Führung ist erlernbar

Wie weit müssen Führungskräfte auf unterschiedliche Ausprägungen ihrer Mitarbeiter eingehen, um diese erfolgreich führen zu können? Wenn man der gegenwärtigen Buchlandschaft im Bereich Leadership glauben möchte, müssen die Führungskräfte von heute hochgradig empathische Fähigkeiten aufweisen und ihre Mitarbeiter individuell führen. „Die Führungskraft als Coach“, fordern verschiedene Autoren seit einigen Jahren immer vehementer.Doch bringt sie das wirklich vorwärts? Erreichen sie dadurch motivierte und produktive Mitarbeiter? „Nein“, behaupten die beiden Autoren dieses Werkes und zeigen im ersten Teil dieses Buches auf, warum diese Führungstechniken nicht funktionieren. Zu wenig Zeit und zu viel Arbeitsaufwand sind der Grund, warum moderne Führungskräfte strukturierte Techniken zur Mitarbeiterführung einsetzen müssen, um erfolgreich zu sein. Dieses Buch beweist, dass Führung erlernbar ist.Auf Basis der Saulus-Methode, einem Leitfaden zur Mitarbeiterführung, den Dr. Johann Fieger vor über zwanzig Jahren am Institut für Praktische Unternehmensführung, München entwickelte, erfährt der Leser, wie er nach strukturierten Methoden garantiert jeden Mitarbeiter so erfolgreich führt. Dieses Buch informiert und ist gleichzeitig als Arbeitsbuch zu verstehen, das schrittweise das Handwerk der Mitarbeiterführung vermittelt. Mit vielen Checklisten, Anleitung und praxisorientierten Übungseinheiten erlernt der Leser das nötige Handwerkszeug, um den Beruf „Führungskraft“ sicher auszuüben.Die Autoren Dr. Johann Fieger ist Diplom-Ingenieur für Maschinenbau.Kilian Tobias Fieger ist Personalreferent in einem Münchener Unternehmen.


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Johann Fieger Kilian Tobias Fieger

Führung ist erlernbar Mit Struktur zur erfolgreichen Führungskraft

Führung ist erlernbar

Johann Fieger · Kilian Tobias Fieger

Führung ist erlernbar Mit Struktur zur erfolgreichen Führungskraft

Johann Fieger Puchheim, Deutschland

Kilian Tobias Fieger Puchheim, Deutschland

ISBN 978-3-658-22196-6 ISBN 978-3-658-22197-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Warum wir dieses Buch geschrieben haben und dessen Aufbau Anfang des 20. Jahrhunderts trat zum ersten Mal der Begriff des „Führens“ im heutigen Sinne auf. Dies geschah in Verbindung mit der Verbreitung der Massenfertigung. Bei diesem Herstellungsverfahren haben mehrere hintereinander und alleine arbeitende „Mitarbeiter“ an einem Produkt gearbeitet. Seitdem obliegt Führungskräften die Aufgabe, Menschen zu motivieren, ihnen den Sinn ihrer Arbeit zu zeigen, sie zu informieren und für das Produkt, an dem sie arbeiten, zu begeistern. Antoine de Saint-Exupéry, ein französischer Schriftsteller und Abenteurer, empfiehlt das folgende Vorgehen, um Menschen für eine Arbeit zu begeistern: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben oder Arbeit einzuteilen, sondern lehre zunächst deine Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Die Führungskraft muss also den Mitarbeitern nicht nur das gemeinsame Ziel erläutern, sondern sie auch und vor allem für dieses Ziel begeistern. Die „Führungsleute“ der Vergangenheit hatten „Untergebene“, z. B. in einer Armee. Menschen sind ihnen „gegeben worden“, um einen Kampf zu gewinnen. Die Führungskräfte unserer Gegenwart führen hingegen1 Mitarbeiter und keine Untergebenen. Hierbei wird der arbeitende Mensch als ein Individuum betrachtet, das auch selbstständig denken und handeln kann und nicht mehr – wie früher – ausschließlich das untergeordnete Objekt von Führern ist. Heute gibt es in Deutschland etwa vier Millionen Führungskräfte (Fröhlich 2015). In einer Zeit des raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels tragen sie nur dann zum Erfolg eines Unternehmens bei, wenn sie nicht nur eine methodische, sondern auch eine ausgeprägte soziale Kompetenz aufweisen. Führungsarbeit spielt sich heute nämlich zunehmend im menschlich-sozialen Bereich ab.

1Wenn

in diesem Buch von Führungskräften die Rede ist, sprechen die Autoren sowohl weibliche als auch männliche Führungskräfte an. V

VI

Vorwort

Leider führt das Verhalten mancher Führungskräfte zu viel Frustration unter ihren Mitarbeitern. Laut dem Engagement-Index des Markforschungsinstitutes Gallup geben lediglich 15 % der heimischen Erwerbstätigen an, eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen zu haben. Der Rest – und dabei handelt es sich immerhin um über 29 Mio. Arbeitnehmer – verrichtet bloß Dienst nach Vorschrift oder hat bereits innerlich gekündigt. Die Hauptschuld an dieser Misere tragen nach Angaben der Mitarbeiter ihre Vorgesetzten. Befragt man die Führungskräfte danach, ob sie schon einmal unter einem schlechten Chef arbeiten mussten, geben knapp 70 % eine affirmative Antwort. 97 % aller befragten Führungskräfte hingegen sind davon überzeugt, einen ausgezeichneten Job als Vorgesetzter zu verrichten (Gallup 2016). Dieser statistische Einblick zeigt das Dilemma auf, in dem sich die heimischen Führungskräfte befinden: Während sie sich selbst als hochgradig (sozial-)kompetent einschätzen, haben sie unter Umständen nur wenig Zugang zu ihren Mitarbeitern. Doch warum verhält es sich so, obwohl viele Führungskräfte jährlich hoch bezahlte Seminare und Trainings besuchen, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln? Ein Grund liegt darin, dass es sich bei dem Beruf „Führungskraft“ nicht um eine offizielle Berufsbezeichnung mit entsprechenden Ausbildungsinhalten, die vorausgesetzt werden, handelt. Der Führungskräfte-Trainer Dr. Johann Fieger vermittelt in diesem Buch den Lesern die Grundlagen moderner Mitarbeiterführung, und zwar ausgehend von seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Leiter verschiedener Organisationen und der Zusammenarbeit mit Führungskollegen unterschiedlichster Hierarchieebenen. Es sollen Techniken und Umgangsformen vorgestellt werden, die sich in der Führungspraxis bewährt haben. Ergänzend dazu berichtet der Personalleiter Kilian Tobias Fieger von seinen persönlichen Erlebnissen aus seinem Arbeitsalltag. Zudem erfährt der Leser, wie der Führungsprozess sowohl vonseiten der Mitarbeiter als auch vonseiten der Vorgesetzten empfunden wird. Dieses Buch soll als Arbeitshilfe den Leser in seiner Entwicklung als Führungskraft begleiten. Es enthält Informationen und Erfahrungsberichte sowie verschiedene Übungen und Aufgaben, die helfen sollen, den Buchinhalt auf die berufliche Praxis anzuwenden. Auf diese Weise vertieft der Leser das erworbene Wissen und entwickelt sich systematisch zu einer wirkungsvollen Führungskraft. Die ersten vier Kapitel beschäftigen sich mit den Aufgaben von Führungskräften und mit den Rollen, die Führungskräfte einnehmen sollten. Hier wird aufgezeigt, woraus Verantwortung im Einzelnen besteht. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob sich der Vorgesetzte als der Coach seiner Mitarbeiter betrachten sollte. Außerdem wird der Unterschied zwischen tatsächlicher Führungsarbeit und dem bloßen Verwalten von Organisationseinheiten erläutert. Dieser Teil beschäftigt sich auch mit der situativen Führung. Nachfolgend werden Werkzeuge vorgestellt, die Führungskräfte in ihrer täglichen Arbeit einsetzen können, um ihre Ziele zu erreichen. Die Kap. 5 bis 7 behandeln das Thema, wie die Führung in der betrieblichen Praxis mithilfe einer wertschätzenden Gesprächstechnik umgesetzt werden kann. Es werden verschiedene Modelle, wie z. B. das Modem-Modell oder das Nachrichtenquadrat,

Vorwort

VII

vorgestellt, die der Leser in seiner eigenen Berufspraxis täglich anwenden kann. Zudem wird die SAULUS-Methode vorgestellt, eine Technik zur Gesprächsführung, die sich an die Empfehlungen von Hippokrates im Umgang mit Patienten anlehnt. Hippokrates lebte von 460 v. Chr. bis 370 v. Chr. und gilt als der wohl berühmteste Arzt der Antike. Es wird außerdem gezeigt, wie ein systematischer Gesprächsaufbau das Gespräch mit Mitarbeitern verbessern kann. Auch hier werden verschiedene Übungen vorgestellt, die leicht in die tägliche Praxis umgesetzt werden können. Kap. 8 bis 11 beschäftigen sich mit dem Aufbau und dem Führen von leistungsstarken Teams, mit der Nutzung von Gruppendynamik im Führungsalltag sowie mit Techniken, um Besprechungen im Team effektiv durchzuführen. Dieser Abschnitt schließt mit Empfehlungen zur Teamführung im Hinblick auf Spannungs- und Konfliktsituationen. Schließlich widmen sich die Kap. 12 bis 15 dem Umgang mit besonderen Situationen im Führungsalltag und beschreiben weitere notwendige Techniken und Methoden, die für nahezu jede herausfordernde Praxissituation anwendbar sind. Dabei wird die SAULUS-Methode zur Lösung von Problemen und zur Bearbeitung von Reklamationen näher erörtert. Zum Schluss werden die Möglichkeiten zur Optimierung der eigenen Arbeitsmethode als Führungskraft auf Basis unterschiedlicher Techniken und Methoden, wie beispielsweise dem Eisenhower-Prinzip, zur Entwicklung eines funktionierenden Zeitmanagements aufgezeigt. Abschließend möchten wir Ihnen im letzten Kapitel einige Gedanken zum intellektuellen Kapital in Ihrem Unternehmen näherbringen. Mit diesem Werk erhält der Leser ein umfassendes Handbuch zur Entwicklung und Verbesserung seines persönlichen Führungsstils, der den besonderen Herausforderungen gerecht wird, denen sich moderne Führungskräfte stellen müssen. April 2018

Dr. Johann Fieger Kilian Tobias Fieger

Literatur Fröhlich, H. (2015). Führung in Zahlen. https://www.brandeins.de/archiv/2015/fuehrung/fuehrungin-zahlen. Zugegriffen: 28. Nov. 2017. Gallup. (2016). Engagement Index. Berlin. http://www.gallup.de/183104/engagement-index-deutschland.aspx. Zugegriffen: 28. Nov. 2017.

Danksagung

Wir danken Gudrun Fieger, die uns animiert, Mut gemacht und unterstützt hat, Markus Miksch für die Hilfe beim Formulieren und Schreiben sowie allen Personen, die das Rohmanuskript zu diesem Buch kritisch gelesen haben und mit ihren Rückmeldungen dazu beitrugen, den Inhalt immer weiter zu schärfen. Insbesondere wollen wir folgende Testleser erwähnen: Markus Rothböck, für seine schnellen und ausführlichen Antworten sowie für seine hilfreichen Ergänzungen und Hinweise, Dennis Degenhardt, für die wertvollen Beiträge und Beispiele aus seiner Praxis, Andreas Clausen, Horst Krause und Peter Rotter. Allen diesen Menschen sind wir sehr dankbar für ihre Hinweise und Ergänzungen.

IX

Inhaltsverzeichnis

1

Aufgaben der Führungskraft in einem modernen Unternehmen. . . . . . . . . 1 1.1 Wirkfaktoren für den Erfolg eines Unternehmens (nach Peters und Waterman) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.2 Welche Kompetenzen machen Führungskräfte erfolgreich?. . . . . . . . . 5 1.3 Der Chef als Coach? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2

Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen . . . . . . 9 2.1 Über die konkreten Aufgaben einer erfolgreichen Führungskraft. . . . . 13 2.2 Führungsarbeit in den verschiedenen Hierarchieebenen. . . . . . . . . . . . 13 2.3 Was muss man lernen, um gut führen zu können?. . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3

Das System der situativen Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 3.1 Die Suche nach dem geborenen Führer (die Great-Man-Theorie) . . . . 22 3.2 Die eindimensionalen Modelle (oder die „Management by …“Modelle). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.3 Die zweidimensionalen Modelle (problem- oder mitarbeiterbezogen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.4 Dreidimensionale Modelle (situative Führungsstile). . . . . . . . . . . . . . . 24 3.4.1 Einflussfaktoren auf den Führungserfolg. . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3.4.2 Das eigene bevorzugte Führungsverhalten kennenlernen. . . . 26 3.5 Welche Führungsstile passen zu welchem Mitarbeiter? . . . . . . . . . . . . 30 3.6 Dimensionen der Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.7 Zwei Formen der Autorität bzw. des persönlichen Ansehens . . . . . . . . 32 3.7.1 Führung und Autorität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.7.2 Zehn Denkanstöße für Führungskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.8 Woran lässt sich eine gute Führungskraft erkennen?. . . . . . . . . . . . . . . 35 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

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Inhaltsverzeichnis

4

Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.1 Der Umgang mit Zielen in einem Betrieb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 4.2 Einteilung nach operativen Zielen und Beziehungszielen in einem Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4.3 Einteilung nach Dominant- und Team- bzw. Bereichsziele. . . . . . . . . . 42 4.4 Wozu werden Ziele gebraucht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.5 Delegation oder Aufgaben weitergeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4.6 Die Delegationszwiebel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.6.1 Die sechs Erfordernisse einer erfolgreichen Delegation. . . . . 47 4.6.2 Zehn Regeln zum richtigen Delegieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.7 Kontrolle im betrieblichen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.8 Motivation und Bedürfnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.8.1 Bedürfnisse: Was benötigen wir zum Leben?. . . . . . . . . . . . . 51 4.8.2 Motivation: schematische Darstellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

5

Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern. . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5.1 Das MODEM-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 5.2 Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell. . . . . . . . . . . . . . 66 5.2.1 Die vier Ebenen der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 5.2.2 Beispiele zum Nachrichtenquadrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 5.2.3 Das Nachrichtenquadrat und seine Bedeutung . . . . . . . . . . . . 71 5.3 Das Eisberg-Modell in der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5.4 Das Landkartenmodell: die Unterschiedlichkeit des Verhaltensmusters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.5 Die Gesprächstechnik im Laufe der Geschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.6 Die SAULUS-Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

6

Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation. . . . . . . . 81 6.1 Konzept der gewaltfreien Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.1.1 Urteile über andere (moralische Urteile) im Gegensatz zu Werturteilen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 6.1.2 Die Verwendung der moralischen Urteile („Schubser“) in der alltäglichen Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.1.3 Situationen beschreiben ohne zu bewerten . . . . . . . . . . . . . . . 84 6.1.4 Reaktionen auf verschiedene Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . 87 6.1.5 Bedürfnisse steuern Handlungen und die generierten Gefühle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.1.6 Empfängerorientierte, „gewaltfreie“ Kommunikation. . . . . . . 90 6.1.7 Empfängerorientierte Kommunikation in der Führungspraxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsverzeichnis

XIII

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Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag. . . . . . . . . . . . . . . 101 7.1 Anerkennungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 7.2 Kritikgespräch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 7.3 Feedback oder Rückmeldung in der Führungspraxis. . . . . . . . . . . . . . . 103 7.4 Richtige Anwendung von Kritik, Anerkennung und Feedback. . . . . . . 106 7.5 Bedeutung von Fragen in der Gesprächstechnik. . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 7.6 Offene Fragen oder „W“-Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 7.6.1 Die stimulierende Frage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.6.2 Die Alternativfrage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.7 Geschlossene Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 7.7.1 Nachteile der geschlossenen Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7.7.2 Geschlossene Fragen mit einer negativen Wirkung. . . . . . . . . 110 7.7.3 Geschlossene Fragen mit einer positiven Wirkung. . . . . . . . . 110 7.8 Rhetorische Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 7.9 Zuhören wollen und zuhören können . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7.9.1 Die Herausforderung des Zuhörens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 7.9.2 Drei Empfehlungen, um mit dem Zustand des „Nicht-Zuhörens“ umzugehen: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 7.10 Das aktive Zuhören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114

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Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.1 Ablauf eines motivierenden Mitarbeitergesprächs. . . . . . . . . . . . . . . . . 119 8.2 Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 8.2.1 Gespräche mit unsympathischen Personen. . . . . . . . . . . . . . . 120 8.2.2 Gespräche mit uneinsichtigen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 8.2.3 Gespräche mit arroganten Personen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

9

Führung (m)eines Teams zum Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 9.1 Was ist ein Team?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 9.2 Warum ist ein Team wichtig?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 9.3 Probleme der Teamarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 9.4 Was benötigt ein Team, um erfolgreich zu sein?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 9.5 Die Selbst- und Fremdwahrnehmung im Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 9.6 Leistet ein LKW mehr als ein PKW? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 9.7 Wann ergibt Teamarbeit Sinn?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 9.8 Probleme in der Teamarbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 9.8.1 Körperliche Aktivitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 9.8.2 Brainstorming in der Gruppe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 9.8.3 Schwierigkeiten beim Lösen von Problemen in Teams. . . . . . 146 9.8.4 Hauptsache harmonisch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

XIV

Inhaltsverzeichnis

9.9

Verhaltens- und Spielregeln in einem erfolgreichen Team . . . . . . . . . . 149 9.9.1 Die Bedeutung von Verhaltens- und Spielregeln in einem Team. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 9.9.2 Beispiele von Verhaltens- und Spielregeln in einem Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 9.10 Normen sind nicht vereinbarte Spielregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

10 Soziales Verhalten von Menschen in Teams. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 10.1 Ansehen und soziale Rollen in einer Gruppe von Menschen . . . . . . . . 156 10.2 Starke und schwache soziale Rollen in einer Gruppe . . . . . . . . . . . . . . 158 10.3 Teamzusammensetzung und Teamrollen nach Belbin. . . . . . . . . . . . . . 161 10.4 Phasen der Teamentwicklung und die benötigten Führungsstile. . . . . . 161 10.4.1 Forming – die Einstiegs-, Test- und Findungsphase (Kontakt). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 10.4.2 Storming – die Auseinandersetzungs- bzw. Klärungsphase („Nahkampf“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 10.4.3 Norming – die Regelungs- und Übereinkommensphase (Findungsphase) . . . . . . . . . . . . . . . . 164 10.4.4 Performing – die Arbeits- und Leistungsphase. . . . . . . . . . . . 164 10.4.5 Adjourning – die Auflösungsphase (Testphase). . . . . . . . . . . . 164 10.5 Interaktion zwischen Gruppe und Führungskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 10.6 Welche Kollegen passen in unser Team?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 11 Besprechungen im Team effektiv durchführen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 11.1 Besprechungen richtig vorbereiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 11.1.1 Einladung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 11.1.2 Begrüßung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 11.1.3 Ziele der Besprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 11.1.4 Struktur und Ablauf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 11.1.5 Spiel- oder Verfahrensregeln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 11.1.6 Unterbrechungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 11.2 Der Umgang mit zurückhaltenden Teammitgliedern. . . . . . . . . . . . . . . 170 11.3 Der Umgang mit nörgelnden Teammitgliedern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 11.4 Was tun, wenn sich der Besprechungsleiter in einer gedanklichen Sackgasse befindet?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 11.5 Der Umgang mit dominanten Besprechungsteilnehmern . . . . . . . . . . . 172 11.5.1 Lösungsmöglichkeiten im Einzelgespräch (vor oder nach der Besprechung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 11.5.2 Lösungsmöglichkeiten innerhalb der Besprechung. . . . . . . . . 172

Inhaltsverzeichnis

11.6

XV

Was sollte man in einer Besprechung vermeiden?. . . . . . . . . . . . . . . . . 173 11.6.1 Wie formuliert man eine gute Einladung?. . . . . . . . . . . . . . . . 173 11.6.2 Vergessen, Fragen zu stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 11.6.3 Die Nerven verlieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 11.6.4 Kritische Fragen an Einzelne stellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174

12 Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten. . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 12.1 Die Konfliktspirale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 12.1.1 Konfliktarten nach Konfliktparteien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 12.1.2 Konfliktarten nach Ursachen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 12.2 Konflikte von innen heraus lösen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 12.3 Tipps zur Konflikt-Erkennung, -Lösung und -Vermeidung. . . . . . . . . . 184 12.4 Wie sich Konflikte bewältigen lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 12.5 Existiert ein Betrieb ohne Konflikte?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 13 Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 13.1 Aufgaben analysieren und sich für die richtigen Maßnahmen entscheiden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 13.2 Optimismus als Gefahr in der Führungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 13.3 Der Teufelskreis der falschen Erfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 13.4 Das doppelte Gesicht der Routine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 13.5 Über den „gesunden“ Menschenverstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 13.6 Problemlösungshilfe nach der SAULUS-Methode. . . . . . . . . . . . . . . . 195 13.7 Ursache-Wirkungs-Diagramm (Ishikawa- oder „Fischgräten“Diagramm). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 13.7.1 Einführung in das Ursache-Wirkungs-Diagramm. . . . . . . . . . 198 13.7.2 Der langsame LKW und die Ishikawa-Methode. . . . . . . . . . . 201 13.8 Die LOEWE-Technik – der Weg zu einer nachhaltigen Lösung. . . . . . 202 13.9 Brainwriting (635-Methode). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 13.9.1 Vorteile des Brainwriting. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 13.9.2 Nachteile des Brainwriting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 13.10 Risikomanagement mit der SAULUS-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 14 Weitere Methoden und Entscheidungshilfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 14.1 Der PDCA-Zyklus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 14.1.1 Was wird unter diesem Begriff verstanden? . . . . . . . . . . . . . . 211 14.1.2 Begriffsdefinition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 14.2 Problemlösung nach Kepner-Tregoe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 14.3 „IST/IST NICHT“-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 14.3.1 „Fundiertes Entscheiden“ versus „zügiges Entscheiden“ . . . . 216 14.3.2 Die klassische Entscheidungsmatrix. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

XVI

Inhaltsverzeichnis

15 Zeitmanagement und dessen Optimierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 15.1 Methoden für ein besseres Zeitmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 15.1.1 Das Eisenhower-Prinzip oder die A-B-C-D-Analyse . . . . . . . 220 15.1.2 Das Pareto-Prinzip zur Verbesserung des persönlichen Zeitmanagements. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 15.2 Die sieben schlimmsten Zeitfresser bei der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 16 Der Kreis schließt sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

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Aufgaben der Führungskraft in einem modernen Unternehmen

Wie lauten die Anforderungen an eine Führungskraft? Wie kann man Führung erlernen? Eine nähere Betrachtung der Entwicklungen in der Wirtschaft zeigt, dass es manchen Unternehmen gelingt, große Erfolge zu feiern, während vergleichbare Wettbewerber nur mittelmäßig oder schlecht abschneiden. Doch diese Situation ist nicht unbedingt von Dauer. Einige Zeit später kann es den bisher erfolgreichen Firmen wider Erwarten schlechter gehen und nochmals umkehren. Wie kann dieses Auf und Ab vermieden werden, und vor allem: Welche Aufgaben ergeben sich hierbei für Führungskräfte, um den Erfolg eines Unternehmens zu sichern? Die Fragen nach den Merkmalen eines erfolgreichen Unternehmens und worauf Führungskräfte achten müssen, versuchten Thomas J. Peters1 und Robert H. Waterman2, langjährige Mitarbeiter bei McKinsey & Company, in ihrem Buch „Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann“ zu beantworten (Peters und Waterman 1982).3 Peters und Waterman analysieren über 5000 amerikanische Firmen und finden eindrucksvolle Antworten auf ihre Frage. Sie stellen fest, dass schwierige Markt- und Umweltbedingungen oder die Überlegenheit einer starken Konkurrenz keine große Rolle bei dem Erfolg von Unternehmen spielen. Viel wichtiger für den Erfolg ist die Einstellung und das Handeln der Führungskräfte sowie der Mitarbeiter: Wenn alle sich

1Thomas

J. Peters, Diplomingenieur und Betriebswirt, war ehemals Vorstand von McKinsey, betreibt heute seine eigene Beratungsfirma und ist Dozent an der Stanford Business School. 2Robert H. Waterman, Diplomingenieur und Betriebswirt, ist Direktor von McKinsey & Company und Gastdozent an der Stanford Business School und am IMEDE in Lausanne. 3Der englische Originaltitel lautet: „In Search of Excellence, Lessons from America’s Best-Run Companies“, Harper Business Essentials (1982). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_1

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1  Aufgaben der Führungskraft in einem modernen Unternehmen

besonders bemühen, ihren Aufgaben gerecht zu werden, geht es dem Unternehmen gut. Nicht Geld oder Maschinen sind der Schlüssel betrieblichen Erfolgs, sondern die acht unten aufgeführten Wirkfaktoren. Diese müssen alle gleichzeitig in einem Unternehmen realisiert werden, damit dieses erfolgreich sein kann. Fehlen ein oder zwei davon, so kommt eine Firma ins Straucheln. Aufgabe der Führungskräfte ist es, sich kontinuierlich diese Wirkfaktoren des Erfolges vor Augen zu halten und diesbezügliche Aufgaben abzuleiten. Sie sollten die Organisation entsprechend ausrichten sowie die Mitarbeiter anleiten, ermuntern und motivieren, nach diesen Prinzipien zu handeln:

1.1 Wirkfaktoren für den Erfolg eines Unternehmens (nach Peters und Waterman) 1. Primat des Handelns In der Firma gilt unmittelbares Handeln als wichtige Direktive. Das Motto „do it, try it, fix it“ ist dabei ausschlaggebend. Kleine produktive Einheiten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Ständiges Experimentieren und Infragestellen der eigenen Arbeit wird erwartet. 2. Nähe zum internen und externen Kunden Nicht nur der externe Kunde ist König! Man sollte auch die Anforderungen des „internen“ Kunden (z. B. Kollegen, andere Abteilungen sowie weitere, die im Arbeitsprozess folgen) abfragen und beachten, auch wenn es sich dabei eben „nur“ um einen Kollegen handelt. Die Mitarbeiterorientierung ist also wichtig. Als Kunde wird jeder definiert, der meine Arbeit weiter benötigt. Unbedingtes Wollen, gute Qualität zu liefern, schneller Service, besondere Zuverlässigkeit und haltbare Produkte gelten als Grundvoraussetzungen für den Erfolg. Auf Wünsche und Anregungen der Kunden muss bereitwillig eingegangen werden. 3. Freiraum für Unternehmertum Den Mitarbeitern wird ein Gefühl für Unternehmertum vermittelt, es wird ein unternehmerisches Denken gefördert. Es gibt viel Entscheidungsfreiheit auf unterer Ebene und auch die Möglichkeit, sich mit anderen zu vergleichen. Dadurch sollte der Wunsch entstehen, besser als andere zu sein. Die Innovationskraft der Mitarbeiter wird gefördert, und es gibt keine Angst vor Fehlern, denn aus ihnen werden Schlüsse gezogen. 4. Produktivität durch Menschen Die Mitarbeiter werden als Quelle der Qualitäts- und Produktivitätssteigerung anerkannt. Dem einzelnen Mitarbeiter begegnen Vorgesetzte mit Achtung und Respekt. Der Mitarbeiter wird permanent weiterqualifiziert und an der Verbesserung der Abläufe, der Produkte sowie der Dienstleistungen beteiligt. Auf eine gute Teambeziehung wird Wert gelegt.

1.1  Wirkfaktoren für den Erfolg …

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5. Sichtbar gelebtes Wertsystem Die Führungspersonen meinen, was sie sagen, und tun es auch. Sie sind Vorbilder in ihrem Handeln und Verhalten. Es gibt eine Grundphilosophie bzw. ein Wertesystem, welches immer eingehalten wird. 6. Bindung an angestammtes Geschäft „Betreibe nie ein Geschäft, das du nicht verstehst“ und „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ sind – in diesem Kontext – zwei wichtige Empfehlungen, die jede Führungskraft beherzigen sollte. Eine neue Tätigkeit sollte sich nicht zu weit vom Stammgeschäft entfernen und nur dort Aktivitäten entwickeln, wo eigenes Know-how voll eingebracht werden kann. 7. Einfacher, flexibler Aufbau der Organisation „Kampf der internen Bürokratie“ lautet die Devise. Die Strukturen sind einfach aufgebaut, es werden bewusst Grauzonen zugelassen. Statt einer Perfektion der Systeme und Organisationsstrukturen wird eine breite, informelle Kommunikation angestrebt. Kommunikation und Informationsfluss sind dadurch ohne Umwege möglich, die Führungsmannschaft hat mehr Zeit und Möglichkeit, sich den Zukunftsaufgaben zu widmen. 8. Eine zugleich straffe und lockere Führung So viel Führung wie nötig und dabei so wenig Kontrolle als möglich werden angestrebt. Einige Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden, der Rest ergibt sich daraus von selbst. In der Praxis heißt es, klare Zielabsprachen zu treffen, aber auch viel Freiraum für Initiative und eigene Entscheidungen zu schaffen. Es wird eine Ausgewogenheit der zentralen und dezentralen Strukturen erwartet. Das Erlernen und Einüben von Führungsprinzipien, wie die soeben aufgeführten Wirkfaktoren für den Erfolg eines Unternehmens, und eine gute Einarbeitung in seiner Funktion als Chef sowie offene Rückmeldungen durch die Geführten sind der Garant für eine erfolgreiche Führungsarbeit. Diese Forderungen umzusetzen, erfordert allerdings einen an den neuen Bedingungen angepassten Führungsstil. Trotz exzellentem Fachwissen gelingt es vielen Führungskräften nicht, die oben genannten Merkmale umzusetzen. Der Hauptgrund dafür könnte unter anderem darin liegen, dass die meisten Führungskräfte glauben, einfach von vornherein führen zu „können“. Sie haben im Laufe der Zeit gesehen, was ehemalige Chefs alles falsch machten und sind davon überzeugt, aus den Fehlern der anderen viel gelernt zu haben, um es selbst besser zu machen. Ihre „reife“ Persönlichkeit, gepaart mit gutem Fachwissen lässt sie recht unbekümmert ans Werk gehen. Fred Edwards Fiedler ging bereits 1967 davon aus, dass der Führungserfolg – gemessen als Leistung der geführten Gruppe – nicht nur vom Selbstbewusstsein und vom Willen der Führungskraft bestimmt ist, sondern vielmehr von der persönlichen Beziehung, die der Vorgesetzte zu seinen Mitarbeitern (den Geführten) aufbaut (Fiedler 1967). Gleichzeitig spielen die Art und die Schwierigkeit der Aufgabenstellung sowie das Ausmaß der eigenen Macht im Unternehmen eine Rolle. Um eine erfolgreiche Führungskraft zu sein, braucht man ein besonderes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, zu seinen

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1  Aufgaben der Führungskraft in einem modernen Unternehmen

Kollegen und zu Kunden. Darüber hinaus ist ein besonderes Können beim Definieren von Zielen, beim Lösen von Problemen, beim Umgang mit der eigenen Zeit, bei der Ideensuche und im Umgang mit konfliktgeladenen Situationen von großer Bedeutung. Doch theoretisches Wissen allein reicht nicht aus, Führung kann man nicht nur aus Büchern lernen; man muss sein Wissen in der konkreten Situation anwenden können. Führungserfolg ist also nicht allein eine Frage von Wissen, sondern auch und vor allem eine von Erfahrung und Übung. Man kann man die Ausübung einer Sportart auch nicht nur durch Zuschauen oder aus Büchern lernen. Als Chef muss man das richtige Verhalten und Reagieren in allen sich verändernden Situationen der Betriebspraxis kennenlernen und gezielt einüben. Um sich keine falschen „Muster“ anzueignen, muss man immer wieder eine Rückmeldung von seinen Kollegen, seinen Mitarbeitern und sonstigen betrieblichen Partnern erhalten. Sie ermöglichen es, Korrekturen des eigenen Verhaltens durchzuführen. Viele Probleme entstehen dadurch, dass Vorgesetzte nur aufgrund ihres Wissens und ihrer Persönlichkeit eingesetzt werden oder vielleicht sogar einfach deshalb, weil der „Alte“ weggegangen ist. Möglicherweise erfolgt aus Kosten- oder Zeitgründen auch keine angemessene Einarbeitung des neuen Vorgesetzten durch seinen Vorgänger; der Neue muss sozusagen aus dem Stand heraus die Arbeit übernehmen. Oft erweist sich der Einstieg auch deshalb als schwierig, weil Führungskräfte anfangs auf neuen Posten vor einem Dilemma stehen: Von ihnen wird erwartet, dass sie als Chef den Mitarbeitern Orientierung geben, gleichzeitig brauchen sie selbst Unterstützung. Zu den anspruchsvollsten Aufgaben in den ersten Tagen zählt, sich im Beziehungsgeflecht einer Gruppe zurechtzufinden. Der neue Chef steht vor der Herausforderung, selbst Beziehungen zu knüpfen und die bestehenden Verbindungen für sich zu gewinnen. Viel Fingerspitzengefühl erfordert auch die Frage, wie eine neue Führungskraft nach außen hin auftreten soll. Auf Mitarbeiter und neue Kollegen zuzugehen, mit ihnen Gespräche zu führen, das gelingt jedoch nicht jedem. Muss sich die neue Führungskraft unter hohem Druck einarbeiten, leidet ihre Beziehungsarbeit darunter. Aus all diesen Gründen tun sich selbst gut ausgebildete Menschen schwer, sich der Aufgabe als Führungskraft zu stellen. Darüber hinaus ist die sogenannte Generation Young heute nicht mehr bereit, „nur“ zu arbeiten, um zu leben. Diese zwischen 1980 bis 2000 geborenen Menschen wollen einen Sinn in ihrem Leben und in ihrer Arbeit erkennen. Vielleicht kommt es ihnen entgegen, dass Führen in gewisser Hinsicht eine „Kunst“ ist. Sie ist nämlich keine reine Wissenschaft, deren experimentell abgesicherte Gesetzmäßigkeiten sich angeeignet werden können. Es gibt also keine „Führungsgesetze“. Dennoch gibt es gewisse Techniken und Methoden, die helfen, gravierende Fehler zu vermeiden. Auch Führungserfahrungen können gesammelt, gelernt und weitergegeben werden.

1.2  Welche Kompetenzen machen Führungskräfte erfolgreich?

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1.2 Welche Kompetenzen machen Führungskräfte erfolgreich? Nachdem jene Faktoren beschrieben wurden, die Führungskräfte erlernen sollten, um ihre Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, beschäftigt sich der letzte Abschnitt dieses Kapitels mit den ergänzend notwendigen Kompetenzen. • Persönlichkeitskompetenz Dahinter stehen die Basisantriebe einer Persönlichkeit: Mut, Dynamik, Intelligenz, analytische Fähigkeiten, Charisma, Kreativität, Leidenschaft, Interesse an Menschen, Stabilität, Integrität usw. Diese Attribute sind die Voraussetzung dafür, um bei anderen Menschen anzukommen und Kontakte aufzubauen. Diese Form von Persönlichkeit muss von Anfang an vorhanden sein und nicht erst ab der Übernahme der Führungskraft-­Funktion. • Fachliche Kompetenz Die fachliche Kompetenz ist eine wichtige Komponente für den Erfolg im beruflichen Leben. Gemeint sind die berufliche Ausbildung, die gesammelte praktische Erfahrung und das persönliche Können. Um als Führungskraft ausgewählt zu werden, braucht man zuallererst eine gute fachliche Kompetenz und entsprechende Zeugnisse. Leider werden viele Menschen nur anhand dieser zwei Kompetenzen zum „Chef“ bestellt (persönliche und fachliche Kompetenz). Um aber als Führungskraft nachhaltig Erfolg zu haben, braucht man noch weitere Fähigkeiten und Techniken, wie in Abb. 1.1 dargestellt.

Abb. 1.1  Notwendige Kompetenzen einer Führungskraft

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1  Aufgaben der Führungskraft in einem modernen Unternehmen

• Soziale Kompetenzen Soziale Kompetenzen (englisch: social skills) ist die Gesamtheit individueller Einstellungen und Fähigkeiten, die im Sinne der Kooperation nützlich sind, eigene Handlungsziele mit den Einstellungen und Werten einer Gruppe zu verknüpfen. • Methodische Kompetenzen (Methoden-Kompetenz) Diese Kompetenzen beinhalten die Gesamtheit der Methoden und Techniken, Fachwissen zu beschaffen und zu verwerten, um mit Problemen umzugehen. Dazu gehören Techniken wie Problemlösetechnik, Entscheidungstechnik, Vertriebstechnik, Argumentationstechnik, Präsentationstechnik, Gesprächstechnik, Besprechungstechnik, Moderationstechnik usw.

1.3 Der Chef als Coach? In letzter Zeit taucht immer häufiger die Forderung auf, dass Führungskräfte auf die individuellen Belange der Mitarbeiter eingehen sollten. Die „Führungskraft 4.0“ etwa definiert den Vorgesetzten sogar als individuellen Coach seiner Mitarbeiter, der als Motivator unterstützend sein Team lenkt – und dabei könnte sich ein Studium der Psychologie im Vorfeld doch als hilfreich erweisen! Ob ein Studium der Psychologie im Vorfeld unbedingt nützlich ist, ist mehr als fraglich! Ein Arzt muss den Menschen „vereinfachen“, also den Blick vorwiegend auf dessen Symptome richten. Vergleichbar damit muss auch eine Führungskraft seine Mitarbeiter „vereinfachen“, um sie gut führen zu können. Ein Arzt lässt sich nicht von den vielen unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen eines Patienten beeinflussen, sondern muss den Leidenden mit seinen Problemen und Symptomen als Patient erfassen. Guten Führungskräften gelingt es, den Mitarbeiter in seiner Funktion als Mitarbeiter zu sehen und entsprechend mit ihm umzugehen. Ein guter Chef ist kein „Coach“ oder gar „Psychologe“, sondern einfach eine gute Führungskraft, die auf die Probleme und Befindlichkeiten der Mitarbeiter eingeht, ohne dabei das Ziel des Unternehmens oder der Abteilung aus den Augen zu verlieren. Wer behauptet, in Sachen Führung den Stein der Weisen oder ein allgemeingültiges Rezept gefunden zu haben, will entweder marktschreierisch sein Produkt verkaufen oder er vereinfacht die Wirklichkeit zu sehr. Würde man nämlich die Fülle und Vernetzung der Einflussgrößen einigermaßen realistisch darstellen, dann würde eine solche Komplexität der Führungsaufgabe eher entmutigend wirken. Um die Zusammenhänge überschaubar zu machen und um Akzente zu setzen, wird in diesem Buch zwangsläufig einiges vereinfacht dargestellt. Der Leser soll jedoch darauf hingewiesen werden, dass in „Wirklichkeit” die Führungsaufgaben weitaus vielfältiger und überraschender sein können. Aus diesem Grund enthält dieses Buch nicht das eine erfolgversprechende, einzigartige Führungsmodell. Es gibt nicht vor, für alle Fälle einen richtigen Ratschlag bereitzuhalten. Damit würde nur eine Scheinsicherheit vermittelt werden, die dem Praxisdruck

Literatur

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nicht standhalten könnte. Die einzelne (Nachwuchs-)Führungskraft würde in die Irre geführt werden, weil der Anschein erweckt wäre, man könnte bei Beachtung einiger Regeln auf eigene Anstrengungen und persönliche Erfahrungen verzichten. Die folgenden Kapitel dieses Buches sollen: 1. über Erfahrungen und Erlebnisse erfahrener Führungskräfte berichten, 2. erfolgreiche Techniken und deren Auswirkungen beschreiben, 3. zum Nachdenken und zum Weiterstudieren anregen, 4. auf Probleme, Möglichkeiten und Chancen aufmerksam machen, 5. eine systematische und konkrete Unterstützung für die Praxis geben, 6. zu einem Erfahrungsaustausch mit Kollegen animieren.

Literatur Fiedler, F. E. (1967). A theory of leadership effectiveness. New York: McGraw-Hill. Peters, T. J., & Waterman, R. H. (1982). Auf der Suche nach Spitzenleistungen. Was man von den bestgeführten US-Unternehmen lernen kann. München: Moderne Industrie.

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Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

Eine Gegenüberstellung von Führen und Leiten, Aspekte des erfolgreichen Führens Die Führung von Menschen kann als eine besondere Art von menschlicher Kommunikation definiert werden. Es ist die Kommunikation, bei der bewusst versucht wird, auf das Verhalten eines anderen Menschen oder einer Arbeitsgruppe Einfluss zu nehmen. Menschenführung umfasst alle Maßnahmen von Vorgesetzten, die auf das Verhalten aller Angehörigen einer Organisation einwirken. Diese Maßnahmen des Führens sind erlernbar. Führen beinhaltet alle Maßnahmen, die auf die Kommunikation, Kooperation und Koordination aller Angehörigen einer Organisation abzielen (Marschner, in Arnold und Eysenck 1987). Im engeren Sinn bedeutet Menschenführung, Menschen in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Ein wichtiger Bestandteil dieser Definition ist das Wort „bewegen“. Aus dem lateinischen Wort für bewegen, nämlich „movere“ (oder im Englischen „to move“) kann das deutsche Wort „Motiv“ (lat. motivum, Beweggrund) abgeleitet werden. Aufgabe der Menschenführung ist es, Menschen ein Motiv zu präsentieren, für welches sie bereit sind, sich zu „bewegen“. Es geht also in erster Linie um das Initiieren eines intra-psychischen Vorgangs: In einer Person wird das Bedürfnis oder der Wunsch erweckt und verstärkt, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten. Wir werden uns später in diesem Buch mit dem Begriff „Motivieren“ weiter auseinandersetzen. Ein zweiter Aspekt dieser Definition bezieht sich auf die Richtung der Bewegung. Unter dem Begriff „bestimmte Richtung“ sind die Ziele einer Bewegung gemeint. Wo soll die Reise hinführen und was soll erreicht werden? Ein altes Bonmot besagt: „Ohne ein klar definiertes Ziel ist eine Bewegung sinnlos!“ Je nach der Position in der Hierarchieebene einer Organisation fällt der Schwerpunkt der Tätigkeit entweder auf das Ziel, Menschen zu einem bestimmten Handeln zu motivieren oder durch Koordination und Steuerung notwendige Rahmenbedingungen für den betrieblichen Erfolg zu schaffen und zu sichern. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_2

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

Das Wort „führen“ (engl. „to lead“) wird genau genommen nur in Bezug auf die oberste Ebene einer Organisation verwendet, etwa für den Aufgabenbereich des Geschäftsführers. Die Führungskräfte der nächsten darunterliegenden Ebenen werden hauptsächlich als „Leiter“ (leiten: engl. „to manage“) bezeichnet. Ganz unten in einer Organisationsstruktur findet man wieder Bezeichnungen, die das Wort „führen“ beinhalten, beispielsweise Schichtführer, Gruppenführer. FÜHREN: Menschen bewegen (motivieren), ein bestimmtes Ziel (durch Handeln) zu erreichen. Die oberste Hierarchieebene einer Organisation (z. B. „Geschäftsführer“ oder „Vorstand“) sollte sich vorrangig mit zwei Aufgaben beschäftigen: erstens, den angestellten Mitarbeitern ein Motiv bzw. einen Sinn für ihre Anstrengungen zu geben und zweitens, die gewünschte Richtung der Bewegung vorzugeben, das heißt, realistische und erreichbare Ziele zu definieren. Sobald die Richtung bzw. die verfolgten Ziele sowie die vorhandenen Mittel und Wege für die Motivation feststehen, haben die nachfolgenden Hierarchieebenen die Aufgabe, den betrieblichen Rahmen für das Erreichen der Ziele herzustellen. Das ­ bedeutet, notwendige Schritte zu planen, Aufgabenpakete zu delegieren, die Erreichung der Ziele zu kontrollieren, Probleme zu analysieren und zu lösen, sowie den Prozess mittels Kennzahlen zu steuern (Controlling). Die Mitglieder der entsprechenden Hierarchieebene bezeichnet man als Leiter (engl. „manager“, leiten: engl. „to manage something“). LEITEN: Rahmenbedingungen für den betrieblichen Erfolg schaffen. Das bedeutet, mittels Planung und Organisation Aufgaben zu delegieren, zu kontrollieren und zu steuern (Controlling) und dadurch zum Unternehmenserfolg beizutragen, wobei die Unternehmensführung und die Mitarbeiter mit den notwendigen Informationen versorgt werden. Diese hier vorgestellte Betrachtung ist nur eine Schablone, die helfen soll, die Struktur und das Funktionieren einer Organisation besser zu verstehen. Im Alltag werden oft alle steuernden Mitglieder einer Organisation als Führungskräfte bezeichnet. Unsere Darstellung hat den didaktischen Zweck, die Aufgaben einer modernen Führungskraft zu verdeutlichen und von ähnlichen anderen Tätigkeiten abzugrenzen. Die bereits erwähnte Aussage von Antoine de Saint-Exupéry kann als ein Hervorheben der besonderen Qualität des Führens im Vergleich mit dem Leiten interpretiert werden. Das übergeordnete Ziel, ja der ideelle Beweggrund ist das Wichtige: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommele nicht die Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben oder Arbeit einzuteilen, sondern lehre zunächst deine Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“. Tab. 2.1 zeigt eine zusammenfassende Gegenüberstellung von Leiten und Führen. Die amerikanischen Soziologen Kevin Bales und Leonard Slater postulierten, dass es in einer formalen Organisation einen „instrumentalen“ und einen „expressiven“ F ­ ührer gibt. Wenn man ihr Konzept auf diese Tabelle überträgt, dann wäre der „expressive“ Führer ein Kapitän und der instrumentelle Führer ein Macher. Der instrumentelle ­Führer ist dabei Experte für Sachprobleme und Lösungen, während der expressive Führer Experte für den sozio-emotionalen Bereich ist. Die Funktion des expressiven Führers

2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

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Tab. 2.1  Gegenüberstellung Leiten und Führen Leiten (Management)

Führen (Leadership)

Umgehen mit der Komplexität von Organisationen, Verhindern von Wildwuchs und Chaos

Umgehen mit dem Wandel innerhalb von Organisationen, Veränderungen herbeiführen

Typ: „MACHER“

Typ: „KAPITÄN“

Aufgaben: praktische Betriebsführung, Schaffen von Ordnung, Erschaffen von Visionen, Sichern der Kontinuität, Erhalten der Schlüsselfaktoren: Rentabilität, Qualität, Innovationskraft, Verfahren usw.

Aufgaben: zielgerichtetes In-Bewegung-setzen, Schaffen von Führungskultur, Vermitteln von Visionen u. Leitbildern, Erkennen und Entwickeln von: Führungspotenzialen, Leistungspotenzialen, Innovationspotenzialen

Zentrale Funktionen: STEUERN, KOORDINIEREN und KONTROLLIEREN Planung, Ziele, Termine, Budgetierung, Ressourcenanalyse, Strukturen schaffen, Organisieren, Rahmenbedingungen vorgeben, Maßnahmen einleiten, Controlling, Bewertung und gezielte Problemlösung, Entscheiden, Systeme etablieren

Zentrale Funktionen: MOTIVIEREN, INSPIRIEREN und HERAUSFORDERN Visionen, Leitbilder, Strategien, einheitliches Bewusstsein schaffen, Marschrichtung vorgeben, Herausforderungen schaffen, Begleiten, Coaching, Feedback, Vorbildfunktion, Mitarbeiter einschwören auf gemeinsame Ziele, Selbstwertgefühl steigern Wertvorstellungen und Emotionen

Vorteile/Nachteile: + gute Struktur, Rahmenbedingungen − Verwaltung und Bürokratie, sogar Technokratie Sinnvoll wäre daher: ein STARKES MANAGEMENT plus

Vorteile/Nachteile: + effektives, anreizendes „Bewegen“ − Dominanz und Überreden eine KONSEQUENTE FÜHRUNG

besteht u. a. darin, ablehnende Gefühle, die dem instrumentalen Führer aufgrund ­seiner Arbeitsweise entgegengebracht werden, in positive zu verwandeln (Bales und Slater 1969, in Gibb, S. 255–276). Herausforderungen an das Führen in der Zukunft Die Komplexität in der Wirtschaft hat stark zugenommen: Dies hängt in erster Linie mit dem weltweiten ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel zusammen, wodurch das Führen schwieriger geworden ist. Die heutigen Führungskräfte werden nicht nur aufgrund knapper Ressourcen, wie beispielsweise Zeit und Mittel, eingeschränkt, sondern

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

auch von einer steigenden Komplexität herausgefordert. Ob Politiker, Manager oder Beamter im gehobenen Dienst, keiner hat gegenwärtig den vollen Überblick, weshalb dem Betreffenden Wesentliches entgehen kann. Verantwortungsträger können nicht steuern, ohne dass dabei Schwierigkeiten auftreten, und oft genug sind sie Entwicklungen ausgesetzt, deren Verlauf sie nicht prognostizieren können. Alles ist zunehmend mit allem „vernetzt“. Technische, ökonomische, politische und gesellschaftliche Prozesse beeinflussen sich gegenseitig und entwickeln eine Eigendynamik. Was man an einem Ort unternimmt, kann an einem ganz anderen unvorhergesehene Konsequenzen zeitigen. Es kommt zu „Kipp-Effekten“: Von heute auf morgen verwandelt sich ein Zustand in sein Gegenteil. Manager und Führungskräfte sind vor neue Aufgaben gestellt, die neue Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern. Das wirtschaftliche Umfeld ist heute gekennzeichnet durch ein Überangebot an Waren und Dienstleistungen, das gleichzeitig durch ein sehr selektives Vorgehen der Kunden beeinflusst und durch die internationale Konkurrenz zusätzlich herausgefordert wird. Das Verhalten des Kunden hat sich durch das erweiterte Warenangebot, durch erhöhte Mobilität und durch das Internet verändert. Die Kaufentscheidung wird nicht mehr nur durch die Erhältlichkeit der Ware bestimmt, sondern durch andere Faktoren wie Qualität, Preis-Leistungs-Verhältnis, Service, Lieferzeit, Design, Funktionsbreite, Zusatznutzen und vieles mehr. Während noch vor wenigen Jahren die primäre Aufgabe einer Organisation und deren Führungskräfte die Optimierung der Leistungserbringung war (Rationalisierung, Stückzahlerhöhung, Verkürzung der Dauer der Prozesse usw.), kommen heute weitere Erfordernisse hinzu. Qualität, Zuverlässigkeit, Effizienz der Prozesserbringung, eine kontinuierliche Verbesserung des Angebots, Innovation und nicht zuletzt eine hohe Wirtschaftlichkeit werden erwartet bzw. gefordert. Analog zu diesen Trends haben sich die Aufgaben der Führungskräfte verändert. Neue Führungseigenschaften werden verlangt. Herausforderungen, die in Zukunft den Berufsalltag einer Führungskraft prägen werden, sind: • • • • • • • • • • •

schnelle Durchführung organisatorischer Veränderungen Schaffung eines intakten sozialen Arbeitsumfeldes Abbau hierarchischer Schranken Leistung erzeugen durch Synergie im Team Flexibilisierung der Arbeitsformen und Arbeitszeiten Organisieren von Lernen und Entwicklung Management von Konflikt- und Krisensituationen Aushalten innerer Zielkonflikte und Widersprüche Steuerung und Kontrolle durch Kommunikation Zukunftsplanung aufgrund komplexer Szenarien Integration durch Visionen und Leitbilder (und vieles mehr)

2.2  Führungsarbeit in den verschiedenen Hierarchieebenen

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2.1 Über die konkreten Aufgaben einer erfolgreichen Führungskraft Führungskräfte erzielen Ergebnisse durch Dritte. Diese Dritten sind die unterstellten ­Mitarbeiter. Dies bedeutet, dass Führungskräfte den überwiegenden Teil der bestehenden Arbeiten ihres Verantwortungsbereiches bzw. ihrer Aufgaben durch Mitarbeiter erledigen lassen. Das Grundprinzip lautet also: Aufgabenteilung und damit Delegation von Facharbeit. Die reine Facharbeit tritt hierdurch zugunsten der Führungs- und Leitungsfunktion (Managementfunktion) zurück, auch wenn sie nicht ganz verschwindet. Aufgrund der Firmenstruktur, der Kapazitätssituation und des augenblicklichen Qualifikationsstandes der Mitarbeiter sowie der gegebenen situativen Dringlichkeit verbleiben einige Fachaufgaben beim Vorgesetzten. Grundsätzlich wird die Führungskraft immer einige wechselnde Fachaufgaben zu erledigen haben. Vorrangig sollte es sich dabei um innovative, schwierige oder „delikate“ Aufgaben handeln (siehe dazu auch Kapitel „Delegation von Aufgaben und Verantwortung“). Zu intensive Beschäftigung mit delegierbarer Fach- und Detailarbeit beeinträchtigt jedoch den Erfolg einer Führungskraft. Zudem führt die dabei eintretende Vernachlässigung der Führungs- und Leitungstätigkeit bei den Mitarbeitern zu Demotivation, da sie sich lediglich als Erfüllungsgehilfen fühlen. Von den eigentlichen Managementaufgaben, wie Ziele setzen, Koordinieren und Kontrollieren, sind die technisch-fachlichen Unternehmensfunktionen, wie etwa Fertigung, Qualitätssicherung, Controlling, Rechnungswesen, zu trennen. Die grundsätzliche fachliche Beherrschung dieser technisch-fachlichen Grundfunktionen ist allerdings die Voraussetzung für effiziente Zielsetzung, Koordination und Kontrolle sowie die fundierte und zügige Entscheidungsfindung. Vorrangige Beschäftigung mit delegierbarer Fach- und Detailarbeit beeinträchtigt den Erfolg einer Führungskraft. Die dabei eintretende Vernachlässigung der Führungs- und Leitungstätigkeit führt bei den Mitarbeitern zur Demotivation, da sich diese lediglich als Erfüllungsgehilfen fühlen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass ein Manager gelegentlich eine wichtige Facharbeit selbst ausführt, doch das Grundprinzip lautet: Aufgabenteilung und damit Delegation von Facharbeit. Alle Mitglieder einer Organisationseinheit sollen sowohl über das Wesen der Aufgabenteilung Bescheid wissen als auch über die jeweilige Aufgaben-, Kompetenz- und Verantwortungszuweisung der anderen im Betrieb Tätigen. Diese Wahrnehmung und Grundakzeptanz der Arbeit des anderen fördert ein harmonisches Miteinander.

2.2 Führungsarbeit in den verschiedenen Hierarchieebenen Während ein Mitarbeiter der untersten Ebene immer zu einhundert Prozent mit Facharbeit beschäftigt ist, hat ein Mitarbeiter der nächsten Ebene, also ein Teamleiter, zu einem geringen Teil auch Führungsarbeit. Vielfach meinen Teamleiter zwar, sie müssten

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

Abb. 2.1  Anteil der Führungsarbeit im Unternehmen

ausschließlich nur noch Führungsarbeit leisten, doch das ist nicht der Fall. Ihre Arbeit besteht nur teilweise aus Führungsaufgaben. Sie müssen Struktur schaffen, organisieren, die Arbeiten ihres Teams planen, aber auch noch selbst Facharbeit verrichten. Abb. 2.1 stellt den Anteil der Führungsarbeit im Unternehmen dar. Ein Abteilungsleiter übernimmt hingegen vergleichsweise mehr Führungsaufgaben. Er muss sich beispielsweise überlegen, wie er seine Abteilung entwickeln kann, was zu unternehmen ist, damit die Abteilungsmitarbeiter zufrieden sind, und letzten Endes wie Probleme oder Konflikte erkannt und gelöst werden können. Er muss Information beschaffen und die Ergebnisse kontrollieren. Der Betriebsleiter wiederum widmet etwa die Hälfte seiner Zeit den Führungsaufgaben. Zu diesen zählen die Definition von Bereichszielen, die individuelle Weiterentwicklung seiner Mitarbeiter und die strategische Entwicklung der Abteilung im Betrieb, für die er verantwortlich ist. Doch auch er/sie führt immer noch eine ganze Menge an Facharbeit aus. Der Geschäftsführer verbringt den Hauptteil seiner Zeit mit Führungsarbeit. Jedoch führt auch er, wie oben erwähnt, nicht nur Führungstätigkeiten aus, sondern erledigt immer noch einige Aufgaben im operativen Bereich. Übung: Wofür wird eine Führungskraft bezahlt?

Bitte lesen Sie die folgende Geschichte und beantworten Sie folgende Fragen: • • • • • •

Was hat der Gruppenleiter Vinzenz Berghuber falsch gemacht? Was hätte er richtigerweise tun müssen? Wie hätte er auf die Frage des Chefs reagieren müssen? Was hat sein Chef Julius Deiser falsch gemacht? Was hätte der Chef im Vorfeld tun müssen? Wie hätte der Chef die Aufgaben richtigerweise delegieren sollen?

2.2  Führungsarbeit in den verschiedenen Hierarchieebenen

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Die Geschichte Vinzenz BERGHUBER (30), ein qualifizierter Fachmann, wurde vom Leiter der Instandhaltung Julius DEISER (45) zum Gruppenleiter in der Instandhaltung vorgeschlagen und von der Geschäftsleitung dazu ernannt. Herr BERGHUBER stürzt sich mit großem Eifer in die Aufgabe. Er unterbreitet DEISER Vorschläge über vorbeugende Maßnahmen, Rationalisierungsmöglichkeiten in den Werkstätten und effektivere Unfallschutzmöglichkeiten. DEISER hört sich seine Vorschläge genau an und begrüßt sie. Er beauftragt BERGHUBER mit der Verwirklichung seiner Vorschläge und gibt ihm alle Vollmachten. BERGHUBER verbringt viel Zeit an seinem Schreibtisch und „brütet“ über Problemlösungen. Er nimmt sich aber stets noch Zeit für seine jetzt untergeordneten Mitarbeiter. Dennoch hat sich seit seiner Beförderung eine gewisse Abkühlung des Verhältnisses zu seinen ehemals gleichgestellten Mitarbeitern eingestellt. Sie hänseln ihn und fragen: „Wir möchten wissen, was du den ganzen Tag tust … ja, ja, vor dem PC kann man schön dösen.“ BERGHUBER ist über diese Einstellung enttäuscht und beschließt, sich wesentlich mehr um seine Mitarbeiter zu kümmern. Herr BERGHUBER ist nun fast nicht mehr in seinem Büro und widmet sich seinen Mitarbeitern. Er führt selbst Aufträge durch und hilft den Mitarbeitern bei der Einstellung der Maschinen und bei Reparaturen. Die Worte „der Konny ist ein Pfunds-Kumpel“ fallen häufig und BERGHUBER ist darüber sehr glücklich. Abteilungsleiter DEISER, der BERGHUBER bei einer einfachen Zeichnungserstellung antrifft, fragt ihn, wie weit er mit der Verwirklichung der Vorschläge sei. BERGHUBER entgegnet, dass er leider noch nicht dazu gekommen sei. DEISER runzelt die Stirn und bittet BERGHUBER, mit in sein Büro zu kommen. DEISER fragt BERGHUBER strenger, als dies sonst seine Art ist: „Wofür wird bei uns eine Führungskraft bezahlt?“ Als BERGHUBER zu stottern beginnt, sagt ihm sein Chef, dass er von ihm die Antwort gerne nach dem kommenden Wochenende hätte, und bittet ihn zusätzlich um eine genaue Beschreibung seiner Stelle. Betreten und verwirrt verlässt BERGHUBER das Büro von DEISER. Er fragt sich: „Was habe ich falsch gemacht?“ Ihre Notizen:

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

Musterlösung aus der Übung „Wofür wird eine Führungskraft bezahlt?“ Was hat der Gruppenleiter Vinzenz Berghuber falsch gemacht? • Er hat mit seinem Chef nicht eindeutig dessen Erwartungen geklärt. • Er hat nicht seine Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung definiert. • Er hat nicht konkrete Ziele besprochen und die Mitarbeiter (ehemalige Kollegen) auch nicht über seine neuen Aufgaben informiert. Was hätte er richtigerweise tun müssen? • Er hätte dem Chef nicht nur Vorschläge machen, sondern auch zusammen mit ihm klare Ziele vereinbaren sollen (mit genauem Inhalt, Ausmaß der Arbeit, Termin, Mittel usw.). • Er hätte seine Mitarbeiter über seine neuen Aufgaben genau informieren sollen. • Er hätte die Vereinbarungen mit dem Chef bekannt geben und die entsprechende Hilfe verlangen sollen. Wie hätte er auf die Frage des Chefs reagieren müssen? • Er hätte die vier zentralen Führungsaufgaben berücksichtigen sollen. (Führungskreislauf nächste Seite): • Ziele definieren, setzen, vereinbaren • Planen, Struktur schaffen, Organisieren, Koordinieren • Führen, Motivieren, Qualifizieren • Kontrollieren, Sichern, Information verschaffen und weitergeben Was hat sein Chef, Julius Deiser, falsch gemacht? • Er hat Berghuber zur Führungskraft ernannt, jedoch ohne vorab eine entsprechende Schulung durchzuführen. • Er hat keine klaren Erwartungen genannt, nicht seine Erwartungen abgefragt und keine Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung definiert. • Er hat keine Vorstellung des Herrn Berghuber und seiner Aufgaben gegenüber den ­Mitarbeitern vorgenommen, keine Ziele vereinbart, sondern nur Vorschläge angenommen. • Er hat nicht erkannt, welche Probleme sein Gruppenleiter hatte, und ihm nicht geholfen. Was hätte der Chef im Vorfeld tun müssen? (siehe oben) Wie hätte der Chef die Aufgaben richtigerweise delegieren sollen? • Aus den Vorschlägen des Herrn Berghuber selbst Ziele formulieren (was, bis wann, welche Mittel) oder • Ziele formulieren lassen (sofern Berghuber über das notwendige Wissen verfügt).

2.3  Was muss man lernen, um gut führen zu können?

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2.3 Was muss man lernen, um gut führen zu können? Führung stellt eine fortdauernde Herausforderung dar, bei der sich die Aufgaben größtenteils wiederholen. Daher spricht man von einem Kreislauf, der durch die Mittel Information, Gespräche und Eigenmotivation (Gründe für Bewegung) vorangetrieben wird. Doch was muss eine Führungskraft konkret lernen, um ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen zu können? Im Wesentlichen handelt es sich dabei um fünf Leistungsanforderungen, die von großer Bedeutung sind: • Ziele setzen und vereinbaren • Delegieren • Kontrolle • Ergebnis der Kontrolle mitteilen • Beurteilungsgespräche führen • verschiedene Probleme der Praxis gekonnt lösen Diese Anforderungen sind in Abb. 2.2 dargestellt. Ihre optimale Durchsetzung ist erlernbar. Dieses Kreislaufdiagramm unterteilt sich in fünf Bereiche, wobei jeder Bereich eine unumgängliche Anforderung enthält. Eine Führungskraft muss alle beherrschen, d. h., wer erfolgreich führen möchte, muss diese fünf Tätigkeiten richtig umsetzen können. Zuallererst gilt es, Ziele zu setzen. Hierbei muss die Führungskraft lernen, wie Ziele überhaupt richtig definiert und vereinbart werden.

Abb. 2.2   Führungskreislauf

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

Beim Delegieren sollte sich die Führungskraft überlegen, welche Aufgaben und Tätigkeit sie delegieren und welche sie selbst erledigen muss. Zudem bedeutet ­Delegation nicht nur, wer übernimmt welche Aufgabe und erledigt diese bis wann, es sollte auch mitgeteilt werden, welche Aspekte dabei aus der Sicht des Delegierenden besonders wichtig sind. Das Vereinbaren von Erfolgskriterien ist insofern wichtig, weil diese Aspekte beim späteren Kontrollieren herangezogen werden. So sollte zum B ­ eispiel die Person, an die eine Aufgabe delegiert wird, wissen, nach welcher Zeitdauer ihre Führungsperson Rückmeldungen erwartet. Beispiel

Vor mehreren Jahren war einer der Autoren selbst Führungskraft und für einen Fertigungsbereich verantwortlich. Er erlebte dabei folgende Situation: Ein fähiger und engagierter Mitarbeiter verrichtet gerade seine Nachtschicht, als eine Anlage ausfällt. Dieser Mann verhält sich absolut korrekt und erledigt selbst alle Arbeiten, um die Maschine wieder funktionsfähig zu machen. Eine einzige Sache vergisst er jedoch: Er meldet nicht frühzeitig genug seinem Chef den Ausfall; dieser wird von seinem ­Kollegen im nächstgelagerten Fertigungsbereich angerufen, der ihn aufgeregt fragt, wo seine bestellten Teile blieben. Hätte der Mitarbeiter seinen Chef gleich am Morgen über den Produktionsausfall informiert, hätte dieser sofort reagieren und die Information weiterleiten können. Somit hätte die Störung im Ablauf und möglicherweise ein finanzieller Schaden abgewendet werden können. Lag die Schuld letztlich bei dem Mitarbeiter? Nein, denn seine Führungskraft hätte mit ihm explizit vereinbaren müssen, wie und nach welcher Zeitdauer er informiert werden will. Als Führungskraft kann man nicht davon ausgehen, dass sich die Mitarbeiter immer so verhalten, wie man es erwartet. Wenn ein bestimmtes Verhalten erwünscht ist, dann muss die Führungskraft es im Vorfeld kommunizieren. Die Führungskraft muss sich also überlegen, was ihr wichtig ist, und die Mitarbeiter immer darüber in Kenntnis setzen. Die Art und Weise, wie die Fachkräfte die Aufgaben anschließend durchführen, ist ihrem Fachwissen und Können überlassen. Diese Zusammenhänge sollten anhand einer Situation aus dem Arbeitsschutz erläutert werden. Aus Unterweisungen wissen die Mitarbeiter, dass sie persönliche Schutzausrüstungen, wie zum Beispiel Schutzbrillen, Schutzkleidung etc. zu tragen haben. Doch achten sie auch darauf, dass ihre Kollegen diese Anweisungen ebenfalls einhalten? Wurde ein solches Verhalten der gegenseitigen Kontrolle im Team vereinbart? Die Führungskraft muss sich überlegen, ob ihr dies wichtig ist, und ist das der Fall, diese Erwartung auch deutlich kommunizieren. Beim nächsten Schritt im oben genannten Führungskreislauf, der Kontrolle, muss im Vorfeld vereinbart werden, also schon bei der Delegation, was überhaupt kontrolliert werden soll, also welchen Kriterien diese Kontrolle überhaupt unterliegt. Ist es nur die Leistung, die zählt, oder wird auch das allgemeine Verhalten überprüft? Und wenn ja,

2.3  Was muss man lernen, um gut führen zu können?

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was wird genau erwartet? Falls beispielsweise Flexibilität und Ideenreichtum erwartet wird, dann muss man wissen, woran diese beiden Faktoren gemessen werden und wie sie überprüft werden können. Die Führungskraft muss immer zu Beginn genau mitteilen, was kontrolliert werden soll. Somit bekommt der Mitarbeiter die Chance, seine Leistung und sein Verhalten auch selbst zu kontrollieren. Dabei gilt grundsätzlich: Je deutlicher eine Führungskraft die Aufgaben, Leistungen und Erwartungen an ihre Mitarbeiter delegiert, umso positiver wird die Kontrolle aufgenommen. Das Ergebnis der Kontrolle muss im folgenden Schritt dem kontrollierten Mitarbeiter mitgeteilt werden. Die Mitarbeiter erwarten zu Recht, das Ergebnis einer Kontrolle zu erfahren. Eine „verdeckte“ Kontrolle führt zu Misstrauen, was letztlich in einem Vertrauensbruch endet und eine weitere Zusammenarbeit unmöglich machen kann. Die Ergebnismitteilung findet auf jeweils unterschiedliche Weise statt. Entweder wurde etwas vereinbart, und der Mitarbeiter hat genau danach gehandelt, und die Kriterien, die dem Vorgesetzten wichtig waren, wurden entsprechend erfüllt. Die Führungskraft erkennt im Rahmen eines Anerkennungsgespräches, dass das Vereinbarte bzw. die delegierte Aufgabe mit dem erzielten Ergebnis übereinstimmt. Wird jedoch festgestellt, dass eine Abweichung zwischen dem Ergebnis und dem ­Vereinbarten existiert, kommt es zu einem Kritikgespräch. Das Wort „Kritik“ stammt übrigens aus dem griechischen „kritike“ und bedeutet „die Kunst der Beurteilung“ ­(Konradin Medien GmbH 2018). Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass weder Lob auf der einen noch Tadel auf der anderen Seite zu den Instrumenten der Führung gehören. Auf die Unterschiede zwischen einem Lob und ein Anerkennungsgespräch auf der einen Seite und Tadel und einem Kritikgespräch auf der anderen Seite sowie die richtige Durchführung dieser Gespräche wird im zweiten Teil des Buches weiter eingegangen. Der nächste Schritt im Führungskreislauf umfasst die Beurteilungsgespräche oder Jahresgespräche. Mit jedem Mitarbeiter sollte die Führungskraft mindestens einmal im Jahr ein persönliches Gespräch führen. Die Jahresgespräche haben das Ziel, die Zusammenarbeit, Aufgabenerfüllung und Personalentwicklung zu verbessern und damit positiv auf Arbeitszufriedenheit und -motivation, auf das Arbeitsklima und die Arbeitsleistung aller Beteiligten einzuwirken. Im Sinne eines kooperativen Führungsstils sollte ein offener und wertschätzender Umgang zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern/­ Mitarbeiterinnen die Grundlage des Jahresgesprächs sein. Verbesserungsvorschläge und Lösungen im Bereich der Aufgaben und Abläufe sollten gemeinsam ausgearbeitet werden. Nicht zuletzt sollten Perspektiven der beruflichen Weiterentwicklung besprochen werden. Im Jahresgespräch werden die folgenden Ziele angestrebt: • die Zusammenarbeit und das Arbeitsklima nachhaltig zu verbessern. • Die Mitarbeiter/-innen äußern ihre Vorstellungen bzgl. der Zusammenarbeit mit ihren Vorgesetzten und sprechen ihre beruflichen Weiterentwicklungswünsche an.

