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Andreas Hegenbart
Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt Eine perspektivendifferenzierte Analyse eines Innenraums für kommunale Dienstleistungen
Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt
Andreas Hegenbart
Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt Eine perspektivendifferenzierte Analyse eines Innenraums für kommunale Dienstleistungen
Andreas Hegenbart Konstanz, Deutschland Diplomarbeit Georg-August-Universität Göttingen, 2014
ISBN 978-3-658-23531-4 ISBN 978-3-658-23532-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Diese Arbeit ist all den Architektinnen und Architekten des Innenraumes gewidmet, die sich in ihrer alltäglichen Praxis immer wieder mit hohem Engagement für unser Wohlbefinden und unsere Wirksamkeit im gebauten Raum einsetzen.
Vorwort Dieses Buch entstand aus einem Zweitstudium der Psychologie, das ich berufsbegleitend zu meiner Arbeit als freischaffender Innenarchitekt zunächst mit einer Diplomarbeit in einem üblichen Umfang abschließen wollte. Es bot sich die Evaluation eines neu fertiggestellten Bürgerbüros an; dessen Programmfindung und Planung hatte ich einige Jahre zuvor architekturpsychologisch begleitet. Je tiefer ich in die theoretische Grundlagenermittlung, Projektplanung und Fragebogenentwicklung einstieg, desto deutlicher schien auf, dass vor einer Evaluation die psychologischen Merkmale einer Wechselwirkung zwischen Mensch und Raum prägnanter und übersichtlicher herauszuarbeiten waren, als es über die nutzerorienterte Programmentwicklung geschehen war; es sollte ja nicht nur fallbezogen ein mehr oder weniger großer Erfolg festgestellt, sondern auch fallübergreifend eine Grundlage für zukünftige Evaluationen geschaffen werden; nur dann werden diese vergleichbar sein und einem Erkenntisfortschritt dienen. Die theoretische Vorarbeit, Reanalyse der Programmentwicklung, Erarbeitung eines Modells der Relation ‚Mensch – gebaute Umwelt‘ und der Fragenkataloge, sowie die Durchführung und Auswertung der Evaluation summierten sich im Lauf der Zeit zu einem deutlich umfangreicheren Werk. Es war zunächst das soziale und instrumentelle Dienstleistungshandeln im Bürgerbüro zu analysieren. Friedemann W. Nerdingers psychologische Analyse der Dienstleistung bot die geeignete Grundlage dazu. Er bedauert darin, dass eine Forschung zu Dienstleistungsumwelten fehle, welche das
VIII dienstleistungscharakteristische gemeinsam geteilte Erleben der Beteiligten – Dienstleister und Bediente – in den Mittelpunkt stelle. Das ist nun zu einem zentralen Ausgangspunkt dieser Arbeit geworden, und es war die Frage zu beantworten, wie sich das Erleben der Umwelt psychologisch vermittelt. Welche Verhaltens-, Handlungs- und Erlebensangebote macht der gebaute Raum an den Nutzer und in welchen Qualitäten werden sie wahrgenommen? Gibsons ökopsychologische Affordanzen sind eine hervorragende Antwort darauf; merkwürdigerweise hatten sie bislang noch kaum Eingang in die Theorie und Praxis einer Architekurgestaltung gefunden, obwohl im Produktdesign alltäglicher Dinge damit seit langem umgegangen wird; im Rahmen der ‚usability‘-Forschung war der Kognitionswissenschaftler und Informatiker Donald A. Norman die treibende Kraft; er stand mit James J. Gibson noch in persönlichem Kontakt und Austausch. Die Anforderungen an die gebaute Dienstleistungumwelt aus der früheren architekturpsychologischen Programmentwicklung konnten mit dieser Vorarbeit in ein facettenreiches Angebotsportfolio der Umwelt an die Nutzer übersetzt und ein erstes affordanzbasiertes – und damit psychologisch gegründetes – Modell der Mensch-Umwelt-Interaktion entwickelt werden. Die Einbettung dieser Interaktion in ein gemeinsam geteiltes Dienstleistungshandeln und -erleben führte zu einem sozialperspektivischen Aufbau der Evaluation; sie ist im zweiten Teil des Buches beschrieben. Wie erlebt der Dienstleister, wie der Bediente diese Umwelt? Welcher Teil der Umwelt ist in welchem Maß für beide zum gemeinsamen Handeln und Erleben von Bedeutung und welcher nur für den jeweils einzelnen? Wie treffsicher ist der Dienstleister in seiner Annahme, wie der Bediente die Umwelt erlebt? Diese letzte Frage ist bedeutsam, wenn die Nutzergruppe ‚Mitarbeiterschaft des Bürgerbüros‘ die Bedarfe der Bürgerschaft voraussagen sollen; das war bei der nutzerorientierten Programmentwicklung zum Bürgerbüro der Fall. Seit dem Abschluss dieser Arbeit sind dreieinhalb Jahre vergangen. Der
IX Impuls, sie nun als Buch zu veröffentlichen, entstand aus der kritischen und wertschätzenden Beachtung im umweltpsychologischen Raum. Zeitgleich entsteht aktuell eine Diskussion um die Grundlegung einer Innenarchitekturtheorie; sie kann nur interdisziplinär angelegt sein, und diese Arbeit ist aus psychologischer Perspektive sicher ein weiterführender Beitrag dazu. Sie richtet sich damit an Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpsychologen, Architektinnen und Architekten des Innenraums und nicht zuletzt an eine Bauherrschaft, die auf eine nutzerangepasste Entwicklung und Umnutzung gebauten Raumes Wert legt. Die Inhalte werden für die einzelnen Gruppen von unterschiedlicher Bedeutung sein; die Arbeit referiert vielschichtige psychologische Konzepte, beinhaltet im zweiten Teil eine Fallanalyse mit einer großen Anzahl statistischer Auswertungen und ist wissenschaftlich verortet; dennoch wird jeder der Genannten Teilbereiche finden, die zu einer neuen Sicht auf den gebauten Raum anregen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind in diesem Werk nur die wichtigsten psychologischen Konzepte auf Ihre Kompatibiliät hin untersucht worden; dass sie kompatibel sein müssen, ist eine wichtige Voraussetzung für eine gute Theorie; für alle übrigen Konzepte waren Nützlichkeitserwägungen für die Evaluation leitend; es wird eine zukünftige Aufgabe sein, diese Untersuchung fortzusetzen. Für die Praxis der Gestaltungsexperten eröffnet diese Arbeit eine Möglichkeit, Gestaltungsziele zu einem sozialen, instrumentellen und konsumatorischen Handeln und Erleben im Raum theoretisch gegründet bewusster und präziser artikulieren zu können.
Dank Ein Buch dieser Art entsteht nicht allein. Ohne Zuspruch und Ermutigung, Kritik und Anregung, und letzlich auch den nötigen Freiraum wäre es in dieser Form nicht entstanden. Ich danke an erster Stelle Frau Prof. Dr. Margarete Boos vom Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie der Universität Göttingen für den inhaltlichen Freiraum, den sie mir zu dieser Arbeit gewährt hat; das war für eine Diplomarbeit nicht selbstverständlich. Ohne den Zuspruch meiner Zweitprüferin Frau PD Dr. Micha Strack hätte ich den zweiten Teil der Arbeit angesichts beruflicher Anforderungen und eines finalen Termindrucks nicht mehr fertiggestellt, obwohl die Evaluation bereits durchgeführt war; sie stand mir für einen fachlichen Diskurs zur methodischen und praxeologischen Auswertung der sozialperpektivischen Evaluation jederzeit und auch in späten Abendstunden in regem Emailaustausch zur Seite. Frau PD Dr. Rotraut Walden von der Universität Koblenz danke ich für ihre Anregung, neben ihren Koblenzer Architekturfragebögen eigene Fragebögen aus der Vorerfahrung als Innenarchitekt zu entwickeln. Herr Prof. Dr.-Ing. Andreas Kleinefenn von der damaligen Fachhochschule Lippe/Detmold verdanke ich den einleitenden Text zu einer Raumerfahrung, den ich im Rahmen meines Erststudiums der Innenarchitektur im Fach Umweltpsychologie einmal verfasst hatte, und den er 22 Jahre später zu rearchivieren gerne bereit war. Herrn Prof. em. Dr. Gerhard Kaminski von der Universität Tübingen, der wesentlichen Anteil daran hat, die Umweltpsycholgie in Deutschland zu
XII etablieren und voranzutreiben, und Herrn Dr. Christian Munz, einem ausgewiesenen Kenner und Verfechter des ökopsychologischen Ansatzes Gibsons, danke ich für ihre ausführlichen kritischen und wertschätzenden Kommentare, die mich letzlich zu dieser Veröffentlichung als Buch ermutigten. Herrn PD Dr. Rudolf Günther ebenfalls von der Universität Tübingen und Vorsitzender des Fachbereichs Umweltpsychologie im Bund Deutscher Psychologinnen und Psychologen gilt mein Dank für seine Anregung und Zuspruch zu meiner Teilnahme seitdem an dem monatlichen Tübinger Gesprächskreis zu den ökologischen Ansätzen in psychologischer Grundlagenforschung und Praxis unter der Leitung von Gerhard Kaminski. Allen Vorgenannten und Herrn Prof. Dr. Friedemann Nerdinger von der Universität Rostock danke ich für ihren Zuspruch beim Springer-Verlag zu dieser Veröffentlichung. Nicht zuletzt und von ganzem Herzen danke ich meiner Frau und Kollegin in der Innenarchitektur, die mir die zeitlichen Freiräume im privaten und beruflichen Alltag mit großer Geduld und unter Verzicht auf manche gemeinsame Urlaube und Aktivitäten ermöglichte.
Abstract Ziel dieser Fallanalyse ist die Entwicklung eines Modells der UmweltNutzer-Beziehung für gebaute Dienstleistungsumwelten. Nach Nerdinger (1994) ist das auf die dienstleistungstypische doppelte Interaktion und das daraus erwachsende gemeinsam geteilte Erleben der Interaktionspartner zu gründen. Die Fallanalyse bezieht sich auf ein Bürgerbüro, für das eine architekturpsychologische nutzerspezifische Programmentwicklung vorlag, das nach diesem Programm realisiert worden ist, und zu dem eine Evaluation des Ergebnisses anstand. Ihr ist die Beschreibung des dienstleistungstypischen interaktionalen Geschehens nach Nerdinger (ebd.) über die Dienstleistungsdyade und -triade, ihren Interaktionsformen, ihrer sozialen und kognitiven Organisation und des Handelns darin vorangestellt. Besonderheiten der kommunalen Dienstleistung unterscheiden sich in einigen Aspekten von der Dienstleistung nach dem Prinzip des Äquivalententausches. Das Bürgerbüro wird als Behavior Setting (Barker, 1968) verstanden und nach der Paradigmenstruktur Kaminskis (1986) beschrieben. In Barkers nonpsychologischem Milieu können die Affordanzen (Gibson, 1982) als psychologisch wirksame Verhaltens- und Erlebensangebote identifiziert werden; das ökobehaviorale Behavior-Setting-Konzept und den ökopsychologische Affordanzansatz führt Heft (2001) auf Theorieebene ineinander. Über die Affordanzen wird das gemeinsam geteilte Erleben der Dienstleistungsbeteiligten, definiert als eine nach Nutzergruppen differentielle Perzeption der gegenständlichen Umwelt unter einer gemeinsamen finalen Prozessausrich-
XIV tung, intra- und interindividuell vermittelt; die antreffbare Umwelt wird als Affordanzträger zur n-fach angetroffenen Umwelt für n = 2 Nutzergruppen der Dienstleister und der Bedienten. Die angetroffenen Umwelten sind jeweils aus verschiedenen Affordanztypen konstituiert und münden in eine Modellannahme der affordanzbasierten Umweltdifferenzierung. Aus der Programmentwicklung werden Affordanzen und ihre Träger als Merkmale der räumlich physischen Umwelt extrahiert, themenweise gruppiert und in einem Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt zusammengeführt; ein facettentheoretischer Ansatz (Borg, 1992) ermöglicht es, die Vielzahl an Affordanzen und ihrer Trägermerkmale über einen Abbildungssatz als Evaluationsgrundlage methodisch zu kontrollieren. Eine sozialperspektivische Differenzierung der gruppenspezifischen Sichtweisen in Direkt- und Metaperspektiven (Strack, 2004) auf die angetroffene Umwelt ermöglicht Akkuratheitsdiagnosen und die Analyse von Perspektivdiskrepanzen nach dem interpersonellen Diskrepanzdreieck. Aus dem Facettenstrukturmodell der Affordanzen und sozialperspektivischer Differenzierung werden Fragenkataloge für die Dienstleister und Bedienten entwickelt und die Evaluation damit durchgeführt. Ergebnisdarstellung und Diskussion des Strukturmodells mit seiner Perspektivendifferenzierung und der Erhebungsergebnisse schließen die Fallanalyse ab.
Inhaltsverzeichnis I
Theoretischer Hintergrund
13
1
Theoretische Ansätze im Überblick
15
2
Interaktion in der Dienstleistung
19
2.1
Dyadisches und triadisches Strukturmodell
. . . . . . . . .
19
2.2
Instrumentelles Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
2.3
Interaktionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
2.4
Soziale Organisation der Interaktion . . . . . . . . . . . . .
25
2.5
Kognitive Organisation der Interaktion: Das Skriptkonzept .
28
2.6
Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
31
3
Besonderheiten kommunaler Dienstleistung
41
3.1
Kommunale Dienstleistung zwischen Struktur und Werten .
42
3.2
Asymmetrie der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
3.3
Die Wirksamkeit der Besonderheiten
45
4
Behavior Setting und Affordanz
49
4.1
Behavior-Setting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
4.2
Affordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
4.3
Synthese von Behavior-Setting und Affordanz . . . . . . . .
59
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
XVI 5
Inhaltsverzeichnis Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
71
5.1
Semantik des gemeinsam Geteilten Erlebens . . . . . . . . .
72
5.2
Erleben als kognitive und affektive Umweltperzeption . . . .
76
5.3
Eine antreffbare, aber zwei angetroffene Dienstleistungsumwelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
5.4
Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt . . . . . . . . .
84
6
Sozialperspektivität
91
6.1
Theoretische Grundlage und Anwendungsfelder . . . . . . .
96
6.2
Gemeinsam geteiltes Erleben in sozialperspektivischer Sicht
102
7
Facettentheorie
109
II
Fallstudie
117
8
Ausgangslage der Fallstudie
119
8.1
Architekturpsychologisches Verfahren . . . . . . . . . . . . 121
8.1.1
Nutzerorientierte Programmentwicklung - PE . . . . . . . . 121
8.1.2
Post Occupancy Evaluation - POE . . . . . . . . . . . . . . 122
8.1.3
User Need Analysis - UNA . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
8.1.4 Struktur und Tiefe der nutzerorientierten Programmentwicklung123 8.1.5
Ergebnisse der nutzerorientierten Programmentwicklung . . 128
9
Entwicklung des Facettenstrukturmodells
9.1
Behavior Setting ’Bürgerbüro’ . . . . . . . . . . . . . . . . 143
9.2
Kategorisierung der Affordanzmerkmale
9.3
Analyse der Facetten räumlich physischer Umwelt . . . . . . 154
9.3.1
Gegenständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
139
. . . . . . . . . . 149
Inhaltsverzeichnis
XVII
9.3.2
Oberflächeneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
9.3.3
Ausstattung und Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
9.3.4
Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162
9.4
Analyse der Affordanzenfacetten . . . . . . . . . . . . . . . 165
9.4.1
Bewegungsbereich der Person . . . . . . . . . . . . . . . . 167
9.4.2
Orientierung
9.4.3
Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
9.4.4
Soziales Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
9.4.5
Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
9.4.6
Wohlbefinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
10
Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
10.1
Umweltfacetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
10.2
Affordanzfacetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
11
Fragebogenerhebung
11.1
Erhebungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
11.2
Methodik der Erhebung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
215
227 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
11.2.1 Abbildungssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 11.2.2 Fragebogenaufbau
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
11.2.3 Pretest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 11.2.4 Durchführung der Erhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 11.2.5 Datenerfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 11.3
Methodik der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
11.3.1 Stichprobenzusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 245 11.3.2 Auswertung des Fragebogenrücklaufs . . . . . . . . . . . . 246 11.3.3 Affordanzbasierte Differenzierung der angetroffenen Dienstleistungsumwelt
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
11.3.4 Nomenklatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
XVIII
Inhaltsverzeichnis
11.3.5 Statistische Methoden
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250
12
Ergebnisse
257
12.1
Häufigkeitsverteilungen der Antworten . . . . . . . . . . . . 257
12.1.1 Antworthäufigkeit zum Sachbild der Bürgerschaft . . . . . . 257 12.1.2 Antworthäufigkeit zum Sachbild der Mitarbeiterschaft . . . . 257 12.1.3 Antworthäufigkeit zum mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermuteten Sachbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 12.2
Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen
. . . 258
12.2.1 Gruppen-Perspektiven Kombinationen insgesamt . . . . . . 258 12.2.2 Mittelwerte nach den Facetten der Affordanzen und der Umweltabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 12.3
Antwortvarianzen innerhalb der Items . . . . . . . . . . . . 273
12.3.1 Items der Bürgerschaft N1P1. . .
. . . . . . . . . . . . . . . 273
12.3.2 Items der Mitarbeiterschaft N2P2. . . . . . . . . . . . . . . . 276 12.4
Akkuratheit der Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . . 278
12.5
Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284
12.5.1 Akkuratheit der Mitarbeitervermutung zu Urel . . . . . . . . 285 12.5.2 Faktische Übereinstimmung zu Urel
. . . . . . . . . . . . . 286
12.5.3 Konsens-/Dissensvermutung der Mitarbeiterschaft zu Urel
. 288
12.5.4 Diskrepanzdiagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 13
Diskussion
297
13.1
Facettenstruktur und Perspektivendifferenzierung . . . . . . 297
13.2
Erhebungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
13.2.1 Gesamtbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 13.2.2 Zehn beste Affordanzen
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
13.2.3 Affordanzen mit negativer Bewertung . . . . . . . . . . . . 311
Inhaltsverzeichnis
XIX
13.2.4 Antwortkonsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 13.2.5 Akkuratheit der Mitarbeitervermutung zum Sachbild der Bürgerschaft
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316
13.2.6 Inakkurate Vermutung negativer Urteile . . . . . . . . . . . 316 13.2.7 Inakkurate Vermutung positiver Urteile . . . . . . . . . . . . 318 13.2.8 Perspektivdiskrepanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 13.2.9 Ergebnisdiskussion der Erhebung im Überblick und Ausblick 322 Literaturverzeichnis
325
A
Anhang
337
A.1
Kriterien zur Beurteilung von Lern- und Arbeitsumwelten nach Walden
A.2
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
Auszüge aus der Programmentwicklung . . . . . . . . . . . 339
A.2.1 Funktionale Qualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 A.2.2 Atmosphärisch-emotionale Qualitäten . . . . . . . . . . . . 340 A.3
Paradigmenstruktur des Behavior Setting ’Bürgerbüro’ . . . 341
A.4
Tabellen zur Extraktion der Affordanzen . . . . . . . . . . . 343
A.4.1 Bürgerbüro Gesamtraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 A.4.2 Infothek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 A.4.3 Beratungsbüro A.4.4 Wartezone
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
A.4.5 Verkehrswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 A.5
Exkurs: Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
A.5.1 Theorie und Empirie zur Selbstverortung und Erhalt der Orientierung in der Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 A.5.2 Pragmatische Ansätze der Orientierung . . . . . . . . . . . . 375 A.6
Fragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
A.6.1 Beispielseite des Bürgerfragebogens . . . . . . . . . . . . . 391
XX
Inhaltsverzeichnis
A.6.2 Pretesthinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 A.7
Richtungstypen und Iteminhalte relationaler Affordanzen . . 393
A.7.1 Richtungstypen der Iteminhalte . . . . . . . . . . . . . . . . 393 A.7.2 Aussageinhalte zu Richtungstypen . . . . . . . . . . . . . . 394 A.7.3 Gegenüberstellung der Itemnummerierung aus UB , UM und Urel 397
Abbildungsverzeichnis 2.1.1
Dienstleistungsdyade . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
2.1.2
Dienstleistungstriade modifiziert . . . . . . . . . . . . .
22
5.2.1
Affektive Bewertungen zwischen Umwelt und Verhalten
77
5.2.2
Emotionale Markierungen von Ortsrepräsentationen . . .
78
5.2.3
Stimmungen beeinflussen Verhalten in Umwelten . . . .
79
5.2.4
Umweltbezogene Emotionsregulation . . . . . . . . . .
80
5.4.1
Das ökologische Modell sozialer Interaktion
. . . . . .
85
6.1.1
Einführung in die Perspektivennotation . . . . . . . . . .
97
6.1.2
Struktur des interpersonellen Diskrepanzdreiecks . . . .
98
6.1.3
Perspektiven im interpersonell Diskrepanzdreieck . . . .
99
6.1.4
Diskrepanztypen des interpersonellen Diskrepanzdreiecks 100
6.1.5
Richtungstypen von Diskrepanzen . . . . . . . . . . . . 101
6.1.6
Dyadisches Interaktionsschema
6.2.1
Begriffsverband zu Konstrukten geteilten Wissens . . . . 104
7.0.1
Schematische Übersicht Elemente der Facettentheorie . . 110
7.0.2
Allgemeiner Abbildungssatz für Evaluationen . . . . . . 112
8.1.1
Tiefe der PE Bürgerbüro Gotha . . . . . . . . . . . . . . 125
8.1.2
Programm-Matrix Bürgerbüro Gotha
8.1.3
Funktionsprogramm Bürgerbüro Gotha . . . . . . . . . . 129
. . . . . . . . . . . . . 102
. . . . . . . . . . 126
XXII
Abbildungsverzeichnis
10.0.1 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
. . . 217
12.2.1 Antworthäufigkeiten Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . 260 12.2.2 Antworthäufigkeiten Mitarbeiterstab . . . . . . . . . . . 261 12.2.3 Antworthäufigkeiten Vermutung Mitarbeiter zur Bürgerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 12.2.4 Deskriptive Statistik der Gruppen
. . . . . . . . . . . . 263
12.2.5 Mittelwerte der Subfacetten Umweltabschnitte
. . . . . 271
12.2.6 Gruppenmittelwerte nach Subfacetten der Affordanzen . 272 12.3.1 Vergleich Antwortvarianzen Bürgerschaft und Vermutung Mitarbeiterstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 12.3.2 Ausschnittvergrößerung Antwortvarianzen mit s² ≥ 4.00
275
12.4.1 Kategoriensystem der Perspektivenakkuratheit . . . . . . 279 12.4.2 Befund zur Akkuratheit der Perspektivübernahme . . . . 281 12.5.1 Kategorien der eP-Übereinstimmung Sachbild
. . . . . 286
12.5.2 Kategorien der Konsens- u. Dissensvermutung . . . . . . 287 12.5.3 Mitarbeitererwartung im Vergleich zu Bürgerschaftsurteilen relationaler Affordanzen . . . . . . . . . . . . . . . 289 12.5.4 eP-Übereinstimmung Mitarbeiterurteile zu Bürgerschaftsurteilen relationaler Affordanzen . . . . . . . . . . . . . 290 12.5.5 Dezentrierung der Mitarbeiterurteile zum bürgerseitig vermuteten Sachbild der relationalen Umwelt . . . . . . . . 291 13.2.1 Eingang Rathaus mit Aufzugsanlage . . . . . . . . . . . 308 A.1.1 Kriterien der Beurteilung von Lern- u. Arbeitsumwelten
338
A.2.1 PE-Matrix: funktionale Qualitäten . . . . . . . . . . . . 339 A.2.2 PE-Matrix: atmosphärisch-emotionale Qualitäten . . . . 340 A.5.1 Isovist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 A.5.2 Visibility Graph mit Isovisten
. . . . . . . . . . . . . . 386
Abbildungsverzeichnis
XXIII
A.5.3 Visibility Graph erster und zweiter Ordnung . . . . . . . 387 A.6.1 Beispielseite aus dem Bürgerfragebogen . . . . . . . . . 391 A.6.2 Hinweise zum Pretest Fragebogen . . . . . . . . . . . . 392
Tabellenverzeichnis 6.1.1 Diskrepanz- und Richtungstypen des interpersonellen Diskrepanzdreiecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 12.2.1 Zehn beste Beurteilungen der Bürgerschaft
. . . . . . . 263
12.2.2 Die negativen Beurteilungen der Bürgerschaft . . . . . . 264 12.2.3 Zehn beste für Bürgerschaft vermutete Beurteilungen . . 265 12.2.4 Negativ vermutete Beurteilungen bei der Bürgerschaft . . 266 12.2.5 Zehn beste Beurteilungen der Mitarbeiterschaft . . . . . 267 12.2.6 Die negativen Beurteilungen der Mitarbeiterschaft . . . . 267 12.5.1 Richtungstypen aus den Perspektivdiskrepanzpaaren
. . 293
12.5.2 Matrix der Perspektivdiskrepanzen . . . . . . . . . . . . 294 12.5.3 RTyp-Bestimmung für Items mit Mehrfachvalenz . . . . 295 13.1.1 Modell affordanzbasierter Umweltdifferenzierung . . . . 300 13.2.1 Mittelwertgegenüberstellung Zugang Beratungsraum . . 309 13.2.2 Mittelwertgegenüberstellung Größe Beratungsraum . . . 311 13.2.3 Iteminhalte zu RTyp 8
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
13.2.4 Iteminhalte zu RTyp-6
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
A.3.1 Paradigmengebundene Behavior-Setting-Analyse . . . . 341 A.7.1 Richtungstypen und Iteminhalte . . . . . . . . . . . . . 393 A.7.2 Richtungstypen des Diskrepanzdreiecks . . . . . . . . . 394 A.7.3 Itemkonfiguration zu UB , UM und Urel
. . . . . . . . . 397
Dreißig Speichen umgeben eine Nabe: In ihrem Nichts besteht des Wagens Werk. Man höhlet Ton und bildet ihn zu Töpfen: In ihrem Nichts besteht der Töpfe Werk. Man gräbt Türen und Fenster, damit die Kammer werde: In ihrem Nichts besteht der Kammer Werk. Darum: Was ist, dient zum Besitz. Was nicht ist, dient zum Werk. (Laotse, Tao Te King, 11. Spruch)
Was man nicht nützt, ist eine schwere Last; Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen. (Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, Vers 682 ff. / Faust)
Verschiedene Menschen können von einem und demselben Objekt auf verschiedene Weise erregt werden und derselbe Mensch kann von einem und demselben Objekt zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene Weise erregt werden. (Spinoza, Ethik – in geometrischer Weise behandelt in fünf Teilen, 51. Lehrsatz)
Einleitung Im 11. Spruch des Tao Te King thematisiert Laotse die Dialektik zwischen dem Gegenständlichen und seinem Nutzwert, den er als Werk1 bezeichnet. Das Gegenständliche ist in der umgebenden Welt unmittelbar sichtbar und antreffbar; der Gebrauchswert dagegen, bei Laotse als das Nichts bezeichnet, ist es nicht. Der Gebrauchswert ist für das sensumotorische System eines wahrnehmenden Subjektes nicht unmittelbar wahrnehmbar; aber es kann auf ihn geschlossen werden, und er ist über eine mittelbare Erfahrung zugänglich. Die mittelbare Erfahrung des Gebrauchswertes ist aber in der Wahrnehmung eines Individuums oftmals hoch automatisiert und untrennbar mit dem Gegenständlichen verbunden – nicht allein, aber auch nicht zuletzt deshalb, weil das Gegenständliche gezielt zu einem entsprechenden Gebrauch gestaltet wurde; sein Gebrauchswert ist dadurch im Gegenständlichen ablesbar. Über einen anderen Aspekt des gegenstandsimmanenten Nutzens lässt Goethe seinen Faust philosophieren; es ist der Bezug zu einem gegenwärtigen Bedarf. In seiner Studierstube stehend denkt Faust über die alten, von seinem Vater übernommenen Gerätschaften nach; sie sind nur deshalb Teil seines Raumes, weil sein Vater sie zu Lebzeiten nutzte und Faust sie erbte, allerdings ohne deren Gebrauchswertes zu bedürfen.2 Eine Nutzenwahrnehmung kann sich aber auch intraindividuell innerhalb kurzer Zeit 1 2
In manchen Übersetzungen wird für Werk auch das Wort Sinn gebraucht Wesentlich bekannter ist der dem eingangs zitierten Vers vorhergehender Teil „Was du ererbt von deinen Vätern hast | Erwirb es, um es zu besitzen“
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_1
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Einleitung
und stimmungsabhängig verändern. Das hat das nachfolgend geschilderte Raumerlebnis zum Thema:3 . . . ein Raumerlebnis im Erleben der Spannung zwischen Gegensätzen: bergende Umgrenztheit inmitten verunsichernder Weite und bedrohliche Enge inmitten befreiender Grenzenlosigkeit. . . . Ich stehe in Lappland an einer Haltestation der Eisenbahn an der norwegisch-schwedischen Grenze; es mutet seltsam an zu wissen, hier sei eine Grenze, ohne das in irgendeiner Weise optisch nachvollziehen zu können; zwar gibt es die Linie der Bahngleise, doch geben sie nicht den Verlauf der kartographisch angezeigten Grenze an; sonst ist in dieser Berglandschaft, die sich vor mir ausbreitet, nichts zu sehen, was die Assoziation einer Grenze zuließe. Offensichtlich handelt es sich hier um eine gedachte Grenzlinie, die mehr dem Territorialanspruch einer weit entfernten politischen Macht gerecht wird, als einen . . . Einfluss auf das Leben der etwa 50 Dorfbewohner hier auszuüben. In meinem Empfinden tut sich eine andere Grenze auf, die es für mich nun zu überschreiten gilt: das Überwechseln von dem gesicherten Sozialraum der Familie, Freunde, Bekannte und sonstiger Menschen, die nur durch den Sachverhalt ihrer Existenz an diesem Raum teilhaben, – hinein in die Einsamkeit, in ein „auf mich selbst Zurückgeworfen Sein“. Mir ist die Sicherheit und die damit verbundenen Verpflichtungen meines Umfeldes zu eng und zu 3
Auszug aus einer Niederschrift d. Verf. aus 1986 in einer Klausur zum Fach ’Umweltpsychologie’ des Innenarchitekturstudiums. Es handelt sich um eine verdichtende Erinnerung an das damals annähernd 10 Jahre zurückliegende Erlebnis; der Verf. erhielt die Niederschrift dankenswerterweise im Jahr 2010 von Prof. Dr. Andreas Kleinefenn zurück.
Einleitung bedrohlich geworden, und ich fliehe in die „soziale Grenzenlosigkeit“ – oder in den Kerker meiner selbst? Ich weiß, dass meiner Beweglichkeit in diesem Freiraum ebenfalls Grenzen gesetzt sind; das Fassungsvermögen meines Rucksacks und meine Tragkraft in Verbindung mit meinem Unvermögen, über lange Zeit allein in einer Wildnis zu überleben, werden mich zwingen, gelegentlich wieder Menschen aufzusuchen. Jeder Schritt, den ich tue, ist ein Loslösen aus dem Vergangenen und ein Hinwenden auf das Neue und Unbekannte, auf das, was mich erwarten wird. Mit Hilfe der Karte und des Kompanten bewahre ich mir den Überblick in dieser labyrinthischen Anordnung von Berg, Tal und Fluss. Die Karte: Abbild von Geschaffenem – nicht Grundlage für zu Schaffendes – , eine Anhäufung amorpher paralleler Linien und anderer Symbole, die mit einem quadratischen Gitternetz überzogen sind; es sind Zeichen der Eroberung dieses Territoriums durch den Menschen und abstrakt wie ’mm’, ’cm’, ’m’ oder ’km’ als Maß für die Entfernung. Aneignung des Raumes geht anders. Ich gehe aus vom Zelt, meinem Bezugspunkt, zum Wasser eines Baches – nicht nur um zu Trinken, sondern um es zu sehen, zu hören, zu riechen und zu spüren, – um mir des Wassers bewusst zu werden; von hier gehe ich weiter zu einem Stein, setze mich darauf, besitze ihn – und stelle fest, dass dies ein Platz sein kann, um meine Mahlzeit einzunehmen; ich gehe weiter zu einem Punkt, der mir eine Aussicht gewährt auf das Gebiet, das ich am folgenden Tag durchwandern werde, und dann – einen Kreis schließend – wieder zurück zu meinem Zelt; bei jedem Schritt nutze ich meine Sinne . . . , um mir der Qualität des Raumes, den ich gerade durchschreite, bewusst zu werden.
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Einleitung Mein Territorium habe ich für diesen Abend abgeschritten, habe es kennengelernt; ich fühle mich nun sicherer, obwohl ich vorher doch nicht Unsicherheit empfand ...? Wenn ich jetzt ins Zelt gehe, atme ich auf, fühle mich geschützt und geborgen, fast liebevoll umfangen von den sich sanft nach innen wölbenden Wandungen. Ich bin einfach nicht mehr da - in der beängstigenden Weite der Hochebene, in der das Auge kaum Halt findet, oder in dem von hohen Bergwänden bedrohlich gesäumten Tal, in dem der Blick keinen Raum findet, sich zu erstrecken; ich fühle mich versteckt und sicher, wie das Kind, das sich vor der Umwelt verbirgt, indem es die Hände vor die Augen hält. So fühle ich abends. Am nächsten Morgen – wird mir das Zelt zu eng; die Zeltwandungen, vor Stunden noch Garanten der Sicherheit, nehmen mir die Luft zum Atmen, sie erdrücken mich, und ich habe nichts eiligeres zu tun, als mich der befreienden Grenzenlosigkeit des Außenraumes zu versichern; ich atme tief ein, nehme die Weite in mich auf, werde selbst weit; und dann, als sei es ein Akt der Strafe für die Einengung, zerstöre ich den Raum; ich baue das Zelt ab, verpacke es, schnalle es auf Rucksack und Rücken und weiß: sollte ich den Schutzraum wieder benötigen – ich trage ihn bei mir. . . .
Die Schilderung veranschaulicht den 51. Lehrsatz Spinozas Ethik aus dem siebzehnten Jahrhundert, dass ein und derselbe physische Raumzustand schon auf ein einzelnes Individuum zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich wirken kann und der Gebrauchswert nur temporär und abhängig von emotionaler Verfasstheit und aktueller Bedürfnislage oder Handlungsabsicht betrachtet werden kann.
Einleitung
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In dieser Arbeit soll nun der Gebrauchswert einer gestalteten physischen Umwelt in Zusammenhang mit der zielgerichteten Interaktion von Individuen in einem Dienstleistungskontext untersucht werden. Eine Dienstleistung findet in der Regel innerhalb einer räumlich gegenständlichen Umwelt statt, die mehr oder weniger dafür gestaltet wird. Nerdinger (1994) hat ausführlich eine Psychologie der Dienstleistung behandelt und bemerkt dort (ebd., S. 231) das Fehlen einer empirischen Forschung zur dienstleistungsadäquaten Gestaltung der räumlich gegenständlichen Umwelt, in welcher das gemeinsam geteilte Erleben der Beteiligten an der Dienstleistung zentral ist. Es wird mit der vorliegenden Arbeit ein Weg gesucht, eine gegenständliche, dienstleistungsspezifische Umwelt in einem Zusammenhang zu ihrem Erleben durch die Dienstleistungsbeteiligten erfassbar zu machen; das Erleben dieser Umwelt schließt ihren Gebrauchswert in Bezug auf die Ziele ein, die innerhalb dieser Umwelt angestrebt werden. An der Fallstudie eines Innenraumes für die kommunale Dienstleistung Bürgerbüro einer mittelgroßen Stadt wird das gemeinsam geteilte Erleben in Bezug auf die Eignungswahrnehmung der räumlich materiellen Umwelt analysiert. Gleichwohl Einzelfallstudien methodologische Probleme hinsichtlich der Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse aufweisen, ermöglichen sie eine erste heuristische Annäherung an relevante Variablen und ihrer Zusammenhänge (Boos & Fisch, 1987). Es sollen die spezifischen Gestaltungsparameter für diese Dienstleistungsumwelt in ihrer psychischen Relevanz extrahiert werden, um Ihre Generalisierbarkeit in weiteren Studien validieren zu können; wenn das zu einem Erfolg führt, können die Variablen zu Grundlagen einer Eignungsprüfung entsprechender Umwelten und ihrer zukünftigen Gestaltung werden. Diese Fallanalyse bietet einen günstigen Ausgangspunkt, weil vor der Umgestaltung des betreffenden Bürgerbüros dessen Ziele und Anforderungen über eine nutzerorientierten Programmentwicklung (PE) (vgl. Schuemer, 1998 /// 2004) formuliert werden konnten; die
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Einleitung
Daten dazu waren im Vorfeld der Realisierung des Bürgerbüros in architekturpsychologischer Forschungstradition gewonnen worden. Das Programm war als Teil der Grundlagenermittlung für die Objektplanung für alle Planungsbeteiligten bindend. Es ist eine wiederholte Erfahrung des Verfassers in seiner mehr als 20-jährigen beruflichen Praxis als freischaffender Innenarchitekt, dass der Kenntnisstand von Nutzerbedürfnissen im Entwurfs- und Planungsstadium von Bauvorhaben, insbesondere solcher von Organisationen, sehr eingeschränkt ist. Die Ausgangssituation bei Planungsbeginn ist oftmals dadurch charakterisiert, dass die direkten Nutzer des zu schaffenden Raumes mit seiner Ausstattung in der Regel nicht, zu spät oder in einem nicht zureichenden Ausmaß an einer Programmfindung oder den Planungsbesprechungen beteiligt sind. In der Folge stehen dann Informationen zu einer optimalen Ausgestaltung des Baus gar nicht oder nicht rechtzeitig zu Verfügung; erst zum Zeitpunkt des Bezugsstadiums gelangen die Nutzer im Rahmen der Umzugsvorbereitung oder des Umzuges selbst in Kenntnis des neuen Umfeldes. In der Regel werden dann oder in den ersten Tagen der Nutzung von den Nutzern selbst immer wieder Anforderungen formuliert, deren Kenntnis sich ein Planer bereits frühzeitig gewünscht hätte. Zu diesem Zeitpunkt sind Maßnahmen aus den Anforderungen aus verschiedenen Gründen nicht mehr oder nur mit einem größeren finanziellen und zeitlichen Aufwand zu realisieren. Das führt zu nachträglichen Budgetierungen, die eine Nachfinanzierung zu Folge haben kann, sowie zu Verzögerungen im Bauablauf und gegebenfalls zu einem verspäteten Fertigstellungstermin. Im vorliegenden Fall des Umbaus eines Bürgerbüros sind die Unvollständigkeit der bekannten Nutzungsanforderungen und das Fehlen ihrer gewichteten Integration in ein umfassendes Konzept frühzeitig erkannt worden. Die Tatsache, dass der Verfasser als Innenarchitekt für die Umsetzung des Projektes mitverantwortlich war und es daneben architekturpsychologisch begleiten durfte, gab für die vorliegende Arbeit den Anstoß; die Doppelfunktion mag
Einleitung
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den Blick auf das Thema dieser Arbeit geschärft oder den Blickwinkel eingeengt haben – und vielleicht auch beides. Im ersten Teil I wird das Thema zunächst theoretisch verortet. Die psychologischen Aspekte der Dienstleistungserbringung werden in Anlehnung an Nerdinger (1994) in Abschnitt 2 erläutert, soweit sie das Verständnis um das Wechselspiel zwischen räumlich materieller Umwelt und dem Handlungsgeschehen innerhalb der Umwelt zu vertiefen vermögen und sie außerdem einen Bezugsrahmen für die Bewertung einer Gestaltung der gebauten Umwelt anbieten. Die Ausführungen Nerdingers zu einer Psychologie der Dienstleistung bezieht sich in weiten Teilen auf die Dienstleistungen des Äquivalententausches; den kommunalen Dienstleistungen liegt diese Tauschbeziehung aber nicht zugrunde; einige, wenn auch nicht alle Besonderheiten, die damit verbunden sind, werden in Abschnitt 3 behandelt. Der Zusammenhang zwischen dem Verhalten und der räumlich materiellen Umwelt wird in Abschnitt 4 über den ökobehavioralen Ansatz des Behavior Settings nach Barker (1968) und dem ökopsychologischen Affordanzansatz nach Gibson (1982) hergestellt, und die beiden Ansätze werden über die Argumentation von Heft (2001) in eine Beziehung zueinander gesetzt. Danach ist in Abschnitt 5 zu ergründen, was unter einem gemeinsam geteilten Erleben der Umwelt verstanden werden kann, um diesen Begriff mit einer Definition zu unterlegen; die wird dann dazu führen, das ’gemeinsam geteilte Erleben’ in Abschnitt 6 auch unter einem sozialperspektivischen Blickwinkel zu betrachten. Ein Ergebnis dieser Arbeit soll sein, die gebaute Umwelt in ihrem Bezug zum darin stattfindenden Interaktionsgeschehen evaluieren zu können; die Zusammenhänge sind facettenreich; es bietet sich die Facettentheorie und -methodologie an, um diese Facetten fassen zu können; sie wird in ihren Grundzügen im letzten Abschnitt 7 der theoretischen Verortung beschrieben. Diesem Theorieteil folgend wird dann im zweiten Teil die Fallstudie in Abschnitt 8 vorgestellt; es wird das Verfahren beschrieben, mit dem ein
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Einleitung
nutzerorientiertes Programm entwickelt wurde (Abschnitt 8.1), sowie dessen struktureller Aufbau (Abschnitt 8.1.4) und die Ergebnisse (Abschnitt 8.1.5); in dem Ergebnisabschnitt sind auch die kategorialen Probleme erläutert, die sich aus dem strukturellen Aufbau des Programms ergeben, und die dazu beitragen, mit dieser Arbeit eine begründbare kategoriale Ordnung von Umwelt- und Bewertungsfacetten finden zu wollen. Im zentralen Fokus dieser Arbeit steht in Abschnitt 9 die Entwicklung der Umwelt- und Bewertungsfacetten, die einen Fragebogen begründen können, und ihre Darstellung in einem Facettenstrukturmodell. Der Weg dahin beginnt mit einer Darstellung des Behavior Setting ’Bürgerbüro’ (Abschnitt 9.1); er führt in Abschnitt 9.2 weiter über die Reformulierung der Ziele und Anforderungen aus der nutzerorientierten Programmentwicklung als Affordanzen der Umwelt und ihre Zuordnung einerseits zu den Umweltmerkmalen als ihre Träger und andererseits zu ihren inhaltlichen Bezügen auf das Settinggeschehen. In den beiden folgenden Abschnitten werden dann die Umweltmerkmale (Abschnitt 9.3) und ihr Affordanzcharakter (Abschnitt 9.4) struktur- und inhaltsanalytisch ausgewertet; insbesondere in der Analyse des Affordanzcharakters wird auf relevante kognitions- und umweltpsychologische Konzepte rekurriert; für die Aspekte der Orientierung ist es erforderlich, einen ausführlichen Exkurs zu Konzepten der Raumkognition und pragmatischer Anwendungsgebieten einzubinden; die Forschung dazu hat sich besonders in den vergangenen beiden Dekaden intensiviert und es gibt noch kaum einen zusammenfassenden Überblick. Die Facetten der gebauten Umwelt und ihrer Affordanzen sind in Abschnitt 10 in einem Facettenstrukturmodell zusammenhängend dargestellt; im Anschluss werden die Beziehungen der Modellelemente diskutiert. Nach dieser Vorarbeit beginnt der Erhebungsteil der Fallanalyse (Abschnitt 11) mit den Erhebungszielen (Abschnitt 11.1) und Erhebungs- und Auswertungsmethoden (Abschnitt 11.2 und 11.3). Aus dem Facettenstrukturmodell ist dazu in Abschnitt 11.2.1
Einleitung
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der facettentheoretische Abbildungssatz abgeleitet. Es folgen die Ergebnisdarstellung der Evaluation in Abschnitt 12 und die Diskussion in Abschnitt 13 sowohl des Facettenstrukturmodells und seiner Perspektivendifferenzierung (Abschnitt 13.1) als auch der Erhebungsergebnisse (Abschnitt 13.2). Abbildungen und Tabellen, die den Lesefluss der Arbeit zu beeinträchtigen drohen, sind in den Anhang gefügt; auf sie wird an den jeweiligen Textstellen verwiesen. Dort ist auch ein umfangreicher Exkurs in die Orientierungsforschung der vergangenen Jahre untergebracht (Anhang A.5); er ist für eine Verständnisvertiefung aller Aspekte der Orientierung nützlich, und auf ihn wird an einigen Textstellen verwiesen; er muss aber nicht unbedingt gelesen werden, um den leitenden Überlegungen zu Orientierungsaffordanzen folgen zu können.
Teil I
Theoretischer Hintergrund
1 Theoretische Ansätze im Überblick Der Ausgangspunkt der theoretischen Vorarbeit ist Nerdingers Forderung (1994, S. 231), ein Modell der Umwelt-Nutzerbeziehung im Dienstleistungsbereich sei an einer für die Dienstleistungserbringung charakteristischen doppelten Interaktion auszurichten. Er versteht darunter den wechselseitigen Abstimmungsprozess zwischen einer dienstleistenden und einer bedienten Person im Verlauf der Dienstleistungserbringung. Der Prozess findet in einer Umwelt statt und steht mit dieser über das Umweltverhalten und -erleben der Interaktionsbeteiligten in einer Beziehung. Für den Praxisbezug eines solchen Modells sei es wichtig, dass es „auf einer molaren Ebene konzipiert“ sei und „am gemeinsam geteilten Erleben der Umwelt“ ansetze (zit. n. ebd., Hervorhebung im Original). In der vorliegenden Arbeit ist es von Interesse, welche Aspekte einer räumlich dinglichen Umwelt für diese Beziehung relevant sind und wie sie operationalisiert werden können; dazu sind sie auf die Merkmale des Interaktionsprozesses und seiner Anforderung an eine Gestaltung der räumlich-dinglichen Umwelt hin zu beziehen. Dem Aspekt des gemeinsam Geteilten wird sich in sozialperspektivischer Methodik angenähert, nachdem zunächst umrissen wird, was unter einem gemeinsam geteilten Erleben verstanden werden kann. Die Arbeit ist damit in verschiedenen Disziplinen der Psychologie verortet. Für die Dienstleistungsarbeit hat Nerdinger eine Psychologie der Dienstleistung entwickelt, die er als © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_2
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1 Theoretische Ansätze im Überblick
einen Beitrag zur wirtschaftspsychologischen Grundlagenforschung sieht (Nerdinger, 1994, S. 13). Die Umwelt-Nutzerbeziehung ist zentrales Thema der Umweltpsychologie und ihres Zweiges der Architekturpsychologie, da es in diesem Fall um gebaute Umwelten geht. Sowohl in wirtschafts- als auch in umweltpsychologischer Forschung werden zur Begründung individuellen Handelns immer wieder genuin sozialpsychologische Konzepte herangezogen – wie beispielsweise die Theorie geplanten Handelns (Ajzen, 1985) oder das Norm-Aktivations-Modell (Schwartz und Howard, 1981). Aber auch darüber hinausgehend ist die Beziehung zwischen Umweltpsychologie und Sozialpsychologie so eng, dass Linneweber1 die provokante Frage C.F. Graumanns berichtet, „ob bei einer hypothetischen Rekonfiguration und Resystematisierung psychologischer Teildisziplinen die Umweltpsychologie Teil der Sozialpsychologie oder — umgekehrt — die Sozialpsychologie Teil der Umweltpsychologie würde“ (zit. n. Linneweber, 2008, S. 165) . Der sozialpsychologische Aspekt in dieser Arbeit besteht in dem transaktionalen Zusammenhang räumlich-dinglicher Umweltmerkmale zu dem dyadischen, interaktionalen Prozess der Dienstleistungserbringung. Auch eine sozialperspektivische Herangehensweise, in der die Wahrnehmung von Umwelteignung durch die Interaktionspartner direkt- und metaperspekti1
Linneweber (2008) geht unter dem Thema ’Umwelt in der Sozialpsychologie’ auf dieses Gedankenspiel ein und vergleicht die Forschungsprofile beider Fachrichtungen. Er zerlegt dazu das transaktionale Konzept der Umweltpsychologie (vgl. auch das Modell von Altmann und Lett in Abschnitt 5.4) in die unidirektionalen Richtungen von Umwelt-Person- und Person-Umwelt-Einflüssen und systematisiert sozialpsychologische Analysen der „Bedingungen von Erleben, Verhalten und Interaktionen“ und des „Einflusses menschlichen Verhaltens auf Umwelten“ auf den Dimensionen „Aggregatniveau/Komplexität“ (Individuum- vs. Gruppenebene) und „zeitliche Erstreckung“ (kurzfristig vs. langfristig).
17 visch verglichen werden kann, ist in der Sozialpsychologie grundgelegt und findet wirtschaftspsychologische Anwendung2 . Den Ordnungsrahmen der Beziehungs- und Interaktionsgestaltung bietet Nerdingers (1994) Dienstleistungsdyade (Abb. 2.1.1). Deren zentrales Element ist die dyadische Beziehung zwischen Dienstleister und Bedientem in ihrer Ausrichtung auf die Problemlösung hin. Die Dienstleistungserbringung erfolgt sowohl auf der instrumentellen Ebene einer Problemlösung als auch auf einer sozialen, nämlich Beziehungsebene; ein Dienstleister kann nur unter Mitwirkung des Bedienten dessen Problem bearbeiten. Die Beziehung zwischen beiden ist nach diesem Modell konstitutiv für die Dienstleistungserbringung. Das Modell mit seiner Erweiterung auf die Ebene der Organisation und die relevanten Aspekte instrumentellen und sozialen Handelns wird im Abschnitt 2 beschrieben und die kommunale Dienstleitung von der Dienstleistung im Rahmen eines Äquivalententausches in Abschnitt 3 unterschieden. Eine Verbindung des sozialen und instrumentellen Dienstleistungshandelns mit der räumlich physischen Umwelt (Abschnitt 4) wird einerseits über das Behavior-Setting-Konzept Barkers (1968) hergestellt. Es beschreibt Verhalten als von einer physischen Umwelt hervorgerufen oder moduliert; die Umwelt wiederum ist für ein jeweils bestimmtes Setting gestaltet. Das Verhalten (oder Handeln) innerhalb dieser spezifischen Umwelt ist unabhängig davon, wer es ausführt. Barker nennt dies eine Synomorphie von physischer Umwelt und Verhalten. Andererseits wird auf Gibsons (1982) Affordanzansatz zurückgegriffen, dem eine phänomenologische Annäherung an die Umweltwahrnehmung zugrunde liegt; physische Umwelt enthält danach auf das Individuum hin wirksame Verhaltensangebote; Gibson bezeichnet sie in eigener Wortschöpfung als ’affordances’, deren Übersetzung 2
z.B.: 360°-Feedback, u.a. . . .
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1 Theoretische Ansätze im Überblick
in die deutsche Sprache sich mit ’Affordanz’ etabliert hat. Eine Ermutigung, diese beiden Konzepte zu verbinden, wird bei Heft (2001) gefunden, der eine Zusammenführung des Behavior-Setting- und des Affordanzansatzes theoretisch begründet. Der inhaltliche Gehalt eines gemeinsam geteilten Umwelterlebens der Dienstleistungsbeteiligten und die Unterschiedenheit der jeweils angetroffen angesichts der antreffbaren Umwelt wird in Abschnitt 5 bestimmt. Eine erfolgreiche Beziehungsgestaltung basiert auf einer situationsadäquaten gegenseitigen Perspektivenübernahme durch die an der Beziehung Beteiligten (vgl. Strack, 2004, S. 6-7, zu Value-Fit und sozialem Einfluss in Beziehungen). Die Situation findet sich auch in der Erweiterung des dyadischen Modells durch Einbezug der Dienstleistungsorganisation zur Dienstleistungstriade (Abb. 2.1.2); im Auftrag der Organisation vollzieht der Dienstleister seine Arbeit; sie stellt der Dyade den Rahmen zur Leistungserbringung bereit. Ein Teil dieses Rahmens ist die räumlich physische Umwelt (rpU), innerhalb derer die Dienstleistung erbracht wird und die Begegnung der Beteiligten stattfindet; sie muss sich an der zwischen Dienstleister und Bedienten gemeinsam geteilten Wahrnehmung ihrer Instrumentalität für eine als erfolgreich wahrgenommene Leistungserbringung messen lassen (vgl. Nerdinger, 1994, S. 231 u. 232). So es um gemeinsame geteilte Wahrnehmung geht, sind die Perspektiven der Interaktionspartner auf die Sachverhalte der gemeinsamen Wahrnehmung und mehr oder weniger akkurate wechselseitige Perspektivübernahmen angesprochen; hier bietet sich der sozialperspektivische Ansatz (Strack, 2004) als mögliches Werkzeug an, einen Beitrag zur Beurteilung der gebauten Umwelt zu leisten. Das wird in Abschnitt 6 behandelt und anschließend im Abschnitt 7 die Facettentheorie als Grundlage der Erhebungsmethode vorgestellt.
2 Interaktion in der Dienstleistung 2.1 Dyadisches und triadisches Strukturmodell Nerdinger (1994)beschreibt die psychologischen Dimensionen einer Dienstleistung auf dem Hintergrund eines dyadischen und triadischen Strukturmodells zwischen Dienstleister und Bedientem sowie der Dienstleistungsorganisation. Das dyadische Modell (Abb. 2.1.1) stellt darin die unmittelbare Beziehung zwischen Dienstleister und Bedientem als kleinste Einheit der Dienstleistungsbeziehung dar. Der Dienstleister ist aufgrund seiner spezifischen Qualifikation in der Lage, instrumentell auf ein seiner Qualifikation entsprechendes Problem lösend einzuwirken; in dem Modell ist das über den gerichteten Pfeil vom Dienstleister auf das Problem hin bezeichnet. Zwischen Bedientem und Dienstleister kommt es zu einer wechselseitigen sozialen Interaktion – im Modell durch den wechselseitig gerichteten Pfeil zwischen Dienstleister und Bedientem repräsentiert –, weil dem Bedienten einerseits Qualifikation oder andere Ressourcen zur Lösung des ihm zugehörigen Problems fehlen, und andererseits der Dienstleister das Problem instrumentell nur dann lösen kann, wenn der Bediente in angemessener Weise an der Problemlösung mitwirkt; die Problemzugehörigkeit ist in der Grafik über die durchgehende Linie gekennzeichnet. Da der Bediente zu einer Problemlösung selber mitwirken muss, sind Abstimmungsprozesse © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_3
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Abbildung 2.1.1: Dienstleistungsdyade nach Nerdinger (1994, S. 60)
zwischen den Beteiligten in instrumenteller Hinsicht erforderlich, die aber über soziale Handlungen organisiert sind. Soziale Handlungen richten sich intentional auf Subjekte und orientieren sich an den Regeln der Gestaltung der sozialen Beziehung; instrumentelle Handlungen dagegen sind objektbezogen und auf die technische Bearbeitung der Problemlösung ausgerichtet. Den wechselseitigen Abstimmungsprozess zwischen den Akteuren sieht Nerdinger als eine für jede Dienstleistung charakteristische doppelte Interaktion; er bezieht sich damit auf Weicks (1985; zit. n. Nerdinger, 1994) Konzept ’ineinandergreifenden Verhaltens’, dessen Ausgangspunkt wiederum Floyd Allports Konzept des ’doppelten Interaktes’ ist (Nerdinger, 1994, S. 66). Durch die wechselseitigen sozialen Handlungen entsteht eine Beziehungsebene im kommunikationspsychologischen Sinn (Watzlawick et al., 1969, zit. n. Nerdinger 1994, S. 61).
2.1 Dyadisches und triadisches Strukturmodell
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Neben diesem Abstimmungsprozess finden weitere soziale Handlungen der Höflichkeit und Achtungsbezeugung in verbaler und nonverbaler Weise statt, die dem Gegenüber zeigen, dass mit den instrumentell einwirkenden Handlungen die Integrität der Persönlichkeit nicht verletzt werden soll. Gerade diese Handlungen aber weisen darauf hin, dass der Gebrauchswert in der Dienstleistung – und deren Erleben – nicht nur von der Erfahrung einer instrumentellen Problemlösung bestimmt wird, sondern ebenso durch die Erfahrung eines Gegenübers in einem untrennbaren Zusammenspiel von instrumentellen und sozialen Handlungen; Dienstleistungsqualität ist daher wesentlich eine Erfahrungsqualität. Nerdinger expliziert es nicht ausdrücklich, bindet aber über das gemeinsam geteilte Erleben der Dienstleistungsumwelt die Erfahrung der räumlich physischen Umwelt, in welcher die Handlungen stattfinden, als ebenso untrennbar damit verbunden ein. Im triadischen Modell (Abb. 2.1.2) ist die Dyade Dienstleister – Bedienter um die Organisation ergänzt, welcher der Dienstleister angehört, und über die der Bediente die Leistungen des Dienstleisters in Anspruch nimmt. Neben vielfältigen anderen Beziehungen der Organisation einerseits zum Dienstleister und andererseits zum Bedienten stellt die Organisation beiden eine geeignete räumlich physische Umwelt (rpU) zur Problemlösung zur Verfügung. Die Abbildung zeigt die für diese Arbeit relevanten Beziehungen. In der Darstellung wurde auch eine durchgehende Linie zwischen der Organisation und dem Problem, das im Fall dieser Arbeit ein Verwaltungsakt ist, ergänzt. Sie symbolisiert die Verursachung des Verwaltungsaktes durch die kommunale Organisation im Dienst ihre gesellschaftspolitischen Aufgabe. Diese Beziehung existiert in gewinnorientierten Dienstleistungsorganisationen nicht, denn ihnen liegt der Äquivalententausch ’Geld gegen Leistung’ zugrunde, und auf sie bezieht sich Nerdinger im wesentlichen. Insofern stellt sie eine Besonderheit dar, und in den Abschnitten 3.1 und 3.2 wird auf zwei ihrer Implikationen eingegangen.
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Abbildung 2.1.2: Dienstleistungstriade nach Nerdinger (1994, S. 72), modifiziert
2.2 Instrumentelles Handeln Im dyadischen Modell wird zwischen instrumentell und sozial einwirkenden Handlungen unterschieden; instrumentelle Handlungen sind intentional auf die Problemlösung hin ausgerichtet und zielen auf Objekte. Darunter werden nicht nur Gegenstände, sondern auch Körper und Psyche des Gegenübers verstanden, sofern sie Gegenstand einer technischen Einwirkung zur Problemlösung im Sinn der jeweiligen Regeln der Kunst sind (beispielsweise
2.3 Interaktionsformen
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in der Physiotherapie oder Psychotherapie). Die instrumentellen Handlungen bezeichnen Handlungen vorwiegend der dienstleistenden, aber auch der bedienten Person im Rahmen ihrer Mitwirkung, zum Zweck der technischen oder handwerklichen Problemlösung (Nerdinger, 1994, S. 64-65). In der Arbeitspsychologie werden die innerpsychischen Prozesse, die das zielgerichtete Arbeitshandeln begleiten, über Hackers Tätigkeitstheorie (Hacker, 1986, in Nerdinger, 1994) beschrieben. Allerdings ist damit in der Dienstleistungsarbeit nicht die kommunikative Abstimmung zwischen den am Arbeitsprozess Beteiligten erklärbar (Oestereich und Resch, 1996; Hacker, 1991, zit. n. Nerdinger 1994); sie ist Gegenstand der nachfolgenden Abschnitte 2.3 bis 2.6.
2.3 Interaktionsformen Das dyadische Modell der Dienstleistungsbeziehung stützt sich unter anderem auf Piontkowskis Definition sozialer Interaktion. Diese liegt dann vor, wenn ... „... zwei Personen in der Gegenwart des jeweils anderen auf der Grundlage von Verhaltensplänen Verhaltensweisen aussenden und wenn dabei die grundsätzliche Möglichkeit besteht, dass die Aktionen der einen Person auf die der anderen Person einwirken und umgekehrt“ (Piontkowski, 1976; zit. n. Nerdinger, 1994) Als kleinste und grundlegendste Interaktionseinheit der instrumentellen und sozialen Interaktion im Rahmen einer Dienstleistung wird Floyd Allports doppelter Interakt angesehen; darunter wird ein sequentielles Ineinandergreifen von Verhaltensweisen zweier Personen verstanden, in dem das Verhalten der einen Person das der anderen bestimmt. Am Beispiel einer Interaktion
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2 Interaktion in der Dienstleistung
an der Kinokasse illustriert Nerdinger, dass die Interaktion durchaus auch auf einen einzigen doppelten Interakt beschränkt sein kann: „Ein Bedienter sagt ’Sperrsitz’, der Dienstleister reißt die entsprechende Karte ab und überreicht sie dem Bedienten. Dieser bezahlt, nimmt die Karte und geht.“ (1994, S. 66) Die Handlung des Bedienten führt hier zur Reaktion des Dienstleisters und diese wiederum zu einem reaktiven Antworthandeln des Bedienten. Dieses Beispiel illustriert neben einem doppelten Interakt auch eine Pseudointeraktion in der Klassifikation nach Jones und Gerard (1967; zit. n. Nerdinger, 1994, S. 67). Diese sind durch eine hohe Übereinstimmung der Verhaltenspläne der Interaktionspartner gekennzeichnet; die Verhaltenspläne orientieren sich wiederum an individuell klar vorbestimmten Zielen, und der Verhaltensverlauf wird durch Verhaltenssignale oder Stichworte in vorhersehbarer Weise organisiert. Weitere Interaktionsklassen sind die asymmetrische, reaktive und die totale Interaktion. Asymmetrisch ist eine Interaktion, in der eine Person ein dominantes Verhaltensprogramm absolviert und der andere zwar darauf reagiert, das Verhaltensprogramm des Interaktionspartners aber nur wenig beeinflussen kann, wie es beispielsweise bei ärztlichen Untersuchungen der Fall ist. Als reaktive Interaktionen werde solche bezeichnet, in denen eine gleichberechtigt wechselseitige Orientierung an dem Verhalten der Anderen stattfindet, aber kein direktes Ziel verfolgt wird und die Interaktionen gewissermaßen ungerichtet sind. Beispielhaft dafür ist der ’small talk’. In der totalen Interaktion findet ein zielorientiertes und reaktives Verhalten in gleichberechtigter Weise und wechselseitiger Abstimmung mit dem Interaktionspartner statt, wie beispielsweise in beratenden oder vielen psychotherapeutischen Dienstleistungen. Die Interaktionsformen, welche überwiegend in den Dienstleistungen des Bürgerbüros vorliegen und im Zusammenhang mit dieser Arbeit von
2.4 Soziale Organisation der Interaktion
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Interesse ist, sind nach dieser Klassifikation die Pseudointeraktion und die asymmetrischen Interaktion. Beispielsweise reichte eine rudimentäre Aussage des Bürgers ’Reisepass’, um eine Kaskade programmgemäßer Aktionen und Reaktionen der Interaktionspartner in Gang zu setzen an deren Ende der Bürger einen neuen Reisepass oder den alten verlängert erhält. Eine mehr asymmetrische Interaktion setzt dann ein, wenn ein Wohngeldantrag gestellt wird und die sachbearbeitende Person zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der gewünschten Leistung überhaupt vorliegen1 . Außerdem findet der ’small talk’ als reaktive Interaktionsform, die viele Dienstleistungen begleiten kann, auch im Bürgerbüro statt.
2.4 Soziale Organisation der Interaktion Die Organisation der Interaktion auf sozialer Ebene wird über das Rollenkonzept beschrieben, das in einem allgemeinsten Konsens als ein „Bündel normativer Erwartungen an den Inhaber einer sozialen Position“ (Nerdinger, 1994, S.70) definiert werden kann; eine Rolle im Dienstleistungszusammenhang kann nur in Bezug zu einer anderen komplementären Rolle, beispielsweise Arzt/ Patient, Käufer/Verkäufer und hier: Sachbearbeiter Bürgerbüro/Bürger, verstanden werden; beide sind über die normativen Erwartungen an das jeweilige Rollenverhalten wechselseitig aufeinander bezogen. Der normative 1
Es wäre lohnenswert, aber im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, diese Klasse der Dienstleistung in ihrer Besonderheit gegenüber anderen Dienstleistungen einmal zu untersuchen; die vom Bedienten unmittelbar erlebte Leistung des Dienstleisters besteht darin, eine gesetzlich zugesicherte Leistung gewährt oder versagt zu bekommen. Eine regelgerecht ausgeführte Dienstleistung besteht in der Prüfung der Leistungsvoraussetzungen; sie wird im Ablehnungsfall beim Bedienten nicht zu einer Wahrnehmung führen, bedient worden zu sein, sondern viel eher zu einem Gefühl (in einem idiomatischen Sprachgebrauch wohlwollend formuliert) bedient zu sein.
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Charakter des Rollenverständnisses ermöglicht eine Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit im Handlungsablauf und wechselseitigen Umgang und damit ein Vertrauen in den Rolleninhaber, ohne sich von dessen persönlicher Identität vorher überzeugen zu müssen (Müller, 1991; zit. n. Nerdinger, 1994, S. 70). Es gibt allerdings differenzielle theoretische Ansätze, wie diese normativen Erwartungen die Interaktionen steuern. Der struktur-funktionalistische Ansatz geht davon aus, dass sich die Inhaber einer sozialen Position an gesellschaftlich geteilten Werten orientieren. Normen werden als eine besondere Klasse von Werten angesehen; sie sind über den Sozialisationsprozess internalisiert und ihre Nichteinhaltung ist sanktioniert; damit sind sie verhaltenssteuernd wirksam (Habermas, 1981, zit. n. Nerdinger, 1994. S 102). Außerdem wird angenommen, dass Konformität mit gesellschaftlichen Normen belohnt und damit zu einem individuellem Bedürfnis wird, das für das Individuum handlungsmotivierend ist (Joas, 1992, zit. n. ebd. S. 103). Die normorientierten Handlungen werden über Rechte und Pflichten gesteuert, die mit einer jeweiligen Rolle und ihrem Komplementär verbunden sind. Parsons - sein Name ist eng mit dem struktur-funktionalistischen Rollenbegriff verbunden - hat 1951 anhand einer Arzt-Patient-Beziehung diese wechselseitige Verzahnung der komplementären Rollen beschrieben (zusammenfassend, Nerdinger, 1994, S. 102 ff. ). Normen bilden einen Erwartungsrahmen, innerhalb dessen die Interaktion der Rollenpartner stattfindet; sie sind jedoch nicht allein oder aber nur graduell verhaltensdeterminierend. Der strukturfunktionalistische Ansatz der Rollentheorie erklärt nur diesen formalen, normengebundenen Anteil der Interaktion. Das symbolisch-interaktionistische Verständnis bezieht sich daneben auch auf den informellen Teil; es baut auf George Herbert Meads Gedanken der Rollenübernahme auf und erweitert diesen um die Aspekte der Rollendistanz und der Rollenausgestaltung. Normen bieten auch hier einen Rahmen, der aber weit gesteckt ist und nur die akzeptablen Reaktionen innerhalb einer Interaktion umgrenzt. Wesentlich
2.4 Soziale Organisation der Interaktion
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aber wird die Beziehung der Interaktionspartner untereinander ausgehandelt, nämlich ihre jeweilige soziale Identität und die Definition der Situation, wie beispielsweise Ziele, Erwartungen und die in der Interaktion beiderseits verbindlichen Normen; die Rollen entstehen erst über diesen informellen Aushandlungsprozess. Dazu ist die Fähigkeit zur Antizipation des situationsspezifischen Verhaltens des Interaktionspartners, nämlich die der Rollenübernahme, eine wichtige Voraussetzung. Auf kognitiv-emotionaler Ebene sind das die Fähigkeiten des Perspektivwechsels und der Empathie. Das Verhalten oder auch die Erwartungshaltung des Interaktionspartners antizipieren zu können, führt aber nicht gleich zu erwartungskonformen eigenem Verhalten. Hier formuliert der symbolisch-interaktionistische Ansatz über das Konzept der Rollengestaltung die Möglichkeit eines individuellen und situationsspezifischen Handlungsspielraumes innerhalb der Rolle. Außerdem erfordert ein Verhaltensstrom, der keine „bewusstlose Konformität mit den Rollenerwartungen durch eine vorgängige Internalisierung der zugeordneten Wertorientierungen“ (Joas, 1991; zit. n. Nerdinger, 1994, S. 114) ist und auch eigenen Bedürfnisse und Zielen Rechnung trägt, eine Distanzierung zu Erwartungen, die an die Rolle geknüpft sind, die Rollendistanz. Beispielhaft für Dienstleistungen, in denen eine Rollendefinition nach dem symbolisch-interaktionistischen Rollenverständnis gemeinsam ausgehandelt werden, nennt Nerdinger Beratungsleistungen in freier Wirtschaft oder im psychotherapeutischen Zusammenhang. Die Rollentheorie ist soziologisch orientiert; normenreguliertes
(struktur-funktionalistisches)
oder
interpretatives
(symbolisch-
interaktionistisches) Handeln in Rollen erfordert aber eine Struktur der Performanz auch auf individueller Ebene. In Bezug auf das normenorientierte Handeln war bisher die verhaltenssteuernde Wirkung rollenverbundener
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Erwartung über Belohnung und Bestrafung angesprochen. Nach einem anderen Konzept, das sich auf kognitionspsychologische Prozesse bezieht, wird das Verhalten über die kognitive Repräsentation eines Drehbuchs, eines Skripts gesteuert. Das wird im nachfolgenden Abschnitt 2.5 behandelt.
2.5 Kognitive Organisation der Interaktion: Das Skriptkonzept Das Konzept des Skriptes geht auf Abelson zurück und bezeichnet eine „kohärente Sequenz von Ereignissen, die ein Individuum erwartet und in der es als Teilnehmer oder Beobachter involviert ist“ (1981, zit. n. Nerdinger 1994, S.109). Es wurde im Rahmen der Forschung zu künstlicher Intelligenz entwickelt, bietet sich aber, so sieht es Nerdinger auch mit Bezug auf Solomon, Surprenant, Czepiel und Gutman (1985), einer Verknüpfung zur Rollentheorie und für eine Analyse von Dienstleistungsbeziehungen an, indem es die Rolleninhaber und Dienstleistungspartner auf einer individualpsychologischen Ebene in den Blick nimmt. Ein Skript wird im Verlauf des Lebens durch aktive Teilnahme, in der Beobachtung oder durch Berichte Anderer erlernt und dient im Sinn eines ’Drehbuchs’ sowohl zur Interpretation der Situation als auch als Handlungsentwurf und Handlungsanweisung, also der Handlungsplanung (Kruse, 1986). Ein Dienstleistungsskript bildet eine kontextbezogene Ereignis- oder Verhaltenssequenz des Dienstleistungsgeschehens aus der Perspektive eines der Rolleninhaber ab; Komplementärrollen und kontextuelle Ausstattung sind konstitutiver Bestandteil eines solchen Skriptes; es ist für den Bedienten ein anderes als das für den Dienstleister und bezieht sich dennoch auf eine gemeinsame Situation. Das Skript ermöglicht dem
2.5 Kognitive Organisation der Interaktion: Das Skriptkonzept
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Rolleninhaber, die Reizkonfiguration einer standardisierten Situation unmittelbar zu interpretieren und sich in ihr über hinweisreizgebundene Ziele und Handlungspläne kompetent und mit einem hohem Automatisierungsgrad zu bewegen. Teile der Handlungsanweisungen beziehen sich dabei auch auf grundlegende soziokulturelle Werte und sind normativ abgesichert2 . Kruse (1986, S. 144 ff.) sieht in dem Skript die psychologische und insbesondere kognitive Repräsentanz eines Barkerschen soziokulturell definierten Behavior Settings (siehe Abschnitt 4.1). Ein Behavior Setting beinhaltet dann eine standardisierte Reizkonfiguration, die skriptgesteuertes Verhalten auslöst. Mit dem Skriptkonzept können Handlungsroutinen in Dienstleistungssituationen gut erklärt werden; sobald diese Routinen durchbrochen werden, sieht Nerdinger (1994, S. 113) ein Mindestmaß an Einfühlungsvermögen in das Verhalten anderer erforderlich, welches wiederum ein wesentliches Merkmal der ’Rollenübernahme’ ist und damit das symbolisch-interaktionistische Verständnis der Rollentheorie reflektiert, sowie eine totale Interaktion zur Folge hat. Besonders der Dienstleister muss mit einem Bedientenverhalten rechnen, das von der Routine abweicht; während er selber mit der spezifischen Dienstleistungsinteraktion vertraut ist, kann das vom Bedienten nicht angenommen werden; für diesen kann die Inanspruchnahme der Dienstleis2
Nerdinger (1994, S. 110 ff) stellt eine Unklarheit im Rollenbegriff des Skriptkonzeptes fest; das struktur-funktionalistische Rollenverständnis kann nicht gemeint sein, denn das erklärt Rollenverhalten normgebunden und definiert den Begriff einer Norm über internalisierte soziokulturelle Werte. Zielgerichtete Handlungspläne sind damit nicht erklärbar, sondern nur die Form ihrer Umsetzung zum Beispiel im Umgang mit Höflichkeit und Gleichbehandlung in Restaurantsituationen (Goffmann, 1983, in ebd, S. 111). Der interpretative Ansatz kann aber ebenfalls nicht gemeint sein, denn danach würde eine situative, den Rolleninhabern gemeinsame Bedeutung erst interaktiv zwischen beiden Partnern über wechselseitig gegeneinander gerichtete Ansprüche erarbeitet (Joas, 1991 in ebd. S. 110). Situative Bedeutung und Handlungsplan ist dem Skript aber bereits inhärent und bedarf keiner weiteren Aushandlung. Der Verfasser vertritt die Ansicht, dass zwischen normativ und frei ausgehandelten Rollen Abstufungen der Freiheitsgrade existieren (vgl. auch den nachfolgenden Abschnitt 2.6).
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2 Interaktion in der Dienstleistung
tung häufig, gelegentlich und selten oder aber ein solitäres Ereignis sein.3 Ein Geübtsein und eine Vertrautheit des Dienstleisters mit der Dienstleistungsinteraktion bedingen eine psychologische Asymmetrie zwischen den Interaktionsbeteiligten, aus der Nerdinger eine „situativ bedingte Asymmetrie der Rollenübernahme“ folgert, „da die Antizipation von Erwartungen von Bedienten für Dienstleister eine wesentliche psychologische Voraussetzung für die reibungslose Erfüllung ihrer beruflichen Ziele darstellt. Wollen sie nicht allein darauf vertrauen, dass Bediente sich an den gesellschaftlich definierten Rechten und Pflichten orientieren bzw. nach denselben Skripts agieren wie sie, dann müssen sie versuchen, selbst die Interaktion in ihrem Sinne zu steuern.“ (Nerdinger, 1994, S. 119) Es muss aber auch von einer Informationsasymmetrie (Akerlof, 1970) aufgrund des fachspezifischen Wissens oder Könnens des Dienstleisters ausgegangen werden; dessentwegen sucht der Bediente den Dienstleister ja explizit auf. In dem Maß, in dem die Problemlösung eine Mitwirkung des Bedienten erfordert, muss der Dienstleister die Interaktion auch auf dieser Ebene steuern4 . Auf den Unterschied zwischen der Erwartung an das Handeln innerhalb einer Rolle und dem tatsächlichen Handeln und dessen Steuerung geht der folgende Abschnitt 2.6 ein. 3
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Dieser Aspekt begründet auch die bereits zu Beginn dieses Abschnitt angesprochene Aufenthaltsdauer in der räumlich-physischen Dienstleistungsumwelt und ihrer wahrgenommenen Zugehörigkeit. Ein Aspekt den Nerdinger in diesem Zusammenhang nicht explizit erwähnt, der aber unmittelbar aus seinem dyadischen Modell abgeleitet werden kann.
2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
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2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung Die beiden vorhergehenden Abschnitte hatten die soziale und kognitive Organisation der Interaktion in Dienstleistungen zum Thema. Ein bestimmtes Handeln sowohl eines Interaktionspartners wie auch des eigenen wird gemäß einer sozial genormten Rollenverteilung und einer damit verbundenen Sequenz zusammenhängender Ereignisse oder Interaktionen erwartet. Die Erwartungen beziehen sich auf einen mehr oder weniger breit gesteckten Handlungsrahmen. Normative Sequenzen sind eher skriptgesteuert und mit der Erwartung eines Handlungsrahmens geringen Freiheitsgrades verbunden; sie entsprechen dem struktur-funktionalistischen Rollenverständnis. Die hierfür prägnanteste Interaktionsform ist die Pseudointeraktion. Zunehmende Freiheitsgrade in der Handlungserwartung entsprechen gleichermaßen zunehmend dem symbolisch-interaktionistischen Rollenverständnis; die Steuerung allein über Handlungsskripte nimmt ab. Über eine Informationsasymmetrie und die Asymmetrie der Rollenübernahme sind die Freiheitsgrade bei Dienstleister und Bedientem ungleich und zugunsten des Dienstleisters verteilt. Die asymmetrische Interaktion ist dafür charakteristisch. Berufsbedingt ist der Dienstleister über seinen Wissensvorsprung und die Antizipation der Erwartung des Bedienten in der Lage die Wahrnehmung und das Verhalten des Bedienten zu beeinflussen und die Situation zu kontrollieren. An diesem Steuerungspotential wird die „prinzipielle Differenz zwischen Erwartung und Handeln, zwischen Rolle und Rollenspiel“ (Nerdinger, 1994, S. 119, Hervorhebung im Original) erkennbar. Das Handeln in der Dienstleistungsbeziehung erfolgt über verbale und nonverbale Kommunikation; über diese Mitteilungen werden wechselseitig
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Verhaltenserwartungen vermittelt. Nerdinger (ebd.) verweist auf das herkömmliche Sender-Empfänger-Schema der Kommunikation und schreibt den Beteiligten eine eindrucksbildende Sensibilität (Empfängerseite) und ausdrucksgestaltende Expressivität (Senderseite) für verbale und nonverbale Mitteilungen zu; die Sensibilität für Mitteilungen sieht er ebenfalls im Konzept der Rollenübernahme und der Empathie formuliert. Die Expressivität ist dagegen in der Theorie es dramaturgischen Handelns, das auf Goffmann (1969) zurückgeht, thematisiert, aber auch im Konzept des impression-managments . Für sich genommen können diese Konzepte aber nicht allein das Handeln insbesondere der Dienstleister erklären, das neben dem instrumentellen und problemlösenden Handeln wesentlich auf eine Herstellung der Kontrolle über die Situation zielt. Das Konzept der kognitiven Kontrolle führt hier weiter. Bezüglich der verbalen Kommunikation fokussiert Nerdinger die kommunikativen Probleme, denen Dienstleister ausgesetzt sind, und schließt aus einem Vergleich von Forschungen zu kritischen Interaktionsereignissen in Dienstleistungen, dass „Bediente eher selten dazu bereit sind, sich in die Rolle der Dienstleister zu versetzen und dass umgekehrt die Interaktionen dann problematisch werden, wenn Dienstleister sich zu wenig in die Bedienten einfühlen können.“ (Nerdinger, 1994, S. 124) Der situative Vorsprung der Dienstleister einer Rollenübernahme sei auch nicht automatisch mit dem tatsächlichen Verhalten gleichzusetzen. Entscheidend aber für das Erleben der Interaktion aus Sicht der Bedienten seien die Reaktionen der Dienstleister auf Fehler, sowie ihre Handlungen, die über Gewohntes hinausgehen.
2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
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Zur nonverbalen Kommunikationshandlung, die kaum und nur zu analytischem Zweck von der verbalen getrennt betrachtet werden kann, führt Nerdinger (ebd., S. 124-125) die Intimität-Gleichgewichtstheorie von Argyle und Dean aus dem Jahr 1965 und die Funktionsklassifikation nonverbalen Verhaltens von Patterson (1983, 1988, zit. n. ebd.) an. Patterson identifiziert sieben Funktionsbereiche: Information über den aktuellen Zustand, überdauernde Eigenschaften oder über spezifische isolierte Reaktionen auf das Selbst, auf andere Personen oder die Umwelt (sie ist Teil des ’impression managements’, wenn sie intentional ist), soziale Kontrolle durch gezieltes ’impression management’, Präsentation in Bezug auf Dritte, Ausdruck von Intimität, den Patterson auf private Beziehungen beschränkt, Regulation der Interaktion durch wechselseitige Hinweisreize, Affekt-Management als Kontrolle des eigenen emotionalen Ausdrucks und zuletzt Dienstleistung/Aufgabe, worunter nonverbales Verhalten verstanden wird, das auf die Unterstützung bei der Erfüllung der Arbeitsaufgabe gerichtet ist. Die letztgenannte Funktion mündet im Dienstleistungskontext in eine ritualisierte Interaktion, soweit ein gemeinsam geteiltes Wissen um die Abwicklung einer jeweiligen Dienstleistung bei den Beteiligten vorausgesetzt werden kann; sie läuft umso effizienter ab, je eindeutiger die Situation und das damit verbundene Skript für beide Interaktionspartner ist. Solche nonverbalen Handlungen betreffen zum Beispiel Signale, mit denen den Bedienten gezeigt wird, dass alle Handlungen, insbesondere körperliche Berührungen, nur im Dienst der Problemlösung vorgenommen werden; außerdem gehört es zu Dienstleistungsaufgaben, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen; das geschieht eben auch nonverbal (zum Beispiel das freundliche Lächeln). Nicht zuletzt sind alle soziale Handlungen aus dem dyadischen Modell nonverbal begleitet, und es ist von Bedeutung, dass der nonverbale Ausdruck
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2 Interaktion in der Dienstleistung
Gefühle, die der Situation angemessen sind, valide dekodierbar wiedergibt5 ; das können beispielsweise allgemein anerkannte Darstellungsregeln (display rules) sein. Die zentrale Aussage der Intimität-Gleichgewichtstheorie fasst Nerdinger zusammen: „Die Steigerung der Intimitätssignale in einer Modalität (z.B. Herstellung körperlicher Nähe) wird durch die Zurücknahme einer anderen Modalität (z.B. dezenteres Blickverhalten) ausgeglichen.“ (ebd., S. 125) Ein ähnliches Wechselspiel formulieren Altmann und Lett (1970, zit. n. Hellbrück 1999, S. 267-269) in ihrem ökologischen Modell sozialer Interaktion; hier findet die Einstellung eines Intimitätsgleichgewichts durch sogenannten self-marker angesichts unpassender Umweltgegebenheiten (environmental props) statt. Auf das Modell wird in Abschnitt 5.4 rekurriert. Ein Wissen um Verhaltenserwartungen kann dazu dienen, das Selbst in einer erwartungsgemäßen Weise dem Interaktionspartner zu präsentieren und damit seine Eindrucksbildung zu beeinflussen. Nerdinger sieht die Theorie dramaturgischen Handelns von Goffman (1969) als besonders geeignet, die Dialektik von Ausdrucksgestaltung und Eindrucksbildung im Dienstleistungshandeln zu verstehen. In Dienstleistungssituationen kennen sich die Interaktionspartner mehr oder weniger gut oder schlecht; es werden infolgedessen Information gesucht, um sich einen Eindruck zu bilden, auf welcher Basis mit dem Gegenüber ein Umgang möglich ist. Ein großer Teil der Information wird aus der Darstellung (performance) gewonnen, die Goffmann als 5
Der potentielle Konflikt aus einer Diskrepanz zwischen erlebten und dargestellten Gefühlen wird unter dem Stichwort emotionaler Dissonanz im Zusammenhang mit Burnout diskutiert. (vgl. zusammenfassend Nerdinger, 1994, S. 159 ff.)
2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
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„die Gesamttätigkeit eines bestimmten Teilnehmers an einer bestimmten Situation (...), die dazu dient, die anderen Teilnehmer in irgendeiner Weise zu beeinflussen“ (Goffman, 1969, S. 18) definiert. Die beobachtenden Teilnehmer sind das Publikum (auch Zuschauer oder Partner) des Handelnden; dessen Handlungsziel ist ein Management der Eindrücke des Publikums. Die Darstellung wird durch den Aufbau einer Fassade unterstützt; ein Teil dieser Fassade besteht aus der persönlichen Fassade, unter der Goffmann das persönliche Ausstattungsrepertoire des Handelnden versteht; das unterscheidet er einerseits in ein erscheinungsgebundenes Repertoire wie zum Beispiel Amtsabzeichen, Rangmerkmale, Kleidung, Geschlecht und Alter, und andererseits in ein verhaltensgebundenes wie beispielsweise die Haltung, Sprechweise, Gesichtsausdruck und Gestik; ein weiterer Teil ist das Bühnenbild als im wesentlichen ortsgebundene Requisiten und Kulissen des Handelns; das können Möbelstücke, Dekorationselemente, Versatzstücke und die ganze räumliche Anordnung sein (ebd., S. 23-25). Außerdem wird noch zwischen den Regionen einer Vorder- und Hinterbühne unterschieden. Eine Region ist als ein Ort definiert, „der bis zu einem gewissen Maß durch Wahrnehmungsschranken begrenzt ist“ (ebd., S. 99) Die Vorderbühne liegt im Bereich der Wahrnehmungsschranken des Publikums, und hier verhält sich der Handelnde normgebunden nach Regeln der Höflichkeit und des Anstandes6 . Zu der Hinterbühne hat das Publikum 6
den Begriff des „Anstandes“ erläutert Goffmann ausführlich und unterscheidet zwischen Anstandsverhalten, das sich auf moralische und instrumentelle Forderungen (bzw. Erwartungen, Anm. d. Verf.) bezieht. Unter moralischen Forderungen versteht er Regeln der Nicht-Einmischung und der Nicht-Belästigung, unter instrumentellen Forderungen dagegen Pflichterfüllung. Im Dienstleistungskontext könnte das beispielsweise die Erfüllung des Arbeitsauftrages sein (Anm. d. Verf.) .
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2 Interaktion in der Dienstleistung
explizit keinen Zutritt und das Verhalten hier kann sich erheblich von dem der Vorderbühne unterscheiden. Ein Kernaspekt der Theorie dramaturgischen Handelns bezieht sich auf eine mehr oder weniger gezielte Darstellung öffentlichen Verhaltens, über die ein Eindruck vermittelt wird, der von Anderen als Ausdruck des sozialen Selbst oder Images7 wahrgenommen wird. Eine zielgerichtete Darstellung ist dann gelungen, wenn sie vom Publikum akzeptiert wird; sie findet in einer dazu passenden Umgebung, dem Bühnenbild der Vorderbühne, statt und wird durch eine persönliche Fassade unterstützt. Die Hinterbühne dient der Vor- und Nachbereitung der Darstellung; in jedem Fall braucht hier das gezielt expressive Verhalten noch nicht oder nicht mehr gezeigt werden. Dramaturgisches Handeln ist in jedem Fall für den Dienstleister ein wichtiges Mittel zur Bewältigung der Dienstleistungsarbeit. Den Erwartungen des Bedienten entsprechend kann dessen Eindruck manipuliert und das Interaktionsergebnis gesteuert werden. Es sei an dieser Stellen erinnert, dass die Dienstleistungsqualität wesentlich eine Erfahrungsqualität der Beziehungsgeschehens ist, da die technische oder fachliche Qualität einer Dienstleistung vom Bedienten in der Regel nur eingeschränkt oder gar nicht beurteilt werden kann. Je weniger eine Beurteilung durch den Bedienten möglich ist, umso größer ist die Bedeutung des dramaturgischen Handelns. Das instrumentelle, problemlösende Handeln – das selbst zwar auch eindrucksbildend ist, aber in erster Linie nicht daraufhin zielt – sollte allerdings später im Ergebnis der Darstellung fachlicher Kompetenz entsprechen8 . Aus der Sicht einer Psychologie der Dienstleistung kritisiert Nerdinger an dem dramaturgischen Konzept dessen Beschränkung auf eine reine 7 8
zu unterschiedlichem Gebrauch der Begriffe bei Goffmann siehe Nerdinger, 1994, S. 131) Nerdinger (1994, S. 135) verweist hier auf eine notwendige differentielle Betrachtung von Dienstleistungshandeln in soziales und technisches bzw. instrumentelles Handeln; Goffmann versteht das dramaturgische Konzept als Grundlage jedes Handelns - zumindest im angelsächsischen Raum seiner Zeit.
