistung, welche indirekten Einflussmöglichkeiten durch die Führungskraft zu nutzen sind um die geteilte Führung zu fördern: Selbstführungsfähigkeiten der einzelnen Personen im Team entwickeln und fördern, Selbstführung gezielt einfordern, das Lernen aus Fehlern begünstigen und einfordern, Sanktionen vermeiden, Fragen stellen, statt Antworten liefern, Kreativität und Initiative zulassen und aktiv fördern, „Befehle“ und „Anweisungen“ vermeiden, sinnvolle Interdependenzen schaffen und Entscheidungsfindung auf der individuellen Ebene und der Gruppenebene fördern.

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Diese Aufgaben gehören nach Houghton et  al. (2003) zur sogenannten Rolle des „Superleaders“, welche sie der Führungskraft zuschreiben. Dadurch wird auch deutlich, dass geteilte Führung die vertikale Führung nicht überflüssig macht, sondern dieser andere Aufgaben zuschreibt, welche zum Ziel haben, die geteilte Führung zu entwickeln, zu fördern und aufrecht zu erhalten. Dadurch unterscheidet sich diese Führungsrolle markant von der „klassisch“ hierarchischen. . Abb. 10.11 verdeutlicht das Konzept von Houghton et al. (2003). Neben dem Ansatz der geteilten Führung prägt die Frage, wie agile Teams geführt werden sollten, die aktuelle praktische und theoretische Diskussion sehr stark. Das letztgenannte Thema wird im folgenden Abschnitt beleuchtet.

Empowerment und Selbstführung sind wichtige Voraussetzung für die geteilte Führung

432

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Vertikales Führungshandeln Verhaltensweisen als SuperLeader

Zusätzliche vertikale Führungsaufgaben

(Ermächtigung, Entwicklung von Selbstführungsfähigkeiten)

(Auswahl der Gruppenmitglieder, Förderung und Unterstützung)

Prozess der Selbstführung

Selbstwirksamkeitserwartung

Positive Einstellung

bezogen auf das Teilen der Führungsrollen

gegenüber geteilter Führung

Geteilte Führung

Reaktionen der Gruppenmitglieder

..Abb. 10.11  Die Förderung geteilter Führung durch den Vorgesetzten. (Nach Houghton et al. 2003, aus Piecha et al. 2012, S. 567)

Agile Teams und agile Führung Agile Führung, agile Teams und der Ansatz der geteilten Führung haben viel gemeinsam

10

Der Ansatz der geteilten Führung hat, wie bereits erläutert, unter anderem zum Ziel eine adäquate Antwort auf die Arbeits- und Führungsherausforderungen heutiger Organisationen, welche sich zunehmend komplexen und dringlichen Problemstellungen ausgesetzt sehen, zu geben. Die agile Bewegung, welche ihren Ursprung in der agilen Softwareentwicklung hat, prägt auch die aktuelle Diskussion bzgl. agiler Teamarbeit und den entsprechenden Anforderungen an die Teamführung. Ziel ist auch hier einer durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägten Welt, angemessen zu begegnen. Vorweg sei angeführt, dass das Konzept agiler Teams und agiler Führung etliche Parallelen mit dem „Shared-Leadership-Ansatz“ hat. Zum Teil wird aus Sicht des Verfassers dieses Kapitels das Gleiche mit unterschiedlichen Begriffen belegt. Gerade deshalb tut eine Klärung Not. Dabei sollen hilfreiche Aspekte dargelegt werden, welche für das praktische Führungshandeln von Belang sind. Am Anfang der agilen Bewegung stand das agile Manifest, welches im Umfeld der agilen Softwareentwicklung kreiert wurde. Das agile Manifest beschreibt die Grundwerte der agilen Arbeitssicht: Individuen und Interaktionen über Prozesse und Werkzeuge, lauffähige Software über ausführliche Dokumentationen, Zusammenarbeit mit dem Kunden über strikte Vertragsentwürfe und Umgang mit Veränderungen über festgelegte Pläne.

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Nach Hilmer und Krieg (2014) stehen im agilen Vorgehen Werte, Transparenz, Kommunikation und Kooperation an erster Stelle und weniger Prozesse und Werkzeuge. Wichtig ist zudem schnelles und flexibles Reagieren auf Veränderungen. Basis dafür sind flache

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

433

10

Hierarchien, hohe Eigenverantwortung und proaktive, intensive Kommunikation. Nach den beiden genannten Autoren sind folgende Merkmale kennzeichnend für die agile Kultur und damit auch für die Zusammenarbeit in agilen Teams bzw. für die agile Teamführung: lösungsorientierte selbstorganisierte Teams, Förderung von Eigeninitiative und Verantwortung, Regeln entwickeln und sich selbst kontrollieren, gelebter Wissenstransfer und Messbarkeit der Fertigstellung bzw. der Ergebniserreichung.

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Lösungsorientierte, selbstorganisierte Teams verfügen nach

Hilmer und Krieg (2014) über die Möglichkeit, Führungsverantwortung und Rollen so zu verteilen, dass sie zur Aufgabenstellung und den entsprechenden Mitarbeitenden passt. Diese Aussage ist identisch mit den Grundsätzen des „Shared-Leadership-Ansatzes“. Um agil arbeiten zu können sind Organisationsstrukturen zielführend, welche die Eigeninitiative und Verantwortung von jedem einzelnen Teammitglied fördern bzw. einfordern. Die Eigeninitiative und Verantwortung sind nach Hilmer und Krieg (2014) auf die Zielerreichung und eine permanente Verbesserung der angewandten Prozesse ausgerichtet. Grundsätzliche zeichnet sich agile Zusammenarbeit durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess aus, der vor allem auf optimale Prozesse und Kommunikationsstrukturen fokussiert. Weiter werden Regeln und Standards innerhalb eines Teams als wichtiges kulturelles Merkmal der agilen Führung und Zusammenarbeit gesehen, nicht aber als starres Regelwerk. Durch den kontinuierlichen Verbesserungs- und Anpassungsprozess entwickeln sich Regeln von selbst und kontrollieren sich auch selbst. Steuerungseingriffe und Controlling-Maßnahmen aus übergeordneter Ebene werden dadurch obsolet. Der gelebte Wissenstransfer erfolgt in der Praxis durch jeglichen Austausch von Wissen und Best Practice. Auf diesen Aspekt wird in der agilen Teamarbeit besonders großen Wert gelegt. Der offene, kooperative Umgang und die Meetingkultur in agilen Teams bietet dafür eine hilfreiche Basis. Speziell hervorzuheben sind dabei, die oft täglich durchgeführten sogenannten „stand-up-meetings“. Diese dauern nur kurz und schaffen gleichzeitig Transparenz bezüglich des aktuellen Standes der verschiedenen Arbeiten und eines möglicherweise vorhandenen Veränderungs- oder Unterstützungsbedarfs. Mit dem Aspekt der Messbarkeit der Fertigstellung bzw. der Ergebniserreichung, ist der Anspruch Verbunden, dass klare Kriterien bestehen, welche die Fertigstellung einer Aufgabe messbar machen. Zudem und besonders soll auch geprüft werden können, ob der angestrebte Nutzen bzw. Mehrwert, welcher durch die Auf-

..Abb. 10.12  © 2018 by Tobias Leuenberger

Lösungsorientierte, selbstorganisierte Teams stehen im Zentrum agiler Teamarbeit und -führung

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

gabenerfüllung fokussiert wurde auch tatsächlich erreicht wurde. Es geht also nicht um eine „blinde“ Zielerreichung oder Aufgabenbewältigung, sondern um die kritische Prüfung, inwiefern dadurch der erwünschte Nutzen tatsächlich geschaffen wurde. Letztendlich bedarf es der Steuerung bzw. Führung, wie auch immer sie geartet sein mag, um die postulierten Erfolgsfaktoren in der Praxis zu realisieren.

Führung virtueller Teams Die Möglichkeiten virtueller Zusammenarbeit sind in vielen Organisationen bei weitem nicht ausgeschöpft

..Abb. 10.13  © 2018 by Tobias Leuenberger

10

Virtuelle Teams arbeiten über räumliche, zeitliche und beziehungsmäßige Grenzen hinweg zusammen

Die Führung und Steuerung virtueller Teams ist ein hoch aktuelles Thema und gewinnt weiter an Bedeutung. Durch die Internationalisierung und Globalisierung der Arbeit sind Organisationen und mit ihnen die betroffenen Führungspersonen zunehmend gefordert, mit Menschen virtuell zu kooperieren. Durch die technischen Möglichkeiten wird dieser Trend noch verstärkt, die Potenziale virtueller Zusammenarbeit sind in vielen Organisationen noch lange nicht ausgeschöpft. Die grundsätzliche Ausgangslage ist für virtuelle Teams bzw. Gruppen und räumlich zusammenarbeitende Teams identisch: dauerhaft oder zeitlich begrenzt werden bestimmte Aufgaben mehr oder weniger gemeinschaftlich bearbeitet. Am Schluss sollte ein bestimmtes Ergebnis bzw. Ziel erreicht werden. Bei der virtuellen Zusammenarbeit werden praktisch ausschließlich die „neuen“, digitalen Kommunikationsmedien genutzt. Diese Kommunikationsmedien prägen die Zusammenarbeit im virtuellen Kontext erheblich. Die Kommunikation, Kooperation und Koordination sowie die gegenseitige Wahrnehmung erfolgt fast ausschließlich über sie und unterliegt dadurch mannigfaltigen Filterwirkungen. Folgende Abbildung zeigt die besonderen Herausforderungen der virtuellen also medienvermittelten Zusammenarbeit im Überblick (. Abb. 10.14). In diesem Abschnitt soll der Frage nachgegangen werden, welche Aspekte wichtig sind damit ein virtuell zusammenarbeitendes Team adäquat geführt werden kann. Die Mitglieder virtueller Teams arbeiten räumlich verteilt und zeitlich oft versetzt, zudem sind sie in der Tendenz heterogener zusammengesetzt als klassische Teams. Wobei die Übergänge zwischen klassischer und virtueller Gruppenarbeit fliessend sind. Mitglieder virtueller Teams arbeiten interdependent an einer gemeinsamen Aufgabe über räumliche, zeitliche und beziehungsmäßige Grenzen hinweg. Dabei nutzen sie die technologischen Möglichkeiten in unterschiedlichem Maße. Anstelle der unmittelbaren persönlichen Interaktion tritt die über verschiedene Technologien vermittelte virtuelle Interaktion. Die Möglichkeit der virtuellen Zusammenarbeit bietet viele Vorteile: Unabhängig von Ort und Zeit können die für die jeweilige Aufgabe am besten geeigneten Teammitglieder ausgewählt werden.

-

435

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

10

Teamentwicklung/ Identitätsbildung im Team

Konfliktmanagement medienvermittelte Kommunikation …

erfolgreiche Kooperation im verteilten Team

Wissensintegration

Führung

… und medienvermittelte Wahrnehmung Koordination und Arbeitsorganisation

Selbststeuerung

..Abb. 10.14  Medienvermittlung als besondere Herausforderung für virtuelle Teamarbeit. (Aus Herrmann et al. 2012, S. 29)

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Zeit- und Geldersparnis sowie erhöhte Flexibilität, da keine oder weniger physische Treffen mit den entsprechenden zeitlichen und monetären Aufwendungen stattfinden. Spezielle und lokale Expertise ist einfacher einzuholen, das gilt besonders für dezentrale oder netzwerkartig aufgebaute Organisationen. Durch die Nutzung elektronischer Medien und virtueller Kanäle wird die gegenseitige Erreichbarkeit gesteigert und die Partizipation erleichtert. Abhängig von den verwendeten Technologien können Informationen leichter geteilt, gespeichert, nachverfolgt und wieder verwendet werden.

Nach Krämer und Deeg (2008) lässt sich der Virtualitätsgrad von Teams anhand von vier Faktoren bestimmen. Je ausgeprägter der jeweilige Faktor, desto höher der Virtualitätsgrad. . Tab. 10.5 zeigt dies auf. Es kann angemerkt werden, dass bei Anstieg des Virtualisierungsgrades die Anforderung an die Führung bzw. Steuerung der jeweiligen Teams ebenfalls zunimmt. Trotz der potenziellen Vorteile der virtuellen Zusammenarbeit im Allgemeinen und der virtuellen Teamarbeit im Besonderen, sind die potenziellen Nachteile nicht zu vernachlässigen (vgl. auch Axtell et al. 2004; Hertel et al. 2005). Generell stellen folgende Punkte häufig auftretende Nachteile dar, im Vergleich mit physisch zusammen arbeitenden Teams (Montoya-Weiß et al. 2001; Staples und Zhao 2006; Krämer und Deeg 2008):

Führung auf Distanz stellt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar

436

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

..Tab. 10.5  Bestimmungsmerkmale des Virtualitätsgrades von Teams. (Aus Krämer und Deeg 2008, S. 170) Ausmaß der Technologienutzung

Räumliche Barrieren

Zeitliche Barrieren

Beziehungsmäßige Barrieren

– Kommunikationstechnologien mit verringerten sozialen Hinweisreizen im Vergleich zur face-to-faceKommunikation

– durch räumliche Trennung nationale und/oder internationale räumliche Verteilung

– projektmäßige Zusammenarbeit – Zusammenarbeit über Zeitzonen hinweg

– interkulturelle, interorganisationale, interdisziplinäre und/ oder interfunktionale Zusammensetzung

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Erschwerte Koordination durch nicht abgestimmte und zeitlich verzögerte Reaktion der Teammitglieder (durch geringe soziale Hinweisreize und asynchrone Kommunikation). Schwierigkeiten, gemeinsame Arbeitsprozesse abzustimmen (durch unterschiedliche Erwartungen an die Zusammenarbeit). Es werden weniger Informationen mitgeteilt aufgrund des höheren Aufwandes durch die Techniknutzung. Schwierigkeiten, unterschiedliche Prioritäten bei Sender und Empfänger zu überbrücken. Unterschiedliche Reaktionszeiten und Interpretationsspielraum, der zu Missverständnissen führen kann. Behinderung einer zielführenden Zusammenarbeit durch technische Hindernisse. Weniger gegenseitige Unterstützung und höheres Konfliktrisiko. Risiko von Fehlverhalten, wie zum Beispiel Fristen nicht einhalten, unzureichende Arbeitserledigung, Verletzung von Absprachen, fehlendes Interesse für andere Teammitglieder. Fehlende oder unterschiedliche Repräsentation zur zukünftigen Zusammenarbeit. Mangelhafte oder keine passenden Strukturen und Prozesse der Zusammenarbeit. Unklarheit bzgl. der Steuerung der Zusammenarbeit. Höherer Zeitaufwand bei der Bearbeitung der Aufgaben, höhere Unzufriedenheit und höhere Fluktuation.

10

Virtuelle Zusammenarbeit bietet Chancen und Risiken; die Führung spielt dabei eine zentrale Rolle

Diese Risikofaktoren machen deutlich, dass gerade die Führung und Steuerung virtueller Teams eine hohe Wichtigkeit hat, wenn man die potenziellen Vorteile dieser Form der Zusammenarbeit nutzen will und es gleichzeitig gilt, die potenziellen Nachteile zu minimieren. Es handelt sich bei der virtuellen Zusammenarbeit im Gruppenverbund um lose gekoppelte, fragile organische Systeme. Eine

10

437

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

Virtualität

Explizite Steuerung

Strukturelle Steuerung durch workflowbasierte Steuerung Interaktive Steuerung durch E-Leadership

Teamprozesse

Zufriedenheit

Kommunikation Koordination Kooperation

Implizite Steuerung

Leistung

Teamkognitionen durch Shared Mental Models Teamaffekte durch Vertrauen

..Abb. 10.15  Grundmodell zum Management virtueller Teams. (Aus Krämer und Deeg 2008, S. 174)

reine Selbstorganisation ist wie auch in anderen Formen der Zusammenarbeit mit erheblichen Risiken verbunden und hat sich in der Praxis laut Weibler und Deeg (1998) sowie Schauf (2002) bisher nicht bewährt. Im Folgenden werden die expliziten und impliziten Steuerungsmechanismen dargestellt, welche für die Führung virtueller Teams wichtige Hinweise liefern. Explizite Steuerung meint hier standardisierte Abläufe, definierte Prozesse, Regelungen und Absprachen. Während implizite Steuerung inoffizielle Werte und Normen, geteilte mentale Modelle und ungeschriebene Regeln meint. . Abb. 10.15 zeigt das entsprechende Input-Process-Output-Modell, mit den Einflussfaktoren im Überblick (Krämer und Deeg 2008). Beim Modell der virtuellen Teamführung, handelt es sich wie bereits erwähnt auch um ein Input-Process-Output-Modell. Dieses wurde bereits früher in diesem Kapitel detailliert beschrieben und hat auch für die virtuelle Teamführung Gültigkeit. Im Folgenden werden wir uns mit den Einflussfaktoren befassen, die es im Kontext der virtuellen Teamführung besonders zu berücksichtigen gilt. Während den Teamprozessen Kommunikation, Koordination und Kooperation in allen Teams und Gruppen eine zentrale Funktion zukommt, wenn es um die Optimierung der Zusammenarbeit geht, spielen die explizite und implizite Steuerung gerade in virtuellen Kontexten eine wichtige Rolle. Besonders in hoch virtuellen Teams müssen diese Elemente angemessen gestaltet und eingesetzt werden. Sie bilden die Grundlage für die nachfolgenden Teamprozesse.

Explizite und implizite Steuerungsmechanismen spielen eine zentrale Rolle um die Kommunikation, Koordination und Kooperation in virtuellen Teams zu gestalten

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Explizite Teamsteuerung umfasst die strukturelle und die interaktive Steuerung

Es gilt eine angemessene Mischung zwischen Strukturierung und Flexibilität zu finden

10 Normen der Zusammenarbeit sind ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor

Die strukturelle Führung als Teil der expliziten Steuerung sollte so gestaltet werden, dass ein Arbeitsprozess als Referenz verbindlich festgelegt wird. Dieser soll zwar situativ angepasst werden können und dennoch eine verlässliche gemeinsame Basis der Zusammenarbeit bilden. Es ist auf einen guten Mix zwischen Strukturierung und Flexibilität zu achten, eine der Gruppenaufgabe angemessene Autonomie ist anzustreben. Kommunikations- und Koordinationskosten sollten minimiert werden, eine Zerstückelung der Aufgaben und die Bildung vieler bzw. unnötiger Schnittstellen sind zu vermeiden. Die strukturelle Führung soll die bereits erwähnten Teamprozesse Kommunikation, Koordination und Kooperation erleichtern. Durch einen gemeinsam vereinbarten Referenzprozess im Rahmen eines Prozessmanagements wird gemäß den oben genannten Autoren die Koordination innerhalb der Gruppe positiv beeinflusst. Zur Verbesserung der Kommunikation wird von Krämer und Deeg (2008) ein systematisches Informations- und Kommunikationsmanagement auf der Grundlage eines Referenzprozesses empfohlen. Folgende Aspekte sind dabei zu beachten und sinnvoll zu organisieren: Informationsproduktion, Informationsbeschaffung, Mitteilung relevanter Informationen, Informationsspeicherung, Evaluation und Kombination von Informationen und Anwendung verfügbarer Informationen.

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Zur Optimierung der Kooperation werden Regeln und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit empfohlen; diese Bildung von Normen ist besonders zu Beginn der Zusammenarbeit wichtig. In der weiteren Zusammenarbeit ist ein gemeinsamer kontinuierlicher Prozess der Normenentwicklung und -Vereinbarung anzustreben. Dabei ist es durchaus möglich, zu Beginn der Zusammenarbeit bestimmte Regeln und Normen vorzugeben. Walther und Bunz (2005) schlagen folgende sechs Verhaltensregeln vor, welche Nachweislich zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit und Leistung von virtuellen Teams beitragen: Projekt sofort beginnen, häufig kommunizieren, Aufgaben organisieren und viel Arbeit gleichzeitig erledigen, Feedback zu gelesenen Nachrichten geben, explizite Informationen über Handeln und Denken geben und Fristen setzen und diese einhalten.

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Die zu Beginn gesetzten Regeln können im Verlauf der Zusammenarbeit angepasst bzw. verfeinert werden. Oft ist ein kritisches Ereignis bzw. eine zu klärende Situation Auslöser für folgenden Prozess, welcher zur Weiterentwicklung der Normen führt:

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

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eine entsprechende Norm wird vorgeschlagen, diese wird diskutiert, dann akzeptiert, die Norm wird eingehalten und/oder verletzt und unterschiedliches Normenverständnis wird sichtbar.

Der letztgenannte Punkt kann wiederum einen neuen Zyklus analog zum beschriebenen auslösen. Gemeinsam mit dem Prozessmanagement soll die Entwicklung gemeinsamer Teamnormen günstig beeinflusst werden. Durch die strukturelle Steuerung lässt sich die Zusammenarbeit in virtuellen Teams positiv beeinflussen. Zusätzlich gilt es, die interaktive, persönliche Führung als Teil der expliziten Steuerung zielführend einzusetzen. Durch die virtuelle Zusammenarbeit ist dieser Aspekt herausfordernder als in klassischen Teamsettings. Es gilt durch einen stimmigen, auf die jeweilige Situation abgestimmten Einsatz der Kommunikation (inkl. der passenden Technologie), gepaart mit einem delegierenden, vertrauensvollen Führungsverhalten, die Teamprozesse positiv zu beeinflussen. Viele Überlegungen zur geteilten Führung lassen sich situativ auch auf den Kontext der virtuellen Führung übertragen. Virtuelles Führen oder auch E-Leadership genannt, bezeichnet ein der Situation angepasstes Führungshandeln und muss auf die strukturelle Steuerung abgestimmt sein. E-Leadership beschreibt den Prozess sozialer Einflussnahme durch interaktive, direkte, medienvermittelte Führung. Es wird also im Gegensatz zur „klassischen“, räumlich nahen Führung medienvermittelt kommuniziert und dieser Kommunikationsprozess ist aufgrund der Distanz und häufig netzwerkartiger Kommunikationsstrukturen sowohl sehr anspruchsvoll als auch erfolgskritisch. Die bereits früher im Kapitel erwähnten Führungsaufgaben der Lokomotion und Kohäsion müssen idealerweise durch die verwendeten Kommunikationstechnologien unterstützt werden. Die Führungskraft muss auch darauf achten, dass das Wissen der einzelnen Spezialisten möglichst gewinnbringend vernetzt wird. Nach Zaccaro und Bader (2003), haben die Führungskräfte im virtuellen Kontext vor allem die Aufgabe Probleme zu erkennen, zu lösen und die Umsetzung zu fördern. Diese „Problem-solver-Funktion“ lässt sich in drei Hauptfunktionen unterteilen: 1. Team liasion: Den Zusammenhalt im Team stärken und gemeinsames Verständnis fördern. 2. Team direction setter: sinnstiftend wirken indem Verbindungen zwischen den Teamaufgaben und den Einflussfaktoren innerhalb und außerhalb der Organisation hergestellt werden. 3. Team operational coordinator: angemessene Einsatzsteuerung und Entwicklung der Mitarbeitenden innerhalb des Teams sowie Schaffen von Frei- und Handlungsräumen.

Viele Erfolgsfaktoren der geteilten Führung gelten auch für die virtuelle Zusammenarbeit

E-Leadership meint die Beeinflussung durch interaktive, direkte, medienvermittelte Führung

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Implizite Teamsteuerung umfasst gemeinsame mentale Modelle und die Teamaffekte

Die strukturelle und interaktive Steuerung ergänzen sich im Idealfall zu einem stimmigen Ganzen. Bei der impliziten Steuerung spielen die Teamkognitionen, im Sinne gemeinsamer mentaler Modelle, und die Teamaffekte eine wichtige Rolle. Die gemeinsamen mentalen Modelle entwickeln sich über die Zeit und werden durch eine länger andauernde Zusammenarbeit weiter ausdifferenziert. Deren Bildung wird durch eine angemessene strukturelle Steuerung, gezielte Trainingsmaßnahmen und wünschenswerter Weise auch durch die interaktionelle Führung gefördert. Dieses gemeinsame Verständnis der Zusammenarbeit umfasst nach Krämer und Deeg (2008) typischerweise folgende Aspekte: die Technik und die zu verwendenden Instrumente, die zu bewältigenden Aufgaben, die Stärken und Schwächen der Teammitglieder sowie angemessenes Verhalten im entsprechenden Gruppenkontext.

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Erfolgsfaktoren sind unter anderem Selbstorganisationsfähigkeit und Medienkompetenz

Sind solche „shared models“ erst einmal entwickelt, erleichtern sie die Zusammenarbeit ungemein, da sie die Koordination, Kommunikation und Kooperation sinnvoll lenken und vieles praktisch „von alleine“ funktioniert. Die Teamaffekte bezeichnen die Gefühle der Teammitglieder anderen Teammitgliedern und der Gruppe als Ganzes gegenüber. Hier ist Vertrauen als zentraler Faktor zu betrachten für eine erfolgversprechende Zusammenarbeit. Denn dadurch werden die Teamprozesse unterstützt zum Beispiel durch offenere und proaktivere Kommunikation, weniger Kontrolle der anderen Teammitglieder und bereitwilliger gegenseitiger Unterstützung. Wenn eine hohe gefühlsmäßige Bindung innerhalb des Teams existiert, wird der gegenseitige Austausch im Team stärker geschätzt und dadurch intensiviert. Das führt zu einer höheren Zufriedenheit und verbessert die Zielerreichung nachweislich (Forsyth 2014). In virtuellen Teams sind nach Krämer und Deeg (2008) sowohl gemeinsame mentale Modelle als auch das gegenseitige Vertrauen weniger ausgeprägt und schwieriger zu bilden als in herkömmlichen Teams. Umso wichtiger ist es deshalb durch eine angemessene strukturelle Führung, die Bildung dieser beiden Erfolgsfaktoren zu unterstützen. Virtuelle Teams, die sich zu Beginn der Zusammenarbeit Zeit nehmen, um gemeinsame Abmachungen bzgl. der Zusammenarbeit zu vereinbaren und die Kollegen persönlich zu treffen und kennen zu lernen, profitieren später davon und erbringen höhere Leistungen.

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

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Tipps für die Führungspraxis: was kann konkret getan werden?

In diesem Abschnitt werden Hinweise für die Praxis beschrieben, deren Umsetzung viel zum Erfolg virtueller Zusammenarbeit beitragen kann. Diese Praxistipps sind als Ergänzung zum weiter oben erläuterten zu verstehen.

Selbstorganisations- und Medienkompetenz sicherstellen

Bei der Selbstorganisation geht es zum einen um die Kompetenz, seinen persönlichen Arbeitsalltag zielführend organisieren zu können und um die Fähigkeit sich als Team selbst zu organisieren. Auf der individuellen Ebene sind nach Herrmann et al. (2012) unter anderem folgende Fragen zu beantworten: In welchem Zeitraum arbeite ich für das virtuelle Team? Wie teile ich meine Arbeit ein und auf? Wie gestalte ich den Arbeitsplatz? Wie organisiere ich meine Arbeitsmittel? Wie grenze ich mich sinnvoll ab? Wie dokumentiere ich? Wie gehe ich bei einer Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen mit Widersprüchen und Loyalitätsdilemmata um?

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Bei der Medienkompetenz geht es nach den oben genannten Autoren um vier Facetten derselben, die es von allen Beteiligten zu beherrschen gilt, soll die virtuelle Zusammenarbeit gelingen. Dies muss durch die Führungskraft sichergestellt werden. Medien (technisch) nutzen können Sensibilisiert sein für die Eigenlogik und Eigendynamik der verwendeten Medien Medien zielführend auswählen und einsetzen können Sich den jeweils verwendeten Medien angemessen verhalten können

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Führungskompetenz und -verhalten anpassen

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Folgende Aspekte sind für die Führung von virtuellen Teams besonders förderlich: Als Basis der Zusammenarbeit gilt es vor allem Vertrauen aufzubauen. Die soziale Vernetzung zu fördern. Die Leistung an den Ergebnissen zu messen, d. h. vor allem Ergebnisorientiert zu führen. Als Grundhaltung des Vertrauens geht die Führungskraft davon aus, dass die Mitarbeitenden leistungsbereit sind, dass diese die gemeinsamen Ziele zu erreichen trachten und dass die Führungskraft von den Mitarbeitenden bei Störungen oder Abweichungen

Vertrauen aufbauen, soziale Vernetzung fördern und Ergebnisorientiert führen sind Schlüsselfaktoren der virtuellen Teamführung

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

proaktiv informiert wird, um Verbesserungen einleiten zu können. Nach Herrmann et al. (2012) gibt es drei Hauptansätze, um die Vernetzung der Teammitglieder untereinander zu fördern: Die Aufgaben überschneidend gestalten, dass zwei bis drei Mitarbeitende jeweils einen Teil der Gesamtaufgabe erledigen, was den Austausch und die Beziehung fördert. Feedback-Kultur aufbauen, selbst Feedback geben und Einfordern, Feedback untereinander anregen und fördern. Kommunikation, die nicht direkt mit der Aufgabe zu tun hat, fördern. Dazu gehört auch, dass die nötige Zeit geschaffen bzw. durch die Führungskraft zugestanden wird.

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Die gleichen Autoren empfehlen als konkrete Umsetzung des ergebnisorientierten Führens folgende Maßnahmen: Klären der Erwartungen an Menge und Qualität der Arbeit. Gemeinsames Verständnis der Qualitätskriterien schaffen. Klären, bis wann und in welcher Form die jeweiligen Ergebnisse vorliegen sollen. Klären und Abstecken des Gestaltungsspielraumes der einzelnen Mitarbeitenden. Klären und Vereinbaren, wie mit Störungen und Abweichungen umgegangen wird.

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Teambildungs- und Teamentwicklungsmaßnahmen, welche auch für virtuelle Zusammenarbeit genutzt werden können, werden im folgenden Abschnitt näher erläutert.

Teamentwicklung und Führung Teamentwicklung ist eine Führungsaufgabe

Wie in diesem Kapitel früher bereits erwähnt, sind Gruppen und Teams anpassungsfähige, dynamische Systeme. Sie sind komplex, und gleichzeitig können sie als Antwort auf eine zunehmend komplexe Umwelt gesehen werden. Durch die Bildung von Gruppen und Teams ist ihr zielführendes und konstruktives Funktionieren noch nicht garantiert. Sowohl Prozesse, die innerhalb der Gruppe ablaufen führen zu Veränderung bzw. Entwicklungen der Gruppe, als auch äußere Entwicklungen führen zu Anpassungsprozessen und Reaktionen des Teams. Nicht immer finden die Veränderungen in gewünschtem Maße oder in die erwünschte Richtung statt. Oft sind bestimmte Impulse auf der individuellen oder der Teamebene notwendig, um Entwicklungen anzuregen, welche als konstruktive Antworten auf aktuelle oder zukünftige Anforderungen wirken. Zudem beeinflusst die Gruppe selbst ihre Umwelt und gestaltet so den Kontext mit. Insofern ist die Teamentwicklung auch eine Führungsaufgabe, was nicht bedeutet, dass die Maßnahmen durch die Führungskraft selbst umgesetzt werden müssen. Mit Teamentwicklung sind keine einmaligen Aktionen oder isolierten Events gemeint, sondern ein laufender Prozess. Dieser soll das konstruk-

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

tive Funktionieren einer Gruppe sicherstellen und unter anderem auch dazu führen, dass der gewünschte Beitrag zum Organisationserfolg erbracht wird. Nach Kauffeld und Lehmann-Willenbrock (2016) lassen sich folgende typischen Schwierigkeiten bzw. Auslöser nennen, die häufig den Bedarf nach Teamentwicklungsmaßnahmen deutlich machen: Es fehlt dem Team an Strukturen oder Regeln, es mangelt an klaren gemeinsamen Zielen oder/und eindeutigen Rollenverteilungen. Mangelhafte Kommunikation mit daraus resultierenden Missverständnissen oder Konflikten. Es finden negative, oft unbewusste gruppendynamische Prozesse statt, die sich negativ auf die Leistung und das Wohlbefinden der Teammitglieder auswirken. Das Team verfügt nicht über die nötigen methodischen bzw. technischen Kompetenzen, um die Zusammenarbeit konstruktiv zu gestalten (z. B. fehlende Moderationskenntnisse). Aufgrund von Umstrukturierungen oder Fusionen werden Teams neu gebildet und sollten rasch funktionsfähig sein. Ein bestimmtes Entwicklungsthema bzw. eine Aufgabenstellung ist vorhanden, die im Sinne einer Retraite bearbeitet werden soll. Die Zusammenarbeit im Team scheint ineffektiv, ohne dass die Gründe dafür bekannt sind. Weiter sind Teamcoaching, Teamreflektion und Teamlernen zu nennen.

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Nach den oben genannten Autorinnen, handelt es sich hier nicht, um klar abgrenzbare Kategorien. Überschneidungen bzw. Wechselwirkungen sind eher die Regel als die Ausnahme. In einem ersten Schritt wird der klassische Prozess einer Teamentwicklung beschrieben, wie er idealerweise erfolgen sollte. Meist wird er durch eine externe Moderation gestaltet und wird oft aufgrund der Gegebenheiten modifiziert. Im Anschluss werden zwei Interventionen erläutert, welche durch die Führungskraft selbst durchgeführt bzw. moderiert werden können. Nach Kauffeld und Lehmann-Willenbrock (2016) kann der Prozess als praktische Anwendung der „Survey-Feedback-Methode“ gesehen werden. In einem ersten Schritt werden die Mitarbeitenden zu ihren Wahrnehmungen und Eindrücken befragt. Im anschließenden Workshop werden die Ergebnisse weiterbearbeitet. Die Teammitglieder werden eingeladen ihre Ansichten, Meinungen und allfällige Verbesserungsideen einzubringen. Diese werden dann strukturiert weiterbearbeitet, um am Schluss konkrete Umsetzungsschritte zu haben, welche anschließend in der Praxis erprobt und später auf ihre Wirksamkeit hin evaluiert werden. Nachfolgende Übersicht zeigt den prototypischen, detaillierten Ablauf (Kauffeld und Lehmann-Willenbrock 2016, S. 40)

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Teamentwicklung kann von außen oder aus dem Team selbst angestoßen werden

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Phasen im Teamentwicklungsprozess (Aus Kauffeld und Lehmann-Willenbrock 2016, S. 40) 1. Kontaktphase In der anfänglichen Kontaktphase sind die beiderseitigen Erwartungen, die Ziele der Teamentwicklung, das methodische Vorgehen, die organisatorischen Rahmenbedingungen und der Zeitrahmen für die Teamentwicklung zu klären und vertraglich festzuhalten. Der Teamentwickler sollte vorab seine Unabhängigkeit von anderen Personen klären. Den Teilnehmern einer Teamentwicklung sollte Vertraulichkeit zugesichert werden. Der Teamentwickler sollte sich mit den Teilnehmern und deren Vorgesetzten zu seiner Rolle in der Teamentwicklung abstimmen 2. Diagnosephase Bevor eine Teamentwicklungsmaßnahme beginnt, sollte sich der Teamentwickler oder Berater ein genaues Bild über den IstZustand des Teams und der aktuellen Teamprozesse machen, um geeignete Maßnahmen abzuleiten. Gleichzeitig kann die Diagnosephase helfen, die Teammitglieder für die Probleme im Team zu sensibilisieren und möglicherweise neue Einsichten über Zusammenhänge im Teamgeschehen zu erreichen

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3. Planungsphase Bei der Planung einer Teamentwicklung werden zum einen die konkreten Inhalte festgelegt. Zum anderen sollte das Training auf den Erkenntnissen aus der Diagnosephase aufbauen und individuell auf das jeweilige Team zugeschnitten werden. Das Ergebnis dieser Phase sollte weniger ein starres Konzept sein, sondern es sollte trotz klarer Zielsetzung noch flexibel angepasst werden können 4. Durchführungsphase Jede Teamentwicklung sollte mit einer Maßnahmenplanung und mit Selbstverpflichtungen der Teilnehmer abschließen, diese Maßnahmen umzusetzen. Dadurch wird der Transfer der Ergebnisse aus der Teamentwicklung in den Arbeitsalltag gesichert 5. Evaluation Etwa ein bis drei Monate nach der Teamentwicklung sollte eine Bewertung vorgenommen werden. Der Zeitpunkt dieser Bewertung richtet sich dabei auch nach der zeitlichen Perspektive der Maßnahmen, die das jeweilige Team vereinbart hat; zwischen der Teamentwicklung und der Erfolgskontrolle sollte ein ausreichender Zeitraum liegen, in denen Maßnahmen umgesetzt und etabliert werden können

Der folgende Abschnitt erläutert die Kasseler Teampyramide und ihre mögliche Anwendung zur Teamentwicklung.

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10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

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4. Verantwortung

3. Kommunikation und Zusammenhalt

2. Aufgabenbewältigung 1. Zielorientierung

..Abb. 10.16  Kasseler Teampyramide. Diese baut sich von unten nach oben auf. (Mod. nach Kauffeld 2001, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe)

Die Kasseler Teampyramide und ihre Anwendung zur Teamentwicklung Bei der Kasseler Teampyramide, welche von Kauffeld (2001) entwickelt wurde, handelt es sich, um ein Modell, welches vier zentrale Faktoren einer erfolgreichen Arbeit im Team integriert. In diesem Zusammenhang steht auch der von derselben Autorin entwickelte Fragebogen zur Arbeit im Team kurz F-A-T (Kauffeld 2004) genannt. Mit diesem Instrument, das an dieser Stelle nicht weiter erläutert wird, lässt sich eine Teamdiagnose durchführen, welche sich an der Teampyramide orientiert. Die wesentlichen Elemente der Kasseler Teampyramide und damit die adressierten Erfolgsfaktoren sind: Zielorientierung, Aufgabenbewältigung, Zusammenhalt im Team und Verantwortungsübernahme im Team.

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. Abb. 10.16 zeigt den Aufbau der Kasseler Teampyramide.

Ausgangspunkt und Basis des Modells ist die Zielorientierung. Nach Kauffeld und Lehmann-Willenbrock (2016) funktioniert ein Team dann gut, wenn Klarheit besteht über die gemeinsamen zu erreichenden Ziele und über die anzustrebenden Teamergebnisse. Ist diese Klarheit nicht gegeben oder/und besteht Uneinigkeit über

Die Kasseler Teampyramide kann zur Teamentwicklung angewendet werden und hat sich in der Praxis bewährt

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

diese Punkte, leidet die Teamarbeit darunter, da die einzelnen Teammitglieder eher Partikularinteressen verfolgen. Diese können dann im Widerspruch zu den Teamzielen oder Organisationszielen stehen. Die Ziele müssen also klar sein, geteilt werden und sollten die weiteren Kriterien, welche für ein erfolgreiches Führen mit Zielen relevant sind, erfüllen. Für die Führungskräfte lassen sich beispielsweise folgende Fragen verwenden, um diesen Aspekt mit dem betreffenden Team zu klären und zu bearbeiten: Wissen wir (alle), was von uns erwartet wird? Wie richten wir uns aus? Wo wollen/müssen wir hin? Was wollen/müssen wir bis wann erreichen? Wie stark fühlen wir uns den Zielen verpflichtet? Wie sinnvoll sind die Ziele aus unserer Sicht? Wie motivierend sind die Ziele für uns? In wie fern sind die Ziele untereinander abgestimmt, koordiniert? Wie wissen wir unterwegs, wo wir stehen und wie leiten wir notfalls Korrekturmaßnahmen ein?

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Nach Kauffeld und Lehmann-Willenbrock (2016) steigt mit der Zielklarheit auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Aufgaben zielführend bewältigt werden. Die Tätigkeiten und Anstrengungen sind zu koordinieren und sinnvoll aufeinander abzustimmen. Es muss klar sein, welche Prioritäten gelten und die Teammitglieder müssen die notwendigen Kompetenzen und Freiräume besitzen, um ihre Aufgaben möglichst optimal bewältigen zu können. Folgende Leitfragen unterstützen die Führung und das Team bei der Klärung und Optimierung dieser Stufe: Was hilft uns, unsere Aufgaben angemessen zu bewältigen? Wie können wir diese positiven Aspekte bewahren oder weiter verbessern? Was hindert uns an einer angemessenen Aufgabenbewältigung? Wie können wir die Hindernisse überwinden oder beseitigen/reduzieren? Wie organisieren wir uns am besten? Wie organisieren wir uns, damit die Stärken der Mitarbeiter optimal genutzt werden? Wie organisieren wir uns am besten, damit die Führung ihre Aufgabe angemessen wahrnehmen kann? Welche Kompetenzen sind vorhanden und können wir nutzen? Was fehlt allenfalls? Welche Klärung braucht es bzgl. unserer Prioritäten? Welche Schnittstellen mit anderen Bereichen gilt es zu klären bzw. zu optimieren? Wie angemessen sind unsere aktuellen Prozesse? Welche Verbesserungen braucht es?

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10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

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Wie gut ist aktuell unsere Information und Kommunikation? Welche Verbesserungen braucht es?

Wenn die Aufgaben zielführend und sinnvoll abgestimmt bewältigt werden können, die Ziele sowie weitere Leistungsanforderungen klar sind, steigt wiederum die Chance, dass sich Vertrauen, gegenseitige Unterstützung und Respekt einstellt bzw. noch verstärkt gezeigt wird. Damit sind wir bereits auf der dritten Stufe der Teampyramide angelangt. Hier steht der Zusammenhalt im Fokus. Diese Leitfragen können zur Adressierung dieser Stufe eingesetzt werden: Wie gut fließen bei uns die notwendigen Informationen? Wie gut tauschen wir uns aus? Was gilt es zu bewahren? Was sollte verbessert werden? Wie konstruktiv gehen wir mit Meinungsunterschieden und Konflikten um? Was gilt es zu bewahren? Was zu verbessern? Wie gut unterstützen wir uns gegenseitig? Wie leben wir gegenseitige Wertschätzung und Respekt? Was gilt es zu bewahren, was allenfalls zu verbessern?

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Wenn diese drei Stufen des Modells schon gut funktionieren, wird es wiederum wahrscheinlicher, gemäß Kauffeld und LehmannWillenbrock (2016), dass sich die Teammitglieder für das Gesamtergebnis verantwortlich fühlen und diese Verantwortung auch bestmöglich wahrnehmen. Dies entspricht der vierten Stufe der Teampyramide. Zur Bearbeitung dieser Stufe sind zum Beispiel folgende Leitfragen anwendbar: Wie aktiv übernehmen wir Verantwortung? Was gelingt hier bereits gut? Was gilt es zu verbessern? Wie verantwortlich fühlen wir uns für das gemeinsame Ergebnis? Braucht es hier noch etwas, damit wir alle die volle gemeinsame Verantwortung übernehmen können?

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Mit dem Kreis um die Pyramide ist die Umwelt bzw. der Kontext, in dem sich das Team bewegt, symbolisiert. Hier spielen organisationale Rahmenbedingungen, Belohnungs- und Informationssysteme und weitere Faktoren, welche Einfluss auf die Teamarbeit nehmen, eine Rolle. Fragen hierzu könnten zum Beispiel folgende sein: Was passiert, um uns herum? Welche Systemregeln und -prozeduren beeinflussen uns in welcher Weise? (Belohnungssystem, Informationssystem, Richtlinien, Vorgesetzte …) Welche Aspekte erleichtern uns die Arbeit? Was können wir tun, um diese zu bewahren bzw. weiter zu stärken? Welche Aspekte erschweren uns die Arbeit? Was können wir ggf. tun, um diese zu reduzieren oder zu verändern?

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Die vorgeschlagenen Leitfragen können zur Teamentwicklung durch das Team und die Führungskraft verwendet werden

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Teamreflexivität ist ein weiterer pragmatischer Teamentwicklungsansatz der sich in der Praxis bewährt hat

Der hierarchische Aufbau der Pyramide von der Zielorientierung hin zur Verantwortungsübernahme ist für die Teamentwicklung relevant. Es bedeutet, dass zuerst struktur- und umfeldbezogene Themen geklärt bzw. optimiert werden sollten. So ist zuerst sicherzustellen, dass die Ziele und Erwartungen an die Arbeitsleistung geklärt sind und mitgetragen werden, bevor andere Themen zur Bearbeitung in Betracht gezogen werden. Durch Unstimmigkeiten und Differenzen geprägte Beziehungen können zu schlechteren Leistungen führen. Oft werden sie durch unklare Ziele und ungenügende Aufgabenbewältigung mitverursacht. Deshalb steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Teammitglieder einen starken Zusammenhalt, Vertrauen und Verantwortungsbereitschaft übernehmen an, wenn die Aspekte der ersten zwei Stufen der Pyramide gut funktionieren (Kauffeld und Lehmann-Willenbrock 2016). Das bedeutet auch, dass gruppendynamische Interventionen erst Sinn machen, wenn die Ziele und Prioritäten geschärft sind und die Aufgabenbewältigung gut funktioniert. Als ergänzenden Teamentwicklungsansatz beleuchten wir im Folgenden das Team-Reflexivitäts-Modell.

Das Team-Reflexivity-Modell und dessen Anwendung zur Teamentwicklung

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Das Team-Reflexivity-Modell wurde von West (1996) entwickelt und eignet sich sehr gut für die praktische Anwendung zur Teamentwicklung auch durch die Führungskraft. Teamreflexivität wird als Möglichkeit zur Entwicklung und zum Lernen im Kontext der Team- und Gruppenarbeit betrachtet. West geht dabei von zwei zentralen Funktionsdimensionen von Teams aus. Er unterscheidet die Aufgabenreflexivität (Task Reflexivity) und die soziale Reflexivität (Social Reflexivity). In . Abb. 10.17 werden die beiden Dimensionen grafisch dargestellt. Task Reflexivity bezieht sich auf die Aufgabe(n), welche das Team zu bearbeiten hat. Diese Dimension umfasst die Teamziele, die Wege und Mittel diese zu erreichen und die Aufgabenorientierung. Social Reflexivity bezieht sich auf die sozialen Faktoren, die mitbestimmen, wie die Teammitglieder das Team als soziale Einheit wahrnehmen. Im Fokus stehen das Teamklima, die gegenseitige soziale Unterstützung und der Umgang mit Meinungsverschiedenheit und Konflikten.

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Ein Team kann abhängig von der Ausprägung der Dimensionen vier unterschiedlichen Typen zugeordnet werden. Auch das ist in . Abb. 10.17 ersichtlich. Nach West (1996) erreichen nur die Teams, welche beide Reflexivitätsdimensionen berücksichtigen und aktiv bearbeiten, sowohl hohe Aufgabenleistungen als auch

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10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

hohe aufgabenbezogene Reflexivität

niedrige soziale Reflexivität

Kalte EffizienzTeam

High Performance Team

(cold efficiency team)

(fully functioning team)

Dysfunktionales Team

Kuschelteam

hohe soziale Reflexivität

(cosy team)

(disfunctional team)

niedrige aufgabenbezogene Reflexivität

..Abb. 10.17  Team-Reflexivitäts-Modell nach West (2012, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons)

eine hohe Zufriedenheit und Wohlbefinden der Teammitglieder. In diesem Fall handelt es sich um ein sogenanntes Fully–functionning-Team, ein sehr gut funktionierendes Team also. Dieses hat gute Chancen, lange konstruktiv zusammenarbeiten zu können und als Team weiter zu bestehen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn man bedenkt, wie lange es dauern kann bis ein Team wirklich gut funktioniert. Wenn eine der beiden Dimensionen vernachlässigt wird, führt das zu einem „cosy-team“ (die Aufgabenreflexivität wird vernachlässigt und die soziale Reflexivität gepflegt). In diesem Fall ist die Leistung reduziert und mittelfristig leidet auch das Wohlbefinden. Diese Teams laufen Gefahr sich rasch aufzulösen bzw. nicht mehr angemessen zu funktionieren. Wird nur die Aufgabenreflexivität und keine soziale Reflexivität gepflegt, dann sprechen wir von einem „cold efficiency team“, was so viel bedeutet wie ein kaltes, aber effizientes Team. Diese Teams erreichen zumindest kurzfristig eine hohe Aufgabenleistung. Allerdings leidet das Wohlbefinden der Teammitglieder, was mittelfristig oft zu einem Motivationsverlust und einem schwachen Teamzusammenhalt führt, dies wiederum kann Auflösungstendenzen nach sich ziehen. Kalte effiziente Teams sind oft bei zeitlich begrenzten Aufgabenstellungen mit Projektcharakter zu beobachten. Die Zielerreichung bzw. die Aufgabenerfüllung stehen klar im Vordergrund, wobei die Fragen der Zusammenarbeit und ihre Auswirkung auf die Teammitglieder in den Hintergrund treten. Psychosoziale Nachteile werden dabei mehr oder weniger bewusst in Kauf genommen. Fehlen beide Dimensionen der Reflexivität, sprechen wir von dysfunktionalen Teams; „dysfunctional teams“ leisten wenig und die Zusammenarbeit ist auch menschlich unbefriedigend. Ein Zustand also, den es unbedingt zu vermeiden bzw. möglichst rasch zu korrigieren gilt.

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Teamreflexivität besteht aus drei Schritten

Die Teamreflexivität besteht aus drei Schritten, die es in der Praxis zu berücksichtigen gilt: 1. Reflektieren das aktuell geschehenden, im Sinne eines Hinterfragens der Ist-Situation und des aktuellen Handelns: Wie nehmen wir die aktuelle Zusammenarbeit wahr? Was läuft gut, was ist eher schwierig? Wie zielführend bearbeiten wir unsere Aufgaben? Was läuft gut und gilt es zu bewahren? Was gilt es zu verbessern? Welche konkreten Verbesserungspunkte sehen wir? Wie können wir diese sinnvoll angehen? 2. Konkrete Lösungen, Verbesserungen und erste Umsetzungsschritte bestimmen und planen: Diese werden aus den Erkenntnissen von Schritt eins weiter konkretisiert. Was werden wir konkret umsetzen? Wer macht was konkret? Wie unterstützen wir uns bei der Umsetzung? Wie stellen wir sicher, dass die Verbesserungen im Alltag Einzug halten? 3. Umsetzung der Verbesserungen in der Praxis: Erste Schritte realisieren, Umsetzung fördern, Verbesserungen implementieren und Erfolg periodisch prüfen. Gegebenenfalls Anpassungen vornehmen. Gegenseitige Unterstützung bei der Umsetzung.

Teamreflexivität ist als Prozess zu verstehen und auch so zu gestalten

Teamreflexivität ist als Prozess zu verstehen und auch so zu gestalten. Reflexivität kann durch Impulse von „außen“ angeregt werden, dann ist es gleichsam eine Reaktion auf externe, im Umfeld des Teams liegende Ereignisse oder Irritationen. Sie kann auch von „innen“ angeregt entstehen und ist dann ebenfalls eine Reaktion, nur dass die Impulse oder Irritationen aus dem Team kommen. Typische Auslöser sind zum Beispiel: Fehler und Irrtümer treten häufiger auf. Es treten störende Differenzen oder Konflikte im Team oder mit Außenstehenden auf. Veränderungen in der Teamzusammensetzung. Geänderte Anforderungen führen dazu, dass die bisherige Arbeitsweise überdacht werden muss. Es bestehen unterschiedliche Auffassungen bzgl. der zu erreichenden Ziele bzw. des zu wählenden Vorgehens. Es bestehen Ressourcenengpässe. Es werden neuen Technologien eingesetzt.

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Diese Auflistung ist nicht erschöpfend, sondern soll eine Vorstellung möglicher Auslöser schaffen. Entscheidend ist es als Führungskraft, gemeinsam mit dem Team auf diese Auslöser angemessen zu reagieren. Das bedeutet konkret, inne zu halten und bezogen auf die auftretenden Phänomene Fragen zu stellen, Antworten und hilfreiche Maßnahmen zur Verbesserung zu generieren. Bei Erfolgen kann es darum gehen zu ergründen, welche Faktoren einen wichtigen Beitrag dazu geleistet haben, diese bewusst zu machen und weiter zu betonen und zu verankern. Jedes Team kann zudem, und dies ist auf jeden

10.8  •  Führen von Gruppen und Teams

Fall sinnvoll, regelmäßig die Reflexivität als festen Bestandteil der Zusammenarbeit bzw. zu deren Stabilisierung und Optimierung nutzen. In diesem Sinne leistet die Teamreflexivität auch einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung der täglichen Arbeit und Leistungserbringung. Dazu sind gewisse Voraussetzungen zu schaffen. Zum einen sind strukturelle Elemente wie zum Beispiel vorhandene „Reflexionsräume“ in Form von Zeit und passenden Gefäßen wichtige Voraussetzung. Zudem braucht es von Seiten der Teammitglieder sowohl die Bereitschaft, sich auf einen solchen Prozess einzulassen wie auch die dazu notwendigen „Reflexionskompetenz“. Dazu braucht es möglicherweise Trainingsmaßnahmen auf der individuellen und der Gruppenebene. Zum Glück ist die Reflexionsbereitschaft und -fähigkeit den meisten Menschen eigen. Gleichzeitig ist hier, wie bei anderen Fähigkeiten auch, eine Pflege und Übung wichtig, um sich weiterzuentwickeln, individuell und als Team. Besonders, wenn man darin eine Meisterschaft entwickeln möchte. Der Ansatz der Teamreflexivität kann mit der Kasseler Teampyramide kombiniert werden. Diese liefert ein gutes Vorgehensraster, und die oben aufgeführten Leitfragen können dazu genutzt werden. Die Teamreflexivität stellt ein hilfreiches und leicht anzuwendendes Entwicklungsinstrument dar, welches es den Teams und den Führungskräften ermöglicht, sich aus sich selbst heraus, im Sinne eines Selbstmanagements, weiterzuentwickeln und eigenverantwortlich voranzuschreiten. Um ein High-Performance-Team zu werden oder zu bleiben bietet diese Methodik und die damit verbundene Partizipation Teams eine gute Basis. Damit Teamentwicklung gelingt, braucht es eine permanente Umgebungsreflexion, da Gruppen und Teams nur über ihre Abgrenzung zur Umgebung funktionsfähig sind. Teamentwicklung heißt also auch Grenzmanagement, da die Abgrenzung der Gruppe oft in einem gewissen Widerspruch zur Organisation als gesamtes steht. Dieses Grenzmanagement ist anspruchsvoll und fordernd, weil innerhalb der Organisation oftmals Kräfte dem autonomen Funktionieren von Teams entgegenwirken. Für Teams und Gruppen bedeutet es auch, dass sie lernen müssen, Anforderungen zu stellen und einzufordern, was sie brauchen, um effektiv arbeiten zu können. Wichtig ist auch, die bereits vorhandenen Freiheiten, Möglichkeiten und Spielräume zu erkennen und konstruktiv zu nutzen. Letztendlich braucht es die Bereitschaft aller Beteiligten, sich auf diesen Prozess einzulassen. Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden zentrale Grundlagen der Zusammenarbeit von Menschen in Gruppen und Teams erläutert. Im

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Teamreflexivität kann mit der Kasseler Teampyramide kombiniert werden

Zusammenfassung

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Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

ersten Teil wird beschrieben, was unter sozialen Systemen verstanden wird, welchen Einfluss die Gruppendynamik auf das Funktionieren von Teams bzw. Gruppen hat und wie sich diese Gruppenprozesse erfolgreich steuern lassen. Es wird ebenfalls gezeigt, dass Gruppen schon sehr früh in der Biografie bzgl. der Sozialisierung eines Menschen eine wichtige Rolle spielen. Im Verlauf des Kapitels wurden die Vor- und Nachteile von Teamarbeit dargelegt und erklärt, welche Faktoren wichtig sind, damit sich ein leistungsfähiges Team entwickeln kann. Der Führung und den Führungskräften kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Das Führen von Gruppen und Teams ist etwas anderes, als das Führen einzelner Menschen. Das Input-Prozess-Output-Modell liefert dazu einen hilfreichen Orientierungsrahmen. Es wurde auch aufgezeigt, welche Arten der Teamführung heute als erfolgsversprechend gelten und wie Führung zu gestalten ist. Führungskräfte werden heute zunehmend gefordert, da sie vermehrt mit engagierten und selbstbewussten Teams zusammenarbeiten und dieses auch führen sollen. Gefordert wird daher die Bereitschaft, sich als Führungskraft sowohl als integrierender Moderator wie auch als Leader zu verstehen, um die Balance zwischen der Selbststeuerung der Teams und der erfolgreichen Umsetzung der vereinbarten Arbeitsziele innerhalb der Organisation zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wurde der Ansatz der „geteilten Führung“ vertieft erläutert. Ebenfalls wurden die Themen „Führen von virtuellen Teams“ und Teamentwicklung durch die Führungskraft vertieft und praxisnah erklärt.

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Fragen zur Vertiefung

Fragen zur Vertiefung 1. 2. 3. 4. 5.

Wann kamen sie das erste Mal mit Gruppen in Kontakt? Welche Rolle spielten diese Gruppen damals für Sie? Wie wurden Sie damals beeinflusst von diesen Gruppen? Welche Auswirkungen hat dies ggf. heute noch? Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Gruppen bzw. mit Teamarbeit im beruflichen Kontext gemacht? Was war positiv? Was war eher schwierig? 6. Was ist aus Ihrer persönlichen Sicht erfolgsentscheidend bei Gruppen- bzw. Teamarbeit? 7. Welche Inhalte aus dem vorliegenden Kapitel sind für Sie besonders wichtig? 8. Was wollen Sie umsetzen? Wozu, mit welchem Ziel? 9. Welche Inhalte sehen Sie eher kritisch? Weshalb? 10. Welche Punkte der Teamführung wollen Sie bei sich persönlich weiter entwickeln? Was versprechen Sie sich davon?

Literatur

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453

10

454

10

Kapitel 10  •  Arbeiten in und mit Gruppen

Aspekte und Standardisierung, GI-Edition Lecture Notes in Informatics (LNI) (Bd. 236, S. 47–58). Bonn: Köllen. Hmieleski, K. M., Cole, M. S., & Baron, R. A. (2012). Shared authentic leadership and new venture performance. Journal of Management, 38, 1476–1499. Hofstede, G. (2005). Cultures and organizations: software of the mind (2. Aufl.). London, New York: McGraw-Hill. Houghton, J. D., Neck, C. P. & Manz, C. C. (2003). Shared leadership: Reframing the hows and whys of leadership (S. 123–140). Thousand Oaks: Sage. Janis, I. L. (1982). Groupthink, psychological studies of policy decisions and fiascos (2. Aufl.). Boston: Houghton-Mifflin. Kauffeld, S. (2001). Teamdiagnose. Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie. Kauffeld, S. (2004). Fragebogen zur Arbeit im Team (1. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Kauffeld, S., & Lehmann-Willenbrock, N. (2016). Teamdiagnose und Teamentwicklung. In I. Jörns (Hrsg.), Erfolgreiche Gruppenarbeit: Konzepte Instrumente Erfahrungen (2. Aufl. S. 37–55). Wiesbaden: Gabler. Kauffeld, S., Ianiro, P. M., & Sauer, N. C. (2014). Führung. In S. Kauffeld (Hrsg.), Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor (S. 71–98). Berlin: Springer. König, O., & Schattenhofer, K. (2015). Einführung in die Gruppendynamik (7. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Krämer, B., & Deeg, J. (2008). Die Optimierung der virtuellen Teamarbeit. In G. Schreyögg & P. Conrad (Hrsg.), Gruppen- und Teamorganisation, Managementforschung (1. Aufl. S. 165–208). Wiesbaden: Gabler. Kriz, W. C., & Nöbauer, B. (2008). Teamkompetenz: Konzepte, Trainingsmethoden, Praxis: mit einer Materialsammlung zu Teamübungen, Planspielen und Reflexionstechniken (4. Aufl.). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Krüger, W. (2013). Teams führen (7. Aufl.). Freiburg: Haufe. Kühl, S., & Mathiesen, K. (2012). Wenn man mit Hierarchie nicht weiterkommt. In S. Grote (Hrsg.), Die Zukunft der Führung (S. 531–556). Berlin: Springer Gabler. Lewin, K. (2012). Feldtheorie in den Sozialwissenschaften: ausgewählte theoretische Schriften. Bern: Huber. Montoya-Weiß, M. M., Massey, A. P., & Song, M. (2001). Getting it together: temporal coordination and conflict management in global virtual teams. Academy of Management Journal, 44, 1251–1262. Moreno, J. L. (2008). Gruppenpsychotherapie und Psychodrama: Einleitung in die Theorie und Praxis (6. Aufl.). Stuttgart: Thieme. Moscovici, S. (1980). Toward a theory of conversion behavior. In L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (S. 209–239). New York: Academic Press. Pearce, C., & Manz, C. (2005). The new silver bullets of leadership: the importance of self- and shared leadership in knowledge work. Organizational Dynamics, 34, 130–140. Pearce, C. L., & Sims, H. P. (2002). Vertical versus shared leadership as predictors of the effectiveness of change management teams: an examination of aversive, directive, transactional, transformational and empowering leader behaviors. Group Dynamics: Theory, Research and Practice, 6, 172–197. Piecha, A., Wegge, J., Werth, L., & Richter, P. G. (2012). Geteilte Führung in Arbeitsgruppen–ein Modell für die Zukunft? In S. Grote (Hrsg.), Die Zukunft der Führung (S. 557–572). Berlin: Springer Gabler. Rauch, J. (2016). Unterlagen CAS Team erfolgreich steuern und leiten. Zürich: ZHAW. Schauf, M. (2002). Telearbeit als Managementproblem. München. Schindler, R. (1968). IV. Internationaler Kongress für Gruppenpsychotherapie. Kongressberichte, Wien, 16–21 Sept. Wien: Wiener medizinische Akademie. Semmer, N., Zapf, D., & Greif, S. (1996). „Shared job strain”: a new approach for assessing the validity of job stress measurements. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 69, 293–310.

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455

10

457

Die Gestaltung von Rahmenbedingungen für die erfolgreiche Rollenübernahme der Mitarbeitenden Kapitel 11

Beratung und Coaching im Einzelund Gruppensetting – 459 Eric Lippmann

Kapitel 12

Organisieren als Führungsaufgabe  –  483 Urs Jörg, Stephan Burla

Kapitel 13

Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement – 517 Renée Bremi, Christoph Negri, Birgit Werkmann-Karcher, Daniel Nordmann, Claudia Beutter

Kapitel 14

Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit  –  607 Urs Alter, Jean-Christophe Duméril, Stefan Heer, Hansjörg Künzli

Kapitel 15

Führen mit Zielen  –  675 Christoph Hoffmann, Andres Pfister

III

459

Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting Eric Lippmann 11.1

Was ist Beratung?  –  460

11.1.1 Professionelle Beratung – 461 11.1.2 Anlässe für Beratung  –  462 11.1.3 Experten‑, Prozess- und Komplementärberatung  –  463

11.2

Ablauf und Design von Beratungsprojekten  –  465

11.3

Formen von Beratung  –  470

11.3.1 11.3.2

Unternehmensberatung, Organisationsberatung und -entwicklung – 470 Supervision und Coaching  –  472

11.4

Suche und Auswahl von Beratern  –  477

11.5

Führungskraft als Coach? Möglichkeiten und Grenzen – 479 Literatur – 481

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_11

11

460

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

Auf einen Blick

Auf einen Blick Wenn Führungskräfte heute im Rahmen ihrer Tätigkeit mit verschiedenen Formen der Beratung in Berührung kommen, so ist es wichtig, dass sie sich als Kunden „kundig“ fühlen bezüglich der Qualitätsaspekte solcher Dienstleistungen. Dieses Kapitel geht zuerst der Frage nach, was professionelle Beratung ausmacht und was die zentralen Anlässe für Beratungen sein können. Die Beschreibung von Ablauf und Design von Beratungsprojekten geben eine Orientierung über die wichtigen Phasen in einem Beratungsprozess. Um je nach Situation die richtige Beratungsform wählen zu können, werden die wichtigsten Settings der Einzel- und Gruppen‑ beratung beschrieben. Einige Hinweise zu Suche und Auswahl von Beratern unterstützen die Führungskraft darin, auf die wesentlichen Punkte zu achten. Der letzte Abschnitt setzt sich kritisch mit dem Modewort „Führungskraft als Coach“ aus‑ einander und zeigt Möglichkeiten und Grenzen der Beratung aus der Führungsrolle auf.

11.1

11

Was ist Beratung?

Führungskräfte kommen im Rahmen ihrer Tätigkeit mit verschiedenen Formen der Beratung in Berührung. Die Beratungsbranche hat sich in den letzten Jahren immer mehr differenziert, sodass es nicht einfach ist, sich bei Beratungsbedarf in dem „Dschungel“ zurechtzufinden. Dazu kommt, dass die Beratungsbranche nicht nur in positivem Licht dargestellt wird. In diesem Kapitel wird deshalb der Frage nachgegangen, was professionelle Beratung ausmacht und was die wichtigsten Anlässe für Führungskräfte sein können, Beratung in Anspruch zu nehmen. Je nach Anlass können drei Hauptformen der Beratung in Organisationen unterschieden werden, die Prozess- und die Expertenberatung sowie Kombinationen davon. Beratung steht heute als Oberbegriff für viele Formen der Hilfe. Was eigentlich genau im Rahmen der Beratung geschieht und zu welchen Ergebnissen sie führen soll, kann als gemeinsame Definition der beteiligten Akteure verstanden werden. Deshalb sind die Vorstellungen und das Verständnis von Beratung sehr unterschiedlich (Müller et al. 2006). Beraten wird in der Regel klar unterschieden von Führen und Entscheiden. Bei einem Beratungsprojekt stehen sich zwei soziale Systeme in Interaktion gegenüber bzw. kommunizieren miteinander (Königswieser und Hillebrand 2015): das Klientensystem (KS) und das Beratersystem (BS; . Abb. 11.1). Dabei kann es sich beim Klientensystem um eine (in einen organisationalen Kontext eingebundene) Einzelperson oder um mehrere

461

11.1  •  Was ist Beratung?

11

Umwelt

KS

BKS

BS

Interaktionen Rollenübernahmen

..Abb. 11.1  Berater-Klienten-System (BKS)

Personen handeln (Teams, Abteilungen, Organisationseinheiten), Auftraggeber eingeschlossen. Je nach Komplexität der Beratung kann das Beratersystem aus einer Person oder mehreren bestehen. Während des Beratungsprojektes etabliert sich ein drittes System, das Berater-Klienten-System (BKS), das seinerseits als soziotechnisches System (7 Kap. 2) verstanden werden kann. Beratung ist somit kein fertiges Produkt, sondern interaktives Geschehen: erst durch den Abschluss eines Beratungsvertrages erklären beide Systeme das jeweils andere System als relevante Umwelt; erst damit können sich die entsprechenden Rollen im BKS mit den damit verbundenen Erwartungen herauskristallisieren. Die Umwelten (vom KS, BS und BKS) sind dabei auch relevant, wenn es um die Beurteilung geht, ob die Beratung insgesamt als „sinnvolles Geschehen“ betrachtet wird. 11.1.1

Professionelle Beratung

Auch wenn es in der Literatur kontrovers diskutiert wird, so wird in der Regel davon ausgegangen, dass in der professionellen Beratung das Beratungssystem vom Kundensystem getrennt ist (Titscher 2001). In den meisten Fällen bedeutet dies Beratung durch externe Personen oder durch Angehörige einer internen Spezialabteilung, was jedoch nur in größeren Organisationen möglich ist. Mit dieser Forderung wird auch die Frage beantwortet, ob die Führungskraft ihre eigenen Mitarbeitenden professionell beraten kann. Gerade weil „die Führungskraft als Coach“ in letzter Zeit wieder vermehrt in Mode gekommen ist, soll dieser Frage am Schluss dieses Kapitels noch detaillierter nachgegangen werden. Professionelle Beratung im beruflichen Kontext wird an dieser Stelle wie folgt verstanden:

Beratung als interaktives Geschehen

462

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

Definition 

Definition: Beratung

-

Beratung im beruflichen Kontext kann verstanden werden als professionelle Form von Beratung von Individuen oder Organisationen (bzw. Organisationseinheiten) mit Fokus auf das Spannungsfeld Person – Rollen – Organi‑ sation – Umwelt, in der vom Kundensystem definierte Anliegen heraus- bzw. bearbeitet werden, in der entsprechende Ziele definiert werden, für und bei deren Erreichung das Kundensystem vom Beratersystem unterstützt wird, auf der Basis einer tragfähigen, kooperativen, für beide Seiten als sinnhaft und „zieldienlich“ erlebten Beratungs‑ beziehung, in (meist durch Verträge) definierten Setting(s), durch ein Beratersystem mit für die Anliegen erforderlichen Bera‑ tungs-, evtl. Sach- und Feldkompetenzen, mit einem Beratersystem, das auf der Basis eines Bera‑ tungskonzeptes agiert, das den Beratungsprozess, die eigene Rolle und das jeweilige Vorgehen transparent und „zieldienlich“ gestaltet.



Beratung: Ziel einer Beratung

11

Ziel ist bei jeder Beratung, zumindest graduell bearbeitbare, konkrete Anliegen herauszukristallisieren und schrittweise zu bearbeiten, sodass das Kundensystem möglichst (rasch wieder) ein hilfreiches Erleben von Kompetenzen entwickelt. Zudem soll die Kompetenz erhöht werden, damit das Kundensystem die Entscheidung treffen kann, die für das jeweilige Anliegen zieldienlich ist. 11.1.2

Beratung: Ziel von expliziter und impliziter Beratung

Anlässe für Beratung

Beratung kann verschiedene Funktionen übernehmen, die explizit aber auch implizit sein können. Zu den expliziten Funktionen der Beratung gehören die, welche im Berater-Klienten-System offen ausgehandelt sind, während die impliziten hintergründig verfolgt und nicht offen deklariert werden („hidden agenda“). Meistens kann davon ausgegangen werden, dass eine Mischung von beiden vorhanden ist. Einige wichtige offizielle Anlässe für Beratung in Organisationen seien in . Tab. 11.1 kurz aufgelistet (Müller et al. 2006; Titscher 2001).

463

11.1  •  Was ist Beratung?

11

..Tab. 11.1  Anlässe für Beratung Diagnose

Erstellen einer Diagnose des Unternehmens oder von Subeinheiten

Informationen

Beschaffung, Vermittlung und Interpretation von externen und internen Informationen, Nutzen von Erfahrungen aus der Bearbeitung ähnlich gelager‑ ter Problemstellungen in anderen Unternehmen

Entscheidungen

Entscheidungsvorbereitung (Bereitstellen von In‑ formation, Begleiten des Willensbildungsprozesses und der Entscheidungsfindung), Absicherung von Entscheidungen durch Erstellen einer Analyse bzw. eines Gutachtens (Durchset‑ zungs- und Legitimationsfunktion)

Veränderungen

Anstoß bekommen für Veränderungen, Stimulation und Begleitung von Veränderungs‑ prozessen

Innovation

Mobilisieren kreativen Potenzials, Verteilung von neuem Wissen in der Organisation Unterstützung bei Lernprozessen

Kapazitäts‑ erweiterung

Zeitweise Ergänzung von Kompetenzen (qualita‑ tive und quantitative) im Unternehmen, kostengünstige Bewältigung von Nicht-RoutineAufgaben, schneller Zugang zu speziellen Problemlösungs‑ techniken

Neutralität

Bei kontroversen und konfliktträchtigen An‑ sichten oder Auseinandersetzungen neutrale Meinung bzw. Begleitung und Schlichtung im Hinblick auf Interessensausgleiche

11.1.3

Experten‑, Prozessund Komplementärberatung

Je nach Anlass ist es auch sinnvoll, die von Schein (2010) eingeführte Unterscheidung in Experten- und Prozessberatung als Orientierung zu nehmen, um die Erwartungen an die Beratung zu präzisieren.

Expertenberatung Expertenberatung ist dadurch gekennzeichnet, dass das Kundensystem das Anliegen bzw. Problem an das Beratersystem delegiert zur Bearbeitung bis hin zu Lösungsvorschlägen. Häufig findet sich diese Art der Beratung in Gebieten wie etwa Informatik, Ingenieurwesen (inkl. Architektur), Recht (inkl. Steuern) und Betriebswirtschaft. Doch auch im persönlichen oder interpersonellen Bereich erwarten Kunden oft konkrete Lösungsvorschläge.

Expertenberatung

464

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

Die Expertenberatung setzt voraus, dass das Kundensystem das Problem richtig erkannt hat, weiß, welches Spezialistentum es dafür braucht und klar kommuniziert, welche Art Lösung benötigt wird. („Ich sage Dir, welches Problem ich habe, und Du lieferst mir dafür die Lösung.“) Als Variante davon kann das „Arzt-PatientModell“ betrachtet werden, bei dem sogar die Verantwortung für die richtige Problemdiagnose dem Beratersystem delegiert wird. („Ich sage Dir, wo es weh tut und Du sagst mir was es ist und lieferst mir das Rezept zur Lösung.“) Beide Formen der Expertenberatung bedingen, dass die Lösung vom Kundensystem akzeptiert und auch angewendet wird. Dies setzt voraus, dass keine unangenehmen Nebenwirkungen zu erwarten sind, ansonsten wird die Lösung vermutlich abgelehnt. Expertenberatungen eignen sich somit vor allem bei sehr sachorientierten Problemen, bei denen im Kundensystem kein Knowhow vorhanden ist und auch nicht aufgebaut werden kann oder soll. Der Vorteil eines externen Experten kann darin liegen, dass er tatsächlich neutral, frei von organisationsinternen Machtspielen eine sachorientierte Lösung ausarbeiten kann. Eine erfolgreiche Umsetzung bedingt dann aber, dass das Beratersystem auch bei allfälligen Folgeproblemen Unterstützung leistet. Damit sind wir bei den hauptsächlichen Gefahren und Nachteilen der Expertenberatung: Die Organisation lernt selbst wenig dazu und bleibt in der Regel abhängig vom externen Expertenwissen. Damit erhöht sich auch die Gefahr, dass das Beratersystem zu einer Entscheidungsmacht wird („Ersatzmanagement“) und bei Misslingen wird die Schuld in der Regel gegenseitig hin- und hergeschoben. Zudem werden reine Expertenberatungen der Komplexität von Organisationen als soziotechnische Systeme in der Regel zu wenig gerecht, da es bei der Realisierung von Lösungen neben den Sachaspekten sehr oft auch um weiche Faktoren geht, die sich jedoch weniger genau bestimmen lassen.

11

Prozessberatung

Prozessberatung Als Hauptunterschied zur Expertenberatung behält das Kundensystem während des ganzen Beratungsprozesses die volle Verantwortung für das Anliegen bzw. die Problemstellung und erarbeitet mithilfe des Beratersystems angemessene Lösungen dafür. („Du hilfst mir das Problem zu definieren und dafür Lösungen zu erarbeiten.“) Diese Vorstellung geht davon aus, dass das Kundensystem letztlich am besten weiß, was es an Lösungen brauchen und umsetzen kann, da es auch die Konsequenzen zu verantworten hat. Das Beratersystem hilft dem Kundensystem, die prozesshaften Ereignisse in der Umwelt wahrzunehmen, adäquat zu interpretieren und zu verstehen und ihnen angemessen zu begegnen (im Handeln). Damit trägt das Beratersystem die Verantwortung für den Beratungsprozess und nicht für das Ergebnis bzw. dessen

11.2  •  Ablauf und Design von Beratungsprojekten

465

11

Umsetzung. Das Kundensystem wird darin unterstützt, die ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen zu nutzen, nicht vorschnell mögliche Informationen und Lösungsmöglichkeiten auszublenden und somit die Wahlfreiheit optimal zu erhöhen, eine Lösung zu finden, die als die eigene akzeptiert wird. Damit erhöht sich ebenfalls die Chance, dass die Lösung effektiv umgesetzt wird. Die Prozessberatung verfolgt letztlich das Ziel, dem Kundensystem das Diagnose- und Interventions-Know-how zu vermitteln, damit es befähigt wird, die Organisation selbst sukzessive zu verbessern. Das Schlagwort „Hilfe zur Selbsthilfe“ bzw. das Sprichwort „Statt den Menschen Fische zu geben, sollte man ihnen das Fischen beibringen“ bringen diesen Ansatz auf den Punkt. Es geht also darum, die Lernfähigkeit des Kundensystems zu erhöhen, damit es zukünftige Probleme selbst lösen kann. Expertenberatung steht daher eher für „single-loop“-Lernen, Prozessberatung für „double-loop“-Lernen, also das Lernen zu lernen.

Integration von Fach- und Prozessberatung Da in der Realität weder die Experten-, noch die Prozessberatung in „Reinform“ zur Anwendung kommen, plädieren in letzter Zeit immer mehr Berater dafür, die Trennung aufzuheben und eine sinnvolle Integration anzustreben (Titscher 2001). Königswieser und Hillebrand (2015) haben dafür den Begriff der Komplementärberatung genommen. Sie vertritt klar die Ansicht, dass sich die Prozessberatung verstärkt um das Fachwissen relevanter Geschäftsprozesse wird kümmern müssen. Ebenso wird es umgekehrt nötig sein, dass sich die Expertenberater Prozess-Knowhow aneignen, um Konzepte rascher und nachhaltiger umsetzen zu können. „In der Bündelung beider Know-how-Bereiche“ liegt demnach die Zukunft von Beratung (Königswieser und Hillebrand 2015). Wimmer et al. (2015) betrachten Unternehmen als „Sinn verarbeitende“ Systeme. Eine integrative Beratung bezeichnen sie als Beratung im Dritten Modus. Diese berücksichtigt drei zentrale Sinndimensionen: Die sachliche Dimension: Aufgaben, Strategie usw.; die zeitliche Dimension: vorher/nachher, Abläufe, Ereignisse, Be‑/Entschleunigung usw. und die soziale Dimension: die verschiedenen Perspektiven, die in Organisationen bestehen und Konsens bzw. Dissens ausmachen können. 11.2

Integration von Fachund Prozessberatung

Ablauf und Design von Beratungsprojekten

Da professionelle Beratungen einen genau bestimmten Anfang und ein klares Ende haben sollen und einen Auftrag(geber) haben, können sie wie ein Projekt betrachtet werden (7 Kap. 16). Wie Beratungsprojekte im Einzelnen geplant oder designt werden und

Ablauf und Design von Beratungsprojekten

466

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

..Tab. 11.2  Ablauf und Design von Beratungsprojekten Mögliche einzelne Schritte

Typische Phasen

1. Erste Annahme, Überlegungen des KS

Einstieg, Kontakt und Kontextklärung

2. Anfrage, erste Hypothesen des BS 3. Erstkontakt 4. Definition des Problems/Anliegens 5. Auftrag Beratungsprojekt (inkl. Kom‑ munikationskonzept)

Vereinbarungs- und Kon‑ traktphase; Aufbau einer Arbeitsbeziehung

6. Diagnose (Datenerhebung)

Ist (Situation) und Soll (Ziele) herausarbeiten

7. Datenaufbereitung, Hypothesen 8. Datenrückspiegelung, gemeinsame Diagnose

11

9. Auftrag zur Konzeptentwicklung, Maßnahmenplanung mit entsprechen‑ den Interventionsstrategien (z. B. Pilot‑ projekte, Teilprojekte) als Grundlage für:

Lösungen entwickeln und

10. Entscheidung

Entscheiden

11. Implementierung

Umsetzung sichern

12. Auswertung, Abschluss und Evaluation

Auswertung, Abschluss und Evaluation

BS Beratersystem, KS Klientensystem

wie sie konkret ablaufen, hängt natürlich vom jeweiligen Auftrag und den jeweiligen Erfahrungen des Kunden- und Beratersystems ab. Im Folgenden wird ein idealtypischer Ablauf eines Beratungsprojektes dargestellt mit möglichen einzelnen Schritten (die natürlich je nach Beratungsart stark variieren) und den dazugehörenden typischen Phasen (. Tab. 11.2). zz 1. Erste Annahmen und Überlegungen im Klientensystem (KS) erste Annahmen

Anlass ist in der Regel eine Situation oder Sachlage, die als nicht optimal erlebt wird und den Wunsch nach Veränderung generiert. Hier treten möglicherweise auch schon Überlegungen auf, dass für Veränderungen die Unterstützung durch eine Beratung sinnvoll sein könnte. Nur beeinflusst schon die Frage, wer überhaupt die Idee einer Beratung (als ein Lösungsversuch neben vielen denkbaren) vorgebracht hat, die Vorstellung darüber, welche Bedeutung der Beratung zukommt (z. B. Unterwerfungsritual, Schuldzugeständnis, Versagensvorwürfe oder besonderes Privileg, sich das leisten zu können usw.). Auch der Prozess des Suchens und

11.2  •  Ablauf und Design von Beratungsprojekten

467

11

Findens eines Beraters (Empfehlung, durch wen? Verordnung, mit oder ohne Wahlfreiheit? Langwierige Suche mit evtl. Wartezeit?) hat Einfluss darauf, wie die Beratung aufgenommen wird. Gefahren: Klienten haben schon fertige Lösungen im Kopf oder machen nur gezielte Vorsondierungen im Sinne von „man hört nur, was man hören will“.

-

zz 2. Anfrage, erste Hypothesen im Beratersystem (BS)

Nach einer meist telefonischen Kontaktaufnahme ist es sinnvoll, dass sich das Beratersystem Hypothesen vor dem ersten Treffen bildet (Titscher 2001). Damit beginnt ein Prozess, den Königswieser die „systemische Schlaufe“ nennt (Königswieser und Hillebrand 2015) und der als Basismodell für alle Teilschritte in der Beratung dient: Informationen sammeln, Hypothesen bilden, Interventionen planen und durchführen, erneut Informationen sammeln usw. Die Hypothesen aufgrund der ersten Anfrage sind die Basis, von der aus das Beratersystem die Situation des Erstkontakts gestaltet.

erste Hypothesen als Teil der „systemischen Schlaufe“

zz 3. Erstkontakt

Beim Erstkontakt geht es darum, dass beide Seiten die gegenseitigen Erwartungen benennen, um am Schluss entscheiden zu können, ob sie sich eine Beratung vorstellen, einen Auftrag formulieren und eine Vereinbarung treffen können (7 Abschn. 11.4).

Erstkontakt

zz 4. Definition des Problems/Anliegens

Hier werden in der Regel die expliziten Gründe für die Beratung genannt (7 Abschn. 11.1.2), kaum jedoch die impliziten bzw. solche, die ein Tabu berühren. Eine erste Kategorisierung des im Erstkontakt genannten Problems kann nach den in . Abb. 11.2 dargestellten Typen erfolgen. Damit wird vorsondiert, welche Beratungsart angebracht ist. Aus der Definition des Problems sollte hervorgehen, wer bzw. welche Stelle welche Beziehung zum Problem hat. Erst nach der Beantwortung dieser Frage kann man daran gehen, das Klientensystem und das Beratersystem zu definieren und zu klären, wer Auftraggeber ist. Gefahren: Oft werden genaue Vereinbarungen nicht für nötig empfunden; dies erhöht jedoch die Wahrscheinlichkeit für spätere Missverständnissen und Konflikte.

Definition des Anliegens

-

zz 5. Auftrag

Wenn beide Seiten nach der Kontaktphase beschließen, in einen Beratungsprozess einzusteigen, dann kann entweder in einem weiteren Gespräch oder bei einfacheren Projekten gleich im Anschluss daran der Auftrag detailliert vereinbart werden (7 Abschn. 11.4). Die Kontakt- und Vertragsphasen bilden gewissermaßen den Boden, auf dem die eigentliche Beratungsarbeit fortgesetzt wird. Als äußeren Rahmen werden sie für das gesamte Projekt festgelegt.

Auftrag für das Beratungsprojekt

468

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

kompliziert

Expertenberatung

organisatorisches komplex

Organisationsberatung (bzw. auf der Ebene von Subeinheiten)

Problem, Anliegen

interpersonelles

Supervision individuelles

Coaching

..Abb. 11.2  Erste Problemklassifikation mit Beratungsindikation

-

Bei jedem einzelnen Teilprojekt geht es aber immer wieder darum, dafür konkrete Anliegen und Vorgehensweisen zu vereinbaren. Gefahren: Es werden gesamtheitliche Beratungsdesigns angeboten, ohne dass im Vorfeld genügend klar ist, welches die eigentlichen Probleme im Kundensystem sind. Bei größeren Beratungsprojekten empfiehlt es sich deshalb, einen Vertrag vorzuschlagen und anzubieten, der nur die Diagnose umfasst (Titscher 2001), um spätere Schritte dann separat zu vereinbaren.

11

zz 6. Diagnose Diagnose

„Keine Maßnahme ohne Diagnose“ lautet einer der Grundsätze bei der Beratung von Veränderungsprojekten (Doppler und Lauterburg 2014; Titscher 2001; Krizanits 2015). Wie umfangreich die Diagnose sein soll und mit welchen Methoden gearbeitet wird, hängt stark vom Auftrag ab. Gefahren: Falsche Methoden, falsche Fragen führen zu „falschen Daten“. Deshalb ist es zentral, in dieser Phase sehr sorgfältig vorzugehen. Es würde den Umfang hier sprengen, genauer auf die Diagnose einzugehen. Dabei sei aber ausdrücklich betont, dass qualitativ gute Diagnosen zentraler Bestandteil einer wirksamen Beratung sind. Eine der Hauptgefahren besteht darin, diesem Teil zu wenig Bedeutung beizumessen. Da aber die meisten Beratungsbücher der Diagnose viel Platz einräumen, verweisen wir auf die entsprechende Literatur (Doppler und Lauterburg 2014; Schmidt und Berg 1995; Titscher 2001; Glasl et al. 2014; Krizanits 2015).

-

11.2  •  Ablauf und Design von Beratungsprojekten

469

11

zz 7. Datenaufbereitung, Hypothesen formulieren

Aus der Menge der Daten gilt es nun, in einem zentralen Schritt die Daten angemessen aufzubereiten und Hypothesen zu formulieren, damit dem Kundensystem eine Grundlage geboten werden kann, um das weitere Vorgehen bestimmen zu können. Dabei ist es eine der Hauptleistungen einer professionellen Beratung, aus der Fülle der Daten das „Wesentliche“ herauszukristallisieren.

Datenaufbereitung, Hypothesen formulieren

zz 8. Datenrückspiegelung, gemeinsame Diagnose

In der Regel werden die Ergebnisse aus der Datenaufbereitung allen Mitgliedern des Kundensystems zurückgemeldet, die an der Datenerhebung mitgewirkt haben. Aufgrund dieser Rückspiegelung erstellt das Berater-Klienten-System eine gemeinsame Diagnose. Diese bildet die Grundlage für das weitere Vorgehen, beispielsweise das Erarbeiten von Maßnahmen zur Stärkung der vorhandenen Ressourcen und um die aufgeführte Defizite bezogen auf die Problemstellung zu beheben. Gefahren: Heikle Daten werden nicht zurückgemeldet oder landen im „Giftschrank“ oder es werden nur Sichtweisen von bestimmten Interessensgruppen, in der Regel der „Mächtigen“, favorisiert.

gemeinsame Diagnose

-

zz 9. und 10. Auftrag zur Konzeptentwicklung, Maßnahmenplanung und Entscheidungsfindung

Häufig ergeben sich Hinweise für neue Lösungen aus der Diagnose, und das Kundensystem fühlt sich selbst dazu in der Lage, die weiteren Schritte einzuleiten. In diesem Fall kann die Beratung beendet werden. Andernfalls ist es sinnvoll, an dieser Stelle einen neuen Beratungsauftrag auszuhandeln, sei es wieder für die unmittelbar nächsten Schritte oder aber für eine Begleitung bis hin zur Auswertung und Evaluation des Projektes. Mögliche nächste Schritte sind das Ausarbeiten von Maßnahmen zur Zielerreichung mit den entsprechenden Interventionen („Bis wann muss was geschehen?“, z. B. Teil- oder Pilotprojekte), die dann als Grundlage dienen, um zu entscheiden, welche Lösungen definitiv umgesetzt werden sollen. Manchmal wünscht ein Kundensystem auch nur Begleitung in der Entscheidungsphase. Gefahren: Man konzentriert sich nur auf Lösungen in Richtung Veränderung und achtet zu wenig auf „das Gute im Schlechten“ bzw. auf Kräfte im Kundensystem, die gute Gründe haben, am Bestehenden festzuhalten. Zudem läuft man Gefahr, alles Bisherige abzuwerten und so Widerstand gegen angestrebte Lösungen zu verstärken. Deshalb geht es bei der Ausarbeitung bzw. beim Entscheiden von Lösungen darum, einen optimalen Interessensausgleich der wichtigsten Kräfte im Kundensystem anzustreben. Das heißt jedoch nicht, einen faulen Kompromiss einzugehen, manchmal

-

Auftrag zur Kon‑ zeptentwicklung, Maß‑ nahmenplanung und Entscheidungsfindung

470

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

erfordert der „Zeitwettbewerb“ auch die Unterstützung der „mutigen“ Kräfte im System (Doppler und Lauterburg 2014). zz 11. Umsetzung sichern Umsetzung sichern

Der Erfolg einer Beratung misst sich nicht zuletzt daran, ob die Lösungen, für die sich das Kundensystem entschieden hat, in der Praxis auch umgesetzt werden können. Deshalb ist dieser Phase besondere Aufmerksamkeit zu schenken und es empfiehlt sich, im Beratungsdesign zu berücksichtigen, in welcher Form eine Unterstützung seitens des Beratersystems sinnvoll ist. Gefahren: Das Kundensystem wird sich in dieser Phase (oft auch nach eigenem Wunsch) selbst überlassen und bevor sich die neuen Lösungen richtig etablieren konnten, schleichen sich alte Muster (die oft einen „Wettbewerbsvorteil“ haben) wieder ein nach dem Motto: „Es ist alles verändert worden, aber es hat sich nichts geändert.“

-

zz 12. Auswertung, Abschluss und Evaluation Auswertung, Abschluss und Evaluation

11

Abschluss und Auswertung der Beratung sind bereits Inhalt im Erstkontakt und im Beratungsvertrag. Dann wird schon festgelegt, wann für das Kundensystem eine Beratung erfolgreich abgeschlossen ist und woran dieses Ergebnis gemessen wird. Schmidt (2015) empfiehlt, mit der Beratung aufzuhören, wenn 60–80 % der Anliegen erfüllt sind und nicht erst bei 100 %. Entsprechend geht es am Schluss darum, einen Rückblick auf den gesamten Prozess zu machen, eine Evaluation des Projektes vorzunehmen und sich über den möglichen weiteren Kontakt zwischen Kunden- und Beratersystem zu verständigen. Evaluationsprozesse sollten in verschiedenen Phasen der Beratung integriert werden (König und Vollmer 2002, S. 179 ff.). 11.3

Formen von Beratung

Wie in  7 Abschn. 11.1.2 angesprochen, ergeben sich je nach Anliegen und Problem- bzw. Themenebenen verschiedene Formen bzw. Settings der Beratung. Einige davon werden in diesem Abschnitt kurz dargestellt. 11.3.1 Unternehmensberatung,

Organisationsberatung und -entwicklung

Organisationsberatung

Diese Bezeichnungen sind wenig trennscharf und beinhalten je nach Quelle unterschiedliche Konzepte. Gemeinsam ist ihnen, dass damit Beratungsprojekte gemeint sind, die den Fokus auf die ge-

11.3  •  Formen von Beratung

471

11

--

samte Organisation (bzw. Organisationseinheiten) legen. Titscher (2001) nennt dazu im Wesentlichen drei Anlässe: eine strategische (Neu‑)Positionierung, Reorganisations- bzw. Veränderungsprojekte, die die Gesamtorganisation umfassen, Eigentümerwechsel (Generationenwechsel bei Familienunternehmen, Firmenübernahmen oder Fusionen). Beratersysteme, die sich auf die Organisation als Ganzes fokussieren, verfügen in der Regel über generelles Wissen über das Managen von Organisationen, ähnlich des innerbetrieblichen Pendants des „General Managers“. Da Beratungsprojekte, welche die gesamte Organisation umfassen, meistens sehr komplex sind, ergibt sich, dass Organisationsberater meistens die Unterstützung von Spezialisten brauchen. Das erfordert entweder die Zusammenarbeit bzw. ein Netzwerk mit anderen Beratersystemen oder den Aufbau einer entsprechenden komplexen eigenen Arbeitsgruppe. Während der Begriff der Unternehmensberatung eher die Begleitung von stark top-down getriebenen Veränderungen (mit klarem Fokus auf die Umwelt) beinhalten, betont der Organisationsentwicklungs-(OE-)Ansatz ursprünglich mehr den Partizipationsgedanken, der durch die Beratung unterstützt werden soll. Der unter 7 Abschn. 11.2 dargestellte idealtypische Ablauf entspricht dieser Tradition. Allerdings haben viele Erkenntnisse aus der OE ihren Niederschlag in der Managementlehre gefunden (viele Grundsätze, die auch in den vorliegenden zwei Bänden vertreten werden), da die Organisationsentwicklung „zur Daueraufgabe des Managements“ geworden ist (Wimmer 2012). Somit stellt Wimmer zu Recht die Frage, ob die Organisationsentwicklung (als spezifischer Beratungsansatz) ihre Zukunft bereits hinter sich hat, auch wenn sie teilweise unter neuen Begriffen wie „Change Management“ daherkommt: Die Herausforderung an die OE wird sein, „eine angemessene Konzeptualisierung sowohl für die in der Zwischenzeit stark veränderten Organisationslandschaft wie auch für die heutigen Anforderungen an einschneidende Umgestaltungsprozesse, die stets unter erheblichem Zeitdruck stattfinden, zu entwickeln“ (Wimmer 2012, S. 246 f.). Damit spricht Wimmer ein zentrales Dilemma von organisationalen Veränderungen und der damit verbundenen Beratung an: Einerseits wird eine gewisse Nachhaltigkeit gefordert (dass also Veränderungen auch tatsächlich implementiert werden), andererseits erfordert in vielen Branchen die Dynamik des Marktes eine so hohe Veränderungshäufigkeit, dass dafür kaum Zeit bleibt.

OE-Ansatz, Change Management

472

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

11.3.2

..Abb. 11.3  © 2018 by Tobias Leuenberger

11

Supervision in verschiedenen Settings

Supervision und Coaching

Supervision ist eine Beratungsform im Organisationskontext mit dem Ziel, Arbeitssituation, -organisation und -atmosphäre zu optimieren, aber auch aufgabenspezifische Kompetenzen einzelner Rollenträger zu verbessern. Das Verfahren stammt ursprünglich aus den Bereichen der Sozialarbeit und Psychotherapie, denn häufig sind Personen involviert, die Tätigkeiten mit hoher psychischer Belastung ausführen. Supervision richtet sich an Einzelne, Gruppen, Teams oder vielleicht andere Organisationseinheiten. Sie befasst sich mit konkreten Fragestellungen aus dem Berufsalltag der Teilnehmenden sowie mit Fragen der Zusammenarbeit zwischen Personen in verschiedenen Rollen, Funktionen, Aufgabenbereichen und Hierarchiestufen. Als Erkenntnis‑, Lern- und Verstehensprozess vermittelt Supervision  neue Handlungsperspektiven und -möglichkeiten in komplexen Situationen. Der Weg zu einer optimalen Rollengestaltung umfasst immer auch Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung: Sich mit eigenen Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erwartungen sowie mit Stärken und Schwächen auseinanderzusetzen sind somit ebenfalls Ziele der Supervision. Supervision hilft Distanz zu schaffen und soll dazu verhelfen, „blinde Flecken“ in anspruchsvollen Situationen (z. B. bei Konflikten, Überforderung usw.) abzubauen. Es soll nicht um reine „Systemanpassung“ gehen, hingegen kann Supervision sehr gut die Gestaltung von Veränderungsprozessen unterstützen. Supervision kann in verschiedenen Settings indiziert sein: Einzelsupervision, Gruppensupervision und Teamsupervision und Teamentwicklung.

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Einzelsupervision Einzelsupervision

Sie bietet die Möglichkeit, das berufliche Handeln in einem geschützten Rahmen unter vier Augen zu reflektieren und zu bearbeiten. Neben der Tatsache, dass Sitzungen ausschließlich für eigene Themen verwendet werden, bietet Einzelsupervision die für manche Menschen notwendige Privatsphäre, um persönliche Dinge zur Sprache zu bringen. Schwerpunkt bildet dabei die Arbeit an der Professionsrolle (z. B. in der Therapie, Sozialarbeit, Pflege, Pädagogik), während man bei der Unterstützung in der Organisationsrolle (Management, Führung) eher von Einzelcoaching spricht. Diese Form der Beratung wird gesondert dargestellt, da sie für Führungskräfte von großer Bedeutung ist.

Gruppensupervision Gruppensupervision

Für Personen mit einem ähnlichen beruflichen Hintergrund kann die Gruppensupervision eine sinnvolle und ökonomische Alternative zur Einzelberatung sein. Notwendig sind ähnliche berufliche Problem- und Fragestellungen innerhalb der Gruppe. So können

11.3  •  Formen von Beratung

473

11

beispielsweise Führungskräfte in Gruppensupervision unterschiedliche Fragen im Zusammenhang mit ihrer Rolle bearbeiten; dies unabhängig davon, ob sie in gleichen oder unterschiedlichen Fachgebieten, Branchen oder Betrieben tätig sind. Im Bereich Wirtschaft ist dann von „Coaching-Teams“ die Rede. Häufig wird der Begriff der Fallsupervision oder Praxisberatung in Gruppen dann verwendet, wenn sich Mitglieder gleicher Berufsgruppen (z. B. aus Sozialarbeit, Therapie, Medizin oder Pädagogik) treffen, um „Fälle“ aus der aktuellen Arbeit zu besprechen. Dies kann durchaus auch innerhalb eines Teams (z. B. Lehrer eines Kollegiums) geschehen und hat dann den Vorteil, dass alle potenziell Angesprochenen anwesend sind und unmittelbar Stellung nehmen können. Der Begriff der Lehrsupervision wird dann verwendet, wenn Teilnehmende einer Beratungsausbildung „Fälle“ einbringen (im Einzel- oder Gruppensetting) mit dem Ziel, die Beratungsarbeit zu reflektieren und sich damit zu professionalisieren.

Teamsupervision und -entwicklung Dieses Setting richtet sich an Arbeitsgruppen bzw. Teams, die als institutionalisiertes Subsystem einer Organisation dauerhaft oder für eine bestimmte Zeit (Projektteams) gemeinsame Aufgaben und Ziele verfolgen. Dies ist dann angezeigt, wenn es darum geht, die Zusammenarbeit in einem Team zu unterstützen und zu verbessern, jeweils vor dem Hintergrund seiner optimalen Zielerfüllung. Teamsupervision findet häufig über einen bestimmten Zeitraum in definierten Settings statt; je nach Kontext ist eine Kombination mit Fallsupervision sinnvoll (Schreyögg 2010). Von Teamentwicklung wird häufig dann gesprochen, wenn es sich um eher kurzfristige, oft einmalige Veranstaltungen handelt. Konkrete Anlässe für Teamentwicklungen sind beispielsweise: Starthilfe: Ausrichtung auf gemeinsame Ziele und Bildung entsprechender Strukturen im Team, Aufgaben- und Rollenteilung bzw. Rollenklärungen im Team, (Weiter‑)Entwicklung einer guten Zusammenarbeit und Kommunikation, Unterstützung im konstruktiven Umgang mit Problemen und Konflikten (speziell 7 Abschn. 17.6.4 Mediation), Unterstützung bei Veränderungsprozessen, die sich als Konsequenzen von veränderten Umweltbedingungen (innerhalb wie außerhalb der Organisation) ergeben können, Qualitätsverbesserung und -sicherung im Team, Verbesserung der Zusammenarbeit mit anderen Systemen in der Organisation.

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Vorteile der Teamsupervision bzw. -entwicklung ergeben sich aus der Möglichkeit, in der Beratung direkt in das System einzuwirken, wo die „Arbeit“ geleistet wird und die damit zusammenhängen-

Teamsupervision

Teamentwicklung

Vorteile

474

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

Nachteile, widersprüchliche Anforderungen

11

den Probleme auftauchen. Dabei können die Sichtweisen aller Beteiligten direkt berücksichtigt werden. Dadurch lässt sich meist differenzierter als im Einzelcoaching herausarbeiten, welche Faktoren (z. B. auf den Ebenen Person – Rolle – Organisation) bei der Entwicklung von Lösungen relevant sind. Im Aushandeln von Lösungen ist zudem eine bessere Vor-Ort-Begleitung möglich, als dies in einem Einzelcoaching der Fall ist. Wie bei der Gruppensupervision ergeben sich ähnliche, allenfalls noch akzentuierte Nachteile gegenüber dem Einzelsetting: Der Schwerpunkt liegt klar bei der Zusammenarbeit im Team bzw. in anderen Organisationseinheiten. Persönliche Anliegen einzelner Mitglieder, insbesondere auch der Führung, können nur indirekt angegangen werden, und die Gefahr des Gesichtsverlustes einzelner Mitglieder (v. a. natürlich der Führungskraft) ist höher. Der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu den einzelnen Personen ist viel schwieriger als beim Einzelcoaching. Häufig werden an den Berater widersprüchliche Anforderungen bzw. „Zwickmühle“-Aufträge gestellt (Schmidt 2015, 2016). Zum Beispiel soll ein Teil des Teams zu Veränderungen gebracht werden. Dieser sieht aber gerade den anderen Teil als „Problem“, erwartet also, dass die anderen sich ändern sollten. Besonders heikel ist die Situation, wenn die Führungsperson selbst im Schussfeld der Kritik steht. Beratungstätigkeit auf Teamebene fordert somit seitens des Beraters hohe methodische und soziale Kompetenzen. Gelingt es trotz der erhöhten Komplexität und den damit verbundenen Widersprüchen den Fokus vor allem darauf zu richten, wie die Teammitglieder optimal zieldienlich bei bleibender Unterschiedlichkeit kooperieren können, so kann Teamentwicklung zu einer äußerst wertvollen Unterstützung auf dem Weg zu einem erfolgreichen Team werden.

Intervision berufliche Reflexion, Quali‑ tätssicherung, Intervision: Gruppe von „Gleichrangigen“, Kombination von Super‑ vision und Intervision

Wenn sich Gruppen ohne externe Fachperson treffen, um ihre berufliche Arbeit zu reflektieren, dann sprechen wir im Gegensatz zur Supervision von Intervision. Intervision wird als Begriff ursprünglich für Gruppen von ausgebildeten Supervisions- oder Beratungsfachleuten verwendet, die sich zum Zwecke der eigenen beruflichen Reflexion und damit auch Qualitätssicherung treffen. Solche Gruppen übernehmen häufig eine ähnliche Funktion, wie dies einer Lehrsupervision während der Ausbildung zukommt. Andere Begriffe für Intervision sind Erfa-Gruppen, kollegiale Praxisberatung oder Fallbesprechung. Analog zur Supervision bildet ein gemeinsamer beruflicher Fokus die Basis für eine Gruppe. Dies können ähnliche Tätigkeits- und Erfahrungshintergründe sein, bei denen es mehr um fachliche Fragen geht (z. B. Pädagogik, Human-Resources-Management) oder um Belange rund um Management- bzw. Führungstätigkeiten. Neben dem gemeinsamen Interessenshintergrund ist die Erwartung und Bereitschaft jeder Person, auf konkrete Anliegen gezielte Lösungen zu erarbeiten (die auch Chancen einer

11.3  •  Formen von Beratung

Transferumsetzung haben) ein wesentliches Kennzeichen für eine erfolgreiche Intervisionsgruppe. Wie bei der Supervision einigt sich die Gruppe auf eine gemeinsam festgelegte Struktur inklusive verbindlicher Teilnahme. Im Unterschied zur Supervision handelt es sich bei der Intervision um eine Gruppe von „Gleichrangigen“, das heißt, dass die Leitung und Moderation Teil der Vereinbarung sein muss, wie die Gruppe arbeiten will. Jede Person ist gleich mitverantwortlich dafür, dass das Verhältnis zwischen Geben und Empfangen unter den Mitgliedern stimmt, und dass die Gruppe die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Da alle Gruppenmitglieder gleichrangig in verschiedenen Rollen sind (z. B. des Moderierenden oder Fallgebers bzw. des Lehrenden und Lernenden), gibt es keinen Anlass für eine Honorarzahlung. Somit handelt es sich bei der Intervision um eine sehr kostengünstige Weiterbildungs‑, Förderungs- und Unterstützungsmöglichkeit für Mitarbeitende aller Fach- und Führungsstufen, die zudem gut kombinierbar ist mit anderen Aktivitäten im Rahmen der „lernenden Organisation“. Diese Form fördert ganz speziell ein „Empowerment“, indem die Gruppenmitglieder selbst über Ziele, Inhalte und Methoden entscheiden und vielleicht sogar die Möglichkeiten nutzen, sich bei Bedarf Ressourcen (z. B. Spezialisten für ein bestimmtes Anliegen) zu organisieren. Bei Personen mit wenig Moderationserfahrung empfiehlt sich eine Kombination von Supervision und Intervision, damit auch Methoden der Fallbesprechung unter fachlicher Leitung eingeübt werden können (Lippmann 2013a).

475

11

..Abb. 11.4  © 2018 by Tobias Leuenberger

Coaching Wenn von Coaching die Rede ist, dann ist damit meistens die klassische Anordnung – das Einzelsetting – gemeint. Im Gegensatz zur Einzelsupervision geht es dabei schwerpunktmäßig um die Beratung von Personen in Management- bzw. Führungsrollen. Anfänglich waren es vorwiegend Führungskräfte aus dem ober(st)en Management, die ein externes Coaching in Anspruch nahmen. Gerade für diese Personen bietet das Einzelsetting die höchste Gewähr einer vertraulichen und diskreten Auseinandersetzung mit eigenen Anliegen. Der Nachteil der relativ hohen Kosten spielt in diesem Segment zudem wohl eine untergeordnete Rolle. Unterdessen gehören auch Angehörige des mittleren und unteren Managements zum Kundenkreis. Entsprechend dem Rollenkonzept (7 Kap. 4) spielen bei der Gestaltung einer Rolle immer auch persönliche Aspekte mit hinein. Da berufliche und private Themen häufig miteinander verzahnt sind, bietet das Einzelsetting bei entsprechender Qualifikation des Coaches den Vorteil, dass die persönlichen Themen intensiver und in einem intimeren Rahmen bearbeitet werden können, als dies in einem anderen Setting der Fall wäre. Gerade deshalb ist aber der Coach besonders gefordert, sich der Abgrenzung zu anderen Formen der Beratung (vor allem der Therapie) bewusst zu sein (vgl. die Abgrenzung zu verwandten Konzepten in Lippmann 2013b,

Coaching als Einzel‑ beratung von Personen in Management- bzw. Führungsrollen

476

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

S. 33 ff.). Die wichtigsten Anliegen und Anlässe für ein Coaching ergeben sich aus dem Spannungsfeld Person – Rolle – Organisation und können wie folgt umschrieben werden (ausführlicher in Lippmann 2013b, S. 28 ff. bzw. 7 Kap. 4 in diesem Werk).

Person/Persönlichkeit

Themenfelder auf persönlicher Ebene

11

-

Themenfelder mit Schwerpunkt auf der persönlichen Ebene sind z. B.: Bearbeitung von Werthaltungen im Zusammenhang mit ethischen Fragestellungen; Hilfestellung vor wichtigen Entscheidungen, Arbeiten an inneren Ambivalenzen und Konflikten; Arbeit an einer guten Balance zwischen Privat- und Berufsleben, auch Bearbeitung von Themen im privaten Umfeld, soweit sie die Rollenübernahme in der Organisation maßgeblich tangieren (7 Abschn. 7.1); Prävention und Abbau von Symptomen wie z. B. Stress, „Burn-out“ (7 Abschn. 7.1) und Ängsten (etwa vor Auftritten, 7 Abschn. 7.3, Verhandlungen, 7 Kap. 17); Überprüfen der eigenen Wahrnehmungs‑, Verhaltens- und Beurteilungstendenzen, Feedback einholen bzw. erhaltenes Feedback anderer Personen verarbeiten (7 Abschn. 9.4); Erhöhung der Qualifikation für bestimmte Tätigkeiten, allgemeine Erweiterung des Verhaltensrepertoires; Umgang mit persönlichen (Sinn‑)Krisen, Selbstzweifeln, Motivationsproblemen; generelle „Persönlichkeitsentwicklung“, Weiterentwicklung vorhandener Potenziale

Rolle Rolle

--

Aspekte rund um Rollendefinition, -gestaltung und -durchsetzung (7 Kap. 4): konstruktiver Umgang mit Rollenkonflikten sowie Umgang mit „den anderen“: Gestaltung der Interaktionen mit Kunden, Kollegen, Mitarbeitenden, Vorgesetzten, Familienmitgliedern (7 Kap. 9 und 10).

Organisation

Organisation

-

Dazu gehören alle Anliegen, die im Zusammenhang mit organisationsbezogenen Auslösern für Einzelcoaching stehen: Themen rund um Strategie bzw. Aufgabe, z. B. Umgang mit Veränderungen bezogen auf die „Primary Task“ der Organisation(-seinheit) (7 Kap. 18); Bearbeitung struktureller Veränderungen, z. B. Personalabbau, Personalfluktuationen, Schaffung neuer Stellen, Veränderungen am Organigramm, an Abläufen etc. z. B. im Zusammenhang mit Qualitätsstandards, Einführung neuer Technologien (7 Kap. 18);

11.4  •  Suche und Auswahl von Beratern

477

11

-

Unterstützung bei Kulturveränderungen im Zusammenhang mit Changeprojekten, besonders bei der Optimierung der Kommunikation, des Umgangs mit Konflikten; Sensibilisierung im Umgang mit „Diversity“; Unterstützung im Zusammenhang mit organisationalem Lernen (7 Kap. 18).

Nicht jedes Coaching wird aufgrund von Problemen oder gar Krisen in Anspruch genommen. Coaching kann vielmehr auch präventive Funktion übernehmen und durchaus indiziert sein, bevor Probleme oder Konflikte auftreten, etwa bei der Übernahme einer neuen Rolle oder grundsätzlich zur Pflege bzw. Verbesserung unproblematischer Zustände, der persönlichen Leistungsfähigkeit oder der Psychohygiene. Bereits mit der hier genannten Themenvielfalt wird deutlich, dass die Gründe für die Nachfrage nach Coaching vielfältig sind. Einer der Nachteile des Einzelsettings ist sicher die Beschränkung auf die Wahrnehmungen, Perspektiven und Handlungsmuster der beiden Interaktionspartner. Selbst wenn der Horizont des Coaches sehr breit ist, so können in einem Gruppensetting unter Umständen kreativere Lösungsideen entwickelt werden, weil mehrere Sichtweisen zum Tragen kommen. Die Vorteile eines Einzelsettings überwiegen jedoch dessen Nachteile deutlich (Lippmann 2013b, S. 88 f.). Dies dürfte mit ein Grund dafür sein, dass das Einzelcoaching weiterhin die klassische Form des Coachings repräsentiert. 11.4

präventive Funktion von Coaching

Suche und Auswahl von Beratern

Bevor sich ein potenzieller Kunde auf die Suche nach einem für ihn geeigneten Berater macht, ist es sinnvoll, sich einige Fragen zu stellen: Ausgehend von der Beschreibung, was professionelle Beratung ist (7 Abschn. 11.1), sollte sich das Kundensystem fragen, ob es zur Bearbeitung seines Anliegens überhaupt einer Beratung bedarf und wenn ja, welche Form der Beratung bzw. Setting dazu geeignet ist (7 Abschn. 11.3). Bei der Suche nach dem geeigneten Berater stellt sich für Interessierte aus größeren Unternehmen zudem die Frage, ob ein interner oder externer Berater zu bevorzugen ist (Titscher 2001, speziell bezüglich Coaching: Lippmann 2013b, S. 96 ff.). Unternehmen mit eigenen Organisationsberatungs- bzw. Personalentwicklungsabteilungen haben in der Regel interne Angebote, zumindest Adressen von externen Beratern oder einen „Coach-Pool“, deren Adressen im Bedarfsfall vermittelt werden. Für Kunden, die selbst einen Berater suchen, ist der Weg über Mund-zu-Mund-Propaganda am ehesten zu empfehlen, sei dies im Bekannten- und Freundeskreis, bei Arbeitskollegen, Berufsverbänden oder über eine Person, die

zentrale Aspekte bei der Suche und Auswahl von Beratern

478

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

man bereits als vertrauenswürdige Seminarleitung oder bei einem Referat erlebt hat. Die Suche über Anzeigen, Branchenbuch oder Internet hat den großen Nachteil, dass man sich in der Angebotsvielfalt verlieren kann. Sind mögliche Adressen gefunden, so ist es von Vorteil, wenn sich der Kunde auf eine telefonische Anfrage so vorbereitet, dass er aufgrund des Gesprächs eine Entscheidungsgrundlage hat, die für oder gegen ein Erstgespräch mit dem Berater spricht. Als Stütze kann eine Checkliste dienen mit Punkten, die man im Gespräch prüfen will, wie etwa: Anliegen und gewünschtes Ergebnis, gewünschtes Setting, Honorar, Anforderungen an den Berater.

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Leitfragen beim Erstgespräch

11

Bestandteile einer Vereinbarung

– formale

– psychologische

Im Rahmen des Erstgesprächs können Leitfragen und Überlegungen hilfreich sein, wie sie etwa bei Titscher (2001, S. 222 f.) oder Lippmann (2013b, S. 456 f.) zu finden sind. Wenn es die Zeit und Auswahlmöglichkeit erlauben, so ist es empfehlenswert, wenn der Kunde mindestens zwei Alternativen anschaut, um tatsächlich wählen zu können. Je nach Vorlieben lässt sich die Auswertung eines Erstgesprächs auch wieder anhand von Fragen vornehmen (Lippmann 2013b, S. 459). Wenn beide Seiten nach dem Erstgespräch zum Schluss kommen, in das gemeinsame Beratungsprojekt einzusteigen, dann kann die detaillierte Vereinbarung erfolgen. Wichtige Bestandteile sind (Titscher 2001, S. 174 ff.): Auftragsgegenstand: Inhalt, Ziele, je nach Umfang auch Zerlegung des Projektes in überschaubare Abschnitte; Art und Weise der Auswertung und Reflexion; Rahmenbedingungen: Definition von Zeit, Kosten, Zahlungsvereinbarungen, Ort der Beratung und eventuelle organisatorische Erfordernisse; Nennung der an dem Projekt beteiligten Berater, Beschreibung der Arbeitsweise, Festlegung bestimmter Rollen (z. B. Projektleitung, Ansprechpersonen); Ausstiegs- und Abbruchkriterien (inkl. Kündigungsfristen für das Projekt); Art der Informationsgestaltung und Zusage von Vertraulichkeit; allenfalls auch Frage nach Referenzen.

-

Neben diesen, in einem formalen Vertrag geregelten Punkten, werden beispielsweise für Supervisionen oder Coachings auch „psychologische“ Verträge vereinbart, welche die „Spielregeln“ der Zusammenarbeit festlegen (Lippmann 2013b, S. 21 f.; Rauen 2014, S. 57 f.).

11.5  •  Führungskraft als Coach? Möglichkeiten und Grenzen

11.5

479

11

Führungskraft als Coach? Möglichkeiten und Grenzen

Die Führungskraft als „Coach“ ist in letzter Zeit wieder verstärkt in Mode gekommen (Kreyenberg 2008). Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass Kosten bezüglich des HRM-Bereiches (und im Speziellen für Beratungsdienstleistungen) eingespart werden. Hier wird kurz kritisch der Frage nachgegangen, worin sich professionelles Coaching vom „Coaching“ durch die Führungskraft unterscheidet: Im angloamerikanischen Raum wird unter „Coaching“ ein Führungsverständnis beschrieben, in dem die Führungskraft die Mitarbeitenden anleitet, fördert, entwickelt, Probleme mit ihnen bespricht und sie berät. Auch wenn nach Looss (1997) selbst in den USA unterdessen Führungskräfte externe professionelle Berater in Anspruch nehmen, so scheint der Begriff „Coaching“ immer noch stark mit der Führungsrolle verbunden zu sein. Seit etwa Mitte der 1980er-Jahre wurde das amerikanische Verständnis von „Coaching“ auch in Deutschland aufgegriffen. Allerdings ist es im deutschsprachigen Kulturkreis zu Recht umstritten, ob damit der Begriff des Coachings nicht zu „unscharf “ und inflationär gebraucht wird. So meint etwa Schreyögg (2012), dass es sich beim „Vorgesetzten-Coaching“ um eine besonders differenzierte Führungshaltung handele, „die aber nicht als Coaching im eigentlichen Sinne zu bezeichnen ist“. In 7 Abschn. 11.2 wird deutlich gezeigt, dass zur professionellen Führungstätigkeit die Unterscheidungsfähigkeit gehört, verschiedene Gesprächsanlässe unterscheiden und entsprechend gestalten zu können. Beratungsgespräche aus der Führungsrolle sind durchaus möglich, können aber nur von Mitarbeiterseite selbst initiiert und angefordert werden, ganz im Gegensatz etwa zu Problemlösungs- oder Maßnahmegesprächen. Hier werden auch sogleich die Grenzen zur professionellen Beratung deutlich: Die Führungskraft hat immer auch eigene Interessen bzw. diejenigen der Organisation zu vertreten, deshalb kann sie nie „neutral“ sein. Spätestens wenn die Führungskraft (wenn auch nur aus Mitarbeitersicht) Teil des Problems zu sein scheint, kann man nicht mehr von Beratung oder „Coaching“ sprechen, sondern dann geht es eindeutig um Problem- oder gar Konfliktbearbeitung. In einem professionellen Coaching ist die eigene vorgesetzte Person (oder die darüber liegende Hierarchiestufe) fast immer auch ein Thema („Führung von unten“). Gerade dieser zentrale Aspekt der Rollengestaltung kann nicht in Form einer Beratung im „Coaching“ durch die Führungskraft angegangen werden, schon gar nicht, wenn die Beziehung durch Konflikte belastet ist. Selbst mit noch so guter Ausbildung der Führungskraft in Beratungsverhalten lässt sich das strukturell bedingte Dilemma zwischen Fördern und Fordern nie ganz aufheben. In der Hierarchie kann es keine herr-

Unterschiede zwischen Coaching durch Experten und durch Führungskräfte

Coaching vs. Konfliktbearbeitung

480

Kapitel 11  •  Beratung und Coaching im Einzel- und Gruppensetting

Coaching vs. Beratungsgespräche

Zusammenfassung

11

schaftsfreie Kommunikation geben, die für wirkliches Beratungsgeschehen notwendig wäre. Wer sich beraten lässt, gibt viel von sich preis. Da die Führungskraft die Rolle der Leistungsbewertung nie ganz ablegen kann, werden sich Mitarbeitende auch im Beratungsverlauf kontrolliert oder gar „taktisch“ verhalten. Damit aber hat Beratung als kommunikatives Geschehen oft bereits ihren Sinn und Nutzen für den Beratenen verloren. Beratungsgespräche durch die Führungskraft sind durchaus möglich, sie unterscheiden sich jedoch ganz deutlich von einem professionellen Coaching (Lippmann 2013b, S. 101 ff.). In Organisationen, welche in erster Linie aus selbstorganisierten Teams ohne klassische Hierarchien bestehen, können Beratungsprozesse eine Möglichkeit sein, wie Entscheidungen herbeigeführt werden. Dabei kann jede Person vor einer Entscheidung den Rat aller davon Betroffenen und von Experten in Bezug auf das jeweilige Thema einholen. Je größer die Entscheidung ist, desto weiter ist das Netz, welches einbezogen werden muss (Laloux 2015). Zusammenfassung Führungskräfte kommen heute im Rahmen ihrer Tätigkeit mit verschiedensten Formen der Beratung in Berührung. Die Beratungsbranche hat sich in den letzten Jahren immer mehr ausdifferenziert, sodass es schwierig ist, sich bei Beratungs‑ bedarf in dem Angebot zurechtzufinden. Dieses Kapitel unter‑ stützt die Führungskraft in der Frage, worauf sie als Kunde bei Beratungen achten soll. Dazu gehören Aspekte wie: Was macht professionelle Beratung aus? Was sind die wichtigsten Anlässe für Beratungen? Wie sehen Ablauf und Design von Be‑ ratungsprojekten aus? Welche Formen der Beratung im Einzelund Gruppensetting gibt es, und wann sind sie indiziert? Zum Schluss gibt es einige konkrete Hinweise für die Suche und Auswahl von Beratern. Das Kapitel endet mit einer kritischen Betrachtung des Modebegriffs „Führungskraft als Coach“ und behandelt Möglichkeiten und Grenzen der Beratung aus der Führungsrolle.

Fragen zur Vertiefung 1. Welches sind meine bisherigen Erfahrungen mit Beratun‑ gen im beruflichen oder privaten Kontext? 2. Worin zeichnete sich meiner Meinung nach eine „wirkungs‑ volle“ (bzw. „wirkungslose“) Beratung aus? 3. Welche Schlüsse kann ich daraus ableiten, wenn ich in der aktuellen Rolle Beratung in Anspruch nehme bzw. wenn Beratung in der Organisation, in der ich aktuell tätig bin, wirkungsvoll sein soll?

Literatur

Literatur Doppler, K., & Lauterburg, C. (2014). Change Management: Den Unternehmenswandel gestalten (13. Aufl.). Frankfurt/M.: Campus. Glasl, F., Kalcher, T., & Piber, H. (2014). Professionelle Prozessberatung (3. Aufl.). Bern: Haupt. König, E., & Volmer, G. (2002). Systemisches Coaching: Handbuch für Führungskräfte, Berater und Trainer. Weinheim: Beltz. Königswieser, R., & Hillebrand, M. (2015). Einführung in die systemische Organisationsberatung (8. Aufl.). Heidelberg: Auer. Kreyenberg, J. (2008). 99 Tipps zum Coachen von Mitarbeitern. Berlin: Cornelsen. Krizanits, J. (2015). Einführung in die Methoden der systemischen Organisationsberatung (2. Aufl.). Heidelberg: Auer. Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. Lippmann, E. (2013a). Intervision: Kollegiales Coaching professionell gestalten (3. Aufl.). Berlin, Heidelberg, New York: Springer. Lippmann, E. (2013b). Coaching. Angewandte Psychologie für die Beratungspraxis (3. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer. Looss, W. (1997). Unter vier Augen: Coaching für Manager (4. Aufl.). Landsberg/ Lech: Verlag Moderne Industrie. Korrigierte Neuauflage 2006: Bergisch Gladbach: EHP. Müller, W. R., Nagel, E., & Zirkler, M. (2006). Organisationsberatung. Heimliche Bilder und ihre praktischen Konsequenzen. Wiesbaden: Gabler. Rauen, C. (2014). Coaching (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Schein, E. H. (2010). Prozessberatung für die Organisation der Zukunft (3. Aufl.). Köln: EHP. Schmidt, G. (2015). Liebesaffären zwischen Problem und Lösung: Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten (6. Aufl.). Heidelberg: Auer. Schmidt, G. (2016). Einführung in die hypnosystemische Therapie und Beratung (7. Aufl.). Heidelberg: Auer. Schmidt, E. R., & Berg, H. G. (1995). Beraten mit Kontak. Offenbach: Burckhardt‑ haus-Laetare. Neuauflage 2004, Frankfurt: Gabal, Books on Demand, 2008. Schreyögg, A. (2010). Supervision. Ein integratives Modell. Lehrbuch zu Theorie und Praxis (5. Aufl.). Wiesbaden: VS. Schreyögg, A. (2012). Coaching. Eine Einführung für Praxis und Ausbildung (7. Aufl.). Frankfurt/M.: Campus. Titscher, S. (2001). Professionelle Beratung: Was beide Seiten vorher wissen sollten (2. Aufl.). Wien: Ueberreuter. Wimmer, R. (2012). Organisation und Beratung. Systemtheoretische Perspektiven für die Praxis (2. Aufl.). Heidelberg: Auer. Wimmer, R., Glatzel, K., & Lieckweg, T. (2015). Beratung im Dritten Modus. Die Kunst, Komplexität zu nutzen (2. Aufl.). Heidelberg: Auer.

481

11

483

Organisieren als Führungsaufgabe Urs Jörg, Stephan Burla 12.1

Einführung – 484

12.2

Organisationsinstrumente – 486

12.2.1 Instrumente der Aufbauorganisation  –  487 12.2.2 Instrumente der Ablauforganisation  –  492 12.2.3 Projektorganisation – 496

12.3

Prinzipien der Organisationsgestaltung  –  497

12.3.1 Formale Gestaltungsprinzipien – 497 12.3.2 Organisationspsychologische Gestaltungsprinzipien: Soziotechnische Aufgabengestaltung – 499

12.4

Methoden der Organisationsgestaltung  –  502

12.4.1 Prozessorientierte Methoden – 503 12.4.2 Strukturorientierte Methoden – 505 12.4.3 Neue Organisationsformen – 506

12.5

Organisation zwischen Stabilität und Flexibilität  –  509

12.5.1 12.5.2 12.5.3

Flexibilität und Zukunftsfähigkeit  –  510 Stabilität und Effizienz  –  510 Arbeitsteilung, Hierarchie und Macht  –  511

12.6

Folgerungen für die Führungspraxis  –  512 Literatur – 515

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_12

12

484

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Auf einen Blick

Auf einen Blick Organisieren ist eine zentrale Führungsaufgabe. Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe bilden entscheidende Rahmenbedingungen für die Leistungserbringung des Einzelnen, für die Zusammenarbeit und die Führung. Es existiert eine Vielzahl an Instrumenten und Methoden der Organisationsgestaltung. Dieses Kapitel beinhaltet grundsätzliche Betrachtungen zum Thema und stellt eine Auswahl an Konzepten und Gestaltungsprinzipien vor, die in unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Organisationstypen angewendet werden. Grundlegende Anforderungen soziotechnischer und arbeitspsychologischer Systemgestaltung werden erläutert. Ihre Beachtung ist wichtig, um der Forderung nach effizienter Routine und flexibler Anpassung an sich ändernde Anforderungen gerecht zu werden. Es gilt zudem, der Sache und den Menschen gerecht zu werden, um von einer gelungenen Organisation sprechen zu können.

12.1 Einführung

12 Führung und Organisation als Beziehungsgestaltung

..Abb. 12.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

Organisieren bedeutet Strukturen und Prozesse planvoll zu gestalten. Es handelt sich um eine der klassischen Führungsaufgaben. Es gilt den Rahmen zu gestalten in dem die Arbeit geleistet werden soll. Dazu gehört zum Beispiel die Art der Arbeitsteilung, Bestimmung der Verantwortung, Zuteilung von Ressourcen und die Festlegung von Abläufen, um eine möglichst optimale Ausrichtung auf den Zweck – also auf die Primary Task – zu erreichen (7 Kap. 2 „Organisationsverständnis“). Die Führungskraft sorgt im Idealfall für eine Organisation, welche den Mitarbeitenden ermöglicht, ihre Potenziale im Sinne der Organisation einzubringen. Diese Rahmenbedingungen bilden gleichzeitig wichtige Voraussetzungen für das Beziehungsgeschehen im Betrieb. Dieser Umstand ist bedeutsam, denn Führung findet immer in Beziehungen statt. Organisation und Führung hängen also im organisationalen Alltag untrennbar zusammen. Deshalb ist bei der Gestaltung von Strukturen und Prozessen immer auch deren Einfluss auf die Beziehungen mitzudenken. Organisatorische Maßnahmen haben gewollte und ungewollte Wirkungen auf die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen des Führens. Somit erleichtern oder erschweren die durch die Führung gesetzten Rahmenbedingungen die eigene Führung. Organisation als Gestaltung von Strukturen und Prozessen ist damit grundsätzlich als Führungsaufgabe zu verstehen, auch wenn die Führungskraft sich selbst sehr oft in vorgegebenen Strukturen

12.1 • Einführung

und Prozessen bewegen muss. Gleichzeitig wirkt der organisationale Rahmen auch als Substitut für direkte Führung. Im systemischen Verständnis wird Organisationen die Fähigkeit zugeschrieben, sich innerhalb vorgegebener Umweltbedingungen in hohem Maße selbst zu organisieren. Der Anspruch, Strukturen und Prozesse nach strategischen Gesichtspunkten zu gestalten, steht demnach immer in einem Spannungsfeld zur Selbstorganisation und den damit verbundenen Autonomie-Tendenzen. Das bedeutet einerseits, dass der Machbarkeit organisatorischer Maßnahmen Grenzen gesetzt sind. Dies zeigt sich zum Beispiel in Organisationen mit langjährigen Routinen, Gewohnheiten und eingespielten Strukturen, welche es erschweren, organisatorisch etwas zu ändern. Andererseits ist jede Organisation darauf angewiesen, dass sich das System auch selbst organisieren kann. Selbst durch noch so ausgeklügelte organisatorische Vorgaben alleine lässt sich keine effiziente und effektive Organisation gewährleisten. Ein prominentes Beispiel für dieses grundsätzliche Ungenügen der formalen Organisation ist der „Dienst nach Vorschrift“, der eine Organisation empfindlich lähmen kann. Nebst formalen Vorgaben sind Selbstorganisationsleistungen erforderlich, um einen effizienten und effektiven Betrieb aufrechtzuerhalten. Es stellt sich also die Frage, was zu organisieren bzw. wie viel formale Organisation sinnvoll ist. Formale Organisationsstrukturen und definierte Prozesse bilden einen wichtigen Rahmen für das Handeln der Mitarbeitenden auf allen Stufen und in allen Funktionen. Sie vermitteln Anhaltspunkte und Vorstellungen, wie die Aufgabenerfüllung erfolgen soll. Im Idealfall schaffen sie Orientierung und gewähren gleichzeitig angemessene Freiräume. Dadurch werden wichtige psychologische Grundbedürfnisse befriedigt. Nämlich das Bedürfnis nach Orientierung und nach Autonomie (vgl. auch 7 Kap. 5, psychologische Grundlagen). Die Organisationskultur beeinflusst wie organisiert wird. Welche Strukturen und Prozesse für eine Organisation als angemessen gelten, bestimmt sich nicht nur aus den „objektiven“ Erfordernissen des Geschäfts, sondern auch aus den dominierenden Werthaltungen und Zielen innerhalb der Organisation. Gestaltungsentscheide werden durch die bestehende Organisationskultur mitgeprägt. Gleichzeitig beeinflussen diese Entscheide die Strukturen und Prozesse und formen so die Kultur mit; ganz im Sinne der Zirkularität (7 Kap. 2). Dieses Kapitel thematisiert wichtige Organisationsinstrumente und erläutert Prinzipien und Methoden der Organisationsgestaltung. Zudem wird das Spannungsverhältnis zwischen Stabilität und Flexibilität beleuchtet. Abschließend werden zentrale Folgerungen für die Führungspraxis gezogen.

485

12

Spannung zwischen strategischem Gestaltungsanspruch und Selbstorganisation

Kulturbezogenheit des Organisierens

486

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

12.2 Organisationsinstrumente Corporate Governance

12

Für die Gestaltung von Strukturen (Aufbauorganisation) und Prozessen (Ablauforganisation) stehen bewährte Instrumente zur Verfügung. Die Auffassung, dass jede Organisation mit geeigneten Instrumenten systematisch zu organisieren ist, hat sich weitgehend durchgesetzt. Die Diskussion um die „Corporate Governance“, hat das Bewusstsein dafür geschärft, dass eine verbindliche, formale und nachvollziehbare Regelung der Führungsverantwortung unabdingbar und nur mit zeitgemäßen Instrumenten zu erreichen ist. Corporate Governance bezeichnet den rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung und Überwachung eines Unternehmens. Das Aufsichtsorgan (beispielsweise Aufsichtsrat bzw. Verwaltungsrat, Stiftungsrat) trägt die nicht delegierbare Verantwortung, dass eine Organisation über die erforderlichen Organisations- und Führungsinstrumente verfügt; die Geschäftsleitung ist für deren korrekte Anwendung verantwortlich. Was im konkreten Fall „erforderlich“ heißt, hängt von der Geschäftsnatur ab. Während es für viele Branchen und vor allem für kleinere Betriebe ausreichen kann, die Grundzüge der Aufbauorganisation – vor allem hinsichtlich der Zuständigkeit für Geschäfte von besonders großer Tragweite – zu regeln, sind in manchen Geschäftsfeldern detaillierte Regelungen auch der Ablauforganisation notwendig, um entsprechende Betriebsbewilligungen oder Produktzulassungen zu erhalten. In vielen Firmen und Institutionen sind die grundlegenden organisatorischen Regelungen in einem Organisationsreglement zusammengefasst. Grundsätzlich gibt es bestimmte Grundannahmen der Strukturierung: Definition von Aufgaben und Arbeitsbereichen: Die Gesamtaufgabe einer Organisationseinheit wird unterteilt und den dafür spezialisierten Personen innerhalb der Organisation zugeteilt. Es geht um die organisatorische Einordnung, Teambildung, Bündelung von Aufgaben, Kompetenz und Verantwortung nach dem Sachzusammenhang, Aufgabenverteilung (Mengenteilung bzw. Spezialisierung), Informationsbedarf und -deckung (Kommunikationsbeziehungen), Sachmittelausstattung, Vertretungssituation. Schaffung von Abteilungen: Individuelle Aufgaben und Arbeitsbereiche werden kombiniert und in Gruppen zusammengefasst. Eine sinnvolle Basis (Gleichartigkeit und Ähnlichkeit) muss gefunden werden, die diesen Vorgang als ökonomisch und zielführend erscheinen lässt (= horizontale Differenzierung). Kontrollspanne (Leitungsspanne): Die optimale Größe einer Arbeitsgruppe, die einer leitenden Person unterstellt wird, muss bestimmt werden (= vertikale Differenzierung).

-

12.2 • Organisationsinstrumente

487

12

-

Delegieren von Autorität: Unterschiedliche „Mengen“ an Autorität, Entscheidungs- und Verfügungsgewalt werden nun den entsprechenden Arbeitsbereichen bzw. deren Rollenträgern als Einzelpersonen oder Gruppen zugeteilt.

Aus diesen Grundannahmen der Strukturierung können nun verschiedene Organisationsstrukturen und Modelle abgeleitet werden. Grundlage des Organisierens ist die Prämisse, dass die Struktur aus der Strategie abgeleitet werden soll oder als Frage formuliert: Welche Struktur ist zur Erledigung unserer Aufgabe und zur Erreichung unserer Ziele „die Passendste“? Trotzdem werden in der Praxis Strukturen um Menschen herum angepasst, was zu weitreichenden Folgen führen kann. Eine weitere Prämisse ist der Grundsatz „structure follows function“: die Struktur soll nach diesem Grundsatz passend zu den auszuführenden Funktionen bestimmt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Instrumente der Aufbauund der Ablauforganisation kurz vorgestellt. Sie werden im Idealfall im Einklang mit den genannten Prämissen eingesetzt. 12.2.1

Die Organisationsstruktur wird im Idealfall aus der Strategie abgeleitet

Die Organisationsstruktur wird im Idealfall auf die auszuführenden Funktionen abgestimmt

Instrumente der Aufbauorganisation

Die Notwendigkeit der Gestaltung der Organisationsstruktur folgt unmittelbar aus der Arbeitsteilung in Organisationen: ein Organisationszweck bzw. organisationale Ziele werden in bearbeitbare Teilaufgaben zerlegt; diese müssen dann koordiniert werden, um eine Ausrichtung auf das übergeordnete Ziel zu gewährleisten (. Abb. 12.2) Die systematische Gestaltung der Aufbauorganisation – dieser Begriff wird hier synonym zu Organisationsstruktur verwendet – erfordert daher Instrumente zur Gliederung des Unternehmens (z. B. Organigramme), zur inhaltlichen Beschreibung der Teilaufgaben (z. B. Funktionsbeschreibungen, „Job Descriptions“, Rollenbeschreibungen) und zur Klärung der Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Funktionsträgern (z. B. Funktionendiagramme). Diese Instrumente sind aus Sicht der rationalen ökonomischen Perspektive besonders bedeutsam.

Arbeitsteilung und Koordination, Aufbauorganisation

Organigramm Ein Organigramm zeigt die Gliederung einer Organisation. Es definiert die Einheiten der Arbeitsteilung, die Instanzen zu ihrer Koordination und die formalen Beziehungen zwischen diesen Elementen. Diese Darstellung kann mehr oder weniger detailliert erfolgen. Die inhaltliche Arbeitsteilung wird in der Regel in der horizontalen, die hierarchische Ordnung in der vertikalen Dimension abgebildet. Die vertikalen Beziehungen zwischen den Elementen im Organigramm werden als Linie, die Elemente selbst als Linien-

Stab-Linien-Organisationen

488

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Organisieren heißt … Arbeit teilen …

… und koordinieren

..Abb. 12.2  Arbeitsteilung und Koordination

instanzen bezeichnet. Letzteren obliegt die Koordination der ihnen unterstellten Instanzen, sie verfügen dazu über ein entsprechendes Weisungsrecht. Ergänzend finden sich in vielen Unternehmungen sogenannte Stabsstellen, d. h. unterstützende oder beratende Stellen, die gegenüber der Linie grundsätzlich nicht weisungsberechtigt sind. Die meisten Organigramme sind solche Kombinationen von Linien bzw. Linieninstanzen mit Stabsstellen und werden daher als Stab-Linien-Organisationen bezeichnet. Während in der Betriebswirtschaftslehre verschiedene Varianten von Organigrammen noch lange als unterschiedliche Organisationstypen (z. B. Linienorganisation, Stab-Linien-Organisation, Funktionale Organisation) behandelt wurden, hat sich in der Praxis eine pragmatischere Sicht entwickelt. Im Grunde lassen sich fast alle heutigen Organisationsstrukturen als Varianten der Stab-Linien-Organisation verstehen. In erster Linie geht es um die Frage, nach welchem Kriterium eine bestimmte Unternehmung gegliedert werden soll. Klassische Gliederungskriterien sind: a. Funktionen, b. Produktlinien bzw. Geschäftsfelder und c. Regionen.

12

Varianten der Stab-LinienOrganisation

Ein Beispiel (. Abb. 12.3) für a) ist eine Gliederung in eine Einkaufs-, eine Produktions- und eine Verkaufs-Abteilung, eventuell ergänzt durch eine Stabsstelle für Produktentwicklung. Im Fall b) spricht man von einer divisionalen Struktur. Als Beispiel dafür kann man sich einen Konzern mit den Divisionen (Geschäftsfeldern) Pharmazeutika, Tiergesundheit und Pflanzenschutz vorstellen. Fall c) bezeichnet man als geographische Struktur, wobei Länder oder Regionen das primäre Kriterium zur Bildung von Organisationseinheiten (in diesem Fall z. B. Ländergesellschaften) dienen. Neben diesen klassischen Beispielen finden sich auch Un-

489

12.2 • Organisationsinstrumente

Funktionale Gliederung

Divisionale Gliederung

Geschäftsleitung

Konzernleitung

12

ProduktEntwicklung

Einkauf

Produktion

Verkauf

Pharmazeutika

Tiergesundheit

Pflanzenschutz

..Abb. 12.3  Beispiele für funktionale und divisionale Organigramme

ternehmungen, die nach Kundensegmenten, Technologiebereichen oder anderen Kriterien gegliedert sind. Die Frage nach dem optimalen Gliederungskriterium ist letztlich nur im konkreten Fall zu beantworten. Allerdings wird es bei zunehmender Größe und Komplexität einer Unternehmung immer schwieriger, in einer funktionalen Struktur die oft zahlreichen Geschäftsprozesse durch jeweils mehrere Organisationseinheiten hindurch zu koordinieren. Das dürfte der Grund dafür sein, dass sich in Großunternehmungen divisionale Strukturen weitgehend durchgesetzt haben, während funktionale Strukturen eher in Klein- und Mittelbetrieben zu finden sind. Häufig sind auch Mischformen wie etwa eine primäre Divisionalisierung (Gliederung nach Geschäftsfeldern) mit Gliederung der einzelnen Divisionen in Funktionen. Durch die Bestimmung des primären Gliederungskriteriums werden Führungsprioritäten gesetzt. Beispielsweise wird eine Divisionalisierung in einem internationalen Konzern dazu führen, dass Geschäftsfeldstrategien den Vorrang vor Länderstrategien erhalten, während eine regionale Struktur zum umgekehrten Ergebnis führt. Es ist im konkreten Fall zu prüfen, welche Form zielführender ist. Es gibt auch die Möglichkeit einer Matrixstruktur, hier werden zwei Gliederungskriterien kombiniert, wobei eine Organisationseinheit jeweils zwei vorgesetzten Instanzen – beispielsweise einer Regionalleitung und einer Divisionsleitung (. Abb. 12.4) – untersteht. Diese Doppelunterstellung innerhalb der Matrixorganisation gilt auch als ihre Hauptschwäche, denn es ist selbst durch sorgfältigste Klärung der Struktur nicht auszuschließen, dass sich Weisungen unterschiedlicher Instanzen an eine Organisationseinheit bisweilen widersprechen. Der Detaillierungsgrad eines Organigramms hängt vom Zweck ab: Während es für die Übersicht über die Sparten eines Großkonzerns zweckmäßig ist, die Darstellung stark zu aggregieren und beispielsweise ganze Geschäftsbereiche oder Konzerngesellschaften als Elemente abzubilden, ist eine viel höhere Auflösung sinnvoll, um etwa Arbeitsteilung und Führungsstrukturen im Außendienst eines Detailhandelsbetriebs zu klären.

optimales Gliederungskriterium

Matrixstruktur

490

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Matrix-Struktur Konzernleitung

Pharmazeutika

Tiergesundheit

Pflanzenschutz

Europa Nordamerika Asien

..Abb. 12.4 Matrixstruktur

Funktionsbeschreibung Stellenbeschreibung bzw. „Job Description“, knappe, präzise Form

12

Beispiel für eine Funktionsbeschreibung

Die Funktionsbeschreibung (auch Stellenbeschreibung, „Job Description“ oder Rollenbeschreibung) dient der Klärung der Teilaufgaben und ihrer Verortung innerhalb der Organisationsstruktur. Sie dient als Instrument, um das Organigramm mit Inhalt zu füllen. Ihre zentralen Elemente sind die Beschreibung der Hauptaufgaben, d. h. des eigentlichen Zwecks der Stelle, und der dazu gehörenden Anforderungen wie berufliche Aus- und Weiterbildung, Erfahrung, Sozial- und Selbstkompetenz. Zur Verortung im Organigramm sind außerdem Angaben zu vorgesetzten und unterstellten Funktionen erforderlich. Ergänzend können besondere Nebenaufgaben und Stellvertretungsverhältnisse genannt werden. Insgesamt gilt es zu beachten, dass die Funktionsbeschreibung der Klärung und Orientierung dient. Ihren Zweck erfüllt sie daher am besten in knapper, präziser Form. Beispiel

Beispiel für eine Funktionsbeschreibung 1. Bezeichnung der Funktion – Leiterin bzw. Leiter der Abteilung Dienste 2. Hauptaufgaben – Strategische Führung und Koordination der zentralen Dienste Personal, Recht, Finanzen und Controlling sowie Infrastruktur 3. Zusätzliche Aufgaben – Aufsichtsratsmandate bei den Tochtergesellschaften – Vertretung der Firma im Arbeitgeberverband

12.2 • Organisationsinstrumente

491

12

4. Anforderungen an den Funktionsinhaber a. Berufsausbildung und -erfahrung – Hochschulabschluss in Wirtschaft oder Recht mit Weiterbildung im jeweils anderen Fachgebiet; internationale Führungserfahrung in geschäftsführender Funktion b. Zusätzliche Fähigkeiten und Erfahrungen – Erfahrung mit großen Infrastrukturprojekten – sehr gute Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch) 5. Organisatorische Einordnung a. Vorgesetzte Funktion b. Vorsitzender der Konzernleitung c. Unterstellte Funktionen – Leiter der Abteilungen Personal, Recht, Finanzen und Controlling sowie Infrastruktur; Stabsstelle Projektmanagement 6. Stellvertretungsaufgaben – Vertretung des bzw. der Vorsitzenden der Konzernleitung

Die häufig zu beobachtende Anreicherung mit arbeitsinhaltlichen Details bis hin zu Tätigkeitslisten verstellt den Blick auf den organisationalen Zusammenhang und widerspricht auch dem Grundsatz der Führung über Zielvereinbarung, indem sie die Pflichten der Mitarbeitenden scheinbar vollständig aufzählt. Einer Stelle oder Funktion sind Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen/ Rechte zugeordnet. Gleichzeitig werden sie eher statisch assoziiert: „Nun haben wir Ordnung geschaffen, jede Person weiß was sie zu tun hat.“ Die „Rolle“ trifft besser auf heutige Anforderungen in komplexen Organisationen zu. Die Rolle bildet eher ein vernetztes und dynamisches Verständnis ab. Die Rollenbeschreibung ist eine erweiterte Form der Stellenbeschreibung, die auch das Zusammenspiel mit anderen Rollen beschreibt. Die Prioritäten der Aufgabenerfüllung werden verdeutlicht, um eine flexible Aufgabenerfüllung zu fördern. Durch die Konzentration auf den Kernauftrag wird der Strategiebezug sichergestellt und auf die detaillierte Definition selbstverständlicher Tätigkeiten wird aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichtet. Ein wesentlicher Nutzen der Rollenbeschreibung liegt im Klärungsprozess (7 Kap. 4), der zu ihrer Formulierung nötig ist. Das periodische Mitarbeitergespräch sollte genutzt werden, um das Aufgabenverständnis periodisch abzustimmen und zu aktualisieren. Auf diese Weise genutzt ist die Rollenbeschreibung ein wirksames Organisations- und Führungsinstrument.

Nutzen liegt im Klärungsprozess

492

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Funktionendiagramm Verbindung zwischen der Aufbau- und der Ablauforganisation, Bedeutung des Klärungsprozesses

Das Funktionendiagramm stellt den Zusammenhang zwischen einzelnen Instanzen eines Organigramms dar. Es zeigt schematisch auf, wer bei welcher Aufgabe welche Funktion erfüllt und bildet so eine Verbindung zwischen der Aufbau- und der Ablauforganisation. Dazu werden in einer Tabelle vertikal die zu klärenden Aufgaben und horizontal die Stellen bzw. Organisationseinheiten eingetragen. In den Schnittpunkten werden mit Kürzeln die Funktionen gekennzeichnet, die der betreffenden Stelle für die jeweilige Aufgabe zukommt (. Tab. 12.1). Theoretisch ließe sich auf diese Weise die gesamte Aufgabenteilung in einer Unternehmung über alle Instanzen bzw. Stellen dokumentieren. In der Praxis wird ein Funktionendiagramm allerdings rasch unübersichtlich, und die Platzbeschränkungen der tabellarischen Darstellung zwingen zu einer stark verkürzten Bezeichnung der Funktionen. Wie bei der Rollenbeschreibung liegt beim Funktionendiagramm der Hauptvorteil darin, dass es als einfaches, praktisches Klärungsinstrument dient, wobei der Klärungsprozess selbst oft wichtiger ist als das daraus resultierende Dokument. Häufig wird es beispielsweise zur Rollenklärung bei besonders wichtigen Aufgaben oder zur detaillierten Abstimmung zwischen unterschiedlichen Führungsebenen eingesetzt. 12.2.2

12

Streben nach Effizienz und Qualität

Sollprozesse und Standards

Kontextabhängigkeit

Instrumente der Ablauforganisation

Mit systematisch gestalteten Abläufen soll effizientes Arbeiten und eine gleichbleibende Qualität, möglichst unabhängig von den ausführenden Personen, erreicht werden. Zudem soll der Aufwand dadurch systematisch geplant und kontrolliert werden können. Dies ist besonders bei hohem Margendruck und klar definierten Qualitätsstandards, die zwingend einzuhalten sind essentiell. Ansonsten droht in gewissen Branchen die Verweigerung oder der Entzug von Betriebs- oder Produktionsbewilligungen. Instrumente der Ablauforganisation sind daher auch obligatorische Bestandteile vieler Qualitätsmanagementsysteme. Je zentraler ein Prozess für den Erfolg der Organisation ist, und je häufiger er wiederholt wird, desto lohnender ist es, seinen idealen Ablauf zu definieren. Der Prozess wird dazu an einer Solldefinition ausgerichtet, gleichzeitig werden Standards (Sollwerte) für die relevanten Aktivitäten, deren Ergebnisse sowie für den Zeitund Ressourceneinsatz definiert. Die Mitarbeitenden müssen die Sollprozesse und Standards sowie deren Wichtigkeit kennen. Durch Feedbackschlaufen werden Abweichungen von den Standards erfasst, ausgewertet und für laufende Verbesserungen genutzt. Instrumente der Ablauforganisation basieren auf einer (verbalen oder grafischen) Abbildung von Sollprozessen. Deren Detaillierungs- und Formalisierungsgrad sowie ggf. die Informatikunter-

12

493

12.2 • Organisationsinstrumente

..Tab. 12.1  Beispiel für ein Funktionendiagramm Aufgaben

Instanzen Aufsichtsrat

Geschäftsleitung

Divisionsleitungen

Abteilungsleitungen

1.1 Grundsätze der Personalpolitik

E

A

U

U

1.2 Lohnsystem

E

A

U

i

1.3 Leistungsbonus

I

E

A

U

I

E

A/U

1 Personelles

1.4 Weiterbildungskonzepte 1.5 … 2 Infrastruktur 2.1 Eröffnung/Schließung von Regionen

E

A/U

A

2.2 Standortentscheide

I

E

A

2.3 Kauf o. Miete von Geschäftsliegenschaften

I

E

A

U

2.4 … 3 Finanzen 3.1 … E Entscheid, A Antrag, U Umsetzung, I zu informieren

stützung hängen von den Prozessen selbst und dem Kontext ab. Im Folgenden werden als Beispiele standardisierte Arbeitsanweisungen, Prozessmodelle und Informatiksysteme kurz dargestellt. Standardisierte Arbeitsanweisungen. Arbeitsanweisungen („Standard Operating Procedures“, SOP) enthalten eine genaue Bezeichnung des Geltungsbereichs, eine Beschreibung des zu regelnden Ablaufs sowie Angaben zur Verantwortung für Durchführungs- und Kontrollaktivitäten. Meist sind sie als Dokumente nach vorgegebenem Schema einheitlich gegliedert und mit einem Gültigkeitsdatum und einem Fälligkeitsdatum für die nächste Revision versehen. Diese Arbeitsanweisungen machen Sinn bei sich häufig wiederholenden Abläufen, bei denen die Einhaltung von Vorgaben zentral ist. Stark verbreitet sind standardisierte Arbeitsanweisungen zum Beispiel in der Fliegerei, in Laboratorien und in der Medizinaltechnik als unerlässliche Elemente von Qualitätszertifikaten wie „Good Laboratory Practice“, „Good Manufacturing Practice“ etc.

„Standard Operating Procedures“ (SOP)

494

12

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Abbildung eines Geschäftsprozesses Ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK)

Prozessmodelle  Prozessmodelle sind vereinfachte Abbildungen

IT-Lösung Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme

Informatiksysteme  Ein Informatiksystem dient im Idealfall der

Aufwand und Nutzen

von Prozessen einer Organisation. Sie stellen die chronologischsachlogische Abfolge von Tätigkeiten bzw. Funktionen dar. Je nach Zielsetzung werden diese in unterschiedlichem Umfang und Detaillierungsgrad modelliert. Meist werden, aufgrund der Komplexität, nicht alle zu betrachtenden Prozesse in einem Prozessmodell dargestellt, sondern unterschiedliche Prozessmodelle werden über verschiedene Hierarchie- oder Beschreibungsebenen hinweg abgebildet. Begonnen wird mit einer Übersichtsdarstellung auf Ebene der Hauptaufgaben, die dann schrittweise durch Detailmodelle auf Teilaufgabenebene verfeinert wird. Ein Beispiel ist das Flussdiagramm oder Flow Chart, das in vielen Varianten zur Darstellung und Modellierung von Prozessen verwendet wird. Die Ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK) ist noch stärker formalisiert. In ihrer einfachsten Form kommt sie mit nur drei Kategorien von Symbolen aus: Ereignisse, Aktivitäten und Verknüpfungsoperatoren (und, und/oder, entweder/oder; . Abb. 12.5). Die Grundidee ist, dass jede Aktivität durch ein definiertes Ereignis ausgelöst wird, und dass jede Aktivität ein oder mehrere Ereignisse zur Folge hat. Dementsprechend wechseln sich in einer EPK Ereignisse und Aktivitäten jeweils ab. Ein Vorteil der EPK liegt darin, dass sie Prozessdarstellungen in unterschiedlichem Detaillierungs- bzw. Aggregationsgrad zulässt und damit eine übersichtliche Abbildung auch hoch komplexer Abläufe ermöglicht. Unterstützung von Arbeitsabläufen. Deshalb sollten seine Merkmale aus den Anforderungen vorgängig definierter Geschäftsprozesse abgeleitet werden. Manchmal ist es jedoch sinnvoller, umgekehrt vorzugehen und die Abläufe der Funktionsweise einer etablierten Standard-IT-Lösung anzupassen. Dies kann beispielsweise für die Buchführung in kleineren und mittelgroßen Betrieben gelten; hier stehen heute Softwaresysteme zur Verfügung, deren konsequente Anwendung – inklusive notwendiger Anpassung der betrieblichen Abläufe – eine fachlich und gesetzlich korrekte Rechnungslegung weitgehend gewährleistet. Ähnlich können je nach Branche und Betrieb auch Produktions- und Logistikabläufe nach den Erfordernissen anerkannter Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme gestaltet werden. In jedem Fall sind aber Voraussetzungen und mögliche Konsequenzen der betreffenden Lösung für die Unternehmung vorgängig genau zu klären. Die formalisierte Gestaltung und Steuerung von Abläufen birgt die Gefahr der Bürokratisierung. Diese Art von Prozessmanagement verlangt ein laufendes Überprüfen und Auswerten von Standards. Die Prozessdefinitionen und Sollwerte selbst müssen auf ihre Gültigkeit überprüft und bei Bedarf aktualisiert werden. Dieser Aufwand muss durch den erzielten Nutzen in Form von Effizienz- und Qualitätssteigerung der betreffenden Prozesse

495

12.2 • Organisationsinstrumente

VerbindungsOperator „Oder“

Kunde bringt defektes Gerät

Ereignis

Garantieanspruch prüfen

Prozess

V Kein Garantieanspruch

Garantieanspruch

Reparaturofferte ausarbeiten

V

Reparaturauftrag

Kein Reparaturauftrag

V

Reparatur durchführen

..Abb. 12.5  Beispiel für eine ereignisgesteuerte Prozesskette

12

496

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

gerechtfertigt werden. Es besteht die Gefahr, dass Mitarbeitende sich ausschließlich an formalen Vorgaben orientieren und den Sinnzusammenhang ihrer Arbeit nicht mehr erkennen. Das kann demotivierend wirken und die Flexibilität gegenüber Störungen und unerwarteten Chancen einschränken. So gesehen können Instrumente der Ablauforganisation im negativen Fall zu einer Erstarrung und einem Verkümmern von Kompetenzen beitragen. Deshalb gilt es, die Auswahl als auch die Einführung und Handhabung den Anforderungen und Möglichkeiten der Organisation anzupassen und die Mitarbeitenden in allen Phasen angemessen einzubeziehen. Geeignete und gut eingeführte Instrumente werden von den Beteiligten auch als Chance erlebt, den Erfolg der eigenen Arbeit darzustellen und den eigenen Wirkungsgrad zu erhöhen. 12.2.3 Projektorganisation einmalige Vorhaben

12 Vorrang der Projektorganisation

Projekte spielen in den heutigen Organisationen eine sehr wichtige Rolle, weil immer häufiger komplexe, bereichsübergreifende Themen in interdisziplinären Teams zu bearbeiten sind. Projekte befassen sich häufig mit besonders komplexen Fragestellungen oder innovativen Ideen. Solche Themen lassen sich oft nur ungenügend mit der bestehenden Organisation bewältigen. Sie verlangen aufgrund ihres Umfangs oder der Tragweite nach speziellen Strukturen und Abläufen. Bei Projekten handelt es sich um einmalige, zeitlich begrenzte Vorhaben (beispielsweise eine große Investition, eine Diversifikation oder die Einführung einer neuen Technologie), deshalb ist es zweckmäßig, befristet eine auf dieses Vorhaben ausgerichtete Organisation einzurichten. In diesem Fall spricht man von Projektorganisation. Auch für die Projektorganisation gilt, dass Aufgaben, Arbeitsteilung, d. h. Strukturen und Abläufe ausreichend klar definiert sein müssen (7 Kap. 16 „Projektmanagement“). Insofern unterscheidet sie sich nicht grundsätzlich von anderen Organisationsformen. Allerdings ist das Konfliktpotenzial höher, denn Projekte beanspruchen Personen und oft auch andere Ressourcen zusätzlich. Damit stehen sie häufig in Konkurrenz zu den Bedürfnissen des Alltagsgeschäftes. Außerdem überlagern die Projektführungsstrukturen zeitweise und teilweise das bestehende Organigramm, was zu Rollenkonflikten führen kann. So kann es vorkommen, dass eine Führungskraft innerhalb der Projektorganisation jemandem unterstellt ist, der in der Unternehmenshierarchie sonst tiefer positioniert ist. Damit hinderliche Kompetenzdiskussionen vermieden werden, ist es wichtig, der Projektführungsstruktur für die projektbezogene Zusammenarbeit, den Vorrang vor der Unternehmenshierarchie zu geben. Agile Methoden spielen im Projektmanagement eine zunehmend wichtige Rolle und fordern ihrerseits nach einer darauf abgestimmten Projektorganisation.

12.3  •  Prinzipien der Organisationsgestaltung

12.3

497

12

Prinzipien der Organisationsgestaltung

Die Organisationsforschung hat bisher wenig allgemeingültige Gestaltungsprinzipien hervorgebracht (Kieser & Ebers, 2016). Welcher Ablauf oder welche Struktur einem Betrieb am besten entspricht, hängt von zu vielen Faktoren ab. Branche, Technologie, Betriebsgröße, geografische Verhältnisse und rechtliche Rahmenbedingungen sind dafür nur einige Beispiele. Was für eine bestimmte Organisation daher „optimal“ bedeutet, lässt sich nur unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit beurteilen. Dieses Urteil hängt nicht nur von objektiven Faktoren (wie den oben genannten) ab, sondern wird auch von kulturellen Aspekten bzw. dem Zeitgeist oder vorherrschenden Managementtrends bestimmt. Zum Beispiel wurde vor etwa 20 Jahren als optimale Führungsspanne 5 bis 8 Mitarbeitende bezeichnet, während heute 10 bis 12 als normal, wenn nicht sogar als wenig gilt. Dennoch können einige formale Prinzipien formuliert werden, die grundsätzlich in jeder Organisation beachtet werden sollten. Auf der Grundlage arbeits- organisationspsychologischer Erkenntnisse und aus dem soziotechnischen Systemverständnis existieren konkrete, inhaltliche Prinzipien für die Aufgabengestaltung. 12.3.1

Primat der Zweckmäßigkeit

Formale Gestaltungsprinzipien

Als formale Prinzipien bezeichnen wir hier grundsätzliche, abstrakte Regeln für die Gestaltung von Organisationsstrukturen und -prozessen. Auch wenn es, abgesehen vom Primat der Zweckmäßigkeit, kaum allgemeingültige Organisationsprinzipien gibt, werden die folgenden drei Grundsätze kaum bestritten: zz Structure follows process follows strategy

Dieses Prinzip besagt, dass man bei der Organisationsgestaltung von der Strategie ausgehend zunächst die Prozesse definieren und erst dann die Strukturen festlegen soll. Dadurch wird zum einen das Primat der Zweckmäßigkeit näher bezeichnet: Prozesse und Strukturen haben ausdrücklich der (Firmen- oder Geschäftsbereichs‑) Strategie zu entsprechen, was natürlich voraussetzt, dass eine solche vorgängig hinreichend geklärt wird. Außerdem erhalten die Prozesse prinzipiell Vorrang vor den Strukturen. Geschäftsprozesse sind so zu definieren, wie es einer optimalen Strategieumsetzung entspricht, und die Strukturen sind dann so zu wählen, dass sie eine möglichst reibungslose Realisierung der Prozesse ermöglichen. Nicht sinnvoll ist es demgegenüber, zunächst Strukturen zu fixieren – etwa nach persönlichen Anliegen einzelner Führungspersonen – und dann die Prozesse innerhalb dieses strukturellen Rahmens zu installieren. Der Preis dafür besteht in der Regel in einer suboptimalen Arbeitsteilung und damit in unnötigen Schnittstellen

von der Strategie ausgehend … Strukturen festlegen

498

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

mit entsprechendem Koordinationsbedarf bzw. Abstimmungsproblemen. Im Unternehmensalltag ist es nicht immer möglich, jede Prozessänderung mit strukturellen Anpassungen zu verbinden. Manchmal ist es vernünftiger, bei der Prozessgestaltung Kompromisse zu machen, als die Organisation permanent in Unruhe zu versetzen (7 Abschn. 12.5). Der Grundsatz der Zweckmäßigkeit ist insofern auch auf das Prinzip „Structure follows process follows strategy“ selbst anzuwenden. zz Kohärenz und Konsistenz unerwünschte Schnittstellen

Organisieren als Gestaltung der Arbeitsteilung läuft immer Gefahr, Zusammenhänge zu übersehen und Widersprüche zu schaffen. So kann etwa die Reorganisation einer Abteilung zu unerwünschten Schnittstellen mit anderen Organisationseinheiten führen und damit die Zusammenarbeit erschweren, auch wenn sie abteilungsintern durchaus Verbesserungen bringt. Bei der Organisationsgestaltung gilt es daher nicht nur, die einzelnen Elemente möglichst widerspruchsfrei zu gestalten, sondern auch die Zusammenhänge zwischen diesen Elementen – d. h. zwischen den strukturellen Einheiten und Ebenen, zwischen verschiedenen Prozessen und zwischen Aufbau- und Ablauforganisation generell – im Auge zu behalten. zz Kongruenzprinzip

Kongruenz von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung

12

Anforderungen an die Organisation

Dieses Prinzip verlangt, dass Verantwortung und Kompetenz (im Sinne von Ermächtigung) für alle Aufgaben übereinstimmen. Damit handelt es sich um eine Rollenanforderung. Mit anderen Worten: Wer eine Aufgabe hat, muss sowohl die Verantwortung für ihre Erfüllung haben als auch die Ermächtigung, die dazu erforderlich ist. Verletzungen des Kongruenzprinzips treten im Führungsalltag häufig in Form mangelhafter Delegation auf (7 Kap. 15). Jemand erhält eine konkrete Aufgabe (beispielsweise eine Abteilung zu reorganisieren), notwendige Kompetenzen (etwa für die Änderung der betreffenden Arbeitsverträge) bleiben aber bei der vorgesetzten Person, werden also nicht übertragen. Manchmal sind derartige Inkongruenzen bereits in der Organisationsstruktur, in den Abläufen oder in deren Kombination angelegt. Beispielsweise kann die Aufbauorganisation ausdrücklich eine finanzielle Ergebnisverantwortung der Abteilungsleitenden vorsehen, während Prozessvorgaben für die Budgetierung und das Personalwesen gleichzeitig verhindern, dass die Verantwortlichen ihre wichtigsten Kostenarten ausreichend beeinflussen können. Diese drei formalen Gestaltungsprinzipien verweisen aus unterschiedlichen Perspektiven auf ganz grundlegende Anforderungen an die Organisation: Sie soll in ihren Prozessen und Strukturen auf die Strategie ausgerichtet sein, sie soll ganzheitlich und möglichst widerspruchsfrei sein, und den einzelnen Aufgaben sollen kongruente Rollen zugewiesen werden.

12.3  •  Prinzipien der Organisationsgestaltung

499

12

--

Drucker (2007, 2009) nennt folgende Organisationsprinzipien, welche das vorgängig erläuterte sinnvoll ergänzen: Die Organisation soll auf den Kunden ausgerichtet werden. Das Management soll sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren können. Die Organisation soll den Mitarbeitern helfen, ihre Stärken zu nutzen und erwünschte Resultate zu erzielen. Die Organisation soll so flexibel gestaltet sein, dass eine rasche Anpassung an zukünftige Entwicklungen möglich ist. Die Komplexität soll für das Management noch steuerbar sein, bzw. durch gute Organisation soll die Komplexität in angemessener Weise reduziert werden. 12.3.2 Organisationspsychologische

Gestaltungsprinzipien: Soziotechnische Aufgabengestaltung

Organisationspsychologische Prinzipien beziehen sich auf die inhaltliche Ebene der Organisationsgestaltung. Sie geben Hinweise, wie die Teilaufgaben innerhalb eines arbeitsteiligen Systems – die Aufgaben der einzelnen Organisationseinheiten und der darin arbeitenden Menschen – gestaltet werden sollen. Grundsätzlich gilt auch hier das Primat der Zweckmäßigkeit. Das bedeutet, die Bestimmung von Aufgaben kann nicht beliebig erfolgen, sondern hängt immer vom Zweck („Primary Task“), von den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Organisation ab. Die Psychologie liefert wichtige Hinweise wie Arbeit zu gestalten bzw. zu organisieren ist, um neben ökonomischen Zielen auch andere, das genannte Ziel beeinflussende Faktoren zu adressieren. Zentral sind hier die Aspekte der Lern‑, Leistungs‑, Gesundheits- und Motivationsförderung: Umsetzung – Hinweise zur Arbeitsgestaltung. Durch welche Merkmale der Arbeit können diese Faktoren positiv beeinflusst werden?

--

Als wesentliche Kriterien gelten Ganzheitlichkeit, Autonomie, Anforderungsvielfalt, Interaktion und Individualisierung. Die Ausprägung dieser Merkmale entscheidet u. a. darüber, ob eine Arbeit oder Arbeitsaufgabe die Kompetenzen, die Motivation, die Gesundheit und die Persönlichkeit der Beschäftigten fördern kann (Frieling und Sonntag 1999; Ulich 2005; Hacker 2009; Rosenstiel 2007). Das Verständnis von Organisationen als soziotechnische Systeme impliziert, dass technische und soziale Aspekte in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit verstanden werden. Demnach gilt es, die einzelnen Aufgaben nicht nur nach technisch-betriebswirtschaftlichen Erfordernissen, sondern gleichzeitig menschen- und

Aufgabengestaltung, Organisationsverständnis und Menschenbild

500

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

teamgerecht zu gestalten (Ulich 2005). Was sind die Einzelmerkmale der geforderten guten Gestaltung von Arbeitsaufgaben? a. Gefordert sind vollständige oder ganzheitliche Aufträge, die über das Ausführen hinaus auch eigenständiges Vorbereiten, Organisieren und Kontrollieren der Leistungen und ihrer Ergebnisse einschließen. b. Sie umfassen dadurch verschiedene Teiltätigkeiten und bieten somit Abwechslung und motivierende Anregung. c. Sie nutzen die vorhandene Ausbildung und verhüten auf diese Weise Verlernen (Dequalifizierung). d. Sie erfordern neues Können zumindest gelegentlich. e. Sie ermöglichen Kooperation und dadurch wechselseitiges soziales Unterstützen. f. Sie belassen Tätigkeits- bzw. Entscheidungsspielraum in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht für individuelle Ausführungsweisen und ermöglichen damit eine Wahl des Vorgehens. Damit werden zum Beispiel auch die Bewältigungsstrategien Älterer (Selektion, Optimierung, Kompensation) berücksichtigt. Die Forderung nach differenzieller Arbeitsgestaltung (Ulich 2016) ist damit gleichfalls erfüllt. g. Gut gestaltete und damit lernfördernde Arbeitsaufträge bieten des Weiteren wertschätzende soziale Rückmeldungen durch Kollegen, Vorgesetzte oder Klienten.

12

Auswirkungen auf Motivation, Eigenverantwortlichkeit als Erfolgsfaktor

Gut gestaltete Arbeitstätigkeiten zeichnen sich durch vorhersehbare und damit planbare, durchschaubare und beeinflussbare Arbeitsprozesse aus. Damit wird auch dem Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle im Sinne von Grawe (2004) entsprochen und dem Salutogenese-Konzept (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit, Sinnhaftigkeit) von Antonovsky (1997). Damit begründet sich unter anderem die gesundheitsförderliche Wirkung gut gestalteter Arbeitstätigkeiten. Lernförderliche Arbeitsaufträge können nicht einmalig, ein für alle Mal geschaffen werden, sondern sind eine Daueraufgabe, denn erfolgreiches Lernen hebt die bisherigen Lernanforderungen auf. . Tab.  12.2 liefert einen verdichteten Überblick der Gestaltungsprinzipien. Im Betriebsalltag werden häufig zuerst aus technischer und ökonomischer Sicht optimale Abläufe definiert; anschließend versucht man, die dazu passenden Aufgabendefinitionen abzuleiten. Organisationen, die so entstehen, können zwar funktional plausibel sein, ob sie aber Motivation und Engagement der Mitarbeitenden fördern, ist eine andere Frage (7 Abschn. 14.3 „Motivation“). Aufgaben, die unbesehen von technisch-ökonomischen Vorgaben abgeleitet sind, werden oft als Sachzwänge erlebt. Der Einzelne erfährt sich nicht als ursächlich für den Unternehmenserfolg und ist entsprechend wenig motiviert, Fähigkeiten und Engagement ein-

501

12.3  •  Prinzipien der Organisationsgestaltung

12

..Tab. 12.2  Merkmale der soziotechnischen Aufgabengestaltung. (Adaptiert nach Ulich 2005, S. 202, mit freundlicher Genehmigung der vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich) Gestaltungsmerkmal

Ziel/Absicht Vorteil/Wirkung

Realisierung durch …

Ganzheit­lichkeit

Mitarbeiter erkennen Bedeutung und Stellenwert ihrer Tätigkeit Mitarbeiter erhalten Rückmeldung über den eigenen Arbeitsfortschritt aus der Tätigkeit selbst

… umfassende Aufgaben mit der Möglichkeit, Ergebnisse der eigenen Tätigkeit auf Übereinstimmung mit gestellten Anforderungen zu prüfen

Anforderungsvielfalt

Unterschiedliche Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten können eingesetzt werden Einseitige Beanspruchungen können vermieden werden

… Aufgaben mit planenden, ausführenden und kontrollierenden Elementen bzw. unterschiedlichen Anforderungen an Körperfunktionen und Sinnesorgane

Möglichkeiten der Interaktion

Schwierigkeiten können gemeinsam bewältigt werden Gegenseitige Unterstützung hilft, Belastungen besser zu ertragen

… Aufgaben, deren Bewältigung Kooperation nahelegt oder voraussetzt

Autonomie

Stärkt Selbstwertgefühl und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung Vermittelt die Erfahrung, nicht einflussund bedeutungslos zu sein

… Aufgaben mit Dispositions- und Entscheidungsmöglichkeiten

Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten

Allgemeine geistige Flexibilität bleibt erhalten Berufliche Qualifikationen werden erhalten und weiterentwickelt

… problemhaltige Aufgaben, zu deren Bewältigung vorhandene Qualifikationen erweitert bzw. neue angeeignet werden müssen

zubringen. Dies ist von besonderer Bedeutung im Umgang mit unerwarteten Chancen oder Störungen: Planung bezieht sich immer primär auf den „Normalfall“, d. h. den störungsfreien Ablauf (Frei et al. 1993). Auch die Berücksichtigung absehbarer Sonderfälle und Ausnahmen reicht nicht, um die Vielfalt möglicher Probleme und Chancen im Betriebsalltag wahrzunehmen. Eine Organisation, die technische und menschliche Gestaltungskriterien in ihrem Zusammenhang versteht und anwendet, fördert die Orientierung am Sinn und Zweck der Organisation und motiviert zur eigenverantwortlichen Nutzung von Handlungsspielräumen. In einem komplexen und dynamischen Umfeld liegt darin ein entscheidender Erfolgsfaktor. Es muss den Mitarbeitenden folglich ermöglicht werden, ihre Arbeit eigenständig zu organisieren, um auftretende Probleme selbst lösen zu können. Überorganisation verhindert ein solches selbstgesteuertes adaptives Problemlöseverhalten.

502

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

12.4 Projekt- und Veränderungsmanagement

Methoden der Organisationsgestaltung

Bei der Organisationsgestaltung stellt sich nicht nur die Frage nach den Instrumenten und Prinzipien, sondern auch nach dem Vorgehen: Wo soll man ansetzen, wie kann man vorgehen, um eine Organisation auf neue oder sich ändernde Anforderungen auszurichten? Diese Frage wird auch in anderen Kapiteln dieses Handbuchs behandelt, insbesondere 7 Kap. 16 „Projektmanagement“ und 7 Kap. 18 „Führung in Zeiten des Wandels“. Die hier vorgestellten Methoden (Business-Process-Reingenering; Wertkettenanalyse, strukturorientierte Methoden) sind dazu nicht als Alternativen, sondern als Ergänzung gedacht: Indem sie auf bestimmte Aspekte (z. B. Kundennutzen, Entstehung der Wertschöpfung oder Geschäftsrisiken) fokussieren, zeigen sie grundsätzliche betriebswirtschaftliche Zugänge zur Organisationsgestaltung. Je nach Problemstellung und Kontext ist die eine oder andere Methode erfolgsversprechend. In der Regel wird man den (Um‑)Gestaltungsvorgang als solchen in Form eines Projekts bzw. im Rahmen eines umfassenden Change Managements durchführen. Bei den vorgestellten Ansätzen handelt es sich um eine Auswahl verbreiteter Konzepte, die keine Vollständigkeit beansprucht. Als übergeordneter Rahmen kann der soziotechnische Systemansatz dienen, der bereits vorgängig erläutert wurde (z. B. 7 Kap. 2 Organisationsverständnis). zz Soziotechnische Systemgestaltung

12

Primäre Arbeitssysteme sind abgrenzbare und identifizierbare Subsysteme einer Organisation, z. B. eine Entwicklungs- oder Verkaufsabteilung

Menschliche Arbeit findet mehrheitlich in Arbeitssystemen statt, welche durch ein soziales und technisches Teilsystem gekennzeichnet sind. Beide Systeme werden im Idealfall gemeinsam gestaltet bzw. optimiert. Das soziale Teilsystem besteht aus den Personen, welche im Arbeitssystem beschäftigt sind, das technische Teilsystem umfasst unter anderem die technischen und räumlichen Arbeitsbedingungen. Die Wechselwirkungen zwischen den beiden Teilsystemen sind sehr bedeutsam. Soziotechnische Systeme sind offene und dynamische Systeme. Sie erhalten Inputs aus der Umwelt und geben Outputs in die Umwelt ab. Das Konzept wurde anfangs für sogenannte „Primäre Arbeitssysteme“ entwickelt und später auch auf Makrosysteme übertragen. Primäre Arbeitssysteme sind abgrenzbare und identifizierbare Subsysteme einer Organisation, z. B. eine Entwicklungs- oder Verkaufsabteilung. Sie können aus einer Gruppe oder mehreren Gruppen bestehen. Verbindendes Element zwischen den Beschäftigten und ihren Tätigkeiten ist deren gemeinsamer Zweck. Die Verknüpfung des sozialen Teilsystems mit dem technischen Teilsystem erfolgt in doppelter Weise über die Arbeitsrollen der Beschäftigten: Durch die Arbeitsrollen werden einerseits die von den Beschäftigten im Arbeitsprozess wahrzunehmenden Funktionen festgelegt, andererseits die für die Ausführung der Arbeit erforder-

12.4  •  Methoden der Organisationsgestaltung

503

12

lichen Kooperationsbeziehungen bestimmt. Der Gestaltungsansatz ist die Primäraufgabe; das ist die Aufgabe, zu deren Bewältigung das entsprechende System bzw. Subsystem geschaffen wurde. Zum Beispiel im Falle einer Entwicklungsabteilung, das Entwickeln neuer Produkte. Allerdings können Regelungen, welche sich auf Sekundäraufgaben beziehen, die Erfüllung der Primäraufgabe u. U. entscheidend mitbestimmen und mitunter erschweren. So kann etwa die Einführung eines Berichtsystems, welches die Entwicklungsarbeit messbarer und kontrollierbarer machen soll, vorher vorhandene individuelle und/oder kollektive Tätigkeitsspielräume zerstören. Deshalb kommt beim Einsatz fortgeschrittener Technologien der Auslegung der Sekundäraufgaben wachsende Bedeutung zu (Ulich 2016). Nicht alles was machbar ist, ist auch sinnvoll. Es ist immer zu prüfen, welche Effekte mit zusätzlichen oder veränderten Sekundäraufgaben erzielt werden. Sind sie zur Erfüllung der Primary Task hilfreich oder eher hinderlich? Das Konzept der soziotechnischen Systemgestaltung postuliert explizit die Notwendigkeit, den Technologieeinsatz und die Organisation gemeinsam zu optimieren. Folgende Prinzipien bilden die Basis einer menschen- und sachgerechten Organisation und kommen der oben genannten Forderung nach. Prinzipien soziotechnischer Systemgestaltung (Ulich 2005, 2016): 1. Bildung relativ unabhängiger Organisationseinheiten Mehrpersonenstellen als kleinster Organisationseinheit werden ganzheitliche Aufgaben übertragen. Dies setzt voraus, dass übergeordnete Prozesse in relativ unabhängige (Teil‑)Prozesse untergliedert werden, die nicht direkt verkettet, sondern modulartig vernetzt sind. 2. Zusammenhang der Aufgaben in der Organisationseinheit Die Arbeitstätigkeiten in einer Organisationseinheit sollten einen inhaltlichen Zusammenhang aufweisen, um das Bewusstsein einer gemeinsamen Aufgabe und gegenseitige Unterstützung zu fördern. 3. Einheit von Produkt und Organisation Der technisch-organisatorische Ablauf muss so gestaltet sein, dass das Arbeitsergebnis qualitativ und quantitativ auf die Organisationseinheit rückführbar ist. Dies ist zugleich die Voraussetzung für die Schaffung ganzheitlicher Aufgaben. 12.4.1

Prozessorientierte Methoden

Nach der Maxime „structure follows process follows strategy“ liegt es nahe, bei der Organisationsgestaltung an den Prozessen anzusetzen. In diesem Zusammenhang gelten heute das „Business Process Reengineering“ und die Wertkettenanalyse als etablierte Konzepte. Trotz ihrer recht unterschiedlichen Perspektiven ist

etablierte Konzepte

504

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

ihnen die konsequente Ausrichtung auf das Primat der Prozessgestaltung gemeinsam.

Business Process Reengineering Geschäftsprozess

Prozessmanagement als Kernkompetenz

12

Unter dem Titel „Reengineering the Corporation“ haben Hammer und Champy (1994) eine radikale Ausrichtung der Organisation auf optimierte Geschäftsprozesse postuliert. Einen Geschäftsprozess definieren sie dabei als den kürzesten Weg zwischen einem Kundenbedürfnis und seiner Befriedigung. Nach ihrer Argumentation greift eine Verbesserung von Abläufen in bestehenden Strukturen zu kurz, weil Zeit- und Qualitätsverluste insbesondere beim Weiterreichen von Arbeiten bzw. Zwischenprodukten von Abteilung zu Abteilung entstehen. Optimiert man nur die Aufgabenerfüllung innerhalb der einzelnen Abteilungen, dann löst das die Probleme an den Schnittstellen kaum oder verschlimmert sie sogar. Demgegenüber sind sprunghafte Leistungsverbesserungen möglich, wenn man zunächst die Geschäftsprozesse nach Qualitäts- und Effizienzkriterien bestmöglich definiert und dann die Organisationsstrukturen so auslegt, dass sie dieses Prozessdesign voll unterstützen. So ist beispielsweise in einer nach Kundengruppen organisierten Unternehmung eine integrale Auftragsabwicklung durch ein Team möglich, während derselbe Auftrag in einer funktional gegliederten Struktur mehrere Abteilungen durchlaufen müsste. Kritiker halten dem Reengineering häufig entgegen, bei den „optimalen Prozessen“ handle es sich meist um reine Kostensenkungsmaßnahmen, die zudem praxisfern entworfen würden und sich dann entsprechend schlecht umsetzen ließen. Dennoch gilt heute als plausibel, dass es in dynamischen Marktverhältnissen zu entscheidenden Wettbewerbsvorteilen führt, wenn man seine Organisation konsequent auf optimierte Geschäftsprozesse ausrichtet. In diesem Sinne stellen Osterloh und Frost (1997) das Business Process Reengineering in einen weiteren betriebswirtschaftlichen Zusammenhang und kommen zum Schluss, dass eine dauernde, systematische Ausrichtung der Organisation auf ihre Kernprozesse (d. h. auf ihre strategisch wichtigsten Geschäftsprozesse) unabhängig von Betriebsgröße und Wirtschaftszweig immer mehr zur notwendigen Kernkompetenz von Unternehmungen wird.

