Daniel M. Feige / Sebastian Ostritsch / Markus Rautzenberg (Hg.)
Philosophie des Computerspiels Theorie – Praxis – Ästhetik
Daniel Martin Feige / Sebastian Ostritsch / Markus Rautzenberg (Hg.)
Philosophie des Computerspiels Theorie – Praxis – Ästhetik
J. B. Metzler Verlag
Die Herausgeber
Daniel Martin Feige ist Juniorprofessor für Philosophie und Ästhetik unter besonderer Berücksichtigung des Designs an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Sebastian Ostritsch ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Stuttgart und am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen. Markus Rautzenberg ist Professor für Philosophie am Fachbereich Gestaltung der Folkwang Universität der Künste Essen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-04568-3 ISBN 978-3-476-04569-0 (eBook) Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. J. B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature www.metzlerverlag.de
[email protected] Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Satz: Dörlemann Satz, Lemförde J. B. Metzler, Stuttgart © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2018
Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Daniel Martin Feige / Sebastian Ostritsch / Markus Rautzenberg Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I Theoretische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Markus Rautzenberg Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Natascha Adamowsky Spiel/en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Britta Neitzel Narration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Sebastian Ostritsch / Jakob Steinbrenner Ontologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II Praktische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Sebastian Ostritsch Ethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Fabian Börchers Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 Anne Dippel Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Wulf Loh Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III Philosophische Ästhetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Daniel Martin Feige Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Bernd Bösel / Sebastian Möring Affekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
VI Inhalt
Thomas Hensel Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Stephan Günzel Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Andreas Rauscher Film . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
Danksagung Wir, die Herausgeber, bedanken uns beim J. B. Metzler Verlag für die Aufnahme ins Verlagsprogramm und bei Franziska Remeika für die Betreuung unseres Bandes und die gute Zusammenarbeit. Samuel Ulbricht danken wir für seine gewissenhafte und verlässliche Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts und beim Korrektorat sowie für viele äußerst wertvolle philosophische Hinweise, die diesen Band bereichert haben.
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Einleitung Daniel Martin Feige / Sebastian Ostritsch / Markus Rautzenberg
Der vorliegende Band führt in dreizehn mit dem Computerspiel verbundene philosophische Grundbegriffe ein. Die von Experten und Expertinnen im jeweiligen Bereich geschriebenen Beiträge fragen danach, welche Wendung die entsprechenden Begriffe nehmen, wenn man sie hinsichtlich des Computerspiels ausbuchstabiert. Dabei eignen sich die dreizehn Beiträge zugleich auch als Einführungen in die entsprechenden Begriffe der Philosophie. Der Band möchte entsprechend die philosophische Auseinandersetzung mit dem Computerspiel befördern sowie die Fruchtbarkeit philosophischer Ansätze für ein Verständnis des Computerspiels aufzeigen. Ein solches Projekt wirft sicherlich verschiedene Fragen auf. So stellt sich erstens die Frage, inwieweit es überhaupt ein sinnvolles Projekt ist, philosophisch über Computerspiele nachzudenken. In einer Abwandlung eines Satzes von Hegel könnte man sagen, dass es in der Philosophie doch um die ernsten Zwecke gehe – herkömmlicherweise etwa um das Wahre, das Gute und das Schöne – und nicht um das »gefällige Spiel« (Hegel 1986, S. 17). Der erste Teil dieser Einleitung wird sich entsprechend mit der Frage der Rechtfertigung des Computerspiels als Forschungsgegenstand für die Philosophie beschäftigen. Gesetzt den Fall, dass das Computerspiel ein würdiger Gegenstand für die philosophische Reflexion ist, stellt sich zweitens weiter die Frage, aus der Perspektive welcher philosophischen Teildisziplinen sich etwas am Computerspiel erkunden lässt. Dazu wird der zweite Teil der Einleitung etwas sagen. Der dritte und letzte Teil wird daraufhin die einzelnen Grundbegriffe, die in diesem Buch erarbeitet werden, vorstellen und zugleich eine Skizze des jeweiligen Beitrags geben.
1. Philosophie des Computerspiels? In der Frage, inwieweit das Computerspiel ein würdiger Gegenstand für die Philosophie ist, bietet es sich an, einführend etwas zum Begriff der Philosophie zu sagen. Eine hinreichende Erläuterung ist an dieser Stelle nicht möglich, da schon die Fragen, was überhaupt Begriffe sind und wie ihre logische Grammatik verfasst ist, bzw., was Philosophie ist und wozu sie da ist, selbst philosophische Fragen sind. Eine Antwort auf die Frage, was Philosophie ist, kann deshalb in bestimmter Weise nicht anders als zirkulär ausfallen; sie muss in gewisser Weise das voraussetzen, was sie zu erläutern versucht. Dass dem so ist, kann allerdings als Fingerzeig dafür verstanden werden, dass es sich bei der Philosophie um eine Reflexionswissenschaft handelt. Anders als empirische Wissenschaften etwa, die im Medium des klassischen Experiments oder der statistischen Auswertung erhobener Daten etwas über die Welt herauszufinden versuchen, und auch anders als historische Wissenschaften, die anhand der kontrollierten Bearbeitung von Quellen die Vergangenheit erschließen,
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versucht die Philosophie etwas über das, was wir in bestimmter Weise schon wissen, herauszufinden. Ihr geht es dabei um eine Reflexion solcher Grundbegriffe, ohne die wir uns nicht – oder nicht gut – verstehen können: um Begriffe, die für unser Selbst- und Weltverständnis unverzichtbar sind. Angesichts dieser sehr knappen Explikation der Philosophie stellt sich aber umso dringender die Frage, inwieweit das Computerspiel ein würdiger Gegenstand für das philosophische Nachdenken ist. Hier ist zunächst auf die Tatsache zu verweisen, dass Computerspiele heute anders als in den frühen 1980er Jahren keine exotischen Produkte der Jugendkultur mehr sind, sondern die Praxis des Computerspielens unsere gesamte Gesellschaft durchzieht. Die damals spielenden Jugendlichen sind erwachsen geworden und sitzen an wesentlichen Schaltstellen der Gesellschaft und prägen sie entsprechend. Diskurse um die Gewalthaltigkeit von Computerspielen sind von der Macht des Faktischen ebenso wie von einer nüchterneren wie sachlicheren Diskussion verdrängt worden. Die Omnipräsenz von Computerspielen rechtfertigt aber noch nicht hinreichend eine philosophische Beschäftigung mit ihnen – schließlich schreibt auch niemand eine Philosophie der Morgenhygiene, obwohl es sich hier sicherlich oder hoffentlich um ein omnipräsentes Phänomen handelt. Die Relevanz des Themas ›Computerspiele‹ als Gegenstand philosophischer Reflexion lässt sich aber über die philosophische Tradition der Auseinandersetzung mit dem Spielbegriff als solchem erschließen. Es sei hier nur an drei moderne Klassiker der Philosophie des Spiels erinnert. Zum einen sind da Friedrich Schillers berühmte Ausführungen zu Spiel und »Spieltrieb« in Über die ästhetische Erziehung des Menschen (vgl. Schiller 2009). Schiller fasst den »Spieltrieb« als Vereinigung des sinnlichen (auf das Leben gehenden) und des formgebenden (auf die Gestalt gehenden) Triebs des Menschen. In dieser Vereinigung liegt nach Schiller einerseits die Wurzel der Schönheit und andererseits zugleich auch die Vollendung des Begriffs des Menschen als eines Wesens zwischen Zufälligkeit und Notwendigkeit, Sinnlichkeit und Verstand, Leiden und Freiheit, Regelhaftigkeit und Spontaneität (vgl. Schiller 2009, 15. Brief, S. 58 f.). Schiller geht schließlich so weit, Menschsein und Spielen zu identifizieren: »[D]er Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« (Schiller 2009, 15. Brief, S. 62 f.). Mit seinem Interesse für das Spiel sekundiert Schiller wiederum Immanuel Kant, in dessen Kritik der Urteilskraft dieser fünf Jahre vor Erscheinen des Briefs Über die ästhetische Erziehung des Menschen an einer neuralgischen Stelle der Argumentation (§9) das Spiel ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Für Kant basiert das Geschmacksurteil auf einem freien Spiel der Erkenntnisvermögen, namentlich dem zwischen Einbildungskraft und Verstand, wobei die bis heute umstrittene Pointe darin besteht, dass die Kategorie ›Spiel‹ hier den funktionalen Platz einnimmt, den ansonsten bei Kant der Begriff inne hat. Dass beim Geschmacksurteil die Erkenntnisvermögen im freien Spiel miteinander in Verbindung treten, beruht auf der Hypothese, dass im Geschmacksurteil kein bestimmter Begriff den Erkenntnisvermögen Regeln vorschreibt und trotzdem Urteile gefällt werden können, die über subjektives Gefallen hinaus intersubjektiv Gültigkeit beanspruchen. Spiel ist somit keine oberflächliche Tändelei der Geistes (wie später bei Hegel), sondern wird geradezu als ein vom Begriff unterschiedener, eigener Erkenntnisprozess konturiert.
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Zum Dritten möchten wir auf Johan Huizingas kulturphilosophischen Klassiker Homo Ludens aus dem Jahr 1938 verweisen. Darin betrachtet Huizinga die menschliche Kultur »sub specie ludi« und verteidigt den Gedanken, dass das Spiel als wesentlicher kulturbildender Faktor in so gut wie alle kulturellen Praktiken konstitutiv eingeschrieben ist: in Recht und Krieg ebenso wie in Wissenschaft, Philosophie, Dichtung und Kunst (vgl. Huizinga 2015, S. 12 f.). Unabhängig davon, ob man die starken Thesen Kants, Schillers und Huizingas teilt, scheint es uns aufgrund der philosophischen Wirkmächtigkeit ihrer Ausführungen unbestreitbar, dass das Spiel einen legitimen Untersuchungsgestand philosophischen Nachdenkens darstellt. Wenn nun aber das Spiel als solches ein angemessener Gegenstand für das philosophische Nachdenken ist, dann gibt es keinen Grund, Computerspielen diese Angemessenheit abzusprechen. Im Gegenteil: Wenn Spielen eine wesentliche oder zumindest eigentümliche Tätigkeit des Menschen ausmacht, so könnte man den Gebrauch von Computerspielen als heutige paradigmatische Manifestation derselben verstehen – so dass die philosophische Beschäftigung mit dem Computerspiel ebenfalls in besonderem Maße angezeigt wäre. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass Computerspiele auch deshalb ein interessanter Gegenstand für das philosophische Nachdenken sind, weil sich mit Blick auf sie noch einmal neu über grundlegende philosophische Fragen nachdenken lässt. Wenn Computerspiele eine spezifische Ästhetik haben – und dafür spricht prima facie einiges –, wie verhält sich diese zu anderen Bereichen der Ästhetik? Wenn Computerspiele ein neuartiges Medium sind, worin unterscheidet es sich von anderen Medien? Wenn Computerspiele letztlich multipel instanziierbare Programme sind, auf welche Weise existieren sie dann genau? Wenn in Computerspielen virtuell ethisch Gutes oder Schlechtes getan wird, wie verhalten sich diese Spielhandlungen zu alltäglichen Handlungen und deren ethischen Bewertungskriterien? Wie diese Fragen zeigen sollen, verfolgt dieser Band das Ziel, philosophische Grundfragen nicht allein für eine Analyse des Computerspiels fruchtbar zu machen, sondern auch, sie im Lichte dieses Mediums noch einmal neu zu stellen.
2. Das Computerspiel als Gegenstand philosophischer Teildisziplinen Die eben formulierten Fragen sind natürlich keine philosophischen Fragen in einem unqualifizierten Sinne. Vielmehr gehören sie in verschiedene Teilbereiche der Philosophie: Ästhetik, Handlungstheorie, Ontologie und Ethik. Seit der Modularisierung im Zuge der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen wird die Philosophie an deutschen Universitäten gerne in die Bereiche theoretische Philosophie, praktische Philosophie, Geschichte der Philosophie und Logik gegliedert. Wir schließen aus pragmatischen Gründen an diese Kategorisierung an. Da der Band eine systematische Ausrichtung hat, haben wir entschieden, Beiträge aus drei Bereichen der Philosophie aufzuführen: aus der theoretischen Philosophie, aus der praktischen Philosophie und aus der philosophischen Ästhetik. Die theoretische Philosophie, die sich in Teildisziplinen wie Ontologie, Erkenntnistheorie, Sprachphilosophie, Philosophie des Geistes und Wissenschaftstheorie
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gliedert, beschäftigt sich mit solchen Begriffen, die einen primär beschreibenden Sinn haben. Angesichts des Computerspiels stellt sich hier unter anderem die Frage, was es heißt, dass es sich bei ihm um ein Medium handelt. Im Lichte der bis an den Anfang der geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen zurückreichenden Kontroverse, ob das Computerspiel eher als Spiel oder als Erzählung zu qualifizieren sei, stellt sich weiterhin die Frage, was überhaupt ein Spiel oder eine Erzählung ist. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, auf welche Weise Computerspiele anders als etwa Gemälde, Zahlen und musikalische Werke existieren. Die praktische Philosophie, die sich in Teildisziplinen wie die Ethik, Metaethik, Handlungstheorie, Rechtsphilosophie und politische Philosophie gliedert, dreht sich anders als die theoretische Philosophie um solche Begriffe, die einen primär wertenden Sinn haben. Hinsichtlich des Computerspiels stellt sich hier etwa die Frage, wie ethisch schlechtes Handeln in Computerspielen – virtueller Diebstahl, virtuelle Lüge und virtueller Mord etwa – zu bewerten sind. Weiterhin stellt sich die Frage, was es überhaupt heißt, in Computerspielen zu handeln. Nicht zuletzt stellen sich die Fragen, wie sich das Computerspielen zur politischen Lebenswelt einerseits und zur ökonomischen Lebenswelt andererseits verhält. Als dritten Teilbereich führt der Band die Ästhetik auf. Neben ihren klassischen Gegenstandsbereichen wie Schönheit, Kunst und sinnliche Wahrnehmung kann sie als Frage verstanden werden, wie sich die praktische zu der theoretischen Philosophie verhält. Im Rahmen der Ästhetik stellt sich nicht allein die Frage nach dem Kunstcharakter des Computerspiels, sondern auch die Frage nach dessen Räumlichkeit, Bildlichkeit und seiner affektiven Valenz.
3. Die Beiträge des Bandes Die Sektion zur theoretischen Philosophie eröffnet der Beitrag von Markus Rautzenberg zum Thema Medium. Hier zeigt sich, dass angesichts des Computerspiels die Frage nach Medium und Medialität sich auf eine spezifische Weise (neu) stellt. Indem dabei die Kategorie ›Spiel‹ tentativ selbst als Medium gefasst wird, öffnet sich der Blick auf die ludische Verfasstheit von Medialität. These ist dabei, dass im Zusammentreffen von ›Spiel‹ und ›Computer‹ die Medialität beider als Umgang mit Ungewissheit beschrieben werden kann und sich auf dieser Grundlage wiederum Wesentliches über digitale Medien überhaupt sagen lässt. Mit Gadamer, Bataille, Bateson und Heidegger werden Umrisse einer philosophischen Medientheorie des Computerspiels ebenso sichtbar wie eine ludische Theorie des Medialen. In ihrem Beitrag zum Thema ›Spiel‹ zeichnet Natascha Adamowsky sowohl den philosophiegeschichtlichen Weg des Spielbegriffs nach als auch die kunsthistorischen Umbrüche seiner Verwendung mit Blick auf Kunst und nicht zuletzt den Aufschwung des Begriffs in informationstheoretischen Diskursen. Dabei arbeitet sie aus kulturgeschichtlicher Perspektive vor allem den Schwellencharakter des Spiels heraus: Die Purifikation des Spiels im Sinne seiner Ausgliederung aus der sonstigen gesellschaftlichen Realität geht immer mit der Gefahr einer Verunreinigung des Spiels einher. Zugleich sind Spielpraktiken heutzutage paradoxerweise aber auch Einübungen in die Arbeitswelt. Beide Perspektiven übersehen aber die Produktivi-
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tät wie Intensität des Spiels wie seine transformativen Potentiale. Im Computerspiel wird dabei der wesentliche Zusammenhang von Spiel, Ästhetik und Medialität besonders deutlich. Ausgehend von den einschlägigen Unterscheidungen Gérard Genettes beantwortet Britta Neitzel in ihrem Beitrag zum Thema »Narration« die Frage, ob das Computerspiel ein erzählendes Medium ist. Die Leitthese lautet, dass bei Computerspielen immer eine Vermischung von intra- und extradiegetischen Elementen vorliegt. Dabei diskutiert der Beitrag an ausgewählten Feldern der Narratologie sowohl die Frage, inwieweit etablierte erzähltheoretische Konzepte auf Computerspiele sinnvoll Anwendung finden, wie er nach den Wendungen fragt, die diese mit Blick auf Computerspiele nehmen müssen. In ihrem gemeinsamen Beitrag zur Ontologie des Computerspiels gehen Sebastian Ostritsch und Jakob Steinbrenner der Frage nach, was Computerspiele zu Computerspielen macht. Unter Rückgriff auf Nelson Goodmans kunsttheoretischen Dualismus verteidigen die beiden Autoren die These, dass Computerspiele als ontologisch mehrstufige, vervielfältigbare, aber nicht beliebig vervielfältigbare Artefakte verstanden werden müssen. In der Ausformulierung dieser These zeigen sie, dass sich zwar keine notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Definition von Computerspielen anführen lassen, sich aber eine Reihe an notwendigen Eigenschaften sowie typischen (wenn auch weder notwendigen noch hinreichenden) Symptomen ausfindig machen lässt. Was die Identitätsbedingungen von Computerspielen betrifft, ziehen Steinbrenner und Ostritsch den Vergleich zu anderen seriellen interaktiven Produkten wie etwa Autos: Entscheidend dafür, dass ein Computerspiel ein Computerspiel ist, ist, dass es aufgrund einer historisch legitimierten kausalen Verbindung als Vorkommnis eines bestimmten Typs erkennbar ist. Den Auftakt zu den unter dem Banner der praktischen Philosophie versammelten Beiträge macht Sebastian Ostritsch mit einem Artikel zur Ethik. Darin erfolgt zunächst eine Reflexion auf die Bedeutung des Ausdrucks ›Ethik des Computerspiels‹, die auf die Unterscheidung zwischen zwei ethischen und fünf spielerischen Dimensionen führt. Auf Basis dieser Unterscheidungen gewinnt Ostritsch dann eine allgemeine Problemmatrix der Ethik des Computerspiels. In der nachfolgenden Erörterung der verschiedenen Problemfelder des Computerspiels kommt Ostritsch insbesondere auf das Problem des Amoralismus zu sprechen. Dieses lautet: Wie lassen sich Spiele, die über ihren Austritt aus der außerspielerischen Realität definiert sind, überhaupt moralisch beurteilen? Ostritsch verteidigt diesbezüglich die These, dass Spiele interaktive Zeichensysteme darstellen, die nicht nur bestimmte fiktive Welten repräsentieren können, sondern auch bestimmte reale Weltanschauungen zum Ausdruck bringen und für die Realität affirmieren können. Indem Spiele so selbst den Wiedereintritt in die außerspielerische Realität vollziehen, können sie auch moralischen Bewertungen unterliegen. In seinem Beitrag zum Thema ›Handeln‹ geht Fabian Börchers vom rätselhaften Befund aus, dass Handlungen in Computerspielen einerseits eben Handlungen, andererseits aber auch keine ›echten‹ oder ›wirklichen‹ Handlungen zu sein scheinen. Mit Rekurs auf handlungstheoretische Überlegungen von Elizabeth Ans-
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combe formuliert Börchers dann zunächst sechs wesentliche Aspekte des Begriffs menschlichen Handelns. Im Anschluss daran überträgt er die Ergebnisse seiner allgemeinen Analyse auf Handlungen in Computerspielen. Er kommt dabei zu dem Schluss, dass Handlungen in Computerspielen – entgegen dem ersten Anschein – wirkliche Handlungen sind. Besonders an Computerspielehandlungen (zumindest an bestimmten) ist aber nach Börchers, dass wir zu ihrer vollständigen Beschreibung nicht nur den Spieler, sondern auch die von ihm gesteuerte Spielfigur (samt eines ihr eigentümlichen praktischen und theoretischen Wissens) im Blick haben müssen. Anne Dippel wendet sich in ihrem Beitrag dem Begriff der Arbeit zu. Anstatt wie gewöhnlich ›Spiel‹ und ›Arbeit‹ als Kontrastbegriffe einfach vorauszusetzen, geht die Autorin dem Gedanken nach, dass (die allermeisten) Computerspiele selbst zu einer Form von Arbeit geworden sind. In Anlehnung an Überlegungen von Karl Marx und Walter Benjamin zeichnet sie ein kritisches Bild von Computerspielen: Computerspiele erscheinen hier als Symptom wie Intensivierung der gesamtgesellschaftlichen Entfremdungsverhältnisse. Jenseits der verbreiteten Auffassung, dass Computerspiele durch den Handlungsaspekt uns besonders markant unsere ethische Verantwortlichkeit vor Augen führen, schlägt Dippel ideologiekritisch vor, sie als Verlängerung einer spätkapitalistisch geprägten Arbeitswelt zu begreifen – und damit letztlich selbst als Ideologie. Den Abschluss der Beiträge zur praktischen Philosophie bildet Wulf Lohs Text zum Thema ›Politik‹. Loh geht darin zwei Themenbereichen nach, die aus der Verquickung von Politik und Computerspielen entstehen. Zum einen geht es darum, dass und wie Politik, oder genauer: politische Werte und politische Prozesse, in Computerspielen repräsentiert bzw. propagiert wird. Zum anderen steht die umgekehrte Perspektive im Fokus, wie Computerspiele und die ihnen eigentümlichen Mechanismen Eingang in das Politische finden. Der Reiz und die Gefahr liegt gemäß Lohs Analyse in beiden Fällen – sowohl für Politik in Computerspielen als auch für Computerspiele in der Politik – im besonderen Involvierungscharakter, der von Spielen ausgeht: Weil wir als Spieler aktiv und ›mittendrin‹ sind, können wir auf eine verzerrte Sicht auf Politik hereinfallen oder Opfer von politischer Schein-Partizipation werden. Die Sektion zur Ästhetik eröffnet der Beitrag von Daniel Martin Feige zur Frage des Kunstcharakters des Computerspiels. Ausgehend von einer vieldiskutierten Kontroverse zwischen dem Filmkritiker Roger Ebert und der Spieleproduzentin Kellee Santiago argumentiert er dafür, dass es sich bei der Alternative, Computerspiele global entweder der Kunst zuzuschlagen oder ihnen den Kunstcharakter abzuerkennen, um eine falsche Alternative handelt. Auf der Grundlage einer Explikation des Kunstbegriffs, die Kunst als eine Reflexionspraxis erläutert, im Rahmen derer Subjekte in und durch die Auseinandersetzungen mit den eigensinnigen Formgebungen der Kunst sich selbst gegenübertreten, wird gezeigt, dass viele wirkmächtige wie gelungene Computerspiele mit Kunst nichts zu tun haben. Allerdings zeigt das weder, so die abschließende These, dass es keine Computerspiele gibt, die Kunst wären, noch, dass das Computerspiel ein Medium wäre, dem prinzipiell der Kunstcharakter abzusprechen wäre.
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Bernd Bösel und Sebastian Möring geben in ihrem Beitrag einen Überblick über die Affizierungspotentiale des Computerspiels. Auf der Grundlage der Darstellung der Aspekte ›Emotion‹, ›Atmosphäre‹ und ›Affekt‹ zeichnen sie den Einfluss des affective bzw. emotional turn auf die Game Studies nach und betonen dabei die Vielstimmigkeit und Unabgeschlossenheit dieses Forschungsfeldes, wobei der Affektforschung philosophisch das größte Gewicht beigemessen wird. Im Zuge dessen stellen Bösel und Möring das Potential einer möglichen Affektpoetik des Computerspiels heraus, für die Ansätze zwar bereits vorhanden seien, deren Ausführung allerdings noch ausstehe. Für Thomas Hensel ist Bildlichkeit jenes Medium, in dem sich spezifische Eigengesetzlichkeiten des Computerspiels manifestieren. Die mediale Verfasstheit des Computerspiels, die hier jenseits eines Repräsentationalismus in der Performativität des Bildprozesses aufgesucht wird, erlaubt eine Beschreibung der ikonischen Qualität des Computerspiels als ›doppeltem Bildakt‹. Da computergenerierte Bilder gleichzeitig im Register herkömmlicher Bildwahrnehmung als auch als Rechenprozess existieren, stehen diese repräsentativ für eine bestimmte conditio des Digitalen, da sie die Trennung von Ausführung und Darstellung unterlaufen. Stephan Günzel verortet die computerspielspezifische Diskussion um die Rolle des Raums innerhalb des Zusammenhangs des spatial turn, wie er seit einigen Jahren in den Geisteswissenschaften zu beobachten ist. Kern dieser Fokussierung auf den Raum ist dabei eine Rehabilitierung bzw. Neuakzentuierung dieser Kategorie gegenüber jener der Zeit. Während letztere in der Philosophiegeschichte über lange Zeit im Zentrum des Interesses stand, erweist sich innerhalb des spatial turn der Raum nicht nur als blinder Fleck der Beobachtung, sondern – so die These – gegenüber der Kategorie der Zeit als vorgängig bzw. konstitutiv. Was das bedeutet, buchstabiert Günzel am Beispiel des Computerspiels aus, das aufgrund seiner medialen Verfasstheit ein besonders dankbares Objekt für raumtheoretische Betrachtung sei. Aus filmphilosophischer Perspektive beschäftigt sich der Artikel von Andreas Rauscher mit dem komplexen Verhältnis von Film und Computerspiel. Lange war der Film eine Art Vorbild für viele narrative Formen des Computerspiels, jedoch hat sich diese Lage stark diversifiziert und es sind mannigfaltige Interdependenzen und Wechselwirkungen zu konstatieren. Rauscher plädiert für eine philosophisch inspirierte Annäherung von Film und Computerspiel, indem er mithilfe des Begriffs der ›cineludischen Form‹ eine Hybridstruktur identifiziert, die er anhand einiger Detailanalysen ausarbeitet und mediengeschichtlich wie -theoretisch kontextualisiert. Literatur
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Vorlesungen über die Ästhetik I. In: Theorie-Werkausgabe, Bd. 13. Hg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Frankfurt a. M. 1986. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Reinbek bei Hamburg 242015 (niederl. 1938). Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. Hamburg 2001. Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart 2000.
I Theoretische Philosophie
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Medium Markus Rautzenberg
1. Einleitung Wenn man – wie es im Folgenden getan wird – Computerspiel als ein Amalgam oder Medienverbundsystem aus mindestens zwei verschiedenen Medien analysiert, so wird man vielleicht gerade noch verstehen, warum ›Computer‹ ein Medium genannt werden kann. Wie allerdings ›Spiel‹ als Medium verstanden werden soll, ist mit der Alltagsverwendung des Terminus ›Medium‹, die sich zumeist auf technische Massenmedien bezieht, nicht mehr ohne Weiteres plausibel zu machen. Ist ›Spiel‹ nicht eher ein ›Prinzip‹ oder eine Aktivität? Was haben überhaupt die verschiedenen Verwendungsweisen des Konzepts ›Spiel‹ gemeinsam? Was verbindet Schach, Fußball oder ein psychologisches Rollenspiel mit der Berechnung von Finanzströmen, der Simulation von Klimaentwicklungen oder Kunst? Und, vor allem: Was hat das alles mit dem Computer zu tun? Das Folgende wird ohne Anspruch auf Vollständigkeit die Antwort auf alle diese Fragen in Form einer neuen Frage zu geben versuchen: Inwieweit kann man Medialität als Form des Umgangs mit Ungewissheit verstehen? Indem im Zuge der Darlegung dieser Frage Spiel und Computer als Medien konzeptionell zusammengezogen werden, zeichnen sich – so die Hoffnung – Umrisse einer philosophischen Medientheorie des Computerspiels ab.
2. Medientheorie Die Entstehung der Medientheorie und mit ihr weiter Teile der Medienwissenschaft in ihrer heutigen Form ist vor allem im deutschsprachigen Raum Resultat einer Krise der Geisteswissenschaften im zwanzigsten Jahrhundert, die angesichts einer sich überschlagenden Entwicklung technischer Medien von der Fotographie über den Film bis zum Computer mit ihren an Textkulturen gebundenen Theorien und Methoden an ihre Grenzen gelangt waren. Medienwissenschaft antwortet als Fach auf jene Herausforderungen, die in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bereits von Walter Benjamin unter dem Stichwort der ›Historizität der Wahrnehmung‹ benannt worden sind (Benjamin GS I, 439). Die Entdeckung, dass Medien nicht nur neutrale Vermittler ihrer ›Inhalte‹, sondern historisch bedingte (Mit-)Konstituenten derselben sind, führte ab den sechziger Jahren, vor allem aber ab Mitte der achtziger Jahre zu einer Neuausrichtung der theoretischen Perspektive: weg von Sinnphänomenen, hin zu den Bedingungen der Möglichkeit von Sinn selbst. Wie ist Denken, Schreiben, Lernen, Wissen durch die Mittel beeinflusst, die zu deren Entstehung und Distribution erforderlich sind? Wie kommt es zu Medienumbrüchen? Was motiviert sie? Medientheorie ist von ihrem Anspruch her stets eine Transzendentaltheorie im Sinne Kants geblieben: Sie erforscht jene Techniken, Bedingungen,
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Gegebenheiten, Wahrnehmungskonditionen, in denen etwas als etwas wahrgenommen, gewusst oder verstanden werden kann, nicht jedoch das so Wahrgenommene, Gewusste und Verstandene selbst. Dementsprechend lassen sich zentrale Motive der Medienwissenschaft philosophiegeschichtlich vor dem Hintergrund der Stichworte Hermeneutik, Phänomenologie und Pragmatismus erläutern. Als ein zum damaligen Zeitpunkt noch eher unbekannter Freiburger Germanist im Jahr 1980 einen Sammelband zu ›Programmen des Poststrukturalismus‹ (vgl. Kittler 1980) herausbrachte, konnte man trotz des gewagten Titels noch kaum ahnen, welchen Erfolg eben dieser als Stichwortgeber des aufkommenden Interesses an Medien und Medialität haben würde. Indem Friedrich Kittler in seinem Herausgebervorwort die ›Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften‹ proklamierte, hatte er jene Entwicklung der vornehmlich französischen Philosophie vor Augen, die nach den szientistischen Heilsversprechen des Strukturalismus und der darauf folgenden diesbezüglichen Ernüchterung nun in der Exteriorität der Schrift (vgl. Derrida 1974) oder den Energieströmen des ›organlosen Körpers‹ (vgl. Deleuze/ Guatteri 1974) begann, sich für jene Elemente der Sinngenese zu interessieren, die dann nach einer heute berühmten Konferenz in Dubrovnik 1985 ›Materialität der Kommunikation‹ genannt wurden (vgl. Gumbrecht/Pfeiffer 1988; Gumbrecht 2004). Dieses Interesse an einem neuen Materialismus hatte zwei Seiten, eine politische und eine philosophische. Zunächst versprach dieses neue Stichwort die Möglichkeit, Materialismus auf eine Weise zu denken, die nicht mehr den Spuren des historischen Materialismus folgte, von dem viele der beteiligten Intellektuellen nachhaltig desillusioniert waren, aber trotzdem die Geisteswissenschaften ›vom Kopf auf die Füße‹ zu stellen erlaubte. Dieser Punkt entsprach der philosophischen Volte gegen die Methoden und Theorien der Hermeneutik und Begriffsgeschichte, vor allem aber der Abkehr von den soziologischen und vulgärmarxistischen Widerspiegelungstheorien der siebziger Jahre. Nicht mehr Sinn und Bedeutung standen im Fokus des Interesses, sondern jene ›Dispositive‹ – die Foucault-Rezeption außerhalb Frankreichs hatte gerade erst eingesetzt – und Techniken, welche Sinn erst in die Welt bringen. Es ist daher kein Zufall, dass zum selben Zeitpunkt, an dem die Kategorie der Materialität der Kommunikation an Bedeutung gewann, der Computer sich aus den Universitäten und Labors heraus zu einem globalen Medium entwickelte. Durch die Einführung des Graphical User Interface durch Apple Mitte der achtziger Jahre und die etwas später folgende Adaption dieses Interaktionsprinzips durch Microsofts ›Windows‹-Betriebssystems, war es nun auch technischen Laien möglich, einen Computer zu bedienen; es bedurfte keines Expertenwissens mehr, um mit dem neuen Medium umgehen zu können. Dies ist die Grundvoraussetzung für die heutige Ubiquität digitaler Medien. In dem historischen Moment also, an dem es scheinen konnte, dass der Körper und die Materialität im Begriff waren, in den Weiten des Datenuniversums zu verschweben, kam es zu einer wirkungsmächtigen Gegenreaktion seitens der Theorie, die auch für die Medientheorie wichtig geworden ist. Die Renaissance phänomenologischer Ansätze, welche die leibliche Wahrnehmung zum Gegenstand hat, ist unter anderem auf eben diese medienhistorische Konstellation zurückzuführen. Im Moment der vermeintlichen Virtualisierung durch neue Medientechnologien wurde das Reale des Körpers erst eigentlich wieder als selbständige Kategorie beschreibbar, was, durch den Poststrukturalismus vorbereitet, nach Jahr-
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hunderten eines ent-leibten Cartesianismus wie ein Befreiungsschlag wirken musste (vgl. Kamper/Wulf 1982; 1984). Im Zentrum der Diskussion innerhalb der stark ausdifferenzierten Theorielandschaft der internationalen Medienwissenschaft stand dann sehr bald die Idee der Epistemologie als Praxeologie. Im Anschluss an die Arbeiten der historischen Epistemologie, Bruno Latours aber auch der Spätphilosophie Ludwig Wittgensteins und der frühen Philosophie Martin Heideggers, empirischer Wissenschaftsforschung (Science and Technology Studies) und einer Wiederentdeckung der Relevanz religionswissenschaftlicher und ethnologischer Befunde, stehen Fragen nach der Wissensgenese aus der Praxis des Mediengebrauchs zunehmend im Mittelpunkt des Interesses. Ontologische ›Was‹-Fragen werden durch praxeologische ›Wie‹-Fragen ersetzt. Dies hat sowohl zu einer Rückbesinnung auf die philologischen Wurzeln der Medienwissenschaft, als auch zu einem verstärkten Interesse an soziologischen und nicht-soziologischen Handlungsbegriffen geführt. Hierbei spielen vor allem die Arbeiten Bruno Latours eine wichtige Rolle, weil sie mittels einer Amalgamierung aus poststrukturalistischen Ansätzen und den Fragestellungen des material turn mittels der actor-network-theory die agency auch von Dingen, Experimenten und Diskursen zu beschreiben in der Lage zu sein versprechen. Im Zuge der Erforschung von Handlungsmodellen und deren Medialität ist auch der Spielbegriff wieder relevant geworden, der in Zeiten allgemeiner Gamification der Lebens- und Arbeitswelt verstärkt an Brisanz gewonnen hat und in Form mathematischer Spieltheorie jene ökonomischen Theorien beherrscht, auf denen die globalen Finanzmärkte basieren. Mathematische Spieltheorie ist eine Theorie strategischer Entscheidungsfindung, die im Computer implementiert mit Ungewissheit rechnet. Computerspiele entfalten ihre enorme Sogwirkung, weil sie aufgrund ihrer medialen Ermöglichungsgrundlage im digitalen Medium Erleichterung von der Last der Ungewissheit verschaffen, während sie zur gleichen Zeit im Medium der Aushandlung von Ungewissheit par excellence stattfinden, dem Spiel.