2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
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Beschreibung des Geschehens, ohne aber dessen zugrundeliegenden Mechanismen zu erklären. Er sieht einen Erklärungsansatz in einem universellen Kontrollmotiv9 , das für die Dienstleistung in eine Verhaltenskontrolle (die Fähigkeit, durch eigenes Verhalten Einfluss auf die Situation nehmen zu können) und eine kognitive Kontrolle (retrospektive10 Erklärung oder Vorhersagbarkeit von Ereignissen) zu differenzieren sei11 . Danach sollten sowohl Dienstleister als auch Bedienter bestrebt sein, die Situation in Bezug auf ihre zielführenden Bedingungen hin zu kontrollieren. Beim Bedienten vermutet er das Motiv weitgehend durch ein vorgegebenes und normiertes Arrangement der Dienstleistungssituation befriedigt; mit der Vorhersagbarkeit der Interaktionsabläufe ist eine prospektive kognitive Kontrolle gegeben12 . Weitere Möglichkeiten einer Verhaltens- und kognitiven Kontrolle, die zur Anwendung kommen können, sieht er auf der Seite des Dienstleisters; für ihn gilt es um so mehr die Situation zu kontrollieren, je geringer sein sozialer Status ist und je mehr der Bediente aufgrund einer höheren sozialen Macht glaubt, auf die Handlungen des Dienstleisters Einfluss nehmen und die Qualität seiner Arbeit beurteilen zu können; auch muss der Dienstleister gegebenenfalls höhere und andere Ansprüche seitens des Bedienten kanalisieren, wenn sie dem Inhalt eines vereinbarten oder eines üblichen Dienstleistungsumfanges widersprechen. Solche Kontrollmöglichkeiten sind in kognitiver Hinsicht diagnostische Strategien des Bediententyps (zum Beispiel Kliententypologien); verhaltensbezogen ist es eine Präsentation des eigenen Selbst, die auf das Diagnoseergebnis abgestimmt ist und alltagspsy9
mit Bezug auf die Überblicksliteratur von Krampen (1987) und Flammer (1990) Kontrolle wird in erster Linie eine Coping-Funktion zugeschrieben (Mennerick, 1974; Shamir, 1980; in Nerdinger, 1994) 11 Nerdinger bezieht sich auf Bateson (1985) und Flammer (1990) 12 für eine weitergehende Betrachtung vgl. Nerdinger 1994, S. 137-138. Eine Verhaltenskontrolle hält Nerdinger für den Bedienten zumindest in Dienstleistungen, die auf dem Äquivalententausch beruhen, und bei fachlicher Unterlegenheit gegenüber eines Experten für nicht möglich. 10 retrospektiver
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chologisches Wissen über die vermutete Erwartung und das Verhalten der Bedienten in eigenes Verhalten umsetzt13 . Nerdinger fasst die Aufgabe der Dienstleister aus psychologischer Sicht wie folgt zusammen: „Sie müssen sozial handelnd Kontrolle über die Bedienten gewinnen, um die ... instrumentellen Handlungen zur Problemlösung in ihrem Sinne effizient verrichten zu können. Durch verbale und nonverbale Handlungen müssen zu diesem Zweck spezifische Darstellungen des Selbst geliefert werden ... . Daher ist das Selbst der Dienstleister und die damit verknüpften Erlebnisbereiche – der kognitive Aspekt des Selbstbildes und die darauf bezogenen Gefühle (Nerdinger, 1990) – immer in variablem Ausmaß in die Tätigkeit involviert.“ (1994, S. 152) Im Zusammenhang zu einer Kontrollmotivation ist in aktuellen Handlungsund Motivationstheorien auch der Aspekt der Umweltkontrolle thematisiert. In einem integrativen Modell der Motivations- und Handlungskontrolle formuliert Kuhl (1983) die Umweltkontrolle als einen von sechs Vermittlungsprozessen zur Realisierung von Handlungsabsichten; die Vermittlungsprozesse werden erforderlich, wenn infolge einer Realisierungsmotivation für eine bestimmte Handlung beispielsweise die Handlungsabsicht gegen konkurrierende Handlungstendenzen abgeschirmt werden muss. Dem Prozess der Umweltkontrolle kommt dabei die Aufgabe zu, die Bedingungen in der Umwelt so zu arrangieren, dass die Realisierung einer Absicht gefördert wird. Aus dem Zusammenhang seiner Theorie und dem illustrierenden Beispiel (ebd., S. 303), das er dazu anführt, nämlich in der Absicht einer Körpergewichtsreduktion alle Süßigkeiten aus dem unmittelbaren Umfeld zu entfernen, muss geschlossen werden, dass Kuhl den Prozess der Umweltkontrolle situationsangepasst intraindividuell versteht. Allerdings kann auch 13 Beispiele
dazu aus einzelnen Dienstleistungsbereichen in Nerdinger, 1994, S. 139 - 149
2.6 Handeln in der Dienstleistungsbeziehung
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eine Gestaltung der räumlich physischen Umwelt, die zeitlich überdauernd bestimmte Handlungen ermöglicht, als Teil eines solchen Umweltkontrollprozesses verstanden werden; diese Kontrolle wirkt über die Strukturen der Umwelt und ihre Bedeutung; sie ist intra- und interindividuell wirksam und überindividuell induziert; sie geht von der Dienstleistungsorganisation aus, die ein Interesse daran hat, dass ein Verhalten der Dyadenteilnehmer in einer bestimmten Weise erfolgen kann oder soll und eine Umweltgestaltung veranlasst, die das ermöglicht. Ein konzeptioneller Ansatz der verhaltenssteuernden Wirksamkeit wird im Zusammenspiel des Behavior Setting und der Affordanzen gefunden (Abschnitt 4.3); in Abschnitt 9.4.3 werden einzelne Kontrollaspekte der Umwelt weiter erläutert.
3 Besonderheiten kommunaler Dienstleistung Nerdingers Psychologie der Dienstleistung bezieht sich in weiten Teilen auf Dienstleistungen, denen der Äquivalententausch Leistung gegen Geld zugrunde liegt und die gewinnorientiert sind. Eine kommunale Dienstleistung, wie sie beispielsweise in einem Bürgerbüro erbracht wird, unterscheidet sich von einer gewinnorientierten Dienstleistung durch ihre Orientierung am Gemeinwohl und der öffentlichen Ordnung. Psychologische Forschungen zu gemeinwohlorientierten Dienstleistungen und Dienstleistungsorganisationen sind im Gegensatz solcher zu gewinnorientierten aber selten, und wenig ist über die psychologischen Implikationen bekannt. Es soll aber zumindest auf zwei offensichtliche Unterschiede hingewiesen werden; einer dieser Unterschiede liegt in einem potentiellen Konflikt zwischen Struktur der Dienstleistungsorganisation und den Werten, die ihrer Legitimation zugrunde liegen; der andere findet sich in einer asymmetrischen Machtverteilung innerhalb der Dienstleistungsbeziehung zwischen Dienstleister und Bedientem.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_4
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3 Besonderheiten kommunaler Dienstleistung
3.1 Kommunale Dienstleistung zwischen Struktur und Werten Eine gewinnorientierte Dienstleistungsorganisation setzt im Unterschied zu einer gemeinwohlorientierten ihre Arbeitskräfte zum Zwecke der Kapitalakkumulation ein. Die Dienstleister selbst sind durch die „Unterwerfung der Leistungserstellung unter das Prinzip der Kapitalverwertung“ (Nerdinger 1994, S. 74) komplexen Rollenkonflikten zwischen mehr oder weniger stark konfligierenden Erwartungen einerseits der sie beschäftigenden Organisation und anderseits der Bedienten ausgesetzt. (vgl. ebd., S. 73-74 und 153-159). Eine gemeinwohlorientierte Organisation mit administrativen kommunalen Aufgaben steht dagegen selbst – zumindest in demokratischen Gesellschaften – in einem Zielkonflikt. Der Konflikt besteht einerseits in der Anforderung, innerhalb bürokratischer Strukturen effizient zu arbeiten und Unsicherheiten durch Hierarchien und Regeln zu reduzieren; andererseits aber ist die Organisation in eine demokratische Gesellschaftsordnung eingebettet, die auf Werten wie Gleichheit und Freiheit und auf einer Sensitivität ihrer gewählten Vertreter hinsichtlich des Wähler- und Bürgerwillens gegründet ist; denen ist sie zu Diensten und hat sie mit zu vertreten (Pammer, 1992). Gleichheit gegenüber Hierarchie, Freiheit gegenüber Regeln, sowie ein sich über die Zeit verändernder Bürgerwille gegenüber Sicherheit und Effizienz sind den organisationellen Strukturen gegenläufig wirkende Werte; diese Werte und die Grenzen der Strukturen sind immer wieder gegeneinander abzuwägen. Die Konflikt zwischen Strukturen und Werten dürfte sich über die Organisationsstrukturen auch auf die Dienstleister übertragen. Sie müssen ihn in ihrer Rolle als Rand- und Grenzelemente der Organisation (Katz und Kahn, 1978, zit. n. Nerdinger 1994, S. 77) im Bürgerkontakt aushandeln. Deshalb unterscheiden auch einige Forscher bei kommunalen Dienstleistungen zwischen einer ’ökonomischen’ und einer ’politischen’
3.2 Asymmetrie der Macht
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Komponente (Jones et al., 1977, zit. n. Pammer, 1992). Nun ist zwar auch eine gewinnorientierte Organisation durch ökonomische Strukturen wie Hierarchie, Regeln und eine effiziente Ausrichtung der Prozesse in mehr oder weniger intensiver Ausprägung gekennzeichnet; allerdings dürfte ein Unterschied in der Salienz der gesellschaftspolitischen Komponente in Form des beschriebenen Zielkonfliktes bei der gemeinwohlorientierten kommunalen Dienstleistungsorganisation liegen. Die Umweltgestaltung eines Bürgerbüros wird in der Konsequenz dessen Salienz mit zu berücksichtigen haben; außerdem dürfte es sich in zukünftiger Forschung lohnen herauszuarbeiten, wie sich der Konflikt psychologisch in der dyadischen Interaktion kommunaler Dienstleistungen vermittelt.
3.2 Asymmetrie der Macht Ein weiterer Unterschied im Dienstleistungsgeschehen einer administrativen kommunalen Organisation zur gewinnorientierten liegt in einer anders gelagerten Machtverteilung. Nerdinger (1994, S. 95-96) unterscheidet in Dienstleistungsbeziehungen zwischen Belohnungsmacht, die in den meisten Dienstleistungsbeziehungen als Macht des Bedienten vorherrscht, der Bestrafungsmacht und der Legitimitätsmacht, die beide den öffentlichen Bereichen, wie Polizei, Schule oder der öffentlichen Verwaltung zukommen, der Identifikationsmacht, als Element psychotherapeutischer Beziehungen, sowie der Informationsmacht, die mit Expertenmacht korreliert und die beide ebenfalls in den meisten Dienstleistungsbeziehungen, allerdings als Macht des Dienstleisters, wirksam sind. In gewinnorientierten Dienstleistungsbeziehungen besteht ein Machtgleichgewicht zwischen Dienstleister und Bedientem über Experten-, Identifikations- und Informationsmacht seitens des Dienstleisters gegenüber der Belohnungsmacht ’Honorar’ seitens des Bedienten; im Kontext der kommunalen administrative Dienstleistung ist die
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3 Besonderheiten kommunaler Dienstleistung
Macht asymmetrisch verteilt; ein Bedienter verfügt gegenüber dem Dienstleister über keine gleichwertige direkte Macht, da hier die Belohnungsmacht nicht wirksam sein kann; die kommunalen Leistungen sind steuerfinanziert und für den Bürger im Moment der Leistungserbringung weitestgehend unentgeltlich. Allerdings kann der Bürger eine indirekte Macht über das Wahlverhalten oder anderem gesellschaftspolitischen Engagement ausüben; sie ist aber wegen der zeitlichen Differenz zwischen der Gelegenheit zu ihrer Ausübung und dem aktuell stattfindenden Dienstleistungsgeschehen in der Interaktion wenig wahrnehmungswirksam; außerdem betrifft sie den Dienstleister oder die Organisation nicht unmittelbar. Dem Dienstleister und der Organisation sind dagegen Legitimitäts– und Bestrafungsmacht unmittelbar zu eigen. Außerdem üben kommunale Organisationen, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) zu verteilen haben, noch eine weitere Qualität von Macht aus; sie findet sich bei Nerdinger nicht, hat aber für den Bürger existenzielle Bedeutung: die Macht über den Zugang zu Ressourcen. Diese Machtasymmetrie kann und dürfte auch wahrnehmungswirksam sein und die Interaktion und ihr Erleben beeinflussen; im Fall von Leistungsentscheidungen nach SGB ist sie wahrnehmungswirksam, bestimmt das Erleben der Interaktion auf existentieller und auf der Ebene des Selbstwertes und sie kann – wie im Beispiel des letzten Abschnitts dieses Kapitels beschrieben – auch handlungswirksam werden. Sowohl der Bediente als auch der Dienstleister befinden sich auch in einer Doppelrolle. Der Bediente ist als Bürger auf gesellschaftspolitischer Ebene Agens und mittelbarer Dienstherr der kommunalen Organisation und ihrer Beschäftigten; er ist aber auch gleichzeitig deren Agendum, Betroffener in Bezug auf die im Rahmen kommunaler Aufgabenerfüllung ausgeübte Macht. Der Dienstleister erfüllt seine Aufgabe im Auftrag der Organisation, deren Auftrag wiederum gesellschaftspolitisch mittelbar durch den Bürger begründet ist. Im dyadischen Aktualgeschehen dagegen repräsentiert
3.3 Die Wirksamkeit der Besonderheiten
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er eine ordnungspolitische Legitimitäts- und Bestrafungsmacht, die auch einem unmittelbaren individuellen Interesse des Bürgers entgegenstehen kann. Auch diese Doppelrolle beider Interaktionsbeteiligten erfordert es, die psychologisch wirksamen Elemente in einer kommunalen von denen in einer gewinnorientierten Dienstleistung zu unterscheiden, zu identifizieren und in ihrer differentiellen Wirksamkeit zu berücksichtigen.
3.3 Die Wirksamkeit der Besonderheiten Es sind in den vorangegangenen beiden Abschnitten – ohne Anspruch auf Vollständigkeit - einige wesentliche Unterschiede genannt worden, die eine kommunale administrative Dienstleistungsbeziehung von anderen unterscheidet. Ihre psychologische Wirksamkeit kann über kognitive und emotionale Prozesse angenommen werden. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert ein Diskussionsergebnis aus den vorbereitenden Gesprächen zu der PE im Vorfeld der Umsetzung des Bürgerbüros aus der Fallstudie: Vom Auftraggeber, der Kommune, wurde zur Bezeichnung des Bürgerbüros die als „modern“ empfundene Terminologie Kundenzentrum gewünscht. Von diesem Wunsch ist man im Verlauf der Programmentwicklung abgerückt, weil sich „irgendwie“ das Gefühl einer unzutreffenden Bezeichnung einstellte, und es wurde auf den Begriff Bürgerbüro zurückgegriffen. Die hier beschriebenen Unterschiede waren zu dem Zeitpunkt noch nicht expliziert. Auch wurde dem Verfasser schon oftmals das unbehagliche Gefühl zugetragen, das sich einstellt, wenn man in Behörden wie beispielsweise der Arbeitsagentur zunehmend als ’Kunde’ bezeichnet wird. Möglicherweise werden die oben beschriebenen Unterschiede unterschwellig wahrgenommen und als Irrtum oder gar Täuschungsabsicht erkannt, da es offensichtlich nicht zum Selbstkonzept als Bürger passt. Beides korrumpiert dann das Vertrauen, das für eine gelingende Interaktion notwendig ist.
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3 Besonderheiten kommunaler Dienstleistung Ein anderes Beispiel kann in zunehmenden gewalttätigen Übergriffen
in den Behörden gesehen werden. In der Fallstudie berichteten Mitarbeiter des Bürgerbüros von verbalen und tätlichen Übergriffen durch Bürger; die fanden insbesondere dann statt, wenn die Bürger gerade vom - damals noch getrennt vom Bürgerbüro wirkenden - Sozialamt oder von der Arbeitsagentur kamen und dort nicht die erwartete Hilfe oder Unterstützung erhalten hatten. Die psychologische Dynamik, die zu solchem Verhalten führt, lässt sich nach Asendorpf und Banse (2000) über eine phylogenetische Sicht auf die Entwicklung von Emotionen erklären: Für Frijda (1994, zit. n. ebd.) scheinen Emotionen wie beispielsweise Schuld, Scham und Verlegenheit, die nur bei Menschen und allenfalls noch einigen höheren Primaten zu beobachten sind, eine „Anpassung an die Erfordernisse einer soziale Lebensweise unserer Vorfahren darzustellen“ , und „umgekehrt ist es wahrscheinlich, dass die Existenz solcher sozialen Emotionen die Entwicklung sozialer Strukturen erleichtert, oder überhaupt erst möglich gemacht hat. .... Die Funktionalität der Emotionen Verlegenheit, Scham und Schuld könnte darin bestanden haben, das Individuum vor drohenden Verstößen gegen soziale Regeln zu warnen, deren Einhaltung zu erleichtern und nach einer Regelverletzung kompensatorisches Verhalten zu motivieren (Tangney et al., 1996).“ (ebd., S. 367-368) Einige Emotionen scheinen also dahingehend zu wirken, individuelles Verhalten an soziale Normen anzupassen. Nach einer Vermutung von Leary, Tambor, Terdal und Downs (1995, zit. n. Asendorpf & Banse, 2000) wirkt
3.3 Die Wirksamkeit der Besonderheiten
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ein aktuell wahrgenommener Selbstwert als ein ’Soziometer’, das den Grad des Einbezogenseins in die Gruppe oder einen drohenden Ausschluss aus der Gruppe anzeigt. Die Selbstwertwahrnehmung hängt von Signalen der Akzeptanz oder Zurückweisung ab, die von den Gruppenmitgliedern ausgesendet werden. Positive Signale wirken selbstwerterhöhend, Zurückweisung und Ablehnung dagegen selbstwertmindernd und führen zu Scham und sozialer Angst. Den sozialen Ausschluss zu vermeiden war aber in früheren Zeiten für höhere Überlebens- und Fortpflanzungschancen ein entscheidender Faktor; in solitärer Lebensweise waren diese Chancen geringer. Wenn diese Vermutungen zutreffen und der Erklärung des übergriffigen Verhaltens einzelner Bürger nach einer ablehnenden Erfahrung zugrunde gelegt werden, dann werden zwei für den Bürger und Bedienten existentiell bedeutsame Faktoren erkennbar: es können ihm nämlich tatsächlich aktuell Ressourcen, die er zum Überleben benötigt, nicht angeboten oder aber müssen ihm verweigert werden; hier wird die Asymmetrie der Macht über den Zugang zu Ressourcen salient. Wenn diese Ablehnung dann auch noch seitens des Dienstleisters mit einem Ausdruck verbunden wird, der einfühlendes Verständnis vermissen lässt oder gar eine Ablehnung der Person signalisiert, wird deren Selbstwert herabgesetzt und im Bedienten über den wahrgenommenen drohenden Ausschluss aus der Gruppe eine phylogenetisch – und damit tief – verankerte existentielle Bedrohung aktiviert. Die übergriffige, aggressive Reaktion eines Bedienten kann dann unter anderem auch als eine Maßnahme angesehen werden, ein Machtgleichgewicht und den eigenen Selbstwert wieder herzustellen.
4 Behavior Setting und Affordanz 4.1 Behavior-Setting Das klassische Konzept, welches die Passung von Umwelt und Handeln zum Thema hat, ist das Behavior-Setting-Konzept Barkers (1968). Es hat die Ordnung des Alltagsgeschehens zum Thema, die in bestimmten sozialen und materiell-räumlichen Umgebungsbedingungen für Personen gleich ist, unabhängig davon welche individuelle Person an diesem Geschehen teilnimmt. Barker hat dazu den Begriff einer ’Synomorphie’ geprägt, unter der ein „Inein-ander-eingepasst-Sein von Handeln und Umgebung“ (Kaminski, 2008, S. 336) verstanden wird. Synomorphe sind dann Verhaltens-MilieuEinheiten, in denen sich dieses Ineinander-eingepasst-Sein von Handeln und Umgebung realisiert (ebd.). Barker hat den Verhaltensstrom der Kinder von Middlewest, einer ländlichen Gemeinde in den USA, in ihren alltäglichen Lebenszusammenhängen über einen langen Zeitraum kontinuierlich beobachtet, in sogenannten specimen-records gemessen und diese dann in Episoden abgegrenzt; darunter werden in Anlehnung an Tolman (1932) kleinste molare Verhaltenseinheiten verstanden und von molekularen Verhaltensmechanismen unterschieden. „Personen in verschiedenen Rollen ...“ und „... nicht-psychologischen Objekte, die aber in das Verhalten eingebunden sind ...“ (Kaminski & Bauer, 1986, S. 35) bilden das Milieu. Innerhalb © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_5
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4 Behavior Setting und Affordanz
eines gleichen Milieus entdeckte Barker eine Ähnlichkeit im Verhalten, das unabhängig davon war, welches Individuum dieses Verhalten ausführte; er bezeichnet dieses als extra-individual und standing pattern of behavior und unterscheidet es nach seinem Bezug zum Milieu in Behavior-Settings (BS) und Behavior Objects (BO); zum BS schreibt Barker: „A behavior setting is a standing behavior pattern together with the context of this behavior, including the part of the milieu, to which the behavior is attached and with which it has a synomorphic relationship” (Barker & Wright, 1954, S. 9); dagegen wird unter BO zwar ebenfalls das überdauernde Verhaltensmuster in synomorphem Bezug zum nonpsychologischen Milieu (NM) verstanden, jedoch in zweierlei Hinsicht vom BS unterschieden: einerseits findet das Verhalten eher um ein Objekt des Milieus (zum Beispiel ein Werkzeug) herum (circumjacent) statt, als dass es sich innerhalb eines Umfeldes abspielt und andererseits befindet sich ist das BO selbst innerhalb des BS, vergleichbar einer Möblierung zum umgebenden Raum (ebd., S. 10); wenn die Rede vom Behavior Setting ist, dann sind oft auch die Behavior Objects mit gemeint. Ein Behavior Setting begreift Barker als ein homöostatisches System innerhalb dessen drei grundlegende Prozesse zu seiner Aufrechterhaltung ablaufen (1968, zit. n. Saup, 1986, S. 46): 1. Zielbezogene Regulationsprozesse (goal circuits) als transaktionale Prozesse „zwischen Person und Behavior Setting, die der Realisation individueller Ziele innerhalb des Gesamtgeschehens dienen.“ 2. Programmbezogene Regulationsprozesse (program circuits) als „Transaktionen zwischen den Funktionsträgern innerhalb eines Behavior Settings und dem Gesamtgeschehen, die der Übermittlung und Ausführung eines Programms dienen.“
4.1 Behavior-Setting
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3. Stabilitätsbezogene Regulationsprozesse als „Transaktionen zwischen Personen und dem Behavior Setting zur Aufrechterhaltung einer relativen Stabilität des Systems (maintenance) in Form von a) Devianz-Assimilation (deviation-countering-circuits) oder b) DevianzEliminierung (vetoing-circuits).“ Bei aller umfangreichen und grundlegenden Forschungsarbeit Barkers und seiner Mitarbeiter und der unumstrittenen Bedeutung des Behavior-SettingKonzeptes innerhalb der Psychologie wird das BS-Konzept hinsichtlich seiner theoretischen Einbettung und praktischen Handhabung vielfach kritisiert. Saup kritisiert an dem Homöostaseverständnis, dass der Wechsel zwischen den Entstehungs-, Stabilisierungs- und Wandlungsprozessen von Behavior Settings zu wenig berücksichtigt wird. Eine weitere Kritik gilt dem noch sehr unspezifischen Synomorphie-Konzept. Wenn die Milieubezogenheit von Verhalten untersucht werden soll, dann bedarf es einer genauen und vollständigen Beschreibung der Milieu-Anteile des BS (Kaminski & Bauer, 1986, S. 267). Den Mangel einer Operationalisierung der physischen Umwelt, die dem theoretischen Anspruch Barkers gerecht würde, stellt auch Saup fest. Weiterhin ist die empirische Erfassung von Behavior Settings sehr aufwändig. Barker verwendete zur Identifikation und gegenseitiger Abgrenzung von Behavior Settings den k-21-Test; darin wird die Verhaltens-Milieu-Synomorphie – nach einer Zusammenfassung von Saup – auf verschiedenen Dimensionen wie Settingpopulation, Funktionsträger, physischer Ort, Zeit, materielle Objekte, molare Aktionsmuster und molekularer Verhaltensmechanismen beobachtet und anhand von Skalen und Subskalen bewertet; ab einem kritischen Wert von k=21 im Vergleich von zwei Behavior Settings gelten diese als voneinander verschieden. Das Instrumentarium der Erhebung umfasst eine Vielzahl von Kriterien; der erforderliche Erhebungsaufwand ist erheblich und die Interpretation der Kriterien
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4 Behavior Setting und Affordanz
erscheint manchen exegetischen Charakter anzunehmen (Schaible-Rapp und Benda, 1986; zit. n. Kaminski, 1986); eine geringe Interrater-Reliabilität wird allgemein beklagt. Das führte zur einer zunehmenden Abkehr von dem hohen systematischen Anspruch Barkers „zugunsten eines freizügigen, an pragmatischen Interessen orientierten Umgangs mit der isolierten, mehr oder weniger „locker“ definierten Einheit BS“ (Kaminski, 2008, S. 347; Hervorheb. im Original). Harloff (1986, zit. n. ebd.) sieht dagegen die Kritik des hohen Erhebungsaufwandes als teilweise unbegründet an. Dieser sei der Zielsetzung Barkers geschuldet, „alles, was sich im öffentlichen Leben kleiner Landgemeinden ereignet, vollständig und über jeweils ein ganzes Jahr zu erfassen.“ (zit. n. ebd., S. 242, Hervorhebung i. Original). Der Aufwand reduziere sich erheblich, wenn die Behavior Settings von Autoritätssystemen der Wirtschaft, Kirche, Schule oder Regierung/Verwaltung untersucht würden. Diese Settings seien zu einem Zeitpunkt auch über das ganze Jahr hinweg beispielsweise in einem Gespräch mit der betreffenden Institutsleitung zu erheben. Eine ausführliche Darstellung dieser und weiterer Kritikpunkte findet sich in Kaminski und Bauer (1986, 2008). Barkers Anspruch der möglichst vollständigen Beobachtung des kontinuierlichen Verhaltensstromes der Inhabitanten einer Gemeinde über einen langen Zeitraum führte zu einer Grobrastrigkeit in der Erfassung, damit der erforderliche Aufwand überhaupt bewältigbar war; so zentral die Einheit des Behavior Setting darin ist und ebenso das Synomorphiekonzept einzigartig und grundlegend, so wenig wurde den psychologischen Implikationen innerhalb des BS Aufmerksamkeit gewidmet. Kaminski hat in einem Bemühen um eine psychologienähere Konzeption eine paradigmengebundene
4.1 Behavior-Setting
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Behavior-Setting-Analyse (1986, S. 159 ff.) vorgeschlagen. Aus einem praktischen Interesse einer Verständigung mit Architekten über den möglichen Beitrag von Psychologen zur Umweltgestaltung hat er eigene Verhaltensbeobachtungen von Behavior Settings in verschiedenen Zusammenhängen und die Selbstbeobachtung begleitender gedanklicher Aktivitäten in einer Systematisierung von Voraussetzungen für BS-Analysen zusammengeführt; darunter können Behavior Settings nach verschiedenen Fragestellungen und Komplexitätsstufen untersucht werden; sie dient als eine vorpsychologische Stufe der Analyse von Behavior Settings und ermöglicht durch „apriorische Setzungen“ (zit. n. ebd., S. 159) die Definition der Grundzüge möglicher Forschungsfragen und Hypothesen, sowie der theoretischen Konzeption und Modellannahmen, unter der eine BS-Analyse strukturiert werden kann; außerdem kann die Art der Datenerhebung, ein bestimmtes Niveau der Analysetiefe und Feinkörnigkeit der Untersuchung, eingegrenzt werden. Die paradigmengebundene Behavior-Setting-Analyse umfasst acht Kategorien (vgl. auch Tab. A.3.1): Unter sozialen Implikationen ist zu entscheiden ob überhaupt Inhabitanten und wenn, dann welche Gruppen, beispielsweise eine dyadische oder triadische Konstellation oder aber die einzelnen Individuen, betrachtet werden sollen. Über die Aktivitäts-Differenzierung wird eine Auswahl der Betrachtung auf der Stufe von Einzelhandlungen, hierarchisierter Einzelhandlungen, Mehrfachhandlungen, eines ’emotionalaktionalen Geschehensverbundes’, oder aber eines reinen Geschehens von ’Responses’ oder ’Operants’ getroffen; auch eine ’Nullstufe’, nämlich der Verzicht der Beobachtung jedweder Aktivität, ist möglich. Unter der Kategorie der Aktivitäts-/Akteur-Zuordnung werden die Aktivitäten entweder ohne eine Zuordnung zur irgendwelchen Akteuren betrachtet, oder aber zu bestimmten Akteursgruppen oder Individuen in Bezug gesetzt. Eine Umweltdifferenzierung steht in einem engem Bezug zur Aktivitätsdifferenzierung: der Einzelhandlung steht ein umgebendes ’(Partial-) Milieu’ gegenüber und der
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4 Behavior Setting und Affordanz
fortschreitenden Handlungsdifferenzierung entsprechend (siehe oben) ein hierarchisiertes ’Handlungs-(Partial-)Milieu’, ’Mehrfachhandlungs-(Partial)Milieu’ und ’(Partial-)Milieu eines emotional-aktionalen Geschehensverbundes’. Auch auf einfacher Umweltstimuli-Ebene kann operiert werden, oder aber auf einer annähernden Nullstufe, nämlich ohne Berücksichtigung der Umgebung; Kaminski sieht diese Nullstufe auch bei Barker realisiert; denn ungeachtet seines Konzeptes der Verhaltens/Milieu-Synomorphie habe Barker keine Anstrengungen unternommen das Milieu systematisch zu erfassen. Er sieht eine Möglichkeit der Milieustrukturierung in Gibsons Affordanzkonzept; die physische Umwelt könne danach in einfachen Affordanzen für die Einzelhandlung oder aber in einem hierarchisch strukturierten Affordanzsystem für die Aktivitäten differenzierterer Ordnung erfasst werden. Eine Temporale Differenzierung des BS kann sich über die Nullstufe der zeitlichen Unabhängigkeit, über die Erfassung der absoluten oder relativen Position des BS innerhalb der Zeitachse und dessen Dauer bis hin zur Auswahl des Zeitmessverfahrens erstrecken. Die Differenzierung der Aktivitäts-/Umweltverflechtung bezieht sich auf ein graduelles Ausmaß der Synomorphie zwischen Verhalten und Milieu, die in spezifischer Feinkörnigkeit zur interessierenden Fragestellung definiert werden kann. Handlungstheorien und daraus abgeleitete Modelle können im Rahmen einer Differenzierung des Konstruktsystems für interne Aktivitätsvorbereitung und -regulation die im BS auftretenden Aktivitäten erklären helfen. In der letzten Kategorie der Differenzierung des Konstruktsystems für interne Aktivitäts-Nachwirkungen kann das BS hinsichtlich der darin auftretenden Veränderungen beispielsweise über Lernmodelle analysiert werden. Das setzt voraus, dass das BS nicht allein als selbsterhaltendes homöostatisches System angesehen wird, wie Barker es tat, sondern auch als ein sich über die Zeit veränderndes BS.
4.2 Affordanz
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4.2 Affordanz Unter Affordanzen, einer eigenen Wortprägung, versteht Gibson (1982) Angebote, die eine aus Oberflächen bestehende Umwelt einer Person macht, beziehungsweise das, was sie ihr zur Verfügung stellt oder gewährt. Er geht davon aus, dass durch die Anordnung von Oberflächen festgelegt sei, was sie einem Individuum anbieten, und es sei mit der Wahrnehmung der Oberflächenzusammensetzung die Wahrnehmung ihres Angebotes unmittelbar verbunden. Diesem Konzept liegt eine ökologisch verstandene Umweltwahrnehmung zugrunde; in der Hauptsache stützt sich Gibson darin auf eine ökologische visuelle Wahrnehmung. Er distanziert sich damit in seinem Umweltverständnis von den Auffassungen von „Raum” und „Körper”, wie sie durch die Mathematik und insbesondere der Geometrie definiert oder in der klassischen Physik als Antipoden verwendet werden; sie sieht er eher als Abstraktionen einer Umweltwahrnehmung, nicht aber als die unmittelbare Wahrnehmung des Individuums seiner Umgebung1 . Diese Umwelt besteht 1
Einige Jahre vor Gibson wurde bereits im deutschsprachigen Raum der Unterschied des erlebten Raumes zu einem geographisch oder geometrisch definierten mehrfach thematisiert; es ist für den Verf. nicht erkennbar, ob und wie weit Gibson davon beeinflusst war. Entsprechende Literatur findet sich beispielsweise bei von Dürckheim (1932); hier beschreibt Dürckheim den konkreten, personal erlebten Raum und formuliert „ ... Erkenntnisse, die sich aus der beschriebenen Eigenart des Erlebens über das in ihr sich äußernde und bewährende überdauernde Selbst und seine Eigenart ergeben“ (zit. n. von Dürckheim & Hasse, 2005, S. 21); er strebt allerdings keine vollständige Darstellung des personalen Raumerlebens an. An einer Systematik des leiblichen Raumes dagegen arbeitete Schmitz (1967) im Rahmen einer philosophischen Neuen Phänomenologie; er beschreibt und systematisiert in einem umfangreichen Werk die in genauer Beobachtung gewonnen leiblichen Raumerlebensphänomene; Schmitz sieht seine Arbeit in der Nachfolge Dürckheims und bezeichnet dessen Werk als Pionierarbeit (Schmitz, 2005, S. 115). Bollnows (1963) Monographie Mensch und Raum ist zu einem Standardwerk für Philosophen und Pädagogen und zu einem Grundlagenwerk für Architekten geworden; es finden sich hier Gemeinsamkeiten zu Gibson in der subjektbezogenen Beschreibung von Richtungs- und Orientierungserleben. Bollnow bezieht sich in seinen Ausführungen unter anderem auch auf Karlfried Graf von Dürckheim und Kurt Lewin, sowie auf Gaston Bachelards (1960) Poetik des Raumes. In jedem Fall war Gibson aber von Kurt Koffka,
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4 Behavior Setting und Affordanz
nach seiner Sicht aus gasförmigem Medium, flüssigen und festen Substanzen und den Oberflächen, welche Substanzen vom Medium, aber auch untereinander (zum Beispiel bei Wasser und transparentem Gefäß) trennen. Ein Medium ist durch seine Nichtstofflichkeit gekennzeichnet, die Gibson dahingehend versteht, dass sich Lebewesen durch das Medium hindurch bewegen können. So ist für Lebewesen der Erdoberfläche die Atmosphäre und für Wasserlebewesen das Wasser ein Medium. Weitere Kennzeichen des Mediums sind seine weitgehende Transparenz, das Vorhandensein eines umgebenden Lichtes als Beleuchtung (Strahlungslichtquellen vorausgesetzt), die Fähigkeit, Schwingungen oder Druckwellen mechanischer Ereignisse weiterzuleiten, und eine schnelle Diffusionsfähigkeit für chemische Stoffe. Substanzen sind Materie in einem halbfesten oder festen Zustand; sie sind stofflich. Wasser, als flüssiges Element kann sowohl Substanz, als auch Medium sein, je nachdem welches Habitat betrachtet wird. Die Oberflächen sind Gegenstand visueller (aber auch haptischer und akustischer2 ; Erg. d. Verf.) Wahrnehmung. Die Oberflächen haben eine Form, Grenzen, Textur
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dem Begründer der Gestaltpsychologie, beeinflusst und bezieht sich an mehreren Stellen auf ihn. Gibson legte den Schwerpunkt seiner Analyse auf das visuelle Wahrnehmungssystem; Oberflächen lassen sich aber auch durch Berührung haptisch und durch ihre Schallreflexions- und absorptionseigenschaften akustisch unterscheidend wahrnehmen. Es ist anzunehmen, dass Gibson dem zustimmen würde; denn seiner Definition der Widerstandskraft von Oberflächen liegt ihr Widerstand gegenüber Verformung (Viksosität) und Auseinanderfallen (Kohäsion) zugrunde (Gibson, 1982, S. 25), und von der nur schwer vorstellbar ist, wie sie visuell wahrnehmbar sein soll, es sei denn im Moment ihres Nachlassens; implizit ist die haptische Wahrnehmungsqualität in der Definition angelegt. Die akustische Wahrnehmungsqualität von Oberflächen lässt sich leicht nachvollziehen, wenn man bei geöffnetem Fenster als Beifahrer im Auto die Augen schließt; man wird die Bäume, welche die Fahrbahn säumen, oder den Beginn und das Ende eine Leitplanke oder einer die Fahrbahn begrenzenden Wand deutlich hören können. Abgesehen davon spielt eine raumakustische Fachplanung und eine entsprechende Ausgestaltung von Raumformen und Oberflächen eine zunehmend größer werdende Rolle in der Architekturund Innenarchitekturplanung und spielte sie schon lange in der Gestaltung von Konzert-, Vortrags- oder Theatersälen.
4.2 Affordanz
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und Widerstandskraft und bilden zueinander eine Anordnung (layout); je nach ihrer Lage in Bezug auf die Bewegungsrichtung eines Individuums und der Schwerkraft bilden sie beispielsweise Hindernis, Wegführung oder Ruheplatz; außerdem sind ihnen Reflexions- und Absorptionsgrade bezüglich des einfallenden Lichts und seiner Wellenlängen zu eigen, die sie in der visuellen Wahrnehmung als farbige (unter Einschluss auch der unbunten Farben „schwarz” und „weiß” mit ihren komplementären Abstufungen, Erg. d. Verf.) Flächen mit unterschiedlichen Graden von Transparenz (von „undurchsichtig” über „lichtdurchlässig, aber nicht durchsichtig”, bis hin zu „vollständig durchsichtig und lichtdurchlässig im sichtbaren Spektralbereich”) erscheinen lassen. Zu Gibsons Umweltverständnis gehören außerdem noch die Objekte, die er als konkreten, gegenständlichen Wahrnehmungsinhalt einer bestimmten Größe versteht; ein Objekt besteht aus Substanz und einer geschlossenen oder nahezu geschlossenen Oberfläche; die Oberflächenanordnung ist zugleich die Form des Objektes; es kann fest verbunden (zum Beispiel ein Ast des Baumes) oder abgesondert (zum Beispiel ein abgebrochener Ast) sein; beiden ist eine Größendimension gemeinsam, die eine Handhabung durch ein Lebewesen gestatten. Das Individuum steht zu einer so verstandenen Umwelt in unmittelbarer Wechselwirkung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass Erleben und Verhalten das Individuums in der Umwelt zu deren Verhaltensangeboten komplementär ist und mit ihr eine Einheit bilden; die Umwelt ist Habitat oder ökologische Nische. Die Angebote und ihre Kombinationen sind invariante und der Umwelt inhärente Eigenschaften “in Bezug auf einen Beobachter, nicht aber ... Eigenschaften der Erfahrungen des Beobachters” (zit. n. ebd., S. 149, Hervorhebung im Original); denn die Eigenschaften bleiben der Umwelt erhalten, auch wenn zu einem Zeitpunkt x ein Individuum diese Umwelt nicht bewohnt oder aber kein Bedürfnis in Richtung auf eine bestimmte Angebotseigenschaft hat. Damit unterscheidet Gibson den Angebotscharak-
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4 Behavior Setting und Affordanz
ter der Umwelt von ähnlichen Konzepten wie dem Aufforderungscharakter (’demand character’, Lewin, 1926, S. 353 zit. n. Koffka, 1962), oder den Forderungscharakter (Koffka, 1962), unter denen erst die Bedürfnislage eines Lebewesens eine Valenz der Umwelt entstehen lässt. Am Beispiel eines Briefkastens ist die unterschiedliche Auffassung illustriert: Nur wenn der Beobachter einen Brief aufgeben möchte, entsteht der Aufforderungscharakter des Briefkastens auf den Beobachter hin; die Affordanz hingegen besteht auch, wenn keine Person da ist, die einen Brief versenden möchte; sie bleibt invariant, insofern auch jede andere Person mit dem Briefkasten das gleiche Angebot des Brief-Versenden-Könnens verstehen wird. Außerdem ist die Wahrnehmung des Angebotes unmittelbar mit der visuellen Wahrnehmung des Briefkasten verbunden. „Die zentrale Frage lautet nicht, ob es die Angebote auch wirklich gibt, sondern ob im umgebenden Licht Information zu ihrer Wahrnehmung zur Verfügung steht” (Gibson, 1982, S. 152). “Das Gewahrwerden der Welt und der eigenen komplementären Beziehungen zu dieser Welt sind nicht voneinander zu trennen” (ebd., S. 153). Es fallen darin Umweltwahrnehmung und Selbstwahrnehmung ineinander. Ausgehend von dem BS-Ansatz Barkers, der, ohne das Milieu näher zu spezifizieren, eine überindividuelle Angepasstheit des Verhaltens an eine spezifische Umwelt thematisiert, und von dem Affordanzkonzept Gibsons, das dagegen der Umwelt einen Verhaltensangebotscharakter in Bezug auf das Individuum zuweist, der gleichfalls invariant gegenüber verschiedenen Individuen ist, liegt es nahe, beide Konzepte zueinander in Beziehung zu setzen, um eine dienstleistungsspezifische Umwelt „Bürgerbüro” in ihrer Eignung in Bezug auf deren Nutzer theoretisch einbetten und beschreiben zu können.
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz Roger Barker als auch James Gibson standen in der Tradition von Kurt Lewin und haben auf ihre je eigene Weise die Individuen im Kontext ihrer Umwelt (Barker) und die Umwelt in Bezug auf das Individuum (Gibson) untersucht. In Abschnitt 4.1 wurde die Kritik an Barker referiert, dass er der Beschreibung der Umweltanteile des Milieus sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt hat; es gibt über die Feststellung eines überindividuell gleichartigen Verhaltensstroms innerhalb einer bestimmten Umwelt hinaus wenig Hinweise darauf, in welcher Weise im Einzelnen die Umwelt auf das Verhalten der Teilnehmer eines BS wirkt. Diese Umwelt-Individuum-Transaktion ist aber gerade der zentrale Gegenstand von Gibsons Annahme spezifischer Verhaltensangebote an ein Individuum, welche durch eine Merkmalskombination der Umwelt konstelliert sind, und die wiederum unabhängig davon sind, welches Individuum diese Angebote erfährt. An dieser Stelle wird ein Potential erkennbar, das einen Bezug des überindividuellen Verhaltensstroms auf eine jeweils milieuspezifische Umweltmerkmalskombination und in der Folge auf die umweltinduzierte spezifische Konstellation von Affordanzen herstellen ließe, oder aber auch umgekehrt. Der räumlich physische Anteil eines bestimmten Milieus (das ’nicht-psychologische Milieu’ bei Barker) könnte dann über die Kombination seiner Affordanzen beschrieben werden; ein Verhalten in einer bestimmten räumlich physischen Umwelt, das unabhängig davon ist, wer von den Teilnehmern eines BS dieses ausführt, könnte auf die durch die räumlich physische Umwelt bereitgestellten Affordanzen bezogen werden. Erfreulicherweise fand sich im Verlauf dieser Arbeit eine Monographie von Heft (2001), in der ein ganzes Kapitel (ebd., Kap. 8) der theoretischen Untersuchung einer Synthese des BS- und des Affordanzkonzeptes gewid-
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4 Behavior Setting und Affordanz
met ist. Heft erkennt ebenfalls eine gegenseitige Ergänzung der beiden Konzepte und begründet das in einem von Barker und Gibson gleichartig verstandenen ökologischen Bezug von Verhalten und Wahrnehmung. Der Bezug besteht in einer unmittelbaren Wahrnehmung von Strukturen der Umwelt und ihrer Bedeutung, die in ein Verhalten mündet, welches adaptiv zu diesen Strukturen und deren Bedeutung ist. Diese Auffassung setzt sich, Heft folgend, von dem in der Wissenschaft überwiegend verbreiteten und auch von der Psychologie übernommenen mechanistischen Verständnis eines Ursachen-Wirkungs-Zusammenhanges, einer aristotelischen causa efficiens, ab; Kausalität wird vielmehr insofern breiter konzeptualisiert, als sich Barker und auch Gibson an der Analyse Heiders (1927, zit. n. ebd., S. 279) orientieren, der in seinem Werk Ding und Medium feststellt, dass zwischen der Welt und dem wahrnehmenden Subjekt nicht allein physikalische Eigenschaften von Dingen ausgetauscht werden, sondern auch Strukturen; diese Sichtweise reflektiert, ob beabsichtigt oder nicht, die aristotelische causa formalis. Die Formursache existiert aber auch nicht unabhängig von der Materie; vielmehr gilt, dass sich Strukturen und deren Austausch zwischen den Entitäten (Träger der Struktur; wahrnehmendes Subjekt) über ein irgendwie geartetes Medium „in der Materie [im Original: ’matter’] realisieren“ (Nussbaum und Putnam 1992, S. 37; zit. n. ebd., S. 280; Übersetzung und Klammer durch d. Verf.), aber nicht darauf reduzierbar sind. Heft führt zur Illustration Heiders Beispiel einer Trommel an: „A drum stroke on a drumhead results in the transformation of mechanical energy into acoustical energy. The kinetic properties of the stroke are not simply preserved, but transformed owing to the ’thing-like’ properties of the drumhead. In contrast, media lack coherence; their components are relatively independent from each other. As a result, external influences
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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produce in media composite effects; and consequently, media preserve the structure of external influences rather than transform them. The air surrounding the drum carries the structure of the vibration of the drumhead.“ (Heft, 2001, S. 279-280) Heft erläutert weiter, wie über ein um die Formursache erweitertes Kausalitätsverständnis der Austausch zwischen den prozessbeteiligten Entitäten bei Barker und Gibson vorzustellen ist. Gibsons Ausgangspunkt ist der, dass für ein adaptives Verhalten eines Lebewesens in seiner Umwelt deren funktional relevante Eigenschaften zu entdecken sein müssen. Dazu ist es einerseits erforderlich, dass diese Eigenschaften der Wahrnehmung über spezifisch mediierende Strukturen zugänglich sind („these properties are carried by structure in the various media for perceiving“ (ebd., S. 281)); andererseits muss das wahrnehmende System in seinem Aufbau sensibel gegenüber diesen medialen Strukturen sein; diese funktionale Passung des stofflichen, biologischen Aufbaus des Wahrnehmungsapparates ist durch phylogenetische Geschichte und ontogenetische Erfahrung des wahrnehmenden Subjektes erklärbar. Das wahrnehmende System befindet sich damit über eine informationsvermittelnde mediale Struktur in einer Resonanz zu strukturellen Eigenschaften der Umwelt. Barker wiederum betrachtet ein BS als dynamische Strukturen von überdauernden Verhaltensmustern in einem jeweils bestimmten Milieu. Das Verhalten ist kollektiv und zweckorientiert und findet in einem Milieu mit verhaltensunterstützenden Merkmalen statt; dem Milieu kommt eine soziale Salienz zu. Heiders Terminologie übernehmend stelle Barker fest, „dass das Setting Ding-ähnliche Eigenschaften hat, und den Settingteilnehmern Medium-ähnliche Eigenschaften zukommen, und so wie das Medium Strukturen der Dinge annehmen kann, so können auch die Settingteilnehmer in ihren kollekti-
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4 Behavior Setting und Affordanz ven Handlungen dynamische Strukturen eines Settings annehmen.“ (Heft, 2001, S. 281; Übersetzung durch d. Verf.)
Den Unterschied zwischen dem Affordanzkonzept und dem BS-Ansatz sieht Heft in der Verschiedenheit der Analyseebenen und unterscheidet eine within-level-theory bei Gibson von einer between-level-theory bei Barker. Gibson betrachtet die Phänomene innerhalb einer Ebene der Wechselwirkung, in der Umwelteigenschaften durch ein Subjekt über ein es umgebendes Medium wahrgenommen werden, während Barker das Medium, bestehend aus Individuen und Milieu, als eine Struktur höherer Ordnung auffasst, über die das BS organisiert ist, und welche innerhalb des BS wirksam ist 3 . Gleichwohl räumt der Autor ein, dass hier noch eine tiefergehende Analyse vonnöten ist. Nach dieser Identifizierung der Struktur als Formursache wird im weiteren Verlauf der Zusammenhang zu deren Bedeutung (im Original: meaning)4 erläutert. 3
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Der Vergleich eines Behavior Settings mit einem Theaterstück macht diesen Gedankengang intuitiv zugänglicher. Das Milieu entspricht dann den rolleninhabenden Schauspielern zusammen mit den Requisiten und Kulissen, eben dem Bühnenbild als nichtpsychologischen Milieuanteil. Betritt eine Person dieses Schauspiel, dann wird sie sich dem Drehbuch des Theaterstücks entsprechend verhalten wollen oder auch müssen und eine der Rollen übernehmen; andernfalls würde das Theaterstück gesprengt, oder, in Barkers Terminologie, das BS verändert. Die Struktur höherer Ordnung ist durch das Drehbuch gegeben, dessen Äquivalent im BS allerdings mit mehr Freiheitsgraden ausgestattet ist; das Drehbuch ist allen Teilnehmern am Theaterstück bekannt, und über das Drehbuch sind die Abläufe innerhalb des Stückes sowie die Zusammensetzung des Bühnenbildes und seiner Handhabung organisiert. (Anmerkung d. Verf.) Das englische Wort „meaning“ kann ebenso wie „sense“ als „Sinn“ oder als „Bedeutung“ übersetzt werden. Im Deutschen werden beide Worte dazu umgangssprachlich oft synonym gebraucht und im wissenschaftlichen Kontext ist man sich oftmals nicht sicher, in welcher Weise die jeweilige Wortmarke gerade gebraucht wird. So unterscheidet der Begründer der analytischen Philosophie Gottlob Frege in seinem Aufsatz „Sinn und Bedeutung“ beide Begriffe insofern, als mit der ’Bedeutung’ ein Gegenstand bezeichnet wird, der ’Sinn’ dagegen die Art und Weise des Gegebenseins dieses Gegenstandes in der Welt beschreibt (Frege, 1892); diese Unterscheidung ist beispielsweise in Bezug auf ’Bedeutung’ gegenläufig zu einem heutigen Sprachgebrauch in der kognitiven Psycholo-
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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Das extrinsische Ordnungsprinzip führt Muster oder Ordnung auf eine zeitliche und räumliche Kontiguität von eher zufällig gemeinsam auftretenden Reizen für ein einzelnes Individuum zurück; es gibt darin keine weiteren intrinsischen Qualitäten der Umwelt. Es ist schwer vorstellbar, wie unter solchen Bedingungen interindividuell geteiltes Verständnis von Sachverhalten zustande kommen kann. Nach Hume führt die Erfahrung von antezedenten und konsekutiven Sachverhalten zu einer Überzeugung des Individuums, dass die Welt in einer bestimmten Weise konstituiert ist. Damit ist der Sachverhalt einer Bedeutung gegeben, die vom wahrnehmenden Subjekt schlussfolgernd konstruiert und in die Welt hineingetragen wird. Die empiristische Tradition geht davon aus, dass „diese Konstruktion ein Produkt früherer Erfahrung, gemeinhin eine Reihe kognitiver Erwartungen [des Individuums, Anm. d. Verf.] ist“ (ebd., S. 284; Übersetzung durch d. Verf.), die – über ein erfahrungsbasiertes assoziatives Netzwerk – von einer Momenterfahrung auf Sachverhalte schließen lassen, welche die räumliche und zeitliche Begrenzung dieser Erfahrung übersteigen. In rationalistischer, beispielsweise der gestaltpsychologischen Sichtweise ist dagegen der physischen Umwelt eine Struktur intrinsisch inhärent; diese wird jedoch über die Sinneserfahrung auf eine Reizkonfiguration heruntergebrochen und erst im kognitiven Apparat des Individuums auf perzeptueller oder kognitiver Erfahrungsbasis wieder hergestellt. Sowohl die empiristische als auch die ragie; die Bedeutung eines Begriffes, Zeichens oder Wortes ist dasjenige, was er oder es für den Sachverhalt zum Ausdruck bringt, auf den mit dem Begriff, Zeichen oder Wort hingewiesen wird (Wirtz, 2013, S. 243); das ist vergleichbar zu dem Fregeschen Sinn eines Zeichens; dann, wenn „ein Ding unabhängig von seiner Eigenheit durch seine Stellung in einem bestimmten Funktions-, Zweck- oder Wirkungszusammenhang“ (zit. n. ebd.) Bedeutung hat, wird der Begriff ’Sinn’ aber ebenfalls synonym verwendet; darüber hinaus wird unter Sinn im wissenschaftlichen Sprachgebrauch auch „das Sinnvolle, zugleich Geordnete und sich selbst Rechtfertigende“ (zit. n. ebd., S. 1428) verstanden. Eine differenzierte und klärende Ausführung zu innerem und äußeren Sinn, und zur Bedeutung in ihrem kognitiven und intentionalen Aspekt im Rahmen von finalen Systemen findet sich bei Bischof (1998; 2009).
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4 Behavior Setting und Affordanz
tionalistische Sichtweise sind intrapersonal fokussiert und hinterlassen nach Wohlwill (1973, zit. n. ebd.) für eine umweltpsychologische Betrachtung eine unüberbrückbare Lücke zwischen einer gemeinsam geteilten, interpersonell wirksamen Umwelt, in der Individuen koexistieren, und den „idiosynkratischen, intrapersonalen ’Welten’, die sie bewohnen“ (Wohlwill, 1973, zit. n. ebd., S. 285; Übersetzung durch d. Verf.). Diese Lücke taucht dagegen gar nicht erst auf, wenn man annimmt, dass wahrgenommenen Strukturen Beziehungen untereinander, und damit auch Bedeutungen, in Bezug auf einen wahrnehmendes Individuum inhärent sind (ebd., S. 286). Jedem Individuum sind dann gleichermaßen Bedeutungen der Strukturen zugänglich. Beispiele solcher bedeutungshaltigen Zusammenhänge zeigen sowohl Gibson mit dem Affordanzkonzept als auch Barker mit den Verhaltens-Milieu-Synomorphen auf. Bezüglich Gibsons Affordanzen beschreibt Heft die Wahrnehmung von Oberflächen in einer Stufenanordnung als begehbar nicht aufgrund einer Kontingenzerfahrung; selbst wenn ein Individuum viele Versuche des Begehens unterschiedlicher Stufenanordnungen unternommen hat, so sind doch weitere unendlich viele Stufenkombination möglich, die außerhalb der bisherigen individuellen Erfahrung liegen und doch als Treppe wahrgenommen werden. Das ist nur dann möglich, wenn nicht allein die Reiz-ReaktionsKontingenz, sondern das Erkennen relationaler Strukturen und ihrer funktionalen Bedeutung Gegenstand der Wahrnehmung ist. „Die funktionale Bedeutung des [Stufen-, Anm. d. Verf.] Merkmals, seine Affordanz, ist einer Umwelt-Subjekt-Beziehung intrinsisch“ (ebd. S. 287, Übersetzung durch den Verf.) und besteht in einer Kongruenz beziehungsweise einer Passung von Merkmalen der physischen Umwelt und Personenmerkmalen. Bedeutungshaltige Zusammenhänge in Barkers Verhaltens-Milieu-Synomorphie illustriert Heft an dem Zusammenspiel von Elementen der Umweltgestaltung eines Klassenzimmers; sie sind an die Lehr- und Lernaktivitäten angepasst, die darin stattfinden. Nur wenn Größe des Raumes, die Anordnung von
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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Stühlen, Schülertischen und Lehrerpult und andere Umweltmerkmale das gewünschte Verhalten innerhalb des Umweltausschnittes unterstützen oder ermöglichen, können die Aktivitäten dort stattfinden; und genau dann, wenn Milieu und Verhalten aufeinander abgestimmt, also synomorph, sind, ist auch aus der Umwelt ihre Bedeutung direkt und überindividuell ablesbar. In beiden Fällen wird das Zustandekommen eines interindividuell geteilten Verständnisses von umweltbezogenen Sachverhalten über die in der Umwelt auffindbaren bedeutungshaltigen Strukturen nachvollziehbar. Mit den bedeutungshaltigen Strukturen ist aber zunächst nur eine Facette einer dynamischen Individuum-Umwelt-Transaktion abgebildet. Eine zweite Facette sieht Heft in der Intentionalität der Handlungen von Individuen, die sich in der Auswahl, dem Entdecken und Gestalten von bedeutungshaltigen Umweltmerkmalen zeigt. So werden Personen Affordanzen bevorzugen, die ihre Ziele unterstützen oder aber ihren Möglichkeiten entsprechen. Ebenso verhält es sich mit Behavior Settings, die aufgesucht werden um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Die freie Wahl unterliegt aber durchaus auch von außen auferlegten Beschränkungen (Beispiele dazu in ebd. S. 290-291). Gleichwohl führen die Intentionen und die Beschränkung ihrer freien Ausübung zu einer zielgerichteten Selektion der Affordanzen und zu einer Selbstselektion der Teilnehmer an einem BS in Bezug auf ein Ziel, das in einem Zusammenhang mit der wahrgenommen Bedeutung der Umwelt steht. Nach Auffassung des Verfassers liegt hier eine Interpretation der Individuum-Umwelt-Transaktion als ein dynamisches System nahe, in dem über dessen finale Ausrichtung die Bedeutung struktureller Umweltmerkmale generiert wird. Heft identifiziert im Vergleich zwischen Affordanzen und VerhaltensMilieu-Synomorphen ohne Anspruch auf Vollständigkeit drei Merkmalsklassen, welche deren Variationsbreite konstituieren. Zum einen sind es topographische Merkmale, wie Wege, Barrieren, oder Werkzeuge; weiterhin
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4 Behavior Setting und Affordanz
ermöglichen oder verhindern klimatologische Merkmale bestimmtes Verhalten, oder sie sind der Grund, warum ein bestimmtes Umfeld aufgesucht wird (Bspl.: Drachen steigen lassen an windigen Orten); drittens bestimmen soziokulturelle Praktiken die Wahrnehmung bestimmter Umweltangebote (Bspl. d.Verf.: ein Teppich bestimmten Formates und Musters wird in der islamischen Kultur als Gebetsstätte angesehen), als auch das Verhalten innerhalb eines umschriebenen Umfeldes (Bspl.: Sakrales Gebäude). Die eingangs dieses Abschnitts angesprochene Kritik einer fehlenden Beschreibung des Milieus bei Barker sieht auch Heft so; er erkennt aber ebenfalls einen Zusammenhang der Verhaltens-Milieu-Synomorphe zu den Affordanzen. Mit der Tatsache der oben festgestellten Selbstselektion der BS-Teilnehmer über Kriterien der Handlungsziele, aber auch anderer personenbezogener Merkmale, geht eine von allen Gruppenteilnehmern geteilte und damit normative Charakteristik von Anforderungen in Bezug auf das Umfeld einher. Die Merkmale einer dem Verhalten synomorphen Umwelt werden dann dieser Charakteristik mehr oder weniger entsprechen. Mit anderen Worten sind die dann im Milieu anzutreffenden Verhaltensangebote, also Affordanzen, wenn auch nicht auf jedes Individuum hin gleichermaßen, aber doch auf den Gruppendurchschnitt hin bezogen. Ein Klassenzimmer für Fünfjährige wird sich von einem für ältere Schüler zum Beispiel durch kleinere Stuhl - und Tischgrößen unterscheiden; es bestehen damit gruppenspezifisch unterscheidbare Affordanzen in Form der angebotenen Sitz- und Tischhöhen; aber auch nicht alle Fünfjährigen haben die gleiche Körpergröße; für bereits größer gewachsene Fünfjährige werden die Möbel nur halbwegs passend sein; aber im Durchschnitt oder für den größeren Teil sollten sie eine geeignete Höhe und Größe anbieten. Unter der Perspektive von Affordanzen einer Umwelt kann in dieser Weise ein Milieu spezifischer beschrieben werden. Nun versteht Gibson aber Affordanzen als individuumsbezogene und unabhängige Entitäten; sie sind unabhängig in dem Sinn, als sie in keiner Relation zu
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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anderen Einheiten der Umwelt stehen; Verhaltens-Milieu-Synomorphe des BS sind dagegen gruppenspezifisch und überindividuell Milieu bezogen. Es wäre vorstellbar, Verhaltens-Milieu-Synomorphe als eine übergeordnete Struktur zu betrachten, die sich aus den voneinander unabhängigen Affordanzen zusammensetzt, die in gemeinsam geteilter Wahrnehmung von den BS-Teilnehmern als für das BS geeignet angesehen werden. Andersherum betrachtet können innerhalb eines bestimmten BS mit hoher Wahrscheinlichkeit bestimmte Affordanzen, nämlich solche, welche das Verhalten innerhalb eines BS unterstützen, angetroffen werden. Damit eröffnet Heft einen Weg, mit Affordanzen übergeordnete Verhaltens-Milieu-Synomorphe beschreiben zu können, oder anders ausgedrückt, das Milieu unter anderem über dessen Affordanzkonstellation zu definieren. Eine weitere Anreicherung des BS durch das Affordanzkonzept, die sich bei Heft nicht findet, kann nach Auffassung des Verfassers festgestellt werden. Barkers Milieuanteil im Behavior Setting besteht typischerweise aus einem komplexen Zusammenhang von Zeit, Orten und Dingen (Barker, 1968; Schoggen, 1989, S. 31). Beispielsweise findet ein Clubtreffen zu einer bestimmten Zeit innerhalb eines bestimmten Ortes und mit einer bestimmten Anordnung von Gegenständen statt. Das Milieu wird als nicht-psychologisch (non-psychological) dargestellt. Dazu schreibt Barker: „The milieu of a behavior setting exists independently of the standing pattern of behavior and independently of anyones perception of the setting“ und im weiteren Verlauf „The milieu is synomorphic to the behavior.“ (Barker, 1968, S. 19; Hervorhebung im Original) Es bleibt aber dann die Frage offen, wie das Milieu innerhalb eines BS verhaltenswirksam werden soll. Gibsons Affordanzansatz schließt dagegen über den Angebotscharakter von Umweltmerkmalen eine intraindividuell
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4 Behavior Setting und Affordanz
psychisch wirksame Dimension mit ein. Gleichwohl auch für Gibson die Affordanz eines Umweltmerkmals unabhängig von einem anwesenden Individuum in der Umwelt antreffbar ist, wird sie aber, wie in Abschnitt 4.2 beschrieben, nur in Bezug auf das Individuum wirksam. Insofern kann der Angebotscharakter der Umwelt, und in Barkers Terminologie des Milieus, als eine verhaltenswirksame Verbindung zwischen dem Milieu und den darin stattfindenden überdauernden Verhaltensmustern angesehen werden. Allerdings ist das Milieu dann nicht mehr nonpsychologisch, wie es von Barker benannt wird; vielmehr ist es ja gerade über die Affordanzen psychologisch, nämlich auf das Verhalten und Erleben hin, wirksam; für das Merkmal der Antreffbarkeit einer räumlich physischen Umwelt mag der Begriff des Nonpsychologischen noch angehen, aber nicht mehr für die Umwelt im Moment eines ’Angetroffen Werdens’. Zusammenfassend kann zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Barkers BS und Gibsons Affordanz festgestellt werden: Intrapersonal verortete Theorien der Genese von Muster oder Ordnung, zum Beispiel durch den Aufbau erfahrungsbasierter Netzwerke mittels zeitlicher und räumlicher Kontiguität zufälliger Reizkonfigurationen oder der Rekonstruktion von in der Welt vorgefundenen Strukturen nach deren Dekonstruktion über physiologische Reize (Gestaltpsychologie), lassen keine Erklärung interindividuell geteilter Umweltwahrnehmung zu. Nach Barker und auch Gibson werden dagegen der Umwelt inhärente Strukturen, vergleichbar der aristotelischen causa formalis, über ein Heidersches Medium wahrgenommen und in ihrer Bedeutung interindividuell in gleicher Weise erkannt; sie sind in der Umwelt direkt ablesbar. Die Bedeutung ist als Erfüllung erfahrungsbasierter und interindividuell geteilter Erwartungen konzeptualisiert, nach denen die Umwelt in einer bestimmten Weise konstituiert ist; bei Gibson ist es die Kongruenz zwischen Umwelt- und Personenmerkmalen, bei Barker diejenige zwischen Verhalten und Milieu. Die Bedeutung wird wirksam über die Ausrichtung
4.3 Synthese von Behavior-Setting und Affordanz
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des Individuums oder der Settingteilnehmer auf ein intrinsisches oder extrinsisch auferlegtes Ziel hin; die Ausrichtung wirkt selektiv in Bezug auf die am Setting teilnehmenden Personen und in Bezug auf die vom Individuum in Anspruch genommen Affordanzen. Ein Unterschied zwischen beiden Ansätzen besteht darin, dass Gibson das struktur- und bedeutungsvermittelnde Medium innerhalb einer Ebene (within-level-theory) der Umwelt-PersonTransaktion fokussiert, Barker hingegen sieht es als hierarchisch und dem BS übergeordnet (between-level-theory), aber als innerhalb des BS wirksam an. Eine komplementäre Ergänzung beider Konzepte erscheint aus dreierlei Hinsicht fruchtbar: Einerseits erlaubt die Beschreibung des räumlich, gegenständlich und zeitlich umschriebenen Milieus über Affordanzen eine spezifischere Erfassung der räumlichen und gegenständlichen Eigenschaften; weiterhin kann das Milieu als eine Konstellation von Affordanzen definiert werden, die zu den überdauernden Verhaltensmustern kongruent sind; und drittens erschließt der explizit psychologische Bezug der Affordanz auf eine wahrnehmende Person hin die Verhaltenswirksamkeit des bei Barker als nicht-psychologisch verstandenen Milieus auf die Settingteilnehmer.
5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure In der Einleitung und zu Beginn des Abschnittes I wurde auf Nerdingers Forderung nach einer empirischen Forschung rekurriert, in der das gemeinsam geteilten Erleben einer Dienstleistungsumwelt durch die Dienstleistungsakteure zentral ist und zum Ausgangspunkt dieser Arbeit erklärt. Das Forschungskonzept soll sich an der doppelten Interaktion ausrichten, die für die Dienstleistungserbringung charakteristisch ist. Dazu sind verschiedene Aspekte der sozialen Interaktion und der Zusammenhang zwischen Verhalten und Umwelt erläutert worden. Es wurde festgestellt, dass Verhalten und Handlung über bedeutungshaltige Strukturen der Umwelt beeinflusst werden; Verhalten und Handlung konstituieren soziale Interaktion und deshalb wird die Interaktion auch durch die Bedeutung der Umweltstrukturen mitbestimmt. In Abschnitt 2.1 wurde weiterhin festgestellt, dass die Dienstleistungserbringung im wesentlichen eine Erfahrungsqualität ist, und nicht nur das Zusammenspiel von instrumentellen und sozialen Handlungen, sondern auch die Dienstleistungsumwelt untrennbar mit dieser Erfahrung verbunden ist. Diese Erfahrung bezeichnet Nerdinger auch mit einem ’gemeinsam geteilten Erleben’ der Dienstleistungsbeteiligten. Was darunter verstanden werden kann, soll in diesem Abschnitt diskutiert werden. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_6
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
5.1 Semantik des gemeinsam Geteilten Erlebens „ ... Ist es ein lebendig Wesen, Das sich in sich selbst getrennt? Sind es zwei, die sich erlesen, Dass man sie als eines kennt? ... Fühlst Du nicht an meinen Liedern, Dass ich eins und doppelt bin?“ Das ’gemeinsam Geteilte’ erscheint vordergründig anachronistisch. Goethe spielt mit dem ’Gemeinsamen’ und dem ’Geteilten’ in „Gingko Biloba“ aus dem westöstlichen Diwan und führt ihn poetisch tiefgründig zu einer Einheit mit dem doppeltem Ursprung des Eins- und Zweiseins zusammen. Viktor Frankl (2005, S. 45-46) differenziert im Zusammenhang therapeutischer Behandlung zwischen geteiltem und mitgeteiltem Leid, dessen beide Weisen einem Patienten Entlastung bieten. ’Geteiltes Leid’ impliziert ein gemeinsames Leiderleben von mindestens zwei Personen und konnotiert ein hohes Involviertsein in den leidverursachenden Umstand, begleitet von wechselseitiger Empathie; ’mitgeteiltes Leid’ dagegen ist primär auf die Kommunikation zwischen Personen bezogen und impliziert einen ersten distanzierenden Perspektiv- und Standpunktwechsel eines betroffenen Individuums vom Leiderleben, insofern es nämlich das eigene Erleben reflektieren muss, um es kommunizieren zu können.
5.1 Semantik des gemeinsam Geteilten Erlebens
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Eine Recherche im Duden ergibt weder für ’gemeinsam geteiltes Erleben’, noch für ’gemeinsam Geteiltes’ einen Treffer. Für ’gemeinsam’ finden sich im Duden (18.12.2013a) zwei Bedeutungen: erstens „mehreren Personen oder Dingen in gleicher Weise gehörend oder eigen“ und zweitens „in Gemeinschaft [unternommen, zu bewältigen]; zusammen, miteinander“ . Für ’teilen’ (Duden, 18.12.2013b) sind sechs Bedeutungen und davon eine mit drei und zwei weitere mit je zwei Untergruppen angeführt; davon kommen für diesen Zusammenhang folgende Bedeutungen in Frage: „gemeinsam (mit einem anderen) nutzen, benutzen, gebrauchen“ und „gemeinschaftlich mit anderen von etwas betroffen werden; an einer Sache im gleichen Maße wie ein anderer teilhaben“. Diese beiden Bedeutungen von ’teilen’ enthalten aber bereits die Konnotation des Gemeinsamen. Worin unterscheidet sich dann ein gemeinsam geteiltes Erleben von einem ’gemeinsamen’ oder von einem ’geteilten’ Erleben? Für das ’Erleben’ findet sich im Psychologischen Wörterbuch „jegliches Innewerden von etwas, jedes Haben mehr oder weniger bewusster subjektiver, seelischer Inhalte, jeder Vorgang im Bewusstsein.“ Jedes Erleben „besitzt immer nur ein begrenztes «Feld» ..., das allerdings von Mensch zu Mensch mehr breit oder eng, prägnant oder diffus, profiliert (durchgestaltet) oder flach ist“. Außerdem kann das Erleben den Inhalten nach in Bezug auf Wahrgenommenes und Angetroffenes präsent oder in Bezug auf Vergegenwärtigtes repräsentiert sein. Weiterhin wird eine passive Erlebensweise von einer aktiven unterschieden, wobei die Aktivität sich auf eine geistige Leistung des Auswählens, Ausrichtens und Profilierens bezieht; diese Differenzierung ist in dem aktuellen Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. (Häcker & Stapf, 1998, S. 241, Zitate mit Hervorhebungen im Original) Das Erleben findet also intraindividuell statt und ist interindividuell verschieden. Ein ’geteiltes Erleben’ zwischen Individuen betont die Interin-
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
dividualität und konnotiert sie mit einem verbindenden Erlebenscharakter in Bezug auf einen Sachverhalt; in dem oben genannten Beispiel des ’geteilten Leides’ verbindet die Empathie in Bezug auf ein Leidgeschehen, das nicht notwendigerweise allen Beteiligten widerfahren muss (aber es dennoch kann); eine mitfühlende Anteilnahme führt zu einer Gemeinsamkeit, obgleich der zugrundeliegende Sachverhalt nicht für beide antreffbar gewesen sein muss. Ein ’gemeinsames Erleben’ betont den gleichermaßen antreffbaren oder antreffbar gewesenen Sachverhalt, der dem Erleben verschiedener Individuen zugrunde liegt; der Erlebenscharakter in Bezug auf den angetroffenen Sachverhalt kann aber unterschiedlich sein. Die Antreffbarkeit der physischen Umwelt liegt jenseits einer Perzeption durch ein Individuum; als angetroffene Umwelt ist sie eine bereits wahrgenommene. Ein Sachverhalt, der sich auf physische Umweltmerkmale bezieht, ist danach in gleicher Weise antreffbar für alle Individuen, jedoch als Angetroffener interindividuell nicht derselbe. Ein ’gemeinsam geteiltes Erleben’ betont denn die Wahrnehmung eines gemeinsam antreffbaren Sachverhaltes, die sowohl interindividuell verschieden, als auch in irgendeiner Weise verbindend ist; gegenüber dem ’geteilten Erleben’ unterscheidet es sich a) durch die Gleichzeitigkeit des Erlebens und b) durch Gemeinsamkeiten der Wahrnehmenden, die über den Erlebensinhalt hinausgehen. Es kann ein von zwei Personen geteiltes Erleben beispielsweise eines Kunstwerkes so verstanden werden, dass beide zeitlich unabhängig voneinander – und auch in ihren sonstigen Eigenschaften ohne weitere Gemeinsamkeit – dasselbe betrachten, dieses aber in ähnlicher Weise empfinden oder beurteilen; im Sprachgebrauch würde es ausgedrückt: sie teilen ihr Erleben. Ein "gemeinsam geteiltes Erleben" des Kunstwerkes legt aber eine Gleichzeitigkeit des Erlebens nahe und/oder sie lässt eine andere und die beiden Personen verbindende Eigenschaft vermuten; es kann beispielsweise sein, dass im Kontext des Satzes ausgedrückt wird, dass beide Sachverständige der gleichen Kunstrichtung
5.1 Semantik des gemeinsam Geteilten Erlebens
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sind: „Das gemeinsam geteilte Erleben der beiden Experten ....“ vs. das "geteilte Erleben der beiden Experten ...“. Gegenüber dem ’gemeinsamen Erleben’ unterscheidet sich ’gemeinsam geteiltes Erleben’ allein durch den Faktor b, der als Konotation in ersterem Ausdruck nicht enthalten ist. Der antreffbare Sachverhalt, der Gegenstand dieser Arbeit ist, ist die räumlich physische Dienstleistungsumwelt; das Verbindende zwischen den wahrnehmenden Individuen, das über den angetroffenen Sachverhalt hinausgeht, ist der doppelte Interakt mit dem Ziel der Problemlösung. Die individuell sowieso bestehenden Unterschiede der Wahrnehmung werden in der Dienstleistungsdyade mit hoher Wahrscheinlichkeit durch weitere unterscheidende Faktoren ergänzt, die über die unterschiedlichen Rollen als Dienstleister und Bedienter psychisch wirksam sind. Auf der Grundlage dieser Vorarbeit für eine Definition eines gemeinsam geteilten Erlebens einer Dienstleistungsumwelt soll darunter im Rahmen dieser Arbeit folgendes verstanden werden: Die kognitive und affektive Perzeption einer räumlich physischen Umwelt eines Dienstleistungsgeschehens, deren Perzeption Dienstleister und Bedienter insofern gemeinsam haben, als sie die gleiche Umwelt im Rahmen einer Interaktion1 zwecks Erreichung eines gemeinsamen Ziels oder jeweils eigener2 und nur gemeinsam erreichbarer Ziele antreffen. Die perzeptiven Inhalte sind nur in Bezug auf das Antreffbare3 , nicht aber in Bezug auf das Angetroffene 4 gemeinsam.
1 2 3 4
impliziert die Zeitgleichheit Dem gemeinsamen Ziel der Problemlösung liegen durchaus auch jeweils eigene Ziele der Interaktionspartner zugrunde (vgl. Nerdinger, 1994, S. 111) in Bezug auf einen Beobachter (vgl. Abschnitt 4.2) das Antreffbare nach dessen Perzeption unter Bezug auf die jeweiligen Eigenschaften der Erfahrungen des Beobachters (vgl. Abschnitt 4.2)
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
5.2 Erleben als kognitive und affektive Umweltperzeption In Abschnitt 2 wurden Konzepte der Interaktion beschrieben, die das interaktionale Verhalten in seiner sozialen und kognitiven Organisation und ebenso die Handlung in der Dienstleistungsdyade fokussieren. Sie leuchten den Hintergrund aus, auf dem das Erleben der Dienstleistungsumwelt stattfindet und stellen damit auch Verbindendes eines gemeinsam geteilten Erlebens der Interaktionsbeteiligten heraus. Nerdinger (1994, S.231) schlägt vor, auch das Konzept des soziofugalen und soziopetalen Raumes (Osmond, 1957, zit. n. ebd.) zur Erklärung umweltbezogenen Verhaltens und Erlebens mit heranzuziehen; nach diesem Konzept führen bestimmte Eigenschaften der Umwelt dazu, diese zu meiden oder aber aufzusuchen; intraindividuell liegt dem ein Erleben zugrunde, das zu Annäherungs-/Vermeidungsverhalten führt. Dies kann aber nur ein erster Schritt sein; er lässt zudem Faktoren unberücksichtigt, welche das Verhalten steuern. Döring-Seipel (2008) hat in einer Zusammenfassung aktueller Forschungsansätze der Emotionspsychologie ein Pfadmodell entwickelt, das die Wechselwirkung zwischen Umwelt und Verhalten und Erleben in einer differenzierten Weise darstellt; affektive Prozesse interferieren darin in unterschiedlichem Ausmaß mit kognitiven Bewertungen oder werden als untrennbar miteinander verbunden angesehen. Das soziofugale/soziopetale Konzept kann über einen Pfad rein affektiven Erlebens wiedergefunden werden; diese Erlebensweise wird über keine weiteren ausdifferenzierenden Prozesse gesteuert. Eine Emotion wird ausgelöst und führt zu einer ausschließlich affektiven Bewertung einer Situation, ohne dass parallel laufende kognitive Prozesse abgeschlossen sind ( z.B. Zajonc, 1980; Murphy und Zajonc, 1993; Le Doux, 1996, zit. n. Döring-Seipel, 2008, S. 535); die automatischen affektiven Reaktionen auf den Umweltstimulus
5.2 Erleben als kognitive und affektive Umweltperzeption
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Abbildung 5.2.1: Pfad 1: affektive Bewertungen als Vermittler zwischen Umwelt und Verhalten (Abb. in Döring-Seipel, 2008, S. 538)
führen dann zu einem Entweder/Oder-Verhalten oder zu Verhaltenstendenzen von Vermeidung oder Annäherung (Abb. 5.2.1 ). Die affektive Reaktion lässt sich nach Mehrabian und Russel (1974, zit. n. ebd.) auf den zwei Dimensionen Valenz (pleasure) und Erregung (arousal) abbilden. Sie bestimmt aber auch, ob eine weitere Auseinandersetzung mit dem Raum stattfindet, indem er beispielsweise erkundet wird (Ward und Russel 1981; zit. n. ebd.). Erfahrungen mit einer Vielzahl von Umwelten führen über die Zeit durch Lernprozesse zu „Wissensstrukturen, die Informationen über spezifische Umwelten mit emotionalen Markierungen verknüpfen“ (Döring-Seipel, 2008, S. 542); die sind wiederum die Grundlage bewusster Entscheidungen, eine spezifische Umwelt aufzusuchen um Bedürfnisse zu befriedigen oder Ziele zu erreichen ( Abb. 5.2.2 ). Dieser zweite Pfad beruht auf kognitiven Theorien, die Emotionen als Folge von relativ elaborierten kognitiven Bewertungsprozessen behandeln (z.B. Mandl und Reiserer, 2000; Reisenzein, 2000; Scherer,1993; zit. n. ebd., S. 535). Ein dritter Pfad (Abb. 5.2.3) beruht auf Forschungsansätzen unter dem „Affect as Information“-Paradigma, welche das Bedingungsgefüge untersuchen, unter dem Personen auf emotionale Signale für Ihre Urteilsheuristik in Urteils- und Entscheidungsprozessen zurückgreifen (vgl. Schwarz, 1990, in
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
Abbildung 5.2.2: Pfad 2: emotionale Markierungen von Ortsrepräsentationen beeinflussen Entscheidungen (Abb. in Döring-Seipel, 2008, S. 543)
ebd., S. 536). Er führt über die Umweltbedingungen als „Kontextfaktoren, die emotionale und kognitive Sets verändern und darüber Informationsverarbeitungsprozesse und Verhalten beeinflussen“(Döring-Seipel, 2008, S. 542). Hellbrück und Fischer (1999, S. 290) beschreiben beispielsweise Forschungsergebnisse, die zumindest hinsichtlich der Attraktivität von Räumen einen Attributionsfehler der Besucher auf den Interaktionspartner nachweisen: „In als attraktiv wahrgenommenen Räumen ist die Bereitschaft, affiliatives Verhalten zu zeigen, erhöht“ (Russell und Mehrabian, 1978, zit. n. ebd.) „Im Gegenzug werden in als hässlich erscheinenden Räumen Interaktionspartner als weniger anziehend empfunden“ (Maslow und Mintz, 1956; Mintz, 1956, zit. n. ebd.). „Vielmehr noch wird das dadurch ausgelöste Missbehagen fälschlicherweise auf die Interaktionspartner attribuiert“ (Aiello
5.2 Erleben als kognitive und affektive Umweltperzeption
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Abbildung 5.2.3: Pfad 3: Stimmungen beeinflussen Verhalten in Umwelten(Abb. in Döring-Seipel, 2008, S. 545)
und Thompson, 1980, zit. n. ebd.). Generell erhöht sich die Wahrscheinlichkeit prosozialen Verhaltens in attraktiven Umgebungen (Amato, 1981; zit. n. Döring-Seipel, 2008, S. 544). Die affektive Resonanz auf Umwelten kann offensichtlich „zu mehr oder weniger nachhaltigen Stimmungsveränderungen führen, die wiederum als Kontextfaktor weitere Informations- und Handlungsprozesse in einem spezifischen Setting beeinflussen“ (Döring-Seipel, 2008, S. 544). Diese Stimmungen wirken sich nicht nur im Verhalten gegenüber der Umwelt aus, sondern wirken auch auf „ein breiteres Spektrum von Verhaltens- und Erlebensweisen innerhalb eines konkreten Umweltkontextes“(Döring-Seipel, 2008, S. 544), wie zum Beispiel auf die Wahrnehmung von und den Umgang mit Interaktionspartnern. Ein vierter Pfad (Abbildung 5.2.4 gründet auf Modulationsansätzen, welche nicht von einer Wechselwirkung zweier Subsysteme kognitiver und
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
Abbildung 5.2.4: Pfad 4: umweltbezogene Emotionsregulation (Abb. in DöringSeipel, 2008, S. 550)
affektiver Verarbeitung ausgehen, sondern Emotionen als untrennbar mit informationsverarbeitenden Prozessen verbunden betrachten. Emotionen kennzeichnen die spezifische Funktionen des kognitiven Systems und lassen sich über Modulationsparameter beschreiben5 (Lantermann, 2000; Dörner 1999, zit. n. ebd., S. 536-537). Emotionen können nicht nur als Reaktionen auf Umweltsituationen angesehen werden, die dann das weitere Erleben und Verhalten in Bezug auf die Umwelt steuern, sondern sie lassen sich umgekehrt auch als Motivationsfaktoren für intentionales Umweltverhalten konzipieren, die dann wiederum 5
Solche Modulationsparameter sind: Auflösungsgrad der Wahrnehmung, Sicherungsschwelle, Konzentrationsgrad und Aktivierung. Angst ist beispielsweise „durch hohe Aktivierung, einen niedrigen Auflösungsgrad der Wahrnehmung, niedrige Konzentration und eine geringe Sicherungsschwelle gekennzeichnet ...“ (zit. n. Döring-Seipel, 2008, S. 537)
5.2 Erleben als kognitive und affektive Umweltperzeption
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„in Abhängigkeit von emotionsbezogenen Zielen die Wahl von Umwelten und raumbezogenen Verhaltensweisen“ (Döring-Seipel, 2008, S. 549) beeinflussen. Nach der kognitiv orientierten Attention-Restoration-Theory (ART) (Kaplan und Kaplan, 1989; Kaplan, 1995; zit. n. Döring-Seipel, 2008, S. 546) eignen sich Umwelten mit spezifischen Qualitäten dazu, erschöpfte Aufmerksamkeitsressourcen zu regenerieren. Ulrich (1983; Ulrich, R. S., Simons, R. F., Losito, B. D., Florito, E., Miles, M. A. und Zelson, M., 1991; zit. n. Döring-Seipel, 2008, S. 547) sieht dagegen den Erholungswert von Umwelten in der ausgleichenden Wirkung auf negative Emotionen und physiologische Stressparameter. Döring-Seipel referiert weitere Studien, nach denen Umweltpräferenzen über das wahrgenommene Erholungspotential vermittelt werden (van den Berg, Koole und van der Wulp, 2003, zit. n. ebd.) und Umweltpräferenzen sich auch stimmungsabhängig verändern (Mealey und Theis, 1995, zit. n. ebd.). Letzteres findet sich auch in dem einleitend zu dieser Arbeit geschilderten Raumerlebnis wieder. Korpela (1989, 1992, zit. n. ebd.) untersucht die Funktion von Lieblingsplätzen und verbindet Konzepte der Selbst- und Emotionsregulation mit restorativen Umwelten und dem place-identity-Konzept; er prägte den Begriff einer environmental selfregulation. „Restorative Erfahrungen an definierten Orten werden danach Teil von Regulationsstrategien zur Stabilisierung des Selbstwerts und zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung von positiven Emotionslagen, die wiederum die Basis für die Entstehung von Ortsbindung bilden“ (Döring-Seipel, 2008, S. 548). Korpela fand, dass das Erleben von Sicherheit, Kontrolle und einer uneingeschränkten Verfügbarkeit des Ortes die entscheidenden Kriterien für die Entwicklung restorative Wirkung von Plätzen ist und für die Entwicklung von Ortsidentität verantwortlich sind. Man kann deshalb auf bewusste, aktive Strategien der Selbst- und Emotionsregulation schließen, die zu einer bevorzugten Wahl von Orten führen. Das Pfadmodell vermittelt einen Eindruck darüber, dass dem Erleben des Raumes komplexe Verarbeitungsprozesse
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
zugrunde liegen, denen je nach Untersuchungsgegenstand in spezifischer Weise Rechnung getragen werden sollte.
5.3 Eine antreffbare, aber zwei angetroffene Dienstleistungsumwelten In Abschnitt 4.2 wurden Gibsons Umweltaffordanzen in Bezug auf einen Beobachter als invariante und der Umwelt inhärente Eigenschaften, aber als variabel gegenüber den Eigenschaften der Erlebensweise eines Beobachters referiert. Die Umwelteigenschaften sind nach diesem Verständnis für ein jedes Individuum in gleicher Weise antreffbar, aber werden von den Einzelnen in einer jeweils variierenden Weise angetroffen. Eine angetroffene Umwelt ist die Umwelt im Erleben eines Individuums; sie wird von individueller Stimmungslage beeinflusst, sowie davon, welche Bedürfnisse befriedigt oder Ziele in oder über die Umwelt erreicht werden sollen, also von motivationalen Faktoren. Eine Dienstleistungsumwelt ist in der Regel für eine bestimmte Nutzung gestaltet; der Gestaltung liegen die Bedürfnisse und Ziele bestimmter Nutzergruppen zugrunde; gruppenspezifisch können sie interindividuell als gleich oder ähnlich angenommen werden. In der Dienstleistungsdyade sind die zwei zentralen Nutzergruppen Dienstleister und Bedienter, die mit Bezug auf die vorliegende Fallstudie durch die Mitarbeiter des Bürgerbüros und die aufsuchenden Bürger konstituiert werden. Das Bürgerbüro als für beide Gruppen antreffbare Umwelt wird von beiden Gruppen unterschiedlich angetroffen. Im Blick der jeweiligen Nutzergruppe gewinnt sie unterscheidende Bedeutung, und es findet in ihr unterscheidbares Verhalten der Nutzer statt. Beispielsweise wird die Dienstleistungsumwelt über eine unterschiedliche lange Aufenthaltsdauer, verschiedene Nutzungsmotivationen und Gruppenzugehörigkeit der Nutzer für die Einen zu einem
5.3 Eine antreffbare, aber zwei angetroffene Dienstleistungsumwelten 83 mehr oder weniger dauerhaften Arbeits- und für die Anderen zu einem temporären, nur zeitweise und eher selten benutzten Raum. Dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin ist die räumlich physische Umwelt in einem gewissen Maß zu eigen; er oder sie verbringt dort einen großen Teil eigener Zeit, hier finden für ihn oder sie bedeutsame soziale Kontakte zum Kollegenkreis und zu Vorgesetzten statt, und möglicherweise kann die Umwelt mit eigenen persönlichen Dingen ausgestattet werden; es ist der Ort, der für die eigene Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht oder vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wurde, und es ist nicht zuletzt eine Arbeitsumgebung, die auf die eigene Tätigkeit hin angepasst und gestaltet ist. Der Bürger oder die Bürgerin hält sich in der Dienstleistungsumwelt nur für die Zeitspanne auf, die zur Bearbeitung des eigenen Anliegens oder für die zu der dazu nötige faceto-face-Kommunikation erforderlich ist; in vermutlich den meisten Fällen will er oder sie das auch nur möglichst kurz. Er oder sie trifft auf einen Raum, der bereits von dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin besessen wird und ihm oder ihr, dem Bürger oder der Bürgerin, damit nicht zu eigen ist; er oder sie ist ein oder eine zeitweise Hinzukommender beziehungsweise Hinzukommende und Gast. Der Raum teilt sich in seiner oder ihrer Wahrnehmung in Bereiche die ihm oder ihr zugewiesen sind (zum Beispiel eine Wartezone) und solche, die ihm oder ihr verwehrt sind oder nur durch eine Normverletzung begangen werden können (zum Beispiel die Seite eines Schreibtisch- und Besprechungsplatzes6 , die erkennbar dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin zugeordnet ist und von ihm oder ihr benutzt wird). Die Umweltpsychologie formuliert diese Differenzierung in Begriffen wie Territorialität, Privatheit, sowie öffentlicher und privater Raum mit Abstufungen dazwischen. Dem gruppenspezifisch unterscheidbaren Bedeutungsgehalt der 6
Eine Kombination aus Schreib- und Besprechungstisch in Form einer den Schreibtisch verlängernden Tischplattengeometrie, mit rollbarem Bürodrehstuhl für den Arbeitsplatzinhaber und weiteren Sitzplätzen für Andere.