Wertkettenanalyse Aktivitäten die zur Wertschöpfung beitragen analysieren und optimieren

Das Wertkettenmodell versteht eine Unternehmung als Bündel von Aktivitäten, die in unterschiedlichem Maße zur Wertschöpfung beitragen. Das Konzept wurde von Porter (2000) zunächst als analytisches Instrument vorgestellt, mit dem die Ursachen von Wettbewerbsvorteilen untersucht werden können. Dazu werden die Aktivitäten in einer Unternehmung in Typen gegliedert (. Abb. 12.6): Die primären Aktivitäten dienen unmittelbar der Herstellung und dem Vertrieb von Produkten bzw. Dienstleistungen; sie lassen sich

505

12.4  •  Methoden der Organisationsgestaltung

Unterstützende Aktivitäten

Infrastruktur Personalwesen

win Ge

Technologieentwicklung Beschaffung

Marketing + Vertrieb

AusgangsLogistik

Kundendienst

ne

Operationen

Sp an

EingangsLogistik

n-

Primäre Aktivitäten

12

..Abb. 12.6  Wertkette. (Nach Porter 2000, S. 66, mit freundlicher Genehmigung des Campus Verlags, Frankfurt am Main)

in die Kategorien Eingangslogistik, Operationen, Marketing und Vertrieb, Ausgangslogistik und Kundendienst unterteilen. Die unterstützenden Aktivitäten tragen indirekt zur Wertschöpfung bei, indem sie die primären Aktivitäten ermöglichen oder erleichtern; dazu gehören die Kategorien Unternehmensinfrastruktur, Personalwesen, Technologieentwicklung und Beschaffung. Die konkrete Ausgestaltung und Kombination dieser Aktivitäten ist je nach Wirtschaftszweig, Unternehmensorganisation und -größe, Strategie etc. ganz unterschiedlich. Die Analyse der einzelnen Wertaktivitäten, ihrer Beziehungen untereinander und ihrer Beiträge zur Wertschöpfung des Unternehmens hilft, Vor- und Nachteile gegenüber Mitbewerbern zu erkennen. Auf dieser Grundlage lassen sich dann Wettbewerbsvorteile systematisch aufbauen bzw. verstärken. Die Leitfrage dazu lautet: Was müssen wir tun und wie müssen wir uns organisieren, um insgesamt eine möglichst hohe Wertschöpfung zu möglichst geringen Kosten zu erreichen? Die Konsequenzen reichen von der Optimierung einzelner Aktivitäten (inklusive der Möglichkeit, sie auszulagern oder ganz darauf zu verzichten) über die Änderung ihrer Reihenfolge und Koordination bis hin zur Entwicklung ganz neuer Geschäftsmodelle. Entscheidend ist in jedem Fall, dass die Organisation nach dem Prinzip „structure follows process“ so aufgebaut bzw. angepasst wird, dass sie die optimierte Wertkette bestmöglich unterstützt. 12.4.2

Analyse der einzelnen Wertaktivitäten Wettbewerbsvorteile

Strukturorientierte Methoden

Trotz dem Grundsatz, dass die Strukturen an den Prozessen auszurichten seien, kann in bestimmten Situationen das Umgekehrte notwendig sein. Vor allem zur Begrenzung von Geschäftsrisiken kann dies sinnvoll sein. So wird beispielsweise mit der Schaffung rechtlich eigenständiger Organisationseinheiten das Risiko ver-

Ausnahmen vom Grundsatz „structure follows process“

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Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

entscheidungsorientiertes Organisationskonzept Koordinationseffizienz Motivationseffizienz

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mindert, dass spezifische Branchen- oder Marktrisiken die Gesamtunternehmung gefährden. Oder es wird verhindert, dass bei schlechtem Geschäftsgang wichtige Vermögenswerte – etwa Immobilien – in Gefahr geraten. Auch die Änderung gesetzlicher Rahmenbedingungen kann Umstrukturierungen erforderlich machen. So hat die Verschärfung des Unabhängigkeitsgebots für Buchprüfer zahlreiche Treuhandunternehmen zu einer organisatorischen und rechtlichen Trennung von Buchführung und Beratung einerseits und Buchprüfung andererseits bewogen. Einen Ansatz zur direkten Ableitung von Organisationsstrukturen aus strategischen Vorgaben stellt das entscheidungsorientierte Organisationskonzept dar (Frese 1998). Es geht davon aus, dass jede Arbeitsteilung bei den Beteiligten Autonomietendenzen auslöst und dementsprechend Abstimmungsbedarf schafft. Die Fähigkeit zur Begrenzung von Autonomiekosten bei möglichst geringen Abstimmungskosten wird als Koordinationseffizienz bezeichnet. Gleichzeitig wird in Betracht gezogen, dass Organisationsstrukturen sowohl Rahmen als auch Freiräume für das Verhalten der Mitarbeitenden definieren, und dass unterschiedliche Strukturmodelle unterschiedliche Anreize setzen, diese Freiräume wahrzunehmen. Die Fähigkeit einer Organisation, die Mitarbeitenden zu einer Nutzung dieser Freiräume im Sinne der strategischen Unternehmensziele zu bewegen, wird als Motivationseffizienz bezeichnet. Das Spannungsfeld zwischen Koordinations- und Motivationseffizienz bildet einen Rahmen, in dem Voraussetzungen und Konsequenzen unterschiedlicher Organisationsstrukturen in Bezug auf eine bestimmte Wettbewerbsstrategie auf allgemeiner Ebene gut diskutiert werden können. Der vom entscheidungsorientierten Organisationskonzept postulierte unmittelbare Zusammenhang zwischen Strategie und optimaler Struktur scheint hingegen fraglich. Um sich Möglichkeiten einer optimalen Prozessgestaltung nicht unnötig zu verbauen, sollten daher strukturelle Prämissen nur aus triftigen Gründen und nur soweit unbedingt notwendig gesetzt werden. 12.4.3

Veränderung von Strukturen und Prozessen; Dynamik, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Komplexität der Arbeitswelt nehmen zu

Neue Organisationsformen

Die heutige Arbeitswelt ist in vielen Bereichen von hoher Dynamik, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Komplexität geprägt. In diesem Zusammenhang wird auch von der sogenannten VUCAWelt gesprochen (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity). Der technologische Wandel und die weiter voranschreitende Globalisierung sind unter anderem Treiber dieser Entwicklung. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen an Organisationen, Arbeitssysteme, Kooperation und nicht zuletzt an die Führung und das Management, kommen traditionelle Organisationsformen zunehmend an ihre Grenzen. Sie werden den aktuellen und zukünf-

12.4  •  Methoden der Organisationsgestaltung

tigen Herausforderungen nur noch bedingt gerecht (Robertson, 2014). Im folgenden Abschnitt werden neue Organisationsformen und die damit verbundenen Prinzipien und Techniken vorgestellt, welche aktuell in verschiedenen Organisationen eingeführt und erprobt werden. Es ist aktuell noch zu früh, eine abschließende Beurteilung über deren Zieldienlichkeit abzugeben. Eine Betrachtung lohnt sich auf jeden Fall, einige Ergebnisse zeigen, dass sie durchaus vielversprechend sind und bereits erfolgreich eingesetzt werden (Baker, 2016, Robertson, 2014). Im Übrigen lassen sie sich sehr gut mit dem sozio-technischen Systemverständnis in Einklang bringen. Wir sprechen hier von sogenannten evolutionären Organisationsformen, welche davon ausgehen, dass Organisationen lebende Organismen bzw. lebende Systeme sind (Laloux 2014, Robertson, 2014). Laloux beschreibt drei grundsätzliche Neuerungen evolutionärer Organisationen, welche diese von traditionellen Organisationsformen unterscheiden: Selbstführung: Evolutionäre Organisationen funktionieren hierarchie- und konsensfrei. Es gelingt ihnen, die Funktionsweise komplexer adaptiver Systeme, wie sie in der Natur vorkommen, auf die jeweilige Organisation zielführend zu übertragen. Damit wird die klassische hierarchische Führungsform überwunden, Organisationen können dadurch schlanker und effektiver gemacht werden, Ganzheit: Evolutionäre Organisationen laden die darin arbeitenden Menschen ein, sich in ihrer menschlichen Ganzheit einzubringen. Sie verfügen über Praktiken, welche die Menschen unterstützen, ihre Ganzheit wieder zu erlangen und ihr komplettes Selbst einzubringen. Dies steht im Gegensatz zu den meisten Organisationen, welche die Menschen dazu auffordern, sich mit ihrem vergleichsweise begrenzten professionellen Selbst einzubringen und andere Aspekte ihrer Persönlichkeit zu vernachlässigen. In traditionellen Organisationen sind maskuline Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Rationalität häufig eingeforderte und geschätzte Eigenschaften während Verletzlichkeit, Emotionalität, Spiritualität und Intuition tendenziell nicht willkommen sind. Evolutionärer Sinn: Evolutionäre Organisationen sind aus sich selbst heraus lebendig und entwickeln sich im Sinne eines organischen Werdens in eine Richtung. Im Zentrum steht die Frage, welchen Sinn die Organisation verwirklichen will und wie ihr das am besten gelingt. Die Mitarbeitenden werden eingeladen innezuhalten, zuzuhören und gemeinsam Antworten auf diese Frage zu entwickeln.

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Diese drei übergeordneten Prinzipien manifestieren sich in konkreten alltäglichen Praktiken, welche sich von traditionellen Managementmethoden unterscheiden. An dieser Stelle wird beispielhaft auf eine Auswahl häufig anzutreffender Strukturen und Prozesse in

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508

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

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evolutionären Organisationen eingegangen, wie sie Laloux (2014) beschreibt. Struktur: Die Organisationsstruktur ist durch selbstorganisierte Teams gekennzeichnet. Wenn es angebracht ist, kommen Beratende zum Einsatz, welche über keine wirtschaftliche Verantwortung und Managementautorität verfügen und die Teams beraten bzw. in bestimmten Phasen unterstützen. Die Koordination erfolgt meist durch spontane Besprechungen, wenn der entsprechende Bedarf vorhanden ist. Es sind keine Treffen des Leitungsteams erforderlich. Das Projektmanagement ist stark vereinfacht, es gibt keine klassischen Projektmanager, die Mitarbeitenden bringen die Projekte selbst voran. Pläne und Budgets werden auf ein Minimum reduziert oder ganz weggelassen, die Priorisierung erfolgt organisch im Prozess. Viele der klassischen Unterstützungsfunktionen, wie IT, Controlling, HR, Qualitätssicherung etc. werden von den Teams selbst oder von dazu gebildeten, freiwilligen Arbeitsgruppen wahrgenommen. Die noch verbleibenden Unterstützungsfunktionen verfügen nur über eine beratende Rolle. Prozesse: 1. Sinn: Organisationen werden als lebendige Wesen mit eigenem evolutionärem Sinn aufgefasst. Es existieren Praktiken, die helfen auf den Sinn der Organisation zu hören. Dazu gehören zum Beispiel Großgruppenprozesse, Meditationen, geführte Visualisierungen usw. Andere Organisationen werden nicht als Konkurrenten gesehen sondern als mögliche Partner, um den Sinn der eigenen Organisation noch besser verwirklichen zu können. Äußere Impulse werden aufgenommen und zur Weiterentwicklung der Organisation genutzt. 2. Strategie: aus der kollektiven Intelligenz der sich selbstführenden Mitarbeitenden entsteht die Strategie. 3. Innovation und Produkteentwicklung: entstehen von innen nach außen. Der Sinn bestimmt das Angebot, Aspekte wie Intuition und Ästhetik sind in diesem Prozess wichtig. 4. Zulieferermanagement: Zulieferer werden nicht nach alleine nach Preis und Qualität ausgewählt, sondern auch aufgrund ihrer Passung zum Sinn der Organisation. 5. Einkauf und Investition: ein verbindlicher Beratungsprozess, welcher nicht an eine Hierarchie gebunden ist, bildet die Grundlage von Investitionsentschieden. Die Investitionsbudgets der Teams werden von Kollegen geprüft. 6. Verkauf und Marketing: es existieren keine Verkaufsziele und die Marketingbotschaft umfasst lediglich das Angebot der Organisation an die Welt.

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12

12.5  •  Organisation zwischen Stabilität und Flexibilität

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7. Planung, Budgetierung und Controlling: es existieren keine Budgets oder sie sind stark vereinfacht. Leicht umsetzbare Lösungen und rasche Implementierung sind wichtiger als lange Planung und die Suche nach perfekten Lösungen. Das „Spüren“ von Notwendigkeiten und darauf adäquat zu antworten bilden eine wichtige Basis für das Funktionieren der Organisation. 8. Ökologische und soziale Initiativen: Nicht Geld und die Bereitschaft des Top-Managements sind entscheidend, sondern die Integrität als innere Richtschnur gibt die Antwort auf die Frage: „welches Handeln ist richtig?“ 9. Veränderungsmanagement: klassisches Veränderungsmanagement, welches die Organisation mit Hilfe von „ChangeTools“ in einen bestimmten Zustand bringen will, ist nicht mehr relevant. Die Organisation passt sich stetig von innen aus sich selbst heraus an neue Gegebenheiten und Anforderungen an. Noch existieren verhältnismäßig wenige Organisationen, welche auf den oben erläuterten Strukturen und Prinzipien basieren. Die zum Teil revolutionär und aus Sicht von vielen Menschen wenig realistisch anmutenden Arbeitsweisen bergen Chancen und Risiken. Die Zukunft wird zeigen, inwiefern sie sich zu etablieren vermögen. Zu einer Humanisierung der Arbeit würden sie allemal beitragen. In 7 Kap. 22 werden neuere Formen der Führung und Zusammenarbeit als auch Führungsansätze weiter thematisiert. 12.5

Organisation zwischen Stabilität und Flexibilität

Organisieren als Führungsaufgabe ist von einer grundsätzlichen Ambivalenz zwischen Stabilität und Flexibilität geprägt: Einerseits sollen die eben neu eingeführten Strukturen und Abläufe „tragfähig“ oder „nachhaltig“ sein, was auch bedeutet, dass sie für einen wenn auch unbestimmten Zeitraum tauglich und gültig bleiben sollen. Andererseits wird von Organisationen und ihren Mitgliedern eine hohe Fähigkeit und Bereitschaft zur Veränderung erwartet. In der Managementliteratur dominiert ganz offensichtlich das Thema Veränderung und Flexibilität. Stabilität bzw. das quasistationäre Gleichgewicht von Organisationen gerät demgegenüber leicht aus dem Blickfeld. Im Führungsalltag ist es freilich wichtig, im Auge zu behalten, dass Veränderungsprojekte zusätzliche Arbeit bringen, entsprechende Ressourcen binden und oft ein hohes Maß an Aufmerksamkeit beanspruchen. Das geht immer zu Lasten der Hauptaufgabe („Primary Task“), nämlich der Produktion von Gütern oder Dienstleistungen. Der bewusste Umgang mit system-

Ambivalenz, Nachhaltigkeit vs. Veränderung, bewusster Umgang mit systemverändernden und -bewahrenden Kräften

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Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

verändernden und -bewahrenden Kräften – wobei es auf beiden Seiten immer auch um Macht geht – ist daher ein zentrales Thema von Organisation und Führung überhaupt. 12.5.1 Bereitschaft zu Veränderungen, Ressourcenkonkurrenz zu den eigentlichen Hauptaufgaben

12

Die Fähigkeit und Bereitschaft zu Veränderungen gilt heute als unbestrittene Notwendigkeit sowohl für Organisationen als auch für die in ihnen arbeitenden Individuen. Marktverhältnisse und Rahmenbedingungen wandeln sich immer schneller und fordern entsprechende Anpassungen, oder besser: vorausschauende Potenzialentwicklung. Inzwischen gehört es daher zu den selbstverständlichen Aufgaben von Führungskräften, Prozesse laufend auf Verbesserungsmöglichkeiten zu überprüfen, diese umzusetzen und bei Bedarf die dafür notwendigen Änderungen an der Organisationsstruktur vorzunehmen. Solche Bestrebungen werden mit einer Vielzahl von Konzepten, Modellen und Methoden (7 Kap. 18) unterstützt. Dass Veränderungsvorhaben regelmäßig in Ziel- und Ressourcenkonkurrenz zu den eigentlichen Hauptaufgaben („Primary Task“) stehen, wird dabei fast ausschließlich aus der Sicht des Veränderungs- und Projektmanagements thematisiert. Es finden sich zwar viele Ratschläge, wie man trotz der Last und der Beharrungstendenz des Tagesgeschäfts ein Veränderungsprojekt erfolgreich durchbringt – aber kaum Hinweise, wie man trotz zunehmender Belastung mit Veränderungsprojekten noch seine hauptsächliche Aufgabe erfüllen soll. Interessant sind in diesem Zusammenhang psychologische Erkenntnisse zur differenziell-dynamischen Arbeitsgestaltung und zum sogenannten „Job crafting“. Bei der differenziell-dynamischen Arbeitsgestaltung, werden durch verschiedene Arbeitsformen und Strukturen die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden nach Wahlmöglichkeiten und Partizipation bei organisationalen Gestaltungsmaßnahmen berücksichtigt (Ulich 2016). Beim Job crafting geht man davon aus, dass viele Funktionen flexibel ausgefüllt werden können. Mitarbeiter haben dabei das Recht, den Fokus ihrer Arbeit auf Tätigkeiten zu richten, die sie wirklich gut können. Sie dürfen ihre Aufgaben neu organisieren und formen, damit sie besser zu ihren Stärken und Bedürfnissen passen (Kauffeld 2014). Beide Ansätze können zur Flexibilisierung und Zukunftsfähigkeit von Organisationen beitragen, indem sie es den Menschen in Organisationen erlauben, flexibel zu handeln und ihre Stärken einzubringen. 12.5.2

Routine, Skalenerträge, Überforderung durch Reorganisationshektik

Flexibilität und Zukunftsfähigkeit

Stabilität und Effizienz

Vor dem Hintergrund permanenten Wandels erscheinen Routine und Stabilität auf den ersten Blick fast fragwürdig oder gar unzeit-

12.5  •  Organisation zwischen Stabilität und Flexibilität

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12

gemäß. Für die Effizienz von Abläufen ist es aber auch notwendig, dass man seine Aufgaben routiniert und möglichst störungsfrei erledigen kann. In gut eingespielten Prozessen sind die erforderlichen Aktivitäten und Verhaltensweisen für alle Beteiligten selbstverständlich, der Klärungsbedarf ist entsprechend gering und die Fehlerquote tief. Die Ökonomie spricht in diesem Zusammenhang von Skalenerträgen, also von Vorteilen, die sich aus der gleichförmigen Abarbeitung großer Stück- oder Fallzahlen ergeben. In den Frühzeiten der Managementlehre, insbesondere im „Scientific Management“ der 1930er-Jahre, stand daher der Optimierung der Routine im Zentrum. Auch heute besteht der Zweck von Organisationsstrukturen und -prozessen darin, Arbeitsteilung und Koordination in einen stabilen, klaren Rahmen zu setzen und damit effizientes Arbeiten sicher zu stellen. Dauernde organisatorische Veränderungen können ein Unternehmen in zweierlei Hinsicht überfordern: Erstens können die entsprechenden Projekte so viele Ressourcen und Aufmerksamkeit beanspruchen, dass die „Primary Task“ zu kurz kommt, was bedeutet, dass Lieferbereitschaft und Qualität sinken. Zweitens können die Reorganisationszyklen zu kurz werden, sodass Strukturen und Prozesse schon wieder geändert werden, bevor sie richtig etabliert sind. 12.5.3

Arbeitsteilung, Hierarchie und Macht

Sieht man Organisieren als Aufgabe zwischen systemverändernden und -bewahrenden Kräften, dann ist auf beiden Seiten auch dem Thema Macht Beachtung zu schenken. Macht ist an sich in jeder hierarchischen Struktur angelegt. Durch Arbeitsteilung und organisatorische Gliederung werden Teilaufgaben für die einzelnen Abteilungen und deren Führungskräfte zu Hauptaufgaben. Dies führt notwendigerweise zu Ziel- und Ressourcenkonflikten. So kann beispielsweise das Ziel der Einkaufsabteilung, Rohstoffe preisgünstig zu beschaffen, mit den Zielen der Finanzabteilung konkurrieren, die eine niedrige Kapitalbindung und dementsprechend tiefe Lagerbestände anstrebt. Der Geschäftsleitung kommt in klassischen Organisationen dann die Aufgabe zu, in solchen Konflikten zu entscheiden. Das kann je nach Betriebskultur autoritär oder konsensorientiert geschehen. Es liegt aber durchaus im Interesse der Unternehmung, den Aufwand für die Entscheidungsfindung durch einen hierarchischen Entscheid zu begrenzen. Analog verhält es sich bei Meinungsdifferenzen in organisatorischen Fragen. Im günstigen Fall trägt Macht daher zur Effizienz und Stabilität bei oder erleichtert die Realisierung notwendiger Veränderungen. Im ungünstigen Fall werden hingegen notwendige Entscheidungsprozesse auf eine Art oder in eine Richtung beeinflusst, die nicht dem Unternehmenszweck dient. Der Grund dafür kann in Fehleinschätzungen oder in eigenen Interessen der Macht ausübenden

funktionale Macht dysfunktionale Macht informelle Strukturen

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Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Ansprüche an kritische Reflexionsfähigkeit von Führungskräften

Personen oder Gruppen liegen. Organisieren bedeutet also immer auch, Machtverhältnisse zu gestalten. Diese Aufgabe ist auch darum besonders anspruchsvoll, weil Macht in Organisationen nicht immer gut fassbar und die Entwicklung von Machtverhältnissen oft schwer absehbar ist. Das kommt auch in der Organisationssoziologie zum Ausdruck: Während die klassische Sichtweise Macht mit Weisungsermächtigung und Ressourcenzugriff in Verbindung bringt und sie somit in den Strukturen selbst lokalisiert, weisen z. B. Crozier und Friedberg (1993) darauf hin, dass Macht in Organisationen gerade zwischen den Strukturen spielt, also in jenen Bereichen, die nicht formal geregelt sind (7 Kap. 21, „Mikropolitik“). Bekannte Beispiele für dieses Phänomen sind Stabsstellen und Sekretariate, die sich bisweilen auch dort leicht durchsetzen, wo sie explizit über keine Weisungsermächtigung verfügen. Organisation ist also immer eine Gratwanderung zwischen Systemveränderung und -stabilisierung. Dabei werden Machtverhältnisse (um‑)gestaltet, die auch auf Prozesse und Ergebnisse des Organisierens zurückwirken. Dies stellt hohe Ansprüche an die Fähigkeit zur Reflexion und Selbstkritik von Personen, die sich als Entscheidungsträger oder Projektmitarbeiter mit Organisationsgestaltung befassen. 12.6

12

Organisation als zentrale Führungsaufgabe, Entscheidend ist die Qualität der Umsetzung Professionalität im Organisieren, soziale Kompetenz und kulturelle Sensibilität

hohes Maß an Reflexionsfähigkeit, Organisieren heißt immer auch Führen

Folgerungen für die Führungspraxis

Mit der Gestaltung von Strukturen und Prozessen wird die Arbeitsteilung definiert und wichtige Voraussetzungen für die Koordination von Organisationseinheiten und Mitarbeitenden werden geschaffen. Organisation ist daher eine zentrale Führungsaufgabe, die professionell erfüllt werden muss. Dazu stehen Konzepte, Instrumente und Methoden zur Verfügung. Allerdings entfalten diese ihren Nutzen nicht einfach durch ihr Vorhandensein, sondern müssen, passend zum jeweiligen Kontext erarbeitet, umgesetzt, periodisch diskutiert und ggf. angepasst werden. Beispielsweise ist eine Rollenbeschreibung dann hilfreich, wenn sie gemeinsam mit dem Mitarbeitenden verbindlich abgesprochen bzw. ausgearbeitet wird und im Rahmen periodischer Mitarbeitergespräche vergegenwärtigt und gegebenenfalls aktualisiert wird. Professionalität im Organisieren erfordert daher nicht nur die Kenntnis geeigneter Instrumente und Methoden, sondern auch soziale Kompetenz und kulturelle Sensibilität. Organisationsgestaltung findet immer in einem sozialen Kontext statt. Soll eine Veränderung bestehender Strukturen und Prozesse gelingen, dann muss sie auf deren Verständnis basieren. Selbst eine radikale Reorganisation wird in ihrem Verlauf und Ergebnis auch von den bisherigen Verhältnissen bestimmt. Nicht einmal die Gründung und der organisatorische Aufbau einer neuen Unternehmung ist in diesem Sinne voraussetzungsfrei:

12.6  •  Folgerungen für die Führungspraxis

513

Alle Beteiligten, auch die Führungskräfte, bringen ihre berufsund branchenspezifischen sowie gesellschaftlichen Erwartungen und Verhaltensmuster mit ein. Organisationsgestaltung beeinflusst also nicht nur die betriebliche Wirklichkeit, sondern wird umgekehrt auch von dieser und dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld beeinflusst. Das fordert von den Führungskräften ein hohes Maß an Reflexion der eigenen Vorstellungen, Ziele und Rolle im Kontext der Organisation. Wer beispielsweise davon ausgeht, dass Mitarbeitende auf Veränderungen grundsätzlich mit Widerstand reagieren, wird ganz anders vorgehen, andere Reaktionen erleben und andere Ergebnisse erzielen als jemand, der von den Mitarbeitenden auch Neugier, Lernbereitschaft und das Bedürfnis nach neuen Perspektiven erwartet. Jede organisatorische Maßnahme, jedes Organisationsinstrument vermittelt im Führungsalltag eine Beziehungsbotschaft. Jede organisatorische Regelung sagt nicht nur, was gefordert bzw. erwünscht ist, sie macht auch deutlich, was als regelungsbedürftig und was als selbstverständlich angesehen wird. Organisieren heißt daher immer auch Führen – ob dies ausdrücklich thematisiert wird oder nicht. Dementsprechend braucht man dafür zusätzlich zu geeigneten Organisationsmethoden und -instrumenten die gleiche Palette an Fähigkeiten und Erfahrungen, die für erfolgreiches Führen notwendig ist. Zusammenfassung Organisieren bedeutet, Strukturen und Prozesse einer Unternehmung zu gestalten. Die Notwendigkeit zur Strukturgestaltung ergibt sich unmittelbar aus der Arbeitsteiligkeit: Die „Primary Task“ der ganzen Unternehmung muss in bearbeitbare Teilaufgaben zerlegt und an verschiedene Organisationseinheiten und letztlich an einzelne Mitarbeitende delegiert werden. Dazu sind Organigramme und Funktions- bzw. Rollenbeschreibungen hilfreiche Instrumente. Für die spezifische Abstimmung zwischen Organisationseinheiten oder hierarchischen Instanzen eignen sich Funktionendiagramme. Die Notwendigkeit der Prozessgestaltung folgt aus dem Streben nach Effizienz und Qualität. Vor allem in größeren Organisationen ist es unerlässlich, wichtige und häufige Abläufe klar zu definieren und die entsprechenden Aktivitäten mit standardisierten Arbeitsanweisungen, Prozessmodellen oder spezifischen Informatiklösungen zu steuern. Grundsätzlich bemisst sich die Güte von Organisation an ihrer Zweckmäßigkeit bezogen auf Ziele und Situation eines Betriebs. Dementsprechend gibt es wenige allgemein gültige Prinzipien der Organisationsgestaltung. Weitgehend durchgesetzt hat sich das Prinzip „structure follows process follows strategy“, das den Geschäftsprozessen beim Organisieren

Zusammenfassung

12

514

Kapitel 12  •  Organisieren als Führungsaufgabe

Gestaltungspriorität einräumt. Unbestritten gelten auch das Prinzip der Kohärenz und Konsistenz sowie das Kongruenzprinzip von Verantwortung und Kompetenz. Erkenntnisse aus der Arbeitspsychologie und das soziotechnische Organisationsverständnis zeigen deutlich, dass die Organisations- und Arbeitsgestaltung nicht nur technisch-ökonomisch sinnvoll, sondern gleichzeitig menschen- und teamgerecht vorzunehmen sind. Für die systematische Organisationsgestaltung stellt die Psychologie und die Betriebswirtschaftslehre zahlreiche Methoden zur Verfügung, die entweder bei den Prozessen (z. B. „Business Process Reengineering“ oder Wertkettenanalyse) oder bei den Strukturen (z. B. entscheidungsorientiertes Organisationskonzept) ansetzen. Auch bei der Methodenwahl gilt das Primat der Zweckmäßigkeit, wobei es häufig sinnvoll ist, verschiedene Methoden zu kombinieren. Mit der Gestaltung von Prozessen und Strukturen gestaltet man auch den Rahmen für Zusammenarbeit und Führung. Organisieren ist daher selbst eine zentrale Führungsaufgabe, die systematisch und kulturbewusst wahrzunehmen ist, um das für den Unternehmenserfolg wichtige Gleichgewicht zwischen Stabilität und Flexibilität zu wahren. Fragen zur Vertiefung

12

Fragen zur Vertiefung 1. Was heißt „organisieren“ und inwiefern ist es eine Führungsaufgabe? 2. Was hat die Anwendung von Organisationsinstrumenten – z. B. Funktionsbeschreibungen, standardisierte Arbeitsanweisungen – mit Führung zu tun? 3. Welche Gestaltungsprinzipien für Organisation und Arbeit sind aus psychologischer Sicht und aus der Perspektive soziotechnischer Systeme wichtig? Weshalb? Was bedeutet „Job crafting“? Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei dieser Methode? 4. Ist die Entwicklung hierarchischer Strukturen eine zwingende Folge jeder Arbeitsteilung? – Welche Chancen und Probleme bietet die Wertkettenanalyse im Hinblick auf die soziotechnische Aufgabengestaltung? – In welchen Institutionen dürfte es besonders schwierig sein, die Maxime „structure follows process“ durchzusetzen? – Weshalb ist es so schwierig, allgemeingültige Organisationsprinzipien zu formulieren? Wie schätzen Sie die Anwendbarkeit evolutionärer Praktiken ein? Welche Chancen und Risiken sehen Sie dabei?

Literatur

Literatur Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt. Baker, S. W. (2006). Formalizing agility, part 2: how an agile organization embraced the CMMI. Agile 2006 Proceedings, IEEE Press. Crozier, M., & Friedberg, E. (1993). Die Zwänge kollektiven Handelns: über Macht und Organisation. Frankfurt a.M.: Hain. Drucker, P. (2007). Was ist Management? (5. Aufl.). Berlin: Econ. Drucker, P. (2009). Management. Bd. I, II. Frankfurt am Main, New York: Campus. Frei, F., Hugentobler, M., Alioth, A., Duell, W., & Ruch, L. (1993). Die kompetente Organisation: Qualifizierende Arbeitsgestaltung – die europäische Alternative. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Frese, E. (1998). Grundlagen der Organisation: entscheidungsorientiertes Konzept der Organisationsgestaltung. Wiesbaden: Gabler. Frieling, E., & Sonntag, K. (1999). Lehrbuch Arbeitspsychologie (2. Aufl.). Bern: Huber. Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Göttingen: Hogrefe. Hacker, W. (2009). Arbeitsgegenstand Mensch: Psychologie dialogisch-interaktiver Erwerbsarbeit Hammer, M., & Champy, J. (1994). Reengineering the corporation: a manifesto for business revolution. New York: Harper. Kauffeld, S. (2014). Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie für Bachelor. Berlin: Springer. Kieser, A., & Ebers, M. (2006). Organisationstheorien (6. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Laloux, F. (2014). Reinventing organisations. Brüssel: Parker. Osterloh, M., & Frost, J. (1997). Prozessmanagement als Kernkompetenz: wie Sie Business Reengineering strategisch nutzen können. Wiesbaden: Gabler. Porter, M. E. (2000). Wettbewerbsvorteile. Spitzenleistungen erreichen und behaupten (6. Aufl.). Frankfurt am Main, New York: Campus. Robertson, B. (2014). History of Holacracy®: the discovery of an evolutionary algorithm. https://medium.com/about-holacracy/history-of-holacracyc7a8489f8eca. Zugegriffen: 16. Okt. 2014. Rosenstiel, L. v. (2007). Grundlagen der Organisationspsychologie: Basiswissen und Anwendungshinweise (6. Aufl.). Stuttgart: Schäffer Poeschel. Ulich, E. (2005). Arbeitspsychologie (6. Aufl.). Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich. Ulich, E. (2016). Unternehmensgestaltung im Spannungsfeld von Stabilität und Wandel. Zürich: vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.

515

12

517

Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement Renée Bremi, Christoph Negri, Birgit Werkmann-Karcher, Daniel Nordmann, Claudia Beutter 13.1

Mitarbeitende gewinnen – 519

13.1.1 13.1.2 13.1.3 13.1.4 13.1.5

Einführung – 519 Selektionsprozess aus Sicht des Arbeitgebers  –  520 Checkliste Stellenanzeigen – 521 Recruiting-Trends der letzten Jahre  –  523 Erstellen des Anforderungsprofils und der Anforderungskriterien  –  526 13.1.6 Das Bewerbungsgespräch – 531 13.1.7 Interpretation und Selektionsentscheidung  –  542 13.1.8 Evaluation des Rekrutierungsprozesses  –  545 13.1.9 Einführung neuer Mitarbeitenden  –  548

13.2

Personalentwicklung als Führungsaufgabe  –  552

13.2.1 Begriff und Ziele der Personalentwicklung  –  552 13.2.2 Personalentwicklungsinstrumente – 553 13.2.3 Einbindung der Personalentwicklung in den Zielvereinbarungsprozess  –  555 13.2.4 Sind Führungskräfte für die Personalentwicklung verantwortlich? – 558 13.2.5 Personalentwicklung als arbeitsplatzbezogene Kompetenzerweiterung – 560 13.2.6 Personalentwicklung als individuelle Laufbahnentwicklung – 561 13.2.7 Personalentwicklung im Zeitalter virtueller Arbeitswelten – 562 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_13

13

13.3

Mitarbeitende beurteilen – 564

13.3.1 13.3.2 13.3.3

Grundlagen und Systematik der Mitarbeiterbeurteilung  –  564 Kommunizieren der Leistungsbeurteilung  –  581 Herausforderungen und Trends in der Leistungsbeurteilung  –  584

13.4

Trennungsprozesse gestalten – 587

13.4.1 13.4.2 13.4.3 13.4.4 13.4.5 13.4.6 13.4.7 13.4.8 13.4.9 13.4.10 13.4.11

Individuelle Trennungsgründe – 588 Betriebsbedingte Kündigungen – 589 Trennungskultur – 590 Trennungsprozess – 590 Schlüsselpersonen und deren Rolle  –  591 Vorbereitung des Trennungsgesprächs – 592 Verlauf des Gesprächs  –  595 Reaktionsmuster der Betroffenen  –  596 Achterbahnfahrt der Gefühle  –  597 Begleitung bei Austritt und Stellensuche  –  599 Verbleibende Mitarbeiter – 599

Literatur – 602

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

13.1

Mitarbeitende gewinnen

519

13 Auf einen Blick

Renée Bremi

Auf einen Blick Gute Mitarbeitende zu gewinnen, die ihre Aufgabe motiviert und kompetent erfüllen, ist das Anliegen jedes Unternehmens. Der Auswahlprozess dient dazu, Personen mit dem gewünschten Potenzial zu erkennen und Fehlbesetzungen zu minimieren. Die einzelnen Schritte im Prozess (7 Abschn. 13.1) müssen daher bewusst und sorgfältig gestaltet werden.

13.1.1 Einführung

Die erforderlichen Kompetenzen sind je nach strategischer Ausrichtung des Unternehmens, Branche und Funktion unterschiedlich. Der Rekrutierungsprozess sollte konzeptuelle Überlegungen beinhalten zu den einzelnen Schritten: Ansprache und Stellenausschreibung – Reaktion auf den Bewerbungseingang – Vorselektion und Auswahl der Verfahren, die zum Einstellungsentscheid führen (je nach Position sind dies z. B. Interviews, Arbeitsproben, Testverfahren oder Assessment). Vorgesetzte möchten die Eignung der Bewerbenden relativ sicher einschätzen können. Dies erfordert die Fähigkeit, systematisch Kriterien für die Passung zur Stelle erheben zu können, z. B. mittels strukturierten Interviews. Die gewonnenen Daten und Eindrücke sollten angemessen interpretiert werden können, damit die Entscheidungsgrundlagen zur Eignung oder Nicht-Eignung fundiert sind. Nach einem ersten kurzen Überblick über die Schritte der Personalauswahl werden in diesem Kapitel Schwerpunkte auf das Anforderungsprofil, sowie auf das Bewerbungsgespräch gelegt, das in allen Unternehmen nach wie vor das Kernstück des Einstellungsprozesses darstellt. Es wird weiter auf die Validität (also die Voraussagekraft und Gültigkeit) verschiedener Auswahlverfahren und deren Akzeptanz durch Stellensuchende eingegangen. Optimierungsmöglichkeiten gibt es laut Untersuchungen bei den Bewerbungsgesprächen, die häufig noch zu wenig strukturiert sind. Für Stellensuchende ist eine realistische Tätigkeitsbeschreibung Voraussetzung, damit sie sich für oder gegen eine Stelle entscheiden können. Die Evaluation der Rekrutierungsstrategie im Unternehmen, aber auch die „Candidate Experience“ geben einen Einblick darin, wie Bewerber/-innen und Unternehmen den Rekrutierungsprozess erleben. Das Kapitel schließt mit der Einführung neuer Mitarbeitenden ab.

Ein gut durchdachter Auswahlprozess ist eine Investition in die Zukunft des Unternehmens

Führungskräfte sollten in der Lage sein, die Eignung einer Person beurteilen zu können

..Abb. 13.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

520

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

13.1.2

Selektionsprozess aus Sicht des Arbeitgebers

Schritte der Personalauswahl im Überblick Selektion erfolgt in Stufen

Mit einem gezielten Personalmarketing und einer realistischen Stellenausschreibung gelingt es, geeignete Bewerber/innen anzusprechen und ungeeignete von einer Bewerbung abzuhalten

13

Eine Vorselektion erfolgt z. B. durch ein erstes telefonisches Interview. Dadurch kann bereits etwas über die Motivation zur Bewerbung in Erfahrung gebracht werden

Geeignete Gesprächstechniken und Frageformen ermöglichen es den Führungspersonen, auch Informationen zu den Soft-Skills zu erheben

Von der Stellenausschreibung über die Vorselektion bis zum definitiven Anstellungsentscheid erfolgt die Personalauswahl meist in Stufen. Dies erspart Kosten, denn mit einer guten Vorselektion werden nur die Bewerbungen weiter verfolgt, die erfolgsversprechend scheinen. Vorgesetzte sind zwingend involviert und fällen letztendlich den Entscheid über die Anstellung, aber wegen des hohen zeitlichen Aufwands ist es sinnvoll, gezielt zu überlegen, wer (Linie, Human Resources, Teammitglieder?) wann am Auswahlprozess teilnimmt. Die Aufgaben der Führungspersonen im Auswahlprozess: Sie werden bei der Stellenausschreibung konsultiert. Sie kennen das Anforderungs- und Stellenprofil und passen dieses gegebenenfalls an neue Anforderungen an. Sie beurteilen die fachlichen Qualifikationen von Bewerbenden. Sie führen das Einstellungsgespräch. Sie berücksichtigen die Teamkonstellation – wie ergänzt die Bewerberin/der Bewerber die fachliche Ausrichtung? Welche persönlichen und sozialen Kompetenzen bringt sie/er mit? Sie holen die Referenzen ein. Sie fällen den Einstellungsentscheid.

----

Der Entscheid kann als erste Stufe des Auswahlprozesses angesehen werden. Von Unternehmensseite stehen gewöhnlich wenig aufwändige Auswahlverfahren an erster Stelle, wie Triage aufgrund der Bewerbungsunterlagen. Ungeeignete Bewerbungen, welche die „Musthave-Anforderungen“ nicht erfüllen, werden ausgeschieden, es erfolgt eine erste Auswahl von Personen. Zur Vorselektion können auch online-Fragebögen eingesetzt werden, beispielsweise ein Fragebogen zur sozialen Kompetenz oder ein Test zu kognitiven Fähigkeiten. Findet ein telefonisches Erstinterview statt, ist dies, ebenso wie spätere Bewerbungsgespräche, anhand eines Interviewleitfadens zu führen. Im Sinne einer Checkliste können „Must-have-Kriterien“ zu den Rahmenbedingungen überprüft werden (z. B. Bereitschaft zur Schichtarbeit, Sprachkenntnisse o. Ä.). Personen, die als potenziell geeignet erscheinen, werden zu einem oder mehreren Bewerbungsgesprächen eingeladen. In der Regel wird dieses anhand eines Interviewleitfadens geführt, in dem die wichtigsten Punkte festgehalten und Fragen vorformuliert sind (7 Abschn. 13.1.6). Die sich bewerbenden Personen sollten ihrerseits genügend Gelegenheit erhalten, Fragen stellen zu können, damit sie sich ein realistisches Bild von der Position machen können.

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

Bei (komplexeren) Positionen werden Interviews in Kombination mit anderen Verfahren eingesetzt. Das können Testverfahren, Arbeitsproben, Schnuppertage oder bei Kaderstellen Eignungsassessments sein. Üblicherweise werden Referenzen am Schluss eingeholt. Für einen Einstellungsentscheid sollte auf Seiten des Arbeitgebers nicht nur die Beurteilung der fachlichen Qualifikation (Person-Job-Fit) ausschlaggebend sein. Auch die Einschätzung der persönlichen und sozialen Kompetenzen, welche für die Passung ins Team und für die Gestaltung der Zusammenarbeit (mit Kunden, innerhalb des Teams, mit der Führungskraft) ausschlaggebend ist, sollte erfolgen (. Abb. 13.2). 13.1.3

13

Beim Einstellungsentscheid sollen sowohl fachliche als auch persönliche und soziale Kompetenzen berücksichtigt werden

Checkliste Stellenanzeigen

Die Stellenanzeige ist immer auch eine Visitenkarte des Unternehmens. Sie soll ansprechend und informativ gestaltet sein, denn dieser erste Kontakt kann entscheidend zum positiven Arbeitgeberimage beitragen. In welchen Online-Stellenbörsen soll die Stelle ausgeschrieben werden? (Allgemeine Stellenbörsen oder gibt es fachund berufsspezifische Stellenbörsen?) Soll proaktiv über Netzwerke und Social-Media-Kanäle gesucht werden? Welche Zeitungen liest die Zielgruppe (Tageszeitung; Fachzeitschriften; Aushang der Stellenbeschreibung z. B. bei einer Universität etc.).

-

521

Stellenanzeigen sollten Angaben enthalten zu: Wir sind … Information zum Unternehmen: (Standort, Größe, Branche) Wir suchen … Beschreibung der Position (Aufgabenstellung, Verantwortlichkeiten; befristete oder Festanstellung). Wir erwarten … Anforderungen (Ausbildung, Berufserfahrung, spezielle Qualifikation, persönliche Voraussetzungen, soziale Kompetenzen, allenfalls besondere Arbeitsbedingungen wie Reisetätigkeit). Dort zwischen „Must-have-“ und „Wunsch-Qualifikationen“ unterscheiden. Wir bieten … Konditionen und Entwicklungsmöglichkeiten (Arbeitsumgebung, Team, evtl. flexible Arbeitszeit, Weiterbildungsmöglichkeiten, besondere Leistungen). Sie erreichen uns … Kontaktinformation (Ansprechperson bei Fragen; an wen soll die Bewerbung gerichtet sein). Hinweise zur Bewerbungsart (elektronisch, per Mail oder Post) und zu den einzureichenden Bewerbungsunterlagen.

Um die richtigen Zielgruppen anzusprechen, müssen die Kanäle genutzt werden, auf denen sich die Stellensuchenden informieren

522

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Anforderungsprofil

Personalsuche/ Werbung

Stellenbeschreibung und Anforderungsprofil bilden die Grundlage der Selektion: Anforderungen an neue Mitarbeitende ergeben sich aufgrund der zu leistenden Aufgaben und der Rahmenbedingungen. Die Stellenausschreibung beinhaltet eine realistische Tätigkeitsbeschreibung. Sie richtet sich meist an interne Mitarbeitende und an externe Stellensuchende. Ist das Inserat gut formuliert, ergibt sich bereits eine Vorselektion (geeignete Personen werden angesprochen, ungeeignete bewerben sich nicht). Die Stelle wird in den Medien ausgeschrieben, welche die Zielgruppe erreichen (Print-Inserate, Online-Stellenbörsen, Stellenausschreibung auf der Firmen-Website; Active Sourcing mit Direktansprache über Social-Media, Einbezug der Netzwerke der bereits beschäftigten Mitarbeitenden).

Vorselektion

Sichten der Bewerbungsunterlagen (Lebenslauf, Ausbildungs- und Arbeitszeugnisse, Bewerbungsschreiben). Erste Auswahl und Ausscheiden ungeeigneter Bewerbungen, welche die Grundanforderungen (‘Must Have’) nicht erfüllen. Eventuell Vorselektion durch ersten telefonischen Kontakt.

Personalbeurteilung

Bewerbungsgespräche Die Personen, die in die engere Wahl kommen, werden zu einem oder mehreren Gesprächen eingeladen. Das erste Gespräch wird in der Regel durch Linie und HR geführt. Bei Nachfolgegesprächen muss definiert werden, welche Personen - allenfalls konsultativ - einbezogen werden. Zusätzliche Abklärungen Eventuell Arbeitsprobe oder Zusatzabklärungen, z.B. Tests. Bei Kaderstellen: Assessment? Einholen der Referenzen.

Selektionsentscheid

13

Selektionsentscheid und Unterschreiben des Arbeitsvertrags

..Abb. 13.2  Ablauf Selektionsprozess. (Mod. nach Näf 2013, S. 83)

Die Stellenanzeige soll Interesse wecken und bezüglich der Anforderungen klar formuliert sein

-

Felser (2010, in Anlehnung an Böcker und Helfenstein 2004) schlägt für die Formulierung folgende Regeln vor: an die Wünsche der Zielgruppe appellieren. Das können je nach Branche und Zielgruppe die Arbeit am „Puls der Zeit“, die Finanzkraft des Unternehmens oder Jahresarbeitszeitmodelle sein. Aufgabe konkret beschreiben. Die genaue Bezeichnung der Position, der Aufgabe, der Verantwortlichkeiten, der Abteilung im Unternehmen soll ein klares Bild der Tätigkeit vermitteln. Vorselektion steuern. Es sollen sich möglichst nur geeignete Kandidat/-innen bewerben, d. h. bereits bei der Aufgabenbeschreibung und Erwartung werden konkrete Merkmale formuliert. „Sie haben sehr gute redaktionelle Fähigkeiten

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

523

13

und beherrschen mindestens zwei Sprachen“ „Ihre hohe Sozialkompetenz und Ihr ausgeprägtes Verhandlungsgeschick mit internen und externen Kunden …“. Wenn kommuniziert ist, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, werden sich eher nur die Personen bewerben, die von den Anforderungen motiviert wurden und sich selbst für geeignet halten (Felser 2010, S. 57, 66). 13.1.4

Recruiting-Trends der letzten Jahre

Die Möglichkeiten veränderter Kommunikation (z. B. über soziale Netzwerke) müssen in die Recruiting-Strategie des Unternehmens eingebunden sein. Arbeitgeber finden nachweislich mehr qualifizierte Personen durch eine aktive Kandidatensuche und -ansprache in sozialen Netzwerken Gratwohl, N. (2016). Vor- und Nachteile der Rekrutierung im Internet:

---

Vorteile:

Zeitersparnis. Obwohl noch nicht hinreichend untersucht wurde, ob die Qualität der Personalauswahl durch E-Recruiting steigt, ist dessen Beitrag auf die Prozessgeschwindigkeit und Effizienz unbestritten (Frintrup und Piechowski 2011). Bewerbungsmanagement: interne Prozesse werden schlanker, Bewerberdaten sind im System erfasst. Das Unternehmen kann sich präsentieren, Recruiting-Videos bereitzustellen mit anklickbaren Grafiken, Präsentationen oder Downloads etc. Möglichkeit von Online-Bewerbungsformularen und OnlineTests.

Neue Technologien erleichtern das Bewerbermanagement und die Suche nach geeigneten Mitarbeitenden, bieten aber auch Herausforderungen

Zu prüfen gilt:

Die rasche Zugänglichkeit kann zu einem Anstieg von zu unspezifischen Bewerbungen führen. Datenschutz muss geregelt werden. Auftritt der Firma sollte qualitativ gut sein, sonst wirkt es nicht professionell.

Online-Tests sollten qualitativ gut sein. Anpassung der Dokumente auf Formate, die sich für mobile Recruiting eignen

Mit den Social-Media stehen Unternehmen mehr und gezieltere Kanäle zur Ansprache von Kandidaten/Kandidatinnen zur Verfügung. Gerade Fachkräfte müssen aktiv gesucht und angesprochen werden. Für die Rekrutierung ergeben sich u. a. folgende Möglichkeiten: Stellenanzeigen: Neben den klassischen Kanälen bieten Netzwerke wie Xing, LinkedIn, Facebook die Möglichkeit, Stellenanzeigen zu veröffentlichen.

-

Um qualifizierte Mitarbeitende zu gewinnen, muss das Unternehmen die sich rasch verändernden Kommunikationskanäle in der Rekrutierungsstrategie berücksichtigen

524

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

-

Employer Branding: Unternehmen können Image-Werbung im Rahmen des Employer Branding betreiben, d. h. ihre Attraktivität für potenzielle Mitarbeitende erhöhen. Unternehmen können in Social-Media-Anwendungen aktiv nach geeigneten Kandidat/-innen suchen und diese direkt ansprechen. Aktive Suche nach Informationen über bereits identifizierte Kandidat/-innen: Liegen einem Unternehmen bereits Bewerbungen vor, kann es in Social-Media-Anwendungen nach zusätzlichen Informationen suchen, um sich ein umfassendes Bild von einem Bewerber/einer Bewerberin zu machen.

Active Sourcing Definitionen 

Definition: Active Sourcing, Direct Sourcing

Das Active Sourcing konzentriert sich, wenn sie onlinebasiert stattfindet, eher auf die zeitnahe Rekrutierung von Mitarbeitenden. Das Direct Sourcing findet offline statt, also z. B. bei Recruiting-Events, Messen usw. und eignet sich für Direktansprache von Personen, die mittelfristig eine Anstellung suchen (Personalwirtschaft 2016). 

Wie viel Aufwand soll betrieben werden? Auch wenn viele An-

13

stellungen unter Zeitdruck getroffen werden müssen, lohnen sich grundsätzliche Überlegungen zum Anforderungsprofil (7 Abschn. 13.1.4 „Active Sourcing“), zur Form des Bewerbungsgesprächs (7 Abschn. 13.1.5) und zu den Kanälen, in denen die Stelle ausgeschrieben wird. Wird eine Einstellung „just-in-time“ angestrebt, d. h. muss die Stelle sofort und dringend, vielleicht nur auf Zeit besetzt werden? Genügt es, wenn die Person sofort verfügbar ist und den Job einigermaßen korrekt macht? Bei zeitnahem Bedarf sind mögliche Kanäle für die Stellenausschreibung das Print-Inserat, die Ausschreibung auf der Firmen-Website, auf den Online-Stellenbörsen oder den Social-Media-Kanälen, in denen potenzielle Kandidatinnen/Kandidaten direkt angeschrieben werden (Active Sourcing). Häufig werden auch Mitarbeitende des Betriebs angefragt, ob sie allenfalls jemanden aus ihrem persönlichen Umfeld kennen. Oder wird die bestmögliche Person für die Stelle gesucht und kann etwas Zeit investiert werden? Wird ein Talent gesucht, das entwickelt werden kann, sodass für die Personalplanung ein größerer zeitlicher Horizont besteht? In diesem Fall wird zusätzlich in Events, Personalmessen, Hochschulmessen investiert (Direct Sourcing; 7 http://blog.hrtoday.ch/page/4/).

525

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

persönliche Netzwerke

13

88,8%

eigener Talent-Pool

81,1%

Karriere-Events für Studenten und/ oder Absolventen

72,4%

Personalmessen, Absolventenkongress etc.

62,5%

Karrierenetzwerke (z.B. XING, LinkedIN)

55,2% 31,9%

Spezialistenforen und Blogs externe Lebenslaufdatenbanken

24,4%

soziale Netzwerkplattformen (z.B. Facebook, Twitter)

11,5% 0%

20%

40%

60%

80%

100%

..Abb. 13.3  Die Eignung verschiedener Kanäle zur Identifikation und Direktansprache interessanter Kandidaten. (Aus Recruiting Trends Deutschland 2015, S. 48)

Wie gut sich verschiedene Kanäle zur Identifikation und Direktansprache interessanter Kandidat/-innen eignen, wurde in den „Recruiting Trends 2015“ eigeschätzt (Meinung der Top-1000-Unternehmen aus Deutschland; . Abb. 13.3). Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, aber trotzdem interessant. Auf dem ersten Platz finden sich persönliche Netzwerke. Menschen persönlich kennenzulernen ist eine tragfähige Variante des Recruitings. Das erklärt auch die Investition in Events oder Personalmessen, die sich für Unternehmen lohnt. Unternehmen erkennen die Bedeutung der eigenen Mitarbeitenden in Bezug auf die Rekrutierung: rund 90 % Prozent beziehen ihre Mitarbeitenden und deren Netzwerke aktiv in die Rekrutierung ein. Fast 75 % der Arbeitnehmenden haben schon einmal ein Inserat einer Person im Bekanntenkreis empfohlen (Trend Report online Recruiting Schweiz 2015 zu Active Sourcing; . Abb. 13.4). Mobile Recruiting ist für Stellensuchende attraktiv, aber bei vielen Unternehmen noch nicht so professionell ausgestaltet. Stellensuchende wollen (wie die übrigen Internet-Nutzer/-innen) Jobangebote vermehrt über mobile Geräte wie Smartphones oder Tablets abrufen, statt über ihre Computer zu suchen. Unternehmen werden darin investieren müssen, dass sie ihre Unterlagen zur Darstellung auf diesen Geräten optimieren (Trend Report online Recruiting Schweiz 2015 zu Active Sourcing). Für eine eingehendere Beschäftigung mit dem Thema Rekrutierung über Social Media vgl. auch Dannhäuser 2015.

Stellensuchende stehen dem Active Sourcing mehrheitlich positiv gegenüber. Personen, die direkt angesprochen werden, bewerben sich tatsächlich häufiger beim betreffenden Unternehmen, auch wenn sie nicht aktiv auf Stellensuche sind

526

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Wie die Stellen in der Schweiz ausgeschrieben werden Kanal in % 0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

Job-Portal Eigene Karriereseite Linkedin Xing Externer Bewerberpool Facebook Anzeigen auf Google Twitter Quelle: Jacando

..Abb. 13.4  Wie die Stellen in der Schweiz ausgeschrieben werden. (Mit freundlicher Genehmigung von Jacando)

13.1.5

Ziele, Aufgaben, Fachkenntnisse und spezielle Kompetenzen, die erfolgsrelevant sind, werden im Anforderungsprofil definiert

13

Erstellen des Anforderungsprofils und der Anforderungskriterien

Der eigentliche Rekrutierungsprozess beginnt immer mit den Aufgaben, die für die jeweilige Position zu erfüllen sind und folgt in etwa diesem Schema: 1. Anforderungsanalyse zur Erstellung eines Anforderungsprofils (bezogen auf die Stelle); 2. Ableitung der Kompetenzen aus dem Anforderungsprofil (bezogen auf die Person, d. h. die Stelleninhaberin oder den Stelleninhaber) und 3. Überprüfung dieser Kompetenzen: Erfüllen die Stellensuchenden die Anforderungskriterien? Die Einschätzung über die Eignung von Bewerbenden kann immer nur so gut sein, wie die Qualität des vorab erstellten Anforderungsprofils. Erst die Kenntnis der Ziele und der Aufgaben,

die mit einer bestimmten Position verbunden sind, ermöglichen es, genügend detailliert zu sagen, wie zukünftige Mitarbeitende sein sollen. Es lohnt sich, das Anforderungsprofil sorgfältig zu erstellen.

Erstellen eines Anforderungsund Bewerberprofils

Liegt bereits eine Stellenbeschreibung vor, können die meisten Anforderungen daraus abgeleitet werden. Bei einer Neubesetzung ist zu überprüfen, ob eine Aktualisierung notwendig ist. Haben sich die Aufgaben geändert oder werden sie sich in nächster Zeit wandeln, z. B. im Hinblick auf sich verändernde Marktbedingungen

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

527

13

oder strategischer, übergeordneter Ziele des Unternehmens; oder aufgrund veränderter Arbeitstaufteilungen in einem Team? Auch wenn noch keine Stellenbeschreibung vorliegt, können die Anforderungen in einem Gespräch zwischen Führungskraft, bisherigen Stelleninhaber/-innen und HR festgehalten werden: Welche Ziele werden mit der Position verfolgt? Welche Kernaufgaben gehören zur Position? Welche fachlichen Kenntnisse und Erfahrungen sind für die zu besetzende Stelle verlangt? Welche Arbeitstechniken sollten Stelleninhaber/innen beherrschen? Werden allenfalls Führungsaufgaben wahrgenommen (fachliche Führung, Projektleitung, Teamleitung etc.)? Mit welchen Ansprechgruppen und Kooperationspartnern muss zusammengearbeitet werden? Welche Erwartungen haben diese Kooperationspartner an die Stelleninhaber/-innen?

--

(siehe Quellen der Anforderungsanalyse und Leitfaden Experteninterview, z. B. Paschen et al. 2013) Definitionen  Begrifflich wird in der Regel zwischen Anforderungen und Kompetenzen unterschieden. Die Begriffe „Anforderungen“ oder „Anforderungskriterien“ beziehen sich auf die Stelle: welche Anforderungen stellt die Position an die Positionsinhaber/-innen? Beim Begriff „Kompetenzen“ wechselt die Sicht auf die Person, also auf das Bewerberprofil: über welche Kompetenzen müssen Positionsinhaber/-innen verfügen, um die Anforderungen zu erfüllen? Kompetenzen sind in der Regel nicht einzelne Fertigkeiten, sondern ein Cluster an Fähigkeiten, also Sammelbegriffe. So beinhaltet die „soziale Kompetenz“ verschiedene Fähigkeiten, die insgesamt eine positive Interaktion mit Mitarbeitenden/Menschen ermöglichen (z. B. Fähigkeit, im Team zu arbeiten). Unabhängig von der Kategorisierung und Terminologie gilt es, für jede Arbeitstätigkeit die wichtigen Kompetenzen zu finden, die für eine erfolgreiche Bewältigung einer spezifischen Funktion erforderlich sind. 

Einen Überblick gibt . Abb. 13.5.

Definition: Anforderungen und Kompetenzen

Kompetenzen beschreiben direkt die beruflich relevante Verhaltensweise (z. B. Qualität sicherstellen)

528

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

1. Ziele

Welche Ziele werden mit der Position verfolgt? Wofür besteht Umsetzungsverantwortung?

2. Kernaufgaben

3. Anforderungen

4. Priorisierung

Welche Kernaufgaben (primary task) müssen zur Zielerreichung wahrgenommen werden?

Anforderungsprofil

Welche Anforderungen werden an die Person gestellt? Welche Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen muss die Person mitbringen, damit sie die zu leistenden Aufgaben erfüllen kann?

Must-have oder lediglich wünschenswert? Was müssen Bewerbende mitbringen, (berufliche Qualifikation, Zusatzausbildung, persönliche, soziale Kompetenz)? Was kann evtl. entwickelt werden, was ist weniger wichtig?

Bewerberprofil

..Abb. 13.5  Ablauf einer Anforderungsanalyse. (Mod. nach Paschen et al. 2013, S. 62, mit freundlicher Genehmigung von © Hogrefe)

Beispiel

Beispiel Erfolgskritische Anforderung

Erfolgskritische Anforderung: Das kann z. B. die Kommunikation in konflikthaften Situationen, der Umgang mit Zeitdruck oder der Umgang mit schwierigen Kunden bei einer Position im Verkauf sein. Erfolgskritisch bedeutet, dass die Person in dieser Situation im Interesse des Unternehmens reagieren muss, also den Konflikt nicht eskalieren lässt oder „falsch“ reagiert. Aber auch sie selbst sollte die Situation so bewältigen können, dass sie längerfristig ihre berufliche Motivation nicht verliert. Im gegebenen Beispiel wäre also eine Person, die sich durch Reklamationen schnell persönlich gekränkt fühlt eher ungeeignet, wenn Umgang mit Reklamationen zu den typischen und erfolgsrelevanten Anforderungen des Berufs gehört.

13

Eine sehr effektive Methode, um die erfolgskritischen Anforderungen auf Verhaltensebene festzulegen, ist die „critical-incidentsTechnik“. Im Fokus stehen dabei typische, schwierige Situationen, mit denen Stelleninhaber/-innen konfrontiert werden. Es sind

-

Situationen, in denen es auf eine adäquate oder gute Bewältigung ankommt.

Wie gehen erfolgreiche Stelleninhaber/-innen vor?

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

529

13

--

Was war besonders effektiv an der Problembewältigung? Welche Fähigkeiten liegen einer erfolgreichen Bewältigungsstrategie zugrunde? Was wäre ein schwaches, ineffektives Verhalten in dieser Situation? Was sollten also Stelleninhaber/-innen mitbringen?

Durch das Kontrastieren des erfolgreichen Verhaltens mit der weniger erfolgreichen Reaktion wird geklärt, was erforderlich ist, um die Situation zu bewältigen. Mit dieser Methode werden vor allem Situationen analysiert, deren angemessenen Handhabung entscheidend ist. Daraus können Fähigkeiten, Verhaltensweisen und Kompetenzen abgeleitet werden, über welche die Stelleninhaber-/innen verfügen sollten. Das sind auch die Punkte, die geprüft werden müssen.

Persönliche und soziale Kompetenzen

» We hire people because of their knowledge and experience,

but we fire them because of their personality.“ (Nußbaum und Neumann 1995, zitiert nach Hossiep et al. 2000, S. 1)

Wichtig ist, dass bei Bewerber/-innen nicht nur die beruflichen Qualifikationen geprüft werden, sondern auch deren soziale und persönliche Kompetenzen. Diese sind ausschlaggebend für die Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen, haben einen Einfluss auf die Zusammenarbeit mit Kunden, auf die Integration ins Team, auf die persönliche Reflexions- und Lernfähigkeit. Es sollten dabei nicht nur generell wünschbare Attribute wie „Teamfähigkeit“, „Flexibilität“ oder „Einsatzbereitschaft“ genannt werden, sondern überlegt werden, was genau erforderlich ist. Inwiefern und im Hinblick auf welche Situationen braucht es für die spezielle Position Teamfähigkeit? Gibt es Arbeiten, die nur im Team gelöst werden, wie z. B. in einem Polizeikorps, wo sich die Mitarbeitenden bei Einsätzen aufeinander verlassen müssen? Dann geht es um Teamfähigkeit. Sind es aber eher Rapporte und Übergaben, die gewissenhaft und zuverlässig der nachfolgenden Schicht übergeben werden müssen, dann geht es nicht so sehr um Teamfähigkeit, sondern eher um Zuverlässigkeit.

Schritt 4: Priorisierung Beim Erstellen eines Bewerberprofils passiert es leicht, dass Personen gesucht werden, die so viele Anforderungen erfüllen sollen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt kaum zu finden sind. Dies resultiert dann in Stellenanzeigen, die wie „Wunschkataloge“ aussehen, aber wenig realistisch sind. Vorteilhaft ist es daher, sich neben den fachlichen Anforderungen auf die wichtigsten Schlüsselqualifikationen

Möglichst realitätsnahe Darstellungen der Tätigkeit helfen, mehr qualifizierte Bewerbungen zu erhalten

530

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

zu konzentrieren. Welche sind „must-have“, welche sekundär, welche können entwickelt werden und welche sind lediglich „nice-tohave“? (Eilles-Matthiesen et al. 2007, S. 27). Es gilt einzuschätzen, was bereits vorhanden sein muss, was die Person also bereits am ersten Arbeitstag mitbringen muss, und was im Rahmen der Funktion (z. B. mit Personalentwicklungsmaßnahmen oder learningon-the-job) entwickelbar ist (Kersting 2013, S. 525 ff.). Nachdem die Anforderungen definiert wurden und eine Klärung stattgefunden hat, wie zukünftige Stelleninhaber/-innen sein sollen und was sie mitbringen müssen, geht es im nächsten Schritt darum, wie dies überprüft werden kann. Manches kann schon aus den Bewerbungsunterlagen erschlossen werden. Dann folgen Bewerbungsgespräche, allenfalls mit zusätzlichen Abklärungen oder mit einer Arbeitsprobe.

Analyse der Bewerbungsunterlagen Passung zwischen Bewerberprofil und Anforderungsprofil der neu zu besetzenden Stelle

Aufgrund der Bewerbungsunterlagen kann eine erste Einschätzung vorgenommen werden. Wie ist die Passung zwischen Bewerberprofil und Anforderungsprofil der neu zu besetzenden Stelle, welche Qualifikationen bringt die Person bereits mit? zz Bewerbungsschreiben

Qualität des Bewerbungsschreibens: Im Bewerbungsschreiben wird in der Regel ein Bezug zum Stelleninserat hergestellt. Wie wird auf das Inserat Bezug genommen, wie wird auf die Anforderungen eingegangen und warum interessiert die ausgeschriebene Position? zz Lebenslauf

13

Fachliche Qualifikation, Aus- und Weiterbildungen: Zeugnisnoten sind kein absolutes Leistungskriterium, von dem auf einen Berufserfolg geschlossen werden kann. Aussagekräftiger sind die Ausbildungsinstitutionen. Welchen Stellenwert und welche Qualität weisen die Ausbildungsinstitutionen und die damit absolvierten Aus- und Weiterbildungen auf? Wurden Weiterbildungen regelmäßig besucht, zu welchen Themen, wie lange liegt die letzte Weiterbildung zurück, lässt sich daraus etwas über die Laufbahnplanung ableiten? zz Branchen- und allenfalls Berufserfahrung

In welchen Firmen hat die Person gearbeitet? Größe der Firma? Branchenwechsel? Mit solchen Fragen wird ein Rückschluss auf die Berufserfahrung gemacht. zz Positionsanalyse und Karriereverlauf

Welche Verantwortlichkeiten wurden mit den verschiedenen Positionen wahrgenommen? Wird ein sinnvoller Aufbau in der bisherigen beruflichen Entwicklung ersichtlich?

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

531

13

zz Dauer der Anstellungen

Wie häufig wird gewechselt, in welchem Alter wird gewechselt? Bei jüngeren Stellensuchenden sind mehr Wechsel und kürzere Anstellungsverhältnisse zu erwarten, was der Lebensphase entspricht. Arbeitsplatzwechsel mehrmals während der Probezeit oder auffällig kurze Betriebszugehörigkeiten können aber eher negative Merkmale sein. Es ist zu beachten, welche Begründungen dazu gegeben werden, ob die Wechsel bewusst geplant oder konjunkturell bedingt waren. zz Lücken im Lebenslauf

Im Bewerbungsgespräch nachfragen.

---

zz Arbeitszeugnisse

Angaben, die darin enthalten sein sollten: Für welche Aufgabenbereiche war die Person zuständig? Wie wurde sie in der Zusammenarbeit erlebt? Wie wurde sie fachlich und persönlich beurteilt? Welche Fähigkeiten und Kompetenzen hat sie? Warum wurde das Einstellungsverhältnis beendet? Bei Arbeitszeugnissen stellt sich immer die Frage, wie diese interpretiert werden. Der Text im Zeugnis muss verständlich und unzweideutig sein. Bei der Beschreibung der Zuständigkeiten und wahrgenommenen Aufgaben gelingt dies in der Regel. Jedoch sind die Formulierungen darüber, wie die Person diese Aufgaben ausgeführt hat, wie also die Zufriedenheit mit der Arbeitsleistung war, schwieriger zu deuten. Das heißt, dass Arbeitszeugnisse mit einer gewissen Vorsicht interpretiert werden müssen (Kanning 2008, S. 91–106). 13.1.6

Das Bewerbungsgespräch

Das Kernstück des Selektionsprozesses bildet nach wie vor das persönliche Bewerbungsgespräch (Interview), das bei Arbeitgebern wie Bewerber/-innen gleichermaßen beliebt ist. Auch andere Varianten wie Telefongespräche, Videotelefonie und Skype liefern vergleichbare Ergebnisse wie ein persönliches Interview, wenn sie sorgfältig aufgebaut sind, sind also valide. Der persönliche Kontakt und die non-verbale Kommunikation lassen sich aber am besten im persönlichen Interview erleben. Grundsätzlich eignet sich das Interview für die Erfassung von fast allen Anforderungen. Einige Regeln, die beim Interview beachtet werden müssen: Es sollte ein Interviewleitfaden vorhanden sein, in dem Fragen zu den wichtigsten Anforderungen der Stelle enthalten sind. Die Gesprächsführung liegt bei der Linie (bzw. Linie und HR). Sie ist unter anderem für die Gesprächseröffnung, die Festlegung

Ziele des Bewerbungsgesprächs sind: 1.) Informationen zu erhalten bezüglich Eignung oder Nicht-Eignung der Person; 2.) Informationsvermittlung an die Bewerber/-in: über die Firma, Funktion und anderes, was potenzielle Mitarbeitende wissen müssen

532

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Die Bewerber/-innen sollten Zeit haben, ihrerseits Fragen zu stellen

des Gesprächszieles und der inhaltlichen Elemente, die Ermunterung zu Fragen, die Überleitung zu neuen Themenbereichen, die Klärung von Missverständnissen und die Beendigung des Gesprächs federführend. Von Vorteil ist, wenn die Antworten protokolliert werden, zumindest in Stichworten. Denn kaum jemand erinnert sich an alle Antworten, die im Lauf eines ein- oder anderthalbstündigen Gesprächs gegeben wurden.

Strukturierungsgrad des Interviews Ein gutes Interview sollte mit einem vorbereiteten Leitfaden durchgeführt werden, in dem die Fragen anforderungsbezogen formuliert sind

13

In der Praxis gibt es in punkto Interviewführung je nach Kultur des Unternehmens und Vorlieben der Interviewer/-innen Unterschiede bezüglich dem Strukturierungsgrad der Interviews. Aus wissenschaftlicher Sicht rangiert das strukturierte (kompetenzbasierte) Interview ganz vorne bei den Methoden, über welche die Eignung von Personen gut eingeschätzt werden können. In der Praxis überwiegen immer noch unstrukturierte Interviews. Ein unstrukturiertes Interview wird vornehmlich nach Bauchgefühl geführt. Werden mehrere Bewerber/-innen interviewt, verläuft jedes Interview anders, weil bei der einen Person beispielsweise mehr auf den Lebenslauf eingegangen wird, bei der anderen Person vielleicht mehr auf ihre Erwartungen an die Stelle. Aus psychologischer Sicht ist diese Art der Interviewführung nicht zu empfehlen. Weil der Gesprächsverlauf unterschiedlich ist, können die Antworten der Bewerber/-innen nicht miteinander verglichen werden können. Das heißt, dass die Eindrücke aus dem Gespräch nicht validiert werden können. Ein unstrukturiertes Interview birgt zusätzlich die Gefahr, dass nicht alle relevanten Anforderungen und Kompetenzen abgefragt werden. Je systematischer und standardisierter das Interview ist, desto eher können die Antworten der Bewerber/-innen miteinander verglichen werden. Die valideste Form der Interviewführung (valide = gültig und aussagekräftig) ist das vollstandardisierte Interview, also ein hochstrukturiertes Interview, bei dem immer dieselben Fragen in derselben Reihenfolge gestellt werden. Der Vorteil ist die Fairness gegenüber allen Kandidaten und Kandidatinnen. Der Nachteil ist, dass es wegen der sehr strukturierten Art der Interviewführung als „Abfragen“ empfunden wird. Das halbstrukturierte Interview, das sich am ehesten wie ein Dialog anfühlt, ist für beide Seiten, (Interviewer/-innen und Interviewte) am beliebtesten (Schuler & Mussel, 2016), in Schuler 2013, S. 136). Der Interviewleitfaden ist vorformuliert. Durch die vorgesehenen Fragen ist sichergestellt, dass beim Interview keine wichtigen Punkte vergessen werden. Die Reihenfolge der Fragen kann aber verändert, d. h. dem Gesprächsverlauf angepasst werden. Wenn es sich ergibt, kann bei einer Frage eine Zusatzfrage folgen, vielleicht weil die Antwort interessant oder überraschend war.

533

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

13

..Tab. 13.1  Beispiel Interviewablauf. (Internes Dokument IAP 2016, angepasst nach Schuler 2014) 1. Gesprächseröffnung (sinnvolle Einstiegsphase noch ohne Kompetenzmessung) Begrüßung

Bewerber/-in begrüßen und schnell zum Sprechen bringen (Small Talk z. B. über Anreise, um Nervosität abzubauen)

Kurzvorstellung

Sich und andere Anwesende kurz vorstellen (Name, Funktion)

Gesprächsziel und -ablauf

Ziel und Ablauf des Gesprächs erläutern (Zeitrahmen, Fragen anhand eines Interviewleitfadens, Interviewer/-in macht Notizen) und fragen, ob der Ablauf so okay ist.

2. Orientierungsphase Selbstvorstellung Fragen zum Lebenslauf/ Dossier

Bewerber/-in einladen zu kurzen Schilderungen der wesentlichen Stationen im Lebenslauf. Im Anschluss: Fragen aufgrund lückenhafter oder unklarer Bewerbungsunterlagen klären

Wissen über das Unternehmen/die ideale Arbeit

Bewerber/-in über sein/ihr Wissen bzgl. des Unternehmens und die Vorstellungen einer idealen Arbeit (Inhalt, Arbeitsbedingungen) befragen. (Motivation für genau diese Stelle in genau diesem Unternehmen prüfen)

3. Sondierungsphase Anforderungsbezogene Verhaltensbeispiele*

Vorbereitete Fragen aus dem Interviewleitfragen stellen (Anschlussfragen* oder Dreiecksfragen* zur Konkretisierung stellen). Alle Anforderungskriterien prüfen (Fähigkeiten und Fertigkeiten, soziale Kompetenzen, persönliche Voraussetzungen, evtl. Führungskompetenzen).

Persönliche Ziele und Erwartungen Motivation

Klären der Erwartungen und Motivation aufgrund vorbereiteter Fragen (falls nicht bereits bei Punkt 2.2. erhoben).

4. Abschlussphase Information zum Unternehmen und der Stelle/ Fragen der Bewerberin/ des Bewerbers

Das Unternehmen und vor allem die Stelle genauer vorstellen. Entwicklungsmöglichkeiten. Bewerber/-in erhält die Möglichkeit, die noch offenen Fragen zu stellen.

Vertragsrelevante Fragen/Weiteres Vorgehen

Informationen zu vertragsrelevanten Fragen stellen (Gehaltsvorstellung, frühester Eintrittstermin) und das weitere Vorgehen klären (Entscheidungsfrist, nächste Schritte).

Gesprächsabschluss

Sich für das Gespräch bedanken und verabschieden.

Elemente des Bewerbungsgesprächs Die folgenden Elemente sind häufige Bestandteile eines Bewerbungsgesprächs. Einzelne Elemente können auch erst in einem zweiten Gespräch erörtert oder vertieft werden (. Tab. 13.1).

Fragetechniken Während Fachkompetenzen („hard skills“) aufgrund der Qualifikation und gezielter Fragen recht gut erhoben werden können, benötigt es bei den soft skills deutlich mehr Geschick, um valide Informationen zu erhalten. Wie sollen Selbst- und Sozialkom-

Das halbstrukturierte Interview lässt Raum für zusätzliche Fragen und stellt sicher, dass alle wichtigen Punkte abgefragt werden

534

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

petenzen, Führungskompetenzen, Teamfähigkeit geprüft werden? Man kann schlecht fragen: „Sind Sie teamfähig?“, da darauf wohl die gewünschte Antwort: „ja“ erfolgen wird. Selbst beim Nachfragen „Wie zeigt es sich, dass Sie teamfähig sind?“ ist es einfach, sozial erwünschte Antworten zu geben (Kanning, 2013).

Nachfragen oder Anschlussfragen Manche Bewerbende bleiben mit ihren Antworten an der Oberfläche oder beantworten die Frage nicht genügend präzis. Dies geschieht meist ohne bewusste Absicht. Beispielsweise erfolgt auf die Frage: „Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?“ die Antwort: „Es ist mir wichtig, kooperativ und partizipativ zu führen.“ Dies Antworten ist zwar korrekt, aber es bleibt unklar, was die Person unter „kooperativ und partizipativ“ versteht, wenn nicht nachgefragt wird. Im Folgenden geht es um verschiedene Fragetechniken, die es ermöglichen, konkrete und aussagekräftige Antworten zu erhalten. Beispiel Nachfragen oder Anschlussfragen

Beispiel

Nachfragen oder Anschlussfragen (internes Dokument IAP) Interviewer/-in fragt „Unter welchen Arbeitsbedingungen arbeiten Sie am besten?“ „Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?“

13

Verhaltensorientierte Fragen: Vergangenes Verhalten ist der beste Prädiktor für zukünftiges Verhalten Beispiel Konkretes Bild von der Handlungsweise der Person

Bewerber/-in antwortet „Ich arbeite am besten in einem angenehmen Umfeld.“ „Es ist mir wichtig, kooperativ und partizipativ zu führen.“

Mögliche Anschlussfragen Was bedeutet „angenehm“?

Wie machen Sie das konkret? Was bedeutet kooperativ? Bei welchen Fragen lassen Sie Ihre Mitarbeitenden partizipieren? Haben Sie dazu ein Beispiel?

Dreiecksfragen (biografieorientierte Fragen nach Schuler) Auch bekannt unter den Begriffen: verhaltensorientierte Fragen, targeted selection interview, Behavior Description Interview oder SAR-Interview (Situation, Aktion, Reaktion).

-

Beispiel

Um ein präzises Bild darüber zu erhalten, wie die Person sich in bestimmten Situationen verhält, ist das Verhaltensdreieck als Frageform geeignet. Es geht darum, ein möglichst konkretes Bild von der Handlungsweise der Person zu gewinnen, weil angenommen werden kann, dass sich

535

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

-

die Person in ähnlichen Situationen wahrscheinlich wieder so verhalten wird. Die Person soll zu Situationen aus ihrer Vergangenheit befragt werden, die eine hohe Ähnlichkeit zu den stellenbezogenen Anforderungen haben. Durch die Qualität der Antwort erfahren wir etwas über die Art und Weise, wie die Person sich in bestimmten Situationen verhält. Wir erfahren vielleicht auch noch etwas über die Ausprägung dieses Verhaltens (z. B.: “scheint adäquat in der Lage zu sein, mit einem Konflikt umzugehen“; oder: “neigt dazu, rasch Kompromisse einzugehen und zu wenig den eigenen Standpunkt zu vertreten“). Die Dreieckstechnik ist etwas zeitaufwändig, sodass es sich lohnt, sie v. a. für erfolgskritische Anforderungen anzuwenden.

Auch hier gilt: wenn die interviewte Person zu vage bleibt, ist es die Aufgabe der Interviewer/-innen, das Verhaltensdreieck mittels gezielter Anschlussfragen zu vervollständigen (. Abb. 13.6). Die Voraussage, ob sich die Person bewähren wird oder nicht, ist bei korrekter Anwendung von kompetenzbasierten Interviews und Verhaltensdreiecksfragen hoch (Sarges 2013, S. 578). Beispiel

Verhaltensfragen/Dreiecksfragen: Die Person beschreibt eine Situation, die sie unlängst erlebt hat, Ein vollständiges Beispiel enthält: Die Beschreibung der Ausgangslage. Z. B.: „Schildern Sie mir eine Situation, in der Sie mit einem schwierigen Kunden zu tun hatten.“ (Situation schildern lassen) Die genaue Beschreibung des Vorgehens; wie hat sich Kandidat/-in verhalten? Was hat er/sie gesagt (im Wortlaut beschreiben lassen) Wie war das Ergebnis?

-

Nicht immer ist das Verhaltensdreieck geeignet, zukünftiges

Verhalten vorherzusagen, besonders dann nicht, wenn die neue Aufgabe sich hinsichtlich der Persönlichkeitscharakteristika unterscheidet, die für ihre erfolgreiche Erledigung notwendig sind. Oder wenn es in der Vergangenheit noch keine Möglichkeit gab, das gewünschte Verhalten zu zeigen.

Situative Fragen Statt von der Vergangenheit auszugehen, kann auch gefragt werden, was jemand am ehesten in einer (anforderungsbezogen wichtigen) Situation tun würde. Das ist z. B. eine Frage: „Was würden Sie tun, wenn …“. Bei der Antwort lässt sich allerdings nicht überprüfen,

13

2. Aktion/ Verhalten

1. Situation

3. Ergebnis

..Abb. 13.6  Das Verhaltensdreieck. (Vgl. auch HRM-Dossier 2014, mit freundlicher Genehmigung von SPEKTRAmedia)

Hohe Voraussage, ob sich die Person bewähren wird oder nicht, bei korrekter Anwendung von kompetenzbasierten Interviews und Verhaltensdreiecksfragen Beispiel Verhaltensfragen/ Dreiecksfragen

536

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

extrem sinnvoll

5 4,5 4

4.09

4.05

3.95

3.68

3.66

3.45

3.36

3.36

3.28

3.24

3,5 sinnvoll

3 2,5 2 1

Be ru fse rfa Fa hr ch un ko g m pe te nz en Fa Be ch w w er iss bu en ng Le s ist gr un ün gs de m ot W iv iss at en io n üb Gr er ün St el de le Be r u Ei fsw ns te ah llu l ng s Ka gr ün rri er de am b sit i ua tion tiv e eF n ra ge n

nicht sinnvoll

1,5

..Abb. 13.7  Die aus der Sicht der Bewerber zehn sinnvollsten Fragen im Einstellungsinterview. (Aus Kanning 2015, S. 177)

ob die Person sich wirklich so verhalten wird, sondern lediglich, was sie beabsichtigt zu tun. Diese Frageform kann bei Berufsanfänger/-innen oder auch in den Fällen, in denen die spezifische berufliche Situation noch nie erlebt wurde, angewendet werden. Sie sollte wegen des hypothetischen Charakters nicht zu häufig eingesetzt werden.

Andere Fragetechniken

13

Die Art der Frage beeinflusst die Antwort. Auf geschlossene Fragen („Sehen Sie sich eher als Einzelkämpfer oder Teamplayer?“) werden kurze Antworten gegeben. Sie eignet sich, um ganz konkrete Antworten zu erhalten oder um das Gespräch zu strukturieren (wenn z. B. jemand nicht auf den Punkt kommt). Auf offene Fragen („Erzählen Sie von …“, „Wie haben Sie das gemacht …?“) ist das Gegenüber aufgefordert, mehr zu erzählen. Wenn Antworten zu vage oder zu wenig vertieft sind, eignet sich diese Frageform (. Abb. 13.7, . Abb. 13.8).

Andere Auswahlverfahren Arbeitsproben gelten als sehr aussagekräftig. Es handelt sich dabei um Aufgaben, die für die jeweilige Tätigkeit relevant sind. Sie werden häufig im Anschluss an das Bewerbungsgespräch durchgeführt. Das können z. B. administrative Aufgaben für Sekretariatsstelle sein. Ein klassisches Feld für Schnuppertage ist die Gastronomie (z. B. Tageseinsatz in der Küche oder im Service). Bei Lehrpersonen sind Probelektionen fester Bestandteil des Bewerbungsverfahrens. Für kreative und journalistische Berufe können Arbeitsproben, z. B. in Form von bereits abgeschlossenen Projekten, relevant sein usw.

537

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

extrem sinnvoll

13

5 4,5 4 3,5 3

2.62

2,5 2

1.81

1.87

1.93

1.98

1,5

ch

Ar

be

sp

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Ho bb ys Sc hw äc he n

er en ar ak t er or isi tli er ch en e Ak tiv itä te Be n hi nd Lie er un bl ge in gs n sc hu lfä ch er

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1 la nu

nicht sinnvoll

1.76

1.71

1.69

1.49

2.19

gr öß te

sinnvoll

..Abb. 13.8  Die aus der Sicht der Bewerber zehn sinnlosesten Fragen im Einstellungsinterview. (Aus Kanning 2015, S. 176)

Testverfahren und Persönlichkeitsfragebögen Testverfahren können zusätzliche Informationen liefern. Sie sollten aber sorgfältig ausgewählt sein und bezüglich der Gütekriterien überzeugen, d. h. seriös aufgebaut sein. Sie sollten sowohl für die Fragestellung, als auch für die Zielgruppe geeignet sein (Krumm, & Schmidt-Atzert, 2009). Einen guten Überblick liefern z. B. die Bücher der Reihe „Praxis der Personalpsychologie“ (Band 9: Persönlichkeitstests; Band 19: Leistungstests). Die Ergebnisse eines Fragebogens oder eines Testverfahrens sollen ergänzend zu den Ergebnissen der anderen eingesetzten Verfahren (also z. B. des Interviews) ausgewertet werden. Niemals kann ein Test alle Eignungsfragen beantworten. Zur Bestätigung, Differenzierung oder Klärung von Teilaspekten leisten Testverfahren gute Dienste (Hossiep, Paschen & Mülhaus, 2005). Ein Assessment besteht aus einer Kombination verschiedener Verfahren (Leistungstests, Simulationsübungen, Persönlichkeitstests, Interview), die im Hinblick auf eine bestimmte Fragestellung ausgewählt werden. Es werden meist übergeordnete Fähigkeiten geprüft (kommunikative Kompetenzen, Umgang mit komplexen Fragestellungen, Problemlösekompetenzen, Führungskompetenzen, persönlichkeitsbezogene und soziale Kompetenzen), nicht die speziellen fachlichen Fertigkeiten.

Beim Assessment oder Development Center werden verschiedene Verfahren kombiniert und von mehreren Beurteilern eingeschätzt. Diese Kombination erhöht die Validität und Aussagekraft

538

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Akzeptanz der Elemente des Bewerbungsprozesses bei Stellensuchenden und Arbeitgebern Definitionen 

Definition: Verfahren bei Personalauswahlprozess, Akzeptanz

Es geht bei der Auswahl der Verfahren (z. B. Interview, Test, Arbeitsprobe), die beim Personalauswahlprozess eingesetzt werden, immer um zwei Fragen: 1. Sind die gewählten Verfahren valide und reliabel (also gültig und zuverlässig)? Kann damit unterschieden werden zwischen geeigneten und nicht-geeigneten Personen? Sagen sie etwas über den künftigen Berufserfolg aus (= prognostische Validität)? 2. Wie ist deren Akzeptanz bei den Bewerbenden und dem Arbeitgeber? (Akzeptanz = soziale Validität). Schlecht akzeptierte Verfahren können die Kooperation z. B. maßgeblich negativ beeinflussen. 

13

-

Das heißt also (unter teilweiser Mitberücksichtigung der Kosten; . Abb. 13.9): Unstrukturierte Interviews haben eine sehr tiefe Validität, sollten also weggelassen werden, obwohl sie häufig eingesetzt werden. Gut schneiden strukturierte Interviews sowie Arbeitsproben ab. Die Kosten dafür dürften relativ tief sein, sodass es sich hier um zwei sehr gute Verfahren handelt. Gut schneidet auch das Assessment Center ab, wobei hier die Kosten höher liegen. Gut würden Intelligenztests (oder Leistungstests zur Prüfung der kognitiven Voraussetzungen und Problemlösekompetenzen) abschneiden, aber sie sind in der Praxis nicht beliebt und werden relativ selten eingesetzt. Recht gut sind die Ergebnisse der Persönlichkeitstests. Dass diese tiefer liegen als bei den Intelligenztests hat damit zu tun, dass die Mehrheit der Persönlichkeitsfragebögen Selbsteinschätzungen sind, also subjektiven Einflüssen unterliegen. Kombiniert man mehrere gute Verfahren (also z. B. ein strukturiertes Interview und eine Arbeitsprobe), erhöht sich die Validität. Insgesamt ist natürlich mit einer gewissen Ernüchterung festzustellen, dass kein Instrument „perfekt“ ist.

539

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

Intelligenztest

13

20% .56

Strukturiertes Interview

60% .51

Fachwissenstest

26% .47

Arbeitsprobe

34% .47

Assessment Center

31% .38

Unstrukturiertes Interview

61% .27

Persönlichkeitstest

19% .12 Einsatzhäufigkeit

Validität

Mittelwerte über verschiedene wissenschaftliche Studien berechnet. Eine Aufstellung der Referenzen, welche als Datengrundlage für Abb. 1 dienen, ist bei den Autoren erhältlich. ..Abb. 13.9  Einsatzhäufigkeit und Validität verschiedener Instrumente der Personalauswahl. (Aus Funk et al. 2015, S. 27, mit freundlicher Genehmigung von Haufe)

Beurteilungstendenzen (oder what you see may not be what you get) Auf einen Blick Eindrücke entstehen oft unbewusst und auf der Grundlage sehr begrenzter Hinweisreize und subjektiver Interpretation. Das gibt viel Raum für Fehlschlüsse (7 Abschn. 13.3). Wir alle unterliegen in unserer Wahrnehmung von anderen Personen Fehlern, die als „Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler“ schon lange erkannt und beschrieben sind. In der Bewerbungssituation hängt vieles davon ab, ob die Eignung der Person richtig eingeschätzt wird, denn diese Entscheidung

Auf einen Blick

540

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

wird eine große Tragweite haben. Wird die Person sich gut ins Team integrieren und ihre Arbeit gut ausführen? Oder wird es Probleme geben, weil nicht erkannt wurde, dass es sich hier um einen potenziell „schwierigen“ Mitarbeiter handelt? Das bedeutet, dass die am Rekrutierungsprozess beteiligten Personen unter Druck sind, keine Fehler zu machen.

Interviewer/-innen treffen in der Bewerbungssituation meist viel zu früh eine Entscheidung über die Eignung oder Nicht-Eignung des Gegenübers

Exemplarisch werden nachfolgend für das Bewerbungsgespräch einige mögliche Beurteilungsfehler erwähnt: Interviewer/-innen möchten relativ schnell Klarheit darüber haben, ob die Person geeignet ist. Eine (meist unbewusste) Folge davon ist, dass Interviewer/-innen recht früh im Gespräch eine Entscheidung treffen und im weiteren Verlauf des Gesprächs nach Beobachtungen suchen, die diesen Eindruck unterstützen. Dieses als Selektivität der Wahrnehmung bekannte Phänomen bedeutet also, dass im Bewerbungsgespräch weitere Bestätigungen für erste Eindrücke gesucht werden (auf einen negativen Ersteindruck werden weitere negative Beobachtungen gesucht und umgekehrt). Das schränkt die Objektivität ein, sodass gewisse gegenläufige Beobachtungen nicht genügend in den Entscheid integriert werden (Sarges 2013, S. 195).

Hypothesentheorie In der Regel haben sich die Beurteilenden schon ein Bild gemacht, bevor das Gespräch beginnt, denn sie haben z. B. bereits das Dossier gelesen. Sie haben also Erwartungen und Hypothesen. Im Gespräch geht es dann darum, die Hypothesen mit den Informationen der Realität zu vergleichen. In der Regel halten Menschen relativ lange an ihren Hypothesen fest und suchen nach Bestätigung im Gespräch, d. h. es ist manchmal schwer, das Bild realistisch zu verändern.

13

Kontrast-Effekt Tendenziell sehen wir die Ursachen für ein gezeigtes Verhalten beim Gegenüber eher in seiner Persönlichkeit und weniger als Folge der Umstände

Damit sind Verzerrungen des Urteils über einen Menschen in positiver oder negativer Richtung gemeint, die sich über den Vergleich ergeben. Folgt z. B. in einem Bewerbungsgespräch einem eher „schwachen“ Bewerber ein mittelmäßiger Bewerber, wird dieser als besser wahrgenommen, als wenn er auf einen „starken“ Bewerber folgt und umgekehrt. Diese Beurteilungstendenz tritt vermehrt auf, wenn es viele Kandidat/-innen gibt (und mehrere zu besetzende Positionen), also eine Vielzahl von Gesprächen geführt wird.

Fundamentaler Attributionsfehler Menschen suchen nach Ursachen für Verhaltensweisen eines anderen Menschen primär in dessen Persönlichkeitsmerkmalen. Es gibt aber viele situative Effekte, die das Verhalten beeinflussen. Beispielsweise kann eine unfreundliche Umgebung (oder auch nur

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

541

13

unbequeme Stühle, auf denen die Kandidat/-innen gezwungen sind, mehrmals ihre Sitzhaltung zu korrigieren) fälschlicherweise der Person zugeschrieben wird („war aber sehr nervös, musste dauernd hin- und her rutschen“). Das Bewerbungsgespräch an sich ist schon eine Ausnahmesituation, mit der Personen unterschiedlich gut zurechtkommen, d. h. gewisse Beobachtungen sind schwierig auf den späteren Arbeitsalltag zu übertragen. Hat sich die Person nur so verhalten, weil es ein Bewerbungsgespräch war, oder wird sie sich später auch so verhalten? DeGroot und Gooty (2009) konnten z. B. zeigen, dass Interviewer/-innen selbst in strukturierten Einstellungsinterviews nicht davor gefeit sind, Kandidat/-innen Persönlichkeitseigenschaften zuzuschreiben. Diese Zuschreibungen beeinflussen unsere Beurteilung, unabhängig davon, ob sie tatsächlich zutreffen. „So sind Attraktivität, häufiges Lächeln, häufiger Blickkontakt, viele Handbewegungen und auf den Interviewer ausgerichtete Körperbewegungen visuelle Hinweisreize, die im Sinne einer hohen Gewissenhaftigkeit und Offenheit interpretiert werden und dadurch zu einer besseren Beurteilung führen.“ (Sarges 2013, S. 358 ff). Weiterführende Lektüre (z. B. zu Impression Management) gibt es in Barrick et al. (2009). Zusammenfassung Menschen können im Allgemeinen die Stimmung des Gegenübers recht gut auf der Grundlage von kurzen Beobachtungen einschätzen. Die Einschätzungen sind nicht immer korrekt. Die Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale erfolgen ständig und können, auch unbeabsichtigt, wichtige Entscheidungen beeinflussen. Wahrnehmungstendenzen sind immer vorhanden. Aber durch eine sorgfältige Ausrichtung auf Inhalte, z. B. anhand eines strukturierten Interviewleitfadens, kann dafür gesorgt werden, dass Fragen zu allen Anforderungskriterien gestellt werden und die gegebenen Antworten als Entscheidungsgrundlage dienen. Wenn trotz sorgfältiger Analyse und erfüllter Anforderungskriterien ein „schlechtes Bauchgefühl“ zurückbleibt, ist dieses ernst zu nehmen, denn dies kann ein Hinweis auf eine schlechte zwischenmenschliche Passung sein (z. B. zum Team). Das Bauchgefühl sollte nicht am Anfang der Entscheidung stehen. Eine sorgfältige Beurteilung (Inhalt und Analyse der gegebenen Antworten) ist unabdingbar. Eine gesunde Skepsis der eigenen Intuition gegenüber ist angebracht.

Zusammenfassung

542

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

13.1.7 Interpretation

und Selektionsentscheidung

Für einen Einstellungsentscheid sind neben den fachlichen Qualifikationen auch die Passung ins Team und die Kooperationsfähigkeit zu beachten.

Die angemessene Interpretation der gesammelten Verhaltensbeobachtungen, Daten und Eindrücke ist von besonderer Bedeutung. Am Ende soll eine begründete Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten oder eine Kandidatin getroffen werden. Dieser wird unter Einbezug des Kontexts (Qualität der Bewerbungen, Rahmenbedingungen, Zeitdruck usw.) getroffen. Die Beurteilung beinhaltet: Klärung: welche Anforderungskriterien sind erfüllt? Welche davon sind „Must-Have“? Wo gibt es allenfalls Entwicklungsbedarf? Können die fehlenden Kompetenzen entwickelt werden, z. B. durch Personalentwicklungsmaßnahmen oder durch „learning on the job“?

---

Für Führungskräfte ist die Einschätzung, wie diese Person sich ins Team integrieren wird, von großer Bedeutung. Die Beurteilung umfasst daher weitere Punkte: Wie passt die Person ins Team? Wie ergänzt sie das Team in fachlicher und persönlicher Hinsicht? Wie wird sie die Zusammenarbeit mit internen Anspruchsgruppen/Schnittstellen gestalten? Alters- und Erfahrungsstruktur im Team: suchen wir Nachwuchskräfte oder Personen mit Erfahrung?

--

Bei Stellen, die mangels qualifizierter Bewerbungen schwierig zu besetzen sind, wird individuell vorgegangen, um unter den wenigen überhaupt eingegangenen Bewerbungen diejenigen zu identifizieren, die noch am ehesten die ursprünglich definierten Anforderungen erfüllen. Es wird z. B. überprüft, ob Aufgaben, für welche die Qualifikation der Stellensuchenden nicht ausreicht, von anderen Mitarbeitenden übernommen werden können. Wenn die Person-Job-Passung nicht perfekt ist, wird häufig mangels Alternativen die Stellenanforderung an die Qualifikationen der Bewerber/innen angepasst. Sind die Minimalanforderungen nicht erfüllt, muss die Stelle weiterhin ausgeschrieben bleiben (Kersting 2013).

13

Bei einer negativen Beurteilung soll vor einer Absage überprüft werden, ob die Bewerbung für eine andere Stelle im Betrieb interessant sein könnte

Selektionsentscheidung Nach einer positiven Selektionsentscheidung wird der Arbeitsvertrag ausgehandelt und unterschrieben. Erst dann wird den anderen Bewerber/-innen abgesagt. Bei einer negativen Beurteilung sollte überlegt werden, ob die Bewerbung allenfalls zu einer anderen vakanten Stelle im Betrieb

543

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

13

passt. Oder sie kann in einen „Kandidaten-Pool“ aufgenommen werden (das Einverständnis der sich bewerbenden Person vorausgesetzt), wenn die Passung für in Zukunft neu zu besetzende Stellen vorhanden ist.

Teilt man abgelehnten Personen mit, wo sie nicht überzeugt haben? Bei Arbeitgebern ist dies nicht so beliebt. Es ist aber ein

Aspekt der Fairness, dass den Bewerber/-innen – „mit gebotenem Takt, aber im Prinzip auch ehrlich – die maßgeblichen Ablehnungsründe“ mitgeteilt werden (Sarges 2013, S. 99). Indirekt kann ein qualifiziertes Feedback auch für das Image der Unternehmung nützlich sein (Employer Branding).

Kann Potenzial im Rekrutierungsgespräch erkannt werden?

Der zukünftige Erfolg einer Person lässt sich nicht ausschließlich auf ihre Eigenschaften, Fähigkeiten und Verhaltensweisen zurückführen. Er ist immer auch von ihrem Umfeld, d. h. den Arbeitsbedingungen, Möglichkeiten und Grenzen durch organisatorische Regelungen, sowie dem Verhalten von Vorgesetzten und Team abhängig. Kann eingeschätzt werden, ob eine Person über „Entwicklungspotenzial“ verfügt? Mit abschließender Sicherheit kann dies nicht beurteilt werden, aber ein interessanter Ansatz bietet das Modell in . Abb. 13.10. Mit Stärken sind gemeint: zum einen grundlegende soziale und persönliche Kompetenzen (beispielsweise Konfliktfähigkeit), zum anderen überfachliche Kompetenzen, die für die jeweilige Position relevant sind, beispielsweise: Delegationsfähigkeit bei einer Führungskraft, analytisches Denken bei fachlichen Expert/innen, Organisationsfähigkeit bei Projektleiter/innen.

---

Kontext

Potenzial

=

Stärken (Kompetenzen im Hinblick auf aktuelle Anforderungen sind erfüllt bzw. übertroffen)

x

Potenzialindikatoren

x

Motivation

Der Kontext wird durch organisationale Rahmenbedingungen und insbesondere durch das Verhalten der Führungskraft bestimmt.

..Abb. 13.10  MES-Potenzialdefinition (Aus Wierzchowski et al. 2016, mit freundlicher Genehmigung von Wolters Kluwer)

Ob die Person sich entwickeln wird, hängt ebenso von ihrem Verhalten ab, wie von den Möglichkeiten, die ihr im Unternehmen geboten werden

544

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

-

Mit Potenzialindikatoren sind gemeint: Persönliche Kompetenzen, die bei hoher Ausprägung befähigen, auch in anspruchsvollen und sich wandelnden Situationen konstant gute Leistungen zu erbringen. Beispiel: Lernfähigkeit. Besitzt jemand zurzeit noch nicht die nötigen Kompetenzen (z. B. für eine höhere Position), ist sie/ er mit ausgeprägter Lernfähigkeit in der Lage, sich diese anzueignen.

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Weitere Beispiele für Potenzialindikatoren: Belastbarkeit, Eigeninitiative und Selbstreflexion.

13

Die ersten beiden Faktoren beziehen sich auf das Können einer Person. Der dritte Faktor, Motivation, berücksichtigt das Wollen. Einige Autoren sind der Meinung, dass es in Zukunft zunehmend wichtiger wird, die Motive und Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschätzen zu können. (Schäfer 2012; Sarges 2013, S. 587). Berufliche Zufriedenheit erhöht die Chance auf eine längerfristige Zusammenarbeit. Dazu muss die Tätigkeit von der Person selbst als sinnvoll erlebt werden, sodass es sich lohnt, beim Einstellungsgespräch auf die Motivation und die Interessen von Stellensuchenden einzugehen. Kontextfaktoren können sowohl förderlich als auch hinderlich auf die Entwicklung von Mitarbeitenden wirken. Der Kontext wird: durch organisationale Rahmenbedingungen und insbesondere durch das Verhalten der Führungskraft bestimmt: ist es z. B. erlaubt Fehler zu machen? Wird konstruktives Feedback gegeben? Wird Eigeninitiative belohnt? Werden Kompetenzen gefördert? Gibt es „Job-Enrichment-Möglichkeiten“, auch und gerade bei Positionen mit viel Routinetätigkeit?

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Nicht zuletzt hängt also die Möglichkeit, Persönlichkeitseigenschaften und Stärken in einer bestimmten Position einbringen und entwickeln zu können (und damit: beruflichen Erfolg zu erleben) davon ab, wie stark diese Eigenschaften im Arbeitskontext zugelassen und angeregt werden.

Erfolgskritische Kompetenzen Gibt es in der sich verändernden Arbeitswelt Kompetenzen, die wichtiger werden?

Zu diesem Thema wird viel publiziert, aber vorerst gibt es noch wenige wissenschaftliche Studien dazu. Arbeitsplätze verändern sich laufend durch Marktveränderungen, auf die das Unternehmen seine strategische Ausrichtung und Personalauswahl anpassen

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

545

13

muss. Digitalisierung und Globalisierung sind bekannte Ursachen, die eine kontinuierliche Anpassung notwendig machen und neue Anforderungen an die Mitarbeitenden stellen. (Schmidtborn und Mussel, 2011). Der daraus resultierende Zeit- und Leistungsdruck erfordert schnelle Entscheidungen und ein flexibles Einstellen auf Veränderungen (je nach Branche und Funktion mit unterschiedlicher Gewichtung). Von der Arbeitswelt 4.0 wird ein sehr großer Einfluss auf Arbeitsplätze und berufliche Funktionen prognostiziert, auch wenn noch nicht klar ist, wie dieser aussieht (Howaldt, Kopp & Schultze, 2015). Dies fordert Unternehmen nicht nur bei der Planung von Entwicklungsmaßnahmen bei den Mitarbeitenden und der Organisation als Ganzes (Stichwort lernende Organisation), sondern auch bei Fragen der Rekrutierung und Nachwuchsplanung. Geht man von Veränderung aus, stellt sich die Frage, über welche Eigenschaften Mitarbeitende verfügen sollen, um mit dem organisationalen Wandel umzugehen oder diesen voranzutreiben. (Schmidtborn und Mussel 2011). Hier ein Auszug aus einigen Artikeln über die Einschätzung von Kompetenzen, die wichtiger werden könnten, z. B.: die Fähigkeit zur Aufgabenstrukturierung: wenn einerseits die neuen Technologien eine Arbeitserleichterung darstellen, weil flexibleres, orts- und zeitungebundenes Arbeiten möglich wird, steigt dadurch andererseits die Anforderung an die Selbstorganisation. die Kommunikationskompetenz: verschiedene Formen der Interaktion erfordern unterschiedliche Kommunikation (digitale und andere). Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit: Gerade mit den individualisierten Arbeitsformen stellt sich eine Anforderung an die soziale Vernetzung (Feedback und soziale Unterstützung von Team und Vorgesetzte fehlen). Wegen der fließenden Grenzen zwischen Freizeit und Arbeit muss auf Regenerationsfähigkeit geachtet werden (Aulerich 2015, S. 4).

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Speziell für Werte auf der Führungsebene nennt Hartmann (2015, S. 10, 12): Soft Skills der Führungskräfte werden wichtiger: Überzeugungskraft, Sensibilität, Menschenkenntnis u. a. Lernfähigkeit, Leaderfähigkeit, Selbstvertrauen, Verantwortung. 13.1.8

Evaluation des Rekrutierungsprozesses

Wie läuft der Entscheidungsprozess für potenzielle Arbeitnehmer/-innen ab?

Was erhöht die Attraktivität eines Unternehmens und wonach suchen Bewerbende in erster Linie? Die Frage, ob der Standort,

Welche Faktoren interessieren potenzielle Arbeitnehmer/innen während der Bewerbungsphase?

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

546

..Tab. 13.2  Entscheidungskriterien bei einem potenziellen Arbeitgeber. Bewertung von 18 ausgewählten Faktoren unter Absolventen der Wirtschaftswissenschaften. (Aus Gelbert und Inglsperger 2008, S. 17, © Batten & Company) Unternehmensbezogene Faktoren

Jobbezogene Faktoren

Überdurchschnittlich relevanta

– Arbeitsklima/Führungsstil – Markterfolg/Zukunftsfähigkeit des Unternehmens – Attraktive Branche (Produkte und Dienstleistungen) – Unternehmensstruktur – Internationaler Arbeitsplatz – Bekanntheit und Ruf des Unternehmens

– Attraktive Arbeitsaufgaben – Gute Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten – Gute Weiterbildungsmöglichkeiten – Work-Life-Balance – (inklusive Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Familie) – Branchenübliches Gehalt

Unterdurchschnittlich relevanta

– Attraktive Standorte – Hohe Innovationskraft – Gesellschaftliche Verantwortungsübernahme – Persönlichkeit des CEO

– Zusatzleistungen (wie z. B. Firmenwagen, Laptop, Urlaubstage, hohe Sozialleistungen, etc.) – Sicherer Arbeitsplatz – Überdurchschnittliches Gehalt

a

 Bewertung Relevanz 18 ausgewählter unternehmens- und jobbezogener Faktoren auf Basis Mittelwertberechnung einer fünfstufigen Skala (+2 = in sehr hohem Maße, –2 = in keiner Weise relevant)

der Lohn, die Unternehmenskultur oder zukünftige Vorgesetzte die entscheidende Rolle spielen, um die besten Mitarbeitenden zu rekrutieren und zu halten, ist natürlich interessant. Fragt man interne Mitarbeitende, sind interessante Arbeitsinhalte und ein gutes Teamklima ausschlaggebende Gründe, um beim Unternehmen zu bleiben. Ebenfalls relevant sind der Firmenstandort und die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens. Nach Moser (Sarges 2013, S. 516–524) gibt es wesentliche Faktoren, die während dem Bewerbungsprozess eine Rolle spielen bis zum Entscheid, die Stelle anzunehmen: die konkreten Arbeitsplatzmerkmale, das Auftreten des Unternehmens, ob eine realistische Tätigkeitsvorschau stattfand, Standort der Organisation, (ob es alternative, bessere Angebote gibt, denn häufig bewerben sich Stellensuchende bei mehreren Stellen).

13

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. Tab. 13.2 enthält ein Beispiel aus einer Befragung von Absolven-

ten der Wirtschaftswissenschaften.

Die Aussagekraft unstrukturierter Interviews ist gering, trotzdem sind sie in der Praxis weit verbreitet

Candidate Experience beim Rekrutierungsprozess

Seit den 1990er-Jahren wird die Akzeptanz der Auswahlmethoden und des Personalauswahlprozesses aus der Sicht der Stellensuchenden erforscht.

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

In einer aktuellen Studie, die bei 999 Personen in Deutschland durchgeführt wurde (Kanning 2016). Wie Bewerberinnen und Bewerber die Praxis der Personalauswahl erleben und bewerten, konnte festgestellt werden (Kanning 2016, S. 57–66): Nur bei einem Viertel wurde das Bewerbungsgespräch mit einem strukturierten oder halbstrukturierten Leitfaden geführt. Bei drei Viertel der Interviews wurden realistische Tätigkeitsinformationen gegeben. Die Akzeptanz des Auswahlverfahrens steigt, wenn der Personalauswahlprozess als fair und transparent wahrgenommen wird. Die Akzeptanz von eingesetzten Testverfahren hängt mehrheitlich vom wahrgenommen Bezug zu den Anforderungen der Stelle ab.

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Bemängelt wurden (Monster Themenspecial: Best Practices und Big Failures 2016; Studienreihe der Universität Bamberg, Recruiting Trends 2016 und Bewerbungspraxis 2016): Employer Branding: die Selbstpräsentation von Unternehmen wurde am häufigsten bemängelt (übertriebene Aussagen über das Unternehmen oder schlechte Ansprachen bei Xing). Standardisierte Rückmeldungen, keine Angaben von Gründen bei einer Absage. Technische Fehler (z. B. nicht funktionierende Online-Bewerbungsformulare); es wird z. T. auch bedauert, dass manchmal nur eine Bewerbungsart zugelassen wird (z. B. Nur OnlineBewerbung).

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Evaluation der Rekrutierungsstrategie bei den Unternehmen Erfolgskontrolle

Personalauswahl hat, wenn der Prozess sorgfältig durchdacht ist und die Anforderungskriterien systematisch erfasst wurden, mit diagnostischer Kompetenz zu tun. Um diese Kompetenz zu entwickeln, ist es wichtig, auch nach der Einstellung die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Ob sich die neuen Mitarbeitenden bewähren, lässt sich in der Probezeit und später bei der Arbeitsleistung feststellen. Das kann als Rückmeldung im Hinblick auf die Treffsicherheit des Auswahlprozesses analysiert werden. Leitfragen sind z. B.: Wo lagen wir mit unserer Einschätzung richtig? Wo haben wir uns geirrt? Können wir zukünftig etwas am Rekrutierungsprozess verbessern? Wurden die richtigen Kanäle gewählt, um potenziell geeignete Personen anzusprechen? Muss das Anforderungsprofil angepasst werden? Muss unser Interviewleitfaden überarbeitet werden?

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13

Realistische Tätigkeitsinformationen sind ausschlaggebend für den Entscheid der Kandidat/-innen, eine Stelle anzunehmen

Beim Candidate Experience gibt es noch viel Luft nach oben

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

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Gibt es Fragen, die sich bewährt haben? Solche, die gestellt hätten werden müssen? Wie verlief die Einführungsphase? Hätte sie anders gestaltet werden müssen?

Je besser der Rekrutierungsprozess aufgebaut ist, je besser die Qualität der Einstellungsinterviews ist, je mehr evaluiert wird, wie die getroffenen Entscheidungen sich bewähren, desto eher gibt es einen „diagnostischen Zuwachs“, der zu verbesserten Entscheidungen führt. 13.1.9 Auf einen Blick

Einführung neuer Mitarbeitenden

Auf einen Blick Die Personalverantwortung und die damit verbundene Einführung neuer Mitarbeitenden liegt bei der Führungskraft. Vorgesetzte werden in der Regel von Teammitgliedern und HR unterstützt, welche Teile der Einführung übernehmen. Wichtig ist eine geplante und systematische Einführung. Für die Praxis wird empfohlen: Einführungs- und Orientierungsgespräch am 1. Arbeitstag, Startbegleiter-/in zur Einführung neuer Mitarbeitenden, Einarbeitungsplan, Feedback in der Einarbeitungszeit und ein Gespräch am Ende des Probemonats sowie Gespräch am Ende der Einarbeitungsphase (frühestens nach 3 Monaten und spätestens nach 6 Monaten; Watzka 2014).

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13

Die Integration in den Betrieb fängt vor dem 1. Arbeitstag an: die sogenannte antizipatorische Phase (Rehn 1990), welche die Erwartungen und Motivation in Bezug auf das neue Unternehmen umfasst, beginnt für zukünftige Mitarbeitende spätestens mit der Unterschreibung des Arbeitsvertrags. Die neuen Mitarbeitenden sind zwar noch in der alten Organisation tätig, beschäftigen sich aber bereits gedanklich mit der neuen Stelle. Vor dem Eintritt: Bis zum Stellenantritt kann die Wartezeit vom Unternehmen genutzt werden, um Interesse zu zeigen und die Bindung ans Unternehmen vorzubereiten. Das Unternehmen kann (in dosiertem Umfang) regelmäßig Informationen zukommen lassen, z. B.: allgemeine Informationen zum Unternehmen (Produktinformationen, Organigramme, Newsletter usw.), stellenspezifische Informationen (Stellenbeschreibungen usw.), personalspezifische Informationen wie Arbeitszeitregelungen usw.

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13.1 • Mitarbeitende gewinnen

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549

13

Der Betrieb sollte Vorbereitungen treffen: den Arbeitsplatz vorbereiten (Arbeitsplatz, Werkzeuge, Möbel, E-Mail-Account, Schlüssel etc.), das Team informieren, ein Einführungsprogramm bereitstellen. Das Team sollte im Vorfeld in geeigneter Form informiert werden. Das bestehende Team kann verunsichert sein oder die Zeit, die für die Einarbeitung gebraucht wird, als zusätzliche Belastung empfinden. Vielleicht war die Stelle vakant, und die Aufgaben mussten vorübergehend von anderen Mitarbeitenden übernommen werden. Oder es entstehen (neue) Konkurrenzgefühle. Mit Vorinformationen können erste Fragen beantwortet werden. Falls die neue Person Vorgesetztenfunktion übernimmt, sind Neugier, Fragen, Verunsicherung umso größer.

Neue Mitarbeitende verändern die Konstellation im Team, allenfalls sogar die Aufgabenzuteilung und Verantwortlichkeiten

Beim Eintritt Neue Mitarbeitende beschäftigt häufig die Frage, ob sie den neuen Aufgaben gewachsen sind und ob sie vom Team und der Führungskraft akzeptiert werden. Es gibt am Anfang nur wenig, was selbstverständlich ist, angefangen mit den Abläufen bis hin zur Unternehmens- und Teamkultur. 100 %ige Arbeitsleistung ist nicht von Beginn an möglich, die Erfahrung zeigt, dass dies – abhängig von den Aufgaben – erst nach 3–6 Monaten realistisch ist (Watzka 2014). Einführungsprogramme sind funktionsabhängig und somit unterschiedlich in Inhalt und Länge. Bei einer ausführenden Funktion können die wichtigsten Stationen und Stellen innerhalb eines kürzeren Zeitraumes bewältigt werden, bei Führungsfunktionen kann sich ein Einführungsprogramm über mehrere Wochen erstrecken Das Einführungsprogramm umfasst: Einführung in den Job: Wissen über die genauen Arbeitsaufgaben, Abläufe, Anforderungen bezüglich Qualität. Einführung in das Team: Kennenlernen der neuen Kolleginnen und Kollegen. Informationen zu der Aufgabenverteilung und Rollen im Team (Wer macht was? Was ist mein Anteil daran?). Einführung in die wichtigen Kundenbeziehungen/wichtigen Beziehungsnetzwerke: je nach Position werden Kontakte zu internen und externen Kunden initiiert.

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Die ersten Tage sollen so geplant werden, dass die unmittelbare Umgebung kennengelernt, über die wichtigsten Aufgaben und Zusammenhänge im Überblick informiert wird und erste eigene Arbeiten verrichtet werden können, was Erfolgserlebnisse und Sicherheit schafft.

Ziel der Einarbeitungszeit ist es, neue Mitarbeitende möglichst rasch zu befähigen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Unterstützend sind in dieser Phase Ansprechpartner für fachliche Fragen und Gespräche mit der Führungskraft

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Während der Einarbeitungszeit finden üblicherweise immer wieder Gespräche zwischen der neuen Mitarbeiterin, dem neuen Mitarbeiter und der Führungskraft statt. Diese Gespräche können auch spontan, ohne Planung stattfinden. Sie dienen der Rückkoppelung für beide Seiten: Die Führungskraft kann etwas über den Stand der Einarbeitung und die Befindlichkeit während der Einarbeitung erfahren. Die neue Mitarbeiter/-in kann zwischendurch Fragen stellen, für die sie/er vielleicht nicht explizit ein Gespräch erbeten hätte. Ein Gespräch am Ende der Einarbeitungszeit (die nicht identisch mit der Probezeit sein muss) hilft, gegenseitige Erwartungen zu festigen und Aufgaben und Ziele zu definieren (. Abb. 13.11). Fragen zur Vertiefung

13

Fragen zur Vertiefung 1. Erläutern Sie die Bedeutung des Selektionsprozesses und zählen Sie dessen Phasen auf. 2. Was ist der Nutzen eines Anforderungs‑/Bewerberprofils? 3. Wozu dient die Lebenslaufanalyse? Worauf ist dabei zu achten? 4. Was sind die Ziele eines Bewerbergesprächs, und worauf ist beim Gespräch zu achten? 5. Welche Formen zusätzlicher Abklärungen können für die Vervollständigung des Bewerberbildes herangezogen werden? 6. Weshalb genügt es nicht, im Bewerbungsgespräch nur die fachliche Qualifikation zu erheben? 7. Wo besteht aus wissenschaftlicher Sicht Optimierungsbedarf bei den Bewerbungsgesprächen? 8. Was ist der Sinn der Selektionskontrolle? 9. Wie können Sie das Personalauswahlverfahren in Ihrer eigenen Organisation optimieren? 10. Wie gestalten Sie eine Personalselektion aus der Sicht des Bewerbers optimal? 11. Welchem Zweck dient eine strukturierte und systematische Einführung? 12. Welches sind Risiken in der Einführungsphase?

551

13.1 • Mitarbeitende gewinnen

1. Wartezeit bis Stellenantritt nutzen

13

Wartezeit zwischen Vertragsunterzeichnung und Stellenantritt nutzen, um Interesse zu signalisieren und die Bindung ans Unternehmen einzuleiten. − Informationen zum Unternehmen − Stellenspezifische Informationen − Sporadische telefonische oder Mail-Kontaktnahme, um den Kontakt aufrechtzuerhalten Im Unternehmen: − Mitarbeitende informieren (Zuständigkeit und Aufgaben der neuen Person, mit wem wird sie zusammenarbeiten, wo ist ihr Arbeitsplatz, usw.) − Arbeitsplatzvorbereitung (technische Voraussetzungen, EMail Account, Arbeitskleidung, Schlüssel, erforderliche Dokumentationen bei Stellenantritt, usw.)

2. Erster Arbeitstag:

3. Orientierungsphase

4. Einarbeitungsphase

Checkliste 1. Arbeitstag: Persönlich und administrativ: − Empfang und Begrüssung (in der Regel durch VS) − Vorstellung der Teammitglieder und Personen, mit denen eine Zusammenarbeit erfolgt − Gespräch mit VS − Führung durch den Betrieb? − Gemeinsames Mittagessen Informationen: − Wichtige Ablaufregeln (Arbeitszeiten, Zeiterfassung, Sicherheitsbestimmungen) − Wo ist was? − Ansprechpartner für Fragen − Das Einführungsprogramm für die erste(n) Woche(n) sollte erstellt sein und wird besprochen. Informationen am ersten Tag dosieren (Aufnahmekapazität nicht überstrapazieren)

Einarbeitungsprogramm: − Welche Personen, Abläufe, Bereiche, Inhalte muss neue MA zu Beginn kennenlernen, um sich in der neuen Rolle und Aufgabe schnell und sicher zurechtzufinden? − Begleitperson für die ersten Wochen. − Wer führt neue MA in welche Themen ein? − Kontakt zu (internen und externen) Kunden: wo kann neue MA mitlaufen, welche Aufgaben kann sie selbst übernehmen, wo muss sie eingeführt werden? − Integration neue MA in das Team / in den Betrieb. Wie wird der Prozess aktiv unterstützt?

− − − −

Startbegleiter/in zur Einführung neuer Mitarbeiter/innen Einarbeitungsplan Gespräche während und am Ende der Probezeit Gespräch am Ende der Einarbeitungsphase (frühestens nach 3 Monaten und spätestens nach 6 Monaten)

..Abb. 13.11  Einführung neuer Mitarbeitender

552

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

13.2

Personalentwicklung als Führungsaufgabe

Christoph Negri Auf einen Blick

Auf einen Blick Führungskräfte haben die Aufgabe, ihre Mitarbeitenden zu fordern und zu fördern. Dies ist mit der Bewilligung einer Weiterbildung oder eines Seminars längst nicht mehr ausgeschöpft. Was bedeutet Personalentwicklung und warum ist sie auch aus unternehmerischer Sicht relevant? Welche Verantwortung trägt der Mitarbeitende, die Führungskraft, das „Human Resources Management“ und die Unternehmensleitung für die Personalentwicklung? Welche Instrumente der Personalentwicklung kann die Führungskraft zur Hand nehmen? Wie kann ein Fördergespräch gestaltet und mit dem Zielvereinbarungsprozess verknüpft werden? Welche Einflüsse haben die Digitalisierung der Arbeitsweilt auf die Rolle der Führungskräfte in Bezug auf die Personalentwicklung? Die vorliegenden Ausführungen geben Antworten auf diese Fragen und legen den Fokus auf Personalentwicklung als Führungsaufgabe.

13.2.1

Begriff und Ziele der Personalentwicklung

Definition der Personalentwicklung Der Begriff der Personalentwicklung ist von großer Heterogenität und Unschärfe gekennzeichnet. Autoren betonen in ihren Definitionen Aspekte wie Ziele, Inhalte, Adressaten, Methoden, Maßnahmen, Bedingungen und Institutionen der Personalentwicklung.

13

Definition 

Definition: Personalentwicklung

Für Mentzel (2005, S. 2) bedeutet Personalentwicklung „… eine systematische Förderung und Weiterbildung der Mitarbeiter. Dazu zählen sämtliche Maßnahmen, die der individuellen beruflichen Entwicklung der Mitarbeiter dienen und ihnen unter Beachtung ihrer persönlichen Interessen die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Qualifikationen vermitteln.“ 

Schwerpunkte

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Aus dieser Definition lassen sich drei Schwerpunkte der Personalentwicklung ableiten: Personalentwicklung als arbeitsplatzbezogene Kompetenzerweiterung,

13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

553

13

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Personalentwicklung als individuelle Laufbahnentwicklung und Personalentwicklung als systematische Entwicklung der Leistung und Wettbewerbsfähigkeit einer Organisation oder Organisationseinheit.

Ziele der Personalentwicklung Die Ziele der Personalentwicklung lassen sich nach den unterschiedlichen Perspektiven des Unternehmens, der Führungskraft und des Mitarbeitenden differenzieren (. Abb.  13.12; vgl. Graf 2005, S. 3; Mentzel 2005, S. 10 ff.). Aus den Zielen des Unternehmens und der Führungskräfte wird ersichtlich, dass Personalentwicklung die Qualifizierung von Personen, Teams und Organisationseinheiten umfasst. In diesem Kapitel beschränken wir uns auf die Förderung und Entwicklung von Personen, beziehungsweise Mitarbeitenden.

Personalentwicklung umfasst Förderung von Personen, Teams und Organisationen

13.2.2 Personalentwicklungsinstrumente

Führungskräfte können in der Entwicklung und Förderung der Mitarbeitenden auf unterschiedliche Arten von Maßnahmen zugreifen. Personalentwicklung kann folgende Maßnahmen umfassen: into the job als Hinführung zu einem neuen Aufgabenbereich oder einem neuen Beruf, on the job als direkte Lernsituation am Arbeitsplatz. Ermöglicht ein hohes Maß an Eigenaktivität, near the job als arbeitsplatznahes Training in Lern- oder Projektgruppen, die sich vor allem mit anspruchsvollen und komplexen abteilungsübergreifenden Themen im Unternehmen beschäftigen, along the job als karrierebezogene Entwicklung, off the job als außerhalb des Arbeitsplatzes stattfindende Maßnahmen wie beispielsweise Weiterbildungsveranstaltungen, out of the job als Begleitung auf die Pensionierung oder eine Trennung.

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Für Führungskräfte ist praxisrelevant, welche Instrumente sie für die unterschiedlichen Arten der Personalentwicklung zur Hand nehmen können. In . Abb. 13.14 sind die wichtigsten Instrumente aus unterschiedlichen Quellen (vgl. u. a. Wunderer 2006, S. 363 f.; Huber 2005, S. 26 f.) im Überblick dargestellt. Das Spektrum der Personalentwicklungsinstrumente ist vielfältig. Führungskräfte spielen für die Maßnahmen „on“, „near“ und „along the job“ eine Schlüsselrolle.

Maßnahmen

..Abb. 13.13  © 2018 by Tobias Leuenberger

Führungskräfte spielen für die Maßnahmen „on“, „near“, und „along the job“ eine Schlüsselrolle

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

PE-Ziele aus Sicht des Unternehmens • Frühzeitige und systematische Anpassung der Kompetenzen der Mitarbeitenden an betriebliche Erfordernisse • Sicherung eines qualifizierten Bestandes an Fach- und Führungskräften • Erwerb von Zusatzqualifikationen als Grundlage einer grösseren Flexibilität und Anpassungsfähikeit beim Personaleinsatz • Gewinnung von Nachwuchskräften aus den eigenen Reihen und somit Verringerung der Abhängigkeit vom externen Arbeitsmarkt • Erhaltung/Erhöhung der Arbeitsmarktfähigkeit der Mitarbeitenden • Schaffen einer lernförderlichen - und entwicklungsorientierten Unternehmenskultur

PE-Ziele aus Sicht der Führungskraft • Förderung der Fach-, Führungs- oder Projektkompetenzen der Mitarbeitenden • Vermittlung bzw. Sicherstellung der im Team benötigen Schlüsselkompetenzen • Verbesserung des Leistungs- und sozialverhaltens der Mitarbeitenden und des Teams als Gesamtes • Erhöung der Veränderungsbereitschaft und der Motivation der Mitarbeitenden

13

• Informelles und mobiles Lernen als Vorgesetzte aktiv nutzen und zu einem Führungsthema machen

PE-Ziele aus Sicht des Mitarbeitenden • Schaffen einer Grundlage für die berufliche Laufbahn durch Anpassung der Kompetenzen an aktuelle und zukünftige Anforderungen • Erhaltung bzw. Erhöhung der Arbeitsmarktfähigkeit • Sicherung der erreichten Stellung in Beruf und Gesellschaft • Arbeitsplatzsicherheit und Arbeitszufriedenheit • Persönlichkeitsentwicklung und -bildung

..Abb. 13.12  Ziele der Personalentwicklung. (Aus Graf 2005, S. 3, mit freundlicher Genehmigung von WEKA und Guy Ochsenbein)

13

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13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

Personalentwicklungsinstrumente im Überblick Personalentwicklungsinstrumente

into the job - Berufsbildung - Einführungsprogramme - Traineeprogramme - Praktika

on the job - Job-Enlargement - Job-Enrichment - Job-Rotation - Stellvertretung - Fördergespräche - Coaching - Mentoren - Auslandeinsätze - Handlungsspielraum - Anforderungsvielfalt - Lernmöglichkeiten (auch soziale) - teilautonome Arbeitsgruppe

near the job - Projektarbeit - Qualitätszirkel - Lernwerkstatt

along the job - Potenzialanalyse - Laufbahnplanung - Nachfolgeplanung

off the job - Seminare - Assessement-Center - Development-Center - Planspiel - Erfahrungsaustauschgruppen - Förderkreis - Kongresse - Vorträge - Workshops - Selbststudium - E-Learning

out of the job - Pensionierungsvorbereitung - gleitende Pensionierung - Outplacementberatung

..Abb. 13.14  Personalentwicklungsinstrumente im Überblick. (Aus Hausherr Fischer 2013, nach Wunderer 2006, S. 363, mit freundlicher Genehmigung von Wolters Kluwer)

13.2.3

Einbindung der Personalentwicklung in den Zielvereinbarungsprozess

Es gehört zum Aufgabenbereich der Führungskraft, mit jedem Mitarbeitenden eine individuelle Laufbahnplanung zu erstellen, Entwicklungsziele festzulegen und darauf ausgerichtete Entwicklungsmaßnahmen zu vereinbaren. Weiter muss sie den Entwicklungsprozess begleiten und evaluieren. Dies ist üblicherweise im Prozess des Management by Objectives (MbO) festgelegt. Führungskräfte sollten unter anderem auch daran gemessen werden, wie sehr sie ihre eigenen Mitarbeitenden entwickeln und fördern. Dabei gilt es, sich an dem hier vereinfacht dargestellten Kreislauf des Prozesses „Führen mit Zielvereinbarung“ (MbO) zu orientieren (. Abb. 13.15). Die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mitarbeitenden sollen mit den Anforderungen des Unternehmens in Übereinstimmung gebracht werden, damit die Mitarbeitenden die aktuellen und zukünftigen Tätigkeiten bewältigen können. Personalentwicklung heißt somit auch immer Kompetenzmanagement. Für die Führungskraft gilt es, im Rahmen des MbO-Prozesses folgende Schritte zu tun: 1. Aktuelle und künftige Anforderungen an den Arbeitsplatz und die Tätigkeiten (Stellenprofil) und somit an dem Mitarbeitenden (Anforderungsprofil) zeigen, was das Unternehmen vom Stelleninhaber für Kompetenzen braucht (SOLL-Profil). Dies wird in Zusammenarbeit mit dem Human Resources erarbeitet. Heute wird meist pragmatisch in die vier Kompetenzbereiche Fach‑, Methoden‑, Sozial- und Selbstkompetenz unterteilt. 2. Die Beurteilung der Leistung, der Kompetenzen und des Potenzials des Mitarbeitenden zeigt, über welche Fähigkeiten und Fertigkeiten er verfügt (IST-Profil).

Aufgaben der Führung

Personalentwicklung heißt auch immer Kompetenzmanagement

SOLL-Profil

IST-Profil

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Fortschritts-/ Erfolgskontrolle

Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen begleiten und unterstützen

Beurteilen Leistungsbeurteilung Ursachenanalyse Potenzial identifizieren Beurteilungs- und Potenzialgespräch

Fördern und Fordern Erbringen, Beobachten und Besprechen der Leistung Feedbackgespräch

Vereinbaren Erwartungen festlegen individuellen Entwicklungsplan erstellen Fördergespräch

..Abb. 13.15  Einbindung der Personalentwicklung in den MbO-Prozess. (Aus Hausherr Fischer 2013)

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Entwicklungsziele erweitern die berufliche Handlungskompetenz

In Bezug auf die Personalentwicklung ist der dritte Schritt zentral: 3. Daraus können sich Kompetenzlücken („GAP-Analyse“) ergeben, aus denen Entwicklungsziele abgeleitet und geeignete Personalentwicklungsmaßnahmen festgelegt werden können. Die Entwicklung, Förderung und Erweiterung der beruflichen Handlungskompetenz steht dabei immer im Zentrum. Darunter sind diejenigen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse zu verstehen, die für eine erfolgreiche Bewältigung der heutigen und zukünftigen Arbeitstätigkeit notwendig sind. Die Abstimmung zwischen der Führungskraft und dem Mitarbeitenden hinsichtlich der Personalentwicklungsmaßnahmen findet also gestützt auf die Leistungs- und Potenzialbeurteilung im Rahmen des Zielvereinbarungsprozesses statt.

Fördergespräch Regelmäßige Fördergespräche

Häufig wird das jährliche Mitarbeitergespräch um die entwicklungsbezogenen Inhalte ergänzt. Da in diesem Gespräch nicht selten Leistung und finanzielle Anreize verknüpft werden, empfiehlt es sich, das Fördergespräch vom Prozess her zeitlich zu trennen. Einige Unternehmen unterstreichen die Bedeutung der Personal-

13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

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13

..Abb. 13.16  © 2018 by Tobias Leuenberger

entwicklung mit Fördergesprächen, die in einem regelmäßigen Turnus durchgeführt werden. Der eigentliche Inhalt des Fördergesprächs bildet die Abstimmung der individuellen Entwicklungsplanung und die Festlegung der zur Realisierung notwendigen Förder- und Bildungsmaßnahmen. Es geht in erster Linie darum zu bestimmen, welche Förderungs- und Bildungsziele erreicht werden sollen, und weniger um die Regelung, ob zum Beispiel eine Bildungsmaßnahme intern oder extern durchzuführen ist. Die Modalitäten der Durchführung sind dann in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Human Resources Management und der, falls vorhanden, Personal- und Organisationsentwicklung zu klären. Es empfiehlt sich, als Führungskraft eng mit dem Human Resources Management zusammenzuarbeiten, insbesondere auch, wenn die Entwicklung des Mitarbeitenden voraussichtlich abteilungsübergreifend stattfinden wird. Wie bei anderen Mitarbeitergesprächen ist auch der Ablauf eines Fördergesprächs nicht in allen Punkten vorhersehbar. Der Mitarbeitende soll nicht das Gefühl haben, in eine festgeschriebene Gesprächsstruktur eingesperrt zu werden, sondern soll Gelegenheit haben, seine Vorstellungen in ausreichendem Maße einzubringen. Der folgende Leitfaden dient in diesem Sinne als Checkliste (vgl. Mentzel 2005, S. 109 ff.; Beck und Schwarz 2004, S. 189). Checkliste: Aufbau und Themen eines Fördergesprächs Besprechen Sie Ihre Vorstellungen und die Ihres Mitarbeitenden hinsichtlich seines Einsatzes und der Entwicklung am Arbeitsplatz: a. Welche Aufgaben und Tätigkeiten haben den Interessen Ihres Mitarbeitenden am meisten entsprochen?

Abstimmung der Entwicklungsplanung und Festlegung der Förder- und Bildungsmaßnahmen

Checkliste Fördergespräch

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

b. Fühlt er sich richtig eingesetzt oder ist er überfordert/ unterfordert? c. Hat der Mitarbeitende das Bedürfnis, andere Aufgaben als bisher zu erledigen? Was sind seine konkreten Vorstellungen dazu? d. Wie sieht der Mitarbeitende seine weitere Entwicklung am Arbeitsplatz? Gibt es Maßnahmen, die ihn dabei unterstützen können? Bringen Sie als Führungskraft Ihre Sichtweise ein und begründen Sie Gemeinsamkeiten und Abweichungen! Legen Sie mit Ihrem Mitarbeitenden einen konkreten und verbindlichen Plan mit den gemeinsamen Vereinbarungen fest: e. Überlegen Sie gemeinsam, wie die Erwartungen, Wünsche oder Interessensgebiete des Mitarbeitenden mit den betrieblichen Möglichkeiten in Übereinstimmung gebracht werden können. f. Beachten Sie, dass im Einzelnen vereinbart und festgehalten wird, wer bis wann für welche Aktivitäten verantwortlich ist.

Lernchancen und Wachstumsmöglichkeiten

13

Führungskräfte und Mitarbeitende sind durch den Prozess und das Instrumentarium des MbO angeleitet, die bestehenden anforderungsbezogenen Kompetenzlücken zu schließen. Zusätzlich zu diesem defizitorientierten Schließen von Lücken wird im Fördergespräch angelegt, dass Personalentwicklung auch neue Lernchancen und Wachstumsmöglichkeiten und das Bauen auf Stärken und Vorlieben von Mitarbeitenden beinhaltet. Je nach Ausrichtung der vereinbarten Entwicklungsmaßnahmen kann zwischen arbeitsplatz- und laufbahnbezogener Forderung und Förderung unterschieden werden. 13.2.4

Sind Führungskräfte für die Personalentwicklung verantwortlich?

» Man kann einen Menschen nichts lehren – man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken. (G. Galilei)

Verantwortung für Selbstentwicklung muss eingefordert und unterstützt werde

Grundsätzlich können sich Menschen in letzter Konsequenz nur selbst entwickeln. Denn Entwicklung hat immer mit Lernen zu tun, und zum Lernen kann man Menschen nur schwerlich zwingen. Führungskräfte leisten dabei „Hilfe zur Selbsthilfe“ und haben zudem die Aufgabe, eine lern- und entwicklungsförderliche Kultur zu gestalten. Personalentwicklung kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn die Verantwortung für Selbstentwicklung durch

13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

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folgende Funktionen oder Bereiche angestoßen, eingefordert und unterstützt wird: Unternehmensleitung, Führungskraft und Human Resources Management. An der Personalentwicklung sind also mehrere Stellen im Unternehmen beteiligt. Die Zuordnung und Abgrenzung der Zuständigkeiten ist von der Größe des Unternehmens, vom Stellenwert der Personalentwicklung und weiteren betrieblichen Gegebenheiten abhängig. In kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) ist die Personalentwicklung Aufgabe des direkten Vorgesetzten. Die HumanResource-Management-(HRM-)Abteilung wird sich aufgrund der personellen Beschränkung nicht eigens um die Personalentwicklung kümmern. In größeren Unternehmen hat sich mit der zunehmenden Bedeutung der Personalentwicklung in den letzten 20–30 Jahren ein Trend zur Verlagerung der Verantwortung für Fragen der Personalentwicklung in den Bereich eines professionalisierten HR-Managements ergeben. In letzter Zeit wird jedoch darauf hingearbeitet, die Verantwortung wieder stärker an die Führungskräfte zurückzugeben. Führungskräfte brauchen dazu ein zeitgemäßes Führungsverständnis, das dem Erkennen und Einsetzen von Potenzialen sowie dem Stimulieren von Entwicklungsprozessen bei den Mitarbeitenden und Teams die nötige Aufmerksamkeit schenkt. Mitarbeitende entwickeln und fördern gehört zu den vorrangigen und nicht delegierbaren Aufgaben jeder Führungskraft. Ein gut funktionierendes Human Resources Management kann jedoch eine wertvolle strategische und instrumentelle Unterstützung leisten. Personalentwicklung als Funktion bzw. Abteilung des HRM ist in der Regel für die an den Unternehmenszielen ausgerichtete strategische Personalentwicklung sowie für Weiterbildungen, Trainings, Teamentwicklungen und Coachings zuständig. Und doch: Personalentwickler können den Prozess und die Führungskräfte unterstützen und für Professionalität sorgen, nicht jedoch das Personal entwickeln. Personalentwicklung ist Sache der Führungskräfte. Die Dynamisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt und die damit verbundene Erhöhung der Komplexität der Anforderungen an die Führungskräfte und Mitarbeitende in den unterschiedlichsten Branchen und Organisationsstrukturen führen dazu, dass die Führungskräfte noch vermehrt die Möglichkeiten und Chancen des informellen Lernens aktiv gestalten sollten. Informelles Lernen findet sowieso statt und kann gleichzeitig von den Führungskräften aktiv begleitet, unterstützt und gefördert werden. Es gilt, in Zukunft sowohl die didaktisch organisierten Lernsituationen (formelles Lernen) zu gestalten sowie die unorgani-

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Zuständigkeiten für Personalentwicklung

Mitarbeitende fördern als vorrangige Aufgabe jeder Führungskraft, HRM bietet strategische und instrumentelle Unterstützung

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Informelles und mobiles Lernen als Führungskraft aktiv nutzen und zu einem Führungsthema machen

sierten, teilweise organisierten Lernformen (informelles Lernen), wie z. B. informelle Gespräche, Wikis, Erfa-Lerngruppen usw. miteinander zu verbinden und wenn möglich aufeinander abzustimmen. Führungskräfte haben dabei die Aufgabe, eine lernförderliche Arbeitsgestaltung, Arbeitsumgebung und Arbeitskultur zu gestalten, sodass informelles Lernen gefördert wird und damit das gesamte Lernpotenzial jedes einzelnen Mitarbeitenden für das Unternehmen genutzt werden kann. Arbeitsintegriertes und mobiles Lernen kann dabei ein hilfreicher Ansatz sein (Negri 2016). 13.2.5 Personalentwicklung

als arbeitsplatzbezogene Kompetenzerweiterung

Arbeitsplatzbezogene Personalentwicklung durch Instrumente „on“ und „near the job“: Job Enlargement, Job Enrichment, Job Rotation

13 arbeitsplatzbezogener Lebenszyklus

Phase der Einführung

Wachstumsphase

Es gilt, als Führungskraft den Arbeitsplatz des Mitarbeitenden auch als Lernort zu interpretieren und entsprechend zu gestalten. Im Zentrum der arbeitsplatzbezogenen Personalentwicklung stehen die Instrumente „on“ und „near the job“. So kann zum Beispiel der bisherige Aufgabenbereich des Mitarbeitenden durch weitere, gleichartige Aufgaben erweitert und ergänzt werden (Job Enlargement). Wenn zu vorhandenen Arbeitsaufgaben qualitativ neue hinzukommen, spricht man von Job Enrichment. Job Rotation beinhaltet einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder Aufgabengebietes in geplanter Zeit- und Reihenfolge. Fach- und persönlichkeitsbezogene Entwicklungen können zum Beispiel auch durch die Mitarbeit in Projekten, Qualitätszirkeln, durch Coaching oder durch die Übernahme von Spezialaufgaben gefördert werden. Auch spezifische, berufsbezogene Instrumente „off the job“ wie Aus- und Weiterbildungen oder Kongresse eignen sich als arbeitsplatzbezogene Personalentwicklungsmaßnahmen. Führungskräfte können sich in der Festlegung der Prioritäten der Instrumente in Abstimmung mit den Mitarbeitenden am arbeitsplatzbezogenen Lebenszyklus des Mitarbeitenden orientieren (vgl. Graf 2005, S. 1 ff.). In der Phase der Einführung oder der Übernahme einer neuen Funktion geht es darum, die Mitarbeitenden möglichst rasch in die neue Tätigkeit und Arbeitsumgebung einzuführen. Einführungsprogramme sind dafür sehr geeignet. In der darauf folgenden Wachstumsphase kennen die Mitarbeitenden ihre Aufgabe, können jedoch immer noch dazulernen und sich weiter professionalisieren. Fach- und persönlichkeitsbezogene Entwicklungen on the job wie zum Beispiel die Verbesserung der persönlichen Arbeitstechnik, der gezielte Aufbau eines Netzwerkes, das Halten von Präsentationen bei Anlässen sind mögliche Personalentwicklungsinstrumente. Ebenso eignen sich fach- und persönlichkeitsbezogene Aus- und Weiterbildungen off the job.

13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

In der Phase der Reife schöpfen die Mitarbeitenden das Potenzial der Stelle voll aus und erbringen entsprechend eine hohe Leistung. Hier gilt es, neues Wachstum und Lernen durch beispielsweise Job Enlargement oder Job Enrichment zu ermöglichen. In der Phase der Sättigung nimmt die Leistung ab infolge unterschiedlicher Ursachen wie zum Beispiel eine Veränderung der Arbeitsanforderungen auf Grund der Entwicklung der Mitarbeitenden, Demotivation oder Stress. Die Führungskraft ist hier gefordert, in Zusammenarbeit mit dem Mitarbeitenden die Auslösefaktoren zu analysieren, um mit geeigneten Personalentwicklungsmaßnahmen eine Rückkehr in die Phase der Reife oder des Wachstums zu ermöglichen (vgl. Graf 2005, S. 3) oder nach einem anderen Job zu suchen. Zusätzlich zu den Personalentwicklungsinstrumenten erweist sich ein kooperativer oder delegativer Führungsstil als effektive Maßnahme in Richtung arbeitsplatzbezogener Kompetenzerweiterung. In der Debatte um den „richtigen“ Führungsstil ist bekannt, dass eine hohe Aufgabenorientierung und eine hohe Mitarbeiterorientierung optimale Ergebnisse in Bezug auf die zwischenmenschliche Qualität und die Erbringung von Leistungen ermöglicht. Wenn bei der Aufgabenverteilung individuelle Potenziale berücksichtigt werden, wenn Lernen in der Erfüllung der Aufgabe zugelassen und möglich ist, und wenn Leistungsvorgaben reflektiert und situativ angepasst werden können, dann geraten Leistungsvorgaben und die Entwicklung der Mitarbeiter weniger in Widerstreit. Es ist zweifellos dennoch eine hohe Anforderung, die Entwicklung der Mitarbeitenden und die Leistungserfüllung in Einklang zu bringen angesichts des vorherrschenden Zeit- und Leistungsdrucks. 13.2.6

561

13

Phase der Reife, Phase der Sättigung

kooperativer oder delegativer Führungsstil

Personalentwicklung als individuelle Laufbahnentwicklung

Laufbahnbezogene Personalentwicklung umfasst neben der individuellen Laufbahn des Mitarbeitenden die Sicherung des Nachwuchses an qualifizierten Fach- und Führungskräften aus Sicht des Unternehmens. Die traditionelle Laufbahn oder Karriere im Sinne des kontinuierlichen hierarchischen Aufstiegs ist aufgrund des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels durch ein anderes Karriereverständnis abgelöst worden. Aufwärts‑, Abwärts- und Seitwärtsbewegungen gehören dazu. Verbreitete Laufbahnmodelle sind die Fach‑, Projekt- oder Führungslaufbahn. Führungskräfte können die arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen mit spezifischen Instrumenten anreichern. So kann im Fördergespräch regelmäßig eine Karriere- und Laufbahnplanung festgelegt werden. Für die Fach- und Projektlaufbahn können fachspezifische Weiterbildungen, die Leitung oder Mitarbeit in relevanten Projekten im selben Bereich oder bereichsübergreifend geeignet sein. Für die

Aufwärts‑, Abwärts- und Seitwärtsbewegungen gehören in ein modernes Karriereverständnis

Fach- und Projektlaufbahn, Führungslaufbahn

562

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Führungslaufbahn kann ein gezieltes Vorbereitungsprogramm für eine zukünftige Position beispielsweise mittels Stellvertretung, Job Rotation oder Auslandeinsatz eingeleitet werden. Fach- und Führungsausbildungen und Coachings können angeboten, Mentoren bestimmt werden. Im Zusammenhang mit der Karriereplanung hat die Führungskraft die zentrale Aufgabe, die Ziele des Mitarbeitenden mit den Zielen und auch den Möglichkeiten des Unternehmens abzustimmen. In der Regel gibt es weniger Aufstiegspositionen als Mitarbeitende, die nach Aufstieg streben. Erwartungen und Karriereziele von Mitarbeitenden sollten offen und transparent mit den Einschätzungen der Führungskraft und den Möglichkeiten des Unternehmens in Übereinstimmung gebracht werden. 13.2.7

13

Personalentwicklung im Zeitalter virtueller Arbeitswelten

Die Vorgesetzten wie auch die unterstützenden Bereiche (Personalentwicklung, Bildungsmanagement und das HRM) müssen ihre Rolle und die damit verknüpften Aufgaben überdenken und teilweise neu definieren. Kompetenzorientierung, Selbststeuerung, vernetztes Lernen und sinnvoller Einsatz der Web-2.0-Technologien stehen im Mittelpunkt aktueller Lern- und Weiterbildungskonzepte. Die Führungskräfte müssen lernen, den Mitarbeitenden bei der Umsetzung ihrer Aufgaben Freiräume zu gewähren und damit vermehrt Kontrolle abzugeben. Dies ist überhaupt kein neues Phänomen, gewinnt jedoch im Zeitalter der Arbeitswelt 4.0 stärker an Bedeutung. Neuere Führungsansätze wie Open Leadership, transformationale Führung und Responsible Leadership nehmen sich diesem Thema an (Negri 2016). Führungskräfte sind zudem auch die wichtigsten Unterstützer bei der Umsetzung von Gelerntem in formalen Bildungsangeboten ins Arbeitsumfeld. Verschiedene Studien der Lerntransferforschung weisen in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des unmittelbaren Arbeitsumfeldes hin (Negri 2012). Damit der Transfer gelingt, müssen Organisationen offen sein für neue Inputs und Herangehensweisen, die die Teilnehmenden mitbringen, und Ressourcen wie Zeitfenster für die Anwendung des neu vorhandenen Know-hows bereitstellen. Insbesondere die Unterstützung der Vorgesetzten kann wesentlich zum „Dranbleiben“ beitragen. Diese Unterstützung können sie leisten, indem sie beispielsweise an der Weiterbildung Interesse zeigen oder die Aufgabenfelder der Mitarbeitenden entsprechend derer neu erworbenen Kompetenzen erweitern. Auch Gespräche zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten, in denen verbindliche Transferziele festgelegt oder Aktionspläne erarbeitet werden, sind viel versprechende Maßnahmen, um der Umsetzung die notwendigen Impulse zu verleihen. Führungskräfte werden in diesem Sinn vermehrt dazu aufgefordert, neben Führungs- und Managementaufgaben auch die Aufgabe einer professionellen Mit-

13.2  •  Personalentwicklung als Führungsaufgabe

563

13

arbeitendenentwicklung zu übernehmen (Seufert et al. 2013; Negri 2012). Diese Anforderung ist nicht neu, gewinnt jedoch auf Grund der neuen technologischen Möglichkeiten an Bedeutung. Führungskräfte werden (wie schon mehrfach erwähnt) zu Lernpromotoren und zu Gestaltern von Lernprozessen am Arbeitsplatz. Die Personalentwickler und -entwicklerinnen sowie die Bildungsmanager und -managerinnen haben dabei die Rolle der Berater und Beraterinnen der Führungskräfte. Sie unterstützen Führungskräfte konzeptionell sowie methodisch und begleiten sie bei der Umsetzung. Es gilt, gemeinsam eine geeignete Mischung von On‑, Off- und Near-the-jobLernen sowie von informellem und formalem Lernen zu entwickeln. Die Individuen lernen dabei primär selbstgesteuert, und das Lernen wird von den Vorgesetzten, Peers, neuen Medien und den Bildungsprofis unterstützt (Negri 2016). Zusammenfassung

Zusammenfassung

Personalentwicklung umfasst die systematische Forderung und Förderung der Mitarbeitenden im Hinblick auf die erforderlichen Qualifikationen für die heutigen und zukünftigen Aufgaben. Personalentwicklung erfordert von den Mitarbeitenden Selbstverantwortung und Initiative, die allerdings nur dann fruchtet, wenn die Unternehmensleitung, die Führungskraft wie auch das Human Resources Management sich grundsätzlich für die Personalentwicklung entscheiden, diese einfordern und unterstützen. Personalentwicklungsmaßnahmen greifen von der Einführung in einen neuen Aufgabenbereich („into the job“) bis hin zur Begleitung auf die Pensionierung oder einer Trennung („out of the job“). Führungskräfte spielen für die Maßnahmen on, near und along the job eine Schlüsselrolle. Die individuellen Entwicklungsziele und geeigneten Maßnahmen des Mitarbeitenden sind in den Zielvereinbarungsprozess eingebunden. Für die Vereinbarung und Festlegung der Ziele und Maßnahmen dient das Fördergespräch. Je nach Ausrichtung der Maßnahmen können arbeitsplatzbezogene oder laufbahnbezogene Instrumente hilfreich sein. Ihre Auswahl orientiert sich am Entwicklungsziel und am Lebenszyklus (bezogen auf die Tätigkeit des Mitarbeitenden). Führungskräfte werden im Zeitalter der Digitalisierung noch stärker zu Unterstützer/innen von Lernen am Arbeitsplatz und sollten dafür sorgen, dass eine lern- und entwicklungsorientierte Arbeits- und Lernatmosphäre geschaffen wird.

-

Fragen zur Vertiefung Vereinbaren Sie mit Ihren Mitarbeitenden individuelle Entwicklungsziele und -maßnahmen?

Fragen zur Vertiefung

564

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

13.3

Stützen Sie sich dabei auf die Leistungs- und Potenzialbeurteilung? Wie können Sie Ihre Mitarbeitenden noch gezielter fordern und fördern? Wie können Sie das Fördergespräch mit dem Mitarbeitenden optimieren? Nutzen Sie Personalentwicklungsmaßnahmen wie die Übertragung herausfordernder Arbeitsaufgaben, Gruppenund Projektarbeiten? Welche in diesem Artikel aufgezeigten Maßnahmen könnten Sie künftig nutzen?

Mitarbeitende beurteilen

Birgit Werkmann-Karcher Auf einen Blick

Auf einen Blick Die Mitarbeiterbeurteilung stellt eine formale Bewertung individueller Arbeitsleistung in einer zurückliegenden Periode dar. Sie ist ein wichtiges Führungsinstrument und sie liefert Grundlagen für Entscheidungen über Honorierung, Entwicklung und Beschäftigung. Jeder Beurteilungszyklus gründet auf Instrumenten und Prozessschritten, die der Sicherung und Steigerung von Leistung dienen sollen. Sie leiten sich aus einem Verständnis von erfolgsrelevanter Leistung Mitarbeitender und von erfolgreicher Leistungssteuerung in der Organisation ab. Beides bildet sich in der Ausgestaltung des Beurteilungsinstruments ab. Die wirksame Einbindung von Beurteilungen in die Führungsaufgabe ist anforderungsreich. Das Wissen über das Instrument selbst, die Bedeutung von Genauigkeit und Gerechtigkeit sowie die Gestaltung wirkungsvoller Leistungsfeedbacks stehen im Mittelpunkt des Kapitels.

13

13.3.1

Grundlagen und Systematik der Mitarbeiterbeurteilung

Einordnung der Mitarbeiterbeurteilung im Human Resource Cycle Definition 

Definition: Mitarbeiterbeurteilung

Unter einer Mitarbeiterbeurteilung versteht man die systematische und schriftlich dokumentierte Bewertung individueller Arbeitsleistung, die sich summarisch auf eine zurückliegende Arbeitsperiode bezieht. 

565

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

13

Honorierung

Selekon

Leistung

Beurteilung

Entwicklung

..Abb. 13.18  Human Resource Cycle. (Nach Fombrun et al. 1984, S. 41, variierte Darstellung und Übersetzung der Autorin, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons)

Durch die Bewertung der Arbeitsleistung soll zukünftiges Leistungsverhalten optimal beeinflusst bzw. gesteuert werden. Eine solche Verhaltenssteuerung kann in Organisationen auf zwei Wegen erfolgen: auf direktem Weg über die Personalführung oder auf indirektem Weg über die Gestaltung von Rahmenbedingungen, die durch HRM-Systeme kreiert werden. Linienvorgesetzte und HR-Managerinnen und –Manager spielen oft eine koagierende Rolle der Art, dass die Linienführung im gesamten Human Resource Cycle (. Abb. 13.18) die HR-Prozesse umsetzt und die HR-Instrumente darin zum Einsatz bringt. Die im Modell aufgeführten Elemente sind Bestandteile eines Zyklus, der die Kernprozesse des HRM vereinfacht beschreibt: Am Anfang steht die Auswahl geeigneter Personen, die schließlich als Mitarbeitende ihre Leistung innerhalb der Gesamtziele der Organisation erbringen. Diese Leistung wird beurteilt bzw. bewertet, woraus sich Konsequenzen für die Honorierung und die Entwicklung des Mitarbeitenden ergeben. Innerhalb dieses Zyklus nimmt die Beurteilung eine zentrale Position ein, Honorierung und Entwicklung schließen sich als Folgeprozesse an. Leistungsbeurteilung wird oft als Teil eines umfassenden „Performance Management“ – Prozesses verstanden. Dieser konzentriert sich auf eine ganzheitliche Gestaltung des Leistungsmanagements, zu dem neben der Leistungsbewertung auch die Honorierung und letztlich alle Maßnahmen zur Verbesserung von Leistung zählt. Performance Management kann als System betrachtet werden, „… durch das eine Organisation ihre Ziele setzt, Leistungsstandards definiert, Arbeit zuteilt und bewertet, Leistungsfeedback gibt, Trainings- und Entwicklungsbedarfe feststellt und Belohnung verteilt“ (Briscoe und Claus 2008; Übersetzung der Autorin).

..Abb. 13.17  © 2018 by Tobias Leuenberger

566

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Leistungshonorierung (materiell)

Personalentscheidungen

Variable Vergütungsanteile, Grundlohnerhöhung

z.B. Beförderung, Versetzung, Kündigung

Leistungsbeurteilung Personalentwicklung Qualifizierungsbedarf, Förderungsmaßnahmen, Lauahngestaltung

Führung Informaon, Kommunikaon, Rückmeldung

..Abb. 13.19  Zwecke einer Leistungsbeurteilung

Gegenstand und Zweck der Beurteilung

Leistungsbeurteilungen sind eine Bezugsgröße für die Leistungsvergütung

13

Gegenstand der Beurteilung ist die individuelle Arbeitsleistung, die eine Person in ihrer Funktion erbringt. Die Bezeichnung „Leistungsbeurteilung“ gilt unterdessen als gebräuchliches Substitut für „Mitarbeiterbeurteilung“ oder auch „Personalbeurteilung“ und wird in diesem Kapitel fortan verwendet. Die Leistungsbeurteilung dient mehreren Zwecken (. Abb. 13.19). Als lohnrelevantes Instrument bildet die Leistungsbeurteilung eine Bezugsgröße für Leistungsvergütung. Mitarbeitende werden für ihre Arbeitsleistung honoriert. Dadurch ergibt sich die Notwendigkeit, diese Leistung festzustellen und zu bewerten, um eine faire Vergütung zu realisieren. Das Grundgehalt drückt zunächst einmal aus, wie eine Person auf einer Stelle für das Erbringen einer anforderungsbezogenen Normleistung vergütet werden soll. Abweichungen nach oben oder unten im Falle von Mehr- oder Minderleistung sollen im Beurteilungsprozess festgestellt werden und dann auch Lohnrelevanz haben. Wie stark das Leistungsprinzip im jeweiligen betrieblichen Honorierungssystem Eingang gefunden hat, lässt sich an den finanziellen Konsequenzen messen, die an die Leistungsbewertung gekoppelt sind. So sind vielerorts neben dem Grundgehalt variable Vergütungsanteile vorgesehen, deren Spanne einer neueren Studie (Kampkötter et al. 2015) in Deutschland zufolge von 0–200 % mit einem Durchschnitt bei 14 % (Mitarbeitende ohne Führungsverantwortung) bzw. 18 % (Mitarbeitende mit Führungsverantwortung) beträgt. Andere Formen der Vergütung neben dem Grundlohn wie Erfolgsbeteiligungen sind in der Regel ebenso wie die variable individuelle Vergütung an festgestellte Leistungserfüllung gebunden. Die Praxis der Bonuszahlungen als individuelles Anreiz- und Belohnungssystem ist in den letzten Jahren stark hinterfragt worden, nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Bankenkrise. Am Beispiel der Verwendung objektiver, Output orientierter Leistungskriterien wie Umsatzzahlen wurde deutlich, dass kurzfristige Erfolge mittel- und langfristige, unerwünschte Effekte nach sich

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

567

13

..Tab. 13.3  3 Ebenen des Feedbacks nach Schuler (2004, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe) Beurteilungsebenen

Beschreibung

Day-to-day-Feedback

Rückmeldung zum Leistungsverhalten am konkreten Beispiel aus dem Tagesgeschäft heraus (situative Feedbacks)

Regelbeurteilung

Systematische und summarische, formale Gesamtbewertung der Leistung in einer Arbeitsperiode (typischerweise Jahresbeurteilung, eingebettet im Gespräch)

Potenzialbeurteilung

Einschätzung von vorhandenen, aktivierbaren Fähigkeiten im Hinblick auf Laufbahnplanung (typischerweise durch PotenzialAssessment)

ziehen können und insofern manche Leistungsindikatoren zu Fehlincentivierungen führen können. Diese Erfahrungen legen eine kritische Überprüfung der Anreizgestaltung von Zeit zu Zeit nahe. Als Führungsinstrument erfüllt die Leistungsbeurteilung Funktionen wie Information, Kommunikation und Feedback. Die Kommunikation über Geleistetes und Erreichtes wie über zukünftige Herausforderungen und Ausrichtungen stellt einen wichtigen Beitrag zur Einbindung in die Organisation dar. Das Besprechen der Erwartungen, das sich an die Beurteilung anschließt, dient der Information und Orientierung. Leistungsmaßstäbe können so bekräftigt oder neu festgelegt werden. Ziele werden geklärt und machen Ausrichtung und Beitrag im Rahmen der Organisationsstrategie deutlich. Mit der Bewertung des Geleisteten wird gleichzeitig eine klare Rückmeldung vermittelt. Sie kann mit Hinweisen auf Verbesserungsmöglichkeiten für zukünftiges Handeln nutzbar gemacht werden. Mitarbeitende erfahren auf diese Weise, wo Stärken und Lernfelder gesehen werden. Diese Hinweise sollen für die persönliche Entwicklung genutzt werden. Korrektives wie auch bestätigendes Feedback an den Mitarbeitenden sollen allerdings nicht nur und nicht erst im Beurteilungsgespräch auf den Tisch gebracht werden. Es gibt einen Unterschied in der Qualität zwischen Rückmeldungen im Tagesgeschäft („dayto-day“) und summarischen Zusammenfassungen im Beurteilungsgespräch, wie die Darstellung in . Tab. 13.3 verdeutlicht. Rückmeldungen im Tagesgeschäft sind zeitnah und konkret beschreibend möglich, womit Bedingungen für die Wirksamkeit von Feedback im Sinne des Lernens und der Entwicklung stärker gegeben sind als beim summarischen Feedback im Langzeitrückblick. Die erlebte Fairness und Akzeptanz vor allem kritischer Bewertungen hängt nicht nur, aber auch von der Realisierung vorheriger Day-to-day-Feedbacks ab.

Leistungsbeurteilungen vermitteln Information und Feedback

568

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Beispiel Day-to-day-Feedback

Beispiel

Mit Day-to-day-Feedbacks sind die alltäglichen Rückmeldungen gemeint, die in einem Satz Platz finden können („Wie du diese angespannte Situation vorhin in der Sitzung durch deine vermittelnden Worte geglättet hast, war sehr diplomatisch und wirkungsvoll.“). Wenn die Rückmeldung kritischer ist, ist eine ausführlichere Beschreibung nötig, die dennoch am gleichen oder spätestens nächsten Tag Platz finden sollte („In der Sitzung heute hast du deinem Kollegen einige Male das Wort abgeschnitten und deine Idee in den Vordergrund gestellt. Danach kam der Erfahrungsaustausch nicht mehr in Gang. Achte bitte in den nächsten Besprechungen darauf, das einmal anders zu machen.“). Leistungsbeurteilungen bilden eine Basis für Personalentwicklung

13 Personalentscheidungen stützen sich auf die dokumentierte Leistungsbeurteilung

Mit Leistungsbeurteilungen werden verschiedene, oft konfligierende Zwecke verfolgt

Als Entwicklungsinstrument liefert die Leistungsbeurteilung Informationen für die Personalentwicklung Durch den Abgleich zwischen den Anforderungen in der betreffenden Funktion und deren Erfüllung werden Differenzen in Form von Stärken und Schwächen sichtbar. Im Gespräch werden Maßnahmen gesucht, mit denen man als Beitrag zur Personalentwicklung (7 Abschn. 13.2) auf diese Differenzen reagiert. Das vereinfachte Prinzip lautet: Sind die Anforderungen höher als die beurteilte Leistung, hat man es mit einem Lern- und Entwicklungsfeld zu tun, wofür Unterstützung durch On‑, Near- oder Off-thejob-Maßnahmen wie z. B. Aufgabengestaltung, Mentoring oder Training gefragt ist. Sind die Leistungen höher als die Anforderungen, hat man es mit ungenutzten oder nicht optimal ausgeschöpften Potenzialen zu tun, und man wird über neue herausfordernde Aufgaben nachdenken, in denen der Mitarbeitende seine Kompetenzen vollumfänglicher einsetzen kann. Hier findet sich die Verbindung zur Laufbahn- und Nachfolgeplanung. Als Leistungsdokumentationsinstrument wird die Leistungsbeurteilung für Personalentscheidungen herangezogen. Leistungsbeurteilungen als dokumentierte Leistungsausweise sind Bestandteil der Personalakte und werden häufig gemäß betrieblichem Reglement als Voraussetzung gefordert, wenn Beförderungs‑, Versetzungs- oder auch Kündigungsabsichten vorhanden sind. Die verschiedenen Zwecke der Beurteilung stehen zum Teil miteinander in Konflikt. Während es im Falle der Leistungshonorierung taktisch klug wäre, sich möglichst selbstunkritisch und frei von jeglichen Entwicklungsnotwendigkeiten darzustellen, um für ein sehr gutes Rating und folglich eine möglichst hohe Vergütung zu verhandeln, sollte man sich selbstkritisch gegenüber den eigenen Entwicklungsfeldern zeigen können, um als lernende Person von unterstützenden Maßnahmen profitieren zu können. Auch auf Beurteilerseite sind getroffenen Entscheidungen gefordert: eher

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

569

13

überzeugend bei Vergütungsentscheidungen, eher dialogisch und erforschend bei Entwicklungsthemen. Aufgrund derlei Überlegungen wird in der Praxis häufig eine Aufteilung der Leistungsbeurteilung realisiert: Die Beurteilung der Zielerreichung im Sinne einer rein Output orientierten Leistungsbeurteilung, wie sie innerhalb eines MbO-Prozesses (7 Abschn. 15.1) üblich ist, wird in der Regel zum Ende des Jahres durchgeführt. Hierauf basieren Honorierungsentscheidungen. Davon zeitlich abgesetzt, findet eine Kompetenzeinschätzung mit dem Fokus Personalentwicklung statt. Beide Zwecke werden damit auf der Prozessebene separiert, indem sie in verschiedenen Gesprächen bedient werden.

Kriterienwahl für Leistungsbeurteilungen Arbeitsleistung kann anhand unterschiedlicher Kriterien beurteilt werden, die als Leistungsindikatoren Eigenschaften, Verhalten oder Ergebnisse repräsentieren. Das wird im folgenden Beispiel erläutert: Beispiel

Ein Außendienstmitarbeiter einer Motorsägenfirma erzielt einen Jahresumsatz von 300.000.- CHF. Das Ergebnis seines Arbeitshandelns ist der erzielte Umsatz oder eine gewisse Anzahl verkaufter Geräte pro Kalenderjahr oder auch die Anzahl der Kundenbesuche pro Kunden. Zum Verhalten, das diese Verkäufe ermöglicht, könnte man zählen: Kunden kontaktieren und besuchen, bei jedem Besuch ein neues Gerät demonstrieren, jeden Kundenbesuch mit einer verbindlichen Vereinbarung/Verabredung abschließen, jedes Verkaufsargument auf die Situation des Kunden zuschneiden usw. Der Input, der wiederum einen Teil des beschriebenen Handelns ermöglicht, könnte eine gut ausgeprägte Überzeugungsfähigkeit sein, daneben aber auch: Kenntnisse der aktuellen Firmen-Modellpaletten, etwas Agrokulturwissen, Kontaktfähigkeit, Fahrkenntnisse – dokumentiert durch den Besitz eines Führerscheins – usw. All dies und mehr ermöglicht das Verhalten, das schließlich – und nur unter günstigen Kontextbedingungen wie einer guten Konjunkturlage und einer hinreichend großen Landwirtschaftsdichte – zu den gewünschten Ergebnissen führt.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass Überzeugungsfähigkeit eine für die Leistung im Außendienst wichtige und deshalb zu beurteilende Eigenschaft ist, würde der Begriff höchst verschiedene Assoziationen bei verschiedenen Beurteilern hervorrufen. Damit wäre sie möglicherweise ein relevantes, gleichzeitig aber ein sehr subjektives Kriterium. Die Verhaltensbeispiele, die Überzeugungsfähigkeit anzeigen könnten, sind zwar konkret und würden von verschiedenen Beurteilern – den Zugang zur Beobachtung

Beispiel Leistungsbeurteilungen

570

13

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

vorausgesetzt – vermutlich annähernd gleich beurteilt werden. Verhaltensindikatoren wären also die objektiveren Kriterien. Zusammen mit der Beurteilung könnte man dem fiktiven Außendienstmitarbeitenden aufgrund der Verhaltensbeschreibungen auch sehr konkrete Rückmeldungen geben und dadurch bereits Optimierungsmöglichkeiten anregen. Ob die aufgeführten Verhaltensweisen aber tatsächlich mit guter Leistung in hinreichendem Zusammenhang stehen, müsste vorweg geklärt werden. Der Konstruktionsaufwand für eine Leistungsbeurteilung anhand von validen Verhaltenskriterien ist also groß. Eine Leistungsbeurteilung unter Bezugnahme auf Ergebnisindikatoren ist die dritte, die unaufwändigste und für eine Außendienstfunktion wohl wahrscheinlichste Bewertungsvariante. Der Umsatz im Betreuungsbereich in Bezug auf eine Vorgabe oder im Vergleich mit Kollegen mit ähnlich großen Betreuungsbereichen ist eine gebräuchliche Basis für Zielvereinbarungen. Gleichzeitig lässt sich daran das Problem der Kriteriumskontaminierung (Lohaus und Schuler 2014) verdeutlichen, also die Verunreinigung eines Beurteilungskriteriums durch andere einwirkende Größen, die man nicht beurteilen möchte. So hängen im Außendienst Umsätze in Betreuungsbereichen auch davon ab, wie viele Kunden mit welcher Umsatz- bzw. Kaufkraft dort vertreten sind, wie viele davon von früheren Vorgängern schlecht gepflegt und daher erst noch zurückgewonnen werden müssen, wie viele Konkurrenzangebote gerade auf dem Markt sind, wie gut die eigene Entwicklungsabteilung das Produkt den Kundenwünschen anpasst usw. Beurteilungskriterien auf der Basis von Ergebnisindikatoren sind deshalb selten so objektive und faire Indikatoren für individuelle Leistung, wie ihre Prägnanz aufgrund harter Zahlen suggerieren mag, weil sie eine hohe Kontaminierung aufweisen. Zusammenfassend werden die Vor- und Nachteile der Leistungsindikatoren in . Tab. 13.4 dargestellt. Selbstreflexion Überlegen Sie bezogen auf Ihre eigene Funktion, welche Indikatoren eine gute Leistung anzeigen. Wie stehen in Ihrem Beispiel Input mit Verhalten und Ergebnis im Zusammenhang? Welche der Kriterien sind aus Ihrer Sicht in Ihrem Verantwortungsbereich am besten geeignet, um Leistung fair zu beurteilen? Vermutlich wird Ihre Leistung auch anhand von Ergebniskriterien beurteilt. Wie stark spiegeln diese Kriterien Ihre alleinige Leistung wider? Welche Beiträge aus dem Umfeld spielen ebenfalls beim Zustandekommen der Ergebnisse eine Rolle? Wie könnte man dieser Kontextabhängigkeit im Sinne einer fairen Beurteilung Rechnung tragen?

-

571

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

13

..Tab. 13.4  Vor- und Nachteile verschiedener Leistungsindikatoren (vgl. Lohaus und Schuler 2014), mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe Leistungsindikator auf der Ebene:

Eigenschaften

Verhalten

Ergebnis

Beispiel

Überzeugungsfähigkeit

Schneidet Verkaufsargumente auf die Kundensituation zu

Umsatz

Vorteil

Hohe General­isierbarkeit über einzelne Situationen hinweg

Konkrete und anschauliche Beschreibungen, Anleitungscharakter

– Klare, den Organisationszielen sehr nahe liegende Zahlen, Daten, Fakten – einfach festzulegen

Nachteil

Stellt personen­bezogene Bewertung dar; fehlende entwicklungsorientierte Feedbackmöglichkeit aufgrund fehlender Verhaltensbeschreibung

– Hoher Aufwand in der Auswahl (Anforderungsanalyse) und Beschreibung erfolgsrelevanter Verhaltensweisen – Fokussierung auf direkt erfolgsrelevante Verhaltensweisen

Zustandekommen der Indikatoren kann nicht zuverlässig auf die Leistung des Mitarbeitenden zurückgeführt werden, hohe Kontextabhängigkeit (Stichwort: Kriteriums­ kontaminierung)

Ob man nun anhand von Eigenschaften, Verhalten oder Ergebnis bzw. in einer Mischform beurteilt entscheidet sich aufgrund der Zielsetzung der Leistungsbeurteilung als Steuerungsinstrument in der jeweiligen Organisation und unter Beachtung der Natur der Arbeit in den zu beurteilenden Funktionen. Empfehlenswert sind aus Fairnessgründen immer Leistungsindikatoren, die zu einem sehr großen Teil durch die beurteilte Person beeinflusst und kontrolliert werden können.

Beurteilungsverfahren Beurteilungsverfahren sind „… Messinstrumente, die eines oder mehrere Leistungskriterien abbilden“ (Landy und Farr 1980, S. 446). Die in der Praxis gebräuchlichsten werden nun beschrieben:

Zielorientierte Verfahren Die zielorientierte Leistungsbeurteilung ist eine weit verbreitete Verfahrensform. Für die Bewertung von Leistungsergebnissen bedarf es keiner Übersetzung in Anforderungskriterien. Das Beurteilungskriterium besteht in der Regel in einer bzw. mehreren Zielsetzungen, deren Bezugsgrößen vorgeordnete Organisations‑, Bereichs- oder Abteilungsziele sind. Die Zielerreichung wird auf einer Beurteilungsskala in Prozent der Zielerreichung oder in Kategorien der Erfüllung bewertet. Externe Einflüsse, die eine volle Zielerreichung erschwert haben, können angeführt und im Bewertungsergebnis berücksichtigt werden.

572

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Kriterienorientierte Einstufungsverfahren

Im Einstufungsverfahren werden Mitarbeitende unter Bezugnahme auf Eigenschafts‑, Verhaltens- oder Ergebniskriterien dahingehend eingeschätzt, in welchem Maße sie über eine Eigenschaft verfügen, kriteriumrelevantes Verhalten zeigen, oder ein Leistungsergebnis erreicht haben. Einfache Einstufungsskalen sind numerisch angelegt (z. B. Skala von 1–5), komplexere Skalen umschreiben im Dienste objektiverer Urteile jede Skalenausprägung mit Verhaltensbeispielen (= BARS, „behaviorally anchored rating scales“). In letzterem Fall beschreibt die Maximalausprägung das ideale Verhalten eines sehr guten Stelleninhabers in Bezug auf das jeweilige Kriterium. Diese Einschätzungen sind nicht vergleichend angelegt, sie lassen die Einstufungen anderer Mitarbeitender im jeweils selben Kriterium außer Acht. Um einer Häufung positiver Gesamtbeurteilungen vorzubeugen, wird allerdings oft für größere organisatorische Einheiten eine bestimmte Verteilung zum Beispiel nach dem Modell der GaußNormalverteilung verlangt („forced distribution“). Eine Sonderform des Einstufungsverfahrens ist das Rangordnungs- bzw. Zwangswahlverfahren („forced choice“). Hier werden Mitarbeitende gemäß eines Kriteriums, meist ihrer Gesamtleistung, in Bezug zueinander gesetzt und so eine Reihenfolge vom leistungsstärksten bis leistungsschwächsten Mitarbeitenden erstellt. In stark leistungsorientierten Organisationskulturen ist diese Form gebräuchlich. Sie stößt aufgrund des starken Wettbewerbs- und Selektionscharakters bei Mitarbeitenden und auch bei Führungskräften meist auf Ablehnung.

13

Freie verbale Beschreibung Die freie verbale Beschreibung der Arbeitsleistung, angereichert mit einer Einschätzung der Stärken, der Lernfelder und der Entwicklungspotenziale, ist die flexibelste Beurteilungsform. Das Mitarbeitergespräch ist in diesem Verfahren zentral und umfasst die freie Mitteilung der Einschätzungen und einen offenen Austausch zwischen Fremd- und Selbstbild. Das weitgehende Fehlen strukturierter Elemente wie vorgegebener Beurteilungskategorien ist dazu angetan, dem Beurteilungsverfahren größtmögliche Individualität zu verleihen. Das Machtungleichgewicht, das im Akt des Bewertens am deutlichsten zum Ausdruck kommt, tritt kaum in Erscheinung, sodass das Gespräch von großer Offenheit und einem freien Fluss von Feedback profitiert. Gleichzeitig aber ist dieses Beurteilungsverfahren nicht standardisiert. Mangels Standardisierung der Beurteilungskategorien ist es nicht vergleichbar, weder hinsichtlich der Leistungsbewertung des betreffenden Mitarbeiters über die Zeit noch zwischen Mitarbeitern. Qualitätsansprüche auf ein objektives, gerechtes und transparentes Beurteilungssystem werden kaum befriedigt. Zudem sind freie Beschreibungen nicht passgenau in

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

systematische Personalmanagementlösungen überführbar, die vor allem in größeren Organisationen etabliert sind. Das mag der Hauptgrund dafür sein, dass die freie verbale Beurteilung nicht sehr weit verbreitet ist. Man findet sie in kleinen Organisationen, die wegen zu geringen Bedarfs oder aus Akzeptanzgründen kein standardisiertes Beurteilungssystems entwickeln, und man setzt sie durchaus auch in größeren Firmen für die Beurteilung der höheren Führungskräfte ein (Marcus und Schuler 2006).

Wer soll beurteilen? – Beurteilungsquellen Die Leistungsbeurteilung wird klassischerweise von der direkt vorgesetzten Führungskraft erstellt und kommuniziert. Sie ist ein zentrales Instrument in der direkten Führung. Die Beurteilung durch direkte Vorgesetzte besitzt daher grundsätzlich hohe Akzeptanz auf beiden beteiligten Seiten, kann aber bei eingeschränkter alltäglicher Zusammenarbeit einen Mangel an solider Beobachtungsgrundlage aufweisen. Dadurch kann die Feedback- und Entwicklungsfunktion der Beurteilung geschwächt werden. Diese Lücke könnten wiederum Peer-Beurteilungen sehr gut schließen. Allerdings entspricht diese Beurteilungspraxis noch nicht weit verbreiteten Gepflogenheiten. Peers werden im Rahmen von 360-Grad-Feedbacks mit explizitem Entwicklungsziel zwar regulär befragt (vgl. 7 Abschn. 13.2). Für Leistungsbeurteilungszwecke zeigen sich aber zumindest in Laborsettings assoziierte Probleme der erwartbaren Art: Negatives Peerfeedback geht mit niedrigerer Leistung, Zufriedenheit und Kohäsion in einer Folgeaufgabe einher, während positives Feedback keine signifikanten Verbesserungen nach sich zieht (Cropanzano et al. 2007). Auch zu vermutende Freundschaftsurteile aufgrund kollegialer Bindungen dürften die Akzeptanz dieser Urteilsquelle mindern. Daher sollte Peerfeedback eher in Ergänzung zu anderer Quellen eingesetzt werden und sich immer auf klare Leistungskriterien beziehen (DeNisi, Randolph, & Blencoe, 1983). Im Zuge der Entwicklungsorientierung in der Leistungsbeurteilung wurden als weitere mögliche Quellen die Kunden identifiziert. Wo regelmäßig Kundenfeedbacks erhoben und einzelnen Mitarbeitenden zugeordnet werden können, fließen sie mitunter in die Leistungsbeurteilung ein. Man sollte mit dem Einbezug dieser Urteilsquelle vorsichtig umgehen, da sich im Prozess des Zustandekommens dieser Urteile weitere Faktoren wie Zufriedenheit mit dem Gesamtprodukt und mithin wieder eine hohe Kriterienkontamination niederschlagen. Selbstbeurteilungen sind eine weitere Quelle, die im Prozess der Leistungsbeurteilung häufig integriert werden. Der Vorteil bei der Integration dieser Urteilsquelle liegt darin, dass die Beurteilung aus der Vorgesetztenperspektive dann nicht eine einseitige Urteilsverkündung darstellt, sondern einen Austausch der Perspektiven ermöglicht und anregt.

573

13

574

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Praktische Ausgestaltungen des Beurteilungsinstruments

Eine standardisierte Leistungsbeurteilung wird immer mit Hilfe eines Beurteilungsinstruments durchgeführt. Zu den üblichen thematischen Bestandteilen eines solchen zählen: Feststellung von Zielerreichung (Ergebnis und/oder Verhalten), Vereinbarungen von Zielsetzungen in der kommenden Periode, Einschätzung von Kompetenzen, Feststellung von Entwicklungsfeldern, -perspektiven, -zielen und unterstützenden Maßnahmen, Vorgesetztenfeedback/Zusammenarbeitsfeedback und Gesamtbeurteilung.

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13

Obwohl es nicht immer möglich und sinnvoll ist, konkrete Ziele im Sinne des Führens durch Zielvereinbarungen (7 Kap. 15) für jede Funktion festzulegen, erfreut sich das Führen mit Zielen als ein Bestandteil der Leistungsbeurteilung ungebrochener Beliebtheit. So resultiert häufig ein Teil der Leistungsbeurteilung aus dem MbOZyklus der Zielvereinbarungen – Zielüberprüfungen – Zielerreichungsbeurteilung und ist eingebettet in ein Zielvereinbarungsund Beurteilungsgespräch. Eine weitere Grundlage, die ergänzend oder auch alleinstehend Verwendung findet, ist die Beurteilung von Eigenschaftsoder Verhaltenskriterien, verkürzt meist Kompetenzbeurteilung genannt. Bezüge zu existierenden Kompetenzmodellen schlagen sich darin nieder. Diese Beurteilung liefert Feedbacks und Hinweise auf Entwicklung und Förderung von Kompetenzen, mitunter auch auf die Potenzialentwicklung, sodass hiermit die Entwicklungsperspektive in einem Entwicklungsgespräch thematisiert wird. Die Rückmeldung an die vorgesetzte Führungsperson zur erlebten Führung, Unterstützung, Förderung und Zusammenarbeit wird als Vorgesetztenfeedback oft ebenfalls in das Beurteilungssystem integriert. Aber auch hier gibt es Formen der Auslagerung dieser Funktion in einen gänzlich gesonderten Prozess, der mitunter auch mit anonymen Rückmeldungen operiert. Um die zum Teil inkompatiblen Beurteilungszwecke auseinanderzuhalten und eine möglichst effektive Gesprächsführung zu realisieren, werden häufig komplexe All-in-One-Mitarbeitergespräche über den Ablauf einer Beurteilungsperiode hinweg in beschriebener Weise (7 Abschn. 13.3.1 „Gegenstand und Zweck der Beurteilung“) segmentiert. Nach wie vor gibt es daneben aber auch die Praxis des umfassenden, einmal jährlich stattfindenden Mitarbeitergesprächs.

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

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Beurteilungsfehler und Gerechtigkeit im Beurteilungsprozess

Leistungsbeurteilungen sind aufwändig und müssen daher effektiv sein, indem sie zur Verbesserung der Leistung des Einzelnen beitragen. Das wiederum setzt voraus, dass sie Informationen beinhalten, die der beurteilten Person helfen, die Bedeutung ihrer Leistungsbeiträge innerhalb der Organisation besser zu verstehen, sie mit oder ohne Unterstützung allenfalls optimieren zu können und sich dadurch weiterzuentwickeln. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist wiederum die Wahrnehmung der Beurteilung als gerechte Beurteilung, sodass die vermittelten Informationen als relevant und gültig akzeptiert und dadurch überhaupt erst lernträchtig werden können. Zunächst hat man sich lange Zeit mit der Qualität von Leistungsbeurteilungen beschäftigt, indem man die Gütekriterien psychologischer Messungen an Leistungsbeurteilungen angelegt und verfolgt hat: Objektivität, Reliabilität, Validität und Genauigkeit (Lohaus und Schuler 2014). Objektivität wird als Unabhängigkeit der Beurteilung von der Person des Beurteilers verstanden. Kommen verschiedene Beurteiler zum selben Ergebnis, liegt eine hohe Objektivität vor. Bei quantitativen Ergebniskriterien wie Umsatzzahlen ist dies gegeben, ebenso bei eindeutig beschriebenen, beobachtbaren Verhaltensweisen. Wenn hingegen abstrakte Eigenschaften beurteilt werden sollen, kommt ganz zwangsläufig Subjektivität ins Spiel, wie die sozialpsychologische Forschung zu Personenwahrnehmung und -beurteilung zeigt (vgl. Frey und Greif 1997). Reliabilität wird als Zuverlässigkeit einer Messung verstanden, die z. B. dann gegeben ist, wenn zu verschiedenen Zeitpunkten dasselbe gemessen werden kann. Mit Validität wird die Gültigkeit eines Ergebnisses bezeichnet, d. h. das, was gemessen wird, soll auch das sein, was man messen wollte. Dies hängt stark davon ab, ob man passende Indikatoren für die jeweilige berufliche Leistung finden kann, die diese gut abbilden können. Beispiel

So wäre im Fall einer ergebnisorientierten Leistungsbeurteilung zu überlegen, ob die Anzahl der Kundengespräche, die Anzahl abgeschlossener Verträge oder die Betragshöhe der abgeschlossenen Verträge ein validerer Indikator für die Leistung eines Kundenbetreuers ist. Welcher misst die Arbeitsleistung am besten?

Genauigkeit bezeichnet, wie genau eine wahre Leistung beurteilt werden kann.