3. Spiel und Ungewissheit: Bataille liest Huizinga, Heidegger sekundiert Spiel muss, so scheint es, trotz seiner grammatischen Form, begrifflich nicht im Sinne eines Substantivs oder einer Substanz, sondern als relationale Modalität gefasst werden: Spiel ist kein vorkommendes Ding, sondern ein Seinsmodus, ein Geschehen. Zwar werden einzelne Verkörperungen des Spiels auch stets Spiele genannt – etwa Fußball, Schach oder World of Warcraft – jedoch ist das Spiel als solches keine Entität, sondern eine Dynamik in deren Zentrum die Aushandlung von Ungewissheit steht. Es gibt kein Spiel, dessen Ausgang nicht ungewiss ist. Dies gibt einen wichtigen Hinweis zur Bestimmung des Spiels, welches in der Geschichte seiner Theoretisierung, von Kant bis Huizinga, auch immer wieder ex negativo vermittels seines Gegenteils konturiert wurde. Dabei ist allerdings stets bemerkt worden, dass sich das Spiel vorschnellen Dichotomisierungen entzieht. So ist etwa der Gegensatz zwischen Spiel und Ernst, der doch zumindest dem Alltagsverständnis des Phänomens noch recht nahe steht, bereits bei Schiller, aber insbesondere bei Huizinga nicht zu halten
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gewesen. Im Gegenteil: Im ›heiligen Ernst‹ ist geradezu ein weiteres Definitionsmerkmal des Spiels gefunden worden. Huizinga, der das Spiel kulturgeschichtlich vor allem aus religiösen Praktiken und Vorstellungen herleitet, hat sich in seinem Homo Ludens vor allem deswegen so lange auf die Widerlegung des Gegensatzes von Spiel und Ernst konzentriert, weil ihm Spiel als sinnstiftendes Moment erschien, dass sich zwar menschheitsgeschichtlich im Bannkreis des Kultes und der Religion zuerst zeigte, aber der transzendenten Dimension nicht bedarf, oder besser: diese offen lässt. Huizingas Pointe liegt darin, in einer Welt ohne Gott Kultur, Ritus und heilige Handlungen durch das Spiel auf eine Weise erklären zu können, die ihnen ihren Zauber lässt, ohne diesen auf Zweckrationalität und Betrug zurückzuführen. Gleichzeitig muss in einer gottesfernen Welt (Homo Ludens erschien am Vorabend des Zweiten Weltkrieges) der transzendente Bezug religiöser Handlungen nicht wieder eingeführt werden. Die Entdeckung Huizingas ist nicht etwa, dass Spiel eine Art Vorform oder ein besonderes Element von Kultur ist, sondern dass Kultur als solche spielförmig ist. Spiel erzeugt keinen Sinn, Spiel ist Sinn, bzw. Spiel ist sinnförmig ebenso wie Sinn spielförmig ist. Huizinga selbst hat sich allerdings auf die Dynamik des Spiels als relationaler Modalität nicht eingelassen, ja hat die ›unableitbare‹ Qualität des Spielhaften für analytisch unzugänglich gehalten. Es war dann Georges Bataille, der in Reaktion auf Huizingas epochemachendes Buch zur Kulturtheorie des Spiels den eigentlichen Gegensatz zum Spiel nicht im Ernst, sondern in der Arbeit gesucht hat (vgl. Bataille 2014). Bataille begründet diesen Schritt zunächst in einer Kritik an der monokausalen Ausrichtung der Huizingaschen Ansatzes, der allein das Spiel in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Bataille – wie die meisten seiner Zeitgenossen im intellektuellen Frankreich der fünfziger und sechziger Jahre unter dem Bann der Kojéveschen Hegellektüre, die auf die Herr und Knecht-Dialektik fixiert ist – fehlt das dialektische Gegenüber zum Spiel, das durch seine Widerständigkeit den Denkweg erst in Gang setzt. Dieses Gegenstück ist für Bataille die Arbeit und die diesbezügliche Analyse ist so radikal wie aufschlussreich: Für den Denker der Fülle und produktiven Verschwendung ist der zuerst durch Marcel Mauss theoretisch einflussreich interpretierte Potlatsch deswegen eine der edelsten Form des Spiels, weil hier die Verausgabung im Wettbewerb des Schenkens die Niederungen der Fron und des auf Arbeit basierenden Kapitalismus durch die Souveränität der Verschwendung überbietet. Ein Wettkampf der Verschwendung ringt das agonale Prinzip, das sich noch in der Form des Wettkampfes oder Wettstreits verbirgt, nieder, indem es Konkurrenz durch Fülle überwältigt und damit auslöscht. Ist für Schiller noch der Mensch nur ganz Mensch, wo er spielt, ist der Mensch für Bataille erst dort auf der Höhe des Spiels, wo er sich selbst aufs Spiel setzt. Die Autonomie des Spiels, welche den Menschen nicht braucht, sondern sich nur auf bestimmte Weisen in seinen Handlungen ausdrückt, tilgt den Anthropozentrismus, den das Spiel noch bei Kant, Schiller und Huizinga hatte, und rückt es damit noch ein Stück näher an die Kunst (s. Kap. »Kunst«). In einer Art dämonischen Überbietung der Analyse von Max Weber (vgl. Weber 2013) und ganz im Fahrwasser Nietzsches ist für Bataille Arbeit nichts weiter als Produkt der Angst vor dem Ungewissen. Der Mensch, der sich vor den Unbilden der Natur, Tod und Krankheit schützen will, tauscht seine Arbeitskraft und damit seine Freiheit gegen die Illusion von Sicherheit, die ihm Kapital und Staat als Ge-
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genleistung feilbieten. Bereits bei Weber war die Ungewissheit des Gnadenstandes Motor des kapitalistischen Geistes. Für den Calvinisten im Sinne Webers ist die Vereinsamung des Individuums charakteristisch, für das Gott in weite Ferne gerückt ist. Einzig die weltliche Berufsarbeit erlaubt noch die Abfuhr religiöser Angstaffekte, denn Erfolg im Beruf, durch harte Arbeit errungen, kann noch als Zeichen der Erwählung gedeutet werden, wenn auch eben nur als Zeichen, das somit auch falsch interpretiert worden sein kann. Gewissheit über den eigenen Gnadenstand ist unerreichbar. In diesem Sinne ersetzt Arbeit die ›magischen Heilmittel‹ des Katholizismus (Beichte etc.) um den Preis der gnadenlosen Selbstunterwerfung unter das Joch einer ungewissen Gnadenwahl. Dieses asketische Arbeitsethos erkauft zwar nicht die Gnade Gottes wie durch einen Ablass, jedoch ist zumindest die Chance gegeben, anhand des (möglichen) Erfolges auf den eigenen Gnadenstand schließen zu dürfen. Bataille nun, für den sich Hegels Herr und Knecht-Dialektik im Zeichen der Spieltheorie zu einer Spiel und Arbeit-Dialektik verwandelt hat, sieht im Spiel eine Kraft, die solchen Zumutungen mittels radikaler Affirmation des Ungewissen ins Gesicht lacht: »Der Herr ist nach Hegel derjenige, der das Risiko des Todes auf sich nimmt; der Knecht derjenige, der um jeden Preis überleben will, indem er unter Zwang für einen anderen arbeitet. Aus dem Gegensatz zwischen der Haltung des Spiels (oder des Todesrisikos) und der Haltung der Angst vor dem Tode (oder der erzwungenen Arbeit) gewinnt Hegel das dialektische Konzept des Menschen« (Bataille 2014, 93). Für Bataille manifestiert sich im Spiel vor allem eine Haltung; auch sie eine Weise des In-der-Welt-Seins. Diese Haltung allerdings fußt abermals auf jenem Grund-Ingrediens, das schon begegnet ist: der Ungewissheit. Abermals zeigt sich in der todesverachtenden Bejahung, in den existentiellen Spielen ›auf Leben und Tod‹ eine Einübung ins Ungewisse, welche sich immer mehr als entscheidendes Merkmal des Spiels entpuppt. Allerdings stehen sich Spiel und Arbeit in einer radikalen Theorie wie der Batailles nur unversöhnlich gegenüber. Batailles Hegel ist nicht einer der dialektischen Aufhebung, sondern der agonalen Konfrontation, welche in dieser Konfrontation arretiert ist. Wie eine Synthese aussehen könnte, davon ist hier nichts zu erfahren, der Fetisch des Streits und des Kampfes ist hier zu stark im Vordergrund. Auch Heidegger setzt hier an: Widerspruch und Widerstreit sind für ihn nicht etwas aus der Realität zu tilgendes, sondern Wirklichkeit selbst: »Der Widerspruch ist vielmehr das innere Leben der Wirklichkeit des Wirklichen. Diese Deutung von Wesen und Wirken des Widerspruchs ist das Kernstück der Metaphysik Hegels« (Heidegger 2006, 38). Medium dieses Widerstreits nun ist auch bei ihm das Spiel, wobei die bedeutende Rolle des Spielbegriffs bei Heidegger nicht leicht zu sehen ist und umfänglicher Querverweise bedarf (vgl. Heidemann 1968; Roesner 2003; Sell 2013). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass insbesondere in Heideggers Schrift Der Satz vom Grund Wesentliches zu diesem Thema anzutreffen ist. Ohne ins Detail gehen zu können, sei an dieser Stelle nur angedeutet, dass Heidegger hier in Gestalt der Frage nach Grund und Begründung das Spiel als jenes Element des Widerstreits konturiert, das es ermöglicht den ›Satz‹ im Sinne des Sprungs in ein konstitutiv Grundloses, oder besser Ungründiges zu tun. Spiel wird hier nicht nur existentialistisch aufgeladen; das Entscheidende ist, dass die begrifflichen Gegen-
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spieler des Spiels, sozusagen seine dialektischen Konterparts, nicht mehr Ernst oder Arbeit, sondern – gemäß der Bedeutung, die im Spiel die Einübung ins Ungewisse hat – Ursache, Zweck, Kausalität sind. Der ›Satz‹ vom Grund ist ein Sprung ins Ungewisse, eine Geworfenheit auch und gerade im Sinne des Würfelwurfs. Dasein ist immer schon eingelassen in eine Welt, grundlos durch sich selbst da.
4. Luzidträume der Logik: Spiel als Medium bei Gregory Bateson Die Protagonistin von Alice in Wonderland und Through the Looking Glass betritt durch besagten Spiegel eine Welt der Paradoxien und permanenten Metamorphosen. Was zunächst vertraut erscheint, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen regelmäßig als etwas Anderes, Unerwartetes, was jene Kindheitserfahrung widerspiegelt, die zum ersten Mal versucht, die Erwachsenenwelt zu verstehen. Gilles Deleuze hat in Logik des Sinns aus den Büchern Lewis Carrolls bekanntlich ein Kompendium dieser Paradoxien im Zusammenhang einer Theorie der Sinnkonstitution zusammengestellt. In diesen Paradoxien lässt sich dabei ein roter Faden erkennen, ein gemeinsames Leitmotiv: Die immer wieder auftauchende Gleichzeitigkeit von ›Realität‹ und ›Fiktion‹. Diese Gleichzeitigkeit ist emblematisch verkörpert in den Zwillingen Tweedeldee und Tweedledum, die an einem Punkt innerhalb von Through the Looking Glass Alice über den Traum des roten Königs belehren wollen, der gerade unter einem Baum friedlich vor sich hin schnarcht: ›He’s dreaming now‹ said Tweedledee: ›and what do you think he is dreaming about?‹ Alice said, ›Nobody can guess that.‹ ›Why about you!‹ Tweedledee exclaimed, clapping his hands triumphantly. ›And if he left off dreaming about you, where do you suppose you’d be?‹ ›Where I am now of course‹ said Alice. ›Not you!‹ Tweedledee retorted contemptuously. ›You’d be nowhere. Why, you’re only a sort of thing in his dream!‹ ›If that there king was to wake‹ added Tweedledum, ›you’d go out – bang! – just like a candle!‹ ›I shouldn’t!‹ Alice exclaimed indignantly. ›Besides, if I’m only a sort of thing in his dream, what are you, I should like to know?‹ ›Ditto‹ said Tweedledum. ›Ditto, Ditto‹ cried Tweedledee. He shouted this so loud that Alice couldn’t help saying, ›Hush! You’ll be waking him, I’m afraid, if you make so much noise.‹ (Carroll 2012, 158)
Alice’ Zögern ist Ausdruck existentieller Ungewissheit. Auf der einen Seite muss sie die Möglichkeit, wie die Flamme einer Kerze zu verschwinden, für absurd halten, andererseits handelt sie unwillkürlich nach der Devise better safe than sorry: Lieber kein Risiko eingehen! In Metal Gear Solid – einem Computerspiel des japanischen Entwicklers Konami aus dem Jahr 1998 – begegnet der Spieler einem virtuellen Feind namens ›Psycho Mantis‹, welcher, der in-game-Mythologie zufolge, über telepathische Kräfte ver-
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fügen soll. Dieses Aufeinandertreffen resultiert in einem sog. ›Boss-Fight‹, einem elaboriert inszenierten Kampf gegen einen besonders schweren Gegner, während dessen Psycho Mantis seine telepathischen Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis stellt. Hat der Spieler früher schon einmal Spiele des Entwicklers Konami gespielt, zum Beispiel Castlevania, welche Spuren in Form von gespeicherten Spielständen im internen memory unit der Konsole hinterlassen, so ist die Software von Metal Gear Solid darauf programmiert, diese zu erkennen und diskret auszulesen. Im Ergebnis führt dies zum erstaunlichen Beweis der besonderen Kräfte von Psycho Mantis, da dieser Trick es dem Spiel erlaubt, sich vermittelt durch diese virtuelle Figur direkt an den empirischen Spieler zu wenden und dessen Vorlieben und Gewohnheiten zu kommentieren: »So, you like Castelvania? Ah, you have saved often. You are a prudent person«. Aber Mantis hat noch mehr Tricks in seinem Arsenal, die dessen okkulte Fähigkeiten weiter untermauern. Je länger der Kampf dauert, desto öfter und eindringlicher wendet sich der aus Algorithmen bestehende Antagonist an den empirischen Spieler vor dem Monitor anstatt an dessen virtuellen Vertreter im Spiel. So kommt es vor, dass Mantis den Spieler auffordert das reale Eingabegerät (game pad) auf den Boden zu legen, damit er, Mantis, die ›Kontrolle‹ übernehmen könne, um somit seine Macht endgültig unter Beweis zu stellen. Folgt man als Spieler diesen Anweisungen, wird man Zeuge, wie sich das game pad tatsächlich unter vernehmbarem Brummen über den Boden bewegt. Im Prinzip ein simpler Trick, denn im Inneren dieser Eingabegeräte befinden sich Motoren, die zu Immersionssteigerung Vibrationen erzeugen können, normalerweise um dem Bildschirmgeschehen eine haptische Komponente hinzuzufügen. Der Trick ist simpel aber effektiv, da die innerdiegetischen Ereignisse der Spielwelt plötzlich in die reale Welt hineinzuragen scheinen. Die Verbindung zum Erlebnis von Alice ist offenkundig: Es geht um die momenthafte Simultanität epistemischer, logischer und ontologischer Ebenen, die normalerweise nicht gleichzeitig existieren können. Alice’ Ungewissheit bezüglich ihres eigenen ontologischen Status ist jener ähnlich, die der Spieler von Metal Gear Solid bei der Begegnung mit Psycho Mantis erfährt. Für einen kurzen Moment scheinen die Grenzen von Traum und Realität, Virtualität und Aktualität zu verschwimmen. Noch wichtiger ist, dass dabei keine impliziten Hierarchien zwischen den Ebenen auszumachen sind, es ist nicht sicher, was dem einen oder anderen vorhergeht. Dieser Moment des Zögerns und der Ungewissheit, wie kurz er auch sein mag, resultiert bei Alice in ihrer irrationalen Angst bei Erwachen des roten Königs zu verschwinden und sorgt beim Spieler für dessen Verwirrung darüber, dass ein virtueller Charakter plötzlich in der Lage zu sein scheint, aus der fiktiven Welt des Spiels heraus in die reale Welt ›diesseits des Spiegels‹ ausgreifen zu können. Diese Momente erlebter Ungewissheit mögen nur kurz und vorübergehend sein, jedoch ist ihre innere Struktur umso bedeutsamer. Im Gegensatz zu Alice scheint Mantis zu wissen, dass er einer fiktionalen, virtuellen Welt angehört und eben dies ermöglicht es ›ihm‹, die Barrieren zwischen Realität und Spielwelt zum Einsturz zu bringen. Indem Psycho Mantis aus dem diegetischen Rahmen des Computerspiels herausgreift wie eine Art digitales trompe l’ oil, können Existenzmodi gleichzeitig Wirklichkeit erlangen, die ansonsten logisch und epistemisch inkompatibel sind. Möglich macht dies die Form des Spiels als Medium und es war Gregory Bateson, der
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das Phänomen Spiel am Beginn des digitalen Zeitalters entsprechend beschrieben hat. Für Bateson besteht die Faszination am Phänomen Spiel in dessen Fähigkeit zur Transgression von Grenzen, für das der ›Boss-Kampf‹ mit Psycho Mantis nicht eben das komplexeste, aber ein deutliches Beispiel ist. Bateson analysiert Spiel zunächst als Psychologe unter Einbeziehung der Freudschen Begriffe der Primär- und Sekundärprozesse als ein soziales Kommunikationsphänomen, das die Grenzen ansonsten inkompatibler Ebenen zu transzendieren erlaubt. Diese Momente der Überschreitung definieren die Medialität des Spiels. Während die Mechanismen des unbewussten Primär-, sowie des diskursiv verfassten Sekundärprozesses normalerweise füreinander uneinsehbare black-boxes sind, ist das Spiel in der Lage, diese Barrieren zu überbrücken, indem es die aus der Konfrontation dieser Ebenen resultieren Paradoxien zu vermitteln erlaubt: »It therefore follows that the play frame as here used as an explanatory principle implies a special combination of primary and secondary processes« (Bateson 1972, 191). Es ist dabei entscheidend, dass Bateson Spiel als ein Medium beschreibt, das zwischen den verschiedenen logischen und epistemischen Ebenen angesiedelt ist und diese in Beziehung setzt, ohne sie allerdings in einem dialektischen Sinne zur Synthese zu bringen. Die entstehenden Paradoxien werden nicht ›aufgehoben‹, sondern in Bewegung versetzt. Die Dynamiken ludischer Medialität erzeugen somit eine Art logisch-epistemisches Zwielicht, ähnlich dem Luzidtraum, innerhalb dessen der Träumer plötzlich gewahr wird, dass er träumt. Diese spezifische Art des Traums ereignet sich gewöhnlich in kurzen Momenten zwischen Schlaf und Erwachen. Solange der Träumer ohne das Wissen um die eigene Traumexistenz träumt, funktioniert der Traum innerhalb seiner normalen operationalen Rahmung. Nicht nur, dass die Grenze zum Sekundärprozess nicht überschritten werden kann, sie kann innerhalb des Traums noch nicht einmal als solche erkannt werden. Der Zustand des Luzidtraums hingegen erlaubt es dem Träumer, Bateson zufolge, nicht nur diese Grenzen wahrzunehmen, sondern aufgrund dieser Erkenntnis auch Metaaussagen zu treffen, welche Rahmungen sichtbar machen. Es handelt sich hierbei um jenen Kern von Batesons Spieltheorie, auf den sein Schüler Erving Goffman dann die bekannte soziologische Theorie der ›Rahmenanalyse‹ aufgebaut hat. Von hier aus war es dem Kybernetiker Bateson dann auch möglich, Theorien des second- und third order observers zu entwickeln, was wiederum von entscheidender Bedeutung sowohl für den radikalen Konstruktivismus als auch schließlich für die Systemtheorie Niklas Luhmanns wurde. In diesem Sinne ist es legitim, das Medium Spiel vor allem im Hinblick auf Computerspiele als gerahmte Ungewissheit (framed uncertainty) zu definieren. Gerahmt im Hinblick auf die Doppeldeutigkeit des englischen ›framed‹, erstens im Sinne des Bilderrahmens oder der Rahmung bei Bateson und Goffman, alsdann aber auch als ›framed‹ im Sinne von ›hereingelegt‹, ›in die Falle gelockt‹, ›eingefangen‹. Denn, obwohl Computerspiele auf inszenatorischer Ebene Apotheosen der Ungewissheit sind (das ist der Anteil des Mediums Spiel), basieren sie auf der technischen Ebene auf Computern, die in Form der heute vorherrschenden Kombination aus von Neumann-Architektur und Turing-Maschinen nicht in der Lage sind, realen Zufall und Entropie zu generieren, also kein Konzept von Kontingenz aufweisen. Es handelt sich hier um
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das zentrale Kriterium, welches Computerspiele von anderen Spielen unterscheidet und ihre spezifische Spannung ausmacht. Es gibt viele Formen gerahmter Ungewissheit, jedoch bekommt diese Bezeichnung in Bezug auf den Computer und seiner auf Entscheidbarkeit angewiesenen technischen Ontologie eine besondere Komponente, die in der Doppeldeutigkeit des englischen ›framed‹ anklingt. Es scheint fast, als gäbe es hier eine Art Begehren nach Zufall, Entropie und Kontingenz, das sich in den albtraumhaften und apokalyptischen Szenarien vieler Computerspiele Bahn bricht. Exploriert werden kann diese doppelte Rahmung des Computerspiels in dem Maße, wie es seine eigene Medialität beobachtbar macht. Durch die Dichte an Rahmungsproblemen und Paradoxien, die sich im Computerspiel immer wieder ereignen, sind Momente der Selbstreferenz im Sinne selbstbezüglicher Metaaussagen allgegenwärtig. Die Frage »Ist das Spiel?« verweist auf eine solche Metaaussage, die sich aus dem liminalen Status des luziden Träumers ergibt, der sich sowohl innerhalb als auch außerhalb des Traums befindet: »He cannot, unless close to waking, dream a statement referring to (i.e., framing) his dream« (Ebd., 195). Die Dynamik ludischer Medialität im Sinne eines Liminalphänomens muss als ein Prozess beschrieben werden, in dem Plötzlichkeit ein wichtiges Element darstellt, in dem sich die spielspezifische Medialität zeigt. Es ist sicher kein Zufall, dass hier mannigfaltige Verbindungen zur ästhetischen Moderne bestehen, die im Zufall und der Kontingenzerfahrung von Stephane Mallarmé über den Surrealismus bis zu Marcel Duchamp ein zentrales Element des Ludischen aufnimmt (vgl. Bohrer 1998). Es ist dieser diabolische Aspekt, der die Verführungskraft des Spiels ausmacht. Aus diesem Grund ist diese Prozessierung von Paradoxien im Kern ludischer Medialität immer nur für kurze Momente erfassbar. Alice’ Zögern und ihre Ungewissheit sind ebenso kurz wie die Verwirrung des Spielers, der Psycho Mantis in Metal Gear Solid bekämpft. Kurz danach sind die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Aktualität und Virtualität wieder stabil. Ebenso existiert das Phänomen des Wahrtraums nur für Sekunden zwischen Schlafen und Wachen. Bateson nutzt die Traumanalogie, weil es sein Ziel ist, Spiel als einen Modus von Liminalität zu beschreiben, der zwischen Primär- und Sekundärprozess vermittelt und hier sein volles, transgressives Potential entfaltet. An diesem Punkt sind dann Verbindungen zwischen verschiedenen Kategorien hergestellt, die jedoch nie vollends kompatibel werden: »The message ›This is play‹ thus sets a frame of the sort which is likely to precipitate paradox: it is an attempt to discriminate between, or to draw a line between, categories of different logical types« (Bateson 1972, 195). Bateson unterscheidet den Spielbegriff gemäß den Vorgaben der englischsprachigen Unterscheidung in das regelgeleitete ›game‹ und die offenere Form des ›play‹. Das game ist dadurch gekennzeichnet, dass in ihm das Problem der Rahmung und die resultierenden Paradoxien innerhalb des Spiels reflektiert werden. Spiel im Sinne des play hingegen wird bereits durch die Performativität der Aussagen »Das ist Spiel« hervorgebracht. Im game wird die logisch-epistemische Ungewissheit durch die Frage »Ist dies Spiel?« gespeist und gleichzeitig im Akt des Spielens reflektiert. Ebenso wie später bei Luhmann geht es bei Bateson darum, dass Sinn ein Effekt der Prozessierung von Paradoxien ist. ›Sinn‹ muss hier im Luhmannschen Sinne verstanden werden, in dessen Systemtheorie diese Kategorie von vornherein selbst als Medium
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gedacht wird, das psychischen und sozialen Systemen erlaubt, Selbstreferenz und Komplexität zu generieren. ›Sinn‹ ist damit eine Grundvoraussetzung für komplexe Systeme überhaupt (vgl. Luhmann 1987, 92–148). Das berühmte Russelsche bzw. Epimenidische Paradox, das auch Bateson zitiert, ist ein Paradebeispiel für die hier in Frage stehenden Paradoxien. Dieses Paradox resultiert in einem double-bind, einer epistemischen Struktur, an der Bateson als Teil einer Theorie der Schizophrenie interessiert war. Über diesen ›Umweg‹ kommt er zu seiner Theorie des Spiels, denn für ihn ist die Unfähigkeit mit zwei Aussagen gleichzeitig umzugehen, die logisch inkompatibel sind, ein zentrales Definitionskriterium der Schizophrenie. Der Schizophrene verliert seinen Kontakt zur Wirklichkeit, da er nicht zwischen real und irreal unterscheiden kann und damit in einer logischen Schleife sich wiederholender (Un-)Möglichkeiten gefangen ist. Im Spiel jedoch entdeckt Bateson eine Dynamik, die den double-bind zwar nicht auflösen, aber immerhin mittels temporaler Prozessierung verarbeiten kann. An dieser Stelle zeigt sich der amerikanische Philosoph geneigt, im Spiel einen evolutionären Sprung in der Entwicklung menschlicher Kommunikation zu vermuten, denn die Prozessierung von Paradoxien ist fundamental für Formen der Kommunikation, die über das Erkennen von Signalen hinausgeht. Bateson sieht in diesem ›spielerischen‹ Austausch eine Form der Metakommunikation, die Paradoxien nicht nur verarbeiten, sondern aus ihnen Sinn generieren kann. Dabei ist es bei aller Abstraktion nicht schwer zu erkennen, was dabei in den Blick kommt, denn ohne die Möglichkeit zwischen Paradoxien zu vermitteln, wäre der Mensch nicht in der Lage, sich Zeichen auf eine Weise zu bedienen, die über das Erkennen strikter Denotation hinausgeht. Ohne zu verstehen, wie etwas gleichzeitig wahr und falsch sein kann, gäbe es keine Grundlage für uneigentliche Rede; Witze, Ironie, Metaphern oder Sarkasmus wären unverständlich. Dies ist der Grund, warum die Idee einer Ideal-Sprache von Leibniz bis Frege außerhalb strikt denotativer Formalsprachen zum Scheitern verurteilt war und es ist spätestens an dieser Stelle sehr deutlich, dass Bateson stark von Wittgenstein beeinflusst ist, der mit einem Entwurf einer idealen Sprache begann und diesen Versuch verwarf, um letztlich bei einer Theorie des Spiels anzukommen. Bateson verwendet die Metapher von ›Karte und Territorium‹, um diesen Komplex mittels einer klassisch semiotischen Denkfigur zu illustrieren. Wie zu sehen war, resultieren die Paradoxien, um die es hier geht, aus der Konfrontation von Primär- und Sekundärprozess. Spiel in Form der Frage »Ist das Spiel?« transzendiert die Grenze zwischen diesen beiden primordialen psychischen Kräften: »In primary process, map and territory are equated; in secondary process, they can be discriminated. In play, they are both equated and discriminated« (Bateson 1972, 191). Eben diese coincidentia oppositorum ist es, die in den oben skizzieren Momenten logisch-epistemischer Ungewissheit beobachtbar ist. Innerhalb des Rahmens des Spiels werden diese Ebenen jedoch nicht im Sinne einer potentiellen Synthese vermittelt, vielmehr wird der double-bind mittels Zeit in Bewegung versetzt und damit prozessiert. Diese fluktuierende Dynamik steht im Zentrum ludischer Medialität, da deren temporale Prozessierung nicht linear, sondern rekursiv ist. Innerhalb des Spiels wird ständig von einer Ebene zu nächsten gesprungen, wodurch fixe Momente eines ›davor‹ und ›danach‹ etabliert werden: Paradoxien werden dadurch nicht aufgelöst, aber zum Tanzen gebracht. Auf diese Weise bleibt ludische Medialität stets
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diskret und generiert ›Sinn‹ aus der kontinuierlichen Prozessierung ansonsten inkompatibler logischer, epistemischer oder auch ontologischer Ebenen. Pathologisch werden diese Vorgänge – wie in der Schizophrenie – genau in dem Moment, wenn psychische oder soziale Systeme der Gradwanderung ludischer Medialität nicht mehr folgen, wenn Paradoxien nicht mehr prozessiert werden können. Noch vor jeder Genreeinteilung ist daher Selbstreferenz ein für Computerspiele konstitutives Merkmal, dass durch deren ludische Medialität hervorgetrieben wird, auch wenn dies nur selten so offensichtlich in Szene gesetzt wird wie in Metal Gear Solid. Es scheint, dass eine gewisse Spannung besteht, zwischen dem Bestreben der Entwickler, möglichst realistische Spielwelten mittels elaborierten Immersionsstrategien zu erstellen und der Tendenz des Computerspiels zur Selbstreferenz, welche wiederum auf die Gemachtheit und Künstlichkeit der Spielwelt verweist. Diese Spannung ist typisch für Computerspiele. Auf der einen Seite zielen große bigbudget-Titel nach wie vor darauf ab, durch hyperrealistische Grafik und immersive Spielerfahrungen die beträchtliche Artifizialität der Spielwelt so weit wie möglich zu verschleiern, andererseits dürfen Computerspiele wiederum auch nicht zu realistisch sein, um noch als Spiele funktionieren zu können. Ein Spiel, das vom übrigen Leben nicht mehr unterschieden werden kann, keine Rahmung aufweist, ist kein Spiel mehr. Diese fragile Spannung innerhalb ludischer Medialität wird stets aufrecht erhalten; ›totale Immersion‹ im Sinne vollständiger Wahrnehmungsillusion hingegen ist nichts weiter als ein Phantasma der Design-Theorie. In Bezug auf die Spielwelt gibt es stets eine Gleichzeitigkeit von Nähe und Distanz, weil Spiel nur aufgrund von Distanznahme durch Rahmung stattfinden kann, während gleichzeitig die Spielwelt immersiv genug sein muss, um glaubhaft zu sein. Diese Simultanität von externer Beobachter- und intrinsischer Teilnehmerperspektive ist ein distinktes Charakteristikum von Computerspielen, das leicht übersehen werden kann, sobald eine der beiden Ebenen in der Analyse bevorzugt wird. Aus diesem Grund betont etwa Sybille Krämer, dass diese Gleichzeitigkeit von verschiedenen Wahrnehmungsebenen und Beobachterstandpunkten für SimulationsPhänomene spezifisch ist, eine Hypothese, die auch gegen die kulturpessimistisch aufgeladene These von der ›Agonie des Realen‹ gerichtet ist: »Doch gegen die Verabsolutierung jeweils nur einer Perspektive sei daran erinnert, daß die Simulationstechnik virtueller Realitäten voraussetzt, daß der faktische Ort des Leibes und der virtuelle Ort der Interaktion divergieren. ›Cyberspace‹ setzt also die Differenz von virtueller Realität und leibsituierter Außenwelt voraus« (Krämer 1998, 36).