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2  Führen von Menschen, Leiten oder Verwalten von Organisationen

• Die Mitarbeiter/-innen bekommen zu ihrer geleisteten Arbeit Rückmeldungen; der Vorgesetzte zeigt ihnen mögliche Entwicklungsperspektiven auf und gibt ihnen einen Überblick über seine mittel- und langfristigen Zielvorstellungen und Leistungserwartungen. • Der Vorgesetzte erfährt, wie er von den Mitarbeitern erlebt wird. Das Jahresgespräch soll ein offener und vertraulicher Dialog sein. Es geht um Verständnis für die jeweils andere Sichtweise, um ein ehrliches, wertschätzendes und konstruktives Feedback beider Seiten sowie um die Vereinbarung konkreter Maßnahmen. Es geht nicht darum, die Mitarbeiter/-innen zur Rede zu stellen oder Arbeitsaufgaben anzuweisen. Die Ergebnisse des Gesprächs sollen gemeinsam erarbeitet werden. Angetrieben wird der soeben beschriebene Führungskreislauf durch die personale Autorität der Führungsperson. Diese ist sozusagen der Motor für den Führungskreislauf. Hat die Führungskraft in den Augen der Mitarbeiter keine Autorität, d. h. kein persönliches Ansehen, werden sich diese auch nicht führen lassen. Sie werden Aufgaben nur unter Druck und mit Widerwillen erledigen; Kontrolle wird als unangemessen erlebt; Kritik wird als Tadel aufgefasst, und Anerkennung hat nicht den gewünschten Erfolg. Die Kenntnis und die Anwendung der im ersten Kapitel angesprochenen Eigenschaften, Führungstechniken und Methoden sichern einer Führungskraft das notwendige Ansehen. Einer Person, die man nicht schätzt, wird man nur unter Druck folgen! Die grundlegenden Mittel, die einer Führungskraft zum Führen zur Verfügung stehen, sind die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt, das immer wieder stattfindende persönliche Gespräch mit den Mitarbeitern und das Vermeiden von Demotivation. Auf diese Führungsmittel wird in den nächsten Kapiteln eingegangen.

Literatur Bales, R. F., & Slater, P. E. (1969). Role differentiation in small decision making groups. Sociometry, 20(2), 255–276. Konradin Medien GmbH. (2018). http://www.wissen.de/wortherkunft/kritik. Zugegriffen: 24. Nov. 2017. Marschner, G. (1987). Menschenführung. In W. Arnold, H. Eysenck, & J. Meili (Hrsg.), Lexikon der Psychologie (3. Aufl., Bd. 2). Freiburg im Breisgau: Herder.

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Das System der situativen Führung

Historische Entwicklung der Führungsmodelle Das Thema „Führung“ im modernen Sinne kam erst mit dem Aufkommen der Massenfertigung auf. Die handwerkliche Fertigungsmethode, so wie sie jahrtausendelang praktiziert wurde, kannte nicht den Begriff der betrieblichen „Führung“, so wie wir diesen heute verwenden. Im traditionellen handwerklichen Betrieb gab es einen Meister, meist war er der Eigentümer. Der Meister stellte einige Gesellen und Lehrlinge ein. Das Sagen hatte nur der Meister, die anderen waren seine Helfer und mussten seine Anweisungen ausführen. So hatten größere Werkstätten, wie zum Beispiel die „Säbel-Schmieden“ in Spanien oder die Malerwerkstätten in Italien und Holland nur Meister, deren Namen wir heute noch kennen. Wer noch und wie viele andere an den entstandenen Meisterwerken beteiligt waren, ist nur in den seltensten Fällen bekannt. Bei der handwerklichen Herstellung stand das herzustellende Produkt im Mittelpunkt. Die Arbeiter legten die Werkzeuge nach jedem Arbeitsgang ab, um für den neuen Arbeitsgang andere Werkzeuge in die Hand zu nehmen. Somit war im Prinzip jeder Arbeiter in der Lage, den gesamten Herstellungsprozess durchzuführen. Fehlte ein Arbeiter, so konnten seine Kollegen zusammen mit den Meistern weiter an Produkten arbeiten. Mit dem Aufkommen der Massenfertigung bzw. Fließfertigung änderte sich die Arbeitswelt dramatisch. Um eine größere Arbeitsgeschwindigkeit zu erreichen, wird nun nicht mehr das Produkt, sondern das Arbeitsmittel, also das Werkzeug oder die Maschine, in den Mittelpunkt gestellt. Ein Arbeiter behält permanent das Werkzeug in der Hand und bearbeitet das Produkt oder das Teilprodukt, um es danach weiterzugeben bzw. es weiter befördern zu lassen. Jeder führt also nur einen Bearbeitungsschritt aus.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_3

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3  Das System der situativen Führung

Neben den offensichtlichen Vorteilen der Fließfertigung (mehrere und billigere Produkte) ergab sich auch eine Reihe von Nachteilen. 1. Die Fließfertigung brauchte grundsätzlich mehr Platz. Jeder Arbeitsplatz musste genügend Abstellfläche für die fertigen Zwischenprodukte haben. Im Gegensatz dazu brauchte die handwerkliche Fertigung viel weniger Raum, denn es gab nur wenige Produkte oder nur das eine, an dem gerade gearbeitet wurde. 2. Durch die Verkettung der Arbeitsschritte musste man eine Redundanz an Mitarbeitern sicherstellen. Es bestand sonst die Gefahr, dass die gesamte Produktion zum Stillstand kam, wenn ein wichtiger Mitarbeiter fehlte. 3. Durch die ständige Wiederholung eines einzelnen Arbeitsschrittes entstand Monotonie. 4. Kein Mitarbeiter beherrschte mehr den gesamten Herstellungsprozess. Daher brauchte der Betrieb Menschen, die zumindest theoretisch den Ablauf der Herstellung kannten. Folglich entstanden neue Berufe und neue Berufsbezeichnungen, wie zum Beispiel „Ingenieur“. 5. Wegen der auftretenden Monotonie und Demotivation brauchte man „Führungskräfte“, die Mitarbeiter bei ihrer Arbeit beaufsichtigten. Diese hatten zudem die Aufgabe, Mitarbeiter zu motivieren, d. h., in ihnen Interesse für ihre Arbeit sowie auch für das fertige Produkt zu wecken und sie für die Firma zu begeistern. Seit den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts versucht man, Voraussetzungen für effektives Führen zu finden und lehrbar zu machen. Dabei wurden die folgenden Vorstellungen entwickelt: • • • •

die Great-Man-Theorie (die Suche nach dem geborenen Führer) eindimensionale Führungsmodelle („Management by …“-Modelle) zweidimensionale Modelle (z. B. Mitarbeiter- oder problemorientierte Führungsstile) dreidimensionale Modelle (mitarbeiterbezogene, situative Führungsstile)

3.1 Die Suche nach dem geborenen Führer (die Great-ManTheorie) Diese Theorie nahm an, dass Führung nicht erlernbar ist. Vielmehr glaubte man, dass Führungskräfte ganz bestimmte Eigenschaften von vornherein mitbringen müssten, dass Führungseigenschaften also angeboren seien. Man versuchte, diese Eigenschaften herauszufinden, und suchte dann jene Menschen, die diese vermuteten Eigenschaften einer Führungskraft in sich trugen (z. B. in den USA mittels Assessments). Besonders in den 20er- und 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde an dieser Theorie geforscht, doch außer geringen Korrelationen zwischen Führerpersönlichkeit und Intelligenz, Körpergröße und Initiative konnte nichts Nennenswertes festgestellt werden. Diese Theorie konnte wissenschaftlich also nicht bestätigt werden. Dennoch gibt es noch heute viele Anhänger dieser Theorie.

3.3  Die zweidimensionalen Modelle (problem- oder mitarbeiterbezogen)

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3.2 Die eindimensionalen Modelle (oder die „Management by …“- Modelle) Die unbefriedigenden Ergebnisse der Great-Man-Theorie führten zur Entdeckung eines notwendigen und erlernbaren „Führungsverhaltens“. Die Grundannahme dabei ist, dass dieses Führungsverhalten, wie jedes andere Verhalten auch, erlernbar sei. Manche Verhaltensanteile können auch erblich determiniert sein. Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte James Lewin mit seiner Untersuchung über die Auswirkungen des autoritären, demokratischen und Laissez-faire-Führungsverhaltens. Die beiden Pole „autoritär“ und „demokratisch“ findet man übrigens bis heute mit unterschiedlichen Bezeichnungen: autoritär versus kooperativ, autokratisch versus partizipativ, direktiv versus nicht-direktiv, überwachend versus sozial-integrativ usw. Doch die Grundannahme, dass der demokratische Stil immer der wirkungsvollste ist, stellte sich sehr bald als falsch heraus. Es zeigte sich nämlich, je nach Situation erwies sich einmal ein autoritäres und einmal ein demokratisches Führungsverhalten als wirkungsvoller. Eine Folge dieser Überlegungen war die Entwicklung der sogenannten „Management by…“-Modelle. Hier wird jeweils ein Element der Führungsaufgabe in den Mittelpunkt des Modells gestellt. Elemente der Führungsaufgabe sind zum Beispiel: Ziele setzten, delegieren und motivieren. Entsprechend auch die Modelle: MbO Management by Objectives, MbD Management by Delegation, MbM Management by Motivation, MbE Management by Exception (das Management befasst sich nur mit Problemen, die seinen Einsatz erfordern) und viele mehr. Diese Modelle bedeuteten einen Fortschritt, jedoch in der Realität verursachten sie eine umfangreiche Bürokratisierung: Eine Unmenge von Stellenbeschreibungen wurde angehäuft; die vielen verschiedenen Stellen führten nicht zur Verbesserung der Zusammenarbeit, sondern grenzten Kompetenzen inflexibel voneinander ab. Das Hauptaugenmerk lag dabei nicht auf der effizienten Zielerfüllung, sondern auf der Sicherstellung, dass jeder auch noch so kleine Erfolg dem Stelleninhaber gutgeschrieben wurde. Auf der anderen Seite lassen sich Misserfolge recht gut auf andere Stelleninhaber abwälzen. Das Floriansprinzip erlangt oberste Priorität: Jeder für sich (für seine Abteilung) und keiner für den anderen (für die andere Abteilung). Häufige Folge der eindimensionalen Modelle ist Erstarrung statt Dynamik und Überorganisation statt Weiterentwicklung.

3.3 Die zweidimensionalen Modelle (problem- oder mitarbeiterbezogen) Auch die zweidimensionalen Führungsmodelle suchten nach einem idealen Führungsstil. Diese Modelle enthalten zwei Komponenten: Aufgabenschwerpunkt und Mitarbeiterorientierung. Ein Beispiel dafür ist das Verhaltensgitter von Blake und Mouton, einem System, mit dem Führungsstile klassifiziert werden können. Das Verhaltensgitter ist ein Modell, das die Kombinationsmöglichkeiten von Mitarbeiter- und

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3  Das System der situativen Führung

­achaufgabenorientierung im Management aufzeigt. Es beruht auf ForschungsergebS nissen der US-amerikanischen Ohio State University und wurde 1964 im Rahmen eines Führungstrainings für das Unternehmen ExxonMobil von Robert R. Blake und Jane Mouton entwickelt. Der Ansatz bietet eine zweidimensionale Perspektive auf die Führung. Propagiert wird ein Führungsverhalten, das die unternehmerischen Ziele und die Ziele und Bedürfnisse der Mitarbeiter zu vereinbaren versucht. In diesem Sinn heißt Führen also, den Mitarbeitern die Erfüllung ihrer Bedürfnisse dadurch zu ermöglichen, dass sie das tun, was das Unternehmen braucht. Es stellt sich dabei natürlich die Frage nach dem „richtigen“ Führungsstil, also welchen man anwenden sollte, um die Mitarbeiter in optimaler Weise zu befähigen, die Unternehmensziele möglichst effizient und zeitnah zu erfüllen. Es zeigte sich jedoch in Untersuchungen, dass Mitarbeiter sehr unterschiedlich auf ein und denselben Umgangs- bzw. Führungsstil reagieren: So bevorzugen Mitarbeiter mit geringer Selbstsicherheit eher einen stark mitarbeiterbezogenen Stil, Mitarbeiter mit geringen Fähigkeiten und Fertigkeiten eher einen aufgabenbezogenen Stil und hoch motivierte Mitarbeiter reagieren bevorzugt auf einen Führungsstil, bei dem die Führungskraft mit ihnen ihre Ziele vereinbart und sie anschließend ihre Arbeit selbstständig machen lässt.

3.4 Dreidimensionale Modelle (situative Führungsstile) 3.4.1 Einflussfaktoren auf den Führungserfolg Während ältere Führungstheorien davon ausgingen, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmale – wie zum Beispiel Charisma – grundsätzlich zum Erfolg führen, behaupten die dreidimensionalen Modelle (Kontingenztheorien), dass der Führungserfolg auch von der momentanen Situation abhängt, in der sich der Vorgesetzte und sein Mitarbeiter jeweils befinden. Eine der ersten Theorien dieser Art aus dem Jahr 1967 stammt von Fred Fiedler (Fiedler 1967). Nach seiner Überzeugung ist der Führungserfolg nicht nur vom Führungsstil, sondern zusätzlich auch von der persönlichen Beziehung zwischen dem Vorgesetzten und seinen Mitarbeitern abhängig. Es wird also nun nicht mehr der Idealstil gesucht, sondern versucht, den Führungskräften die Einflussfaktoren aufzuzeigen, die ein bestimmtes Führungsverhalten in einer bestimmten Situation erfordern. Einflussfaktoren sind: • • • •

Persönlichkeit der Führungskraft selbst Persönlichkeit des Mitarbeiters (seine Erwartungen und Bedürfnisse) das Wissen und die Qualifikation des Mitarbeiters die Eigenmotivation des Mitarbeiters. Diese wird ausgedrückt durch die private Situation des Mitarbeiters, sein Interesse an der gestellten Aufgabe, seine Lust, seine Angst usw.

3.4  Dreidimensionale Modelle (situative Führungsstile)

• • • • •

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Persönlichkeit des nächsthöheren Vorgesetzten Struktur, Messbarkeit und Kontrollierbarkeit der Aufgaben Dynamik und Struktur der Gruppe bzw. des Unternehmens Umwelt und Markt, d. h. betriebs- und volkswirtschaftliche Zwänge Struktur der Situation, d. h. die Geschwindigkeit, mit der man reagieren muss

Paul Hersey und Ken Blanchard unterscheiden in ihrem Führungsmodell zwischen einem eher aufgabenbezogenen und einem eher personenbezogenen Führungsstil. Das von ihnen entwickelte Situative („Reifegrad“) Führungsmodell (Hersey 1985) beruht auf zwei Grundkonzepten: a) auf dem Führungsstil und b) auf dem Reifegrad des Mitarbeiters bzw. der Gruppe. Beide müssen aufeinander abgestimmt werden. Je nach „Reifegrad“ der geführten Mitarbeiter gilt ein anderes Verhalten des Vorgesetzten als Erfolg versprechend (Hersey und Blanchard 1982). Diese beiden Stile wurden von Hersey und Blanchard wie folgt definiert: 1. Aufgabenorientierung besagt, dass der Vorgesetzte es vorzieht, detaillierte Anweisung zu geben; er formuliert klare Erwartungen und Vorgaben im Hinblick darauf, was bis wann und wie erledigt werden muss. 2. Im Falle der Beziehungsorientierung legt der Vorgesetzte großen Wert auf gute persönliche Kontakte; er bietet Unterstützung an, lobt und ermuntert seine Mitarbeiter. Hersey und Blanchard gehen davon aus, dass die Mitarbeiter unterschiedliche Berufserfahrungen und somit unterschiedliche individuelle „Reifegrade“ besitzen. Deshalb sollte immer nur so weit delegiert werden, wie es der Fähigkeit und dem Willen eines Mitarbeiters entspricht. Daraus ergibt sich folgende Fragestellung für die Führungskraft: „Inwieweit kann er Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen bzw. besitzt er die Fähigkeit, eine Aufgabe zu lösen?“ Beide Autoren definieren vier verschiedene Verhaltensmethoden eines Vorgesetzten (siehe Abb. 3.1). Nach ihrem Modell soll die Führungskraft lernen, den Reifegrad eines jeden Mitarbeiters einzuschätzen, um daraus das entsprechende Kommunikationsverhalten zu wählen. Hier steht also der richtige Einsatz des Mitarbeiters aufgrund dessen Eignung und Neigung im Vordergrund der Führungsarbeit. Das Reifegradmodell schlägt ein Führungsverhalten vor, das dem Entwicklungs- und Qualifikationsgrad des Mitarbeiters entspricht. Im Jahr 1980 schrieb Kenneth H. Blanchard gemeinsam mit dem US-amerikanischen Psychologen und Managementexperten Spencer Johnson das Buch „Der Minuten-Manager“ (Blanchard 1980). Aus diesem Werk stammt folgendes Zitat, das wohl am besten den Vorteil des Reifegradmodells in der Mitarbeiterführung beschreibt: Ungleiche Wesen, wie die Menschen nun mal sind, gleich zu behandeln, ist nicht Gerechtigkeit, sondern Gleichmacherei!

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3  Das System der situativen Führung

Abb. 3.1   Führungsstile als Vorgesetzter

Das Führungskonzept von Thomas Gordon ist ein weiteres Modell dieser Kategorie (Gordon 1998). Das Gordon-Modell gilt in erster Linie als Kommunikations-Modell zur Lösung von Konflikten. In diesem Konzept spielt nicht nur die Aufgabenkompetenz, sondern auch die Sozialkompetenz eine Rolle. Der Vorgesetzte soll nicht nur Fachmann für die Aufgaben, sondern auch für die zwischenmenschlichen Beziehungen sein. Wenn Probleme in der Vorgesetzten-Mitarbeiter-Beziehung bestehen, geht es vor allem um die Ursachenfindung. Feedback, aktives Zuhören, offene Fragestellungen sind hier taugliche Hilfsmittel. Eine gemeinsame Problemanalyse ist der Grundstein für eine Lösung des Problems, wobei der Grundsatz gilt: „Der Weg ist das Ziel“. Gordon spricht von Gewinnern und Verlierern. Vorrangiges Ziel sollte sein, die Beteiligten zu Gewinnern zu machen, was bedeutet, keiner sollte auf Kosten eines anderen zum Gewinner werden („niederlagenlose Konfliktlösung“).

3.4.2 Das eigene bevorzugte Führungsverhalten kennenlernen Jede Führungskraft verfolgt letztlich ihre eigenen bevorzugten Führungstechniken. Solange diese nicht erlernt und antrainiert werden, entstammen sie vordergründig aus der bisherigen Erlebnis- und Erfahrungswelt dieser Führungskraft. Dieses eigene Führungsverhalten lässt sich sehr gut mit einem Test herausfinden, den die Autoren Karl Kälin und Peter Müri in ihrem Buch „Sich und andere führen“ vorstellten (Kälin und Müri 2000). Dabei handelt es sich um Verhalten bei der Zielsetzung, beim Planen, bei der Ideensuche, beim Entscheiden, beim Realisieren, beim Kontrollieren und beim Umgang mit Konflikten. Übung: Das eigene Verhalten im Umgang mit Menschen kennenlernen

Quelle: „Sich und andere führen“ von Karl Kälin und Peter Müri Sie finden auf den folgenden Seiten je vier Aussagen zu sieben elementaren Verhaltensbereichen im Umgang mit Mitarbeitern. Lesen Sie zunächst die vier Sätze A bis D unter Punkt 1 (Verhalten beim Zielesetzen).

3.4  Dreidimensionale Modelle (situative Führungsstile)

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Betrachten Sie jeden dieser vier Sätze als eine mögliche Beschreibung Ihres eigenen Verhaltens. Setzen Sie eine 4 zu jenem Satz, der am ehesten auf Sie zutrifft, und zwar so, wie Sie Ihrer Meinung nach tatsächlich sind, und nicht, wie Sie sein möchten oder sein sollten. Geben Sie dann jenem Satz eine 3, der Ihr Verhalten am zweitbesten beschreibt. Fahren Sie mit den restlichen Sätzen fort, indem Sie der drittbesten Schilderung Ihres Verhaltens eine 2 und dem Satz, der am wenigsten auf Sie zutrifft, eine 1 zuordnen. Verhalten beim Zielesetzen

Verhalten beim Planen

Verhalten bei der Ideensuche

A_____

Ich stecke das Ziel möglichst hoch und achte auf kurze Termine. Nur bei starker Herausforderung des Mitarbeiters entsteht eine gute Leistung

B_____

Der Mitarbeiter soll sich die Ziele möglichst selbst setzen, da er sich bei selbstgesetzten Zielen mehr anstrengt. Ich gebe höchstens Richtwerte oder sehr grobe Ziele vor

C_____

Wichtiger als eine Zielsetzung durch mich ist es, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben gemäß Stellenbeschreibung pflichtgemäß erfüllen. Ziele, die von der Geschäftsleitung kommen, gebe ich selbstverständlich nach unten weiter

D_____

Ich vereinbare mit meinen Mitarbeitern regelmäßig Ziele, sodass sich Unternehmensziele und individuelle Ziele der Mitarbeiter ergänzen. Die Mitarbeiter sollen die Ziele verstehen und akzeptieren, aber auch gleichzeitig durch sie herausgefordert werden

A_____

Ich mache nur da Pläne, wo es die Situation erfordert. Jeder Mitarbeiter sollte sich auf seine eigene Weise „durchbeißen“

B_____

Ich stelle die Pläne so auf, dass eine langfristige Entwicklung gesichert und jeder Abschnitt klar umrissen ist. Pläne sollen gut durchdacht sein und den Mitarbeiter aktivieren

C_____

Ich mache Vorschläge, überlasse aber die Feinplanung den Mitarbeitern. Zudem soll der Mitarbeiter einen großen Handlungsspielraum haben

D_____

In meinen Plänen stehen Gewinn- und Kostendenken im Vordergrund. Ich plane nur so weit, als ich es aufgrund meiner Erfahrung für nötig erachte, sorge aber dafür, dass die Pläne konsequent eingehalten werden

A_____

Bringen andere Ideen vor, so versuche ich, möglichst neutral zu bleiben und nicht Partei zu ergreifen

B_____

Ich höre zu und suche neue Ideen und Meinungen. Ich habe zwar klare Vorstellungen, bin aber jederzeit bereit, bei guten Vorschlägen meine Meinung zu ändern

28

3  Das System der situativen Führung C_____

Ich ziehe es vor, Ideen anderer Personen zu übernehmen und nicht die eigenen in den Vordergrund zu stellen oder gar durchzusetzen

D_____

Ich stehe für meine Ideen auch dann ein, wenn nicht alle mit mir einig sind und ich gezwungen bin, andere dadurch zu enttäuschen

Verhalten beim Ent- A_____ scheiden

Verhalten beim Realisieren

Verhalten beim Kontrollieren

Ich gehe auf alle Vorschläge ein und komme mit meinen Entscheidungen den Mitarbeitern möglichst entgegen. So vermeide ich Widerstände, und die Mitarbeiter reagieren positiv

B_____

Ich schließe mich, wenn möglich, den Entscheidungen anderer an, trage jedoch meinen Teil zum Entscheid bei, wenn man dies verlangt

C_____

Ich entscheide so viel wie möglich in eigener Instanz aufgrund meiner Erfahrungen, denn ich trage für die Folgen auch die Verantwortung. Ich lege großen Wert darauf, Entscheidungen durchzusetzen

D_____

Entscheidungen sollen begründet und vernünftig sein, deshalb arbeite ich mit meinen Mitarbeitern an der Entscheidungsfindung, bis die beste Entscheidung gefunden ist

A_____

Ich setze mich selbst unter Druck, da nur mit Selbstdisziplin schnelle Erfolge möglich sind. Bei Schwierigkeiten verstärke ich meinen Einsatz und versuche, mich durchzusetzen

B_____

Ich ermutige und unterstütze meine Mitarbeiter, wann immer es möglich ist. Meine Tür ist immer offen. Oft erledige ich eine Arbeit selbst, um die Mitarbeiter nicht zu überlasten

C_____

Ich überlege mir vor der Durchführung, wie ich mit dem geringsten Aufwand am schnellsten vorankomme

D_____

Ich bin über die laufende Entwicklung stets informiert und setze jeweils Prioritäten, auftretende Schwierigkeiten untersuche ich, um daraus für den Fortgang der Arbeit zu lernen

A_____

Ich kontrolliere das, was der Mitarbeiter nicht selbst kontrollieren kann. Mehrheitlich konzentriere ich mich dabei auf das Ergebnis. Abweichungen sind Anlass zur Analyse und zu Verbesserungsmaßnahmen

B_____

Meine direkten Stichprobenkontrollen sind streng, aber gerecht. Ich will damit feststellen, ob ich eingreifen oder korrigieren muss oder ob neue Anweisungen erforderlich sind

3.4  Dreidimensionale Modelle (situative Führungsstile)

Verhalten bei Konflikten

29

C_____

Ich kontrolliere auf unauffällige Art. Bei Fehlern hebe ich das Positive hervor. Kritikgespräche sind stets konstruktiv und ermunternd

D_____

Meine Aufgabe ist es, ein Kontrollsystem einzurichten, das „automatisch“ funktioniert, d. h. mir die persönliche Kontrolle weitgehend abnimmt

A_____

Ich möchte von Anfang an verhindern, dass Konflikte entstehen. Treten sie aber trotzdem auf, versuche ich, die Mitarbeiter zu beruhigen und wieder ein gutes, freundliches Klima herzustellen

B_____

Wenn Meinungsverschiedenheiten oder Konflikte entstehen, versuche ich, neutral zu bleiben und mich aus der Diskussion herauszuhalten. Meist wächst dann ohnehin Gras darüber

C_____

Wenn Konflikte und Schwierigkeiten entstehen, versuche ich, die Gründe herauszufinden und die Ursachen mit allen Beteiligten zu klären

D_____

Konflikte und Meinungsverschiedenheiten sind meistens nur so zu beseitigen, indem man klar die eigene Meinung durchsetzt

Auswertung des Fragebogens zu persönlichen Führungsstilen Die nachstehende Tab. 3.1 hilft Ihnen, die Antwort auf die Frage zu finden: „Welches Verhalten trifft am ehesten auf mich zu?“ Beginnen Sie mit dem Verhaltenselement „Verhalten beim Ziele setzen“: Übertragen Sie die Werte des Fragebogens in die Tabelle. Fahren Sie anschließend mit den anderen Verhaltenselementen fort. Zählen Sie schließlich die Werte jeder Kolonne zusammen. Der sozio-technische Ansatz zur Mitarbeiterführung, wie in Abb. 3.1 dargestellt, ermöglicht die Beschreibung verschiedener Verhaltensweisen. Wir beschränken uns hier auf vier Stile. Tab. 3.1  Auswertung persönliche Führungsstile

Verhaltenselement Stil I

Stil II

Stil III

Stil IV

Zielsetzung

C_____

B_____

A_____

D_____

Planung

A_____

C_____

D_____

B_____

ldeensuche

A_____

C_____

D_____

B_____

Entscheidung

B_____

A_____

C_____

D_____

Realisierung

C_____

B_____

A_____

D_____

Kontrolle

D_____

C_____

B_____

A_____

Konfliktlösung

B_____

A_____

D_____

C_____

Total

30

3  Das System der situativen Führung

3.5 Welche Führungsstile passen zu welchem Mitarbeiter? Menschen verhalten sich sehr unterschiedlich und manchmal auch kompliziert. Darauf einzugehen, ist eine schwierige Aufgabe. Die Psychologie unternimmt den Versuch, entsprechende Einteilungen vorzunehmen, gibt Hinweise und Anregungen, wie man mit dieser Unterschiedlichkeit umgehen könnte. Für eine Führungskraft jedoch ist diese Vielfalt insofern ein Problem, als dass man sich nicht schnell und umfänglich auf alle unterschiedlichen Charaktere und Verhaltensweisen einstellen kann. Es bedarf also eines einfacheren Systems, wie man sich auf die vielfältigen Partner im betrieblichen Umfeld einstellen und reagieren kann. Bitte beantworten Sie die folgenden Fragen in Tab. 3.2 und treffen Sie die richtigen Aussagen:

Bemerkung: In all diesen Fällen handelt es sich um NICHT-Führungsstile, denn die angesprochenen Reaktionen der Chefs sind nicht „stilvoll“, sondern sogar das Gegenteil! Sie haben eine demotivierende Wirkung auf die Mitarbeiter. Tab. 3.2  Übung „Führungsstile“ Vorliegender Sachverhalt Der Vorgesetzte setzt hohe, praktisch nicht erreichbare Ziele und versucht, diese mit Gewalt zu erreichen. Der Vorgesetzte gibt keine Aufgaben ab und will alles selbst erledigen. Der Vorgesetzte kümmert sich nicht um die Mitarbeiter und lässt alles laufen. Der Vorgesetzte stimmt abwertenden Äußerungen seiner Mitarbeiter über die übergeordneten Führungskräfte zu. Der Vorgesetzte konzentriert sich lediglich auf den Leistungsprozess und will von informellen Prozessen nichts wissen. Der Vorgesetzte spricht bei den geringsten Kleinigkeiten überschwängliche Anerkennung aus. Der Vorgesetzte anerkennt eine besondere Leistung eines Mitarbeiters vor versammelter Mannschaft und kritisiert diese dabei heftig. Der Vorgesetzte übt deutlich Kritik und nimmt sie dann mit der Bemerkung „alles halb so schlimm“ wieder zurück.

Verwendeter Auswirkung auf Führungsstil? die Mitarbeiter und den Betrieb?

Richtiges Verhalten wäre …

3.6  Dimensionen der Leistung

31

3.6 Dimensionen der Leistung Leider gibt es in unseren Betrieben auf allen Ebenen eine ganze Menge demotivierter Mitarbeiter. Sie haben im Laufe der Zeit möglicherweise schon innerlich gekündigt und sind zu „Misserfolgsvermeidern“ geworden. Würde man diese Mitarbeiter zurückverfolgen bis zu jenem Tag, an dem sie zum ersten Mal den Betrieb betraten, würde man erstaunt feststellen, wie motiviert sie damals waren. Wie viele Pläne und Ideen diese Mitarbeiter noch hatten, wie sie richtig darauf brannten, ans Werk zu gehen! Woran denken die Vorgesetzten zuerst, wenn jetzt die Leistung nicht stimmt? Natürlich an fehlende Leistungsbereitschaft. Die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter ist jedoch grundsätzlich vorhanden. Schlechte Leistung ist in den meisten Fällen also nicht einfach ein Problem der Leistungsbereitschaft. Häufig gibt es Schwierigkeiten mit der Leistungsfähigkeit und der Leistungsmöglichkeit. Falls die Ursachen für die schwache Leistung in mangelnder Leistungsfähigkeit oder gar fehlender Leistungsmöglichkeit liegen, so bewirkt der Versuch der Motivierung blanke Demotivation! Deshalb müssen durch die Führungskraft (als Abteilungs- oder Bereichsleiter) Rahmenbedingungen für den Erfolg des Mitarbeiters geschaffen werden. Der Managementtheoretiker Reinhard Sprenger vergleicht die ratlose Führungskraft mit einem „Liebhaber, dem die Freundin davongelaufen ist. Der Manager macht sich mehr Gedanken darüber, wie er die Freundin motivieren könnte zurückzukommen, als sich zu fragen, warum sie davongelaufen ist!“ (Sprenger 2014). Führungskräfte können in einem hohen Maße Leistungskomponenten selbst beeinflussen. Das nachstehende Schema zeigt die wichtigsten Einflussgrößen auf die Leistung eines Mitarbeiters. Es wird davon ausgegangen, dass die Grundvoraussetzung für Leistung ein entsprechendes Wissen und Können ist. Tab. 3.3 zeigt, wie sich Leistung zusammensetzt. Wenn es an Leistung mangelt, gehen Vorgesetzte zu schnell davon aus, dass Wollen und Engagement fehlen. Leider wird oft die dritte Leistungskomponente aus den Augen verloren: die notwendigen Rahmenbedingungen zur Erbringung der Leistung. Diese hängen zu 100 % vom Unternehmen (Arbeitgeber) ab. Da aber die Führungskräfte der niedrigeren Hierarchieebenen wenig Einfluss auf die Rahmenbedingungen haben, versuchen sie, diese Tatsache mit dem Engagement der Mitarbeiter zu kompensieren. Die Leistung setzt sich aus drei Komponenten zusammen, wie Tab. 3.3 zeigt.

32

3  Das System der situativen Führung

Tab. 3.3  Zusammensetzung der Leistung Leistungsbereitschaft Leistungsfähigkeit Leistungsmöglichkeit Wollen und Engagement Wissen und Können Rahmenbedingungen bestimmt durch: bestimmt durch: definiert durch: Einstellung, Einsicht, Interesse, Motivation, Identifikation, Einbeziehung, Unterstützung, Verantwortung, Wertschätzung, Teambeziehung, Betriebsklima usw.

Qualifikation, Übung, Training, Unterweisung, Einweisung, Erfahrung, Selbstvertrauen, Zutrauen, Lernfähigkeit, Hintergrundwissen usw.

Technische und organisatorische Gegebenheiten, Mittel, Hilfsmittel, Methoden, Flexibilität des Systems, Qualität der Abläufe, Zusammenspiel der Funktionen usw.

Übung: Wie kann ich in meiner konkreten Situation die drei Dimensionen der Leistung meiner Mitarbeiter beeinflussen?

3.7 Zwei Formen der Autorität bzw. des persönlichen Ansehens 3.7.1 Führung und Autorität Damit Führung überhaupt möglich ist, braucht die Führungsperson „Autorität“. Im Internet findet man dafür die folgende Definition: „Autorität ist das Ansehen der Führungskraft und die damit verbundene Macht“. In Wikipedia steht die folgende Definition: „Autorität ist … eine soziale Positionierung, in einer Institution, … die dazu führt, dass sich andere Menschen in ihrem Denken und Handeln nach ihr richten“ (Wikimedia Foundation Inc. 2018). Autorität entsteht (durch Vereinbarungen oder Herrschaftsbeziehungen) in gesellschaftlichen Prozessen (Lehrer/Schüler, Vorgesetzter/Mitarbeiter) oder durch die

3.7  Zwei Formen der Autorität bzw. des persönlichen Ansehens

33

mit der Person gemachten Erfahrungen. Nach Max Weber beruhen solche Erfahrungen auf „Charismatisierungsquellen“, wie Kompetenz, Stärke, Einfühlungsvermögen oder Tradition. Der Begriff hat seine Wurzeln im römischen Recht (auctoritas: Würde, Ansehen, Einfluss). Das Schema in Tab. 3.4 zeigt die zwei Formen der Autorität, die Basis dieser Autoritätsformen sowie die Mittel, wodurch sie sich äußern oder erreicht werden und ihre Wirkung auf die Mitarbeiter. Die von einer Institution übertragene Autorität (Ansehen durch die Stelle bzw. das Amt selbst (z. B. General, Geschäftsführer, usw.) wird dazu führen, dass Menschen sich einem Befehl unterordnen; auf Dauer können jedoch Spannungen und Konflikte auftreten (Anordnungen werden nur Zähne knirschend akzeptiert). Daher ist diese Autoritätsform für das Führen in einem Unternehmen nicht besonders geeignet. Zum Führen empfiehlt sich eher die zweite Autoritätsform, die „erworbene Autorität“ bzw. das Ansehen, welches man in den Augen der Mitarbeiter durch seine Persönlichkeit, sein Verhalten, Wissen und Können gewinnt. Die Basis dieser Autoritätsform ist das Vertrauen. Diese Autoritätsform wirkt durch das Mittel der Überzeugung. Genau das meinen wir, wenn wir sagen: Der Mensch hat mich als Person überzeugt! Im Einzelnen ist es schwierig, Autorität einfach einer der zwei oben beschriebenen Formen zuzuordnen. Vielmehr erhält man einen mehrschichtigen Gesamteindruck von dem, wie man die Person als Autorität wahrnimmt. Daher sprechen wir von der „wirkenden Autorität“. Die einzelnen Einflussgrößen sind in Abb. 3.2 dargestellt. Tab. 3.4  Formen der Autorität Übertragene Autorität

Erworbene Autorität

Basis: übertragene Macht Umsetzung in Form von: – Anordnung – Befehle – Druck – Strafe

Basis: erworbenes Vertrauen Erreichbar durch: – fachliche Kompetenz – soziale Kompetenz (Kommunikation, Kontakt aufbauen, Kooperation, Teamarbeit …) – methodische Kompetenz (Argumentationstechnik, Problemlösungstechnik, Zeitmanagement, Gesprächstechnik, Moderation) – Entwicklungsfähigkeit

Führt zu:

Erzeugt: Unterordnung (erzeugt auf Dauer aber Spannungen und Konflikte)

Überzeugungskraft

34

3  Das System der situativen Führung

Abb. 3.2   Wirkende Autorität

Beeinflusst werden diese Faktoren durch: 1. die Stellen- oder Jobbeschreibung (gering) 2. Umgangsformen, zum Beispiel freundlich und ruhig auch in Spannungssituationen 3. konsequentes und gerechtes Handeln 4. bewusstes Achten auf vernünftigen Umgangston 5. vorbildliches Einhalten der betrieblichen Normen 6. über eigenes Wissen und Können verfügen und weitergeben können 7. eigene und firmenintern angebotene Fort- und Weiterbildung

3.7.2 Zehn Denkanstöße für Führungskräfte 1. Durchsetzungsvermögen ist die bestimmende Forderung an die Führungskraft. Gestellt wird sie sowohl vom Unternehmen als auch von den Mitarbeitern. 2. Druck ist hierbei der falsche Ansatz. Er lässt sich sicher eine gewisse Zeit aufrechterhalten und bringt kurzfristig Erfolg. Langfristig verkehrt er sich ins Gegenteil und führt zu Gegendruck, Demotivation und Ausweichen. 3. Härte, Ellbogenverhalten und autoritäres Gebaren sind keine tragenden Durchsetzungsmuster. Personale Autorität und persönliche Konsequenz sind heute tragfähiger. 4. Anstelle von Druck und Härte empfehlen sich gemeinsam erarbeitete, klar abgesprochene Ziele, das permanente Ringen um deren Erreichung und die gemeinsame Erfolgsbeurteilung. 5. Überzeugung ist die Triebfeder von Leistungsbewusstsein und erfolgreichem Handeln. Einwirken auf das Bewusstsein der Mitarbeiter und Partner und eindeutiges Vertreten eigener Erkenntnisse sind hierbei wichtige Voraussetzungen.

3.8  Woran lässt sich eine gute Führungskraft erkennen?

35

6. Klare Aussagen, verständnisvolles Eingehen auf die Belange von Mitarbeitern und Partnern und die Bereitschaft, Konflikte auszutragen, stützen die Autorität der Führungskraft. 7. Die persönliche Glaubwürdigkeit und das Ansehen des vertretenen Bereichs werden gefestigt durch die bedingungslose Einhaltung von Terminen und Zusagen. 8. Schonen wollen, Rücksichtnahme auf die „Empfindsamkeit“ bestimmter Partner und das Eingehen auf wenig tragfähige Kompromisse sind oft nur ein Tarnmantel für persönliche Feigheit. 9. Das Ausarbeiten von Schuldzuweisungen und die „Jagd“ nach Sündenböcken vergeuden Energie und verlagern den Bereich erforderlicher Anstrengung an eine falsche Stelle. 10. Aufgetretene Fehler betreffen alle und sind, falls erforderlich, auch gemeinsam zu beseitigen. Deren Quellen sind grundsätzlich auszuräumen.

3.8 Woran lässt sich eine gute Führungskraft erkennen? Aus Gründen, die wahrscheinlich mit der Verteilung und Erhaltung von Machtpositionen in unserer Gesellschaft zusammenhängen, hat man lange Zeit angenommen, dass sich die erfolgreichen Führer von den Geführten grundsätzlich unterscheiden. Danach gäbe es eine besondere Persönlichkeitsstruktur, die eine Person zum guten Führer vorbestimmt. Die Ergebnisse, die bis heute zu diesem Gedankenansatz vorliegen, bestätigen diese Annahme nicht. Es lässt sich nur eine geringe Korrelation zwischen Führungsposition und Eigenschaften wie Intelligenz, Dominanzverhalten oder Kooperationsfähigkeit feststellen. Die Auffassung, dass gutes Führen nicht von einer bereits gegebenen Persönlichkeit abhängt, sondern erlernt werden kann, hat sich durchgesetzt. Doch viele Führungskräfte beklagen sich, dass sie nicht mehr weiterkommen, wenn es um die Zusammenarbeit mit Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern geht. Dabei wird vielen dieser Führungskräfte mehr und mehr bewusst, dass der Stand ihrer Führungskompetenz hinter ihrer Fachkompetenz zurücksteht. Übung: Um festzustellen, ob man eine gute Führungskraft ist, muss man sich mindestens zwei Mal im Jahr folgende Fragen für sich selbst konkret beantworten:

1) Trägt mein Verhalten dazu bei, dass das Wissen bzw. das Können meiner Mitarbeiter verbessert wird? Was habe ich konkret dafür getan? Ihre eigenen Bemerkungen und konkrete Handlungen dazu:

36

3  Das System der situativen Führung

1 b) Trägt mein Verhalten dazu bei, dass ihre Leistungsbereitschaft verbessert wird oder zumindest gut erhalten bleibt? Was habe ich konkret dafür getan? Ihre eigenen Bemerkungen und konkrete Handlungen dazu:

1 c) Trägt mein Verhalten dazu bei, dass die Beziehung zu meinen Mitarbeitern besser oder zumindest nicht mehr als unbedingt notwendig belastet wird? Was habe ich konkret dafür getan? Ihre eigenen Bemerkungen und konkrete Handlungen dazu:

Wie diese abschließende Übung verdeutlicht, trägt das eigene Verhalten als Führungskraft in einem großen Maße zum Erfolg des gesamten Teams bei. Im folgenden Kapitel werden konkrete Führungswerkzeuge vorgestellt, die exzellente Führungskräfte unbedingt beherrschen sollten.

Literatur Fiedler, F. E. (1967). A theory of leadership effectiveness. New York: McGraw-Hill. Gordon, T. (1998). Das Gordon-Modell. München: Heyne. Hersey, P. H. (1985). The situational leader. New York: McGraw-Hill. Hersey, P. H., & Blanchard, K. H. (1980). Der Minuten-Manager. Reinbek: Rowohlt. Hersey, P. H., & Blanchard, K. H. (1982). Management of organizational behavior (S. 169–201). New York: Prentice Hall. Hügler, G. (2018). Autorität. https://de.wikipedia.org/wiki/Autorität. Zugegriffen: 2. Dez. 2017. Kälin, K., & Müri, P. (2000). Sich und andere führen. Bern: Ott Verlag. Sprenger, R. K. (2014). Mythos Motivation. Frankfurt a. M.: Campus.

4

Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Definition von Zielen in der betrieblichen Praxis Ziele sind erwünschte Zustände in der Zukunft. Im betrieblichen Umfeld kann man Ziele auch als zeitabhängige vereinbarte Erwartungen bezeichnen. Die Definition von Zielen beinhaltet immer vier Angaben: 1. Inhalt des Ziels (Worüber reden wir? Worum geht es?), zum Beispiel Umsatz, Kosten, EBIT 2. Ausmaß im Detail (Um wie viel soll sich etwas ändern?), zum Beispiel von 1 auf 3 Mio. EUR 3. zeitlicher Bezug des Ziels (Bis wann soll es erreicht werden? Termin), zum Beispiel in einem Jahr 4. stützende Maßnahmen (Mittel, Ressourcen, Unterstützung), zum Beispiel ein ­Mitarbeiter zusätzlich im Team, zwei weitere Werbemaßnahmen, Geldbetrag x usw. Fehlt eine der vier Angaben, sprechen wir von Wünschen (z. B. eine Million im Lotto zu gewinnen). Abb. 4.1 zeigt die Definition eines Ziels. ¸ So gesehen ist ein Ziel, mathematisch ausgedrückt, zunächst ein Integral von dA dt .

4.1 Der Umgang mit Zielen in einem Betrieb Die hierarchisch höchste Stelle definiert aus den spezifischen Kenntnissen über den Markt, über die Kundenstruktur, die finanziellen Ressourcen, die technischen und personellen Gegebenheiten im Betrieb usw. die zu erreichenden Ziele (Inhalt des Ziels, Ausmaß, Zeitrahmen und zur Verfügung gestellte Mittel). Sie teilt der nächsten Ebene diese Ziele mit und erwartet die Nennung der notwendigen stützenden Maßnahmen zur © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_4

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38

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Abb. 4.1  Definition eines Ziels

­ ielerreichung (flankierende Aktionen und benötigte Mittel im Einzelnen). Für die hierZ archisch niedrigere Stelle stellen die Ziele der höheren Ebene „Vorgaben“ dar. Aus der Kenntnis der Vorgaben, den selbst vorgeschlagenen stützenden Maßnahmen, aber auch aus der Kenntnis über die eigenen technischen und personellen Ressourcen definiert die niedrigere Ebene ihre eigenen Ziele, zum Beispiel Bereichs- oder Abteilungsziele. Anschließend müssen diese Bereichs- oder Abteilungsziele der hierarchisch höheren Ebene vorgestellt und vereinbart werden. Auf der untersten Ebene der Organisation wird keine Formulierung von Zielen erwartet, sondern deren Mitarbeiter müssen die stützenden Maßnahmen (ihren eigenen Beitrag) nennen, um das Abteilungsziel auch tatsächlich zu erreichen. Siehe dazu Abb. 4.2. Zielformulierung in der Praxis sollte daher die Punkte beinhalten, die in Tab. 4.1 ­dargestellt sind. Übung

Lesen Sie bitte die unten formulierten Ziele (Tab. 4.2) durch und überlegen Sie, in welche Gruppe (sehr exakt, exakt, unklar oder sehr unklar) sie gehören. Welche der vier o. g. Angaben für die korrekte Definition eines Ziels fehlen hier? Diese „Ziele“ wurden von den Autoren aus verschiedenen realen Protokollen von Sitzungen und Mitarbeitergesprächen herauskopiert. Hinter jedem dieser Punkte stand jeweils der Name eines Mitarbeiters, der sich darum kümmern sollte. Da es sich hier aber in den meisten Fällen um Wünsche und nicht um genau definierte Ziele handelte, konnten sie auch nicht so umgesetzt werden, wie es sich der Vorgesetzte möglicherweise vorgestellt hatte. Es gab in den meisten Fällen hinterher ein Kritikgespräch. Das führte bei den Mitarbeitern zu Frust und Demotivation.

4.1  Der Umgang mit Zielen in einem Betrieb

Abb. 4.2  Zielkaskade in der Praxis

Musterlösung 1. Sehr unklar: Es fehlen drei Angaben (Ausmaß, Termin, Maßnahmen). 2. Sehr unklar: Es fehlen zwei Angaben (Termin, Maßnahmen). 3. Sehr unklar: Was genau, ab wann, wie sollte es erfolgen usw.? 4. Unklar: Was heißt unterschriftsbereit? Ab wann soll die Regel in Kraft treten? 5. Relativ exakt: Es fehlen die stützenden Maßnahmen, Mittel, Unterstützungen usw.

39

40

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Tab. 4.1  Schema Zieldefinition Zielvorgabe, übergeordnetes Ziel: z. B. Beschleunigung des Fertigungsdurchlaufs bei der Produktgruppe X um … % bis zum………..

Warum?

Zieldefinition

Was genau?

Inhalt des Ziels (was)

Ausmaß (um wie viel)

z. B.: Senken des Ausschusses Teil XY

von….. % auf….. %

zeitlicher Bezug(bis wann) bis zum…………

Stützende (flankierende) Maßnahmen, z. B. durch: a) Auswechseln der Elektroden an Anlage ABC b) spezielle Unterweisung der Mitarbeiter

Wodurch?

Mittel/Kompetenzen Budget beträgt…………… EURO Freistellen von 5 MA für eine 2-Tage-Schulung

Womit?

Verantwortlichkeiten Abteilungsleiter A, Meister B und Meister C

Wer?

6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Sehr unklar: Es fehlen drei Angaben (Ausmaß, Termin, Maßnahmen). Unklar: Was soll geschult werden, wann (Juni, September), welche Mittel usw.? Sehr unklar: Was heißt wichtig? Ab wann? Welche stützenden Maßnahmen? Sehr unklar: Es fehlen drei Angaben (Ausmaß, Termin, Maßnahmen). Sehr unklar: Es fehlen drei Angaben (Ausmaß, Termin, Maßnahmen). Sehr unklar: Es fehlen drei Angaben (Ausmaß, Termin, Maßnahmen). Unklar: Was genau? Ab wann soll es gelten? Wer hilft?

4.2 Einteilung nach operativen Zielen und Beziehungszielen in einem Unternehmen Der Umgang mit Mitarbeitern, Kollegen und Chefs ist sowohl durch die eigene Vergangenheit als auch durch die Vergangenheit der anderen Beziehungspartner geprägt. Das ist oft der Grund für Generationskonflikte. Die Werte, die uns am Anfang unseres Lebens geprägt haben, beeinflussen uns auch heute noch. Dies gilt natürlich auch für unsere älteren oder jüngeren betrieblichen Partner. In Goethes Faust steht: „Nach dem Gesetz, nach dem Du angetreten bist, musst Du auch weitermachen“, und daran halten wir uns für gewöhnlich völlig unbewusst. Abb. 4.3 stellt operative und Beziehungsziele dar.

4.2  Einteilung nach operativen Zielen und Beziehungszielen …

41

Tab. 4.2  Übung „Zieldefinition“ Sind diese Ziele richtig formuliert?

sehr exakt

relativ unklar sehr exakt unklar

1. Ich will meine Routineaufgaben vereinfachen 2. Ich will einen Umsatz von 1 Mio. EUR erzielen 3. Ich möchte ein System entwickeln, um unverzüglich über 4. Produktionsverzögerungen orientiert zu werden 5. Ich möchte die wöchentlichen Sitzungsprotokolle jeweils bis zum Ablauf des 10. Tages nach der Sitzung unterschriftsbereit zu haben 6. Ich gebe vor, den Produktionsausschuss bei Teil X-22 von 5,8 % auf 4,3 % bis zum 30.11. zu senken, wobei vom 1.10.–15.10. um 1 % gesenkt, vom 16.10.–31.10. um 0,4 % und vom 1.11.–31.11. noch einmal um 0,1 % gesenkt werden sollen 7. Ich will zielbewusster arbeiten 8. Drei Mitarbeiter sollen im Hinblick auf die Eröffnung der Messe am 1.10.18 in Verkaufstechnik zwei Tage und im Umgang mit Kunden jeweils für 3 Std. geschult werden 9. Ich will Maßnahmen treffen, damit wichtige Aufträge schneller durchgeführt werden können 10. Ich will künftig besser/mehr delegieren 11. Ich will klarere Aufträge erteilen und nachher kontrollieren, ob sie korrekt ausgeführt wurden 12. Ich möchte die Sicherheitsunterweisung künftig 2 x im Jahr durchführen 13. durchführen

Im Umgang der Menschen miteinander prallen nicht selten die Werte, die sie leiten, aufeinander. Es ist vor allem fraglich davon auszugehen, dass ein jüngerer Mitarbeiter von den gleichen Werten geprägt ist wie ein älterer. Diese unterschiedlichen Werte innerhalb derselben Gesellschaft entstehen dadurch, dass jede Generation gewissermaßen in ihr eigenes sozio-kulturelles Umfeld hineinwächst. Was weiß unter Umständen der jüngere Kollege schon von Woodstock, Phil Collins oder Jimmy Hendrix? Was weiß er noch von Vietnam? Oder was bedeutet für ihn JFK? Und was wissen die älteren Kollegen vielleicht über Chakuza oder von den Gruppenmitgliedern von „The Prosecution“ oder von „Die Orsons“? Seitdem sich Deutschland zu einem Einwanderungsland entwickelt, müssen zudem die unter Umständen abweichenden Werte von Menschen mit einem anderen kulturellen Hintergrund ebenfalls berücksichtigt werden.

42

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Abb. 4.3  Operative und Beziehungsziele

4.3 Einteilung nach Dominant- und Team- bzw. Bereichsziele Die spezifischen Ziele des eigenen Aufgabenbereiches sind grundsätzlich eingebettet in das Zielsystem des Unternehmens (Dominantziele). Die Bereichs- oder Teamziele werden aus den Oberzielen bzw. Unternehmenszielen abgeleitet (Top-down-Prozess) und aus der eigenen Stellenbeschreibung heraus formuliert. Anschließend werden sie dann entweder mit der übergeordneten Stelle vereinbart oder übergeordneten Stellen zur Genehmigung vorgelegt (Bottom up). Darüber hinaus ist der eigene Beitrag zur Erreichung der vorgegebenen Unternehmensziele (Dominantziele) stets deutlich zu machen. Diese Dominantziele sind: 1. definierte Erträge (Umsätze, Kosten) erreichen, 2. festgelegte, umfassende Qualität erbringen (z. B. Reklamationen), 3. ermittelten Markterfordernissen gerecht werden (z. B. Kundenzufriedenheit). Hieraus resultieren bei der Erarbeitung der eigenen oder der Teamziele drei permanente Fragen: 1. Was ist unser Beitrag zur Erbringung des definierten Ertrags? 2. Wie können wir durch unsere Arbeit die Qualität aller erbrachten Leistungen unseres Hauses positiv beeinflussen? 3. Wodurch können wir selbst den Erfordernissen unseres Marktes gerecht werden?

4.4  Wozu werden Ziele gebraucht?

43

Stellen Sie sich hierbei auch ergänzende Fragen, um den eigenen Beitrag oder Teambeitrag eindeutig herauszuschälen: 1. Welchen Anteil am Gesamtertrag haben die von uns erbrachten Leistungen/Dienste? (Unsere Dienste/unser Produkt trägt zum Ertrag bei durch …) 2. Wodurch könnten wir den Ertrag gefährden (Kosten, Verschwendungen, Ideenlosigkeit, Qualifikation der Mitarbeiter)? 3. Wie können wir zur Kostenoptimierung beitragen (Verschwendung, Ausschuss)? 4. Wie nehmen unsere Partner direkt oder indirekt die Qualität unserer Leistungen wahr (Kundenzufriedenheit, Reklamationsbearbeitung)? 5. Welchen Anteil können wir in den skizzierten Einzelfällen beisteuern? (Unsere Funktion trägt zur Qualität bei durch …) 6. Wo müssen wir Qualitätshemmnisse abbauen? 7. Wodurch und wie treten wir direkt oder indirekt mit dem Markt in Beziehung? (Unsere Tätigkeit wirkt sich auf dem Markt aus durch …) 8. Was sind die langfristig wirksam werdenden Wünsche/Forderungen/Erwartungen des Marktes an den Teil der Funktion/Dienstleistung des Produkts, den wir beeinflussen können? 9. Worauf reagiert der Markt / der Kunde besonders empfindlich?

4.4 Wozu werden Ziele gebraucht? Ziele geben Orientierung für 1. das Handeln – klare Vorgaben für Mitarbeiter, Ansatzpunkte für das Koordinieren durch den Vorgesetzten 2. das Kontrollieren – Selbstkontrolle, Maßstab für die Kontrolle durch den Vorgesetzten Damit soll ein ständiger Ansporn und eine Herausforderung sowie ein permanenter SOLL-IST-Vergleich geschaffen werden. Versachlichung, Transparenz und Gemeinsamkeit müssen dabei angestrebt werden. Übung: Protokoll eines Kündigungsgesprächs

Welche konkreten Schritte bzw. Ziele und Maßnahmen würden Sie als Führungskraft in der Produktion unternehmen, um die nachfolgend genannte Situation nachhaltig zu verbessern? Es gibt mehrere Beweggründe, die Herrn Emil Piering zur Kündigung veranlasst haben: • Hauptübel sei eine mangelhafte Einweisung an den neuen Maschinen gewesen. Die älteren Kollegen seien nicht hilfsbereit gewesen. Der eine Vorarbeiter habe herumgeschrien, die anderen hätten bloß gegrinst, wenn man vor einem Problem

44

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

stand. Der einzige, mit dem man sich sachlich über Maschinen, Probleme und Gefährdungen habe unterhalten können, sei Herr Kronhuber gewesen. Man sei wie ein kleiner Junge behandelt worden, der nicht weiß, wie man eine Schraube festzieht. • „Als ich zur anderen Schicht versetzt wurde, bekam ich überhaupt keine Kontaktperson (Ausbilder) mehr zugeteilt.“ • „Bei der Schichtübergabe erfährt man nichts über seine Maschine und Probleme. Man erfährt nur immer dann etwas, wenn es nicht richtig gelaufen ist (‚Was habt ihr wieder für einen Mist gemacht!‘). Die Schichtführer bekämpfen sich gegenseitig.“ • Den Meister sehe man nur selten, da er oben sitze und sehr beschäftigt sei. • Die Maschinen, vor allem die NC-Drehmaschinen, seien in Bezug auf Sauberkeit in einem desolaten Zustand. Wenn besser gereinigt würde, könnten 10 bis 15 % der Reparaturen eingespart werden. • Wenn das Betriebsklima gestimmt hätte, wäre er geblieben. • Schichtarbeit (auch drei Schichten) hätten ihm nichts ausgemacht. Auch die Bezahlung war in Ordnung, obwohl er bei der neuen Stelle einen höheren Anfangslohn erhält (0,40 EUR über seinem jetzigen Lohn). Ihre zu erarbeitenden Ziele müssen: • • • • • • • •

präzise und konkret definiert sein (operational), aktuell der jeweiligen Situation entsprechen, aufeinander abgestimmt und widerspruchsfrei sein, realistisch im Anspruch, transparent und überprüfbar, geordnet im Produktionssystem, durchsetzbar bei den Mitarbeitern und deckungsgleich mit der Organisationseinheit sein.

Ihre Notizen:

__________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________

4.5  Delegation oder Aufgaben weitergeben

45

4.5 Delegation oder Aufgaben weitergeben Delegieren bedeutet Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an andere Mitarbeiter zu übertragen. Delegieren ermöglicht, effizienter und effektiver zu arbeiten. Für manche Führungskräfte ist das Delegieren selbstverständlich. Andere dagegen tun sich damit schwer. Hierbei handelt es sich einerseits um Vorgesetzte, die sich unsicher sind und einen Kontrollverlust fürchten. Andererseits gibt es auch Vorgesetzte, die im hohen Maße von sich überzeugt sind, getreu dem Motto: Wenn man nicht alles selber macht, wird’s eben nicht gut. Doch es gibt auch solche, die besonders gern und oft delegieren, vor allem Routinearbeit oder langweilige Tätigkeiten. Das erleichtert das eigene Arbeitsleben und schützt vor Schwierigkeiten, wenn die Leistung etwa dem Chef nicht gefällt. Wer seiner Führungsrolle gerecht werden will, muss genug Vernunft besitzen, um die Aufgaben den richtigen Leuten zu übertragen, und genügend Selbstdisziplin, um ihnen nicht ins Handwerk zu pfuschen (Theodore Roosevelt, Präsident der USA von 1901 bis 1909).

Führungskräfte belasten sich oft mit operativen Tätigkeiten, die Mitarbeiter besser und effektiver erledigen könnten. Dies führt dazu, dass den Führungskräften zu wenig Freiraum für ihre eigentlichen strategischen Aufgaben bleibt. Bei der gelungenen Delegation macht sich die Führungskraft in bestimmten Bereichen sozusagen selbst überflüssig, um für ihre strategischen Aufgaben zugunsten der Unternehmensentwicklung Ressourcen freizumachen. Für Mitarbeiter ist Delegation die Chance, den Unternehmenserfolg mitzugestalten. Das Übertragen von Aufgaben und verantwortlichem Handeln setzt das Vertrauen voraus, dass der Mitarbeiter die ihm übertragenen Aufgaben optimal erledigen wird. Dies ist ihm jedoch nur möglich, wenn er die Sachzusammenhänge erkennt und über die nötige Kompetenz verfügt. Nach welcher Methode und nach welcher Zeitplanung er die delegierte Aufgabe erledigt, sollte im Ermessen des Mitarbeiters liegen. Durch das Delegieren eröffnen Führungskräfte ihren Mitarbeitern Freiräume, die sie durch ihre Ideen und ihr Fachwissen ausfüllen können. Eine verbindliche Abmachung ist dennoch notwendig, damit die wesentlichen Kriterien festgelegt werden, nach denen Mitarbeiter die ihnen übertragenen Aufgaben erledigen müssen. Dies betrifft die Qualität, den Umfang und die Art und Weise der Umsetzung, die anfallenden Kosten, den Zeitaufwand sowie den Termin, zu dem die Aufgabe bzw. das Projekt abgeschlossen sein muss.

46

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens Übung: Delegieren Sie einem Mitarbeiter die Aufgabe, einen gemeinsamen Ausflug Ihrer Abteilung zu organisieren, um sich besser kennenzulernen, die Teamarbeit zu stärken und um die Gesundheit zu fördern. Sagen Sie ihm auch, was Ihnen dabei besonders wichtig ist.

Ihre Notizen:

__________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________

4.6 Die Delegationszwiebel Die Delegationszwiebel beschreibt, welche Möglichkeiten es gibt, in einem Betrieb Aufgaben zu delegieren. Nicht alle Aufgaben lassen sich delegieren. Es gibt zum Beispiel Mitarbeitergespräche, Kritikgespräche, Anerkennungsgespräche, Entlassungsgespräche usw., die nicht delegierbar sind. Diese Maßnahmen können nur von einem Vorgesetzten ausgeführt werden. Dieser Tatsache entspricht das Zentrum der in Abb. 4.4 gezeigten Delegationszwiebel. Es gibt jedoch Aufgaben, bei denen andere Personen die Führungskraft unterstützen können, wie zum Beispiel das Definieren von Zielen und das Treffen von Entscheidungen. Dabei werden Mitarbeiter unmittelbar informiert und einbezogen, was Demotivation verhindert (zweite Schale der Delegationszwiebel). Die nächste Schale in der Delegationszwiebel ist die wichtigste in Bezug auf Motivation. Manche Mitarbeiter sind unzufrieden, wenn sie nur mit Routinetätigkeiten beschäftigt sind, und freuen sich über die Chance, auch knifflige Aufgaben zu erledigen. Die Führungsperson sollte solche Aufgaben aussuchen und sich überlegen, wie sie die Mitarbeiter am besten einbeziehen kann. Es gibt Aufgaben, die von Mitarbeitern erledigt werden sollen, die dabei jedoch Hilfe benötigen. Die Führungskraft muss solche Situationen erkennen und die notwendige Hilfe geben. Doch das ist nicht immer einfach, denn manchmal trauen sich Mitarbeiter nicht ohne Weiteres zuzugeben, dass eine Aufgabe sie überfordert. Nur wenn die Führungskraft Kontakt zu ihren Mitarbeitern pflegt, kann sie einschätzen, durch welche Aufgaben sie eventuell überfordert sein könnten. Abb. 4.4 zeigt die Delegationszwiebel. Der äußerste „Ring“ der Zwiebel stellt Aufgaben dar, die der Mitarbeiter routinemäßig durchführt, und die seinen Qualifikationen und Erfahrungen entsprechen. Diese Aufgaben oder Aufgabenpakete müssen im Rahmen von Mitarbeitergesprächen erörtert

4.6  Die Delegationszwiebel

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Abb. 4.4   Delegationszwiebel

werden, um Anerkennung zu geben und um Stress zu vermieden. (Im Übrigen verlangt der Gesetzgeber von jedem Unternehmen, die psychologischen Belastungen seiner Mitarbeiter zu ermitteln und die daraus folgenden Maßnahmen einzuleiten.)

4.6.1 Die sechs Erfordernisse einer erfolgreichen Delegation Eine gelungene Delegation muss die folgenden Punkte berücksichtigen: 1. Was genau ist die AUFGABE oder das Aufgabenpaket (was, wie, warum, wieso, bis wann, Hintergrund)? 2. Welche KOMPETENZEN sind notwendig? 3. Welche RESSOURCEN stehen zur Verfügung (z. B. sachliche und spezifische Mittel)? 4. Wann ist das ERGEBNIS zufriedenstellend? 5. Welche ERWARTUNGEN verbinden sich mit der Aufgabe / den Aufgaben (z. B. wann und wie wird eine Rückmeldung erwartet)? 6. Welche RAHMENBEDINGUNGEN müssen berücksichtigt werden (z. B. wer muss noch wann informiert werden)?

4.6.2 Zehn Regeln zum richtigen Delegieren 1. 2. 3. 4.

Haben Sie den Mut, Aufgaben zu delegieren. Delegieren Sie nur Machbares. Erklären Sie: wieso, warum, was genau, bis wann. Klären Sie die zur Verfügung stehenden Mittel.

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4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

5. 6. 7.

Teilen Sie die Kriterien für die Kontrolle schon bei der Delegation mit. Delegation kann auch gleichzeitig Motivation der beauftragten Mitarbeiter sein. Das kleine ABC des wirkungsvollen Delegierens: a) ganze Aufgabenbereiche übertragen, falls möglich, b) ergebnis- und nicht erledigungsorientiert delegieren, c) Kontrollsystem einrichten, um Abweichungen von den vereinbarten Normen zu erkennen und zu korrigieren, d) Rückmeldetermine vereinbaren. 8. Es gibt keine Misserfolge – nur Ergebnisse und Erfahrungen. Welche? 9. Vertrauen Sie Ihren Mitarbeitern. 10. Vermeiden Sie Rückdelegation.

4.7 Kontrolle im betrieblichen Umfeld Kontrolle ist eine besondere Art von Überwachung, die von Personen oder Organisationseinheiten ausgeübt wird (Führungskräfte, Polizei usw.). Bei der Kontrolle werden geplante und realisierte Größen miteinander verglichen und eventuelle Abweichungen analysiert und deren Ursachen ermittelt. Wenn die Abweichungen rechtzeitig erkannt werden, kann gegengesteuert werden. Kontrolle ist notwendig, denn sie gibt Orientierung und hilft, die Unternehmensziele zu erreichen (siehe Abb. 4.5). Stellt man einem Mitarbeiter die Frage nach dem, was der Vorgesetzte letztlich kontrolliert, erhält man die stereotype Antwort: Er kontrolliert das Ergebnis, das Erreichen des Ziels. Kontrolle durch einen Vorgesetzten wird von den meisten Mitarbeitern als unangenehm empfunden. Sie deuten sie als ein Zeichen des Misstrauens. Ein Grund für diese negative Einstellung seitens der Mitarbeiter ist eine schlecht durchgeführte Delegation. Der Mitarbeiter wird z. B. nicht über die Art und den Zeitpunkt der Kontrolle informiert und kann sich daher nicht darauf einstellen. In Wirklichkeit werden viel mehr Variablen im betrieblichen Umfeld „kontrolliert“, als sich die meisten Mitarbeiter vorstellen. Vielfach handelt es sich um subjektive Größen, wie zum Beispiel Verhaltensweisen des Mitarbeiters im Arbeitsalltag, seine Flexibilität, sein Ideenreichtum, seine Kreativität, seine Teamfähigkeit, die Zusammenarbeit mit dem Vorgesetzten und vieles mehr. Die Kontrolle wird natürlich beeinflusst von dem, was dem Vorgesetzten wichtig ist. Zum Kontrollzeitpunkt werden dann manchmal Vorwürfe nach dem Muster gemacht: „Von Ihnen hätte ich schon mehr erwartet“, „Bei Ihrer Qualifikation …“, „Das hätten Sie auch noch tun können“ usw. Diese Art von Kontrolle zerstört jedoch Vertrauen und Motivation. Es ist unbedingt notwendig, dass der Vorgesetzte schon bei der Delegation angibt, was ihm bei der Erledigung der Aufgabe wichtig ist. Er muss also die Kriterien, nach denen er das Ergebnis kontrollieren wird, im Vorfeld mitteilen. Auf welche Weise die Arbeit erledigt wird, ist Sache des Mitarbeiters. Die Karriere in einem Unternehmen hängt

4.7  Kontrolle im betrieblichen Umfeld

49

Abb. 4.5  Kontrolle, nicht Überwachung

daher, neben dem Erreichen der Vorgaben, vor allem von der Erfüllung der Erwartungen des Vorgesetzten ab. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ lautet eine Redewendung, die Wladimir Iljitsch Lenin zugeschrieben wird. Die Aussage meint, man solle sich nur darauf verlassen, was man nachgeprüft habe (Duden 1992). Der Ausspruch kommt allerdings in Lenins Werken nicht vor und kann deshalb nicht belegt werden. Belegt dagegen ist, dass Lenin sehr häufig das russische Sprichwort: „Vertraue, aber prüfe nach“ verwendete, was sinngemäß das Gleiche bedeutet. Man nimmt an, dieses Sprichwort wurde in manchen Übersetzungen von Lenins Texten leicht abgewandelt, da das russische Wort prowerjai auch mit „kontrollieren“ statt mit „prüfen“ übersetzt werden kann. Dem griechischen Philosophen Sokrates wird allerdings eine andere Formulierung zugeschrieben: „Erst Vertrauen ermöglicht eine sinnvolle Kontrolle“. Es ist nicht möglich, einen Menschen, ob Mitarbeiter oder pubertierendes Kind, andauernd zu kontrollieren bzw. zu überwachen. Erst Vertrauen zu dem Führenden oder zu den Eltern führt dazu, dass ein Mensch von seinen gemachten Fehlern und sonstigen Schwierigkeiten berichtet und um Hilfe bittet.