Beispiel Ergebnisorientierte Leistungsbeurteilung

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Die Gütekriterien für Beurteilungsergebnisse, allen voran die Objektivität, werden grundlegend beeinflusst durch psychologische Wahrnehmungs- und Gedächtnisphänomene, die unter dem Titel Gedächtnis- und Urteilsfehler bekannt sind. Sie werden im Folgenden skizziert: Gedächtnis- und Urteilsfehler

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Tendenz zur Milde Leistungsbeurteilungen weisen oft eine Tendenz zum günstigeren Skalenende auf. Das wird auch als Milde- oder Beschönigungseffekt bezeichnet und ist dem Bewusstsein des Beurteilers in der Regel zugänglich. Häufig steht dahinter Konfliktvermeidungsverhalten oder der Wunsch nach positiver Darstellung des eigenen Verantwortungsbereichs gegen außen oder die Taktik des Weglobens eines Mitarbeitenden. Gegenmittel sind organisational vorgegebene „erzwungene Verteilungen“ („forced distribution“) oder die ebenso unbeliebte „erzwungene Rangreihe“ („forced ranking“), in der die Führungskraft ihre Mitarbeitenden in eine Rangreihe nach Leistungsergebnis anordnen soll. Die letzten Personen der Rangreihe bzw. diejenigen am äußersten oberen Ende der Verteilungskurve sind dann die ersten, von denen sich die Organisation im Falle entsprechender Notwendigkeit und bei Leistung trennen, im negativen Feld der Verteilungskurve gelten dann als Kandidaten für Folgemaßnahmen bis hin zu Trennungen, was diese Anordnungsaufgabe für Führungskräfte sehr belastend werden lassen kann. Deutlich weichere Mittel gegen zu freundliche Beurteilungen sind Investitionen in Day-to-day-Feedbacks, die eine summarische Beurteilung anbahnen und vorbereiten. Tendenz zur Mitte Beurteilungen werden oft wenig differenziert in der Mitte der Skala angesiedelt, sodass weder zwischen Kriterien noch zwischen Mitarbeitenden deutlich unterschieden werden kann. Diese Tendenz kann durch Verhaltensanker gemindert werden, die die beiden Pole eines Kriteriums und/oder alle Abstufungen dazwischen verbal umschreiben. Halo-Effekt Der Heiligenschein-(Halo‑)Effekt beschreibt die Tendenz, einem Merkmal so viel Gewicht zu geben, dass es andere Merkmale überstrahlt oder überschattet. Um welches Merkmal es sich dabei handelt, ist nicht festgelegt. Bestimmte Kriterien wie Intelligenz und Schönheit besitzen offenbar mehr als andere das Potenzial dazu, einen Halo-Effekt auszulösen. Dieser kann sich dann in günstigen oder ungünstigen Urteilen

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

niederschlagen, scheint aber insgesamt nicht so häufig und auch nicht so einschränkend auf die Urteilsqualität einzuwirken wie zunächst vermutet (Balzer und Sulsky 1992). Wahrgenommene Ähnlichkeit Wahrgenommene Attraktivität und wahrgenommene Ähnlichkeit gehen Hand in Hand. Wer jemanden als ähnlich wahrnimmt, wird ihn auch attraktiver finden. Beides zusammen begünstigt die Beurteilung insofern, als wir unseren eigenen Handlungen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt sind und diese Bewertung auf als ähnlich wahrgenommene andere Personen übertragen. Dieser Effekt wird vor allem bei Personalselektionsentscheiden beschrieben, er ist aber auch im Falle von Leistungsbeurteilungen gut belegt (Wayne und Liden 1995). Gedächtniseffekte Gerade bei längeren Beurteilungsperioden werden Beobachtungen für die Beurteilung aus dem Gedächtnis abgerufen – es sei denn, man hat über die Zeit hinweg Beobachtungen beschreibend notiert. In diesem Fall sind die folgenden Effekte nicht von großem Belang: Informationsselektion Wir erinnern nur das, was wir zuvor abgespeichert haben. Die Gedächtnisforschung hat gezeigt, dass dies Informationen sind, die häufig dargeboten wurden oder uns intensiv beschäftigt haben. Primacy- und Recency-Effekt Wir erinnern zuerst und zuletzt dargebotene Informationen besser als alles, was dazwischen lag. Für das Beurteilen bedeutet dies, dass der „erste Eindruck“ dominierend ist und oft bleibt, und ebenso, dass die kurz vor der Beurteilung gemachten Beobachtungen übergewichtig wirken werden.

Aus der Kenntnis fehlerhafter Urteilstendenzen und dem Bemühen um genaue und mithin gerechte Beurteilungen resultierten im Wesentlichen zwei Handlungsfelder: Ein Handlungsfeld liegt im Beurteilertraining, das sich meist aus der Aufklärung über die ausgeführten Urteilsfehler und im Üben von Beobachten und Beurteilen zusammensetzt.

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Beispiel Wichtigste Empfehlungen für Beurteilende

Beispiel

Die wichtigsten Empfehlungen für Beurteilende: 1. Mitarbeitende, die einem selbst als ähnlich wahrgenommen werden, werden günstiger beurteilt. Hier ist eine kritische Selbstreflexion die einzig hilfreiche Maßnahme: Wen nehme ich als ähnlich wahr? Was hat er/sie in der zurückliegenden Zeit getan, erreicht, versäumt? Wofür habe ich objektive Beispiele, was sind nur Annahmen? Wofür sollte ich noch Fakten prüfen? Wenn ich das Bild, das ich in der Beurteilung von diesem – mir ähnlichen – Mitarbeiter zeichne, den anderen Mitarbeitenden zeigen würde, was würden sie sagen? 2. Für eine Vielzahl von Fehlerquellen gilt, dass ihre Wirksamkeit reduziert wird, wenn man durch die Beurteilungsperiode hindurch immer wieder Notizen macht. Das setzt Überlegungen voraus, welche Beobachtungen benötigt werden, um die Beurteilung einzelner Kriterien mit Sorgfalt vornehmen zu können, und in welchen Situationen man diese Beobachtungen machen kann. Sie sollten rein beschreibend notiert werden, um erst unter Beachtung aller relevanten Kriterien bewertet zu werden. 3. Über den Halo-Effekt weiß man, dass er vor allem dann auftritt, wenn sich der Beobachter wenig Zeit fürs Beurteilen nimmt (Iqbal et al. 2015). Das ist durch hinreichende Vorbereitungszeit abwendbar.

Das zweite Handlungsfeld liegt in der Ausgestaltung der Beurteilungsinstrumente. Ein großer Wissensbereich ist um die Frage des bestmöglichen Beurteilungsverfahrens bis hin zur Frage der bestgeeigneten Skalenkonstruktion entstanden (7 Abschn. 13.3.1 „Beurteilungsverfahren“).

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Beispiel Empfehlungen für die Gestaltung des Instruments

Beispiel

Empfehlungen für die Gestaltung des Instruments: 1. Verwendung voneinander unabhängiger Kriterien Ein Halo-Effekt ist dann zu erwarten, wenn Beurteilungskriterien ähnliche Verhaltensindikatoren besitzen und sich deshalb inhaltslogisch überschneiden. Das ist vor allem bei Persönlichkeitsmerkmalen der Fall (z. B. „Gewissenhaftigkeit“ und „Sorgfalt“). In diesem Fall geht der Halo-Effekt nicht auf einen menschlichen Urteilsfehler, sondern auf einen Konstruktionsfehler zurück. Kriterien müssen deshalb so ausgewählt werden, dass sie tatsächlich Unterschiedliches meinen.

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

2. Beurteilungsstufen Gängige Empfehlungen gehen von mindestens 5 bis 7, eventuell auch 9 Stufen in der Beurteilung von Kriterien aus, um eine optimale Ausdifferenzierung zu ermöglichen. Es gibt auch Argumentationen gegen eine zu starke Ausdifferenzierung: So schlagen Katz und Baitsch (Katz und Baitsch 2006) nur 3 bis 4 Stufen für qualitative Kriterien vor, um dem Anschein einer objektiven, hoch differenzierten Beurteilbarkeit solcher Kriterien keinen Vorschub zu leisten.

Erst mit einem Bilanzieren durchmischter Erfolge in diesen beiden Handlungsfeldern (Landy und Farr 1980) folgte eine stärkere Beschäftigung mit kognitiven und später mit motivationalen Prozessen bei der Beurteilung. Mit der Frage, wie man Leistungsbeurteilungsprozesse so gestaltet, dass sie zu Leistungsverbesserung motivieren, war ein Paradigmenwechsel in der Forschung verbunden: Die Akzeptanz der Beurteilung als fairer Vorgang mit einem gerechten Ergebnis rückte stärker in den Mittelpunkt, womit die soziale Natur des Beurteilens unterstrichen wurde (Greenberg 1986). Zur wahrgenommenen Fairness einer Beurteilung tragen verschiedene Faktoren bei (Cropanzano et al. 2007): rechtzeitige Ankündigung der Beurteilung; frühzeitige Offenlegung der Beurteilungskriterien und der Leistungsstandards; idealerweise auch Leistungsfeedback außerhalb des Beurteilungsgesprächs. Beschränkung des Feedbacks auf zulässige Evidenz, d. h. auf Arbeitsleistung; Mitarbeiterpartizipation im Sinne der Darlegung der eigenen, möglicherweise abweichenden Sichtweise. Evidenzbasiertes Beurteilen, d. h. auf der Basis gesammelter Daten und genauer Standards zu Entscheidungen kommen und diese frei von mikropolitischen Taktiken fällen.

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Unter diesen Faktoren finden sich einige Hinweise, die auf die Bedeutung der Feedbackfunktion in der Beurteilung verweisen.

Wirkung von Leistungsfeedback Feedback zur Verfügung zu stellen und damit die Entwicklung der Mitarbeitenden zu unterstützen, gilt als einer der wichtigsten Zwecke der Leistungsbeurteilung. Wie können nun Leistungsfeedbacks zu Lernprozessen führen, die schließlich in Leistungsverbesserung resultieren? Eine fundamentale Annahme in der Praxis von Leistungsfeedbacks liegt darin, dass Rückmeldungen immer Motivation und Lernen anregen und damit zu Leistungsverbesserungen führen. Überraschenderweise hat man stattdessen in mehr als einem Drittel der Fälle eine Leistungsverschlechterung nach Feedback

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

festgestellt, die nicht mit der Unterscheidung in positives versus negatives Feedback erklärt werden kann (DeNisi und Kluger 2000). Worauf ist sie dann zurückzuführen? DeNisi und Kluger (2000) erklären dies mit den unterschiedlichen Verarbeitungsebenen von Leistungsfeedback, der Ebene des Selbstkonzeptes versus die Ebene der Aufgabenbewältigung. Beispiel Unterschiedliche Verarbeitungsebenen

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Beispiel

Wenn ich Journalistin bin und von mir denke, dass ich eigentlich begnadet schreibe und nun im Leistungsfeedback höre, dass meine Artikel eine geringe Leserschaft finden und selten geteilt oder gelikt werden (was im Übrigen eine ergebnisorientierte Beurteilung darstellt), dann könnte ich darüber nachdenken, ob ich mich in meinem Selbstbild getäuscht habe. Folglich würde ich mich damit beschäftigen, würde vielleicht Andere nach ihrer Meinung fragen, würde Anzeichen dafür und Beweise dagegen suchen, statt auf der Handlungsebene darüber nachzudenken, wie ich Themen handwerklich anders aufarbeiten könnte, um mehr ins Zentrum des Interesses zu treffen. Würde ich nun stattdessen ein Leistungsfeedback bekommen, das mir sagt, meine Sätze seien zu lang und ein Aufteilen in mehrere Aussagen würde die Verständlichkeit fördern, würde ich vermutlich nicht über mein berufliches Selbstkonzept nachdenken, sondern gleich zum Schreiben kurzer prägnanter Sätze übergehen. Dies umso mehr, wenn mir meine Chefin im Leistungsfeedback konkrete Beispiele dafür aufgezeigt hätte (was einer verhaltensorientierten Rückmeldung entspräche).

Feedbacks, die eine Auseinandersetzung mit der Aufgabenebene – also der Art und Weise, wie eine Arbeit gemacht wird – hervorrufen, können zu Leistungsverbesserung über die Zeit beitragen. Wenn aber Rückmeldungen dazu führen, dass man sein Selbstkonzept, also grundlegende Annahmen über sich selbst hinterfragt, wären Leistungsverschlechterungen zu erwarten. Der Grund liegt in der Kanalisierung der Energie in Selbstbeschäftigung und Aufrechterhaltung des Selbstkonzepts anstelle von Beschäftigung mit Veränderungen von Arbeitsverhalten. Voraussetzung für Leistungsverbesserungen ist aber gerade die Auseinandersetzung mit konkreten Handlungen. Deshalb sollten alle Rückmeldungen daraufhin geprüft und ausgerichtet werden, dass sie möglichst klar an die Aufgabenausführung adressiert sind und hier zu konstruktiven neuen Ideen führen, indem sie genügend spezifische Informationen beinhalten. Rückmeldungen, die sich an die Persönlichkeit adressieren oder Inhalte transportieren, die eine Beschäftigung mit dem Selbst-

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

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konzept auslösen, können Leistungsverschlechterung verursachen (DeNisi und Kluger 2000). Aus der Feedback- und Leistungsforschung (DeNisi und Kluger 2000; DeNisi und Smith 2014) lassen sich für die Gestaltung von Leistungsfeedbacks in Beurteilungsgesprächen und unter dem Jahr eine Reihe von Empfehlungen zusammenfassen: Beispiel

Um Leistungsverbesserungen durch Rückmeldungen im Beurteilungsgespräch zu unterstützen, sollte das Feedback einen deutlichen Bezug zur Aufgabenebene aufweisen (tun, handeln), sich nicht an die Persönlichkeit adressieren (sein oder nicht sein), positive Vergleiche mit eigenem, früheren Leistungsverhalten beinhalten, keine Vergleiche mit den Leistungen anderer Mitarbeitenden enthalten, klare Verbesserungsvorschläge oder -empfehlungen beinhalten und von Zielsetzungen begleitet werden.

-

Im Kontext virtueller Arbeit wird Leistungsfeedback nicht immer face to face übermittelt. Wenn man medial vermittelte Kommunikation dafür einsetzt, ist zu beachten, dass vor allem negative Feedbacks besser telefonisch als schriftlich gegeben werden. Schriftlich vermittelt, wird ein negative Leistungsfeedback eher als unfair wahrgenommen als wenn es telefonisch kommuniziert wird (Westerman et al. 2014). Bei positiven Rückmeldungen ist der Kanal hingegen nicht relevant. Dies gilt für informelle Leistungsfeedbacks, man darf aber davon ausgehen, dass es bei formalisierten Rückmeldungen wie in einer Leistungsbeurteilung ebenso oder noch ausgeprägter der Fall ist. 13.3.2 Kommunizieren

der Leistungsbeurteilung

Gesprächsvorbereitung

Die Vorbereitung des Gespräches, das hier im Folgenden als Jahresgespräch (andernorts alternativ: Mitarbeitergespräch, Leistungsbeurteilungsgespräch, Performancedialog usw.) bezeichnet wird, dreht sich um die Leistungsbilanz im Rückblick auf die vergangene Urteilsperiode. Die wichtigsten Punkte in der Vorbereitung auf dieses Gespräch werden hier nochmals zusammengefasst:

Beispiel Feedback

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Zur Vorbereitung einladen

Die Leistungsbilanz sollten aus den im 7 Abschn. 13.3.1 „Beurteilungsfehler und Gerechtigkeit im Beurteilungsprozess“ genannten Gründen beide Seiten vornehmen, weshalb zur Gesprächsvorbereitung auch die Aufforderung an Mitarbeitende gehört, selbst ebenso über Herausforderungen, Leistungen und Erfolge, über besondere externe Rahmenbedingungen und Gründe für Zielerreichungsschwierigkeiten sowie über nächste Ziele aus eigener Sicht (wenn Ziele partizipativ vereinbart werden) nachzudenken und sich ggf. im Beurteilungsinstrument einzuordnen. Oft ist dies in Standardabläufen auch vorgesehen und wird in Leitfäden genau beschrieben.

Eigene Vorbereitung

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Die Bedeutung gut formulierter Feedbacks auf der Grundlage konkreter Daten, möglichst Beobachtungen von Verhaltensbeispielen, wurde bereits in 7 Abschn. 13.3.1 „Wirkung von Leistungsfeedback“ skizziert. Im Sinne einer stärkenorientierten Rückmeldung (BouskilaYam und Kluger 2011) könnten folgende Fragen für eine erste Schwerpunktsetzung im Gespräch hilfreich sein (. Tab. 13.5). Diese stärken- und entwicklungsorientierte Bilanz sollte einen klaren Bezug zu den bereits gegebenen Rückmeldungen im Jahresverlauf aufweisen. Schuler (2004) hat darauf hingewiesen, dass ein day-to-day-Feedback eine wichtige Voraussetzung für das Jahresgespräch darstellt. Ohne zeitnahe Rückmeldungen in Alltagsgesprächen übers Jahr hindurch kommt einer Jahresbeurteilung eine überaus starke, wuchtige Bedeutung zu. Sollten die Einschätzungen – Selbst- und Fremd – hier dennoch das erste Mal aufeinander treffen, ist bei kritischen Inhalten mit defensiven, selbst-

..Tab. 13.5  Fragen zur Gesprächsvorbereitung Stärken: Weiter so mit …!

Entwicklungsfelder: Bitte mehr von …!

Was ist es, wofür ich diese Mitarbeitende ganz besonders schätze? Was macht sie aus meiner Sicht einzigartig? Welche Leistung, welches Verhalten möchte ich ganz besonders herausstreichen, um es bewusst zu machen? Mit welchem Beispiel kann ich das verdeutlichen? Wie könnten diese Stärken noch mehr gefördert oder genützt werden?

Was ist aus meiner Sicht die dringlichste Änderung in der Leistung, im Verhalten, die ich ausführlich besprechen möchte? An welchem Beispiel kann ich das aufzeigen? Welche konkrete verhaltens- und aufgabenbezogene Entwicklung braucht es aus meiner Sicht in diesem Punkt, und wodurch konkret könnte diese Entwicklung stattfinden (mehr, weniger, neu tun)? Welche Grundlage für die Weiterentwicklung ist bereits vorhanden, worauf kann aufgebaut werden?

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13.3 • Mitarbeitende beurteilen

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verteidigenden Reaktionen zu rechnen, was gewünschtes Lernen durch Feedback erschwert. In dem Fall ist es besonders wichtig zu wissen, dass konstruktive Kritik als gerechter empfunden wird als destruktive Kritik, und dass es hilft, wenn Botschaften klar und konsistent sind und die Person, die beurteilt, die beurteilte Leistung gut kennt (Chory und Westerman 2009).

Gesprächsaufbau und -führung Der Aufbau eines umfassenden Gesprächs, in das die Leistungsbeurteilung neben der Zielvereinbarung und der Ableitung von Entwicklungsmaßnahmen eingebettet ist, wird im folgenden Leitfaden (. Tab. 13.6) vorgestellt. Die aufgeführten Themenbereiche sollten nicht einseitig aus der Führungsperspektive alleine beantwortet werden. Idealerweise entfaltet sich in diesem Gespräch ein Dialog, in dem die berufliche Leistung aus beiden Perspektiven rekonstruiert, bewertet und in die nächste Periode projiziert wird. Daher ist die Vorbereitung von beiden beteiligten Seiten erforderlich. Sie ermöglicht erst eine ausgewogene Beteiligung in diesem Gespräch und erlaubt einen Prozessschritt, der nachweislich das Gerechtigkeitsempfinden fördert: die Anhörung und Möglich-

..Tab. 13.6  Leitfaden Gesprächsaufbau Gesprächsschwerpunkt

Themenfelder

Einstieg, Warm-up

Small Talk Klärung von Ziel, Zeit und Ablauf des Gesprächs

Rückblick auf vergangene Urteilsperiode

Rückblick auf Hauptaufgaben, Ziele, Herausforderungen und Erfolge in der vergangenen Urteilsperiode → Übergang zu ↓

Bilanz und Beurteilung von Leistung (Ergebnis, Verhalten, ggfs. Kompetenzen)

Selbst- und Fremdbeurteilung → Würdigung der Stärken und deren Einsatzmöglichkeiten in den aktuellen Aufgaben Ursachenanalyse bei Problemen in der Zielerreichung und Ableiten von Maßnahmen

Ausblick auf die nächste Beurteilungsperiode/Zielvereinbarung

Entwicklungen, die sich abzeichnen Interessen, die verfolgt werden sollen → Neue Zielvereinbarungen

Maßnahmen zur Entwicklung und Förderung

Kompetenzen, die zur Bewältigung jetziger oder kommender Anforderungen ausgebaut oder neu erworben werden sollen (vgl. Ursachenanalyse) Kompetenzen, die mehr genutzt werden sollen, und Aufgabenveränderungen, die dazu nötig wären (vgl. Stärken)

Zusammenarbeitsfeedback

Was in der Zusammenarbeit mit der Führungskraft geschätzt wird und womit man mehr unterstützen könnte

Zusammenfassung, Vereinbarungen, Formales, Abschluss

Zusammenfassung der wichtigsten Vereinbarungen und nächster Schritte Klärung von Formalitäten Gesprächsfeedback

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

keit zur Dokumentation allenfalls stark abweichender Selbsteinschätzungen (Cropanzano et al. 2007; Greenberg 1986). Abweichungen zwischen Selbst- und Vorgesetztenbeurteilung im Sinne einer Tendenz zur Milde in eigener Sache sind aufgrund taktischer Überlegungen wie auch aufgrund einer allgemeinen Tendenz zu positiver Selbstüberschätzung (Brown 1986) durchaus erwartbar. Man findet sie tatsächlich, allerdings in stärkerem Maß bei eigenschaftsorientierten Beurteilungen als bei den objektiveren Ergebnisbeurteilungen (Heidemeier und Moser 2009). Bei differenten Einschätzungen muss eine nachträgliche Urteilskorrektur grundsätzlich möglich sein. Ausschlaggebend dafür soll nicht ein Harmoniebedürfnis sein, sondern eine im Gespräch durch die Argumente gereifte Überzeugung, dem Mitarbeitenden in diesem Urteilsaspekt zuvor nicht gerecht geworden zu sein. Ein positiver Gesprächsabschluss ist wichtig. Die Zusammenfassung fokussiert auf die wichtigsten Ergebnisse des Gesprächs und beinhaltet konkrete Vereinbarungen, die getroffen wurden und damit automatisch auf der Agenda für Folgegespräche stehen. 13.3.3

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Herausforderungen und Trends in der Leistungsbeurteilung

Die Suche nach einer möglichst effektiven Form der Leistungsbeurteilung dauert an. Zunehmend wird die Frage gestellt, wie denn nun die Verbindung zwischen Individualleistungen mit Organisationsleistung konzeptionell erklärbar und belegbar ist. Aus der isolierten Betrachtungsweise von individueller Leistungsbeurteilung heraus sind Modelle wie das EPA (Effective Performance Appraisal) entstanden. Sie beschreiben, wie sowohl die Genauigkeit der Beurteilung als auch die Fairness und die Zielgerichtetheit einer Beurteilung zusammen erst die gewünschte Wirkung auf die einzelne Person und schließlich die gesamte Organisation ergeben (Iqbal et al. 2015). Teamarbeit in Organisationen verbreitet sich immer stärker, und folglich werden Fragen nach teambasierter Beurteilung und Vergütung intensiver diskutiert. Sie stützen sich auf die Erkenntnis, dass nur in manchen Aufgabenfeldern eine Summe der Einzelleistungen die organisationale Gesamtleistung ausmacht, und dass sich oft gerade die Interaktionen zwischen Mitarbeitenden zum Mehrwert für die Organisation multiplizieren. Was die Leistungsbeurteilung auf Teamebene betrifft, sind besondere Herausforderungen die häufig fehlende Identifizierbarkeit der Einzelbeiträge zum Teamerfolg, womit gruppendynamische Prozesse wie das Trittbrettfahren einzelner und folglich das Zurückhalten von Leistung anderer Mitglieder stattfinden kann. Weiter besteht eine Herausforderung darin, eine sinnvolle Mischung von Individual-und Teamzielen auszuwählen, wohl wissend, dass

13.3 • Mitarbeitende beurteilen

Teamziele die Teamleistung besser fördern, da Individualziele mit weniger unterstützendem Verhalten im Team einhergehen (DeNisi und Smith 2014). Praktische Ansätze, auf die an dieser Stelle verwiesen werden sollen, ist das ProMES-System (Pritchard et al. 2002), das Leistungsziele und Indikatoren für Organisationseinheiten zu setzen, durch konkrete Handlungspläne zu verfolgen und mittels Indikatorenmessungen zu bewerten und anzupassen erlaubt. Es sieht keine individuellen Leistungsbeurteilungen vor, sondern fokussiert auf organisationale Effektivitätsgewinne, die damit erreicht werden können. Die Vergütung aufgrund teambasierter Leistungsindikatoren steht durchaus mit erwünschten Wirkungen in Zusammenhang: So konnte man in Organisationen, in denen die Vergütung aufgrund teambasierter Leistungsindikatoren einen hohen Anteil innerhalb der variablen Vergütung ausmacht, stärkeres Commitment, Engagement und Zufriedenheit feststellen, während dies für hohe Vergütungsanteile auf der Basis von individualbasierte Leistungsindikatoren nicht der Fall war (Kanning et al. 2004). Der Trend zum flexiblen und mobilen Arbeiten schließlich wird Beobachtungsgelegenheiten von konkretem Arbeitsverhalten seltener werden lassen und damit die geforderte Genauigkeit der Urteile, aber auch das Auffinden bedeutsamer Beispiele für lernförderliche Feedbacks erschweren. Der Shift hin zu ergebnisorientierten Beurteilen ist daher absehbar. Mit ihm sind, wie bereits unter dem Begriff der Kriteriumskontaminierung in 7 Abschn. 13.3.1 „Kriterienwahl für Leistungsbeurteilungen“ ausgeführt, Schwierigkeiten verbunden, die in der Zurechenbarkeit der Ergebnisse zur einzelnen Person oder dem Team liegen. Dies könnte eine Abkehr von individuell leistungsbasierter, ergo variabler Vergütung hin zu solidarischeren Beteiligungsformen am Gewinn bzw. Unternehmenserfolg, wie sie in Einzelfällen berichtet wird1, weiter begünstigen. Die in jüngerer Zeit ebenfalls dokumentierten Veränderungen in der Praxis der Leistungsbeurteilung2 betreffen: die Abschaffung von Forced Rankings oder Forced Distributions (vgl. 7 Abschn. 13.3.1 „Beurteilungsverfahren“) zugunsten verteilungsungebundener Bewertungen und/oder

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Beispiel: Bosch. Online im Internet: URL: 7 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/bosch-chef-volkmar-denner-schafft-boni-ab-13812475.html (Zugegriffen am 25.07.2016). 2 Beispiele: Microsoft. Online im Internet: URL: 7 http://www.spiegel.de/ media/media-32694.pdf (Stand: 25.07.2016); Accenture: Online im Internet: URL: 7 https://www.washingtonpost.com/news/on-leadership/ wp/2015/07/21/in-big-move-accenture-will-get-rid-of-annual-performance-reviews-and-rankings/ (Zugegriffen am 25.07.2016); General Electric. Online im Internet: URL: 7 http://qz.com/428813/ge-performance-reviewstrategy-shift/ (Zugegriffen am 25.07.2016). 1

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

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die Abschaffung kategorialer Bewertungen (Ratings) zugunsten freier Auswertungen über Wirkungen und Verbesserungsmöglichkeiten der Arbeitsleistung und/oder die Abschaffung fixer Halbjahres-Zwischenbilanzgespräche bzgl. Zielerreichung zugunsten häufigerer, kürzerer Gespräche und/oder die Abschaffung einer unternehmensweit einheitlichen Taktung der Prozessschritte im Jahresrhythmus zugunsten einer Anpassung an individuell variable jobbezogene Kadenzen und/oder die verstärkte Nutzung elektronisch vermittelter Leistungsfeedbacks.

Diese Veränderungen erlauben individualisierte und flexible Anpassungen in der Ausrichtung der Leistungserbringung. Sie stehen damit in Übereinstimmung mit den Erfordernissen schnellerer Entwicklung und größerer Beweglichkeit organisationaler Prozesse. Gleichzeitig entsteht Freiraum für eine Fokussierung auf einen häufiger stattfindenden Dialog zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden und innerhalb dieses Dialogs auf die Exploration von Stärken und Bedingungen des Gelingens. Dies steht in Übereinstimmung mit Ansätzen der positiven Psychologie, die eine Stärkenbasierung im Leistungsmanagement begründen und damit die Frage nach dem, was gut läuft und unter welchen Bedingungen dies so ist, in den Vordergrund rücken lässt (Bouskila-Yam und Kluger 2011). Zusammenfassung

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Zusammenfassung Leistungsbeurteilungen sind ein Steuerungsinstrument mit langer Tradition. Über die verschiedenen Dekaden hinweg haben sich die Schwerpunktsetzungen in Forschung und Praxis verändert. Während lange Zeit die Suche nach Bedingungen für höchstmögliche Genauigkeit zu Beurteilungstrainings für Führungskräfte und der Konstruktion objektivitätsförderlicher Beurteilungsskalen geführt hatte, schloss sich etwas später eine Beschäftigung mit der motivationalen und zufriedenheitsfördernden Wirkung des Beurteilungsprozesses an. Bedingungen, die Fairness und Lernmöglichkeiten vermitteln, wurden beschrieben. In neuerer Zeit wird gefragt, wie Individualleistungen mit der Gesamtleistung einer Organisation in Zusammenhang stehen und wie letztere wirksam gefördert werden können. Dies führt zur Beschäftigung mit Trends in der Leistungsbeurteilung, die Führungskräften mehr Freiheitsgrade in der Prozessgestaltung erlauben und eine unterstützende, stärkenorientierte Führungsbeziehung fördern könnten.

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

Fragen zur Vertiefung

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Fragen zur Vertiefung

1. Reflektieren Sie die Bedingungen, unter denen Sie eine Beurteilung Ihrer Arbeitsleistung als gerecht und transparent erleben. Welche Schlüsse leiten Sie daraus für Ihre Praxis als beurteilende Person ab? 2. Wie stellen Sie sicher, dass Sie für alle Mitarbeitenden über konkrete, gut beschreibbare Beispiele leistungsrelevanten Arbeitsverhaltens verfügen? 3. Wie häufig geben Sie Ihren Mitarbeitenden niedrigschwelliges Day-to-day-Feedback für optimales und auch für noch nicht optimales Verhalten und/oder Leistung? Erinnern Sie sich an konkrete Beispiele und rechnen Sie nach: 1-mal pro Monat, all 2 Monate oder seltener? 4. Reflektieren Sie die Bedeutung von Individual- versus Teamzielen in Ihrem Verantwortungsbereich. Wie gehen Sie als Führungskraft mit diesen beiden Ebenen um, wenn es um die Praxis der Zielsetzung, Rückmeldung und Beurteilung geht? Wie werden Sie darin durch Ihr organisationales Beurteilungs- und Belohnungssystem unterstützt? Wo sehen Sie einen Veränderungsbedarf?

13.4

Trennungsprozesse gestalten

Daniel Nordmann, Claudia Beutter

Auf einen Blick Die Kündigung von Angestellten ist für Führungskräfte eine der großen Herausforderungen in ihrem beruflichen Alltag. Für Arbeitnehmende ist die Entlassung eine der größten Belastungen in ihrem Leben. Auch für das soziale Umfeld der Betroffenen und die verbleibenden Angestellten im Unternehmen haben solche Ereignisse einschneidende Auswirkungen. Im Fokus dieses Abschnitts stehen die betriebsbedingten Kündigungen. Für das Unternehmen entstehen dabei erhebliche, teils planbare, teils verdeckte Kosten. Nur kurz behandelt werden Kündigung von Angestellten aus individuellen Gründen, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Angestellte selbst sowie fristlose Vertragsauflösungen. In ausgewählten Themen wird auf rechtliche Vorgaben hingewiesen. Formuliert wird eine gute Führungspraxis, die sich auf die Erreichung wirtschaftlicher Ziele und den fairen sowie wertschätzenden Umgang mit Angestellten ausrichtet.

Auf einen Blick

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Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

13.4.1

Individuelle Trennungsgründe

Personenbedingte Kündigung nach gescheiterten Maßnahmen

..Abb. 13.20  © 2018 by Tobias Leuenberger

Personen-, leistungs- oder verhaltensbedingte Auflösung des Anstellungsvertrags durch die Arbeitgeberin basieren auf einer dokumentierten Vorgeschichte. Den betroffenen Personen werden die Kündigungsgründe von den Vorgesetzten offen, ehrlich und nachvollziehbar erläutert. Kündigungen aus personenbedingten Gründen erfolgen beispielswese wegen veränderter Anforderungen an die persönlichen Kompetenzen („nicht Können“), fairerweise nach gescheiterten Entwicklungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen. Leistungsbedingte Entlassungen basieren auf nicht erreichten Zielen, nach verpasster Umsetzung vereinbarter Maßnahmen. Verhaltensbedingte Kündigungen erfolgen nach wiederholten und dokumentierten disziplinarischen Vorfällen („nicht Beachten von Regeln“) und immer häufiger, aufgrund unüberbrückbar scheinender Probleme in der Kooperation mit (vielfach neuen) Vorgesetzten („die Chemie stimmt nicht“). Auch beim Einleiten und Umsetzen individuell begründeter Kündigungen spiegelt sich die Kultur eines Unternehmens. Die Empfehlungen im Umgang mit betriebsbedingten Kündigungen sind analog anwendbar (7 Abschn. 13.4.3, 7 Abschn. 13.4.6, 7 Abschn. 13.4.7, 7 Abschn. 13.4.8).

Kündigung durch Angestellte Leiten Angestellte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses ein, erleben Führungskräfte dies vielfach als persönliche Enttäuschung oder Niederlage. Auch in dieser Situation sind Teile der Ausführungen zur betriebsbedingten Kündigung hilfreich. (7 Abschn.  13.4.6, 7 Abschn. 13.4.7, 7 Abschn. 13.4.8).

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Fristlose Kündigung nur als letzter Ausweg

Ein Spezialfall ist die fristlose Kündigung. Sie erfolgt unter Einhaltung gesetzlicher Bedingungen und einer sehr zurückhaltenden gerichtlichen Praxis. Sie kann sowohl von Arbeitgebern, wie von Arbeitnehmern ausgesprochen werden und stellt ein Notventil dar, quasi als letzter Ausweg, wenn nichts anderes übrig bleibt. Voraussetzungen sind besonders schwere oder trotz Mahnungen und Kündigungsandrohung wiederholter Vertragsverletzungen. Die fristlose Kündigung muss unmittelbar erfolgen, nachdem der Grund von der kündigenden Partei erfahren wird. Notwendig ist nicht augenblickliches, aber „ein Handeln innert angemessener Frist nach dem Treffen der erforderlichen Abklärungen“ (Streiff et al. 2012), Art. 337 N17). Der Beizug einer juristischen Fachberatung ist angezeigt.

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

13.4.2

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Betriebsbedingte Kündigungen

Beabsichtigt ein Unternehmen betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen, ist es ab einer definierten Mindestzahl von Betroffenen (Streiff et  al. 2012, Art.  335d) gesetzlich verpflichtet, einen definierten Prozess einzuhalten, der vielfach zusätzlich durch gesamtarbeitsvertragliche Bestimmungen vertieft und erweitert wird. Stets gehören dazu die vorgängige Konsultation der Arbeitnehmenden bzw. deren Vertretungen und der Behörden. Die Arbeitnehmenden haben u. a. den Anspruch auf eine Begründung. Weiter haben sie das Recht, Vorschläge einzureichen, wie Kündigungen vermieden oder deren Zahl beschränkt sowie die Folgen gemildert werden können. Erfolgen muss dieser Prozess bevor das Unternehmen definitive Entscheide zu den Maßnahmen fällt. Werden diese Regeln nicht beachtet, können die Kündigungen bei einer Klage durch das Gericht als missbräuchlich taxiert werden (Streiff et al. 2012, Art. 335 f, N2,). Die vorgängige Information der Behörden dient der Suche nach Lösungen für die Probleme, welche durch die beabsichtigte Massenentlassung entstehen.

arbeitsrechtliche Vorgaben beachten

Auslöser Auslöser von betriebsbedingten Kündigungen sind meist Kostensenkungsprogramme, Restrukturierungen, Merger und Acquisitions sowie veränderte Markt- und Unternehmensstrategien. In den vergangenen Jahren steigt als Grund in allen Bereichen der Wirtschaft die Zunahme der Digitalisierung von Geschäftsprozessen sowie ITInitiativen (Capgemini 2005, S. 12 und 2012, S. 16). Diese Entwicklung reflektiert die wachsende Globalisierung, Informatisierung und Automatisierung der Wirtschaft. Vermehrt entlassen werden dabei auch ältere und dienstalte Angestellte. Der Personalabbau verläuft in den einzelnen Unternehmen zunehmend bei gleichzeitigem Aufbau neuer Positionen mit veränderten Anforderungen sowie neuer Stellen im Ausland. Damit wird die Erklärbarkeit solcher Vorhaben nochmals schwieriger. Die Gefahr besteht, dass die angestrebten, positiven wirtschaftlichen Effekte durch ungeplante und verdeckte Kosten deutlich reduziert oder gar kompensiert werden.

Ausbau im Inland – Aufbau im Ausland

Unerwünschte Nebenwirkungen Die Entwicklung einer betrieblichen Trennungskultur und der Aufbau eines professionellen Trennungsmanagements sind eine wichtige Basis, um betriebsbedingte Kündigungen auch in schwierigen Umständen als fairen Prozess zu gestalten. Nur so können die entstehenden Kosten in einem möglichst planbaren oder zumindest abschätzbaren Rahmen bleiben. Unprofessionelles Management solcher Veränderungsprozesse führt meist zu Produktivitätsrückgang. In Deutschland wurde bei einer Befragung von betroffenen Unternehmen der Produktivitätsrückgang im Mittel auf 21 % geschätzt. Dieser Wert gilt als international günstig (Capgemini 2005,

Produktivitätsrückgang bei Entlassungen

590

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

S. 63). Ebenfalls steigt die ungewollte Fluktuation von Angestellten. In einer Befragung in Deutschland, Österreich und der Schweiz wiesen Unternehmen aus der Schweiz mit einem Anstieg um 35 % einen Spitzenwert aus (Capgemini 2012, S. 62). 13.4.3 Trennungskultur

Die Trennungskultur ist ein Teil der Unternehmenskultur. Sie „ist die Summe aller Regeln und Maßnahmen, die zu Fairness und Professionalität bei Trennungen und Veränderungen in der Unternehmung führen“ (Andrzejewski und Refisch 2015, S. 29). Trennungskultur ist ein Thema des Topmanagements und muss von den Verantwortlichen in allen Aspekten in „guten Zeiten“ geklärt werden. Kündigt ein Unternehmen aus betrieblichen Gründen, prägt der Verlauf der Trennung das Urteil über den Betrieb durch die Betroffenen, die Verbleibenden sowie Bewerberinnen und Bewerber, wie kaum ein anderes Ereignis. Unternehmenswerte, Führungsleitlinien, personalpolitische Konzepte und Instrumente werden auf einen Schlag dementiert oder eindrücklich bestätigt. Beispiel Trennungskultur

Beispiel

-

„Gut gemacht ist Trennungs-Kultur, wenn Trennungen und Veränderungen mit geringstmöglichen Verletzungen der Persönlichkeit der Menschen und mit den geringstmöglichen Schäden für das Unternehmen einhergehen, Menschen gesund und stabil aus den Veränderungen hervorgehen, alle Maßnahmen so gestaltet werden, dass sie der Würde des Menschen gerecht werden.“ (Andrzejewski und Refisch 2015, S. 29).

13

13.4.4 Trennungsprozess

Einsatz von Fachleuten oder externer Beratung

Betrifft betriebsbedingte Kündigungen eine größere Zahl von Angestellten, teilen sich in der Vorbereitung und Umsetzung die Geschäftsführung, Führungskräfte sowie Fachleute aus HR, Kommunikation und Rechtsdienst die Aufgaben. Der Trennungsprozess ist Teil des betrieblichen Changemanagements. Ein solches Vorhaben ist mit derselben Professionalität wie andere strategische Unternehmensprojekte vorzubereiten und zu realisieren. Speziell zu achten ist bei der Umsetzung auf Sorgfalt und Empfindsamkeit. Der Umfang eingesetzter personeller und finanzieller Ressourcen bemisst sich an der Zahl Betroffener, an der Bedeutung und am Risikoprofil des Projekts. Sind im Unternehmen keine entsprechend qualifizierten Fachleute vorhanden oder

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

591

13

haben diese nicht ausreichend Zeit, sind gezielt externe Beratungsleistungen zu evaluieren und beizuziehen.

Projektvorbereitung Ausgangspunkt ist, mit Bezugnahme zur strategischen Planung des Unternehmens, die Beschreibung der Probleme, die zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen führen. In Projektzielen wird festgehalten, wie sich die Situation des Unternehmens nach Abschluss des Projekts darstellen soll. Dabei geht es einerseits um neu definierten Kosten, Produktivitätskennziffern, Qualität und Kundenzufriedenheit, andererseits um die Qualität der Projektumsetzung, das persönliche Befinden der bleibenden Angestellten, die Glaubwürdigkeit des Managements, die Positionierung am Arbeitsmarkt und die Entwicklung des Unternehmensimages. Die Projektplanung hält fest, wie die Unternehmenswerte umgesetzt werden (sozialverträglich, fair, nachhaltig, wertschätzend etc.). Weiter wird dargestellt, wie Alternativen zu betriebsbedingten Kündigungen ermittelt und bewertet werden (vorzeitige Pensionierungen, Flexibilisierung der Arbeit, Teilzeitofferten etc.). Es ist zu definieren, mit welchem Vorgehen die Betroffenen von den betriebsbedingten Kündigungen ermittelt werden (Bereiche, Tätigkeiten, Definition künftig notwendiger Kompetenzen und Fertigkeiten und Sozialkriterien). Bei der namentlichen Benennung hat die entscheidende Führungskraft seine vorgesetzte Person und HR beizuziehen. Ein Konzept für den Sozialplan strukturiert die geplante Unterstützung der Betroffenen und Verhandlungen mit Vertretern der Angestellten. Schließlich ist sicherzustellen, dass die rechtlichen Vorgaben und die Mitspracherechte von Arbeitnehmervertretung und Gewerkschaften sowie die Information der Behörden korrekt erfolgen. Ein umfassendes Kommunikationskonzept ist von zentraler Bedeutung. Es sichert auch die möglichst frühzeitige Information, damit die Betroffenen ihre Neuorientierung rasch in Angriff nehmen können. Gegenstand der Vorbereitung ist auch die Aufteilung von Aufgaben, Verantwortungen und Eskalationswege bei Unstimmigkeiten. Eine Projektleitung, die nicht durch die im Projekt inhaltlich verantwortlichen Schlüsselpersonen erfolgt, sichert der Geschäftsleitung eine professionelle Führung des Projekts. Ebenfalls geplant werden muss der Umgang mit den Verbleibenden (7 Abschn. 13.4.11). 13.4.5

definierte Ziele erreichen

Alternativen evaluieren

frühzeitige Information und Mitspracherecht

Schlüsselpersonen und deren Rolle

Verantwortung des Managements Das Topmanagement steht persönlich ein für den Veränderungsentscheid und die damit verbundenen personellen Konsequenzen. Es verantwortet das Kommunikationskonzept (inkl. Notfallkommunikation bei Bruch der Vertraulichkeit sowie die Botschaft an

alle Vorgesetzten in der Pflicht

592

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

die Verbleibenden), informiert die Belegschaft, Gewerkschaften, Kunden, Verwaltung und Öffentlichkeit. Es sichert im Projektverlauf die Einhaltung der Unternehmenswerte und die Rahmenbedingungen. Es respektiert schließlich die vereinbarte Struktur und Delegation von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeit.

Kündigung persönlich aussprechen Vorgesetzte begründen die Kündigung persönlich

Die Führungskräfte überbringen persönlich die Botschaft an jeden einzelnen Betroffenen, sie nehmen deren Reaktion und Wünsche entgegen und stellen die zeitnahe Behandlung durch HR sicher. Sie sichern die Erstellung von Zwischenzeugnissen und Referenzen. Sofern gewünscht, verabschieden sich die Vorgesetzten vor dem Austritt von den Betroffenen. Ansonsten engagieren sich die Führungskräfte aktiv und mit Maßnahmen für die Verbleibenden und sind für diese gut erreichbar. Speziell kümmern sie sich um die kürzlich Eingetretenen.

Verantwortlichkeit für die Austretenden Fachleute begleiten Austretende

13

HR-Verantwortliche entwickeln die Maßnahmen im Hinblick auf die Neuorientierung der Betroffenen, sichern die Einhaltung arbeitsrechtlicher Aspekte und sind zuständig für die Verhandlung von Sozialplänen im Rahmen von Verträgen und eines Mandates der Geschäftsleitung. HR-Verantwortliche übernehmen die Betroffenen nach dem Gespräch mit den Vorgesetzten. Sie sind Bezugsperson der Betroffenen und verantworten das Vorgehen bis zum Austritt, insbesondere auch unterstützende und begleitende Maßnahmen im Hinblick auf die Neuorientierung. Sie garantieren einen korrekten Austrittsprozess (Zeugnis, Versicherungen, Pensionskasse, Referenzen etc.). Wichtige Verantwortung in der Begleitung haben die Projektleitung, die Verantwortlichen für Kommunikation und für Rechtsfragen. Sie begleiten mit dem spezifischen Fachwissen die erwähnten Schlüsselpersonen. 13.4.6

Vorbereitung des Trennungsgesprächs

Eigene Gefühle sortieren Trennungsgespräche sind für die Führungskraft eine Ausnahmesituation. Die damit einhergehende Unsicherheit wird auf Managementebene kaum thematisiert. Auch wenn Führungskräfte aller Stufen im vertraulichen Gespräch ihre Angst, ihre Unsicherheit oder ihr schlechtes Gewissen offenlegen, im Unternehmen werden solche Gefühle tabuisiert. Daher werden vielfach Trennungsgespräche geführt, die weder Führungskräften noch den Mitarbeitenden gerecht werden. Da es gerade bei Trennungen hoch emotional zugeht (auch wenn dies nicht geäußert wird), hilft die begleitende Reflexion dabei, die eigene Gefühlswelt zu sortieren und damit adäquat umzugehen:

593

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

--

Trennungsgespräch: Eigene Gefühle sortieren „Sie trennen sich von einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter, nicht von einem Menschen. Die Mitteilung der Kündigung löst gleichzeitig viele Emotionen aus und die Reaktionen der Betroffenen in Ausnahmesituationen sind nicht leicht einschätzbar. Vorbereitung hilft trotzdem oder gerade deshalb. Sie müssen aushalten, dass keine Harmonie möglich ist. Der Verlust der Stelle beinhaltet viele weitere Verluste: Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen, finanzielle Sicherheit, berufliches Selbstverständnis, Laufbahnvorstellungen, Anerkennung der Fachkompetenz, Status und Selbstwert. Er zählt zu den zehn meist belastetsten Lebenserfahrungen.“ (Holmes und Rahe 1980, S. 164; . Tab. 13.7).

Grundsätzlich gelten für Trennungsgespräche die gleichen Regeln wie für Führungsgespräche (7 Abschn. 9.3.3). Dabei ist besonders der Grundsatz der Wertschätzung zu beachten, gerade weil es sich um die Überbringung einer verletzenden Botschaft handelt. Der Schlüssel zu guten Trennungsprozessen ist eine offene, kongruente und nachvollziehbare Information mit unmissverständlichen Aussagen. Dies ist nur möglich, wenn die Vorbereitung gründlich erfolgt.

..Tab. 13.7  Skala lebensverändernder und stresserzeugende Ereignisse. (Aus Holmes und Rahe 1967, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier) Rang

Life Event

Durchschnittswerte

1

Tod des Ehepartners

100

2

Scheidung

73

3

Trennung vom Ehepartner

65

4

Haftstrafe

63

5

Tod eines nahen Familienangehörigen

63

6

Eigene Verletzung oder Krankheit

53

7

Heirat

50

8

Verlust des Arbeitsplatzes

47

9

Aussöhnung mit dem Ehepartner

45

10

Pensionierung

45

11

Änderung im Gesundheitszustand eines Familienangehörigen

44

12

Schwangerschaft

40

13

Unsicherheit der Führungskräfte reduzieren

Wertschätzung und nachvollziehbare Begründung

594

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Die Vorgesetzten entwickeln dadurch eine sichere innere Haltung. Sie ist die Basis für die Wertschätzung, die in dieser Ausnahmesituation dadurch vermittelt wird, wie die Vorgesetzten individuell gut vorbereitet sind, wie und was sie sagen und was nicht, aber auch wie und wo sie das Trennungsgespräch führen.

----

Inhaltliche Vorbereitung

13

-

Die Haltung und Prioritäten für das Gespräch Einen „Anker“, wenn es schwierig wird Wissen über „Personelles“: Familienstand, Geburtstag, Jubiläum im Unternehmen Kennen der Personalakte: Abmachungen, Weiterbildungsbeiträge etc. Festhalten der Gesprächsinhalte (insbesondere die Begründung schriftlich formulieren) Zur Vorbereitung gehört auch die Formulierung und Übung der ersten 5 Sätze – es kommt auch hier ganz speziell auf den Ton und die Körpersprache an. Vorbereitung auf mögliche Reaktionen (7 Abschn. 13.4.8) Sprachregelung gegenüber Dritten, Vorschlag als Basis für das Trennungsgespräch Kündigungsschreiben, möglicher Freistellung/Freistellungsregelung und ggf. Aufhebungsvertrag Geklärte rechtliche Aspekte Information über die Kündigung (eigene Vorgesetzte, HR, Arbeitskolleginnen, Lieferantinnen, Kundinnen, Geschäftspartnerinnen) vorbereiten

Organisatorische Vorbereitung

-

Es gibt Vieles was dafür spricht, Trennungsgespräche im Büro der Vorgesetzten zu machen. Immer öfter haben Vorgesetzte aber kein eigenes Büro mehr. Als Entscheidungshilfe für den Raum hilft die Beantwortung folgender Fragen: Wo können sie ungestört, an einem ruhigen und angenehmen Ort reden? Wo fühlt sich die Betroffene weder ausgestellt noch vorgeführt? Wie ist sichergestellt, dass die Betroffenen danach zum Auffanggespräch mit der HR-Verantwortlichen begleitet werden kann. Wie ist gewährleistet, dass heikle oder sensible Daten umgehend gesichert werden können oder gemeinsam ein Zugriff auf vertrauliche Daten gelöscht wird? Legen Sie den Gesprächstermin nicht vor Wochenenden, Feiertagen, Ferien fest, sondern vorzugsweise zu Beginn der Woche, eher vormittags. So sind Auffang- und Folge-

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

--

595

13

gespräche möglich und Auskunfts- und Beratungsstellen (z. B. Rechtsberatung, Arbeitsamt) zugänglich. Klären Sie mit HR, wer welche Unterlagen abgibt (z. B. Sozialplan, Vereinbarungen, Adressen von Stellenvermittlern, Arbeitsamt). Kündigen Sie das Gespräch kurz vorher an. Die Aufgabe der Gesprächsführung ist u. E. nicht delegierbar. Vorgesetzte, die sich vor dem Gespräch oder vor der Klarheit und der Verantwortungsübernahme für den Entscheid drücken, verlieren vor den Betroffenen und den verbleibenden Mitarbeiterinnen Respekt als Führungsperson. Optimal führen Sie das kurze Gespräch alleine. Aus rechtlichen Gründen müssen Sie in der Schweiz das Gespräch nicht zu zweit führen. In Ausnahmesituationen kann es Gründe für eine Begleitung geben. Beispielsweise wenn es im Vorfeld zu einem massiven Vertrauensbruch in der Führungsbeziehung gekommen ist, wenn tätliche Angriffe wahrscheinlich sind oder wenn die betroffene Person dies selbst wünscht. Auch in dieser Situation liegt die Gesprächsführung alleine bei der Führungskraft. Im Anschluss an das Gespräch begleiten Sie ihre Mitarbeiterin oder ihren Mitarbeiter zur verantwortlichen HR-Person. Diese kann, wenn nötig, ein Auffanggespräch führen oder vereinbaren, das weitere Vorgehen sowie die Begleitung und Offerten besprechen. Kündigen Sie mehreren Personen, staffeln Sie die Gespräche zeitlich so, dass Sie umgehend danach die Verbleibenden orientieren können.

13.4.7

Verlauf des Gesprächs

Emotionale Reaktionen aushalten

Die Gesprächseröffnung ist kurz zu halten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen ankommen können, ohne Small Talk zu erleben. Die Kündigung/Trennung/Aufhebung des Arbeitsvertrags ist in den ersten 5 Sätzen unmissverständlich auszusprechen. Wer gut vorbereitet ist, braucht viel weniger Zeit als dies spontan angenommen wird. Die Botschaft ist in wenigen Sätzen vermittelt. Vorgesetzte dürfen sich keinesfalls zu ihrem eigenen Befinden äußern (weder bezogen auf den Moment noch auf die vorangegangene Zeit). Die Betroffenen erhalten genügend Zeit, um zu reagieren. Auf Fragen braucht es entweder ruhige, sachliche Antworten oder den Hinweis, dass Abklärungen notwendig sind und die Antwort folgen wird. Die gründliche Vorbereitung zeigt sich hier besonders deutlich. Emotionale Reaktionen müssen ausgehalten werden. Günstig

Gespräche verlaufen kürzer als gedacht

alle Fragen sachlich beantworten

596

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

keine Dokumente zur Unterschrift vorlegen

ist, aufmerksam zuzuhören und das Gegenüber wissen zu lassen, dass jede Reaktion (ausgenommen eine gewalttätige) okay ist. Alle Autoren sprechen von der Erfahrung, dass die meisten Trennungserstgespräche zwischen 10 und 20 Minuten dauern. Das hat auch damit zu tun, dass die betroffenen Mitarbeitenden oft unter Schock stehen und somit gar nicht mehr aufnahmefähig sind. Keinesfalls sind ihnen Kündigungen oder Austrittsvereinbarungen zur Unterschrift vorzulegen. Die mündliche Information zum Entscheid und weiteren Vorgehen können schriftlich abgegeben werden. Austrittvereinbarungen und die detaillierte Information über Sozialpläne gehören nicht an dieses erste Gespräch. Rückmeldung von Betroffenen zeigen, dass sie froh waren, nach kurzer Zeit aufstehen zu können, den Raum wechseln zu können. Im Anschluss an die persönliche Information begleiten die Vorgesetzten den Gekündigten zu den HR-Verantwortlichen. Diese besprechen das weitere Vorgehen, offene Fragen und praktische Anliegen. 13.4.8

Reaktionsmuster der Betroffenen

Die Reaktionen der Betroffenen sind von Person zu Person unterschiedlich. Nachfolgende Beschreibungen sollen helfen, sich anhand von Typisierungen sich auf verschiedene Situationen vorzubereiten. Sie basieren auf Ausführungen von Andrzejewski und Refisch (2015) sowie Ledergerber (2009).

Geschockte

13 Emotionen zulassen und Schweigen aushalten

Die Geschockten benennen ihren Schock „Das darf nicht sein!“ oder reagieren völlig blockiert (schweigen). Heftige körperliche Reaktionen wie Zittern, Tränen, Erblassen weisen auf die starke emotionale Reaktion hin. Reaktionsmöglichkeiten der vorgesetzten Person: Emotionen zulassen, Pause machen und Schweigen aushalten, eigenes Mitgefühl und Verständnis für die Reaktion ausdrücken; Botschaft nochmals langsam und in einfachen Worten wiederholen; zur HRVerantwortlichen begleiten, nachdem die nächsten Schritte einfach und klar erläutert wurden.

Selbstbeherrschte

auch bei Coolen nachfragen

Sie zeigen keine oder kaum Anzeichen von Betroffenheit und wirken (scheinbar) „cool“, professionell, stark. Diese Mitarbeitenden haben sich sehr gut unter Kontrolle oder mit der Kündigung gerechnet. Innerlich kann es bei den Betroffenen oft ganz anders aussehen. Reaktionsmöglichkeit der vorgesetzten Person: Das Gegenüber ansehen und Offenheit für Reaktionen signalisieren. Nachfragen, um herauszufinden, was bei der Mitarbeiterin angekommen ist. Dem Gespräch eine klare Struktur geben (worum geht es heute noch, was ist offen, wie geht es wann weiter). Die Person erst zu

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

597

13

HR-Verantwortlichen begleiten, wenn klar ist, dass die Trennungsbotschaft wirklich ankam.

Aufbrausende Sie bringen ihre Überraschung, Wut oder Verärgerung spontan zum Ausdruck und argumentieren oder lamentieren. Damit verschaffen sie ihrer Erregung Luft. Oft geht dies mit stoßähnlichem Atmen einher, bei dem zeitweilig der Atem angehalten wird. Möglicherweise attackieren sie Vorgesetzte oder das Management und machen persönlich Vorwürfe. Reaktionsmöglichkeit der vorgesetzten Person: Genügend Zeit lassen, damit dem Ärger Luft gemacht werden kann; durch innere Haltung signalisieren, dass die emotionale Reaktion okay ist; sachlich in der Sprache die Botschaft wiederholen. Die Vorgesetzten machen sich die eigenen Emotionen bewusst und behalten einen klaren Kopf.

emotionale Reaktionen zulassen

Verhandelnde Die Betroffenen zeigen keinen emotionalen Schock- bzw. keine emotionale Reaktion (weil ihre Persönlichkeit so ist, sie mental vorbereitet sind). Sie vermitteln den Eindruck, als hätten sie bereits einen anderen Job „in der Tasche“; möglicherweise hören sie aufmerksam zu und beginnen danach sofort zu verhandeln. Reaktionsmöglichkeit der vorgesetzten Person: Freundlich und verbindlich die Botschaft nochmals erläutern, vielleicht mit mehr Hintergründen und das weitere Vorgehen festhalten; Fragen soweit möglich beantworten; die offenen Fragen festhalten und eine Beantwortung via HR sicherstellen. 13.4.9

Achterbahnfahrt der Gefühle

Auf dem Weg zur neuen Herausforderung Die Forschung hat eine Vielzahl von Modellen entwickelt, um zu beschreiben, wie Betroffene nach einer angekündigten Entlassung den Verlust des Arbeitsplatzes erleben. Die meisten Modelle basieren auf Erkenntnissen aus der Arbeit mit Sterbenden und deren Angehörigen (Kübler-Ross 1971). Mayrhofer (1989) unterscheidet beispielsweise vier Phasen: Schock und Nicht-Wahrhaben-Wollen/ Versuch der Wiedergewinnung/innere Neuordnung/Akzeptanz und Reorganisation. Die Übertragung eines Modells der Sterbeforschung auf den Stellenverlust scheint jedoch nicht zwingend. „Es stellt sich die Frage, inwieweit Sterbe- und Verlustmodelle geeignet sind, den Prozess der Trennung eines Individuums vom Unternehmen zu erklären. Die Literatur weist auf die Ähnlichkeit der beiden Problemkreise nur global hin, und dem Leser wird es kaum möglich, Gründe für die Annahme nachzuvollziehen“ (Fischer 2001, S. 59). Mit Fokus auf betriebsbedingte Kündigungen

freundlich und verbindlich Botschaft wiederholen

6

1

Neue Anstellung oder enttäuschte Hoffnung und Unsicherheit

Neue Anstellung oder verstärkte Verleugnung bzw. enttäuschte Hoffnung 12

7

18 13

11

5

Emotionelle Reaktion der Angestellten

17 19

8

2 3

4

9

20

14 15

10

21

1 2 3 4 5 6

Verleugnung Ärgern Vermeiden / Verhandeln Depressive Reaktion Akzeptieren Enthusiastisch

7 8 9 10 11 12

Verleugnen Ärgern Vermeiden / Verhandeln Depressive Reaktion Akzeptieren Enthusiastisch

13 14 15 16

Verleugnen Zielloser Ärger Diffuse Frustration Verstärkte depressive Reaktion 17 Akzeptieren

18 19 20 21 22

Langzeitarbeitslosigkeit

22

Arbeitslosigkeit Stellensuche

Stellensuche Austritt

Kollektiventlassung Trauerprozess

Maßnahmen zur Sicherung des Überlebens

Drohende Kollektiventlassung Schliessung

16 Sichere Anstellung

Anstellungsphase

Verleugnung

Euphorie

Verunsicherung

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Anstellung

Titel

598

Enthusiasmus Lustlosigkeit Frustration Apathie Depression

..Abb. 13.21  „Ausgedehnte Achterbahnfahrt der Gefühle“. (Von den Autoren übersetzter Auszug aus Hurst und Shepard 1986, S. 404, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons)

13 Reaktion der Gekündigten verstehen

scheint ein Ansatz hilfreich, der in den USA aus der Beobachtung von individuellem Verhalten bei Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen und Betriebsschließungen basiert (Amundson und Borgen 1982; Lopez 1983). Hurst und Shepard (1986) entwickelten daraus, ergänzt durch eigenen Beobachtungen, ein dynamisches Phasenmodell. Es zeigt, wie turbulent sich in wiederholenden Zyklen die Gefühle in ständigem Auf und Ab verändern (. Abb. 13.21). Diese Darstellung entspricht aus unserer Erfahrung bei betriebsbedingten Kündigungen in unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft, verschiedensten Berufsgruppen und Hierarchiestufen auch einer Realität in der Schweiz.

Achterbahn der Gefühle Von Hurst und Shepard (1986) „Ausgedehnte Achterbahnfahrt der Gefühle“ genannt, startet dieses Auf und Ab bereits vor der offiziellen Ankündigung der Entlassungen. Gerüchte im Betrieb und Befürchtungen der Angestellten lösen den Zyklus „LeugnungÄrger-Handeln-Depression-Akzeptanz-Enthusiasmus“ ein erstes Mal aus. Mit der Information über die bevorstehende Kündigung entsteht eine „Blase“, während der die Betroffenen ihr Engagement in der Arbeit noch erhöhen. Sie glauben, damit das Drohende verhindern zu können.

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

Danach erfolgt erneut das Auf und Ab der Gefühle. Die Abbildung zeigt zudem, dass einzelne Stadien auch übersprungen werden können. Sicher können sie sich auch wiederholen. Enthusiasmus entwickelt sich bei den „Glücklichen“, die nach dem zweiten Zyklus eine neue Aufgabe finden. Die anderen erleben den nächsten Zyklus mit noch heftigerem Erleben der Stadien. So ist der Ärger nicht mehr primär aufs Unternehmen gerichtet, die Frustration diffuser und die depressiven Episoden ausgedehnter. Die Betroffenen rappeln sich erneut auf und reagieren euphorisch, sofern sie eine Stelle finden. Entlassene, die mehrere solche Zyklen von Auf und Ab durchlebt haben, droht ein negativer Verlauf bis hin zu Apathie sowie Depression und trotz Suchbemühungen Langzeitarbeitslosigkeit.

599

13

wiederholtes Auf und Ab der Gefühle

13.4.10 Begleitung

bei Austritt und Stellensuche

Outplacement

Für die Gekündigten stellt ein möglichst unbeschadetes Durchleben der „ausgedehnten Achterbahnfahrt der Gefühle“, bei gleichzeitiger Neuorientierung und Vorbereitung für den Arbeitsmarkt, eine große Herausforderung dar. Die Einsamkeit der Betroffenen ist groß und die bestehende Bewerbungskompetenz ist meist überholt. Die Zeit der betrieblichen HR-Verantwortlichen ist beschränkt. Sie sind in der Regel mit den Trennungs- und Austrittsprozessen überlastet. In dieser Situation ermöglichen immer mehr Unternehmen den Betroffenen eine externe Outplacement-Beratung. Zunehmend sind sie auch Teil von Sozialplänen. Mitgliedern des Managements offerieren Unternehmen vielfach ein Budget und die Möglichkeit aus mehreren, evaluierten OutplacementAnbietern auszuwählen. Damit sichern sie den Betroffen eine professionelle Begleitung durch die Achterbahnfahrt. Gerade bei Älteren, bei denen die letzte Bewerbungserfahrung weit zurück liegt, ist diese Fachbegleitung von besonderer Bedeutung. Es gilt für sie, ihre Erfahrungs- und Sozialkompetenz aufzuarbeiten und eine selbstbewusste Präsentation zu entwickeln und einzuüben. Für einen erfolgreichen Verlauf der Stellensuche müssen sie insbesondere die vielfach verkümmerten beruflichen und persönlichen Netzwerke erneut aktivieren (Reemts und Nadig 2015). 13.4.11 Verbleibende

Mitarbeiter

Meist zu wenig beachtet wird beim Trennungsmanagement die Situation der verbleibenden Angestellten. Nach Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen hat sich das Unternehmen für die Verbleibenden verändert. Der Umgang mit den sogenannten Survi-

professionelle Begleitung sichern

persönliches Netzwerk aktivieren und ausbauen

600

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

vors ist von Beginn an Thema in der Planung des Trennungsprozesses. Noch gibt es wenige, auf empirische Forschung gestützte Erkenntnisse zu den Reaktionen dieser Angestellten. Es ist davon auszugehen, dass nach einem Personalabbau bei den Survivors insbesondere zu folgenden Phänomenen kommt:

---

Survivors

nicht nur Kündigungen planen

13

die Kriterien zur Auswahl der Gekündigten offenlegen

Angst vor weiteren Entlassungen und generelle Zukunftsangst Unterbruch der Karriere Verlust oder Verminderung der Kontrolle über die Arbeitssituation oder gar über die ganze Lebenssituation Erhöhte Anforderungen in Bezug auf die Mobilität, den Arbeitsdruck sowie den Konkurrenzdruck Auftreten oder Verstärkung von Mobbing Unterlassung von Krankmeldungen aus Angst, als nicht leistungsfähig eingestuft zu werden Signifikanter Anstieg der Krankmeldungen (Mattle 2010; Weiss und Udris 2001).

Auf der Basis einer Metaanalyse von 80 veröffentlichten und unveröffentlichten Primärstudien mit 98 unabhängigen Stichproben beschreibt Dietrich (2013) abschließend auch praktische Ansätze für Personalverantwortliche und das Management. Sie empfiehlt u. a. den Einbezug der Mitarbeitenden in den Gestaltungsprozess der Veränderung. Dies habe eine hohe positive Wirkung: „Konkret kann damit das Gefühl der Machtlosigkeit der Survivors reduziert werden …“ (Dietrich 2013, S. 187). Weiter empfiehlt sie, dass in der Planungsphase erarbeitete, nachvollziehbare Entscheidungsregeln dafür definiert werden, wer von der Kündigung betroffen ist. So können die Survivors anhand nachvollziehbarer Kriterien erkennen, weshalb sie den Veränderungsprozess überstehen und im Unternehmen verbleiben können. Von großer Bedeutung ist auch, dass „… Klarheit hinsichtlich möglicher Unterstützungsangebote für Survivors und Gekündigte herrscht“ (Dietrich 2013, S. 185).

Führungskräfte sind entscheidend

Führungskräfte vorbereiten

Die Metaanalyse zeigt zudem deutlich: Eine entscheidende Rolle für das Erleben der Survivors hat die Unterstützung durch die direkten Vorgesetzten. Diese sind darum frühzeitig auch im Umgang mit den Verbleibenden zu schulen. Weiter benötigen Führungskräfte ausreichende Informationen, um die von der Geschäftsleitung getroffenen Maßnahmen selbst nachvollziehen und ihre positive Haltung dem Unternehmen gegenüber beibehalten zu können. Beim Führen im

13.4  •  Trennungsprozesse gestalten

Wandel gilt es „‚Gewohntes‘ infrage zu stellen, bei den Mitarbeitern Unsicherheit wahrzunehmen, manchmal auch konstruktiv zu irritieren, den Wandel mutig zu begleiten und Wissenstransfer sowie Know-how-Sicherung zu betreiben“ (Andrzejewski und Refisch 2015, S. 432). Die Autoren erwähnen zudem, worauf Führungskräfte im Wandel speziell zu achten haben: Einfühlung zeigen. Sich eigener Flucht- und Abwehrreaktionen bewusst sein, ihnen aber nicht nachgeben. Für andere Verständnis zeigen, ohne deren Probleme zu eigenen zu machen. Für Mitarbeitende stets erreichbar und zugänglich sein. Eigene Gefühle und Empfindungen reflektieren, dazu stehen, wie auch zu persönlichen Grenzen. Als Vorbild Zuversicht und Professionalität leben.

---

Individuelle Retentionsgespräche mit Vorgesetzten oder Gruppenanlässe mit Verantwortlichen des Unternehmens unterstützen Survivors, sich in der neuen Realität zu Recht zu finden. Weiter sind die generellen Retentions- und Entwicklungsmaßnahmen des Unternehmens zu nutzten. Zusammenfassung Trennungsprozesse gehören zur betrieblichen Realität. Besonders anspruchsvoll sind betriebsbedingte Kündigungen, wenn eine große Zahl Angestellter betroffen ist. In der globalisierten Wirtschaft sind die Hintergründe entsprechender Projekte neben Downsizing und Merger und Acquisitions zunehmend die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Eine, auf der Unternehmenskultur basierende Trennungskultur ist die Basis für Trennungsprozesse. Diese Vorhaben sind Teil des Change Management eines Betriebs und werden als Unternehmensprojekte geführt. Voraussetzung einer professionellen Durchführung des, für die Beteiligten schmerzhaften Prozesses, ist eine differenzierte Vorbereitung. Dazu gehören u. a. klare Ziele, die Evaluation von Alternativen und die Definition von Kriterien bei der Auswahl von Betroffenen. Eingehalten werden müssen dabei auch gesetzliche und vertragliche Informations- und Mitspracherechte. Von Beginn an muss die Begleitung der verbleibenden Angestellten mitberücksichtigt werden. Schlüsselpersonen im Prozess sind das Topmanagement, die direkten Führungskräfte der betroffenen Angestellten und die HR-Verantwortlichen. Im Zentrum der Umsetzung steht nach der Vorbereitung die Kommunikation. Dabei kommt dem Trennungsgespräch eine besondere Bedeutung zu. Dieses wird von den direkten Vorgesetzten durchgeführt.

601

13

Führungsverhalten ist entscheidend Gespräche, Retentions- und Entwicklungsmaßnahmen

Zusammenfassung

602

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Die Vorbereitung der Vorgesetzten auf die Gespräche – inklusive auf mögliche Reaktionen der Betroffenen – ist in zweierlei Hinsicht zentral: Erstens macht es Vorgesetzte sicherer und zweitens macht es sie auch durch diese erhöhte Sicherheit bedingt, klarer und ruhiger, was wiederum für die Betroffenen sehr wichtig ist. Wichtig sind auch organisatorische Fragen. Die Betroffenen erleben die Zeit vom Gerücht über mögliche Maßnahmen bis Hin zu einer neuen Stelle oder zum Absinken in Dauerarbeitslosigkeit als emotionale Achterbahnfahrt. Sie hat mehrere Zyklen, in denen sich spezifische Stadien wiederholen. Die Begleitung der Betroffenen obliegt dem HR. Für die Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt werden vielfach externe Dienstleister beigezogen. Die Vorgesetzten müssen sich durchaus auch mit Unterstützung von HR um die Verbleibenden und deren Probleme kümmern. Die Belastungen der Survivors werden unterschätzt. Sie gut vorzubereiten und kompetent zu begleiten, ist zentral für den wirtschaftlichen Erfolg von betriebsbedingten Trennungsprozessen.

Literatur

13

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Literatur

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603

13

604

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Literatur zu Abschn. 13.2 Beck, R., & Schwarz, G. (2004). Personalentwicklung. Bobingen: Kessler. De Groot, T., & Gooty, J. (2009). Can nonverbal cues be used to make meaningful personality attributions in employment interviews? Journal of Business and Psychology, 24(2), 179–192. Graf, A. (2005). Personalentwicklung als Kompetenzerweiterung – Mitarbeitende fordern und fördern. In G. Ochsenbein & U. Pekruhl (Hrsg.), Erfolgsfaktor human resource management. Zürich: WEKA. Hausherr Fischer, A. (2013). Personalentwicklung als Führungsaufgabe. In T. Steiger & E. Lippmann (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte. Heidelberg: Springer. Huber, B. (2005). Grenzen und Möglichkeiten der Personalentwicklung in KMU. Zürich: Studienarbeit an der Hochschule für Angewandte Psychologie. Mentzel, W. (2005). Personalentwicklung. Erfolgreich motivieren, fördern und weiterbilden. München: Beck. Negri, C. (2012). Erwachsene lernen nicht im luftleeren Raum. Was zeichnet nachhaltige und nutzbringende Weiterbildungen aus? http://www.hrtoday.ch. Zugegriffen: 15. Juni 2015. Negri, C. (2016). Führung im Zeitalter virtueller Arbeitswelten. In O. Geramanis & K. Hermann (Hrsg.), Führen in ungewissen Zeiten (S. 159–172). Wiesbaden: Springer Gabler. Seufert, S., Fandel-Meyer, T., Meier, C., Diesner, I., Fäckeler, S., & Raatz, S. (2013). Informelles Lernen als Führungsaufgabe. scil Arbeitsbericht 2014. St. Gallen: Universität St. Gallen. Wunderer, R. (2006). Führung und Zusammenarbeit. Eine unternehmerische Führungslehre (7. Aufl.). München: Wolters Kluwer.

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605

13

606

Kapitel 13  •  Personalgewinnung, Entwicklung und Trennungsmanagement

Holmes, T. H., & Rahe, R. H. (1980). Social rejustment rating scale. In H. Katschnig (Hrsg.), Sozialer Stress und psychische Erkrankung. München: Urban & Schwarzenberg. Hurst, J. B., & Shepard, J. W. (1986). The dynamics of plant closings: the extended roller coaster ride. Journal of Counseling and Development, 64, 401–405. Kübler-Ross, E. (1971). Interview mit Sterbenden. Stuttgart: Kreuz. Ledergerber, K. (2009). Trennungsmanagement. Zürich: PRAXIUM. Lopez, F. G. (1983). The victims of corporate failure: some preliminary observations. Personnel and Guidance Journal, 61, 631–632. Mattle, B. (2010). Survivors von Massenentlassungen. Saarbrücken: VDM. Mayrhofer, W. (1989). Trennung von der Organisation. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag. Reemts Flum, B., & Nadig, T. (2015). 50plus – Neuorientierung im Beruf. Zürich: Springer. Streiff, U., et al. (2012). Arbeitsvertrag (7. Aufl.). Zürich: Schulthess. Praxiskommentar Weiss, V., & Udris, I. (2001). Downsizing und Survivors. Arbeit, 2(10), 7.

13

607

Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit Urs Alter, Jean-Christophe Duméril, Stefan Heer, Hansjörg Künzli 14.1

Informieren als Führungsaufgabe  –  609

14.1.1 14.1.2

Information: ein existenzielles Grundbedürfnis  –  609 Information: ein betriebswirtschaftliches Grundbedürfnis – 611 Informieren ist zentrale Führungsaufgabe  –  612 Information oder Kommunikation?  –  614 Bringpflicht und Holschuld gilt für alle  –  615 Schlechte Informationstätigkeit beschädigt Vertrauen  –  615 Informationswege – 616 Informieren in Krisensituationen  –  618 Zehn Grundregeln des Informierens  –  619 (Micro‑)Computersicherheit, Spionage und Fälschung  –  620 Elektronische Informationsmittel, analog und digital  –  621 Gute oder schlechte Informationsquellen, Vertrauenswürdigkeit – 624 Faktor Mensch – 625 Mitteilungsbedürfnis – 625 Informationsmittel richtig auswählen und richtig einsetzen  –  631

14.1.3 14.1.4 14.1.5 14.1.6 14.1.7 14.1.8 14.1.9 14.1.10 14.1.11 14.1.12 14.1.13 14.1.14 14.1.15

14.2

Wissensarbeit und Innovation  –  635

14.2.1 Innovation und Wissensarbeit – eine Einführung  –  635 14.2.2 Denkfehler der Wissensarbeit – 640

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_14

14

14.2.3 14.2.4

Wie führt man Wissensarbeiter?  –  644 Innovation und Wissensarbeit auf einen Punkt gebracht  –  652

14.3

Motivation – 654

14.3.1 Einleitung – 654 14.3.2 Motivation und motivieren  –  654 14.3.3 Rahmenmodell motivierten Handelns – Motivation als Produkt von Person und Situation  –  655 14.3.4 Motivation und Motive: Leistung, Anschluss und Macht  –  657 14.3.5 Annäherung und Vermeidung – 658 14.3.6 Implizite und explizite Motive  –  659 14.3.7 Intrinsische und extrinsische Motivation – Wege oder Ziele?  –  660 14.3.8 Führung und Motivation  –  661

Literatur – 673

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

14.1

609

14

Informieren als Führungsaufgabe

Urs Alter, Jean-Christophe Duméril

Auf einen Blick

Auf einen Blick

Information und Kommunikation sind in jedem soziotech‑ nischen System eine entscheidende Voraussetzung für das Funktionieren: Ohne Information können keine Ziele erreicht, kann nicht effizient zusammengearbeitet, können die Mit‑ arbeiter nicht motiviert werden, Eigenverantwortung zu übernehmen und mitzudenken. Voraussetzung dafür ist u. a., dass nicht nur von den betriebswirtschaftlichen Informations‑ bedürfnissen ausgegangen wird, sondern ebenso von den individuellen. Der Führungsaufgabe des Informierens kommt im Führungsprozess eine zentrale Bedeutung zu: Damit wird nicht nur Leistung direkt beeinflusst, sondern auch Vertrauen aufgebaut. In der Informationspolitik eines Vorgesetzten wird sein Führungsverständnis sichtbar; die Informationspolitik eines Unternehmens ist ein wichtiges Merkmal der Unter‑ nehmenskultur.

14.1.1

Information: ein existenzielles Grundbedürfnis

Wenn wir an Information denken, fallen uns zunächst die Massenmedien ein: Zeitungen, Radio, Fernsehen. Sie liefern uns Nachrichten über die Welt, in der wir leben, sie setzen uns ins Bild über aktuelle Geschehnisse, sie bereichern unser Wissen über die Welt. Sie ermöglichen uns, eine eigenständige Meinung zu bilden, indem wir Beziehungen zu schon vorhandenem Wissen herstellen und neues Wissen einordnen. Vielleicht haben auch Sie sich schon gefragt: Wozu all diese Informationen, was brauche ich davon wirklich? Aber offenbar entsprechen diese Informationen einem Bedürfnis, sonst hätte sich nicht ein hart umkämpfter Markt gebildet. Wenn wir an Informationen denken, kommt uns auch der Chef in den Sinn, der in der letzten Sitzung nur unzureichend und unklar über die Reorganisationsabsichten der Geschäftsleitung informierte. Wir hatten hinterher den Eindruck, trotz Informationen verwirrter zu sein, keine Zusammenhänge zu erkennen und vermuten, dass gar nicht alles gesagt worden ist. Von Informationen können wir aber auch sprechen, wenn wir sehen, wie der Hund mit dem Schwanz wedelt, wenn wir schon beim ersten Löffel merken, dass die Suppe versalzen ist, wenn wir beim Heimkommen den Duft unseres Lieblingskuchens riechen. All diese Informationen setzen uns ins Bild über etwas, bereiten

Informationen helfen uns, Zusammenhänge zu ver‑ stehen

610

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

ohne Information kein Leben

Neugier

Existenzsicherung

Sicherheit

14

Kontakt

uns auf etwas vor, erklären uns Vorkommnisse, helfen uns zu verstehen.Information ist zunächst einmal alles, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können: Was wir sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen können. Solange wir leben, können wir wahrnehmen – solange wir wahrnehmen, leben wir. In diesem Sinne besteht Leben auch zu einem großen Teil aus Übertragung von Information. Nur Tote brauchen keine Informationen mehr. Information ist damit ein existenzielles Grundbedürfnis, sie ist absolut notwendig zum Leben. Vier Aspekte machen dieses existenzielle Grundbedürfnis aus: Information befriedigt unsere Neugier: In unserer Kultur hat Neugier einen negativen Beigeschmack. Wir denken dabei an die Lust des Schlüsselloch-Guckens und vergessen dabei, wie Neugier lebensrettende Funktionen haben kann. Nur wer neugierig ist, kann auch lernen. Nur wer neugierig ist, kann auch möglichen Gefahren ausweichen. Natürlich ist nicht jede Neugier so zu verstehen. Die Boulevardmedien leben vor allem davon, dieses Grundbedürfnis schamlos auszunutzen. Information sichert unsere Existenz: Bei den Naturvölkern hatten Informationen wie Rauchzeichen und Trommeln existenzsichernde Bedeutung. Sie warnten zum Beispiel vor herannahenden Gefahren. Auch wir kennen die Bedeutung dieser Funktion: Denken wir z. B. an einen Atomunfall, an verseuchtes Wasser, an einen Staudammbruch: Nur rasche und eindeutige Information sichert unser Überleben. Denken wir an weniger dramatische Situationen: Um nicht zu verhungern, müssen wir wissen, wo wir einkaufen können; um Arbeit zu finden, müssen wir wissen, wo suchen; um keinen Unfall zu erleiden, müssen wir über die Sicherheitsvorschriften informiert sein. Information gibt uns Sicherheit und Orientierung: Wenn wir eine Arbeit gut machen wollen, müssen wir unter anderem wissen, worauf es ankommt, d. h. wir suchen Sicherheit. Der Wegweiser an der Straße gibt uns Sicherheit darüber, dass wir auf dem rechten Weg sind und gibt uns gleichzeitig die Orientierung über die richtige Richtung. Menschen brauchen Sicherheit und Orientierung. Damit ist das garantiert, was man die Suche nach dem Sinn nennen könnte. Die Antworten auf orientierende Fragen wie: Wo? Warum? Wann? Weshalb? Wer? Wie viel? Wie lange? haben natürlich auch mit der Neugier zu tun, aber noch viel mehr mit in der Suche nach Sinn: Der Mensch will verstehen, er sucht Sinn in seinen Tätigkeiten und in seinem Dasein. Informationen, die er nicht einordnen kann, sind sinnlos und verunsichern ihn. Information schafft Kontakt: Der Mensch ist ein soziales Wesen und verbringt einen Großteil seiner Zeit in Gruppen. Informationen ermöglichen Kontakt, und über Kontakt erhält

-

611

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

14

Informationen befriedigen

individuelle Bedürfnisse Neugier Sicherheit Orientierung Kontakt

betriebswirtschaftliche Bedürfnisse Steuerung Planung Entscheidungsgrundlagen Koordination der Zusammenarbeit

Ziel: kompetentes und situationsgerechtes Handeln

..Abb. 14.1  Informationsbedürfnisse und Zielsetzungen im Unternehmen

er Informationen. Wir sind darauf angewiesen zu wissen, mit wem wir es zu tun haben, mit wem wir zusammen sein können, was von uns erwartet wird, aber auch, was andere von uns erwarten müssen. Informationen erleichtern unser Zusammensein und Zusammenwirken, ja, sie sind Voraussetzung dafür. Im Kontakt geben und erhalten wir Informationen. 14.1.2 Information:

ein betriebswirtschaftliches Grundbedürfnis

Wenn wir eine Organisation als soziotechnisches System verstehen (7 Kap. 2), müssen wir davon ausgehen, dass Informationen neben den individuellen Bedürfnissen auch betriebswirtschaftliche Grundbedürfnisse abdecken müssen, wenn das System „funktionieren“ soll. Die Organisation muss im Hinblick auf Zielerreichung, Zweck, Aufgabenerfüllung gesteuert werden. Dazu bedarf es interner Informationen (z. B. Arbeitsauslastung, Kostenfaktoren, Qualitätsprobleme) und externer Information (z. B. Marktsituation, Konjunkturlage, Rechtsordnung) für die Planung, als Entscheidungsgrundlagen und für die Koordination der Zusammenarbeit in der komplexen Organisation. Ziel dieser Informationen ist das kompetente und situationsgerechte Handeln im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung und Zielerreichung (. Abb. 14.1). In der Organisation müssen beide Informationsbedürfnisse gleichermaßen abgedeckt sein (. Abb. 14.1). Es genügt nicht, auf der betriebswirtschaftlichen, „rationalen“ Ebene eine möglichst lückenlose Information zu garantieren (z. B. durch klare Abläufe, klare Organisationsinstrumente wie Stellenbeschreibungen oder genaue Kennzahlen). Die eher psychologisch begründeten individuellen Informationsbedürfnisse müssen ebenso berück-

mit Informationen wird das System gesteuert

beide Informationsbedürf‑ nisse müssen abgedeckt werden; ohne Informationen keine Motivation

612

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

sichtigt werden. Nur informierte Mitarbeitende sind motivierte Mitarbeitende, nur wer informiert ist, kann auch mitdenken und Eigenverantwortung übernehmen. Wenn von den Mitarbeitenden erwartet wird, dass sie sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, müssen auch ihre ureigenen Informationsbedürfnisse durch die Organisation befriedigt werden: Neugier, Sicherheit, Orientierung und Kontakt machen nicht halt vor den Fabriktoren. 14.1.3

es entstehen immer Defizite beim Informieren

Informieren ist zentrale Führungsaufgabe

Alle Führungstätigkeiten wie Ziele setzen, planen, entscheiden, realisieren und kontrollieren sind informationsbedingt. Kein Vorgesetzter kann diese Tätigkeiten ausführen, ohne darüber zu informieren. In einem kooperativen Führungsverständnis, das auf das Mitdenken, den Freiraum und die Eigenverantwortung setzt, sind Information und Kommunikation nicht nur im Zentrum des Führungskreislaufes (. Abb. 14.2), sondern zentral für das Aufgabenverständnis und die Unternehmenskultur. Offenbar kann diese Aufgabe nie gut genug bewältigt werden. In vielen Untersuchungen zur Unternehmenskultur oder zum Betriebsklima wird die Information als verbesserungswürdig, wenn nicht gar problematisch bezeichnet. In der Liste der Demotivatoren treten unzureichende, einseitige und verspätete Informationen seitens der Vorgesetzten regelmäßig an erster Stelle auf. Die Problematik ist einerseits durch die Sache bedingt: Vom individuellen Informationsbedürfnis her betrachtet, kann man nie genügend und zu viel informieren. Vom betriebswirtschaftlichen Bedürfnis her gibt es u. a. Zwänge zur Zurückhaltung (z. B. wegen Konkurrenten oder wegen unkontrollierbaren Auswirkungen auf Mitarbeitende). Diese Problematik zeigt sich vor allem dann, wenn bei Informationsinhalten zwischen Ergebnis- und Prozessinformationen unterschieden wird. Ergebnisinformationen: Hier geht es um die Mitteilung von Entscheidungen, um das, was in der Organisation handlungsrelevant ist, das „need to know“. Prozessinformationen: Hier geht es um Informationen über Entwicklungen, Beabsichtigtes, Geplantes, Bevorstehendes, das „nice to know“.

-

14

zu viel Ergebnisinformation

In Organisationen herrschen in der Regel ein Mangel an Prozessund ein Überfluss an Ergebnisinformationen. Führungskräfte tun sich mit Prozessinformationen schwer. Dies hat neben Organisationsinteressen auch mit ihren persönlichen Interessen zu tun. Informieren heißt auch Macht abgeben und Wissen mit anderen teilen. Wenn sich Mitarbeitende mit ihrer Organisation und ihrer Aufgabe identifizieren sollen, brauchen sie Prozessinformationen,

613

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

Anerkennung Kritik

14

Ziele setzen

kontrollieren

Information Kommunikation

planen

realisieren

entscheiden Aufträge erteilen Delegieren Instruieren neue Mitarbeiter einführen Sitzungen leiten

..Abb. 14.2  Stellenwert von Informationen im Führungskreislauf

denn solche Informationen schaffen in erster Linie Vertrauen. Deshalb ist andererseits die Informationsproblematik im Selbstverständnis der Führungskräfte verankert. In der Art und Weise des Informierens wird die gelebte (und nicht aufgeschriebene!) Informationspolitik des Unternehmens sichtbar, und es wird das Führungskonzept des einzelnen Vorgesetzten transparent. Zeig mir, wie du informierst – und ich sage dir, wie du führst! Einige Schlüsselfragen illustrieren dies:

-

zz Wie wird informiert?

Wird immer erst dann informiert, wenn gefragt wird und unter Druck? Werden bei schwierigen Entscheidungen die wirklichen Gründe auf den Tisch gelegt? Erhalten die Mitarbeitenden die Informationen von den Verantwortlichen oder erfahren sie sie auf einem dritten Weg über die Medien oder von Kollegen? Erhalten alle Betroffenen die für sie relevanten Informationen?

in der Art und Weise des Informierens zeigt sich die Führungskultur

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

614

14.1.4 Schwächen der Ein-Weg-Kommunikation

im Zweifelsfall immer ZweiWeg-Kommunikation

A Sender

B Information

Empfänger

..Abb. 14.3 Ein-Weg-Infor‑ mation

Informationstechnologien verbessern die Informations‑ kultur nicht

14

Information oder Kommunikation?

Kommunikation ist das elementare Mittel zur Verständigung zwischen Menschen. Sie dient der Übertragung von Information. Zum Zustandekommen von Kommunikation sind mindestens zwei Partner notwendig, die man in Anlehnung an das Informationsmodell aus der Elektrotechnik als Sender und Empfänger bezeichnen kann (7 Abschn. 7.1). A sendet eine Information (Nachricht, Mitteilung) aus. B empfängt und entschlüsselt sie. Diesen Vorgang nennt man in einem engeren Sinn Information/Informieren oder auch Ein-Weg-Kommunikation. Information ist dabei der Inhalt der Kommunikation. Die Schwäche dieses Vorgangs liegt auf der Hand: Der Sender ist nie sicher, ob der Empfänger die Nachricht auch richtig verstanden hat, denn der Empfänger gibt keine Rückmeldung, die zur Klärung führen könnte. Alle schriftlichen Informationen haben diese Schwäche, deshalb können schriftliche Informationen auch noch so verständlich abgefasst sein, sie bedürfen immer noch der mündlichen Darlegung. Reagiert B auf die Information des Senders, so wird B selbst zum Sender und der Sender A zum Empfänger. B fragt zum Beispiel etwas oder er gibt seinem Unverständnis Ausdruck, d. h. mit anderen Worten, es gibt eine Rückkoppelung, ein Feedback. Es entsteht dann eine Wechselbeziehung, ein Prozess des Informationsaustausches, ein Gespräch zwischen Sender und Empfänger. Erst diese Wechselbeziehung bezeichnet man im engeren Sinn als Kommunikation, oder genauer als Zwei-Weg-Kommunikation (. Abb. 14.3, . Abb. 14.4). Information und Kommunikation sind also miteinander eng verbunden. Für die Praxis der Führung ist eine strikte Trennung dieser beiden Begriffe weder sinnvoll noch notwendig. Dabei ist jedoch klar, dass die Zwei-Weg-Kommunikation der Ein-WegKommunikation, also dem „reinen“ Informieren, der „Befehlsausgabe“, in Bezug auf das Verstehen und das Einverstanden-Sein – was zentral ist für situationsgerechtes Verhalten – überlegen ist. Zwei-Weg-Kommunikation hat nicht nur mit dem Gespräch zu tun, alle elektronischen Informationsmedien beinhalten diesen Vorteil, weil man miteinander kommunizieren kann. In diesem B

A Sender/ Empfänger

Information

Feedback (Information) ..Abb. 14.4  Zwei-Weg-Information = Kommunikation

Empfänger/ Sender

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

615

14

Zusammenhang betonen wir, dass die heutigen Informationstechnologien nicht unbedingt zu einer besseren Informationskultur beitragen, sondern einfach zu schnelleren und effizienteren Informationsübertragungen, die Bedingungen für das Funktionieren einer globalisierten Wirtschaftswelt sind (Flexibilität in Produktion, Standorten, Aufgaben, Zugehörigkeit zu Teams und Arbeitszeiten). 14.1.5

Bringpflicht und Holschuld gilt für alle

Es genügt nicht, wenn Vorgesetzte ihrer Pflicht nachkommen und die Aufgabe des Informierens sehr ernst nehmen. Dies garantiert noch nicht, dass alle relevanten und notwendigen Informationen bis zu den vorgesehenen Empfängern gelangen. Auch die besten Vorgesetzten können immer wieder etwas vergessen, sie wissen nicht immer, welche Informationen ihre Mitarbeitenden, ihre Kollegen oder die Geschäftsleitung brauchen. Wer Informationen vermisst, soll sich deshalb nicht einfach darüber beklagen, sondern sich die fehlende Information selbst holen. Vielfach wissen nämlich die Betroffenen sehr wohl, welche Informationen ihnen noch fehlen. Es ist ihre Verantwortung, sich diese Informationen zu beschaffen. Das Grundprinzip der Bringpflicht und der Holschuld gilt nicht nur für Führungskräfte. Informationen zu erhalten und sie zu geben, ist in vielen Sachfunktionen ebenfalls eine zentrale Tätigkeit. Wer Verantwortung wahrnehmen will und Selbstständigkeit und Freiraum in seiner Tätigkeit beansprucht, kann sich nicht auf das Recht verlassen, informiert zu werden, sondern er muss selbst aktiv werden, wenn notwendige Informationen fehlen. Mitarbeitende haben also ebenso wie Vorgesetzte eine Bringpflicht und eine Holschuld, was Informationen betrifft. 14.1.6

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Schlechte Informationstätigkeit beschädigt Vertrauen

zz Maximen der Informationstätigkeit

Informationen müssen offen, wahr, rechtzeitig, zugänglich für alle Betroffenen, verständlich für die Betroffenen sein.

Wenn auch nur eine dieser Maximen verletzt wird, entsteht Misstrauen. Beispiele dafür lassen sich in vielen Bereichen finden: in der Familie, im Staat, im Unternehmen. Der Schaden ist dann auf lange Sicht irreparabel.

verantwortungsvolle und selbstständige Mitarbeiter bringen und holen sich Informationen

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

informieren wollen statt müssen; Gerüchte vermeiden

Signale des Misstrauens

gute Informationskultur bringt wirtschaftlichen Erfolg

14

Mit diesen Bedingungen werden hohe Anforderungen an Führungskräfte gestellt. Vorgesetzte können diese Anforderungen nur erfüllen, wenn Informieren kein Informieren-Müssen, sondern ein Informieren-Wollen ist. Wie leicht kommen z. B. Vorgesetzte – in der irrtümlichen Meinung, dadurch die Position festigen und erweitern zu können – in Versuchung, nur Informationen zu vermitteln, deren Bekanntwerden nicht verhindert werden kann. Oder es werden Informationen nur einem „Kreis von Auserwählten“ weitergegeben. Unangenehme Informationen werden hinausgezögert, beschönigt oder unverständlich gemacht. Die Folgen können verheerend sein: Misstrauen, Vermutungen und Gerüchte entstehen. Ihnen kann z. B. nur wirksam begegnet werden, wenn sofort offen und für alle Betroffenen zugänglich informiert wird. Übrigbleiben wird aber doch ein schaler Nachgeschmack. Die richtige Aufnahme der Information ist wesentlich davon abhängig, in welchem Vertrauensverhältnis Informierende (Sender) und Informierte (Empfänger) zueinander stehen. Die gewünschte Auswirkung einer Information (situationsgerechtes Handeln) setzt voraus, dass Mitarbeitende ihre Vorgesetzten und damit deren Äußerungen akzeptieren. Bestehen Spannungen und Misstrauen, so sind Mitarbeitende versucht, den Informationsgehalt durch subjektive Interpretation zu verändern oder abzuwerten: „Die sollen doch erzählen, was sie wollen …“ „Die wissen ja gar nicht, wie das bei der praktischen Arbeit zugeht …“ „Alles schön gesagt, in Wahrheit meinen sie es anders …“

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Solche Äußerungen sind Alarmzeichen. Sie deuten auf eine vergiftete Atmosphäre und auf eine Misstrauenskultur hin, die den mittel- und längerfristigen Erfolg eines Unternehmens gefährden. Deshalb sind Forderungen nach Offenheit und Wahrheit nicht nur ethisch, die nach Bedarf gestellt werden, denn eine gute Informationskultur fördert den Unternehmenserfolg. Untersuchungen zeigen, dass Aktienkurs und Gewinne in einem direkten Zusammenhang mit der Kommunikations- und Führungskultur stehen. 14.1.7 Informationswege

Formelle innerbetriebliche Informationswege vertikale Informationswege

Der innerbetriebliche Informationsfluss erfolgt nach traditionellem Organisationsverständnis auf dem Dienstweg und über organisierte Informationskanäle (= formell). Das gilt auch für die beiden vertikalen Informationswege, die beide von gleicher zentraler Bedeutung sind: von oben nach unten (z. B. Entscheidungen, Aufträge, Weisungen etc.), von unten nach oben (z. B. Fragen, Vorschläge, Rapporte etc.).

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14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

Die Möglichkeit, Stellen zu überspringen, sollte grundsätzlich bestehen. Dann ist aber eine sofortige Nachinformation der übersprungenen Stelle eine unbedingte Pflicht. Nur so ist es einigermaßen möglich, den Informationsfluss zu lenken und zu kontrollieren. Sonst besteht stets die Gefahr, dass Informationen nicht mehr zielorientiert gegeben werden und Misstrauen entsteht. Für eine effiziente Arbeit, einen optimalen Arbeitsablauf und ein reibungsloses Teamwork sind ebenso horizontale Informationswege wichtig: das Weiterleiten der Informationen zwischen hierarchisch Gleichgestellten; die „schrägen“ Querverbindungen des Informationsflusses zwischen hierarchisch nicht Gleichgestellten aus z. B. verschiedenen Abteilungen, Arbeitsgruppen, Projektgruppen.

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14

Horizontale Informati‑ onswege werden wichtiger

Dies gilt für alle Stellen, deren Aufgaben sich berühren, und die Hand in Hand arbeiten müssen. Durch diese Horizontal- und Querverbindungen werden u. a. vermieden: doppelter Aufwand, Zeitverluste, Belastung der Chefs mit reinen „Briefträgerfunktionen“.

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Horizontale Informationswege waren schon immer wichtig (Matrixorganisationen, teilautonome Gruppen und Projektorganisationen können ohne diese Wege nicht funktionieren). Mit der Globalisierung haben sie jedoch an Bedeutung zugenommen. In Organisationen, die flexibel auf Veränderungen reagieren müssen, sind solche Informationswege überlebenswichtig. Mehr noch: Es stellt sich gar nicht mehr die Frage, ob Informationsbedürfnisse auf vertikalem oder horizontalem Weg erfüllt werden. Je nach Situation muss hier entschieden werden: Funktionalität und Effizienz von Informationsbeziehungen stehen im Vordergrund.

formelle Informationswege verhindern notwendige Flexibilität

Informelle innerbetriebliche Informationswege In flexiblen Organisationen würde eine starke Formalisierung von Informationswegen die Flexibilität beinträchtigen. Deshalb wird in großen Organisationen daran gearbeitet, dass Mitarbeitende sich eigene Netzwerke aufbauen, Networking ist zu einer Kernkompetenz in solchen Unternehmen geworden. Damit aber setzt man bewusst auf informelle innerbetriebliche Informationswege und legitimiert sie. Was in kleinen Unternehmen schon immer genutzt wurde (z. B. Kaffeegespräche, Beziehungen knüpfen und Spielenlassen von Beziehungen) und in großen Unternehmen oft im Versteckten stattfand und als problematisch angesehen wurde, wird heute mit Recht als Stärke einer Informationskultur angesehen. Allerdings muss hier festgehalten werden, was schon immer galt: Informelle Informationswege entfalten dann ihre Stärken für ein Unterneh-

Networking, um informelle Beziehungen aufzubauen

Vertrauen ist Voraussetzung für positive Wirkung infor‑ meller Wege

618

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Gerüchte und ihre Bekämpfung

men, wenn alle Beteiligten miteinander in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens arbeiten. Mit anderen Worten: Solange die Vorgesetzten jeder Stufe darauf bedacht sind, die Informationen offen und in ausreichendem Maße zu geben, entgegenzunehmen und weiterzuleiten, wirken sich informelle Informationen und Netzwerke positiv aus. Anders verhält es sich bei mangelnder Pflege der Informationskultur. Wird das Informationsbedürfnis nicht offen, nicht ausreichend oder nur einseitig befriedigt, fehlt gar die Vertrauensbasis, treten an die Stelle von Fakten Vermutungen, Befürchtungen und Gerüchte, die über informelle Kanäle weiterverbreitet werden. Die Bekämpfung solch gefährlicher informeller Informationen ist danach sehr schwierig: weil sie dem Vorgesetzten meist nur unvollständig bekannt sind, weil ein Dementi erfahrungsgemäß keinen neutralisierenden oder gar positiven Effekt hat, sondern als Bestätigung des Vermuteten und Befürchtungen angesehen wird und vor allem weil das Bekämpfen der Symptome die eigentlichen Ursachen des Übels nicht beseitigt.

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14.1.8 Vertrauen und Glaubwürdigkeit herstellen

14

Leitsätze

Informieren in Krisensituationen

Auch in Krisensituationen kann das Informieren nicht einfach an die interne PR-Abteilung und an die Geschäftsleitung delegiert werden. In diesen Situationen (Unfälle, Störfälle, Produktfehler, Entlassungen, Angriffe durch die Medien etc.) sind immer auch die Vorgesetzten gefordert. Hinzu kommt, dass auch sie ihre abteilungsinternen Krisen haben und meistern müssen, die für die Spitze des Unternehmens wenig Bedeutung haben. Ob es sich um eine ausgewachsene Unternehmenskrise oder um ein internes Problem handelt, die Ziele des Informierens in solchen Situationen sind immer die gleichen: Es geht darum, zu beruhigen, Gerüchten zuvorzukommen, glaubwürdig zu sein, Vertrauen aufzubauen. Solche Zielsetzungen werden erreicht, wenn auf allen Ebenen in einer betroffenen Organisation folgende Leitsätze beachtet werden: Informieren in Krisen

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Informieren Sie als Führungskraft aktiv und nicht reaktiv rasch und kontinuierlich zuerst immer direkt Betroffene wahrhaftig und empathisch kein „no comment“

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

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Informieren Sie konkret über Opfer Schaden Konsequenzen Sofortmaßnahmen Untersuchungen

14.1.9

Zehn Grundregeln des Informierens

Informieren kann man nie genügend gut. Fehler können beim Sender, beim Empfänger, beim Übermitteln, in der Wahl des Informationsmittels und des -weges gemacht werden. Die folgenden Regeln helfen, Fehler zu vermeiden: Zehn Regeln für erfolgreiches Informieren 1. Da Informieren individuelle und betriebswirtschaftliche Bedürfnisse abdecken muss, sollte das Warum und Wozu der Arbeit, Maßnahme oder Handlung herausgestellt werden. 2. Nicht zu viel auf einmal, sondern Information strukturie‑ ren, in Abschnitte unterteilen und die entscheidenden, wichtigen Punkte (Schlüsselaspekte) hervorheben. 3. Zeit zum Anpassen, Umstellen, „Reifen-Lassen“ einräumen. 4. Daran denken, dass alles Neue zuerst einem natürlichen Widerstand begegnet. 5. Durch Rückmeldungen sicherstellen, dass die Information angekommen, verstanden und akzeptiert wird. 6. Grundsätzlich auf möglichst kurze Informationswege ach‑ ten, um damit die Gefahr von Verfälschungen, Filterungen und anderen Veränderungen zu verringern. Sofortige Nachinformation übersprungener Stellen ist unerlässlich. 7. Informationen müssen konkret und unmittelbar interes‑ senbezogen formuliert sein, denn was den Empfänger nicht betrifft, wird er weder beachten noch behalten. Gehen Sie von den Interessen der Empfänger und den Auswirkungen auf sie aus. 8. Beim Formulieren kommt es hauptsächlich auf den Adres‑ saten an; er muss gewonnen werden, er muss verstehen können. In der Sprache der Adressaten informieren. 9. In regelmäßigen Gesprächen mit den Mitarbeitenden fest‑ stellen, was in Bezug auf Informationen gut ist, verbessert, verändert oder vergessen werden soll. 10. Offen und wahr informieren schafft Vertrauen. Vertrauen durch Informieren wird schneller verspielt als wieder auf‑ gebaut.

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14

620

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

14.1.10 (Micro‑)Computersicherheit,

und Fälschung

Datenmenge steigt weltweit exponentiell

Daten sind das Öl der Zukunft

Geheimhaltung als Basis von Demokratie

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Spionage

Im betrieblichen Alltag wird bei Informationsmitteln zwischen analogen und digitalen Informationsmitteln unterschieden. Der Hauptunterschied liegt darin, wie die Informationen verarbeitet werden. Die Menge der weltweit vorhandenen Daten, d. h. gespeicherte Informationen, steigt exponentiell. Nicht zuletzt, weil die Anzahl datenproduzierender Geräte weltweit wächst. So sind Haushaltgeräte (z. B. Zentralheizung) immer häufiger mit dem Internet verbunden. Das erhöht einerseits den Komfort (z. B. Einschalten der Heizung, bevor der Mieter nach Hause kommt). Anderseits lässt sich der Zustand des Gerätes aus der Ferne überwachen (z. B. Betriebsstörungen). Nicht zuletzt lassen sich oft viele Rückschlüsse auf den Benutzer ziehen (z. B. wie oft ist er zu Hause). Die folgenden Abschnitte zeigen auf, wieso dem Schutz von Daten und der Datenübermittlung eine zentrale Bedeutung beigemessen werden muss. Daten werden oft als das „Öl der Zukunft“ betrachtet. Denn durch eine kluge Auswertung großer Datenmengen lassen sich neue Zusammenhänge erkennen. So können gewisse Erdbeben durch Erfassung der Bewegung einer großen Anzahl mit Minisendern ausgerüsteten Tieren (Vögel, Hirsche, Füchse …) im Voraus festgestellt werden. Nicht minder interessant sind jene Daten, welche wir täglich mit unseren Smartphones oder am PC zu Hause und am Arbeitsplatz erzeugen. Daraus lassen sich ebenfalls viele Rückschlüsse ziehen (z. B. über das Smartphone lässt sich einfach ermitteln, welchen Weg jmd. täglich zum Arbeitsplatz nimmt). Geheimhaltung gilt als zentrales Element unserer Gesellschaft. Ohne geheime Wahlen ist keine Demokratie möglich. Ohne Gemeinhaltung lohnt es sich für einen Forscher nicht, an neuen Erfindungen zu arbeiten, da Dritte unentgeltlich seine Erkenntnisse für sich verwenden und kommerziell ausnutzen können. Das verdeckte Sammeln und Auswerten von Daten Dritter steht jedoch im Widerspruch zu diesem Recht auf Geheimhaltung. Oft hinken Gesetze und technische Schutzvorrichtungen den neuen Möglichkeiten der digitalen Datensammlung hinterher, sodass die Geheimhaltungssphäre oft unerkannt durch Dritte verletzt wird, z. B. indem Kabelfernsehbetreiber ermitteln können, welchen Sender der Kunde wann schaut und somit Rückschlüsse auf seine Filmpräferenzen ziehen können. Datenspionage lohnt sich: Es können Betriebsgeheimnisse wie neue Technologien für sparsame Automotoren oder das Verhalten von Personen und Institutionen erfasst, ausgewertet, kommerzialisiert und/oder missbraucht werden. So kann etwa ermittelt werden, welchen Preis eine Person bereit ist, für ein Produkt zu

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

bezahlen. Damit lassen sich die Preise bestimmter Produkte im Supermarkt anschließend gezielt erhöhen. Ein Autohersteller kann eine „geklaute“ neue Technologie für sich nutzen und das sparsame Auto auf den Markt bringen. Auch Erpressungen sind möglich, wie z. B. durch das Veröffentlichen geheimer Bankkundendaten. Mindestens so schädlich wie die Datenspionage ist die Datenfälschung. Durch gezielte Desinformation bzw. Streuung falscher Gerüchte in den sozialen Medien kann z. B. der Ruf von Personen oder Institutionen gezielt geschädigt werden. Die Partei, welche den Schaden verursacht, kann diesen zum eigenen Vorteil nutzen, wie etwa durch „Ausschalten“ eines Konkurrenten oder durch Machtgewinn bei politischen Wahlen.

621

14

Datenfälschung

14.1.11 Elektronische

Informationsmittel, analog und digital

Im betrieblichen Alltag wird bei Informationsmitteln zwischen analogen und digitalen Informationsmitteln unterschieden. Der Hauptunterschied liegt darin, wie die Informationen verarbeitet werden: Digitale Informationsmittel funktionieren mit Zahlen, d. h. sie benötigen (Micro‑)Computer, auch digitale Rechner genannt. Zu den klassischen digitalen Informationsmitteln gehören Fax, Internet, E-Mails. Analoge Informationsmittel kommen hingegen ohne (Micro‑)Computer aus. Dazu zählen das "​alte"​Telefon (via Kabel), das "​alte"​Mittelwellen-Radio, aber auch nichtelektronische Informationsmittel wie Handnotizen und Briefe, Zeitschriften, Mikrofilme aus Zelluloid etc.

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Digitale Informationsmittel Bei digitalen Informationsmitteln wird der Inhalt (Schrift, Ton, Bild …) zuerst in sog. digitale Daten (d. h. 1 und 0) umge‑ wandelt. Bei der Umwandlung, der Speicherung und dem Transport digitaler Daten kommen (Micro‑)Computer bzw. digitale Rechner zum Einsatz. Solche Microcomputer befinden sich heute in fast allen elektronischen Geräten (Mobiltelefone, Taschenrechner, Uhren, Laptop, Haushaltgeräte …). Digitale Daten per se können durch den Menschen allein nicht verwertet werden: Der Mensch würde lediglich einen „Haufen“ von 1 und 0 sehen. D. h. digitale Daten müssen wieder in analoge Informationen (Bild, Ton, Schrift …) umgewandelt werden, damit sie vom Menschen aufgenommen bzw. gese‑ hen oder gehört werden können. Zu den klassischen digitalen Informationsmitteln gehören auch SMS, Videotelefonie, soziale Medien (wie Facebook) etc.

digitale Informationsmittel

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

große Auswahl

Smartphones und Apps

analoge Informationsmittel

Es gibt heute eine enorme Auswahl an digitalen Informationsmitteln. Ein Grund dafür ist die Verbreitung sog. Smartphones. Das Smartphone kann als eine Kombination von Mobiltelefon und Computer betrachtet werden, beides vereint in einem handlichen Gerät. Auf Smartphones können sogenannte Apps (Programme) installiert werden. Gewisse Apps ermöglichen es, weltweit via Internet zu kommunizieren, sodass dabei keine eigentlichen Telefonkosten entstehen. Die Auswahl solcher Apps ist riesig und ständig im Wandel, sodass keine abschließende Auflistung möglich ist. Analoge Informationsmittel Als analoge Informationsmittel bezeichnet man primär klassi‑ sche Medien wie das analoge Radio (über Mittelwelle, UKW), aber auch Briefe, (Firmen‑)Zeitschriften, Mikrofilme aus Zelluloid etc. Diese funktionieren ohne Computerunterstützung bzw. mit konventioneller Elektronik. Auch manuelle bzw. nichtelektro‑ nische Mittel wie Handschrift, Briefpost, Kurier oder die früher oft anzutreffende pneumatische Rohrpost zählen dazu. Das „alte“ Telefon gehört ebenfalls zu den analogen In‑ formationsmitteln. Dort werden die Schallwellen mit ein‑ facher Elektronik in elektrische Signale umgewandelt, d. h. mit Mikrophon und Verstärker, jedoch ohne Einsatz von Microcomputern. Die elektrischen Signale werden über Kabel transportiert. Beim Empfangstelefon werden die elektrischen Signale im Hörer wieder in Schallwellen umgewandelt.

Eigenschaften, Chancen und Risiken digitaler Informationsmittel

14

Robustheit

Bei digitalen Informationsmitteln wird der Inhalt (Schrift, Ton, Bild, …) also vollumfänglich mit Zahlen beschrieben. Diese Zahlen können wiederum auf verschiedenen Medien gespeichert (z. B. Strichcode auf Preiszettel, elektrisch auf USB-Stick) oder transportiert (z. B. elektrische Impulse durch ein Kabel, Lichtsignale durch eine Glasfaser) werden. Solange das Lese- oder Empfangsgerät die Zahl 1 (z. B. Farbe Schwarz auf dem Strich-Code) und die Zahl 0 (z. B. Farbe Weiß auf dem Strichcode) richtig erkennt, kann das Gerät den Inhalt (z. B. Preis der Ware) korrekt ermitteln. Auch wenn die Tinte des StrichCodes etwas verblasst ist, funktioniert das noch sehr gut. Dies ist zugleich einer der großen Vorteile digitaler Informationsmittel: Sie sind robuster gegen physikalische Störungen beim Speichern (z. B. Kratzer in der CD) und beim Transport (z. B. Störung bei der Funkübermittlung). Zudem lassen sich Inhalte kostengünstig und ohne Qualitätsverluste kopieren und auf andere Medien (z. B. von der CD auf den USB-Stick) übertragen.

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

Dank Miniaturisierung sind die Geräte sehr kostengünstig erhältlich. Mit der Digitaltechnik werden physikalische Grenzen wie Material, Alterung, bauliche und geografische Hürden, Distanz, Zeit, Vervielfältigung etc. weitgehend aufgelöst. Dies ist Fluch und Segen zugleich: Früher wurden z. B. wichtige Dokumente in Safes aufbewahrt. Wer (unbefugt) an die Daten gelangen wollte, musste einige „physikalische“ Hürden überwinden, wie z. B. den Portier am Eingang, die verschlossene Tür zum Büro, die Kameras im Raum, die gepanzerte Tür des Safes etc. und hinterließ oft eindeutige Spuren (Fingerabdrücke, Haare, etc.). Heute werden wichtige Dokumente oft digital auf sog. Servern (zentralen Computern) aufbewahrt. Eine Person mit den entsprechenden Zugriffsrechten kann via Internet auf die Dokumente zugreifen, sofern sie das nötige Passwort etc. eingibt. Der Schutz ist also nicht mehr physikalisch (dicke Wände etc.) sondern elektronisch (via Verschlüsselung, Passwort-Schutz etc.). Ob das Dokument nun von Unbefugten „geklaut“ wird, lässt sich dann nicht mehr so eindeutig anhand eines gefesselten Portiers, eingebrochener Safe-Türen und Videoaufnahmen feststellen, sondern benötigt komplexe Ermittlungen von IT-Spezialisten. Digitale Informationsmittel bleiben somit für die meisten Anwender etwas Abstraktes und wenig Fassbares, was auch entsprechende Gefahren mit sich bringt (z. B. ungewollte Verbreitung vertraulicher Dokumente).

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14

Miniaturisierung und niedrige Kosten Auflösung physikalischer Grenzen

Datenschutz, ein Feld für IT-Spezialisten

abstrakt und wenig fassbar

Spannungsfelder bei der Wahl und der Anwendung elektronischer Informationsmittel

Jedes elektronische Informationsmittel bietet viele Vor- aber auch Nachteile und Risiken. Dabei gibt es folgende typischen Spannungsfelder: Direktgespräch versus schriftlich/elektronisch: Es braucht weniger Überwindung, seine Unzufriedenheit in ein paar geschriebenen Sätzen schnell zu deponieren, diese noch mit cc in Kopie anderen bekannt zu machen und dann nach Hause zu gehen, als sich persönlich mit einem Gegenüber auseinanderzusetzen. Allerdings wird in der Regel ein Konflikt so nicht gelöst, sondern vertagt oder sogar verstärkt. Sicherheit versus Komfort: Je sicherer ein digitales Informationsmittel gegenüber Fremdeingriffen geschützt wird, desto stärker sinkt meistens der Bedienungskomfort. Z. B. erfordern sichere Systeme meistens mehrstufige Authentifizierungen mittels Passwort, Sicherheitscode über ein Zweitgerät (z. B. Token), einen Badge etc., welche die Bedienung für den Anwender entsprechend aufwändig gestalten. Kosten versus Datenschutz: Viele Systeme (z. B. Apps) sind kostenlos erhältlich. Dies kann für Privatanwender sehr attraktiv sein. Meistens verlangen die Anbieter im Gegenzug

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jedes Mittel hat Vorund Nachteile

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Sicherheit reduziert Komfort

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Privatsphäre gefährdet

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Dokumentenablagen sind aufwändig

Medienbrüche bei Einzellösungen

Lösungen nach Maß

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ein Verwendungsrecht für die Daten der Anwender (z. B. Zugang zum Adressbuch des Smartphones) und auch die Möglichkeit, diese zu kommerzialisieren (z. B. das Internetverhalten wie besuchte Homepages usw. zu erfassen und an Drittfirmen zu verkaufen). Struktur/Skalierbarkeit versus Aufwand: Eine gute Dokumentenablage bzw. ein gutes Management von elektronischen Ideen/Wissen (inkl. Archivierung) ermöglicht effizientes Arbeiten, eine hohe Lernkurve der Nutzer und Synergien in der Zusammenarbeit. Ein solches System aufzubauen und zu pflegen erfordert jedoch viel Disziplin, Aufwand sowie technische Ressourcen. Lösung „ab Stange“ oder „nach Maß“ („make or buy“): Auf dem Markt gibt es viele Fertiglösungen für ganz unterschiedliche Informationsanforderungen. Viele Lösungen decken jedoch nur einen Teil der spezifischen Bedürfnisse von Unternehmungen ab oder sind mit anderen Systemen nicht kompatibel. So entstehen sog. Medienbrüche. Beispielsweise verfügt eine Unternehmung über eine elektronische Verwaltung von Kundenadressen. Dieses System ist jedoch nicht kompatibel mit dem Telefonsystem der Unternehmung, sodass die Telefonnummern jeweils von Hand abgetippt werden müssen.

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Lösungen, welche die Bedürfnisse einer Unternehmung ganzheitlich abdecken, müssen meistens speziell bzw. „nach Maß“ entwickelt werden, was wiederum mit höheren Investitionskosten verbunden ist. Solche Lösungen können jedoch die operationellen Kosten stark senken bzw. die Effizienz der Arbeit stark erhöhen. 14.1.12 Gute oder schlechte Informationsquellen,

Vertrauenswürdigkeit

Demokratisierung der Information

Wissen frei zugänglich

Das Internet hat weitgehend zu einer „Demokratisierung“ der Informationskanäle geführt. Wer vor dem Internetzeitalter eine private Lokalradiostation betreiben wollte, musste einige materielle und finanzielle Hürden überwinden (z. B. Erhalt einer Konzession, Infrastruktur für Studio und Sender …). Heute genügt theoretisch ein portables Computergerät (z. B. Laptop) mit Internetanschluss, damit Studenten eine Radiostation betreiben können, welche auch auf der anderen Seite des Globus empfangen werden kann. Auch die Information bzw. das Wissen selbst wurde weitgehend „demokratisiert“: Wer vor dem Internetzeitalter seine Mathematikkenntnisse erweitern wollte, musste einen Kurs besuchen oder sich zumindest ein entsprechendes Buch anschaffen. Heute ist dieses Wissen auf

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

dem Internet meistens frei zugänglich, inklusive Videotutorials und Austauschplattformen mit anderen Studierenden. Diese Demokratisierung der Information hat auch in vielen Unternehmungen stattgefunden. So erlauben Intranetlösungen den direkten Zugriff der Mitarbeiter auf offizielle Dokumente. Umgekehrt haben auch die Mitarbeiter die Möglichkeit, Ihre Dokumente zentral und für andere zugänglich abzulegen. Mit der obigen Demokratisierung ergibt sich ein neues Problem: Wie kann sich eine Person im „Informationsdschungel“ bzw. in der Informationsflut zurechtfinden? Welches sind die sicheren und vertrauenswürdigen Informationsquellen, und wie unterscheidet man sie von unzuverlässigen oder gar gefälschten Quellen? Welche internen Dokumente sind aktuell, und wie lassen sie sich von veralteten Kopien unterscheiden? Ein universelles Patentrezept dazu gibt es nicht. Grundsätzlich gilt jedoch, dass qualitativ gute Information ihren Preis hat. Dies gilt sowohl für den Zugang zu externen Informationen, wie z. B. beim Zugriff auf ein wissenschaftliches Journal über eine kostenpflichtige Internetseite, aber auch zu betriebsinternen Informationen z. B. durch den benötigten Aufwand für die strukturierte Validierung und Ablage/Archivierung von Dokumenten. 14.1.13 Faktor

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14

gute und schlechte Informationsquellen

Mensch

Auch bei der Nutzung elektronischer Informationsmittel findet eine Kommunikation von Mensch zu Mensch statt. Für Führungsperson und Mitarbeiter gelten somit auch hier die allgemeinen Grundsätze der Kommunikation unabhängig davon, welches Informationsmittel gewählt wird. Grundsätzlich gilt bei der direkten Kommunikation, dass ein persönliches Gespräch mit physischer Anwesenheit der Teilnehmer wenn immer möglich anderen Wegen (Telefon, Mail …) vorzuziehen ist. Denn nur im persönlichen Gespräch können wegen des unmittelbaren Kontakts die Körpersprache und Mimik im vollen Umfang erfasst und Missverständnisse leichter und schneller korrigiert werden (7 Abschn. 14.1.4 „Information oder Kommunikation“). Das Verhalten des Menschen spielt beim Umgang mit digitalen Informationsmitteln und Informationen eine zentrale Rolle. Die untenstehenden „menschlichen“ Eigenschaften sind bewusst plakativ beschrieben, weil dadurch typische Verhaltensmuster verständlicher gemacht werden können. 14.1.14 Mitteilungsbedürfnis

Kommunikation (aus dem Lateinischen „Communicare“) bedeutet ursprünglich „teilen“, „vereinigen“ und entspricht einem Urbedürf-

Grundsätze der Kommunikation gelten auch bei elektronischen Informati‑ onsmittel

Mensch spielt eine Schlüsselrolle

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

nis des Menschen. Das ist u. a. eine Erklärung für die große Beliebtheit von sozialen Netzwerken. Kommunikation ist einerseits zentral wichtig für das Funktionieren einer Unternehmung oder einer Gesellschaft (7 Abschn. 14.1.1). Dieses Mitteilungsbedürfnis kann im Zusammenhang mit digitalen Informationsmitteln, wo Informationen blitzschnell gestreut werden können, zur Gefahr werden. Empfehlung an Führungspersonen

Welches ist das größte Risiko?

weniger aber klare Regeln

Absolute Sicherheit gibt es nicht, doch in den meisten Fällen hilft folgendes Vorgehen: a. Analyse, welcher Informationsmissbrauch für die Unter‑ nehmung den größten Schaden anrichten könnte. Z. B. in einer Bank könnte es das Weiterleiten von Kundendaten an Dritte sein. b. Wenige aber klare und verbindliche Regeln etablieren, um die obigen Risiken zu minimieren. Die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult werden. Regelmäßig sicherstellen und überprüfen, dass die Mitarbeiter diese Regeln einhalten.

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Beispiele solcher Regeln: Außerhalb des Firmengebäudes werden keine Kunden‑ namen erwähnt. Dokumentenaustausch mit Kunden und Lieferanten erfolgen nur über verschlüsselte E-Mails.

zz Unterschätzung der Missbrauchsmöglichkeiten

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Informationen gelangen schnell in falsche Hände

Informationen teilen heißt Kontrollverlust

Oft wissen Personen beim Verwenden digitaler Informationsmittel zu wenig darüber, was mit dem Informationsinhalt passiert. Diese Informationen können sehr schnell und ungewollt in falsche Hände gelangen und einen großen Schaden anrichten. Beispielsweise schickt ein Ingenieur den Schaltplan des neuen Produktes vom Hotelzimmer aus per E-Mail an seinen Kollegen des Testteams. Die unverschlüsselte E-Mail wird von einer kriminellen Organisation „abgehört“. Die Organisation bietet den Schaltplan anonym einem Konkurrenten an. Der Konkurrent lässt die Schaltung für sich patentieren und blockiert die Produktvermarktung. Wer seine Daten anderen zur Verfügung stellt, verliert grundsätzlich die Kontrolle darüber. Beispielsweise schickt eine Person ein intimes Bild von sich an ihren Freund. Das Smartphone des Freundes wird in der Garderobe entwendet. Der Dieb findet das intime Bild sowie Wohnadresse, Telefon-Nummer usw. der Person auf dem Smartphone. Der Dieb droht der dargestellten Person, das Bild zu veröffentlichen, sofern das Opfer eine verlangte Geldsumme nicht überweist.

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

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Empfehlung an Führungspersonen Für vertrauliche Informationen sind sogenannte Punkt-zuPunkt-Informationsmittel vorzuziehen, d. h. bei welchen die Adressaten klar eingegrenzt werden, wie z. B. Telefon, Video‑ konferenz, E-Mail, Fax. Im Gegensatz dazu sollen keine Informationsmittel mit „Streucharakter“ verwendet werden, bei welchen die Anzahl der Empfänger nur ungenügend eingegrenzt werden kann (z. B. soziale Netzwerke, Homepages, KommunikationsApps). Als weiterer Grundsatz gilt, wenn immer möglich verschlüs‑ selte bzw. passwortgeschützte Kommunikationskanäle (z. B. verschlüsselte E-Mails) und Ablageorte (z. B. verschlüsselte Festplatten) zu verwenden. Für eine Unternehmung lohnt es sich, Umgangsregeln sowie eine abschließende und verbindliche Liste erlaubter Infor‑ mationsmittel und Ablageorte für vertrauliche Daten (z. B. Verträge) zu erstellen.

Anzahl Empfänger eingrenzen

Informationen und Kommunikationskanäle verschlüsseln Umgang mit vertraulichen Daten regeln

zz Weg des geringsten Widerstandes

Gemäß dem in der Führungslehre gängigen Bild des „Complex Man“ hat der Mensch die Fähigkeit, sich an seine Umwelt zu adaptieren, Schlüsse aus den von ihnen wahrgenommenen Phänomenen zu ziehen, um schließlich zu agieren und zu reagieren“ (7 Abschn. 1.3 „Menschenbilder in der Organisationslehre“). In Sachen Informationsmittel heißt dies u. a., dass die Menschen tendenziell jene Werkzeuge wählen, welche ihnen das Leben (vordergründig) vereinfachen, welche am einfachsten zu kriegen und zu bedienen sind. So erfreuen sich einige Anbieter von Gratisprogrammen oder -Apps großer Beliebtheit, wie z. B. Gratis-App fürs Telefonieren via Internet. Doch was „gratis“ klingt, ist in Tat und Wahrheit ein sehr einseitiger „Deal“ zwischen Nutzer und Anbieter. Der Nutzer darf das Programm nutzen, gibt im Gegenzug einen sehr großen Teil seiner Privatsphäre und Daten preis, indem der Anbieter z. B. via App auf dem Smartphone freie Einsicht in die Adressliste und den Aufenthaltsort des Nutzers erhält. Der Nutzer wiederum hat kaum die Möglichkeit zu erfahren, was mit seinen Daten passiert. Viele Unternehmen sind wiederum dankbare und zahlungskräftige Abnehmer dieser Daten, wie etwa Versicherungsanbieter. Zeigt sich, dass diese Person öfters Pubs besucht, kann ein ungesunder Lebensstil daraus vermutet werden. So bezahlt der Nutzer plötzlich höhere Versicherungsprämien als sein „gesunder“ Nachbar. Den Grund für die Preiserhöhung erfährt der Nutzer jedoch nie.

das Leben vereinfachen

Vorsicht bei Gratis-Lösungen Privatsphäre preisgeben

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Empfehlung an Führungspersonen Vertraulichkeit klar regeln

Open-Source-Lösungen

Wo Gratissysteme für Privatpersonen eine attraktive Alterna‑ tive sein können, wählen Unternehmungen für ihre Informati‑ onsmittel und Dokumentenablage mit Vorzug professionelle Lösungen mit seriösen Partnern. Die Vertraulichkeit und der Schutz der Daten müssen dabei vertraglich klar geregelt sein. Solche Lösungen sind selten kostenfrei, jedoch zum Schutz des Betriebsgeheimnisses unabdingbar. Es gibt ebenfalls seriöse Lösungen von Open-Source-Anbietern. Bei Open-Source-Lösungen ist der Source-Code (d. h. der Inhalt des Programms) öffentlich einsehbar. Somit ist die Gefahr von Missbräuchen, wie z. B. durch im Programm eingebaute Daten‑ spionage, reduziert. Die Open-Source-Anbieter bieten ihre Lösungen oft kostenlos an. Allerdings gibt es bei diesen An‑ bietern oft keine Stelle (z. B. Helpdesk), welche bei Problemen schnell Unterstützung bieten kann. Von Gratislösungen ohne Open-Source-Charakter ist jedoch meistens abzuraten.

zz Generation Y und Z, „Digital Natives“ mit digitalen Medien großgeworden

Information als freies Gut

14

Sinn und Unabhängigkeit zuerst

Mit Y und Z werden Generationen von Personen bezeichnet, welche mit digitalen Medien großgeworden sind. Über diese Generationen existieren viele Bücher und Theorien. Wir möchten uns hier auf einige (bewusst vereinfachte) Kernaspekte konzentrieren. Digital Natives zeichnen sich durch eine hohe Virtuosität im Umgang mit digitalen Informationsmitteln aus. So ist das permanente „Verbundensein“ mit Kollegen über soziale Netzwerke etc. ein verbreitetes Verhaltensmerkmal. Diese Generationen betrachten Information primär als ein freies Gut, welches überall und für alle zugänglich sein soll. Bei der Arbeit zeigen sie ein hohes Engagement. Sinn und Selbstverwirklichung sind ihnen jedoch wichtiger als Karriere und materielle Werte. Sie zeichnen sich oft durch eine hohe Flexibilität und wenig Berührungsängste mit neuen Themen oder Technologien aus, dafür ist es ihnen wichtig, als Individuum mit eigenen Bedürfnissen behandelt zu werden. Von engen Bestimmungen, starren Regeln und Gleichstellung halten sie daher wenig. Sie möchten grundsätzlich arbeiten können, wann und wo sie wollen. Empfehlung an Führungspersonen

Selbstbestimmung und Freiraum

In Sachen digitaler Informationsmittel bewährt sich folgender Umgang mit Digital Natives: Es lohnt sich, ihnen möglichst viele Freiheiten zu gewähren, dort wo es das Geschäft zulässt.

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

Digital Natives sind am produktivsten, wenn sie selbstgewählte Arbeitsmittel (z. B. eigenes Tablet) und Informationsmittel möglichst frei und uneingeschränkt nutzen können, wie z. B. den freien Internetzugang am Arbeitsplatz, das Arbeiten unter‑ wegs oder zu Hause. Die informellen Informationsbeziehungen spielen für sie eine wichtige Rolle (7 Abschn. 14.1.7, „Informa‑ tionswege“). Elektronische Dokumente sind vorzuziehen, denn mit Papier kann diese Generation oft wenig anfangen. Auch lohnt sich die Investition in eine gute Infrastruktur (sta‑ bile Internetzugänge, leistungsfähige portable Geräte, gute Touch-Screens, gesicherter Remote-Zugriff aufs Intranet, …). Die größte „Unverträglichkeit“ mit der Grundüberzeugung von Digital Natives (Betrachtung von Information als freies Gut) zeigt sich jeweils beim Umgang mit vertraulichen Daten. Hier sind klare Regeln zu vereinbaren (z. B. Was wird wie und wo abgelegt? Kein „Teilen“ sensibler Daten über private „Kanäle“, …) und entsprechend fundiert zu begründen. So‑ lange die Digital Natives den Sinn dahinter verstehen und anderswo genug Freiheiten genießen, sind sie auch durchaus gewillt, diese Regeln zu respektieren.

629

14 Arbeitsmittel frei wählen lassen

Investition in gute Infrastruktur Umgang mit vertraulichen Daten regeln

zz Überforderung durch Informationsflut

Das einfache Verbreiten von Informationen via digitaler Informationsmittel führt zu Informationsfluten, welche manchen Menschen überfordert. Gleichzeitig sind die Opfer auch Täter, indem sie selbst viele Informationen (E-Mails, Twitter-Nachrichten, …) herumschicken oder weiterleiten. Wo noch in den 1970er-Jahren lediglich eine Handvoll TV- und Radiosender zu empfangen war, viele Haushalte eine Zeitung und vielleicht noch eine Zeitschrift abonniert hatten und Telefonieren ins Ausland teuer war, stehen heute mehrere Tausend TV- und RadioSender, Gratiszeitungen, unzählige Online Newsportale und Newsticker etc. zur Verfügung. Die kostengünstigen Smartphones sind treue Begleiter und machen uns stets erreichbar und „berieselbar“. Das dadurch entstehende Ablenkungspotenzial ist riesig. Das Risiko einer schlechteren Arbeitseffizienz und einer tieferen Aufmerksamkeit ist groß. Diese Problematik wird in einer Vielzahl von Arbeitsmethodikfachbüchern behandelt. Eine abschließende Beschreibung der Möglichkeiten im Umgang mit Datenflut würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Wir beschränken uns daher hier auf wenige grundsätzliche Empfehlungen.

Opfer und Täter zugleich

Medien-Vielzahl

hohes Ablenkungsrisiko

630

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

-

Empfehlung an Führungspersonen

persönliches Gespräch

Schrift erhöht Verbindlichkeit

-

Tipps für E-Mails

14

-

Der mündliche Dialog gilt immer noch als die effizienteste Methode, um Themen zu besprechen, Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen. Das Risiko emotionaler Missverständnisse ist kleiner, da auf die Reaktion des Gegenübers inkl. Mimik und Körpersprache sofort ein‑ gegangen werden kann (7 Abschn. 14.1.4 „Information oder Kommunikation?“, TODO). In der direkten Kommunikation (z. B. eine Führungsperson möchte mit dem Mitarbeiter Details über den nächsten Kundenbesuch besprechen) empfehlen sich daher folgende Informationsmittel: – 1. Wahl: Persönliches Gespräch mit physischer Anwesen‑ heit, z. B. in einem Sitzungszimmer. – 2. Wahl: Persönliches Gespräch via Videokonferenz oder Telefon (mündlicher Dialog). Der schriftliche Weg (E-Mail, SMS, anderweitige Text‑ nachrichten) eignet sich, um Resultate eines Gespräches festzuhalten. Der schriftliche Weg hilft so auch, die Ver‑ bindlichkeit zu erhöhen, wie z. B. durch Festhalten eines Be‑ schlusses oder einer Abmachung. Auch für die (asynchrone bzw. nicht zeitgleiche) Verbreitung einer Mitteilung an viele Personen kann der schriftliche Weg eine geeignete Option sein, wie z. B., wenn nicht alle Adressaten anwesend sind. Aber auch da gilt: Sobald Emotionen (z. B. Kritik) ausgelöst werden können, sollte – wenn immer möglich – eine „Rückkehr“ zum direkten mündlichen Dialog in Erwägung gezogen werden. Nachrichtenflut reduzieren: möglichst wenigen Adressa‑ ten eine Kopie zuschicken. E-Mails bei Konflikten vermei‑ den. Wichtige Führungsentscheide nicht einfach per E-Mail kommunizieren. Effizienter Umgang mit Nachrichten (E-Mails): aussage‑ kräftige Betreff-Zeilen wählen. Nur ein Thema pro E-Mail behandeln. E-Mail in kurze Absätze aufteilen. Eine E-Mail sollte nicht länger als 25 Zeilen umfassen. Was weniger als 2 Minuten Abarbeitung benötigt, sofort erledigen. Jede Nachricht nur einmal „in die Hand nehmen“ und sich überlegen, welche unmittelbaren Schritte daraus abzuleiten sind, wie z. B. gelesene E-Mail in einen Eintrag in der persönlichen Aufgabenliste umwandeln und E-Mail lö‑ schen. E-Mails nur zu bestimmten Tageszeiten anschauen.

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

14.1.15 Informationsmittel

richtig auswählen und richtig einsetzen

Elektronische Informationsmittel sind aus dem Unternehmungsalltag nicht mehr wegzudenken. Zusammenfassend sollen die folgenden allgemeinen Praxistipps helfen, die Auswahl und die Nutzung elektronischer Informationsmittel sinnvoll zu gestalten. „Was“ vor „Wie“. Dabei soll das „Was“ (bzw. die Bedürfnisse einer Unternehmung oder von Anwendern) im Zentrum stehen. Das „Wie“ bzw. die technische Lösung soll sich nach dem „Was“ richten. Nicht umgekehrt! Zusammenfassung 1. Kommunikationsbedürfnisse identifizieren: Was benötigt die Unternehmung oder der Nutzer? – Welche Informationen werden typischerweise genutzt und ausgetauscht? – Wie können diese Informationen kategorisiert werden (Themengruppen, Vertraulichkeit, Häufigkeit …)? – Zwischen welchen Personen oder Einheiten einer Unternehmung findet der Austausch statt? – Geografische Umstände (lokaler, länderübergreifender oder auch mobiler Zugriff …)? – Häufigkeit der Nutzung (z. B. 1 Mal pro Tag)? – In welcher Form findet die Kommunikation statt (Zweier‑ gespräch, Plenumssitzung, schriftlicher Austausch …)? – Inhaltsformen (Text, Dokumente, Bilder, Ton, Video …)? – Qualitätsansprüche (z. B. hoch verlässliche Bildüber‑ tragung)? – Sicherheitsansprüche (z. B. hohe Abhörsicherheit, hoher Kopierschutz)? Eine Betrachtung typischer Anwendungsfälle kann dabei hilfreich sein. Ein solcher Anwendungsfall könnte z. B. wie folgt um‑ schrieben sein: „Informationsveranstaltung des Ver‑ waltungsrates, welche durch alle Tochterfirmen der Welt gleichzeitig verfolgt wird“. Wichtig: Bei den obigen Überlegungen sollen möglichst noch keine technischen Lösungen in Betracht gezogen werden. 2. Priorisierung: Welche der obigen Kriterien (oder Anwen‑ dungsfälle) sind für die Unternehmung von hoher Bedeu‑ tung (z. B. die Übertragung der Informationsveranstaltung des Verwaltungsrates, zwischen Deutschland und USA möglichst ohne Bildstörungen)?

631

14 "​Was"​ vor "​Wie"​

..Abb. 14.5  © 2018 by Tobias Leuenberger

Zusammenfassung Bedürfnisse ermitteln

typische Anwendungsfälle

Priorisierung der Bedürfnisse

632

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Wahl der elektronischen Informationsmittel

Regeln und Schulungen

so wenig Regeln wie möglich

Beispiel Elektronisches Informationsmittel für Datenablage und Wissensmanagement

3. Mit welchen elektronischen Informationsmitteln können die obigen Bedürfnisse befriedigt werden? – Dabei soll der Fokus auf hochprioritäre Bedürfnisse oder Anwendungsfälle gesetzt werden. – Bei der Lösungsfindung lohnt es sich, Meinungen Dritter bzw. Fachexperten einzuholen (z. B. kommerzieller Lö‑ sungsanbieter, andere Firmen mit ähnlicher Struktur …). 4. Regeln etablieren und Mitarbeiter entsprechend schulen und sensibilisieren. Dabei lohnt es sich, möglichst wenig Regeln zu definieren, diese jedoch konsequent einzufor‑ dern und zu überwachen (z. B. Verträge werden nur über verschlüsselte E-Mails ausgetauscht). Bei nichtkritischen bzw. tiefprioritären Bedürfnissen lohnt es sich, den MA möglichst viel Freiheit zu lassen (z. B. für nicht-vertrauliche Gespräche dürfen die Mitarbeiter ihre Informationsmittel wie Chat frei wählen)

Beispiel

Elektronisches Informationsmittel für Datenablage und Wissensmanagement Intranet: vergleichbar mit einem firmeninternen Internet, welches nicht öffentlich zugänglich ist. Das System sollte es ermöglichen, auf einfache Weise neue „Themen-Sektoren“ zu kreieren, z. B. einen Sektor für interne Sitzungen, einen anderen für MA-Informationsveranstaltun‑ gen. Das Intranet verfügt optimaler Weise über ein abonnier‑ bares Benachrichtigungssystem, welches die Teilnehmer (z. B. via SMS) informiert, sobald ein Dokument an einem Ablageort hinzugefügt oder verändert wurde.

14

zentrale Ablage

Zudem soll es möglich sein, die Zugriffsberechtigungen zu steuern (z. B. wer darf auf welche Dokumente lesen oder ab‑ ändern). Auch soll ein kontrollierter Zugriff von außen möglich sein, z. B. dass ein Mitarbeiter, der sich außerhalb des Firmengebäu‑ des befindet, unter Angaben eines Passwortes via Internet auf die Dokumente zugreifen kann. Zudem soll das System „Check-In-“ und „Check-Out-Mecha‑ nismen“ zur Verfügung stellen, welche verhindern, dass mehrere Personen gleichzeitig dasselbe Dokument abändern bzw. verschiedene parallele Versionen desselben Dokumentes erzeugen. Das System soll die „Geschichte“ eines Dokumentes abspei‑ chern (Archivierung). So kann auch auf ältere Versionen oder gelöschte Dokumente zugegriffen werden.

14.1  •  Informieren als Führungsaufgabe

633

14

Das System soll eine geschickte Klassifizierung der Doku‑ mente ermöglichen. So können Dokumente gleichzeitig meh‑ reren Themenbereichen zugeordnet bzw. auf verschiedene Arten gefunden werden (z. B. via Verlinkung oder Tagging-Me‑ chanismen). Dies reduziert das Risiko von Doubletten. Zudem soll das System über eine leistungsfähige Suchma‑ schine verfügen, welche es erlaubt, nach Dokument-Inhalten zu suchen, eine sogenannte Volltextsuche.

Beispiel

Elektronisches Informationsmittel für Workshops auf Dis‑ tanz Video-Konferenz-System: Die Workshops erfolgen über ein Videokonferenz-System kombiniert mit physikalischer Anwe‑ senheit der sich lokal befindenden Teammitglieder, welche die Zuschaltung zweier oder mehr Teilnehmer zulässt. Dabei sollen pro Videokonferenz-Station mehrere Quellen (z. B. Kameras) angehängt werden können, damit neben Personen evtl. auch noch Skizzen aufgenommen werden können. Opti‑ maler Weise erlaubt das System auch eine mobile Zuschaltung via Internet (durch Smartphone/Laptop usw.) für Mitarbeiter, welche unterwegs sind (z. B. Außendienstmitarbeiter). Zusätzlich sollen Kollaborationswerkzeuge zur Verfügung stehen, welche es z. B. ermöglichen, ein Dokument durch mehrere Teilnehmer gleichzeitig bearbeiten zu lassen. So sieht jeder Teilnehmer in Echtzeit („live“), wie ein Dokument bearbeitet wird. Auch kann ein Teilnehmer selbst das „Steuer“ übernehmen und Textpassagen anpassen/ergänzen. Das Kol‑ laborationswerkzeug soll es ermöglichen, jederzeit zurück‑ zuverfolgen, welcher Teilnehmer welche Anpassungen oder Ergänzungen durchgeführt hat.

Zusammenfassung Information ist das „Lebenselixier“ jeder Organisation. Informationen müssen dabei zwei Grundbedürfnisse be‑ friedigen: einerseits die „rationalen“ betriebswirtschaftlichen Bedürfnisse, andererseits die psychologisch und existenziell begründeten individuellen Bedürfnisse. Erst die Befriedigung beider Komponenten führt zu einer Informationskultur, die Mitarbeitende darin unterstützt, die erwarteten Leistungen zu erbringen und Verantwortung zu übernehmen. Informationen von unten nach oben sind dabei ebenso wichtig wie von oben nach unten. Flexible Organisationen können nur dank Netz‑

Beispiel Elektronisches Informationsmittel für Workshops auf Distanz Video-Konferenz

Kollaborationswerkzeuge

Zusammenfassung

634

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

werken gut funktionieren, die informelle Informationswege benutzen. E-Mails sind nur dann ein effizientes Informations‑ mittel, wenn an einer E-Mail-Kultur gearbeitet wird. Informa‑ tionstechnologien ersetzen nicht die Mittel und Vorteile des persönlichen Gesprächs, und interne PR-Abteilungen können nicht die Aufgaben von Vorgesetzten übernehmen. Informie‑ ren bleibt eine zentrale Führungsaufgabe von Vorgesetzten auch im Zeitalter des Internets. Wenn diese Aufgabe schlecht wahrgenommen wird, ist das Vertrauen in einer Organisation gefährdet und damit auch der Erfolg.

Fragen zur Vertiefung

14

--

Fragen zur Vertiefung Welche Grundbedürfnisse müssen Informationen in einem soziotechnischen System abdecken? Warum gefährdet schlechte Informationstätigkeit das Ver‑ trauen? Welche Art von Information schafft v. a. Vertrauen? Überlegen Sie sich einige Beispiele aus Ihrer Organisation. Was heißt „informelle Information“? Unter welchen Voraus‑ setzungen sind informelle Informationswege positiv zu bewerten? Wann sind sie sogar notwendig? Wie können Informationen die Leistungen des Einzelnen und einer ganzen Gruppe positiv beeinflussen? Was würden Ihre Mitarbeitenden antworten, wenn Sie sie fragten: „Informiere ich Euch gut? Bekommt Ihr genügend Informationen?“ Haben Sie sie schon einmal danach gefragt? Passiert es Ihnen ab und zu, dass Sie Informationen nicht weiterleiten und verschleppen? Wenn ja: Warum? Kommt es vor, dass die Mitarbeitenden Ihre Information falsch interpretieren? Vergewissern Sie sich jeweils, ob die Informationen auch verstanden wurden? Wenn nein: Warum nicht? Haben Informationen in Ihrem Bereich auch schon zu Ver‑ mutungen, Misstrauen oder Gerüchten geführt? Weshalb? Was waren die Folgen? Wie sind Sie damit umgegangen? In welchen Situationen ist Informieren für Sie besonders schwierig: – zwischen verschiedenen Führungsebenen? – zwischen einzelnen Abteilungen/Bereichen? – zu bestimmten Mitarbeitenden? Warum? Wie steht es um die E-Mail-Kultur in Ihren Verantwortungs‑ bereich? Was müssten Sie versuchen zu verändern?

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

14.2

635

14

Wissensarbeit und Innovation

Stefan Heer

Eine Einführung in die Innovationsthematik zeigt, dass der Begriff viel weiter gefasst ist und dass Innovation alle angeht! Wie ist man innovativ? Erste Ansätze zu dieser Frage eröffnet die Einführung von Wissensarbeit. Die Grundlagen zu Innovation und Wissensarbeit bieten die notwendige Basis, um praktisch ins Thema einzutauchen. Der Absatz „Denkfehler der Wissensarbeit“ zeigt auf, dass unser Wissen uns oft im Weg steht und bietet Werkzeuge um dies zu ändern und das Innovationspotenzial vor den eigenen Füßen zu sehen und anzupacken. Wie man genau dies als Führungskraft erreicht, wird im Absatz „Wie führt man Wissensarbeiter?“ beschrieben. Was man in diesem Handbuch vergeblich sucht, sind Checklisten und Methoden. Dies hat einen Grund: Wissensarbeit wird dann zur Innovation wenn es gelingt, die Stärken, das Wissen und die Erfahrung einer Organisation sinnvoll neu zu kombinieren. Damit dies gelingt, muss ausprobiert werden, es müssen Fehler gemacht werden, es muss gelernt werden. Wissensarbeiter müssen Wagnisse eingehen. In anderen Worten: Wissensarbeit ist eher eine Frage der Haltung als eine Frage der richtigen Methode. Methoden bleiben wichtig. Der folgende Text zielt jedoch auf die Haltung. Denn keine Methode kann die richtige Haltung ersetzen. 14.2.1

Innovation und Wissensarbeit – eine Einführung

Innovation ist das Ziel

Oft denkt man bei Innovationen an Produkte oder Dienstleistungen. Weniger bekannt sind Geschäftsmodell- und soziale Innovationen. Führt ihre Vorgesetzte auf sehr unkonventionelle Weise, so kann dies eine soziale Innovation sein – wenn es funktioniert. Bestehende Produkte nicht mehr kaufen, sondern mieten; dies kann eine Geschäftsmodell-Innovation sein. Hauschildt und Salomo (2011) liefern eine differenzierte Definition von Innovation mit fünf Dimensionen. Die hier vorgestellten zwei Dimensionen stellen eine Essenz daraus dar. Innovation wird hier definiert als: Definition  Eine Innovation ist neu und sie funktioniert. 

Definition: Innovation

636

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

..Abb. 14.6  © 2018 by Tobias Leuenberger

14

Weitere Definitionen gehen auf Schumpeter (1997), Drucker (1985), Freeman und Soete (1982) und viele weitere zurück. Die meisten Definitionen sind jedoch technisch gefärbt. Einen guten Überblick liefern Carayannis et al. (2015). Dabei bedeutet „neu“, dass die angebotene Kombination einzigartig ist. Dies ist der Fall, wenn etwas von Grund auf neu ist, oder wenn Bestehendes neuartig kombiniert wird. Die Erfindung des Computers, des Telefons, der drahtlosen Kommunikation waren von Grund auf neue Innovationen, sogenannte Basisinnovationen. Heute trifft man jedoch meistens auf Innovation in Form von Kombinationen: Bestehende Produkte und Dienstleistungen mit einem neuen Businessmodell verknüpfen kann innovativ sein – wenn es funktioniert. Mutig Neues zu kreieren reicht nicht. Es muss auch funktionieren. Dass eine Innovation „funktioniert“, bedeutet, dass sie etwas einfacher, sicherer, angenehmer, effizienter, günstiger oder besser macht. Ob die Innovation funktioniert, kann daran gemessen werden, dass sie nachgefragt und benutzt wird. Grundsätzlich heißt dies auch, dass eine gute Idee alleine noch keine Innovation ist. Es braucht jedoch gute Ideen, damit daraus Innovationen entstehen können. Betrachten wir kurz den Prozess der Innovation, so gibt es verschiedene Ansätze, welche sich bewährt haben. Der klassische Innovationsprozess folgt dem Stage-Gate-Prinzip (Cooper 2002). Hierbei durchläuft eine Innovation unterschiedliche Stufen, welche durch bestimmte Tore (Gates) miteinander verbunden sind. Diese Tore sind Meilensteine, bei welchen entschieden wird, ob das Innovationsprojekt weiter geführt wird oder nicht. Die nachfolgende Abbildung illustriert dies. Sollte die Innovation eine Stufe nicht erfüllen, kann auf der vorangegangenen wiederum ein neuer Lösungsweg beschritten werden (. Abb. 14.7).

Gate

Stage

Stage

Ideenmanagement

• • • •

Kreavitätstechniken Ideenfindung Ideenbewertung Ideendatenbank

14

637

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

Gate

Machbarkeitsstudie

• Technische Realisierbarkeit

Stage Business Case

• Betriebswirtschaliche Rechnung

Gate

Gate

Stage

Produkon / Marktstart

Tesng / Validierung

• • • •

• Markorschungsunternehmen • Feldstudien

Gate

Stage

Entwicklung Umsetzung Markeng Produkt-Launch

..Abb. 14.7  Stage-Gate-Prinzip nach Cooper (2002, Copyright Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Reproduced with permission)

2. Iteraon

1. Iteraon Anforderungen Review

Test & Validierung

Zyklus

3. Iteraon

Anforderungen Entwurf

Implemenerung

Review

Test & Validierung

Zyklus

Anforderungen Entwurf

Implemenerung

..Abb. 14.8  Agiles, iteratives Vorgehen

Aus der Softwareentwicklung haben sich neuere Formen von Innovationsprozessen entwickelt. Bekannt sind die agilen Methoden, welche auf eine iterative Vorgehensweise fokussieren. Hierbei werden in kurzen Zyklen funktionsfähige Elemente der Gesamtlösung entwickelt. Das Ziel ist es, viel schneller ein anwendbares Produkt oder Teilanwendungen zu generieren, welche schon von Kunden verwendet werden können. Im Verlauf mehrerer Iterationen wird dann das finale Produkt entwickelt. Innerhalb eines Iterationszyklus, welcher zwischen 2 Wochen und wenigen Monaten dauern kann, wird an zuvor definierten Zielen gearbeitet, welche am Ende der Iteration erreicht werden sollen. Zwischen den Iterationen können die Ziele und die damit verbundenen Aufgaben neu gesetzt und priorisiert werden. Dieses Vorgehen erlaubt es, agil auf die Veränderung (Kundenbedürfnisse, Ressourcen, Marktpotenzial) zu reagieren. . Abb. 14.8 zeigt ein solch iteratives Vorgehen anhand der SCRUM Methode. Zentral bei der Entwicklung von Innovationen ist es jedoch, dass alle welche sich mit Innovationen beschäftigen (dies können alle Personen in einer Organisation sein) einerseits das Wissen teilen und die Möglichkeit haben neues Wissen zu erarbeiten. Hierbei ist es von besonderer Bedeutung, dass die Personen ein Umfeld

Review

Test & Validierung

Zyklus

Entwurf

Implemenerung

638

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

vorfinden in welchem gelernt werden kann. Lernen heißt hierbei auch, dass Fehler gemacht werden. Da eine Vielzahl an Methoden der Innovation inzwischen existieren, gehen wir nachfolgend darauf ein, was es braucht, damit Personen innovativ sein können. Für eine Vertiefung über die methodischen Herangehensweisen bietet es sich an, die entsprechende Literatur zu konsultieren.

Wissensarbeit ist der Weg

Wissensarbeit an den Grenzen des Wissens führt zu neuen Erkenntnissen – genau das ist innovieren

Um innovativ zu sein, muss man herausfinden, was funktioniert. Herausfinden was funktioniert ist Wissensarbeit. Peter Drucker hat den Begriff Wissensarbeit eingeführt, um damit eine wichtige Unterscheidung aufzuzeigen: Wissensarbeit ist Arbeit, deren Resultat hauptsächlich von Wissen und Erfahrung abhängt. Dagegen redet man von manueller Arbeit, wenn das Resultat hauptsächlich von der Ausdauer abhängt. Die folgenden Beispiele zeigen, dass diese Definition zwar nicht hundertprozentig trennscharf, aber trotzdem in der Praxis enorm hilfreich ist. Innovativ sein bedeutet herauszufinden was funktioniert. Wissensarbeiter sind ständig am Ausprobieren was funktioniert und was nicht. Durch das Einordnen dieser Erfahrungen steigt ihr Erfahrungs- und Wissensschatz kontinuierlich. Sie werden zu Experten ihres Gebietes, wissen wo es sich lohnt auszuprobieren, merken intuitiv, was funktionieren könnte. Das heißt, innovative Menschen arbeiten kontinuierlich an den Grenzen ihres Wissens und ihrer Erfahrung. Sie probieren Neues aus um ihr Wissen zu erweitern. Sie sind getrieben durch eine Neugier, ob es funktioniert. Sie betreiben Wissensarbeit.

Umgang mit Unsicherheit ist die Herausforderung

14

Was diese Form der Wissensarbeit herausfordernd macht, ist das Risiko des Scheiterns. Wenn man viel Zeit und Geld in etwas Neues investiert, ist das einzig sichere, dass Zeit und Geld verbraucht werden. Ob es funktionieren wird lernt man erst durchs Ausprobieren. Es wird viel geschrieben über Innovation. Doch das Risiko des Scheiterns wird jedoch kaum beleuchtet, sondern als Privatsache abgetan: Schlaflose Nächte gehören zum Innovieren dazu. Diese Sichtweise greift zu kurz! Zwar gehört Unsicherheit zum Innovieren. Doch zum einen lässt sich die notwendige Unsicherheit trennen von der nicht notwendigen Unsicherheit. Und zum anderen kann man sich die Emotion Unsicherheit als Navigator durch den Innovationsdschungel aktiv zu Nutzen machen. Unsicherheit als Navigator: Unsicherheit ist dann schädlich, wenn sie lähmend wirkt oder Panik auslöst. Dies ist der Fall, wenn etwas als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. In dieser Panikzone schaltet der menschliche Organismus auf Überlebensmodus. Der drohende Konkurs, eine Entlassung oder auch eine körperliche Gefahr können solche Emotionen auslösen. Diese

639

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

en

za

ng st

Panikzone

Ex ist

Lernzone

In no va tio n

e Ro ut in

Innovationspotential

Komfortzone

Unsicherheit

..Abb. 14.9 Navigator

Emotionen sind äußerst unangenehm und man versucht ihnen so rasch als möglich zu entkommen. Aufgrund solcher Erlebnisse lernen viele Menschen, dass Unsicherheit per se etwas Unangenehmes und somit zu vermeiden ist. Wer sich jedoch existenziell bedroht fühlt, sucht einen Ausweg und ist nicht innovativ. Wer Unsicherheit scheut und sich der Routine hingibt bewegt sich in der Komfortzone bzw. Kontrollzone und ist auch nicht innovativ. Gesucht ist die Unsicherheit dazwischen: Herausfordernd, riskant, ungewiss, auch mal überfordernd – aber nicht existenziell bedrohend. . Abb. 14.9 zeigt, wie das das Innovationspotenzial maximiert wird: In der Lernzone, in die man findet, indem man sich bzw. seinem Team das richtige Maß an Unsicherheit zumutet. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Innovieren bedeutet, ins Unbekannte vorzustoßen. Ohne Unsicherheit keine Innovation. Doch umgekehrt bedeutet Unsicherheit nicht automatisch Innovation. Gewisse Formen der Unsicherheit sind notwendig für Innovation, andere sind unnötig: Notwendige Unsicherheit ist die Tatsache, dass Innovieren oft einer wirtschaftlichen Logik folgt: So ungewiss die Investitionen sein mögen, so klar ist es, dass diese bezahlt sein wollen. Notwendige Unsicherheit ist, dass Fehler passieren können. Ob etwas unmöglich ist oder nicht, ist oft erst durch Ausprobieren in Erfahrung zu bringen. Notwendige Unsicherheit ist loszumarschieren, auch wenn nicht alles restlos geklärt ist. Weil jede Antwort zwei neue Fragen aufwirft oder weil sich die Informationen rascher verändern als man sie analysieren kann.

-

Die oben beschriebenen Unsicherheiten sollen schlaflose Nächte bereiten. Nicht notwendig für Innovation sind folgende Aspekte: Fehler suchen Schuldige: Ein Fehler löst Unsicherheit aus. Sobald ein Schuldiger gefunden ist können sich alle anderen

14

640

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

wieder entspannen. Dies erzeugt rasch eine Sündenbockkultur. Der Versuch Unsicherheit zu vermeiden, führt zu unnötiger Unsicherheit. Ungleichbehandlung kreiert unnötige Unsicherheit. Aber auch zu offene, unklare, oder flexible Strukturen können unnötige Unsicherheit erzeugen.

--

Innovieren bedeutet, notwendige Unsicherheit zuzulassen und auszuhalten. Und unnötige Unsicherheit zu reduzieren. Schlaflose Nächte zu vermeiden wäre ein falsches Versprechen – aber es geht darum der Unsicherheit gelassener entgegenzutreten indem man sie als notwendige Zutat akzeptiert, als Wegweiser nutzt – und sich manchmal sogar ein wenig mit ihr anfreundet. 14.2.2

Denkfehler der Wissensarbeit

Denkfehler 1: Wir sehen nicht die Realität, sondern unser Wissen

14

..Abb. 14.10 Ponzo-Täu‑ schung (1911, mit freundlicher Genehmigung von Archives Italiennes de Biologie)

Sind die horizontalen Linien (. Abb. 14.10) gleich lang? Natürlich sind sie gleich lang. Durch die schrägen Vertikallinien wirkt die obere Linie länger. Das ist eine optische Täuschung, leicht zu durchschauen. Die sogenannte Ponzo-Täuschung haben wir doch schon in der Schule gelernt! Wissen reduziert Unsicherheit. Ohne Wissen und Erfahrungen müsste vieles hinterfragt, nachgemessen, nachgeprüft werden. In Situationen, die neu sind, muss man sich zuerst hineindenken. Wissen und Erfahrung hilft dagegen, Konstellationen wiederzuerkennen. Insbesondere, wenn man damals in der Schule auf die optische Täuschung hereingefallen ist, hat sich das Bild in der Erinnerung eingebrannt. Nun, ich muss Sie enttäuschen. Die Linien sind nicht gleich lang. Messen Sies nach. Obeng (2012) weist mit diesem Beispiel darauf hin, dass Wissen veraltet, ohne dass wir es merken. Die Welt verändert sich – und wir merken es nicht. Wer dieses Kapitel nur überfliegt, kurz an der obigen Grafik hängen bleibt und denkt: „Ah ja, optische Täuschung, kenne ich“, wird in diesem Glauben belassen. Einerseits verpassen wir Dinge, weil wir nicht alle Informationen aufnehmen können (Kebeck 1994). Andrerseits fehlt uns das Gefühl für das, was wir verpassen. Oft sogar das Gefühl, dass wir überhaupt etwas verpassen. Wir sehen nicht, was wir nicht sehen! Unser Wissen steht uns im Weg. Wir schauen nicht genau hin, lernen nicht und bleiben in der Illusion verhaftet, dass unsere Annahmen stimmen. Wir haben verlernt zu lernen! An die Stelle der Realität – zwei ungleich lange Linien – stellt sich unser Wissen. Wissen kann blind machen!

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

Denkfehler 2: Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen.

Die horizontalen Linien waren früher einmal gleich lang, damals in der Schule. Wissen und Erfahrung hat uns im Leben dahin gebracht, wo wir stehen. Deshalb vertrauen Menschen ihrem Wissen und Ihrer Erfahrung mehr, als dass sie irgendetwas Anderem trauen. Der Wissenserwerb war teuer, denn meistens lernt man ja durch Fehler: Man verliert einen Kunden, einen Deal, einen Kampf und sucht Gründe, weshalb es so gekommen ist. Je mehr der Fehler wehgetan hat, umso sorgfältiger achtet man darauf, solche Situationen in Zukunft zu erkennen. Diese Strategie mag relativ erfolgreich sein. Jedenfalls wird sie breit angewendet. Und sie ist blind für Veränderungen, wie das obige Beispiel zeigt. Wer die Dinge nicht wahrnimmt, sondern nur mit Erfahrungen vergleicht, blendet das Einzigartige der momentanen Situation aus (und jede Situation ist einzigartig). Die Erfahrung ist entstanden, weil in einem früheren Kontext etwas richtig war. Das „Richtig“ hat sich tief eingeprägt. Der Kontext, in welchem es funktioniert hat und was sonst noch dazu beigetragen hat, ist längst verschwommen (Kebeck 1994). Wahrnehmen und Denken braucht Zeit und Energie. Das Abrufen von Erfahrungen ist hingegen schnell und effizient. Das menschliche Hirn ist eine Mustererkennungsmaschine. Unsere Wahrnehmung ist mit einer Art Autopilot ausgestattet: Die im Autopilot abgespeicherten Erfahrungsmuster reichen für weite Strecken aus. Erst wenn der Autopilot ins Stocken gerät, alarmiert er den Piloten. Ins Stocken gerät er z. B. weil er durch eine optische Täuschung, die gar keine ist, aus dem Konzept gebracht wird. Dieser Autopilot wird in der Literatur Automatismen, Heuristiken, Erfahrungsgedächtnis oder System 1 genannt (7 Kap. 5). Innovatoren schalten den Autopiloten bewusst aus. Ihr Arbeitsalltag besteht daraus, sich laufend von der Realität belehren zu lassen, was funktioniert und was nicht. Viele Innovationen entstehen, weil Menschen bekannte Situationen neu beurteilen. Weil sie Dinge tun, von denen alle anderen sagen: „Tu’s nicht, das wird nie gehen.“ Innovatoren wollen nicht Fehler vermeiden, sie wollen lernen. Sie suchen nicht die Bestätigung, dass sie richtig liegen. Sie suchen Grenzen des Möglichen, indem sie auch das unwahrscheinliche ausprobieren. Sie machen sich den Zufall zunutze (Taleb 2013). Sie fragen sich nicht: „Könnte ich hier einen Fehler machen“. Sondern: „Kann ich es mir leisten, das auszuprobieren?“ (Faschingbauer 2013). Sie wissen, dass sie am meisten lernen, wenn es nicht funktioniert.

Denkfehler 3: Wir managen Wissen als wäre es Information

Wissen ist Macht. Wissen entscheidet über Erfolg oder Misserfolg. Die Bestrebungen, Wissen festzuhalten, zu organisieren und abrufbar zu machen sind daher verständlich. Trotzdem ist es still geworden

641

14

642

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Dokumentiertes Wissen wird zu Information. Denn Wissen passt nur zwischen zwei Ohren.

rund um das Thema Wissensmanagement. Für Wilson (2002) liegt es auf der Hand, dass Wissensmanagement nicht funktionieren kann, weil nicht zwischen Information und Wissen unterschieden wird: Informationen sind Daten und Fakten, die man zu einem Thema zusammentragen und austauschen kann (Duden). Wissen dagegen bedeutet „in der Lage sein etwas zu tun“ (Dudenredaktion, o.J.). Oder etwas ausführlicher: „Durch eigene Erfahrung oder Mitteilung von außen Kenntnis von etwas, jemandem haben, sodass zuverlässige Aussagen gemacht werden können“ (Dudenredaktion, o.J.). Erst durch das Auswählen und Gewichten von Information wird Wirkung erzeugt. Jeder Führungskraft ist Informationen ausgesetzt. Sie werden verdichtet z. B. in Form von Balanced Scorecards, Key Performance Indicators oder Management Cockpits. Immer geht es darum, wichtige Kenngrößen einer Organisation übersichtlich zusammenzufahren. Doch auch hier gilt: Die Information allein ist für erfolgreiches Handeln nicht ausreichend. Ob eine rote Kennzahl alarmierend ist oder nicht, ist eine Frage der Interpretation und Gewichtung. Der Erfolg entsteht erst durch cleveres Tun. Cleveres Tun braucht Erfahrung, Kenntnis, oder eben Wissen. Wer Wissen managen möchte, kann nur die Information festhalten. Sobald das Wissen aus dem Kontext genommen wird, ist die Interpretation nicht mehr gültig. Dokumentiertes Wissen, wird zu Information. Information passt zwischen Buchdeckel, in Datenbanken, usw. Wissen passt nur zwischen zwei Ohren (Drucker 2009).

Fazit

14

Wissensarbeit bedeutet, sich immer wieder von der Realität zeigen lassen, was funktioniert. Wissensarbeit bedingt eine Grundhaltung des „Lernen-Wollens“. Dies ist im folgenden Modell zusammengefasst: Das Modell in . Abb. 14.11 zeigt die Wissensarbeiterin, den Wissensarbeiter als Kreis, umgeben von einer Realität, die nur punktuell, anhand von Informationen (Fakten, Messungen, Beobachtungen etc.) erfasst werden kann. Die Interpretation dieser Informationen führt zu inneren Bildern, Mustern und Überzeugungen. Durch die Handlung treffen die inneren Bilder auf die Realität. Die Realität „antwortet“ mit neuen Informationen, nämlich, dass die Handlung funktioniert oder eben nicht. Damit beginnt der Kreislauf von neuem. Mit jedem Durchlauf sammelt sich neue Erfahrung, neues Wissen an. Dieses Wissen ist mit der Wissensarbeiterin, dem Wissensarbeiter als Person verbunden. Alles was er oder sie austauschen kann mit anderen Personen ist Information. Denkfehler 1  Wir sehen nicht Realität, sondern unser Wissen:

Das was die Wissensarbeiterin oder der Wissensarbeiter an Information aufnimmt und zulässt, hängt davon ab, wie viel sie oder

643

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

tät

Reali

14

Wissensarbeiter/in Information Interpretation Handlung

Wissen ..Abb. 14.11 Lernmodellmodell

er schon weiß, bzw. wie stark sie oder er überzeugt ist, dass dieses Wissen stimmt. Von Foerster (1985) nennt diesen Prozess errechnen von Wirklichkeit. Viele Innovationsmethoden setzen hier an, indem sie Realität höher gewichten als Wissen: „Show me, don’t tell me“ ist eine Grundregel des Design Thinking (Leiffer 2012). Denkfehler 2  Wir sehen nicht, dass wir nicht sehen: Das Modell

zeigt die Grenze zwischen Person und Realität. Nur durch Abgrenzung und Fokus auf ein Thema, lässt sich dieses überhaupt vorwärts bringen. Jeder Entscheid, auf etwas zu fokussieren hat die unmittelbare Konsequenz, unendlich viele andere Informationen auszublenden. Wenn eine Idee Aufmerksamkeit braucht, müssen ganz viele andere Ideen vernachlässigt werden. Wir sehen aber auch nicht, was wir sehen. Ein beträchtlicher Teil unseres Wissens ist uns rational gar nicht zugänglich: Wir interpretieren und handeln richtig, können aber nicht erklären warum. Dieser Teil wird „implizites Wissen“ oder auch „Können“ genannt (Schreyögg 2008, S. 443). Denkfehler 3  Wir managen Wissen als wäre es Information: Um näher an das Wissen einer Person zu kommen, kann man sie in eine konkrete Situation begleiten. Durchläuft und diskutiert man gemeinsam den Kreislauf: Information – Interpretation – Handlung findet ein Wissenstransfer statt. Jedoch nicht direkt durch „Übermittlung“ von Wissen, sondern indirekt durch gemeinsames Abarbeiten des Kreislaufes.

Fragen zur Vertiefung 1. Welche persönlichen Überzeugungen und Gewissheiten möchten Sie überprüfen, ob sie noch stimmen? 2. Wie stellen Sie das konkret an? 3. Wie können Sie sich belohnen für das Ausprobieren und nicht für das Resultat?

Fragen zur Vertiefung

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

4. Wann und wie genau nehmen Sie sich Zeit für die Ideen, die noch sehr unreif sind? 5. Nicht zielführende Fragen an Experten: Wie funktioniert das? 6. Zielführende Fragen an Experten: Was war die Ausgangs‑ lage? Was haben Sie getan und warum? Was war das Ergeb‑ nis? Was hat Sie überrascht? Was haben Sie daraus gelernt?

14.2.3

Wissensarbeiter führen heißt, ihre Lust am Unbekannten wecken.

14

Organizational Stink sind Hinweise auf Führungsfallen: Manchmal spürt man intuitiv, dass irgendetwas faul ist – es „stinkt“

Wie führt man Wissensarbeiter?

Wissensarbeiter kümmern sich um ihr Fachgebiet. Wer aber kümmert sich um die Wissensarbeiter? Wie führt man Wissensarbeiter? Ausgehend von der Einleitung zu Innovation und Wissensarbeit kann man sagen: Wissensarbeiter führt man, indem man sie Erfahrungen machen lässt und sie unterstützt diese einzuordnen. Die meisten Menschen machen nicht gerne Fehler und setzen sich nicht gerne zu großer Unsicherheit aus. Genau das ist aber nötig! Um innovativ zu sein muss man raus aus dem Bekannten und an der Grenze des Wissens kontinuierlich Erkenntnisse sammeln. Die Führung kann solches Verhalten stark fördern, indem sie die Wissensarbeiter immer wieder an die Grenzen lockt. Anders ausgedrückt: Viele Menschen versuchen Unsicherheit reflexartig zu vermeiden, so wie man Schmerz oder Angst vermeidet. Wissensarbeiter führt man, indem man ihre Neugier anspricht und somit auch ihre Lust, sich auf Unsicheres einzulassen. Oft torpedieren Führungskräfte jedoch innovatives Verhalten, obwohl sie es gleichzeitig einfordern: „Seid innovativ, aber macht ja keine Fehler“. Wieso ist das so? Während sich die Art der Arbeit sehr stark von manueller auf Wissensarbeit verlagert hat, führen viele Führungskräfte noch so, wie wenn sie es mit manuellen Arbeitern zu tun hätten. Bei manueller Arbeit ist das Ziel bekannt und klar. Je schneller man es erreicht, umso besser. Bei der Wissensarbeit ist das Finden und Definieren des Ziels jedoch ein zentraler Bestandteil der Arbeit. Führungsverhalten wie Kontrolle, Korrektur, spezifische Zielvorgaben machen manuelle Arbeit effizienter. Dasselbe Führungsverhalten torpediert jedoch die Wissensarbeit. Wissensarbeit macht nur dann Sinn, wenn der Wissensarbeiter sein Wissen mehrt, durch Erkenntnis aus Fehlern lernt und am Ende mehr weiß als sein Vorgesetzter. Kontrollieren oder korrigieren wirken da kontraproduktiv. Zielvorgaben sind in der Wissensarbeit genau dann hilfreich, wenn sie helfen zu fokussieren, ohne aber zu sehr einzuengen oder gar eine Lösung (die man per Definition noch nicht kennen kann) vorwegzunehmen (vgl. Drucker 1985). Weil es sehr viele Arten gibt, Wissensarbeiter zu führen, aber nur eine begrenzte Anzahl von Führungsfallen, wird im Folgenden aufgezeigt, in welche Führungsfallen man nicht tappen sollte.

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

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Eine Organisation hat immer eine Kultur, welche förderlich oder hinderlich für Innovation und Wissensarbeit ist. In der Literatur findet man als Synonym für Organisationskultur auch manchmal den Begriff „Organisational Smell“, den Geruch einer Organisation. Das Gefühl, dass irgendetwas faul an der Sache ist, d. h. faul in der eigenen Kultur insbesondere in Verbindung mit Innovation, könnte man folglich als „Organizational Stink“ bezeichnen. Diese sind ein wichtiger Hinweis auf Führungsfallen.

Die Fehlerfalle Wenn Fehler passieren erzeugt dies eine enorme Unsicherheit: Ein Kunde ist verärgert oder sogar geschädigt. Ein Deal ist geplatzt. Organisationen reagieren sehr empfindlich auf Fehler. Der Fehler soll so schnell wie möglich aus der Welt geschaffen werden, um wieder einen kontrollierten Zustand zu haben. Im Folgenden werden drei Varianten im Umgang mit Fehlern unterschieden (Heer 2013). zz Variante 1: Sündenbock

Die schnellste Art, Fehler aus der Welt zu schaffen ist, einen Schuldigen zu identifizieren, sodass sich der Rest der Organisation wieder entspannen kann. Das Übel ist identifiziert, die Ordnung hergestellt. Nicht selten stellt man nach einer Weile verwundert fest, dass der Schuldige weg, der Fehler aber immer noch da ist. Die Fehlerfalle hat zugeschnappt. Die Frage: „Wer ist schuld?“ führt in die Falle. In Sündenbock-Kulturen versuchen sich alle vor solchen Prangern zu schützen: Jede und jeder macht Dienst nach Vorschrift, sichert sich gut ab und nimmt keine Aufgabe freiwillig an, die den Hauch eines Risikos beinhaltet. Kurz: Es entsteht eine innovationsfreie Zone. zz Variante 2: Wo gehobelt wird, da fallen Späne

Viele Führungskräfte haben verstanden, dass das Ansprechen von Fehlern zu schwierigen Situationen führen kann. Innovationsratgeber beschreiben, dass Fehler zum Innovieren dazugehören (Leiffer 2012; Banerjee und Ceri 2015; Gassmann und Sutter 2011; Deschamps 2008). Passieren Fehler, wird zielstrebig weitergearbeitet, nach dem Motto: „Wir suchen Lösungen und keine Schuldigen“. Dies führt zu einem angenehmen, lösungsorientierten Klima – und leider auch dazu, dass viel zu wenig aus Fehlern gelernt wird! Die Variante 2 kreiert keine Sündenböcke, doch sie schüttet das Kind mit dem Bade aus: Es ist lukrativ für ein Unternehmen, den wahren Ursachen für einen Fehler auf den Grund zu gehen. Doch Variante 2 geht Fehlern großräumig aus dem Weg! Nicht selten führt dies dazu, dass die Sündenbockdiskussionen im Team geführt werden. Frei nach dem Motto: Schuld ist der, der gerade nicht da ist.

Organizational Stink: Wenn alle Dienst nach Vorschrift leisten und niemand etwas wagt. Dann ist die Führungs‑ kraft in die Fehlerfalle getappt. Die Folge: Eine inno‑ vationsfreie Zone entsteht

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

zz Variante 3: Gemeinsam Fehler untersuchen

Um zu lernen müssen Fehler analysiert werden. Nicht alle, aber die großen, wichtigen und unerwarteten. In ihnen liegt nützliches Wissen verborgen. Um an dieses Wissen zu gelangen, müssen sie thematisiert und aus vielen Perspektiven beleuchtet werden. Viele Mitarbeitende, aber auch Führungskräfte schrecken genau davor zurück, weil sie durch Kulturen wie in Variante 1 und 2 geprägt sind. Sie haben Angst, sich zu nahe an Fehler heran zu wagen, weil sie sonst mit dem Fehler in Verbindung gebracht werden könnten. Variante 3 stellt hohe Anforderungen an die Führungskraft: Ihre Aufgabe ist es, den Fehler konsequent zu thematisieren und die Schuld ebenso konsequent von Mitarbeitenden fernzuhalten. Fehleranalysen müssen systematisch stattfinden und konsequent zu sichtbaren Ergebnissen führen (Prozesse verbessern, Schnittstellen korrigieren etc.). Die Frage nach jeglicher Schuld muss ebenso konsequent als irrelevant weggewiesen werden. Dann bildet sich über die Monate hinweg eine Lernkultur wo das Interesse am Lernen steigt und die Angst vor der Schuld sinkt. zz Fazit: Der Umgang mit Fehlern ist eine der wichtigsten Führungsaufgaben

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Wenn Fehler passieren, ist die Führung sofort gefordert. Zurückhaltende Führung führt zur Suche von Sündenböcken (Variante 1). Man schiebt sich gegenseitig Schuld zu, verdeckt oder offen. Und man versucht, die Führung auf seine Seite zu ziehen. Sobald die Führungskraft inhaltlich auf solche Argumente eingeht, liegt sie in der Fehlerfalle. Dem entgeht sie mit folgendem Vorgehen: 1. Die Überzeugung verankern, dass Fehler alle angehen und dass die Schuldfrage nicht weiterführt. Sich nie auf Sündenbockdiskussionen einlassen. 2. Wenn Fehler passieren, den Fokus auf Lösungen richten (Variante 2). Denn man hat nicht immer Zeit für Analysen. 3. Systematisch und regelmäßig Zeit einplanen, um die wichtigsten Fehler zu analysieren (Variante 3). Sind sich Mitarbeitende die Fehler-Analysen nicht gewohnt, braucht es ein paar Durchführungen, bis die Sitzungen gut werden. Zu Beginn wird eine verdeckte Suche von Sündenböcken vermutet, im Sinne von: Aber im Hinterkopf überlegst du dir schon, wer der Schuldige ist, oder? Die Fehler-Analysen werden genau dann Früchte tragen, wenn die Mitarbeitenden der Führungskraft vertrauen, dass es nur darum geht wertvolles Wissen aus den gemachten Fehlern zu sichern. Nach dem Motto: Der Fehler ist gemacht. Der Preis dafür bezahlt. Jetzt wollen wir daraus lernen. Aus diesem Lernprozess entsteht relevantes Wissen, neue Erkenntnisse und letztendlich Innovationen.

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

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Die Expertenfalle

In Wissensorganisationen, d. h. in Betrieben wo das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeitenden ein wichtiges Kapital ist, werden die besten Experten zu Führungskräften. Durch die Beförderung sollen die Wissensträger ans Unternehmen gebunden werden. Dagegen ist nichts einzuwenden, schließlich sind Status, Kompetenzen und die mit einem Aufstieg einhergehenden monetären Vorteile geeignete Instrumente zur Mitarbeiterbindung. Der Experte auf einem Gebiet übernimmt ein Team. Dank seinem breiten Wissen kann er das Team zu besseren Lösungen „coachen“. Er vernetzt verschiedene Wissensbereiche zu einem Ganzen. Durch die Übernahme der Führungsrolle wächst er noch tiefer in die Wissensarbeit hinein. Je besser er seinen Job macht, umso länger werden seine Arbeitstage. Führen bedeutet für ihn inhaltliche Vorgaben zu geben. Er glaubt, er könne gut führen, denn er ist ein fordernder aber auch inspirierender Gesprächspartner, der die technischen Debatten liebt. Der Erfolg gibt ihm Recht. Nach einem Jahr muss er einsehen, dass sein Team massiv unzufrieden ist. Er führt über die Expertise („management by expertise“). Seine Mitarbeitenden kriegen nur fachliche Führung, alles andere blendet er aus. Er würde ja schon, habe aber keine Zeit – so seine Argumentation mit der er sich selbst täuscht. Wahr ist eher, dass er in seinem Wissensgebiet ein Experte ist, in der menschlichen Seite der Führung jedoch ein Anfänger. Intuitiv hält er sich fern von Situationen, wo er sich als Anfänger rumschlagen müsste und zieht Themen vor, wo er der souveräne Profi ist. Die Führungskraft ist in die Expertenfalle getappt. Er vermeidet reine Führungsthemen: ein Sparring-Partner zu sein um die Karriere zu planen, ein Coach um Konflikte mit Kollegen zu bearbeiten, Wertschätzung, ein Ventil, um den Druck aus einer belastenden Situation abzulassen, usw. … Solche Manager kämpfen bald mit Mitarbeitenden, die zuerst leise, dann immer lauter Lohn und Karrierechancen fordern. Ein eindeutiges Zeichen unbefriedigter Bedürfnisse und mangelnder Wertschätzung. zz Wege aus der Expertenfalle

Aus der Expertenfalle steigt man, indem man den Amateurhut anzieht und sich als Führungskraft den anstehenden Führungsthemen annimmt. Eine schwierige Aufgabe, besonders wenn es bereits brennt: Das Team ist frustriert, weil die Führungsthemen schwelen und nicht gelöst werden (sie wollen einen Profi und keinen Amateur). Die Experten-Führungskraft, gewohnt große Herausforderungen zu meistern, ist frustriert, an „einfachen“ Führungsthemen zu scheitern. Einen gewissen Schutz vor der Führungsfalle bietet eine gute Vorbereitung auf die Führungsrolle mit Klärung von Selbst- und

Organizational Stink: Vor‑ gesetzte, die nie Zeit haben, sind in die Expertenfalle getappt

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Fremdbild, Mentoring und Führungsschulungen. Hier ist die nächsthöhere Instanz ebenso gefordert wie die Personalentwicklung und das HR. Eine strukturelle Lösung, Expertenfallen zu vermeiden, bietet die Fachlaufbahn. Sie anerkennt die Tatsache, dass es nur sehr wenige Menschen gibt, welche die Fähigkeiten von guten Führungskräften und guten Experten vereinen. Die Fachlaufbahn verteilt deshalb die fachliche Führung und die organisatorische Führung auf zwei Personen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass diese Trennung manchmal auch nicht möglich ist (Schreyögg 2008). Da der Aufbau der Expertise in die Hände der Mitarbeitenden übergeht, erarbeiten diese sich jenes notwendige Wissen, welches zu Innovationen führt.