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
Umwelt und dem Verhalten darin liegen gruppenbezogen unterschiedliche Bedürfnisse und Ziele zugrunde, die gemeinsam und mit dem gemeinsamen Ziel der Problemlösung zu verwirklichen sind. Die antreffbare Dienstleistungsumwelt ist daraufhin funktional organisiert und zerfällt in die zwei angetroffenen Umweltabschnitte für den Dienstleister und den Bedienten, beziehungsweise den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin und den Bürger und die Bürgerin.
5.4 Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt Eine instrumentelle Dienstleistungsumwelt bezeichnet die Eigenschaft der Umwelt auf den Prozess der Dienstleistungserbringung ausgerichtet zu sein, also sowohl die instrumentellen als auch die sozialen Handlungen zur Problemlösung zu unterstützen und darüber hinaus eine Atmosphäre bereitzustellen, die dem Dienstleistungsziel förderlich ist. Der Zusammenhang instrumenteller Handlungen zur Umwelt wurde in Abschnitt 2.2 kursorisch erläutert; er ergibt sich im wesentlichen aus den Anforderung an eine Arbeitsplatzgestaltung, die zu jeweiligen instrumentellen Handlungen befähigt. Ein Bezug zwischen der Umwelt und den sozialen Handlungen, deren Aspekte in den Abschnitten 2.3, 2.4, 2.5 und 2.6) vorgestellt wurden, ist wesentlich komplexer; ihn haben Altman und Lett (1970) in ihrem ökologischen Modell sozialer Interaktion (Abb. 5.4.1) formuliert. Auch dieses Modell ist dyadisch konzipiert und hat als zentrale Komponente die Situationsdefinition. Neben den physikalischen/physiologischen und personalen Charakteristika der an der Dyade beteiligten Personen, beeinflussen auch interpersonelle ~ und Umweltcharakteristika die Definition der Situation, die wiederum nach Goffmann (1959, zit. n. Hellbrück & Fischer, 1999, S. 267) das in der Situation gezeigte Verhalten der Interaktionspartner modifiziert. „Erwartungen bezüglich des Verhaltens des Interaktionspart-
5.4 Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt
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Abbildung 5.4.1: Das ökologische Modell sozialer Interaktion (in Altman & Lett, 1970, S. 185)
ners und des eigenen Verhaltens”, sowie „Vorstellungen darüber, welches Verhalten der Situation angemessen und wie die interpersonale Beziehung zu gestalten ist” (Hellbrück & Fischer, 1999, S. 267) sind Antezedenzen der Situation; eine Interaktion gelingt, wenn sie zwischen beiden Partnern konsistent sind; außerdem sind sie am offenen Verhalten im Zusammenspiel des Gebrauchs der„Umweltgegebenheiten (environmental props), also Räume und Objekte” und „körperlichen Manifestationen des Selbst (Mimik, Gestik, Körperhaltung und Körperorientierung, Blickkontakt, u.a.)” (ebd., S. 267, Hervorheb. im Original) ablesbar. Die körperlichen Manifestationen bezeichnen Altmann und Lett als self markers. Der wechselseitige Einsatz von ’environmental props’ und ’selfmarkers’ mündet in komplexen Verhaltensmustern; auf die Prozesskomponenten der internalen Evaluation und adaptierten Situationsdefinition wird hier nicht weiter eingegangen. Für die Dienstleistungsumwelt wäre nach diesem Modell zu fordern, dass die Um-
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
weltcharakteristika in einer Weise gestaltet sind, dass sie eine für die dienstleistende und die bediente Person konsistente Situationsdefinition im Sinn der Leistungserfüllung ermöglichen, und der kombinierte Gebrauch von environmental props und selfmarkers in kongruenter Weise einer zielführenden Interaktion förderlich sind. Beispielsweise erzwingt die Abmessung eines Besprechungstisches eine bestimmte interpersonale Distanz (vgl. Abschnitt 9.4.4: interpersonale Distanz). Ist der Tisch zu klein konzipiert, werden die Interaktionspartner durch ein entsprechendes Abrücken des Sitzplatzes die Distanz (environmental prop) verändern, oder sich, wenn das nicht möglich ist, durch voneinander abgewendete/n Körperorientierung und/oder Blickkontakt (selfmarker) in eine der sozialen Beziehung als angemessen empfundene Position bringen und so die unangepasste Umwelteigenschaft des zu kleinen Tisches korrigieren. Eine Tischgröße, die der gebotenen interpersonalen Distanz entspricht, ermöglichte hingegen einen kongruenten Einsatz von Stuhlausrichtung, Körperorientierung und Blickkontakt im Sinn eines interaktionsfreundlichen Verhaltens. Nach Nerdinger (1994) muss sich die Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt daran messen lassen, in welchem Grad sie geeignet ist, die erforderlichen instrumentellen und sozialen Handlungen zur Dienstleistungserbringung derart zu unterstützen, dass die Erwartungen des Bedienten mit den Zielen der Organisation zu einem aus beider Perspektive wahrgenommenen Erfolg gebracht werden können. Dazu kann auch die Forderung zählen, einen Beitrag dazu zu leisten, die Salienz strukturell angelegter Zielkonflikte zwischen den Beteiligten zu reduzieren (vgl. Abschnitt 3). Das Ziel besteht nicht allein in der Lösung des Problems sondern richtet sich auch und wesentlich auf die Erfahrungsqualitäten7 des Prozesses der Dienstleistungserbringung. Für die Umweltbewertung ist dann der Grad entscheidend, 7
zur Differenzierung zwischen Prüf-, Vertrauens- und Erfahrungsqualitäten siehe Nerdinger (1994, S. 49)
5.4 Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt
87
„in dem die Akteure diese Umwelt als instrumentell für die Interaktion beziehungsweise den Prozess der Dienstleistung erleben” (Nerdinger, 1994, S. 232). Nerdinger differenziert im weiteren Verlauf zwischen funktionellen und atmosphärisch-emotionalen Aspekten der Umweltgestaltung und skizziert diese Differenzierung an zwei Beispielen: „Zu einem solchen Konzept zählen damit zum einen rein funktionelle Aspekte der Gestaltung, zum Beispiel, ob die Form eines Counters eine angemessene Interaktion ermöglicht. Darüber hinaus sind aber auch atmosphärisch-emotionale Dimensionen zu berücksichtigen: So teilen (vermutlich) Anwälte und ihre Klienten die Ansicht, dass ihre Interaktionen in einem vertraulichen Klima stattfinden müssen. Die Frage ist dann, inwieweit beide Parteien das Umfeld der Anwaltskanzlei als vertrauenerweckend empfinden und durch welche konkreten Maßnahmen das Umfeld den geteilten Erwartungen an die Dienstleistung adaptiert werden kann.” (ebd, S.232, Hervorhebung im Original) Der Verfasser ist in einer früheren Arbeit zur nutzerorientierten Programmentwicklung (Abschnitt 8.1.1) des Bürgerbüros auf einige differentielle Probleme in einer konzeptionellen Zuordnung von konkreten Gestaltungsmaßnahmen zu funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Dimensionen gestoßen (Abschnitt 8.1.5.2). An den oben zitierten Beispielen sei das nachfolgend erläutert: Betreffend eines Counters stellt sich die Frage, wann konkret er als interaktionsermöglichend angesehen werden kann. Ein Merkmal ist sicher die Abmessung des Möbels in der Richtung zwischen den beiden Akteuren, über welche unter anderem die interpersonale Distanz reguliert wird. Eine unangemessene, beispielsweise zu nahe interpersonale Distanz führt aber nach Hall (1966) bei den Interaktionspartnern zu einem
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5 Gemeinsam geteiltes Umwelterleben der Dienstleistungsakteure
unangenehmen Gefühl; nach dem Altmann-Lett-Modell würden die Akteure als Folge eines unangenehmen Gefühls selfmarkers zur Gegenregulierung einsetzen und zum Beispiel den Blick abwenden. Insofern hat der nach Nerdinger funktionelle Aspekt der Form des Counters in jedem Fall auch einen atmosphärisch-emotionalen. In einem weiteren Beispiel einer vertraulichen Atmosphäre in einer Anwaltskanzlei spielt die Raumakustik eine wichtige Rolle, welche durch geeignete Auswahl und Kombination von schallabsorbierenden zu schallreflektierenden Raumumfassungsflächen, mit einem Schwerpunkt auf absorbierende Flächen, gedämpft wird und schallgeschützte Türen und Fenster eine Schallübertragung vertraulicher Gespräche nach außerhalb verhindert. Sie trägt damit zu einer wahrgenommenen Diskretion bei. Das Umweltmerkmal Raumakustik kann damit als funktionell in Bezug auf die Erzeugung von Diskretion und Privatheit (Kruse, 1980) in der Interaktion aufgefasst werden. Es besteht also einige Schwierigkeit, der Differenzierung zwischen funktionellen und atmosphärisch-emotionalen Komponenten der Umweltgestaltung zu folgen, auch wenn die Unterscheidung zunächst als sehr plausibel erscheint. Aus diesem Grund sucht diese Arbeit über eine Fallstudie den grundlegenden Merkmalen der Dienstleistungsumwelt und deren Bewertungskriterien im Zusammenhang der kommunalen Dienstleistung „Bürgerbüro” nachzugehen. Es wird angenommen, dass alle Merkmale der Umwelt in Bezug auf das Verhalten und Erleben der Nutzer funktionell sind; ihre Wirkung zeigt sich in der kognitiven und emotionalen/affektiven Perzeption und Reaktion der Nutzer. Entscheidend für eine dienstleistungsspezifische Umwelt ist der Grad, in welchem sie zu einer Wahrnehmung und einem Verhalten der Beteiligten beiträgt, die beziehungsweise das zu einer von ihnen als positiv empfundenen Erfahrung der Dienstleistungserbringung beiträgt; sie stellt sich vermutlich dann ein, wenn die Erlebens- und Verhaltensangebote der Umwelt mit den Zielen, die beide Akteure im Rahmen der Dienstleistung erreichen wollen, kongruent
5.4 Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt
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sind. In der praktischen Umsetzung werden die Umweltmerkmale in einer phänomenologischen Herangehensweise unter Rückgriff auf das Affordanzkonzept identifiziert und geordnet; aus den Affordanzen der Umwelt werden die Bewertungskriterien auf der Grundlage der Ziele und Anforderungen, die in der nutzerorientierten Programmentwicklung für die Fallstudie formuliert wurden, extrahiert und ebenfalls geordnet (Abschnitte A.4 und 10). Es wird erwartet, mit dieser bottom-up-Strategie eine Struktur zu finden, die eine Instrumentalität der Dienstleistungsumwelt beschreibbar macht, und diese Struktur in einen facettentheoretischen Abbildungssatz (Borg & Shye, 1995) (Abschnitt 11.2.1) als Basis für eine empirische Erhebung (Abschnitt 11) überführen zu können.
6 Sozialperspektivität In Kapitel 2 wurde am dyadischen Strukturmodell der Dienstleistung die Notwendigkeit wechselseitig bezogenen instrumentellen und sozialen Handelns aufgezeigt, das erforderlich ist, um eine Dienstleistung zu erbringen. Es wurden im weiteren Verlauf der doppelte Interakt als grundlegende und kleinste Einheit der verschiedenen Interaktionsformen, sowie Modelle der sozialen und kognitiven Organisation einer Interaktion beschrieben. Außerdem wurde auf die Unterscheidung zwischen wechselseitiger Handlungserwartung und dem tatsächlichen Handeln hingewiesen und auch auf die verbale und nonverbale Kommunikation, über welche Handlungserwartung und Handlung im Dienstleistungskontext moderiert wird. Über Goffmanns Theorie dramaturgischen Handelns wurde ein Verständnis der dialektischen Ausdrucksgestaltung und Eindrucksbildung im Rahmen des Dienstleistungshandelns möglich, und es wurde die Dienstleistungsumwelt als ein dementsprechend ausgestaltetes Bühnenbild identifiziert. Den Mangel an Erklärungskraft für das Beobachtbare dieser nur beschreibenden Theorie hatte Nerdinger kritisiert und auf kognitiver Ebene ein universelles Kontrollmotiv angeführt, welches dem Dienstleistungshandeln vorwiegend des Dienstleister zugrunde liegt; beispielhaft zeigte er auf, wie Dienstleister über Verhaltens- und kognitive Kontrollmechanismen sozial handelnd eine Kontrolle über die Bedienten gewinnen. Im integrativen Modell der Motivations- und Handlungskontrolle Kuhls wurde die Umweltkontrolle als einer von mehreren Vermittlungsprozessen gefunden, über die Handlungsabsichten realisiert © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_7
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6 Sozialperspektivität
werden. Mit den umweltpsychologischen Konzepten (Abschnitt 4) des Behavior Settings und der Affordanzen und ihrer Synthese wurde der Einfluss von Umweltkonstellationen auf interindividuelles Verhalten beschrieben und die Wirksamkeit auf der individuellen Ebene erklärt. Im Abschnitt 5 wurde eine Definition des gemeinsam geteilten Erlebens der Dienstleistungsumwelt gefunden, und es wurden die Konzepte kursiv referiert, die Döring-Seipels Pfadmodell kognitiven und affektiven Umwelterlebens zugrunde liegen, um die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen einer antreffbaren und einer Vielzahl von angetroffenen Umwelten zu verdeutlichen; denn die perzeptiven Inhalte einer bestimmten Umwelt sind nur in Bezug auf das Antreffbare, nicht aber in Bezug auf das Angetroffene gemeinsam. Die angetroffenen Umwelten können zielgruppenspezifisch nach vergleichbarer Bedürfnislage und ähnlichen Zielen kategorisiert werden; im Kontext des dyadischen Modells der Dienstleistung sind das die des Dienstleisters und des Bedienten und im Fallbeispiel dieser Arbeit damit die der Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen des Bürgerbüros und die der Bürger oder Bürgerinnen, die das Bürgerbüro aufsuchen. Innerhalb des Dienstleistungssettings stimmen die Interaktionspartner ihr Handeln wechselseitig unter einer bestimmten Zielsetzung aufeinander ab; eine kognitive und Verhaltenskontrolle (siehe Abschnitt 2.6) ist darin wesentlich, um die Situation, wie zum Beispiel das Verhalten und Erleben des Interaktionspartners und/oder die Umweltbedingungen der Situation, zu beeinflussen. Automatisierte wechselseitige Reaktionen, wie zum Beispiel im Rahmen eines Skriptes, erfordern für beide Partner eine gleiche Erwartung an die jeweilig erforderliche Ereignisabfolge mit einer dementsprechenden Verhaltensbereitschaft und tatsächlichem Verhalten; ist das nicht der Fall, wird die Interaktion gestört und eine Neujustierung des Verhaltens in Bezug
93 aufeinander wird erforderlich1 ; auch diesen automatisierten Reaktionen liegt ein Kontrollprozess zugrunde, der den intraindividuellen Abgleich einer angetroffenen Situation mit den eigenen Erwartung in Bezug auf die Situation zum Inhalt hat. Wenn sich dieser Kontrollprozess nicht nur auf den Abgleich einer angetroffenen Situation mit der erwarteten bezieht, sondern auch auf deren Veränderungspotential in Bezug auf einen Zielzustand, dann ist es für einen Interaktionspartner erforderlich, sich einen zutreffenden Eindruck vom Erleben und von den Handlungsabsichten des komplementären Partners zu bilden. Die symbolisch-interaktionistische Variante der Rollentheorie spricht hier vom interpretativen Rollenhandeln; es basiert auf den individuellen Fähigkeiten zu Rollenübernahme, Rollengestaltung und Rollendistanz; sie setzen allesamt die kognitive Fähigkeit eines Perspektivwechsels voraus. Bei der Rollenübernahme ist es die Fähigkeit, die Perspektive des Anderen einzunehmen; in der Rollengestaltung ist die Antizipation zukünftiger Situationen wesentlich, und in der Rollendistanz findet ein Perspektivenwechsel in Bezug auf das Selbstbild – innerhalb der Rolle und in Distanz zu ihr – statt. Situationsspezifisches Verhalten eines Interaktionspartners kann so antizipiert und mit einem Verhalten beantwortet werden, das in einer mehr oder weniger großen Anbindung an die eigene Rolle oder die Rollenerwartung des Anderen ausgestaltet ist. Zielgerichtetes Handeln in Bezug auf Andere ist dann erfolgreich, wenn Wahrnehmung und Handlungsabsicht der Anderen annähernd bekannt sind, eine Perspektivübernahme also auch gelingt, und wenn das Handeln darauf Bezug nimmt. Perspektivübernahme, Perspektivwechsel zwischen Metaperspektiven und zwischen Meta- und Direktperspektiven und ihre Qualität sind aber das Thema sozialperspektivischer Untersuchungen. In der Einleitung ihrer 1
Ein Beispiel dazu gibt Kruse (1986, S. 137)
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6 Sozialperspektivität
Habilitationsschrift beschreibt Strack (2004) die Sozialperspektivität als ein Forschungsgebiet, „welches das entwicklungs- und sozialpsychologische Konstrukt der ‚Metaperspektive‘ (engl.: metaperception) und den Vorgang der Perspektivenübernahme (Perspektivenwechsel, ‚theory of mind‘) mit dem ‚alten‘ Begriff des sozialen Selbst (das ‚Mich‘ - mein Ich im Spiegel der anderen, James 1891: 293ff) verbindet (z.B. Fassheber 1977, 1999, et al. 1995). Die soziale Perspektivenübernahme bezeichnet die wohl genuin menschliche Fähigkeit, sich Wahrnehmungen, Gedanken und Meinungen anderer Personen vorstellen zu können. Eine Metaperspektive einzunehmen erfordert, aus der Bindung an die eigene Ich-Hier-Jetzt Position kognitiv heraustreten und in die Perspektive anderer Personen wechseln zu können – oder auch in eine Perspektive, wie sie durch eine andere, gegebenenfalls ideelle Situation bedingt wäre, durch einen Zeitpunkt in der Zukunft oder einen nach einem alternativen geschichtlichen Verlauf (kontrafaktisches Denken: ‚was aber wäre wenn ...‘). Derlei verschiedenartige Perspektiven miteinander vergleichen, auf einander beziehen und zu einer multiperspektivischen Vorstellung integrieren zu können, stellt eine maßgebliche Komponente menschlicher Intelligenz dar. Erst die Fähigkeit zum kognitiven Wechsel in andere Situationen und die Perspektive anderer Personen, anwesender Interaktionspartner ebenso wie der von Mitgliedern abstrakter sozialer Kategorien (der Leserschaft, ‚des Kunden‘, der zukünftigen Generationen), erlaubt ein intelligentes strategisches Handeln. Soziales Handeln ist an eigenen Zielen und an anderen Personen orientiert (Geulen
95 1982), ihre vermuteten Reaktionen, Bewertungen und Intentionen werden in die eigene Handlungsplanung, die kooperative oder kompetitive Ziele verfolgen mag, einbezogen.“ (Strack, 2004, S. 1-2) Diese Inhaltsbeschreibung sozialperspektivischer Forschung legt nahe, dass hier ein Ansatz zur Erforschung der Wirkung von Umweltgestaltung in ihrem sozialen und dienstleistungsrelevanten Kontext gefunden werden kann; wenngleich die räumlich physische Umweltgestaltung nicht explizit erwähnt ist, so findet sie sich doch im Begriff der „Situation“ wieder; die Situation ist nicht nur eine ausschließlich soziale, sondern auch eine soziale im Kontext einer räumlich physischen Umwelt. Diese Umwelt steht als Teil der Umwelt U nach Lewins (1951) Feldtheorie V= f(P,U) oder des darauf bezugnehmenden Settingkonzeptes Barkers in einer funktionalen Beziehung zum Verhalten V einer Person P. Auch Gibsons Affordanzkonzept, nach dem die gegenständliche Umwelt Angebote bereit stellt, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten, steht in dieser Tradition. Dass neben dem Verhalten auch der Erlebensaspekt eng mit der Umwelt verbunden ist, ist seit der kognitiven Wende der Verhaltenspsychologie und mit dem zunehmenden Erkenntnisgewinn aus der Emotionspsychologie selbstverständlich und wurde im Abschnitt 5.2 beschrieben. Nicht zuletzt liegt auch dem Gestaltungsprozess der Umwelt zielgerichtetes, intelligentes strategisches Denken und Handeln zugrunde; zur Entwicklung von Umweltgestaltung sind Perspektivwechsel in zum Beispiel eine ideelle zukünftige Situation oder in erwartetes oder zu erwartendes Nutzerverhalten oder auch in ein ästhetisches oder architekturtheoretisches Konzept grundlegend. In ihrer architekturpsychologischen Forschung nutzt auch Walden (2008) implizit einen metaperspektivischen Ansatz zur Evaluation von Gebäuden. Die evaluierende Person wird zum Perspektivwechsel auf eine zukünftige ideelle gebaute Umwelt anregt, um zu
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6 Sozialperspektivität
Verbesserungsvorschlägen anhand der aktuell realisierten zu gelangen2 . In der vorliegenden Arbeit wird eine sozialperspektivische Herangehensweise explizit gemacht und auch Perspektivübernahmen zwischen den Nutzergruppen aus der dyadischen Dienstleistungsbeziehung einbezogen.
6.1 Theoretische Grundlage und Anwendungsfelder In sozialperspektivischer Forschung werden Perspektiven und Perspektivübernahmen auf ihre Art von und auf ihr Ausmaß an interpersonellen Perspektivdiskrepanzen hin untersucht. Strack differenziert drei Anwendungsgebiete, die allesamt aus Heiders (1946, zit. n. Strack, 2004) Balancetheorie abgeleitet sind: „Balance in der Repräsentation sozialer Beziehungen variiert, weil die Gefühle einer Person P gegenüber einer oder mehreren anderen, O(ther), von dem von P mit O angenommenen Konsens über Sachverhalte und Meinungsgegenstände X abhängig sind: P [O] = P [O [x]] · P [x]. Wahrgenommene Ähnlichkeit in der Wertschätzung oder vermutete gemeinsame Ablehnung von X fördern Sympathie und Zugehörigkeit“. (Strack, 2004, S. 6) Eine Überführung von Heiders Balancedreieck in sozialperspektivische Terminologie zeigt Abb. 6.1.1. Der rechte Teil der Abbildung wird als das 2
Walden (2008, S. 158) beschreibt ihre Einführung einer Skala in die „Koblenzer Architekturfragebögen„ im Zusammenhang der Evaluation der Commerzbank Frankfurt (Sir Norman Foster), auf der die Qualität eines Gebäudeaspektes und seine Wichtigkeit in der Zukunft eingeschätzt werden sollte. Damit wird bei der beurteilenden Person implizit ein Perspektivenwechsel auf eine ideelle zukünftige Situation angeregt, allerdings ohne den Situationszusammenhang zu explizieren; der ist aber durch den Kontext des aktuell evaluierten Merkmals für die evaluierende Person implizit angeregt.
6.1 Theoretische Grundlage und Anwendungsfelder
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Abbildung 6.1.1: Einführung in die Perspektivennotation nach Fassheber am Beispiel der kognitiven POX-Triade der Balancetheorie Heiders (Abb. in Strack, 2004, S. 6)
intrapersonelle Diskrepanzdreieck bezeichnet; es wird als autopoetisch in dem Sinne betrachtet, als die Wahrnehmungen nur innerhalb eines kognitiven Systems, nämlich der Person P, stattfinden und wirksam werden, ohne dass deren Veridikalität am Anderen (O) geprüft wird. Neben der Abbildung der Theorie des „Value-Fit“ P [O] = P [O [x]] · P [x] lässt sich auch das sozialpsychologisch relevante Phänomen „sozialer Einfluss“ in Form von P [O [x]] · P [O] = P [x] aus dem Balancedreieck ableiten; die Annahme eines autopoetischen Systems trifft hier ebenfalls zu. Beides sind Einsatzgebiete metaperspektivischer Forschung: die Theorie des „Value-Fit“ zum Beispiel in der Arbeits- und Organisationspsychologie zu Themen wie Zufriedenheit und Motivation, und der „soziale Einfluss“ im Zusammenhang mit „Compliance“, zu der Freundschaft, Vertrauen und wahrgenommene Legitimität einer Position (repräsentiert durch P[O]) führen. Ein dritter Ansatz metaperspektivischer Betrachtung bezieht die Regulation von Diskrepanzen in wechselseitigen Perspektivübernahmen ein. Die Ausgangsableitung aus Heiders Balancedreieck lautet hier: P [O [x]] = P [x] · P [O]: Ps Annahme von Os Beziehung zu X setzt sich innerhalb des Balancesystems aus Ps Bild von X und von O zusammen. Die Klärung der Frage, ob aber Ps Annahme gerechtfertigt ist, erfordert es, die Perspektivübernahmen verschiedener kognitiver Systeme – also sowohl von P als
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6 Sozialperspektivität
Abbildung 6.1.2: Struktur des interpersonellen Diskrepanzdreiecks (in Strack, 2004, S. 17)
auch von O3 – miteinander auf deren Veridikalität, also Akkuratheit der Perspektivübernahme, zu vergleichen. Die Akkuratheitsdiagnose einer Metaperspektive P [O [x]] erfordert ihren Vergleich durch einen Fremdbeobachter, also aus externer Perspektive, mit dem tatsächlichen Bild des Anderen O [x]; sie mündet in das interpersonelle Diskrepanzdreieck (Abb. 6.1.2), in dem Ps direktperspektivisches Sachbild und das bei O vermutete Sachbild zum empfangen Sachbild Os als Akkuratuheitskriterium der Metaperspektive in Beziehung gesetzt ist. Im Vergleich zwischen P [x] mit O [x] kann eine faktische Übereinstimmung festgestellt werden. Ein Vergleich des Sachbildes von P, also P [x], mit dem bei O vermuteten Sachbild P [O [x]] verweist auf einen vermuteten Konsens oder Dissens; in seiner Gegenüberstellung zur faktischen Übereinstimmung können egozentrische Urteilsdiskrepanzen oder aber eine Dezentrierung des Urteils vom eigenen Sachbild auf das des Anderen erkannt werden. Abbildung 6.1.3 zeigt einen Überblick über diese und weitere mögliche Perspektiven innerhalb des interpersonellen Diskrepanzdreiecks. Aus dem Modell lassen sich sieben verschiedene Diskrepanztypen ungerichtet auf nominalem (Abb. 6.1.4) und 13 gerichtete auf 3
O wird dann selbst zum P in dem zum Vergleich herangezogenen System; gegengleich wird das P des einen zum O des anderen Systems
6.1 Theoretische Grundlage und Anwendungsfelder
99
ordinalem Skalenniveau (Abb. 6.1.5) berechnen (Fassheber und Niemeyer, 1987; zit. n. Strack, 2004). In Tabelle 6.1.1 sind die Richtungstypen den Diskrepanztypen zugeordnet.
Abbildung 6.1.3: Bezeichnung der Perspektiven im interpersonellen Diskrepanzdreieck (Tab. in Strack, 2004, S. 17)
100
6 Sozialperspektivität
Abbildung 6.1.4: Diskrepanztypen des interpersonellen Diskrepanzdreiecks (Abb. in Strack, 2004, S. 18)
6.1 Theoretische Grundlage und Anwendungsfelder
101
Abbildung 6.1.5: Richtungstypen von Diskrepanzen nach Fassheber (Abb. in Strack 2004, S. 228)
Tabelle 6.1.1: Die Diskrepanztypen des interpersonellen Diskrepanzdreiecks mit ihren Richtungstypen
DTyp RTyp
1 13
2 7, 10
3 1, 4
4 9, 12
5 3, 6
6 8, 11
7 2, 5
Zur Steigerung der Erklärungskraft des interpersonellen Diskrepanzdreieck lässt es sich mit dem intrapersonalen zum Dyadischen Interaktionsschema
102
6 Sozialperspektivität
DIS (Müller 1988, 1993; Fassheber et al. 1990; alle zit. n. Strack, 2004) verbinden; das ist hier aber nur der Vollständigkeit halber mit eingefügt und um einen Ausblick auf das diagnostische Potential sozialperspektivischer Herangehensweise zu geben.
Abbildung 6.1.6: Das Dyadische Interaktionsschema nach Müller und eine Zerlegung in seine drei Bestandteile (Abb. in Strack, 2004, S. 228)
6.2 Gemeinsam geteiltes Erleben in sozialperspektivischer Sicht Das gemeinsam geteilte Erleben im Dienstleistungskontext wurde in Abschnitt 5.1 als Perzeption einer Umwelt durch die Interaktionspartner mit zwei unterscheidbaren Inhaltsbereichen der Perzeption definiert. Ein Inhaltsbereich betrifft die antreffbare Umwelt, die in einer bestimmten Weise konstituiert ist und für beide die gleichen Wahrnehmungspotentiale bereitstellt; der zweite Inhaltsbereich betrifft die tatsächlich wahrgenommenen Strukturen der Umwelt und deren Bedeutung; dieser Inhaltsbereich ist interindividuell verschieden, auch wenn er ähnlich sein kann; er ist dann ähnlich, wenn die Interaktionspartner ein Verständnis der inhärenten Bedeutung umweltbezo-
6.2 Gemeinsam geteiltes Erleben in sozialperspektivischer Sicht
103
gener Sachverhalte teilen (siehe Abschnitt 4.3); und er ist verschieden durch unterschiedliche Konstitution des physiologischen Wahrnehmungsapparates, individuelle Gestimmtheit und Intentionalität unter der eine spezifische Umwelt aufgesucht wird, sowie dem damit verbundenen Aufmerksamkeitsfokus (siehe Abschnitt 5.2). Trotz der Verschiedenheit kann und muss dieser zweite Inhaltsbereich aber auch interindividuell komplementär in Bezug auf nur gemeinsam erreichbare Ziele sein. Gerade eine gebaute Dienstleistungsumwelt ist daraufhin konzipiert, instrumentelle und soziale Handlungen zur Ausführung der Dienstleistung zu unterstützen (Abschnitt 5.3 und 5.4), die nach Nerdingers Dienstleistungsdyade die Interaktionspartner wechselseitig vollziehen. Beide Partner müssen die Dienstleistungsumwelt als geeignet wahrnehmen, um das Ziel der Dienstleistungserbringung zu erreichen; aber müssen Sie auch wechselseitig und das heißt gemeinsam um ihre jeweilige Eignungswahrnehmung wissen? - oder reicht es, wenn dieser Konsens nur durch den Blick von außen festgestellt wird? In sozialperspektivischer Nomenklatur wird im Vergleich direkter Perspektiven und Metaperspektiven von ’geteilten’ Inhalten gesprochen; als geteilt gelten soziale Repräsentationen sowohl, wenn sie aus Sicht von außen mit A [x] = B [x] als gleich festgestellt werden können, aber auch dann, wenn sie aus Sicht der Repräsentationsträger A oder B beim jeweils Anderen in rekursivem Konsens richtig vermutet werden, also sowohl A [x] = B [x], als auch A [B [x]] = B [x] oder B [A [x]] = A [x] und womöglich auch noch in der nächsthöheren Rekursionsstufe die Annahme des geteilten Wissen A [B [A [x]]] = A [B [x]] oder umgekehrt zutrifft4 . Strack (2004, S.15) entgeht dem Problem der Zweideutigkeit geteilten Wissens, indem sie ein aus exter4
Der Wechsel von der Bezeichnung der Repräsentationsträger ’P’ und ’O’ auf ’A’ und ’B’ neutralisiert die Richtungsgebundenheit, die im Heiderschen Balancedreieck mit P als Subjektperson und O als Objektperson in der perspektivischen Betrachtung formuliert ist. ’A’ oder ’B’ können, abhängig von der interessierenden Richtung einer Forschungsfrage, sowohl zu ’P’ oder zu ’O’ werden.
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6 Sozialperspektivität
Abbildung 6.2.1: Begriffsverband zu Konstrukten des ‘geteilten Wissens´ (Soziale Repräsentationen, Normen, Reputation, Images u.v.a.) eP = aus externer Perspektive, iP = aus interner Perspektive geteilt. (Abb. in Strack, 2004, S. 15)
ner Perspektive geteiltes Wissen von dem in interner Perspektive geteiltem unterscheidet (Abb. 6.2.1; vgl. auch Abschnitt 6.1); unter der Annahme sozialer Repräsentationen als ePiP-geteilter Wissensbestände verortet sie im iP-Konsens die Handlungswirksamkeit der Repräsentation und im ePKonsens die Entstehungsbedingung sozialer Strukturen. Eine Differenzierung zwischen interner Perspektive – iP-geteiltes Wissen – und externer Perspektive – eP-geteiltes Wissen – hat diagnostische und interpretative Relevanz hinsichtlich der einem Vergleich zugrundeliegenden Annahme geteilten Wissens der Beteiligten; es bilden zum Beispiel ePiP-geteilte Wissensbestände soziale Repräsentationen, Normen, Kultur, Markenimages u.ä. ab (hierzu und zur theoretischen Einbettung vgl. Strack, 2004, S. 8-17). Diesen Wissensbeständen entspringt auch die Affordanzkonstellation einer räumlich physischen Dienstleistungsumwelt, und zwar mit umso größerer Passung, je besser die Umweltgestalter um die sozialen Zusammenhänge des Dienstleistungsgeschehens wissen. Wird die Konsensdifferenzierung – den Blick von den Interaktionsteilnehmern einmal zu den Umweltgestalter hin wendend – auf deren Tätigkeit übertragen, dann wissen
6.2 Gemeinsam geteiltes Erleben in sozialperspektivischer Sicht
105
sie im eP-Konsens mit den späteren Nutzern das, was bisher üblich oder die Norm ist, und es liegt im iP-Konsens das kreative Potential, mit neuen oder auch nur neuartig durchgestalteten Affordanzkonstellationen ein anderes, aber immer auch situationsgeeignetes soziales Verhalten und Erleben zu induzieren; unter ’situationsgeeignet’ ist dann das Verhalten und Erleben zu verstehen, das konsensual unter den Settingteilnehmern beziehungsweise Inhabitanten eines bestimmten BS als wünschenswert und zielfördernd gilt. Ein Vergleichsprozess der tatsächlich vorgefundenen räumlich physischen Umwelt mit einer mehr oder weniger spezifischen Erwartung an Verhaltens- und Erlebensmöglichkeiten innerhalb der Umwelt ist im teilnehmerseitigen Erleben dann immer enthalten (vgl. dazu auch Nerdingers Ausführungen zu Kelley und Thibaults ’comparison level’ in der Zufriedenheitsbeurteilung von Dienstleistungen; 1994, S. 93 ff.). Die Definition des gemeinsam geteilten Erlebens in Abschnitt 5.1 verweist auf das Erleben als ein Wahrnehmungsprozess innerhalb eines zeitlich definierten situativen Kontextes, nämlich einer Gelegenheit. Das Erleben ist ausschließlich gegenwärtig. Demgegenüber sind soziale Repräsentationen, verstanden als ePiP-geteilte Wissensbestände, zeitüberdauernd. Es wäre ein Kategorienfehler, würde man ein gemeinsam geteiltes Erleben mit den so verstandenen geteilten sozialen Repräsentationen gleichsetzen. Gleichwohl sind Letztere im Erleben der räumlich physischen Umwelt als Bezugsgröße, einer ’benchmark’, von Bedeutung, nämlich im Vergleichsprozess von wissensbasierten Erwartungen zu ihrer Erfüllung im Rahmen einer gegenwärtig verorteten Wahrnehmungsgelegenheit. Das Erleben der BS-Teilnehmer, so wurde es in Abschnitt 5.1 herausgearbeitet, ist insofern zwischen ihnen gemeinsam geteilt, als es interaktionsbedingt gleichzeitig am gleichen Ort stattfindet und die Teilnehmer über die gemeinsame Zielsetzung einer Problemlösung verbunden sind. Die Bezugsgröße sind dann diejenigen erwarteten Verhaltensund Erlebensmöglichkeiten an die Affordanzstruktur der spezifischen Um-
106
6 Sozialperspektivität
welt, die für die instrumentellen und wechselseitig sozialen Handlungen als förderlich angesehen werden. In Abschnitt 2.6 wurde festgestellt, dass die Dienstleister bestrebt sind, im Rahmen ihres professionellen Handelns die Kontrolle über die gemeinsame Situation mit dem Bedienten zu erhalten und zu behalten; dazu ist eine akkurate Antizipation des Bedientenverhaltens und -erlebens erforderlich und erfahrungsbasiert möglich; ihr Wissensbestand dazu ist maßgeblich für die Gestaltung der Umweltaffordanzen der Goffmanschen Vorderbühne, die Verhalten und Erleben der Bedienten zielführend lenkt. Auf die abschließende Frage des vorigen Absatzes zurückkommend, kann sie dahingehend beantwortet werden, dass für die Eignungswahrnehmung der Umweltaffordanzen möglicherweise der externe Vergleich des jeweiligen Sachbildes P [x] und O [x] ausreicht, um die Gemeinsamkeit der Wahrnehmung faktisch festzustellen; mit Bezug auf die Handlungskontrolle und auf die Zuverlässigkeit des Dienstleisterurteils in der Grundlagenermittlung einer Umweltgestaltung ist in jedem Fall aber auch die professionelle Sicht der Dienstleister auf die bedientenseitige Wahrnehmung P [O [x]] von Bedeutung und, ebenfalls extern, mit O [x] zu vergleichen. Für den Vergleich einer faktischen Übereinstimmung der jeweiligen Sachbilder stellt sich nun ein inhaltliches Problem; es sind in Bezug auf die Wahrnehmung der Dienstleistungsumwelt die Direktperspektiven P [u] oder O [u] angesprochen; wobei u vorerst die antreffbare Umwelt in Bezug auf einen Beobachter abbildet und das x aus der Benennung im vorigen Abschnitt ersetzt. Im Moment der Beobachtung wird die antreffbare Umwelt für den Beobachter zur angetroffenen Umwelt; im Blick ihres jeweiligen Nutzers gewinnt sie als angetroffene Umwelt unterscheidende Bedeutung, und es findet in ihr unterscheidbares Verhalten der Nutzer statt. In der dyadischen Interaktion zerfällt sie mit zwei Beobachtern in zwei angetroffene Umwelten u p und uo . Über die teleonome Ausrichtung der Kommunikation und wechselseitigen Handlungen des Dienstleistungsgeschehens stehen die
6.2 Gemeinsam geteiltes Erleben in sozialperspektivischer Sicht
107
angetroffenen Umwelten in einem untrennbaren und ebenfalls wechselseitigen Bezug zueinander. Die Verknüpfung beider kann multiplikativ mit u = u p × uo oder funktional allgemeiner mit u = f (u p ; uo ) angenommen werden. Die instrumentelle Eignung der antreffbaren Umwelt in Bezug auf das Dienstleistungsziel ist dann gegeben, wenn die jeweils angetroffenen Umwelten aus beiden Perspektiven P [u p ] und O [uo ] als geeignet für die Kommunikation und wechselseitigen Handlungen des Dienstleistungsgeschehens angesehen wird: P [u p ] × O [uo ] > 0 (unter der Voraussetzung einer Positivitäts- und Negativitäts-Skalierung der Urteile). Für die Bewertung des Ortes in der Rollenübernahme, ist es die Fähigkeit, die Perspektive des Anderen auf die Umwelt hin einzunehmen P [O [uo ]] oder O [P [u p ]]; sie beinhaltet ein Wissen, Erleben und Handeln Können aus der Sicht des Anderen auf den Sachverhalt, auf mich und auf das ’zwischen uns’. In der Rollengestaltung ist die Antizipation zukünftiger Situationen wesentlich P u pzukun ¨ f tig oder O uozukun ¨ f tig , und in der Rollendistanz findet ein Perspektivwechsel in Bezug auf ein Selbstbild in einer umgebenden räumlich physischen Umwelt – innerhalb der Rolle und in Distanz zu ihr – statt: P [P [u p ]]oder O [O [uo ]]. Die dritte Ableitung aus Heiders Balancedreieck P [O [x]] = P [x] · P [O] (Abschnitt 6.1) wird für die Untersuchung der Grundlagen einer räumlich physischen Umweltgestaltung, die auf die soziale Interaktion bezogen ist, damit aber problematisch, denn der Gegenstand x des Sachbildes ist als Angetroffener zweiwertig, je nachdem ob mit x die angetroffene Umwelt up oder uo gemeint ist. In P [x] ist der Gegenstand x also up , hingegen in P [O [x]] ist es uo . Es werden mit P [x] und O [x] also zwei unterschiedliche Gegenstandsbereiche verglichen; das ist durchaus legitim, denn beide dienen dem Ziel der gemeinsamen Problemlösung und der Grad ihrer jeweiligen Eignungswahrnehmung hat Aussagekraft; aber eine eineindeutige Abbildung aufeinander ist nicht möglich und die Analyse von Perspektivdiskrepanzen ist nur eingeschränkt, nämlich nur im Bezug
108
6 Sozialperspektivität
von P [O [x]] zu O [x] mit x = uo , möglich. Die explizite Verwendung eines sozialperspektivischen Ansatzes im Zusammenhang mit der Erforschung dienstleistungsbezogener räumlich physischer Umweltgestaltung begründet sich auf die frühere Beschränkung der Untersuchungen im Rahmen der PE auf die Sicht nur einer Nutzergruppe, nämlich die der Mitarbeiterschaft (M); die Sichtweise der zweiten Nutzergruppe, nämlich die Bürger (B), wurden nicht in die PE mit einbezogen. Auf der Basis der Erfahrung von M5 im Umgang und mit dem Nutzerverhalten von B wurden die Bedürfnisse der Bürger jedoch antizipiert. Für die Akkuratheitsbestimmung der Antizipation ist der Vergleich von M [B [UB ]] und B [UB ]geeignet und ausreichend. Es kann aber weder ein faktischer Konsens über gleiche Inhaltsbereiche analysiert werden, noch die Perspektivübernahme auf egozentrische oder dezentrierte Tendenzen hin untersucht werden (vgl. Abb. 6.1.2). Im Verlauf der Affordanzanalyse, Fragenentwicklung und Erhebungsauswertung hat sich allerdings ein Merkmal der angetroffenen Umwelt gezeigt, das diese Beschränkung in Teilen wieder aufhebt. Das ist jedoch einem chronologischen Erkenntnisgewinn, anstelle einer inhaltlichen Ordnung folgend, erst im Methodenteil unter Abschnitt 11.3.3 beschrieben. Die Antizipation über einen induzierten Perspektivwechsel ist ein metaperspektivischer Ansatz und Inhalt sozialperspektivischer Forschung. Eine dienstleistungsspezifische räumlich physische Umwelt soll auf die soziale Interaktion zwischen den an der Dienstleistung beteiligten Partner zugeschnitten sein. Die Grundlagen für eine so verstandene Umweltgestaltung erfordert eine Öffentlichkeit der internen Nutzerperspektiven, denn „geteilte Meinungen (und soziale Repräsentationen) erhalten erst über den Faktor der iP-Öffentlichkeit ihre Verbindlichkeit“ (Strack, 2004, S. 33) 5
und einiger Entscheidungsträger der Stadtverwaltung
7 Facettentheorie Die bisherige Überblick über relevante Theorien im Zusammenhang einer Dienstleistungserbringung und der gebauten Umwelt verweisen auf ein hochkomplexes und facettenreiches Zusammenspiel von zielgerichtetem Verhalten und Erleben mit der gebauten Umwelt. Zur Formulierung der Zusammenhänge bietet sich ein facettentheoretischer Zugang an; dieser wurde im Zusammenhang umweltpsychologischer Fragen erstmals von Canter (1983) eingesetzt und ist im deutschsprachigen Raum von Walden (2008) zur architekturpsychologischen Evaluation von Gebäuden mehrfach angewendet worden. Die Facettentheorie (FT), Mitte der fünfziger Jahre von Louis Guttman (1959, zit. n. Bilsky & Cairns, 2009) entwickelt, erlaubt eine systematische Integration von Theorie, Forschungsplanung und Datenanalyse in komplexen Zusammenhängen, die im Forschungsverlauf weiter fortgeschrieben werden kann; auch nachträglich kann sie auf bereits erhobene Daten angewandt werden und ermöglicht es Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, die vorher verborgen geblieben waren (Borg, 1992). Für den vorliegenden Fall wird sie besonders deshalb als hilfreich angesehen, weil sie einerseits dazu zwingt, das komplexe Anwendungsfeld zu strukturieren und andererseits die Möglichkeit offen hält, die Struktur später intensional zu differenzieren oder extensional zu erweitern. Der nachfolgende Überblick über die Struktur und Elemente der FT (Abb.7.0.1) stützt sich auf die Darstellungen von Borg (1992) und Bilsky und Cairns (2009). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_8
110
7 Facettentheorie
Abbildung 7.0.1: Schematische Übersicht der Elemente der Facettentheorie und ihrer Beziehung untereinander bzw. zu anderen Mitspielern der empirischen Forschung (Abb. in Borg, 1992, S. 13)
Die FT besteht aus den zwei zentralen Elementen FT-Design und FTDatenanalyse; beide stehen über Korrespondenzhypothesen miteinander in Beziehung. Das ist nicht unüblich, aber der Vorteil der FT besteht in dem vorherigen Verzicht auf noch nicht notwendige Modellannahmen und Restriktionen, so dass es möglich ist, mit zunächst plausiblen Annahmen eine Forschungsfrage zu formulieren und sie dann im weiteren Erkenntnisfortschritt modifizieren zu können. Die im Facettendesign erhobenen Daten lassen sich im Rahmen der FT-Datenanalyse mit verschiedenen statistischen Verfahren analysieren; einen Überblick geben Bilsky und Cairns (2009, S.147); es müssen die Daten aber nicht mit einer spezifisch facettentypischen, statistischen Methode ausgewertet werden; auch Faktorenanalyse, Clusteranalyse, Strukturgleichungsmodelle, Regressions-, Varianz- und Dis-
111 kriminanzanalyse sind mögliche, wenn auch restriktivere1 Auswertungsansätze; weitere Perspektiven auf die Daten sind Häufigkeiten, Mittelwerte oder Kreuztabellen. Die Facette stellt den Grundbaustein der Facettentheorie dar; sie wird als eine Menge wohlunterschiedener Elemente aufgefasst, die Merkmalsausprägungen qualitativ oder quantitativ beschreiben. Eine grundlegendste Differenzierung von Facetten erfolgt, vorwiegend in den Sozialwissenschaften, in die Facetten der Personen P, der Stimuli S, denen P ausgesetzt ist, und der Reaktion R, welche die Personen angesichts der Stimuli zeigen (P × S ⇒ R). Die Personen-, Stimulus- und Reaktionsfacetten strukturieren diese jeweiligen Universa in Merkmalsmengen. Items sind über den Frageteil als Element von S und den Antworteil als Element von R definiert; über R wird festgelegt, welche Reaktion interessiert, und in der Folge über S, wie sie hervorgerufen wird oder werden kann. Die Elemente der Facetten sind Strukte und eine Kombination von Strukten verschiedener Facetten werden als Struktupel bezeichnet; sie sind die Grundlage der späteren Datenanalyse. Die Struktupel reflektieren nicht allein die kategoriale Unterscheidung aus den Facetten, sondern auch ihre Verknüpfungsweise, nämlich welche Facetten wie hinsichtlich der Forschungsfrage miteinander in Beziehung stehen. Voraussetzung für eine Auswahl guter Facetten ist fachlicher Sachverstand zum Thema; die Beschreibung der Verknüpfung ist semantisch, kann aber auch mathematisch ausgedrückt werden; letzteres kann insbesondere dann der Fall werden, wenn die Zusammenhänge in den empirisch gefundenen Daten gut abbildbar sind. Der Zusammenhang der Facetten wird in einem Abbildungssatz formuliert; den Reaktionsfacetten sollte dazu ein gemeinsamer Bildbereich zugrunde liegen; dann lassen sich Daten aus verschiedenen statistischen Verfahren vergleichen und die Facetten und 1
Beispielsweise sind kurvilineare Zusammenhänge in einer Diskriminanzanalyse gar nicht erkennbar, im Rahmen einer MDS hingegen schon (vgl. das entsprechende Beispiel in Borg, 1992, Kap. 1).
112
7 Facettentheorie
Abbildung 7.0.2: Allgemeiner problemunspezifischer Abbildungssatz für Evaluationen (Abb. in Bilsky & Cairns, 2009, S. 145)
Abbildungssatz sind für den Forschungsfortschritt entwicklungsfähig. Für die Korrespondenz von Design und Daten sind auf Gütekriterien wie Klarheit der Begriffe, Zuverlässigkeit in der Anwendung, sowie theoretische und empirische Nützlichkeit zu achten. Abbildungssätze sieht Borg (1992) in der Praxis anfänglich oftmals recht umfangreich, weil sie eher in deskriptivkonkretistischen Kategorien formuliert sind; abstraktere Unterscheidungen ermöglichen mehr theoretische Tiefe und eine ökonomischere Darstellung; diese Unterscheidungen liegen aber in der Regel nicht von vornherein auf der Hand und sind oft erst Ergebnis eines langen Forschungsbemühens im Wechsel von begrifflich-definitorischer Arbeit und Empirie. Für den Inhalt dieser Arbeit, der auf Evaluationskriterien eines gebauten Innenraumes in Bezug auf seine nutzungsspezifische Eignung abzielt, kann ein unspezifischer Abbildungssatz in Anlehnung an einen allgemeinen, problemunspezifischen Abbildungssatz für Evaluationen nach Bilsky und Cairns (2009, S.145) (Abb. 7.0.2) wie folgt lauten:
113 Ein Nutzer/Beurteiler einer jeweiligen Nutzergruppe
N
N1 N2
Nutzergruppe 1 Nutzergruppe 2
... ... Nn Nutzergruppe n bewertet in der Modalität M1 M M2
kognitiv affektiv
aus der Perspektive P1 P P2
direktperspektivisch N(x) metaperspektivisch erster Ordnung, z.B. N2[N1(x)]
die räumlich materiellen Umweltabschnitte beziehungsweise Orte
O
O1 O2
Abschnitt 1 Abschnitt 2
... ... On Abschnitt n in Bezug auf ihre konstituierenden Elemente oder deren Eigenschaften
114
7 Facettentheorie
E
E1 E2 ... En
Element 1 Element 2 ... Element n
hinsichtlich der Kriterien
K
K1 K2
Kriterium 1 Kriterium 2
... ... Kn Kriterium n anhand von Aussagen als mehr oder weniger zutreffend auf dem gemeinsamen Bildbereich
R
R1 R2 R3 R4 R5 R6 R7 R8
trifft voll und ganz zu trifft zu trifft eher zu sowohl als auch / zutreffend und nicht zutreffend trifft eher nicht zu trifft nicht zu trifft überhaupt nicht zu keine Angabe
im Sinne des Kriteriums.
115 In diesem Satz bildet N die Personenfacette P ab, M, P, O, E und K die Gruppe der Stimulusfacetten S und R die Reaktionsfacette R. Die untergeordneten Elemente 1, 2 ... bis n stellen die Strukte dar, also die qualitativ oder quantitativ differenzierenden Unterscheidungen innerhalb einer Facette. Die Zeitkomponente aus dem allgemeinen Abbildungssatz für Evaluationen kann ebenfalls Teil des Satzes sein; sie wird hier nicht berücksichtigt, da es um eine Evaluation nur zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht. Die Kriteriumsfacette reflektiert den Standard, anhand dessen die Beurteilung erfolgen soll. Die perspektivendifferenzierte Herangehensweise dieser Arbeit erfordert es, eine entsprechende Facette hinzuzufügen. Es könnte auch noch eine Facette der Modalität mit den Strukten einer kognitiven, affektiven oder instrumentellen Bewertung hinzugefügt werden, die Borg (1992, S. 37 ff.) an einem Beispiel von Elizur (1986, zit. n. Borg, 1992) illustriert, und die, obgleich aus einem Forschungsgegenstand anderer Fachrichtung stammend, auch hier von Bedeutung sein kann; darauf wird zunächst verzichtet, um den erwartbar ohnehin schon hohen Aufwand der Klassifizierung zu begrenzen. Berücksichtigt man, dass sich die Anzahl möglicher Struktupel aus dem kartesischen Produkt der Facetten und ihrer Strukte ergibt, dann resultiert aus dem Abbildungssatz eine exorbitant große Anzahl von Elementen; sie wird allerdings durch eine Auswahl nur empirisch bedeutsamer und theoretisch nützlicher Struktupel reduziert. Die Evaluation des Zutreffens anhand von Aussagen, welche eine jeweilige Struktupelkombination reflektieren, wird deshalb gewählt, weil die gestaltbeeinflussenden Parameter der gebauten Umwelt in einer nutzerspezifischen Programmentwicklung (vgl. Abschnitte 8.1.1, 8.1.4 und 8.1.5) bereits erhoben worden sind und deren Umsetzung hier evaluiert werden soll. In der Fallstudie im nun folgenden Teil II sind die ersten beiden Kapitel 8 und 9 darauf ausgerichtet, die Elemente und Elementeigenschaften der Umweltabschnitte und die Kriterien ihrer Beurteilung, die sich allesamt in den
116
7 Facettentheorie
Facetten widerspiegeln sollen, im Kontext der kommunalen Dienstleistung anhand der Fallstudie herauszuarbeiten.
Teil II
Fallstudie
8 Ausgangslage der Fallstudie Das Bürgerbüro von Gotha, einer mittelgroßen Stadt in Thüringen mit ca. 137.000 Einwohnern im Landkreis und ca. 40.000 in der Stadt (Stand 31.12.2011), wurde in den Jahren 2007/2008 umgebaut. Das Bürgerbüro ist ein Portal der Kommune, das als Kommunikationsschnittstelle zwischen Kommunalverwaltung und Bürgerschaft einer Vereinfachung administrativer Aufgaben dient, für die ein direkter Kontakt mit dem Bürger notwendig ist. Den Bürgerinnen und Bürgern wird damit ein zentraler Anlaufpunkt für ihre Anliegen an die Kommunalverwaltung geboten. Hier sollen die Ansprechpartner für die kommunalen Verwaltungsaufgaben und die Vertreter kommunaler Unternehmen an einem Ort gefunden werden können. In der Planungsphase wurde der Verfasser als Innenarchitekt in Zusammenarbeit mit den Architekten und anderen Fachplanern mit der Neugestaltung des Bürgerbüros beauftragt. Architekten und Fachplaner waren zu dem Zeitpunkt bereits mit dem Gebäudeumbau betraut und in der Planungsphase fortgeschritten; der Beginn der Ausführungsphase mit den Rückbauarbeiten standen kurz bevor. Mit der kommunalen Betriebsgesellschaft als Auftraggeber und Eigentümer und der Stadtverwaltung als Nutzer und Mieter wurden die Ziele und Anforderungen für das zukünftige Bürgerbüro diskutiert. Es stellte sich dabei heraus, dass eine vollständige Beschreibung der Gestaltungsaufgabe als Voraussetzung für die planerischer Arbeit noch nicht möglich war und unterschiedliche Vorstellungen verschiedener Vertreter der beteiligten Parteien das Auftreten von Zielkonflikten absehbar © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_9
120
8 Ausgangslage der Fallstudie
machten. Auf Vorschlag des Verfassers wurde deshalb entschieden, unter einem architekturpsychologischen Ansatz eine nutzerorientierte Programmentwicklung (PE; Abschnitt 8.1.1) durchzuführen, deren Ergebnisse zur Planungsgrundlage für alle Planungsbeteiligte am Projekt dienen sollten; und er wurde dazu beauftragt. Im Rahmen dieser Programmentwicklung wurde der Ziel- und Anforderungskatalog aus der Zeit vor dem Beginn der Innenarchitekturplanung über eine Evaluation (post occupancy evaluation POE; Abschnitt 8.1.2) des bisherigen Bürgerbüros und einer Nutzerbedürfnisanalyse (UNA; Abschnitt 8.1.3) validiert und komplettiert und anschließend in den Entwurfs- und Planungsprozess integriert. Zielkonflikte konnten jetzt identifiziert und mit den Planungsbeteiligten, Entscheidungsträgern und Nutzern rechtzeitig gelöst werden. Manche bisherige Anforderung an die räumliche Organisation konnte so beispielsweise als primäre Anforderung an die Organisation des betrieblichen Ablaufes identifiziert werden; erst sekundär waren es Anforderungen an die Organisation des Raumes1 . Die PE beeinflusste so nicht allein die Gebäudeplanung, sondern regte auch organisationelle Veränderungen an. Die vorliegende Arbeit greift insofern auf diese PE zurück, als aus den darin formulierten Ziele und Anforderungen an die räumlich physische Umweltgestaltung des Bürgerbüros einerseits die Beschreibung des Behavior-Settings und andererseits die Affordanzen der Gestaltungselemente extrahiert werden (Abschnitt 9.2). Zunächst werden aber in den nachfolgenden Abschnitten die Verfahren (Abschnitte 8.1 und 8.1.4) und Ergebnisse (Abschnitt 8.1.5) der PE beschrieben.
1
Das betraf zum Beispiel die Organisation und Anordnung eines Warteraumes mit Handhabung von Wartezeit und Reihenfolge der Bearbeitung von Bürgeranliegens.
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren
121
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren 8.1.1 Nutzerorientierte Programmentwicklung - PE Unter einer nutzerorientierten Programmentwicklung (PE) wird „ein flexibles interaktives Verfahren verstanden, um menschliche und organisationelle Bedarfe und Lösungsentwürfe für Gestaltungen zusammenzubringen. Sie hat sowohl die Schaffung bzw. Änderung physischer als auch sozialer Umwelt, also das Funktionieren kompletter Mensch-Umwelt-Systeme, im Auge “. (Dieckmann, 1998 /// 2004, S. 119) Unter diesem Verfahren wird eine Vielzahl verschiedener, zielführender methodische Ansätze zusammengefasst. Sie werden in der Regel projektbezogen ausgewählt und eingesetzt, um die nutzerrelevanten Kriterien als Basis einer Umweltgestaltung zu ermitteln und den an der Projektrealisierung Beteiligten (Projektentwickler, Architekten, Planer der Gebäudetechnik, u.a.) als Anforderungskatalog zur Verfügung zu stellen. Aus den Ergebnissen vieler PE über eine Vielzahl von Umwelten aus dem gleichen Dienstleistungskontext können allgemeingültigere, und über das Einzelprojekt hinausgehende Aussagen zu einem Modell der kommunalen Dienstleistungsumwelt gemacht werden. Ein methodischer Ansatz im Rahmen der PE basiert auf dem Behavior Setting Konzept nach (Barker, 1968); die Behavior-Setting-Analyse erfasst die Interdependenz von Raum und Verhalten, aber, so kritisiert Nerdinger, „mit dieser Verhaltensebene nur eine Hälfte der psychologischen Dimension“ (Nerdinger, 1994, S. 224). Für die Analyse des Erlebens sind Weiterentwicklungen erforderlich (Kaminski, 1990, in ebd., S. 224). Nerdinger selber schlägt eine differenzierte Erhebung in funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Aspekte und eine Anwendung
122
8 Ausgangslage der Fallstudie
des Konzeptes soziofugaler/soziopetaler Raumqualität (Osmond, 1957, zit. n. Gifford, 2007, S. 156) vor.
8.1.2 Post Occupancy Evaluation - POE Eines der Verfahren, um ein nutzerorientiertes Programm zu entwickeln ist die post-occupancy-evaluation (POE); hierunter wird im Kontext der Umweltpsychologie und speziell der Architekturpsychologie eine Evaluation gebauter Umwelten nach Ingebrauchnahme verstanden. Sie orientiert sich an dem Eindruck, den die Nutzer von der Umwelt haben. Das Verfahren soll die Bewertung gebauter Umwelten nach ihrer Ingebrauchnahme unter Nutzungsgesichtspunkten und aus der Nutzerperspektive ermöglichen (Schuemer, 1998, S. 153). Sie ermöglicht es, die Übereinstimmung einerseits der ermittelten mit den realisierten Zielen und andererseits die Ziele selbst mit deren tatsächlichen Eignung zu validieren. Hierfür gibt es verschiedene Methoden der Erhebung; vielen ist gemein, dass sie in der Regel direktperspektivisch aus interner Perspektive des Nutzers oder aus externer Perspektive eines Experten durchgeführt werden. Oft werden Umwelten von verschiedenen sozialen Entitäten beziehungsweise Nutzergruppen genutzt; in der Dienstleistungsumwelt sind das die Dyadenteilnehmer Dienstleister und Bediente, die im vorliegenden Fall die Mitarbeiter des Bürgerbüros (M) und die Bürger (B) sind. Die Umwelt, die im Kontext von Dienstleistungen steht und für diese konzipiert wurde, wird von den unterschiedlichen Nutzergruppen nicht zwangsläufig konform als geeignet wahrgenommen (vgl. Abschnitt 5.3). Beispielsweise wird die Arbeitsumwelt des Dienstleisters von ihm über längere zeitliche Einheiten genutzt und ist im konzeptuellen Verständnis des Privatheitsgrades von Räumen als halböffentlich einzuordnen; hingegen ist die gleiche Umwelt für den Bedienten mit gelegentlicher
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren
123
und nur kurzer Verweildauer ein öffentlicher Raum. Damit sind verschiedene Grade von Vertrautheit und Aneignungsprozessen verbunden.2
8.1.3 User Need Analysis - UNA Die „Nutzer-Bedürfnis-Analyse" (’user-needs analysis’ - UNA) ist ein weiteres Verfahren der PE; im Kontext gebauter Umwelten dient sie der Erkundung der Bedürfnisse der späteren Nutzer eines Settings und wird zumeist während der Programmfindungsphase (’programming’) durchgeführt, also vor der Erstellung oder Umgestaltung eines Gebäudes. „UNA „bezeichnet – im Kontext von Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen – kein spezielles Verfahren, sondern ist eher als ein Sammelbegriff für Verfahren zu verstehen, die darauf abzielen, in frühen Planungsstadien mittels empirischer Methoden die Bedürfnisse, Präferenzen oder Wünsche der prospektiven Nutzer eines zu gestaltenden Umweltbereiches zu erfassen. Das Ergebnis einer UNA ist in der Regel eine geordnete Liste der Wünsche und Präferenzen der prospektiven Nutzer. Diese Liste spiegelt Nutzungsanforderungen aus Nutzersicht wider, die bei der Programmentwicklung zugrunde gelegt oder mit berücksichtigt werden können. Die Liste kann aber auch direkt von den Architekten in die Entwurfsgestaltung zusammen mit anderen Designkriterien (finanzieller Kostenrahmen, Baurichtlinien und -normen, Vorgaben des Bauherren u. a.) einbezogen werden. (Dieckmann et al., 1998, S. 145).
8.1.4 Struktur und Tiefe der nutzerorientierten Programmentwicklung Im Vorfeld zu dieser Fallstudie wurden einerseits die bisherigen Erfahrungen mit dem Bürgerbüro im Rahmen einer POE ausgewertet und andererseits die Nutzungsziele, Bedürfnisse und Wünsche der betroffenen Abteilungen 2
Weitere Beispiele finden sich bei Nerdinger (1994, S. 229-230)
124
8 Ausgangslage der Fallstudie
über eine UNA ermittelt. Die Ergebnisse aus beiden Verfahren flossen in die PE ein (siehe Abb. 8.1.1). Eine POE kann in mehr oder weniger großer Tiefe durchgeführt werden. Sie kann unter Beteiligung aller oder ausgewählter Nutzungsexperten wie Mitarbeiter, Abteilungsleitung und Bürger, oder aber von Teilgruppen der Nutzungsexperten erfolgen. Für den Zweck dieser PE wurde eine Durchführung mit dem geringsten Aufwand auf der Stufe einer indikativen POE ohne Einbindung der Nutzergruppe der Bürgerschaft vom Auftraggeber als ausreichend erachtet. Dem Ausschluss lag die Annahme zugrunde, dass der Mitarbeiterstab als Dienstleister aufgrund seiner professionellen Erfahrung, die Bedarfe der Nutzergruppe Bürgerschaft als der Bedienten, in der Lage sei, deren Bedarfe hinreichend zu kennen; außerdem hätte die Einbindung der Bürgerschaft einen höheren finanziellen und in der Kürze der Projektvorbereitungszeit nicht leistbaren Aufwand erfordert. Die befragten Nutzungsexperten waren ausgewählte Mitarbeiterinnen und Abteilungsleiter, die eng an das Geschehen im Bürgerbüro angebunden waren. Die Durchführung erfolgte im Rahmen eines Rundganginterviews, eines Arbeitsgruppentreffens mit Vertretern des Auftraggebers, Planungsbeteiligten, den ausgewählten Nutzungsexperten und dem Programmentwickler. Nachträgliche Ergänzungen erfolgten über eine telefonische Befragung. Die eingesetzten Techniken waren das Interview, Gruppendiskussion und die critical-incidents-Technik; soweit erforderlich wurden Zeitbudgetstudien in Form nachträglicher Befragung eingesetzt. Außerdem wurde ein Organisations- und Ablaufanalyse durchgeführt. POE und UNA wurden wegen des Termindrucks und aus inhaltlichen Gründen weitgehend zeitgleich durchgeführt. Es wurden relevante Informationen in den Dimensionen „Funktionalität“ und „atmosphärisch-emotionale Qualität“ in Anlehnung an Nerdinger (1994, S. 232) erfasst und auf einzelne funktionale Einheiten der räumlich physichen Umwelt bezogen: ’Bürgerbüro gesamt’, ’Infothek’,
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren
125
Abbildung 8.1.1: Tiefe der PE Bürgerbüro Gotha
’Wartezone’, ’Beratungsbüros’ und ’Verkehrswege’. Von dem Ist-Zustand des früheren Bürgerbüros ausgehend wurden wünschenswerte und zu verbessernde Merkmale für den Soll-Zustand definiert. Die Merkmale einer jeweiligen funktionalen Einheit wurden in einer Matrix den Aspekten ’Fakten’, ’Ziele’, ’Anforderungen’, ’Konzepte’ und ’Konflikte/Konfliktpotential’ den funktionalen und atmosphärischemotionalen Qualitäten zugeordnet. Unter den Fakten sind relevante Gegebenheiten und unveränderbare Voraussetzungen formuliert, welche beispielsweise durch die Gebäudesituation (Lage des Raumes im Gebäude, Tageslichtanbindung, Luftströmungen, ...), organisationelle Strukturen (Anzahl und Funktion der Mitarbeiter, verschiedene Öffnungszeiten von Bürgerbüro
126
8 Ausgangslage der Fallstudie
Abbildung 8.1.2: Programm-Matrix Bürgerbüro Gotha
und anderen Verwaltungseinheiten, ... ) oder bauliche Vorschriften (Verlauf, Platzbedarf und Ausstattungsbeschränkung der Rettungswege, Brandschutzanforderungen u.a.) gesetzt sind. Unter den Zielen werden die angestrebten Funktionen des Raumes auf einer molaren Ebene formuliert; für die Infothek sind das beispielsweise die Möglichkeit der Besucherführung, Ausgabe von Pässen oder Ausweisen oder anderen Dokumenten, Entgegennahme und Zwischenlagerung von Fundsachen, Post und Paketen. Aus den Zielen sind die Anforderungen an den Raum oder Teilraum und seine Ausstattung abgeleitet; für die Infothek sind das wiederum beispielhaft eine unmittelbare Wahrnehmbarkeit vom Eingang aus mit einer Übersicht über die weiterführenden Verkehrswege, Verfügbarkeit von Stauraum, der zudem für Pässe und Ausweise vor unberechtigtem Zugriff besonders gesichert ist. Unter der Kategorie
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren
127
Konzepte sind erste Lösungsansätze formuliert, wie beispielsweise eine Sichtverbindung zu angrenzenden Funktionseinheiten, ein Wegeleitsystem, eine kombinierte Einrichtungseinheit von Tresen und Schrankanlage; oder aber es wird auf eine entsprechende Fachplanung der Innenarchitektur, Brandschutzplanung oder technischen Gebäudeausrüstung verwiesen, die noch zu leisten ist. In einer letzten Kategorie werden potentielle Zielkonflikte identifiziert; so kann der benötigte Stauraumbedarf zusammen mit Brandschutz- und Rettungsweganforderungen mit der verfügbaren Fläche konfligieren. Unter funktionalen Qualitäten sind Raumfunktion, Ausstattung, Sicherheitstechnik, soziale Interaktion, instrumentelle Handlungen, Orientierung, Lichtverhältnisse, und Reinigung/Hygiene ausdifferenziert; unter atmosphärisch-emotionale Qualitäten fallen Privatheit, Sicherheit, Territorialität, Image, physischer Komfort, Akustik, Sicht- und Sehverhältnisse (zur Auswahl dieser Umweltqualitäten siehe Abschnitt 8.1.5.2). Merkmale, die aufgrund von Bauvorschriften (Bauordnung, Arbeitsstättenrichtlinie, Unfallverhütungsvorschriften, Brandschutz, Standsicherheit u.a.) von den Fachplanern sowieso zu berücksichtigen waren, wurden in dieser Phase im einzelnen nicht weiter aufgeführt; sie wurden aber dann in den Programmkatalog mit aufgenommen, wenn sie von Fachplanern im Zusammenhang mit den Nutzerbedürfnissen in die Diskussion eingebracht worden waren, oder wenn Zielkonflikte zu wichtigen Merkmalen der funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Qualität erkennbar wurden. Einen Überblick über die Struktur der PE gibt Abbildung 8.1.2 der Programm-Matrix . Die Schwierigkeiten, die eine Zuordnung zu den Kriterien der funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Qualitäten bereitet, wird in Abschnitt 8.1.5.2 diskutiert.
128
8 Ausgangslage der Fallstudie
8.1.5 Ergebnisse der nutzerorientierten Programmentwicklung 8.1.5.1 Funktionsprogramm Die Ergebnisse der PE finden ihren Niederschlag in einem Raum- und in einem Funktionsprogramm (Abb. 8.1.3). Das Funktionsprogramm wird nachstehend dargestellt und erläutert, da es die Grundlage zum Verständnis und zur Formulierung des Behavior Settings bildet und auch die Einheiten der räumlich physischen Umwelt als Raumprogramm daraus abgeleitet sind. Der Bürgerin oder dem Bürger soll es ermöglicht werden ihr oder sein Anliegen an einem zentralen Ort der Verwaltung erledigen zu können, auch wenn dessen Bearbeitung mehrere Verwaltungsstellen der Kommunalverwaltung betrifft. Das soll Zeit-, Wege- und Terminierungsaufwand erleichtern und zur Wahrnehmung einer bürgerorientierten Kommunalverwaltung führen (zu den diesbezüglichen Erwartungen von Bürger und Bürgerinnen vgl. Fobe und Rieger-Genennig, 1999, S. 24). Die kommunale Verwaltungsstruktur ist dazu in ein ’front-office’ und ein ’back-office’ aufgeteilt. Das ’front-office’ beinhaltete das eigentliche Bürgerbüro, in dem die Begegnung der Mitarbeiterinnen der kommunalen Verwaltung als Dienstleister und den Bürgern als Bedienten stattfindet; nur von diesem ist in dieser Arbeit die Rede; hier findet die Sachbearbeitung des Bürgeranliegens in dem Umfang statt, in dem die Mitwirkung der Bürgerin oder des Bürgers erforderlich ist. Alle übrigen Verwaltungsstellen stellen das ’backoffice’ dar; hier wird das Bürgeranliegen weiterbearbeitet, das in dieser Phase keinen unmittelbaren Kontakt mehr mit dem Bürger oder der Bürgerin erfordert. Das back-office ist noch einmal untergliedert in ein ’back-office 1’ und ’2’; das ’back-office 1’ - ist räumlich nah zum ’front-office’ gelegen, weil hier der Sachbearbeiter oder die Sachbearbeiterin aus dem Bürgerkontakt das Bürgeranliegen nachbearbeitet, bevor der
8.1 Architekturpsychologisches Verfahren
129
Abbildung 8.1.3: Funktionsprogramm Bürgerbüro Gotha
Vorgang an die jeweils zuständigen Abteilungen des ’back-office 2’ weitergegeben werden. Für das ’back-office 2’ ist eine unmittelbare räumliche Nähe zum Bürgerbüro daher nicht zwingend erforderlich, insbesondere auch nicht mit dem Blick auf den zunehmenden Einsatz elektronischer Informations- und Kommunikations-Technik (IuK-Technik). Im Bürgerbüro hat die Bürgerschaft ihren hauptsächlichen Anlaufpunkt für ihr Anliegen. Nur in besonderen Fällen ist noch ein direkter Weg zu den anderen Abteilungen der Kommunalverwaltung (’back-office 2’) erforderlich; dieser ist in
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8 Ausgangslage der Fallstudie
der Abbildung mit dem durchgehenden Pfeil rechst außen bezeichnet. Das Bürgerbüro selbst ist in die Bereiche der Infothek, Beratungsbüros, Wartezone und die Verkehrswege (in den Pfeilsymbolen implizit mit enthalten) unterteilt. Der erste Anlaufpunkt für das Bürgeranliegen ist die Infothek; hier findet die persönliche Begrüßung durch das Empfangspersonal statt und die Bürgerin oder der Bürger kann sich erstmals orientieren, informieren und ihr oder sein Anliegen vorbringen. Außerdem besteht die Möglichkeit, Kopien von Dokumenten erstellen zu lassen, Fahrkarten des kommunalen Stadtverkehrs zu erwerben und andere Serviceangebote wahrzunehmen; es werden auch persönlich Nummern zur Organisation der Wartereihenfolge ausgegeben und im Fall eines hohen Bürgeraufkommens eine voraussichtliche Wartezeit mitgeteilt; damit hat die Bürgerin oder der Bürger die Wahl, die Wartezeit frei zu gestalten um beispielsweise noch einen Einkauf zu erledigen, wenn die voraussichtliche Wartezeit länger dauern sollte. Die Nummernreihenfolge ist an einem von der Wartezone aus gut einsehbaren Bildschirm ablesbar, und es wird durch einen Ton signalisiert, wenn ein Sachbearbeiter oder eine Sachbearbeiterin aus einem Beratungsbüro wieder frei ist und die nächstfolgende Person das Büro aufsuchen kann. In der Grafik ist dieser Vorgang durch die drei unidirektionalen Pfeile rechts zwischen „Warten” und „Beratungsbereich” dargestellt. Ein alternatives Konzept, über das zum Zeitpunkt der Programmentwicklung noch nicht entschieden war und dann aber nicht zum Einsatz kam, sah vor, dass die Bürgerin oder der Bürger von der sachbearbeitenden Person aus dem Wartebereich abgeholt würde und ist in der Grafik noch durch drei bidirektionale Pfeile linksseitig bezeichnet. Zwischen dem Wartebereich und den Beratungsräumen besteht teilweise eine Sichtverbindung, sodass auch visuell wahrgenommen werden kann, wann ein Beratungsbüro wieder frei ist. Der Beratungsbereich ist in fünf (in der Grafik sind es allerdings noch sechs) akustisch und visuell abgeschirmte Einheiten unterteilt, davon zwei für den Aufgabenbereich
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der Stadtbetriebe (zum Beispiel Wertstoffentsorgung, Energieversorgung u.a.), die übrigen für alle anderen Aufgaben kommunaler Verwaltung. Die Einheiten sind auf publikumsabgewandter Seite untereinander verbunden; die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter können hier für eine gegenseitige Hilfestellung miteinander in Kontakt treten. Außerdem besteht eine Sichtverbindung zwischen ihnen auf der Höhe ihres Sitzplatzes, um die Notwendigkeit einer Hilfestellung auch visuell kommunizieren zu können ohne den Platz zu verlassen. Eine weitere visuelle, aber auch IuK-technische Verbindung zwischen Infothek und Beratungsbereich ist in der Grafik durch den gestrichelten Doppelpfeil gekennzeichnet. Sie dient ebenfalls dem Erkennen gegenseitigen Unterstützungsbedarfes und dem sachinhaltlichen Informationsaustausch innerhalb des Mitarbeiterstabes. Alle Ziele und Anforderungen, die sich aus diesen Funktionszusammenhängen ergeben haben, wurden in der Programm-Matrix ausformuliert. Im folgenden Abschnitt sind dazu einige Beispiele aufgeführt. 8.1.5.2 Bestimmung und Zuordnung der Umweltqualitäten Die Auswahl und Bestimmung der Umweltqualitäten für die ProgrammMatrix erfolgte erstens auf der Grundlage der einschlägigen umweltpsychologischen Literatur. Insbesondere waren das die Zusammenfassungen aus Dieckmann (1998) sowie die arbeitsplatzbezogenen Kriterien nach Sundstrom (1986). Seitdem hat Walden (2008) eine weitere Zusammenstellung dazu veröffentlicht, in der sie die Kriterien von Sundstrom und Sundstrom um eigene ergänzt hat (Abbildung A.1.1). Zweitens wurde ein Bezug zu den in der dyadischen Dienstleistungsbeziehung unterschiedenen instrumentellen Handlung und sozialen Interaktion hergestellt, indem das Umweltziel, nämlich genau diese zu unterstützen, als Kriterium eingebracht wurde. Drittens wurden die Erkenntnisgewin-
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8 Ausgangslage der Fallstudie
ne aus der POE und UNA thematisch strukturiert und dann, wenn sie nicht in die vorhandenen Kategorien einzuordnen waren, unter weiteren für den Planungsprozess übliche Kategorien eingeordnet. Diese Kriterien wurden dann eher intuitiv und heuristisch in Nerdingers funktionale (f) und atmosphärisch-emotionale (ae) Qualitäten gegliedert. Einige Auszüge aus der Programm(PE)-Matrix geben einen Eindruck der Systematik der in Abschnitt 8.1.4 und Abb. 8.1.2 dargestellten Zuordnung wieder. Zu jedem funktionalen (Abbildung A.2.1 ) und atmosphärisch-emotionalen (Abbildung A.2.2) Merkmal ist ein Beispiel aus einem der fünf Umweltabschnitte wiedergegeben. Nachfolgend sind die Merkmale im einzelnen kursorisch vorgestellt und auftretende differentielle Probleme, sowie die in Abschnitt 2.2 angesprochenen Schwierigkeiten bei deren Einordnung in f- und ae-Qualitäten benannt: – Die Raumfunktion (f) ist aus dem Funktionsprogramm abgeleitet und beschreibt den Nutzungszweck des räumlich physischen Umweltausschnittes und wichtige generelle Eigenschaften, die der Raum innerhalb des Behavior Settings erfüllen soll. Solche Eigenschaften können beispielsweise sein: Lage im Gebäude und relativ zu anderen Räumen, Anzahl der Personen oder Arbeitsplätze für die der Raum gedacht ist, ein funktioneller Zusammenhang zu anderen Räumen oder eine besondere Eigenschaft, die der Raum aufweisen soll, wie beispielsweiss ’Diskretion ermöglichen’. – Unter Ausstattung (f) ist die Möbel- und die technische Einrichtung zusammengefasst, die für die Handlungen in einem jeweiligen Raum als erforderlich angesehen wird. Gleichwohl sowohl die Ausstattung, als auch die Raumfunktion und auch die nachfolgende Kategorie der Sicherheitstechnik in der Regel in Bezug auf instrumentelle Handlungen
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aufgefasst werden, können sie alle prinzipiell auch ae-Inhalte betreffen. Mit dem Beispiel der Diskretion unter Raumfunktion ist das bereits nahe gelegt. Für die Ausstattung wäre ein solches Beispiel die Einrichtung einer Wellness-Umwelt, deren Fokus auf ein Wohlbefinden ausgelegt ist. – Sicherheitstechnik (f) umfasst technische Einrichtungen der Zugangskontrolle, Diebstahlsicherung und persönliche Übergriffe. Auch hier sind neben der f-Komponente implizit auch die ae-Komponente einer gefühlten Sicherheit angesprochen. – Soziale Interaktion (f) überschreibt die Umweltqualitäten, welche die Beziehungsaufnahme und Beziehungsgestaltung von Sozialpartnern beeinflussen. Zu Nerdingers Beispiel der Form eines Counters, die eine angemessene soziale Interaktion ermöglicht, ist im Abschnitt 2.2 bereits die differentielle Zuordnungsschwierigkeit zu f- und ae-Qualitäten angesprochen worden; sie wurde im Rahmen der PE vielfach angetroffen und dürfte für dieses Merkmal generell bestehen. – Das Merkmal Instrumentelle Handlung (f) bezieht sich auf die handlungsrelevanten Umweltziele unter dem Vorzeichen einer technischen Dienstleistungserbringung; es könnte auch mit „Arbeitsplatzergonomie” beschrieben werden. Hier ist eine ziemlich klare funktionale Einordnung möglich. Allerdings könnte auch argumentiert werden, der Kompetenzeindruck durch die instrumentellen oder arbeitsplatzergonomischen Umweltmerkmale und eines dadurch vermittelten effizienten Handelns der dienstleistenden Person wirke auf die Bedienten insofern atmo- sphärischemotional, als sich bei Letzteren ein allgemeines Gefühl der Zufriedenheit einstellen dürfte, am „richtigen Ort“ für die Problemlösung zu sein. – Orientierung (f) ist weitgehend selbsterklärend und bezieht sich auf die Orientierungsanforderungen innerhalb eines Settings an die Umwelt.
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8 Ausgangslage der Fallstudie
Auch hier sind aber zwei Interpretationen naheliegend, die mit einem „unmittelbarem orientiert Sein” als förderlich für das individuelle Sicherheitsgefühl (ae) und einem „sich orientieren Können” als intentional bezüglich eines instrumentellen oder sozialen Handlungszieles (f) beschrieben werden können. (vgl. dazu Abschnitt 9.4.2 und im Anhang den Exkurs zur Orientierung in Abschnitt A.5) – Lichtverhältnisse (f) oder alternativ „Beleuchtung” überschreibt die Raumbeleuchtung aus funktioneller Sicht; darunter wird das Licht für Sehaufgaben verstanden. In lichtplanerischer Praxis wird gerne zwischen „Licht zum Sehen” und „Licht zum Ansehen” unterschieden. Auf das Licht zum Sehen wird unter diesem Punkt Bezug genommen; das Licht zum Ansehen betrifft ästhetische und ae-Qualitäten. Für die funktionelle Beleuchtung gibt es nutzungsabhängig formulierte Normen (DIN/EN), Richtlinien (Arbeitsstättenrichtlinien ASR u.a.) und Empfehlungen der Lichttechnischen Gesellschaft e.V., auf die sich in der PE allgemein bezogen wird. – Reinigung/Hygiene (f) bezieht sich auf den Pflegeaufwand der Umwelt und die hygienischen Anforderungen. – Nach dem Grad an Privatheit (ae) unterscheiden die räumlich physischen Umwelteinheiten nach öffentlichen, halböffentlichen und Bereichen mit Diskretionsanforderungen. Wenngleich dieser Aspekt im Rahmen der PE den ae-Qualitäten zugeordnet wurde, ist der Grad an Privatheit natürlich auch funktional bezüglich der Interaktionsziele in der Dienstleistungsbeziehung. – Der Aspekt Sicherheit (ae) betont im Unterschied zur Sicherheitstechnik die Maßnahmen, welche das Sicherheitsgefühl der Umweltnutzer fördern. Beispielsweise erfuhr das Personal im früheren Bürgerbüro gelegentlich
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tätliche Übergriffe durch hoch verärgerte Bürger. Eine Umweltgestaltung in Form benachbarter Anordnung der Beratungsplätze mit Sichtverbindung der Mitarbeiter untereinander und einer kurzen Zuwegung zueinander wirkt über die Gewissheit sozialer Unterstützung im Notfall auf die gefühlte Sicherheit des Personals. Eine Funktionalität der Umweltgestaltung in Bezug auf die Sicherheit kann ebenso begründet werden wie die atmosphärisch-emotionale Qualität. Im ersten Fall handelt es sich um ein Signal der Umwelt an den Nutzer und im zweiten um die Reaktion des Nutzers auf dieses Signal. – Die Territorialität (ae) beschreibt den einer bestimmten Person oder Personenkreis zugeordneten Umweltausschnitt; sie reicht damit nah an die Raumfunktion heran, wird aber in der PE auf die Rolle der Personen innerhalb des Behavior Settings bezogen. Der Raum hinter dem Empfangstresen ist beispielsweise für das Empfangspersonal und nicht für das sachbearbeitende Personal vorgesehen, auch wenn die jeweilige Rolle von der gleichen Person zu verschiedenen Zeiten eingenommen würde. Das begleitende Gefühl ist das des ’mir oder dem anderen zugehörig Seins’; gerade damit wird aber auch eine rollenspezifische Funktionalität zugeschrieben. – Die Frage nach dem Image (ae), welches die Stadt dem Bürger vermitteln will und welche Ziele und Anforderungen daraus explizit zur Umweltgestaltung abgeleitet werden sollen, blieb über den PE-Prozess unbeantwortet; auch eine Anfrage an ein Leitbild der Stadtverwaltung, aus dem Ziele abgeleitet werden könnten, lief ins Leere. Allerdings war im Verlauf der UNA und POE implizit die Absicht erkennbar, der Bürgerin und dem Bürger den Kontakt zur Verwaltung erleichtern, und den Aufwand bezüglich Weg und Zeit zu minimieren. Daraus kann das Bild einer einer bürgerorientierten Kommunalverwaltung abgeleitet werden, die
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8 Ausgangslage der Fallstudie
unter anderem Fobe und Rieger-Genennig (1999) in ihrer Evaluation zur Erfahrung kommunaler Dienstleistung in „Bürgeramts”-Strukturen (dem „Bürgerbüro” vergleichbar) beschrieben haben. Die Einflüsse auf die Umweltgestaltung sind damit aber über die einzelnen übrigen Kriterien der PE-Matrix formuliert. – Umweltqualitäten, die zum physischen Komfort (ae) beitragen, beziehen sich auf eine behagliche Raumtemperatur, die gegebenenfalls auch arbeitsplatzbezogen regulierbar sein kann, auf Luftqualität und -geschwindigkeit (Luftzug) und allgemein auf die Vermeidung einer psychophysischen Übererregung, zum Beispiel durch Blendung bei zu hohen Beleuchtungsunterschieden oder durch eine zu reizarme oder reizüberflutete Umgebung während der Wartezeit. Der physische Komfort kann ebenfalls funktional in Bezug auf ein atmosphärisch-emotionales Wohlbefinden hin ausgelegt werden. – Der Aspekt Akustik hätte, ebenso wie die Lichtverhältnisse, unter die funktionalen Qualitäten gefasst werden können. Sein funktionaler Aspekt des “akustisch sich verstehen Könnens” ist in diesem Zusammenhang aber als so selbstverständlich angesehen worden, dass der Aspekt der Atmosphäre – mit Bezug auf einen Befund aus der POE, der sich auf die Bahnhofsatmosphäre des früherer Bürgerbüros bezog – im Vordergrund stand. Die Umweltbewertung „Bahnhofsatmosphäre” wurde unter anderem auf das akustische Phänomen der Halligkeit des früheren Bürgerbüros zurückgeführt. Außerdem hat die Akustik im rpU-Ausschnitt der Beratungsbüros einen Bezug zur Privatheit und Diskretion, die ebenfalls – trotz der dort formulierten Vorbehalte – als ’ae’ eingeordnet wurden. Im Gegensatz dazu stand der Aspekt der Lichtverhältnisse vorwiegend unter einem funktionalen Fokus der Sehaufgaben. Übrigens ist am Beispiel der Akustik und Privatheit – und nicht nur hier – ein Bezug der Qualitäten
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untereinander zu festzustellen; diese Referenz zwischen den Qualitäten führt dazu, dass innerhalb der Matrix in Zielen und Anforderungen immer wieder einmal von einem auf ein anderes Kriterium verwiesen wird. Für den anwendungspraktischen Gebrauch der Matrix war das vertretbar und nicht weiter störend; allerdings verweist die Möglichkeit und Notwendigkeit der Referenzierung auf eine unsaubere kategoriale Trennung und Mehrfachvalenz akustischer Wahrnehmung. – Auch die Sicht- und Sehverhältnisse (ae) sind noch eine mehrdeutige Kategorie. Einerseits beinhaltet sie Aspekte der Raumbeleuchtung über Kunst- und Tageslicht und hat damit einen Bezug den Lichtverhältnissen und zum physischen Sehkomfort; andererseits zielt sie auf eine unverstellte Sicht auf Umwelteinheiten und dortselbst befindlichen Personen und beinhaltet damit Aspekte der Orientierung und der sozialen Interaktion. Die Analyse funktionaler und atmosphärisch-emotionaler Umweltmerkmale zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Qualitäten, wie sie für den vorliegenden Fall der kommunalen Dienstleistungsumwelt formuliert werden konnten, trotz ihres anwendungspraktischen Nutzens und ihrer vermuteten Vollständigkeit, erhebliche Schwierigkeiten bereiten, sie in funktionale und atmosphärisch-emotionale Dimensionen zu trennen3 ; darüber hinaus zeigen sich referentielle Bezüge untereinander, beziehungsweise Mehrfachvalenzen, die eine forschungsnotwendig eindeutige Zuordnung 3
Es ist zu vermuten, dass sich Nerdinger mit dem atmosphärischen Dimensionen an Kotlers (1978; in Nerdinger, 1994) ’atmospherics’ einer Verkaufsraumgestaltung anlehnt. Kotler hat unter Gesichtspunkten des Verkaufsmarketings Merkmale wie Farbgestaltung, Raumtemperatur und Tempovariationen von Hintergrundmusik als unabhängige Variablen variiert und ihre Wirkung auf Aufenthaltsdauer der Kunden und Absatz hin untersucht. Diesen Ansatz sieht Nerdinger für eine Übertragung auf das Dienstleistungsmarketing zwar als ungeeignet an, richtet sich mit dieser Einschätzung allerdings auf den fehlenden Bezug zu einem für die Dienstleistungserbringung so wichtigen ’gemeinsam geteilten Erleben’ der Dienstleistungsbeteiligten (Nerdinger, 1994, S. 220 ff.).