5. Spiel als Medium bei Hans-Georg Gadamer In Wahrheit und Methode steht das Spiel im Zentrum von Hans-Georg Gadamers phänomenologisch-hermeneutischer Exploration des Kunstwerks. Im Anschluss aber auch in entscheidender Abgrenzung zu ähnlichen Motiven bei Kant und Schiller bildet das Spiel bei ihm den Fokus, oder besser das Prisma, mit dem die hermeneutische Bedeutung des Kunstwerks einer »ontologischen Explikation« (Gadamer 1990, 107) unterzogen werden kann. Im Zuge dessen arbeitet Gadamer eine Theorie des Spiels heraus, die nicht etwa deshalb für die Theorie des Computerspiels von Be-
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deutung ist, weil sie es erlaubt, das Computerspiel per philosophischer Nobilitierung quasi durch die Hintertür zur Kunst zu erheben, sondern weil hier Spiel konsequent als Medium gedacht wird, dessen ›Substanz‹ die Relation ist. Im Spiel findet statt, was Gadamer eine »totale Vermittlung« (Ebd., 125) nennt, eine Transformation, welche das Mediatisierte im Akt der Mediatisierung grundlegend verwandelt. Spiel ist nicht einfach Handlungsanweisung oder kybernetischer Regelkreis, sondern ein Modus des Weltbezugs, der in der Darstellung zu sich kommt. Entscheidend ist zunächst, dass für Gadamer das Spiel konsequent unabhängig von den beteiligten Aktanten konzipiert ist; ein Gedanke, der einer Theorie, die bei Spielen vor allem an Interaktion denkt, diametral gegenübersteht. Spiel ist eine Seinsweise, ein Modus des In-derWelt-Seins, der nicht als Produkt der Handlungen von Spielern gedacht werden darf: Wenn wir im Zusammenhang der Erfahrung der Kunst von Spiel sprechen, so meint Spiel nicht das Verhältnis oder gar die Gemütsverfassung des Schaffenden oder Genießenden und überhaupt nicht die Freiheit einer Subjektivität, die sich im Spiel betätigt, sondern die Seinsweise des Kunstwerks selbst. (Ebd., 107)
Sowohl gegen psychologisierende Argumente als auch gegen zentrale Grundthesen Kants und Schillers gerichtet, wird hier eine Eigengesetzlichkeit oder Gegenwendigkeit des Spiels behauptet, die unabhängig von der Produzenten- oder Rezipientenebene vorgestellt werden soll. Subjekt des Spiels »sind nicht die Spieler, sondern das Spiel kommt durch die Spielenden lediglich zur Darstellung« (Ebd., 108). Gadamer wird im Folgenden den »medialen Sinn« (Ebd., 110) des Spiels zunächst auf diese Weise beschreiben und es wird ersichtlich, wie der Begriff ›Medium‹ an dieser Stelle ausgestaltet ist. Es gehört zur intrinsischen Motivation von Wahrheit und Methode, eine Alternative zu naturwissenschaftlichen Welt der ›Methoden‹ anzubieten, was eine Aversion gegen Definitionen miteinschließt. Der Medienbegriff Gadamers muss an dieser Stelle also zuallererst einmal aus dem Gang der Argumentation erschlossen werden. Mit der Verschiebung des Beobachtungsakzents von der Ebene des Subjekts (sowohl Produzent als auch Rezipient) auf die des Spiels als Medium und Seinsweise geht eine Betonung jener Aspekte des Spiels einher, welche eine ziellos dynamischprozessuale Gegenwendigkeit ins Zentrum stellen. Das heißt für Gadamer sind zunächst nicht jene Spiele von Belang, an die üblicherweise zuerst gedacht wird, wenn vom Spiel gesprochen wird (Sport, Wettkampf, Brettspiele etc.), sondern jene Phänomene, in denen bereits die Sprache ein Moment des selbstgenügsam Ephemeren aufzudecken scheint: Wir reden vom Spiel des Lichtes, vom Spiel der Wellen, vom Spiel des Maschinenteils in einem Kugellager, vom Zusammenspiel der Glieder, vom Spiel der Kräfte, vom Spiel der Mücken, ja sogar vom Wortspiel. Immer ist das Hin und Her einer Bewegung gemeint, die an keinem Ziele festgemacht ist, an dem sie endet. (Ebd., 109)
Nicht nur, dass dem Spiel kein telos unterstellt werden kann – das Spielziel ist für das Spiel selbst irrelevant – auch spielen Regel und Handlung hier kaum eine Rolle. Vielmehr scheint Spiel etwas zu sein, dass sich darstellt, ja Spiel ist selbst Darstellung. Die
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Formulierung des ›Hin und Her‹ ist von maximaler Abstraktheit, es gibt hier keine Regeln, keinen ›Sinn‹, eben kein Ziel, nur eine Bewegung an und für sich: »Das Spiel ist Vollzug der Bewegung als solcher« (Ebd.). Selbst das »Spiel des Maschinenteils in einem Kugellager« verweist auf ein räumliches Widerspiel zweier Elemente, oder genauer, deren Möglichkeit im Sinne von Potentialität. Wenn Gadamer nun postuliert, dass »der ursprüngliche Sinn von Spiel der mediale Sinn« (Ebd.) ist, so ist hiermit vor allem das Spiel als dieser Möglichkeitsraum in den Blick gerückt, der in sich die Möglichkeit zu Figuration oder Formgenese immer je neu aus sich selbst heraus entlässt: »Das Spiel stellt offenbar eine Ordnung dar, in der sich das Hin und Her der Spielbewegung wie von selbst ergibt« (Ebd., 110). Eine zweite Ebene des Medialen ist jedoch ebenso wichtig. Dass sich Spiel unabhängig von spielenden Subjekten ereignet, bedeutet für Gadamer konsequenterweise auch ein »Primat des Spieles gegenüber dem Bewußtsein des Spielenden« (Ebd.), d. h. dass nicht der Spieler es ist, der (inter-)aktiv eine spielende Tätigkeit ausübt, sondern umgekehrt: der Spieler wird vom Spiel gespielt, er dient dem Spiel als Medium für die Darstellung seiner selbst. Diesbezügliche Beschreibungen wie die Folgende haben vielleicht auch und gerade angesichts des Computerspiels erst ihre volle Evidenzkraft gewonnen: Alles Spielen ist ein Gespieltwerden. Der Reiz des Spiels, die Faszination, die es ausübt, besteht eben darin, daß das Spiel über den Spielenden Herr wird. Auch wenn es sich um Spiele handelt, in denen man selbstgestellte Aufgaben zu erfüllen sucht, ist es das Risiko, ob es ›geht‹, ob es ›gelingt‹ und ob es ›wieder gelingt‹, was den Reiz des Spieles ausübt. Wer so versucht, ist in Wahrheit der Versuchte. Das eigentliche Subjekt des Spiels (das machen gerade solche Erfahrungen evident, in denen es nur einen einzelnen Spielenden gibt) ist nicht der Spieler, sondern das Spiel selbst. Das Spiel ist es, was den Spieler in seinen Bann schlägt, was ihn ins Spiel verstrickt, im Spiele hält. (Ebd., 112, Hervorhebung i. O.)
Der ›mediale Sinn‹ des Spiels besteht demnach sowohl in dem Umstand, dass Spiel sich zwischen alle Aktanten als ein gegenüber diesen autonomes Reich der Möglichkeiten entpuppt, in das Letztere wie in eine Art Milieu eingelassen sind, als auch darin, dass (jetzt auch in einem Sinne, der an den Gebrauch des Medienbegriffs in okkulten und divinatorischen Praktiken denken lässt) das Spiel von seinen Spielern wie von spiritistischen Medien Besitz ergreift. Was bei Gadamer noch im Hinblick auf die Kunst (seinem eigentlichen Gegenstand) in Metaphern der Verzauberung gehüllt ist, zeigt seine diabolische Seite folglich immer dann, wenn aus Verzauberung Besessenheit wird: Die Sucht, der Wirklichkeitsverlust, das Aus-der-Welt-Fallen. Aber dieses ekstatische Außer-SichSein ist ein wichtiger Bestandteil des Spiels als Medium (jetzt im doppelten Sinne), dass dann vor allem im Hinblick auf digitale Medien und Computerspiele immer wieder mit dem Namen ›Immersion‹ versehen wird, dem Ein- und Abtauchen in die Möglichkeitswelten des Spiels: »Das ist der Punkt, an dem sich die Bestimmung des Spiels als eines medialen Vorgangs in seiner Wichtigkeit erweist. Wir hatten gesehen, daß das Spiel nicht im Bewußtsein oder Verhalten des Spielenden sein Sein hat, sondern diesen im Gegenteil in seinen Bereich zieht und mit seinem Geis-
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te erfüllt. Der Spielende erfährt das Spiel als eine ihn übertreffende Wirklichkeit« (Ebd., 115). Dieser Charakter der Überwältigung oder Verzauberung, den das Spiel dadurch erzeugt, dass das Individuum im Spiel sich als Gespieltes erlebt, hat laut Gadamer eine Funktion, welche mit dem Begriff der Entlastung weiter oben schon einmal angeklungen ist: Die Leichtigkeit des Spiels, die natürlich kein wirkliches Fehlen von Anstrengung zu sein braucht, sondern phänomenologisch allein das Fehlen der Angestrengtheit meint, wird subjektiv als Entlastung erfahren. Das Ordnungsgefüge des Spiels läßt den Spieler gleichsam in sich aufgehen und nimmt ihm damit die Aufgabe der Initiative ab, die die eigentliche Anstrengung des Daseins ausmacht[.] (Ebd., 110)
Bemerkenswert an dieser Stelle ist die existentialistisch-anthropologische Pointe, dass die Entlastung, die im Spiel stattfindet, nicht einfach nur ein Delegieren von Tätigkeiten beinhaltet, sondern grundsätzliche Eigenschaft des ›medialen Sinns‹ des Spiels ist. Spiel ist also nicht nur ›delegiertes Genießen‹, wie es die Theorie der Interpassivität postuliert (vgl. Pfaller 2002), sondern sogar delegiertes Sein. Dass das Spiel den Spieler »in sich aufgehen« lässt, ist dabei doppeldeutig: Zum einen ist dabei jenes Element angesprochen, das mit Begriffen wie Immersion oder Verzauberung versehen die lustvolle Ohnmacht des Spielers beschreibt, der sich im Versuchen als Versuchter wiederfindet, zum anderen jedoch auch ein Aufgehen im Sinne eines Sich-Öffnens, in dem ein Moment von Freiheit liegt. Indem der Spieler als Gespielter seine Subjektivität hinter sich lässt, erlangt er eine Freiheit zur Welt. Der hier aufscheinende Freiheitsbegriff ist somit abseits eines aufgeklärten selbsttransparenten Subjekts gedacht und meint den Spieler als Medium des Spiels, das im Spieler und im Akt des Spielens zur Darstellung gelangt.
7. Abschließende Bemerkung Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Spiel ein Medium ist, dass die simultane Koexistenz herkömmlicherweise inkompatibler Ebenen erlaubt, und dass es eben dieses Charakteristikum ist, das in Computerspielen aufgrund ihrer technischen Ermöglichungsbedingungen amplifiziert wird. In Computerspielen, verstanden als spezifische Ausformung des Mediums ›Spiel‹ auf der Grundlage des Computers, zeigt sich diese Dynamik als eine Verschränkung von intrinsischer Teilnehmer- und extrinsischer Beobachterperspektive. In diesen Spielen erscheint die paradoxe Verfasstheit ludischer Medialität oft in Gestalt der Inszenierung von Selbstreferenzialität. Dabei spiegeln diese paradoxen Dynamiken die conditio humana selbst, die immer schon durch die Doppelperspektive aus externem Beobachterstandpunkt und intrinsischer Teilnehmerposition bestimmt ist; eines der zentralen Themen der Phänomenologie. Computerspiele, als die inzwischen mit Abstand am weitesten verbreitete Form virtueller Realität, die sowohl Alltag als auch Arbeitswelt durchdrungen hat, sind somit durch die Integration und Amalgamierung von Beobachter- und Teilnehmerperspektive geprägt. Diese macht, gleich einem Luzidtraum,
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aus Akteuren Zuschauer und umgekehrt und darin liegt ihre Faszination und ihr epistemologisches Potential. Viele dieser Aspekte waren bereits der klassisch humanistischen Tradition kulturtheoretischer Spieltheorie von Kant über Schiller bis Huizinga und Caillois bekannt, jedoch bekommen sie unter den Vorzeichen des digitalen Zeitalters neue Brisanz, denn hier, in den Wetten und ›Spielen‹ globaler Finanzmärkte, steht sehr viel auf dem Spiel, vielleicht zu viel. In heutigen Arbeitswelten werden Elemente des Computerspiels in Form von oberflächlichen Gratifikationssystemen (aus-)genutzt (s. Kap. »Arbeit«), dies ist die Basis der vielzitierten ›Gamification‹. Aus Schillers ›ästhetischer Erziehung‹ wird somit ein Werkzeug kalkulierter Effizienzsteigerung. Risikomanagement wiederum ist der einzige Aspekt des Mediums Spiel, dass für die mathematische Spieltheorie von Interesse ist, auf der die Algorithmen basieren, welche die globalen Finanzmärkte steuern. Im Zentrum spielerischen Handelns steht immer ein je spezifischer Umgang mit Zukünften, egal ob diese unmittelbar bevorstehen oder in zehn Jahren stattfinden. Ungewissheit ist der Kern jeden Vergnügens am Spiel, aber auch der Grund, warum mathematische Spieltheorie die ökonomische Theorie von heute beherrscht: stets geht es um die Bewältigung von Kontingenz. Spiel als solchem ist keine humanistische Qualität inhärent. Es liegt am Spielenden, in welcher Weise dieses Medium im Sinne eines der bedeutendsten kulturellen Ressourcen der Zivilisation genutzt werden wird. Spielen bedeutet nicht, sich der Indifferenz anheim zu geben. Im Gegenteil, es handelt sich um eine aktive Begegnung mit Differenz und Kontingenz, um einen praktischen Umgang mit Ungewissheit, den Einzuüben im Medium des Computerspiels heute eine bereits Kindern in aller Komplexität zugängliche Kulturtechnik ist. Literatur
Bataille, Georges: Spiel und Ernst. In: Knut Ebeling (Hg.): Johan Huizinga: Das Spielelement der Kultur, Spieltheorien nach Johan Huizinga von Georges Bataille, Roger Caillois und Eric Voegelin. Berlin 2014, 75–112. Bateson, Gregory: A Theory of Game and Fantasy. In: Gregory Bateson. Steps to an Ecology of the Mind. Northvale/New Jersey/London 1972, 183–199. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders.: Gesammelte Schriften, Bd. I. Frankfurt a. M. 1972, 431–469. Bohrer, Karl Heinz: Plötzlichkeit. Zum Augenblick des ästhetischen Scheins. Frankfurt a. M. 1998. Carroll, Lewis: Alice’s Adventures in Wonderland & Through the Looking Glass. New York 2012. Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Anti-Ödipus. Frankfurt a. M. 1974. Derrida, Jacques: Grammatologie. Frankfurt a. M. 1974. Gadamer, Hans-Georg: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1990. Gumbrecht, Hans Ulrich/Pfeiffer, Karl Ludwig (Hg.): Materialität der Kommunikation. Frankfurt a. M. 1988. Gumbrecht, Hans Ulrich: Diesseits der Hermeneutik – die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M. 2004. Heidegger, Martin: Der Satz vom Grund. Stuttgart 2006.
26 Markus Rautzenberg Heidemann, Ingeborg: Die Problematik des Spielbegriffs bei Heidegger. In: Ingeborg Heidemann: Der Begriff des Spieles und das ästhetische Weltbild in der Philosophie der Gegenwart. Berlin 1968. Kamper, Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.): Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt a. M. 1982. Kamper, Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.): Das Schwinden der Sinne. Frankfurt a. M. 1984. Kittler Friedrich (Hg.): Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften. Programme des Poststrukturalismus. Paderborn/München/Wien/Zürich 1980. Krämer, Sybille: Zentralperspektive, Kalkül, Virtuelle Realität. In: Gianni Vattimo, Wolfgang Welsch (Hg.): Medien – Welten – Wirklichkeiten. München 1998, 27–39. Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. 1987. Pfaller, Robert: Die Illusion des Anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur. Frankfurt a. M. 2002. Rautzenberg, Markus: Spiegelwelt. Elemente einer Aisthetik des Bildschirmspiels. Berlin 2002. Rautzenberg, Markus: Einübung ins Ungewisse. In: Alexander Friedrich et al. (Hg.): Jahrbuch Technikphilosophie 2018. Arbeit und Spiel. Baden-Baden: Nomos 2018. Rautzenberg, Markus: Spiel. In: Benjamin Beil, Thomas Hensel, Andreas Rauscher (Hg.): Game Studies. Wiesbaden 2018. Roesner, Martina: Metaphysica ludens: Das Spiel als phänomenologische Grundfigur im Denken Martin Heideggers. Dordrecht 2003. Sell, Annette: Spiel in der Philosophie Heideggers. In: Michael Henri Kowalewicz (Hg.): Spiel. Facetten seiner Ideengeschichte. Münster 2013, 29–39. Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. München 2013.
Spiele
Castlevania: Symphony of the Night. Konami, 1997. Metal Gear Solid. Konami, 1998. World of Warcraft. Blizzard Entertainment, 2004.
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Das Schreiben über das Spiel impliziert eine seltsame Pointe: die Schwierigkeit, den Untersuchungsgegenstand zu objektivieren. Dies ist erstaunlich, denn Menschen spielen seit Anbeginn der Kulturgeschichte. Und: Jede Spielende weiß, wenn sie spielt. Dennoch gelingt es Elementen des Spiels stets aufs Neue, wissenschaftsrationalen Operationalisierungen in den Rücken zu fallen, vermutlich, weil Spielen selbst eine definierende Aktivität ist. Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive verschiebt sich daher die Frage, was ein Spiel sei, zum Erkenntnisinteresse daran, was Menschen eigentlich tun, wenn sie spielen. Bekanntlich haben sich im Verlauf der letzten zweihundert Jahre die Theorien und Diskurse zum Spiel vielfältig ausdifferenziert. Dies ist ein häufig erwähntes, aber kaum diskutiertes Charakteristikum der anbrechenden Moderne. Den theoretischen Bestimmungen stehen ein ausdifferenziertes Feld an Spielphänomenen und -formen sowie deren kulturhistorische Beschreibungen gegenüber. Beide Seiten – Theorien, Begriffsgeschichten und historische Phänomene – haben bislang zu keiner überzeugenden Korrespondenz gefunden, zumal in der Forschung Bemühungen überwiegen, geregelte wie kontingente Aktivitäten als Spiel zu betrachten bzw. ein Spiel als Symbol, Metapher, Funktion etc. von etwas anderem zu deuten. Heuristisch zugespitzt könnte man formulieren, dass Spieltheorien vieles, aber selten das Spielen von Spielen beschreiben. Vielmehr inspirieren sie höchst produktiv Denkmodelle, Gedankenexperimente oder die Suche nach neuen Formen von Kritik. Angesichts dieser intellektuellen Fruchtbarkeit der Spielidee für Selbstund Weltbeschreibungen nahezu jeder disziplinären Couleur ist die Lückenhaftigkeit kulturhistorischer Spielkompendien dennoch überraschend. Zwar sind Spiele ephemere Phänomene und in der Regel auch keine wertvollen Artefakte, was einen Teil der archivarischen Lücken erklären würde, aber dass ihrer konkreten Materialität so wenig Aufmerksamkeit zukommt bzw. zugekommen ist, überschreitet einen Grad an Selektivität, der neugierig macht. In den meisten Spielsammlungen und Ideengeschichten beginnt die Vorgeschichte der Theorien vom Spiel 1690 mit John Lockes (1632–1704) Versuch über den menschlichen Verstand und seinen drei Jahre später publizierten Gedanken über die Erziehung. Lockes strategischen Vorstellungen zur effizienten Charakterformung mit Hilfe des Spiels wird meist Jean-Jacques Rousseaus (1712–1778) pädagogisches Hauptwerk Émile von 1762 gegenübergestellt, in dem der Autor das zwanglose natürliche Spiel als ein ureigenes Recht des Kindes verteidigt. Mit Immanuel Kants (1724–1804) Kritik der Urteilskraft (1790) schließlich wird das Spiel dann immerhin zu einem philosophischen Prinzip erhoben, welches als ›freies Spiel der Vorstellungskräfte‹ den ästhetischen Gemütszustand begründet. Drei Jahre später, 1793, antwortete Friedrich Schiller (1759–1805) auf die Frage, wie ohne radikale Umwälzungen und Terror nach Art der französischen Revolution dennoch Freiheit entstehen könne, mit einer Konzeptualisierung des Spiels im Zen-
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trum einer Philosophie der Freiheit. In seinen Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen gewann der Spielbegriff zum ersten Mal in der abendländischen Geschichte eine systematische Bedeutung: Mitten im furchtbaren Reich der Kräfte und mitten in dem heiligen Reich der Gesetze baut der ästhetische Bildungstrieb unvermerkt an einem dritten, fröhlichen Reiche des Spiels und des Scheins, worin er dem Menschen die Fesseln aller Verhältnisse abnimmt und ihn von allem, was Zwang heißt, sowohl im Physischen als im Moralischen entbindet[.] (Schiller 1962, 410)
Das ästhetische Ideal einer spielerischen Produktivität soll also nun die Menschen aus der arbeitsteiligen Zerrissenheit zu ihrem natürlichen, harmonisch tätigen Wesen geleiten. Schillers philosophische Aufwertung des zweckfreien Spiels impliziert allerdings seine Ausgrenzung aus ›allen Verhältnissen‹ und ließ den homo ludens zur säkularen Utopie der bürgerlichen Gesellschaft werden. Der Weg in dieses fröhliche Reich des Spiels wurde der sich gerade formierenden Pädagogik unterstellt. Mit der Verbindung von Erziehung und Freiheit im Spiel entwickelte sich Schillers idealistisches Konzept vom Spiel zum Ausgangspunkt für viele moderne Interpretationen des Spielbegriffs. Zum einen bot es Anknüpfungspunkte für das schon von Locke formulierte pädagogische Interesse, das Spiel zu funktionalisieren und der offenbar zwecklosen Spieltätigkeit einen hintergründigen Nutzen und Wert nachzuweisen. Neben Erholung, Ausgleich und Abwechslung waren es vor allem motivationale Momente, die heimliche Überlistung zur Übung im Spiel, die hierbei eine Rolle spielten. Die Folge waren erhebliche Reglementierungen, Funktionalisierungen und Verkürzungen des Spielbegriffs wie der kindlichen Spieltätigkeit einerseits, andererseits weitreichende Universalisierungs- und Idealisierungsmomente, die das Spiel mit Schönheit und Freiheit gleichsetzten. Der Erfolg der Schiller’schen Spielidee bestand wesentlich darin, das Reich des Spiels und des Scheins als ästhetisches Ideenreich gegen die profane Wirklichkeit hermetisch abzuschotten. Fortan entwickelte sich eine Vorstellung von Spiel als einer Ausnahmeregion und Hort der Einbildungskraft, als eine Kompensationsbewegung mit durchaus utopisch-alternativem Potential, die allerdings auch ihren Preis hatte: Denn die Betonung der phantasievollen Seite des Spiels als Ausdruck einer elementaren Begabung des Menschen ging mit seiner Ausgliederung aus allen ernsthaften Lebenszusammenhängen einher. In der Folge wurde das Spiel von Dichtern wie Jean Paul (1763–1825), Novalis (1772–1801) oder Heinrich von Kleist (1777–1811) und von Pädagogen und Philosophen wie Friedrich Fröbel (1782–1852), Friedrich Schleiermacher (1768–1834) oder Friedrich Schlegel (1772–1829) zum zentralen Moment des künstlerisch-poetischen Schaffensprozesses erklärt. Der Spielbegriff wurde so an eine Entwicklung gekoppelt, die auch den gesellschaftlichen Stellenwert der Bildenden Künste verändern sollte: Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, heißt es in Schillers Wallenstein (Wallensteins Lager, Prolog, 1798). Spiele wie Kunstwerke, die dieser Heiterkeit nicht entsprachen, wurden als Entgleisungen und Kulturverfall empfunden. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass um 1800 ein modernes Verständnis von Spiel aufkam, welches zwischen Idealisierung einerseits und Disziplinierung andererseits hin und her pendelte. Es beförderte Theorieentwürfe, die die Entwick-
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lung neuer wissenschaftlicher Fächer begleiteten: Die Soziologie entdeckte das Spiel für sich, die Psychoanalyse, die Psychologie, die Ethnologie, Anthropologie, Kybernetik, Betriebswirtschaftslehre, usw. – die Aufzählung ist nicht vollständig. Im Rückblick aber zeigt sich eine Entwicklung von der Aufklärung bis in die Gegenwart, in deren Verlauf Spieltheorien in allen wissenschaftlichen Disziplinen zeitweise en vogue waren oder es bis heute sind. Wie eingangs erwähnt ist jedoch die Mehrheit dieser Theorien vom Spiel eigenartig spielfern bzw. exklusiv. Es finden sich kaum Erkenntnisse über den Prozess, den Vorgang, die performance des Spielens von Spielen, weder in allgemeiner noch historisch konkreter Hinsicht. Vielmehr wird das spielerische Tun von seinen sinnlichen Momenten des Genusses und Vergnügens entkoppelt und vorzugsweise als Modell für die Analyse von beispielsweise statistischen Regelwerken, politischen Konfliktstrukturen und ökonomischen Gleichgewichtszuständen herangezogen. Bereits im dem ausgehenden 17. Jahrhundert wurde unter ›Spielen‹ zunehmend das korrekte Befolgen von Regeln verstanden. Das Spiel galt als ein System von Spielregeln, und zwar im Sinne eines Effektivierungsmodells. Ausgiebig wurde der Spielbegriff als Metapher benutzt, etwa für das Treiben der Einbildungskräfte oder als Beispiel für die mathematische Formalisierung des Zufalls, zur philosophischen Träumerei und als Medium des Denkens. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand das Spiel des Kindes und des Heranwachsenden, dessen Entwicklung es zu verstehen und dessen Formung und Erziehung es zu planen und realisieren galt. Fragen des Lehrens und Lernens stehen seither im spieltheoretischen Mittelpunkt, in idealisierender wie disziplinierender Absicht, und gelegentlich trifft man auch auf scheinbar Rätselhaftes, etwa die Wahl von John von Neumanns (1903–1957), zwei Personen, die eine Entscheidung treffen müssen, als Spieler 1 und Spieler 2 zu bezeichnen und die mathematische Modellierung dieser Entscheidungssituation dann ›Spieltheorie‹ zu taufen. Die zunächst merkwürdig anmutende Wortwahl von Neumanns führt allerdings historisch zurück auf einen wichtigen wie gleichwohl umstrittenen Begriffspfad des Spiels. Es geht um die Geschichte menschlicher Kontingenzerfahrungen und ihrer Verhandlungsformen. Spielhistorisch interessant für die Moderne ist, dass bereits im Verlauf der Renaissance starke Verdrängungsbewegungen einsetzten, die das Spiel mit dem plötzlich und unvorhersehbar Veränderlichen und den unerklärlichen Leidenschaften zur Kehrseite der Rationalität verbanden. Mitte des 16. Jahrhunderts etwa tauchten der Tanzteufel und der Spielteufel auf. An ihnen zeigen sich, so Helmar Schramm (1949–2015), auf exemplarische Weise jene Vorbehalte gegen ambivalente Seiten einer lebendigen Spielkultur der Renaissanceperiode [...]. Die symbolische ›Verteufelung‹ von Spiel und Tanz – und zwar ihrer Spontaneität, Ungezwungenheit, Körperlichkeit, Sinneslust, nicht aber ihrer regelgebundenen, disziplinierten und disziplinierenden Seiten – ist eingebunden in eine umfassende Verdrängungskultur, die nur die Kehrseite einer Kultur der panischen Angst vor den sinnlich erfahrbaren Paradoxien des Daseins bildet[.] (Schramm 1996, 92)
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Mit dem 16. Jahrhundert mehrten sich Abhandlungen, in denen mit ›Spiel‹ problematische Eigenschaften assoziiert wurden. Es waren vor allem die korrumpierende Nutzlosigkeit, die Lust an körperlicher Bewegung und das Ausagieren von Leidenschaften, welche in die Kritik gerieten, als sündhaft galten und zur Charakterisierung von Betrügern und Gesindel aller Art herangezogen wurden (vgl. ebd., 92–95). Dieses neue Wahrnehmungsraster für Menschen am Rande der Gesellschaft schlug sich auch in den fürstlichen Erlassen und Polizeiverordnungen der Zeit nieder, in denen erstmals von ›Müßiggängern‹, ›Gaunern‹ und ›Gauklern‹ in einem kriminellen Sinne die Rede ist. In diesem zunehmend delinquenten Umfeld trat zum ersten Mal die Kategorie des ›Spielers‹ hervor (vgl. Zollinger 1992, 301–322, hier 304.). Dieser Spieler jedoch war kein fröhlicher homo ludens, sondern ein frevelhafter Verstellungskünstler und asozialer Glücksspieler. Das Glücksspiel schließlich scheint es gewesen zu sein, in welchem die auf das Spiel projizierten Aversionen der Zeit mit zwei entscheidenden Zuschreibungen kulminierten: entfesselte Unvernunft und illegitimer Gelderwerb. Die umfangreiche Gesetzgebung zur Bekämpfung und Reglementierung der Glücksspiele und anderer spielerischer Vergnügungen, welche mit dem 16. Jahrhundert einsetzte, weist den Weg, auf welchem sich der Begriff des Spieles grundlegend zu ändern begann. Waren die Einschränkungsversuche bis zum Ende des 17. Jahrhunderts immer auch noch von religiösen Ordnungsvorstellungen bezüglich der Qualität des Lebens begleitet, stand mit dem Ende des 18. Jahrhunderts die rein quantitative zukunftssichernde materielle Planung im Vordergrund (vgl. ebd., 302–317). Paradigmatisch lässt sich diese Entwicklung an der Genese des Versicherungsgedankens verfolgen. Der Versicherungsgedanke entwickelt sich im Spanien des 15. Jahrhunderts, und zwar aus der Wette (vgl. Daston 1994). Das Wetten in der Art einer Lebensversicherung verbreitete sich rasch über Italien, Holland, Frankreich und England, wo das Wetten bis heute als bizarre Leidenschaft anzutreffen ist. In den meisten Fällen wurden kurzfristige Wetten über eine dritte Person, oft eine Berühmtheit, abgeschlossen, gelegentlich ging es auch um den Ausgang dramatischer Ereignisse und Schlachten oder Belagerungen. Für den Versicherungsgeber war es dabei völlig unerheblich in welchem Gesundheitszustand oder Alter der Versicherte war; die Versicherungen galten zunächst auch nur für ein Jahr oder weniger. Der Versicherungsnehmer hingegen suchte seinen Einsatz gemäß von Vorahnungen oder aufgrund von Informiertheit zu machen. Die Idee der Versicherung wurde von den Zeitgenossen als Glücksspiel wahrgenommen. Dementsprechend war die Praxis der Lebensversicherung mit dem Ende des 17. Jahrhunderts in ganz Europa für illegal erklärt worden. Bis ins 18. Jahrhundert konnten weder juristische noch mathematische Argumente eine Differenz zwischen Wette/Glücksspiel und der Versicherungspraxis formulieren. Erst mit der anbrechenden Moderne gelang es, einen klaren Gegensatz zu profilieren zwischen dem verantwortungsbewussten, vorausschauenden Versicherungsnehmer und dem irrationalen, unmoralischen Spieler, der sein Geld zum Fenster hinaus wirft: Der eine sucht, der andere meidet das Risiko, ein Unterschied, der an Offensichtlichkeit kaum überbietbar scheint. Offensichtlich wird dadurch allerdings auch, dass wir heute eine völlig andere Idee von Spiel haben, deren hervorstechendste Eigenart in der unermüdlichen Konstatierung einer unüberwindlichen Grenze zwischen Spiel