Die Silofalle Organizational Stink: Nach Silofalle riecht es, wenn von „ihr“ oder „wir“ gesprochen wird

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Wo aus verschiedenen Perspektiven an Neuem gearbeitet wird, zeigt sich ein Organizational Stink, der nach Silofalle riecht: Projektleiter werden zwischen Abteilungen zerrieben. Zwei Bereiche (nicht selten Marketing und R&D) pochen auf ihre Interpretation des Pflichtenheftes. Bestellungen werden über den Zaun geworfen, anstatt gemeinsam Lösungen zu bauen. Das Aushandeln von Schnittstellen zwischen Abteilungen ist mühsam und aufreibend. Es hält – in den Augen vieler Wissensarbeiter – von der Arbeit ab. Wissensarbeiter suchen sich Freiraum, um ungestört arbeiten zu können. Führungskräfte, die darauf eingehen, tappen in die Silofalle! Denn der Abgleich zwischen Abteilung ist unverzichtbar und nicht delegierbar, weder an die Führung noch an die Projektleitung, noch an ein Pflichtenheft. Ließe man die Wissensarbeiter in Ruhe arbeiten, sie wären schneller und effizienter fertig. Aber sie würden ihre Lösungen bauen, und nicht jene, die dem Kunden dienen. Oder mit Drucker (2009) gesprochen: Sie würden die Dinge richtig tun, aber nicht die richtigen Dinge. zz Wege aus der Silofalle

Ein Silo bietet notwendigen Schutz, damit Ideen, Prototypen und Lösungen reifen können. Aber um die Silomauern nicht zu dick werden zu lassen, muss sich die Führungskraft laufend überlegen, wo sie diesen Schutz stört. Indem sie die Ablaufstrukturen so organisiert, dass genügend inhaltliche Reibungsflächen vorhanden sind, mit allen wichtigen Sichtweisen, d. h. mit anderen Silos. Der Weg aus der Silofalle ist das Reibungsflächenmanagement. Das kann anfangen beim Einfordern von genügend Austausch mit anderen Abteilungen, geht über das Definieren und Einfordern von abteilungsübergreifenden Prozessen bis hin zur Zusammensetzung interdisziplinärer Teams, die in gemeinsamen Räumen aufs selbe

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

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Ziel hinarbeiten. Das „ihr“ oder „wir“ muss durch ein gemeinsames „wir“ ersetzt werden. Die Reibung mit den Vorstellungen und Ideen anderer erzeugt wichtige Irritationen. Zusammen mit dem Austausch von Wissen und Erfahrungen ist dies die Basis für neue Ideen, Erkenntnisse und Innovationen.

Die Kuschelfalle Die Kuschelfalle ist eine Sonderform der Silofalle. Sie ist weitverbreitet in Berufen, die viel Einfühlung in Kunden oder Patienten erfordern, z. B. in Pflegeberufen. In solchen Berufen herrscht nicht selten ein kollektiver Mangel an Wertschätzung. Man möchte nicht immer nur geben, sondern auch mal auftanken. Fühlt sich die Führungskraft verantwortlich diesen Mangel zu kompensieren, tappt sie in die Kuschelfalle. In einem ersten Schritt Lobt sie die Mitarbeitenden. Es wird gelobt und die Situation bleibt unbefriedigend. Das ist das Grundmuster der Kuschelfalle: Wir sind gut, alles Unbefriedigende kommt von außen. Lob führt zu kurzfristiger Entspannung, die aber sehr schnell verblasst und in den Teufelskreis führt, dass für den Entspannungseffekt mehr und mehr Lob nötig ist. Die Mitarbeitenden machen die Führung verantwortlich für ihre Zufriedenheit und Motivation. (Sprenger 2015) Solche Teams sind in einer Spirale der Hilflosigkeit gefangen. Man fühlt sich als Abfallcontainer des Unternehmens. Weil das Unbefriedigende von außen kommt, kann man auch nichts dagegen tun, außer sich gegenseitig die Wunden zu lecken – die Kuschelfalle hat zugeschnappt.

Lobende, motivierende oder tröstende Vorgesetzte sind ein Organizational Stink, der auf die Kuschelfalle hinweist

zz Wege aus der Kuschelfalle

Genau wie bei der Silofalle, wird die Kuschelfalle durch die Erkenntnis aufgelöst, dass Führung manchmal stören muss. Mehr noch: Führung ist nicht verantwortlich für die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeitenden. Letztlich ist jeder für sich selbst verantwortlich, ob er oder sie zufrieden und motiviert ist. Führungskräfte, die das erkannt haben, „stören“ ihre Mitarbeitenden dadurch, dass sie sich dieser Verantwortungszuschreibung durch ihre Mitarbeitenden entziehen. Stattdessen stellen sie sich als Coach zur Verfügung, um ihre Mitarbeitenden darin zu unterstützen, ihre eigene Zufriedenheit und Motivation zu finden. Da die Mitarbeitenden somit selber in der Pflicht sind, die erlebten Spannungszustände zu verändern, suchen sie innovative Wege um die Situation zu verbessern.

Die Hierarchiefalle Die Hierarchiefalle ist das Gegenstück zur Kuschelfalle. Eine Führungskraft, die in die Hierarchiefalle getappt ist, orientiert sich stark nach Oben. Sie versucht sich zu verbünden mit ihren Vorgesetzten. Dem Team wird eher misstraut und auf die Finger geschaut. Entscheide von „Oben“ werden durchgesetzt.

Organizational Stink: Vor‑ gesetzte die misstrauen, Mit‑ arbeitende die sich kontrol‑ liert fühlen; das sind Hinweise auf die Hierarchiefalle

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Das Team fühlt sich unverstanden und übergangen. Weil alle Inputs von oben kommen, darf es nicht selber denken. Passieren Dinge, welche die Führungskraft nicht sieht oder falsch interpretiert, läuft das Team schnell auf Grund. Fühlt sich ein Team übergangen, wartet es nur darauf, dass die Führungskraft einen Fehler macht. Solche Teams werden zu innovationsfreien Zonen. „Ideen … scheuen die Macht!“ (Meißner 2011, S. 64). Behandelt man Menschen mit einem grundsätzlichen Misstrauen und kontrolliert sie, verhalten sie sich entsprechend: Sie nehmen sich die Freiräume dort, wo sie können. Sie verstehen die Beziehung zu ihrem Vorgesetzten als Machtpoker. Die Führungskraft hält ein wichtiges Blatt in der Hand: Verfügungsgewalt. Die Karten der Wissensarbeiter sind aber ebenso gewichtig: Sie halten Wissen und Erkenntnisse zurück um sie im Machtpoker taktisch klug einzusetzen. Wissen ist Macht. Wer auch immer diesen Machtpoker gewinnt, eines ist klar: Die Innovation verliert ihn. Innovation ist darauf angewiesen, dass Wissen frei zirkulieren kann. zz Wege aus der Hierarchiefalle

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Es stellt sich also die Frage, wo und wie den Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeitern Freiraum und Verantwortung zugestanden werden soll, damit das Wissen zirkuliert: 1. Eine Strategie ist genau so gut, wie sie von den Mitarbeitenden getragen und umgesetzt wird. Jede Person, die Wissensarbeiter führt, muss sich fragen, wo, wie und wann diese in den Prozess der Zielfindung eingebunden werden (Faschingbauer 2013). 2. Werden Ziele von oben verordnet, dann machen die Wissensarbeiter die Organisation auch für alles verantwortlich: Sie wollen Einfluss, Kompetenzen, Status, Karrieremöglichkeiten, Weiterbildungsmöglichkeiten, Wertschätzung usw. Ein Weg aus der Hierarchiefalle ist, den Wissensarbeitern Verantwortung zum Bauen der eigenen Organisation zu übergeben oder sie selber definieren zu lassen, was ihr Beitrag zu den verordneten Zielen ist. 3. Jegliches „So-tun-als-Ob“, dass das Team mitentscheiden kann und Einfluss auf Organisation oder Strategie hat, ist zum Scheitern verurteilt. Menschen spüren, ob eine Aussage authentisch ist. In anderen Worten: Die Leute hören nicht, was Sie sagen. Sie beobachten, was Sie tun. Diese Grundregel wird oft verletzt, obwohl sie einfach umzusetzen ist: „Sagen Sie was Sie tun. Tun Sie was Sie sagen.“ Und wiederholen Sie diese zwei Schritte laufend.

Die Entscheidungsfalle In die Entscheidungsfalle fällt man nicht, sondern man wird hineingestoßen. Entscheiden haftet ein Risiko an, falsch entschieden zu haben (Simon 2011). Deshalb wandern Entscheide in der Hie-

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

rarchie nach Oben wie die Kohlensäureblasen im Mineralwasser. Entscheide lautstark einzufordern ist ein kleineres Risiko, als sie selber zu treffen. Dabei gibt es aus Unternehmenssicht gute Gründe, so weit wie möglich nach unten zu delegieren: 1. Das Wissen und die Erfahrung, was funktioniert und was nicht, ist dort am größten, wo die Herausforderung angetroffen wird. 2. Wissensarbeiter haben mehr Zeit, sich den Kontext und die Konsequenzen von Entscheidungen zu überlegen, weil es mehr Wissensarbeiter gibt als Führungskräfte und viele Organisationen nach oben hin zum Flaschenhals werden. 3. Die Führung blickt aus einer anderen Perspektive auf die Dinge. Somit kann ein weiter unten getroffener Entscheid umgestoßen werden. Wenn es dazu kommt ist es jedoch wichtig, dies differenziert zu begründen und nicht einfach zu übersteuern. zz Wege aus der Entscheidungsfalle

Der Weg aus der Entscheidungsfalle auf allen Führungsebenen: Delegieren! Echtes Delegieren beinhaltet auch das Delegieren von Kompetenz und Verantwortung. Somit übergibt man auch die Möglichkeiten, selber auszuprobieren, Entscheide zu fällen, Fehler zu machen, daraus zu lernen, die gemachten Fehler zu korrigieren und aus der eigenen Erkenntnis heraus innovative Lösungen zu finden.

Fazit: Zwischen all diesen Fallen verläuft ein schmaler Grat

Alle sechs Fallen haben einen gemeinsamen Kern: Tappt eine Führungskraft in eine der Fallen, so missachtet er oder sie die Bedürfnisse der Wissensarbeiter und verhindert so Innovation. Jede Falle erzeugt einen Organizational Stink“. Es ist jedoch nie die Organisation, die stinkt. Es stinkt den Menschen in der Organisation, dass ihre Bedürfnisse zu kurz kommen. Der Organizational Stink ist die natürliche Reaktion der Wissensarbeiter auf missachtete Bedürfnisse. Innovieren bedeutet kontinuierliches Lernen entlang des Unentscheidbaren (Heer 2013). Führen bedeutet, sich der Fallen bewusst zu sein und sich kontinuierlich auf dem schmalen Grat zwischen den Fallen hervorzuarbeiten. Es geht nicht darum, alles richtig zu machen. Eine Führungskraft, die darauf bedacht ist, ja nichts falsch zu machen, wirkt nicht sehr inspirierend. Die gemeinsame Leidenschaft, auf ein Ziel hinzuarbeiten, entsteht nicht durch die pure Abwesenheit von Motivationskillern. Die Fallen zeigen auf, wie man miteinander umgehen soll und wie nicht. Warum aber ein Ziel überhaupt erstrebenswert sein soll, ist damit nicht geklärt. Wie aber wird die Leidenschaft für ein Ziel geweckt? Indem ein Ziel durch Sinngebung sinnvoll wird.

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Organizational Stink: Die Geschäftsleitung, die ope‑ ratives entscheidet, riecht ebenso nach Entscheidungs‑ falle wie der Wissensarbeiter, der lautstark Entscheide einfordert

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

14.2.4

Innovation und Wissensarbeit auf einen Punkt gebracht

Auf einen Punkt gebracht bedeutet Wissensarbeit und Innovation, die Unsicherheit im Unternehmen zu bearbeiten. Unsicherheit ist unangenehm. Allen beschriebenen Denkfehlern und Führungsfallen ist gemeinsam, dass sie Unsicherheit schnell wegmachen wollen: Man möchte Wissen managen, weil managen Kontrolle bedeutet. Und Kontrolle bedeutet Sicherheit. Wissen heißt Sicherheit. Lernen heißt Unsicherheit. Die Führungskraft in der Expertenfalle sucht Sicherheit in der Fachdisziplin, anstatt loszulassen und die Mitarbeitenden zu stärken. Die Führungskraft in der Kuschelfalle sucht Sicherheit im positiven Zusammenhalt, anstatt die Beziehung auch mal zu belasten. Die Führungskraft in der Hierarchiefalle sucht Sicherheit durch Orientierung nach oben, anstatt den Spagat auszuhalten. Die Führungskraft in der Silofalle sucht Sicherheit durch Abschottung, anstatt gemeinsam Lösungen zu suchen. Die rasch durchgezogenen Veränderungen werden den langwierigen und unsicheren Kulturveränderungsprojekten, wie sie in den Fallbeispielen dargestellt sind, vorgezogen.

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Innovieren bedeutet gemein‑ sames Lernen entlang des Unentscheidbaren; schnelles Heischen nach Sicherheit verhindert Innovation zuver‑ lässig

Innovieren bedeutet aber gemeinsames Lernen entlang des Unentscheidbaren. Fehler lassen sich ebenso wenig vermeiden wie Unsicherheiten. Das zu schnelle Heischen nach Sicherheit verhindert Innovation zuverlässig. Dies gilt gleichermaßen auf der persönlichen, als auch auf der organisatorischen Ebene: Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter im Innovationskontext müssen Unsicherheit persönlich aushalten können. Es ist das Gefühl, viel Energie zu investieren, ohne zu wissen, ob es funktionieren wird. Ebenso muss die Organisation ein Innovations-Ökosystem bieten, also ein Ökosystem, in dem Unsicherheit so lange und intensiv bearbeitet werden kann und darf, dass daraus Innovationen entstehen. Je näher ein Innovationskandidat einer möglichen Umsetzung kommt, umso höher wird der Druck, dass es funktionieren muss. Dies ist einerseits nachvollziehbar, denn je näher an der Umsetzung umso mehr Wurde investiert und umso größer der Schaden, wenn‘s nicht klappt. Andrerseits führt dieses Vorgehen dazu, dass radikale Innovationen sehr selten sind: Radikale Ideen werden im Laufe des Innovationsvorhabens gerne parkiert. Stattdessen fokussiert man sich lieber auf sicherere, weniger radikale Projekte. Dies ist ein scheinbar risikoärmerer Weg, bis man vom Mitbewerber, der mehr Mut bewies, rechts überholt wird.

14.2  •  Wissensarbeit und Innovation

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Innovationsvorhaben durchzuziehen bedeutet, Unsicherheit zu bearbeiten. Unsicherheit bearbeitet man, indem man sich den natürlichen Impulsen, welche Sicherheit vorgaukeln, widersetzt: Allem voran den Führungsfallen! Und indem man Situationen, in denen der Einsatz klar, das Ergebnis jedoch offen ist, als normal zu akzeptieren lernt. Man schreitet bewusst in die Lernzone hinaus. Zusammenfassung

Zusammenfassung

Innovieren bedeutet, viel Zeit und Geld in etwas zu investie‑ ren, von dem man nicht beweisen kann, dass es auch funk‑ tionieren wird. Funktioniert es, ist man ein Held. Funktioniert es nicht, lässt der Spott nicht lange auf sich warten. Diese Unsicherheit auszuhalten ist schwierig. Innovieren bedeutet jedoch, genau dies zu tun. Dieser Abschnitt räumt auf mit Denkfehlern und Führungsfal‑ len, die Kontrolle vorgaukeln, letztlich jedoch Innovation zu‑ verlässig verhindern, weil zu schnell nach Sicherheit geheischt wird. Aus allen Fallen werden Wege aufgezeigt. Nicht durch Rezepte und Anleitungen, sondern durch die Vermittlung von psychologischem Rüstzeug, um mit Unsicherheit konstruktiv umzugehen, damit Innovation entstehen kann. Fragen zur Vertiefung

Fragen zur Vertiefung Dieses Element steht ganz am Schluss. Falls Sie die Fragen nummerieren möchten, verwenden Sie eine Aufzählung (unter „Listings“): 1. Wo beginnt meine Panikzone? An was merke ich das? Was tue ich dann? 2. Wo ist meine Komfortzone? Wie viel Absicherung brauche ich? 3. Was brauche ich, um in die Lernzone zu gehen? 4. Wie schaffe ich es, genügend Zeit in der Lernzone zu ver‑ bringen? – der einzigen Zone, wo Lernen möglich ist und wo Innovation passieren kann. 5. Wie schupfe ich meine Mitarbeitenden in die Lernzone hinein und halte sie von der Panikzone fern? 6. Was fasziniert mich an der Unsicherheit?

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

14.3 Motivation Hansjörg Künzli 14.3.1 Einleitung „movere“ = bewegen

Der Begriff Motivation ist abgeleitet aus dem lateinischen „movere“ was mit „bewegen“ übersetzt werden kann. Was bewegt Menschen, mit viel Einsatz ein Ziel zu verfolgen und ein anderes zu lassen? Die Frage ist einfach, die Antwort darauf ist hingegen komplex. Warum Menschen gewisse Dinge tun und andere lassen, kann heute, und vermutlich auch in Zukunft, nicht letztgültig geklärt werden. Menschliches Handeln ist nur sehr beschränkt berechnen- und steuerbar. Das heißt aber nicht, dass man sich der Frage nicht annähern könnte. Forschung und Praxis haben über die Jahre Wissen zusammengetragen, das sich für beide, Individuen und Organisationen in nützlicher Form verwerten lässt. Doch bevor wir uns der Frage zuwenden, wie Motivation beeinflusst werden kann, einige Begriffsklärungen. 14.3.2

Motivation = Bewegung auf ein Ziel hin

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Motivation und motivieren

Motivation ist die Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf einen positiv bewerteten Zielzustand hin oder von einem als negativ bewerteten weg. Menschen suchen Situationen auf, die ihnen angenehme Emotionen verursachen, und sie meiden Situationen, die in ihnen Angst oder andere unangenehme Emotionen auslösen. Umgangssprachlich sprechen wir auch von Antrieb, Drang, Sehnsucht, Streben und Wollen; von Kräften also, die uns in eine bestimmte Richtung stoßen oder ziehen. Anders ausgedrückt ist Motivation die allgemeine Bezeichnung für alle Prozesse, die zielorientierte körperliche und psychische Vorgänge auslösen, steuern und aufrechterhalten. >>Motivation ist zwar eine gute Voraussetzung, aber keine

Garantie für hohe Leistungen. Wollen heißt nicht können! Hohe Leistungen bedürfen zusätzlich noch der Fähigkeiten und Fertigkeiten. Hartes und ausdauerndes Arbeiten sowie ein zielgerichteter Einsatz reichen dafür nicht aus.

motivieren heißt koordinieren

Auf eine einfache Formel gebracht bedeutet motiviertes Handeln, dass Menschen zielgerichtet ihren Bedürfnissen, Motiven und Wünschen folgen und bereit sind, sehr große Anstrengungen zu unternehmen, um sie zu befriedigen. Motivieren bedeutet, auf die zielorientierten Prozesse der Motivation eines Menschen, unter Berücksichtigung seiner momen-

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14.3 • Motivation

tanen Lage, Einfluss zu nehmen. Menschen können von „außen“, z. B. durch Vorgesetzte oder Situationen beeinflusst werden, sie können sich aber selbstverständlich auch selbst, von „innen“ her motivieren. Aus Sicht von Führungskräften kann Motivieren mit Koordinieren gleichgesetzt werden. Es geht darum, die zielorientierten Prozesse der Mitarbeitenden mit denjenigen der Organisation in Einklang zu bringen. 14.3.3

Rahmenmodell motivierten Handelns – Motivation als Produkt von Person und Situation

Motivation entsteht aus der Wechselwirkung

Zunächst geht es darum zu verstehen, dass die aktuelle Motivation das Resultat aus einer komplexen Wechselwirkung (3. in . Abb. 14.12) zwischen den Beweggründen und den Zielen der Person (1. in . Abb. 14.12) einerseits und den Gelegenheiten, Anforderungen und Anregungen der Umwelt (2. in . Abb. 14.12) andererseits ist.

Vielfalt von Motiven Gelegenheit macht Diebe

Jeder Mensch verfügt jederzeit über ganze Bündel von Motiven, Bedürfnissen und Zielen. Diese wiederum beruhen auf den gesammelten individuellen Erfahrungen und genetischen Einflüssen. Welches dieser Bedürfnisse oder Ziele in einem gegebenen Moment zum Tragen kommt, ist nicht nur von den Prioritäten einer Person, sondern auch von der gegebenen Situation abhängig. Diese Tatsache wird sehr schön durch das Sprichwort „Gelegenheit macht Diebe“ veranschaulicht. Wenn sich gerade eine günstige Situation ergibt, weichen wir u. U. von unseren gefassten Zielen ab, und tun etwas, was nicht vorgesehen war. Auf dieser Gegebenheit bauen

1. Person: Bedürfnisse, Motive, Ziele 3. Person × Situation Interaktion 2. Situation: Gelegenheiten, Mögliche Anreize

4. Handlung

5. Ergebnis

6. Folgen * Langfristige Ziele * Fremdbewertung * Selbstbewertung * Materielle Vorteile

..Abb. 14.12  Motivation als Produkt von Person und Situation. (Aus Heck‑ hausen und Heckhausen 2010, S. 3)

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

z. B. Sonderangebote im Supermarkt auf. Aber auch das Abweichen vom geplanten Karrierepfad kann so gedeutet werden. Bietet sich einer Führungskraft unverhofft ein vielversprechendes Jobangebot, wird sie u. U. ihre Stelle aufgeben, obwohl sie noch vor kurzem nicht im Traum an einen Wechsel gedacht hat.

Motivation und Anreiz Die einzelnen Komponenten des Handlungsablaufs (4.–6. in . Abb. 14.12) sind mit jeweils eigenständigen Anreizen und Erwartungen verbunden. Liegt der Anreiz in der Tätigkeit selbst, sprechen wir von intrinsischer Motivation (7 Abschn.  14.3.7). Steht die Handlung im Dienste von Folgen, die sich erst langfristig einstellen, wie z. B. materielle Belohnungen oder Karriereerfolg, sprechen wir von extrinsischer Motivation (7 Abschn. 14.3.7). Das unmittelbare Handlungsergebnis kann extrinsischen oder intrinsischen Anreizcharakter haben. Je nachdem, ob jemand die von „außen“ gewährte Anerkennung erwartet oder die Belohnung aus positiven Emotionen über das Ergebnis bezieht. Dabei handelt es sich aber nicht um ein entweder oder. Eine Handlung kann auch Spaß machen und von außen belohnt werden.

Motivation und Erwartung Die Motivation hängt aber nicht nur von den Anreizen ab, sondern auch von drei verschiedenen Erwartungen (= subjektiv eingeschätzte Realisierungschancen), die sich auf unterschiedliche Stadien des Handlungsverlaufs beziehen: Definition 

Definition: Erwartungen

Situations-Ergebniserwartungen beziehen sich auf die subjek‑ tive Wahrscheinlichkeit, mit der sich Ergebnisse ohne eigenes Zutun einstellen. Wenn ein „Bonus“ nur von der Beziehung zum Vorgesetzten abhängt, und nicht von der eigenen Leistung, ist es klüger, keine zusätzlichen Anstrengungen zu unternehmen. Die Handlungs-Ergebniserwartung bezieht sich auf die sub‑ jektive Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen Handlungen zum gewünschten Ergebnis führen. Fehlt es einem Mitarbeitenden am Selbstvertrauen, aber nicht an den Fähigkeiten, ist es am Vorgesetzten, den Mitarbeiten so zu unterstützen, dass sich das gewünschte Ergebnis einstellt. Hinweis: Die in der Literatur viel erwähnte „Selbstwirksamkeitserwartung“ kann als ge‑ neralisierte Handlungs-Ergebnis-Erwartung gedeutet werden. Ergebnis-Folgeerwartungen beziehen sich auf die Erwartun‑ gen, dass ein Ergebnis zu erwünschten langfristigen Folgen führt. Sind Mitarbeitende der Ansicht, dass nur „Vitamin B“, und nicht Leistung zu Aufstieg verhilft, werden sie ihre Motivation anpassen.

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14.3 • Motivation

Die Arbeitssituation beinhalten aus der Sicht von Mitarbeitenden immer positive oder negative Anreize. Auf der einen Seite kann eine ungünstige Situation eine gefasste Absicht verhindern. Die Trauben hängen vielleicht doch höher als erwartet. Auf der anderen Seite bieten sich manchmal unverhofft Gelegenheiten, an denen man nicht vorbeigehen möchte. Damit sich die aktuelle Motivlage einer Person auf die Handlungsebene auswirken kann, müssen sich situative und personale Aspekte des Motivationsprozess vor, während und nach der Handlung optimal ergänzen. 14.3.4

Motivation und Motive: Leistung, Anschluss und Macht

In der Motivforschung werden v. a. drei Motive (Bedürfnisse) intensiv besprochen: Das Leistungs-, das Anschluss- und das Machtmotiv. Die drei Motive sagen etwas darüber aus, wie Menschen Situationen bevorzugt wahrnehmen und wie sie sich darin verhalten. Unter dem Leistungsmotiv versteht man das Bedürfnis, sich selbst herausfordernde Ziele zu setzen und falls notwendig sehr viel zu investieren, um diese zu erreichen. Die das Leistungsmotiv befeuernden Emotionen sind in erster Linie Stolz und Freude. zz Lernen aus Misserfolgen

Hoch Leistungsmotivierte stehen v. a. in einem Leistungswettbewerb mit sich selbst, setzen sich und anderen hohe Leistungsmaßstäbe, freuen sich über Perfektion, und brauchen viel Eigenverantwortung. Kennzeichnend für solche Personen ist, dass sie sich erreichbare, aber herausfordernde Ziele setzen und dass sie versuchen, aus Misserfolgen zu lernen. Für Routineaufgaben sind sie wenig geeignet. In Kombination mit einem sehr geringen Anschlussmotiv können sie sich für Teamaufgaben wenig erwärmen. zz Positive Beziehungen

Das Anschlussmotiv ist das Bedürfnis mit nicht oder wenig bekannten Menschen positive Beziehungen zu beginnen und aufrecht zu erhalten. Vom Anschlussmotiv abzugrenzen ist das Bindungsmotiv. Das Bindungsmotiv ist sehr engen Beziehungen vorbehalten (Kind-Eltern, Partner-Partner, Eltern-Kind). Hoch Anschlussmotivierte legen viel Wert auf gute, ausgeglichene Beziehungen, sind offen und kontaktfreudig, kooperationsbereit und möchten von anderen auch geschätzt werden. Leistungen erbringen sie für das Team und mit ihm. Sie sind bereit, viel für den Teamgeist zu investieren. Konflikte sind hingegen nicht ihre Stärke.

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Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

zz Soziale Kontrolle und Verantwortung

Das Machtmotiv ist das Bedürfnis, soziale Kontrolle oder Einfluss auf andere auszuüben. Die Ausübung von Macht ist mit dem Einsatz sog. Machtmittel, wie z. B. Überzeugungsfähigkeit, Status, Rang, Wissen, Ressourcenverfügung oder Körperkraft verbunden. Hoch Machtmotivierte streben nach Verantwortung, stehen gerne im Mittelpunkt, setzen sich für andere ein, erwerben gerne prestigeträchtige Objekte und wollen Karriere machen. zz Destruktive Verhaltensweisen

Die Führungsforschung hat gezeigt, dass sich die erfolgreichsten Führungskräfte durch eine Kombination von hohem Machtmotiv und tiefem bis mittlerem Leistungs- und Anschlussmotiv auszeichnen. Sind z. B. Anschluss- und Machtmotiv hoch ausgeprägt, sind Motivkonflikte zw. Beziehungsorientierung und Durchsetzung wahrscheinlich. Das Machtmotiv kann auch sehr destruktive Verhaltensweisen fördern. Rücksichtlosigkeit und Manipulation sind Verhaltensweisen, die das Machtmotiv bedienen. Umso wichtiger ist daher, dass man auf die verantwortungsvolle Ausübung von Macht achtet. 14.3.5

Annäherung und Vermeidung

zz Persönlichkeit und Situation

14

Jedes Motiv wird zudem in die beiden Komponenten Annäherung und Vermeidung zerlegt. Grund dafür ist, dass Situationen immer positive und negative Anreize und somit Chancen und Risiken beinhalten. Ob man in einer Situation eher die Chancen oder die Risiken sieht ist einerseits ein Persönlichkeitszug. Auf der anderen Seite hängt die Bewertung einer Situation selbstverständlich immer auch von situativen Komponenten, z. B. dem unmittelbaren Gesundheitszustand, ab. Die Annäherungs- und die Vermeidungskomponente des Leistungsmotivs werden Hoffnung auf Erfolg resp. Furcht vor Misserfolg genannt. Beim Anschlussmotiv sind dies die Hoffnung auf Anschluss und die Furcht vor Zurück‑ weisung. Beim Machtmotiv bezeichnet man sie mit den Begriffen Hoffnung auf Kontrolle und Furcht vor Kontrollverlust. Neue, schwierige Aufgaben können gelingen oder misslingen. Im Erfolgsfall resultieren positive Emotionen (z. B. Stolz), im Misserfolgsfall erlebt man negative Emotionen (z. B. Frustration, Enttäuschung). Ein neuer Mitarbeiter begibt sich das erste Mal in den Aufenthaltsraum der Firma. Dies kann u. U. gemischte Gefühle auslösen. Wird er freundlich aufgenommen, oder zeigt man ihm die kalte Schulter? Trifft der erste Fall zu, wird er positive Emotionen erle-

14.3 • Motivation

659

14

ben und er schafft sich eine gute Grundlage für die zukünftige Zusammenarbeit. Eine Ablehnung kann als kränkend oder peinlich erlebt werden. Scheue Menschen im Vergleich zu anderen sehen sich in solchen Situationen vor schwierige Entscheidungen gestellt. Eine typische Situation, in der das Machtmotiv angeregt wird, ist die Übernahme einer Führungsposition. Jeder, der schon einmal vor die Wahl gestellt wurde, eine Führungsposition zu übernehmen, kennt vermutlich die ambivalenten Gefühle, die mit einer solchen Entscheidung verbunden sind. Verantwortung hat immer zwei Seiten. 14.3.6

Implizite und explizite Motive

Motive können auf der expliziten (bewussten) oder der impliziten (unbewussten) Ebene beschrieben werden. Manchmal spricht man auch von zwei Motivsystemen, dem bewussten und dem unbewussten. Auf der bewussten Ebene streben wir nach einem konsistenten Selbstbild. Wichtig ist hier, dass das Selbstbild immer auch sozial vermittelt wird. Auf der unbewussten Ebene geht es um das Erleben der mit der Bedürfnisbefriedigung einhergehenden Gefühle. Sind explizite und implizite Motive nicht im Einklang, man spricht dann von Motiv-Inkongruenz. Wenn die beiden Systeme übereinstimmen, von Motiv-Kongruenz. Motiv-Kongruenz führt zu Wohlbefinden, andauernde Motiv-Inkongruenz hat in der Regel nachteilige Folgen, wie z. B. Stresserleben, reduzierte Gesundheit oder ungünstiges Essverhalten. Pflegt eine Führungskraft ein Selbstbild, dass sehr leistungsorientiert geprägt ist, obwohl ihr Leistung (unbewusst) überhaupt keinen Spaß macht, muss diese Diskrepanz entweder mit sehr viel Willenseinsatz, oder z. B. mit Selbsttäuschung kompensiert werden. Dass dies auf die Dauer sehr anstrengend ist, liegt auf der Hand. zz Passung zwischen Person und Organisation

Aus Sicht von Führungskräften ist die Kenntnis der individuellen Motivkonstellation eines Mitarbeitenden aus verschiedenen Gründen von Bedeutung. Die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen wie z. B. autonome Arbeitsgestaltung oder sinnstiftender Arbeitsinhalte werden von den Mitarbeitenden als Situationsvariablen wahrgenommen, die zu Leistungshandeln anregen können. Die Situationsvariablen müssen vor, während und nach der Handlung so gestaltet sein, dass eine optimale Passung zwischen den Wünschen und Erwartungen (Konkretisierung der Bedürfnisse und Motive) der Person und denjenigen der Organisation zustande kommt.

Motiv-Kongruenz und Gesundheit

660

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

14.3.7

der Weg ist das Ziel

extrinsische Motivation, intrinsische Motivation

Verdrängungseffekt, Hand‑ lungskontrolle motiviert

14

Organisationen brauchen intrinsische und extrinsische Motivation

Intrinsische und extrinsische Motivation – Wege oder Ziele?

Warum führen Menschen mit großer Intensität und Ausdauer bestimmte Tätigkeiten aus? Zum einen erhoffen sie sich wertvolle Belohnungen, wenn das Ziel erreicht wird, z. B. Geld, Anerkennung, Beförderung oder die Aufnahme in ein Weiterbildungsprogramm. Zum anderen gibt es Situationen, in denen die Zielerreichung resp. die Belohnung keine Rolle spielt. Die Handlung selbst, oder die erlebte Kontrolle über die autonome Handlungsausführung, sind Belohnung genug. So macht es z. B. einfach Spaß, unterwegs zu sein, unabhängig davon, wo oder ob man ankommt oder es bereitet Freude, eine neue Fähigkeit auszuüben. Der Weg ist das Ziel. Der Anreiz einer Handlung kann also eher im Handlungserfolg, d. h. von „außen her“ – extrinsisch – oder eher in der Tätigkeit selbst begründet sein, also von „innen her“ – intrinsisch – motiviert sein. Intrinsisches Verhalten erfolgt um seiner selbst willen, extrinsisches Verhalten erfolgt, weil die Zielerreichung belohnt wird. Das Verhalten selbst wird vielleicht sogar als sehr unangenehm erlebt. Die Aussicht auf eine Beförderung kann so verlockend sein, dass man im Hinblick auf die zukünftige Tätigkeit sehr viel auf sich nimmt. Das Verhältnis zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation ist mehrgestaltig. Im besten Fall verstärken sie sich gegenseitig, im ungünstigen Fall verdrängt die extrinsische Motivation die intrinsische. Der Vorgang des Verkaufens kann einem Verkäufer sehr viel Spaß machen und er kann sich gleichzeitig auf den zusätzlichen Bonus freuen. Bei sehr vielen Tätigkeiten können die Anteile der beiden Motivationsarten praktisch nicht voneinander getrennt erfasst werden. Beide tragen zum Ergebnis bei. Es ist aber auch bekannt, dass extrinsische Motivation die intrinsische verdrängen oder korrumpieren kann. Dies kann z. B. dann eintreten, wenn man jemanden für etwas belohnt, das er vorher freiwillig getan hat, also intrinsisch motiviert war. Dieser Effekt ist gut belegt (Deci et al. 1999). Der Grund dafür liegt im tatsächlichen oder im erlebten Verlust der Autonomie über die Handlungsausführung. Ein wesentlicher Anteil der intrinsischen Motivation liegt nämlich nicht im Tun selbst, sondern im Gefühl der Kontrolle und der Autonomie über das Tun. Menschen erleben ihre eigene Wirksamkeit und dies vermittelt ihnen positive Gefühle. Die Handlung selbst ist u. U. gar nicht so wichtig. Viele großartige Leistungen sind stark von intrinsischer Motivation getragen und man erhält manchmal den Eindruck, die intrinsische Motivation sei die wertvollere. Diese Annahme ist aber falsch. In Organisationen, aber auch in Hinsicht auf die eigene Entwicklung, muss man oft Dinge tun, die per se wenig gratifizierend,

14.3 • Motivation

661

14

aber zur Zielerreichung notwendig sind. Organisationen und Personen brauchen, in Abhängigkeit zum gewünschten Ziel, immer beides, intrinsische und extrinsische Motivation. 14.3.8

Führung und Motivation

Im Einleitungstext wurde erwähnt, dass Führungskräfte die Motivation der Mitarbeitenden nicht direkt steuern können. Sie können aber Bedingungen schaffen, in denen Menschen bereit sind, sich über ein übliches Maß hinaus zu engagieren. Hinweise darauf, wie motivationsfördernde Bedingungen geschaffen werden können, stammen aus zwei Theoriegruppen: Den Inhalts- und den Prozess‑ theorien. Während sich Inhaltstheorien der Frage widmen, was oder genauer, welche Anreize Menschen motivieren (z. B. Geld oder die Möglichkeit, etwas zu leisten), richten sich Prozesstheo‑ rien auf die Frage, wie motiviertes Handeln abläuft.

auf die Bedingungen kommt es an

Inhaltstheorien Der Frage, was Menschen motiviert, haben sich schon viele Autoren zugewendet. Die im folgenden Text beschriebenen Theorien von Herzberg und Hackman und Oldham stellen daher nur eine Auswahl dar. Beide hatten und haben aber noch heute einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt. Die Literatur zum Thema Leistungslohn und Motivation ist so umfangreich, dass hier nur auf einen weiterführenden Text verwiesen werden kann (Frey und Osterloh 2002).

Herzbergs „Zwei-Faktoren-Theorie“ Kernaussage von Herzbergs „Zwei-Faktoren-Theorie“ ist, dass Zufriedenheit und Unzufriedenheit mit der Arbeit von zwei Faktorengruppen beeinflusst wird: Positive Ausprägungen der Hygienefaktoren („dissatisfiers“ oder „context factors“) bewirken noch keine Zufriedenheit, sie verhindern aber das Auftreten von Unzufriedenheit. Erst die Anwesenheit von Motivatoren („satisfiers“ oder „content factors“) löst Zufriedenheit aus (. Abb. 14.13, . Tab. 14.1). Während die Motivatoren eher mit dem Arbeitsinhalt („content“) zusammenhängen, sind die Hygienefaktoren eher in der Arbeitsumgebung („context“) zu verorten. Leicht zu erkennen ist, dass Motivatoren eher die intrinsische und Hygienefaktoren eher die extrinsische Motivation ansprechen. Die Modelle entsprechen sich aber nicht vollständig, da Aufstiegsmöglichkeiten und Anerkennung eindeutig extrinsische Anreize darstellen. Die Theorie von Herzberg konnte teilweise bestätigt werden und hatte vielfältige Folgen in Organisationen, in deren Mittelpunkt sicher das von Herzberg formulierte Konzept des „Job-Enrichment“ steht.

Zufriedenheit und Unzu‑ friedenheit, Hygiene- und Motivationsfaktoren

662

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Motivatoren Nicht-Zufriedenheit

Unzufriedenheit

Zufriedenheit

Nicht-Unzufriedenheit

Hygienefaktoren

..Abb. 14.13  Hygiene- und Motivationsfaktoren beeinflussen die Arbeits‑ zufriedenheit. (Nach Herzberg 1966, © World Publishing Company)

..Tab. 14.1  Motivatoren und Hygienefaktoren Zu den Motivatoren gehören:

Zu den Hygienefaktoren gehören:

Tätigkeit selbst

Gestaltung der Arbeitsbedingungen

Möglichkeit, etwas zu leisten

Zwischenmenschliche Beziehungen

Möglichkeit, sich weiterzuent‑ wickeln

Unternehmenspolitik und Ver‑ waltung

Verantwortung

Löhne und Sozialleistungen

Aufstiegsmöglichkeiten

Arbeitsplatzsicherheit

Anerkennung

Status

Job-Characteristics-Modell nach Hackman und Oldham Was macht eine „gute“ Arbeit aus?

14

fünf Kernvariablen

Was macht eine „gute“ Arbeit aus? Diese Frage stellten sich Hackman und Oldham (1980). Die Antwort darauf geben sie in der von ihnen entwickelten Motivationspotenzialformel. Unter dem Motivationspotenzial versteht man das Ausmaß der Motivation, die Mitarbeitende aus ihrer Arbeit ziehen können. Die Formel enthält fünf „Kernvariablen“, die drei „kritische psychischen Zustände“ bestimmen und in der Folge zu hoher Arbeitszufriedenheit und Motivation sowie tiefer Fluktuation und Absentismus bzw. Fehlzeiten und, in geringerem Ausmaß, auch zu mehr Leistung führen (. Tab. 14.2).

-

Fünf Kernvariablen Vielseitigkeit beschreibt das Ausmaß, in dem eine Tätigkeit verschiedene Fertigkeiten und Fähigkeiten erfordert. Hohe Variabilität fördert die Motivation und die Arbeitszufrie‑ denheit. Ganzheitlichkeit bezieht sich auf das Ausmaß, zu dem eine Tätigkeit die Fertigstellung eines ganzen Teils einer Arbeit erfordert.

663

14.3 • Motivation

14

..Tab. 14.2  Job-Characteristics-Modell. (Adaptiert nach Hackman und Oldham 1980, S. 77, mit freundlicher Genehmigung von Pearson) Kernvariablen

Psychische Zustände

Folgen

Vielseitigkeit

Erlebte Sinnhaftigkeit

Intrinsische Motivation Leistung Zufriedenheit Fluktuation

Ganzheitlichkeit Bedeutung Autonomie

Verantwortung

Rückmeldung

Kenntnis der Ergebnisse der eigenen Aktivität

-

Bedeutung spricht die Wichtigkeit der Tätigkeit für die Person, die Organisation und die Umwelt an. Autonomie bezieht sich auf das Ausmaß, zu dem die Person über die Zeitgestaltung und Vorgehensweise der Arbeitserledigung selbst bestimmen kann. Rückmeldung verweist auf den Grad, zu welchem eine Person von Vorgesetzten, aber auch durch Selbstbeobach‑ tung, Rückmeldungen zu ihren Arbeitsergebnissen erhält.

Nach Hackman und Oldham (1980) lassen sich diese Faktoren in folgender Formel zusammenfassen:

Motiviationspotenzial Vielseitigkeit + Ganzheitlichkeit + Bedeutung = 3  Rückmeldung  Autonomie Rückmeldung und Autonomie sind die Schlüsselvariablen der Motivation. Darum werden sie in der Formel als Multiplikatoren berücksichtigt. Wird ein Multiplikator auf Null gesetzt, ist auch das Ergebnis, die Motivation, gleich Null! Autonomie gewähren bedeutet, innerhalb des Aufgabenbereichs Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen und Kontrolle und reglementierte Abläufe auf das notwendige Minimum zu reduzieren. Rückmeldungen, prozess- und ergebnisbezogen, ermöglichen Handlungskorrekturen und die Überprüfung der Zielerreichung. Beide Elemente können aber nicht mechanisch eingesetzt werden. Ein Zuviel oder Zuwenig von beidem hat kontraproduktive Wirkung. Zuviel Autonomie lässt den Mitarbeitenden u. U. im Unklaren darüber, was erwünscht ist und Rückmeldungen enthalten immer einen Kontrollaspekt, auch wenn sie gut gemeint sind.

Rückmeldung und Auto‑ nomie – auf das richtige Maß kommt es an!

664

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Prozesstheorien

Zielattraktivität und Realisierbarkeit

Im Unterschied zu Inhaltstheorien interessieren sich Prozesstheorien nicht dafür, welche Anreize für Menschen wichtig sind. Sie stellen dar, wie Anreize unabhängig von deren konkreter Form in Motivation umgesetzt werden. Grundlegend für alle Prozesstheorien ist dabei die Annahme, dass Motivation aus einem Zusammenspiel von Erwartungen und Werten zustande kommt, weshalb man sie Erwartungs-Wert-Theorien nennt. Diese Theorien folgen der einfachen Logik, dass die Motivation weder allein der Attraktivität eines Ziels (d. h. Wert oder individuell gewichteter Anreiz) noch allein der Realisierbarkeit (d. h. Erwartung oder subjektive Einschätzung der Realisierbarkeit) folgt. Verhalten wird so ausgerichtet, dass der erwartete Nutzen maximiert wird. „Wünschbarkeit“ (Wert) und „Mach‑ barkeit“ (Realisierbarkeit) müssen einen Kompromiss eingehen. Eine Weiterbildung mag zwar sehr wünschenswert sein, muss aber daraufhin geprüft werden, ob sie mit der familiären Situation und der Arbeitsbelastung in Übereinstimmung gebracht werden kann. Gewählt wird die Handlungsalternative, die unter Berücksichtigung der Umstände den höchsten subjektiven Nutzen verspricht. Der Vorteil dieser Theorien besteht darin, dass sie auf Problemstellungen unterschiedlicher Reichweite angewendet werden können. Ob es um ein bedeutendes Projekt geht oder nur darum einen Brief zu schreiben, der Prozess der Motivation läuft immer gleich ab. Die Werthaltigkeit sowie die Machbarkeit einer Aufgabe werden zunächst immer der subjektiven Einschätzung des Mitarbeitenden überlassen. Ob jemand aus einer Aufgabe Lebenssinn oder einfach nur Geld erwartet, ist immer Sache der Person selbst.

Rubikonmodell von Heckhausen & Heckhausen (2006)

Das Rubikonmodell (. Abb. 14.14) beschreibt den Motivationsprozess in vier Phasen: 1. Vom Wählen 2. über das Wollen 3. bis zum Handeln 4. und der Handlungsbewertung.

14

Der wichtigste Schritt geschieht bei der Überschreitung des Rubikon. Dieser wird beim Übergang vom Wählen zum Planen überschritten (. Abb. 14.14).

Phase: Auswählen Klärung und Orientierung, Realisier- und Wünschbarkeit

Diese Phase dient der Klärung und Orientierung. In dieser Phase sind Menschen offen für Informationen und Meinungen. D. h., sie versuchen sich ein möglichst genaues Bild der eigenen Situation zu verschaffen. Mitarbeitende werden sich zwei Fragen stellen: Was bringt es mir, wenn ich diese Aufgabe (Anstellung, Projekt, Tä-

665

14.3 • Motivation

14

Rubikon

Wählen

Planen

Erwartungs-WertTheorien

Zielsetzungstheorie

Handeln

Handlungsregluationstheorien

Bewerten

Attributionstheorien

..Abb. 14.14  Handlungsphasen im Rubikonmodell. (Mod. nach Achtziger und Gollwitzer 2010, S. 311)

tigkeit) übernehme? Und wenn ich es tue, kann ich die Aufgabe, das Projekt oder die Tätigkeit bewältigen? Sie ist geprägt durch Wünschen und Abwägen. Da man nicht alle Wünsche realisieren kann oder mag, muss eine Auswahl getroffen werden. Es muss abgewogen werden, welche Handlung unter der gegebenen Situation die beste Alternative darstellt. Die Auswahl wird nach den Kriterien der Realisierbarkeit (Erwartung) und Wünschbarkeit (Wert) erstellt. Bei der Realisierbarkeit stellt man sich die Fragen

nach den eigenen Fähigkeiten, der Verfügbarkeit der nötigen Zeit, der benötigten Mittel und eventuell auftretenden Gelegenheiten. Fragen nach den Ergebnissen und Folgen, Kosten und Mühen stehen im Mittelpunkt bei der Betrachtung der Wünschbarkeit. Selbstverständlich ist es für eine Führungskraft nicht notwendig, vor jeder noch so kleinen Aufgabenstellung die Werte und Wünsche der Mitarbeitenden zu klären. Die richtige Gelegenheiten, um festzustellen, ob beide Parteien noch auf Kurs sind, sind z. B. das Zielvereinbarungsgespräch oder wenn wichtige Veränderungen (z B. Umstrukturierungen, Übernahme neuer Aufgaben) anstehen. Für ein Zielvereinbarungsgesprächs bedeutet dies, dass man prozessorientiert vorgehen sollte und die Zielfindung Zeit beansprucht. Damit sich Mitarbeitende mit neuen Zielen identifizieren resp. an sie binden können, müssen sie zuerst mit den eigenen Wünschen, Werten und Erwartungen in Einklang gebracht werden. Erst nach dieser Klärung sind Menschen bereit, hoch motiviert zu handeln. Als sehr förderlich erweist sich hier eine lösungs- und ressourcenorientierte Kommunikation. Zwingt man Menschen über den Rubikon, werden sie sich nicht mit den Zielen identifizieren. Beispiel

Sie möchten einem Mitarbeitenden die Verantwortung für ein wichtiges Projekt übergeben. Die Übernahme von Projekt‑ verantwortung ist in der Aufgabenbeschreibung vorgesehen und sie wissen, dass sich Ihr Mitarbeiter diese Verantwortung wünscht (Wünschbarkeit). Aus verschiedenen Äußerungen

lösungs- und ressourcenori‑ entierte Kommunikation

Beispiel Verantwortung übergeben

666

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

dieses Mitarbeiters ist ihnen aber auch bewusst, dass bei ihm noch große Zweifel vorhanden sind, ob er die Aufgabe bewältigen kann (Handlungs-Ergebniserwartung). An‑ statt dem Mitarbeiter nun einfach mitzuteilen, dass ihm die Projektleitung übertragen wird, lohnt es sich hier, zunächst eingehend über Befürchtungen und Ängste zu sprechen und abzuklären, wo er Unterstützung braucht und wo er diese erhalten kann. Gerade Menschen mit hohen Ansprüchen an sich selbst setzen sich unter sehr hohen Druck, alles selbst zu machen und trauen sich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Phase: Planen Zielrealisierung und -konkretisierung

Ab diesem Zeitpunkt ist man sich sicher, dass die Handlung realisierbar und wünschenswert ist. Während die erste Phase der Zielauswahl dient, widmet man sich in der zweiten der Ziel‑ realisierung und -konkretisierung. Menschen verhalten sich in dieser Phase realisierungs- und nicht mehr realitätsorientiert: Die Wahrnehmung wird enger, neue Informationen sind eher störend und werden nur noch selektiv, im Sinne der Zieldienlichkeit, aufgenommen. Im Zentrum steht die Handlungsplanung. Um die Realisierung der Handlungsergebnisse voranzutreiben, werden Ziele formuliert, die spezifizieren, wann, wo, wie bzw. wie lange gehandelt werden soll, um dem erwünschten Ergebnis näherzukommen. Wie Ziele beschaffen sein müssen, um motivierend zu wirken, wird in den Zieltheorien beschrieben (7 Abschn. 14.3.8, „Ziele“).

Phase: Handlung Handlungsausführung

14

In dieser Phase wird die zu lösende Aufgabe durchgeführt und beendet. Hier existieren verschiedene Strategien, um die Handlungsausführung zu fördern. Diese stammen teilweise aus der Zieltheorie (7 Abschn. 14.3.8, „Ziele“, „verschiedene Feedbackformen“) und Konzepten zum Zeitmanagement (z. B. Prioritäten setzen). Ist das ursprüngliche Ziel realisiert, wird die Handlung deaktiviert. Damit wird der Eintritt in die vierte und letzte Phase eingeleitet.

Phase: Bewertung Ergebnisbewertung, Wertschätzung der Person, nicht der Leistung

In der letzten Phase wird das Handlungsergebnis evaluiert. Wichtig sind hier drei Dinge: Führungskräfte sind die Vermittler der organisationalen Ziele und sie müssen klarstellen, ob das Ergebnis dem von der Organisation gewünschten Ziel entspricht oder nicht. Darüber hinaus müssen sie auf sog. Attributionsprozesse achten. Je nachdem, ob eine Person glaubt, selbst für das Ergebnis verantwortlich zu sein, oder ob sie annimmt, sie habe einfach Glück gehabt, sieht die Emotionsbilanz sehr unterschiedlich aus. Erst wenn der Mitarbeitende sich selbst als Verursacher des Ergebnisses sieht,

14.3 • Motivation

667

14

stellen sich positive selbstbewertende Emotionen, wie z. B. Stolz ein. Im anderen Fall kann es sein, dass die Person beschämt ist, weil sie der Meinung ist, das gute Ergebnis sei nur auf glückliche Umstände zurückzuführen und Lob und Anerkennung seien somit nicht gerechtfertigt. Zudem ist auf eine angemessene Wertschätzung des Resultates zu achten. Gerade wenn das Resultat nicht dem gewünschten Ziel entspricht, ist Wertschätzung der Person, nicht der Leistung, von zentraler Bedeutung. Es gibt nichts, was Motivation nachhaltiger zerstört, als direkt auf den Selbstwert der Person gerichtete Kritik.

Ziele Es gibt in der Motivationslehre kein einflussreicheres und besser überprüftes Konzept als das der Motivations- und Leistungssteigerung über Ziele. Kleinbeck (2006) definiert Ziele als Vorwegnahme von zukünftigen, angestrebten Handlungserfolgen. Sie sind ein wichtiger Angelpunkt bei der Steuerung menschlichen Handelns. Sie veranlassen Handlungen, geben ihnen Richtung, steuern den Einsatz der benötigten Fertigkeiten und Fähigkeiten, liefern Bewertungsgrundlagen für den Abgleich zwischen Soll und Ist, dienen als Grundlage zur Bewertung für Erfolg oder Misserfolg und sie sind die Schnittstelle zwischen Person und Organisation. In Zielen konkretisiert sich, was Menschen wollen, was Organisationen von ihnen verlangen und sie erlauben den Abgleich der Wünsche und Ansprüche der beiden Parteien.

Wie müssen Ziele im Kontext von Organisationen beschaffen sein?

Die Literatur zu den förderlichen Wirkungen von Zielen in Organisationen ist umfangreich. Die wichtigste Theorie stammt von Locke und Latham (1990). Kernelemente ihrer Theorie sind Ziel‑ schwierigkeit, Zielspezifität, Zielbindung („commitment“):

-

Merkmale von Zielen Schwierige, herausfordernde, aber erreichbare Ziele führen zu besseren Leistungen als mittlere oder leicht zu errei‑ chende Ziele. Unmögliche oder eindeutig überfordernde Ziele führen zu Leistungsverminderung. Präzise und spezifische Ziele führen zu besseren Leis‑ tungen als allgemeine, vage Ziele. Die Aufforderung, das Beste zu geben und sich voll einzusetzen reicht nicht aus für höchste Leistungen. Zielbindung ist das Ausmaß, in dem sich eine Person mit einem Ziel identifiziert, es als wichtig einschätzt, und sich verpflichtet fühlt, das Ziel zu erreichen.

Ziele liefern Bewertungsgrundlagen

668

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

Menge-Güte-Austausch

hohe Zielbindung

Feedback

14

Lernziele als Leistungsziele

vorgefasste Meinungen und Einstellungen verhindern Motivation

Spezifische, präzise und herausfordernde Ziele machen klar, wie hoch die Messlatte hängt und was eine erwünschte Leistung darstellt. Damit verbunden ist natürlich die Gefahr des Misserfolgs und von negativen selbstbewertenden Emotionen. Die Forschung hat gezeigt, dass Personen unter der „Tun Sie Ihr Bestes“-Anweisung zufriedener sind, da praktisch jedes Ergebnis als Erfolg gedeutet werden kann. Mitarbeiterzufriedenheit ist somit keine zwingende Voraussetzung für gute Leistungen! Auch wenn die Zieltheorie sehr gut überprüft ist, muss einschränkend erwähnt werden, dass sich präzise und schwierige Ziele in erster Linie für gut quantifizierbare Ergebnisse eignen und voraussetzen, dass keine Zielkonflikte vorhanden sind. Bei multiplen Zielen besteht mithin die Gefahr des „Menge-Güte-Austauschs“ (Erez 1990); d. h., dass qualitative Ziele zugunsten gut messbarer quantitativer Ziele vernachlässigt werden. Wenn Verkäufer nur aufgrund der kurzfristigen Umsatzzahlen beurteilt werden, können Ziele der Kundenbetreuungsqualität in den Hintergrund geraten und so den Umsatz langfristig gefährden. Hohe Zielbindung bewirkt, dass ein Ziel über einen längeren Zeitraum verfolgt und auch bei Schwierigkeiten und Misserfolgen beibehalten wird. Ist die Zielbindung gering, vermindert sich auch der Einfluss von Zielschwierigkeit und -spezifität auf die effektive Leistung. Am höchsten ist die Zielbindung, wenn Ziele selbst gesetzt werden oder wenn sie partizipativ, im Sinne einer echten Zielvereinbarung, erarbeitet werden. Wenn Ziele nicht selbst gesetzt werden können, sollten sie zumindest sehr gut begründet sein. Weiter wirkt sich ein gutes Gruppen- und Lernklima innerhalb der Organisation günstig auf die Zielbindung aus. Wenn das Klima stimmt, ist man eher bereit, sich für ein fremdbestimmtes Ziel zu erwärmen (7 Abschn. 13.2). Ein weiteres wichtiges Element der Zielumsetzung bezieht sich auf Feedback. Viele Aufgaben sind so beschaffen, dass es schwierig ist, den eigenen Arbeitsfortschritt selbst zu bewerteten. Hier sind Rückmeldungen von zentraler Bedeutung. Damit Ziele wirksam in Leistungen umgesetzt werden, sollten Rückmeldungen regelmäßig erfolgen, spezifisch, konstruktiv, verhaltens- und nicht personenbezogen sein und sich auf Prozesse wie auf Ergebnisse beziehen (7 Abschn. 9.4). Bei neuen und komplexen Aufgaben ist es angebracht, Lernziele und nicht Leistungsziele zu formulieren. In Umgebungen, die einem schnellen Wechsel hinsichtlich Anforderungen und Fertigkeiten unterliegen, ist die Vorgabe von Leistungszielen oft sogar kontraproduktiv, da deren Fokus zu weit von den unmittelbaren Anliegen entfernt ist.

Praktische Anwendungen der Zielsetzungstheorie Führungskräfte haben das Recht, Forderungen zu stellen, Vereinbarungen zu treffen und die Zielerreichung zu kontrollieren. Was

669

14.3 • Motivation

..Tab. 14.3  Ziele und Feedback Wie Ziele sein sollten

Wie Feedback sein sollte

Präzise, spezifisch und messbar

Regelmäßig

Schwierig, aber erreichbar

Verhaltensbezogen und konstruktiv

Glaubhaft

Nicht personenbezogen

Bindung gestatten

Ergebnis- und prozessbezogen

Nicht zu kleinteilig resp. Zu detailliert Nicht zueinander in Konflikt stehen Partizipativ erarbeitet Ziel- und Belohnungssystem müssen aufeinander abgestimmt sein

aber für einen Mitarbeitenden ein herausforderndes, schwieriges und motivierendes Ziel ist, kann nur über den Dialog herausgefunden und partizipativ erarbeitet werden. Dies setzt eine Haltung der Anerkennung der Unterschiedlichkeit von Menschen hinsichtlich Wahrnehmung und Bewertung der Realität voraus. Vorgefasste Meinungen und Einstellungen über die Realität verhindern Motivation. Wer die Ressourcen der Mitarbeitenden optimal nutzen will, muss sie kennen. Wertschätzendes, ressourcenorientiertes Prozess- und Ergebnisfeedback ermöglichen die Handlungskorrektur während der Ausführung und erlauben es, die eigene Handlung hinsichtlich der Zielerreichung zu überprüfen (. Tab. 14.3). Ziele sind wichtig. Ein motivierendes Klima beinhaltet aber mehr. Das „Job-Characteristics-Modell“ und die Zwei-FaktorenTheorie zeigen deutlich auf, wie wichtig Wahlmöglichkeiten und Autonomie innerhalb des Aufgabenbereichs sind. Dazu gehören selbstständiges Setzen von Zielen sowie die Handlungsvorbereitung und die Auswahl der Mittel. Aber es ist auch wichtig, Zeit für kreative Tätigkeiten und Weiterbildungen zu schaffen, die Perspektiven über das momentane Tätigkeitsfeld hinaus eröffnen.

Lohn und Motivation

Ein fairer Lohn1 ist nach wie vor ein wichtiges Motivationsinstrument (Frey und Osterloh 2002). Je nachdem wie der subjektive Vergleich zwischen geleistetem „Input“ (Fähigkeiten und Fertigkeiten, Engagement, Leistung etc.) mit dem „Output“ (Lohn, Aufstiegsmöglichkeiten, Weiterbildung etc.) des Arbeitgebers ausfällt, 1

Im Buch von Frey und Osterloh (2002) findet man eine gute Einführung zum Thema Fairness und Motivation

14

670

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

wird die Motivation positiv oder negativ beeinflusst. Sind In- und Output nicht in einem Gleichgewicht, ist die Motivation gefährdet. Dies gilt für Abweichungen auf beide Seiten. Subjektiv empfundene Überbezahlung kann z. B. Schuldgefühle auslösen. zz Variable Leistungslöhne

In der Wirtschaft entsteht manchmal der Eindruck, Motivation folge einem einfachen Reiz-Reaktions-Schema. Je mehr Lohn, desto mehr Leistung. Seit geraumer Zeit gelten variable Leistungslöhne als Kennzeichen fortschrittlicher Unternehmen und damit als Motivationsinstrument schlechthin. Aus Sicht der Forschung erscheint die Euphorie für variable Löhne aber eindeutig nicht gerechtfertigt. Ein fairer Lohn ist zwar nach wie vor ein wichtiges Motivationsinstrument. Variable Leistungslöhne sind aber mit einer Reihe schwerwiegender Nachteile verbunden, die umso größer werden, je komplexer und wissensintensiver die zu bewältigenden Aufgaben sind.

Messproblem „multiple tasking“ und „fuzzy tasking“

14

Für einfache Aufgaben sind variable Leistungslöhne durchaus angebracht und führen nachweislich zu höherer Leistung. Für komplexere Tätigkeiten lassen sich oft nur schwer Messkriterien erarbeiten, welche direkt aus dem Erfolg oder Misserfolg der Tätigkeit abgeleitet sind. Dabei entstehen zwei Probleme die mit den Begriffen „multiple tasking“ und „fuzzy tasking“ verbunden sind. Für Ziele, die verschiedenartige Aufgaben, die zudem nicht klar definiert werden können (fuzzy), voraussetzen, werden oft nur leicht messbare Ersatzkriterien erhoben. Die Messung der nicht, oder nur schwer messbaren Ziele wird vernachlässigt. Sind die Ersatzkriterien erst einmal Lohnwirksam definiert, hat man dann keinen Anlass mehr, sich darüber Gedanken zu machen, ob sie tatsächlich mit dem Unternehmenserfolg zusammenhängen oder sogar dysfunktional sind (fuzzy tasking). Wie ein Experiment von Shapira (1976) zeigt, versagt bei multiple und fuzzy tasking zudem die extrinsische Motivation: Bei freier Aufgabenwahl wählten Studierende schwierige Aufgaben. Bei Entlohnung wählten sie einfache, klar messbare Aufgaben.

Teamproblem Trittbrettfahren und Wissen zurückhalten

Das Teamproblem entsteht, wenn mehrere Personen komplementäre Leistungen erbringen. Die Gesamtleistung lässt sich nicht mehr den einzelnen beteiligten Personen zurechnen. Weil der Beitrag des einzelnen nicht mehr zu ermitteln ist, entsteht das sog. Trittbrettfahrerproblem: Einzelne können sich drücken (Trittbrettfahren). Dieses Verhalten kann zwar durch sozialen Druck gemildert werden. Dies ist aber sehr schwierig, wenn es sich um hoch wissensintensive Aufgaben handelt. Zudem haben extrinsisch motivierte Mitarbeitende ein hohes Interesse, ihr Wissen zurückzuhalten, weil es ihnen Vorteile verschafft.

14.3 • Motivation

671

14

Selektionsproblem

Variable Leistungslöhne ziehen extrinsisch motivierte Mitarbeitende an. D. h., Personen, die nicht an der Tätigkeit selbst oder den im Unternehmen geltenden Zielen und Normen interessiert sind, sondern nur am Geld. Sofern die zu erbringende Leistung leicht zu messen ist, spielt dies keine Rolle. Es wird aber zu einem Problem, wenn es sich um hochkomplexe, wissensintensive Aufgaben handelt.

Manipulationsproblem Jeder variable Leistungsanreiz birgt die Gefahr in sich, zugunsten des Individuums manipuliert zu werden. V. a. im Top-Management sind die Möglichkeiten, die relevanten Kennzahlen zu beeinflussen, enorm (For the manager, the million is just a mouse-click away!). Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Management-Entlohnung und Unternehmensperformance gering ist. Folgt man den Aussagen der Agency-Theorie (Manager = Agent; Aktionär = Principal), so werden die Agents immer alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um ihren persönlichen Profit, durchaus im Rahmen der Regeln, auf Kosten des Prinzipals, zu maximieren.

Maximierung des persönlichen Profits auf Kosten der Aktionäre

Verdrängungsproblem Mit dieser Problematik ist die Verdrängung der intrinsischen Motivation durch die extrinsische angesprochen. Sobald Bezahlung als Mittel zur Leistungssteigerung eingesetzt wird, kann sich die intrinsische Motivation reduzieren. Variable Leistungslöhne haben eine negative Wirkung, wenn eine hohe intrinsische Motivation gefragt ist. Die negative Wirkung ist umso ausgeprägter, je wichtiger die Mess‑, Team‑, Selektions- und Manipulationsproblematik sind. Zusammenfassung Motivation ist immer das Resultat einer Wechselwirkung zwischen den Beweggründen und Zielen der Person einerseits und den Gelegenheiten, Anforderungen und Anregungen der Umwelt andererseits. Führungskräfte können Motivation nicht direkt steuern, aber sie können Anreizstrukturen schaffen, in denen Menschen bereit sind, sich über ein übliches Maß hinaus zu engagieren. Dreh- und Angelpunkt der Motivation sind Ziele. In ihnen verdichten und konkretisieren sich die Bedürfnisse und Motive der Mitarbeitenden und die Ansprü‑ che der Organisation. Zielvereinbarungen sind eine wichtige Möglichkeit, die Ansprüche der Mitarbeitenden und der Organisation zu koordinieren. Regelmäßiges Feedback unter‑ stützt die Zielerreichung und erhält die Motivation aufrecht. Von zentraler Bedeutung ist die Feststellung, dass Motivation

extrinsische Motivation verdrängt intrinsische Motivation

Zusammenfassung

672

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

ein Prozess ist, der in Phasen abläuft. Führungskräfte sollten sich gewahr sein, dass sie zwar in jeder Phase unterstützend eingreifen können, die Art der Unterstützung sich jedoch der jeweiligen Phase anpassen muss. Menschen unterscheiden sich bei den Grundmotiven Leistung, Macht und Anschluss. Je nach individuellen Motivausprägungen werden sie von Situationen unter‑ schiedlich angeregt. Dies sollte bei der Einstellung von Mitarbeitenden beachtet werden. Inkongruenzen zwischen impliziten und expliziten Motiven haben einen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden. Herzberg hat auf die Bedeutung von Context- und Content-Variablen für die Arbeitsmotivation hingewiesen. Oldham und Hackman haben nachgewiesen, wie wichtig eine sinnstiftende, vielseitige, und ganzheitliche Aufgaben‑ gestaltung für die Motivation sind. Ein fairer Lohn ist zwar nach wie vor ein wichtiges Motivati‑ onsinstrument. Variable Leistungslöhne sind aber mit einer Reihe schwerwiegender Nachteile verbunden, die umso größer werden, je komplexer und wissensintensiver die zu bewältigenden Aufgaben sind.

Fragen zur Vertiefung

14

--

Fragen zur Vertiefung Was motiviert Sie? Welche Lebensziele verfolgen Sie mit Ihrer Tätigkeit? Zu welchen kurz- und mittelfristigen persönlichen Zielen trägt Ihre momentane Tätigkeit bei? Welche persönlichen Bedürfnisse werden durch Ihre Tätig‑ keit erfüllt? Welche persönlichen Bedürfnisse werden durch Ihre Tätig‑ keit verhindert oder kommen nicht zum Zuge? Was sind die wichtigsten Ziele Ihrer Organisation bzw. Abteilung? Wie gut passen Ihre persönlichen Ziele mit denjenigen Ihrer Organisation zusammen? Was motiviert Ihre Mitarbeitenden? Was nicht? Welche Motivationsinstrumente setzt Ihre Organisation ein? Sind die eingesetzten Instrumente aufeinander abge‑ stimmt Was sind Chancen und Risiken von variablen Leistungs‑ löhnen?

Literatur

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673

14

674

Kapitel 14  •  Schaffung wissensmäßiger und emotionaler Voraussetzungen für die Zusammenarbeit

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14

675

Führen mit Zielen Christoph Hoffmann, Andres Pfister 15.1

Ziele – 676

15.2

Individuelles Führen mit Zielen  –  677

15.3

Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)  –  681

15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6 15.3.7

Absicht und Zweck von MbO  –  682 MbO-Prozesse in Organisationen  –  685 Rahmenbedingungen für MbO  –  691 Arten von Zielen  –  692 Ziele formulieren – 695 Zielvereinbarungsgespräche durchführen – 700 Zielcontrolling – 703

15.4

Kritik an MbO  –  707

15.4.1 15.4.2 15.4.3

Fehler in der Zielsetzung  –  708 Fehler in der Leistungsrückmeldung  –  709 Fehler in der Unterstützung der Leistungserbringung  –  710

15.5

Delegation – 711

15.5.1 15.5.2 15.5.3 15.5.4

Auftragserteilung und Delegation  –  712 Was kann, soll und muss ich delegieren und was nicht?  –  713 Prozess der Delegation  –  715 Chancen und Gefahren der Delegation  –  720

Literatur – 722

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_15

15

676

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Auf einen Blick

Auf einen Blick Führen mit Zielen ist eine der wirksamsten und wichtigsten Führungsmethoden, die Führungskräfte anwenden können. Auf der Ebene der Organisation wird dieselbe Methode anhand von Führen mit Zielvereinbarung (Management by Objectives) genutzt. Unterschiedliche Arten von Zielen können vereinbart oder vorgegeben werden. Kombiniert mit unterschiedlichen, effektiv gestalteten Mitarbeitergesprächen ermöglicht Führen mit Zielen und Zielvereinbarung, dass die Beteiligten ein effektives zielgerichtetes Verhalten zeigen können, welches die notwendige Leistung zur Folge hat. MbO folgt hierbei dem Problemlösezyklus und ist auf der Ebene der Organisation ein zentraler Prozess, um das Verhalten aller Organisationsmitglieder auf gemeinsame, für die Organisation überlebenswichtige Ziele auszurichten und diese zu erreichen. Delegation ist eine Weiterführung des Führens mit Zielen, wobei fast alle Aspekte des Führens mit Zielen in die Hände der Mitarbeitenden gelegt werden.

15.1 Ziele

..Abb. 15.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

15

Alle Menschen haben Wünsche, Bedürfnisse, Interessen, Absichten und verfolgen dadurch Ziele. Menschliches Handeln ist somit intentional, d. h. zielgerichtet, da es eine bestimmte Absicht oder einen bestimmten Zweck verfolgt (Steiger 2013). Da Menschen die meiste Zeit in Organisationen verbringen (Vereine, Unternehmen, …), verfolgen sie auch ihre Ziele im Umfeld dieser Organisationen. Durch das zielorientierte Handeln versuchen Menschen, die aktuell wichtigen, individuellen Grundbedürfnisse (nach Grawe, 7 Kapitel 5) zu befriedigen. Hacker (1983, 1998) beschreibt Ziele wie folgt: Definition 

Definition: Ziele

„Ziele sind mehr oder weniger bewusste Intentionen, bzw. Vorsätze einer Person, die sich auf zukünftige, angestrebte Resultate ihres Handelns beziehen. Ziele beinhalten zugleich auch kognitive Repräsentationen dieser angestrebten Handlungsresultate.“ (Schmidt und Kleinbeck 2006, S. 4) 

Führen mit Zielen ist anspruchsvoll und effektiv

Führen mit Zielen ist eine der wirksamsten und gleichzeitig auch anspruchsvollsten Führungsmethoden. Die individuelle, leistungsgenerierende Wirkung von Zielen ist vielfältig, wie auch die Aspekte, welche die Wirksamkeit von Zielen auf individueller

15.2  •  Individuelles Führen mit Zielen

Ebene beeinflussen. Führen mit Zielen kann in vielen Bereichen der Organisation wirkungsvoll angewendet werden, sei dies mit Individuen, Gruppen, Organisationseinheiten oder ganzen Organisationen und erzeugt nachhaltige Leistung (Locke und Latham 2002). Als organisationaler Prozess ist das Führen mit Zielvereinbarung, im Englischen auch Management by Objectives (MbO) genannt, ein wichtiger Prozess der Organisationssteuerung, welcher das langfristige Überleben der Organisation sichert. Auf individueller als auch auf organisationaler Ebene spiegelt das Führen mit Zielen und Zielvereinbarung die Phasen des Problemlöseprozesses (7 Kap. 8) wieder. Es wird eine Situationsanalyse gemacht, Ziele werden definiert, Lösungsvarianten entwickelt, ein Entscheid für eine Lösungsvariante wird gefällt und diese dann umgesetzt, kontrolliert und evaluiert. Im Unterschied zum Problemlösungszyklus werden jedoch die Phasen der Lösungsentwicklung, der Entscheidung als auch der Umsetzung an die Person, die Gruppe oder die Organisationseinheit delegiert, welche für die Zielerreichung verantwortlich ist. Situationsanalyse, Zieldefinition als auch die Kontrolle bzw. das Monitoring werden gemeinsam mit der vorgesetzten Stufe durchgeführt. Mit dem Prozess des organisationalen Führens mit Zielvereinbarung (MbO) sind zentrale Organisationsprozesse wie die Visions- und Strategieentwicklung, Controlling und Innovationsprozesse, Personalplanung, -einsatz und -entwicklung, Organisationsentwicklung und Change Management verbunden. Ein gut gestalteter und umgesetzter MbO-Prozess verknüpft die Strategie, das Leitbild und die Kultur einer Organisation direkt mit dem Verhalten aller Organisationsmitglieder. MbO stellt somit einen der Kernprozesse der Organisationssteuerung dar. Organisationen werden besonders dann wirkungsvoll, wenn sie es schaffen, die Ziele der einzelnen Individuen in einer Organisation mit den Zielen der Organisation in Einklang zu bringen. Es liegt in den Händen der Führungskräfte auf allen Stufen, wie gut dieser Prozess gelingt und wie weit sie ihre Mitarbeitenden dahingehend entwickeln, dass sie eigenständig, zielorientiert und verantwortungsvoll handeln. 15.2

677

15

Management by Objectives/ Führen mit Zielvereinbarung

MbO ist ein zentraler Organisationsprozess

Individuelles Führen mit Zielen

Auch Locke und Latham (1990) beschreiben Ziele als Ideen der Zukunft und gewünschte Endzustände einer Aktion, welche bewusst gefasst werden (Hoch et al. 2009). Sie untersuchten in ihrer Zielsetzungstheorie (Goal-Setting-Theory), welche Merkmale und Bedingungen die leistungssteigernde Wirkung von Zielen beeinflussen. Die Zielsetzungstheorie ist eine der wichtigsten und robustesten organisationspsychologischen Theorien, deren Nachhaltigkeit zeit-,

Goal-Setting-Theory

678

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

gruppen-, aufgaben- und länderübergreifend nachgewiesen wurden. (Locke und Latham 2002). Zwei zentrale Annahmen legen Locke und Latham ihrer Theorie zugrunde (Wegge 2004; Hoch et al. 2009, S. 310). >>Die Vornahme schwer zu erreichender Ziele sollte sich in hö-

heren Leistungen niederschlagen als die Vornahme leichter Ziele (Zielschwierigkeitseffekt) Die Vornahme spezifischer, schwerer Ziele sollte in höheren Leistungsniveaus resultieren als die Vornahme vager, unspezifischer oder kleiner Ziele (Zielspezifitätseffekt).

Fast alle Studien zeigten, dass die Leistung mit zunehmender Zielschwierigkeit zunächst linear ansteigt. Jedoch erreicht sie am Ende immer eine individuelle Fähigkeitsgrenze. Ebenfalls belegen die Studien, dass spezifische, herausfordernde Ziele weitaus höhere Leistungen erzeugen, als vage und unspezifische Ziele (Hoch et al. 2009). Diese Befunde gelten für Einzelpersonen, wie auch für Gruppen, verschiedene Aufgabentypen als auch für verschiedene Kulturen (Locke und Latham 2002). Schmidt und Kleinbeck (2006, S. 14) fassen die Ergebnisse wie folgt zusammen: >>Arbeitsleistungen werden stark durch die Leistungsziele de-

terminiert, die Personen verfolgen. Die massivsten Leistungseffekte gehen dabei von spezifischen, herausfordernden und schwierigen Zielen aus.

Die leistungssteigernde Wirkung von den oben beschriebenen Zielen tritt jedoch nicht per se ein. Verschiedene Bedingungen und Einflüsse können die Leistung nachhaltig beeinträchtigen. Schmidt und Kleinbeck (2006, S. 15 ff) führen die wichtigsten Bedingungen und Einflüsse exemplarisch auf (. Abb. 15.2). zz Individuelle Fähigkeiten

15

individuelle Fähigkeiten

Menschen mit hoch ausgeprägten Fähigkeiten (Kompetenzen) sind auf einem anderen Level in der Lage, jene herausfordernden und spezifischen Ziele zu erreichen als Personen mit niedrigen Fähigkeiten. Somit ermöglicht die Investition in die Entwicklung und die Lernprozesse der Mitarbeitenden, sich neue Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen; dadurch resultiert langfristig eine höhere Zielerreichung. Dies heißt ebenfalls, dass Ziele den individuellen Fähigkeiten der Person angepasst sein müssen und von den Personen als erreichbar erlebt werden müssen. Überforderungen sind zu vermeiden. Für Führungskräfte bedeutet dies, dass sie sich ein realistisches Bild von den Stärken und Schwächen ihrer Mitarbeitenden erarbeiten, Unterschiede in den Fähigkeiten erkennen und die Ziele

15

679

15.2  •  Individuelles Führen mit Zielen

Selbstwirksamkeit

Par zipa on in der Zielsetzung

Erwartung der Zielerreichung

Ziel (spezifisch / herausfordernd)

Grad an Zielbindung

Individuelle Fähigkeiten

Leistungsrückmeldung

Aufgabenkomplexität

Grad an Mo va on

Umgesetzte Leistung

Grad der Zielerreichung

Subjek ver Wert & Wich gkeit

..Abb. 15.2  Elemente der Zielsetzungstheorie und Rückkopplungseffekte durch Rückmeldung

entsprechend anpassen. Gleichzeitig heißt dies auch, dass sie die Mitarbeitenden gezielt bei ihrer Weiterengwicklung unterstützen sollen. zz Selbstwirksamkeit

Menschen haben ein unterschiedlich stark ausgeprägtes Zutrauen in die eigenen wahrgenommenen Möglichkeiten und Kompetenzen, eine Aufgabe wirklich bewältigen zu können (Selbstwirksamkeit nach Bandura 1986; Schmidt und Kleinbeck 2006). Personen mit hohem Vertrauen in die eigene Selbstwirksamkeit sind besser in der Lage, die vorhandenen Ressourcen in Leistung umzusetzen und übernehmen vorgegebene, schwierige Ziele als persönliche Ziele. Je mehr Vertrauen man in seine eigene Wirksamkeit hat (Leistungsmotivation), gepaart mit den entsprechenden Fähigkeiten (Leistungsfähigkeit), desto höher ist die gezeigte Leistung. Vorgegebene oder vereinbarte Ziele können positive Auswirkungen auf dieses Vertrauen haben, da sie die Botschaft vermitteln, dass man ihnen zutraut, diese Ziele auch tatsächlich erreichen können. Regelmäßige Rückmeldung zur gezeigten Leistung (Feedback) als auch das Erreichen von Zielen wirken sich direkt positiv auf die erlebte Selbstwirksamkeit aus.

Selbstwirksamkeit

zz Zielbindung

Zielbindung ist das Ausmaß, in welchem sich eine Person einem Ziel gegenüber verpflichtet fühlt. Es ist eine notwendige Voraussetzung, dass Ziele überhaupt verfolgt und erreicht werden. Entsprechend erhöht sich der Ressourceneinsatz und das Ziel wird selbst bei Rückschlägen und Widerständen weiterverfolgt (Hollen-

Zielbindung

680

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

beck et al. 1989). Nur durch starke Bindung werden Ziele wirksam. Zwei Faktoren beeinflussen die Zielbindung, welche von Vroom (1964) in der Erwartung-Wert-Theorie ihren Niederschlag finden: Die subjektive Erwartung, das Ziel zu erreichen. Die subjektive Einschätzung des Wertes oder der Wichtigkeit eines Zieles.

--

Je höher die subjektive Erwartung, dass das Ziel erreicht wird und je höher der subjektive Wert, desto höher ist die Zielbildung und die Leistung der Person. Darauf können Führungskräfte durch nachvollziehbare Begründungen der Ziele, aber auch durch Lob und Anerkennung positiv einwirken. Diese können kurzfristig durchaus auch materieller Natur sein wie Lohnerhöhungen und Aufstiegsmöglichkeiten. Gängige Vergütungsmodelle setzten an diesem Punkt an. Die wahrgenommene Wichtigkeit und der Nutzen hängen jedoch stark von den aktuell wirksamen Grundbedürfnissen einer Person ab. Weiter wird die subjektive Erwartung der Zielerreichung maßgeblich durch die Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten und durch die Wahrnehmung der eigenen Selbstwirksamkeit bestimmt. Je höher sie ist, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung eingeschätzt. Vorgesetzte sollten die Möglichkeiten nutzen, mit wertschätzendem Zuspruch und konkreter Unterstützung positiv auf diese subjektive Erwartung einzuwirken. zz Aufgabenkomplexität Aufgabenkomplexität

15

Die Wirksamkeit von Zielen reduziert sich mit zunehmender Aufgabenkomplexität (Wood et al. 1987), da die höhere Komplexität bedeutet, dass von der Person nicht beeinflussbare Faktoren die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung beeinflussen (Abhängigkeit von anderen Personen, nicht vorhersehbare Dynamiken, …). Komplexe Aufgaben können sogar leistungsmindernd wirken, insbesondere dann, wenn sie einen gewissen ungünstigen Zeitdruck erzeugen. Zu hoher Zeitdruck vermindert die Möglichkeit ausprobieren zu können und den richtigen Lösungsweg zu finden, was bei komplexen Aufgaben essentiell ist, da der passende Lösungsweg meist nicht bekannt ist. Es muss daher bei komplexen Aufgaben durch die Führungskraft genügen Zeit gegeben werden, um eine adäquate Problemlösung zu erarbeiten. zz Leistungsrückmeldung

Leistungsrückmeldung

Ein zentraler Befund der meisten Studien zur Leistungswirkung von Zielen zeigt, dass Rückmeldungen zu den tatsächlich erreichten Leistungsergebnissen die Leistung sehr positiv beeinflusst (Locke und Latham 1990). Konstruktive Rückmeldung bewirkt direkt eine Erhöhung der Selbstwirksamkeit, fördert die Kompetenzen, wenn konkrete Verhaltensmöglichkeiten rückgemeldet werden und erhöht dadurch auch die subjektive Erwartung, das Ziel zu

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

681

15

erreichen. Nach Schmidt und Kleinbeck (2006) erfüllen Ziele und Rückmeldungen zwei wechselseitig ergänzende Funktionen, welche für leistungsorientiertes Handeln unverzichtbar sind: Ziele organisieren das Handeln und lenken sie auf intendierte Ergebnisse. Rückmeldungen überprüfen den Fortschritt auf dem Weg zum Ziel. Das Zusammenspiel von Ziel und Rückmeldung macht zielgerichtetes Handeln erst möglich. Dies funktioniert jedoch nur, wenn Ziele und Rückmeldungen eng aufeinander bezogen sind.

-

Wirkungsvolles Führen mit Zielvereinbarung bedeutet gute Ziele zu setzen oder mit den Mitarbeitenden zu vereinbaren, welche den Kompetenzen der Mitarbeitenden angepasst sind und von diesen als erreichbar wahrgenommen werden. Dies bedingt, dass Führungskräfte sich ein gutes Bild der Fähigkeiten und Fertigkeiten ihrer Mitarbeiter machen müssen. Dieses Bild erhält man nur, wenn man die entsprechende Zeit in Beobachtungen und in den gemeinsamen Austausch investiert. Gleichzeitig ermöglicht der Austausch zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden auch herauszufinden, was für die Mitarbeitenden wichtig ist, welchen Wert sie den Zielen beimessen, wie sie ihre Selbstwirksamkeit einschätzen und wo Entwicklungsmaßnahmen sinnvoll sind. Letztendlich ermöglicht ein regelmäßiger Austausch ebenfalls die für die Leistungserbringung zentralen Rückmeldungen zu geben, Probleme und Schwierigkeiten frühzeitig zu erkennen und als Konsequenz als Führungskraft jene Dinge zu tun, welche den Mitarbeitenden bei der Zielerreichung nachhaltig helfen. 15.3

Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

Die Ursprünge des Führens mit Zielvereinbarung gehen schon mehrere Jahrzehnte zurück. Peter Drucker führte 1954 die Methode Management by Objective (MbO) in die Managementliteratur ein, und seither wurde dieser Prozess in vielen Organisationen weltweit implementiert. Seine Anfänge lassen sich jedoch schon in militärischen Führungsprozessen finden (Malik 2006). Frühere Konzepte sahen primär das Führen durch Zielvorgabe als zentral. Die Führungskraft gab die Ziele vor, welche durch das hierarchische Organisationsystem definiert und für jede Stufe entsprechend heruntergebrochen wurden (Bühner 1996; Kolb 2010). Somit war zu dieser Zeit der Prozess des Führens mit Zielen ein Prozess, der ausschließlich auf den Führungsebenen stattfand (Drucker 2005) und deren Auswirkungen die Mitarbeiterebene betraf, ohne dass diese großen Einfluss auf die Zielgestaltung hat-

von Führen mit Zielvorgabe zu Führen mit Zielvereinbarung

682

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

ten. Ziele wurden in diesem System von oben nach unten definiert und vorgegeben Dies unterscheidet sich von der heutigen geläufigen Anwendung des Prozesses, worin Mitarbeiter und Vorgesetzte Ziele oder einen Teil der Ziele gemeinsam vereinbaren (Kolb 2010). Neuere Managementtrends beschleunigten die Ausweitung des Konzepts des Führens mit Zielvereinbarungen auf alle Unternehmensbereiche und Mitarbeiterebenen. Als organisationaler Prozess ermöglicht Führen mit Zielvereinbarung der Organisation, sich als Ganzes an einer Strategie auszurichten und sich dadurch an die stetig verändernden Umweltbedingungen dynamisch anzupassen. Gleichzeitig ermöglicht MbO, den Prozess der Leistungserbringung effektiv umzusetzen, indem das Verhalten der beteiligten Organisationsmitglieder auf dessen effektive Umsetzung ausgerichtet wird. Konkret bedeutet dies, dass Führen mit Zielvereinbarung unter anderem genutzt wird, damit die Organisationsmitglieder jene Aufgaben erfüllen, welche nötig sind, damit die Organisation Produkte oder Dienstleistungen effektiv herstellen und vertreiben kann. Schmidt und Kleinbeck (2006) unterstreichen dies. >>„Zielvereinbarungen stellen ein wirksames Führungsinstru-

ment dar, das Einfluss darauf nimmt, wie Mitarbeiter ihre individuellen Ressourcen an Zeit und Energie auf die verschiedenen Arbeitsaufgaben und -aktivitäten verteilen. Daneben können Zielvereinbarungen aber auch die motivationalen und sozialen Kompetenzen von Personen stärken sowie die Entwicklung arbeitsrelevanter Fertigkeiten und Kenntnisse fördern“ (Schmidt und Kleinbeck 2006; S. 2).

15.3.1 Absicht und Zweck von MbO

15

Absicht und Zweck von MbO

Es ist von zentraler Bedeutung für die Umsetzungsgüte und die Effektivität von MbO, dass die Mitarbeitenden und Führungskräfte verstehen, wozu das Führungssystem in der Organisation eingesetzt und genutzt werden soll. Ein Grund, warum MbO bis heute in vielen Unternehmen mehr schlecht als recht umgesetzt wird ist die Tatsache, dass nicht allen in der Unternehmung klar ist, was unter Führen mit Zielen zu verstehen ist. Unternehmen tun also gut daran, ihre Absicht des Führungsinstrumentes differenziert und plausibel darzulegen und zu kommunizieren. Dies ist bereits ein wichtiger Faktor der Unternehmenskultur. Untenstehend sind die wichtigsten Absichten zusammengefasst. zz Ausrichtung auf die Primary Task

Die Aktivitäten sollen nach Steiger (2013) besser auf die Primary Task, den Hauptzweck des Unternehmens ausgerichtet werden. Sind Ziele von Bereichen, Abteilungen oder untergeordneten

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

Einheiten konsequent an den Unternehmenszielen logisch und transparent abgeleitet, werden die Kräfte der Organisation auf das Wesentliche konzentriert und bewirken einen hohen Wirkungsgrad in der Hauptaufgabe, für die es die Unternehmung gibt. Somit werden sich die Mitarbeitenden viel eher an den Ergebnissen und Resultaten der Arbeit statt an einzelnen Tätigkeiten orientieren. Der Effekt ist insgesamt eine Steigerung der Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit der Unternehmung. zz Eigenverantwortung und Selbststeuerung der Mitarbeitenden

Führen mit Zielvereinbarung ist ein Führungsinstrument, welches zu mehr Selbststeuerung führt. Die Werte basieren darauf, dass Menschen eigenverantwortlich und engagiert die Herausforderungen lösen werden, wenn ihnen Vertrauen, Wertschätzung und Fehlertoleranz und die notwendige Sicherheit gegeben wird. zz Personalentwicklung

Die wirkungsvollste Methode einer nachhaltigen Personalentwicklung ist, dass sich die Führungskraft und die Untergebenen über das Entwicklungspotenzial unterhalten. Dass dies nicht zufällig und nach Partikularinteressen geschieht, eignet sich Führungsinstrument mit Zielvereinbarung ausgezeichnet. Die Zielüberprüfung bietet eine gute Grundlage, zukünftige Entwicklungsziele in der Leistungsfähigkeit aber auch der Leistungsmotivation zu erkennen. zz Incentivierungs- und Bonifikationssystem

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass 37 % aller männlichen und 27 % aller weiblichen Mitarbeitenden in der Schweiz einen Bonus erhalten (Finanzsektor und Versicherungsdienstleister über 70 %, Pharmaindustrie über 70 %, Forschung und Entwicklung über 30 %, Hersteller von Nahrungsmittel und Getränke über 30 %; Schweizerische Lohnstrukturerhebung 2012 des BFS 2015). Davon sind rund 83 % direkt an ein MbO-System geknüpft. Die zentrale Frage ist also bei monetären Leistungsanreizen, ob die Belohnung an Individualziele oder an Teamziele, Abteilungsziele, Bereichsziele oder Unternehmensziele geknüpft werden soll. Bei Individualzielen besteht die Gefahr, dass auf Kosten der Gesamtunternehmenssicht versucht wird, die eigene belohnte Zielgröße zu maximieren. zz Führen von Mitarbeitenden und Unternehmungen

Durch die Vereinbarungsgespräche und die Zielüberprüfung ist man als Führungskraft sehr nahe bei seinen Mitarbeitenden und ihrer Leistungsmotivation und -fähigkeit. Durch die Eigenverantwortung und Selbststeuerung werden für die Führungskraft Ressourcen frei, um den Mitarbeitenden optimale Rahmenbedingungen für die Zielerreichung zu schaffen. Durch die periodischen (viertel- oder halb- oder nur jährlichen) Meilensteingespräche

683

15

684

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

..Tab. 15.1  Nutzen der Mitarbeiterführung mit Zielen. (Aus Kolb 2010, S. 39) Mitarbeiter

15

Führungskraft

Unternehmen

– Mehr Eigen­verantwortung

– Schlankerer Führungsstil mit weniger Kontrollaufwand

– Klare Ausrichtung aller Mitarbeiter an den Unternehmenszielen

– Kreative Freiräume, somit mehr Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung

– Mehr Freiräume für situatives Führen der Mitarbeiter

– Verknüpfung der Ziele des Unternehmens mit der Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter

– Größerer Leistungsanreiz

– Offenere Kommunikation über erwartete Leistungen

– Mitarbeiterpotenziale werden durch höhere Motivation und Leistungsbereitschaft besser genutzt

– Größere Wertschätzung

– Transparenz der Zielerreichung

– Intensivierung des Austauschs zwischen Führungskräften und Mitarbeitern

– Klare, dokumentierte Orientierungsgrößen und Bewertungskriterien

– Klare Beurteilungsbasis für leistungsabhängige Entgelte

– Führungs- und Informationsprozesse werden systematisiert

– Eindeutige Prioritäten, mögliche Zielkonflikte werden eher erkannt

– Versachlichung der Beurteilungsgespräche

– Flexiblere Entgeltstrukturen

– Basis für Laufbahn‑, Karriereund Qualifikationsziele

– Ausgangspunkt für eine verbesserte Personalentwicklungsplanung

– Insgesamt bessere Qualität der Führung und Zusammenarbeit

– Insgesamt Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit

klären sich auch laufend die gegenseitigen Erwartungen, und die Rollen werden neu abgestimmt. Nach Steiger (2013) können auch in einem dialogischen Zielfindungsprozess Ziele situationsbezogen und spontan angepasst oder neu vereinbart werden und so kann auf Veränderungen flexibel reagiert werden (. Tab. 15.1). zz Mitarbeitendenmotivation und Personalentwicklung Die Mitarbeitendenmotivation als Ziel bei der Einführung von

Führen durch Zielvereinbarung erschließt sich aus den vorgängig beschriebenen Absichten. Ist bei der Zielvereinbarung eine hohe Partizipation und damit ein hohes Commitment erreicht, steuern Mitarbeitende eigenverantwortlich ihr Handeln zur Zielerreichung. Wird eine enge Kommunikation mit Feedback sowie leistungsgerechte Vergütung gelebt und sind die Ziele nach dem Minimumstandard SMART (7 Abschn. 15.3.5) formuliert, entfaltet sich eine hohe Leistungsmotivation der Mitarbeitenden (Locke und Latham 1984). Zu einer angstfreien Leistungsmotivation gehört auch die Sicherheit für Mitarbeitende, eine gerechte Fehlerkultur und gezielten Personalentwicklung (. Abb. 15.3).

685

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

15

Rollen klären kooperative, vertrauensgestützte, konfliktfähige Zusammenarbeitskultur

Organisationsweiter Problemlöseprozess

Führungsinstrument

Erhöhung der Entscheidungsspielräume für MA

Flexibles Reagieren auf Veränderung

Personalentwicklung ..Abb. 15.3  Mögliche Absichten, die Unternehmungen nebst der Leistungssteigerung mit MbO verfolgen könnten. MA Mitarbeitende

15.3.2

MbO-Prozesse in Organisationen

Bei genauerer Betrachtung finden sich an unterschiedlichsten Stellen in der Organisation MbO-Prozesse wieder, auch wenn diese nicht als solche benannt werden. Was generell als MbO-Prozess benannt wird, ist der „große“ MbO-Zyklus, welcher in Organisationen im Verlauf eines Jahres einmal umgesetzt wird. Gleichzeitig finden sich aber auch „kleine“ MbO-Zyklen beispielsweise in regelmäßigen Teamsitzungen wieder, welche viel häufiger, z. T. sogar mehrmals wöchentlich stattfinden.

„große“ und „kleine“ MbOZyklen in der Organisation

686

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

„großer“ MbO-Zyklus und dessen Phasen

..Abb. 15.4  © 2018 by Tobias Leuenberger

zz Der „große“ MbO-Zyklus

Der gängige MbO-Prozess findet sich in der Form eines jährlichen Zielvereinbarungs- und Leistungsbeurteilungszyklus in Organisationen. Der Prozess soll das Verhalten aller Organisationsteilnehmer auf gemeinsame organisationale Ziele ausrichten. MbO folgt im Rhythmus der Geschäftsabläufe normalerweise einer jährlichen Phasenabfolge (Steiger 2013) und orientiert sich an wichtigen, jährlich wiederkehrenden Terminen und Sitzungen. Steiger beschreibt den gängigen „großen“ MbO-Zyklus (. Abb. 15.5) wie folgt (Steiger 2013, S. 181 f.). Ein typischer Ablauf könnte in etwa folgendermaßen aussehen: Noch im alten Geschäftsjahr, vermutlich in der zweiten Jahreshälfte, im Rahmen der Planung der nächsten Aktivitätsperiode, wird jede Führungskraft mit ihrer vorgesetzten Stelle die Vorgaben für den eigenen Verantwortungsbereich aushandeln (vereinbaren) und aufgrund dieser Vorgaben den Zielfindungs- und -Vereinbarungsprozess mit den eigenen Mitarbeitenden einleiten. Der Ablauf von MbO in der Organisationshierarchie erfolgt in der Regel von oben nach unten. Schon hier sollten klar die Vision, die Leitbilder, Organisationsnormen und die Strategie in den Vorgaben der höheren Stufe erkennbar sein. Die Terminierung der Vorbereitungen und Zielvereinbarungen hat darauf Rücksicht zu nehmen, dass spätestens am Anfang der neuen Geschäftsperiode auch die Zielvereinbarungsgespräche auf der untersten Hierarchieebene, die vom MbO noch erfasst werden soll, durchgeführt sind. zz Analysephase In einer ersten Analyse- bzw. Vorbereitungsphase wird die

15

Führungskraft sich Klarheit über die verschiedenen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die folgenden Vereinbarungsgespräche verschaffen. Sie erarbeitet sich daher eigene Vorstellungen darüber, was im Einzelnen, mit welchen Mitteln und wie, in der kommenden Geschäftsperiode anzustreben ist. Wichtig ist hier, entstehende Zielkonflikte innerhalb des eigenen Verantwortungsbereichs als auch zwischen dem eigenen und anderen Bereichen frühzeitig zu erkennen und zu klären oder aufzulösen. Auch die Mitarbeitenden sollen sich in dieser Phase Gedanken machen, welche Ziele für sie im folgenden MbO-Zyklus relevant sein könnten. zz Zielvereinbarungsgespräche

Mit diesen Vorstellungen wird die Führungskraft die eigentlichen Zielvereinbarungsgespräche mit ihren Mitarbeitenden oder Teams aufnehmen. Hierbei werden individuelle Ziele der Mitarbeitenden und die auf die entsprechende Stufe heruntergebrochenen Ziele der Organisation miteinander vereinbart.

687

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

Feedback, Qualifikation

Zielvereinbarung

Zwischenevaluation

Selbstständiges, verantwortliches Handeln der Mitarbeitenden

Standortbestimmung

Analyse, Vorbereitung Zielvereinbarungsgespräche

Rahmenbedingungen

Umsetzung Zielverfolgung

Fähigkeiten Fertigkeiten

Phasen

Kontrolle und Feedback

andere Aufgaben Prioritäten

transparentes übergeordnetes Zielsystem

..Abb. 15.5  Phasen des MbO-Zyklus. (Aus Steiger 2013, S. 181)

zz Umsetzungsphase

Es folgt eine den einzelnen Zielvorgaben entsprechende Phase des

selbstständigen, selbstverantwortlichen Handelns (Umsetzens)

durch die Mitarbeitenden, allenfalls unterbrochen von Zwischenevaluationen und Kurskorrekturen z. B. aufgrund sich ändernder Rahmenbedingungen (7 Abschn. 15.3.7). Die Führungskraft ist in dieser Phase in der Pflicht, sich immer wieder ein Bild über die Leistung des Mitarbeitenden und die aktuellen Herausforderungen zu machen um frühzeitig Probleme lösen oder Schwierigkeiten aus dem Weg räumen zu können. Außerdem erlaubt ein regelmäßiges Monitoring am Ende eine adäquate Beurteilung der gezeigten Leistung. Regelmäßiger Austausch ist zudem die Quelle von Wertschätzung in Form von Feedback, welches für die individuelle Leistungserbringung zentral ist (Locke und Latham 2002). Letztendlich hat die Führungskraft nur dann die Möglichkeit Stärken, Schwächen und Potenziale eines Mitarbeitenden zu erkennen, wenn sie sehen

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Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

konnte, wie diese in unterschiedlichen Situationen wahrnimmt, urteilt, denkt und handelt. zz Standortbestimmung: Würdigung der Ergebnisse und Schlussfolgerung

Der kreislaufförmige, periodisch wiederkehrende Prozess des MbO wird abgeschlossen durch eine im Rahmen der Zielvereinbarung terminierte Standortbestimmung, d. h. durch eine kritische Prüfung und Bewertung der Ergebnisse unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren, welche zum beobachteten Resultat geführt haben. Auf dieser Grundlage werden Auswirkungen auf die nächste Zielperiode diskutiert und beschlossen. Meist folgt auf die letzte Standortbestimmung auch ein Leistungsbeurteilungsgespräch, welches eventuelle Lohn- und Bonusbestimmung mit einbezieht. zz Die Zielkaskade Zielkaskade

15

MbO soll das Verhalten aller Organisationsmitglieder auf gemeinsame Ziele ausrichten. Damit dies effektiv umgesetzt werden kann, benötigt die Organisation Ziele. Diese entwickeln sich aus dem auf der obersten Stufe umgesetzten Strategieprozess. Auf der Grundlage einer Vision, den organisationalen Leitlinien und den Grundwerten der Organisationskultur leitet sich eine für die Organisation zielgebende langfristige Strategie ab. Aus den Meilensteinen der Strategie wiederum ergeben sich die Jahresziele einer Organisation, welche als Ausgangspunkt für den jährlichen MbO-Prozess dienen. Meist sind diese Ziele sehr umfassend und für die konkrete Umsetzung in ein Verhalten für viele Organisationsmitglieder noch zu unkonkret. Im Rahmen der Zielkaskade müssen diese Ziele nun über jede Organisationsstufe hinweg konkretisiert werden. Gleichzeitig besteht hier eine große Gefahr, dass Zielkonflikte entstehen. Somit hat jede Führungsstufe drei wichtige Aufgaben im Rahmen der Zielkaskadierung zu erfüllen, um Zielkonflikte zu vermeiden: Ableiten und konkretisieren der Ziele für die nachfolgende Stufe. Koordinierung der Ziele für die nachfolgende Stufe, um Zielkonflikte zwischen Individuen im eigenen Verantwortungsbereich zu vermeiden. Zielabgleich mit anderen Verantwortungsbereichen, um Zielkonflikte zwischen Individuen und Teams untereinander zu vermeiden.

-

Ist dies erfolgt, so bestehen für die meisten Organisationsmitglieder Ziele, welche untereinander abgestimmt sind und sich sogar ergänzen, mit der Strategie in Einklang sind und die Werte als auch die Leitlinien der Organisation widerspiegeln. Zudem sind sie für die jeweiligen Stufen genügend konkret definiert, dass diese auch in ein konkretes Verhalten ungesetzt werden können. Diese Ziele

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

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15

werden dann von den jeweiligen Organisationsmitgliedern im Verlauf der vorgegebenen Periode durch konkrete Handlungen verfolgt und umgesetzt. >>Vision, Strategie, Werte und Leitlinien bilden zusammen

die für die Zielübernahme essentielle Begründung für die durch die Organisation vorgegebenen Ziele. Ohne diese Begründung werden die Ziele nicht selten als willkürlich, unnötig, nicht zielführend und unverständlich angesehen. Ziele müssen in jedem Fall begründet werden. Konkrete und begründete Ziele, verknüpft mit einer Vision, fördern die Identifikation und Motivation (Schwaab 2010) der Organisationsmitglieder.

zz Mitarbeitergespräche im MbO-Zyklus

Mitarbeitergespräche und wiederholte Rückmeldung über die Leistung sind Kernaufgaben von Führungskräften im Rahmen eines MbO-Zyklus und nach Locke und Latham (2002), als auch Schmidt und Kleinbeck (2006) essenziell dafür, dass Ziele ihre Wirkung entfalten. In allen Fällen erfolgt am Anfang das Zielvereinbarungsgespräch und am Ende die Leistungsbeurteilung. Oft wird im gleichen Rahmen auch das Entwicklungsgespräch geführt, bei welchem die zukünftige Entwicklung des Mitarbeitenden thematisiert wird. Auf jeden Fall ist mindestens ein Zwischengespräch in der Hälfte des Zyklus zu führen. Es bieten sich jedoch weitere thematisch unterschiedlich gewichtete Gespräche im Verlauf des Zyklus an. Zunächst lohnt es sich, das Entwicklungsgespräch als auch die Leistungsbeurteilung und Zielvereinbarung zu trennen. Von Vorteil ist es, wenn das Entwicklungsgespräch in der Mitte des Zyklus stattfindet, gepaart mit einer Standortbestimmung, wobei der Hauptfokus auf der Entwicklung liegt. Im Rahmen der Leistungsbeurteilung oder der Zielvereinbarung kann dann eine kurze Standortbestimmung der Entwicklung vorgenommen werden. . Abb. 15.6 zeigt auf, wie die Abfolge der entsprechenden Gespräche im Verlauf eines jahresübergreifenden MbO-Prozesses aussehen könnte. Bei richtiger Anwendung sollte es bei den zentralen Mitarbeitergesprächen der Standortbestimmung und Leistungsbeurteilung zu keinen Überraschungen kommen, da die entsprechenden Entwicklungen schon frühzeitig erkannt worden sind.

Mitarbeitergespräche

zz Die „kleinen“ MbO-Zyklen

Der MbO-Zyklus lässt sich an vielen Stellen auch im Kleinen wiederfinden. Regelmäßige Teamsitzungen, welche beispielsweise jede Woche stattfinden, können solch einen kleinen MbO-Zyklus beinhalten. Hierbei wird am Anfang der Sitzung kurz gemeinsam

„kleiner“ MbO-Zyklus

690

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Zielvereinbarung - Übergeordnete Strategie und Ziele der Organisaon vorstellen - Konkrete Zielvorstellung MA & FK austauschen - Konkrete Ziele vereinbaren - Rahmenbedingungen besprechen und vereinbaren - Zielüberprüfung vereinbaren

Zielerreichung Leistungsbeurteilung - Beurteilung der aktuellen Zielerreichung durch MA und FK - Beurteilung der Leistung MA inkl. Begründung durch MA und FK austauschen - Konsolidierung der Beurteilungen und Begründungen - Mögliche Massnahmen ableiten und planen

Entwicklung

Stärken

- Bisherige Entwicklung aus Sicht MA und FK beurteilen - Entwicklungsperspekven aus Sicht MA und FK austauschen - Entwicklungsziele vereinbaren - Massnahmen vereinbaren und planen

- Stärken aus Sicht MA und FK austauschen - Vergleich Stärken, Ziele und Entwicklungsplanung - Ev. Ziele auf Ebene MA und FK gemeinsam definieren und entsprechende Massnahmen vereinbaren

4. Quartal

1. Quartal

Weniger Gespräche, da Organisaon Zeit für die Planung Folgejahr und Abschlüsse benögt. Ev. zentrales Weihnachtsgeschä. Ende Q4 / Anfang Q1 zentrales Leistungsbeurteilungsgespräch

Q4 Q1 3. Quartal Vereinbarung der Entwicklungsziele für die kommende Periode. Analyse der Stärken. Regelmässige Feedbacks und Zielerreichungsgespräche

Zusammenarbeit / Feedback - Zusammenarbeit aus Sicht MA und FK beurteilen - Handlungsfelder gemeinsam definieren - Ev. Verhaltensziele auf Ebene MA und FK definieren und entsprechende Massnahmen vereinbaren

Q3 Q2

Vereinbarung der Ziele für die kommende Periode, abgeleitet von den Zielen der Organisaon und den Vorstellungen der Führungskra und der Mitarbeitenden. Erste Überprüfung ob die gegebenen Rahmenbedingungen die Zielerreichung erlauben. Halbjahresgespräch bez. Entwicklungsziele

2. Quartal Regelmässige Feedbacks und Zielerreichungsgespräche um allfällige Probleme bei der Zielerreichung frühzeig zu erkennen. Halbjahresgespräch für die Zielerreichung am Ende Q2 / Anfang Q3. Ev. Zielvereinbarungsgespräch, wenn Zielkorrektur nög ist

..Abb. 15.6  Gespräche im MbO-Prozess. MA Mitarbeitende, FK Führungskraft. (In Anlehnung an Beyeler und Specht 2010, mit freundlicher Genehmigung des KMU-Magazins, von Daniel Beyeler und Rolf Specht)

15

der aktuelle Stand aller Arbeiten und Projekte definiert. Daraus folgen Ziele für die Periode bis zur nächsten Teamsitzung, welche entweder gemeinsam vereinbart oder von der Führungskraft gesetzt werden. Anschließend setzten die Führungskraft gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Teams im Verlauf dieser Woche die gesetzten Ziele um. In der folgenden Sitzung wird die aktuelle Situation erneut analysiert und die Ziele für die kommende Woche werden neu gesetzt. Auch bei der Ausbildung von Mitarbeitenden kann der MbOZyklus gefunden werden, insbesondere, wenn es um das Erlernen neuer Fertigkeiten geht. Zuerst wird gemeinsam analysiert, was die Person an Fähigkeiten und Fertigkeiten schon verinnerlicht hat. Anschließend werden kleine Ziele definiert, welche dem Aufbau der Fähigkeiten und Fertigkeiten dienen. Die Person verfolgt dann während eines eng begrenzten Zeitraums die vorgegebenen Ziele eigenständig oder mit Unterstützung. (7 Abschn. 15.3.7). Am Ende wird die Zielerreichung evaluiert und auf deren Grundlage die weiteren Schritte und die nächst schwierigeren Ziele definiert, welche Aufgrund des Kompetenzzuwachses, der höheren erlebten Selbstwirksamkeit auch eher erreicht werden können.

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

15.3.3

Rahmenbedingungen für MbO

zz Wann ist es sinnvoll, mit Zielvereinbarungen zu führen?

Grundsätzlich sollten die Hauptaufgaben der Arbeitstätigkeiten von Mitarbeitenden in den Stellenbeschreibungen festgeschrieben sein. Sie brauchen in einer Zielvereinbarung nur noch am Rande erwähnt zu werden, fließen aber bei der Zielüberprüfung und Leistungsbeurteilung in die Gesamtbewertung ein. Üblicherweise werden in den Zielvereinbarungsgesprächen diejenigen Ziele vereinbart, die über die „normale“ Arbeitstätigkeit hinausgehen und einen weiteren Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele leisten, die an konkrete, sich verändernde Kennzahlen geknüpft sind, die sich auf unternehmensrelevante Verhaltensveränderungen beziehen.

--

Je offener und dynamischer die Aufgaben in der Stellenbeschreibung umrissen sind, desto sinnvoller und dringender ist das Führen mit Zielvereinbarung. Die Arbeit eines Projektmanagers ist sehr wandlungsfähig, je nach zu bearbeitendem Projekt. Daher sind Ziele hier zweckmäßig. Sinnvollerweise sollte auch überall da, wo dynamische Kennzahlen die Aufgaben leiten und wo eine genaue Messung und Überprüfung möglich ist, mit Zielen gearbeitet werden. Beispielsweise können Kosteneinsparungen, Produktionsmengen oder Anzahl verkaufter Produkte oder Dienstleistungen sinnvoll festgelegt und einfach gemessen werden. Für die nicht finanziellen, quantitativen Ziele ist das Festlegen von geeigneten Messindikatoren zwar aufwändiger, in den meisten Fällen jedoch sehr wirkungsvoll. Doch nicht jede Mitarbeiterin oder jeder Mitarbeiter braucht Ziele, um ihre/seine Aufgaben gut zu erfüllen. Malik (2006) spricht davon, dass Führungskräfte oft zu einer falsch verstandenen Gleichbehandlung neigen. Ist die Abhängigkeit vom System, von anderen Personen oder Anlagen auf die Zielerreichung maximal groß, ist das Führen mit Zielen, besonders bei Leistungszielen, fragwürdig. Hier ist der Fokus auf Verhaltens- oder Entwicklungsziele zu legen. Bspw. macht es wenig Sinn, für die festgelegten, hochstandardisierten Prozesse eines Reaktoroperateurs im Kommandoraum eines AKW Leistungsziele festzulegen, oder Output-Kennzahlen für einen Maschinenführer an einer Joghurtabfüllanlage. Ihre Arbeit diktiert das System. Hingegen kann es für eine Kundenberaterin auf einer Bank sinnvoll sein, Leistungs- und Qualitätsziele zu vereinbaren, um die Kreativität für Kosteneinsparungen oder das Qualitätsbewusstsein zu steigern. Es ist eine Führungsaufgabe, zu entscheiden, ob zusätzlich zu den im Stellenbeschrieb formulierten Aufgaben noch zusätzliche

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Rahmenbedingungen für MbO

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Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

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Ziele sinnvoll sind. Folgende nicht abschließende Fragen können dabei helfen: Hat die Person Kennzahlenverantwortung? Hat die Person Ressourcen (Zeit, Fähigkeiten), um neben den Kernaufgaben an übergeordneten Zielen zu arbeiten? Wie stark ist die Person in ihren Aufgaben von anderen Stellen, vor- oder nachgelagerten Prozessen abhängig? Gibt es in der Abteilung oder Unternehmung Aufstiegsmöglichkeiten, wohin sich die Person weiterentwickeln könnte? Habe ich als Führungskraft für meinen Bereich, meine Abteilung oder mein Team sinnstiftende, plausibel begründete Ziele, für die meine Leute arbeiten? zz Ziele müssen Sinn stiften Ziele sind sinnstiftend

Wie oben bereits ausgeführt, ist eine wichtige Hauptaufgabe von Führungskräften, Sinn zu stiften. Paschen und Dihsmaier (2014) schreiben dazu:

» Führung ist auf der rationalen Ebene erfolgreiche Sinnstiftung. Führungskräfte, die von ihren Zielen, Visionen und Strategien überzeugen können, bewirken erfolgreich, dass Menschen ihnen folgen.

Gelingt es Führungskräften, den Zielen Sinn zu geben, sie plausibel begründen und erklären zu können, können sie motivieren und eine erfolgreiche Lenkung des Verhaltens einleiten. Warum ist es wichtig, zum Marktführer zu werden oder Kosten einzusparen? Warum wollen wir wachsen? Warum muss in dieses neue Verfahren investiert werden? Es lohnt sich auf jeden Fall, sich die Frage in einem Team zu stellen, wohin man gehen will und warum. Paschen und Dihsmaier (2014, S. 70) schrieben:

» Wenn Ihre Mitarbeiter davon überzeugt sind, dass es richtig ist,

ein bestimmtes Ziel anzustreben, und dass der von Ihnen vorgeschlagene Weg auch der erfolgversprechendste ist, so haben Sie Sinn gestiftet.

15 Arten von Zielen

15.3.4

Arten von Zielen

qualitative, quantitative, Standard‑, Leistungs‑, Verhaltens‑, Entwicklungsziele

Grundsätzlich kann zwischen quantitativen (oft finanziellen Zielen) und qualitativen Zielen unterschieden werden. Quantitative Ziele können sein: Umsatzzahlen, Margen, Marktanteile, Erfolgskennzahlen, Liquiditätskennzahlen, Rentabilitätskennzahlen, Bilanzkennzahlen etc. Qualitative Ziele können sein: Zusammenarbeit, Qualität, Kundenzufriedenheit, Kundennutzen, Marktanteile, Produktivität, Effizienz, Zeitgrößen (Wartezeiten, Reinigungszeiten, Logistikzeiten, Testzeiten etc.), Innovationsrate,

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

Weiterbildungsquotient, Fluktuationsrate, MA-Zufriedenheit etc. Diese Unterscheidung macht insbesondere dann Sinn, wenn es darum geht, das Zielführungssystem mit einem Bonifikationssystem zu verknüpfen. Weil qualitative Ziele nicht immer unmittelbar an Zahlen gemessen werden können, müssen sie durch adäquate Ersatzkriterien überprüfbar gemacht werden. Wir beschränken uns auch im Hinblick auf das Führen eines Teams auf eine übliche und universell anwendbare Gliederung in Standard‑, Leistungs‑, Verhaltens- und persönliche Entwicklungsziele. zz Standardziele

Sie beziehen sich auf das Erhalten und Weiterführen des Erreichten. Sie sind eng an die in der Stellenbeschreibung formulierten Aufgaben geknüpft und beinhalten sowohl Leistungs- als auch Verhaltensziele. Sie sind das Tagesgeschäft und dienen der Weiterführung der Primary Task der Unternehmung. Je nach Stellenprofil beanspruchen sie die volle Arbeitszeit (bei einer genau umschreibbaren, klar abgrenzbaren Tätigkeit, z. B. als Zugführer eines ICE) oder sie beinhalten einen kleineren Teil der Arbeitszeit (Schichtführer mit Schichtverantwortung) und werden durch zusätzliche Ziele ergänzt. Sie werden üblicherweise in den Instrumenten der Zielvereinbarung nicht separat ausgewiesen, spielen aber für die Leistungsbeurteilung eine mehr oder weniger zentrale Rolle. zz Leistungsziele

Zusätzlich zu den Standardzielen beziehen sich Leistungsziele in hohem Maße auf die Ausrichtung des Unternehmens in der Zukunft. Die Vision spielt dabei eine wichtige Rolle. Sie zeigen den Beitrag von Abteilungen, Bereichen, Teams und Mitarbeitenden auf zur Erreichung der strategischen Ziele, die über den Erhalt des Erreichten (Standardziele) hinausgehen (7 Abschn. 15.3.2 „Zielkaskade“). Oft betreffen sie die Verbesserung der Effizienz oder der Qualität, Neuausrichtungen, Anpassungen, Optimierungen oder Innovationen der Unternehmung. Sie werden in der Regel neben den Hauptaufgaben verfolgt, können aber im Fall von reinen Projektmitarbeitenden durchaus einen Hauptteil der Arbeitszeit beinhalten. zz Verhaltensziele

Verhaltensziele versuchen die „weichen“ Erfolgsfaktoren für die Zielerreichung abzubilden. Sie beziehen sich sehr oft auf die Werte der Unternehmung und sind für die jeweilige Arbeit immer erfolgsrelevant. Sie orientieren sich mehr am Verhalten von Mitarbeitenden, haben sehr oft einen Bezug zu Zusammenarbeit, zu Kommunikation oder zu Verhalten im Umgang mit Stakeholdern. Das zu ändernde Verhalten beeinträchtigt immer in irgendeiner Form die Erreichung wesentlicher Zielsetzungen.

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694

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

-

Beispiele von Verhalten mit Veränderungspotenzial: Ist schlecht ins Team integriert, verhält sich passiv, bringt Erfahrungen und Wissen nicht ein etc. Mangelhafte Arbeitsorganisation durch Nichteinhalten von Terminen, Terminkollisionen, Flüchtigkeitsfehler, starkes eigenes Stressempfinden, Anhäufung von Überstunden etc. Understatement durch wenig Überzeugungskraft, verkauft eigene Ergebnisse schlecht, bringt sich nicht ein, wird als wenig aktiv wahrgenommen, Fachwissen und Erfahrungen liegen brach etc. Schlechte Laune durch Kommunikationsminimierung, ablehnende, nonverbale Signale, Rückzug, angriffiges Sprachverhalten, Schuldzuweisungen etc.

zz Entwicklungsziele

Entwicklungsziele entstehen grundsätzlich auf zwei Arten. Sie sind die aktive Unterstützung, wenn Leistungs- oder Verhaltensziele der Vorperiode nicht erreicht werden und aus eigener Kraft nicht verfolgt werden können. Wenn mangelnde Leistungsfähigkeit oder die Leistungsmotivation die gemeinsamen Team- oder Bereichsziele gefährden. Dem kann mit konkreten Entwicklungszielen Einhalt geboten werden. Oder der Mitarbeiter/die Mitarbeiterin möchte seine Interessen, Eignungen und Neigungen konkret entwickeln, um damit in andere Aufgabenbereiche vorzudringen. Es können bei vorhandenem Potenzial und Interesse auch Laubahnziele, z. B. Führungsausbildungen oder Weiterbildungen im Fach in den Entwicklungszielen aufgenommen werden. zz Teamziele/Kollektivziele

15

--

Eine besondere Form von Führen mit Zielvereinbarungen sind Teamziele, auch Kollektivziele genannt. Sie machen dann Sinn, wenn: ein gemeinsames zu verantwortendes Ergebnis existiert; sich Erfolgsindikatoren auf die Gesamtleistung des Teams beziehen (nur Gesamtzielerreichung kann gemessen werden); nur geringe Einzelbeiträge der einzelnen Leistungsträger möglich sind; gemeinsamen Arbeitsorganisation des Teams notwendig ist, um das Teamziel zu erreichen oder die Leistungsfähigkeit eines Teams als ausgeglichen akzeptiert wird. In Gruppen mit Teamzielen sind die Mitglieder in hohem Maße voneinander abhängig und aufeinander angewiesen. Die Zusammenarbeit kann sich wesentlich verbessern, Vertrauen, Unterstützung, gegenseitiges Lernen und eine Feedbackkultur kann mit Teamzielen wachsen. Zudem sind solche Teams weit effizienter als Gruppen aus Einzelkämpfern. Eine höhere Arbeitszufriedenheit kann sich entfalten.

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

695

15

Ein weiterer Vorteil von Teamzielen ist die gemeinsame Verantwortung für die Zielerreichung. Daher eignen sie sich auch im Zusammenhang mit Anreizsystemen. Kollektive Anreizsysteme zielen darauf ab, die Leistungsbereitschaft von Gruppen zu steigern und damit eine Verbesserung der Effizienz in der Zusammenarbeit und der Leistungserbringung im Team zu bewirken. Teamziele können aber auch zu Spannungen zwischen Gruppenmitgliedern führen, wenn die Leistungsfähigkeit oder auch Leistungsmotivation unterschiedlich groß ist und das Gerechtigkeitsempfinden einzelner Teammitglieder besonders ausgeprägt ist. Die Vereinbarung von Teamzielen bedarf eines besonderen Einführungsprozesses, weil sie zwischen dem ganzen Team und der Führungskraft vereinbart werden. Viele Teamleitende tun sich schwer mit der Einführung von Teamzielen, weil dieser Prozess etwas länger dauern kann, aufwändiger ist und eine hohe Sensibilität für die ganze Gruppe essenziell ist. Folgende Überlegungen erhöhen die wirkungsvolle Umsetzung von Teamzielen: Es braucht eine gute Begründung, warum Teamziele für ein Team das Richtige sind. Eine Diskussion und eine gemeinsam festgelegte Vorgehensweise im Umgang mit sehr starken oder schwächeren Leistungsträgeren sind essenziell. Ein schriftliches Dokument sollte den Verteilschlüssel eines eventuellen Bonus festhalten. Ziele müssen immer mit dem ganzen Team vereinbart werden, und alle müssen ihre Zustimmung dazu geben. Bei Unstimmigkeiten unter dem Jahr braucht es teamentwickelnde Maßnahmen; dies kann unter Umständen Zeit in Anspruch nehmen.

-

Beispiele von Teamzielen: Senken der durchschnittlichen Wartezeit im Callcenter auf 25 Sekunden/Anruf. Einhalten der vorgegebenen Auslieferzeit von Abfüllanlagen für das Montageteam. Erarbeiten eines Statusberichts zur Einführung von SAP durch das Projektteam. Serviceteam: Lösen von 95 % aller technischen Probleme innerhalb von maximal 48 h. 15.3.5

Ziele formulieren

zz Übergeordnetes Zielsystem

Steiger (2013) führt aus, dass sich eine Führungskraft in der ersten Vorbereitungsphase mit dem übergeordneten Zielsystem der Organisation (. Abb. 15.7) befassen und analysieren soll, welche

Ziele formulieren aus dem übergeordneten Zielsystem

696

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Aspekte der O rganisation

Aufgabe

strategisches Management

operatives Management

Unternehmensverfassung

Organisationsstrukturen Managementsysteme Organisatorische Prozesse Dispositionssysteme das Organisieren betreffend

Kultur

Unternehmenspolitik → Leitziele

Leistungsprogramme

Leistungsaufträge

Aktivitäten betreffend

Unternehmenskultur

Problemlösungsverhalten

Rahmengestaltung

normatives Management

Struktur

Leistungsund Kooperationsverhalten

Vollzug

Managementebenen

Werte und Normen

das Verhalten betreffend

Entwicklung des Gesamtsystems ..Abb. 15.7  Zielsystem der Organisation, seine Bezüge und Inhalte. (Aus Steiger 2013, S. 183)

15

Zielvorgaben die übergeordneten Managementebenen als Rahmenbedingungen festlegen. Dann kann überlegt werden, was dies für die operativen Ziele eines Teams und somit für jeden einzelnen Mitarbeitenden bedeutet. Das normative Management legt die übergeordneten Ziele der Unternehmung mit Prinzipien, Normen und Spielregeln fest. Strategische Ziele sind die Ausrichtung auf Wachstum und Pflege und die Ausbeutung von Erfolgspotenzial, während sich die operativen Ziele auf den Vollzug, also die Umsetzung der strategischen Ziele konzentrieren. Diese übergeordnete Ausrichtung soll Mitarbeitenden und Führungskräften gleichermaßen als Vorbereitung auf das Zielvereinbarungsgespräch dienen.

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

697

15

..Tab. 15.2  Die SMART-Formel als Orientierungshilfe für Zielvereinbarungsgespräche. (Aus Schmidt und Kleinbeck 2006, S. 42, mit freundlicher Genehmigung von Hogrefe) S

Spezifisch

Genaue Beschreibung des angestrebten Leistungsergebnisses in leicht verständlicher Form

M

Messbar

Bereitstellung von Messwerten, die sich zur quantitativen und qualitativen Leistungsüberprüfung eignen.

A

Aktiv beeinflussbar

Ziele müssen von den Mitarbeitenden beeinflusst und ohne externe Abhängigkeiten erreicht werden können.

R

Relevant

Bezug zu Unternehmenszielen muss gegeben sein, Zielschwierigkeit sollte herausfordernd, aber erreichbar sein.

T

Terminiert

Festlegung eines für die Zielerreichung verbindlichen Termins.

zz SMART-Ziele

Viele Autoren wie auch Schmidt und Kleinbeck (2006) weisen darauf hin, dass am Ende des Zielvereinbarungsgespräches alle Ziele nach der SMART-Formel festgehalten werden sollen (. Tab. 15.2). Dabei ist es je nach Reifegrad des Mitarbeitenden sinnvoll zu vermerken, ob und wenn ja, welche zusätzlichen Maßnahmen oder Unterstützungen der Mitarbeitende braucht, dass das Ziel erreichbar erlebt wird. Die SMART-Formel stellt die wichtigsten Muss-Kriterien für die Zielvereinbarung dar und zeigt auch, dass die Gütekriterien der Zielsetzungstheorie entsprechen. Daneben gibt es weitere zentrale Faktoren, denen sinnvolle und gut formulierte Ziele genügen müssen. Eine Begründung liegt vor. Klar und verständlich formuliert. Rechtlich, ethisch zulässig. Mit anderen Zielen koordiniert, keine Zielkonflikte. Zuständigkeit ist angegeben. (Wann wird durch wen das Controlling vorgenommen?) Aus „eigener Kraft“ erreichbar. Nicht in Konkurrenz zu anderen Zielen. Persönliche Identifizierung liegt vor.

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Die emotionale Identifikation gelingt viel besser, wenn Ziele ansprechend und als Annäherungsziele formuliert werden. Bspw.: Statt das Vermeidungsziel „verliert Unsicherheit im Auftritt, verbessert die Zurückhaltung und Bescheidenheit bei der Präsentation von Projekten“ kann das Ziel „bestimmter, gelassener, aufgeschlos-

SMART-Ziele

698

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

sener und selbstbewusster Auftritt“ ganz anderes emotionales Potenzial freilegen und ist so „sinnlich“ formuliert. Ziele sollen in der Formulierung einen Endzustand beschreiben und keine Absichtserklärungen enthalten. Daher führen Wörter wie „mehr“, „besser“ oder „schneller“ nicht zum Ziel. Auch Formulierungen wie „verbessert“, „steigert“, „verringert“ sind wenig hilfreich. zz Verhaltensziele formulieren Verhaltensziele

Verhaltensziele lassen sich gut messen, wenn das zum Ende der Zielvereinbarungsperiode gewünschte Verhalten verbal beschrieben wird. Es wird dargestellt, woran man die Veränderungen festmachen kann (i. d. R. mehrere Aspekte). So kann zum Beispiel die Verbesserung des Telefonverhaltens einer Assistentin in fünf Stufen von einer geringen Verbesserung bis zum optimal gewünschten Ergebnis anhand genauer Indikatoren nachvollziehbar beschrieben werden. Verhalten unterscheiden sich nicht darin, ob sie messbar oder nicht messbar sind, sondern in der Schwierigkeit, für die Messung geeignete Indikatoren zu finden. Nach Krins und Stockhausen (2008) gilt auch für Verhaltensziele der Grundsatz: „Ziele beschreiben wesentliche Verbesserungen in wichtigen Feldern“ und sie schlägt eine einfache Vorgehenswiese vor, um zu „guten“ Verhaltenszielen zu kommen (. Tab. 15.3):

..Tab. 15.3  Vorgehenswiese, um zu „guten“ Verhaltenszielen zu kommen. (Mod. nach Krins und Stockhausen 2008, ergänzt und erweitert, mit freundlicher Genehmigung von Christina Krins)

15

Vorgehensschritte

Beschreibung

1. Ausgangspunkt/Anlass

Das bisherige/aktuelle Verhalten beeinträchtigt die Erreichung wesentlicher Zielsetzungen. Woran erkenne ich, dass eine Verhaltensänderung angezeigt ist? Was sind die Konsequenzen des Verhaltens? (Rückzug, Unaufmerksamkeit, nicht Einhalten von Terminen, andere MA holen sein Wissen nicht ab, braust auf bei kritischem Feedback, hört nicht zu (kann sich Dinge nicht merken), Überstunden

2. Zielidee

Im Wesentlichen müsste sich verändern (z. B. Integration ins Team, Arbeitsorganisation, Auftritt, Engagement/Initiative, Teamorientierung, soz. Umgang, Kooperation, Überzeugungskraft, Kommunikationskompetenz, Flexibilität, Fleiß, Kundenorientierung, Kreativität, Konsequenz, Umgang mit Konflikten, Kritikfähigkeit, Flexibilität, Äußere Erscheinung, Urteilsvermögen, Übernahme von Verantwortung etc.)

3. Indikatoren

Daran können wir die Veränderungen festmachen – bei Verhaltenszielen i. d. R. mehrere Aspekte (z. B. stärkere Beteiligung, aktives Zuhören durch Fragestellen und Feedback, Anzahl Überstunden, Anzahl Feedback zu Auftritt, Anzahl Beanstandungen/Fehlerquoten, Beteiligung an Diskussionen, Reflexion der Teambelange etc.)

4. Formulierung

So lautet das Verhaltensziel. Endzustand, gewünschtes Verhalten formulieren und nicht die Maßnahme. Maßstab festlegen oft als detaillierte Verhaltensbeschreibungen, die sich auf unterschiedliche Qualitätsstufen beziehen (z. B. Anzahl, Skalierung subjektiver Bewertungen, Anzahl Feedback, Selbsteinschätzung, Fremd- und Selbstwahrnehmung etc.)

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

699

15

zz Grundstruktur Beispiele

Leistungsziel Sachbearbeiter Steuern Bis 20. Juli 20JJ sind n-Papier-Steuererklärungen kontrolliert und zur Eingabe ins System freigegebenen. Max. 2 % werden von der Eingabestelle zurückgewiesen. Messindikatoren x: x > (n + 10): Ziel übertroffen/n ≤ x  10 Ziel übertroffen/7 ≤ x ≤ 10: Ziel erreicht x  7/akzeptabel: Freundlichkeitsskala 7/Ungenügend: Freundlichkeitsskala  eine Rückfrage ohne Vorschlag. B. Know-How-Aufbau in Projektmanagement, sodass die Übernahme von Projekten als Projektleitende per 31. Dez 20xx möglich ist. Messindikatoren: Ziel übertroffen: Projektübernahme früher als Jan. 20xx/Ziel erreicht: Projektübernahme ab Jan. 20xx/Ziel nicht erreicht. Projektübernahme frühestens April 20xx Rahmenbedingungen: Budget CHF. 2500.-, keine Anrechnung von Arbeitszeit bei externer Schulung, für „on the job“-Training 50 %.

Beispiele Leistungs‑, Verhaltens- und Entwicklungsziel

700

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

15.3.6 Zielvereinbarungsgespräche

durchführen

Zielvereinbarungsgespräch

Ein Zielvereinbarungsgespräch ist ein spezielles Führungsgespräch. Sicherheit, Orientierung, gute Beziehungen und das Gefühl, etwas Wertvolles zu leisten ist die Basis des Zielvereinbarungsgesprächs. Um dies zu gewährleisten müssen sich Vorgesetzte und Mitarbeitende solide vorbereiten. Gelingt es Vorgesetzten im Verhandlungsmodus zu bleiben, wird es ein wertschätzendes und wirkungsvolles Gespräch. Grundsätzlich kann ein Zielvereinbarungsgespräch aus drei zentralen Ebenen betrachtet werden. Die Sachebene beinhaltet die operativen Elemente (Unternehmenshandbuch, Vorgehenswiese, Instrumente, Unternehmensstrategie, die Unternehmenswerte, übergeordnete Ziele, Setting des Gesprächs). Die didaktische Ebene betrifft die konkrete Durchführung (Vorbereitung, Einladung und Information, Gesprächsablauf, Gesprächsleitfaden etc.). Die psychosoziale Ebene beschreibt die Gesprächskompetenz (Gesprächstechniken, aktives Zuhören, Einbezug der Emotionen und somatischen Marker, Gesprächsklima, zeigen von Anerkennung und Wertschätzung, Erkennen von Grundbedürfnissen etc.). zz Vorbereitung

Vorbereitung

Sie beginnt damit, dass sich der Vorgesetzte mit den übergeordneten Zielen der Unternehmung auseinandersetzt und daraus die Abteilungsziele oder seine Teamziele ableitet. Die Teamziele werden dem Mitarbeitenden zusammen mit einer Einladung und einem vorbereitenden Fragekatalog und, falls vorhanden, eine Anleitung zum Führen mit Zielvereinbarungen zugestellt (. Tab. 15.4).

zz Gesprächsdurchführung

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Zu Beginn des Gespräches wird der Ablauf aufgezeigt und die Rolle des Vorgesetzten in diesem Prozess geklärt. Es ist für ein gutes Gelingen von zentraler Bedeutung, dass das Gespräch in einer vertrauensvollen Atmosphäre stattfinden kann. Schmidt und Kleinbeck (2006, S. 43) schreiben dazu:

» Vorgesetzte können die Gesprächsatmosphäre positiv beein-

flussen, indem sie ihre Wertschätzung für den Gesprächspartner zum Ausdruck bringen, die Wichtigkeit des Gesprächs betonen, Vertraulichkeit zusichern und den Mitarbeiter dazu ermuntern, auch selbst kritische Punkte anzusprechen und Verbesserungsvorschläge zu machen.

15

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15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

..Tab. 15.4  Vorbereitende Klärungsfragen vor dem Zielvereinbarungsgespräch Mitarbeitende sollen klären

Vorgesetzte sollen klären

Was sind die Hauptaufgaben für das nächste Kalenderjahr?

Was sind die Hauptaufgaben für das nächste Kalenderjahr für mein Team/meine Abteilung/ meinen Bereich?

Wo kann ich in meinem Aufgabengebiet zu wesentlichen Verbesserungen kommen? (Schnelligkeit, Effizienz, Qualität, Zusammenarbeit etc.)

Wo kann ich in meinem Verantwortungsbereich zu wesentlichen Verbesserungen kommen? (Schnelligkeit, Effizienz, Qualität, Zusammenarbeit etc.)

Gibt es andere oder zusätzliche Aufgaben, die ich gerne übernehmen würde?

Wie richtet sich mein Bereich zukünftig an den Unternehmenszielen aus? (Bezug zu übergeordneten Zielen evtl. schon mit eigenem VG. vereinbart?)

Was will ich in meinem Arbeitsgebiet mittelfristig verändern oder erreichen?

Was ist meine Rolle in Bereichsstrategie und -planung?

Wo gibt es Wünsche, Signale, Forderungen meiner „Kunden“ zu einer verbesserten Qualität?

Welche Problemstellungen und Anforderungen ergeben sich daraus für die nächste Zeit?

Was muss gegeben sein, dass ich die Zielerreichung wirklich beeinflussen kann?

Welche Ressourcen (Geld, Zeit, Personal) stehen meinem Bereich mittelfristig zur Verfügung?

Brauche ich Qualifizierungsmaßnahmen, um die Ziele zu erreichen?

Was will ich in meinem Bereich mittelfristig verändern?

Welche Entwicklung strebe ich persönlich an?

Welche Rahmenbedingungen/Auflagen müssen für die Zielerreichung erfüllt sein?

Anschließend gilt es die Ziele der Vorperiode zu prüfen, zu wertschätzen und als Basis für eine Weiterführung oder für Entwicklungsziele aufzubereiten. Ein prototypischer Ablauf könnte etwa wie folgt aussehen: Beginn: Nach Befindlichkeit fragen, Ziel des Gesprächs schildern, Ablauf erörtern, Rollenklärung, Erwartungen und Vertrauen aussprechen Zielüberprüfung: Zielüberprüfung, Selbstwahrnehmung des MA, Eigenwahrnehmung, Bewertung nach den Indikatoren, Übernahme alter Ziele in neue Zielvereinbarung (evtl. als Entwicklungsziel) Übergeordnete Sichtweise: Gesamtziele der Unternehmung erläutern (Visionen vermitteln) Bereichsziele aus dem übergeordneten Zielsystem besprechen Offen rückfragen: “Was sagen Sie dazu?“, “Wie denken Sie darüber?“ Vorbereitende Fragen klären: Mitarbeiter/in stellt zukünftige Anforderungen an den Arbeitsplatz und daraus resultierende Aufgaben und Ziele dar, gemäß der Vorbereitung

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Durchführung

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Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

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Kommentierung und Weiterführung der Darstellungen des/der Mitarbeitenden durch den Vorgesetzten/die Vorgesetzte Ziele: Quantitative Aspekte (Leistungsziele) gemeinsam entwickeln/aushandeln/vereinbaren (7 Abschn. 15.3.4) Qualitativen Aspekt (Verhaltensziele) gemeinsam erarbeiten, Werthaltung ergründen (7 Abschn. 15.3.4) Überprüfung nach SMART-Formel Rahmenbedingungen: Diskussion vorhersehbarer Probleme und Schwierigkeiten bei der Zielerreichung. Maßstäbe zur Überprüfung der Zielerreichung (Quantität, Qualität, Kosten etc.). Termine für Zwischenüberprüfungen, Zeitspanne bzw. Endtermin. Überprüfung der Ressourcen des/der Mitarbeitenden, zeitliche Kapazitäten; finanzielle Mittel, notwendige und ausreichende Kenntnisse und/oder Fertigkeiten? Ggf. zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen festlegen, Überprüfen der Kompetenzen, um notwendige Entscheidungen treffen zu können etc. Verschriftlichung: Schriftliche Dokumentation der Ziele und Vereinbarungen, evtl. Prioritäten der Ziele festlegen, Weiteres Vorgehen festhalten Abschluss: Nächsten Termin vereinbaren. Gespräch abschließen. Kurzes Feedback über Befindlichkeit nach dem Gespräch.

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zz Gesprächsführungskompetenzen Gesprächskompetenzen

15

Der wichtigste Unterschied zu anderen Führungsgesprächen besteht darin, dass sich Führungskraft und Mitarbeitende auf gleicher Ebene für ein Gespräch über die zukünftige Ausrichtung begegnen. Die Gesprächspartner sind hier gleichberechtigt, während in den übrigen Führungsgesprächen die vorgesetzte Person i. d. R. aus einer hierarchisch höheren Position argumentiert. Für das Führen von Zielvereinbarungsgesprächen gelten jedoch weitgehend dieselben Gesprächsführungskompetenzen. (7 Kap. 9, „Kommunikation“). Folgende Aufzählung fasst die wichtigsten Merkmale für ein wertschätzendes und vertrauensvolles Gespräch zusammen: Schaffen Sie ein lern- und lösungsorientiertes Klima durch einen wohlwollenden, wertschätzenden Gesprächsbeginn. Hören Sie aktiv zu (paraphrasieren, verbalisieren von Emotionen, zusammenfassen, Verständnisfragen stellen, Notizen machen etc.).

-

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

703

15

----

Versuchen Sie sich in die Situation Ihres Gesprächspartners/Ihrer Gesprächspartnerin zu versetzen, um seine/ihre Gefühle und seinen/ihren Standpunkt zu verstehen. Bringen Sie das Gespräch bei Anschuldigungen und Vorwürfen wieder in den Verhandlungsmodus und lassen Sie sich nicht aus der Fassung bringen (Gelassenheit). Reden Sie verständlich und dem Gesprächspartner angepasst. Machen Sie kurze, einfache Sätze mit Beschränkung auf das Wesentliche. Gliedern Sie sowohl das Gespräch als auch Ihre Sätze („roter Faden“). Bilder, Skizzen und Visualisierungen helfen in der Kommunikation. Sprechen Sie Gefühle direkt an. Geben und fordern Sie Feedback. Bekennen Sie Farbe. Sagen Sie Ihre eigene Meinung. Stellen Sie Fragen.

zz Instrumente

Jede Unternehmung entwickelt in der Regel ihre eigenen Arbeitsvorlagen für den Zielvereinbarungsprozess (. Abb. 15.8). Dennoch gibt es zwei wichtige Faktoren bei deren Entwicklung zu beachten. Um die Indikatoren zu quantifizieren gibt es sehr unterschiedliche Ansätze. Für Leistungsziele eignet sich sehr oft eine Dreierskala mit übertroffen/erfüllt/nicht erfüllt o. ä. oder lediglich ein erfüllt, wenn ein Konzept, eine Studie oder Analyse seinen Zweck erfüllt oder umgesetzt werden kann. Für Verhaltensziele eignen sich nebst Dreierskalierungen auch mehrstufige Skalen, besonders dann, wenn eine subjektive Bewertung die Zielerreichung messen soll. (z. B. Skala 1 bis 10; 7 Abschn. 15.3.6, Beispiel Verhaltensziel). Randbemerkung: Eine Spalte „Maßnahmen“ würde die Führungskräfte und Mitarbeitende verführen, solche zu definieren. Das ist aber im Regelfall die Aufgabe des Mitarbeitenden (7 Abschn. 15.3.5 Führungsmodell von Dahms).

Instrumente

15.3.7 Zielcontrolling

Neben der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Ziele für die Mitarbeitenden existieren, liegt es ebenfalls in der Verantwortung der Vorgesetzten ein adäquates Zielcontrolling durchzuführen. Dieses Controlling kann unterschiedliche Funktionen haben und muss nicht immer zwingend die Funktion einer klassischen Kontrolle der Arbeitsleistung sein. Das Führungsmodell von Dahms (2010) bietet hierfür eine gute Orientierung.

Zielcontrolling

704

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Zielvereinbarung und Standortbestimmung Stammdaten Mitarbeiter/in

Abteilung

Vorgesetzte/r

Funktion

Datum Zielvereinbarung

Datum Standortbestimmung

Leistungsziele: Mein Beitrag zur Umsetzung der Unternehmens-Strategie Zielbeschreibung und Bewertungsgrösse

Rahmenbedingungen

Datum

Kommentar Standortbestimmung

A

B

C

Kommentar Standortbestimmung

A

B

C

A

B

C

Verhaltenssziele: Mein Beitrag zu den Werten des Unternehmens Zielbeschreibung und Bewertungsgrösse

Rahmenbedingungen

Datum

Entwicklungszieleziele: Meine Erweiterung der persönlichenund fachlichen Kompetenzen Zielbeschreibung und Bewertungsgrösse

Rahmenbedingungen

Kommentar Standortbestimmung

Datum

A = übertroffen B = gut erfüllt C = teilweise oder nicht erfüllt

Bemerkungen/Gesamtbeurteilung

Laufweg Laufweg

15

Mitarbeiter/in

Vorgesetzte/r

Nächst höhere/r Vorgesetzte/r

HR → Personaldossier

Datum/Visum nach Zielvereinbarung Datum/Visum nach Standortbestimmung

..Abb. 15.8  Arbeitsblatt Zielvereinbarung und Standortbestimmung

zz Führungsmodell von Dahms

Der Ansatz von Dahms (2010) ermöglicht es Führungskräften, sich auf mögliche Ziele und das Controlling unter dem Jahr vorzubereiten. Die Führungskräfte sind nach Dahms alleine dafür verantwortlich, dass Ziele für die Mitarbeitenden existieren. Gleichzeitig geben sie die Rahmenbedingungen vor, welche auf dem Weg zur Zielerreichung nicht überschritten werden dürfen. Der Weg und somit die Maßnahmen zu deren Umsetzung liegen in der Verantwortung der Mitarbeitenden.

15.3  •  Organisationales Führen mit Zielvereinbarung (MbO)

705

15

» Gerade bei mittel- und langfristigen Zielen haben Mitarbei-

tende anfangs viele Handlungsalternativen innerhalb des vereinbarten Rahmens, die sich automatisch ausdünnen je näher der Zeitpunkt der Zielerreichung rückt. (Dahms 2010. S. 14)

Je weniger Vorgaben und Maßnahmen hier die Führungskraft festlegt, desto motivierender sind die Mitarbeitenden bei der Ausführung. Führungskräfte können und müssen sich einbringen, wenn fachliche Probleme auftauchen, Ressourcen fehlen und die Zielerreichung gefährdet ist. Bei Überschreitung der vorgegebenen Rahmenbedingungen müssen Führungskräfte die Informationspflicht der Mitarbeitenden einfordern. Gemeinsam muss geklärt werden, warum die Rahmenbedingungen verletzt wurden und ob allfällige Veränderungen der Rahmenbedingungen nötig sind. Oft haben Führungskräfte aus verschiedenen Gründen und Befürchtungen Hemmung, Mitarbeitende zu kontrollieren. Bei richtig eingesetzter Zielvereinbarung nach SMART bei der Einhaltung der Informationspflicht wirkt nun Kontrolle als Quelle der Anerkennung hochmotivierend. Fehlende Kontrolle und fehlendes Feedback mündet im Gefühl der fehlenden Wertschätzung. Hierbei kann die Kontrolle mehrere unterschiedliche Funktionen erfüllen, je nach Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Mitarbeitenden (. Abb. 15.9). zz Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft Leistungsfähigkeit ist die fachliche, soziale und methodische

Kompetenz des Mitarbeiters. Es ist die Summe der Erfahrungen, Kenntnisse und Fähigkeiten, Aufgaben und Probleme selbstständig zu lösen. Leistungsbereitschaft oder Leistungsmotivation ist das Engagement und der Wille, sich für das Unternehmen einzusetzen und selbstständig mitzudenken und zu handeln. Nach Dahms (2010) sind Leistungsfähigkeit und -bereitschaft keine beständigen Größen und sind einem permanenten Wandel unterworfen. Nach Dahms (2010) können Mitarbeitende in fünf Typen differenziert werden mit unterschiedlichen Ausprägungen von Leistungsfähigkeit und -bereitschaft. Daraus ergibt sich auf der Basis des Führungsmodells von Dahms unterschiedliches Führungshandeln für das Führen mit Zielvereinbarungen und unterschiedliche Funktionen der Kontrolle (. Abb. 15.10). Wie die . Abb. 15.10 zeigt, kann es beim Typ „Der Neue“ nebst konkreten Zielen auch sinnvoll sein, bereits einzelne Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele festzulegen, da der Neue noch über eine geringe Leistungsfähigkeit verfügt aufgrund mangelnden Fachwissens. Eine enge Begleitung durch eine hohe Frequenz an Kontrolle und Rückmeldungen helfen dem Neuen, Sicherheit zu gewinnen und zu lernen, wie mit Schwierigkeiten umgegangen werden kann.

Leistungsfähigkeit und -bereitschaft

Funktionen der Kontrolle

706

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Die Verantwortung für das Ziel trägt die Führungskraft.

Ziel Rücksprache: Stößt der Mitarbeiter an eine Rahmenbedingung, erfolgt sofort eine Nachricht an die Führungskraft.

Kontrolle

= Quelle für Anerkennung

Die Verantwortung für Weg Rahmenbedingungen

den Weg trägt der Mitarbeiter.

Das Fundament ist (Selbst-)Vertrauen ..Abb. 15.9  Führungsmodell nach Dahms (2010, S. 19)

15

Kontrolle und Rückmeldung dienen hier primär zur Erhöhung der Selbstwirksamkeit und der Kompetenzentwicklung. Ganz anders verhält es sich beim Typ „der Veränderungsverlierer“. Er hat alle Voraussetzungen, Erfahrungen und Kenntnisse, um herausfordernde Aufgaben zu lösen. Oft ist es bei ihm ein Thema mangelnder Motivation und Engagement, welche unterschiedliche Ursachen haben kann. Kontrolle erfüllt hier primär die Funktion von Wertschätzung und Motivationssteigerung. „Der Vermeider“ braucht es, eng geführt zu werden und klare konkrete Ziele in kleinen Schritten. Hier erfüllt die Kontrolle ihre Grundfunktion, nämlich zu kontrollieren, ob die vorgegebenen Aufgaben tatsächlich erfüllt werden. „Der Leistungsträger“ braucht die meisten Freiheitsgrade für seine Ziele und wird nur im Falle einer Ausnahme kontrolliert. Allerdings ist so die Möglichkeit für wertschätzendes Feedback auf ein Minimum reduziert. Kontrolle hat hier die Funktion eines regel-

707

15.4  •  Kritik an MbO

Fall I

Fall II

Fall III

Fall IV

Fall V

Leistungsfähigkeit

niedrig

hoch

niedrig

hoch

miel

Leistungsmo va on

hoch

niedrig

niedrig

hoch

miel

Mitarbeitertyp

Der Neue

Der Veränderungsverlierer

Der Vermeider

Der Leistungsträger

Der Mitmacher

Gestaltungsrahmen

klein

groß

klein

groß

groß

Kontrolle als Anerkennung

häufig

häufig

häufig

selten

miel

..Abb. 15.10  Mitarbeitertyp und Führungsstil. (Mod. und ergänzt nach Dahms 2010, S. 25)

mäßigen Feedbacks über die Befindlichkeit des Mitarbeitenden und soll zusätzlich die Bindung an die Organisation aufrechterhalten. Dahms (2010, S. 49) schreibt: „Der Mitmacher“ mag seine Routine. Er bevorzugt wiederkehrende Aufgaben“. Führungskräfte sind versucht, den Mitmacher zu vernachlässigen. Diese haben noch mehr Potenzial, scheuen sich aber Fehler zu machen und gehen daher selten an ihre Grenzen. Wertschätzung, Vertrauen und kleine Herausforderungen über die Komfortzone hinaus bringen den Mitmacher weiter. Kontrolle hat hier die Funktion eines konstanten Entwicklungsfeedbacks und dient der Motivationssteigerung. 15.4

Kritik an MbO

Die Kritik an den gängigen Umsetzungen des MbO-Prozesses ist vielfältig und berechtigt. MbO-führe zu hohem Leistungsdruck, sei unflexibel für die heutige komplexe und sich schnell verändernde Arbeitswelt. Individuelle Ziele und jene der Unternehmung stünden in keinem Verhältnis zueinander wird argumentiert, MbO-sei ein reiner Lohnbestimmungsprozess, der Prozess werde rigoros und zu standardisiert implementiert und daher nicht auf die individuelleren Arbeitstätigkeiten und Aufgaben abgestimmt, etc. Unterschiedliche Firmen haben sich daher dazu entschlossen, ihren MbO-Prozess zu ersetzen oder sich ganz davon zu trennen. Betrachtet man jedoch erneut die Erkenntnisse der Zielsetzungstheorie von Locke und Latham (2002), so lassen sich die berechtigten Kritiken gut auf grundlegende Fehler in der Umsetzung dieser Theorie anhand des MbO-Prozesses zurückführen. Der

15

708

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

MbO-Prozess kann seinen Nutzen als zentralen Steuerungsprozess der Organisation richtigerweise nicht erfüllen, werden wichtige Elemente im Sinne der Zielsetzungstheorie nicht, fehlerhaft oder nur unvollständig umgesetzt. Da die Führungskräfte für diese konstruktive Umsetzung eine große Verantwortung tragen, ist es auch notwendig, dass die sie einerseits ein tiefergehendes Verständnis für die dem MbO zugrunde liegende Zielsetzungstheorie und deren Elemente entwickeln, einhergehend mit der Fähigkeit, den MbO-Prozess so zu gestalten, dass sie die Mitarbeitenden und sich selbst bei der für die Organisation notwendigen Leistungserbringung unterstützen und begleiten. Nachfolgend werden einige oft genannte Kritikpunkte herausgegriffen und mit den entsprechenden Fehlern in der Umsetzung der Zielsetzungstheorie verknüpft. Oft stehen sie mit der Zielsetzung, der Leistungsrückmeldung und der Unterstützung der Leistungserbringung in Zusammenhang. 15.4.1 Fehler in der Zielsetzung

15

Fehler in der Zielsetzung

Viel Kritik und Widerstand in einer Organisation entsteht alleine schon durch Fehler in der Zielsetzung und im Umgang mit Zielen im Verlauf des MbO-Prozesses: Ziele werden ohne Begründung von übergeordneten Stellen vorgegeben. Individuelle Ziele haben nichts mit der Organisationsstrategie zu tun. Zu viele Ziele werden definiert. Es werden ausschließlich einfach messbare Leistungsziele definiert. Es werden Zielarten verwendet, welche nicht den Aufgaben entsprechen, z. B. Leistungsziele bei Innovationsprojekten, welche erfahrungsgemäß eine hohe Wahrscheinlichkeit des Scheiterns haben. Es werden viel zu hohe Ziele gesetzt. Es werden Ziele gesetzt, welche nicht durch das Verhalten der Mitarbeitenden beeinflusst werden können.

---

Inadäquate Zielsetzung führt einerseits dazu, dass die Erwartung der Zielerreichung zum Teil massiv beeinträchtigt wird. Dies hat somit einen direkten Einfluss auf das Zielcommitment und damit auch auf die Leistung. Andererseits haben inadäquat gesetzte Ziele einen Einfluss auf den Wert, welcher man der Zielerreichung beimisst. Partizipation in der Zielesetzung beeinflusst sowohl Erwartung als auch Wert positiv. Partizipation bedeutet auch, dass der Verständnis- und Erklärungsprozess soweit entwickelt werden muss, dass unumgänglich vorgegebenen Ziele nachvollziehbar erfasst und verstanden werden

15.4  •  Kritik an MbO

709

15

können, um Erwartung der Zielerreichung und Wert der Ziele genügend zu erhöhen. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben von Führungskräften, dafür zu sorgen, dass Ziele vorhanden sind, dass die richtigen Ziele vorhanden sind und dass die Ziele verstanden werden. Führungskräfte müssen hierbei nicht zwingend die Ziele selbst setzten. Ziele können durch die Mitarbeitenden alleine oder in Teams gesetzt werden. 15.4.2

Fehler in der Leistungsrückmeldung

Die Rückmeldung über die Leistung ist der zweite zentrale Aspekt in der Zielsetzungstheorie. Entsprechend viel Kritik erntet MbO auch wegen Fehlern in der Rückmeldung von Leistungen. Die Messung der Leistung hilft nicht dabei die Leistung zu steuern, da inadäquate Leistungskriterien definiert wurden (z. B. Kriterium des EBIT für die Leistungsmessung im IT-Support). Bei der Beurteilung der Leistung wird eine Normalverteilung erzwungen (Leistung und Rückmeldung haben daher nichts miteinander zu tun). Leistungsrückmeldungen erfolgen sehr sporadisch, wenn überhaupt im Prozess (z. B. nur am Jahresendgespräch und sonst nie). Leistungsrückmeldungen, insbesondere von Verhaltens- und Entwicklungszielen basieren auf nur einer einzigen sub-

--

jektiven Beurteilung.

Leistungsrückmeldung hilft nicht, das Verhalten anzupassen. Reines Controlling statt hilfreiche Rückmeldungen erzeugt Leistungsdruck.

Inadäquate Leistungsrückmeldung führt dazu, dass unter anderem die Selbstwirksamkeit beeinträchtig wird (egal was ich tue, es spielt keine Rolle) und die Kompetenzentwicklung (egal was ich tue, es wird eh nicht besser). Dies führt ebenfalls dazu, dass die Erwartung der Zielerreichung als auch der Wert der Ziele vermindert werden und somit die Leistung schlechter ausfällt. Zudem erlaubt es den Mitarbeitenden nicht, ihr Verhalten und somit die Leistung im Verlauf der Zeit angemessen zu steuern und anzupassen, damit die Ziele auch erreicht werden können. Drei Prinzipien durchbrechen diesen Kreislauf: Führungskräfte entwickeln ihre Mitarbeitenden in den Kompetenzen, eigenverantwortlich die Leistungsrückmeldung auf ihre Leistungserbringung zu erheben und selbstverantwortlich adäquate Korrekturen im Arbeitsprozess zu implementieren. Führungskräfte verstehen Leistungsrückmeldung nicht als Kontrolle, sondern als wertschätzende Anerkennung der Arbeit mit der Idee, Hilfe und Unterstützung anzubieten, wenn dies erwünscht wird.

-

Fehler in der Leistungsrückmeldung

710

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

-

Führungskräfte sorgen für Rahmenbedingungen, in denen eine laufende Rückmeldung über die ganze Leistungserbringung möglich ist und nicht nur punktuell im Extremfall einmal pro Jahr.

15.4.3

Fehler in der Unterstützung der Leistungserbringung

Fehler in der Unterstützung der Leistungserbringung

Selbst wenn gute Ziele gesetzt werden und passende Feedbackschlaufen bestehen, werden Fehler dabei gemacht, die Leistungserbringung der Mitarbeitenden zu unterstützen. Inadäquate Ressourcenzuteilungen, insbesondere von zur Verfügung gestellter Zeit. Starre Zielvorgaben, welche nicht im Verlauf der Zeit dynamisch angepasst werden können. Widersprüchliche Ziele bei der Person, zwischen Personen, zwischen Person und Team, zwischen Teams, zwischen Teams und Organisationseinheiten, zwischen Organisationseinheiten führen dazu, dass gegeneinander gearbeitet wird. Zielkonflikte werden nicht aufgelöst. Konstant wechselnde Priorisierung der Ziele. Zu wenig Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, insbesondere bei sehr komplexen Aufgaben mit hohen Abhängigkeiten. Mitarbeitende werden nicht entwickelt und mit den nötigen

--

Kompetenzen ausgestattet.

Inadäquate Unterstützung der Leistungserbringung führt wiederum zu vielfältigen Konsequenzen in der Erwartung der Zielerreichung als auch im Wert, der den Zielen beigemessen wird. Es ist ebenfalls Aufgabe der Führungskraft, dafür zu sorgen, dass die Mitarbeitenden ein Umfeld vorfinden, in welchem sie erfolgreich, effektiv und effizient jenes Verhalten zeigen können, dass zur Erreichung der definierten Ziele notwendig ist.

15 Zusammenfassung

Zusammenfassung Die vielen Kritiken an der Umsetzung des MbO-Prozesses sind berechtigt und es ist daher auch nachvollziehbar, dass der Prozess als Ganzes als wenig hilfreich bis sehr hinderlich wahrgenommen werden kann. Führen mit Zielen und der davon abgeleitete MbO-Prozess ist, vorausgesetzt professionell umgesetzt, eines der zentralen Steuerungsinstrumente in der Organisation. Daher treten hier auch viele natürliche Spannungsfelder einer Organisation zu Tage, welche von den Führungskräften und den Mitarbeitenden austariert

711

15.5 • Delegation

15

werden müssen. So treffen Individualisierung der Ziele auf vorgegebene Organisationsziele, Fragen nach Freiheit auf Standardisierung, Stabilität auf Veränderung, Machterhalt auf Machtverteilung, Geschwindigkeit auf Qualität, etc. Führen mit Zielen und daher auch MbO verlangt von Führungskräften aller Ebenen als auch allen Mitarbeitenden einerseits die Fähigkeit, den vorhandenen Prozess so zu gestalten, dass dieser sinnvoll und effektiv für das Individuum als auch die Organisation ist, andererseits auch ein Verständnis dafür, den Prozess so anzupassen und zu verändern, dass dieser auf allen Stufen und bei allen Personen seine Wirkung entfaltet. Führungskräfte müssen erkennen, wo sich die Mitarbeitenden und sie selbst zu jedem Zeitpunkt in diesem Prozess befinden, wo Handlungsbedarf besteht und wie sinnvoll begleitet und unterstützt werden kann. Die zentrale Herausforderung besteht daher sowohl beim Führen mit Zielen als auch bei der Delegation in der Eigenverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeitenden, der Teams und der Führungskräfte den oben beschriebenen Prozess umsetzen. D. h. selbst gute Ziele setzten, selbst gute Messindikatoren definieren, selbst Rückmeldeschlaufen implementieren und sich daher selbst in der Leistungserbringung steuern und entwickeln.

15.5 Delegation

1

Christoph Hoffmann zz Führungsverständnis

Wie in 7 Abschn. 15.1 ausgeführt, ist Führung gezielte Einflussnahme von Personen auf andere, innerhalb einer Zielvereinbarung eigenverantwortlich tätig zu werden. Führung ist demnach ein Prozess der aktiven Beziehungsgestaltung zwischen Führungspersonen und Mitarbeitenden mit dem Ziel, einen wirksamen Beitrag für den Erfolg der Organisation heute und in Zukunft zu leisten. Die Basis dieser Beziehungsgestaltung ist Vertrauen. Mitarbeitende müssen ihren Führungskräften vertrauen können, dass sie für die zu erreichenden Ziele die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und ihnen dafür den Rücken freihalten. Daher müssen Führungskräfte dafür besorgt sein, dass sie genügend Zeit zur Verfügung haben, um den zentralen Führungsaufgaben nachzugehen (Für

1

Basierend und überarbeitet auf dem Abschnitt „Delegation“ von Iris Boneberg aus Steiger, T. & Lippmann, E. (2013). Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte. Heidelberg: Springer.

Führungsverständnis

712

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

..Abb. 15.11  © 2018 by Tobias Leuenberger

Ziele sorgen, Organisieren, Monitoring und Beurteilung, Entscheiden und Menschen entwickeln). Ein weiteres wichtiges Element dieser gezielten Einflussnahme ist neben dem Führen mit Zielvereinbarung die Delegation. Die Delegation ist ein wirksames Führungsinstrument, das hilft, die Ressourcen von Zeit und Energie in zielorientierte Aktivitäten zu lenken. Delegation von Verantwortung und Aufgaben wirkt sich positiv auf die Motivation der Mitarbeitenden aus, stärkt die sozialen Kompetenzen von Personen und fördert die Entwicklung arbeitsrelevanter Fertigkeiten und Kenntnisse. Daneben kann die Delegation Führungskräfte auch entlasten. Bei der Delegation wird die Handlungsverantwortung für eine Zielvorgabe abgegeben, während die Führungsverantwortung für die Auswahl des Ziels, der delegierten Person und die Kontrolle des Resultates bei der Führungsperson bleibt. Kouzes und Posner (2002) weisen darauf hin, dass es erfolgreichen Führungskräften gelingt, andere zum Handeln zu befähigen und haben daraus eine Empfehlung für „Leadershipverhalten“ abgeleitet: „Enable others to act“. 15.5.1

15

Auftragserteilung und Delegation

Im Alltag lässt sich alles, was weniger wichtig, aber dringlich ist, weiterleiten (Eisenhower-Prinzip; 7 Abschn. 6.2 „Arbeitstechnik“). Dieses Weiterleiten nennen wir Auftragserteilung. Bei der Auftragserteilung handelt es sich in der Regel um einen Einzelauftrag, bei der Delegation werden Aufgaben (meist ganze „Aufgabenpakete“) langfristig übertragen. Definitionen 

Definition: Delegation und Auftragserteilung

Delegation meint die dauerhafte Übertragung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an nachgeordnete Stellen. Auftragserteilung meint die Übertragung eines Einzelauftrags. 

15.5 • Delegation

713

15

Eine vollständige Auftragserteilung besteht aus sechs Elementen. Sicherlich ist in einer konkreten Auftragserteilung nicht jedes Element gleich bedeutsam. zz Elemente einer Auftragserteilung

Sechs Elemente der Auftragserteilung: 1. Orientierung über die Ausgangslage. Ziel: Auftrag richtig verstehen, Notwendigkeit nachzuvollziehen. 2. Zielsetzung festlegen. Ziel: Erwartungen des Ergebnisses (Endzustand) formulieren, Zielerreichung abschätzen. 3. Begründung liefern. Ziel: Identifikation mit dem Sinn, Leistungsmotivation aufbauen. 4. Auftrag formulieren. Ziel: Inhalt, Termine und Verantwortlichkeiten des Auftrags, sowie evtl. besondere Bedingungen der Auftragserledigung klären. 5. Mittel bereitstellen. Ziel: Ressourcen und Hilfsmittel festlegen. 6. Kontrolle vereinbaren. Ziel: Art und Weise sowie Zeitpunkt der Kontrolle transparent machen.

sechs Elemente

Bevor der Prozess der Delegation beschrieben wird, wird zunächst der Frage nachgegangen, welche Aufgaben delegierbar sind und welche eher nicht. 15.5.2

Was kann, soll und muss ich delegieren und was nicht?

zz Delegierbare und nichtdelegierbare Aufgaben

Die Primary Task von Organisationen, deren Strukturen und Kulturen sind unterschiedlich. Deshalb ist es schwer eine „goldene Regel“ für alle Branchen und Aufgabenbereiche zu definieren (vgl. Goldfuss 2006). Ausnahmen gibt es sicherlich, aber tendenziell gilt die folgende Übersicht (vgl. Kratz 2006, S. 30):Delegierbare Aufgaben sind: Routineaufgaben, Spezialistentätigkeiten, Detailfragen und vorbereitende Arbeiten, die als Grundlage für Entscheidungen dienen.

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Nichtdelegierbare Aufgaben sind: Führungsaufgaben, außergewöhnliche Fälle: Aufgaben mit großer Tragweite und/ oder hohem Risikoanteil. Wenn vertrauliche Angelegenheiten und sicherheitsrelevante Aspekte der Aufgabe an die Funktion der Führungskraft gebunden sind, sind auch diese nicht delegierbar.

delegierbare und nicht delegierbare Aufgaben

714

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

zz Delegierbare und nichtdelegierbare Verantwortung

Handlungsverantwortung

Führungsverantwortung

Verantwortung gibt es im rechtlichen Sinne, im organisatorischen, im funktionalen, im ethischen oder auch im sozialen Sinne. Die Frage, ob Verantwortung überhaupt delegierbar ist, liegt nahe. Gehen wir einmal davon aus, Verantwortung sei nicht delegierbar. Eine Konsequenz wäre, dass Führungskräfte für jegliches Verschulden der Mitarbeitenden einstehen müssten. Eine Führungskraft kann jedoch nicht für jegliches Verschulden zur Verantwortung gezogen werden. Höhn (1980) trifft eine Unterscheidung, die hilfreich ist. Er spricht von Handlungsverantwortung und Führungsverantwortung. Der Mitarbeiter trägt die Handlungsverantwortung zur Erfüllung einer Aufgabe, die ihm mit entsprechenden Befugnissen delegiert wurde. Diese Form der Verantwortung ergibt sich aus der Übertragung von Aufgaben und Kompetenzen. Auch der Vorgesetzte trägt Handlungsverantwortung, die aus der Fachaufgabe und den damit verbundenen Kompetenzen erwächst. Zusätzlich trägt er die Führungsverantwortung als „Verantwortung für das Ganze“. Sie ergibt sich aus den Führungsaufgaben. Der Vorgesetzte kann dann für Fehler von Mitarbeitern verantwortlich gemacht werden, wenn er seine Führungsaufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Führungsverantwortung wird erfolgreich wahrgenommen, wenn Aufgaben an Personen delegiert werden, die dafür die erforderlichen Voraussetzungen mitbringen; wenn geeignete Zielvereinbarungen getroffen und geeignete Informations- und Kontrollverfahren eingesetzt werden (Hill et al. 1989).

15

Eine vorgesetzte Person kann demnach nicht für jegliches Verschulden der Mitarbeitenden zur Verantwortung gezogen werden. Man erkennt aber dennoch, dass hier ein gewisser „Verantwortungsüberschuss“ auf Seiten des Vorgesetzten besteht: Er ist nicht nur für das eigene Handeln verantwortlich, sondern auch teilweise für das Verhalten von Mitarbeitern. zz Was delegieren und was nicht

Hilfreich ist es, zuerst alle Aufgaben, mit denen eine Führungskraft in der letzten Zeit beschäftigt war, zu definieren. In einem zweiten Schritt hat es sich als nützlich erwiesen, diese Aufgaben wie folgt zu sortieren (Finch und Maddux 2006). Unterteilen in folgende 5 Bereiche: Aufgaben, die nur ich machen kann, Aufgaben, die ich machen sollte, aber bei denen andere helfen können, Aufgaben, die ich machen kann, aber andere würden sie machen, wenn man ihnen eine Chance dazu gäbe,

--

15.5 • Delegation

715

15

-

Aufgaben, die andere machen sollten, aber bei denen ich als Ressource zur Verfügung stehe, Aufgaben die eigentlich andere tun müssen.

Aufgrund dieser Analyse können bereits konkrete Aufgaben definiert werden, die delegiert werden können. Teilweise lässt sich auch schon der Zeitraum der Delegation festlegen. Wie die Delegation konkret gestaltet sein sollte und was darüber hinaus noch zu beachten ist, wird in den kommenden Abschnitten noch vertieft. Indem die Führungskraft die Fragen klärt, was von ihr selbst und was von den Mitarbeitern übernommen wird, wird sie zum Gestalter der eigenen Primary Task, jener der Mitarbeitenden und des von ihr zu verantwortenden Funktionsbereiches. Das Ergebnis muss also auch im Hinblick darauf überprüft werden, ob die Aufgaben überhaupt einen signifikanten Beitrag zum Erfolg des eigenen Bereiches und der übergeordneten Einheit leisten. Umgekehrt muss natürlich auch überprüft werden, ob die Erfüllung der Primary Task, die an den Funktionsbereich der Führungskraft delegiert wurde, sichergestellt wird (7 Abschn. 15.1). Diese Überlegungen sollen vermeiden, dass viel gearbeitet, aber am eigentlichen Auftrag der Abteilung vorbeigearbeitet wird oder dass nur noch Teile des eigentlichen Auftrags abgedeckt werden. Ganz allgemein wird hier der Frage nachgegangen, ob wir mit dem, was wir tun, weiterhin auf dem richtigen Weg sind. Es gehört essenziell zu den Aufgaben der Führungskraft, diese Frage für den Bereich, den sie verantwortet, nicht aus den Augen zu verlieren (Hinterhuber und Krauthammer 2001, die in diesem Zusammenhang vom „Kernauftrag“ sprechen). 15.5.3

Delegation und Primary Task

Prozess der Delegation

Delegationen vorbereiten zz Die richtigen Aufgaben auswählen

Die notwendigen Kompetenzen klären. Werden Aufgaben an Mitarbeitende delegiert, so muss es diesen möglich sein, alle Entscheidungen treffen zu können und Handlungen zu vollziehen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind. Delegiert werden müssen somit auch entsprechende Kompetenzen, beispielsweise: das Recht, Entscheidungen zu treffen (Entscheidungskompetenz), das Recht, das Handeln anderer Personen zu bestimmen (Anordnungskompetenz), das Recht, über Sachen und Werte der Organisation zu verfügen (Verfügungskompetenz), das Recht auf alle zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen (Informationskompetenz).

-

A: delegierbare Aufgaben

formale Kompetenzen

716

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

persönliche Kompetenzen

Zeitbedarf

Verantwortung übernehmen, Vertrauen schenken

15

Vor dem eigentlichen Delegationsgespräch muss die Führungskraft entscheiden, mit welchen Kompetenzen sie den Mitarbeitenden ausstatten muss. Die richtigen Mitarbeitenden auswählen. Häufig werden Mitarbeitende gewählt, welche die Fähigkeiten, die es braucht, um die Aufgabe zu erledigen, bereits mitbringen. Ist die Sachkompetenz, das Können und Wissen nicht ausreichend, so ist es Aufgabe der Führungskraft bereits im Vorfeld zu prüfen, inwiefern diese aufgebaut werden kann und welche Maßnahmen hierzu notwendig sind (7 Abschn. 11.2). Ein solches Vorgehen kann durchaus als systematischer Beitrag zur Personalentwicklung gesehen werden (von Rosenstiel 1992). Schaffen von adäquaten zeitlichen Freiräumen. Erlaubt es die zeitliche Auslastung der Mitarbeitenden, die delegierte Aufgabe auszuführen? Dies ist leichter gefragt als umgesetzt. Mitarbeitende, die zu lange unter enormem Zeitdruck stehen, verlieren häufig die Motivation für ihre Arbeit oder zeigen darüber hinaus andere Burn-out-Symptome (Hatzelmann und Held 2005). Es gehört somit sicherlich mit zu den vornehmsten Verpflichtungen einer Führungskraft, für genügend zeitlichen Freiraum der Mitarbeitenden zu sorgen. Oder wie Sample (2002, S. 163) es formuliert: „Arbeiten Sie für die, die für Sie arbeiten!“ Der subtilste Bereich in der Vorbereitung liegt in den beiden Themen Verantwortung und Vertrauen. Sie sind jedoch maßgeblich dafür, ob die Delegation glückt oder nicht. Einerseits geht es darum zu erahnen, ob der Mitarbeitende, der für die Aufgabe ausgewählt wurde, bereit sein wird, für die Aufgabe auch die Verantwortung zu übernehmen. Ist man unsicher, ist es empfehlenswert, im Delegationsgespräch selbst dieses Thema anzusprechen. Andererseits muss die Führungskraft sich kritisch fragen, ob sie selbst dazu bereit ist, die Aufgabe abzugeben und ob sie genügend Vertrauen besitzt oder aufbauen kann. Eine Führungskraft, die sich laufend in bereits delegierte Aufgaben einmischt, weil ihr das Vertrauen in den Mitarbeitenden fehlt, geht das Risiko ein, den Mitarbeitenden zu demotivieren.

-

-

zz Kongruenzprinzip der Delegation

inkongruente Delegationen schaffen Probleme

Im vorherigen Abschnitt wurde beschrieben, dass sich die Führungskraft bei der Vorbereitung einer Delegation mit den folgenden Elementen auseinandersetzen muss: Aufgabe, Kompetenzen, Fachkompetenzen, Zeit, Verantwortung und Vertrauen. Die Elemente sind in . Abb. 15.12 visualisiert. Darüber hinaus ist in der Abbildung auch das „Kongruenzprinzip“ der Delegation angedeutet: alle sechs Elemente der Delegation stimmen von ihrer Größe her überein, sind also „deckungsgleich“ oder kongruent. Inkongruente Delegationen sind Delegationen, in

717

15.5 • Delegation

15

Wählen Sie eine delegierbare A ufgabe

A Stellen Sie sich Ihrer Bereitschaft zu V ertrauen

A

V V

Z

A

Wägen Sie die

V erantwortungs-

V

Z

A

K K

A V V

K K

Z

A

bereitschaft des Mitarbeitenden ab

K

Klären Sie die notwendigen K ompetenzen

K K

A

K K

K

Prüfen Sie die Fach Kompetenz

K Z Schaffen Sie

Z eitliche Freiräume ..Abb. 15.12  Kongruenzprinzip der Delegation. (Aus Boneberg 2013, S. 166)

-

denen eines der Elemente oder mehrere zu groß oder zu klein sind. Beispiele für inkongruente Delegationen liegen vor, wenn die gewählte Aufgabe nicht den Qualifikationen (der Fachkompetenz) des Mitarbeitenden entspricht, dieser deshalb deutlich unterfordert ist, die Aufgabe nicht mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet wird, der Mitarbeitende beispielsweise notwendige Entscheidungen nicht selbst fällen kann, dem Mitarbeitenden nicht genügend Zeit eingeräumt wird, um die Aufgabe zu erfüllen. Das Kongruenzprinzip der Delegation kann im Alltag in vielen Situationen von großer Nützlichkeit sein:

Kongruenzprinzip

718

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

--

als Checkliste zur Vorbereitung einer Delegation, als Leitfaden für das Delegationsgespräch, als Kriterienkatalog zur Überprüfung anhaltender Delegationen, als Referenzsystem, um zu überprüfen, ob Aufgaben, die der eigene Vorgesetzte delegiert, kongruent sind, als Visualisierungshilfe in Gesprächen, in denen über nichtkongruente Delegationen verhandelt wird.

zz Delegationsgespräch

Erstgespräch  Die eigentliche Delegation findet im Erstgespräch

Kongruenzprinzip beachten: A = K = K = Z = V = V Weitere Vereinbarungen

statt. Das Gespräch beinhaltet im Wesentlichen die oben beschriebenen Themen. Fragen, die im Erstgespräch besprochen werden, sind: Welche Aufgabe wird delegiert? Welche Kompetenzen werden zugeteilt? Welche Fachkompetenzen müssen noch erworben werden? Welcher zeitliche Rahmen wird zur Verfügung gestellt? Wie ist es um die Bereitschaft des Mitarbeitenden gestellt, die Verantwortung für die beschriebene Aufgabe zu übernehmen? Welche Verantwortung wird übertragen? Was muss erfüllt sein, damit die Führungskraft vertrauen kann?

---

Je nach Komplexität der Aufgabe werden im Erstgespräch, spätestens aber in der Nachbesprechung zwei weitere Themen vereinbart: Zielvereinbarung: Welches Ergebnis wird in Bezug auf die Aufgabe vom Vorgesetzten erwartet? Welche Zielerreichung hält der Mitarbeitende für sinnvoll? Kontrollvereinbarung: Wie, wann und von wem wird ermittelt, ob die Aufgabe zielgerichtet durchgeführt wird? Die Bereitschaft, sich für Ziele einzusetzen und Kontrolle als notwendigen Teil des Arbeitsprozesses zu erleben, ist in der Regel höher, wenn Mitarbeitende sich mit ihren Vorstellungen frühzeitig einbringen können. Auch hier gilt es Betroffene zu Beteiligten zu machen.

15 Einladung zum Feedback

Nachbesprechung  Konnten Ziele und Kontrolle im Erstgespräch

nicht vereinbart werden, dann stehen diese Vereinbarungen in der Nachbesprechung an. Sie dient in erster Linie dazu, die Erfahrungen des Mitarbeitenden abzuholen. So könnten Sie folgende Fragen stellen (Kratz 2006, S. 66): Wie ist Ihrer Meinung nach die Delegation bisher gelaufen? Was ist Ihnen bei der neuen Aufgabe sowohl positiv als auch negativ aufgefallen? Hatten Sie das Gefühl, dass ich mich – ohne es zu merken – zu häufig eingemischt habe?

--

15

719

15.5 • Delegation

Erstgespräch

Weitere Gespräche …

Was kann, soll und muss ich delegieren? Kongruent delegieren

Kongruenzprinzip beachten

Zielvereinbarungen Kontrollvereinbarungen

Nachbesprechung Rückblick Ausblick

Vorbereitung

Delegationsgespräch

… nach Bedarf Kontakt Kontrolle

Follow-ups

..Abb. 15.13  Prozess der Delegation. (Aus Boneberg 2013, S. 168)

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Sind Unklarheiten in den Kompetenzregelungen aufgetreten? Traten sonstige Probleme zu Tage, die wir zu Beginn der Delegation übersahen?

zz Follow-up Die beiden „K“ – Kontakt und Kontrolle. Die Führungskraft hält auch

über die Nachbesprechung hinaus mit den Mitarbeitenden Kontakt in Bezug auf die delegierte Aufgabe. Sie achtet beispielsweise darauf, dass sie alle Informationen weiterleitet, die der Mitarbeitende zur Aufgabenerfüllung braucht und ist Ansprechpartnerin bei unvorhersehbaren Schwierigkeiten. Es gilt auch, Selbstdisziplin zu üben: Weder sollte die Führungskraft Aufgaben wieder zu sich zurück nehmen, noch Rückdelegationen von Mitarbeitenden zulassen. Dem Mitarbeitenden Vertrauen schenken, schließt Kontrolle nicht aus. Zur Grundregel für motivierendes Kontrollieren gehört, dass eine geeignete Kontrollart gefunden wird (Laufer 2007). Es muss geklärt werden, wer kontrolliert, ob eher die Durchführung oder eher das Ergebnis kontrolliert werden soll und wie häufig und genau kontrolliert werden muss. Letztendlich gilt es, ein Klima zu schaffen, das den Mitarbeitenden ermutigt, Probleme zu benennen. Deshalb kann das Ziel der Kontrolle nicht nur die Fehlersuche sein (7 Abschn. 13.2). Blanchard und Johnson (2002, S.  41) empfehlen „Lass jeden seine Höchstform erreichen und erwisch ihn, wenn er’s gut macht!“. zz Delegationsprozess im Überblick

In . Abb. 15.13 ist der Delegationsprozess nochmals im Überblick zusammengefasst.

Aus dem Auge – aus dem Sinn?

Vertrauen ist gut, Kontrolle auch!

720

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

15.5.4 Nachwuchsförderung

Motivation

Arbeitszufriedenheit und Selbstvertrauen

Ertragssteigerung, Mitarbeiterbindung

Gefahren der Delegation

15

Über- und Unterforderung

Chancen und Gefahren der Delegation

Es gibt viele gute Gründe, die für das Delegieren sprechen! Vorgesetzte entlasten sich selbst und übergeordnete Stellen, können dadurch ihren strategischen Aufgaben gerecht werden, trainieren die Entscheidungskompetenz der Mitarbeitenden, was insbesondere für die Nachwuchsführungskräfte von großer Wichtigkeit ist. Wird Verantwortung immer nur dann weitergegeben, wenn auch die entsprechenden Kompetenzen weitergeleitet werden, dann wirkt das motivierend oder mobilisierend auf die Mitarbeitenden (Steiger 2013, S. 23; 7 Abschn. 12.3 „Motivation“). Die Lernprozesse und Erfolgserlebnisse, die durch ein kongruentes Delegationsverhalten ermöglicht werden, steigern das Selbstvertrauen und die Arbeitszufriedenheit. Selbstbewusste und kompetente Mitarbeitende können mit allfälligen Veränderungsprozessen oder Krisensituationen wiederum leichter umgehen. Eine branchenübergreifende Langzeitstudie des Gallup-Instituts hat gezeigt, je engagierter die Mitarbeiter sind, desto größer sind die positiven Auswirkungen auf die Ertragssituation. Mitarbeiterbindung wird an erster Stelle dadurch erreicht, dass Mitarbeitende wissen, was von ihnen erwartet wird und an zweiter Stelle dadurch, dass die benötigten Materialien und Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden (Buckingham und Coffman 2005). Oder mit anderen Worten: Ein „sauberes Delegationsverhalten“ gewährleistet ein hohes Maß an Mitarbeiterbindung und diese wirkt sich positiv auf die Ertragssituation aus. Wie alle Führungsinstrumente birgt auch die Delegation Gefahren, wenn die Beziehung zur vorgesetzten Person wenig wertschätzenden und anerkennend ist. Es besteht dann die Gefahr, dass vor allem unliebsamen Routineaufgaben übertragen werden, bei denen sich die Mitarbeiterin degradiert fühlt. Damit könnte sich auch ein Hierarchiedenken festigen, das weiteren negativen Einfluss auf die Zusammenarbeit haben kann. Ein weiterer Stolperstein kann die unzulässige Delegation an Mitarbeiter sein, die unrechtmäßige Kompetenzen, insbesondere Führungsverantwortung, überträgt. Wird in der Delegation fehlerhaft oder unklar informiert oder wird die Leistungsmotivation nicht sauber geklärt, kann dies zu Überforderung der Mitarbeitenden führen. Werden Delegationsaufgaben unzulänglich begründet, so dass Mitarbeitende ein mangelndes (Ein‑) Verständnis zeigen, führt dies zu langfristiger Frustration und Stresssymptomen. Dann besteht auch die Gefahr einer Rückdelegation. Delegation birgt auch dann eine Gefahr, wenn man den Mitarbeiter, dem man die Aufgaben überträgt, unterfordert. Die größte Gefahr, die das Führungsinstrument Delegation beinhaltet, sind jedoch die Widerstände der Führungskräfte selbst gegen Delegation. Viele Vorgesetzte delegieren mit Widerwillen oder in unzureichendem Masse.