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4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Kontrolle ist gut, doch erst Vertrauen befähigt uns, unsere Potenziale voll auszuschöpfen, sagt die Ausnahmesportlerin und zwölffache Goldmedaillengewinnerin Verena Bentele, die von Geburt an blind ist. Ihre überzeugende Botschaft lautet: „Wirklich blind ist, wer kein Vertrauen hat!“ Unsere demokratische Gesellschaftsordnung basiert auf dem Primat des Vertrauens und nicht des Verdachts. Ein Angeklagter gilt als unschuldig, solange er nicht verurteilt ist. Das Betriebsverfassungsgesetz basiert auf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und beinhaltet entscheidende Merkmale der demokratischen Gesellschaftsordnung: § 75 Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen 1. Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt. 2. Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbstständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern (Betriebsverfassungsgesetz 2001). Um eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und die oben aufgeführten Grundsätze einzuhalten benötigt es: 1. regelmäßige Mitarbeitergespräche, in denen allgemeine Erwartungen des Vorgesetzten und die des Mitarbeiters besprochen werden, 2. eine umfangreiche Delegation, bei der neben der zu verrichtenden Arbeit auch die Kriterien der späteren gemeinsamen Überprüfung festgelegt werden. Unsere Empfehlung in Bezug auf Kontrolle lautet, dass die Durchführung der Kontrolle nach der „OSKAR-Methode“ durchgeführt werden sollte: Offen, ehrlich und ruhig Sachlich, Überprüfung nach sachlichen Inhalten Klar nach den im Vorfeld besprochenen Kriterien Abgesprochen, keine Bewertung, sondern nur objektive Fakten Rücksichtsvoll, mit Rückkopplung Übung: Kontrolle durchführen

Einer Ihrer Mitarbeiter übergibt Ihnen eine delegierte, fertiggestellte Arbeit (z. B. die Ablaufplanung des delegierten Betriebsausflugs) und bittet Sie um eine Rückmeldung. Zu welchen Kriterien (bei der Erledigung der Aufgabe) könnten Sie ihm eine Rückmeldung geben? Notieren Sie diese Kriterien.

4.8  Motivation und Bedürfnisse

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__________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________

4.8 Motivation und Bedürfnisse 4.8.1 Bedürfnisse: Was benötigen wir zum Leben? Wie in Kap. 2 dargestellt, bedeutet Menschenführung, dem Menschen ein Motiv zu geben, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Ein starkes Motiv ist die Befriedigung von Bedürfnissen. Ein Bedürfnis ist eine materielle oder immaterielle Sache, welche ein Mensch braucht, um sich wohlzufühlen. Die Betonung liegt auf dem Wort „wohlfühlen“, sodass Angst oder sonstiger Druck bei der Führung von Menschen nicht infrage kommt. Wenn man die Motive eines Mitarbeiters ansprechen und befriedigen will, muss man seine Struktur und seinen Sättigungsgrad kennen. Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908–1970) hat den Versuch unternommen, die Bedürfnisse zu gliedern und bestimmte Prioritäten festzulegen. Maslows Bedürfnishierarchie ist ein viel beachtetes Motivationsmodell. Hierbei werden die Bedürfnisse als Antriebskräfte menschlichen Verhaltens verstanden, wobei ein Bedürfnis verhaltensbestimmend ist, bis es zu einem bestimmten Grad befriedigt ist. Erst dann gewinnt das nächsthöhere Bedürfnis an Bedeutung und wird seinerseits verhaltensbestimmend. Für die Mitarbeiterführung ist es wichtig zu wissen, auf welchen Bedürfnisstufen Menschen sich gerade befinden. Wenn in einer Marketingabteilung neue Ideen entwickelt werden sollen, wird dies schlecht funktionieren, wenn zum Beispiel ein Großteil der Mitarbeiter gerade um seine Jobs fürchtet. In seinen Betrachtungen gab Maslow jeweils den, aus seiner Sicht, prozentualen Grad der Befriedigung an, ab dem die nächsthöhere Bedürfnisklasse den Menschen „anzutreiben“ beginnt. Die Darstellung der Bedürfnisse in Form einer Pyramide wird oft Maslow persönlich zugeschrieben, sie ist aber eine spätere Interpretation seiner Arbeit durch andere. Maslow postuliert, dass zwei Arten von Bedürfnissen Menschen beeinflussen: die Defizit- (nur ein Mangel wird wahrgenommen) und die Wachstumsbedürfnisse (keine Grenze nach oben). Nach seiner Definition gibt es zwei Arten von Defizitbedürfnissen und drei Arten von Wachstumsbedürfnissen: Körperliche Bedürfnisse (Defizit- oder Mangelbedürfnis) Durst, Hunger, Schlaf, Wunsch nach Bewegung, Anregung, Ruhe, Sexualität, Obdach usw. Sobald sie befriedigt sind, wird nicht mehr nach ihnen gestrebt, sie verlieren für den betreffenden Menschen

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4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

ihre Wichtigkeit, und er denkt nicht mehr daran. Sie werden daher auch als Defizit- oder Mangelbedürfnisse bezeichnet, weil sie eine „Grenze der Befriedigung“ haben. Es geht mir nicht gut, wenn ich zum Beispiel diese Grenze beim Trinken überschreite! Sicherheitsbedürfnisse (Defizit- oder Mangelbedürfnis) Maslow bezeichnet diese Bedürfnisse als Sicherungsbedürfnisse für die Zukunft, zum Beispiel Wunsch nach Stabilität, Zuverlässigkeit, Regeln, Ordnung, Freiheit von Angst, Bedrohung und Chaos, körperliche Unversehrtheit, Schutz der Existenz, des Arbeitsplatzes und des Eigentums, eine angemessene Altersvorsorge, Gesundheit. Sobald diese Bedürfnisse befriedigt sind, sind sie nicht mehr wichtig und anderes tritt in den Vordergrund. Im Umkehrschluss binden sie, wenn sie nicht befriedigt werden, viel Energie und Beschäftigung. So redete seinerzeit meine (Johann Fieger) kranke Großmutter ständig über ihre Krankheiten und nervte uns, die gesunden Kinder, damit ganz gehörig. Soziale Bedürfnisse (Wachstumsbedürfnis)  Zuneigung, Abneigung gegen Einsamkeit, Ablehnung, Fehlen von Freunden, Kommunikation, Kontakt, Bedürfnis nach Akzeptanz der eigenen Person, Liebe, Geborgenheit, Mitgliedschaft, Sorgen und Umsorgen, dazugehören. Im Gegensatz zu den ersten zwei Bedürfnisgruppen besitzen soziale Bedürfnisse keine „Grenze der Sättigung“. So freuen wir uns beispielsweise immer wieder aufs Neue, wenn uns jemand seine Freundschaft anbietet, egal wie viele Freunde sich im persönlichen Umfeld bereits angesammelt haben. Facebook und XING stellen ein gutes Beispiel für diesen Effekt dar. Bedürfnis nach Achtung und Anerkennung (Wachstumsbedürfnis)  Auch wenn man sich in der Gemeinschaft wohl fühlt, möchte man trotzdem als Individuum mit allen spezifischen Eigenarten wahrgenommen werden, wie beispielsweise Stärke, Erfolg, Tüchtigkeit, Macht und Wissen, Anerkennung, Prestige, Status, Aufmerksamkeit, Bedeutung, Respekt, Selbstbestätigung, „differenziert sein von anderen“. Bedürfnis nach Selbstverwirklichung (Wachstumsbedürfnis) Die Menschen streben grundsätzlich danach, im Leben etwas von Dauer zu erschaffen, das auch nach dem Ableben noch einen gewissen Wert besitzt. Damit verbunden steht das Streben nach der vollen Ausschöpfung des eigenen Potenzials, das Bedürfnis, etwas Dauerhaftes zu erschaffen. Jeder kennt sicherlich die Antwort auf die Frage: Welche drei Dinge soll ein Mensch (Mann) in seinem Leben unternehmen? Sie lautet: Kinder zeugen, ein Haus bauen und ein Buch schreiben, oder alternativ: einen Baum pflanzen. All diese Dinge besitzen einen gewissen Wert – so hoffen wir – auch nach dem Ableben aus dieser Welt. Maslow nannte dieses Bedürfnis, das „Bedürfnis nach einem Denkmal“. Darin liegt beispielsweise auch der Grund, warum manche Politiker oder Firmengründer, aus der Angst heraus, jemand könnte ihr „Denkmal“ beschädigen, nicht aufhören können zu arbeiten oder an Posten und Position schier kleben bleiben.

4.8  Motivation und Bedürfnisse

53

Anderseits streben die Menschen auch danach, gemeinsame Denkmäler zu bauen. Etwa Firmen voranzubringen, Vereine zu gründen und weiterentwickeln usw. Diese Tatsache führt zu einer starken Identifikation mit solchen Unternehmungen, dabei wird ein starker Wunsch nach Information verspürt, da man an Entscheidungen auch beteiligt werden möchte. Die Bedürfnispyramide verdeutlicht Abb. 4.6. Menschen messen denjenigen Bedürfnissen hohe Bedeutung zu, die sie nicht ohne Weiteres befriedigen können. Daher kann eine Führungskraft davon ausgehen, dass ihre Mitarbeiter ständig die Bedürfnisse zu befriedigen suchen, denen noch nicht im gewünschten Umfang Rechnung getragen wurde (vor allem Wachstumsbedürfnisse). Ist jedoch ein Bedürfnis zeitweilig oder ständig befriedigt, so verliert es an Dringlichkeit und kann nicht mehr motivierend wirken. Wenn die Defizit-Bedürfnisse alle befriedigt sind, dann treten die Wachstumsbedürfnisse in den Vordergrund, also die sozialen und psychologischen Bedürfnisse sowie schließlich das Verlangen nach Selbstverwirklichung, um motivierend zu wirken. Bestimmte Bedürfnisse (z. B. Wachstumsbedürfnisse) werden fast nie ganz gesättigt. Aus diesem Grund kann das Betriebsklima nie „perfekt“ sein, denn es verbleiben bei den Mitarbeitern immer unbefriedigte Bedürfnisse. Hinter jedem Tun steht immer ein Grund. Das Motiv ist also der Baustein der Motivation, aus dem die eigentliche Motivation erwächst, d. h. der Antrieb, ein Ziel zu erreichen. Neugierde und Interesse, das Streben nach Anerkennung und der Gestaltungswunsch sind wesentliche Motive im betrieblichen Umfeld. Sie kommen von „Innen“, aus einem selbst. In dieser Hinsicht wird Motivation vom Mitarbeiter und nicht von außen erzeugt. Dies wird als intrinsische Motivation bezeichnet. Es hat sich erwiesen, dass intrinsische Motivation tragfähiger und dauerhafter ist als extrinsische Motivation, also als Druck von außen oder Angst. Bei der intrinsischen Motivation ist wichtig, dass man einen Sinn in seinem Tun erkennt. Der Sinn wird meist erst in Verbindung mit der Zielsetzung deutlich. Daher muss man, um eine nachhaltige Motivation zu erreichen, immer ein Ziel möglichst klar formulieren und vor Augen haben.

Abb. 4.6   Bedürfnisse nach Maslow

54

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

4.8.2 Motivation: schematische Darstellung 4.8.2.1 Motivationsbetrachtungen nach Maslow Für die betriebliche Praxis bedeuten die Überlegungen von Maslow, dass eine Führungskraft erkennen muss, wo sich der einzelne Mitarbeiter mit seinen aktuellen Bedürfnissen befindet. Erst dann kann sie (die Führungskraft) entsprechende Anreize überlegen und zielgerichtet einsetzen, um das notwendige Tun zum Erreichen ihrer Ziele zu vereinbaren. Das größte Problem bei der Motivation anderer Menschen stellt das Vorhandensein dieser Anreize dar. Die Führungskraft kann nicht immer die aktuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter vollständig stillen. Vor allem materielle Anreize wie Geld, Altersvorsorge usw. stehen oft nur bedingt zur Verfügung und besitzen zudem nur eine kurzzeitige Wirkung. Dabei handelt es sich um ein sogenanntes Mangelbedürfnis. Sobald es befriedigt wurde, verliert es an Relevanz. Die Befriedigung der Wachstumsbedürfnisse verspricht mehr Erfolg: Kontakt zu Kollegen und zum Chef, gute Teambeziehungen, Anerkennung, Informationen, Beteiligung an Entscheidungen usw. Abb. 4.7 zeigt das Schema der Motivation. Um Menschen zu motivieren, muss man nicht nur über die allgemein möglichen (spezifischen) Bedürfnisse der Menschen Bescheid wissen (siehe Maslow), sondern man muss die aktuelle Situation seiner Mitarbeiter, mittels Fragen und Beobachtungen konkret kennen. Erst dann kann man überlegen, wie man diese Bedürfnisse mittels passender Anreize befriedigen könnte. Allerdings ist es sinnvoll, diese Anreize rechtzeitig zu sammeln und deren Wirkung auf den betreffenden Mitarbeiter zu kennen. Nur dann kann ein Handeln (ein Tun) im Sinne des Auftraggebers vereinbart werden, wobei eine genaue Absprache über das Ergebnis des Tuns zwingend notwendig ist.

Abb. 4.7   Schema der Motivation

4.8  Motivation und Bedürfnisse

55

Wenn ein Mensch etwas im Auftrag eines anderen getan hat, möchte er wissen, wie der Auftraggeber die Leistung bewertet, d. h., er wünscht sich eine Rückmeldung, ob es gut war, ob er es hätte anders machen sollen, d. h., was er in Zukunft besser/anders machen sollte. Eine Kontrolle ohne eine klare und ehrliche Rückmeldung (Feedback) führt dazu, dass der Mitarbeiter sich nicht mehr von dem anderen, in diesem Falle vom Vorgesetzten, motivieren lässt. Solche Leute beklagen sich, dass ihre Mitarbeiter nicht motivierbar seien! Wenn man allerdings nach der Häufigkeit der Rückmeldungen fragt, die diese Führungskräfte ihren Mitarbeitern offene und ehrlich geben, erkennt man schnell, warum sie solche Schwierigkeiten beim Motivieren haben. Erfolgreiche Führungskräfte machen sich rechtzeitig Gedanken über die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter und warten nicht, bis unbedingt „motiviert“ werden muss. So sollten zum Beispiel Gründe für eine Anerkennung im Vorfeld „gesammelt“ werden, indem man die Mitarbeiter beobachtet und mit ihnen über ihre Arbeit spricht. Erfolgreiche Führungskräfte machen sich Gedanken über die Arbeit jedes einzelnen Mitarbeiters und die damit verbundenen Herausforderungen. Allerdings müssen die Anreize nicht unbedingt mit Preisen und Lobreden verbunden sein. Ein gutes Wort oder ein einfaches „Danke“ kann ebenfalls eine positive Auswirkung haben. An dieser Stelle trifft es das Zitat von Kenneth H. Blanchard aus seinem Buch „Der Minuten-Manager“: „Erwische deine Mitarbeiter, wenn sie etwas Gutes tun“ (Blanchard 2015). Zu einer erfolgreichen Motivation tragen auch eine klare und gute Absprache über anstehende Aufgaben bei. Die Mitarbeiter wollen das genaue Ziel sowie auch den Sinn ihrer Arbeit verstehen, und sie erwarten nach getaner Arbeit eine Rückmeldung. Dabei erwarten sie nicht unbedingt einfach Lob, sondern vielmehr eine differenzierte Bewertung (Feedback) der geleisteten Arbeit. Fehlt eine solche Rückmeldung, so sinkt die Bereitschaft, sich in Zukunft nochmals vom Chef motivieren zu lassen.

4.8.2.2 Motivationsbetrachtungen nach Friedrich Herzberg Der amerikanische Arbeitswissenschaftler und Psychologe, Frederick Herzberg (1923– 2000) entwickelte in den Jahren 1959 bis 1968 eine Zwei-Faktoren-Theorie zur Motivation (auch Motivator-Hygiene-Theorie) speziell für die Arbeitswelt. Diese ist eine wirtschaftspsychologische Theorie der Leistungsmotivation von Arbeitnehmern. Herzberg führte empirische Untersuchungen zur Motivation von Arbeitern durch, die als Pittsburgh-Studie bekannt wurden. Hierbei stellte er fest, dass die Motivation eines Arbeitnehmers auf zwei Arten von Faktoren bzw. Einflussgrößen beruht: 1. die Hygienefaktoren (Dissatisfiers). Bei diesen geht es um den Kontext der Arbeit. 2. die Motivationsfaktoren (Satisfiers). Diese beziehen sich auf den Inhalt der Arbeit. Unter Hygienefaktoren (unzufrieden – nicht unzufrieden) versteht Herzberg jene, die bei positiver Ausprägung die Entstehung von Unzufriedenheit verhindern, aber nicht zur

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4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Zufriedenheit beitragen bzw. diese erzeugen. Häufig werden diese Faktoren gar nicht bemerkt oder als selbstverständlich empfunden. Die Hygienefaktoren sind Grundlage der Motivationsfaktoren: Nur wenn Erstere vorhanden sind, können Letztere darauf aufgebaut werden und zu Zufriedenheit und Motivation führen. Sind sie nicht vorhanden, empfindet der Mitarbeiter dies als Mangel. Motivationsfaktoren (nicht zufrieden – zufrieden) beeinflussen die Motivation zur Leistung selbst und kommen schwerpunktmäßig aus dem Arbeitsinhalt. Motivatoren verändern also die Zufriedenheit, ihr Fehlen führt aber nicht zwangsläufig zur Unzufriedenheit, aber die Arbeiter betrachten sich auch nicht als besonders zufrieden oder motiviert. Sind die Merkmale jedoch vorhanden, führen sie zu einem bewusst wahrgenommenen Gefühl der Zufriedenheit – und somit zu Motivation. Das Streben nach Wachstum und Selbstverwirklichung steht hier im Mittelpunkt. Zusammenspiel der Faktoren Die Kombination von Hygiene- und Motivationsfaktoren führt zu vier möglichen Situationen: • hohe Hygiene (geringe Demotivationsfaktoren) und hohe Motivation: die Idealsituation, in der Mitarbeiter hoch motiviert sind und wenig Beschwerden haben. • hohe Hygiene und geringe Motivation: Die Mitarbeiter haben zwar kaum Beschwerden, sind aber schlecht motiviert („Söldner“-Mentalität). • geringe Hygiene und hohe Motivation: Die Mitarbeiter sind motiviert, haben aber viele Hindernisse. Der Job ist aufregend und herausfordernd, aber die Arbeitsbedingungen sind nicht gut. • geringe Hygiene und geringe Motivation: die schlechteste Situation. Unmotivierte Mitarbeiter mit vielen Beschwerden. Einige der Motivatoren können auch als Hygienefaktoren wirken, also zu Selbstverständlichkeiten werden. Umgekehrt können Hygienefaktoren an Bedeutung gewinnen und zu Motivatoren werden, wenn sie fehlen. Die Einordnung von einzelnen Faktoren in die Gruppe der Hygienefaktoren oder der Motivationsfaktoren hängt also zum Teil auch von der spezifischen Situation ab. Tab. 4.3 fasst die Gedanken von Herzberg zusammen. Übung: Mehr über sich selbst und sein Verhalten als Chef erfahren

Nachdem Sie sich selbst eingeschätzt haben, besprechen Sie Ihre Ergebnisse mit Ihren Mitarbeitern und/oder Kollegen. Seien Sie genau, indem Sie sich fragen: Warum glaube ich, so zu sein? Welche Beispiele habe ich für diese Meinung?

4.8  Motivation und Bedürfnisse

57

1. Klarheit im Ausdrücken von Gedanken, Absichten und Anweisungen eher unklar; bisweilen schwierig, sich daran zu orientieren

1

2

3

4

5

6

sehr klar, präzise und eindeutig

5

6

sehr ausgeprägt

2. Fähigkeit, aufmerksam und verstehend zuzuhören sehr gering

1

2

3

4

3. Fähigkeit, Kontakt herzustellen und tragfähig zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen sehr gering

1

2

3

4

5

6

sehr hoch

5

6

sehr vertrauensvoll

4. Neigung, anderen Vertrauen entgegenzubringen eher misstrauisch

1

2

3

4

5. Bereitschaft und Fähigkeit, bei Bedarf anderen zu sagen, wie ich ihr Verhalten erlebe und wie es auf mich wirkt sehr gering 1 2 3 4 5 6 sehr ausgeprägt

6. Meine Reaktion auf Kritik an meinem eigenen Verhalten empfindlich und nachtragend; gleichgültig

1

2

3

4

5

6

setze mich intensiv damit auseinander

4

5

6

die Auswirkungen von Sympathie und Antipathie auf mein Verhalten sind mir klar; ich kann gegensteuern

7. Beeinflussung durch Sympathie und Antipathie lasse mein Verhalten fast ganz dadurch steuern; fühle mich solchen "Strömungen" relativ ausgeliefert

1

2

3

8. Fähigkeit, mich in die Situation des anderen zu versetzen und die Dinge auch aus seinem Blickwinkel und von seinem Standort her zu sehen und zu beurteilen kaum vorhanden; 1 2 3 4 5 6 in hohem Ausmaß neige dazu, meine vorhanden eigene Sicht der Dinge zu verallgemeinern

58

4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

9. Neigung, in schwierigen Situationen autoritär zu reagieren sehr stark

1

2

3

4

5

6

gar nicht gegeben

10. Allgemeines Verhalten in schwierigen Situationen und Konflikten im Mitarbeiter- und Kollegenkreis versuche eher aus-

1

2

3

4

5

6

spreche die Dinge an und

zuweichen, zu har-

mache sie deutlich, konfron-

monisieren oder

tiere mit der Situation und

zu verdrängen

suche aktiv nach Lösungen

11. Bereitschaft, eine breite und differenzierte Information zu gewährleisten weniger ausgeprägt;

1

2

3

4

5

6

sehr ausgeprägt,

informiere meist

informiere gerne auch

nur, soweit ich es

über Hintergründe

augenblicklich für

und Zusammenhänge

notwendig erachte

12. Neigung, zu entscheiden und zu handeln, ohne es vorher mit den in irgendeiner Weise betroffenen Mitarbeitern abzusprechen eher stark

1

2

3

4

5

6

kommt praktisch nicht vor

13. Fähigkeit, unpopuläre Entscheidungen/„schlechte Nachrichten“ zu vermitteln versuche eher, mich

1

2

3

4

5

6

stelle mich unzweideutig

zu drücken; ver-

auch hinter solche Ent-

suche, mich hinter

scheidungen; teile sie

meinen eigenen

klar und präzise mit

Vorgesetzten zu verstecken

14. Vertrauen in die Lern- und Entwicklungsfähigkeit anderer Menschen, die ich als schwächer erlebe fällt mir eher

1

2

3

4

5

6

sehr hoch, auch bei

schwer; ertappe

Enttäuschungen und

mich öfters dabei,

Rückschlägen

dass ich andere „abschreibe“

4.8  Motivation und Bedürfnisse

59

15. Bereitschaft, die Mitarbeiter innerlich als gleichwertig zu akzeptieren und entsprechend zu behandeln fällt mir sehr

1

2

3

4

5

6

sehr hoch; ist für mich

schwer; versuche

eigentlich selbstver-

eher den Eindruck

ständlich

zu vermitteln, dass ich der „Chef" bin

16. Die allgemeine Art meines "Führungsstils" eher kritisierend

1

2

3

4

5

6

und bestrafend

eher ermutigend und positiv verstärkend

Tab. 4.3  Zusammenfassung der Gedanken von Herzberg Hygienefaktoren Demotivationswirkung

Motivatoren Motivationswirkung

Groß

Mittel

Mittel

Groß

Unklare Firmenpolitik

Unsicherer Arbeitsplatz

Arbeit als solche (Struktur im Dasein)

Interessante, herausfordernde Tätigkeit

Behindernde, unübersichtliche Organisation

Unzureichende persönliche Entwicklungsmöglichkeiten

Sinnvolle Tätigkeit

Selbstverwirklichung

Schlechte Information

Schlechtes Betriebsklima

Verantwortung tragen

Einbeziehung in Entscheidungen

Ungerechte Behandlung

Schlechte Beziehungen zu Kollegen

Erfolgserlebnisse auch im Team

Gezielte Förderund Aufstiegsmöglichkeiten

Gängelnde Regelungen (Bürokratie)

Fehlende Statussymbole

Positive Führungs- und Teambeziehung

Gezielte Anerkennung

ENTLOHNUNG

Nachdem Sie sich selbst eingeschätzt haben, besprechen Sie diese Ergebnisse mit Ihren Mitarbeitern und/oder mit Ihren Kollegen. Der Wert der Übung besteht darin, dass Sie dadurch mehr Informationen über sich und Ihren Führungs- und Umgangsstil erhalten. Welche Erkenntnisse und Schlüsse ziehen sie aus dieser Analyse? (Bitte schreiben Sie ggf. auf ein Extrablatt Ihre Gedanken auf, um sie mit den Ergebnissen in der Zukunft zu vergleichen!)

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4  Konkrete Werkzeuge der Führung und des Leitens

Zwischenbilanz zu Kap. 1 bis 4: „Aufgaben und Rolle als Führungskraft“ Meine drei wichtigsten Erkenntnisse aus diesem ersten Teil lauten: 1. _________________________________________________________________________ 2. _________________________________________________________________________ 3. _________________________________________________________________________

Was kann ich in meiner betrieblichen Praxis als Führungskraft konkret einsetzen? Was kann ich davon gut gebrauchen? Mein Führungsverhalten möchte ich durch folgende konkrete Aktionen und Maßnahmen verbessern – wie in Tab. 4.4 eingetragen. Nachdem wir Verständnis für die Aufgaben einer Führungskraft gewonnen und uns mit konkreten Führungswerkzeugen beschäftigt haben, widmen sich die nun folgenden Kapitel der Frage, wie Führung in der betrieblichen Praxis mithilfe einer wertschätzenden Gesprächstechnik umgesetzt werden kann. Dabei werden verschiedene praxiserprobte Modelle vorgestellt, die im täglichen Führungsalltag Anwendung finden sollten. Tab. 4.4  Verbesserung des Führungsverhaltens durch … Was

Wann

Kontrolle

1. Ich werde 2. Ich werde 3. Ich werde 4. Ich werde

Mit meinem Vorgesetzten bis zum …. über seine Erwartungen bezüglich meines Verhaltens nach dem Lesen dieses ersten Teils sprechen

Literatur Betriebsverfassungsgesetz. Fassung vom 25. September 2001 (BGBl. IS. 2518). Blanchard, K. H. (2015). Der Minuten-Manager. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch. Duden. (1992). 11 Redewendungen (S. 766). Berlin: Duden.

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Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Kommunikationsmodelle und ihre Wirkung Ein Unternehmen kann nur dann erfolgreich auf dem Markt agieren, wenn die Kommunikation zwischen allen Beteiligten gut funktioniert. Die optimale Gestaltung des Kommunikationsvorgangs ist daher eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg eines Unternehmens oder auch nur einer Abteilung. Das Planen, Problemlösen, Koordinieren, Kontrollieren, Entscheiden usw. geschieht zwangsläufig während und nach Gesprächen mit anderen. Doch leider ist Kommunikation auch der Flaschenhals, die Engpassstelle in jeder Organisation. Dem direkten Gespräch zwischen der Führungskraft und dem Mitarbeiter kommt eine besondere Bedeutung zu, denn dabei darf es nicht nur um Leistungssteigerung und um Problemlösung gehen. Das gelungene Gespräch besitzt auch eine soziale Funktion und berücksichtigt emotionale Bedürfnisse. Jeder Mitarbeiter hat Bedürfnisse nach Anerkennung, Orientierung, Beratung und Unterstützung. Nur wenn diese wichtigen Bedürfnisse vom Vorgesetzten ernst genommen werden, kann der ­Mitarbeiter erfolgreich seine Aufgaben erfüllen und wird mit seinen Kollegen zurechtkommen. Um diese Bedürfnisse seiner Mitarbeiter erfüllen zu können, muss die Führungskraft einerseits die Grundlagen der Gesprächsführung beherrschen und sich andererseits der Wirkung ihrer Persönlichkeit auf andere Menschen bewusst sein. Missverständnisse in der Kommunikation zeigt Abb. 5.1. In den nächsten Kapiteln werden daher folgende Themen behandelt: • MODEM-Modell, Kommunikationsstörungen erkennen und vermeiden, • empfängerorientierte Gesprächsführung erlernen, • Kritik- und Anerkennungsgespräche zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit, © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_5

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62

5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Abb. 5.1  Missverständnisse in der Kommunikation

• Feedback, eine konstruktive Rückmeldung nach Kriterien geben, • schwierige Gesprächssituationen gekonnt meistern, schlagfertig reagieren, • hilfreiche Auswahl von Argumenten, Umgang mit richtigen Gegenargumenten

5.1 Das MODEM-Modell Die Sprache des Homo sapiens hat sich vor etwa 100.000 Jahren entwickelt und wurde analog zu ihrer allgemeinen Entwicklung immer komplexer. Die verbesserten Möglichkeiten der Kommunikation, zum Beispiel Verständigung bei der Jagd, führten wiederum zu einem weiteren Ausbau der Sprache. Die Gebärdensprache ist viel älter und entstand vermutlich schon vor 2.400.000 Jahren beim Homo rudolfensis (Zeigen, Winken usw.). Der britische Soziologe Stuart McPhail Hall (1932–2014) stellte das MODEM-­ Modell 1977 erstmals in einem Aufsatz dar (Hall 2009). Das bis zu diesem Zeitpunkt verbreitete Kommunikationsmodell geht von einer einfachen Sender-NachrichtEmpfänger-Struktur aus. Es suggeriert, dass die Bedeutung einer Nachricht bei Absender und Empfänger identisch ist. Hall richtet sich gegen dieses Verständnis von Kommunikationsprozessen. Anstelle der Akteure Sender/Empfänger setzt er die Funktionen

5.1  Das MODEM-Modell

63

Codieren/Decodieren ein. Sein Anliegen ist gegen „[…] eine bestimmte Vorstellung von Inhalt als vorgeformter und feststehender Bedeutung ausgerichtet, die dann als Übertragung von Sender zu Empfänger analysiert werden könnte. Es richtet sich gegen die Unilinearität dieses Modells, gegen die Vorstellung einer Bewegung, die nur eine Richtung kennt: Der Sender entwickelt die Botschaft, die Botschaft selbst ist ziemlich ­eindimensional, und der Empfänger empfängt sie“ (Hall 1977). Nach Hall kommt eine Kommunikation zwischen Menschen zustande, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Es liegen Absichten oder Informationen vor, die übertragen werden sollen. Der Sender übersetzt sie in Worte oder körpersprachliche Signale (MOduliert) und sendet diese ­entsprechend. Zwischen dem Sender S und dem Empfänger E der Information besteht eine Signalverbindung, entweder in Form verbaler (schriftsprachlich, lautsprachlich, gebärdensprachlich) und/oder non-verbaler Signale (Körpersprache). Sender und Empfänger verfügen im Idealfall über einen annähernd gemeinsamen Zeichenvorrat, sodass die vom Sender S abgegebene, entsprechend modulierte Information auch vom Empfänger E richtig DEModuliert werden kann (MODEM-Modell). Der Empfänger interpretiert die Bedeutung der Aussage (Information, Gedanke, Gefühl). Der Hauptgrund für Störungen der Kommunikation zwischen Menschen liegt in der Tatsache, dass eine Abweichung vom Idealfall besteht und ein gemeinsamer Zeichenvorrat nicht oder nur bedingt vorhanden ist, wie in Abb. 5.2 dargestellt. Ein Zeichen besteht aus einem Signal und einer an das Signal geknüpften Information. Das Signal könnte zum Beispiel das Wort „Demokratie“ sein. Die korrespondierende Information wäre in etwa „eine Regierungsform, bei der die Regierenden in einer geheimen Wahl von den Bürgern in regelmäßigen Abständen gewählt werden“. Anstelle der Begriffe Signal und Information werden auch die Termini Ausdruck und Inhalt oder auch Ausdruck und Bedeutung verwendet. Halls Modem-Modell geht davon aus, dass ... • Bedeutung nie völlig vom Sender fixiert oder determiniert werden kann, • eine Nachricht nie vollkommen transparent bzw. nachvollziehbar ist, • das Empfangen einer Nachricht kein passiver Vorgang ist, denn Nachrichten werden vom Empfänger interpretiert. Abb. 5.2   Gemeinsamer Zeichenvorrat definiert die Verständigung

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Drei verschiedene Kommunikationsstörungen bzw. Übertragungsfehler erschweren die genaue Übertragung einer Kommunikation vom Sender zum Empfänger. Wenn diese Fehler vorkommen, kommt das, was der Sender sagt, nicht beim Empfänger so an, wie der Sender es gemeint hat. a. Die Übersetzungsstörung Auch wenn zwei Menschen die gleiche Sprache sprechen, kann die Bedeutung der ­verwendeten Wörter unterschiedlich interpretiert werden (beim Demodulieren versteht der Empfänger zum Beispiel ein Wort anders, als es vom Sender gemeint ist). Aus Übersetzungsund Ergänzungsfehlern lassen sich Witze machen: „Haben Sie einen Tisch bestellt? Nein, ich wohne möbliert!“ oder „Soll ich Ihnen die Karte bringen? Nein, ich kenne die Gegend.“ Die Probleme, die beim Übersetzen von der einen in die andere Sprache entstehen, können diesen Sachverhalt verdeutlichen. Dabei zeigt sich nämlich, wie viele Bedeutungen selbst ein einziges Wort in der anderen Sprache haben kann (bewegen = to move, to budge sth., to shift, to take exercise, to sway sth., to agitate sth., to range, to stir usw.). Ein Beispiel für eine Übersetzungsstörung kann durch die folgende einfache Bitte veranschaulicht werden: „Zeichnen Sie ein Quadrat mit drei geraden Linien.“ Während einige Zuhörer diese Anweisung schnell umsetzen können, fällt es anderen weitaus schwerer. Die Lösung hängt davon ab, wie das Wort „mit“ im eigenen Kopf übersetzt wird. Sollte man versuchen, das Quadrat mit nur drei Linien zu zeichnen? So manche Zuhörer ergänzen die Anweisung, ohne es selbst zu merken, mit dem Wort „nur“. Wer die Anweisung so versteht, vermutet dahinter einen Trick oder eine Fangfrage. Das scheint doch unmöglich zu sein, der Sinn der Anweisung ist undurchschaubar. Das Gehirn versucht, das Gesagte zu verstehen, steht sich dabei jedoch selbst im Weg. Somit wird die Übersetzungsstörung perfekt, man versteht die Anweisung überhaupt nicht. Hier erlebt der Empfänger die Kehrseite der Kommunikation, die „Konfusion“, und sie sorgt für totale Verwirrung. Oder sollte man zuerst ein Quadrat und dann drei Linien zeichnen? Das ist ohne Weiteres möglich, die Aufforderung ist dann doch verständlich. Die besagte Anweisung kann also auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden. Je nachdem, wie das Wort „übersetzt“ wurde, kann die Aufgabe gelöst werden oder aber nicht. Leider hat es der Sender im Normalfall nicht in der Hand, für welche der zwei Interpretationsrichtungen sich der Zuhörer entscheiden wird. Erst wenn sich der Sender selbst der zwei möglichen Interpretationen bewusst wird, könnte er die Anweisung anders formulieren, wobei es auch dann keine Garantie dafür gibt, dass der Empfänger diese richtig verstehen wird. In der Aussage „Ich bin mit dem Auto da!“ besitzt das Wort „mit“ die Bedeutung „mittels“. Allerdings bedeutet im Satz „Ich bin mit meiner Frau da!“ das gleiche Wort nicht mittels, sondern „und“ oder „zusammen“. Die Managementtrainerin Vera Birkenbihl (1946–2011) berichtete, dass Mathematik-­ Begeisterte auf die obige Anweisung mit der Zahl 4 geantwortet haben. Auf die Frage, wieso diese Zahl ein Quadrat sei, haben sie erklärt: „Na klar, die Zahl 2 zum Quadrat ist

5.1  Das MODEM-Modell

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vier. Also ist vier ein Quadrat und wird mit drei gerade Linien dargestellt!“ Folgt man dieser Logik, dann findet man sofort weitere Quadrate, sofern man als drei gerade Linien die römische Zahl IV (22) oder auch IX (32) benutzt. Da unser Gehirn parallel zum Zuhören oft auch mit anderen Dingen beschäftigt ist, zum Beispiel denken wir über eine Antwort nach, hören wir nur bedingt zu. Das führt dazu, dass wir nur einen Bruchteil des Gesagten tatsächlich aufnehmen, den Rest ergänzt das Gehirn beim Verarbeiten der Wortreize. Vera Birkenbihl gibt ein gutes Beispiel, wie das Gehirn Gesagtes ergänzen kann: In einem Restaurant, wenn der Kellner mit einem Schweinebraten zum Tisch kommt, Sie anschaut und nur das Wort „Schwein?“ sagt, wird keiner beleidigt reagieren. Alle haben den Satz entsprechend richtig ergänzt: „Haben Sie Schweinebraten bestellt?“ Wäre eine solche Ergänzung nicht möglich, müsste der Angesprochene empört mit den Worten reagieren: „Wie reden Sie denn mit mir?!“ Allerdings ist die Übersetzungsstörung durch eine Rückfrage noch relativ einfach zu beheben. In schwierigen Besprechungen kann daher ein „Übersetzer” (Interpreter) in Form eines Außenstehenden oder Moderators integriert werden. Im Vergleich dazu verhält sich die zweite Kommunikationsstörung deutlich kritischer: das unterschiedliche Verhaltensmuster der Gesprächspartner. Das unterschiedliche Verhaltensmuster Der Zeichenvorrat des Senders wird sich umso mehr vom Zeichenvorrat des Zuhörers unterscheiden, je unterschiedlicher ihr Verhaltensmuster ist. Menschen wurden divergent sozialisiert, lebten in unterschiedlichen Umwelten, haben verschiedene Erfahrungen gemacht. Dadurch können Missverständnisse und Fehlinterpretationen auftreten. In der Regel geht man davon aus, dass der Gesprächspartner ähnliche Verhaltensmuster wie man selbst hat oder zumindest das Verhaltensmuster seines Gesprächspartners „kennt“. Doch das ist nicht immer der Fall, denn die Vielfalt der Verhaltensmuster ist groß; sie geht vom Abstand zwischen zwei Menschen bei der Begrüßung, bis hin zu unterschiedlichen Einstellungen zu – aus westlicher Sicht – vollkommen selbstverständlichen Tätigkeiten, wie etwa das Naseputzen, das beispielsweise in Japan als unhöflich betrachtet wird. Komödien – oder auch Witze – beruhen meist auf dem Zusammentreffen von Menschen mit einem unterschiedlichen Verhaltensmuster. Dem Zuschauer werden am Anfang beide Verhaltensmuster vorgestellt, um anschließend diese aufeinanderprallen zu lassen. Zur Belustigung der Zuschauer werden die Schauspieler viele Fehlinterpretationen und lustige Missverständnisse in ihren Dialogen aufweisen. Leider ist das Verhaltensmuster eines Gesprächspartners nur selten genau bekannt, um sicherzustellen, dass keine Übertragungsfehler auftreten. Es kann daher sogar passieren, dass man auch nach zwanzig Jahren Ehe an seinem Partner noch unbekannte Verhaltensmuster entdeckt. Diese Kommunikationsstörung ist viel schwieriger zu erkennen und zu beheben als die Störung durch eine unterschiedliche Übersetzung der Wörter oder sonstiger Zeichen. Sie verlangt zur Vermeidung viel Geduld, Verständnis und eine genaue Beobachtung des Gesprächspartners.

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Paradoxien oder sinnlose Füllwörter sowie Reizwörter Die dritte Kategorie von Kommunikationsstörungen entsteht durch die falsche Verwendung von Paradoxien und Füllwörtern. Paradoxien sind Formulierungen, welche sich in sich selbst widersprechen; sie machen dem Zuhörer das Verstehen unmöglich und ­verwirren ihn. Eine solche Paradoxie ist zum Beispiel die Anweisung „Tun Sie bitte das, was ich Ihnen sage, und nicht das, was ich von Ihnen will!“. Die Aussage ist in sich widersprüchlich, denn man kann nicht etwas ausdrücklich verlangen, wenn man es letztendlich nicht will. Auch sinnlos verwendete Füll- oder Reizwörter führen zu Verwirrung. Formulierungen wie zum Beispiel „Sie haben eigentlich Recht!“ erzeugen beim Empfänger Unsicherheit. Gibt der Sender ihm tatsächlich Recht, obwohl er noch einige Bedenken oder Anmerkungen dazu hat, oder findet er seine Aussage blödsinnig, ist aber höflich und will ihn nicht mit einer völligen Ablehnung entmutigen? Eine übliche Reaktion des Gesprächspartners wird in solchen Fällen in einer Rechtfertigung bestehen, wodurch sich der Kommunikationsprozess noch weiter erschweren wird. Weitere unsinnige Füllwörter neben dem Wort „eigentlich“ könnten sein: im Prinzip, tatsächlich, ein wenig, de facto usw. Alle diese Wörter besitzen natürlich ihre Bedeutung und Berechtigung, zum Beispiel um zu verhandeln, Situationen zu entspannen oder Unsicherheiten zu verbergen. Würden sie fehlen, würden Anweisungen manchmal zu „hart“ klingen oder Reaktionen als zu barsch empfunden. Dennoch werden diese Füllwörter in Gesprächen leider zu oft verwendet; häufig ist es dem Sprechenden gar nicht mehr bewusst, wie oft er sie verwendet.

5.2 Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hamburg, entwickelte das Vier-Seiten-Modell (auch Nachrichtenquadrat, Kommunikationsquadrat oder Vier-Ohren-Modell genannt; Schulz von Thun 2018). Seine Ziele sind die „innere Demokratisierung“ und das Erlernen eines partnerschaftlichen Miteinanders zwischen verschiedenen Interaktionspartnern. Wenn ein Mensch etwas kommuniziert, ist er auf vierfache Weise wirksam. Jede seiner Äußerungen enthält immer – ob er es will oder nicht – vier Botschaften gleichzeitig: • eine Sachinformation (worüber der Sender informiert) – in Abb. 5.3 links oben ­dargestellt, • eine Selbstkundgabe (was der Sender von sich zu erkennen gibt) – rechts unten, • einen Beziehungshinweis (was der Sender vom Empfänger hält und wie er zu ihm steht) – links unten, • einen Appell (was der Sender bei dem Empfänger erreichen möchte) – rechts oben.

5.2  Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell

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Abb. 5.3  Das Vier-Seiten-Modell

Ausgehend von dieser Erkenntnis stellte Schulz von Thun 1981 die vier Seiten einer Äußerung als Quadrat dar. Die Äußerung eines Senders erfolgt dabei mittels „vier Schnäbeln“ und trifft auf die „vier Ohren“ des Empfängers. Sowohl Sender als auch Empfänger sind für die Qualität der Kommunikation verantwortlich, wobei die unmissverständliche Kommunikation der Idealfall ist und nicht die Regel. Das Vier-Seiten-­Modell zeigt Abb. 5.3.

5.2.1 Die vier Ebenen der Kommunikation a) Die Sachebene: Auf der Sachebene des Gesprächs steht die Sachinformation im Vordergrund, hier geht es um Daten, Fakten und Sachverhalte. Die Herausforderung für den Sender besteht darin, die Sachverhalte klar, verständlich und mit möglichst wenig sinnlosen Füllwörtern auszudrücken. Der Empfänger kann auf dem „Sachohr“ entsprechend den Kriterien „wahr„relevant“ oder „ausreichend“ reagieren. b) Die Appellseite: Wenn jemand das Wort ergreift und es an jemanden richtet, will er in der Regel auch etwas bewirken bzw. Einfluss nehmen. Die Einflussnahme auf den Empfänger geschieht auf der „Appell“-Seite. Abb. 5.4 zeigt den falsch verstandenen Appell. Der Empfänger äußert Wünsche, Appelle, Ratschläge oder Handlungsanweisungen. Die Appelle werden offen oder verdeckt gesandt. So zum Beispiel, wenn jemand sagt „Haben Sie Feuer?“, erwartet er nicht die Antwort „Klar, habe ich gestern doch ein neues Feuerzeug gekauft!“, sondern der Angesprochene wird seinen Appell, d. h. seine Bitte als „Geben Sie mir bitte Feuer!“ verstehen und entsprechend reagieren. Selbst einfache Ausdrücke wie „Guten Morgen“ beinhalten den Appell bzw. die Aufforderung an den anderen, auch seinerseits einen guten Morgen zu wünschen. Reagiert der Angesprochene nicht, wird er als „unhöflich“ empfunden. Mit dem Appell-Ohr fragt sich der Empfänger: Was soll ich jetzt (nicht) machen, denken oder fühlen? Was möchte der andere bei mir erreichen? c) Die Selbstkundgabe: Wenn jemand etwas sagt, gibt er auch etwas von sich selbst preis. Jede Äußerung enthält gewollt oder unfreiwillig eine ganze Reihe von

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Abb. 5.4  Falsch verstandener Appell

Zusatzinformation über die Person selbst, zum Beispiel über ihre Gefühle, Werte, über sinnvolle oder sinnlose Informationen, Eigenarten und Bedürfnisse. Dies kann explizit in Form einer „ICH-Botschaft“ oder implizit geschehen. Während der Sender mit dem „Selbstkundgabe-Schnabel“ implizit oder explizit, bewusst oder unbewusst Informationen über sich preisgibt, nimmt der Empfänger diese mit dem Selbstkundgabe-Ohr auf: Was ist das für einer? Wie ist er gestimmt? Was ist mit ihm? usw. So zum Beispiel, wenn jemand zu einem anderen sagt „Ich habe gestern fünfmal bei Dir angerufen!“, wird nicht nur der Appell „Bitte hilf mir jetzt“ sichtbar, sondern der Angesprochene erfährt – ob sinnvoll oder nicht – einiges über den Sender: beispielsweise, dass er ein dringendes Problem hat, dass er ein Telefon besitzt, dass er das Telefon bedienen kann, dass er die Zahlen kennt, dass er die Telefonnummer des Gegenübers kennt, dass er erwartet hätte, dass der Angesprochene zurückgerufen hätte, dass er deutsch spricht usw. Natürlich sind all diese Informationen trivial, sie können aber in einer Spannungssituation helfen, das Gespräch in eine andere Richtung zu wenden. So zum Beispiel kann man verwundert antworten: „Woher hast du denn meine neue Mobilnummer?“ oder: „Hast du schon dein neues Handy?“ Diese Ablenkungsmanöver benötigt man dann, wenn man nicht sofort auf den Appell oder die Bitte des Gesprächspartners reagieren möchte oder wenn man Zeit zum Nachdenken braucht.

5.2  Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell

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Während eines Gehaltsgesprächs, wenn der Chef sagt „Sehen Sie, so gern ich Ihnen mehr Gehalt geben würde, Sie kennen doch die angespannte momentane Situation auf dem Markt, sodass ich zurzeit keine Gehaltserhöhung geben kann“, hören die meisten Mitarbeiter den Appell des Chefs „Lassen Sie mich mit Ihrer Bitte in Ruhe!“ und reagieren meist „verschnupft“. Sinnvoller wäre die „Selbstkundgabe“ des Chefs zu hören: „So gern ich Ihnen mehr geben würde ...“ und darauf zu antworten: „Ich bin sehr froh, Chef, dass Sie meine gute Leistung sehen. Natürlich sehe ich auch die aktuellen Probleme auf dem Markt. Aber wäre es für Sie akzeptabel, wenn wir uns, sagen wir in einem Monat noch mal darüber unterhalten?“ Die meisten Chefs werden mit dem Vorschlag sofort einverstanden sein. Bis zum neuen Termin hat der Chef dann genügend Zeit, über die Leistung seines Angestellten nachzudenken, um ihm möglicherweise einen besseren Vorschlag zu machen. d) Die Beziehungsbotschaft: Ob jemand will oder nicht, wenn er einen anderen anspricht, gibt er durch Formulierung, Tonfall, Begleitmimik zu erkennen, wie er zu dem Angesprochenen steht oder/und was er von ihm hält. Der Sender transportiert diese Hinweise implizit oder explizit. Der Empfänger fühlt sich durch die auf dem „Beziehungsohr“ eingehenden Informationen wertgeschätzt oder abgelehnt, missachtet oder geachtet, respektiert oder gedemütigt. Störungen durch negative oder negativ wahrgenommene Beziehungsbotschaften wirken sich auch auf der Sachebene aus. Ein zunächst sachliches Gespräch kann zum Schlagabtausch werden, beispielsweise schon allein durch die Betonung von einzelnen Wörtern: „Wie kommen Sie denn zu dieser Behauptung?“; „Wie kommen Sie denn zu dieser Behauptung?“; „Wie kommen Sie denn zu dieser Behauptung?“ Zudem können sich negative Beziehungsbotschaften auch negativ auf die inhaltliche Ebene auswirken. Besteht beispielsweise über ein Projektziel Klarheit, aber es existieren Meinungsverschiedenheiten über die Umsetzung (Wie wird es gemacht und wer macht es?), kann es, wenn falsche Beziehungsbotschaften gesendet werden, schon schwieriger sein, das eigentlich klare Ziel zu erreichen. Die Beziehungsbotschaften haben einen großen Einfluss auf die inhaltlichen Aspekte der Kommunikation.

5.2.2 Beispiele zum Nachrichtenquadrat Ein klassisches Beispiel für eine misslungene Kommunikation gibt Schultz von Thun in seinem Buch „Miteinander reden. Teil 1: Störungen und Klärungen“. Ein Ehepaar sitzt im Auto. Weil der Mann Alkohol getrunken hat, fährt seine Frau. Der Mann sitzt auf dem Beifahrersitz und sagt an einer Ampel: „Du, da vorne ist Grün!“ Wie wird die Frau reagieren? Sehen Sie dazu Abb. 5.5. Wenn man diese Aussage mithilfe des Nachrichtenquadrates analysiert, ergibt sich Folgendes (siehe Tab. 5.1): Allerdings, wenn sie die Beziehungsbotschaft anders hört, zum Beispiel „Kannst du genauso gut fahren wie ich?“, dann kommt die schnippische Antwort: „Fährst du oder fahre ich?“

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Abb. 5.5   Kommunikation im Auto 3

Tab. 5.1  Interpretation nach dem Vier-Seiten-Modell Das meint möglicherweise der Mann

So reagiert seine Frau, wenn sie über dieses Ohr hört

Sachbotschaft

Die Ampel steht auf Grün.

Danke, ich sehe es!

Appell, Aufforderung

Gib bitte Gas!

O. K., ich fahre schneller!

Selbstkundgabe

Ich bin müde, ich möchte schnell nach Hause.

Du hast es heute aber wieder eilig!

Beziehungsbotschaft

Danke, dass du uns nach Hause fährst

Ich fahre dich gerne nach Hause!

Tab. 5.2  Übung „Vier-Seiten-Modell“ „Zieh bitte deine Jacke an, draußen ist es kalt!“

„Aber draußen ist es doch nicht kalt!“

Sachbotschaft Appell, Aufforderung Selbstkundgabe Beziehungsbotschaft

Übung: Bitte bewerten Sie die Aussage des Vaters und die Antwort des Sohnes in einem Gespräch kurz vor Weihnachten

(Siehe Tab. 5.2). Die Körpersprache ist Teil der Selbstkundgabe der Beziehungsbotschaft und zum geringeren Teil auch des Appells. Kein Wunder also, dass die Menschen einen so großen Wert auf die Interpretation der Körpersprache des Gegenübers legen.­ Es wird überprüft, ob die Körpersprache die Aussagen des Gegenübers belegt oder dem Gesagten entgegenspricht. Eine unauffällig abwertende Handbewegung eines Senders, zum Beispiel eines Chefs, könnte möglicherweise von der Seite des Empfängers, zum Beispiel eines

5.2  Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell

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­ itarbeiters, auf die Selbstkundgabe-Ebene „Ich habe das, was du sagst, gehört!“, auf M der Beziehungsebene „Ich halte nichts von dir“ und auf der Appellseite „Halt endlich ­deinen Mund!“ interpretiert werden. Der Mitarbeiter wird dann entsprechend beleidigt reagieren. Das Nachrichtenquadrat hat demnach seine Bedeutung auch dann, wenn gar keine gesprochenen Worte gesendet werden. Auch für die Kommunikation mit der Tierwelt kann das Modell manchmal verwendet werden. Weitere Beispiele zum Vier-Seiten-­ Modell zeigt Tab. 5.3: Denkbare Lösungen zur Übung in Tab. 5.2 stellt Tab. 5.4 dar. Zusammenfassung der Aussagen zum Nachrichtenquadrat Eine Botschaft kann vier verschiedene Aussagen beinhalten. Oft wird diese Mehrdeutigkeit bewusst eingesetzt, wie Abb. 5.6 zeigt.

5.2.3 Das Nachrichtenquadrat und seine Bedeutung Täglich müssen wir uns in unterschiedlichen Sprechsituationen gegenüber sehr unterschiedlichen Empfängern verständlich machen. Dazu benötigen wir kommunikative Kompetenz, die uns gleichermaßen persönlich, beruflich und gesellschaftlich abverlangt wird. Persönlich, weil unsere Lebenszufriedenheit und seelische Gesundheit in hohem Maße von der zwischenmenschlichen Kommunikation abhängt, ­beruflich, Tab. 5.3  Weitere Beispiele zum Vier-Seiten-Modell Wenn ein Baby weint, kann es bedeuten:

Wenn ein Hund bellt, kann es bedeuten:

Sachbotschaft

nur Weinen

Nur Bellen

Appell, Aufforderung

Ich habe Hunger!

Ich bin hier der Chef!

Selbstkundgabe

Mama, ich vertraue Dir.

Ich kenne dich nicht, wir haben keine Beziehung.

Beziehungsbotschaft

Ich will Milch!

Hau ab!

Tab. 5.4  Denkbare Lösungen zur Übung aus Tab. 5.2 „Zieh bitte deine Jacke an, draußen „Aber draußen ist es doch nicht ist es kalt!“ kalt!“ Sachbotschaft

Es ist kalt.

Es ist nicht kalt.

Appell, Aufforderung Nimm bitte die Jacke.

Lass mich bitte selbst entscheiden.

Selbstkundgabe

Ich mache mir Sorgen.

Ich will selbst entscheiden.

Beziehungsbotschaft

Ich fühle mich für dich verantwort- Du bevormundest mich. lich.

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Abb. 5.6  Interpretationen nach dem Vier-Seiten-Modell

weil unser Fortkommen weitgehend von unseren kommunikativen Fähigkeiten bestimmt ist und gesellschaftlich, weil Interessengegensätze nur durch Kompromisse zu regeln sind. Kommunikation zwischen Menschen ist ein sehr komplexer Vorgang, weil es in ein und derselben Nachricht viele Botschaften gibt. Der Vorteil des Nachrichtenquadrats besteht darin, dass man nicht optimal abgelaufene Kommunikationsprozesse analysieren und daraus für die Zukunft einen besseren Umgang mit anderen Menschen lernen kann. Lernen kann man allerdings nur dann, wenn man seine gemachten Fehler v­ erstehen und einordnen kann. Hinweise und Erklärungen der Eltern bezüglich der heißen ­Herdplatte konnte man, nachdem man sich selbst daran verbrannt hat, einordnen und verstehen. Da man aber in der Kommunikation mit anderen Menschen die Logik der Reaktionen nicht immer verstehen konnte, führte dies zu einer Verunsicherung. Ein Schüler sagt einem Kameraden etwas, dieser findet es in Ordnung, lacht möglicherweise darüber. Man wird Freunde. Einem anderen Schulkollegen sagt er Ähnliches, dieser

5.2  Das Nachrichtenquadrat oder das Vier-Seiten-Modell

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findet die Bemerkung weder passend noch witzig, eher sogar blöde. Es ist schwer zu verstehen, warum die beiden so unterschiedlich reagieren, wenn man das Nachrichtenquadrat noch nicht kennt. Das Nachrichtenquadrat ist eine Betrachtungsweise und ein Analyseinstrument, um erlebte Störungen in der eigenen Kommunikation (zumindest nachträglich) erklären und verstehen zu können. Dadurch kann man lernen, empfängerorientiert zu reden und anderen ­genauer zuzuhören. Folgende Fragen sind für den Kommunikationserfolg wichtig: 1. Sende ich auf allen vier Kanälen? Welche Aspekte vernachlässige ich? 2. Wann hören die Zuhörer besonders gern zu? 3. Werden die vier Kanäle auch in meinen schriftlichen Äußerungen sichtbar? 4. Sende ich offene oder versteckte Appelle? Übung: Überprüfen Sie Ihre Kommunikation Treffen Sie Ihre Wahl: Ergänzen Sie die unten stehenden Aussagen, indem Sie den passenden Satz kennzeichnen: 1. Informationen werden am ehesten verstanden, wenn … (a) sie so formuliert werden, dass sie der Empfänger versteht. ☐ (b) der Sender all seine sprachlichen Fähigkeiten spielen lässt. ☐ 2. Komplexe Informationen werden leichter verstanden, wenn man … (a) sie mithilfe spezifischer Beispiele und Analogien klarer formuliert. ☐ (b) den Zuhörer bittet, genau Acht zugeben. ☐ 3. Anweisungen bleiben besser im Gedächtnis haften, wenn der Sender … (a) sie durch Wiederholung verstärkt. ☐ (b) sich klar ausdrückt. ☐ 4. Die Strukturierung einer Botschaft vor deren Absendung … (a) macht sie leichter verständlich. ☐ (b) braucht oft mehr Zeit, als sie Nutzen bringt. ☐ 5. Der Sender einer Botschaft kann feststellen, ob der Empfänger verstanden hat, indem er … (a) den Empfänger bittet zu wiederholen, was er verstanden hat. ☐ (b) fragt, ob der Empfänger verstanden hat. ☐ 6. Zuhören wird effektiver, wenn man … (a) sich auf den Sender konzentriert und auf das, was gesagt wird. ☐ (b) erahnt, was der Sender sagen will. ☐ 7. Verstehen wird leichter, wenn man … (a) erst dann ein Urteil fällt, wenn der Sender ausgesprochen hat. ☐ (b) annimmt, die Position des Senders zu kennen, und entsprechend urteilt. ☐ 8. Der Zuhörer kann zum Verständnis beitragen, indem er … (a) von Zeit zu Zeit die Botschaft für den Sender wiederholt. ☐ (b) unterbricht, um seine Gefühle und Emotionen auszudrücken. ☐

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

9. Gute Zuhörer … (a) stellen Fragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben. ☐ (b) haben ihre Reaktion schon parat, wenn der Sender zu sprechen aufhört. ☐ 10.  Sowohl der Sende- als auch der Empfangsvorgang werden verbessert, indem … (a) die Parteien miteinander in Augenkontakt bleiben. ☐ (b) die Parteien aus der Defensive agieren und einander angreifen. ☐ Überlegen Sie bitte, warum ausschließlich alle Aussagen unter a) richtig sind. Begründen Sie Ihre Überlegung! Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

5.3 Das Eisberg-Modell in der Kommunikation Der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud (1856–1939) verwies auf unbewusste Anteile der menschlichen Psyche, die sich auch in der Kommunikation auswirken können. Das Eisberg-Modell der Kommunikation beruht auf dieser Auffassung Freuds. Dem Modell liegt die Tatsache zugrunde, dass bei einem Eisberg 1 9 nur ein kleiner Teil sichtbar ist (ca. 10 ), während der wesentlich größere Teil (ca. 10 ) unter der Wasseroberfläche verborgen ist (Quelle: wirtrainieren.de 2013). Abb. 5.7 veranschaulicht diesen Umstand. Bezogen auf das Nachrichtenquadrat bedeutet das Eisbergmodell, dass nur ein Teil einer Nachricht, nämlich die Sachbotschaft direkt wahrnehmbar ist und vom Sender formuliert wird. Die vielfältigen Informationen auf den anderen drei Ebenen einer Nachricht ergänzen diese und beeinflussen die Kommunikation wesentlich. Abb. 5.7    Eisberg-Modell nach Freud

5.4  Das Landkartenmodell: die Unterschiedlichkeit des Verhaltensmusters

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Damit eine Nachricht richtig ankommt, sollte sie auf der Ebene formuliert werden, die der Gesprächspartner am besten versteht. Dafür muss der Gesprächspartner richtig eingeschätzt werden, was die Kenntnis seines Zeichensatzes und seines Verhaltensmusters voraussetzt. Um eine bessere Verständlichkeit zu erreichen, sind Ironie, unklare Formulierungen, Paradoxien, Füllwörter, Anspielungen und Doppeldeutigkeiten zu ­vermeiden.

5.4 Das Landkartenmodell: die Unterschiedlichkeit des Verhaltensmusters Unsere Welt besteht aus einer Unendlichkeit von Sinneseindrücken. Wir wären völlig überfordert, völlig orientierungslos, wenn wir alle Empfindungen auf einmal aufnehmen würden. Gegen diese unendlich vielen Sinneseindrücke schützen Filter unser Gehirn. Wir nehmen nur einen kleinen Teil von ihnen wahr. Wir generalisieren, verzerren, tilgen. Dieser kleine Teil wird noch zusätzlich gefiltert durch individuelle Erfahrungen, durch unsere Kultur, unsere Einstellungen, unsere Interessen, unsere Glaubenssätze. Auf der Grundlage dieser Sinneseindrücke konstruiert jeder Mensch eine eigene Darstellung der Welt: seine Landkarte. Diese beinhaltet seine Vorstellungen von der Welt. Jeder Mensch lebt in seiner einzigartigen Welt. Seine Abbildung der Welt gibt es kein zweites Mal. Eine Landkarte, die Orientierung bietet, ist eine dem Gebiet ähnliche Struktur, darin ist ihre Brauchbarkeit begründet. Die Einträge auf der Landkarte bestimmen Handeln und Verhalten des Menschen, sie stellen sein Verhaltensmuster dar. Die ­Wirklichkeit wird zu einer persönlichen Wahrheit, wie Abb. 5.8 zeigt.

Abb. 5.8   Wirklichkeit wird zu einer persönlichen Wahrheit

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Wozu soll die Landkarte nützlich sein? Der Mensch kommuniziert nie direkt mit seinem Gesprächspartner, sondern immer mittels seiner Landkarte. Wenn man z. B. einem Menschen begegnet, begegnet man ihm durch die Filter früherer Erfahrungen, die auf der Landkarte eingetragen sind. Die Eintragungen sind einerseits eine Einschränkung, andererseits helfen sie, sich besser in einen Gesprächspartner hineinzudenken. Darüber hinaus hilft diese Landkarte, selbst zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Viele Menschen glauben, dass sie eigene unerwünschte Verhaltensweisen abschaffen oder unterdrücken könnten. Die Erfahrung bestätigt dies jedoch nicht: Einträge in unserer Landkarte können wir nicht einfach löschen. Dies soll an folgendem Beispiel aufgezeigt werden: Manche Führungskräfte kommen in Seminare und sagen selbstbewusst, dass ihnen die Kommunikation mit ihrer Umwelt gut gelingt. Dennoch merken sie, dass sie in Besprechungen manchmal ungeduldig sind und schnell aggressiv werden. Eine Zeitlang nehmen sie sich zusammen, um anschließend umso heftiger zu reagieren. Sie wollen wissen, was sie dagegen tun können. An dieser Stelle sollte der Seminarleiter das Prinzip der eigenen Landkarte erklären und gemeinsam mit dem Seminarteilnehmer die vorhandenen Filter, z. B. durch Erziehung (Antreiber) und Erfahrung, bestimmen. Es ist wichtig, zunächst einmal die eigene momentane Landkarte zu kennen und zu akzeptieren. Durch eine Analyse des eigenen Kommunikationsverhaltens mittels des Nachrichtenquadrates ist es möglich, Störungen zu finden. Danach kann der Teilnehmer neue Einträge in die eigene Landkarte vornehmen. Wenn dann in einem Gespräch der Zeitpunkt kommt, an dem der Teilnehmer früher ungeduldig und laut wurde, sollte er durch die neu erarbeitete kritische Betrachtungsweise auch andere Kommunikationsmöglichkeiten erkennen. Es findet eine Veränderung durch eine „Bereicherung und Ergänzung“ der eigenen Landkarte statt.

5.5 Die Gesprächstechnik im Laufe der Geschichte Wenn Menschen miteinander reden, wird selten nur eine Transaktion stattfinden, d. h. nur eine Information vom Sender zum Empfänger erfolgen. Sobald zwei Menschen in Kontakt treten, reagieren sie aufeinander. Es kommt zu einem Hin und Her von Äußerung und Antwort, von Aktion und Reaktion – es entsteht eine Beziehungsdynamik. Gedanken darüber, wie dieses Hin und Her von Äußerungen zu analysieren ist, macht sich die Menschheit schon seit Jahrtausenden. Gewisse Techniken und Methoden haben sich über die Jahrhunderte hinweg bewährt. Man hat sie zwar neu verpackt, d. h. den vorhandenen Umständen angepasst, aber die Arbeitsmethode selbst blieb gleich.

5.6  Die SAULUS-Methode

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Im antiken Griechenland war Hippokrates von Kos (um 460 v. Chr. bis 370 v. Chr.) ein angesehener Arzt. Er gilt als Begründer der Medizin als Wissenschaft und Urheber des medizinischen Eids, der ersten grundlegenden Formulierung einer ärztlichen Ethik. Dieser Eid steht in der Textsammlung Corpus Hippocraticum, die mehr als sechzig medizinische Texte über Krankheiten, Therapien, Beziehung zwischen Arzt und Patient usw. beinhaltet. (Da sie bis zum 2. Jahrhundert n. Chr. weiter ergänzt wurde, sind vermutlich nur wenige der darin enthaltenen Texte von Hippokrates selbst verfasst worden.) Hippokrates machte sich Gedanken über die richtige Art, mit einem Patienten ein Gespräch zu führen. Bis heute werden seine Verhaltensregeln in vielen Universitäten im Medizinstudium gelehrt und geübt.1) Er hob die Bedeutung des Gesprächs zum wichtigsten Bestandteil der medizinischen Behandlung hervor, wobei Hippokrates folgendes Zitat nachgesagt wird: „Zuerst das Wort, dann die Pflanze, zuletzt das Messer!“ Die Grundlage jeder Beratung und Therapie ist also das gesprochene Wort. Hippokrates fordert vom Arzt: Ehrlichkeit, kollegiales Verhalten und weise Selbstbeschränkung. Das sind Eigenschaften, die in der modernen Gesprächsführung ebenfalls eine wichtige Rolle spielen (Golder 2007).