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und wirklichem Leben liegt. Keinesfalls könne das Spiel Konsequenzen im richtigen Leben habe, heißt es spieltheoretisch allerorten, vielmehr müsse es frei sein von allen materiellen Interessen. Wann immer ein Spiel dieses Reinheitsgebot zu unterlaufen droht, springt garantiert ein Spieltheoretiker herbei und pocht auf die strikte Einhaltung dieser ideologischen Konvention. Ein weiteres Beispiel: Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erfolgten umfassende Gesetzgebungsmaßnahmen, um Spiele mit dem Zufall zu unterbinden. Trotzdem und nahezu zeitgleich breitete sich eine Welle der Lotto-Begeisterung in Europa aus (vgl. Daston 1988). Die Staatslotterien, ein praktisches Mittel der Finanzbeschaffung, wurden zu gesellschaftlichen Ereignissen und mit großem Pomp zelebriert; nicht einmal der Sturm auf die Bastille konnte die Ziehung der Lottozahlen zwei Tage später aussetzen (vgl. Daston 1988, Kapitel 3.4.1). Waren am Lotto-Glück zunächst alle Gesellschaftsschichten beteiligt, so begann sich die Oberschicht, nach einer weiteren Gesetzesverschärfung, ins Private zurückzuziehen. Statt zu Hahnenkämpfen ging man nun zu Pferderennen oder auf Jagden, während sich die Lotterien zu einer Veranstaltung für die unteren Schichten entwickelte. Die Mittelklasse in Gestalt des sich etablierenden Bürgertums hingegen zog sich langsam vom Spiel zurück und wurde ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einem der stärksten Kritiker. Zu den zentralen Argumenten der bürgerlichen Kritik am Glücksspiel gehörten die Verschwendung von Zeit und Geld, die Vernachlässigung familiärer und geschäftlicher Verpflichtungen und natürlich die Bedrohung der Verbindung von Fleiß, Talent und Gewinn. Im Mittelpunkt der moralischen Kritik am Spiel stand jedoch das Porträt des Spielers, ein – wie bereits erwähnt – im Verdacht der Kriminalität stehender Mann der unkontrollierten Leidenschaften. Der Spieler war gefürchtet als eine unkalkulierbare Erscheinung. Als Bürgerschreck bedrohte er den Traum der Mittelklasse von einer stabilen Ordnung, in der die Wohlhabenden von heute auch die Wohlhabenden von morgen sein würden, eine Welt der langfristigen kleinen Schritte und der Selbstdisziplin. Diese Bürgersleute waren die Sprachrohre einer Leistungsgesellschaft, in der harte Arbeit und Talent, nicht jedoch das Glück entscheiden sollten. Mit ihrem Aufstieg setzten sich auch ihre Werte und Überzeugungen durch und Kalkulierbarkeit wurde zu Verlässlichkeit veredelt. Erst jetzt traten Glücksspiel und Versicherungswesen klar auseinander und fortan standen sich ein Traum und ein Alptraum gegenüber: Der Traum des Lottospielers vom schnellen Aufstieg, und der bürgerliche Alptraum eines plötzlichen sozialen Abstiegs, gegen den man sich zu versichern gedachte. Die Aversion gehobener Kreise gegen das Glücksspiel hatte auch Auswirkungen auf die Vorstellungen vom Glück selbst. Während Aufklärer nicht müde wurden, das Glück zur Chimäre zu erklären, zu einem Aberglauben oder populären Irrtum, wurde Fortuna sukzessive als Feindin von Rationalität, Kalkül und Klugheit stilisiert (vgl. ebd., 148–154). Glück zu haben wurde als ungerecht semantisiert (vgl. Bilstein 2005). Seither und bis heute gilt Glücksspiel als Ausdruck von Passivität und steht für eine nassauernde Haltung, die sich für keine Mühe und ohne Arbeit viel Geld erschleichen will. Diese Kritik am Spiel speist sich aus der gesellschaftlichen Vereinbarung eines Zusammenhangs von Fleiß, Talent und Belohnung. Kern des Agreements ist allerdings, dass ein solcher Zusammenhang auch tatsächlich praktiziert wird, was für die Realität des 18. Jahrhunderts mit Sicherheit nicht zutraf. Das soziale und
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ökonomische System des Ancien Régime war auch durch noch so viel Talent und Fleiß nicht aushebelbar, auch wenn es zweifellos zutrifft, dass eine Mentalität, die auf Leistung setzte und der Glauben an die Gestaltbarkeit des eigenen Schicksals an Boden gewann. Es wundert daher nicht, dass der Mehrheit der Bevölkerung, die sich für Talent und Fleiß nicht allzuviel kaufen konnte, der Kauf eines Lotterieloses als der beste Weg erschien, den eigenen kümmerlichen Verhältnissen zu entkommen. Vor diesem Hintergrund bekommt das Glücksspiel fast eine subversive Note. Den Oberschichten war die Vorstellung nicht recht, dass sich per Losentscheid ein neues Mitglied zwischen sie drängen würde. Die Glücksspieler hingegen befanden, dass Fortuna mit der Geburt schon einmal das Glück verteilt habe und dass es jetzt eben ein zweites Mal darum ginge, ein Los zu ziehen. Am Glücksspiel zeigt sich eine interessante Doppelbewegung des Spielbegriffs. Er wird einerseits zum Synonym für das Vulgäre in Form illegitimen Gelderwerbs und das Unberechenbare in Gestalt des leidenschaftlichen Spielers und damit zur Bedrohung von bürgerlicher Ordnung und geregelten ökonomischen Prozessen. Andererseits aber sind es Theorien von Glücksspielen, die von Autoren wie Gerolamo Cardano (1501–1576), Blaise Pascal (1623–1662), Pierre Fermat (1601–1665), Pierre-Simon Laplace (1749–1827) u. a. entwickelt werden, die in die Wahrscheinlichkeitstheorie münden, d. h. in die mathematische Formalisierbarkeit des Kontingenten. Einen ähnlichen Modellierungsverlauf wie die Glücksspiele weist die Idee einer Theorie der strategischen Spiele auf. Sie wird etwa seit dem 18. Jahrhundert verfolgt, und die Entwicklung führt auch zur oben bereits erwähnte ›Spieltheorie‹ als Theory of Games und Economic Behavior, so der Titel des grundlegenden Werkes, welches von Neumann mit Oskar Morgenstern (1902–1977) zusammenschrieb. ›Spiel‹ steht darin für einen Rahmen formalisierter Strategien rationalen Verhaltens und ist damit vollständig zur operationalisierbaren Kategorie geworden. Dieser mathematisch fundierte Spielbegriff gerät damit in eine strukturelle Beziehung zur Tugend nüchterner Interessenverfolgung und findet seine Verlängerung in Spieldefinitionen, die ›Spiel‹ mit formalisierten game-settings identifizieren. Der Glücksspieler hingegen, auch wenn er nicht mehr in der ersten Reihe bürgerlicher Feindbilder steht, trägt bis heute ein lasterhaftes Konterfei und bezahlt seine Leidenschaften in der Spielhölle. An seine Stelle ist im Verlauf der 1980er Jahre die Figur des Computerspielers getreten, stilisiert zum kontaktgestörten, fehlernährten, gammeligen Nerd, der allen digitalen Aversionen eine Projektionsfläche bietet. Im historischen Rückblick ergeben sich aus dieser Entwicklung eine Fülle von Fragen. Man würde gern wissen, welche Faktoren die Virulenz des Spielbegriffs befördert und seine spezifische Karriere geprägt haben. In welchem kulturhistorischen Kontext bzw. in welcher konkreten Spielkultur haben sich die einzelnen Transformationen ereignet? Welches Bild ergibt sich, wenn man in dem eben knapp umrissenen Zeitraum einen kurzen Blick auf die Geschichte der Spiele und des Spielens wirft? Als erste und markanteste Beobachtung drängt sich die Entwicklung des von Philippe Ariès (1914–1984) 1960 in Geschichte der Kindheit beschriebenen Zerfalls einer einheitlichen Spielkultur auf, die mit dem 17. Jahrhundert einsetzt und nach und nach zu einem Auseinandertreten zweier komplett getrennter Welten von Kinder- und Erwachsenenspielen führt. Ebenfalls bedeutsam und gut erforscht ist die
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schrittweise Aufteilung der Lebenswelt in Arbeit und Freizeit und die Etablierung des Sports in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Große Leerstellen hingegen gibt es auf dem Feld der alltäglichen Vergnügungen und Belustigungen. Was in einer Kulturhistorie des Ludischen beispielsweise kaum auftaucht, ist das Aufkommen der Fahr-, Belustigungs- und Geschicklichkeitsgeschäfte, die Roger Caillois‹ (1913–1978) interessanter Kategorie des ilinx entsprechen. Schon im ausgehenden Rokoko waren Karusselgeräte verbreitet und ab 1800 gehörten auch Rutschbahnen und Schiffschaukeln zum Repertoire bürgerlichen Amüsements. Ihre besondere Bedeutung liegt u. a. darin, dass sie als ludische Erfahrungsräume die Wahrnehmung aus den Fugen geraten ließen und ein völlig neues Raumerleben, neue fühlbare Bewegungsformen boten (vgl. Blume 2001; Asendorf 2007). Als Teil einer allgemeinen Begeisterung für Vergnügungs- und Themenparks, Schaustellungen und Großausstellungen ist ihre Geschichte zwar in der einschlägigen Forschungsliteratur gut sortiert (vgl. Poser/Zachmann 2003), doch ihre Bedeutung für die Entwicklung von Wissenschaft und Technik beispielsweise bleibt dabei weitgehend ausgeblendet. Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte der optischen Spielzeuge. Zwar haben die mechanisch kreierten Bildwelten mittlerweile Eingang in die historischen Bildwissenschaften gefunden, allerdings ohne die Rolle des Spiels als ermöglichende Situation und technisches Medium zu berücksichtigen. Gleiches lässt sich für die Kultur der Salon- und Gesprächsspiele sagen oder auch für die Geschichte der berühmten spielenden Automaten der Aufklärungszeit, von Jacques de Vaucansons (1709–1782) Flötenspieler über Jaquet Droz’ (1721–1790) Schreiber bis zu John Joseph Merlins (1735–1803) bekannter silver lady. Während also Kant und Schiller, Schleiermacher und Pestalozzi über Spiel und Ästhetik, Pädagogik und Freiheit schrieben, reisten diese Meisterleistungen mechanischer Handwerks- respektive Uhrmacherkünste durch Europa und brachten in ihrer Eigenschaft als Spielzeuge Kunst und Mechanik in ein Zusammenspiel, welches die politische, wissenschaftliche, wirtschaftliche Ordnung der Welt modellhaft zur Aufführung brachte. Mittlerweile sind fast alle diese Automaten verrottet, kaputt, verschollen oder bestenfalls von sporadischem Interesse, eben weil es sich bei ihnen ›bloß‹ um Spielzeuge handelt. Für die Zeitgenossen jedoch waren diese Objekte Anlässe außerordentlichen Staunens und intensiven Vergnügens, eben weil sie als Formen des Spiels zeitgenössische Ideen und Problemstellungen aufführten, sei es die Differenz von Geist und Materie betreffend, von Lebendigkeit und Unbelebtem, die Möglichkeiten einer umfassenden Mechanisierung oder Berechenbarkeit des Lebens wie der Welt oder die kosmische Ordnung im Allgemeinen wie ihre relationalen Kräfte im Besonderen. Von all diesen Spielen, Spielzeugen, Spielaufführungen und Spielproduktionen findet sich kein Wort in den spieltheoretischen Reflektionen der damaligen Zeit. Ebenso wenig interessieren sie uns heute, obwohl die ›Möglichkeiten einer umfassenden Mechanisierung und Berechenbarkeit des Lebens wie der Welt‹ in Zeiten von Big Data und digitaler Rundum-Überwachung ein nachgerade konkretes Problem geworden sind. Zieht man dann noch in Betracht, dass die barocken Automaten wissenschafts- wie technikhistorisch wichtige Bestandteile der Geschichte von Rechenmaschinen sind, welche selbstverständlich zum festen Repertoire von Wissenschafts- und Technikmuseen gehören, erweist sich diese kultur-, wissens- wie spielhistorische Lücke als äußerst signifikant.
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Allgemein lässt sich daher festhalten, dass das Verhältnis von Spiel und Technik bislang, wenn überhaupt, von technikhistorischer Seite aus untersucht wurde, ansonsten aber eine auffällige Leerstelle bietet, die erst in jüngster Zeit Aufmerksamkeit auf sich zieht. So hat unlängst Astrid Deuber-Mankowsky auf eine bislang weitgehend unbeachtet gebliebene, gleichwohl ungewöhnliche Engführung von Spiel und Technik im Werk Walter Benjamins hingewiesen. Seine materialistische Ästhetik bietet vielfach Anlässe, sowohl neu über verschiedene Modi des Spielens nachzudenken, als auch über eine Kritik der Kultur, inclusive Technik, Wissenschaft, Ökonomie, etc., welche vom Standpunkt des Spiels aus zu formulieren wäre (vgl. Deuber-Mankowsky 2015). Die Beziehungen von Spiel zu Wissenschaft, Erkenntnis und Technik werden also in der Moderne vollkommen ausgespart. Was einem stattdessen begegnet, sind disziplinär zunehmend verstreute Untersuchungen zu einzelnen Spieltypen. Man liest über Rituale und Gebräuche in ›exotischen‹ Gesellschaften, findet surrealistische Ideen zu Kunst und Spiel, Aufführungstheorien und Theatermetaphorisches, Kulturkritisches vom Glücksspiel bis zur Spielsucht, volkskundlich Sammelndes zu Kinderspielzeugen und Interpretationen zum Rollenspiel im Alltagsleben. Die umfangreiche Literatur zum Sport wird als eigenständige Disziplin ausgegliedert und in der Regel nicht als spielwissenschaftlich adressiert. Erst die Erfolgsgeschichte des Computers und seiner Spiele scheint dies zu ändern und Spielphänomenen allgemein wie auch als technischen Artefakten wieder eine breitere Aufmerksamkeit zu sichern. Insbesondere die letzte Beobachtung allerdings bestärkt auch die These, dass trotz einer spieltheoretischen Konjunktur und dem großen Interesse an digitalen Spielangeboten Spielphänomene bis heute kein anerkannter Forschungsgegenstand sind. Nach wie vor geraten Spiele nur dann in einen breiteren Fokus wissenschaftlicher Aufmerksamkeit, wenn sie als geregelte Veranstaltung daherkommen und sich als Narration oder Genre bearbeiten lassen, sei es auf dem Sportplatz, in der Vergnügungshalle oder als Computergame. Problematisch an dieser exkludierenden Perspektivierung, welche ludische Elemente neutralisiert, ist zudem, dass Artefakte und Architekturen, wie beispielsweise Computergames und Sportplätze, nur einen Ausschnitt gegenwärtiger Spielkultur repräsentieren, nämlich jene kulturell sanktionierten Formen, in denen Spiele zugelassen sind. Die Frage aber, was Spiel und Spielen ist, wird nicht von Übungsleitern, Pädagogen, Literaturwissenschaftlern oder Unterhaltungsunternehmen entschieden, sondern von den Spielenden. Zu spielen liegt im Erleben der Spielenden und kann sich jederzeit und überall ereignen oder eben auch nicht ereignen. Deshalb ist es auch unerlässlich, sich ins Geschehen hinein zu begeben, um ein Spiel zu begreifen. Die englische Unterscheidungsmöglichkeit von play und game verdeutlicht dies plakativ. Danach steht play für die Intensität und Expressivität des Spiels, sein Vermögen, toll zu machen, während games demgegenüber eine institutionalisierte Struktur bezeichnen, in der sich play entfalten kann, aber nicht muss. Die Tatsache, dass games und nicht play der häufigste Untersuchungsgegenstand der modernen Spielforschung sind, erklärt die Dominanz der Beobachterperspektive in der Spieltheorie, und nicht nur dort, denn im Gegensatz zu play können games ohne Bezug auf die Spielenden, ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen, Leidenschaften, verhandelt werden. Aus der Teilnehmerperspektive heraus zeigt sich hingegen, dass games über-
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haupt nur in bestimmten Maßen play zulassen und zu viel play ein Spiel im Sinne von game auch ruinieren kann. Dass dies kaum thematisiert wird, mag daran liegen, dass sich games im Gegensatz zu play idealtypisch als wissenschaftsbürokratisches Prinzip operationalisieren lassen: Differenz und Funktion; Feld und Regel; An und Aus. Games sind wesentlich dadurch charakterisiert, dass sie Ambiguität, Spontanität und Flexibilität, von genau denen play aber lebt, aus einer Situation herausregeln, weshalb die amerikanische Anthropologin Helen Schwartzman vermutet, dass games womöglich der letzte Ort sind, an dem man herausfinden könnte, was play eigentlich ist (vgl. Schwartzman 1978, 327 f.). Dessen ungeachtet ist mit einer polarisierenden Gegenüberstellung von play und game wenig gewonnen. Man hat es vielmehr mit einem Verhältnis kultureller Transformationen zu tun, in dem sich Spiel als eine Agentur unmittelbarer Selbstreferenz von Kultur erweist, als gleichermaßen Bestandteil und Erzeugungsinstanz von Kultur. Seine jeweils konkrete historische Gestalt ergibt sich aus dem kulturellen Bemühen, Spiel in reizvolle Formen zu bringen und dadurch zum Spielen einzuladen. Diese Einladungen zum Spiel sind kulturelle Arrangements, Medienkonfigurationen, die in den Worten Karl Ludwig Pfeiffers »gesteigerte Erfahrung« ermöglichen (vgl. Pfeiffer 1999). Sie motivieren dabei sowohl entlastende, entdifferenzierende Ereignisse, z. B. in Gestalt wilder Tänze und ausschweifender Lebendigkeit, die ein ekstatisches Erleben befördern. Sie bieten sich aber auch an als Medien der Komplexitätssteigerung und Intellektualisierung. Games sind nicht die einzigen Artefakte, die Kulturen erfinden, um play-Situationen zu stiften. Die historischen Beispiele reichen von Lustschlössern, Gärten, Tanzpalästen und Spielhäusern über Jahrmärkte und Sportplätze bis zu Bühnen aller Art. Das Erfinden, Entwerfen, Entwickeln von Spielen zeigt sich dabei als ein Prozess der Kulturalisierung des Spiels/play zu Kulturobjekten und -praktiken, die dann mittels ihrer ästhetisch-medialen Attraktivität zum Spielen einladen. Einige dieser Artefakte könnte man als kulturanthropologische Meisterleistungen bezeichnen, etwa den Ball, jene diachrone wie synchrone Invarianz menschlicher Spielkultur (vgl. Oker 1976), welche über eine nahezu magische Anziehungskraft verfügt, der sich Hand und Fuß kaum entziehen können. Ähnlich verhält es sich mit dem Würfel, dem Spielbrett und Formen des Kreisels. Viele Spieleinladungen geben Gebrauchsweisen vor und organisieren damit Raum und Zeit. Für ein Gelingen des Spiels verlangen sie bestimmte körperliche Vollzüge, Rennen, Springen, Werfen, Balancieren beispielsweise, das Befolgen eines vorgegebenen Parcours, das Einhalten von Richtungen, Rhythmen, Maßen. Was jedoch bei aller Raffinesse und Komplexität von Spielzeugen, Architekturen und Inszenierungen nicht übersehen werden sollte ist, dass sich ein Spiel/play jederzeit auch außerhalb der kulturell sanktionierten Felder ereignen kann, während umgekehrt nicht alles, was sich auf ausgewiesenen Spielfeldern ereignet, als Spiel vollzogen oder erfahren wird. Die moderne Auseinandersetzung mit den Phänomenen des Spiels ist wesentlich von den eingangs beschriebenen Rationalisierungsbemühungen geprägt. Weit verbreitet ist die Vorstellung, Spiel ließe sich über die Begrifflichkeiten von Grenze und Regel definieren. Dass alle Formen des Spiels feste Grenzen, feste Zeiten und feste Regeln haben sollen, entspringt jedoch einer bürgerlich-kapitalistischen Ideologie vom Spiel, die eher beschreibt, in welchen Formen die moderne Gesellschaft
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Spiel zulässt, als dass sie Aussagen darüber erlaubt, in welchen Formen sich Spiel tatsächlich entfaltet. Bemerkenswert wie problematisch ist, dass in fast allen wissenschaftlichen Bestimmungsversuchen des Spiels dieses als Differenzbegriff zum Nicht-Spiel verhandelt wird. Spiel sei nicht Alltag, nicht Arbeit und nicht Ernst, es sei anders, nicht eigentlich, ein Imitat. Vor dem Hintergrund der enormen Bedeutung von Spielphänomenen für Individuum wie Gesellschaft ist diese oppositionelle Bestimmung epistemologisch gesehen kontraproduktiv. Denn mit dieser negativen Bestimmung des Spielerischen ist festgelegt, dass sich Spiel allein aus sich heraus nicht verstehen lässt. Spiel ist in dieser Perspektivierung nicht nur anders als andere Dinge und gehört kategorisch wie prinzipiell grundsätzlich nicht zu dem, was Leben und Kultur im Kern ausmacht, sondern es kann im Kreis kultureller Wahrheiten überhaupt nur durch das erscheinen, was es nicht ist. Ein prominentes Beispiel dafür ist die Bestimmung des Spiels als Mimesis im Sinne von Nachahmung bzw. eines So-Tun-Als-Ob (vgl. Gebauer/Wulf 1998). Ausgangspunkt der ludischen Mimesis-Vorstellung, die hier heuristisch zugespitzt wird und sich nicht auf Mimesis-Konzepte im Allgemeinen bezieht, ist eine klare Trennung zwischen einer Welt des Spiels, in der die Dinge ›nur‹ nachgeahmt werden, und einer wirklichen Welt, auf die sich die Nachahmung bezieht. Wenn dem tatsächlich so wäre, könnten streng genommen im Spiel nur Dinge passieren, die es auch in der ›wirklichen Welt‹ gibt, bzw. ohne ihre ›echten‹ Vorbilder in der ›echten‹ Welt wären Spielabläufe gar nicht verstehbar. Das Problem an diesem Verständnis von Spiel als Mimesis ist, dass es das Spiel auf den Status eines Stellvertreters herunterschrumpft; es wird zum diätetischen Medium, zur risikofreien Zone, zum Lachsersatz. Eine solche Sichtweise erfordert zwangsweise, scharf zwischen Lachs und Lachsersatz zu unterscheiden und Spiel als ›Zeichen-für-etwas-anderes‹ zu behandeln. Problematisch an dieser Interpretation ist erstens: dass sie für alle Erscheinungsweisen des Spiels gelten soll. Jedes Spiel kann fortan nur noch durch eine ›Hier ist eigentlich etwas anderes gemeint-Brille‹ betrachtet werden. Damit ist klar, dass Mädchen, die mit Bauklötzen spielen, eigentlich Architektinnen sein bzw. werden möchten (Spiel als Vorbereitung auf das ›wahre‹ Leben), dass der Ego-Shooter-Spieler am liebsten andere Leute umbringen würde (Spiel als Training und Kompensation) und dass jedes American Football Match im Grunde eine verlängerte symbolische Siegesfeier der amerikanischen Landnahme ist (Spiel als kultureller Spiegel einer Gesellschaft bzw. als Geschichte, die sich die Spielenden über sich selbst erzählen). Zweitens wird in dieser Interpretation übersehen, dass jemand, der einen Lachs spielt, z. B. ein Chinook Indianer bei einem first-salmon-Ritual, gar keine Ähnlichkeit mit einem Lachs hat. Natürlich muss es Lachse geben, damit man Lachs spielen kann. Dies aber ist trivial. Nicht trivial ist, dass mit der performance, also der Show, ›Lachs spielen‹ neue eigenständige Formen und Bewegungen in der Welt sind, ein ästhetisches Phänomen, das eine Bedeutung in sich selbst hat. Weder ist der Spielende ein Lachs noch sieht er aus wie einer, sondern er zeigt sich und seinem Publikum einen Lachs. Er produziert ihn, stellt ihn her, konstruiert das, was für ihn das Lachssein ausmacht, das Lachshafte. Im Spiel erfahren wir, was ein Lachs für uns ist. Anders formuliert: Zweifellos eignen sich Spiele hervorragend als Lernmodule, als Therapieformen und Simulationsmodelle. Es geht jedoch an der Pointe des Spiels
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vorbei, es auf einen Verweiszusammenhang zu reduzieren bzw. auf die Logik eines Zeichensystems, welches dem Spiel die Rolle des Signifikanten, des Stellvertreters, des Uneigentlichen, der Wirklichkeit zweiter Ordnung zuweist. Es sind vor allem zwei entscheidende Eigenschaften des Spiels, die so aus dem Blick fallen: zum einen die außerordentliche Produktivität und Intensität, zum anderen sein transformatives Potential. Im Spiel verwandeln Kinder Sand in Kuchen, Stöcke in Häuser und sich selbst in wilde Kerle. Viele Erwachsene tun beruflich Ähnliches, indem sie Essen in Subsistenzwirtschaft verwandeln, Häuser in Besiedlungsmuster und wilde Kerle in Rollenklischees. Diese Parallelität ist der Grund, warum Bestimmungen von Spiel wissenschaftsrationalen Operationen oft entgehen, da sie, wie eingangs erwähnt, selbst definierende Aktivitäten sind. Eng verbunden mit Letzterem ist die kulturkonstitutive Befähigung des Spiels, Modelle von und für etwas zu entwerfen. Sie erweitert die Frage, was Menschen tun, wenn sie spielen, zur Frage, was Menschen tun, wenn sie Spiele entwerfen? Da diese produktions- wie kulturtechnische Frage eine zentrale Rolle für die Analyse von Computerspielen spielt, soll im Folgenden ein Rahmen aus theoretisch-methodischen, phänomenologischästhetischen Versatzstücken skizziert werden, innerhalb dessen man diesen Fragen nachgehen könnte. Die leitende wie kulturanthropologisch begründbare These ist, dass Spiele zunächst und zuallererst Zusammenspiele ermöglichen und ihnen deshalb ein kulturkonstitutiver Status zukommt. Aus der Tatsache, dass die Fähigkeit, Spiele zu entwerfen, an den Beginn der Kulturgeschichte zurückführt und sich bis in die Gegenwart tradiert hat, lässt sich folgern, dass man es mit einer Form von Kulturtechnik oder einer verwandten essentiellen Kategorie zu tun hat, die in drei Annäherungen ausgeführt werden soll: 1. Spiel als eine Einladung zur Begegnung, 2. Spiel als ›Ursprung‹ der Idee, Modelle zu entwickeln, 3. Spiel im Sinne einer ludischen Ökologie. Ein Spiel ereignet sich, so wurde eingangs bereits festgehalten, wenn es von den Beteiligten als Spiel erlebt wird. Helmut Plessner hat diese Rezeptionsweise beschrieben als ein Halten-im-Zwischen, der amerikanische Theateranthropologe Richard Schechner sprach von einem Agieren »in-between identities« (Schechner 1981, 88). Gemeint ist eine sog. intermediäre Position, ein Dazwischensein, welches sich durch eine doppelte Negativität auszeichnet. Sie hält jemanden, der einen König spielt, in der schwebenden Leichtigkeit zwischen Nicht-Ich, weil König spielend, und nicht Nicht-Ich, weil nicht König seiend. Aus diesen und anderen Beschreibungen ergibt sich die plausible Vorstellung, dass man sich im Spiel in einem Bewegungsmodus des Nicht-Identischen befindet. Spiel erscheint als eine Bewegung ins Ungedeckte, als ein Modus ›produktiver Unbestimmtheit‹ (vgl. Waldenfels 2012, 223), der mit Intuition und Intensität, mit einem Gespür für die Dinge einherzugehen scheint. Diese Atmosphäre eines Dazwischen vom Boden des Spielenden aus zu beschreiben bietet einen Weg, sich der Erfahrung bzw. Erzeugung von Präsenz im Spielen zu nähern. Der Begriff der Präsenz bezieht sich vor allem auf die Dimension von Raum und Körper. »Abgeleitet vom lateinischen Verb ›producere‹ gleich ›vorführen‹ bedeutet ›Präsenz produzieren‹, Dinge in Reichweite zu rücken, so daß sie berührt werden können«, schreibt Hans-Ulrich Gumbrecht (Gumbrecht 1998, 208).