721

15.5 • Delegation

15

..Tab. 15.5 Glaubenssätze … die Delegation erschweren

… und mögliche Interpretationen

Es läuft ja gut, wie es ist!

– Gewohnheit, alles beim „Alten“ lassen – Veränderungsresistenz – Mangelndes Engagement, MA zu fördern – Fehlendes Wissen über Delegation und MbO – Mangelnde Methodenkompetenz

Ich habe keine Zeit für so aufwändige Delegation!

– Mangel an Geduld und Selbstbeherrschung – Unfähigkeit, die eigene Arbeit zu organisieren – Mangel an Selbstdisziplin und Selbstmanagement – Ressourcenmangel

Ich mache das am besten selbst!

– Angst, die Kontrolle oder den Überblick zu verlieren! – Angst, Anerkennung bei den MA zu verlieren durch unliebsame Delegation – Mangelnde Kommunikationsfähigkeit

Ich muss es allen Recht machen!

– Mangelnde Mitarbeiterkenntnis – Angst vor negativen Reaktionen der MA – Angst, MA zu überfordern/überbelasten

Meine Arbeit und die meiner Abteilung müssen perfekt sein!

– Angst vor Imageverlust in der Unternehmung, falls Fehler geschehen – Zu hohes Anspruchsniveau an sich und an die Mitarbeitenden

Ich bin der Chef im Ring!

– Angst davor, MA könnten die Arbeit besser erledigen und man verliert Ansehen als Führungskraft. – Hang zu Durchführungskontrolle statt zu Ergebniskontrolle – Mangelnde Kritikfähigkeit

Warum also scheuen sich viele Führungskräfte zu delegieren? Folgende Glaubenssätze (. Tab.  15.5) können dabei eine Rolle spielen (Vogelauer und Risak 2002; Kohlmann-Scheerer 2004). Zusammenfassung Management by Objektives oder Führen mit Zielvereinbarung ist ein Führungsinstrument, das auf der organisationalen Ebene ebenso wirksam ist wie auf der Ebene von Organisationseinheiten, von Teams oder Individuen. Dabei kann sich Leistung entfalten, wenn Ziele herausfordernd und spezifisch sind. Werden Ziele als aus eigener Kraft erreichbar erlebt und ist der Wert und die Wichtigkeit erkannt, so stellt sich eine hohe Zielbindung und Identifikation ein. Auch Rückmeldungen (Feedback) beeinflussen die Leistungsergebnisse positiv. Unternehmungen tun gut daran, nebst der Leistungssteigerung die Absichten von MbO klar zu kommunizieren. MbO kann sowohl für kleine (tägliche Arbeitsprozesse) als auch für den großen, jährlichen Zielvereinbarungsprozess eingesetzt werden. Dabei sind meist Leistungs‑, Verhaltens-

Glaubenssätze, die Delegation erschweren

Zusammenfassung

722

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

und Entwicklungsziele im Vordergrund. Führen mit Zielvereinbarungen macht dann besonders Sinn, wenn es um konkrete, sich verändernde quantitative Ziele (Kennzahlen) geht, die auf den Gesamtunternehmenserfolg einwirken, oder wenn eine unternehmensrelevante Verhaltensänderung angesagt ist. Teamziele fördern den Zusammenhalt, das Vertrauen, das gegenseitige Lernen und sind auch für Bonifikationssysteme einsetzbar. Nach dem Führungsmodell nach Dahms ist bei hoher Leistungsfähigkeit und Leistungsmotivation der Mitarbeitenden nur ein reduziertes Controlling in Sinne einer wertschätzenden Nachfrage notwendig. Sinkt hingegen einer der Faktoren, ändert sich die Frequenz der Kontrolle. Scheitern am Steuerungsprozess Führen mit Zielvereinbarung ist oft auf die nicht konsequente Umsetzung des Zielführungsprozesses zurückzuführen und kann zu Unzufriedenheit an MbO führen. Delegation ist die dauerhafte Übertragung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an nachgeordnete Stellen. Sind bei einer Delegation die Elemente Aufgabe, Kompetenzen, Fachkompetenzen, Zeit, Verantwortung und Vertrauen adäquat berücksichtigt, stellen sich positive Effekte für Nachwuchsförderung, Motivation, Selbstvertrauen, Arbeitszufriedenheit, Ertragssteigerung und Mitarbeiterbindung ein. Eine differenzierte Selbstreflexion über die Glaubenssätze, welche einer Führungskraft das Delegieren erschweren könnte, ist sehr hilfreich für eine wirkungsvolle Umsetzung

Literatur

15

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723

15

724

Kapitel 15  •  Führen mit Zielen

Vogelauer, W., & Risak, M. (2002). Handbuch für Führungskräfte. Wien: Manz. Vroom, V. H. (1964). Work and motivation. San Francisco: Jossey-Bass. Wegge, J. (2004). Führung von Arbeitsgruppen. Göttingen: Hogrefe. Wood, R. E., Mento, A. J., & Locke, E. A. (1987). Task complexity as a moderator of goal effects: a meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 72, 416–425.

15

725

Das Management komplexer Führungssituationen Kapitel 16 Projektmanagement – 727 Uwe Neumann Kapitel 17 Konfliktmanagement – 763 Eric Lippmann Kapitel 18

Führen in Zeiten des Wandels  –  809 Volker Kiel

Kapitel 19

Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund  –  885 Daniela Eberhardt, Stefanie Neumann, Elisa Streuli

Kapitel 20

Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung  –  911 Imke Knafla, Marcel Schär Gmelch

Kapitel 21

Macht und Mikropolitik  –  937 Andres Pfister, Michael Zirkler

Kapitel 22

Neue Formen der Führung  –  963 Urs Jörg, Thomas Klink

IV

727

Projektmanagement Uwe Neumann 16.1

Auf einen Blick  –  728

16.2

Der Führungskompass als Leitfaden für erfolgreiches Projektmanagement  –  729

16.2.1 Die Führungsaufgaben – 730 16.2.2 Prinzipien der wirksamen Führung  –  735

16.3

Systemisches Projektmanagement – 739

16.4

Merkmale eines Projektes  –  740

16.5

Definition von Projektmanagement  –  741

16.6

Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement – 741

16.6.1 16.6.2 16.6.3 16.6.4 16.6.5 16.6.6

Für Ziele sorgen  –  742 Organisieren – 747 Kontrollieren und Beurteilen  –  751 Entscheiden – 752 Potenziale entfalten und Menschen entwickeln  –  752 Für Zusammenarbeit sorgen  –  753

16.7

Der Blick auf das Projektteam  –  756

16.7.1 16.7.2 16.7.3 16.7.4 16.7.5

Forming-Phase – 756 Storming-Phase – 757 Norming-Phase – 757 Performing-Phase – 757 Adjourning-Phase – 758

Literatur – 760

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_16

16

728

Kapitel 16 • Projektmanagement

» Only variety can absorb variety (Ashby’s Law) 16.1

Auf einen Blick

Auf einen Blick

Auf einen Blick Machen wir uns nichts vor, Projekte gab es schon lange vor unserer Zeit und zugleich ist jedes Projekt per Definition etwas Neues. Wir können eine zunehmende Interdependenz der Themen feststellen, die nur durch interdisziplinäre Projektteams einigermaßen kompensiert werden kann, was dazu führt, dass heute keine Führungskraft erfolgreich einen Bogen um Projekte machen kann. Obwohl Projekte mittlerweile zum Standardrepertoire einer Führungskraft gehören, stellt man immer wieder die gleichen Phänomene fest.

Der Sündenkatalog des Projektmanagements (Schelle 2010)

16

----

Keine systematische Auswahl, welche Projekte angestoßen werden sollen und welche nicht; „Machen-Sie-mal-Projekte“, d. h. Projekte werden gestartet ohne einen klaren Projektauftrag; Keine verbindlichen Meilensteine; Zu geringes Interesse und Engagement durch das TopManagement; Keine formelle Verpflichtung des Projektteams; Projektarbeit ist eine zusätzliche Belastung für die Mitarbeitenden im Projekt; Projektteam ist mit denen besetzt, die in der Linie am leichtesten zu entbehren sind; „Linienfürsten“ boykottieren die Projektarbeit; Projektleitung hat nur Pflichten aber keine Befugnisse; Es existieren keine gelebten Standards für das Projektmanagement; Das Projektteam ist nicht ausreichend qualifiziert im Projektmanagement.

Organisationen haben hervorragend ausgearbeitete Projektmanagement-Handbücher, aber kaum jemand nutzt sie. Alle ahnen die unterschiedlichen Abhängigkeiten eines Projektes, doch nur wenige beschäftigen sich angemessen mit ihnen. Beim Thema Rollenklärung fangen alle an zu gähnen und doch bleiben viele Rollen bis zum Schluss eines Projektes unklar und sorgen für Unstimmigkeiten.

16.2  •  Der Führungskompass als Leitfaden

729

16

Wie kann das sein? Am Wissen über Projektmanagement kann es eigentlich nicht liegen, denn es ist alles vorhanden und mehrfach beschrieben. Das klassische Projektmanagement entstand in Europa im technischen Bereich und legt traditionell seinen Schwerpunkt auf Organisationsstrukturen, Phasenabläufe und formale Methoden. Es geht von einem Projektmanagementverständnis aus, das stark rational und technokratisch orientiert ist. Hier werden besonders die sachlich-planerischen Aspekte von Projekten berücksichtigt (z. B. Netzplantechnik, Ganttdiagramm et al.) und weniger psychologische (IPMA, 2006). Manche Ansätze zum Projektmanagement berücksichtigen auch psychologische Aspekte, diese werden jedoch häufig nicht mit dem Projektmanagement verknüpft und stehen nur daneben (Borgert 2012; Heinrich 2015). Schließlich gibt es Ansätze, die zwar die Mehrdimensionalität gut aufdecken (Kuster et al. 2008; GPM 2014), doch spürt selbst der geneigte Leser die Last dieser Komplexität und zieht sich zurück auf die gewohnten Pfade der üblichen Herangehensweise. Ganz im Sinne des Ausspruchs: „I’m still confused, but on a higher level“. 16.2

Der Führungskompass als Leitfaden für erfolgreiches Projektmanagement

An dieser Stelle soll ganz bewusst ein Gegenentwurf gestartet werden, der auf die Grundprinzipien von erfolgreichem Projektmanagement aus der Führungsdimension zurückgeht und einen Leitfaden für die Projektleitenden aber auch für die Auftrag gebenden Führungskräfte darstellt. Ein Leitfaden der oberflächlich sehr einfach und daher gut merkbar und umsetzbar ist. Und zugleich bei einer vertieften Betrachtung die nötige Komplexität beinhaltet. Als Leitfaden dient hier der Führungskompass (. Abb. 16.1) mit den Führungsaufgaben und den Prinzipien für Wirksamkeit. Wenn man ihn einmal wirklich durchdrungen hat, kann er einem eine gute Orientierung in der Führung, und damit auch in der Führung von Projekten leisten und helfen, so manche Klippe gut zu umschiffen. Für einen tiefen Einblick in die Technik des Projektmanagements sei auf die Ausführungen des Project Management Institute oder der Competence Baseline der IPMA (2006) verwiesen (Kuster et al. 2014). Der Führungskompass dient als Orientierungshilfe für die Führungskraft. Er beinhaltet die Führungsaufgaben und die wesentlichen Prinzipien, um wirksam zu sein. Und das gilt nicht nur für Projekte. Der Führungskompass ist eine Weiterentwicklung des Autors, die das Führungsverständnis i. S. von Drucker (2007, 2009) und Malik (2014) mit neueren Erkenntnissen der Leadershipforschung,

der Führungskompass als pragmatische Orientierungshilfe für die Führungskraft und Leitfaden für die Projektleitung

730

Kapitel 16 • Projektmanagement

Wertorientierte Führung

Kommunikation

Für Zusammenarbeit sorgen

Für Ziele sorgen

Organisieren FührungsVerantwortung

Potenziale entfalten

prinzipien

Kontrollieren und Beurteilen

Entscheiden

..Abb. 16.1 Führungskompass

der Psychologie, der Neurowissenschaften und mit eigenen Erfahrungen verknüpft. Die Führungsaufgaben beschreiben, was eine Führungskraft zu tun hat (Für Ziele sorgen, Organisieren etc.) oder besser, wofür sie zu sorgen hat. Die Prinzipien der Führung beschreiben, welche Haltung dabei eingenommen werden sollte, um wirksam, also effektiv zu sein. Die Prinzipien sind als Ganzheit zu sehen, die bei allen Aufgaben zu berücksichtigen sind. In der Ausführung der Aufgaben wird sichtbar, wie die Prinzipien realisiert werden. Die Kommunikation dient als Transmissionsriemen. Weiterhin wird das WIE der Ausführung durch die Unternehmenskultur, die Werte und Normen der Organisation bestimmt. Das Zentrum bildet die Verantwortung der Führungskraft für ihr Tun und auch für ihre Unterlassungen. 16.2.1

16

Die Führungsaufgaben

Für Ziele sorgen abgestimmte, bewertbare Ziele und Zielcommitment

Für Ziele sorgen bedeutet, dass die Führungskraft dafür verantwortlich ist, ihre Ziele mit dem relevanten Umfeld (Vorgesetzte, Kunden, Kollegen etc.) zu klären und ebenso für Zielklarheit in ihrem Verantwortungsbereich zu sorgen (Judge & Piccolo, 2004; Yukl, Gordon & Tabler, 2002; Yukl et al. 2002). Neben der Zielklarheit, die häufig mit dem Akronym SMART (spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert) in einem Atemzug genannt wird, ist das Zielcommitment (Gollwitzer 1992; Soucek 2006) entscheidend. Das heißt, dass das Ziel so zu gestalten ist, dass eine innere Verpflichtung empfunden wird, das Ziel auch zu erreichen. Diese Verpflichtung

16.2  •  Der Führungskompass als Leitfaden

731

16

führt dazu, dass man versucht, Hindernisse zu überwinden, indem man sich etwas mehr anstrengt, andere Mittel einsetzt, sich mehr Zeit nimmt oder gleich ganz andere Wege der Zielerreichung einschlägt. Zielcommitment bezieht sich also auf die Entschlossenheit, ein Ziel zu erreichen und die Bereitschaft jeglichen Aufwand zu Zielerreichung in Kauf zu nehmen. Dieser Aspekt ist gegenüber der SMARTen Zielformulierung wesentlich anspruchsvoller. Zielcommitment kann z. B. dadurch entstehen, dass Systemziel und individuelle Ziele gut zueinander passen.

» Stimmen Systemziel und individuelle Bedürfnisse (…) gut

überein, bzw. führt das Erreichen des Systemziels gleichzeitig in hohem Masse zur Befriedigung der individuellen Ziele (…), so ist in dem System ein hoher Kongruenzwert vorhanden. Dieser führt zu einer hohen Motivation der Elemente. Je höher der Kongruenzwert eines Systems ist, umso mehr Energie fliesst in die Erreichung des Systemziels. (Heinrich 2015, S. 50)

Die Mitwirkung der Mitarbeitenden bei der Festlegung der Ziele wirkt sinnstiftend und verbessert damit die Voraussetzung für die Identifikation und Motivation der Mitarbeitenden mit den Zielen der Organisation (Steiger 2008). Darüber hinaus wird das Bedürfnis nach Autonomie (Grawe 2004) gespeist. Wenn die Ziele nicht mit den persönlichen Werten der Mitarbeitenden übereinstimmen, sinkt die Motivation und Bereitschaft das Ziel zu erreichen, was sich negativ auf die Leistung auswirkt (Bipp und Kleingeld 2011). Auch Sprenger betont die Bedeutung von Zielcommitment. „Wenn also Menschen nicht zusammenarbeiten, dann sind dafür selten individuelle Defizite verantwortlich. Zumeist fehlt ein Problem, das als gemeinsames Problem erkannt ist“ (Sprenger 2012, S. 58). Das folgende Modell zeigt, dass die Partizipation der Mitarbeitenden an der Zielvereinbarung einen Einfluss auf das Zielcommitment hat (. Abb. 16.2). Dieser Zusammenhang wird durch eine vertrauensvolle Beziehung zum Vorgesetzten und durch gerechte Entscheidungsprozesse verstärkt.

Organisieren Organisieren ist die zweite Führungsaufgabe. Sie kann logischerweise erst nach der Zielklärung erfolgen. Ganz im Sinne „Structure follows Strategy“. Nach Drucker (2007, 2009) soll die Organisation die folgenden Regeln berücksichtigen: Die Organisation muss auf den Kunden ausgerichtet sein. Das Management muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren können. Die Organisation muss es den Mitarbeitern leicht machen, ihre Stärken zu nutzen und Resultate zu erzielen.

--

Die Organisation soll auf den Kunden ausgerichtet und ausreichend flexibel für Veränderungen gestaltet werden

732

Kapitel 16 • Projektmanagement

Gerechgkeit der Verfahren (Prozedural Fairness)

Parzipaon bei Zielvereinbarung

Zielcommitment

(Goal-se ng Parcipaon)

Vertrauen

(Interpersonal Trust)

..Abb. 16.2  Partizipation an Zielvereinbarung und Zielcommitment. (Nach Sholihin et al. 2011, mit freundlicher Genehmigung von Elsevier)

-

Die Organisation benötigt ausreichend Flexibilität für zukünftige Entwicklungen. Die Komplexität muss für das Management noch steuerbar sein. Drucker war einer der ersten, der Management systematisch untersucht hat, und wurde als Management-Vordenker bekannt. Drucker ist der Erfinder des Management by Objectives. Seine Ideen wurden vielfach aufgegriffen und weiterentwickelt.

16

--

Stafford Beer (1981), ein Managementkybernetiker, ergänzt diese Regeln um einige weitere Bilde Einheiten mit größtmöglicher Autonomie. Dezentralisiere die Kompetenzen, die direkte Auswirkung auf kaufentscheidende Kriterien des Kunden haben. Zentralisiere was du dir nicht leisten kannst, zu dezentralisieren oder worin du Synergien nutzen willst. Minimiere die Überschneidungen und Abhängigkeiten von den anderen Einheiten. Organisieren ist jedoch kein reiner Top-down Prozess. Die Führungskraft hat dafür zu sorgen, dass eine hilfreiche Organisation aufgebaut wird. Dieser Prozess soll so gestaltet werden, dass er die oberen Aspekte berücksichtigt und für die Mitarbeitenden die besten Rahmenbedingungen liefert, damit sie ihre Potenziale im Sinne

16.2  •  Der Führungskompass als Leitfaden

733

16

der Organisation entfalten können und wollen, z. B. indem sie den Organisationsprozess aktiv mitgestalten (Gloger und Rösner 2014). Ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit der Einbeziehung der Mitarbeitenden bei der Arbeitsgestaltung fanden Wrzesniewski und Dutton (2001). Ihnen fielen Mitarbeitende auf, die aus eigenem Antrieb heraus den Ablauf, die Inhalte und den sozialen Kontext ihrer Arbeitstätigkeit derart veränderten, dass sie den eigenen Stärken und Interessen besser entsprachen.

Kontrollieren und Beurteilen Nachdem die Arbeit strukturiert und organisiert wurde, ist es erforderlich, zu überprüfen, inwieweit dies auch zu dem gewünschten Ergebnis führt. Daher besteht die nächste Führungsaufgabe im Kontrollieren und Beurteilen. In den Zeiten der zunehmenden Komplexität ist darauf zu achten, dass die Beteiligten vor allem Indikatoren zur Hand haben, um sich selbst zu kontrollieren und Feedbackschleifen wirksam werden, ohne dass die Führungskraft intervenieren muss. Das Stichwort lautet hier „Selbstkontrolle“.

Selbstkontrolle ermöglichen

Entscheiden Entscheiden ist eine weitere Führungsaufgabe. Es ist von der Führungskraft zu klären, wie die Entscheidungen getroffen werden und wer dabei wie einbezogen wird. Die Entscheidungen sollten transparent und nachvollziehbar sein und aufzeigen, unter welchen Grundannahmen sie getroffen wurden. Das Engagement für die Umsetzung der Entscheidungen ist höher, wenn die Teammitglieder den Entscheidungsprozess als fair wahrnehmen und nachvollziehen können. Darüber hinaus steigen das Zielcommitment der Mitarbeitenden sowie die Loyalität zur Gruppe und zum Unternehmen.

nachvollziehbare Entscheidungen

Potenziale entfalten Neben diesen scheinbar sehr sachlogischen Führungsaufgaben gibt es noch zwei weitere, die offensichtlich stärker psychologische Aspekte berücksichtigen. Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, Potenziale zu entfalten. Diese Aufgabe hat zwei Dimensionen, zum einen geht es darum die Organisation zu entwickeln, bzw. weiter zu entwickeln und zum anderen Menschen zu entwickeln. Drucker spricht ganz bewusst von Menschen und nicht von Mitarbeitenden, da er hier das gesamte menschliche Umfeld der Führungskraft betrachtet, vom Mitarbeitenden über die Kollegen bis zum Vorgesetzten. Darüber hinaus ist auch die Führungskraft selbst zu entwickeln. In der Zusammenarbeit ist es wichtig, die Interessen von Arbeitgeber und Mitarbeiter zu berücksichtigen. Dieser Aspekt wird sehr eindrücklich durch das Rollenmodell (7 Kap. 4) beschrieben. Das Resultat dieses Prozesses ist ein psychologischer Vertrag zwischen den Beteiligten (Rousseau 1995).

Menschen und Organisationen entwickeln

734

Kapitel 16 • Projektmanagement

Je größer diese Diskrepanz zwischen den gegenseitigen Erwartungen und Angeboten ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit eines wahrgenommenen Vertragsbruchs. Die möglichen Folgen einer Verletzung des psychologischen Vertrags durch den Arbeitgeber sind geringere Arbeitszufriedenheit, tieferes Commitment, höhere Kündigungsabsichten der Beschäftigten sowie eine geringere Bereitschaft, sich einzubringen im Sinne der Organisation. Da psychologische Verträge wechselseitige Anforderungen von Arbeitgebern und Beschäftigten berücksichtigen, können psychologische Verträge auch durch den Arbeitnehmenden verletzt werden. Ein psychologischer Vertragsbruch resultiert, wenn die Erwartungen der Arbeitgeber an ihre Mitarbeitenden zum Beispiel hinsichtlich Flexibilität, Eigenverantwortung oder Leistungsorientierung nicht erfüllt sind.

» Menschen zu entwickeln heisst zuerst und vor allem, sie nicht

ändern zu wollen, sondern sie so zu nehmen, wie sie sind und daraus das Beste zu machen. Es heisst ihre Stärken zu nutzen und ihre Schwächen bedeutungslos zu machen – nicht dadurch, dass man diese beseitigt (was ohnehin nur selten gelingt) sondern dadurch, dass man Menschen dort einsetzt, wo ihre Schwächen keine Rolle spielen. (Malik 2005, S. 59)

Die Organisation zu entwickeln meint, die Organisation so aufzustellen, dass sie sich optimal an sich verändernde Bedingungen anpassen kann (Judge und Piccolo 2004; Yukl et al. 2002) und dabei produktiv und effizient und vor allem lebensfähig bleibt. Je dynamischer, turbulenter das Umfeld ist, desto bedeutsamer ist dieser Aspekt für den Unternehmenserfolg (Brews und Purohit 2007).

Für Zusammenarbeit sorgen förderliche Zusammenarbeits- und Entwicklungskultur

16

Die letzte Aufgabe der Führungskraft bezieht sich auf das eigene „Team“ und die Zusammenarbeit mit anderen: Für Zusammenarbeit sorgen. Diese Aufgabe beinhaltet alle Aspekte des Zwischenmenschlichen. Es geht darum, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen, die förderlich erlebt wird. Es geht nicht nur darum, Schnittstellenmanagement und Stakeholdermanagement zu betreiben. Dies wären Unteraufgaben von Organisieren. Die Erkenntnisse der Neurowissenschaften (Grawe 2004; Hüther 2009) als auch unterschiedlicher aktueller Leadershipansätze (Creusen et  al. 2010; Jenewein und Heidbrink 2008) machen deutlich, dass eine Zusammenarbeitskultur für die Motivation, die Potenzialentfaltung und letztlich die Produktivität in einer komplexen Umwelt entscheidend ist. Es gilt, ein Klima aufzubauen, in dem Mitarbeitende sich trauen, authentisch und kontrovers miteinander zu kommunizieren.

-

16.2  •  Der Führungskompass als Leitfaden

735

16

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sich trauen, zu experimentieren und zu lernen, z. B. durch Reflektion. Fehlschläge überwinden und dadurch gestärkt hervorgehen. erkennen, welche Stärken sie haben und diese einsetzen können. Selbstvertrauen aufbauen können. einander vertrauen können. die Unterschiedlichkeiten, die Vielfalt nutzen, anstatt sie zu egalisieren. positive soziale Kontakte untereinander aufbauen können und sich miteinander vernetzen. mehr Kooperation als Wettbewerb (er‑)leben. sich einbringen können und Verantwortung übernehmen. sich weiter entwickeln können. Die Kultur des Gelingens, wie Hüther es ausdrückt (Purps-Pardigol 2015) geht von der Überzeugung aus, dass wir von dem mehr bekommen, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Daher sollte der Fokus auf dem liegen, was schon gut gelingt.

Die Kommunikation wird als Transmissionsriemen verstanden, der notwendig ist, um die einzelnen Inhalte zu vermitteln und die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit bildet. Zusammenfassend geht es folglich um die folgenden Aufgaben (. Abb. 16.3). Die Abbildung in der Mitte, Reiter und Elefant, symbolisieren die Bedeutung der rationalen (Reiter) und emotionalen, psychologischen (Elefant) Aspekte der Führung. Die Größenverhältnisse repräsentieren gut die Bedeutung der Aspekte. 16.2.2

Kultur des Gelingens

Reiter und Elefant

Prinzipien der wirksamen Führung

Die Prinzipien wirksamer Führung dienen als Leitplanken des wirksamen Handelns, gerade in Zeiten zunehmender Komplexität. Wie oben schon erwähnt, bilden sie eine Einheit und wirken sich auf alle Führungsaufgaben aus. Insgesamt sind es sechs Prinzipien, die Malik (2014) aus dem Werk von Drucker herausgearbeitet hat. Die hier aufgeführten Prinzipien fördern die Effektivität der Führung.

Leitplanken des wirksamen Handelns

Resultatorientierung Das erste Prinzip ist abgeleitet aus der Vorstellung, dass Organisationen nicht zu einem Selbstzweck existieren, sondern einen relevanten Output für ihre Umwelt liefern müssen, um ihre Lebensfähigkeit heute und in Zukunft zu generieren (Ulrich 2001).

relevanter Output

736

Kapitel 16 • Projektmanagement

Für Ziele sorgen

Für Zusammenarbeit sorgen

Organisieren

Potenziale entfalten

Kontrollieren und Beurteilen

Entscheiden

..Abb. 16.3  Die Führungsaufgaben

Führungskräfte sind demnach dafür verantwortlich, Resultate mit ihrem Verantwortungsbereich zu erwirken. Resultatorientierung heisst also die Frage zu beantworten, wofür die Führungskraft oder ihr Verantwortungsbereich etwas tut.

Beitrag zum Ganzen Sinnstiftung durch bedeutende Beiträge

Es geht jedoch nicht darum beliebige Resultate zu erwirken, sondern solche, die einen Beitrag zum Ganzen leisten. Diese Perspektive kann ausgeweitet werden auf die beteiligten Personen. Welchen Beitrag zum Ganzen leistet jeder Beteiligte?

» Nichts ist überzeugender als die Einsicht: „Ja, wir brauchen

16

einander.“ Und nichts motiviert mehr als die Erfahrung, dass der eigene Beitrag unverzichtbar für das gemeinsam zu bewältigende Problem ist. (Sprenger 2012, S. 59)

Konzentration auf Wesentliches und Weniges Paretoprinzip 20/80

Eine der größten Herausforderungen in der Praxis ist es, seine Arbeitskraft gezielt einzusetzen und sich mit den Themen zu beschäftigen, die die größte Wirkung für die Organisation erzielen. Dies wird mit dem dritten Führungsprinzip ausgedrückt: Konzentration auf Wesentliches und Weniges. In gewisser Weise kommt hier das Pareto-Prinzip zum Tragen. Welche 20 % meiner Tätigkeiten er-

16.2  •  Der Führungskompass als Leitfaden

737

16

wirken 80 % des relevanten Outputs? Welche Informationen sind wirklich relevant? Usw. usw.

Vorhandenen Stärken nutzen Der effektive Mitteleinsatz wird unterstützt, wenn man die vorhandenen Stärken nutzt und die Schwächen kompensiert oder irrelevant macht. Dies gilt sowohl für Menschen als auch für Organisationen.

Robustes Vertrauen aufbauen Im täglichen Zusammenspiel geht es nicht ohne Vertrauen, nicht nur wenn Fehler passieren, sondern Vertrauen stärkt auch das Miteinander. Der fünfte Grundsatz bezieht sich auf das Thema Vertrauen. Um diesen Aspekt besser greifen zu können, folgen hierzu weitere Erläuterungen. Wie kann ich dafür sorgen, dass man mir vertraut? Was brauche ich, damit ich anderen vertraue? Wie gut ist mein Selbstvertrauen und wie kann ich es stärken?“ Wie kann ich das Selbst-Vertrauen der Mitarbeiter so stärken, dass sie sich etwas zutrauen und wachsen können, dass sie ihr Potenzial entfalten können?

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Vertrauensvolles Verhalten bedeutet in einer Situation die Bereitschaft einer Person gegenüber einer anderen, Risiken einzugehen und sich damit verwundbar zu machen, dabei freiwillig auf Verhaltenskontrolle zu verzichten und von dem Wohlwollen des anderen auszugehen. Eine stabile Vertrauensbeziehung hilft, auch negative Informationen zu teilen und über kurzfristige Verletzungen der Vertrauensbeziehung hinwegzusehen. Das Vertrauen der Mitarbeitenden schafft für die Führungskraft Handlungsspielräume, unterstützt Ideengenerierung und Problemlösungsprozesse, unterstützt Konfliktlösungsprozesse, erlaubt höhere Fehlertoleranz durch weniger Angst vor Misserfolgen und es erhöht das Commitment gegenüber Neuerungen (Sonntag und Spellenberg 2005). Folgendes Verhalten begünstigt eine vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Vorgesetzten und den Mitarbeitenden (Sholihin et al. 2011): Der Vorgesetzte ist zuverlässig und berechenbar (Konsistenz/ Übereinstimmung in verschiedenen Situationen). Die Kommunikation und das tatsächliche Handeln des Vorgesetzten stimmen überein (Integrität). Die Kontrolle wird geteilt und delegiert, der Vorgesetzte lässt Mitarbeitende an Entscheidungen teilhaben (Partizipation). Der Vorgesetzte ermutigt seine Mitarbeitende zum offenen Austausch von Ideen. Der Vorgesetzte zeigt Interesse und Wohlwollen gegenüber seinen Mitarbeitenden. Er schützt deren Interessen auf sensible und rücksichtsvolle Weise.

-

Aufbau eines 360°-Vertrauens

738

Kapitel 16 • Projektmanagement

Resultatorientierung An das Ganze denken

Chancen erkennen und nutzen

Verantwortung

Konzentration auf Wesentliches

Vertrauen

Vorhandene Stärken nutzen

..Abb. 16.4  Die Führungsprinzipien

Ein robustes Vertrauen benötigt auch eine Haltung, dass man zu seinen Fehlern steht und sie zugibt. Da Vorgesetzte eine Vorbildfunktion haben, ist dieser Aspekt für die Fehlerkultur der Organisation von herausragender Bedeutung.

Chancen entdecken und nutzen Entrepreneurship/ Intrapreneurship

16

Der letzte Grundsatz beschreibt etwas, was in letzter Zeit häufiger als Entrepreneurship oder auch Intrapreneurship betitelt wird. Es geht um eine unternehmerische Haltung, die eher schaut, was geht, was möglich ist und sich nicht so sehr mit den Limitationen beschäftigt. Es ist der Grundsatz Chancen entdecken und nutzen. Hierbei geht es nicht um positives Denken, sondern vielmehr um Optimismus, Selbstwirksamkeit und Unternehmer-tum. Im Zentrum der Grundsätze steht die Verantwortung der Führungskraft. Drucker (2007, 2009) bringt die Zusammenhänge auf den Punkt und stellt fest, dass Führung bedeutet, durch gemeinsame Ziele und Werte, durch geeignete Strukturen, durch Aus- und Weiterbildung Menschen in die Lage zu versetzen, eine gemeinsame Leistung zu vollbringen. Dabei geht es darum, die Stärken der Menschen zu erkennen und zu nutzen und auf Veränderungen angemessen zu reagieren (. Abb. 16.4).

739

16.3 • Systemisches Projektmanagement

16

..Abb. 16.5  © 2018 by Tobias Leuenberger

Umwelt

Organisaon

Führung

..Abb. 16.6  Aufgabe der Führung

16.3

Systemisches Projektmanagement

» Ein Projektleiter, der glaubt, es genüge, methodisch „sauber“

vorzugehen, um ein (…) Projekt zum Erfolg zu führen, handelt blauäugig und verschleudert letztlich (…) kostbare Ressourcen seines Unternehmens. (Doppler und Lauterburg 1994, S. 187)

Die bisherige Betrachtung fokussierte das Führungshandeln. Dieses steht nicht allein im Raum, sondern muss in Zusammenhang mit der Organisation und der Umwelt betrachtet werden. Das St. Galler Management Modell (Ulrich 2001) versteht Führung als das Gestalten, Steuern und Entwickeln eines produktiven, komplexen, sozialen Systems mit dem Ziel der Sicherstellung der Lebensfähigkeit der Organisation heute und in Zukunft (Malik 2003).

Führung hat die Aufgabe das System zu gestalten, zu steuern und zu entwickeln, dass es lebensfähig ist und bleibt

Was bedeutet das?  Es ist Aufgabe der Führung, das System so zu

Projekte sind temporäre, komplexe, soziale Systeme. Daher hat ein erfolgreiches Projektmanagement das gesamte System zu berücksichtigen und darf sich nicht nur auf den Projektauftrag fokussieren.

gestalten, aufzubauen, zu organisieren, dass die Lebensfähigkeit der Organisation gefördert wird (. Abb. 16.6). Dies geht nur, wenn sie so gestaltet ist, dass sie sich an veränderte Umweltbedingungen anpassen kann und sich weiterentwickelt. Es braucht die Organisation nur, wenn sie einen Output generiert, der von der Umwelt auch geschätzt und angenommen wird, sodass funktionierende Austauschprozesse zwischen Organisation und Umwelt stattfinden

740

Kapitel 16 • Projektmanagement

können. Die Organisation besteht aus Menschen, die miteinander und der Umwelt interagieren und durch die Vielfalt der Beziehungen als System eine gewisse Komplexität entfalten. Zusammengenommen eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die davon ausgeht, dass die Führung es mit komplexen, sozialen Systemen zu tun hat. Führung hat also die Aufgabe, das System zu gestalten, zu steuern und zu entwickeln, dass es lebensfähig ist und bleibt. Und genau so kann auch die Führung eines Projektes betrachtet werden. Der einzige Unterschied besteht darin, dass das Projekt als Organisation temporär angelegt ist und bei der Zweckerfüllung, wenn das angestrebte Projektergebnis vorliegt, wieder aufgelöst wird. Zunehmend setzt sich das Projektverständnis durch, dass Projekte „temporäre soziale Systeme“ sind (Heinrich 2015, S. 58). Folglich sind für die Projektleitung zwei Aspekte zu betrachten: 1. Wie kann das Projekt so gestaltet, gesteuert und entwickelt werden, dass es seinen Zweck erfüllt? Hierbei ist zu beachten, dass es sich um ein soziales, komplexes System handelt und die Führung daher die Menschen und ihre Beziehungen genauso im Fokus haben muss, wie die Aufgabe selbst. 2. Wie erfolgt der Anpassungsprozess an eine sich mit hoher Wahrscheinlichkeit verändernde Umwelt? Für die Organisation, das Projekt selbst, geht es darum, den Zweck zu erfüllen und eine Problemlösung zu erarbeiten. Dies erfolgt anhand von Problemlöseverfahren (. Abb. 16.7) oder auch dem Problemlösezyklus (7 Kap. 8). systematische Problembearbeitung

Auf Basis dieser Vorüberlegungen sind die weiteren Ausführungen zu verstehen und einzuordnen. 16.4

Merkmale eines Projektes

Eine allgemeingültige Definition von Projekten gibt es nicht, an dieser Stelle wird daher von folgendem Verständnis ausgegangen: Ein Projekt ist eine einmalige, komplexe Aufgabenstellung, die unter neuartigen Bedingungen zeitlich begrenzt zu bewältigen ist.

16 Projekte sind neuartig, komplex und interdisziplinär

---

Die Komplexität erfordert eine Bearbeitung im Team, d. h. eine Zusammenarbeit von Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Perspektiven. (Heinrich 2015, S. 56; Kuster et al. 2008, S. 5; Vetter 2008, S. 220; DIN 69901 des Deutschen Instituts für Normung).

741

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

1.

Problemerfassen Problem erfassen

2.

Problembearbeiten Problem bearbeiten

1. Problem wahrnehmen 2. Problem strukturieren, Teilprobleme, Ursache-WirkungsDiagramm 3. Probleme priorisieren

1. 2. 3. 4. 5. 6.

Weiteres Vorgehen klären

Entschlussvorlage erstellen 1. Problem 2. Varianten 3. Bewertung und Empfehlung

1. Welche Themen werden bearbeitet, welche nicht? 2. Maßnahmenplan

3.

Ist-Analyse Zielklärung Entscheidungskriterien Varianten entwickeln Varianten bewerten Risiken/Konsequenzen der Varianten

16

Entschlussfassen Entschluss fassen 1. 2. 3. 4.

Der letzte Check Entschluss Aktionsprogramm AMS (Analyse möglicher Störungen) 4.1 Tragweite/ Wahrscheinlichkeit 4.2 Maßnahmen Maßnahmen

1. Aktionsplan ergänzen 2. Umsetzen 3. Controlling

..Abb. 16.7  Die drei Phasen einer Problemlösung. (Orientiert an Ulrich 2001)

16.5

Definition von Projektmanagement

Projektmanagement wird hier verstanden als eine auf ein Projekt bezogene umfassende Führungsaufgabe, die alle Führungstätigkeiten einschließt, die für das Gelingen eines Projektes erforderlich sind (DIN 69901).

Projektmanagement ist eine umfassende Führungsaufgabe

» Projektleitung ist Führung, und zwar mit allen Facetten. (Borgert 2012, S. 6)

16.6

Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

Die Aufgaben für die Projektleitenden sind vielfältig: Sie müssen dafür sorgen, dass die Aufgabe und das Ziel ausreichend klar sind und die Bearbeitung in der budgetierten Zeit mit den budgetierten Kosten zum gewünschten Ergebnis geführt wird. Hierzu braucht es einen Führungsprozess, der neben der Problembearbeitung (7 Kap.  8) auch die Führung des Projektteams (7 Kap. 10), das aktive Stakeholdermanagement und in der Regel auch das Changemanagement (7 Kap. 18) berücksichtigt. Hierfür gibt es die unterschiedlichsten Ansätze und Leitfäden und man kann leicht die Orientierung verlieren. Nicht wenige

Der Führungskompass als pragmatische Orientierungshilfe im Projektdickicht

742

Kapitel 16 • Projektmanagement

Projektleitende fokussieren sich deshalb eher auf das technisch wirkende Projektmanagement mit seinen unterschiedlichen Plänen und Checklisten und auf die reine Problembearbeitung. Dies geschieht häufig sehr professionell, doch leider fehlen wichtige Aspekte, die bei Nichtbeachtung häufig zu späteren Enttäuschungen und Frustrationen führen. Nicht selten kommt z. B. das Stakeholdermanagement zu kurz, was letztlich dazu führen kann, dass das Projektergebnis nicht abgenommen wird und Nachbesserungen verlangt werden und/oder, dass die Umsetzung erheblich erschwert wird. An dieser Stelle soll der Führungskompass als Modell für alle Projektbeteiligten und vor allem für die Projektleitung dienen. Der Führungskompass dient drei Zwecken: als Orientierungshilfe ist er für die Projektbeteiligten eine Landkarte, um sich im komplexen Gebiet Projektmanagement zurechtzufinden, als Gestaltungshilfe zeigt er die wichtigsten Elemente auf, die die Projektleitung aktiv gestalten muss, als Diagnoseraster bei Schwierigkeiten in einem Projekt veranschaulicht er, welche Elemente und Beziehungen angeschaut werden sollten. In diesem Sinne dient er als eine Art „Check-up“.

-

Nachfolgend werden die einzelnen Führungsaufgaben als Oberflächenstruktur eines Projektes dargestellt. Immer mit dem Bewusstsein, dass die Führungsprinzipien in der Tiefenstruktur bei jeder einzelnen Aufgabe zu berücksichtigen sind (. Abb. 16.8). 16.6.1 Zielfindung ist häufig ein iterativer Prozess

16

Für Ziele sorgen

In nahezu jedem Projektmanagementleitfaden und -handbuch ist zu lesen, dass der Auftraggeber dem Projektleiter einen klaren Projektauftrag erteilt. Und doch ist dies in der Praxis die absolute Ausnahme. Denn häufig ist es so, dass der Projektleiter die allgemein formulierte Idee des Auftraggebers erst in einen klaren Projektauftrag transformieren muss. Das Resultat dieses Transformationsprozesses ist der schriftlich formulierte Projektauftrag, der von den Beteiligten als machbar angesehen wird, bewertbare Ziele enthält und einen ersten zeitlichen Ablauf darstellt. Die Phase der Zielklärung ist besonders herausfordernd. Was genau erwartet der Auftraggeber vom Projektleiter? Zu welcher Klarheit lässt sich der Auftraggeber bewegen? Nicht selten möchte sich der Auftraggeber unterschiedliche Optionen offenhalten und sich schon allein deswegen nicht festlegen. Auch ist sich der Auftraggeber manchmal nicht bewusst, was genau das Ziel sein soll. Realistischerweise kann häufig eher ein Zielraum beschrieben werden, als ein fixer Zielpunkt. Das Ziel wird im Zuge

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

16

743

Umwelt Projektteam

Für Ziele sorgen Für Zusammenarbeit sorgen

Organisieren FührungsVerantwortung

Potentiale entfalten

prinzipien

Kontrollieren und Beurteilen

Entscheiden

..Abb. 16.8  Systemisches Projektmanagement – „embedded system“

der Problembearbeitung zunehmend klarer und greifbarer. Es entwickelt sich in einem iterativen Prozess und doch braucht es schon zu Beginn des Projektes eine Ausrichtung, ein erstes grobes Ziel als Orientierung. Im Projektmanagement nutzt man für die Zielklärung häufig das sogenannte magische Dreieck (. Abb. 16.9), das die drei Perspektiven Leistung, Kosten und Zeit betrachtet. Darüber hinaus ist auch das relevante Umfeld schon in der Zielklärung zu berücksichtigen. Die Zielklärung ist auch entscheidend für die Sinnhaftigkeit des Projektes, die für die Beteiligten von großer Bedeutung ist (Borgert 2012, S. 27) Wofür starten wir das Projekt? Welchen Nutzen stiften wir? Projekte sind immer in einem Umfeld eingebettet, mit dem sie in ständiger Wechselwirkung stehen und dürfen daher nie isoliert betrachtet werden. Dieser Umstand muss bereits bei der Auftragsklärung mit berücksichtigt werden. Damit ein Projekt erfolgreich verlaufen kann, muss es akzeptiert werden. Die Problematik der Akzeptanz oder des Widerstands sind wesentliche Phänomene, die beachtet werden müssen, um ein Projekt erfolgreich zu gestalten. Es gehört zur Aufgabe der Projektleitenden, damit möglichst konstruktiv umzugehen, z. B. in Form eines angemessen Stakeholder

Auftragsklärung: das magische Dreieck

Leistung

Zeit

Kosten Umfeld

..Abb. 16.9  Das magische Dreieck

744

Kapitel 16 • Projektmanagement

Aspekte der Auftragsklärung: Leistung, Kosten, Zeit, Umfeld, Rollenklärung

Managements, das auch eine Projektbeteiligung von ausgesuchten Stakeholdern einschließt. Folgende Fragen sind hilfreich in dieser ersten Phase der Auftragsklärung (Heinrich 2015, S. 26 f; Doppler und Lauterburg 1994, S. 188 ff):

Leistung

--------

zz Hintergrund und Ausrichtung des Vorhabens

Was soll betrachtet/bearbeitet werden, was nicht? Was soll erreicht werden, was nicht? Prioritäten? Was war der Anstoß? Warum jetzt?

zz Pain/was soll gelöst werden

Was passiert, wenn nichts passiert? Erwarteter Nutzen, für wen?/Wofür soll das Ergebnis dienen? Welchen Stellenwert hat das Projekt?

zz Bisherige Lösungsansätze

Gab es schon mal Lösungsansätze, was ist damit passiert? Gibt es Vorarbeiten, die berücksichtigt werden sollen? Wo besteht noch Klärungsbedarf? Mit wem?

zz Ergebnisziele

Wie soll das Ergebnis aussehen? Anhand welcher Kriterien wird die Zielerreichung bewertet?

Kosten (Aufwand inkl. Personalaufwand) Welches Budget (Kosten und Zeitbudget) ist für das Projekt vorgesehen? Welche Ressourcen (personelle, sachliche, finanzielle) stehen zur Verfügung und können genutzt werden?

Zeit zz Vorgehensziele

16

Wann kann mit dem Projekt gestartet werden? Welche Zwischenergebnisse sind bis wann zu erzeugen? Bis wann soll das Endergebnis vorliegen?

Umfeld zz Grobe Chancen und Risiken

Wie passt das Projekt zu den bisherigen Strukturen/Abläufen? Verzahnung mit anderen Vorhaben und Projekten? Wie passt das Projekt zu der bisherigen Vorgehensweise?

zz Wer sind relevante Stakeholder für dieses Projekt?

Wer ist Auftraggeber? Wer Entscheider? Wer ist Nutzer, Kunde?

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

745

16

---

Betroffene: Gewinner, Verlierer? Wer muss in die Arbeit aktiv integriert werden?

zz Information und Kommunikation

Was und wie ist bisher über die Projektidee kommuniziert worden, wer weiß was davon? Was darf wem gegenüber kommuniziert werden? Wie soll die Kommunikation mit dem Auftraggeber und den Entscheidern erfolgen?

Rollenklärung und Verantwortlichkeiten definieren

Besonders herausfordernd in diesem ersten Schritt ist auch die gegenseitige Rollen- und Erwartungsklärung der Beteiligten. Nicht selten kommt es vor, dass der Auftraggeber die gesamte Verantwortung für die Erarbeitung und die erfolgreiche Implementierung an den Projektleitenden delegieren möchte, was vor allem in der Implementierungsphase problematisch wird, da der Projektleitende keinerlei disziplinarische Macht hat, etwas zu bewirken. Alle Aspekte des Rollenmodells (7 Kap. 4) sind zwischen Auftraggeber und Projektleitung zu berücksichtigen und zu klären. Idealerweise wird dieser Schritt mit einer Verantwortungsmatrix abgeschlossen. In dieser sollten auch alle relevanten Entscheidungsträger und -gremien aufgeführt werden. Es ist hilfreich sich vier Aspekte genauer anzuschauen: 1. Wer macht was (Aufgaben)? 2. Wer trägt wofür die Verantwortung? 3. Wer hat welche Kompetenzen i. S. von Befugnissen und Rechten? 4. Wer benötigt welche Kompetenzen im Sinne von Qualifikationen? In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass Projekte häufig auch eine politische Dimension besitzen. Darunter wird verstanden, wer das Projekt als „seine Sache“ (Doppler und Lauterburg 1994, S. 187) sieht und wer auf das Projekt einen relevanten Einfluss ausüben kann. Für diesen Aspekt ist ein Kräftefeldmanagement auf Basis einer Kraftfeldanalyse eine hilfreiche Betrachtung, die neben den relevanten Aspekten einer Stakeholderanalyse (Personenfokus) auch andere Themen, Projekte und Energiefelder berücksichtigt, die auf das Projekt einwirken. Zuweilen kommt es auch vor, dass der Auftraggeber eine hidden agenda mit dem Projekt verfolgt oder auch dass sein Engagement nicht während der gesamten Projektdauer andauert. Gerade diese beiden Punkte sind für die Projektleitung eine extreme Herausforderung und nicht einfach zu handhaben (Pinto 1996).

Rollen- und Erwartungsklärung

746

Kapitel 16 • Projektmanagement

Kräftefeldmanagement

Kräftefeldmanagement 1. Wie genau äußert sich das Problem? 2. Woran würden wir erkennen, dass wir das Ziel erreicht haben? 3. Was/wer hilft, unterstützt? Wo liegt die „ownership“ - wer betrachtet dieses Projekt als „seine Sache“? Wer alles ist am Erfolg des Projekts interessiert und bereit, sich persönlich dafür zu engagieren? Wer sind die „Schlüssel-Hierarchen“? Wer die informellen „Opinion-Leaders“? 4. Was/wer hemmt, hindert? 5. Einflusskräfte gewichten und analysieren 6. Was könnten wir tun, um die unterstützenden Faktoren zu stärken, auszubauen? 7. Was könnten wir tun, um die hemmenden Faktoren zu beseitigen oder abzuschwächen? 8. Was tun wir, um die gewünschten Veränderungen zu bewirken?

Projektphasen

16

Zusammenfassung: Auftragsklärung

Nach dieser Klärungsphase erfolgt eine erste grobe Phasenplanung. Bei der Planung empfiehlt es sich das Planungsprinzip zu befolgen, dass eine Planung immer vom Groben zum Detail fortschreiten soll. Daher reicht es zu Anfang das Projekt in vier Phasen zu planen: 1. Projektinitialisierung, die mit dem abgestimmten Projektauftrag endet. 2. Planungsphase, die auf Basis des Projektauftrags einen wesentlichen Teil des Projektmanagements ausmacht. 3. Projektdurchführung, mit der Analyse, der Konzeption und dem Umsetzungskonzept. In dieser Phase erfolgt die Problembearbeitung im Team. 4. Projektabschluss, mit Projektreview und der Übergabe an den Auftraggeber. Am Ende dieser Phase ist die Machbarkeit des Projektes sichergestellt und es existiert eine Projektbeschreibung mit einem bewertbaren Ziel, das auch Aussagen über das Kosten- und Zeitbudget trifft und eine erste Phasenplanung zum chronologischen Ablauf des Projektes. Dieser Prozess der Zielklärung ist in der Praxis häufig ein schmaler Grat zwischen notwendiger Genauigkeit und unnötiger, quälender Penetranz, die nicht fruchtbar ist. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es hilfreich ist, diesen ersten Schritt als einen Prozess zu betrachten, bei dem es darauf ankommt, die Basis für ein stabiles Vertrauensverhältnis aufzubauen und sich ein gemeinsames Aufgaben- und Zielverständnis zu erarbeiten. Es empfiehlt sich, den Projektauftrag,

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

747

16

oder besser die Projektvereinbarung zwischen Auftraggeber und Projektleitung schriftlich zu formulieren. Dies schafft Klarheit und Verbindlichkeit. 16.6.2 Organisieren

Es gehört zum Wesen eines Projektes, dass es ein Vorhaben ist, das nicht von einer Person allein bewältigt werden kann. Um den Projektauftrag zu verwirklichen und die Projektziele zu erreichen, müssen geeignete Strukturen geschaffen werden, damit die mit dem Auftrag verbundenen Aufgaben geschickt strukturiert und in eine vernünftige Reihenfolge gebracht werden können. Dazu gehören sowohl die Aufbau- als auch die Ablauforganisation des Projektes sowie eine Reihe weiterer Strukturen wie Kommunikations‑, Informations- und Entscheidungsstrukturen. Nach Drucker und Beer soll die Führung bei der Gestaltung der Organisation unter anderem die folgenden Regeln berücksichtigen: Die Organisation muss auf den Kunden ausgerichtet sein. Das Management muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren können. Die Organisation muss es den Mitarbeitern leicht machen, ihre Stärken zu nutzen und Resultate zu erzielen. Die Organisation benötigt ausreichend Flexibilität für zukünftige Entwicklungen. Die Komplexität muss für das Management noch steuerbar sein. Bilde Einheiten mit größtmöglicher Autonomie. Minimiere die Überschneidungen und Abhängigkeiten von den anderen Einheiten.

geeignete Strukturen schaffen: Aufbau- und Ablauforganisation, Kommunikations‑, Informations- und Entscheidungsstrukturen

--

Was bedeuten diese Forderungen nun in der Praxis (Stöger 2007, S. 108 ff.)? Die Organisation muss auf den Kunden ausgerichtet sein, bedeutet, dass das Projekt nicht in erster Linie einem Plan gehorchen muss, sondern dem Kundennutzen. Da dieser häufig zu Beginn noch nicht klar gefasst werden kann, ist dafür zu sorgen, dass die Anforderungen und Wünsche des Kunden und auch der relevanten Stakeholder während der Projektbearbeitung einfließen können. Das bedeutet, dass immer wieder Reflexionsschleifen und Feedback von den relevanten Stakeholdern während der Bearbeitung eingeholt werden müssen und in die Problemlösung einfließen. Das Management muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren können und die Organisation muss es den Mitarbeitern leicht machen, ihre Stärken zu nutzen und Resultate zu erzielen. Dies bedeutet, dass die Aufgaben so verteilt und zugeschnitten sein sollen, dass die Mitarbeiter

-

Ausrichtung des Projektes auf den Kunden

Mache es den Mitarbeitenden leicht, erfolgreich zu sein

748

Kapitel 16 • Projektmanagement

Stelle das Projekt angemessen flexibel auf

Sorge für Steuerbarkeit, bilde autonome Einheiten

16

-

ihre Stärken einsetzen und sich selbst steuern können und nicht auf die unmittelbare Steuerung der Führungskraft, der Projektleitenden, angewiesen sind. Es soll so organisiert werden, dass alle relevanten Informationen zur Verfügung stehen und offene Fragen schnell geklärt werden können. Das heißt kurze Kommunikationswege. Des Weiteren soll die Arbeit so organisiert werden, dass sichtbare Resultate erwirkt werden. Gerade bei größeren Projekten ist dies eine wichtige Forderung, da sie es erleichtert, Zwischenergebnisse mit dem Kunden zu besprechen und wichtiges Feedback zu erhalten.

Die Organisation benötigt ausreichende Flexibilität für zukünftige Entwicklung. Dieses Prinzip richtet sich zum einen an den Kunden und seine Änderungswünsche und zum anderen an die Umweltbedingungen, die sich während der Projektlaufzeit ändern können. Beide Aspekte sind bei der Organisation zu berücksichtigen. Ist davon auszugehen, dass weder die Umweltbedingungen noch die Kundenwünsche sich relevant ändern, können Projekte klassisch durchgeplant werden nach dem Wasserfallmodell. Es gibt eindeutig definierte Pläne, die abgearbeitet werden. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist und mit Veränderungen zu rechnen ist, ist die Organisation so aufzustellen, dass die Veränderungen zum einen wahrgenommen und zum anderen leicht umgesetzt werden können, ohne zugleich das Kosten- oder Zeitbudget zu sprengen. Dies gelingt durch ein iteratives Vorgehen bei dem immer wieder in überschaubaren Zeiträumen Zwischenergebnisse produziert und mit dem Kunden abgestimmt werden. Dieses Prinzip ist eines der wesentlichen Elemente des agilen Projektmanagements (Preußig 2015). Die Komplexität muss für das Management noch steuerbar sein. Dieses Prinzip wird erfüllt, wenn das Projekt in unterschiedliche Phasen, Teilprojekte und Aufgabenpakete „zerlegt“ wird und eindeutige Verantwortlichkeiten definiert sind. Das letzte Prinzip, das im Rahmen des Projektmanagements von Bedeutung ist lautet: Bilde Einheiten mit größtmögli-

-

cher Autonomie. Minimiere die Überschneidungen und Abhängigkeiten von den anderen Einheiten. Dies bedeutet,

dass möglichst Arbeitspakete geschnürt werden, die allein oder in einem kleinen Team verantwortet und bearbeitet werden können.

Neben diesem Projektfokus ist auch zu klären, ob die Projektmitarbeitenden für das Projekt von ihrer Arbeit freigestellt werden (reine bzw. autonome Projektorganisation) oder ob sie nur einen Teil ihrer Arbeitszeit im Projekt verbringen und den Rest für ihre normale Linientätigkeit investieren (Matrixprojektorganisation).

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

749

16

Bei der reinen Projektorganisation übernimmt die Projektleitung auch die disziplinarische Führungsfunktion für die Dauer des Projektes. Bei der Matrixprojektorganisation, die die am häufigsten gewählte Form darstellt, hat die Projektleitung keine Weisungsund Entscheidungsbefugnisse und der Projektmitarbeitende bewegt sich immer zwischen zwei „Chefs“, was entsprechende Probleme der Priorisierung für die Projektmitarbeitenden mit sich bringt. Unter Berücksichtigung dieser Organisationsprinzipien sind nun die folgenden Fragen zu klären: Checkliste für das Organisieren 1. Was ist alles zu tun? (z. B. Projekt-Struktur-Plan oder To Do Liste), 2. Welche Aufwände entstehen für die Bearbeitung der einzelnen Arbeitspakete und welche Abhängigkeiten gibt es dabei? (z. B. Ressourcenplanung und Vorgängerbetrachtung), 3. Welche „autonomen“ Arbeitspakete oder Teilprojekte bieten sich an? 4. Wer soll es tun? Verantwortlichkeiten/Rollenklärung et al. gegenüber dem Auftraggeber (Projektteam und Aufgabenverteilung), 5. Welche Abstimmungen und Freigaben braucht es? (Kommunikation im Team, mit dem Auftraggeber, Stakeholder Management), 6. Welche Risiken bestehen und wie können sie verhindert oder zu mindestens reduziert werden? 7. Wann ist es zu tun? (Ablauf- und Terminplan, z. B. GanttDiagramm),

1. Was ist alles zu tun? Um eine Übersicht über die Aufgaben zu bekommen ist es hilfreich, einen Projektstrukturplan (PSP) zu erstellen, der wie ein Mind Map aufgebaut ist. Für die Erstellung des PSP gliedert man das Projekt in Teilaufgaben und Arbeitspakete. Das Arbeitspaket ist die tiefste Gliederungsstufe. Für jedes Arbeitspaket gibt es einen eindeutigen Verantwortlichen und eindeutige Kriterien für die zu liefernde Qualität. Der PSP gibt allen Beteiligten einen Überblick und eignet sich gut als Kommunikationsmittel. 2. Welche Aufwände entstehen und welche Abhängigkeiten bestehen?

Idealerweise werden gleich im PSP die Aufwände (Zeitbedarf und Dauer in Tagen) je Arbeitspaket vermerkt und auch die

Checkliste für das Organisieren

750

Kapitel 16 • Projektmanagement

Abhängigkeiten betrachtet. Am einfachsten geht dies, wenn man sich je Arbeitspaket überlegt, welche Ergebnisse von welchem Arbeitspaket vorliegen müssen, um starten zu können (Vorgängerbetrachtung). Wenn so eine Betrachtung vorliegt, kann man schnell erkennen, welche Arbeitsschritte parallel laufen können, sofern man die Ressourcen zur Verfügung hat.

3. Welche „autonomen“ Arbeitspakete oder Teilprojekte bieten sich an?

Unter Berücksichtigung der Organisationsprinzipien von Drucker sind nun autonome Arbeitspakete oder Teilprojekte zu bilden, die in einer Hand verantwortet werden und allein oder in einem kleinen Team bearbeitet werden können. Das Ziel ist, eigenverantwortliche Einheiten zu bilden, die das Resultat ihrer Arbeit sehen und möglichst wenige Schnittstellen mit anderen Bereichen haben.

Risikomanagement

4. Wer soll es tun? Nachdem die einzelnen Aufgabenpakete definiert sind, ist nun zu klären, wer welches Paket übernimmt und bearbeitet. 5. Welche Abstimmungen und Freigaben braucht es? Obwohl möglichst autonome Arbeitspakete geschnürt wurden, sind Abstimmungen untereinander notwendig. Es ist zu klären, wer, wann zusammen kommt, um allfällige Fragen zu klären und die Teilprojekte untereinander zu koordinieren. Darüber hinaus ist zu klären, wie die Abstimmungen mit dem Auftraggeber und den weiteren, relevanten Stakeholdern erfolgen sollen. Des Weiteren ist zu klären, welche Freigaben durch die Entscheidungsgremien erforderlich sind. 6. Welche Risiken bestehen und wie können sie verhindert oder zumindest reduziert werden?

16

---

Nur ganz selten verläuft ein Projekt genauso, wie es geplant wurde. Im Regelfall treten Risiken auf, wie abnehmendes Engagement der Auftraggeber, Widerstand der Betroffenen, ausbleibende Zulieferungen und ganz häufig Zeitverzug, z. B. durch fehlende Mitarbeiterressourcen, oder Projektmitarbeitende, die vom Projekt abgezogen werden und für andere Aufgaben eingesetzt werden. Dies sind nur einige wenige, die hier aufgeführt sind. Es ist von großer Bedeutung, dass sich die Projektleitung mit den potenziellen Problemen schon im Vorfeld beschäftigt und hilfreiche Gegenmaßnahmen entwirft.

Es ist hilfreich, sich die einzelnen Risiken genauer anzuschauen: Kurze Beschreibung des Risikos, Schäden bei Eintritt, Eintrittswahrscheinlichkeit bewerten (gering – mittel – hoch), Risikowert abschätzen (gering – mittel – hoch), Welche Maßnahmen können eingeleitet werden, damit das Risiko reduziert wird?

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

-

751

16

Was passiert, wenn es passiert? Wie kann der Schaden begrenzt werden? Wann ist es zu tun?

Final sind alle vorherigen Aspekte, inkl. der relevanten Meilensteine in einen Ablauf- und Terminplan aufzunehmen, dieser zeigt in welcher Reihenfolge die Arbeitspakete des Projektstrukturplans bearbeitet werden sollen. Bedeutend für den Projektverlauf ist das Setzen von Zwischenzielen (Meilensteinen). Einerseits erleichtern es Zwischenziele, den Projektfortschritt zu kontrollieren, andererseits haben sie eine motivierende Wirkung. Sie erhöhen im Allgemeinen das Engagement, weil sie kurzfristig, begrenzt und konkret sind. Die Erreichbarkeit wird als realistisch betrachtet. Der gesamte Prozess kann sehr unterschiedlich ablaufen. Er kann Top-Down durch die Projektleitung erfolgen oder auch unter Einbezug des Teams bis hin zu vollständiger Autonomie eines Teams. Je stärker der Einbezug des Teams erfolgt, desto größer ist in der Regel auch die Verantwortungsübernahme (7 Kap. 10). 16.6.3

finale Zusammenstellung aller relevanten Aspekte in einen Gesamtplan

Kontrollieren und Beurteilen

Die Aufgabe Kontrollieren und Beurteilen dient dazu, das Projekt zu steuern, also auf Kurs zu halten. In den vorherigen Schritten wurde die Basis gelegt, um steuern zu können. Die Ziele sind greifbar formuliert, die Abhängigkeiten wurden erkannt, die Vorgehensweise ist definiert und auch die Kommunikation mit den relevanten Stakeholdern wurde festgelegt. Es kann losgehen. Die Aufgabe der Führung besteht darin zu überwachen, ob die einzelnen Aufgaben auch so erledigt werden, wie man sich das vorgenommen hat. Und für den Fall, dass es Abweichungen gibt, ist zu klären ob und wie interveniert werden soll. Im klassischen Projektmanagement haben sich schriftliche Statusberichte und eine Fortschreibung der Projektpläne bewährt, damit die Projektleitung ihre Controllingfunktion auch ausüben kann. Im agilen Projektmanagement nutzt man Task-Boards und Daily-Standup-Meetings, um auf dem Laufenden zu sein. An dieser Stelle soll noch einmal betont werden, dass die Controllingfunktion nicht nur von der Projektleitung auszuüben ist, sondern jeder einzelne Projektbeteiligte diese Funktion für seine Aufgaben durchzuführen hat. Teilautonome Teams klären unter sich, wie sie das Controlling effektiv gestalten können. Eine ganz wichtige Controllingfunktion ist das Feedback der relevanten Stakeholder auf die unterschiedlichen Arbeitsergebnisse, die produziert werden. Entspricht das Arbeitsergebnis den Vorstellungen des Kunden und verspricht es den angestrebten Nutzen? Oder muss hier eine Anpassung erfolgen?

das Projekt auf Kurs halten

752

Kapitel 16 • Projektmanagement

Was ist alles zu kontrollieren (Doppler und Lauterburg 1994, S. 200)?

--

Leistung, Kosten und Zeit anhand der definierten Meilensteine und der Aufwendungen dazu; Erfolg des Stakeholdermanagements und der Kommunikationsmaßnahmen, v. a. Feedback des Auftraggebers; Umfeldmonitoring: Welche relevanten Aspekte des Projektumfeldes haben sich verändert? Zusammenarbeit im Projektteam; Leistung, Kosten und Zeit anhand der definierten Meilensteine und der Aufwendungen dazu; Erfolg des Stakeholdermanagements und der Kommunikationsmaßnahmen, v. a. Feedback des Auftraggebers; Umfeldmonitoring: Welche relevanten Aspekte des Projektumfeldes haben sich verändert? Zusammenarbeit im Projektteam.

16.6.4 Entscheiden Entscheidungs- und Verantwortungsmatrix

Immer wieder kommt es im Projekt zu Entscheidungssituationen und es ist zu klären, wie man zu den Entscheidungen kommt und wer in welchen Situationen entscheiden darf. Hier hilft eine Entscheidungs- und Verantwortungsmatrix, die eine Übersicht über die einzelnen Befugnisse gibt. Es ist ratsam, mit dem Auftraggeber über diesen Punkt Klarheit zu erzeugen. Vor allem bei Entscheidungen, die Auswirkungen auf das Projektergebnis, die Laufzeit oder die Kosten haben, ist es hilfreich, gemeinsam mit dem Auftraggeber Transparenz über die Folgen der Entscheidungen zu erzeugen (7 Kap. 8). 16.6.5

16

kompetentes Projektteam und Potenzialentfaltung

Potenziale entfalten und Menschen entwickeln

Bevor man sich die Frage stellt, wer in einem Projekt mitarbeitet, ist zu klären, welche Kompetenzen (fachliche, methodische, soziale, politische) man für die Bearbeitung benötigt und dann welche Personen für die Bearbeitung zur Verfügung stehen. Sehr selten bekommt man genau die, die es braucht. Wenn dies so ist, darf man sich glücklich schätzen. Häufiger hingegen ist das Projektteam mit Personen besetzt, die unterschiedliche Lern-und Entwicklungsfelder aufweisen. Das bedeutet für die Projektleitung hier individuell, situativ und aufgabenspezifisch zu führen (7 Kap. 3). Wichtig ist, dass in einer Projektgruppe genügend Fachkompetenz vorhanden ist, verschiedene Rollen wahrgenommen werden und die Mitglieder genügend motiviert sind. Mitglieder, die zu

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

einem Projekt „verdonnert“ wurden, sind in den seltensten Fällen auch motivierte Mitglieder. Hier sollte, wenn immer möglich, das Prinzip der Freiwilligkeit gelten. Darüber hinaus ist zu überlegen, ob man Projekte nicht ganz bewusst als Lern- und Entwicklungsfeld für Mitarbeitende nutzt. Damit dieser Ansatz Früchte trägt, sind eine Ziel- und Erwartungsklärung mit den Mitarbeitenden und damit verbunden eine gezielte Aufgabenübertragung und ein regelmäßiges Monitoring erforderlich. Unabhängig davon bieten Projekte ein großes Lernpotenzial für alle Beteiligten und es wäre schade, wenn dieses Potenzial erst im Nachhinein beim Projektreview erkannt wird. Es stellt sich die Frage, wie das Projekt geführt werden muss, damit sich die Potenziale der Projektmitarbeitenden entfalten können. „Potenzialentfaltung statt reiner Ressourcennutzung“ (Borgert 2012, S. 8). Dieser Aspekt ist aufgrund der Spezifika von Projekten von besonderer Bedeutung, s. o. Ausführungen zum hilfreichen Arbeitsklima. Das agile Projektmanagement (Preußig 2015) nutzt das Lernpotenzial ganz bewusst schon in der Bearbeitung des Projektes durch regelmäßige Retrospektiven, häufig zum Ende einer Iteration. Die Projektteams beschäftigen sich mit der Frage, wie der Einzelne im Projekt arbeitet, wie gut die Zusammenarbeit funktioniert und allenfalls wo Verbesserungspotenziale liegen und wie sie gehoben werden können. Der Fokus dabei liegt auf dem Prozess. Es ist hilfreich, sich hier auch mit den Fragen auseinanderzusetzen, die Doppler und Lauterburg (7 Abschn. 16.6.3) aufgestellt hat. Abschließend ist es empfehlenswert, ein Projektreview durchzuführen, bei dem alle Aspekte des Projektes kritisch betrachtet werden, von der Initialisierungs- bis zur Durchführungsphase, die Qualität der Arbeitsergebnisse, die Zusammenarbeit im Team, das Stakeholdermanagement und letztlich die Qualität der Führungsleistung. Wenn Mitarbeiter eine größere Zeit in Projekten verbringen, ist zu klären, wie die Beurteilung der Projektmitarbeitenden erfolgen soll. Es hat sich bewährt, dass hier die Projektleitung mit den disziplinarisch Vorgesetzten Hand in Hand arbeitet und ein gemeinsames Mitarbeitergespräch stattfindet oder die Projektleitung eine eigene Beurteilung für das Projekt erstellt. 16.6.6

Für Zusammenarbeit sorgen

Die Aufgabe, für Zusammenarbeit zu sorgen, hat bei der Projektbearbeitung mindestens zwei Ausrichtungen. Zum einen geht es um das Projektteam und zum anderen geht es um die Zusammenarbeit mit dem Projektumfeld und den relevanten Stakeholdern, allen voran dem Auftraggeber.

753

16

754

Kapitel 16 • Projektmanagement

Stakeholder (Personen)

Einflussmöglichkeiten auf das Projekt (gering – miel – groß)

Einstellungen zum Projekt (Förderer – Neutral – Gegner)

Interesse der Stakeholder

Beziehungsgeflecht (Soziogramm)

..Abb. 16.10  Beispielformblatt „Stakeholderanalyse“

Zusammenarbeit zwischen Projekt und Linie

Stakeholderanalyse

16

Zum Projektumfeld gehört auch die Linienorganisation. Zwischen Projekt und Linienorganisation besteht ein prinzipieller Widerspruch. Nicht nur dass das Projekt für Innovationen steht und die Linienorganisation für die Beständigkeit, die Projektmitarbeitenden für die Zeit im Projekt der Linie nicht mehr zur Verfügung stehen und so ein Ressourcenkonflikt häufig besteht, sondern auch durch die „Auflösung der Linienloyalität“ bei abteilungsübergreifenden Projekten, die stärker das Ganze im Fokus haben und nicht mehr nur die Interessen der einzelnen Abteilungen. Diese Dynamik muss von der Projektleitung durch ein passendes Stakeholdermanagement in jeder Phase des Projektes aktiv gestaltet werden. Auch die Besetzung des Projektteams und der unterschiedlichen Gremien, darf daher nicht nur nach sachlogischen Aspekten getroffen werden, sondern sie muss immer auch Aspekte der Akzeptanz und Umsetzungsmacht der Beteiligten berücksichtigen; Stöger spricht in diesem Zusammenhang von der „Bildung einer Führungskoalition zur Umsetzung“ (Stöger 2007, S. 17). Vor allem in der Implementierungsphase zeigt sich, wie gut es den Projektleitenden gelungen ist, das relevante Projektumfeld zu gewinnen. Stakeholder eines Projektes sind Personen oder Organisationen, die ein Interesse am Projekt haben oder von ihm in irgendeiner Weise betroffen sind (. Abb. 16.10): Projektleiter, Auftraggeber, Kunden/Benutzer, Projektmitarbeiter, Sponsoren, Lieferanten, Berater …

----

Projektleiter sollten die Kommunikation und Information nicht dem Zufall überlassen, sondern sie sorgfältig planen. Aufbauend auf der Stakeholderanalyse sollte ein Kommunikationskonzept erarbeitet werden. Was wird wann wie von wem mit welchem Ziel an wen kommuniziert (Lasswell-Formel)? Eine vorbildliche Projektkommunikation hilft wesentlich mit, dass Projekte gut akzeptiert werden. Sie hilft, Widerstände abzubauen (Kotter 2011). Es ist wichtig, die Kommunikation mit in den Projektplan zu integrieren. Ein wichtiger Teil der Kommunikation ist auch das

16.6  •  Anwendung des Führungskompass im Projektmanagement

Stakeholder

Ziele meiner Meine Botschaft Kommunikation

Medien und Sender

16

755

Zeitpunkt

Feedback

..Abb. 16.11  Beispielformblatt „Kommunikationsplanung auf Basis der Stakeholderanalyse“

Projektmarketing. Das Projektmarketing hat vor allem dafür zu sorgen, die Zweifler durch die Kommunikation von ersten Projekterfolgen für das Projekt zu gewinnen. Entscheidend ist, dass es wirkliche Projekterfolge aus Sicht der Zielgruppe sind. Aus diesem Grund sind bei der Projektplanung nicht nur sachlogische Aspekte zu berücksichtigen, sondern auch psychologische. Wann sind welche Erfolge (Quick Wins) zu erzielen und zu vermarkten, damit gute Voraussetzungen für die weitere Projektbearbeitung und anschließende Implementierung geschaffen werden?

» Wenn wir mit völlig neuen Anforderungen oder der Notwen-

digkeit grösserer Leistungssprünge konfrontiert werden, dann müssen wir, um Erfolg zu haben, bestehende Verhaltensmuster in Frage stellen und gegebenenfalls verlassen. Gefordert ist dann eine radikale Neuorientierung und Neuordnung: Innovation. (ein Prozessmusterwechsel [Anmerkung des Autors] Kruse 2005), S. 21)… Prozessmusterwechsel sind immer auch ein Angriff auf das Etablierte. Sie werden deshalb in der Regel misstrauische beobachtet und nur höchst selten mit spontaner Begeisterung aufgenommen. (Kruse 2005, S. 23)

Hilfreiche Fragen für die Kommunikationsplanung

--

Wie schaffe ich Verständnis für die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Veränderung? Wie schaffe ich Bereitschaft zum Engagement? Was gelingt in der Projektbearbeitung besser, wenn welche Informationen wem wie gegeben werden? Was würde nicht gelingen, wenn diese Informationen fehlen? Welche funktionierenden Informationskanäle kann ich nutzen? Wie muss die Information am besten aufbereitet sein, um für die Empfänger möglichst hilfreich zu sein und das Kommunikationsziel zu erreichen? (. Abb. 16.11)

Kommunikationsplanung

Kapitel 16 • Projektmanagement

756

16.7

Alle Aspekte der Teamarbeit sind auch für Projektteams von Belang

Forming Adjourning

Performing

Storming

Norming

..Abb. 16.12 Phasenmodell von Tuckman (1965), mit freundlicher Genehmigung der APA

Der Blick auf das Projektteam

In jedem Projekt stellt sich das Problem der Arbeitsfähigkeit von Projektgruppen. Eine Projektgruppe ist ein dynamisches, soziales System, in dem die Gruppendynamik jederzeit wirksam ist. Nur weil einige Personen als Projektteam zusammengestellt werden und zusammen eine Aufgabe zu bewältigen haben und die erforderlichen Kompetenzen mitbringen, heißt das noch lange nicht, dass sie auch gut zusammenarbeiten. Alle Aspekte der Teamarbeit sind auch für Projektteams von Belang. Da wir wissen, dass Teams an sich schon eine gewisse Komplexität mitbringen, stellt sich als erstes die Frage, bei welchen Themenstellungen eine Teamarbeit wirklich erforderlich ist. Sofern es geht und keine qualitativen oder auch politischen Einbußen hinzunehmen sind, sollten Aufgaben von Einzelpersonen oder Miniteams bearbeitet werden. Nur bei den Aufgaben, wo dies nicht möglich ist, sind Teams erforderlich. Teams benötigen ein gemeinsames Ziel- und Aufgabenverständnis, hilfreiche Prozesse, Strukturen, Aufgaben, Kompetenzen und Zuständigkeiten (Verantwortungen). Diese Aspekte werden auf der einen Seite durch die Zielklärung und durch die Organisation des Projektes beantwortet und auf der anderen Seite durch ein gemeinsames Projekt-Kick-Off Meeting bei dem die wesentlichen Themen angesprochen werden sollten. Neben dieser sachlogischen Ebene laufen, wie bei jedem Team, auch psychologische Phänomene ab. Das Team-Phasenmodell von Tuckman (7 Abschn. 10.8.6 „Führung in den verschiedenen Teamphasen nach Tuckman“) bietet hier eine gute Hilfe für die Projektleitung (. Abb. 16.12). 16.7.1 Forming-Phase

Phase des vorsichtigen Abtastens

16

Die Herauslösung aus dem Arbeitsalltag und das Sich-Einfinden in das Projekt, mit seinen eigenen Regeln und Führungsstruktur führt nicht wenige Mitarbeitenden in eine Phase der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit (Borgert 2012). Es ist eine Phase des vorsichtigen Abtastens. In dieser Phase braucht es vor allem Orientierung, Ausrichtung und Klarheit durch den Projektleiter; dies geschieht z. B. durch eine gute Einführung in die Aufgabenstellung und Ziele des Projektes. Die Projektmitarbeitenden brauchen einen Raum, um sich kennenzulernen und sich willkommen zu fühlen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt auch der Name des Projektes. Geschickt gewählt hat er eine identitätsstiftende Funktion, i. S. einer Zugehörigkeit und einer Abgrenzung zur Umwelt für das Projektteam (Heinrich 2015).

16.7  •  Der Blick auf das Projektteam

757

16

16.7.2 Storming-Phase

Die nächste Phase ist geprägt von Aufgaben- und Rollenklärung im Team, Klärung über Regeln der Zusammenarbeit, sei es nun explizit oder implizit. Die Projektleitung hat hier oft eine moderierende Funktion, da diese Phase häufig durch kontroverse Ansichten der Beteiligten und auch durch Konflikte geprägt ist. Die Projektleitung hat die Aufgabe, möglichst schnell die Arbeitsfähigkeit einzuleiten.

Aufgaben-und Rollenklärung

16.7.3 Norming-Phase

Nachdem die Team-Rollen zunehmend klarer geworden sind, entwickelt sich langsam ein WIR. Das Team entsteht: Geschlossenheit, Gruppenzusammenhalt und Gemeinschaft werden zunehmend spürbar. Das Team verständigt sich auf Regeln der Zusammenarbeit, klärt Aspekte der Kommunikation und Kooperation. Die Arbeitsfähigkeit steigt. Die Projektleitung unterstützt diese Phase, indem sie darauf achtet, dass die unterschiedlichen Interessen und Stärken der Teammitglieder ausreichend berücksichtigt werden und ein Team entsteht. Die Aufgabe besteht auch darin, auf die Einhaltung der Regeln zu achten, ganz im Sinne der Aufgabe Kontrollieren und Beurteilen.

auf Regeln achten und Interessen ausgleichen

16.7.4 Performing-Phase

Das Team ist nun voll arbeitsfähig und ist jetzt in der Lage, gegenüber der Einzelleistung einen wirklichen Mehrwert zu produzieren. Die Unterschiede zwischen den Teammitgliedern werden nicht mehr für Konflikte genutzt, sondern aktiv für die Umsetzung von Zielen. Das Erreichen des Projektziels steht für alle im Vordergrund. Auftretende Konflikte oder Ungereimtheiten können schnell und produktiv gelöst werden. Selbstorganisation funktioniert. Gemeinsame Statusbewertungen und Retrospektiven leisten einen wichtigen Beitrag zur Performancesteigerung in dieser Phase. Die Aufgabe der Projektleitung besteht in dieser Phase auch darin, die Projektbeteiligten zu ermutigen, neue Wege zu gehen und etwas zu wagen, etwas auszuprobieren – und wenn es mal nicht funktioniert, entsprechend Rückendeckung zu geben, sie zu stärken und den Blick auf ihre Stärken und Ressourcen zu lenken (Creusen et al. 2010).

ermutigen und orientieren

758

Kapitel 16 • Projektmanagement

16.7.5 Adjourning-Phase Abschied nehmen und gemeinsam zurück sehen

Die Phase des Abschieds. Projektteams sind als temporäre Teams gestaltet. Jedes Projektteam weiß, dass es sich bei der Projektziel­ erreichung auflöst. In dieser Phase gilt es, nochmal einen Blick zurück zu werfen und sich den zurückliegenden Prozess aus der Lernbrille anzuschauen. Wie haben wir als Team zusammengearbeitet? Was können wir für zukünftige Teams, zukünftige Projekte daraus mitnehmen, lernen? Darüber hinaus gilt es, die Arbeit jedes einzelnen und des gesamten Teams ausreichend zu wertschätzen und anzuerkennen. Manchmal, vor allem bei längeren und umfangreichen Projekten, ist ein Abschiedsritual, und wenn es auch nur ein gemeinsames Essen ist, hilfreich für alle Beteiligten. Auf alle Fälle sollte der Projektabschluss bewusst durch die Projektleitung gestaltet werden. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass Projektmanagement häufig nur den sachlogischen Aspekt betrachtet und bearbeitet. Nicht selten gehen Auftraggeber davon aus, dass sie von Anfang an ein hoch produktives Team haben, das ihre Anliegen bearbeitet und effizient löst – und doch wissen wir, dass das Team erst die ersten Phasen der erfolgreichen Zusammenarbeit durchlaufen muss, um in die Performing-Phase zu kommen und produktiv zusammenzuarbeiten. Diese Schere muss der Projektleitung bewusst sein und ist von ihr aktiv zu managen (. Abb. 16.13).

hoch

Erwartungen des Auftraggebers

Performance

16

Reale Performance der Projektgruppe

Minimale tolerierte Leistung durch den Auftraggeber

niedrig Projektstart

..Abb. 16.13  Performanceerwartung des Auftraggebers und reale Leistungskurve des Projektteams

Zeit

16.7  •  Der Blick auf das Projektteam

Zusammenfassung

759

16

Zusammenfassung

Projekte spielen in den heutigen Organisationen eine immer wichtigere Rolle, weil immer häufiger komplexe, interdependente Themen bereichsübergreifend in interdisziplinäre Teams bearbeitet werden müssen. Was dazu führt, dass heute keine Führungskraft erfolgreich einen Bogen um Projekte machen kann. Die Führung von Projekten ist anspruchsvoll, da sie sich mit unterschiedlichen Herausforderungen auseinandersetzen muss. Projekte sind komplex und viele Stakeholder sind zu berücksichtigen. Projekte sind neuartig, was eine verlässliche Planung erschwert und die „gewohnte Ordnung“ hinterfragt. Mit Widerstand ist zu rechnen. Projekte sind Organisationen auf Zeit, die nicht von Anfang an in einer Performancesituation sind. Projektleitende haben häufig keine disziplinarische Macht über das Projektteam, was dazu führt, dass die Teammitglieder „Diener zweier Herren“ sind. Projekte werden in dynamischen Umfeldern bearbeitet, die immer wieder für neue Situationen und Anforderungen für das Projektteam sorgen. Projekte erhalten nur sehr selten einen klaren Auftrag durch den Auftraggeber, der das Projekt auch mit ausreichend Ressourcen und Zeit ausstattet. Das Gegenteil ist häufig der Fall: unklarer Auftrag, der sich immer wieder verändert, nicht ausreichende Ressourcen für die Bearbeitung und Umsetzung und immer zu wenig Zeit. Nicht selten fehlt auch die politische Macht zur anschließenden Umsetzung.

-

Große Herausforderungen – und genau die – machen Projekte so interessant und spannend.

Fragen zur Vertiefung 1. Was ist bei ihrem letzten Projekt richtig gut gelaufen und wo gab es Schwierigkeiten? Worauf führen Sie diese Entwicklungen zurück? Was bedeutet dies für das kommende Projekt? 2. Wie gut ist Ihnen das Stakeholdermanagement gelungen? Was hat sich bei den Interessen und beim Engagement der Stakeholder im Laufe des Projektes verändert? 3. Wie intensiv hat Sie der Projektauftraggeber bei Schwierigkeiten unterstützt?

Fragen zur Vertiefung

760

Kapitel 16 • Projektmanagement

4. Wer war für die Implementierung verantwortlich und wie lief die Zusammenarbeit mit der Linie? 5. Welche Kommunikationsformen haben sich bewährt, bei welchen sollten Sie nachbessern? 6. Wie verlässlich war die Planung und was bedeutet das für das nächste Projekt? 7. Wie lief die Zusammenarbeit im Projektteam? War es ein Team, das sich gegenseitig unterstützte und sich für eine Sache gemeinsam einsetzte oder eher eine Projektgruppe, bei der sich jeder nur um seine Arbeitspakete kümmerte? 8. Wie gut haben Sie das Projekt aus heutiger Sicht geführt? Auf welche Punkte werden Sie zukünftig stärker Acht geben?

Literatur

16

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761

16

763

Konfliktmanagement Eric Lippmann 17.1

Konflikte in Organisationen  –  764

17.2

Konfliktdefinitionen – 765

17.3

Funktionalität von Konflikten  –  766

17.4

Konfliktarten – 768

17.4.1 17.4.2 17.4.3

Klassifikation nach Ebenen  –  768 Klassifikation nach Konfliktgegenständen: „Issues“  –  774 Klassifikation nach der Äußerungsform  –  776

17.5

Konflikteskalation – 779

17.5.1 Konflikteskalationsmechanismen – 779 17.5.2 Eskalationsstufen – 780

17.6

Konfliktmanagement als Führungsaufgabe  –  783

17.6.1 17.6.2 17.6.3 17.6.4

Grundstrategien zur Lösung von Konflikten  –  784 Verhaltensmuster in Konfliktsituationen  –  789 Harvard-Konzept – 792 Mediation als spezifisches Verfahren des sachgerechten Verhandelns – 804

Literatur – 808

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_17

17

764

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Auf einen Blick

..Abb. 17.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

Auf einen Blick Konfliktmanagement wird hier verstanden als Konflikte erkennen, sie in ihrer Komplexität verstehen und sich mit den Konflikten in einer konstruktiven Art und Weise auseinanderzusetzen. Entsprechend gliedert sich auch der Aufbau des Kapitels: Nach den Konfliktdefinitionen und der Frage nach der Funktionalität von Konflikten werden Konfliktarten beschrieben (bezüglich Ebenen, Inhalten und Äußerungsformen). Auch das Verständnis von Konfliktverläufen (v. a. die Eskalationsstufen) gehört noch zur „Konfliktdiagnose“, die ein wichtiger Bestandteil des Konfliktmanagements ist. Für den Umgang mit Konflikten werden Grundstrategien und die wichtigsten Verhaltensmuster beschrieben. Abschließend wird ein Konfliktbearbeitungsmodell ausführlicher behandelt, das besonders nachhaltige Lösungen fördern sollte: das Harvard-Konzept, das auch als Grundlage für die Mediation dienen kann, deren Grundlagen kurz aufgeführt werden.

17.1 Konflikte als Bestandteile des sozialen Lebens

17

Konfliktmanagement

Konflikte in Organisationen

Konflikte sind Bestandteil des sozialen Lebens. Die Konzepte der Organisation als soziotechnisches System und das Rollenmodell können auch als Konfliktmodelle betrachtet werden. Denn Verhaltensweisen von Personen im Rahmen eines Organisationskontextes dienen einem doppelten Zweck: Es geht darum, die für die Organisation notwendigen Aufgaben zu erfüllen und gleichzeitig die persönlichen Ziele zumindest indirekt dadurch zu erreichen. Nur sind die Ziele der Organisation in Form von Rollenanforderungen und die Ziele der Person (auch diejenigen innerhalb der Organisation) nicht selbstverständlich kompatibel. Probleme und Konflikte entstehen, wenn Erwartungen bestehen und daraus Handlungen erfolgen, die für das Erreichen der jeweils anderen Ziele im Widerspruch stehen. „Menschen, die miteinander zu schaffen haben, machen einander zu schaffen“ stellt Schulz von Thun entsprechend fest (1998, S. 117). Konflikte als Bestandteil des Lebens lassen sich somit nicht vermeiden, hingegen kann der Umgang mit Konflikten bezogen auf die zu erreichenden Ziele „funktionaler“ oder weniger „funktional“ gestaltet werden. Was das genau heißt, darüber gibt es eine Vielfalt an Konzepten und Modellen. Dieses Kapitel filtert wichtige Erkenntnisse und Konzepte heraus, die für Führungskräfte besonders relevant sind, um Konflikte zu bearbeiten und zu lösen. Konfliktmanagement wird hier verstanden als Konflikte erkennen, sie in ihrer Komplexität verstehen und sich mit den Konflikten in einer

17.2 • Konfliktdefinitionen

765

17

konstruktiven Art und Weise auseinanderzusetzen. Entsprechend gliedert sich auch der Aufbau des Kapitels: Um Konflikte zu erkennen ist es als erstes notwendig, sich ein klares Bild darüber zu machen, was Konflikte eigentlich sind und welche Funktionen sie haben können. Die Beschreibung von Konfliktarten dient ebenso dem besseren Verständnis von Konflikten, wie die Kenntnisse bezüglich ihrer Verläufe und Prozesse. All diese Aspekte sind Teile einer „Konfliktdiagnose“, die sowohl als Vorbereitung wie auch als Bestandteil des eigentlichen Konfliktmanagements verstanden werden, mit dem sich die zweite Hälfte des Kapitels beschäftigt. Dabei geht es zuerst um Grundstrategien und Verhaltensmuster im Umgang mit Konflikten, wobei das Harvard Konzept als ein Modell ausführlicher behandelt wird, das besonders nachhaltige Lösungen fördern sollte. Die Mediation als bestimmtes Verfahren im sachgerechten Verhandeln bildet den Abschluss. 17.2 Konfliktdefinitionen

Nicht jede Situation, bei der beispielsweise die Erwartungen zwischen zwei oder mehreren Personen widersprüchlich sind, kann als Konflikt bezeichnet werden. Der Begriff wird jedoch teilweise inflationär verwendet, wenn beispielsweise bei einem Problem (7 Kap. 8) oder Streit schon von Konflikt die Rede ist. Unterschiede in der Wahrnehmung von Ereignissen, bei Meinungen, Ansichten, Interessen oder im Fühlen und Erleben sind jedoch noch keine Konflikte. Erst das Empfinden einer Unvereinbarkeit und das Umsetzen in entsprechendes Handeln sind Voraussetzungen für das Auftreten eines Konfliktes. Folgende Konfliktdefinition trägt dieser Gegebenheit am besten Rechnung (Glasl 2013): Definition 

----

Konfliktdefinition soll Konflikte von Nichtkonflikten unterscheiden

Definition: sozialer Konflikt

„Sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen Aktoren (Individuen, Gruppen, Organisationen usw.), wobei wenigstens ein Aktor Unvereinbarkeiten im Denken/Vorstellen/Wahrnehmen und/oder Fühlen und/oder Wollen mit dem anderen Aktor (anderen Aktoren) in der Art erlebt, dass im Realisieren eine Beeinträchtigung durch einen anderen Aktor (die anderen Aktoren) erfolge.“ 

Dabei kann es genügen, wenn nur einer der Aktoren die Unvereinbarkeit als solche erlebt und dementsprechend sich verhält. Hingegen spricht Glasl zu Recht erst dann von einem sozialen

Ein Konflikt besteht, wenn nur eine Seite Unvereinbarkeit erlebt

766

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Konflikt, wenn ein Realisierungshandeln (z. B. der Versuch, eigene Interessen in Handlungen durchzusetzen) stattfindet. Ohne die Realisierung und das Erleben der Abhängigkeit vom Gegenüber (durch Behinderung, Widerstand usw.) von mindestens einer Partei kann nicht von einem sozialen Konflikt gesprochen werden. Es reicht zudem auch, wenn wenigstens eine Partei die Interaktion so erlebt, dass sie die Gründe für das Nicht-Verwirklichen der eigenen Interessen der anderen Partei zuschreibt; dabei spielt es keine Rolle, ob die andere Seite diese Einschränkung tatsächlich beabsichtigt. Eine Intervention in der Konfliktberatung besteht deshalb beispielsweise darin, dass beide Seiten für eine gewisse Zeit sich so verhalten sollen, wie wenn der Konflikt schon gelöst sei und eine Beeinträchtigung der anderen Seite gar nicht vorliege. Diese Intervention kann besonders bei Konflikten wirksam sein, bei denen es viel mehr um Beziehungs- denn um Sachaspekte geht (7 Abschn. 9.1 „Kommunikation“). 17.3 Komplexität statt gefährlicher Vereinfachung

Funktionalität

Konflikte haben einen Sinn

17

Betrachtung von Konflikten in ihrer Funktionalität unter verschiedenen Perspektiven

Funktionalität von Konflikten

Die Definitionen verdeutlichen die Komplexität von Konflikten. Das Bewusstsein um diese Komplexität soll verhindern, in gefährliche Vereinfachungen im Umgang mit Konflikten zu verfallen. Historisch gesehen gibt es verschiedene Betrachtungsweisen von Konflikten, die sich entsprechend v. a. in der Gruppen- und Organisationspsychologie niedergeschlagen haben: Eine „klassische“ Vorstellung ging davon aus, dass Konflikte als Störungen in der Zielerreichung zu betrachten sind und entsprechend vermieden oder bei Auftreten behoben werden müssen. Als Gegensatz dazu gab es seit den frühen 1970er-Jahren eine Konflikteuphorie, die besonders die positiven, nützlichen Seiten betonte. Einige Stichworte sollen diese beiden Polaritäten verdeutlichen (. Tab. 17.1). Um von den einfachen „Gut-Schlecht-Wertungen“ wegzukommen, bietet sich auch die Betrachtung von Konflikten in ihrer Funktionalität an, das heißt: Konflikte haben einen Sinn, jeder Konflikt ist eine Mitteilung über Situationen, die unsere Aufmerksamkeit erfordern und uns zum Handeln bringen. Teil eines Konfliktmanagements ist daher die Auseinandersetzung mit der Funktionalität des Konflikts, also etwa mit Fragen wie: Was will der Konflikt mir bzw. uns sagen? Welchen Sinn kann ich bzw. können wir darin finden? Welchen Aufforderungscharakter hat diese Situation (womit muss ich mich auseinandersetzen)?

--

In Organisationen kann die Funktionalität unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden (7 Abschn. 17.4.1 „Klassifikation nach Ebenen“):

767

17.3  •  Funktionalität von Konflikten

17

..Tab. 17.1  Positive und negative Konnotationen zum Thema Konflikt +



– verweist auf Probleme

– erzeugt „Prozess-Verlust“

– verhindert Stagnation, ist Wurzel für Veränderungen

– fördert Widerstand

– regt Interesse und Neugierde an

– weckt Angst, Ärger, Frust, Schmerz, Verletzungen, Stress, Unzufriedenheit

– verhilft zu Lösungen

– führt zu „dicker Luft“

– führt zur Selbsterkenntnis der Persönlichkeit

– begünstigt Schuldzu­ weisungen

– festigt Gruppen in ihrer Identität

– hinterlässt Gewinner und Verlierer

– wirkt als „reinigendes Gewitter“ – fördert gemeinsame Diskussion

Auf der Ebene der Aufgabe: Welche Konflikte ergeben sich hinsichtlich der „Primary Task“ (z. B. Zielkonflikte) und was müsste diesbezüglich geklärt werden? Auf der Ebene der Struktur: Was sagt der Konflikt aus bezüglich Strukturen in der Organisation? Welche Widersprüche in den Strukturen zeigen sich, welche anderen Strukturen wären denkbar und müssten angepasst werden bzw. inwieweit sind bestehende Strukturen Ausdruck früherer Konflikte? Fragen nach den Grenzen um die Konfliktparteien usw. Auf der Ebene der Kultur: Was sagt der Konflikt aus über die Art und Weise, wie in der Organisation kommuniziert, informiert wird, über Normen, Werte und Menschenbilder, über den Umgang mit Widersprüchen, Ungereimtheiten und „Schatten“, über die Gestaltung von Beziehungen usw.? Konflikte zwischen verschiedenen Personen bzw. Rollenträgern: Inwiefern ist der Konflikt beispielsweise Ausdruck unterschiedlicher Erwartungen, Werthaltungen usw.? Auf der Ebene des Individuums bzw. der Rollenträger: Welche unvereinbaren Bedürfnisse, Ziele, Werte etc. prallen aufeinander oder werden an diesem Konflikt deutlich? Ausgehend von diesen vier Ebenen lässt sich der Umgang mit Konflikten auf folgenden Feldern betrachten (. Abb. 17.2).

Aufgabe

Struktur

Kultur

interpersonale und individuelle Ebene

768

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Konfliktwahrnehmung – Konfliktarten – Konfliktsignale – Auswirkungen

Konflikt-Prävention – »primäre«: Konfliktpotenziale erkennen und angehen – »sekundäre«: Eskalation verhindern, Konfliktbearbeitung unterstützen – »tertiäre«: Chronifizierung vermeiden helfen

Konflikt-Diagnose – Personen (Persönlichkeitsdynamik) – Beziehungen zwischen Konfliktparteien – Organisation als Konfliktpotenzial – weitere Rahmenbedingungen

Umgang mit Konflikten als Führungsaufgabe (auf den Ebenen Aufgabe – Struktur – Kultur – Person/Rolle)

Konflikt-Behandlung – Verhaltensmuster – Strategien

Konflikt-Dynamik – Konfliktverlauf – Eskalation – Stimulation

..Abb. 17.2  Umgang mit Konflikten als Führungsaufgabe

17.4 Konfliktarten Klassifikation von Konflikten als Teil der Konfliktanalyse

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Konfliktarten zu unterscheiden. Konflikte zu klassifizieren kann als Teil der Konfliktanalyse betrachtet werden. Hauptziel dieses Abschnittes ist es, Führungskräfte auf zu kurz gegriffene Diagnosen aufmerksam zu machen und ihnen als Alternative eine möglichst breite Palette zur Analyse von Konflikten anzubieten. Dies soll nicht zuletzt dazu dienen, die für die einzelne Situation optimale Form der Handhabung zu wählen. Die Klassifikation erfolgt in drei Hauptabschnitten, nämlich die Betrachtung von Konflikten nach Ebenen, Ursachen bzw. Themen und nach Äußerungsformen. 17.4.1

17

Klassifikation nach Ebenen

Klassifikation nach Ebenen

Eine erste Möglichkeit, Konflikte zu analysieren, besteht in der Unterscheidung nach den involvierten Ebenen. Bei Konflikten in Organisationen kann davon ausgegangen werden, dass in der Regel mehrere Ebenen betroffen sind. Dies ist gerade für Führungskräfte zentral, denn wir neigen dazu, Konflikte zu personifizieren, die Ursachen primär auf der persönlichen oder allenfalls interaktionellen Ebene zu lokalisieren und damit der Komplexität nicht gerecht zu werden.

17.4 • Konfliktarten

769

17

Ebene der Einzelpersonen

Konflikte auf der persönlichen Ebene bezeichnet Schwarz (2001) als das „Lebenselixier“ der Persönlichkeitsentwicklung. Damit meint er, dass wir gerade durch das Erleben und Verarbeiten von Konflikten zu einer „Persönlichkeit“ werden. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, Konflikte innerhalb einer Person zu betrachten, einige davon seien hier kurz aufgeführt:

Ebene der Einzelperson

zz Appetenz- und Aversionskonflikte

In einem Appetenz/Appetenz-Konflikt befinden wir uns in einer Situation, wo wir uns zwischen zwei oder mehreren verlockenden Alternativen entscheiden müssen (z. B. neue Arbeitsstelle annehmen mit viel höherem Lohn oder aktuellen Job behalten in einem Umfeld, das einem sehr gut gefällt). Beim Aversions/Aversions-Konflikt müssen wir uns zwischen zwei „Übeln“ entscheiden (z. B. dringende, aber unangenehme Aufgabe am frühen Morgen, abends oder am Wochenende erledigen). Beim Appetenz/Aversions-Konflikt liegt die Problematik darin, dass für die Person ein und dieselbe Alternative zugleich als anziehend und als abstoßend erscheint (z. B. gleichzeitig Lust auf eine verantwortungsvolle Position und Angst davor bzw. Befürchtung, dann zu wenig Zeit für anderes zu haben).

Appetenz- und Aversionskonflikte

zz Vier Grundkonflikte aufgrund von Konfliktneigungen

In Anlehnung an Riemanns Grundformen der Angst beschreibt Schwarz vier Persönlichkeitstypen mit unterschiedlichen Prägungen und Grundwidersprüchen, die wir alle in uns haben und mit denen wir alle konfrontiert sind (2001). Die vier Typen mit den entsprechenden Konfliktneigungen und den Grundwidersprüchen (jeweils in Klammern aufgeführt) sind: Ich-Typ (Leben vs. Tod) mit der Tendenz zur Individualisierung, Abgrenzung von anderen und der Angst vor Gefühlen und davor, Bindungen einzugehen; im Konfliktfall nüchtern, gefühlskalt, distanziert. Du-Typ (Individuum vs. Gruppe) mit der Tendenz zur Bindung, Nähe, Kontaktfreude und der Angst, von andern abgelehnt zu werden; im Konfliktfall harmonisierend, um dem andern Recht zu geben. Ordnungs-Typ (Junge vs. Alte) mit der Tendenz, die Wichtigkeit von Ordnung, Kontrolle und Gehorsam zu betonen; im Konfliktfall kämpft er für Gerechtigkeit und denkt stark in Gut-Böse-Kategorien. Freiheits-Typ (männliches vs. weibliches Prinzip) mit der Tendenz, flexibel und oberflächlich zu sein; im Konfliktfall eher sprunghaft, chaotisch und konkurrierend.

individuelle Konfliktneigungen

-

zz Konflikte im „inneren Team“

In sozialen Konflikten kommt beim Individuum besonders ein Phänomen zum Tragen, das mit Begriffen wie „inneres Team“, „multi-

Konflikte im „inneren Team“, innere Teamkonferenz

770

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

ple Persönlichkeit“ oder „innere Pluralität“ umschrieben wird. In Form von inneren Stimmen melden sich die „Seelen“ in der Brust, die verschiedene Ansichten zu bestimmten Sachverhalten haben und die alles daransetzen, auf unsere Kommunikation und unser Handeln Einfluss zu nehmen. Dabei handelt es sich nicht um eine seelische Störung, sondern um eine ganz normale menschliche „innere Pluralität“. Wie wir uns in (Konflikt‑)Situationen äußern und verhalten, ist das Ergebnis eines inneren Vorgangs, den wir uns selbst mehr oder weniger bewusst machen können und von dem wir unserem Gegenüber einen uns angemessen erscheinenden Teil mitteilen. Schulz von Thun (1998) nennt den Vorgang „innere Teamkonferenz“ oder „innere Ratsversammlung“: So, wie wir in Arbeitsteams bei wichtigen Fragen, zu denen die Teammitglieder etwas zu sagen haben, eine Konferenz einberufen, so geschieht das auch im „inneren Team“: Wir gehen mit uns zu Rate, um mit uns selbst in Einklang zu kommen und zu einer klaren Stellungnahme zu gelangen als Ergebnis einer internen Teamkonferenz.

Ebene der Interaktion Ebene der Interaktionen

Für soziale Konflikte braucht es ja mindestens zwei Personen, die miteinander interagieren. Auf der interaktiven Ebene sind folgende Konzepte hilfreich, um Konflikte zu erkennen: zz Psychoanalytische Konzepte

Übertragungen und Gegenübertragungen

narzisstische Projektion

17

Auf der interaktiven Ebene können Übertragungen von Beziehungsmustern aus früheren Erfahrungen auf die aktuelle Begegnung eine wichtige Rolle spielen. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter sich zu wenig anerkannt fühlt von seiner vorgesetzten Person und er dieses Muster schon früher erlebt hat (z. B. bei einem Elternteil), so neigt er möglicherweise dazu, die Anerkennung in übertriebenem Maße zu erlangen. Damit evoziert er vielleicht Reaktionen bei der vorgesetzten Person, die gerade das Gegenteil bewirken könnten (z. B. Kontaktvermeidung als Gegenübertragung seitens der Führungskraft). Zu einem Konflikt können sich Übertragungen und Gegenübertragungen dann entwickeln, wenn die Führungskraft ebenfalls unverarbeitete Beziehungsmuster in die Interaktion mit dem Mitarbeiter einbringt. Ein anderes Phänomen ist die „narzisstische Projektion“, bei der eine Person eigene Persönlichkeitsanteile in einen anderen Menschen hineinfantasiert. So können sowohl „negative“ Anteile, die man bei sich selbst bekämpft wie auch „positive“, idealisierte Anteile in das Gegenüber projiziert werden. Zu Konflikten entwickeln sich solche Verlagerungen von Selbstanteilen positiver wie negativer Art, wenn die andere Partei auf dem Hintergrund eigener, unverarbeiteter biografischer Anteile entsprechend mitagiert. Wenn eine Führungskraft beispielsweise ihre eigene, eher chaotische Seite aufgrund einer strengen Erziehung in Ordnungsliebe umgewandelt hat, so kann es sein, dass sie nun bei einem eher ungezwungenen

17.4 • Konfliktarten

771

17

Verhalten des Gegenübers besonders ungehalten reagiert. Denn der Interaktionspartner führt ihr dann Persönlichkeitsanteile vor Augen, die die Führungskraft bei sich bekämpfen musste. zz Kommunikationstheoretische Konzepte

Konflikte zwischen Personen sind in der Regel begleitet von Kommunikationsstörungen. Die vorwiegend in 7 Abschn. 9.1 beschriebenen kommunikationstheoretischen Konzepte lassen sich bei Konfliktgesprächen häufig beobachten, z. B.: Kommunikationsstörungen aufgrund unterschiedlicher Ebenen seitens Sender und Empfänger (vgl. 4 Seiten einer Nachricht); Widersprüche zwischen expliziten und impliziten Botschaften bzw. zwischen verbalen und nonverbalen Aspekten; Interpunktionsprobleme, etwa mit dem Aspekt „Wer hat angefangen?“. Das eigene Verhalten wird als Reaktion des Verhaltens des Gegenübers interpunktiert; symmetrische Eskalation: Dabei schaukeln sich die Interaktionspartner letztlich um die Frage hoch, wer denn bezüglich des Streitgegenstandes recht hat (vgl. Eskalationsstufen); Kommunikation aus verschiedenen Ich-Zuständen (Eltern‑, Erwachsenen- und Kindheits-Ich) heraus: In der Transaktionsanalyse werden konflikthafte Interaktionen beschrieben als „gekreuzte“ oder unstimmige Botschaften: Wenn beispielsweise ein Sender aus einem Ich-Zustand etwas sagt (z. B. „Gleich anschließend werde ich die Präsentation machen“) und das Gegenüber aus einem andern Ich-Zustand antwortet (z. B. „Immer geht es nach Ihrem Fahrplan!“), dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich daraus eine Konflikteskalation ergeben kann. Eine andere Form der Transaktion sind sogenannte „unterschwellige“ Botschaften, indem jemand beispielsweise vordergründig auf der Erwachsenenebene kommuniziert („Dieser PC ist hervorragend, aber wohl zu teuer für Sie“), unterschwellig aber das Kind-Ich beim Gegenüber anspricht und vielleicht sogar hofft, dass dieses gerade wiederum aus dem Kind-Ich reagiert (z. B. mit Trotz: „Was meinen Sie, natürlich kann ich mir den leisten!“). Die Transaktionsanalyse beschreibt auch eine Vielfalt von „Spielen“, die in Konfliktsituationen ablaufen (z. B. „Ja – aber“, „Jetzt hab ich dich erwischt, Du Schuft“ oder „OpferTäter-Retter“).

-

-

Kommunikationsstörungen

Sender/Empfänger

Inkongruenz Interpunktion

Eskalation

Transaktionsanalyse

Spiele

Interaktionsebene: Dreieckskonflikte Gerade das letzte Beispiel der Spiele verweist auf eine spezielle Konstellation von Interaktionskonflikten, nämlich denjenigen zwischen drei Personen. Mit einer dritten Person kommt zusätzliches Konfliktpotenzial in eine Zweierbeziehung, das Dreieck von Mutter – Vater – Kind ist das klassische Urmuster dieser Konstellation.

Dreieckskonflikte

772

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Koalitionskonflikte

Eifersuchtskonflikte

Rivalitätskonflikte

Delegationskonflikte

-

Schwarz (2001) beschreibt mögliche Arten von Konflikten, die mit der Dreierkonstellation verbunden sind: Koalitionskonflikte: Ein Hauptkonfliktpotenzial bei Dreieckskonstellationen besteht darin, dass sich zwei gegen die dritte Person zusammenschließen. Die dritte Person fühlt sich somit ausgeschlossen. Handelt es sich um „verleugnete Koalitionen“ (Selvini et al. 1984, S. 262) oder um Koalitionen über Hierarchiestufen hinweg, so vergrößert sich das Konfliktpotenzial gewaltig. Eifersuchtskonflikte: Koalitionen können neben dem Gefühl des Ausschlusses auch das Gefühl von Eifersucht hervorrufen. Schwarz (2001, S. 140) geht von der Annahme aus, dass Konflikte dann auftreten, wenn Veränderungen in einem System anstehen. Der Entwicklungsschritt, der mit der „Eifersucht“ angezeigt wird, ist der Übergang von der symbiotischen Zweierbeziehung zur Dreierbeziehung bzw. zur Gruppe. Denn ohne Überwindung der Symbiose gibt es keine Selbstständigkeit. Der Sinn der Eifersucht kann also darin bestehen, die Menschen auf Gruppenverhalten vorzubereiten. Rivalitätskonflikte können als Sonderfall eines Koalitionskonfliktes angesehen werden: Zwei Personen wetteifern jeweils um die Gunst einer dritten Person: Das können beispielsweise zwei Mitarbeitende sein, die um die Gunst der Führungskraft ringen; jeder versucht dabei, näher bei der Führungskraft zu sein als der andere, allenfalls sogar, indem die andere Person schlechtgemacht wird. Delegationskonflikte entstehen immer dann, wenn die direkte Kommunikation zwischen zwei Personen unterbrochen ist und über eine dritte Person läuft. So können beispielsweise Rivalitätskonflikte von der Führungskraft ausgenutzt werden, indem die beiden Kontrahenten gegeneinander ausgespielt werden. Der klassische Delegationskonflikt ist bekannt unter „divide et impera“: Die Führungskraft fördert die Situation, dass die Mitarbeitenden untereinander keinen guten Kontakt haben oder gar rivalisieren und spielt sie gegeneinander aus.

-

Gruppenkonflikte

17

Gruppenebene Konflikte in Gruppen

In 7 Kap. 10 wurde ausführlich dargelegt, was es zu beachten gilt, um Arbeitsgruppen so zu führen, dass ihre Leistungen optimiert werden können. Auch bei Gruppen können Konflikte darauf hinweisen, dass Veränderungen anstehen. Schwarz beschreibt folgende Konfliktformen in Gruppen (2014): Untergruppenkonflikte, wenn sich innerhalb der Gruppe Subgruppen in Konflikte begeben; Territorialkonflikte, bei denen es um Abgrenzungen geht (z. B. räumlich, bezüglich Kompetenzen usw.); Rangkonflikte, bei denen es um die Ordnung im Sozialgefüge der Gruppe geht;

-

17.4 • Konfliktarten

773

17

-

Normierungs- und Bestrafungskonflikte treten in der Regel dann auf, wenn ein Mitglied der Gruppe gegen die Spielregeln verstößt und damit die Normen der Gruppe gefährdet; Zugehörigkeitskonflikte, bei denen es um Fragen der Zugehörigkeit, des An- und Ausschlusses bezüglich der Gruppe geht; Führungskonflikte drehen sich um die Frage, wer in der Gruppe eigentlich Führungsfunktion innehat; Reifungs- und Ablösungskonflikte drehen sich um den anspruchsvollen Prozess der Identitätsfindung einzelner Mitglieder in der Gruppe, die oft vom Kampf um die größere Unabhängigkeit begleitet sind; Substitutionskonflikte drehen sich nicht um den eigentlichen Gegenstand, sondern der Streit wird auf eine leichter zu diskutierende Thematik verschoben (z. B. Parkplatzstreit statt Rangkonflikt); Loyalitäts- oder Verteidigungskonflikte treten beispielsweise dann auf, wenn ein Gruppenmitglied von außen angegriffen wird und die übrigen Mitglieder vor der Wahl stehen, das Mitglied zu verteidigen oder nicht.

Konflikte auf der Ebene der Organisation und der Institution

Schwarz (2001) stellt die These auf, dass Gruppen ihren Mitgliedern alles bieten, was sie zu einer sozialen Existenz brauchen. Von daher gebe es kein Grundbedürfnis, Mitglied einer Organisation zu sein. Zur Kooperation in einer Organisation können Gruppen von daher nur durch eine übergeordnete Instanz gebracht werden. Daraus ergeben sich die Hauptkonflikte auf der Ebene der Organisation, nämlich Konflikte zwischen Subgruppen (z. B. Produktion und Verkauf), zwischen Peripherie und Zentrum (z. B. Zentrale gegen Außenstellen).

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Ebene der Organisation

Konflikte zwischen Subgruppen, zwischen Peripherie und Zentrum

Konflikte auf der Ebene der Gesellschaft und der Politik

Auf dieser Ebene spielen alle gesellschaftlichen Entwicklungen eine Rolle, die einen Einfluss auf jede einzelne Organisation haben. Stichworte dazu sind etwa die Entwicklung zu einer multikulturellen Gesellschaft, die in den letzten Jahren zunehmende Globalisierung und damit einhergehende weltweite Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Entsprechend spiegeln sich auf der politischen Ebene die Konfliktpotenziale, wenn es um die Frage geht, wie wir die damit zusammenhängenden Probleme lösen sollen. Nicht zuletzt sind damit immer auch Werte und Werthaltungen verbunden, die beispielsweise bei interkulturellen Konflikten besonders zum Tragen kommen können (Schwarz 2001).

Ebene der Gesellschaft und Politik

774

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Für die Analyse der Konflikte auf den jeweiligen Ebenen können entsprechende Fragen hilfreich sein (Enderli und Lippmann 2013, S. 240 f.). 17.4.2

Klassifikation nach „Issues“

Klassifikation nach Konfliktgegenständen: „Issues“

In der Regel haben Konflikte irgendwelche Themen, Fragen oder Anliegen zum Gegenstand. Zur Benennung der Konfliktpunkte wird in der Fachliteratur der englische Ausdruck „Issue“ verwendet. Er verweist auf die Subjektivität der Streitpunkte: Diese können für die Parteien von sehr unterschiedlicher Art sein. Je weiter der Konflikt eskaliert ist (7 Abschn. 17.5.2), desto mehr klaffen die Issues der Parteien auseinander. Folgende Konfliktgegenstände sind im Führungskontext von besonderer Bedeutung:

Zielkonflikte Uneinigkeit bezüglich Zielen

Bei Zielkonflikten sind sich die Parteien über die Ziele uneinig. Wenn dies etwa die strategische Ausrichtung der Organisation beinhaltet, kann das für das Überleben des Unternehmens von existenzieller Bedeutung werden. Manchmal widersprechen sich die Ziele nur vordergründig und werden möglicherweise als Positionen eingebracht. Durch Klären der Interessen können sie durch einen Konsens gelöst werden (7 Abschn. 17.6.3).

Wertekonflikte Wertekonflikte erfordern Toleranz Aporie, Wertequadrat

17

Wertekonflikte gehören wohl zu den anspruchsvollsten Konflikten überhaupt. Ethische Überzeugungen, Glaubensfragen, Werte sind ein tragender Bestandteil der menschlichen Identität. Sie haben einen überdauernden Charakter und sind häufig schlecht objektivierbar, wenn es um die Bewertung von Lösungen geht. Deshalb werden hier die Fähigkeiten, den anderen zu verstehen und das Aufbringen von Toleranz besonders stark gefordert. Als hilfreich für Führungskräfte erweist sich bei Wertekonflikten das (Um)denken in Richtung Aporie oder „Wertequadrat“ (Schulz von Thun et al. 2000, S. 52 ff.; . Abb. 17.3): Eine Aporie beschreibt ein philosophisches Problem oder eine Fragestellung, welche nicht eindeutig zu lösen ist. Sie basiert zumeist auf einer Form des Widerspruchs und für beide Seiten lassen sich Argumente finden, die zu widersprüchlichen Schlussfolgerungen führen können. Im zwischenmenschlichen Zusammenleben entwickeln sich unterschiedliche Werte zu einer konstruktiven Auseinandersetzung, wenn sie in ausgehaltener Spannung zu einem Gegenwert gelebt und verwirklicht werden. Ein Gegenwert ist eine komplementäre „Schwestertugend“, die geeignet ist, einer übertreibenden Entwertung des in Rede stehenden Wertes entgegenzusteuern. Zum Beispiel: Wertschätzung ist gut, aber zu viel des Guten (allzu unkritische

775

17.4 • Konfliktarten

Wertschätzung Anerkennung Würdigung

Schmeichelei Anbiederung unkritische Idealisierung

Schwestertugend

17

Kritik offene, ehrliche Konfrontation

Geringschätzung Herabsetzung Verächtlichkeit Überkompensation

..Abb. 17.3  Werte- und Entwicklungsquadrat am Beispiel Wertschätzung. (Aus Schulz von Thun et al. 2000, Copyright © 2000/2003 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, mit freundlicher Genehmigung)

Idealisierung oder gar Anbiederung) lässt diesen Wert zum Unwert verkommen, zu einer übertreibenden Entwertung. Also braucht Wertschätzung einen Wertgegenspieler, eine Schwestertugend, um nicht in Anbiederung umzukippen. Diese Schwestertugend müsste der konträre Gegensatz dazu sein, etwa die Fähigkeit zur kritischen Konfrontation. Aber auch von dieser Schwestertugend kann man des Guten zu viel tun, wenn man die Wertschätzung vermissen lässt: Dann wäre die Geringschätzung, Verächtlichkeit das Ergebnis einer übertriebenen Konfrontation. Die Abbildung in einem Quadrat macht deutlich, dass es nicht darum gehen kann, die andere Partei vom „Schlechten“ zum „Guten“ zu leiten, sondern von dem Guten, wovon sie (je individuell) zu viel hat, hin zu dem Guten, das ergänzend dazukommen müsste und vielleicht noch unterentwickelt ist. Denn Entwicklungsrichtungen von Menschen, die miteinander in einem (Werte‑)Konflikt stehen, überkreuzen sich häufig: Was der eine dringend (zur Ergänzung seiner Persönlichkeit) braucht, hat der andere viel zu viel. Das anzustrebende Optimum besteht dabei in der Regel in einer wesensgemäßen und dynamischen Balance in der Mitte des Quadrates.

Entwicklung in Richtung dynamische Balance in der Mitte

Verteilungskonflikte Verteilungskonflikte treten häufig in Organisationen auf, wenn es um die Verteilung von Ressourcen geht. Wir sprechen von einem Verteilungskonflikt, wenn die Parteien den Wert eines Ereignisses oder einer Ressource gleich hoch einschätzen, beide aber nicht gleichzeitig dieses Ereignis realisieren können. Häufige Beispiele:

Verteilung von Ressourcen

776

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Stellenbesetzung (Beförderung) bei mehreren internen Bewerbungen; Budgetprozesse; Büroverteilung; Parkplatzvergabe usw.

Beziehungskonflikte Beziehungskonflikte

hilfreiche Fragen zu den „Issues“

Bei diesen Konflikten sind in der Regel keine Sachfragen im Zentrum des Konfliktgegenstandes. Hier steht die Beziehung zwischen den Parteien im Zentrum. Als Konfliktursache wird dabei häufig erklärt, dass die „Chemie“ einfach nicht stimme. Bei Beziehungskonflikten geht es im Kern um das Grundbedürfnis des Menschen, von anderen akzeptiert und anerkannt zu werden. Wird dieses Bedürfnis verletzt, so erleben die Parteien die Beziehung als belastet, jemand fühlt sich etwa unterlegen, inkompetent oder machtlos. Häufig kann es dabei zu „Sachstreitereien“ kommen, bei denen aber der Streitgegenstand nur Vehikel ist, um den Beziehungskonflikt anzugehen. Um herauszufinden, um welche Issues es in einem Konflikt geht, erweisen sich folgende Fragen als hilfreich (Glasl 2013): Welche Issues bringen die unterschiedlichen Parteien vor? Welche Issues sind mit welchen Parteien verknüpft, gibt es Übereinstimmungen? Wie weit kennen die Parteien die Issues der Gegenseite? Wie sind die Issues – im Erleben der Parteien – miteinander verknüpft? Wie stark sind die Parteien inhaltlich auf die Issues fixiert?

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17.4.3 Klassifikation nach Äußerungsformen

Klassifikation nach der Äußerungsform

Auch wenn Konflikte gleiche oder vergleichbare Ursachen, Anlässe oder Issues haben, können sie sich unterschiedlich manifestieren bzw. in unterschiedlichen Äußerungsformen verlaufen. Für die Konflikthandhabung ist es von Vorteil, wenn man als Führungskraft einige Formen kennt:

Latenter und offener Konflikt latenter und offener Konflikt

17

Von latenten Konflikten wird dann gesprochen, wenn zwischen Parteien Gegensätze vorliegen, diese aber noch nicht zu feindseligen Handlungen geführt haben. Wenn beispielsweise eine neue Person in ein Team eingestellt wird und sie aufgrund der aktuellen Marktsituation ein Gehalt aushandeln konnte, das über dem Teamdurchschnitt liegt, so kann man von einem latenten Konflikt sprechen. Es kann auch eine Situation sein, in der die Parteien wahrnehmen, dass sie unterschiedliche Handlungspläne haben, diese aber nicht ausführen, weil beispielsweise die aktuelle Machtstellung sie daran hindert. Bei Änderung der Situation kann der Konflikt jedoch ausbrechen. Deshalb ist es wichtig, als Führungskraft latente Konflikte zu erkennen, um sich besser vorbereiten zu können, wenn es zu einem offenen Konflikt kommt.

17.4 • Konfliktarten

777

17

Formgebundener und formloser Konflikt

Beim formgebundenen Konflikt bedienen sich die Parteien Prozeduren, Institutionen und Kampfmittel, die bereits anerkannt sind. Das Einhalten von solchen Formen gewährt eine bestimmte Sicherheit im Sinne einer Konfliktregelung. Manchmal können aber Konflikte durch formstrenges Festhalten an entsprechenden Strukturen abgewürgt, abgedrängt oder verlagert werden. Beim formlosen Konflikt bedienen sich die Parteien keiner der vorgegebenen Formen. Oft sind die Parteien mit den Formen nicht zufrieden oder befinden sich in einer Minderheitsposition und versprechen sich mit dem Verlassen der vorgegebenen Prozeduren Vorteile. Bei hohem Eskalationsgrad (7 Abschn. 17.5) kann es auch geschehen, dass die Parteien die anfängliche Formgebundenheit verlassen. Jede Methode um Konflikte zu lösen ist darauf angewiesen, gewisse Formelemente einzuführen und somit auch formlose in formgebundene Konflikte überzuführen (Glasl 2013).

formgebundener Konflikt

formloser Konflikt

Heißer und kalter Konflikt Die bei Glasl (2013) ausführlich beschriebene Unterscheidung bezieht sich auf das Zusammenspiel der beiden Konfliktparteien, auf das Klima der Beziehung zwischen ihnen. Bei heißen Konflikten streiten die Parteien heftig miteinander und versuchen einander zu überzeugen. Häufig treten dabei deutlich erkennbare Führungs- und Machtzentren in den Vordergrund, die die Gruppe gegen außen vertreten. Bei kalten Konflikten finden äußerlich keine Auseinandersetzungen statt. Hass- und Frustrationsgefühle werden hinuntergeschluckt und wirken in den Parteien destruktiv weiter. Die Stimmung, die sich verbreitet, ist gekennzeichnet durch innere Leere, Kälte und Zynismus. Ein gutes Selbstwertgefühl erlischt mit der Zeit immer mehr. Niemand ist bereit, sich in der Führung zu exponieren, es entsteht häufig eine Art Führungsvakuum. Die direkte Kommunikation zwischen den Parteien kommt langsam zum Erliegen, an ihre Stelle tritt häufig eine indirekte, formalisierte Form (z. B. in schriftlicher Form). Fast alle Konflikte haben „warme oder heiße Beginnphasen“ (Glasl 2013). Erst nach der dritten Eskalationsstufe (7 Abschn. 17.5) kann der Konflikt deutlich als kalter oder heißer Konflikt erkannt werden. In beiden Formen kann er, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, eskalieren. Zur Konfliktbehandlung ist die Unterscheidung von Bedeutung: Bei heißen Konflikten ist die Konfrontation der Parteien gut möglich. Häufig brennen sie sogar darauf, den Konflikt auf einer Bühne austragen zu können, deshalb ist es wichtig, durch geeignete Rahmenbedingungen und Vorgehensweisen die Konfliktaustragung in konstruktive Bahnen zu lenken.

heißer Konflikt

kalter Konflikt

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Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Auftauen kalter Konflikte

Bei kalten Konflikten ist zunächst Arbeit innerhalb der einzelnen Parteien nötig. Oft ist vertrauliche Arbeit mit einzelnen Personen nötig, um das Selbstwertgefühl zu stärken und die Motivation zur Konfliktbearbeitung zu erhöhen. Der Konflikt muss zunächst aufgetaut und stimuliert werden, damit eine Konflikthandhabung überhaupt ermöglicht wird.

Verschobener und echter Konflikt verschobener Konflikt, echter Konflikt

Es gibt Situationen, bei denen die Parteien nicht die eigentliche Streitfrage austragen, sondern auf andere Bereiche ausweichen. Diese Verschiebung auf Nebenthemen oder andere Personen kann aus verschiedenen Gründen geschehen, etwa aus Angst vor Sanktionen eines mächtigen Kontrahenten oder vor mächtigen Dritten, aus Berechnung und Taktik, aufgrund gegenseitigen Schonens auf gleicher Hierarchiestufe usw. Verschobene Konflikte zeichnen sich häufig dadurch aus, dass die Anlässe gesucht erscheinen, kein Verhältnis zwischen Anlass und Konfliktstärke besteht, naheliegende Lösungen vermieden werden, und dass sie oft zäh und kleinlich ausgetragen werden. Manchmal sind verschobene Konflikte eine Art des vorsichtigen Herantastens an den tatsächlichen Konflikt, indem man sich zuerst an einem etwas harmloseren Thema versucht. In der Regel können aber verschobene Konflikte erst dann gelöst werden, wenn der zugrunde liegende echte Konflikt angegangen wird.

Starker und schwacher Konflikt

starker Konflikt

schwacher Konflikt

17

Mit dieser von Simon (2004, S. 25 ff.) beschriebenen Unterscheidung lassen sich die Logik des Verhaltens von Konfliktparteien wie auch der Muster ihrer Interaktionen beschreiben (. Abb. 17.4). Im starken Konfliktfall geht es um die Unterscheidung zwischen „Pro“ und „Kontra“, also um Positionen, die einander im Sinne einer zweiwertigen Logik gegenseitig ausschließen. Wenn jemand vor einer Weggabelung steht und sich entscheiden muss, ob er rechts oder links abbiegen soll, so schließt die Entscheidung für das eine Handeln die andere Seite aus. Im schwachen Konfliktfall geht es dagegen um eine Unterscheidung zwischen „Pro“ und „Nichtpro“ bzw. „Kontra“ und „Nichtkontra“, die sich nicht gegenseitig ausschließen. Im Konfliktfall zwischen Pro (z. B. für eine Partei A) und Kontra (für die Gegenpartei B) hat jeder Akteur prinzipiell vier Möglichkeiten, sich zu positionieren und damit einen unterschiedlich starken Konflikt zu wagen: Man kann sich aktiv als Pro-Partei A zu erkennen geben und damit in einen starken Konflikt mit der Gegenpartei geraten; dasselbe gilt für Anhänger der Gegenpartei B. Man kann aber auch eine Position einnehmen, in der man sich weder für die Pro- noch für die Gegenpartei stark macht und eine neutrale Haltung einnimmt. Und als vierte Möglichkeit steht einem offen, sich widersprüchlich und inkonsistent zu zeigen, indem man sich entweder vieldeutig, logisch widersprüchlich oder oszillierend (d. h. mal für die Pro-, mal für die Gegenpartei) verhält.

779

17.5 • Konflikteskalation

17

sowohl Pro als auch Kontra

Pro

weder Pro noch Kontra

Kontra

schwache Konflikte starke Konflikte ..Abb. 17.4  Starker und schwacher Konflikt. (Aus Simon 2004, mit freundlicher Genehmigung vom Carl-Auer Verlag)

17.5 Konflikteskalation

Zum Verständnis von Konflikten gehört auch die Auseinandersetzung mit der Konfliktdynamik. Dabei lassen sich bestimmte Mechanismen beschreiben, die dazu beitragen, dass Konflikte sich von einer eher sachlichen zu einer oft hoch emotionalisierten Ebene entwickeln können. In Anlehnung an Glasl (2013) werden einige Eskalationsmechanismen beschrieben, die bei den anschließend dargestellten Eskalationsstufen eine wichtige Rolle spielen.

Basismechanismen der Eskalationsdynamik

17.5.1 Konflikteskalationsmechanismen

Die wichtigsten Basismechanismen, die zu einer Eskalationsdynamik beitragen, sind: 1. Die Konfliktparteien neigen dazu, die Ursachen für die Situation bei der Gegenpartei zu sehen. Sie projizieren alles Negative auf das Gegenüber. Besonders werden eigene Persönlichkeitsanteile, die man an sich selbst nicht akzeptiert, beim Gegenüber besonders deutlich gesehen (7 Abschn. 17.4.1). Projektionen führen vordergründig zwar zur Entlastung. Auf die Dauer erinnern aber die Vorwürfe gegenüber den Anderen unbewusst doch wieder an die unerwünschten Selbstanteile. Das kann wiederum zu weitergehenden, nun verschärft negativen, Projektionen führen und die Dynamik verschärfen.

Projektionen

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Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Expansion und Vereinfachung der Streitpunkte

Abnahme der Eigenverantwortung

Ausweitung des Personenkreises

zunehmend pessimistische Beurteilung

2. Im Verlauf der Eskalation kommt es zu einer Expansion der „Konflikt-Issues“: Die Parteien lassen im Verlauf des Konflikts ihren Affekten immer haltloser freien Lauf. Mit der zunehmenden Anzahl der Streitpunkte werden die Argumente jedoch vereinfacht und simplifiziert. Dies zieht aber auf der Meta-Ebene neue Streitpunkte nach sich, in dem jetzt über Komplexität und Simplizität der Argumentationen gestritten wird. 3. Mit der Simplifizierung neigen die Konfliktparteien auch zunehmend dazu, ihr Verhalten als Reaktion auf die Handlungen der Gegenseite zu interpunktieren; diese Mechanismen, die bei Watzlawick et al. (1974) als Interpunktionsproblem beschrieben wurden, führen immer zu einer Pattstellung. Die Konfliktparteien sehen sich nur noch als Opfer der Handlungen der Gegenpartei und neigen damit dazu, für ihr Verhalten keine Verantwortung mehr zu übernehmen. 4. Im Verlauf des Konflikts kommt es zudem zu einer Ausweitung des Personenkreises. Damit nimmt die Möglichkeit, den Konflikt relativ problemlos beizulegen, immer mehr ab. Zwar nehmen mit der Ausweitung die „face-to-face Kontakte“ ab, gleichzeitig steigt die Tendenz zum Personifizieren des Konflikts. 5. Die Eskalationsdynamik führt in der Regel zu einer zunehmend pessimistischen Beurteilung des Konfliktgeschehens. Zur Befreiung versuchen die Parteien, aus diesen Gefühlen der Beklemmung mit Gewaltandrohung auszubrechen. Was als Abschreckung oder „Bremse“ beabsichtigt ist, wirkt hingegen als Provokation und erhöht die Chance, dass sich der Konflikt weiter aufschaukelt. 17.5.2 Eskalationsstufen

9 Eskalationsstufen

Win-Win-Phase

17

Die Eskalationsdynamik lässt sich mit Eskalationsstufen beschreiben. Die Analyse der Dynamik ist für Führungskräfte von zentraler Bedeutung. Denn je nach Grad der Eskalation lässt sich ein Konflikt mehr oder weniger gut stoppen bzw. bearbeiten oder eben auch nicht mehr. Glasl (2013) differenziert 9 Stufen, die in 3 Hauptphasen unterteilt werden (. Abb. 17.5): Stufen 1–3: Win-Win-Phase: Hier geht es den Parteien noch um das Wohlergehen aller Beteiligten. Es herrscht die Überzeugung, dass beide als Gewinner aus dem Konflikt hervorgehen können.

-

Stufe 1: Verhärtung Verhärtung

Die erste Stufe ist gekennzeichnet durch Reibereien und das Aufeinanderprallen von Meinungen. Die unterschiedlichen Standpunkte werden deutlich und jede Seite verharrt bereits klar in ihren Sichtweisen und Vorschlägen. Dennoch sind die Kontrahenten über-

17

781

17.5 • Konflikteskalation

1. Phase

Aufmerksamkeit konzentri ert sich auf Differenzen in der subjektiven Sphäre (auf Personen bezogen)

noch konstruktiv 2. Phase destruktiv

7

8

gemeinsam in den Abgrund

6

Zersplitterung

5

begrenzte Vernichtungsschläge

4

Drohstrategien

Wahrnehmung der Differenzen in der objektiven Sphäre (sachlich)

Gesichtsverlust

3

Sorge um Image und Koalition

2

Taten statt Worte

1

Polarisation und Debatte

Verhärtung

Konflikteskalation

9 Beziehungen werden wie Dingfragen ohne menschliche Regungen zu lösen versucht 3. Phase (selbst-)zerstörend

..Abb. 17.5  Stufenmodell der Konflikteskalation. (Mod. nach Glasl 2013)

zeugt, dass durch rationales Argumentieren, durch Dialog eine Konfliktverhandlung noch gut möglich ist.

Stufe 2: Polarisation und Debatte In der zweiten Eskalationsstufe werden klare Pro- und Kontralager gebildet und das Klima wird konfrontativer. Die Positionen werden jetzt deutlich als konkurrierend erlebt, es bildet sich stärker ein Schwarz-Weiß-Denken heraus. Damit entstehen auch Pro- und Kontra-Lager, das Zusammengehörigkeitsgefühl auf jeder Seite wird gestärkt, indem man die andere Seite als Konkurrenz erlebt. Neben den „besseren Argumenten“ geht es schon deutlich um die Frage, wer eigentlich Recht hat. In der Debatte konzentriert man sich immer noch auf verbale Auseinandersetzungen, jeder Seite wird das Recht auf Erwiderung und Rechtfertigung noch zugesprochen.

Polarisation und Debatte

Stufe 3: Taten statt Worte Wird die Schwelle zur Stufe drei überschritten, gelangen die Parteien zur Überzeugung, dass der bisher geführte verbale Schlagabtausch nichts mehr nützt. Vielmehr schreiten sie jetzt zu Taten, indem sie beispielsweise die Gegenseite vor vollendete Tatsachen stellen (z. B. Geräte werden entsorgt oder neue angeschafft). Die verbale Kommunikation tritt in den Hintergrund und nonverbale Signale werden wichtiger (z. B. nicht mehr grüßen, Türen verschließen). Damit erhöht sich auch die Gefahr einer Diskrepanz zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation, das gegenseitige Miss-

Taten statt Worte

782

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Win-Lose-Phase

trauen wächst. Wirkliches Interesse für die Anliegen der Gegenseite schwindet zunehmend, der Boden für Vorurteile und Projektionen wird stärker ausgebildet. Trotzdem hoffen beide Seiten noch, die Gegenpartei zur „Räson“ zu bringen, notfalls eben mit Taten. Stufen 4–6: Win-Lose-Phase: Die Parteien glauben jetzt nicht mehr daran, dass beide Seiten als Gewinner aus dem Konflikt herauskommen. Vielmehr wächst die Überzeugung, dass nur eine Seite gewinnen kann und es somit auch Verlierer gibt. Die Bemühungen konzentrieren sich damit auf den eigenen Gewinn.

-

Stufe 4: Sorge um Image und Koalitionen Image und Koalitionen

Von der Stufe 3 zur Stufe 4 erfolgt eine sprunghafte Ausweitung der Konfliktarena. Sachfragen treten fast ganz in den Hintergrund, es dominieren die Beziehungen der Parteien zueinander. Durch Beeinflussung von Außenstehenden versucht man, die andere Seite zu diskreditieren und sich selbst ins beste Licht zu rücken. Damit wächst auch der Konformitätsdruck in den eigenen Reihen, sodass abweichende Meinungen kaum mehr zulässig sind.

Stufe 5: Gesichtsverlust Gesichtsverlust

Die Schwelle von Stufe 4 zu 5 wird dadurch überschritten, indem eine Seite mutwillig einen öffentlichen Gesichtsverlust der andern provoziert. Damit wird eine Eskalation weiter vorangetrieben, indem in der Regel entsprechende Gegenreaktionen folgen. Demaskierungen verschärfen gegenseitige Stigmatisierungen („Endlich zeigen Sie Ihr wahres Gesicht“) und können sogar in Verteufelungen der anderen Seite münden. Gleichzeitig will man sich selbst ins beste Licht rücken, die Parteien entwickeln eine regelrechte „Rehabilitationssucht“ und nehmen dafür viel in Kauf. Damit kreist jede Seite noch mehr um sich selbst, ein Dialog auf der Sachebene ist überhaupt nicht mehr möglich.

Stufe 6: Drohstrategien Drohstrategien

17 Lose-Lose-Phase

Die Stufe 6 weist einen erhöhten Gewaltpegel auf, indem Drohungen ausgesprochen werden, der Gegenpartei Schaden zuzufügen. Dem Drohen liegt dabei ein paradoxes Denken zugrunde. Die ausgesprochene Drohung soll den Gegner von einer Gewalttat abhalten. Dabei wird aber Gewalt in Aussicht gestellt. Um die Glaubwürdigkeit zu bewahren, setzen sich die Parteien damit unter Zugzwang: Wenn sich die Gegenseite durch Drohungen nicht einschüchtern lässt, müssen die eigenen Drohungen ja umgesetzt werden. Stufen 7–9: Lose-Lose-Phase. In der 3. Phase ist beiden Parteien klar, dass keine Seite mehr gewinnen kann. Die Handlungen folgen nun der Logik, dass, wenn schon beide verlieren, jede Seite bemüht ist, selber weniger Schaden davonzutragen als die andere Seite.

-

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

783

17

Stufe 7: Begrenzte Vernichtungsschläge

Stufe 6 hat diese Stufe schon vorweggenommen: die Drohungen, die ausgesprochen wurden, werden jetzt in die Tat umgesetzt. Damit ist ein Stadium begrenzter gegenseitiger Vernichtungsschläge erreicht. Die Gegner werden schon nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als bedrohliche Objekte, die man am besten skrupellos manipuliert oder in Schach hält.

Vernichtungsschläge

Stufe 8: Zersplitterung Im Gegensatz zur Stufe 7 geht es hier um Angriffe „auf das zentrale Nervensystem“ des Feindes. Es werden Kampftaktiken eingesetzt, auch wenn man selbst dafür etwas riskiert oder einen hohen Preis dafür zahlt. Die vorherrschende Logik dahinter besteht darin, dem anderen mehr Schaden zuzufügen als der eigenen Seite. Noch hält sich die Gewaltanwendung in gewissen Grenzen, denn jede Seite will am Schluss überleben.

Zersplitterung

Stufe 9: Gemeinsam in den Abgrund Die Wende zur letzten Stufe besteht in der Entscheidung, den Gegner sogar um den Preis der Selbstzerstörung zugrunde zu richten. In der Wahrnehmung der Gegner gibt es keinen Weg zurück. Deshalb wird in dem Stadium der Krieg aller gegen alle geführt, ohne Rücksicht auf Verluste. Selbst der eigene Tod ist es wert, wenn der Gegner nur auch vernichtet wird.

Gemeinsam in den Abgrund

17.6 Konfliktmanagement

als Führungsaufgabe

Wie in . Abb. 17.2 aufgezeigt, umfasst Konfliktmanagement als Führungsaufgabe Wahrnehmung, Diagnose, Erkennen der Dynamik und schließlich die Behandlung bzw. Bewältigung von Konflikten. Dazu kommt ganz zentral die Konfliktprophylaxe. Unter Prophylaxe können viele Interventionen verstanden werden, die auch Grundlage des vorliegenden Bandes bilden. Gemäß Schreyögg (2002) gehören folgende Aspekte zur Konfliktprophylaxe: qualifizierte Planung auf strategischer und operativer Ebene (7 Kap. 18), qualifiziertes Organisieren (7 Kap. 12), qualifizierter Personaleinsatz (7 Kap. 13), qualifizierte Führung (7 Kap. 3, 7 Kap. 4) und qualifizierte Kontrolle (7 Kap. 15).

Konfliktmanagement als Konfliktprophylaxe

Daneben erwähnt Schreyögg explizit auch die Konfliktstimulation als Führungsaufgabe (2011), v. a. in Situationen und Organisationen, die schon ein gewisses Maß an Erstarrung aufweisen und durch Konfliktstimulation wieder etwas „belebt“ werden sollen.

Konfliktstimulation Konfliktbehandlung

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784

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Die Kunst dabei besteht darin, dass der Konflikt im Rahmen der ersten drei Eskalationsstufen bleibt; deshalb sind Kenntnisse bezüglich der Konfliktdynamik zentrale Aspekte einer Führungskompetenz. Schließlich ist die Konfliktbehandlung eine wichtige Aufgabe der Führungskraft. Diese bildet den Schwerpunkt des vorliegenden Kapitels, in dem es darum geht, die wichtigsten Strategien im Umgang mit Konflikten aufzuzeigen. Für alle Strategien bedienen wir uns bestimmter Verhaltensmuster, die beschrieben werden. Basierend auf den konstruktiven Bearbeitungsmustern wird ein Modell im Detail dargestellt, das sich besonders gut für eine nachhaltige Konfliktbearbeitung eignet: Das Harvard-Konzept dient auch als Basis für die Mediation, deren wichtigsten Schritte zum Schluss aufgeführt werden. 17.6.1

Strategie Rolle der Führungskraft im Konfliktgeschehen

Führungskraft als Teil des Konflikts

17

Grundstrategien zur Lösung von Konflikten

Strategie heißt ursprünglich „Kunst der Heerführung, Feldherrenkunst; (geschickte) Kampfplanung“ und kann hier verstanden werden als langfristig geplante Vorgehensweisen, die eine Person oder Partei in der Konfliktbewältigung anstrebt. In der Literatur werden verschiedene Strategien beschrieben. Hier werden einige davon in einem Überblick aufgezeigt. Für Führungskräfte stellt sich als erstes die zentrale Frage nach der Rolle im Konfliktgeschehen und damit auch nach dem Grad der Betroffenheit hinsichtlich der Sach- und Interessenlage (Sachebene) und den Beziehungen und emotionaler Nähe und Distanz (Beziehungsebene).

-

Je nachdem, ob Führungskräfte selbst Teil des Konflikts sind oder nicht, stellt sich die Ausgangslage und damit die Frage nach der jeweiligen Lösungsstrategie ganz unterschiedlich. Führungskräfte als Teil des Konflikts kann es in verschiedenen Variationen geben, etwa: im Konflikt mit einer vorgesetzten Person oder Stelle, im Konflikt mit einem bzw. einer Gleichgestellten, als Teil einer Partei in einem Konflikt unter Kollegen, im Konflikt gegen einzelne im Team bzw. gegen das ganze unterstellte Team als Teil einer Partei im Konflikt des Teams, das sie leiten.

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Als „Faustregel“ kann davon ausgegangen werden: Je stärker Führungskräfte selbst in einen Konflikt involviert sind und je fortgeschrittener das Eskalationsstadium ist, desto eher sollte eine Intervention durch eine dritte Partei in Betracht gezogen werden (vgl. weiter unten).

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

785

17

Sind Führungskräfte nicht Teil des Konflikts, so kann etwa die Rolle eines Konfliktmoderators in Erwägung gezogen werden. Dabei sollten verschiedene Faktoren bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden, z. B. die konkrete Situation, der Eskalationsgrad und die Vorgeschichte, die Nähe bzw. Distanz zu einzelnen Konfliktparteien, Vorerfahrungen, Beratungskompetenzen usw. Unabhängig von den jeweiligen Rollen der Beteiligten lassen sich verschiedene Arten der Konfliktregulation und entsprechende Strategietypen unterscheiden. Schmidt und Berg (1995) teilen die Konfliktregulationen grob in drei Typen ein, mit folgenden Orientierungsschwerpunkten:

Führungskraft nicht Teil des Konflikts

Macht  Der mächtigere Konfliktpartner oder eine Drittpartei erzwingt eine Lösung, indem er bzw. sie entsprechende Machtmittel einsetzen kann (Gewalt, Geld, Sanktionen, Beziehungen usw.).

Machtregulation

Recht  Es wird entschieden, wer im Recht ist, wobei diese Ver-

Rechtsentscheid

Interessen  Die Konfliktpartner eruieren ihre Wünsche, Bedürf-

Verhandlung

Selbstregulierung  Im ersten Fall kann man von Selbstregulie-

Selbstregulierung

fahrensweisen Rechtssatzung, -mittel und -instanzen voraussetzen.

nisse und Interessen und handeln einen entsprechenden Ausgleich aus (vgl. Harvard-Konzept). Gemäß Schmidt und Berg entspricht die oben aufgeführte Reihenfolge auch der Häufigkeit, wie die Konfliktregelungen angewendet werden, obwohl ein umgekehrtes Verhältnis im Sinne einer Dauerhaftigkeit der erreichten Lösung erstrebenswert wäre. Eine andere Einteilung ist die Unterscheidung in Strategien, die die Konfliktparteien autonom anwenden vs. sogenannte Drittpartei-Interventionen: rung sprechen: Die Konfliktparteien übernehmen selbst die Ver-

Strategietypen

antwortung für die Lösung. Dies gelingt umso besser, wenn ein Vertrauen in die eigenen kreativen Lösungsmöglichkeiten besteht, die weiter unten erwähnten Fähigkeiten zur Kommunikation wie auch zur Introspektion entwickelt und die Umweltbedingungen günstig sind. Organisationen, in denen Selbstführung zentral sind, legen hohen Wert auf diese Art der Konfliktbewältigung (Laloux 2015, S.  113 f). Die im 7 Abschn.  17.6.3 beschriebene sachorientierte Methode eignet sich sehr gut zur autonomen Konfliktverarbeitung, sie kann aber ebenso gut von außenstehenden Dritten angewendet werden. Drittpartei-Interventionen  Sie können wie bei der später beschriebenen sachorientierten Methode (7 Abschn.  17.6.3) als freiwillige Konfliktregelungsstrategie eingesetzt werden. Wichtig dabei ist, dass die dritte Partei selbst weder spezifisches Interesse an bestimmten Lösungen hat, noch Loyalität für eine Seite. Es besteht

Drittpartei-Interventionen

786

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Eskalationsstufen:

1 Verhärtung 2 Polarisation Debatte 3 Taten statt Worte

Interventionsmethoden:

Moderation Ein (interner oder externer) ”Moderator” versucht, die Probleme durch inhaltliche und prozedurale ”Selbstheilungseingriffe” zu korrigieren

4 Koalitionen 5 Gesichtsverlust 6 Drohstrategien

Schiedsverfahren

7 Begrenzte Vernichtungsschläge

Ein ”Schiedsrichter” löst das Problem nach eigener Lageeinschätzung

8 Zersplitterung

Prozessbegleitung Gefestigte Rollen und Beziehungen werden durch einen psychologisch erfahrenen ”Gesprächsleiter” aufgetaut und Fixierungen gelockert

Machteingriff Eine befugte ”Autorität” führt Maßnahmen gegen den Willen der Streitenden durch

Vermittlung Ein von beiden Seiten anerkannter ”Mediator” bemüht sich um einen Kompromiss, der alle Interessen berücksichtigt

9 Gemeinsam in den Abgrund

..Abb. 17.6  © 2018 by Tobias Leuenberger

Interventionen entlang der Eskalationsstufen Moderation Prozessbegleitung oder Pendeldiplomatie

17

..Abb. 17.8  © 2018 by Tobias Leuenberger

..Abb. 17.7  Interventionen entlang den Eskalationsstufen

auch die Möglichkeit, dass nur in bestimmten Phasen der Konfliktverhandlung eine außenstehende Instanz einbezogen wird (z. B. für die Bewertung von verschiedenen Lösungen). Je nach Eskalationsgrad kann eine Drittpartei-Intervention unumgänglich sein, um eine Lösung herbeizuführen oder zumindest die Chancen dafür zu erhöhen (. Abb. 17.7). . Abb. 17.7 zeigt die wichtigsten Strategie- und Rollenmodelle. Sie werden im Folgenden so ausgeführt, wie sie entlang der Eskalationsstufen sinnvollerweise zum Einsatz kommen (7 Abschn. 17.5). Auf den Stufen 1–3 befinden sich Drittparteien in erster Linie in der Rolle der Moderation. Sie unterstützen die Konfliktparteien darin, ihre Selbstheilungskräfte zu mobilisieren (7 Abschn. 17.6.3). Die Stufen  4–6 benötigen als Drittpartei-Intervention die Rolle einer Prozessbegleitung oder einer „Pendeldiplomatie“ (. Abb. 17.7). Da direkte Verhandlungen unter den Konfliktparteien kaum mehr möglich sind, muss zuerst Vertrauen aufgebaut werden. Dazu ist eine Unterstützung und Stärkung der einzelnen Seiten hilfreich, wobei die Kontakte in gleichem Ausmaß erfolgen, damit keine Partei den Eindruck erhält, die andere werde bevorzugt. Eine zu früh stattfindende Konfrontation der Konfliktparteien kann sich als schädlich erweisen, anstehende Treffen müssen sehr sorgfältig vorbereitet und klar strukturiert werden. Manchmal erweist es sich als sinnvoll, dass Hauptakteure separat

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

von den Konfliktgruppen zusätzlich ein Coaching beanspruchen (Schreyögg 2002; Enderli und Lippmann 2013). Schon gelegentlich ab Stufen 5 oder 6, sicher aber auf den Stufen 7–9 zeigt sich, dass Beratung keine brauchbare Intervention mehr sein kann, da es keine Bereitschaft zu einer kooperativen Konfliktbewältigung mehr gibt. Eine Gemeinsamkeit mag noch darin bestehen, den schon entstandenen und noch befürchteten Schaden zu begrenzen. Auf den Stufen 5-7 hat die Drittpartei die Möglichkeit der Vermittlung bzw. der Mediation (7 Abschn. 17.6.4), wobei die Mediation in Unternehmen durchaus schon in den Stufen 3–7 zum Tragen kommen kann). Dabei werden die gegnerischen Standpunkte nach ihrer Regelbarkeit gewichtet und mit dem Ziel eines Kompromisses ausgehandelt (Lösungsbeispiele wären etwa Begrenzung der Einflussgebiete, Einigung auf wechselseitige Duldung und Koexistenz, Trennung „in gegenseitigem Einvernehmen“). In gravierenden Fällen werden Interventionen wie Schiedsverfahren oder richterlicher Entscheid nötig sein, wobei die Rollenträger sozial anerkannte und durch das Recht legitimierte Macht zur Durchsetzung ihrer Entscheidungen benötigen. Die Feindschaft zwischen den Konfliktparteien bleibt aber in der Regel weiter bestehen. Im Extremfall braucht es einen Machteingriff durch eine befugte „Autorität“, die Maßnahmen gegen den Willen der Streitenden durchsetzt mit dem Hauptziel, die totale Vernichtung abzuwenden und die Konfliktparteien von entsprechenden Handlungen abzuhalten. Ein Machteingriff ist vor allem dann sinnvoll, wenn es gar keinen Verhandlungsspielraum für Lösungen gibt. Wie in 7 Abschn. 17.5.2 erwähnt, fasst Glasl die neun Eskalationsstufen in drei Phasen zusammen. Daraus lassen sich entsprechend drei Konfliktstrategien ableiten, die als Grundstrategien kurz charakterisiert werden sollen. Gewinner-Gewinner-Modell. Es geht davon aus, dass durch kooperative Lösungssuche alle Parteien gleichermaßen zufriedengestellt werden. Die Konfliktparteien können sich im besten Fall auf die Lösung(en) einigen, die für alle Beteiligten annehmbar sind. Das heißt in der Regel, dass es sich um optimale, aber nicht für die eine oder andere Partei maximale Lösung(en) handelt.

787

17

Vermittlung bzw. Mediation

Schiedsverfahren

Machteingriff

Gewinner-Gewinner-Modell

-

Voraussetzungen für das Zustandekommen von echter Einigung sind u. a. ungezwungene Meinungsäußerung, gegenseitiges Vertrauen und Ernstnehmen der jeweiligen Interessen, freier Zugang zu den erforderlichen Informationen und mögliche Partizipation an der Entscheidungsfindung. Gewinn-Gewinn-Methoden sind in den meisten Fällen zeitaufwendig und anspruchsvoll. Hauptziele sind die gemeinsame Lösungsfindung und zufriedene Partner.

..Abb. 17.9  © 2018 by Tobias Leuenberger

788

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Gewinner-Verlierer-Strategie

Mobbing als spezielle Form

Damit bietet diese Methode am ehesten Gewähr, dass eine erzielte Lösung tatsächlich umgesetzt und von einer gewissen Dauer sein wird. Gewinner-Verlierer-Strategie. Sie geht davon aus, dass jede Partei nur so viel gewinnen kann, wie die andere verliert. Mit anderen Worten: Jeder Gewinn der einen Partei führt unweigerlich zu einem Verlust für die andere Partei. Diese Strategie wird oft auch „Nullsummenspiel“ genannt, weil davon ausgegangen wird, dass die Summe aus Gewinn und Verlust immer gleich Null sei.

-

Mobbing als spezielle Form einer Gewinner-Verlierer-Strategie  Das

in den letzten Jahren stark zunehmende Phänomen des Mobbings kann man als eine besonders destruktive Form einer GewinnerVerlierer-Strategie betrachten. Mobbing unterscheidet sich von anderen Formen der Konfliktaustragung durch eine ausgeprägte Asymmetrie in der Größe der beteiligten Parteien: Es geht immer eine mehr oder minder große Gruppe von Personen gegen einen Einzelnen vor. Mobbing kann folgende Verhaltensweisen umfassen: die Person wird beispielsweise sozial isoliert, schikaniert, belästigt, drangsaliert, beleidigt, mit niedrigen Aufgaben betraut, gedemütigt. Damit Mobbing vorliegt, müssen folgende Merkmale zutreffen: Auftretenshäufigkeit wenigstens einmal pro Woche; Auftretensdauer wenigstens ein halbes Jahr; Mobbingaktivitäten erfolgen systematisch und nicht zufällig; Machtstrukturen sind sehr ungünstig für das Opfer, das deswegen nur wenige Möglichkeiten zur Gegenwehr hat; Aktivitäten sind gezielt auf eine Person gerichtet im Gegensatz zu einer Konfliktkultur, welche alle betrifft.

--Verlierer-Verlierer-Strategie

17

Als Aufgabe der Konfliktprophylaxe sind Führungskräfte zum einen gefordert zu verhindern, dass Mobbing auftritt. Darüber hinaus sollten sie Mobbing erkennen und diesem Phänomen durch entsprechende Konfliktlösungsstrategien entgegentreten (Neuberger 1995). Verlierer-Verlierer-Strategie. Sie bringt allen Beteiligten einen mehr oder weniger großen Verlust ein und geht in der Regel mit einer Verschlechterung der Beziehungsqualität einher. Dies trifft etwa bei der Anwendung von destruktiven Methoden zu, bei denen die Gegenseite persönlich angegriffen wird. Auch manipulative Methoden mit böswilligen Täuschungen der anderen Partei können hier eingeordnet werden, die dabei erreichten „Lösungen“ sind selten von Bestand.

-

Im übernächsten Abschnitt wird eine Gewinner-Gewinner-Methode ausführlicher behandelt werden, die in den vergangenen Jahren in verschiedenen Gebieten zur Anwendung gekommen

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

789

17

ist und sich auch gut für Führungskräfte eignet. Allen Konfliktstrategien liegen entsprechende Verhaltensmuster zugrunde, die im folgenden Abschnitt dargelegt werden. 17.6.2

Verhaltensmuster in Konfliktsituationen

Ähnlich wie die Konfliktarten lassen sich auch die Verhaltensweisen von Menschen in Konfliktsituationen auf einige wenige Grundmuster zurückführen, von denen es dann aber mindestens so viele Variationen geben dürfte, wie es Menschen gibt. Im Prinzip verfügt jede Person über das ganze Repertoire der Grundmuster; je nach Situation wird das eine oder andere Verhalten bevorzugt. Im Folgenden sind diese Muster in Form einer Typologie dargestellt, wobei die Grundvarianten als Stadien eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses wie eines Reifeprozesses von Individuen, Gruppen und Organisationen im Verlauf einer Konfliktregulierung aufgefasst werden können. Aus . Tab. 17.2 wird deutlich, dass die Muster Flucht, Totstellreflex, Kampf und Unterwerfung zwar bestenfalls einen akuten Konflikt beseitigen, ihn jedoch niemals zu lösen vermögen. Im Gegenteil – sie provozieren häufig eine weitere Eskalation, sodass dann zu einem späteren Zeitpunkt Drittparteien einbezogen werden müssen, wie dies anhand der Eskalationsstufen im vorhergehenden Abschnitt aufgezeigt wurde. Die anderen drei Konflikthandhabungsmuster – besonders natürlich die Konsensfindung – werden stets in Hinsicht auf gegenseitiges Einverständnis hin geführt. Dies setzt eine gewisse „Diskursethik“ voraus, die sich stark an Gedanken der Aufklärung orientiert und beispielsweise folgende Grundsätze beinhaltet: Die andere Konfliktpartei wird als gleichwertig akzeptiert. Ihr werden bis zum sicheren Beweis des Gegenteils all jene Eigenschaften, Dispositionen und Geltungsansprüche zugestanden, die man für sich selbst in Anspruch nimmt. Das ist wohl eine anspruchsvolle Bedingung für Vernunft unter Menschen überhaupt. Dazu kommt das Akzeptieren des Gegenübers, wie man selbst akzeptiert werden will. Jede Unterstellung, etwa dass die andere Seite absichtlich unverständlich oder „dummes Zeug“ redet, fällt gewissermaßen auf den zurück, der diese Gedanken anstellt. Beide Seiten sollten demnach so verständlich und angemessen kommunizieren, dass das Gegenüber wiederum „verständlich“ antworten kann. Verständlichkeit wie auch „Wahrhaftigkeit“ sind ein beidseitiger Geltungsanspruch und können nur in einem dialektischen Prozess konstituiert werden. Eine Konsensfindung basiert auf „günstigen“ Gesprächs- bzw. Konfliktbearbeitungsmustern, wie sie in 7 Abschn. 9.1, 7 Abschn. 9.3 und in 7 Abschn. 17.6.3 beschrieben sind.

Verhaltensmuster als Typologie und als Stadien eines Entwicklungsprozesses

Diskursethik

konstruktiver Umgang mit Konflikten

17

Entwicklungsgeschichte

Rückzug bzw. „Aus-dem-FeldeGehen“, effektive Verhaltensweise dann, wenn genügend Ressourcen, z. B. Jagd- und Weideland, zur Verfügung stehen.

Inaktivität; Erstarrung, Rigidität, extreme Trägheit; „Aussitzen“.

Drohen, Verjagen, Schwächen, Vernichten.

Nachgiebigkeit: Anpassen, Aufgeben (partieller Verzicht), symbolisch (z. B. Demutsgebärde) und/oder materiell.

Verhaltensmuster

Flucht

Totstellreflex

Kampf

Unter­ werfung

Hilflosigkeit im Wahrnehmen und Durchsetzen eigener Anliegen; Angst vor „Liebesverlust“, d. h. Beziehung wird als gefährdet angesehen; Selbstverleugnung; Resignation.

Projektion: eigene Bilder und Zustände auf das Gegenüber; Selbstvorwürfe und Schuldgefühle.

Ängstlichkeit, Verkrampfung, Ideenlosigkeit; Passivität: „Warten auf ein Wunder“.

Verleugnung/Verdrängung eigener Wünsche, Bedürfnisse; zwanghafte Ersatzhandlungen.

Psychodynamische Prozesse

Konflikte werden „reguliert“ durch Einordnung in das hierarchische Gefüge, Verschärfung der Dienstanweisungen, Degradierung, Tausch der „Freiheit und Selbstbestimmung“ gegen „Sicherheit und Unterordnung“

Konflikte werden „reguliert“ durch Kündigung des Schwächeren, Zwangspensionierung, Zerstörung des Rufs, Abschieben aufs Abstellgleis, Erklärung zum Verräter.

Aussitzen und Opportunismus begünstigen die jeweils aktivere Seite; Konflikthandhabung erfolgt von außen; Opferrollen werden gefördert.

Konflikte werden ignoriert, ausgeklammert, auf die lange Bank geschoben, personalisiert, aufgespalten.

Prozesse in Gruppen/Organisationen

! Siegen ist gleich recht haben; Dialektik von „Herr und Knecht“; starre Rollenverteilung ist oft unflexibel; Unterworfene können in Depression, Apathie verfallen. + Ohne Vernichtung besteht die Möglichkeit der Umkehrbarkeit und Auseinandersetzung zwischen „Herrn und Sklaven“.

! Eskalationsgefahr, wenn Gegenüber ebenfalls kämpft; „Lösung“ des Stärkeren ist nicht unbedingt optimal für alle Beteiligten; Konflikt brodelt in der Regel weiter; Verlierer bleibt mit schlechten Gefühlen zurück, weitere Entwicklungen sind vorbelastet; in der Vernichtungsstrategie sind Fehler nicht korrigierbar. + Oft rasche Konflikterledigung (wenn auch nicht unbedingt von Dauer); Befriedigung für den Sieger; Gegner und evtl. ist damit auch Konflikt beseitigt.

! Es findet wenig Lernen statt; Risiko der Vereinnahmung und des voreiligen Abschlusses einer Konfliktsituation; weckt den Eindruck von Unbestimmtheit, Profillosigkeit und Unabgegrenztsein gegenüber anderen. + Gefühle von Zusammengehörigkeit können wachsen; evtl. Raum- und Zeitgewinn für weiteres Vorgehen.

! Es findet kein Lernen statt; Konflikt kann sich verschlimmern; Belastung, evtl. Auflösung der Beziehung; Vermeidung wird als Schwäche ausgelegt; Suchtverhalten; Auf- bzw. Abspaltungen. + Akute Spannungen lockern sich; Energieaufwand sinkt (kurzfristig); Raum- und Zeitgewinn fürs weitere Vorgehen.

Gefahren (!) bzw. Vorteile (+)

..Tab. 17.2  Verhaltensmuster in Konfliktsituationen. (Adaptiert nach Eck 1996, mit freundlicher Genehmigung von David und Christoph Eck; Schmidt und Berg 1995; Schwarz 2001)

790 Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Entwicklungsgeschichte

„Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“. Die Gesellschaft differenziert sich. Es entstehen spezielle Funktionen, Amtsträger. Neue Funktionen lösen Konflikte aufgrund zugeschriebener Macht in der Exekutive oder Legislative.

Teilweiser Verzicht auf ursprüngliche Lösungselemente. Setzt Bereitschaft zur Problemlösung und Auseinandersetzung voraus. Macht und Gewaltpotenzial sind etwa gleichmäßig verteilt.

Lösung ist Resultat eines dialektischen Verhandlungsprozesses mit Lösungen, die allen Gegensätzen optimal (und nicht maximal) Rechnung trägt. Die Kontrahenten nehmen sich gleichermaßen ernst und sind an einer tragfähigen Basis für längerfristige Zusammenarbeit interessiert.

Verhaltensmuster

Delegation

Kompromiss

Konsens

..Tab. 17.2 (Fortsetzung)

Ich-Stärke als intakte IchFunktionen, Selbstvertrauen; Bezogenheit auf Partner, Kontext; Containment: Vertrauen in Tragfähigkeit der Beziehung (sich einlassen und sich abgrenzen können).

Ich-Stärke als intakte Ich-Funktion, Selbstvertrauen; Bezogenheit auf Partner, Kontext.

Triebverzicht: Unmittelbare Kommunikation und unter Umständen auch unmittelbare Bedürfnisbefriedigung müssen zugunsten allgemeinerer, höherer zurückgestellt werden. Vertrauen auf außenstehende Instanz.

Psychodynamische Prozesse

Konflikte werden gelöst durch Verhandeln im Sinne des Harvard-Konzepts. Voraussetzung sind wechselseitiges Verständnis, offener Austausch und Sorge für die Anliegen der anderen ohne Preisgabe zentraler eigener Überzeugungen.

Konflikte werden geregelt durch Feilschen: jeder gibt etwas ab und erhält etwas.

Konflikte werden „geregelt“ durch Einschalten von höheren Autoritäten, juristische Gutachten und Entscheidungen, Delegation an Zufallsinstanz bzw. an „Unbefangene“.

Prozesse in Gruppen/Organisationen

! Verlangt hohes Engagement der Beteiligten und braucht entsprechend viel Zeit und Energie. Abweichen von der eigenen Position kann je nach Kontext als Schwäche ausgelegt werden. + Förderung von Initiative, Partizipation, Kreativität und Lernen. Stärkung von Beziehungen; geteilte Verantwortung fürs Gelingen; motiviert und belohnt alle gleich. Schafft Vertrauen, neuen Konflikten gewachsen zu sein.

! Kann zu mittelprächtigen oder gar „faulen“ Lösungen führen, v. a. wenn die wichtigsten kontroversen Themen ausgeklammert wurden. Räumt evtl. die tieferen Konfliktgründe nicht aus der Welt, sodass Konflikt wieder auftritt. Teileinigung ist auch Teilverlust, lädt manchmal zu manipulativen Spielen ein. + Relativ rasche Lösungsfindung bei eher geringem Kräfteverschleiß, Förderung von Initiative, Partizipation und Kreativität. Verhindert Gesichtsverlust.

! Individuelle Identifikation mit der Lösung ist geringer als bei eigener Erarbeitung. Emotionale Anteile und „Kompetenz“ lassen sich schlecht delegieren. + Es entsteht eine gemeinsame Verbindlichkeit mit einer Art „Objektivität“, Sachlichkeit und Neutralität. Schema von Sieg und Niederlage wird durch höhere Instanz abgeschwächt.

Gefahren (!) bzw. Vorteile (+)

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe 791

17

792

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Merkmale einer konstruktiven Haltung

Abschließend werden einige zentrale Merkmale und Kennzeichen genannt, die auf der Ebene des Individuums bzw. der Gruppe/ Organisation als konstruktiv für den Umgang mit Konflikten betrachtet werden können und auch als Grundlage gelten für das Harvard-Konzept: Konflikte werden als zum Leben gehörend akzeptiert, wahrgenommen, thematisiert, „gehegt“. Konfliktparteien werden als gleichberechtigt anerkannt mit gegenseitigem Respekt und Eingeständnis gegenseitiger Fehlbarkeit. Es wird angestrebt, eine Beziehung herzustellen bzw. zu erhalten, die trag- und funktionsfähig ist, und in der Verschiedenheiten (in Meinungen, Interessen usw.) akzeptiert werden. Es besteht ein Wille zu einer gemeinsamen Lösungsfindung mit Interessenausgleich, wobei Sach- und Beziehungsaspekte voneinander getrennt und Lösungsmethoden aktiv genutzt werden. Wenn Lösungen von Problemen oder Konflikten nicht oder nur sehr beschränkt möglich sind, ist es wichtig, dass die damit verbundenen Spannungen ausgehalten und soweit wie möglich verarbeitet werden können, ohne dass „utopische Lösungsversuche“ (Watzlawick et al. 1974) angestrebt werden.

-

17.6.3 Harvard-Konzept Theorie und Praxis des Verhandelns Sachgerecht verhandeln

17 „Hart in der Sache, weich gegenüber den Menschen“

Das „Harvard Negotiation Project“ an der Harvard-Universität beschäftigt sich mit der Verbesserung von Theorie und Praxis des Verhandelns, Vermittelns und der Konfliktbewältigung. Mitglieder des Projekts sind beratend und vermittelnd tätig in Konflikten im Umfeld von Familie, Arbeit/Organisationen bis hin zur Politik (berühmtes Beispiel: Nahost-Friedensverhandlungen in Camp David 1978). Aus dem Projekt sind zahlreiche Publikationen hervorgegangen; die folgenden Ausführungen stützen sich weitgehend auf das grundlegende Buch von Fisher und Ury, das 1981 in den USA und auf Deutsch erstmals 1984 erschienen ist. Der Untertitel „Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln“ enthält aber streng genommen nur einen Teil der Verhandlungsstrategie: Denn nicht nur auf die Sach-, sondern auch auf die Beziehungsebene wird beim Harvard-Konzept sehr viel Wert gelegt. Zudem schlägt das Modell einen „dritten“ Weg vor zwischen der „weichen“ Art der Verhandlung (eher konfliktvermeidend mit schnellen Zugeständnissen) und der „harten“ (gewinnorientiert, auf Positionen beharrend): Die Alternative lässt sich treffend in folgendem Leitspruch umschreiben: „Hart in der Sache, weich gegenüber den Menschen.“ Das Ergebnis einer Konfliktverhandlung sollte entsprechend daran gemessen werden, ob es eine vernünftige Übereinkunft beinhaltet (d. h. die legitimen Interessen jeder Seite werden in höchstmöglichem Maße berücksichtigt); effizient ist (d. h.

-

793

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

2. Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen

1. Menschen und Probleme zusammen sehen, jedoch ”getrennt” behandeln

PERSON

17

+

SACHE 4. Objektive Kriterien anwenden

w in - win

3. Entscheidungsmöglichkeiten (Optionen) zum beiderseitigen Vorteil entwickeln

..Abb. 17.10  Vier Grundaspekte des Harvard-Konzeptes

wirkungsvoll, umsetzbar, dauerhaft usw.); die Beziehungen der Partner zueinander verbessert oder zumindest nicht verschlechtert. Das Harvard-Konzept beruht im Wesentlichen auf vier Grundaspekten (. Abb. 17.10). 1. Menschen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln. 2. Interessen: Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen. 3. Möglichkeiten: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln. 4. Kriterien: Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungsprinzipien aufbauen.

4 Grundaspekte

Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln

Verhandlungs- bzw. Konfliktpartner sind keine abstrakten Vertreter einer Position, einer Sache oder einer Organisation, sondern sind zuallererst Menschen mit Gefühlen, Vorstellungen, Werten,

Konfliktpartner sind Menschen

794

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Weltanschauungen usw. Dieser menschliche Aspekt kann beim Verhandeln nützen oder auch stören. Da die meisten Konflikte im Rahmen einer dauernden Beziehung stattfinden, ist es wichtig, jede Bearbeitung so zu führen, dass die künftigen Beziehungen und Verhandlungen gefördert und nicht beeinträchtigt werden. Dies ist auch deshalb von Bedeutung, weil persönliche Beziehungen leicht mit den sachlichen Auseinandersetzungen vermischt werden. Ob etwa das Konto überzogen oder im Wohnzimmer Unordnung ist: Der Ärger über eine missliche Situation verleitet einen leicht, seinen Unmut gegenüber denjenigen auszudrücken, die damit in Verbindung stehen. Der erste Grundsatz heißt: >>Trennen Sie persönliche Beziehungen von der Sachfrage.

Kümmern Sie sich unmittelbar um das „Problem Mensch“. Menschen und Probleme trennen

Er kann unter drei Gesichtspunkten näher betrachtet werden: Vorstellung, Emotion, Kommunikation. zz Vorstellungen

Vorstellungen

Jede Konfliktsituation kann dadurch gekennzeichnet werden, dass es zu einem scheinbar „objektiven“ Sachverhalt verschiedene Betrachtungsweisen gibt. Das Verständnis für das Wie und Was im Denken der anderen Partei ist ein wichtiger Schritt in der Konfliktbearbeitung; im Einzelnen kann das etwa bedeuten: zz Sich in die Lage des Gegenübers versetzen

sich ins Gegenüber versetzen

Die Erkenntnis, dass die anderen die Sache anders sehen, reicht nicht, sondern wir sollten in der Lage sein, das eigene Urteil für einige Zeit zurückzustellen und uns ganz der anderen Sicht zuzuwenden. Den Standpunkt der Gegenseite zu verstehen heißt noch lange nicht, dass man damit einverstanden ist. Aber es kann helfen, die eigene Sicht der Dinge zu relativieren, allenfalls zu ändern und die eigenen Interessen neu abzuklären. Vielleicht wird bereits dadurch der Konflikt etwas entschärft. zz Absichten der anderen niemals aus den eigenen Befürchtungen ableiten

Vorsicht vor Projektionen

17

Damit ist die Vorsicht vor Projektionen angesprochen und soll davor warnen, die Gegenseite zum Träger und Urheber eigener Befürchtungen und Wünsche zu machen. zz Schuldzuweisungen vermeiden

keine Schuldzuweisungen

Wir geraten alle schnell ins Schimpfen, besonders wenn wir merken, dass die Gegenseite tatsächlich an unserem Problem mitverantwortlich ist. Aber selbst gerechtfertigte Tadel sind unproduktiv. Durch Schuldzuweisungen werden die sachliche und menschliche Seite der Angelegenheit vermischt. Die Gefahr ist groß, dass das Gegenüber sich angegriffen fühlt und sich verteidigt.

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

795

17

zz Über die Vorstellungen beider Seiten sprechen und die Vorstellungen der Gegenseite auf unerwartete Weise nutzen

Das Sprechen über die unterschiedlichen Vorstellungen fördert das Verständnis füreinander, sofern dies ohne gegenseitige Vorwürfe geschieht. Eine gute Möglichkeit, die Vorstellungen der Gegenseite zu verändern, besteht darin, dass man sich anders als erwartet verhält. Als etwa Präsident Sadat im November 1977 unerwartet Jerusalem besuchte, setzte er ein Zeichen, dass auch er Frieden wünschte und nicht als Feind, sondern als Partner handelte.

über beidseitige Vorstellungen sprechen

zz Gegenseite am Ergebnis beteiligen und dafür sorgen, dass sie sich am Verhandlungsprozess beteiligt

Damit ist das gegenseitige frühe Einbinden in den Lösungsprozess gemeint. Erteilen beide Seiten nach und nach der Entwicklung einer Lösung ihre Zustimmung, so können sich beide besser im Ergebnis wiedererkennen und sind eher bereit, Vereinbarungen mitzutragen.

frühes Einbinden der Gegenseite

zz Vorschläge auf das Wertsystem der anderen abstimmen und ihr „Gesicht wahren“

Oft beharren die Verhandlungspartner auf ihren Positionen, weil sie das Gefühl des Kleinbeigebens vermeiden wollen, und nicht unbedingt als Ausdruck der Uneinigkeit mit der Gegenseite. Gelingt es, die Sachlage so umzuformulieren, dass die Grundsätze der Verhandlungspartner und das Image, das sie von sich haben, berücksichtigt sind, dann wird eine Übereinkunft eher zustande kommen. Dies kann zum Beispiel bedeuten, dass man der Gegenseite eine Lösung als ihre Idee zugesteht, falls dies für ihr Ansehen von Bedeutung ist.

„Gesicht wahren“

zz Emotionen

Der positive oder negative Verlauf von Konfliktverhandlungen hängt stark von den entstehenden Emotionen ab. Oft lösen Emotionen auf der einen Seite Emotionen auf der anderen aus. Nicht kontrollierte Emotionen können zum Verhandlungsabbruch führen. Als erstes ist es deshalb wichtig, Emotionen zu erkennen und zu verstehen, die eigenen und die der anderen. Wie kann man Emotionen erkennen? Indem man sich selbst beobachtet und sich beispielsweise aufschreibt, welche Gefühle man hat und welche man gerne haben möchte. Auch beim Gegenüber kann man durch aufmerksames Zuhören herausfinden, welche Gefühle dort im Vordergrund stehen und vielleicht auch, was die Ursachen dafür sind. Neben dem Erkennen ist auch das Anerkennen der Berechtigung von Gefühlen für den weiteren Verhandlungsverlauf wichtig. Dazu ist es hilfreich, die eigenen bzw. die Gefühle der Gegenseite zu artikulieren. Das kann auch so weit gehen, dass man die anderen darin unterstützt, den Ärger und andere negative Emotionen dadurch abzubauen, dass man den Gefühlen Luft verschafft.

Emotionen erkennen und verstehen

Gefühle anerkennen und artikulieren

796

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

zz Kommunikation Kommunikation

günstige Gesprächsmuster

Ohne Kommunikation kann man nicht verhandeln. Fisher und Ury (1984) bezeichnen Verhandeln als einen „nach beiden Seiten fließenden Prozess mit dem Ziel, eine gemeinsame Entscheidung herbeizuführen“. In diesem Kommunikationsprozess gibt es drei große Probleme: Die Verhandlungspartner sprechen nicht miteinander, oder jedenfalls nicht so, dass sie einander verstehen. Die Gesprächspartner hören möglicherweise nicht aufmerksam genug zu. Es kommt zu Missverständnissen.

-

Die von den Autoren vorgeschlagenen Lösungen entsprechen vielen Aspekten, die in der Kommunikationslehre als „günstige“ Gesprächsmuster bezeichnet werden: Aufmerksam zuhören und Rückmeldung geben über das, was man gehört hat. Sich der Gegenseite zuwenden und so sprechen, dass man verstanden wird. Über sich reden, nicht über die Gegenseite: „Ich fühle mich im Stich gelassen“ ist besser als „Sie haben Ihr Wort gebrochen“, denn über den eigenen Gefühlszustand zu reden provoziert weniger Verteidigung bei der Gegenseite als über sie Behauptungen anzustellen. Manchmal ist weniger auch mehr: Gibt es beispielsweise viel Ärger und Unbehagen, lässt man manche Gedanken besser unausgesprochen. Bevor man einen verbindlichen Satz ausspricht, sollte man sich im Klaren darüber sein, was man eigentlich mitteilen will und welchem Zweck die Information dient. Der erste Grundaspekt, die Beziehungsebene, ist weder in einem ersten Schritt ein für alle Mal von den Sachfragen getrennt und „gelöst“, noch tritt er erst bei Verhandlungsbeginn in Kraft. Optimaler Weise ist ein Grundstock an Vertrauen da, auf dem man aufbauen kann. Informelle Kontakte sind hierbei nicht zu unterschätzen.

-

zz Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen

17 Interessen statt Positionen

Um in Konfliktverhandlungen vernünftige, für beide Seiten akzeptable Ergebnisse zu erzielen, muss man die Interessen, nicht die Positionen in Einklang bringen. Beispiel für alternative Lösungsmöglichkeiten: Zwei Mitarbeiter im Büro streiten sich um ein offenes Fenster. Der eine möchte es offen haben, der andere geschlossen. Beide nehmen ihre Position ein, eine Lösung ist so nicht möglich. Erst nachdem die dahinterstehenden Interessen offengelegt werden – Wunsch nach frischer Luft einerseits und Befürchtung wegen Zugluft andererseits – bieten sich alternative Lösungsmöglichkeiten an,

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

-

etwa die Öffnung des Fensters im Korridor oder in einem Nebenraum. Interessen sind innere Motive, Wünsche, Bedürfnisse, Sorgen usw. etwa bezüglich Sicherheit, wirtschaftlichem Auskommen, Zugehörigkeit, Anerkennung und Selbstbestimmung. Positionen sind bewusste Entscheidungen aufgrund von Interessen. Werden Interessen statt Positionen zur Übereinstimmung gebracht, so hilft das in zweierlei Hinsicht. Erstens kann meistens jedes Interesse durch mehrere mögliche Positionen befriedigt werden. Zweitens ist der Ausgleich von Interessen nützlicher als jeder Positionenkompromiss, weil es trotz gegensätzlicher Positionen in aller Regel mehr gemeinsame als gegensätzliche Interessen gibt. Wie findet man Interessen heraus? Fragen Sie: Warum sollte dies oder das so sein oder warum nicht? Versetzen Sie sich an die Stelle des Gegenübers und versuchen Sie, die Interessen aufzuspüren und anzuerkennen. Erstellen Sie bereits in der Vorbereitung eine Liste der verschiedenen Interessen aller Beteiligten. Dies ermöglicht eine bessere Einschätzung der Verhandlungssituation (. Abb. 17.11). Artikulieren Sie Ihre Interessen so deutlich wie möglich. Rechnen Sie aber nicht damit, dass die anderen ihre Interessen ohne weiteres bekanntgeben (vielleicht sind sie ihnen selbst nicht einmal ganz klar). Deshalb ist es wichtig, die Positionen nach den dahinter stehenden Interessen zu hinterfragen.

797

17 Interessen

Positionen

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Wenn Sie über Interessen sprechen, ist der erste Grundsatz von Bedeutung, dass Sie die menschliche Seite von der sachlichen unterscheiden. Dabei gilt wieder: Seien Sie bestimmt, aber flexibel. Seien Sie hart in der Sache, aber sanft zu den beteiligten Menschen.

--

Die Grundbedürfnisse und damit verbundenen Interessen motivieren die Personen und beeinflussen ihr Verhalten. Bevor die Parteien zum nächsten Punkt schreiten, ist es unabdingbar, die Interessen aller Beteiligten (die gleichen wie die unterschiedlichen) klar zu eruieren. Entwickeln Sie Entscheidungsmöglichkeiten (Optionen) zum beiderseitigen Vorteil. Oft geht es Verhandlungspartnern wie den beiden Schwestern, die über eine Orange stritten. Nachdem sie sich auf die Lösung „Frucht halbieren“ geeinigt hatten, nahm die erste ihre Hälfte, aß das Fleisch und warf die Schale weg; die andere warf stattdessen das Innere weg und benutzte die Schale, weil sie lediglich einen Kuchen backen wollte. Allzu oft wird die Chance vergeben, Entscheidungsmöglichkeiten zum beiderseitigen Vorteil zu entwickeln. Viele Verhandlun-

Interessen herausfinden

hart in der Sache, sanft zu den Menschen

Entscheidungsvarianten

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

798

1.

2.

3.

4.

5.

-

-

Lösungsmöglichkeiten Was ist mein Wunschziel? Habe ich einen Verhandlungsspielraum? Welchen? Welche Alternativen habe ich, falls keine Einigung zustande kommt? Was mache ich, wenn die Verhandlung scheitert?

-

Hat auch die Gegenpartei Alternativen? Welche? Welche Lösungen können am ehesten die Interessen beider Parteien befriedigen? Welche Randbedingungen beeinflussen die Lösung (Zwänge/Vorgaben)? Mit welchen Kompetenzen steige ich in die Verhandlung? Welche Kompetenzen hat der Partner?

-

Kriterien Welche Normen/Merkmale/Werte können bei der Wahl der Konfliktlösung als Entscheidungsgrundlage dienen? Woran soll die Güte der Lösung gemessen werden?