5.6 Die SAULUS-Methode Eine neuere Interpretation der Gedanken von Hippokrates in Bezug auf den Gesprächsverlauf ist die sogenannte SAULUS-Methode (deutsch) oder SEARCH-Method (engl.). Günther Stoewer, Herbert Kramer und ich (Johann Fieger) führten die SAULUS-­ Methode am „Institut für Praktische Unternehmensführung“ (ipu) in München in den 1980er-Jahren in den deutschen Sprachraum ein. Diese Methode versucht, eine einprägsame Formel für den Ablauf eines Gesprächs in der Kommunikation oder beim Lösen von Problemen anzubieten. Sie zeigt die notwendigen Schritte auf, um Ideen und Lösungen für Probleme zu entwickeln. 2) Das Wort „SAULUS“ ist eine sogenannte Eselsbrücke. In der Zwischenzeit findet dieses Akronym (Abkürzung) eine breite Anwendung in der deutschen industriellen Praxis. Abb. 5.9   Die SAULUSMethode

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Die einzelnen Schritte, wie in Abb. 5.9 dargestellt, lauten: S ituation genau beschreiben. Was ist passiert? Wann und wo ist was passiert? A uswirkungen erfassen. Was ist negativ? Wer ist betroffen? Was ist möglicherweise positiv dabei? Kann man die Folgen quantifizieren? U rsachen und Gründe für das Problem. Sind die Ursachen bekannt? Was wurde unternommen, um die Ursachen zu finden? Weitere Methoden zur effektiven Suche nach Ursachen anwenden, zum Beispiel Wirkung-Ursachen-Diagramm nach Ishikawa. L ösungen finden. Lösungen nur an den drei Hauptursachen suchen, sonst besteht die Gefahr des Verzettelns. Dabei werden Problemlösetechniken angewendet, wie zum Beispiel die LOEWE-Technik, die Mindmap-Technik, Brainstorming, Brainwriting oder weitere Kreativitäts- und Problemlösetechniken. U msetzung überlegen und planen. Einen genauen und konkreten Aktionsplan für die gefundenen Lösungen erstellen. S icherung des Erfolges. Haben die Maßnahmen gewirkt? Was kann noch schiefgehen? Womit kann der neue Zustand/die neue Situation abgesichert werden? Welche Risiken können noch auftreten? Im amerikanischen Sprachraum existiert bereits seit dem Jahr 1958 eine ähnlich strukturierte Vorgehensweise, die Kepner-Tregoe-Methode. Die KT-Methode wurde von Charles Kepner und Benjamin Tregoe ausgearbeitet. Die beiden Firmengründer erforschten die grundsätzlichen Lösungs-Denkmuster von Menschen und gelten als ­Pioniere der rationalen Arbeitsmethoden. Problemlösungstechniken selbst laufen in fünf Schritten ab:1 1. Informationssammlung und Analyse 2. Formulierung der verfolgten Ziele 3. Implementierungsplanungen 4. Implementierungsweg 5. Strategieüberwachung und Aktualisierung Manche Unternehmen in Deutschland kürzten wiederum die SAULUS-Methode auf nur vier Schritte (PULS-Methode) ab: • Problem beschreiben (hier versteckt sich sowohl die Analyse der Situation als auch die Beschreibung der Auswirkungen) • Ursachen und Gründe für das Problem suchen, finden, priorisieren • Lösungen für die drei Hauptgründe erarbeiten, Aktionsplan erstellen • Sicherung des Erfolgs, neue Standards vorsehen 1Unter

Problemlösen versteht man die Überführung eines Ist-Zustandes gegen Widerstände in einen Sollzustand durch intelligentes Handeln, meist durch bewusste Denkprozesse. In Bezug auf das Problemlösen gab der amerikanische Lehrer G. H. Wheatley süffisant folgende Definition: „Problemlösen ist das, was man tut, wenn man nicht weiß, was man tun soll.“ („What you do when you donʼt know what to do.“ Vgl. Wheatley, 1984, S. 1.

5.6  Die SAULUS-Methode

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Die englische Variante der SAULUS-Methode lautet SEARCH: S ituation, define the problem or situation E ffects, advantage or disadvantage A nalyse all reasons for the problem R each and find solutions for the problem C heck of the made activities H old and save the results Informationen zur Ausbildung von Medizinern in Bezug auf das ärztliche Gespräch Nach Verabschiedung der neuen Approbationsordnung 2002 konnte das Erlernen kommunikativer Kompetenz in die medizinische Ausbildung integriert werden. In den vergangenen zwei Jahren begannen medizinische Fakultäten – dort mehrheitlich die allgemeinmedizinischen Abteilungen – in Heidelberg, Hamburg, Göttingen, Düsseldorf, Köln, München und Münster mit der Einführung von SP (simulierte Patienten) in die medizinische Lehre (6–9). SP sind geschulte Laien oder professionelle Schauspieler, die eine vollständige Patientenbiografie mit einem detaillierten Krankheitsbild darstellen können. SP werden zudem im Erteilen von Feedback geschult. Sie können für verschiedene Belange in der medizinischen Ausbildung eingesetzt werden: • Anamneseerhebung, • Üben spezieller Gesprächstechniken, • körperliche Untersuchungstechniken, • praktische Prüfungen im Umgang mit Patienten, • pflegerische Tätigkeiten. In den USA, Kanada, England, Holland und Skandinavien hat der Einsatz von SP in der medizinischen Ausbildung eine jahrzehntelange Tradition und wird auch für Examina und Facharzt-Prüfungen genutzt (Anmerkung siehe dazu im Literaturverzeichnis Fani 2007 oder Chenot et al., 2007). Fazit zur SAULUS-Methode als Führungswerkzeug Die SAULUS-Methode ist in ihrer Anwendung sehr vielfältig. Sie ist nicht nur eine Gesprächs- und Analysemethode, sondern findet auch Anwendung als Präsentationsmethode in der wertschätzenden und gewaltfreien Kommunikation, in der Formulierung von Anerkennungs- und Kritikgesprächen, im fairen Umgang mit Mitarbeitern (Jahresgespräche); ebenfalls von hohem Nutzen ist sie beim Moderieren von Gruppengesprächen, beim Coaching, beim Führen von Feedback-Gesprächen, zur Verbesserung der eigenen Schlagfertigkeit und für die Steuerung persönlicher Entwicklung (Nachdenken über schwierige Lebenssituationen).

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5  Als Führungskraft im Gespräch mit den Mitarbeitern

Literatur Berlincourt, F. (2007). Arzt-Patienten-Gesprächsführung. https://www.thieme.de/viamedici/meinstudienort-basel-1574/a/gespraechsfuehrungskurs-13395.htm. Zugegriffen: 7. Dez. 2017. Chenot, J.-F., Fischer, T., & Simmenroth, A. (2007). Mit Laienschauspielern das ärztliche Gespräch trainineren. Deutsches Ärzteblatt, März 2007. https://www.researchgate.net/profile/Jean-­Francois_ Chenot2/publication/232306004_Mit_Laienschauspielern_das_arztliche_Gesprach_trainieren/ links/0fcfd5081b2aa29999000000/Mit-Laienschauspielern-das-aerztliche-Gespraech-trainieren.pdf. Zugegriffen: 7. Dez. 2017. Golder, Werner. (2007). Hippokrates und das Corpus Hippocraticum. Würzburg: Könighausen und Neumann. Hall, S. (1977). Ausgewählte Schriften (Bd. 4, S. 81). Hamburg: Argument Verlag. Hall, S. (2009). Schlüsselwerke der Cultural Studies (S. 210–223). Berlin: Springer. Schulz von Thun. (2018). Institut für Kommunikation 2018. (www.schulz-von-thun.de). Wheatley, G. H. (1984). Problem solving in school mathematics. MEPS Technical Report 84.01, West Lafayette, Indiana. wirtrainieren.de. (2013). Eisbergmodell. http://wirtrainieren.de/werkzeugkoffer/media/Eisbergmodell.pdf. Zugegriffen: 9. Apr. 2018.

6

Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Sprache und ihre Wirkung auf die menschliche Zusammenarbeit Marshall Rosenberg (1934–2015), ein US-amerikanischer Kommunikationsforscher, Psychologe und Gründer des gemeinnützigen Center for Nonviolent Communication, hat das Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation (GfK)“, englisch Nonviolent Communication (NVC), entwickelt. Es ging ihm um die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Menschen und die Vermeidung bzw. Lösung von Konflikten. Im Vordergrund seiner Methode steht die Entwicklung einer wertschätzenden Beziehung, wobei Empathie die Grundvoraussetzung gelingender Kommunikation ist. Er geht davon aus, dass die Art und Weise, wie Menschen etwas kommunizieren, einen entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis einer Unterhaltung oder einer Verhandlung hat. Er nimmt an, dass Menschen unter freien Bedingungen die empathische Verbindung zum Mitmenschen suchen.

6.1 Konzept der gewaltfreien Kommunikation Rosenberg untersuchte, inwieweit die Form der Kommunikation es erschwert, besonders in einer angespannten Situation einander zuzuhören und einander zu verstehen. Es wurden vier Kommunikationsformen identifiziert, die ein offenes, einfühlsames Miteinander blockieren können: 1. Urteile über andere treffen (DU-Botschaften, Tadel): „Du bist unfähig!“ 2. Vergleiche anstellen: „Die andere Abteilung hat weniger Unfälle“, „Nimm dir ein Beispiel an deiner Schwester, sie hat bessere Noten, sie lernt fleißiger als Du!“ 3. Verantwortung leugnen: „Der Chef hat es angeordnet“, „Papa sagt, du sollst dein Zimmer aufräumen!“ 4. Forderungen aufstellen: „Das müssen Sie (DU-Botschaft) bis morgen tun, verstanden!“ © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_6

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Die zuvor beschriebenen Kommunikationsformen nennt man „Schubser“; eine bestimmte Hoffnung ist mit ihnen verbunden: Wenn man andere Menschen mehr oder weniger sanft in eine andere Richtung schubst, dann ändern sie ihr Verhalten. Leider klappt das in der Praxis meist nicht. Was man mit seinen Worten bewirken möchte und was beim Gegenüber ankommt, kann sich voneinander sehr unterscheiden.

6.1.1 Urteile über andere (moralische Urteile) im Gegensatz zu Werturteilen Nicht alle Meinungen, die man über eine Person äußert, führen zu Spannungen oder Konflikten. Nur solche, die einen anderen beurteilen oder gar verurteilen sind problematisch. Sie werden auch „moralische Urteile“ genannt, weil sie einen anderen Menschen nach eigenen „moralischen“ Maßstäben, d. h. nach der eigenen Landkarte bewerten. Ein moralisches Urteil beruht auf den Fragen „Wer hat Recht?“ und „Wer liegt falsch?“. Dabei wird davon ausgegangen, dass alle Menschen die gleichen Vorstellungen (die gleiche Landkarte) von „richtig“ und „falsch“ wie man selbst hat. Eine übliche Formulierung ist: „Du hast unrecht, du hättest es besser wissen müssen!“ Es wird also eine DU- oder SIE-Botschaft verwendet („Warum hast du nicht aufgepasst?“), die den anderen oft in seinem Selbstwert verletzt. Der Angesprochene fühlt sich angegriffen. Psychisch gesunde Menschen verteidigen sich auf Angriffe auf ihr Selbstwertgefühl mit einer der folgenden Strategien: 1. Sie werden sich rechtfertigen. 2. Sie starten einen Gegenangriff (auch in Form einer DU-Botschaft) („Schau erst einmal, was DU für Fehler machst!“). 3. Wenn die Machtverhältnisse so sind, dass der Angegriffene sich nicht traut, einen frontalen Gegenangriff zu wagen, wird er einen zeitversetzten Angriff durchführen. Er wird auch hinter dem Rücken des anderen schlecht über ihn reden, also Gerüchte streuen. Im Gegensatz zu den moralischen Urteilen stehen die sogenannten Werturteile. Hierbei­ wird versucht zu klären, welche Werte und Bedürfnisse dem Einzelnen aus seiner Landkarte heraus wichtig sind: „Was brauche ich und was braucht der andere, damit wir miteinander klarkommen?“ Sagt zum Beispiel jemand: „Sie sind unzuverlässig“, dann versteckt sich vermutlich der Wert bzw. das Bedürfnis nach Verlässlichkeit dahinter. Wenn man in spannungsgeladene Situationen statt Tadel die eigenen Wertvorstellungen zum Ausdruck bringt, ist es für den Gesprächspartner leichter, darauf einzugehen. Die konfliktfreie Kommunikation empfiehlt, den verbalen oder non-verbalen

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Druck abzubauen oder gar nicht entstehen zu lassen, indem man die ICH-Formulierung benutzt, um dem Gegenüber seine eigenen Werte und Bedürfnisse mitzuteilen. Dies können die in Tab. 6.1 dargestellten Werte und Bedürfnisse sein: Übung

In der folgenden Übung – siehe Tab. 6.2 – geht es darum, die Aufmerksamkeit verstärkt auf Werturteile hinter Vorwürfen (moralische Urteile) zu richten. Welche Bedürfnisse, welche Werturteile können hinter den folgenden Vorwürfen stecken? Bitte tragen Sie Ihre Vermutung in das leere Feld neben dem Urteil ein. Nehmen Sie ggf. die Werte oben zuhilfe. Ergänzen Sie die Punkte 7 bis 10 mit eigenen Aussagebeispielen. Welche Vorwürfe haben Sie selbst schon einmal gehört oder verwendet und welcher Wert, welches Bedürfnis lag vermutlich dahinter? Ihre Notizen: ____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ ____________________________________________________________________

Tab. 6.1  Werte und Bedürfnisse Ehrlichkeit, Offenheit

Nähe, Sicherheit

Anerkennung, Akzeptanz

Schutz, Unterstützung

Verständigung, Respekt

Gelassenheit, Lebensfreude

Verlässlichkeit, Humor

Gemeinschaftssinn, Toleranz

Selbstbestimmung, Rücksichtnahme

Ordnung/Struktur, Vertrauen

Tab. 6.2  Übung „Bedürfnisse und Werturteile“ Moralisches Urteil

Werturteil

1. Du bist rücksichtslos

Mir ist Rücksichtnahme wichtig

2. Maier geht zum Lachen in den Keller

Mir ist …………………………wichtig

3. Sie sind völlig intolerant

Mir ist …………………………wichtig

4. Die Frau Schmidt lügt irgendwie

Mir ist …………………………wichtig

5. Er denkt nur an sich

Mir ist …………………………wichtig

6. Du bist kaltherzig

Mir ist …………………………wichtig

7.

Mir ist …………………………wichtig

8.

Mir ist …………………………wichtig

9.

Mir ist …………………………wichtig

10.

Mir ist …………………………wichtig

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

6.1.2 Die Verwendung der moralischen Urteile („Schubser“) in der alltäglichen Praxis Die Trainerin für gewaltfreie Kommunikation („GfK“) Ingrid Holler stellt in ihrem Buch „Gewaltfreie Kommunikation, ein Trainingsbuch“ Beispiele für blockierende Formulierungen vor, die auch zwischen liebenden Partnern zu Problemen führen können. Hier sollen ihre Ausführungen im Originaltext vorgestellt werden. Übung

Peter und Christine wollen in Kürze gemeinsam in Urlaub fahren. Peter hat für Ibiza reserviert. Christine möchte gerne in die Berge fahren. Die beiden setzen sich im folgenden Dialog darüber auseinander, wo es hingehen soll. Dabei passiert es manchmal, dass ihnen die vorher beschriebenen Kommunikationsformen A, B, C oder D herausrutschen. Ihre Aufgabe: Wenn Sie eine der Formen erkennen, machen Sie bitte ein Kreuz in der entsprechenden Spalte von Tab. 6.3. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

6.1.3 Situationen beschreiben ohne zu bewerten Der Grund für viele Missverständnisse oder gar Konflikte ist die Tatsache, dass Beobachtungen sofort interpretiert und eingeordnet werden. Diese Interpretation braucht unser Gehirn, um sich „ein Bild davon machen zu können“. Darüber hinaus haben wir eine eingeschränkte Wahrnehmung von beobachtbaren Tatsachen (siehe auch die Abbildung „Landkartenmodell“ in Kap. 4). Daher ist es der Polizei bei der Aufklärung einer Straftat viel lieber, einen Fingerabdruck statt zehn Zeugen zu haben. Viele kennen den besagten Affen, der die Bühne in aller Ruhe durchquert, ohne dass überhaupt ein Zuschauer ihn wahrnimmt, weil die Konzentration auf etwas anderes gerichtet ist. Welche Handlung können wir wahrnehmen, welche Worte haben wir gehört? Als ­Einstieg in das Thema „Wahrnehmung“ beschreiben Sie bitte, was Sie in Abb. 6.1 sehen. Nein, es ist weder eine alte noch eine junge Frau zu sehen. Zu sehen sind nur schwarze Striche und Punkte auf einem weißen Hintergrund. Alles andere ist Interpretation!

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Tab. 6.3  Übung „Moralische Urteile“ A Vorwürfe

B Vergleiche

C Verantwortung leugnen

D Forderungen

Peter: Du, ich habe hier ein tolles Angebot in Ibiza, schau her, so ’ne Art Last Minute. Ich habe es schon mal reservieren lassen Christine: Das hast du also e­ infach mal wieder über meinen Kopf weg gemacht. Wie letztes Jahr mit ­Spanien, da hast du dich auch einfach so heimlich durchgesetzt. Also, ich möchte lieber mal in die Berge Peter: Na ja, also die Zeit drängt doch und du kümmerst dich einfach gar nicht. Deshalb habe ich halt schon mal zugeschlagen. Ist ja noch nichts Festes Christine: Natürlich kümmere ich mich! Ich habe im Internet geguckt! Ich bestimme halt nicht einfach, ohne dich zu fragen, so wie du das gerne machst Peter: Du hörst einfach nicht zu! Ich habe gesagt RESERVIERT, nicht fest gebucht Christine: Also – letztes Jahr waren wir schon in Spanien. Ich will dieses Jahr in die Berge. Ich will, dass du mal mit mir dahin fährst, wohin ich will, sonst vergeht mir gleich ganz die Lust auf den Urlaub … Peter: schluckt und denkt: „Wie meine Mutter …“

Und was sehen Sie in Abb. 6.2? Nur Striche und Punkte auf einem weißen Hintergrund. Alles andere ist Ihre Interpretation. Übung: Beobachten, ohne zu bewerten

Entscheiden Sie bei den folgenden Beispielen in Tab. 6.4, welche der drei Sätze eine Beobachtung und welche eine Bewertung ausdrücken. Kreuzen Sie in der entsprechenden

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Abb. 6.1   Das Bild einer Frau

Abb. 6.2   Moebius-Dreieck

Spalte an. Wenn kein Widerspruch möglich ist („Das stimmt so nicht!“), dann handelt es sich um eine wertfreie Beobachtung, die nachprüfbare Tatsachen wiedergibt (Holler 2007). Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Tab. 6.4  Übung „Beobachten, ohne zu bewerten“ Entscheiden Sie: Beobachtung (X) oder Bewertung/Interpretation (Y) 1.

a) Diese Woche habe ich dich nicht einmal beim Sport gesehen. b) Diese Woche warst du ja ganz unsportlich. c) Diese Woche hast du den Sport ausfallen lassen

2.

a) Du hast dich am Mittwoch mit meinem Freund amüsiert. b) Du bist am Mittwoch mit meinem Freund ins Kino gegangen. c) Du warst am Mittwoch mit meinem Freund ganz schön lange weg

3.

a) Das Auto kostet einfach zu viel. b) Die Autoversicherung wird immer teurer. c) Das Auto hat dieses Jahr 100 EUR mehr an Versicherung gekostet als im letzten Jahr

4.

a) Ich habe ein Steak bestellt; das hier auf meinem Teller sind aber … Spiegeleier. b) Da haben Sie jetzt einen Fehler gemacht. c) Spiegeleier kann man doch nicht mit Steaks verwechseln!

5.

a) Wieso gewähren Sie dem Kunden einfach 10 % Rabatt? b) Ich lese hier in diesem Brief, dass Sie dem Kunden 10 % Rabatt gewähren. c) 10 % Rabatt sind für diesen Kunden viel zu viel, nicht wahr?

6.

a) Sie kommen immer zu spät. b) Sie kommen ein wenig zu spät. c) Sie kommen eine halbe Stunde nach der verabredeten Zeit

7.

a) Der Schal liegt hier rum. b) Ich sehe hier einen Schal auf dem Sofa liegen. c) Der Schal liegt schon wieder auf dem Sofa

8.

a) Du kannst mit Geld nicht umgehen. b) Du kannst mit Geld gut umgehen. c) Du hast diesen Monat 2000 EUR ausgegeben

9.

a) Ich weiß bei dir nicht, wo ich dran bin. b) Du rufst mich nie zurück. c) Ich habe dich letzte Woche dreimal um einen Rückruf gebeten und keinen bekommen

X

Y

X

Y

10. a) Dich erreicht man aber auch schlecht. b) Ich habe versucht, dich heute Vormittag um 10, um 11 und um 11:30 Uhr ­telefonisch zu erreichen, aber es hat niemand abgenommen. c) Ich habe den ganzen Vormittag versucht, dich telefonisch zu erreichen Entscheiden Sie: Beobachtung (X) oder Bewertung/Interpretation (Y)

6.1.4 Reaktionen auf verschiedene Situationen Wenn man etwas wahrnimmt, zum Beispiel sieht, hört, fühlt, riecht usw., erzeugt diese Wahrnehmung immer eine Reaktion in uns selbst. So zum Beispiel, wenn ein Kollege oder ein Mitarbeiter sich bei einem Meeting verspätet, wird dieses Kommen nach der vereinbarten Zeit (Situation) eine Auswirkung nicht nur auf das Meeting, das Projekt,

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

sondern auf jeden einzelnen Teilnehmer haben. Der eine ärgert sich, weil er noch viel zu erledigen hat, der andere wird sich wundern, wo der Kollege geblieben ist, weil er ihn gerade noch gesehen hat, der Moderator oder der Chef werden enttäuscht oder gar verärgert sein, weil sie den Kollegen extra gebeten haben, pünktlich zu sein. Diese Reaktionen auf verschiedene Situationen nennt man Gefühle. Sie haben eine wichtige Funktion als Signale, weil sie uns melden, ob sich unsere Bedürfnisse, die wir in einer Situation spüren, erfüllt haben. Im Volksmund heißt es: „Gefühle sind Echos von Gedanken“. Wenn ich mir keine Gedanken über eine Sache oder Situation mache, werde ich selten dazu Gefühle entwickeln. Will eine Person zum Beispiel ein technisches oder organisatorisches Problem lösen, d. h., sie macht sich darüber Gedanken, wird sie immer auch damit verbundene Gefühle entwickeln. Sie wird ein Gefühl der Befriedigung spüren (Freude, Zufriedenheit), wenn es ihr gelungen ist, das Problem zu lösen. Allerdings wird sie ein ganz anderes Gefühl (Ärger, Frust, Enttäuschen) spüren, wenn es ihr nicht gelungen ist. Auch das oft besungene Gefühl der Liebe für jemanden ist mit den Gedanken verbunden, die man sich über die geliebte Person macht. Sobald man sich keine Gedanken mehr über den einst „geliebten“ Partner macht, stirbt auch die Liebe, macht man sich negative Gedanken, treten negative Gefühle (Ärger, Unverständnis, Hass) auf. Beim Ausdrücken eines Gefühls bzw. einer Reaktion auf eine spezielle Situation ist es von Vorteil, die Formulierung „Ich bin …“ (ICH-Botschaften) zu verwenden. Im Gegensatz dazu gibt es Formulierungen, die zwar das Wort „Gefühl“ benutzen, jedoch tatsächlich keine Gefühle ansprechen, sondern nur Ärger ausdrücken, gekoppelt an die Aufforderung an andere, etwas an ihrem Verhalten zu ändern. So zum Beispiel könnte der Satz: „Ich fühle mich von Dir nicht ernst genommen“ (scheinbare ICH-Botschaft) den Wunsch enthalten: „Du sollst mich in Zukunft ernst nehmen!“, also eine eindeutige DU-Botschaft. Je früher man ein Gefühl wahrnimmt, desto eher kann man handeln, d. h. eine Situation ansprechen, und ggf. das Problem lösen. Eine schnelle Reaktion auf ein auftretendes Gefühl vermeidet eine Eskalation. Beim Ausdrücken von Gefühlen gibt es große Unterschiede zwischen Menschen in Bezug auf die verwendeten Wörter, je nach Persönlichkeit, Kulturkreis, Umfeld usw. Jede Person bevorzugt gewisse Wörter, um ihre Gefühle ausdrücken. Es ist sinnvoll, sich eine Auswahl von vier bis fünf Wörtern zu merken, die man in einer Spannungssituation verwenden kann und die zu der eigenen Persönlichkeit und der Intensität des Gefühls passen. So zum Beispiel kann es beim Zuspätkommen eines Mitarbeiters sein, dass man beim ersten Mal nur verwundert oder enttäuscht, beim zweiten Mal besorgt oder irritiert, bei dritten Mal schließlich verärgert ist. Wenn ich das auch in dieser Reihenfolge als Chef, Verhandlungsführer oder Elternteil formuliere, weiß der andere sofort, woran er ist. Am unangenehmsten für Mitarbeiter sind Führungskräfte, die ihre Gefühle eine Zeit lang verbergen, um sie irgendwann in einem „ärgerlichen“ Ausbruch zu entladen. Tab. 6.5 listet mögliche Gefühle auf (Holler 2007). Die hervorgehobenen Worte sollten in einem Kommunikationsprozess einer Führungskraft am ehesten verwendet werden.

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Tab. 6.5  Mögliche Gefühle Gefühle, die signalisieren „Bedürfnisse sind erfüllt“ Wohl Glücklich Froh Begeistert Berührt Gelassen Entspannter Erleichtert Erfrischt Gespannt Gut gelaunt Hoffnungsvoll

Inspiriert Klar Liebevoll Lustig Neugierig Zuversichtlich Zufrieden Leicht Ruhig Lebendig Wach

Gefühle, die signalisieren „Bedürfnisse sind nicht erfüllt“ Irritiert Frustriert Gestresst Überrascht Ängstlich Verärgert Bedrückt Aufgeregt Besorgt Einsam Enttäuscht Müde

Erschrocken Gelangweilt Genervt Erstaunt Hilflos Nervös Traurig Ungeduldig Unglücklich Verstört Verzweifelt Widerwillig

6.1.5 Bedürfnisse steuern Handlungen und die generierten Gefühle Im ersten Teil dieses Buches wurde über Bedürfnisse und deren Einteilung nach A. Maslow und F. Herzberg berichtet. Bedürfnisse steuern unser Handeln und unser Verhalten. Dadurch, dass alle Menschen die gleichen Bedürfnisse haben, sind wir mit allen anderen Menschen verbunden. Allerdings treten die Bedürfnisse nicht immer zur gleichen Zeit auf. Es kann sein, dass zu einer bestimmten Zeit etwas besonders wichtig ist, während zu einer späteren Zeit andere Bedürfnisse im Vordergrund stehen. Sobald man die Aufmerksamkeit auf gegenseitige Bedürfnisse statt auf Positionen richtet, wird das Verbindende deutlich. Dieses Bewusstsein kann eine entscheidende Wirkung auf Gesprächs- und Konfliktsituationen haben. Eine Eskalationsdynamik entsteht nämlich dadurch, dass der eine Verhandlungs- oder Gesprächspartner meint, unbedingt eine bestimmte Position vertreten zu müssen. Der Streit um Positionen, d. h., wer Recht hat und wer nicht, verspricht nur wenig Erfolg in einer Diskussion. Untersuchungen an der Harvard Universität (USA) haben ergeben, dass ein Konflikt nur dann lösbar ist, wenn man sich auf die Bedürfnisse hinter den Positionen bezieht; auf dieser Ebene können Widerstand und Misstrauen abgebaut und eine Verständigung zwischen den Kontrahenten ermöglicht werden. Daraus kann auch die Zuversicht entstehen, dass eine Kooperation für alle Beteiligten fruchtbar ist. Tab. 6.6 listet die möglichen Bedürfnisse auf. Übung

• Welche Bedürfnisse sind für Sie am wichtigsten? Bitte fünf Bedürfnisse auswählen. • Welche Bedürfnisse waren bei Ihnen schon Anlass zu Auseinandersetzungen? • Welchen Bedürfnissen würden Sie in Ihrem Leben mehr Raum geben?

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Tab. 6.6  Liste der möglichen Bedürfnisse Bedürfnisse sind Lebenszeichen, sie steuern unser Handeln! Anerkennung

Gemeinschaft

Struktur

Akzeptanz

Gleichwertigkeit

Selbstbestimmung

Aufrichtigkeit

Integrität

Sicherheit

Austausch

Inspiration

Sinnhaftigkeit

authentisch sein

Klarheit

Spiritualität

Autonomie

Kontakt

Gehört werden

Balance von

Orientierung

Unterstützung

• Arbeit und Freizeit

Lebensfreude

Verantwortlichkeit

• Geben und Nehmen

Lebenserhalt

Verbundenheit

• Sprechen und Zuhören

Liebe

Vertrauen

Einfühlsamkeit

Menschlichkeit, Nähe

Verständigung

Entspannung

Offenheit

Verlässlichkeit

Entwicklung

Privatsphäre

Wahrgenommen werden

Ernst genommen werden

Respekt

Wertschätzung

Feiern

Rücksichtnahme

Zeit sinnvoll nutzen

Flexibilität

Schutz

Zugehörigkeit

Freiheit

Gesehen werden

Geborgenheit

Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

6.1.6 Empfängerorientierte, „gewaltfreie“ Kommunikation Ausgehend von diesen Überlegungen hat Marshall Rosenberg am Center for Nonviolent Communication sein Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ entwickelt. Wichtig bei dieser Methode der Konfliktlösung ist das Bewusstsein von den eigenen Empfindungen (Wie geht es mir dabei, wenn ich das erlebe, sehe, höre?) und der entsprechenden Begründung aus der eigenen Bedürfniswelt (Weil mir in dieser Situation … wichtig ist!). Rosenberg verbindet diese Ausführungen mit einer Bitte oder einem Wunsch. Rosenberg empfiehlt, sich die vier folgenden Fragen zu stellen, um einen Konflikt zu vermeiden oder zu lösen: Situation: Was beobachten Sie genau? Auswirkung: Wie geht es Ihnen dabei?

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Ursache, Grund: Was ist Ihnen dabei wichtig? Lösung: Was wünschen Sie sich? Worum bitten Sie? Diese vier Schritte entsprechen in etwa den ersten vier Schritten der SAULUS-Methode. Im Unterschied hierzu geht die SAULUS-Methode jedoch von externen Auswirkungen oder Folgen aus, zum Beispiel auf den Patienten, auf den Kunden, auf das Projekt, auf die Firma usw. Auch die Gründe und Ursachen für das vorhandene Problem werden grundsätzlich extern gesucht. Übung:

Wählen Sie bitte eine Situation aus, in der Sie eine starke Reaktion hatten (Gefühl), und sprechen Sie die Person an, die diese hervorgerufen hat, nach dem oben gezeigten Muster persönlich an.

6.1.7 Empfängerorientierte Kommunikation in der Führungspraxis In der Führungspraxis wird neben der klassischen Form der „gewaltfreien Kommunikation“ auch eine Abwandlung der SAULUS-Methode, die „auf sich selbst bezogene“ oder „innere“ SAULUS-Methode benutzt. Es wird bewusst die Bezeichnung „innere“ verwendet, da jedwede Situation direkte Rückwirkung auf den Sender selbst hat. Beispielsweise wird die Verspätung eines Mitarbeiters möglicherweise das Projekt verzögern, erzeugt jedoch mit Sicherheit eine innere Wirkung auf den Projektleiter, denn zumindest wird er sich über dieses Verhalten wundern oder sich sogar darüber ärgern. Die ersten vier Schritte sind in etwa gleich: 1. Beschreibung der Situation, die unbefriedigend ist, keine Bewertung, nur Fakten 2. Beschreibung der Auswirkung auf mich persönlich als Chef, Kollege, Kunde. Dabei die Stufen der Auswirkung auf sich selbst (z. B. verwundert, enttäuscht, verärgert) verwenden, um dem Gegenüber eine bessere Einschätzung zu ermöglichen. Nicht gleich bei jeder Kleinigkeit mit der Maximalauswirkung, positiv oder negativ starten. 3. Begründen (Ursache), warum man so reagiert, was mir als Chef, als Kollege oder Kunde in dieser Situation wichtig ist (weil mir Respekt, Verlässlichkeit, Ordnung, Teamgeist usw. wichtig ist). Negative Gefühle sind leicht zu erkennen, positive sind schwerer auszumachen, weil „es normal ist“, dass es gut läuft. 4. die notwendige Lösung in Form einer Bitte, Anweisung oder Aufforderung Die „innere“ SAULUS-Methode unterscheidet sich von der „Gewaltfreien Kommunikation“ dadurch, dass es sich hier nicht immer um eine Bitte oder um einen Wunsch handelt. Je nachdem, was man für einen Führungsstil anwendet, kann es sich auch um eine Anweisung (dirigistischer Führungsstil) oder eine Frage handeln, z. B. wie es weitergehen könnte (begleitender oder delegierenden Führungsstil). Siehe auch Kapitel „Führungsstile“.

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Viele Führungskräfte verwenden in Spannungssituationen nur drei dieser Schritte, nämlich 1, 2 und 4 (Ich sehe, dass Sie zu spät kommen. Das ärgert mich sehr. Ich fordere Sie auf, morgen rechtzeitig zu kommen.). Möglicherweise sprechen Sie auch noch eine Drohung aus. Diese Vorgehensweise bezieht sich auf den anderen und fordert eine Rechtfertigung heraus. Der genaue Grund für den eigenen Ärger wird nicht erläutert; der Mitarbeiter kann nur raten, wie sich der Chef fühlt. Das Finden einer Begründung für eine emotionale Reaktion ist ein rationaler Akt. Sie ergibt sich nicht von allein, wie das Gefühl selbst, sondern man muss sich als Chef überlegen, warum die Situation einen so stört oder ärgert. Anders gesagt, die Führungskraft muss darüber nachdenken, welches Bedürfnis der Auslöser für ihre emotionale Reaktion war. Vielleicht liegt es z. B. daran, dass ihr ein respektvoller Umgang zwischen Menschen wichtig ist. Ein Mitarbeiter fühlt sich seltener angegriffen, wenn er nun erfährt, was seinem Vorgesetzten wichtig ist. Diese Art der Kommunikation funktioniert allerdings nur, wenn die Führungskraft in den Augen ihrer Mitarbeiter Autorität besitzt, d. h. Ansehen erworben hat. Ist das nicht der Fall, wird der Chef auf Drohungen oder andere Druckmittel zurückgreifen müssen, was nicht sinnvoll ist und das Ansehen noch mehr schädigt. Solche Führungs- und Gesprächsfehler führen schnell dazu, dass die Mitarbeiter demotiviert werden. Reinhard Sprenger unterstreicht im seinem Buch „Mythos Motivation“ die Wichtigkeit zweier Fragen: 1. „Was führt bei meinen Mitarbeitern zu Demotivation?“ und 2. „Wie kann ich meine Mitarbeiter motivieren, nachdem ich sie im Vorfeld demotiviert habe?“ Je nachdem, ob im vierten Schritt nach GfK sowie nach der SAULUS-Methode (Lösung) eine Anweisung erfolgte oder es sich um eine Bitte oder Frage handelte, wird eine bestimmte Vereinbarung mit dem Mitarbeiter getroffen. Die Entscheidung, ob eine Bitte oder eine Frage formuliert wird, hängt letztlich davon ab, ob der Mitarbeiter Kenntnis von seiner Aufgabe hatte oder nicht. Besitzt der Mitarbeiter die Qualifikation darüber, wie die beobachtete Situation zu verbessern ist, reicht eine Frage. Fehlt ihm diese Qualifikation oder will er die Frage nicht beantworten, sollte die Führungskraft die Schritte mit ihm besprechen und konkret vereinbaren. Eine mögliche Sicherung der Vereinbarung kann von dem einfachen Ausdruck: „Ist es für Sie okay?“ bis zu einer genaueren Besprechung über die möglichen Risiken bei der Umsetzung der Vereinbarung erfolgen. Hierzu zwei Beispiele, wie in Abb. 6.3 und 6.4 dargestellt. Übung: Bitte ergänzen Sie die folgende Abb. 6.4 mit Ihren eigenen Beispielen:

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Abb. 6.3  Gewaltfreie Kommunikation – Beispiel

Übung: Bitte bearbeiten Sie die folgenden vier Situationen nach der oben genannten Methode (Fallbeispiele nach Ingrid Holler)

Fallbeispiel 1: Im Projekt für den Bau einer neuen Anlage ist Herr Fuchs schon zum dritten Mal in diesem Monat wegen Krankheit am Montag nicht zur Arbeit erschienen. Er hat vorschriftsmäßig die Krankmeldung an seinen Abteilungsleiter weitergeleitet. Als Projektleiter fragen Sie sich: „Was ist eigentlich los? Ist Herr Fuchs wirklich krank?“ Sie beschließen, Herrn Fuchs bei der nächsten Projektbesprechung darauf anzusprechen und machen sich Gedanken, wie sie ihn empfängerorientiert ansprechen könnten. Fallbeispiel 2: Weil Ihre Frau heute spät nach Hause kommt und Sie sich ein Fußballspiel im Fernsehen anschauen wollen, haben Sie schon Spaghetti mit Tomatensoße aus der Packung gekocht und gegessen. Als Ihre Frau nach Hause kommt, ist sie verwundert über das in der Spüle liegende schmutzige Geschirr und die noch im Topf vorhandenen kalten Spaghetti. Da sie nicht vorhat, auch noch die Küche sauber zu machen, aber morgen in einer sauberen Küche frühstücken möchte, spricht sie Sie an. Wie sollte Ihre Frau Sie nach dem oben genanntem Muster ansprechen?

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Abb. 6.4  Gewaltfreie Kommunikation – eigene Übung

Fallbeispiel 3: Das Projekt über den Bau der neuen Maschine ist nun erfolgreich abgeschlossen. Sie haben sich schon heute Morgen beim gesamten Projektteam bedankt, aber Herr Bernhard Röhl hat sich besonders bemüht. Er hat während der gesamten Projektdauer das Team mit guten Internetrecherchen unterstützt. Seine Ergebnisse waren immer themenorientiert und übersichtlich zusammengestellt. Sie möchten ihm Ihren ausdrücklichen Dank aussprechen, ohne dass es sich wie eine Floskel anhört. Wie würden Sie es nach dem oben genanntem Muster durchführen? Fallbeispiel 4: Ihnen liegt eine Ausarbeitung für einen besonders wichtigen Kunden sehr am Herzen. Als Sie sich nach dem Stand der Dinge erkundigen, reagiert Herr Deiser, dem Sie die Ausarbeitung übertragen haben, ungehalten und sagt: „Lieber Chef, wenn sie mich alle fünf Minuten bei der Arbeit stören, kann ich mich nicht konzentrieren. Lassen Sie mich bitte in Ruhe arbeiten.“ Was würden Sie auf diese Reaktion nach dem oben genanntem Muster sagen?

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

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Mögliche Lösungen für die vier Beispiele

Fallbeispiel 1: Mögliche Lösung Abb. 6.5 zeigt die Musterlösung 1. Fallbeispiel 2: Mögliche Lösung Abb. 6.6 zeigt die Musterlösung 2. Fallbeispiel 3: Mögliche Lösung Abb. 6.7 zeigt die Musterlösung 3. Fallbeispiel 4: Mögliche Lösung Abb. 6.8 zeigt die Musterlösung 4. Die angeführten Lösungen sollen jeweils immer nur eine mögliche Option darstellen. Die zwischenmenschliche Kommunikation zählt sicherlich zu den größten Herausforderungen, nicht nur in der täglichen Führungsarbeit, sondern auch in sämtlichen Bereichen, in denen wir miteinander kommunizieren.

Abb. 6.5  Gewaltfreie Kommunikation – Musterlösung 1

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Abb. 6.6  Gewaltfreie Kommunikation – Musterlösung 2

6.1  Konzept der Gewaltfreien Kommunikation

Abb. 6.7  Gewaltfreie Kommunikation – Musterlösung 3

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6  Die SAULUS-Methode in der wertschätzenden Kommunikation

Abb. 6.8  Gewaltfreie Kommunikation – Musterlösung 4

Literatur

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Im folgenden Kapitel werden hilfreiche Gesprächstechniken vorgestellt, die die Kommunikation mit Mitarbeitern nicht nur erleichtern, sondern vor allem dabei helfen sollen, deren Inhalte zielführend zu transportieren.

Literatur Holler, I. (2007). Trainingsbuch Gewaltfreie Kommunikation. Paderborn: Junfermann Verlag.

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Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Die praktische Anwendung von Kritik- und Anerkennungsgesprächen sowie Feedback Vor allem wenn es zwischen Personen ein Machtgefälle gibt, sind Kritik- und Anerkennungsgespräche statt Tadel und Lob von Vorteil. Bei dieser Art von Gespräch fühlt sich das Gegenüber zunächst einmal verstanden und erkennt, worauf es dem Gesprächspartner (Chef, Mitarbeiter etc.) in einer bestimmten Situation ankommt. Ein Kritikgespräch erfolgt dann, wenn eine bestehende Vereinbarung nicht eingehalten wurde. Ein Anerkennungsgespräch wird durchgeführt, wenn eine Vereinbarung vorhanden ist und diese eingehalten wurde. Im Unterschied dazu erfolgt Feedback, wenn eine Rückmeldung notwendig oder sogar gewünscht ist, ohne eine vorab vorhandene Vereinbarung. Dieser Unterschied wird hier angeführt, weil es in der Praxis häufig zu einer missbräuchlichen Verwendung von Feedback kommt (nämlich anstelle des notwendigerweise korrekten Kritik- oder Anerkennungsgesprächs). Die Durchführung von Anerkennungs- und Kritikgesprächen erfolgt nach der SAULUS-Methode, während Feedback über das „Feedback-Kreuz“ umgesetzt wird. Diese Gespräche nehmen den Druck aus einer Situation, die vielleicht eskalieren könnte. Allerdings muss der unten beschriebene Ablauf eingehalten werden, vor allem beim Kritikgespräch.

7.1 Anerkennungsgespräch Im Anerkennungsgespräch erfährt der Angesprochene, dass der Gesprächspartner seine spezielle Leistung anerkennt. Zudem wird ihm klar, was dem Gesprächspartner wichtig ist und worauf er sich in Zukunft einstellen muss. Anschließend kann man die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_7

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7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

verschiedensten Vereinbarungen treffen. Bei der Gesprächsführung sollte man von sich selbst ausgehen und nur „ICH-Botschaften“ verwenden. Die Verwendung von „DU-­ Botschaften“ sollte vermieden werden, weil diese das Selbstwertgefühl des Gegenübers verletzen und Rechtfertigungen oder Gegenangriffe hervorrufen.

7.2 Kritikgespräch Das Kritikgespräch besitzt einen Schwachpunkt. Das Gespräch wirkt manchmal zu „sanft“, da der Gesprächspartner nicht direkt kritisiert wird. Wenn das sicher der Fall ist, muss man die problematische Situation noch einmal im Sinne eines folgerichtigen, konsequenten Durchgreifens ansprechen. Allerdings werden dann zwei Arten von Botschaften erteilt, nämlich eine ICH- und eine DU-Botschaft: „Ich sehe, dass Sie heute zum zweiten Mal nach der vereinbarten Zeit kommen. Ich bin enttäuscht und verärgert, aus zwei Gründen: erstens weil mir Pünktlichkeit, zweitens weil mir die Verlässlichkeit bezüglich einer gemachten Vereinbarung wichtig ist. Ich will mich darauf verlassen können, dass eine gemachte Vereinbarung eingehalten wird. Daher fordere ich Sie auf, beim nächsten Meeting die Pünktlichkeit zu beachten!“ Das ist jetzt nicht mehr „sanft“. Es ist klar und deutlich, was der Vorgesetzte will, weil dieser zuletzt auch eine „ICH-Botschaft“ verwendet. Eine Gegenüberstellung von Anerkennung und Kritik zeigt Abb. 7.1. Anmerkung: In beiden Fällen sollten nur konkrete Beobachtungen, jedoch keine Verallgemeinerungen, persönliche Eigenschaften oder gar Charakterzüge benannt werden, wie beispielsweise: „Ich habe gesehen, dass Sie der größte Schlamper der Firma sind!“ oder: „Sie sind ein hervorragender Mitarbeiter!“ Solche plakativen Formulierungen führen entweder dazu, dass der Mitarbeiter sich verletzt fühlt und rechtfertigen muss („Ich bin doch nicht schlimmer als die anderen!“ oder: „Es ist gar nicht meine Schuld!“). Bei schlecht formulierter Anerkennung wird der Mitarbeiter unter Umständen einen ungerechtfertigten Anspruch entwickeln („Wenn ich der Beste bin, dann bin ich offensichtlich unterbezahlt!“). In beiden Fällen ist der zeitliche Bezug entscheidend. Wenn der Chef zu spät anerkennende Worte findet, hat der Mitarbeiter den Eindruck, dass er nur dann anerkannt wird, wenn er etwas ganz Besonderes leistet. Wird zu spät kritisiert, so kann das zu Nachlässigkeit führen. Kritik wirkt nur dann wirksam, wenn sie privat erteilt wird. Ansonsten fühlt sich der Kritisierte bloßgestellt und wird dem Änderungshinweis des Kritikgebers nicht unbedingt folgen. Sehr oft wird allerdings diese Forderung (nur unter vier Augen) erweitert, wenn mehrere Menschen (Mitarbeiter, Kollegen, Kinder) das gleiche Fehlverhalten gezeigt haben. Man kritisiert dann alle Beteiligten gleichzeitig. Doch durch diese Vorgehensweise geben sich die Kritisierten gegenseitig die Schuld. Damit ist das Ausmaß der „Schuld“ eines Einzelnen nicht mehr auszumachen; es wird darüber diskutiert, statt eine klare Vereinbarung für die Zukunft zu treffen.

7.3  Feedback oder Rückmeldung in der Führungspraxis

Anerkennung 1. Leistung, Verhalten, Sache, die der Kollege gemacht hat:

Kritik 1. Fehlleistung, Fehlverhalten, falsch gelaufene Angelegenheit ansprechen:

Ich habe festgestellt, ... Ich habe gesehen, ... Ich habe erlebt, ...

Ich habe festgestellt, ... Ich habe gesehen, ... Ich habe erlebt, ...

Note: Persönliche Eigenschaften, Charakterzüge nicht direkt nennen

Note: Persönliche Eigenschaften, Charakterzüge nicht direkt nennen

2. Begründung Ich finde es gut, weil es für Sie schwer war ... Note: Begründung aus der Sicht des anderen formulieren 3. zeitlicher Bezug

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2. Begründung Ich kann es nicht akzeptieren, weil... Ich finde es nicht gut, weil ... Note: Begründung aus meiner Sicht der Dinge formulieren 3. Neuer Weg, Richtung angeben Ich bitte Sie, so und so vorzugehen ... Ich bitte Sie, das so zu tun ... 4. zeitlicher Bezug 5. Unter vier Augen!

Abb. 7.1  Gegenüberstellung von Anerkennung und Kritik

7.3 Feedback oder Rückmeldung in der Führungspraxis Feedback heißt Rückkopplung und dient dazu, die eigene Einschätzung in Bezug auf Leistung und Verhalten mit der Einschätzung anderer zu vergleichen, zu ergänzen oder ggf. zu verändern. Rückmeldungen (Feedback) finden im Kontakt mit anderen Menschen ständig statt, bewusst oder unbewusst, spontan oder erbeten, in Worten oder über körpersprachliche Signale. Diese Informationen melden dem Gegenüber (z. B. dem Mitarbeiter), was der Vorgesetzte wahrgenommen hat und ermöglichen ihm durch etwaige Korrekturen seines Verhaltens auf das zu reagieren, was dem Chef oder der Firma wichtig ist. In der Führungsarbeit sind solche Rückmeldungen Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, wobei hier nicht nur das Feedback vom Chef zum Mitarbeiter gemeint ist, sondern auch vom Mitarbeiter zum Vorgesetzten. Entscheidend dabei sind die innere Haltung des Feedbackgebers und des Feedbacknehmers sowie ein vorgeschriebener Ablauf. Der Ablauf einer wirkungsvollen Rückmeldung erfolgt nach dem sogenannten Feedback-Kreuz-Schema, wie in Abb. 7.2 dargestellt. Bemerkung: Es geht hier nicht um GUT oder SCHLECHT, sondern um konkrete Beobachtungen und Verbesserungsvorschläge. Diese werden allerdings nur dann befolgt (oder versucht zu befolgen), wenn der Feedbackgeber in den Augen des Gesprächspartners Vertrauen und Ansehen genießt. Die Bereitschaft zur Annahme von Feedback durch die Mitarbeiter ist ein Hinweis auf die Qualität der Arbeit einer Führungskraft.

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7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Abb. 7.2  Das Feedback-Kreuz (Beispiel)

u

Tipps für eine gute Rückmeldung (Feedback) 1. Beschreiben, nicht bewerten: Der anderen Person bleibt es frei, diese Information zu verwerten oder aber auch nicht. Durch das Vermeiden einer Bewertung reduzieren Sie die Wahrscheinlichkeit einer defensiven Reaktion oder Rechtfertigung. 2. Seien Sie konkret, nicht verallgemeinernd: Vermeiden Sie die Wörter „immer“ und „nie“. Besprechen Sie besser konkrete Tatsachen und Ereignisse. Vermeiden Sie verallgemeinernde Schlüsse wie: „Sie sind zu dominant.“ Benutzen Sie stattdessen eine spezifische Aussage: „Wenn Sie anderen nicht zuhören, könnte Ihnen eine wertvolle Idee entgehen.“ 3. Kommentieren Sie nur änderbares Verhalten: Die Frustration steigt, wenn Sie jemanden an Mängel erinnern, die sich seiner Kontrolle entziehen. 4. Reagieren Sie rechtzeitig: Feedback ist meistens bei der ersten Gelegenheit nach dem Auslöseverhalten am nützlichsten. 5. Äußern Sie sich deutlich: Bei negativem Feedback ist es besonders wichtig. Lassen Sie am besten Ihr Feedback vom Gesprächspartner in seinen eigenen Worten wiederholen. So sehen Sie, ob Ihre Kommentare so verstanden wurden, wie Sie diese im Sinn hatten.

7.3  Feedback oder Rückmeldung in der Führungspraxis

105

Übung: Rückmeldung (Feedback) geben

Malte Köppken arbeitet als Meister in einem Unternehmen. Das Betriebsklima in seinem Bereich ist eher schlecht, und die Fehlzeiten bei seinen Mitarbeitern sind vergleichsweise hoch. Unter anderem deshalb wird er von seinem Vorgesetzten zu einem Führungsseminar geschickt. Dort hört er viel über Motivation und über Anerkennung, die er seinen Mitarbeitern zukommen lassen müsse. Da ihm das einleuchtet, beschließt er, das neu Gehörte sofort nach dem Zurückkommen in den Betrieb in die Tat umzusetzen. Malte Köppken trägt in seinen Terminplaner ein, wann er welchen Mitarbeiter loben will, damit er auch niemanden vergisst. Zunächst nimmt er sich den Vorarbeiter Fritz Emsig, der ihn inzwischen vertreten hat, vor: „Herr Emsig, ich bin mit Ihnen sehr zufrieden. In meiner Abwesenheit scheint alles gut geklappt zu haben. Mein Kompliment!“ Herr Emsig scheint gar nicht so sehr begeistert zu sein: „Ja, dachten Sie denn, es würde nicht klappen?“ Dann spricht Malte Köppken mit Francesco Franelli, dem italienischen Einrichter: „Francesco, ich wollte dir immer schon sagen, dass ich mich freue, wie verlässlich du bist. Ich wünschte, auf die anderen Mitarbeiter könnte ich mich genauso verlassen.“ Francesco Franelli ist unangenehm berührt; zwei andere Einrichter, die das Gespräch mitgehört haben, blicken unbewegt geradeaus. So schnell gibt Malte Köppken jedoch nicht auf. Zwei Tage später spricht er gemäß seinem Plan mit Gerlinde Patzig, einer selbstbewussten Frau: „Toll sehen Sie heute wieder aus, Frau Patzig; bei Ihrer Figur ist das ja auch kein Wunder.“ Gerlinde Patzigs Erwiderung ist nicht unbedingt druckreif. Nach zwei Tagen hat Malte Köppken die Gelegenheit, aufgrund eines aktuellen Geschehnisses seinen Helfer Paul Treu zu loben. Dieser hatte es am Vorabend durch seinen persönlichen Einsatz in Überstunden ermöglicht, dass ein Auftrag für einen wichtigen Kunden noch pünktlich ausgeliefert werden konnte. Der Meister bestellt ihn in sein Büro und sagt ihm: „Ich bin mit dir sehr zufrieden, obwohl ich das eigentlich von dir nicht erwartet habe. Ich würde mich freuen, wenn du so weitermachst, und wäre froh, wenn deine Kollegen auch so wären wie du. Du erhältst in den nächsten Tagen noch eine Kleinigkeit.“ Der Meister ist überrascht, als Paul Treu mit einem leisen „Okay“ fast wortlos davonzieht. Malte Köppken ist mittlerweile ins Grübeln gekommen. Einige Tage später versucht er es erneut. Er kommt bei Theodor Sorgfalt vorbei, 46 Jahre alt, seit 23 Jahren im Betrieb, Materialbereitsteller, einer seiner verlässlichsten Mitarbeiter. Malte Köppken sieht sich prüfend um und sagt dann zu Herrn Sorgfalt: „Recht ordentlich ist das hier bei Ihnen.“ Dieser verzieht das Gesicht. „Alles ganz ordentlich?“, denkt er, „Er soll sich doch mal bei den anderen umschauen. Da müsste er doch sehen, dass die Ordnung bei mir vorbildlich ist!“

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7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Irgendetwas scheint hier schief gelaufen zu sein. Aufgabe: 1. Was hat Herr Köppken grundsätzlich falsch gemacht? 2. Wie hätten Sie im einzelnen Fall die Anerkennung ausgedrückt? (Bitte schriftlich formulieren) Anmerkung: Es erweist sich als sinnvoll, im Terminkalender einzutragen, wann man sich Gedanken über Mitarbeiter, deren Leistung und Verhalten machen möchte. In der täglichen Hektik wird sehr oft gar nicht mehr bemerkt, was andere leisten. Der klassische Aufruf an alle Führungskräfte „Erwische Deine Mitarbeiter, wenn sie etwas Gutes tun!“ ist ohne derartige Einträge kaum umzusetzen.

7.4 Richtige Anwendung von Kritik, Anerkennung und Feedback An dieser Stelle soll geklärt werden, wann eine Kritik oder eine Anerkennung notwendig und wann eine Rückmeldung bezüglich Leistung und Verhalten sinnvoll ist. Im ersten Teil des Buches wurde der Führungskreislauf vorgestellt. Eine Führungskraft muss sich darüber Gedanken machen, welche Leistungen bzw. Ziele mit ihrer Organisationseinheit erreicht werden sollen. Gegebenenfalls muss die geforderte Leistung von der Abteilung oder vom Werk mit der Geschäftsführung noch einmal besprochen werden. Erst danach können die Leistungsanteile definiert und an die richtigen Mitarbeiter delegiert werden. Die Delegation beinhaltet aber auch eine abgesprochene Kontrolle. Der Mitarbeiter muss von vornherein wissen, was wichtig ist und welches Ergebnis erwartet wird. Stimmt am Ende die vereinbarte Leistung und das Verhalten mit der gemachten Vereinbarung bei der Delegation überein, so besitzt der Mitarbeiter ein Recht auf eine Anerkennung. Wir sprechen dann von einem Anerkennungsgespräch und nicht von Lob. Stimmen diese nicht mit dem überein, was vereinbart wurde, so muss eine Korrektur (Änderungswunsch, neue Richtung) besprochen werden. Wir sprechen dann von einem Kritikgespräch und nicht von einem Tadel oder einem Vorwurf. In einem Kritikgespräch werden Möglichkeiten und Wege ausgelotet, um die Leistung und/oder das dazu nötige Verhalten zu verbessern. Es ist nicht notwendig, ein Kritik- mit einem Anerkennungsgespräch zu koppeln. Beim Feedback-Gespräch hingegen muss im Vorfeld nichts Konkretes vereinbart worden sein. In der Führungspraxis geht es darum, jemanden in seinem Verhalten oder in seiner Leistungserbringung zu stärken, d. h., ihm zu zeigen, dass seine Leistung und sein Verhalten wahrgenommen wurden. Gegebenenfalls kann man dem Mitarbeiter helfen, sich zu verbessern. Der Gesetzgeber erwartet von Führungskräften zumindest einmal im Jahr ein solches Feedbackgespräch, allerdings in beiden Richtungen; vom Chef zum Mitarbeiter und umgekehrt. Hier wird besprochen, was beiden Partnern in Bezug auf Leistung und Verhalten wichtig ist.

7.5  Bedeutung von Fragen in der Gesprächstechnik

107

7.5 Bedeutung von Fragen in der Gesprächstechnik Das Führen von Menschen hat den Sinn, zusammen mit diesen ein angestrebtes Ziel zu erreichen. In der heutigen betrieblichen Welt können richtige Entscheidungen nur dann getroffen werden, wenn alle notwendigen Informationen zur Verfügung stehen. Um diese zu erhalten, müssen Führungskräfte den Mitarbeitern Fragen stellen. Konfuzius wird dazu folgender Ausspruch zugeschrieben: „Wer fragt, ist ein Narr für eine Minute. Wer nicht fragt, ist ein Narr sein Leben lang!“ Und Albert Einstein sagte: „Wichtig ist, dass man nie aufhört zu fragen!“ Fragen an Mitarbeiter und Kollegen zu stellen, wirkt motivierend, denn sie beteiligen sich somit an dem betrieblichen Prozess. In der Praxis werden zu viele Entscheidungen am „grünen Tisch“ getroffen, ohne über alle Informationen zu verfügen. Die Mitarbeiter, die möglicherweise dieses Wissen gehabt hätten, ärgert diese Tatsache. Der Enttäuschte koppelt sich vom Geschehen ab, es kommt zu einer passiven Haltung, die dem Unternehmen viele Kosten verursachen kann. Fragen können anderen helfen, über bestimmte Inhalte und Situationen ausführlicher nachzudenken und neue Ideen zu entwickeln. Fragen sind daher auch „eine bewährte Form des Lehrens“, wie Sokrates richtig bemerkte. • Fragen sind ein gutes Mittel, jemanden gezielt am Gespräch zu beteiligen. • Fragen sind ein ausgezeichnetes Mittel, gezielt ein Gespräch zu eröffnen. • Mit einer geschickten Frageführung ist der Sprecher in der Lage, eine Rede in seinem Sinne zu strukturieren. • Fragen sind ein ausgezeichnetes Mittel, Motivation zu erzeugen. • Fragen sind Impulse für eine Aktivierung. • Mit Fragen vermag es der geschickte Verhandlungsführer, ein Gespräch in Gang zu halten. • Fragen lenken das Interesse des Gesprächspartners auf den Gesprächsgegenstand und zwingen ihn so, dem roten Faden zu folgen. • Fragen dienen als Suggestiv-Instrument, das zur Entscheidung führen kann. • Fragen erhalten und/oder steigern die Aufmerksamkeit des Gegenübers. • Mit Fragen gelingt es dem Sprecher, die Interessen des Gesprächspartners festzustellen, ohne dass er sich selbst festzulegen braucht. Schwierig erweist sich oft die richtige Formulierung einer Frage. Francis Bacon (1561– 1626), Philosoph und englischer Staatsmann, sagte in diesem Zusammenhang: „Klug fragen können, ist die halbe Weisheit.“ Eine Frage kann die Unwissenheit eines anderen Menschen zu einem wichtigen Thema aufdecken, sie kann wiederum auch eine Machtdarstellung bedeuten. „Wissen ist Macht“ ist ein geflügeltes Wort, das auf Bacon zurückgeht. Es ist sinnvoll, sich mit dem Thema „Fragen“ eingehender zu befassen. Fragen stellen zu können, ist eine Schlüsselkompetenz für alle Mitarbeiter eines Unternehmens. Denn nur so funktioniert die Kommunikation innerhalb der Organisation reibungslos. Tab. 7.1 enthält die wichtigsten Frageformen.

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7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Tab. 7.1  Frageformen Frageform

Formulierungsbeispiel

Auswirkung

Offene Fragen (W-Frage)

Welche Schwierigkeiten sind denn Aufgetreten? Wie ist das passiert? Was haben Sie bisher versucht?

Partnerschaftlich, bringt die meiste Information

Stimulierende Frage

Wie würden Sie dies als Vorgesetzter emp- Anregend, Zum Nachdenken bringend finden, wenn … Welche Auswirkungen hat Ihr Verhalten auf …?

Alternativfrage

Ist es für Sie wichtiger, dass das Produkt besonders billig oder dass es vor allem zuverlässig ist?

Geschlossene Fragen

Hilft beim Antworten

Sagen Sie, ist …? Sind Sie der Meinung, dass …? Wollen Sie 1 oder 2 Eier zum Frühstück? Geschlossene Fragen mit einer negativen Wirkung

Beherrschend, einengend, Abschließend

Suggestivfrage

Manipulativ

Sie sind doch sicher so vernünftig, dass Sie … Wir sind uns doch einig, dass …

Fangfrage

Haben Sie jetzt gesagt, dass …? War nicht eben Ihre Meinung, dass …? Geschlossene Fragen mit einer positiven Wirkung

Misstrauisch, „Festnagelnd“

Reflektierende Frage

Sagten Sie, dass …? Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie, dass … Verstehe ich Sie recht, dass …?

Verständnisvoll, ­akzeptierend, klärend

Richtungs Weisende Fragen

Sie meinen demnach, dass …?

Konstruktiv, Weiterführend

7.6 Offene Fragen oder „W“-Fragen Zu Beginn eines Gesprächs weiß man selten, was der Gesprächspartner denkt, welche Informationen, Ziele oder Probleme er hat. Um unechte Antworten nicht herbeizuführen, verwendet man offene Fragen, die mit einem Fragewort („W“-Wort: wie, was, wer, wieso, wo, wann usw.) anfangen. Zum Beispiel: WIE kann ich helfen? WORIN besteht das Problem? WAS könnten Sie konkret tun? WELCHE Möglichkeiten gibt es? Es ist vor allem zu Beginn eines Gesprächs hilfreich, Informationen zu sammeln, um ­Situationen und Probleme zu erkennen, um sich ein möglichst vollständiges Bild zu machen. Ein „W“-Fragewort sollte allerdings nicht allzu oft verwendet werden – vor allem das Wort „WARUM“ ist problematisch. In der Schule lernt man, alles mit einem einfachen WARUM zu hinterfragen. Jedoch in Sätzen wie: „Warum hast du das gemacht?“ oder

7.7  Geschlossene Fragen

109

„Warum bekommt der Kunde die Lieferung nicht rechtzeitig?“ schwingt ein Vorwurf mit. Oft führen „Warum“-Fragen zu Rechtfertigungen, denn der Angesprochene fühlt sich in eine Ecke gedrängt. Daher sollte man andere Frageformen vorziehen, wie zum Beispiel: „Könnten Sie mir die Hintergründe erläutern?“, „Was spricht dagegen?“ oder „Was wollen Sie damit erreichen?“ Offene Fragen funktionieren allerdings nur gut bei Partnern, die keine „Vielschwätzer“ sind. Diese Vielredner kommen nämlich durch sie erst so richtig in Fahrt. Hier empfiehlt es sich, entweder eine Alternativfrage oder eine geschlossene Frage zu verwenden. Varianten der offenen Fragen sind die stimulierende Frage und die Alternativfrage. Beide werden in der Führungspraxis leider zu selten benutzt.

7.6.1 Die stimulierende Frage In schwierigen Situationen ist es sinnvoll, den Mitarbeiter mit der eigenen Position zu konfrontieren. Man zwingt ihn sozusagen, sich in die Situation seines Vorgesetzten zu versetzen und das Problem aus dessen Sicht zu betrachten: „Wenn Sie in meiner Situation wären, was würden Sie jetzt tun?“, „Wie würden Sie das als Vorgesetzter empfinden, wenn …“, „Welche Auswirkungen hat Ihr Verhalten auf …?“

7.6.2 Die Alternativfrage Diese Frage ist in der Führungspraxis vor allem dann zu verwenden, wenn man davon ausgehen kann, dass das Gegenüber entweder die Antwort nicht genau kennt oder nicht direkt antworten möchte. Die möglichen oder sinnvollen Alternativen sind im Vorfeld vorzubereiten, um anschließend die Alternativfragen darauf aufzubauen. Beispielsweise könnte man statt der Frage: „Was meinen Sie, welches Werkzeug sollte man dafür einsetzen?“ die Alternativfrage: „Was meinen Sie, eignet sich dafür das Werkzeug A, oder ist es doch besser, das Werkzeug B zu verwenden?“

7.7 Geschlossene Fragen Auf eine geschlossene Frage gibt es, wie der Name schon vermuten lässt, nur wenige mögliche Antworten: JA, NEIN oder eine Zahl. Natürlich kann man damit kein ausführliches Gespräch führen, aber manchmal braucht man kurze, klare Antworten. Geschlossene Fragen sind zum Beispiel: „Geht es dir gut?“, „Bist du damit einverstanden?“, „Sind Sie morgen um 14 Uhr telefonisch erreichbar?“, „Wie viele Tage hast du Urlaub?“, „Haben Sie die Maschine kaputt gemacht?“, „Sind Sie der Mörder?“ Geschlossene Fragen geben uns die gewünschte Information, sie klären die Fronten, fordern aber auch Aufmerksamkeit und können das weitere Gespräch in eine ganz bestimmte Richtung lenken. Wenn ein Gespräch zu entgleisen droht oder man zu einem

110

7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Ergebnis kommen möchte, ist diese Fragetechnik sinnvoll: „Sind Sie damit einverstanden, dass wir wie besprochen vorgehen?“, „Möchten Sie morgen die Anlage noch einmal durchschauen?“

7.7.1 Nachteile der geschlossenen Fragen Geschlossene Fragen haben nicht nur Vorteile. Wenn zu viele geschlossene Fragen gestellt werden, sind die Gesprächsanteile ungleich verteilt. Einer fragt und fragt, der andere hat nur zwei Möglichkeiten – ja oder nein zu sagen. Im ungünstigsten Fall bekommt man als Antwort ein unsicheres „vielleicht“ oder noch schlimmer ein „Ich weiß es nicht“. Zu viele geschlossene Fragen wirken wie ein Verhör, was zu Misstrauen und Demotivation führen kann. u Hinweis  Auf eine geschlossene Frage, die mit NEIN beantwortet wird, muss entweder eine offene Frage folgen oder eine solche, auf die bestimmt mit JA geantwortet werden muss. Sollte dennoch ein „NEIN“ kommen, muss man mit Widerstand und emotionaler Abwehr rechnen. „NEIN“, ist ein sehr negatives Wort, das unbewusst negative Gefühle hervorbringt. Als Folge entsteht Widerstand gegenüber dem nun als „Gegner“ wahrgenommenen Gesprächspartner.

7.7.2 Geschlossene Fragen mit einer negativen Wirkung Eine negative Wirkung entsteht dann, wenn der Gesprächsleiter schon in der Art der Frage versucht, die Antwort, die er gerne hören will, zu bekommen. Er legt sozusagen dem Gesprächspartner eine gewisse Antwort in den Mund. Dieser kann dann gar nicht mehr anders, als sich den Werten, Bewertungen, Vorlieben und dem Verhalten des Gegenübers grundsätzlich anzupassen. Solche negative Frageformen sind die Suggestivfrage und die Fangfrage. Beispiele für Suggestivfragen sind: „Sie sind doch sicher so vernünftig, dass Sie …, oder sehen Sie es anders?“, „Wir sind uns doch einig, dass …, oder?“, „Sie wissen doch auch …, nicht wahr?“, „Es ist Ihnen auch bekannt, dass …, oder nicht?“ Mit Fangfragen versucht man einen Aspekt der Aussage des Gegenübers aufzugreifen, um diesen möglicherweise zu verunsichern und zu einer vorschnellen Antwort zu bewegen: „Haben Sie jetzt gesagt, dass …?“, „War nicht eben Ihre Meinung, dass …?“

7.7.3 Geschlossene Fragen mit einer positiven Wirkung Im Gegensatz zu den geschlossen Fragen mit negativer Wirkung stehen die reflektierende Frage und die richtungsweisende Frage. Beide klingen ähnlich und versuchen den Gang des Gespräches aufrechtzuerhalten und dem Gesprächspartner das weitere

7.8  Rhetorische Frage

111

Sprechen zu erleichtern. Sie verdrehen nicht die Aussagen des anderen und legen ihm auch nicht eine Antwort in den Mund. Beispiele für solche Fragen sind zum Beispiel: „Sagten Sie, dass …(es wird möglichst wörtlich wiederholt)?“, „Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie, dass …?“, „Verstehe ich Sie recht, dass …?“, „Sie meinen demnach, dass …?“. Diese Fragen sind verständnisvoll, akzeptierend und klärend.