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8 Ausgangslage der Fallstudie
unmöglich machen. Deshalb werden im Kapitel 9 die Ziele und Anforderungen aus der PE zur Entwicklung eines Fragebogen eingehend auf die Affordanzen hin untersucht, die ihnen zugrundeliegen. Mit dem Ergebnis kann dann ein neues Facettenstrukturmodell der räumlich physischen Dienstleistungsumwelt formuliert werden.
9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells Die Programm-Matrix der PE beinhaltet die Fakten, Ziele, Anforderungen, Konzepte und Zielkonflikte in Bezug auf funktionale und emotional-atmosphärische Kriterien; sie werden für das Milieu des BS ’Bürgerbüro’ insgesamt und für die jeweiligen Partialmilieus von den Nutzungsexperten und den Planern als bedeutsam und wichtig für das Funktionieren des BS erkannt (siehe Abschnitt 8.1.4 und Abb. 8.1.2). In den Anforderungen sind die Konsequenzen der Ziele für die Gestaltung des Milieus formuliert. Sie wurden in der PE nach funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Qualitäten strukturiert; die Struktur erwies sich bereits in ihrer Erstellung hinsichtlich einer eindeutigen Zuordnung als problematisch (Abschnitt 8.1.5.2). Ein erster Versuch, daraus dennoch einen Fragebogen zur Evaluation der räumlich physischen Umwelt des Bürgerbüros zu erstellen, scheiterte an einer gleicherweisen Mehrdeutigkeit der Fragen und erwartbar wenig aussagefähigen Antworten; insbesondere hätten Fragen und Antworten nur schwer Facetten zugeordnet werden können und lediglich eine Aussage über eine mehr oder weniger gelungen Umsetzung des Konzeptes aus der PE zugelassen. Aufgrund dieser Erfahrung wird nun ein Weg versucht, eine eindeutigere Ordnung zu finden, welche zu einer psychologisch begründbaren Facettenstruktur führt, die dann auch über die Fallstudie hinaus Anwendung finden kann. Dazu wird zunächst das Behavior Setting des Bürgerbüros als sol© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_10
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
ches begründet und gleichzeitig beschrieben (Abschnitt 9.1). In der Folge wird der Anforderungskatalog der PE in eine Affordanzstruktur des Milieus übersetzt; es wird also die Betrachtungsrichtung von einer Fragestellung nach den Anforderungen an die räumlich physische Umwelt auf die Frage nach ihren Angeboten hin verändert, die eine räumlich physische Umwelt zu Verfügung stellt oder stellen muss, wenn sie für das BS ’Bürgerbüro’ als geeignet angesehen werden soll. Die ursprünglichen Anforderungen aus der PE, die kategorial nach funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Aspekten strukturiert waren, wurden für diese Arbeit vorab kategorienunabhängig reformuliert, um einer Mehrdeutigkeit zu entgehen. In einem zweiten Schritt werden aus den Anforderungen an die Umwelt die Affordanzen abgeleitet und zu relevanten Abläufen im BS und zwischen den BS-Teilnehmern in Bezug gesetzt. Der damit verbundene Perspektivwechsel führt nach der Erfahrung des Verfassers zu einer sorgfältigeren und differenzierteren Sichtweise und Beschreibung dessen, was die Umwelt oder das Milieu in Bezug auf die Aktivitäten der Nutzer oder der BS-Inhabitanten leistet; unter anderem mag das darin begründet sein, dass mit den beschriebenen Anforderungen implizites Wissen des Verfassers als erfahrener und psychologisch geschulter1 Innenarchitekt und Programmentwickler des Falles verbunden war, das erst mit der Übersetzung in Affordanzen und dem nötigen Perspektivwechsel explizit wurde und beschrieben werden konnte. In einem dritten Schritt werden die Merkmale ermittelt, die einer subjektiven oder intersubjektiven Bewertung von Affordanzen in Bezug auf die Ziele im BS zugrunde liegen; es werden außerdem die Merkmale der räumlich materiellen Umwelt identifiziert, die Träger dieser Affordanzen sind. Die Extraktion der Affordanzen, Affordanzmerkmale und Umweltmerkmale erfolgt heuristisch auf Basis der Erfahrung eines Umweltgestalters; eine empirische 1
nach Abschluss des Vordiploms im Studiengang Psychologie
141 Validierung hätte den Aufwand für diese Arbeit unverhältnismäßig erhöht. Es wird vermutet, dass der Ertrag einer heuristischen Herangehensweise für eine Beurteilung der Erfolgsaussichten einer weiteren Verwendung dieses Ansatzes hinreichend ist; die empirische Validierung wird nachzuholen sein, wenn das Arbeitsergebnis dazu ermutigt, den Ansatz weiter zu verfolgen. Neben der Explikation von Anforderungen, Affordanzen und Affordanzmerkmalen wird in einem vierten Schritt eine Begriffsbezeichnung oder Denotation eines zugehörigen Umweltausschnittes (zum Beispiel Beratungsbüro oder Tresenanlage), eines Raumobjektes (zum Beispiel Bürostuhl) oder einer Funktionseinheit beziehungsweise eines Gegenstandes (zum Beispiel Türgriff, Schubkasten, Schalter) benannt, soweit das möglich ist. Manchmal ist die Denotation identisch mit der Anforderungsbeschreibung, was auf ein implizit konnotiertes und von Nutzungs- und Gestaltungsexperten geteiltes Wissen hinweist, welche Funktion diese bezeichnete Einheit jeweils hat, und wie sie zumindest in den Grundzügen auszugestalten ist; aber auch hier lassen sich die jeweiligen Merkmale über ihre Affordanzbeschreibung expliziter machen. Die Schritte eins bis vier sind parallel in tabellarischer Form im Anhang unter Abschnitt A.4 dargestellt und nach den funktionalen Bereichen des BS Bürgerbüro aus dem Abschnitt 9.1 gruppiert. Die Tabellen sind nach Bereichen geordnet; sie finden sich im Anhang unter Abschnitt A.4.1 für das Bürgerbüro insgesamt, in Abschnitt A.4.2 für die Infothek, in Abschnitt A.4.3 für die Beratungsbüros, in Abschnitt A.4.4 für die Wartezone und in Abschnitt A.4.5 für die Verkehrswege. In einem fünften Schritt werden dann die Facetten der Umwelt und die der Affordanzen thematisch geordnet (Abschnitt 9.2). Die Ordnung der Umweltfacetten basiert auf Gibsons Klassifikation der Umweltkonstituenten (vgl. Abschnitt 4.2) und wird um gebäude- und arbeitsplatztypische Anlagentechnik erweitert; die Inhalts- und Strukturanalyse wird in Abschnitt 9.3 vorgenommen. Die Affordanzmerkmale werden dort nach inhaltlicher
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
Ähnlichkeit analysiert, thematisch zusammengefasst und soweit möglich mit umweltpsychologischen Konzepten unterlegt; außerdem werden ihnen die Umweltfacetten zugeordnet, die von der Eignungsbewertung betroffen sind (Abschnitt 9.4). In einem sechsten Schritt sind die Ergebnisse zu diskutieren und in ein Strukturmodell der Umwelt- und Affordanzfacetten zusammenzuführen (Abschnitt 10). Abschließend ist daraus ein facettentheoretischer Abbildungssatz (mapping sentence) abzuleiten, der empirischen Untersuchungen auf Basis der Facettentheorie und -methodologie zugrunde gelegt werden kann (Abschnitt 11.2.1). Auf zwei Eingrenzungen des Untersuchungsbereiches ist noch hinzuweisen: Barker unterscheidet zwischen dem nonpsychologischen Milieu, welches das BS umgibt und Behavior Objects2 , um die herum sich Verhalten ereignet (vgl. auch Abschnitt 4.1). Es werden hier neben dem umgebenden gebauten Raum diejenigen Objekte im Raum einbezogen, die zu der Ausstattung (definiert in DIN 276-1-2008-12, Kostengruppe KG 610)3 im Raum zählen; dagegen wird die Ausstattung des Bürobedarfs wie zum Beispiel 2
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Manche Objekte im Raum sind nicht eindeutig als Behavior Objects identifizierbar; so ist beispielsweise für einen Empfangstresen schwer zu unterscheiden, ob das Verhalten um ihn herum stattfindet oder er ein BS als raumteilende Flächeneinheit mit umschließt. Das dürfte mit ein Grund sein, warum die BO in Regel dem NM zugeordnet werden und Barkers Differenzierung in dieser Hinsicht weniger Beachtung zukommt. Die DIN 276-1 „Kosten im Bauwesen: Hochbau“ ist für Planer ein Instrument zur differenzierten Ermittlung der Baukosten nach Bauteilen mit Relevanz für die Finanzierung von Bauvorhaben. Es wird u.a. zwischen ’Ausstattung’ (KG 610) und ’Baukonstruktive Einbauten’ (KG 370) unterschieden, wobei die Kosten der Gruppe 300 und 400 zu den reinen Baukosten zählen. Die zugehörigen Bauteile konstituieren damit das Gebäude und seine innere Struktur. „Für die Abgrenzung gegenüber der Kostengruppe 610 ist maßgebend, dass die Einbauten durch ihre Beschaffenheit und Befestigung technische und bauplanerische Maßnahmen erforderlich machen, z. B. Anfertigen von Werkplänen, statischen und anderen Berechnungen, Anschließen von Installationen“ (zit. n. DIN 2761 in Fröhlich, 2010). Diese Unterscheidung kann für die Einordnung von Raumobjekten wie zum Beispiel den Tresen aus Fußnote 2 zu dem verhaltensumschließenden nonpsychologischen Milieu gegenüber den Behavior Objects eine Orientierung bieten; es ist aber zu beachten, dass das differenzierende Kriterium nicht psychogener Natur ist.
9.1 Behavior Setting ’Bürgerbüro’
143
’Ordner’ oder ’Ablagekorb’, die nach Barker ebenfalls zu den BOs zählten, nur insofern berücksichtigt, als Raum und Raumobjekte entsprechenden Stauraum oder geeignete Stellflächen dafür anbieten. Weiterhin werden als Merkmale von physischen Objekten und Flächen nur potentiell subjektive und intersubjektive Kriterien der dyadischen Inhabitanten ermittelt; andere Merkmale, die als objektiv (zum Beispiel in Bezug auf die Einhaltung von Bauvorschriften) gelten können oder für die Organisation – als Konstitut der Dienstleistungstriade – relevant sein können, wie beispielsweise die Wirtschaftlichkeit hinsichtlich des Verhältnisses von Investitions- zu. Betriebs-/Unterhaltungskosten (Dauerhaftigkeit, Wartung, Reinigung u.a.), sind kein Gegenstand dieser Arbeit. Außerdem wird der Bereich ästhetischer Anmutung, der in der Regel ein zentraler Gegenstand von Architektur (Hochbau-, Innen- und Landschaftsarchitektur) ist, in den Facetten zunächst nicht berücksichtigt.
9.1 Behavior Setting ’Bürgerbüro’ Das Bürgerbüro wird als Verhaltens-Milieueinheit eines Behavior Setting ’Bürgerbüro’ behandelt. Das ist nach Kaminski und Bauer (1986) darin gerechtfertigt, dass sich das Geschehen im Bürgerbüro „ . . . jeweils innerhalb eines bestimmten räumlich-materiellen „Milieus“, und zwar im Prinzip öffentlich, abspielt, zudem innerhalb ausgrenzbarer Zeiträume” und es „ . . . herrschen bestimmte charakteristische Verhaltensmuster vor, die von den Teilnehmern gleichsam wie nach einem Programm erfüllt werden, wobei es weitgehend gleichgültig ist,
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells welche Individuen im einzelnen die auf das jeweilige Milieu abgestimmten Verhaltensmuster produzieren.” (zit. n. ebd., S. 10, Hervorhebung i. Original)
Nach Barkers kategorialer Unterscheidung von 11 Aktionsmustern4 (Barker, 1968, S. 55-66) besteht das Verhaltensprogramm aus den Mustern ’Regieren/Verwalten’, ’entgeltliches oder unentgeltliches Handeln’ und ’interaktives Handeln’; es ist dem Autoritätssystem5 ’Regierung/Verwaltung’ zuzuordnen. Einer Zusammenfassung von Barkers weiteren Deskriptoren eines Behavior Settings durch Kaminski (2008, S. 338-340) folgend besteht die Teilnehmerschaft (population) des BS ’Bürgerbüro’ aus dem Mitarbeiterstab des Bürgerbüros, sowie den Bürgern, die das BS zur Erledigung von behördlichen Angelegenheiten aufsuchen. In den Kategorien der internen sozialen Struktur6 sind die Bürger ’Mitglieder’ der Gemeinde oder Stadt und die Mitarbeiter ’aktive Funktionsträger’. Der geografische Ort sind die physischen Räume des Bürgerbüros innerhalb des Verwaltungsgebäudes, in denen das BS zu den Öffnungszeiten des Bürgerbüros zeitlich verortet ist. Das Milieu und die Verhaltensobjekte, also die konkrete räumliche Begrenzung des Ortes und die darin befindlichen Gegenständen mit jeweiliger Relevanz für das BS-Geschehen, sind Gegenstand der Abschnitte 9.2 bis 10. Zwei 4
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Kategorien der elf Aktionsmuster: Ästhetisches Verhalten, Kaufen und Verkaufen, Erziehen und Bilden, Regieren/Verwalten, Ernähren/Sich ernähren, Pflege der äußeren Erscheinung, Gesundheitspflege, entgeltliches oder unentgeltliches Handeln, Sich erholen/(Sich) unterhalten, Religiöses Verhalten, Interaktives Handeln (social contact) 5 Kategorien der Autoritätssysteme (Barker, 1968, zi. n. Harloff, 1986): Wirtschaft (private enterprise), Kirche, Schule, Regierung/Verwaltung (government), Freiwillige Vereinigungen (voluntary associations) Kategorien der internen sozialen Struktur (penetration) (Barker, 1968, in Kaminski, 2008, S. 339, Hervorhebungen im Original): Zaungast („onlooker“), Auditorium oder eingeladener Gast („audience or invited guest“), Mitglied oder (zahlende/r) Kundin bzw. Kunde („member or customer“), Aktive/r Funktionsträgerin bzw. Funktionsträger (active functionary), Führungsteam (joint leaders), Alleinige/r Leiterin bzw. Leiter (single leader)
9.1 Behavior Setting ’Bürgerbüro’
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weitere Aspekte sind der Grad der Teilnahmeverpflichtung7 an dem BS und das Ausmaß der lokalen Autonomie, unter der Entscheidungen innerhalb des BS außenbestimmt (zum Beispiel durch Verwaltungsakte auf Landes- oder Bundesebene) sind. Anhand dieser beiden Kategorien kann das BS eines Bürgerbüros gegenüber denen eines Dienstleistungsgeschehens nach dem Äquivalententausch ebenfalls (vgl. Abschnitt 3) abgegrenzt werden; diese Aspekte werden nicht weiter vertieft. Vielmehr wird das BS ’Bürgerbüro’ noch unter der psychologienäheren Konzeption betrachtet, die Kaminski und Bauer (1986) vorschlägt (siehe Abschnitt 4.1). Das Behavior Setting ’Bürgerbüro’ findet im Rahmen einer dyadischen Beziehung der Dienstleistungserbringung (Abschnitt 2.1) statt. Die Stadtverwaltung als Dienstleistungsorganisation erweitert die Dyade zur Triade über ihre Eigenschaft, die physische Umwelt beziehungsweise das nonpsychologische Milieu bereitzustellen. Die Verwaltungseinheit ’Bürgerbüro’ besteht aus 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Führungskraft und gliedert sich in ein Front- und ein Backoffice (siehe Abschnitt 8.1.4). Für das Behavior Setting ’Bürgerbüro’ wird jedoch ausschließlich der Bereich des frontoffice berücksichtigt; hier wird die Dienstleistung der Stadtverwaltung für die Bürgerschaft im unmittelbaren Kontakt erbracht; es ist die Schnittstelle der unmittelbaren Begegnung. Außerdem wird dem BehaviorSetting auch eine entsprechende Schnittstelle der Stadtbetriebe zugeordnet; beide sind sich funktionell sehr ähnlich und befinden sich innerhalb des gleichen Milieus; sie teilen sich einige ihrer Subsettings, auf die nachfolgend noch eingegangen wird, und sie sind in der optischen Erscheinung der Raumgestaltung kaum unterscheidbar8 . In dem Frontoffice stehen fünf Bera7
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Die Einteilung erfolgt in 7 Stufen, angefangen von dem Ausmaß einer Teilnahmeverpflichtung vergleichbar der Schlupflicht von Kindern (1) und endend mit einem Teilnahmeverbot (7) (Barker, 1968, S. 27 f. in Kaminski, 2008, S. 340) Es spiegelt sich hierin eine gleiche funktionale Herkunft der verwaltungstechnischen Aufgaben der Stadtverwaltung und der versorgungstechnischen Aufgaben der Stadtbetriebe
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
tungsplätze zur Verfügung; davon sind zwei den Stadtbetrieben und drei der Stadtverwaltung zugeordnet; außerdem finden sich an der Infothek weitere zwei Arbeitsplätze für den Empfang und die Weiterführung des Bürgers oder der Bürgerin. Die Besetzung der Arbeitsplätze erfolgt innerhalb der Öffnungszeiten nach dem zu erwartenden oder tatsächlichen Andrang des Besucherstromes. Auf der Seite des Dienstleisters sind also bis zu sieben Akteure innerhalb des BS aktiv. Seitens der Bürgerschaft, des Bedienten, ist die Anzahl der Akteure veränderlich und nicht genau bestimmbar, aber auf dem Erfahrungshintergrund der Mitarbeiterschaft kann ein erwartbarer Besucherstrom eingeschätzt werden; der verändert sich tages-, wochen- und jahreszeitabhängig. Das zentrale Geschehen des BS ist die Sachbearbeitung des Bürgeranliegens im direkten Bürgerkontakt. Hier kann nur ein Sachbearbeiter oder eine Sachbearbeiterin mit jeweils nur einem Bürgeranliegen innerhalb eines Zeitfensters beschäftigt sein. Es steht ihm oder ihr deshalb nur ein Bürger oder eine Bürgerin als Interaktionspartner gegenüber, der oder die gegebenfalls noch von ein oder seltener zwei Bezugspersonen begleitet9 wird. Die Diskrepanz zwischen einer beschränkten Anzahl an Dienstleistern und einer potentiell unbeschränkten Anzahl an zu bedienenden Personen erfordert ein Management der Zugangskontrolle zum Zentralgeschehen. Das geschieht über die Infothek und den Wartebereich. Die Wartezone kann bis zu 15 Personen zeitgleich abpuffern; ein weiterer Zustrom kann über den Empfang an der Infothek umgelenkt werden, indem die Besucher zu einem späteren Wiederkommen gebeten werden und zuvor eine Wartemar-
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als Aufgaben der öffentlichen Hand auf kommunaler Ebene wieder. Die Tatsache, dass die versorgungstechnischen Aufgaben der Kommune aus wirtschaftlichen und organisationellen Gründen in stadteigene Betriebe ausgelagert wurden, spielt für den Bürger oder die Bürgerin im aktuellen Kontaktgeschehen kaum eine Rolle und ist für ihn oder sie vermutlich auch sonst wenig salient. Noch seltener, und dann bei stark familienorientierten Kulturangehörigen werden weitere Bezugspersonen hinzukommen. Hierfür sieht das BS einen gesonderten Raum vor; der ist aber kein Gegenstand in dieser Arbeit.
9.1 Behavior Setting ’Bürgerbüro’
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ke vergeben wird. Das BS-Geschehen innerhalb des Milieus hat auf der Bedientenseite damit ein maximale zeitgleiche Beteiligung von bis zu ca. 20 Personen. Die bisherige Beschreibung lässt erkennen, dass das BS in Subsettings strukturiert ist; das hat auch die PE hervorgebracht; dort sind die Teilräume in die Beratungskabinen, die Infothek, die Wartezone und die Verkehrswege ausdifferenziert worden; außerdem wurde der Gesamtraum des Bürgerbüros fokussiert. Die Abfolge der Teilnahme an den Subsettings Infothek, Wartezone und Beratungsbereich ist für den Bedienten sequentiell. Bei geringen Besucherstrom kann das Subsetting der Wartezone entfallen. Für den Bedienten kann sich noch eine abschließende Handlung an der Infothek anschließen, wenn beispielsweise eine Information zu einem Folgevorhaben erfragt werden soll; auch eine zwischengeschaltete Handlung kann möglich sein, wenn zum Beispiel ein Verwaltungsvorgang kostenpflichtig war, ein Bezahlvorgang an einem Kassenautomaten erfolgen soll und die Quittung eine Voraussetzung für die weitere Bearbeitung in den Beratungsbereichen ist. Den Subsettings sind die entsprechenden Partialmilieus zugeordnet. Die Zuwegung über die Verkehrswege soll hier vorerst ebenfalls als Subsetting behandelt werden, da bei den Akteuren zumindest die Eignung des Partialmilieus der Verkehrswege für die Erreichbarkeit der anderen Subsettings erfragt werden soll. Der Aufstellbereich des Kassenautomaten hat in der PE keinen expliziten Niederschlag gefunden ist aber durchaus auch ein Partialmilieu des Settings. Instrumentelle und soziale Handlungen, finden wechselweise zwischen den Dyadenteilnehmern Dienstleister und Bedienter statt (vgl. Abschnitte 2.1, 2.2 und 2.6). An der Infothek sind das beispielsweise Ankommenshandlungen für den Bürger oder die Bürgerin (erste Orientierung; auf etwas oder jemanden Zugehen; Gruß oder Grußerwiderung; u.a.) und Empfangenshandlungen seitens des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin (Grüßen; das Anliegen des Besucher erfragen; Erläuterungen, Information oder Hinweise geben; u.a.). Den Handlungen sind
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
innerhalb der Partialmilieus wiederum akteurspezifische Handlungsorte zugeordnet. Der Platz hinter dem Tresen der Infothek ist der Mitarbeiterschaft zugeordnet und die Bürgerschaft hat dazu keinen Zugang. Der Raum vor dem Tresen ist vorwiegend der Bürgerschaft zugewiesen; zwar haben auch Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen Zugang dazu, jedoch wird er von diesen seltener genutzt und ist wesentlich für die Ankommenshandlungen konzipiert. Innerhalb der Partialmilieus werden deshalb auch Territorien nach der Aktivitäts-/Akteurzuordnung unterschieden; in der PE wird hier von nutzerspezifischen Ausschnitten der räumlich physischen Umwelt gesprochen. Das BS findet nur innerhalb der Öffnungszeiten statt und wird auf temporaler Stufe nicht weiter ausdifferenziert; lediglich die Dauer der Wartezeit innerhalb des Zugangskontrollsystems soll fokussiert werden, da sie für einen zufriedenstellenden Ablauf des BS bedeutsam ist (vgl. Nerdinger, 1994, S. 234 ff.). Das zentrale Interesse gilt der Aktivitäts-/Umweltverflechtung; die Ausdifferenzierung der Aktivitäten im Bürgerbüro ist aus den nutzerspezifischen Anforderungen der PE an die physische Umwelt ablesbar; die Anforderungen werden in korrespondierende Angebote der physischen Umwelt, in deren Affordanzen oder Affordanzsysteme, überführt; es interessieren im weiteren Verlauf dann die Antworten auf die Frage nach den Kriterien, die einer Eignungsbewertung derjenigen Umweltangebote zugrunde liegen, die in Korrespondenz zu den im BS stattfindenden sozialen und instrumentellen Handlungen stehen. Die Eignungsbewertung selbst fällt unter die Kategorie der internen Aktivitätsnachwirkung. Zuletzt sollen dann die Umweltmerkmale identifiziert werden, welche diese Kriterien konstituieren. Das hieraus gewonnene Material wird dann zur Grundlage der Entwicklung von Fragen, die an die Akteure des BS zur Bewertung der Verhaltens-/Umwelt-Synomorphie gerichtet werden können. Tabelle A.3.1 zeigt eine stichwortartige Übersicht der Paradigmenstruktur des BS ’Bürgerbüro’ auf der Basis einer Paradigmenanalyse nach Kaminski und
9.2 Kategorisierung der Affordanzmerkmale
149
Bauer (1986).
9.2 Kategorisierung der Affordanzmerkmale In Tabelle A.4 des Anhangs sind Anforderungen der PE in Affordanzen übersetzt und Merkmale dieser Affordanzen analysiert worden. Die Affordanzmerkmale der rechten Spalte, die bezogen auf das Milieu und seine Partialmilieus ermittelt wurden, sind in einem weiteren Verarbeitungsgang dann je auf einer Karteikarte notiert worden; mehrfach vorkommende identische Kriterien wurden nur einmal notiert. Die Karten wurden dann nach inhaltlicher Ähnlichkeit sortiert und für die Ähnlichkeit eine fokussierende Überschrift gesucht; es wurden nachfolgend gefunden: Gegenständlichkeit (raumbildenden Flächen, Raumobjekte): Erstreckung (ggf. Proportion) | Höhe, Breite und Tiefe, alternativ Länge und Breite | Lage im Raum und Gebäude | relative Lage (von Flächen und Objekten zueinander) | Zuschnitt | Durchlässigkeit | Zugriffs- und Öffnungsmechanismus | funktions- und vorschriftengerechter Einbau- und Aufstellbedingungen (für technische Systeme/Systemeinheiten) Oberflächeneigenschaften: Transparenzgrad, (Aspekt der Privatheit) | Schallabsorptionsgrad (Aspekt der Privatheit) | Haptik (Aspekt der Ästhetik und Orientierung) | Oberflächenstruktur (Aspekt der Ästhetik, Orientierung und Sicherheit) Bewegung der Person: Beinfreiheit | Bewegungsbereich | Zugriff10 | Zuwegung relative Lage (von Objekten zu Personen) | Unterstützung 10 Überschneidung
mit „Zugriffs-/Öffnungsmechanismus“ aus „Gegenständlichkeit“
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells von Hand und Unterarm | Unterstützung von Gesäß, Oberschenkel und Rücken | Unterstützung von Beinen/Füßen | Höhenverstellbarkeit, Drehbarkeit und Möglichkeit der Lokomotion von Sitzobjekten | Möglichkeit individueller Anpassung | Reagibilität individueller Anpassung | Handhabung von Raumobjekten | Bedienbarkeit
Raumklima in Bezug auf physiologischen (homöostatischen) Zustand einer Person: Raumtemperatur | Möglichkeit individueller Anpassung | Reaktivität bzw. Reagibilität individueller Anpassung Orientierung: Erstorientierung | Freie Übersicht | Ordnung der Zuwegung | Orientierungshilfen | Lesbarkeit (i.S. v. Wahrnehmbarkeit räumlicher, funktionaler und territorialer Zusammenhänge) | inhaltlich geordnete Übersichtlichkeit | Orientierungsangebot | Sichtfreiheit | Blendfreiheit Kontrolle: Zugriffskontrolle (Aspekt der Privatheit und Diskretion) | Sichtkontrolle (Aspekt der Privatheit und Diskretion) | Zugangskontrolle (Aspekt der Privatheit und Diskretion) | Sicherheit (Aspekt körperlicher Unversehrtheit und Hygiene): Schutz vor den Folgen der Inkontinenz Anderer | Sauberkeit und Hygiene | Abfallbehälter | Feuchtediffusionsgrad von Berührungsflächen | Sicherheitsgefühl in der Fortbewegung | Schutz/wahrgenommenen Sicherheit (persönlich) | wahrgenommene Sicherheit allgemein | Sicherheitsgefühl durch den Transparenzgrad von Flächen (Aspekt des Schutzes körperlicher Unversehrtheit)
9.2 Kategorisierung der Affordanzmerkmale
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Sicherheit (Aspekt gegenständlicher Sicherheit – Einbruch, Diebstahl, Vandalismus): wahrgenommene gegenständliche Sicherheit | Schutz von Gegenständlichem | ausreichende Helligkeit Soziale Interaktion: Barrierefreiheit der Face-to-Face- (FtF-) Kommunikation | interpersonale Distanz | Willkommen fühlen | Empfangen können | wahrgenommene Bedeutung (Aspekt der Lesbarkeit) | Vermittlung der Rollenzuordnung (Aspekt der Lesbarkeit) | interpersonalen Distanz | Ausgeglichener sozialer Vergleich | persönlich gestaltete Interaktion | Diskretion (synonym zur Privatheit: setzt sich aus verschiedenen Aspekten von Kontrolle und Oberflächeneigenschaften zusammen) | Reizqualität des Spielangebotes (B-Ki) | Grad der ’Störung’ durch Kinder (MA, B) | Grad des Kontrollaufwandes von Begleitpersonen der Kinder | Wahrgenommene Wartezeit | Reizqualität des Informationsangebotes | Sicherheitsgefühl durch den Transparenzgrad von Flächen (Aspekt der Privatheit) Territorialität: Wahrnehmbarkeit von Territorien | Ausschließlichkeit oder rollenspezifische Zugehörigkeit | Wahrnehmbarkeit der territorialen Zuordnung | Rollenspezifität der Zugangskontrolle | Ausschließlichkeit der Zuordnung über Zugangskontrolle / Raumgrenzen (Aspekt der Sicherheit) | In diesen Kategorien lassen sich zwei Inhaltsbereiche identifizieren. Einerseits ist der Bewertungsgegenstand ablesbar; er wird in Abschnitt 9.3 analysiert. Die Kategorien der ’Gegenständlichkeit’ und der ’Oberflächeneigenschaften’ beinhalten Eigenschaften der physischen Umwelt im Sinn ihrer ausgedehnten Körperhaftigkeit und räumlichen Lage mit ihren Grenzflächen zu einem Umgebenden; damit sind die ’Oberflächen’ nach der Definition
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
von Gibson (vgl. Abschnitt 4.2) angesprochen. Die Kategorie des ’Raumklimas’ bezieht sich auf das Umgebende, das Gibson mit dem ’Medium’ (vgl. ebd.) bezeichnet. Der Gegenstand der Bewertung ist damit Funktionsträger, insofern er nämlich das Milieu in seinen jeweiligen Eigenschaften konstituiert. Wände, Boden und Decke bilden die milieuumschließenden und milieustrukturierenden Flächen; auch Raumobjekte strukturieren das Milieu; sie bieten weitere Funktionen wie beispielsweise Durchgänge und Stauraum. Der Bewertungsgegenstand ist gleichzeitig aber auch Informationsträger im Sinne der Affordanzen insofern seine Funktionalität durch charakteristische Form, Dimension, Lage, Oberflächeneigenschaften und funktionellen Applikationen (zum Beispiel Tür- oder Schubkastengriff) erkennbar ist11 . Die 11 Dass
diese Differenzierung nicht trivial ist, konnte der Verfasser erst jüngst an einem Gebäudezugang des Neubaus eines Facharztzentrums erfahren: Der Hauptgebäudezugang liegt mittig eines großen Gebäudes mit einer großflächig festverglasten Fassade; der Haupteingang besteht aus einer zweiflügeligen Automatik-Ganzglas-Schiebetür, die sich in Material, Dimensionierung und Flächenteilung nicht von den übrigen festverglasten Fassadenelementen unterscheidet; die einzige und geringfügige Unterscheidbarkeit ist durch einen Rücksprung gegenüber der benachbarten Glasfront um einige Zentimeter gegeben. Einige Meter daneben befindet sich der Nebeneingang zum Treppenhaus und Rettungsweg des Gebäudes; dieser Eingang besteht aus einer Rahmentür mit Glasfüllung, die sich erkennbar aus der Fassade abhebt. Außerdem weist die unmittelbar neben diesem Eingang angeordnete Klingel- und Briefkastenanlage deutlich auf die Eingangsfunktion hin. Der Verfasser besuchte dieses Gebäude erstmalig und versuchte diesen deutlich erkennbaren, aber eben untergeordneten Eingang zu nutzen; er war zu dem Zeitpunkt auch nicht der einzige mit diesem Versuch. Die Tür war verschlossen und erst durch Betätigung der Türklingel wäre der Zugang möglich geworden. Weil ihm das ungewöhnlich für die Zugangsfunktionalität zu einem Facharztzentrum erschien, ging er weiter zur Gebäudemitte; hier befindet sich auf dem Zugangsweg eine große Informationssäule, die auf einen Zugang hinweist; ein Blick in den Innenraum lässt kein Foyer erkennen, denn der Innenraum macht einen leeren und untergeordneten Eindruck; das wiederum liegt an einer großflächigen und gleichförmigen Innenwandgestaltung mit einer geringen Leuchdichte, die zu einem von außen (vermittelt durch die Glasreflektion) undifferenziert grau erscheinenden Eindruck des Innenraums führt; erst die überraschende, durch den den Bewegungsmelder automatisch ausgelöste Türöffnung gab den enstcheidenden Hinweis auf die Eingangsfunktion. Ein Sachverhalt, der diesen Irrtum beförderte, besteht darin, dass die Aussengeländegestaltung keine großräumige Hauptzuwegung zentral auf das Gebäude hin vorsieht, sondern der Zugangsweg von der Seite her und parallel zur Fassa-
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Informationen konstituieren den zweiten Inhaltsbereich, der im Abschnitt 9.4 untersucht wird. Er umfasst die Bezüge, unter denen der Bewertungsgegenstand in seinen kategorialen Ausprägungen wahrgenommen und beurteilt wird; Bewegungsmöglichkeiten im Raum, Orientierung im Raum und in seinen Funktionsangeboten, Kontrollierbarkeit des Umfeldes, Gefühl der persönlichen Sicherheit und die Sicherheit von Gegenständlichem im Raum vor missbräuchlichem Einwirken Anderer, Möglichkeitsraum der Begegnung mit Anderen (soziale Interaktion), Zuordnung von nutzerspezifischen Bereichen beziehungsweise Territorien und nicht zuletzt das persönliche physiologisch bedingte Wohlbefinden durch Abwesenheit physiologischer Stressfaktoren sind Parameter, die individuelles und überindividuelles Verhalten und Erleben im Raum beeinflussen. Wenngleich sich auch hier, wie unter Nerdingers vorgeschlagener Differenzierung von funktionalen und kognitiv-emotionalen Kriterien (vgl. Abschnitt 8.1.5.2), Überschneidungen, abzuzeichnen scheinen, so sind sie identifizierbar und in in ihrer Zuordnung zu einzelnen Facetten beschreibbar; im Ergebnis wird einer ersten kategorialen Differenzierung aus der Fallstudie heraus Grund gelegt sein. Nachfolgend werden die Abgrenzungen und Zuordnungen der Merkmale, aber auch Ergänzungen, deren Erfordernis sich aus umweltpsychologischen Konzepten ableiten, vorgeschlagen und in einem Strukturmodell potentieller Facetten (Abbildung 10.0.1 ) zusammengeführt12 .
denflucht an das Gebäude heranführt und der Nebeneingang für den vorwiegenden Besucherstrom zuerst erreicht wird. Die Funktionaliät des Hauptzugangs war einwandfrei gegeben; die Information der Fassadenfläche aber ließ nicht nur den Hauptzugang nicht unmittelbar als solchen erkennbar werden, sie führte auch zunächst an den falschen Eingang. 12 Es empfiehlt sich für die Lektüre der Abschnitte 10.1 und 10.2 ein gelegentlicher Blick das Strukturmodell.
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
9.3 Struktur- und Inhaltsanalyse der Facetten räumlich physischer Umwelt In Abschnitt 4.2 wurden Gibsons Bestandteile der Umwelt vorgestellt; das sind die festen und flüssigen Substanzen, das Medium, die Oberflächen und die Objekte. Davon sind nur die Oberflächen und Objekte einer visuellen Wahrnehmung zugänglich. Oberflächen stehen in einer Zuordnung zueinander und haben eine Form, Textur und Widerstandskraft; sie grenzen die Substanzen untereinander, sowie vom Medium ab, aber sind auch selber begrenzt; außerdem ist ihnen ein Reflexions- und Absorptionsgrad gegenüber dem einfallenden Licht zu eigen; auch Objekte bestehen aus einer Oberflächenanordnung. Zu den Oberflächen besteht auch ein haptischer und akustischer Wahrnehmungszugang; eine Textur lässt sich durch Berührung als rau oder glatt erfühlen, und die Schallhärte einer Oberfläche ist in ihrem Ausmaß von Schallreflektion oder -absorption hörbar (vgl. Fußnote 2 in Abschnitt 4.2). Gibsons Oberflächen werden in der Fallstudie in Bezug auf ihre Form, Anordnung und ihren Grenzen in eine Kategorie der ’Gegenständlichkeit’ und nach Textur, Reflexions- und Absorptionsgrad bezüglich Licht und Schall in eine Kategorie der ’Oberflächeneigenschaften’ gefasst13 . Diese kategoriale Trennung erscheint insofern sinnvoll, als ’Gegenständlichkeit’ die Eigenschaft einer Oberfläche beschreibt, zusammen mit der Substanz, deren Grenze sie setzt und damit der Bewegung einer Person einen Widerstand entgegensetzt oder ihr ’entgegensteht’. Diese Gegenständlichkeit beschreibt den Bewegungsraum der Inhabitanten eines BS; ihre Bedeutung liegt in der Bereitstellung eines Möglichkeitsraumes für die Lokomotion 13 Wenngleich
bezüglich der Extraktion und Zusammenstellung der Kategorien unterstellt werden kann, dass dem Verfasser Gibsons Umweltverständnis bereits geläufig war, und ein so vorbereitetes Verständnis für deren Zustandekommen mit verantwortlich sein kann, so entstammen die Inhalte dieser Kategorien auch einem Alltagsdenken von Architekten oder Innenarchitekten als Umweltgestaltungsexperten .
9.3 Analyse der Facetten räumlich physischer Umwelt
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von Individuen. Die Kategorie der ’Oberflächeneigenschaften’ enthält diese Funktion und Bedeutung nicht. Ein anderer Grund für die Unterscheidung liegt in der gestaltbildenden Qualität der gegenständlichen Eigenschaften; Oberflächen schaffen in diesen Eigenschaften Begrenzungen der Substanzen gegenüber einem umgebenden oder umschlossenen Medium; sie sind skulptural und raumbildend. In der Praxis der Umweltgestaltungsexperten wird in einer Gestaltungsaufgabe oftmals zunächst die skulpturale, die raumbildende Form entwickelt, um erst in weiteren Schritten Material (die Gibsonsche Substanz), Oberflächentextur und Farbe zu wählen; auch das spricht für die kategoriale Differenzierung der Gibsonschen Oberflächen. Allein die Widerstandskraft von Oberflächen ist sowohl der Gegenständlichkeit als auch den Oberflächeneigenschaften zuzuordnen. Gibson versteht darunter einen Widerstand gegenüber Verformung und Auseinanderfallen, der in der Viskosität und Kohäsion einer Substanz begründet ist (Gibson, 1982, S. 25). In Bezug auf die Gegenständlichkeit ist darunter eine Stabilität gegenüber von außen einwirkenden Kräften zu verstehen, die relevant für eine Standund Bruchfestigkeit von Bauteilen oder Bauprodukten ist. In Bezug auf die Oberflächeneigenschaften sind die Qualitäten einer Oberfläche gemeint, die eine haptische oder hygienische Relevanz haben (zum Beispiel weiche und harte, plastische und elastische Oberflächen, oder solche mit hygienischen und schmutzabweisenden Eigenschaften) oder Qualitäten aufweisen, die mit mechanischer Abriebfestigkeit oder chemischer Resistenz (bedeutsam für Flächen im Kontakt mit chemischen Substanzen) beschrieben werden können. Gibsons Oberflächen sind gemeinsam mit den Substanzen Elemente stofflicher Natur. Dagegen hat das Medium nichtstofflichen Charakter und füllt den sich zwischen den Oberflächen und Objekten aufspannenden Raum. Es ist Mittler des widerscheinenden Lichts aus Sonnen-/Tageslicht und künstlicher Beleuchtung; als Raumluft hat es eine Temperatur und ver-
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schiedene Luftqualitäten wie Sauerstoffgehalt, Feinstaubanteil, Geruch und Geschwindigkeit der Luftbewegung.
9.3.1 Gegenständlichkeit Unter der Gegenständlichkeit wurden aus den Affordanzen in Bezug auf die Bewertungskriterien die Facetten Dimensionierung (gegebenenfalls Proportion), Breite, Tiefe, Höhe, gegebenenfalls Länge, Lage im Raum/Gebäude, relative Lage (von Objekten zueinander), Zuschnitt, Durchlässigkeit, Zugriffs/Öffnungsmecha- nismus und die funktions- und vorschriftengerechten Einbau- und Aufstellbedingungen (für technische Systeme/Systemeinheiten) extrahiert, die nun ebenfalls inhaltlich auszuwerten und zu ordnen sind. Die Aspekte Dimensionierung, Breite, Tiefe, Höhe, Länge und Zuschnitt lassen sich prägnanter unter den Begriffen Form und Erstreckung erfassen. Eine Oberfläche hat eine bestimmte Form, die entweder zweidimensional und flächig ist oder aber dreidimensional und sphärisch, und sie hat eine Erstreckung, die in den Merkmalen einer Breite, Tiefe, Höhe oder Länge, bei sphärischen Formen auch in Krümmungsradien behandelt wird. Mit Proportion ist ein Größenverhältnis von Flächen zueinander oder zu einem bestimmten Nutzungszweck beschrieben; der Begriff wird für ästhetische Werturteile (wohlproportioniert) oder Angemessenheitsurteile in Bezug auf den Nutzungszweck (angemessen proportioniert) verwendet. Die Lage im Raum oder Gebäude und die relative Lage von Objekten zueinander werden allgemein unter relative Lage gefasst; eine absolute Lage wie zum Beispiel eine Höhe über dem Meeresspiegel oder der Nullebene eines Gebäudes ist für die Bauplanung und Erstellung von Gebäuden von Bedeutung; aber hier interessieren die relativen Lagen in Bezug auf die Inhabitanten des BS und die relativen Lagen von Flächen zueinander, da sie den Bewegungs- und Handlungsraum mitbestimmen. Ein Merkmal der Gegenständlichkeit von
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Oberflächen, das diesen Raum ebenfalls definiert und auf den die ’Zuwegung’ unter dem ’Fokus der Bewegung der Person’ implizit hinweist, sind potentiell schließbare oder auch nicht schließbare Öffnungen in den Flächen, die ein Ausmaß der Bewegung als Erreichbarkeit von, aber auch visuelle und akustische Wahrnehmung in oder aus anderen Umweltausschnitten kanalisieren; das wird mit dem Merkmal Durchlässigkeit bezeichnet; es wird aber ausschließlich diejenige Durchlässigkeit darunter verstanden, die auch für das Gibsonsche Medium durchlässig ist und zu der im vorigen Absatz beschriebenen skulpturalen und raumbildenden Eigenschaft von Gegenständlichkeit beiträgt. Davon ist eine ausschließlich visuelle oder akustische Durchlässigkeit einer Oberfläche zu unterscheiden, die nur undurchlässig für das Medium ist, aber eine gegenständliche Grenze darstellt. Eine visuelle Durchlässigkeit ermöglicht ein mehr- oder weniger gutes Hindurchsehen durch eine Oberfläche und wird unter ’Transparenzgrad’ in den Oberflächeneigenschaften gefasst; ’akustische Durchlässigkeit’ wird ihnen ebenfalls zugeordnet; sie ist in der Regel mehr oder weniger unerwünscht und bezeichnet die ausschließliche akustische Signalübertragung durch Oberflächen über Schallübertragungswege der Substanz (als Körperschall) oder des Mediums (als Luftschall). Ein Zugriffs- oder Öffnungsmechanismus beschreibt die funktionelle Eigenschaft von technischen Applikationen (Tür- oder Schubkastengriff, verdeckte oder automatisierte Öffnungsmechaniken, u.a. ) an diejenigen Oberflächen, welche die Öffnungen der vorbeschriebenen Durchlässigkeit füllen und einen Zugang zu anderen Bereichen oder einen Zugriff auf Stauräume ermöglichen; die Applikationen sind fest verbundene Objekte nach Gibson; der Zugriffs- oder Öffnungsmechanismus soll hier mit Handhabbarkeit oder Mechanismus der Handhabung bezeichnet werden und bezieht sich auf vom Nutzer verstellbare Flächen (Türen, Fenster, Schaukastenfronten, ...) innerhalb ortsfester Flächen. Ein weiteres Merkmal ist zwar nicht aus den Affordanzen heraus expliziert worden, es ergibt sich jedoch
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aus den oben beschriebenen Überlegungen zu Gibsons Widerstandskraft von Oberflächen als Stabilität von Oberflächen; sie ist in der Regel durch eine bauaufsichtlich kontrollierte und/oder fach- und sachgerechte Herstellung von Gebäude und Ausstattung sichergestellt, so dass dieser Aspekt für BSInhabitanten nur dann salient sein dürfte, wenn sie nicht gegeben ist; das ist ein hoffentlich selten auftretender Fall und dann ein Schadenssachverhalt; der Vollständigkeit halber wird sie mit angeführt.
9.3.2 Oberflächeneigenschaften Unter dem ’Fokus der Oberflächeneigenschaften’ konnten aus den Affordanzen Transparenzgrad, Schallabsorptionsgrad, Haptik und Oberflächenstruktur ermittelt werden. Es sind Eigenschaften, die das visuelle, haptische und akustische Wahrnehmungssystem einer Person ansprechen, wobei die Struktur einer Oberfläche sowohl visuell als auch haptisch wahrnehmbar ist und der Textur Gibsons entspricht. Die Oberflächeneigenschaften werden nach diesen Wahrnehmungsmodalitäten gruppiert. Die Reflexions- und Absorptionsgrade einer Oberfläche bezüglich einfallenden Lichts werden als Helligkeit beziehungsweise Leuchtdichte und Farbe wahrgenommen; die Leuchtdichte ist ein Maß für den Helligkeitseindruck einer selbst leuchtenden oder Licht reflektierenden Fläche; lichtwellenspezifisches Absorptionsvermögen einer Fläche erscheint als deren Farbe. Im Bewertungskriterium der ’Blendfreiheit’ aus dem Fokus der ’Orientierung’ ist implizit der Helligkeits- oder Leuchtdichtekontrast von lichtreflektierenden Flächen oder auch selbstleuchtenden Flächen oder Punkten enthalten. In Farbgestaltungen von Flächen können mehrere Farben auch als Muster kombiniert sein; solche Muster sind neben ihrer ästhetischen Wirkung auch in anderer Hinsicht wahrnehmungsbeeinflussend und können beispielsweise in bestimmten rhythmischen Anordnungen optische Täuschungen (Schober, 1972; Kar-
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nath & Thier, 2012) befördern. Der Transmissionsgrad einer Oberfläche bezüglich des Lichts, der für die Untersuchungen Gibsons weniger interessant war und nur peripher erwähnt ist (Gibson, 1982, S. 31), wird als ihr Transparenzgrad wahrgenommen; er reicht auf einer gleitenden Skala von undurchsichtig über transluzent (lichtdurchlässig) bis hin zu vollständig durchsichtig; für die Bewertung der Umweltausschnitte ist er von hoher Bedeutung, da er sowohl Gestaltungsmittel ist, als auch in Bezug auf die Herstellung von Orientierungsmöglichkeiten und Privatheit oder Diskretion im Raum eine Rolle spielt. Die Reflexions- und Absorptionseigenschaften einer Oberfläche bezüglich auftreffender Schallwellen werden im Baubereich gerne als Schallhärte einer Oberfläche bezeichnet; wenngleich das nicht die physikalisch korrekte Nomenklatur ist, soll diese Bezeichnung hier zur praktischen Anwendbarkeit im Feld beibehalten werden. Die Tatsache, dass für die Schallreflektions- und absorptionsgrade nicht allein die Oberfläche, sondern auch der Schichtenaufbau eines Bauteils als Kombination spezifischer Materialien (Substanzen) mit Luftzwischenräumen (Medium) und dem Perforationsgrad der Oberfläche14 verantwortlich ist, ist in diesem Zusammenhang eher sekundär15 und wird nicht weiter beachtet. Die Schallhärte von Oberflächen bestimmt den Nachhall beziehungsweise die Halligkeit eines Raumes, die vor dem Umbau des Bürgerbüros beispielsweise sehr bemängelt wurde; neben einer möglichen allgemeinen akustischen Überreizung durch zu viel Nachhall wird auch die Sprachverständlichkeit beeinflusst. Wie für das Licht ist auch für den Schall ein Transmissionsgrad, die Schalltransmission, der Oberfläche wahrnehmungsrelevant; es gibt zwei 14 Die
Oberflächenperforation kann als eine Regelgröße der Schallhärte angesehen werden, über die der Anteil reflektierten Schalls zu dem in den tieferen Bauteilschichten absorbierten Schall eingestellt wird. 15 Die tieferen Bauteilschichten liegen nicht im visuellen Feld des Beobachters; nur mit akustischer Fachkenntnis können die Zusammenhänge zur Raumakustik erschlossen werden.
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Schallübertragungswege, von denen einer, die Luftschallübertragung, über das Medium führt, und ein weiterer als Körperschall über die Substanz; die Schalltransmission ist in Bezug auf potentielle akustische Überreizung der Inhabitanten und der Privatheit oder Diskretion von Räumen relevant; die letztgenannten Aspekte wurden aus den Affordanzen abgeleitet und weisen implizit auf die Oberflächeneigenschaft der Schalltransmission hin. Den letzten Bereich der Oberflächeneingenschaften betreffen ihre Eigenschaften, die durch Berührung wahrgenommen werden können. Im ersten Absatz diese Abschnittes wurde im Zusammenhang mit Gibsons Widerstandskraft von Oberflächen bereits die Festigkeit einer Oberfläche behandelt. Ihre plastischen oder elastischen Eigenschaften sind von der Viskosität der Substanz abhängig; sie können weiterhin in weich- und hartplastische, oder weich- und hartelastisch unterteilt werden bis hin zu einer Unverformbarkeit. Die Kohäsionskraft spiegelt sich in ihrer Abriebfestigkeit, sowie in ihrer chemischen Resistenz wieder; so hat beispielsweise Sandstein eine geringere Abriebfestigkeit als Marmor oder Granit und Granit wiederum eine höhere chemische Resistenz als Marmor. Die Struktur wurde in diesem Absatz oben im Zusammenhang ihrer bidmodalen Wahrnehmbarkeit als visuell und haptisch angesprochen und ihre haptischen Qualitäten im ersten Absatz als Ergänzung des Verfassers zu Gibsons Textur angesprochen; es sollen darunter die haptischen Qualitäten ’rau’, und ’glatt’ oder ’feinkörnig’ und ’grobkörnig’ verstanden werden. Eine weitere haptische Qualität ist in den thermodynamischen Eigenschaften einer Substanz begründet; deren Wärmeleit- und speicherfähigkeit sowie ihre Wärmeabstrahlung bewirken, ob sich eine Oberfläche kalt oder warm anfühlt; sie ist weder bei Gibson angeführt, noch aus den Affordanzen extrahiert worden, bildet aber aus der umweltplanerischen Praxis eine Kategorie der Materialauswahl. Eine haptische Eigenschaft, die für Gibson ebenfalls wenig Relevanz hatte, und auch selten in der umweltplanerischen Praxis Berücksichtigung findet (mit
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Ausnahme der Verkehrsplanung) ist die Vibration von Oberflächen. Sie spielt in der Evaluation von Gebäuden selten eine Rolle und nur in dem Fall, wenn sie bemerkbar ist; dann aber wird sie in der Regel als störend wahrgenommen; das ist der Fall, wenn zum Beispiel eine U-Bahn-Trasse unter einer Bebauung, die dem Aufenthalt von Personen dient, geführt wird, keine ausreichende Entkoppelung der Gleiserschütterung vom darüber liegenden Erdreich erfolgt ist und sich die Erschütterung auf die Gebäude überträgt. Abschließend wird eine weitere Eigenschaft ergänzend hinzugefügt: Auf Oberflächen in Gebäuden befinden sich gelegentlich Hinweistafeln oder andere graphische Signale (Rettungsweghinweiszeichen, Richtungspfeile, o.ä.); ihre Erkennbarkeit hängt von ihrer Größe im Verhältnis zur Wahrnehmungsentfernung und vom Farb- und Leuchtdichtekontrast zur umgebenden Fläche ab; dieses Merkmal wird mit Größe, Farb- und Leuchtdichtekontrast graphischer Signale als Konstituenten ihrer Erkennbarkeit mit in die Facetten visueller Eigenschaften von Oberflächen aufgenommen; auch wenn dies keine unmittelbare Eigenschaft der Oberfläche ist, sind die Signale doch als Applikation auf Oberflächen für die Orientierung im Raum wichtig.
9.3.3 Ausstattung und Anlagen Bisher wurden Gibsons stoffliche Elemente der Umwelt, die Substanzen und hauptsächlich die grenzbildenden und wahrnehmungsrelevanten Oberflächen behandelt; Gibsons Eigenschaftsmerkmale der Oberflächen wurden mit den extrahierten Umwelt- oder Milieufacetten aus den Affordanzen abgeglichen und durch weitere Merkmale ergänzt, die sich aus den Affordanzen des Fallbeispiels oder nach vermuteter Relevanz zum BS und Überlegungen zur Vervollständigung aus umweltplanerischer Praxiserfahrung ableiten ließen. Es sind damit aber noch nicht alle stofflichen Elemente erfasst, die im Zusammenhang zu Räumen in Gebäuden und damit auch
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im nonpsychologischen Milieu eines BS vorkommen. Zum Einen ist eine technische Ausstattung von Arbeitsplätzen zu berücksichtigen; es fallen darunter beispielsweise EDV-Anlagen mit Tastatur, Maus und Monitor, oder Kassenanlagen, die im Wahrnehmungsbereich von Inhabitanten liegen. Sie wird hier als arbeitsplatztechnische Ausstattung gefasst. Außerdem sind es wahrnehmbaren Teile von Anlagen, die in der DIN 276 - 1 Kosten im Bauwesen - Teil 1 Hochbau (vgl. Fröhlich, 2010) unter der Kostengruppe 400 Bauwerk - Technische Anlagen aufgelistet sind und als funktionale Milieuelemente eines BS gelten können. Deren Teile werden, soweit sie im BS visuell wahrnehmbar sind, als Facetten mit unter die konstituierenden Elemente der Umwelt beziehungsweise des Milieus mit aufgenommen. Es sind allgemeine gebäudetechnische Anlagen, wie beispielsweise die Teile der heiztechnischen und lufttechnischen Anlagen (Heizkörper, Thermostatventile, Lüftungs- und Klimaauslässe, .... u.a.), lichttechnische Anlagen mit den Leuchten und ihren Bedienelementen und sicherheitstechnische Anlagen wie z.B. Bewegungsmelder und Videokameras oder Personenvereinzelungssysteme.
9.3.4 Medium Nach den stofflichen Elementen ist nun das nichtstoffliche Element Medium zu betrachten. Das Medium ist nach Gibson das Nichtstoffliche, welches das Stoffliche umgibt (vgl. Abschnitt 4.2). In den extrahierten Merkmalen der Affordanzen sind unter dem ’Fokus des Raumklimas in Bezug auf den physiologischen (homöostatischen) Zustand der Person’ die Merkmale der Raumtemperatur, Möglichkeiten individueller Anpassung und die Reaktivität beziehungsweise Reagibilität individueller Anpassung gefunden worden. Aber nur die Lufttemperatur ist eine Eigenschaft des Mediums; sie wird jedoch als Raumtemperatur wahrgenommen und es wird hier nicht weiter
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berücksichtigt, dass für wahrgenommene Raumtemperatur bei konstant niedriger Luftgeschwindigkeit zwei Umweltfaktoren, nämlich die Lufttemperatur und die Wärmeabstrahlung von umgebenden Flächen, verantwortlich sind; vielmehr wird davon ausgegangen, dass die gefühlte Temperatur vom Nutzer eher dem Medium Luft, zugeschrieben wird. Die Anpassungsmöglichkeit der Raumtemperatur und die Reagibilität der Anpassung sind Eigenschaften der gebäudetechnischen Anlagen und haben eine Kontrollfunktion, die später in den Kriterien der Milieubewertung behandelt wird. Die Luftgeschwindigkeit wird für die Inhabitanten dann salient, wenn es Zugerscheinungen gibt. Die Luftqualität, die sich einem Inhabitanten über den Anteil des Sauerstoffs in der Raumluft, dem Feinstaubgehalt und des Geruchs vermittelt, soll den Gibsonschen Merkmalen des Mediums ebenfalls hinzugefügt werden. Zur Beleuchtung stellt Gibson fest, dass sie als Zustand über den von umgebenden Oberflächen reflektierten Anteil des Strahlungslichtes in Form eines an jedem Punkt des Mediums vorhandenen Lichts wahrgenommen wird; dieses Umgebungslicht (ambient light) ist von dem Licht einer Strahlungsquelle (radiant light) zu unterscheiden. Für die Wahrnehmung der Beleuchtung ist der Helligkeitseindruck der Oberflächen verantwortlich; der wird, wie oben bereits angesprochen, als ihre Leuchtdichte beschrieben. Selbstleuchtende Flächen, auch punktförmige, sind Strahlungsquellen; ihre Helligkeit wird lichttechnisch zwar in der Größe ihres Lichtstroms beschrieben, jedoch ist auch hier die Leuchtdichte das wahrnehmungsbestimmende Merkmal. Helligkeitseindruck oder eben Leuchtdichte werden von lichttechnischen Laien, und als solche haben die Inhabitanten des BS zu gelten, vermutlich eher dem Medium zugeschrieben, wenn der Helligkeitseindruck nicht direkt durch eine Strahlungsquelle induziert wird; wenn dagegen die Strahlungsquelle in ihrer Helligkeit wahrgenommen wird, dann in der Regel als Ausmaß ihrer Blendung; die bestimmende Oberflächeneigenschaft ist dann der Leuchtdichtekontrast der Strahlungsquelle zu den umgebenden Flächen.
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Die Tatsache, dass Gibson die Beleuchtung dem Medium zuordnet und auch der durchschnittliche BS-Inhabitant sie dahin, wenn auch weniger durchdacht, attribuiert, veranlasst, die Beleuchtung hier unter die nichtstofflichen Eigenschaften der Umwelt mit aufzunehmen, und die Leuchtdichte dennoch parallel unter den stofflichen Oberflächeneigenschaften zu führen. Es wird sich in der Praxis und zukünftigen Analysen zeigen müssen, ob diese – im wahrsten Sinn des Wortes – ’augenscheinliche’ Redundanz sinnvoll beizubehalten ist oder zu verändern sein wird. Zusammenfassend entsteht ein Konstrukt der Umwelt oder des Milieus, das – anlehnend an Gibson – aus Oberflächen besteht, welche die Substanz vom Medium trennen und in gewisser Weise ’raumbildend’ sind, indem sie den Raum umschließen, teilen oder strukturieren; der Raum soll nicht mathematisch verstanden werden (Gibson will ja gerade von einem solchem Verständnis wegführen), ist aber als Erlebens- und Verhaltensoder Handlungsraum einer allgemeinverständlichen Begrifflichkeit näher als der Begriff des Mediums. Die Raumbildung wird ergänzt durch die darin befindlichen Objekte, die als Raumobjekte bezeichnet werden sollen und sich in ihrem Bezug zur Raumbildung von Objekten beispielsweise eines Bürobedarfs (Ordner, Schreibutensilien, u.a. ...) unterscheiden. Die raumbildenden Elemente sind Merkmalsträger in ihren gegenständlichen und Oberflächeneigenschaften; sie konstituieren die Verhaltensangebote in Bezug auf die Inhabitanten eines BS, die wiederum die Verhaltensangebote in Bezug bestimmter Verhaltens- und Erlebensmöglichkeiten bewerten. Den raumbildenden Elemente werden außerdem die gebäudetechnischen Anlagen, die licht- und sicherheitstechnischen Anlagen, sowie die Arbeitsplatzausstattung zugerechnet, die ihrerseits ebenfalls Verhaltens- und auch Erlebensangebote an die Inhabitanten richten. In der Summe bilden sie die Konstituenten eines Bewegungs- und Handlungsraumes, ein Raum der Stellflächen und des Stauraumes für Gegenstände, und einen Erlebensraum. Die ersteren beiden
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werden wesentlich durch die gegenständlichen Eigenschaften charakterisiert; der Erlebensraum dagegen sowohl durch die Gegenständlichkeit als auch durch die Oberflächeneigenschaften. Im folgenden Abschnitt werden nun die Facetten der Umwelt- und Milieubewertung als Affordanzen der Umwelt analysiert und strukturiert.
9.4 Struktur- und Inhaltsanalyse der Affordanzfacetten Im Abschnitt 9.2 wurden zwei Inhaltsbereiche identifiziert, die in den Affordanzen des Fallbeispiels ablesbar wurden. Der erste Inhaltsbereich des Bewertungsgegenstandes der Umwelt oder des Milieus als Merkmalsträger wurde im vorigen Abschnitt behandelt. Struktur und Merkmale eines Milieus wurden anhand von Gibsons Umweltverständnis und ergänzenden Merkmalen aus den Affordanzen des Falles und umweltplanerischer Expertise inhaltlich beschrieben und Kategorien zugeordnet; damit ist eine Grundlage zu einer möglichst vollständigen Beschreibung von Milieueigenschaften geschaffen, die bei Barker vermisst wird (vgl. Abschnitt 4.1). Der Inhaltsbereich bezeichnete den Träger der Verhaltensangebote oder Affordanzen in Bezug auf die Inhabitanten eines BS. Es ist nun der zweite Inhaltsbereich herauszuarbeiten, der bezeichnet auf welche Verhaltensund Erlebensmerkmale sich diese Angebote beziehen. Dazu sind in dem Fallbeispiel die Kategorien ’Bewegung der Person’, die ’Orientierung’ und ’Kontrolle’, sowie ’Sicherheit unter dem Aspekt der körperlichen Unversehrtheit (aber auch Ekelvermeidung)’ als auch ’Sicherheit unter dem Aspekt der Sicherheit von Gegenständen in Bezug auf Einbruch, Diebstahl, mutwilliger Zerstörung (Vandalismus)’ und ’soziale Interaktion’ sowie ’Territorialität’ gefunden worden. Die Kategorie ’Raumklima in Bezug auf den physio-
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logischen Zustand der Person’, die ja bereits unter den Merkmalsträgern gefasst wurde, wird auch als Verhaltens- und Erlebensangebot in den Blick genommen. Als Merkmalsträgereigenschaft wurde die Raumtemperatur dem Medium zugeordnet und mit weiteren (Raumluft-) Qualitäten und der Beleuchtung ergänzt; die Anpassungsmöglichkeit der Raumtemperatur und ihre Reagibilität fallen als Kontrollfunktionen unter die Kategorie der ’Kontrolle’. Das Medium ist nach Gibson der Lebens- und Bewegungsraum, der an die Oberflächen grenzt und von ihnen begrenzt wird; es setzt seine Verhaltensund Erlebensangebote in Bezug auf die physiologischen Bedürfnisse eines Individuums; nur wenn sich die Merkmalsausprägung der Eigenschaften des Mediums in einem Rahmen bewegt, die dem physiologischen System des Individuums angemessen ist, wird sich ein Individuum in dem Medium aufhalten wollen oder auch nur können. Über das reine ’Aufhalten können’ oder ’~ wollen’ hinaus sollten in einer zweckspezifischen Umwelt die Raumtemperatur, Luftqualitäten (Sauerstoffgehalt, Feinstaub, Geruch, Geschwindigkeit der Luftbewegung) und die Beleuchtung dem Erleben und Handeln einer Person aber auch soweit angepasst sein, dass sie nicht nur nicht die Gesundheit beeinträchtigen, sondern im Gegenteil die Gesundheit und das Wohlbefinden der Inhabitanten auch fördern. Eine Überreizung des visuellen, akustischen und haptischen Systems eines Individuums kann sowohl physiologisch gesundheitsgefährdend als auch kognitiv in Form einer nicht zielführend fokussierbaren Aufmerksamkeit einem Wohlbefinden entgegenstehen. Akustisch wirken Lärm oder zu viel Nachhall im Raum ungünstig, visuell beeinträchtigen Blendung, Buntheit, Strukturlosigkeit und Bewegungsunruhe die Aufmerksamkeitsleistung; die Vibration von Oberflächen, auf denen eine Person ruht (stehend, sitzend oder liegend) oder sich abstützt, verunsichert in hohem Maß und lenkt die Aufmerksamkeit von instrumentellen oder sozialen Handlungen weg auf das haptische Phänomen hin.
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9.4.1 Bewegungsbereich der Person Die Angebote unter dem Fokus der Bewegung einer Person (Abschnitt 9.2) können folgendermaßen zusammengefasst und strukturiert werden: Die Beinfreiheit kann mit unter dem Bewegungsbereich behandelt werden; dieser befindet sich im Medium und wird durch die Gegenständlichkeit der Umwelt begrenzt. Der Bewegungsbereich eines Milieus sollte dem milieuspezifischen Verhalten oder Handeln und dem Aufenthalt einer Person im Milieu angepasst sein; die Beinfreiheit ist ein spezieller Bewegungsbereich an Sitzoder Stehplätzen. Unter Zuwegung wird die Erreichbarkeit von Umweltausschnitten und Funktionsmechanismen innerhalb des Milieus verstanden. Die Wahrnehmung einer Erreichbarkeit setzt sich aus zwei Merkmalen zusammen: Ein Orientierungsangebot bestimmt die visuelle Zugänglichkeit des nächst angestrebten Umweltausschnittes von einem bestimmten Ausgangspunkt aus und ist für die Navigation von Bedeutung (vgl. Abschnitt 9.4.2). Das andere Merkmal besteht in einem Angebot einer Erreichbarkeit ohne größeren Aufwand an Bewegungskoordination und -energie; das ist gegeben, wenn der Weg möglichst kurz ist, wenig Richtungsänderungen erfordert, sicher begehbar (vgl. Abschnitt 9.4.5) ist und gegebenenfalls geeignete Hilfen zur Überwindung von unvermeidlichen Hindernissen (zum Beispiel Treppen, Rolltreppen, Handläufe, Aufzugsanlagen zur Überwindung von Höhenunterschieden) vorhanden sind. Für das Bürgerbüro sind die Partialmilieus die des Empfangs, des Wartens und der Beratung. Diese Zonen sind durch Verkehrswege horizontaler und vertikaler Erstreckung miteinander verbunden und werden über den Eingangsbereich, der ebenfalls als Teil der Verkehrswege aufzufassen ist, erschlossen; über diese Verbindungen werden die daran angeschlossenen funktionalen Bereiche erreicht, und sie werden als ein eigener Umweltabschnitt oder Partialmilieu behandelt. Die Bewertung einer Erreichbarkeit und
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Zuwegung bezieht sich vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, auf die Verkehrswege; wenn ein BS-Inhabitant bereits einen Abschnitt, beispielsweise die Wartezone, besetzt, dann wird die Erreichbarkeit eines nächst angestrebten Umweltabschnittes von diesem Punkt aus nämlich dieser Ausgangszone und nicht den Verkehrswegen zugeordnet; dieses Vorgehen beruht auf der BS-gemäßen sequentiellen Abfolge, in der einzelne Funktionsbereiche angesteuert werden und reflektiert die Nutzerperspektive, aus der heraus der neu angezielte Ort von diesem Punkt aus gut oder weniger gut erreichbar erscheint, und es auch ist. Die Salienz des Orientierungsangebotes korreliert mit dem Ausmaß einer Vertrautheit mit der Umgebung negativ; sie dürfte für den bedienten Bürger höher sein, als für den dienstleistenden Mitarbeiter. Eine Zuwegung zu und Erreichbarkeit von Funktionsmechanismen bezieht sich auf alle Funktionseinheiten (Schubkasten, Türen, Fenster, Schalter) der gegenständlichen Umwelt (vgl. Abschnitt 9.3.1), die über Lokomotion erreicht werden müssen. Ein Zugriff wird von der Zuwegung insoweit unterschieden, als über Zuwegung eine Fortbewegung der Person im Medium angesprochen ist; der Zugriff bezieht sich auf einen kleineren Handlungsraum, zu dem eine Lokomotion der handelnden Person nicht erforderlich ist; ein Zugriff ist auf eine Erreichbarkeit der Gibsonsche Objekte im Raum bezogen, welche Funktions- oder Öffnungsmechanismen an oder in Oberflächen oder aber andere greifbare Objekte sein können. Unter der Handhabung dieser Objekte wird verstanden, wie leicht oder schwer es ist, den Funktionsmechanismus zu betätigen oder mit anderen Objekten in objektspezifischer Weise umzugehen; Bedienbarkeit ist eine vergleichbare Wortmarke. Ein illustrierendes Beispiel dazu ist eine Schublade: auf sie ist ein mehr oder weniger leichter Zugriff möglich, weil sie sich zu einer Position des Nutzers in einer gut oder weniger gut erreichbaren Lage befindet, und auf deren Inhalte mehr oder weniger gut zugegriffen werden kann; ihre Handhabbarkeit oder Bedienbarkeit ist davon abhängig, wie leicht oder
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schwer sie sich öffnen und schließen lässt; beispielsweise ermöglicht ein sogenannter ’Selbsteinzug’ einer Schublade ein leichtes, leises und immer vollständiges Schließen. Die Unterstützung von Hand und Unterarm, von Sitzfläche (Gesäß und Oberschenkel) und Rücken, sowie der Beine und Füße wird unter dem Begriff der Unterstützung von Körperhaltung gefasst. So unterstützen eine Schreibtisch- oder auch Tresenoberfläche die Hände und Unterarme bei Schreibarbeiten, Stühle und Stehhilfen den Körper in einer sitzenden oder halbsitzenden/halbstehenden Haltung, und Barhocker oder eine besonders hohe Tresenbestuhlung bieten Beinen und Füßen eine Abstützung, die den Fußbodenkontakt ersetzt. Dazu gehört aber auch die Anpassungsfähigkeit der Flächen und Objekte an eine sich verändernde Körperhaltung; die Anpassungsmöglichkeiten bestehen im wesentlichen in ihrer Höhenverstellbarkeit und Drehbarkeit und der Möglichkeit der Lokomotion beziehungsweise Ortsveränderung; meisten sind damit Sitzobjekte (Stühle, Sessel, Hocker, ... u.a. ) angesprochen, aber auch Arbeitsplatten lassen sich höhenverstellen und verschieben und gegebenenfalls auch drehen. Die Leichtigkeit einer individuellen Anpassung auf die persönlichen Bedürfnisse einer Person wird durch die Reaktivität oder Reagibilität des zugrundeliegenden Mechanismus bestimmt; lässt er sich leicht bedienen und in hohem Maß an die individuelle Körperhaltung und individuumsspezifische Bewegungsabläufe anpassen, ist eine hohe individuelle Anpassungsfähigkeit gegeben. Aus den Affordanzen lassen sich aber auch noch eine allgemeine Verfügbarkeit von Arbeits- und Stellflächen und Verfügbarkeit von Stauraum ableiten, die das Geschehen innerhalb des Milieus beeinflussen; je besser ein Angebot an Arbeits- und Stellflächen und Stauraum auf das BS abgestimmt ist, desto sinnvoller können Arbeitsmittel und Gegenstände des instrumentellen Dienstleistungshandelns (zum Beispiel Dokumente) in Bezug auf die Arbeits- und Kommunikationsanforderungen platziert werden.
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9.4.2 Orientierung Unter Orientierung wurden die Aspekte Erstorientierung, freie Übersicht, Ordnung (der Zuwegung), Orientierungshilfen, Lesbarkeit (i.S. v. Wahrnehmbarkeit räumlicher, funktionaler und territorialer Zusammenhänge), inhaltlich geordnete Übersichtlichkeit, Orientierungsangebote, Sichtfreiheit und Blendfreiheit gefasst. Orientierung ist ein sich Zurechtfinden, sich Einordnen in die realen zeitlichen, örtlichen, persönlichen und situativen Gegebenheiten (Wirtz, 2013, S. 1138); im Zusammenhang dieser Arbeit ist die Bedeutung der Orientierung beschränkt auf die örtlichen Gegebenheiten und ist nach einer älteren Definition „ein praktisches Sich zurechtfinden im Raum“ (Häcker & Stapf, 1998, S. 603). Wie das geschieht soll an dem nachfolgenden Beispiel veranschaulicht werden: In der Fallschirmjäger- oder Einzelkämpferausbildung zu der Zeit ohne Satellitennavigation, gab es den Ausbildungsabschnitt eines Orientierungsmarsches; der auszubildende Soldat wurde in unbekanntem Gelände ausgesetzt, wohin er unter Ausschluss jeglicher Gelegenheit zur Orientierung gebracht worden war. Von diesem Ausgangspunkt aus hatte er durch unübersichtliches Gelände ein Ziel zu erreichen, das mehrere Stunden Fußmarsch entfernt lag; die Zielkoordinaten waren bekannt und mit der Navigationsausrüstung Kompass und Landkarte musste das Ziel erreicht werden. Der erste Schritt der Orientierung besteht darin, die eigene Position in Abhängigkeit von umgebenden Faktoren festzustellen. Dazu wird die Himmelsrichtung mit Hilfe eines Kompasses bestimmt, die Landkarte passend dazu nach Norden ausgerichtet und es werden besondere Ausprägungen des Geländes, Landmarken, in der Umgebung gesucht um sie auf der Karte, der das
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Weltkoordinatensystem unterlegt ist, als symbolisch-grafische Darstellungen wiederzufinden. Mit der Landmarke stehen dann Ausgangskoordinaten zur Verfügung, von denen aus dann das Ziel, das koordinatenbasiert beschrieben ist, in einem zweiten Schritt angesteuert werden kann. Da das Gelände unübersichtlich ist (zum Beispiel Hügel- o. Berglandschaft, bewaldete Schluchten), werden immer wieder neue Landmarken auf Sichtentfernung gesucht, die zumindest halbwegs in der Zielrichtung liegen und unter sorgfältiger Registrierung der Himmelsrichtung und Entfernung angelaufen. Unter Verrechnung aller Richtungswechsel und Entfernungen mit deren Abgleich auf der Geländekarte wird so das Ziel erreicht. Legt man dieses Beispiel zugrunde, bezeichnet Orientierung im Raum sowohl den Zustand des ’Orientiert Seins’, wie auch ein prozesshaftes Geschehen des ’Sich Orientierens’. In der Regel ist eine Person in irgendeiner Weise im Raum orientiert; erst wenn diese Orientierung verlorengegangen ist, wird sie diese wiederherzustellen suchen und zunächst ihre Position relativ zu relevanten und zeitlich überdauernden Umgebungsmerkmalen bestimmen und mit einem verfügbaren Wissenspotential (im Beispiel: extern verfügbares Wissen) abgleichen. Die Relevanz der Umgebungsmerkmale wird durch das Bezugssystem bestimmt, das für die aktuelle Position bedeutsam ist; die Bedeutsamkeit oder Salienz des Bezugssystems wiederum ergibt sich aus räumlichen Zusammenhängen, innerhalb derer sich die Person bewegt (Gebäude, Stadt, Landschaft, oder nautische, aeronautische, transnationale Räume u.a.) und aus den Mitteln seiner Fortbewegung (fußläufig, Fahrrad, Automobil, Mittel des öffentlichen Personennah- und -fernverkehrs u.a.); beispielsweise standen für eine Positionsbestimmung auf dem offenen Meer aus der Zeit vor einer satellitengestützten Navigation nur die Konstellati-
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on der Himmelskörper als zeitlich überdauerndes Umgebungsmerkmal zu Verfügung16 , in einem offenen Gelände sind Waldrandverläufe, singuläre Erhebungen oder Konstellationen von Erhebungen (Hügel, Berge, Dünen, Felsen) und Wasserläufe geeignete Landmarken; im Rahmen des ÖPNV oder Fernverkehrs dagegen sind die Bus-, U-Bahn-, S-Bahn-Linien oder Gleise mit den Haltestationen oder Bahnhöhen das geeignete Bezugssystem, und im Straßenverkehr sind es die Straßenverläufe, deren Hierarchien (Autobahn, Bundes- oder Landstraßen, Feldwege) und Straßennummern (A7, B42, L235 ), sowie den Entfernungsangaben in Bezug auf den Beginn der Straße oder zu einer nächsten Stadt, Ansiedlung oder einer Abzweigung/Kreuzung. Mit diesen Beispielen sind Referenzrahmen der Orientierung zur Positionsbestimmung nur beispielhaft umrissen; ist die eigene Position in Relation zu den relevanten Umgebungsfaktoren gefunden, stellt sich der Zustand der Orientierung, das ’Orientiert Sein’ ein. Erst aus diesem Zustand heraus wird es möglich, ein Ziel unter ’Aufrechterhaltung der Orientierung’ anzusteuern; der Vorgang wird mit Navigation (vgl. Abschnitt A.5) bezeichnet und er findet innerhalb des Bezugssystems statt, das für die weitere Fortbewegung bedeutsam ist. Das ’Sich Orientieren’ und der ’Erhalt der Orientierung’ als Prozess mündet in den Zustand des Orientiert Seins; und nur in dem Zustand des Wissens, wo jemand sich befindet, kann weiterhin orientierend ein Ziel angesteuert werden. Die Möglichkeit und Fähigkeit zur Orientierung hängen von den verfügbaren Umweltinformationen und der Umweltwahrnehmung ab. Den Begriff der ’Umweltwahrnehmung’ sehen Guski und Blöbaum (2008) im wissenschaftlichen Raum sehr weit gefasst und schlagen eine Differenzierung in Umweltwahrnehmung (environmental perception), Um16 Auch
wenn sich deren Position tageszeitabhängig in Relation zu einem Beobachter auf der Erdoberfläche verändert, so ist diese Bewegung ebenfalls überdauernd stabil und kalkulierbar
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weltbewertung (environmental assessment/appraisal) und Umweltkognition (environmental cognition) vor; danach bezieht sich die Umweltwahrnehmung auf die reine Perzeption der Umweltmerkmale, die Umweltbewertung auf eine überindividuelle, generalisierte (assessment) und individuelle, subjektive (appraisal) Bewertung von Umweltmerkmalen und schließlich die Umweltkognition auf die kognitive Verarbeitung der Umweltwahrnehmung; die Autoren betonen die vielfache Überschneidung dieser drei Aspekte in der Literatur. Unter dem Fokus einer orientierungsbezogenen (und noch undifferenziert verstandenen) Umweltwahrnehmung soll deshalb in Abschnitt A.5 des Anhangs ein Exkurs in die relevante aktuelle Forschung unternommen werden. Die Umwelt in dieser Fallstudie ist die Innenraumkonstellation eines Gebäudes; dazu entwickelt sich in jüngerer Zeit der Forschungsbereich der Raumwahrnehmung und -kognition (spatial perception, ~ cognition) zunehmend mit dem Fokus auf die Orientierung in Gebäuden; mit einem ausschließlichen Fokus auf den visuellen Anteil räumlicher Wahrnehmung ist auch der Begriff des ’visuospatial thinking’ (Shah & Miyake, 2005) gebräuchlich. Orientierung, als ein ’sich Orientieren’ und als ’Erhalt der Orientierung’ während der Fortbewegung, ist ein grundlegender Prozess der Navigation in Gebäuden, um auf der Basis der Raumwahrnehmung, sowie internaler und externaler Repräsentationen des Raumes einen Zustand des ’Orientiert Seins’ aufrechtzuerhalten; die Repräsentationen sind über verschiedene Referenzsysteme mehr oder auch weniger geordnet. Der Exkurs in die Forschungsergebnisse zur Orientierung im Anhang (Abschnitt A.5) beleuchtet die komplexen Zusammenhänge. Die Erstorientierung beim Betreten des Gebäudes beziehungsweise des Gebäudeabschnittes ’Bürgerbüro’ bezeichnet das Erfordernis einer Neuorientierung, die besonders für die Personen salient ist, die das Bürgerbüro erstmalig betreten oder die Raumkonstellation nicht mehr erinnern; sie ist erforderlich, weil im Moment des Eintritts in das Gebäude ein neue Raum-
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geometrie betreten wird und sich die Raumreferenzen von einem städtebaulichen Referenzsystem, das aus Gebäudegeometrien, Fassadenstrukturen, Straßen- und Wegenetz und städtebautypischen Ortsmarken besteht, in ein Referenzsystem des Innenraumes mit raumumschließenden Flächen und Kanten verändern. In diesem Moment ist es wichtig, räumliche, funktionale und territoriale Zusammenhänge erkennen zu können; die Zusammenhänge sollten aus den physischen Gegebenheiten ablesbar sein. Hölscher, Meilinger, Vrachliotis, Brösamle und Knauff (2005) (Abschnitt A.5.2.4) hatten die Raumstrukturen eines Übergangs und derjenigen Umgebungen, von denen aus weitere Räume erschlossen werden können (wie beispielsweise Gebäudeeingang, Eingangshalle und Foyer), auch als kritische Orte der Orientierung identifiziert und mit ‘Hot Spots’ bezeichnet. Neben diesen räumlichen Zusammenhängen, die Gegenstand der ’spatial cognition’-Forschung sind, sind für eine zielgerichtete Orientierung im Gebäude aber auch die BS-spezifischen funktionalen und territorialen Raumbezüge von Bedeutung, wenn nicht nur ein bestimmter räumlich definierter Ort im Gebäude aufgesucht werden soll (zum Beispiel hatten Hölscher et al. nur die Aufgaben vergeben, Räume mit einer bestimmten Raumnummer aufzusuchen). Funktionale Bezüge sind im Bürgerbüro über Bereiche des Empfangs, der Wartezone, der Beratungsbüros oder der sanitären Anlagen gegeben; die so verstandene Funktionalität beschreibt die Qualität der gebauten Umwelt, über die instrumentelle und soziale Handlungen gesteuert werden; funktionalen Zusammenhängen können skriptgesteuerte Erwartungen im Rahmen eines BS zugrunde liegen (vgl. Abschnitt 2.5), deren Erfüllung im Gebäude zu erkennen gesucht wird; die Funktionen haben einen Bezug vorwiegend zum instrumentellen Handeln innerhalb des Dienstleistungssettings. Territorien haben eine soziale Bedeutung (vgl. auch spätere Ausführung im Abschnitt 9.4.4); sie bezeichnen Raumabschnitte, deren Benutzung nur für bestimmte Personen oder Nutzergruppen gedacht sind, oder nur unter
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Einhaltung sozialer Regeln betreten werden; so wird ein Bürger oder eine Bürgerin beim Betreten eines Beratungsbüros den Regeln der Begrüßung folgen und nur einen für ihn oder sie vorbestimmten Platz und nicht den Platz der sachbearbeitenden oder beratenden Person einnehmen; er oder sie wird nicht den Platz hinter einem Service-Counter aufsuchen, sondern sich vor dem Empfangstresen aufhalten; die Territorien können mit den Funktionsbereichen deckungsgleich sein. Sowohl die Funktion als auch die Territorialität kann an Merkmalen der physischen Umwelt abgelesen werden, und sind als Referenzsysteme Teil einer Orientierung im Raum und salient für die Orientierung im Milieu eines BS. Für das Dienstleistungssetting soll deshalb zwischen einer instrumentell, nämlich funktionalen Merkmalen folgend, und sozial gesteuerten Orientierung im Raum unterschieden werden. Die Unterscheidung ist der Handlungsdifferenzierung in instrumentelles und soziales Handeln aus Nerdingers Dienstleistungsdyade analog. In beiden Fällen ist es die Räumlichkeit, die als skulpturale, texturale und farbliche Merkmale der raumbegrenzenden Flächen und Raumobjekte die Bedeutung mediiert. Für die Erstorientierung und die weitere Navigation ist es wichtig, die funktionale Struktur von Raumkonstellationen und Raumzonen mit ihrer funktionalen Bedeutung im BS wahrnehmen zu können und die Zuwegungen zu den Einheiten zu erkennen; einer funktional strukturierten Ordnung ist auch die Komponente eines chronologischen Ablauf des BS zuzurechnen, die einer Wegfindung in einem BS zugrunde liegt; es wird zuerst der Empfangstresen angesteuert und erst danach die Beratungsbüros, gegebenenfalls mit der Zwischenstation der Wartezone. Die jeweiligen Orte und die Wege dorthin müssen in der Reihenfolge erkennbar sein. Dies soll unter einer Lesbarkeit der Ordnung von Zuwegung und inhaltlich (bezogen auf das BS) geordneter Raumzonen zur Erstorientierung und fortlaufender Navigation verstanden werden. Dazu ist eine entsprechend freie Übersicht notwendig, die einen möglichst großen Teil der funktionalen Raumstrukturen im Sicht-
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feld von einem gegebenen Standpunkt aus bereit hält; soweit die Übersicht die Räumlichkeit der Umwelt betrifft, können die quantitativen Konzepte des Isovisten (Benedikt, 1979) und des Visibility Graph (Turner, Doxa, O’Sullivan & Penn, 2001) (Abschnitt A.5.2.5) in Zukunft herangezogen werden. Ergänzend oder alternativ sind hinweisende Orientierungshilfen wie ein Wegeleitsystem, Grundrisspläne oder andere externe Repräsentationen für eine Wegfindung hilfreich (vgl. Montello, 2005) (Abschnitt A.5.1.2). Visuelle Perzeption kann physiologisch durch einen zu hohen Leuchtdichtekontrast beeinträchtigt werden; die Nutzer werden geblendet und können sich deshalb nur schwer orientieren. Im Fallbeispiel war das ein Mangel vor dem Umbau des Bürgerbüros; gegenüber dem Zugang der Eingangshalle war eine große Fensterfront ohne Sonnenschutz gelegen; besonders an sonnigen Tagen wurden die Eingangshalle und alle sich darin befindenden Objekte und Personen nur schattenhaft wahrgenommen; der Blendungseffekt war im Moment des Eintritts durch den Adaptationsprozess der visuellen Sensorik, der den Übergang vom Außenraum in den Innenraum an einem sonnigen Tag begleitet, noch verstärkt. Blendfreiheit ist unter dem Aspekt der Orientierung ein wichtiges Kriterium. Bezüglich der territorialen Merkmale des Raumes ist die Lesbarkeit rollenspezifischer Zugehörigkeit von Territorien relevant. Im Dienstleistungssetting unterscheidet Nerdinger die soziale Gruppierung nach der Rolle der Settingteilnehmer in den Dienstleister und den Bedienten; diesen Rollen sind in der Umwelt physische Räume als Handlungsschauplatz zugeordnet. Nach Goffmans Rollenverständnis gliedern sie sich in Räume der Vorder- und der Hinterbühne (Goffman, 1969); Zuschauer haben darin keinen Zutritt zur Hinterbühne. Auch im Dienstleistungssetting sind die Räume nur selektiv nach Rollenzugehörigkeit zu betreten. Im Fallbeispiel ist das Back-Office 1 des Bürgerbüros für die bedienten Bürger in der Regel nicht zu betreten; das Frontoffice ist in verschiedene Territorien mit unterschiedlicher Aufent-
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haltsbestimmung aufgeteilt; der Empfangstresen teilt die Empfangszone in einen vorder- und rückseitigen Bereich; der vorderseitige ist für die Bürger gedacht, aber auch die Mitarbeiter haben dazu einen Zugang; dagegen ist der rückseitige Bereich des Counters ausschließlich für den Zugang der Mitarbeiter gedacht. Die Wartezone ist für den Bürger vorgesehen, aber auch die Mitarbeiter haben einen Zugang dazu; ein Beratungsraum ist für beide Settingteilnehmer vorgesehen, jedoch gibt es auch hier den Arbeitsplatz des Dienstleisters, zu dem der Bürger zwar räumlich Zugang hätte, diesen aber nur unter Verletzung sozialer Regeln betreten könnte. Neben den sozial wirksamen territorialen Gesichtspunkten werden die Merkmale auch danach dekodiert, wie sich eine Person in einem sozialen Zusammenhang angesichts der für sie bereitgestellten Umwelt wahrnehmen kann, zum Beispiel ob sie sich empfangen oder als eher störend fühlen kann, oder aber ob sie einen orientierungweisenden Ansprechpartner vorfindet; auch das ist eine Funktion einer Orientierung und soll hier als wahrgenommene soziale Bedeutung der Umwelteinheiten gelten. Sichtfreiheit im sozialen Zusammenhang unterscheidet sich von einer freien Übersicht insofern, als hier die Sichtverbindung zwischen Personen für eine visuelle Kommunikation zum Beispiel für eine Unterstützung in kritischen Situationen, oder die Sicht auf unerwartet sich nähernde Personen bezeichnet wird.