6.

Konfliktpartner Wer ist mein Gegenüber? Was für eine Person ist er/sie? Herrscht wechselseitiges Vertrauen/Akzeptanz? Gibt es Kommunikationsprobleme? Welche? Gibt es bereits Erfahrungen mit dem Partner? Welche? Konfliktgegenstand Wie sehe ich den Konflikt? Wie sieht mein Gegenüber die Situation? Gibt es Gemeinsamkeiten in den Sichtweisen? Habe ich bereits Position bezogen? Sehe ich die Lösung bereits? Welche? Welche Argumente/Fakten habe ich für meine Position/Lösung? Hat die Gegenpartei bereits Position bezogen? Welche? Welche Argumente/Fakten hat die Gegenpartei? Interessen Welche Interessen habe ich/stehen hinter meiner Position? Welche Interessen hat die Gegenpartei/stehen hinter ihrer Position? Welche gemeinsamen Interessen haben wir? Sehe ich Ausgleichsmöglichkeiten, wenn keine gemeinsamen Interessen vorhanden sind? Welche?

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Welche dieser Kriterien werden vermutlich von beiden Seiten akzeptiert? Wahl der Konfliktbearbeitungsmethode Ist eine Partei in einer Position der Stärke/Schwäche? Bin ich an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert? Das dürfte die Verhandlungstaktik der Gegenpartei sein? Welche Aspekte muss ich noch klären, vorbereiten, um die Verhandlung gut vorbereitet zu führen?

© 2018, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Lippmann, E., Pfister, A., Jörg, U.: Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

..Abb. 17.11  Arbeitsblatt 17.1: Vorbereitung einer Konfliktbearbeitung

17 verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln

gen enden mit der halben Orange für jede Seite anstatt der ganzen Frucht für die eine und der ganzen Schale für die andere. Warum? Obwohl es hilfreich ist, wenn verschiedene Wahlmöglichkeiten bestehen, sehen nur wenige Menschen in Verhandlungen die Notwendigkeit dafür ein. Meist glauben die Leute, dass sie die richtige Antwort schon kennen, und dass nur ihr Lösungsangebot vernünftig sei. Alle brauchbaren Lösungen scheinen dabei gewissermaßen auf einer geraden Linie zwischen der Position der Gegenseite und

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

799

17

der eigenen zu liegen. Die einzige Kreativität beschränkt sich dann darauf, die Differenz zwischen den Positionen zu halbieren. Bei den meisten Verhandlungen stehen vier Haupthindernisse im Wege, eine Vielfalt von Entscheidungsmöglichkeiten zu entwickeln: vorschnelles Urteil, das den Einfallsreichtum einschränkt, Suche nach „der“ richtigen Lösung mit entsprechenden Einengungen, Annahme, dass der „Kuchen“ begrenzt sei (Spiel um „feste Summen“), Vorstellung, dass die anderen ihre Probleme selbst lösen sollen.

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zz Rezepte für die Entwicklung kreativer Wahlmöglichkeiten

Es ist sinnvoll, den Prozess des Findens von Lösungsvarianten von der Beurteilung derselben zu trennen. Für die Phase der Lösungsfindung eignen sich Kreativitätstechniken sehr gut. Dort wird diese Regel (zuerst sammeln, dann bewerten) betont (z. B. beim Brainstorming, ausführlicher in 7 Abschn. 8.11). Es ist anzustreben, die Zahl der Optionen eher zu vermehren als nach der „einen“ Lösung zu suchen. Hilfen dazu können neben Kreativitätsmethoden auch verschiedene Betrachtungsweisen sein, etwa das Pendeln zwischen allgemeinen und konkreten Überlegungen, die Sache vom Standpunkt verschiedener Experten her betrachten, oder Teillösungen (kleine Schritte) entwickeln. Suchen Sie nach Vorteilen für beide Seiten. Finden Sie die gemeinsamen Interessen heraus und denken Sie dabei an drei Punkte: Gemeinsame Interessen gibt es, vielleicht auch verborgen, bei jeder Verhandlung. Fragen Sie sich beispielsweise: Haben wir ein gemeinsames Interesse am Erhalt unserer Beziehung? Gemeinsame Interessen sind Möglichkeiten, nicht Gottgegebenheiten. Konkretisieren Sie die gemeinsamen Interessen und stellen Sie diese als gemeinsame Ziele dar. Wenn Sie die gemeinsamen Ziele unterstreichen, werden möglicherweise die Verhandlungen flüssiger. So können etwa die Differenzen hinsichtlich Essensverteilung in einem Rettungsboot auf dem offenen Meer hinter das gemeinsame Ziel zurückgestellt werden, sobald wie möglich gerettet zu werden oder an Land zu kommen.

-

Entwickeln Sie Vorschläge, die der Gegenseite die Entscheidung erleichtern. Dazu ist es wiederum wichtig, die Interessen der anderen zu kennen und sich etwa zu fragen: Worauf würde ich hoffen bzw. welche Ergebnisse am meisten fürchten, wenn ich die andere Seite wäre? Solche Überlegungen sind viel hilfreicher, als der Gegenseite zu drohen. Wenn möglichst viele Interessen offengelegt und daraus verschiedene Lösungsmöglichkeiten entwickelt worden sind, braucht

Rezepte für die Entwicklung kreativer Wahlmöglichkeiten sammeln, dann bewerten

Optionen vermehren

gemeinsame Interessen

Interessen der Gegenseite beachten

Lösungsvarianten systematisch bewerten

800

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Bewertungskriterien

objektive Kriterien entwickeln bzw. anwenden

faire Kriterien

faire Verfahrensweisen

17

es als Nächstes vernünftige Bewertungskriterien, damit schließlich Übereinkünfte zustande kommen. Bestehen Sie auf der Anwendung objektiver Kriterien. Wie gut auch immer Sie die ersten drei Schritte befolgt haben – in den meisten Fällen werden Sie mit der harten Wirklichkeit einander widerstreitender Interessen konfrontiert sein: Sie wünschen eine Lohnerhöhung, Ihr Gegenüber eine Nullrunde. Sie möchten das große Büro mit der schönen Sicht, Ihr Partner ebenfalls. Sie möchten die Ware morgen geliefert haben, Ihr Gegenüber will das erst nächste Woche tun. All dies darf nicht verleugnet werden. Die Übereinkunft, die Sie anstreben und optimalerweise erzielen, muss möglichst auf der Basis von objektiven Kriterien beruhen. Vielfach liegen solche Maßstäbe in Richtlinien, Handbüchern, Gesetzestexten, Preislisten usw. vor. Diese müssen verwendet, kommuniziert und plausibel gemacht werden. Fehlen solche Vorgaben, müssen die Verhandlungspartner entsprechend objektive Kriterien entwickeln. Faire Kriterien sind an der Vernunft orientiert, gesetzlich legitimiert und praktisch durchführbar. Sie sollten beiden Seiten entsprechen. Dies können Sie testen, indem Sie es von beiden Seiten her anwenden (Verwendet beispielsweise die andere Partei denselben Mietvertrag, wenn sie ihrerseits in meiner Situation ist?). Bei der Entwicklung fairer Kriterien sind folgende Punkte hilfreich: frühere Vergleichsfälle, wissenschaftliche Gutachten, Kriterien von Sachverständigen, Kosten, moralische Kriterien, Gleichbehandlung, Tradition bzw. Gegenseitigkeit.

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Faire Verfahrensweisen sind zur Abstimmung der sich widersprechenden Interessen ebenso wichtig wie die fairen Kriterien selbst. Nehmen Sie das einfache Beispiel, ein Stück Kuchen zwischen zwei Kindern fair zu teilen: Das eine zerschneidet den Kuchen, das andere darf sich ein Stück auswählen. Keines der beiden kann sich über eine ungerechte Teilung beklagen. Eine Variante dieses Verfahrens besteht darin, dass die Parteien zuerst darüber verhandeln, was sie jeweils für ein faires Arrangement halten, bevor sie sich entscheiden. In der Auseinandersetzung über das Sorgerecht bei Kindern sollten sich die Eltern z. B. zuerst über die Besuchsmodalitäten und -häufigkeiten des anderen Partners einigen. Das gibt beiden den Anreiz zu einer fairen Besuchsregelung. Ein häufig angewendetes Verfahren mit vielen Variationsmöglichkeiten besteht darin, einer Drittperson die Schlüsselrolle bei der Entscheidung zuzuweisen, sei dies als Berater oder als Entscheidungsinstanz.

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

801

17

zz Verhandeln mit Hilfe objektiver Kriterien

Die Frage lautet, wie objektive Kriterien und Verfahren in die Diskussion um die Lösungsfindung eingebracht werden können. Sachbezogenes Verhandeln hat folgende Grundelemente: Funktionieren Sie jeden Streitfall zur gemeinsamen Suche nach objektiven Kriterien um. Laden Sie die Gegenseite ein, nach Lösungen zu suchen, die auf objektiven Kriterien beruhen. Einigen Sie sich zuerst über die Prinzipien und über die Kriterien, die Sie anwenden wollen. Versuchen Sie, auf Kriterien aufzubauen, die die Gegenseite eingebracht hat (z. B. wenn das Nachbarhaus als Referenz in einer Preisverhandlung dienen soll, dann können Sie auch andere vergleichbare Objekte in der Gegend als Preisvergleich einbringen). Argumentieren Sie vernünftig – und seien Sie solcher Argumentation gegenüber selbst offen. Falls Sie sich trotz Bemühen bei der Entscheidung für objektive Kriterien schwer tun, so schlagen Sie beispielsweise einen Test vor: Einigen Sie sich auf eine Person, die Sie beide als fair einschätzen, und geben Sie ihr eine Liste der vorgeschlagenen Kriterien mit der Bitte um Rat, welche zur Konfliktbehandlung verwendet werden sollten. Geben Sie niemals irgendeinem Druck nach. Druck kann verschiedene Formen haben: Bestechung, Drohung, Manipulation oder Weigerung der Gegenseite, von ihren Prinzipien abzuweichen. In all diesen Fällen lautet die Antwort gleich: Fordern sie die anderen zum vernünftigen Argumentieren auf. Sie können sich leichter der Willkür verweigern, als die Gegenseite sich der Entwicklung objektiver Kriterien entziehen kann.

Verhandeln mit Hilfe objektiver Kriterien

Soweit die vier Grundsätze des Harvard-Konzepts, die sich gegenseitig bedingen. Ihre konsequente Verfolgung fördert bessere Verhandlungsergebnisse. Einfacher ist ihre Anwendung, wenn die Gegenseite sie ebenfalls kennt und anwendet. Die Methode funktioniert aber auch, wenn die andere Seite sie nicht kennt, aber durch Ihre konsequente Verwendung dahin geleitet wird. Allerdings stößt auch diese Methode an Grenzen, beispielsweise bei großer Machtasymmetrie zwischen den Konfliktparteien. Auf einige kritische Punkte wird im abschließenden Abschnitt kurz eingegangen. Und wenn die Gegenseite stärker ist, nicht „mitspielt“ – oder Tricks anwendet? Bei jeder Verhandlung gibt es Realitäten, die einfach nicht zu ändern sind. Als Antwort auf schlichte Übermacht der Gegenseite kann eine geschickte Verhandlungsart zwei Ziele erreichen: Sie können sich erstens vor einer Übereinkunft schützen, die Sie besser nicht eingehen sollten und zweitens noch das Beste aus der schlechten Ausgangslage machen: Schützen Sie sich, indem Sie sich eine Art von „Limit“ eines Mindestergebnisses festsetzen. Dies kann Sie zwar vor dem Abschluss eines schlechten Übereinkommens bewahren, aber es kann

Grenze der Methode bei großer Machtasymmetrie

-

Übermacht der Gegenseite, Gegenseite spielt nicht mit

sich schützen

802

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

„beste Alternative“ entwickeln

Sie gleichzeitig auch von der Entwicklung und Annahme eines Abkommens abhalten, das auf Fakten beruht, die Sie bei Festsetzung des Limits vielleicht nicht berücksichtigt haben. Es gibt deshalb eine bessere Variante als ein Limit: Verschaffen Sie sich Klarheit über Ihre „beste Alternative“: Überlegen Sie sich in der Vorbereitung genau, was Sie tun, wenn die Verhandlung scheitert oder an welcher Messlatte Sie jedes vorgeschlagene Übereinkommen bewerten werden. Entwickeln Sie Ihre „beste Alternative“, denn je attraktiver sie ist, umso größer ist Ihre Macht: Erstellen Sie eine Liste von Aktionen, die Sie möglicherweise durchführen, wenn es zu keiner Übereinkunft kommt. Entwickeln Sie ein paar besonders vielversprechende Ideen weiter und konkretisieren Sie diese, sodass Sie bereit zur Umsetzung wären. Wählen Sie versuchsweise die beste dieser Möglichkeiten aus. Je stärker Ihre Bereitschaft ist, Verhandlungen auch scheitern zu lassen, umso machtvoller können Sie Ihre Interessen und die für Sie akzeptable Grundlage für ein Übereinkommen präsentieren. Untersuchen Sie auch die „beste Alternative“ der Gegenseite. Wenn beide Seiten eine attraktivere beste Alternative haben, ist das beste Verhandlungsergebnis – für beide Seiten – eben, kein Übereinkommen zu treffen.

Konzentration auf die Sachverhalte

Verhandlungs-Judo

17

Macht des Schweigens

Wenn die andere Seite nicht mitspielt beim sachorientierten Verhandeln, dann können folgende drei Ansätze eine Konzentration auf die Inhalte bewirken: Der erste bezieht sich auf das, was Sie dazu beitragen können, nämlich sich ihrerseits auf die Sachverhalte konzentrieren statt auf die eingenommenen Positionen. Die Annahme dahinter ist, dass die hier beschriebene sachorientierte Methode allgemein „ansteckend“ ist, da sie mehrere Interessen und daraus abgeleitete Lösungsmöglichkeiten offen legt. Hilft das nichts und die Gegenseite feilscht weiter um Positionen, können Sie eine zweite Strategie anwenden, das Verhandlungs-Judo: Schlagen Sie nicht zurück, wenn die andere Seite Ihre Vorstellungen oder Sie als Person angreift und die eigene Position bekräftigt. Suchen Sie vielmehr nach den hinter den Positionen verborgenen Interessen und sprechen Sie diese an. Verteidigen Sie nicht Ihre Vorstellungen, laden Sie die Gegenseite zu Kritik und Ratschlag ein: „Was stört Sie an dem Vorschlag derart, dass Sie ihn nicht in Betracht ziehen?“ oder „Was würden Sie tun, wenn Sie in meiner Situation wären?“ Auf diese Weise bringen Sie die Gegenseite dazu, sich auch Ihrer Sicht der Dinge anzunehmen. Stellen Sie Fragen und nutzen Sie auch die Macht des Schweigens: Wenn Sie eine Frage gestellt haben, die Gegenseite nur un-

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

zureichend geantwortet, einen unvernünftigen Vorschlag gemacht oder Sie persönlich angegriffen hat, dann bleiben Sie am besten sitzen und sagen Sie kein Wort. Schweigen kann bei den anderen den Eindruck vermitteln, es sei jetzt alles festgefahren, und sie fühlen sich irgendwie gedrängt, diese Situation zu überwinden (ihr Schweigen zu brechen), indem sie doch noch auf Ihre Frage oder Ihren Vorschlag eingehen. Der dritte Ansatz im Versuch, die Gegenseite vom Feilschen um Positionen zum sachbezogenen Verhandeln zu bringen, ist das Ein-Text-Verfahren unter Mithilfe einer Drittpartei. Ein Vermittler kann leichter als die direkt Beteiligten die Menschen von den Problemen trennen und die Diskussion auf Interessen und Optionen lenken. Der Dritte kann darüber hinaus unparteiische Grundlagen für die Lösung von unterschiedlichen Interessen vorschlagen und den Prozess der Lösungssuche von der Entscheidung trennen helfen. Der vielleicht berühmteste Gebrauch dieses Verfahrens wurde von den USA in Camp David 1978 bei der Vermittlung zwischen Ägypten und Israel gemacht. Die USA hörten sich beide Seiten an, entwickelten wiederholt Entwürfe für beide Konfliktparteien zur Stellungnahme bis es klar wurde, dass eine weitere Verbesserung nicht mehr möglich war. Nach dreizehn Tagen und dreiundzwanzig Entwürfen war der Text zur Empfehlung reif. Was passiert, wenn schließlich die Gegenseite schmutzige Tricks anwendet, etwa Lügen, Manipulationen, destruktive Methoden mit Angriffen auf Sie als Person bis zu den verschiedenen Formen der Druckausübung? Statt dies zu erdulden (und damit evtl. stillschweigend gutzuheißen) oder mit gleichen Mitteln zurückzuzahlen, empfiehlt es sich vielmehr, sachbezogen über den Verhandlungsprozess zu verhandeln. Dies geschieht in drei Schritten: 1. Die Taktik erkennen: Zur Ausschaltung eines Tricks genügt es oft schon, ihn zu durchschauen. 2. Die Taktik ansprechen, ohne dabei die Gegenseite anzugreifen. Also nicht in der Formulierung wie „Sie haben absichtlich …“, sondern eher „Mich stört ….“ 3. Die Legitimität und Annehmbarkeit der Taktik hinterfragen, etwa: „Sind wir uns einig, auf diese Weise wollen wir nicht verhandeln?“ Eine andere Möglichkeit ist der Gegenseitigkeitstest, bei dem Sie fragen, ob am nächsten Tag die Spielregel umgekehrt werde: „Ich nehme an, dass Sie morgen in dem tieferen Stuhl direkt vor der offenen Türe sitzen werden?“ Wenn alles nichts hilft, greifen Sie zu Ihrer besten Alternative und ziehen Sie sich zurück. „Ich habe den Eindruck, dass Sie hier nicht an Verhandlungen interessiert sind, von denen wir beide ein Ergebnis erwarten können. Wenn ich mich geirrt habe: Ich bin jederzeit wieder zu Gesprächen bereit, wenn Sie das wollen.“ Falls die andere Seite aufrichtig an einer Übereinkunft interessiert ist, werden Sie wohl an den Verhandlungstisch zurückgeholt.

803

17

Ein-Text-Verfahren unter Mithilfe einer Drittpartei

schmutzige Tricks; über den Verhandlungsprozess verhandeln

beste Alternative und Rückzug

804

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

17.6.4

Einsatz bei hoch eskalierten Konflikten

Mediator

Einsatzfelder

Aspekte des Mediationsverfahrens

17

Mediationsphasen

Kontakt und Kontrakt

Mediation als spezifisches Verfahren des sachgerechten Verhandelns

Wie in 7 Abschn. 17.6.1 erwähnt, kommt die Mediation besonders bei hoch eskalierten Konflikten (Stufen 4–6) als spezifische Methode zum Einsatz. Damit nehmen Mediationsverfahren eine Zwischenstellung zwischen den rechtlich orientierten Verfahren (z. B. Schiedsverfahren, richterliche Entscheide, ab Stufe 6) und den eher persönlichkeitsorientierten Prozessbegleitungen (Stufen 3–5) ein. Mediation bedeutet Konfliktbearbeitung unter Mitwirkung neutraler Dritter als Vermittler. Diese dritte Partei hat keine Entscheidungsbefugnis. Sie ist für das Setting, das Verfahren und die Fairness zuständig, während die Konfliktparteien die Inhalte bestimmen. Die Betroffenen wirken freiwillig und eigenverantwortlich am Mediationsverfahren mit und erarbeiten zusammen die Lösungen, wie dies im Harvard-Konzept auch der Fall ist. Mediation in der Organisation ist eine Form der Wirtschaftsmediation und wird in diesem Kontext durchaus auch in den Eskalationsstufen 3–7 eingesetzt; daneben gibt es auch entsprechende Verfahren im außerbetrieblichen Kontext (Ehe, Familie, Nachbarschaft, Politik usw.). Das Mediationsverfahren zeichnet sich durch folgende Aspekte aus: Anwesenheit und Allparteilichkeit der vermittelnden Mediatoren; Einbeziehung aller Konfliktparteien, die in der Regel anwesend sind; freiwillige Teilnahme am Verfahren; Eigenverantwortlichkeit für die Konfliktbewältigung und die Entscheidungsfindung, indem ein Konsens erzielt wird, dem alle Beteiligten zustimmen; Informiertheit: Es besteht eine Offenheit unter den Konfliktparteien über alle wichtigen Daten und Fakten innerhalb des Mediationsverfahrens; Vertraulichkeit: Im Mediationsprozess ist Vertraulichkeit ein zentraler Aspekt für alle Beteiligten.

--

Mediation ist durch verschiedene Phasen gekennzeichnet. Sie sind nicht als abgeschlossene Einheiten zu betrachten, denn sie können in der Abfolge je nach Bedarf auch wiederholt werden. Die folgende Darstellung dient als Orientierung darüber, wie eine Mediation ablaufen kann: 1. Kontakt und Kontrakt Kontakt herstellen und aufbauen Verfahren/Prozessablauf erläutern, Rollen der Verfahrensbeteiligten klären

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17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

2.

3.

4.

5.

6.

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Wille und Fähigkeit zur Mediation abklären Grundregeln vereinbaren Arbeitsauftrag abschließen (Mediationskontrakt) Konfliktthemen herausarbeiten Informationen sammeln, Sachverhalt klären Bereiche der Übereinstimmung und des Dissens herausarbeiten Reihenfolge für die Bearbeitung der Konfliktpunkte bestimmen Klären von offenen Punkten Konfliktbearbeitung von Positionen zu Interessen Sichtweisen verstehen Positionen lokalisieren aus den Positionen die Interessen und Bedürfnisse herausarbeiten Unterscheiden: Was ist vergangenheits- was ist zukunftsbezogen? Optionen der Konfliktregelungen entwickeln und bewerten Möglichkeiten von Regelungen entwickeln Möglichkeiten bewerten und prüfen bezüglich der dahinterstehenden Interessen Optionen auswählen, entscheiden Übereinkunft treffen und schriftlich festhalten Vereinbarung entwerfen Überprüfen durch Mediatoren, Rechtsanwälte und evtl. weiteren Experten Unterzeichnung und Umsetzung Umsetzungsphase und Nachfolgetreffen Umsetzen der Vereinbarungen und damit Realitätsüberprüfung Nachfolgetreffen: Einhalten der Vereinbarungen und Auswirkungen überprüfen bei Schwierigkeiten: weitere Mediationsschritte, wenn gewünscht

Während des Verfahrens werden vom Mediator verschiedene Methoden und Techniken angewendet, die auch in anderen Beratungsformen zum Einsatz kommen. Diese Methoden helfen, die blockierte Kommunikation zwischen den Konfliktparteien aufzulösen und den Beteiligten für eine aktive Mitarbeit zu gewinnen. Das können beispielsweise Techniken der Gesprächsführung und Moderation sein, Visualisierungen, Frage- und Kreativitätstechniken (Seifert 2011). Wie das Harvard-Konzept ist Mediation zukunftsorientiert und berücksichtigt sowohl die Interessen mit den entsprechenden Bedürfnissen wie auch die Ziele der Parteien. Durch Konsensfindung sollen Lösungen gefunden werden, die sich sowohl auf der Inhalts- wie auch Beziehungsebene als nachhaltiger erweisen sollten als beispielsweise Gerichtsverfahren. Hilf-

805

17

Konfliktthemen herausarbeiten

Konfliktbearbeitung

Lösungsoptionen entwickeln

Vereinbarungen treffen

Umsetzungsphase

Methoden

806

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

Die in der lösungsorientierten Beratung entwickelten Fragen gehen von folgenden Grundprinzipien aus: -

Das Entwickeln einer Lösung ist unabhängig vom Problem bzw. Konflikt. Eine Analyse des Konfliktes ist weniger zentral als die Suche von Ausnahmen, also von Situationen, in denen der Konflikt nicht vorhanden war. Damit wird die Aufmerksamkeit auf Muster fokussiert, welche für die Parteien als zieldienlich und positiv erlebt werden.

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Wenn etwas funktioniert, dann mache damit weiter bzw. verstärke das; wenn etwas nicht funktioniert, dann probiere etwas Anderes aus.

Fragebeispiele -

Was möchten Sie am Ende der Konfliktberatung erreicht haben? Woran würden Sie ein gutes Ergebnis erkennen? Wunderfrage: „Stellen Sie sich vor, über Nacht ist ein Wunder geschehen und der Konflikt, um den es hier geht, ist gelöst. Sie haben aber nicht bemerkt, dass ein Wunder geschehen ist, weil Sie geschlafen haben. Was deutet am nächsten Morgen als Erstes darauf hin, dass über Nacht etwas passiert sein muss?“

-

Woran bemerken Sie das? Was ist anders? Was noch? Wer sonst bemerkt diese Veränderungen auch? Woran? Woran noch? Was würde er/sie anders machen? Was noch? Wie würde sich Ihre Beziehung zu ihr/ihm verändern?

Fragen nach Ausnahmen -

Hat es schon Situationen gegeben, die derjenigen nach dem Wunder ähnlich waren? Oder Situationen, in denen Sie gut miteinander gearbeitet haben? Was war da anders? Was haben Sie, was haben die anderen anders gemacht? Was könnten erste Schritte in diese Richtung sein (Frage an alle Beteiligten)?

Skalierungsfragen -

Auf einer Skala von 1–10, wo stehen Sie heute bezüglich der gewünschten Lösung? Was müssten Sie tun, um einen Skalenwert höher (bzw. tiefer) zu kommen?

© 2018, Springer-Verlag Berlin Heidelberg. Aus: Lippmann, E., Pfister, A., Jörg, U.: Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte

..Abb. 17.12  Arbeitsblatt 17.2: Lösungsorientierte Fragen in einer Konfliktbearbeitung

reich dazu können auch lösungsorientierte Fragen sein, die sich auch für Führungskräfte eignen, welche die Konfliktparteien zu Lösungen begleiten möchten (Bannink 2009; Ballreich und Glasl 2011; . Abb. 17.12).

17

Zusammenfassung

Zusammenfassung Im Umgang mit Konflikten ist es wichtig, sich der Komplexität der Thematik bewusst zu sein, um nicht in gefährliche Vereinfachungen zu verfallen. Konfliktmanagement wird hier verstanden als Konflikte erkennen, sie in ihrer Komplexität verstehen und sich mit den Konflikten in einer konstruktiven Art und Weise auseinandersetzen. Statt einfacher Gut-Schlecht-

17.6  •  Konfliktmanagement als Führungsaufgabe

807

17

Wertungen wird die Betrachtung von Konflikten in ihrer Funktionalität beschrieben, auf den Ebenen Aufgabe – Struktur – Kultur – Individuum bzw. Rollenträger. Die Beschreibung von Konfliktarten dient ebenso dem besseren Verständnis, wie die Kenntnisse bezüglich Konfliktverläufen und -prozessen. All diese Aspekte sind Teile einer „Konfliktdiagnose“, die verstanden werden sowohl als Vorbereitung, als auch als Bestandteil des eigentlichen Konfliktmanagements. Bei den Grundstrategien zur Lösung von Konflikten wird u. a. unterschieden, ob die Führungskraft Teil oder nicht Teil des Konflikts ist, ob die Parteien autonom Lösungen erarbeiten oder durch Drittpartei-Interventionen, und ob es sich um Win-Win‑, Win-Loseoder Lose-Lose-Strategien handelt. Bei der Darstellung von Verhaltensmustern in Konfliktsituationen wird deutlich, dass Flucht, Totstellreflex, Kampf und Unterwerfung zwar bestenfalls einen akuten Konflikt beseitigen, ihn jedoch niemals zu lösen vermögen. Die anderen drei Formen, Delegation, Kompromiss und besonders Konsensfindung basieren auf „günstigen“ Gesprächs- bzw. Konfliktbearbeitungsmustern, die dargelegt werden. Auf das Harvard-Konzept als eine wichtige Win-WinMethode wird ausführlich eingegangen. „Hart in der Sache, weich gegenüber Menschen“ ist der Leitsatz dieser Methode, die auf vier Grundaspekten beruht: Menschen und Probleme getrennt behandeln; statt Positionen Interessen in den Mittelpunkt stellen; vor Entscheidungen verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln; objektive Entscheidungskriterien anwenden. Auf Schwierigkeiten, wenn die Gegenseite stärker ist, nicht „mitspielt“ oder Tricks verwendet, wird kurz hingewiesen, bevor am Schluss die Grundzüge der Mediation dargelegt werden.

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Fragen zur Vertiefung

Fragen zur Vertiefung Welche „ungünstigen“ bzw. konstruktiven Konfliktbearbeitungsmuster kennen Sie von sich? Welche Lösungsstrategien haben Sie ohne Erfolg eingesetzt (d. h. wie verhalten Sie sich in Konflikten, dass Sie sich nachher nicht gut fühlen oder den Eindruck haben, der Konflikt sei nicht gelöst)? Gab es Konflikte, die Sie zu Ihrer Zufriedenheit lösen konnten, und welche Strategien haben Sie da eingesetzt? Wo können Sie Hilfe holen (Ressourcen)? Welche Personen (am Arbeitsplatz, im Privatleben) und Aktionen helfen Ihnen in Konfliktsituationen? Welche Konfliktlösungen sind Ihnen aus Literatur/Film/der Geschichte in Erinnerung, auch wenn Sie diese noch nicht

808

Kapitel 17 • Konfliktmanagement

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angewendet haben bzw. nie anwenden würden (z. B. Robin Hood, Rumpelstilzchen usw.)? Im Umgang mit Konflikten: Versuchen Sie, eine Art „Konfliktlandschaft“ darzustellen mit einer Zeichnung, Skizze o. ä.: Welches sind wichtige Systeme, Personen und „Nahtstellen“, wo treten häufig Konflikte auf, wo gibt es wichtige Verbindungen, Koalitionen usw.?

Literatur

17

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809

Führen in Zeiten des Wandels Volker Kiel 18.1

Phänomene des Wandels – Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Organisation  –  812

18.2

Der systemische Blickwinkel auf die Organisation  –  817

18.2.1

Systemrelevante Elemente einer Organisation – Strategie, Struktur und Kultur  –  818 Organisation als soziales System  –  821

18.2.2

18.3

Vorstellungen und innere Bilder: die Leitmotive für das subjektive Erleben in Veränderungssituationen – 824

18.4

Kognitive Schemata: die mentale Repräsentation der wahrgenommenen Veränderungssituation – 827

18.5

Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationenaus systemischer Perspektive  –  832

18.5.1

Psychische und soziale Systeme in Anbetracht der Autopoiese  –  832 Prinzipien der Selbstorganisation in psychischen und sozialen Systemen  –  843

18.5.2

18.6

Der sogenannte Widerstand– oder: wahrgenommene Reaktionen als dienliche Hinweise nutzen  –  854

18.7

Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen  –  858

18.7.1

Formen der Veränderungen – radikaler und evolutionärer Wandel  –  859 18.7.2 Strategien der Veränderungen – 861 © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_18

18

18.7.3 18.7.4

Ebenen der Veränderungen – sachlogische und psychosoziale Aspekte  –  863 Werte als Ansatz organisationaler Kulturentwicklung – Zugang zu den mentalen Modellen finden  –  866

18.8

(Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen – 870

18.8.1 18.8.2

Der Auftrag im Veränderungsprozess  –  870 Prinzipien für die Führung von Veränderungsprozessen  –  872

Literatur – 882

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Auf einen Blick Organisationen werden aus systemischer Perspektive als lebende offene und vielschichtige Systeme beschrieben, die sich in Wechselwirkung mit ihrer jeweiligen Umwelt befinden. Die Umwelt ist durch steigende Komplexität, hohe Dynamik und häufige Schwankungen gekennzeichnet. Veränderungen in Organisationen gelten als Anpassungsleistung an die sich kontinuierlich verändernde Umwelt mit dem Ziel, die Legitimität und somit die Lebensfähigkeit zu erhalten. In diesem Spannungsfeld nehmen Führungskräfte eine wesentliche Rolle ein und leisten je nach Aufgabenbereich, Positionierung und Kompetenzen ihren besonderen Beitrag bei organisationalen Veränderungen. Organisationen werden als soziale Systeme beschrieben, die durch ihre eigene Struktur bestimmt und in dem Sinne autonom und nicht von außen direkt beeinflussbar bzw. steuerbar sind. Neben dem sozialen System werden die Menschen als psychische Systeme betrachtet, die immer selbst eigene Vorstellungen bzw. innere Bilder, Annahmen und Überzeugungen von der gemeinten Situation hervorbringen. Dabei ist entscheidend, dass jeder Mensch seine subjektive Wirklichkeit und somit sein derzeitiges emotionales Erleben immer vermittelt, über seine mentalen Modelle von der Veränderungssituation erzeugt und nicht unmittelbar durch die Veränderungssituation an sich bestimmt wird. Je nach Auslöser und Notwendigkeit können Veränderungen bzw. Entwicklungen eher eine radikale oder evolutionäre Form annehmen, wobei zwischen der sachlogischen Ebene – der Gegenstand der Veränderung – und der psychosozialen Ebene – die tatsächlichen Auswirkungen der Veränderungen auf das Denken, Fühlen und Verhalten der betroffenen Menschen – unterschieden wird. Change Management ist die geplante und zielgerichtete Gestaltung und Steuerung der Einführung von Veränderungen in sozialen Systemen. Vor dem Hintergrund systemtheoretischer Ansätze können Veränderungen nicht direkt verordnet oder instruiert werden, sondern werden immer durch das soziale System bzw. durch die Menschen selbstorganisiert hervorgebracht. Führungskräfte in Veränderungsprozessen sollten dabei bestimmte Prinzipien beachten, um viel mehr die Selbstorganisation des sozialen Systems zu nutzen und damit die notwendigen Veränderungen in der Kultur zu verankern.

811

18 Auf einen Blick

812

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

18.1

Phänomene des Wandels– Wechselwirkungen zwischen Umwelt und Organisation

» Ich glaube, dass es auf der Welt einen Bedarf von vielleicht fünf Computern geben wird. (Thomas Watson, Chef von IBM, 1943)

» Es gibt bereits über fünfzehn verschiedene ausländische Auto-

marken auf dem Markt. Da haben die Japaner überhaupt keine Chance mehr. (Business Week 1968)

Wandel und Entwicklung sind wesentliche Phänomene aller Lebewesen und notwendige Voraussetzung dafür, durch Anpassungen an die sich stetig verändernden Umweltbedingungen die eigene Existenz und Lebensfähigkeit zu sichern. An sich geschieht Wandel in lebenden Systemen fortwährend und von selbst. Oder mit anderen Worten: Andauernd und selbstregulierend von innen heraus. Organisationen befinden sich heute in einer äußerst dynamischen und immer komplexer werdenden Umwelt. Die Umweltbedingungen bewegen sich im ständigen Fluss, beeinflussen sich gegenseitig und sind nur in immer kürzer werdenden Zeiträumen als relativ stabile Größe erfassbar. Für viele Organisationen scheint die Umwelt unberechenbarer und damit unsicherer zu werden. Entwicklungen der Umwelt

18

Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Umwelt zum Beispiel durch folgende Entwicklungen gekennzeichnet: die demographische Entwicklung, Internationalisierung der Märkte Produktionsstätten und Dienstleistungen, transparente und gesättigte Märkte, steigende Kundenanforderungen und weniger Loyalität der Kunden, verschärfender Konkurrenzdruck, schnellere Produktlebenszyklen, rasanter technologischer Wandel, steigende Vernetzung, atemberaubender Informationsfluss, absehbare Knappheit von Ressourcen oder verstärkter Wettbewerb um Fachkräfte und Spezialisten.

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Seit Anfang des 21. Jahrhunderts nimmt zunehmend die digitale Revolution Gestalt an und verändert die Arbeitswelt sowie die Gesellschaft in einem noch ungeahnten und unvorhersehbaren Ausmaß. Prognosen über die Auswirkungen

18.1 • Phänomene des Wandels

..Abb. 18.1  © 2018 by Tobias Leuenberger

der Digitalisierung sind sehr unterschiedlich und teilweise polarisierend, sodass heute in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen die Zukunft vielmehr als früher im Ungewissen bleibt.

Die weltweite Vernetzung, der rasante Informationsfluss und die hierdurch steigende Komplexität bedingt durch das Internet führen dazu, dass Wandel sich immer schneller vollzieht. Durch die Einführung neuer Technologien sind wir Menschen sowie mehr und mehr auch Maschinen oder Gegenstände miteinander digital vernetzt („Internet der Dinge“). Internet der Dinge Der Begriff „Internet der Dinge” beschreibt, dass nicht mehr nur Menschen das Internet nutzen und dort Daten hinzufügen und abrufen, sondern auch Geräte, Schalter und Sensoren mit dem Web verbunden sind und es teils vollautomatisch nutzen. Ein häufig verwendetes Beispiel ist der Kühlschrank, der erkennt, wann welche Waren verbraucht sind und diese selbstständig nach bestellt. Mit dem Internet der Dinge verschmelzen die reale und die virtuelle Welt, indem beispielsweise Informationen über Zustände (aus/an, kalt/warm, schnell/langsam, voll/leer) digital verfügbar gemacht werden. Dazu werden Gegenstände mit Sensoren, Stromquellen oder kleinen Computern mit geringer Rechenleistung ausgerüstet, die Informationen drahtlos an nahe gelegene Computer senden oder sich aus dem Netzwerk direkt ansteuern lassen (Neue Technologien: Wie Digitalisierung unsere Wirtschaft verändert, Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., 2016).

Informationen und somit auch Feedback sind in vielen Bereichen unmittelbar in „Echtzeit“. Heute versuchen vermehrt Unternehmen ihre Organisation und Arbeitsformen so auszurichten, dass durch Selbstorganisation die Geschwindigkeit, Flexibilität und An-

813

18

814

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

passungsfähigkeit gesteigert wird. Organisationen stehen in immer kürzeren Intervallen vor der Fragestellung, wie sie auf die rasanten Entwicklungen im Umfeld angemessen reagieren können.

» Ganz hart ausgedrückt: Es geht darum, dass es diese Organisa-

tion in zehn, zwanzig Jahren und darüber hinaus noch gibt. Wir stellen fest, dass die Digitalisierung bestimmte Kräfte freisetzt, die Firmen wie unsere dazu zwingen, sich noch viel stärker als in der Vergangenheit zu transformieren. Ein bisschen ChangeManagement, wie das früher hieß, reicht da nicht mehr aus. Wir müssen uns neu erfinden. Sonst werden wir auf lange Sicht keine Chance haben, unter digitalen Markbedingungen zu überleben. (Hans-Otto Schrader, Vorstandvorsitzender Otto Group, Süddeutsche Zeitung 01. August 2016)

Eine Anpassungsleistung vieler Organisationen ist die Neuausrichtung der Strategie und Optimierung der Struktur, um langfristig den Kundennutzen und somit die Erfolgspotenziale zu sichern. Diese Veränderungen führen zu massiven Kostensenkungsprogrammen, Restrukturierungen, Akquisitionen oder Verkäufen von Organisationseinheiten, zu Konzentration auf Kerngeschäfte und Veränderung des Produktportfolios. Zusammengefasst liegt dieser Veränderungsfokus auf vier Bereichen: Innovationen (neue Entwicklungen, Dienstleistungen, Produkte und Produktdifferenzierungen) Qualität (Auslieferqualität, Termintreue, Produktqualität, Image) Zeit (Fertigungszeiten, Durchlaufzeiten, Prozesszeiten, flexible Zeitmodelle) Finanzen (Fixkostenoptimierung, Personalabbau, Outsourcing, Verlagerungen, Sanierungen)

-

18

Für die Betroffenen sind mögliche Konsequenzen dieser Veränderungen zum Beispiel breitere Führungsspannen und damit verbunden mehr Selbstverantwortung und Selbstorganisation, mehr Entscheidungs- und Gestaltungsfreiräume, Leistungsverdichtung, höhere Anforderungsprofile, Tätigkeitsverlagerungen oder auch hohe Standardisierung von Prozessen und Abläufen. Organisationen, die diese Leistungen nicht erbringen, können ihre Legitimität verlieren und vom Markt verschwinden. Organisationen des 21. Jahrhunderts sind andauernd gefordert, auf der operativen Ebene vorhandene Erfolgspotenziale optimal zu nutzen sowie gleichzeitig auf der strategischen Ebene künftige Erfolgs‑ potenziale aufzubauen. Für die langfristige Existenz einer Organisation ist es wesentlich, dass die Unternehmensführung sich auf den Bedarf und Nutzen der eigentlichen Kunden (wieder) besinnt und sich auf diesen fokussiert: Auf die Personen, die am Ende die Rechnung für das

18.1 • Phänomene des Wandels

815

18

Produkt oder die Dienstleistung bezahlen. Viele Unternehmen scheinen vielmehr durch die Shareholder als durch die Kunden bzw. Konsumenten (an‑)getrieben zu sein, wobei die jeweiligen Interessen durchaus unterschiedlich sind (z. B. Maximierung der Quartalsgewinne auf der einen Seite versus hohe und nachhaltige Produktqualität auf der anderen Seite). Nach Malik (2008) sollte der Customer-Value und nicht der Shareholder-Value im Vordergrund der Aufmerksamkeit einer Organisation stehen. Dabei ist die wesentliche und unabdingbare strategische Frage: >>„Was müssen wir heute tun, damit wir morgen noch im Ge‑

schäft sind?“ Beispiel

Beispiel Digitale Entwicklung

Die digitale Entwicklung hat vielen traditionsreichen Unternehmen die Existenzgrundlage entzogen, da die Auswirkungen nicht frühzeitig erkannt wurden und der trügerische Schein der damals bestehenden Erfolge die notwendige Anpassung an neue Technologien nicht erkennen ließ. „Die Digitaltechnik ist nur ein Intermezzo“ wird 2004 der damalige Vorstandschef des Kameraherstellers Leica HannsPeter Cohn in einem Spiegel-Interview zitiert (Kerbusk 2004). So ähnlich werden wahrscheinlich die Vorstände von Agfa, Kodak, Nokia oder Quelle und von vielen anderen Unternehmen auf Innovationen im Markt geantwortet und somit die Existenz der Organisation gefährdet haben.

Weitere Phänomene des Wandels sind Rückbezüglichkeit und steigende Dynamik. Jede Organisation ist immer auch Bestandteil der Umwelt von anderen Organisationen. Veränderungen und Entwicklungen einer Organisation beeinflussen demnach andere Organisationen und wirken durch dessen Veränderungen wieder auf sie selbst zurück. Veränderungen sind wechselseitig und dynamisierend. Dies führt insgesamt zu einer zirkulären sich aufschaukelnden Spirale der Veränderungen. Organisationen handeln demnach nicht nur reaktiv auf Umweltbedingungen, sondern gestalten auch gleichzeitig Zukunft mit. Beispiel

In der schnelllebigen und sehr preissensiblen Telekommunikationsbranche führt jede Tarifveränderung oder Produktinnovation eines Anbieters zu Anpassungen bei den Mitbewerbern, um auf den entsprechenden Märkten zu bestehen. Die Reaktion der Mitbewerber hat wiederum Auswirkungen auf den Anbieter, der die Veränderung eingeleitet hat.

Beispiel Telekommunikationsbranche

816

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

..Tab. 18.1  VUCA. (Aus Wippermann 2016, S. 89, mit freundlicher Genehmigung © Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2015, mehr zum Buch unter www.ESV.info/9783503165940) Volatility

Volatiltät

Starke Schwankungen innerhalb kurzer Zeit

Uncertainty

Unsicherheit

Unvorhersehbarkeit der Ereignisse

Complexity

Komplexität

Steigende Zahl von Einflussfaktoren in gegenseitiger Abhängigkeit

Ambiguity

Mehrdeutigkeit

Mehrdeutigkeit von Situationen

zz VUCA

Die Merkmale eines komplexen und dynamischen Umfeldes werden heute von einigen Autoren populär auch mit dem Akronym VUCA umfasst (. Tab.  18.1). Diese Merkmale unterscheiden sich nicht sonderlich von den Eigenschaften dynamischer und komplexer Systeme, die schon seit den 1940er-Jahren von verschiedenen Systemtheoretikern untersucht und herausgestellt werden (7 Abschn. 18.5). Heute gilt es vermehrt, Unternehmen so zu strukturieren und zu organisieren, dass diese auf relevante Einflüsse unmittelbar reagieren und sich schnell anpassen bzw. neu ausrichten können. In diesem Zusammenhang wird auch von einer agilen Organisation gesprochen. Agile Organisationen „Agil“ bedeutet hier entsprechend dem lateinischen „agilis“ so viel wie beweglich, regsam, wendig, aber auch eifrig, geschäftig. Auch wenn im üblichen Sprachgebrauch mit Agilität eher menschliches Verhalten gemeint ist, lässt sich der zugrunde liegende Gedanke auch auf Organisationen übertragen: Agile Unternehmen sind in hohem Maße strebsam: Sie sind motiviert, wollen etwas erreichen. Agile Unternehmen sind zudem schnell und gewandt, mit einer ausgeprägten Beweglichkeit in der Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt ausgestattet.

18

Agile Organisationen sind in der Lage, mit den unklaren zukünftigen Zielen, die sich aufgrund ständig einwirkender Einflüsse und wechselnder Anforderungen ergeben, umzugehen. Sie machen das Prinzip der „unscharfen Zielbilder“ zu ihrem Aufbauprinzip: Liegt das Zielbild nicht klar vor Augen, sondern zeichnet es sich eher unscharf ab, wird diese Unschärfe zum Prinzip. Denn vor dem Hintergrund einer unscharfen und ungewissen Zukunft ist es oberstes Ziel, handlungsfähig zu bleiben. Und das gelingt agilen Unternehmen, weil Richtungs-

18.2  •  Der systemische Blickwinkel auf die Organisation

bestimmungen für sie wichtiger sind als eindeutige Zieldefinitionen. Diese Richtungsbestimmungen kombinieren agile Organisationen mit einer Kernkompetenz, die in der Psychologie auch „Umstellungsfähigkeit“ genannt wird: Umstellungsfähigkeit ist die Fähigkeit, während des Handlungsvollzugs auf der Grundlage wahrgenommener oder vorauszusehender Situationsveränderungen das Handlungsprogramm den neuen Gegebenheiten anzupassen und durch ein situationsadäquateres zu ersetzen und damit die Handlung auf völlig andere Weise fortzusetzen (DGFP 2016).

Vorausschauende langfristige strategische Veränderungen und ständige kurzfristige operative Anpassungen sind notwendig, um die Lebensfähigkeit von Organisationen zu erhalten. Das erfordert ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft, Flexibilität, Lern- und Anpassungsfähigkeit des Menschen. Jedoch haben wir Menschen neben dem Bedürfnis nach Veränderung und Wandel auch das Bedürfnis nach Stabilität und Kontinuität. Darüber hinaus sind routinierte Abläufe, Regelmäßigkeit und Orientierung grundlegende Voraussetzung für hohe Produktivität und Effizienz einer Organisation sowie für die Sicherung der geforderten Qualität. Es gilt im Veränderungsprozess die richtige Balance zwischen dem Bedürfnis nach Stabilität und erforderlicher Routine auf der einen Seite und der notwendigen Anpassung und Optimierung der Organisation auf der anderen Seite zu finden. In der ausgewogenen Balance zwischen Wandel und Erhaltung ist ein negatives Abdriften in übermäßigen Aktivismus einerseits oder in Erstarrung im Bestehenden andererseits zu vermeiden (. Abb. 18.2). 18.2

Der systemische Blickwinkel auf die Organisation

» Die Theorie bestimmt, was wir wahrnehmen. (Albert Einstein) » Wir wissen nicht was wir sehen, sondern wir sehen was wir wissen. (Johann Wolfgang Goethe)

Es ist von zentraler Bedeutung, mit welchem theoretischen Ansatz Organisationen betrachtet, beschrieben und geführt werden. Je nach Sicht- und Betrachtungsweise entsteht ein mentales Modell oder eine Landkarte der Organisation, wobei bestimmte Phänomene und Aspekte in den Vordergrund geraten und andere im Hintergrund bleiben. Die Perspektive bestimmt auch die Grundannahmen über die Ansätze, Möglichkeiten, Grenzen und Gestaltung von Veränderungen. Im Folgenden werden Organisationen

817

18

818

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Balance WANDEL

ERHALTUNG

-

-

kontinuierliche Verbesserungen Infrage stellen des Bestehenden Auseinandersetzung mit der Umwelt Vorbereitung auf künftige Herausforderungen - Neuerungen, Innovationen - Ausprobieren und Kreativität ins Negative kippende Übertreibung

Stabilität und Sicherheit Respektierung des Gewachsenen Achtung gegenüber traditionellen Werten Einhalten von Vereinbarungen und bewährten Abläufen - Innehalten, Nachdenken über die Gegenwart

Entwicklung

AKTIVISMUS - viele Veränderungsprojekte werden unkoordiniert initiiert - hektisches Reagieren auf wahrgenommene Herausforderungen

Überkompensation

- persönliche Profilierung durch Projekte - nicht nachvollziehbar und wenig Akzeptanz bei den MA

ins Negative kippende Übertreibung

ERSTARRUNG

-

Stagnation und Selbstgefälligkeit mentale Verbunkerung und Sturheit Neuerungen werden abgelehnt Abschottung gegenüber der Zukunft und dem Umfeld - Klima des Formalismus - „geschützte Werkstatt" statt lebendige Organisation

..Abb. 18.2  Ausgewogene Balance zwischen Wandel und Erhaltung. (In Anlehnung an Schulz von Thun 1989, Copyright © 1989 Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg, mit freundlicher Genehmigung)

aus einem systemischen Blickwinkel betrachtet und beschrieben. Bekannter Weise ist die Landkarte nicht das Territorium. 18.2.1

Systemrelevante Elemente einer Organisation – Strategie, Struktur und Kultur

Organisationen werden aus systemischer Perspektive als lebende offene und vielschichtige bzw. komplexe Systeme beschrieben, die sich in einer stetig verändernden Umwelt befinden, mit welcher sie in Wechselwirkung stehen und Materialien, Energie und Informationen austauschen. Definition: System

18

Definition  Ein System ist eine von der Umwelt abgegrenzte Einheit, die aus Einzelelementen bzw. Objekten und deren Merkmalen besteht, die sich gegenseitig beeinflussen. Die Beziehungen und Wechselwirkungen gewährleisten einen Zusammenhalt der Einheit und sind gemäß einer Absicht bzw. eines Zwecks in einer bestimmten Weise miteinander verbunden. Offene Systeme tauschen mit ihrer Umwelt Stoffe, Energie oder Informationen aus. Offene Systeme befinden sich in einem

18.2  •  Der systemische Blickwinkel auf die Organisation

819

18

dynamischen Gleichgewicht bzw. Fließgleichgewicht, in dem durch fortlaufende regulierende Veränderungen eine relative Stabilität des Systems erhalten bleibt. Nach dem Prinzip der Äquifinalität ist das Verhalten eines Systems durch die Anfangsbedingungen nicht voraussagbar. Die Abgrenzung zwischen System, Subsystem und Umwelt ist nicht eindeutig, sodass verschiedene Ebenen innerhalb eines Systems unterschieden werden können zum Beispiel Individuum, Paarbeziehung, Geschwister, Familie, Gesellschaft usw. (Hall und Fagen 1956; v. Bertalanffy 1956). Die Abgrenzung und Beschreibung von Systemen erfolgt immer von einem Beobachter durch seine derzeitigen Interessen und seine zur Verfügung stehenden sprachlichen Möglichkeiten. In dem Sinne ist ein System ein subjektives gedankliches Konstrukt. 

Organisationen erfüllen innerhalb einer definierten Umwelt eine Funktion, woraus sie ihre Legitimation erhalten. Sie erzeugen einen Zweck oder Nutzen für Kunden innerhalb dieser Umwelt, was sie zur Existenz berechtigen. Oder als Frage formuliert: Wozu existiert die Organisation für wen in welchem Umfeld? Eine Veränderung der Funktion kann radikale Auswirkungen auf die gesamte Organisation zur Folge haben. Beispiel

Die Geschichte des Industriekonzerns Mannesmann geht zurück auf die Brüder Reinhard und Max Mannesmann, die 1885 in der väterlichen Feilenfabrik in Remscheid ein Walzverfahren zur Herstellung nahtloser Stahlrohre erfanden. Mannesmann war bis 1990 im Schwerpunkt ein Industriekonzern der Eisen- und Stahlverarbeitung sowie des Maschinenund Anlagenbaus. 1990 stieg der Mannesmann-Konzern in ein neues Geschäftsfeld ein. Er erwarb die Lizenz zum Aufbau und Betrieb des ersten privaten Mobilfunknetzes D2 in Deutschland. Der dynamische Bereich der Telekommunikation bekam in den in den 90er Jahren innerhalb des Mannesmann-Konzerns immer größere Bedeutung. Mit seinen damals hohen Gewinnspannen dominierte er bald alle anderen Geschäftsbereiche. Der Mannesmann-Vorstand beschloss daher 1999, den Konzern auf den Geschäftsbereich Telekommunikation zu konzentrieren und fasste die meisten industriellen Aktivitäten zusammen, die in den kommenden Jahren an der Börse verselbstständigt werden sollten. Jedoch erwarb Anfang 2000 das britische Telekommunikationsunternehmen Vodafone im Rahmen einer spektakulären Übernahmeschlacht die Aktienmehrheit der Mannesmann AG. Der Mannesmann-Konzern

Beispiel Mannesmann

820

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

verlor nach dem erfolgreichsten Geschäftsjahr seiner Unternehmensgeschichte seine Selbstständigkeit und wurde in der Folge aufgespalten. Im August 2001 fand die letzte Hauptversammlung der Mannesmann AG statt, auf der die Umfirmierung in Vodafone beschlossen wurde (Quelle: Mannesmann Archiv, Salzgitter AG).

Jede Organisation entwickelt zur Verwirklichung ihrer Funktion mehr oder weniger explizit beschrieben eine Strategie, Struktur und Kultur, die sich wechselseitig beeinflussen und gegenseitig bedingen. Die Strategie legt die erwünschte mittel- bis langfristige Ausrichtung der Organisation fest, um diese für die Zukunft zu sichern. Folgende Fragen werden zum Beispiel durch die Strategie beantwortet: Wie können derzeitige Erfolge gesichert und künftige Erfolgspotenziale aufgebaut werden? Welche Märkte sollen künftig erschlossen, durchdrungen oder aufgegeben werden? Was ist unser Kerngeschäft? Was sind neue Geschäfte? Welche Produkte sollen entwickelt, differenziert oder eingestellt werden? Wer sind unsere Kunden bzw. Nichtkunden? Welche Kunden wollen wir halten, neu gewinnen oder vernachlässigen?

-Strategie

Struktur

18 Kultur als emergentes Phänomen

Die Strategie dient als Orientierung für die Steuerung der Organisation in eine erwünschte Richtung, um den derzeitigen sowie den angenommenen künftigen Bedingungen und Anforderungen der Umwelt entsprechen zu können. Gleichzeitig bedeutet Strategie auch Zukunft gestalten, da jede Entwicklung der Organisation künftige Umwelten mitprägt. Aus der Strategie werden die Anforderungen an die Struktur hergeleitet. Aufbau der Organisation, Prozesse und Abläufe sollten so angepasst werden, dass diese dazu beitragen, dass die Strategie in Zukunft möglichst weitreichend und umfassend realisiert wird. Aus dieser Perspektive folgt die Struktur der Strategie. Jedoch kann nur selten die künftige Ausrichtung der Organisation auf der „grünen Wiese“ entstehen. Die Strategie erwächst überwiegend auf dem Boden der vorhandenen Struktur. Insofern hat die gegenwärtige Struktur auch immer Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung. Darüber hinaus wird die Strategie immer durch die derzeit gegebenen Strukturen, Prozesse und Abläufe verwirklicht. Ein weiteres bedeutsames Element von Organisationen ist die Kultur. Die Kultur ist die Summe der gemeinsamen Werte, Überzeugungen und Regeln, die ein soziales System im Laufe seiner Geschichte entwickelt. Strategie und Struktur haben zwar erheb-

18.2  •  Der systemische Blickwinkel auf die Organisation

liche Auswirkungen auf die Entwicklung der Kultur, können diese jedoch nicht in ihrer Ausprägung direkt bestimmen. Die Kultur ist ein emergentes Phänomen (Emergenz lat. Emergere: auf‑ tauchen, hervorkommen, sich zeigen), welches aus den Interaktionen und Wechselwirkungen der Menschen innerhalb der Organisation laufend von selbst hervorgeht. Die hervorgebrachten Werte, Überzeugungen, Regeln, Normen, Denk- und Verhaltensmuster sind wesentlich für die Motivation, Produktivität und Effizienz einer Organisation sowie für das Gelingen oder Misslingen erwünschter Veränderungen. Es sind immer Menschen, die durch ihr Verhalten und Handeln die Strukturen und Prozesse kontinuierlich reproduzieren, am Leben erhalten und Veränderungen möglich oder unmöglich machen. 18.2.2

Organisation als soziales System

Es sind immer Menschen, die durch ihr Verhalten und Handeln die Organisation zum Leben bringen, Strategien entwickeln, Abläufe und Prozesse definieren, einhalten oder optimieren, Maschinen und Computer bedienen, Veränderungen gestalten, einführen oder umsetzen bzw. durch diese mehr oder weniger betroffen sind. Aus dieser Betrachtung erscheinen Organisationen als soziale Sys‑ teme, die aus einer Vielzahl von Kommunikationen und Handlungen bestehen, die sich gegenseitig beeinflussen.

» Eine Organisation ist ein komplexes soziales Gefüge, das eine

größere Zahl von menschlichen Individuen umfasst, die in einem bestimmten sozialen und materiellen Kontext miteinander kooperieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen. (Brunner 1993, S. 96)

Soziales System Nach König und Volmer sind folgende Bestandteile für ein soziales Systems wesentlich (König und Volmer 2008, S. 46): Die Personen des sozialen Systems. Ihre subjektiven Deutungen, das heißt ihre Gedanken und Empfindungen. Soziale Regeln, die das Handeln in einem sozialen System leiten. Regelkreise, das heißt immer wiederkehrende Verhaltensmuster. Die materielle und soziale Umwelt. Die Entwicklung des sozialen Systems.

---

821

18

822

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Aus den Interaktionen und Wechselwirkungen der Menschen innerhalb des sozialen Systems entsteht als emergentes Phänomen wie von selbst eine Kultur. Diese Kultur ist das Gefüge der Werte, Regeln und Verhaltensmuster, die ein soziales System im Laufe seiner Geschichte hervorbringt und gleichzeitig das gegenwärtige Wahrnehmen, Denken, emotionale Erleben und Handeln sowohl des Einzelnen als auch der Gemeinschaft beeinflusst. Aus der Gesamtheit der Wechselwirkungen geht eine einzigartige (soziale) Struktur hervor, ein Set formeller und informeller Werte und Regeln, die wiederum die Handlungen und Kommunikationen innerhalb des Systems organisieren und regulieren. Handlungen oder Kommunikationen eines sozialen Systems sind demnach selbstrückbezüglich bzw. wirken auf sich selbst zurück, weil sie die Strukturen (Werte und Regeln) selbst erzeugen, durch welche sie bestimmt sind. Auf der Ebene der Gesamtorganisation etabliert sich aus der Summe der zwischenmenschlichen Wechselwirkungen eine identitätsstiftende Kultur, die die Werte, Regeln, Rituale, Verhaltensund Interaktionsmuster umfasst, welche das soziale System als Einheit charakterisieren. Die Kultur geht aus dem sozialen System von selbst hervor. >>Ein wesentlicher Bestandteil der Kultur sind die gelebten und

erwünschten Werte.

Definition 

Definition: Werte

Werte sind eine relativ begrenzte Anzahl von Überzeugungen und Grundannahmen, die sich auf wünschenswerte Verhaltensweisen, Ziele oder Zustände eines sozialen Systems beziehen. Sie dienen häufig unbewusst als Entscheidungsprämissen bei der Wahl aus verschiedenen Handlungsalternativen und steuern die Bewertung von Verhalten und Ereignissen (Landau 2003; König und Volmer 2008). 

18

Die erwünschten und gelebten Werte sind wesentlich für die Leistungsbereitschaft, Entwicklungsfähigkeit und Produktivität einer Organisation sowie für das Gelingen oder Misslingen erwünschter Veränderungen. Werte prägen das Identitätsbewusstsein und können dementsprechend als „Quintessenz“ der Organisationskultur bezeichnet werden (Schein 1997). Je nachdem, wie sehr der Mensch mit den erlebten und erwünschten Werten im Einklang ist, empfindet er ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität im Sinne von „Sich-Wiederfinden“. Das Ausmaß der jeweils individuell empfundenen Zugehörigkeit oder Identität beinhaltet auch den Aspekt, inwieweit der Mensch

18.2  •  Der systemische Blickwinkel auf die Organisation

823

18

sich den äußeren Gegebenheiten eher ohnmächtig ausgeliefert fühlt oder sich eher als aktiv gestaltend und einflussnehmend erlebt (7 Abschn. 18.7.4). >>Die zentrale Frage ist, inwieweit der Mensch im organisa‑

tionalen Umfeld ein Gefühl von Zugehörigkeit erlebt und welche Auswirkungen dieses Erleben auf sein Denken, Fühlen und Handeln hat.

-

König und Volmer haben zentrale Merkmale von dem Begriff „Wert“ herausgearbeitet (König und Volmer 2008, S. 182): Werte sind Formen der normativen Orientierung für das Handeln in einem sozialen System: Der Wert Hilfsbereitschaft ist eine Orientierung für das Handeln ebenso Werte wie Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und so weiter. Werte sind nicht Vorschriften für bestimmte Situationen, sondern definieren die allgemeine Richtung des Handelns ohne Bezug auf konkrete Ziele oder Situationen und sind somit ein allgemeiner Orientierungsrahmen. Werte können individuelle oder gemeinsame Werte sein: die individuellen Werte, die eine Person verfolgt, und die gemeinsamen Werte eines Teams, einer Organisation oder einer Gesellschaft. Werte sichern zugleich die Zusammenarbeit eines sozialen Systems. Sie geben einen gemeinsamen Rahmen, wie gehandelt werden soll, und schaffen damit gemeinsame Orientierung. Als allgemeiner Rahmen ist die Anwendung von Werten auf konkrete Situationen zugleich unscharf: Werte steuern zwar in gewisser Weise das menschliche Verhalten; aufgrund ihrer Allgemeinheit sind sie aber nur die generellsten Wegweiser des Handelns und liefern keine direkten Verhaltensanweisungen. Die Stabilität dieser durch das soziale System kontinuierlich selbst aufrechterhaltende Kultur kann durch Veränderungen der Rah‑ menbedingungen wie z. B. der Prozesse, Abläufe, Funktionen oder der definierten Führungsprinzipien oder Beurteilungssysteme gefestigt oder gestört werden. Jedoch sind die Auswirkungen der Veränderung der Rahmenbedingungen auf die Kultur nicht voraussagbar oder gar bestimmbar (7 Abschn. 18.5.2). Soziale Systeme sind autonom, weil sie sich selbst erzeugen, regulieren und entwickeln und nicht von außen bestimmbar sind. Autonomie bedeutet nicht Unabhängigkeit gegenüber der Umwelt. Die systeminternen Operationen können durch Signale oder Impulse aus der Umwelt beeinflusst werden (7 Abschn. 18.5.1). „Wie sich aber ein System verhält, welche Entscheidungen es trifft, hängt von ihm selbst, seinen Interaktionsmuster und seiner Geschichte ab“ (Probst 1987, S. 82).

Rahmenbedingungen

824

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

18.3

Vorstellungen und innere Bilder: die Leitmotive für das subjektive Erleben in Veränderungssituationen

» Wer Augen hat zum Sehen, Ohren zum Hören, eine Nase zum

Riechen, Haut zum Fühlen, für den ist die Welt voller Bilder. Allerdings braucht er dazu noch ein Gehirn, und das muss möglichst offen sein für alles, was über die Sinnesorgane dort, in den sensorischen Arealen der Hirnrinde, ankommt. (Hüther 2004, S. 22)

Grundsätzlich reagieren Menschen nicht unmittelbar auf die Veränderungen an sich, sondern immer vermittelt über die eignen Vorstellungen oder inneren Bilder, welche sie sich von der Veränderung aus ihrer Perspektive und auf der Grundlage ihrer Wahrnehmungen erschaffen haben. Definition 

Definition: Vorstellungen

Vorstellungen können als das innere mehr oder weniger bewusste bildliche Sich-Vergegenwärtigen von Personen, Objekten, Situationen oder Ereignissen verstanden werden. Je nachdem, wie weit die Vorstellung unmittelbar auf früheren Wahrnehmungen beruht oder das Ergebnis freier Verknüpfung von Wahrnehmungsinhalten darstellt, entspricht die Vorstellung eher Erinnerungsbildern oder Phantasiebildern. Vorstellungen erscheinen im Kontrast zu unmittelbarer Wahrnehmung undeutlicher, blasser, unvollständig und sind verzerrt. In diesem Sinne sind Vorstellungen kein genaues Abbild der äußeren Welt, sondern vielmehr eine subjektive sinnesbezogene Repräsentation von Objekten und Ereignissen. Einerseits beruhen Vorstellungen als Erinnerung oder Phantasie immer auf vergangene Wahrnehmungen bzw. Erfahrungen, wobei andererseits Vorstellungen in die unmittelbare gegenwärtige Wahrnehmung einfließen können. Mit anderen Worten: Die gegenwärtige Erlebniswelt wird durch die sich vergegenwärtigte Vorstellungswelt eingefärbt, die wiederum auf vergangenen Wahrnehmungen bzw. Erfahrungen beruht (Brugger 1976, S. 445 f.). 

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Das gegenwärtige Erleben kann durch Vorstellungsbilder wesentlich geprägt werden, wobei diese Bilder dem Menschen „vor dem inneren Auge“ bewusst oder im Hintergrund nicht bewusst wirken. Vorstellungen über die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft schaffen Sinn und Bedeutung und sind unmittelbar mit Emotionen verbunden, wobei sich diese Bilder gewöhnlich nicht willentlich in

18.3  •  Vorstellungen und innere Bilder

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das derzeitige Erleben einfügen. Das Erscheinen und Verschwinden innerer Vorstellungsbilder geschieht uns in der Regel nicht bewusst und doch scheinen diese Bilder unsere derzeit erlebte Wirklichkeit wesentlich zu leiten. Beispiel

Auf jeder Wanderung wird doch das gegenwärtige Erleben immer wieder geleitet von Vorstellungen von dem „Dort und Dann“, von dem Ziel, was zu erreichen gilt. Dieses Ziel wird innerlich ausgemalt, die Gegenwart – der anstrengende Aufstieg – oder die Vergangenheit – die zurückliegende Wegstrecke – erhalten Sinn und Bedeutung in Anbetracht der zu erwartenden Aussicht auf dem Berggipfel in der Zukunft, während ein Gefühl von Vor-Freude spürbar wird. Dabei ist sich der Mensch gewöhnlich weder bewusst, wie diese Vorstellung plötzlich entsteht bzw. „erweckt“ oder „abgeschaltet“ wird, noch, dass dieses innere Bild in diesem Moment ihn auf seinem Weg begleitet und sein gegenwärtiges Erleben leitet. Vorstellungen können sich auf das Innenleben des Menschen – wie Körperprozesse oder psychische Funktionen – oder auf die Außenwelt beziehen. >>Die relevanten Fragen sind daher: Durch welche Vor‑

stellungen oder inneren Bilder von der gegenwärtigen oder künftigen Veränderung sind sowohl die jeweiligen Führungs‑ kräfte als auch die einzelnen Mitarbeiter geleitet? Oder anders gefragt: Was ist das derzeitige Leitmotiv des jewei‑ ligen Menschen? Und: Welcher Sinn und welche Bedeutung lassen sich aus diesen Vorstellungen ableiten und führen zu welchem Erleben in der Veränderungssituation?

Im Dialog können die vorhandenen subjektiven Vorstellungen oder inneren Bilder über die gegenwärtig erlebte oder zukünftig erwartete Veränderung zwischen den Führungskräften und Mitarbeitern ausgetauscht werden. In diesem Austausch geht es nicht um richtige oder falsche Vorstellungen, sondern um angemessene und unangemessene. Dabei sollten die Führungskräfte ihre Annahmen und Überzeugungen aus ihrer Perspektive ehrlich und möglichst konkret einsehbar zur Verfügung stellen, um somit den Mitarbeitern zu ermöglichen, ihre Vorstellungen zu überprüfen, zu erweitern und gegebenenfalls anzupassen oder zu revidieren. Auch Peter Senge weist in seinem Buch „Die fünfte Disziplin“ darauf hin, wie wesentlich das Bewusstwerden und Sichtbarmachen der handlungsleitenden Vorstellungen und der inneren Bilder für die langfristige Entwicklung einer Organisation ist:

Beispiel Wanderung

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

» Genauer gesagt, neue Einsichten werden nicht in die Praxis

umgesetzt, weil sie tiefverwurzelten inneren Vorstellungen vom Wesen der Dinge widersprechen – Vorstellungen, die uns an vertraute Denk- und Handlungsweisen binden. Deshalb ist die Disziplin vom Management der mentalen Modelle – dass wir lernen, unsere inneren Bilder vom Wesen der Dinge an die Oberfläche zu holen, zu überprüfen und zu verbessern – ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur lernenden Organisation. (Senge 2006, S. 213)

>>Die an der Veränderung beteiligten und betroffenen

Menschen sollten sich dessen bewusst werden, durch welche Vorstellungen bzw. durch welche inneren Bilder von der Ver‑ änderungssituation sie in ihrem Erleben geleitet sind: Wie stelle ich mir die Veränderung vor? Welches innere Bild leitet mich? Welche Emotionen, Körperreaktionen, Handlungsimpulse lösen diese Vorstellungen bzw. inneren Bilder in mir aus? Durch welchen „inneren Satz“ werden diese Vorstellun‑ gen bzw. inneren Bilder begleitet?

bildlicher Ausdruck

Sinn und Nutzen der Veränderung

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In einem Workshop oder Seminar besteht auch die Möglichkeit, dass die Teilnehmer ihre Vorstellungen über die gemeinte Situation nicht nur über Worte vermitteln, sondern auch bildlich auf Zeichenpapier mit Neocolor und Zeichenstifte analog zum Ausdruck bringen und sichtbar werden lassen. Zum Beispiel durch die Frage eingeleitet: Durch welches Bild wird die gegenwärtig erlebte Veränderungssituation am ehesten zum Ausdruck gebracht? Durch diesen bildlichen Ausdruck wird vielmehr – als ausschließlich über Worte – ersichtlich, einsehbar und besprechbar, durch welche Vorstellungen oder inneren Bilder von der gemeinten Veränderungssituation die entsprechenden Personen derzeit in ihrem Erleben, Denken und Handeln geleitet sind (. Abb. 18.3). Bei alldem ist eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen von Veränderung, dass die Führungskräfte aus ihrer Perspektive den Sinn der Veränderung den Mitarbeitern nachvollziehbar vermitteln können. Mit anderen Worten: Die Führungskräfte sollten eine Vorstellung davon haben, welchen Nutzen die Veränderung für die Organisation und somit auch für die Mitarbeiter kurz-, mittel- oder langfristig hat. In Veränderungssituationen ist es entscheidend, ob die Menschen durch eine positive Vorstellung oder durch ein positives inneres Bild von der Zukunft in ihrem Erleben und Handeln geleitet sind. Diese positive Vorstellung oder das positive Bild kann auch als Vision bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, erneut einen Blick in die „Fünfte Disziplin“ von Peter Senge zu werfen:

18.4 • Kognitive Schemata

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..Abb. 18.3  Beispiel für den bildlichen Ausdruck der aktuellen Veränderungssituation einer Führungskraft

» Wenn es je eine einzelne Führungsidee gab, die Organisationen

seit ewigen Zeiten inspiriert hat, so ist es die Fähigkeit, eine gemeinsame Zukunftsvision zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass irgendeine große Organisation auf Dauer ohne gemeinsame Ziele, Wertvorstellungen und Botschaften erfolgreich sein könnte. (Senge 2006, S. 18)

18.4

Kognitive Schemata: die mentale Repräsentation der wahrgenommenen Veränderungssituation

» Niemand hat eine Organisation im Kopf – oder eine Familie

oder eine Gemeinschaft. Was wir in unseren Köpfen haben sind Bilder, Annahmen und Geschichten. (Senge 2006, S. 213)

Menschen reagieren nicht unmittelbar auf die äußere Welt, sondern immer nur vermittelt über kognitive Schemata, welche sie sich von der äußeren Welt erschaffen haben. Diese kognitiven

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Schemata bilden sich im Laufe der eigenen Geschichte über die Erfahrungen mit der wahrgenommenen äußeren Umwelt heraus. Gedächtnis Nach dem britischen Psychologen Frederic Charles Bartlett enthält das Gedächtnis keine verblassenden Abbilder der Wirklichkeit. Erfahrungen werden vielmehr als Schema gespeichert: Die ehemals wahrgenommenen Erfahrungsinhalte werden nach Maßgabe individueller Interessen, Werthaltun‑ gen und Gewohnheiten selektiert und modifiziert. Gedächtnisinhalte strukturieren sich im Sinne logischer und sachlicher Plausibilität sowie im Sinne des Üblichen und Vertrauten. Der Mensch behält vom ehemals wahrgenommenen Sachverhalt ein solches Schema und wenige ausgeprägte Einzelheiten (Ritter und Gründer 1992, Bd. 8, S. 1262).

Kognitive Schemata können als mentale Abbildungen oder Mo‑ delle verstanden werden, die die subjektiven Vorstellungen, inneren Bilder, vermeintlichen Kenntnisse, Annahmen oder Überzeugungen eines Menschen über die gemeinten Personen, Objekte oder Situationen beinhalten. Auch Peter Senge thematisiert in seinem Buch über die „fünfte Disziplin“ mentale Modelle:

» ,Mentale Modelle‘ sind tief verwurzelte Annahmen, Verall-

gemeinerungen oder auch Bilder und Symbole, die großen Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und wie wir handeln. Sehr häufig sind wir uns dieser mentalen Modelle oder ihrer Auswirkungen auf unser Verhalten nicht bewusst. (Senge 2006, S. 17)

mentale Abbildungen oder Modelle

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Kognitive Schemata von der wahrgenommenen Welt repräsentieren nicht die Welt an sich, sondern können als subjektive kognitive Konstrukte von der wahrgenommenen Welt begriffen werden. Zugleich leitet das derzeit aktivierte kognitive Schema die weiteren Wahrnehmungen und Erkundungen von der gegebenen Umwelt, sodass dem Schema entsprechende Informationen aus der Umwelt entnommen und in den Blick genommen werden. Oder anders gesagt: Die Wahrnehmung wird durch das hervorgebrachte kognitiven Schema bestimmt und ist in diesem Sinne subjektiv. Immer ist es das derzeit gegebene kognitive Schema, das eine subjektive Ordnung aus der unüberschaubaren und vielschichtigen Welt herausformt. Menschen erzeugen viele kognitive Schemata, die untereinander auf komplexe Weise verbunden sind und verschiedene, sich

18.4 • Kognitive Schemata

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auch widersprechende Wahrnehmungen, Erkundungen und dementsprechend Handlungen bewirken können. Bei alldem werden kognitive Schemata nicht als statisch begriffen, sondern verändern sich andauernd in der Interaktion mit der gegebenen Umwelt ausgelöst durch Informationen. Da die kognitiven Schemata die Wahrnehmungen und Erkundungen der Welt leiten, bringen dessen Veränderungen die Welt immer wieder in einem anderen Licht hervor. Oder anders gesagt: Je nachdem, welches kognitive Schema sich in diesem Moment vordergründig bildet, formt sich die Welt in bestimmten Facetten sinn- und bedeutungsvoll heraus. Somit leitet das hervorgebrachte kognitive Schema die gegenwärtige Sichtweise und insofern auch, auf welche Weise die wahrnehmbare Welt eingesehen wird (Neisser 1979, S. 50 ff.). Wie schon oben erwähnt, beinhalten kognitive Schemata bzw. mentale Modelle die Vorstellungen oder inneren Bilder, die vermeintlichen Kenntnisse, Annahmen und Überzeugungen über wahrgenommene Personen, Objekte oder Ereignisse. Aus diesem kognitiven Konstrukt ergibt sich die subjektive Bedeutung von dem Gemeinten für den wahrnehmenden Menschen. Dabei ist entscheidend, dass die Art des Erlebens von Situationen unmittelbar mit der jeweils zugeschriebenen Bedeutung verbunden ist. >>Die zugeschriebene Bedeutung hat einen erheblichen Ein‑

fluss auf die subjektiv erlebte Wirklichkeit des wahrneh‑ menden Menschen.

In diesem Zusammenhang unterscheidet Paul Watzlawick in seinem Ansatz zwei Arten von Wirklichkeit (1992, 142 ff., 11976). Die erste Wirklichkeit bezieht sich auf die physischen und die „objektiv“ feststellbaren Eigenschaften von Dingen. Diese Wirklichkeit definiert er im Sinne eines naturwissenschaftlichen Verständnisses:

» Wir wollen also jene Wirklichkeitsaspekte, die sich auf den Kon-

sensus der Wahrnehmung und vor allem auf experimentelle, wiederholbare und daher verifizierbare Nachweise beziehen, der Wirklichkeit erster Ordnung zuteilen. (Watzlawick 1992, S. 143)

Die Frage ist: Welche Bedeutung, welchen Wert haben diese Tatsachen subjektiv für den Einzelnen? Watzlawick bezeichnet die subjektive Bedeutung der wahrgenommenen Welt als Wirklichkeit zweiter Ordnung. In diesem Bereich der Wirklichkeit bestehen nicht die Kategorien von „richtig“ oder „falsch“ oder „wahr“ oder „nicht wahr“ (Watzlawick 1991, 218 ff.).

Wirklichkeit erster und zweiter Ordnung

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Beispiel Mitarbeiterbesprechung

Beispiel

Zum Beispiel stellt ein Mitarbeiter während einer Besprechung viele Fragen. Das Verhalten des Mitarbeiters wird von den an der Besprechung beteiligten Personen wahrgenommen. Interessierte Wissenschaftler könnten empirisch mittels Videoanalyse genau untersuchen und quantifizieren, wie viele, wie lange und in welchen zeitlichen Abständen der Mitarbeiter Fragen gestellt hat. Das objektiv nachprüfbare Ergebnis würde zum Bereich der Wirklichkeit erster Ordnung gehören. Die subjektive Beschreibung, Bewertung und Erklärung des Verhaltens und dementsprechend die subjektive Bedeutung betrifft die Wirklichkeit zweiter Ordnung. Das Verhalten könnte von verschiedenen Beobachtern als „aufdringlich“, „interessiert“, „engagiert“ oder als „unwissend“ beschrieben und bewertet werden, je nachdem, welches kognitive Schema sich die Beobachter über das wahrgenommene Verhalten gebildet haben. Auch die Erklärungen für das Verhalten könnten je nach kognitivem Schema subjektiv sehr unterschiedlich sein. Von „Der Mitarbeiter braucht Anerkennung!“ oder „Er möchte in Konkurrenz mit seinem Vorgesetzten treten!“ bis zu absurden tiefenpsychologischen Analysen wie „Er wurde von seinem Vater nie geliebt!“

Die subjektive Bedeutung einer vorliegenden Situation geht aus den gegenwärtigen Vorstellungen, Kenntnissen, Beschreibungen oder Annahmen über die wahrgenommenen Personen, Objekten oder Ereignisse hervor. Mit anderen Worten: Die Bedeutung von wahrgenommenen Personen, Sachverhalten oder Ereignissen – und somit die Wirklichkeit zweiter Ordnung – wird von dem kognitiven Schema bestimmt, welches in Anbetracht der gemeinten Situation mit dem Wahrgenommenen unmittelbar verbunden wird.

» Die Wirklichkeit zweiter Ordnung, die unsere Weltschau, Ge-

danken, Gefühle, Entscheidungen und Handlungen bedingt, ist das Ergebnis einer ganz bestimmten Ordnung, die wir der kaleidoskopischen, phantasmagorischen Vielfalt der Welt aufstülpen und die also nicht das Resultat der Erfassung der „wirklichen Welt“ ist, sondern die im eigentlichsten Sinne eine ganz bestimmte Welt konstruiert. (Watzlawick 1991, S. 94)

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Dieses Verknüpfen von Wahrgenommenem mit einem kognitiven Schema und somit das subjektive Erfassen der Welt geschieht in der Regel nicht bewusst und wird gewöhnlich für den wahrnehmenden Menschen als einzige Möglichkeit der Betrachtung und Beschreibung gesehen. Zugleich ist die zugeschriebene Bedeutung für das gegenwärtige subjektive Erleben der Wirklichkeit wesentlich.

18.4 • Kognitive Schemata

Insofern würde eine Veränderung der Bedeutung eine Veränderung des Erlebens von Wirklichkeit beinhalten. Durch eine Veränderung der Sichtweise wird den gemeinten Personen, Objekten oder Ereignissen ein neuer Sinn und Wert ermöglicht, wodurch die gleiche Situation positiver erlebt werden kann.

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Beispiel Vorgesetzter

Beispiel

Zum Beispiel sucht ein Mitarbeiter im Vergleich zu anderen Mitarbeitern sehr häufig das Gespräch mit seinem Vorgesetzten. Der Vorgesetzte kann potenziell diesen von ihm wahrgenommenen Sachverhalt verschiedenartigen Begriffen im Rahmen seiner Deutungsmuster zuordnen wie „unselbstständig“, „störend“ oder „neugierig“, „interessiert“. Je nachdem aus welcher Sichtweise der Vorgesetzte den Sachverhalt einsieht und deutet, erzeugt er eine Wirklichkeitskonstruktion, die die Bedeutung und dementsprechend die subjektiv erlebte Wirklichkeit bestimmt.

Gerade in organisationalen Veränderungssituationen ist die Erkenntnis von nicht zu überschätzender Tragweite, dass Menschen immer nur vermittelt über ihr kognitives Schema bzw. mentales Modell der wahrgenommenen Situation eine entsprechende Bedeutung zuschreiben bzw. zusprechen und hierdurch ihr derzeitiges Erleben erzeugen. >>Der gemeinsam erlebten Veränderungssituation werden

erheblich unterschiedliche Bedeutungen zugesprochen, je nachdem, ob die Nachteile, Schwierigkeiten und Probleme in den Blick genommen oder die Vorteile, die ersten Erfolge und Lösungen sichtbar gemacht werden.

Führungskräfte könnten durch das Darbieten von anderen Beschreibungen oder Erklärungen andere Bedeutungen und somit ein verändertes Erleben in der Veränderungssituation ermöglichen. Diese Art der Intervention wird im Beratungsumfeld allgemein als „Umdeuten“ bezeichnet. Umdeuten bzw. „Reframing“ meint allgemein das Hervorrufen einer anderen Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis durch das Verändern der Bedeutungszuschreibung oder durch das Wechseln des Kontextes, in welchem das Ereignis von der betreffenden Person erfahren wird. Das Ereignis an sich bleibt unverändert. Die neue Sichtweise ist eine andere Möglichkeit den Sachverhalt zu bewerten, die weder „wahr“ noch „falsch“ ist, sondern eine denkbare Konstruktion von Wirklichkeit darstellt, auf die der Betreffende eher positiv reagiert.

» Eigentlich sagt das Reframing dies: ‚Sehen Sie, diese äußere

Sache ereignet sich und ruft diese Reaktion in Ihnen hervor,

Umdeuten

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

so dass Sie annehmen, die Bedeutung zu kennen. Aber wenn Sie in dieser Weise anders darüber nachdenken würden, dann würden Sie auch anders reagieren‘. Durch die Fähigkeit, über Dinge auf ganz unterschiedliche Weise nachzudenken, baut man ein ganzes Spektrum von Einsichten auf. Aber keine ist ‚wirklich‘ wahr. Es sind nur Aussagen über die Verständnisweise eines Menschen. (Watzlawick 1992, S. 59)

18.5

Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen aus systemischer Perspektive

» Wir sehen nun etwas anderes und können nicht mehr naiv weiterspielen. (Wittgenstein 1951)

Die Theorie autopoietischer Systeme von Humberto Maturana und die Theorie der Selbstorganisation nach Hermann Haken haben seit den 1990er-Jahren das Verständnis von Veränderung offener Systeme und damit auch von psychischen und sozialen Systemen deutlich geprägt. Beide Ansätze beschreiben die allgemeinen Prinzipien des Funktionierens von offenen Systemen und zeigen die Möglichkeiten und Grenzen von Veränderung auf. Im Folgenden werden beide Ansätze kurz skizziert, da diese theoretischen Annahmen für das Verständnis vom Wandel in Organisationen grundlegend sind. 18.5.1

Psychische und soziale Systeme in Anbetracht der Autopoiese

Die Theorie autopoietischer Systeme wurde von dem chilenischen Biologen Humberto Maturana in den 1970er-Jahren entwickelt und in den folgenden Jahren mit seinem Assistenten und späteren Kollegen Francisco Varela weiter ausgearbeitet (Maturana 1985; Maturana und Varela 1987). >>Der Ansatz der Autopoiese hat das Veränderungsverständnis

von psychischen und sozialen Systemen weitreichend beein‑ flusst.

18

Die Theorie stellt einen Versuch dar, die Organisationsweise lebender Systeme zu beschreiben. Mit lebenden Systemen sind biologische Systeme gemeint, die sich von physikalischen oder chemischen Systemen in der unbelebten Natur sowie von Menschen gemachten technischen Systemen unterscheiden.

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

Autopoietische Organisation Maturana und Varela (1987, S. 52–53) zeigen am Beispiel der Zelle als biologisch zusammengesetzter Einheit die Funktionsweise autopoietischer Organisation auf: In einer Zelle sind die molekularen Bestandteile in einem kontinuierlichen Netzwerk von Wechselwirkungen dynamisch miteinander verbunden. Dieser Zellstoffwechsel erzeugt Bestandteile, die einen Rand, eine Begrenzung für dieses Netz von Transformationen bilden. Dieser abgrenzende Rand wird als Membran bezeichnet. Diese Membran begrenzt die Ausdehnung des Netzwerkes, wodurch das Netzwerk als Einheit erzeugt wird und aufrecht erhalten bleibt. Gleichzeitig wird die Membran durch dieses Netzwerk erzeugt. Die Organisation ist durch einen zirkulären, sich selbst erzeugenden und aufrechterhaltenden Prozess gekennzeichnet: Auf der einen Seite erzeugt das dynamische Netzwerk von Transformationen seine eigenen Bestandteile und gleichzeitig die Membran. Auf der anderen Seite stellt diese Membran überhaupt erst die Möglichkeiten für die Transformationen des Netzwerkes her.

Für Maturana und Varela (1987) gilt dieser aufgezeigte Mechanismus auf molekularer Ebene als allgemeingültige Organisationsweise lebender Systeme und ist unter der Bezeichnung „Auto‑ poiese“ (Der Begriff Autopoiese ist aus den griechischen Wörtern autos [selbst] und poiein [machen] hergeleitet worden und bedeutet wörtlich „Selbstmachung“) kennzeichnend für alle lebende Systeme. Psychische und soziale Systeme können als lebende und somit auch als autopoietische Systeme beschrieben werden.

Autonomie lebender Systeme: die Eigenlogik achten und würdigen

» Das System spielt seine eigene Melodie und kann nur seine

eigene Musik hören. Sogar für Manager mit Linienfunktionen ist die Frage zu stellen, inwieweit sie ihre Mitarbeiter bzw. Organisationen direkt steuern können. (Königswieser et al. 1995, S. 55)

Der Begriff der „Autonomie“ nimmt in der Theorie autopoietischer Systeme einen zentralen Stellenwert ein, wonach psychische und soziale Systeme sich selbst erzeugen, regulieren und erhalten.

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18

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Beispiel Autonomie

Beispiel

Das bedeutet zum Beispiel, dass alle Wahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen des Menschen durch seine eigene Struktur bzw. durch seinen Zustand bestimmt sind, durch seine physischen und psychischen Voraussetzungen gerade in diesem Moment.

operationale Geschlossenheit und Struktur­determiniertheit

Die Autonomie ergibt vor allem daraus, dass lebende Systeme durch operationale Geschlossenheit nur mit ihren Eigenzuständen operieren und nicht mit systemfremden Komponenten. Lebende Systeme regulieren sich durch ihren eigenen aktuellen strukturellen Zustand selbst. In diesem Sinne sind lebende Systeme strukturdeterminiert bzw. zustandsdeterminiert. Oder mit anderen Worten: Lebende Systeme sind durch ihren eigenen derzeitigen inneren Zustand bestimmt. Operationale Geschlossenheit meint jedoch nicht, dass lebende Systeme von ihrer Umwelt („Milieu“) abgeschlossen oder isoliert sind. Lebende Systeme sind für die Aufnahme von Impulsen aus der Umwelt offen. Allerdings wird die Art und Weise der Verarbeitung dieser Impulse von der Struktur des Systems bestimmt bzw. durch seine „Eigenlogik“. Mit anderen Worten: Die Umwelt löst zwar durch äußere Impulse Effekte im lebenden System aus, jedoch wird die Verarbeitung und Wirkung dieser Impulse durch die Struktur des Systems bestimmt. Demnach schreiben äußere Impulse ihre Effekte nicht vor. Sie bestimmen sie nicht und sind daher nicht „instruierend“. Durch äußere Impulse werden gegebenenfalls Wirkungen im lebenden System „angeregt“ bzw. „ausgelöst"​. Insbesondere die Annahme, dass lebende Systeme sich durch Autonomie und hierbei durch „operationale Geschlossenheit“ und „Strukturdeterminiertheit“ auszeichnen, führt zu einer revolutionär anderen Sichtweise auf psychische und soziale Systeme und infolgedessen auf die Möglichkeiten, diese zu verändern. Letztendlich kann aufgrund der Autonomie die Wirkung von Kommunikation im Menschen nicht von außen verordnet oder bestimmt werden, sodass auch Veränderungen nicht voraussagbar, planbar oder steuerbar sind. Direkt steuernde Interventionen, Anweisungen oder Instruktionen führen nicht zwangsläufig zum erwünschten Ergebnis. >>Führungskräfte können Mitarbeiter nicht direkt beeinflussen,

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sondern nur Veränderungen anregen. Sie können Informatio‑ nen, Perspektiven, Ansichten oder Hinweise anbieten, die von jedem Mitarbeiter auf dem Hintergrund seiner Struktur bzw. durch seinen derzeitigen physischen und psychischen Zustand individuell verarbeitet werden und auf diese Weise mehr oder weniger Veränderungen bewirken. Dabei sollten die Anre‑ gungen möglichst dem mentalen Modell und der Sprache der Mitarbeiter entsprechen. Jedoch bleibt es unvorhersehbar, ob und wie sich der jeweils einzelne Mensch verändert.

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

Das gehörte Wort oder das gesehene Bild wird im angesprochenen Menschen durch seine physiologische Struktur erzeugt und als Erfahrung durch Beschreibung mit Bedeutung versehen und in dem Sinne erst zu Information. Dabei sind die Art und Weise der Beschreibung und der Bedeutungsgebung durch die sprachlichen Unterscheidungen und Möglichkeiten des wahrnehmenden Menschen bestimmt: Je nachdem welchen Ausschnitt des Wahrnehmbaren mit welchen Begriffen oder Worten ein Beobachter beschreibt, erzeugt er sein Erleben. >>Einfache Ursache-Wirkung- bzw. Input-Output-Bezie‑

hungen greifen nicht. Veränderungsprozesse erscheinen erheblich vielschichtiger und sind aufgrund der unzähligen individuellen Möglichkeiten autonomer Verarbeitung nicht direkt steuerbar.

In der Konsequenz sollten seitens der Führungskräfte Machbarkeitsansprüche und überhöhte Steuerungs- bzw. Kontrollbedürfnisse beiseitegelegt werden. Stattdessen sind Haltungen erforderlich wie Aufmerksamkeit, Offenheit für das Offensichtliche bzw. eine ausgeprägte sinnesbewusste Wahrnehmungsfähigkeit für das, was gerade im Veränderungsprozess geschieht, Anpassungsfähigkeit an das Wahrgenommene, Neugierde im Sinne von Interesse an der „Eigengesetzlichkeit“ und „das ihm Eigene“ der Mitarbeiter, oder Bescheidenheit bezogen auf das eigenen Steuerungsvermögen. Das Bewusstsein dafür, dass neben der eigenen Wahrnehmungen und Beschreibungen vielfältige Möglichkeiten der „Wahrgebung“ und Erzählweise existieren, die jeweils eine andere Wirkung auf das Erleben der Veränderung entfalten. Menschen erzeugen ihr Erleben in Beziehung zur äußeren Welt selbst. An dieser Stelle werden die Themen von Selbstver‑ antwortung, Selbstmotivation und Selbstmanagement relevant:

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Fragen zur eigenen Wahrnehmung Wie nehme ich die Veränderung wahr? Mit welchen Begriffen oder Worten beschreibe und bewerte ich diese? Welche Geschichte erzähle ich über das Erlebte? Welche Rolle („Opfer“, “Retter“ oder “Täter“) nehme ich in der Geschichte ein? Welche Vorstellungen oder inneren Bilder erzeuge ich über die Veränderung? Auf welche Aspekte fokussiere ich? Auf Veränderbares oder Nicht-Veränderbares? Auf die negativen oder positiven Aspekte? Auf Probleme oder Lösungen? Welche Aspekte übersehe ich? Suche und er-finde ich das „Gute“ im „Schlechten“ oder das „Schlechte“ im „Guten“?

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Bedeutungsgebung durch sprachliche Unterscheidungen

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

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Arbeite ich mit dem, was vorhanden ist, oder suche ich nach dem, was fehlt? Leitet mich ein „Müssen“ oder leitet mich ein „Dürfen“? Welche inneren Bilder und welcher innere Satz begleiten mich auf dem Weg zur Organisation bzw. auf dem Weg zur Veränderung? Wie gehe ich mit Fehlschlägen oder Restriktionen um? Wie gehe ich mit meiner derzeitigen Befindlichkeit bzw. mit meiner allgemeinen Grundstimmung um? Wie würde eine veränderte (Körper‑) Haltung meine Wahrnehmung und Bewertung verändern? Welche anderen positiven Bedeutungen oder Bewertungen könnte ich der Situation zuschreiben? Mit welchen Auswirkungen? Wo kann ich Einfluss nehmen und mitgestalten? Und wo nicht?

Hier liegt die Gefahr sichtbar nah, dass die Verantwortung für die Wirkung der Veränderungen nun allein auf Seiten der Mitarbeiter verschoben wird und auf der anderen Seite die Führungskräfte in falsch verstandener Verantwortungslosigkeit ausarten. Führungskräfte sind sehr wohl verantwortlich zum Beispiel für die Gestaltung von Rahmenbedingungen, in welchen Kompetenzerleben und förderliche Entwicklungsprozesse möglich sind. Dazu gehört auch die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen im Sinne einer wohlwollenden, wertschätzenden und vertrauensvollen Atmosphäre. Daneben sollten auch Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Mitarbeiter baldmöglichst und möglichst unkompliziert ihre Aufgaben mit den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten fokussiert erfüllen können. Dafür (mit) zu sorgen, dass die Mitarbeiter erfolgreich sind und Freude über die erbrachte Leistung entwickeln.

Strukturelle Kopplung lebender Systeme: einen gemeinsamen sprachlichen Bereich schaffen

» Im Grunde sind es doch die Verbindungen mit Menschen, welche dem Leben seinen Wert geben. (Wilhelm von Humboldt, Briefe an eine Freundin 1827)

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Maturana spricht von „struktureller Kopplung“, wenn zwei oder mehrere lebende Systeme gegenseitig strukturelle Veränderungen auslösen. Dabei beinhaltet strukturelle Kopplung die zeitliche Dimension und bezeichnet hier die „Geschichte“ wechselseitiger Strukturveränderungen zwischen lebenden Systemen durch Interaktionen mit dem Ergebnis einer gegenseitigen Angleichung. Im Fluss der strukturellen Kopplung bildet sich ein gemeinsamer Bereich heraus,

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

in welchem die Verhaltensweisen der beteiligten lebenden Systeme wechselseitig aufeinander abgestimmt sind, der sogenannte kon‑ sensuelle Bereich (Maturana und Pörksen 2002, S. 89). Der Vorgang der strukturellen Kopplung ist insbesondere für die Annahme bedeutsam, dass Menschen durch aufeinander bezogene Kommunikationen sich in ihrer Sichtweise von Wirklichkeit angleichen. Aus dem gegenseitigen Annähern und Anpassen der individuellen Sichtweisen über gemeinsam wahrgenommene Personen, Objekte oder Ereignisse geht mit der Zeit ein „konsensueller Bereich“ bzw. eine gemeinsame Sichtweise hervor. Dieses Annähern, Anpassen und Hervorbringen erfolgt durch Sprache bzw. durch Interaktion. Im Verlauf der strukturellen Kopplung wird zwischen Menschen durch aufeinander bezogenes Verhalten bzw. Kommunikationen ein gemeinsamer Interaktionsbereich erschlossen. Dabei umfasst Kommunikation sowohl verbale als auch nonverbale bzw. analoge Ausdrucksformen wie zum Beispiel Gestik, Mimik oder Zeichen. Die verwendeten Worte wie auch die analogen Ausdrücke erhalten durch wiederholtes und wechselseitiges Angleichen und Anpassen bisheriger individueller Bedeutungen mit der Zeit eine gemeinsam geteilte Bedeutung, welche nur für diesen entstandenen „konsensuellen Bereich“ gültig ist. Mit anderen Worten: Es entsteht ein zeitlich und räumlich begrenzter Rahmen bzw. Kontext, innerhalb dessen ein aufeinander abgestimmtes und übereinstimmendes Verständnis besteht und bestimmtes Verhalten gezeigt wird. Auch der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick geht davon aus, dass in einem Interaktionsprozess zunächst ein gemeinsamer „Code“ zwischen den Beteiligten ausgehandelt werden muss, nach welchem den wahrgenommenen Ereignissen Bedeutung gegeben wird.

» Es handelt von Situationen, in denen die Basis gegenseitiger

Kommunikation noch nicht besteht, sondern erst gefunden oder erfunden und dann der anderen Seite in einer Form angeboten werden muss, die jener die Entschlüsselung des Sinns ermöglicht. Wenn dies gelingt, eröffnet sich beiden Seiten der Blick in die bis dahin unbekannte und vielleicht unvorstellbare Wirklichkeit … der anderen. (Watzlawick 1992, 11976, S. 148)

Das bedeutet auch, dass jeder Beteiligte in der zwischenmenschlichen Kommunikation seine Kommunikation an die Struktur der anderen anpassen sollte, sodass eher ein konsensueller Bereich gegenseitigen Verstehens und ein gemeinsames Verständnis von Bedeutungen ermöglicht wird. >>Gerade in Zeiten organisationaler Veränderung ist es wesent‑

lich, dass Führungskräfte ihre Kommunikation an die Mitarbei‑ tenden so anpassen und gegenseitiges Verstehen so fördern,

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konsensueller Bereich

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

dass ein „konsensueller Bereich“ mit einem gemeinsamen Verständnis über die gemeinte Situation entstehen kann.

Wie kann man sich diesen Prozess der strukturellen Kopplung zwischen Menschen konkret vorstellen? Beispiel Workshops

Beispiel

Zum Beispiel können Führungskräfte in Workshops oder Meetings immer wieder erfahren, wie jede am Austausch beteiligte Person Begriffe wie „Führung“, „Kultur“ oder „Veränderung“ einzigartig verwendet. Durch Nachfragen der jeweiligen Erfahrungen mit den relevanten Begriffen („individuelle Geschichte“) und dessen Bedeutungen, durch Austausch und Klärungen entsteht mit der Zeit („gemeinsame Geschichte“) ein gemeinsames Verständnis, das ausschließlich für diese Gruppe oder diesen Bereich zu dieser Zeit gültig ist. Neben dem verbalen Austausch besteht auch die Möglichkeit, mit analogen Methoden wie zum Beispiel durch Zeichen oder Bilder nonverbal Zugang zu den subjektiven Ansichten, Vorstellungen und Bedeutungen der Teilnehmer zu finden, um ein gemeinsames Verständnis zu erzeugen. Die weiteren Äußerungen und Ausdrücke – durch 7 Worte oder Bilder – beziehen sich auf dieses Konstrukt und werden vom Gegenüber durch diese gemeinsam erzeugte Sichtweise subjektiv wahrgenommen und erfahren und erhalten vor diesem Hintergrund ihre Bedeutung. >>Menschliche Entwicklung geschieht im Austausch bzw. in

Interaktion mit anderen Menschen.

18 Entwicklungsfördernde Atmosphäre

Menschen ermöglichen sich gegenseitig Anregungen oder Impulse für Veränderungen, verbal durch Worte und nonverbal bzw. analog wie zum Beispiel durch Gestik und Mimik oder auch durch Zeichen. Ein soziales System erhält seinen Zusammenhalt, wenn sich ein gemeinsamer sprachlicher Bereich mit einer emotionalen Atmosphäre herausbildet und innerhalb dessen die einzelnen Personen ihre eigene Entwicklung dauerhaft erfahren oder in dem oben gemeinten Sinn: wenn an die individuelle Struktur anschlussfähige entwicklungsfördernde Impulse ausgetauscht werden. Gerade unter diesen Aspekten können Gruppen oder Teams als strukturell gekoppelte Systeme zwischen Individuen betrachtet werden, woraus sich ein neuer Phänomenbereich mit einer eigenen Sprache und emotionalen Atmosphäre herausbildet: die Kultur. Wesentlich für eine entwicklungsfördernde Atmosphäre scheinen Vertrauen, Loyalität, Wohlwollen und Zugehörigkeit zu sein.

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

Aufgabe der Führungskräfte ist es, durch eigene Beiträge diese Atmosphäre (mit) zu beeinflussen und zu fördern. Ungeachtet dessen können gerade in organisationalen Veränderungssituationen auch Dynamiken entstehen, die die Entwicklung einzelner Mitarbeiter oder Führungskräfte hemmen oder sogar auf diese schädlich wirken. Gerade die oben aufgeführten Aspekte einer entwicklungsfördernden Atmosphäre können gefährdet sein. In diesen Fällen ist das Gleichgewicht des sozialen Systems gestört. Das soziale System verliert seine Stabilität, kann aus den Fugen geraten, auf Einzelne kränkend oder krankmachend wirken oder sich sogar auflösen. >>In organisationalen Veränderungssituationen kann die

Atmosphäre bzw. das organisationale Klima von vielen betroffenen Mitarbeitern und Führungskräften für die eigene Entwicklung als hemmend oder sogar als schädlich erlebt werden. Die Stabilität des sozialen Systems ist bedroht.

Indessen gehen in einem sprachlichen Bereich aus der gemeinsamen Geschichte auch bestimmte Schlüsselbegriffe hervor, die für diesen Bereich eine besonders negative oder positive Bedeutung beinhalten. Zum Beispiel sind in manchen Bereichen Begriffe wie „Chance“, „Change Agent“ oder auch „Change Management“ vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrungen im Laufe der organisationalen Geschichte negativ geprägt. Allgemein sind Schlüsselbegriffe des jeweiligen Bereiches äußerst sorgsam zu verwenden oder gar zu vermeiden, da diese Begriffe die zugehörigen Menschen augenblicklich für Neues öffnen oder verschließen können. Priming Wann immer etwas von einem Individuum als positiv oder negativ bewertet wird, werden damit sofort Annäherungsoder Vermeidungstendenzen in Gang gesetzt. Dabei geschieht sowohl die Bewertung als auch die Reaktion unwillkürlich, blitzschnell und unbewusst. Dieses Phänomen wird in der Sozialpsychologie als „Priming“ bezeichnet (Schmidt 2008, S. 40 ff.).

Gerade in Veränderungssituationen sollten Führungskräfte in enger und dauerhafter Interaktion mit ihren Mitarbeitern bleiben und durch Informationen oder Fragen subjektive Vorstellungen von der voraussichtlichen Veränderung anregen, die es ihnen erleichtert, diese mitzutragen oder sich für diese zu öffnen. Zum Beispiel könnten die Führungskräfte darauf hinweisen, welche Vorteile sich

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

aus diesen Veränderungen ergeben oder welche Nachteile und Gefahren in der jetzigen Situation zu erkennen sind. Im Grunde geht es vor allem darum, den Sinn der Veränderung für die Mitarbeiter nachvollziehbar aufzuzeigen und ersichtlich werden zu lassen. Was würde passieren, wenn wir nichts verändern würden? Was steht auf dem Spiel?

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Fragen sind Angebote, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit zu lenken, mögliche Vorteile in den Blick zu nehmen oder Lösungen zu suchen. Zum Beispiel könnten Führungskräfte zu Beginn des Veränderungsprozesses durch Fragen die Aufmerksamkeit auf vorhandene Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen des Teams, des Bereiches oder der gesamten Organisation lenken.

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Was sind unsere besonderen Stärken? Worauf sind wir stolz? Was läuft aus eurer Sicht derzeit besonders gut? Was sollten wir unbedingt bewahren?

Erst nachdem die vorhandenen Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen gestärkt und verankert sind, besteht ein gefestigtes Fundament, um Veränderungen oder Anpassungen anzudenken und zu erarbeiten bzw. anzugehen:

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Was kann bezüglich unserer Arbeitsweise bzw. -abläufe optimiert werden? Wie kann unsere Zusammenarbeit verbessert werden? Welche Auswirkungen hätten diese Veränderungen auf unsere Kunden, auf das Ergebnis, auf uns?

Oder: Wie können wir mit dieser uns gestellten Herausforderung umgehen? Angenommen diese (unerwünschte) Veränderung hätte auch positive Aspekte bzw. Vorteile für uns? Welche könnten das sein?

Die Perspektive des Beobachters bestimmt sein Erleben

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» Alles Gesagte wird von einem Beobachter gesagt. (Humberto Maturana 1985)

Das individuelle Erleben einer Veränderungssituation ist vor allem dadurch bestimmt, aus welcher Perspektive diese wahrgenommen, beschrieben und entsprechend erfahren wird. Dabei ergibt sich

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

841

18

-

die jeweilige subjektive Perspektive aus zwei wesentlichen Dimensionen: Das Ausmaß der inhaltlichen Gestaltungs- bzw. Einflussmöglichkeiten bei der Veränderung. Das Ausmaß der persönlichen Betroffenheit durch die Veränderung. Die erste Dimension beinhaltet die konkrete Ausgestaltung der Veränderung zum Beispiel von der neuen Strategie, den Prozessen, Abläufen oder Strukturen. Hier sind vor allem das Wissen, die Kenntnisse und die Sachlogik der Beteiligten im Sinne von rationalem Denken gefragt. Die zweite Dimension betrifft die persönliche Betroffenheit von der Veränderung zum Beispiel hinsichtlich der eigenen Rolle, Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung oder der persönlichen Beziehungen in der Zusammenarbeit. Hier wirkt vor allem die Psy‑ chologik bei den Betroffenen im Sinne des kognitiv-emotionalen Erlebens der derzeitig wahrgenommenen Veränderungssituation. Aus dieser einerseits sachlogisch-gestaltenden und andererseits psychologisch-betroffenen Dimension können folgende zwei allgemeine Regeln abgeleitet werden: Menschen reagieren in Veränderungssituationen eher sachlogisch und rational je mehr sie die Möglichkeit haben, die Veränderung inhaltlich mitzugestalten und je weniger sie persönlich von dieser Veränderung betroffen sind. Die Menschen sind und fühlen sich beteiligt. Menschen reagieren eher psychologisch und emotional je mehr sie sich von der Veränderung persönlich betroffen fühlen und je weniger sie die Möglichkeit sehen, die Veränderung mitzugestalten. Die Menschen sind und fühlen sich betroffen. Sie fühlen sich fremdbestimmt, übersehen oder gar überfahren.

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>>Sinn und Bedeutung der Veränderung existiert nicht objektiv

an sich, sondern ist immer subjektiv von einem Beobachter gegeben, je nachdem, aus welcher Perspektive er die Ver‑ änderung wahrnimmt und erlebt.

Gerade dann, wenn sich Menschen fremdbestimmt und sich dadurch in ihrer Autonomie angegriffen fühlen, erleben sie innerlich erhöhten Widerstand gegen die gemeinte Veränderung und selbst auch dann, wenn sie eigentlich sachlich bzw. inhaltlich damit einverstanden sein könnten: „Warum haben die mich nicht vorher gefragt und miteinbezogen?“ Oder: „Hat mein Wissen und meine Meinung keinen Wert?“ >>Das Einbeziehen auf der inhaltlichen Ebene der Veränderung

kann auf der Beziehungsebene von den Mitarbeitern als Wertschätzung und das Nicht-Einbeziehen als Geringschät‑ zung erlebt werden.

sachlogisch-rational versus psychologisch-emotional

842

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Führungskräfte können zunächst gedanklich aus der Perspektive der betroffenen Mitarbeiter die Veränderungssituation erfassen und die damit verbundenen Bedürfnisse ehrlich nachvollziehen:

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Wie würde ich aus der Perspektive der Mitarbeiter die Veränderung wahrnehmen und erleben? Welche Abwertungen und Kränkungen könnte ich erfahren? Welchen Sinn würde ich aus dieser Perspektive erkennen? Welche Bedeutung hätte dann die Veränderung für mich? Welche Bedürfnisse würden aus dieser Perspektive entstehen? Was wäre für mich klar? Was wäre unklar? Welche Fragen würden dann vorrangig und wesentlich sein? Wie würde ich die Führung wahrnehmen? Welchen Eindruck hätte ich von meinem Chef?

Anschließend können sie ihre Kommunikation an die Perspektive der Mitarbeiter anknüpfen:

-

18

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Welche Erwartungen, Befürchtungen, Unsicherheiten oder Ängste könnten die Personen oder Gruppen bezogen auf die Veränderungen haben? Welche Geschichten werden über die Veränderungen erzählt? Welches Interesse könnten die Personen oder Gruppen am Veränderungsprozess haben? Welchen Preis bezahlen sie für die Veränderungen? Welchen Nutzen könnten sie haben? Gehören sie zu den Trägern des Prozesses, den Beteiligten oder zu den Betroffenen? Gehören sie zu den Gewinnern oder den Verlierern? Und was haben sie zu gewinnen oder zu verlieren?

Um die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter zu erhöhen, können folgende Aspekte in der Kommunikation förderlich sein: Bisherige Leistungen, Beiträge und Entwicklungen wertschätzen. Die individuelle und organisationale Geschichte ehrlich würdigen. Den Mitarbeitern (wirklich) zuhören sowie Einwände aufnehmen und ernst nehmen. Die Neuerungen nicht „verkaufen“, sondern selbst eine sachbezogene und kritische Haltung bewahren. Im eigenen Verantwortungs- und Handlungsbereich gemeinsame Ziele setzen.

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

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Gestaltungs- und Entscheidungsräume für betroffene Mitarbeiter aufzeigen, um die Autonomie und Selbstbestimmung wieder zu stärken. Schulungen und unterstützende Maßnahmen anbieten. Schwierigkeiten, Aufwände und Verluste benennen und würdigen, Rückschläge gedanklich vorwegnehmen und akzeptieren. Menschen gleichen sich nach dem Prinzip der strukturellen Kopplung durch aufeinander bezogene Interaktion mit der Zeit in ihrem subjektiven Modell von Wirklichkeit gegenseitig an.

Die an der Interaktion Beteiligten schaffen einen „konsensuellen Bereich“ in Gestalt einer gemeinsamen Sichtweise bzw. eines gemeinsam geteilten mentalen Modells von der Veränderungssituation. Diese gemeinsame Sichtweise ist nicht statisch bzw. feststehend, sondern wird durch den wechselseitigen Interaktionsprozess laufend subjektiv erzeugt und angepasst. Die Betonung liegt hier auf „subjektiv“. Durch Interaktion zwischen den Individuen geschieht zwar Annäherung zwischen den subjektiven Sichtweisen, jedoch bleibt jede Sichtweise immer eine einzigartige, die durch die Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Individuums hervorgebracht und kommuniziert wird. Im Grunde bleiben dem Menschen auch seine Vorstellungen über die gemeinsamen Vorstellungen „ihm eigen“ und sind in dem Sinne „eigengesetzlich“ bzw. autonom, so dass eine gemeinsame Sichtweise objektiv gar nicht existieren kann. >>Die individuellen Sichtweisen über die erlebte Veränderungs‑

situation können zwar durch Dialog und Austausch im Sinne eines gemeinsamen Verständnisses angenähert werden, jedoch bleibt jede Sichtweise weiterhin einzigartig.

18.5.2

Prinzipien der Selbstorganisation in psychischen und sozialen Systemen

» Vertrauen reduziert die Komplexität. (Niklas Luhmann 1968) In der gängigen Literatur zum Thema organisationale Veränderung wird in der Regel von Selbstorganisation gesprochen. Häufig wird sogar „die Selbstorganisation von Teams“ ausdrücklich gefordert und als Heilsversprechen für alle Unarten hierarchischer oder bürokratischer Strukturen angepriesen, ohne den Begriff oder das Phänomen von Selbstorganisation theoretisch hinreichend zu erläutern. Eine Begriffsbestimmung ist jedoch erforderlich, um selbstorganisierende Phänomene in sozialen und psychischen

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18

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Phänomene der Ordnungsbildung

Systemen begreifen, beeinflussen und fördern zu können. Dabei ist Selbstorganisation an sich weder gut noch schlecht, sondern ein beobachtbares Phänomen aller dynamischer komplexen Systeme. Die Synergetik („Syn-Ergetik“ stammt aus dem Griechischen und heißt übersetzt „zusammen wirken“. Entsprechend kann die Synergetik als Lehre des Zusammenwirkens bezeichnet werden), die von dem deutschen Physiker Hermann Haken Ende der 1960er-Jahre im naturwissenschaftlichen Bereich ausgearbeitet wurde, hat allgemeingültige Prinzipien der Selbstorganisation und Phänomene der Ordnungsbildung in offenen komplexen Systemen zum Untersuchungsgegenstand. Die Synergetik wird als eine Wissenschaft vom geordneten, selbstorganisierten kollektiven Verhalten verstanden, wobei dieses Verhalten allgemeinen Gesetzen unterliegt (Haken 1981, S. 21). Selbstorganisation bzw. Selbstregulation und Ordnung In der Gestaltpsychologie haben schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Begriffe Selbstorganisation bzw. Selbstregulation und Ordnung eine zentrale Bedeutung. Wolfgang Metzger hat das „Problem der Ordnung“ in den 1940er-Jahren zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht. Er ging davon aus, dass bestimmte Phänomene bzw. Arten des Geschehens, „die frei, sich selbst überlassen, einer ihnen selbst gemäßen Ordnung fähig sind“ (Metzger 2001, 11940, S. 209). Diese Ordnung wird nicht von außen bestimmt, sondern geschieht von selbst aus dem Inneren des Systems. Bei der Entstehung wirken bestimmte Kräfte und Bedingungen von innen heraus, die diese Ordnung auch an veränderte Umweltbedingungen anpassen und aufrechterhalten.

» Ordnung kann unter Umständen von selbst – ohne das äußere Eingreifen eines ordnenden Geistes – entstehen. … Es sind dieselben Kräfte und Bedingungen, denen sie ihre Entstehung, ihre Erhaltung, ihre Anpassung an veränderte Umstände und ihre Wiederherstellung verdankt. (Metzger 2001, 11940, S. 209 f.)

18

Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, jedoch überwiegend mit einem psychologischen Hintergrund, erforschen und beschreiben auf Grundlage der Synergetik, wie Veränderungen in psychischen und sozialen Systemen geschehen, welche Voraussetzungen für Veränderung notwendig sind und warum menschliche Systeme in ihrem Denken, in ihren Emotionen und Verhalten nicht vorhersagbar beeinflussbar sind (Schiepek et al. 2013, S. 30). In selbstorganisierenden Systemen wird zwischen einer mi‑ kroskopischen und einer makroskopischen Ebene unterschie-

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

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18

den. Auf der Mikroebene befinden sich die Vielzahl der Einzelelemente des Systems und deren unzähligen Wechselwirkungen untereinander. Diese Einzelelemente wirken derart zusammen, dass sie sprunghaft ein geordnetes Muster von selbst erzeugen, das sich auf der Makroebene des Systems herausbildet. Diese Ordnung wird „Attraktor“. (Das Wort „Attraktor“ ist hergeleitet vom lateinischen „ad trahere“ und heißt „zu sich hin ziehen“). Demnach werden Ordnungen bzw. Muster, Strukturen oder Regeln in der Synergetik als Attraktor bezeichnet, wenn diese die Einzelelemente auf der Mikroebene in ihrem Verhalten einbinden und „zu sich“ – in das vorhandene Muster oder in die bestehende Ordnung – „hin ziehen“ genannt (Strunk und Schiepek 2006, 80 ff.). Definitionen  Attraktor bezeichnet eine Ordnung (Muster, Struktur, Regel), auf die hin sich eine Systemdynamik entwickelt. Diese entstandene Ordnung weist eine gewisse Stabilität auch bei veränderten Umweltbedingungen bzw. gegenüber mäßigen Störungen auf.

Definition: Attraktor, Stabilität



Das Verhalten der Einzelelemente auf der mikroskopischen Ebene wird von einem sogenannten „Ordner“ bestimmt, der das geordnete Muster – den Attraktor – auf der makroskopischen Ebene hervorbringt und über einen gewissen Zeitraum stabil hält. Dieser dynamische Prozess verläuft in einer kreisförmigen Kausalität, da die Einzelelemente des Systems den Ordner selbst schaffen, durch welchen sie wiederum in ihrem Verhalten bestimmt werden (Schiepek et al. 2013, S. 33). Demnach geht der Ordner einerseits aus dem Zusammenwirken der Einzelelemente hervor („bottom-up“), bestimmt aber auch andererseits die Einzelelemente, indem er ihr Verhalten vorschreibt und deren „Freiheitsgrade“ beträchtlich reduziert („topdown“). Folglich verlaufen zwei dynamische kreiskausale Vorgänge in offenen komplexen Systemen: einerseits die Wechselwirkungen zwischen den Einzelelementen auf der mikroskopischen Ebene, aus denen sich ein Ordner herausbildet, von diesem wiederum die Einzelelemente in ihrem Verhalten gebunden werden (Herausbildung von und Bindung durch Ordner). Andererseits verläuft eine Wechselwirkung zwischen der mikro- und makroskopischen Ebene des Systems. In diesem Vorgang bildet der unsichtbare Ordner aus der mikroskopischen Ebene eine wahrnehmbare Ordnung – den Attraktor – auf der Makroebene heraus, die wiederum das Verhalten der Einzelelemente auf der Mikroebene und somit den Ordner bestimmt (Herausbildung von und Bindung durch Ordnung).

Ordner

kreiskausale Vorgänge

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

makroskopisches Muster/ Ordnungsparameter (Ordnung) makroskopische Ebene Kontrollparameter

Versklavung

Bottom-upTop-downKreiskausalität

Emergenz

mikroskopische Ebene

..Abb. 18.4  Allgemeine Prinzipien der Selbstorganisation

Beispiel Konzert

18

Beispiel

Zum Beispiel kann der gemeinsame Klatschrhythmus in einem Konzert als eine relativ stabile Ordnung und somit als Attraktor bezeichnet werden, der aus dem wechselwirkenden Klatschen vieler einzelner Zuschauer entsteht und wiederum gleichzeitig das Verhalten aller Zuschauer bestimmt bzw. die Freiheitsgrade aller Zuschauer erheblich einschränkt. Hier kann auf der mikroskopischen Ebene das rhythmische Klatschen Einzelner als Ordner verstanden werden, der sich wie zufällig aus unzähligen Möglichkeiten durchsetzt und das Verhalten aller anderen Zuschauer wie durch eine Welle bindet, so dass erst das Muster auf der makroskopischen Ebene – der gemeinsame Klatschrhythmus – entstehen kann.

Durch diese zwei Vorgänge erhält das System einen relativ stabilen dynamischen Gleichgewichts- und Ordnungszustand. Dieses dynamische Gleichgewicht kann durch äußere oder innere Einflüsse gestört werden. Die Einflussgrößen werden in der Synergetik „Kontrollparameter“ genannt (. Abb. 18.4). Übertragen auf den sozialen oder psychischen Phänomenbereich ist die Frage, wie relativ stabile Ordnungen wie etwa Regeln oder Interaktionsmuster in sozialen Systemen oder kognitivemotionales Erleben, Denk- und Verhaltensmuster in psychischen Systemen selbstorganisiert entstehen und sich stabilisieren. Dementsprechend stehen die Begriffe „Selbstorganisation“ und „Ordnung“ in einem engen Zusammenhang. Im Prinzip wird eine wie auch immer geartete Ordnung von Menschen durch eigene Organisation selbst erschaffen und erhalten.

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

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18

>>Der zentrale Aspekt von Selbstorganisation ist das Phäno‑

men, dass Menschen aus sich heraus selbst Ordnungen bzw. Muster, Strukturen oder Regeln schaffen, diese aufrechterhal‑ ten und an veränderte Umweltbedingungen anpassen.

Für das Verständnis von Veränderung ist von zentraler Bedeutung, dass in offenen komplexen Systemen sogenannte Kontroll‑ parameter wirken: Kontrollparameter sind der wesentliche Wirkmechanismus, die die vorhandene Ordnung aufrechterhalten bzw. stabilisieren und durch dessen Änderung ein anderer Ordnungszustand möglich wird. >>Kontrollparameter sind in psychischen und sozialen Syste‑

men die Parameter, die eigentlich durch ihr Wirken das relativ stabile Systemgleichgewicht aufrechterhalten und Verände‑ rungen beeinflussen können.

Kontrollparameter halten einerseits in sozialen Systemen bestimmte Normen, Rituale, Regeln, Interaktions- und Verhaltensmuster oder gemeinsam erzählte Geschichten und andererseits in psychischen Systemen bestimmte Vorstellungen, Annahmen und Überzeugungen und somit die Sichtweise eines Menschen in seiner relativen Stabilität aufrecht. Durch Änderung der Kontrollparameter gerät gerade diese Stabilität ins Schwanken, wobei sich eine neue soziale oder psychische Ordnung herausbilden kann. Durch die Annahme des Vorhandenseins von Kontrollparametern in sozialen und psychischen Systemen scheint zumindest theoretisch ein konkreter Zugang für die Veränderung selbstorganisierender Systeme erschlossen zu sein.

Selbstorganisation in sozialen Systemen: sich in Bescheidenheit üben und die wirksamen Einflüsse erkennen

» Aus der Tatsache, dass selbst das Management keine vollstän-

dige Kontrolle haben kann, dass Organisationen ein Eigenleben führen und eine Eigendynamik einwickeln, folgt, dass der Beratung enge Grenzen der Machbarkeit gesetzt sind. (Brunner 1993, S. 107)

In sozialen Systemen sind auf der mikroskopischen Ebene die unzähligen Bedürfnisse, Emotionen und Kommunikationen der einzelnen Mitglieder so miteinander vernetzt, dass sie sich gegenseitig beeinflussen. Aus diesen Wechselwirkungen zwischen den Menschen bildet sich wie von selbst ein Ordner heraus, der das Verhalten der Einzelnen bindet und dessen Freiheitsgrade erheblich einschränkt. Aus dieser durch den Ordner gebundenen Dynamik

..Abb. 18.5  © 2018 by Tobias Leuenberger

Kontrollparameter

848

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Manifestationen der Kultur

Werte, Normen, Interaktionsmuster, Regeln, Einstellungen, Geschichten Fluktuation Emergenz

Beeinflussung

Verhalten

Bewertungen

Bedürfnisse

Randbedingungen Strategie Organisationsstruktur Prozesse, Abläufe, Funktionen Unternehmensleitlinien

Emotionen Erklärungen Wahrnehmungen

Prinzipien und Werte der Führung Beurteilungssysteme

..Abb. 18.6  Selbstorganisation in sozialen Systemen. (Aus Kiel 2010)

Manifestationen der Kultur

18 Kontrollparameter in sozialen Systemen

auf der mikroskopischen Ebene entsteht auf der makroskopischen Ebene eine sichtbare relativ stabile Ordnung bzw. Struktur. Diese hervorgebrachte Struktur beinhaltet die gemeinsam gelebten Regeln, Rituale, Verhaltens- und Interaktionsmuster sowie die gemeinsam erzählten Geschichten und Legenden, die wiederum die Wahrnehmungen, Gedanken, Empfindungen und Verhaltensweisen der einzelnen Menschen des sozialen Systems koordinieren und binden. Hierdurch pendelt sich im Laufe der Zeit ein relativ stabiles Gleichgewicht zwischen dem gemeinsam Gelebten und dem individuell Erlebten ein. Diese gemeinsam gelebten und erlebten Phänomene sind die Manifestationen der Kultur des sozialen Systems. Diese Kultur kann in ihrer relativen Stabilität durch innere und/oder äußere Einflüsse gestört werden: entweder durch Veränderungen von Kontrollparametern im Inneren des sozialen Systems oder durch Veränderung innerer und äußerer Rand- bzw. Rahmenbedingungen. Die Phase der Instabilität ist durch auffällige „Fluktuationen“ bzw. Abweichungen vom bisherigen Muster gekennzeichnet, die sprunghaft zu einem neuen Ordnungszustand führen können (. Abb. 18.6). Kontrollparameter können die Intensität und Qualität der Wechselwirkungen auf der mikroskopischen Ebene des sozialen

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

849

18

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Systems erheblich beeinflussen. Zum Beispiel könnten in Organisationen folgende Parameter auf das soziale System einwirken: das dauerhaft erlebte Betriebsklima wie Wohlwollen und Zugehörigkeit, Konkurrenz oder Kooperation, Vertrauen oder Misstrauen; die aktuell vorherrschende emotionale Atmosphäre wie Angst, Ärger, Druck und Überlastung oder Freude, Zuversicht oder Unsicherheit über die Zukunft des Unternehmens; das Verhalten einflussreicher Mitarbeiter; prägendes Führungsverhalten und dadurch auch unausgesprochen vermittelt bestimmte Werte wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit oder Loyalität. Jedoch sind die Kontrollparameter nicht eindeutig bestimmbar oder zu verorten. Daneben wirken auf die mikroskopische Ebene des sozialen Systems äußere und innere Rahmenbedingungen ein. In Organisationen dienen zum Beispiel als äußere Rahmenbedingungen die vorgegebenen Ziele oder Ausrichtung, beschriebene Arbeitsabläufe, festgelegte Standards und Richtlinien, Raumstrukturen, Beurteilungssysteme oder die definierte Unternehmensphilosophie und als innere Rahmenbedingungen die gemeinsame Unternehmensgeschichte, prägende Ereignisse oder gemeinsame Erlebnisse und Lernerfahrungen, aber auch spürbare Interessen und Machtverhältnisse. Insbesondere die äußeren Rahmenbedingungen können je nach Detailierung, Standardisierung, Ausprägung und Verpflichtung die Mitarbeiter in ihrem Verhalten mehr oder weniger einschränken und somit vorweg die Selbstorganisation in bestimmte Bahnen lenken. Aus diesen äußeren und inneren Rahmenbedingungen können sich Kontrollparameter herausbilden wie zum Beispiel prägendes Führungs- oder Mitarbeiterverhalten oder eine emotionale Atmosphäre wie Unsicherheit, Angst, Druck, Freude, Zusammenhalt oder Leichtigkeit. Die Stabilität des dynamischen Gleichgewichtes steht nun in unmittelbarer Wechselwirkung mit den Kontrollparametern. Verändert sich zum Beispiel das Führungsverhalten oder das Betriebsklima oder ein einflussreicher Mitarbeiter verlässt das Unternehmen, könnte das Gleichgewicht ins Schwanken geraten. Hieraus könnte sich ein neuer Ordner auf der mikroskopischen Ebene herausbilden, der die Elemente in seine Dynamik einbindet, wodurch auf der makroskopischen Ebene andere gelebte und erlebbare Regeln, Verhaltensweisen oder Interaktionsmuster mit der Zeit entstehen und sich festigen. Diese neue Ordnung würde wiederum auf die unzähligen Wahrnehmungen, Gedanken, Empfindungen, Emotionen und Kommunikationen der einzelnen Menschen des sozialen Systems einwirken.

äußere und innere Rahmenbedingungen in sozialen Systemen

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Führungskräfte haben die Möglichkeit, mittelbar durch Veränderungen der äußeren und gegebenenfalls der inneren Rahmenbedingungen oder unmittelbar durch ihr Verhalten das Gleichgewicht des sozialen Systems zu beeinflussen. Dabei ist es erforderlich, über einen gewissen Zeitraum das neue Verhalten in merklicher Form dauerhaft und gleichbleibend zu zeigen, sodass dieses auf diese Weise für die Mitarbeiter als konstanter Unterschied bzw. als Abweichung zum Bisherigen erlebbar wird. Führungskräfte können in Veränderungssituationen auf das soziale System Einfluss nehmen, indem sie frühzeitig einflussreiche Mitarbeiter für das Vorhaben gewinnen, eine starke Führungskoalition mit einer gemeinsamen Ausrichtung bilden, eine sinnhafte und attraktive Vision entwickeln und diese wiederholt kommunizieren, eine positive emotionale Atmosphäre mitprägen wie durch Zuversicht und Zutrauen, erwünschte Werte und Verhaltensweisen erkennbar vorleben und in diesem Sinne als Vorbild dienen. Gerade in Veränderungssituation scheinen die Mitarbeiter besonders sensibel und empfänglich für das Verhalten und den zwischenmenschlichen Umgang der Führungskräfte und insbesondere des direkten Vorgesetzten zu sein. Ehrlich, transparent, ausgewogen und fair sein, Einbeziehung und Mitwirkung sowie Loyalität und Wohlwollen sind Grundvoraussetzung für die Entwicklung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Dabei ist es entscheidend, dass diese Werte nicht von außen aufgesetzt, sondern von innen aus ureigener Überzeugung von den Führungskräften (vor‑)gelebt werden. Ansonsten artet das Verhalten in künstlichem Getue aus, woraus Glaubwürdigkeit und Vertrauen nicht erwachsen, sondern vielmehr im Gegenteil: Zynismus, Sarkasmus und Misstrauen. Daneben scheinen Zuversicht in die Zukunft und Zutrauen in die Mitarbeiter weitere wesentliche Grundhaltungen der Führungskräfte für die Prägung einer positiven Atmosphäre zu sein. Jedoch in der Phase der Instabilität haben die Führungskräfte keinen direkten Einfluss hinsichtlich der konkreten Entwicklung des sozialen Systems. Sie werden sich demnach in Bescheidenheit üben müssen und weniger die Rolle eines „Machers“ einnehmen, sondern mehr die eines „Anregers“.

Selbstorganisation in psychischen Systemen: sich der Wirkung des emotionalen Erlebens bewusst sein

18

» Freudvoll

Und leidvoll, Gedankenvoll sein, Langen Und bangen In schwebender Pein;

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

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18

Himmelhoch jauchzend, Zum Tode betrübt – Glücklich allein Ist die Seele, die liebt. Johann Wolfgang von Goethe (Erstdruck 1788)

Auch das psychische System kann als ein offenes, komplexes und dynamisches System betrachtet und durch die Prinzipien der Selbstorganisation beschrieben werden. Hier bestehen die Elemente auf der mikroskopischen Ebene aus den vielfältigen Wahrnehmungs‑, Gedanken,- Gefühls,- und Handlungsströmungen eines Menschen. Diese Elemente sind unmittelbar miteinander vernetzt, beeinflussen sich gegenseitig und stehen in Wechselwirkung mit der individuell gegebenen Umwelt. Bisherige Erfahrungen, Erwartungen, das derzeitige emotional-körperliche Befinden, sowie sich daraus ergebene Bedürfnisse wirken als „innere Rahmenbedingungen“ auf die mikroskopische Ebene des psychischen Systems ein. Aus dem Zusammenwirken entsteht selbstorganisiert eine relativ stabile geordnete subjektive Wirklichkeit auf der makroskopischen Ebene. Diese Ordnung bedingt wiederum die Wahrnehmungen, Kognitionen und Emotionen auf der mikroskopischen Ebene („Kreiskausalität“). Der Psychologe Jürgen Kriz bezeichnet diese von einem Menschen selbst erzeugte kognitive Ordnung über die wahrgenommene und erfahrene Umwelt als „Sinn-Attraktor“ (Kriz 2004, 2013). Beispiel

Wenn man einem Menschen länger zuhört, so bedeutet „Verstehen“ das Einordnen des Gehörten in das innere Bild, das man sich von dem Erzählten macht. Dieses Bild ist – bottomup – selbst aus unzähligen Gesprächs- und Informationspartikeln im Laufe der Zeit entstanden und wirkt nun – top-down – im Prozess der selektiven Wahrnehmung und Sinnzuordnung wie ein Sinn-Attraktor: Weitere Informationspartikel werden so verarbeitet und strukturiert, dass das Bild weiter komplettiert wird. Diese Dynamik kann aber den Blick auf das Neue verstellen: Auch wenn alle Sätze, Situationen und Kommunikationen im Alltag sehr viele Bedeutungen haben können, werden oft die Bedeutungsräume – und damit oft auch die Erlebens‑, Verstehens- und Handlungsmöglichkeiten – durch Sinn-Attraktoren strukturiert und reduziert (Kriz 2014, S. 269).

Menschen bilden sich immer selbst eine kognitive Ordnung in Form von Vorstellungen oder inneren Bildern, Kenntnissen, Annahmen und Überzeugungen über die gemeinte Situation aus den vielfältigen wahrgenommenen Informationen, Erlebnissen

Beispiel Verstehen

852

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

und Einflüssen und aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen mit ähnlichen Situationen, die aus ihrer persönlichen Geschichte erwachsen sind. Das Ergebnis ist eine sinn- und bedeutungsvolle subjektive Wirklichkeit unmittelbar verbunden mit einem emotionalen Erleben. Durch eine veränderte Wahrnehmung bzw. Sichtweise durch neue Einsichten, Erkenntnisse, Beschreibungen, Annahmen oder Erklärungen oder durch ein plötzlich gewandeltes emotionaleskörperliches Befinden, kann sich auf der mikroskopischen Ebene ein Ordner herausbilden, der die bisher relativ stabile Ordnung auf der makroskopischen Ebene ins Schwanken bringt. Setzt sich zum Beispiel eine andere Beschreibung, Annahme, Einsicht oder Erklärung über die wahrgenommene Wirklichkeit als Ordner auf der mikroskopischen Ebenen durch, kann sich auf der makroskopischen Ebene sprunghaft eine neue Ordnung von Wirklichkeit herausbilden, die wiederum die vielfältigen Wahrnehmungs‑, Gedanken,- Gefühls,- und Handlungsströmungen auf der mikroskopischen Ebene einbindet. Das dynamische Gleichgewicht zwischen psychischem System und Umfeld ist wiederhergestellt. Was sind nun die „Kontrollparameter“ in psychischen Systemen, die die subjektive Konstruktion von Wirklichkeit eines Menschen beeinflussen können? Ein entscheidender Parameter ist das aktuelle emotionale-kör‑ perliche Befinden eines Menschen, das gerade in diesem Moment die Wahrnehmung und das Erleben am Wirksamsten beeinflusst und aufrechterhält. Emotional-körperliches Befinden Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ein Mensch sich verärgert, gekränkt, verängstigt oder sich interessiert fühlt, krank oder gesund ist, körperliche Beschwerden hat oder sich körperlich wohl und kräftig fühlt. Die jeweilige emotional-körperliche Grundstimmung färbt die Wahrnehmung und das Erleben der äußeren Welt des Menschen erheblich ein und in dem Sinne seine derzeit erlebte Wirklichkeit. So gesehen könnte die emotionale-körperliche Befindlichkeit des Menschen als Kontrollparameter bezeichnet werden, die von außen nicht unmittelbar wahrnehmbar ist und sich nicht direkt beeinflussen lässt.

18

Der Schweizer Psychiater Luc Ciompi hat ausführlich die Wechselwirkungen zwischen Emotionen, Kognitionen und Verhalten untersucht und den Begriff der „Affektlogik“ eingeführt. Für Ciompi ist der aktuell vorherrschende Affekt bzw. die aktuelle „psychophysische Befindlichkeit“ einer der wichtigsten Parameter, der das Wahrnehmen, Denken und somit die Kognitionen sowie das Verhalten eines Menschen bestimmt (Ciompi 2005).

18.5  •  Möglichkeiten und Grenzen von Veränderungen in Organisationen

Der Mensch selektiert und verarbeitet Impulse der äußeren Welt je nachdem, aus welcher psychophysischen Grundstimmung er diese wahrnimmt. Demnach ist die psycho-physische Befindlichkeit eines Menschen ein wesentlicher Faktor für die Veränderung subjektiver Wirklichkeiten (Ciompi 2005, S. 302 f.). Zum Beispiel kann Stresserleben, Ärger oder Angst das Wahrnehmen, Denken und Verhalten eines Menschen erheblich beeinflussen und aufrechterhalten, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Jedenfalls ist es erforderlich, die psycho-physische Grundstimmung bzw. die Befindlichkeit des Menschen als wesentlichen Wirkparameter für die Erzeugung und Aufrechterhaltung von bestimmten Vorstellungen, inneren Bildern oder Annahmen über gemeinte Personen, Objekte oder Ereignisse mit einzubeziehen. >>Führungskräfte sollten per se und insbesondere in Verände‑

rungssituationen sich bewusst sein, aus welchem emotionalkörperlichen Befinden sie in diesem Moment wahrnehmen, denken und handeln.

Dabei sind begriffliche Unterscheidungen im emotionalen Erleben hilfreich, um sich selbst genauer betrachten, wahrnehmen und sich dessen bewusster werden zu können. Folgende Unterscheidungen in den Grundgefühlen des Menschen werden von Ciompi angeboten (Ciompi 2005, S. 78 ff.):

-

Grundgefühle des Menschen nach Ciompi Angst, Furcht, Besorgtheit, Sorge, Misstrauen, Unsicherheit, Schüchternheit usw. Wut, Zorn, Empörung, Ärger, Groll, Neid, Trotz, Missmut, Geringschätzung usw. Trauer, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Kummer, Leid, Klaghaftigkeit, Beklemmung usw. Freude, Glück, Lust, Heiterkeit, Wohlwollen, Vertrauen, Optimismus, Zufriedenheit usw. Interesse, Aufmerksamkeit, Zuversicht, Neugier, Hoffnung, Spannung, Erwartung usw. Ekel, Abscheu, Wankelmut, Unausgeglichenheit, Zweifel usw.

Auch Strunk und Schiepek gehen davon aus, dass Kontrollparameter in psychischen Systemen nicht auf der Verhaltensebene, sondern vielmehr auf der emotionalen, motivationalen und be‑ wertende Ebene zu verorten sind. Jedoch ist diese Ebene nicht direkt durch äußere Impulse beeinflussbar und zudem wirken im Übergang von einer Ordnung zu einer anderen weitere selbstorganisierende Prozesse, die eine Steuerung oder Vorhersage mensch-

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18

psycho-physischen Grundstimmung

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

lichen Empfindens gänzlich ausschließen (Strunk und Schiepek 2014). >>Führungskräfte sollten gerade in organisationalen Verände‑

rungssituationen sowohl das eigene emotional-körperliche Befinden als auch das der Mitarbeiter wahrnehmen und an‑ nehmen. Gerade dann, wenn Menschen sich in ihrem Erleben gesehen, angenommen und gewürdigt fühlen, verändert sich paradoxerweise häufig das Erleben wie von selbst. Dieses derzeitige Erleben ist anscheinend nur eine mögliche Antwort des betroffenen Menschen auf die wahrgenommene Situation. Dabei könnte eine Frage sehr aufschlussreich sein: Angenommen, ich würde mich anders fühlen. Wie würde ich dann darüber denken?

18.6

Der sogenannte Widerstand– oder: wahrgenommene Reaktionen als dienliche Hinweise nutzen

» Rede, damit ich dich sehe. (Sokrates)

18

Die Bezeichnung „Widerstand“ wird immer von einem Beobachter verwendet, um aus seiner Perspektive ehemals oder gegenwärtig wahrgenommenes Verhalten zu beschreiben. Gewöhnlich wird nicht das eigene Verhalten als Widerstand bezeichnet, sondern das beobachtete Verhalten anderer Personen. Durch diese Zuschreibung wird per se eine Klassifizierung in mindestens zwei Gruppen vorgenommen und womöglich werden im Zuge dessen entsprechende Positionen verfestigt: Auf der einen Seite die Gruppe der Personen, die der Veränderung gegenüber aufgeschlossen und gewillt sind, diese umzusetzen, und auf der anderen Seite die Gruppe mit den Personen, die der Veränderung gegenüber verschlossen sind und dieser widerstehen. Dazwischen könnte noch eine weitere Gruppe benannt werden mit Personen, die noch unentschlossen sind. In der gängigen Literatur lassen sich Typisierungen zum Beispiel in einem Spektrum von „Visionären“ oder „Promotoren“ über „Skeptiker“ bis zu „Bremsern“ oder „aktiven Blockierern“ finden. Diese vereinfachten Modelle sind nicht besonders nützlich und könnten sogar unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Denn gerade diese Etikettierungen von Menschen führen in der Regel zu erheblichen Widerständen, vor allem dann, wenn die bezeichneten Personen bis zu diesem Zeitpunkt sich selbst noch nicht als „Bremser“ oder „Blockierer“ erlebt haben, sondern aus ihrer Sicht bloß berechtigte Einwände vorbringen wollten.

18.6 • Der sogenannte Widerstand

855

18

>>Voreilig offen ausgesprochene aber auch gedanklich unaus‑

gesprochene Etikettierungen von Menschen sollten unbe‑ dingt vermieden werden. Auch wenn diese Etikettierungen nur gegenüber Dritten ausgesprochen werden oder gar unausgesprochen bleiben, fühlen sich die bezeichneten Menschen in ihrem eigenen Erleben weder gesehen noch anerkannt. Die Autonomie des Menschen wird verletzt und kann zu Kränkungen führen.

Diese Beschreibungen schubladisieren und qualifizieren Menschen und versperren den Blick für die Vielschichtigkeit und die mögliche Entwicklung von jedem Individuum sowie für die Situationsbezogenheit von jedem Verhalten. Häufig führen diese Beschreibungen entweder zu selbsterfüllenden Prophezeiungen oder zu diplomatischem und unehrlichem Gerede über die gemeinte Veränderung, da ja niemand in dem Licht des „Bedenkenträgers“„ Widerständlers“ oder gar des „Blockierers“ erblickt werden möchte mit all den erdenklichen und auch schon erlebten Konsequenzen. Beide Wirkungen sind wenig hilfreich für die weitere Entwicklung der Mitarbeiter oder der gesamten Organisation. Zudem ist jede Beschreibung immer nur eine Zuschreibung von einem Beobachter aus seiner gegenwärtigen Perspektive auf der Grundlage seiner Wahrnehmungen, Erfahrungen, Kenntnisse oder Annahmen vermittelt durch seine derzeit zur Verfügung stehenden sprachlichen Möglichkeiten. Diese aus subjektiven Momentaufnahmen ermittelten Aussagen geben recht wenig Auskunft darüber, wer oder wie der beschriebene Mensch tatsächlich oder wirklich ist. Die Mitarbeiter sollten vielmehr ermutigt werden, ihre Ansichten, Meinungen und Bedenken ehrlich zu äußern, um eine kritische Auseinandersetzung aus verschiedenen Perspektiven über die sinnlich erlebte oder bildlich vorgestellte Veränderung zu ermöglichen. Die Mitarbeiter werden als Teil des Ganzen wahrgenommen und angesprochen, wodurch sie sich gefragt und beteiligt fühlen. >>Führungskräfte sollten einen ehrlichen Dialog „auf Augen‑

höhe“ über die wahrgenommene Veränderungssituation anregen, so dass sich jeder Mitarbeiter ermutigt fühlt, aus seiner Perspektive sein Erleben zu beschreiben sowie Einwände gegen die Veränderung offen zu äußern. Häufig beinhalten diese persönlichen oder sachbezogenen Ein‑ wände wertvolle Hinweise für das weitere Vorgehen und die konkrete Ausgestaltung der Veränderung.

Dabei bindet sowohl von außen wahrgenommener Widerstand als auch selbst erlebtes inneres Widerstreben Aufmerksamkeit und Energie, die für die Erfüllung der eigentlichen Aufgaben und für

Typisierungen und Schubladisierungen

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

die Umsetzung der erforderlichen Veränderungen fehlen. Indessen geraten die gemeinsamen übergeordneten Ziele schnell aus dem Blickfeld wie zum Beispiel die Kundenzufriedenheit oder die Existenzsicherung der gesamten Organisation. Widerstand hat immer eine starke emotionale Einfärbung. Die betroffenen Menschen fühlen sich gewöhnlich in einem erhöhten Maße unsicher, angreifbar und verletzlich. Und die Führungskräfte fühlen sich bei anhaltendem Widerstand häufig ungeduldig, genervt oder gar verärgert. Was ist nun mit Widerstand in organisationalen Veränderungssituationen konkret gemeint? Zunächst ist der Begriff Widerstand nur eine mögliche Beschreibung für konkretes wahrnehmbares Verhalten in einer bestimmten Situation. Allein schon eine andere Bezeichnung oder Beschreibung wie zum Beispiel „Vorbehalte“ oder „hohes Engagement für das Bestehende“ bzw. „hohe Identifikation mit dem Vorhandenen“ anstelle von „Widerstand“ könnte dem wahrgenommenen Verhalten eine andere Bedeutung verleihen. Darüber hinaus erfassen situationsbezogene Bezeichnungen oder Beschreibungen nicht den ganzen Menschen immer und überall: Der Mensch ist nicht an sich „Widerständler“, sondern er zeigt in dieser Situation ein Verhalten, welches von Beobachtern als Widerstand bezeichnet wird. Derselbe Mensch kann sich in einer anderen Situation plötzlich auf eine ganz andere Weise verhalten. Wahrnehmen, Erinnern, Erleben und Verhalten sind immer situationsbezogen (vgl. Schmidt 2008). Um nun den Begriff „Widerstand“ genauer zu erfassen, können wir auf folgende Definition von Doppler und Lauterburg zurückgreifen: Definition 

Definition: Widerstand

Von Widerstand kann immer dann gesprochen werden, wenn vorgesehene Entscheidungen oder getroffene Maßnahmen, die auch bei sorgfältiger Prüfung als sinnvoll, ‚logisch‘ oder sogar dringend notwendig erscheinen, aus zunächst nicht ersichtlichen Gründen bei einzelnen Individuen, bei einzelnen Gruppen oder bei der ganzen Belegschaft auf diffuse Ablehnung stoßen, nicht unmittelbar nachvollziehbare Bedenken erzeugen oder durch passives Verhalten unterlaufen werden (Doppler und Lauterburg 1997). 

18

Dabei kann Widerstand offen oder verdeckt sein (König und Volmer 2008, S. 388): Offener Widerstand besteht in offener Kritik und Gegenargumentation, der offenen Ablehnung bestimmter Maßnahmen, in Drohungen, in der Weigerung, diese Maßnahmen auszuführen.

18.6 • Der sogenannte Widerstand

Offener Widerstand führt leicht zu einem Machtkampf, bei dem die eine Seite versucht, die Maßnahmen durchzusetzen, und die andere Seite diese abwehrt. Verdeckter Widerstand ist schwer zu erkennen. Man spürt ihn zwar, aber man kann die Ursache nicht direkt erkennen: Die Mitarbeiter sind lustlos, die Arbeit geht schleppend voran, man verliert sich in Nebensächlichkeiten, es wird endlos über unwichtige Punkte diskutiert, keiner hört dem anderen richtig zu, es herrscht allgemeine Ratlosigkeit oder man erhält auf Fragen keine Antwort. Insgesamt bestehen nachvollziehbare und berechtigte Gründe dafür, dass betroffene Menschen sich der geforderten Veränderung mehr verschließen als sich dieser zu öffnen. Vorbehalte erwachsen häufig aus den subjektiven Vorstellungen, Annahmen oder Kenntnisse über die Auswirkungen dargelegter Veränderungen auf die eigene Leistungserbringung. Die organisationale Leistung bzw. Kompetenz lässt sich auf vier Dimensionen abbilden: Organisationale Leistung bzw. Kompetenz

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Leistungs- und Gestaltungsmöglichkeiten („Was darf ich?“) Welchen Status und Einfluss habe ich künftig? Welche Freiheiten habe ich noch? Welche Entscheidungs- und Handlungsräume bleiben mir? Welche Einschränkungen sehe ich? Welche Möglichkeiten sehe ich für gute Leistung und persönlichen Erfolg?

Leistungsfähigkeiten („Was kann ich?“) Welche Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten habe ich? Welche fehlen mir? Wie sehr fühle ich mich den neuen Anforderungen gewachsen? Kann ich die neuen Aufgaben erfüllen? Wie hoch wird die physische und psychische Belastung? Welche Unterstützung erhalte ich? Leistungsbereitschaft („Was will ich?“) Sind die neuen Aufgaben interessant? Entsprechen diese meinen Neigungen? Inwieweit kommen meine oder mir fremde Werte zum Tragen? Wie sind die neuen Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden? Welche Nachteile, Risiken sehe ich? Welche Vorteile kann ich mir erhoffen? Welche Zukunftsperspektiven oder Entwicklungsmöglichkeiten sehe ich?

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offener und verdeckter Widerstand

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

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Leistungspflichten („Was muss ich?“) Inwieweit sind die Abläufe standardisiert oder formalisiert? Wie eng sind die neuen Richtlinien? Was sind meine künftigen Pflichten? Auf welche Aufgaben, Routinen, Gewohnheiten oder Kontakte muss ich verzichten? Wie werden mein Verhalten und meine Leistung kontrolliert, gemessen und bewertet?

Gerade dann, wenn Mitarbeiter eine für sich ausgewogene Balance zwischen diesen vier Dimensionen im Laufe der Zeit erlangt haben und aus dieser Ausgewogenheit hohe Leistungen und wertvolle Beiträge erbringen, können subjektive Vorstellungen oder Annahmen über künftige Veränderungen oder die Erfahrungen mit schon realisierten Veränderungen nachvollziehbare Widerstände oder Vorbehalte erzeugen. Führungskräfte können für den Umgang mit Widerstand folgende Aspekte beachten: Die Reaktionen der Mitarbeiter als wertvolle Hinweise anerkennen und prüfen. Den Mitarbeitern zuhören, um dessen Einwände, Anliegen, Befürchtungen, Sorgen und Bedürfnisse zu verstehen. Klärung subjektiver Vorstellungen, innerer Bilder, Kenntnisse, Annahmen und Überzeugungen. Raum für das emotionale Erleben geben und die Mitarbeiter ermutigen, ihre Gefühle wie Angst, Unsicherheit, Kränkung, Trauer, Wut oder Ärger zu benennen. Vergangene oder zukünftige Aufwände, Anstrengungen und Verluste der Mitarbeiter ehrlich würdigen. Sich für die Mitarbeiter Zeit nehmen, Begegnungen und Gespräche suchen. Sowohl die Vergangenheit und Gegenwart würdigen als auch die Notwendigkeit der Veränderung für die Zukunft aufzeigen. Neue Gestaltungsräume und -möglichkeiten aufzeigen. Training, Schulungen, Mentoring, Unterstützung für das Erlernen des Neuen anbieten.

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18.7

18

Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

» Erst wirbeln wir den Staub auf und behaupten dann, dass wir nichts sehen können. (George Berkeley)

» Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war. (Karl Valentin)

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

Veränderungen in Organisationen sind komplex, können nicht verordnet oder instruktiv gesteuert werden und sind nicht eindeutig vorhersagbar. Diese Annahmen könnten nun die Schlussfolgerung nahelegen, dass Führungskräfte nichts tun können, da ja alles von selbst geschehe. Dieser Rückschluss wäre fatal und würde der Unternehmenswirklichkeit völlig widersprechen. >>„Die Tatsache, dass man soziale Systeme nicht zuverlässig

steuern kann, heißt nicht, dass man sie nicht steuern kann“ (Simon 2007).

Der Bauer verfällt auch nicht im Frühjahr in Passivität, weil er nicht voraussagen kann, wie seine Ernte im Herbst ausfallen wird. Veränderungen in Organisationen können und müssen trotz der fehlenden Zuverlässigkeit und Voraussagbarkeit gestaltet und gesteuert werden. Die Komplexität und die Kräfte der Selbstorganisation des sozialen Systems sollten sogar für die Weiterentwicklung und den Erhalt genutzt werden. Dabei sind folgende Fragen in Betracht zu ziehen: Wie können Organisationen der erkannten Notwendigkeit von Veränderungen gerecht werden? Welche Strategien sind eher erfolgversprechend? Was sind mögliche Stellhebel? Wie können Führungskräfte Veränderungen bewirken bzw. auslösen? Das komplexe Feld von Veränderungen lässt sich grob ordnen, indem zwischen Formen, Strategien und Ebenen der Ver‑ änderung unterschieden wird. Es entsteht eine Landkarte, die die wichtigsten Formen, verschiedene Vorgehensweisen und mögliche Stellhebel von Veränderungen in Organisationen abbildet. 18.7.1

Formen der Veränderungen – radikaler und evolutionärer Wandel

Veränderungen sind entweder eine reaktive Anpassungsleistung der Organisation an die sich stetig verändernden Umweltbedingungen, um die derzeitige Existenz zu sichern, oder eine antizipierende Entwicklungsleistung, um neue und künftige Erfolgspotentiale zu schaffen. Je nach Notwendigkeit der Veränderung erfolgt eher ein radikaler oder eher ein evolutionärer Wandel. Diese unterscheiden sich in ihrem Umfang, in ihrer Dynamik, Gestaltung und Steuerung. Auslöser für den radikalen Wandel sind zum Beispiel Liquiditätskrisen und damit akute Insolvenzgefahr oder das Scheitern von mehreren Veränderungsvorhaben in der Vergangenheit. Die Existenz der Organisation ist bedroht. Anlässe für evolutionären Wandel sind zum Beispiel kontinuierliche Optimierung der vorhandenen Prozesse, Förderung der Kultur oder die Etablierung von Wissens- bzw. Innovationsmanagement. Die bestehende Organisation entwickelt sich weiter.

859

18

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

radikaler und evolutionärer Wandel

Je nachdem inwieweit der Wandel eine radikale oder evolutionäre Form annimmt, desto mehr oder weniger sind die betroffenen Menschen an der Gestaltung der Veränderung beteiligt. Radikaler Wandel wird vom Topmanagement schnell, straff und ergebnisorientiert im kleinen Kreis geplant und gesteuert, um die Not zu wenden. Radikaler Wandel ist reaktiv, direktiv und kurzfristig und wird in großen schnellen Schritten umgesetzt. Die Veränderungen werden in das soziale System eher hineingedrückt und deren Umsetzung in kurzen Intervallen kontrolliert. Radikaler Wandel Häufig geht der radikale Wandel mit Macht- und Zwangsstrategien einher, wobei auf die Menschen Druck ausgeübt, gedroht und im Zweifel Personal ausgetauscht wird. Veränderungen werden von den Betroffenen tendenziell aus Furcht vor negativen Konsequenzen umgesetzt. Es ist in bestimmten Situationen gegebenenfalls möglich, durch Macht- und Zwangsstrategien Menschen kurzfristig zu Veränderungen zu bewegen, die Nebenwirkungen und -kosten sind jedoch erheblich. Zum Beispiel die Energie, die durch Anweisungen und Kontrolle dauerhaft aufgebracht werden muss, Ängste und Unsicherheiten, die die Produktivität, Effizienz und Innovationskraft mindern, hohe Fluktuation und fehlende Nachhaltigkeit.

18

Das soziale System befindet sich in massiver Instabilität und erstarrt häufig in Angst und Unsicherheit. Die bisherige Selbstorganisation ist gestört, es fehlt Orientierung und Ordnung, wobei die Effizienz und Produktivität in der Regel sinken. Paradoxerweise führt gerade der hohe Handlungsdruck nach schnellem Wandel zur Lähmung des sozialen Systems, wodurch die Realisierung der notwendigen Veränderung erschwert wird. Beim evolutionären Wandel werden eher viele betroffene Menschen der Organisation in der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung der Veränderung beteiligt. Die Erfahrungen und das Wissen der Menschen wird genutzt, deren Sichtweisen, Meinungen und Bewertungen werden einbezogen. Evolutionärer Wandel geschieht daher langsamer, vielschichtiger und ist ergebnisoffener. Evolutionärer Wandel ist antizipierend, partizipativ und langfristig und wird in kleinen kontinuierlichen Schritten durchgeführt. Die Veränderungen sind demnach anschlussfähiger an die bestehende Selbstorganisation des sozialen Systems, wodurch sie eher akzeptiert, integriert und verwirklicht werden (. Abb. 18.7).

hoch Auslöser

Veränderungsnotwendigkeit der Organisation (Umfang und Geschwindigkeit)

Sicherung des Überlebens

18

861

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

Stabilisierung und Neupositionierung

gering Optimierung und Entwicklung

Handlungsfreiheit der Unternehmensführung / Dominanz wirtschaftlicher Ziele

Partizipation der Systemmitglieder / zusätzliche Berücksichtigung sozialer Ziele

radikaler Wandel

evolutionärer Wandel

Konzepte Turnaround Management/ Sanierung gering

strategische Neuausrichtung

Organisationsentwicklung

Veränderungsvermögen der Organisation (Können und Wollen)

hoch

..Abb. 18.7  Auslöser und Formen organisationaler Veränderung

18.7.2

Strategien der Veränderungen

Es gibt verschiedene Vorgehensweisen, um Strukturen, Prozesse, Abläufe oder Funktionen zu verändern. Letztendlich können alle Wege in Anlehnung an Jäger (2004) auf drei grundlegende Veränderungsstrategien zurückgeführt werden: Auf rationale Strate‑ gien, Macht- oder Entwicklungsstrategien. In der Regel sind diese Strategien miteinander verzahnt, in Abhängigkeit von der Notwendigkeit, Radikalität sowie dem Veränderungsvermögen der Organisation. Wobei beim radikalen Wandel tendenziell eher Machtstrategien und beim evolutionären Wandel eher Entwicklungsstrategien zum Zuge kommen.

Rationale Strategien (Veränderung durch Einsicht)

Rationale Strategien basieren auf der Annahme, dass Menschen primär rational denken und handeln, sowie vorrangig ihren Eigeninteressen folgen. Nach dieser Auffassung werden Veränderungen dann akzeptiert, wenn sie den Betroffenen als vorteilhaft erscheinen und wenn sie von den Veränderungen profitieren. Dementsprechend löst Einsicht allein schon Veränderung aus, wobei Änderungen der Einstellungen oder Werte nicht notwendig sind. Experten analysieren ein Problem und erarbeiten nach sachlichen Aspekten Lösungsvorschläge. Zahlen, Daten, Fakten, empirische

Machtstrategie

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Untersuchungen und Expertenmeinungen haben dabei einen hohen Stellenwert. Die Lösungen werden in der Regel im kleinen Kreis mit dem Topmanagement erarbeitet. Die Betroffenen werden erst in der Umsetzungsphase informiert und in den Prozess einbezogen. Die beauftragende Organisation unterstellt dem Fachexperten einen Wissensvorsprung bezogen der Sachlage und erwartet eine Präsentation der richtigen Lösung und Vorgehensweise.

Machtstrategien (Veränderungen durch Einflussnahme und Zwang)

Macht gibt Menschen die Möglichkeit, innerhalb des sozialen Systems Veränderungen gegen den Willen notfalls auch gegen Widerstand der Betroffenen durchzusetzen. Man unterscheidet formale Macht, die man auch als „Macht kraft der Position“ bezeichnen kann und personale Macht, die an die Persönlichkeit und das Verhalten einer Person gekoppelt ist. Macht in ihren unterschiedlichen Formen und Ausprägungen ist zentraler Bestandteil jedes sozialen Systems (Jäger 2004, S. 41). Die Macht in Organisationen kann zum Beispiel durch hierarchische Positionen, Entscheidungskompetenzen oder fachlicher Überlegenheit gestützt sein. Kennzeichnend für die Machtstrategie ist, dass eine kleine Gruppe von Personen die Realität für das gesamte soziale System definiert. Die Führung erarbeitet Lösungen und setzt diese mit Macht, Zwang und Druck durch. Häufig wird die Führung durch externe Fachberatung (zum Beispiel Experten, Stabsmitarbeiter, Wissenschaftler) unterstützt und fühlt sich dadurch in der Durchsetzung noch stärker legitimiert. Die Betroffenen werden durch Anweisungen, Verordnungen, Vorschriften durch enge Kontrollen und gegebenenfalls mit Sanktionen zu Veränderungen bewegt. Im Vordergrund steht die Annahme, dass nur das äußere Verhalten der Menschen beeinflusst werden muss, um das Ziel zu erreichen. Eine Änderung der inneren Einstellungen oder Denkgewohnheiten der Betroffenen erscheint nicht als notwendig, solange das erwünschte Ziel erreicht werden kann.

Entwicklungsstrategien (Veränderung durch Partizipation)

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Entwicklungsstrategien basieren auf der Grundannahme, dass Verhalten nicht allein durch Rationalität erklärt werden kann und eine reine Sachargumentation daher an Grenzen stößt. Aus diesem Grunde werden die bestehenden Werte, Normen und Überzeugungen berücksichtigt und emotionale Faktoren des sozialen Systems mit einbezogen. Entwicklungsstrategien gehen davon aus, dass die betroffenen Personen selbst die passenden Lösungen erarbeiten können, da die erforderlichen Fähigkeiten, Kenntnissen, Erfahrungen und das Wissen im sozialen System vorhanden sind. Die Betroffenen werden möglichst früh am Prozess der Veränderung beteiligt, sodass die

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

Lösungen gemeinsam erarbeitet werden und somit die Akzeptanz steigt. Darüber hinaus erhöht sich die Bereitschaft bei den Betroffenen, die Umsetzung aktiv zu lenken und bewusst mitzutragen. Die Führungskräfte liefern keine inhaltlichen Problemlösungen, sondern nutzen das vorhandene Wissen und die Expertise ihrer Mitarbeiter. Fachexperten werden bei Bedarf situativ zu bestimmten Fragestellungen eingeladen, um sachbezogene Impulse zu geben. Entwicklungsstrategien entsprechen am ehesten dem Verständnis der Autonomie und den Prinzipien der Selbstorganisationen von sozialen Systemen und kommen tendenziell beim evolutionären Wandel stärker zum Tragen. 18.7.3

Ebenen der Veränderungen – sachlogische und psychosoziale Aspekte

Aus systemischer Perspektive ist Wandel in offenen Systemen vielschichtig und kann nicht instruiert oder zuverlässig gesteuert werden, sondern wird – durch innere oder äußere Impulse ausgelöst – immer selbstorganisiert vom System selbst hervorgebracht. Selbst dann, wenn Menschen durch hohen Druck oder Drohungen sich verändern, geschieht jede Veränderung autonom und ist individuell einzigartig. Jede Reaktion auf die äußere Welt ist immer eine selbstbestimmte Antwort. >>Die Komplexität von Wandel in Organisationen wird über‑

schaubarer, indem zwischen der sachlogischen und psycho‑ sozialen Ebene der Veränderungen unterschieden wird.

Auf der sachlogischen Ebene handelt es sich um den Gegenstand und das Ziel der Veränderung, welche Prozesse, Abläufe, Funktionen, Tätigkeiten, Technologien usw. mit welchem Ziel verändert werden sollen. Dabei können auch Aspekte der Kultur wie zum Beispiel Unternehmensleitlinien oder Werte und Prinzipien der Führung und Zusammenarbeit Gegenstand der Veränderung sein. Die sachlogische Ebene beschreibt die geplante Veränderung, den erwünschten und optimierten Zustand der Organisation in der Zukunft. Es geht um die inhaltliche Konzeption und das Design der künftigen Organisation, um die organisierte und zielgerichtete Gestaltung von Strategien und Strukturen, Produkten und Technologien oder von Elementen der Kultur. Diese Veränderungen betreffen die Strategie, Struktur und Kultur einer Organisation. Das Was und Wozu der Veränderung. Auch die Einführung neuer Arbeitsstrukturen wie „Scram“ oder „Holakratie“ muss zunächst auf der sachlogischen Ebene angedacht, mit konkreten oder allgemeinen Zielvorstellungen

863

18

Entwicklungsstrategie

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Sachlogische Ebene (Strategie/Struktur/Kultur) • Märkte, Produkte, Prozesse, Abläufe • Funktionen, Aufgaben, Tätigkeiten • Leitlinien, Werte, Prinzipien Psychosoziale Ebene (Soziales System) • Wahrnehmungen, Beschreibungen Bewertungen, Sinngebung • Emotionen • Verhalten, Handeln

Ergebnis

..Abb. 18.8  Sachlogische und psychosoziale Ebene der Veränderung

sachlogische und psychosoziale Ebene

18 kognitiv-emotionaler Verarbeitungsprozess

verbunden, auf der Leitungsebene entschieden und konzeptionell mehr oder weniger detailliert ausgestaltet werden. Hier wird in der einschlägigen Literatur häufig vorausgesetzt, dass diese als innovativ angepriesenen Konzepte ohne „klassisches“ Change Management wie von selbst schon eingeführt sind. Gerade diese radikalen strukturellen Veränderungen sind in der Regel mit erheblichen Konsequenzen für die betroffenen Mitarbeiter verbunden und bedürfen häufig eines radikalen Wandels zu Denken und zu Handeln und somit einen wesentlichen Wandel der Kultur. Auch wenn bei diesen Konzepten häufig von Partizipation und Selbstorganisation die Rede ist, unterliegt die Einführung denselben Prinzipien wie bei allen strukturellen Veränderungen einer Organisation. Hier sei nur am Rande erwähnt, dass zum Teil bewährte Prinzipien und Modelle der Organisationsentwicklung neu aufgelegt werden, jedoch verknüpft mit weitreichenden Kontrollmechanismen. Die psychosoziale Ebene umfasst die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das Denken, Erleben und Handeln der betroffenen Mitarbeiter. Wie sich die vorgestellten künftigen Veränderungen oder die erlebten tatsächlichen Veränderungen auf die Menschen auswirken. Das Wie des Verarbeitungsprozesses von Veränderung. Die psychosoziale Ebene beleuchtet, in welcher Beziehung die betroffenen Mitarbeiter zu den geplanten oder schon umgesetzten Veränderungen stehen, wie sie auf die Veränderungen reagieren und diese integrieren (. Abb. 18.8). Die psychosoziale Ebene beschreibt den kognitiv-emotionalen Verarbeitungsprozess der Veränderung sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene im sozialen System. Der kognitive Prozess beinhaltet zum Beispiel die individuellen und kollektiven Wahrnehmungen, Beschreibungen, Bewertungen, Sinngebungen, Erklärungen und Schlussfolgerungen über geplante oder erlebte Veränderungen. Der kognitive Prozess wird begleitet von emotionalen Reaktionen. Diese werden einerseits durch den kognitiven Verarbeitungsprozess ausgelöst, andererseits beeinflussen sie diesen, in dem die

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

Emotionen zum Beispiel die Wahrnehmungen und Bewertungen der äußeren Ereignisse einfärben. Der kognitive und der emotionale Verarbeitungsprozess beeinflussen sich gegenseitig und können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Des Weiteren wird dieser Prozess wesentlich durch die bisherigen Erfahrungen, die persönlichen Wertvorstellungen sowie durch den Grad der Betroffenheit bestimmt. Der individuelle Verarbeitungsprozess mündet in sichtbarem Verhalten, welches vom Protagonisten subjektiv als angemessene Reaktion auf die erlebten Ereignisse bewertet wird. Darüber hinaus bereitet der individuelle Verarbeitungsprozess den Referenzrahmen, innerhalb dessen die Veränderungen in Gesprächen mit Mitarbeitern, Kollegen oder Vorgesetzten beschrieben, kommentiert und bewertet werden. Aus der Interaktion entstehen gemeinsame Erklärungen, Sinngebungen und Geschichten als emergentes Phänomen der kollektiven Konstruktion von Wirklichkeit, wobei sich einige durchsetzen und als „Attraktor“ den weiteren Verarbeitungsprozess bestimmen. Die Attraktoren dienen im Sinne der Theorie der Selbstorganisation als ordnungsbildendes Phänomen, die aus dem Zusammenwirken der einzelnen Interaktionen von selbst hervorgebracht werden und die weiteren Verarbeitungsprozesse und Interaktionen bestimmen (7 Abschn. 18.5.2). Dabei gibt es keinen direkten Zusammenhang, wie die Veränderungen auf der sachlogischen Ebene tatsächlich gemeint sind. Es besteht ein Unterschied zwischen den Absichten der Gestalter und Begleiter von Veränderungen auf der einen Seite und den Bedeutungszuschreibungen durch die Betroffenen auf der anderen Seite. Die Erfahrung von der Welt spiegelt nicht die Welt wider, wie sie ist, sondern wird durch die Struktur des Menschen bestimmt. Der erkenntnistheoretische Ansatz des Konstruktivismus vertritt die grundlegende Annahme, dass wir Menschen die Wirklichkeit nicht erfassen können, sondern dass wir ein Modell von Wirklichkeit konstruieren. Das Modell ist nicht die Wirklichkeit selbst, sondern ein kognitives Konstrukt von der Wirklichkeit, das als Orientierungsgrundlage für Wahrnehmung, Denken und Handeln dient.

» Das vermeintlich Gefundene ist ein Erfundenes, dessen Erfinder sich des Aktes seiner Erfindung nicht bewußt ist, sondern sie als etwas von ihm Unabhängiges zu entdecken vermeint und zur Grundlage seines 'Wissens' und daher auch seines Handelns macht. (Watzlawick 1991, S. 9)

Maturana und Varela (1987; Maturana 1985) zeigen auf, dass Erkennen auf der Basis biologischer Mechanismen nicht als eine Repräsentation der „Welt da draußen“ zu verstehen ist, sondern „als ein andauerndes Hervorbringen einer Welt durch den Prozess des Lebens selbst“ (Maturana und Varela 1987, S. 7).

865

18

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Die Erfahrung von der Welt spiegelt nicht die Welt wider, wie sie ist, sondern wird durch die Struktur des Menschen determiniert. Erkennen wird folglich als Handlung verstanden, dessen Ergebnis von der Struktur des Erkennenden bestimmt wird. Konstruktivismus

» Die Erfahrung von jedem Ding „da draußen“ wird auf eine

spezifische Weise durch die menschliche Struktur konfiguriert, welche „das Ding“, das in der Beschreibung entsteht erst möglich macht. (Maturana und Varela 1987, S. 31)

Die Beschreibungen, Erklärungen und Geschichten, die über die Veränderungen konstruiert werden, entwickeln sich häufig unabhängig von dem auslösenden Ereignis in einer eigenen Dynamik und Logik weiter. Die Auswirkungen dieser individuellen und sozialen Realitätskonstruktionen auf die Akzeptanz und Bereitschaft, die Veränderungen mitzutragen, und damit auf die Ergebnisse des Veränderungsprojektes werden in den meisten Fällen von dem verantwortlichen Management unterschätzt. Da durch diese Eigendynamik und -logik zwei Welten nahezu unabhängig voneinander hervorgebracht werden, ist es besonders herausfordernd, Veränderungsprozesse zu initiieren und zu begleiten. Folglich sollten Veränderungen auf beiden Ebenen mit verschiedenen Schwerpunkten betrachtet, geplant und gesteuert werden. 18.7.4

Werte als Ansatz organisationaler Kulturentwicklung – Zugang zu den mentalen Modellen finden

Werte bilden den Wesenskern einer Organisationskultur und sind für erwünschte Veränderungen ein erheblicher Faktor. Führungskräfte haben aufgrund ihrer Funktion gewollt oder nicht gewollt Einfluss auf das soziale System und können dementsprechend als Promotoren für die erwünschten organisationalen Werte dienen.

» Das Verhalten der Führungskräfte entscheidet darüber, ob die

Werte ernst genommen werden oder nicht. Wenn Führungskräfte nicht das Verhalten leben, wird niemand von den Mitarbeitern sich verpflichtet fühlen. (König und Volmer 2008, S. 188)

18

..Abb. 18.9  © 2018 by Tobias Leuenberger

Die Führungskräfte verkörpern, leben und kommunizieren die Werte bewusst oder nicht bewusst, mit welchen sie sich identifizieren. Sie bringen durch ihre Haltung und ihr Verhalten unmittelbar zum Ausdruck, was ihnen als richtig, falsch, legitim und nicht legitim erscheint und leisten demnach immer einen Beitrag zur Entwicklung oder Stabilisierung kultureller Ausprägungen.

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

In ihrem Reden und Handeln sind Führungskräfte „lebendige Kulturträger“. Sie wirken als „Repräsentanten“ der ausgespro-

chenen oder unausgesprochenen Unternehmensphilosophie. Sie sanktionieren und prägen, auf Grund ihrer Position, die wesentlichen Bereiche und Handlungsfelder einer Unternehmenskultur wie Kommunikation, Art der Zusammenarbeit, Umgang mit Konflikten, Zugang zum Menschen, Einbezug und Partizipation, den Menschen in seiner individuellen Situation wahrnehmen und ernst nehmen oder die Art des Lernens (Hülshoff 2010). Der persönliche Satz an Werten ist aus prägenden Erlebnissen in der eigenen Biographie und beruflichen Sozialisation hervorgegangen und beeinflusst das gegenwärtige Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln des Menschen. Aus den individuellen Erfahrungen mit den jeweils erlebten Umwelten bildet sich jeder Mensch seine persönlichen Werte heraus. Was ist mir wichtig in der Zusammenarbeit? Mit welcher Art zwischenmenschlichen Umgangs fühle ich mich wohl und zugehörig? Welches Verhalten hat für mich Wert? Welches Verhalten werte ich ab? Wofür habe ich Verständnis und wofür keines? Wozu sage ich „ja“? Wozu sage ich „nein“? Werte sind keine reinen kognitiven Konstrukte, sondern werden vor allem emotional gelebt und erlebt: In welchen Momenten fühle ich mich harmonisch und in welchen disharmonisch? Wann fühle ich Stimmigkeit und wann Unstimmigkeiten oder gar Spannungen? Was löst in mir Freude aus und was Ärger? Hier wird deutlich, dass der Wert von Werten nicht überschätzt werden kann: Ein Gefühl von Harmonie, Stimmigkeit, Zugehörigkeit, Freude oder Identifikation setzen Energien frei für die eigentlichen Aufgaben und somit für die Erfüllung der gemeinsamen Ziele. Hingegen binden Disharmonien, Unstimmigkeiten, Spannungen, Ärger oder Abgrenzung immens viel Aufmerksamkeit und somit Energie, die gegebenenfalls für die Bewältigung der eigentlichen Aufgaben fehlt.

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18

Führungskräfte als lebendige Kulturträger

>>Jede Entscheidung durch das Top-Management bringt

implizit die Werthaltung der Unternehmensleitung zum Aus‑ druck, die für die gesamte Organisation prägend ist.

Führungskräfte können den Mitarbeitern die erwünschten Werte und Leitgedanken zumindest inhaltlich vermitteln, sodass die Kultur sich eher wahrscheinlich in diese angedachte Richtung herausbildet. Allerdings lassen sich hier Grenzen instruktiver Verände‑ rung bzw. des direkten Einwirkens auf die Mitarbeiter aufzeigen. >>Instruktionen in Form von Weisungen, Broschüren oder

Handbüchern bestimmen nicht, dass Mitarbeitende die erwünschten Werte auch tatsächlich aus ehrlicher Über‑

Grenzen instruktiver Veränderung

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

zeugung vorleben. Kultur und insbesondere die mit ihr ver‑ bundenen erwünschten Werte können nicht unmittelbar in ihrer gemeinten Bedeutung vermittelt werden.

Immer ein Beobachter der äußeren Welt verarbeitet diesen wahrgenommenen Ausschnitt von Welt autonom durch seine kognitive Struktur und erschafft sein subjektives Erkennen und Erleben (Maturana und Pörksen 2002).

» Machen wir uns klar, dass die Welt „da draußen“ nicht einfach

objektiv und unveränderlich gegeben ist. Es gibt inzwischen keinen vernünftigen Zweifel mehr daran, dass wir die Welt und ihre Einrichtungen nur so sehen können, wie sie uns durch die Instrumente unseres Beobachtens – vor allem Sinnesorgane und unser mentales System – erscheint. (Willke 2005, S. 22)

18

Man könnte sogar annehmen, dass Kultur außerhalb eines Beobachters in Form einer objektiv wahrnehmbaren und fassbaren Entität nicht existiert. Kultur wird immer nur gegenwärtig von einem Beobachter individuell durch seine kognitive Struktur wie Wahrnehmen und Denken (re‑)konstruiert und vor allem durch seine Sprache bzw. Erzählweise erst erschaffen. Hier ist es vor allem bedeutsam, mit welchen Worten bzw. Begriffen und auf welche Weise die wahrgenommene oder erwünschte Kultur erzählt wird. Dabei ist jede Erzählung oder Geschichte je nach Bedeutung unmittelbar mit entsprechendem emotionalem Erleben verknüpft. Auf der Grundlage dieser Überlegungen sollten Führungskräfte eher erfragen, welche derzeit gelebte als auch künftig geforderte organisationale Kultur die Mitarbeiter aus ihrer Sicht erkennen und wie diese jeweils mit ihren eigenen Werten stimmig bzw. unstimmig ist. Durch den sprachlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern werden verschiedene Sichtweisen und Erzählweisen gegenüber gestellt und miteinander verschränkt, wobei subjektive Ansichten, Überzeugungen oder Wertungen hinterfragt werden. Aus diesem intersubjektiven Austausch und Hinterfragen werden sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede deutlich, die das bisherige Wahrnehmen, Denken und Verhalten aller Beteiligten beeinflussen und in eine gemeinsame Sicht- bzw. Erzählweise münden können (für die konkrete Darstellung einer längerfristigen Maßnahme zur Kulturentwicklung siehe Kiel & Ewald 2014). Bei diesem interaktiven Prozess ist vor allem zu beachten, dass Aussagen über Kultur nicht unmittelbar in ihren gemeinten Sinn übertragen werden, sondern dass jeder Beteiligte aufgrund des von ihm Gehörten seinen eigenen Sinn rekonstruiert. Jeder verbleibt in seiner einzigartigen Sinnwelt.

18.7  •  Gestaltung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen

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18

» Der Hörer, nicht der Sprecher bestimmt die Bedeutung einer

Aussage. Gewöhnlich glaubt man, dass der Sprecher festlegt, was ein Satz bedeutet, und der Hörer verstehen muss, was der Sprecher gesagt hat. Aber das ist ein fundamentaler Irrtum. Der Hörer ist es, der die merkwürdigen Laute, die ich oder ein anderer mit Hilfe der Stimmlippen hervorrufen, interpretiert und ihnen einen bzw. seinen Sinn gibt. (von Foerster 1998, S. 100) Beispiel

Heute wird vermehrt in Organisationen von Agilität gesprochen und agiles Verhalten von den Mitarbeitern eingefordert. Auch Agilität lässt sich sicher nicht allein durch geschriebene oder ausgesprochene Anweisungen innerhalb eines sozialen Systems entwickeln. Und: Was ist eigentlich mit Agilität gemeint oder gewollt? Hier scheint es wesentlich zu sein, mit den Mitarbeitern gemeinsam folgende Aspekte sprachlich zu klären, um abstrakte Worthülsen mit bildlich inneren Vorstellungen, mit konkretem Erleben und sinnvoller Bedeutung handlungsbezogen zu füllen: Was verstehen wir unter Agilität? Wie stellen wir uns agiles Verhalten im Einzelnen vor? Woran würden wir konkret erkennen, dass wir agil arbeiten? In welchen Situationen haben wir schon agil zusammengearbeitet? Mit welchen Ergebnissen? Welche Ereignisse oder Geschichten können wir über Agilität erzählen? Welche Bedeutung hat Agilität für uns? In welchen Situationen und wie genau wollen wir in Zukunft agil arbeiten? Mit welchen positiven und negativen Auswirkungen? Was würde passieren, wenn wir es nicht täten? Welche Strukturen und Rahmenbedingungen sind für agiles Arbeiten erforderlich?

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Der Begriff wird für den gemeinten Kontext mit den Betroffenen gemeinsam sprachlich geklärt, mit schon erlebtem oder bildlich vorstellbarem Verhalten konkretisiert und mit sinnvoller Bedeutung versehen.

Beispiel Agilität

870

Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

18.8 (Ein‑)Führung

von Veränderungsprozessen in Organisationen

» Im Leben gibt es keine Lösungen. Es gibt nur Kräfte, die in

Bewegung sind: man muss sie aktivieren und die Lösungen werden folgen. (Saint-Exupéry)

Veränderungen in Organisationen geschehen auf der sachlich-inhaltlichen und auf der psychosozialen Ebene. Die Führungskräfte, die für die Gestaltung und Umsetzung von Veränderung verantwortlich sind, sollten beide Ebenen im Blick halten und dessen Wechselwirkungen beachten sowie mögliche Aus- und Nebenwirkungen vorausschauend einschätzen. Beide Ebenen sind für das Gelingen der Vorhaben und für die Erreichung der definierten Ziele wesentlich und unverzichtbar. Bei der Gestaltung der sachlogischen Ebene werden die Handlungsfelder, Schwerpunkte und Ziele der Veränderung definiert, aufeinander abgestimmt und bis zu einem gewissen Grad inhaltlich ausgearbeitet und somit mehr oder weniger den Betroffenen vorgegeben. Zum Beispiel sind Strategie, Prozesse, Abläufe, Technologien, IT-Systeme oder Kulturaspekte der inhaltliche Gegenstand der Veränderung. Die Führung auf der psychosozialen Ebene setzt den Fokus auf die Umsetzung der Veränderung: Die Veränderung gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern wirksam (aus‑)gestalten und in der Kultur langfristig verankern. Die Inhalte, Ziele, zeitlicher Ablauf der Veränderung sowie Ressourcen und Kompetenzen wie zum Beispiel Entscheidungsbefugnisse sollten mit dem Auftraggeber – in der Regel der Vorgesetzte – geklärt und in einem Auftrag definiert werden. 18.8.1

18

Der Auftrag im Veränderungsprozess

Die Rolle der Führungskraft im Veränderungsprozess und die damit verbundenen Anforderungen, Erwartungen, Verpflichtungen und Kompetenzen werden durch den Auftrag geklärt, wodurch Orientierung geschaffen und die Komplexität des möglichen Handlungsfeldes erheblich reduziert werden kann. Der Auftrag ist die Grundlage für die hierarchieübergreifende Zusammenarbeit im Veränderungsprozess, der alle wesentlichen Rahmenbedingungen beinhaltet: Inhalte, Ziele, Aufgaben, zeitliche Dimension, Erwartungen, Verpflichtungen, zur Verfügung stehende Ressourcen und Befugnisse.