7.8 Rhetorische Frage Der größte Vorteil dieser Fragen ist die Tatsache, dass man sie selbst beantworten kann und somit keine Antwort verlangt wird. Beispiele sind: „Wollen wir nicht alle den Erfolg unseres Unternehmens sichern?“ oder „Wollen wir nicht doch alle glücklich sein?“ oder „Habe ich dir das nicht schon gesagt?“ Man setzt dabei das Einverständnis der Zuhörer voraus. Die rhetorische Frage sucht nicht nach Information, sondern möchte in der Regel das Gegenüber beeinflussen. Der zweite Zweck einer rhetorischen Frage besteht darin, in einem Vortrag oder in einer Präsentation ein neues Kapitel oder einen neuen Aspekt anzukündigen. Man nimmt mit seiner rhetorischen Frage die Fragen der Zuhörer vorweg. Beispiele sind: „Sicherlich möchten Sie nun wissen, was die neue Anlage kosten wird! Nun nach meinen Rechnungen …“ oder „Was mich zu dieser Aussage qualifiziert? Nun, …“. Der dritte Anwendungsbereich einer rhetorischen Frage ist die Abwehr von sprachlichen Angriffen. Diese wollen verunsichern und Machtpositionen deutlich machen, zum Beispiel: „Sind Sie sicher, dass Sie im Besitz aller notwendigen Informationen waren?“ unterstellt, dass man nicht alle Informationen hatte, und versucht möglicherweise, den Gesprächspartner in die Defensive zu treiben. Eine angreifende Bemerkung kann entschärft werden, indem man mit einer offenen rhetorischen Frage antwortet: „Welche Informationen mir zur Verfügung standen, möchten Sie wissen? Nun, ich habe … herangezogen. Sind Ihnen noch weitere Informationen bekannt?“ Nun ist der „Angreifer“ in der Defensive, denn er muss klarstellen, ob er das nur so daher gesagt hat oder ob er tatsächlich weitere Informationen besitzt. Sollte das der Fall sein, kann man für die Zukunft durch eine Vereinbarung eine Verbesserung der Informationsweitergabe erreichen. Vor allem dann, wenn man mit Killerfragen konfrontiert wird – also die Form der rhetorischen Fragen, die darauf abzielen, das Thema sofort zu beenden –, sollte darauf unmittelbar mit einer Gegenfrage gekontert werden. Das bedeutet, nach der unvermeidbaren Schrecksekunde sollte die Führungskraft idealerweise signalisieren, die Frage verstanden zu haben, und dann mit einer Gegenfrage den „Angreifer“ unter Zugzwang bringen. Angenommen, ein Mitarbeiter stellt folgende Killerfrage: „Und Sie meinen tatsächlich, das soll so funktionieren?“ Beispielsweise könnte die Führungskraft darauf folgendermaßen antworten: „Interessant, dass Sie diese Frage stellen. Was spricht denn aus Ihrer Sicht für und was gegen diese Vorgehensweise?“ Weitere Beispiele, wie man verbale Angriffe entschärfen kann, finden Sie in Tab. 7.2. In Tab. 7.3 werden einige Tipps zum richtigen Fragenstellen vorgestellt.

112

7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Tab. 7.2  Entschärfung verbaler Angriffe Bringt das überhaupt etwas? Können wir das Gespräch nicht abkürzen? Haben Sie das durchgerechnet?

Was das bringt? Nun ich erwarte konkret … Wie wir das Gespräch abkürzen können? Eine Möglichkeit wäre … Wie sieht die Rechnung aus? Ich bin von ... ausgegangen und nahm an, dass … Typische Angriffe klingen wie offene, unverfängliche Fragen, beinhalten aber eine negative Bewertung wie z. B. zu teuer, einseitig, schwierig usw. Neutralisieren Sie die Frage, indem Sie diese negativen Wörter einfach in der rhetorischen Frage weglassen Wie sollen wir diese teure Lösung finanzieren? Wie wir diese Lösung finanzieren werden? Sie sehen die Dinge einseitig! Von welchen Seiten habe ich das gesehen? Zuerst habe ich … Typische Reizwörter oder „Paradoxien“ sind: eigentlich, in etwa, vielleicht, überhaupt, doch, im Ernst, wirklich usw. Lassen Sie sich nicht von diesen Reizwörtern provozieren. Neutralisieren Sie die Frage, indem Sie die Reizwörter weglassen Sind Sie überhaupt qualifiziert? Denken Sie eigentlich manchmal an die ­Konsequenzen?

Was qualifiziert mich zu dieser Aussage? Welche Konsequenzen habe ich dabei bedacht … Habe ich dabei etwas vergessen?

Tab. 7.3  Tipps zum richtigen Fragenstellen Immer nur eine Frage stellen!

Vermeiden Sie Fragebatterien, denn mehr als zwei Fragen können nur wenige behalten

Kurze Fragen formulieren!

Formulieren Sie unkompliziert. Vermeiden Sie vor allem doppelte Verneinungen, beispielsweise: „Welche Gründe sprechen nicht gegen eine Preiserhöhung?“ Oder verschnörkelte Einleitungen wie: „Gehe ich fehl in der Annahme, dass …?“

Fragen unkompliziert formulieren!

Fassen Sie sich kurz. Bei langen Fragen wird oft nur ein Teil davon behalten, und darum werden solche Fragen meist nur bruchstückhaft beantwortet

Gut zuhören!

Denken Sie daran: Gutes Zuhören kann Ihnen manche Frage ersparen. Nur gutes Zuhören ermöglicht Ihnen, Wichtiges ­herauszufiltern

Wichtige Fragen ­vorbereiten!

Sie gehen auf diese Weise sicher, dass der Befragte einen genauen Bezugsrahmen hat und weiß, worum es geht

Eindeutige Formulierungen kommunizieren!

Verwenden Sie eindeutige Formulierungen, wenn Sie eindeutige Informationen haben wollen. Unklare Ausdrücke sind z. B. „früher“, „ziemlich“, „irgendwo“, „manche“. Fragen Sie eventuell nach

Konkrete Fragen stellen!

Kommunizieren Sie entweder alle Alternativen klar oder gar keine. Stellen Sie nach Möglichkeit konkrete Fragen. Nicht: „Wie ­verbringen Sie normalerweise Ihre Arbeitszeit?“ Sondern: „Was haben Sie gestern getan und was heute?“

Keine indirekten Fragen stellen!

Indirekte Fragen sind meist nicht eindeutig zu interpretieren

7.9  Zuhören wollen und zuhören können

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7.9 Zuhören wollen und zuhören können 7.9.1 Die Herausforderung des Zuhörens Zuhören zählt zu den wichtigsten Eigenschaften einer Führungskraft. Obwohl die meisten Menschen gut hören, sind sie dennoch schlechte Zuhörer, die kaum mehr als 25 % des Gehörten wirklich aufnehmen. Zuhören bedeutet stets mehr als einfach nur zu hören! Was ein Mensch hört, muss er deuten, dann bewerten und schließlich darauf reagieren. Das erst ist wirkliches Zuhören. Während dieses komplexen Vorgangs treten einige Probleme auf. Der Zuhörer könnte zum Beispiel einen Sprecher ablehnen, weil er gegen ihn voreingenommen ist, weil er seine Rede schlecht vorträgt oder einfach, weil er ihn unsympathisch findet. Oft stehen persönliche Ansichten, Gefühle oder Vorurteile der Aufnahme und Verarbeitung des Gehörten im Wege. Es gibt aber auch einen Widerstand gegenüber Themen, die schwierig oder uninteressant erscheinen. Weil das Gehirn ca. viermal so schnell arbeitet wie die meisten Menschen sprechen, schweifen unsere Gedanken auch oft ab. Obwohl richtiges Zuhören Schwierigkeiten bereitet, haben die meisten Menschen es dennoch nie systematisch erlernt. Die folgende Anekdote unterstreicht die Bedeutung des Zuhörens für die Rhetorik: Zu Sokrates kam ein junger Mann, der als sehr geschwätzig bekannt war. Er bat um Unterweisung in der Redekunst. Sokrates forderte von ihm das doppelte Honorar, das er sonst zu nehmen pflegte. Erstaunt fragte der junge Mann, warum ausgerechnet er so viel bezahlen müsse. Sokrates antwortete: „Ich habe dich ja zwei Dinge zu lehren: die Kunst der Rede und die des Zuhörens.“ u

Gedanken und Informationen zum Thema „Zuhören“ • Da jede Meinung oder Aussage eines Menschen letztlich ein Bild darstellt, bedeutet ein Angriff auf diese Meinung auch einen Angriff auf dieses Bild. • ... bedeutet jeder Angriff auf eines seiner Bilder auch einen Angriff auf den Menschen selbst. Man kann diesen Angriff sogar körperlich erleben durch Anspannung, Herzklopfen, Magenschmerzen, Nasenbluten usw. • Je größer die Investition zum Erstellen eines Bildes, also das verwendete „Herzblut“ war, desto stärker wird die Gegenwehr in Form von „Nicht-hören-Wollen“ sein. Dies trifft vor allem dann zu, wenn der „Angreifer“ nicht schlüssig zeigen kann, dass die Annahme des neuen Bildes für den „Angegriffenen“ vorteilhaft ist.

Das Aufeinandertreffen eines neuen Bildes mit einem bereits vorhandenen alten Bild nennt man kognitive Dissonanz. Bei einer kognitiven Dissonanz kann man die eigene

114

7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Meinung, d. h. das vorhandene Bild entweder verteidigen oder aber austauschen; im zweiten Fall man kann die neuen Tatsachen, Meinungen oder Argumente akzeptieren. Man kann zuhören wollen!

7.9.2 Drei Empfehlungen, um mit dem Zustand des „NichtZuhörens“ umzugehen: 1. Wenn ein Gesprächsteilnehmer von Anfang an weiß, dass der andere an seinem Bild, seiner Meinung, Anschauung hängt, dann muss er langsam und schrittweise auf seine Hauptaussage hinarbeiten. Es gilt, die Erklärungen und Zusammenhänge vorzubringen, bevor sich der Zustand des „Nicht-Hörens“ einstellt. 2. Wenn man nicht vorhersehen konnte, dass man mit seiner Hauptaussage ein Bild beim Gesprächspartner angreift („mit der Tür ins Haus fällt“), dann sollte man keine weiteren Erklärungen abgeben, bis sich der Zustand des „Nicht-Hörens“ verändert hat, bis der Gesprächspartner also wieder „hören“ kann. Das Beste ist, freundlich zu bleiben und zu sagen, dass man kein „persönliches“ Bild angreifen wollte. Hier zählen hauptsächlich Tonfall, Gestik und innere Einstellung dem anderen gegenüber, d. h., es zählt nicht das einzelne Wort, da das Gegenüber augenblicklich nicht alle Worte aufnehmen kann. 3. Ähnlich wie bei Kopfschmerzen, bei denen es eine gewisse Zeit braucht, bevor die Schmerzen nachlassen, benötigt das Gehirn bis zu 24 Stunden, um sich an einen neuen Gedanken zu „gewöhnen“. Im Volksmund heißt es auch „eine Nacht darüber schlafen“. Es braucht sozusagen eine ganze Nacht, bis unser Gehirn die „gehirninternen Synapsen“ neu ordnen kann. Da unser Gehirn aus Effizienzgründen in der Regel den Ursprung einer Information löscht, ist es sinnvoll, mit einem aufgebrachten Gegenüber erst am nächsten Tag weiterzureden. Man sollte ihm die Argumente neu vortragen, allerdings ohne ihn an das Gespräch vom Vortag zu erinnern, denn dann erinnert sich der Angesprochene möglicherweise an den Ärger und kann deswegen nicht zuhören. Machen Sie den Selbsttest in Tab. 7.4. Übung

Welche Aktionen Ihrerseits sind notwendig, damit Sie alle Fragen aus Tab. 7.4 mit „JA“ beantworten können (bitte schriftlich formulieren)?

7.10 Das aktive Zuhören Unter „aktivem Zuhören“ wird die Reaktion eines Gesprächspartners auf die Botschaft eines Sprechers verstanden, um Missverständnisse zu vermeiden und eine Verbesserung der zwischenmenschlichen Beziehung zu erreichen. Primäres Ziel des aktiven Zuhörens

7.10  Das aktive Zuhören

115

Tab. 7.4  Bin ich ein guter Zuhörer? Selbsttest: Bin ich ein guter Zuhörer?

Meine Einschätzung ja

1.

Wenn ich etwas nicht verstehe, dann frage ich nach

2.

Ich achte darauf, Ablenkungen während des Gesprächs zu vermeiden

3.

Im Grunde genommen ist das Zuhören eine lästige Pflicht, muss aber sein

4.

Ich neige dazu, andere schnell zu ­unterbrechen

5.

Ich achte nicht nur darauf, was gesagt wird, sondern auch darauf, wie es gesagt wird

6.

Ich bemühe mich, die Sichtweise eines anderen zunächst zu verstehen, auch wenn ich anderer Meinung bin

7.

Durch Worte und durch Körpersprache zeige ich meinem Gesprächspartner mein Interesse

8.

Ich schalte in Gesprächen ab, weil ich mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt bin

9.

Ich tendiere dazu, in Gesprächen die Schwachstellen des anderen herauszupicken

10.

Ich stelle Ergänzungen meistens zurück und warte, bis mein Partner ausgesprochen hat

11.

Ich neige im Gespräch dazu, Gegenargumente sehr schnell einzubringen

12.

Ich überprüfe gemeinsam mit meinem Gesprächspartner, ob wir uns richtig ­verstanden haben

13.

Ich finde es gut, meinem Gesprächspartner mitzuteilen, wenn mir das Gespräch gefallen hat

meistens

gelegentlich

nein

ist Vertrauen aufzubauen. Der US-amerikanische Psychologe und Psychotherapeut Carl Rogers hat das aktive Zuhören erstmals als Werkzeug beschrieben. In einem Gespräch sollte der Zuhörer „nicht festlegende Aufmerksamkeitssignale“ von sich geben, die den Gesprächspartner ermutigen weiterzureden. Aufmerksamkeitssignale sprachlicher Natur sind zum Beispiel kurze Äußerungen wie: hm, ja, wirklich, interessant, oh, tatsächlich. Weitere Reaktionen, wie zum Beispiel Kopfnicken, Blickkontakt

116

7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

herstellen usw. signalisieren dem Gesprächspartner, dass der Zuhörer den Inhalt des Gespräches nicht bewertet, dass er den Gesprächspartner ausreden lassen möchte und dass er gedanklich bei ihm ist. Das aktive Zuhören grenzt sich von der reinen Echo-Technik ab, in der nur mechanistisch etwa das letzte Wort des Gehörten wiederholt wird, und auch vom Paraphrasieren, bei dem der Inhalt der aufgenommenen Botschaft zurückgegeben wird. Menschen sind grundsätzlich von den Signalen des Zuhörens, die der Gesprächspartner äußert, stark abhängig. Hierzu eine Übung: Übung

Ein Teilnehmer soll eine Liste von zehn Tieren vorlesen und anschließend der Gruppe die Laute der entsprechenden Tiere vortragen, zum Beispiel der Hund bellt „Wauwau!“, die Kuh macht: „Muh!“ usw. Die anderen Seminarteilnehmer wurden zuvor vom Kursleiter instruiert, bei den ersten fünf Tieren Zeichen der Zustimmung und des aktiven Hörens (aha, hm) von sich zu geben. Ab dem sechsten Tierlaut sollen sie keine Reaktion mehr zeigen. Das verunsichert die meisten Vortragenden so sehr, dass sie total aus dem Konzept kommen; manche fangen in dieser Situation sogar an zu stottern! Können wir zuhören?

Bitte lesen Sie die folgende Geschichte nur ein einziges Mal. Dann lesen Sie die Aussagen auf der nächsten Seite. Sollten die Aussagen im Text mit der gelesenen Geschichte übereinstimmen, kreuzen Sie bitte die Spalte „R“ an. Widersprechen sich die Aussagen, bitte die Spalte „F“ ankreuzen. Wurde keine Aussage im Text darüber gemacht, bitte in der Spalte „?“ ankreuzen! Die Geschichte: Ein Vorgesetzter hatte einen Mitarbeiter nicht zur Gehaltserhöhung vorgeschlagen. Der Mitarbeiter reichte seine Kündigung ein. Das wurde von den Kollegen bedauert, denn er war allgemein beliebt. Es wurde darüber diskutiert, ob man etwas unternehmen sollte.

7.10  Das aktive Zuhören

117

Die Aussagen zur Geschichte R 1.

Der Vorgesetzte hatte dem Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung verweigert.

2.

Der Mitarbeiter hatte keine Gehaltserhöhung bekommen.

3.

Der Mitarbeiter war darüber verärgert und kündigte.

4.

Der Kündigungsgrund war die nicht gewährte Gehaltserhöhung.

5.

Der Vorgesetzte hatte zwar die Gehaltserhöhung vorgeschlagen, sie war aber abgelehnt worden.

6.

Der Weggang des Mitarbeiters wurde von Kollegen bedauert.

7.

Die Kollegen diskutierten, ob man gegen das Vorgehen des Vorgesetzten etwas unternehmen solle.

8.

Die Kollegen unterhielten sich mit dem Mitarbeiter.

9.

Der Vorgesetzte war an dieser Diskussion der Kollegen nicht beteiligt.

10.

Es handelt sich um einen erfahrenen und beliebten Mitarbeiter.

11.

Der Vorgesetzte kündigte dem Mitarbeiter.

12.

Die Kollegen bedauerten, dass der Mitarbeiter keine Gehaltserhöhung bekommen hatte.

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118

7  Der Einsatz von Gesprächstechniken im Führungsalltag

Die richtigen Lösungen 

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Richtig zu kommunizieren bedeutet daher, eine komplexe Abfolge von inhaltlichen Botschaften sowie Beziehungsbotschaften abzusetzen. Eine gleichermaßen hohe Anforderung stellt das aktive Zuhören dar. Eine exzellente Führungskraft sollte beides beherrschen und das wird ihr nur gelingen, wenn sie die in diesem Kapitel vorgestellten Techniken verinnerlicht und sich schließlich die nötige Erfahrung aneignet. Im nächsten Kapitel werden nun konkrete Gesprächstechniken eingesetzt, die auf den bislang vermittelten Inhalten aufbauen.

8

Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter Die richtige Durchführung von Mitarbeitergesprächen

8.1 Ablauf eines motivierenden Mitarbeitergesprächs Grundsätzlich wird ein Mitarbeitergespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter als Führungsinstrument verstanden. In diesem Gespräch unterhalten sich die Beteiligten regelmäßig oder bei Bedarf über Anforderungen der Praxis. Das Gespräch kann von beiden Seiten gefordert werden. Vorbereitung: Ein gutes und erfolgreiches Gespräch muss gut vorbereitet werden, damit ein plan- und zielloser Verlauf vermieden wird. Folgende Punkte sollten vor dem Gespräch geklärt werden: • • • • • •

Was ist das Ziel des Gesprächs? (Keine Doppelziele im Gespräch verfolgen!) Was möchte man konkret erreichen? Welche Fakten, Beobachtungen, Beispiele, Argumente sind vorhanden? Wie sieht der „rote Faden“ aus? Wie wird man argumentieren? Wie wird man in Spannungssituationen reagieren? Was könnte das Gespräch stören?

Gesprächseinstieg: Ein guter Einstieg beinhaltet eine kurze und freundliche Begrüßung. Es soll ein gutes Gesprächsklima und eine offene Gesprächsatmosphäre geschaffen werden. Man sollte keine Floskel verwenden, wie zum Beispiel „Vielen Dank, dass Sie Zeit für mich (als Ihre Führungskraft) gefunden haben!“ oder „Es freut mich, Sie zu sehen!“ Auch unangebrachter Small Talk über Wetter, Fußball oder dergleichen erweist sich nicht als sinnvoll, schließlich findet das Gespräch während der Arbeitszeit statt. Thema sachlich darlegen: Nach dem Gesprächseinstieg sollte das eigentliche Thema oder der Anlass für das Gespräch dargelegt werden. Der Gesprächsführer sollte dabei sachlich, ruhig, ehrlich und offen bleiben. Bewertungen und Übertreibungen sind unangebracht. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_8

119

120

8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

Der zum Gespräch Einladende spricht das Thema an und holt sich auch die Meinungen des Gesprächspartners ein. Hierbei sollte er mittels aktiven Zuhörens sehr genau auf die Sichtweisen und Argumente des Mitarbeiters achten. Um sicherzugehen, dass er den Standpunkt des Gesprächspartners richtig verstanden hat, sollte er anschließend Fragen stellen. Danach stellt der Gesprächsführer noch einmal seinen eigenen Standpunkt deutlich heraus oder verändert diesen, sofern die Argumente des Gegenübers dies erfordern. Es muss überprüft werden, ob beide Seiten die Situation gleich beurteilen. Falls das nicht der Fall ist, müssen unterschiedliche Standpunkte dargestellt und zusammengefasst werden. („Let’s agree to disagree.“/„Lassen Sie uns darüber einig sein, dass wir zu folgenden Punkten eine unterschiedliche Meinung vertreten.“) Gemeinsame Lösung suchen: Auch unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen können zu einer übereinstimmenden Lösung führen. Man kann trotzdem weiterhin Daten sammeln, Versuche durchführen, erzielte Ergebnisse nach Kriterien bewerten usw. Es sollte auf die vorhandenen Gemeinsamkeiten geachtet und das Trennende nicht überbewertet werden. Vereinbarungen mit Rückkopplung: Jede auch noch so gute Lösung ist nichts wert, wenn sie nicht umgesetzt wird. Es müssen klare Vereinbarungen getroffen und sinnvolle Aktionspläne ausgearbeitet werden (Wer macht was, bis wann, mit welchen Ressourcen?). Auch eine Rückkopplung muss stattfinden: Nach welchen Kriterien möchten die Beteiligten zum Schluss die Vereinbarung bewerten? Was ist dabei besonders wichtig? Was passiert, wenn Probleme auftreten? Wer informiert wen und bis wann? Welche Schlüsse kann man aus einem Ergebnis gemeinsam ziehen? Gerade dieser letzte Punkt (Vereinbarungen mit Rückkopplung) wird häufig „vergessen“. Auch Kommunikationsprofis wie zum Beispiel Verkäufer machen Fehler beim Abschluss eines Gesprächs. Wichtige Fragen wie: „Sind wir uns einig?“, „Gibt es für Sie noch Klärungsbedarf?“, „Wollen wir uns danach noch einmal treffen?“ werden nicht gestellt.

8.2 Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern 8.2.1 Gespräche mit unsympathischen Personen Hierbei sollte der Gesprächsführer während der Vorbereitungsphase folgende Fragen beantworten: Warum ist mir diese Person unsympathisch? Woran habe ich es bisher gemerkt? Warum bewerte ich diese für mich unsympathische Person als einen schwierigen Gesprächspartner? Hat es etwas mit ihm oder mit mir zu tun? Der Vorurteilskreislauf: In der Regel ist es vorteilhaft, bestimmte Situationen im Voraus beurteilen zu können. Manchmal ist das sogar wichtig, um zu überleben. Anderseits sind vorschnelle Schlüsse in Bezug auf eine andere Person mitunter problematisch.

8.2  Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern

121

Der Mensch speichert Ereignisse und Situationen in seinem Gedächtnis gemeinsam mit den dabei erlebten Gefühlen ab, d. h. mit dem „Echo“ der damaligen Gedanken. Wenn man auf eine Person trifft, wird diese samt ihren Merkmalen „gescannt“ und mit den im Gehirn gespeicherten Daten verglichen. Falls es genügend Übereinstimmungen gibt, wissen wir, dass wir diese Person „kennen“. Auch beim Treffen auf eine fremde Person findet dieser Vorgang des Vergleichens zwischen dem, was man sieht, und den gespeicherten Informationen statt. Wenn es keine Übereinstimmung gibt, dann weiß man, dass man diesen Menschen zum ersten Mal sieht. Zwar passen die Merkmale der Person mit den im Gehirn gespeicherten „Daten“ nicht in ihrer Gesamtheit zusammen, aber gewisse einzelne Merkmale sind uns unter Umständen schon von früher bekannt. So haben wir zum Beispiel schon mal blaue Augen, rotes Haar, eine knollige Nase oder eine tiefe Furche auf der Stirn gesehen. Wie man diese Merkmale seinerzeit gespeichert hat, ist von entscheidender Bedeutung. War es im Rahmen einer angenehmen Situation, hat man sich dabei wohl gefühlt? Oder war es ein unangenehmes Zusammentreffen? Unbewusst empfindet man beim Erkennen von Merkmalen auch das dazugehörige gespeicherte Gefühl. Ein gutes Gefühl macht sich breit, wenn man das erkannte Anzeichen früher in seinem Leben als angenehm erlebt und dementsprechend gespeichert hat. Unbewusst wird man mit einer Person mit diesen Merkmalen öfter Blickkontakt aufnehmen, sie vielleicht freundlicher und länger anschauen. Dieses Verhalten nimmt der andere Mensch wahr, wenn auch nur unbewusst, und wird seinerseits entsprechend freundlich und offen reagieren. Das wiederum bestätigt die Annahme, dass man es mit einem „guten“ Menschen zu tun hat, und man wird weiterhin positiv auf diese Person reagieren. Problematisch wird es bei Merkmalen, die als „negativ“ gespeichert wurden. Eine knollige Nase bei einem strengen und ungerechten Lehrer in der Schule wird zusammen mit negativen Gedanken und Gefühlen gespeichert. Sieht man einen Menschen mit Knollennase, wird man sich unwohl und unsicher fühlen. Entsprechend wird das Verhalten sein; man wird mit dieser Person weniger Blickkontakt aufnehmen, steifer sein. Auch dieses Verhalten wird vom Gegenüber registriert, der sich seinerseits reserviert und möglicherweise distanziert verhalten wird. Dieser gesamte Kreisprozess läuft sehr schnell ab. Spätestens nach fünf bis zehn Sekunden nach dem ersten Aufeinandertreffen ist einem eine Person sympathisch oder auch nicht. Dieser unbewusst ablaufende Prozess ist also eine entscheidende Ursache für Sympathie oder Antipathie. In einem solchen Vorurteilskreislauf kann mancher jahrelang gefangen bleiben. Nur manchmal stellt man schließlich fest, dass diese zunächst unsympathisch wirkende Person gar nicht so übel ist. Im Gespräch mit einer „unsympathischen“ Person sollte der Führungskraft dieser dargestellte Vorurteilskreislauf immer im Gedächtnis bleiben. Vielfach geht es in erster Linie um frühere persönliche Erlebnisse, mit denen ein Gegenüber gar nichts zu tun hat. Man muss sich selbst genau hinterfragen, was zu dem Eindruck, den man von einer Person

122

8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

hat, geführt haben könnte. Aktuell beobachtbare Eigenschaften sind dabei sehr hilfreich. Auch eine gute Personalabteilung kann dabei helfen.

8.2.2 Gespräche mit uneinsichtigen Personen Auch hier sind im Vorfeld einige Fragen zu beantworten: Aus welchem Grund ist ein Mitarbeiter/Gesprächspartner uneinsichtig? Was sind seine Motive? Kennt man sie? (vgl. Motivationspyramide nach A. Maslow in Teil 1) Was ist konkret zu beobachten? Kann man diese Beobachtungen auch anders interpretieren? Ein Gesprächspartner bewertet alles nach seinen eigenen Kriterien. Uneinsichtig heißt also, dieser bewertet etwas nach seinen subjektiven Kriterien als unannehmbar. Wenn einer sagt, jemand sei uneinsichtig, dann ist das einzig und allein sein Urteil über einen Menschen – gemessen an seinen subjektiven Kriterien.

8.2.3 Gespräche mit arroganten Personen Hier sind während der Vorbereitungsphase folgende Fragen zu beantworten: Aus welchem Grund bewertet man einen Gesprächspartner als arrogant? Was genau hat man beobachtet? Wie sieht seine „Arroganz-Masche“ denn genau aus? Arroganz kann eine übertriebene Selbsteinschätzung oder ein Schutzmechanismus aufgrund eines geringen Selbstwertgefühls sein. In beiden Fällen wird man an diese Person nur schlecht „herankommen“, die Arroganz hält einen wie ein unsichtbarer Schutzschild ab. Jede arrogante Person verhält sich anders, daher kann es keine allgemeingültige Vorgehensweise geben. Den Drang nach Anerkennung und Lob kann man dennoch während des Gesprächs erfüllen, indem man Leistungen ausdrücklich betont und anerkennt. Übung

Auf den nächsten Seiten werden zwei Situationen dargestellt, die Sie mit den hier besprochenen Techniken vorbereiten sollen. Erarbeiten Sie einen „roten Faden“ für diese Gespräche. Gesprächsübung 1: Motivationsgespräch im Projekt Stefan Brenninger ist Abteilungsleiter in einem Industriebetrieb mit 324 Mitarbeitern. Seit einem Jahr leitet er ein für die Firma wichtiges Projekt. Da er dafür weitere Unterstützung brauchte, hat er vor sechs Wochen einen neuen Mitarbeiter bekommen, Herrn Ullrich Jenwein. Dieser arbeitet bereits seit fünf Jahren in der Firma, allerdings war er in einer anderen Abteilung, jedoch in einer ähnlichen Projekttätigkeit.

8.2  Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern

123

Ungeplant muss Herr Brenninger ins Ausland verreisen, um in einem anderen Werk auszuhelfen. Daher wird er sich für einige Zeit nicht um seine Abteilung kümmern können. Noch vor der Abreise gibt er Herrn Jenwein einige kleinere Arbeitspakete, die er bis zu seiner Rückkehr erledigen soll. Brenninger ist allerdings wider Erwarten ganze sechs Wochen verreist. Als Herr Brenninger zurückkommt, kann er den Aussagen der Kollegen kaum Glauben schenken. Der neue Kollege Ullrich Jenwein, macht nach deren Angaben in der letzten Zeit einen desinteressierten Eindruck. Er ist öfter nicht bei der Sache, verhält sich im Team sehr kritisch und bringt mit seinen „unkonventionellen“ Vorschlägen Unruhe unter die Kollegen. Manche bezeichnen Herrn Jenwein hinter vorgehaltener Hand als „Blender“. Abteilungsleiter Brenninger will Herrn Jenwein in einem Gespräch „wieder auf Linie“ bringen. Aufgabe: Bereiten Sie bitte das Gespräch aus Sicht des Herrn Brenninger vor. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Anmerkung: Eine klassische Musterlösung kann es an dieser Stelle nicht geben. Schließlich drückt sich jeder Mensch anders aus, formuliert unterschiedlich, und auch die Fragen werden in immer anderer Form gestellt. Bei der Vorbereitung dieses Gesprächs beachten Sie bitte, dass Sie kaum konkrete Fakten haben. Sie wissen nur, dass der Mitarbeiter Ullrich Jenwein ein gutes Zeugnis durch die alte Abteilung erhalten hat, dass er fünf Jahre eine ähnliche Tätigkeit ausgeführt hat, dass Sie sechs Wochen nicht in der Firma waren. Überlegen Sie bitte, wie man das Verhalten von Jenwein interpretieren könnte (Langeweile, Unterforderung, noch keine soziale Akzeptanz durch die Kollegen). Welche Aktionen sind notwendig, um belastbare Fakten zu schaffen? Hier einige Beispiele: 1. Man kann sich erkundigen, welche Vorschläge Jenwein unterbreitet hat. 2. Woran hat er bemerkt, dass Verbesserungen notwendig sind? 3. Sie schaffen belastbare Fakten, indem Jenwein schwierigere Aufgaben erhält. Gesprächsübung 2: Schwierigkeiten mit Kollege Friedrich Abteilungsleiter Alfred Dormauer von der Firma Optik & Co hat ein Gespräch mit seinem Schichtmeister Hans Friedrich zu führen, da Herr Dormauer einigen Anlass zur Unzufriedenheit mit Friedrich zu haben glaubt. Nach seinen Beobachtungen lässt die Leistung der Arbeitsgruppe, die Herr Friedrich führt, in letzter Zeit stark nach, Ausschussquote und Pausenüberziehung

124

8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

haben zugenommen. Außerdem wirkt Herr Friedrich zerstreut und kümmert sich anscheinend weniger um seine zwölf Mitarbeiter. Die Gruppe von Herrn Friedrich arbeitet in der Instandhaltung. Aufgabe: Bereiten Sie dieses Gespräch als Führungskraft vor. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Anmerkung: Auch hier existiert keine Musterlösung, jedoch gilt es, einige Überlegungen anzustellen. Im Gegensatz zur vorigen Gesprächsübung gibt es hier viele konkrete Fakten, Leistung, Ausschuss, Nichteinhaltung der Arbeitsordnung können konkret belegt werden. Da Fakten vorhanden sind und davon ausgegangen werden kann, dass der Mann die nötige Qualifikation besitzt, wird hier mit Fragentechniken begonnen und zwar zunächst nach seiner Leistung, da man als Führungskraft insbesondere für die Leistungserbringung zuständig ist. Weniger konkret ist Ihr Eindruck, dass Schmitt „zerstreut“ ist. Sie müssen sich überlegen, woran man erkennen (beobachten) kann, dass jemand zerstreut ist! Schließlich kann es sich hierbei um betriebliche wie auch um private Gründe handeln. Überlegen Sie in Ihrer Vorbereitung, was sich möglicherweise hinter einer Zerstreutheit verbergen kann. Welches Ziel verfolgen Sie in diesem Gespräch? Das Ziel, Schmitt zu „mehr Leistung“ zu motivieren, ist zu allgemein und wenig konkret. Was möchten Sie genau wissen? Was tun Sie, wenn der Mitarbeiter ausweichend reagiert? Spätestens an dieser Stelle sollten Sie Alternativfragen stellen. Beispielsweise: „Haben Sie ein Problem zu Hause oder betrieblicher Natur?“ Sollte es sich um ein betriebliches Problem handeln, ist die SAULUS-Methode anzuwenden. Falls es sich jedoch um eine private Angelegenheit handelt, empfiehlt es sich grundsätzlich, Hilfe anzubieten. Gesprächsübung 3: Einer will sein Wissen nicht weitergeben Kollege Oskar Henning hat große Erfahrung in einer für Ihre Abteilung wichtigen Tätigkeit. Er könnte anderen Kollegen sein Wissen und seine Erfahrung weitergeben. Er will aber nichts von alledem abgeben. Auf Ihre Frage, warum er anderen Kollegen nicht hilft, reagiert Herr Henning ausweichend. Aufgabe: Motivieren Sie Herrn Henning, andere Kollegen zu unterstützen.

8.2  Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern

125

Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Anmerkung: Auch hier existiert keine Musterlösung, jedoch gibt es einige Beobachtungen und Fakten, die an dieser Stelle weiterhelfen. Bei der Vorbereitung dieses Gesprächs beachten Sie, dass Sie kaum konkrete Fakten haben. Sie wissen nur, dass der Mitarbeiter sein Wissen nicht weitergibt. Der Grund dafür ist Ihnen unbekannt. Überlegen Sie im Vorfeld, welche Gründe es haben könnte, dass ein älterer, erfahrener Mitarbeiter sein Wissen nicht weitergibt. Mindestens fünf Gründe gibt es: • • • • •

fehlende didaktische Fähigkeiten, Angst vor Jobverlust, hält die anderen für doof (für nicht aufnahmefähig), hat Konflikte im Team oder es ist ihm nicht wichtig bzw. er wusste nicht, was von ihm erwartet wird.

Stellen Sie sich idealerweise auch die Frage, welches Verhalten Ihrerseits möglicherweise notwendig ist, welche Hilfen der Mitarbeiter bräuchte? Was tun Sie, wenn er ausweichend reagiert? Eine Lösung wäre ein Mitarbeitergespräch, in dessen Verlauf dieser gefragt wird, aus welchen Gründen er sein Wissen zurückhält oder welche Informationen seiner Ansicht nach für die Kollegen besonders wichtig wären. Gesprächsübung 4: Abwertende Bemerkungen sind kontraproduktiv „Steve“ Wotzka, ein Kollege aus einer anderen Abteilung (Montageabteilung) äußert sich kritisch über die Leistung Ihrer Abteilung. In der Produktionsbesprechung fallen immer wieder abwertende und zynische Bemerkungen über Ihr Team. Dieses Verhalten ärgert Sie, und Sie überlegen, wie Sie mit dem Kollegen ein „vernünftiges“ Gespräch führen könnten. Aufgabe: Bereiten Sie dieses Gespräch vor. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

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8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

Anmerkung: Wie bei den anderen Übungen existiert keine Musterlösung, jedoch gibt es einige Beobachtungen und Fakten, die an dieser Stelle weiterhelfen. Überlegen Sie im Vorfeld, welche Gründe es haben könnte, warum ein Kollege sich auf dem Flur oder in Besprechungen abwertend über Sie und Ihre Abteilung äußert. Dabei handelt es sich mindestens um diese fünf Gründe: • • • •

Er weiß nicht, wie er es ausdrücken soll. Er traut sich nicht (weil die Person cholerisch ist oder dgl.). Er hat schon einmal das Gespräch gesucht, aber es ging daneben. Er empfindet Freude dabei, über andere herzuziehen.

Wie bekommen Sie heraus, worin die wahren Gründe für sein Verhalten liegen? Was tun Sie, wenn er aufbrausend reagiert? Welche Vereinbarungen sind ggf. möglich oder nötig? Was tun Sie, wenn diese nicht eingehalten werden? Wichtig an dieser Stelle ist, diesen Kollegen zu fragen, warum er nicht direkt kommuniziert, statt ihn lediglich damit zu konfrontieren. Gesprächsübung 5: Ich bin doch zu alt dafür! Eine neue Werkzeugmaschine (oder Software oder dgl.) wurde für Ihre Abteilung angeschafft. Es wäre notwendig, dass alle Kollegen in der Abteilung sich in die Bedienung dieser neuen Anlage einarbeiten, damit sich Engpässe und Überstunden vermeiden lassen. Doch Kollege Gustav Griess traut sich das nicht mehr zu. „Ich bin doch zu alt dafür!“, sagt er wiederholt zu Ihnen. Aufgabe: Motivieren Sie den Kollegen Gustav Griess, sich doch noch in der neuen Tätigkeit einzuarbeiten. Anmerkung: Auch hier existiert keine Musterlösung. Gleichwohl zielen diese – insgesamt acht – Übungen darauf ab, zu erkennen, dass man immer bereits im Vorfeld Überlegungen darüber anstellen sollte, wie Gesprächstechniken wie die GfK, die SAULUS-Methode etc. individuell angewendet werden können. Schließlich kann die Führungskraft nie von vornherein wissen, wie es zu einer ganz bestimmten Situation kam. Daher kann es schnell zu Frust und anderen unerwünschten Reaktionen seitens des Mitarbeiters führen, wenn lediglich über die Situation selbst gesprochen wird, ohne einen Blick auf die zugrunde liegende Ursache zu werfen. Überlegen Sie sich daher auch in dieser Gesprächsübung 5 bitte im Vorfeld, welche Gründe es haben könnte, dass ein älterer Kollege sich nicht auf etwas Neues einlässt.

8.2  Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern

127

Auch hier existieren zumindest fünf Gründe: • Faulheit, • Sicherheitsbedürfnis, • Angst vor Versagen, • Sichtbarwerdung von fehlender Qualifikation. • Gesundheitliche Bedenken Überlegen Sie sich bitte weiter, wie Sie herausbekommen können, welche wahren Gründe für sein Verhalten vorliegen. Was tun Sie, wenn er nicht einsichtig ist? Welche Vereinbarungen sind ggf. möglich oder nötig? Was tun Sie, um sicherzustellen, dass diese Vereinbarungen eingehalten werden? Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Gesprächsübung 6: So geht es nicht weiter! Eine Mitarbeiterin, Frau Anastasia Traugold, hält des Öfteren Vereinbarungen nicht ein, die sie mit Ihnen getroffen hat. Die an sie delegierte Arbeit wird teilweise zu spät und unvollständig erledigt. Diesen Umstand können und wollen Sie nicht mehr dulden. Sie entscheiden sich, die kritischen Punkte anzusprechen, um eine Veränderung zu erreichen. Aufgabe: Führen Sie das Gespräch in vier Schritten durch. Anmerkung: Überlegen Sie bitte im Vorfeld auch hier, welche Gründe es haben kann, dass eine Mitarbeiterin keine gute Leistung erbringt. Beispielsweise könnte es folgende Ursachen geben: • Es ist zu viel Arbeit. • Sie hält sich für zu gut und nimmt zu viel Arbeit an. • Sie traut sich nicht, sich zu wehren. Wie bekommen Sie heraus, worin die wahren Gründe für ihr Verhalten liegen? Was unternehmen Sie, wenn diese Mitarbeiterin ihre Leistung als gut einstuft? Welche Vereinbarungen sind ggf. möglich oder nötig? Was tun Sie, um sicherzustellen, dass diese Vereinbarungen auch eingehalten werden? Bedenken Sie: Erst nachdem Sie sich die möglichen dahinterliegenden Gründe für eine vorhandene Situation überlegt haben, ist es sinnvoll, in das Gespräch einzusteigen und gezielt zu hinterfragen.

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8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Gesprächsübung 7: Sie mögen mich doch nicht! Eine Mitarbeiterin, Frau Edith Karrenbauer, ist offensichtlich von ihren Kollegen nicht akzeptiert. Ihre Leistung ist zwar einwandfrei, aber ihr Verhalten den Kollegen gegenüber ist manchmal barsch. Manchmal wirkt sie sehr ungeduldig und verdreht dabei die Augen. Ihnen ist nicht klar, ob sie sich dieses Verhaltensmusters bewusst ist. Frau Edith Karrenbauer kommt eines Tages zu Ihnen ins Büro und bittet Sie um ein Feedback. Aufgabe: Geben Sie Frau Edith Karrenbauer ein klares aber auch motivierendes Feedback. Welche Kriterien werden Sie heranziehen? Anmerkung: Überlegen Sie im Vorfeld, welche Gründe es haben kann, warum diese Mitarbeiterin so reagiert. Wie bekommen Sie heraus, was die wahren Gründe für ihr Verhalten sind? Was tun Sie, wenn sie ihr Verhalten gar nicht wahrnimmt? Welche Vereinbarungen sind nötig? Was tun Sie, um sicherzustellen, dass eine positive Veränderung auch beibehalten wird? Wenn Menschen zu direkt kommunizieren, werden sie ab einem gewissen Grad als derb empfunden, was als sogenannte „Untugend“ interpretiert wird. Andererseits werden Menschen, die zu diplomatisch (das andere Ende dieser imaginären Skala) agieren, als maskenhaft empfunden. Die Führungskraft sollte darauf achten, ein derbes Verhalten nicht automatisch in direkter Form anzusprechen, da dann die Gefahr einer Kompensation hin zur gegenüberliegenden Seite der Skala besteht, das bedeutet: Diese Person wird höchstwahrscheinlich künftig maskenhaft reagieren. Ein Weg, um ein solches Verhalten zu vermeiden, besteht im Ablauf des Gespräches. Dabei empfiehlt es sich, dem Mitarbeiter eine Hilfe anzubieten, welches Verhalten stattdessen – sehr konkret – vernünftiger wäre. Diese Person benötigt also Unterstützung, um zu lernen, sich in Spannungssituationen künftig passend auszudrücken. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________

8.2  Gespräche mit schwierigen Gesprächspartnern

129

Gesprächsübung 8: Frau Ranker hat Körpergeruch Sie sind seit zwei Jahren Abteilungsleiter in der Firma Puro & Co. Sie sind für 15 Mitarbeiter verantwortlich. Gestern kamen einige Ihrer Mitarbeiter zu Ihnen und haben Sie mit einer sehr heiklen Aufgabe – siehe Abb. 8.1 – beauftragt. Sie sollen der Kollegin, Frau Theresia Ranker, im Namen der Gruppe sagen, sie habe Körpergeruch, und sie solle sich gefälligst öfter waschen. Frau Ranker ist eine jüngere Kollegin, die schon seit fünf Jahren bei der Firma beschäftigt und – das haben auch Sie bemerkt – nicht immer eine gepflegte Erscheinung ist. Aufgabe: Bitte bereiten Sie ein solches Gespräch vor. Ihre Notizen: _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ _____________________________________________________________________ Anmerkung: Solche „persönlichen“ Feedbackgespräche sind für viele Vorgesetzte sehr schwierig. Überlegen Sie bitte, was Ihnen lieber wäre: dass die Kollegen im Team diese Person meiden und die Nase rümpfen oder dass der Vorgesetzte ihr die Wahrnehmung anderer Menschen klar und rücksichtsvoll mitteilt? Gehen Sie in Ihrer Vorbereitung von zwei möglichen Situationen aus: 1) Die Mitarbeiterin hat es gar nicht bemerkt, 2) der Mitarbeiterin ist es egal. Wie würden Sie in beiden Fällen reagieren?

Abb. 8.1   Mir stinkt es

130

8  Aufbau eines Gesprächs mit einem Mitarbeiter

Überlegen Sie sich bitte auch hier Gründe für die Ursache, die zu dieser Situation geführt haben könnten, und führen Sie anschließend das Gespräch nach der SAULUS-Methode durch. Folgende Gründe könnte es beispielsweise geben: • • • •

mangelnde häusliche Möglichkeit zur Hygiene, die Einnahme von Medikamenten, Diäten, Entgiftungskuren etc., qualitativ mangelhafte Kleidung

Hier gilt es, nicht die Sache (den Anlass) selbst anzusprechen, sondern zunächst einmal zu hinterfragen, ob es vor Kurzem Veränderungen im Umfeld des Mitarbeiters gab, und erst anschließend den eigentlichen Gesprächsgrund (in diesem Fall: Körpergeruch) zu thematisieren. Zwischenbilanz zum zweiten Teil (Kap. 5, 6, 7 und 8) „Miteinander erfolgreich arbeiten, empfängerorientiert reden“ Meine drei wichtigsten Erkenntnisse aus diesem zweiten Teil lauten: 1. ___________________________________________________________________ 2. ___________________________________________________________________ 3. ___________________________________________________________________ Was kann ich davon in meiner betrieblichen Praxis als Führungskraft konkret einsetzen? Was kann ich davon gut gebrauchen? Mein Gesprächsverhalten will ich durch folgende konkreten Aktionen und ­Maßnahmen – wie in Tab. 8.1 zusammengefasst – verbessern:

Tab. 8.1  Verbesserung des Gesprächsverhaltens Was

Wann

Kontrolle

1. Ich werde 2. Ich werde 3. Ich werde 4. Ich werde Mit meinem Vorgesetzten bis zum … über seine Erwartungen bezüglich meines Verhaltens nach dem Lesen dieses ersten Teils sprechen

9

Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Merkmale eines leistungsstarken Teams Erfolgreiches Führen als Vorgesetzter erschöpft sich nicht im Einwirken auf den einzelnen Mitarbeiter, sondern beinhaltet auch die geschickte Zusammenstellung und das Führen von Arbeitsgruppen, das Gestalten von Beziehungen untereinander und den richtigen Umgang mit Spannungen und Konflikten in Gruppen. Viele Schwierigkeiten entstehen nicht zuletzt aus einem Mangel an Einfühlungsvermögen in Gruppenprozesse und aus gering entwickelten Möglichkeiten, bewusst und konkret auf Menschen einzuwirken. Wer je Mannschaftssport betrieben hat, weiß, welche Energien frei werden, wenn ein Team, wie in Abb. 9.1 abgebildet,  versucht, gemeinsam ein Ziel zu erreichen. Der Teamgeist in einer Mannschaft steht ganz oben an, wenn es darum geht, nochmal das Letzte aus sich herauszuholen. Gerne werden diese Energieeffekte von Teams beschworen, d. h. die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, dass bei der Arbeit im Team mehr herauskommt als im stillen Kämmerlein. Wenn man sich zusammenreißen und wirklich anstrengen muss, dann ist es schon wichtig, dass man Unterstützung durch andere erfährt und dass man sich auf einen anderen verlassen kann.   Je komplexer und arbeitsteiliger eine Gesellschaft organisiert ist, desto mehr sind die Menschen aufeinander angewiesen, müssen unterschiedliches Wissen miteinander teilen und austauschen: als Teamspieler und -spielerinnen – so sehen Personalbetreuer und Führungskräfte gerne ihre Mitarbeiter. Teamwork prägt tatsächlich den Arbeitsalltag. Es gibt Projektgruppen, Qualitätszirkel oder Auswahlgremien für Nachwuchskräfte und einiges mehr. Man vertraut darauf, dass Teams bei komplizierten Problemen die besseren Lösungen finden – gute Stimmung und Teamgeist vorausgesetzt. Die Fähigkeit, mit Gruppen von Menschen richtig umgehen zu können, Gruppenprozesse zu erkennen und Konflikte aktiv anzugehen und zu lösen, ist eine wesentliche Voraussetzung für das erfolgreiche Führen und Begleiten eines Teams. Zudem ist es für

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_9

131

132

Abb. 9.1  Wir sind ein Team

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

9.1  Was ist ein Team?

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Führungskräfte von Vorteil, ein Empfinden für die eigene Wirkung auf den Einzelnen sowie auf die Gruppe zu haben. Doch die Arbeit im Team hat auch ihre Tücken. Psychologen erforschten experimentell die Gesetze der Teamarbeit und widerlegten den einen oder anderen Mythos. In diesem Teil des Buches werden die Grundlagen des richtigen Umgangs mit Gruppen und die Voraussetzungen für die optimale Zusammenarbeit von Teams aufgezeigt. Thematisiert werden auch: Gruppenprozesse (Gruppendynamik), die Bedeutung von Regeln und Absprachen, das Überprüfen von Gruppenzielen, Erscheinungsbilder und Ursachen von Konflikten und Wege zur Konfliktvermeidung und Konfliktlösung.

9.1 Was ist ein Team? Ein Team besteht zunächst einmal aus einer Gruppe von Menschen. Ein gutes Team erkennt, würdigt und nutzt bestmöglich die Stärken der einzelnen Teammitglieder. Aus Einzelkämpfern wird in den Händen eines guten Coachs eine Mannschaft, die nun zusammenspielt. Jeder hat eine spezielle Aufgabe, aber alle haben ein gemeinsames Ziel. Jeder trägt zum Erfolg bei und fühlt sich für die Erreichung des Ziels verantwortlich. So heißt es im Sport: Eine gute Mannschaft schafft mehr als die Summe seiner Teammitglieder. Im Team fördert, motiviert und hilft man sich gegenseitig. Fällt ein Teammitglied aus, scheitert noch lange nicht das ganze Team. So möchten auch viele Chefs ihre Organisationseinheit sehen, als eine schlagkräftige Mannschaft, die zusammenhält und gemeinsam Probleme angeht und löst. Dies erfordert, dass die Führungskraft ihre Mitarbeiter zu einem optimal zusammenarbeitenden Team formt, sodass aus dem Spruch „Toll, ein anderer macht’s!“ ein „Toll, endlich alle miteinander!“ wird. Die Arbeit in einem Team oder in einer Mannschaft unterscheidet sich von der Arbeitsweise einer Kommission, eines Ausschusses oder eines Komitees. Diese Formen der Zusammenarbeit werden angewendet, um unterschiedliche Interessen zusammenzubringen. So treffen sich zum Beispiel Staatschefs, um eine gemeinsame Handlungsstrategie zu beschließen; in der Tarifrunde treffen sich Vertreter der Arbeitgeber mit Vertretern der Arbeitnehmer, um eine Lohnentwicklung zu erarbeiten; in der Ethikkommission treffen sich Vertreter aller gesellschaftlichen Gruppen, um Verhaltensnormen festzulegen. Sehr oft wird bei diesen Treffen nur der kleinste gemeinsame Nenner erreicht. Bei der Teamarbeit dagegen ist die maximale Leistung das Ziel. u

Merkmale eines Teams oder einer Mannschaft • eine Gruppe von Menschen, die gleiche Interessen verfolgt, • sie kommt regelmäßig zusammen (tägliche Arbeit, wöchentliches Training), • sie sind den gemeinsamen Zielen des Teams verpflichtet (Wir wollen gewinnen!), • die Teammitglieder haben unterschiedliche Fähigkeiten,

134

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

• sie pflegen und halten selbstdefinierte Spielregeln und Verhaltensnormen ein, • sie vertrauen auf sich selbst UND auf die Fähigkeiten der anderen.

Im Gegensatz dazu ist ein Ausschuss, eine Kommission oder ein Komitee: • auch eine Gruppe von Menschen, die jedoch • unterschiedliche Interessen haben (Länder, Organisationen, Verbände), • nur bei Bedarf oder zu einem Anlass zusammenkommen (z. B. Projekt), • von außen definierte Vorgaben haben und grundsätzlich einer höheren Stelle verpflichtet sind, • Vertrauen nur in eigene Fähigkeiten und eigenes Wissen haben.

9.2 Warum ist ein Team wichtig? Die Erwartungen der Kunden sowie auch die Arbeitsabläufe in einem Unternehmen sind komplexer geworden. Durch die umfangreicheren Aufgaben wird es immer wichtiger, dass Aufgaben und Vorhaben gemeinsam besprochen und erledigt werden. Dafür ist Teamarbeit erforderlich. Diese ist für alle eine Bereicherung, denn die Beteiligten lernen viel von- und miteinander. Anders als der Einzelkämpfer, der sich nur auf seine persönliche Aufgabe konzentriert, haben Teammitglieder den Überblick auf das gesamte Geschehen und stets ein gemeinsames Ziel vor Augen. Dies erhöht ihr Verantwortungsgefühl und motiviert sie, mit vollem Einsatz zu arbeiten.

9.3 Probleme der Teamarbeit Allerdings ist diese Arbeitsform mit Schwierigkeiten verbunden. Es treten offensichtliche, aber auch weniger deutliche Probleme auf, welche die gesamte Teamleistung beeinträchtigen können. Die Analyse von Verhaltensmerkmalen bei der Teamarbeit zeigt, dass sich durch eine schwache Führung folgende „Spielchen“ ständig wiederholen: Verlierer-Gewinner-Spiel: Teammitglieder versuchen, die ihrer Meinung nach jeweils falschen Inhalte in den Aussagen anderer festzustellen. Jeder vertritt stur seinen Standpunkt, ohne zuzuhören. Ideenkiller-Spiel: Man versucht ständig, unbrauchbar erscheinende Ideen anderer zu korrigieren oder nicht zu berücksichtigen. Schwarzer-Peter-Spiel: Wenn ein Problem im Team auftaucht, wird nach dem Schuldigen gesucht, statt Lösungsansätze zu diskutieren. Kompetenz-Spiel: Vorgesetzte geben sich arrogant. Sie erheben den Anspruch, nur ihre Aussagen seien von Bedeutung. Oft isolieren sie sich vom Team und kritisieren aus erhobener Position die Vorschläge von „Untergebenen“.

9.4  Was benötigt ein Team, um erfolgreich zu sein?

135

Blinde-Kuh-Spiel: Das Team hat keine Problemlösungsstrategien und -techniken (z. B. Moderation). Es bleibt in einer Sackgasse bei der Behandlung eines unwesentlichen Details stecken. Kurzum, es gibt keine Spielregeln. Übung: Welche Spielchen kennen Sie aus Ihrer persönlichen betrieblichen Praxis?

Bitte tragen Sie Ihre Erkenntnisse auf ein separates Blatt ein.

9.4 Was benötigt ein Team, um erfolgreich zu sein? Zur Beantwortung dieser Frage wählen Sie bitte aus der unten stehenden Liste die vier wichtigsten Merkmale aus, die ein Team oder eine Mannschaft braucht, um erfolgreich zu sein. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

gegenseitiges Vertrauen Konsens im Team, keine Konflikte gemeinsame Erlebnisse Erfolge, erfolgreiche Ergebnisse Offenheit und Ehrlichkeit vielfältige Kompetenzen klare, selbst definierte Ziele gute Informationen klare Spielregeln menschliches Zusammenhalten

Manche dieser Merkmale sind keine Voraussetzung für eine gute Teamarbeit, sondern deren Auswirkungen. So zum Beispiel entsteht „gegenseitiges Vertrauen“ aus gemeinsam erzielten Erlebnissen und Erfolgen. Auflösung: Wenn eine Mannschaft im Sport zum Beispiel nicht daran glaubt, den Gegner bezwingen zu können, ist ein Sieg sehr unwahrscheinlich. Die Aufgabe eines guten Trainers ist, ähnlich einer guten Führungskraft, den Glauben an die Erreichung des Ziels zu stärken. Beispielsweise könnten die Punkte 1, 5, 8 und 9 als Antwort gewählt werden. Erst wenn die Regeln der Zusammenarbeit, d. h. die „Spielregeln“ im Team, formuliert sind und diese eingehalten werden, ist ein Team fähig, ein Ziel zu erreichen. Auch das beste Team wird also nur dann erfolgreich sein, wenn die „Regeln des jeweiligen Spiels“. bekannt sind. Die Unkenntnis der Regeln in einem Fußballspiel wird zum Beispiel dazu führen, dass ein Erfolg sich vermutlich nicht einstellen wird. Nur klare und bekannte Vereinbarungen bezüglich des Umgangs miteinander ermöglichen die Verfolgung des Ziels eines Teams. Wenn man zum Beispiel ständig Angst haben muss, dass einem in einer Teambesprechung ein Kollege ins Wort fallen könnte, wird man sich mit Redebeiträgen zurückhalten. „Spielregeln“ führen zu einem geordneten Diskussionsverlauf, der zur Erreichung eines Ziels notwendig ist. Zur Erreichung eines Ziels muss man sich auf Spielregeln einigen – wie Abb. 9.2 verdeutlicht.

136

Abb. 9.2  Spielregeln sind wichtig

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

9.4  Was benötigt ein Team, um erfolgreich zu sein?

137

Die vier Voraussetzungen für gute Teamarbeit lauten daher: • • • •

klare Verhaltens- und Umgangsregeln, Ziele, an denen man selbst mitgewirkt hat, gute Informationen sowie Wissen und Vertrauen auf die unterschiedlichen Kompetenzen im Team.

Das Team muss das notwendige Wollen, Wissen, Können und Dürfen haben, um erfolgreich zu sein. Eine erfolgreiche Teamarbeit verstärkt wiederum das gegenseitige Vertrauen und ermöglicht gemeinsame Erlebnisse und Erfolge, Konsens statt Konflikte, Offenheit und Ehrlichkeit und letztendlich ein gutes Zusammenhalten untereinander. Es sollten, wenn möglich, keine Ziel-Vorgaben von oben gegeben, sondern das Ziel sollte vom Team selbst definiert werden; jedes Teammitglied sollte das Ziel für erstrebenswert, realistisch und erreichbar halten. Doch in der betrieblichen Praxis werden die „Ziele“ leider häufig als Vorgabe von oben vorgegeben. Das Team muss dann diese zur Kenntnis nehmen und bestmöglich umsetzen. Es wird pro forma die Frage gestellt, ob das Team bzw. das Projektteam die „Notwendigkeit“ einsieht, Einwände werden jedoch nicht wirklich erwartet. Dies hat aber einen großen Nachteil: Ein Konsens in Bezug auf das zu erreichende Ergebnis besteht nicht wirklich. Die Teammitglieder eines „Projektteams“ zum Beispiel werden sich daher in Spannungssituationen eher dem eigenen Abteilungsleiter als dem Projektleiter verpflichtet fühlen. Das Ergebnis sind Verzögerungen im Projekt, verbunden mit höheren Kosten. Eine erfolgreiche Teamarbeit ist nur dann gewährleistet, wenn das Team über Notwendigkeiten, Hintergründe, Ressourcen, ggf. Mitbewerber usw. möglichst vollständig informiert wird. Nur dann kann eine Identifikation mit dem Ziel erreicht werden. Die Teammitglieder müssen auch davon überzeugt sein, dass im Team alle notwendigen Kompetenzen vorhanden sind. (Eine Fußballmannschaft, die aus nur elf Torwarten besteht, wird nicht unbedingt das notwendige Vertrauen in die eigenen Kompetenzen und letztlich in einem Sieg haben.) Das Ergebnis einer Untersuchung des Fraunhofer Institutes für Systemtechnik (ISI) in Karlsruhe bezüglich der Leistungsfähigkeit eines Teams verdeutlicht Abb. 9.3: So geben 84 % der Befragten an, dass das wichtigste Merkmal für den Erfolg eines Teams die dialogorientierte, zielgerichtete gute Führung ist. Sie hilft dem Team bei der Erstellung und Einhaltung vereinbarter Spielregeln. 79 % der Befragten gaben an, dass eine erfolgreiche Teamarbeit regelmäßige Teammeetings über die vereinbarten Ziele, über die Normen und Spielregeln sowie über die notwendigen Informationen erfordert. Dabei geht es nicht darum, über den Fortschritt der Arbeiten zu berichten, „Arbeitsbesprechungen“ sind also nicht gemeint, sondern das Team muss über sich selbst und über seine „innere“ Organisation reden. Durchaus interessant erscheint die Antwort von 66 % der Befragten bezüglich der Größe von Teams. Die Erfahrungen zeigen, dass eine sinnvolle Arbeit nur in Teams mit

138

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Feedback-Gespräche mit den einzelnen Teammitgliedern

Schulungen und Trainings mit dem gesamten Team

60% 66% 66%

dialogorientierte, zielgerichtete Führung, klar vereinbarte Ziele und Kontrollkriterien 84% 79% regelmäßige Team-Meetings über Normen, Spielregeln und notwendige Informationen

Begrenzung der Teams auf max. zehn Personen

Abb. 9.3  Erfolgsfaktoren einer guten Teamleistung. (Quelle: Frauenhofer Institut für Systemtechnik [ISI] Karlsruhe [1999])

maximal zehn Mitgliedern möglich ist, weil sonst das Team in kleinere Gruppen zerfällt. Daher sollte bei größeren Projekten die Arbeit auf mehrere Teams verteilt werden. Zwei Drittel der Befragten waren der Ansicht, dass neben den Teammeetings auch noch gemeinsame Trainings und Schulungen notwendig seien. Hierbei sollte es um den Umgang mit außergewöhnlichen Situationen oder Sachverhalten gehen, wie zum Beispiel Pannen oder Reaktionen auf Störungen. Letztendlich setzt eine erfolgreiche Teamarbeit regelmäßige Feedback-Gespräche mit den einzelnen Teammitgliedern voraus. Diese Aussage trafen mehr als 60 % der Befragten. Doch leider finden solche Gespräche in der betrieblichen Praxis nur selten statt. Somit bekommen Teammitglieder keine Rückmeldung auf ihr Verhalten, um ggf. ihre Leistungs- und ihr Teamverhalten anzupassen. Übung: Was benötigen Sie, um sich in einem Team wohl zu fühlen?

Welche Situationen fanden Sie bisher bei der Teamarbeit angenehm? Was hat Ihnen dabei gut gefallen? Was hat Sie bisher gestört? Warum? Ihre Notizen:

__________________________________________________ __________________________________________________ __________________________________________________

9.5  Die Selbst- und Fremdwahrnehmung im Team

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9.5 Die Selbst- und Fremdwahrnehmung im Team Das hier vorgestellte Modell, das Johari-Fenster, ist eine Betrachtungsweise von Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmalen in Bezug auf das, was eine Person über sich selbst weiß, im Vergleich zu dem, was andere (z. B. Menschen einer Gruppe oder eines Teams) über sie wissen. Mithilfe des Johari-Fensters, wie in Abb. 9.4 dargestellt, kleines ö wird vor allem der „blinde Fleck“ im Selbstbild eines Menschen verdeutlicht. Gerade dieser Bereich, der einer Person hinsichtlich ihres Verhaltens in bestimmten Situationen wenig oder gar nicht bekannt ist, spielt für den Erfolg der Teamarbeit eine entscheidende Rolle. Entwickelt wurde dieses Wahrnehmungsmodell 1955 von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham. Die Vornamen dieser beiden Autoren wurden für die Namensgebung des Modells herangezogen (JO-HARI). In der Regel meint ein Mensch zu wissen, wer er ist und wie er auf andere wirkt. Der Person selbst ist ihr Verhalten in den unterschiedlichsten Situationen in der Regel bekannt. Auch für andere Menschen, zum Beispiel für andere Teammitglieder, sind viele Verhaltensweisen gut sichtbar. Dieser transparente Bereich des Wirkens und Verhaltens einer Person gleicht der sogenannten öffentlichen Person eines Menschen (siehe Quadrat oben links): Ich weiß, wie ich zu diesem Anlass angezogen bin, wie ich mich in dieser einen Situation oder „Rolle“ verhalte und wirke. Die anderen Menschen um mich herum nehmen dies auch entsprechend wahr. Wir sind in der „sozialen Rolle“, in der wir uns in dieser Situation präsentieren (erfolgreiches Teammitglied, guter Chef, fleißiger Mitarbeiter, gerechter Vater usw.). Hier stimmt unser Verhalten in einer bestimmten Situation (Rolle) mit den Erwartungen der anderen überein.

Abb. 9.4   Johari-Fenster

Mein Verhalten ist mir selbst

bekannt unbekannt

Mein Verhalten ist anderen

bekannt

Feld der vollen Transparenz des Verhaltens (öffentliche Person)

Feld der vor anderen zurück" gehaltenen" Verhaltensweisen (private Person)

unbekannt

blinder Fleck der Selbstwahrnehmung

Unbewusstes

140

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Andere Menschen nehmen viel mehr von einem wahr, als man annimmt. Das fängt schon mit einfachen Dingen an. So zum Beispiel hört man seine eigene Stimme nicht so, wie andere sie hören. Im Spiegel sieht man sich nur zweidimensional und „spiegelverkehrt“. Vieles im Wirken und Verhalten einer Person ist ihr selbst nicht oder nur wenig bekannt. Dieser kaum oder gar nicht bewusste Teil einer Person stellt den sogenannten „blinden Fleck“ der Selbstwahrnehmung dar (Quadrat oben rechts im Bild). Wenn dieser „Fleck“ recht groß ist, können andere ein völlig anderes Bild von einem haben, als jenes, das man selbst anstrebt. Manchmal staunt man über sein eigenes Verhalten. Doch die anderen kennen einen in mancher Hinsicht besser, als man sich selbst kennt, und sagen: „Du hast dich schon des Öfteren so verhalten. Wir wussten ja, wie wir dich nehmen müssen.“ Dass andere Menschen Informationen über unser Verhalten und Wirken haben, worüber wir selbst nicht verfügen, verunsichert uns, und wir trachten danach, darüber mehr zu erfahren. Das fängt schon mit der äußeren Erscheinung an. Aus diesem Grund besaßen Spiegel in früheren Zeiten einen hohen Wert. Ob Ludwig XIV in Versailles oder der bayerische Ludwig II im Schloss Neuschwanstein; sie alle haben viele Spiegel an den Wänden anbringen lassen, nicht zuletzt um ihre „äußere“ Erscheinung selbst zu sehen. Auch und vor allem in der Arbeitswelt möchte man wissen, wie man von außen wahrgenommen wird. Man wünscht sich, dass das Bild, das man von sich selbst hat, mit dem Bild übereinstimmt, das andere von einem haben. Natürlich wird eine positive Rückmeldung eher akzeptiert als eine negative, die unter Umständen viele Zweifel erweckt, auf die wiederum Rechtfertigungen folgen. Um dies zu vermeiden, ist eine empfängerorientierte und empathische Gesprächsführung von Vorteil. Das dritte Feld des JOHARI-Fensters enthält die Verhaltensweisen, die nur einem selbst bekannt sind. Ein Chef zum Beispiel wird seine Angestellten nur in ihrer Rolle als Mitarbeiter wahrnehmen. Er wird nicht wissen, wie sie sich als Ehepartner, als Freund oder als Elternteil verhalten. Dieses Feld beinhaltet also Information, die andere über eine Person nicht besitzen, d. h. vor anderen Menschen ggf. „zurückgehaltene“ Verhaltensweisen. Diese stellen die „private Person“ dar (das Quadrat unten links im Modell). Hier befinden sich allerdings die wahren Motive, Ziele und Wünsche einer Person. Daher ist gute Zusammenarbeit in einer Gruppe ist nur dann möglich, wenn die Teammitglieder bereit sind, sich den Kollegen gegenüber zu öffnen und Informationen aus diesem Feld der „privaten Person“ anzuvertrauen. Wer anderen Menschen gar keine Informationen über sich und sein Leben gibt, wird als verschlossen und nicht teamfähig empfunden. Das vierte Feld in diesem „Fenster“ (das Quadrat unten rechts) enthält alle Verhaltensweisen, die sowohl einem selbst als auch den anderen nicht bekannt sind. Die Behauptung, dass es ein solches Feld gibt, erscheint vielleicht erstaunlich. Dennoch hat dieses Feld im Vergleich mit den anderen drei Quadranten die „größte Fläche“. Es ist unser „Betriebssystem“, es ist sozusagen das „Windows“ unseres Lebens. Es läuft im Hintergrund und ist uns weitestgehend unbewusst. Jeder Versuch, als Führungskraft oder

9.6  Leistet ein LKW mehr als ein PKW?

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Teamleiter auf diesen „unbewussten“ Quadranten eines Menschen Einfluss zu nehmen, nennt man „Manipulation“. Eine „externe“ Motivation ist nur dann möglich, wenn der Mitarbeiter oder das Teammitglied bereit ist, sich „motivieren zu lassen“, indem er einen hinlänglichen Einblick in das Feld der „öffentlichen Person“ zulässt. Als Führungskräfte oder Teamleiter haben wir die Pflicht, mit den Mitarbeitern und Teammitgliedern über ihre öffentliche Rolle, d. h. über ihre Wirkung auf andere sowie die damit verbundenen Erwartungen zu sprechen. Zudem sind wir verpflichtet, ihnen eine Rückmeldung über ihren „blinden Fleck“ zu geben. Eine Einflussnahme auf das „Unterbewusstsein“ eines Menschen ist ohne dessen expliziten Wunsch und die entsprechende eigene Qualifikation unethisch. Wie der Eingriff in das Betriebssystem eines Computers, kann dies zu nachhaltigen Schäden führen.