9.4.3 Kontrolle Eine weitere Kategorie der Bewertungskriterien von Affordanzen ist ihr Kontrollangebot. Das Konzept der Kontrolle ist in der Literatur weit und uneinheitlich gefasst (Skinner, 1996). Das Zweiprozessmodell der Kontrolle von Rothbaum, Weisz und Snyder (1982) unterscheidet eine primäre und sekundäre Kontrolle; in der primären Kontrolle werden Umweltgegebenheiten entsprechend den eigenen Bedürfnissen verändert, während mit sekundärer
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Kontrolle die kognitive und emotionale Anpassung an die Gegebenheiten der Umwelt bezeichnet wird. Thompson (1981) differenziert zwischen einer Verhaltenskontrolle, Informationskontrolle und der kognitiven und retrospektiven Kontrolle. Unter Verhaltenskontrolle wird die tatsächliche Beeinflussbarkeit eines Ereignisses verstanden; kognitive Kontrolle setzt ein, wenn ein Ereignis nicht beeinflussbar erscheint und adaptive Strategien eine Kontrollüberzeugung aufrechterhalten; Informationskontrolle bezieht sich auf die Vorhersagbarkeit von Ereignissen und mit retrospektiver Kontrolle ist ihre nachträgliche Erklärbarkeit angesprochen. Frey, Dauenheimer, Parge und Haisch (2001) schlagen in einer Zusammenfassung von Theorien kognizierter Kontrolle vor, in der Kontrolle zwischen „subjektiv veränderbaren und subjektiv nicht-veränderbaren Welten“ (zit. n. ebd. S. 16) zu unterscheiden und primäre Kontrolle den veränderbaren Welten und sekundäre Kontrolle nicht-veränderbaren Welten zuzuordnen. Thompsons Differenzierung ordnen sie mit der Verhaltenskontrolle der primären Kontrolle und die übrigen drei Kontrollkonzepten der sekundären Kontrolle zu. Nerdinger bemüht zur Handlungserklärung in der Dienstleistung ein universelles Kontrollmotiv (vgl. Abschnitt 2.6), das sich in Verhaltenskontrolle und kognitiv in prospektiver und retrospektiver Kontrolle ausdrückt. Die Kontrolltheorien beziehen sich auf soziale und physische Umwelten; Kontrollangebote der Affordanzen sind Merkmale ausschließlich der räumlich physischen Umwelt im Erleben der Nutzer; darin sind die Merkmale teils mechanisch veränderbar (offene vs. geschlossene Türen oder Fenster, Schubkästen, Stauräume, Regeleinheiten gebäudetechnischer Anlagen, usw.) und teils – als statische raumstrukturierende Flächen und Objekte oder Peripherieeinheiten gebäudetechnischer Anlagen – nicht veränderbar. Über die Kontrollaffordanzen werden die Fortbewegungsrichtungen und Handlungen der Nutzer im Raum gesteuert; die Topologie und Funktionalität ihrer Merkmalsträger sind auf den Handlungsablauf im BS zugeschnitten und regeln in
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einem bestimmten Grad das instrumentelle und soziale Geschehen innerhalb des BS; auf die Nutzergruppen hin sind sie rollenspezifisch wirksam (vgl. Abschnitt 2.4). Ihre Wirksamkeit zeigt sich in zweierlei Hinsicht; einerseits sind sie mit einer Selbstwirksamkeitserwartung auf individuumszentrierter psychischer Ebene verbunden, in der ein Nutzer als Rolleninhaber die kontrollausübende Instanz ist; andererseits reflektieren die Kontrollaffordanzen der statischen und veränderbaren Merkmale, letztere auch über den Grad und die Rollenbezogenheit ihrer Veränderbarkeit, die Wirksamkeitserwartung einer sozialen Konstellation aus Dienstleistungsorganisation und Gestaltungsexperten der Umwelt; hier ist eine soziale Entität das Agens der Kontrolle nach Skinner (1996). Unter dem Fokus der Kontrolle sind die Aspekte der Zugriffskontrolle, Sichtkontrolle und Zugangskontrolle gefunden worden; sie sind Kontrollmittel eines Rolleninhabers als kontrollausübende Instanz und werden rollenspezifisch in verschiedener Weise ausgeübt. Das Ziel der Zugriffskontrolle ist die Veränderbarkeit physischer Umwelteinheiten, die einer Greifbewegung unterliegt; Zugangskontrolle ermöglicht oder verhindert eine Fortbewegung zwischen physisch räumlichen Umweltausschnitten, welche über Flächen begrenzt sind und die in ihrer Durchlässigkeit veränderbar sind. Beide Kontrollziele richten sich auf die veränderbare gebaute Umwelt und sind Aspekte der Verhaltenskontrolle; auch die Sichtkontrolle kann, als Veränderung des Transparenzgrades einer Oberfläche (zum Beispiel durch Schließen einer Jalousie vor einer Glasfront) um eine visuelle Exposition zu vermeiden, so verstanden werden. Sichtkontrolle beinhaltet aber auch die visuelle Informationssuche nach Ereignissen, um sich ihnen gegenüber adaptiv verhalten zu können; als Informationskontrolle nach Thompson ist es, Frey und Jonas folgend, der sekundären Kontrolle zuzurechnen; über die Sichtkontrolle kann ein Dienstleister beispielsweise frühzeitig erkennen, dass er aufge-
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sucht wird und seine Handlungsplanung oder Emotionsregulation darauf abstimmen; Unregelmäßigkeiten im Handlungsablauf des Dienstleistungsskriptes können visuell erfasst und gegebenenfalls intervenierend beeinflusst werden (zum Beispiel Hilfeleistung bei Übergriffen). Der Ausübung von Kontrolle liegt die Erwartung eines bestimmten Zielzustandes zugrunde (Skinner, 1996); die Inhaltsbereiche der Ziele können nach den Erfordernissen aus der Dienstleistungsaufgabe und, später aufgeführte Aspekte einer Umweltbewertung vorwegnehmend, nach einem Bestreben zu Sicherheit und Wohlbefinden unterschieden werden. Die Möglichkeit einer Kontrolle ist die Voraussetzung eines Kontrollprozesses; um sie wirksam und effizient ausüben zu können ist der Aufwand, der dazu betrieben werden muss, ein weiteres Kriterium; außerdem ist die Dauer zwischen einer Intervention und ihrem Ergebnis, sowie die Feinkörnigkeit einer graduellen Abstimmung der Intervention für den Prozess der Kontrolle maßgebend; diese Qualitäten werden mit Reagibilität bezeichnet. In der Entwicklung des Fragebogens zeichnete sich ab, dass sich manche Aspekte der Kontrolle nicht allein einem Zugriff, Zugang oder der Sicht zuordnen ließen; diese Aspekte wurden dann nach Inhaltsbereichen der Umweltergonomie (zum Beispiel Kontrolle über die Raumtemperatur) und der Arbeitsplatzergonomie (zum Beispiel Möglichkeit der Anpassung von Sitzpositionen) zugeordnet.
9.4.4 Soziales Handeln Zwei weitere Überschriften der extrahierten Affordanzmerkmale betreffen Merkmale, welche die soziale Interaktion beeinflussen und Territorien markieren. Der Begriff der Territorialität war ursprünglich in der Verhaltensforschung beheimatet, ist aber in die Umweltpsychologie übernommen worden und bezeichnet nach Sommer (1969; zit. n. Wirtz, 2013, S. 1535), Verhaltensweisen und Kognitionen von Personen oder Gruppen, die einem
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wahrgenommenen Besitzanspruch auf geografische Räume entspringen. Räumlich physische Merkmale, die ein Territorium kennzeichnen, beeinflussen den Handlungsablauf mit seinen zugrunde liegenden Kognitionen und sind in ihrer physischen Manifestation gleichzeitig auch Ausdruck der kognizierten sozialen Beziehungen und Handlungsskripte eines BS. Territorialität ist ein genuin soziales Phänomen und aus den Affordanzen der Umwelt ablesbar; deshalb werden die in Abschnitt 9.2 von der sozialen Interaktion noch getrennt geführten territorialen Merkmale nun der sozialen Interaktion mit zugerechnet. Die Subfacetten des sozialen Handelns werden nachfolgend für eine bessere Übersichtlichkeit in Unterabschnitten vorgestellt. 9.4.4.1 Territorialität Territorialität kann nicht nur durch die Eigentümerschaft geografischer Räume, sondern auch über die Kontrolle definiert werden, die jemand über einen definierbaren Raum hat; außerdem können Objekte oder Gedankengut ebenfalls Gegenstand der wahrgenommenen oder versuchten Kontrolle sein und Territorialverhalten auslösen. Darauf weisen Hellbrück und Fischer (1999, S. 336) in einem Vergleich der Territorialitätsdefinition von Bell et al. (1996; zit. n. ebd.), die Sommers Auffassung reflektiert, mit der Definition von Gifford (1997, S. 120; zit. n. ebd.; siehe auch 2007, S. 166) hin. Territoriale Verhaltensweisen bestehen nach Gifford in habitueller Besetzung, Verteidigung, Personalisierung und Markierung; sie unterscheiden sich in Art und Ausmaß nach der gewöhnlichen Besetzungsdauer eines Territoriums. Ein Territorium hat im Gegensatz zum persönlichen Raum (vgl. nachfolgende Erläuterungen zur interpersonalen Distanz) in der Regel ortsfeste Grenzen (Gifford, 2007, S. 136); es unterscheidet sich davon ebenfalls über eine Funktion der Auswahlkontrolle von Interaktionspartnern (Hellbrück & Fischer, 1999, S. 335); für die Salienz des persönlichen Raumes ist dagegen die Anwesenheit
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des Interaktionspartners eine Voraussetzung. Eine Typologie von Territorien nach Altman (1975) differenziert zwischen primären, sekundären und öffentlichen Territorien. Hellbrück und Fischer (1999, S. 337) beschreiben in einer modifizierten Fassung in Anlehnung an Altmann und auch Bell, Fiher, Baum und Greene, T,C (1996) primäre Territorien als Räume, wie beispielsweise Wohnungen und Büros, in denen ein lang dauernder Aufenthalt stattfindet, und die in der Selbst- und Fremdwahrnehmung hochgradig als sich zugehörig angesehen werden; in sekundären Territorien ist die Aufenthaltsdauer geringer und anstelle der Eigentümerschaftswahrnehmung dominiert die Wahrnehmung, zur Besetzung des Raumes autorisiert zu sein. Öffentliche Territorien sind durch eine sehr geringe Aufenthaltsdauer gekennzeichnet; ein Nutzer ist darin einer unter potentiell vielen, und Kontrolle über das Territorium kann nur schwer ausgeübt werden. Im Frontoffice des Bürgerbüros, wie auch vieler anderer Dienstleistungsumwelten, sind Territorien nutzerspezifisch sekundär oder öffentlich (vgl. auch Abschnitt 5.3). Die Beratungsbüros und der Raum hinter dem Service- oder Empfangstresen werden von Mitarbeitern abwechselnd für einen begrenzten Zeitraum besetzt und es ist weniger die Eigentümerschaft als die Autorisierung zur Besetzung salient; sie sind den sekundären Territorien zuzurechnen. Der Raum vor dem Tresen, der Wartebereich und die allgemeinen Verkehrswege sind dagegen öffentliche Bereiche; zu denen haben sowohl Mitarbeiter als auch die bedienten Bürger Zugang, und sie sind besonders für den Aufenthalt der Letzteren konzipiert. Es ist davon auszugehen, dass sich auch graduell unterscheidbare Mischformen territorialer Kognition und entsprechender Erlebens- und Verhaltenweisen einstellen; Dienstleister mögen zwar potentiell jeweils verschiedene Beratungsbüros für Ihre Arbeit in Anspruch nehmen können, werden aber möglicherweise habituell ein bestimmtes Büro wählen, wenn es verfügbar ist; diese Präferenztendenz lässt Kognitionen und Verhalten erwarten, die ein primäres
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Territorium kennzeichnen; das kann sich beispielsweise in einer konkurrierenden Auseinandersetzung mit einem weiteren Mitarbeiter ausdrücken, der in zufällig zeitlicher Überschneidung gewohnheitsgemäß den selben Raum besetzen möchte. Die öffentlichen Territorien sind zwar den Bedienten in ihrer Besetzung zugehörig, aber auch die Mitarbeiter haben einen Zugang dazu; hier zeigt sich die Mischform in einer differentiellen Perzeption, insofern die Territorialität zwar öffentlichen Charakter hat, aber dennoch eine Wahrnehmung salient ist, die einem sekundären Territorium entspricht; der Bediente wird sich für die Besetzung dieser Territorien nur gegenüber Personen der gleichen Nutzergruppenzugehörigkeit als einer unter vielen gleichberechtigt sehen; dem Dienstleister dagegen wird als Vertreter der Dienstleistungsorganisation eine längere Aufenthaltsdauer und höhere Autorisierung zugeschrieben, die beides Eigenschaften eines sekundären Territoriums sind; die Organisation ist die Entität, welche die räumlich physischen Umweltausschnitte zu Verfügung stellt, damit einen hohen Grad an Eigentümerschaft besitzt und den Dienstleister zu ihrer Benutzung umfassender autorisiert als den Bedienten; die Autorisierung reicht auch über die Öffnungszeiten, der zeitlichen Grenze einer potentiellen Aufenthaltsdauer des Bedienten hinaus, wenn auch in der Regel nur für einen Zeitraum einer Vor- und Nachbereitung der Dienstleistungsarbeit. Dieckmann, Flade, Schuemer, Ströhlein und Walden (1998, Nachdruck 2004, S. 55 ff.; vgl. auch Hellbrück und Fischer, 1999; S. 337 ff.) weisen auf eine Form zeitlicher Differenzierung zwischen überdauernder Territorialität und einer Aktualterritorialität hin, welche die überdauernde Territorialität überlagert; sie illustrieren das einem Beispiel, in dem sich zwei Schüler ein Doppelzimmer in einem Wohnheim teilen; auch wenn jeder von beiden einen eigenen Bereich als Territorium beansprucht und markiert, kann in einem stillschweigenden Einvernehmen eine ein- oder wechselseitige Inanspruchnahme von Arealen des jeweils Anderen möglich sein. In einem
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Beratungsbüro trifft Ähnliches auf den Teilabschnitt des Sitzplatzbereiches für den Bedienten zu; der Raum insgesamt ist das Territorium des Dienstleisters; für die Dauer der Beratung oder Sachbearbeitung in Anwesenheit des Bedienten ist aber ein Raumabschnitt ein aktuelles Territorium des Bedienten; allerdings wird, im Unterschied zum angeführten Beispiel bei Dieckmann et al., ein Bereich explizit für den Dyadenteilnehmer vorgehalten; es kann als ein ’Subterritorium’ aufgefasst werden, in dem Kognition und Verhalten vermutlich ähnlich zu der Situation sind, in der ein betreffendes Areal gewohnheitsgemäß und einvernehmlich zeitweise einer Verfügung durch den Anderen überlassen wird. Die Zusammensetzung und sequentielle Anordnung sekundärer und öffentlicher Territorien in der Dienstleistungsumwelt richtet sich nach dem intendierten funktionalen Ablauf instrumenteller und sozialer Handlungen innerhalb des BS; sie können deshalb die jeweiligen Funktionsareale überlagern; in diesen Fällen sind die Lesbarkeit funktionaler oder territorialer Zusammenhänge (vgl. Lesbarkeit der Erstorientierung in Abschnitt 9.4.2) deckungsgleich. Territorien ermöglichen eine kognitive Kontrolle, indem die Aufenthaltsautorisierung vorhersagbar ist; auch die Fortbewegung zwischen den Territorien kann nach ihren funktionalen Bedeutsamkeiten vorausschauend geplant werden. Dazu müssen territoriale Grenzen wahrnehmbar sein, ihre Zuordnung zu den Rolleninhabern oder der Nutzergruppe muss erkennbar sein, ebenso wie die Ordnung nach ihrer funktionalen Bedeutsamkeit; diese Aspekte sind unter der Facette der Orientierung (Abschnitt 9.4.2) behandelt worden. In dieser Facette liegt der Fokus dagegen auf einer Bewertung von Umweltmerkmalen hinsichtlich territorialer Kognition und territorialen Verhaltens, die für das soziale Handeln relevant sind. Darunter ist das Ausmaß einer wahrgenommene rollenspezifischen Zugehörigkeit eines Areals zu einem jeweiligen Rolleninhaber zu verstehen; das betrifft eine Fragestellung wie: „Steht einem Rolleninhaber ein Raum zur Ausübung
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seiner Rolle zur Verfügung?“; sie ist vermutlich oft deckungsgleich mit einer Verfügbarkeit eines Raumes zur Ausübung der instrumentellen Handlungen. Außerdem ist es der Grad einer Ausschließlichkeit der Zugehörigkeit zu einem BS-Teilnehmer, der beispielsweise durch temporäre Überlagerungen von Territorien beeinflusst wird; es ist eine Frage danach, ob der Raum/das Territorium dem Rolleninhaber allein zur Verfügung steht. Eine Kontrolle über den Zugang zum Territorium, die nach einem rollenspezifischen und Ausschließlichkeitsgrad zu differenzieren ist, kann auch unter der Facette der Kontrolle und/oder der Sicherheit gefasst werden und ist vorerst der Kontrolle zugeordnet17 . 9.4.4.2 Crowding Das sozial- und umweltpsychologische Konzept des ’crowding’ wird im Fallbeispiel über das Eignungskriterium einer angemessenen Dimensionierung eines Raumes für eine bestimmte Anzahl von BS-Teilnehmern in Zusammenhang mit der Ausprägung einer darin stattfindenden sozialen Interaktion implizit angesprochen. Die Forschung zum ’crowding’ hat in ihrer Entwicklung seit ihrem Beginn in den ersten Dekaden des 20. Jahrhundert mehrere Stationen ihrer Konzeptualisierung durchlaufen; bis heute beinhaltet die Wortmarke ’crowding’ eher eine mehr oder weniger geordnete Sammlung verschiedener konzeptueller Ansätze zur Erklärung relevanter Bedingungen für ein Beengungserleben und dessen Folgen, als dass darunter ein Modell verstanden werden kann, das theoretische und empirische Befunde in axiomatischen Beziehungen integriert (Schultz-Gambard, 1996). 17 Die
Territorialität ist im Dienst einer kognitiven Ordnung in dieser Weise gesplittet; das bereitet aber in einer statistischen Auswertung unter dem Facettenansatz keine Schwierigkeit; wenn eine interessierende Fragestellung alle Aspekte der Territorialität, also auch die der Grenzkontrolle, Sicherheit und Orientierung umfassen soll, dann können die theoretisch gegenseitig abgegrenzten Subfacetten jeweils wieder zusammengefasst werden.
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Eine Übersicht dazu bieten unter anderen Hellbrück und Fischer (1999) sowie Gifford (2007). Im Folgenden sollen nur die Konzepte angesprochen werden, die ein Erleben von Beengung innerhalb des BS dieser Fallstudie erklären können. Eine von Daniel Stokols im Jahr 1972 vorgeschlagene Differenzierung zwischen Dichte (density) und Enge (crowding) berücksichtigt die Unterscheidung zwischen einem objektiven Maß der räumlichen Begrenzung einer Situation (Dichte) und dem subjektiven Erleben einer Beengung (Enge); sie gilt heute als allgemein akzeptiert (vgl. Gifford, 2007; Hellbrück & Fischer, 1999; Schultz-Gambard, 1996). Der Dichtebestimmung in einer situationsbezogenen räumlichen Begrenzung liegt oftmals die Annahme einer gleichmäßigen Verteilung der Individuen auf das betroffene Areal zugrunde. Hellbrück und Fischer (1999, S. 369) referieren Knowles´ (1979; zit. n. ebd.) Kritik daran; sie stellt in Rechnung, dass sich Individuen in Gruppen aufhalten und ein Engeerleben eher von der Anzahl und Nähe der Gruppenteilnehmer zueinander abhängen dürfte, als von einem flächenbezogenen Dichtemaß. Knowles bevorzugt deshalb einen Populationsdichte-Index, der die mittlere Distanz aller Paare von Individuen zu der kollektiv besetzten Fläche in Beziehung setzt. Innerhalb des BS der Dienstleistung Bürgerbüro muss davon ausgegangen werden, dass die Besetzungsdichte unter Berücksichtigung der Subsettings (Beratungsbüro, Wartezone, Empfang, Verkehrswegebereich) differentiell zu betrachten sind. So sehr solche Dichtemaße als objektiv betrachtet werden können, so wenig kann das aber von den Situationen angenommen werden, in deren Kontext sie bestimmt werden. Die Situation ist über individuelle state- und trait-Merkmale und über ein Sozialgeschehen, in diesem Fall über das BS, definiert. Ein subjektives Erleben der Enge wird vermutlich nur unter Berücksichtigung dieser Situationsmerkmale zu einem objektivem Dichtemaß in Verbindung zu bringen sein; außerdem kann dazu mit Rapoport (1975; zit. n.. ebd.) eine wahrge-
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nommene, subjektive Dichte von einer objektiven unterschieden werden; die Dichtewahrnehmung, die einem Dichteerleben überhaupt erst vorausgeht, muss mit der objektiven Dichte nicht unbedingt korrelieren (vgl. West, 1982; zit. n. ebd.). Rapoport trifft damit den Unterschied zwischen einer antreffbaren und einer angetroffenen Umwelt (vgl. Abschnitt 5.3); es muss in Rechnung gestellt werden, dass sich die Dichtewahrnehmung im BS rollenoder nutzerspezifisch unterscheiden kann, obwohl eine objektive Dichte für beide Rolleninhaber oder Nutzergruppen intersubjektiv in gleicher Weise antreffbar ist. Eine Differenzierung zwischen einer sozialen und einer räumlichen Dichte (vgl. Gifford, 2007; Hellbrück & Fischer, 1999) bezeichnete zunächst die Variation der unabhängigen Variablen in Studien zur Auswirkung von Dichte auf das soziale Verhalten; unter der Bedingung räumlicher Dichte wird bei konstant gehaltener Teilnehmerzahl einer Gruppe die Raumgröße verändert, während die Veränderung der Gruppengröße bei konstanter Fläche mit sozialer Dichte bezeichnet wird (McGrew, 1970, vgl. auch Loo, 1972); die gefundenen Verhaltensunterschiede zwischen den Bedingungen weisen auf eine differentielle Wirksamkeit der jeweils veränderten Referenzgrößen hin. Schultz-Gambard und Hommel (1987; zit. n. Hellbrück & Fischer, 1999, S. 366) haben dazu die Voraussetzungen herausgearbeitet, die räumliche und soziale Dichte unterscheidbar machen können. Danach ist räumliche Dichte wesentlich durch eine begrenzte Anzahl potentieller Interaktionspartner auf zu engem Raum gekennzeichnet, während bei sozialer Dichte zu den beengten Raumverhältnissen auch eine höhere Anzahl von möglicherweise auch wechselnden Interaktionspartner hinzukommt; soziale Reizquellen, normativ unangemessene Interaktionsdistanzen und eine soziale Bewertungsproblematik führen im zweiten Fall zu einem höheren Störungspotential; außerdem fordert im ersten Fall die Beengung tendenziell nur eine vorwiegend räumliche Koordinierung der Interaktionspartner
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untereinander, während unter sozialer Dichte zusätzlich soziale Koordinationsprobleme dominant werden. Überträgt man diese Merkmale räumlicher und sozialer Dichte auf das BS Bürgerbüro, dann besteht die Gefahr einer Beengung durch räumliche Dichte in einer zu knappen Raumbemessung für die erwartbar regelmäßige und überschaubare Teilnehmeranzahl des BS; für ein Beratungsbüro sind beispielsweise ein Mitarbeiter und ein bis zwei Bürger, die gegebenenfalls auch auf einen Rollstuhl angewiesen sind oder aber einen Kinderwagen mitführen, als Besetzung angenommen worden. Eine Beengung durch soziale Dichte würde in diesem Subsetting herausgefordert, wenn ein Bürger in Begleitung nicht nur einer Person, sondern mehrerer Familienmitglieder erschiene; die Raumressource wäre überstrapaziert, weil das Subsetting überbesetzt ist18 ; in diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass ’crowding’ von Wicker (1979, zit. n. ebd.), einem Schüler von Roger Barker, als Überbesetzung (overmanning) eines BS definiert wird. Nach Hellbrück und Fischer (1999, S. 373-374) wird von einer Reihe von Forschern angenommen, dass Beengung durch eine hohe räumliche oder soziale Dichte über die Verletzung kollektiv geteilter, normativer Erwartungen an die Interaktionsdistanzen und Anzahl der Personen in einer gegebenen sozialen Situation entsteht. Die Erwartungen können auch Teil eines Skriptes sein (siehe Abschnitt 2.5). Auswirkungen des Erlebens von Beengung werden in einer sozialen Überstimulation (Reizüberlastungsmodell, vgl. Saegert, 1978; Milgram, 1970; Cohen, 1978; zit. n. ebd.) und in der Einschränkung des Handlungsspielraumes (Störungsmodell, Schultz-Gambard, 1985; zit. n. ebd.) gesehen; sie können über den wahrgenommenen Verlust von Kontrolle zu Stressreaktionen führen; nach dem Privatheitsregulationsmodell von Altman (1975; zit. n. ebd.) geht die Kontrolle über den sozialen Kontakt verloren; im handlungstheoretischen Ansatz von Schultz-Gambard (1996; 18 Im
Fallbeispiel wurde für diesen selten auftretenden Fall ein Ausweichraum vorgesehen.
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zit. n. ebd.) wird der Kontrollverlust in der Handlungsplanung und/oder -durchführung gesehen und begründet mit „Inkongruenzen zwischen situativen Anforderungen (zum Beispiel zu hohes Stimulationsniveau, zahlreiche und unkoordinierte Aktionen anderer Personen, niedrige Interaktionsdistanzen oder Ressourcenknappheit), Erfordernissen der Handlung selbst (zum Beispiel Regulationsaufwand) und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten (zum Beispiel Kompetenzen).“ (zit. n. ebd., S. 375). Mit einer Typologie von Beengungssituationen unterscheidet Stokols (1976; in ebd., S. 368) nach Ort (primäre und sekundäre Umwelten) und Ursache (persönlich oder neutral, im Sinne einer durch räumlich physische Umwelt verursachte Beeinträchtigung) der Beengung mit jeweils differentiellen Antezedenzbedingungen, sowie Erlebens- und Verhaltensmerkmalen. Hiernach findet eine Beengungssituation für den dienstleistenden Mitarbeiter in einer eher der primären Umwelt zuzurechnenden Umgebung statt, während für den bedienten Bürger die gleiche Umgebung eindeutig eine sekundäre Umwelt ist; ähnlich der oben genannten territorialen Differenzierung in primäre, sekundäre und öffentliche Territorien, spielt sich für die BS-Teilnehmer auch das Engeerleben (’crowding’) in Umwelten ab, die rollenspezifisch eine unterschiedliche subjektive Bedeutsamkeit, Regelmäßigkeit und Dauer des Aufenthaltes und Salienz von Sozialkontakten aufweisen. Kein Konzept aus den bisher referierten Quellen berücksichtigt den Sachverhalt, dass ein subjektives Erleben von Beengung (Crowding) auch ohne soziales Gegenüber stattfinden kann, so wie es eingangs (Abschnitt ) im Beispiel des Raumerlebens zum Zeitpunkt eines morgendlichen Aufwachens im Zelt geschildert wurde. Nicht nur Reizüberflutung, sondern auch soziale
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Reizdeprivation in kleinen Räumen kann offensichtlich zum Erleben von Beengung führen. Eine räumlich physische Umweltgestaltung wird nach dem Konzept des ’crowding’ in ihrem Dichteangebot wahrgenommen und danach bewertet. Das Angebot ist vorwiegend aus den gegenständlichen Faktoren einer Erstreckung, relativen Lage und Durchlässigkeit von Oberflächen konstelliert; über diese Merkmale wird die Größe und Organisation des Zwischenraums der raumbildenden Flächen und Raumobjekte definiert; er ist für eine erwartete Anzahl von Settingteilnehmern der Aufenthalts- und Bewegungsraum und der Raum einer interpersonalen Gestaltung von Interaktionsdistanzen. Als materiell definierter Raum für das soziale Handeln ist er vergleichbar zu dem Aufenthalts- und Bewegungsraum für das instrumentelle Handeln und überschneidet sich mit ihm zumindest in weiten Teilen; aber beide unterscheiden sich voneinander in ihren Affordanzmerkmalen. Visuelle und akustische Oberflächeneigenschaften können ebenfalls das Engeerleben beeinflussen; eine Überstimulation durch soziale Dichte wird akustisch über Lärm und visuell über Bewegungsunruhe angeregt. Im Bürgerbüro vor dem Umbau wurde eine Bahnhofshallenatmosphäre beklagt, die auf die Lautstärke und lange Nachhallzeit im Raum und auf eine Ablenkung der Aufmerksamkeit in der Beratung durch viele, an der Interaktionsdyade unbeteiligten Personen im Raum, zurückgeführt wurde. Über die akustische Eigenschaft der Schallhärte und den Transparenzgrad als visuell wirksames Merkmal von Oberflächen können eine akustische Reizüberflutung und visuelle Reize einer wahrgenommenen Bewegung beeinflusst werden.
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9.4.4.3 Barrierefreiheit der Face-to-Face-Kommunikation Soziale Interaktion im Bürgerbüro findet vorwiegend von Angesicht zu Angesicht statt; das kann stehend, beispielsweise am Empfangstresen, oder sitzend, wie im Beratungsraum, erfolgen. Es kommt vor, dass auf einer Tresen- oder Tischfläche zwischen den Interaktionspartnern unterschiedliche Gegenstände (zum Beispiel Displays mit Informationsmaterial, Bildschirme o.a.) stehen; das kann als Störung empfunden werden, insbesondere dann, wenn ihre Höhe bis zur Augenhöhe reicht und die gegenseitige Sicht aufeinander behindert; den gleichen Effekt haben ungünstig gelegene Raumelemente, wie zum Beispiel Säulen oder Pfeiler, die sehr dicht zu einem Ort stehen, an dem kommuniziert werden soll. In anderer Weise wird die FtF-Kommunikation gestört, wenn aus Gründen der Sicherheit vor Übergriffen Sicherheitsglasscheiben als Kontaktbarrieren zwischen Dienstleister und Bedienten aufgebaut werden (vgl. Abschnitt 3.3); wenn der Blickkontakt dadurch auch nicht unterbrochen wird, so kann akustisches Verstehen und andere soziale Wahrnehmung (zum Beispiel der nonverbalen Signale wie Gestik und Körperhaltung, oder eines ungestörten Zwischenraumes) ungünstig beeinflusst werden. Die Abwesenheit solcher Störungen wird unter der Barrierefreiheit der Face-to-Face- (FtF-) Kommunikation gefasst. 9.4.4.4 Interpersonale Distanz Interpersonale Distanz ist eine Facette des persönlichen Raumes (personal space). Nach Sommer (1969) ist der persönliche Raum derjenige Raum um den Körper einer Person, in dem Eindringlinge nicht erwünscht sind, aber dessen Grenzen nicht sichtbar sind. Gifford (2007, S. 135 ff.) dagegen definiert den persönlichen Raum als eine dynamische räumliche Komponente interpersoneller Beziehungen und berücksichtigt damit gegenüber Sommer, dass der persönliche Raum nur interpersonell (vgl. auch Salewski, 1993; zit.
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n. Hellbrück & Fischer, 1999, S. 327) verstanden werden kann; er ist nicht fest umrissen, sondern graduell abgestuft und kann sich situativ verändern; seine Regulation wird durch räumliche Distanz, durch die Ausrichtung der Körperachsen zueinander und durch den Blickkontakt realisiert und kann als eine Modalität der Kommunikation gesehen werden. Der persönliche Raum ist auch eine Sonderform eines Territoriums, insofern es nämlich als persönlicher Raum nicht ortsfest ist, sondern den Körper auch in seiner Fortbewegung umgibt. Gifford (2007, S. 144-145) referiert außerdem eine Reihe von physischen und physikalischen Einflüssen, wie Helligkeit, Raumgröße (weit oder eng) oder -zuschnitt (zum Beispiel niedrige Deckenhöhe), welche eine Distanzregulation beeinflussen. Hall (1966) hat acht sozial relevante Distanzen identifiziert, die nach dem Intimitätsgrad einer Beziehung zwischen Interaktionspartnern eingehalten werden und kulturell unterschiedlich sein können; es sind die intime, persönliche, soziale und öffentliche Distanz (intimate, personal, social and public distance), die weiterhin in jeweils einen Nah- und Fernbereich untergliedert sind. Die Distanzregulierung ist auch eine funktionale Voraussetzung zu Herstellung von Privatheit (Kruse, 1980, S. 141 ff.). Für die Dienstleistung im Bürgerbüro ist interpersonell die soziale Distanz salient, die für den hiesigen Kulturraum nach Hall mit 1,2 -2,0 m für den Nahbereich und mit 2,0 -3.5 m für einen formelleren Rahmen anzunehmen ist. Durch Raumgröße, sowie Anordnung und Abmessung der Möblierung soll diese Distanz gewahrt werden können; die Funktionalität der Möblierung sollte ihre situationsangepasste Feinjustierung unterstützen. Die interpersonale Distanz steht auch in einem engen Bezug zum vorher beschriebenen Engeerleben; das stellt sich ein, wenn die als angemessen empfundene Distanz unterschritten wird.
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9.4.4.5 Bezogenheit der Umweltausschnitte auf soziale Handlungsabfolge des BS Die Wahrnehmung oder Lesbarkeit der Bedeutung eines Umweltausschnittes wurde bereits in der Kategorie der Orientierung mit ihrem Bezug auf das soziale Handeln im BS angesprochen (Abschnitt 9.4.2). Für die soziale Interaktion ist auch das Ausmaß wichtig, in dem die betreffenden Raumkonstellation selbst auf Inhalt und Form der dort stattfindenden Interakte angepasst ist. Ihre Lage zueinander kann der chronologischen Abfolge des BS-Handelns entsprechen oder auch nicht; im Bürgerbüro wird man nach dem Ankommen am Empfang gegebenenfalls zur Wartezone geführt, um nach einer Wartezeit einen frei werdenden Mitarbeiter aufsuchen zu können. Die Abfolge sollte sich in der Topologie des Raumes wiederfinden. Die Größe und der Zuschnitt des Raumes beeinflusst zum Beispiel die Freiheitsgrade, mit denen ein persönlicher Raum ausgerichtet und gewahrt werden kann; ein hohes Personenaufkommen in der Warte- oder Empfangszone, die dafür zu klein dimensioniert sind, kann diese Freiheitsgrade beeinträchtigen und die Interaktion ungünstig beeinflussen. Der Grad der Bezogenheit der Umweltausschnitte auf soziale Handlungsabfolge des BS wird dafür als Überschrift verwendet. 9.4.4.6 Sozialer Vergleich In jedem sozialen Setting finden Vergleichsprozesse der Interaktionspartner mit personaler und interpersonaler Relevanz statt. Nach der Theorie sozialer Vergleichsprozesse (Festinger, 1954) sind Menschen dazu motiviert, eigene Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten; sie tun das im Vergleich zu anderen Personen, die für sie von Bedeutung sind. Die Vergleichsgrundlage sind einerseits messbare, intersubjektiv überprüfbare Informationen und andererseits soziale Kriterien, die einen Vergleich erlauben. Frey et
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al. (2001) referieren aus nachfolgender Forschung zu Festingers Theorie die zwei Motivlagen einer kognitiven Strukturiertheit und des Selbstwertschutz beziehungsweise -erhöhung, welche die Vergleichsprozesse anregen. Während Festinger seine Theorie im Individuum verankert, spielt sozialer Vergleich in der Theorie der sozialen Identität von Tajfel (1978, 1979; zit. n. ebd.) auf Gruppenebene eine Rolle. Hier erfolgt der Vergleich in dreierlei Weise; soziale Gruppen sind zunächst über Merkmalsvergleiche kategorisiert; eigene Merkmale werden mit den Gruppenmerkmalen verglichen und die eigene Verortung in eine Gruppe nach der größten Ähnlichkeit vorgenommen; in einem dritten Schritt wird die eigene Gruppe durch soziale Vergleiche positiv von anderen Gruppen abgehoben. Frey et al. (2001, S. 111-116)) integrieren beide, an sich voneinander unabhängigen, Theorien zu einer Bandbreite des sozialen Vergleiches zwischen den Extremen von interpersonalen und intergruppalen Referenzen; ein individueller Vergleich mit einer anderen Person wird danach durch Situationen angeregt, in denen relevante Aspekte des persönlichen Selbst19 salient sind; eine Salienz sozialer Identität dagegen regt einen Vergleich von Gruppenmerkmalen an, welche die eigene Gruppenzugehörigkeit kennzeichnen. Die Informationen für einen sozialen Vergleich entstammen im Dienstleistungssetting den dramaturgischen Handlungen und wechselseitig zwischen den Dyadenteilnehmern ausgetauschten verbalen und nonverbalen Kommunikationsinhalten (vgl. Abschnitt 2.6); sie werden aber auch den physischen Umweltmerkmalen der Settingumgebung entnommen, wenn der Raum einem Teilnehmer als zugehörig angesehen wird (vgl. Hellbrück & Fischer, 1999, in Abschnitt 5.2; 19 Die
Begriffe eines Selbst, Selbstkonzeptes und Selbstwertgefühls werden in der psychologischen Literatur unterschiedlich definiert; sozialpsychologisch wird das Selbstkonzept als Gesamtheit aller Einschätzungen einer Person über sich selbst aufgefasst; das Selbstwertgefühl beinhaltet eine Bewertung dieses Wissens um die eigene Person (Dauenheimer, Stahlberg, Frey & Petersen, 2001). Sowohl für das Wissen um sich selbst als auch für diese Bewertung ist sozialer Vergleich eine wichtige Informationsquelle.
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für soziale Attributionen auf Basis des Wohnumfeldes siehe auch Wilson & MacKenzie, 2000), oder wenn sie als Goffmannsche Vorderbühne Teil der Handlungsdramaturgie (vgl. Abschnitt 2.6) sind. Solche Merkmale sind zum Beispiel durch Raumgröße oder die Ausstattungsqualität und -umfang der Möblierung gegeben; nach Sundstrom (1986) markieren sie beispielsweise den Status eines Mitarbeiters innerhalb eines Unternehmens. Innerhalb des Dienstleistungssettings kann angenommen werden, dass Ausstattungsunterschiede und Raumangebot die Wahrnehmung darüber beeinflusst, welcher soziale Status den Dyadenteilnehmern seitens der Dienstleitungsorganisation zugebilligt wird, und wie der Statusunterschied zwischen Dienstleister und Bedienten von ihr definiert wird. Eigenschaften der Umwelt regen aber nicht nur auf einer semiotischen Ebene den sozialen Vergleich an, sondern sie beeinflussen auch ein Verhalten der Settingteilnehmer, das dann wiederum in der Folge Vergleichsprozesse anregt; so können unterschiedliche Sitzhöhen oder eine erzwungene stehende oder sitzende Haltung des einen Interaktionspartners zu einer genau gegenläufig erzwungenen Haltung des anderen zu unterschiedlichen Augenhöhen und einem Blick von oben herab oder von unter herauf führen (eine Situation die oft an Countern beziehungsweise Empfangstresen beobachtet werden kann); Über- oder Unterlegenheitsgefühle als Ergebnis des Vergleichs können die Folge sein. Eine sozial wirksame Vergleichssituation stellt sich auch ein, wenn die Einhaltung der Wartereihenfolge von den wartenden Personen beobachtet wird; es ist zu vermeiden, dass eine Person willkürlich oder unbeabsichtigt einer anderen gegenüber bevorzugt wird, indem die Wartedauer Anderer missachtet wird. Wenn das auch zunächst eine organisatorische Aufgabe (siehe Abschnitt 8.1.5.1) ist, so kann aber auch durch die Umweltgestaltung die Salienz eines Vergleiches der Wartenden untereinander vermindert werden. Zunehmend gewinnt die Videoüberwachung in öffentlichen Räumen an Bedeutung, die, soweit sie
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nicht verdeckt und damit nicht wahrnehmbar ausgeführt wird, ebenfalls ein Gegenstand sozialer Vergleichsprozesse sein kann; auf der Ebene des Selbst kann ein persönlich nicht kontrollierbares visuelles Ausgesetztsein gegenüber unbekannten Anderen ein Gefühl der Unterlegenheit auslösen und das Selbstwertschutzmotiv (Dauenheimer et al., 2001) anregen; die soziale Identität kann (im Fallbeispiel ’Bürgerbüro’) auf intergruppaler Ebene als Bürger gegenüber einem überwachenden Staat aktiviert sein. Alle diese genannten und ähnliche Referenzen der Umweltbewertung werden hier als relevant für einen sozialen Vergleich gefasst. 9.4.4.7 Persönlich gestaltete Interaktion Eine Dienstleistung wird oft in den Räumen des Dienstleisters erbracht; ihre dyadische Struktur impliziert eine Differenzierung zwischen zwei Nutzergruppen der Umwelt, Dienstleister und Bediente; sie sind mit dem Umweltausschnitt unterschiedlich vertraut. Während den Dienstleistern ihre Umgebung Arbeitsplatz und sekundäres Territorium ist, ist die gleiche Umgebung für die Bedienten ein öffentliches Territorium (vgl. Abschnitt 5.3 und die territoriale Facette in diesem Abschnitt). Im Fallbeispiel ist aber auch für den Dienstleister der Beratungsraum nur ein sekundäres Territorium auf Zeit; die Zuordnung eines Beratungsraumes zum Mitarbeiter ist nicht dauerhaft; es wird derselbe Raum von verschiedenen Mitarbeitern genutzt und auch ein Mitarbeiter besetzt nicht immer den gleichen Raum. Unter diesen Umständen sind Aneignungsprozesse (Dieckmann et al., 1998, Nachdruck 2004, S. 63 ff.) der Mitarbeiter zwar eingeschränkt, können aber zumindest durch Aufstellen persönlicher Gegenstände wie Familien- beziehungsweise Partnerbilder oder Namensschilder erfolgen (vgl. auch Fischer & Wilpert, 1990, S. 145 ff.). Für die bedienten Bürger sind Aneignungen eher nicht möglich. In der Literatur finden sich unterschiedliche Sichtweisen, ob solche
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Personalisierungen seitens der Dienstleister der Interaktionsgestaltung in der Dienstleistungserbringung förderlich sind oder nicht. Einerseits berichtet Nerdinger (1994, S. 230), dass in Räumen mit Kundenkontakt die soziale Interaktion dadurch gestört werden kann; denn diese Personalisierungen des Raumes können den Eindruck des Bedienten verstärken, fremdes Territorium zu betreten. An anderer Stelle (ebd., S. 228) beschreibt er, dass ein Familienfoto auf dem Schreibtisch eines Arztes dessen Vertrauenswürdigkeit in der Wahrnehmung des Patienten fördert. Ein persönliches Foto auf dem Schreibtisch ist eine Form der Selbstenthüllung gegenüber dem Bedienten, deren Funktion in der sozialen Interaktion Kruse (1980, S. 173 ff.) ausführlich referiert. Danach kann diese nonverbale Selbstoffenbarung Gegenstand des vorher beschriebenen sozialen Vergleiches sein; nach der These der Reziprozität kann es ebenfalls ein Ankerpunkt für eine Selbstoffenbarung des Bedienten (Rubin, 1975; zit. n. ebd.) und Anlass eines Small-Talks werden, der die soziale Interaktion entspannt; außerdem kann es affiliatives Verhalten fördern. Eine Personalisierung des Raumes mit einem Namensschild zumindest auf dem Schreibtisch (oder aber am Körper tragend) ist mittlerweile ein allgemein anerkanntes und praktiziertes Mittel, um dem Bedienten ein basale Information darüber zu vermitteln, mit wem er es zu tun hat; auch eine namentliche Ansprache ist ihm dann möglich. Es handelt sich um eine nonverbale Form des einander Vorstellens; nach Simmel (1968; zit. n. ebd., S. 68) ist es ein symbolhafter Ausdruck des gegenseitigen Kennenlernens, das wiederum die entscheidende Grundlage einer Beziehungsgestaltung ist; zwar trifft auf die Dienstleitungsbeziehung im Bürgerbüro (und ebenso für viele andere) Simmels Definition des Zweckverbandes zu, der auch dann funktioniert, wenn die Beteiligten nicht mehr voneinander wissen, als dass sie eben diesen Verband gemeinsam zu einem bestimmten Ziel hin bilden; und tatsächlich ist auch der Name des bedienten Bürgers für den
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Mitarbeiter des Bürgerbüros nur auf einer instrumentellen Handlungsebene erforderlich, indem ihm damit ermöglicht wird, den Problemsachverhalt fachlich sachgerecht kategorisieren und weiterverarbeiten zu können; aber die einseitige Kenntnis des Namens schafft ein Informationsungleichgewicht hinsichtlich der Beziehungsgestaltung, welche die soziale Handlungsebene in der Dienstleistungsdyade konstituiert; das kann durch eine, wenn auch nur nonverbale, Mitteilung des eigenen Namens ausgeglichen werden. Die Umweltmerkmale der Personalisierung werden mit der Möglichkeit zu persönlich gestalteter Interaktion benannt. 9.4.4.8 Privatheit Bewertungen der Umwelt finden auch unter dem Aspekt der Privatheit und Diskretion statt. Privatheit hat einen umfänglichen Bedeutungshof in verschiedensten Bereichen interaktionalen Geschehens auf Individuums-, Gruppen- und Gesellschaftsebene. Kruse (1980) hat Privatheit ausführlich diskutiert, um einen Grund für ihre Behandlung als Problem und Gegenstand der Psychologie und insbesondere der Sozialpsychologie zu legen (ebd., S. 188 ff.). In einer anfänglichen Strukturierung des Themas hat Kruse vier Kategorien20 einer kognitiven Ordnung vorgeschlagen; für die räumlich phy20 Die
kognitive Ordnung einer Privatheit nach Kruse (1980, S.33-34):
1. Dimensionale Kategorie mit zwei Dimensionen: a) Innen-Aussen (innerlich, intim vs. äußerlich, peripher) und b) privat - öffentlich (Individuum - Gruppe - Gesellschaft; ggf. Bezug zur interpersonalen Distanz) 2. Kategorie der Bereiche: a) objektive Bereiche; b) subjektive Bereiche; c) zwischenmenschlich Beziehungen; d) Rollen und Positionen; e) Persönlichkeitsverfassungen, Einstellungen; f) Aktivitäten; g) Inhalte 3. Kategorie der Grenzziehung und -regelung Art und Ausmaß einer Schutz gewährenden Kontrolle der Grenze zu anderen. Unterschiedliche Permeabilität der Grenze a) von innen nach aussen gesehen (Schutz vor einem aussen); b) von aussen nach innen gesehen (etwas verbergen)
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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sische Gestaltung der Dienstleistung ’Bürgerbüro’ ist die Bedeutung einer Grenzziehung und -regulierung dominant und wird als Art und Ausmaß einer Schutz gewährenden Kontrolle der Grenze zu anderen verstanden; sie spielt sich für die Akteure der Dienstleistungsdyade als Rolleninhaber in einer Dialektik zwischen privat und öffentlich ab und wird hinsichtlich einer gewährten Diskretion bewertet. In einer rollentheoretischen Konzeption von Paul J. Müller (1974; zit. n. ebd.) ist Privatheit eine selektive Informationsweitergabe; sie besteht dann, wenn eine Person die Möglichkeit hat in sozialen Beziehungen Informationen oder Daten selektiv weiterzugeben. So verstanden besteht eine Grenze zwischen dem geistigen Eigentum einer Person und dem Anderen; die Grenze wird nach Kruse (1980) nicht nur vom Individuum allein absolut festgelegt, sondern ist auch durch gesellschaftliche Interessen konstituiert und darin entweder geachtet oder bedroht; damit ist sie interaktional, dynamisch und Gegenstand von Konflikten zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. Solche Grenzen können auch räumlich konkret durch Einzäunungen, Hofbildungen u.a. ablesbar sein. Nach Georg Simmel sind sie „... nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischer Wirkung, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt". (1968; zit. n. ebd., S. 73)21 . In dem Begriff der Diskretion drückt sich ein Respekt gegenüber der Privatheit aus; Simmel versteht unter Diskretion eine Haltung, in der
4. Kategorie der Evaluation Bewertung von privaten Situationen und Verhaltensweisen, beispielsweise als unsozial oder schamlos (oder diskret; Anm. d. Verf.) 21 Simmels Sichtweise kann durchaus auch auf ein psychologisches oder sozialpsychologisches Verständnis übertragen werden, wenn die Perspektive von einer Differenzierung soziologischer Gruppierung auf das Individuum als Träger psychischer Prozesse und auf das Interaktionsgeschehen zwischen Individuen hin ausgerichtet wird.
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells "... man sich von der Kenntnis alles dessen am Andren fernhält, was er nicht positiv offenbart" (1968, zit n. ebd., S. 70).
In einem gesellschaftlichen Interesse muss auf diese Diskretion aber auch verzichtet werden; dazu zitiert Kruse Simmel weiter: "Denn im Interesse des Verkehrs und des sozialen Zusammenhaltes muss der Eine vom Andren gewisse Dinge wissen, und dieser Andre hat nicht das Recht, sich vom moralischen Standpunkt aus dagegen zur Wehr zu setzen und die Diskretion des Ersten, d.h. den ungestört eigenen Besitz seines Seins und Bewusstseins auch da zu verlangen, wo die Diskretion die gesellschaftlichen Interessen schädigen würde." (1968; zit. n ebd. S. 71) Der Konflikt einer Privatheitsgrenze ist im Bürgerbüro mindestens in zweifacher Hinsicht salient. Einerseits muss der Bürger im Zug der Bearbeitung seines Anliegens (das ’Problem’ in Abb. 2.1.1) durch den Mitarbeiter des Bürgerbüros persönliche Informationen offenlegen; die offenbart er auf Nachfragen des Mitarbeiters mit einem unterschiedlichen Maß an Freiwilligkeit je nach Art des Anliegens (Antrag zu Personalausweis/Reisepass, Ummeldung des Wohnsitzes oder Antrag auf Sozialleistungen u.a.); er leistet damit einen Diskretionsverzicht gegenüber dem Mitarbeiter als Vertreter der kommunalen Organisation, deren Aufgabe die Wahrung gesellschaftlicher Interessen ist (vgl. auch Abschnitt 3). Andererseits steht dem ein Anspruch auf Diskretion gegenüber, der sich auf einen Schutz vor einer Wahrnehmung dieser Kommunikationsinhalte durch unbeteiligte Dritte bezieht. Die Privatheitsgrenze ist also neben ihren interaktiven und dynamischen Eigenschaften auch selektiv; das Merkmal der Selektivität ist bereits in der rollentheoretischen Konzeption der Privatheit angelegt. Es ist die Aufgabe des Mitarbeiters, und besonders der Organisation, den Schutz zu gewähren;
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nur sie können eine räumlich-dingliche Grenzgestaltung solcher Kommunikationsräume bereit stellen. Das Affordanzsystem der Umweltausschnitte, in der diese Kommunikation stattfindet muss derart konstelliert sein, dass eine Übertragung der Inhalte aus dem Umweltausschnitt heraus nicht möglich ist. Davon ist besonders das Beratungsbüro betroffen; ausschlaggebend dafür sind die gegenständlichen Eigenschaften einer Durchlässigkeit von raumbegrenzenden Flächen und der Mechanismen von Funktionseinheiten (zum Beispiel Türen und Fenster), sowie visuelle (hinsichtlich des Transparenzgrades) und akustische Oberflächeneingenschaften (der Absorption und Transmission von Schall). Aber auch am Empfangstresen wird schon die erste sensible Information zum Inhalt des Anliegens ausgetauscht; hier ist es vor allem das Ausmaß leeren Raumes (vgl. dazu auch Kruse (1980, S. 73) zwischen dem Anspruchnehmer von Privatheit und Dritten von Bedeutung; er ist Regulationsraum für eine interpersonale Distanz, wenn diese nicht als Distanz zwischen den Interaktionspartnern (Bürger, Mitarbeiter am Empfang) verstanden wird, sondern als eine Distanz zu Dritten, die nicht zur Teilnahme an der dyadischen Interaktion autorisiert sind. 9.4.4.9 Erwünschtheit sozialer Begegnung Für die Beratungsbüros und den Empfangsbereich sind neben dem Privatheitsschutz seitens des Bürgers auch ein Gefühl des Willkommen Seins wichtig. Genauso gut muss aber der Dienstleister, sei es der Sachbearbeiter oder das Servicepersonal am Empfang, in der Lage sein, den Bürger angemessen empfangen zu können. Es sind die zwei Seiten einer Begrüßung, in der sich eine Erwünschtheit sozialer Begegnung ausdrückt. Sie ist vorwiegend durch die verbale und nonverbale Kommunikation der Interaktionspartner bestimmt, die den Normen eines zeremoniellen Handelns nach Klaus (1985, in Anlehnung an Goffman, 1969) unterliegt, und auch darüber
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hinaus gehen kann, indem der Dienstleister dem Bedienten der Eindruck vermittelt wird, um seiner selbst willen zur Verfügung zu stehen (Nerdinger, 1994, S. 208). In der räumlich physischen Umwelt drückt sich der Begegnungswunsch durch eine Ausgestaltung raumbildender Elemente aus, die Begrüßungsverhalten ermöglicht und einen Eindruck des Willkommen Seins fördert. In Abschnitt 9.4.2 wurde die Bedeutung der Erstorientierung erläutert. Wenn eine unmittelbare Orientierung nicht möglich ist, kommt das einem Kontrollverlust gleich, und es entsteht ein aversive Gefühlslage (Wentura, Greve & Klauer, 2001, S. 108-109); wird dieser Kontrollverlust internal attribuiert oder external auf Umgebungsfaktoren, die nicht wiederum als dem Interaktionspartner zugehörig gesehen werden (vgl. Hellbrück & Fischer, 1999, in Abschnitt 5.2), dann kann das eine affiliative Reaktion auf den Interaktionspartner hin auslösen, indem dieser um Orientierungsunterstützung gebeten wird. Bei externaler Attribution auf die Umgebungsfaktoren und den Interaktionspartner dagegen kann sich die Aversion auch gegen ihn richten; das ist für die Qualitätswahrnehmung eines gemeinsam geteilten Erlebens der Begrüßung eher nicht förderlich. Über die Konstellation der Umweltaffordanzen sollten der Kontrollverlust vermieden und kognitive Sicherheit ermöglicht werden. Die Lage des Counters zum Eingang bestimmt beispielsweise, wie unmittelbar der Counter visuell vom Ankommenden wahrgenommen werden kann. Seine Lage und Form weisen auf die weitere Wegführung hin; quer zum Eingang gibt es keinen Geradeausweg, längs zur Eingangsrichtung weist er dagegen genau in die Raumtiefe. Das Davor oder Dahinter konstituiert das jeweilige Territorium des Dienstleisters und des Bedienten, und der Bereich, der betreten werden darf oder nicht, ist unmittelbar erkennbar. Für eine Begrüßung werden angemessene interpersonale Distanzen eingenommen; das Layout der raumbildenden Elemente stellt den Regulierungsrahmen dazu bereit. Die Erstreckung des Empfangstresen in der Tiefe reguliert die Distanz zwischen Bürger und Servicepersonal, in der
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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Länge dagegen ermöglicht sie Distanzregulierung zwischen dem Bürger und einem gleichzeitig ankommenden Dritten oder stellt den Spielraum eines Abstandes der ersten zu einer zweiten oder dritten Servicekraft bereit; sein Abstand zum Eingang beeinflusst, ob Nachkommende sich eher hinter einen zuvor Angekommenen oder daneben stellen; außerdem wird durch den Abstand der bedientenseitige Verfügungsraum von interpersonalen Distanzen bereitgestellt, die eingenommen werden können. Auch im Beratungsbüro sind Regulierungsrahmen interpersonaler Distanzen, Orientierung und Wegführung, sowie unmittelbare Erkennbarkeit territorialer Zusammenhänge wichtige Umweltmerkmale, damit sich Bediente empfangen fühlen und Dienstleister empfangen können. Das wird als Teilaspekt der Erwünschtheit sozialer Begegnung mit dem Schwerpunkt auf Empfang/Begrüßung gefasst. Ein Kennzeichen eines Empfangsvorgangs ist, dass der Empfangende auf die Bedürfnisse und Wünsche des Empfangenen eingeht und gegebenfalls schon vorwegnehmend ihre Erfüllung anbietet; je aufmerksamer das geschieht, je mehr stellt sich beim Ankommenden das Gefühl eines Willkommenseins ein. Dieser zweiten Teil soll hier unter Unterstützungsangeboten verstanden werden. Zu diesen Angeboten zählen im Allgemeinen die Verfügbarkeit von Sitzplatz, Taschenablage und Garderobe; Orientierungsangebote, wie ein Wegeleitsystem oder ein rechnergestütztes Informationssystem gehören ebenfalls dazu. Außerdem muss das Servicepersonal in der Lage sein, weitere Auskünfte zu erteilen; dazu sind Telekommunikationsanlagen für telefonische Anfragen und Internetanschluss erforderlich. Für das Bügerbüro müssen die Angebote dienstleistungsspezifisch ergänzt werden. Eine Bezahlmöglichkeit versetzt in die Lage kostenpflichtige Leistungen unmittelbar begleichen zu können; dazu sind Bezahlsysteme vorzuhalten. Der Bürger soll Dokumente abholen können, ohne zuvor noch einmal den Sachbearbeiter aufsuchen und Wartezeiten in Kauf nehmen zu müssen; dafür ist eine Verfügbarkeit diebstahlgesicherten Stauraums am Counter notwendig. Die
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
Möglichkeit Dokumente am Empfang kopieren lassen zu können, die für die Sachbearbeitung nötig sind, erspart dem Bürger eine anderweitige Vorsorge dafür und verkürzt mittelbar Wartezeiten, da im Beratungsbüro dafür keine Zeit mehr aufgewendet werden muss. Wartezeiten sollten überhaupt so kurz wie möglich gehalten werden; wenn längere Zeiträume zu erwarten sind, dann sollte der Bürger unmittelbar dazu informiert werden können, damit er sich entscheiden kann, ob er zwischenzeitlich Anderes erledigen möchte; ein rechnergestütztes Informationssystem, das die Vorgangsdauer im Beratungsbüro an den Empfang weiterleitet, ist dazu hilfreich. Je nach Dienstleistungsart variieren solche dienstleistungsspezifischen Angebote. 9.4.4.10 Kompetenzeindruck Wenn Bedürfnissen und Wünsche des Bedienten vorwegnehmend erfüllt werden oder flexibel darauf reagiert werden kann, fördert das seine Wahrnehmung einer Kompetenz des Dienstleister und der Organisation. Der Eindruck von Kompetenz erweckt und stärkt das Vertrauen des Bedienten in den Dienstleister. Er ist besonders wegen der immateriellen Qualität der Dienstleistung von Bedeutung und Teil des gemeinsam geteilten Erlebens (Nerdinger, 1994). Aber Nerdinger warnt: „Aufgrund ihrer dominanten Erfahrungsqualität kann in Dienstleistungen der Schein zum Sein werden. Durch Präsentation eines bestimmten, z.B. kompetenten Selbst kann der Eindruck von Kompetenz entworfen werden - bis zu einem gewissen Grad, der je nach Dienstleistung variiert, muss dieser Eindruck aber im technischen Handeln validiert werden. Technisches Handeln wiederum produziert zwar auch einen Eindruck, es zielt aber nicht auf den Eindruck, sondern auf die Problemlösung.“ (zit.n. Nerdinger, 1994, S. 135)
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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Er unterscheidet auch zwischen technischer und sozialer Kompetenz. Unter sozialer Kompetenz wird die Fähigkeit des Dienstleister verstanden, auf die Bedientenbedürfnisse und Wünsche nicht nur mit stereotypen Verhaltensweisen zu reagieren, sondern zu individuell angepassten Umgangsformen und Interventionen in der Lage zu sein. Der Verfasser geht davon aus, dass die räumlich physischen Umweltmerkmale der vorgenannten Unterstützungsangebote den Eindruck sozialer Kompetenz fördern. Dagegen werden Merkmale, die eine technische Kompetenzwahrnehmung unterstützen, in der Ausstattung gesehen, die den Mitarbeiter in die Lage versetzt, zielgerichtet, effektiv und effizient zu handeln. Außerdem werden allgemein Symbole wie Diplome, Auszeichnungen oder Qualitätssiegel, die für den Bedienten erkennbar im Raum ausgestellt sind, als Nachweis einer technischen Kompetenz wahrgenommen. Diese Facette der Umweltbewertung wird unter einem technisch verstandenen Kompetenzeindruck gefasst und dennoch den Umweltmerkmalen zugeordnet, die soziales Handeln unterstützen, weil sie sich in ihrer vertrauensfördernden Wirkung auf ein soziales Phänomen bezieht. 9.4.4.11 Wahrgenommene Wartezeit Unter den Unterstützungsangeboten wurde angeführt, dass Wartezeiten so kurz wie möglich sein sollten; ein anderer Aspekt zielt nun auf wahrgenommene Wartezeit seitens des bedienten Bürgers oder der Bürgerin. Die psychologischen Wirkungen eines erzwungenen Wartens sehen Wortman und Brehm (1976; zit. n. Nerdinger, 1994, S. 234) in einem erlebten Kontrollverlust, der über die damit verbundene Bedrohung der subjektiven Freiheit zu Reaktanz führt. Die Ursache dieses Kontrollverlustes erläutert Nerdinger in einer Zusammenfassung der Ausführung von Schwartz (1975, S. 171 ff.; zit. n. ebd.):
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells „Einen anderen Menschen warten zu lassen, kann eine rituelle Beleidigung darstellen. ... Jemand, der dazu in der Lage ist, hat offensichtlich Macht über den Wartenden. Damit wird rituell demonstriert, dass die Zeit des Wartenden weniger wertvoll ist, als die Zeit dessen, der auf sich warten lässt. Umgekehrt ist allein die Tatsache, dass Wartende eine solche Situation auf sich nehmen, bereits ein Eingeständnis ihrer Abhängigkeit. Gerade wegen des rituellen Charakters der Beleidigung haben Wartende im Alltagsleben gewöhnlich eine Anrecht auf eine Art Entschuldigung oder Erklärung für die Wartezeit ... . Sinn dieser Entschuldigungen ist es, zu zeigen, dass die Beleidigung nicht absichtlich geschah und damit den sozialen Wert des Wartenden wieder instand zu setzen.“ (zit. n. Nerdinger, 1994, S. 235)
Im Zusammenhang zur Dienstleistungerbringung führt Nerdinger weiter aus: „Da durch Entschuldigungen die unangenehmen Gefühle der wartenden Bedienten nur nachträglich kompensierbar sind und immer die Gefahr besteht, dass Wartezeiten als Mangel an Organisation dem Unternehmen attribuiert werden, versuchen ... Dienstleistungsorganisationen, das Erleben der Wartezeit zu manipulieren.“ (zit. n. ebd., S. 236) und weist im weiteren Verlauf darauf hin, dass der Eindruck kürzerer Wartezeiten die Wahrscheinlichkeit verringert, „dass Bediente in der Warteschlange Ärger aufbauen und diesen an den Repräsentanten [den Dienstleister, Anm. d. Verf.] der Organisation, die für das Warten verantwortlich gemacht wird, abreagieren.“ (zit. n. ebd., S. 242)
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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Auf die wahrgenommene Wartezeit kann über verschiedene Maßnahmen Einfluss genommen werden. Maister (1985, zit. n. ebd. S. 236 ff.) untersuchte die Bedingungen erlebter Wartezeit und fand heraus, das unter anderem passive Zeit als länger erlebt wird als aktive und auf einen Prozess zu warten als länger andauernd wahrgenommen wird, als während eines Prozesses zu warten; auch ein Warten in der Gruppe wird kürzer erlebt als allein zu warten. Auf diese Bedingungen kann über die Umweltgestaltung Einfluss genommen werden. Ein Informationsangebot im Wartebereich über einen dort angeordneten Monitor, auf denen attraktive oder potentiell relevante Inhalte gezeigt werden, oder aber über Displays mit Prospekten und Zeitschriften, kann Aufmerksamkeit binden; variable Ausstellungen (zum Beispiel Bilder an der Wand) oder Kunstobjekte sind dazu auch geeignet. Die Organisation der Prozessgestaltung wurde bereits unter dem Aspekt der Erwünschtheit sozialer Begegnung mit dem Fokus auf die Vorwegnahme einer Bedürfnis- und Wunscherfüllung angesprochen; wenn bereits am Empfangstresen eine erste Entgegennahme des Bedientenanliegens erfolgt und gegebenenfalls erste instrumentelle Maßnahmen (zum Beispiel Kopieren) durchgeführt werden können, hat die Bearbeitung des Anliegens damit begonnen; Umweltmerkmale, die darin unterstützen, sind schon aufgeführt worden. Ein Warten in der Gruppe wird durch einen gemeinsamen Wartebereich erzwungen; es sollte hier aber über die Anordnung der Sitzplätze – in ihrer Ausrichtung und Nähe zueinander – die salienten interpersonalen Distanzen berücksichtigt werden, damit ein Warten in der Gruppe bei zu geringem Abstand zum Nächsten nicht zu einem aversiven Erlebnis wird22 . 22 Im
Fallbeispiel stand beispielsweise nur ein enger Raum für den Wartebereich zur Verfügung; die notwendige Sitzplatzanzahl, die nach dem erwartbaren Warteaufkommen bemessen worden war, hätte nur bei sehr enger Bestuhlung realisiert werden können; es wurden deshalb Sitzbänke wandständig angeordnet, die eine freie Wahl des Sitzabstandes zum Anderen zulassen. Die Sitzbänke haben auch den Vorteil, dass man sich in einem etwas freieren Maß als bei einer Bestuhlung versetzt zu einer gegenübersitzenden Person niederlassen kann, um das unangenehme Gefühl eines erzwungenen Blickkontakts abzu-
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
9.4.4.12 Spielangebot für Kinder Eine Wartezeit kann auch dann für einen Bedienten zur Belastung werden, wenn sich ein oder mehrere Kinder in seiner Begleitung befinden, und diese einer aufkommenden Langeweile mit verschiedenen Verhaltensweisen zu entkommen suchen; sie werden die Umgebung zu erkunden suchen, vielleicht mit anderen Wartenden Kontakt aufnehmen, oder mit vernehmbaren Bekundungen die Bezugsperson zu Aktivitäten auffordern, die geeignet sind, ihr Missbehagen zu beenden. Dieses Verhalten wird nicht in allen Ausprägungen zu jeder Zeit und von allen Betroffenen toleriert und dann als Störung aversiv wahrgenommen. Die Bezugsperson kann sich für die Störung verantwortlich fühlen und/oder kann vom Anderen als verantwortlich dafür gesehen werden; eine Vermutung über den aktuellen Toleranzgrad Anderer kann sie nur durch eine klärende Kommunikation als zutreffend validieren; bis dahin bestimmt kognitive Unsicherheit ihr Erleben. Unsicherheit und und ein Druck, bei fehlender Toleranz das Kind zu einem sozial erwünschten Verhalten zu bewegen, wird für die Bezugsperson dann ihrerseits störend und aversiv erlebt und regt zu Kontrollhandlungen mit unterschiedlichem Aufwand an. Wenn die Kontrollhandlungen unterlassen werden, dann kann es sein, dass sich andere BS-Teilnehmer dazu genötigt fühlen; im Fallbeispiel klagten beispielsweise Mitarbeiter des Bürgerbüros über erhebliche Störungen des Betriebsablaufs durch das Explorationsverhalten von Kindern in den früheren Räumen des Bürgerbüros; sie sahen sich häufig zu Interventionen gezwungen, zum Beispiel dann, wenn Kinder die Pflanzkübel im Raum als Sandkastenspielmöglichkeit entdeckt hatten. Über die Umweltgestaltung kann ein Spielangebot für Kinder bereitgestellt werden; ein Tisch mit Kinderbüchern ist sicher die minimalste Maßnahme dazu; mildern. Außerdem war es geplant, eine Wasserkunst in der Raummitte als Blickbarriere und zur Attraktion der Aufmerksamkeit anzuordnen; eine bauliche Umsetzung entfiel dann aber aus Kostengründen.
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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über die Raumgestaltung, Möblierung und Ausstattung kann die Reizqualität erheblich ausgeweitet werden23 ; außerdem kann versucht werden, einen Explorationsraum mit Sichtverbindung zum Wartebereich herzustellen, um kindliche Erkundung und eine Sichtkontrolle durch die Bezugsperson gleichzeitig zu ermöglichen. Über die Reizqualität des Spielangebotes kann der Kontrollaufwand der Bezugsperson und der Grad eines Störungspotentials durch kindgemäßes Verhalten vermindert werden.
9.4.5 Sicherheit Ein Gebäuderaum wird in mehrfacher Hinsicht unter dem Aspekt der Sicherheit bewertet. Im Lexikon der Psychologie wird Sicherheit als den Zustand oder die Wahrnehmung eines Zustandes ohne Schädigung oder potentielle Schädigung beschrieben; es ist der Zustand von Individuen in natürlicher, sozialer oder technischer Umgebung (Wirtz, 2013, S. 1421). Diese Definition trifft die Aspekte der Sicherheit, die hier unter der Überschrift einer personalen Sicherheit subsumiert werden. Daneben sind im Kontext der Architektur aber auch Einbruch, Diebstahl und Vandalismus Themen sicherheitstechnischer Überlegungen; sie beziehen sich auf die physische Substanz der Gebäude und ihren Inhalt, der nach Gebäudenutzung variiert; das sind neben den gebäude- und betriebstechnischen Anlagen, die arbeitsplatztechnische und allgemeine Ausstattung und die darin aufbewahrten Gegenstände. Im Bürgerbüro sind personenbezogene Dokumente (Reisepass, Personalausweise, Daten des Einwohnermeldeamtes) prominente Beispiele für eine Schutzbedarf. Die Variante der so verstandenen Sicherheit wird hier mit gegenstandsbezogener Sicherheit bezeichnet; es wird davon ausgegangen, dass sie aus drei Gründen mittelbar auf das BS hin wirksam ist; erstens werden 23 Im
Bürgerbüro konnte trotz des engen Wartebereiches eine Höhlensituation in die Stirnwand hinein modelliert werden, in der auch die komplette kindgerechte Möblierung und eine Spielkiste untergebracht wurden.
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
Spuren von Einbruch, Diebstahl und Vandalismus die Verhaltenssequenzen des BS settinguntypisch verändern; eine wahrgenommene gegenständliche Sicherheit wird zweitens entweder das Vertrauen des bedienten Bürgers in die Dienstleistungsorganisation der Kommunalverwaltung fördern, oder aber drittens eine Reaktanzmotivation aktivieren, wenn ein Bürger die Sicherheitsmaßnahmen als gegen sich selbst gerichtet oder als sozial ausschließendes Merkmal wahrnimmt. Sicherheit auf Personen bezogen bedeutet einen Schutz für Leib und Leben; körperliche Unversehrtheit kann durch Unfall oder durch eine Gefahrensituation bedroht sein. Eine Gefährdung durch Unfall besteht bei ungünstigen Lichtverhältnissen, die eine Wahrnehmung von Gefährdungspotential durch topologische Gegebenheiten beeinträchtigen; einzelnen Stufen, Absätze und Treppenanlagen oder Unregelmäßigkeiten des Höhenniveaus von Fortbewegungsflächen sind solche Topologien; sie können aber auch bei günstigen Lichtverhältnissen zu einer Unfallgefahr werden und sind dann das Thema einer gefahrlosen Begehbarkeit oder einer Trittsicherheit. Höhenunterschiede der Verkehrswege im Gebäude werden zusätzlich mit Handläufen, Geländern und ähnlichen Einrichtungen gegen Absturz oder Stolpern und Hinfallen gesichert. Außerdem besteht ein Gefährdungspotential bei fehlender Instandhaltung dieser Anlagen oder anderen Gebäudebestandteilen, Ausstattung oder technischen Anlagen. Gefahr tritt bei interpersonellen Übergriffen und Überfall ein, oder bei Brand und ähnlichen Ereignissen, die nicht unmittelbar von einer Person ausgehen. Bauliche Maßnahmen schützen vor letzeren vorbeugend; bei tatsächlichem Gefahreneintritt ist die Verfügbarkeit von Hilfs- und Rettungsangeboten (Rettungs- und Fluchtwege, Feuerlöscher, Signalanlagen) sicherheitsrelevant. Die meisten Anforderungen an die Sicherheit dieser Art sind durch entsprechende Bauvorschriften geregelt; aber Grauzonen ihrer Anwendungsverpflichtung, alte Bausubstanzen, für die aus gültigem Bestandsschutz manche Regelungen nicht anwend-
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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bar sind, Unterlassungen und nachträgliche, unsachgemäße Veränderungen sind Grund dafür, dass ihre Erfüllung nicht immer vorausgesetzt werden kann. Ein Sicherheitsgefühl durch den Transparenzgrad von Flächen wird nicht unter dem Stichwort der Sicherheit, sondern als Kontrollaspekt behandelt; das Gefühl entsteht mittelbar über die Vorhersagbarkeit von sozialen Ereignissen, ist prospektiv und betrifft die Informationskontrolle nach Thompson (1981). Unter Sauberkeit und Hygiene werden weitere Aspekte der Sicherheit gefasst; ihr Mangel beeinträchtigt Wohlbefinden bis hin zu Gefühlen des Ekels. Es wird davon ausgegangen, dass der Beeinträchtigung eine Angst vor Kontamination, einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit, zugrunde liegt. Zur Funktion des Ekels referieren Tybur, Lieberman, Kurzban und DeScioli (2013, S. 66) einen weitgehenden Konsens darin, dass er eine Schlüsselrolle in der Motivation spielt, sich so zu verhalten, dass die Wahrscheinlichkeit auf Krankheitserreger zu treffen vermindert wird. Ein gepflegter Zustand vermittelt den Eindruck von Sauberkeit und Hygiene. Die Erreichbarkeit von Abfall- oder Wertstoffbehältern versetzt in die Lage, selber zu einem gepflegten Eindruck beitragen zu können. Die Reinigungsfähigkeit von Oberflächen ist zwar für den unmittelbaren Umweltnutzer von nachgeordneter Bedeutung, jedoch ist es für den Aufwand des Reinigungspersonals ein wichtiges Kriterium; es wird mittelbar dem Nutzer wiederum dann augenscheinlich, wenn bei schwer zu reinigenden Oberflächen über die Zeit Verschmutzungsgrade sichtbar werden, und die Verschmutzung auf eine mangelnden Pflege und Sauberkeit hin attribuiert wird24 . Die Feuchteabsorptions- oder -diffusionsfähigkeit von Oberflächen, 24 Das
Kriterium der Reinigungsfähigkeit von Oberflächen ist auf deren Selbstreinigungsfähigkeit und ihr Alterungsverhalten erweiterbar; Selbstreinigungsfähigkeit ist beispielsweise auf der Gebäudeaußenseite von Belang; manche witterungsausgesetzten Oberflä-
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9 Entwicklung des Facettenstrukturmodells
die einer dauernden Berührung unterliegen, wie zum Beispiel Sitzflächen, ist ein Merkmal, das eine Beeinträchtigung hygienischen Wohlbefindens durch eigene Schweißnässe vermeiden hilft. In eine ähnliche Richtung wirkt der Schutz vor Inkontinenz Anderer; in der POE der Fallstudie wurden Situationen berichtet, in denen Inkontinenzereignisse nachfolgenden Bürgern zum Verhängnis wurden, wenn sie sich auf den vorher eingenässten Stuhl setzten, weil die Nässe nicht erkennbar oder sie nicht wirksam von der Polsterung absorbiert worden war. Mittlerweile sind Stuhlpolsterungen für den öffentlichen Bereich verfügbar, die sowohl die Nässe absorbieren und ihre Abgabe an eine nachfolgende Person verhindern als auch desinfizierend wirken. Die gegenstandsbezogene Sicherheit vor Einbruch/Diebstahl und Vandalismus ist für die unmittelbare Wahrnehmung während der Umweltnutzung dann salient, wenn sie durchbrochen wurde. In der Regel ist das eher selten der Fall, aber sie ist für den Dienstleister und die Dienstleistungsorganisation eine konstante Forderung, die in einem Gebäude erfüllt sein muss.
9.4.6 Wohlbefinden Unter dem Fokus des Raumklimas in Bezug auf den physiologischen oder auch homöostatischen Zustand einer Person wurden die Aspekte der Raumtemperatur und die Möglichkeit ihrer individuellen Anpassung und die chen von Wärmedämmverbundsystemen weisen über die Zeit dunkle Verfärbungen durch organischen Belag auf; ungünstige bauphysikalische Bedingungen und Oberflächenrauigkeit stellen einen Nährboden für Sporen bereit, die durch Regen auch nicht abgewaschen werden. Das Alterungsverhalten von Material kann ästhetisch anmutend oder abstoßend sein; beispielsweise wandeln sich Holzoberflächen einer Außenfassade in nordischen Regionen in ein gleichmäßig schönes Silbergrau, während unter den Witterungsbedingungen anderer Regionen ungleichmäßige und schwarze Verfärbungen auftreten können, die eher unangenehm empfunden werden.
9.4 Analyse der Affordanzenfacetten
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Reagibilität dieser Anpassung gefunden; diese Affordanzen zielen auf ein Wohlbefinden im Raum. In der Entwicklung des Fragebogens wurde aber deutlich, dass einerseits weitere Merkmale zu ergänzen sind, die in die gleiche Richtung wirken, und andererseits die Möglichkeit und Reagibilität ihrer Anpassung eher ein Kontrollargument ist und durch das Merkmal des zu betreibenden Aufwandes für eine solche Anpassung zu ergänzen ist; Letzteres findet sich unter dem Abschnitt zur Kontrolle (Abschnitt 9.4.3) wieder. Das Raumklima bezieht sich auf Gibsons Medium (Abschnitt 4.2); seine Eigenschaft beschränkt sich aber nicht nur auf die Raumtemperatur, sondern auch auf die Beleuchtung und die Luftqualität, deren Komponenten wiederum ein Sauerstoffgehalt, Feinstaubgehalt, Geruch und ihre Bewegungsgeschwindigkeit (Luftzug) sind. Diese Merkmale sind für ein allgemeines körperliches Wohlbefinden im Raum bedeutsam und sollen vorläufig unter einem physiologischen Schwerpunkt verstanden werden. Unter einem zweiten Schwerpunkt sollen Überreizungen oder Reizdeprivationen gefasst werden, die ein allgemeines kognitives Wohlbefinden beeinträchtigen. Lärm oder zu lange Nachhallzeiten im Raum können eine akustische Überreizung verursachen. Visuelle Überreizung resultiert aus Blendung, Buntheit oder Bewegungsunruhe; eine Strukturlosigkeit der Umgebung dagegen kann als visuelle Reizdeprivation gesehen werden. Taktile Überreizung durch Vibration ist eher selten, kann aber vorkommen, wenn beispielsweise gebäudetechnische Anlagen, Verkehr von Bahn oder Straße oder aber die Betätigung funktionaler Elemente der Architektur (Türen, Fenster, Schubkästen) Schwingungen erzeugen, die sich über Gebäudeelemente auf Personen übertragen.
10 Das Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt In den Abschnitten 9.2, 9.3 und 9.4 wurden die Facetten der räumlich physichen Umwelt als Affordanzträger und die Affordanzen mit ihren Merkmalen identifiziert, theoretisch begründet und fallbezogen analysiert. In diesem Abschnitt sollen die Facetten zu einem Strukturmodell zusammengefügt und ihre Bezüge untereinander diskutiert werden. Nerdinger (1994) hatte darauf verwiesen, dass ein gemeinsam geteiltes Erleben der Umwelt maßgeblich an dem Grad ansetzt, in dem die an der Dienstleistung beteiligten Akteure die Instrumentalität der Umwelt für die je spezifische Problemlösung und damit des Prozesses der Dienstleistung als geeignet erleben; weiterhin ist eine korrelierende Wahrnehmung der Dienstleistungsqualität durch den Bedienten mit der Einschätzung des Dienstleistungsklimas – die Ausrichtung der organisatorischen Prozesse auf die Lösung der Probleme des Bedienten durch den Dienstleister - erforderlich. Dazu hatte er vorgeschlagen, problemspezifisch die von Dienstleistern und Bedienten geteilten Dimensionen der Instrumentalität der Umwelt für die Problemlösung zu ermitteln, um zu einer empirisch fundierten Konzeptentwicklung einer Dienstleistungsumwelt zu kommen. Unter das Thema der ’Ausrichtung organisatorischer Prozesse’ auf die Problemlösung fällt natürlich auch die Konzeption und Bereitstellung der spezifischen Dienstleistungsumwelt durch die Dienstleistungsorganisation. Sie muss sowohl © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_11
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10 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
instrumentelle Handlungen wie auch soziale Interaktion dienstleistungsspezifisch unterstützen. Dem konzeptionellen Vorschlag zu einer empirischen Herangehensweise folgend wurde hier das Behavior-Setting-Konzept Barkers mit seiner Annahme einer Verhaltens-Milieu-Synomorphie (Abschnitte 4.1 und 9.1) zugrunde gelegt. In Abschnitt 4.3 wurde es dann zum Affordanzkonzept Gibsons (Abschnitt 4.2) in Beziehung gesetzt. Aus der Neugestaltung eines Bürgerbüros wurde die nutzerorientierte Programmentwicklung herangezogen, aus dem die Anforderungen an die Umwelt für ein spezifisches Dienstleistungsgeschehen hervorgehen; das Bürgerbüro wird als ein Behavior Setting betrachtet, innerhalb dessen eine überindividuell wirksame Synomorphie von Verhalten und Milieu beobachtbar ist. Der Fokus richtet sich auf den Milieuanteil, der mit der antreffbaren räumlich physischen Umwelt des BS identisch ist; unter der Annahme, dass die räumlich materielle Umwelt dem Nutzer Verhaltensangebote macht (Gibson, 1982), die eine überindividuelle Verhaltens-Milieu-Synomorphie begründen können (vgl. Abschnitt 4.3), wurden die Umweltanforderungen aus der PE auf deren Affordanzen hin untersucht. Der Ertrag der Untersuchung führte einerseits zu den Merkmalen der räumlich materiellen Umwelt, die Träger dieser Verhaltensangebote ist, und andererseits zur Qualität der Angebote, das heißt zu der Bedeutung, die ihnen in einem gemeinsam geteilten Erleben der Dyadenteilnehmer im Kontext des BS zukommt. Die Umwelt- und Qualitätsmerkmale werden nach der Facettentheorie (Borg & Shye, 1995) als Facetten, Subfacetten und Strukte des jeweiligen Gegenstandbereiches betrachtet. Abbildung 10.0.1 zeigt das Facettenstrukturmodell, das aus der bisherigen Vorarbeit gewonnen werden konnte.
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Abbildung 10.0.1: Facettenstrukturmodell der gebauten Dienstleistungsumwelt
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10 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt Dieses Modell der Facettenstruktur von Affordanzen und Affordanz-
trägern der räumlich physischen Umwelt unterscheidet sich in mehrfacher Hinsicht von der Zusammenstellung Sundstroms (1986) und Waldens (2008) (vgl. Abschnitt 8.1.5.2 und Abb. A.1.1). Die Facettenstruktur bezieht sich auf das Verhalten innerhalb eines BS. Sie bildet das nichtpsychologische Mileu des BS als eine psychologisch wirksame Affordanzstruktur ab: Eine Ordnung von Angeboten, sich in der räumlich physischen Umwelt in einer BS-gemäßen Weise verhalten zu können. Sie trennt zwischen den Umweltmerkmalen als Träger dieser Angebote und den Angeboten selbst. Sie identifiziert die differentiellen Eigenschaften der räumlich physischen Umwelt. Sie ordnet die Angebote nach ihrer Relevanz für soziales und instrumentelles Handeln, passiven und aktiven Kontrollangeboten, und Angeboten der persönlichen, individuellen Sicherheit, der Gesundheit und des Wohlbefindens. Über diese Struktur können die Affordanzen zu denjenigen Merkmalen der Umwelt in Beziehung gesetzt werden, durch die sie begründet sind; in der Inhalts- und Strukturanalyse der Affordanzen (Abschnitt 9.4) wurde beispielsweise der Bezug der Privatheit und Diskretion (Abschnitt 9.4.4) zu den gegenständlichen Eigenschaften einer Durchlässigkeit von Oberflächen sowie ihren Mechanismen der Handhabung von Funktionseinheiten und ihren visuellen Oberflächeneigenschaften eines Transparenzgrades, als auch ihren akustischen Oberflächeneigenschaften hinsichtlich der Schallabsorption und -transmission angesprochen. In den nachfolgenden beiden Abschnitten 10.1 und 10.2 werden die einzelnen Abbildungsbereiche in ihren Zusammenhängen diskutiert und für den Bereich der Facetten sozialen Handelns die Bezeichnung einer Sozialergonomie – analog zu einer Arbeits-, Bewegungsund Umweltergonomie – von Affordanzen vorgeschlagen.
10.1 Umweltfacetten
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10.1 Umweltfacetten Der Ausgangspunkt einer Klassifizierung der Merkmale der räumlich physischen Umwelt war Gibsons (1982) ökologischer Ansatz einer visuellen Wahrnehmung 4.2. Danach bilden nur die Oberflächen, als Grenzflächen zwischen der stofflichen Substanz und dem nichtstofflichen Medium, den Raum, der relevant für Verhalten und Erleben ist. Die Oberflächen konnten nach den zwei Merkmalsbereichen ihrer Gegenständlichkeit und ihrer Oberflächeneigenschaften unterschieden werden. Die Gegenständlichkeit (Abschnitt 9.3.1) unterscheidet sich von den Oberflächeneigenschaften durch eine gestaltbildende Qualität und in der Bereitstellung eines Bewegungsund Handlungsraumes; sie konstituiert außerdem den Raum in dem sich Gibsons Objekte befinden, wobei aber den Objekten in ihrer Gegenständlichkeit als Strukturelement ebenfalls ein raumbildender Charakter zukommen kann; insofern den Objekten (zum Beispiel Mobiliar) aus Sicht einer Umweltgestaltung tatsächlich eine raumstrukturierende Funktion zugeordnet werden kann, wurden sie hier als Raumobjekte behandelt; andere Objekte dagegen (zum Beispiel Arbeitsmittel) wurden als Gegenstände bezeichnet; für diese bietet die Gegenständlichkeit der Oberflächen Stellflächen und Stauraum an. Die Oberflächeneigenschaften (Abschnitt 9.3.2 ) wurden, der differentiellen Sensorik des humanen Wahrnehmungsapparates und einer umweltgestalterischen Praxis folgend, nach ihren visuellen, akustischen und haptischen Qualitäten unterschieden. Diese Eigenschaften wirken, ebenso wie die Gegenständlichkeit, auf den Erlebensraum. Die stoffliche Kategorie der Oberflächen und Raumobjekte wurde um die Elemente der Anlagentechnik und Ausstattung ergänzt (Abschnitt 9.3.3), die für Gebäude und Gebäudenutzung typisch sind; es sind dies gebäude-, licht- und sicherheitstechnische Anlagen und die arbeitsplatztechnische Ausstattung. Das nichtstoffliche Medium besteht nach Gibson für den Menschen in der Atmo-
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10 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
sphäre, die die Welt umgibt; in der Gebäudeplanung wird der innerräumliche Ausschnitt der Atmosphäre mit der Raumluft bezeichnet; ihr Zustand ist durch ein Raumklima gekennzeichnet; unter die raumklimatischen Bedingung fallen die Raumtemperatur, Luftbewegung und die Luftqualität, die sich aus den Merkmalen des Sauerstoffgehalt, eines Feinstaubanteils und dem Geruch zusammensetzt. Auch die Beleuchtung wird mit den in Abschnitt 9.3.4 angeführten Bedenken zunächst dem Medium zugeordnet. Raumklima und Beleuchtung wirken auf den Erlebensraum. Diese Zusammenhänge sind im oberen linken Teil des Facettenstrukturmodells (Abb. 10.0.1) dargestellt.