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Dieses Moment der Berührung verortet die Dynamik des Spiels als konstitutiven Zusammenhang von Körperlichkeit, Aisthesis, Raum und Ästhetik. Sie ist in etwa dem vergleichbar, was Jerzy Grotowski als »gegenwärtige Konfrontation« (Grotowski 1994, 237) und Hugo von Hofmannsthal als das grenzenlos seelenhaft Sinnliche der Begegnung beschrieben hat: »Es ist in keinem Augenblick das Sinnliche so seelenhaft, das Seelenhafte so sinnlich als in der Begegnung. Hier ist alles möglich, alles in Bewegung, alles aufgelöst. [...] Hier ist das Rehhafte, das Vogelhafte, das Tierischdumpfe, das Engelsreine, das Göttliche. Ein Gruß ist etwas Grenzenloses« (Hofmannsthal 1907, 161). Was uns im Spiel begegnet ist Chance und Widerfahrnis zugleich. Spiele ermöglichen ein Zusammensein, welches die Möglichkeiten, mit Form und Fülle der umgebenden Wirklichkeit unzählige Verbindungen einzugehen, bereithält. Die Idee, Spiel als ludische Ökologie zu denken, geht im Wesentlichen auf die Arbeiten des holländischen Anthropologen Johannes Buytendijk (1887–1974) zurück. Bei ihm heißt es: »[Die] Möglichkeit, der Form und Fülle des Wirklichen einigermaßen gerecht zu werden [...] gilt wohl für einen Vorgang wie das Spielen, wo der Organismus und seine Umwelt im Zusammensein die einheitliche Dynamik des Lebens herstellen, wo dunkle Gründe, gegensätzliche Spannungen, ambivalentes Verhalten, Schauvermögen der Sinne (Klages), vitale Phantasie, Möglichkeit und Aktualisierung, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich verbinden« (Buytendijk 1933, 138). In der Fähigkeit, Verbindungen herzustellen, ist das Spiel ungeheuer produktiv, um nicht zu sagen überproduktiv. Spiel ist deshalb eines der zentralen expressiven Phänomene der Kulturgeschichte, weil es Form und Ausdruck dieses ›Zusammenseins‹ von Mensch und Umwelt hervorbringt – »it gives shape as well as expression to individual and societal affective and cognitive systems«, wie Schwartzman schreibt (Schwartzman 1978, 330). Es steht zu vermuten, dass genau in diesem Zusammentreffen die ungeheure Anziehungskraft des Spiels begründet liegt, d. h. in der Konvergenz von gesteigertem Erleben und ästhetischer Produktion. Über die Jahrtausende hinweg haben Menschen im Spiel unaufhörlich neue ästhetische Formen produziert, neue Regeln und Verfahrensweisen, Choreographien und Architekturen, und dabei wichtige Einsichten gewonnen und Techniken ausgebildet. Ein gewaltiges Repertoire ist entstanden, welche die Ansichten von und Hinsichten auf die Welt stets auf ’s Neue vermannigfachen. Denn jedes Spiel stiftet Verbindungen zwischen dem Spieler und seinem Spielgegenstand, zwischen Subjekt und Objekt, dem Menschen und seiner ihn umgebenden Welt. Dieses Zusammenkommen ist eine wesentliche Voraussetzung menschlichen Erkenntnisvermögens. Es bedeutet nicht, dass jedes Spiel zu einer Erkenntnis führt, wohl aber, dass im Spielen Erkenntniseffekte erzielt werden können. Spielräumen ist grundsätzlich eine Erkenntnis stiftende Qualität eigen, und diese gründet in der Eigenschaft des Spiels, Abstraktes so zu organisieren, dass es für die menschliche Vorstellungskraft handhabbar wird. Das menschliche Gehirn ist durchaus in der Lage, abstrakt zu denken. Unsere große Schwäche ist es aber, dass wir darauf angewiesen sind, das Abstrakte emotional zu besetzen, d. h. zu konkretisieren und damit zu versinnlichen. Wie der Sozialanthropologe Dieter Claessens (1921–1997) schreibt, war das Spiel eine wichtige Gelenkstelle in der menschlichen Evolution, weil es menschlichen Gemeinschaften eine
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Möglichkeit bot, sich genau diesem Problem zu stellen. Spielen nämlich ist immer etwas Dynamisches. Zu spielen heißt, Verbindungen zu knüpfen zwischen Intellekt und Sinnlichkeit; zu spielen heißt, spekulative Brücken zu schlagen zwischen Geist und Materie. Das Wahrnehmen, Sehen im Spiel, ist immer auch ein Einsehen. Was uns im Spiel begegnet, wird auf eine vitale Art erkannt. Die Frage, die sich an diesem Punkt aufdrängt, gilt zweifellos der speziellen ›Natur‹ dieses Vermittlungsprozesses. Vor dem Hintergrund der Frage nach der speziellen Natur des Entwerfens von Spielen stellt man fest, dass hier vor allem Experimentalräume zur Verfügung gestellt werden, in denen kulturelle Spannungen Verfahrensweisen finden und Gegensätze in Kontakt treten können. Die ästhetische Formproduktion des Spiels, sein dramaturgisches Wissen wie auch sein technisches Repertoire zur Organisation von Räumen und Körpern bieten nicht nur Vergnügen und Genuss, sondern auch die Plattform für eine epistemologische wie aisthetische Praxis: Techniken der Sichtbarmachung, Strategien der Expressivität, Methoden des In-Bewegung- bzw. In-Beziehung-Setzens. Diese Techniken, Strategien und Methoden stellen auf eine höchst wechselhaft konnotierte Weise einen roten Faden europäischer Ideen- und Wissensgeschichte dar. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Potential des Spiels, Spannung und Konflikt zu choreographieren und dabei zu Modellen des Ausgleichs und der Verbindung zu gelangen. Das Spiel ist ein konstitutiver Bestandteil jeder Kultur. Es hat ein bemerkenswertes Vermögen, sich als Behälter oder Einschreibefläche für Sinnstiftungsprozesse anzubieten. Disparates kann in versöhnende Formen gebracht werden, Namenloses findet performative Vollzüge, aus denen benennbare Figuren entstehen. Das Spiel stellt eine Verfahrensweise zur Verfügung, Zusammenspiele zu ermöglichen, und es ist gleichsam der Versuch, sich selbst dabei etwas in seiner Bewegung in Zeit und Raum zur Erscheinung zu bringen und damit eine Verbindung zwischen sich und diesem Etwas zu schaffen. In dieser Verbindung erweist sich das Spiel als ein Weg des vitalen Erkennens. In diesem Kontext zeigt sich das Entwerfen von Spielen, respektive die Praxis des Herstellens eines Spiels, als ein prototypischer Vorgang, Modelle zu entwickeln. Diese Modelle organisieren Räume experimenteller Sinnlichkeit, um diffizile Dinge, prekäre Situationen oder offene Fragen zu beschreiben, sie zu verkörpern und begreifbar zu machen. Es ist ein besonderes Vermögen des Spiels, aus der Fülle des Ungeordneten heraus eine Situation zu verdichten, in der Konflikte, Dispositionen, Leidenschaften, Stimmungen auf den Punkt, auf ihr Prinzip, in ein Zusammenspiel gebracht werden können. In all diesen unterschiedlichen Herangehensweisen wird deutlich, dass die Wesensmerkmale des Spiels auf den Feldern von Aisthesis und Ästhetik zu verorten sind (vgl. Rautzenberg 2012; Feige 2015), und nicht nur die Merkmale des Spiels, sondern die des Spielens von Spielen und des Entwerfens von Spielen (vgl. Niedenthal 2009). Interessanterweise mehren sich gerade in der Auseinandersetzung mit Computerspielen die Hinweise eines genuinen Zusammenhangs von Spiel, Medialität und Ästhetik, welcher z. B. das Entwerfen von Spielen als ästhetische Arbeit sichtbar machen würde, als Kulturtechnik der Raumorganisation, als dramaturgisches Wissen oder ludisches Denken, welches sinnliche Erfahrung und Wissensgenese zu verbinden weiß. Es wäre eine Ästhetik experimenteller Sinnlichkeit wie
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sinnlicher Erkenntnis, die ihr Verhältnis zur Technik, etwa zu digitalen Artefakten, neu bestimmen müsste. Literatur
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1. Marcel wird Klempner »Marcel wird Klempner.« – Diesen Satz von Gérard Genette (1994b, 202), habe ich meiner Dissertation (Neitzel 2000), die sich mit der Narrativität von Computerspielen auseinandersetzt, als Motto vorangestellt. Genette benutzt den Satz in Neuer Diskurs der Erzählung im Zusammenhang mit der Definition einer Minimalgeschichte. Stellt man ihn jedoch in den Zusammenhang von Narrativität und Computerspielen, so lassen sich daran viele der Problemfelder explizieren, die sich ergeben, wenn über Narration und Computerspiel nachgedacht wird. Für Genette ist »Marcel wird Klempner.« schon eine Minimalerzählung, denn für ihn »liegt, sobald es auch nur eine einzige Handlung oder ein einziges Ereignis gibt, eine Geschichte vor, denn damit gäbe es bereits eine Veränderung, einen Übergang vom Vorher zum Nachher« (Genette, 1994b, 202). Wird eine solche weite Definition angelegt, würde auch jedes Computerspiel eine Geschichte beinhalten, denn Ereignisse findet man auch dort. Auch das Leben bestünde aus Geschichten. Inwieweit es sich dabei auch um Erzählungen handelt, ist damit jedoch noch nicht gesagt. Der Marcel, von dem Genette spricht, ist der Ich-Erzähler aus Marcel Prousts Roman Die Suche nach der verlorenen Zeit, also ein homodiegietischer Erzähler (ein Erzähler, der in der Erzählung als Figur vorkommt), der durch die Namensgleichheit jedoch auch auf den implizierten Autor – Marcel Proust – verweist. Der implizierte Autor ist im Gegensatz zu einem realen Autor oder einer realen Autorin ein von den Lesenden aus dem Text konstruierter Autor (Booth, 1974, 77 f.; Chatman, 1978, 148). Hier liegt also eine Verknüpfung oder Vermischung von intra- und extradiegetischen Elementen vor, konkret die Verknüpfung oder Vermischung einer intradiegetischen Figur mit einer extradiegetischen Erzählinstanz. Wie genau diese Verknüpfung oder Vermischung im Roman bzw. literarischen Erzählungen hergestellt wird, soll in diesem Beitrag nicht expliziert werden, dazu können die genannten literaturwissenschaftlichen Studien oder auch Eco (1994) oder (Metz 1991, 165 ff.) konsultiert werden. Aufmerksam machen möchte ich an dieser Stelle jedoch darauf, dass bei Computerspielen eine Vermischung von intra- und extradiegetischen Elementen immer vorliegt, ja aufgrund dessen, dass sie Spiele sind, vorliegen muss. Explizit wird dies insbesondere an dem Element des Avatars in Computerspielen, das sowohl eine Figur innerhalb der Spielwelt (Diegese) darstellt als auch eine Extension der Spielenden und in multiplayer games zudem noch eine Repräsentation der Spielenden (vgl. z. B. Neitzel 2004, Beil 2012, Schröter 2018). Auch die Frage, inwieweit ein Spieler oder eine Spielerin sich dabei als Autor bzw. Autorin des Spiel imaginiert bzw. als vom Spiel implizierter Autor gelesen werden kann, steht damit im Zusammenhang (vgl. Neitzel 2000, 128 ff.) »Marcel wird schließlich, nach so vielen Irrwegen, doch noch der Schriftsteller, der er immer sein wollte« (Genette 1994a, 202). Dies ist nach Genette eine Veränderung,
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die Marcel persönlich positiv erfüllt. Der Schriftsteller Marcel erzählt, bzw. schreibt über den Weg, der schließlich zu dieser Veränderung geführt hat. Die Tätigkeit des Erzählens gehört zu seinem Berufsbild. Wird Marcel aber Klempner, so würde wahrscheinlich jemand anderes über den Weg, der zum Klempnerberuf führte, erzählen oder schreiben. Natürlich könnte auch Marcel selbst über seinen Weg zum Klempner schreiben, dann wäre er jedoch nicht mehr nur Klempner, sondern auch Schriftsteller. Oder er könnte darüber erzählen, dies würde er aber wahrscheinlich in seiner Freizeit tun, denn das Erzählen gehört nicht zu seinem Berufsbild, das eher darin besteht, Heizungen anzuschließen und Verstopfungen in Wasserrohren zu beheben. Ist nun der Held eines Computerspiels ein Klempner (und heißt vielleicht Mario und nicht Marcel), so schließt sich daran die Frage an, wer denn nun diese seine Geschichte erzählt – gibt es eine andere Erzählinstanz oder tut er es selbst – neben seiner klempnerischen Tätigkeit, denn das Beseitigen von Verstopfungen wie auch das Retten von Prinzessinnen kann schwerlich als ein Erzählen verstanden werden. Wird Mario Schriftsteller? Es wird also die Frage nach der Erzählinstanz eines Computerspiels aufgerufen. Und schließlich soll noch ein letzter Aspekt genannt werden: Der Schriftsteller Marcel (Proust) ist unter Literaten und Literaturkundigen bekannt, ebenso wie es der Klempner Mario unter Computerspielliteraten ist. Wenn nun der Schriftsteller Marcel zu einem Klempner wird, so werden damit Fragen nach kulturellen Wertigkeiten angerissen, und zwar einerseits normativ in Hinblick auf einen vermeintlichen Kulturverfall durch Computerspiele, durch die Lese- wie Schreibkundigkeit zurückgingen, andererseits eher deskriptiv indem nach leitmedialen Funktionen von Literatur bzw. Computerspielen gefragt werden kann. Die durch diesen Beispielsatz aufgerufenen Fragestellungen betreffen Computerspiele und Narration auf verschiedenen Ebenen: • Minimalbedingungen für eine Erzählung sowie Erzählinstanzen werden in narratologischen Untersuchungen von Medien, von Literatur, Filmen und auch Computerspielen diskutiert und auch in Hinblick auf intermediale Bezugnahmen und Differenzierungen dieser Medien. Das heißt, es sind methodische Fragestellungen einer Disziplin. Es wird aber auch die Frage berührt, was denn eine Erzählung überhaupt sei, welche Bedingungen erfüllt werden müssen, um ein Medium als Erzählung oder als narrativ bezeichnen zu können, d. h. eine den Methodiken vorangehende ontologische Fragestellung. • Die Koppelung von inner- und außerspielerischen Ebenen ist m.E. nicht vorrangig als eine narratologische zu betrachten, auch wenn sie in der Erzähltheorie im Zusammenhang mit der Metalepse diskutiert wird. Vielmehr wäre hier umgekehrt zu denken, dass nämlich das Ineinandergreifen verschiedener Ebenen ein genuin ludisches Element ist, das sich auch in der Literatur findet. • Die Frage nach der kulturellen Wertigkeit von Literatur, bzw. Erzählungen und Computerspielen möchte ich dem wissenschaftspolitischen Hintergrund sowie einer sozialen Ebene von Medien(wissenschaft) zuordnen. Denn wissenschaftliche Disziplinen versuchen, ihre Existenz auch dadurch zu rechtfertigen, dass sie zu gesellschaftlich als relevant erachteten Fragen, Antworten geben, bzw. dies zu versuchen.
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Im Folgenden soll nun zunächst der ontologischen Frage nachgegangen werden, gefolgt von ausgewählten Aspekten der Narrationstheorie.
2. Die Debatte: Was ist eine Erzählung, was ist ein Spiel? Gefragt, wo der Begriff »Narration« zu verorten sei, würden wahrscheinlich viele Leserinnen und Leser auf die Literaturwissenschaft verweisen. Man vermutet ihn zunächst nicht in einem Werk, das das Ziel hat, philosophische Grundbegriffe, die mit dem Computerspiel verbunden sind, zu erörtern. Und tatsächlich findet er sich nur in wenigen philosophischen Wörter- oder Handbüchern. Auf den zweiten Blick jedoch ist es verwunderlich, dass der Begriff nur so selten genannt wird, ist doch die Narration wohl eine der stärksten und wirkmächtigsten Diskursordnungen bzw. Praxen der Diskursordnung – Narration kann sowohl als die Tätigkeit des Erzählens verstanden werden als auch als das Ergebnis dieser Tätigkeit. Aber vielleicht ist es gerade die Selbstverständlichkeit mit der Sachverhalte in Form von Narrationen dargeboten werden, die ein besonderes Augenmerk lange Zeit verhindert hat. Eine ähnliche Formation taucht ja in der Geschichtswissenschaft auf, die erst spät auf die Problematik aufmerksam wurde, dass die narrative Geschichtsschreibung nur eine ganz spezifische und nicht die einzige Form der Geschichtsschreibung ist. In den Game Studies hingegen wurde die Narration von Anfang an problematisiert. Ja die ersten Ansätze der Analyse von Computerspielen außerhalb der Pädagogik haben ihre Wurzeln in der Literaturwissenschaft, die sich als Disziplin traditionell mit Erzählungen befasst. Hypertext-Studien der 1980er und 90er Jahre stellten Fragen nach den Möglichkeiten des interaktiven Erzählens als einer neuen Form der Erzählung in den digitalen Medien (vgl. z. B. Bolter 1991, Landow 1992, 1994, in dieser Tradition auch Winko 2005). Im Mittelpunkt des Interesses stand hier der digitale Hypertext, der im Gegensatz zur schriftlichen Erzählung keine festgelegte Reihenfolge der Ereignisse vorgibt, sondern aus einzelnen Bausteinen besteht, die von den Lesenden mit Hilfe von Links zusammengesetzt werden. Diese Untersuchungen haben auch textbasierte Computerspiele, die Text-Adventures, einbezogen. In diesen Ansätzen werden Computerspiele als schriftliche Texte betrachtet, die mit anderen Texten, die auf der Computertechnologie basieren, verbunden sind: Der Text und die Veränderungen, die er durchmacht, stehen im Vordergrund (vgl. auch Ryan 1999). Eine der aufschlussreichsten Arbeiten aus dieser Tradition ist Espen Aarseths Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature (1997), in dem er deutlich die Unterschiede zwischen den Textsorten herausstellt und insbesondere betont, dass sich die Rolle der Lesenden verändert, indem sie bei Cybertexten auch jenseits der Bedeutungsproduktion am Text mitwirken. Ein weiterer »früher« Versuch, Computerspiele in eine Erzähltradition zu stellen, stammt von Janet Murray. In Hamlet on the Holodeck (1999) bezieht sie Computerspiele mit in ihre Untersuchung des Narrativen im Cyberspace ein, wobei sie verschiedene Medientexte, wie Hypertexte, MUDs, virtuelle Charaktere, Videospiele und – als futuristische Vision – auch das Holodeck als Ausprägungsformen des
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Mediums Cyberspace versteht. Murray konzentriert sich nicht auf verbale Medien, sie sucht nach »guten« Erzählungen – unabhängig vom benutzten Symbolsystem. Wichtig für die Diskussion um die mögliche Narrativität von Computerspielen wurde vor allem Murrays Annahme, dass Computerspiele noch am Anfang ihrer Entwicklung als Erzählmedium stehen und noch einige Zeit vergehen würde, bis sie eine »gute Geschichte« erzählen können. Diese Annahme, dass Computerspiele Erzählmedien sind und sich dementsprechend auch in der Ausformung als Erzählmedien weiterentwickeln würden, hat zu der sogenannten Ludologie vs. Narratologie Debatte in den Game Studies geführt, die – unabhängig davon, ob sie tatsächlich stattfand oder nicht – einen fulminanten Anfangspunkt für die Game Studies setzte und zum Gründungsmythos avancierte. In den vergangenen 20 Jahren sind Arbeiten zur Narrativität von Computerspielen innerhalb der Game Studies zu einem Untersuchungsgebiet unter vielen anderen geworden. Häufig bieten sie aber literaturwissenschaftlichen Zugängen zu den Computerspielen einen ersten Ansatzpunkt. Doch warum konnte eine Ludologie vs. Narratologie Debatte entstehen? Zum einen sind es sicherlich wissenspolitische Fragen, die den Hintergrund bildeten. Eine junge Forschungsrichtung wehrte sich dagegen, methodisch einer etablierten Disziplin, der Literaturwissenschaft, angeschlossen und untergeordnet zu werden. Solche Abgrenzungsbewegungen gab es auch von der Theaterwissenschaft und der Filmwissenschaft, die darauf beharrten, Spezifika ihrer Gegenstände, die nicht Gegenstand der Literaturwissenschaft sind, wie z. B. die Performativität der Aufführung oder visuelle Gestaltungsmuster des Films, überhaupt thematisieren zu können. Die Ludologie vs. Narratologie Debatte hatte aber noch weitergehende Implikationen. Es ging nicht nur darum, auf Gegenstandsebene das Computerspiel nicht der Literatur zuzuordnen oder auf disziplinärer Ebene die Game Studies nicht zu einem Teil der Literaturwissenschaft werden zu lassen. Tatsächlich wurde eine ontologische Frage gestellt: Ist das Computerspiel ein Spiel oder eine Erzählung? Diese Frage, bzw. der Sinn dieser Frage, kann m. E. am besten über die Unterscheidung von Medium und Form erläutert werden. Denn Spiel und Erzählung können jeweils als Formen im Sinne Heiders (1999) oder Luhmanns (1995) verstanden werden, die sich an ein bestimmtes Medium anlagern. Nach Luhmann (1995, 165–214) stellen Medien eine lose Koppelung von Elementen dar, die durch Formen konsolidiert werden. Jede Form ist für ihre Realisation abhängig von einem Medium, während sie gleichzeitig – als Form – dem Medium eine Struktur verleiht. Da sowohl das Narrative als auch das Ludische immer nur in Medien auftreten, können sie als Formen verstanden werden, die sich mit unterschiedlichen Medien koppeln und sich in einzelnen Medientexten zeigen. Computerspiele können also sowohl narrative als auch ludische Formen implementieren und das Narrative wie auch das Ludische können als transmediale Strukturen angesehen werden. Wie nun Spiel und Erzählung miteinander interagieren und zur konkreten medialen Form des Computerspiels führen, ist die Frage, die in vielen Untersuchungen zu einer möglichen Narrativität des Computerspiels zu klären gesucht wurde, denn Spiel und Erzählung scheinen unterschiedliche oder sogar unvermittelbare Formen zu sein. Die Erzählung wird mit Linearität und Chronologie assoziert. Eine Geschichte im landläufigen Sinn (sowie auch nach einigen Definitionen) hat einen
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Anfang, eine Mitte und ein Ende (Aristoteles 1982) und ihre Ereignisse laufen nacheinander ab. David Bordwell (1985, 49) definiert sie als »action as a chronological, cause-and-effect chain of events occurring within a given duration and a spatial field«. Dem Spiel hingegen werden Wiederholungen (Bujtendijk 1933 & 1958) und Rekursivität (Scheuerl 1990) zugeschrieben. Scheuerl (ebd.) beschreibt es zudem als eine in sich selbst zurückfallende Bewegung, die selbstreflexiv keinen Bezug zu einem Außen (weder sachlich noch temporal) hat. Auch auf der semiotischen Ebene sind Erzählung und Spiel schwer miteinander zu vermitteln: Die Erzählung hat die Form eines Zeichens, denn sie erzählt von etwas anderem: Sie erzählt die Geschichte. Das Spiel hingegen verweist nicht auf etwas anderes, was jedoch grundlegend für die Funktion als Zeichen wäre. Im Spiel wird gehandelt (z. B. geklempnert), die Erzählung erzählt von Handlungen (z. B. von denen, die dazu geführt haben, dass eine Figur Schriftsteller wurde). Zumeist sind dies bereits abgeschlossene Handlungen. So wird das Verhältnis von Spiel und Erzählung auch verschiedentlich als eines der Verfestigung beschrieben: »Sitten und Gebräuche sterben ab, und auch die Religionen sterben aus, ihre Inhalte verwandeln sich in Märchen«, konstatiert Vladimir Propp in der Morphologie des Märchens (1972, 105). Rolf Oerter konzipiert in seiner Psychologie des Spiels (1993) die Beziehung zwischen Spiel und Kunst ebenfalls als eine der Verfestigung: Handlungen und Rituale, deren Ausführung in der Gesellschaft ihren Sinn verloren haben, würden in Mythen, Sagen, Erzählungen und anderen Kunstwerken festgehalten. Eine Erzählung scheint hier als so etwas wie eine ›gefrorene Handlung‹ konzipiert zu werden, das Spiel aber bleibt in seiner Verwandtschaft zum Ritual eine Handlung. Auf der anderen Seite jedoch wird auch das Erzählen als sprachliches Handeln und sogar als Spiel betrachtet, das nach bestimmten Regeln abläuft. Wittgenstein nennt in den Philosophischen Untersuchungen die Sprache und die »Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ›Sprachspiel‹« (1984, § 7, 241). Zu den Sprachspielen gehören bei ihm unter anderem das Erfinden einer Geschichte, das Lesen und das Erzählen (vgl. ebd., § 23, 250). Wird die Erzählung bei Propp und bei Oerter als verfestigte Struktur des Spiels betrachtet, so beschreibt Wittgenstein das erzählerische Sprachspiel als Tätigkeit, als Praxis. Zwischen einer Erzählung als Ordnungsstruktur für (abgeschlossene) Handlungen und einer Erzählung, die selbst als Handlung, als Praxis oder Spiel betrachtet wird, scheint die Möglichkeit zur gegenseitigen Rahmung vorzuliegen: Ein Sprachspiel als Kommunikationshandlung kann die Form einer Erzählung annehmen, die von einem Spiel erzählt, das aus Handlungen besteht. Spiel und Erzählung liegen dabei nie auf derselben Ebene. Im einen Fall referiert die Erzählung auf spielerische Handlungen als auf den von ihr beschriebenen Gegenstand. Im anderen Fall wird das Erzählen als eine spielerische Handlung, die bestimmten Spielregeln folgt, interpretiert. Das Handeln wird dabei jeweils unter dem Gesichtspunkt des Spiels betrachtet, während die Formen und Strukturen der Anordnung dieser Handlungen unter dem Gesichtspunkt der Erzählung betrachtet werden. Wenn nun das Computerspiel ein Spiel und keine Erzählung ist und wenn Computerspiele als Leitmedien die Erzählungen ablösen, bzw. wenn das Spielerische, bestimmte Praxen wie das Lesen und Schreiben als bestimmende Kulturtechniken ablösen, so wäre das Jahrtausende alte Ordnungssystem der Erzählung in Auflösung
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begriffen (und auf disziplinärer Ebene die Literaturwissenschaft). Hier hätten wir es tatsächlich mit einem entscheidenden Medienumbruch zu tun.
3. Der Begriff der Narration Ob wir uns einem solchen Medienumbruch gegenüberstehen, wäre nur retrospektiv zu klären. Derzeit kann jedoch gefragt werden, inwieweit sich ggf. Begriffe der Narration innerhalb der Narratologie und in Hinblick auf die Untersuchung von Computerspielen verändert haben. Haben Verschiebungen in der Medienlandschaft zu einer Veränderung der Narrationsbegriffe geführt? Hat sich die Narratologie einer veränderten Medienlandschaft angepasst, sich von der literarischen Erzählung entfernt und neue Begriffsdefinitionen entwickelt, die auch auf andere Medien zutreffen? Dies kann an dieser Stelle nur kursorisch geschehen. Weder können alle Verschiebungen im Narrationsbegriff nachgezeichnet werden, hierzu verweise ich auf Abbot (2014) und Meister (2014). Noch kann es darum gehen, verschiedene Ansätze, einer narratologischen Analyse von Computerspielen noch einmal revue passieren zu lassen. Hier sei auf die Überblicksdarstellungen in Neitzel (2014) und besonders auf Thon (2015) verwiesen, um nur einige zu nennen. Auch können nicht einzelne Modelle zur Narration und Computerspiel vorgestellt werden, wie z. B. Beispiel die von Neitzel (2000), Backe (2008) oder Thon (2016), die jedoch unterschiedliche Phasen der Analyse der Narrativität von Computerspielen kennzeichnen. Vielmehr möchte ich versuchen, einige Phasen der Entwicklung von Narrationsmodellen kurz zu umreißen, um ihre Relevanz für die Beschreibung von Computerspielen aufzuzeigen.
3.1 Syntagmatische und generative Modelle – Geschichte, Erzählung Nicht nur in Hinblick auf den Begriff des implizierten Autors gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Begriffen, auch die Narration oder Erzählung selbst weißt eine Reihe von unterschiedlichen Bedeutungen auf. Beschäftigt man sich mit dem Begriff Narration oder Erzählung, so möchte ich noch einmal betonen, dass die Erzählung immer eine Doppelbedeutung hat, nämlich zum einen den Prozess oder den Akt des Erzählen meint, zum anderen die Erzählung, nämlich eine Reihe von Signifikanten. Hinzu kommt das Adjektiv – etwas ist narrativ und die Potentialität / das Substantiv zum Adjektiv – Narrativität. Die Erzählforschung oder Narratologie – zwei Begriffe, die auch nicht unbedingt deckungsgleich sind – muss also auch klären, mit welchem Aspekt des Narrativen sie sich beschäftigt. Der Prozess des Erzählens wurde in der Erzählforschung zunächst nicht oder weniger beachtet, schon in der Antike jedoch war klar, dass es sich dabei um eine konfigurative Tätigkeit handelt, so schreibt Aristoteles (1982, 77): »man muss die Fabeln [...] so zusammenfügen, daß sie dramatisch sind und sich auf eine einzige, ganze und in sich geschlossene Handlung mit Anfang, Mitte und Ende beziehen«. Das Augenmerk lag vor allem auf der Textebene, d. h. der Kette von Signifikanten, die eine Erzählung ausmachten. Hier wurden in der prästrukturalistischen Zeit, so
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z. B. von Propp (1972), Modelle entworfen, die sich mit der Konstruktion dieser Kette beschäftigten. Ziel war es ein Modell zu entwickeln, dass allen Erzählungen, bzw. im Falle von Propp, einer spezifischen Gattung von Erzählungen, nämlich dem russischen Volksmärchen, zugrunde liegt. Seine Morphologie des Märchens stellt einen der ersten Versuche dar, ein Modell, ja eine Grammatik, für die Erzählung im Allgemeinen unabhängig von ihrer Semantik zu finden. Im 17. und 18. Jhd. wurden, so Meister (2014, 627) vor allem inhaltliche Aspekte von Erzählungen betrachtet. Mit einigen Ergänzungen habe Propps Vorhaben, zusammen mit der generativen Grammatik Chomskys unter anderen KI-Forschungen beeinflusst, die daran arbeiteten, Systeme zu entwickeln, die Geschichten erzählen (ebd., 628). Innerhalb der Narratologie wurden vor allem die Französischen Strukturalisten von der Idee beeinflusst, eine medienunabhängige Grammatik der Erzählung zu entwickeln. Genannt seien an dieser Stelle nur Claude Bremond (1964), Roland Barthes (1966) und Julien Algirdas Greimas. Bremond entwickelte ein dreigliedriges Entscheidungsmodell für die Abfolge von Handlungen in Geschichten, bei dem in einer gegebenen Situation eine Handlung entweder aktualisiert oder nicht aktualisiert würde und die aktualisierte Handlung entweder gelingen könne oder nicht. Barthes (1966) differenzierte die Punkte, an denen Entscheidungen getroffen werden, in Katalysen und Kardinalfunktionen, wobei nur die Kardinalfunktion »eine für den Fortgang der Geschichte folgentragende Alternative eröffnet (aufrechterhält oder beschließt), kurz, daß sie eine Ungewißheit begründet oder beseitigt« (ebd., 112 f.). Greimas (1970) entwickelte das von den hier genannten abstrakteste Modell, ein logisches Quadrat, in dem die Begriffe sich gegenseitig Werte zuschreiben und das Basis jeglicher Bedeutungskonstruktion sei (ebd., 66). Dies war auch Grundlage für sein Modell des Narrativen, das sich über die Weitergabe eines Transferobjekts zwischen verschiedenen Aktanten definiert. Nach Meister (2014, 612) sind die theoretischen Ambitionen und der Abstraktionsgrad dieser Theorien beeindruckend, ihre Relevanz für die Literaturwissenschaft sei jedoch aufgrund dieses Abstraktionsgrades nur schwer verständlich zu machen gewesen. Tatsächlich ist die Erzählweise literarischer Erzählungen so viel komplexer als die abstrakten Modelle von Bremond oder Greimas zum Beispiel. Jedoch kann das Entscheidungsmodell von Bremond hervorragend genutzt werden, um einfache Verzweigungen oder Entscheidungen von Spielenden in einem Computerspiel zu modellieren. Die finalistische Handlungslogik, die er anlegt – schließlich kann erst retrospektiv gesagt werden, ob eine Handlung gelungen ist oder nicht – bietet die Grundlage vieler Computerspiele, bei denen bestimmte Zielvorgaben erreicht werden müssen. Besonders offensichtlich ist dies in Adventures, die, wie Claus Pias (2002) schreibt, »entscheidungskritisch« sind. Auch kann die Geschichte, die für einige frühe Computerspiele den Hintergrund bildet, direkt mit dem Greimasschen Modell gelesen werden. So habe ich in meiner Dissertation Donkey Kong mit Greimas modelliert (vgl. Neitzel 2000, 183–187). Die Funktion der geraubten Prinzessin, die in diesem Spiel das Transferobjekt bildet, kann aber auch von anderen Objekten eingenommen werden. Grade dieser hohe Abstraktionsgrad ist es, der die von den Strukturalisten proklamierte Medienunabhängigkeit der Erzählung auch wirklich einlöst. Andere in der Literaturwissenschaft entwickelte Modelle, die eine solche
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Medienunabhängigkeit für sich reklamieren, treffen aufgrund ihrer Spezifik nur oder vor allem auf die Literatur zu. Genette, dessen Theorie nach Meister (2014) den Übergang zur poststrukturalistischen Narratologie markiert, reagierte auf diese Abstraktion, indem er sich im Discours de récit (1972) explizit nur auf den literarischen Diskurs bezieht und dessen Spezifika anhand eines literarischen Werkes, der Suche nach der verlorenen Zeit von Proust, darstellt. Sein Fokus liegt also nicht mehr auf der Geschichte bzw. Tiefenstrukturen einer Geschichte, sondern auf der Textebene, der Oberfläche, die eine Geschichte darstellt. Aspekte seines Modells, wurden jedoch oftmals auch für den filmischen Diskurs adaptiert und fanden – mit Modifikationen – auch Eingang in die Analyse von Computerspielen (z. B. bei Neitzel 2007, Backe 2008 oder Mosel 2011).