9.6 Leistet ein LKW mehr als ein PKW? Auch wenn diese Frage unsinnig erscheint, stellt sich eine ähnliche Frage in Bezug auf ein Team: Wann ist der Einsatz eines Teams sinnvoll? Ist ein Team überhaupt besser als ein einzelner Mensch? Große Leistungen der Menschheit wurden nicht selten nur von einer einzelnen Person erbracht. Dafür gibt es viele Beispiele: das Malen eines Meisterwerks, das Schreiben eines großen Romans, etwas Bahnbrechendes erfinden. Noch nie hat jemand eine Symphonie gehört, die von einem Team komponiert wurde. Also die Frage: Worin bestehen dann die Vorzüge eines Teams? Wo und wann soll es eingesetzt werden? Zur Beantwortung dieser Frage gibt es eine aufschlussreiche Übung. In einem Training oder Seminar teilt man die Gruppe in zwei Teile. Während die eine Hälfte den Raum verlässt und in einem anderen Zimmer als Team zusammenarbeitet, verbleibt die andere Hälfte der Teilnehmer im Seminarraum, wo jeder als Einzelperson arbeitet. Die drei Aufgaben der beiden Gruppen sind gleich und müssen in genau zehn Minuten erledigt werden. In der ersten Aufgabe sollen Autonamen, -marken oder -firmen mit nur vier Buchstaben gesucht werden (z. B. AUDI, GOLF usw.). In der zweiten Aufgabe sollen Handwerksberufe gesucht werden, die allerdings den Buchstaben „R“ nicht enthalten dürfen (z. B. Schmied). Die dritte Aufgabe verlangt, so viele „Kehrwörter“ wie nur möglich zu suchen, also Wörter die rückwärts gelesen auch einen  Sinn ergeben (beispielsweise wird aus dem Wort „Lager“ rückwärts gelesen „Regal“). Das Ergebnis dieser Übung ist interessant: Bei der ersten Aufgabe gewinnt so gut wie immer die Gruppe, zumeist bringt sie doppelt so viele Namen wie die einzeln arbeitenden Personen. Das Team kann aus einer relativ großen Anzahl von Lösungen (es gibt ca. 45 Autonamen oder -marken mit „nur“ vier Buchstaben) effektiv suchen und schnell Lösungen finden. Dabei benutzt es zwei wichtige Vorgehensweisen eines Teams: nämlich die Assoziation und die Parallelität. Im ersten Fall führen akustische und andere

142

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Signale zu neuen Gedankengängen (z. B. FIAT führt zu SEAT und VW zu GOLF, zu AUDI usw.). Bei der Parallelität geschieht Folgendes: Parallel zu dem, was die Teammitglieder sagen, kreisen die Gedanken mancher ihrer Kollegen um andere „Autonamen“, sie verfolgen sozusagen einen parallelen Weg (der italienische FIAT führt zu ALFA). Der einzeln arbeitende Seminarteilnehmer muss dagegen „seriell“ arbeiten, d. h. nacheinander alle diese Wege verfolgen, was natürlich mehr Zeit in Anspruch nimmt. Darüber hinaus werden seine Gedanken nicht durch Gedanken anderer angeregt. Bei der zweiten Aufgabe verliert das Team fast immer. Der Grund dafür liegt in der sehr kleinen Anzahl von möglichen Lösungen; es gibt vermutlich nur zwei Handwerksberufe ohne „R“: Koch und Schmied (Daraus lassen sich noch Derivate erzeugen, wie z. B. Goldschmied oder Hauptkoch). Bei der zweiten Aufgabe neigt das Team hingegen dazu, die Aufgabe zu zerreden. Es wird darüber diskutiert, ob es überhaupt einen Beruf ohne „R“ gibt, denn in der deutschen Sprache haben doch alle Berufe ein „R“: Bäcker, Müller, Friseur usw. Die Zeit vergeht, und es ist ein Zufall, wenn das Team auf „Koch“ oder „Schmied“ kommt. Oft werden sogar skurrile Berufe erfunden. Der Einzelne in der Gruppe merkt zwar auch, dass es nur wenige Möglichkeiten gibt, aber er sucht ungestört weiter, mit dem Ergebnis, dass die Suche von Erfolg gekrönt ist. Aus den ersten zwei Aufgaben ergibt sich die Schlussfolgerung, dass ein Team dann besonders effektiv ist, wenn es aus einer Vielzahl von Lösungen schnell die beste aussuchen soll. So können gute Fußballmannschaften den optimalen Weg für den Ball ins gegnerische Tor immer wieder finden. Es wird aus sehr vielen Varianten eben die richtige ausgesucht! Bei einer Aufgabe, die eine geringere Anzahl von Varianten enthält, ist hingegen möglicherweise eine Einzelperson erfolgreicher als ein Team. Bei der dritten Aufgabe ist das Ergebnis nicht eindeutig; man kann nicht voraussagen, wer gewinnt, das Team oder der Einzelne. Der Grund, warum Teams nicht sicher gewinnen, liegt in den oben beschriebenen Vorteilen, die das Team nicht ausnutzen kann. Es gibt keine Assoziationen zwischen den Lösungen, wie bei den Autonamen. Von „Regal = Lager“ kommt man schwer auf „Neger = Regen“! Das Team muss, ebenso wie der Einzelne, Wörter der Reihe nach prüfen. Nutzen kann die Gruppe allerdings die Parallelität, sofern die Mitglieder nicht anfangen, auch hier intensiv zu diskutieren. Spannend wird das Ergebnis dieser Aufgaben dann, wenn man sie von Journalisten und Redakteuren erledigen lässt. Hier gewinnt meistens ein Team haushoch. Jedem fällt etwas ein, das wiederum regt bei einem anderen Gedanken an. Das heißt, dass Qualifizierung und Übung durchaus eine Rolle bei der Teamarbeit mitspielen. In der betrieblichen Praxis bedeutet dies, dass der Chef oder Teamleiter darauf achten muss, ggf. im Vorfeld der Arbeit eine Qualifizierungsmaßnahme oder Schulung mit dem Team durchzuführen. Wenn das Team nicht über ausreichende Kenntnisse verfügt bzw. eine adäquate Qualifizierung hat, ist die Arbeit im Team schwierig, es wird nur eine zweitklassige Lösung gefunden. Um den Qualifizierungsstand des Teams zu ermitteln, braucht man unbedingt Qualifizierungsmatrizen (siehe Q-Matrix).

9.7  Wann ergibt Teamarbeit Sinn?

143

9.7 Wann ergibt Teamarbeit Sinn? Grundsätzlich ist ein Team dann einzusetzen, wenn es sich um komplexe Probleme handelt und die Qualifikation eines Einzelnen nicht ausreicht. Es geht um die schnelle Suche nach Lösungen aus einer großen Menge von vorhandenen Möglichkeiten. Im Arbeitsleben ist das Einsetzen eines Teams zum Beispiel beim Bearbeiten einer Reklamation (beispielsweise 8D-Prozesse) oder beim Herausfinden von Verschwendungen in Arbeitsprozessen oder Projekten sinnvoll (Verschwendung durch: Fehler, Warten, Transport, unnötige Bewegungen, nicht abgestimmte Arbeitsprozesse, Lagerung usw.). Andererseits, je kleiner die Lösungsmenge ist, desto ungeeigneter ist die Arbeitsweise eines Teams (Gefahr des Zerredens). Teams müssen geführt werden, brauchen klare, gemeinsam vereinbarte Ziele, eindeutige Aufgaben und nachvollziehbare Spielregeln. Zusammenarbeit entsteht nur dann, wenn alle Teammitglieder die gleichen Interessen bzw. die gleichen Bedürfnisse haben. Teamarbeit erhöht die Bereitschaft zur Akzeptanz. Wer an Entscheidungen beteiligt ist, akzeptiert diese in der Regel leichter. Darüber hinaus ist die persönliche Zufriedenheit mit der Arbeit größer. Auch der Zeitbedarf eines Projektes ist geringer, da weniger Zeit für Information und Überzeugung verbracht werden muss. Schließlich fühlt sich der Mitarbeiter im Team besser aufgehoben, als wenn er alleine arbeitet, denn er ist ja von vornherein ein soziales Wesen. Kritische Gedanken zu Teamwork Ein Artikel von Harald Martenstein, Zeitmagazin Leben (Die Zeit Verlagsgruppe 2007) In den Stellenanzeigen heiß es, man soll ‚teamfähig‘ sein. Ich bin nicht teamfähig. Diese Kolumne im Team zu schreiben, wäre mir unmöglich. Das Wort Teamfähigkeit halte ich für Bullshit, den Inhalt des Wortes für einen historischen Irrtum. Ich kenne Teamarbeit von der Uni. Später habe ich zwei- oder dreimal Artikel zu zweit verfasst. Dies waren anstrengende psychodynamische Prozesse mit belanglosem Ergebnis. Teamwork ist Ausbeutung der Gutmütigen durch Ungutmütige. Es gibt in der Gruppe nämlich immer Leute, die arbeiten, und andere, die sich schmarotzerhaft dranhängen. Ich habe nur, damit dass klar ist, an der Uni zur zweiten Kategorie gehört. Teamwork ist Vergeudung von Arbeitskraft. Bei der Bewältigung der unvermeidlichen psychologischen Verwerfungen, bei der Verteilung der Aufgaben in der Gruppe und beim Austausch von Informationen, kurz, mit diesem ganzen Organisationsscheiß geht eine Menge Zeit, Energie und geistige Kraft verloren, die ansonsten der eigentlichen Arbeit zugutekäme. Teamwork zerstört Originalität, Kreativität und Qualität. In der Gruppe führen nämlich immer die Labertaschen das Wort. Dies sind aber nicht unbedingt diejenigen, die von der zu lösenden Aufgabe am meisten verstehen. Die sind vielleicht schüchtern und schweigen. Teamwork heißt: alle Macht den Labertaschen. Teamwork heißt, dass soziale Kompetenz die Fachkompetenz unterdrückt. Neue Ideen klingen meist seltsam oder sogar verboten, es erfordert Mut, sie beim ersten Mal auch nur zu denken. Die Gruppe übt aber eine nivellierende Wirkung aus, ein Ergebnis, auf das eine ganze Gruppe sich einigen kann, wird immer Mainstream sein. Kein Team der Welt könnte im Teamwork die Relativitätstheorie erfinden, Amerika entdecken oder die Buddenbrooks schreiben.

144

9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Dass man sich austauscht, die Ergebnisse der eigenen Arbeit mit anderen diskutiert oder in einer Gruppe mit klaren Zuständigkeiten eine Teilarbeit übernimmt, verstehe ich natürlich nicht unter ‚Teamwork‘. Unter Teamwork verstehe ich, dass es keine klare Verantwortlichkeit gibt. Teamwork – der Mythos des 21. Jahrhunderts. Dann ist mir beim Nachdenken aufgefallen, dass es im Nationalsozialismus meines Wissens kein Teamwork gegeben hat. Hitler war, als Person, gewiss nur begrenzt teamfähig, auch in der Theorie war er kein Freund des Teamworks. Mehr noch, er war eher ein Gegner davon. Mit anderen Worten, ich konnte jetzt ohne weiteres den Satz schreiben: ‚Im Nationalsozialismus ist vieles sehr schlecht gewesen, aber einiges auch sehr gut, zum Beispiel die Ablehnung des Teamworks.‘ Dies gäbe aber in sämtlichen Medien eine große Aufregung, die ich den Redakteuren, zu denen ich im Laufe der Zeit doch eine Art väterliche Zuneigung entwickelt habe, ersparen mochte. In der Zeitschrift Merkur habe ich einen Aufsatz des Medientheoretikers Norbert Bolz gefunden. Er enthält den Satz: ‚Teamwork ist ein Euphemismus dafür, dass die anderen die Arbeit tun.‘ Die 1933 aus Deutschland vertriebene Denkerin Hannah Arendt hat geschrieben: ‚There can be hardly anything more alien or destructive to workmanship than teamwork‘, das heißt: Teamwork macht alles Gute kaputt. Die Tatsache, dass so unterschiedliche Personen wie Hannah Arendt, Norbert Bolz, Adolf Hitler und ich in der Frage des Teamworks exakt einer Ansicht zu sein scheinen, hat mich in einer solchen Weise erschreckt, dass ich das Ende der mir zugemessenen Zeilenzahl mit großer Erleichterung zur Kenntnis nehme.

9.8 Probleme in der Teamarbeit (aus: „Mythos Teamarbeit“, Podcast Bayern 2, IQ-Wissenschaft und Forschung, 2008) Ein funktionierendes Team motiviert zu Höchstleistungen, die Mannschaft wächst über sich hinaus. Das scheint sich zu bestätigen, wenn eine Gruppe gut aufeinander eingespielt ist und ihre Mitglieder außergewöhnliche Leistungen erbringen.

9.8.1 Körperliche Aktivitäten Anfangs ging man davon aus, dass wenn mehrere Menschen in einem Team z. B. an einem Seil ziehen, sie sich gegenseitig motivieren und eine hohe Leistung erbringen müssten. Bei solch körperlichen Aufgaben ist das jedoch meist nicht der Fall. Bei Tätigkeiten, die auch ein Einzelner allein ausüben kann, ist ein Team oft nicht mehr, sondern weniger als die Summe seiner Teile. Schon 1913 hat der französische Agraringenieur Maximilian Ringelmann Forschungsergebnisse publiziert, die dies in Versuchen mit dem Ziehen von Lasten bestätigt (Ringelmann 1913). In einer psychologischen Studie von Alan Ingham und seinen Kollegen im Jahr 1974 wurde erwiesen, dass die Leistung einer Gruppe beim Seilziehen nicht linear steigt, sondern dass die Leistung pro Person mit wachsender Gruppengröße sogar kleiner wird. Doch vielleicht haben die Personen am Tau nicht alle gleichzeitig mit ihrer maximalen Kraft und auch nicht in die genau gleiche Richtung gezogen. Der eine zog vielleicht

9.8  Probleme in der Teamarbeit

145

ein bisschen mehr nach links, der andere nach rechts, der nächste hat das Kommando verpasst und hängt sich zu spät ins Seil. Durch dieses „Koordinations-Problem“ hätte sich die Leistung der Gruppe reduziert. Mit einer anderen Versuchsanordnung überprüften die Wissenschaftler diese Hypothese. Sie maßen die Zugleistung, indem sie die Teilnehmer sowohl in der Gruppe als auch vermeintlich nicht allein (während die instruierten Personen hinter dem Probanden gar nicht zogen) an einem Tau ziehen ließen. Auch in diesem Fall, wo es keine Koordinationsprobleme geben konnte, brachten die vielen Tauzieher weniger Kraft auf das Seil. Begründet wurde dies mit Motivationsverlusten. Bewusst oder unbewusst sinkt die Motivation, in der Gruppe genauso viel Leistung aufzubringen wie alleine. Dieses Phänomen nannten Ingham et al. „social loafing“, d. h. soziales Faulsein. Der Begriff beschreibt die Tatsache, dass eine Person sich, wenn sie in einer Gruppe arbeitet, weniger Mühe gibt, ein Ziel zu erreichen, als wenn sie alleine arbeitet (Ingham et al., 1974). Bei Teammitgliedern haben wir es in unserem Kulturkreis also mit Motivationsproblemen zu tun. In anderen Kulturen beobachten Psychologen jedoch anderes Verhalten, wie Felix Brodbeck, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität München bemerkte. Studien in asiatischen Ländern haben nämlich gezeigt, dass unter indischen Jugendlichen sogar mehr Leistung erbracht wird, wenn sie gemeinsam an einem Seil ziehen, in die Hände klatschen oder laut brüllen. Hier spielte die Anerkennung durch die Gruppe eine entscheidende Rolle.

9.8.2 Brainstorming in der Gruppe Alex Osborn1 war ein US-amerikanischer Autor und Werbefachmann. Er gilt als Erfinder des Brainstormings und des Creative Problem Solving und veröffentlichte in den 1950er-Jahren eine Studie, die zeigte, dass Menschen in einer Gruppe mehr und bessere Ideen produzieren als alleine. Sie müssen sich dabei nur an bestimmte Regeln halten, zum Beispiel Regel Nummer eins, dass während des Brainstormings keine kritischen Kommentare erlaubt sind. Psychologen haben Osborns These in zahlreichen Studien überprüft, aber keiner konnte sie bestätigen. Michael Diehl, Professor an der Universität Tübingen, Fachbereich Sozial- und Wirtschaftspsychologie, erforschte, wie kreative Menschen sich in einer Gruppe entfalten. Er konnte nicht nachweisen, dass Menschen in einer Gruppe produktiver sind, weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht, als bei einer Einzelarbeit. Bei Gruppen von zwei Personen gab es keinen Unterschied zwischen Einzel- und Teamleistung. Bei Gruppen mit mehr als zwei Personen wird das Ergebnis immer schlechter, je größer die Gruppe ist. Die Gruppe steht sich beim Ideenfinden selbst im Weg, denn Ideen entwickeln und gleichzeitig anderen zuhören ist eine Doppelaufgabe, die das Gehirn nur schwer bewältigt.

1Alex

Faickney Osborn (* 24. Mai 1888 in New York City; † 4. Mai 1966).

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9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Diehl wies seine These in verschiedenen Experimenten nach. Zum Beispiel sollten Gruppen möglichst viele Vorschläge dazu machen, was jeder Einzelne im Alltag für seine Gesundheit tun kann. In einem Fall durften die Versuchsteilnehmer ihre Ideen nur dann äußern, wenn gerade kein anderer sprach; im anderen Fall durften sie einfach drauflos reden, egal, wie viele Leute sonst gerade sprachen. Ein Mikrofon zeichnete ihre Vorschläge auf. Es zeigte sich, dass wenn die Regel galt, einfach drauflos zu reden, die Produktivität so hoch war, wie wenn einer alleine arbeiten würde. Doch sobald man sich an die Regel halten musste, immer nur dann Ideen zu äußern, wenn gerade kein anderer sprach, war die Leistung deutlich schlechter. In Umfragen unter Managern zeigt sich, dass die meisten immer noch annehmen, im Team werden grundsätzlich mehr Ideen produziert, als wenn ein Mitarbeiter alleine arbeitet. Michael Diehl hat dafür eine Erklärung, nämlich dass es so etwas wie eine Illusion von Gruppenkreativität gibt. Man glaubt, auch wenn man sonst Gegenteiliges weiß, dass Gruppen mehr produzieren als Einzelne. Der Grund dafür ist, dass man eine persönliche Leistung immer mit der eines Teams vergleicht, statt mit der Summe der Leistungen einer nominellen Gruppe von Individuen (d. h. mit der Summe der Einzelleistungen aller dieser Menschen). Das ist aber ein Irrtum! Es ist natürlich der Fall, dass zum Beispiel vier Leute mehr Ideen produzieren als eine einzelne Person. Doch die Frage muss sein, ob diese vier Personen, wenn sie einzeln gearbeitet hätten, womöglich nicht mehr produziert hätten als in der Gruppe, weil sie ungestört arbeiten bzw. nachdenken konnten. Es ist genau diese Störungsproblematik, die Wissenschaftler in Untersuchungen bestätigen konnten.

9.8.3 Schwierigkeiten beim Lösen von Problemen in Teams Kommunikation im Team ist die Grundlage für den schnellen Transport von wichtigen Informationen (siehe auch die Kapitel 5 bis 8 in diesem Buch). Doch sollen Teams gemeinsam Aufgaben und Probleme lösen, zum Beispiel gemeinsam einen neuen Mitarbeiter aussuchen oder als Jury in einem Wettbewerb entscheiden, dann ist das Miteinander-Reden wesentlich komplizierter und es kann zu falschen Entscheidungen kommen. Eigentlich sollten Gruppen klüger als Einzelpersonen sein. Das jedenfalls ist die Annahme. Die Mitglieder eines Teams bringen viel verschiedenes Wissen mit, und daher verfügt die Gruppe über mehr Informationen als Einzelpersonen. Doch das ist nur ein theoretischer Vorteil, denn das Detailwissen der Einzelnen, das sogenannte ungeteilte Wissen, kommt in der Praxis oft gar nicht auf den Tisch, erläutert Michael Diehl:2

2Prof.

Dr. Michael Diehl ist seit 01.04.2012 Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim.

9.8  Probleme in der Teamarbeit

147

Gruppen reden in der Regel über die Dinge, die schon vorher alle gemeinsam wussten. Sie reden gerade nicht über das, was nur Einzelne wissen kann und damit wird das ungeteilte Wissen eben nur in sehr seltenen Fällen zum geteilten Wissen. Dann ist der Vorteil, den man hätte, um zum Beispiel eine bessere Entscheidung in der Gruppe zu treffen als das Individuum, schon dahin.

Das heißt, Gruppenteilnehmer beißen sich an wenigen Details fest, statt sich gegenseitig ihre Standpunkte genau zu erklären. Psychologen haben das zum Beispiel in Experimenten mit einem fiktiven Gremium zur Personalauswahl nachgewiesen. Darin saßen drei Leute. Alle wussten, dass Bewerber A wenig Humor hat und nicht besonders kreativ ist. Über diese zwei negativen Eigenschaften unterhielt sich das Gremium ausgiebig. Allerdings hatte der Bewerber auch gute Seiten. Ein Mitglied des Auswahlausschusses wusste, dass er gut analytisch denken konnte, ein anderes, dass er unter Druck ruhig blieb und der Dritte im Gremium wusste, dass der Bewerber gut mit dem Team arbeitet, d. h., es gab drei gute Gründe, die für den Bewerber sprachen. Doch bei der Auswahl fiel er trotzdem durch, weil die guten Eigenschaften nicht ausreichend zur Sprache kamen. Warum Teammitglieder lieber über das sprechen, was sowieso schon alle wissen, erklärte Felix Brotbeck3 wie folgt: Statistisch ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es jemand benennt, wobei witzigerweise werden diese Aussagen auch noch häufiger wiederholt. Dinge, die die eigene Präferenz unterstützen, nennt man lieber, das andere vergisst man; das Verhalten könnte aber auch motivationale Gründe haben, z. B weil man in Übereinstimmung mit seiner Präferenz Informationen zur Schau stellen möchte. Informationen, die gegen die eigene Präferenz sprechen, beäugt man kritischer, während Informationen, die für die eigene Präferenz sprechen, vorschnell akzeptiert werden. Ein guter Moderator kann in diesem Fall helfen, indem er die einzelnen Teammitglieder nach noch nicht genannten Aspekten fragt.

9.8.4 Hauptsache harmonisch Perfekte Harmonie kann es in einem Team nie geben. Entstandene Spannungen und Konflikte müssen allerdings ansprechbar sein. Oft erwarten Menschen in Teams zu viel Harmonie. Sie glauben, dass es in erster Linie darum ginge, sich wohl zu fühlen, gut zusammenzuarbeiten, gute Stimmung zu verbreiten. Doch große Homogenität in einer Gruppe kann dazu führen, dass bei wichtigen Entscheidungen Fehler gemacht werden. Meist ist eine solche Harmonie nämlich trügerisch; oft werden konfliktbeladene Themen unter der Decke gehalten und wirken dort trotzdem

3Felix

Brodbeck (* 1960 in Hamburg) ist seit November 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der LMU München.

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9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

weiter. Solche Teams führen dann Gespräche in kleinen Grüppchen auf dem Flur weiter, weil Konflikte keinen Platz im offiziellen Rahmen haben. Die Folge sind „Grabenkämpfe“ und nicht enden wollende Diskussionen. Je mehr sich also eine Gruppe auf ihren Teamgeist und Zusammenhalt konzentriert, desto anfälliger wird sie für Fehler und desto zögerlicher wird sie diese Fehler korrigieren. Man tut sich schwer, einem Kollegen zu sagen, dass er sich getäuscht und einen Fehler gemacht hat. Im Gegenteil, Fehlentscheidungen werden sogar verteidigt. In solchen Gruppen werden Informationen kaum nach außen getragen, es gelangen auch keine Informationen von außen nach innen. Der amerikanische Psychologe Irving Lester Janis4 untersuchte dieses Verhaltensmuster am Beispiel amerikanischer Regierungen und ihrer Berater. Er prägte dafür den Begriff „Gruppendenken“. Janis untersuchte das Verhalten dieser Gruppen in der Zeit von Pearl Harbor über die Invasion in der Schweinebucht bis hin zum Vietnamkrieg. Er konnte zeigen, was das Problem mit Gruppendenken ist, sodass es immer wieder zu solchen eklatanten Fehlentscheidungen führt: „Wir müssen jetzt, in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten, es darf nichts nach außen durchdringen!“ Leider drang auch nichts von außen nach innen. Die Berater bewegten sich nur im eigenen Dunstkreis und sahen häufig gar nicht, welche Fehlentscheidungen sie getroffen hatten, auf welchem Holzweg sie sich befanden. Um Gruppen über einen längeren Zeitraum arbeitsfähig zu halten, bedarf es einer dialogorientierten Führung. Diese spielt für die Leistungsfähigkeit eines Teams eine entscheidende Rolle, wie Untersuchungen des Fraunhofer Instituts für Systemtechnik (ISI) in Karlsruhe gezeigt haben. Manche Berater schlagen vor, Teammitglieder in andere Teams rotieren zu lassen, denn je länger ein Team zusammenarbeitet, desto homogener und einfallsloser wird es. Doch egal, ob es um Konflikte geht oder um das Alltagsgeschäft, es muss klare Regeln dafür geben, wie die Mitglieder einer Gruppe miteinander kommunizieren sollen. Wer meint, dass sich das in eingespielten Teams von selbst erledigt, hat die nächste Krise schon vorprogrammiert. Zudem muss die Arbeitsgruppe ständig überprüfen, wann es sinnvoll ist, in der Gruppe zu arbeiten, ein Meeting zu organisieren usw. und wann die einzelnen Mitglieder lieber alleine arbeiten sollten. Natürlich fühlt sich der Mensch als „geselliges Tier“ in der Gruppe wohler als alleine. Es ist eben angenehmer, von anderen Personen Unterstützung zu bekommen, als „Alleinkämpfer zu sein. Es geht auch nicht darum, eine Gesellschaft von einsamen, egoistischen Individuen zu schaffen. Diese wäre nicht lebensfähig. Dennoch sollten wir genau überlegen, welche Lösung die beste ist: Mitarbeiter allein oder lieber in einer Gruppe arbeiten zu lassen.

4Irving

Lester Janis (1918–1990) war US-amerikanischer Sozial- und Forschungspsychologe sowie Hochschullehrer an der University of California, Berkeley.

9.9  Verhaltens- und Spielregeln in einem erfolgreichen Team

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9.9 Verhaltens- und Spielregeln in einem erfolgreichen Team 9.9.1 Die Bedeutung von Verhaltens- und Spielregeln in einem Team Bevor man Verhaltens- und Spielregeln mit dem Team vereinbart, sollte man sich als Führungskraft und Teamleiter folgende Fragen stellen: Wie wichtig sind mir Vereinbarungen und Spielregeln im Arbeitsleben? Und: Halte ich mich persönlich immer an vereinbarte Spielregeln? Die Beantwortung dieser zwei Fragen stellt sicher, dass nur sinnvolle und machbare Spielregeln vereinbart werden. Danach sollte man mit dem Team darüber reden, wo solche Vereinbarungen tatsächlich fehlen. Verhaltens- und Spielregeln im Team gleichen den Spielregeln im Mannschaftssport. Dort werden die Regeln nach dem Muster „Wenn …, dann …“ gemacht. Beispiele: „Wenn der Fußball über die Begrenzungslinie rollt, dann wird das Spiel abgebrochen und der Ball wird von der Linie zurück ins Feld geworfen!“ „Wenn ein Spieler vom Gegner zu Fall gebracht wird, dann wird das Spiel gestoppt und die andere Mannschaft bekommt den Freistoß.“ usw.

9.9.2 Beispiele von Verhaltens- und Spielregeln in einem Team Es steht jeder Führungskraft und ihrem Team frei, welche Regeln sie vereinbaren möchten. An dieser Stelle folgen einige Beispiele für Regeln, die eine Führungskraft in Teammeetings vereinbaren könnte. Wenn einer redet, dann hören die anderen zu! Gemeinsame Verständigung gelingt nicht ohne Zuhören. Wer sehr engagiert ist oder Bedenken hat, dass irgendetwas schief läuft, neigt oft dazu, mehr zu senden als von anderen aufzunehmen. Genaues Zuhören erfordert zwar etwas mehr Zeit, aber diese Zeit ist eine gute Investition in die Qualität der Teamarbeit. Es ist sinnvoll, manchmal seine eigene Meinung für eine gewisse Zeit beiseite zu stellen, um den Standpunkt eines Kollegen zu verstehen und sich in seine Sichtweise einzufühlen. Denn ein Teampartner, der sich verstanden fühlt, ist eher bereit, auch andere Ideen und Meinungen zu hören und ernst zu nehmen. Wenn ich eine andere Meinung als der Redner habe, dann hebe ich die Hand! Handzeichen geben hat man in der Schule gelernt. Zunächst einmal schauen Sie die nächste Spielregel an. Und bitte nicht aufdringlich werden, sondern verhalten Sie sich dezent. Wenn ich mit etwas nicht einverstanden bin, dann prüfe ich explizit die Annahmen des Kollegen nach! Bevor ich den anderen mit meinem Handzeichen störe, überprüfe ich, was ich glaube, gehört zu haben: „Meinen Sie damit, dass …?“. Nur mit einer solchen ausdrücklichen

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9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

Überprüfung und Kontrolle seines eigenen Verstehens können Missverständnisse vermieden werden. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann benutze ich die ICH-Botschaft statt der „MAN“- Formeln! Pauschale Verallgemeinerungen (man) machen aus einem kooperativen Miteinander schnell ein Sieg-Niederlagen-Spiel: Die anderen fühlen sich angegriffen, wenn sie so belehrt oder vereinnahmt werden. ICH-Botschaften bieten mehr Chancen, den anderen nicht zu verletzen, sie erleichtern das Zuhören beim Gegenüber. Wenn mir etwas nicht gefällt, dann achte ich besonders auf meine eigene Körpersprache und meinen Sprechausdruck! „Der Ton macht die Musik“ wird oft gesagt, wenn auf die grundlegende Bedeutung von Körpersprache und Sprechausdruck hingewiesen wird. Die Körpersprache ist das erste Kommunikationsmittel des Menschen. Schon kleine Kinder interpretieren zutreffend gefühlsmäßige Situationen, auch wenn sie die Bedeutung der Worte noch nicht verstehen. Instinktiv achten auch Erwachsene immer auf die nonverbalen Botschaften. Widersprechen sie den Worten, entstehen Verunsicherung und Verwirrung. Wenn mir jemand eine Rückmeldung gibt, dann nehme ich sie ernst und denke gezielt darüber nach! Je wichtiger Sie für Ihre Kommunikationspartner sind, desto aufmerksamer werden Sie beobachtet. Ihre Kommunikationspartner, mit denen Sie längere Zeit zusammenarbeiten, werden Experten für Ihr Verhalten. Darum lohnt es sich, die Beobachtungen und Rückmeldungen Ihrer Partner ernst zu nehmen. Sie können viel von ihnen lernen. Wenn ich eine Antwort gebe, dann betone ich zuerst das Positive! Die Bereitschaft zuzuhören und die Akzeptanz werden gefördert, wenn die positiven Aspekte einer Situation, eines Problems oder einer Person herausgestellt werden. So zeigen Sie auch Respekt und Wertschätzung anderen gegenüber. Das Positive, das Sie aussenden, kommt in der Regel zu Ihnen zurück. Diese Haltung ist besonders wichtig, wenn die zentrale Aufgabe eines Arbeitsteams die Lösung irgendeines schwierigen Problems ist. Wenn ich etwas tue, dann tue ich es als eigenverantwortliches Teammitglied! Jeder ist für das, was er tut, selbst verantwortlich. Die Verantwortung für eigene Beiträge oder Versäumnisse kann nicht auf andere Teammitglieder abgeschoben werden. Gemeinsame Entscheidungen werden von allen verantwortet und nach außen vertreten. Übung: Spielregeln erstellen

Welche Spielregeln (bitte maximal 5 Regeln auf einem Extrablatt notieren) sollten in Ihrem Team, das Sie führen oder dem Sie angehören, vereinbart werden, damit die Zusammenarbeit besser funktioniert?

9.10  Normen sind nicht vereinbarte Spielregeln

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9.10 Normen sind nicht vereinbarte Spielregeln Man spricht von Normen, wenn es sich um Spielregeln handelt, die nicht explizit vereinbart wurden, aber von der Mehrheit des Teams als gültig akzeptiert werden. Normen können positiv oder negativ sein. Sie sind keine ewigen Gesetze, sondern unterliegen einem ständigen Wandel. Sie werden nach einer gewissen Zeit als Gewohnheitsrecht angesehen. Normen werden vor allem durch ranghohe Teammitglieder geprägt. Man unterscheidet zwischen Verhaltens- und Leistungsnormen. Während Verhaltensnormen gut sichtbar sind: Man geht zum Beispiel „gemeinsam zum Mittagessen in die Kantine“ oder „wenn jemand Geburtstag hat, gibt er etwas aus“ usw., sind Leistungsnormen nur schwer erkennbar. Dennoch wirken sie stark im Verborgenen. Ob jemand vor dem PC-Bildschirm an seinen Urlaub denkt oder ein betriebliches Problem löst, kann man auf den ersten Blick nicht erkennen. Als junger Ingenieur wurde ich (Johann Fieger), als ich einen Versuchsbericht in nur einem Tag fertiggestellt hatte, von einem meiner damaligen Gruppenleiter angeschnauzt, und zwar mit den Worten: „Bei uns schreibt keiner einen Bericht von zehn Seiten an einem Tag. Lass dir Zeit und schreib den Bericht noch einmal, innerhalb einer ganzen Woche!“ Ich war total verdutzt, aber ich hatte die Leistungsnorm dieser Abteilung verstanden. Bekannte Sprüche wie zum Beispiel „Wir sind hier bei der Arbeit und nicht auf der Flucht“ oder „In der Ruhe liegt die Kraft“ usw. beschreiben entsprechende Leistungsnormen in einer Abteilung. Es bedarf eines verbindlichen Wertekonsenses, um das Zusammenleben innerhalb einer Organisationseinheit bzw. eines Teams gewährleisten zu können. Die Aufgabe einer Führungskraft besteht darin, positive Normen zu verstärken und vorhandene negative Leistungsnormen zu erkennen und schrittweise zu verändern. Man muss mit dem Team über sein Leistungsverständnis reden und Wege besprechen, um eine gesunde Arbeitsmoral zu erreichen. Was Vorgesetzte zulassen, wird zur Norm. Sowohl Spielregeln wie auch Normen müssen hinterfragt und mit dem eigenen Gewissen in Einklang gebracht werden: „Wollen wir tatsächlich für unser Gehalt nur eine Seite Bericht am Tag schreiben?“ Folgende Fragen sollten besprochen werden: • • • • •

Welche Normen oder Spielregeln existieren in meinem Team? Welche positiven Normen möchte ich gern einführen? Ändert sich zurzeit ein bislang typisches Verhalten im Team? Wie kann ich Vorbild gebend am besten Einfluss nehmen? Wie kann ich Mitarbeiter mit hohem Ansehen im Team einbinden?

Weitere Arten von Normen sind: • Beziehungsnormen Wie sind die Kontakte untereinander? Wer wird um Rat gefragt? Wer macht Vorschläge? Wer gibt Anordnungen? Wer wird übergangen? Wer wird ausgegrenzt? Wer wird geschützt? Wer spricht am meisten? Wer spricht am wenigsten? • Kommunikationsnormen Gibt es Tabus im Team? Werden Probleme und Konflikte im Team offen angesprochen? Wird immer sachlich diskutiert?

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9  Führung (m)eines Teams zum Erfolg

• Gefühlsnormen Wird Freude, Ärger, Langeweile, Frust offen ausgesprochen? und • Sanktionsnormen Wie verhalten sich Teammitglieder [verbal und nonverbal], wenn Teamnormen nicht eingehalten werden? Am Ende dieses Kapitels befindet sich eine Checkliste, mit der die Funktionalität des eigenen Teams überprüft werden kann. Anhand von 16 Fragen in Tab. 9.1 kann auf diese Tab. 9.1  Checkliste: Funktioniert Ihr Arbeitsteam? Einschätzungsskala 1 2 3 4 5 1. Die Ziele der Abteilung sind gemeinsam definiert, eindeutig formuliert und jedem bekannt. Die Ziele werden von den Teammitgliedern akzeptiert und als ihr eigenes Ziel angenommen 2. Es gibt für jedes Teammitglied genügend Anreize, sich für die Teamziele einzusetzen 3. Das Team erhält regelmäßig nachvollziehbare Rückmeldungen über die gemeinsam erbrachte Leistung 4. Teammitglieder erkennen die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und machen dies rechtzeitig deutlich 5. Erbrachte Leistungen werden gegenseitig anerkannt, Teammitglieder machen sich auf Fehler aufmerksam 6. Die Teammitglieder verstehen sich gut. Missverständnisse und Kommunikationsstörungen sind selten 7. Konflikte können besprochen werden und sind nach ihrer Lösung erledigt. Keiner ist nachtragend 8. Teambesprechungen verlaufen effektiv 9. Das Klima erlaubt es, jederzeit auch abweichende und unpopuläre Meinungen zu äußern 10. Es wird nicht hinter dem Rücken anderer geredet 11. Der Leiter bzw. die Führungskraft genießt bei allen Teammitgliedern volles Vertrauen 12. Der Leiter geht auf die Fähigkeiten und das Engagement der Teammitglieder ein 13. Konflikte im Team werden vom Leiter direkt angesprochen und nicht dem Selbstlauf überlassen 14. Der Abstimmungs- und Besprechungsaufwand im Team ist angemessen 15. Der Führungskraft ist es möglich, Entscheidungen übergeordneter Instanzen zu beeinflussen 16. Das Team kann autonom arbeiten, ohne dass ständig von außen in dessen Belange eingegriffen wird Einschätzung: 1: keine Bedeutung; 2: geringe Bedeutung; 3: mittlere Bedeutung; 4: hohe Bedeutung; 5: sehr hohe Bedeutung

Literatur

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Weise sehr schnell ein Überblick zur Qualität der Zusammenarbeit der Mitarbeiter generiert werden. Übung

Welche Schlüsse ziehen Sie persönlich aus Ihren Antworten? Schreiben Sie Ihre Gedanken auf ein Extrablatt.

Literatur Ingham, A. G., Levinger, G., Graves, J., & Peckham, V. (1974). The ringelmann effect: Studies of group size and group performance. Journal of Experimental Social Psychology, 10, 371–384. (Oxford). Martenstein, H. (2007). Hat etwas gegen Teamwork. http://www.zeit.de/2007/40/Hat_etwas_ gegen_Teamwork. Zugegriffen: 28. Dez. 2017. Ringelmann, M. (1913). Recherches sur les moteurs animés. Travail de l’homme. Annales de l’Institut National Agronomique, 12, 1–40.

Soziales Verhalten von Menschen in Teams

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Vielzahl von Verhaltensweisen in einem Team Der Mensch ist ein soziales Wesen, d. h., er fühlt sich seit jeher zu anderen Menschen hingezogen und ist auf die Gemeinschaft angewiesen, um überleben zu können. Der Wunsch nach Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfnis jedes Individuums. Menschen verhalten sich allerdings in einer Gruppe anders als alleine. Die Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder einer Gruppe gleichen keinesfalls den Merkmalen der Gruppe als Ganzes. Damit das Zusammenleben in sozialen Gruppen funktioniert, sind bestimmte Strukturen und Regeln erforderlich (siehe auch Verhaltens- und Spielregeln in Teams). Das soziale Zusammenleben innerhalb der Gruppe ist geprägt von dauerhaften sozialen Beziehungen und gekennzeichnet durch gemeinsames Handeln und wechselseitige Wahrnehmung der Beteiligten. Welche Verhaltensweisen im Team denkbar sind, zeigt Abb. 10.1. Die Unterschiedlichkeit der Verhaltensweisen von Gruppenmitgliedern kann für Führungskräfte ein Problem darstellen. Sie müssen lernen, mit ganz verschiedenen Typen von Menschen umzugehen: Der Streitsüchtige (Hund) Sachlich und ruhig bleiben, nicht auf Streit einlassen. Durch das Team widerlegen lassen. Der Positive (Pferd) Stütze der Konferenz. Bewusst in die Diskussion einschalten. Der Alleswisser (Affe) Die Gruppe zu seinen Behauptungen Stellung nehmen lassen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_10

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10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

Abb. 10.1  Teammitglieder aus der Sicht des Chefs

Der Redselige (Frosch) Zwischen- oder Vielredner taktisch unterbrechen. Redezeit begrenzen. Der Schüchterne (Reh) Leichte Fragen stellen. Das Selbstbewusstsein stärken. Anerkennen. Der Ablehnende (Igel) Ehrgeiz wecken. Seine Kenntnis und Erfahrung anerkennen und zunutze machen. Der Dickfellige (Nilpferd) Nach seiner Arbeit fragen; Beispiele aus seinem Interessengebiet bringen lassen. Der Erhabene (Giraffe) „Das hohe Tier“. Keine Kritik üben! „Ja-aber“ Technik anwenden. Der Ausfragende (Fuchs) Der schlaue Fuchs. Seine Fragen zur Stellungnahme an die Gruppe weitergeben.

10.1 Ansehen und soziale Rollen in einer Gruppe von Menschen Die sozialen Prozesse in einem Team ergeben zusammen die Gruppendynamik. Als Erfinder dieses Begriffs gilt Kurt Lewin (1890–1947), der ihn in einem Artikel aus dem Jahr 1939 erstmalig verwendet hat.

10.1  Ansehen und soziale Rollen in einer Gruppe von Menschen

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Eine Folge von Gruppendynamik ist das unterschiedliche Ansehen der Gruppenmitglieder. Eine andere Bezeichnung hierfür ist der Status einer Person in der Gruppe. Während einige Personen ein hohes Ansehen (Status) genießen und somit ihre Ideen und Meinungen in der Gruppe leichter durchsetzen können, haben andere nur ein geringes Ansehen. Vinzenz Lorenz (1903–1989) war ein österreichischer Zoologe, Medizin-Nobelpreisträger und einer der Hauptvertreter der vergleichenden Verhaltensforschung (Tierpsychologie). Er erkannte in Tierversuchen mit Gänsen, die ein komplexes soziales Gefüge aufweisen, dass es eine vorgegebene Reihenfolge beim Futteraufnehmen gibt. Zuerst durfte der stärkste Gänserich an den Trog gehen, um Körner zu picken (österreichisch: „hacken“). Erst danach kamen, in einer festgelegten Reihenfolge, die anderen Gänse. Der Platz in der Reihenfolge gab den Status des einzelnen Individuums an. Lorenz nannte diese Reihenfolge die „Hackordnung“. Dieser Ausdruck hat nichts mit „aufeinander herumhacken“, also mit Streit oder Kampf zu tun, sondern mit Rangordnung (Abstufung des „Ansehens“). Es gibt zwei Möglichkeiten, sich mit einem nicht sehr hohen Ansehen auseinanderzusetzen: Entweder man schließt sich der Meinung eines anderen Gruppenmitglieds an und unterstützt diesen aus eigener Überzeugung, oder man versucht, sein eigenes Ansehen zu verbessern. Diese Aufwertung des eigenen Ansehens bzw. des Status erfolgt bei Tieren mittels eines Kampfes; bei Menschen findet dieser „Kampf“ auf einer sprachlichen Ebene statt, man kämpft mit Worten. Viele Meinungsverschiedenheiten und Streitigkeiten in Besprechungen sind Ausdruck eines „Machtkampfes“: Wer ist besser?, Wer hat mehr zu sagen?, Wer hat einen höheren Status? Es geht manchmal gar nicht um die Sache, sondern darum, wer mehr zu sagen hat. Solche Machtkämpfe kosten viel Energie, die dann der Ideenfindung und deren Umsetzung fehlt. Anmerkung: Ein Vorgesetzter, d. h. der formelle Leiter einer Gruppe oder eines Teams, ist gruppendynamisch nicht Teil der Gruppe und nimmt an diesen „Machtkämpfen“ nicht teil. Die Mitglieder einer Gruppe werden versuchen, den höheren Status des formellen Leiters für sich zu instrumentalisieren, um die eigene Position in der Gruppe zu stärken. Als Führungskraft muss man darauf achten, nicht in ein solches Kräftemessen hineingezogen zu werden. Machtkämpfe finden in einer Mannschaft meistens dann statt, wenn das Team gruppendynamisch instabil wird. Das ist der Fall, wenn ... • ein Mitglied mit einem höheren Status, sprich Ansehen, die Gruppe verlässt oder • wenn ein neues Mitglied in die Gruppe kommt. In diesen Fällen muss die „neue“ Rangordnung geklärt werden: Wer hat das meiste zu sagen?, Auf wen wird gehört?, Wer setzt sich durch? usw. Diese Klärung sollte im Idealfall jedoch nicht durch Machtkämpfe erfolgen, sondern anhand einer Vorgehensweise,

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10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

d. h. einer Regelung, die vorschreibt, wie man sich in einer solchen Situation verhalten soll (Verfahrensfrage). Eine Führungskraft muss Statuskämpfe erkennen und wissen, wie man mit diesen umgeht, ohne die Zusammenarbeit und das Erreichen von Zielen zu gefährden. In einer Phase des Machtkampfs wichtige Vorgehensweisen und die Umsetzung von Maßnahmen in der Gruppe besprechen zu wollen, stellt einen großen Führungsfehler dar. Da man Statuskämpfe zur Klärung der Frage des Ansehens in der Gruppe nicht vermeiden kann, ist es sinnvoll, diese auf ein unwichtigeres Thema zu verlagern. So kann man zum Beispiel die Gruppe mit einer Verfahrensfrage bzw. Vorgehensweise beschäftigen. Wenn es keinen „Statuskampf“ mehr gibt, d. h., die Gruppe konnte sich über die neue Rangordnung einigen, kann man wichtigere Themen anpacken. Diese Vorgehensweise nennt man: zunächst einmal eine „strategische Verfahrensfrage“ stellen. Solche Fragen könnten sich zum Beispiel mit der Organisation eines Betriebsfestes oder der Urlaubsregelung für das laufende Jahr beschäftigen. Es muss der Führungskraft egal sein, auf welche Lösung sich die Gruppe einigt.

10.2 Starke und schwache soziale Rollen in einer Gruppe Teamrolle ist die Bezeichnung für die Funktion, die ein Teammitglied innerhalb einer Arbeitsgruppe zugewiesen bekommt oder die er sich aufgrund bestehender Eignungsund Leistungsschwerpunkte im Laufe der Zeit erarbeitet. Es gibt verschieden starke soziale Rollen: die des Meinungsmachers, die des informellen Führers, die des Tüchtigsten oder  die des Humorvollsten, der spannungsgeladene Situationen durch seine Bemerkungen entschärft. Auch durchaus stark kann die Rolle des Opponenten sein, der im Team unkonventionelle Ideen oder Gedanken einbringt. Schwache Rollen haben Personen, die im Team „machtpolitisch“ kaum Einfluss ausüben. So wird zum Beispiel ein Querulant, der sich nur wichtig machen möchte, eher eine schwache Rolle spielen. Doch auch der Beliebteste hat eine gruppendynamisch schwache Rolle. Das „Nesthäkchen“ und der Clown, über den alle lachen, zählen auch zu den schwachen Rollen im Team. In Tab. 10.1 sind einige Teamrollen sowie der passende Umgang eines Chefs mit diesen Rollen veranschaulicht.

Dies sollten Sie als Chef auf jeden Fall unterlassen:

Grundsätzlich ist dies eine positive Rolle. Sein Verhalten lockert die Atmosphäre auf und kann das Betriebsklima verbessern. Spaß darf jedoch nicht auf Kosten anderer gehen

Dies ist eine sehr gefährliche Rolle, da Gezielt dagegen steuern. In der sie Misstrauen in die Gruppe bringt Gruppe spüren lassen, dass Ihnen dieses Verhalten unangenehm ist

Clown, humorvoller Kollege

Chef-nach-dem- Mund-Redner, Arschkriecher

(Fortsetzung)

Ihn gewähren lassen, ihn nicht für voll nehmen

Bremsen, wenn Gruppenmitglieder Nicht ärgerlich reagieren. Beim Hänseln mitmachen! lächerlich gemacht werden. Evtl. unter vier Augen auf die Auswirkungen hinweisen

Überzogen auf Angriffe reagieren oder im Gegenzug ihn „angreifen“

Situation ansprechen, Ursachen analysieren. In Aufgaben verantwortlich und abgestimmt mit einbeziehen

Er ist grundsätzlich anderer Meinung und stellt sich quer. Häufige Ursachen liegen in Rivalitätsempfinden, Machtkampf und Statusproblemen

Querulant

Seine destruktive Kritik akzeptieren. Scharfe Kritik vor der Gruppe ausüben

Seine Geltung in der Gruppe leitet er aus dem Grad seines „Widerstandes“ gegenüber Autoritäten ab. Er personifiziert gelegentlich (den unterdrückten) Widerstand der Gruppe. Unter Umständen sucht er nach Zuwendung (möglicherweise auch negative Zuwendung)

Opponent

Sachliche Opposition als positiven Faktor nutzen. Konstruktive Kritik anerkennen und als Motor für Verbesserungen akzeptieren. Sich in vertretbarem Rahmen mit ihm auseinandersetzen

Führung entsteht durch Akzeptanz der Gruppe. Der informelle Führer oder Meinungsführer kann daher für die Führungskraft ein wichtiger Helfer und Verstärker sein

Nutzen Sie seine Einflussmöglich- Sie dürfen ihn nicht übergehen. Sie sollten keine Machtkämpfe vor keit auf die Gruppe kooperativ. Klären Sie problematische Sachver- der Gruppe mit ihm austragen halte vorher mit ihm ab

Das Verhalten dieser Rollenträger lässt Das sollten Sie als Chef in der sich wie folgt beschreiben: Regel tun:

Informeller Führer, Meinungsführer

Rollen kommen in fast allen Gruppen vor:

Tab. 10.1  Mögliche soziale Rolle im Team

10.2  Starke und schwache soziale Rollen in einer Gruppe 159

Ein scheinbar bequemer Mitarbeiter, der jedoch durch Wechseln zwischen Gruppen Unruhe schaffen kann

Blitzableiterfunktion für die Gruppe. Es sind zumeist schwache Gruppenmitglieder, die in Spannungssituationen herhalten müssen

Sie ziehen sich aufgrund ihrer Kontakt- bzw. Kommunikationsschwierigkeiten von der Gruppe zurück. Auf ihn wird oftmals verstärkend reagiert im Sinne von „Wenn du uns nicht magst, mögen wir dich erst recht nicht …“

Prügelknabe

Außenseiter

Ihn erst zum Schluss um seine Meinung bitten

Ebenfalls bei eigenen Fehlern oder aus Bequemlichkeit/Feigheit bei Fehlern der Gruppe von dieser Rolle Gebrauch machen Nicht um jeden Preis integrieren wollen

Schützen, Blitzableiterfunktion gezielt ansprechen. Probleme sachbezogen lösen Durch entsprechende Gruppeneinteilung und Aufgabenverteilung unterstützen. Bewusst ansprechen und einbeziehen

Dies sollten Sie als Chef auf jeden Fall unterlassen:

Persönliche Meinungsbildung fördern. Klar Stellung beziehen lassen und „festnageln“

Das Verhalten dieser Rollenträger lässt Das sollten Sie als Chef in der sich wie folgt beschreiben: Regel tun:

Anpasser

Rollen kommen in fast allen Gruppen vor:

Tab. 10.1   (Fortsetzung)

160 10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

10.4  Phasen der Teamentwicklung und die benötigten Führungsstile

161

10.3 Teamzusammensetzung und Teamrollen nach Belbin Der Engländer Meredith Belbin1 untersuchte in den 1970er-Jahren die Auswirkungen der Teamzusammensetzung aus verschiedenen Persönlichkeitstypen auf die Teamleistung. Ausgehend von der Annahme, dass das Persönlichkeitsprofil eines Menschen auf unterschiedlich stark ausgeprägten Eigenschaften beruht, analysierte Belbin die Ergebnisse von Teams aus Kursteilnehmern am Henley Management College in Henley-on-Thames, Oxfordshire, England. Nach jahrlangen Untersuchungen identifizierte er acht (später neun) verschiedene Teamrollen, die sich aus den Verhaltensmustern der Mitglieder ergaben. (Die Rollen können in handlungs-, kommunikations- und wissensorientiert eingeteilt werden). Belbin fasste sie 1981 in seinem Buch „Management Teams“ wie in Tab. 10.2 dargestellt zusammen: Es gelingt selten, all diese Rollen in einer Mannschaft zu vereinen. Damit ein Team funktioniert, ist die richtige Kombination verschiedener Teamrollen jedoch notwendig. Eine möglichst starke Heterogenität ist für eine Gruppe von Vorteil, da damit möglichst viele Eigenschaften abgedeckt werden. Allerdings braucht man nicht jede Rolle in jedem Team – das kommt ganz auf die jeweilige Aufgabenstellung an. Dennoch gibt es Teamrollen, die für den Erfolg wichtiger sind als andere – so wird das Fehlen eines Beobachters wahrscheinlich weniger schwer wiegen als das Fehlen eines Koordinators. Es ist für die Führungskraft wichtig zu wissen, welche Team-Rollen-Inhaber er an Bord hat und wie diese sich in der Regel verhalten.

10.4 Phasen der Teamentwicklung und die benötigten Führungsstile Die Entwicklung einer Arbeitsgruppe zu einem echten Team vollzieht sich im Allgemeinen in mehreren Phasen. Bruce Tuckman (* 1938), ein US-amerikanischer Psychologe, entwickelte 1965 ein Phasenmodell für die Teamentwicklung (Tuckman, B. W. : Developmental Sequence in Small Groups. In: Psychological Bulletin, 63, 1965, S. 384–399). Das Modell von Tuckman beschreibt vier aufeinanderfolgende Entwicklungsschritte für Gruppen bzw. Teams (forming, storming, norming und performing). Im Jahr 1977 wurde das Modell um eine fünfte Phase (adjourning-Auflösung) ergänzt (Tuckman und Jensen 1977).

1Meredith

England.

Belbin (geb. 1926) ist Professorin am Henley Management College in Oxfordshire,

Aufgabe im Team

Eigenschaften Schwächen

Untersucht Ideen und Vorschläge auf Nüchtern, strategisch, kritisch, ihre Machbarkeit und ihren praktiberücksichtigt alle Optionen, gutes schen Nutzen für die Ziele des Teams Urteilsvermögen

Hilft den Teammitgliedern, effektiv zu arbeiten, verbessert Kommunikation und Teamgeist

Setzt allgemeine Konzepte und Pläne Diszipliniert, verlässlich, konservain praktikable Arbeitspläne um und tiv, effizient, setzt Ideen in Aktionen führt diese systematisch aus um

Vermeidet Fehler und Versäumnisse, stellt optimale Ergebnisse sicher

Untersucht Quellen außerhalb des Extrovertiert, enthusiastisch, komTeams, entwickelt nützliche Kontakte munikativ, findet neue Optionen, entwickelt Kontakte

Evaluator: der Beobachter

Teamworker: der Teamarbeiter

Implementer: der Umsetzer

Completer: der Perfektionist

Ressource Investigator: der Ergänzer

Sorgfältig, gewissenhaft, ängstlich, findet Fehler und Versäumnisse, hält Fristen ein

Kooperativ, sanft, einfühlsam, diplomatisch, hört zu, baut Spannungen ab

Bringt neue Ideen und Strategien ein, Kreativ, fantasievoll, unorthodoxes sucht nach Lösungen Denken, gute Problemlösungsfähigkeiten

Planer: der Planer

Über-optimistisch, verliert leicht das Interesse, nachdem sich der erste Enthusiasmus gelegt hat

Neigt zu übertriebener Besorgnis, delegiert nicht gern

Etwas unflexibel, reagiert verzögert auf neue Möglichkeiten

Unentschieden in kritischen Situationen

Geringer Antrieb, mangelnde Fähigkeit zur Inspiration des Teams

Ignoriert Nebensächlichkeiten, tendiert zur Konzentration auf persönliche Eigenschaften

Dynamisch, arbeitet gut unter Druck, Neigt zu Provokationen, nimmt zu hat den Antrieb und Mut, Probleme wenig Rücksicht auf die Gefühle zu überwinden anderer

Formt die Teamaktivitäten, Diskussionen und Ergebnisse

Shaper: der Macher

Coordinator: Kontrolle und Organisation der Selbstsicher, guter Leiter, stellt Kann als manipulierend angesehen der Koordinator oder Integrator Teamaktivitäten, optimale AusZiele dar, fördert die Entscheidungs- werden, Tendenz zur Delegation nutzung der vorhandenen Ressourcen findung, gute Delegationsfähigkeiten persönlicher Aufgaben

Team-Rolle

Tab. 10.2  Notwendige Rollen nach Belbin

162 10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

10.4  Phasen der Teamentwicklung und die benötigten Führungsstile

163

10.4.1 Forming – die Einstiegs-, Test- und Findungsphase (Kontakt) Die erste Phase ist durch Unsicherheit und Orientierungslosigkeit gekennzeichnet. Zunächst müssen die Teammitglieder sich miteinander bekannt machen und ihren Platz in der Gruppe finden. Ziele und Regeln werden besprochen, und die Gruppe wendet sich nur langsam der übertragenen Aufgabe zu. Die Mitglieder probieren aus, welches Verhalten in der Situation angebracht ist. Der Umgang der Führungskraft mit dem Team in dieser Phase erfordert einen „delegierenden“ Führungsstil: Sie muss Gewissheit vermitteln (Grundregeln erklären, Ziele definieren, Fahrplan ausarbeiten und vereinbaren), Klarheit über die Situation schaffen, die eigene Sicht der Situation darlegen, Struktur vorgeben, Einhaltung von Regeln einfordern, ggf. Konflikte ansprechen und bearbeiten, Scheu und Zurückhaltung akzeptieren und überwinden helfen. Die üblichen Phasen einer Teambildung zeigt Abb. 10.2.

10.4.2 Storming – die Auseinandersetzungs- bzw. Klärungsphase („Nahkampf“) In der zweiten Phase kommt es häufig zu Unstimmigkeiten über Prioritätensetzungen, Arbeitsbelastungen und Einflussmöglichkeiten. Es kommt des Öfteren zu Machtkämpfen um die Führungsrolle und den Status in der Gruppe. Auch in dieser Phase ist die Leistung der Gruppe eher gering.

Abb. 10.2  Übliche Phasen einer Teambildung

164

10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

Der Umgang der Führungskraft mit dem Team in dieser Phase erfordert einen „kooperativen“ Führungsstil: Sie muss persönliche und moralische Unterstützung geben, denn „Storming“ ist normal. Sie muss zudem auf das Betriebsklima achten, Konflikte ansprechen, auch heikle Themen aufgreifen, Spannungen zulassen, Gesprächs- und Feedbackregeln einführen, Frust der Gruppe ertragen, Konfliktbearbeitung mittels Mediation oder Teamtrainings durchführen.

10.4.3 Norming – die Regelungs- und Übereinkommensphase (Findungsphase) In dieser Phase werden Normen und Regeln diskutiert oder durch stillschweigende Übereinkunft gefunden und eingehalten. Die Teammitglieder haben ihre Rollen gefunden, und es wird verstärkt kooperiert. Das Wir-Gefühl und der Zusammenhalt im Team bilden sich aus. Die Leistung des Teams nimmt zu. Die Arbeit einer Führungskraft in dieser Phase ist eine „begleitende“. Sie muss Unterstützung bei der Ausarbeitung eines Gruppenkonsenses geben, tragfähige Verhaltensund Spielregeln aushandeln helfen, sorgfältig beobachten, ohne direkt einzugreifen, keine Hektik und Zeitdruck entstehen lassen, Beziehungsthemen vor Sachthemen stellen.

10.4.4 Performing – die Arbeits- und Leistungsphase In der Phase „Performing“ pendelt sich die Leistung der Teammitglieder auf einem gleichbleibend hohen Niveau ein. Das Team handelt geschlossen und orientiert sich am gemeinsamen Ziel. Es herrscht eine Atmosphäre von Anerkennung und Wertschätzung. Rollen können durchaus flexibel zwischen Personen wechseln. Das Team geht offen miteinander um, kooperiert und hilft sich ggf. gegenseitig. In dieser Phase ist die Arbeit als Führungskraft sehr befriedigend. Es reicht, das Team selbstständig arbeiten zu lassen, Ergebnisse und Zwischenergebnisse abzunehmen und dem Team für seine Leistung Anerkennung zukommen zu lassen.

10.4.5 Adjourning – die Auflösungsphase (Testphase) Die fünfte Phase, die Auflösungsphase, wurde durch Tuckman im Jahr 1977 dem Phasenmodell hinzugefügt. Diese Phase bezieht sich auf die Gruppen, die längerfristig und erfolgreich zusammengearbeitet haben, doch nach Abschluss ihres Auftrags getrennte Wege gehen müssen. Betroffen sind zum Beispiel Mitglieder eines Projektteams, die nach Abschluss des Projekts (z. B. im Ausland) sich wieder um ihre Aufgaben im Tagesgeschäft kümmern. Teammitglieder sind häufig traurig über das bevorstehende Ende und machen sich Sorgen über die Zeit danach.

10.5  Interaktion zwischen Gruppe und Führungskraft

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Zu beachten ist, dass die einzelnen Phasen auch wiederholt durchgemacht werden können, wenn ein neues Teammitglied in ein bestehendes Team eintritt oder sich eine Änderung der Aufgabenstellung ergibt. Durch die Teilnahme an einem Team haben die Teammitglieder ein Gemeinschaftsgefühl und den Eindruck, etwas Größeres zu leisten. Dadurch steigern sich das Selbstwertgefühl und die Motivation, was sich wiederum positiv auf die Arbeit auswirkt. Die Zusammensetzung eines Teams, ob homogen oder heterogen, beeinflusst die Teamleistung. Homogene Teams haben zwar tendenziell geringere Koordinationskonflikte, verfügen jedoch über eine geringere Ressourcenvielfalt (alle denken gleich). Heterogene Teams weisen zwar Leistungsvorteile auf, haben aber mehr Konfliktsituationen zu bewältigen und einen erhöhten Koordinationsaufwand. Man muss sich im Klaren sein, dass Tuckmans Phasenmodell eine vereinfachende Beschreibung ist. Die Darstellung suggeriert einen Automatismus, der in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Manche Gruppen bzw. Teams erreichen nie das Stadium einer hohen Arbeitsleistung, bei anderen scheint es keine Konfliktphase zu geben usw.

10.5 Interaktion zwischen Gruppe und Führungskraft Gruppendynamisch ist ein Chef nicht Teil der Gruppe. Sein natürlicher Ansprechpartner ist der Mitarbeiter mit dem höchsten Ansehen in der Gruppe, d. h. der informelle Führer. Da Führung aber durch Akzeptanz entsteht, sollte die Führungskraft in ihm einen wichtigen Helfer und Verstärker sehen. Ein guter Vorgesetzter nutzt seine Einflussmöglichkeit auf die Gruppe kooperativ und klärt problematische Sachverhalte mit ihm ab. Es gibt einige Sonderfälle, in denen nicht der statushöchste Mitarbeiter der Gruppe von vornherein der Ansprechpartner des Vorgesetzten ist. Das ist der Fall, wenn beispielsweise das Team gruppendynamisch instabil ist, das heißt die Rangordnung nicht ausreichend geklärt ist. Dann wird die Gruppe Hilfe beim Vorgesetzten suchen. Sie wird ein „schwaches“ Mitglied der Gruppe (schwache Rolle) zum Chef schicken, mit der Bitte, zu einem gewissen Sachverhalt eine Klärung herbeizuführen. Hierbei geht es zum Beispiel um eine Frage zur Organisation des Sommerfestes oder zur Urlaubsregelung. Die Gruppe wird also nicht den „informellen“ Führer zum Chef schicken, sondern ein Mitglied, das sonst nicht für die Gruppe sprechen darf. In einer solchen Situation sollte der Vorgesetzte vorher wissen, wie er darauf reagiert. Reagiert er auf die Aufforderung nicht und schickt den Mitarbeiter unverrichteter Dinge zurück, wird die Gruppe auf diesen „einprügeln“ (Mobbing) und auf seinem Rücken die Rangfrage zu klären versuchen, worunter die Arbeitsleistung leidet. Zeigt der Chef hingegen seine Bereitschaft zu helfen, so muss er ein Treffen mit der gesamten Gruppe vereinbaren. Während dieser Besprechung muss er nur zuhören, sich also nicht einmischen. Er muss abwarten, bis die Gruppe ihre Statusfrage anhand des Themas geklärt hat: Wer setzt sich durch?, Wer unterstützt wen? usw. Dabei darf er, auch

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10  Soziales Verhalten von Menschen in Teams

wenn es ihm schwerfällt, keine Signale der Zustimmung oder Ablehnung von sich geben, denn das würde den Klärungsprozess stören. Eine ganz andere Situation kann entstehen, wenn die Gruppe mit dem Chef nicht zufrieden ist, sich aber nicht traut, dies direkt anzusprechen. Aus der Sicht der Gruppe hat er irgendetwas falsch gemacht. Dann wird die Gruppe ein Signal geben, indem sie ein „starkes“ Mitglied (starke Rolle) zum Chef schickt, und zwar mit einer belanglosen Bitte, zum Beispiel Organisation des Betriebsfestes oder Urlaubsregelung. Die Gruppe wird jedoch nicht den informellen Führer, also das Mitglied mit dem höchsten Ansehen, schicken. Auch in dieser Situation muss der Vorgesetzte aufhorchen und wissen, wie er reagieren sollte. Reagiert er abweisend oder gar autoritär und schickt den Mitarbeiter unverrichteter Dinge zur Gruppe zurück, werden sich die Mitarbeiter ärgern und unverstanden fühlen. Die „guten“ Mitarbeiter werden womöglich die Gruppe verlassen, es bleiben nur die Leistungsschwachen zurück. Auf diese Weise verliert die Führungskraft ihre guten Mitarbeiter und kann sich nur noch über mangelnde Motivation oder Desinteresse in der Mannschaft beklagen. Erkennt oder vermutet der Chef allerdings die Lage, so wird er auch diesmal eine Besprechung anberaumen und sich den Vorwürfen der Gruppe stellen. Dabei sollte er ruhig zuhören, den Grund für die Unzufriedenheit erfragen und keine Rechtfertigungen vorbringen. Auch wenn der Vorgesetzte überzeugt ist, keinen Fehler gemacht zu haben, sollte er sagen, dass er die entstandene Situation bedauert, und eine Vereinbarung für die Zukunft treffen. In einem derartigen Fall ist die Gruppe bereit, auf diese Vereinbarung einzugehen, denn andernfalls hätten sie das oben beschriebene Signal gar nicht gesendet. Ein nüchterner Blick auf Teamwork und Vorsicht vor überzogenen Erwartungen ist empfehlenswert. Denn statt Menschen zu kreativen Höhenflügen zu inspirieren, können Gruppen die Ideenfindung hemmen. Nur in Ausnahmefällen motiviert ein Team zu Höchstleistungen, in vielen Fällen schmälert es sogar die Leistung, denn Gruppen treffen allzu oft falsche Entscheidungen. Anpassung an das Team kann die Diskussionsfreude hemmen, und wer in einer Arbeitsgruppe vor allem Harmonie sucht, wird als Erster enttäuscht werden. Dennoch ist die Arbeit in Gruppen unverzichtbar. Am effektivsten ist sie, wenn alle Beteiligten sich bewusst sind, dass Teamarbeit eine höchst anspruchsvolle und komplizierte Herausforderung ist. Zu diesem Thema gibt es einen hervorragenden Vortrag von Vera Birkenbihl, der heute noch als DVD unter dem Titel „Meetings erfolgreicher gestalten“ erhältlich ist (Birkenbihl 2005).