10.2 Affordanzfacetten In Abschnitt 9.4 konnten die Facetten der Affordanzen, die den Umweltmerkmalen in Bezug auf die Teilnehmer der Dienstleistungsdyade beziehungsweise den BS-Inhabitanten zu eigen sind, unter sechs Kategorien zusammengefasst werden: Bewegungsbereich der Person und soziales Handeln (Abb. 10.0.1, rechts), sowie Orientierung, Kontrolle, Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden (Abb. 10.0.1, unten links). Sie beinhalten die spezifische Bedeutung, die der wahrnehmende Nutzer aus der Struktur der räumlich materiellen Umwelt ablesen kann. Der Grad, in dem sich die Bedeutung der Affordanzstruktur mit einer Erwartung des Nutzers an den Ablauf des Behavior Settings deckt und in dem eine Verhaltens-Milieu-Synomorphie kongruent zu einem BS-gemäßen Handeln ist, bestimmt das Maß, in dem die Umwelt als geeignet wahrgenommen wird; die Erwartung ist als Skript (Abschnitt 2.5) und ePiP-Konsens (Abschnitt 6.2) überindividuell anzusehen und umfasst auch die Erwartung einer potentiellen Kontrolle über instrumentelle Handlungen und das instrumentelle und soziale und Interaktionsgeschehen (vgl. Abschnitt 2.6); weiterhin wird auch erwartet, dass ein Sicherheitsbedürfnis erfüllt wird, und dass die Umwelt der Gesund-
10.2 Affordanzfacetten
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heit und einem Wohlbefinden dient. Eine Salienz der Erwartungen muss nutzerspezifisch differentiell angenommen werden, wobei die Rollenzugehörigkeit innerhalb der Dienstleistungsdyade und die damit verbundene Aufenthaltsdauer und -häufigkeit sowie eine rollenabhängige Bedeutung des Aufenthalts die unterscheidenden Merkmale sind (vgl. Abschnitte 5.3 und 9.4.4: Territorialität). Im Sinn eines Mensch-Maschine-Systems (MMS) ist es hinsichtlich instrumenteller Handlungen üblich, eine Passung der räumlich physischen Umwelt zu aufgaben- insbesondere arbeitsspezifischen Handlungsabläufen zu fordern. Das ist das Thema der Ergonomie; darunter wird in einer weiten Fassung „die Wissenschaft und Lehre von den Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Arbeit verstanden“ (zit. n. Dorsch, Lexikon der Psychologie; Wirtz, 2013, S. 483). Ergonomische Gestaltung bezieht sich unter anderem auf den Arbeitsplatz und die Arbeitsumgebung und stellt sicher, dass sie den Eigenschaften und Bedürfnissen des Menschen entsprechen und eine größtmögliche Systemleistung, Zuverlässigkeit und Sicherheit ermöglicht. Eine engere Definition erfasst die technischen, physiologischen und psychologischen Gesetzmäßigkeiten von Arbeitsleistung innerhalb des MMS nach den Gesichtspunkten einer System-, Umwelt- und der Arbeitsplatzergonomie; unter den systemergonomischen Aspekt fallen beispielsweise Funktionsabläufe, Informationsfluss und Systemdynamik, welche durch die Ausprägung der räumlich physischen Umwelt beeinflusst werden; der arbeitsplatzergonomische Aspekt bezieht sich auf die unmittelbare Schnittstelle zwischen Mensch und Umwelt beispielsweise im Hinblick auf Sichtverhältnisse, Arbeits- und Bewegungsraum oder funktionelle Gestaltung; der umweltergonomische Aspekt beinhaltet eine tätigkeitsorientierte Ausrichtung von Beleuchtung, Raumklima, Belüftung und Akustik (Dorsch, Wörterbuch der Psychologie, Häcker & Stapf, 1998, S. 237-238).
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10 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
Berücksichtigt man den Arbeitsablauf in der Dienstleistung nach Nerdingers dyadischem Modell, in dem auch der Bediente zu einer instrumentellen Problemlösung mitwirken muss und die Abstimmungsprozesse über soziale Handlungen organisiert sind (vgl. Abschnitt 2.1), dann ist für die Instrumentalität der räumlich materiellen Umwelt eine ergonomische Passung nicht nur für die instrumentellen Handlungen der dienstleistenden Person zu fordern; sie muss dann auch für die mitwirkenden instrumentellen Handlungen der bedienten Person und unter der handlungstheoretischen Trennung in instrumentelle und soziale Handlungen auch für die sozialen Handlungen erfüllt sein. Es wird deshalb vorgeschlagen, die Ausrichtung der räumlich physischen Umwelt auf das soziale Handeln unter dem Begriff einer Sozialergonomie zu fassen; sie ist durch die Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet, nach denen die gebaute Umwelt für Ausführung der sozialen Handlungen, die im Rahmen einer Dienstleistungsinteraktion anfallen, optimiert werden kann. Die Aspekte, nach denen eine sozialergonomische Konzeption der Dienstleistungsumwelt erfolgen kann, sind für die Fallstudie unter der Facette des sozialen Handelns (Abschnitt 9.4.4) aufgeführt1 . Der Bezug der instru1
In der deutschsprachigen Literatur ist der Begriff einer sozial-physischen Qualität gebauter Umwelt zu finden. Walden (1998 /// 2004) definiert ihn in einem Bezug zu Wohnumwelten folgendermaßen: „Sozial-physisch gelungene Architektur wird mit Wahlfreiheit von Kontakten als die Mitte zwischen Isolation und Zwangskontakten, persönlicher Kontrolle über den Raum vs. Kontrolle durch andere Familienmitglieder oder Nachbarn, einem höheren Sicherheitsgefühl, konfliktreduzierenden Aufteilungen des Raumes sowie der Bereitstellung und Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen verbunden.“ (zit. n. ebd., S. 111) Demgegenüber hat die hier beschriebene sozialergonomische Qualität der räumlich materiellen Umwelt eine sowohl weiter als auch enger gefasste Bedeutung. Sie umfasst nicht nur die Aspekte, die in einem Zusammenhang mit dem Dichte- und Engeerleben (zum Beispiel Wahlfreiheit von Kontakten, persönliche vs. Fremdkontrolle, Sicherheitsgefühl) und Territorialität (zum Beispiel konfliktreduzierende Raumaufteilung und -bereitstellung) auftauchen, sondern alle sozial salienten Qualitäten, die durch eine räumlich physische Umwelt beeinflusst werden (zum Beispiel auch die Barrierefreiheit einer Kommunikation, den Grad des Bezuges der Umwelt zu den sozialen Handlungsabfol-
10.2 Affordanzfacetten
223
mentellen Handlungen und der sozialen doppelten Interaktion zur räumlich physischen Umwelt kann dann in system-, arbeitsplatz-, umwelt- und sozialergonomischen Umweltqualitäten beschrieben werden. Die Facette des instrumentellen Handelns ist unter einer System- und Arbeitsplatzergonomie und die Facette des Wohlbefindens unter der Umweltergonomie zu sehen. Die Kategorienpaare Sicherheit und Wohlbefinden, Kontrolle und Orientierung, sowie instrumentelles und soziales Handeln sind in einer bestimmten Weise innerhalb der Paare funktional einander verbunden und darin nach außen gegen die jeweils anderen beiden Paare abgrenzbar. Die Affordanzen des instrumentellen und sozialen Handelns sind auf die Interaktionsdynamik der Dienstleistungserbringung bezogen; sie dürften sich zwar über verschiedene Dienstleistungsarten hinweg in manchen ihrer Merkmale und Ausprägungen unterscheiden und in manchen gleichen, und sie sind vermutlich auch nur in Bezug auf die Fallstudie vollständig; in anderen Dienstleistungszusammenhängen wären settingspezifische Ergänzungen oder Weglassungen vorzunehmen; aber sie sind vorwiegend auf das Handlungsgeschehen im Raum bezogen. Demgegenüber haben die Affordanzen der Kategorien Sicherheit und Wohlbefinden sowie Kontrolle und Orientiegen, persönlich und störungsarm gestaltete Interaktion, Grad der Erwünschtheit sozialer Begegnung und Kompetenzeindruck); sie beschränkt sich aber auf die Raumqualitäten, die für das soziale Handeln in Dienstleistungsgeschehen relevant sind, insofern nämlich das wechselseitige soziale Handeln - und seine Kontrolle - als Teil der Dienstleistung angesehen wird. In der englischsprachigen Literatur wird mit social physics eine statische oder dynamische physische Verteilung der Individuen in einer räumlich materiellen Umwelt umschrieben; der Begriff entwickelte sich als eine Metapher zu physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Merkmale der räumlich materiellen Umwelt (zum Beispiel eine Eingangssituation, oder eine Kantine mit ihrem Angebot von Speisen, Getränken) werden danach u.a. als Attraktoren für eine höhere, geringere oder wechselnde Dichte des Aufenthalts von Individuen angesehen (vgl. Knowles, 1978, 1983; Pennebaker, James, W., 2003; Stewart, 1952); Knowles (1978) Theorie der sozialen Gravitation ist ein Beispiel für dieses Verständnis der ’social physics’. Eine Sozialergonomie unterscheidet sich davon, indem sie eine Eigenschaft der räumlich physischen Umwelt in Bezug auf soziales Handeln kennzeichnet.
224
10 Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt
rung einen allgemeineren Bezug zur Verhaltensorganisation im BS; sie sind nicht auf das spezifische Handlungsgeschehen beschränkt und doch auf dieses bezogen (Kontrolle und Orientierung) oder begleiten es im Hintergrund (Sicherheit und Wohlbefinden); sie beeinträchtigen die Handlungseffizienz, wenn sie nicht zu basalen Bedürfnissen oder Verhaltensantrieben der Umweltnutzer kongruent sind. Sicherheit und Wohlbefinden: In der Regel werden an gebaute Umwelten auch die Anforderungen zu Sicherheit und Wohlbefinden gestellt; es mag offen bleiben, ob sie immer in einer umfassenden und bestmöglichen Weise formuliert sind und erfüllt werden; in jedem Fall aber sind viele der hierunter gefassten Subfacetten (Sicherheit vor Unfall und bei Gefahr und die meisten der umweltergonomischen Kriterien) durch ein einschlägiges Vorschriftenwerk der Gebäudeplanung unterlegt. Soweit es die Vorschriften der Gebäudeplanung betrifft, ist die gesellschaftliche Übereinkunft zu dem Wert, Gesundheit und Arbeitskraft ihrer Mitglieder zu erhalten, die treibende Kraft, die ihre Verbindlichkeit begründet, und die in der Folge zu einer entsprechenden Affordanzstruktur der gebauten Umwelt führt. Allerdings wurden Gebäude schon erstellt, bevor es die Vorschriften gab, und Räume für Sicherheit und Wohlbefinden wurden geschaffen oder aufgesucht, bevor Gebäude erstellt wurden (zum Beispiel Zelte, Höhlen, u.a.). Einer Präferenz von Affordanzkonstellationen, die Sicherheit und Wohlbefinden gewährleisten, liegt eine ältere, phylogenetische Motivation der Selbsterhaltung zugrunde (vgl. Bischof, 2009, Kap.16). Sicherheit und Wohlbefinden können beide unter die Selbsterhaltung gefasst werden; in der Regel stellt jede bauliche Umwelt entsprechende Affordanzen
10.2 Affordanzfacetten
225
bereit. Kontrolle und Orientierung: Nerdinger bemüht zur Handlungserklärung in der Dienstleistung eine universelles Kontrollmotiv (vgl. Abschnitt 2.6), das sich in Verhaltenskontrolle und kognitiv in prospektiver und retrospektiver Kontrolle ausdrückt. Die Kontrolltheorien (ebenfalls Abschnitt 2.6) beziehen sich auf soziale und physische Umwelten; Kontrollangebote der Affordanzen sind Merkmale ausschließlich der räumlich physischen Umwelt im Erleben der Nutzer; darin sind die Merkmale zum Teil auch mechanisch veränderbar und ermöglichen mit einem unterschiedlichen Aufwand unterschiedlicher Reagibilität die Kontrollausübung oder verhindern sie. Sie sind einerseits auf eine Kontrolle der Selbsterhaltungsaffordanzen gerichtet und andererseits auf eine Kontrolle der instrumentellen und sozialen Handlungen. Die Affordanzen der Orientierung sind dagegen eher einseitig auf die instrumentellen und sozialen Umweltangebote gerichtet. Beide sind vermutlich aber insofern generalsierbar, als sie in vielen gebauten Umwelten anzutreffen sind. Instrumentelles Handeln und Sozialergonomie: Diese Affordanzgruppe ist in hohem Maß auf das dienstleistungsbedingte Handeln in der gebauten Umwelt begründet. Sie wird in anderen Umweltnutzungen als Gruppe voraussichtlich erscheinen, aber im einzelnen anders konstelliert sein. Sie ist in der jeweiligen Ausprägung ihrer Facetten nutzungsspezifisch.
11 Fragebogenerhebung 11.1 Erhebungsziele Nach Abschluss der baulichen Umsetzung des Bürgerbüros auf Basis der nutzerorientierten Programmentwicklung und nach einiger Zeit der Wiederinbetriebnahme ist es von Interesse, ob die Zielsetzung mit der Realisierung erreicht ist und das Bürgerbüro die gesetzten Anforderungen erfüllt. Nach der Umformulierung von Anforderungen in Umweltangebote mündet das in die Frage, ob und in welchem Ausmaß diese Angebote von den Nutzern als vorhanden wahrgenommen werden. Mit der bereichsweisen Gliederung des Bürgerbüros in die Empganszone der Infothek, dem Wartebereich, den Beratungsbüros als Orten der zentralen Dienstleistung, den Verkehrswegen, welche diese Bereiche verbinden, aber auch zu anderen Orten im Rathaus führen, und dem Bürgerbüro als Ganzheit kommt die Frage auf, ob es und welche Wahrnehmungsunterschiede es bereichsbezogen gibt. Das gleiche trifft, nachdem das Facettenstrukturmodell eine begründete Affordanzunterscheidung abbildet, auf für die Affordanzfacetten zu. Die Einschränkung der Programmentwicklung auf die Beteiligung nur der Mitarbeiterschaft des Bürgerbüros, in einem Vertrauen darauf, dass sie aus ihrer professionellen Sicht die Erwartungen der Bürgerschaft ausreichend antizipieren könnten, führt dann zu der Frage, in welchem Ausmass das tatsächlich der Fall war. Fallbezogen sind es also die Fragen :
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_12
228
11 Fragebogenerhebung
1. Trifft die umgesetzte Umweltgestaltung den in der PE über Ziele und Anforderungen formulierten Bedarf der Nutzergruppen? In dem Ausmaß, in dem aus der Direktperspektive der beiden Nutzergruppen das Affordanzsystem über die Aussagen des Fragebogens als zutreffend beantwortet wird, kann von einer erfolgreichen Umsetzung der Umweltgestaltung gesprochen werden, die in der PE gefordert war. 2. Sind Unterschiede in der Umweltbewertung hinsichtlich der Affordanzfacetten Sicherheit, Wohlbefinden/Umweltergonomie, Kontrolle, Orientierung, sowie Arbeits- und Sozialergonomie und hinsichtlich der einzelnen Umweltabschnitte erkennbar? 3. Konnten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen den Bedarf der Bürgerschaft hinreichend genau voraussagen?1 War es also gerechtfertigt, in Rahmen der Programmentwicklung zur Grundlagenermittlung für die Gestaltung des Bürgerbüros nur eine der beiden Nutzergruppen, nämlich den Mitarbeiterstab, zur nutzerorientierten Bedürfnisanalyse (UNA) heranzuziehen? Wenn die Metaperspektive erster Ordnung des Mitarbeiterstabes auf die Umweltwahrnehmung hinreichend ähnlich der Direktperspektive der Bürger und Bürgerinnen ist, dann kann davon ausgegangen werden, dass bei ihm ein Wissen vorhanden ist, welches eine hinreichend zutreffende Voraussage ermöglichte und den Ausschluss einer Bürgerbefragung im Rahmen der UNA rückblickend rechtfertigt2 . Fallübergreifend interessiert, welche Probleme bei der Anwendung des Fragebogens auftreten; in diesem Zusammenhang ist die Erhebung ein 1
2
Auch wenn das mittlere Management der Kommune in die Bedürfnisanalyse einbezogen war und ihren Beitrag dazu geleistet hat, und ebenfalls der Innenarchitekt in Personalunion mit dem Programmentwickler eigene Erfahrungen in die Analyse mit eingebracht hat (vgl. Abschnitt 8.1.4), berührt das nicht die interessierende Frage. Zum Anlass des Ausschlusses vgl. Abschnitt 8.1.4
11.2 Methodik der Erhebung
229
Pretest der zweiten Phase nach Prüfer und Rexroth (2000) (vgl. späteren Abschnitt 11.2.3).
11.2 Methodik der Erhebung 11.2.1 Abbildungssatz Zur Datenerhebung wird in Anlehnung an die architekturpsychologische Forschung Waldens (z.B. 2005, 2008) der Facettenansatz nach Borg (1995) gewählt (vgl. Abschnitt 7). Mit diesem Ansatz lassen sich eine Vielzahl von Aspekten systematisieren und strukturieren, und es lassen sich verschiedene, auch komplexe Hypothesen ableiten (vgl. Walden, 2008, S. 192). Das zentrale Element des Ansatzes ist ein geeigneter Abbildungssatz, der die Facetten des Forschungsgegenstandes miteinander in Beziehung setzt. Auf der Grundlage des Facettenstrukturmodells (Abbildung 10.0.1) dieser Fallstudie und des unspezifischen Abbildungssatzes aus Abschnitt 7 kann nun ein spezifischer Abbildungssatz formuliert werden:
Der Nutzer / Beurteiler N
N1 N2
Bürger Mitarbeiter
bewertet kognitiv/affektiv anhand von Aussagen die räumlich materiellen Umweltabschnitte O
230 O1 O2 O3 O4 O5
11 Fragebogenerhebung
Infothek Wartebereich Beratungskabinen Verkehrswege Bürgerbüro gesamt
mit Bezug auf ihre konstituierenden Elemente a) stofflicher Natur RF RO GA LA SA AA
Raumbildende Flächen Raumobjekte Gebäudetechnische Anlagen Lichttechnische Anlagen Sicherheitstechnische Anlagen Arbeitsplatztechnische Ausstattung
in ihrer Gegenständlichkeit G nach G1 G2 G3 G4 G5 G6 G7
Form Erstreckung relative Lage Durchlässigkeit Mechanismen der Handhabung und Bedienbarkeit Stabilität und Widerstandskraft unspezifisch zu G1 - G6
11.2 Methodik der Erhebung
231
und ihren Oberflächeneigenschaften OE nach OEv1 Transparenzgrad OEv2 Farbe OEv3 Muster visueller OEv4 Struktur OEv5 Leuchtdichte OEv6 Leuchtdichtekontrast OEv7 Größe, Farb-u. Leuchtdichtekontrast graphischer Signale
OEa1 akustischer OEa2
OEh1 OEh2 OEh3 haptischer OEh4 OEh5 OEh6 OEh7
Schallhärte Schalltransmission
Thermodynamik Festigkeit/Formbarkeit Abriebfestigkeit chemischer Resistenz Struktur Vibration unspezifisch zu OEh1-6
Qualität und ihres allgemeinen Qualitätseindruckes von AQ n AQ Gegenständlichkeit und Oberflächeneigenschaften
232
11 Fragebogenerhebung
sowie b) nichtstofflicher Natur M M1 M2
Temperatur Luftqualität (Sauerstoff/Feinstaub, Geruch, Luftgeschwindigkeit)
und c) unspezifisch zu US n US Stofflichkeit/Nichtstofflichkeit
hinsichtlich der Kriterien von
1.) Sicherheit S a) personaler Natur (Unversehrtheit/Ekelvermeidung) durch Sauberkeit und Hygiene Ss1 gepflegter Zustand Ss2 Erreichbarkeit von Abfall-/Wertstoffbehältern Ss3 Reinigungsfähigkeit von Flächen und Raumobjekten Ss4 Schweiß- und Feuchteabsorptionsgrad von Berührungsflächen Ss5 Schutz vor Inkontinenz Anderer
11.2 Methodik der Erhebung Unfallvermeidung Su1 Su2 Su3 Su4
Lichtverhältnisse Trittsicherheit Sicherheitsvorrichtungen: Handläufe, Geländer, u.a. Instandhaltung
Rettungsangeboten bei Gefahr von Sge f 1 Sge f 2 Sge f 3
Übergriff und Überfall Brand u. ähnliche Ereignisse unspezifisch
und b) gegenständlicher Natur Sg1 Sg2
Einbruch/Diebstahl Vandalismus
2.) Wohlbefinden (Umweltergonomie) U aus physiologischer Sicht U ph1 U ph2 U ph3
Raumtemperatur Beleuchtung Luftqualität
233
234
11 Fragebogenerhebung
und kognitiv/emotionaler Sicht Uke1 akustische Überreizung Uke2 visuelle Überreizung Uke3 Uke4
haptische Überreizung unspezifisch
3.) Kontrolle K
in Bezug auf Sicherheit und Wohlbefinden Ksw1 Ksw2 Ksw3 Ksw4 Ksw5
Sicht Zugriff Zugang Umweltergonomie Arbeitsplatzergonomie
und die dienstleistungsbezogenen Erfordernisse Kae1 Sicht Kae2 Zugriff Kae3 Zugang Kae4 Umweltergonomie Kae5 Arbeitsplatzergonomie
11.2 Methodik der Erhebung 4.) Orientierung OR in Bezug auf die Bewegung im Raum ORb1 ORb2 ORb3 ORb4 ORb5 ORb6
Erstorientierung Lesbarkeit der Zuwegung Lesbarkeit inhaltlich geordneter Raumzonen des BS freie Übersicht Lesbarkeit des Wegeleitsystems weitere Orientierungshilfen
und in Bezug auf die soziale Ergonomie ORse1 Sichtverbindung ORse2 Lesbarkeit rollenspezif. Zugehörigkeit von Territorien ORse3 wahrgenommene Bedeutung von Umweltausschnitten 5.) Bewegungs- und Handlungsraum (Arbeitsplatzergonomie) AE AE1 AE2 AE3 AE4 AE5 AE6 AE7 AE8
Beinfreiheit Bewegungsbereich für Aufenthalt und Handeln Zuwegung Zugriff Handhabung und Bedienbarkeit Unterstützung von Körperhaltung Verfügbarkeit von Arbeits- u. Stellflächen Verfügbarkeit von Stauraum
235
236
11 Fragebogenerhebung
6.) der Sozialergonomie SE SE1 SE2 SE3 SE4 SE5 SE6 SE7
Barrierefreiheit-FtF-Kommunikation interpersonaleDistanz Erreichbarkeit/Zuwegung von Umweltausschnitten Bezogenheit d. Umweltausschnitte auf soziale Handlungsabfolge sozialerVergleich persönliche Gestaltung der Interaktion Privatheit
SE8 SE9 SE10 SE11 SE12 SE13 SE14
Wahrnehmung der Wartezeit Spielangebot Kinder Crowding rollenspezifische Territorialität Willkommensein: Empfang/Begrüssung Willkommensein: Unterstützungsangebote Kompetenzeindruck
aus der Perspektive P P1 P2
direktperspektivisch N(x) metaperspektivisch erster Ordnung N2[N1(x)]
11.2 Methodik der Erhebung
237
als mehr oder weniger zutreffend auf dem gemeinsamen Bildbereich S S1 S2 S3 S4 S5 S6 S7 S8
trifft voll und ganz zu ,,, trifft zu
trifft eher zu sowohl, als auch trifft eher nicht zu trifft nicht zu
,,
, /
//
trifft überhaupt nicht zu/// keine Angabe
k.A.
bezüglich ihrer Eignung für das Behavior Setting der kommunalen administrativen Dienstleistung ’Bürgerbüro’.
238
11 Fragebogenerhebung In diesem Abbildungssatz ist die Personenfacette N sozialperspekti-
visch in P ausdifferenziert. Die Stimulusfacetten setzen sich aus dem Bewertungsgegenstand Umwelt als Träger der Affordanzqualitäten und den Bewertungskriterien der Affordanzen zusammen. Der Bewertungsgegenstand ist hierarchisch strukturiert: Die räumlich physische Umwelt besteht aus einzelnen Umweltabschnitten O, die für das BS von Bedeutung sind; diese wiederum beinhalten jeweils konstitutive Elemente stofflicher und nichtstofflicher (M) Natur; die stofflichen Elemente gliedern sich in raumbildende Flächen (RF), Raumobjekte (RO), gebäude-(GA), licht- (LA) und sicherheitstechnische (SA) Anlagen und eine arbeitsplatztechnische Ausstattung (AA); raumbildenden Flächen und Raumobjekte haben gegenständliche (G) und Oberflächeneigenschaften (OE); einzelnen Facetten und Subfacetten sind zum Teil unspezifische Strukte zugefügt (vgl. Abbildung 10.0.1). Die Bewertungskriterien der Affordanzen sind in die Subfacetten Sicherheit (S), Umweltergonomie/Wohlbefinden (U), Kontrolle (K), Orientierung (OR), Arbeitsplatzergonomie (AE) und Sozialergonomie (SE) in weitere Subfacetten und Strukte gegliedert (vgl. ebenfalls Abbildung 10.0.1). Die ResponseFacette S ist auf dem Bildbereich des Zutreffens siebenfach gestuft und mit einer weiteren Stufe für eine individuelle Unbeantwortbarkeit der Frage ergänzt. Es ist davon auszugehen, dass auf diese erstmalige Form des Abbildungssatzes die Feststellung Borgs (1992, S. 52) zutrifft, dass diese in der Praxis anfänglich oft recht umfangreich sind, weil sie eher in deskriptivkonkretistischen Kategorien formuliert werden. Eine abstrahierende Reduktion, die zumindest für die Facetten des Bewertungsgegenstandes erwartet werden kann, steht aber erst nach ersten Forschungsergebnissen in Aussicht. Er ist aber immerhin eine weitaus präzisere Grundlage, um die relevanten Fragen zur Evaluation der räumlich physischen Dienstleistungsumwelt ’Bürgerbüro’ zu erarbeiten, als die Formulierungen aus der PE, die in ei-
11.2 Methodik der Erhebung
239
nem ersten Versuch Ausgangspunkt für einen Fragenkatalog waren (vgl. Abschnitt 9); außerdem lässt er erwarten, dass die darin strukturierten Variablen genereller Art und in weiteren Fällen anwendbar sind. Den einzelnen Stimulus-Struktupeln sind nun Fragen zugeordnet, die in der Personenfacette dazu auch perspektivendifferenziert formuliert sind. Nicht alle theoretisch möglichen Stimulus-Struktupel werden mit Fragen unterlegt, sondern nur jene, denen eine theoretische und empirische Nützlichkeit (vgl. Abschnitt 7) zukommt. Auch in der Perspektivendifferenzierung wird darauf geachtet, dass nur die Struktkombination der Stimulusfacetten in Fragen übersetzt werden, die für die jeweilige Nutzergruppe als bedeutend angenommen wird (vgl. auch Abschnitt 5.3); der Annahme liegen der theoretische Hintergrund dieser Arbeit (Abschnitt I) und die Ergebnisse aus der Programmentwicklung (Abschnitt 8) in ihrer Vertiefung und Erweiterung aus der Facetteninhalts- u. -strukturanalyse (Abschnitt 9) zugrunde.
11.2.2 Fragebogenaufbau Aus dem Abbildungssatz heraus sind insgesamt 595 Aussagen generiert worden3 , deren Ausmaß des Zutreffens zu beantworten war; im weiteren Verlauf wird trotz des Aussagencharakters dennoch von Fragen gesprochen. Es entfallen 176 Fragen auf die Bürger (N1) und betreffen die jeweiligen Umweltabschnitte mit O1 = 35 ~, O2 = 37 ~, O3 = 39 ~, O4 = 35 ~ und O5 = 30 Fragen; in Zahl und Inhalt wurden gleiche Fragen für die 3
davon sind je 4 Aussagen an N2P1, N2P2 und N1P1 zu einem ästhetischen Gesamteindruck gerichtet, die im Abbildungssatz und im Facettenstrukturmodell nicht enthalten sind. Die Facette der Ästhetik kann nur hinsichtlich eines allgemeinen Gefallens erfragt werden; es fehlen dazu weitgehend noch theoretisch fundierte psychologische Kriterien, die einer gezielten Abfrage zugrunde liegen könnten; sie wird hinzugenommen, da ein allgemeiner Eindruck des Wohlgefallens für die Bauherrschaft und die Planer interessant ist; Der ästhetische Gesamteindruck wird als Facette ’ÄsG’ in dieser Arbeit der Datenvollständigkeit wegen weiter mitgeführt.
240
11 Fragebogenerhebung
Metaperspektive (P2) der Mitarbeiter (N2) auf die Bürgerwahrnehmung hin generiert. Die Direktperspektive (P1) der Mitarbeiter auf ihre Umwelt umfasst 244 Fragen; die Anzahl ist naturgemäß höher, da die Mitarbeiter die Hauptakteure in der Dienstleistungsdyade sind und die Umweltpassung der Arbeitsumgebung ihr instrumentelles und soziales Handeln im beruflichen Auftrag abzudecken hat. Der Fragenkatalog an die Bürger enthält weitere allgemeine Fragen zu Ihrer Einstellung gegenüber Behördenangelegenheiten im Allgemeinen und dem Bürgerbüro im Besonderen, dem Anlass der Inanspruchnahme der Leistung, der Zufriedenheit mit der erlebten Problemlösung und dem vermuteten Anteil der räumlich physischen Umweltgestaltung daran; außerdem werden Geschlecht und Alter von N1 und der Zeitpunkt der Antworten mit erhoben. Dieser allgemeine Teil umfasst 20 Fragen. Er kann einer zukünftigen Analyse der Daten auf Zusammenhänge zwischen diesen Variablen und der Umweltwahrnehmung hin zugeführt werden, ist aber sonst kein Gegenstand dieser Arbeit. Zu Beginn eines jeden Fragenabschnittes, der die Umweltausschnitte betraf, wurde eine farbige Grundrissgrafik des gesamten Bürgerbüros gesetzt, in der der betreffende Umweltabschnitt besonders hervorgehoben war (Abbildung A.6.1); das diente der Unterstützung eines Verständnisses vor allem der befragten Bürger, welcher Raumbereich zum Beispiel mit den Beratungsbüros, der Infothek oder den Verkehrswegen gemeint ist; es war nicht davon auszugehen, dass jeder Bürger mit der Zuordnung der jeweiligen Bezeichnungen zu den Raumabschnitten vertraut ist. Es musste auch in Rechnung gestellt werden, dass nicht jeder einen Grundrisses lesen kann; deshalb wurde neben die Grundrissgrafik noch ein Foto des betreffenden Umweltabschnittes positioniert; lediglich für die Verkehrswege und das Bürgerbüro als Gesamtes ist das unterlassen worden, weil diese Bereiche nicht über ein einzelnes Foto in der Totalen abbildbar waren. Die Formulierung der Fragen und der Aufbau des Fragebogens erfolgte unter Berücksichtigung der Hinweise für ’gute Fragen’ und Erstellung
11.2 Methodik der Erhebung
241
von Fragebögen von Porst (2000, 2011) und Kallus (2010). Der Bildbereich S ist als Ratingskala eines Zustimmungsurteils sowohl verbal als auch nach Jäger (2004) visuell unterstützend als Smiley-Rating-Skala siebenfach gestuft formuliert worden. Die visuelle Unterstützung wurde gewählt, um eine Bearbeitungsdauer zu verkürzen; nach einem erstmaligen Lesen der verbalen Skalenstufung kann mit der visuelle Zusatzinformation schneller ein zutreffender Wert gefunden werden; es muss dann darauf geachtet werden, dass alle Antwortskalen inhaltlich und formal gleich gerichtet sind. Diese Technik kollidiert mit einer anderen Anforderung an die Konstruktion von Fragebögen; danach sind zur Kontrolle der formalen Antworttendenz, immer nur in einen bestimmten Bereich das Kreuz zu setzen, Fragen mit gegengerichteter Skala einzuarbeiten; auf diese Kontrolle wurde zugunsten einer kürzeren Bearbeitungszeit verzichtet. Bei der hohen Anzahl von Fragen wurde zumindest für den Bürgerfragebogen erwartet, dass sich für eine komplette Beantwortung des Fragenkatalogs kaum Bürger oder Bürgerinnen bereit finden würden, denn die Fragen sollten während des Aufenthalts im Raum beantwortet werden; der Anlass eines Aufenthaltes ist das Bürgeranliegen und dafür wird erwartbar wenig Zeit aufgewendet. Eine Lösung des Problems bot die Möglichkeit, für die einzelnen Umweltausschnitte jeweils Teilfragebögen anzubieten, und von einer Person nur diesen einen Teil evaluieren zu lassen. Der noch größere Zeitbedarf zur Beantwortung des Mitarbeiterfragebogens wurde als weniger problematisch angesehen, da die Mitarbeiter den Fragebogen während ihrer Arbeitszeit ausfüllen konnten; außerdem enthält der Fragebogen eine Empfehlung zu mindestens einer eintägigen Pause zwischen dem Fragebogenteil der Direktperspektive und dem der Metaperspektive, um einerseits die Aufmerksamkeitsressourcen nicht zu überstrapazieren und andererseits einen Zeitraum zu schaffen, der einen Perspektivwechsel zuverlässiger ermöglicht.
242
11 Fragebogenerhebung
11.2.3 Pretest Um den Zeitbedarf für die Beantwortung zu ermitteln und die Klarheit, Eindeutigkeit und Verständlichkeit der Begriffe zu prüfen, in denen die Fragen abgefasst wurden, ist Prüfer und Rexroth (2000) folgend ein Pretest des Bürgerfragebogens mit n = 13 durchgeführt worden. Abweichend von den Vorschlägen der Autoren wurden die zwei Pretest-Phasen zeitlich nicht getrennt; auch inhaltlich sind nicht alle Forderungen der Autoren an den Pretest erfüllt; in einem Standard-Pretest, der Phase Zwei des 2-PhasenPretests nach Prüfer und Rexroth, wird der Fragebogen unter den realen Feldbedingungen geprüft, um Probleme zu identifizieren, die mit dem Ablauf der Evaluation entstehen können; die Befragten sollen dazu über den Testcharakter nicht informiert sein. Die Bedingungen konnten insofern nicht vollständig hergestellt werden, als die zu evaluierende räumlich physische Umwelt 600 km entfernt gelegen war und ein Pretest vor Ort einen Aufwand darstellte, der im Rahmen dieser Arbeit geleistet werden konnte; die Befragten mussten dazu außerdem über den Testcharakter in Kenntnis gesetzt werden. Stattdessen wurde in nur einer Pretestphase sowohl kognitiv die Verständlichkeit der Fragen – aus der Phase 1 nach Prüfer und Rexroth – und die Zeitdauer der Bearbeitung – aus der Phase 2 – gemessen. Den kompletten Fragebogen erhielten 20 Personen unterschiedlichen Bildungsgrades mit der ergänzenden Bitte, die Verständlichkeit der Fragen und des Aufbaus zu prüfen und bei fehlender Verständlichkeit Änderungsvorschläge zu unterbreiten; außerdem sollten sie die Bearbeitungszeit einzelner Abschnitte für den Hinweisteil, den Teil der einzelnen Umweltabschnitte und den allgemeinen Teil notieren; dem Sachverhalt, dass keiner der Pretester den Evaluationsgegenstand erleben konnte, wurde mit dem Hinweis entsprochen, keine Beantwortung der Fragen abgeben zu müssen, sondern lediglich die Verständlichkeit der Aussagen zu prüfen. Verständnisschwierigkeiten, die
11.2 Methodik der Erhebung
243
ausschließlich dem Umstand der fehlenden Ansichtigkeit des Bürgerbüros hätten geschuldet sein können, wurde damit begegnet, dass zu jedem Umweltabschnitt ein Foto im Fragebogen eingefügt war. 13 Personen haben die ausgefüllten Bögen zurückgesandt. Einige Fragen konnten danach modifiziert werden. Auf einen Pretest der Fragebogen für die Mitarbeiter wurde verzichtet, da ein großer Teil der Fragen an die Mitarbeiter inhaltsähnlich zum Bürgerfragebogen ist und die Änderungen auch dort vorgenommen worden sind; außerdem war der Mitarbeiterstab in die frühere Programmentwicklung zur Neugestaltung des Bürgerbüros eingebunden und aus dieser Zeit mit dem Evaluationsgegenstand vertraut; es wurde bei ihnen deshalb weniger Verständnisschwierigkeiten erwartet. Ein Split der Fragebogen nach Umweltabschnitt und der ermittelten Bearbeitungsdauer wurde für den Bürgerfragebogen durchgeführt; neben den jeweiligen Umweltabschnittsfragen, war der allgemeine Teil von allen Befragten zu beantworten; insgesamt konnte die voraussichtliche Bearbeitungszeit von Teilfragebögen auf circa 12-15 Minuten eingegrenzt werden, darin eingeschlossen die Verstehenszeit für die einleitenden Hinweise zur Beantwortung des Fragebogens. Fünf Teilfrageböden beinhalteten dann die Infothek (O1), die Wartezone (O2), die Beratungsbüros (O3), die Verkehrswege (O4) und das Bürgerbüro als Ganzes (O5).
11.2.4 Durchführung der Erhebung Die Erhebung war für die zwei Nutzergruppen ’Mitarbeiterschaft’ und ’Bürgerschaft’ durchzuführen. Der Mitarbeiterstab umfasste 10 Personen, die den Fragebogen überreicht bekamen und diesen in der Arbeitszeit bearbeiten konnten. Der Rücklauf erfolgte postalisch anonym und vollständig. Der Start der Bürgerbefragung wurde im Rahmen einer Pressekonferenz von der Stadt Gotha bekannt gegeben und die Bürgerschaft außerdem zu einer Teilnahme
244
11 Fragebogenerhebung
über das hauseigene Informationsblatt ’Rathauskurier’ und zwei weiteren Regionalzeitungen eingeladen. Die Dauer der Befragung war mit sechs Wochen angesetzt. Die Fragebögen sollten an der Infothek des Bürgerbüros von den jeweils dort arbeitenden Mitarbeitern oder Mitarbeiterinnen mit dem Hinweis ausgegeben werden, die Wartezeit für die Beantwortung zu nutzen; diese Erhebungsstrategie erwies sich bereits innerhalb der ersten beiden Wochen mit einem Rücklauf von nur vier ausgefüllten Fragebögen als wenig erfolgversprechend; als Gründe dafür werden einerseits die deutlich kürzere Wartezeit als die Bearbeitungsdauer für den Fragebogen und andererseits ein wenig offensives Engagement des Mitarbeiterstabes in die Ausgabe der Fragebögen vermutet. Ein wesentlich besseres Ergebnis konnte erzielt werden, indem eigens ein Stehtisch für die Ausgabe der Fragebögen zusammen mit einem Hinweisplakat auf das Erhebungsgeschehen aufgestellt wurde, und eine studentische Hilfskraft die Zielpersonen angesprochen und um ihre Teilnahme gebeten hat; diese Veränderung war erneut in der Presse angekündigt worden. Cialdinis (2004, S. 58 ff.) Ausführungen zu reziproken Handlungsimpulsen bei nicht erbetenen Gefälligkeiten folgend war die die Hilfskraft instruiert, den Bürgern und Bürgerinnen jeweils eine Süßigkeit oder einen Snack anzubieten; in einem zweiten Schritt sollte sie auf die erwartete Frage nach dem Grund für diese Gefälligkeit, ob etwas dafür zu tun sei, mit dem Hinweis reagieren, dass dafür gar nichts zu tun sei; nur wenn Lust und Interesse bestünde, an der Befragung zur Qualität des Bürgerbüros teilzunehmen, dann möge man sich doch bitte 10-15 Minuten Zeit nehmen und einen der Fragebogen beantworten. Der Rücklauf innerhalb von zwei Wochen Erhebungszeit umfasste dann weitere 377 Fragebögen. Die Ausgabe der Teilfragebögen erfolgte regelmäßig in der sich wiederholenden Reihenfolge von Teil 1 bis Teil 5. In Zeiten eines hohen Bürgeraufkommens, das erfahrungsgemäß an bestimmten Tagen in der Woche auftrat, haben zwei Personen die Fragebögen ausgegeben.
11.3 Methodik der Auswertung
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11.2.5 Datenerfassung Für die Übertragung der Papierform der Fragebögen in eine Datenmatrix zur statistischen Auswertung wird bei einer so großen Anzahl an Fragen in Verbindung mit einer siebenfach gestuften Ratingskala eine hohe Fehlerquote erwartet; mangelnde Übersicht und Ermüdung führen zu Übertragungsfehlern. Um die Fehler zu vermindern und bestenfalls zu vermeiden wurden die Fragebögen für die Nutzergruppen in eine Netzversion auf der Plattform SurveyMonkey® übertragen und dort die jeweiligen Antworten der Befragten erneut eingegeben; neben dem Vorteil einer geringeren Beanspruchung von Aufmerksamkeitsressouren ist eine Kontrolle der Eingabe leichter durchführbar als in einer umfangreichen und damit unübersichtlichen Tabelle. Aus der Netzversion konnte die Datenmatrix als Excel-Tabelle einfach extrahiert und weiterverarbeitet werden.
11.3 Methodik der Auswertung 11.3.1 Stichprobenzusammensetzung Zwei Nutzergruppen werden in dieser Untersuchung unterschieden: Der Mitarbeiterstab (N2), bestehend aus 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Dienstleister, und die Bürgerschaft der Stadt Gotha (N1), als potentielle Zielgruppe von Bedienten im Bürgerbüro. Für den Mitarbeiterstab war eine Stichprobenziehung nicht erforderlich; er wurde vollständig um seine Teilnahme gebeten und hat auch vollständig geantwortet; damit liegen in diesem Fall die Daten der Grundgesamtheit von N2 vor. Das trifft nicht für die Gruppe der Bedienten zu; hier wurde aus ökonomischen Gründen auf die zufällig im Erhebungszeitraum anwesenden Bürgerinnen und Bürger zurückgegriffen und es konnte nur eine Klumpenstichprobe generiert werden. Der Gesamtrücklauf vollständig ausgefüllter Bürgerfragebögen beträgt 381;
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11 Fragebogenerhebung
davon entfallen auf die Umweltabschnitte Infothek (O1) 77, Wartezone (O2) 74, Beratungsbüro (O3) 76, Verkehrswege (O4) 79 und auf das Bürgerbüro insgesamt (O5) 75 Stück; da der gesamte Fragebogen in die fünf Teilabschnitte gesplittet war, kann für die Stichprobenteilnehmer in Bezug auf den kompletten Fragebogen nur von der kleinste Anzahl beantworteter Teilbögen ausgegangen werden; diese beträgt 74. Dem steht die Grundgesamtheit Gothaer Bürger (Stadt) von ca. 40.000 (Stand des Erhebungszeitpunktes lt. Melderegister) gegenüber.
11.3.2 Auswertung des Fragebogenrücklaufs Von den 381 Fragebögen der Bürgerschaft in der Direktperspektive (N1P1) und 10 Fragebögen des Mitarbeiterstabes jeweils in der Direkt- (N2P1) und Metaperspektive (N2P2) wurden Fragebögen von einer Auswertung ausgeschlossen, wenn deren Beantwortung bei einer Anzahl beantworteter Fragen ≤ 50% abgebrochen worden war, oder wenn sie eine Antworttendenz mit nur einer Bewertungsstufe aufwiesen. Für N1P1 auf O1 verblieben damit 76 von 77, auf O2 73 von 74, auf O3 73 von 76, auf O4 75 von 79 und auf O5 75 von 75 Fragebögen. Etwa 20 Fragebögen aus N1 waren nur zwischen 51 und 60 % ausgefüllt; von diesen entfallen 12 allein auf die Bewertung der Verkehrswege. Für N2 konnten in beiden Perspektiven alle 10 Bögen in die Auswertung übernommen werden. Ein Mitarbeiterfragebogen war in der Metaperspektive geringfügig unvollständig beantwortet. Die Bürgerfragebögen, die ja jeweils nur einzelne Umweltabschnitte beinhalteten, waren nun zu einem vollständigen Fragebogen zusammenzuführen. Es war eine Entscheidung darüber zu treffen, wie mit deren unterschiedlicher Anzahl je Umweltabschnitt umzugehen sei: O1:76; O2:73, O3:73, O4:75 und O5:75. Sollen vollständige Fragebögen (O1 bis O5) entstehen, ist von der kleinsten Anzahl (O3=73) auszugehen und die Über-
11.3 Methodik der Auswertung
247
zähligen aus den übrigen Datensätzen herauszunehmen; das erzwingt eine willkürliche Entscheidung darüber, welche ausgeschlossen werden. Wird die maximale Anzahl (O1=76) zugrunde gelegt, fehlen je 3 Datensatzteile aus O2 und O3 und je einer aus O4 und O5. Es wurde entschieden, die fehlenden Datensatzteile in Kauf zu nehmen, da angesichts des großen Stichprobenumfangs von einem geringen Einfluss auf die Mittelwertvarianz auszugehen ist. Nach Ausschluss von und Zusammenführung der verbleibenden Bürgerfragebögen zu einem vollständigen Datensatz verbleibt ein N der Bürgerschaft mit 76 Datensätzen. Darin sind einige Antworten unter dem Element ’keine Angabe’ ohne Wertung geblieben; außerdem werden die fehlenden Datensätze so behandelt, als sei keine Angabe gemacht worden. Der Fragenkatalog beinhaltet in vier Items Aussagen, deren Zutreffen nicht als eine positive Bewertung des Bürgerbüros gelten kann; eine solche Aussage ist beispielsweise: „5.14b: Die Sicherheitseinrichtungen vermitteln mir das Gefühl kontrolliert zu werden (zum Beispiel durch Videokameras)“. Die Antworten zu diesen Fragen waren in allen Perspektiven für die Auswertung zu invertieren.
11.3.3 Affordanzbasierte Differenzierung der angetroffenen Dienstleistungsumwelt Im Verlauf der Frageformulierung aus dem Abbildungssatz heraus deutete sich eine Ausdifferenzierung der angetroffenen Umwelt in weitere Partialumwelten an, die in der Auswertung der Erhebung noch einmal deutlicher hervortritt und an Salienz gewinnt. Die jeweils angetroffenen Umwelten UM und UB der Mitarbeiterschaft beziehungsweise der Bürgerschaft sind nach ihrem Affordanzgehalt weiter in solche Umweltausschnitte unterteilbar, die a) beiden in der wechselseitigen Interaktion salient sind, b) beiden
248
11 Fragebogenerhebung
bedeutsam sind, aber nicht für die unmittelbare Interaktion, und c) jeweils nur der einen Nutzergruppe oder der anderen von Bedeutung sind. Das kann am Beispiel von Affordanzen der Infothek beschrieben werden: Der angenehme Gesprächsabstand, die interpersonale Distanz, welche durch die Erstreckung (Höhe, Breite und hier vor allem die Tiefe) der Infothek erzwungen wird, wirkt in der Interaktion unmittelbar für beide Partner (a); die taktile Oberflächenqualität ihrer Arbeitsplatte dagegen ist zwar jeweils beiden Interaktionspartnern haptisch erfahrbar, aber für das Interaktionsgeschehen nur nachrangig von Bedeutung (b); die Sichtbarkeit und Erreichbarkeit der Infothek vom Eingang aus ist nur für die Bürgerschaft wichtig, während dagegen die Zugriffsbedingungen auf Stauräume und Funktionseinheiten der Infothek nur die instrumentellen Handlungen der Mitarbeiterschaft erleichtern (c). Die Affordanzqualität der Umwelt des Falles a) ist eine relationale und deren Umwelt soll mit UMrel für die Mitarbeiterschaft und UBrel für die Bürgerschaft bezeichnet werden; diese Umweltausschnitte beinhalten die Schnittmenge aller relationalen Affordanzen affM∩B und affB∩M ; die Reihenfolge der Indizierung ’M’ und ’B’ zeigt dabei an, aus welcher Perspektive heraus die Affordanz betrachtet wird. ’M ∩ B’ indiziert die Umweltaffordanz aus Sicht der Mitarbeiterschaft, und umgekehrt indiziert ’B ∩ M’ die aus Sicht der Bürgerschaft. Es gilt also: UMrel = {affM∩B } = {UM | (affM ∩ affB )} ⊆ UM und UBrel = {affB∩M } = {UB | (affB ∩ affM )} ⊆ UB . Affordanzen für den Fall b) können als eine Vereinigung disjunkter Mengen gesehen werden und sollen mit UMBgem bezeichnet werden; sie können kontrastierend oder ähnlich sein. Eine Richtungsangabe ist hier nicht erforderlich. Es gilt dann : ˙ B )} UMBgem = {affM∪B ˙ } = {UM ∪UB | (affM ∪aff
11.3 Methodik der Auswertung
249 und
UMBgem ⊆ UM sowie UMBgem ⊆ UB . Affordanzen nach c) sind ausschließlich nutzerspezifisch und disjunkt; es gilt: UMdis j = affM6=B = {UM | (affM 6= aff B )} ⊆ UM und UBdis j = affB6=M = {UB | (affB 6= aff M )} ⊆ UB . Es ist mit dieser Differenzierung möglich, für die relationalen Affordanzen aus UMrel die Urteilsdiskrepanzen aus der Akkuratheit, der Konsensund Dissensvermutung der Mitarbeiterschaft und der faktischen Übereinstimmung der Sachbilder des Mitarbeiterstabes und der Bürgerschaft zu analysieren (vgl. dazu das interpersonelle Diskrepanzdreieck in Abschnitt 6.1 und Abb. 6.1.2); das war noch in Abschnitt 6.2 wegen der Zweiwertigkeit der angetroffenen Dienstleistungsumwelt als ausgeschlossen angesehen worden. Auch für die weniger interaktionswirksamen, aber doch gemeinsamen disjunkten Affordanzen UMBgem kann das in Betracht gezogen werden, jedoch konzentriert sich die Analyse in dieser Arbeit auschließlich auf die relationalen.
11.3.4 Nomenklatur Die sozialperspektivische Nomenklatur (Abschnitt 6) wird auf die facettentheoretische Bezeichnung aus dem Abbildungssatz (11.2.1) eineindeutig hin abgebildet. Dem direktperspektivischen Sachbild der Bürgerschaft mit dem Facettenkürzel ’N1P1. . . ’ entspricht die sozialperspektivische Bezeichnung B [UB ]; U B bezeichnet darin das von den Bürgern und Bürgerinnen angetroffene Bürgerbüro. Das Facettenkürzel N2P1. . . bezeichnet das Sachbild der
250
11 Fragebogenerhebung
Mitarbeiterschaft auf wiederum ihre angetroffene Umwelt M [UM ]. Das mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermutete Sachbild auf die angetroffene Umwelt der Bürger und Bürgerinnen M [B [UB ]] wird als Facettenkombination N2P2. . . geführt. Die ’. . . ’ stehen für die fortführende Struktupelbezeichnungen beispielsweise der jeweiligen Umweltabschnitte und -merkmale und Affordanzen; sie werden aber zur Vereinfachung der Schreibweise weggelassen; es gilt dann N1P1 = B [UB ], N2P1 = M [UM ] und N2P2 = M [B [UB ]]. Im weiteren Verlauf sollen die Facettenkürzel aus dem Abbildungssatz mit einer Ausnahme beibehalten werden. Die Ausnahme ist in der im Abschnitt 11.3.3 beschriebenen Erkenntnis begründet. Diese Affordanzunterscheidung hat noch keinen Niederschlag im Abbildungssatz gefunden; für deren perspektivendifferenzierte Analyse wird auf die sozialperspektivische Nomenklatur zurückgegriffen; es wird dann mit ’UMrel ’ und ’UBrel ’ die Menge der beziehungsgestaltenden – relationalen – Affordanzen jeweils bezogen auf die wahrnehmende Nutzergruppe der Mitarbeiterschaft (Index: Mrel) und Bürgerschaft (Index: Brel) bezeichnet. Das Sachbild der Mitarbeiterschaft ist mit M [UMrel ], das der Bürgerschaft B [UBrel ] und das mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermutete Sachbild M [B [UBrel ]] gekennzeichnet. Der Nomenklaturwechsel betrifft die Ergebnisdarstellung in Abschnitt 12.5 und die Diskussionsabschnitte 11.3.3 und 13.2.8; die in den Grafiken weiterhin verwendeten Facettenkürzel N1P1, N2P1 und N2P2 beziehen sich dort nur auf die relationalen Affordanzen.
11.3.5 Statistische Methoden Die Fallanalyse ist hinsichtlich der Entwicklung des Facettenstrukturmodells explorativ; das trifft auch auf die Umsetzung des Modells über den Abbildungssatz in einen Fragenkatalog und dessen Einsatz in einer Erhebung zu. Sie ist evaluativ im Bezug auf die empirische Prüfung der Umwelteignung
11.3 Methodik der Auswertung
251
für den vorgesehenen Zweck. Die empirische Prüfung der Fragen eins und zwei aus Abschnitt 11.1 erfolgt deskriptiv. Die Frage (1) nach der erfolgreichen Umsetzung der Umweltgestaltung gemäß dem Bedarf aus der Programmentwicklung (Abschnitt 8.1.5) wird über die direktperspektivischen Beurteilungen der Umweltaffordanzen durch die Nutzergruppen beantwortet; den direktperspektivischen Urteilen wird die mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermutete Bewertung vergleichend danebengestellt. Als statistisches Maß werden die Antworthäufigkeiten auf der siebenstufigen Likertskala, die jeweiligen Modalwerte und die Mittelwerte der einzelnen Gruppen-Perspektiv-Kombinationen N1P1, N1P2 und N2P2 herangezogen. Mittelwerte mit MW ≥ 4.00 gelten als positive Beurteilung, solche mit MW < 4.00 als negative; eine Extraktion von 10 Bestbewertungen und aller negativen Bewertungen aus jeder Gruppen-Perspektivkombination dient einer inhaltlichen Analyse der jeweiligen Items. Explorativ werden auch die zugehörigen Varianzen betrachtet und nur diese inferenzstatistisch mit einem F-Test zu dem statistischen, gerichteten Hypothesenpaar H0 : σv2 1 ≥ σv2 2 | H1 : σv2 1 < σv2 2 (Index 2 verweist auf die jeweils größere Varianz einer Gruppen-Perspektiv-Kombination) auf Signifikanz geprüft; sie ist dann gegeben, wenn der empirische F-Wert größer ist, als der kritische F-Wert für eine Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% oder 1% bei den entprechenden Zähler- und Nennerfreiheitsgraden: Femp > Fkrit | df Zähler n-1 | df Nenner n-1 | 0.05 (0.01) Die Signifikanzprüfung der interessierenden Mittelwertunterschiede zwischen der Mitarbeitervermutung (N2P2) und dem Sachbild der Bürgerschaft (N1P1) erfolgt im Rahmen einer Beantwortung der dritten Frage.
252
11 Fragebogenerhebung Unterschiede in der Umweltbewertung hinsichtlich der Affordanzfacet-
ten und der Facetten der einzelnen Umweltabschnitte (Frage 2) werden nur deskriptiv über die Urteilsmittelwerte beschrieben. Die dritte Frage nach der akkuraten Vermutung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bezüglich der Bürgerschaftsbewertung beantwortet ein visueller Paarvergleich in einem Punktdiagramm aus den Urteilsmittelwerten des direktperspektivischen Bürgerfragenkatalogs und des eineindeutig darauf abgebildeten metaperspektivischen Fragenkatalogs der Mitarbeiterschaft; die Itempunkte aus den Koordinaten der jeweiligen Mittelwerte können dann auf die Akkuratheit der Mitarbeitervermutung hin analysiert werden. Für den inferenzstatistischen Vergleich kann aus der anfänglichen psychologischen Hypothese4 einer hinreichend genauen Vermutung seitens der Mitarbeiterschaft zur Bewertung des Bürgerbüros durch die Bürgerschaft auf psychologischer Ebene sowohl eine Unterschieds- als auch eine Zusammenhangvorhersage abgeleitet werden: Die Antworten aus der Befragung, deren Fragen sich für die Bürgerinnen und Bürger auf das Ausmaß des Zutreffens jeweiliger Affordanzen des Bürgerbüros beziehen und für die Mitarbeiterschaft auf Ihre Vermutung, in welchem Ausmaß eine Affordanz von der Bürgerschaft als zutreffend angesehen wird, stehen in einem Zusammenhang und unterscheiden sich entweder nicht oder es besteht ein Positivitäts- oder Negativitäts-Bias . Die psychologische Unterschiedsvorhersage führt zu der statitistischen Vorhersage ungleicher oder gleicher Gruppenmittelwerte über alle Itemmittelwerte. Mittelwertstatistiken setzen intervallskalierte Variablen voraus; mit 4
die auch Grundlage der Entscheidung für die eingeschränkte UNA war (vgl. Abschnitt 8.1.4)
11.3 Methodik der Auswertung
253
der Likert-Skala liegt aber nur ein Ordinalskalierung vor; eine Gleichabständigkeit der Skalierung wird deshalb vorausgesetzt. Die Unterschiedsvorhersage führt zu dem statistischen, ungerichteten Hypothesenpaar: H0 : μN2P2 - μN1P1 = 0 | H1 : μN2P2 - μN1P1 6= 0 Die Hypothesenprüfung erfolgt über einen t-Test für abhängige Stichproben und für ein Konfidenzintervall von 95% mit einer beidseitigen alpha-Irrtumswahrscheinlichkeit von α/2 = 0.025. Die H0 wird verworfen und ein Unterschied angenommen, wenn der empirische t-Wert den kritischen übersteigt, oder seine zugehörige Grenze der zweiseitigen Fehlerwahrscheinlichkeit kleiner als die alpha-Irrtumswahrscheinlichkeit ist. |temp | > tkrit | df n-1 | α/2 = 0.025 oder p(2t) < 0.05 Aus der psychologischen Vorhersage eines Zusammenhanges zwischen den Antworten in beiden Gruppen-Perspektiv-Kombinationen N2P2 und N1P1 wird ein ungerichtetes Zusammenhangshypothesenpaar abgeleitet; nach der Nullhypothese liegt eine Nullkorrelation für die Mittelwerte der jeweiligen Fragenpaare vor; die Alternativ- und Forschungshypothese behauptet dagegen einen Zusammenhang der Mittelwerte und führt zu dem statistischen Hypothesenpaar H0 : ρN2P2|N1P1 = 0 | H1 : ρN2P2|N1P1 6= 0 Die empirisch gefundene Korrelation wird mit einer 1%-igen Fehlerwahrscheinlichkeit auf Signifikanz getestet und nach Cohen-Konvention eingestuft. Die Signifikanzprüfung ist positiv, wenn auch hier die empirische
254
11 Fragebogenerhebung
t-Statistik den kritischen t-Wert überschreitet und die H0 abgelehnt werden kann. |temp | > tkrit | df n-2 | α/2 = 0.005 Für beide Gruppen wird eine differentielle Antwortvarianz innerhalb der Items erwartet; es ist strukturtypisch für sozialperspektivische Untersuchungen, dass die Metaperspektive P2 immer einen Mittelwert schätzt, in diesem Fall nämlich den aller Bürger und Bürgerinnen (N1) durch den Mitarbeiterstab (N2), während über die Direktperspektive P1 ein je eigener individueller Wert, nämlich der aller jeweiligen N, generiert wird; ein Varianzunterschied in gleicher Richtung kann infolgedessen schon über die Perspektivendifferenzierung erwartet werden. Außerdem ist für die Mitarbeiterschaft auch eine geringere Antwortvarianz anzunehmen, weil sie aufgrund ihrer beruflich bedingt ähnlichen Erfahrung, die im Berufsalltag untereinander auch kommuniziert wird, eine varianzärmere Direktperspektive P1 auf O entwickelt haben dürfte als N1 auf O. Aus dem gleichen Grund dürfte die Annahme auch auf die Metaperspektive P2 von N2 auf N1 von O zutreffen; ein Erleben der räumlich physischen Umwelt des Bürgerbüros tritt dagegen für die Bürgerinnen und Bürger N1 nur als Einzelfall und in mehr oder weniger großen Zeitabständen auf und dürfte eine größere Antwortvarianz innerhalb der einzelnen Fragen begründen. Gegenläufig zu dieser Richtung des Unterschiedes wirken aber die unterschiedlichen n der Stichprobe Bürgerschaft und der Grundgesamtheit Mitarbeiterstab, denn mit zunehmender Stichprobengröße (N2P2: n = 10 vs. N1P1: n = 76 ) verkleinert sich Varianz und Standardabweichung (Bortz, 1999, S. 91). Bei einer Stichprobe (= Grundgesamtheit) der Mitarbeiterschaft mit nur n =10 Elementen (n < 30) kann eine Normalverteilung der Mittelwerte aber nur dann vorausgesetzt werden, wenn das Merkmal selbst normalverteilt ist (ebd., S. 102). Es werden die Ergebnisse dazu nur deskriptiv beschrieben und auf
11.3 Methodik der Auswertung
255
eine Untersuchung der Gruppen-Perspektiven-Kombination N1P1 und N2P2 beschränkt; anstelle einer Varianzhomogenitätsanalyse und einem F-Test auf Varianzunterschiede zwischen den Gruppen werden die Varianzverläufe nur grafisch dargestellt; insbesondere interessiert darin, ob hohe Varianzen lediglich auf individuelle Bewertungsunterschiede zurückzuführen sind, oder ob auch Itemformulierung, die nicht eindeutig sind, dafür verantwortlich sein können (Abschnitt 12.3). Die psychologischen Vorhersagen und deren statistische Ableitungen und Tests für die Perspektivdiskrepanzen zu Affordanzen der relationalen Umwelt erfolgen analog zum Vorgehen der Frage drei. Bei der Itemanzahl von 60 Items für die relationalen Umweltausschnitte liegt die kritische t-Statistik des 5%-Niveaus für alle Mittelwertsunterschiede bei tkrit | 59 | α/2 = 0.025 = 2.001 und die des 1%-Niveaus für alle Korrelationen bei tkrit | df 58 | α/2 = 0.005 = 2.663. Die Mittelwertspaare werden auch hier in Punktediagrammen visualisiert und auf Diskrepanzen untersucht; allerdings können Urteilsdiskrepanzen hier einem Diskrepanz- und Richtungstyp (vgl. Abbildungen 6.1.4, 6.1.5 und Tabelle 6.1.1 in Abschnitt 6.1 und Tabelle A.7.2 in Abschnitt 12.5) zugeordnet werden.
12 Ergebnisse 12.1 Häufigkeitsverteilungen der Antworten 12.1.1 Antworthäufigkeit zum Sachbild der Bürgerschaft Zum Sachbild der Gruppe der Bürger und Bürgerinnen (N1P1) sind 13.376 Antworten möglich. Davon sind 11.451 beantwortet und 1.925 (14,39%) unbeantwortet. In den Absolut- und den Prozentwert der leeren Antworten fallen auch die fehlenden Umweltabschnitte in drei der 76 Datensätze (vgl. Abschnitt 11.3.2). Die absoluten und prozentualen Antworthäufigkeiten nach Kategorien gibt Abbildung 12.2.1 wieder. Die Zahl der Antworten aus den Kategorien des Zutreffens sind augenscheinlich deutlich höher als die der Kategorien des Nichtzutreffens oder der indifferenten Kategorie des „sowohl/als auch“.
12.1.2 Antworthäufigkeit zum Sachbild der Mitarbeiterschaft Die Fragebögen der Mitarbeiterschaft (N2) sind nahezu vollständig beantwortet; in der Direktperspektive (P1) waren 2.430 Antworten möglich und 2.289 Bewertungen sind erfolgt; es sind 141-mal (= 5,80%) keine Angaben gemacht. Abb. 12.2.2 gibt kategoriebezogen die Antworthäufigkeit, ebenfalls in absoluten wie in prozentualen Werten, wieder. Auch hier ist die Zahl
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_13
258
12 Ergebnisse
der Antworten aus den Kategorien des Zutreffens erkennbar deutlich höher als die der Kategorien des Nichtzutreffens oder der indifferenten Kategorie.
12.1.3 Antworthäufigkeit zum mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermuteten Sachbild In der Metaperspektive der Mitarbeiterschaft, ihrer Vermutung zur Bewertung der Bürgerschaft, (N2P2) sind 99 (= 5,63%) Antworten von 1760 möglichen nicht gegeben worden; hier liegen 1661 Bewertungen vor. Die kategorienbezogenen Antworthäufigkeiten zeigt Abbildung 12.2.3. Für die Verteilung der Antworthäufigkeiten trifft das gleiche zu wie für die vorher dargestellten Datensätze. In allen Datensätzen liegt der Modalwert bei 6 (trifft zu) und verweist auf eine insgesamt positive Einschätzung des Bürgerbüros.
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen 12.2.1 Gruppen-Perspektiven Kombinationen insgesamt In Abbildung 12.2.4 sind die statistischen Kennwerte der GruppenPerspektiv-Kombinationen aus den Fragebögen wiedergegeben. ’N1P1’ bezeichnet die Bewertung des Bürgerbüros durch die Bürger und Bürgerinnen, ’N2P1’ die des Bürgerbüros durch die Mitarbeiterschaft und ’N2P2’ die von der Mitarbeiterschaft bei den Bürgerinnen und Bürgern vermutete Bewertung des Bürgerbüros. Die Werte beruhen auf der Auswertung von jeweils 176 Items für N1P1 und N2P2 und von 243 Items für N2P1; den Beobachtungen liegt eine Stichprobengröße von nB =10 für die Mitarbeiterschaft und
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen
259
nB =76 für die Bürgerschaft zugrunde1 . Die deskriptive Statistik zeigt für die Bewertung des Bürgerbüros durch die Bürgerinnen und Bürgern einen höheren Mittelwert als für die Bewertung durch die Mitarbeiterschaft; auch für die Vermutung der Mitarbeiterschaft zur Einschätzung des Bürgerbüros durch die Bürger liegt der Mittelwert unter der tatsächlichen Bewertung der Bürgerschaft. Die Varianz aus den Mitarbeiterurteilen in beiden Perspektiven gegenüber denen der Bürgerschaft ist deutlich höher. Er ist auch unter Berücksichtigung der Inferenzvarianz im F-Test signifikant (Femp 2.164 gegenüber Fkrit(175|175|α =0.05) = 0.78 für den Varianzunterschied N2P2|N1P1; Femp 2.286 gegenüber Fkrit(242|175|α =0.05) = 1.26 für den Varianzunterschied N2P1|N1P1). Allerdings ist bei der Mitarbeiterschaft die Varianz aus dem bürgerseits vermuteten Sachbild N2P2 auch signifikant geringer als in der Beurteilung des eigenen Sachbildes (Femp 1.306 gegenüber Fkrit(242|175|α =0.05) = 1.26). Letztendlich ist noch eine naturgemäß höhere Anzahl an Items (ni ) für die Mitarbeiter zur Bewertung ihrer Arbeitsumwelt aus der Grafik ablesbar. Für einen Eindruck, der Aufschluss über besonders gute Bewertungen, vor allem aber über schlechte Bewertungen geben kann, werden die jeweils 10 höchst bewerteten Items und die Items mit einer Bewertung < 4.00, also alle mit einer nicht zutreffenden Beurteilungstendenz, tabellarisch aufgeführt. Gerade letztere sind ja Grundlage für zukünftige Verbesserungen in der Umweltgestaltung.
1
Mit dem Index ’B’ wird Anzahl ’nB ’ der Beobachter von der Anzahl ’ni ’ der Items unterschieden.
260
12 Ergebnisse
Abbildung 12.2.1: Antworthäufigkeiten der Bürgerinnen und Bürger - N1P1
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen
Abbildung 12.2.2: Antworthäufigkeiten des Mitarbeiterstabes Bürgerbüro N2P1
261
262
12 Ergebnisse
Abbildung 12.2.3: Antworthäufigkeiten der Vermutung d. Mitarbeiterstabs zur Bewertung der Bürgerschaft - N2P2
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen
Abbildung 12.2.4: Deskriptive Statistik der einzelnen Gruppen
12.2.1.1 Itemauswahl zum Sachbild der Bürger auf das Bürgerbüro Tabelle 12.2.1: Die zehn besten Beurteilungen der Bürgerschaft
Item
MW
Inhalt
2
6,84
Erreichbarkeit der Infothek vom Eingang aus
1
6,72
Sichtbarkeit der Infothek vom Eingang aus
7
6,59
Infothek als Anlauf- u. Orientierungspunkt
3
6,57
Barrierefreiheit der FtF-Kommunikation der Infothek
5
6,53
Lage der Infothek für weitere Auskunftsmöglichkeit
11
6,51
Gepflegter Eindruck der Infothek
263
264
12 Ergebnisse
... Fortsetzung Tabelle 12.2.1 Item
MW
Inhalt
37
6,51
Erreichbarkeit der Wartezone
112
6,46
Erreichbarkeit des BB insgesamt über die Haupteingangstreppe
18
6,45
Infothek als erste Orientierung für das eigene Anliegen
10
6,45
Willkommenheit (vs. Hindernis) der Infothek als Anlaufpunkt für die erste Orientierung
Tabelle 12.2.2: Die negativen Beurteilungen der Bürgerschaft (MW< 4.00)
Item
MW
Inhalt
71
3,98
Erreichbarkeit der Garderobe im Wartebereich
53
3,84
Ablenkung während des Wartens durch bereitliegende Zeitschriften
91
3,63
akustische Diskretion im Beratungsraum
66
3,57
Anpassbarkeit des Sitzplatzes in der Wartezone auf eine angenehme Sitzrichtung
174
3,51
Sich Kontrolliert fühlen durch die Sicherheitseinrichtungen wie z.B. Videokameras (Item invers)
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen
265
12.2.1.2 Itemauswahl zum vermuteten Sachbild auf das Bürgerbüro Tabelle 12.2.3: Die zehn besten vermuteten Beurteilungen für die Bürgerschaft
Item
MW
Inhalt
2
6,78
Erreichbarkeit der Infothek vom Eingang aus
1
6,70
Sichtbarkeit der Infothek vom Eingang aus
29
6,60
Informationsmaterial an der Infothek ist gut erreichbar gelegen
30
6,50
Auf das Informationsmaterial an der Infothek kann gut zugegriffen werden
37
6,50
Erreichbarkeit der Wartezone
74
6,50
angemessene Größe des Zugangs zum Beratungsraum für ein Person
112
6,50
Erreichbarkeit des BB insgesamt über die Haupteingangstreppe
115
6,50
Barrierefreiheit (keine Höhenunterschiede) der Verkehrswege ab dem Haupteingang
40
6,40
Erkennbarkeit der Wartezone als Ort des Wartens
75
6,40
angemessen Größe des Zugangs zum Beratungsraum für ein Person in Begleitung einer weiteren
266
12 Ergebnisse
Tabelle 12.2.4: Die als negativ vermuteten Beurteilungen bei der Bürgerschaft (MW 6.00. Die annähernd durchgängig höhere Bewertung des Bürgerbüros durch die Bürger und Bürgerinnen findet sich nicht in der Subfacette AE, Arbeits- und Bewegungsergonomie wieder; hier liegt die Bewertung der Mitarbeiterschaft geringfügig höher (Mittelwert N2P2: 5.90 gegenüber Mittelwert N1P1: 5.76). Die Anzahl ni der Items gibt die Anzahl der Fragen zu den jeweiligen Kategorien wieder. Sie ist in zwei Fällen besonders hoch und außerdem nutzergruppenspezifisch sehr unterschiedlich. Da in der Regel, wenn auch nicht in allen Fällen, jedes Struktupel des Abbildungssatzes mit nur einer Frage repräsentiert ist, weist das auf eine hohe Ausdifferenzierung der jeweiligen Subfacette für die Nutzergruppe hin. Auf die Arbeits- und Bewegungsergonomie entfallen für die Mitarbeiterschaft 78 Struktupel gegenüber nur 17 für die Bürgerinnen und Bürger; für die Sozialergonomie liegt der Fall genau umgekehrt; bei der Bürgerschaft sind 70 Struktupel gegenüber 44 beim Mitarbeiterstab relevant. Eine großer Unterschied zwischen den Nutzergruppen ist auch in der Kontroll- sowie der Sicherheitsfacette ablesbar. In der Kontrollfacette sind 18 Struktupel für den Mitarbeiterstab relevant, aber nur sechs für die Bürgerinnen und Bürger; in der Subfacette Sicherheit beträgt der Unterschied 24 Struktupel, die die Mitarbeiterschaft (54 Struktupel) gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern
12.2 Kennwerte von Gruppen-Perspektiven Kombinationen (30 Struktupel) als Mehrmenge aufweist.
Abbildung 12.2.5: Mittelwerte nach den Subfacetten der Umweltabschnitte
271
272
12 Ergebnisse
Abbildung 12.2.6: Mittelwerte der Gruppen nach den Subfacetten der Affordanzen
12.3 Antwortvarianzen innerhalb der Items
273
12.3 Antwortvarianzen innerhalb der Items Ein Blick auf die Varianzentwicklung innerhalb der einzelnen Fragen in der direktperspektivischen Bewertung der Umwelt durch die Nutzergruppe Bürgerschaft N1P1 und der vermuteten Bürgerbewertung durch die Mitarbeiterschaft N2P2 zeigt die Abbildung 12.3.1. Kleine Varianzen bedeuten eine hohe Übereinstimmung der einzelnen Beobachter untereinander; große Varianzen verweisen auf große Bewertungsunterschiede innerhalb der Gruppen. In beiden Verläufen finden sich sowohl große als auch kleine Varianzen; es gibt also interindividuell unterschiedliche, aber auch übereinstimmende Urteile zu den einzelnen Items. Dabei besteht ein U-förmiger Zusammenhang zwischen Mittelwerten und Varianzen: sehr kleine und sehr große Mittelwerte sind immer mit geringen Unterschieden in den individuellen Bewertung verbunden; hohe Varianzen können nur in mittleren Bewertungen auftreten. Abbildung 12.3.2 zeigt eine Ausschnittvergrößerung für die hohen Varianzwerte, beginnend ab s² ≥ 4.00, gefolgt von einer Auflistung der zugehörigen Items; ihre Inhalte werden dann in Abschnitt 13.2.4 zu einem potentiellen Einfluss auf die Antwortvarianz diskutiert.
12.3.1 Items der Bürgerschaft N1P1. . . (Die Kennzeichnungen in Klammern geben die Fragenummern aus den Fragebögen | die ergänzende Bezeichnung der Struktupel | und den Mittelwert wieder) 53:
Damit mir das Warten nicht lang wird, finde ich hier Ablenkung durch: bereitliegende Zeitschriften. (2.14 a | . . . O2USSE8 | 3,84)
43:
Ich habe von der Wartezone aus eine gute Sicht auf die Beratungsbüros. (2.6b | . . . O2G3ORse1 | 5,00)
274
12 Ergebnisse
Abbildung 12.3.1: Vergleich der Antwortvarianzen der Bürgerschaft und der zugehörigen Vermutung des Mitarbeiterstabes
12.3 Antwortvarianzen innerhalb der Items
275
Abbildung 12.3.2: Ausschnittvergrößerung zu den Antwortvarianzen der Bürgerschaft und der zugehörigen Vermutung des Mitarbeiterstabes: Auswahl s² ≥ 4.00
276 174:
12 Ergebnisse Die Sicherheitseinrichtungen vermitteln mir das Gefühl kontrolliert zu werden (z.B. Videokameras). (5.14b | . . . O5SASE5 | 3,51)
144:
Ich fühle mich sicherer, wenn die Aufzugskabine aus Glas – also durchsichtig ist. (4.21 a | . . . O4OEv1ORb4 | 4,91)
66:
Der Sitzplatz lässt sich leicht in eine für mich angenehme Sitzrichtung stellen. (2.20 | . . . O2USKsw4 | 3,57)
70:
Der Spielbereich für Kinder wird/wurde von meinem/n Kind/ Kindern gerne genutzt. (2.24 | . . . O2USSE9 | 4,50)
58:
Damit mir das Warten nicht lang wird, finde ich hier Ablenkung durch Anderes. (2.14 f | . . . O2USSE8 | 5,00)
113:
Das Bürgerbüro kann ich leicht erreichen - über: einen Aufzug. (4.1 b | . . . O4G3SE3 | 5,42)
145:
Ich fühle mich sicherer, wenn die Aufzugskabine geschlossen – also undurchsichtig ist. (4.21 b | . . . O4OEv1ORb4 | 4,61)
71:
Eine Ablage für meine Garderobe (Mantel, Tasche) ist für mich bequem erreichbar. (2.25 | . . . O2USUke4 | 3,98)
12.3.2 Items der Mitarbeiterschaft N2P2. . . (Die Kennzeichnungen in Klammern geben die Fragenummern aus den Fragebögen | die ergänzende Bezeichnung der Struktupel | und den Mittelwert wieder) 125:
Die Bürgerin oder der Bürger glaubt Flure und Aufzüge ohne Angst, auszurutschen oder zu stolpern, benutzen zu können, weil sie eben sind. (4.12 a | . . . O4G1Su2 | 5,10)
12.3 Antwortvarianzen innerhalb der Items 138:
277
Einen Aufzug findet der Bürger oder die Bürgerin als leicht erreichbar, wenn er oder sie zum Bürgerbüro möchte. (4.17 | . . . O4G3SE3 | 5,20)
124:
Für die Bürgerin oder den Bürger sind Türen leicht zu öffnen – wenn es nicht sogar selbst öffnende Türen sind. (4.11 | . . . O4OEv1ORb1 | 4,10)
140:
Die Aufzugskabine nimmt die Bürgerin oder der Bürger in der Regel als ausreichend geräumig wahr. (4.19 | . . . O4G2SE10 | 5,20)
123:
Die Türen der Räume im Bürgerbüro, in welche die Bürgerin oder der Bürger gehen will, sind im Allgemeinen so durchsichtig, dass sie oder er den Eindruck hat, erkennen zu können, was sie oder ihn dahinter erwartet. (4.10 | . . . O4OEv1ORb1 | 5,10)
9:
Die Bürgerin oder der Bürger empfindet die Infothek als Hindernis auf ihrem oder seinem Weg: (1.6 a | . . . O1G7ORse3 | 5,90)
21:
Die Infothek macht auf die Bürgerin oder den Bürger den Eindruck hier in seinem Anliegen Unterstützung zu finden durch: einen Sitzplatz. (1.12 d | . . . O1USSE13 | 5,00)
119:
Die Bürgerin oder der Bürger empfindet Flure und andere Verbindungswege als angenehm kurz zu anderen Abteilungen des Rathauses. (4.6 b | . . . O4G2SE3 | 3,33)
23:
Die Infothek macht auf die Bürgerin oder den Bürger den Eindruck hier in seinem Anliegen Unterstützung zu finden durch: Abholung von Dokumenten ohne noch einmal auf eine/n Sachbearbeiter/in warten zu müssen (1.12f | . . . O1USSE13 | 3,40)
278
12 Ergebnisse
12.4 Akkuratheit der Perspektivenübernahme Die Frage, ob die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bürgerbüros den Bedarf der Bürger hinreichend genau voraussagen konnten, mündet sozialperspektivisch in die Frage nach der Akkuratheit des mitarbeiterseitig bei der Bürgerschaft vermuteten Sachbildes ’Bürgerbüro’. Auf der Anschauungsebene werden die Antworten aus der Direktperspektive der Bürgerschaft (N1P1) mit denen der Metaperspektive des Mitarbeiterstabes (N2P2) in einer grafischen Darstellung verglichen; in einem zweidimensionalen Raum, der über die zwei Achsen des Bildbereiches der jeweiligen Perspektiven aufgespannt wird, sind Punkte aus den Mittelwertkoordinaten jedes Fragenpaares eingetragen; im Idealfall einer vollständigen Übereinstimmung beider Gruppenperspektiven liegen die Punkte der Mittelwertpaare auf der Raumdiagonalen; jedem Itemmittelwert von N2P2 entspricht der gleiche Wert von N1P1. An der Lage der Punkte im Raum kann abgelesen werden, in welchem Ausmaß eine Perspektivenübernahme gelungen ist. In Abbildung 12.4.1 sind die jeweiligen Kategorien der Perspektivenakkuratheit in ihrer räumlichen Lage dargestellt. Es stehen gleiche oder annähernd gleiche Mittelwertpaare in hoher, mittlerer oder niedriger Ausprägung für die akkurate Antizipation von Lob, mittleren Bewertungen und Kritik; hohe Mittelwerte der Mitarbeiterschaft gepaart mit niedrigen der Bürgerschaft zeigen die inakkurate Erwartung von Lob an; umgekehrt stehen Punkte von Wertepaaren niedriger Werte der Mitarbeiterschaft und hoher Werte der Bürgerschaft für eine inakkurate Antizipation von Kritik. Abbildung 12.4.2 zeigt die empirisch gefundene Verteilung der Punkte mit den Koordinaten der Mittelwertpaare zu den 176 Fragen der N2P2 (x-Achse) und N1P1 (y-Achse). Bei einem empirischen t-Wert von temp = 7.81 ist der Mittelwertsunterschied bei einem Konfidenzintervall von 95% und beidseitigen Irrtumswahr-
12.4 Akkuratheit der Perspektivenübernahme
279
Abbildung 12.4.1: Kategoriensystem der Perspektivenakkuratheit
scheinlichkeit von α/2 = 0.025 signifikant. Die Irrtumswahrscheinlichkeit liegt mit p(2t) < 0.001 sogar noch unter dem Signifikanzniveau einer 1%igen Fehlerwarhscheinlichkeit. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Mittelwerte des vermuteten Sachbildes der Mitarbeiterschaft den Mittelwerten der des eP-empfangenen Sachbildes der Bürger und Bürgerinnen im Durchschnitt nicht entsprechen. Der kleinere Mittelwert der N2P2 zeigt einen Negativitäts-Bias der Mitarbeiterschaft für das beim Bürger vermutete Urteil (vgl. Abb. 12.4.2). Trotzdem aber korrelieren die Mittelwerte mit r = .671 auf dem 1%-igen Signifikanzniveau (temp = 11.921; tkrit; α/2 =0.005; df =174 = 2.604) signifikant. Nach Cohen-Konvention ist die Korrelation als hoch einzustufen. Neben dem Befund einer hohe Korrelation der Mittelwerte beider
280
12 Ergebnisse
Gruppen N2P2 und N1P1 bei einem Negativitäts-Bias seitens N2P2 zeigt Abbildung 12.4.2 (Items innerhalb der Ellipsen) aber auch inakkurate Einschätzungen der Mitarbeiterschaft in Bezug auf die Umweltbewertung durch die Bürger. Inakkurate Erwartung negativer Urteile liegen bei den Items 9, 23, 28, 53, 66, 71, 94, 105, 110, 119, 134, und 170 vor: (Die Ziffern in Klammern geben die Fragenummern und Ergänzung der Struktupelbezeichnungen der Struktkombinationen N2P2. . . bzw. N1P1. . . aus den Fragebögen wieder): 9
Die Bürgerin oder der Bürger empfindet die Infothek als a) Hindernis auf ihrem oder seinem Weg. (1.6 a | . . . O1G7ORse3)
23
Die Infothek macht auf die Bürgerin oder den Bürger den Eindruck, hier in seinem Anliegen Unterstützung zu finden durch e) Bezahlmöglichkeit. (1.12 e | . . . O1USSE13)
28
Die Länge der Infothek wurde auf einen möglichst großen Abstand zwischen zwei gleichzeitig bedienten Bürgern ausgelegt. Bitte beurteilen Sie die nachfolgende Aussage: Die Diskretion empfindet die Bürgerin oder der Bürger als zufriedenstellend, auch wenn zwei Bürgern gleichzeitig bedient werden. (1.15 | . . . O1G2SE2)
53
Der Bürgerin oder dem Bürger wird das Warten vermutlich nicht lang, weil sie oder er hier Ablenkung findet durch a) bereitliegende Zeitschriften. (2.14 a | . . . O2USSE8)
66
Die Bürgerin oder der Bürger hat den Eindruck, der Sitzplatz lässt sich leicht in eine für sie oder ihn angenehme Sitzrichtung bringen. (2.20 | . . . O2USKsw4)
12.4 Akkuratheit der Perspektivenübernahme
Abbildung 12.4.2: Befund zur Akkuratheit der Perspektivübernahme
281
282 71
12 Ergebnisse Die Bürgerin oder der Bürger findet die Ablage für Garderobe, Tasche als bequem erreichbar. (2.25 | . . . O2USUke4)
94
Die Bürgerin oder der Bürger hat den Eindruck, dass der Raum eine ausreichende Diskretion für ihr oder sein Anliegen hier bietet, weil b) das Gespräch hier von anderen außerhalb des Raumes nicht mitgehört werden kann. (3.15 b | . . . O3OEa1SE7)
105
Die Bürgerin oder der Bürger hat den Eindruck, der Sessel/Stuhl lässt sich leicht in eine für sie oder ihn angenehme Sitzrichtung bringen. (3.24 | . . . O3USKsw4)
110
Die Bürgerin oder der Bürger empfindet die Ablage für Garderobe und Tasche als bequem erreichbar. (3.29 | . . . O3USUke4)
119
Die Bürgerin oder der Bürger empfindet Flure und andere Verbindungswege als angenehm kurz b) zu anderen Abteilungen des Rathauses. (4.6 b | . . . O4G2SE3)
134
Nachdem der Bürger oder die Bürgerin über die Sauberlaufzone im Haupteingang gegangen ist, hat er oder sie den Eindruck, dass a) seine oder ihre Schuhsohlen von eventuellem Schmutz sauber sind. (4.14 a | . . . O4OEh3Ss1)
170
Der Zugang zu den Toiletten b) ist für sie oder ihn aber dennoch gut zu finden. (5.12 b | . . . O5G3ORb2)
Positive Urteile wurden fälschlicherweise für die Fragen 17, 70, 76, 77, 84 und 174 erwartet: 17
Die Bürgerin oder der Bürger hat das Gefühl, dass ihre oder seine Angelegenheiten hier an der Infothek auch vertraulich
12.4 Akkuratheit der Perspektivenübernahme
283
behandelt werden, in Bezug auf b) Diebstahlmöglichkeit aus der Infothek durch Unbefugte“. (1.11 b | . . . O1G5SE7) 70
Die Bürgerin oder der Bürger hat den Eindruck, dass der Spielbereich von den Kindern gerne genutzt wird. (2.24 | . . . O2USSE9)
76
Der Zugang zur Beratungskabine wird auch von der Bürgerin oder dem Bürger als angemessen groß wahrgenommen für sie oder ihn c) mit einem Kinderwagen. (3.2 c | . . . O3G4AE3)
77
Der Zugang zur Beratungskabine wird auch von der Bürgerin oder dem Bürger als angemessen groß wahrgenommen für sie oder ihn d) mit einem Rollstuhlfahrer als Begleitperson. (3.2 d | . . . O3G4AE3)
84
Der Raum innerhalb der Beratungskabine wird auch von der Bürgerin oder dem Bürger als angemessen groß wahrgenommen, wenn d) einer von Beiden ein Rollstuhlfahrer ist. (3.6 d | . . . O3G2AE2)
174
Die Sicherheitseinrichtungen vermitteln dem Bürger oder der Bürgerin das Gefühl von b) kontrolliert zu werden (z.B. Videokameras). (5.14 b | . . . O5SASE5)
Für alle übrigen Items kann eine akkurate Vorhersage des Bürgerurteils durch die Mitarbeiterschaft angenommen werden. Die Auswahl der fehlgeschätzten Items über den Augenschein des Punktediagramms soll als deskriptive Analyse für diese Fallanalyse ausreichend sein.