18.8  •  (Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen

Der Auftrag ergibt sich aus zwei Aspekten: Einerseits aus den Erfordernissen der Organisation wie der langfristigen Anpassung an die Strategie, dem mittelfristigen Bedarf der Optimierung oder der kurzfristigen Notwendigkeit von Veränderung; und andererseits aus den Voraussetzungen der beauftragten Führungskraft wie Kenntnisse, Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen sowie die Bereitschaft, die Veränderung mitzutragen. >>Im Grunde wird durch den Auftrag die Rolle der Führungs‑

kraft in dem Veränderungsvorhaben definiert. Gerade deshalb ist der Auftrag so wesentlich und sollte in seiner Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Jedoch scheint es in den meisten Organisationen eher unüblich zu sein, für die angedachte Veränderung intern und hierarchieübergreifend einen Auftrag zu klären und zu definieren. In der Regel werden die Veränderungsvorhaben und die damit verbundenen Ziele an die hierarchisch „untergeordneten“ Personen und dessen Bereiche, Abteilungen oder Teams „durchgereicht“ bzw. mehr oder weniger (miss‑)verständlich und (nicht‑)nachvollziehbar delegiert bzw. aufgetragen. Auf diese Weise finden sich Führungskräfte nicht selten in Situationen wieder, in welchen sie im Trüben darüber bleiben oder gehalten werden, was eigentlich von ihnen gefordert wird, die Sinnhaftigkeit für das geforderte Handeln nicht erkennen, mit der Veränderung nicht gänzlich einverstanden sind oder sich durch unklare Vorgaben überfordert fühlen. Auch die angesprochenen Führungskräfte sind dafür verantwortlich, dass sie einen klar definierten und abgegrenzten Auftrag für die Einführung der geforderten organisationalen Veränderungen in ihren Bereichen, Abteilungen oder Teams erhalten. Sie sollten ermutigt sein, Orientierung und Klarheit für das Gelingen der geplanten Veränderung und somit für den gemeinsamen Erfolg sich verschaffen und einfordern zu dürfen. In der Regel wird dieser Auftrag in einem Gespräch mit dem eigenen Vorgesetzten – dem Auftraggeber – geklärt. Der Sinn und die Bedeutung der Veränderung, die Ziele, Aufgaben, zeitlicher Ablauf, Ressourcen und Kompetenzen müssen für die Führungspersonen verständlich, nachvollziehbar und vertretbar sein, da sie all diese Aspekte auch den eigenen Mitarbeitern glaubwürdig und überzeugend vermitteln müssen. Im Allgemeinen sorgen Aufträge für Transparenz, Sicherheit, Verbindlichkeit und Grenzen in der Zusammenarbeit zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber (Schwing und Fryszer 2007, S. 104 ff.).

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Rollenklärung durch Auftragsklärung

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Transparenz: Die Beteiligten wissen, wer was tut oder lässt. Sicherheit: Die Beteiligten wissen, auf was sie sich einlassen, was von ihnen erwartet wird. Verbindlichkeit: Die Beteiligten verpflichten sich, die vereinbarten Spielregeln einzuhalten. Grenzen: Die Beteiligten wissen, wer was leistet, was erreicht werden kann, was nicht zu erwarten ist.

Leitplanken für den Umsetzungsprozess

Der Auftrag vom Top-Management ist vor allem bei evolutionärem Wandel und Entwicklungsstrategien bezogen auf die konkrete Umsetzung der Veränderung häufig vage und allgemein formuliert. Er dient als Rahmen für den Veränderungsprozess, innerhalb dessen eine Konkretisierung oder Lösungen gemeinsam mit den Betroffenen erarbeitet werden können. Der Auftrag vom Topmanagement und damit der Rahmen, innerhalb dessen die Veränderungen von den Betroffenen konkretisiert und gestaltet werden können, dienen als Leitplanken für den Umsetzungsprozess. Diese Leitplanken sollten sehr sorgfältig erarbeitet werden, da diese als Orientierung für das Handeln der Betroffenen dienen. >>Der vom Top-Management definierte Rahmen ist eine Ein‑

schränkung, innerhalb dessen die Betroffenen Freiheitsgrade und Wahlmöglichkeiten bezogen auf die konkrete Ausgestal‑ tung und Umsetzung der angedachten Veränderungen haben. Je enger oder weiter die Leitplanken definiert werden, desto weniger oder mehr wird die Autonomie des sozialen Systems berücksichtigt und dessen Selbstorganisation genutzt.

18.8.2

18

Prinzipien für die Führung von Veränderungsprozessen

Prinzipien sind grundlegend dafür, mit welcher Haltung und Einstellung Führungskräfte Veränderungsprozesse begleiten, wie sie die Beziehung zu den Mitarbeitern gestalten, worauf sie ihren Blick lenken und was sie bewusst ausblenden. So gesehen reduzieren Prinzipien die Komplexität der unzähligen Möglichkeiten des Menschen zu handeln. Je nach welchen Prinzipien Führungskräfte bewusst oder nicht bewusst in Veränderungssituationen handeln, ergeben sich unterschiedliche Vorgehensweisen, die zum Beispiel eher dem „Macher“ oder eher dem „Entwickler“ entsprechen können. Im Folgenden werden auf der Grundlage der in 7 Abschn. 18.5 aufgeführten systemtheoretischen Ansätze Prinzipien für die Führung von Menschen in Veränderungsprozessen dargelegt. Es

18.8  •  (Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen

geht um das Umsetzen von geplanten Veränderungen im Sinne einer Entwicklungsstrategie, wobei der Rahmen definiert ist, in welchem die angedachten Veränderungen durch die Betroffenen konkretisiert werden (für die konkrete Darstellung einer umfassenden Maßnahme zur Organisationsentwicklung auf der Grundlage systemtheoretischer Prinzipien siehe Kiel 2012a). >>Change Management ist in diesem Sinne die Gestaltung und

Steuerung der Einführung von geplanten organisationalen Veränderungen in sozialen Systemen. Change Management sorgt dafür, dass die angestrebten Veränderungen von den Betroffenen in ihrem Arbeitsumfeld konkretisiert, umgesetzt und nachhaltig gelebt werden (Verankerung in der Kultur).

Die folgende Auflistung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Weitere Prinzipien und Hinweise zu unterschiedlichen Vorgehensweisen in Veränderungsprozessen werden zum Beispiel bei Wippermann (2016) beschrieben und diskutiert. zz Sinn und Bedeutung erzeugen

Menschen sind bereit, umfangreiche und tiefgreifende Veränderungen mitzutragen, Opfer zu bringen und einen hohen Preis dafür zu bezahlen, wenn sie den dahinterliegenden Sinn und die Bedeutung erkannt haben. „Wer ein Warum im Leben kennt, der erträgt fast jedes Wie“ wird Nietzsche zitiert. Die betroffenen Mitarbeiter müssen erkennen, dass sie mit ihrem Aufwand und ihrer Anstrengung einen wertvollen und sinnvollen Beitrag für die Entwicklung und somit für den Erhalt der Organisation leisten. Jeder Einzelne konstruiert sich aufgrund seiner Informatio‑ nen eine eigene Vorstellung oder ein eigenes inneres Bild von der geplanten Veränderung. Dieses Bild beinhaltet auch, in welcher Beziehung der Betroffene zu der Veränderung steht, welche Bedeutung diese für ihn hat, ob er diese annimmt oder ablehnt und wie sinnvoll oder sinnlos diese für ihn erscheint. Die Vorstellung oder das innere Bild ist eine subjektive Kon‑ struktion von der äußeren Welt. Antworten auf folgende Fragen fließen in das Bild mit ein (Doppler und Lauterburg 1997, S. 89 f.):

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Fragen der Mitarbeiter bei Veränderungsvorhaben Wozu diese Veränderung? Weshalb kann nicht alles so bleiben, wie es ist? Was machen denn andere, die sich in einer ähnlichen Lage befinden? Was ist eigentlich das konkrete Ziel des Vorhabens? Gibt es keine Alternativen?

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Schlüsselbotschaften

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Warum gerade so vorgehen und nicht anders? Was würde passieren, wenn wir nichts verändern würden? Welche Risiken kommen da auf uns zu? Was können wir verlieren? Was werden wir künftig anders oder neu machen müssen? Gibt es überhaupt eine Zukunft für uns, für mich? Welche Rolle sollen wir bei dieser Veränderung spielen? Können wir uns diesen Veränderungsschritt zutrauen? Können wir denen vertrauen, die das Ganze geplant haben? Könnten wir uns nicht noch etwas Zeit lassen?

Mit solchen oder ähnlichen Fragen setzen sich die Mitarbeiter auseinander, wenn sie mit einem bestimmten Veränderungsvorhaben konfrontiert werden. Durch Austausch und Gespräche mit anderen Betroffenen entstehen gemeinsame Beschreibungen, Bedeutungen und Bewertungen der Situation. Gemeinsame Vorstellungen oder Geschichten bzw. Erzählungen von der Wirklichkeit, die als kognitive Ordnung künftige Wahrnehmungen wiederum beeinflussen. Führungskräfte sollten auf diese Fragen gut vorbereitet sein, um bei der Sinngebung und Bedeutungszuschreibung mitwirken zu können. Sie haben die Möglichkeit, zum Beispiel durch das Aufzeigen von Trends, Entwicklungen, Szenarien, aktuellen Problemen und künftigen Herausforderungen oder durch Vergleiche mit anderen Organisationen den Sinn und die Bedeutung der geplanten Veränderungen mit zu prägen. Durch den Austausch dieser Informationen kann die Bedeutung und Sinnhaftigkeit gemeinsam erfasst oder relativiert bzw. in Frage gestellt werden. Die Führungskräfte sollten prinzipiell auch offen sein für eine Veränderung der Sichtweise über die Notwendigkeit der Veränderung. Gerade in der Anfangsphase der Veränderung scheint es erforderlich zu sein, durch häufige und konstant wiederholte „Schlüs‑ selbotschaften“, durch zahlreiche Gespräche und Workshops auf die Sinngebung und Bedeutungszuschreibung einzuwirken, sodass es für die Mitarbeiter sinnvoll erscheint, den Veränderungsprozess aktiv mitzutragen und auszugestalten. Erst durch Sinn und Bedeutung wird die Bereitschaft erhöht, Aufmerksamkeit und Energie in die erwünschte Richtung zu mobilisieren. Der Sinn von Veränderungen lässt sich letztendlich von der Strategie ableiten, den Erhalt und die Lebensfähigkeit der Organisation zu sichern. >>Das Ziel sollte nicht sein, dass die Mitarbeiter von dem Ver‑

änderungsvorhaben „begeistert“ sind – in aller Regel sind sie dann auch schnell wieder „entgeistert“. Die Aufgabe von der Führung besteht vielmehr darin, die Mitarbeiter einzuladen, sich für das Neue zu öffnen, auszuprobieren und sich mit dem Neuen zu arrangieren.

18.8  •  (Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen

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zz Die relevanten Perspektiven einbinden und verbindlichen Konsens schaffen

Auch wenn es wünschenswert wäre, alle Menschen, die von der geplanten Veränderung betroffenen sind, aktiv mit einzubeziehen, ist dies nicht in jeder Organisation möglich. Jedoch können die relevanten Perspektiven für die Gestaltung und Steuerung der Veränderung eingebunden werden: Relevant zum einen für das inhaltliche Erarbeiten der Veränderungen auf der sachlogischen Ebene und zum anderen für das methodische Vorgehen der Einführung der Veränderungen in das soziale System und somit für das Change Management. Zunächst ist darauf zu achten, dass folgende Perspektiven vertreten sind: Die Experten mit dem benötigten Fachwissen: Zum einen für die Erarbeitung der sachlogischen Ebenen und zum anderen für die Einführung in das soziale System. Die hierarchisch übergeordnete Führung mit genügend Einflussmöglichkeiten und Befugnissen. Einflussreiche Schlüsselpersonen mit viel Erfahrung, hoher Akzeptanz und Glaubwürdigkeit. „Ortskundige“ Mitarbeiter von der Basis, die unmittelbar und unverblümt die Sichtweise aus der Betriebspraxis einließen lassen.

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Anschließend sollte sich aus den entsprechenden Personen ein Team bilden, das die angestrebten Veränderungen verwirklichen kann. Währenddessen ist es erforderlich, dass innerhalb des Teams ein ehrlicher Austausch über die individuellen Kenntnisse, Annahmen und Überzeugungen aus den jeweiligen Perspektiven und somit ein Dissens möglich wird. Aus diesen verschiedenen Perspektiven geht eine gemeinsame geteilte Sichtweise auf die Gegenwart und eine gemeinsam getragene Vision von der Zukunft hervor, die nach außen einheitlich und stabil vertreten wird. Nur über einen nach innen ausgetragenen Dissens ist ein nach außen getragener Konsens möglich (Malik 2006). zz An den inneren Landkarten „ankoppeln“

Eine grundlegende Voraussetzung für wirksames Management von organisationalen Veränderungen ist, dass die methodische Einführung der angestrebten Veränderungen der gelebten Kultur des betroffenen Bereiches entspricht, um die eigenständige und selbstgesteuerte Konkretisierung und Umsetzung der Veränderungsvorhaben durch die betroffenen Menschen in ihrem Arbeitsumfeld zu ermöglichen. Die Kultur besteht aus den latenten Wahrnehmungen und Sinngebungen und Glaubenssätzen, die durch Sprache und Handeln zum Ausdruck gebracht werden. Die Aufgabe der Führungskräfte besteht darin, sich an die „innere Landkarte“ einzelner Personen

Entwicklung eines stabilen einflussreichen und Steuerungsteams

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

oder des sozialen Systems zu koppeln, um möglichst passende und annehmbare Lösungen gemeinsam entwickeln zu können. „Ankoppeln“ bedeutet hier, dass die Führungskräfte durch Aufmerksamkeit, sensibles Wahrnehmen und Fragen, die Perspektive der Mitarbeiter erfahren, nachvollziehen und diese anerkennen und respektieren. Bezogen auf die Veränderung können folgende Fragen gestellt werden:

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Fragen der Führungskräfte Was glauben Sie, was sich konkret für Sie verändern wird? Wie bewerten Sie die Veränderungen (erwünscht oder unerwünscht, nützlich oder schädlich)? Welche Risiken und Chancen sehen Sie? Was glauben Sie, wozu diese Veränderung Sinn macht? Wie erklären Sie sich die Veränderungen? Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Welche Geschichten werden über die Veränderung erzählt? Welchen Preis bezahlen Sie für die Veränderung? Welchen Nutzen könnten Sie davon haben? Durch welches Bild oder durch welche Metapher wird die Veränderung für Sie am ehesten zum Ausdruck gebracht?

Hierfür ist Voraussetzung, dass die Führungskräfte sich fragend, neugierig und möglichst vorurteilsfrei zu den Mitarbeitern verhalten. Sie haben eine ehrliche, loyale und wohlwollende Haltung; sie sind offen für Überraschungen in dem Sinne, dass sie nicht vorgedachte Vorstellungen oder Annahmen bestätigt sehen wollen. zz Auf Ressourcen und Lösungen fokussieren

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Wahrnehmung, Denken und Empfinden sind das Ergebnis der Fokussierung von Aufmerksamkeit (Schmidt 2008, S. 34 ff.). Führungskräfte können durch Fragen und Kommentare den Scheinwerfer auf bestimmte Aspekte der Wirklichkeit richten und gleichzeitig andere unbeachtet lassen. Generell sollten Führungskräfte die Wahrnehmungen auf die vorhandenen Ressourcen, Stärken und künftigen Lösungen fokussieren, gleichzeitig die bisherige Geschichte sowie die geleisteten Beiträge und Anstrengungen würdigen. Auf der einen Seite werden die Mitarbeiter in ihrer vergangenen und gegenwärtigen Leistung anerkannt und gestärkt, auf der anderen Seite werden sie eingeladen, sich konstruktiv mit den künftigen Veränderungen auseinanderzusetzen. Die Fokussierung findet innerhalb des vorgegebenen Rahmens der geplanten Veränderung und der im Auftrag definierten Ziele statt:

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Welche Lösungen schlagen Sie vor? Was ist Ihr Ziel im Rahmen dieser Veränderung? Was kann aus Ihrer Sicht optimiert werden? Welche Vorteile könnte die Veränderung für Sie haben? Welche vorhandenen Stärken und Fähigkeiten können Sie für die künftige Veränderung nutzen? Was möchten Sie künftig bewahren? Wozu?

Die Wahrnehmungen richten sich auf die künftigen Entwicklungen, wobei Leistungen der Vergangenheit anerkannt und gewürdigt werden. Respekt vor dem, was die Menschen erfolgreich in der Vergangenheit hervorgebracht haben und eine gewisse Respektlosigkeit in dem Sinne, dass diese Anpassungsleistung künftig nicht mehr genügen könnte. Im Kontext der Vergangenheit waren die heute in Frage gestellten Prozesse, Abläufe, Funktionen aber auch Einstellungen und Werte angemessen und nützlich. Sie waren eine adäquate Anpassungsleistung an die Bedingungen vergangener Umwelten und haben dazu beigetragen, dass die Organisation sich bis in die Gegenwart weiterentwickeln konnte und bis heute mehr oder weniger erfolgreich ist. Unter den gegenwärtigen oder antizipierten Bedingungen der Zukunft erscheinen die gleichen Aspekte in einem anderen Licht. zz Autonomie berücksichtigen und Selbstorganisation nutzen

Menschen und soziale Systeme sind autonom und haben das Be‑ dürfnis nach Eigenständigkeit und Selbstbestimmung. Gerade in Veränderungen regt sich häufig Widerstand, da sich Menschen fremdbestimmt, übersehen und übergangen fühlen und in Folge dessen ihre Autonomie gefährdet sehen. Um Menschen für die erforderlichen Veränderungen zu mobilisieren, deren Motivation in die erwünschte Richtung zu unterstützen, ist es wesentlich, deren Autonomie so weit wie möglich zu berücksichtigen. Führungskräfte sollten die Handlungsfreiheiten und Wahlmöglichkeiten innerhalb des vorgegebenen Rahmens der geplanten Veränderungen nutzen und hier die Mitarbeiter so weit wie möglich aktiv einbeziehen. Im Folgenden sind Beispiele aufgeführt, wie die Mitarbeiter beteiligt werden können: Gestaltung der Veränderung, dass möglichst viele vorhandene Stärken und Fähigkeiten sowie die Erfahrungen und das Wissen der Mitarbeiter gefordert und aktiviert werden. Vorhandene Gestaltungs- und Entscheidungsräume so weit wie möglich den Mitarbeitern aufzeigen und überlassen. Verantwortung für Aufgaben oder Teilprojekte an die Mitarbeiter übertragen.

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Respekt und Respektlosigkeit

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

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Möglichkeiten eröffnen, sich selbst Ziele zu setzen und zu erfahren, ob diese Ziele auch erreicht werden. Möglichkeiten, Wege zum Ziel selbst zu bestimmen und sich selbst zu organisieren.

Die Beteiligung hat auf der einen Seite den Vorteil, dass die Mitarbeiter sich in ihrer Autonomie berücksichtigt fühlen und dadurch eher bereit sind, die Veränderungen aktiv mitzutragen und folglich sich mit dem Ergebnis in höherem Maße identifizieren. Auf der anderen Seite wird die Energie, die Erfahrung und das Wissen des sozialen Systems genutzt, um die Veränderungen konkret auszugestalten, von Menschen an der Basis, die sich wohl als Experten für die jeweiligen Prozesse und Abläufe vor Ort bezeichnen dürfen. In dem Sinne als Experten in ihrem Arbeitsumfeld für die Konkretisierung der Veränderungsvorhaben auf der sachlogischen Ebene. An dieser Stelle schließt sich der Kreis: >>Change Management berücksichtigt die psychosoziale

Ebene der Veränderung, um die Selbstorganisation des sozialen Systems für die Konkretisierung und Umsetzung der angestrebten Veränderungen zu nutzen. Die Komplexität des sozialen Systems wird für das Erschließen konkreter Lösun‑ gen im jeweiligen Arbeitsumfeld genutzt.

zz Loyalität zeigen und Ambivalenzen anerkennen

Loyalität in organisationalen Veränderungsprozessen bedeutet, dass die Führungskräfte sich den definierten Inhalten, Zielen und dem vorgegebenen Rahmen der Veränderung und somit dem Auftrag verpflichtet fühlen und diese Bedingungen nach außen ihren Mitarbeitern gegenüber transparent, glaubwürdig und überzeugend vertreten. Auf der einen Seite sollten daher die angesprochenen Führungskräfte während der Auftragsklärung genau prüfen, ob sie den Sinn und die Bedeutung der Veränderung aus der ihrer Perspektive verstehen, nachvollziehen und vertreten können. Ob die Veränderungsvorhaben mit ihren persönlichen Werten im Einklang sind und glaubwürdig befürwortet werden können. >>Auf der anderen Seite hat jede Veränderung für die be‑

troffenen Mitarbeiter Umstellungen und Anstrengungen und gegebenenfalls erhebliche Opfer oder Einbußen zur Folge.

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Loyalitätskonflikte

Loyalitätskonflikte können dann entstehen, wenn Führungskräfte gleichzeitig die Perspektive der betroffenen Mitarbeiter nachvollziehen können und für die mit der Veränderung verbundenen individuellen oder gemeinsamen Schicksale Verständnis haben: Die Führungskräfte fühlen sich auch ihren Mitarbeitern verpflichtet. In dieser Situation ist es von besonderer Bedeutung, den vorgegebenen Rahmen bzw. den Auftrag der Veränderung nicht in

18.8  •  (Ein‑)Führung von Veränderungsprozessen in Organisationen

Frage zu stellen und gleichzeitig die möglichen Anstrengungen, Opfer und Einschränkungen der Mitarbeiter ernst zu nehmen und zu würdigen. Nach dem Motto: „Ich kann gut nachvollziehen, dass euch die Veränderungen schwerfallen, viele Opfer und Anstrengungen verlangen – und sie sind notwendig und unvermeidbar für den langfristigen Erhalt unserer Organisation. Wie können wir mit dieser Situation umgehen?“ Auf diese Weise macht die Führungskraft das „Sowohl-alsauch“ der Situation transparent. Sie zeigt Verständnis für die individuelle Situation der Betroffenen und bleibt loyal gegenüber den vorgegebenen Rahmenbedingungen der Veränderung. Führungskräfte machen die Ambivalenz zwischen den persönlichen Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen auf der einen Seite und den Notwendigkeiten und Erfordernissen der Organisation auf der anderen Seite transparent. Sie würdigen, dass es für die Mitarbeiter schwer ist, diesen Weg zu gehen, und bewerten die Anstrengungen als Beitrag für den Erhalt der Lebensfähigkeit der Organisation. Sie fokussieren die Aufmerksamkeit auf das Suchen nach Lösungen, mit dieser Ambivalenz künftig umzugehen. Hierdurch wird gleichzeitig bei den Mitarbeitern die Selbstverantwortung für den Umgang mit der Veränderung gestärkt. zz Das Neue tun!

Menschen sind in ihrem gegenwärtigen Erleben über zukünftige Veränderungen durch eigene Vorstellungen oder innere Bilder geleitet, aus denen sich Vermutungen, Annahmen oder Überzeugungen darüber ergeben, wie das „Neue“ sein wird. Menschen können sich durch diese Vorstellungen und den damit verbundenen Annahmen hemmen oder blockieren, die Veränderung tatsächlich einzugehen und aktiv zu werden. Sie können in Passivität oder in übermäßigem Gerede über die möglichen und angenommenen Veränderungen verharren. Die betroffenen Mitarbeiter sollten möglichst früh ermutigt und befähigt werden, das „Neue“ zu tun und auszuprobieren. Sie erhalten nur durch das unmittelbare Erfahren und Erleben der Veränderung Einsichten und Erkenntnisse, welche Vor- und Nachteile im Einzelnen für sie persönlich und für die Organisation sich wirklich zeigen. Nur durch Ausprobieren erwerben die Mitarbeiter eine „empirische Datenbasis“ für die weitere konkrete und mitbestimmte Ausgestaltung der Veränderung. Auf diese Weise ist sowohl individuelles als auch organisationales Lernen möglich. In dieser Phase der organisationalen Entwicklung bzw. Veränderung (Für eine vollständige und ausführliche Darlegung aller sechs Phasen ganzheitlicher Entwicklung von Teams und Organisationen sei an dieser Stelle auf Kiel [2013] verwiesen). steht die Aktivität im Vordergrund, das miteinander Erproben neuer Prozesse, Abläufe oder Strukturen. Die Mitarbeiter erleben und erfahren merklich das Wechselwirken und Interagieren innerhalb der neuen Rahmenbedingungen. Gerade bei Neuem und damit

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verbundenen Unsicherheiten werden Erfahrungen und auch Botschaften aus der persönlichen Lebensgeschichte aktiviert und können den Handlungsfluss in der aktuellen Situation blockieren, z. B. in Form von Antreibern wie: „Sei perfekt!“ oder „Sei vorsichtig!“. Diese verinnerlichten Botschaften binden Energie und wirken sich auf das Verhalten eher hemmend aus. Verinnerlichte Botschaften als Antreiber Menschen beschreiben z. B. häufig, dass sie sich innerlich getrieben fühlen, ohne dafür eine äußere Notwendigkeit zu erkennen: „Ich versuche immer alles perfekt zu machen und sitze dafür bis spät abends im Büro. Selbst mein Chef sagt schon, dass ich nicht so hohe Ansprüche an mich stellen müsste. Das ist aber leichter gesagt als getan.“ Nicht selten treiben wir uns durch innere Sätze an wie: „Sei stark!“, „Streng dich an!“, „Sei perfekt!“, „Beeil dich!“, „Mach es mir recht!“ oder „Sei vorsichtig!“. Diese Antreiber sind häufig gut gemeinte Botschaften, die wir in unserer frühen Sozialisation von unseren Bezugspersonen ohne Erwägen übernommen haben, um reale oder phantasierte Anforderungen bewältigen zu können. Sicher erfüllen diese Botschaften in bestimmten Situationen ihren Zweck und wir werden durch erwünschte Wirkungen auch immer wieder bestätigt. Die Selbstregulation des Menschen ist dann gestört, wenn diese Antreiber das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen überwiegend bestimmen und dabei wesentliche Bedürfnisse nicht mehr spürbar sind. Die inneren Sätze sind dann restriktiv und einschränkend und können Flexibilität und persönliches Wachstum verhindern (Kiel 2012b).

Wenn Menschen in ihrer Fähigkeit, Neues auszuprobieren, gestärkt sind, dann fühlen sie sich freier, kreativer und zuversichtlicher. Sie sind ermutigt, sich auf das Neue einzulassen und empfinden dies als weniger bedrohlich. In dieser Phase können folgende Botschaften den Handlungsfluss der Mitarbeiter fördern: Du darfst ausprobieren und experimentieren. Du darfst neugierig und intuitiv sein. Du darfst forschen und mit allen Sinnen wahrnehmen. Du darfst die Initiative ergreifen. Du kannst dir Unterstützung holen.

18 förderliche Botschaften

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Die Botschaften haben eher einen symbolisch-metaphorischen Charakter und sind eine verdichtete Form des Gemeinten. Sie werden dabei nur selten explizit verbal vermittelt, sondern im-

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plizit durch die Haltung und das Verhalten der Führungskräfte situativ zum Ausdruck gebracht und vorgelebt. Sie dienen in diesem Sinn als handlungsleitendes Moment für die Verstärkung des Entwicklungsprozesses sowohl auf der individuellen Ebene als auch auf der Ebene des sozialen Systems. Ein direktes Aussprechen dieser Botschaften würde auf die Beteiligten eher befremdend oder irritierend wirken und könnte die erwünschte Entwicklung verfehlen. Werden die Botschaften jedoch kontextbezogen übersetzt, so können sich der Gehalt und die Wirkung mit entsprechenden Worten entfalten. In dieser Phase des Tuns z. B.: „Probiert die neuen Prozesse auf der Basis eurer Kenntnisse und Erfahrungen einfach mal aus. Fehler werden dabei sicher passieren. Wir werden anschließend reflektieren, was wir daraus lernen können.“ Oder: „Probiere das Neue doch einfach mal auf deine Weise aus und mache deine eigenen Erfahrungen. Du erhältst dabei vor Ort durch Kollegen Unterstützung und meine Tür ist für dich offen!“ zz Iteratives Vorgehen – Wahrnehmen, Reflektieren, Anpassen, Handeln!

In regelmäßigen Abständen sollten aus relevanten Perspektiven zum einen die Erfahrungen mit den neuen bzw. veränderten Prozessen, Abläufen oder Strukturen und zum anderen das Erleben und die Zusammenarbeit reflektiert und bewertet werden. Voraussetzung ist, die eigenen Wahrnehmungen, Emotionen, Bewertungen, Erklärungen sowie Schlussfolgerungen ehrlich und frei äußern und austauschen zu dürfen, ohne negative Konsequenzen zu befürchten. Nur ein ehrlicher Dialog über das sinnlich Beobachtete, emotional Erlebte und rational Gedachte aus der jeweiligen Perspektive kann die Komplexität des Geschehens bis zu einem gewissen Grad intersubjektiv abbilden. Auf der Grundlage dieses dialogisch entworfenen Bildes werden Wechselwirkungen und Beziehungen, gegenseitige Erwartungen, fördernde und hindernde Beiträge, vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen sichtbar. Aus den unmittelbaren sinnlichen Erfahrungen mit den neuen oder veränderten Prozessen, Abläufen oder Strukturen gehen wesentliche Erkenntnisse über Vorteile und Möglichkeiten aber auch über Nachteile und Hindernisse hervor. Diese Erkenntnisse sind äußerst wertvolle Informationen, die in die weitere Ausgestaltung der Veränderung einfließen. Nicht die angedachten oder geplanten sondern die tatsächlich erlebten Wirkungen von Veränderungen auf einzelne Mitarbeiter, die Zusammenarbeit, auf Kunden sowie auf die Zielerreichung, Aufgabenerfüllung und Produktivität werden erfasst. Aus diesem iterativen Vorgehen mit regelmäßigen Feedbackschleifen ergibt sich eine kontinuierliche Konkretisierung und Anpassung der Ziele der Veränderung und von dem Einführungsprozess.

Feedbackschleife

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

Definition 

Definition: iterativ

Das Wort iterativ kommt von Iteration (von lat. iterare, wiederholen‘) und beschreibt allgemein einen Prozess mehrfachen Wiederholens gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung oder an ein bestimmtes Ziel. 

Gerade in komplexen und dynamischen Situationen ist das Erfassen und Auswerten unmittelbarer Wahrnehmungen und Erfahrungen in kurzen Abständen essentiell und vor allem dann, wenn sich das Umfeld und dessen Anforderungen sich permanent wandeln. Dieses Vorgehen ist im Sinne einer Entwicklungsstrategie und entspricht dem systemischen Denken und Handeln. Zusammenfassung

Zusammenfassung Veränderungen in Organisationen gelten als Anpassungsleistung an die vielschichtige und sich kontinuierlich verändernde Umwelt mit dem Ziel, die Legitimität und somit die Lebensfähigkeit zu erhalten. Hier nehmen Führungskräfte eine wesentliche Rolle ein und leisten je nach Aufgabenbereich, Positionierung und Kompetenzen ihren besonderen Beitrag. Vor dem Hintergrund systemtheoretischer Ansätze werden Veränderungen immer durch das soziale System bzw. durch die Menschen selbstorganisiert hervorgebracht. Menschen werden als autonome Systeme betrachtet, die eigene Vorstellungen bzw. innere Bilder, Annahmen und Überzeugungen von der gemeinten Situation hervorbringen. Dabei ist entscheidend, dass jeder Mensch seine subjektive Wirklichkeit und somit sein derzeitiges emotionales Erleben immer vermittelt, über seine mentalen Modelle von der Veränderungssituation erzeugt. Führungskräfte in Zeiten des Wandels sollten bestimmte Prinzipien beachten, um viel mehr die betroffenen Menschen mit einzubeziehen und die Selbstorganisation des sozialen Systems zu nutzen, um die angedachten Veränderungen in der Kultur zu verankern.

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Kapitel 18  •  Führen in Zeiten des Wandels

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Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund Daniela Eberhardt, Stefanie Neumann, Elisa Streuli 19.1

Diversity und Vielfalt – ein Führungsthema  –  887

19.2

Altersgerechte Führung – 890

19.2.1 19.2.2 19.2.3

Alter und Generation  –  890 Herausforderungen für die Führung  –  891 Führungsstile für verschiedene Generationen  –  892

19.3

Frauen, Männer und Führung  –  895

19.3.1

Konsequenzen für die Führung  –  896

19.4

Führung und Kultur  –  898

19.4.1 19.4.2 19.4.3

Kulturelle Muster und Kulturdimensionen  –  898 Führungskompetenzen in interkulturellen Kontexten  –  901 Führen multikulturell zusammengesetzter Gruppen  –  903

19.5

Folgerungen für die Unternehmen  –  905 Literatur – 908

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_19

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

» Vielfalt führen bedeutet, Menschen miteinander zu verbinden, damit der gemeinsame Denk- und Handlungsraum grösser wird! (Eberhardt und Streuli 2016)

Auf einen Blick

Auf einen Blick Menschen unterscheiden sich aufgrund ihrer individuellen Persönlichkeit, aber auch aufgrund ihrer sozialen Beeinflussung, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten soziodemografischen Gruppen: Zuschreibungen und Erwartungen aufgrund von Alter, Geschlecht, Herkunft, Religion oder physischen Merkmalen sind Beispiele dafür, wie Individuen aufgrund ihrer sozialen Zugehörigkeit unterschiedliche Lebenschancen vorfinden.

Unter den Bedingungen von Individualisierung und vielfältigen Optionen (Gross 2000) bedeutet dies, dass Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen, Erfahrungen, Ansprüchen, Lebensstilen, in unterschiedlichen Lebensphasen und Rollenzusammenhängen am Arbeitsplatz zusammentreffen und dort ihren Beitrag zur gemeinsamen Zielerreichung leisten sollen. Mit Blick auf den stattfindenden demografischen Wandel lassen sich auch veränderte Werte im Arbeitsleben beobachten. Von Führungspersonen wird zunehmend erwartet, dass sie mit einer heterogenen Zusammensetzung der Belegschaft umgehen können. Für das Unternehmen und damit die Führungspersonen stellt sich die Frage, wie sie diese Menschen für das Unternehmen gewinnen, entwickeln und halten und wie sie zielführend mit ihnen zusammenarbeiten können. Je vielfältiger die Arbeitnehmenden sind, desto komplexer wird die Führungsaufgabe. Was kann nun ein Unternehmen, was kann die Führung tun, damit Frauen und Männer aus verschiedenen Ländern, unterschiedlichen Alters, mit vielfältigen kulturellen oder religiösen Gewohnheiten produktiv zusammenarbeiten und ihren Stärken entsprechend eingesetzt und gefördert werden? Aus dieser Perspektive befassen sich die Überlegungen zur sozialen Vielfalt bzw. Diversität, welche nachfolgend beschrieben sind.

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19.1  •  Diversity und Vielfalt – ein Führungsthema

19.1

Diversity und Vielfalt – ein Führungsthema

» Von Natur aus sind Menschen gleich. Durch ihre Gewohnheiten werden sie verschieden. (Konfuzius)

Die Absicht, Vielfalt und Unterschiedlichkeit am Arbeitsplatz produktiv zu nutzen, wird mit dem Begriff „Diversity-Management“ bezeichnet (Cox 1994). Darunter fallen Überlegungen zum barrierefreien Zutritt zu jeglicher Infrastruktur, zur Nichtdiskriminierung aufgrund sexueller Orientierung, zu mehr Frauen in Führungspositionen, zur Teilzeitarbeit von Männern, zur schrittweisen Pensionierung, zur gezielten Rekrutierung von ausländischem Personal usw. Das Diversity-Management geht jedoch noch weiter. Es befasst sich mit der Frage, wie eine Unternehmensstrategie ausgerichtet werden muss, damit die soziale Vielfalt den größtmöglichen Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele leisten kann. Die Ursprünge des Diversity-Gedankens beruhen auf einem Fairness-Ansatz, wonach Menschen aufgrund ihrer Rassen‑, Alters‑, Geschlechtszugehörigkeit und weiterer physiologischer Merkmale keine Benachteiligung erfahren dürfen. Seit den 1980er-Jahren stehen vermehrt wirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund, welche die positiven Effekte der sozialen Vielfalt folgendermaßen begründen (Thomas und Ely 1996): Erstens steht mit einer diskriminierungsfreien Personalauslese und -förderung dem Unternehmen der gesamte Arbeitskräftepool zur Verfügung. Zweitens wird eine vielfältige Kundenbasis im Interesse des Unternehmens vorzugsweise auch dementsprechend in der Belegschaft repräsentiert. So möchten beispielsweise manche Kundinnen in persönlich heiklen Angelegenheiten, beispielsweise in der Gynäkologie, aber auch in Finanzdienstleistungen, wie die entsprechenden Angebote von Banken zeigen, lieber von Frauen als von Männern beraten werden. Ältere Menschen lassen sich ein technologisch komplexes Gerät lieber von älteren Mitarbeitenden erklären als von „Digital Natives“. Menschen mit einer Sehbehinderung können die Gestaltung von Websites im Hinblick auf eine gute Lesbarkeit besser beurteilen als Menschen mit voller Sehkraft. Drittens erfordern komplexe Problemstellungen verschiedene Perspektiven zu ihrer Lösung. Frauen und Männer aus verschiedenen Ländern und sozialen Schichten sind unterschiedlich sozialisiert und bringen damit unterschiedliche Erfahrungshintergründe und Sichtweisen in die Zusammenarbeit ein. Viertens können sich Unternehmen nur dann als moderne Arbeitgeber positionieren, wenn sie möglichst viele Gruppen ansprechen. Die soziale Vielfalt wird im Diversity-Rad (Gardenswartz und Rowe 2008) konzeptualisiert (. Abb. 19.1).

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Organisationale Dimensionen

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Äußere Dimensionen

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..Abb. 19.1  Diversity-Rad. (Nach Gardenswartz und Rowe 2008, S. 33, © Society for Human Resource Management 2008)

19

Diversität ist das Zusammenspiel von verschiedenen Eigenschaften einer Person mit ihren jeweiligen Herkunfts- und Sozialisationsbedingungen sowie den Merkmalen ihres Lebensstils und ihrer sozialen Stellung. Im Zentrum des Diversity-Rads steht die eigene, unverwechselbare Persönlichkeit eines jeden Menschen. Diese ist jedoch nicht unbeeinflussbar und unveränderbar. Sie wird geprägt durch innere und äußere Dimensionen, welche auf die Persönlichkeit einwirken und diese mitprägen. Dies sind zunächst die inneren Dimensionen, welche nicht durch das Individuum selbst gewählt werden: So ist das Geschlecht von Geburt an erworben und im Lauf eines Lebens nicht ohne einen radikalen Eingriff veränderbar. Ebenso kann das Alter nicht beeinflusst

19.1  •  Diversity und Vielfalt – ein Führungsthema

..Abb. 19.2  © 2018 by Tobias Leuenberger

werden, im Gegensatz zum Geschlecht verändert es sich jedoch kontinuierlich im Lebenslauf. Auch Hautfarbe, Ethnie, Religion, physische und psychische Fähigkeiten sowie die sexuelle Orientierung sind Dimensionen, die eng an die Person geknüpft und von dieser nicht beliebig beeinflussbar sind. Diese inneren Dimensionen prägen die Sozialisation der Individuen und damit den Erfahrungshintergrund, der ihnen im Erwachsenenalter als Ressource zur Verfügung steht. Neben den inneren Dimensionen wird das Individuum auch durch Erfahrungen geprägt, welche aus den äußeren Dimensionen erwachsen. Ausbildung und soziale Schicht, aber auch die Einbettung in der Gesellschaft aufgrund der Organisations- und Branchenzugehörigkeit, soziale Netzwerke und andere mehr prägen das soziale, ökonomische und kulturelle Kapital (Bourdieu 1983), welches ein Individuum in seine berufliche Tätigkeit mitbringt. Diese Vielfalt und Unterschiedlichkeit ist dann ein Gewinn für die Organisation, wenn sie als Ressource verstanden wird, aber auch die Schwierigkeiten, die sich aus der Unterschiedlichkeit ergeben können, aufmerksam wahrgenommen und bearbeitet werden.

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Gründe für Diversity aus wirtschaftlicher Sicht Kunden werden besser von Mitarbeitenden aus derselben soziodemografischen Gruppe verstanden. Vielfalt dient dazu, verschiedene Kundensegmente anzusprechen. Komplexe Probleme werden besser gelöst, wenn sie aus mehreren Perspektiven heraus bearbeitet werden.

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

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Firmen haben ein wirtschaftliches Interesse daran, das Marktpotenzial auszuschöpfen. Je mehr soziodemografische Gruppen angesprochen werden können, desto grösser wird der Pool, aus welchem das Unternehmen Talente rekrutieren kann. Unternehmen sind aus Image-Gründen daran interessiert, für Frauen und Männer aus der ganzen Welt und verschiedene Altersgruppen attraktiv zu sein und sich als moderne Arbeitgeber zu positionieren.

» Als wir jung waren, hat man uns gelehrt, uns nach den Älteren zu richten. Heute, wo wir selber älter sind, sollen wir auf die Jugend hören. (William Saroyan, amerikan. Schriftsteller)

19.2

Altersgerechte Führung

Seit 1990  ist die Lebenserwartung bei Geburt in der Mehrheit der Länder weltweit um sechs Jahre gestiegen (WHO 2014). Die Menschen werden nicht nur älter, sondern sie durchlaufen einen anderen Alterungsprozess. Das Führen verschiedener Generationen, die Wertschätzung und der gezielte Einsatz altersspezifischer Fähigkeiten sind die Grundpfeiler eines Multigenerationsansatzes: Verschiedene Generationen verfügen über verschiedene Stärken. Der demografische Wandel verlangt daher von Führungspersonen, die unterschiedlichen Erwartungen, Erfahrungen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden zielführend einzubeziehen. 19.2.1

19

Alter und Generation

In der Arbeitswelt kommen drei altersbezogene Entwicklungsphasen vor, das junge, mittlere und späte Erwachsenenalter. In all diesen Altersphasen sind verschiedene altersspezifische Besonderheiten zu beobachten. Wenn das Alter sozial-zeitlich positioniert wird und auf seine Besonderheiten in der Arbeitswelt hin betrachtet wird, kann von Generationen in der Arbeitswelt gesprochen werden. Aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation ergibt sich eine Art Identität, die leitend ist für Denken, Wollen, Handeln und Fühlen dieser Person. Aktuell befinden sich je nach Differenziertheit der Einteilung drei bis fünf Generationen im Arbeitsprozess: Die Silver Worker (1945–1955), die Babyboomer (1956–1964), die Generation X (1965–1980), die Generation Y auch Millenials genannt (1980–2000) und die neu ins Arbeitsleben eintretende Generation Z (ab ca. 1995). Alle diese Generationen haben typische Lebensumstände gemeinsam, die sie als Generation in einem bestimmten Alter erlebt haben und die sie prägen (. Tab. 19.1).

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19.2 • Altersgerechte Führung

..Tab. 19.1  Generationen und ihre Merkmale. (Adaptiert nach Eberhardt 2016, mit freundlicher Genehmigung von Haufe) Merkmale

Silver Worker (1945-1955)

Baby Boomer (1956-1964)

Generation X (1965-1980)

Generation Y (1980-2000)

Generation Z (ca. ab 1995)

Werte

Fleiß Sparsamkeit Pflichtbewusstsein

Sicherheit Qualitätsbewusstsein Wettbewerb

Wohlstand Karriere Pragmatismus

Toleranz Optimismus Selbstsicherheit

Stabilität Klarheit und Optionsvielfalt

Interaktion

konfliktavers

teamorientiert

erfinderisch

partizipativ

mehrgleisig

Kompetenzen

Loyalität Tüchtigkeit

Teamfähigkeit

Autonomie Anpassungsfähigkeit

Technikaffinität

Ideenreichtum Schnelligkeit

Erwartungen an die Führung

Respekt Achtung der Hierarchie

Gemeinsame Kultur Einzelbüros

Image und Qualität

Sinnstiftung, Freude, Feedback

Vielfältige Erfahrungen Orientierung

Kommunikationsmedien

Brief

Telefon

E-Mail/SMS

Social Media

Integrierte Medien

Die Aufstellung in . Tab. 19.1 gibt Hinweise auf idealtypische generationenspezifische Prägungen. Diese werden jedoch durch Aspekte des Alters, der Lebensphase, der sozialen Schichtzugehörigkeit differenziert und modifiziert. Die Unterschiede innerhalb der Generationen, die Überlappungen zwischen den Generationen und die Veränderbarkeit im Zeitverlauf sind im Führungsverhalten ebenso zu beachten: Generationenzugehörigkeiten zeigen Tendenzen auf, die im Umgang mit den Individuen zu überprüfen und anzupassen sind. 19.2.2

Herausforderungen für die Führung

Aus der demografischen Entwicklung und die in nahezu allen europäischen Ländern erwünschte Verlängerung der Lebensarbeitszeit leiten sich verschiedene Herausforderungen für die Führung ab: zz Arbeitsfähigkeit erhalten

Grundlage einer Beschäftigung bis ins (steigende) offizielle Pensionierungsalter ist der Erhalt der Arbeitsfähigkeit. Dies bedeutet den Erhalt der körperlichen und psychischen Gesundheit, den Erhalt, Ausbau und auch die Anpassung von Kompetenzen an die heutigen und kommenden Anforderungen im Berufsleben, die Schaffung von Strukturen und Rahmenbedingungen, die eine Arbeitstätigkeit bei sich verändernden individuellen Ansprüchen und Möglichkeiten erlauben. Eine altersgerechte Führung für den Erhalt der Arbeitsfähigkeit in den ca. letzten zehn Jahren vor der

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Erreichung des offiziellen Pensionierungsalters ist dabei besonders wirksam (Ilmarinen et al. 2002). zz Generationen zusammen führen

Generationen zusammenführen bedeutet zwei Facetten der Führung zu kombinieren. Die individualisierte alternsgerechte Führung (generationsspezifisches Führen) geht besonders auf die Spezifika bestimmter Altersgruppen oder Generationen ein und holt und diese in ihren Bedürfnissen spezifisch ab (z. B. in der Kommunikation über digitale Vernetzung oder klassische Medien). Eine besondere Herausforderung stellt die generationsübergreifende Führung dar: Es gilt, die verschiedenen Generationen im Arbeitsprozess so zu integrieren, dass sie sich in den Fähigkeiten und Stärken gegenseitig bereichern und in den generationstypischen Schwächen ausgleichen sowie kontinuierlich voneinander und miteinander lernen. zz Attraktiver Arbeitgeber für unterschiedliche Generationen sein

Gemäß Bundesamt für Statistik (BFS Bundesamt für Statistik 2016) beträgt der Anteil der 50–65-Jährigen im Jahr 2020 sowie der 30–50-Jährigen jeweils rund 20 %, der Anteil der 20–30-Jährigen 9 %. Die jüngere Generation ist auf dem Arbeitsmarkt begehrt. Gleichzeitig kommt dem Wissenstransfer und der Erfahrung älterer Arbeitnehmender eine wachsende Bedeutung zu. Die in der Debatte oftmals vergessene „Generation X“ (30–50-jährig) ist sowohl an die jüngere, als auch an die ältere Generation anschlussfähig und hält diese zusammen. Für Führung und Unternehmen ist es deshalb zentral, die Attraktivität am Arbeitsmarkt und die Motivation der Mitarbeitenden aller Generationen zu erhalten und zu steigern. 19.2.3

Führungsstile für verschiedene Generationen

Ergänzend zu individuellen Präferenzen lassen sich generationenspezifische Präferenzen bezüglich Führungsstil unterscheiden (Bruch et al. 2010; Warner und Sandbert 2010). zz Babyboomer

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In der Führung von Babyboomern lässt sich beobachten, dass diese bevorzugt partizipativ geführt werden. Sie haben kommunikative und soziale Fähigkeiten und sind Konkurrenzsituationen gewohnt. Effiziente Vorgesetzte sollen nach ihrer Ansicht transaktional führen. Sinnhafte Tätigkeiten sind wichtige Anreize für Babyboomer.

19.2 • Altersgerechte Führung

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Sie bevorzugen einen kollegialen und konsensorientierten Stil und respektieren Autorität. In der Führung wird empfohlen, die Ausrichtung klar aufzuzeigen, demokratisch und authentisch zu sein, herausfordernde Ziele anzubieten, Wahlmöglichkeiten zu offerieren, Anerkennung und Status zu geben. Babyboomer als Führungspersonen nehmen Führung als anspruchsvolle Aufgabe wahr, bilden sich weiter und orientieren sich an Konsens und Ethik. Intuitive Entscheidungen machen bei ihnen knapp die Hälfte aller Entscheidungen aus, das umfangreiche Erfahrungswissen ist dabei von Vorteil (Andert 2011). zz Generation X

Für die Führung der Generation  X braucht es glaubwürdige Führungspersonen, die auf verschiedene Standpunkte hören und reagieren müssen. Materielle Ausstattungen und Anreize haben für diese Generation eine hohe Bedeutung (z. B. Ausstattung der Räumlichkeiten), sie schätzen klare und transparente Kommunikation und lehnen eine starke hierarchische Ausrichtung ab. In der Führung wird empfohlen, fair, kompetent und gradlinig zu führen, in regelmässigen Abständen Feedback zu geben, Führung relativ offen und informell zu gestalten für gute Work-Life-Balance sorgen, eine Umgebung zu schaffen, in der Beziehungen aufgebaut werden können.

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Führungspersonen der Generation X führen zielgerichtet und setzen auf Fairness und Kompetenz. Sie können mit neuen Technologien umgehen und setzen diese im Führungsalltag ein, gelten als multikulturell geprägt und wirken eher pragmatisch. zz Millenials oder Generation Y

Millenials brauchen Führungskräfte, die „people experts“ sind. Führung bedeutet zu motivieren, entwicklungsorientiert zu fördern und als Vorbild in der Führungsfunktion aufzutreten. In der Führung wird empfohlen, persönliche Freiheiten und Unabhängigkeiten zuzulassen, Hierarchien und Reporting-Strukturen flach und schlank zu halten, Neugierde zu fördern, offen und häufig zu kommunizieren und damit Orientierung zu schaffen und gute Beziehungen aufzubauen.

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Bislang gibt es wenig Erfahrung mit Millenials als Führungspersonen. Als eher typisch gilt aber, dass sie sofort Feedback geben, auf Zwei-Weg-Kommunikation bzw. reziproke Beziehungen setzen und einen integrierenden Management-Stil pflegen. zz Generation Z

Die Führungsspezifika der Generation Z lassen sich aktuell noch nicht konkretisieren. Sie stehen aktuell an der Schwelle zum Berufseinstieg, aufbauend auf die Erfahrungen mit den Millenials braucht es Erfahrungen in der Führung der Generation Z und allfällige generationsspezifische Modifikationen des Führungsstils. Neben unterschiedlichen Präferenzen entstehen auch intergenerationelle Effekte, zum Beispiel dann, wenn die Führungsperson einer anderen Generation angehört als die geführte Person („Alt führt jung – jung führt alt“; Mücke 2008). Für junge Führungspersonen ist es eine besondere Herausforderung, älteren Mitarbeitenden vorgesetzt zu werden. Die Altersinteraktion in der Führung und auch die Zusammensetzung eines Teams mit Angehörigen verschiedener Generationen ist spannungsreich; sie bietet einerseits mehr Perspektiven, aber auch mehr Konfliktpotenzial. Generationen zusammenführen bedeutet deshalb, auf die Spezifika von Generationen zu achten und gleichzeitig die Interaktion, Zusammenarbeit und Kommunikation über die Generationen hinweg zu fördern und zu unterstützen. Hilfsmittel für eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter

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Hilfsmittel für die generationenübergreifende Führung Die generationsspezifischen Besonderheiten im gegenseitigen Austausch erfahren und daraus gemeinsam Optionen der Zusammenarbeit entwickeln. Für junge Führungspersonen gezielt Gelegenheiten zum fallbezogenen Austausch mit älteren Mitarbeitenden aus andern Abteilungen schaffen. Die hohe Sozialkompetenz älterer Mitarbeitenden für den Teamzusammenhalt einsetzen. Regelmäßige Standortbestimmungsgespräche zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden jeden Alters führen. Generationenübergreifende Tandems für den gegenseitigen Knowhow-Transfer bilden.

19.3  •  Frauen, Männer und Führung

19.3

Frauen, Männer und Führung

» We don’t see things as they are; we see them as we are. (Anaïs Nin, amerikanische Autorin)

Frauen streben nach Führungspositionen und Männer möchten mehr Zeit mit ihren Familien verbringen. Gleichzeitig verläuft die Sozialisation von Mädchen und Jungen nach wie vor unterschiedlich. Am Arbeitsplatz und in Bezug auf außerberufliche Pflichten bestehen trotz gesetzlicher Gleichstellung erhebliche soziale Unterschiede (Stellung, Branche, Lohn, Zuständigkeit für Haushalt und Kinderbetreuung usw.). Inwiefern diese Unterschiede geschlechtsspezifisch unterschiedliche, „natürliche“ Präferenzen darstellen, und inwiefern ein Produkt der unterschiedlichen Sozialisationsbedingungen sind, und inwiefern diese Unterschiede wiederum eher bestehende Stereotypen reproduzieren als ein individuelles Verhalten erklären, ist weiterhin umstritten. Die Voraussetzungen für eine Führungslaufbahn unterscheiden sich je nach Geschlecht erheblich voneinander: Im Durchschnitt werden Frauen auch heute noch eher zu Fürsorge und Liebenswürdigkeit, Männer eher zu Durchsetzung und Zielorientierung erzogen. Die traditionellen Rollenerwartungen an Führungspersonen und an Männer waren bis dahin weitgehend deckungsgleich, unterschieden sich hingegen von den traditionellen Rollenerwartungen an Frauen (Schein 2001). Demzufolge treten Frauen in Führungspositionen in eine „fremde Welt“ ein, in der sie ihre Position durch Leistung permanent legitimieren müssen. Gleichzeitig haben sie den Nachweis zu erbringen, dass sie ihren familiären Pflichten hinreichend nachkommen und ihre Kinder gut betreut werden. Zwar müssen auch Männer ihre Position durch Leistung legitimieren, doch steht diese aufgrund der „Normalität“ von Männern in Führungspositionen nicht grundsätzlich auf dem Prüfstand. Inwiefern sich dieser Zusammenhang mit der wachsenden Bedeutung der Sozialkompetenz in der Führung verändert, ob dies zu einer geringeren Vertretung von Männern in Führungspositionen führt und inwiefern diese Entwicklung mit einem Bedeutungsverlust von Führungspositionen einhergeht, wird eine interessante Frage bleiben. Oftmals wird die Art zu führen zwischen Männern und Frauen unterschieden. Das Konzept der „weiblichen Führung“ ist inzwischen intensiv untersucht und vielseitig diskutiert worden (Eagly und Carli 2003). Frauen mit Karriereambitionen sehen sich häufig in der Ausübung ihrer Führungsrolle mit ambivalenten Erwartungen konfrontiert. Dies zeigt sich daran, dass männliches und weibliches Führungsverhalten oft unterschiedlich interpretiert wird (Eagly und Karau 2002): Er „kann sich durchsetzen“, sie „hängt die Chefin heraus“ (Blumenfeld 2014).

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Frauen in Führungspositionen sehen sich deshalb mit der Herausforderung konfrontiert, das selbstbewusste Durchgreifen als Chefin mit einer „weiblicheren“ Seite der Führung in Einklang zu bringen, d. h. die weiblichen und männlichen Anteile in ihrem Führungsverständnis auszuhandeln. Aufgrund der genannten Widersprüchlichkeiten sind Frauen mit der Passung zwischen eigenen Wünschen und den Gegebenheiten am Arbeitsplatz seltener zufrieden als Männer (Edding und Clausen 2014). Anderseits haben sie aus denselben Gründen mehr Wahlfreiheiten, aus einer unbefriedigenden Arbeitssituation auszusteigen und sich beispielsweise familiären Aufgaben zu widmen (Streuli 2007). Männer wiederum müssen sich stärker erklären, wenn sie ihre Arbeit aus familiären Gründen reduzieren oder aufgeben möchten – nicht nur deshalb, weil sich Männer im Durchschnitt aufstiegsorientierter verhalten als Frauen, sondern auch, weil die Umwelt bei ihnen eine karriereorientierte Einstellung erwartet. Somit zeigt sich für beide Geschlechter die Arbeitssituation als Janusgesicht, wenngleich mit entgegengesetzten Vorzeichen und Konsequenzen für die Beteiligten (Eberhardt und Streuli 2016). Die Geschlechterrollen sind im Wandel begriffen. Unter den Bedingungen der Individualisierung sind Menschen in ihrem Lebensentwurf und damit auch in Berufswahl und -laufbahn weniger als früher an ihre Geschlechtszugehörigkeit gebunden. Andererseits ist das Geschlecht eine wesentliche Kategorie der sozialen Ordnung, welche dem Individuum auch Orientierung und Halt gibt. Die Entwicklung der Geschlechterrollen wird somit stets durch diese widersprüchlichen Tendenzen gekennzeichnet sein. 19.3.1

Konsequenzen für die Führung

Um als Arbeitgeber bzw. als Führungsperson für eine möglichst große Vielfalt von Mitarbeitenden attraktiv zu sein, gilt es einerseits, weiblichen Nachwuchskräften den Weg in Führungspositionen zu öffnen, und anderseits, Männern vermehrt eine Teilzeitarbeit oder eine längere familienbedingte Auszeit zu ermöglichen. Diese Optionen sind im Interesse des Unternehmens und der Beteiligten auszuhandeln. Flexible Beschäftigungsangebote, Home-Office oder Möglichkeiten eines Sabbaticals, aber auch stärker unternehmenskulturelle Maßnahmen wie Arbeitstandems, Mentorate, Job-Rotation oder ein geplanter Perspektivenwechsel durch die Mitarbeit in einer anderen Organisationseinheit sind Wege, die Erfahrungen ermöglichen und das gegenseitige Verständnis fördern.

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zz Seeing is believing

Neue Arbeitsformen etablieren sich nicht, indem sie als wertvoll postuliert werden, sondern durch Vorbilder, durch praktische Er-

19.3  •  Frauen, Männer und Führung

fahrungen, Lernschlaufen und eine allmähliche Ausweitung der Möglichkeiten. Damit beispielsweise Frauen auf jeder Managementstufe als Normalität und nicht als Ausnahmefall (sogenannte „tokens“) wahrgenommen werden, bedarf es einer „kritischen Masse“ (Kanter 1977). Dies gilt für sämtliche Gruppen, welche bis anhin in der Minderheit waren, wie beispielsweise Männer in Teilzeitarbeit, geschlechtsuntypische Berufsausübungen oder Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Solange sie zahlenmäßig Ausnahmeerscheinungen sind, werden sie als Störfaktoren wahrgenommen und stehen unter Beobachtung und Legitimitätsdruck. Je mehr Polizistinnen, Dentalhygieniker, Kundenberater im Rollstuhl, Verwaltungsratspräsidentinnen und Kleinkindererzieher es gibt, desto normaler sind diese Tätigkeiten für die nachfolgenden Generationen (van Quaquebeke und Schmerling 2010). zz Geschlechtsuntypische Verhaltensweisen sichtbar machen

Organisationen können diese Prozesse unterstützen, indem sie geschlechtsuntypische Verhaltensweisen sichtbar machen. Konkret können Unternehmen beispielsweise an öffentlichen Veranstaltungen ebenso viele Expertinnen wie Experten einladen, in Unternehmensfilmen teilzeitarbeitende Männer porträtieren, Menschen auch in geschlechtsuntypischer Berufsausübung sowie auch ältere Menschen oder Mitarbeitende mit körperlichen Beeinträchtigungen in Unternehmensbroschüren in selbstverständlichen Arbeitszusammenhängen abbilden oder die Frauen des oberen Managements in Porträtbildern zeigen (Bohnet 2016; Dasgupta und Asgari 2004). Über die Bilder von sozialer Vielfalt, die dementsprechend in der Kultur und der Struktur des Unternehmens und der Haltung der Geschäftsleitung zu verankern ist, wird die soziale Vielfalt zunehmend als „normal“ wahrgenommen (Stoker et al. 2012). zz Mentale Modelle organisatorisch verankern

Auf der Basis des individuellen und mit andern geteilten Lernens wird organisationales „double loop“-Lernen ermöglicht, das heißt ein Lernen, welches nicht nur die Prozesse und Routinen, sondern auch die dahinterstehenden mentalen Modelle immer wieder neu in Frage stellt und verändert (Folini 2007). Indem die Organisation die dadurch angestoßenen Prozesse in Leitbild und Instrumenten strukturell und kulturell verankert, richtet sie sich auf die zunehmend heterogenen Anliegen der Individuen und auf die Anforderungen in der Zusammenarbeit von sozial unterschiedlichen Menschen aus. Mit dieser Strategie gelingt es Firmen, ihre Positionierung als moderne Arbeitgebende zu stärken und mit der Förderung von Diversität einen konkreten und messbaren ökonomischen Mehrwert zu schaffen.

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Hilfsmittel für eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter

Hilfsmittel für eine ausgewogene Vertretung beider Geschlechter

19.4

Vorhandene Geschlechterungleichheiten auf den einzelnen Positionen identifizieren. Mit den Mitarbeitenden über Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer Life-Balance sprechen. Ein besonderes Augenmerk auf untypische Präferenzen legen, wie beispielsweise Teilzeit für Männer und die betrieblichen Möglichkeiten ausloten. Bei einer Untervertretung von Frauen in Führungspositionen mit interessierten Mitarbeiterinnen gezielt Angebote und Möglichkeiten besprechen. Mit geschlechtsuntypischen Vorbildern die Akzeptanz für unterschiedliche Arrangements erhöhen.

Führung und Kultur

» Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß nicht, wohin er geht, weiß daher nicht, wo er steht. (Otto von Habsburg)

Definition 

Definition: Kultur

Kultur ist ein für die Angehörigen einer Nation, sprach- respektive Kultureinheit gültiges und sinnstiftendes Orientierungssystem (Thomas et al. 2005). 

Interkultureller Kontakt ist für die meisten Organisationen heute eine Selbstverständlichkeit. Umso wichtiger wird die Frage, wie eine Leitungsperson hilfreich auf kulturelle Unterschiede reagieren und diese integrieren kann. Eine Auseinandersetzung mit anderen Erwartungshaltungen und Kommunikationsstrukturen bietet dabei nicht nur ein erweitertes Handlungsrepertoire für Führungskräfte in der Interaktion mit einer fremden Kultur, sie sensibilisiert auch für Unterschiede innerhalb der eigenen Kultur. 19.4.1

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Kulturelle Muster und Kulturdimensionen

Kultur ist das Ergebnis vielfältiger historischer, geographischer, klimatischer, politischer, religiöser und wirtschaftlicher Bedingungen. Über Generationen tradierte Überlebensstrategien und Problemlösemuster schlagen sich in den sich daraus entwickelten Orientie-

19.4  •  Führung und Kultur

rungssystemen nieder. Diese kulturellen Orientierungssysteme sind ein maßgeblicher Faktor dafür, welches Verhalten als zielführend und sozial angemessen gewertet und durch individuelle Sozialisierungsprozesse weitergegeben wird. Kultur bietet einen Rahmen, der die Interaktion von Menschen in einer Gesellschaft normiert und eine Basis für Nachvollziehbarkeit und Vertrauen schafft. Basis der Verhaltensweisen sind die Werte einer Gesellschaft, die unter der Oberfläche der direkten Aktion liegen (Thomas et al. 2005). zz Kulturdimensionen leiten unser Verhalten

In der Entwicklung angemessener Verhaltensstrategien orientieren sich Menschen an Mustern, die ihnen helfen, eine hilfreiche Interaktion auch auf andere, ähnlich gelagerte Situationen zu übertragen. Handelt das Gegenüber ebenfalls rein nach seiner Lebens- und Arbeitsweise, kann es zu einer Störung der Interaktion kommen. Dies macht sich auch in Führungssituationen bemerkbar. Dazu zählen auch kulturelle Muster, sogenannte Kulturdimensionen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. Muster helfen uns, unsere Wahrnehmungen zu strukturieren, Komplexität zu reduzieren und damit handlungsfähig zu bleiben. Der Versuch, wahrgenommenes Verhalten einzuordnen und die damit verbundene Stereotypisierung birgt immer auch die Gefahr, zu sehr zu verallgemeinern oder über Verhalten anderer zu urteilen. Diese Gratwanderung muss auch bei der Auseinandersetzung mit Kulturdimensionen berücksichtigt werden. Die Ausführungen stehen daher als Bezugs- und Orientierungsrahmen zur Verfügung, beinhalten aber keinesfalls den Anspruch, statisch objektive Abbildungen kultureller Identität zu vermitteln. Grundlegende Beiträge zur Identifikation von Kulturdimensionen stammen von Hofstede (2001), Hofstede und Minkov (2010) sowie darauf aufbauend Hall und Hall (1990), und Trompenaars und Hampden-Turner (2011). Für eine erste Einschätzung der erlebten Fremdkultur sind insbesondere folgende Dimensionen zentral (Doser 2015). zz Individualismus vs. Kollektivismus: Relevanz des sozialen Beziehungsgefüges

Im Kollektivismus verstehen sich Menschen als Mitglieder von sozialen Gruppen wie Familien oder Organisationen, mit denen sie ihre persönlichen Ziele in Einklang bringen. Vertreterinnen und Vertreter im Individualismus nehmen sich primär als autonome Individuen wahr, die eigene Interessen unabhängig von denen einer Gruppe verfolgen. In der Führung zeigt sich dies in der Ausrichtung auf Individuen und die individuelle Leistungserbringung in individualistisch geprägten Kulturen wie z. B. Westeuropa und den USA gegenüber der Ausrichtung auf die Gruppe und das Sozialgefüge in kollektivistisch geprägten Kulturen wie z. B. in vielen asiatischen Ländern.

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

zz Universalismus vs. Partikularismus: Geltungsmacht von Regeln

Im universellen Ansatz wird davon ausgegangen, dass es allgemeingültige Regeln für das menschliche Zusammenleben gibt, die zu allen Zeiten Geltung haben. Partikularistische Kulturen dagegen orientieren sich an spezifischen Umständen und stehen dem strikten Befolgen von Regeln eher ablehnend gegenüber. In Kulturen mit ersterer Prägung basiert z. B. der Führungsanspruch häufig auf der formalen Position und Hierarchie in der Unternehmung, so in Westeuropa, wobei er in partikularistischen Kulturen wie einigen arabischen Ländern oder Mittel- und Südamerika tendenziell auf Herkunft, sozialen Beziehungen und Möglichkeiten der Machtausübung basiert. zz Gleichheitsorientierung vs. Statusorientierung: Bedeutung hierarchischer Strukturen

In Kulturen mit hoher Statusorientierung werden auch große Machtgefälle in Politik und Institutionen als unproblematisch erlebt oder sogar erwartet. Führung wird eher direktiv umgesetzt und Status wird angestrebt, so z. B. in Österreich, Deutschland oder Frankreich. In Kulturen mit hoher Gleichheitsorientierung gibt es flachere hierarchische Strukturen. Führung wird eher partizipativ umgesetzt und soziale Gleichheit wird angestrebt, z. B. in Skandinavien. zz Monochroner vs. polychroner Umgang mit Zeit: Ausrichtung auf Zeiträume

Hier wird unterschieden zwischen einer monochronen, d. h. linearen Zeitauffassung, bei der Handlungen präferiert sequenziell ausgeübt werden, und einer polychronen Zeitauffassung, die verschiedene, überlappende Handlungsebenen zulässt. Führungsverantwortliche achten damit entweder auf eine langfristig geplante, sequenzielle Umsetzung von Aufgaben wie in westlich geprägten Ländern, oder berücksichtigen mehrere Aufgaben zur gleichen Zeit, wobei Beziehungen wichtiger sind als die Einhaltung von Terminen, wie in vielen asiatischen oder Ländern der lateinischen Union. zz Flexibilitätsorientierung vs. Sicherheitsorientierung: Unsicherheits- und Ambiguitätstoleranz

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Kulturen mit starker Sicherheitsorientierung regulieren das Zusammenleben mit einer hohen Verbindlichkeit und sanktionieren eine Verletzung entsprechend, wohingegen Kulturen mit starker Flexibilitätsorientierung unklare oder chaotische Verhältnisse präferieren und flexible Systeme ausbilden. In flexibleren Kulturen wie einigen skandinavischen Ländern oder der USA werden wird auch in der Führung Eigeninitiative und Risikobereitschaft geschätzt, während z. B. im deutschsprachigen Raum, Japan oder Russland auch in der Führung eine hohe Regelungsdichte mit klaren Sanktionsmaßnahmen vorgezogen werden.

19.4  •  Führung und Kultur

zz Direkter vs. indirekter Kommunikationsstil: Art der Bedeutungsübermittlung

Eine Kultur ist dann von einer „low context“ oder direkten Kommunikation geprägt, wenn versucht wird, alle notwendigen Elemente einer Botschaft sprachlich explizit auszudrücken. In einer Kultur mit „high context“ oder indirekter Kommunikation werden elementare Botschaften auch implizit, non-verbal und als Teil der Gesprächssituation vermittelt. Führungsverantwortliche kommunizieren entsprechend mit klaren, direkten Botschaften wie z. B. in den deutschsprachigen Ländern oder den USA, oder sie vermitteln Inhalte über nonverbales Verhalten und die Gestaltung der Umgebung wie z. B. in vielen Ländern der im lateinischen Raum oder asiatischen Ländern. 19.4.2 Führungskompetenzen

in interkulturellen Kontexten

zz Unsere kulturspezifische Wahrnehmung und Interpretation kann Missverständnisse erzeugen

Die Sozialisierung im eigenen Kulturkreis erlaubt es Menschen im Allgemeinen, sich effizient und zielorientiert in ihrem sozialen Umfeld zu bewegen. Im Alltag in der Eigengruppe wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass die anderen Gruppenmitglieder das eigene kulturelle System teilen. Handelt das Gegenüber ebenfalls rein nach seiner (andersartigen) Lebens- und Arbeitsweise, kann es zu einer Störung der Interaktion kommen. Kammhuber (2004) schildert dazu folgende konflikthafte Situation eines deutschen Projektleiters in der Telekommunikationsbranche in Mexiko, in welcher er den oben erwähnten polychromen Umgang mit der Zeit außer Acht ließ:

» Nun, ich wollte, dass sie „deutsch“ arbeiten. Sie sollten um

8.00 Uhr bereit zum Arbeitsbeginn sein. Das war aber nicht möglich. Es hat nichts, aber auch gar nichts funktioniert, um sie zur Pünktlichkeit zu bewegen. Ich habe dann irgendwann die Fassung verloren und die Mexikaner angebrüllt, dass sie länger zu arbeiten hätten, um die am Morgen verlorene Zeit wieder hereinzuholen. Als ich nach Deutschland zurückkam, habe ich allen Bekannten von den „unzuverlässigen Mexikanern“ erzählt. Heutzutage würde ich das nicht mehr behaupten. (Kammhuber 2004)

zz Welche Kompetenzen brauchen wir, um uns im interkulturellen Umfeld adäquat zu verhalten?

Die Frage, welche Kompetenzen für einen kulturadäquaten Umgang mit Personen anderer Kulturkreise notwendig sind, wird in der Forschung unterschiedlich beantwortet. Deardorff (2006)

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Haltungen und Einstellungen Respekt anderen Kulturen gegenüber, Offenheit, Neugierde

Wissen und Verständnis

Externe Wirkung

Kulturelle (Selbst-)Erkenntnisse, Verstehen fremder Weltsichten, Soziolinguissches Bewusstsein

Effekves , angemessenes und konstrukves Verhakten und Kommunikaon in interkulturellen Situaonen

Fähigkeiten

Akves Zuhören, Beobachten und Interpreeren, analysieren

Interne Wirkung

Erweiterung des Referenzrahmens durch Flexibilität, Perspekvenwechsel, Empathie, ethnorelave Weltanschauung, Anpassungsfähigkeit

..Abb. 19.3  Prozessmodell interkultureller Kompetenz. (In Anlehnung an Deardorff 2006, S. 256, mit freundlicher Genehmigung von SAGE Publications)

19

unterscheidet vier Dimensionen interkultureller Kompetenz: die Motivationsebene (Haltungen und Einstellungen), die Handlungskompetenz, die Reflexionskompetenz als interne wie auch die konstruktive Interaktion als externe Wirkung. Je öfter diese Dimensionen iterativ durchlaufen werden, desto höher wird der Grad an Interkultureller Kompetenz im Sinne einer lebenslangen Lernspirale (. Abb. 19.3). Die GLOBE-Studie zum Vergleich interkultureller Führung untersuchte bei 17.000 Führungspersonen aus 62 Ländern die Verhaltensweisen erfolgreicher Führung. Als gemeinsamer Nenner stellten sich die Führungsattribute Vertrauenswürdigkeit, Fairness und Ehrlichkeit universell als wünschenswert heraus, während ein egozentrischer oder autoritärer Führungsstil als hinderlich gewertet wurde. Nach der GLOBE-Studie werden leistungsorientierte, visionäre, integre und inspirierende Führungsqualitäten bevorzugt. Als erfolgskritisch gelten Verhaltensweisen wie Zukunftsorientierung, Leistungsorientierung, Entschlossenheit, Inspiration, administrative Kompetenz und Integrität. Andere Verhaltensweisen wie kooperatives Teamverhalten und partizipativer Führungsstil werden als weitere erstrebenswerte Verhaltensweisen genannt (House et al. 2014). Als grundlegende Kompetenzen können folgende erachtet werden:

19.4  •  Führung und Kultur

-

Die Fähigkeit, Wertvorstellungen und Verhaltensmuster der eigenen Kultur zu reflektieren. Interesse, sich vorurteilsfrei Wissen über die Geschichte, Sprache, Werte und Handlungsmuster anderer Kulturen anzueignen. Die Fähigkeit, diese Erkenntnisse in Handlungsalternativen (Kooperations- und Kommunikationsstrategien) zu überführen. Mut, diese Handlungsalternativen zu testen und auch wieder zu revidieren. Freude und Neugierde an der Interaktion mit anderen Menschen aus der eigenen oder einer fremden Kultur. Diese Kompetenzen finden sich in dem Ansatz der interkulturellen Kompetenz von Deardorff (2006) wieder.

» Interkulturelle Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, auf der

Grundlage des eigenen interkulturellen Wissens, der Fähigkeiten und Einstellungen effektiv und angemessen in interkulturellen Situationen zu kommunizieren und zu interagieren. (Deardorff 2006)

Die Aneignung interkultureller Kompetenz setzt damit eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Kulturkreis sowie die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit fremden kulturellen Orientierungssystemen voraus. Unreflektierte Erfahrungen in multikulturellen Kontexten alleine reichen nicht, um Vorurteile abzubauen und kulturangemessen handeln und kommunizieren zu können (Ammann et al. 2012). Ganz im Gegenteil können wiederholte, als konflikthaft und belastend wahrgenommene Situationen in multikulturellen Kontexten die Ausprägung von Stereotypen und Pauschalisierungen noch verschärfen. 19.4.3

Führen multikulturell zusammengesetzter Gruppen

Führungspersonen aller Branchen sehen sich zunehmend mit der Aufgabe konfrontiert, für die Bearbeitung komplexer Aufgaben hochspezialisierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt einzusetzen. Projektgruppen werden in den meisten Fällen nach fachlicher Ausrichtung der Gruppenmitglieder gebildet und nicht nach kultureller Passung (Thomas 2013). Interkulturelle Zusammenarbeit und Kooperation von Personen unterschiedlicher Herkunft wird zur Grundlage von unternehmerischem Erfolg. Die Herausforderung liegt darin, eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Sinne einer klaren Zielsetzung und Sinnhaftigkeit, verständlichen Rollendefinitionen und einer Übereinkunft über formelle Vereinbarungen und informelle Normen zur Zusammenarbeit

903

19

904

Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

mit der zusätzlichen Komplexität kultureller Heterogenität zu etablieren (Earley et al. 2004). Dabei entscheidet nicht Diversität über Erfolg oder Misserfolg eines Teams, sondern der Umgang damit. Das bedeutet eine Investition in das Team, denn für die Phase des Kennenlernens braucht ein multikulturelles Team bis zu dreimal mehr Zeit als ein homogenes. Wenn diese Synergien genutzt werden, zeichnen sich kulturell heterogene Teams durch ein überdurchschnittliches Maß an Kreativität, Flexibilität und Sensibilität und damit eine signifikant bessere Performance aus (Ammann et al. 2012). In der Führung von multikulturellen Teams wächst die Komplexität der Einflussfaktoren, die für einen erfolgreich verlaufenden Teamprozess erforderlich sind. Dabei sind es vor allem vier Faktoren, die eine Herausforderung für multikulturelle Teams darstellen (Brett et al. 2006): unterschiedliche kulturelle Kommunikationsstile, welche die Beziehungen der Teammitglieder erschweren können, sprachliche Barrieren und Akzente, die zu Missverständnissen, Schwierigkeiten der Vermittlung der eigenen Fachkompetenz und damit Frustrationen führen können, unterschiedliche Erwartungen an Hierarchie und Autorität, insbesondere in flachen Teamstrukturen, widersprüchliche Ansätze von Entscheidungsfindung, insbesondere auf der zeitlichen Ebene und dem Grad an Involvierung der Teammitglieder.

-

In der Führung ist hier eine besondere Sensibilisierung notwendig, um schnell entstehende Differenzen und Konflikte aufdecken, ansprechen und lösen zu können. Dabei helfen die Schritte aus . Abb. 19.4 bei der Steuerung der Teamprozesse (Thomas 2013). Ein wichtiger Einflussfaktor, der hier nicht vertieft wird, ist die Herausforderung, dass multikulturelle Teams in globalen Kontexten häufig auch virtuell von verschiedenen Standorten und Ländern aus arbeiten. Die Verteilung von Individuen und Teams rund um den Globus bringt mit der Problematik der Zeitdifferenz auch eine Komplexität in der Kommunikation mit sich. Diesem Faktor muss die Führung zusätzlich in der Gestaltung der Kommunikation und Kooperation Rechnung tragen (Moran et al. 2014). Arbeit mit multikulturellen Teams

19

-

Hilfsmittel für die Arbeit mit multikulturellen Teams Bewusst Zeit für die Konstituierung eines multikulturellen Teams einplanen. Enge Begleitung der Mitarbeitenden, um möglichen Missverständnissen zeitnah zu begegnen. Werte und Normen (und Wertedifferenzen) offen thematisieren und Teamwerte definieren.

905

19.5  •  Folgerungen für die Unternehmen

Konkrete Arbeitsziele, Erwartungen und Spezifikaonen über die zu produzierenden Ergebnisse und Produkte klären

Abschließenden Bilanz der Kooperaon, speziell im Hinblick auf integrave und innovave Arbeitsformen

Teamaurag und Ziel erklären

Ergebnisse sichern und Erfahrungen auswerten





Teamarbeit gemeinsam starten



• Zwischenbilanz ziehen und die Zusammenarbeit opmieren • • •

‚Was‘ der Arbeitsinhalte austauschen ‚Wie‘, die Prozessqualität der Kommunikaon und Kooperaon reflekeren vorhandene Stärken und Schwächen zusammengetragen

Informaonsaustausch Absmmung von Terminen und Übergabepunkten Reflexion des Arbeitsklimas und der wahrgenommenen Arbeitsslunterschiede

..Abb. 19.4  Multikulturelle Teamprozesse steuern. (Aus Thomas 2013, S. 232 ff.)

19.5

Ein gemeinsames Bild der Ausgangslage und der Zielvorstellungen entwickeln die Arbeitsschrie und Aufgabenverteilung im einzelnen planen eine speziell auf das gemeinsame Vorhaben abgesmmte Informaons- und Einstellungsstruktur zu definieren Persönliches Kennenlernen

Für Informaonsfluss und Koordinaon sorgen • • •

Teamprozesse und den Teamzusammenhalt gemeinsam evaluieren und reflektieren. Die eigenen Beurteilungsmuster aus der Leitungsfunktion hinterfragen und aufarbeiten. Kulturelle Stärken wie beispielsweise die Sensibilität für nonverbale oder implizite Botschaften nutzen. Bei einfachen Aufgaben kulturelle Komplexität reduzieren, z. B. durch Aufteilung der Aufgaben in homogenere Untergruppen.

Folgerungen für die Unternehmen

Diversität in allen Dimensionen ist eine Unternehmensrealität, deren Potenzial zunehmend nutzbar gemacht werden soll, will sich ein Unternehmen im Wettbewerb behaupten. Diversität ist kein Selbstzweck, sondern ein strategischer und Erfolgsfaktor für das Unternehmen. Um sich unter einer Diversity-Perspektive als attraktiver Arbeitgeber und als wettbewerbsfähiger Player zu positionieren, ist entscheidend,

19

906

Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

-

eine möglichst große Auswahl an qualifizierten Arbeitskräften anzusprechen und die besten zu gewinnen, diesen Arbeitskräften Arbeitsmodelle, Entwicklungsmöglichkeiten und Sinnhaftigkeit zu bieten, damit sie im Unternehmen bleiben, dass die Arbeitnehmenden ihre unterschiedlichen Meinungen einbringen und gleichzeitig möglichst gut zusammenarbeiten, verschiedene Kundengruppen möglichst adäquat zu adressieren.

Als zentral haben sich folgende Aspekte erwiesen (McKinsey & Company 2012; Müller und Sander 2009): Erfolgsfaktoren für eine gelebte Führung von Vielfalt

19

Commitment der Führung Das Commitment der obersten Führungsebene und TopDown der weiteren Führungspersonen ist zentral. Damit Diversität einen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann, muss das Top-Management aus Überzeugung – und nicht aus einer diffusen politischen Korrektheit – voll dahinterstehen. Verankerung Diversität dient der Zielerreichung im Unternehmen und ist kein Selbstzweck. Die Bedeutung dieses strategischen Erfolgsfaktors für das Unternehmen ist bezogen auf die Zielsetzung, auf die Werte, auf die Kundensegmente und auf die Mitarbeiterpflege zu untersuchen. Erst dann können die geeigneten Maßnahmen abgeleitet werden. Verbindlichkeit Begründet in den Unternehmenszielen ist der Umgang mit Diversität auf allen Management-Stufen relevant. Anreize (z. B. Festhalten der relevanten Kennzahlen wie quantitative Größen, aber auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden in Bezug auf die Zusammenarbeit) steigern die Verbindlichkeit und verdeutlichen die Bedeutung von Diversität für das Unternehmen. Einbezug der Mitarbeitenden Damit eine Idee gelebt wird, braucht sie Menschen, die von ihr überzeugt sind und die bereits in der Entwicklung der Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt im Unternehmen mitarbeiten konnten. Eine frühzeitige Einbeziehung der Mitarbeitenden kann auch Widerstände sichtbar machen und diese können wiederum in die Weiterentwicklung von Projekten oder Programmen einbezogen werden. Vor allem im Alltag der Führung und Zusammenarbeit ist es wichtig, dass Vielfalt gelebt wird

19.5  •  Folgerungen für die Unternehmen

907

19

und die Mitarbeitenden zu einem Perspektivenwechsel und der Zusammenarbeit mit vielfältigen anderen Kolleginnen und Kollegen eingeladen und aufgefordert werden. Zu beachten sind dabei die unterschiedlichen Prägungen und Verhaltensdispositionen der Mitarbeitenden. In der Kommunikation gilt es, die unterschiedlichen Kulturdimensionen zu beachten. Unterstützung der Linienvorgesetzten Vielfalt bedeutet Unterschiedlichkeit, Missverständnisse und damit auch Konfliktpotenzial. Linienvorgesetzte brauchen die Chance, ihre Positionen zu reflektieren und sich mit dem „eigenen“ und „fremden“ auseinanderzusetzen. Wenn das Verhalten von Mitarbeitenden als schwierig erlebt wird oder Konflikte zwischen Mitarbeitenden entstehen gilt es herauszufinden, welche Anteile darin auch die Vielfalt an Wahrnehmungen und sozialen Erfahrungen als Mann oder Frau, in einer bestimmten Lebensphase oder mit einem bestimmten kulturellen Background hat. Konflikte bedeuten Reibung und sind zunächst durchaus produktiv, doch nimmt die Produktivität bei zu vielen Konflikten wieder ab. Um hier eine ausgewogene Balance zu finden, braucht das Management Unterstützung in der Moderation und Bearbeitung von Konflikten. Die Implementierung und Umsetzung einer Strategie der sozialen Vielfalt betrifft alle Mitarbeitenden, nicht nur einzelne Gruppen. Sie wird erst dann von einer breiten Basis getragen, wenn Mitarbeitende auf allen Hierarchiestufen und Funktionen auch für sich selbst einen Nutzen daraus ziehen können. Die Zukunft der Führung bedeutet mehr denn je, Vielfalt zu führen. Vielfalt führen bedeutet, Menschen auf vielfältige Art und Weise miteinander zu verbinden, um den gemeinsamen Denk- und Handlungsspielraum zu erweitern.

Zusammenfassung Mit der zunehmenden Mobilität und Vielfalt von Arbeits- und Lebensformen wächst auch die Vielfalt von Menschen, die mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen und kulturellen Wissensbeständen aufeinandertreffen und zusammenarbeiten. Damit diese Zusammenarbeit gelingen kann, steht besonders die Führung vor der Aufgabe, die Unterschiedlichkeiten zu verstehen und als Ressourcen zu nutzen, aber auch die daraus entstehenden Konfliktpotenziale wahrzunehmen. Unterschiedliche Perspektiven erweitern den kollektiven Denk- und Handlungsraum. Die Rolle der Führung ist es, diesen Raum im Hinblick auf die Ziele der Organisation gemeinsam mit den Mitarbeitenden zu nutzen und sinnhaft zu gestalten

Zusammenfassung

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Kapitel 19  •  Diversität – Führung von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund

Literatur

19

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909

19

911

Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung Imke Knafla, Marcel Schär Gmelch 20.1

Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen?  –  912

20.1.1 20.1.2 20.1.3

Psychische Störung als Abweichung von der Norm  –  913 Psychische Störung als innere Spannung  –  913 Erstes Fazit: Psychische Gesundheit als labiles Gleichgewicht  –  918

20.2

Wie erkennt man Verhaltensauffälligkeiten?  –  918

20.2.1 20.2.2

Das Problem der (Nicht‑)Sichtbarkeit  –  918 Probleme frühzeitig erkennen: Symptome, Warnzeichen und Verhaltensänderungen – 919 Zweites Fazit: Private Probleme und Arbeitsleistungen sind nicht trennbar  –  923

20.2.3

20.3

Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden? – 923

20.3.1 20.3.2 20.3.3

Das Gespräch vorbereiten und leiten  –  923 Wie geht es nach dem ersten Gespräch weiter?  –  931 Drittes Fazit: Führung so gestalten, dass Mitarbeitende bei Problemen auf den Vorgesetzten zukommen  –  933

Literatur – 934

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_20

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912

Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

Auf einen Blick

Auf einen Blick Psychische Sörungen gehören zu den häufigsten Krankheiten. Schätzungen zufolge leiden pro Jahr 20–30 % der Bevölkerung an einer psychischen Störung (Bundesamt für Statistik 2012; Jacobi et al. 2004). Neben den großen Einschränkungen und Belastungen für das Individuum verursachen sie hohe volks‑ wirtschaftliche und betriebliche Kosten. Beispielsweise gehen rund zwölf Prozent der Fehltage bei den aktiv Berufstätigen auf Erkrankungen der Psyche zurück (BKK Gesundheitsreport 2011). Zudem sind psychische Störungen eine der wesentlichs‑ ten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung.

Als Führungsperson wird man somit über kurz oder lang mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen von Mitarbeitenden konfrontiert. Dabei ergeben sich oftmals sehr herausfordernde Situationen: Auf der einen Seite soll man versuchen, der betroffenen Person, ihren Eigenheiten und Schwierigkeiten gerecht zu werden. Auf der anderen Seite muss man aber auch die notwendige Arbeitsleistung (Quantität und Qualität) einfordern, für die die Person angestellt und bezahlt wird. Natürlich kann es für diese komplexe Problematik keine einfache Lösung geben. Im folgenden Kapitel versuchen wir, in einem ersten Teil der Frage nachzugehen, was Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen überhaupt sind (7 Abschn. 20.1). Dies soll uns helfen, Verhaltensauffälligkeiten besser zu verstehen, aber auch diese besser als solche zu erkennen (7 Abschn. 20.1.1). Schließlich geht es auch darum, was man konkret als Führungskraft tun kann. Dabei zeigt sich, dass das direkte Ansprechen ganz zentral ist, da man damit einen Beitrag dazu leistet, dass die betroffene Person möglichst zeitnah ihre Probleme lösen resp. angehen kann (7 Abschn. 20.1.2). 20.1

20

Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen?

Die erste und grundlegendste Frage ist, was eigentlich Verhaltensauffälligkeiten und psychische Störungen sind. Auch wenn die Frage sehr einfach klingt, ist deren Beantwortung nicht ganz trivial, da der Übergang zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit kontinuierlich ist. Es ist nicht schwarz oder weiß, sondern es gibt unzählige Grauabstufungen dazwischen. Auffälliges, exzentrisches Verhalten ist noch lange kein Zeichen für eine psychische Störung, sondern kann auch einfach eine starke Ausprägung einer Individualität sein. Jedoch alle psychischen Störungen zeigen sich in mehr oder weniger offensichtlichen Verhaltensauffälligkeiten.

20.1  •  Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen?

913

20

Grundsätzlich können in Bezug auf die psychischen Störungen zwei unterschiedliche Sichtweisen beschrieben werden: 20.1.1

Psychische Störung als Abweichung von der Norm

Von einer psychischen Störung sprechen wir dann, wenn die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und das Verhalten von der Norm (sprich vom Durchschnitt) abweichen und bei den Betroffenen (und/oder bei ihrem Umfeld) Leiden verursachen. Natürlich gibt es unzählige verschiedene Formen und Ausprägungen solcher Abweichungen. In der klinischen Psychologie und Psychiatrie wird nun versucht, die verschiedensten Formen dieser Abweichungen zu klassifizieren. In diesen Klassifikationssystemen (z. B. DSM-IV, ICD-10) werden verschiedene Symptome (z. B. Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen, Appetitlosigkeit) zu Krankheitsgruppen zusammengefasst und benannt (z. B. Depression). Der Vorteil von diesen Klassifikationsverfahren ist es, dass sie die Kommunikation unter den Fachleuten vereinfacht. Dabei kann eine Person entweder die Kriterien für eine psychische Störung erfüllen und erhält die entsprechende Diagnose oder nicht. Diese Sichtweise ist unter anderem für Geldgeber relevant (z. B. Krankenkassen, Taggeldversicherungen). Die Nachteile dagegen sind, dass der oben beschriebenen Kontinuität zwischen gesund und krank nicht Rechnung getragen wird und dass diese Krankheitsgruppen nichts darüber aussagen, wie und warum es zu diesen Störungen gekommen ist. Sie beschreiben lediglich die Symptome. 20.1.2

Klassifikationssysteme

Psychische Störung als innere Spannung

Zur Beantwortung der Frage, wie und warum es zu psychischen Störungen kommt, gibt es verschiedene Theorien. Manche beziehen sich auf einzelne Störungsbilder (Angststörung, Depression, …), andere sind umfassender und unspezifischer. Nachfolgend möchten wir ein solches umfassenderes Modell kurz beschreiben. Für eine ausführlichere Darstellung dieses Modells siehe weiterführende Literatur (Schär und Steinebach 2015; Grawe 2004). Die Grundidee dieses Modells ist folgende: Menschen sind bestrebt, zentrale psychische Grundbedürfnisse zu erfüllen. Grundbedürfnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht anderweitig kompensiert oder ersetzt werden können. Zu den wichtigsten vier Grundbedürfnissen zählen Zugehörigkeit, Kontrolle, Selbstwert sowie Autonomie. Im Laufe des Lebens entwickeln wir verschie-

Grundbedürfnisse

914

Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

denste Ideen und Strategien, wie wir diese Grundbedürfnisse erfüllen können. Je mehr unterschiedliche Strategien jemand besitzt, desto besser: Wenn nämlich eine Strategie mal nicht funktionieren sollte, kann die Person noch auf andere zurückgreifen. Eine der großen Herausforderungen ist es nun, alle diese Bedürfnisse ausgewogen zu erfüllen. Wenn beispielsweise zu viel Energie darauf verwendet wird, sich wertvoll und wichtig zu fühlen (Selbstwert), kann dies auf die Kosten der anderen Bedürfnisse gehen. Wenn man sich die vier Grundbedürfnisse als eine auf die Spitze gedrehten Pyramide vorstellt (. Abb.  20.1), die dauernd ausbalanciert werden muss, könnte man auch sagen, die Person gerät aus dem Gleichgewicht. Je besser es uns gelingt dieses labile Gleichgewicht immer wieder herzustellen, desto zufriedener und psychisch gesünder sind wir. Je schlechter uns dies gelingt, desto mehr nimmt eine innere Spannung zu. Wenn diese Bedürfnisse lange nicht befriedigt oder sogar frustriert werden, kann diese innere Spannung zu außen sichtbaren dysfunktionalem Verhalten führen: Zum Beispiel zu aggressivem Verhalten, Alkoholmissbrauch, betrübter Stimmung, Angst, Schlaflosigkeit usw. Dysfunktional sind solche Verhaltensweisen dann, wenn sie in einem bestimmten Kontext zu Misserfolg führen und aufgrund mangelnder Alternativen trotzdem wiederholt werden. Beispielsweise wenn ein Mitarbeiter aus Angst, nicht genügend gesehen zu werden, alle seine Kollegen herumkommandiert, sodass sich die Kollegen schlussendlich von ihm abwenden und ihn gerade deswegen ignorieren. In anderen Kontexten kann das Herumkommandieren und sich ins Zentrum setzen sehr förderlich sein. So gesehen sind viele dieser Verhaltensweisen nicht per se dysfunktional, sondern sie werden es dann, wenn die Ausprägung zu stark Orienerung & Kontrolle

Autonomie & Freiheit

Selbstwert & Identät

Bindung & Inmität

20

..Abb. 20.1  Die Grundbedürfnispyramide

20.1  •  Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen?

ist resp. sie zu häufig oder in falschen Kontexten und Situationen gezeigt werden. Vor dem Hintergrund dieser Theorie der Grundbedürfnisse sind psychische Störung somit Ergebnisse von einem inneren Ungleichgewicht, respektive von den (dysfunktionalen) Versuchen, dieses Ungleichgewicht zu beseitigen und weitere Frustrationen zu vermeiden. Die Ursache von diesen inneren Ungleichgewichten können sehr vielschichtig und multifaktoriell sein: Eigene frühere negative Erfahrungen, Persönlichkeitsausprägungen, Arbeitsüberlastung, negatives Arbeitsklima (hoher Leistungsdruck, Missgunst, massive Konkurrenz, übermäßige Kontrolle, …), private Belastungen, unklare Führung, körperliche Beschwerden etc. Grundbedürfnisse und Führung Die Erfüllung der psychischen Grundbedürfnisse ist für alle Le‑ bensbereiche (Familie, Partnerschaft, Arbeit, Freizeit) zentral. Da die meisten von uns sehr viel Lebenszeit am Arbeitsplatz verbringen, die Arbeit somit einen wichtigen Stellenwert im Leben vieler einnimmt, stellt die Erfüllung der Grundbedürf‑ nisse am Arbeitsplatz einen wichtigen Faktor für Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden dar. Im Sinne einer mit‑ arbeiterorientierten Führung sollten diese Aspekte unbedingt beachtet werden (Reuter 2014; Peters und Ghadiri 2013). Die Grundidee dahinter ist, dass sich Gesundheit, Motivation und Leistungsbereitschaft bei der Arbeit grundsätzlich dann ein‑ stellen, wenn diese Grundbedürfnisse in einem Unternehmen und den Führungskräften beachtet und ermöglicht werden. Die in . Abb. 20.1 dargestellten Grundbedürfnisse sind für das psychische Gleichgewicht notwendig. Zugehörigkeit Der Mensch ist ein zutiefst soziales Wesen. Egal ob als Baby, Kind, Jugendliche und Erwachsene, wir alle brauchen Verbun‑ denheit mit anderen, um Gedeihen zu können und glücklich zu sein. Während in den frühen Lebensjahren vor allem die Eltern‑ bindung wichtig ist, werden im Erwachsenenalter häufig die partnerschaftliche Beziehung, Freunde und auch Arbeitskol‑ legen wichtige Quellen für das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und sozialer Eingebundenheit. Es geht hier einerseits darum, dass die anderen eine Bedeutung für einen selbst haben, und andererseits, dass man selbst auch eine Bedeutung und Wichtigkeit für andere hat. In der Entwicklung vom Baby zum Kind ist dies das erste und wichtigste Bedürfnis überhaupt, aus dem sich im Verlauf die anderen Bedürfnisse entwickeln. Die zentrale Stellung behält dieses Bedürfnis bis ins hohe Lebens‑ alter. Deswegen ist es in der Pyramide ganz unten dargestellt.

915

20

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

Für die Führung bedeutet dies, dass es wichtig ist, dass sich die Mitarbeitenden zugehörig zu einer Arbeitsgruppe, einem Team, resp. einer Organisation fühlen, dass sie eingebettet in soziale Strukturen sind und dort die Erfahrung machten, eine wichtige Rolle für das Gesamte zu spielen. Und dass sie soziale Unter‑ stützung für ihre Bemühungen und ihren Einsatz erhalten. Aber auch die Identifikation mit der Firma und ihren Werten, Vertrauen zu den Vorgesetzten, usw. sind für die Zugehörigkeit wichtig. So gesehen sind beispielsweise unscheinbare Dinge wie gemeinsame Pausen, Mittagessen mit den Kollegen aber auch Teamevents ganz zentrale Faktoren für ein gesundes Arbeitsklima und sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen.

20

Selbstwert Ein weiteres wichtiges Grundbedürfnis sind der Aufbau und die Festigung eines positiven Bildes von sich selbst, sprich das Finden einer positiven Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“. Im lebenslangen Prozess der Identitätsfindung spielen die sozia‑ len Beziehungen eine sehr wichtige Rolle (Lippmann 2013), da die Entwicklung einer eigenen Identität eine permanente Auseinandersetzung mit der Umwelt voraussetzt. In unserer Gesellschaft spielen der Beruf und der Erfolg im Beruf eine erhebliche Rolle für die Beantwortung der Frage, wer wir sind und wie wertvoll wir uns fühlen. Ein wesentlicher Faktor für einen positiven Selbstwert ist das Lob und die An‑ erkennung, die man durch die Führungskraft für seine Arbeit bekommt. „Anerkennen heißt auch, Interesse an der Arbeit einer Person zu zeigen, deren Probleme ernst zu nehmen, sie um Rat zu fragen, ihre Vorschläge anzuhören oder Bevor‑ mundung zu vermeiden. Die Übertragung verantwortungs‑ voller und der Kernrolle entsprechender Aufgaben signalisiert Wertschätzung, ebenso das Gewähren von Entscheidungs‑ spielräumen …“ (Semmer et al. 2006, S. 93). Und wie in dieser Aussage deutlich wird, hängen sämtliche Grundbedürfnisse immer wieder miteinander zusammen. Darüber hinaus zeigt sie auch, dass es zu kurz gegriffen wäre, Selbstwertförderung nur auf Anerkennung zu beschränken. Man kann durchaus auch Kritik anbringen, die nicht selbst‑ wertschädigend ist. Wichtig dabei ist, dass die Führungskraft die individuellen Fertigkeiten der Person sieht, wertschätzt und sie gemäß ihren Kompetenzen fördert und in der Weiter‑ entwicklung unterstützt. Gerade an den Herausforderungen, Schwierigkeiten und kritischen Rückmeldungen im Beruf kann man wachsen. Voraussetzung dafür ist, dass dieser Prozess wohlwollend begleitet wird und eine Fehlerkultur aufgebaut wird, bei der man über eigene Schwierigkeiten und Fehler offen reden kann.

20.1  •  Was sind Verhaltensauffälligkeiten, was sind psychische Störungen?

Kontrolle Ein weiteres Grundbedürfnis kann mit den Begriffen Kontrolle, aber auch Orientierung und Sicherheit umschrieben werden, wobei die damit verbundenen Konzepte, Theorien und For‑ schungszweige unzählig sind (Epstein 1990; Heckhausen und Farruggia 2003). Im Mittelpunkt steht die Beantwortung der Frage, ob die Welt (resp. das Unternehmen!) einigermaßen vorhersehbar ist und ob man da etwas bewirken und ver‑ ändern kann: Lohnt es sich, sich für etwas einzusetzen und sich zu engagieren oder ist jeder Wunsch nach Veränderung und jede Initiative sinn- und hoffnungslos? Mittlerweile weiß man, dass gerade mangelnde Kontrolle und Selbstbestim‑ mung zentrale Einflussfaktoren für ein Burnout sind (Semmer und Udris 2007). Das entgegengesetzte Gefühl von Kontrolle ist Hilflosigkeit und Ohnmacht. Wenn sich Strukturen immer wieder verändern, es keine klaren Bezugspunkte gibt, die Meinung der Mitarbeitenden nicht wertgeschätzt, sondern ignoriert werden, dann führt dies zu einem Gefühl des Aus‑ geliefertseins, der Resignation, der Hilflosigkeit und schließ‑ lich zu Wut und/oder einer inneren Kündigung. Nur wenn Mitarbeitende die Überzeugung haben, ein gewisses Maß an Kontrolle und Orientierung in einem Team, gegenüber einem Vorgesetzten und einer Organisation zu erhalten, kann das notwendige Vertrauen entstehen, damit man sich auf die Arbeit gut einlassen und hohe Leistung erbringen kann. Eine Frustration der Kontrollerfahrung führt mehr oder weniger direkt auch zu einem verminderten Selbstwertgefühl („Ich bin es nicht einmal wert, dass man auf mich hört“). Schließlich hängt Kontrolle auch eng mit Freiheit und Autonomie zusammen: Nur wenn ich entsprechende Kontrolle erlebe, habe ich auch genügend Handlungsspiel‑ räume, um wichtige Ziele zu erreichen (Flammer 1990). Autonomie Unter Autonomie kann die Erfahrung verstanden werden, dass die eigenen Gedanken und Handlungen selbst bestimmt und selbstgewollt sind. Es umfasst aber auch die Fähigkeit, Neues auszuprobieren, zu entdecken und kreativ sowie ex‑ perimentierfreudig sein zu können. Viele empirische Erkennt‑ nisse betonen die Wichtigkeit von Autonomie und Hand‑ lungsspielraum für das individuelle Wohlbefinden auf der Arbeit (Siegrist und Dragano 2008), wobei insbesondere die Kombination von niedrigem Handlungsspielraum und hohen Belastungen für die Gesundheit ungünstig ist. Handlungsspielraum haben heißt auch den Mut zu haben, neue Wege zu gehen und Fehler zu machen. Geht man davon aus, dass – ähnlich wie in der Kindheit – in der Arbeit Freiheit

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

und Autonomie nur auf der Grundlage eines „sicheren Aus‑ gangsortes“ entstehen kann, braucht es auch in der Arbeit Vertrauen und eine gute Beziehung zu den Vorgesetzten. Nur auf dieser Basis können neue Dinge ausprobiert werden und Entwicklungen initiiert werden.

20.1.3

Erstes Fazit: Psychische Gesundheit als labiles Gleichgewicht

Die psychische Gesundheit ist nichts Absolutes und Festes, sondern ein Prozess, den wir immer wieder herstellen müssen. Wir müssen immer wieder neu versuchen, unsere zentralen Bedürfnisse sinnvoll und adäquat zu erfüllen. Je nach äußeren Umständen kann dieser Prozess über kürzere oder längere Zeit gestört werden. In diesen Fällen kann eine psychologische Beratung und Therapie hilfreich sein, um den notwendigen Stabilisierungsprozess zu beschleunigen oder gar erst zu ermöglichen. Eine psychische Störung ist etwas Graduelles. Es gibt Personen, die erreichen möglicherweise die Kriterien einer Diagnose gemäß den obengenannten Klassifikationskriterien nicht, sind aber trotzdem für gewisse Einsatzbereiche zu wenig stabil. Andere dagegen erhalten eine Diagnose, sind aber unter bestimmten Bedingungen weiterhin arbeitsfähig. Das Abschätzen, wie stark jemand eingeschränkt und für was er/sie arbeitsfähig ist, ist ein komplexer Prozess und gehört in Fachhände. Dysfunktionale Verhaltensweisen sind oftmals Versuche, wichtige Bedürfnisse zu erfüllen, resp. Verletzungen von diesen Bedürfnissen zu vermeiden. Die Gründe, warum solche Strategien trotzdem wiederholt werden, obwohl sie dysfunktional sind, können verschieden sein: Entweder waren diese Strategien früher erfolgreich und die Person hat aktuell keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung, oder sie sind kurzfristig erfolgreich, haben aber langfristig negative Auswirkungen (Alkoholmissbrauch, …). Schließlich können dysfunktionale Strategien auch aus einer gewissen Unternehmens- und Führungskultur entstehen (z. B. viel Überzeit machen, risikoreiches Verhalten zeigen, …), um so beispielsweise Anerkennung im Unternehmen zu erlangen. 20.2

Wie erkennt man Verhaltensauffälligkeiten?

20.2.1

20

Stigmatisierung

Das Problem der (Nicht‑)Sichtbarkeit

Psychische Probleme und psychische Störungen zeigen sich vor allem im Denken, in der Stimmung und der Gefühlslage und sind

20.2  •  Wie erkennt man Verhaltensauffälligkeiten?

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daher weitgehend unsichtbar und -fassbar (s. oben). Diese Prozesse haben aber einen wesentlichen Einfluss auf das Verhalten und sind damit letztendlich doch von außen wahrnehmbar. Sie zeigen sich im Arbeitsverhalten, also zum Beispiel in einem Leistungsabfall, in der Interaktion mit anderen oder in veränderten (körperlichen) Reaktionen. Die Stigmatisierung sowie die Unfassbarkeit psychischer Störungen führen in der Regel zu Hemmungen, diese Auffälligkeiten bei den Mitarbeitenden anzusprechen. Dies jedoch verhindert frühzeitige Interventionen und Lösungsansätze, da sich die meisten psychischen Störungen schleichend entwickeln. 20.2.2

Probleme frühzeitig erkennen: Symptome, Warnzeichen und Verhaltensänderungen

Um Probleme und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz erkennen zu können, ist der erste wichtige Schritt, aufmerksam zu sein und hinzuschauen statt wegzusehen und abzuwarten. Da psychische Erkrankungen keine Seltenheit sind, ist es sinnvoll, auch psychische Ursachen für die Verhaltensveränderungen in Betracht zu ziehen, die uns unerklärlich erscheinen und die wir vom jeweiligen Mitarbeitenden nicht gewohnt sind. Psychische Probleme und innere Spannungen können sich am Arbeitsplatz in Form von Verhaltensveränderungen in verschiedenen Bereichen zeigen: In der Arbeitsleistung der Mitarbeitenden, im Sozialverhalten gegenüber den Kollegen/-innen und Kunden/-innen oder den Vorgesetzten, in der Stimmungslage, im Ausdruck von Gefühlen und körperlichen Beschwerden oder weiteren Verhaltensänderungen (Riechert 2015).

Erkennen von Psychischen Störungen

Leistungsschwankungen oder Leistungsminderungen  Psychische

Verlangsamung

Belastungen gehen oftmals mit einer verminderten Konzentrationsfähigkeit und einer erhöhten Vergesslichkeit einher, die ihrerseits zu vermehrten Fehlern führen können. Dies wiederum kann sich in einer vermehrten Unsicherheit zeigen, die durch häufigeres Kontrollieren zu kompensieren versucht wird. Insgesamt führt dies zu einer Verlangsamung und Verringerung der Arbeitsmenge, resp. zu einer Erhöhung der Arbeitszeit bei gleicher Arbeitsleistung, damit die Leistungsminderung kaschiert werden kann. Um den Eindruck „Alles ist in Ordnung“ zu wahren, wird als Konsequenz auch versucht, den erhöhten Zeitbedarf zu kaschieren. Beispielsweise, indem man Arbeit nach Hause nimmt oder früher als die anderen zu arbeiten beginnt. Ebenfalls können sich die Veränderungen im Leistungsverhalten in einer zunehmenden Unzuverlässigkeit bis hin zur Vermeidung bestimmter Arbeitsaufgaben zeigen.

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

..Abb. 20.2  © 2018 by Tobias Leuenberger

Rückzug

Sozialverhalten  Veränderungen im Sozialverhalten können sich

in vielfältiger Weise zeigen. Aufmerksam sollten Führungskräfte werden, wenn sich Mitarbeitende von den Kollegen zurückziehen, sei es in den Pausen oder bei sonstiger Gelegenheit. Dies kann sich auch in der Vermeidung von Kundenkontakten oder Telefonaten zeigen. Es kann auch sein, dass sich Mitarbeitenden in sich selbst zurückziehen, weniger reden und auch Blickkontakt vermehrt umgehen, sich unsicher oder ängstlich zeigen. Andererseits können sich die Veränderungen auch in zunehmender Gereiztheit zeigen, die sich in der Körpersprache sowie in der Stimmlage zeigen können bis hin zu verdeckten oder offen aggressiven Reaktionen. Auch eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber Kritik und ein verstärktes Misstrauen gegenüber dem Team und/oder dem Vorgesetzten können mögliche Symptome sein. Des Weiteren können Veränderungen im Sozialverhalten in Konflikten resultieren, in Beschwerden sowie in distanzlosem Verhalten, in dem die Grenzen den Kollegen und Kolleginnen nicht beachtet werden. Arbeitshaltung und Arbeitsverhalten  Hinweise auf Veränderun-

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gen im Arbeitsverhalten und in der Arbeitshaltung können ein wiederholtes Nichterscheinen oder verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz sein. Auch vermehrte Pausen und ein früheres Verlassen des Arbeitsplatzes gehören dazu. Am Arbeitsplatz können sich eine nachlassende Zuverlässigkeit und ein nachlassendes Durchhaltevermögen zeigen.

20.2  •  Wie erkennt man Verhaltensauffälligkeiten?

Stimmungslage, Gefühle und körperliche Veränderungen  Zwar

sind die Gefühle und Stimmungen an sich nicht sichtbar, und doch zeigen sie sich oftmals in der Körperhaltung sowie nonverbalen Ausdrücken. Aber auch in den verbalen Aussagen zeigen sich die Stimmungen und Gefühle. So können zum Beispiel Ängste vor Misserfolgen, Unsicherheit und Niedergeschlagenheit geäußert werden oder Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle. Andere Probleme gehen mit Unruhe, Nervosität und Anspannung einher oder zeigen sich in aggressivem oder zynischem Verhalten. Im Gegensatz dazu können sich aber auch unerklärliche Euphorie oder Selbstüberschätzung zeigen, die für die oder den Mitarbeitenden untypisch sind. Die Klage über Erschöpfung geht oftmals einher mit Schlafstörungen oder körperlichen Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Schmerzen anderer Art, erhöhter körperlicher Angespanntheit, Schwindel oder Appetitverlust. Schweißausbrüche und Herzrasen können mit Gefühlen der Ängstlichkeit einhergehen.

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20

Unruhe und Nervosität

Weitere Auffälligkeiten  Neben den genannten Symptomen gibt es

weitere Veränderungen im Alltagsleben, die die Führungsperson aufmerksam werden lassen sollten. Dazu gehören zum Beispiel, wenn die Kleidung oder die Körperpflege vernachlässigt wird, der oder die Mitarbeitende am Arbeitsplatz nach Alkohol riecht oder ein vermehrter Tabletten- oder Nikotinkonsum beobachtet werden kann. In selteneren Fällen kann es zu Verunsicherungen kommen, weil der oder die Mitarbeitende über hohe Geldausgaben berichtet, von merkwürdigen Geschäftsideen erzählt oder Selbstgespräche führt (. Tab. 20.1). Eine Schwierigkeit ist, dass die aufgelisteten Symptome nicht immer eindeutig zu interpretieren sind und einzelne Symptome noch kein Hinweis auf eine psychische Erkrankung sein müssen. Sie können auch Ausdruck von Unzufriedenheit, akutem Stress oder körperlichen Erkrankungen sein. Oftmals sind sie gut erklärbar und es handelt sich um Reaktionen auf vorübergehende Krisen oder ungewöhnliche Ereignisse, sei es am Arbeitsplatz oder privat. Doch spätestens wenn sich die Anzeichen häufen und Vorgesetzte deutlich ungute Gefühle haben, sollten die genannten Auffälligkeiten thematisiert werden. Da, wie oben beschrieben, psychische Störungen und Verhaltensauffälligkeiten schrittweise entstehen, ist es im Sinne eines präventiven Ansatzes wichtig, dass wahrgenommene Veränderungen möglichst früh angesprochen werden. In der Regel suchen sich die Betroffenen viel zu spät externe Hilfe, entweder weil sie versuchen ihre Probleme so lange wie möglich selbst zu lösen oder ihnen die Veränderungen nicht bewusst sind. Wenn diese ungünstigen Zustände zu lange andauern, besteht die Gefahr, dass sich die dysfunktionalen Verhaltensweisen verselbstständigen. Man gerät in einen Teufelskreis hinein, wiederholt immer stärker die dysfunktionalen Verhaltensweisen und erreicht dadurch immer negativere Konsequenzen. Am Bei-

Teufelskreis

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

..Tab. 20.1  Auflistung möglicher Symptome, Warnzeichen und Verhaltensänderungen (vgl. auch Leitfaden für Arbeitgeber und Führungskräfte 2015; Riechert 2015)

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Leistungsschwankungen oder Leistungsminderungen

– – – – – – – – –

Leistungsabfall oder -schwankungen verminderten Konzentrationsfähigkeit erhöhte Vergesslichkeit vermehrte Fehler vermehrte Unsicherheit häufigeres Kontrollieren Verlangsamung und Verringerung der Arbeitsmenge Erhöhung der Arbeitszeit bei gleicher Arbeitsleistung zunehmende Unzuverlässigkeit bis hin zur Vermeidung bestimmter Arbeitsaufgaben

Sozialverhalten

– Sozialer Rückzug – Vermeidung von Kundenkontakten – zunehmende Gereiztheit – aggressives Verhalten – erhöhte Empfindlichkeit ggü. Kritik – verstärktes Misstrauen ggü. Team und/oder Vorgesetzter/-m – vermehrte Konflikte – Grenzüberschreitungen

Arbeitshaltung und Arbeits‑ verhalten

– – – – – –

Stimmungslage, G ­ efühle und körperliche ­Veränderungen

– Ängste vor Misserfolgen, vermehrte Unsicherheit – Niedergeschlagenheit – Schuld- oder Minderwertigkeitsgefühle – Unruhe, Nervosität und Anspannung – aggressives oder zynisches Verhalten – unerklärliche Euphorie oder Selbstüberschätzung – Erschöpfung – Schlafstörungen – vermehrte Schmerzen, z. B. Kopfschmerzen – diverse körperliche Beschwerden wie erhöhte körperliche An‑ gespanntheit, Schwindel, Appetitverlust, Schweißausbrüche oder Herzrasen

Weitere Auffälligkeiten

– – – –

Wiederholtes Nichterscheinen am Arbeitsplatz häufigeres Zuspätkommen vermehrte Pausen wiederholtes früheres Verlassen des Arbeitsplatzes nachlassende Zuverlässigkeit verringertes Durchhaltevermögen

Vernachlässigung der Kleidung oder Körperpflege erhöhter Alkoholkonsum erhöhter Tabletten- oder Nikotinkonsum exzentrisch wirkende Verhaltensweisen wie hohe Geldausgaben, merkwürdige Geschäftsideen oder Selbstgespräche

spiel der Leistungsminderung kann dies gut gezeigt werden: Der erhöhte zeitliche Arbeitsaufwand zur Kompensation der tieferen Leistungsfähigkeit führt einerseits zu einer größeren inneren Belastung, andererseits aber auch zu einer Reduktion der Erholungszeit (weniger Pausen, Wochenendarbeit, …). Dadurch wird man noch angespannter, müder und unkonzentrierter, was wiederum versucht wird mit noch mehr Einsatz zu kompensieren. So steigert

20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

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man sich in einen immer ungünstiger werdenden Prozess, der sich immer schneller im Kreis zu drehen beginnt. 20.2.3

Zweites Fazit: Private Probleme und Arbeitsleistungen sind nicht trennbar

Psychische Probleme und einzelne Symptome sind in der Regel nicht eindeutig und nicht unikausal erklärbar. Auffälligkeiten im Verhalten, in der Stimmung und in der Arbeitsleistung lassen keine Rückschlüsse auf die Ursachen zu. So kann es sein, dass sich Probleme am Arbeitsplatz, z. B. Überlastung, in der Folge im Privatleben auswirken, beispielsweise in Form von Schlafstörungen. Es kann aber auch umgekehrt der Fall sein, dass private Probleme, vielleicht eine Scheidung, einen Einfluss haben auf die Stimmung und sich auf die Leistung am Arbeitsplatz auswirken, weil die betroffene Person sich nicht so gut konzentrieren kann und sich vielleicht Sorgen um die Kinder macht. Es sind also verschiedene Wirkungsrichtungen denkbar. Eine dritte Möglichkeit ist, dass eine „schwierige“ Persönlichkeit sowohl am Arbeitsplatz als auch im Privatleben Probleme hat. Der Leitsatz „Die privaten Probleme meiner Mitarbeitenden gehen mich nichts an“ stimmt insofern nicht, als es im Hinblick auf psychische Probleme und Leistungsverhalten keine klare Trennung gibt. Zudem gibt es diverse wissenschaftliche Studien, die einen Zusammenhang zwischen Mitarbeitergesundheit und der Arbeitssituation aufzeigen, so korreliert beispielsweise die Anzahl von Veränderungsmaßnahmen negativ mit dem erlebten Gesundheitszustand (zur Übersicht siehe Hillert 2014). Daher ist die Empfehlung insbesondere bei kritischen Situationen, sei es am Arbeitsplatz (Restrukturierungen o. Ä.) oder im Privatleben des Mitarbeitenden (z. B. Scheidungen), aufmerksam zu sein und sich gesprächsbereit zu zeigen, damit frühe Interventionen möglich sind. 20.3

Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

20.3.1

Das Gespräch vorbereiten und leiten

Oftmals nehmen Führungskräfte und Kolleginnen oder Kollegen die Veränderungen in der Leistungsfähigkeit oder im Verhalten der betroffenen Mitarbeitenden wahr, wissen aber nicht, wie sie darauf reagieren sollen, fühlen sich hilflos und verunsichert. Dies unter anderem, weil die Symptome schwierig zu fassen sind und nicht zuletzt, weil psychische Probleme in unserer Gesellschaft stigmatisiert werden trotz vielfältiger Initiativen, die Öffentlichkeit zu informieren und der Stigmatisierung entgegen zu wirken. Wird jedoch nicht frühzeitig reagiert, kann dies dazu führen, dass sich

Hilflosigkeit der Führungs‑ person

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

die Probleme mit der Zeit häufen, die Kolleginnen und Kollegen zunehmend ungeduldig werden und es beispielsweise zu Konflikten kommen kann oder unter Umständen eine potenziell hilfreiche Behandlung verzögert wird. Die Grundregel lautet daher: Führungskräfte sollten bei Anzeichen einer Überlastung bis hin zu möglichen Frühwarnzeichen so früh wie möglich das Gespräch mit den Betroffenen suchen. Führungskräfte müssen und können die Probleme ihrer Angestellten natürlich nicht für sie lösen. Ihre Verantwortung ist es jedoch, die Probleme nicht zu decken oder zu stabilisieren, sondern direkt anzusprechen und Lösungen einzufordern und bei der innerbetrieblichen Umsetzung behilflich zu sein. zz Vorbereitung auf das Gespräch

Mitarbeitende, die psychische Probleme haben, haben in der Regel an sich selbst bereits Veränderungen oder Leistungseinbrüche bemerkt und bemühen sich oftmals, diese durch verstärkten Einsatz, zum Beispiel häufigeres Kontrollieren, wettzumachen. Gleichzeitig haben sie Angst, dass jemand die Veränderungen bemerken könnte, da sie negative Konsequenzen am Arbeitsplatz befürchten. Oftmals schämen sich die betroffenen Mitarbeitenden oder haben Angst, ausgegrenzt zu werden. Problem als Lösungsversuche

Grundhaltung  Auch wenn das Verhalten von außen betrachtet

oft nicht nachvollziehbar oder erklärlich ist, so macht es für den Betroffenen in der Regel Sinn. Ganz allgemein gesprochen kann das Verhalten der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters bereits als Lösungsversuch auf eine Notlage gesehen werden. Es empfiehlt sich daher, grundsätzlich davon auszugehen, dass der oder die Mitarbeitende das ihm bestmögliche Verhalten zeigt und nicht anders kann, und nicht anzunehmen, dass er oder sie nicht besser will (Riechert 2015). Diese Grundhaltung ermöglicht, dass man als Führungskraft im Gespräch offener auf die betroffene Person zu gehen kann, dadurch auch mehr erfährt und auch wesentlich mehr beeinflussen kann. Natürlich können hinter Verhaltensauffälligkeiten auch Frustrationen über die Arbeit, den Vorgesetzten, die Mitarbeiter stehen. Ein offenes Ansprechen ist aber auch in diesen Fällen zentral. Rahmenbedingungen  Hinsichtlich der Rahmenbedingungen

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empfiehlt es sich, die oder den Mitarbeitende(n) persönlich für das Gespräch einzuladen. Der Termin sollte möglichst zeitnah sein, beispielsweise 2–3 Tage nach der Einladung, sodass der Mitarbeitende einerseits Zeit hat, sich auf das Gespräch vorzubereiten und andererseits sich Ängste und Unsicherheiten nicht zu lange aufbauen können. Zudem ist es wichtig, genügend Zeit für ein das Gespräch einzuplanen (in der Regel 1 h) und für eine ungestörte Gesprächsatmosphäre zu sorgen (geschlossener Besprechungsraum, Telefon umleiten, Besetztschild an der Tür, …).

20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

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20

zz Das Gespräch führen – ein Leitfaden

Auffälligkeiten konkret ansprechen  Die Führungskraft sollte zu-

nächst den Anlass für das Gespräch benennen. Bei schwierigen Gesprächen gilt immer der Grundsatz: „Bad news first“, d. h. statt Small Talk sollte direkt mit dem eigentlichen Thema begonnen werden. Dabei sollten möglichst konkrete Verhaltensänderungen genannt werden und Interpretationen („Sie sind so depressiv“) vermieden werden. Die Wahrnehmungen konkret zu benennen und gleichzeitig offen zu sein, die eigenen Wahrnehmungen zu reflektieren, macht in dieser Situation Führungskompetenz aus. „Mir sind in den letzten Wochen Veränderungen aufgefallen, die ich mir nicht erklären kann und möchte deswegen mit dir reden.“ „Ich habe bemerkt, dass Sie im letzten Monat vier Aufträge vergessen haben, obwohl sie sonst sehr zuverlässig sind. Mich würde es interessieren, an was dies liegen könnte.“ „Mir ist aufgefallen, dass Du Dich vermehrt in den Pausen zurückziehst und Dich auch sonst weniger mit den Kollegen austauschst als sonst.“ „Sie haben sich in letzter Zeit wiederholt morgens von der Arbeit abgemeldet, das kenne ich sonst gar nicht von Ihnen.“ „Deine Arbeitsleistung hat abgenommen und Du fragst häufiger nach bei Dingen, die eigentlich Routine sind.“

-

Offene Fragen stellen/sich interessieren  Es kann sein, dass die be-

troffene Person die Gründe für die Verhaltensänderung kennt, es kann aber auch sein, dass sie sich die Veränderungen selbst nicht erklären kann. Mit offenen Fragen können die Beobachtungen und Einschätzungen des Gegenübers erfragt werden. Offene Fragen sind solche, die nicht nur durch ja/nein beantwortet werden können und machen vor allem dann Sinn, wenn man mehr Informationen erhalten möchte. Durch offene Fragen wird der Ball dem Gegenüber zugespielt und er muss in Aktion kommen. Hier gilt somit der altbekannte Grundsatz: Wer fragt, der führt. „Wie erlebst Du das?“ „Wie ist es Ihnen ergangen, was haben Sie beobachtet? Habe ich das richtig beobachtet?“ „Können Sie sich diese Veränderungen erklären?“ „Hast Du eine Idee, wie es dazu gekommen ist?“ „Gibt es etwas, das Sie sehr beschäftigt?“

---

Wertschätzung zeigen und Unterstützung anbieten  In dem Ge-

spräch geht es einerseits darum, die Verhaltensbeobachtungen einzuordnen und verstehen zu können, gleichzeitig aber auch, der oder dem Mitarbeitenden zu zeigen, dass er oder sie als Person sowie ihre Arbeit geschätzt wird und dass die Führungskraft und

Wahrnehmungen benennen

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

-

das Team die betroffene Person unterstützen möchten und die Beobachtungen nicht als Vorwürfe missverstanden werden sollen. „Ich schätze Sie sehr und weiß, dass Sie immer sehr zuverlässig/gesellig/pünktlich sind und vor diesem Hintergrund ist mir aufgefallen, dass es Ihnen in letzter Zeit schwerer fällt …“ „Es ist mir sehr wichtig, dass wir darüber sprechen und ich möchte gerne herausfinden, wie ich Dich unterstützen kann.“ „Das Team und ich machen uns Sorgen, können wir irgendetwas tun, um Sie zu unterstützen?“ Offenes Zuhören und Zusammenfassen  Ein weiteres zentrales Ele-

ment ist das aktive und interessierte Zuhören. Voraussetzung dafür ist, dass ich mich wirklich für die Anliegen und Sorgen des Gegenübers interessiere. Gerade bei Mitarbeitenden, die angriffiges Verhalten zeigen, ist dies gar nicht so einfach, da man schnell in eine Verteidigungshaltung kommt und von dieser aus das Gegenüber dann angreift, oftmals aus der Befürchtung heraus, selbst die Kontrolle zu verlieren und unterlegen zu sein. Gerade bei schnell eskalierenden Gesprächen kann das aktive Zuhören und die darauffolgende Zusammenfassung kleine Wunder bewirken. Mit der Zusammenfassung bestätigt man nicht die Richtigkeit der Aussage, sondern überprüft lediglich, ob man die Aussage richtig verstanden hat! Ein anderes Problem kann auch entstehen, wenn die Mitarbeitenden in einen endlosen Redeschwall verfallen, immer das Gleiche (im besten Fall mit anderen Worten) wiederholen und fast nicht zu unterbrechen sind. In der Regel ist es so, dass Menschen die sich nicht verstanden fühlen, ihre Anliegen immer wiederholen. Oder im Umkehrschluss: Wer sich verstanden fühlt, muss das Gleiche nicht zweimal sagen. „Habe ich Sie richtig verstanden, dass es Ihnen wichtig wäre …?“ „Dürfte ich kurz zusammenfassen, damit wir überprüfen können, ob ich Deine Position richtig verstanden habe?“ „Darf ich kurz unterbrechen, damit ich mal überprüfen kann, ob ich Ihre Sicht richtig verstanden habe?“

-

Ehrlich und authentisch sein  Verhaltensveränderungen und Leis-

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tungsminderungen anzusprechen kann auch für die Führungskraft sehr unangenehm sein. Ist dies der Fall, kann es sinnvoll sein, dies anzusprechen. Die Ehrlichkeit der Führungskraft kann im Gespräch Vertrauen schaffen. „Es ist auch für mich nicht ganz einfach, dieses Gespräch zu führen …“ „Es ist für mich ungewohnt so ein Gespräch zu führen, aber ich freue mich, dass es möglich ist, darüber zu reden.“ „Im Moment weiß ich ehrlich gesagt auch noch nicht, wie wir mit diesem Problem auf der Arbeit umgehen sollen.“

-

20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

Lösungsansätze erarbeiten und Erwartungen ansprechen Wenn

sich die oder der Mitarbeitende öffnet und sich Bedingungen zeigen, die zu einer Fehlbelastung geführt haben (z. B. familiäre Belastungen durch Trennung, Krankheit oder Tod eines Familienangehörigen oder ähnlich) bis hin zu der Entwicklung einer psychischen Störung, geht es darum, erste Lösungsansätze und Ressourcen zu ermitteln. Dabei ist es nicht die Erwartung an die Führungskraft, die „Probleme zu lösen“, sondern mit Fragen Unterstützungsmöglichkeiten und Ressourcen anzuregen. „Was denken Sie, was Ihnen helfen könnte?“ „Hast Du eine Idee, wie Du die Situation lösen kannst?“ „Möchten Sie Hilfe annehmen?“ „Wie können wir Dich unterstützen?“ „Brauchst Du Entlastung?“ „Wo finden Sie sonst noch Entlastung?“ „Haben Sie eine solche Situation schon einmal erlebt? Was hat Ihnen in einer ähnlichen Situation schon einmal geholfen?“

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Neben dem Angebot an Unterstützung ist es ebenfalls wichtig, auch die eigenen Erwartungen klar zu kommunizieren. So ist bei psychischen Störungen beispielsweile eine fachärztliche oder psychotherapeutische Begleitung und Behandlung wichtig. Je nach Situation kann auch eine Zusammenarbeit mit einer Fachperson sinnvoll sein (7 Abschn. 20.1.2). Für die Führungskraft kann es ein Dilemma sein, zwischen dem Verständnis für die Situation des Mitarbeitenden einerseits und dem wirtschaftlichen Druck seitens des Arbeitsgebers andererseits. Die Ent-lastung von einzelnen Mitarbeitenden führt in der Regel zwangsläufig zu einer Be-lastung anderer Mitarbeitender, womit die Unterstützung der betroffenen Personen auf einen Balanceakt hinauslaufen kann. Die Frage, ob eine gute Führungskraft im Fall von belasteten Mitarbeitenden eher dem Unternehmen und seinen wirtschaftlichen Zielen, oder aber der oder dem Mitarbeitenden verpflichtet ist, ist laut Hillert (2014, S. 45), „leider weder rhetorisch noch theoretisch.“ Es gibt für dieses Dilemma keine einfache Lösung, sondern es muss in jedem Fall individuell entschieden werden. Konkrete Zielvereinbarungen  Neben dem Erarbeiten von mögli-

chen Lösungsansätzen muss die Führungskraft ihre Erwartungen ganz klar formulieren. Wichtig ist daher auch, deutlich zu machen, dass Veränderung notwendig ist. Gibt der oder die Mitarbeitende an, dass er oder sie an Unterstützung interessiert ist, sollten Vereinbarungen getroffen werden, war was bis wann unternimmt. So kann beispielsweise eine (vorübergehende) Arbeitsplatzanpassung

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

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vereinbart werden und auf interne und externe Hilfsangebote verwiesen werden. „Von unserer Seite können wir Ihnen bei … entgegenkommen. Auf der anderen Seite erwarten wir von Ihnen …“ „Ich kann sehr gut verstehen, dass Sie in einer schwierigen Situation sind. Auf der anderen Seite erwarten unsere Kunden … Aus diesem Grund schlage ich vor, dass Sie …“ „In gewissen Teilen wie … und … können wir versuchen, Entlastung zu finden. Dagegen möchte ich, dass Du Dich um … kümmerst.“ Abschluss des Gesprächs  Zum Abschluss des Gesprächs erfolgt

eine kurze Zusammenfassung der vereinbarten Maßnahmen sowie die Kontrolle, ob die Zuständigkeiten klar verteilt sind. Bedanken Sie sich bei Ihrem Mitarbeitenden für das Gespräch und vereinbaren Sie einen Folgetermin. zz Das H-I-L-F-E-Konzept: Handlungsempfehlungen für Führungskräfte

Der BKK Bundesverband hat in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen (BApK) Handlungsempfehlungen für Führungskräfte entwickelt. Die inhaltliche Wiedergabe erfolgt mit freundlicher Genehmigung des BKK Dachverbandes (2015). H-I-L-F-E steht für: Hinsehen, Initiative ergreifen, Leitungsfunktion wahrnehmen, Führungsverantwortung: Fördern – Fordern, Expertinnen bzw. Experten hinzuziehen.

---

Hinsehen  Hinsehen meint, psychische Ursachen als Möglichkeit

für eine Verhaltensänderung überhaupt in Betracht zu ziehen, da selbst eindeutige Verhaltensweisen von Führungskräften „übersehen“ werden, meist aus Unsicherheit oder Unbehagen. Initiative ergreifen  Mit diesem Schritt ist gemeint, Auffälligkeiten

direkt und offen anzusprechen, auch um möglichst frühzeitig Hilfe anbieten zu können. Leitungsfunktion wahrnehmen  Wenn es keine positiven Verände-

rungen gibt und die Probleme anhalten, sollten Führungskräfte konkrete Ziele formulieren und ihre Erwartung klar äußern. Zu den Erwartungen gehört auch, dass interne und externe Unterstützungsangebote wahrgenommen werden.

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20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

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Führungsverantwortung: Fördern – Fordern  Psychisch erkrankte Mitarbeitende zu fördern heißt, geduldig und verständnisvoll zu sein und Fürsorge zu zeigen. Sie zu fordern meint, die Erwartung an die Arbeitsleistung anzupassen, aber gleichzeitig an ihnen festhalten und den Mitarbeitenden ernst nehmen. Für die Führungsverantwortung gilt es, sich dieser Balance bewusst zu sein. Expertinnen bzw. Experten hinzuziehen  Expertinnen/-en können

Arbeitgebern und Personalverantwortlichen beratend zur Seite stehen und die betroffenen Mitarbeitenden professionell behandeln. zz Wenn mich andere auf Probleme bei Mitarbeitenden hinweisen

Wird man als Führungskraft von Kunden oder Kollegen/-innen auf Auffälligkeiten im Arbeits- oder Sozialverhalten aufmerksam gemacht, gilt es sich zunächst für die Information zu bedanken. Je nach Situation ist es möglich wertzuschätzen, dass beispielsweise Kollegen für einander Sorge tragen, oder auch den Ärger über ein Fehlverhalten zur Kenntnis zu nehmen. Damit Kollegen/-innen sich in solchen Situationen an den Vorgesetzen wenden, braucht es eine Kultur des Vertrauens und der Unterstützung. Es kann durchaus sinnvoll sein, die Kollegen/-innen zu ermuntern, die betroffene Person direkt anzusprechen. Drücken die Kolleginnen oder Kollegen ihre Sorge über das beobachtete Verhalten aus, kann dies dazu beitragen, dass sich die betroffene Person Unterstützung holt oder sich öffnet. Die Ermunterung der Mitarbeitenden, ihre Probleme mit der betroffenen Person direkt anzusprechen, darf jedoch nie dazu dienen, sich als Vorgesetzter selbst aus der Verantwortung und aus unangenehmen Gesprächen heraushalten zu können. Es gehört zu den Aufgaben der Vorgesetzten, diese Hinweise ernst zu nehmen, aufmerksamer mit dem Verhalten der betroffenen Person zu sein und allenfalls (eigene) Beobachtungen direkt mit der Person zu besprechen. Falls die Auffälligkeiten der Person zu Konflikten mit anderen Teammitgliedern führen, kann es auch hier ratsam sein, die Mitarbeitenden zu ermutigen, das Gespräch direkt mit der betroffenen Person zu suchen. Falls dies nicht zielführend ist, muss die Führungsperson zwischen den verschiedenen Positionen vermitteln und dadurch Lösungen ermöglichen. Bei schwerwiegenderen Konflikten kann Unterstützung von außen unter Umständen sinnvoll sein. Suchen die Vorgesetzten das Gespräch mit den Mitarbeitenden aufgrund von Fremdbeobachtungen, passiert es nicht selten, dass im Gespräch ein „Nebenschauplatz“ eröffnet wird und die Mitarbeitenden erfahren wollen, wer dies behauptet hat und was genau gesagt wurde. In diesem Fall empfiehlt es sich, zurück auf das eigentliche Thema zu kommen und die anderen Mitarbeitenden nicht namentlich zu nennen.

Hinweise ernst nehmen

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Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

Beispiel Name nicht nennen

Beispiel

„Ich möchte Ihnen den Namen nicht nennen, denn der/ die Mitarbeitende/Kunde hat sich im Vertrauen an mich gewendet. Auch ist es mir wichtig, dass Sie verstehen, dass ich grundsätzlich froh bin, wenn ich als Vorgesetzter solche Infor‑ mationen erhalte, denn nur so kann ich allenfalls frühzeitig meine Unterstützung anbieten. Aber vielleicht handelt es sich auch um ein Missverständnis, das sich schnell aufklären lässt. Ich wäre daher froh, wir könnten die Situation gemeinsam näher anschauen. Sind sie einverstanden?“

zz Wenn Hilfe abgelehnt wird dranbleiben

Unterstützung in einer akuten Krise

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Nicht immer werden die Gespräche so idealtypisch wie im Leitfaden beschrieben ablaufen. Es ist möglich, dass der oder die Mitarbeitende das Problem gar nicht so problematisch erlebt, die oder der Betroffene es kleinredet oder angibt, nicht darüber reden zu wollen, sei es, weil es ihm oder ihr peinlich ist und entsprechende Überwindung kostet oder er oder sie im Moment keine Einsicht hat. In diesem Fall besteht die Möglichkeit, das Gespräch für den Moment zu beenden. Wichtig ist, die eigenen Wahrnehmungen nicht zu ignorieren, sondern diese klar zu benennen. Es sollte auf interne und externe Beratungsangebote verwiesen werden und deutlich werden, dass Sie als Führungskraft Gespräche und Unterstützung anbieten möchten. Damit für alle Beteiligten klar ist, dass sich Probleme und Beobachtungen mit diesem Gespräch nicht geklärt sind, sollte ein weiterer Gesprächstermin vereinbart werden (7 Abschn. 20.3.2). Unterstützung in einer akuten Krise In sehr seltenen Fällen kann es – egal ob es sich um gesunde, belastete oder erkrankte Mitarbeitende handelt – zu einer akuten Krise kommen. Diese kann durch eine psychisch stark belastende Situation ausgelöst werden und kann in Form von starkem Weinen, Zittern, aber auch durch Teilnahmelosigkeit oder geistige Abwesenheit zum Ausdruck kommen. Auch der Ausdruck von Selbstmordgedanken, Fremdgefährdung oder Verwirrung sind in einer solchen Krise möglich. Versuchen Sie in einer solchen Situation Ruhe zu bewahren und versuchen Sie, die Person in dieser Situation der Verzweif‑ lung oder Verwirrung zu akzeptieren. Fragen Sie nach, was die betroffene Person braucht, damit sie sich beruhigen kann. Kann die betroffene Person keine Auskunft geben oder sich nicht entscheiden, sollten Sie interne Hilfe organisieren (z. B. beim HR, bei internen Beratungsstellen).

20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

931

20

Gibt es keine internen Fachpersonen kann die betroffene Per‑ son zum Hausarzt oder einer Fachperson (Psychiater/-in oder Psychologen und Psychologinnen) begleitet werden. Da die betroffene Person nicht allein gelassen werden sollte, könnten beispielsweise Angehörige informiert werden. Wenn die betroffene Person jegliche Hilfe oder Begleitung ablehnt und in einer akut bedrohlichen Situation ist, beispielsweise bei einem angekündigten Suizid, kann die Hilfe auch über einen Notfallpsychiater, ein ärztlichen Notfalldienst oder die Polizei mobilisiert werden. Dies dient auch der eigenen Entlastung, denn Sie sind (vermutlich) keine Fachperson. Bestehen Sie – wenn Sie kein gutes Gefühl haben – auf Unter‑ stützung.

20.3.2

Wie geht es nach dem ersten Gespräch weiter?

Wie es nach dem ersten Gespräch weitergeht, hängt vom Verlauf des Erstgesprächs und den Veränderungen danach ab. Zeichnen sich in der Phase nach dem Gespräch positive Veränderungen im Sinne der Vereinbarungen ab, können diese in Folgegesprächen bestärkt werden und der Veränderungsprozess mit möglichen Anpassungen weiter begleitet werden. zz Wenn es trotz Einsicht keine Veränderungen gibt

Kommt es trotz der klar formulierten Erwartungen der Führungskraft in den folgenden Wochen zu keinen Veränderungen, hängt das weitere Vorgehen von der Situation ab. Ist die oder der Mitarbeitende motiviert, an einer gemeinsamen Zielerreichung zu arbeiten und schätzt die Unterstützung durch die Führungskraft, kann eine Zusammenarbeit mit einer behandelnden Fachperson sinnvoll sein. Auch wenn längerdauernde oder wiederkehrende psychische Störungen vorliegen, das Arbeitsumfeld verunsichert ist und unklar ist, wie mit den Symptomen umgegangen werden soll oder die Beziehungen am Arbeitsplatz belastet sind, ist ein gemeinsames Gespräch empfehlenswert. zz Zusammenarbeit mit der Fachperson

Mitarbeitende haben oftmals Bedenken hinsichtlich des Kontaktes des Arbeitsgebers mit ihrer behandelnden Fachperson, denn sie fürchten negative Konsequenzen für ihren Arbeitsplatz. Die behandelnde Fachperson, also Psychotherapeut oder Psychiaterin, unterliegt ohnehin der Schweigepflicht, von der sie nur der oder die betroffene Mitarbeiter/-in entbinden kann. Bevor es also zu diesem Kontakt kommt, braucht es bereits eine klare Absprache,

Schweigepflicht

932

Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

gemeinsames Gespräch

was die Themen des Gesprächs sein werden und welche Themen nicht angesprochen werden. Der Vorteil eines gemeinsamen Gespräches (gemeinsam mit dem/der Mitarbeitenden) liegt auf der Hand: Die behandelnde Fachperson erhält mehr Information über das Arbeitsumfeld, die wahrgenommenen Auffälligkeiten und Symptome, die Reaktionen des Teams und kann klären, welche Fähigkeiten und Aufgaben vom Arbeitgeber verlangt werden und kann in der Behandlung gezielter agieren. Die Führungskraft hingegen erhält ein besseres Verständnis über die Einschränkungen des Mitarbeitenden und Informationen, welche Bedingungen eher förderlich oder eher hinderlich im Hinblick auf eine Besserung sind sowie Informationen hinsichtlich der voraussichtlichen Besserung (Leitfaden für Arbeitgeber und Führungskräfte 2015). Mögliche Fragen der Führungskraft an die behandelnde Fachperson: Was kann der/die Mitarbeitende aktuell? Was nicht? In welchem Pensum? Was kann ich verlangen? Darf ich Druck machen? Muss ich den/die Mitarbeitende (aktuell) schonen und entlasten? Soll das Team informiert werden? Wer soll das tun? Wie soll man sie informieren? Müssen Team und Führungskraft immer Verständnis haben oder dürfen/sollen sie auch mit Rückmeldungen konfrontieren? Ist wieder mit einer vollständigen Arbeitsleistung zu rechnen? Wann ungefähr? Wie reagieren bei einer Verschlechterung?

--

Zusätzlich ist zu klären, ob es ein weiteres Gespräch geben wird und/oder die Führungskraft sich wieder an die behandelnde Fachperson (mit Einverständnis und im Dabeisein der/des Mitarbeitenden) wenden darf. zz Wenn der/die Betroffene keine Einsicht zeigt Chronifizierung der Probleme

20

Zeigt der oder die betroffene Mitarbeiter/-in keine Einsicht, so kann es sein, dass die betroffene Person die Problematik nicht (mehr) wahrnehmen kann. Auch hier ist es sinnvoll, Unterstützung hinzuzuziehen, die Personalabteilung und vielleicht ein Case-Management. Dies erhöht den Druck auf den/die Mitarbeitende(n), was sinnvoll ist, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Probleme noch von alleine lösen, ist bereits erheblich gesunken. Die Wahrscheinlichkeit hingegen, dass sich die Probleme chronifizieren und weitere Schwierigkeiten mit sich bringen, wächst. Es sollte auch dem/der Mitarbeitenden ermöglicht werden, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen, denn wenn Mitarbeitende beispielsweise

20.3  •  Wie und wann sollen Probleme angesprochen werden?

933

20

kraft- und energielos sind und sich vielleicht schlecht konzentrieren können, kann dies für alle Beteiligten entlastend sein. In diesem nächsten Gespräch im größeren Rahmen sollte die Führungsperson noch einmal wiederholen, dass ihre Erwartung sei, dass sich der/die Mitarbeitende um seine Gesundheit und damit auch um seine Arbeitsleistung kümmere und sich dafür gegebenenfalls in externe Behandlung begibt. Der Erwartungen an die Leistungen und das Verhalten am Arbeitsplatz sollen noch einmal verdeutlicht werden und klare Zielvorgaben gesetzt werden und zudem auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen aufgezeigt werden, die letztendlich auch umgesetzt werden, wenn es kein Entgegenkommen seitens des Mitarbeitenden gibt (Riechert 2015). 20.3.3

Drittes Fazit: Führung so gestalten, dass Mitarbeitende bei Problemen auf den Vorgesetzten zukommen

Wie inzwischen deutlich gemacht, ist es hinsichtlich psychischer Probleme und Verhaltensauffälligkeiten sinnvoll, möglichst frühzeitig zu intervenieren. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Führungskraft von den Schwierigkeiten und Problemen überhaupt etwas bemerkt. Die Frage lautet daher, wie man Führung gestalten sollte, damit man frühzeitig bemerkt, dass etwas nicht gut läuft. Also, wie kann man die Kommunikation und Kultur und letztendlich die Führung so gestalten, dass die betroffenen Mitarbeitenden auf den Vorsetzten zukommen, wenn es Schwierigkeiten gibt? Die Grundlage für ein solches Gespräch ist in diesem Fall ein beidseitiges, hinreichendes Vertrauensverhältnis, oder wie Hillert (2014, S. 70) es formuliert: „Vertrauen ist nicht alles, aber ohne Vertrauen ist alles nichts“. Damit ist nicht nur das Vertrauen in den direkten Vorgesetzten gemeint, sondern auch das Vertrauen in den/die Arbeitgeber/-in. Die Voraussetzung für das gegenseitige Vertrauen ist das persönliche Gespräch sowie der Austausch. Durch Zuhören, den anderen ernst nehmen, Wertschätzung, Anerkennung und Ehrlichkeit ist es möglich, den anderen kennenzulernen, ihn zu erkennen (mitsamt Stärken und Schwächen) und letztendlich, ihm zu vertrauen. Dieses Thema kann aufgrund des Umfangs hier nicht hinreichend thematisiert werden, für ausführliche Literatur siehe Riechert (2015, 7 Kap. 6). Zudem ist es wichtig, eine Kultur des Hinsehens zu fördern. Dazu braucht es einen empathischen, toleranten und unterstützenden Umgang mit Stress und Belastungen bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen. Für weiterführende Informationen möchten wir Sie auf die nachfolgende, weiterführende Literatur verweisen.

Vertrauen

934

Kapitel 20  •  Verhaltensauffälligkeit, psychische Störungen und Führung

Zusammenfassung

Zusammenfassung Psychische Störungen gehören zu den häufigsten Krankhei‑ ten. Als Führungsperson wird man somit über kurz oder lang zwangsweise mit Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen von Mitarbeitern konfrontiert. In einem ersten Ab‑ schnitt soll aufgezeigt werden, was psychische Störungen sind und im zweiten Abschnitt wie man sie erkennt. Um schwer‑ wiegendere Konsequenzen für die Person, das Team und die Organisation zu verhindern, ist es für Führungspersonen wichtig, die Anzeichen einer psychischen Störung rechtzeitig zu erkennen und angemessen zu reagieren. Im letzten Abschnitt wird erläutert, wie konkret gehandelt werden soll und wie das Gespräch mit den Betroffenen geführt werden kann. Es zeigt sich, dass der Gestaltung der Kommunikation und Führungskultur dabei große Bedeutung zukommt. Die relevante Frage ist, wie man Führung so gestaltet, dass genügend Vertrauen und Offenheit entstehen kann, damit Mitarbeitende bei Schwierigkeiten auf ihren Vor‑ gesetzten zugehen und diese offen ansprechen können.

--

Weiterführende Literatur und hilfreiche Unterlagen Broschüre BKK Dachverband (2015). Psychisch krank im Job. Verstehen. Vor‑ beugen. Erkennen. Bewältigen. 3. Auflage, 7 www.bkk-dachverband.de. Wie gehe ich mit psychisch belasteten Mitarbeitenden um? Ein Leitfaden für Arbeitgeber und Führungskräfte (2015). Stiftung Rheinleben in Zusammen‑ arbeit mit Psychiatrie Baselland, 7 www.compasso.ch. Onlinetool für Führungskräfte: 7 www.leaderscare.ch. ga.Report 29 „Führungskräfte sensibilisieren und Gesundheit fördern“, Pra‑ xistipps ab Seite 51: 7 www.iga-info.de. Veröffentlichungen: iga.Reporte.

Literatur

20

BKK Dachverband (2015). Praxishilfe Psychisch krank im Job. Verstehen. Vor‑ beugen. Erkennen. Bewältigen (3. Aufl.). https://www.bkk-dachverband.de/ fileadmin/gesundheit/selbsthilfe/BKK_Dach_Broschure_Psychisch_krank_ im_Job_.pdf. Zugegriffen: 5. Apr. 2018. BKK Gesundheitsreport (2011). Zukunft der Arbeit. https://www.bkk-hmr.de/ bkk-hmr-neuigkeiten/bkk-gesundheitsreport-2011.php. Zugegriffen: 19. Juli 2016. Bundesamt für Statistik (2012). Schweizerische Gesundheitsbefragung. http:// www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/infothek/erhebungenquellen/ blank/blank/ess/04.html. Zugegriffen: 19. Juli 2016. Grawe, K. (2004). Neuropsychotherapie. Bern: Huber. Heckhausen, J., & Farruggia, S. P. (2003). Developmental regulation across the life span: a control theory approach and implications for secondary education. British Journal of Educational Psychology, Monograph Series II: Psychological Aspects of Education – Current Trends, 1, 85–102. Hillert, A. (2014). Burnout – Zeitbombe oder Luftnummer? Persönliche Strategien und betriebliches Gesundheitsmanagement. Stuttgart: Schattauer.

Literatur

Jacobi, F., Wittchen, H. U., Hölting, C., et al. (2004). Prevalence, comorbidity and correlates of mental disorders in the general population: results from the German Health Interview and Examination Survey (GHS). Psychological Medicin, 34, 597–611. Lippmann, E. (2013). Identität im Zeitalter des Chamäleons. Flexibel sein und Farbe bekennen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Peters, T., & Ghadiri, A. (2013). Neuroleadership – Grundlagen, Konzepte, Beispiele. Erkenntnisse der Neurowissenschaften für die Mitarbeiterführung. Heidelberg: Springer. Reuter, R. (2014). Neuroleadership – Empirische Überprüfung und Nutzenpotenziale für die Praxis. Oldenburg: De Gruyter. Riechert, I. (2015). Psychische Störungen bei Mitarbeitern. Ein Leitfaden für Führungskräfte und Personalverantwortliche – von der Prävention bis zur Wiedereingliederung (2. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer. Schär, M., & Steinebach, C. (2015). Resilienzfördernde Psychotherapie für Kinder und Jugendliche. Grundbedürfnisse erkennen und erfüllen. Weinheim: Beltz. Semmer, N. K., & Udris, I. (2007). Bedeutung und Wirkung von Arbeit. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch Organisationspsychologie (4. Aufl. S. 157–195). Bern: Huber. Semmer, N. K., Jacobshagen, N., & Meier, L. L. (2006). Arbeit und (mangelnde) Wertschätzung. Wirtschaftspsychologie, 2(3), 87–95. Siegrist, J., & Dragano, N. (2008). Psychosoziale Belastungen und Erkrankungs‑ risiken im Erwerbsleben. Befunde aus internationalen Studien zum Anfor‑ derungs-Kontroll-Modell und zum Modell beruflicher Gratifikationskrisen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz, 51, 305– 312.

935

20

937

Macht und Mikropolitik Andres Pfister, Michael Zirkler 21.1

Einführung – 938

21.2

Einfluss, Autorität und Macht  –  939

21.3

Ein Wirkungsmodell der Macht  –  940

21.4

Quellen und Wege der Machtausübung  –  942

21.4.1 21.4.2

Macht aufgrund von Person, Position und sozialem System  –  942 Veränderungen der Machtquellen  –  943

21.5

Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss  –  945

21.5.1 21.5.2 21.5.3 21.5.4 21.5.5

Einflussprozesse – 945 Wirkung von Einfluss und Macht  –  946 Taktiken der Einflussnahme  –  946 Drohen und Versprechen – 948 Widerstand – 950

21.6

Systemische Aspekte der Macht  –  951

21.6.1 21.6.2 21.6.3 21.6.4 21.6.5 21.6.6

Herrschaftssysteme – 951 Mikropolitik – 952 Strategie und Taktik – 954 Macht und „Spiele“ – 955 Schließen von Rationalitätslücken  –  959 Macht, Vertrauen, Verständigung  –  960

21.7

Fazit – 961 Literatur – 961

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_21

21

938

21

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

Auf einen Blick

Auf einen Blick Macht ist ein fundamentaler Bestandteil des alltäglichen Zusammenlebens, denn Macht ermöglicht es, andere Menschen in ihrem Verhalten zu beeinflussen. Hierbei verwenden Menschen unterschiedliche Quellen der Macht, stoßen dadurch unterschiedliche Prozesse an und verfolgen durch diese Einflussnahme unterschiedliche Wirkungen bei anderen Menschen. Machtausübung und Einflussnahme erfolgt hierbei entweder auf der zwischenmenschlichen Ebene, der Ebene des sozialen Systems oder auf der Schnittebene, bei welcher eine Person im System eine Rolle und Position übernimmt. Zur Einflussnahme werden verschiedene Taktiken angewendet, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen. Widerstand ist hierbei eine Wirkung, die sich dem Machteinfluss entgegenstellt. Auf der Ebene des sozialen Systems spielen aber noch weitere systemische Aspekte eine Rolle wie die Art des „Spiels“, welches im System gespielt wird, oder Rationalitätslücken, welche durch Macht gefüllt werden.

21.1 Einführung Führung ist auch Einfluss ausüben

Andere Personen oder Personengruppen als auch uns selbst zu beeinflussen, um ein erwünschtes Verhalten zu fördern und unerwünschtes zu vermindern, ist ein zentraler Teil unseres täglichen Lebens. Einfluss auf andere auszuüben und somit die Wahrscheinlichkeit für zielgerichtetes und koordiniertes Verhalten zu erhöhen, ist Bestandteil der Führung. Indem wir Einfluss auf andere nehmen, nutzen wir unterschiedliche Quellen der Macht und üben auf unterschiedlichen Wegen verschiedene Formen der Macht aus. Zentral bei der Einflussnahme und insbesondere bei Machtausübung ist jedoch, dass wir nur jene Macht ausüben können, welche wir auch von den anderen zugeschrieben bekommen. Wird durch Machtausübung oder Einflussnahme die wahrgenommene Handlungsfreiheit einer Person oder einer Gruppe zu stark eingeschränkt, geht sie in Widerstand, um diese Handlungsfreiheit wieder zu erlangen. Daher ist es sinnvoll, Macht verantwortungsvoll und bewusst einzusetzen, als auch Macht und Einfluss zu teilen, damit die wahrgenommene Handlungsfreiheit aller bestehen bleibt. Im Widerstand werden die gleichen Quellen, Prozesse und Taktiken der Einflussnahme und Macht verwendet. Nachfolgend werden die Zusammenhänge zwischen Macht und Einfluss, unterschiedliche Quellen der Macht, Prozesse, Wirkungen und Taktiken von Macht und Einfluss, Widerstand als auch systemische Aspekte der Macht betrachtet. Dem zugrunde liegt ein

21.2  •  Einfluss, Autorität und Macht

939

21

Wirkungsmodell der Macht, welches den Einfluss und die Wirkung der Macht auf drei unterschiedlichen Ebenen lokalisiert. Diese sind die Ebene der Person, der Schnittebene zwischen Person und sozialem System, in welcher eine Person eine Rolle und eine Position innehat und die Ebene des sozialen Systems selbst. Pfeffer (2011) sieht im Verständnis der Mechanismen der Macht in einer Organisation und einem konstruktiven Umgang damit eine der wichtigen Fähigkeiten, welche es Mitarbeitenden und Führungskräften erlaubt, erfolgreich im sozialen System der Organisation zu handeln. 21.2

Einfluss, Autorität und Macht

Einfluss, Autorität und Macht sind eng miteinander verknüpft (Yukl 2013), denn innerhalb eines sozialen Austauschprozesse ermöglichen die Faktoren Autorität und Macht, einen stärkeren Einfluss auf andere Personen auszuüben. Definition 

Einfluss – Autorität – Macht

Definition: Einfluss

Einfluss wird beispielsweise definiert als: „Der Versuch, andere in einer gewünschten Weise zu verändern“ (Greenberg 2013, S. 415). 

Definition 

Definition: Autorität

Autorität wird beispielsweise definiert als: „Das Recht, Vorrecht, Verpflichtung und Verpflichtung welche mit einer bestimmten Position in einer Organisation oder einem sozialen Systems assoziiert sind.“ (Yukl 2013, S. 189) 

Definition  Macht wird beispielsweise definiert als: „Macht ist die Fähigkeit einer Partei eine andere Partei zu beeinflussen“ (Yukl 2013, S. 189). „Macht ist die Fähigkeit oder das Potential Einfluss auszuüben. Menschen haben Macht, wenn sie die Fähigkeit haben den Glauben, die Einstellung und die Verhaltensweise von anderen beeinflussen können“ (Northouse 2016, S. 10). „Soziale Macht ist Fähigkeit Handlungen zu tätigen und Interaktionen zu initiieren“ (Bass 2008, S. 263). „Macht wurde definiert als das Erzeugen von beabsichtigten Effekten (Russel 1938); die Fähigkeit Kraft auszuüben (Bierstedt 1950); das Recht anderen Verhaltensmuster vorzuschreiben (Janda 1960); und die intendierte, erfolgreiche Kontrolle von anderen“ (Wrong 1968; Bass 2008; S. 263).

Definition: Macht

940

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

„Die Kapazität Effekte bei anderen zu produzieren. Diese Effekte werden durch die Anwendung von Autorität, Expertise, politischem Einfluss und Charisma ausgeübt, wobei jede eine andere Basis oder Quelle hat und jede andere Effekte erzeugt“ (House 1984; zit. in Bass 2008, S. 264).

21



Macht = Potenzial, andere zu beeinflussen

Einfluss, Autorität und Macht stehen somit in einem Wirkungsgefüge zueinander, wobei Autorität eine mögliche Quelle der Macht ist. Macht entspricht hierbei dem Potenzial, andere wirksam zu beeinflussen (Bass 2008). Je mehr Möglichkeiten der Einflussnahme ein Akteur hat und je wirksamer dieser Einfluss auf andere Akteure ist, desto größer ist die Macht des Akteurs, das Verhalten anderer Akteure im eigenen Sinne zu beeinflussen. Macht erhöht somit die mögliche Stärke des Einflusses auf das Verhalten anderer. 21.3

Wirkungsebenen der Macht

Ein Wirkungsmodell der Macht

Macht erzeugt seine beeinflussende Wirkung aufgrund der Quellen aus derer sich Macht für eine Person speist, der Einflusstaktiken die von einer Person gewählt werden und der Prozesse, welche die Person bei anderen Personen oder in einem sozialen System damit anstösst. Drei Wirkungsebenen der Macht lassen sich unterscheiden (. Abb. 21.1). zz Zwischenmenschliche Ebene

Macht und Einfluss wirken entweder auf der zwischenmenschlichen Ebene durch den Einfluss, den eine Person aufgrund ihrer selbst (Expertise, Fähigkeiten, Kenntnisse, Charisma, Persönlichkeit, Intelligenz, Wortgewandtheit) auf andere Personen direkt durch sozialen Austausch ausüben kann. Alleine durch die Stärken und Fähigkeiten als Person überzeugt sie andere Personen, Dinge in einer bestimmten Art und Weise zu tun. zz Schnittebene zwischenmenschlich und soziales System

Durch die zugeschriebene Rolle und Position in einem System kann eine Person Macht und Einfluss auf der zwischenmenschlichen Ebene auf andere Personen ausüben. Dies geschieht, wenn aufgrund der Rolle und Position beispielsweise Macht und Einfluss durch legitime Belohnung und Bestrafung ausgeübt werden oder über die Steuerung des Zugangs zu wichtigen Informationen und Entscheidungsprozessen. zz 21.2 Ebene des sozialen Systems

Personen üben auch Macht und Einfluss auf der Ebene des sozialen Systems (z. B. Organisation) auf andere aus durch den Einfluss,

941

21.3  •  Ein Wirkungsmodell der Macht

Zwischenmenschlich

Zwischenmenschlich Soziales System

Soziales System

Systemische Aspekte und Prozesse Mikropolik, Raonalitätslücken, Spiele

Macht durch soziales System

Macht durch Rolle

Einflusstakken (Impression Management, polische Takken, proakve Takken)

Wirkungen: Macht durch Person

Prozesse (instrumentelle Erfüllung, persönliche Idenfikaon, Internalisaon)

Compliance Commitment Widerstand

Person A ..Abb. 21.1  Wirkungsmodell der Macht

den eine Person auf andere Gruppen im System oder auf Prozesse oder Strukturen des Systems hat. Dies hat die Person aufgrund ihrer Rolle und Position oder durch Macht, die sie im sozialen System durch Information und Politik erzeugt. Gleichwohl kann die Person auch durch zwischenmenschliche Prozesse wichtige Personen im System überzeugen, in ihrem Sinne zu handeln und dadurch Macht und Einfluss auf andere Personen im System ausüben. Machtausübung und Einfluss erzeugen auf allen Ebenen eine Wirkung. Diese kann förderlich sein, indem die zu beeinflussenden Personen oder Gruppen ihr Verhalten in einer erwünschten Art und Weise beibehalten oder anpassen. Diese kann aber auch hinderlich sein und auf allen Ebenen durch Widerstand gegenüber dem Einflussversuch auf die machtausübende Person zurück wirken. Direkter Widerstand und Widerspruch (zwischenmenschliche Ebene), Dienst nach Vorschrift (Schnittebene Person – System) oder das Bilden einer Gegenkoalition (Systemebene) sind beispielsweise solche Widerstandsprozesse. Hierbei verwenden die anderen Personen die gleichen Taktiken und Prozesse und versuchen die gleichen Wirkungen zu erzeugen.

Person B

21

942

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

21

..Abb. 21.2  © 2018 by Tobias Leuenberger

21.4 Quellen der Macht

Quellen und Wege der Machtausübung

Führungskräfte finden unterschiedliche Quellen der Macht vor, welche sie unter der Verwendung von verschiedenen Taktiken der Einflussnahme anwenden können. Gleichzeitig haben aber auch alle anderen Beteiligten des sozialen Systems diese Machtquellen zur Verfügung und verwenden dieselben Taktiken, um Machtausübung entgegen zu wirken oder diese zu unterstützen. 21.4.1

Macht durch Person, Position, soziales System

Macht aufgrund von Person, Position und sozialem System

French und Raven (1959) identifizierten fünf Quellen der Macht. Diese sind die Macht durch Expertentum, Identifikation, Legitimation, Belohnung und Bestrafung/Zwang. Andere Forscher wie beispielsweise Yukl (2013) erweiterten diese Machtquellen um die Komponenten Information und Ökologie. Greenberg (2013) zählt zusätzlich noch Charisma als auch rationale Überzeugung zu den Machtquellen. Macht entsteht auch im Rahmen des koordinierten sozialen Austauschprozesses innerhalb eines sozialen Systems, wenn mehrere Akteure sich zusammenschließen und ihre Handlungen aufgrund gemeinsamer Interessen oder Ziele koordinieren (Politik). Die beschriebenen Machtquellen lassen sich den folgenden drei Wirkungsebenen zuordnen: zz Macht durch Person

Unterschiedliche Machtquellen sind direkt an die Person und ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten gebunden. Sie sind von der Organisation unabhängig und bestehen weiter, wenn die Person eine Organisation verlässt. Machtquellen der Person sind Expertentum,

21.4  •  Quellen und Wege der Machtausübung

943

21

Identifikation, Charisma und rationale Überzeugung (Greenberg 2013; Yukl 2013). Diese Machtquellen erzeugen ihre Wirkung primär auf der zwischenmenschlichen Ebene. Die persönlichen Machtquellen werden insbesondere bei der interaktionellen Führung als auch der Führung von Veränderung wirksam. zz Macht durch Position

Innerhalb eines sozialen Systems und speziell innerhalb einer Organisation übernimmt man eine bestimmte Rolle und Position, welche mit einer gewissen legitimen Autorität und bestimmtem Einfluss- und Entscheidungsmöglichkeiten ausgestattet ist. Speziell die Führungsrollen sind im Vergleich zu den Mitarbeitenden mit vielfältigeren Machtquellen ausgestattet. Die Machtquellen stammen aus dem sozialen System, wirken jedoch auf der zwischenmenschlichen Ebene. Machtquellen durch Position werden insbesondere bei der aufgabenorientierten Führung wirksam. Belohnungs- und Bestrafungsmöglichkeiten als auch Legitimation sind oft an die Rolle gekoppelt. zz Macht durch das soziale System

Die Machtquellen Information und Politik speisen sich durch die Interaktion mit unterschiedlichsten Akteuren in einem sozialen System. Sie sind zum Teil abhängig von der Position und Rolle, die die Führungskraft übernimmt, da sie dadurch Zugang zu Informationen und Entscheidungsgremien hat. Gleichzeitig spielen die individuellen Fähigkeiten eine wichtige Rolle dabei, ob diese möglichen Machtquellen auch genutzt werden können, denn insbesondere die Quelle der Politik bedingt, dass man andere überzeugen kann. Beiden Machtquellen stehen nicht nur Führungskräften zur Verfügung, sondern allen anderen Organisationsmitgliedern. Jedoch haben Führungskräfte aufgrund ihrer Rolle und Position einen vereinfachten Zugang dazu. Somit entstehen diese Machtquellen durch zwischenmenschliche Interaktion im sozialen System und wirken primär auf der Ebene des sozialen Systems. Machtquellen durch das soziale System werden insbesondere bei der Führung nach Außen und der Führung von Veränderung wirksam. Die nachfolgende Tabelle fasst die Machtquellen zusammen, beschreibt diese und fügt sie den unterschiedlichen Ebenen der Machtausübung zu (. Tab. 21.1). 21.4.2

Veränderungen der Machtquellen

Alle Machtquellen unterliegen auch Veränderungen. Die wichtigste Veränderung geschieht, wenn eine Person eine andere Position und Rolle zugewiesen bekommt, oder die entsprechende Position verlässt. Mit diesem Schritt entfallen alle Machtquellen der Position

Machtquellen ändern sich

944

21

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

..Tab. 21.1  Machtquellen. (Zusammengefasst und erweitert nach Greenberg 2013; Yukl 2013; French und Raven 1959) Quelle

Macht abgeleitet …

Wirkungsebene

Expertentum

Von anerkanntem überlegenem Wissen, Fähigkeiten oder Fertigkeiten einer Person

zwischenmenschlich

Identifikation

Vom Grad zu welchem jemand von anderen gemocht und bewundert wird

Charisma

Aufgrund einer enthusiastischen Einstellung und ansteckendem Optimismus, einer Aura von „Leadership“

Rationale Überzeugung

Von der Stärke der eigenen Logik und Wirksamkeit der Argumente

Person

Position/Rolle Legitimation

Von der Position in einer organisationalen Hierarchie; die akzeptierte Autorität einer Position

Ökologie

Von Kontrolle über die physische Umwelt, Technologie und Organisation der Arbeit.

Bestrafung/Zwang

Von der Fähigkeit und Befugnis anderen Bestrafungen zu erteilen

Belohnung

Von individuellen Fähigkeit und Befugnis anderen wertgeschätzte Belohnungen zu gewähren

Schnittpunkt Zwischenmenschlich und soziales System

Soziales System Information

Aufgrund der Informationen die einem durch die Organisation oder Netzwerke verfügbar sind

Politik

Vom Zusammenschluss von mehreren Personen, die gleiche Interessen oder Ziele verfolgen

Soziales System

automatisch und werden durch die Machtquellen in der neuen Position ersetzt. Hinsichtlich der Machtquellen durch das soziale System kann diese Veränderung zweiteilig ausfallen. Bleibt man weiterhin durch Netzwerke mit anderen verbunden und verfolgt weiterhin gemeinsame Ziele und Interessen, bleibt die Machtquelle Politik erhalten. Verschwinden jedoch durch den Positionswechsel die Zugänge zu den entsprechenden Netzwerken, oder die Interessen sind nicht mehr die gleichen, so verringert sich auch in Folge diese Quelle der Macht. Gleiches gilt für die Macht durch Information. Einerseits ist entscheidend, ob die verfügbaren Informationen an der neuen Position noch machtvoll sind, andererseits ist ebenfalls entscheidend, ob man an der Position zusätzlichen oder verminderten Zugang zu einflussreicher Information besitzt. Die Quellen der Macht, die in der Person begründet sind, bleiben bei einem Wechsel zumeist erhalten. Wer in diese Quellen und

21.5  •  Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss

945

21

somit in sich insbesondere durch Lernen und Weiterbildung als auch durch Selbstführung investiert, erarbeitet sich langfristig wirksame Einflussquellen. Gleiches gilt für den Aufbau von langfristigen Netzwerken, bei welchen das Interesse an der Person ausschlaggebend ist. 21.5

Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss

Ob aus den Quellen der Macht jedoch ein wirksamer Einfluss wird hängt ab von den angestoßenen Prozessen, den intendierten Wirkungen, den dadurch verwendeten Taktiken und letztlich, ob die „Zielperson“ den Einflussversuch „akzeptiert“. 21.5.1 Einflussprozesse

Die unterschiedlichen Quellen der Macht ermöglichen es einer Führungsperson, in einem wechselseitigen Prozess des Austauschs, Einfluss auf das Verhalten, das Erleben oder das Denken anderer Personen auszuüben Kelman (1958), unterschieden zwischen drei Prozessen, wie Einfluss und somit Macht auf eine Person wirkt. Diese sind die instrumentelle Erfüllung, die persönliche Identifikation und die Internalisierung. zz Instrumentelle Erfüllung

Die beeinflusste Person verändert ihr Verhalten, damit sie Belohnungen erhält oder Bestrafungen vermeidet. Die Verhaltensveränderung ist somit nur Instrument. Fällt die Belohnung oder die Bestrafung weg, wird die Person ihr angepasstes Verhalten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr weiterführen. zz Persönliche Identifikation

Die beeinflusste Person imitiert die beeinflussende Person oder übernimmt die gleichen Einstellungen wie diese, um der beeinflussenden Person zu gefallen. Ein zentrales Ziel hierbei ist es, von der beeinflussenden Person akzeptiert zu werden und die Beziehung zwischen beiden Personen zu stärken. zz Internalisierung

Die beeinflusste Person verändert ihr Verhalten, da dieses als intrinsisch wünschenswert erachtet wird und diese mit den Überzeugungen, Werten und dem Selbstbild der beeinflussten Person übereinstimmt. Die Verbindlichkeit entsteht nicht durch Loyalität gegenüber der beeinflussenden Person oder durch Belohnung und Bestrafung, sondern durch die Loyalität gegenüber den Ideen und Vorschlägen.

instrumentelle Erfüllung, persönliche Identifikation, Internalisierung

946

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

21.5.2

21 Compliance, Commitment, Widerstand

Wirkung von Einfluss und Macht

Yukl (2013) definiert drei verschiedene Wirkungen von Einflussprozessen. Diese sind Compliance (Befolgung), Commitment (Engagement, Bindung) und Resistance (Widerstand). zz Compliance

Von Compliance spricht man, wenn eine Person das verlangte Verhalten ausführt, jedoch ohne Enthusiasmus und nur den gerade nötigen Effort leistet. Generell sind diese Personen nicht davon überzeugt, dass das Verhalten nützlich ist oder dass damit das gewünschte Ziel erreicht wird. Jedoch kann es durchaus sein, dass in bestimmten Führungssituationen die Befolgung der vorgegebenen Verhaltensweisen (Compliance) völlig ausreicht, beispielsweise, wenn ein Gebäude evakuiert werden muss oder wenn in einer Sitzung für ein bestimmtes Projekt gestimmt werden soll. zz Commitment

Commitment ist dann gegeben, wenn eine Person großen Einsatz leistet, um das erwünschte Ziel oder das erwünschte Verhalten umzusetzen. zz Widerstand

Widerstand ist eine Reaktion auf den wahrgenommenen Einfluss mit dem Ziel, erneut den individuellen Handlungsfreiraum zurückzugewinnen, welcher durch den wahrgenommenen Einfluss eingeschränkt wird. Auf diese Wirkung wird unten noch gesondert eingegangen. 21.5.3 Taktiken der Einflussnahme

Taktiken der Einflussnahme

Yukl (2013) beschreibt drei verschiedene generelle Taktiken, um Einfluss auf die Einstellung oder das Verhalten anderer Personen zu nehmen. Taktiken sind hierbei als der geschickte und flexible Einsatz von unterschiedlichen Verhaltensweisen und Mitteln anzusehen, um das gewünschte Ziel der Beeinflussung des Verhaltens anderer zu erreichen. Diese von Yukl beschriebenen Taktiken sind Impression Management, politische Taktiken und proaktive Taktiken. zz Impression Management

Ziel dieser Taktiken ist es, dass die anderen Personen die beeinflussende Person mögen oder ein positives Bild der Person erhalten. Diese Taktik wird sowohl von Führungskräften als auch von Mitarbeitenden regelmäßig verwendet. Indem die Führungsperson erreicht, dass sie gemocht wird und man ein positives Bild dieser Person hat, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass der Beein-

21.5  •  Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss

flussungsprozess der persönlichen Identifikation oder sogar der Internalisierung wirksam wird und bei der zu beeinflussenden Person zu Commitment führt. zz Politische Taktiken

Politische Taktiken werden verwendet, um die Entscheidung in Organisationen oder in einem größeren sozialen System zu beeinflussen. Politische Taktiken finden sich schon auf der Ebene der Teams, sind jedoch häufig anzutreffen beim Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Gruppierungen in einer Organisation. In den meisten Fällen folgt das soziale System dabei einem geregelten Prozess des Ausgleichs von unterschiedlichen Interessen. Generell geschieht dies über eine Form der Verhandlung. Mögliche politische Taktiken bestehen darin, Einfluss darauf zu nehmen, wie Entscheide getroffen werden, d. h. zu beeinflussen, in welchen Gremien und nach welchem Modus entschieden wird (z. B. Entscheidung durch Hierarchie oder Konsens) oder eine möglichst große Anzahl Unterstützer für einen bestimmten Entscheid zu gewinnen. Weitere Taktiken sind Täuschung, Manipulation oder der Missbrauch von Macht. Obwohl unterschiedliche Möglichkeiten bestehen, wie man auf unethische Weise politischen Einfluss gelten machen kann, ist die Verhandlung zwischen Akteuren der oft gewählte und legitime Weg, in dessen Rahmen politischen Taktiken akzeptiert sind. zz Proaktive Taktiken

Proaktive Taktiken zielen immer auf die direkte Erfüllung einer Aufgabe ab. Yukl (2013, S. 205) zählt proaktive Taktiken auf, welche auf unterschiedlichen Quellen der Macht und Einflussprozessen fußen. Das Ziel dieser Taktiken ist immer Commitment oder zumindest Compliance.

-

Proaktive Taktiken. (Zusammengefasst nach Yukl 2013) Rationale Überredung: Anhand von logischen Argumenten und Fakten wird aufgezeigt, dass eine Anfrage machbar und realistisch ist Einschätzung/Beurteilung: Erklärt, wie die Ausführung einer gestellten Anfrage sich persönlich auf die Person auswirken wird oder wie die Person bei ihrer Karriereentwicklung unterstützt wird Inspirierender Appell: Auf die Werte und Ideale der Person wird Bezug genommen oder es wird versucht, die Emotionen anzusprechen, um Commitment zu erzeugen Konsultation: Die Person wird ermutigt, Verbesserungen vorzuschlagen oder dabei zu helfen, etwas zu planen oder zu verändern

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

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Kollaboration: Die beeinflussende Person offeriert relevante Ressourcen und Unterstützung für die Unterstützung der anderen Person Einschmeicheln: Die beeinflussende Person nützt Lob oder Komplimente während oder vor einem Einflussversuch oder äußert Vertrauen in die andere Person, dass diese die schwierige Aufgabe ausführen kann Persönliche Appelle: Die Person wird gebeten, eine Anfrage auszuführen aufgrund der Freundschaft, oder sie wird um einen Gefallen gefragt, bevor gesagt wird, um was es geht Austausch: Der Person wird eine Belohnung, ein Austausch an Gefälligkeiten, oder der Wille zur späteren Wiedergutmachung offeriert Koalitionstaktiken: Die Unterstützung anderer wird gesucht oder die Unterstützung von anderen als Argument dazu verwendet, um die zu beeinflussende Person von der gestellten Anfrage zu überzeugen Legitimierungstaktiken: Versuch, die Legitimität einer Anfrage oder die entsprechende Autorität zu unterstreichen, indem auf bestehende Regeln, Grundsätze, Verträge oder Präzedenzfälle verwiesen wird Druck: Forderungen, Drohungen, häufige Kontrolle oder ständige Erinnerung werden dazu verwendet, dass die Person die Anfrage ausführt

Yukl beschreibt ebenfalls, dass rationale Überredung, Konsultation, Kollaboration und inspirierende Appelle die effektivsten Überzeugungstaktiken sind, da sie oft eine erfolgreiche Zielbindung generieren. Er spricht daher auch von den vier „Kerntaktiken“ der Einflussnahme. 21.5.4 Drohen und Versprechen

Definition: Drohung

Drohen und Versprechen

Drohen und Versprechen als Taktiken der Machausübung werden nachfolgend nochmals gesondert betrachtet, da sie direkt Widerstand erzeugen können. Drohung und Versprechen treten als Zwillingspaar auf. Sie steuern das Verhalten anderer Menschen, indem Drohungen Furcht und Versprechungen Hoffnung erzeugen. Popitz bezeichnet sie in seiner scharfsinnigen Analyse als „instrumentelle Macht“ (Popitz 1992, S. 79). Definition  Das prototypische Muster der Drohung sieht wie folgt aus: „Wenn du, was ich will (gefordertes Verhalten), nicht tust

21.5  •  Prozesse und Wirkung von Macht und Einfluss

(abweichendes Verhalten), werde ich dir Schaden zufügen bzw. dafür sorgen, dass dir Schaden zugefügt wird (angedrohte Sanktion); wenn du tust, was ich will (konformes Verhaltens), wirst du dem Schaden entgehen (Sanktionsverzicht).“ (Popitz 1992, S. 80). 

In jedem Fall entsteht eine Beziehung zwischen der drohenden oder versprechenden Partei und einer anderen, von der etwas gewollt wird. Drohungen ergeben nur dort Sinn, wo es etwas zu holen (oder zu vermeiden) gibt. Allerdings bringt die Drohung den Drohenden in eine Situation der Selbstbindung, aus der man nicht mehr ohne weiteres wieder herauskommt. Wird gedroht, so müssen bei Nichtbefolgung die Drohungen wahr gemacht werden. Ansonsten verliert man an Glaubwürdigkeit. Beide Parteien geraten somit in eine strategische Entscheidungssituation: Welche Sanktionsmittel „passen“, auf welche Weise müssen sie platziert werden (offen oder verdeckt)? Auf der anderen Seite steht die Frage nach der faktischen Durchsetzbarkeit von Drohungen bzw. nach dem Preis für Fügung oder Widerstand. Für den Drohenden ist es wichtig, dass er nach Möglichkeit seine Drohung nicht wahr machen muss, denn die Wirkung basiert auf potenziellem Handeln. Die tatsächliche Ausführung der Sanktion bedeutet deshalb immer einen Machtverlust und kann direkt zu massivem Widerstand führen. Popitz betont die „Ökonomie der Drohung“ (Popitz 1992, S. 92 ff.). Drohungen sind dann „günstiger“, wenn mit Konformität gerechnet werden kann (Compliance). Versprechungen sind günstiger für den Fall, dass mit Widerstand zu rechnen ist. Fügt sich der Bedrohte, kostet es den Drohenden nichts. Müssen für konformes Verhalten Versprechungen eingelöst werden, sind Geld, Pfründe, Beförderungen oder andere Leistungen fällig. Dies gilt auch für das Prinzip „divide et impera“ (teile und herrsche). Beim Typ der offenen Drohung werden die Sanktionspotenziale deutlich. Hierzu gehören auch alle Formen von Einschüchterung. Bei der verdeckten Drohung lässt sich „das Ungewöhnliche im Alltag“ verstecken (Popitz 1992, S. 89). Der Drohende tritt gar nicht offen als solcher auf. Es können Freunde, Kollegen, Berater usw. sein, die indirekt deutlich machen: „Wenn du meinen Empfehlungen nicht folgst, wirst du scheitern“ (Popitz 1992, S. 89). Indem der Drohende keinen offenen Machtanspruch definiert, wird auch dem Bedrohten die Fügsamkeit erleichtert. Er kann sich fügen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die verdeckte Form der Drohung bietet ihm die Möglichkeit zur „verdeckten Fügsamkeit“ (Popitz 1992, S. 90). Verbunden mit Frage der „Rentabilität“ von Drohungen ist auch jene der Ausdehnbarkeit. Die Wirkungsmöglichkeit von Drohungen ist ausdehnbar, wenn bisher erfolgte Drohungen erfolgreich, also rentabel waren. Die Machtmittel, die nicht eingesetzt wurden, bleiben weiter disponibel.

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21

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

21.5.5 Widerstand

21 Widerstand

Interessant ist, dass dieselben Taktiken auch verwendet werden können, um Einflussversuchen zu widerstehen. Beispielsweise kann die Taktik der rationalen Überredung auch dazu verwendet werden, einem inspirierenden Appell entgegenzuwirken. Koalitionstaktiken können verwendet werden um Druck oder Legitimierungstaktiken zu widerstehen. Auch wird nicht selten auf Drohungen mit Gegendrohungen reagiert. Wie oben schon beschrieben ist Macht jedoch nicht etwas Absolutes. Eine Person hat nur so lange die Möglichkeit in irgendeiner Weise Macht und Einfluss auszuüben, solange die anderen dieser Person Macht zuschreiben und die Machtausübung und den entsprechenden Einfluss erlauben. French (1956) als auch Cartwright (1959a, 1959b) beschrieben dies folgendermaßen: >>Die Macht von A über B ist gleich der maximalen Kraft, die A

auf B induzieren minus der maximalen Kraft des Widerstandes, welche B in die entgegengesetzte Richtung mobilisieren kann (Bass 2008).