10.6 Welche Kollegen passen in unser Team? Der/die „Neue“ muss ins Team passen! Es sagt sich leicht daher, dass der neue Kollege ins Team passen sollte. Doch woran macht man das fest? Wie erkennt man es? Und wie wird deutlich, dass jemand nicht zur eingeschworenen Truppe passt?

Literatur

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Hier trifft jeden Chef eine große Verantwortung, der er spätestens nach dem Bewerbungsgespräch gerecht werden muss. Denn es obliegt zum großen Teil seiner Einschätzung, ob der potenzielle neue Mitarbeiter ins Team passt (Anforderungsprofil). Dazu sollte eine Führungskraft ihr Team, dessen Zusammensetzung, Verhaltensweisen und Fähigkeiten gut kennen (siehe dazu auch die Motivationsprofile nach Steven Reiss). Idealerweise gibt man den Kollegen im Team die Möglichkeit, einen interessanten Bewerber kennenzulernen. Ist das Team der Meinung, es möchte gerne mit dem Neuen zusammenarbeiten, stehen die Chancen gut, dass der Einsteiger tatsächlich ins Team passt. Andererseits hat die Mannschaft auch das Recht, ihr Veto einzulegen, wenn der Bewerber ihr nicht passt. Dabei ist es nicht nur eine Frage der Qualifikation allein, auch die menschliche „Chemie“ muss stimmen. Das vielleicht größte Geheimnis einer erfolgreichen Teambildung liegt darin, Mitglieder ziehen zu lassen, wenn sie gehen wollen – doch niemals sollte man selbst jemanden zum Gehen bewegen, wenn es anders machbar ist.

Literatur Belbin, M. (1981). Management teams: Why they succed or fail. Oxford: Butterworth-Heinemann Oxford. Birkenbihl, V. F. (2005). Meetings erfolgreicher gestalten. Regensburg: DVD. Tuckman, B., & Jensen, M. A. (1977). Stages of small-group development revisited. Group and Organization Studies, 2, 419–427.

Besprechungen im Team effektiv durchführen

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11.1 Besprechungen richtig vorbereiten Um eine Besprechung wirksam und ohne Konflikte durchzuführen, sollten einige Punkte berücksichtigt werden, damit diese Zusammenkunft letztlich auch zu einem produktiven Resultat führt. Die Herausforderung in solchen Meetings besteht insbesondere darin, jene Besprechungsteilnehmer im Griff zu halten, die gerne viel reden und sich gern reden hören und dabei ihr Wissen – häufig – unreflektiert ausbreiten. Diese Leute sind in der Praxis meist schwer zu stoppen und sprengen dadurch gerne mal den normalen Rahmen einer Besprechung. Insbesondere Personen, die in der Hierarchie höher stehen, können vom Besprechungsleiter nicht so ohne Weiteres in ihren Ausführungen gezügelt werden. Dieser Nachteil lässt sich nur ausgleichen, wenn folgende Punkte berücksichtigt werden:

11.1.1 Einladung Eine Einladung sollte verschickt werden, die neben Ort und Zeit, die Rolle der einzelnen Besprechungsteilnehmer definiert. Die Teilnehmer werden als: Entscheider, Spezialist, Berater, Informant, Informand (braucht die Information) eingeladen. Jeder weiß, was von ihm erwartet wird und kann seinen Betrag dazu leisten. Sollten Teammitglieder zu viel reden oder sich nicht zum Thema äußern, kann man diese auf ihre Rolle in der Besprechung hinweisen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_11

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11  Besprechungen im Team effektiv durchführen

11.1.2 Begrüßung Die Begrüßungsansprache sollte so kurz wie möglich sein. Das Thema sollte knapp und verständlich formuliert und ein Protokollführer vereinbart werden. Somit entstehen keine Missverständnisse und aneinander vorbeigehende Diskussionen.

11.1.3 Ziele der Besprechung Der Gesprächsleiter sollte eine kurze Einführung in das Thema geben: Warum muss dieser Komplex erarbeitet werden und welche Bedeutung hat das Ergebnis für das Unternehmen bzw. für alle Mitarbeiter? Das Engagement der Teilnehmer steht im direkten Bezug zur Bedeutung des ­Ergebnisses.

11.1.4 Struktur und Ablauf Das Thema sollte in Unterthemen gegliedert werden. Diese sollten sichtbar festgehalten und die Zustimmung der Teilnehmer eingeholt werden: „Ich schlage vor, das Thema in diesen Stufen anzugehen. Sind Sie damit einverstanden?“

11.1.5 Spiel- oder Verfahrensregeln Die Spielregeln sollten gleich zu Beginn bekannt gegeben und auch danach gefragt werden, ob alle damit einverstanden sind. So kann sich der Besprechungsleiter bei evtl. Störungen immer auf diese Vereinbarungen beziehen.

11.1.6 Unterbrechungen Pausen und Dauer der Besprechung sollten bekannt gegeben und auch eingehalten werden. Wenn darauf hingewiesen wird, wo möglicherweise Getränke oder Gebäck stehen, wird die Motivation erhöht.

11.2 Der Umgang mit zurückhaltenden Teammitgliedern Der Gruppenprozess kann sich nicht voll entfalten, wenn einzelne Teilnehmer sich stark zurückhalten. Zum einen fühlen sich die aktiven Teammitglieder in diesem Fall als übertrieben dominant, zum anderen empfinden sich die passiven Mitarbeiter als Außenseiter.

11.4  Was tun, wenn sich der Besprechungsleiter in einer …

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Es ist die Aufgabe des Besprechungsleiters diese Situation aufzulösen und die zurückhaltenden Mitarbeiter zu integrieren. • Um dieses Ziel zu erreichen, muss er diese direkt ansprechen, sie bitten, eine Stellungnahme zum genannten Sachverhalt zu geben. • Er sollte konkrete Fragen über deren Arbeitsaufgabe stellen. • Vorsichtige Anerkennung sollte ausgesprochen werden. • Wenn möglich sollten Aufgaben auf die zurückhaltenden Mitarbeiter übertragen werden. • Ihnen sollte auch verständlich gemacht werden, dass sie für das Team wichtig sind. • Auf jeden Fall sollte vermieden werden, dass die weniger aktiven Mitarbeiter nicht beachtet werden.

11.3 Der Umgang mit nörgelnden Teammitgliedern In fast jedem Team gibt es einen ständigen Nörgler, einen ewigen Nein-Sager oder einen Pessimisten. Diese Rollen stellen für die Entwicklung einer positiven Teambeziehung starke Störfaktoren dar. Ermahnungen und Einzelgespräche mit diesen Rollenträgern können nur für kurze Zeit eine gewisse Besserung erbringen. Mittel- und langfristig gesehen besteht die einzig sinnvolle Lösung darin, solche Teammitglieder zu integrieren. Wenn diese erkennen, dass sich der Einsatz lohnt, können sie sich der Erfolgssituation auf Dauer nicht entziehen. Der empfohlene Umgang mit einem Nörgler: • den Nörgler immer wieder einbeziehen • Kenntnisse/Erfahrungen anerkennen, Ehrgeiz wecken • messbare Erfolge erzielen und diese dem Nörgler vorstellen • Rückkopplung zu den erarbeiteten Lösungen, Vorschlägen und zum Stand der Bearbeitung durch den Auftraggeber geben lassen

11.4 Was tun, wenn sich der Besprechungsleiter in einer gedanklichen Sackgasse befindet? Den „perfekten“ Besprechungsleiter gibt es nicht. Jeder Teamleiter wird sich irgendwann in einer schwierigen, scheinbar ausweglosen Situation befinden. Durch Herausreden oder Vertuschen kann der Chef einen Teil seiner Glaubwürdigkeit verlieren. Wird das Problem allerdings offen angesprochen, kann es durch Mithilfe aller Teammitglieder bewältigt werden.

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11  Besprechungen im Team effektiv durchführen

Dazu ist es erforderlich, dass der Besprechungsleiter ...  • • • •

offen sagt, dass er Schwierigkeiten hat. nicht versucht, die Schwierigkeiten zu vertuschen. die Gruppe bittet, ihm durch Vorschläge aus den Schwierigkeiten zu helfen. den problematischen Sachverhalt erst einmal zurückstellt und diesen nach vorheriger Vorbereitung in der nächsten Sitzung erneut anspricht.

11.5 Der Umgang mit dominanten Besprechungsteilnehmern Die Ursachen für dominantes Verhalten können sehr unterschiedlich sein. a) Sehr dynamische, kompetente Mitarbeiter, die stark leistungsmotiviert sind, bringen sich voll ein und wollen etwas bewegen. b) Menschen mit einem starken Unsicherheitsgefühl und einem Minderwertigkeitskomplex versuchen häufig, diese durch die sogenannte Flucht nach vorne zu überspielen. Auswirkungen: Stille, zurückhaltende Gruppenmitglieder fühlen sich durch solches Verhalten überfahren oder ins Abseits gedrängt. Sie bringen dann ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht voll ein und ziehen sich immer mehr zurück.

11.5.1 Lösungsmöglichkeiten im Einzelgespräch (vor oder nach der Besprechung) • • • •

die Kompetenz des dominanten Teilnehmers anerkennen ihn auf die Auswirkungen seines Verhaltens ansprechen ihn um Hilfe bei der Aufgabe „Aktivierung des Teams“ bitten optische Signale zur Absicherung vereinbaren

11.5.2 Lösungsmöglichkeiten innerhalb der Besprechung Bleibt das Einzelgespräch ohne Erfolg, dann können sich folgende Lösungsmöglichkeiten in der Besprechung selbst als hilfreich erweisen: • gezielter Eingriff während der Besprechung mit Hinweis auf die Rolle in der Einladung (z. B.: Welche Entscheidung möchten Sie also treffen? Welchen Informationsgehalt sollen wir daraus ableiten? Brauchen Sie noch weitere Informationen für Ihr Team?), 

11.6  Was sollte man in einer Besprechung vermeiden?

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• den dominanten Teilnehmer bitten, auch die anderen zu Wort kommen zu lassen, • Monologe bewusst abbrechen (z. B.: Was soll unser Kollege im Protokoll vermerken?), • in schweren Fällen mit der Gesamtgruppe darüber sprechen, Lösungen abfragen und Vereinbarungen treffen.

11.6 Was sollte man in einer Besprechung vermeiden? Zum Abschluss dieses Kapitels werden noch einige Verhaltens- und Vorgehensweisen vorgestellt, die in jeglicher Art von Besprechung unbedingt unterlassen werden sollten, ganz gleich, ob es sich um ein Meeting mit Kollegen oder um ein „zwangloses“ Treffen mit den Mitarbeitern handelt. Nachlässigkeit führt an dieser Stelle immer zu Unzufriedenheit, Widerstand oder sogar zu Demotivation.

11.6.1 Wie formuliert man eine gute Einladung? Eine gute Einladung muss folgende sieben Punkte beinhalten: 1. Welche konkreten Punkte sollen in der Besprechung behandelt werden (TOPs)? 2. Mit welchen Arbeitszielen (beispielsweise: Informationen sammeln, eine Entscheidung treffen oder vorbereiten, eine Maßnahme/ein Produkt präsentieren)? In welcher Reihenfolge sollen die TOPs behandelt werden?)?  3. Welche Rolle sollen die Teilnehmer in der Besprechung einnehmen (als Entscheider, Ratgeber, Informant, Informationsgeber, Entwickler, Projektleiter, Vertreter des internen/externen Kunden)? Was muss jeder Teilnehmer eventuell mitbringen? 4. Welche Unterlagen oder Informationen sind an die Teilnehmer im Vorfeld zu verschicken? 5. Wer soll die Leitung des jeweiligen TOPs übernehmen? Wer protokolliert? 6. In welcher Zeit soll die Besprechung stattfinden (gesamt/pro TOP)? 7. Wo findet die Besprechung statt (Ort, Raum)?

11.6.2 Vergessen, Fragen zu stellen Es sollte unbedingt vermieden werden, nur selbst etwas zu erzählen. Sokrates sagte dazu: „Die Kunst zu führen oder zu lehren ist die Kunst zu fragen!“

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11  Besprechungen im Team effektiv durchführen

11.6.3 Die Nerven verlieren Die Arbeitsatmosphäre sollte positiv-freundlich sein, getragen von gegenseitiger Akzeptanz und partnerschaftlichem Miteinander. Auf keinen Fall sollte man laut oder gar aggressiv werden!

11.6.4 Kritische Fragen an Einzelne stellen Fragen sollten pauschal an die Gruppe gerichtet werden. Es sollte im Plenum keine leichtfertige Kritik gegen einen Einzelnen stattfinden, aber auch kein Lob gegeben werden.

Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

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Meinungsverschiedenheiten und die Beziehungsebene Da Spannungen und Konflikte zu unserem Alltag gehören – sei es am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld –, ist es für Führungskräfte wichtig, einen Einblick in das Wesen und in die Dynamik von Konflikten zu erhalten. Führungskräfte nehmen bei der rechtzeitigen Konflikterkennung und einer nachhaltigen Konfliktlösung eine wichtige Rolle ein.  Meinungsverschiedenheiten sind in der Zusammenarbeit aktiver und engagierter Menschen selbstverständlich.  Unterschiedliche Sichtweisen begünstigen Entwicklungen und führen zum Erfolg. Wenn jedoch die Beziehungsebene nicht beachtet wird, können sich daraus schnell Konflikte entwickeln, die letztendlich großen Schaden anrichten. Eine Meinungsverschiedenheit wird erst dann zum Konflikt, wenn Emotionen hinzukommen; Angst, Wut, Hass und Enttäuschung gelten als wesentliche Antriebselemente für Konflikte. Negative Gefühle in Konflikten verursachen eine hohe Aktionsbereitschaft, die zu gegenseitigen Beeinflussungsversuchen und unreflektiertem – später oft bereutem – Verhalten der Konfliktparteien führt. Ein Konflikt liegt also dann vor, wenn Meinungsverschiedenheiten, Bedürfnisse, Interessen, Erwartungen oder Zielvorstellungen aufeinander treffen, die nicht miteinander vereinbar sind, wo also ungleiche, oft gegensätzliche Absichten verfolgt werden. Konflikte machen Unterschiede deutlich – Unterschiede im Denken, Fühlen und Wollen. Sachliche Meinungsverschiedenheiten sind so lange kein Konflikt, wie beide Seiten die vorhandene Unterschiedlichkeit hinnehmen, ohne eine Bewertung auf der Beziehungsebene vorzunehmen („Du musst die Sache so sehen wie ich, sonst siehst du sie falsch!“). Konflikte müssen nicht grundsätzlich Schlechtes bewirken. Sie können sinnvoll sein, indem sie den Finger auf offene Wunden legen, Unzufriedenheit signalisieren und auf nicht erfüllte Bedürfnisse hinweisen. Vielfach ermöglichen sie eine ­produktive © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_12

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

Auseinandersetzung mit Problemen, statt angepasst im Gleichschritt zu marschieren. Sie tragen in sich die Saat der Veränderung und der Verbesserung, statt alles unter einem Mantel der (scheinbaren) Harmonie zu verbergen. (Das Wort „Konflikt“ stammt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus: con = zusammen und fligere = schlagen; also: zusammenstoßen/aufeinanderprallen). Abb. 12.1 demonstriert, wie Konflikte entstehen können.

Abb. 12.1  Entstehung von Konflikten

12.1  Die Konfliktspirale

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Ungelöste Konflikte können derart eskalieren, dass die Beteiligten darunter leiden und keinen Ausweg mehr finden. Doch wenn man den Konflikt als wichtiges Signal sieht, dass etwas nicht stimmt und verändert werden muss, bietet er eine Chance zur Entwicklung und Verbesserung der gegenseitigen Beziehung. Voraussetzung ist allerdings, dass ein konstruktiver Umgang mit den unterschiedlichen Ansichten, Gefühlen und Zielen gefunden wird. Daher ist es wichtig zu wissen, wie Konflikte vorteilhaft bearbeitet werden können: Nicht der Konflikt an sich ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie man mit ihm umgeht. Für die Bearbeitung von Konflikten brauchen wir eine Sprache, die den anderen oder die andere nicht bewertet oder gar verurteilt, aber dennoch offen und ehrlich unsere Gefühle und Bedürfnisse zum Ausdruck bringt.

12.1 Die Konfliktspirale Das Aufschaukeln eines Konfliktes lässt sich anhand der Konfliktspirale veranschaulichen. Sie beginnt mit der Annahme, dass ein Konflikt im Prinzip unangenehm ist. In der Praxis wird erwartet, dass man einen Streit vermeidet, es wird Höflichkeit und Rücksicht vorausgesetzt. Dadurch wird ein Konflikt jedoch nicht angegangen und gelöst, sondern heruntergespielt bzw. harmonisiert. Die Folgen können äußerst unangenehm sein: Es herrscht ständige Spannung; man geht demjenigen, mit dem man ein Streit hat, aus dem Weg; es entstehen Vorurteile; Kontakt erfolgt nur noch sofern unumgänglich. Diese angespannte Situation führt ihrerseits dazu, dass sich die Kommunikation insgesamt weiter verschlechtert. Dadurch steigt automatisch die persönliche Unzufriedenheit mit dem Gegenüber, wodurch das gesamte Betriebsklima im Team absinkt. Schlechte Kommunikation wiederum führt zu immer weniger gegenseitiger Information und weniger Verständnis für den anderen. Letztlich wird die Zusammenarbeit stark eingeschränkt. Wie Konflikte von innen nach außen gelöst werden können,  veranschaulicht Abb. 12.2. Eine solch „vergiftete“ Atmosphäre mit einer verschlechterten Beziehungsebene führt zwangsläufig dazu, dass neue Konflikte entstehen oder der bestehende Konflikt sich weiter verstärkt. Wenn man sich in einer derartigen Situation um Normalität bemüht, sich gewissermaßen „zusammenreißt“, treibt dieses Verhalten den Kreislauf weiter voran, und es entsteht die besagte „Konfliktspirale“. Eine Führungskraft muss darauf achten, dass Meinungsverschiedenheiten in der eigenen Abteilung und im Umgang mit anderen betrieblichen Partnern nicht zu „Verletzungen“ auf der Beziehungsebene führen.

12.1.1 Konfliktarten nach Konfliktparteien Hinsichtlich der Art der Konfliktparteien lässt sich ein Konflikt in einen intrapersonalen (innerer Konflikt), interpersonalen (zwischen Personen) und intergruppalen (zwischen Gruppen) Konflikt unterscheiden.

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

Abb. 12.2  Konfliktlösung von innen nach außen

Ein intrapersonaler Konflikt ist dann vorhanden, wenn eine Person in sich zwei unterschiedliche Verhaltenstendenzen spürt. Ein interpersonaler Konflikt liegt dann vor, wenn zwei oder mehrere Personen in einer Situation jeweils unterschiedliche Positionen vertreten und sich auf der Beziehungsebene gegenseitig angreifen. Ein intergruppaler Konflikt kommt vor, wenn zwei oder mehrere Gruppen in einer vorliegenden Situation keine klaren Verhaltensregeln vereinbaren und sich gegenseitig angreifen. Bei Konflikten in Organisationen sind oft alle drei Arten miteinander verflochten. Es ist jedoch sinnvoll, diese Ebenen auseinanderzuhalten, weil dadurch die Barrieren, die einer Regelung entgegenstehen, leichter erkannt und überwunden werden können. Häufig werden Konflikte auch zwischen den Ebenen verschoben. Wenn z. B. jemand den Konflikt mit seinem Kollegen nicht austrägt, kann dies zu einem inneren Konflikt führen.

12.1.2 Konfliktarten nach Ursachen Entsprechend der Ausgangssituation bzw. der Beziehung zwischen den Konfliktparteien handelt es sich außerdem um folgende Konfliktarten:

12.1  Die Konfliktspirale

179

Verteilungskonflikt: knappe oder knapp gehaltene Güter oder Belohnungen (Wettbewerbssituation). Diese Konfliktart kommt am häufigsten vor. Sie entsteht nicht nur zwischen Personen, sondern auch zwischen Organisationen, Unternehmen oder Staaten. Bewertungskonflikt: unterschiedliche Wertorientierungen, Einstellungen und Normen („Ich bin der Gute!“). Diese Konfliktart gesellt sich oft zum Verteilungskonflikt. Beurteilungskonflikt: unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen bzw. Informationen. Diese Konfliktart beinhaltet eine andere BeURTEILungsbasis. Beziehungskonflikt: ungeklärte Beziehungen. Diese Konfliktart ist am einfachsten zu bemerken. Die Parteien schauen sich grimmig an, werden laut, schreien sich womöglich an; es kommt auch zum sprachlichen oder gar körperlichen Kampf. Rollenkonflikt: Unterschiedliche Aufgaben und unterschiedliches Verständnis der eigenen Rolle. Diese Konfliktart ist mit dem Bewertungskonflikt verwandt („Ich habe hier das Sagen, du musst gehorchen!“). Persönlichkeitskonflikt: Ausweitung eines intrapersonalen (inneren) Konflikts. Der Mensch kämpft mit sich selbst und zieht auch andere in diesen Konflikt mit hinein. Fremder Konflikt: Diese Konfliktart wird von außen hineingetragen. Abb. 12.3 stellt die Konfliktarten bildlich dar.

Abb. 12.3  Konfliktarten

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

12.2 Konflikte von innen heraus lösen Aus diesem Grund wird sehr oft der Versuch unternommen, einen Konflikt von außen nach innen zu lösen, also von der Beziehungsebene nach innen. Diese Konfliktarten bauen sehr oft aufeinander auf. Darum spricht man von einer sogenannten Konfliktzwiebel. In den meisten Fällen liegt ein Verteilungskonflikt, die am häufigsten auftretende Konfliktart, vor. Er wird durch die unterschiedlichen Sichtweisen und Wertvorstellungen der Parteien verstärkt. Weiter verstärkt wird der Konflikt durch den unterschiedlichen Erfahrungs- oder Informationsstand der Konfliktparteien. Fast in jedem Fall kommt es zu einer Verschlechterung der Beziehungsebene. Wenn z. B. unter Kindern Streit ausbricht, versuchen Eltern oft, den Konflikt zu lösen, indem sie die Kinder ermahnen, mit dem Streit aufzuhören und wieder friedlich miteinander zu spielen. Sie wollen die Wogen glätten, die aufgestauten Aggressionen reduzieren und vergessen dabei häufig, anschließend den zugrunde liegenden Konflikt mit den Kindern zu bearbeiten. Doch ein Konflikt ist nur von innen, also vom Grundkonflikt aus, nach außen zu lösen. Es muss zum Beispiel klar sein, was es zu verteilen gibt: Ressourcen, Öl, ein Spielzeug, Macht, Einfluss usw. Erst dann kann der Bewertungskonflikt angegangen werden: Welche Wertorientierungen, Einstellungen und Normen wirken hier? Sind sie überhaupt gerechtfertigt? Nun kann der verstärkende Beurteilungskonflikt angesprochen werden: Haben alle Beteiligten die gleichen Informationen und Fakten? Bevor erläutert wird, wie ein Konflikt zu erkennen, zu vermeiden und zu lösen ist, sollten zunächst einige Übungen zum Erkennen der Konfliktarten durchgeführt werden. Man geht davon aus, dass mehrere Konfliktarten zusammen auftreten können. Wenn der Grundkonflikt nicht schnell gelöst wird, wird immer auch ein Beziehungskonflikt hinzukommen. Übung: Verschiedene Übungen zur Konfliktanalyse

Konfliktanalyse (Fall 1) Bei einem technischen Mitarbeiter eines Kundendienstes reklamiert ein Kunde einen Schaden. Nach genaueren Informationen erkennt der Mitarbeiter die Beschwerde als gerechtfertigt an und sagt eine kostenlose Behebung zu. Sein Vorgesetzter hat gegen diese Entscheidung zwar sachlich nichts einzuwenden, spricht dem Mitarbeiter aber die Kompetenz ab, eine solche Entscheidung zu treffen. Der Mitarbeiter widerspricht und beansprucht in diesem und in ähnlichen Fällen eine Entscheidungsbefugnis. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ………………………………………

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12.2  Konflikte von innen heraus lösen

Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 2) In der Personalabteilung eines mittelgroßen Unternehmens ist die Einführung einer speziellen Arbeitssoftware geplant. Die Leiterin der Bildungsabteilung schlägt ein internes Schulungsprogramm für die Mitarbeiter vor, weil dadurch auf den individuellen Bildungsbedarf eingegangen und direkt an den Arbeitsgeräten geübt werden kann. Der Personalleiter möchte seine Mitarbeiter jedoch auf eine externe Schulung bei einem überbetrieblichen Bildungswerk schicken. Dort wird an den gleichen Geräten trainiert und seiner Meinung nach auch individuell auf die einzelnen Trainingsteilnehmer eingegangen. Das Bildungswerk verfüge, wie er meint, über eine viel größere Erfahrung mit solchen Kursen als die eigene Bildungsabteilung. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 3) Von der Personalabteilung eines großen Unternehmens wurde nach sachlichen Kriterien ein differenziertes Auswahlverfahren für die Einstellung von Auszubildenden entwickelt. Aus dem großen Kreis der Bewerber/-innen werden diejenigen übernommen, die in diesem Verfahren am besten abschneiden.  In der Belegschaft kommt es jedoch zu Unruhe, da zahlreiche Kinder von Betriebsangehörigen abgelehnt werden. Der Betriebsrat setzt sich daraufhin dafür ein, die Betriebszugehörigkeit der Eltern bei der Auswahl stärker zu gewichten. Die Personalabteilung wehrt sich dagegen und möchte nur Qualifikationskriterien gelten lassen. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

Konfliktanalyse (Fall 4) In einem Teilbereich eines optischen Unternehmens verschlechtert sich die Geschäftslage. Aufgrund der geringen Produktion sollen mehrere Sachbearbeiter in die Abteilung „Qualitätskontrolle“ versetzt werden, teilweise in einem anderen Betrieb am gleichen Standort, teilweise in einem Betrieb, der 250 km entfernt liegt. Da alle Sachbearbeiter Familienväter sind, ist die Versetzung an den anderen Standort für sie mit großen Härten verbunden. Alle versuchen deswegen, bei ihrem Vorgesetzten einen Wechsel am gleichen Standort zu erreichen. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 5) In zwei Abteilungen eines Betriebes sind an den Kesselpumpen Störungen aufgetreten, die den Arbeitsablauf sehr beeinträchtigen. Die Betriebsleiter fordern deswegen bei der Pumpenwerkstatt Ersatzpumpen an. Da die Werkstatt kurzfristig nur eine Reservepumpe zur Verfügung stellen kann, kommt es zwischen den beiden Betriebsleitern und der Werkstatt zu zähen Verhandlungen über die Zuteilung dieser Pumpe. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 6) Ein Sachbearbeiter bearbeitet den Vertrieb eines chemischen Produktes in einem außereuropäischen Land. Obwohl er sehr tüchtig ist, hält sich der Absatz wegen der starken Konkurrenz viele Jahre in bescheidenen Grenzen. Eines Tages gelingt es ihm jedoch, den größten Importeur des Landes für das Produkt zu gewinnen und den Verkauf stark zu steigern. Bei der nächsten Zusammenkunft mit seiner Abteilungsleiterin wird er unter anderem mit der Bemerkung gerügt: „Da sehen Sie, wie die Sache läuft, wenn Sie sich

12.2  Konflikte von innen heraus lösen

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nur ernsthaft bemühen und den Schlendrian aufgeben.“ Der Sachbearbeiter beschwert sich daraufhin empört beim zuständigen Direktor, der jedoch eine Zurechtweisung der Abteilungsleiterin seinerseits ablehnt. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 7) Ein Betrieb der Nahrungsmittelbranche möchte ein neues Produkt einführen. In der Marktforschungsabteilung bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die zu startende Werbekampagne einen „gehobenen“ Kundenkreis gezielt über ausgewählte Zeitschriften oder ein möglichst breites Publikum über das Fernsehen ansprechen soll. Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

Konfliktanalyse (Fall 8) In einem Waschmittelrohstoffbetrieb eines chemischen Unternehmens sind die meisten Anlagen veraltet und reparaturanfällig. Sie sollen daher durch moderne Anlagen ersetzt werden. Das Durchschnittsalter der Betriebsangehörigen beträgt 48 Jahre. Um die Umstellung auf die neuen Geräte und die Leistungsfähigkeit des Betriebs zu sichern, bemüht sich der Betriebsführer um die Übernahme von jüngeren Mitarbeitern auf zwei freie Stellen. Der Abteilungsleiter der Waschmittelproduktion erklärt ihm jedoch, dass wegen der Schließung eines anderen Betriebes zwei ältere Mitarbeiter aus diesem Betrieb übernommen werden müssen. Wenn er sich in seinem Betrieb besser durchsetze – gerade bei den älteren Mitarbeitern – könne er die Umrüstung auf die neue Technologie auch mit den älteren Mitarbeitern durchführen.

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

Was sind die Handlungspläne der jeweiligen Konfliktparteien: Konfliktpartei A: …………………………………………………………………… Konfliktpartei B: …………………………………………………………………… Worin besteht die Meinungsverschiedenheit: ……………………………………… Welche Konfliktarten können Sie hier erkennen: □







Bewertungskonflikt

Beurteilungskonflikt

Verteilungskonflikt

Beziehungskonflikt

12.3 Tipps zur Konflikt-Erkennung, -Lösung und -Vermeidung Konflikte innerhalb von Teams entstehen in vielen Fällen als schleichender Prozess. Meist schwelt schon seit einiger Zeit eine seltsam angesäuerte Grundstimmung, die als solche für die Führungskraft weder greifbar noch eindeutig identifizierbar ist. Plötzlich bricht dieser Konflikt zwischen zwei oder mehreren Parteien aus, und dann zeigt sich die Qualität einer Führungskraft, hier wieder für eine zumindest sachliche Arbeitsbasis zu sorgen. Welche Möglichkeiten und Werkzeuge Führungskräften dabei zur Verfügung stehen, soll im folgenden Abschnitt besprochen werden (angelehnt an: Heike Thormann 2018). Betreiben Sie gute Ursachenforschung Suchen Sie nach den Ursachen des Konflikts (siehe Konfliktarten). Sie können nicht etwas lösen, dessen Ursache Sie nicht kennen. Dabei können Sie auf folgende Weise vorgehen: 1. Suchen Sie nach Lösungen mit der SAULUS-Methode (vgl. Kap. 13) • Worum geht es bei dieser Meinungsverschiedenheit? (Situation) • Warum und wann ist der Konflikt konkret ausgebrochen? (Ursache, Vorgeschichte) • Was stört so, dass es zu einem Konflikt geführt hat? (Auswirkung) • Was ist den Parteien wichtig? (Ursachen, Gründe, Bedürfnisse) • Was wollen die Parteien? (Lösungen, Wünsche, Ziele) 2. Achten Sie auf Kapriolen Ihres Gehirns Das Gehirn eines Menschen besitzt die eine oder andere Marotte, die es ihm erschwert, einen Konflikt rechtzeitig zu erkennen oder gar zu lösen. Wir neigen zum Beispiel dazu, Recht haben zu wollen. Wir mögen es gar nicht, verunsichert und angezweifelt zu werden. Aus dem gleichen Grund schieben wir die Schuld auch gerne anderen in die Schuhe, denn das entlastet und bestätigt uns (Abwehrmaßnahme). Oder wir neigen dazu, bemitleidet werden zu wollen. Das tröstet zumindest und baut auf. 3. Wechseln Sie die Perspektive Das ist eine Grundvoraussetzung, um Konflikte zu beenden: Lösen Sie sich von der Fixierung auf sich selbst. Wechseln Sie die Perspektive und versuchen Sie, den anderen und seine Motive zu verstehen.

12.3  Tipps zur Konflikt-Erkennung, -Lösung und -Vermeidung

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Reden Sie offen miteinander und hören Sie ruhig zu. Vielleicht helfen Ihnen auch Techniken wie das Paraphrasieren (Umformulieren) und das aktive Zuhören weiter. Lernen Sie, die Situation oder sich selbst zu hinterfragen. Üben Sie, Ihren eigenen Anteil und Ihre eigenen Fehler zu sehen. 4. Berücksichtigen Sie Wahrnehmungs- und Kommunikationsfehler Denken Sie daran, dass alle Menschen über persönliche Filter verfügen, die uns etwas einmal so und dann wieder anders verstehen lassen. Das ist schon im „Normalzustand“ der Fall, aber bei einem Konflikt verengt sich die Wahrnehmung erst recht.  Kommunikationsprobleme heizen Konflikte noch weiter an. Verwenden Sie daher die ICH-Botschaft! 5. Gehen Sie vom Positiven aus Bei Konflikten sind Denk- und Kommunikationsfehler an der Tagesordnung. Es hilft deshalb, wenn Sie sich an das Motto: „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten) halten. Gehen Sie zunächst davon aus, dass der andere es positiv meint. Negative Schlüsse können Sie immer noch ziehen. Legen Sie die Worte des anderen nicht auf die Goldwaage. Bei Konflikten neigt man schnell dazu, unzutreffend zu verallgemeinern, zu übertreiben oder im Ton abzurutschen. 6. Suchen Sie externe Hilfe von Außenstehenden Manchmal hilft es, Dritte oder Außenstehende (beispielsweise Personalabteilung, Betriebsrat) hinzuzuziehen. Diese können möglicherweise weitere Perspektiven anbieten, entschärfen, moderieren, vermitteln, Lösungen vorschlagen und anderes mehr. (Vorsicht: Diese müssen dann aber objektiv und unabhängig genug sein, beide Seiten zu sehen und beide Positionen vertreten zu können, ohne negative Konsequenzen zu befürchten.) Aber auch Profis wie Mediatoren, Coaches, Berater und Therapeuten können hinzugezogen werden. 7. Nutzen Sie Kreativtechniken Bei Teams im beruflichen Umfeld können Kreativitätstechniken mithilfe eines externen Profis weiterhelfen. Besonders Methoden, die den Perspektivenwechsel fördern, können zur Entschärfung der Lage und zu gegenseitigem Verständnis beitragen. Die kann beispielsweise gelingen mit Edward de Bonos Methode „Sechs Hüte des Denkens“. Dabei geht es um das von de Bono entwickelte parallele Denken. Die sechs Hüte symbolisieren sechs verschiedene Arten des Denkens: 1. Der weiße Hut – objektive Zahlen, Daten, Fakten: Was spricht rational für das Projekt, die Idee? Gibt es Zahlen, belegbare Fakten, überprüfte Argumente? 2. Der rote Hut – subjektives Empfinden, persönliche Meinung: Was begeistert mich am Projekt, was stößt mich ab? Was meint mein Bauch dazu? Habe ich Erfahrungen damit oder mit etwas Ähnlichem gemacht?

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12  Der Umgang mit und das Vermeiden von Konflikten

3. Der schwarze Hut – objektive negative Aspekte: Was lässt sich – ganz neutral betrachtet – gegen das Projekt vorbringen? Welche Stolpersteine, Fallen und Gefahren sind damit verbunden? 4. Der gelbe Hut – objektive positive Aspekte, Chancen: Entdecken Sie gemeinsam das Potenzial der neuen Idee. Welches sind die objektiven Chancen, die sich darin verbergen? 5. Der grüne Hut – der Weg zu neuen Ideen: Mit dem grünen Hut werden wir kreativ, Kritik ist hier nicht gestattet. Wo können wir Grenzen überschreiten, Neues entdecken und wagen? 6. Der blaue Hut – die Moderation, Regie: Wenn der blaue Hut aufgesetzt wird, der klassische Hut zum Beispiel eines Moderators, wird die Metaebene eingenommen. Wo lassen sich die bisherigen „Hüte“ integrieren? Welcher Hut soll nochmals aufgesetzt werden? Kann zusammenfassend ein Ergebnis gefunden werden? Zwei mögliche Vorgehensweisen Variante 1: Die Hüte wechseln reihum und jeder hat einen „Hut“ (oder ein entsprechendes Kärtchen o. Ä.) in der entsprechenden Farbe vor sich. Damit wird klar, dass man – unabhängig von der eigenen Präferenz – eine Rolle spielt. Variante 2: Das ganze Team nimmt gemeinsam nacheinander die Rollen ein und argumentiert zusammen. Dies hat den Charme, dass man gemeinsam spricht und die Stärke der Rolle nicht so stark von der jeweiligen Persönlichkeit abhängt. Wichtig ist, dass in einem Team alle gemeinsam die Hüte aufsetzen. Auch die Projektbefürworter müssen einmal den schwarzen Hut aufsetzen, auch die größten Skeptiker müssen sich der Kreativität der gelben und grünen Hüte stellen. Mit dem ISHIKAWA-Diagramm (auch Fischgräten-Diagramm genannt) oder der SAULUS-Methode kann ebenfalls nach der Ursache des Konflikts gesucht werden.

12.4 Wie sich Konflikte bewältigen lassen Für die Konfliktbewältigung bzw. -lösung stehen grundsätzlich vier Muster zur Verfügung, und zwar der Ausschluss, die Unterwerfung, der Kompromiss und die Integration. Der Ausschluss Liegt der Konflikt ursächlich allein in der Person des Gegners begründet, so wird oft der Ausschluss gewählt, d. h. entweder mit der Kündigung durch den Betrieb oder der Kündigung durch den Mitarbeiter. Die Unterwerfung Sie ist die Spielart, die bei autoritären Strukturen dominiert. Hier werden Konflikte nur oberflächlich „bewältigt“, insgeheim schwelt der Konflikt weiter, und es bedarf nur eines frischen Windes, um den Konflikt auflodern zu lassen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang

Literatur

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daran, dass oftmals versucht wird, in einer Ausweichreaktion durch Zusammenschluss die Unterwerfung zu vermeiden (sog. Hausmachtprinzip oder Geleitzugsystem). Der Kompromiss Viele Konflikte können durch Kompromisse gelöst werden. Aber der Kompromiss ist nicht immer die Ideallösung, da beide Parteien Zugeständnisse machen müssen. Sie können über kurz oder lang versuchen, bei Verschiebung der Machtverhältnisse das verloren gegangene Gelände wieder „zurückzuerobern“. Beim Kompromiss kann es sein, dass der nächste Konflikt quasi „vorprogrammiert“ ist (z. B. Tarifverhandlungen). Die Integration oder der Konsens Die optimale Lösung ist der Konsens. Hier versuchen die Kontrahenten, eine optimale Lösung zu finden, welche die Interessen beider Parteien befriedigt.

12.5 Existiert ein Betrieb ohne Konflikte? Ja, allerdings nur dann, wenn … • alle Angehörigen gleich gut informiert sind, • alle die gleichen Wertvorstellungen und Normen haben, • niemand konkurrierende, eigene Ziele verfolgt, • alle Aufgaben aller perfekt programmiert und harmonisch aufeinander abgestimmt sind, • alle unbegrenzte Mittel zur Verfügung haben, • alle die Mittelzuweisungen von vornherein als berechtigt anerkennen, • niemand besser und mächtiger sein will als die anderen, • jeder sich völlig an alle Vorschriften und Regeln hält, • alle gleich eng und achtungsvoll zusammenarbeiten. Wirft man einen Blick auf diese Voraussetzungen, so ist es leicht zu begreifen, dass Konflikte der Normalfall sind und sich nie völlig vermeiden lassen. Gleichzeitig sollten Führungskräfte sehr darauf achten, Konfliktsituationen innerhalb von Teams zeitnah aufzulösen, da ansonsten die Leistungsfähigkeit und auch die Motivation der betroffenen Parteien darunter leiden.

Literatur Thormann, H. (2018). Problemlösungsprozess. http://www.kreativesdenken.com/downloads-checklisten-formulare-ebooks-kurse.html.

Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

13

Die SAULUS-Methode als Problemlösungshilfe

13.1 Aufgaben analysieren und sich für die richtigen Maßnahmen entscheiden Nach dem deutschen Psychologen und Mitbegründer der Gestalttheorie Karl Dunker (1903 bis 1940) entsteht ein Problem beispielsweise dann, wenn ein Lebewesen ein Ziel hat und nicht „weiß“, wie es dieses Ziel erreichen soll (Duncker 1935). Ein Problem ist demnach durch drei Komponenten gekennzeichnet: 1. unerwünschter Ausgangszustand (Anfang) 2. erwünschter Zielzustand (Ziel) 3. Barriere, welche die Überführung des Ausgangszustands in den Zielzustand verhindert (Schwierigkeiten, Behinderungen) Karl Duncker beschäftigte sich unter anderem mit der Psychologie des Verstehens und dem Finden von Lösungen. Die Problemlösungssituation ist nach Duncker durch folgende Merkmale gekennzeichnet: • Komplexität, d. h., es ist eine Vielzahl von Einflussfaktoren zu beachten. • Teilweise Intransparenz, d. h., nicht alle Informationen sind zugänglich. • Vernetztheit, d. h., es besteht eine gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Faktoren. • Eigendynamik, d. h., Elemente des Problems und somit auch das ganze Problem entwickeln sich weiter. • Offenheit des Zielzustandes, d. h., das Ziel verändert sich. • Polytelie, d. h., es liegen mehrere Ziele vor, die sich ggf. auch widersprechen können.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_13

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190

13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

Problemlösungen laufen in der Regel nach folgendem Schema ab: • Am Anfang steht das Problem, also ein unbefriedigender Ist-Zustand (A). • Es bedarf nun eines gewissen Leidensdrucks und der berechtigten Hoffnung, diesen problematischen Ist-Zustand zu überwinden. • Die Suche nach Hilfsmitteln, Informationen, Lösungsansätzen beginnt. • Wurde der richtige Lösungsweg gefunden, muss die Umsetzung überlegt werden. • Am Ende steht die Entspannung, der angestrebte Soll-Zustand ist erreicht. Allerdings ist der Prozess des Problemlösens, d. h., Probleme so zu bearbeiten, dass sie trotz begrenzter Ressourcen (z. B. Zeit, Energie, Mittel usw.) eine adäquate Lösung finden, alles andere als einfach. Eine der effektivsten Problemlösungstechniken (sog. Heuristiken) stellt die SAULUS-Methode dar. Deren Anwendung hilft beim Lösen komplexer und schwieriger Probleme, bei denen systematische Fehler begangen wurden. Sie ist ein wirksames Mittel gegen die unten beschriebene Tendenz, sich „durchzuwursteln“. Es folgen nun drei humorvolle Beispiele für Aufgaben zur Problemlösung nach Philip Zimbardo (2016). An den folgenden Fallbeispielen lässt sich erkennen, dass ein „Durchhangeln“ in den meisten Fällen nur begrenzt hilfreich ist. Möglicherweise kennen Sie diese Aufgaben aus verschiedenen Kreativ-Übungen, beispielsweise im Rahmen eines Assessment-Centers. Lassen Sie diese Beispiele einen Moment lang auf sich wirken und versuchen Sie anschließend, eine Lösung herbeizuführen, ohne analytisch dabei vorzugehen. Wursteln Sie sich durch. Sie werden feststellen, es wird Ihnen vermutlich nicht gelingen. Fallbeispiel 1 Verbinden Sie in Abb. 13.1 alle Punkte des Musters, indem Sie vier gerade, miteinander verbundene Linien zeichnen, ohne den Stift vom Papier zu heben. Fallbeispiel 2 Ein Scherzbold hat – siehe Abb. 13.2 – drei Pingpongbälle in eine 1,80 m hohe Röhre geworfen, die aufrecht in der Ecke des Physiklabors steht und am Boden festgeklebt ist. Wie bekommen Sie die Pingpongbälle heraus? Abb. 13.1   Fallbeispiel 1

13.1  Aufgaben analysieren und sich für die richtigen Maßnahmen entscheiden

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Abb. 13.2   Fallbeispiel 2

Fallbeispiel 3 Sie befinden sich in der abgebildeten Situation – siehe Abb. 13.3 – und haben die Aufgabe, die beiden Stricke zusammenzubringen. Wenn Sie den einen festhalten, ist der andere außer Reichweite. Komplexere Aufgaben benötigen normalerweise ein systematisches sowie analytisches Vorgehen. Ganz gleich, ob es sich dabei um Übungen wie diese handelt oder um Mitarbeiterführung.

Abb. 13.3   Fallbeispiel 3

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13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

Abb. 13.4   Lösung Fallbeispiel 1

Hier die Lösungen zu den drei Fallbeispielen: Lösung Fallbeispiel 1 Abb. 13.4 zeigt die Lösung zu Fallbeispiel 1. Lösung Fallbeispiel 2 Entweder füllt man die Röhre mit Wasser, bis die Bälle von selbst herausgeschwemmt werden, oder es wird Luft (mittels Kompressor) in die Röhre geblasen, oder die Röhre wird schlicht und einfach zerstört, z. B. mit einem Hammer. Lösung Fallbeispiel 3 Der Schraubenzieher wird an eines der beiden Seile gebunden und in Schwingung versetzt, dann hält man sich am anderen Seil fest und wartet nur noch darauf, dass der Schraubenzieher nahe genug heranschwingt. In der Praxis wird oft entweder spontan oder intuitiv reagiert, oder es wird zwar systematisch vorgegangen, aber statt der eigentlichen Ursache wird ein vordergründiges Erscheinungsbild „bearbeitet“. Die Situation wird nicht ausreichend analysiert, sie wird nicht mit den geeigneten Mitarbeitern besprochen, und die daraus abgeleiteten Abläufe sind daher unzulänglich. Dies betrifft erfahrungsgemäß häufig nicht nur die Entscheidungsfindung im Einzelfall, sondern auch die Problemanalyse in einem Arbeitsteam. Das kann schlimme Folgen haben: Eine einzige unüberlegte und zu spontan gefällte Entscheidung kann den betrieblichen Erfolg von Jahren zunichtemachen. Der amerikanische Wissenschaftler Charles Lindblom1 entwickelte im Jahr 1959 das Modell des „Muddling Through“, das er 1959 in der Fachzeitschrift „Public Administration Review“ unter dem Titel „The Science of Muddling-Through“ erstmals veröffentlichte (Lindblom 1959). Er baut unter anderem auf Arbeiten von Anthony

1Charles

Edward Lindblom war Professor für Politikwissenschaft und Wirtschaftswissenschaft an der Yale University.

13.2  Optimismus als Gefahr in der Führungspraxis

193

Downs Bürokratietheorie und Herbert A. Simons Modell begrenzter Rationalität auf. Darauf aufbauend entwickelte er eine Theorie, die sich „Science of Muddling Through“ nennt. Auf Deutsch lässt sich diese Theorie als die Theorie des sich von Problem zu Problem Durchhangelns bezeichnen. Hierzu gehören alle Ansätze, die nicht durch eine umfassende Totalplanung gekennzeichnet sind und stattdessen kleine, überschaubare und daher leicht revidierbare Schritte bevorzugen. Lindblom behauptet, wer sich durchwurstelt, verfolgt die sogenannte Strategie der unzusammenhängenden kleinen Schritte. Diese Strategie besteht aus folgenden Faktoren: • Das Individuum erwägt danach nur kleine schrittweise Änderungen, die nicht weit vom gegenwärtigen Zustand wegführen. Dahinter scheint sich die kindliche Erfahrung zu verbergen, dass bei großen Sprüngen die Gefahr hinzufallen größer ist. • Die Person der kleinen Schritte betrachtet nur wenige Alternativen und verzichtet bei der Suche auf Vollständigkeit. Die Suche nach weiteren Alternativen würde nämlich eine systematische Vorgehensweise voraussetzen. • Von den möglichen Konsequenzen einer Alternative wird nur eine beschränkte Menge in die Analyse einbezogen. • Das Entscheidungsproblem wird nicht analysiert, durchdacht und definiert. • Das Individuum erwartet nicht, eine endgültige Lösung für das anstehende Problem zu finden, sondern ist zufrieden mit dem bisher Erreichten. • Der Entscheidungsträger verfolgt selten langfristige Ziele, sondern lässt die Probleme auf sich zukommen.

13.2 Optimismus als Gefahr in der Führungspraxis Der Mensch verhält sich nicht selten widersprüchlich: Einerseits ist in ihm das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit tief verankert: Er nimmt sich in Acht vor Schlangen und Hunden, geht bei einem Gewitter nicht ins Wasser und versichert sich gegen alles und jedes. Andererseits geht derselbe Mensch immer wieder unnötige Risiken ein, spielt den Helden und geht an seine Grenzen. Denn er ist davon überzeugt, dass alles gut gehen wird. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass der Mensch Risiken in der Regel nur zu etwa 14 bis 15 % richtig einschätzt, während er diese zu ca. 18 bis 20 % überschätzt. Der größere Anteil von ca. 60 bis 70 % wird unterschätzt. Interessanterweise werden Risiken, die man vermeintlich selbst beeinflussen kann, stärker unterschätzt (z. B. Rauchen, Alkohol, Übergewicht, Motorradfahren). Risiken, die man dagegen nicht selbst beeinflussen kann, werden überschätzt (z. B. die Marktentwicklungen, der Dollarverlauf, Operationen, Arzneinebenwirkungen usw.). Man braucht diesen Optimismus zum Leben. Wenn man bei allem daran denken würden, was misslingen kann, würde man depressiv werden. Doch damit verdrängt man auch versteckte Gefahren, verkürzt die Situations- und Ursachenanalyse und bleibt an

194

13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

der Oberfläche hängen. Man sieht zwar „Probleme“, führt aber keine systematische Lösungssuche durch. Daher kann schnell eine Entscheidung getroffen werden, die sich später als ruinös herausstellt. Der Mensch empfindet die notwendige Systematik bei der Problemanalyse als eine lästige „Vorschrift“ und somit als eine Einschränkung seiner Freiheit. Dennoch sind in unserem komplexen Leben gewisse geregelte, festgelegte Abläufe unabdingbar Was würde passieren, wenn wir jeden Morgen an der Straßenkreuzung zuerst wieder die Vorfahrt und am Arbeitsplatz den Arbeitsablauf mit allen Beteiligten diskutieren müssten? Regeln helfen, das Leben zu vereinfachen und Risiken zu mindern.

13.3 Der Teufelskreis der falschen Erfahrung Laut Blomberg ist eine Erklärung für die eingeschränkte Suche nach Konsequenzen der sogenannte „Teufelskreis der falschen Erfahrung“. Er bezieht sich auf die beliebte Aussage: „Wir haben das schon immer so gemacht, es ist noch nie etwas passiert.“ Meistens stimmt das ja auch, in den meisten riskanten Fällen passiert nichts. Oder aber auch folgender Fall: „Ich war zu bequem, die Aufgabe genau zu lesen, bin ein gewisses Risiko eingegangen und dafür auch noch belohnt worden. Denn ich war schneller als die anderen fertig, mein Chef hat dies möglicherweise wohlwollend bemerkt.“ Was lernt hier der oberflächlich Zuhörende? Er meint zu lernen, dass eine solche „Zeiteinsparung“ sich lohnt. Der Teufelskreis der falschen Erfahrung hat sich geschlossen! Der Gewinn aus dem „zeitsparenden“ Verhalten wird sehr oft durch die erlittenen Konsequenzen mehr als aufgefressen! Eine falsche Erfahrung gibt dem Menschen eine trügerische Sicherheit. Solange eine Person keine Konsequenzen ihres riskanten Handelns selbst erlebt hat, wird sie nicht „gescheit“. Doch wenn das Unternehmen misslingt, sieht sie ein, dass sie sich falsch verhalten und möglicherweise dadurch einen Schaden erlitten hat. Ein einfaches Beispiel hierfür ist der Hinweis der Mutter bezüglich der heißen Herdplatte. Erst muss das Kind die Hitze schmerzhaft spüren, um zu lernen, die Platte nicht anzufassen. Die Führungskraft sollte daher den „Teufelskreis der automatischen Belohnung“ mit Feedback- und Kritikgesprächen durchbrechen. Die „heimlichen“ Verstärker „falschen“ Verhaltens, wie Bewunderung durch andere, Zeitgewinn oder Angst vor Ungenügen, müssen rechtzeitig entlarvt, angesprochen und bekämpft werden.

13.4 Das doppelte Gesicht der Routine Eine weitere Verhaltensweise, die Lindblom beschreibt, ist „das doppelte Gesicht der Routine“. Einerseits ist Routine hochwillkommen. Routine und Gewohnheiten bieten Schutz, und wer in einer Arbeit gut eingeübt ist, leistet viel. Andererseits ist Routine gefährlich, da man mit der Zeit manche Aspekte der Aufgabe ausblendet und dadurch womöglich leichtsinnig wird.

13.6 Problemlösungshilfe nach der SAULUS-Methode

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Dieser Effekt wird durch die Ablenkbarkeit des Menschen bei der Leistungserbringung verstärkt. Kein Mensch kann dauernd aufpassen und sich immer konzentrieren. Müdigkeit, Stress, Monotonie und unvorhergesehene Ereignisse lassen uns abschweifen und etwas übersehen. Daher sollte die Führungskraft auf gewisse Maßnahmen achten, z. B. dass regelmäßig Pausen eingelegt werden, dass Abwechslung vorhanden ist, dass die Arbeitsplätze ergonomisch eingerichtet sind, dass der Mitarbeiter vor einer gefährlichen Handlung gewarnt wird, indem z. B. ein optisches oder akustisches Signal ertönt.

13.5 Über den „gesunden“ Menschenverstand Aubrey Daniels (geboren 1935 in Lake City, South Carolina, USA) schrieb 1994 in seinen Buch „Bringing Out the Best in People“, dass er strikt gegen das Verwenden des gesunden Menschenverstandes im Geschäftsleben sei. Denn im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung haben wir, laut Daniels, nicht zu wenig, sondern zu viel „gesunden“ Menschenverstand (Daniels 1994). Der gesunde Menschenverstand besitzt im Vergleich zu den Erkenntnissen, die auf wissenschaftlicher Basis gewonnen werden, einige gravierende Nachteile: • Gesunder Menschenverstand entsteht spontan im täglichen Privat- und Arbeitsleben, während wissenschaftliche Erkenntnisse innerhalb von systematischen und nachvollziehbaren Untersuchungen entstehen. • Gesunder Menschenverstand ist individuell, wissenschaftliche Erkenntnisse sind dagegen universell anwendbar. • Gesunder Menschenverstand akzeptiert das Offensichtliche, wissenschaftliches Wissen hinterfragt das Offensichtliche. • Gesunder Menschenverstand kann nicht anhand von konkreten Ergebnissen überprüft werden, wissenschaftliche Erkenntnisse dagegen können jederzeit nachvollzogen und wiederholt werden.

13.6 Problemlösungshilfe nach der SAULUS-Methode Die SAULUS-Methode lässt sich auch zur reinen Gesprächsführung einsetzen. Es handelt sich dabei um keine Problemlösungstechnik im klassischen Sinne, sondern mehr um eine Art Ordnungshilfe. Wie in diesem Fall eine entsprechende Umsetzung erfolgt, wird nachfolgend dargestellt. Der amerikanische Mathematiklehrer G. H. Wheatley beschrieb in einer Veröffentlichung an der Purdue University in West Lafayette, Indiana – sicherlich süffisant – folgende Definition: „Problemlösen ist das, was man tut, wenn man nicht weiß, was man tun soll“ (Wheatley 1984).

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13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

Abb. 13.5  SAULUS-Methode

In gewisser Hinsicht stimmt natürlich Wheatleys Behauptung. Doch es fehlt noch folgender Hinweis: Gerade das, „was man tut“, und vor allem, wie man es tut, ist ausschlaggebend beim Problemlösen. Um Probleme als Führungskraft effizient zu analysieren und zu lösen, ist die Verwendung der SAULUS-Methode Erfolg versprechend (vgl. Kap. 6). Wie bereits beschrieben, gleicht diese Methode dem Vorgehen eines Arztes im Umgang mit seinem Patienten auf der Suche nach einer Lösung für dessen Beschwerden. Somit ist sie die älteste bekannte Problemlösetechnik. Diese spezielle Arbeitstechnik wurde in Industrie und Wirtschaft eingeführt und fand große Verbreitung. Ermöglicht wurde sie durch das Aufkommen des Qualitätsmanagements nach dem zweiten Weltkrieg, welches das Ziel verfolgt, die Effektivität und Effizienz einer Arbeit oder eines Geschäftsprozesses zu erhöhen.2 Erinnerung: Die einzelnen Schritte der SAULUS-Methode, wie in Abb. 13.5 gezeigt, sind: 1. Situation genau beschreiben (Was ist passiert? Wann und wo ist etwas passiert?) 2. Auswirkungen erfassen (Was ist negativ? Wer ist betroffen? Was ist möglicherweise positiv dabei? Kann man die Folgen quantifizieren?)

2Als

Begründer des vorbeugenden Qualitätsdenkens gelten die Amerikaner W. Edwards Deming (1900–1993) und Walter A. Shewhart (1891–1967). Deming entwickelte ab den 1940er-Jahren die prozessorientierte Sicht auf die Tätigkeiten eines Unternehmens, die später auch Eingang in diverse Qualitätsnormen und Qualitätsmanagementlehren fand.

13.6  Problemlösungshilfe nach der SAULUS-Methode

197

3. Ursachen und Gründe für das Problem (Sind die Ursachen für die Situation bekannt? Was wurde unternommen, um die Ursachen zu finden? Weitere Methoden zur effektiven Suche nach Ursachen anwenden, z. B. Wirkung-Ursachen-Diagramm nach Ishikawa.) 4. Lösungen finden (Lösungen nur für die drei Hauptursachen suchen, sonst besteht die Gefahr des Verzettelns, Brainstorming-Methoden anwenden, Moderation, Mindmap-Technik, weitere Kreativitätstechniken anwenden.) 5. Umsetzung überlegen und planen (einen genauen und konkreten Aktionsplan für die gefundenen Lösungen erstellen) 6. Sicherung des Erfolgs (Haben die Maßnahmen gewirkt? Was kann noch fehlschlagen? Womit kann der neue Zustand abgesichert werden?) In den Vereinigten Staaten existiert bereits seit dem Jahr 1958 eine ähnliche Problemlösetechnik, die Kepner-Tregoe-Methode, auch KT-Methode genannt. In diesem Jahr gründeten Charles Kepner und Benjamin Tregoe das Unternehmen Kepner-Tregoe, das sich auf Problemlösung spezialisiert hat. Die beiden Firmengründer gelten als Pioniere der rationalen Arbeitsmethoden und haben die grundsätzlichen Lösungs-Denkmuster von Menschen erforscht und visualisiert. Kepner und Tregoe gingen bei ihrer Problemlösungstechnik in fünf Schritten vor: 1. Informationssammlung und Analyse 2. Formulierung der verfolgten Ziele 3. Implementierungsplanungen 4. Implementierungsweg 5. Strategieüberwachung und Aktualisierung Der Vorteil der SAULUS-Methode Durch das verwendete Akronym (Eselsbrücke) können sich die Anwender schnell die notwendigen Schritte zur strukturierten Lösung eines Problems merken. Die SAULUS-Methode ist in ihrer Anwendung vielseitig. Sie ist nicht nur eine Problemanalysetechnik, sondern sie findet heute zunehmend auch Anwendung in der Reklamationsbearbeitung (z. B. die 8D-Reklamations-Bearbeitungsmethode) und als Struktur bei Präsentationen. Wie im zweiten Teil dieses Buches beschrieben, bringt sie Vorteile in der wertschätzenden und gewaltfreien Kommunikation, im fairen Umgang mit Mitarbeitern (Jahresgespräche), beim Moderieren von Gruppengesprächen und beim Coaching. Die Methode wird zudem beim Führen von Feedback-, Kritik- und Anerkennungsgesprächen, zur Verbesserung der eigenen Schlagfertigkeit und für die Steuerung persönlicher Entwicklung (Nachdenken über schwierige Lebenssituationen) eingesetzt.

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13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

Abb. 13.6  Ishikawa-Prinzipskizze

13.7 Ursache-Wirkungs-Diagramm (Ishikawa- oder „Fischgräten“-Diagramm) 13.7.1 Einführung in das Ursache-Wirkungs-Diagramm Über die Suche nach den Ursachen oder Gründen von Problemen wurden viele Bücher geschrieben, und es gibt dazu auch viele Schulungen. In diesem Abschnitt wird daher ein kurzer Überblick dazu vorgestellt. Das Ursache-Wirkungs-Diagramm ist in der Literatur auch unter dem Namen Ishikawa-Diagramm, Cause-and-Effect-Diagramm, Fishbone, Fischgrätendiagramm bekannt, benannt nach dessen Entwickler Ishikawa Kaoru.3 Das Ishikawa-Diagramm (oder Fischgräten-Diagramm) in Abb. 13.6 stellt eine „Fischgräte“ dar, bei der rechts der „Kopf“ als Verlängerung einer Geraden dargestellt ist. Im Kopf wird das Problem oder das Ziel als „Thema” formuliert. Hierbei wird die Problematik möglichst präzise zum Ausdruck gebracht. Der Kopf (das Thema) wird von den einzelnen Gräten bestimmt.

3Ishikawa

Kaoru (1915–1989) war ein japanischer Chemiker, der zahlreiche Qualitätswerkzeuge entwickelte, unter anderen das nach ihm benannte Ishikawa-Diagramm (1943). Er gilt als Vater der japanischen Qualitätskontrolle.

13.7  Ursache-Wirkungs-Diagramm (Ishikawa- oder „Fischgräten“-Diagramm)

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Vorgehensweise  Schritt 1: Problem definieren und im rosa Feld eintragen. Schritt 2: Auflisten der wichtigsten Einflussgrößen in den gelben Feldern (es können natürlich auch mehr als vier Hauptarme sein). Hierbei hat sich die Unterteilung in die 6 M‘s (Mensch, Maschine, Material, Methode, Mitwelt, Messung) bewährt. Alternativ kann noch das siebte M (Management) hinzugefügt werden. Liegt ein sehr spezifisches Thema vor, können auch andere Benennungen der einzelnen Gräten verwendet werden. Im Marketing sind es beispielsweise häufig: Produkt, Preis, Ort der Interaktion, Kunden, Prozess usw. Schritt 3: Unter den wichtigsten Einflussfaktoren (Hauptarme) werden die jeweiligen möglichen Einzelursachen in Form von Fragen notiert. Beispielsweise: „War der Mitarbeiter überhaupt qualifiziert?“, „War der Mitarbeiter abgelenkt?“, „War die Anlage funktionsfähig?“, „Wurde die Anlage vor Kurzem neu eingestellt?“ usw. Die Auflistung dieser Einzelursachen sollte zunächst in Form von Brainstorming durchgeführt werden (Assoziationen bilden). Als Input für das Ishikawa-Diagramm kann man die folgenden Fragen für die einzelnen Felder der Ursachensuche verwenden: Mensch (Personen, die den Prozess beeinflussen) • Gibt es Vorgaben für die Ausführung des Prozesses? • Haben alle Mitarbeiter die gleichen Vorgaben? • Stehen alle notwendigen Informationen für die Mitarbeiter bereit? Wurden hierbei unterschiedliche Sprachen und Herkunftsländer in der Aufbereitung der Informationen berücksichtigt? • Wurde der Mitarbeiter in der richtigen Ausführung des Prozesses unterwiesen? • Hat der Mitarbeiter die einzelnen Prozessschritte verstanden und kann er die Prozessschritte eigenständig in der geforderten Qualität ausführen? • Gibt es Kontrollschritte im Prozess, bei denen definierte Qualitätskriterien geprüft werden? • Gibt es Schwankungen in der Abarbeitung der Prozessschritte? • Gibt es Schwankungen, die sich auf Mitarbeiter zurückführen lassen? • Ist die Kombination von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz ausreichend gegeben? Maschine (Vorrichtungen, die bei der Umwandlung von Input zu Output verwendet werden) • Wurde die Funktionsfähigkeit der Maschine nachgewiesen? • Ist die Maschine fähig, die gewünschten Prozessergebnisse zu liefern? • Gibt es Vorgaben zur Instandhaltung der Maschine und wurden diese Vorgaben eingehalten?

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13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

• Gibt es Anweisungen zur Handhabung der Maschine und wurden diese nachweislich eingehalten? • Gibt es Schwankungen im Prozessergebnis der Maschine? Welche Ursachen könnten diese Schwankungen haben? • Gibt es Umgebungseinflüsse, die sich auf die Maschine auswirken? • Verschlechtert sich das Prozessergebnis im Zeitablauf oder bleiben die Ergebnisse konstant? • Gibt es Kontrollinstrumente bzw. Steuerungsinstrumente an der Maschine, mit deren Hilfe das Ergebnis kontrolliert und beeinflusst werden kann? Methode (produktive oder formale Verfahren, die Inputs in Outputs umwandeln) • Wurde die Umsetzbarkeit des Prozesses nachgewiesen? • Wurden die Einflussfaktoren auf den Prozess bei der Prozessdefinition berücksichtigt und entsprechende Regelmechanismen installiert? • Wurde eine FMEA, d. h. eine Fehlermöglichkeits- und Einfluss-Analyse (Prozess-, Produktions- oder Konstruktions-FMEA) vor der Inkraftsetzung des Prozesses durchgeführt und deren Erkenntnisse umgesetzt? • Sind die Prozesse dokumentiert und entsprechen sie der Realität? • Gibt es zum Prozess entsprechende Pilotprozesse und wurden deren Ergebnisse verifiziert? • Haben alle Prozessbeteiligten das gleiche Verständnis vom Gesamtprozess und vom Teilprozess? Messung (Instrumente, die die Prozessleistung überwachen) • Ist die Messung für das Problem relevant? • Zeigen sich Verbesserungen des Problems auch im Messwert? • Ist das Messmittel kalibriert? • Hat das Messmittel die richtige Auflösung, und ist die Messung fähig? • Gibt es Unterschiede im Ergebnis, wenn unterschiedliche Personen messen oder sich Zeit und Raum ändern? • Sind die Messpunkte und Messverfahren ausreichend definiert? Mitwelt/Umwelt (äußere Einflüsse, die auf den Prozess wirken)  • Gibt es Umwelteinflüsse auf den Prozess (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Lichtverhältnisse, Lärm, Erschütterungen usw.)? • Sind die Umwelteinflüsse stabil oder ändern sie sich ständig? • Gibt es Umwelteinflüsse zu bestimmten Zeiten (Licht am Tagesanfang/-ende)? • Welches Material wird verwendet (Komponenten, die von Input in Output verwandelt werden)? • Was ist unter Material zu verstehen? Dies könnte zum Beispiel sein: Rohmaterial, Hilfs- und Betriebsstoffe, halbfertige und fertige Teile.

13.7  Ursache-Wirkungs-Diagramm (Ishikawa- oder „Fischgräten“-Diagramm)

201

Material (Informationen) • Gibt es auch andere Möglichkeiten zur Klärung? Gibt es andere Sichtweisen? • Gibt es Spezifikationen für die verwendeten Materialien und Informationen? • Entspricht der Input in den Prozess in Form von Material und Information den definierten Spezifikationen? • Gibt es Schwankungen in- oder außerhalb der definierten Spezifikationen? • Ist der Prozess zur Erstellung der verwendeten Materialien und Informationen stabil und innerhalb der Spezifikationen? • Ist der Umgang und die Behandlung des Materials definiert, und wird diese Definition eingehalten (Transport, Lagerung, Verwendung, Haltbarkeit, Umwelteinflüsse usw.)? • Sind die Materialspezifikationen ausreichend für den Prozess? • Wie werden Eingangskontrollen für Materialien und Informationen gehandhabt? • Wurden Eingangsmaterialien oder Informationen geändert? Schritt 4: Unter allen Einzelursachen sind nur die vier auszuwählen, die den größten Einfluss ausüben bzw. die wahrscheinlichsten und am ehesten beinflussbaren Ursachen für das Problem sind (hilfreich sind Klebepunkte, bekannt aus der Moderationstechnik oder eine schriftliche Abstimmung).

13.7.2 Der langsame LKW und die Ishikawa-Methode Am Beispiel einer problematischen Situation kann die Bearbeitung mithilfe der Ishikawa-Methode demonstriert werden. Angenommen ein LKW eines Transportunternehmens fährt von Ort A zu Ort B langsamer als andere Lkws derselben Garage. Nehmen wir an, 6 M‘s würden hier passen. Dann gäbe es in den sechs Kategorien dem Beispiel folgend diese möglichen Fragen: Mensch: Ist der Lkw-Fahrer ein Anfänger, ist er entsprechend geübt und eingewiesen? Management: Gibt der Logistikchef klare Anweisungen, wie beladen werden muss? Methode: Wird ein GPS oder Radio benutzt, um Staus zu umfahren? Maschine: Ist der Motor ausreichend leistungsstark? Ist der Motor defekt? Material: Wird der Lkw mit dem richtigen Kraftstoff betankt? Mitwelt: Kennt der Lkw-Fahrer Abkürzungen oder Ausweichrouten, die möglicherweise anderen bekannt sind? Ein guter Weg für die Detaillierung der einzelnen Kategorien (Hauptarme) ist die sogenannte „5 x Warum“-Fragetechnik (5-Why). Hierbei wird zu jeder Aussage nach dem „Warum“ gefragt. Dies geschieht mindestens fünfmal. Auf diese Weise erhält man relativ schnell die Grundursachen für ein Thema.