284
12 Ergebnisse
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen Ein Teilbereich des Bürgerbüros dient der unmittelbaren Kommunikation zwischen der Mitarbeiterschaft und der Bürgerschaft; die Affordanzen dieses Umweltabschnittes sind für beide interaktionswirksam die gleichen und werden als relationale Affordanzen bezeichnet (vgl. Abschnitt 11.3.3); sie konstituieren relationale Umweltausschnitte, und für ihre Ergebnisdarstellung findet ein Nomenklaturwechsel statt (vgl. Abschnitt 11.3.4). Bezüglich dieser Affordanzen können die Beziehungen aus dem interpersonellen Diskrepanzdreieck (Abschnitt 6.1 und Abb. 6.1.2) vollständig untersucht werden. Die Akkuratheit, die im vorigen Abschnitt in der Abbildung 12.4.2 für die bürgerseitig angetroffene Umwelt (N1P1) im Urteilsvergleich der Mitarbeitervermutung und dem bürgerseitig empfangenen Sachbild (N2P2) dargestellt wurde, wird hier noch einmal nur für die Merkmale der relationalen Umwelt (B [UBrel ] ; M [B [UBrel ]]) gemäß dem Kategorienschema aus Abbildung 12.4.1 untersucht. Der Sachbildvergleich, ihre direktperspektivische Bewertung von Mitarbeiter- und Bürgerschaft (M [UMrel ]; B [UBrel ]), gibt die faktische eP-Übereinstimmung wieder (Abb. 12.5.1). Die Gegenüberstellung vom Sachbild der Mitarbeiter M [UMrel ] zu ihrem bürgerseitig vermuteten Sachbild M [B [UBrel ]] zeigt eine Konsens- oder Dissensvermutung (Abb. 12.5.2). Für die Dissensvermutung kann unmittelbar eine Dezentrierung des Urteils diagnostiziert werden, für die aber noch nicht entschieden werden kann, ob sie zutrifft oder nicht; Aufschluss darüber gibt erst ein weiterer Vergleich mit dem tatsächlichen, empfangenen Sachbild der Bürgerschaft und kann zu den Diskrepanztypen DTyp-2, DTyp-3, DTyp-5, D-Typ-6 und DTyp-7 aus Abbildung 6.1.4 führen. Für die Konsensvermutung hingegen bleibt unbe-
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 285 stimmt, ob es sich um eine Dezentrierung handelt, die zu gleichlautenden Urteilen führt, oder diese aus anderen Gründen gleich sind; ein Urteil ist aber dann egozentrisch, wenn zusätzlich das eP-Sachbild der Bürgerschaft von dem des Mitarbeiterstabes abweicht (DTyp-4). Liegen die Urteile aus allen drei Diskrepanzbeziehungen nah beieinander (DTyp-1), dann liegt ein ePiP-Konsens vor. Tabelle A.7.2 gibt die richtungsgebundene Diagnostik für die Mitarbeiterurteile nach Abbildung 6.1.5 wieder. Auf die relationale Umwelt entfallen 60 Items der Fragebogen. Eine neue Durchnummerierung der Items war erforderlich, weil zwar die Fragen zur Mitarbeitervermutung und zum Bürgersachbild eineindeutig aufeinander bezogen sind, aber in der Direktperspektive der Mitarbeiterschaft auf ihre Umwelt einige Aspekte zur relationalen Umwelt in ausdifferenzierteren Items abgefragt wurden und auch umgekehrt. Die betreffenden Items sind jeweils zusammengefasst und dann auf die Items der Bürgerschaft/Mitarbeitervermutung bezogen worden; aus ihren Itemmittelwerten wurden wiederum Mittelwerte berechnet. Damit die 60 Items mit denen aus Abschnitt 12.4 zusammen diskutiert werden können, sind sie in Tabelle A.7.3 einander zugeordnet sofern sie diagnostisch relevant wurden.
12.5.1 Akkuratheit der Mitarbeitervermutung zu Urel Der Akkuratheitsdiagnose der Mitarbeitervermutung gegenüber dem Bürgerschaftsurteil für relationale Affordanzen (Abb. 12.5.3) liegt auch hier das Bewertungsschema der Abb. 12.4.1 zugrunde. Der Mittelwertsunterschied ist bei einer α-Fehlerwahrscheinlichkeit von 5% signifikant (temp = -2.254), wenn auch kleiner als in der Akkuratheitsdiagnose aus Abschnitt 12.4. Der dort gefundene Negativitäts-Bias zeigt sich hier also ebenfalls. Auch der Unterschied in der Standardabweichung SD ist deutlich kleiner. Mit einer auf dem 1%-igen Signifikanzniveau (temp = 4.004) signifikanten Korrelation
286
12 Ergebnisse
Abbildung 12.5.1: Kategorien der eP-Übereinstimmung Sachbild
von r = .469 liegt eine mittlere Korrelation mit Potential von Abweichungen vor; sie ist kleiner als über alle Affordanzen der Bürgerumwelt. Als inakkurat negativ können die Items 10, 11, 30, 50, 56, 57, 58 und 59 identifiziert werden; inakkurat positiv sind dagegen die Items 9, 28, 29, 33, 34, 37 und 38 (zu den Iteminhalten vgl. Tab. A.7.1 und A.7.3).
12.5.2 Faktische Übereinstimmung zu Urel Der Analyse der faktischen eP-Übereinstimmung zwischen dem Sachbild der Bürgerschaft und dem der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf relationale Affordanzen (Abb. 12.5.4) liegt das Bewertungsschema der Abb. 12.5.1 zugrunde. Der Mittelwertsunterschied, obwohl annähernd identisch zur Ak-
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 287
Abbildung 12.5.2: Kategorien der Konsens- u. Dissensvermutung der Mitarbeiter
kuratheitsdiagnose, erreicht bei einer α-Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,05 (temp = -1.87) wegen des gößeren Unterschiedes in der Standardabweichung nicht das Signifikanzniveau. Mit r = .493 korrelieren die Wert ebenfalls signifikant (temp = 4.318) auf einem mittleren Niveau und lassen auch hier noch Abweichungen erkennen. Die Items 8, 10, 12, 20, 50, 52, 56 und 57 werden von der Bürgerschaft positiver beurteilt als von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern; negativer beurteilt werden dagegen die Items 9, 15, 28, 33, 34, 37 und 38. (zu den Iteminhalten vgl. Tab. A.7.1 und A.7.3)
288
12 Ergebnisse
12.5.3 Konsens-/Dissensvermutung der Mitarbeiterschaft zu Urel Eine Auswertung der mitarbeiterseitigen Vermutung zum Bügerschaftsurteil auf einen Konsens oder Dissens zu ihrer eigenen Affordanzbeurteilung für die relationalen Umweltausschnitte nach dem Kategorienschema aus Abbildung 12.5.2 zeigt Abbildung 12.5.5. Es besteht kein signifikanter Mittelwertsunterschied (temp = -0.13) bei hoher signifikanter Korrelation der Werte nach Cohen-Konvention (temp = 7.028). Es sind die Urteilsvermutungen vorwiegend konsensual zu den eigenen. Allerdings stehen einige Vermutungen im Dissens zur eigenen Bewertung und zeigen eine explizite Dezentrierung in positive Richtung an; die Mitarbeiter vermuten für die Items 8, 12, 20, 29 und 52 bessere relationale Affordanzen für die Bürgerschaft als für sich selbst. In keinem Fall werden die Affordanzen als sichtbar schlechter für die Bürger vermutet. (zu den Iteminhalten vgl. Tab. A.7.1 und A.7.3)
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 289
Abbildung 12.5.3: Mitarbeitererwartung M [B [uBrel ]] (N2P2) im Vergleich zu tatsächlichen Bürgerschaftsurteilen B [uBrel ] (N1P1) relationaler Affordanzen
290
12 Ergebnisse
Abbildung 12.5.4: eP-Übereinstimmung der Mitarbeiterurteile M [uMrel ] (N2P1) im Vergleich zu Bürgerschaftsurteilen B [uBrel ] (N1P1) zu relationalen Affordanzen
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 291
Abbildung 12.5.5: Dezentrierung der Mitarbeiterurteile vom eigenen Sachbild M [uMrel ] (N2P1) zum bürgerseitig vermuteten Sachbild M [B [uBrel ]] (N2P2) auf die relationale Umwelt
292
12 Ergebnisse
12.5.4 Diskrepanzdiagnostik Einen Vergleich der faktischen Übereinstimmung mit der Akkuratheitsdiagnostik zeigt die Tabelle 12.5.2; es sind die Richtungen der eP-Übereinstimmung (Abb. 12.5.4) denen der Akkuratheitsdiagnose (Abb. 12.5.3) gegenübergestellt; der Tabelle 12.5.1 sind die zugehörigen Richtungstypen zu entnehmen, die wiederum in Tabelle 6.1.1 im Abschnitt 6.1 den Diskrepanztypen zugeordnet waren. Es sind sieben der 13 Diskrepanzrichtungen eindeutig ablesbar (vgl. Tab. 12.5.1). Bei fehlender Übereinstimmung und akkurater Vermutung haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dezentriert geurteilt und gleichzeitig mit einer besseren Einschätzung als für sich selbst mit den Items 8, 12, 20 und 52 das Urteil der Bürgerschaft getroffen (DTyp-2 mit RTyp 10). Ebenfalls dezentriert, aber inakkurat in falschem Konsens (False Konsensus ) ist in den Items 10, 50, 56 und 57 geurteilt worden; es sind noch verschiedene Diskrepanz- und Richtungstypen möglich (DTyp 3, 4 und 5; RTyp 4, 9 und 3). Das trifft auch für die Items 9, 28, 33, 34, 37 und 38 zu, nur ist bei den gleichen in Frage kommenden Diskrepanztypen der False Konsensus gegenläufig zum vorigen (RTyp 1, 12 und 6). Die eP-Übereinstimmung zusammen mit einer inakkuraten Vermutung zeigt für die Items 11, 30, 58 und 59, sowie für die Items 15, und 29 den Diskrepanztyp eines False Dissensus (DTyp-6); nur unterscheiden sich die beiden Itemgruppen durch den Richtungstyp; für die erste Gruppe trifft der RTyp 8 zu, in dem die Mitarbeiterschaft glaubt die Bürgerschaft hätten schlechtere Bedingungen obwohl sie doch bei beiden gleich gut sind; in der zweiten Itemgruppe denkt die Mitarbeiterschaft mit dem RTyp 11 genau entgegengesetzt; sie vermutet also bessere Affordanzen für die Bürgerschaft angesichts tatsächlich gleicher für beide. Für alle anderen Items trifft mit dem Diskrepanztyp 1 auch der RTyp 13 zu: es liegt in interner und externer Perspektive Konsens vor.
akkurat
inakkurat
=
>
<
Diskrepanzpaare
RTyp 10
RTyp 5
=
>
>O
>O
>O>
RTyp 3
>O
>O=
>
RTyp 9
RTyp 4
O<
>
=
>O> RTyp 7 O >
RTyp 6
RTyp 12
RTyp 1 O >
>
|
=O>
und
RTyp 2 O >
O>
keine Übereinstimmung
Tabelle 12.5.1: Richtungstypen aus den Perspektivdiskrepanzpaaren O| O = M [uMrel ]; = B [uBrel ]; = M [B [uBrel ]]
RTyp 13
RTyp 11
RTyp 8 O =
O=
=O
=O=
>
>
Übereinstimmung
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 293
294
12 Ergebnisse
Tabelle 12.5.2: Matrix der Perspektivdiskrepanzen keine Übereinstimmung
inakkurat
akkurat
Übereinstimmung
Items für:
M [uMrel ] < B [uBrel ]
M [uMrel ] > B [uBrel ]
M [uMrel ] = B [uBrel ]
M [B [uBrel ]] < B [uBrel ]
10, 50, 56, 57
Ø
11, 30, 58, 59
M [B [uBrel ]] > B [uBrel ]
Ø
9, 28, 33, 34, 37, 38
15, 29
M [B [uBrel ]] = B [uBrel ]
8, 12, 20, 52
Ø
alle anderen Items
Die Unbestimmtheit der Diskrepanz- und Richtungstypen für die Items 10, 50, 56 und 57, sowie 9, 28, 33, 34, 37 und 38 kann in gleicher Weise wie in der vorangegangenen Matrix über zwei weitere Matrizen in der Gegenüberstellung von eP-Übereinstimmung zur Konsens-Dissens-Vermutung (Abschnitt 12.5.3, Abb. 12.5.5) und diese wiederum zur Akkuratheitsdiagnose in definierte Typen überführt werden. Das kann bei dieser kleinen Anzahl aber genauso gut mit geringerem Aufwand durch eine Mittelwertgegenüberstellung der betreffenden Items geschehen. Das zeigt die nachfolgende Tabelle 12.5.3. Im Anhang weist Tabelle A.7.1 allen gefundenen Items und Richtungstypen die Iteminhalte zu und Tabelle A.7.3 ordnet die Itemnummern der relativen Affordanzen den Itemnummer der Bürgerumwelt (UB ) und der Mitarbeiterumwelt (UM ) zu (vgl. 2. Absatz Abschnitt 12.5); außerdem sind den Items bisherige Befunde aus den Abschnitten 12.2, 12.3 und 12.4 zugeordnet, wenn sie vorhanden sind; es wurde dort ja noch nicht nach relationalen Affordanzen unterschieden.
12.5 Akkuratheit, Übereinstimmung, Konsens-/Dissensvermutungen 295 Tabelle 12.5.3: RTyp-Bestimmung für die Items mit Mehrfachvalenz O = M [uMrel ]; = B [uBrel ]; = M [B [uBrel ]]
Item
M [uMrel ]
B [uBrel ]
M [B [uBrel ]]
RTyp
9
5,22
4,63
5,44
RTyp 6
>O>
10
4,11
5,20
3,80
RTyp 3
>O>
28
5,70
4,50
6,00
RTyp 6
>O>
33
5,40
4,91
5,50
RTyp 6
>O>
34
5,40
4,80
5,50
RTyp 6
>O>
37
6,22
4,65
5,60
RTyp 1 O >
>
38
6,11
4,60
5,50
RTyp 1 O >
>
50
3,20
4,95
3,50
RTyp 4
>
>O
56
4,80
6,03
5,00
RTyp 4
>
>O
57
4,50
6,12
5,11
RTyp 4
>
>O
13 Diskussion 13.1 Das Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt und seine Perspektivendifferenzierung Der Ausgangspunkt dieser Arbeit war einerseits Nerdingers (1994, S. 231) Feststellung, dass eine empirische Forschung zur dienstleistungsadäquaten Gestaltung einer räumlich gegenständlichen Umwelt auf der Basis eines gemeinsam geteilten Erlebens der Dienstleistungsakteure fehlt; andererseits war vom Verfasser ein nutzerspezifisches Programm für die Gestaltung eines Bürgerbüros, einer kommunalen Dienstleistungsumwelt, zusammen mit einer der beiden Nutzergruppen Dienstleister und Bediente entwickelt worden (Abschnitt 8); das Bürgerbüro ist realisiert worden, und das Ergebnis stand zur Evaluation an. Die Formulierung der Ziele und Anforderung der PE orientierte sich am Vorschlag Nerdingers, die Aspekte der Umweltgestaltung nach funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Kriterien zu differenzieren; die damit auftretenden Probleme (Abschnitt 8.1.5.2) begründeten die Notwendigkeit einer geeigneteren Struktur. Zu Beginn der Suche stand die theoretische Analyse des interaktionalen Dienstleistungsgeschehens (Abschnitt 2) auf seine Struktur (Abschnitt 2.1), die Interaktionsformen (Abschnitt 2.3), die soziale (Abschnitt 2.4) und kognitive (Abschnitt 2.5) Organisation und das Handeln innerhalb der Dienstleistung (Abschnitte 2.2 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1_14
298
13 Diskussion
und 2.6), vorwiegend basierend auf Nerdinger (1994). Es war aber eine Dienstleistung nach dem Äquivalententausch, wie sie Nerdinger hauptsächlich im Blick hatte, von der kommunalen Dienstleistung, um die es sich im Bürgerbüro handelt, zu unterscheiden (Abschnitt 3); zwei wesentliche Unterschiede bestehen in einem Spannungsfeld zwischen organisationell bedingter Struktur und gesellschaftspolitischer Werte (Abschnitt 3.1) und einem Ungleichgewicht der Machtverteilung (Abschnitt 3.2); ihre Wirksamkeit wurden in Abschnitt 3.3 diskutiert. Das Dienstleistungsgeschehen im Bürgerbüro ist ein Behavior Setting nach Barker (Abschnitt 4.1), und das Setting wurde, Kaminski und Bauer (1986) folgend, paradigmatisch klassifiziert (Abschnitt 9.1). Das Affordanzkonzept von Gibson (Abschnitt 4.2) bot eine Möglichkeit, die Ziele und Anforderungen der Programmentwicklung in Umweltangebote umzuformulieren (Abschnitt 9.2), mit dem Vorteil, dass implizite Annahmen in der PE expliziter und auf dem Hintergrund der interaktionstheoretischen Analyse herausgearbeitet werden konnten (Abschnitt 9.2); eine Unterscheidung von Affordanzen der Umwelt (Abschnitt 9.4) zu der Umwelt als Träger der Affordanzen (Abschnitt 9.3) drängte sich dabei auf. Sowohl das Behavior-Setting- als auch das Affordanzkonzept lassen sich theoretisch (Abschnitt 4.3) und auch praktisch ineinander überführen, indem die psychologisch wirksamen Affordanzen als Konstituenten des – bei Barker noch als nonpsychologisch benannten – Milieus betrachtet werden. Gerade die intra- und interindividuelle psychologische Wirksamkeit von Affordanzen können das gemeinsam geteilte Erleben der Dienstleistungsbeteiligten begründen, das als eine nach Nutzergruppen differentielle Perzeption der gegenständlichen Umwelt unter einer gemeinsamen finalen Prozessausrichtung (Abschnitt 5.1) definiert und von geteilten sozialen Repräsentationen aus einem sozialperspektivischen Sprachgebrauch unterschieden wurde (Abschnitt 6.2). Die gegenständliche, antreffbare Umwelt zerfällt
13.1 Facettenstruktur und Perspektivendifferenzierung
299
darin in nutzerspezifisch differentiell angetroffene Umwelten (Abschnitt 5.3) mit Überschneidungsbereichen, die in der finalen Ausrichtung des Interaktionsprozesses der Dienstleistung begründet sind. Umweltausschnitte mit relationalen und gemeinsamen, aber disjunkten Affordanzen sind solche Überschneidungen und unterscheiden sind von denjenigen mit ausschließlich disjunkten Umweltangeboten (Abschnitt 11.3.3), die für jeweils eine Nutzergruppe salient sind – wie beispielsweise dem Mitarbeiterstab des Bürgerbüros für instrumentelle Dienstleistungshandlungen. Die Modellannahme dazu für zwei Nutzergruppen zeigt Tabelle 13.1.1. Aus Affordanzträgern und Affordanzen konnte im Abschnitt 10 das Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt ’Bürgerbüro’ gewonnen werden. Die räumlich physische Umwelt, der Affordanzträger (Abschnitt 10.1) aus raumbildenden Flächen, Raumobjekten und technischen Anlagen wird in ihrer Gegenständlichkeit und den Oberflächeneigenschaften wahrgenommen; sie ist zusammen mit dem Zwischenraum Erlebens-, sowie Bewegungs- und Handlungsraum und bietet Stau- und Stellraum für Objekte; der Zwischenraum ist gefüllt mit der Raumluft, dem Medium Gibsons. Die Affordanzen (Abschnitt 10.2) sind teils genereller Natur, teils nutzungsabhängig verschieden. Generalisierbar sind die Affordanzen Sicherheit und Umweltergonomie bzw. Wohlbefinden, sowie Kontrolle und Orientierung. Die Kontroll- und Orientierungsaffordanzen sind zweifach gerichtet: einerseits auf eine Orientierung innerhalb der Sicherheits- und umweltergonomischen Affordanzen und ihrer Kontrolle und andererseits darauf, die Affordanzen des instrumentellen und sozialen Handelns zu kontrollieren und sich innerhalb dieser auch zu orientieren. Die Ausgestaltung arbeits- und bewegungsergonomischer (instrumentelles Handeln) und sozialergonomischer (soziales Handeln) Affordanzen sind dagegen weitgehend abhängig von der spezifischen Umweltnutzung.
UN1 N2 gem = n o ˙ N UN1 | affN1 ∪aff 2
UN dis j = 1 n o UN1 | affN1 6= affN2
UN1 = UN1 rel ,UN1 N2 gem ,U N1 dis j
UN rel = 1 n o UN1 | affN1 ∩ affN2
n o UN1 = affN11 , affN12 , ..., aff N1n
UN1 N2 gem = n o ˙ N UN2 | affN1 ∪aff 2
Udis j = n o UN2 | affN2 6= affN1
UN2 = UN2 rel ,UN1 N2 gem ,UN2 dis j
UN rel = 2 n o UN2 | affN2 ∩ affN1
n o UN2 = affN21 , affN22 , ..., aff N2n
n-fach angetroffene Umwelt UN für n = 2 Nutzergruppen
Antreffbare Umwelt U
Tabelle 13.1.1: Allgemeines Modell einer affordanzbasierten [aff] Differenzierung der Dienstleistungsumwelt
300 13 Diskussion
13.1 Facettenstruktur und Perspektivendifferenzierung
301
In einem gemeinsam geteilten Erleben der Dienstleistungsumwelt ist die Erwartung, welche die Dienstleistungsakteure an diese Umwelt richten, ein impliziter Maßstab für einen Vergleich (Abschnitt 6.2). Die Erwartung ist skriptgesteuert (Abschnitt 2.5) und eine ePiP-geteilte soziale Repräsentation. Für die Programmentwicklung des Bürgerbüros konnte nur der Mitarbeiterstab gewonnen werden. Seine Vorstellungen für sich selbst und auch für die bei der Bürgerschaft vermuteten waren Ausgangspunkt des Ziel- und Anforderungskataloges; ob er letztere aber auch zutreffend voraussagen konnten, war zwar aufgrund des professionellen Hintergrundes zu erwarten, aber auch inakkurate Vermutungen mussten in Rechnung gestellt werden. Mit einem sozialperspektivischen Ansatz (Abschnitt 6.1) war es möglich, die Akkuratheit der mitarbeiterseitigen Vermutung zu den Bedarfen der Bürgerschaft zu analysieren. Zunächst musste aufgrund der nutzergruppenspezifisch unterschiedlich angetroffenen Dienstleistungsumwelt (Abschnitt 6.2) davon ausgegangen werden, dass ausschließlich eine Akkuratsdiagnose (Abschnitt 12.4) möglich sein würde, da hier das Sachbild der Bürgerschaft mit dem bei ihr vermuteten Sachbild bezogen auf die bürgerseitig angetroffene Umwelt verglichen wird; der Sachbildgegenstand beider Perspektiven ist damit identisch. Mit der Entdeckung der relationalen Umweltausschnitte, welche beiden Gruppen auch als angetroffene Umwelt gemeinsam sind, waren für diese auch Perspektivdiskrepanzanalysen (Abschnitt 12.5) möglich geworden. Letztlich können aber auch gemeinsam disjunkte Affordanzen in diese Analyse einbezogen werden; denn es kann für die Beziehungsgestaltung der Dienstleistungsbeteiligten auch von Bedeutung sein, ob beispielsweise die taktile Qualität von Oberflächen für den Einen wie für den Anderen angenehm ist (vgl. Abschnitt 11.3.3) oder über die Verkehrswege sozial geteilte Zonen gut erreichbar sind oder nicht. Der sozialperspektivische Ansatz bietet ein erhebliches Explorationspotential beispielsweise im Vergleich verschiedener Behavior Settings BS-typische Ausprägungen von Perspektiv-
302
13 Diskussion
diskrepanzen zu untersuchen; das kann zur Einschätzung der Salienz von nutzerorientierten Bedürfnisanalysen dienen, wenn dazu nur eine oder nicht alle Nutzergruppen befragt werden können. Die architekturpsychologische Forschung von Rotraud Walden (2008) gab den Anlass, den facettentheoretischen Ansatz (Abschnitt 7) zu nutzen, um inhaltlich und methodisch die vielzahligen Aspekte der Affordanzen und Affordanzträger zusammen mit den Umweltabschnitten des Bürgerbüros, den Nutzergruppen und ihren Perspektiven auf die angetroffene Umwelt bewältigen zu können. Die Facetten des Strukturmodells der Dienstleistungsumwelt, der Nutzergruppen und die ihrer Perspektiven konnten über diese Methode in einen Abbildungssatz (Abschnitt 11.2.1) überführt werden, auf dessen Grundlage sich inhaltlich begründete Fragen für die spätere Evaluation formulieren ließen. Außerdem ist es damit möglich, noch vorhandene Mehrfachvalenzen (Abschnitt 8.1.5.2) einzelner Affordanzen, von denen es immer noch einige gibt, in statistischen Auswertungen eindeutig entweder der einen oder anderen Facette oder Subfacette zuordnen zu können. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass mit dem Facettenstrukturmodell der Dienstleistungsumwelt eine Grundlage geschaffen ist, über die Affordanzen und Affordanzträger einer kommunalen Dienstleistungsumwelt identifiziert, inhaltlich gruppiert und in eine begründete Beziehung untereinander und zueinander gebracht sind. Einige Facetten sind auch über den spezifischen Fall hinaus generalisierbar, andere werden BSspezifisch neu zu entdecken und zu ergänzen sein, wiederum andere werden je nach Umweltnutzung entfallen. Das Modell ist die Basis für die Formulierung eines facettentheoretischen Abbildungssatzes, um gebaute Räume evaluieren, aber auch unentdeckte Zusammenhänge explorieren zu können. Beispielsweise können BS-spezifische Affordanzkombinationen und/oder zugeordnete Strukturen der Affordanzträger zu einer Planungsgrundlage in der Umweltgestaltung werden; dem liegt auch der Gedanke an BS-typische
13.2 Erhebungsergebnisse
303
Strukturmodelle zugrunde. In jedem Fall wäre es wünschenswert, wenn die Facette der Ästhetik ergänzt werden könnte; diese ist explizit und nicht zuletzt auch wegen zu wenig geeigneter Forschungsergebnisse in diesem Bereich ausgeschlossen worden; jeder Architekt oder Innenarchitekt wird sie unmittelbar vermissen. Auch restorative Qualitäten, Affordanzen der Erholung und Gesundheitsförderung, sind kein Teil dieser Analyse; sie haben im Bürgerbüro keine Funktion, aber kommen beispielsweise für andere Arbeitsumwelten in Frage und treten sicher für Umwelten aus Gesundheit und Wellness deutlich hervor. Die Entwicklung diese Modells war fallbezogen und heuristischer Natur; ein eigenes Projekt des Verfassers war die Grundlage; schon in der Programmentwicklung sind die funktionalen und atmosphärisch-emotionalen Kriterien nicht wissenschaftlich fundiert generiert worden, sondern aus dem intuitiven Verständnis der Verfassers heraus; wenn auch mit der Vorerfahrung als Innenarchitekt eine professionelle Sicht unterstellt werden kann, so ist das die Sicht des und nur eines Umweltgestalters. Die Übersetzung der Ziele und Anforderungen in Affordanzen und deren inhaltliche Ordnung unterliegen der gleichen Beschränkung. Zukünftig sollte das Modell nach qualitativen und und quantitativen Methoden validiert werden. Es kommen beispielsweise Interviews von Umweltnutzern und Umweltgestaltern oder eine Vielzahl an Innenraumevaluationen und ihre faktorenanalytische Auswertung in Frage.
13.2 Erhebungsergebnisse 13.2.1 Gesamtbild Die Umweltbewertung war auf einer siebenstufigen Skala (vgl. Abschnitt 11.2.1) vorzunehmen, wobei mit 7 (voll und ganz zutreffend) der höchste Wert vergeben werden konnte. Items mit inverser Abfrage wurden vor
304
13 Diskussion
der Auswertung so invertiert, dass sie mit einem hohem Wert als positiv und mit einem niedrigen Wert als negativ interpretiert werden können. Die Häufigkeitsverteilungen der Zutreffensantworten (Abb. 12.2.1, 12.2.2 und 12.2.3) und die Mittelwerte (Abb. 12.2.4), jeweils für die Bürgerschaft, die Mitarbeiterschaft und das mitarbeiterseitig beim Bürger vermutete Sachbild, zeigen eine durchaus positive Einschätzung des Bürgerbüros, die der Mitarbeiterstab auch für die Bürgerschaft annimmt. Der Modalwert der Antworthäufigkeiten liegt bei 6 (trifft zu), die Mittelwerte über alle Items liegen jeweils deutlich höher als 5,00. Die beste Beurteilung des Bürgerbüros (MW 5,78) wurde von den Bürgern abgegeben. Der prozentuale Anteil positiver Antworten liegt bei der Bürgerschaft bei 75,52%, bei der Mitarbeiterschaft bei 73,87% und im vermuteten Bürgerschaftsurteil bei 72,84%; negative und neutrale Antworten wurden bürgerseitig zu 6,77% bzw. 4,31% und mitarbeiterseitig zu 13,17% bzw. 7,16% gegeben und für die Bürgerschaft zu einem Anteil von 9,26% bzw. 12,27% angenommen. Im Säulendiagramm der Bürgerantworten (Abb. 12.2.1) sind 14,39% der potentiellen Antwortmöglichkeiten als nicht beantwortet verzeichnet; sie sind im Vergleich zu den Mitarbeiterantworten (5,8% für N2P1 und 5,63 % für N2P2) mehr als doppelt so hoch; das begründet sich wesentlich aus der Entscheidung, wie mit den ungleichzahligen partiellen Bürgerfragebögen umzugehen sei (vgl. Abschnitt 11.3.2). Insgesamt bewertet die Bürgerschaft das Bürgerbüro (vgl. Abschnitte 12.2 und 12.4) besser als es der Mitarbeiterstab vermutet und auch die eigene Umwelt einschätzt; alle Bewertungen zeigen aber mit Mittelwerten > 5.00 eine sehr positive Einschätzung. Auffällig sind die niedrigeren Varianzen zwischen Bürgerurteilen gegenüber denen der Mitarbeiter. Es könnte zu einer selektierten Stichprobe der Bürgerinnen und Bürger gekommen sein; möglicherweise haben überwiegend Personen an der Befragung teilgenommen, die zu einer positive Wahrnehmung des Bürgerbüros neigen;
13.2 Erhebungsergebnisse
305
die Neigung kann sowohl durch eine positive Grundhaltung zur kommunalen Dienstleistungseinrichtung hervorgerufen sein, wie auch durch einen guten Eindruck von der Gestaltung des Bürgerbüros oder einer erlebten Freundlichkeit des Mitarbeiterstabes. Andersherum zeigt es mitarbeiterseitig einen differenzierteren Blick auf ihre Arbeitsumwelt und die bürgerseitig vermutete Wahrnehmung. Im Abschnitt 13.2.4 wird dazu auch die nutzergruppenspezifische Konsistenz im Urteil innerhalb der Items diskutiert. Die durchgängig bessere Bewertung der Bürgerschaft bestätigt sich auch, wenn die Facetten der Umweltabschnitte oder der Affordanzen – hier aber mit einer Ausnahme – gesondert betrachtet werden. Die Subfacetten der Umweltabschnitte (Abb. 12.2.5) sind die Teilbereiche Infothek, Wartezone, Beratungsräume und Verkehrswege, sowie das Bürgerbüro als ein Gesamtes, das die einzelnen Zonen umfasst. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermuten bei den Bürgern zwar eine gute, aber in allen Subfacetten doch weniger gute Bewertung, als es dem tatsächlichen Sachbild der Bürgerschaft entspricht. In den beiden Raumzonen ’Infothek’ und ’Beratungsbüros’ entfallen auf das Sachbild der Mitarbeiterschaft zu ihrer Arbeitsumwelt auch hier annähernd eine doppelte Anzahl an Fragen und damit Struktupel. Ihre Urteilsmittelwerte für diese beiden Abschnitte sind niedriger als die Urteile, die sie bei den Bürgerinnen und Bürgern vermuten. Das trifft nicht auf die Urteilsmittelwerte für die übrigen Zonen zu; sowohl die Wartezone, als auch die Verkehrswege und das Bürgerbüro als Gesamtes sind im Sachbild der Mitarbeiterschaft besser bewertet, als es für die Bürger und Bürgerinnen vermutetet wird. Die Infothek und die Beratungsbüros sind Daueraufenthaltsplätze für den interaktiven Arbeitsprozess; beide bewerten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar hoch, aber die Bürgerschaft doch noch höher. Die Ordnung der Ergebnisse nach Subfacetten der Affordanzen (Abb. 12.2.6) in Arbeits- und Bewegungsergonomie, Kontrolle, Orientierung, So-
306
13 Diskussion
zialergonomie, Sicherheit und Umweltergonomie zeigt, mit Ausnahme für die erste Facette, die bereits beobachteten Unterschiede zwischen Mitarbeiterstab und Bürgerschaft; allein die Arbeits- und Bewegungsergonomie wird von der Mitarbeiterschaft für die eigenen Belange besser beurteilt; es kann aus der vergleichsweise hohen Itemanzahl (78) abgelesen werden, dass sie als genuiner Bereich instrumentellen Handelns in der Berufsausübung hoch ausdifferenziert ist; sie erreicht mit einem Mittelwert von 5,92 den höchsten Wert im Mitarbeitersachbild der Affordanzen. Im Facettenstrukturmodell und Abbildungssatz war die Facette eines ästhetischen Gesamteindrucks noch nicht enthalten; sie ist erst später aus projektspezifischem Interesse dem Fragebogenaufbau mit vier Items hinzugefügt (vgl. Fußnote 3 in Abschnitt 11.2.2) und in die Grafik der Affordanzen übernommen worden. Im Bürgerurteil erreicht sie mit einem Mittelwert > 6,00 die beste Bewertung überhaupt; wenn auch die Mitarbeiterschaft davon ausgeht, dass die Bürgerschaft das Bürgerbüro weniger ansprechend gestaltet finden als sie selber es tatsächlich tun, sprechen sie der ästhetischen Gestaltung mit einem Mittelwert von 5,92 auch ihre eigenes höchstes Lob zu; einschränkend muss aber die sehr kleine Anzahl der Items (n=4) in Rechnung gestellt werden, über die ein Urteil überhaupt ermöglicht wurde.
13.2.2 Zehn beste Affordanzen Aus den jeweils zehn bestbewerteten Affordanzen des Bürgerbüros betreffen viele die Infothek. Allein in der Bürgerschaftsbewertung sind es dazu acht Aspekte: die Sichtbarkeit und Erreichbarkeit vom Eingang aus (Item 1 und 2), die Infothek als räumlicher Anlauf- und Orientierungspunkt (Item 7) und als erste Orientierung, wo das eigene Anliegen vorgetragen werden kann (Item 18) sowie ihre günstige Lage für weitere Auskunftserteilung (Item 5) und eine barrierefreie Face-to-Face-Kommunikation, ohne dass Displays,
13.2 Erhebungsergebnisse
307
Bildschirme oder anderes den Dialog mit dem Empfangspersonal behindern (Item 3); sie wird auch nicht als Hindernis auf dem Weg gesehen, sondern als ein willkommener Anlaufpunkt (Item10); außerdem wird sie als sehr gepflegt wahrgenommen (Item 11). Für die Items 1 und 2 vermutet das der Mitarbeiterstab bei der Bürgerschaft ebenfalls und außerdem noch für die Erreichbarkeit und den Zugriff auf das Informationsmaterial (Item 29 und 30). In der Bewertung für eigene Belange sind der Blick auf den Eingang von der Infothek aus (Item 6) und ihre Lage im Raum für einen angemessenen Empfang der Bürgerinnen und Bürger (Item 10) besonders hervorgehoben. Die Tatsache, dass in der POE des alten Bürgerbüros festgestellt worden war, dass die Bürgerschaft beim Eintritt ins Gebäude der Stadtverwaltung oftmals das Bürgerbüro nicht wahrgenommen hat, obwohl es im selben Raum und im direkten Sichtfeld vom Eingang aus gelegen war, hebt diesen ausschnitthaften Befund für die Infothek im Vergleich besonders heraus. Die Erreichbarkeit des Bürgerbüros über die Haupteingangstreppe (Item 112) und die Erreichbarkeit der Wartezone (Item 37) sind zwei weitere Qualitäten aus den besten Bürgerschaftsurteilen, die von den Mitarbeitern auch bei ihnen vermutet wurden; für sich selber sehen sie neben der Erreichbarkeit des Bürgerbüros über die Treppe (Item 165) auch diejenige über den Aufzug (Item 166) als sehr gut an. Die Erreichbarkeit über den Aufzug spricht das Item 113 aus der Bürgerschaftsbewertung N1P1 mit einem Mittelwert von 5,42 und der dort vermuteten Bewertung N2P2 mit einem Mittelwert von 5,90 an; für die Bürger und Bürgerinnen vermutet der Mitarbeiterstab also schon eine schlechtere Eignung als für sich und überschätzt damit noch die noch geringere Eignungswahrnehmung der Bürgerschaft; es kann angenommen werden, dass die Vermutung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter niedriger ist, weil sie nachrichtlich bis zum Zeitpunkt der Erhebung bereits die Erfahrung gemacht haben, dass manche Bürgerinnen und Bürger den Aufzug (links neben der Treppe in Abb. 13.2.1) nicht gesehen haben.
308
13 Diskussion
Abbildung 13.2.1: Eingang Rathaus mit Aufzugsanlage
Ein Hinweis in dieser Richtung war auch einem Kommentar aus einem Bürgerfragebogen zu entnehmen, und die hohe Antwortvarianz der Bürgerschaft in diesem Item spricht ebenfalls dafür (vgl. auch nachfolgenden Abschnitt 13.2.4); es kann dann nachvollzogen werden, dass die Bewertung der Bürgerschaft noch niedriger, wenngleich auch immer noch gut ist. Das ist ein gegenläufiger Befund zu dem eines generell besseren Eindrucks vom Bürgerbüro bei der Bürgerschaft.
13.2 Erhebungsergebnisse
309
Die Größe des Zugangs zum Beratungsraum für sich und jeweils eine oder zwei weitere Personen (Item 74 und 75 für N2P2 und Item 98 - eine Person - für N2P1) schätzt die Mitarbeiterschaft im eigenen Sachbild und für die Bürger als sehr gut ein. Die Mittelwerte für diese Affordanzen mit einem Kinderwagen oder aber eine rollstuhlfahrende Person, liegen in beiden Perspektiven niedriger (Item 76 und 77 für N2P2; Item 100 und 101 für N2P1), aber immer noch sehr gut. Allerdings trifft auch hier der vorher festgestellte gegenläufige Befund zu, dass die Bürgerschaft diese Qualitäten weniger gut beurteilt (Item 74, 75, 76, und 77 für N1P1); vor allem das Platzangebot für Kinderwagen und Rollstuhl wird mit unterdurchschnittlichen Werten deutlich schlechter eingeschätzt (vgl. Tab. 13.2.1). Tabelle 13.2.1: Mittelwertgegenüberstellung für die Zugangsgröße des Beratungsraumes (MW aus den 10 Besten kursiv)
Zugangsbreite Beratungsraum Item für:
N1P1
N2P2
Item für:
N2P1
Nr.
MW
MW
Nr.
MW
MA mit 1 Person
74
6,06
6,50
98
6,67
MA mit 2 Personen
75
5,91
6,40
99
6,44
MA mit 1 Person mit Kinderwagen
76
4,65
5,60
100
6,22
MA mit Rollstuhlfahrer/in und Begleitperson
77
4,60
5,50
101
6,11
310
13 Diskussion Für die Größe des Beratungsraums kann annähernd die gleiche Aus-
sage getroffen wie für seinen Zugang: Die Raumgröße für sich selbst und eine weitere Person wird mitarbeiterseitig sehr gut bewertet (Item 94) und in absteigender Reihenfolge für die Situationen a) mit einer dritten Person (Item 95), b) einem Kinderwagen (Item 96) und c) einer rollstuhlfahrenden Person (Item 97) immer noch gut. Das wird für die Bürger mit Ausnahme der Situation mit Kinderwagen oder Rollstuhl etwas zurückhaltender gesehen. Auch hier ist die Bürgerschaft der Ansicht, dass zumindest in den Situationen, in denen sie nicht allein anwesend sind, die Affordanzqualität schlechter einzuschätzen ist (vgl. Tab. 13.2.2). Der Befund kann für zukünftige Planungen hilfreich sein und im Spannungsfeld zwischen Raumbedarf und gebäudeseitigem Raumangebot zu einer höheren Gewichtung des Bewegungsraumes für diese Fälle führen.
13.2 Erhebungsergebnisse
311
Tabelle 13.2.2: Mittelwertgegenüberstellung für die Größe des Beratungsraumes (MW aus den 10 Besten kursiv)
Größe Beratungsraum Item für:
N1P1
N2P2
Item für:
N2P1
Nr.
MW
MW
Nr.
MW
MA mit 1 Person
81
6,11
6,10
94
6,60
MA mit 2 Personen
82
5,82
6,11
95
6,40
MA mit 1 Person mit Kinderwagen
83
4,91
5,50
96
5,40
MA mit Rollstuhlfahrer/in und Begleitperson
84
4,80
5,50
97
5,40
Weitere Bestwertungen liegen in der vermuteten Bürgersicht für eine barrierefreie Bodenebenheit (Item 115) und die Identifizierbarkeit der Wartezone (Item 40) vor. Für den eigenen Bedarf der Mitarbeiterschaft werden die Größe der Aufzugskabine (Item 194), die Bedienbarkeit der Kommunikationsanlagen (Item 42), die Sicherheit der Kassenanlage (Item 56) und die Breite der Treppen zur Wahrung interpersonaler Distanz (Item 174) sehr hoch eingeschätzt.
13.2.3 Affordanzen mit negativer Bewertung Bereits ein ausschnitthafter Blick auf die besten Affordanzen brachte vor allem im Vergleich der Bewertungen nach Nutzergruppen einen Erkenntnis-
312
13 Diskussion
gewinn für zukünftige Planungen. Vielmehr noch kann er aus den Ergebnissen mit schlechter Bewertung gewonnen werden. Es sind vor allem die Items für die ein Nichtzutreffen häufiger festgestellt wurde (MW< 4.00), die einen prospektiven Informationsgewinn vorhalten (Tab. 12.2.2, 12.2.4 und12.2.6) Es werden nachfolgend die Items diskutiert, welche die Bürger und die Mitarbeitervermutungen zum Bürgerbedarf betreffen, und sie werden gegebenenfalls gleichen Items aus der Mitarbeiterumwelt gegenübergestellt. Die akustische Diskretion im Beratungsraum (Item 91, invers | MW 3,63) wurde von der Bürgerschaft negativ beurteilt und genauso auch von der Mitarbeiterschaft vermutet (MW 3,67); sie ist allerdings auch mit einer weiteren, aber nicht invers formulierten Aussage abgefragt worden; und hier sagt die Mitarbeiterschaft konkludent eine schlechte Einschätzung voraus (Item 94); hingegen wird sie in dieser inversen Aussage von der Bürgerschaft mit einem Mittelwert von 4,95 deutlich besser, wenn auch nicht besonders gut, beurteilt. Der eigene Blick der Mitarbeiterschaft auf die akustische Diskretion (Item 126) wird ähnlich beurteilt, genauso wie auch die visuelle (Item 125). Die vertraulichen Bearbeitung des Bürgeranliegens an der Infothek (Item 14) empfindet die Mitarbeiterschaft durch unbefugten Zugang Dritter als leicht gefährdet. Die Erreichbarkeit der Garderobenablagen im Beratungsraum und der Wartezone (Item 110, 71), die tatsächlich fehlen, werden akkurat von der Bürgerschaft als schlecht bewertet vermutet, wenn auch schlechter, als sie selbst es tatsächlich tut. Die Sicherheit im Bürgerbüro wird auch über eine Videoüberwachung hergestellt; sie ist erkennbar und erzeugt bei der Bürgerschaft ein leichtes Gefühl des ’kontrolliert Werdens’ (Item 174); das wird von der Mitarbeiterschaft auch so, aber mit einer etwas positiveren Tendenz, vermutet (MW 4,29); für sich selbst (Item 230) haben sie das Gefühl aber deutlich ausgeprägter.
13.2 Erhebungsergebnisse
313
Eine wahrgenommene Wartezeit durch bereitliegende Zeitschriften zu verkürzen (Item 53) hält die Bürgerschaft eher nicht für möglich und die Mitarbeiterschaft für jene als gar nicht gegeben; da die Zeitschriften vom Bürgerbüro selbst bereitgestellt werden, beziehungsweise in diesem Fall eher nicht bereitgestellt worden sind, lässt die bürgerseitige Beurteilung vermuten, dass diese angesichts ihres singulären und zeitlich begrenzten Aufenthalts mit in Rechnung gestellt haben, dass zu anderen Zeitpunkten ja tatsächlich Zeitschriften ausliegen könnten. Die Möglichkeit, auf dem Sitzplatz in der Wartezone eine angenehme Sitzrichtung einzunehmen, ist begrenzt, da es sich um Sitzbänke handelt; das wird von der Mitarbeiterschaft aber entschiedener, und zwar auch für die Besucherbestuhlung im Beratungsraum (Item 105), gesehen als es bürgerseitig ((Item 66 | MW 3,57; Item 105 | MW 5,11) getan wird. Die Auffindbarkeit der Toiletten (Item 170) sieht die Mitarbeiterschaft kritischer als die Bürger (MW 5,37) selbst es tun; sie stellen außerdem eine eingeschränkte Übersicht auf die Toilettenzuwegung vom Bürgerbüro aus (Item 210) fest. Ihr Blick ist auch kritischer in Bezug auf den ausreichenden interpersonalen Abstand zu Dritten an der Infothek (Item 28; Bürger MW 5,29), die Möglichkeit, Dokumente an der Infothek abzuholen (Item 23; Bürger MW 5,55), die Kürze von Verbindungswegen zu anderen Abteilungen im Rathaus (Item 119, Bürger MW 5,42) und schlussendlich in Bezug auf das Sicherheitsgefühl in der Aufzugskabine bei intransparenten Kabinenwänden (Item145, Bürger MW 4,61). Möglicherweise sind Wissen (zum Beispiel über das Abholangebot und die Abgelegenheit der Toilettenanlagen) und Überzeugung (zum Beispiel zur wahrgenommenen interpersonalen Distanz) verantwortlich für diese gegenüber der Bürgerschaft schlechteren Bewertungen und weniger eine Dezentrierung auf die tatsächlichen Wahrnehmungen und Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen.
314
13 Diskussion
13.2.4 Antwortkonsistenz Eine Inhaltsanalyse der Fragen mit großen Antwortvarianzen (> 4.00) innerhalb der Items ergibt für die auf die Bürgerschaft bezogenen Fragen, dass sich einige davon auf Situationen beziehen, die nach Aufenthaltszeit und -ort unterschiedlich sein können. Beispielsweise hängt die Beantwortung des Items 43 (Ich habe von der Wartezone aus eine gute Sicht auf die Beratungsbüros), davon ab, wo in der Wartezone sich der Beobachter befindet; nicht von jedem Punkt aus sind die Beratungskabinen einsehbar; die Antwort auf die Items 53 und 58 (Damit mir das Warten nicht lang wird, finde ich hier Ablenkung durch: ... bereitliegende Zeitschriften und ... Anderes) wird unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob zum Antwortzeitpunkt tatsächlich Zeitschriften oder Anderes verfügbar sind; in der Analyse der schlechtesten Bewertungen wurde bereits festgestellt, dass möglicherweise gar keine Zeitschriften ausliegen (Abschnitt 13.2.3) . Auch das Item 70 (Der Spielbereich für Kinder wird/wurde von meinem/n Kind/ Kindern gerne genutzt) kann von Personen mit Kindern anders beantwortet werden, als von denjenigen, die nicht in Begleitung von Kinder sind. Den Antworten auf die Items 144, 145 und 174 liegen eine Kontrollwahrnehmung und ein Sicherheitsbedürfnis zugrunde, die individuell sehr verschieden sein können. Die Antwortvarianz zu den Items 71 (Eine Ablage für meine Garderobe (Mantel, Tasche) ist für mich bequem erreichbar) und 113 (Das Bürgerbüro kann ich leicht erreichen - über einen Aufzug) sind ohne ein Wissen über den jeweiligen Antwortgrund nicht erklärbar; sie bedürften einer Befragung der Beobachtenden: tatsächlich gibt es in der Wartezone keine Garderobe (vgl. auch Abschnitt 13.2.3); werden hier freie Sitzplätze als Ablage angesehen? Ein Aufzug ist vorhanden, aber wird er nicht von allen wahrgenommen (vgl. auch die Diskussion dazu im Abschnitt 13.2.2)?
13.2 Erhebungsergebnisse
315
Die hohen Antwortvarianzen auf einige der Mitarbeiterfragen zur vermuteten Bürgersicht können nur über eine Nachbefragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erklärt werden. Den Varianzen zu den Items 9 ( Die Bürgerin oder der Bürger empfindet die Infothek als Hindernis auf ihrem oder seinem Weg), 21 (Die Infothek macht auf die Bürgerin oder den Bürger den Eindruck hier in seinem Anliegen Unterstützung zu finden durch: einen Sitzplatz ), 119 (Die Bürgerin oder der Bürger empfindet Flure und andere Verbindungswege als angenehm kurz zu anderen Abteilungen des Rathauses), 123 (Die Türen der Räume im Bürgerbüro, in welche die Bürgerin oder der Bürger gehen will, sind im Allgemeinen so durchsichtig, dass sie oder er den Eindruck hat, erkennen zu können, was sie oder ihn dahinter erwartet) stehen bei den Bürgern immerhin auch Varianzen von 2.166 (Item 9), 2.692 (Item 21), 2.546 (Item 119) und 2.029 (Item 123) gegenüber; es können ausgeprägtere Urteile der Mitarbeiter gegenüber denen der Bürger angenommen werden. Noch ausgeprägtere Unterschiede bestehen bei den Items 124 (Für die Bürgerin oder den Bürger sind Türen leicht zu öffnen (wenn es nicht sogar selbst öffnende Türen sind), 125 (Die Bürgerin oder der Bürger glaubt Flure und Aufzüge ohne Angst, auszurutschen oder zu stolpern, benutzen zu können, weil sie eben sind), 138 (Einen Aufzug findet der Bürger oder die Bürgerin als leicht erreichbar, wenn er oder sie zum Bürgerbüro möchte.) und 140 (Die Aufzugskabine nimmt die Bürgerin oder der Bürger in der Regel als ausreichend geräumig wahr.); hier sind mit 0.994 (Item 124), 0.388 (Item 125), 0.834 (Item 138) und 1.488 (Item 140) vergleichsweise deutlich geringere Antwortvarianzen der Bürger und Bürgerinnen festzustellen.
316
13 Diskussion
13.2.5 Akkuratheit der Mitarbeitervermutung zum Sachbild der Bürgerschaft In der nutzerorientierten Programmentwicklung zum Bürgerbüro war auf eine Beteiligung der Bürgerschaft unter der Annahme verzichtet worden, dass der Mitarbeiterstab hinreichende Informationen für den Bedarf der Bürger beitragen konnte. Ob diese Annahme gerechtfertigt war, zeigt sich in dem Vergleich der Umweltbewertung durch die Bürgerschaft mit der mitarbeiterseitigen Vermutung dazu (Abb. 12.4.2). Im deskriptiven Befund (Abschnitt 13.2.1) wurde bereits festgestellt, dass die Bürgerschaft das Bürgerbüro über alles und facettenspezifisch annähernd durchgängig besser bewertet. Dieser Befund ist für den Gesamtwert auch signifikant. Es kann behauptet werden, dass die Mitarbeiterschaft das Bürgerurteil im Durchschnitt mit einem Negativitäts-Bias des Mittelwertunterschiedes von 0,40 unterschätzt. Aber mit r = .671 besteht auch eine hohe Korrelation zwischen der Voraussage der Mitarbeiterschaft und dem tatsächlichen Sachbild der Bürgerschaft. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Mitarbeiterschaft schon in der Lage ist, die Wahrnehmung der Bürgerschaft zu antizipieren, wenngleich sie sie auch schlechter einschätzt. Das Punktediagramm zeigt in den Ellipsenmarkierungen aber auch, dass Fehleinschätzungen vorliegen, die eine inakkurate Perspektivübernahme in positiver oder negativer Richtung anzeigen.
13.2.6 Inakkurate Vermutung negativer Urteile Fünf der Items (23, 28, 53, 94 und 119), in denen die Bürgerinnen und Bürger deutlich besser beurteilen, als es von der Mitarbeiterschaft vermutet wird, beziehen sich auf sozialergonomische Aspekte (SE) der Affordanzen und eines (Item 9) auf die Orientierung mit dem Schwerpunkt auf Soziales (ORse). Letzteres bezeichnet die Infothek als mögliches Hindernis für die weitere Orientierung; das wird von den Bürgerinnen und Bürgern weniger so
13.2 Erhebungsergebnisse
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gesehen als mitarbeiterseitig angenommen. Die Bezahlmöglichkeit (Item 23) wird möglicherweise von der Mitarbeiterschaft schlechter empfunden, weil sie ursprünglich in der PE das Bezahlen an der Infothek gewünscht hatten, letztlich jedoch ein Bezahlautomat in einer der Infothek gegenüberliegenden Nische eingerichtet wurde; hier ist eine größere Diskretion möglich, allerdings mit dem Nachteil, dass sich die Bürgerin oder der Bürger von der Infothek abwenden muss; den Nachteil empfinden letztere möglicherweise nicht so gravierend, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Diskretion während der Bedienung von zwei Personen gleichzeitig (Item 28) sehen die Bürgerinnen und Bürger auch besser gewahrt, als es der Mitarbeiterstab tut. Die Verkürzung der wahrgenommen Wartezeit über ein Zeitschriftenangebot ist bereits unter den negativen Bewertungen im Abschnitt 13.2.3 diskutiert worden; auch die Diskretion in den Beratungskabinen (Item 94) und die Verbindungswege zu anderen Abteilungen im Rathaus (Item 119) sind dort schon angesprochen. Ebenfalls dort diskutiert sind die Items 66 und 105; sie erfragen, wie gut sich der Sitzplatz in der Wartezone beziehungsweise im Beratungsraum für den Bürger und die Bürgerin in eine angenehme Position bringen lässt; tatsächlich ist das für die Sitzbank in der Wartezone gar nicht möglich und für den Stuhl im Beratungsraum nur eingeschränkt; die fehlende Kontrollmöglichkeit wird aber vom Bürger und von der Bürgerin offensichtlich weniger wahrgenommen, als es aus Sicht des Mitarbeiterstabes geschieht. Das trifft in ähnlicher Weise auch auf die Items 71 und 110 (Uke - Umweltergonomie/Wohlbefinden, kognitiv und emotional) zu; eine Taschen- und Garderobenablage, die in der Wartezone nicht vorhanden ist und auch nicht geplant war und im Beratungsraum zwar geplant, aber nicht umgesetzt worden ist, wird im Durchschnitt von der Bürgerschaft nicht so sehr vermisst; das wird aber auch sehr unterschiedlich beurteilt (vgl. ebenfalls Abschnitt 12.3). Item 134 erfragt die Wirkungswahrnehmung der Sauberlaufzone im Eingangsbereich durch die Bürgerschaft; auch sie ist bei
318
13 Diskussion
der Bürgerschaft höher als es der Mitarbeiterstab glaubt. Zuletzt werden auch die Toiletten (Item 170) besser aufgefunden, als angenommen.
13.2.7 Inakkurate Vermutung positiver Urteile Fehleinschätzungen, in denen die Mitarbeiterschaft fälschlich eine lobende Bewertung der Bürgerinnen und Bürger erwarten, beziehen sich auf die Affordanzaspekte der Sozialergonomie (SE) und Arbeits- oder Bewegungsergonomie (AE). Einige Bewegungsräume in den Beratungskabinen beziehungsweise deren Zugangsbreite (Item 76, 77 und 84) werden von der Bürgerschaft als beengter empfunden als es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vermuten; für diese und weitere Items dieser beiden Raum- beziehungsweise Zugangsgrößen ist das unter den bestbewerteten Affordanzen in Abschnitt 13.2.2 diskutiert worden, und deren Werte sind in den Tabellen 13.2.1 und 13.2.2 in einer Übersicht gegenübergestellt. Die vertrauliche Bearbeitung der Bürgeranliegen durch Vorsorgemaßnahmen bezüglich Diebstahls wird von der Bürgerschaft ebenfalls schlechter beurteilt (Item 17); ein Grund dafür kann sein, dass es beispielsweise für die Bürgerschaft nicht erkennbar ist, dass zu den Öffnungszeiten sensible Dokumente (Personalausweise, Pässe) für die Ausgabe an der Infothek zwar dort gelagert sind, aber der verfahrbare Container außerhalb der Öffnungszeiten an einen speziell gesicherten Ort verbracht wird. Für den Kinderspielbereich (Item 70) gibt der Hinweis „habe kein Kleinkind“ in einem Bürgerfragebogen Aufschluss für eine Interpretation; der Bereich ist tatsächlich nur für Kleinkinder ausgestattet; es wurden für dieses Item auch schon hohe Antwortvarianzen festgestellt (Abschnitt 13.2.4). Die Kontrolle über Sicherheitseinrichtungen (Item 174) wird von der Bürgerschaft negativer beurteilt, als es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter annehmen; das wurde auch unter den negativen Bewertungen in Abschnitt 13.2.3 erfasst.
13.2 Erhebungsergebnisse
319
13.2.8 Perspektivdiskrepanzen Die Extraktion von Affordanzen relationaler Umwelt ermöglichte eine vollständige Analyse der Perspektivdiskrepanzen für die betreffenden Items; für 20 Affordanzen konnten Wahrnehmungsverzerrungen der Mitarbeiterschaft festgestellt werden. Ein falscher Dissens (DTyp-6: False Dissensus) tauchte viermal und zwar im Richtungstyp 8 auf (Tab. 13.2.3). Obwohl die Umweltangebote für beide tatsächlich gleich gut sind, glaubt die Mitarbeiterschaft, die Bürgerschaft würde diese schlechter bewerten als sie selbst. Bezüglich der Diebstahlsicherung an der Infothek (Item 15, steht auch im Zusammenhang mit dem Diskretions- und Vertrauensaspekt aus Item 9) und der Nützlichkeit des Kinderspielbereiches für eine ungestörte Interaktion in der Sachbearbeitung (Item 29) liegt ein falscher Dissens in umgekehrter Richtung vor; es gehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter der Bedingung faktischer Übereinstimmung davon aus, dass die Bürgerschaft Affordanzen besser bewertet als sie (DTyp-6 mit RTyp-11). Tabelle 13.2.3: Iteminhalte zu RTyp 8
Item
Iteminhalt Rtyp-8
11
Gleiche Augenhöhe an der Infothek
30
Erreichbarkeit von Abfall-/Wertstoffbehältern
58
Sauberkeit des Bürgerbüros insgesamt
59
Instandhaltung des Bürgerbüros insgesamt Ebenfalls viermal konnte der Diskrepanztyp DTyp-5 mit der Richtung
RTyp 6 festgestellt werden (Tab. 13.2.4). Die Mitarbeiterschaft hält die
320
13 Diskussion
Umweltangebote an die Bürgerschaft für besser als für sich selbst, obwohl die Bürgerschaft gegenteiliger Ansicht ist; interessant ist dieser Befund für Item 9 im Vergleich zu Item 15, in dem die Bürgerschaft die Diebstahlsicherung als gleich zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewerten; trotzdem ist die damit verbundene Diskretionswahrnehmung im Vergleich zum direktperspektivischen Mitarbeiterurteil schlechter. Für die Eignung des Kinderspielbereiches für Kinder (Item 28) wurde bürgerseitig schon eine hohe Antwortvarianz festgestellt, und sie wurde in Abschnitt 13.2.4 (dort als Item 70) diskutiert. Das Problem der Größe des Beratungsraumes (Item 33 und 34) wurde ebenfalls schon, jedoch in Abschnitt 13.2.2 (Tab. 13.2.2; dort Item 83 und 84) im Zusammenhang mit der Bestbewertung der Mitarbeiterschaft für die Situation von nur einer weiteren anwesenden Person diskutiert (Item 94 aus UM ); für die Fälle, in denen Kinderwagen mitgeführt werden oder ein Rollstuhlfahrer oder -fahrerin anwesend sind, sehen es die Bürger weniger optimistisch als es mitarbeiterseitig vermutet wird, und auch noch schlechter als die Mitarbeiterschaft es selber sieht. Den Diskrepanztyp DTyp-5 in umgekehrter Richtung (RTyp 3) weist die Diskretion an der Infothek bezüglich der interpersonalen Distanz zu Dritten (Item 10) auf; hier hält die Mitarbeiterschaft die Umweltangebote an die Bürgerschaft für schlechter als für sich; aber es ist genau umgekehrt, die Bürgerinnen und Bürger sehen sich weniger gestört durch Dritte, die ebenfalls an der Infothek stehen, als die Mitarbeiter es tun und es auch für die Bürger noch störender vermuten.
13.2 Erhebungsergebnisse
321
Tabelle 13.2.4: Iteminhalte zu RTyp-6
Item
Iteminhalt RTyp-6
9
Diskretion/Vertraulichkeit hinsichtlich Diebstahlsicherung an der Infothek
28
Eignung des Kinderspielbereiches für die Kinder
33
Angemessene Größe des Beratungsraumes, wenn Kinderwagen dabei
34
Angemessene Größe des Beratungsraumes für Rollstuhlfahrer Auch der Diskrepanztyp DTyp-3 kommt in seinen beiden Diskrepanz-
richtungen vor. Die teilakkurate Dezentrierung unter falschem Konsens kann in den die Akustik betreffenden Items 50, 56 und 57 für den RTyp 4 und in den Items 37 und 38 zur Durchgangsbreite in einen Beratungsraum mit dem RTyp 1 festgestellt werden. Die akustische Diskretion im Beratungsraum (Item 50), sowie die Akustik im Bürgerbüro insgesamt (Item 56) vermutet die Mitarbeiterschaft bei der Bürgerschaft zwar als zutreffend besser und die Lärmstörung im Bürgerbüro (Item 57) wird geringer wahrgenommen, als sie selbst es tun, aber die Bürger und Bürgerinnen empfinden sie noch weitaus besser, beziehungsweise fühlen sich durch Lärm weitaus weniger gestört. Für die Durchgangsbreite in einen Beratungsraum, entweder mit Kinderwagen (Item 37) oder als Rollstuhlfahrer oder -fahrerin (Item 38) überschätzt die Mitarbeiterschaft die Eignungswahrnehmung der Bürger und Bürgerinnen. Das Ergebnis ist auch unter Abschnitt 13.2.2 (Tab. 13.2.1; Item 76 und 77 für UB und Item 100 und 101 für UM ) schon diskutiert. Eine akkurate Dezentrierung (DTyp-2) des eigenen Urteils erreichte die Mitarbeiterschaft für die Items 8, 20, und 52 in Richtung RTyp10. Die
322
13 Diskussion
Diskretion und Vertraulichkeit hinsichtlich einer Sicherung der Infothek gegen den Zugang unbefugter Dritter (Item 8) und die Möglichkeit im Wartebereich eine angenehme interpersonale Distanz zu wahren (Item 20) gehören aus mitarbeiterseitig direktperspektivischer Sicht zu den schlechten Bewertungen (vgl. Tab. 12.2.6; Item 14 und 81 für UM ); für diese und für eine angenehme Beleuchtung im Bürgerbüro (Item 52) nimmt die Mitarbeiterschaft zutreffend an, dass die Bürgerschaft diese Affordanzen als besser empfindet, als sie selber es tun. Schlussendlich liegen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bezug auf die Sicherung der Infothek gegen den Zugang unbefugter Dritter (Item 12) in einem akzentuierten Dissens (DTyp-7) zu der Bürgerschaft. Sie schätzen die Sicherung zutreffend für besser ein, als sie es für die Bürgerschaft annimmt; mit dem RTyp 2 jedoch unterschätzt sie die Wahrnehmung der Zugangssicherung für diese; die Bürger und Bürgerinnen halten den Zugang also für deutlich gesicherter als es die Mitarbeiterschaft annimmt, aber eben doch nicht für so sicher, wie es aus professioneller Sicht beurteilt wird. Bemerkenswert ist es, dass die Mitarbeiterschaft die daraus erwachsende Diskretionswahrnehmung (Item 8, voriger Absatz) für sich schlechter empfindet, als es sie für die Bürger und Bürgerinnen zutreffend vermutet. Ein solcher Befund gibt Anlass zu einer vertiefenden qualitativen Befragung der Mitarbeiterschaft.
13.2.9 Ergebnisdiskussion der Erhebung im Überblick und Ausblick Insgesamt sehen Mitarbeiterschaft und Bürger und Bürgerinnen die Anforderungen aus der PE überwiegend als erfüllt an; mit einem Modalwert der Antworthäufigkeiten bei 6 (von 7 möglichen) und einer überdurchschnittlichen Bewertung mit Mittelwerten > 5.00. Die Bürgerschaft beurteilt das
13.2 Erhebungsergebnisse
323
Bürgerbüro besser als es der Mitarbeiterstab tut. Es muss aber in Rechnung gestellt werden, dass eine Stichprobenselektion mit dafür verantwortlich sein kann; denn vielleicht haben sich vorwiegend Bürger und Bürgerinnen an der Fragebogenaktion beteiligt, die von dem Bürgerbüro auch positiv beeindruckt waren. Besonders gut hat ihnen der ästhetische Gesamteindruck gefallen (MW > 6.00), zu dem außerhalb des Facettenstrukturmodells und des Abbildungssatzes vier Fragen zusätzlich erhoben wurden (Abschnitt 9). Ein besonderer Erfolg im Vergleich zum früheren Bürgerbüro ist die Wahrnehmbarkeit des Raumes ’Bürgerbüro’ auch als funktionale Einheit ’Bürgerbüro’; das war vorher nicht der Fall. Die unterschiedliche Anzahl der jeweiligen Items zu den Umweltabschnitten und Affordanzen reflektiert deren differentielle Bedeutung für den Mitarbeiterstab im Vergleich zur Bürgerschaft und umgekehrt. Ein prospektiver Informationsgewinn für zukünftige Planung und Realisierung von Gestaltungsmaßnahmen ist aus den Bewertungen zu gewinnen, die eher ein ’nicht vorhanden Sein’ von Affordanzen anzeigen. Allerdings sagen sie auch nur das aus; es ist daraus nicht abzulesen, ob und wie sehr deren Fehlen als ein Nachteil wahrgenommen wird. Für die Mitarbeiterschaft, die an der Programmentwicklung beteiligt war, kann das ’ob’ behauptet werden, nicht aber das ’wie sehr’; für die Bürgerschaft kann beides nicht identifiziert werden; dazu wäre zukünftig eine Fragerichtung zu ergänzen, die das Wünschbare abbildet. Walden (2008) realisiert das mit einer Fragenausrichtung auf die Wichtigkeit in der Zukunft: Wie wichtig ist es, ein Gebäudemerkmal zukünftig in einer bestimmten Weise zu gestalten? Dieser Perspektivwechsel für Affordanzen ist in die Fallanalyse nicht aufgenommen worden. Einige wenige Affordanzen wurden als eher fehlend ausgewiesen; besonders sticht hier die akustische (Urteil in beiden Gruppen ) und visuelle (Urteil der Mitarbeiterschaft) Diskretion im Beratungsraum hervor, auf deren Realisierung in der Planung großer Wert gelegt wurde.
324
13 Diskussion Die Vermutung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter korrelieren mit
der bürgerseitigen Wahrnehmung für die undifferenzierten Affordanzen hoch und für die der relationalen Umwelt im mittleren Bereich ; allerdings unterschätzen sie durchschnittlich das Bürgerurteil und einige Vermutungen sind inakkurat. Zu den Umweltausschnitten, die unmittelbaren Einfluss auf die soziale Interaktion haben, konnten die Diskrepanztypen der Perspektiven des interpersonellen Diskrepanzdreiecks bestimmt werden; es kommen bis auf den D-Typ 4, ein ’false consensus’ in vollständiger Egozentrizität, alle Urteilsdiskrepanzen vor; die Tatsache, dass dieser eine fehlt, unterstützt den Befund einer mitarbeiterseitig professionellen Einschätzung des Bürgerbedarfes. Die Analyse der Bewertungskonsistenz (Abschnitt 13.2.4) innerhalb der Nutzergruppen gibt Anlass, einige Itemformulierungen zu präzisieren, da ihre Antwortausprägung von Zeit (zum Beispiel Auslage von Zeitschriften in der Wartezone) und Ort (zum Beispiel Sitzplatz in der Wartezone) der Bewertungsabgabe und den persönlichen Umständen der urteilenden Person abhängt (zum Beispiel in Begleitung von Kindern oder nicht). Die varianzreichen Antworten sind umweltpsychologisch auf situative Faktoren und persönlichkeitspsychologisch auf individuelle Faktoren rückführbar; nur bei einigen ist es angezeigt, die Ursachen zukünftig unter Anwendung kognitiver Techniken zu suchen, um sie auf ein eventuell noch mehrdeutiges Verständnis der Itemformulierung hin untersuchen und entsprechende Korrekturen vornehmen zu können; das würde ein vollständiger Pretest der zweiten Phase nach Prüfer und Rexroth (2000) leisten; die dort vorgeschlagenen kognitiven Techniken sind das Hinterfragen von Antworten (Probing), die Methode des lauten Denkens (Think aloud), Paraphrasieren (Paraphrasing) und indem die Befragten den Grad der Verlässlichkeit ihrer eigenen Antworten angeben (Confidence Rating). Der Fragebogen bleibt ein ’Bogen mit Fragen’, solange er noch nicht
13.2 Erhebungsergebnisse
325
psychometrisch validiert ist (Kallus, 2010); ganz sicher ist er aber auch schon mehr als das; denn die Vorarbeit aus der Analyse der Affordanzen und die Strukturierung des Abbildungssatzes ermöglichen eine präzise und fundierte Itemformulierung. In einem kommunikationspsychologischen Sinn hat der Sender sein Bestes gegeben um die Nachricht so zu gestalten, dass sie ausdrückt, was er meint. Ob der Empfänger sie auch tatsächlich so versteht, steht an zu validieren – was bei der Itemmenge keine kleine Aufgabe wäre. Genau da setzt ein möglicher Ansatz zukünftiger Forschung an: Es muss das Abstraktionspotential zur Reduktion sowohl des Facettenstrukturmodells, als auch des Abbildungssatzes bis zu dem Grad ausgelotet werden, an dem wesentliche Inhalte noch nicht verlorengehen. Es soll der perspektivendifferenzierte Affordanzansatz auch zu einem zeitlich und finanziell ökonomisch einsetzbaren Evaluationsinstrument werden.
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A Anhang
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Hegenbart, Facetten von Affordanzen gebauter Umwelt, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23532-1
338
A Anhang
A.1 Kriterien zur Beurteilung von Lern- und Arbeitsumwelten nach Walden
Abbildung A.1.1: Übersicht zu Kriterien der Beurteilung von Lern- u. Arbeitsumwelten (mit * sind die Facetten nach Sundstrom und Sundstrom, 1986, markiert); (Abb. aus Walden, 2008, S. 9)
A.2 Auszüge aus der Programmentwicklung
339
A.2 Auszüge aus der Programmentwicklung A.2.1 Funktionale Qualitäten
Abbildung A.2.1: Ausschnitt PE-Matrix: funktionale Qualitäten (rpU: räumlich physische Umwelt)
340
A Anhang
A.2.2 Atmosphärisch-emotionale Qualitäten
Abbildung A.2.2: Ausschnitt PE-Matrix: atmosphärisch-emotionale Qualitäten (rpU: räumlich physische Umwelt)
A.3 Paradigmenstruktur des Behavior Setting ’Bürgerbüro’
341
A.3 Paradigmenstruktur des Behavior Setting ’Bürgerbüro’ Tabelle A.3.1: Paradigmengebundene Behavior-Setting-Analyse nach Kaminski (1986)
Paradigma
Ausprägung
A: Soziale Implikation
Dyadische
Beziehung
Dienstleis-
ter/Bedienter bzw. Mitarbeiterschaft Bürgerbüro/Bürgerschaft; Triadische Erweiterung durch die Organisation bzw. Stadtverwaltung als Bereitsteller des NM steht im Hintergrund B: Aktivitätsdifferenzierung
Sequentielle und hierarchische Partialhandlungen auf instrumenteller und sozialer Ebene; emotional-aktionaler Geschehensverbund
C: Aktivitäts-/
Aktivitäten sind rollenbezogen auf
Akteurzuordnung
Dienstleister- und Bedientenrolle
D: Umweltdifferenzierung
Aufteilung in die Partialmilieus: Infothek, Wartezone, Beratungskabinen, Verkehrswege, Kassenautomat und Milieu gesamt; außerdem Differenzierung der Partialmilieus in Territorien mit unterschiedlichen Graden einer akteurspezifischen Zugänglichkeit
342
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.3.1 Paradigma
Ausprägung
E: Temporale Differenzierung
Nullstufe: zeitlicher Bezug sind die Öffnungszeiten des Bürgerbüros; Ausnahme: Dauer der Wartezeit für das Subsetting Wartebereich
F: Differenzierung der
Auflösungsgrad wird bestimmt durch
Aktivitäts-/
die Ziele und Anforderungen der PE
Umweltverflechtung
und den/dem ableitbaren Affordanzen oder Affordanzsystem
G: Differenzierung des
keine Berücksichtigung (ggf. wäre sie
Konstruktsystems für
aber peripher, z.B. nach dem Anlass
interne Aktivitäts-
der BS-Teilnahme oder dem individu-
vorbereitung und –regulation
ellen Bildungsgrad möglich
H: Differenzierung des
Ausmass der Synomorphiewahrneh-
Konstruktsystems für
mung aus jeweiliger direktperspekti-
interne Aktivitäts-
vischer Sicht der Dyadenteilnehmer
Nachwirkungen
und metaperspektivischer Sicht erster Ordnung seitens der Dienstleister.
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
343
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen A.4.1 Bürgerbüro Gesamtraum Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Unterbringung von Zugang, Infothek, Wartezone, Frontoffice von Stadtverwaltung und Stadtbetriebe (Fünf Büroarbeitsplätze mit Besucherfunktion), Informationssystem, Orientierungssystem, Zuwegung zu funktionsfremden Bereichen des Gebäudes, Besprechungsraum für Bürgeranliegen mit mehr als einer Begleitperson. Rollstuhlgerechte und familien-/kinderfreundliche Raumgestaltung. Raumumfassungsflächen in objektgeeigneter Oberflächenqualität, Anbindung an das Back-Office eins getrennt vom Besucher-/Wartebereich; Anbindung an das Verkehrsu. Rettungswegekonzept des Gebäudes.
Verfügbarkeit eines Raumes/einer Fläche als Milieu eines BS Bürgerbüro mit den für die zugehörigen BSubS erforderlichen Teilräume/Teilflächen und Raumobjekte, zur Nutzung für einen zeitlich begrenzte/n Aufenthalt und relevante instrumentelle Handlungen aus dem BS für eine bestimmte Anzahl von Personen (der Rollen MA und B aus dem BS), sowie für die Zuwegung zu weiteren Räumen und Gebäudeteilen für andere Personen, mit mehr oder weniger kontrollierten Zugängen Bewegungsbereich für eine bestimmte Anzahl Person innerhalb und außerhalb des BS, mit Kinderwagen oder Rollstuhl.
Bürgerbüro
Für die im BS angestrebte/n Besetzung, Handlungen und der dazu erforderlichen Teilräume/Teilflächen und Raumobjekte: Angemessenes Layout: Dimensionierung, Zuschnitt (Breite, Tiefe, Höhe, Zuwegung), Lage (im Gebäude), relative Lage der Teilräume/Teilflächen und Raumobjekte zueinander und zu den Zugängen; Durchlässigkeit, Transparenzgrad und Schallabsorptionsgrad der raumumschließenden Flächen (Boden Decke, Wände). Ausprägung der Zugangskontrolle, Angemessenheit des Bewegungsbereiches; Ausprägung der Wahrnehmbarkeit der räumlichen und funktionalen Zusammenhänge der Teilräume/Teilflächen und Raumobjekte aus dem BS, insbesondere des ersten Anlaufpunktes Infothek Wahrnehmbarkeit der territorialen Zuordnung nach Rolle innerhalb des BS, die über das Layout des Ortes vermittelt wird (MA, B, externe Personen).
Privatheit des Bedürfnisses (WC)
Zwischenzone zwischen Sanitäranlagen und öffentlichen Bereichen
Informationstafel
B: Sich Informieren/ MA u. O: Präsentation von Informationen über Sachverhalte und Nachrichten aus dem Verwaltungsbetrieb
Ausmaß der Diskretion der Zuwegung zum WC von den allgemeinen Verkehrsflächen aus Informationstafel
Relative Lage zu Personen, Wahrnehmbarkeit der Einheit, Lesbarkeit der Inhalte, Leichtigkeit des Zugriffs für die Veränderung der Inhalte
344
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.4.1 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Funktionsgerechte Integration (hier: sichtbarer) technischer Systeme/Systemteile unter geringst möglicher Störung der ästhetischen Gestaltungsabsicht, soweit nicht bereits Teil der Milieus aus dem BSubS. Auflistung der sichtbaren Einheiten technischer Systeme und Systemteile: Auslässe, Bedien- u. Anschlusselemente, Hinweistafeln/schilder, Systemteile und ggf. sichtbare Leitungen von Klima- u. Belüftungsanlagen (Auslässe, Regler, Thermostate, . . . ) -Wärmeversorgungsanlagen (Heizkörper, -flächen, Thermostatventile) - Elektrischen und Beleuchtungstechnischen Versorgungsanlage (Taster, Schalter, Steckdosen, Lichtsteuerung. . . ) Datennetz (Anschlussdosen, . . . ) - Brandschutzanlage (Brandmelder, Feuerlöscher, Auslässe der Sprinkleranlage, Hinweistafeln, Feuerwehr-/Brandschutzplan,) Sicherheitseinrichtungen gegen Einbruch, Diebstahl und Vandalismus (Videokameras, Einbruchmeldeanlage, Signalleuchten) - Lautsprecheranlagen
Affordanz der Raumumschließungsflächen: Vorhalten und Anschluss (an Versorgungs- u. Datennetze) technischer Systeme in einer bedienungs-, wartungsu. funktionsgerechten Konstellation unter Einordnung in ein übergreifendes Gestaltungsziel. Affordanz der Systemteile: Bedienung, Wahrnehmen, Lesbarkeit im Zusammenhang mit der instrumentellen Handlung in Bezug auf das jeweilige, systemkonforme Funktionsziel.
Auslässe, Regler, Thermostate, Taster, Schalter, Steckdosen, Lichtsteuerung, Anschlussdosen Heizkörper, -flächen, Thermostatventile, Brandmelder, Feuerlöscher, Auslässe der Sprinkleranlage, Hinweistafeln, Feuerwehr-/ Brandschutzplan, Videokameras, Einbruchmeldeanlage, Signalleuchten, Lautsprecher
Relative Lage, Wahrnehmbarkeit, Lesbarkeit Bedienbarkeit, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen autorisierten Person innerhalb und außerhalb des BS, Störungsarme Integration in das Gestaltungsziel
Berücksichtigung der Unfallverhütungsvorschriften
Sichere Fortbewegung / Lokomotion
Objektive Kriterien: nach UVV Subjektive Kriterien: Sicherheitsgefühl in der Fortbewegung
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
345
... Fortsetzung Tabelle A.4.1 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Beleuchtung Unterschiede in Leuchtdichten zwischen Innenraum und Aussenraum der Adaptationselastizität des Sehapparates anpassen Repräsentative helle Eingangshallenbeleuchtung
Ausbleibendes Gefühl des „Geblendet Seins“ beim Übergang vom Außen- in den Innenraum Weitere Affordanzen in den BSubSs
Objektive Kriterien nach DIN/EN 5035 (Beleuchtung mit künstlichem Licht), DIN/EN 12464-1 (Beleuchtung von Arbeitsstätten-Innenräume) und Empfehlungen der LiTG (Lichttechnischen Gesellschaft; ggf. darüberhinausgehend, Subjektive Kriterien: angenehme Innenraumbeleuchtung beim Eintritt
Bodenbeläge sollen gleiche Anforderungen an Reinigungswerkzeug stellen
Fußbodenflächen mit einheitlicher Reinigungsprozedur zu pflegen
Urteil des Reinigungspersonals
346
A Anhang
A.4.2 Infothek Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
2-Personen-Sitzu. StehArbeitsplatz mit Raumübersicht in Nähe zum Haupteingang als ersten Orientierungsort mit Ansprechpartner für den Bürger Gespräche an der Infothek sollen vom Wartebereich und anderen Zonen nicht mitgehört werden können Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik soll arbeitsplatzbezogen regulierbar sein.
Verfügbarkeit eines Raumes/einer Fläche für eine zeitlich begrenzte und ausschließliche Nutzung für eine bestimmte Anzahl von Personen (MA) und mit einem mehr oder weniger kontrollierten Zugang unter Aufrechterhaltung einer mehr oder weniger barrierefreien face-to-faceKommunikationsmöglichkeit mit Personen außerhalb dieses Raumes/dieser Fläche. Arbeitsund Bewegungsbereich für 2 Personen, sitzend (Beinfreiheit unter Arbeitsflächen und im Schwenk- u. Lokomotionsbereich) oder neben dem Sitzplatz stehend, unter mehr oder weniger weitgehend freier Sicht über den Gesamtraum zur Wahrnehmung von Personen und Ereignissen innerhalb des Gesamtraumes, und einer mehr oder weniger unmittelbaren Wahrnehmbarkeit durch Andere vom Haupteingang aus.
InfoPoint, Infothek, Service-Counter, Empfangsthresen/theke (sekundäres Territorium nach Altman, 1975; Bell et al. 1996)
Für die im BSubS angestrebte/n Besetzung, Handlungen und der dazu erforderlichen Raumobjekte: Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt (Breite, Tiefe, Höhe, Zuwegung) des Raumes/der Fläche für gleichzeitige/n Aufenthalt, instrumentelle Handlungen und Raumobjekte im Rahmen des BS von 2 Personen (MA), genügende Beinfreiheit unter Arbeitsflächen und im Schwenk- u. Lokomotionsbereich. (Angemessenheit des Bewegungsbereiches), Lage (im Raum/Gebäude), Ausprägung der Wahrnehmbarkeit/ Freie Übersicht über den Gesamtraum, insbesondere von/zum Eingang (für MA), von/zur Wartezone ((für MA und B) und von/zu den Beratungsbereichen (für MA und B) Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt und relative Lage der Raumobjekte zueinander und zu den Personen. Unmittelbare Wahrnehmbarkeit durch den Bürger vom Haupteingang aus. Ausprägung der Zugangskontrolle, Maß der Barrierefreiheit (trennende Bauelemente im Bereich des Blickkontaktes) der FtF-Kommunikation; Angemessenheit der (über die baulichen Abmessungen, Angabe der Abmessung)
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
347
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
...
...
...
hergestellten interpersonalen Distanz zwischen MA und B; Rollenspezifität des Territoriums, die über das Layout des Ortes vermittelt wird (MA, B); Ausmaß der/des wahrgenommenen Sicherheit (gegenständlich und persönlich) /Schutzes/ausschließlichen Zuordnung als „mein (MA) Raum“ oder als „Raum besonders schützenswerter Güter“ über Zugangskontrolle/Raumgrenzen.
Stauraum Auflistung der Gegenstände: Schlüssel, KFZ-Schlüssel, KfzPapiere, Gelber Sack, Fundsachen, Post und Pakete, Formulare, Boschüren und Flyer, Pässe Schreibutensilien
Vorhalten von Gegenständen unter einem mehr oder weniger unmittelbaren und/oder kontrollierten Zugriff aus spezifischen Richtungen
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen, autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der Gegenstände.
Rückgabe von - Kfz-Papiere Kfz-Schlüssel - Schlüssel allgemein außerhalb von Öffnungszeiten
Unidirektionaler Einwurf von Gegenständen mit Zugriffskontrolle
EinwegEinwurfschlitz
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS.
348
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Funktionsgerechte Integration technischer Systeme Auflistung der technischen Systemteile: - Computer - Tastatur Bildschirm - Druck-, Scan- und Kopiereinheit - Maus - Alarmknopf - Kassenanlage - Telefon - Heizkörper - Thermostatventil
Vorhalten und Anschluss (an Versorgungs- u. Datennetze) technischer Systeme in einer bedienungs-, wartungs- u. funktionsgerechten Konstellation und/oder unter einem mehr oder weniger kontrollierten Zugriff aus jeweils spezifischen Richtungen.
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, Stellfläche, Installationskanäle, Anschlusseinheiten weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), - Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Bedienbarkeit, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen, autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der technischen Systeme, sowie deren funktions- u. vorschriftengerechten Einbaubedingungen (Belüftung, Wartungseignung, Unfall- u. Schadensvermeidung, ...)
Arbeitsfläche
Eine Fläche mit einer bestimmten Haptik und Dimension zur Stützung von Hand und Unterarm, Ausführung instrumenteller Handlungen und sichtbare Ablage von Gegenständen und/oder technischen Systemteilen für den unmittelbaren und häufigen Gebrauch
Arbeitsfläche
Unterstützung von Hand und Unterarm, relative Lage, Sicht und Zugriff auf Gegenstände und/oder technische Systemteile in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS
Flächen für Broschüren, GiveAways u.ä. . . .
sichtbares Vorhalten von Gegenständen für einen mehr oder weniger unmittelbaren/kontrollierten Zugriff
Stellfläche, Präsentationsfläche (horizontale, vertikal, schrägliegend) für Displays, Vitrinen
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS, inhaltlich geordnete Übersichtlichkeit,
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
349
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Dreh- und rollbare Sitzplätze für gleiche Augenhöhe zu stehenden Personen
Längeres Sitzen in erhöhter, aber höhenvariabler Position, Abstützen der Füße, Ändern von Blick und Greifrichtung im 360 °Radius, Lokomotion ohne Aufstehen, Körperschweißabsorption
Counterstuhl auf Rollen mit Fußstütze
ergonomisches – bequemes - Sitzen in Augenhöhe zu stehenden Personen. Handhabung von Höhenverstellbarkeit und Drehbarkeit des Sitzes, individuelle Anpassung von Sitzposition und Rückenlehne, Stützqualität der Fußstütze, Haptik und Feuchtediffusionsgrad von Sitzu. Rückenlehne
Gutes Sehen und Erkennen ermöglichen für die BS-relevanten Sehaufgaben
Lichtsystem
Objektive Kriterien nach DIN/EN 5035 (Beleuchtung mit künstlichem Licht), DIN/EN 12464-1 (Beleuchtung von Arbeitsstätten-Innenräume) und Empfehlungen der LiTG (Lichttechnischen Gesellschaft Subjektive Kriterien: Blendfreiheit, angenehmes Licht
Sauberkeit und Hygiene
Saubere/hygienische Optik und Haptik
Wahrnehmungsgrad von Sauberkeit und Hygiene
Empfangen werden/können (eher Konnotation?)
Willkommen fühlen (B), Bedürfnis nach Erstorientierung erfüllt? (B) In die Lage versetzen, empfangen zu können.
Wegeführung
Änderung der Laufrichtung erzwingen
Barriere
Wahrgenommene Bedeutung von „Orientierung bieten/Wegweisung“ vs. „Hindernis im Explorieren des Raumes“ (je eine Skala)
Individuelle Anpassung der Raumtemperatur im Arbeitsplatzbereich
Individuelle Anpassung Raumtemperatur im Arbeitsplatzbereich
Thermostat
Einstellbarkeit der Raumtemperatur im Bereich des Arbeitslatzes auf individuelle Bedürfnisse in ausreichendem Maße möglich, leicht handhabbar und mit angemessen schneller Veränderung?
Abfallbehälter
Abfall einwerfen könne
Abfallbehälter
Leichtigkeit der Bedienung
Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
350
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
2-Personen-Sitzu. StehArbeitsplatz mit Raumübersicht in Nähe zum Haupteingang als ersten Orientierungsort mit Ansprechpartner für den Bürger Gespräche an der Infothek sollen vom Wartebereich und anderen Zonen nicht mitgehört werden können Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik soll arbeitsplatzbezogen regulierbar sein.
Verfügbarkeit eines Raumes/einer Fläche für eine zeitlich begrenzte und ausschließliche Nutzung für eine bestimmte Anzahl von Personen (MA) und mit einem mehr oder weniger kontrollierten Zugang unter Aufrechterhaltung einer mehr oder weniger barrierefreien face-to-faceKommunikationsmöglichkeit mit Personen außerhalb dieses Raumes/dieser Fläche. Arbeitsund Bewegungsbereich für 2 Personen, sitzend (Beinfreiheit unter Arbeitsflächen und im Schwenk- u. Lokomotionsbereich) oder neben dem Sitzplatz stehend, unter mehr oder weniger weitgehend freier Sicht über den Gesamtraum zur Wahrnehmung von Personen und Ereignissen innerhalb des Gesamtraumes, und einer mehr oder weniger unmittelbaren Wahrnehmbarkeit durch Andere vom Haupteingang aus.