3.2. Welten Die sogenannte postklassische Narratologie nimmt das Projekt, das Narrative unabhängig vom Medium und insbesondere vom literarischen Text zu betrachten, wieder auf. Hier ist insbesondere das Konzept der storyworld, das vor allem von David Herman reflektiert wurde, hervorzuheben. Storyworlds versteht Herman (2009, 106) als »[mental] representations of the worlds evoked by stories«. Die terminologischen Verwerfungen und unscharfen Verwendungsweisen des Begriffes hat Jan-Noël Thon (2016, 35–46) diskutiert. Damit fokussiert die postklassische Narratologie, hier in der Ausprägungsform der kognitiven Narratologie, nicht mehr die Ebene der Signifikanten – einen Text – sondern die kognitive Ebene. Im Fokus stehen »narrative Repräsentationen«, die sowohl in einem literarischen Text als auch in einem Film oder aber auch in der Kognition des Rezipienten vorkommen können. Das heißt, Narration wird nicht mehr dadurch bestimmt, dass bestimmte textuelle Repräsentationen eine Geschichte und einen Diskurs haben, dass es Erzähler gibt oder bestimmte Erzählsituationen, sondern dadurch wie etwas als narrativ interpretiert bzw. prozessiert wird. Diese Prozesse können selbstverständlich auch aufgrund von Computerspielen ablaufen. Thon (2016) hat den Begriff der Storyworld in seiner Studie zu transmedialen Narratologie genutzt und auf gegenwärtige Filme, Comics und Computerspiele angewendet. Auffällig an Hermans Bestimmung von storyworlds ist, dass sie stories voraussetzen. Dies kann durch einem weiteren, früheren, Ansatz aus der kognitiven Narratologie erläutert werden, Monika Fluderniks Towards a »Natural« Narratology (1996). Fluderniks Ausgangspunkte sind keine literarischen Texte, sondern die Lebenswelt und bestimmte kognitive Schemata (frames), mit denen Situationen der Lebenswelt interpretiert werden und mit Hilfe derer sie in oralen Erzählungen wiedergegeben werden. »›[N]atural everyday and oral narratives are considered to represent and underlying anthropological competence in its original form«, fasst Meister (2014, 634) diesen Ausgangspunkt zusammen. Die Schemata würden auch angewendet, um Texte zu interpretieren und sie in Einklang mit der Lebenswelt zu bringen, woraus die Bedeutung des Textes konstruiert würde. Hinzu kommen zu diesen lebensweltlichen Schemata solche, die etwas als narrativ definieren. Zusammengenommen würde daraus die Bedeutung einer Erzählung hergestellt. Das heißt, die Fähigkeit, Geschichten zu erstellen und zu erkennen, sei letztlich eine grundlegende
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Eigenschaft der Menschen. Ein entscheidendes Kriterium ist dabei für Fludernik die »Erfahrungshaftigkeit« der geschilderten Ereignisse. In der Lebenswelt sei es die Erfahrung des Verkörperlicht-Seins aus der heraus die Schemata entwickelt werden. Damit diese auch auf textuelle Repräsentationen angewendet werden können, müsse hier ebenfalls eine Verkörperung stattfinden. »[T]here cannot be any narratives without a human (anthropomorphic) experiencer of some sort at some narrative level« (Fudernik 1986, 13, zit. nach Zerwick 2002, 227). Der Unterschied zwischen einer Erzählung und der Lebenswelt liegt also auf der Ebene der Repräsentation, eine Erzählung ist die Repräsentation von erfahrungshaften Gegebenheiten im Gegensatz zu Erfahrung selbst. Es scheint so, als wäre mit diesem Ansatz das Narrative von Computerspielen gut zu fassen, denn eine Verkörperung im Spiel findet in vielen Spielen über einen Avatar statt, dessen Handlungen durchaus als erfahrungshaft beschrieben werden können. Problematisiert wird diese Übernahme jedoch durch einen Punkt, der der Frage nach der Narrativität von Computerspielen immer beigegeben ist. Sind Computerspiele Repräsentationen von Erfahrungen und stellen sie für die Spielenden selbst Erfahrungen dar? Und je nachdem wie diese Frage beantwortet wird, ist ein Computerspiel dann eine Erzählung oder ein Spiel. Für die kognitive Narratologie ist diese Frage jedoch irrelevant, da es nicht um ontologische Klärungen geht, sondern um narrative Repräsentationen – und dass Computerspiele solche hervorbringen, kann wohl als unbestritten gelten, wie man z. B. an den Nacherzählungen von Spielerfahrungen ablesen kann. Die Umstellung der Narratologie auf kognitive Prozesse ermöglicht es, Computerspiele jenseits der ontologischen Frage auf die Mechanismen hin zu untersuchen, die im jeweils konkreten Spiel oder Spielgenres Narrativität evozieren. Ob und inwieweit Veränderungen in der Medienlandschaft diese Veränderungen in der Narrationstheorie hervorgebracht haben, ist nicht zu klären. Feststellen lässt sich, dass es so etwas wie eine Parallelentwicklung gab, da zu den klassischen linearen abgeschlossenen medialen Darstellungen eine Reihe von Darstellungen hinzugekommen ist, die zum Teil kein Ende haben und sich durch Wiederholungen und ein Erzählen in die Breite auszeichnen (Fernsehserien), aus Franchises und Universen bestehen, die in unterschiedlichen Medien repräsentiert werden (z. B. das Star Wars Universum oder die Marvel Welten), oder nicht erzählt, sondern gespielt werden (Computerspiele). Solche medialen Repräsentationen sind besser mit den Konzepten von Welt und mentalen narrativen Repräsentationen zu fassen, als mit klassischen linearen Erzählmodellen. Literatur
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1. Einleitung In der Ontologie wird einerseits danach gefragt, was für Arten von Gegebenem (Seiendem, Existierendem) es überhaupt gibt und andererseits, worin das (Gegeben-) Sein (die Existenz) eines Gegenstandes bzw. einer Art von Gegenstand besteht. Im Folgenden wollen wir uns mit der Ontologie der Computerspiele beschäftigen. Dass es so etwas wie Computerspiele tatsächlich gibt, ist im Gegensatz zu der Frage, ob es Abstrakta wie allgemeine Eigenschaften oder fiktive Entitäten gibt, evident und unkontrovers. Spannender, weil alles andere als offensichtlich, ist aber die Antwort auf die Frage, was Computerspiele eigentlich sind, oder anders formuliert, was Computerspiele zu Computerspielen macht, oder wieder anders gesagt, worin das Computerspiel-Sein beseht. Bei der Beantwortung dieser Frage scheint es uns sinnvoll, sich nicht unnötig an die Neuerfindung des Rades zu machen, sondern bewährte philosophische Theorien zu Rate zu ziehen. Konkret denken wir dabei an die in der Philosophie der Kunst bzw. der philosophischen Ästhetik von Nelson Goodman geleistete begriffliche Arbeit zur ontologischen Charakterisierung und Klassifizierung von Kunstwerken. Dementsprechend werden wir uns im Folgenden bei der Beantwortung unserer Frage (zumindest in groben Zügen) an Goodmans sogenanntem kunsttheoretischen Dualismus orientieren, der zwischen vervielfältigbaren und nicht-vervielfältigbaren Kunstwerken unterscheidet. Wir werden seinen sogenannten kunsttheoretischen Dualismus im zweiten Abschnitt vorstellen, seine Ausdrucksweise jedoch nicht präzise übernehmen, da es uns zuvorderst darum geht, einen bestimmten Grundriss auszubreiten, der es erlaubt, ontologische Fragen zu Computerspielen genauer zu verstehen. Im darauffolgenden dritten Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem visuellen Aspekt von Computerspielen (d. h. mit Computerspielen als Video-Spielen) und diskutieren in diesem Zusammenhang das Wesen digitaler Bilder und den Unterschied zwischen Spielen, die über einen Bildcharakter verfügen und solchen, die als Texte, Diagramme oder Notationen funktionieren. Der vierte Abschnitt führt uns dann in die technischen Gefilde des Computerspiels. Dort untersuchen wir den Zusammenhang von Software (Programmcode), Hardware und Visualisierung sowie die ontologische Funktion des computationalen Grundgerüsts von Spielen. Daran anschließend führt uns der fünfte Abschnitt auf den Begriff des Spiels. Hier kommen wir insbesondere auf den Begriff der Interaktivität, die Rolle von Regeln und den für Spiele vermeintlich notwendigen Faktor ›Spaß‹ zu sprechen. Im sechsten Abschnitt tragen wir die bis dahin gewonnenen Ergebnisse zusammen, vergleichen sie mit alternativen Bestimmungsversuchen von Computerspielen und überprüfen unseren Vorschlag anhand des Spielklassikers Pong auf seine Plausibilität. Der siebte und letzte Abschnitt dient als Ausblick auf ›tiefschürfendere‹ ontologische Fragen zu Spiel und Computerspiel.
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2. Goodmans kunsttheoretischer Dualismus Wie erwähnt, wollen wir uns zunächst Goodmans Dualismus klarmachen, der zwischen zwei Arten von Kunstwerken unterscheidet (vgl. für die folgende Darstellung Goodman 1997). Grob gesagt lässt sich unterscheiden zwischen Kunstwerken, die sich beliebig vervielfältigen lassen und solchen, bei denen dies nicht möglich ist. Zur ersteren Art gehören z. B. Texte, zur letzteren Bildwerke. So gibt es sehr viele Kopien eines Romans, ohne dass es sich dabei um unterschiedliche Romane handeln würden. Es sind – solange die Textbasis dieselbe ist – alles Exemplare ein und desselben Romans. Eine hierzu entgegengesetzte Auffassung vertritt beispielsweise Arthur Danto (ders. 1984). Für ihn ist nicht der Text, sondern die Interpretation entscheidend, d. h. derselbe Text kann u. U. Grundlage zweier verschiedener Romane sein (vgl. Steinbrenner 1996). Aber zurück zur Auffassung Goodmans, der wir hier folgen. Ästhetische Differenzen, die nicht das Textmaterial betreffen, wie z. B. bei unterschiedlichen Ausgaben ein mehr und ein weniger ansprechend gestaltetes Buchcover, haben keine Auswirkungen auf die ontologische Konstitution des Romans als solchen. Der Grund hierfür ist, dass der Roman selbst als ein abstrakter Gegenstand, nämlich als Äquivalenzklasse (oder Type) schriftlicher Zeichen, aufzufassen ist, dessen einzelne Vorkommnisse (oder Tokens) nur bestimmte strukturelle Merkmale (identische Buchstabierung) aufweisen müssen, damit sie Vorkommnisse desselben Kunstwerks sind. Bei Gemälden ist die Lage anders, denn bei keiner ›Kopie‹ eines Gemäldes können wir uns sicher sein, dass keine relevanten Merkmale fehlen. Eine ›Kopie‹ der Mona Lisa ist eben nie die eine wirkliche Mona Lisa – egal wie gut die Replik auch gemacht sein mag (was aber natürlich nicht bedeutet, dass uns nicht auch eine nachgemachte Mona Lisa ästhetische Freuden bereiten könnte). Das Gemälde ist also ein einzigartiger, als solcher nicht vervielfältigbarer materieller Gegenstand. Daher können wir auch nur im uneigentlichen Sinne von Kopien sprechen (daher die oben von uns verwendeten Anführungszeichen). Bei Gemälden gibt es also strenggenommen keine Kopien, sondern nur Reproduktionen oder Fälschungen, wenn wir über ihren Status als Reproduktionen absichtlich im Dunkeln gelassen werden oder fälschlich vorgegeben wird, dass die Reproduktion die Herstellungsgeschichte des Originals hätte. Fälschungen in diesem Sinne kann es übrigens auch nur bei nicht vervielfältigbaren Kunstwerken geben, denn der Ausdruck ›Fälschung‹ meint ja gerade, dass man etwas, was kein Original ist, als Original erscheinen lässt. Eine andere Art von Fälschungen, die auch häufiger zu finden sind, sind solche, die kein bestimmtes Werk nachmachen, sondern nur fälschlicherweise vorgeben, aus einer bestimmten Hand oder Epoche zu stammen (vgl. Steinbrenner 1998, 197). Wo es aber kein Original gibt, wie bei vervielfältigbaren Kunstwerken, da kann es auch keine Fälschungen der ersten Art geben. Fälschungen dienen somit also ontologischer Lackmustest, ob es sich um ein vervielfältigbares oder um ein nicht vervielfältigbares Kunstwerk handelt. Neben beliebig vervielfältigbaren und nicht vervielfältigbaren Kunstwerken gibt es nun auch noch eine dritte Variante, die als Mischform betrachtet werden kann (und daher auch aus unserer dualen Grundunterscheidung keine triadische macht). Es handelt sich dabei um Kunstwerke, denen eine bestimmte ontologische Mehrstufigkeit zukommt. So besteht etwa eine Theaterinszenierung aus einer Anzahl von
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Aufführungen eines bestimmten Textes (dem Regiebuch, das eine Modifikation des zugrundliegenden Theaterstücks ist). Hier haben wir also auf einer ersten Stufe einen vervielfältigbaren Text (das Regiebuch) und darauf aufbauend eine bestimmte Anzahl an jeweils nicht vervielfältigbaren raumzeitlichen Einzelereignissen (die Aufführungen), woraus sich dann ein eigenständiges Kunstwerk, nämlich eine in diesem Sinne ontologisch mehrstufige Theaterinszenierung ergibt. Gleiches gilt für Musik- und Filmaufführungen, Radierungen, Güsse etc. Unterschiede bestehen jedoch bezüglich der relevanten Merkmale der Vorkommnisse, die ausschlaggebend dafür sind, dass sie Vorkommnisse eines bestimmten Werks sind. Für Musikaufführungen gilt das ideale Kriterium, dass der geübte Hörer mit vollkommenem Gehör die zugrundeliegende Partitur erfassen kann. Vor diesem Hintergrund kann er die jeweilige Interpretation des Werks schätzen. Gleiches ist dem Theaterbesucher nicht möglich. Er kann von der Aufführung nicht auf das Regiebuch schließen (er weiß nicht, welche Details festgelegt sind und welche nicht) und auch nicht auf den Originaltext des Theaterstücks (zu diesem gehören nämlich häufig Regieanweisungen und zudem ist es üblich, dass Textpassagen gestrichen werden). Gleichwohl kann der Kenner aufgrund seiner Kenntnis des Dramentextes die Inszenierung und die einzelnen schauspielerischen Leistungen bewerten. Filme müssen nicht explizit auf einem Drehbuch beruhen. Das Werk besteht daher letztlich aus einem Masterband und den legitimierten Kopien. Für die Kopien gibt es keine expliziten strukturellen Merkmale, die festlegen, dass die jeweilige Kopie ›richtig‹ ist. Entscheidend ist allein, dass der Urheber bzw. Rechteinhaber (Verleiher, Regisseur etc.) sie als legitimierte Kopien auszeichnet. Gleiches gilt für Fotoabzüge, Drucke und Abgüsse von Figuren. Die Werke bestehen in diesen Fällen in den legitimierten Kopien, Drucken und Abgüssen. Auch hier kann es also Fälschungen geben. Bei diesen handelt es sich dann eben um nicht legitimierte Vervielfältigungen des Werkes, wobei es keine Rolle spielt, wie gelungen solche illegitimen ›Kopien‹ sind. Was zählt, ist, wenn man so will, die offizielle Vervielfältigungsgeschichte des Kunstwerks, was auch dazu führen kann, dass zwei echte Exemplare eines Werks stärker voneinander abweichen als sie es jeweils von einem dritten unechten Werk tun. Gleiches gilt übrigens für das Industriedesign. Ein Auto ist beispielsweise nur dann ein original Jaguar E-Type, wenn er die richtige Geschichte hat, d. h. Exemplar einer offiziellen Jaguar E-Type-Serie ist. Noch so gelungene, aber illegitime ›Kopien‹ (eigentlich: Reproduktionen) des Jaguar E-Type zählen nicht als Originale. Ein echter Jaguar E-Type ist durch seine Herstellungsgeschichte vom bloß nachgemachten unterschieden – ganz egal, ob der nachgemachte sogar vielleicht besser fährt, in Schuss ist o. ä. Wenden wir den Goodmanschen Dualismus auf Computerspiele an, so zeigt sich, dass Spiele offenbar keine Einzelwerke wie Gemälde, sondern vervielfältigbar sind. Die Frage ist also, ob es sich bei Computerspielen um beliebig vervielfältigbare Werke wie Romane handelt oder ob wir es mit ontologisch mehrstufigen Kunstwerken wie Theaterinszenierungen oder Drucken bzw. Designobjekten wie dem Jaguar E-Type zu tun haben. Um diese Frage zu klären, müssen wir uns zunächst näher mit den Eigentümlichkeiten von Computerspielen beschäftigen.
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3. Video-Spiel: Displays, digitale Bilder und Notationen Wir wollen also herausfinden, welche Eigenschaften für Computerspiele charakteristisch sind. Stärker formuliert können wir fragen, ob es so etwas wie einen Wesenskern in Form notwendiger und hinreichender Bedingungen gibt, den alle Computerspiele besitzen. Der für ›Computerspiel‹ synonym (und im englischsprachigen Kontext sogar bevorzugt) verwendete Ausdruck ›Videospiel‹ (engl. ›video game‹) bringt uns hier auf eine erste Spur. Alle Computerspiele – zumindest alle, die wir landläufig als solche bezeichnen – scheinen das Merkmal zu teilen, dass sie sich uns über ein Display präsentieren. Wir sagen ›landläufig‹, weil es natürlich zulässig wäre, Computerspiele in einem sehr weiten (losen) Sinne zu definieren, etwa als Spiele, in denen auf irgendeine Weise Computertechnologie zum Zuge kommt. Dann aber könnte man auch ein Spiel der Fußballbundesliga als Computerspiel bezeichnen, solange sich ein Chip im Ball befindet, der anzeigt, ob das runde Leder im vollen Umfang über der Torlinie war oder nicht. Eine derart weite Definition scheint uns aber an dem Phänomen vorbeizugehen, das wir alltäglicherweise mit dem Ausdruck ›Computerspiel‹ bezeichnen und um das es uns hier geht. Der Fokus auf das Visuelle sollte aber nicht dazu führen, dass man die anderen Dimensionen der sinnlichen Erfahrbarkeit vergisst, die in der Regel ebenfalls zu Computerspielen gehören. Es gibt heute so gut wie kein Computerspiel, das nicht auch über auditive und sogar haptische Outputs (zumindest auf den Konsolen erscheint heute so gut wie kein Spiel mehr, das die Controller nicht zum Vibrieren bringt) verfügt, die alles andere als unerheblich für die Spielerfahrungen sind. Ein Spiel wie Alien: Isolation oder noch aktueller Hellblade: Senua’s Sacrifice ohne Ton zu spielen, scheint wenig sinnvoll. So muss sich der Spieler in Alien auf sein Gehör verlassen, um etwa über das Rumpeln in den Luftschächten auf das nahende Ungeheuer schließen zu können. In Hellblade wiederum ist es für die Spielerfahrung unverzichtbar, dass der Spieler die Stimmen im Kopf der von ihm gesteuerten Protagonistin Senua hört; sie lassen ihn nicht nur am Wahnsinn der Hauptfigur teilhaben, sondern geben ihm wertvolle Hinweise, wie er die Heldin erfolgreich durchs Spiel manövriert. So wenig Spiele heute in der Regel ohne Sound und haptisches Feedback auskommen, gilt auch, dass das Visuelle nicht unter allen Umständen notwendig für Computerspiele ist bzw. bleiben muss. So strotzt das Internet nur so von Videos, in denen Spieler z. B. den Klassiker Super Mario Bros. mit verbundenen Augen, allein auf Basis der Spieleklänge durchspielen – teils in Rekordgeschwindigkeiten. Wenn dies auch außergewöhnliche Arten des Spielens sind (genau das macht ja ihren Reiz aus), so zeigen solche Beispiele, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass sich der im Ausdruck ›Computerspiel‹ versammelte Phänomenbereich im Laufe der Zeit verschieben wird, so dass wir es irgendwann einmal mit rein auditiven Spielen zu tun haben werden. Stand jetzt ist der Ausdruck ›Computerspiel‹ unter Alltagsbedingungen aber gleichbedeutend mit ›Videospiel‹ und daher wollen wir hier annehmen, dass Computerspiele über eine visuelle Präsentation verfügen. Die Frage, die sich dann sogleich stellt, lautet, wie wir die visuelle Dimension von Spielen genauer zu bestimmen haben.
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Diese Frage führt ins Wespennest der digitalen Bilder. Nach einer gängigen Auffassung unterscheiden sich digitale Bilder prinzipiell von gewöhnlichen Bildern. Der Grund hierfür ist, dass digitalen Bildern ein Code zugrunde liegt, der typidentische Bilder ermöglichen soll. Digitale Bilder ähnelten somit Aufführungen von Partituren (siehe Abschnitt 2). Aber dieser Vergleich hinkt. Hiergegen spricht erstens, dass – im Gegensatz zum Verhältnis von Aufführung und Partitur – zwischen Bildvorkommnis und Code keine eineindeutige Beziehung vorliegt. Das heißt, dass während der Zuhörer mit ›absolutem Gehör‹ zumindest prinzipiell in der Lage ist, die Partitur zu erschließen, der Zuschauer selbst mit einem ›absoluten Blick‹ den zugrundeliegenden Code nicht entziffern können wird, da unterschiedliche Codes ein und demselben Bild zugrundliegen können. Überdies gilt auch umgekehrt, dass je nach ›Interpretation‹, d. h. der Art und Weise, wie er ausgelesen wird, derselbe Code Grundlage von völlig Verschiedenem sein kann (siehe hierzu auch Abschnitt 4). Selbst jedoch, wenn diese Schwierigkeiten nicht vorlägen, besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen digitalen Bildern und Musikaufführungen. Denn selbst, wenn wir für Bilder eine allgemeinverbindliche Syntax hätten, so dass wir sagen könnten, ein digitales Bild besteht aus x Pixeln der Typen T1–Tn, könnten die Bilder unterschiedlich sein. Der Grund hierfür ist, dass wir kein brauchbares Kriterium für Typidentität von Farbvorkommnissen haben. So wird es selbst bei zwei typidentischen Bildschirmen immer zu unterschiedlichen Farbnuancen kommen und somit zu unterschiedlichen Bildern. Dies ist ein Grund dafür, dass Videokünstler wie Matthew Barney die Vorführgeräte, auf denen ihre Arbeiten gezeigt werden, eigenhändig kalibrieren. Dies zeigt, dass digitale Bilder in dieser Hinsicht letztlich Drucken gleichen. Wenn wir Computerspiele als Mengen digitaler Bilder auffassen würden, müssten wir ihnen also einen ontologischen Status vergleichbar dem von Drucken zusprechen. Nun zeigt sich aber schnell, dass Computerspiele keine Mengen von digitalen Bildern sind, denn die Eigenschaft, digitale Bilder zu beinhalten, ist für Computerspiele weder notwendig noch hinreichend. Wir sagten zwar zu Beginn dieses Abschnittes, dass wir hier Computerspiele als Videospiele behandeln wollen, aber es ist nun eben nicht der Fall, dass es sich bei der visuellen Komponente von Videospielen um Bilder handeln muss. Um dies einzusehen, müssen wir uns lediglich rein textbasierte Rollenspiele wie MUD von 1978 oder das Phänomen des Computerschachs vor Augen führen. Die Visualisierungen beim Computerschach funktionieren (zumindest in der Regel) nicht als Bilder und auch nicht als Texte, sondern als notationale Diagramme. Notationen sind Symbolsysteme mit bestimmten syntaktischen und semantischen Merkmalen. Zu den syntaktischen zählt, dass wir jedes Vorkommnis eines Symbolsystems nur genau einem Typ zuschreiben können (so dass etwa klar ist, dass das Zeichen ›a‹ nur zum Typ des A-Buchstaben gehört) und zu den semantischen, dass die bezugnehmenden Zeichen weder redundant noch ambig sein dürfen. Normale Sprachen und Texte genügen den syntaktischen, aber nicht semantischen Anforderungen von Notationssystemen. Für Schachnotationen gilt dagegen, dass jeder kompetente Schachspieler nicht nur feststellen kann, ob verschiedene visualisierte Stellungen typidentisch sind (syntaktische Anforderung), sondern auch für jede reale dreidimensionale Schachstellung wissen, wie das notationale Display aussehen muss. In diesem Sinne gleichen Schachvisualisierungen
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Partituren. Digitale Bilder sind für Videospiele also nicht notwendig, da Visualisierungen auch wie (bzw. als) Texte oder Notationen funktionieren können. Das Beinhalten digitaler Bilder ist aber, wie gesagt auch nicht hinreichend für Computerspiele, denn offenbar ist eine auf einem Computerbildschirm ablaufende Diashow digitaler Bilder kein Computerspiel. Was also zur Eigenschaft, digitale Bilder zu beinhalten, hinzukommen muss, ist das genuin Spielerische (siehe Abschnitt 5). Und trotzdem gilt, dass ein sehr großer, ja der überwiegende Teil aktueller Computerspiele mit digitalen Bildern operiert. Wenn wir also auf den Anspruch verzichten universelle, d. h. ausnahmslos gültige Aussagen über Computerspiele zu treffen und uns stattdessen auf das bloß generisch Allgemeine beschränken, dann können wir sehr wohl davon sprechen, dass digitale Bilder einen wesentlichen Aspekt von Computerspielen ausmachen. Generische Aussagen lassen nämlich im Gegensatz zu Universalaussagen Ausnahmen zu und machen diese als Ausnahmen einer Regel allererst erkennbar (man denke etwa an die Satzfolge ›Katzen fangen gerne Mäuse, unsere Katze Mietzi aber nicht. Mit Mietzi stimmt etwas nicht.‹). An die generische Verbindung von Videospielen und digitalen Bildern lässt sich nun eine interessante Beobachtung über die Grenzen der Vervielfachung von digitalen Bildern und den mit solchen Bildern operierenden Spielen anknüpfen. Anders als es auf den ersten Blick scheinen mag, lassen sich digitale Bilder (und damit auch die entsprechenden Spiele) nicht beliebig vervielfachen. Grund hierfür ist der technische Wandel, d. h. digitale Bilder setzen neben dem Programm bestimmte Hardwarekonfigurationen voraus, die nicht mehr produziert respektive identisch reproduziert werden können (siehe auch den folgenden Abschnitt 4). Dies haben sie u. a. mit Designobjekten (man denke an den oben erwähnten Jaguar E-Type) oder Drucken gemeinsam. Digitale Bilder unterscheiden sich damit von Texten, die mehr oder minder beliebig in unterschiedliche Trägermedien reproduziert werden können. Wir könnten unsere Diskussion digitaler Bilder wie folgt resümieren: Nicht alle Computerspiele sind sich hinsichtlich ihres Bild- bzw. Nicht-Bild-Charakters gleich. Für die allermeisten Computerspiele, die das Medium gegenwärtig prägen, gilt, dass sie bildliche Aspekte umfassen. Computerschach als rein notational (damit nicht bildhaft) funktionierendes Zeichensystem stellt somit eine Ausnahme dar, die ontologisch anders beschaffen ist als das Gros heutiger Computerspiele. Fassen wir das Schachdisplay als Notation auf, spielt etwa der genaue Abstand zwischen den Figuren keine Rolle. Wichtig ist nur, dass jede Figur eindeutig auf einem Feld steht. Betrachten wir das Display dagegen als Bild, in dem zu sehen ist, worauf die Springer ihre Augen richten, können noch so kleine Unterschiede berechtigten Anlass für verschiedene Deutungen und somit gegebenenfalls Spielreaktionen geben. Beim Schach kann sich daher für einen kompetenten Spieler nicht die Frage stellen, ob sein König im Schach steht, dagegen kann es in einem Bild unklar sein, ob mich der Gegner sieht oder nicht oder vielleicht auch schielt. Wie wir gesehen haben, ist aber auch für diejenigen Spiele, die einen Bildcharakter haben, eben dieser nicht hinreichend, um sie zu Computer- bzw. Videospielen zu machen. Man sollte daher nicht den Fehler begehen, das Spielen von Spielen auf den ästhetischen Genuss von (digitalen) Bildern zu reduzieren. Dieser mag zwar mal mehr und mal weniger wichtig sein. Weniger wichtig ist er etwa bei einem Mehr-
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spieler-Taktik-Shooter wie Counter Strike. Was dort zählt, ist der taktisch-sportliche Aspekt, d. h. präzise diejenigen Spielzüge ausführen zu können, die dazu dienen, den Gegner möglichst effizient und effektiv auszuschalten; und genau für eine derartige Zielsetzung wäre eine Überbetonung des Bildlichen (etwa durch überbordende graphische Effekte) eher hinderlich. Andererseits gibt es (auch innerhalb des ShooterGenres) gegenteilige Beispiele, z. B. den eher narrativ als sportlich ausgerichteten Einzelspieler-Shooter BioShock Infinite, bei dem der Grafikstil und damit das Bildliche einen deutlich größeren Anteil am Spielgenuss ausmacht. In beiden Fällen gilt aber, dass für den Spieler letztlich der spielerische Genuss zählt, zu dem der ästhetische beitragen kann, aber eben nicht muss (siehe Computerschach). Was ist nun aus diesen Überlegungen im Hinblick auf die im vorherigen Abschnitt aufgeworfene Frage zu schlussfolgern, ob Computerspiele eher beliebig vervielfältigbaren Werken wie Romanen oder doch eher ontologisch mehrstufigen Werke wie Theaterinszenierungen oder Drucken gleichen? Wenn wir annehmen, dass a) (digitale) Bilder im Allgemeinen (wenn vielleicht auch nicht ausnahmslos, wie das Beispiel Computerschach zeigt) zu Spielen gehören, b) derartige Bilder als Realisierungen eines zugrundliegenden digitalen Codes verstanden werden können und c) sie aber nicht auf diese Codes reduzierbar sind, dann sind digitale Bilder – wie wir oben ausführlicher erläutert haben – ontologisch mehrstufig wie etwa Drucke. Spiele, die wesentlich mit solchen Bildern arbeiten, müssen daher auch selbst mehrstufig sein. Da selbst bildlastige Computerspiele aber offenbar nicht als bloße Bildermenge definiert werden können, müssen wir noch weiter fragen, wie die hier einschlägige ontologische Mehrstufigkeit genau beschaffen ist. Dazu scheint es uns unverzichtbar, sich etwas genauer anzuschauen, wie es bei Computerspielen unter der Haube aussieht.
4. Computer-Spiel: Software und Hardware Unsere bisherigen Überlegungen können wir vielleicht wie folgt zusammenfassen: Computerspiele sind Spiele, die auf Computern laufen und die Spielinhalte über Displays visualisieren, wobei die Visualisierung je nach Kontext als Bild, als Text, als Notation oder als Kombinationen aus diesen fungieren kann. In der Tat halten wir das für eine durchaus zutreffende, wenn auch noch zu grobe Bestimmung von Computerspielen. Entscheidend für unsere Zwecke ist es, den Zusammenhang von Visualisierung, Computertechnologie und Spielcharakter und damit die spezifische ontologische Mehrstufigkeit von Computerspielen richtig zu bestimmen. Betrachten wir, wie angekündigt, als nächstes den computertechnologischen Aspekt. Ein Computerspiel besteht aus einem Computerprogramm (der Software), das, grob gesagt, als eine Menge von Regeln (Algorithmen) verstanden werden kann, die jeder Eingabe eine bestimmte Ausgabe zuordnet. Zur Ausführung des Programms bedarf es eines entsprechenden Rechners, zur Visualisierung wiederum eines an den Rechner angeschlossenen und mit ihm kompatiblen Displays (Fernsehers, Monitors etc.). Schließlich bedarf es noch eines Eingabegeräts (Tastatur, Maus, Controllers, Joysticks etc.). Halten wir hier nun kurz inne und fragen uns, welche formale ontologische Struktur diesen Elementen zukommt.
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Das Computerprogramm gleicht, für sich allein betrachtet, einem Text, z. B. einem Roman. Wenn auch Computerprogramme in syntaktischer Hinsicht Notationen gleichen, sind sie es nicht in semantischer Hinsicht, da sie ambig sein können (der gleiche Code kann Grundlage unterschiedlicher Outputs sein bzw. unterschiedliche Codevorkommisse können das gleiche Displayereignis erzeugen). Worauf es bei der Software als Äquivalenzklasse von Zeichen ankommt, ist eine typidentische Zeichenfolge, wobei es egal ist, ob das Programm auf einem USB-Stick oder einer DVD gespeichert ist, genauso, wie es für die Identität eines Romans egal ist, ob er als Hardcover oder als Paperback vorliegt. Allerdings ist, wie eine kurze Reflexion zeigt, das Computerprogramm nicht das Spiel selbst (wohingegen der Roman natürlich der Roman ist), denn essentiell für das Spiel ist, dass die entsprechende Software von einem Rechner ausgeführt und in visualisierter Form zugänglich gemacht wird. Wäre das Programm schon das Spiel selbst, dann müssten wir absurderweise behaupten, dass es für einen kompetenten Softwareingenieur im Prinzip dasselbe ist, einen Quellcode zu lesen und ein Spiel zu spielen. Der Programmcode muss also ›aufgeführt‹ werden, damit aus ihm ein Spiel wird. Diesen Punkt haben wir im vorhergehenden Abschnitt auch schon für digitale Bilder geltend gemacht, hier allerdings sehen wir nun, dass diese Mehrstufigkeit auch gilt, wenn wir nur Notationen auf einem Bildschirm zu sehen bekommen. Denn auch dann ist der Text des Programmcodes zu unterscheiden von der visualisierten Notation des Spiels (etwa in Form eines Schachbretts). Aufgrund der textuellen Verfasstheit des Codes scheint nun insbesondere die Theaterinszenierung ein hilfreiches Vergleichsobjekt darzustellen. Sowohl beim Computerspiel als auch bei der Theaterinszenierung haben wir nämlich eine Textebene (Computerprogramm bzw. Regiebuch) und darauf aufbauend deren (audio-)visuelle Instanziierung. Im Theater vollzieht sich diese auf einer Bühne, beim Computerspiel auf einem Display. Ein entscheidender Unterschied zwischen Theaterinszenierung und Computerspiel, der sogleich ins Auge springt, ist, dass die Ausführung des Programms durch einen Rechner keiner künstlerischen Interpretation bedarf und noch nicht das eigentliche Spielereignis darstellt, wohingegen die Aufführung eines Regiebuchs schon ein vollwertiges Aufführungsereignis ist. Starten wir nämlich etwa unsere Playstation 4 und legen ein Spiel ein, so bekommen wir erstmal nur einen Startbildschirm auf unserem Fernseher zu sehen. Das Spielereignis selbst bedarf zusätzlich wiederholter Eingaben durch den Spieler. Die für das Spiel wesentlichen Visualisierungen auf dem Display werden also nicht automatisch, sondern in Abhängigkeit vom Input des Spielers erzeugt. Computerspiele bekommen dadurch im Vergleich zu Theaterinszenierungen eine weitere, dritte ontologische Komponente. Neben dem Programmcode und der rechnervermittelten Aufführung qua Visualisierung gibt es die Ebene der Spielereingabe. Durch diese kommt es dann zu einer neuen, durch den Programmcode festgelegten und den Rechner herbeigeführten Visualisierung, auf die wiederum eine Spielereingabe folgt usw. Dies macht die spezifische Interaktivität von Computerspielen aus, die sich von einem landläufigen Begriff der Interaktion, wie wir ihn auch für das Betrachten von Gemälden oder das Lesen von Büchern anführen können, unterscheidet. Bevor wir diese Interaktivität im nächsten Abschnitt näher untersuchen, wollen wir aber noch auf einen wichtigen Punkt eingehen, der das Verhältnis von Software (Programmcode) und Hardware (ausführenden Rech-
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ner) betrifft und aus dem ersichtlich werden wird, dass ein bestimmter Code nicht nur nicht hinreichend ist für das Spiel (diesen Punkt haben wir bereits diskutiert), sondern dass er auch nicht notwendig ist für die Identität eines Spiels. Der Programmcode selber umfasst mehrere Ebenen. In einer stark vereinfachten, für unsere Zwecke aber hoffentlich hinreichenden Darstellung, gilt es vor allem zwischen dem Quellcode, der in einer vom Menschen lesbaren Programmiersprache verfasst wird, und dem Maschinencode, bei dem es sich um einen Code in einer vom Rechner ausführbaren Programmsprache handelt, zu unterscheiden. Um vom Quellcode zum Maschinencode zu gelangen, bedarf es eines Übersetzungsprogramms, des sogenannten Compilers. Dieser erstellt (›kompiliert‹) den Maschinencode aus dem Quellcode. Entscheidend ist nun, dass der zu kompilierende Maschinencode abhängig ist von der spezifischen Plattform, auf der das Programm laufen soll, wobei der Ausdruck ›Plattform‹ sowohl die spezifische Hardware (vor allem die ProzessorArchitektur) als auch das spezifische Betriebssystem des Rechners meint. Daher benötigen Spiele mehr oder weniger komplexe Anpassungen des Programmcodes (sogenannte Portierungen), wenn sie von einer Plattform auf eine andere, sagen wir etwa von einem Arcade-Automaten auf den PC und vom PC auf die Playstation 4, übertragen werden sollen. Aus dieser Kopplung von Software und Hardware folgt, dass wir die Typidentität von Spielen nicht auf die Identität des Codes stützen können, auch nicht im Sinne einer notwendigen Bedingung. Denn wenn wir die Typidentität eines Spiels an einen spezifischen Code knüpfen würden, dann müssten wir auch sagen, dass es sich bei einem Spiel wie dem Rollenspiel-Hit aus der Elder Scrolls-Reihe Skyrim, das für den PC, die Playstation 3, die Xbox 360, die Playstation 4 und die Xbox One erschienen ist, aufgrund der unterschiedlichen plattformspezifischen Codes eigentlich nicht um ein, sondern um mehrere Spiele handelt. Wir müssten also zwischen SkyrimPC, SkyrimPS4 usw. als verschiedenen Spielen unterscheiden. Dies läuft aber unserem tatsächlichen Sprachgebrauch stark entgegen. So sprechen wir schlicht davon, dass wir Sykrim gespielt haben und ergänzen dann unter Umständen, ob wir dies auf dem PC oder der Playstation getan haben. Andererseits mag man einwenden, dass Spielekritiker einem Spiel wie Skyrim je nach Plattform unterschiedliche Bewertungen geben. Dennoch gilt, dass die Gemeinschaft kompetenter Sprecher (d. h. die Spieler) für gewöhnlich von verschiedenen Versionen eines Spiels statt von verschiedenen Spielen spricht. Anders verhält es sich allerdings, wenn wir es nicht mit Portierungen, sondern mit sogenannten Remasters, bei denen ein Spiel technisch (meist graphisch) und manchmal auch spielerisch verändert wird, um es an moderne Spielestandards anzupassen, oder mit sogenannten Remakes – kompletten Neuprogrammierungen eines alten Spiels – zu tun haben. Hier wären wohl nur wenige bereit, Original und Remaster bzw. gar Original und Remake als ein und dasselbe Spiel zu bezeichnen. Ein weiterer Beleg dafür, dass das Kriterium für die Typidentität von Spielen nicht im Programmcode zu suchen ist, liegt darin, dass vor allem aktuelle Spiele auch nach der Veröffentlichung durch ›Patches‹, ›Bugfixes‹ und ›DLCs‹ (Akronym für engl. ›downloadable content‹) gewartet, verbessert und erweitert werden. So kommt kaum ein größeres Spiel heute noch ohne einen sogenannten Day-One-Patch aus, der noch am Erscheinungstag den Programmcode verbessert. Viele der aktuellen
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Kassenschlager wie Minecraft, Overwatch oder Destiny laufen sogar unter der Kategorie ›games as a service‹. Es handelt sich dabei um Spiele, die nicht als für alle Zeiten fertiges Produkt in den Handel kommen, sondern ständig mit neuen Inhalten versorgt werden, um die Spielerschaft über einen langen Zeitraum zu binden. Diese Beispiele machen klar: Die Identität des Programmcodes ist also weder hinreichend noch notwendig, um die Typidentität eines Computerspiels zu gewährleisten. Alles was wir sagen können, ist, dass es notwendig für Computerspiele ist, dass ihnen überhaupt ein Programmcode zugrunde liegt. Wir sind also bereit, mangelnde Identität beim Programmcode zu ignorieren, solange das Spielgeschehen auf behavioristischer Ebene, sprich durch reine Beobachtung der Spielvorgänge (zumindest im Großen und Ganzen) nicht unterschieden werden kann. Interessanterweise gilt diese Toleranz in Bezug auf die Variabilität des Codes auch für die unterschiedlichen Aus- und Eingabegeräte. Ob wir ein aktuelles Konsolenspiel über einen HD- oder 4K-Fernsher spielen, ändert nichts am Spiel, obwohl es durchaus zu einer anderen Spielerfahrung führt. Analoges gilt für die unterschiedlichen Möglichkeiten, ein und dasselbe Spiel entweder mit Controller oder aber mit Maus und Tastatur zu spielen. Das Sein von Computerspielen kann also nicht im Programmcode liegen. Kommt es also doch nur auf die uns präsentierten visuellen Zeichen an? Eine solche Schlussfolgerung hatten wir bereits weiter oben (in unserem Abschnitt über digitale Bilder) als fehlerhaft zurückgewiesen. Was nämlich bei einer rein wahrnehmungstheoretischen Auffassung von Computerspielen verloren geht, ist der Umstand, dass wir es nicht mit zu rezipierenden Kunstwerken, sondern mit Spielen zu tun haben. Vielleicht führt uns die Untersuchung des genuin Spielerischen von Computerspielen zu einem adäquaten Kriterium für ihre Typidentität.