Sobald eine Person oder eine Personengruppe sich dazu entscheidet, dem Einfluss der machtausübenden Person oder Gruppe nicht mehr stattzugeben und willentlich die möglichen negativen Auswirkungen in Kauf zu nehmen oder gemeinsam mit anderen eine entsprechend starke opponierende Kraft/Macht auszuüben, so minimiert sich oder verschwindet der Einfluss der ursprünglich Macht ausübenden Person oder Gruppe und somit auch deren Einfluss auf das Verhalten der anderen. Eine besondere Form des Widerstandes finden wir beim „passiven Widerstand“, der sich in Organisationen häufig als „Dienst nach Vorschrift“ zeigt: >>„Einer der besonders hübschen Winkelzüge … ist es bekannt-

lich, plötzlich auf die Einhaltung jeder formeller Regeln zu pochen, die im Rahmen informeller Organisation vielleicht schon seit Jahren verletzt wurden, verletzt werden durften, womöglich verletzt werden sollten oder mussten. … Aus der Differenz von Regel und Regelverletzung schlagen Vorgesetzte in Organisationen jenes Machtkapital, das sie tagtäglich brauchen, um sich dafür in einem mikropolitischen Tausch – ‚ich dulde die Regelverletzung, wenn du dafür …‘ – formal nicht erwart- oder erzwingbare Leistungsbereitschaft einzuhandeln.“ (Ortmann 2003, S. 104 f.).

Passiver Widerstand ist in der Lage, große Herrschaftsbereiche in Frage zu stellen und letztlich zu Fall zu bringen, wie das prominente Beispiel Mahatma Gandhis in Indien zeigt.

21.6  •  Systemische Aspekte der Macht

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Eine andere Form des Widerstandes ist der zivile Ungehorsam. Diese Form des Widerstandes hat zum Ziel, der beeinflussenden Partei den Machtanspruch zu entziehen und tritt insbesondere dann auf, wenn innerhalb des Systems ein legitimer Einfluss geltend gemacht wird, welcher von den Beeinflussten jedoch als moralisch verwerflich oder unethisch taxiert wird. In dessen Folge wird dem innerhalb des Systems legitimen Einfluss nicht nachgekommen. 21.6

Systemische Aspekte der Macht

Auf der Ebene des sozialen Systems spielen zusätzlich zu den bereits schon beschriebenen Prozessen und Taktiken noch weitere systemische Aspekte der Macht eine Rolle. Diese sind unter anderem die Art des Herrschaftssystems, Mikropolitik, Strategien und Taktiken, der Umgang mit Rationalitätslücken, Ungewissheitszonen, welches „Spiel“ man spielt, und das Zusammenspiel von Macht, Vertrauen und Verständigung, auf welche nachfolgend nochmals genauer eingegangen wird.

Prozesse des sozialen Systems

21.6.1 Herrschaftssysteme

Mikropolitik findet in Organisationen statt, in welchen sich unterschiedliche politische Herrschaftssysteme vergleichbar mit jenen von Gesellschaften entwickeln. In der Politikwissenschaft hat sich die Unterscheidung der Begriffe „Polity“, „Policy“ und „Politics“ eingebürgert. Unter „Polity“ werden grundsätzliche institutionelle Aspekte verstanden, wie etwa Fragen der Verfassung. „Policy“ bezieht sich auf inhaltliche Aspekte, also auf Normen und Richtlinien, wie sie auch in der Unternehmenspolitik oder der Personalpolitik zum Ausdruck kommen. „Politics“ ist die Bezeichnung für Verfahren und Prozesse, die Einfluss auf die inhaltlichen wie institutionellen Aspekte nehmen. Im Weiteren interessieren wir uns also insbesondere für den Bereich der „Politics“. Ortmann versteht entsprechend Mikropolitik als „organisationale Innenpolitik“ (Ortmann 1988, S. 18). Folgen wir Morgan (2000), ist ein wesentlicher Aspekt von Organisation immer das Politische. In Organisationen kommen Strukturen zur Anwendung, die Ordnung schaffen sollen. Morgan (2000, S. 206) identifiziert sechs Formen der Herrschaft, wie sie in Organisationen zu finden sind. zz Autokratie

Die Autokratie ist eine absolute Form der Herrschaft einzelner Personen oder kleiner Gruppen, welche durch strenge Kontrolle (Eigentum, Vermögen, Medien usw.) aufrechterhalten wird.

Autokratie, Bürokratie, Technokratie, Allianzen, Demokratie

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

zz Bürokratie

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Unter Bürokratie wird die „Herrschaft des Gesetzes“ verstanden. zz Technokratie

Bei der Technokratie stützt sich der Herrschaftsanspruch auf Fachwissen und Lösungskompetenzen. zz Allianzbildung

Die Allianzbildung entspricht dem Prozess von Koalitionsbildungen, bei denen Verfügungsbereiche unter ansonsten konkurrierenden Parteien aufgeteilt werden. zz Repräsentative Demokratie

Wahlen und die Zuteilung von Mandaten auf Zeit sind zentrale Charakteristika repräsentativer Demokratien, wie sie in Wirtschaftsunternehmen etwa im Bereich der Mitsprache (Gewerkschaften) oder bei Verwaltungsräten zum Ausdruck kommt. zz Direkte Demokratie

Eine direkte Demokratie gesteht allen ein gleiches Mitsprache- und Entscheidungsrecht zu. Sie findet sich in vielen gemeinschaftlichen Organisationen wie etwa Kooperativen oder Kollektiven. Das Prinzip der Selbstorganisation (Herrschaftsfreiheit) ist hier von zentraler Bedeutung. 21.6.2 Mikropolitik

Neuberger definiert Mikropolitik als: Definition 

Definition: Mikropolitik

Der Begriff der Mikropolitik bezieht sich im Unterschied zur großen Politik eines Unternehmens oder eines Staates auf das „Arsenal jener alltäglichen ‚kleinen‘ (Mikro)Techniken, mit denen Macht aufgebaut und eingesetzt wird, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern und sich fremder Kontrolle zu entziehen.“ (Neuberger 1995, S. 14) 

Merkmale der Mikropolitik

Neuberger (1995) liefert acht Merkmale, die den Begriff der Mikropolitik differenziert charakterisieren sollen. Gleichzeitig stellen diese Merkmale ein Raster zur Diagnose des „politischen“ Zustandes in einer Organisation (Gruppe) dar: zz Akteursperspektive, Handlungsorientierung

Unter einer Akteursperspektive interessiert man sich vor allem für die Frage: Wer tut was bzw. wer tut was nicht? Diese Perspektive betont die Rolle des handelnden Subjekts.

21.6  •  Systemische Aspekte der Macht

zz Interessen

Die Leitfrage einer Perspektive von Interessen lautet: Warum oder wozu wird gehandelt? Politisch werden Prozesse in Organisationen immer dann, wenn verschiedene, widerstreitende Interessen aufeinander stoßen. zz Intersubjektivität

Unter dem Thema der Intersubjektivität wird nach den Beziehungen gefragt. Es geht hierbei um die konkrete Handlungskonstellation, die entsteht, wenn verschiedene Subjekte miteinander in Beziehung treten. zz Macht

Die Perspektive der Macht fokussiert die Frage, in welchem Ausmaß die Chance besteht, eigene Interessen durchzusetzen. zz Dialektik der Interdependenz

Bei der Dialektik der Interdependenz geht es um die wechselseitigen Abhängigkeiten, denen die Akteure unterworfen sind. Die Handlungen von Akteuren sind abhängig voneinander und bilden gleichzeitig ihre Voraussetzungen. zz Legitimation

Legitimation fragt einerseits nach dem Bezugssystem und andererseits nach der Weise, mit der Handlungen gerechtfertigt werden können. zz Zeitlichkeit

Bei der Zeitlichkeit lautet die Leitfrage: Wie wird mit Instabilitäten und Diskontinuitäten umgegangen? Politisches Handeln wird mit Erwartungsbrüchen, Dynamiken, günstigen Gelegenheiten usw. konfrontiert und braucht entsprechende Strategien im Umgang mit diesen Themen. zz Ambiguität

Der Perspektive Ambiguität liegt die Annahme zu Grunde, dass Intransparenz und Widersprüchlichkeit genutzt werden, um Interessen durchzusetzen. In dem Moment, wo Organisationen nicht mehr als technische Systeme bzw. als absolute Herrschaftsmaschinen mit vollständiger Unterwerfung realisiert werden können, entstehen automatisch Spielräume für die Akteure, die diese nutzen. In diesem Sinne geht Neuberger davon aus, dass man „nicht nicht-politisch handeln“ (Neuberger 1995, S. 3), sehr wohl aber: „sich unpolitisch verhalten“ kann (Neuberger 1995, S. 3).

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

21.6.3

21 Strategie und Taktik

Strategie und Taktik

Wenn Mikropolitik in Organisationen betrieben wird, kommen zwei weitere Aspekte ins Spiel, die einerseits zur Analyse, andererseits zum Handlungsvollzug bedeutsam sind: Strategie und Taktik. Die Strategie entspricht einer Handlungsarchitektur, die Taktik ihrem Design. Zwischenmenschliches Handeln ist insofern einzigartig, als Menschen in der Lage sind, bewusst Strategien und Taktiken zur Erreichung von Zielen einzusetzen. Sie können dabei komplexe Handlungsoperationen ausführen. Im Zusammenhang mit der ökonomischen Grundfrage der Rationalität bzw. der Maximierung des Nutzens unterscheidet Elster die „lokal maximierende Maschine“ und „global maximierende Maschine“ (Elster 1987, S. 36 ff.). Elster argumentiert, dass Menschen die einzigen Systeme seien, die globale Maximierungsstrategien entwickeln und verfolgen können, indem sie 1.) warten können und 2.) indirekte Strategien anwenden. Die global maximierende Maschine kennzeichnet sich dadurch, dass sie zu einer „unvorteilhaften Mutation“ (man könnte sagen Option) Nein sagen kann, um zu einem späteren Zeitpunkt zu einer vorteilhafteren Ja zu sagen (Elster 1987, S. 41). Das beste Beispiel für indirekte Strategien sieht Elster in der Investition. Sie erfordert die Strategie des „einen Schritts zurück, zwei Schritte nach vorne“. Es muss jetzt auf einen direkten (konsumptiven) Vorteil verzichtet werden, um in der Zukunft noch mehr desselben zur Verfügung zu haben. Mit dem bekannten Zitat, dass der Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, hat sich von Clausewitz als Militär- und Kriegstheoretiker bis heute einen Namen gemacht. Seine Erkenntnisse haben nicht nur verschiedene Kriegsherren und Guerillaführer beeinflusst, sondern sich auch im Bereich der Unternehmensführung etabliert. Es ist deshalb kein Zufall, dass im Bereich des Managements häufig Begriffe aus dem Militär bzw. Kriegsführung gebräuchlich sind („Wirtschaftskrieg“, „feindliche Übernahme“, „Verkaufsfront“). In Paris existiert sogar eine Schule, die sich explizit mit der Kriegsführung im Wirtschaftsleben auseinandersetzt, die „Ecole de guerre économique“. Die Betreiber betonen freilich, dass die Kenntnisse der Kriegsführung dazu dienen sollen, entsprechende Aktionen der Gegner (Spionage, Desinformation) zu kennen und entsprechend (abwehrend) darauf reagieren zu können. Für die nähere Betrachtung der Konzepte „Strategie“ und „Taktik“ bedienen wir uns einer Ikone des „modernen“ Guerillakrieges, Che Guevara, der ein brillanter Theoretiker der Kriegsführung war, ohne damit seine Taten in irgendeiner Weise bewerten zu wollen: Eine Strategie ist ein Plan für Handeln, um bestimmte Ziele zu erreichen. Dabei müssen die Faktoren, die das eigene Handeln beeinflussen können, nach Möglichkeit mitbedacht werden:

21.6  •  Systemische Aspekte der Macht

Definition 

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Definition: Strategie

In der militärischen Terminologie versteht man unter Strategie vor allem die Analyse der Ziele des Krieges und, ausgehend von der allgemeinen militärischen Situation, die Erarbeitung allgemeiner Formen und Methoden zur Erreichen des Endziels. Für eine richtige Strategie des Guerillakrieges ist es unerlässlich, die Tätigkeit des Feindes umfassend zu analysieren (Guevara zit. nach Stahel 2006, S. 113–114). 

Taktik bedeutet eigentlich „die Kunst der Anordnung und Auf-

stellung“ (Duden). Es wird ein Vorgehen festgelegt, das die Zweckmäßigkeit und Verfügbarkeit der Mittel im Hinblick auf den Erfolg berücksichtigt. Guevara versteht die Taktik als Definition  Die praktische Art der Verwirklichung strategischer Ziele. Die Taktik ist der Strategie untergeordnet, handelt in ihrem Interesse und verwirklicht die Ziele, die von der Strategie gestellt werden. Damit muss man in jeder Etappe des Kampfes stets beweglichere und variablere Mittel anwenden als die, die anfänglich zur Erreichung des Endziels für möglich gehalten werden (Guevara zit. nach Stahel 2006, S. 119). 

Strategie und Taktik werden nicht nur zur Planung und Durchsetzung von eigenen Interessen (Zielen) eingesetzt, sondern auch im Sinne von Gegenmaßnahmen, um Aktionen zu verhindern, die als gefährlich oder schädlich aufgefasst werden. Dies äußert sich häufig in der merkwürdigen Logik der Eskalationsspirale (Glasl 1999, S. 218 f.), bei der sich die Akteure im Glauben, sie handelten bloß defensiv, immer massiver in Aggressionshandlungen verstricken. 21.6.4

Macht und „Spiele“

Der Ansatz nach Michel Crozier und Erhard Friedberg betont den relationalen Aspekt der Macht: „Macht ist also eine Beziehung, und nicht ein Attribut der Akteure“ (Crozier und Friedberg 1979, S. 39). Jedoch ist sie an Verhandlungen gebunden, d. h. „es ist eine Tausch- und eine Verhandlungsbeziehung“ (Crozier und Friedberg 1979, S. 40). Damit rückt die interindividuelle Beziehung zwischen den Akteuren in den Vordergrund. In Organisationen spielen sich permanent zahlreiche Handlungen ab, von denen häufig nicht klar ist, welche Konsequenzen sie für den einzelnen Akteur haben können.

Definition: Taktik

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

zz Ungewissheitszone Ungewissheitszonen

Crozier und Friedberg entwickelten für diesen Umstand den bedeutsamen Begriff der „Ungewissheitszone“. Ungewissheit ist eine grundlegende Ressource in Verhandlungsbeziehungen: >>„Vorhandene Ungewissheit wird von den zu ihrer Kontrolle

fähigen Akteuren in ihren Verhandlungen mit den davon abhängigen Akteuren benützt“ (Crozier und Friedberg 1979, S. 13).

Das heißt, wer durch seine Handlungen die Ungewissheit von Akteuren oder Akteursgruppen vergrößern oder verkleinern kann, hat Macht über sie. Dabei darf es sich jedoch nicht um irgendeine Ungewissheitszone handeln, sondern vielmehr muss diese der Interessenlage der Akteure entsprechen und relevant für sie sein, d. h. auf deren Bedürfnisse abzielen. Macht ist Crozier und Friedberg folgend, eine instrumentelle Beziehung in dem Sinne, dass sich Macht nur mit Blick auf ein Ziel verstehen lässt. Macht ist außerdem eine nicht-transitive Beziehung. D. h. wenn A auf B und B auf C einen Einfluss ausüben kann, bedeutet es nicht, dass A auch C beeinflussen könnte. Insofern ist Macht zwar eine gegenseitige, aber unausgewogene Beziehung. Crozier und Friedberg sehen Macht nur dann als sinnvolles Konzept an, wenn die Akteure gleichzeitig ein gewisses Maß an Freiheit besitzen. Sie sprechen von einem Kräfteverhältnis, bei dem der eine mehr herausholen kann als der andere, bei dem aber der eine dem anderen niemals völlig ausgeliefert ist (Crozier und Friedberg 1979, S. 41). zz Spiele Spiele

Die beiden Autoren bringen erstmals in der Organisationsliteratur den häufig missverstandenen Begriff der Spiele auf:

» Das Spiel ist für uns viel mehr als ein Bild, es ist ein konkreter

Mechanismus, mit dessen Hilfe die Menschen ihre Machtbeziehungen strukturieren und regulieren und sich doch dabei Freiheiten lassen … Der Spieler bleibt frei, muss aber, wenn er gewinnen will, eine rationale Strategie verfolgen, die der Beschaffenheit des Spiels entspricht und muss dessen Regeln beachten. Das heißt, dass er zur Durchsetzung seiner Interessen die ihm auferlegten Zwänge zumindest zeitweilig akzeptieren muss. (Crozier und Friedberg 1979, S. 68)

Agon, Alea, Mimicy, Ilinx, Paidia, Ludus

Dabei ist nichts darüber ausgesagt, ob die Spieler gleiche Voraussetzungen mitbringen oder Konsens über Spielregeln besteht. Das Spiel stellt also einen (sozialen) Integrationsmechanismus dar, der es verhindert, dass Organisationen in Anarchie und Chaos ver-

21.6  •  Systemische Aspekte der Macht

sinken, indem die Akteure wechselseitig aufeinander bezogen sind. Akteure in Organisationen besitzen immer mehr oder weniger Spielraum, der eine Machtsphäre für weitere Akteure darstellt. Die Macht des Akteurs ist dabei umso größer, je mehr er damit die Möglichkeiten der Spiele und Strategien anderer Akteure beeinflussen kann. Eine Systematik über verschiedene Spielformen, die auf einer Arbeit von Caillois (1960, S. 46) beruht, findet sich bei Neuberger (1992, S. 68 ff.). Dort werden vier Spielformen (Agon, Alea, Mimicry, Ilinx) und zwei Spielweisen (Paidia, Ludus) unterschieden. Agon ist eine Gruppe von Wettkampfspielen, bei denen die Rahmenbedingungen möglichst so gehalten werden, dass ein optimaler Vergleich der Wettkämpfer möglich wird. Diese vergleichen sich in Bezug auf ein bestimmtes Leistungsmerkmal (Schnelligkeit, Gedächtnisleistung, Geschicklichkeit), sodass der Sieger als unbestreitbar Bester einer bestimmten Leistungsklasse bestimmt werden kann. Die persönliche Leistung steht hier also im Vordergrund und Spiele vom Typ Agon sollen diese zum Ausdruck bringen. Alea leitet sich vom lateinischen Wort „Würfel“ ab. Hier geht es um einen Typ von Spielen, die nicht vom Spieler selbst abhängen und auf die er keinen bis wenig Einfluss hat. Vielmehr geht es darum, das Schicksal zu besiegen. Beim Alea verlässt sich der Spieler auf alles Mögliche, nur nicht auf sich selbst. Mimicry bezeichnet eine Variante von Spielen, bei der es darum geht, sich selbst oder anderen vorzumachen, man sei etwas anderes als man selbst oder könne etwas anderes als man tatsächlich kann. Ilinx fasst jene Gruppe von Spielen zusammen, die dem Verlangen nach Rausch Ausdruck verleihen. Es geht um einen vorübergehenden Betäubungs- oder Trancezustand, der für gewisse Zeit die Wirklichkeit verleugnet oder verändert. Innerhalb dieser Spielformen sind zwei Dimensionen möglich, die Caillois „Paidia“ und „Ludus“ genannt hat. „Paidia“ meint dabei Ausgelassenheit, glücklicher Überschwang, Unbekümmertheit, Ungeregeltheit, während „Ludus“ für Disziplin, Regeln, Meisterung von Schwierigkeiten steht. Der Wert dieser Typologie für die Analyse von Organisationen liegt in der Zuordenbarkeit protoypischer Situationen (z. B. Verhandlungen, Bewerbungen, Entscheidungen) zu den Spielformen und -dimensionen. Damit wird beobachtbares Verhalten systematisiert verstehbar. Gleichzeitig liefert die Systematik wertvolle Hinweise auf das eigenen Verhalten, wenn die Zuordnung korrekt durchgeführt wurde. So hat es beispielsweise wenig Sinn, sich bei einem Spiel des Typs „Alea“ über Training und intensive Vorbereitung einen Vorteil verschaffen zu wollen. Hingegen hilft es beim Typ „Agon“ sehr, sich mit den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs genau auseinanderzusetzen.

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

Auch beobachtbare Irrationalitäten in Organisationen (wie spontane Gefühlsausbrüche oder ritualisierte Emotionen) werden durch die Arbeit von Caillois (. Abb. 21.3) und Neuberger verständlicher. Die Analyse von Machtbeziehungen nach Crozier und Friedberg benötigt Antworten auf folgende beiden Fragen: 1. Über welche Mittel verfügt jeder Spieler, welche Trümpfe erlauben es ihm, in einer bestimmten Situation seinen Freiraum auszudehnen? 2. Welche Kriterien definieren die Relevanz und ihre Mobilisierbarkeit? Um welchen Einsatz geht es in der Beziehung und in welche strukturellen Zwänge ist sie eingebettet? (Crozier und Friedberg 1979, S. 44).

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Unter den Zwängen verstehen Crozier und Friedberg die strukturellen Merkmale von Organisationen, welche die Bedingungen dafür liefern, wie die Akteure miteinander verhandeln bzw. ihre Spiele spielen können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Zeitfaktor: Wer mehr Zeit zur Verfügung hat bzw. warten kann, ist in der Regel im Vorteil. Wer unter Zeitdruck steht, ist häufig im Nachteil. Maier (2015) beschreibt eine Vielzahl von zum Teil Jahrtausende alten Strategien, welche auch heute noch zur Anwendung kommen können. Viele dieser Strategien zielen auch darauf ab, das „Spiel“ welche sich in einer Organisation abspielt zu beeinflussen indem das Verhalten der Spieler im Spiel beeinflusst wird. Andere Strategien zielen jedoch darauf ab das Spiel als Ganzes zu verändern indem man die Art des Spiels und dadurch die Regeln des Spiels verändert. Entsprechend ist es hilfreich zu wissen, in welcher Art von „Spiel“ man sich befindet.

Verändern des Spiels

Paida

Agon (Wekampf)

Alea (Chance)

Nicht geregelter Wekampf, Kampf

Auszählspiele (Zahl oder Adler)

Athlek Boxen, Billard, Fechten, Damenspiel, Fußball, Schach

Ludus

Mimicry (Verkleidung) Kindliche Nachahmung, Illusionsspiele, Maske, Travese

Ilinx (Rausch) Kindliche Drehspiele, Zirkus, Schaukel

Jahrmarktsarakonen

Wee, Roulee

Ski Einfache Loerie, zusammengesetzte Loerie

Theater, Schaukünste im Allgemeinen

Alpinismus, Kunstsprünge

..Abb. 21.3  Spielformen und -dimensionen. (Mod. nach Caillois, 1960, © 2017 MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH)

21.6  •  Systemische Aspekte der Macht

21.6.5

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Schließen von Rationalitätslücken

Innerhalb von Organisationen hat Macht und Machtausübung jedoch auch eine andere wichtige Funktion. Dies ist die Schließung von Rationalitätslücken, welche natürlich innerhalb des sozialen Systems einer Organisation entstehen. Selbstbeschreibungen von Organisationen sind üblicherweise dadurch charakterisiert, dass sie Rationalität in den Vordergrund stellen: Organigramme sehen übersichtlich und plausibel aus, Projekte sind gut geplant und mit adäquaten Tools aufbereitet, Entscheidungen basieren auf Fakten und Daten, neue Mitarbeiter/innen werden aufgrund objektiver Personalauswahlverfahren gewonnen usw. Wir allen wissen jedoch, dass die rationale Seite der Organisation zwar einem durchaus echten Bemühen um „sachliche“ Erklärung und Behandlung entspringt, im Alltag jedoch alle möglichen Formen von Abkürzungen, Irrationalitäten, Befindlichkeiten usw. vorherrschen, welche die rationale Seite in Bedrängnis bringen oder häufig sogar überlagern. Zwischen Anspruch und Realität klafft oft eine mehr oder weniger große Lücke, eben eine „Rationalitätslücke“ (Kühl 2010). Dieser Umstand wird dadurch noch verstärkt, dass mit zunehmender Spezialisierung die Selektivität in den Beobachtungen und Handlungen zunimmt. So haben heute häufig schon innerhalb der IT-Abteilung eines Unternehmens die Mitarbeiter/innen Mühe, sich zu verständigen, weil sie die Dinge aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektiven zum Teil sehr verschieden anschauen. Nach außen wird aber so getan (und verlangt), dass man einheitlich auftritt. Und so kommt es auch, dass sich der klassische Streit zwischen Ärzten einerseits und betriebswirtschaftlicher Führung eines Spitals andererseits aus dem jeweils hochselektiven Blick der berufsprofessionellen community herleiten lässt, wobei es sich nicht nur um einen „kühlen“ (rationalen) Blick handelt, sondern eben auch um gelernte und geübte zugehörige Emotionen. Um die notwendige Fragmentierung innerhalb der Organisation nicht über ein bestimmtes – und durchaus sinnvolles Maß – anwachsen zu lassen, benötigt sie steuernde, quasi zentripetale Kräfte, die den Zusammenhalt herstellen oder gelegentlich auch erzwingen können. Macht ist dann das Mittel, um Rationalitätslücken zu schließen. Dabei wird die Differenz der Beobachtungen, Meinungen, Haltungen, Handlungen usw. nicht inhaltlich gelöst, aber die sich an dieser Stelle zu verpuffen drohende Energie (endlose Debatten, gegenseitige Beschuldigungen, Abwertungen usw.) kann vorübergehend refokussiert werden. Sie kann im entscheidenden Moment zur „vernünftigen“ Haltung aufrufen bzw. die negativen Rekursionen unterbinden. Das Machtwort führt Entscheidungen herbei, die sich nicht rational begründen lassen, aber dafür sorgen, dass das für Organisationen so wichtige Rationalitätsspiel wieder aufgenommen werden kann.

Macht schließt Rationalitätslücken

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Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

21.6.6

21 Macht, Vertrauen, Verständigung

Macht, Vertrauen, Verständigung

Insbesondere in den neueren, nicht klassischen Organisationsrealitäten mit lateraler Abstimmung und geringer Hierarchieausprägung kommt ein weiterer Machtaspekt ins Spiel. Macht steht dann in einem relationalen Verhältnis zu Vertrauen und Verständigung (Kühl und Schnelle 2009). Macht hilft Verständigung zu organisieren, indem man andere dazu bewegen kann zuzuhören („Einladung“ aussprechen). Die dabei anfallenden Informationen können wiederum für Machtspiele auf allen Seiten verwendet werden. Der Austausch von rationalen und echten Argumenten schafft Vertrauen, je mehr Vertrauen herrscht, desto weniger Macht ist notwendig. Jedoch ist leicht nachvollziehbar, dass durch aggressive Machtspiele Vertrauen schnell verloren geht. Wo Vertrauen fehlt, erhalten Macht und Verständigung ein grösseres Gewicht. Das je eigene momentan stabile Fließgewicht von Macht, Vertrauen und Verständigung zu finden, ist in Organisationen mit lateralen Abstimmungslogiken die große Herausforderung. Macht, Vertrauen und Verständigung wirken auf unterschiedlichen Ebenen, wie . Tab. 21.2 zeigt.

..Tab. 21.2  Macht, Vertrauen und Verständigung – Unterschiedliche Ebenen der Wirkweise. (Nach Kühl und Schnelle 2009, S. 55, mit freundlicher Genehmigung der Handelsblatt Fachmedien) In Organisationen vorhandene formalisierte Varianten des Einflussmechanismus

Nicht formalisierte Variante des Einflussmechanismus

Macht

Macht, deren Akzeptanz zur Mitgliedschaftsbedingung gemacht wird, z. B. die Hierarchie, aber auch durch die Organisation – vermittelt über die Hierarchie – verliehene Macht

Macht, die auf Machtquellen wie Expertenwissen, Kontakte zur Umwelt der Organisation, Beherrschung von informellen Kontaktwegen basiert

Vertrauen

Organisationsvertrauen – das Vertrauen, dass man sich auf die Kommunikationswege und Programme der Organisation verlassen kann, dass man sicher sein kann, wer Mitglied der Organisation ist oder auch nicht

Vertrauen zwischen Personen in Organisationen. Das Vertrauen basiert auf der gegenseitigen Kenntnis des Verhaltens der Personen im Rahmen ihrer Mitgliedschaftsrolle (und beispielsweise nicht auf der Kenntnis der Mitgliedschaftsrolle allein)

Verständigung

Durch die offiziellen Kommunikationswege der Organisation gedeckte Verständigungsprozesse, z. B. in Form von Verständigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oder der Regelkommunikation zwischen Abteilungsleitern

Durch die offiziellen Kommunikationswege nicht gedeckte Verständigungsprozesse, z. B. die Abstimmung auf dem kurzen Dienstweg, die Verständigung zwischen Mitarbeitern niederen Ranges verschiedener Abteilungen, bevor ein Gutachten offiziell vorgelegt wird

Literatur

961

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21.7 Fazit

Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende üben Macht im sozialen System der Organisation aus, mit dem Ziel das Verhalten anderer günstig zu beeinflussen. Macht ist somit ein natürlicher Bestandteil der Arbeitswelt. Es ist Aufgabe aller Akteure in einem sozialen System, den Prozess der gegenseitigen Beeinflussung so zu gestalten, dass eine konstruktive Zusammenarbeit möglich ist. Hierzu ist es nötig die Strukturen, Prozesse und Interaktionen, als auch die Machtverteilungen im sozialen System so zu gestalten, dass alle Akteure die Möglichkeit haben, alleine als auch gemeinsam erfolgreich und motiviert zu arbeiten. Eine Form der konstruktiven Zusammenarbeit, welche auf eine hilfreiche Verteilung von Macht und Einfluss, auf Vertrauen und auf Verständigung fußt, ermöglicht es der Organisation und den einzelnen Akteuren gemeinsam langfristig erfolgreich zu sein. Zusammenfassung Einfluss auf andere und somit Macht auszuüben ist ein wesentlicher Bestandteil menschlichen Zusammenlebens und Arbeitens. Macht wird unter anderem definiert als das Potential Einfluss auf andere auszuüben. Hierbei stehen einer Person unterschiedliche Machtquellen zur Verfügung. Mit verschiedenen Taktiken der Machtausübung stösst sie bei anderen Personen Prozesse an, welche entweder zu einer Verhaltensveränderung im erwarteten Sinne führen, oder zu Widerstand. Widerstand nützt hierbei die gleichen Quellen, Prozesse und Taktiken und hat zum Ziel, die wahrgenommene Handlungsfreiheit wieder herzustellen. Auf der Ebene des sozialen Systems agieren Organisationsteilnehmer innerhalb eines politischen Herrschaftssystems. Unterschiedliche Strategien und Taktiken werden von einzelnen oder Gruppen angewendet um das Spiel im sozialen System zu beeinflussen. Entsprechend ist es wichtig zu verstehen, an welchem Spiel man beteiligt ist um die eigene Macht konstruktiv einsetzen zu können. Macht hilft hierbei innerhalb des Systems ebenfalls Rationalitätslücken zu schließen. Gleichzeitig hilft Macht Verständigung zu organisieren und Vertrauen aufzubauen.

Literatur Bass, B. M. (2008). The bass handbook of leadership: theory, research, & managerial applications (4. Aufl.). New York: Free Press. Bierstedt, R. (1950). An analysis of social power. American Sociology Review, 15, 730–736.

Zusammenfassung

962

21

Kapitel 21  •  Macht und Mikropolitik

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963

Neue Formen der Führung Urs Jörg, Thomas Klink 22.1

Dynamik und Komplexität nehmen zu  –  964

22.1.1 Evolutionäre Organisationen – 965

22.2

Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte  –  984

22.2.1 22.2.2 22.2.3 22.2.4

Ausgangssituation – 984 Möglichkeiten zur Umsetzung einer Meditationspraxis  –  986 Das meditative Modell der Führung  –  989 Anwendung in der Führung  –  993

Literatur – 999

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2_22

22

964

Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Auf einen Blick

Auf einen Blick Im Kapitel zu neuen Formen der Führung soll ein vertiefter Einblick in die Themen neuer Organisations- und Führungsformen gewährt werden. Aus der breiten Palette an aktuell in der Theorie und Praxis diskutierten Themen greifen die Autoren zum einen evolutionäre Organisationsformen auf und erläutern den „Holacracy-Ansatz“ als eine moderne Form Organisationen zu Führen vertieft. Zum anderen wird die Idee der Führung aus der eigenen Mitte, welche den Zusammenhang und Nutzen von Zen-Meditation und Leadership aufzeigt, beschrieben. Beide Aspekte können als neue und überraschende Perspektiven auf das Führungsthema verstanden werden. Persönliche Erfahrungen und Berichte aus der Literatur und Praxis attestieren beiden Ansätzen sowohl für die Führungskräfte als auch für die Organisationen Vorteile. Diese werden im vorliegenden Kapitel erläutert. Gleichzeitig sollen auch kritische Aspekte beleuchtet werden, um den Lesern einen ausgewogenen Eindruck zu vermitteln und eine Grundlage zu schaffen, um sich differenziert mit den genannten Themen auseinanderzusetzen.

22

22.1

Dynamik und Komplexität nehmen zu

Urs Jörg

Dynamik und Komplexität in der Arbeitswelt sind hoch und nehmen weiter zu

Die Arbeitswelt zeigt sich aktuell und zukünftig wohl noch mehr in vielen Bereichen sehr anspruchsvoll. Hohe Dynamik, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Komplexität sind heute eher die Regel als die Ausnahme. In diesem Zusammenhang wird oft von der sogenannten VUCA-Welt gesprochen, welche sich durch hohe Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity) auszeichnet. An verschiedenen Stellen des vorliegenden Handbuchs wird auf die VUCA-Welt aus anderer Perspektive eingegangen (z. B. 7 Kap. 10 „Arbeit in und mit Gruppen“, 7 Kap. 12 „Organisieren als Führungsaufgabe“, 7 Kap. 18 „Veränderungsmanagement“); um eine umfassendere Sicht zu erlangen, sind diese zur Lektüre empfohlen. Der technologische Wandel und die weiter voranschreitende Globalisierung sind unter anderem Treiber dieser Entwicklung. Aufgrund der gestiegenen Anforderungen an Organisationen, Arbeitssysteme, Kooperation und nicht zuletzt an die Führung und das Management kommen traditionelle Organisationsformen zunehmend an ihre Grenzen. Sie werden den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen nur noch bedingt gerecht. Ein Span-

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

nungsfeld ist dabei auch die Anforderung an Organisationen auf der einen Seite zuverlässig, berechenbar und stabil zu arbeiten und auf der anderen Seite sehr veränderungs-, anpassungsfähig und agil zu sein, um rasch reagieren und antizipieren zu können. Klassische Organisationsformen neigen eher zu Stabilität, besonders ab einer gewissen Größe und verlieren typischerweise an Agilität. Im 7 Kap. 10 zur Führung von Gruppen und Teams wurden bereits erste Antworten auf die Frage geliefert, wie diesen Herausforderungen zu begegnen sei. Insbesondere die Hinweise zur Führung von agilen Teams, zu „shared leadership“ bzw. geteilter Führung in und von Gruppen und Teams sind in diesem Zusammenhang relevant. Im 7 Kap. 12. „Organisieren als Führungsaufgabe“ werden zudem die Organisationspraktiken evolutionärer Organisationen erläutert, welche auch als Antwort auf die genannten Aspekte zu sehen sind. Gleichzeitig ist in der Logik der humanen Arbeitsgestaltung ein Schritt zur weiteren „Vermenschlichung“ der Arbeit und damit ganzheitlicheren Betrachtung von Arbeit, Führung und Organisation mit dieser Entwicklung verbunden. Im folgenden Abschnitt werden neue Organisationsformen und die dazugehörenden Prinzipien und Techniken bzw. Praktiken vorgestellt, welche aktuell in verschiedenen Organisationen eingeführt und erprobt werden. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh, eine abschließende Beurteilung über deren Zieldienlichkeit abzugeben. Eine Betrachtung lohnt sich auf jeden Fall. Einige Ergebnisse zeigen, dass sie durchaus vielversprechend sind und bereits erfolgreich eingesetzt werden. Im Übrigen lassen sie sich sehr gut mit dem sozio-technischen Systemverständnis in Einklang bringen. Wir sprechen hier von sogenannten evolutionären Organisationsformen, welche davon ausgehen, dass Organisationen lebende Organismen bzw. lebende Systeme sind (Laloux 2015). Der gleiche Autor hat eine Systematisierung der wichtigsten Organisationsmodelle der Vergangenheit und Gegenwart vorgenommen, welche die Einordnung aktuell anzutreffender Organisationsformen erleichtert und auch den Unterschied zu evolutionären Organisationsformen aufzeigt. Zur letzten Gruppe gehört der bereits genannte Holacracy-Ansatz, welcher wie auch andere evolutionäre Organisationen, die sogenannte Selbstführung bzw. Selbststeuerung praktizieren. . Tab. 22.1 zeigt die von Laloux (2015) postulierte Ordnung verschiedener Organisationsformen. 22.1.1

965

22

Von Organisationen wird heute eine hohe Anpassungsfähigkeit und gleichzeitig Stabilität und Zuverlässigkeit erwartet.

Evolutionäre Organisationen

Laloux (2015) beschreibt drei grundsätzliche Neuerungen evolutionärer Organisationen, welche diese von traditionellen Organisationsformen unterscheiden. Die Grundlage für diese von Laloux (2015) als Durchbrüche bezeichneten Neuerungen lieferten mehrere Fallstudien.

Evolutionäre Organisationen zeichnen sich durch Selbstführung, Ganzheit und einen evolutionären Sinn aus

22

Ständige Machtausübung durch den Anführer, um den Gehorsam der Untergebenen zu sichern. Angst hält die Organisation zusammen. Sehr reaktiv, kurzfristiger Fokus. Gedeiht in chaotischen Umgebungen.

Stark formalisierte Rollen innerhalb einer hierarchischen Pyramide, Anweisungen und Kontrolle von oben nach unten (Was und Wie), Stabilität ist der höchste Wert und wird durch exakte Prozesse gesichert, die Zukunft ist die Wiederholung der Vergangenheit

Das Ziel ist, besser zu sein als die Konkurrenz, Profite zu erwirtschaften und zu expandieren. Durch Innovation kann man an der Spitze bleiben. Management durch Zielvorgaben (Anweisung und Kontrolle bei dem, was getan wird; Freiheit dabei, wie es getan wird)

Innerhalb der klassischen Pyramidenstruktur, Fokus auf Kultur und Empowerment, um eine herausragende Motivation der Mitarbeiter zu erreichen

?

Tribale impulsive Organi­sation (rot)

Traditionelle konformistische Organisation (bernstein)

Moderne leistungsorientierte Organisation (orange)

Postmoderne pluralistische Organisation (grün)

Integrale evolutionäre Organisation (petrol)

Beschreibung

?

Kulturorientierte Organisationen (z. B. Southwest Airlines, Ben & Jerry’s, …)

Multinationale Unternehmen Privatschulen (Charakterschulen)

Katholische Kirche Militär Die meisten Regierungsbehörden Das öffentliche Schulsystem

Mafia Straßengangs Stammesmilizen

Beispiele heute

?

Familie

Empowerment Werteorientierte Kultur Berücksichtigung aller Interessengruppen (Stakeholder-Modell) ?

Maschine

Armee

Wolfsrudel

Bestimmte Metapher

Innovation Verlässlichkeit Leistungsprinzip

Formale Rollen (stabile und skalierbare Hierarchien) Prozesse (langfristige Perspektiven)

Arbeitsteilung Befehlsautorität

Wichtige Durchbrüche

..Tab. 22.1  Aktuell anzutreffende Organisationsmodelle. (Angepasst nach Laloux 2015, S. 36 ff., mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

966 Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

Die drei Durchbrüche evolutionärer Organisationen Selbstführung

Diese Organisationen funktionieren gänzlich ohne klassische Hierarchie und verlangen gleichzeitig nicht nach Konsens. Sie sind in der Lage, die Funktionsweise komplexer, anpassungsfähiger Systeme, wie sie in der Natur üblich sind, auf Organisationen zu übertragen. Diese Fähigkeit führt nach Laloux (2015) zu einer Überlegenheit dieser Organisationsformen gegenüber klassischen, hierarchisch-pyramidalen Strukturen. Wichtig ist dabei der Umstand, dass Selbstführung nicht von alleine geschieht. Es werden in evolutionären Organisationen aktuell ganz bestimmte Praktiken bzw. Prozesse angewendet damit Selbstführung gelingen kann. Die Verwendung solcher Praktiken und Prozesse ist essenziell für die erfolgreiche Selbstführung. Diese müssen verbindlich geregelt, regelmäßig geübt und ihre Einhaltung sichergestellt werden. Dabei sind Anpassungen, um den Anforderungen noch besser gerecht zu werden, sowohl möglich als auch erwünscht. . Tab. 22.2 liefert sowohl einen Überblick zu evolutionären Praktiken der Selbstführung als auch einen Vergleich mit Praktiken, welche in modernen Organisationen klassischer Art Anwendung finden.

Ganzheit Evolutionäre Organisationen legen Wert darauf, dass die Menschen, welche dort arbeiten ihr ganzes Selbst in die Arbeit einbringen und haben deshalb Praktiken entwickelt bzw. verwenden bereits bekannte Ansätze, um die Menschen zu unterstützen, ihre innere Ganzheit wieder zu erreichen. Dies steht im klaren Gegensatz zum Anspruch klassischer Organisationen, welche eher bestrebt sind, Menschen auf ihre professionelle Rolle zu reduzieren und aufzufordern, vor allem das „berufliche“ Selbst einzubringen, welches zwar nur einen kleinen Teil des Menschen repräsentiert und trotzdem in den meisten Organisationen über die anderen Teile gestellt wird. Bestimmte, eher maskuline Eigenschaften, wie Stärke, Belastbarkeit, Entschlossenheit, Zielstrebigkeit sind in klassischen Organisationen erwünscht und entsprechen oft der Idealvorstellung eines Mitarbeitenden bzw. einer Führungsperson. Im Gegensatz dazu werden emotionale, intuitive, spirituelle Eigenschaften oder gar Verletzlichkeit eher als Schwächen interpretiert und sind daher in klassischen Organisationen wenig beliebt. In evolutionären Organisationen haben diese Aspekte ihre Berechtigung und werden als erwünschte Teile des ganzen Menschen und damit auch der Organisation betrachtet. Damit wird nach Laloux (2015) auch versucht, bei den Menschen eine Verbindung zur inneren Ganzheit zu erreichen und die Masken der Professionalität abzustreifen, welche als Schutz dienten und uns von unserem inneren Kern trennten. Neben der Idee, die Menschen in ihrer Ganzheit an-

967

22

Hierarchische Pyramide

Vielzahl von Unterstützungsfunktionen für Personalentwicklung, IT, Einkauf, Finanzen, Controlling, Qualität, Sicherheit, Risikomanagement usw.

Festgesetzte Besprechungen auf jeder Ebene (von Leitungsteam nach unten), woraus oft zu viele Treffen resultieren

Große Abteilungen (Programm- und Projektmanager, GanttDiagramme, Pläne, Budgets usw.), um die Komplexität zu kontrollieren und Ressourcen zu priorisieren

Jede Arbeitsstelle hat eine Stellenbezeichnung und eine Stellenbeschreibung

Weit oben in der Pyramide Jede Entscheidung kann durch einen Vorgesetzten außer Kraft gesetzt werden

Unterstützungsfunktionen

Koordination

Projekte

Stellenbezeichnungen und Stellenbeschreibungen

Entscheidungsfindung

Vollkommen dezentralisiert, basierend auf dem Beratungsprozess (oder auf holakratischen Methoden der Entscheidungsfindung)

Flexible, definierte Rollen statt fester Stellenbeschreibungen Keine Stellenbezeichnungen

Radikal vereinfachtes Projektmanagement Keine Projektmanager, Mitarbeiter besetzten die Projekte selbst Minimale (oder keine) Pläne und Budgets, organische Priorisierung

Keine Treffen des Leitungsteams Koordination und Besprechungen meist spontan, wenn Bedarf besteht

Die meisten dieser Unterstützungsfunktionen werden von Teams selbst oder von freiwilligen Arbeitsgruppen übernommen Die wenigen verbliebenen Unterstützungsfunktionen haben nur beratende Funktion

Selbstorganisierte Teams Wenn nötig Berater (ohne wirtschaftliche Verantwortung und Managementautorität), die mehrere Teams unterstützen

Evolutionäre Praktiken

22

Organisationsstruktur

Moderne Praktiken

..Tab. 22.2  Praktiken der Selbstführung im Vergleich. (Nach Laloux 2015, S. 142 ff., mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

968 Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Kleine Gruppen von Beratern treffen sich vertraulich, um den Geschäftsführer in der Entscheidungsfindung von oben zu unterstützen Kommuniziert wird erst dann, wenn die Entscheidung getroffen wurde

Grenzen der Befugnis je nach der Ebene in der Hierarchie Investitionsbudgets, die vom leitenden Management bestimmt werden

Information ist Macht und wird nur weitergeleitet, wenn es nötig ist

Konflikte werden oft überdeckt, keine Praktiken der Konfliktlösung

Starker Kampf um wenige Beförderungen führt zu politischen Schachzügen und schädlichem Verhalten Silodenken: jeder Manager bestimmt allein über seinen Bereich

Fokus auf individueller Leistung Beurteilung durch Vorgesetzte

Entscheidung wird vom Vorgesetzten getroffen Individuelle Anreize Leistungsprinzipien können zu großen Einkommensunterschieden führen

Der Vorgesetzte hat die Autorität (mit Übereinstimmung der Personalabteilung), einen Mitarbeiter zu entlassen

Einkauf und Investition

Informationsfluss

Konfliktlösung

Rollenverteilung

Leistungsmanagement

Vergütung

Entlassung

Moderne Praktiken

Krisenmanagement

..Tab. 22.2 (Fortsetzung)

Entlassung ist der letzte Schritt in einer Methode der Konfliktlösung durch Mediation In der Praxis sehr selten

Selbst festgelegte Gehälter mit einem Abgleich unter Kollegen Keine Boni, aber gleicher Anteil am Gewinn Geringe Einkommensunterschiede

Fokus auf Teamleistung Individuelle Beurteilung durch kollegiale Prozesse

Keine Beförderungen, sondern eine flexible Neuverteilung von Rollen, basierend auf der Übereinkunft unter Kollegen Jeder ist verantwortlich Dinge auszusprechen, die außerhalb des eigenen Autoritätsbereichs liegen

Formelle mehrstufige Praktiken zur Konfliktlösung Die Kultur beschränkt die Konflikte auf die Konfliktparteien und Vermittler; Außenstehende werden nicht hineingezogen

Alle Informationen sind in Echtzeit allen zugänglich, einschließlich Finanzen des Unternehmens und der Vergütung

Jeder Mitarbeiter kann jede Summe ausgeben, wenn der Beratungsprozess respektiert wird Das Investitionsbudget der Teams wird unter Kollegen geprüft

Transparenter Austausch von Informationen Jeder wird beteiligt, um die beste Lösung aus der kollektiven Intelligenz entstehen zu lassen Wenn der Beratungsprozess aufgehoben werden muss, wird das Ausmaß und die Dauer dieser Aufhebung benannt

Evolutionäre Praktiken

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu 969

22

970

Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

zunehmen und zu integrieren, steht der Gedanke, dass dadurch das (Arbeits‑)Leben farbiger, pulsierender und bedeutsamer wird und neue Energien und Kreativität frei gesetzt und eingebracht werden. . Tab. 22.3 liefert wiederum einen Überblick der evolutionären Praktiken und Prozesse, um Ganzheit zu erreichen und einen diesbezüglichen Vergleich mit modernen Organisationen klassischer Prägung.

22

Evolutionärer Sinn Damit ist gemeint, dass evolutionäre Organisationen aus sich selbst heraus lebendig sind und sich in eine Richtung entwickeln, welche ihren Sinn am besten zu verwirklichen verspricht. Diese Organisationen versuchen nicht, die Zukunft exakt vorherzusagen und zu kontrollieren. Sie versuchen im Gegenteil eher zu erspüren, zu ergründen, wozu die Organisation bestimmt ist, auf welchen Sinn hin sie angelegt ist. Dazu werden alle Mitarbeitenden der Organisation eingeladen, sich gegenseitig zuzuhören, Wissen und Können, sowie Informationen verschiedenster Art einzubringen um das dazu notwendige Verständnis zu entwickeln. Konkurrenten im klassischen Sinne gibt es nicht, sondern es wird geprüft, welche Kooperationsbeziehungen über die Grenzen der eigenen Organisation hinaus einen Beitrag zur Realisierung der eigenen Bestimmung leisten könnten und in welcher Form diese gegebenenfalls zu gestalten sind. Laloux (2015) geht davon aus, dass in der letzten Konsequenz der integralen evolutionären Perspektive, der evolutionäre Sinn der Organisation über allem steht und somit eine Organisation nicht länger als Eigentum gesehen wird, weder eines einzelnen noch von mehreren. Die Organisation wird als Energiefeld, eine Lebensform, ein Potenzial gesehen, welche einem eigenen evolutionären Sinn folgt. Die Menschen, welche in irgendeiner Form in oder mit einer entsprechenden Organisation arbeiten, werden als Begleiter derselben betrachtet, welche mithelfen, das kreative Potenzial der Organisation zu erkennen und ihre Aufgabe in der Welt zu verwirklichen. . Tab. 22.4 zeigt im Überblick die evolutionäre Praktiken und Prozesse um den evolutionären Sinn zu verwirklichen und einen Vergleich mit modernen Organisationsformen. Bevor der Holacracy-Ansatz als ein Beispiel für eine evolutionäre bzw. sich selbst steuernde Organisation vertieft erläutert wird, sollen im folgenden Abschnitt die drei wichtigsten Mythen bzgl. Selbststeuernder Organisationen berichtigt werden (Bernstein et al. 2016). Sich selbst steuernde Organisationen sind klar strukturiert und verfügen über eine Hierarchie

zz Mythos 1: Es gibt keine Organisationsstruktur

Tatsächlich sind sich selbst steuernde bzw. selbst managende Organisationen auf klare und zum Teil komplizierte Art und Weise strukturiert. Die Holacracy zum Beispiel besteht aus einer Vielzahl

Standardisierte, seelenlose Arbeitsgebäude Viele Statussymbole

(Werte stehen oft nur auf einer Wandtafel)





Stellenbezeichnungen sind Statussymbole, die Identität geben Vorgefasste Stellenbeschreibungen





Gebäude

Werte und Grundregeln

Räume zur Reflexion

Gemeinschaftsbildung

Stellenbezeichnungen und Stellenbeschreibungen

Zeitverpflichtung

Konflikte

Moderne Praktiken

Regelmäßige Gelegenheiten, um Konflikte aufzudecken und anzusprechen Mehrstufige Prozesse der Konfliktlösung Jeder Mitarbeiter erhält eine Ausbildung im Umgang mit Konflikten

Ehrliche Gespräche über die individuelle Zeitverpflichtung bei der Arbeit im Kontext anderer wichtiger Verpflichtungen im Leben

Ohne Stellenbezeichnung müssen wir ein tieferes Gefühl der Identität finden Keine Stellenbeschreibung, damit das Selbst die Rollen füllen kann

Praktiken des Geschichtenerzählens, um Selbstausdruck zu unterstützen und Gemeinschaft zu bilden

Raum der Stille Gruppenmeditation und Praktiken der Stille Reflexionspraktiken in Großgruppen Teamsupervision und kollegiale Beratung

Klare Werte, die in explizite Grundregeln für (in)akzeptables Verhalten übersetzt werden, um eine sichere Umgebung zu schaffen Praktiken, um eine kontinuierliche Diskussion über Werte und Grundregeln zu ermöglichen

Selbstgestaltete, warme Räume, offen für Kinder, Tiere, Natur Keine Statussymbole

Evolutionäre Praktiken

..Tab. 22.3  Praktiken und Prozesse zur Förderung der Ganzheit im Vergleich. (Nach Laloux 2015, S. 191 ff., mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu 971

22

(viele Besprechungen, aber wenig Meeting-Praktiken)

Geld ist der extrinsische Maßstab: Nur wenn es nicht zu viel kostet. Nur die Leitung kann Initiativen mit finanziellen Konsequenzen beginnen

Bewerbungsgespräche mit ausgebildeten Mitarbeitern der Personalabteilung, der Fokus liegt auf der Übereinstimmung mit der Stellenbeschreibung

(meist administrative Onboarding-Prozesse)

Weiterbildungen, die von der Personalabteilung entworfen werden Meist Weiterbildung in Fertigkeiten und Management

Mit dem Ziel, eine objektive Momentaufnahme der erbrachten Leistung zu geben

Entlassung sind vor allem ein juristischer und finanzieller Prozess

Ökologische und soziale Initiativen

Neueinstellungen

Onboarding

Weiterbildung

Leistungs­ management

Entlassung

Fürsorgliche Unterstützung, um Entlassungen zu einer Lernmöglichkeit zu machen

Persönliche Untersuchung des eigenen Lernweges und der eigenen Berufung

Persönliche Freiheit und Verantwortung für die Weiterbildung Große Bedeutung von kulturbildenden Weiterbildungen, an denen jeder teilnimmt

Intensive Weiterbildung in Beziehungsfertigkeiten und in der Kultur des Unternehmens Rotationsprogramme, um die ganze Organisation kennenzulernen

Bewerbungsgespräche mit den zukünftigen Kollegen, der Fokus liegt auf der Übereinstimmung mit der Organisation und ihrem Sinn

Integrität als intrinsischer Maßstab: Welches Handeln ist richtig? Verteilte Initiativen, jeder spürt, welches Handeln richtig ist

Bestimmte Meeting-Praktiken, um das Ego unter Kontrolle zu halten und sicherzustellen, dass die Stimme jedes Mitarbeiters gehört wird

Evolutionäre Praktiken

22

Meetings

Moderne Praktiken

..Tab. 22.3 (Fortsetzung)

972 Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Der wichtigste Sinn ist die Selbsterhaltung der Organisation (was auch immer im Leitbild stehen mag)

Strategischer Kurs, der von der Unternehmensleitung vorgegeben wird

(keine Praktiken, die das Hören auf den Sinn ermöglichen; Selbsterhaltung gegen die Konkurrenz ist die wichtigste Triebkraft der Entscheidungsfindung)

Die Konkurrenz ist der Feind, der das Handeln antreibt

Wichtigste Triebkräfte des Erfolges

Wichtigste Kennzahl

Von außen nach innen: Kundenbefragungen und Segmente bestimmen das Angebot Wenn nötig, werden neue Bedürfnisse beim Kunden geweckt

Vorstellung von Sinn

Strategie

Entscheidungsfindung

Konkurrenz

Wachstum und Marktanteile

Gewinn

Marketing & Produktentwicklung

Moderne Praktiken

Von innen nach außen: das Angebot wird durch den Sinn vorgegeben Durch Intuition und Schönheit bestimmt

Unwichtige Kennzahl; wird sich natürlich einstellen, wenn das Richtige getan wird

Wichtig nur insofern, wie sie zur Verwirklichung des Sinnes beitragen

Das Konzept der Konkurrenz wird irrelevant Die „Konkurrenten“ werden integriert, um dem Sinn zu folgen

Praktiken, um auf den Sinn der Organisation zu hören: Jeder kann spüren Großgruppenprozesse Meditationen, geführte Visualisierungen usw. Auf äußere Hinweise antworten

Die Strategie entsteht organisch aus der kollektiven Intelligenz der selbstführenden Mitarbeitern

Organisationen werden als ein lebendiges Wesen mit einem eigenen evolutionären Sinn gesehen

Evolutionäre Praktiken

..Tab. 22.4  Praktiken und Prozesse um den evolutionären Sinn zu verwirklichen. (Nach Laloux 2015, S. 244 ff., mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu 973

22

Basierend auf „Vorhersagen und Kontrollieren“ Mühsame Zyklen halbjährlicher Planung, jährliche und monatliche Budgets Die Regel ist, sich an den Plan zu halten, Abweichungen müssen erklärt und Lücken gefüllt werden Ehrgeizige Ziele, um die Mitarbeiter zu motivieren

Ein ganzes Arsenal von Werkzeugen des Veränderungsmanagements, um die Organisation dazu zu bringen, sich von A nach B zu verändern

Zulieferer werden nach Preis und Qualität ausgewählt Geheimhaltung gegenüber Außenwelt ist die Regel



(es ist nicht Rolle der Organisation, den Mitarbeitern dabei zu helfen, ihre Berufung zu finden)

Veränderungsmanagement

Zulieferer und Transparenz

Stimmungsmanagement

Individueller Sinn

Neueinstellungen, Weiterbildung und Beurteilungsgespräche werden genutzt, um die Schnittstelle zwischen der individuellen Berufung und dem Sinn der Organisation zu erkunden

Bewusstes Spüren der Stimmung, die dem Sinn der Organisation dient

Zulieferer werden nach ihrer Übereinstimmung mit dem Sinn ausgewählt Vollkommene Transparenz lädt die Außenwelt ein, Vorschläge zu machen, um den Sinn besser gerecht zu werden

(„Veränderung“ ist kein relevantes Thema mehr, weil sich die Organisationen ständig von innen her anpassen)

Basiert auf „Spüren und Antworten“ Keine oder radikal vereinfachte Budgets, keine Messung der Varianz Praktikable Lösungen und schnelle Umsetzungen, statt der Suche nach „perfekten“ Antworten Ständiges Spüren von Notwendigkeiten Keine Zielvorgaben

Evolutionäre Praktiken

22

Planung, Budgetierung & Controlling

Moderne Praktiken

..Tab. 22.4 (Fortsetzung)

974 Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

975

22

von Rollen, die in Kreisen zusammengefasst werden, welche wiederum Bestandteil von übergeordneten Kreisen sind und so weiter bis hin zu einem die ganze Organisation umfassend Kreis. zz Mythos 2: Es gibt keine Hierarchie mehr

Führungsverantwortung und die entsprechende Autorität bzw. Macht wird einer bestimmten Rolle zugeschrieben und nicht einer Person. Das bedeutet, dass die Hierarchie und Führung zwar kontextabhängig ist und trotzdem existiert. In der Holacracy gibt es sogenannte Lead-Links. Das sind Rollen, welche dazu da sind, die Interessen eines übergeordneten Kreises in einem in ihm enthaltenen, also untergeordneten Kreis wenn man so will, zu vertreten und sicher zu stellen, dass diese berücksichtigt werden. Im Fall dieser Rolle scheint außer der Bezeichnung kein wirklicher Unterschied zur klassischen Hierarchie zu bestehen. zz Mythos 3: Alles wird durch Konsensbildung entschieden

Im Gegenteil: Es ist nicht die Mehrheit, die bestimmt, es müssen nicht alle mit Ideen einverstanden sein, die realisiert werden. Es existieren schlanke und klar strukturierte Prozesse um rasch Entscheidungen zu fällen. In der Holacracy erlauben und fordern die Befugnisse, welche mit der Übernahme einer bestimmten Rolle verbunden sind autonome Entschiede durch die Rollenträgerin. Im nächsten Abschnitt wird der schon mehrfach erwähnte Holacracy-Ansatz etwas genauer beschrieben.

Viele Entscheide werden ohne Konsensbildung getroffen

Holacracy oder ein neues Betriebssystem für Organisationen

Die aktuell wohl bekannteste praktische Realisierung des evolutionären Ansatzes zur Gestaltung und Führung von Organisationen ist das von Brian J. Robertson (2016) entwickelte Holacracy Managementsystem. Robertson als ehemaliger Softwareentwickler, bezeichnet diesen Ansatz auch als Betriebssystem für Organisationen. Er sieht das Betriebssystem als die Grundlage auf der die Prozesse der Organisation basieren und durch welches die Kultur maßgeblich geprägt wird. Holacracy ist nach Robertson (2016) eine soziale Methodik, welche die Führung und Arbeitsweise einer Organisation radikal verändert. Bestimmte Kernprinzipien, die sich deutlich von denjenigen klassischer Organisationen unterscheiden, definieren die Organisation und ihre Funktionsweise. Vier Elemente bestimmen Holacracy weitgehend: Eine Organisationsverfassung, welche die verbindlichen „Spielregeln“ definiert und die Autorität neu verteilt. Eine Organisationsstruktur, die auf klar definierten Rollen und eindeutig geregelten Autoritätsbereichen der Mitarbeitenden basiert. Ein Entscheidungsfindungsprozess, der neuartig, klar definiert und absolut verbindlich ist um die erwähnten Rollen

-

Holacracy, ein neues Betriebssystem für Organisationen

Vier Kernelemente bestimmen die Holacracy: die Organisationsverfassung, die Organisationsstruktur und je ein definierter Prozess für Meetings und um Entscheidungen zu treffen

976

Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

-

und Autoritäten bei Bedarf rasch den Erfordernissen anzupassen. Ein Meetingprozess, der sicherstellen soll, dass die Teams angemessen koordiniert arbeiten und die Aufgaben effizient erledigen können. Auch dieser Prozess ist eindeutig definiert und zwingend einzuhalten.

22

zz Governance

Der Governance-Prozess sorgt für klare Zuteilungen von Autorität und Verantwortlichkeit

Der Fachbegriff, welcher den Prozess bezeichnet mit dem die Macht und Autorität in einer Organisation zugeteilt wird, heißt „Governance“. Governance, was auch als Steuerung bezeichnet wird, findet selbstverständlich auch in traditionellen Organisationen statt. Nach Robertson (2016) geschieht dies in klassischen Organisationen weit weniger intensiv als in der Holacracy und wird aus seiner Sicht meist massiv vernachlässigt und nur von einer kleinen Gruppe von Menschen, dem Management nämlich, mehr schlecht als Recht wahrgenommen. Daraus resultiert ein Mangel an Klarheit, ungenügend definierten Verantwortlichkeiten und Autoritäten. In der Holacracy wird Governance zu einem Prozess, der in der ganzen Organisation angewendet wird und an dem alle Mitarbeitenden teilnehmen. Ziel dieses Prozesses sind die Erwartungsklärung und eine klare Zuteilung von Autorität und Verantwortlichkeit. Der Governance-Prozess wird von den Mitarbeitenden selbst gestaltet und findet im Rahmen ihrer täglichen Arbeit statt. Auslöser für Anpassungen bzw. Regelungen im Rahmen der Governance sind die sogenannten „Spannungen“, welche Mitarbeitende beim Erledigen ihrer Aufgaben wahrnehmen. Spannungen können als Beeinträchtigungen oder Störungen gesehen werden, welche aus Sicht eines oder mehrerer Mitarbeitenden die effektive und/oder effiziente Aufgabenerledigung behindern oder verunmöglichen. Laut Robertson (2016) sichert die so gestaltete Governance die notwendige Klarheit in der Organisation. Diese Klarheit wird laufend verfeinert und optimiert um die aktuellsten Erkenntnisse in die Rollen und Teams zu integrieren, damit diese den aktuellen und zukünftigen Anforderungen bestmöglich gerecht werden können (. Abb. 22.1). . Abb. 22.1 zeigt die Grundidee der Holacracy und ihre Kernelemente im Überblick. Die Governance beantwortet in der Holacracy laut Robertson (2016) zum Beispiel folgende Fragen: Welche fortlaufenden Aktivitäten sind für uns relevant und wer ist für sie verantwortlich? Welche Erwartungen an andere bzw. an mich sind angemessen und können eingefordert werden? Wer hat welche Entscheidungsbefugnisse? Innerhalb welcher Grenzen?

-

977

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

Einflüsse kommen herein

In klaren Rollen ARBEITEN

22

SPANNUNGEN als Herausforderungen oder Möglichkeiten WAHRNEHMEN

Arbeiten im Team OPERATIVE MEETINGS, um nächste Schrie zu synchronisieren und einzuschätzen

Arbeiten am Team GOVERNANCEMEETINGS, um die Rollenstruktur zu klären und zu verbessern

..Abb. 22.1  Grundidee und Kernelement der Holacracy. (Aus Robertson 2016, S. 26, mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

--

Welche Entscheidungen kann wer treffen und welche Handlungen vollziehen ohne ein Meeting einzuberufen? Welche Regeln und Restriktionen gelten bei unserer Arbeit? Wie können die Antworten auf diese Fragen laufend verbessert werden?

zz Organisationsstruktur

Kommen wir nun zum zweiten Kernelement der Holacracy, der Organisationsstruktur. Robertson (2016) bezeichnet die Struktur von Holacracy nicht als Hierarchie, sondern als Holarchie. Dieser Begriff ist, wie sich unschwer erraten lässt, auch der Namensgeber der Holacracy. Robertson (2016) bezieht sich außerdem auf den Begriff „Holon“, was so viel bedeutet wie „ein Ganzes als Teil eines größeren Ganzen“, eine Holarchie wiederum bezeichnet einen Verbund von Holons oder eine Struktur eben, die aus miteinander verbundenen Holons besteht. Als Analogie dazu wird zum Beispiel der menschliche Körper mit seinen Organen und Zellen verwendet. Diese Betrachtung ist nicht neu, die Systemtheorie nimmt darauf ebenfalls Bezug. In der Holacracy werden nicht die Menschen als kleinste Holons innerhalb der Gesamtorganisation gesehen, sondern die verschiedenen Rollen, welche von den Mitarbeitenden wahrgenommen werden.

Holacracy ist ein Holarchie, was sinngemäß bedeutet: „ein Ganzes als Teil eines größeren Ganzen“

978

22

Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Die kleinsten Holons bzw. Bausteine der Holacracy sind die einzelnen Rollen innerhalb der Organisation

Rollen sind oft in Kreisen zusammengefasst

Verbindungen zwischen den Kreisen, sogenannte Links sorgen für die Wahrnehmung der Interessen anderer Kreise

Der Mensch selbst wird als autonomes, unabhängiges Wesen betrachtet, das sich entschieden hat, für die betreffende Organisation zu arbeiten. Dazu müssen die Menschen bereit sein, die erforderlichen Funktionen auszufüllen, was durch die Übernahme verschiedener Rollen, die einen bestimmte Beitrag zur Aufgaben- bzw. Funktionserfüllung leisten, erreicht wird. Die verschiedenen Rollen sind also die grundlegenden Bausteine der Organisationsstruktur. Mit der Rollendefinition und der Rollenübernahme werden spezifische Aufgaben, Verantwortlichkeiten und auch Entscheidungsbefugnisse bzw. Autorität übertragen. Kann eine Rolle aufgrund ihres Umfanges bzw. der damit verbundenen Verantwortung nicht mehr von einer Person alleine ausgefüllt werden, wird die Rolle in Subrollen aufgeteilt und an mehrere Mitarbeitende übertragen. Diese bilden dann zusammen einen sogenannten „Kreis“, dies die Bezeichnung in der Holacracy. In herkömmlichen Organisationen würde man wohl von Teams oder Abteilungen sprechen. Gleichzeitig kann eine Person auch mehrere, wenn gewünscht oder sinnvoll auch sehr unterschiedliche Rollen wahrnehmen. Die Rollen können auch relativ leicht von einer Person auf eine andere übertragen werden laut Robertson (2016). Durch den definierten Governanceprozess in der Holacracy wird laut Robertson (2016) Rollenklarheit geschaffen. Weil Rollen explizit definiert und Verantwortlichkeiten sowie Befugnisse explizit und eindeutig übertragen werden, lässt sich laut dem Erfinder von Holacracy die tägliche Arbeit effektiver und effizienter erledigen. Die Rollen werden im Rahmen des Governanceprozesses nach Bedarf angepasst, verändert und laufend optimiert, um den mannigfaltigen Anforderungen und Veränderungen möglichst gut zu entsprechen. Die Rollen können als die Zellen der Organisation betrachtet werden, diese werden meist, wie bereits erwähnt, zu Kreisen zusammengefasst, welche wiederum in größere Kriese integriert sind und so weiter bis hin zum größten Kreis, der die Gesamtorganisation umfasst und der in der Holacracy-Verfassung als „AnkerKreis“ bezeichnet wird. In klassischen Organisationen würde von Teams, Abteilungen, Bereichen etc. bis hin zur Gesamtorganisation gesprochen werden. Wobei anzumerken ist, dass ein Kreis nicht eine Gruppe von Menschen, sondern eine Gruppe von Rollen bezeichnet. Das folgende Bild stellt diese Logik dar (. Abb. 22.2). zz Entscheidungsprozess

In strukturierten Meetings werden die von den Mitarbeitenden wahrgenommenen Spannungen bzw. Hindernisse bearbeitet und behoben

Damit die Handlungen der einzelnen Rollen bzw. Kreise ihren Zweck erfüllen können und keine unerwünschten Nebenwirkungen entstehen, müssen die Interessen der Gesamtorganisation bzw. des über- und/oder untergeordneten Kreises berücksichtigt werden. Spezielle Verbindungen zwischen den jeweiligen Kreisen, die sogenannten „Links“, stellen dies sicher.

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22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

Super-Kreis Sub-Kreis

Rollen

..Abb. 22.2  Grundlegende Kreisstruktur der Holacracy. (Aus Robertson 2016, mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

Sub-Kreis Lead-Link

Rollen

Super-Kreis Rep-Link

Rep-Link

Lead-Link

Sub-Kreis

..Abb. 22.3  Die Verbindung der Kreise der Holacracy. (Aus Robertson 2016, S. 47, mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Franz Vahlen)

Der „Lead-Link“, die „Führungsverbindung“ wird durch den Superkreis festgelegt um seine Anliegen im „Sub-Kreis“ einzubringen. Das Pendant dazu, der „Rep-Link“ oder die „Repräsentativverbindung“ wird vom Subkreis gewählt und bringt dessen Anliegen in den übergeordneten „Super-Kreis“ ein. . Abb. 22.3 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die konkrete Arbeit in den Kreisen beinhaltet in erster Linie die Bearbeitung der täglichen Aufgaben entsprechend der jeweiligen Rollen, um den gewünschten Beitrag zur Verwirklichung des Organisationssinns zu leisten. Mit der Übernahme einer bestimmten Rolle werden auch explizite Verantwortlichkeiten übertragen. In der Holacracy-Verfassung ist festgeschrieben, dass mit der Rol-

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

-

lenübernahme diese Verantwortlichkeiten akzeptiert werden. Dies sind: Spannungen wahrnehmen und bearbeiten, welche einem im Rahmen der eigenen Aufgaben und Verantwortlichkeiten begegnen. Verantwortlichkeiten bearbeiten, das bedeutet, durch bestimmte nächste Schritte, Projekte usw. den mit der Rolle verbundenen Verantwortlichkeiten möglichst gut gerecht zu werden. Projekte bearbeiten: die Projekte der Rolle durch sinnvolle nächste Schritte voranbringen. Projekte und nächste Schritte beobachten: diese beiden Aspekte der eigenen Rolle sollen in einer konkreten Form bezüglich ihres aktuellen Standes festgehalten und für andere zugänglich gemacht werden. Ressourcen und Aufmerksamkeit ausrichten: in einem kontinuierlichen und bewussten Prozess soll immer geprüft und entschieden werden, wie die Ressourcen und Aufmerksamkeit idealerweise auszurichten sind um die eigene Rolle möglichst zielführend wahrnehmen zu können.

22

Das Governance-Meeting und das Tactical Meeting sind zentrale Elemente der Holacracy

Dabei spielt das Bearbeiten der sogenannten „Spannungen“, welches in klar strukturierten Meetings geschieht, eine wichtige Rolle. Spannungen können auch als Hindernisse bei der Aufgabenbewältigung bezeichnet werden, die von den Mitarbeitenden erlebt werden. Die Idee dieses Konzeptes ist, dass Mitarbeitende direkt Hindernisse oder eben Spannungen wie sie in der Holacracy genannt werden, ansprechen, Lösungen suchen um die Spannung auszuräumen und auch gleich entscheiden, welche Lösung umgesetzt wird. Dieser Prozess wird in speziell dafür entwickelten, strukturierten Meetings durchgearbeitet, die von einem eigens dafür ausgebildeten Facilitator moderiert werden. Es handelt sich dabei um zwei Arten von strukturierten Meetings, das „Governance-Meeting“ und das „Tactical-Meeting“, welche im folgenden Abschnitt erläutert werden. zz Meetingprozess kA. Das k Governance-Meeting

Wird auch Steuerungs-Meeting genannt und dient der Optimierung der betreffenden Kreisstruktur. Aufgrund von neuen Informationen, Erfahrungen und wahrgenommenen Beeinträchtigungen werden die Rollen, Aufgaben und Verantwortungen, die Aktivitäten und ihre Beziehungen untereinander, sowie die Kreisregeln weiter geschärft und noch besser den Erfordernissen angepasst. Konkret sind folgende Aktivitäten in einem Governance-Meeting vorgesehen: Im betreffenden Kreis Rollen optimieren, neu schaffen oder aufheben,

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22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

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-

Anzuwendende Regeln im Kreis bestimmen, verbessern oder abschaffen, Wahl von Kreismitgliedern um Rollen, welche per Wahl vergeben werden, zu übernehmen (z. B. Facilitator, Schriftführer, Rep-Link), Schaffen von Sub-Kreisen, diese ggf. verbessern oder auflösen.

Dieses Meeting findet laut Robertson (2016) in der Einführungsphase von Holacracy idealerweise zweimal pro Monat statt. Ist Holacracy etabliert, genügt eine Durchführung pro Monat oder alle zwei Monate. kB. Das k „Tactical-Meeting“

Findet normalerweise wöchentlich statt und hat zum Ziel, das aktuelle operative Geschäft zu managen und zu optimieren. Zudem werden in diesem operativen Treffen die Kreismitglieder mit relevanten Informationen versorgt, die aktuellsten Zahlen, Daten und Fakten werden kurz mitgeteilt. Hindernisse werden angesprochen und behoben, der Stand der aktuellen Projekte wird transparent gemacht und nächste Handlungsschritte werden bestimmt. Robertson (2016) schlägt eine dritte Meetingart vor, welche zwar nicht in der Holacracy-Verfassung verankert ist; aus der Sicht von Robertson ist sie aber eine gute Möglichkeit, Strategien in der Holacracy zu entwickeln. kC. Das k „Strategie-Meeting“

Wird in der Regel pro Kreis etwa alle sechs Monate durchgeführt und dauert meist zwischen vier und sechs Stunden. In diesem Treffen werden in einem ersten Schritt die letzten Ereignisse und der aktuelle Kontext aus Sicht der einzelnen Rollen transparent gemacht um allen Beteiligten ein möglichst umfassendes und realistisches Bild des aktuellen Standes zu vermitteln. In einem zweiten Schritt werden Strategien entwickelt, welche dem Kreis helfen, die aktuell und zukünftig am sinnvollsten scheinende Wege für die Zukunft zu finden. Es geht dabei eher um das bestimmen von Heuristiken, um die richtigen Entscheidungen zu treffen und weniger um das Erstellen eines ausgefeilten Strategieplanes. Robertson (2016, S 128) beschreibt das mit den Worten:

» Statt einen bestimmten „richtigen Weg“ zu planen, wird das

Team mit dem richtigen Kompass versorgt, damit die Mitarbeiter selbst ihren Weg finden können.

Obiger Abschnitt hat einige wichtige Aspekte sich selbststeuernder Organisation allgemein und des Holacracy-Ansatzes im speziellen aufgezeigt. Im nächsten Abschnitt erfolgt dazu eine auch kritische Würdigung.

Das Strategiemeeting soll die Mitarbeitenden eines bestimmten Kreises mit dem richtigen Kompass ausrüsten

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Holacracy und sich selbststeuernde Organisationen; eine kritische Würdigung

22

Selbstführung gibt es schon länger. Sie wurde in der Regel auf Teams bzw. Gruppen angewendet

Neu ist die Anwendung auf ganze Organisationen und die verwendeten Bezeichnungen

Eine Anwendung auf die ganze Organisation macht nicht immer Sinn; manchmal ist es günstiger, nur bestimmte Bereiche so zu gestalten

Die meisten Beobachter, welche sich zu Holacracy und anderen Formen von sich selbst führenden Organisationen äußern, nehmen eine extreme Position ein. Zum einen gibt es die Befürworter, welche diese „flachen“ Organisationsformen bzw. das „Arbeiten ohne Chef “ als den einzigen sinnvollen und zielführenden Weg sehen, um flexibel und agil zu sein sowie den zukünftigen Herausforderungen gewachsen zu sehen. Während die Gegner diese Organisationsformen als naive soziale Experimente sehen, die sich in der „harten“ Realität nicht behaupten werden (Bernstein et al. 2016). Die Ausführungen in den früheren Abschnitten dieses Kapitels haben bereits gezeigt, dass sich ein Blick hinter die Kulissen der Bezeichnungen wie zum Beispiel evolutionär, organisch, informationsbasiert, demokratisch, post-strukturalistisch oder postbürokratisch, wie diese Organisationsformen auch genannt werden, durchaus lohnt. Bernstein et  al. (2016) gehen aufgrund ihrer Forschungen und Erfahrungen davon aus, dass sich verschiedene Elemente der Selbst-Organisation für viele auch sehr unterschiedliche Organisationen verwenden lassen und einen echten Gewinn im Vergleich zu „klassischer“ Führung bzw. Organisation darstellen. Hingegen sehen es die gleichen Autoren als ein sehr schwieriges Unterfangen mit ungewissem Ausgang, wenn eine Organisation als Ganzes diese Führungsformen komplett übernehmen und integrieren will. Am sinnvollsten scheint es, ein auf die jeweilige Organisation bzw. Teile davon abgestimmtes Einsetzen der am hilfreichsten und angemessensten erscheinenden Elemente vorzunehmen. Dabei sind traditionelle und neue Ansätze geschickt zu kombinieren und auf die jeweiligen Aufgaben abzustimmen. Wie früher in diesem Kapitel bereits erwähnt, sehen sich Organisationen mit dem Anspruch konfrontiert zuverlässig, berechenbar und stabil zu arbeiten um zum Beispiel vorhersehbare Gewinne für die Anteilseigner zu generieren, um regulatorischen Vorgaben und gesetzlichen Bestimmungen zu entsprechen. Auf der anderen Seite gilt es, veränderungs- und anpassungsfähig zu sein, um rasch reagieren und antizipieren zu können. Dabei kann es sich um kleine Anpassungen und Optimierungen handeln, um Bestehendes zu verbessern oder lokalen Anforderungen zu genügen; oder es sind radikale Veränderungen strategischer oder/und operativer Art gefordert. Organisationen müssen beides können. Die Frage ist dabei: In welchen Ausprägungen – und die Gefahr besteht, dass ein Aspekt den anderen zu stark dominiert. Auch die Mitarbeitenden brauchen beides. Auf der einen Seite sind Stabilität, klare Rahmenbedingungen und Ziele sowie der geregelte Zugang zu Ressourcen entscheidend, um effektiv arbeiten zu können. Gleichzeitig braucht es Freiheiten, Flexibilität und Entscheidungsspielräume, um mit veränderten Rahmenbedingungen

22.1  •  Dynamik und Komplexität nehmen zu

und Anforderungen konstruktiv umgehen und rasch reagieren zu können. Dieser zweite Aspekt wird in klassischen Hierarchien häufig vernachlässigt bzw. behindert. Für die Führung und besonders für das Top-Management ist es oft sehr schwer zu wissen, welche Mischung wo ideal ist. Eine Antwort darauf ist eben die beschriebene „Selbst-Führung“ bzw. „Selbst-Organisation“. Dabei muss angemerkt werden, dass diese Ansätze keineswegs neu sind. Bereits vor rund 65 Jahren wurden in der englischen Kohleproduktion sich selbst organisierende Teams beobachtet, welche gegenüber Arbeitsgruppen tayloristischer Prägung wesentlich produktiver waren (Bernstein et al. 2016). In den 1970er- und 1980er-Jahren gewannen sich selbst führende Teams massiv an Popularität und wurden in Europa oft als teilautonome Arbeitsgruppen organisiert und bezeichnet. Dies auch im Zuge eines partizipativer werdenden Managements und einer Demokratisierung der Industrie in Europa. In Japan zeigten sich Qualitätszirkel und die Initiativen zur kontinuierlichen Qualitätsverbesserung, als Formen zumindest teilweiser Selbstorganisation. In den USA entstanden zu der Zeit Innovationsteams, die sich selbst führten. In der Literatur finden sich viele Beispiele für die Vorteile und Gewinne durch den Einsatz von sich selbst steuernden Teams (Bernstein et al. 2016). In den 1990er-Jahren wurden solche Teams häufiger eingesetzt und gleichzeitig beschränkte sich deren Gebrauch auf bestimmte, meist dynamische Arbeitsfelder, welche mehr Anpassungsfähigkeit verlangten und auf bestimmte Personen, die ihre Ergebnisse selbst überwachen und prüfen konnten, um entsprechend zu handeln. Neu an der Selbstführung bzw. Selbstorganisation ist deren Anwendung auf ganze Organisationen oder auf zumindest größere Einheiten, die klar über die Teamgröße hinausgehen. Interessanterweise erinnern diese neuen Organisationsformen stark an den Bürokratieansatz von Max Weber aus den frühen 1900er-Jahren. Auch dort geht es darum durch klare Rollen, Zuständigkeiten und Befugnisse die Willkür von Status und Rang zu überwinden. Nach Bernstein et al. (2016) könnte deshalb auch von Bürokratie 2.0 gesprochen werden. Der große Unterschied der aktuell zur Diskussion stehenden Selbstorganisation zu früheren Ansätzen ist die Art und Weise wie der Ausgleich zwischen Stabilität und Flexibilität angestrebt wird. Es ist eine klare Abkehr von der klassischen durch Newton geprägten Sicht der Organisation als Maschine mit präziser Steuerung und eindeutiger Planbarkeit und Vorhersehbarkeit von Abläufen und Ergebnissen. Vielmehr wird die Organisation als lebender Organismus mit der Fähigkeit zur Evolution gesehen. Die Frage ob Selbstführung bzw. Selbstorganisation sinnvoll ist und sich zukünftig durchsetzen wird, stellt sich nicht wirklich. Es ist eher die Frage wo, in welchem Ausmaß und mit welcher

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Die Organisation wird als lebender Organismus mit der Fähigkeit zur Evolution gesehen

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Selbstorganisation wird zunehmen und erfordert eine andere Führungskompetenz

Begleitung Selbstorganisation sinnvollerweise eingesetzt wird. Dies um für die aktuellen und zukünftigen Anforderungen an die Organisationen und die darin arbeitenden Menschen gewappnet zu sein. Außerdem wird durch die zunehmende Selbstorganisation auch eine neue Führungskompetenz gefordert sein. Im folgenden Teil des Kapitels wird der konstruktive Umgang mit der VUCA-Welt aus einer ganz anderen Perspektive beleuchtet. 22.2

Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

Thomas Klink

..Abb. 22.4  © 2018 by Tobias Leuenberger

Dieser Text ist ein Versuch, sich an das vielschichtige Thema der Zen-Meditation im Führungskontext heranzutasten. Es wird versucht, etwas Ungreifbares in handhabbaren Teilaspekten darzustellen. Das Denken in Modellen und Prozessen steht per se im Widerspruch zur meditativen Erfahrung von Ganzheit und Verbundenheit. Die Ausführungen haben daher nur das Ziel, den Einstieg in die Zen-Meditation zu unterstützen und dienen als möglicher Ausgangspunkt für einen persönlichen Lernweg. Letztendlich führt nur das Praktizieren der Zen-Meditation zu konkreten Erfahrungen, welche für die Abschätzung der persönlichen Brauchbarkeit relevant sind. Die Auseinandersetzung mit der Zen-Meditation ist selbstverständlich nicht nur Führungskräften vorbehalten. Eine explizite Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen und Gedanken ist funktions- und hierarchieunabhängig. 22.2.1 Ausgangssituation

Was geschieht, wenn wir Führungs- und Lebensfragen mit einem stillen und friedvollen Geist beantworten? Welche Antworten erhalten wir aus einem Zustand der Hektik und Angespanntheit? Die Praxis der Zen-Meditation führt uns über den Atem in die Stille. Sie ermöglicht eine erweiterte Wahrnehmung körperlicher und geistiger Prozesse und steigert das Vermögen, diese Prozesse zu verändern (Ott 2015). Besonders bei Menschen, die sich primär als rational erleben, eröffnet diese innere Einkehr neue Dimensionen und der persönliche Reifungsprozess wird substanziell beeinflusst. Beispielsweise stellte eine Führungskraft im zweitägigen Kurs „Zen-Meditation und Leadership“ fest: „Jetzt wird es mir klar, mein halbes Leben lang laufe ich schon dem falschen Ziel hinterher“. Diese Person veränderte ihre Wahrnehmung, entschlüsselte auf-

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

erlegte Erwartungen und entwickelte Schritte, wie sie sich dieser neuen Erkenntnis annähern konnte. Das Sortieren von Erwartungen und das Erkennen zugrunde liegender Bedürfnisse führt uns zu unserem existenziellen Kern. Es wird auch deutlich, dass dieser Weg auch Risiken beinhaltet. Was geschieht, wenn wir uns selbst hinterfragen und unser Leben verändern? Manchmal reagiert das Umfeld skeptisch oder sogar ablehnend darauf. Zen-Meditation als ein formaler Prozess des Innehaltens hilft uns, die Stille zu finden und uns selbst aus- und aufzurichten. Die Ausrichtung nach der eigenen Sinnhaftigkeit kann in einem Netz verschiedenster Erwartungen schnell verloren gehen. In Zeiten des permanenten Wandels benötigen Fach- und Führungskräfte immer stärker einen Gegenpol zur Betriebsamkeit. Den Zugang zur inneren Stille. Im Vergleich zu vielen anderen Aktivitäten wird in der ZenMeditation explizit mit der „Nichtbeschäftigung“ und mit dem „Nichtleisten“ gearbeitet. Es wird permanent geübt, den Griff des Planens und des Leistens zu lockern, um einen Raum zu schaffen, in dem die Ruhe wirken kann. Dadurch stellt die Zen-Meditation ein Austreten aus dem Leistungs- und Machbarkeitsparadigma dar. Die meisten Menschen in modernen Organisationen orientieren sich an Leistungsprinzipien mit dem Ziel, besser zu sein als die Konkurrenz, Profite zu erwirtschaften und zu expandieren. Die Lösungen für die daraus resultierenden Probleme finden sich meist auf einer höheren Ebene, welche Laloux (2015) die integrale, evolutionäre Ebene nennt. Dabei spielt das Entwickeln von Sinnhaftigkeit in Organisationen eine wesentliche Rolle, indem beispielsweise „Konkurrenten“ begrüßt werden, um gemeinsam einen organisationsübergreifenden Sinn zu verwirklichen (Laloux 2015). Das zunächst leicht klingende Vorhaben, still zu sitzen und sich auf den Atem zu konzentrieren, unterscheidet sich diametral von gesellschaftlichen Riten der Betriebsamkeit und Ablenkung. In seinem Buch „Digitaler Burnout“ beschreibt Markowetz (2015), dass wir uns durchschnittlich 53-mal am Tag durch das Smartphone unterbrechen lassen. Daraus resultiert häufig ein stark fragmentierter Alltag, in dem die Konzentration auf die aktuelle Tätigkeit und Interaktion erschwert wird. Wie in vielen Disziplinen werden wir wahrscheinlich auch in der Disziplin, uns selbst abzulenken, immer besser. In Anbetracht dieser Tendenzen, stellt jede bewusste Rückkehr zum Atem ein Moment der inneren Meisterschaft dar und darf, ohne falschen Stolz, entsprechend gewürdigt werden. Die Meditationspraxis nach der Zen-Tradition soll in dieser Ausführung nicht dogmatisch positioniert werden. Es gibt andere gute Meditationspraktiken aus unterschiedlichen Traditionen. Die Zen-Meditation wird in diesem Kapitel herangezogen, da in dieser Tradition zusammen mit der Zen-Meisterin Dr. Anna Gamma

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Gegenpol zur Betriebsamkeit

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Weiterbildungskurse am Institut für Angewandte Psychologie, ZHAW entwickelt wurden. Im Weiterbildungskurs „Zen-Meditation und Leadership“ werden zu Beginn des Seminars wichtige Fragestellungen des Lebens und der Führung notiert. Nach mehreren Sitz- und Gehmeditationen werden diese Fragestellungen erneut betrachtet und aus der Erfahrung der Stille beantwortet.

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22.2.2

Möglichkeiten zur Umsetzung einer Meditationspraxis

Die Ausübung und Aufrechterhaltung einer persönlichen Meditationspraxis ist zum einen sehr einfach und auf der anderen Seite sehr anspruchsvoll. Es geht nicht nur um das formale Meditieren (z. B. Sitz- oder Gehmeditation), sondern um eine meditative Haltung, welche während der formalen Meditation und in Alltagssituationen angewendet wird. zz Formale und Alltagsmeditation formale Meditation und Alltagsmeditation

Vor und nach der formalen Meditation fügt sich die Alltagsmeditation an. Nach etwas Übung kann die meditative Praxis auch in Alltagssituationen übertragen werden. Wie sieht unser Alltag aus, wenn wir in einer emotionalen Situation durchatmen und die Kunst des Seinlassens anwenden. Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass wir uns vom Griff unserer Emotionen lösen und auf unser gesamtes Repertoire an Verhaltensmöglichkeiten zugreifen können. Es geht dabei nicht um Gleichgültigkeit, bei der wir über allem stehen und frei von Emotionen agieren. Emotionen sind wichtig und helfen auch, die Dringlichkeit zu kommunizieren. Sie sollten jedoch nicht blockieren und die Lösungsfindung dauerhaft verhindern. Mit dem Seinlassen entsteht Akzeptanz und der Lösungsraum dehnt sich aus. Der Alltag bietet verschiedene Zeitfenster, in denen ein Innehalten möglich ist. Vor allem wenn wenig Zeit für die tägliche Sitzmeditation bleibt, kann das Warten an Bushaltestellen, am Postschalter oder während des PC-Starts als Meditations-Miniatur genutzt werden. Das Zeitproblem wird häufig als einer der Haupthinderungsgründe für die Meditationspraxis genannt. Wenn wir uns allerdings bewusst sind, wie viel Zeit für Unterhaltung und Ablenkung investiert wird (z. B. durchschnittliche, tägliche Fernsehnutzung in der Deutschschweiz von 2014 von 128 Minuten; Bundesamt für Statistik 2016), relativiert sich die Zeitproblematik. Es gibt verschiedene Arten und Zeitformate der formalen Meditation. Auf einem Spektrum von mehrjährigen Retreats bis hin zu fünfminütigen Sitzmeditationen pro Tag gilt es die persönliche „Dosis“ zu finden.

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

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zz Zen-Meditation

Folgend wird anhand einer Kurzanleitung die Zen-Meditation beschrieben. Beispiel

Beispiel Meditieren im Sitzen

Kurzanleitung zum Meditieren im Sitzen (Zazen) mit freundlicher Genehmigung von Dr. Anna Gamma, Zen-Meisterin (2017; unveröffentlichtes Manuskript, Luzern). Setzen Sie sich auf ein Kissen, Schemel oder einen Stuhl, am besten an einem ruhigen Ort. Achten Sie, dass Sie im Becken gut aufgerichtet sind. Die Schultern sind locker. Die Hände ruhen schalenförmig im Schoss, die Linke in der Rechten, die Daumenspitzen berühren sich sanft. Die Augen bleiben in der Zen-Meditation offen. Der Blick ist leicht gesenkt. Richten Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem. Nehmen Sie wahr, wie er einströmt und ausströmt. Die aufsteigenden Gedanken, Bilder und Gefühle lassen Sie beim Ausatmen los. Werden Sie eins mit Ihrem Atem. Dann kommen Sie an in der einzigen Zeit, die Ihnen zur Verfügung steht, die Gegenwart.

Ruhiges Sitzen ist für viele Menschen nicht einfach. Es empfiehlt sich daher, Meditationspraktiken unter professioneller Anleitung zu erlernen. Auch die Vernetzung mit anderen Praktizierenden hilft bei der Aufrechterhaltung des Weges. Es kann durchaus geschehen, dass sich während der Meditation die Frage stellt „warum mache ich dies überhaupt?“, „wäre eine andere Aktivität nicht lustvoller?“ Dann kann ein Austausch mit einer autorisierten Lehrerin oder mit Gleichgesinnten unterstützend wirken. Die Wege und Lehrer gilt es selbstverständlich kritisch zu prüfen. zz Andere Meditationsformen

Manchen Personen fällt es schwer, sich nur auf den Atem zu konzentrieren und nichts zu tun. Dies kann auch als hinderlich empfunden werden. Andere Meditationstraditionen und -techniken arbeiten mit Visualisierungen oder sprachlicher Unterstützung (z. B. Vipassana-Meditation oder auch das Trainingsprogramm „Mindfulness-Based Stress Reduction“ – MBSR von Kabat-Zinn 2013). Der „Body-Scan“ aus dem Repertoire des MBSR stellt beispielsweise eine „aktive“ Meditationstechnik dar, um den Körper differenzierter wahrzunehmen und die Konzentration zu steigern. Dabei werden im Geist systematisch verschiedene Körperregionen durchgegangen. Der Körper wird schrittweise von den Zehen bis zum Scheitel „gescannt“. Beim Body-Scan wird auf eine einfache Art gelernt, die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg gezielt auf etwas zu richten. Diese strukturierte Technik

andere Meditationstraditionen und -techniken

Body-Scan

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

bietet sich daher gut für den Einstieg in die formale Meditation an (Kabat-Zinn 2013).

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zz Regelmäßige Praxis

die Zehn-Prozent-Regel

Zur Entwicklung einer meditativen Haltung ist eine regelmäßige, tägliche Praxis notwendig. 15–20 Minuten stellen eine zeitliche Richtgröße für die tägliche formale Meditation dar. Dabei ist die tägliche Praxis der entscheidende Faktor. Selbst wenn in gewissen Lebensphasen nur fünf Minuten möglich sind, sollten diese fünf Minuten täglich für die formale Meditation verwendet werden. Diese Zeit gibt Impulse für die meditative Haltung in Alltagssituationen und dient als Erinnerungshilfe, auf welchem Weg wir uns befinden. Nur hin und wieder zu meditieren kann frustrierend sein, da dann nicht auf Lerneffekte aufgebaut werden kann. Wenn tägliche Meditation nicht möglich ist, sollten feste Tage definiert werden, damit eine Routine und Verlässlichkeit entsteht. Mit einer „Zehn-Prozent-Regel“ verweist Sakyong Mipham (2007) auf einen experimentellen Umgang bei der Umsetzung einer meditativen Haltung. Die praktischste Methode, auf dem Weg der Meisterschaft voranzukommen, besteht demnach darin, jeden Tag eine kurze Zeit lang zu üben, die eigene Einstellung zu ändern – nur um 10 %. Wir können in den restlichen 90 % der Zeit verärgert, empört, übertrieben selbstsicher oder ängstlich sein, aber mit zehn Prozent des Geistes und des Herzens versuchen wir, andere Menschen an die erste Stelle zu setzen. Bei der Kultivierung der meditativen Haltung im Alltag wirkt unser Körper unterstützend. Unsere äußere Haltung (z. B. aufrechtes Sitzen und Gehen) wirkt stark auf unsere innere Haltung. Auswirkungen einer aufrechten und zugewandten Haltung zu uns selbst und zu anderen Personen können bedeutsam sein und uns auf unserem Weg bestätigen. Die Konzentration auf die Atmung kann in schwierigen Situationen die notwendige Gelassenheit bewirken. Dabei wird versucht, die in Stresssituation oftmals praktizierte hochfrequente Brustatmung in eine ruhige Bauchatmung zu verändern und die Bauchmuskulatur zu entspannen, was das Stressempfinden deutlich mildern kann. In den japanischen Kampfkünsten ist das Agieren aus der Körpermitte, dem Hara, sehr relevant. Nach Tohei (2002) befindet sich der Körpermittelpunkt eine Handbreite unter dem Nabel, auf dem die Aufmerksamkeit ruhen sollte. Beachten wir dies, so kann auch die anspruchsvollste Situation gut gemeistert werden. Halten wir diesen einen Punkt in unserer Aufmerksamkeit, entspannen wir uns und das Körpergewicht wird nach unten verlagert. So erhalten wir einen sicheren physischen und psychischen Stand. Diese einfache Fokussierung kann im Alltag helfen, unsere Selbstsicherheit zu steigern und uns mit unseren wichtigsten Werten zu verbinden.

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

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Nutzen der Meditation

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22

Nutzen der Meditation

Wir agieren aus der inneren Mitte und Stärke heraus. In Konfliktsituationen erweitern wir die Perspektive und sehen den Menschen hinter dem Feind. Probleme können von einer höheren Ebene gelöst werden. Ein Paradigmenwechsel wird möglich. Automatisierte Muster können durchschaut werden. In Zeiten des Wandels kann die Zentriertheit und die Ruhe kultiviert werden. Wir entwickeln einen klaren Blick in mehrdeutigen Situationen. Unser weicher und interessierter Geist ist offen für Lösungen und Kooperationen. Der Zugang zur eigenen Intuition und zu unserem Lösungsrepertoire wird erleichtert.

22.2.3

Das meditative Modell der Führung

Besonders kognitiv geprägte Menschen schätzen ein ordnendes Modell, welches die Zusammenhänge und Wirkmechanismen auf anschauliche Weise darstellt. Die Auseinandersetzung mit einem meditativen Weg wird durch das Rahmenmodell „meditatives Modell der Führung“ unterstützt. Dies schafft Sicherheit und Orientierung in einem Feld, welches mit Unsicherheiten besetzt sein kann. Andererseits ist der Ansatz, etwas Ungreifbares greifbar zu machen, ein widersprüchliches Unterfangen. In der Meditation stellt es einen hohen Wert dar, die Welt und alle Phänomene als verbunden und nicht als voneinander getrennt zu erleben. Die Darstellung in einem Modell ist daher nur als Hilfsinstrument zu sehen, welches bei der Anwendung wieder in den Hintergrund tritt. Das Modell soll den Einstieg unterstützen und bietet eine Terminologie, um den Dialog über persönliche Erfahrungen zu erleichtern. Die Wahrnehmung von Ganzheit und die individuelle Erfahrung sind letztendlich wichtiger als ein beschreibendes Modell. Der folgende Abschnitt beschreibt die vier Hauptkomponenten des Modells (. Abb. 22.5): innere und äußere Meisterschaft, Seinlassen, Mitgefühl und Kontakt.

ein Modell zur Unterstützung

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zz Innere und äußere Meisterschaft

Im Modell wird die innere und äußere Meisterschaft durch einen Kreis verbunden. Dies symbolisiert, dass das innere Erleben nicht vom äußeren Handeln getrennt ist, sondern sich zu einer Einheit

„Achtsamkeitselite“

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Äußere Meisterschaft

22 Spiritualität Menschen/ Umwelt

Kontakt

Aufgabe

Selbst

Alltag, Organisatorisches

M

n

e ss

la in Se

Emotionen Erinnerungen Volles Gewahrsein

itg ef üh l

Fantasien, automatische Gedanken

Innere Meisterschaft

..Abb. 22.5  Das meditative Modell der Führung. (Basierend auf dem Kreismodell von Sakyong Mipham 2005, S. 62)

zusammenfügt. Zudem ist die Meisterschaft nicht etwas Entferntes, welche nur durch eine „Achtsamkeitselite“ erreicht werden kann. Wir tragen die Meisterschaft jederzeit in uns, es gilt den Zugang zu ihr zu finden und diese Kraft in uns zu kultivieren. Auf dem Weg zur inneren Meisterschaft entfaltet sich die Einzigartigkeit jeder einzelnen Person und wir erhalten durch regelmäßiges Üben Zugang zu unserem Potenzial. „In der Meisterschaft, von der hier die Rede ist, arbeiten wir nach und nach unsere einzigartige, einmalige und unverwechselbare Persönlichkeit heraus. Die Förderung der brachliegenden Talente kann alle Bereiche unseres Seins – körperliche, psychische und geistige – umfassen und bleibt ein lebenslanger Prozess“ (Gamma 2008, S. 68). Die innere Meisterschaft ist in einem weiten offenen Geist begründet, der sich in bestimmten Haltungen manifestiert. Beispielsweise in Vorurteilslosigkeit, Freiheit und Gelassenheit auch gegenüber eigenen Gefühlen und Stimmungen. Zur inneren Meisterschaft gehört auch die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, um so in eine innere Autorität hineinzuwachsen, die in Authentizität zum Ausdruck kommt (Gamma 2017; unveröffentlichtes Manuskript, Luzern). Aus der Perspektive der inneren Meisterschaft bekommen wir einen anderen Blick auf den eigenen Beitrag und die eigene Rolle

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

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22

in der Welt. Durch das entsprechende Handeln schließt sich der Kreis zur äußeren Meisterschaft. Die äußere Meisterschaft zeichnet sich durch eine hohe fachliche und soziale Kompetenz aus, welche ein authentisches Handeln in konkreten Situationen ermöglicht (Gamma 2017; unveröffentlichtes Manuskript, Luzern). Es sollte individuell geprüft werden, ob die vorgeschlagene Begrifflichkeit zur eigenen Erfahrung passt. Begriffe wie beispielsweise „innerer Frieden“ oder „innere Freiheit“ können passendere Begriffe darstellen. Auch hierbei möchte das Modell als Hilfsmittel dienen, welches durch eigene Erfahrungen und Begrifflichkeiten ergänzt werden sollte. zz Seinlassen

Eigene Ansprüche und Glaubenssätze über uns selbst, über unseren Status und unsere Rollen halten uns teilweise fest im Griff und bestimmen unser Verhalten. In der Meditation üben wir mehrfach das Seinlassen von Gedanken und Emotionen und dringen immer weiter zur inneren Stille vor (symbolisiert durch den absteigenden Pfeil). Der Atem dient uns als Impulsgeber und Erinnerungshilfe, mit unserem Geist im unmittelbaren Moment zu verweilen. Der Prozess des Eintauchens in die Stille durchläuft verschiedene Phasen. Zunächst sehen wir uns mit einem Wasserfall an Alltagsgedanken konfrontiert und werden uns bewusst, mit wie viel Gedankenfragmenten sich unser Geist beschäftigt. Fantasien und automatische Gedanken halten zudem unseren Geist in ständiger Vibration. Wenn uns die Konzentration auf den Atem weiterhin gelingt, können wir auch Emotionen und Erinnerungen sein lassen. Wir treten in einen Raum des vollen Gewahrseins ein und erhalten Kontakt zur inneren Meisterschaft. Dieser friedvolle Bewusstseinszustand bildet eine relevante Perspektive bei anspruchsvollen Führungs- und Lebensfragen und erweitert dadurch unser Verhaltensrepertoire. Manche verspüren Ärger, wenn die Gedanken abdriften und selbst diese einfache Aufgabe „beim Atem bleiben“ nicht erfolgreich ausführen können. Hilfreicher ist hierbei ein freundliches und bestimmtes Zurückführen der Gedanken zum Atem.

Eintauchen in die Stille

zz Mitgefühl

Nach dem Lockern des festen Griffs unserer Gedanken und Emotionen fällt die Entwicklung von Mitgefühl leichter. Wir können das erhöhte Mitgefühl in unsere konkrete Welt transferieren und anstehende Herausforderungen konstruktiver angehen (symbolisiert durch den aufsteigenden Pfeil). Weisheitslehrerinnen und -lehrer aus Ost und West vertreten die Ansicht, dass das Mitgefühl der Schlüssel zur persönlichen Erfüllung ist. Das Zulassen und Erleben von Mitgefühl führt uns aus der Beschäftigung mit uns selbst heraus und ermöglicht einen tieferen Kontakt mit der Welt. Der

Mitgefühl als Gegenmittel zur Verwirrung

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Meditationsmeister Sakyong Mipham (2007) sieht das Mitgefühl als das wirksamste Gegenmittel zur Verwirrung. Wir werden nicht mehr zwischen unserem Zorn und Stolz herumgestoßen, sondern positionieren uns aus einer Haltung des echten Interesses am Anderen. In der Praktizierung von Mitgefühl machen wir uns mit uns und anderen Menschen vertraut.

22

zz Kontakt

Beschleunigung und Entfremdung

In Kontakt zu sein und nicht einfach das Leben abzuarbeiten, ist wichtig für das Erleben von Sinnhaftigkeit. Der Kontakt zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu unserer Aufgabe setzt Energie und Lebendigkeit frei und ermöglicht meisterliches Agieren und Führen. Der Begründer der Logotherapie („Sinntherapie“), Viktor Emil Frankl (1977) postuliert, dass in jeder Situation Sinn zu finden ist. Selbst in den lebensbedrohenden und unwürdigen Umständen eines Konzentrationslagers der Nationalsozialisten gelang es Frankl, Sinnhaftigkeit zu finden. Nach ihm geht es darum, das Sinnangebot einer Situation wahrzunehmen und zu verwirklichen. Frankl identifiziert das Gewissen als „Sinn-Organ“, was uns Hinweise bezüglich Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit zur Verfügung stellt. Die Sinnmöglichkeiten von Situationen zu erkennen, benötigt einen guten Kontakt zu sich selbst, zu anderen und zum aktuellen Moment. Hartmut Rosa (2013) stellt die These auf, dass die zunehmende Beschleunigung unseres Lebens und die zugrunde liegende Steigerungslogik zur Entfremdung führen. Als adäquate Antwort stellt er nicht die Entschleunigung in den Fokus, sondern bietet die „Resonanz“ als Lösung an, um mit der Beschleunigung umzugehen. Als Resonanz beschreibt er den Kontakt, den Draht zur Welt, den wir aufbauen. Er vertritt die Grundidee, dass die Qualität des menschlichen Lebens nicht einfach an den verfügbaren Optionen und Ressourcen (z. B. Einkommen, Vermögen, Berufsstatus) gemessen werden kann, sondern an der Art wie Menschen in Beziehung zur Welt treten. Eine gelungene Weltbeziehung lässt sich hiernach durch den Grad der Verbundenheit mit anderen Menschen und Dingen beschreiben (Rosa 2016). Der Kontakt zur Spiritualität stellt eine besonders erklärungswürdige Dimension dar. Dieser Aspekt wird deshalb folgend explizit beschrieben. zz Kontakt zur Spiritualität

kognitive Modelle hinterfragen

Die Zen-Meditation ist eine Meditationspraktik des Zen-Buddhismus und ist daher in eine spirituelle Tradition eingebettet. Mit der Praktizierung der Zen-Meditation tauchen wir in die Stille ein und treten in Kontakt mit unserer Spiritualität. Je nach persönlicher Lerngeschichte können Personen allerdings eine Gegenwehr gegenüber spiritueller, religiöser Inhalte entwickelt haben. Bereits

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

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das Trainieren von meditativen Techniken zur Distanzierung von Gedanken und Emotionen kann positive Effekte zeigen. Ruhiges Sitzen und die Konzentration auf den Atem stellen eine gute Alltagspraxis dar, um die eigene Gelassenheit und Konzentrationsfähigkeit zu schulen. Die Zen-Meditation möchte jedoch nicht auf dieser Ebene der unmittelbaren Verwertbarkeit verharren. Beim Erleben der Stille lassen wir uns auf eine Reise ein, auf der wir unsere Vorstellungen und kognitiven Modelle hinterfragen. In der Stille können dann Erfahrungen entstehen, die nicht in rationale Kategorien passen. Die Praxis der Zen-Meditation öffnet einladend das Tor zur eigenen Spiritualität und nimmt mich an der Hand auf meinem inneren Weg. Ausgedrückt mit den Worten von Niklaus Brantschen (2007):

» Wer sein innerstes Wesen entdeckt, entdeckt das Wesen der Welt. Und im Letzten das Wesen Gottes.

Die fortschreitenden Vertiefungsebenen mit der Zen-Meditation möchte ich anhand eines Stufenmodells darstellen. Im Austausch mit Führungskräften hilft dieses Modell zur Würdigung jedes Schrittes, ohne die tieferen Ebenen auszublenden.

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Stufenmodell Konzentrationsfähigkeit Selbstreflexion und Gelassenheit Sich eins fühlen mit anderen Erlebte Spiritualität Spirituelle Gewissheit

Die Anwendung von Meditationstechniken erlaubt das Training der zwei oberen Ebenen. Erst das Einlassen auf nichtrationale Phänomene schafft den Zugang zu tieferen Ebenen. Dieses Stufenmodell unterstützt den Prozess, schrittweise an Tiefe und Erfahrung zu gewinnen. Es zeigt sich, dass der Begriff der Spiritualität für manche Menschen zu abstrakt und ohne persönliche Bedeutung ist. Hier empfiehlt sich das Experimentieren mit Begrifflichkeiten, die besser zum eigenen Erleben passen. 22.2.4

Anwendung in der Führung

Das oben erwähnte Eintreten in den Raum der Stille bildet die Basis für ein reifes Führungsverhalten. In entspannten und ruhigen Zeiten lässt sich eine gelassene Geisteshaltung gut kultivieren. In Konflikten oder während Veränderungsprozessen sind Führungs-

ein Stufenmodell

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

kräfte erhöhten psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt und der Zugang zur inneren Stille fällt dadurch schwer. Besonders diese Situationen verlangen jedoch ein reifes und geklärtes Führungsverhalten. Ausgehend von der Führung der eigenen Person (Selbstführung) werden anschließend der Umgang mit Konflikten und das Führen in Veränderungsprozessen näher beschrieben.

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Meditation und Selbstführung Die Kunst des Führens beginnt bei uns selbst. Im Trubel des Alltags geht es darum, sich zu zentrieren und einen klaren Blick auf die Situation und die Vorgänge zu entwickeln. Anna Gamma (2008, S. 43) stellt folgende Frage zur Standortbestimmung bezüglich der Selbstführung:

» Wie viel Energie und Kreativität investiere ich, um gut dazuste-

hen vor mir selbst und anderen Menschen? Was würde mir helfen, die übertriebene Pflege meines Images loszulassen? Wie könnte ich lernen, dem Leben zu dienen?

aus dem Rad der Betriebsamkeit heraustreten

Ausgehend von der Stille können wir uns selbst und andere wahrhaftig führen. Jeder Mensch besitzt ein Bewusstsein der inneren Meisterschaft. Der Zugang zu diesem Bewusstsein liegt oftmals verdeckt unter Schichten von Verpflichtungen, Unsicherheiten, Statusdenken und Irritationen. Der Zugang fällt leichter, wenn das Einnehmen eines meditativen Bewusstseinszustandes regelmäßig geübt und kultiviert wird. Dadurch kann das Handeln aus der eigenen Mitte immer stärker werden, zunächst in Form kleiner Experimente, bis es Teil unserer Persönlichkeit wird. Das tägliche Praktizieren einer Meditationspraxis unterstützt diesen Weg substanziell. Wenn wir Führung aus einem Zustand der inneren Meisterschaft leben, wird deutlich, dass es hierbei um mehr als das Abarbeiten von Zielvorgaben geht. Es ist vielmehr eine Führung zweiter Ordnung, die vorherrschende Muster hinterfragt und nach kreativen Lösungen sucht. Eine Führung, die aus der Betriebsamkeit heraustritt und neue Zusammenhänge erkennt, Freiräume findet, in verhärteten Situationen auf Menschen zugeht und neue Kooperationen eingeht. Dieses Erkennen und Handeln verlangt Offenheit und Mut. Meistens muss experimentiert werden, ohne das Terrain wirklich zu kennen. Neue Lösungen werden erprobt und wir können uns in einem Paradigmenwechsel nicht mehr nur auf „Altbewährtes“ und faktisches Wissen abstützen. Das Hinterfragen von Mustern und von vorherrschenden Paradigmen lässt sich auf verschiedene Ebenen anwenden. Persönliche (Mikroebene), organisationale (Mesoebene), gesellschaftliche und weltpolitische Herausforderungen (Makroebene) können aus dem Raum der Stille neu betrachtet werden.

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

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Führung wird dann tatsächlich zur Führerschaft, in der nicht nur Altbekanntes und Bequemes abgearbeitet wird. Aus der Stille verändert sich die Perspektive auf dringliche Problemstellungen unserer Zeit und unserer Welt. Im Kontakt mit unserer inneren Wahrheit und Meisterschaft zu stehen, ist kraftvoll und zeigt Konsequenzen, die wir oder unser Umfeld vielleicht nicht gewillt sind zu tragen. Was geschieht, wenn wir plötzlich gängige Muster hinterfragen, uns innerlich aufrichten und anders mit Erwartungen umgehen? Wenn wir über den Zugang zur inneren Stille verfügen und diese kultivieren, besitzen wir einen Schlüssel zur Fokussierung und persönlichen Sinnerfüllung. Dann kümmern wir uns nicht um das nächste Vergnügen, sondern um die Erfüllung des Lebens.

Umgang mit Konflikten In Konfliktsituationen werden vorgefallene Ereignisse häufig mit persönlichen Bildern und Gefühlen angereichert. Aus dieser Perspektive interpretieren wir das Verhalten anderer, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für destruktives Handeln erhöht. Die Konfliktparteien befinden sich dann in einer dynamischen Abwärtsspirale. Die Zen-Meditation unterstützt die Distanzierung von einengenden Emotionen. Was ist tatsächlich vorgefallen, welchen Anteil verantworte ich selbst und welche eskalierenden Gedanken und Gefühle addiere ich zur Situation hinzu? Der feste Griff eines Konfliktes lockert sich durch das Seinlassen von verhärtenden Gedanken und Gefühlen und wir gewinnen Freiheitsgrade zurück. Salzberg und Thurman (2014) verweisen darauf, dass der Feind im Kopf entsteht und es von Vorteil ist, wenn wir vor einer Begegnung mit der Streitpartei uns dessen bewusst sind. Es geht nicht darum, völlig cool und abgeklärt durch die Welt zu schreiten. Emotionen sind natürlich und dem Gegenüber gelingt es durch sie, die Wichtigkeit der Situation besser einzuschätzen. Es geht vielmehr um das Aufweichen destruktiver und eskalierender Gedanken und Emotionen, um so eine Begegnung zu ermöglichen. Aus der Stille können wir für die entsprechende Person Mitgefühl entwickeln und unseren Geist sänftigen. Wenn zudem wieder etwas Humor möglich wird, lösen sich manche Spannungen auf wundervolle Weise auf. Auch das Aufbringen von Mitgefühl für sich selbst trägt zur Entspannung von blockierten Situationen bei. Entwicklung und Gelassenheit beginnt häufig mit der Akzeptanz der eigenen Schwächen. Das „Ja-Sagen“ zu sich selbst und die Versöhnung mit dem eigenen Verhalten stellt eine notwendige Voraussetzung für die Versöhnung mit anderen Menschen dar. Anna Gamma (2008) regt zur Übung „das große Ja“ an, eine Übung auf dem Weg zur inneren Meisterschaft. Beginnen wir jeden Morgen mit dem einfachen Wort „Ja“ zu uns selbst und lassen es dann auch auf die Konfliktsituation wirken, gewinnen wir Leichtigkeit und Freiheiten zurück.

Akzeptanz der eigenen Schwächen

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

Führen in Veränderungsprozessen

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Raum für Klarheit und Gelassenheit

Veränderungsprozesse sind im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung nicht mehr nur Ausnahmesituationen, sondern werden immer häufiger zu einem Dauerzustand. Neue Veränderungsvorhaben werden angestoßen, bevor die aktuelle Veränderung abgeschlossen wurde. Der bewusste Wechsel zwischen Beschleunigung und Entschleunigung stellt eine Führungskompetenz dar, die in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Ständig sich ändernde Rahmenbedingungen verlangen von Führungskräften ein erhöhtes Maß an Anpassungsleistung und Agilität. Auch im anspruchsvollen Tagesgeschäft ist ein offener Blick für notwendige Veränderungen für die Überlebensfähigkeit der Organisation wichtig. Während Zeiten des Wandels kommt zum Tagesgeschäft das Zukunftsgeschäft hinzu und viele Teammitglieder verspüren dadurch einen enormen Druck. Dies verlangt Reflexion und den ehrlichen Kontakt zu verschiedensten Anspruchsgruppen. Auch wenn Führungskräfte eine Sicherheit in ihrem Handeln ausstrahlen sollten, ist das Hinterfragen der eigenen Prämissen permanent notwendig. Auch die eigene Art des Arbeitens steht dabei auf dem Prüfstand und wichtige Werte kommen zunehmend unter Druck. Die Zen-Meditation schafft inmitten dieser Spannungsfelder eine Vertiefung und Reflexionsmöglichkeit, welche für eine erfolgreiche Veränderung entscheidend sein können. Führungskräfte und Mitarbeitende stehen immer wieder vor der Situation, jemanden oder irgendetwas loszulassen (z. B. ein Team, eine Funktion). Dies kann Trauer, Angst und Widerstand auslösen. In Situationen des unwiderruflichen Wandels ermöglicht uns das Loslassen eine erneute Zuwendung zur Zukunft. In der Meditation üben wir immer wieder dieses Loslassen und Seinlassen ein und öffnen uns dadurch für den aktuellen Moment und bleiben somit agil für die Zukunft. Es ist allerdings nicht immer einfach zu erkennen, wann eine Veränderung unwiderruflich ist und wann eine Gegenposition Sinn macht oder sogar notwendig ist. Wie beim Umgang mit Konflikten erlangen wir durch die Stille das nötige Selbstbewusstsein und eine Unabhängigkeit, welche wir für eine klare Haltung benötigen. Die Handlungen sind authentisch, wenn die zugrunde liegenden Beweggründe geklärt sind und die eingenommene Position mit unseren Werten übereinstimmt. Die Umsetzung erfolgt dann in einer Art, ohne die Gefühle und Werte von Personen unreflektiert zu übergehen. Es gelingt dadurch, auf Missstände und Widersprüche hinzuweisen, ohne den Dialog vollständig abzubrechen. Besonders für betroffene Mitarbeitende sind Zeiten der Veränderung sehr anspruchsvoll. Sie selbst besitzen häufig wenige Gestaltungsmöglichkeiten in Veränderungsprozessen und können sich rasch desorientiert und als Opfer fühlen. Wenn Orientierung von außen verloren geht, wird der Zugang zur inneren Orientie-

22.2  •  Zen-Meditation und Leadership: Führen aus der Mitte

rung besonders wichtig. Die Zen-Meditation bietet hierfür den Raum für die notwendige Klarheit und Gelassenheit. Dadurch erhöht sich die Unsicherheitstoleranz und konstruktives Agieren wird auch in mehrdeutigen Situationen möglich. Abschließend sei noch erwähnt, dass es bei der Meditation nicht darum geht, schwebend durch die Korridore zu gleiten, sondern um das Menschsein mit allen Ecken und Kanten. Mit der Zen-Meditation steht uns ein Instrument zur Verfügung, in der Dynamik des Alltags innezuhalten und aus der Stille unseren Lösungsraum zu erweitern. Pierre Stutz (2017) ist davon überzeugt, dass wir keinen inneren Frieden und auch keinen Weltfrieden finden werden, wenn wir die vermeintlichen „negativen“ Gefühle (Ärger, Wut und Zorn) abspalten, verdrängen oder bekämpfen. Dass wir im Trubel des Alltags hin und wieder unsere Ideallinie verlassen und uns selbst in Widersprüchen verlaufen, hindert uns nicht daran, bestehende Muster und Automatismen zu hinterfragen und diese aus der Perspektive der Stille und des Mitgefühls zu betrachten. Zusammenfassung Hohe Dynamik, Mehrdeutigkeit, Unsicherheit und Komplexität prägen die heutige Arbeitswelt zunehmend. Oft wird von der sogenannten VUCA-Welt gesprochen, welche sich durch hohe Volatilität (Volatility), Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity) auszeichnet. Moderne evolutionäre Organisationsformen haben den Anspruch, diesen Anforderungen gerechter zu werden als traditionelle Organisationen. Gleichzeitig legen diese Organisationsformen großen Wert darauf, menschengerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen und auch die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden zu fördern. Evolutionäre Organisationen zeichnen sich durch „Selbstführung“, „Ganzheit“ und einen „evolutionären Sinn“ aus. Sie verfügen über eine klar definierte Organisationsstruktur und ein hierarchisches Gefüge. Durch klare Zuteilung von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsbefugnissen soll ein effizientes und effektives Arbeiten ermöglicht werden, eine basisdemokratische Entscheidungsfindung wird dadurch obsolet. Das Holacracy-Managementsystem ist das aktuell bekannteste und am klarsten ausdifferenzierte Beispiel einer evolutionären, sich selbststeuernden Organisation. Holacracy, welches auch als Betriebssystem für Organisationen bezeichnet wird, umfasst unter anderem folgende vier Kernelemente: eine Organisationsverfassung, welche die verbindlichen „Spielregeln“ definiert und die Autorität neu verteilt, eine Organisationsstruktur, die auf klar definierten Rollen und

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Menschsein mit Ecken und Kanten; negative Gefühle wie Ärger, Wut und Zorn zulassen

Zusammenfassung

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Kapitel 22  •  Neue Formen der Führung

eindeutig geregelten Autoritätsbereichen der Mitarbeitenden basiert, ein Entscheidungsfindungsprozess, der klar definiert und verbindlich ist und ein Meetingprozess, der sicherstellen soll, dass die Teams angemessen koordiniert arbeiten und ihre Aufgaben effizient erledigen können. Diese neuen Organisationsformen erinnern an den Bürokratieansatz von Max Weber aus den frühen 1900er-Jahren. Auch dort geht es darum, durch klare Rollen, Zuständigkeiten und Befugnisse, die Willkür von Status und Rang zu überwinden. Nach Bernstein et al. (2016) könnte deshalb auch von Bürokratie 2.0 gesprochen werden. Die Selbstorganisation heutiger Prägung ist eine klare Abkehr von der klassischen durch Newton geprägten Sicht der Organisation als Maschine mit präziser Steuerung und eindeutiger Planbarkeit. Vielmehr wird die Organisation als lebender Organismus mit der Fähigkeit zur Evolution gesehen. Die Zen-Meditation stellt eine Möglichkeit dar, sich mit den Herausforderungen einer beschleunigten und komplexen Welt auseinanderzusetzen. Dabei werden die Verbindung mit den persönlichen Werten und die Zentrierung zunehmend relevant. Das meditative Modell der Führung bietet einen Orientierungsrahmen, der einige Phänomene der Zen-Meditation verdeutlichen soll. Führungsverhalten wird dann authentisch, wenn wir Kontakt zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu unseren Aufgaben herstellen und halten können. Auch der Kontakt zu einer Spiritualität ist für viele Personen von starker Bedeutung. Verschiedene Ebenen der Vertiefung zeigen, dass jede Person selbst entscheiden kann, wie tief sie in die Mediationspraxis und Spiritualität eintauchen kann und möchte. Drei Anwendungsfelder werden mit der Zen-Meditation in Beziehung gestellt und besprochen. Die Selbstführung bildet dabei das „Scharnier“ zwischen der geistigen Auseinandersetzung und der konkreten Handlung in realen Situationen. Beim Umgang mit Veränderungen zeigt sich die Notwendigkeit der Verankerung und Zentrierung. Konflikte können konstruktiver bewältigt werden, wenn die eigenen Gedanken und Emotionen geklärt sind und sich das Bild des Gegenübers entspannt. Zuletzt hilft eine gesunde Prise an Humor, in dieses durchaus ernsthafte Thema mit Gelassenheit einzusteigen. Eine wichtige Voraussetzung für den offenen Umgang mit uns selbst und mit anderen bildet die Akzeptanz von eigenen negativen Gefühlen, die zum Menschsein dazugehören.

Literatur

Literatur Bernstein, E., Bunch, J., Canner, N., & Lee, M. (2016). Beyond the holacracy hype. Harvard Business Review, July-August issue, 2016 pp, 38–49. Brantschen, N. (2007). Das Viele und das Eine. Für eine weltoffene Spiritualität. München: Kösel. Bundesamt für Statistik (2016). Fernsehen: Nutzung nach Sprachregionen, Alter und Geschlecht. Bern: Schweizer Bundesamt für Statistik. Veröffentlicht am 16.12.2016 Frankl, V. E. (1977). Das Leiden am sinnlosen Leben. Freiburg: Herder. Gamma, A. (2008). Ruhig im Sturm. Zen-Weisheiten für Menschen, die Verantwortung tragen. München: Kösel. Kabat-Zinn, J. (2013). Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung mit MBSR. München: Knauer. Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen. Markowetz, A. (2015). Digitaler Burnout. Warum unsere permanente SmartphoneNutzung gefährlich ist. München: Droemer. Mipham, S. (2005). Wie der weite Raum. Die Kraft der Meditation. München: dtv. Mipham, S. (2007). Den Alltag erleuchten. Die vier buddhistischen Königswege. München: dtv. Ott, U. (2015). Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst. München: Droemer. Robertson, B. J. (2016). Holacracy. Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. München: Vahlen. Rosa, H. (2013). Beschleunigung und Entfremdung. Auf dem Weg zu einer kritischen Theorie spätmoderner Zeitlichkeit. Berlin: Suhrkamp. Rosa, H. (2016). Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp. Salzberg, S., & Thurman, R. (2014). Umarme Deinen Feind. Buddhistische Techniken zur Befreiung von inneren und äußeren Widersachern. München: Lotos. Tohei, K. (2002). Das Ki-Buch. Der Weg zur Einheit von Geist und Körper. Heidelberg: Kristkeitz.

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Serviceteil Serviceteil 1001

Index – 1002 Directory-1_Backmatter

© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Lippmann, A. Pfister, U. Jörg (Hrsg.), Handbuch Angewandte Psychologie für Führungskräfte, https:/doi.org/10.1007/978-3-662-55810-2

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Index

A ABC-Analyse  204, 207 Ablauf  700 Ablauforganisation  161, 492 –– ereignisgesteuerte Prozesskette (EPK)  494 –– Informatiksysteme  494 –– Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme  494 –– Prozessmodelle  494 –– Sollprozesse und Standards  492 –– standardisierte Arbeitsanweisungen  493 Ablauf- und Terminplan  751 Abschiedsritual  758 Absicht  682 adaptive Führung  54 Adjourning-Phase  758 Affektlogik  852 agile Teams –– agile Führung  432 –– gelebter Wissenstransfer  433 –– selbstorganisierte Teams  433 Agilität  869 allgemeine Psychologie  101 Alltagsmeditation  986 alternativen Lösungen  268 –– Kreativitätsmehoden  268 altersgerechte Führung  890, 891 –– generationsspezifisches Führen  892 –– generationsübergreifende Führung  892 Analyse  256 –– Ausgangssituation  256 –– Probleme benennen  256 –– Zielstand  256 angestrebte Resultate  676 Angst  853 Annäherung, assoziative  340 Anpassungsleistung  814 Arbeit  170 Arbeitsgedächtnis  132 Arbeitsgespräche  371 Arbeitsgestaltung  187 –– arbeitspsychologische Aspekte  187 –– humane  965 Arbeitshaltung  920 Arbeitsleistung  923 Arbeitspaket  749

Arbeits‑, Projektgruppen und Teams  401 –– Anforderungen der Organisation  401 Arbeitstechnik  197 Arbeitsteilung  487 Arbeits- und Organisationspsychologie  105 Arbeits- und Zeitanalyse  205 Arbeitszufriedenheit  99 Argumentation  364 –– kooperative  364 –– strategische  365 Atem  987 Atmosphäre  700 –– Befindlichkeit  701 –– Dokumentation  702 –– Feedback  703 –– Maßstab  702 –– Schwierigkeiten  702 –– Verhaltensmodus  703 –– Verständnisfrage  702 –– Vision  701 –– Visualisierung  703 –– vorherrschende emotionale  849 –– Vorperiode  701 –– Zielüberprüfung  701 Atmung  228, 232, 988 Attraktor  845, 865 Aufbauorganisation  161, 487 –– Funktionendiagramm  492 –– Organigramm  487 –– Projektorganisation  496 –– Stab-Linien-Organisationen  488 –– Stellenbeschreibung  490 Aufgabengestaltung, soziotechnische  499 –– Merkmale  501 Aufgabenpaket –– Endzustand  713 –– Identifikation  713 –– Kontrolle  713 –– langfristig  712 –– Orientierung  713 –– Ressourcen  713 –– Verantwortlichkeit  713 Aufgaben- und Rollenklärung  757 Aufmerksamkeit  119 Aufmerksamkeit, Fokussierung von  876 Aufmerksamkeitsfokussierung  145 Aufmerksamkeitslenkung  120 –– Deutung  121

Aufmerksamkeitsschwelle  120 Auftrag  870 Auftraggeber  753 Ausrichtung  693 äußere Meisterschaft  991 äußere Welt –– subjektive Konstruktion  873 Ausstrahlung  219 Austausch, ehrlicher  875 Austritt und Stellensuche  599 –– Einsamkeit der Betroffenen  599 –– Outplacement-Beratung  599 –– Sozialplan  599 authentisches Leben  152 authentisch sein  926 Authentizität  990 automatisch  124 –– beschränkte Arbeitskapazität  125 –– beschränkte Information  125 –– bewusst  125 –– heuristisch  125 –– kontrolliert  125 –– systematisch  125 –– unbewusst  124 automatische, unbewusste Prozesse  126 –– automatisiert  126 autonom  823 Autonomie  421, 748, 833, 841, 917 Autopoiese  833 Autorität  939

B Bedürfnis  115 –– Anerkennung und Lob  116 –– Vertrauen, Wertschätzung  116 Bedürfnis nach Kontrolle  114 Befinden, aktuelles emotionales-körperliches  852 begründen  692 Behaviorismus  103 Beitrag  691 Beitrag zum Ganzen  68, 736 Belastung  180 –– primär eingeschätzte  180 –– sekundär eingeschätzte  180 Beobachter  819, 868 Beobachtungslernen  141 Berater  477 –– Suche und Auswahl  477 Berater-Klienten-System (BKS)  461

1003

Index

Beratung  460, 466, 469, 470 –– Abschluss  470 –– Anfrage  467 –– Anlässe für  463 –– Auftrag  467 –– Auswertung  470 –– Begriff  460 –– Diagnose  468 –– Erstkontakt  467 –– gemeinsame Diagnose  469 –– Hypothese  469 –– im Dritten Modus  465 –– professionelle  461 –– typische Phasen  466 –– Ziel einer Beratung  462 –– Ziel von expliziter und impliziter Beratung  462 Beratungsangebote  930 Beratungsgespräch  373 Beratungsprojekten –– Ablauf und Design von  466 beruflichen Sozialisation  867 beschränkte Kapazität  132 –– Wortlängeneffekt  133 Besitz und Materielles  151 bestätigende Informationssuche  137 –– automatische Annahme  136 beste Alternative  802 Beteiligung  878 betriebsbedingte Kündigung  589 –– gesamtarbeitsvertragliche Bestimmung  589 –– Trennungskultur  590 –– zu Produktivitätsrückgang  589 Betriebsklima, dauerhaft erlebtes  849 Betriebssystem für Organisationen  975 Beurteilung –– Fairness  579 Beurteilung der Mitarbeitenden  163 Beurteilung der Projektmitarbeitenden  753 Beurteilungsfehler  575 –– Halo-Effekt  576 –– Primacy- und Recency-Effekt  577 –– Tendenz zur Mitte  576 Beurteilungsinstrument  574 –– Entwicklungsgespräch  574 –– Kompetenzbeurteilung  574 Beurteilungsquelle  573 –– Peer-Beurteilung  573 –– Selbstbeurteilung  573 Beurteilungsverfahren  571 –– Instrumente  573 –– kriterienorientierte  572 –– Mitarbeiterbeurteilung  573 –– zielorientierte  571

Bewerbungsgespräch  371, 519, 531, 536, 540, 541, 547 Bewertung der Lösungsalternativen  269 –– Bewertungskriterien  269 –– Effektanalyse  270 –– Nutzwertanalyse  270 –– SWOT  270 –– Vor- und Nachteile  270 bewusste Lenkung  132 –– Aufmerksamkeit  132 Beziehung  148, 165 Beziehungsaspekt der Kommunikation  350 –– ganzheitliches Erleben  350 Beziehungsgestaltung  711 Beziehungskonflikt  776 beziehungsorientierter Ansatz  10 –– Human-Relations-Bewegung  10 Bezug zueinander  129 Big Five  147 bildlicher Ausdruck  826 Bindungsbedürfnis  114 –– sicherer Bindungsstil  114 –– unsicherer Bindungstil  114 Biopsychologie  102 Blickkontakt  227 Body-Scan  987 Botschaft  328 Burn-out –– Charakteristiken  183 –– Definition  182 –– Prävention  183 –– Symptome  182 –– Ursachen  182 Bürokratietheorie  9 –– Amtsträger  9 –– Bürokratie  9 –– homogene Amtsdiszplin  9 –– Kompetenz  9 –– strenge Hierarchie  9 bürokratisch-administrativer Ansatz  8 –– Autorität  8 –– betriebsmittelerhaltende Funktion  8 –– Resourcen schaffen Funktionen  8 –– Verwaltungsprinzip  9 Business Storytelling  342 –– Geschichten erzählen  342 Business-Storytelling  348 –– Story und Kontext  348

A–D

C Candidate Experience  546, 547 –– Attraktivität eines Unternehmens  545 –– Einführung neuer Mitarbeiter  519 Case-Management  932 Chancen  70 Changemanagement  741 Change Management  471 Checkliste für das Organisieren  749 Coaching  412 –– durch die Führungskraft  479 –– präventive Funktion  477 –– Themenfelder  476 Commitment  737 Complex Man  13 –– Abwägung von Vor- und Nachteil  13 –– adaptiv und flexibel  13 –– beschränkter Zugang zu Informationen  13 –– eigenständige Entscheidung  13 –– eingeschränkte Rationalität  13 –– individuell  13 –– Komplexitätsbewältiger  14 –– Kooperation  13 –– Sinn der Arbeit  14 „contextual performance“  423 Controlling  751 Coping  180 –– emotionsregulierendes  181 –– problembezogenes  180 Customer-Value  815

D Daumenregeln (Heuristiken)  246 Definition –– Beratung  462 Delegation  162, 791 –– Vorgehen  715 Delegationsgespräch  373 Delegationskonflikt  772 Denkfehler  640 –– Information  642 –– Organizing Stink  645 –– Wahrnehmen  641 –– Wissen  641 Denk- und Beurteilungsfehler  136 Dialog  825 didaktische Ebene  700 digitale Revolution  812 Dilemma –– Werte- und Normenkonflikt  286 Dilemmata  286

1004

Index

Diskordanz  117 Diversität  888 Diversity-Management  887 –– Fairness-Ansatz  887 Diversity-Rad  887 Dreieckskonflikt  771 Drittpartei-Interventionen  785 Drohen  948 Drohen und Versprechen –– Durchsetzbarkeit  949 –– Einschüchterung  949 –– Nichtbefolgung  949 –– Sanktionsmittel  949 –– Selbstbindung  949 –– verdeckte Drohung  949 –– Widerstand  948 Drucker, P.  731 Dyadische Führungstheorien  51 dynamischer Gleichgewichts- und Ordnungszustand  846 dysfunktionale Verhaltensweisen  918

E Ebene, emotionalen, motivationalen und bewertende  853 effektive Führungsverhalten  59 –– aufgabenorientiert  58 –– beziehungsorientiert  59 –– Selbstführung  59 –– wandelorientiert  59 ehrlicher Dialog  881 Eifersuchtskonflikt  772 eigene Dynamik und Logik  866 eigenen Biographie  867 eigenen Biographie und beruflichen Sozialisation  867 Eigenschaftsansatz  43 Eigenständigkeit und Selbstbestimmung, Bedürfnis nach  877 Einfluss  938, 939 –– Führung  938 –– Prozesse  938 –– Quellen  938 –– systemische Aspekte  938 –– Taktiken  938 –– Widerstand  938 –– Wirkungen  938 Einfluss, Autorität und Macht  939 –– soziale Austauschprozesse  939 Einflussfaktoren  354 Einfluss, keinen direkten  850 Einflussprozess  945 –– instrumentelle Erfüllung  945 –– Internatlisierung  945

Einflussprozesspersönliche Identifikation  945 Einführungsgespräch  371 Einklang  677 Einschränkungen  135 Einzelauftrag  712 Einzel- oder Gruppenentscheidungen  281 einzige subjektive Beurteilung  709 Eisenhower-Prinzip  204 Ekel  853 Embodiment-Konzept  150 emergentes Phänomen  821 Emotion  121, 986 emotionale Einfärbung  856 Entfremdung  992 Entrepreneurship  738 Entscheide  242 Entscheiden  64, 244, 733, 752 –– Alternativen  244 Entscheidung  124, 271, 415 –– Begründung  272 –– einzeln oder als Gruppe  281 Entscheidungsprozess  245, 269 Entscheidungsprozesse  99 –– automatische, unbewusste Prozesse  245 –– bewusste, kontrollierte Verarbeitungsprozesse  245 –– Konstruktivismus  245 Entscheidungs- und Verantwortungsmatrix  752 Entwicklung  838 Entwicklungshaltung  381 Entwicklungskultur  734 Entwicklungsmaßnahme  681 –– Wert  681 –– Zielvorgabe  681 Entwicklungspotenzial  543 –– Attraktivität eines Unternehmens  545 –– Einführung neuer Mitarbeitenden  548 Entwicklungspsychologie  102 Erfahrungsgedächtnis  124 Erfahrungsgeschichte  342 Ergebnis  719 Ergebnisinformationen  612 Erinnerungsnetzwerk  349 Erwartung  121, 136 Eskalationsstufen –– Interventionen entlang der  786 Evolution  983 evolutionärer Wandel  860 evolutionärer Wandel, Anlässe  859 Expertenberatung  463

F Fähigkeit  678 –– Überforderung vermeiden  678 Feedback  567, 668 –– Abwehrmechanismen  380 –– Ansätze  383 –– day-to-day  567 –– direktes  383 –– Einfluss auf die Wirksamkeit  384 –– Einsatz von  377 –– Entwicklung als zentraler Wert  386 –– Entwicklungs-  381 –– inirektes  382 –– Kultur der Reflexion  382 –– Lernumfeld  376 –– Motivationsaspekt  669 –– neue Formen von  381 –– Offenheit für Entwicklungshinweise  384 –– Selbstwirksamkeit  382 –– Verhaltensveränderung  384 –– Wirksamkeit  382 –– wirkungsvolle Kooperation  376 Feedback, Einführung von  376 Feedback, entwicklungsorientiertes  376 Feedbackkultur  383 Feedbackschleife, regelmäßige  881 Fehler  639, 645, 707 –– begleiten  708 –– Entscheiden  650 –– Kuschelfalle  649 –– Silofalle  648 –– Südenbock  645 –– Unentscheidbares  651 –– unnötige Unsicherheit  640 –– Verantwortung  708 –– Wissensorganisation  647 Fehlerkultur  738 Flexibilität  150, 748 Flipchart  222 Flucht  790 Fluktuationen  848 formales Lernen  142 Forming-Phase  756 Fragen  366 Frauen in Führungspositionen  895 –– Janusgesicht  896 –– weibliche Führung  895 Freude  853 Frühwarnzeichen  924 Führen durch Zielvereinbarung („Management by Objectives - MbO“) I/  162

1005

Index

Führung  40, 418 –– Definitionen  158 –– Kernaufgaben  41 –– Kernziel  40 –– Transformationsprozesse  41 –– und Motivation  661 Führung in Krisen  281 Führungsaufgabe  62, 609, 729, 731, 742 Führungsfall  644 Führungsgespräch  351, 353, 366 –– Abschluss des Gesprächs  359 –– Beziehungsebene  353 –– Darstellung des Gesprächsanlasses  359 –– Einflussfaktoren  353 –– Eröffnung  357 –– Fragearten  366 –– Gesprächsarten und Charakteristika  371 –– Gesprächsdurchführung  357, 359 –– Gesprächsführung  357 –– Gesprächsziele  355 –– Kerngespräch  359 –– Leitsätze  352 –– Sachebene  353 –– Unterscheidungsmerkmale von  368 –– verständliche Informationen  361 Führungsgespräche  353 Führungsgrundsatz  6 –– Auftragserteilung  6 –– Delegation  6 –– Gestaltung von Aufgaben  6 Führungshandeln  705 Führungshandeln, verantwortungsvolles  285 –– Dilemma  285 –– Spasnnungsfelder  285 Führungsinstrumente  162 Führungskompass  61 Führungskompetenz  984 Führungskraft  479 –– Coach  479 Führungskräfte im Wandel  601 –– eigene Flucht- und Abwehrreaktionen  601 –– eigene Gefühle und Empfindungen  601 –– Retentionsgespräche  601 Führungsprinzipien  742 Führungsregelkreis  76 Führungsrollen  88 –– nach Margerison und McCann  90 –– nach Mintzberg  89

Führungsstilansatz  45 –– Leistungsorientierung  45 –– Mitarbeiterorientierung  45 Führungsstilforschung  45 –– Führungsstile  44 –– Interaktion  44 Führungstheorien  42 –– personenzentrierte  42 Führungsverantwortung  714, 929 –– befähigen  712 Führungsverhalten  106 –– andere Menschen  106 –– Einflussfaktoren  106 –– kontextuelle Faktoren  106 –– Organisation  106 –– spezifische Situationen  106 Führungsverhalten, prägendes  849 Führung virtueller Teams  434 –– Virtualitätsgrad von Teams  435 Führung von Gruppen und Teams  406 fundamentaler Attributionsfehler  137 –– Einfluss der Situation  137 –– Ursachensuche  137 Fünf Säulen der Identität  148 Funktion  819 für Ziele sorgen  62

G Gedächtnis  124, 144 Gefahr  720 –– degradiert  720 –– Überforderung  720 –– unrechtmäßige Kompetenz  720 Gefühl  122, 921 Gehaltsgespräch  373 Gehirn  110, 143, 144 –– Synapsen  143 –– Synapsenverbindungen  143 –– Use-or-lose-it-Prinzip  143 Gelassenheit  995 gemeinsam vereinbaren  682 Generationen  890, 891 –– Babyboomer  892 –– demografische Entwicklung  891 –– demografischer Wandel  890 –– Generation X  893 –– Generation Z  894 –– Millenials oder Generation Y  893 Gerechtigkeitsempfinden  695 –– Begründung  695 –– Zeit  695 Gesamtleistung –– Arbeitsorganisation  694 –– gemeinsame  694

D–H

Geschichten –– Führungsziele  341 Geschichten im Unternehmen  341 Geschlechterrolle  896 –– geschlechtsuntypische Verhaltensweise  897 –– Life-Balance  898 –– Männer in Teilzeitarbeit  897 –– Vorbilder  896 Gesprächsziele  356 Gestik  226 Gesundheit  172, 915 –– Definition  173 Gewohnheit  828 Glaubenssätze  721 Gleichbehandlung  691 –– Verhaltens- oder Entwicklungsziel  691 Governance  976 Governance-Meeting  980 Governanceprozess  978 Great Man-Theorie  42 Grenzen  872 Grundbedürfnisse  113, 913 –– Annäherungsstrategie  113 –– Autonomie  913 –– Kontrolle  913 –– motivationale Schemata  113 –– Vermeidungsstrategie  113 –– Zugehörigkeit  913 Grundeigenschaften und -annahmen  5 –– Annahme über die Natur der Mitmenschen  5 Grundstimmung, psychophysische  853 Gruppe  408 Gruppendynamik  397 –– Ansatz zur Selbstreflexion  397 –– Methode  398 –– theoretisches Konzept  398 Gruppenkohäsion  395 –– Verbundenheit und Bezogenheit  395 Gruppensupervision  472 Gruppen und Teams, Konformitätssysteme  394 –– Zugehörigkeit, Autonomie und Macht  394 Gruppenzusammensetzung  414

H halbstrukturiertes Interview  532 Haltung und Einstellung  872 Handlungsfeldmodell  174 –– institutionelles Feld  175

1006

Index

–– privates Feld  175 –– professionelles Feld  175 Handlungsfreiheit  877 Handlungskompetenz, Definition  198 Handlungsverantwortung  714 –– Kompetenz  714 –– zielorientierte  712 Harvard-Konzept  792 Hauptzweck  682 –– Überlebensfähigkeit  683 herausforderndes Ziel  678 –– individuelle Fähigkeitsgrenze  678 –– Zielschwierigkeit  678 Herausforderung  187 –– positive  187 Herrschaftssystem  951 –– Allianzbildung  952 –– Autokratie  951 –– Bürokratie  952 –– direkte Demokratie  952 –– Politics  951 –– Polity, Policy  951 –– repräsentative Demokratie  952 –– Technokratie  952 Heterogenität  417 hidden agenda  462 Hierarchie  967, 975 H-I-L-F-E-Konzept  928 Holacracy  965, 970, 975, 976, 982 –– agile  409, 411 –– Organisationsstruktur  975 –– Organisationsverfassung  975 Holon  978 Humanistische Psychologie  103

I Ich-Botschaft  341, 366 Identität  146 illusorische Korrelation  137 inadäquate Leistungskriterien  709 individuelles Interesse  828 Information  873 –– Anschaulichkeit  363 –– Einfachheit  362 –– Gerüchte  616, 618 –– Gliederung und Ordnung  363 –– Grundbedürfnis nach  609, 611 –– Grundregeln  619 –– Informationsbedarfsanalyse  208 –– Informationskultur  616 –– in Krisensituationen  618 –– Kürze und Prägnanz  363 –– und Vertrauen  616

–– Vertrauen  617, 618 Informationspflicht  705 Informationswege  616 –– horizontale  617 –– informelle  617 –– vertikale  616 informelles Lernen  142 Inhalts- und Beziehungsaspekt  332 Inkongruenz  117, 333 Inkonsistenz  117 innere Haltung  215 innere Meisterschaft  990 „inneres Team“  770 inneres Ungleichgewicht  915 Innovation  415, 635 –– Innovationsprozessen  637 Input  30 Input-Prozess-Output-Modell  413 Instinkt  140 Instruktions- oder Lehrgespräche  371 instruktive Veränderung, Grenzen  867 Inszenierung  217 Interaktion von System 1 und System 2  134 –– konstanter Austausch  134 Interesse  853 Interessen statt Positionen  796 interkulturelle Führung  902 interkulturelle Kompetenz  902 interkulturelle Zusammenarbeit und Kooperation –– kulturelle Passung  903 intersubjektiven Austausch, Hinterfragen  868 Interviewablauf  533 –– Testverfahren  537 Interviewleitfaden  520, 531, 532, 533, 541, 547 –– halbstrukturiertes Interview  533 –– kompetenzbasiertes Interview  532, 535 Intrapreneurship  738 Intuition und Intellekt  335 Issues  774 iterativ  882

J Jahresgespräch  581 –– Gesprächsaufbau und-führung  583 –– Gesprächsvorbereitung  582 –– Selbsteinschätzung  584 –– stärken- und entwicklungsorientierte Bilanz  582

K Kampf  790 Kasseler Teampyramide  444 Kennzahl  691 Kernbotschaft  216 klassische Konditionierung  141 klassischer Ansatz –– economic man  7 –– Industrialisierung  7 –– Maschine  7 –– Mensch  7 Koalitionskonflikt  772 kognitiv-emotionaler Verarbeitungsprozess  864 kognitive Ordnung  851 kognitives Schema  827 Kognitivismus  103 Kohärenzgefühl  188 –– Definition  188 Kommunikation  62, 419, 614, 933 –– Ein-Weg‑/Zwei-Weg-Kommunikation  614 –– nonverbale  225 –– paraverbale  225 –– Selbsterhaltungsprozess  327 –– verbale  225 –– verkörperte  336 –– zwischenmenschliche  327 Kommunikationsbeispiel  328 Kommunikationsfähigkeit  351 Kommunikations‑, Informations- und Entscheidungsstrukturen  747 Kommunikationskonzept  754 Kommunikation und Information  754 kommunikative Kompetenz  341 Kompensationshandlung  288 Kompetenz  519, 520, 521, 523, 526, 527, 529, 531, 532, 533, 537, 538, 542, 543, 544, 547, 710, 715 –– Anordnungskompetenz  715 –– Einschätzung der persönlichen und sozialen Kompetenz  521 –– Entscheidungskompetenz  715 –– erfolgskritische Anforderung  528 –– Informationskompetenz  715 –– Sachkompetenz  716 –– Verfügungskompetenz  715 Kompetenzzuwachs  690 –– eigenständiger  690 –– schwieriger  690 komplexe Systeme  108 Komplexität  24, 250, 748, 766 Kompromiss  791 Konflikt  774 –– Appetenz/Appetenz-  769 –– Appetenz/Aversions-  769

1007

Index

–– auf Ebene der Gesellschaft und der Politik  773 –– auf Ebene der Organisation  773 –– Aversions/Aversions-  769 –– Behandlung  764 –– Diagnose  764 –– Dynamik  779 –– formgebundener  777 –– formloser  777 –– heißer  777 –– im „inneren“ Team  769 –– in Gruppen  772 –– in Organisationen  764 –– kalter  777 –– latenter und offener  776 –– Lösung von  784 –– Rolle der Führungskraft  784 –– schwacher  778 –– starker  778 –– Umgang mit  764 –– verschobener, echter  778 Konfliktarten –– Diagnose  768 –– “Issues“ (Konfliktgegenstände)  774 Konfliktdefinition  765 Konflikteskalation  781 –– Basismechanismen  779 –– Lose-Lose-Phase  782 –– Win-Lose-Phase  782 –– Win-Win-Phase  780, 787 Konfliktgespräch  374 Konfliktintervention  166 Konfliktmanagement  764 –– als Führungsaufgabe  783, 784 Konfliktstimulation  783 Konfliktverhaltensmuster –– konstruktive Haltung  792 Konformitätssysteme, Gruppen und Teams  394 –– Zugehörigkeit, Autonomie und Macht  394 Kongruenzprinzip  716 –– Delegationsgespräch  718 –– Ergebnis  718 –– Kompetenz  717 –– Kontrollvereinbarung  718 –– Verantwortung  718 Konsens  791 konsensueller Bereich  837 Konsistenz  138 Konsistenztheorie  113 –– psychische Bedürfnisse  113 –– Wohlbefinden  113 Konstruktivismus  104, 865

Kontingenztheorie  47 –– Aufgabenstruktur  47 –– Beziehung  47 –– Positionsmacht  47 Kontrolle  917 Kontrolle und Evaluation  273 Kontrollieren und Beurteilen  64, 733, 751 Kontrollparameter  847, 848 Konzentration auf Wesentliches  68 Körperhaltung  226 Körperreaktion  122 Körpersprache  225 Korrigieren  128 –– automatischer Abruf  128 Kraftfeldanalyse  745 Kreativität  300 –– Bestimmungsfaktoren, Parameter  300 Kreativitätstechniken  309 –– Analogietechnik  316 –– Bisoziation  317 –– Brainstorming von Alex Osborn  314 –– Fluchtmethode  318 –– Identifikation  320 –– Kopfstandtechnik  320 –– Methode 6–3–5 von Horst Geschka  315 –– Mindmapping  313 –– Osborn-Checkliste  319 –– sechs Denkhüte  312 –– Träumer. Realist, Kritiker  311 Kreativität und Kreativitätstechniken  299 kreiskausaler Vorgang  845 Kultur  820, 822, 838, 898, 933 –– Erwartungshaltung  898 –– Handlungsrepertoire für Führungskräfte  898 –– interkultureller Kontakt  898 kulturadäquater Umgang  901 Kulturdimensionen –– kulturelle Muster  899 –– kulturelle Orientierungssysteme  899 kulturelle Identität  899 –– direkter vs. indirekter Kommunikationsstil  901 –– Flexibilitätsorientierung vs. Sicherheitsorientierung  900 –– Gleichheitsorientierung vs. Statusorientierung  900 –– Individualismus vs. Kollektivismus  899 –– kulturspezifische Wahrnehmung  901

H–L

–– monochroner vs. polychroner Umgang mit Zeit  900 –– Universalismus vs. Partikularismus  900 kulturelles Orientierungssystem  903 Kulturträger, lebendiger  867 Kunde  747 Kündigung von Angestellten  587 –– fristlose Kündigung  588 –– Kündigung durch Angestellte  588 künftige Erfolgspotenziale  814

L Laufbahnentwicklung  561 Laufbahngespräche  373 Leader-Member-Exchange Theorie  52 –– Austauschbeziehung  51 –– Gegenleistung  52 –– In-Group  51 –– Out-Group  51 –– Rollenkreierung  51 Leadership  412 Leistung  677 –– Management by Objectives (MbO)  677 –– Problemlöseprozess  677 Leistungsanreiz  683 Leistungsbereitschaft  705, 857, 915 Leistungsbeurteilung  566, 568, 585 –– als Führungsinstrument  567 –– Honorierungsentscheidung  569 –– Output orientierte  569 –– Trend  586 –– Zweck  568 Leistungsdruck  709 –– Anerkennung  709 –– eigenverantwortlich  709 Leistungsergebnis  680 Leistungsfähigkeit  99, 857 Leistungsfeedback  579, 581 Leistungsindikator  569 –– individualorientierter  585 –– objektives Kriterium  570 –– subjektives Kriterium  569 –– teambasierter  585 Leistungskurve, persönliche  207 Leistungspflicht  858 Leistungsschwankungen  919 Leistungsträger –– Feedback  706 Leistungs- und Gestaltungsmöglichkeit  857 Leistungs- und Verhaltensbeeinflussung  158 –– instrumentelle Maßnahmen  162

1008

Index

Leistungs- und Verhaltensbeeinflussung I/ –– Ebenen der  160 Leistungsziel –– Dreierskala  703 Leitbild  686 Leitfaden  729 Leitplanken –– Umsetzungsprozess  872 Lernen  139 Lernen durch Einsicht  142 Lernen, organisationales  879 Lernen und Erinnern  139 –– Änderung des Verhaltens  138 –– behavioristisch  139 –– Lernen als Erfahrungsprozess  138 Lernkultur  381 Lernprozess  110, 134, 248 Lernprozesse –– Automatisierungsprozess  135 Life-Balance  172 Links  978 Locus of control  152 Logotherapie  992 Lösung  249 Lösungsansätze erarbeiten  927 Lösungsentwicklung  267 Lösungsspielraum  268 –– Begründung  268 –– Randbedingung  268 –– Werte und Normen  268 Lösungszyklus  276 Loyalität  838 Loyalitätskonflikt  878 Lustgewinn  116 –– Gestaltungsmöglichkeit  116 –– Neugierde  116

M Macht  512, 785, 801, 938, 939, 955 –– dysfunktionale  511 –– funktionale  511 –– instrumentelle Beziehung  956 –– Wirkungsgefüge  940 Macht durch das soziale System  943 Macht durch Person  942 Macht durch Position  943 Machteingriff  787 Macht- oder Entwicklungsstrategie  861 Machtregulation  785 Macht, Vertrauen, Verständigung  960 –– Abstimmungslogik  960 –– aggressives Machtspiel  960 –– Information  960 –– Machtspiel  960

magisches Dreieck  743 makroskopische Ebene  844 Managementsystem  975 Managing  412 Manifestationen der Kultur  848 Man kann nicht nicht kommunizieren  331 Männer in Führungspositionen  895 –– Janusgesicht  896 Manuskript  220 Maßnahmen  272 –– -plan  272 –– Planen  272 Maßnahmengespräch  374 Matrixstruktur  489 MbO-Zyklus  685 Mediation  787, 804 –– Ablauf  804 –– Methoden  805 Meetingprozess –– Sicherstellung koordiniert arbeitender Teams  976 mehrere Menschenbilder  6 –– Epoche  7 –– Konflikt  6 –– Weiterentwicklung  6 –– Werte und Normen  7 Meisterschaft  988 Menschenbild  4, 6, 25 –– Einstellung  6 –– Erwartung  6 –– Führung  6 –– Organisationsstruktur  6 –– Sinn und Verständnis  4 –– Verhalten  6 –– Wesen des Menschen  4 Menschen entwickeln  733 Mensch in Organisationen  153 –– Bilder der Realität  153 –– fokussierte Anstrengung  153 –– Führungsverständnis.  154 –– kollektives Handeln  153 –– Kommunikation  153 –– Kultur  154 –– Menchlichkeit  154 –– Organisationsverständnis  154 –– Rollen  154 –– Strukturen, Prozesse, Aufgaben  154 –– Verantwortlichkeiten  154 –– Zweck dr Organisation  153 mentale Abbildungen, Modelle  828 mentale Abkürzungen  126 mentale Grundtechniken  232 mentale Modelle  828 mentale Stärke  231

Metakommunikation  332, 404 –– Grundqualifikation für die Zusammenarbeit  404 Mikropolitik  952 –– Akteurperspektive, Handlungsorientierung  952 –– Ambiguität  953 –– Dialekt der Interdependenz  953 –– Interessen  953 –– Intersubjektivität  953 –– Legitimation  953 –– Macht  953 –– Zeitlichkeit  953 mikroskopische Ebene  844 Mimik  227 Mitarbeiterbeurteilung  564 Mitarbeiterbindung  720 Mitarbeitergespräch  280 miteinander Erproben  879 Mitgefühl  991 Mitmacher –– Entwicklungsfeedback  707 Mobbing  788 Motivation  163, 611, 915 –– Begriff  654 –– extrinsische  660 –– intrinsische  656 Motivation II/ –– extrinsische  656 motivationsorientierter Ansatz  11 –– Menschen als Arbeitsressource  11 –– motivationaler Treiber  11 multikulturelles Team  904 –– Konflikt  907 –– kultureller Kommunikationsstil  904 –– virtuell  904 –– Widerstand  906

N Nachbesprechung  719 –– Rückdelegation  719 –– Schwierigkeiten  719 nachträgliche Begründungen  138 Neue  705 –– Begleitung  705 Neues ausprobieren, Fähigkeit zu  880 Neuroansatz  15 –– brain-directed man  15 –– Emotion und Affekt  15 –– Gehirn  15 –– Grundbedürfnis  15 –– grundlegender psychologischer Arbeitsprozess  15 –– Handlungsmuster  15 –– Handlungs- und Entscheidungsprozess  15

1009

Index

Neuropsychologie  104 –– Neuroleadership  104 neuropsychologisches Modell  111 –– Annäherungsreaktion  112 –– Bewusstseinsschwelle  112 –– Ich-Welt  111 –– Körperaktion  111 –– Körper-Welt  111 –– limbisches System  111 –– Stirnhirn  111 –– Um-Welt  111 –– Vermeidungsreaktion  112 –– Verstand  112 Neuropsychologisches Modell  109 –– Gehirn  109 –– Nervensystem  109 –– psychobiologisches Wohlbefinden  109 Neurosystemische Betrachtung der Führung  106 –– Interaktionsprozess  106 neurosystemisches Modell der Führung  57 –– Anpassung  58 –– Brain-Directed Man  57 –– individuelle Kompetenz  57 –– Kontingenz  57 –– Organisation  57 –– Personen und Gruppen  57 –– spezifische Situation  57 –– systemtheoretische Betrachtung  57 –– Verarbeitungsprozesse im Menschen  57 nichtformales Lernen  142 normative Ebene  291 Norming-Phase  757 Nutzen  826

O offene Fragen  925 offenes Zuhören  926 ohne Begründung –– Organisationsstrategie  708 operante Konditionierung  141 operationale Geschlossenheit  834 operative Ebene  291 Ordner  845 Organisation  29, 345, 476, 964, 965, 966, 975, 978, 982 –– als Führungsaufgabe  484, 512 –– Aufbau  487 –– Aufgabe  29 –– evolutionäre  965, 967, 970 –– Input  29 –– Output  29

“Primary Task“  29 selbst steuernde  970 soziotechnisches System  27 Transformationsprozess  29 Umwelt  29 zwischen Stabilität und Flexibilität  510 Organisation, agile  816 organisationale Leistung bzw. Kompetenz  857 Organisationsberatung  470, 471 Organisationsentwicklung (OE)  471 Organisationsgestaltung  497 –– Organisationsentwicklung  506 Organisationskultur  485 Organisationskultur, Wesenskern einer  866 Organisationsstruktur  487, 975, 977 Organisationsverfassung  975 Organisationsverständnis –– historische Entwicklung  25 –– systemtheoretische Perspektive  24 –– verhaltenswissenschaftliche Perspektive  22 Organisieren  63, 731 Orientierung  996 Orientierungshilfe  729 Orientierung und Klarheit  871 Output  30 –– –– –– –– –– ––

P Paretoprinzip  736 Pareto-Prinzip  204 Performance Management  565 Performing-Phase  757 Personalentwicklung  163, 568, 683, 716 –– als Kompetenzerweiterung  560 –– Freiräume  716 –– laufbahnbezogene  561 –– Leistungsbeurteilung  568 personenzentrierte Führungstheorien  42 –– Eigenschaften  42 persönliche Lebensgeschichte, Botschaften aus der  880 persönliche Leistungskurve  207 Persönlichkeit  923 Persönlichkeitsentwicklung  171 Persönlichkeitspsychologie  101 Persönlichkeitstypen  769 Person/Persönlichkeit  476 Perspektive  875 Phänomene der Ordnungsbildung  844 Phasenplanung  746

L–P

Pinnwand  222 Potenzial  694 –– eigene Kraft  694 –– Eignung  694 –– Leistungsfähigkeit  694 Potenziale entfalten  65, 733 Potenzialentfaltung  753 Prägung  140 Praktik –– evolutionäre  967, 973 –– moderne  968, 973 Präsentation  210 Präsentationsraum  222 Präsentationssoftware  223 Präsentationstagebuch  235 Präsentationsunterstützung  222 Präsenz  230 Primacy- und Recency-Effekt  136 „primary task“  388 Primary Task  693 Priming-Effekt  145 Prinzipien der Selbstorganisation  844 Prinzipien der wirksamen Führung  67 Prinzipien für Wirksamkeit  729 Problem  249 –– Ausgangs- und Zielzustand  249 –– Diskrepanz  249 Problembearbeitung –– systematische  740 Problembenennung  264 –– konstruktivistische Betrachtungseise  264 Probleme lösen  242 Problemlösefähigkeit  244 –– Normen  245 –– Werte  245 Problemlösen  244 –– Beseitigen von Hindernissen  244 –– Lernen durch Einsicht  244 Problemlösezyklus  248, 254 Problemlösung  415 –– Phasen  741 Problemlösung in Gruppen  283 –– Delphi-Methode  283 –– kollegialer Coachingansatz  284 –– Normale-Gruppen-Technik  283 Problemlösungsgespräch  373 Problemlösungsmethodik  254 –– für soziale Systeme  254 –– für technische Systeme  254 Problemlösungsprozess I/  165 Problemsituation –– äußerst komplexe  252 –– einfache  250 –– komplexe  251 –– komplizierte  250, 251 –– Merkmale  253 –– relativ komplexe  252

1010

Index

Problemsituationen  250 Projektauftrag  746 Projekte  728 Projektion  770 Projektmanagement  729 –– agiles  751, 753 Projektmanagementhandbuch  742 Projektmanagement-Handbücher  728 Projektmanagementleitfaden  742 Projektorganisation  748 Projektstrukturplan  749, 751 Projektteam  752, 753, 756 Prozess  417, 945 –– iterativer  743 Prozessbegleitung  786 Prozessberatung  465 Prozessinformationen  612 psychische Störung  912 psychisches Wohlbefinden  118 Psychologie  100 –– Anwendungsgebiete  104 Psychologik bei den Betroffenen  841 psychologische Prozesse –– automatischer Prozess  107 –– Bewertung  108 –– Denken  108 –– Emotion  107 –– Gedächtnisinhalt  107 –– Grundbedürfnis  108 –– individuelle Entwicklung  108 –– kontrollierter Verarbeitungsprozess  108 –– Lernprozess  108 –– Motivation  108 –– Persönlichkeit  108 –– Problemlösung  108 –– Selbstbild  108 –– Selbstwahrnehmung  108 –– Sinneseindruck  107 –– Überleben  108 –– Umweltbedingung  108 –– Umweltveränderung  108 –– Wahrnehmung  107 –– Wohlbefinden  108 psychologischer Prozess  108 Psychophysiologie  102 –– Embodiment  102 psychosoziale Ebene  700, 864 –– Führung  870

Q Qualifikationsgespräche  372 qualitatives Ziel  692 Qualitätsmanagement  492 quantitatives Ziel  692

Quellen  942 –– Macht durch Belohnung  942 –– Macht durch Bestrafung/ Zwang  942 –– Macht durch Charisma  942 –– Macht durch drei Wirkungsebenen  942 –– Macht durch Expertentum  942 –– Macht durch Identifikation  942 –– Macht durch Information und Ökologie  942 –– Macht durch Legitimation  942 –– Macht durch rationale Überzeugung  942 Quellen der Macht  942

R radikaler Wandel, Auslöser  859 Rahmenbedingung  683, 704, 711, 823 –– angstfreie Partizipation  684 –– äußere und innere  849 –– eigenverantwortliche Partizipation  684 –– flexible Veränderungen  684 –– Ressource  683 Rahmenmodell  989 Randbedingung –– optimale  338 rationale Strategie  861 Rationalitätslücke  959 –– Abkürzung, Irrationalität, Befindlichkeit  959 –– Macht und Machtausübung  959 –– Schließung von  959 –– Spezialisierung, Selektivität  959 –– Zusammenhalt herstellen  959 Reaktionsmuster der Betroffenen  596 –– Achterbahn der Gefühle  598 –– Aufbrausende  597 –– Geschockte  596 –– Selbstbeherrschte  596 –– Verhandelnde  597 Rechtsentscheid  785 Redemanuskript  220 Reengineering  504 Reflektion, gemeinsame –– Ursprung für eine Kultur des gemeinsamen Lernens  399 Reflex  140 regelmäßiger Austausch  687 –– Auswirkung  688 –– Leistungsbeurteilungsgespräch  688 –– wahrnimmt, urteilt, handelt  688 Reifungsprozess  984

reisförmige Kausalität  845 Reiter und Elefant  735 Rekrutierungsprozess  519, 526, 540, 545, 546, 547 –– Active Sourcing  524, 525 –– Aufgaben der Führungspersonen im Auswahlprozess  520 –– Stellenanzeige  521, 522, 523, 529 –– Vorselektion  519, 520 Resonanz  992 –– neuronale  335 –– psychische  335 Respekt  877 Respektlosigkeit  877 Ressourcen  679 –– Definition  179 –– externe (Umfeld-)  184 –– im betrieblichen Alltag  184 –– institutionelle  187, 192 –– interne (personale)  184 –– Leistungsfähigkeit  679 –– Leistungsmotivation  679 –– persönliche  188 –– professionelle  186 –– Rückmeldung  679 Ressourcen-Belastungs-Regulationsmodell  179 Ressourcenkonflikt  754 Ressourcenmanagement –– Regulation von Ressourcen und Belastungen  173 –– Unternehmensentwicklung  194 –– wirksame Ansatzpunkte  190 Ressourcenmodell  184 –– diagnostisches Instrument  189 Ressourcen und Visionen erkunden  277 –– Ausnahmen  277 –– Visionen  277 Resultate erzielen  747 Resultatorientierung  68, 736 Retrospektive  753, 757 Rivalitätskonflikt  772 Rolle  77, 476, 870, 975, 977, 978 –– als (soziotechnisches) System  84 –– Erwartung  77 –– Rollenempfänger  77 –– Rollensender  77 Rollenkonzept  76 –– Autorität  82 –– Rollendefinition  81 –– Rollendurchsetzung  83 Rollenmuster  403 –– kommunikationsorientierte, handlungsorientierte und wissensorientierte Rollen  403 Rollen- und Erwartungsklärung  745

1011

Index

Routineaufgabe  713 Rückkehrgespräch  372 Rückmeldung  681 –– erreichbar  681 –– vereinbaren  681

S Sachebene  700 –– Beziehung  700 –– Wertvolles  700 Sachlogik der Beteiligten  841 sachlogische Ebene  863 –– Gestaltung  870 saliente Informationen, Präferenzen  130 –– Aktivierung  129 –– Gedächtnisinhalte  129 –– Voraktivierung  130 Säule Arbeit und Beruf  150 Schabene –– Sicherheit  700 Schema  5, 130 –– Stereotypen  131 Schemaaktivierung  130 –– Schema  130 –– Sinnzusammenhänge  130 Schiedsverfahren  787 „Schlechte-Nachricht“- Gespräch  374 Schlüsselbegriff  839 Schlüsselbotschaft  874 Seinlassen  986 selbsterfüllende Prophezeiung  136 Selbstführung  965, 967, 982, 994 Selbstgespräch  232, 233 Selbstkonzept  146 Selbstmanagement  196, 835 –– Definition  198 Selbstmotivation  835 Selbstorganisation  31, 437, 485, 757, 984 –– interaktive Steuerung  440 –– strukturelle Führung  438 Selbstorganisationsprozess  336 Selbstorganisations- und Medienkompetenz  441 Selbststeuerung  683, 965 Selbst- und Fremdbilder  148 Selbstverantwortung  835 Selbstwert  916 Selbstwerterhöhung  115 Selbstwertgefühl  146 Selbstwertschutz  115 Selbstwirksamkeit  115, 152, 679 –– Leistungsfähigkeit  115 –– Zufriedenheit  115

Self-actualizing Man  11 –– Autonomie  11 –– Autonomie und Kontrolle  11 –– Bedürfnispyramide  11 –– Handlungsspielraum  11 –– Hygiene- und Motivationsfaktoren  11 –– Motivation  11 –– Selbstverwirklichung  11 –– Theorie X und Theorie Y  12 Sender- oder Empfängertendenzen  330 Sequenz- und Vergleichseffekte  136 Shared Leadership  425 –– geteilte Führung  428 Sicherheit  114, 872 Sich-Wiederfinden  822 Sinn  129, 826 –– evolutionäre  970 Sinn-Attraktor  851 Sinngebung und Bedeutungszuschreibung  874 Sinn generieren  126 –– Bild der Realität  126 –– fehlende Information  128 –– konstruieren  126 –– Muster  126 –– Zusammenhänge  126 Sinnhaftigkeit  985 Sinn stiften  692 Sinn und Bedeutung  824 Situationsanalyse  257 –– Einflussfaktoren  258 –– fünf Faktoren  260 –– Problembewusstsein  257 –– Problembündel  258 –– Sollzustand  260 –– somatische Marker  257 –– Visualisierung  261 –– Wahrnehmung  257 –– Wunderfrage  261 Situationsklärung  275 –– Problemkarte  275 situative Führung –– direktiv, aufgabenorientiert  46 –– Reifegrad  45 –– unterstützend, mitarbeiterorientiert  46 Situative Führung  46 Skills-Theorie  44 –– technische, soziale und konzeptionelle Fähigkeiten  44 SMART-Formel  697 –– Annäherungsziele  697 –– Endzustand  698 social man –– kooperativer Führungsstil  11

P–S

Social Man  10 –– Aufmerksamkeit  10 –– Bedürfnisträger  10 –– soziale Intergration  10 –– Zugehörigkeit  10 Sofortmaßnahmen  266 somatische Marker  122 –– Entscheidungen  122 –– Erfahrungsgedächtnis  122 –– Körperbefindlichkeit  122 –– Körperreaktionen  122 –– mimische Ausdrucksformen  123 somatischer Marker  151 „Sowohl-als-auch“ der Situation  879 soziale Beziehungen, Zusammenhang zwischen  406 –– Arbeitsleistung  406 sozialen Beeinflussung  343 –– Emotionen ausdrücken  343 –– Veränderungsprozesse begleiten  344 soziales Lernen  141 soziales Netz  189 –– soziale Unterstützung  189 soziales System  821 Sozialisation  396 –– Integration des Individuums  396 Sozialpsychologie  102 sozio-technischen Systemverständnis  965 soziotechnisches System  29 Spannung  348, 350 Spannungsfelder  252, 285 –– Stabilität vs. Anpassung  286 Spezialistentätigkeit  713 Spiele  955, 956 –– Spielform  957 –– Spielraum  957 Spielform –– Agon, Alea, Mimicry, Ilinx  957 Spielweise –– Paidia, Ludus  957 Sprache, Erzählweise  868 Stabilität  845 Stabilität vs. Veränderung  109 Stab-Linien-Organisationen  487 Stakeholder  751 Stakeholdermanagement  741, 754 Stärken  68 Stärken nutzen  734, 737, 747 Statusberichte  751 Stellenbeschreibung  490, 691 –– Hauptaufgabe  691 St. Galler Management Modell  739 Stichwortmanuskript  220 Stimme  228 Stimmigkeit  331

1012

Index

Stimmungen  921 Storming-Phase  757 Störungsanalyse  207 Storytelling  341, 342 –– analoge Kommunikation  343 –– ganzheitliche Kommunikation  342 –– Intervention  343 –– Strategie  345 –– Zuhören  342 Strategie  289, 686, 820 –– Plan für Handeln  954 –– relevante  686 –– Zielkonflikt  686 –– Zielvereinbarungsgespräch  686 Strategie ausrichten  682 Strategieentwicklung  296 Strategieentwicklung, analytische  296 Strategieentwicklung, visionsgeleitete  296 Strategiemeeting  981 Strategieprozesse  280 Strategie und Taktik  954 –– indirekte Strategie  954 –– komplexe Handlungsoption  954 –– warten können  954 Strategie und Vision  293 strategische Ebene  291 strategisches Denken und Planen  289 strategisches Problem  295 Stress/  177 Struktur  485, 820, 967 –– formale  485 –– informelle  511 strukturdeterminiert, zustandsdeterminiert  834 Stufenmodell  993 subjektive Bedeutung  829 subjektiver Wahrnehmung  4 subjektives kognitives Konstrukt  828 Subsysteme  133 –– phonologische Schleife  133 –– visuell-räumlicher Notizblock  133 Supervision –– Einzelsupervision  472 symbolisch-metaphorischer Charakter  880 Synchronisation  337 System  24 –– anpassungsfähiges  967 –– komplexes  28 –– lebendes offenes und vielschichtiges, komplexes  818 –– soziales  27 –– technisches  27 System 1  126

systemische Führungsansatz  56 –– Autopoesis  56 –– Stabilisierungs- und Anpassungsprozess  55 –– St.-Galler-Ansatz  57 systemischer Ansatz  12 –– beschränkte Ressource  13 –– interaktives Individuum  12 –– soziales System  12 –– soziothechnischer Systemansatz  12 –– Unsicherheit Entscheidung  13 systemischer Aspekt  951 –– Herrschaftssystem  951 –– Mikropolitik  951 –– Rationalitätslücke  951 –– Spiel  951 –– Strategie und Taktik  951 –– Ungewissheitszone  951 –– Verständigung  951 –– Vetrauen  951 systemische Sichtweise  104 systemisches Menschenbild  14 –– Autopoesis  14 –– Konstruktivismus  14 –– organisationale Realität  14 –– Rückkopplungsschlaufe  14 –– soziales System  14 System, soziotechnisches  29

T Taktik  945, 946 –– Eskalationsspirale  955 –– Gegenmaßnahme  955 –– Impression Management  947 –– Interesse  955 –– politische  947 –– proaktive  947 –– Vorgehen festlegen  955 Tätigkeitsanalyse  207 Taylorismus  8 –– Anreiz  8 –– Arbeitsablauf  8 –– economic man  8 –– intensive Kontrolle  8 –– schlecht funktionierende Maschine  8 –– Scientific Management  8 –– strikte Arbeitsteilung  8 Team  408 Teamarbeit  406, 756 Teamentwicklung  442, 473 –– Teamsupervision  403, 422, 473 Team-Phasenmodell  756 Teamreflexivität  450

Team-Reflexivity-Modell  448 –– Social Reflexivity  448 –– Task Reflexivity  448 Team-Rollen  757 Teamziel –– ausgeglichenes  694 temporäre soziale Systeme  740 temporäre Teams  758 Theorie autopoietischer Systeme  832 Tiefenpsychologie  103 Totstellreflex  790 transaktionalen Führung  52 Transaktionsanalyse  771 transformationale Führung  52 –– Nachhaltigkeit  53 Transparenz  872 Trauer  853 Trennungsgespräch  592 –– innere Haltung  594 Trennungsprozess  590 –– Ermittlung der Betroffenen  591 –– Glaubwürdigkeit des Managements  591 –– Kommunikationskonzept  591 –– Unterstützung der Betroffenen  591 Tuckman  424, 756 Typisierung  854

U Übereinstimmung  333 Übertragungen und Gegenübertragungen  770 Umdeuten  831 Umgang mit Unsicherheit  638 –– notwendige Unsicherheit  639 Umsetzung und Reflexion  279 –– Kurskorrektur  279 Umwelt  29 Ungewissheitszone  956 –– Bedürfnis  956 –– Interessenslage  956 –– Kräfteverhältnis  956 Unlustvermeidung  116 Unstimmigkeiten  728 Unternehmenskultur  730 Unterstützung  926 Unterwerfung  790 Ursachenzuschreibung  137 –– Misserfolg  137 –– Person  137 –– Situation  137 –– Ursache für unseren Erfolg  137 Ursache-Wirkung‑, Input-OutputBeziehungen  835

1013

Index

Urteile  242 Urteilen  243 –– Urteilsdimension  244 –– Urteilsobjekt  244

V Validität  519, 537, 538, 539 –– Testverfahren  519, 521, 537, 547 Veränderung  943 –– Formen, Strategien und Ebenen  859 –– Sinn  826 Veränderungen im Sozialverhalten  920 Veränderungsprozess  166, 993 Veränderungsverlierer  706 –– Motivationssteigerung  706 Verantwortung  720 –– Arbeitszufriedenheit  720 –– Selbstvertrauen  720 Verantwortung des Managements  592 –– Botschaft an jeden einzelnen Betroffenen  592 –– Rolle HR-Verantwortlicher  592 –– spezifisches Fachwissen  592 Verantwortungsmatrix  745 Verarbeitungsfehler  136 Verbesserung –– Indikatoren  698 Verbindlichkeit  872 verbleibende Angestellte  599 verbleibende Mitarbeitende  600 –– Einbezug der Mitarbeitenden  600 –– Umgang der sogenannten Survivors  600 vergessen  144 –– Ähnlichkeitshemmung  145 –– Blockierung  145 Verhalten  100 –– Beeinflussen/Verändern  101 –– Fremdbeobachtung  100 –– konkretes, wahrnehmbares  856 –– Selbstbeobachtung  100 Verhalten einflussreicher Mitarbeiter  849 Verhaltensauffälligkeiten  912, 924 Verhaltensmuster in Konfliktsituationen  790 Verhaltensveränderung  691 –– Messung  691 Verhaltensziel –– mehrstufig  703

Verhandeln  792 –– “beste Alternative“  802 –– Emotionen  795 –– Entscheidungsmöglichkeiten (Optionen)  797 –– faire Verfahrensweisen  800 –– Gesicht wahren  795 –– günstige Gesprächsmuster  796 –– “Limit“/Mindestergebnisse  801 –– Machtasymmetrie  801 –– objektive Kriterien  800 –– Vorstellungen der anderen Partei  794 Verhandlung  785, 802 –– Ein-Text-Verfahren  803 –– Judo  802 –– schmutzige Tricks  803 –– über den Verhandlungsprozess zu verhandeln  803 Verlauf des Gesprächs  595 –– mündliche Information  596 Vermeider –– kontrollieren  706 Versöhnung  995 Versprechen  948 Verstehen  337 Verteilungskonflikt  775 Vertrauen  68, 219, 615, 617, 716, 838, 918 –– Verantwortung  716 Vertrauensverhältnis  933 vierohriger Empfänger  329 Vier-Seiten-Modell  328 virtuelle Identität  149 Vision  686, 693, 826 –– Effizienz  693 –– Qualität  693 –– Verbesserung  693 –– Verhalten  693 –– weicher Erfolgsfaktor  693 Visions- und Strategieentwicklung  677 visualisieren  222 Visualisierung  217, 232, 234 Voraussetzung  714 –– Funktionsbereich  715 –– Verantwortungsüberschuss  714 –– Zeitraum  715 vorbereitende Arbeiten  713 Vorentscheid  266 vorhandene Erfolgspotenziale  814 Vorstellung –– inneren Bilder  824 vorurteilsloses Fragen  347 Vorwissen  136 VUCA-Welt  964

S–W

W Wahlmöglichkeit  877 Wahrheit  995 Wahrnehmung  110, 118 Wahrnehmungsverzerrungen  121 Wechselwirkungen  108 Weg-Ziel-Theorie  49 –– direkte Führung  50 –– Erwartung  49 –– leistungsorientierte Führung  50 –– Motivation  49 –– partizipative Führung  50 –– unterstützende Führung  50 –– Ziel  49 Weiterbildungskurs  986 Weiterengwicklung  679 Wellnessmodell  176 Wertekonflikt  774 Werthaltung  828 Wertkettenmodell  504 Wertschätzung  926 Widerspruch  996 Widerstand  856, 941, 950 –– Dienst nach Vorschrift  941, 950 –– Gegendrohung  950 –– Gegenkoalition  941 –– Koalitionstaktik  950 –– offener  856 –– passiver  950 –– rationelle Überredung  950 –– verdeckter  857 –– Widerstand und Widerspruch  941 Wirklichkeit, subjektiv erlebte  829 Wirklichkeit, subjektives Modell von  843 Wirklichkeit zweiter Ordnung  829 Wirkmechanismus  989 Wirkung  945, 946 –– Commitment  946 –– Compliance  946 –– Resistance  946 Wirkungsebenen der Macht  940 –– Ebene des sozialen Systems  940 –– Rolle und Position  940 –– zwischenmenschliche Ebene  940 Wirkungsgrad  333 Wirkungsmodell der Macht  939 Wissensarbeit  635 Wohlwollen  838 Wut  853

1014

Index

Z Zeitdruck  680 –– Problemlösung  680 Zeitmanagement  201 –– flexibles  203 –– klassisches  203 Zeitplanung  267 Zen-Buddhismus  992 Ziel –– überprüfbar  693 Zielbindung  680 –– Begründung  680 –– Erwartung  680 –– Wichtigkeit  680 Zielcommitment  730 Zielcontrolling  703 Ziele  200, 730 –– Annäherungsziel  261 –– Arbeitsplatzziele  200 –– beeinflusst  708 –– Berufsziele  200 –– Handlungsspielraum  262 –– Kriterien  263 –– Motivation  667 –– Muss- und Wunschziel  262 –– ohne Begründung  708 –– richtige  709 –– SMART-Kriterien  201, 262 –– Vermeidungsziel  261 –– verstanden  709 –– Zielarten  261 –– zu hohe  708 –– zu viele  708 Zielerreichung  677 –– Kontrolle  677 –– Situationsanalyse  677 –– Zieldefinition  677 Ziele und Lösungen entwickeln  278 Zielfindung  201 –– Disney-Strategie  201 Zielkaskadierung  688 –– umfassend  688 –– unkonkret  688 –– Zielkonflikt  688 Zielklarheit  730 Zielklärung  742 Zielkonflikt  774 Zielpublikum  214 Zielsetzungsgespräch  372 Zielsetzungstheorie  677 Zielübernahme  689 –– begründete  689 –– Entwicklungsgespräch  689 –– Identifikation  689 –– Leistungsbeurteilung  689 –– Zielvereinbarung trennen  689

Zielvereinbarung  555 –– MbO und Personalentwicklung  555 Zielvereinbarungs- und Leistungsbeurteilungszyklus  686 Zone of Responsible Action (ZORA)  288 ZORA (Zone of Responsible Action)  288 Zugehörigkeit  838 Zugehörigkeit und Identität, Gefühl von  822 Zuhören  346, 347, 368 –– aktives  368 –– analytisches  368 –– Downloading  347 –– empathisches  347 –– fakrisches  347 –– generatives  347 –– Mitarbeitendenmotivation  346 –– Sinnstiftungsprozess  346 –– vier Ebenen des Zuhörens  346 Zusammenarbeit  66, 734, 753 Zusammenhänge  137 zusätzliches Ziel  692 –– Kennzahlenverantwortung  692 –– Ressource  692 –– weiterentwickeln  692 Zwischenevaluation –– selbstständiges, selbstverantwortliches Handeln  687 Zwischenevaluationen  687

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Smile Life

When life gives you a hundred reasons to cry, show life that you have a thousand reasons to smile

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