InfoPoint, Infothek, Service-Counter, Empfangsthresen/theke (sekundäres Territorium nach Altman, 1975; Bell et al. 1996)
Für die im BSubS angestrebte/n Besetzung, Handlungen und der dazu erforderlichen Raumobjekte: Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt (Breite, Tiefe, Höhe, Zuwegung) des Raumes/der Fläche für gleichzeitige/n Aufenthalt, instrumentelle Handlungen und Raumobjekte im Rahmen des BS von 2 Personen (MA), genügende Beinfreiheit unter Arbeitsflächen und im Schwenk- u. Lokomotionsbereich. (Angemessenheit des Bewegungsbereiches), Lage (im Raum/Gebäude), Ausprägung der Wahrnehmbarkeit/ Freie Übersicht über den Gesamtraum, insbesondere von/zum Eingang (für MA), von/zur Wartezone ((für MA und B) und von/zu den Beratungsbereichen (für MA und B) Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt und relative Lage der Raumobjekte zueinander und zu den Personen. Unmittelbare Wahrnehmbarkeit durch den Bürger vom Haupteingang aus. Ausprägung der Zugangskontrolle, Maß der Barrierefreiheit (trennende Bauelemente im Bereich des Blickkontaktes) der FtF-Kommunikation; Angemessenheit der (über die baulichen Abmessungen, Angabe der Abmessung)
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
351
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
...
...
...
hergestellten interpersonalen Distanz zwischen MA und B; Rollenspezifität des Territoriums, die über das Layout des Ortes vermittelt wird (MA, B); Ausmaß der/des wahrgenommenen Sicherheit (gegenständlich und persönlich) /Schutzes/ausschließlichen Zuordnung als „mein (MA) Raum“ oder als „Raum besonders schützenswerter Güter“ über Zugangskontrolle/Raumgrenzen.
Stauraum Auflistung der Gegenstände: Schlüssel, KFZ-Schlüssel, KfzPapiere, Gelber Sack, Fundsachen, Post und Pakete, Formulare, Boschüren und Flyer, Pässe Schreibutensilien
Vorhalten von Gegenständen unter einem mehr oder weniger unmittelbaren und/oder kontrollierten Zugriff aus spezifischen Richtungen
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen, autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der Gegenstände.
Rückgabe von - Kfz-Papiere Kfz-Schlüssel - Schlüssel allgemein außerhalb von Öffnungszeiten
Unidirektionaler Einwurf von Gegenständen mit Zugriffskontrolle
EinwegEinwurfschlitz
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS.
352
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Funktionsgerechte Integration technischer Systeme Auflistung der technischen Systemteile: - Computer - Tastatur Bildschirm - Druck-, Scan- und Kopiereinheit - Maus - Alarmknopf - Kassenanlage - Telefon - Heizkörper - Thermostatventil
Vorhalten und Anschluss (an Versorgungs- u. Datennetze) technischer Systeme in einer bedienungs-, wartungs- u. funktionsgerechten Konstellation und/oder unter einem mehr oder weniger kontrollierten Zugriff aus jeweils spezifischen Richtungen.
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, Stellfläche, Installationskanäle, Anschlusseinheiten weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), - Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Bedienbarkeit, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen, autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der technischen Systeme, sowie deren funktions- u. vorschriftengerechten Einbaubedingungen (Belüftung, Wartungseignung, Unfall- u. Schadensvermeidung, ...)
Arbeitsfläche
Eine Fläche mit einer bestimmten Haptik und Dimension zur Stützung von Hand und Unterarm, Ausführung instrumenteller Handlungen und sichtbare Ablage von Gegenständen und/oder technischen Systemteilen für den unmittelbaren und häufigen Gebrauch
Arbeitsfläche
Unterstützung von Hand und Unterarm, relative Lage, Sicht und Zugriff auf Gegenstände und/oder technische Systemteile in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS
Flächen für Broschüren, GiveAways u.ä. . . .
sichtbares Vorhalten von Gegenständen für einen mehr oder weniger unmittelbaren/kontrollierten Zugriff
Stellfläche, Präsentationsfläche (horizontale, vertikal, schrägliegend) für Displays, Vitrinen
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person des BS, inhaltlich geordnete Übersichtlichkeit,
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
353
... Fortsetzung Tabelle A.4.2 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Dreh- und rollbare Sitzplätze für gleiche Augenhöhe zu stehenden Personen
Längeres Sitzen in erhöhter, aber höhenvariabler Position, Abstützen der Füße, Ändern von Blick und Greifrichtung im 360 °Radius, Lokomotion ohne Aufstehen, Körperschweißabsorption
Counterstuhl auf Rollen mit Fußstütze
ergonomisches – bequemes - Sitzen in Augenhöhe zu stehenden Personen. Handhabung von Höhenverstellbarkeit und Drehbarkeit des Sitzes, individuelle Anpassung von Sitzposition und Rückenlehne, Stützqualität der Fußstütze, Haptik und Feuchtediffusionsgrad von Sitzu. Rückenlehne
Gutes Sehen und Erkennen ermöglichen für die BS-relevanten Sehaufgaben
Lichtsystem
Objektive Kriterien nach DIN/EN 5035 (Beleuchtung mit künstlichem Licht), DIN/EN 12464-1 (Beleuchtung von Arbeitsstätten-Innenräume) und Empfehlungen der LiTG (Lichttechnischen Gesellschaft Subjektive Kriterien: Blendfreiheit, angenehmes Licht
Sauberkeit und Hygiene
Saubere/hygienische Optik und Haptik
Wahrnehmungsgrad von Sauberkeit und Hygiene
Empfangen werden/können (eher Konnotation?)
Willkommen fühlen (B), Bedürfnis nach Erstorientierung erfüllt? (B) In die Lage versetzen, empfangen zu können.
Wegeführung
Änderung der Laufrichtung erzwingen
Barriere
Wahrgenommene Bedeutung von „Orientierung bieten/Wegweisung“ vs. „Hindernis im Explorieren des Raumes“ (je eine Skala)
Individuelle Anpassung der Raumtemperatur im Arbeitsplatzbereich
Individuelle Anpassung Raumtemperatur im Arbeitsplatzbereich
Thermostat
Einstellbarkeit der Raumtemperatur im Bereich des Arbeitslatzes auf individuelle Bedürfnisse in ausreichendem Maße möglich, leicht handhabbar und mit angemessen schneller Veränderung?
Abfallbehälter
Abfall einwerfen könne
Abfallbehälter
Leichtigkeit der Bedienung
354
A Anhang
A.4.3 Beratungsbüro Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Beratungsraum mit Büro-AP und Besprechungsplatz für 1 MA und 1 Bürger mit Begleitperson (mit Kinderwagen u./o. Rollstuhl), diskrete Gespräche möglich; Heizungs-, Lüftungs- und Klimatechnik soll arbeitsplatzbezogen regulierbar sein Sicherheit für Mitarbeiter gegen tätliche Übergriffe durch soziale Kontrolle über Sicht- u. Wegeverbindung untereinander
Verfügbarkeit eines Raumes/einer Fläche für eine zeitlich begrenzte und ausschließliche Nutzung zu Gespräch/Beratung und instrumenteller, für das BSubS relevanter Handlungen für eine bestimmte Anzahl von Personen (der Rollen MA und B aus dem BS), sowie für dazu erforderliche Raumobjekte, mit einem mehr oder weniger kontrollierten Zugang und unter Gewährleistung eines bestimmten Maßes an Privatheit (akustisch, visuell) gegenüber Personen und Ereignissen außerhalb dieses Raumes/dieser Fläche. Arbeits- u. Bewegungsbereich für 1 Person (MA) und 2 Personen (auch mit Kinderwagen oder Rollstuhl), jeweils sitzend (Beinfreiheit unter Arbeitsflächen und im Schwenk- u. Lokomotionsbereich) unter einer mehr oder weniger unmittelbaren Wahrnehmbarkeit durch Personen (MA) aus der Infothek und Personen (B) aus der Wartezone und mit Sichtkontrolle von Personen (MA) aus unmittelbar benachbarten Räumen und Zuwegung zwischen diesen Räumen
Beratungsraum, Raum für Sachbearbeitung, Beratungsraum mit Büro-AP und Besprechungsplatz für 1 MA und 1 Bürger mit Begleitperson (mit Kinderwagen u./o. Rollstuhl)
Für die im BSubS angestrebte/n Besetzung, Handlungen und der dazu erforderlichen Raumobjekte: Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt (Breite, Tiefe, Höhe, Zuwegung), Lage (im Raum/Gebäude), relative Lage der Raumobjekte zueinander und zu den Personen. Durchlässigkeit, Transparenzgrad und Schallabsorptionsgrad der raumumschließenden Flächen (Boden Decke, Wände). Ausprägung der Zugangskontrolle, Angemessenheit des Bewegungsbereiches, Ausprägung der Sichtkontrolle (zu benachbarten MA); Ausmaß der/des wahrgenommenen Sicherheit (persönlich MA) Ausprägung der Wahrnehmbarkeit von Wartezone und Infothek Rollenzuordnung, die über das Layout des Ortes vermittelt wird (MA, B)
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
355
... Fortsetzung Tabelle A.4.3 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Funktionsgerechte Integration technischer Systeme Auflistung der technischen Systemteile: - Computer - Tastatur Bildschirm - Drucker - A4- Scanner - Maus - Fingerprint-Laser, - EC-Cash-Lesegerät - Alarmknopf - Telefon - Thermostatventil Zentrale Einheiten für alle Beratungsbüros Tintenstrahldrucker für Ausweisangele-genheiten Kommunikations-möglichkeit zwischen Infothek und Front-Office zur Steuerung der Wartenden; (eher eine Frage der Ausgestaltung der Systemtechnik als der rpU)
Vorhalten und Anschluss (an Versorgungs- u. Datennetze) technischer Systeme in einer bedienungs-, wartungs- u. funktionsgerechten Konstellation und/oder unter einem mehr oder weniger kontrollierten Zugriff aus jeweils spezifischen Richtungen
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, Stellfläche, Installationskanäle, Anschlusseinheiten weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Bedienbarkeit, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der technischen Systeme, sowie deren funktions- u. vorschriftengerechten Einbaubedingungen (Belüftung, Wartungseignung, Unfall- u. Schadensvermeidung, ...)
Stauraum Auflistung der Gegenstände: - Formulare - Schreibutensilien - „blaue Kiste“
Vorhalten von Gegenständen unter einem mehr oder weniger unmittelbaren und/oder kontrollierten Zugriff aus spezifischen Richtungen
Schrank, Container, Sideboard, Schubkasten, Tablarauszug, offenes Gefach, geschlossenes Gefach mit Drehtür, Schiebetür oder Klappe, weitere Unterscheidungen: Zugriffsart (Handhabe und Führung), Zugriffskontrolle (Schließmechanismus, Schließsystem)
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der Gegenstände
356
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.4.3 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Dokumentenschrank, zentral für alle Beratungsräume
Vorhalten von Dokumenten unter einem mehr oder weniger unmittelbaren und/oder kontrollierten Zugriff aus spezifischen Richtungen in zentraler Lage für einen Zugriff durch alle MA der Beratungsbüros.
Dokumentenschrank, zentral für alle Beratungsräume
Relative Lage, Zugriff und Zugriffskontrolle in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen autorisierten Person des BS und einer aus ihrer Handlung im BS abgeleiten zeitlichen und funktionellen Gebrauchshierarchie der Gegenstände
Arbeitsfläche
Eine Fläche mit einer bestimmten Haptik und Dimension zur Stützung von Hand und Unterarm, Ausführung instrumenteller Handlungen und sichtbare Ablage von Gegenständen und/oder technischen Systemteilen für den unmittelbaren und häufigen Gebrauch
Arbeitsfläche, Arbeitsplatte, Tisch, Tischplatte
Unterstützung von Hand und Unterarm, relative Lage, Sicht und Zugriff auf Gegenstände und/oder technische Systemteile in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person (MA) des BS, Oberflächenstruktur/Haptik
Besprechungstisch
Bereitstellen einer Fläche mit einer bestimmten Haptik für face-to-face-Kommunikation mit Stützung von Hand und Unterarm, unter Herstellung bestimmter interpersonaler Distanz, sowie Unterlage für Gegenstände zum Gebrauch während der Kommunikationshandlung; Beinfreiheit unterhalb dieser Fläche
Besprechungstisch
Unterstützung von Hand und Unterarm, relative Lage, Sicht und Zugriff auf Gegenstände und/oder technische Systemteile in Bezug auf die Position (im Raum), Lokomotion (Bewegungsbereich) und Haltung (sitzend, stehend, . . . ) einer beliebigen Person (MA) des BS. Beinfreiheit Angemessenheit der (über die baulichen Abmessungen, Angabe der Abmessung) hergestellten interpersonalen Distanz zwischen MA und B
Dreh- und rollbarer Sitzplatz für gleiche Augenhöhe zu sitzenden Personen
Längeres Sitzen in höhenvariabler Position, Ändern von Blick und Greifrichtung im 360 °Radius, Lokomotion ohne Aufstehen, Körperschweißabsorption
Bürodrehstuhl auf Rollen
ergonomisches – bequemes - Sitzen in Augenhöhe zu sitzenden Personen. Handhabung von Höhenverstellbarkeit und Drehbarkeit des Sitzes, individuelle Anpassung von Sitzposition und Rückenlehne, Haptik und Feuchtediffusionsgrad von Sitzu. Rückenlehne
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
357
... Fortsetzung Tabelle A.4.3 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Sitzplatz für gleiche Augenhöhe zu sitzenden Personen, leicht zu reinigender Bezug mit antibakterieller Wirkung; Sichtbarkeit feuchter Stellen; (Inkontinenzschutz)
Längeres Sitzen Körperschweißabsorption, Sichtbarkeit feuchter Stellen im Bezug, antibakterielle Wirkung des Bezuges, leichte Reinigung
Besucherstuhl auf Gleitern mit z.B. Micro-Care-Bezug in hellen Farben
Bequemes Sitzen in Augenhöhe zu sitzenden Personen. Haptik und Feuchtediffusionsgrad von Sitz- u. Rückenlehne, Wirksamkeit des Inkontinenzschutzes
Gutes Sehen und Erkennen ermöglichen für die BS-relevanten Sehaufgaben
Lichtsystem, Tageslicht, Sonnenschutz
Objektive Kriterien nach DIN/EN 5035 (Beleuchtung mit künstlichem Licht), DIN/EN 12464-1 (Beleuchtung von Arbeitsstätten-Innenräume) und Empfehlungen der LiTG (Lichttechnischen Gesellschaft Subjektive Kriterien: Blendfreiheit, angenehmes Licht
Garderobe
Kleiderablage
Garderobe (-nhaken)
Vorhanden/nicht vorhanden Wünschenswert/nicht erforderlich
Sauberkeit und Hygiene
Saubere/hygienische Optik und Haptik
Wahrnehmungsgrad von Sauberkeit und Hygiene
Individuelle Anpassung Raumtemperatur Arbeitsplatz
Thermostat
Einstellbarkeit der Raumtemperatur im Bereich des Arbeitslatzes auf individuelle Bedürfnisse in ausreichendem Maße möglich, leicht handhabbar und mit angemessen schneller Veränderung
Gleiches Ausstattungsniveau für MA und B
Vermitteln sozialer Gleichwertigkeit von MA und B
Gleiches Ausstattungsniveau für MA und B
Ausgeglichener Vergleich
Namensschild
Unterstützung einer persönlichen Gestaltung der Interaktion MA – B Information über die personalisierte, temporär begrenzte Ausschließlichkeit der Nutzung durch eine/n bestimmte/n MA
Personalisierung d. Raumes
Wahrnehmung durch B als persönlich gestaltete Interaktion
Abfallbehälter
Abfall einwerfen können
Abfallbehälter
Leichtigkeit der Bedienung
sozialer
358
A Anhang
A.4.4 Wartezone Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Wartezone für 30 Personen mit Kinderecke; der Wartebereich soll von Geräuschen aus dem Durchgangsverkehr abgeschirmt sein; kurze Wartezeiten (eher Aufgabe der Handlungsorganisation als der rpU-Gestaltung)
Verfügbarkeit eines Raumes/einer Fläche für eine zeitlich begrenzte Nutzung zum Warten (Sitzen, Lesen, . . . ) für eine bestimmte Anzahl von Personen (B), sowie für Raumobjekte mit einem freien Zugang, und ggf. unter Gewährleistung eines bestimmten Maßes an Privatheit (akustisch, visuell) gegenüber Ereignissen außerhalb dieses Raumes/dieser Fläche Bewegungs-/Aufenthalts- und Spielbereich für eine dem BSubS angemessene Anzahl von Personen (B) (auch mit Kinderwagen oder Rollstuhl, Kinder), jeweils sitzend unter einer mehr oder weniger unmittelbaren Wahrnehmbarkeit durch Personen (MA) aus der Infothek
Wartezone
Für die im BSubS angestrebte/n Besetzung, Handlungen und der dazu erforderlichen Raumobjekte: Angemessene Dimensionierung, Zuschnitt (Breite, Tiefe, Höhe, Zuwegung), Lage (im Raum/Gebäude), relative Lage der Raumobjekte zueinander und zu den Personen. Durchlässigkeit, Transparenzgrad und Schallabsorptionsgrad der raumumschließenden Flächen (Boden Decke, Wände) Angemessenheit des Bewegungsbereiches, Ausprägung der Wahrnehmbarkeit von Infothek und Beratungsräumen
Sitzplätze lagefixiert, leicht zu reinigender Bezug mit antibakterieller Wirkung; Sichtbarkeit feuchter Stellen; (Inkontinenzschutz); Anordnung derart, dass wenig Blickkontakt erzwungen wird
Sitzen an lagefixierten Orten, Sichtbarkeit feuchter Stellen im Bezug, antibakterielle Wirkung des Bezuges, leichte Reinigung Gewährleistung eines bestimmten Maßes an Privatheit (visuell) gegenüber anderen Personen innerhalb des BSubS
Besucherstuhl (festmontiert), Sitzbank, Bezug: z.B. Micro-CareBezug in hellen Farben, Leder, Kunstleder
Bequemes Sitzen. Haptik von Sitz- u. Rückenlehne, Wirksamkeit des Inkontinenzschutzes
Beleuchtung
Lesbarkeit von Umwelt und Druckerzeugnissen
In Bezug auf übrige Bereiche etwas abgedämpftere, „atmosphärische“ Beleuchtung
Objektive Kriterien nach DIN/EN 5035 (Beleuchtung mit künstlichem Licht), DIN/EN 12464-1 (Beleuchtung von Arbeitsstätten-Innenräume) und Empfehlungen der LiTG (Lichttechnischen Gesellschaft Subjektive Kriterien: angenehmes Licht
Spielbereich/-ecke
Aufmerksamkeitsfokussierung für eine dem BSubS angemessene Anzahl von B begleitenden Kindern über Bewegungs-/Aufenthalts- und Spielangebote
Spielbereich/-ecke
Reizqualität des Spielangebotes (B-Ki) Grad des „Störung“ durch Kinder (MA, B) Grad des Kontrollaufwandes von Begleitpersonen der Kinder
A.4 Tabellen zur Extraktion der Affordanzen
359
... Fortsetzung Tabelle A.4.4 Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Monitor, Bildschirmanzeige der Wartereihenfolge
Aufmerksamkeitsfokussierung für (B) auf Reize mittlerer Komplexität (Verkürzung der wahrgenommenen Wartezeit), Information über die Wartereihenfolge
Monitor
Wahrgenommene Wartezeit, Reizqualität des Informationsangebotes (Bildschirm)
Garderobe
Kleiderablage
Garderobe (-nhaken)
Vorhanden/nicht vorhanden Wünschenswert/nicht erforderlich
Abfallbehälter
Abfall einwerfen können
Abfallbehälter
Leichtigkeit der Bedienung
allgemeine Zeitinformation und Information über Dauer des Wartens zur Verfügung stellen
360
A Anhang
A.4.5 Verkehrswege Anforderungen
Affordanzen
Denotation
Affordanzmerkmale
Verbindungswege zwischen Räumen und Raumzonen
Barrierefreie Verfügbarkeit von Raum u. Fläche als kürzestmögliche Verbindung / Zuwegung zu Bereichen für Personengruppen des BS (B, MA), mit einem mehr oder weniger kontrollierten Zugang, auch getrennt nach Personengruppen (MA: Backoffice – Frontoffice), und einer mehr oder weniger unmittelbaren Wahrnehmbarkeit der Anordnung der erschlossenen Räume und deren Zugangsmöglichkeiten, mögliche Gebäudeausgänge, Einbindung in das Rettungswegesystem
Verkehrsflächen
(objektiv: nach Bauvorschriften, subjektiv: nach individueller Wahrnehmung) Barrierefreiheit (Überwindung von Höhendifferenzen, Öffnungsmechanismen und Transparenzgrad der Türen, Rutschsicherheit des Bodenbelages) Länge der Zuwegung Ordnung der Zuwegung und ihre Orientierungshilfen Angemessener Bewegungsbereich, Maß der Segregation nach Personengruppen
Fußbodenoberflächen im Laufweg mit Reinigungsfunktion der Schuhsohlen
Der Lokomotion beiläufige Reinigung der Schuhsohlen
Sauberlaufzonen
Länge und Oberflächenstruktur ausreichend für Reinigungskraft gegen Schmutz- u. Schneeeintrag
Trennung der Verkehrsflächen in Abschnitte
Zugang zu weiteren Verläufen der Wegeflächen/-räume
Flurtüren
Zugangskontrolle, Transparenzgrad und Öffnungsmechanismus der Türen im Alltagsbetrieb und in Gefahrensituationen
Aufzug
Überwinden von Höhendifferenzen von und innerhalb von Geschossdecken ohne größere Anstrengung und/oder mit nur horizontal verfahrbaren Objekten (Rollstuhl, Rollator, Trolley, größere Lasten)
Aufzug
Lage zu den übrigen Verkehrswegen Handhabung und Orientierungsangebot der Betriebsfunktionen Angemessener Bewegungsbereich, Sicherheitsgefühl durch Transparenzgrad Raumumschließungsflächen
Treppe
Überwinden von Höhendifferenzen von und innerhalb von Geschossdecken mit möglicher seitlicher Abstützfunktion und seitlicher Sturzsicherung
Treppe mit Geländer und Handlauf
Trittsicherheit Angemessener Bewegungsbereich, relative Lage u. Haptik des Handlaufs, Durchlässigkeit u. Transparenzgrad Treppengeländer
Wegeleitsystem
Orientierungsangebot
Wegeleitsystem
Zu Räumen/Flächen des BS Zu anderen Räumen/Flächen und Gebäudeteilen
Abfallbehälter
Abfall einwerfen können
Abfallbehälter
Leichtigkeit der Bedienung
A.5 Exkurs: Orientierung
361
A.5 Exkurs: Orientierung A.5.1 Theorie und Empirie zur Selbstverortung und Erhalt der Orientierung in der Bewegung Orientierung bedeutet manchmal, wissen zu können, in welchem Teil einer Stadt man sich befindet, manchmal aber auch zu wissen, wie man von einem Ort zu einem anderen gelangt. Daraus formulieren Gärling, Böök und Lindberg (1985) zwei zentrale Fragen: 1.) Wie findet die Orientierung in einer Umgebung statt? 2.) Wie wird die Orientierung während der Fortbewegung aufrechterhalten? Außerdem ist die Orientierung in einer bekannten Umgebung von der in einer unbekannten zu unterscheiden. Orientierung in unbekannter Umgebung hängt wesentlich von einer Überwachung der Fortbewegung ab; zentrale Informationsverarbeitung, sowie auditive, propriozeptive/taktile, vestibuläre und visuelle sensorische Prozesse sind dazu erforderlich. Die eigene Fortbewegung muss laufend hinsichtlich zurückgelegter Entfernung und Richtungswechsel überwacht werden. Werden wiederholte Prozesse durch Distraktionsaufgaben gestört, dann kann rückwirkend über die Art der Fortbewegung auf den Weg geschlossen werden; ein Rückschluss ist auch möglich, wenn ein Umweltausschnitt von verschiedenen Standpunkten aus gesehen werden konnte. Für den Erhalt der Orientierung während der Ausführung einer Routenplanung sehen die Autoren in der Vorhersagbarkeit oder Antizipation von Umweltmerkmalen eine wichtige Funktion; sie beziehen sich damit auf den von Neisser (1976, S. 111; zit. n. Gärling et al., 1985) favorisierten Begriff des ’Orientierungsschemas’ anstelle der kognitiven Karte, der eine Struktur aktiver Informationssuche betont. Referenzobjekte sind Teil des Routenplans und Wiedererkennungsmerkmale räumlicher Relationen, über die Umgebungsmerkmale antizipiert werden. Neben den Wiedererkennungsmerkmalen ist
362
A Anhang
ein Wissen über die Richtung nötig, die eingeschlagen werden muss, um den Zielort zu erreichen. Auch die Überwachung der eigenen Fortbewegung spielt hier eine Rolle, die allerdings umso mehr an Bedeutung verliert, je bekannter die Umgebung ist. A.5.1.1 Stufen der Orientierung Gärling et al. (1985) definieren die Aufrechterhaltung der Orientierung als "...the ability to perceive ones position relative to points or systems of reference in the environment." (ebd., S. 165) und schlagen eine Hierarchie von Orientierungsfunktionen vor, die auf unterster Stufe mit der Orientierung des Körpers (body orientation) beginnt; darunter wird in Anlehnung an Gibson (1966, 1979; zit. n. ebd.), Howard (1982. zit. n. ebd.) und Pick (1976, zit. n. ebd.) die Perzeption der Körperachsen relativ zur Schwerkraft und die der Körperextremitäten relativ zu den Körperachsen verstanden. Die Orientierung auf der nächsthöheren Stufe bezieht sich auf die einer unmittelbaren visuellen, aber auch auditiven Perzeption zugänglichen Referenzsysteme bei konstanter Position. Auf der obersten Stufe steht eine Orientierung in Bezug auf Referenzpunkte und -systeme, die einer unmittelbaren Wahrnehmung nicht zugänglich sind, sondern mental repräsentiert sind. Eine Raumorientierung nach Gibsons (1950; zit. n. ebd.) Definition, als Perzeption der Lage von Objekten und Oberflächen relativ zu der Person, wird von der oben zitierten insofern unterschieden, als darin vice versa die Position der Person relativ zu den umgebenden Referenzpunkten betont wird. Daraus wird abgeleitet, dass Referenzpunkte, neben ihrer Funktion als raumstrukturierende Konstituenten der kognitiven Karte, Merkmale der Umgebung sind, auf die sich eine eigene Verortung bezieht. Diese Referenzpunkte müssen dann nicht unmittelbar wahrgenommen werden können, sondern können auch außerhalb der Wahrnehmungsfeldes liegen; sie müssen dann aber kognitiv
A.5 Exkurs: Orientierung
363
verfügbar sein (ebd.). Diese feinsinnige Unterscheidung scheint einerseits die antreffbare Umwelt Gibsons widerzuspiegeln, die in Bezug auf eine Person für jede beliebige Person antreffbar ist, während andererseits aber Gärling et al. die angetroffene Umwelt in der Perzeption einer Person ansprechen. In keinem Fall sind dann aber die Referenzpunkte als antreffbare Merkmale der Umgebung zu verstehen, sondern werden im Vorgang der Wahrnehmung während der Informationsverarbeitung zu angetroffenen Umgebungseigenschaften. Gemeinsamkeiten zu Gibsons Auffassung sehen sie in seiner Betonung (Gibson, 1950, 1966, 1979; zit. n. ebd.), dass nicht nur das visuelle Feld (field of view) wahrgenommen wird, sondern eine ’sichtbare Welt’ (visual world). Und diese schließt (in bestimmten Fällen; Anm. d. Verf.) auch verdeckte Objekte (oder Flächen und Kanten, Anm. d. Verf.) mit ein. Allerdings wird angenommen, dass diese zwar verdeckten, doch in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Inhalte anders repräsentiert sind, als beispielsweise eine weit entfernt gelegene Stadt. A.5.1.2 Lokomotion und Wegfindung Montello (2005, S. 258-262) schlägt eine Differenzierung der Navigation in die zwei Komponenten der Lokomotion (locomotion) und Wegfindung (wayfinding) vor. Lokomotion ist die Fortbewegung des eigenen Körpers innerhalb der lokalen oder ’proximalen’ Umwelt; das ist die Umwelt, die zu einem gegebenen Zeitpunkt oder innerhalb eines eng begrenzten Zeitraumes unmittelbar dem sensumotorischen System eines Individuums zugänglich ist. In Anlehnung Pick und Palmers Definition "Locomotion is guided both perceptually by current sensory information and cognitively by previously acquired information" (Pick und Palmer, 1986, S. 135; zit. n. Montello, 2005)
364
A Anhang
versteht er nur die perzeptuelle Führung über das sensorische System als Lokomotion; die kognitive Führung über die erlernten Inhalte benennt er dagegen als Wegfindung, eine zielgerichtete und effizient geplante Fortbewegung des eigenen Körpers innerhalb einer Umwelt. Die Wegfindung erfordert ein Ortsziel, das erreicht werden soll. Es ist in der Regel vom aktuellen Ort aus entfernt gelegen und einer unmittelbaren Wahrnehmung nicht zugänglich. Die Koordinationsleistung umfasst nicht nur sensumotorische Aktivitäten, sondern auch Gedächtnisinhalte und externe Repräsentationen wie zum Beispiel Landkarten; sie ist ’distal’ ausgerichtet; das Verhalten schließt Planung und Entscheidungsfindung mit ein. In der Navigation sieht Montello beide Komponenten in unterschiedlichem Maß beteiligt und nur konzeptionell unterscheidbar. Die Grenzen der Komponenten sieht er als nur an Beispielen semantisch unterscheidbar; Lokomotion ohne die Wegfindungskomponente findet beispielsweise statt, wenn eine Mutter in Erwartung der unmittelbar bevorstehenden Niederkunft auf der Entbindungsstation hin und her läuft; Wegfindung ohne Lokomotion ist eine Reiseplanung am Küchentisch, zu der sich die Fortbewegung nur vorgestellt wird. A.5.1.3 Perspektiven im Navigationsraum Tversky (2005) berichtet drei verschiedene Perspektiven, die in der Navigation durch den Raum eingenommen werden können. Der Navigationsraum kann nach unterschiedlichen Maßstäben beispielsweise aus Plätzen, Ländern, Planeten oder Sternen bestehen. Er ist größer, als dass er von einem Punkt aus erfasst werden kann. Vielmehr werden Informationsinhalte zu einzelnen Teilräumen in vielfältiger Weise zusammengefügt, verbunden, überblendet oder eingefügt. Die Teilräume können verschiedene Maßstäbe haben, aus unterschiedlichen Perspektiven stammen oder unterschiedliche Inhaltsbereiche ansprechen. Unvollständige Informationen werden schlussfolgernd
A.5 Exkurs: Orientierung
365
innerhalb eines bekannten Referenzrahmens ergänzt. Die Vernetzung der Informationen ist oftmals fehlerbehaftet und es sind konsistente Irrtümer erkennbar. Plätze oder Landmarken bestehen aus einer Konfiguration von Objekten (Wände, Möbel, Gebäude, Straßen und Bäume) und sind innerhalb eines Referenzrahmens über Wege oder Richtungen verbunden. Die mentale Navigation durch eine solcherart konstituierte Umwelt aktiviert spezifische Teile des Parahippocampus; außerdem sind selektiv sensitive Hirnregionen auf Plätze, Gesichter, Objekte und Körper identifizierbar; das legt den Schluss nahe, dass diese Dinge für die menschliche Wahrnehmung von signifikanter Bedeutung sind und in der Informationsverarbeitung voneinander unterschieden werden können. Eine Navigationsbeschreibung enthält in der Regel eine relative Verortung von Plätzen zueinander und zu einem übergeordneten Referenzrahmen von einem bestimmten Standpunkt aus. Die drei Perspektiven des Erwerbs von Informationen zum Navigationsraum, seiner Aneignung, werden nach einer Routen-Perspektive (route perspective), Übersichtsperspektive (survey perspective) und einer Perspektive des festen Standortes (gaze perspective) unterschieden. In der Navigation sind zwei Perspektiven üblich, von denen entweder nur eine oder aber beide gemischt vorkommen. In der Routen-Perspektive werden Objekte relativ zu einer sich verändernden Position entlang des zurückgelegten Weges in den Richtungsbegriffen rechts/links und vorn/hinten beschrieben. In der Übersichtsperspektive (survey perspective) wird ein Standpunkt oberhalb des Raumes eingenommen und von dort Objekte in einer relativen Lage zueinander oder zu einem externen Referenzrahmen (zum Beispiel Himmelsrichtung) beschrieben. Beide Formen der navigierenden Raumaneignung tragen zu einer mentalen Raumrepräsentation bei, die ähnlich einem Architekturmodell perspektivfrei ist und eine freie Standpunkt- oder Perspektivwahl innerhalb des mentalen Modells erlaubt. Aus der dritten Perspektive des festen Standortes, auch als linguistische Perspektive benannt, werden
366
A Anhang
kleinere, überschaubare Umgebungen beschrieben, die von einem festen Standpunkt aus einsehbar sind. Die Objekte werden in einer relativen Lage zueinander in Bezug auf den Standort des Betrachters in den Kategorien von rechts und links beschrieben. Die drei perspektivisch differenzierten Umweltbeschreibungen korrespondieren sowohl zur Umweltakquisition nach Tversky (1996; zit. n. Tversky, 2005), sowie Taylor und Tversky (1996; zit. n. Tversky, 2005), über a) einen festen Standpunkt, b) einer Fortbewegung durch die Umwelt und c) einem Blick auf die Umwelt von oben, als auch zu der Differenzierung nach Levinson (1996; zit. n. Tversky, 2005) nach relativer (gaze-perspective), intrinsischer (route perspective) und extrinsischer (survey-perspective) Perspektive. A.5.1.4 Der Körperraum, der Raum um den Körper und die Referenzsysteme Außer dem angesprochenen Navigationsraum können nach Tversky (2005) auch noch zwei weitere Räume von räumlich-visueller Natur differenziert werden: der Körperraum und der Raum um den Körper; sie trifft damit die von Gärling et al. (1985) vorgeschlagene und oben angesprochene Hierarchie der Orientierung. Die mentale Repräsentation des Körperraumes spiegelt die spezifische Funktion einzelner Körperpartien wider, wie beispielsweise die Füße und Beine die Fortbewegung in der Welt, oder die Hände und Arme die Handhabung von Objekten. Über den Körper wird wahrgenommen und agiert; dem entsprechen auch die zwei Repräsentationsformen des sensumotorischen Cortex: die Perzeption einerseits und die Motorik andererseits. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers unterscheidet sich von der Wahrnehmung anderer Objekte darin, dass er sowohl von innen über das sensorische Feedback motorischer Tätigkeit als auch von außen visuell wahrgenommen werden kann. Tversky referiert Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass
A.5 Exkurs: Orientierung
367
die innere Kenntnis des Körpers sowohl die Bewegungswahrnehmung anderer menschlicher Körper beeinflusst als auch die Geschwindigkeit der Wiedererkennung verschiedener Körperpartien. Für letzteres scheinen die Eigenschaften der Unverwechselbarkeit von Körperteilkonturen und ihre Größe, perzeptuelle Salienz oder funktionale Bedeutung verantwortlich zu sein. Im Raum um den Körper wird das Wissen um die Welt erworben, er ist der Raum des Handelns und des Erreichens von Zielen. Es konkurrieren drei Theorien um die Wahrnehmungsinterpretation des umgebenden Raumes: Nach der Theorie der gleichwertigen Verfügbarkeit (Equiavailability Theory) aller wahrnehmbaren Objekte stehen alle Objekte der Umgebung gleichwertig einer Wahrnehmung zur Verfügung. Nach der Theorie der Bildlichkeit (Imagery Theory) versetzt sich ein Beobachter mental in eine bestimmte Szenerie und stellt sich die Objekte in einer relativen Lage zur eigenen Position vor. Die Theorie eines räumlichen Bezugssystems (Spatial Framework Theory) geht davon aus, dass ein Informationsabruf von Objekten auf einem mentalen räumlichen Achsensystem basiert, das durch die Körperachsen Kopf/Fuß, vorn/hinten und links/rechts konstituiert ist. Die Leichtigkeit eines Informationsabrufs korreliert mit der Asymmetrie des Achsensystems. Die Kopf/Fuß- und die vorn/hinten-Achsen sind asymmetrisch; der Kopf/Fuß-Achse entspricht die in der Welt angetroffene vertikale Achse, die aufgrund der Schwerkraft als einzige Achse ebenfalls asymmetrisch ist; Objekte werden nach dieser Bezugsachse am schnellsten identifiziert. Der asymmetrischen vorn-hinten/Achse entspricht keine Achse in der Welt, die in gleicher Weise asymmetrisch ist; Objekte, die im Wahrnehmungsraum vorn liegen, werden dabei schneller erkannt, als die rückwärts gelegenen; in der Sicht nach vorn ist die Wahrnehmung am besten; es ist die primäre Sicht der Orientierung und der Fortbewegung. Der langsamste Abruf erfolgt in einem Bezug zur symmetrischen Körperachse rechts-/links. Allerdings sind diese Befunde nicht eindeutig; weitere Parameter der Umweltwahrnehmung
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A Anhang
variieren die Abrufgeschwindigkeit: Wird die Umwelt um den Betrachter gedreht, oder aber der Betrachter dreht sich in der Umwelt, ist der Betrachter angelehnt oder gestützt (reclinig), erfolgt die Umweltwahrnehmung narrativ, von Diagrammen, Perspektivübernahme stellvertretender Puppen in modellierten Situationen oder in der aktuellen Erfahrung. Alle Modalitäten führen zu einer spezifischen Veränderung der Abrufgeschwindigkeit. In den Forschungsergebnissen zeichnet sich ab, dass für den Gedächtnisabruf eher die Theorie des räumlichen Bezugssystems gilt, während unter den Bedingungen der Wiedergabe in aktueller Perzeption der Theorie der Bildlichkeit die größte Erklärungskraft zukommt; aber es zeigt sich auch, dass Beobachter der Umgebung weniger visuelle Aufmerksamkeit zukommen lassen, wenn sie einmal bekannt ist; auch während des aktuellen Aufenthalts darin, wird eine bekannte Umwelt mehr aus dem Gedächtnis abgerufen, erkennbar an einem Nachlassen des Schauens bei zunehmender Vertrautheit der Umwelt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass zwei Perspektiven für die Repräsentation des umliegenden Raums entscheidend sind: Über eine interne Perspektive auf die umgebende Umwelt perzipiert ein Beobachter eine neue oder sich verändernde Umweltkonstellation und speichert sie in einem mentalen Modell ein, das auf dem Körperachsensystem basiert; das mentale Modell erlaubt dann die Einnahme verschiedener Perspektiven, Rotation und Verschiebung der Umwelt und ermöglicht eine dezentrierte Repräsentation der Welt aus externer Sicht. A.5.1.5 Individuelle Referenzsysteme Für die Aneignung der physischen Umwelt ist möglicherweise die individuelle Salienz der aus der Umwelt abrufbaren Bezugssysteme von einer besonderen Bedeutung; das fanden T. Schmidt und Lee (2006) in einem Experiment, in dem die Interaktion differentieller Abrufgeschwindigkeit,
A.5 Exkurs: Orientierung
369
Akkuratheit des Abrufs und Fehlerkonsistenz memorierter Umgebungsvariablen im Vergleich zur angetroffenen Umgebung unter egozentrischem und allozentrischem Referenzrahmen (zum Beispiel Milner und Goodale, 1995; zit. n. ebd.) analysiert wurde. Unter einem egozentrischen Referenzrahmen wird die Umgebungsinformation in räumlicher Relation zum eigenen Körper aus der Perspektive des Beobachters wahrgenommen. Der allozentrische Referenzrahmen ist vom aktuellen Beobachterstandpunkt unabhängig; er wird noch einmal zwischen dem Referenzrahmen der Umgebung mit ihren Landmarken oder ihrer Raumgeometrie und nach den Objekten, die sich in der Umgebung befinden (nach Carlson-Radvansky and Irwin, 1993; zit. n. ebd.) unterschieden. Es wurden zwei experimentelle Designs unter einer mittigen Perspektive der beobachtenden Person innerhalb einer Objektkonstellation gewählt. Das Erste fand in einem hinsichtlich allozentrischer Referenzen neutralen, nämlich kreisförmigen Raum statt; wahlweise wurde entweder über einen dreieckigen Teppich ein umgebungszentrierter oder zusätzlich über Objekte, die an den Ecken des Teppichs angeordnet sind, ein umgebungs- und objektzentrierter Referenzrahmen induziert. Im zweiten Design waren Objekte kreisförmig in einem dreieckförmigen Raum angeordnet. Es wurde erwartet, dass der von Hintzmann et al. (1981, zit. n. ebd.) bekannte Effekt eines egozentrischen Referenzsystems auftritt: der Abruf für Objekte verschlechtert sich in dem Maß, in dem die Lage der Objekte von der imaginierten Blickrichtung abweicht. Weiterhin wurde erwartet, dass ein allozentrischer Effekt in Bezug auf eine umgebungszentrierte oder aber die kombinierte umgebungs- und objektzentrierte Referenz verschieden ist; hiernach wurde erstens nach Werner et al. (1998, zit. n. ebd.) ein schnellerer Abruf erwartet, wenn die Blickrichtung mit einer Referenzachse aus der Umgebung (Spitze oder Basis des Dreieckteppichs) übereinstimmt; zweitens wurde angenommen, dass der Abruf für Objekte entlang einer salienten Umgebungsachse auch unabhängig von einer Blickrichtung schneller ist,
370
A Anhang
als für Objekte anderer Achsen; drittens sollte das Fehlermuster für den von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichenden Abruf symmetrisch in Bezug auf die saliente Bezugsachse des Abrufs sein und damit einen unabhängigen Nachweis erbringen, dass sich der Abruf auf diese Achse bezieht. Die Ergebnisse konnten die Erwartungen weitgehend bestätigen; aber sie lassen die Autoren auch vermuten, dass Objekte möglicherweise nach einem beliebigen, aber individuell salienten Bezugssystem aus der Umgebung mental repräsentiert werden; ein allozentrisches, umgebungszentriertes Bezugssystem darf daher nicht allein als aus der Umwelt ablesbar angesehen werden, sondern es ist die jeweilig individuelle Salienz eines Referenzrahmens zu berücksichtigen. A.5.1.6 Überindividuelle Referenzsysteme Eine Salienz der Referenzsysteme divergiert aber auch überindividuell je nachdem ob sich ein Beobachter in einem Zustand der Desorientierung neu orientiert (das ’sich Orientieren’) oder ob er während der Fortbewegung die Orientierung aufrechterhält. Unter allozentrischen umgebungszentrierten Referenzrahmen werden zwei Reizkategorien diskutiert: Geometrische Merkmale (geometric cues) ergeben sich aus der Erstreckung von raumbegrenzenden Oberflächen; Eigenschaften, die nicht ausschließlich geometrisch beschrieben werden können (featural cues), sind Farbe und Textur von Oberflächen. Kelly, McNamara, Bodenheimer, Carr und Rieser (2008) beschreiben einen durchgehenden Befund gängiger Experimente, dass geometrische Reizkonfigurationen annähernd immer zur Orientierung herangezogen werden, während die Orientierung an den ’featural cues’ vom Alter der Personen, der Größe des zu beurteilenden Umweltausschnittes und von sekundären Anforderungen aus den Experimenten abhängig ist. In einem Doppelexperiment fokussierten sie die geometrischen Eigenschaften des
A.5 Exkurs: Orientierung
371
Raumes; die Versuchsanordnung wurde auf dem ’disorientation paradigm’ aufgebaut, in dem Personen zunächst desorientiert werden, um dann eine Orientierungsaufgabe durchzuführen, die in der Regel darin besteht, Ecken aufeinanderstoßender Flächen wiederzuerkennen. Kelly et al. unterscheiden zwischen einer Neuorientierung und der Aufrechterhaltung der Orientierung während der Lokomotion durch den Raum. Unter der Neuorientierung ist die Wiedererkennung des Raumes umgekehrt proportional zu der Anzahl rotationssymmetrischer Achsen des Raumes; eine Trapezform hat nur eine rotationssymmetrische Achse, ein Rechteck zwei, ein Quadrat vier und ein Kreis unendlich viele. Die Lokomotion durch den Raum erfordert eine Aufrechterhaltung der Orientierung, zu der auch eine wiederholte Neuorientierung erforderlich ist; ihre Untersuchung ging der Frage nach, wie die Orientierung während der Lokomotion in Bezug auf die geometrischen Eigenschaften aufrechterhalten wird. Dabei spielte die Pfadintegration (path integration) eine Rolle, in der internale (vestibuläre und propriozeptive) und externale Reize (visuell und auditiv, zum Beispiel in Bezug auf Farbe und Textur der Oberflächen) der Fortbewegung verarbeitet werden. Es wurde erwartet, dass bei zunehmender Anzahl rotationssymmetrischer Achsen des Raumes in der Fortbewegung nicht nur die Raumgeometrie, sondern auch der zurückgelegte Weg in die Aufrechterhaltung einer Orientierung mit einbezogen wird. Im ersten Experiment zeigte sich, dass eine Erhaltung der Raumorientierung in kreisförmigen Räumen mit der Länge des zurückgelegten Weges abnimmt, was als Hinweis auf die Pfadintegration gesehen wird, da ein kreisförmiger Raum keine geometrischen Richtungshinweise enthält. In den drei eckigen Räumen (trapezförmiger, rechteckiger, quadratischer Grundriss) spielte die Weglänge keine Rolle, und hier sind zwei Erklärungen möglich. Einerseits können die erinnerte Raumform und damit die geometrischen Merkmale dafür verantwortlich sein, die aber mit zunehmender Anzahl rotationssymmetrischer Achsen mehrdeutig und damit fehlerbehaftet
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A Anhang
würde. Andererseits ist das Ergebnis aber auch durch eine Erinnerung des zurückgelegten Weges mit den damit verbundenen externalen Reizen visueller Eindrücke von Oberflächeneigenschaften und Raumecken erklärbar; internale Reize der Fortbewegung sind dagegen in allen Bedingungen die gleichen. Im zweiten Experiment wurde deshalb unter einer Versuchsbedingung eine aus vier Wänden bestehende Raumform während der Lokomotion verändert, während in den beiden anderen Bedingungen die Fortbewegung in einem kreisförmigen und einem quadratischen Raum stattfanden. In der kreisförmigen Bedingung zeigte sich der aus dem ersten Experiment bekannte Befund einer abnehmenden Orientierung mit zunehmender Weglänge; in der quadratischen Bedingung war die Orientierung auch mit zunehmender Weglänge gleich gut; hingegen nahm die Orientierung unter der Bedingung des sich verändernden Raumes mit zunehmender Weglänge ebenfalls ab. Die Ergebnisse lassen eine Unterschiedenheit einer Neuorientierung zu einem Orientierungserhalt in der Lokomotion erkennen. Ein erfolgreicherer Erhalt der Orientierung in den unverändert eckigen Räumen im Vergleich zu der variierten Raumform zeigt auch, dass weniger die Weglänge, sondern die geometrische Form Gegenstand des Orientierungserhalts ist. Es wird angenommen, dass die Probanden für eine Orientierung zunächst eine Referenzachse wählen, die möglicherweise mit der Symmetrieachse des Raumes korrespondiert und die weiterhin als ein individueller "Nordpol" dient. A.5.1.7 Zusammenfassung zu den Theorien der Orientierung Der bisherige Exkurs fokussierte die konzeptuelle Seite orientierungsrelevanter Zusammenhänge der Raumwahrnehmung zusammen mit einigen empirischen Belegen. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine Orientierung nach der Selbstverortung im Raum (eine Neu- oder Wiederorientierung, ’reorientation’) und ihrer Aufrechterhaltung während der
A.5 Exkurs: Orientierung
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Fortbewegung (’maintenance of orientation’) unterscheidbar ist; eine Fortbewegung kann zielgerichtet sein oder auch nicht; ist sie zielgerichtet, wird sie als Navigation bezeichnet. Die Orientierung findet über drei Inhaltsbereiche statt. Eine Körperselbstwahrnehmung ermöglicht sowohl die sensorische Rückmeldung motorischer Prozesse von Körperpartien, als auch ihre visuelle Wahrnehmung; außerdem ist über den Körper ein Referenzsystem des Oben/Unten (Longitudinalachse)1 , Vorn/Hinten (Sagittalachse) und Rechts/Links (Transversalachse) bereitgestellt. Die Wahrnehmung des Raumes um den Körper von einem gegebenen Standpunkt umfasst auch verdeckte Merkmale, wenn auf sie durch unmittelbare Evidenz (zum Beispiel teilverdeckte Kanten) oder aber aufgrund von Vorwissen geschlossen werden kann; unterschiedlichen Theorien zufolge werden umgebende Objekte in relativer Lage zur eigenen Position abgespeichert oder aber in Referenz auf das körpereigene Achsensystem kodiert; die Körperachsen werden auf saliente Achsen der Umgebungsgeometrie hin geeicht. Der Navigationsraum erstreckt sich zielorientiert über eine beliebig weit gefasste Umgebung, in der Weg und Zielorte in der Regel außerhalb der unmittelbaren visuellen Wahrnehmung von einem gegebenen Standort aus gelegen sind. Der Navigation selbst liegt neben Planungs- und Entscheidungsprozessen die Orientierung als wesentliches Merkmal zugrunde; die Navigation kann als aus den zwei Komponenten Lokomotion und Wegfindung (wayfinding) bestehend angesehen werden; die Lokomotion unterliegt einer perzeptuellen Führung angesichts der unmittelbar angetroffenen Umweltmerkmale; die Wegfindung basiert auf anderen kognitiven Prozessen wie z.B. des Gedächtnisabrufs, der Interpretation externer Repräsentationen (zum Beispiel Landkarte, Grundriss- und Stadtpläne, u.a.), der Planung und der Entscheidungsfindung. Eine orientierende Umweltaneignung findet 1
Anatomische Nomenklatur in Klammern
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A Anhang
über drei Perspektiven entweder isoliert oder in freiem Wechsel zwischen ihnen statt; die relative oder ’gaze’-Perspektive ist an den festen Standort gebunden; in der internen oder Routenperspektive (route perspective) verändert sich der Standpunkt mit fortschreitender Lokomotion; über die externe oder Übersichtsperspektive (survey-perspective) wird mental oder nach externen Repräsentationen ein Standpunkt, der für eine Übersicht geeignet ist, außerhalb des Navigationsraumes eingenommen. Die Referenzsysteme der ersten beiden Perspektiven werden als egozentrisch, die der Übersichtsperspektive als allozentrisch bezeichnet und letztere noch einmal nach den Merkmalen des Umweltausschnittes in objektzentriert (auf Objekte in der Umgebung) und umgebungszentriert (auf Raumgeometrien und Landmarken) differenziert. Referenzsysteme dienen einer Selbstverortung und Ausrichtung und werden noch in weiterer Weise vielfach unterschieden. Neben dem Körperachsensystem und ego- und allozentrischen Referenzen sind das Referenzsysteme interner Repräsentationen wie kognitive Karten beziehungsweise Collagen oder Orientierungsschemata, sowie externer Repräsentationen. Für die Auswahl der Referenzsysteme erscheint ihre Salienz maßgeblich, die sowohl individuell verschieden sein kann als auch nach dem Prozesscharakter der Orientierung entweder als Neuorientierung oder Erhalt der Orientierung unterscheidbar ist; außerdem scheinen saliente Referenzachsen der Umgebungsgeometrie für eine Eichung der Ausrichtung einer Fortbewegung, gleich einem individuellen ’Nordpol’, genutzt zu werden. Zum Abschluss dieser zusammenfassenden Darstellung einer Konzeption der Orientierung sei noch angemerkt, dass die Orientierung, mit Ausnahme ihrer vestibulären Prozesse, aber insbesondere in der Navigation, in der Regel als ein aufmerksamkeitsgesteuerter Prozess angesehen wird; jedoch weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass auch unbewusste Prozesse eine Rolle spielen; so konnten beispielsweise F. Schmidt und Schmidt (2010) für Farben und Formen zeigen, dass die Umgebungswahrnehmung
A.5 Exkurs: Orientierung
375
nicht allein aufmerksamkeitsgesteuert erfolgt, sondern auch subliminale Wahrnehmungen das Erlernen der physischen Umwelt beeinflussen.
A.5.2 Pragmatische Ansätze der Orientierung Der Exkurs wird nun mit Ansätzen einer pragmatischen Forschungsausrichtung zur Orientierung im Raum fortgesetzt, welche auf die entsprechenden Qualitäten der gebauten Räume und vorwiegend der Räume in Gebäuden abzielt; sie können ein Potential bereitstellen, orientierungsrelevante Umwelteigenschaften in die Gebäudeevaluation und Gebäudeplanung einfließen zu lassen. In der Regel ist eine Gebäudeevaluation nach umweltpsychologischen Kriterien auf eine subjektive Beurteilung von Merkmalen aufgebaut; es ermangelt eines quantitativen Maßes, das den qualitativen Urteilen gegenüber gestellt werden könnte, und es erlaubte quantitativ begründete Vergleiche zwischen Umweltgestaltungen zu ziehen. Eine Gebäudeplanung erfolgt heuristisch auf dem Erfahrungshintergrund und der Kenntnis von Gestaltungsexperten, sowie ihrer Fähigkeit die vielfältigen Anforderungen von Auftraggebern, Bau- und Unfallverhütungsvorschriften, späteren Nutzern und ästhetischem Anspruch zu erkennen und/oder zu antizipieren und sie dann in die Gestaltung eines ausgewogenen Gesamtwerks einfließen zu lassen. Bautechnik und Gebäudefinanzierung stellen genügend quantitative Maße bereit, sind aber für die Gebäudefunktion eines darin stattfindenden Verhaltens und Erlebens von geringerer Bedeutung. A.5.2.1 Stimulation, Kohärenz, Affordanzen, Kontrolle und Restoration als Referenzen der Orientierung Evans und McCoy (1998) haben fünf qualitative Kriterien vorgeschlagen, nach denen ein Gebäude das Wohlbefinden darin beeinflusst. Die Stimulation, der ein Beobachter in der Umwelt ausgesetzt ist, beschreibt die Menge
376
A Anhang
an Information und insbesondere einer visuellen Differenziertheit, die auf den Nutzer einströmt. Intensität, Vielfalt, Komplexität, Neuigkeitswert und Rätselhaftigkeit (mystery) (zum Beispiel der Explorationsanreiz teilverdeckter Räume) sind Qualitäten, die den Grad der Stimulation ansprechen; dieser sollte in einem mittleren Bereich angesiedelt sein; zu wenig Stimulation führt zu Langeweile; ein Zuviel dagegen lenkt von Aufgaben ab, interferiert mit zielorientierten kognitiven Prozessen und mindert die Konzentrationsfähigkeit. Die Kohärenz bezieht sich auf Klarheit und Verständlichkeit der Gebäudeform und seiner Elemente; sie unterstützt zielgerichtetes Handeln durch eine lesbare Struktur des Innenraums. Die Autoren sehen als drittes Kriterium auch Gibsons Affordanzen als wichtige Merkmale des Raumes an; in der Art und Weise wie sie verstanden werden, wird der Raum benutzt. Mehrdeutigkeiten können zu Missverständnissen führen; beispielsweise kann eine einzelne Stufe im Boden, bei gleichbleibender Textur des Bodenbelages sowohl auf der Stufe als auch auf den Belägen beider Fußbodenhöhen, ein stufenloses Niveau signalisieren und zur Stolpergefahr werden: Die Stufe erzwingt einen Höhenwechsel, während die Textur des Belages eine gleichbleibendes Höhenniveau andeutet. Unter dem vierten Kriterium der Kontrolle wird die Möglichkeit oder Fähigkeit verstanden einerseits die physische Umgebung zu verändern (zum Beispiel durch Öffnen einer Tür) oder die eigene Exposition zu der Umgebung zu regulieren. Physische Begrenzungen, Flexibilität und Reagibilität, Privatheit, Raumsyntax, Territorialität und Symbolhaftigkeit einzelner Elemente werden dafür als saliente Designkonzepte angesehen. Das fünfte und letzte Kriterium sind restorative Qualitäten als eine Art ’therapeutischer’ Eigenschaften des Raumes, kognitive Ermüdung oder den Einfluss von Stressquellen zu reduzieren. Design wirkt in diesem Zusammenhang als ein Copingsystem, das die Balance zwischen Anforderungen aus der Raumkonstellation mit persönlichen Bedürfnissen herstellt; das können Rückzugbereiche, anregende Gestaltungselemente oder
A.5 Exkurs: Orientierung
377
naturnahe Umgebungen sein. Ein Zusammenhang dieser Kriterien mit der Orientierung besteht nach Ansicht des Verfassers darin, dass die Stimulation durch visuelle Diversität orientierungstützende Ortsmarken (landmarks) bereitstellt, während in monotone Gestaltungen wiederholt identische Merkmale eine Orientierung erschweren; Weisman (1981) beispielsweise sieht die Wegfindung (wayfinding) im Gebäude vom visuellen Zugang zu relevanten Merkmalen und ihrer gestalterischer Differenzierung beeinflusst. Die Lesbarkeit kohärenter Umweltgestaltung spricht auch semantische Aspekte der Umweltmerkmale an; es kann vermutet werden, dass die kognitive Kartierung dann durch semantische Kategorien angereichert ist und einen Abruf, ergänzend zu den geometrischen oder Objektreferenzen, erleichtert. Auch Affordanzen sind semantisch kodiert und können als Ortsmarke in die kognitive Karte eingehen, wenn sie ein herausragendes Merkmal der Umgebung der Umgebung sind (zum Beispiel eine Tür in der Wand: Durchlässigkeit als Angebot zur Fortbewegung); außerdem können sie Gegenstand einer Pfadintegration sein. Die Kontrolle versteht der Verfasser als eine Subkategorie der Affordanzen (vgl. Abschnitt 10.2) insofern die Umwelt eben das Angebot einer Ausübung von Kontrolle auf die Umwelt oder die eigene Exposition in ihr in sich trägt; ebenfalls sind Begrenzungen, die ja auch Evans und McCoy (1998) unter die Kontrolle fassen, nach Gibsons Affordanzkonzept negative Angebote; es wurden außerdem in der vorliegenden Arbeit Kontrollaspekte aus den Affordanzen der Umwelt extrahiert. Die Raumsyntax, von Evans und McCoy (ebd.) ebenfalls als Element der Kontrolle verstanden, wird noch innerhalb dieses Exkurses beschrieben. Das fünfte Kriterium der restorative Qualitäten von Innenräumen kann dann, wenn es sich um besondere Räume in einer sonstigen Arbeitsumgebung handelt, wie es zum Beispiel bei einem Rückzugsraum gegeben ist, zu einer orientierungsfördernden Ortsmarke werden.
378
A Anhang
A.5.2.2 Entropiemaß visueller Differenziertheit Den subjektiven Eindruck visueller Differenziertheit hat Stamps (2002) zu einem statistischen Maß der Entropie von Stimuli in Beziehung gesetzt. Entropie bezeichnet im Zusammenhang der Informationstheorie von Shannon und Weaver (1949; zit. n. ebd.) das mittlere Maß des Informationsgehaltes des Zeichens eines bedeutungshaltigen Systems. Ein Ziel in der Gestaltung von Gebäuden ist es, über visuelle Differenzierung einerseits Monotonie und andererseits chaotische Strukturen zu vermeiden. Der subjektive Eindruck der Stimuli visueller Differenziertheit einer architektonischen Umgebung wird in Berlynes (aber auch Mehrabian und Russel u.a.; zit. n. ebd.) affektiven Kategorien der Erregung/Aktivation (arousal) und Gefallen (pleasure) gemessen. Die Stimulusmerkmale, die über die physikalische Umwelt in einer bestimmten Form dargeboten werden, werden durch ein physikalisches Maß beschrieben; so lässt sich die Rechteck- oder Kreisförmigkeit einer Form physikalisch-mathematisch in Abhängigkeit von der Distanz zweier Punkte und der Dimensionalität der Form (zwei- oder dreidimensionale Gestalt) beschreiben. Der Ansatz, ein physikalisches Maß für das visuelle Bild zu finden anstelle von Ratingskalen einer subjektiv wahrgenommenen Komplexität, Monotonie oder Diversität, entspricht der Eigenschaft des Messgegenstandes; dadurch wird eine gezielte Veränderung der Gestalt nach ihrem physikalischen Kennwert in Bezug auf ein beispielsweise maximales Gefallen (pleasure) hin möglich. Es ist dann möglich, daraus ein Maß der Entropie zu gewinnen, das in Termen der Frequenz räumlicher Einheiten definiert ist, und es einem subjektiven Eindruck visueller Diversität gegenüberzustellen. In Stamps Studie sind auch Farb- und Größenunterschiede in ein Entropiemaß überführt worden; anhand einer Darstellung von Hausfronten unterschiedlicher Komplexitätsgrade wurde untersucht, wie gut ein subjektiver Eindruck visueller Diversität mit einem Entropiemaß korreliert
A.5 Exkurs: Orientierung
379
und ob eine Relation eine lineare, U-förmige oder asymptotische Form annimmt. Stamps schließt aus den Ergebnissen, dass ein Entropiemaß besser für die Bewertung eines Entwurfs von Häusern geeignet ist, als verbale Kriterien wie ’Vermeiden von Monotonie’ oder ’Erhöhen visueller Diversität’. Der Verfasser vermutet darin auch zukünftiges Potential, das Entropiemaß eines Umweltausschnittes zu der Wegfindung in Beziehung zu setzen und auf Zusammenhänge hin untersuchen zu können. A.5.2.3 Raumsyntax Das Konzept der space syntax, einer Raumsyntax, wurde in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Bill Hillier und Kollegen ursprünglich im Rahmen des Städtebaus entwickelt; es entspringt der Überlegung, wie das physische Gebilde einer Stadt, als Ansammlung von Gebäuden, die durch ihren dazwischenliegenden Raum untereinander verzahnt sind, und die Stadt als sozialer Raum in einem Konzept abbildbar seien (Hillier & Vaughan, 2007; ?). Ansätze zu Stadtentwicklung aus dem kommunalen Städtebau sind durch Annahmen begründet, dass beispielsweise kleinräumige nach innen und zueinander gewandte und geöffnete Bauweisen nachbarschaftliche Kontakte und soziale Gemeinschaft fördern, oder eine Mischung der Bewohner unterschiedlicher Schichtenzugehörigkeit die Kriminalitätsrate senkt; aber solche Annahmen wechseln auch. Es wurde eine Messmethode gesucht, wie physische Prozesse einer Stadtentwicklung mit ihren sozialen Prozessen in Wechselwirkung stehen und beschreibbar sind. Die Raumsyntax ist sowohl eine Theorie als auch Methode; der Raum ist die gemeinsame Grundlage der physischen und sozialen Stadt; wenngleich auch die Anfänge ihrer Entwicklung auf die Dimension der Stadt bezogen war, so lässt sie sich auch für einzelne Gebäude anwenden. Die Konfiguration des Raumes (space configuration) wird als das verbindende Element physischer und sozialer Entitäten
380
A Anhang
angesehen; über den Vergleich komplexer Raummuster unter dem Aspekt sozialer Antezedenzen und Konsequenzen können gleichermaßen Erklärungen angeboten und Vorhersagen getroffen werden. Eine Raumkonstellation beeinflusst wesentlich die Bewegung in ihr und damit die Möglichkeit Anderen zu begegnen oder Begegnungen zu vermeiden; sie wird über das Maß der Integration erfasst. Räume mit hohem Grad an Integration werden häufiger und von mehr Personen frequentiert, als segregierte Räume. Die Konstellation hoch integrierter Räume ist flacher als die von segregierten Räumen, das heißt es müssen nur wenige Räume durchquert werden, um von einem Ort zu einem anderen zu gelangen; sie liegen in direkter Relation zueinander. Segregierte Räume dagegen sind in größerer Tiefe zueinander gelegen; es sind mehr lineare Verbindungen und Richtungsänderungen zu vollziehen um sie zu erreichen; Tiefendistanz (depth distance) ist dafür ein weiteres Maß; es wird über die Anzahl der Richtungsänderungen gemessen, die vollzogen werden müssen, um von einem Punkt eines Umweltausschnittes zu einem anderen zu gelangen. Die Konnektivität (connectivity) der Orte innerhalb eines Umweltausschnittes gibt das Ausmaß ihrer Verbundenheit über die Verkehrswege an. Ortega-Andeane, Jiménez-Rosas, Mercado-Doménech und Estrada-Rodríguez (2005) haben das Integrationsmaß der Raumsyntax mit einer eigens entwickelten Skala für wahrgenommene Orientierung Beziehung gesetzt. Die Skala wahrgenommener Orientierung konnte faktorenanalytisch in zwei Komponenten zerlegt werden, einer statischen und einer dynamischen Orientierung; erstere enthält die Orientierungsfacetten eines ’Sich Orientierens’, die zweite die Facetten des Erhalts der Orientierung. Das Integrationsmaß korreliert mit beiden Aspekten signifikant; das lässt darauf schließen, dass in Räumen hohe Integrationsgrades auch die Orientierung erleichtert ist.
A.5 Exkurs: Orientierung
381
A.5.2.4 Hot spots der Orientierung In einer Untersuchung zur Orientierung in einem Konferenzzentrum, dem Heinrich-Lübke Haus in Günne bei Düsseldorf, haben Hölscher et al. (2005) nutzungsrelevante ’Hot spots’ gefunden, die offensichtlich eine Orientierung im Gebäude beeinflussen. Die Forscher haben die Orientierung von Personen untersucht, indem die Teilnehmern sechs Ziele innerhalb des mehrgeschossigen Gebäudes anzusteuern und zwischendurch ihre Orientierungsprozesse und Wegentscheidungen zu verbalisieren hatten; außerdem sollten vier Orte, die kürzlich passiert worden waren, auf einem Grundrissplan identifiziert werden. Eine Teilnehmergruppe war mit dem Gebäude bereits vertraut, die andere nicht. Die subjektiven Berichte wurden mit objektiven Daten der Durchführungsdauer für die Aufgabenbewältigung, Anzahl der Zwischenstopps und Orientierungsverluste, die Gesamtlänge des zurückgelegten Weges und ihr Verhältnis zum tatsächlich kürzesten Weg, sowie die Fortbewegungsgeschwindigkeit gemessen. Dem Versuchsaufbau lagen die Annahmen zugrunde, dass drei Orientierungsweisen die Wegfindung bestimmen, nämlich die Orientierung nach Ortsmarken (landmarks), nach Merkmalen des Gedächtnisabrufs beziehungsweise aus dem aktuellen Erwerb der Ortskenntnis während der Fortbewegung (route-knowledge) und nach Merkmalen aus einer Übersichtsperspektive aus Grundrissplänen (survey-knowledge); drei Anwendungsstrategien wurden erwartet: eine Strategie zentraler Punkte (central point strategy), in der orientierend auf besondere Räume wie Eingangshalle oder Hauptverbindungswege fokussiert wird; eine Strategie horizontaler Ausrichtung nach dem kürzesten Weg auf das Ziel hin und zwar unabhängig davon ob es sich auch auf anderen Geschossebenen befindet (direction strategy), und als drittes die Strategie, zunächst die Geschossebene anzusteuern, auf der sich das Ziel befindet und das wiederum unabhängig von einer Richtung, in der das Ziel gelegen
382
A Anhang
ist (floor strategy). Die Strategie der Geschossebene erwies sich in dieser Fallstudie als die mit den besten Ergebnissen, obwohl insgesamt aufgrund der (für die Teilnehmer) erwartungswidrigen Konstellation des Gebäudeinneren die Aufgaben nur mit mäßigem Erfolg gelöst wurden; eine Erwartung bezieht sich zum Beispiel nach Passini (1992) und Soeder et al. (1997) (jeweils zit. n. Hölscher et al., 2005) darauf, dass sich Geschossebenen in ihrer Erschließungsstruktur gleichen; das ist in diesem Gebäude nicht der Fall. Die nutzungskritischen Punkte für eine Orientierung im Gebäude der Fallstudie fassen Hölscher et al. als ’Hot spots’ zusammen: Verteilerräume wie der öffentliche Zugang, die Eingangshalle und Foyers der Konferenzräume sind sehr unübersichtlich und schlecht lesbar; die Geschossebenen sind in ihrer Verteilerstruktur nicht kongruent zueinander, sondern gegeneinander verschoben; vertikale Verbindungen wie Treppen sind nicht im unmittelbaren visuellen Feld gelegen, sondern liegen eher abgesondert; das Design der Treppenräume ermöglicht keine verschiedenen Perspektiven auf die angrenzenden Strukturen, sodass durch die Treppenwindungen ohne Blickkontakt zu Referenzräumen die Orientierung verloren geht; viele Sackgassen beeinträchtigen eine allgemeine Zugänglichkeit, die besser sein könnte, wenn Orte auch über verschiedene Wege erreicht werden könnten; obwohl die äußere diversifizierte Form des Gebäudes eine Orientierung zu erleichtern verspricht, wird das Versprechen von der Innenraumgestaltung mangels einer entsprechenden Differenzierung nicht eingelöst; Orte, die eine Übersicht über die Gebäudestruktur ermöglichten, fehlen und verhindern den Erwerb eines kontingenten Raumwissens; öffentliche und private Räume sind ausreichend voneinander unterscheidbar und segregiert. Diese Erkenntnisse können intensiver erforscht und im Design von Architektur sinnvoll angewendet werden. ? haben auf der Studie von Hölscher et al. aufbauend die qualitativen Ergebnisse quantitativ in Maßen der Raumsyntax (space syntax) reanalysiert und zu den formalen Eigenschaften der architektonischen
A.5 Exkurs: Orientierung
383
Struktur des Konferenzzentrums in Beziehung gesetzt. Die meisten Orientierungsschwierigkeiten im vorgestellten Gebäude bereiten Orte der vertikalen Verbindungsstruktur; hier liegen auch die meisten der Hot Spots. Normalerweise wird im Rahmen raumsyntaktischer Analyse eine horizontal axiale Analyse je Geschossebene durchgeführt; in diesem Fall wurde auch die vertikale Erschließung darin eingebunden. In einer architektonischen Analyse ist der Grundrissplan vorgestellt und sowohl in der axialen Raumsyntax untersucht, als auch detaillierter einer "Visibility Graph Analysis" (VGA) unterzogen worden; sie wird im folgenden Absatz näher beschrieben+. Die Hot Spots wurden mit den Analysewerten verglichen und anschließend ein Re-Design des Layouts vorgenommen, das die Messergebnisse verbesserte. Die verhaltensbezogenen Befunde der Ausgangsstudie konnten deutlich zu den gewonnenen Werte der Stufentiefe (step depth), Konnektivität (connectivity) und Integration (integration) aus der raumsyntaktischen Analyse (space syntax analysis) in Beziehung gebracht werden; damit sind die strukturellen Ursachen, für die zunächst nur subjektive Einschätzungen (und über Verhaltensmaße objektiviert) vorlagen, formal analytisch mit Bezugsmaßen auf die Raumkonstellation selbst identifizierbar und beschreibbar geworden. In der Studie dienten die Analysemethoden einer post-hoc Evaluation; sie haben aber in Verbindung mit den Techniken der virtuellen Gebäudemodellierung auch das Potential einer prädiktiven Einschätzung von Entwurfsvarianten hinsichtlich einer erleichterten Orientierung im Gebäude. A.5.2.5 Visibility Graph Analysis Das Konzept einer Visibility Graph Analysis entwickelten Turner et al. (2001); es baut auf dem Isovisten auf, der vermutlich erstmals von Tandy (1967; zit. n. ebd.) formuliert wurde; ein Isovist beschreibt die Aufnahme des freien Rundum-Sichtfeldes eines Beobachters von einem Standpunkt
384
A Anhang
Abbildung A.5.1: Isovist (Abb. in Turner et al., 2001, S. 104)
aus und damit das Sichtfeld eines Individuums auf die Umgebung aus einer Innenperspektive heraus: Wie es die Umgebung wahrnimmt, mit ihr interagiert und sich darin bewegt. Benedikt (1979; zit. n. ebd.) stellte erstmals Messverfahren vor, wie die Umgebungsmerkmale eines Isovisten quantitativ beschrieben werden können; der Isovist wird als Volumenkörper angenommen, durch den eine Anzahl ’n’ von Schnittebenen gezogen werden, die den Polyeder in n-zahlige Polygone, zweidimensionale Isovisten, zerlegt; diese können durch Maße, wie das der Flächen und des Umfangs, definiert werden. Im gebauten Raum sind auch die Anzahl der Vertizes und die Länge offener oder geschlossener Kanten ablesbare Einheiten (z.B. Franz, von der Heyde & Bülthoff, 2005, zit. n. ebd.). Damit ist ein Potential eröffnet, das individuumszentrierte Sichtfeld quantitativ beschreiben zu können. Benedikt ging davon aus, dass die Art
A.5 Exkurs: Orientierung
385
und Weise wie Menschen eine Umgebung erfahren und gebrauchen mit dem Isovisten zusammenhängt, und dass mehrere Isovisten in eine solche Beschreibung der Umgebung einfließen müssen; infolgedessen schlägt er ein Feld von Isovisten vor, das zu beschreiben und zu bemessen ist. Turner et al. (2001) bedauern, dass trotz der Eleganz der Methodologie und ihrer Nähe zur ökologischen visuellen Wahrnehmung nach Gibson (1979; zit. n. ebd.) und der Architekturtypologie Giedions (1971; zit. n. ebd.) sie nur selten angewandt worden ist und sehen zwei Gründe dafür verantwortlich: Erstens misst die geometrische Beschreibung nur die Eigenschaften eines einzelnen Isovisten und beschreibt weder eine Beziehung eines lokalen Isovisten zum gesamten räumlichen Ensemble, noch die der Umgebungsmerkmale innerhalb eines Isovisten untereinander. Zweitens wird keine praxisbezogene Interpretation der Messergebnisse angeboten, so dass eine Beziehung des Isovisten zu sozialen oder ästhetischen Kategorien nicht hergestellt werden kann. Diesen Mangel möchten die Autoren mit dem Konzept des ’Visibility Graph’ beheben und die quantitativen Merkmale der Umgebung einer sozialen Interpretation zugänglich machen. Die Messmethode ist der individuellen Wahrnehmung angemessen und verbindet die lokalen Eigenschaften des Teilraumes mit denen des Gesamtraumes eines Gebäudes. Ein Visibility Graph wird konstruiert, indem zunächst eine Reihe von Isovisten (Abb. A.5.1) im Grundrissplan an vermutet salienten Orten gesetzt werden, um die Scheitelpunkte, Vertizes, zu bestimmen; in einem zweiten Schritt sind die signifikanten Relationen zwischen diesen Isovisten und damit die Grenzkanten grafisch zu bestimmen; ein Leitfaden für diese Setzung folgt pragmatischen Überlegungen zu beispielsweise einer interessierende Fragestellung zur Raumwahrnehmung. In der Regel wird der Raum über ein entsprechendes Raster in seiner Gänze erfasst; wobei die die Dichte des Rasters einen maßstäblichen Bezug zum Wahrnehmungsund Handlungsraum haben sollte (Abb. A.5.2). Es wird zwischen Graphen
386
A Anhang
Abbildung A.5.2: Einfacher Visibility Graph mit gitterförmig angeordneten Isovisten (Abb. in Turner et al., 2001, S. 108)
erster und zweiter Ordnung unterschieden; in den Graphen erster Ordnung überschneiden sich die Isovisten, und ihre Standpunkte liegen wechselseitig im jeweiligen Blickfeld; Graphen zweiter Ordnung bringen Standpunkte zueinander in Beziehung, deren Isovisten sich nicht überschneiden und die außerhalb ihres jeweiligen Sichtbereiches gelegen sind (Abb. A.5.3). Der Visibility Graph kann in jeder beliebigen Höhe über einer Geschossebene angelegt werden. In der Regel wird das die Augenhöhe sein; allerdings kann er auch auf der Fußbodenebene berechnet und dargestellt werden und mutiert dann zu einem Permeability Graph, der die Durchlässigkeit eines Umweltausschnittes für eine Fortbewegung darstellt; die Durchlässigkeit
A.5 Exkurs: Orientierung
387
Abbildung A.5.3: Visibility Graph (a) erster Ordnung und (b) zweiter Ordnung (Abb. in Turner et al., 2001, S. 107)
ist nicht identisch mit dem Sichtfeld, denn es kann über einen Counter oder eine Möblierung hinweggesehen werden, aber er oder sie ist nicht zu durchschreiten2 . Aus der graphischen Analyse können drei statistische Maße extrahiert werden: eine Nähe der Nachbarschaft (neighbourhood size) von Vertizes als den Eck- oder Scheitelpunkten der Umgebungsgeometrie, ein Clusterkoeffizient (clustering coefficient) aus dem Verhältnis aller sichtbaren Raumkanten innerhalb eines jeweiligen Isovisten zu den potentiell möglichen und eine mittlere kürzeste Weglänge (mean shortest path length) als das Mittel der jeweilig kleinsten Anzahl von Ecken, die umgangen sein müssen, um von einem Vertex zu jedem anderen zu gelangen. Das letztere Maß entspricht annähernd der kürzesten Weglänge aus der Raumsyntax von Hillier und 2
Es ist aus der Einführung des Visibility/Permeability Graphs jedoch nicht erkennbar, wie mit der umgekehrten Situation umgegangen werden kann; die entsteht dann, wenn Glaswände bis auf Fußbodenniveau eine Durchsicht gestatten, aber keine Durchlässigkeit bieten.
388
A Anhang
Hanson, als mittlere Anzahl vorgenommener Richtungsänderungen, um von einem Raum zu einem anderen innerhalb eines Umweltausschnitt zu gelangen; es unterscheidet sich jedoch in dem mathematischen Potential mit ’n+1’ Richtungsänderungen, anstelle von ’n’ bei Hillier und Hanson, den Raum kontinuierlich zu erfassen, und für jede beliebige Stelle des Gitters den Index berechnen zu können. A.5.2.6 Zusammenfassung der pragmatischen Ansätze der Raumorientierung Die Vorstellung pragmatischer Annäherungen an die Raumorientierung und die Vermessung des Raumes in quantitativen, aber sozial und psychisch relevanten Einheiten, begann mit den Qualitätskriterien von Evans und McCoy. Stimulation, eines der Kriterien, wird visuell über eine diversive Umweltgestaltung vermittelt und beeinflusst die Orientierungsfähigkeit im Raum; psychisch wirksame visuelle Diversität kann nach Stamps in ein umweltbezogen quantitatives Maß der Entropie überführt werden; er hat dies an zweidimensionalen Fassadenansichten von Gebäuden expliziert; ähnliches wird vermutlich für Ansichten von Innenräumen möglich sein; jedoch bleibt zu wünschen, dass sich in zukünftiger Weiterentwicklung die Entropie auch für den dreidimensionalen Raum bestimmen lassen wird; unter Anwendung computergestützter Raummodellierung ließe sich, begleitende Forschung zum Zusammenhang von Entropie, Stimulation und den orientierungsrelevanten Implikationen vorausgesetzt, bereits im Planungsstadium und nicht erst post hoc die entsprechende Qualität der Gebäudeentwürfe bestimmen. Über die Raumsyntax von Hillier und Hanson wird die Verbindungsstruktur eines Umweltausschnittes in den statistischen Maßen der Integration, Tiefe und Konnektivität erfasst, die auf soziale Aspekte, zum Beispiel das Begegnungspotential der Umweltnutzer, und Raumwahrnehmungsaspekte,
A.5 Exkurs: Orientierung
389
beispielsweise der Orientierung, bezogen werden können. Ortega-Andeane et al. haben eine signifikante Korrelation des Integrationsmaßes mit einer faktorenanalytisch gewonnenen statischen und dynamischen Orientierung gefunden. Die Raumsyntax, die in der Regel horizontal in der Ebene gemessen wird, haben Brösamle et al. auf die vertikale Gebäudeerschließung übersetzt und konnten, eine Visibility-Graph-Analyse einbeziehend, die ’Hot Spots’ einer Orientierung im Raum formalanalytisch bestätigen, die Hölscher et al. zuvor in einer Fallstudie referiert hatten; Hölscher et al. hatten die ’Hot Spots’ qualitativ nach subjektiven Eindrücken der Versuchsteilnehmer und objektiven, verhaltensbezogenen Daten identifiziert. Solche kritischen Orte fanden sich vorwiegend an vertikalen Erschließungselementen, Sackgassen und Verteilerstrukturen wie Eingangshallen und Foyers. Die Visibility-Graph-Analyse von Turner et al. erlaubt mittels eines kontinuierlich über den Raum gespanntes Netzes eine statistische Analyse nicht nur des Sichtfeldzusammenhanges einer Vielzahl von Isovisten, sondern auch des Durchlässigkeitsgrads einer Gebäudestruktur für die Fortbewegung; Nähe der Nachbarschaft von Vertizes, Clusterkoeffizient und die mittlere kürzeste Weglänge zwischen Vertizes sind ihre statistischen Maße, die für die Orientierung und Bewegung im Raum bedeutsam sind. Sowohl Entropiemaß, Raumsyntax, Isovist und der Visibility-Graph beschreiben quantitativ die einem Gebäudekörper immanenten Referenzsysteme der Orientierung und Navigation und versprechen zukünftigen Erkenntnisgewinn zu einer ex ante begründbaren qualitätsvollen Architekturgestaltung unter Nutzungsaspekten. Dieser Exkurs in die gegenwärtigen Forschungsbemühungen zur Raumwahrnehmung, Orientierung und Navigation, sowie zu qualitativen und quantitativen orientierungsbezogenen Kriterien einer gebauten Umwelt wurde unternommen, um die Komponenten des Orientierungsprozesses, die aus dem Beispiel des Orientierungsmarsches einer militärischen Ausbildung extrahiert wurden, differenzierter zu verorten. Es ist anzunehmen, dass
390
A Anhang
sich die Forschungstätigkeit dazu sich erst in jüngerer Zeit intensiviert hat, weil einerseits selbststeuernde Maschinensysteme zunehmend an wirtschaftlicher Bedeutung gewinnen und andererseits computergestützte virtuelle Raummodellierung mit ansteigender Rechnerkapazität die Möglichkeiten der Untersuchungen im Labor und in virtuellen Realitäten - anstelle von aufwändigen Studien im Feld - verbessern. Diese Forschungsrichtung steht noch am Anfang ihrer Möglichkeiten. Den Komponenten eines Zustandes des ’Orientiert Seins’, des ’Sich Orientierens’, des ’Erhalts der Orientierung’ und der orientierungstützenden Referenzsysteme können zunehmend quantitative Merkmale der physischen Umgebung korrelativ zugeordnet werden; außerdem können die extrahierten Bewertungskriterien konzeptuell und inhaltlich präziser eingeordnet werden. Der Exkurs wird damit beendet, und die Bewertungskriterien unter Abschnitt 9.4 können weiter in den Blick genommen werden.
A.6 Fragebogen
A.6 Fragebogen A.6.1 Beispielseite des Bürgerfragebogens
Abbildung A.6.1: Beispielseite aus dem Bürgerfragebogen
391
392
A.6.2 Pretesthinweise
Abbildung A.6.2: Hinweise zum Pretest Fragebogen
A Anhang
A.7 Richtungstypen und Iteminhalte relationaler Affordanzen
393
A.7 Richtungstypen und Iteminhalte relationaler Affordanzen A.7.1 Richtungstypen der Iteminhalte Tabelle A.7.1: Richtungstypen und Iteminhalte
Item
Rtyp
Iteminhalt
8
10
Diskretion/Vertraulichkeit hinsichtlich Zugangssicherung an der Infothek
9
6
Diskretion/Vertraulichkeit hinsichtlich Diebstahlsicherung an der Infothek
10
3
Diskretion an der Infothek bzgl. der interpersonalen Distanz zu Dritten
11
8
gleiche Augenhöhe an der Infothek
12
2
Zugangssicherung zur Infothek
15
11
Zugriffssicherung der Infothek gegen Diebstahl
20
10
interpersonale Distanz im Warteraum
28
6
Eignung des Kinderspielbereiches für die Kinder
29
11
Nützlichkeit des Kinderspielbereiches aus Erwachsenensicht
30
8
Erreichbarkeit von Abfall-/Wertstoffbehältern
33
6
angemessene Größe des Beratungsraumes, wenn Kinderwagen dabei
394
A Anhang
... Fortsetzung Tabelle A.7.1 Item
Rtyp
Iteminhalt
34
6
angemessene Größe des Beratungsraumes für Rollstuhlfahrer
37
1
Zugangseignung bzgl. der Größe des Durchgangs in einen Beratungsraum mit einem Kinderwagen
38
1
Zugangseignung bzgl. der Größe des Durchgangs in einen Beratungsraum für einen Rollstuhlfahrer m. Begleitung
50
4
akustische Diskretion im Beratungsraum
52
10
angenehme Beleuchtung im Bürgerbüro insgesamt
56
4
angenehme Akustik im Bürgerbüro insgesamt
57
4
Lärmstörung im Bürgerbüro insgesamt
58
8
Sauberkeit des Bürgerbüros insgesamt
59
8
Instandhaltung des Bürgerbüros insgesamt
A.7.2 Aussageinhalte zu Richtungstypen Tabelle A.7.2: Richtungstypen des Diskrepanzdreiecks nach Fassheber (in Strack, 2004) mit interpersoneller Ableitung aus Abb. 6.1.5 O = M [uMrel ]; = B [uBrel ]; = M [B [uBrel ]] (M=Mitarbeiterschaft; B=Bürgerschaft)
Rtyp-1
O>
>
M hält die Umweltangebote zutreffend für besser als sie es für B annimmt, aber überschätzt sie für diese
A.7 Richtungstypen und Iteminhalte relationaler Affordanzen
395
Fortsetzung Tabelle A.7.2 Rtyp-2
O>
>
M hält die Umweltangebote zutreffend für besser als sie es für B annimmt, aber unterschätzt sie für diese
Rtyp-3
>O>
M hält die Umweltangebote an B schlechter als für sich, dabei ist es genau umgekehrt
Rtyp-4
>
>O
M hält die Umweltangebote an B zutreffend für besser, aber unterschätzt sie
Rtyp-5
>
>O
M hält die Umweltangebote an B zutreffend für besser, aber überschätzt sie
Rtyp-6
>O>
M hält die Umweltangebote an B für besser als für sich, obwohl die Bürgerschaft gegenteiliger Ansicht ist
Rtyp-7
O>
=
M nimmt zutreffend an, dass sie bessere Umweltangebote als B hat
Rtyp-8
O=
>
Obwohl die Umweltangebote für beide gleich gut sind, glaubt M, sie hätte die besseren Umweltbedingungen
Rtyp-9
>O=
Obwohl B ihre Umweltangebote besser findet, glaubt M, sie hätten gleich gute
Rtyp-10
=
>O
M nimmt zutreffend an, dass sie schlechtere Umweltangebote hat als B
Rtyp-11
>
=O
Obwohl die Umweltangebote für beide gleich sind, glaubt M, sie hätten schlechtere Bedingungen als B
396
A Anhang
Fortsetzung Tabelle A.7.2 Rtyp-12
=O>
M vermutet unzutreffend gleich gute Umweltangebote für sich und B, die sie für schlechter hält
Rtyp-13
=O=
M vermutet zutreffend gleich gute Umweltangebote für sich und B
A.7 Richtungstypen und Iteminhalte relationaler Affordanzen
397
A.7.3 Gegenüberstellung der Itemnummerierung aus UB , UM und Urel
inakkurat negativ UB : N2P2 < N1P1 (Abb. 12.4.2)
inakkurat positiv UB : N2P2 > N1P1 (Abb. 12.4.2)
14 15 16 17 18 21 81 91 92 93 96 97 100 101 126 155 215 216 122 223
hohe Urteilsvarianz B: s2 > 4.00 (Abb. 12.3.2)
Item-Nr. UM
16 17 28 26 14 15 50 70 69 72 83 84 76 77 94 108 160 161 167 168
vermutet schlechte Bewertung N2P2 > 4.00 (Tab. 12.2.4)
Item-Nr. UB
8 9 10 11 12 15 20 28 29 30 33 34 37 38 50 52 56 57 58 59
Schlechte Bewertung M: N2P1 < 4.00 (Tab. 12.2.6)
Item-Nr. Urel
Tabelle A.7.3: Itemkonfiguration für UB , UM und Urel und zugehörige Itembefunde aus UB und UM
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x
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