5. Spiel: Interaktion, Spaß und Regeln Es ist ungemein schwierig zu bestimmen, was ein Spiel ist. Wo im Deutschen ein Ausdruck (›Spiel‹) einen einheitlichen Phänomenbereich suggeriert, kennt das Englische die Ausdrücke ›play‹ und ›game‹, ohne aber eine sie einendes Drittes nennen zu können. Ludwig Wittgenstein hat mit Verweis auf die enorme Vielfalt der unter dem Ausdruck ›Spiel‹ versammelten Tätigkeiten die Position vertreten, dass es gar keinen allen Spielen gemeinsamen Wesenskern gibt – bei manchen Spielen zählt das Glück, bei anderen das Geschick, bei manchen geht es ums Gewinnen, bei manchen nicht, manche spielt man allein, andere zu mehreren usw. –, sondern nur Familienähnlichkeiten zwischen verschiedenen Spielformen: Betrachte z. B. einmal die Vorgänge, die wir »Spiele« nennen. Ich meine Brettspiele, Kartenspiele, Ballspiele, Kampfspiele, u. s. w. Was ist allen diesen gemeinsam? – Sag nicht: »Es muß ihnen etwas gemeinsam sein, sonst hießen sie nicht ›Spiele‹« – sondern schau, ob ihnen allen etwas gemeinsam ist. – Denn, wenn du sie anschaust, wirst du zwar nicht etwas sehen, was allen gemeinsam ist, aber du wirst Ähnlichkeiten, Verwandtschaften, sehen, und zwar eine ganze Reihe. (Wittgenstein 2003, § 66)
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Wenden wir diesen Gedanken auf Computerspiele an, dann ergeben sich die folgenden drei Überlegungen: Erstens können wir Computerspiele in die Liste der Spiele mit aufnehmen (Kartenspiele, Ballspiele, Rollenspiele, Computerspiele...). Zweitens vereint der Ausdruck ›Computerspiel‹ selbst ganz unterschiedliche Spiele (Sportspiele, Point-and-Click-Adventures, Action-Adventures, Rätselspiele, Echtzeitstrategiespiele, Rundenstrategiespiele, Shooter, Rollenspiele, narrative Entscheidungsspiele, Jump-and-Run-Spiele etc.; und quer dazu: Einzel-u. Mehrspielerspiele, Online- und Offlinespiele usw.). Drittens beinhaltet der Terminus ›Computerspiel‹ auch computerbasierte ›Duplikate‹ von herkömmlichen Spielen (z. B. das bereits vielbeschworene Computerschach, aber auch Sportspiele). Ein weiteres, von den Wittgensteinschen Überlegungen unabhängiges Argument dafür, dass der Spielbegriff nicht im strengen Sinne zu definieren ist, findet sich beim Kulturtheoretiker Johan Huizinga. Dieser beschreibt in seinem Werk Homo Ludens (urspr. 1938) das Spiel als »selbststände Kategorie« (Huizinga 2015, 14). Die Kategorie des Spiels ist ihm zufolge also zum einen sui generis, d. h. nicht zurückführbar auf etwas Nicht-Spielerisches. Zum anderen ist das Spiel eben eine Kategorie, d. h. etwas, das die menschliche Erfahrung und Existenzweise derart grundlegend bestimmt, dass wir es definitorisch nicht erfassen können. Wir verstehen die Dinge vor dem Hintergrund der kategorialen Unterscheidung zwischen Spiel und NichtSpiel. Die kategoriale Verfasstheit des Spielbegriffs ist daher der Grund, warum wir den Begriff des Spiels auch nicht über einen Kontrastbegriff, z. B. ›Ernst‹, erfassen können. Denn wie Huizinga mit seinem ausgeprägten Gespür für dialektische Umschlagsbewegungen zeigt, kann das Spiel sich auch in der Form heiligen oder auch tödlichen Ernstes manifestieren (vgl. Huizinga 2015, 14). Dass man etwas nicht im gewöhnlichen Sinne definieren kann, heißt aber natürlich nicht, dass man darüber schweigen muss. So ist es etwa ohne Weiteres mit dem Status des Spiels als Kategorie sui generis vereinbar, ›formale Kennzeichen‹ (vgl. Huizinga 2015, 15–20) des Spiels anzugeben. Was für Spiele im Allgemeinen gilt, gilt natürlich auch für den Fall der Computerspiele. Zu sagen, dass Wesensbestimmungen (z. B. als Set von notwendigen und hinreichenden Bedingungen) von Computerspielen nicht möglich sind, heißt also nicht, dass es nicht möglich und sinnvoll wäre, das Sein von Computerspielen durch formale Kennzeichnen, die in der Regel oder typischerweise (aber eben nicht immer) zutreffen, zu beschreiben. Wir haben zwei solcher Kennzeichen ja auch schon identifiziert, nämlich dass Computerspiele über visuelle Outputs verfügen und dass diese Visualisierungen auf Basis eines Programmcodes laufen, der an spezifische Computerhardware gekoppelt ist. Ein drittes Kennzeichen, nämlich die für Computerspiele spezifische Interaktivität, hatten wir bereits erwähnt. Auf sie wollen wir nun näher eingehen. Man kann den Ausdruck ›Interaktivität‹ einmal in einem eher gewöhnlichen Sinne gebrauchen. Dann meint er ein wechselseitiges Aufeinanderwirken (mindestens) zweier Personen. Wenn man diesen Ausdruck lose gebraucht, dann kann man ›Interaktivität‹ auch ausweiten auf das Wechselspiel zwischen nicht-personalen Lebewesen (z. B. Tieren) einerseits und zwischen Personen und bestimmten Gegenständen, wie Kunstwerken, andererseits. Ein Gemälde zu betrachten, wäre dann ›interaktiv‹ zu nennen, insofern einerseits das Bild in seiner materiellen Beschaffenheit auf die betrachtende Person wirkt und andererseits die Person durch ihre Wahr-
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nehmungs- und Interpretationsleistung auf das Bild zurückwirkt und so aus einer Menge an Farbklecksen allererst ein bestimmtes Gemälde, z. B. ein Porträt, (mit)entstehen lässt. Ob eine derartige Ontologie der Malerei, die das Sein von Gemälden in der ›Interaktion‹ von materieller Bildstruktur und Betrachter verortet (vgl. in diese Richtung vor allem Walton 1990), zutreffend ist oder nicht, soll hier nicht unser Problem sein. Wir führen dieses Beispiel nur an, um den Interaktionsbegriff, den wir bei Computerspielen am Werk sehen, hiervon zu unterscheiden. Die besondere (wenn auch, wie wir weiter unten noch sehen werden, ihnen nicht exklusiv zukommende) Interaktivität von Computerspielen besteht nun darin, dass die uns über ein Display gezeigten Zeichen (mögen sie als Bilder oder als Notationen funktionieren – um was von beiden es sich handelt, scheint vom Kontext und unserer Interpretation abzuhängen) in ihrer Materialität von uns abhängen. Was auf dem Display erscheint, ist nämlich dadurch bedingt, welche Eingabe wir tätigen und welche Eingabe wir tätigen, hängt wiederum davon ab, welche Ausgabe uns gerade präsentiert wird. Für die Art und Weise, wie der Spieler diese Mensch-MaschineInteraktion von Computerspielen erlebt und gestaltet, d. h. für die Gesamtheit der in diesem Spiel für ihn möglichen Interaktionen steht der Ausdruck ›Gameplay‹. Jedes Computerspiel hat, egal wie minimalistisch oder komplex, irgendeine Form von Gameplay. Etwas inhaltlich Verwandtes zu dem, was wir ›Interaktivität‹ nennen, taucht in der Fachliteratur auch unter dem Titel der Ergodizität auf; ein Ausdruck der vom Computerspieleforscher Espen Aarseth eingeführt wurde. Ergodisch ist nach Aarseth ein Text oder Spiel, wenn der Rezipient einen mehr als nur trivialen (»nontrivial«, Aarseth 1997, 1) Aufwand betreiben muss, um durch den Text oder das Spiel zu kommen. Der Interaktivitätsbegriff scheint uns aber sowohl sprachlich als auch inhaltlich passender zu sein, wäre es doch z. B. irreführend, den für James Joyce’s Ulysses nötigen Lektüreaufwand als trivial zu bezeichnen, ohne dass wir deshalb schon von einem interaktiven Roman sprechen wollen würden. Doch kehren wir zurück zu dem auf der Interaktivität von Spielen basierenden Gameplay. Das Gameplay ist in einem zweifachen Sinne regelbasiert. Zum einen finden wir Regeln auf der Ebene der Algorithmen des Computerprogrammes, d. h. Programmregeln (siehe Abschnitt 4). Zum anderen haben wir es mit den Regeln zu tun, die der Spieler erlernen muss, d. h. Spielregeln im engeren Sinne. Hierbei können wir mindestens drei Unterarten unterscheiden (eine nähere Betrachtung würde wohl weitere Feinunterscheidungen zu Tage fördern). Da wären erstens die Regeln, die bestimmen, auf welche Art und Weise der Spieler überhaupt mit dem ihm über das Display präsentierten Zeichensystem interagieren kann. Diese Regeln bewerten die Züge (Inputs) des Spielers als zulässig/möglich/durchführbar oder unzulässig/ unmöglich/undurchführbar. Derartige konstitutive Regeln scheint es für alle Spiele und nicht nur für Computerspiele zu geben, also selbst dort, wo ein Kind allein spielt, indem es einen Ball gegen das elterliche Garagentor wirft. Die Regeln eines solchen Kinderspiels (»Wirf den Ball gegen das elterliche Garagentor!« vs. »Wirf die Frisbeescheibe zwischen den parkenden Autos hindurch!«) sind natürlich fluide, wohingegen sie beim Computerspiel deutlich stabiler sind, weil sie nicht durch die willkürliche Fantasie eines Kindes, sondern durch ein Computerprogramm aufrechterhalten werden. Im Prinzip funktionieren solche Regeln aber gleich, insofern
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sie das Spiel über Bestimmung der grundsätzlich zulässigen Spielhandlungen konstituieren. Zweitens gibt es Strategieregeln, die angeben, wie der Spieler mit dem Spiel als Zeichensystem interagieren muss, um bestimmte Outputs zu erzeugen, wobei es dem Spieler obliegt, welche Outputs er erzeugen möchte. Diese Regeln haben also die mögliche Verkettung von Zügen unter Maßgabe eines selbstgewählten Ziels zum Gegenstand. Schließlich gibt es drittens Regeln (man könnte von ›Ziel-‹ oder ›Gewinnregeln‹ sprechen), die festlegen, wie der Spieler mit dem Spiel interagieren muss, um diejenigen Ziele zu erreichen, die für die Fortsetzung des Spiels und letztlich zur Erreichung des Spielziels als notwendig vorgegeben sind. Diese Regeln bewerten die Züge als richtig/zielführend oder falsch/nicht zielführend. Nicht jedes Computerspiel verfügt dabei über alle drei der genannten Unterarten von vom Spieler zu erlernenden Regeln. So haben bestimmte Simulationsspiele (man denke etwa an die Spielreihe The Sims) bzw. die ›Sandbox‹-Modi bestimmter Spiele keine vorgegebenen Ziele, die man erreichen müsste, um das Spiel durchzuspielen. Nicht jedes Spiel kann man ›durchspielen‹, nicht in jedem Spiel geht es ums Gewinnen. Wie verhalten sich aber nun die vom Spieler zu erlernenden Regeln zu den Regeln des Codes, d. h. Algorithmen des Computerprogramms? Dies ist eine Variation der oben (Abschnitt 4) gestellten Frage nach dem Verhältnis von Programmcode und Visualisierung. Zweifellos basieren die erlernbaren Spielregeln in folgendem Sinne auf den Computeralgorithmen: Gäbe es keine Computeralgorithmen, dann gäbe es auch das Computerspiel nicht, sprich keine erlernbaren Spielregeln. Andererseits scheint zu gelten: Die Spielregeln lassen sich nicht auf die Computeralgorithmen reduzieren. Wir haben ja schon diskutiert, dass es auf den Code letztlich nicht ankommt, sondern auf das für den Spieler sichtbare interaktive Zeichensystem. Das Verhältnis scheint uns am ehesten eines der Supervenienz zu sein: Jeder visualisierte Spielezustand S basiert auf einem Zustand im Computerprogramm C und zwar derart, dass es keine Änderung hinsichtlich S gibt, ohne eine Änderung in C. Sehr wohl möglich ist es aber, Änderungen in C zu haben, ohne dass es dadurch zu Änderungen in S kommt. Ebenso möglich ist es – zumindest prinzipiell – dass S über eine alternative Supervenienzbasis CA realisiert wird. Die von uns gerade identifizierte Interaktivität des Gameplays ist nun aber kein Alleinstellungsmerkmal von Computerspielen. Sie eignet nämlich, wie Dominic McIver Lopes (ders. 2001) gezeigt hat, auch interaktiver Kunst (die übrigens keine Computer-Kunst sein muss). Der Versuch, interaktive Kunst von Spielen abzuheben, erscheint daher müßig. Denn durch das Merkmal der Interaktivität verfügt interaktive Kunst über einen offenkundig spielerischen Charakter. Computerspiele wiederum verfügen, wie im Laufe unseres Textes hoffentlich deutlich geworden ist, in der Regel über einen ausgeprägt ästhetischen Charakter (s. Kap. »Kunst« sowie Feige 2015 und Tavinor 2009). Wollte man nun Spaß zum Unterscheidungskriterium erheben und sagen, bei Spielen gehe es primär um Spaß, Kunst hingegen sei eine ernste Sache, man wäre sofort widerlegt. Sind Shakespeares Komödien denn keine Kunst? Was ist mit einem Spiel wie This War of Mine, das den Überlebenskampf von Zivilisten in Kriegsgebieten simuliert und offenkundig gar keinen Spaß machen soll (was es nicht davon abhält, ein herausragendes Spiel zu sein)? Am ehesten könnte noch folgendes Kriterium zur Unterscheidung von interaktiver Kunst und Computerspielen dienen: Während Videospiele im Allgemeinen (wir sprechen auf generische,
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nicht universelle Weise!) Massenprodukte sind, handelt es sich bei interaktiver Kunst um elitäre Einzelanfertigungen. Videospiele gleichen in dieser Hinsicht daher eher Massenkunstgegenständen wie Filmen oder designten Industrieprodukten wie beispielsweise Autos (der Jaguar E-Type lässt uns nicht los). Bleibt noch die Frage, ob uns der Interaktivitätsbegriff (der Begriff des Gameplays) weiterhilft, ein Kriterium für die Typidentität von Spielen zu finden. Ja und nein. Wenn wir nämlich sagen, dass es bei einem Spiel auf das spezifische Gameplay ankommt, so ist dies richtig. Nun sind aber die Visualisierungen offenbar Teil des Gameplays. Für diese aber haben wir kein strenges Kriterium der Typidentität finden können. Daher scheinen wir auch in Bezug auf die Typidentität von Gameplay in der Luft zu hängen. Aber hier scheint uns nun erneut der Vergleich zum Auto als Designobjekt weiterzuhelfen. Denn auch der Jaguar E-Type ist ein interaktiver Gegenstand in unserem Sinne (allerdings mit dem Unterschied, dass die Anzahl möglicher Interaktionen beim Jaguar nicht festgelegt ist): Der Output des Autos (sein reales Fahrverhalten) hängt vom Input des Fahrers ab. Und auch der E-Type basiert auf einer bestimmten Blaupause, ohne jedoch mit ihr identisch zu sein. Ja, es gibt sogar verschiedene Prototypen, Serien und Limited Editions, mit jeweils unterschiedlichen technischen Spezifikationen. Die Typidentität des Jaguar E-Type wird, jeweils für sich allein genommen, weder durch die Blaupause, das Material oder die besondere Fahrer-Auto-Interaktion definiert, sondern durch eine besondere Herstellungsgeschichte, die die genannten Faktoren kausal miteinander verknüpft. Eben dies scheint uns auch bei Computerspielen der Fall zu sein. Die Typidentität des Spiels liegt in der kontingenten historischen Verknüpfung von spezifischer Software, Hardware, Input- und Outputgeräten und der Interaktivität (bzw. dem Gameplay). Das Spiel ist diese Verknüpfung; eine Verknüpfung, die durch den Entwickler auch nach der ersten Veröffentlichung noch weiter modifiziert werden kann.
6. Synopsis, Verhältnis zu alternativen Theorien und Pong als Prüfstein Wir haben in den vorhergehenden Abschnitten vor allem zwei ontologische Fragen behandelt. Erstens ging es darum, was einen Gegenstand zu einem Computerspiel macht. Zweitens diskutierten wir, was ein Computerspiel zu einem macht, d. h. was die Identitätskriterien von Computerspielen sind. Wenn wir unsere Gedanken zur ersten Frage zusammenzufassen, dann kommen wir auf folgende Bestimmung: Notwendige Eigenschaften von Computerspielen sind a) regelbasierte Interaktivität (bzw. Gameplay), b) Input- und Outputelemente (mit einem Schwerpunkt auf der Ausgabe visueller Zeichen über ein Display), c) ein Computerprogramm, auf dem die Gesamtheit der im Spiel möglichen Interaktionen superveniert, ohne darauf reduzierbar zu sein, d) Hardware in Form eines Rechners, der zur Ausführung des Computerprogramms notwendig ist. Computerspiele verfügen also über einen Textcode als Basis sowie eine nicht-textuale Aufführungsebene in Form des visualisierten Gameplays. Zu diesen notwendigen Bedingungen, die auch für interaktive Computerkunst gelten, kommen ›Symptome‹ hinzu, die weder notwendig noch hinreichend sind,
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aber im Allgemeinen als Merkmale von Computerspielen anzuführen sind. Gemeint ist der Umstand, dass es sich bei Computerspielen um von Spieldesignern entwickelte serielle Massenprodukte handelt, die in der Regel Spaß machen und ästhetische Freude vermitteln. Was die zweite der genannten Fragen, d. h. die Typidentität von Computerspielen angeht, so gleichen sie interaktiven seriellen Produkten wie Autos, deren Exemplare jeweils aufgrund einer historisch legitimierten kausalen Verbindung Vorkommnisse eines bestimmten Typs sind. Das Spiel selbst besteht aus der Klasse aller in diesem Sinne (durch die Entwicklungsgeschichte festgelegten) typidentischen Interaktionsvorkommnisse. Wir wollen nun noch skizzieren, wie sich unsere Sichtweise auf die Ontologie von Computerspielen zu den in der Forschungsliteratur vertretenen Theorien verhält. Grob gesprochen lassen sich vier Ansätze unterscheiden (vgl. für die folgende Darstellung Tavinor 2009, Kap. 2). Erstens gibt es den narratologischen Ansatz zu Computerspielen, der diese als besondere Form von Erzählungen versteht und daher mit erzähltheoretischen Mitteln untersucht. Gegen derartige Forschung ist natürlich nichts einzuwenden, ist es doch offenkundig, dass sehr viele Spiele Geschichten erzählen und dazu zu besonderen, ihrem Medium eigentümlichen Mitteln greifen. So wichtig und erhellend es auch sein mag, etwas über die Erzählkunst von Computerspielen zu erfahren, zur ontologischen Bestimmung von Computerspielen scheint ein solcher Ansatz nur begrenzt geeignet. Schließlich gibt es viele Spiele, die keine Geschichten erzählen und außerdem ist das Geschichtenerzählen offenbar auch nichts, was exklusiv auf Computerspiele zutreffen würde. Die zweite große Theorieströmung, die sogenannte Ludologie, scheint hier besser aufgestellt zu sein. Spieleforscher wie Espen Aarseth (ders. 1997) oder Jesper Juul (ders. 2005) versuchen daher, Computerspiele als besondere Form von Spielen zu bestimmen. Nach Juul funktionieren die meisten Computerspiele wie herkömmliche Spiele. Unter herkömmlichen Spielen versteht Juul aber nur solche, für die im Englischen der Ausdruck ›games‹ steht und zu denen die Eigenschaft gehört, durch regelbasiertes Handeln einen eindeutigen Endzustand (›gewonnen‹/›verloren‹) herbeizuführen. Daher sieht er sich gezwungen, manche Computerspiele, die keinen derartigen Endzustand haben, wie z. B. die Lebenssimulation Sims, gar nicht als Spiele (im Sinne von ›games‹), sondern als Simulationen zu klassifizieren, die als interaktive Fiktionen verstanden werden können. Die Kategorie der interaktiven Fiktion ist damit der dritte mögliche Ansatz, der aber offenkundig ebenfalls nur für manche Spiele einschlägig ist. Grant Tavinor hat im Anschluss an Juuls doppelte Bestimmungen von Computerspielen als zielorientierte Spiele (›games‹) einerseits und als interaktive Fiktionen andererseits als vierten möglichen Ansatz eine disjunktive Definition vorgeschlagen, die beide genannten Aspekte mithilfe einer oder-Klausel miteinander verbindet: X is a videogame if it is an artifact in a visual digital medium, is intended as an object of entertainment, and is intended to provide such entertainment through the employment of one or both of the following modes of engagement: rule and objective gameplay or interactive fiction. (Tavinor 2009, 26)
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Im Groben ist unser Bestimmungsversuch hiermit in Übereinstimmung. Auch wir halten Computerspiele für Artefakte in einem visuellen digitalen Medium und auch wir bestehen auf deren Interaktivität, die im Gegensatz zu uns von Tavinor jedoch in regelbasiertes und zielorientiertes Gameplay einerseits und interaktive Fiktionen andererseits aufgeteilt wird. Im Detail sind wir allerdings vor allem aus drei Gründen skeptisch, was Tavinors disjunktiven Definitionsversuch angeht. Erstens ist es uns wichtig, das digitale Medium im Hinblick auf seine Zusammensetzung aus Software, Hardware sowie Input- und Outputelementen zu bestimmen. Zweitens scheint uns die Bestimmung des Computerspiels als etwas, was nicht nur in der Regel, sondern notwendigerweise zu Entertainment-Zwecken hergestellt ist, je nach Entertainmentbegriff entweder falsch (Entertainment als Spaß) oder aber nicht hinreichend, um Computerspiele von interaktiver Computerkunst zu unterscheiden (Entertainment als etwas, das unsere Aufmerksamkeit bindet). Drittens scheint die von Tavinor vorgeschlagene Disjunktion einerseits unnötig und andererseits unvollständig zu sein. Denn wenn es auch stimmt, dass nicht alle Spiele ›objective gameplay‹ besitzen, d. h. nicht über Ziel- oder Gewinnregeln verfügen, so eignet ihnen doch allen Interaktivität auf Basis konstitutiver Regeln und damit Gameplay überhaupt (vgl. Abschnitt 5). Wo das Englische zwischen ›game‹ (zielorientiertes Spiel) und ›play‹ (nicht zielorientiertes Spiel) unterscheidet, können wir im Deutschen schlicht von Spielen sprechen und dabei beidem regelbasierte Interaktivität, das auf Spielerseite als Gameplay erlebt wird, als notwendige Eigenschaft zuschreiben. Unvollständig ist die Disjunktion wiederum dahingehend, dass sie die mögliche Vielfalt von Spielen unterschätzt. Warum sollte es nicht auch Computerspiele geben, die als freies, d. h. zielloses Spiel funktionieren, ohne aber eine bestimmte Fiktion aufrechtzuerhalten (z. B. eine Art Pong als freies Spiel ohne Gewinnregeln)? Die Stärke einer disjunktiven Definition scheint zu sein, dass sie die Wittgensteinsche Beobachtung von der auf Familienähnlichkeit beruhenden Vielfalt von Spielen zumindest im Prinzip anerkennt. Die Schwäche hingegen scheint zu sein, dass sie die Gestalt und damit die Anzahl möglicher Familienmitglieder künstlich definitorisch beschränkt. Wir halten es daher alles in allem für zurückhaltender, aber dafür ontologisch angemessener, gänzlich auf den Anspruch zu verzichten, eine endgültige Definition von Spielen in Form notwendiger und hinreichender Bedingungen zu geben und beschränken uns stattdessen auf die oben genannten notwendigen Bedingungen und bestimmte Symptome, die im Allgemeinen (wenn auch nichts ausnahmslos) darauf schließen lassen, dass wir es mit einem Spiel zu tun zu haben. Zur Überprüfung der Plausibilität unserer bisherigen Überlegungen betrachten wir das klassische Videospiel Pong, das 1972 vom Entwickler Allan Alcorn für Atari entwickelt wurde. Pong erschien zunächst in Form von Arcadeautomaten. 1975 brachte Atari dann die Konsolenversion Home Pong für den heimischen Fernseher auf den Markt. Durch den riesigen Erfolg erschienen schon kurz darauf zahlreiche Pong-artige Spielkonsolen anderer Hersteller sowie neue Pong-Versionen von Atari. In Bezug auf die Frage, was Pong zu einem Computerspiel macht, ergibt sich aus unseren obigen Überlegungen, dass wir nach den notwendigen Bedingungen und den computerspieltypischen (aber nicht notwendigen) Symptomen suchen müssen. Was die besagten Symptome angeht, so treffen sie offenkundig auf Pong zu. So handelt es
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sich bei Pong um ein von Spieldesignern entwickeltes serielles Massenprodukt, das in der Regel Spaß macht und ästhetische Freude vermittelt. In Hinblick auf die notwendigen Bedingungen von Computerspielen verhält es sich, wie wir gleich sehen, durchaus komplizierter. Gehen wir die Bedingungen Punkt für Punkt durch: a) Regelbasierte Interaktivität (Gameplay): Mithilfe der an den Arcadeautomaten und Heimkonsolen gleichermaßen befindlichen Drehknöpfe können wir den ›Schläger‹ hin und her bewegen und dadurch nach den vorgegebenen (Spiel-) Regeln auf das Spielgeschehen Einfluss nehmen. b) Input- und Outputelemente (mit einem Schwerpunkt auf der Ausgabe visueller Zeichen): Für die visuelle Ausgabe gibt es den in den Arcadeautomaten integrierten Bildschirm bzw. den Fernseher, an den die Heimkonsole angeschlossen wurde. Analoges gilt für die Ausgabe der Spielesounds. Schließlich haben wir die bereits erwähnten Drehknöpfe zur Steuerung der Schläger. c) Ein Computerprogramm, auf der die Gesamtheit der im Spiel möglichen Interaktionen superveniert, ohne darauf reduzierbar zu sein sowie d) Hardware in Form eines Rechners, das zur Ausführung des Computerprogramms notwendig ist: Bezüglich dieser beiden Punkte müssen wir nun erstaunt feststellen, dass Pong sie nicht erfüllt! Denn weder die Arcadeversion von Pong noch Home Pong verfügen über einen Programmcode oder eine CPU. Stattdessen funktionieren beide Spiele auf Basis festverdrahteter Schaltkreise. Wenn Pong also nicht auf Computertechnologie basiert, dann kann es sich auch nicht um ein Computerspiel handeln. Wird aber nicht gerade Pong gemeinhin zu einem der Urväter des Computerspiels erklärt? Wir sehen folgenden Ausweg aus der Misere: Wenn wir nicht darauf bestehen, dass die Ausdrücke ›Computerspiel‹ und ›Videospiel‹ unter allen Umständen bedeutungsgleich sind, dann können wir Pong als Videospiel bezeichnen und ihm zugleich den Status als Computerspiel absprechen. Die für Computerspiele notwendigen Bedingungen von Soft- und Hardware sind für Videospiele also nicht notwendig, sondern treffen nur üblicherweise, d. h. symptomartig zu. So sind unseres Wissens alle heutigen Videospiele auch Computerspiele. Dass das aber nicht notwendigerweise der Fall ist, zeigt das Beispiel Pong. Pong ist nun aber zudem auch ein Beispiel dafür, dass aus einem Videospiel im eben genannten Sinne ein richtiges Computerspiel werden kann. Denn Pong erschien 1977 als Teil der ›Video Olympics‹ für Ataris Video Computer System (kurz VCS, ab 1982 Atari 2600 genannt). Diese Konsole war, wie der Name sagt, ein Computer im eigentlich Sinne, auf der dementsprechend auch programmierte Spielesoftware lief. Pong machte also den Sprung von einem nicht computerbasierten Videospiel zu einem Video-Computerspiel und darf unserer Ansicht daher auch zu Recht als einer der Urväter der Computerspiele gelten. Damit kommen wir zur zweiten ontologischen Frage nach den Identitätskriterien von Pong. Da bei Pong zwar ein elektronisches Display, aber keine Computertechnologie zum Zuge kommt, ist klar, dass wir bezüglich unserer Frage nicht mit der Suche nach einem einheitlichen Programmcode weiterkommen. Wie unsere obigen Überlegungen gezeigt haben, wäre ein solches Unterfangen aber auch für den Fall, dass das erste Pong ein echtes Computerspiel wäre, nicht zielführend. Verlockend im Fall von Pong ist dagegen der Versuch, die Identität des Spiels über sein Game-
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play, d. h. letztlich die Regeln festzumachen, die bestimmen, welche Interaktionen möglich bzw. für das Gewinnen ratsam und notwendig sind. Betrachten wir daher die Spielregeln von Pong etwas detaillierter, indem wir uns der oben gezogenen Unterscheidungen erinnern. Erstens finden wir konstitutive Regeln, die bestimmen, auf welche Art und Weise der Spieler überhaupt mit dem ihm über das Display präsentierten Zeichensystem interagieren kann. Diese Regeln bewerten die Züge des Spielers als zulässig/möglich/durchführbar oder unzulässig/unmöglich/undurchführbar. Hierzu gehört bei Pong, inwiefern wir mit den Drehknöpfen die Schläger hin und her bewegen können, so dass wir überhaupt irgendeinen visuellen Output des Systems erzeugen. Zweitens gibt es Strategieregeln, die angeben, wie der Spieler mit dem Spiel als Zeichensystem interagieren muss, um bestimmte Outputs zu erzeugen. Im Fall von Pong können darunter zum Beispiel Regeln fallen, die zur Verteidigung respektive zum Angriff besonders nützlich sind. Drittens sind Gewinn- bzw. Zielregel zu nennen, die festlegen, wie der Spieler mit dem Spiel interagieren muss, um diejenigen Ziele zu erreichen, die für die Fortsetzung des Spiels und letztlich zum Gewinnen als notwendig vorgegeben sind. Diese Regeln bewerten die Züge als richtig/zielführend oder falsch/nicht zielführend. Hierzu gehören beispielsweise die Regeln R1: ›Ziel des Spiels ist es, weniger Bälle durchzulassen als der Gegner‹ und R2: ›Gewinner ist der Spieler, der zuerst beim Gegner x Bälle durchbekommen hat‹. Nicht zu den Spielregeln gehört dagegen: ›Es ist nicht erlaubt, während des Spiels den Gegner sexuell zu belästigen‹. Ungeachtet dessen lassen sich Turnierregeln für Pong denken, die mindestens so komplex sind wie die 76-seitigen Fide-Regeln zum Turnierschach. Gegen den Gedanken, dass eine beliebige Anzahl an Regeln festlegen könnte, wann es sich um ein originales Pong handelt, spricht unserer Ansicht nach, dass auch anderes Spielmaterial möglich ist, auf das diese Regeln Anwendung finden können, z. B. auch auf Spiele, die gar nicht vor einem Bildschirm gespielt werden (aktuell entsteht etwa eine transmediale, komplett analoge und bildschirmlose Pong-Version von Daniel Perdomo). Und die spezifische Materialität von Pong zählt bei der Frage nach der Typidentität aus demselben Grund, aus dem wir bei einem VW GolfRennen nur mit einem originalen VW Golf und nicht mit einem Nachbau mitfahren können. Der Vergleich mit einem Industrieprodukt wie dem VW Golf ist zulässig, weil auch Pong ein designtes und industriell erzeugtes Produkt ist. Der Name wurde urheberrechtlich geschützt. Personen können es kaufen und alleine oder gemeinsam nutzen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich ein Video- bzw. Computerspiel nicht von anderen Produkten von Industriedesignern. Heute kann man vielleicht aufwendig Repliken von Pong-Spielkonsolen herstellen. Dennoch bleiben derartige Repliken eben Repliken und besitzen keinen Originalstatus (genauso wenig wie ein neuer Abguss einer Lehmbruckskulptur heute als original Lehmbruck gilt). Unser Vorschlag lautet dementsprechend, dass man echtes Pong nur auf originalen, d. h. von Atari lizensierten Pong-Geräten spielen kann. Sind diese Gerätekonfigurationen nicht mehr vorhanden oder spielbar, dann lässt sich auch nicht mehr Pong spielen. Wie wir gesehen haben, unterscheiden sich die originalen Pong-Geräte stark voneinander und überwinden sogar die mediale Grenze von nicht computerbasiertem Videospiel zum Computerspiel im vollen Sinne. Die Identität der technischen
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Grundlagen ist aber eben nicht entscheidend. Worauf es ankommt, ist gewissermaßen die richtige kausale Geschichte, die einem Pong-Spiel zugrunde liegt und es zu einem originalen Pong macht. Wie sieht es aber aus, als man Pong (für den Atari VCS) in Form separater Steckmodule kaufen konnte. Hat man beim Kauf einer solchen Kassette schon ein originales Pong erworben? Nun, ein Pong-Steckmodul ist noch keine Pong-Spielkonsole. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Pong-Produkte. Aber ist das Steckmodul für sich allein genommen überhaupt ein Computerspiel (bzw. im Falle von Pong lediglich ›Videospiel‹)? Unzweifelbar handelt es sich hierbei um ein Steckmodul für ein Computerspiel. Das Computerspiel im Vollsinne jedoch besteht unserer Ansicht nach aus dem programmierten Steckmodul, der Konsole und dem Bildschirm. Ohne letztere lässt sich das Spiel nicht spielen. Das Steckmodul bedarf somit bestimmter Geräte, die in dieser Form heute nicht mehr produziert werden. Nehmen wir an, es wäre technisch möglich (was fraglich ist), heute solche Geräte nachzubauen, könnten wir dann darauf Pong spielen? Wir vermuten, was darauf gespielt werden könnte, wäre eine Pong-Replik, aber nicht Pong.