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13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

Beispiel: Das Auto

Warum startet das Fahrzeug nicht? Die Starterbatterie ist leer. Warum ist die Starterbatterie defekt? Die Lichtmaschine funktioniert nicht. Warum funktioniert die Lichtmaschine nicht? Der Treibriemen ist gerissen. Warum ist der Treibriemen gerissen? Der Treibriemen wurde nie ausgewechselt. Warum wurde der Treibriemen nie ausgewechselt? Das Fahrzeug wurde bisher nie gewartet. Bei der Zusammenstellung von Gruppen, die ein Problem mit der SAULUS-Methode bearbeiten sollen, ist es hilfreich, betroffene Unternehmensbereiche, sowie Experten hinzuzuziehen. Im Idealfall sollte die Gruppe mit Experten aus unterschiedlichen Arbeitsgebieten besetzt sein. Dies fördert die Berücksichtigung verschiedenartiger Gesichtspunkte für die vorliegende unerwünschte Situation. Für eine weitere Untersuchung der Ursachen können auch sonstige analytische Hilfsmittel, insbesondere die der Statistik, herangezogen werden. Dies können Zeitreihendiagramme, Regressionsanalysen, Mindmap-Techniken oder Darstellungen von statistischen Daten sein. Sie stellen Beziehungen zwischen Ursache und Ereignis mit visuellen Hilfsmitteln dar. Sie helfen zudem, die Ishikawa-Analyse und die darin erstellten Hypothesen zu verifizieren.

13.8 Die LOEWE-Technik – der Weg zu einer nachhaltigen Lösung Sobald die Ursachen für ein Problem oder eine ungewollte Situation gefunden wurden, ist es notwendig, auch eine adäquate und umsetzbare Lösung zu finden. Dazu eignen sich die im Folgenden beschriebenen Methoden und Techniken. „Brainstorming“ ist eine bekannte und bewährte Methode für die Suche nach Lösungen für die mit dem Ishikawa-Diagramm gefundenen Ursachen. Das von den Autoren empfohlene deutsche Pendant dazu nennt sich „LOEWE“-Technik. Hierbei handelt es sich um ein Akronym (Initialwort, als Eselsbrücke nutzbar), und jeder Buchstabe steht für einzelne Schritte, die bei dieser Technik durchgeführt werden sollen. Im Gegensatz zur klassischen Brainstorming-Methode ermöglicht die hier beschriebene Technik nicht nur das Generieren von Ideen, sondern auch das Finden von nachhaltigen und umsetzbaren Lösungen.

13.8  Die LOEWE-Technik – Der Weg zu einer nachhaltigen Lösung

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Die einzelnen Schritte der LOEWE-Technik L-ösungen finden: Ähnlich der Brainstorming-Methode werden auch hier alle ausgearbeiteten bzw. infrage kommenden Lösungen aufgelistet. Dabei werden die genannten bzw. gefundenen Lösungen weder bewertet noch kommentiert. O-rdnen: Die Liste muss solange ergänzt werden, bis zu allen relevanten Aspekten eine Lösung gefunden wurde. Die Kriterien sind Kosten, Ressourcen und die benötigte Zeit. Dabei muss auch die Kostenseite dieser Lösungen durchdacht werden. Welche der sinnvollen Optionen erweisen sich als kostengünstig und welche sind wiederum teuer? Wobei die dafür jeweilige Grenze vorher definiert werden muss. Hier gilt die Frage, was von der Führungskraft selbst – sozusagen mit „Bordmitteln“ – in Angriff genommen werden kann und in welchen Fällen die Unterstützung anderer Abteilungen benötigt wird. Welche der erarbeiteten Lösungen sind sofort bzw. kurzfristig machbar, und welche Lösungen benötigen zur Umsetzung eine längere Zeitdauer? Häufig präsentieren Mitarbeiter sogar durchaus hilfreiche Lösungen, doch hier muss darauf geachtet werden, dass diese nicht zu preisintensiv und/oder zu aufwendig in der Umsetzung ausfallen. Derartige Lösungen bleiben letztlich nur „Scheinlösungen“ und sind daher in der Realität nicht brauchbar. Aus diesem Grund muss nach Paarungen geordnet werden, also: billig/teuer – Kosten; jetzt/später – Zeit; wir/andere – Ressourcen. Auf diese Weise wird der Effekt vermieden, dass in solchen Prozessen die Beteiligten häufig eine ganze Menge an Lösungen finden, diese jedoch in der Praxis meist nicht umsetzbar sind. Nachdem sämtliche Lösungen den jeweiligen Paarungen zugeordnet wurden, sollte die Führungskraft die Erarbeitung der entsprechenden Lösungen einfordern. E-rgänzen: Die Liste muss daher so lange bearbeitet werden, bis zu allen relevanten Kriterien eine sinnvolle Lösung gefunden wurde. Hier offenbaren sich die Leistungsfähigkeit, der Durchblick und die Kreativität eines Teams. Natürlich ist es leichter, einfache Lösungen zu finden, aber die Entwicklung eines Unternehmens fördert man nicht mit „theoretischen“ Lösungen. W-ertung: Hat man zu allen oben genannten Aspekten eine oder mehrere Lösungen gefunden, erfolgt deren Bewertung. Diese sollte leicht fallen, weil man die Vorarbeit schon geleistet und alle denkbaren Lösungen vorliegen hat. E-rgebnis präsentieren: Hat man die Lösungen ausgesucht und bewertet, muss man diese in der Regel der nächsten Führungsebene vorstellen und argumentativ „verkaufen“. Bei diesem Schritt passieren die meisten Fehler, denn oft machen sich junge Führungskräfte und Teammitglieder zu wenig Gedanken darüber, was die nächsthöhere Ebene für Gegenargumente haben könnte. Stattdessen werden nur die Vorteile der bevorzugten Lösung präsentiert. Daher

204

13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

ist es in der letzten Phase wichtig, dass ein Mitarbeiter die Rolle eines „Advocatus ­Diaboli“ einnimmt und denkbare Gegenargumente vorbringt. In einem von mir (Johann Fieger) persönlich erlebten Fall galt es, eine defekte Maschine (Pumpe) zu reparieren, wobei jede Stunde Stillstand horrende Kosten verursachte. Die für diese Abteilung verantwortliche (junge) Führungskraft erfuhr von ihren Mitarbeitern, dass eine Reparatur innerhalb von drei Stunden würde durchgeführt werden können. Mit diesen Informationen begab sich die Führungskraft zur Lagebesprechung mit ihren Vorgesetzten. Diese hörten den Ausführungen des jungen Managers geduldig zu. Dann teilten sie ihm mit, dass eine derartige Reparatur nicht unter sechs Stunden realistisch sei und dass außerdem zunächst ein Budget für die Anschaffung einer neuen Pumpe realisiert werden müsse. Das bedeutete, die Führungskraft musste erst einmal an anderer Stelle Kosten einsparen. Sichtlich geknickt kam die Führungskraft wieder in ihre Abteilung zurück und erzählte dem Vorarbeiter von dieser Besprechung. Schließlich schmunzelte dieser und weihte seinen jungen Vorgesetzten in ein kleines Geheimnis ein: Diese Maschine war nicht das erste Mal kaputt gegangen, und die Arbeiter kannten inzwischen einige Kniffe, um sie tatsächlich innerhalb von drei Stunden zu reparieren; außerdem lag ganz hinten im Lager eine gebrauchte Pumpe, die man für dieses Modell verwenden konnte. Das hatte diese Führungskraft natürlich nicht wissen können, da sie diese Abteilung erst seit Kurzem leitete.  Was war also geschehen? Diese Führungskraft hörte sich zwar die Argumente ihrer Mitarbeiter an, spielte jedoch nicht den Advocatus Diaboli, daher fehlten ihr die notwendigen ergänzenden Informationen. Anschließend fand eine erneute Besprechung mit den Vorgesetzten stand, die natürlich sofort den neuen Vorschlägen des Managers zustimmten. Dieses Beispiel zeigt auf, wie wichtig es ist, bei der Suche nach Lösungen über den naheliegenden Tellerrand hinauszublicken.

13.9 Brainwriting (635-Methode) Brainwriting ähnelt dem Brainstorming und kann – wie diese Methode auch – überall dort eingesetzt werden, wo es zunächst einmal um Ideenentwicklung in Gruppen geht. Beide Methoden stellen daher das L aus der LOEWE-Technik dar. Das bedeutet, sie generieren nur denkbare Lösungen, deren Weiterbearbeitung später erfolgen muss; im Unterschied zum „Brainstorming“ erfolgt hier die Ideensuche schriftlich. Jeder Teilnehmer kann vorab in Ruhe Ideen sammeln und diese schriftlich formulieren. Beim Brainwriting wird wie beim Brainstorming darauf geachtet, dass alle Faktoren, die möglicherweise die Produktion neuer Ideen hemmen könnten, minimiert und alle den Denkprozess fördernde Faktoren maximiert werden. Teilnehmer sollen ohne jede Störung eigene Ideen produzieren, die sie anschließend mit den Ideen der Kollegen kombinieren können. Nach der Beschreibung und Analyse einer Situation und der Ermittlung der wahrscheinlichsten Ursachen mithilfe eines Ursache-Wirkungs-Diagramms, werden sechs

13.9  Brainwriting (635-Methode)

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Teilnehmer der Analyserunde gebeten, jeweils drei Vorschläge auf ein Formblatt in fünf Minuten aufzuschreiben. Nach diesen fünf Minuten erfolgt ein Austausch der Blätter im Uhrzeigersinn. Jeder Teilnehmer schreibt in die nächste freie Zeile des Formulars weitere drei Ideen. Er kann dabei die bereits notierten des Kollegen ergänzen oder völlig neue Ideen einbringen. Dieses Verfahren ergibt pro Durchgang achtzehn Lösungsvorschläge. Diese Anzahl erweitert sich auf 108 Vorschläge, wenn man die Ideensuche tatsächlich über sechs Runden (d. h. insgesamt 30 min.) durchführt.

13.9.1 Vorteile des Brainwriting • Eine negative Beeinflussung durch andere Gruppenmitglieder ist dabei ausgeschaltet (unbeeinflusstes Denken). Ideen können nicht versehentlich in der Diskussion untergehen, da sie schriftlich fixiert sind. • Es ist nicht notwendig, ein Protokoll zu führen. Ein Protokollant entfällt deshalb. • Die Anonymität der Teilnehmer kann meist gewahrt werden. Die Teilnehmer sind somit nicht persönlich angreifbar. • Es herrscht Gleichberechtigung in der Gruppe. Introvertierte Teilnehmer haben dieselbe Chance, ihre Ideen einzubringen, wie extrovertierte. Die Stellung der Teilnehmer hat keinen Einfluss auf die Besprechung der Ideen, sofern Anonymität vorherrscht. In der Diskussion werden Ideen – beispielsweise des Abteilungsleiters – dann nicht (z. B. aus Ehrfurcht) von der Kritik ausgespart. • Die Begrenzung der Lösungsvorschläge auf jeweils drei fördert die Tendenz zur Qualität. • Es besteht auch die Möglichkeit einer dezentralen Durchführung (telefonisch oder per E-Mail).

13.9.2 Nachteile des Brainwriting Es existieren – wie bei nahezu jeder Methode – jedoch auch einige Nachteile, die es beim Einsatz des Brainwriting zu beachten gilt: • Man benötigt unter Umständen mehr Zeit. Die Teilnehmer überdenken ihre Ideen zu lange und müssen sich eine konkrete Formulierung überlegen. • Die Originalität von Lösungsideen bzw. die Spontaneität wird dadurch eingeschränkt, dass die Ideen der anderen Teilnehmer sichtbar bzw. erkennbar sind. • Es können Mehrfachnennungen einer Idee vorkommen, bedingt durch den gleichzeitigen und alleinigen Ideenfindungsprozess. Nach der Erarbeitung bzw. dem Finden der Lösungen müssen diese mit der LOEWE-Methode – wie bereits beschrieben – weiterverarbeitet werden.

206

13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

13.10 Risikomanagement mit der SAULUS-Methode In der SAULUS-Methode steht der letzte Buchstabe S für Sicherung der ausgesuchten und umgesetzten Lösung. Die gefundene und umgesetzte Lösung muss die gewünschte Auswirkung haben. Hat sich die Situation nach der Umsetzung verbessert? Ist die Situation in ihrer bisherigen Form wieder eingetreten? Um die Wichtigkeit des Sicherungsschritts zu verdeutlichen, kann wiederum das Beispiel einer ärztlichen Behandlung herangezogen werden. Die Sicherung der Ergebnisse ist der Grund, warum ein Arzt nach einer Behandlung den Patienten zu einer Kontrolle einbestellt. Dabei kontrolliert er, ob sich die Situation, d. h. die Erkrankung des Patienten, tatsächlich gebessert hat. Wenn nicht, müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden. Die SAULUS-Methode funktioniert als Kreislauf (eine Iteration), der so lange weitergeführt wird, bis sich die ungewollte Situation oder das Problem verbessert oder gänzlich verschwindet. Sämtliche Ursachen für ein Problem werden nicht unbedingt sogleich gefunden. Wie schnell die Ursachen gefunden werden, hängt von der Komplexität der unerwünschten Situation und der Erfahrung der Problemlöser ab. Der zweite Aspekt, worauf sich der Buchstabe S in der SAULUS-Methode bezieht, ist die Auswirkung der Lösung in verschiedenen Bereichen. Jede Lösung, auch wenn sie noch so „gut“ ist, kann negative Nebenwirkungen besitzen. Daher ist es unerlässlich, schon bei der angestrebten Beseitigung der unerwünschten Situation Überlegungen darüber anzustellen, was alles bei der Umsetzung misslingen kann bzw. welche unerwünschten Wirkungen auftreten könnten. Jede Entscheidung für die eine oder andere Lösung muss also in Bezug auf ihr Risiko bewertet werden. Die Verantwortung dafür trägt die Führungskraft, die die Entscheidung schließlich trifft. Ein Risiko wird definiert als „Kennzeichnung der Eventualität, dass mit einer Wahrscheinlichkeit ein Schaden bei einer Entscheidung eintritt oder ein erwarteter Vorteil ausbleiben kann“ (Gabler Wirtschaftslexikon 2018). Da nicht alle Einflussfaktoren bekannt sind bzw. vom Zufall abhängen, ist das Risiko mit einem Wagnis verbunden, nämlich: „das Einlassen auf eine risikohaltige Situation“. Abb. 13.7 demonstriert, wie sich ein vorhandenes Risiko auswirken kann.

Abb. 13.7  Auswirkung eines vorhandenen Risikos

13.10  Risikomanagement mit der SAULUS-Methode

207

Bei jeder größeren Entscheidung, vor allem bei weit in die Zukunft reichenden Entscheidungen, liegt ein teilweise erhebliches Risiko vor, worüber sich die Führungskraft im Klaren sein muss. Es empfiehlt sich, alle möglichen den Erfolg der Entscheidung behindernden Variablen zu erfassen, zu bewerten und entsprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Eine Risikobetrachtung für Abläufe und Verfahren wird auch vom Gesetzgeber in Bezug auf Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz verlangt (Arbeitsschutzgesetz, § 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen). Im Folgenden wird die Risikobetrachtung im Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz erörtert. Drei Gesichtspunkte definieren das Risiko: die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses, die Auswirkung dieses Ereignisses an sich auf einen bestimmten Bereich und die Erkennbarkeit dieses Ereignisses. Der dritte Gesichtspunkt wird in vielen Fällen nicht berücksichtigt, wenn diese offensichtlich ist. Bei der Arbeitssicherheit befasst sich der Gesetzgeber mit der Wahrscheinlichkeit eines Unfalls sowie mit dessen Auswirkungen (siehe Abb. 13.8). Der rote Bereich der Risikoberechnungstabelle bezeichnet ein hohes Risiko. Hierbei erwartet der Gesetzgeber von einem Arbeitgeber technische Maßnahmen und regelmäßig

Abb. 13.8  Risikotabelle

208

13  Umgang mit besonderen Situationen in der Praxis

wiederholte Unterweisungen der gefährdeten Mitarbeiter. Der gelbe Bereich stellt ein mittleres Risiko dar. Hier erwartet der Gesetzgeber zumindest eine größere Anzahl von Unterweisungen pro Jahr, sodass betroffene Mitarbeiter zum Beispiel auch im Stress die Gefahren nicht vergessen. Der grüne Bereich schließlich stellt ein kleines Risiko dar; lediglich hier reicht eine jährliche Unterweisung der betroffenen Mitarbeiter aus. Diese Betrachtungsweise wird übrigens auch im privaten Bereich angewendet. Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind in Berührung mit Strom kommt, gering ist, sind Steckdosen heute so gebaut, dass es weitgehend ohne besondere Hilfsmittel nicht möglich ist, an den Strom zu gelangen. Doch trotz dieses Wissens über die geringe Wahrscheinlichkeit wissen Eltern von der großen Gefahr, die für ihre Kinder von elektrischem Strom ausgeht. In der obigen Tabelle liegt dieses Risiko also im roten Bereich. Dementsprechend werden Eltern Steckdosensicherungen kaufen und ihre Kinder öfter ermahnen. Bei Risiken, die miteinander verkettet sind, sollten die Gefährdungen einzeln betrachtet werden. In einer Werkhalle zum Beispiel transportiert ein Kran große Maschinenteile über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg. Wenn ein solches Teil herunterfällt, könnte dies für einen sich darunter befindlichen Mitarbeiter als lebensbedrohliche Gefahr darstellen. Wenn man das Risiko dieser Situation berechnet, muss man die Gefahren einzeln betrachten: • Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Teil herunterfällt? Unwahrscheinlich, also Risikozahl: 0,2 • Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Mitarbeiter darunter steht? Gelegentlich, also Risikozahl: 0,8 • Wie wahrscheinlich ist es, dass der Mitarbeiter voll getroffen wird? Selten, Risikozahl 0,6 Wenn man das Gesamtrisiko dieser drei miteinander gekoppelten Möglichkeiten berechnet, ergibt sich die Zahl von 0,2 mal 0,8 mal 0,6 = 0,096, also ein geringes Risiko. Das ist der Grund, warum in Fabriken auch heute Montagenteile über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg transportiert werden. Eine solche Art der Berechnung wird auch durchgeführt, wenn es um die Gefährlichkeit von Atomkraftwerken oder das Flugzeugfliegen geht. Vorgehensweise im Detail, um eine Sicherung (S) durchzuführen 1. Durchführungsplan: Beschreibung der vorgesehenen Durchführung (Vollzug) der getroffenen Entscheidung und Auflisten der im Durchführungsplan vorzusehenden einzelnen Maßnahmen und deren zeitliche Abfolge 2. Ermittlung aller möglichen Störfaktoren bzw. Risiken, die die vorgesehene Durchführung gefährden oder vereiteln könnten, und Ermittlung der Erkennbarkeit E (0–10). Die Erkennbarkeit bildet die Schwelle, ab der Überlegungen angestellt werden müssen.

Literatur

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3. Ermitteln der entsprechenden Tragweite/Auswirkung (0–10) der Maßnahmen 4. Schätzen der Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Risikos (0–10) 5. Ermitteln des Risikoprofils durch Multiplikation von T (Tragweite) x W (Wahrscheinlichkeit) x E (Erkennbarkeit) 6. Analyse der Ursachen der gewichtigsten Risiken (Erfahrungswert: 50 Punkte oder höher) = Ursachenanalyse 7. Abschätzung der Wahrscheinlichkeiten der Teilrisiken (Engpässe, Gefährdungen; von 0–10) 8. Finden der entsprechenden Vorbeugungs-, Gegen- oder Vermeidungsstrategien mit dem Ziel, die behindernden Ursachen zu beseitigen, abzumildern oder unwirksam zu machen (Umgehung) = Gegenmaßnahmen 9. Festlegung von entsprechenden Berichtswegen, um beim Eintreten der evtl. ­Störfaktoren/Risiken sofort initiativ werden zu können (Meldung des Eintritts und Meldung des Vollzugs der Gegenmaßnahme) = Berichtsfestlegung

Literatur Daniels, A. (1994). Bringing out the best in people: How to apply the astonishing power of ­positive reinforcement. New York: McGraw-Hill. Duncker, K. (1935). Zur Psychologie des produktiven Denkens. Berlin: Springer. Kamps, U. (2018). Gabler Wirtschaftslexikon, Risiko. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/risiko-44896. Zugegriffen: 9. Apr. 2018. Lindblom, C. E. (1959). The science of muddling-through. Public Administration Review 19, New Jersey. Wheatley, G. H. (1984). What you do when you don’t know what to do. Problem solving in school mathematics. MEPS Technical Report 84.01, Purdue University, School of Mathematics and Science Center, West Lafayette, S. 1. Zimbardo, P., & Gerrig, R. (2016). Psychologie (Pearson Studium – Psychologie). Hallbergmoos: Pearson Studium.

Weitere Methoden und Entscheidungshilfen

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14.1 Der PDCA-Zyklus 14.1.1 Was wird unter diesem Begriff verstanden? Der PDCA-Zyklus (auch Demingkreis oder auch Deming-Rad genannt) steht für das englische Plan – Do – Check – Act, was im Deutschen mit Planen – Tun – Überprüfen – Umsetzen oder Planen – Umsetzen – Überprüfen – Handeln übersetzt wird. Damit wird im Unternehmen eine stetige Verbesserung der Prozesse und Abläufe angestrebt, mit dem Ziel, die Effizienz sowie die  Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit zu steigern. In Industrieunternehmen und im Dienstleistungssektor gehört die Methode zu den Standardverfahren. Der PDCA-Zyklus, wie in Abb. 14.1 dargestellt, beschreibt die Phasen im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). KVP ist die Grundlage aller Qualitätsmanagement-Systeme.

14.1.2 Begriffsdefinition Plan (planen): Der jeweilige Prozess muss vor seiner eigentlichen Umsetzung geplant werden: Der Plan umfasst das Erkennen von Verbesserungspotenzialen (in der Regel durch den Arbeitnehmer bzw. Teamleiter vor Ort), die Analyse des aktuellen Zustands sowie das Entwickeln eines neuen Konzeptes (unter intensiver Einbindung des Arbeitnehmers). Do (machen, tun): bedeutet entgegen weit verbreiteter Auffassung nicht die Einführung und Umsetzung auf breiter Front, sondern das Ausprobieren bzw. Testen und praktische Optimieren des Konzeptes mit schnell realisierbaren, einfachen Mitteln (z. B. provisorische Vorrichtungen) an einem einzelnen Arbeitsplatz unter starker Einbindung des Arbeitnehmers.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_14

211

212

14  Weitere Methoden und Entscheidungshilfen

Abb. 14.1   Der PDCA-Zyklus

Check (überprüfen): Der im Kleinen realisierte Prozessablauf und seine Resultate werden sorgfältig überprüft und bei Erfolg für die Umsetzung auf breiter Front freigegeben. Act (umsetzen in die Praxis): In der Phase Act wird die neue allgemeine Lösung auf breiter Front eingeführt, festgeschrieben und regelmäßig auf Einhaltung überprüft. Hier handelt es sich tatsächlich um eine „große Aktion“, die umfangreiche organisatorische Aktivitäten (z. B. Änderung von Arbeitsplänen, NC-Programmen, Stammdaten, die Durchführung von Schulungen, Anpassung von Aufbau- und Ablauforganisation) sowie erhebliche Investitionen (an allen vergleichbaren Arbeitsplätzen, in allen Werken) umfassen kann. KVP und PDCA-Zyklus werden als Beurteilungsinstrumente in den Normenfamilien verwendet, z. B. DIN EN ISO 9000 (Qualitätsmanagementnorm1; ISO 14.000 Umweltnormreihe). Die deutsche Variante des PDCA-Kreises heißt PETER-Prinzip und wird in der gleichen Weise benutzt. Quadrant 1: PE • Problem analysieren • Ursachen suchen • und das Entscheiden für Testlösungen (z. B. mit SAULUS)

1Eine

Qualitätsmanagementnorm beschreibt, welchen Anforderungen das Managementsystem eines Unternehmens genügen muss, um einem bestimmten Standard zu entsprechen. Es kann zum Nachweis bestimmter Standards gegenüber Dritten dienen.

14.3  „IST/IST NICHT“-Methode

213

Abb. 14.2   Das PETERPrinzip

Quadrant 2: T (Tun, bzw. die neue Lösung ausprobieren) Quadrant 3: E (Ergebnis bewerten, Risiken abschätzen) Quadrant 4: R (Rückschlüsse ziehen, in der Praxis einführen, neue Standards setzen) Die neuen Standards sind wichtig, damit der alte Zustand nicht wieder möglich wird. Abb. 14.2 zeigt das PETER-Prinzip.

14.2 Problemlösung nach Kepner-Tregoe Bei Kepner-Tregoe (oder KT-Analyse) handelt es sich, wie bereits beschrieben, um ein Unternehmen, das sich auf Problemlösung spezialisiert hat (KT bezeichnet manchmal auch eine Methode zur Problemlösung). Problemanalyse, Entscheidungsanalyse, rationales Projektmanagement, Analyse potenzieller Probleme, Situationsanalyse, Strategieformulierung und -implementierung und vieles mehr sind grundsätzliche Methoden, um Denkprozesse dauerhaft zu etablieren. Die Prinzip-Skizze in Tab. 14.1 zeigt eine beispielhafte Vorgehensweise gemäß der KT-Analyse.

14.3 „IST/IST NICHT“-Methode Als eine weitere wirkungsvolle Weise, um ein Problem oder eine Situation (z. B. in der SAULUS-Methode) zu betrachten, kann die „Ist/Ist nicht“-Methode eingesetzt werden. Es wird nicht nur nach wem, was, wo, wann usw. gefragt, sondern auch nach der Negation davon. Wer oder was hat kein Problem, wo oder wann gibt es kein Problem. Oft treten dabei interessante Aspekte zutage. Abb. 14.3 veranschaulicht die „Ist/Ist nicht“-Methode.

214

14  Weitere Methoden und Entscheidungshilfen

Tab. 14.1  Vorgehensweise nach Kepner-Tregoe-Analyse Grundaussage

Grundmethode

Etwas passt mir oder Situationsanalyse (Was ist wirklich los?) uns nicht! Fehlerquelle: zu allgemeine Formulierung

Metaziele

Grundvorgehen

Klarheit schaffen, Eigentliche Störgrößen erfassen, Auswirkungen erfassen

Gliedern und strukturieren, Auswirkungen ermitteln, Prioritäten festlegen

Es besteht eine erkennbare Abweichung von SOLL und IST! Fehlerquelle: vorschnelle und ungenaue Ursachenforschung

Problemanalyse (Woran liegt es?)

Ermitteln von wahren Ursachen, Trennung von unwichtigen Auswirkungen

Abweichungen beschreiben, nach wahren Ursachen suchen, wahrscheinlichste Ursache ermitteln

Es muss gehandelt werden! Fehlerquelle: voreiliges Festlegen auf eine Alternative

Entscheidung Umsetzung (Welche Maßnahmen sind zu ergreifen?)

Bestmögliche Entscheidung und Lösung finden, Entscheidungsmethoden einsetzen, Umsetzung planen

Festlegen der Ziele, ermitteln und bewerten der Alternativen, Umsetzung planen und negative Auswirkungen ermitteln

Die Verwirklichung könnte scheitern an … Fehlerquelle: zu oberflächliche Eventualmaßnahmen

Risikoanalyse (Was kann schief gehen?)

Absicherung der Umsetzung, Durchspielen der möglichen Gefährdungen, Sicherstellen des Ergebnisses

Mögliche Gefährdungen erfassen, denkbare Ursachen ermitteln, vorbeugende Maßnahmen erarbeiten

Entscheidungen richtig durchführen Mit Entscheidungsmethoden und -techniken haben sich die Menschen aller Zeiten und Epochen intensiv beschäftigt. Die Macht der Priester im Altertum aufgrund ihrer „Entscheidungshilfen“, wie Sterndeutung und Leberschau2, beruhen auf der Entscheidungsunsicherheit der breiten Masse, aber auch auf der Unsicherheit der Herrschenden. Seit der Neuzeit wird versucht, durch eine Verknüpfung einer Vielzahl von Informationen, unter Zugrundelegung bestimmter Annahmen und der Entwicklung von Modellen per EDV, die Entscheidungsunsicherheit zu minimieren. An die Stelle von vieldeutigen ­Aussagen treten nun scheinbar eindeutige, mit vier Stellen hinter dem Komma abgesicherte Werte. Sind diese Aussagen daher besser? Oder steckt in ihnen in unserem Zeitalter der ­statistischen Manipulation und der Zahlengläubigkeit nicht eine noch größere Gefahr?

2Die

Leber galt in der Antike als Hauptstück der Eingeweide und neben dem Herzen als Zentralorgan des Lebens.

14.3  „IST/IST NICHT“-Methode

Abb. 14.3  „Ist/Ist nicht“-Methode

215

216

14  Weitere Methoden und Entscheidungshilfen

Der Faktor „Entscheidungen treffen“ wurde sozusagen zu einer Art Wissenschaft für speziell darin ausgebildete Mitarbeiter. Diese sollen helfen, die Erfassung der wesentlichen Einflussfaktoren, d. h. die Erfassung der ermittelbaren Information, zu verbessern, um das Risiko einer Fehlentscheidung zu minimieren. Es geht aber auch darum, unmittelbar zu reagieren, um Chancen zu nutzen und unliebsame Faktoren von vornherein zu minimieren.

14.3.1 „Fundiertes Entscheiden“ versus „zügiges Entscheiden“ Entscheiden erfordert eine bestimmte Transparenz und ein zielbezogenes Handeln. Nur diesen Forderungen entsprechende Hilfen sollten angenommen, alle anderen aufwendigen und komplexen „Hilfen“ sollten abgelehnt werden. Entscheidungen hängen von der verfügbaren Information, den Auswirkungen und der Dringlichkeit (Zeitfaktor) ab.

14.3.2 Die klassische Entscheidungsmatrix Diese Entscheidungsmethode ist allgemein bekannt. Obwohl die meisten Menschen sie für gut und vor allem bei schwierigen Entscheidungen für notwendig empfinden, wird sie nur allzu selten verwendet. Sie besitzt folgende Vorteile: • sehr schnelles und einfaches Verfahren (zeitsparend) • optische Verfolgung des Entscheidungsprozesses möglich • Beteiligung der Arbeitsgruppe, des Teams möglich (durch Moderation) • angemessener Aufwand • Entscheidungsdokumentation Sie hat ihre Grenzen bei: • sehr komplexen, abgestuften Aufgaben (vorherige Zerlegung des Problems) • Kriterien, die stark subjektiv empfunden werden Sie wird wie folgt gehandhabt: 1. Es werden zunächst alle zur Verfügung stehenden Varianten oder Alternativen aufgelistet. 2. Anschließend werden alle Entscheidungskriterien zum Problem aufgelistet. Daraus wird eine Matrix mit den Alternativen und den gefundenen Kriterien grafisch erstellt, wobei jedem Kriterium ein Faktor zugeordnet wird (1 Kann-Kriterium, 3 unbedingt Muss-Kriterium).

14.3  „IST/IST NICHT“-Methode

217

3. Dann folgt die Auszählung und die Entscheidung: jede Möglichkeit oder Alternative und jedes Kriterium betrachten und einem Wert des Zutreffens zuordnen (0 – trifft nicht zu, 10 – trifft voll zu). 4. Dieser Wert wird nun mit dem Faktor (auch Gewichtungsfaktor) multipliziert und in die Matrix eingetragen. 5. Für jede Möglichkeit, Alternative oder Variante waagerecht alle Punkte zählen und unter Ergebnis ganz rechts eintragen. 6. Auswahl jener Alternative, bei der die meisten Punkte erzielt wurden. Abb. 14.4 zeigt eine derartige Matrix zum Treffen einer fundierten Entscheidung. Kriterien richtig auswählen Schriftliche Auflistung der Kriterien, die spontan einfallen. Nicht unbedingt im Entscheidungsdiagramm eintragen, denn es muss noch gewichtet werden (z. B. Kann- oder Muss-Kriterien). Einige Zeit verstreichen lassen. Während dieser Zeit wird das Unterbewusstsein weiterarbeiten und Aspekte entdecken, an die man am Anfang nicht gedacht hat. 1. Befragen anderer Menschen, Kollegen, Mitarbeiter, Freunde, Spezialisten, Unbeteiligte, Laien (wegen des vorhandenen „blinden Flecks“) 2. Nach einiger Zeit (z. B. nach 24 h) noch einmal die Liste durchgehen und ggf. ergänzen. 3. Gewichtung vornehmen, Trennung zwischen Kann- und Muss-Kriterien. Jedem Kriterium einen Faktor zuordnen, zum Beispiel „1“ steht für „Kann-Kriterium“, „3“ steht für „Muss-Kriterium“. Dieser Punkt ist ausgesprochen wichtig. Besonders wichtig ist eine Suche nach möglichen Kriterien in einem Team, wenn: • eine komplexe und Kreativität erfordernde Aufgabe vorliegt, • eine Vielzahl von Informationen in die Entscheidung einbezogen werden müssen, • es viele denkbare Lösungsmöglichkeiten gibt,

Abb. 14.4  Entscheidungsmatrix

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14  Weitere Methoden und Entscheidungshilfen

• unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen sowie verschiedene Meinungen bei der Entscheidungsfindung weiterhelfen, • die Ausführung schwierig durchzusetzen ist und/oder von mehreren Ebenen getragen werden muss, • die Abwertung einzelner oder von Gruppen vermieden werden soll, • dadurch Zusammengehörigkeitsgefühl und (Mit-)Verantwortung gefördert werden kann. • Gründe, die für dieses System sprechen: Beteiligung schafft Identifikation, keiner ist so klug wie alle, und die scheinbar „verlorene Zeit“ in der Vorbereitung wird bei der Durchsetzung wieder eingespart. Die Effektivität beim Finden der richtigen Kriterien und somit auch die der Entscheidungsfindung steigen. Zum Abschluss dieses Kapitels folgen zwei Übungen, die sich ideal im Arbeitsalltag umsetzen lassen. Demzufolge besitzen sie eher den Charakter einer Umsetzungsaufgabe, als den einer klassischen Übung. Übung: Der richtige Mitarbeiter

Definieren Sie die notwendigen Kriterien bei der Suche nach einem neuen Mitarbeiter (fachlich, sozial, methodisch  usw.). Bitte den Arbeitsplatz selbst benennen. Lassen Sie sich dazu 24 h Zeit und besprechen Sie die Aufgabe während dieser Zeit mit anderen Kollegen, aber auch mit Nicht-Führungskräften. Übung: Ein klasse Chef!

Definieren Sie sämtliche Kriterien für eine gute Führungskraft. Lassen Sie sich dazu 24 h Zeit, besprechen Sie die Aufgabe während dieser Zeit mit anderen Kollegen, aber auch mit Nicht-Führungskräften. Ordnen Sie jedem Kriterium einen Faktor zu, so wie zuvor beschrieben.

Zeitmanagement und dessen Optimierung

15

Optimierung der persönlichen Arbeitsweise Bei einem guten Zeitmanagement kann die Führungskraft vorhandene Zeit und Energie effektiver für die Verwirklichung beruflicher Ziele nutzen. Dies geschieht, indem unwichtige zeit- und energieraubende Tätigkeiten aus dem Arbeitsalltag eliminiert werden. Der Tag wird besser organisiert und die „richtigen“ Aufgaben zur „richtigen“ Zeit erledigt. Wer seine Zeit gut einteilt und Prioritäten setzt, meistert berufliche Anforderungen und kann sich auf die zielführenden Arbeitsabläufe konzentrieren. Zudem können Stress und Zeitdruck vermieden sowie kreative Freiräume für die persönliche oder berufliche Weiterentwicklung gewonnen werden.

15.1 Methoden für ein besseres Zeitmanagement Zur besseren Strukturierung von Arbeitsabläufen empfiehlt der Zeitmanagement-Experte Lothar Seiwert folgendes Vorgehen: a) Zunächst sollte eine Bestandsaufnahme erstellt werden, bei welchen beruflichen Tätigkeiten wertvolle Zeit verloren geht (z. B. mithilfe einer Mindmap oder einer einfachen Excel-Tabelle: Spalte 1: Uhrzeit viertelstundenweise und Spalte 2: die getätigten Aufgaben). b) Eine persönliche „Ziel-Mittel-Analyse“ sollte durchgeführt werden. Diese hilft, sich selbst motivierende und erreichbare Ziele zu setzen: Was sind die Ziele und welche Ressourcen stehen zur Verfügung, um sie zu erreichen? Hierbei ist es wichtig, sich die eigenen Stärken und Schwächen bewusst zu machen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_15

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15  Zeitmanagement und dessen Optimierung

15.1.1 Das Eisenhower-Prinzip oder die A-B-C-D-Analyse Dwight David Eisenhower (1890–1969) war während des Zweiten Weltkriegs ­Alliierten-General und von 1953 bis 1961 Präsident der Vereinigten Staaten. Die Eisenhower-Priorisierung oder A-B-C-D-Analyse, wie in Abb. 15.1 dargestellt, gehört zu den oft zitierten Klassikern des Zeitmanagements. Trotz gegenteiliger Behauptungen gibt es keinen eindeutigen Hinweis dafür, dass der US-Präsident diese Form des Zeitmanagements selbst praktiziert oder gelehrt hat.

Abb. 15.1  Eisenhower-Prinzip

15.1  Methoden für ein besseres Zeitmanagement

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Die Grundidee des Eisenhower-Prinzips liegt in der präzisen Kategorisierung von Aufgaben. Durch die Einteilung in vier Kategorien soll es einfacher werden zu entscheiden, womit man sich vorrangig beschäftigen sollte. Diese Einteilung erfolgt anhand von zwei Parametern: • Wichtigkeit einer Aufgabe: Eine Aufgabe gilt dann als wichtig, wenn sie der Zielerreichung dient. Eine Aufgabe, die keines der Ziele einer Führungskraft zu erreichen hilft, gilt als unwichtig. • Dringlichkeit einer Aufgabe: Eine Aufgabe ist dringlich, wenn sie nach einem bestimmten Termin in der nahen Zukunft ihren Sinn verliert. Wenn es (in der näheren Zukunft) egal ist, wann Sie die Aufgabe erledigen, ist die Aufgabe nicht dringlich. Anhand dieser beiden Parameter, die auf einer horizontalen und einer vertikalen Achse aufgetragen werden, kann man Aufgaben in vier Quadranten einteilen (Portfolio- oder Quadranten-Betrachtung): Gemäß dem Eisenhower-Prinzip soll man mit den Aufgaben im jeweiligen Quadranten wie folgt umgehen: 1. Wichtig und dringlich (A-Aufgaben): Diese Aufgaben sind von höchster Priorität, da sie am meisten zum Erreichen von Zielen beitragen und zugleich der Endzeitpunkt für ihre Erledigung feststeht und nicht verschiebbar ist. Man sollte sie sofort und selbst erledigen, oder wenn man keine Fachkompetenz dafür besitzt, zumindest persönlich begleiten und entsprechend kontrollieren. Diese Aufgaben werden in eine sogenannte To-do-Liste aufgenommen und nach weiteren Kriterien priorisiert. 2. Wichtig, aber nicht dringlich (B-Aufgaben): Auch diese Aufgaben sind für die Zielerreichung wichtig, daher sollte man sich selbst mit ihnen befassen. Die Erledigung ist allerdings nicht an einen bestimmten Zeitpunkt in der näheren Zukunft gebunden (z. B. ein Mitarbeitergespräch führen, Mitarbeiter qualifizieren, ein Buch über Menschenführung lesen, Sport treiben, langfristige Strategieplanung, Netzwerkpflege usw.). Es genügt daher, sich einen bestimmten Zeitpunkt für die Erledigung dieser Aufgaben selbst zu setzen (planen). Wenn Arbeit nach Hause mitgenommen wird, dann sollte sie nur wichtige B-Aufgaben enthalten. 3. In Bezug auf das eigene Zeitmanagement stellen die B-Aufgaben die größte Gefahr dar. Dadurch, dass kein terminlicher Druck besteht und die meisten Führungskräfte sonst noch eine große Anzahl von wichtigen und terminkritischen A-Aufgaben haben, werden die B-Aufgaben weit hinten auf der To-do-Liste aufgenommen. Da jedoch im täglichen betrieblichen Ablauf A-Aufgaben gehäuft auftreten, sammeln sich die B-Aufgaben schnell an. Da der selbst vorgenommene Erledigungstermin immer wieder nach hinten verschoben wird, werden letztlich auch diese Aufgaben dringlich.

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15  Zeitmanagement und dessen Optimierung

4. Dringlich, aber nicht wichtig (C-Aufgaben): Diese Aufgaben müssen zeitnah erledigt werden; es ist aber normalerweise nicht erforderlich, dass man sich selbst um die Erledigung kümmert. Die Aufgaben in diesem Quadranten sollten nach Möglichkeit delegiert werden (sofern der oder die Mitarbeiter dazu qualifiziert sind). 5. Weder wichtig noch dringlich (D-Aufgaben): Aufgaben, die keine gesetzten Ziele zu erreichen helfen und bei denen es obendrein egal ist, wann sie erledigt werden, haben die geringste Bedeutung. Diese Aufgaben kann man im Zweifel unerledigt lassen. Von Jürgen Erich Schrempp, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG und der DaimlerChrysler AG, erzählt man, dass er viele Eingaben an den Vorstand ungelesen in den Papierkorb warf. Auf die Frage seiner Chefsekretärin, warum er das tat, sagte er: „Wenn es tatsächlich wichtig und dringend ist, wird es noch ­einmal auf meinem Schreibtisch erscheinen!“ Vorsicht: Gesundheitsgefahr! Wenn man die B-Aufgaben zu lange vor sich herschiebt, können sie auf einmal auf einen einstürzen, man gerät in Zeitdruck und in Stress. Denn die A-Aufgaben ­werden nicht weniger, während die dringlich werdenden B-Aufgaben den ersten Quadranten der von vornherein wichtigen und dringenden Aufgaben vermüllen. Falls die Führungsperson für die „nur wichtigen“ B-Aufgaben die Qualifizierung der eigenen Mitarbeiter immer wieder verschoben hat, hat sie niemanden, dem sie die nun dringenden C-Aufgaben delegieren könnte. Führungskräfte mit solchen Problemen sind immer im Stress, haben kaum Zeit für ihre Mitarbeiter, machen Fehler, werden krank. Viele Führungskräfte argumentieren als Grund, weshalb sie viele Aufgaben selbst erledigen statt diese zu delegieren damit, dass sie die Arbeit schneller als ihre Mitarbeiter erledigen würden. Gleichzeitig leiden genau diese Führungskräfte ständig unter Zeitmangel und erhöhtem Stress. Das Vorgehen mit zwei To-do-Listen Das Eisenhower-Prinzip empfiehlt die Benutzung zweier To-do-Listen: die erste ­To-do-Liste enthält nur wichtige und dringende Aufgaben, die zweite To-do-Liste wird mit nur wichtigen Aufgaben gefüllt. In beiden Listen werden die jeweiligen Aufgaben priorisiert. Grundsätzlich sollten dabei nur etwa 70 bis 90 % der verfügbaren Zeit für wichtige und dringende Angelegenheiten (erste To-do-Liste) verplant werden. Auch regelmäßige Pausen sollten in die Planung mit einbezogen werden, um Kraft zu tanken und so vermeintlich verlorene Zeit durch anschließend effektiveres Arbeiten zu gewinnen. Die restlichen 10 bis 30 % der täglichen Arbeitszeit müssen für die zweite To-do-Liste fest eingeplant werden. Diese „Zeitinseln“ für die zweite To-do-Liste sind allerdings schwer aufrechtzuerhalten, denn es kommen immer wieder neue wichtige und dringende Aufgaben hinzu. Bei all diesen Zeitmanagement-Methoden sollten alle anfallenden Aufgaben schriftlich fixiert und konsequent und diszipliniert abgearbeitet werden. Dabei kön-

15.1  Methoden für ein besseres Zeitmanagement

223

nen sogenannte „Zeitplan-Tools“ in Papier- oder elektronischer Form helfen. Mit einem Ziel- und Zeitplanbuch können beispielsweise Tages- und Wochenpläne erstellt sowie Aufgaben systematisch nach Priorität, Zielsetzung und Dauer geordnet werden. Aber auch mit elektronischen Hilfsmitteln, wie spezieller Computersoftware oder über Internet zugängliche Web-Organizer (z. B. Microsoft Exchange), können Aufgaben, Termine und Kontakte auf PC, Laptop oder Handhelds effektiv verwaltet werden. Zum „Eisenhower-Prinzip“ gibt es immer wieder Kritik. Der wichtigste Einwand ist die Frage, wie man für sich selbst eigentlich „wichtig“ und „dringlich“ definiert – denn für diese Einteilung gibt das Eisenhower-Prinzip keine Hinweise. Außerdem hilft das Prinzip nicht, wenn sich Aufgaben in einem relativ kleinen Bereich häufen; das kann leicht passieren, da wichtige Aufgaben eher selten dringlich und dringliche Aufgaben eher selten wichtig sind. Dieser Aspekt wird verständlich, wenn man ihn vor dem Hintergrund von Eisenhower als Oberbefehlshaber der Alliierten im Zweiten Weltkrieg betrachtet. In diesem Kontext erweist sich diese Art der Priorisierung als sicherlich sinnvoll – und ob sie auf den nichtmilitärischen Alltag übertragbar ist, dürfte von Mensch zu Mensch sehr verschieden sein.

15.1.2 Das Pareto-Prinzip zur Verbesserung des persönlichen Zeitmanagements Nach dem „Pareto-Prinzip“ können 80 % der Ergebnisse mit nur 20 % des Aufwands erreicht werden. Das bedeutet: Viele Aufgaben lassen sich mit einem Mitteleinsatz von ca. 20 % erledigen, sodass 80 % aller Probleme gelöst werden. Eine Analyse der eigenen Zeiteinteilung kann „Zeitdiebe“ und „Aufschieberitis“ entdecken und vermeiden helfen (z. B. mangelndes Selbstvertrauen, Beschäftigung mit nebensächlichen Tätigkeiten, kein Delegieren von unwichtigen Aufgaben, unnötige Störungen durch E-Mails und Kollegen). Danach kann der Fokus auf wesentliche Arbeitsaufgaben gelenkt werden. Nach der Identifikation wesentlicher Ziele und wichtiger Aufgaben sollten entsprechend der „Salami-Taktik“ diese Ziele und Aufgaben so konkret wie möglich formuliert werden. Diese sollten wiederum in kleine realistische Teilziele und -aufgaben zerlegt werden. Danach können sie nach Prioritäten geordnet und abgearbeitet werden. Ein solches Vorgehen wirkt sich positiv auf die Motivation und den Durchhaltewillen aus, da täglich Teilerfolge erzielt werden können. Pareto und seine Mama – oder: die 80-20-Regel Das Pareto-Prinzip oder das 80-20-Prinzip, wie in Abb. 15.2 gezeigt, geht auf seinen Erfinder Vilfredo Pareto (1848–1923) zurück. Dieser wurde, wie viele Kinder auch, von seiner Mama regelmäßig mit der Aussage „belogen“, dass wenn man mehr lernt, die

224

15  Zeitmanagement und dessen Optimierung

Abb. 15.2   80-20-Prinzip

Noten besser werden. Seine Mutter hatte nämlich den Aufwand (Lernen) in eine direkte, lineare Proportionalität mit dem Ergebnis (Noten) gesetzt. Dass dies so nicht stimmen kann, hat vermutlich fast jedes Kind schon festgestellt. Wenn ein Schüler z. B. jeden Morgen ca. 15 min mit der Straßenbahn zur Schule fährt und dabei schnell noch einen Teil der Hausaufgaben macht oder ein wenig Vokabeln wiederholt, reicht das zwar nicht für die beste Note (1), aber eine 4, 3 oder sogar 2 ist damit zu erreichen. Mit einem „reduzierten“ Aufwand (max. 20 %) kann man doch noch ein einigermaßen gutes Ergebnis (70 bis 80 %) erzielen. Nach dem Studium der Volkswirtschaft untersuchte Pareto Anfang des 20. Jahrhunderts die Verteilung des Bodenbesitzes in Italien und machte die Entdeckung, dass 20 % der italienischen Staatsbürger 80 % des Staatsvermögens besaßen. Daraus folgerte er unter anderem, dass die italienischen Banken mit einem Fünftel ihrer aufgewendeten Zeit 80 % ihrer Kunden betreuen. Pareto nannte dies ein „Voraussehbares Ungleichgewicht“. Seine Forschungen wurden als die „80-20-Regel“ oder „Das Pareto Prinzip“ bekannt. • • • • • •

80 % des Umsatzes wird von ca. 20 % der Kunden generiert. 80 % der Kosten werden von ca. 20 % der Reklamationen verursacht. 80 % der Tagesarbeit wird in ca. 20 % des Arbeitstages erledigt. 80 % der Anrufe führt man mit ca. 20 % seiner gespeicherten Kontakte. 80 % der Zeit trägt man nur 20 % der Kleider im Kleiderschrank. 80 % Qualität kann in der Regel in 20 % der Zeit erzielt werden.

Zum letzten Beispiel: Eine 100-prozentige Qualität zu erzielen, dauert in etwa fünfmal länger. Das Gleiche gilt auch für die Trainingsintensität und Dauer, um in einer Sportart Höchstleistungen zu erreichen. Wie oben beschrieben, besagt das Pareto-Prinzip oder die 80-20-Regel, dass etwa 80 % der Ergebnisse mit ungefähr 20 % des Gesamtaufwandes erreicht werden können. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse benötigen mit 80 % den höchsten Aufwand. Das

15.1  Methoden für ein besseres Zeitmanagement

225

Ziel einer Führungskraft muss also darin liegen, dieses 80-20-Verhältnis zugunsten des Unternehmens zu nutzen. Das bedeutet, mit 20 % Einsatz an der richtigen Stelle bereits 80 % der Aufgaben zu bewältigen. Das Pareto-Prinzip und das „Mogeln der sozialen Systeme“ Pareto hat sich auch mit der Genauigkeit der 80-20-Regel befasst. Er stellte fest, dass es sich dabei nur um Richtwerte handelt, die sich im Laufe der Zeit verändern können. Während im Jahr 1989 zum Beispiel 20 % der Bevölkerung 82,7 % des Weltvermögens besaßen, waren schon im Jahr 2000 85,2 % des Weltvermögens im Besitz der reichsten 10 %. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis in Richtung 1:99 verschoben (Michel 2003). Das sogenannte „Mogeln“ der sozialen Systeme nach Pareto zeigt Abb. 15.3. Eine weitere Frage, die Pareto beschäftigte, lag in der Anwendbarkeit seiner Regel. Pareto bezeichnete die blaue Kurve, die ungefähr durch den Punkt 20/80 verläuft, als den Verlauf für die „sozialen Systeme“. Überall dort, wo Menschen beteiligt sind, wird diese Verschiebung vom linearen Verlauf erfolgen. Das gilt für Schüler, aber auch für Mitarbeiter in einem Projekt oder für die Abarbeitung wichtiger Aufgaben bei Führungskräften (siehe auch Eisenhower-Prinzip). Er begründete diese Verschiebung damit, dass die sozialen Systeme danach trachten, so effektiv wie nur möglich zu handeln (um auf diese Weise z. B. Energie zu sparen). Allerdings folgt nicht jedes System diesem 80-20-Verlauf, denn natürliche Systeme folgen der roten Kurve. So zum Beispiel kann ein Bauer nicht einen Ertrag von 80 % an Obst erzielen, indem er kurz vor der Ernte 20 % Energie für die Pflege eines Baumes aufbringt. Er wird in diesem Fall gar nichts ernten! Er muss den Baum pflanzen, hegen und pflegen, schneiden und gießen, um dann nach drei Jahren eine passable Ernte zu bekommen. Auch kann man keine Anlage bauen, indem man erst kurz vor dem Abgabetermin mit der Montage anfängt. Man muss rechtzeitig Teile bestellen, Schritt für Schritt montieren, kontinuierlich arbeiten. Den waagerechten Abstand zwischen der blauen Kurve für die sozialen Systeme und der roten Kurve für natürliche Systeme bezeichnete Pareto als das „Mogeln“ der sozialen Systeme. Menschen versuchen, den Energieaufwand so gering zu halten wie nur mögAbb. 15.3   Mogeln der sozialen Systeme nach Pareto

226

15  Zeitmanagement und dessen Optimierung

lich. Statt wie bei der roten Kurve 80 % Aufwand zu betreiben, werden sie möglicherweise mit nur 20 % dasselbe erreichen. Auch wenn es ihnen vielleicht nicht bewusst ist, so kennen viele Führungskräfte diesen Effekt aus der betrieblichen Praxis: Man verlangt zum Beispiel von einem Mitarbeiter ine außerplanmäßige Ausarbeitung für einen wichtigen Kunden. Der Mitarbeiter gibt an, dass Hinweise Verlag/Setzerei: er voll mit Arbeit „bis unter dem Kragen“ ist. Wenn die Führungskraft dennoch darauf besteht, wird der Mitarbeiter von einem wichtigen persönlichen Termin berichten, den er wahrnehmen muss. Er könne daher nicht später als sonst nach Hause gehen. Wenn der Chef trotz dieses Widerstandes verlangt, dass er die Arbeit macht, wird der Mitarbeiter verärgert die Arbeit verrichten, wie alle seine anderen Tätigkeiten auch, und wird keine Minute später als sonst seinen Arbeitsplatz verlassen. Die Führungskraft wird sich dann denken: der Mitarbeiter muss doch noch einige „Zeitreserven“ gehabt haben. Er hat heute ein wenig schneller als sonst gearbeitet! Am folgenden Tag wird die Führungskraft mit einer anderen außerplanmäßigen Arbeit kommen, der Mitarbeiter wird vielleicht noch mehr „motzen“, aber er wird die Arbeit verrichten und trotzdem pünktlich Feierabend machen. Da die Führungskraft nicht weiß, wie viel denn der Mitarbeiter „mogelt“, d. h. seine sonstige Arbeit optimiert hat, wird er weiter die Arbeitsbelastung des Mitarbeiters steigern, bis dieser zur „roten“, also natürlichen Kurve gelangt. Versucht er, weiter die Schraube „anzuziehen“, so besteht die Gefahr einer Überbelastung des Mitarbeiters, bei gleichzeitiger Verschlechterung des erzielten Ergebnisses. Gesundheitliche Probleme (bis hin zum Burn-out) können dann auftreten, wenn der Mitarbeiter versucht, seine Arbeit weiterhin einwandfrei zu machen. Es ist auch die gesetzliche Verantwortung (Fürsorgepflicht) einer Führungskraft, sich über diese Überlastungsgrenze Gedanken zu machen und sie nicht zu überschreiten. Pareto-Prinzip und der Zeitaufwand Wie gezeigt wurde, lassen sich bei richtiger Verteilung der Prioritäten mit 20 % des Aufwands bzw. der Zeit häufig 80 % der gesamten Arbeit erledigen. Beim Pareto-Prinzip geht es also nicht zuletzt um Zeitmanagement: Das Pareto-Prinzip ist eine Zeitmanagement-Methode, mit der man die Priorität auf die wichtigen Teile seiner Arbeit oder eines Projektes legt. Bei mehreren gleichzeitig zu erledigenden Aufgaben ist es wichtig, eine Prioritätenliste zu erstellen. Gerade für Führungskräfte ist das Zeitmanagement eine entscheidende Fähigkeit. Von ihnen wird erwartet, dass sie neben einer selbstständigen Arbeitsweise auch über ein gutes Zeitmanagement verfügen. ­Mithilfe der Pareto-Regel kann man einschätzen, welchen Aufwand man für wichtige und ­dringende A-Aufgaben benötigt. Übung: Der erste Tag im Betrieb – eine Pareto-Analyse

Franz Römer (26) ist frischgebackener Ingenieur und hat seinen ersten Arbeitstag als Assistent der Betriebsleitung in der Montageabteilung in einem Unternehmen, das im Vorrichtungsbau tätig ist.

15.1  Methoden für ein besseres Zeitmanagement

227

Nachdem die Formalitäten des ersten Tages erledigt sind, bittet ihn sein künftiger Chef, Herr Dirk Greisig (45) zu einem Einführungsgespräch zu sich. Unter anderem sagt er: „Seit letztem Monat kämpfen wir verstärkt mit Montagefehlern. Zu Ihrer Einarbeitung dachte ich mir, Sie durchforsten einmal die verschiedenen Fehlerarten und erarbeiten Vorschläge, wie wir in Zukunft vorgehen wollen. Ich möchte dazu eine schnelle Entscheidung über notwendige Maßnahmen treffen. Weiterhelfen kann Ihnen sicher Meister Tomasek. Er führt schon seit Längerem Aufschreibungen über die Fehler.“ Franz Römer trifft Meister Tomasek gerade noch im Umkleideraum an. Es ist kurz vor Feierabend. Meister Tomasek hat es wegen eines wichtigen Termins zwar eilig, drückt Herrn Römer aber noch einen Zettel in die Hand und sagt: „Das sind die Fehler, die im letzten Monat aufgetreten sind. Ich habe auch mal versucht auszurechnen, was das Ganze kostet. Na ja, vielleicht können wir morgen mal darüber reden.“ Die Fehlerhäufigkeit fasst Tab. 15.1 zusammen. Tab. 15.2 zeigt, wie lange die Beseitigung des Fehlers dauert und was sie im Durchschnitt kostet. Eine Minute Arbeitszeit ist mit 0,50 EUR zu berechnen. Die Informationen von Meister Tomasek fasst Abb. 15.4 zusammen. Aufgabenstellung: Bitte helfen Sie Herrn Römer bei der Lösung dieses Problems, d. h., durchforsten Sie auch die verschiedenen Fehlerarten und erarbeiten Vorschläge, wie man in Zukunft vorgehen sollte (die Musterlösung steht am Ende des Kapitels). Frei verfügbare Zeitressourcen bzw. die effiziente Nutzung der vorhandenen Arbeitszeit zählt insbesondere für Führungskräfte zu einer immer stärker werdenden Herausforderung. Mit den in diesem Kapitel vorgestellten Techniken sollte es Ihnen möglich sein, ganz gezielt jene Freiräume zu schaffen, um Ihre Führungsaufgaben bewältigen zu können.

Tab. 15.1  Fehlerhäufigkeit Fehler

Woche 1

Woche 2

Woche 3

Woche 4

Zeichnung unvollständig

IIIII IIIII IIIII II

IIIII IIIII II

IIIII III

IIIII IIIII III

Material defekt

IIIII I

III

II

IIII

Falsche Teile

IIIII IIIII IIIII II

IIIII IIIII II

IIIII IIIII IIIII II

IIIII I

Bleche verbogen

IIIII IIIII IIIII IIIII IIIII IIIII II

IIIII IIIII IIIII IIIII I

IIIII IIIII IIIII IIIII II

IIIII IIIII IIIII IIIII I

Schrauben gebrochen

IIIII IIIII III

IIIII IIIII II

IIIII III

IIIII I

Total

85

60

57

50

228 Tab. 15.2  Durchschnittliche Kosten für die Fehlerbeseitigung

15  Zeitmanagement und dessen Optimierung Fehler

Dauer (min.)

Kosten (€) Ersatzteil

Zeichnung unvollständig

3



Material defekt

5

0,50 €

Falsche Teile

10

6,80 €

Bleche verbogen

4



Schrauben gebrochen

15

0,63 €

Abb. 15.4  Informationen von Meister Tomasek

15.2  Die sieben schlimmsten Zeitfresser bei der Arbeit Tab. 15.3  Ergebnisse der Pareto-Lösung Nr Fehler Anzahl % Repara- Rep. Monat tur min Ges

229

Zeit in €

Ersatzteile €

Ersatz. gesamt

Kosten total

%

1

Zeichnung 50 unvollständig

19,84

3

150

75

0

0

75

6,04

2

Material defekt

15

5,95

5

75

37,5

0,5

7,5

45

3,62

3

Falsche Teile

52

20,63

10

520

260

6,8

353,6

613,6

49,38

4

Bleche sind verbogen

96

38,10

4

384

192

0

0

192

15,45

5

Schrauben 39 gebrochen

15,48

15

585

292,5

0,63

24,57

317,07

25,52

Fehler total

100

Kosten total

1242,67 100

252

Ergebnisse der Pareto-Analyse (Musterlösung) Die Ergebnisse der Pareto-Lösung veranschaulicht Tab. 15.3.

15.2 Die sieben schlimmsten Zeitfresser bei der Arbeit Wo ist bloß die Arbeitszeit geblieben? Das fragt sich so mancher Arbeitnehmer am Ende des Tages. Gefühlt war man den ganzen Tag nur aktiv und unterwegs – aber geschafft wurde trotzdem kaum etwas. Schuld daran sind fast immer dieselben gemeinen Zeitfresser im Job, die häufig unterschätzt werden. Die schlimmsten sieben Zeitfresser sind vermutlich: E-Mails Es ist gar nicht mal das Schreiben von E-Mails, was einem die Zeit raubt. Eine Adobe-Studie (SofTrust Consulting GmbH 2016) kam zu dem Ergebnis, dass man inzwischen im Durchschnitt 31,5 h pro Woche nur mit dem Checken von E-Mails verbringt – nicht eingerechnet die Zeit, die wir zum (vollständigen) Lesen und (teilweisen) Beantworten benötigen; das ergibt 6,3 Stunden täglich – 3,2 für Job-Mails, 3,1 für p­ rivate Mails! Meetings Manager wie Angestellte verbringen im Schnitt 4,9 Arbeitsstunden pro Woche damit, Sitzungen zu koordinieren. Dabei werden durchschnittlich sieben Besprechungen pro Woche vereinbart, an denen sieben Personen teilnehmen, die im Schnitt zwei

230

15  Zeitmanagement und dessen Optimierung

Stunden und 45 min zusammensitzen. Ein Fünftel dieser Bürorunden dauert sogar länger als fünf Stunden. Woraus sich für manche statistisch ergibt, dass sie jede Woche rund 19 h in Meetings hocken. Dabei wären weniger und bessere Meetings einfach durchzuführen. Klatsch und Tratsch Small Talk mit Kollegen schweißt zusammen und bildet einen mentalen Ausgleich zur Arbeit. Klatsch ist sogar regelrechter Balsam für unser Hirn. Er frisst aber auch Zeit: Im Schnitt bis zu einer Stunde am Tag, sechszehn Prozent der Angestellten verplaudern sogar bis zu zwei Stunden. Smartphone Jeder hat eins. Viele erlauben sogenannte Push-Mitteilungen. Der Haken: Bei jedem Piep schaut der Nutzer hin und muss sich danach erst wieder einarbeiten. Addiert kommt da schnell eine Stunde zusammen. Internet Kaum ein Medium ist so verführerisch: Mal ein Video schauen, einen Artikel lesen, der zum nächsten führt … 80 % der Arbeitnehmer „verklicken“ bis zu zwei Stunden am Tag. Helfersyndrom Klar, ist es nett, Kollegen zu helfen. Wer aber so gar nicht Nein sagen kann, leidet nicht nur am Helfersyndrom – er verliert auch noch viel Zeit für die eigene Arbeit, die derweil liegen bleibt. Perfektionismus (Pareto) Perfektionismus und hohe Motivation begünstigen Workaholism. Viele Führungskräfte verrennen sich in Details und verlieren so wertvolle Zeit. Zugegeben, manche Dinge müssen perfekt sein. Oft aber reichen 80 % der verfügbaren Zeit vollkommen aus, um eine wirklich gute Arbeit zu leisten. Übung: Überlegen Sie bitte, inwiefern auch bei Ihnen diese Zeitfresser so wirken

Ihre Notizen:

_______________________________________________________________ _______________________________________________________________ _______________________________________________________________

Literatur

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Literatur Michel, T. (2003). Tutorium Wirtschaftspolitik. Frankfurt a. M. www.wiwi.uni-frankfurt.de/Professoren/ eisen/tut3.pdf. Zugegriffen: 14. Dez. 2017. SofTrust. (2016). Adobe veröffentlicht Studie zur E-Mail-Nutzung. http://www.softrust.com/ node/406. Zugegriffen: 28. Dez. 2017.

Der Kreis schließt sich

16

Verborgene Werte: das intellektuelle Kapital einer Firma Wir, die beiden Autoren, möchten Ihnen zum Ende dieses Buches noch einige Gedanken zum Begriff des „intellektuellen Kapitals“ einer Firma vorstellen. Stellen Sie sich bitte vor, einer Ihrer besten und kreativsten Projektmitarbeiter fühlt sich unter Ihrer Führung nicht wohl und kündigt. Wird sich dieser Verlust in der Bilanz Ihrer Firma wiederfinden? Wahrscheinlich nicht, obwohl dieser erfolgreiche Mitarbeiter schwer zu ersetzen sein wird und obwohl sich sein Weggang mit ziemlicher Sicherheit negativ auf das Ergebnis Ihres Unternehmens auswirken wird. Leider kommt diese Geschichte so oder in ähnlicher Form in vielen von uns besuchten Firmen vor. Führungskräfte haben daher die Aufgabe dieses „Intellectual Capital“ eines Unternehmens zu pflegen und zu vermehren (Intellectual Capital Expansion, ICE). Der geistige Vater dieses gar nicht so neuen Begriffes „Intellectual Capital (IC)“ ist Leif Edvinsson, Corporate Director Intellectual Capital bei der Skandia-Versicherung in Schweden. Seiner Meinung nach besteht das IC aus vier Komponenten: 1. aus den Kenntnissen und Fähigkeiten der Beschäftigten und den Führungskräften eines Unternehmens, 2. aus seinem Innovationspotenzial, 3. aus den Beziehungen, die das Unternehmen zu seinen Mitarbeitern und zu seinen Kunden entwickelt und 4. aus der Organisation der Prozesse in der Wertschöpfungskette des Unternehmens. Diese Kategorisierung zeige, so Edvinsson, dass intellektuelles Kapital nicht an einen Unternehmensstandort gebunden ist. „Denn wo entstehen die guten Ideen?“ lautet demnach die rhetorische Frage. Vermutlich nicht im Büro, sondern sehr viel häufiger im Badezimmer oder in einem Restaurant bei einem guten Essen, jedoch nur dann, wenn die © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 J. Fieger und K. T. Fieger, Führung ist erlernbar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-22197-3_16

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234

16  Der Kreis schließt sich

Führungskräfte (oder die Mitarbeiter) auch bereit sind, unternehmerisch – also im Sinne des Unternehmens – zu denken. Der Begriff „Intellectual Capital“ macht deutlich, wie stark die Personal- und Führungskräfteentwicklung mit der Organisationsentwicklung verwoben ist. Sie sind schlichtweg nicht voneinander zu trennen. Wir, das DR.-FIEGER-Team, können auf die erste IC-Komponente, d. h. auf die Kenntnisse (mittels Seminaren und Workshops) und Fähigkeiten (mittels Trainings und Coachingprozessen) Einfluss nehmen und diese entwickeln. Bei der Stärkung der zweiten und vierten Komponente – das Innovationspotenzial und die Organisation im Unternehmen – sind vor allem die Abteilungen Personalentwicklung und Organisationsentwicklung dahingehend gefordert, durch sinnvolle Projekte hierzu die Entwicklung – die Erweiterung („Extension“) – voranzutreiben. Bei diesen Projekten kann das DR.-FIEGER-Team auch beratend tätig werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass Führungskräfte einer Vielzahl an Herausforderungen gegenüberstehen, die auf den ersten Blick – insbesondere bei Nachwuchsführungskräften – vielleicht erdrückend wirken. Auf den zweiten Blick verbirgt sich aber in der Führungsarbeit ein System, ein roter Faden, der erlernt und anschließend umgesetzt werden kann. Führung ist erlernbar und sämtliche Inhalte in diesem Buch vermittelten Ihnen schrittweise die dafür notwendigen Kenntnisse. Mit den Techniken und Methoden aus diesem Lehrbuch entwickelten sich bereits Hunderte Führungskräfte zu exzellenten Vorgesetzten, und häufig lag darin sogar der Beginn einer glanzvollen beruflichen K ­ arriere. Wir, die Autoren dieses Buches, wünschen Ihnen jedenfalls viel Erfolg bei der (Weiter-)Entwicklung Ihrer Führungsqualitäten. Sollten bei der Umsetzung einzelner ­ Punkte aus den Kapiteln ergänzende Themen auftauchen, dann kontaktieren Sie uns doch einfach via E-Mail, am besten unter: [email protected].

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