7. Ausblick: Die philosophisch-anthropologische Tiefendimension des Spiels Unsere Antwort auf die Frage nach der ontologischen Verfasstheit von Computerspielen hat uns eine Reihe notwendiger Bedingungen und symptomartiger Kennzeichen beschert, wann wir es mit Computerspielen zu tun haben. Manch ein Leser mag sich nach alldem fragen, ob nicht auch ein tieferer, philosophisch-anthropologischer Umgang mit der Frage nach dem Sein von Computerspielen möglich wäre. Anders gesagt: Könnte es nicht vom Spielerischen im Allgemeinen und vom Computerspiel im Besonderen eine Art von Bestimmung geben, wie wir sie etwa von Hegel in Bezug auf das Schöne kennen, nämlich, dass es sich bestimme »als das sinnliche Scheinen der Idee« (Hegel 1986, 151)? Könnte man nicht etwas Tiefgreifenderes sagen über das Spiel bzw. das Computerspiel? Etwas, das es in ein Verhältnis setzt zur conditio humana oder zum klassischen Trias des philosophischen Fragens, dem Wahren, Schönen und Guten? Huizingas Buch Homo Ludens hat etwas Derartiges in Bezug auf das Spiel im Allgemeinen bereits versucht und für den Ursprung menschlicher Kultur – von Dichtung über Recht bis Wissenschaft – im Spiel argumentiert. Unabhängig davon, ob man Huizinga in seinen Thesen folgen möchte, scheint nichts dagegen zu sprechen, dass eine analoge philosophisch-anthropologische oder anderweitig philosophische Untersuchung von Computerspielen möglich ist. Ein derartiges Unternehmen wäre aber unser Ansicht nach ohne das Wissen um die formalen ontologischen Kennzeichen von Computerspielen, wie wir sie zu erarbeiten versucht haben, wenig aussichtsreich. Literatur
Aarseth, Espen: Cybertext: Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore 1997. Danto, Arthur: Die Verklärung des Gewöhnlichen. Frankfurt a. M. 1984 (engl. 1981). Feige, Daniel M.: Computerspiele: eine Ästhetik. Berlin 2015.
74 Sebastian Ostritsch / Jakob Steinbrenner Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt a. M. 1997 (engl. 1968). Hegel, G. W. F.: Vorlesungen über die Ästhetik I. Frankfurt a. M. 1986. Huizinga, Johan: Homo Ludens. Reinbek bei Hamburg 242015 (niederl. 1938). Juul, Jesper: Half-Real: Video Games Between Real Rules and Fictional Worlds. Cambridge, Mass. 2005. McIver Lopes, Dominic: The Ontology of Interactive Art. In: Journal of Aesthetic Education 35/4 (2001), 65–81. Steinbrenner, Jakob: Kognitivismus in der Ästhetik. Würzburg 1996. Steinbrenner, Jakob: Fälschung und Identität. In: Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft 53/2 (1998), 189–208. Tavinor, Grant: The Art of Videogames. Chichester 2009. Walton, Kendall L.: Mimesis as Make-Believe: On the Foundations of the Representational Arts. Cambridge, Mass. 1990. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt a. M. 2003.
Spiele
Alien: Isolation. Creative Assembly, 2014. BioShock Infinite. Irrational Games, 2013. Counter Strike: Source. Valve, 2004. Destiny. Bungie, 2014. Hellblade: Senua’s Sacrifice. Ninja Theory, 2017. Home Pong. Atari, 1975. Minecraft. Mojang, 2011. MUD1. Richard Bartle/Roy Trubshaw, 1978. Overwatch. Blizzard, 2016. Pong. Atari, 1972. Super Mario Bros. Nintendo R&D4, 1985. The Elder Scrolls V: Skyrim. Bethesda Game Studios, 2011. The Sims (Reihe). Maxis/The Sims Studio, 2000–2017. This War of Mine. 11 bit studios, 2014. Video Olympics. Atari, 1977.
II Praktische Philosophie
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Ethik Sebastian Ostritsch
1. Was heißt eigentlich ›Ethik des Computerspiels‹? Wovon reden wir, wenn wir über die Ethik des Computerspiels sprechen? Unter dem Ausdruck ›Ethik‹ wollen wir im Folgenden die philosophische Ethik verstehen, d. h. die systematische, argumentativ-rationale Reflexion der normativen und evaluativen Dimension menschlicher Praxis. Einer Ethik in diesem Sinne geht es also nicht darum, normative und/oder evaluative Meinungsäußerungen zu tätigen, sondern darum, nach der Berechtigung und den Prinzipien derartiger normativer und/oder evaluativer Urteile zu fragen. Als Ethik des Computerspiels wird der Reflexionsbereich nun entsprechend eingeschränkt, nämlich vom Gesamtbereich menschlicher Praxis auf einen Teilbereich, nämlich die normative und evaluative Dimension des Spielens von Computerspielen sowie Computerspiele selbst als ethisch bewertbare Artefakte. Die philosophische Reflexion auf das Normative und Evaluative sollte aber nicht vorschnell auf eine bestimmte Art von Normativität bzw. einen bestimmten Typ an Werten verengt werden. Wir können und sollten mindestens folgende Arten der Normativität (und entsprechend: Arten von Werten) unterscheiden (vgl. hierzu Luckner 2005, 39–46): Zum einen können wir von schwacher praktischer Normativität (oder einem schwachen Sollen) sprechen, wo wir es mit Fragen der Klugheit zu tun haben. ›Klugheit‹ meint hier aber nicht die Fähigkeit, diejenigen Mittel zu wählen, die optimal zur Realisierung beliebiger vom Subjekt gesetzter Zwecke führen. Klugheit ist nicht instrumentelle Rationalität. Vielmehr handelt es sich bei Klugheit um die Fähigkeit, eine bestimmte Praxis, an der ein Subjekt teilhat, bzw. in letzter Instanz die allumfassende Praxis der eigenen Lebensführung im Ganzen gelingen zu lassen. Die Normen und Werte, die bei der Klugheit im Spiel sind, sind schwach, weil sie nicht unbedingt gelten, sondern nur unter der Voraussetzung, dass eine Praxis (bzw. letztlich die Praxis, die wir den ›Gesamtlebensvollzug‹ nennen können) gelingen soll. Statt mit Geboten hat es die Klugheit daher auch nur mit Ratschlägen zu tun. Anders dagegen die Moral. Bei ihr haben wir es mit Geboten zu tun, oder anders: Wir sind im Bereich starker praktischer Normativität. Nicht was unter bestimmten Bedingungen zu tun geraten ist, steht hier im Fokus, sondern das, was kategorisch gefordert ist, d. h., was auch in Absehung all dessen, was ein einzelnes Subjekt will, getan werden muss. Diese Unterscheidung von Klugheit und Moral (von schwacher und starker praktischer Normativität) im Blick zu haben und zu bedenken, dass eine philosophische Ethik beides umfasst, ist für eine Ethik des Computerspiels relevant. Denn auch in Bezug auf Computerspiele lässt sich zeigen, dass wir bei der Frage nach dem guten Spiel und dem guten Spieler sowohl nach dem klugen Spiel und dem klugen Spieler als auch nach dem moralischen Spiel und dem moralischen Spieler fragen können.
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Das Ziel des vorliegenden Textes besteht nicht sosehr darin, ein spezifisches ethisches Problem in Bezug auf Computerspiele zu lösen, sondern darin, mithilfe der soeben angesprochenen Unterscheidung zwischen Moral und Klugheit eine Art Begriffs- und Problemlandkarte für die Ethik der Computerspiele zu erstellen. Dazu soll im nächsten Schritt zunächst noch der Gegenstandsbereich des Computerspiels genauer betrachtet werden, um zu einer differenzierten Phänomenbeschreibung zu gelangen. Wie wir sehen werden, müssen wir differenzieren zwischen der Tätigkeit des Computerspielens, die selbst wiederum in mehrere Handlungsebenen zerfällt, und Computerspielen als interaktiven Zeichensystemen. Am Ende des zweitens Abschnitts wird eine Problemmatrix präsentiert, die sich aus der Kombination der ethischen und ludischen Leitdifferenzen ergibt. In den verbleibenden Abschnitten wird es dann darum gehen, die Felder dieser Matrix zu erläutern. Dazu werden wir im dritten Abschnitt zunächst die klugheitsethische Perspektive auf die unterschiedlichen Spieldimensionen beleuchten und uns dann im vierten Abschnitt dem moralphilosophischen Blick auf das Computerspiel(en) widmen. Der abschließende fünfte Abschnitt wird unsere Überlegungen kurz resümieren. Bevor wir mit diesem Programm beginnen, noch eine Anmerkung zum Begriff ›Computerspiel‹. Eine Definition ist notorisch schwierig (s. Kap. »Ontologie«). Eine präzise Definition ist für unsere Zwecke aber glücklicherweise nicht nötig. Vielmehr genügt ein alltagssprachliches Verständnis des Ausdrucks ›Computerspiel‹ bzw. die Vertrautheit mit typischen Vertretern des entsprechenden Phänomenbereichs. Wie wir sehen werden, stellen sich ethische Fragen nämlich gar nicht grundsätzlich für alle Computerspiele, sondern nur bestimmte Fragen für bestimmte Spiele.
2. Spieldimensionen Wenn wir davon sprechen, dass wir uns ethisch mit Computerspielen auseinandersetzen, dann müssen wir bezüglich des Gegenstandsbereichs einige Unterscheidungen treffen. Zum einen können wir nämlich über die Ethik des Computerspielens, d. h. über eine Tätigkeit, sprechen und zum anderen über die Ethik der Computerspiele, d. h. über eine bestimmte Art menschengemachter Artefakte. Selbstverständlich muss das eine das andere nicht ausschließen. In der Tat soll im Folgenden für ein Wechselverhältnis der Spiele und des Spielens plädiert werden. Dennoch ergeben sich, je nachdem, welchen Aspekt man fokussiert, unterschiedliche Fragen und, wie wir auch gleich sehen werden, manchmal sogar falsche bzw. irreführende Fragen, wenn man nur einen der beiden Aspekte in den Blick nimmt. Sowohl die Dimension des Spielens als auch die der Spiele lässt sich nun noch weiter ausdifferenzieren. Bei der Dimension des Spielens haben wir erstens die Interaktion, die – zumindest bei bestimmten Spielen – zwischen realen Personen aus Fleisch und Blut zustande kommen kann. So kann ich in Computerspielen zusammen mit oder gegen andere reale Spieler antreten, mit ihnen kommunizieren, kooperieren oder konkurrieren. Zweitens haben wir es mit virtuellen Handlungen zu tun, also all denjenigen Tätigkeiten, die der Spieler nicht realiter, sondern innerhalb des Spiels ausführt (virtualiter eine Stadt bauen wie in Cities: Skylines, virtualiter eine Prinzessin retten wie in Super Mario Bros., virtualiter ein Raumschiff steuern wie in
Ethik 79
TIE Fighter etc.). Drittens haben wir die reale Tätigkeit des Spielens, d. h. die Interaktion des Spielers mit dem Spiel als einem rechnerbasierten, interaktiven Zeichensystem. Gemeint ist damit das Wechselspiel von Spieler-Input und (audio)visuellem Zeichenoutput des Rechners (verstanden als Software-Hardware-Komplex). Eine reale Spieltätigkeit besteht also beispielsweise darin, vor einem Fernseher zu sitzen, Knöpfe auf einem Controller zu drücken und dadurch die visuelle Repräsentation eines italienischen (Ex-)Klempners auf einem Bildschirm zu steuern. Ludische Dimension
Spielerische Interaktion zwischen realen Personen
Reale SpielerSpiel-Interaktion
Ausführen virtueller Handlungen
Spiele als rechnerbasierte, interaktive Zeichensysteme
Spiele als nichtspielerische Artefakte
Klugheit (schwache praktische Normativität)
a) Fragen der (sportlichen) Fairness und des für das Spiel förderlichen Miteinanders: z. B. Cheaten, Chat-Etikette, Anpassung des Balancing. b) Verhältnis zur Lebensführung im Ganzen: z. B. soziale Bindung vs. Abkapselung.
a) Fragen der klugen Interaktion als Förderung eines gelingenden Spielerlebnisses: z. B. kreatives Gaming, Pay-to-Win, Cheaten. b) Verhältnis zur Lebensführung im Ganzen: z. B. Sucht, Isolation, Erholung, Transzendenz.
Zusammenhang zwischen virtuellen Taten und realem Charakter: Fördert oder behindert die Ausführung bestimmter virtueller Handlungen die Ausbildung eines Charakters, der für ein gelingendes Leben notwendig ist?
a) Fragen der Repräsentation bzw. der Vertretung (›endorse ment‹) klugheitsethischer Werte u. Normen im bzw. durch das Spiel. b) Fragen des ethischen Spieldesigns: Wie sollten Spiele aus klugheitsethischer Sicht gestaltet sein?
Die Rolle von Spielen in nichtspielerischen Bereichen der Gesellschaft: z. B. Spieleindustrie als ökonomische Größe, Gamification der Arbeitswelt, Spiele als didaktische Mittel.
Moral (starke praktische Normativität)
Moralische Grenzen des spielerischen Umgangs miteinander: vor allem reale Übergriffe mit Mitteln des Spiels (z. B. virtuelle Vergewaltigung).
Moralisch relevante Implikationen für die Lebensführung im Ganzen: z. B. Sucht oder soziale Isolation als Verstoß gegen Pflichten gegen sich selbst.
Fragen der moralischen Zulässigkeit bestimmter virtueller Handlungen: z. B. virtuelle Gewalttaten, virtuelle Verbrechen.
a) Fragen der Repräsentation und des ›endorsement‹ (un-) moralischer Normen und Werte in Spielen. b) Fragen des ethischen Spieldesigns: Wie sollten Spiele aus moralischer Sicht gestaltet sein?
Die Rolle von Spielen in nichtspielerischen Bereichen der Gesellschaft: z. B. Spieleindustrie als ökonomische Größe, Gamification der Arbeitswelt, Spiele als didaktische Mittel.
Ethische Dimension
Tab. 1: Allgemeine Problemmatrix der Ethik des Computerspiels
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Betrachten wir nicht das Spielen, sondern das Spiel als Gegenstand, dann haben wir es mit einem rechnerbasierten, interaktiven Zeichensystem zu tun (s. Kap. »Ontologie«): Die Soft- und Hardware (das Rechnersystem) generieren auf Basis einer Spielereingabe eine visuelle (zumeist auch auditive und haptische) Ausgabe von Zeichen. Auf Basis dieser Zeichenausgabe interagiert dann der Spieler erneut mit dem Spiel, indem er über (mindestens) ein Eingabegerät einen neuen Output des Rechnersystems veranlasst. Dies ist der Blick auf das Computerspiel als Spiel. Das Computerspiel lässt sich aber auch als etwas anderes, nämlich beispielsweise als ökonomischer oder didaktischer Gegenstand und damit als Element eines (zumindest primär) nicht-spielerischen Subsystems der Gesellschaft betrachten. Bringen wir nun diese fünf ludischen Dimensionen – drei das Spielen und zwei das Spiel betreffend – mit den beiden ethischen Dimensionen von Moral und Klugheit zusammen, dann erhalten wir obige Tabelle über die Problemfelder der Ethik des Computerspiels.
3. Klugheitsethische Perspektiven auf das Computerspiel(en) Es ist aus Platzgründen unmöglich, hier auf alle Felder ausführlich einzugehen, weshalb wir uns in vielen Fällen mit kurzen Beschreibungen bzw. der Nennung von Beispielen begnügen müssen (vgl. Sicart 2009 für eine ausführlichere klugheitsethische Auseinandersetzung mit Computerspielen). Das klugheitsethische Kriterium für Spiele variiert je nachdem, ob wir ein Computerspiel rein als Spiel oder aber im Verhältnis zu unserem Leben im Ganzen betrachten. In ersterem Fall kann das klugheitsethische Kriterium nicht das Gelingen der Lebenspraxis im Ganzen sein. Dies wäre überzogen. Stattdessen müssen wir in solchen Fällen das Gelingen der Spielpraxis selbst in den Blick nehmen. Beginnen wir mit der klugheitsethischen Frage nach der Interaktion zwischen mindestens zwei Spielern, wobei reale Spieler im Sinne von Personen gemeint sind und nicht vom Rechner gesteuerte Spielfiguren. In diesem Fall möchten wir zum einen wissen, wie es den Spielern geraten ist, miteinander zu interagieren, wenn ihre Praxis des Spielens gelingen soll. Wir haben es hier im Grunde mit Fragen der (sportlichen) Fairness und des für das Spiel förderlichen Miteinanders zu tun. Klugheitsethisch nicht zu raten wäre etwa der Einsatz von Cheat-Codes. Wer nämlich solche in einem kompetitiven Spiel wie dem Shooter Counter Strike: GO gebraucht, der mag vielleicht (kurzfristig) Erfolg haben, indem er das Spiel gewinnt. Allerdings untergräbt er dadurch letztlich die gesamte Praxis, an der er Teil hat und damit auch sein eigenes Tun. Selbst wenn er nicht erwischt wird, entzieht er sich durch seinen Betrug dem elementaren kompetitiven Reiz des Spiels. Außerdem ist nicht erwischt zu werden in Zeiten von Anti-Cheat-Software so gut wie ausgeschlossen. Als Cheater entlarvt zu werden, hat drastische Konsequenzen, bedeutet es nämlich in der Regel, (temporär bzw. meist sogar dauerhaft) vom Spiel ausgeschlossen zu werden. Ein anderes Beispiel für Klugheit beim Spielen ist, ob Spieler im Umgang miteinander bestimmte Höflichkeitsregeln etablieren. Die mehr als nur rauen Sitten im vielen Chats von kompetitiven Multiplayerspielen bezeugen wohl eher einen Mangel an Klugheit. Ein weiteres Beispiel ist der freiwillige Ver-
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zicht der Spielerschaft auf bestimmte, von Spiel eigentlich zur Verfügung gestellte, aber als unverhältnismäßig mächtig empfundene Waffen. Eine solche Korrektur des ›Balancing‹ in kompetitiven Mehrspielershootern erfolgt mit der klugheitsethischen Absicht, die Gewinnchancen ausgeglichener und das Spiel somit fairer und für alle unterhaltsamer zu gestalten. In Zeiten, in denen viele Spiele (z. B. Destiny oder Overwatch) als kontinuierliche Dienstleistungen (Stichwort ›games as a service‹) vermarket werden, obliegt diese klugheitsethische Aufgabe den Herstellern (Entwicklern und Publishern). Neben der Frage nach dem Gelingen der Spielpraxis selbst können wir auch danach fragen, wie sich die spielerische Interaktion zwischen realen Personen auf deren Gesamtlebensführung auswirkt. So könnte man etwa untersuchen, ob aus der spielerischen Interaktionen zwischen Personen belastbare und glücksfördernde soziale Bindungen hervorgehen können oder ob das bloß spielerische Miteinander die Personen aus den eigentlich entscheidenden sozialen Verhältnissen des realen Lebens herauslöst. Eine Antwort auf diese klugheitsethisch relevante Frage wird natürlich nicht ohne fundierte empirische Erhebungen auskommen können (vgl. Søraker 2012). Betrachten wir als nächstes die Interaktion zwischen einem Spieler und dem Spiel als einem rechnerbasierten, interaktiven Zeichensystem. Auch hier sind zwei klugheitsethische Sichtweisen möglich. Zum einen kann man wieder danach fragen, wie ein Spieler die Interaktion mit dem Spiel gestalten muss, um ein möglichst gelingendes Spielererlebnis zu erzeugen. Welche Interaktionsweisen sind dem Spielerlebnis als solchem zu- bzw. abträglich? Auch hier ist wieder das Cheaten als Beispiel zu nennen. Der klugheitsethische Gedanke bezieht sich dabei aber nicht mehr auf das Zusammenspiel mit anderen, sondern auf die Spielerfahrung eines Einzelnen. Auch in Bezug auf diese gilt die klugheitsethische Devise: Wer betrügt, ist ein Spielverderber, und zwar weil er sich selbst das Spiel verdirbt, z. B. indem er sich des spielerischen Genusses beraubt, eine bestimmte Herausforderung (der Geschicklichkeit oder der Taktik) zu meistern. Ähnliches gilt für die Nutzung sogenannter Pay-towin-Mechaniken, mit denen der Spieler in manchen Spielen durch den kostenpflichtigen Erwerb bestimmter virtueller Gegenstände (Waffen, Rüstungen etc.) zu einem spielerischen Vorteil gelangt. Abschließend sei als Beispiel für kluges Spielen noch kreatives Gaming genannt, d. h. Spielweisen, in denen Spieler die Grenzen der in einem Spiel zugelassenen (aber nicht unbedingt von den Entwicklern vorgesehenen) Interaktionsweisen ausloten. Als Beispiel sei auf den YouTuber mit dem Pseudonym Many A True Nerd verwiesen, der mit enormem spielerischen Aufwand das EndzeitAction-Rollenspiel Fallout: New Vegas sowohl in einem vollkommen pazifistischen als auch in einem ›Kill Everything‹-Spieldurchgang gemeistert hat. Derartige Spielweisen sind klug zu nennen, weil sie an die Stelle eines blinden, quasi-automatisierten Konsums den Spieler als aktive, spielmitgestaltende Instanz setzen, der aus einem Spiel sein Spiel macht. Die andere, zweite klugheitsethische Perspektive richtet sich auch auf das Verhältnis der realen Spieltätigkeit zur außerspielerischen Lebensführung des Spielers. Die klugheitsethischen Fragen, die sich hier aufdrängen, betreffen die Gefahr von Sucht und sozialer Isolation, aber auch die positiv zu bewertende Aussicht auf Erholung oder gar Transzendenz. Auch hier werden die Antworten auf empirischen
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Untersuchungen beruhen müssen, zugleich aber auch – vor allem im Hinblick auf mögliche Transzendenzerfahrungen – die philosophische Phänomenologie nicht scheuen dürfen. Auch wenn wir hier fürs Erste die beiden Felder der Interaktion zwischen Spielern und der Interaktion zwischen Spieler und Spiel getrennt diskutiert haben, macht nicht zuletzt die in beiden Bereichen auftauchende Frage nach sozialer Bindung bzw. Isolation klar, dass sie aufeinander bezogen sind. Denn die Interaktion zwischen Spielern ist vermittelt über das Spiel und umgekehrt beinhaltet die Interaktion von Spieler und Spiel in vielen Fällen auch die Interaktion mit anderen Spielern. Kehren wir zu unserer Tabelle zurück und betrachten als nächstes Themenfeld die virtuellen Spielehandlungen. Interessanterweise bleibt dieses, aus moralischer Perspektive mit am meisten diskutierte Gebiet in der aktuellen Debatte aus dezidiert klugheitsethischer Hinsicht unterbelichtet. Dies liegt aber daran, dass die tugendund damit eigentlich klugheitsethische Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Ausführung virtueller Handlungen und deren Auswirkungen auf den realen Charakter des Spielers von der gegenwärtigen Forschungsliteratur als moralische Frage aufgefasst und diskutiert wird. Zumindest für Aristoteles gibt es aber die Trennung von Moral und Klugheit gar nicht, denn die Frage nach dem Guten und Gerechten ist für ihn zugleich die Frage nach der Glückseligkeit des Handelnden. Es lässt sich daher sehr wohl eine klugheitsethische Frage für das Gebiet der virtuellen Handlungen stellen, und zwar folgende: Fördert oder behindert die Ausführung bestimmter virtueller Handlungen die Ausbildung eines Charakters, der für ein gelingendes Leben notwendig ist? Um die Forschungsliteratur nicht zweifach besprechen zu müssen, wollen wir diese Frage zurückstellen und sie später, bei der moralischen Perspektive auf virtuelle Handlungen, aufgreifen. Damit haben wir die drei spielerbezogenen Dimensionen besprochen und kommen nun zum Computerspiel selbst. Bei Computerspielen handelt es sich, wie ge sagt, um rechnerbasierte, interaktive Zeichensysteme und als Zeichensysteme können Spiele – insbesondere diejenigen, die narrative Elemente beinhalten – normative und evaluative Inhalte repräsentieren. Als Beispiel sei etwa die Spielereihe Grand Theft Auto genannt, in der der Spieler einen oder mehrere Kriminelle steuert. In diesem Spiel werden dementsprechend die normativen und evaluativen Vorstellungen der Unter- und Halbwelt repräsentiert. Über das Thema der Repräsentation hinaus stellt sich die Frage, ob ein Spiel zudem bestimmte klugheitsethische Normen- und Wertvorstellungen vertritt, d. h. diese dem Spieler für das reale, gewöhnliche, außerspielerische Leben nahelegt. Bestimmte Repräsentation allein mögen natürlich dem Spieler als Anlass dienen, sein Leben einer klugheitsethischen Reflexion zu unterziehen. Die ist allerding von dem Fall zu unterscheiden, dass ein Spiel auf eine derartige Reflexion angelegt ist. Die Möglichkeit, dass ein fiktionales Zeichensystem zugleich über die eigene Fiktionalität hinausweist auf die Realität, sollte uns insbesondere durch Propaganda und Fabeln vertraut sein. Letztere enden daher nicht zufällig des Öfteren mit dem Sprüchlein ›... und die Moral von der Geschicht’ ...‹. Die Moral in diesem Sinne ist aber eigentlich meist eine Klugheitsregel, die sich nicht auf das unbedingt zu Leistende, sondern das zur glückenden Lebensführung Geratene bezieht (schließlich heißt es ›Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, wenn er auch die Wahrheit spricht‹ und nicht ›Wer einmal lügt, verletzt seine Pflicht‹).
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Die Fragen nach Repräsentation und Vertretung (engl. ›endorsement‹) bestimmter Normen und Werte werden wir weiter unten im Zusammenhang mit der moralphilosophischen Perspektive auf Computerspiele ausführlich diskutieren und belassen es hier daher bei diesen knappen Andeutungen. Auf der Betrachtungsebene der Computerspiele als Spiele gibt es neben der auf die repräsentierten bzw. vertretenen Inhalte gerichteten ›Innenperspektive‹ auch eine klugheitsethische Außenperspektive. Nehmen wir sie ein, so betrachten wir Spiele als Designobjekte, d. h. als zu bestimmten Zwecken (in der Regel: Unterhaltungszwecken) hergestellte rechnerbasierte, interaktive Zeichensysteme. Hier lautet die Frage, wie solche Gegenstände aus klugheitsethischer Perspektive designt sein sollten. Dabei tauchen alle bisher diskutierten Punkte und auch die noch zu besprechenden moralphilosophischen Punkte auf. Der Versuch, ein ethisch kluges Spiel zu designen, muss natürlich die Interaktion zwischen Spielern, die Interaktion zwischen Spiel und Spieler und auch die Repräsentation von Normen und Werten im Spiel berücksichtigen und dabei die doppelte Frage nach dem Gelingen stellen: einmal nach dem Gelingen des Spiels als Spiel und einmal nach dem Beitrag des Spiels zu einem gelingenden Gesamtlebensvollzug (vgl. zur Ethik des Game-Designs Flanagan 2009 und Sicart 2013). Bleibt noch klugheitsethisch zu reflektieren, welche Rolle Spiele in nicht-spielerischen Bereichen der Gesellschaft einnehmen (vgl. hierzu, wenn auch nicht in klugheitsethischer, sondern eher kultur- bzw. medienwissenschaftlicher Perspektive Bogost 2011) und wie sich ihre außerspielerische Verwendung auf das Gelingen der Praxis des Spielens selbst auswirkt. Besonders drei Beispiele seien hervorgehoben. Erstens ist da die Spieleindustrie, die eine immense ökonomische Größe (vergleichbar mit der Filmindustrie) darstellt. Hier wäre klugheitsethisch zu untersuchen, was es für die gesellschaftlichen Vorstellungen von Glück und gutem Leben bedeutet, wenn das Computerspiel auf dem besten Weg ist, zum dominierenden Kulturgut zu werden (Stichwort ›Spaßgesellschaft‹). Andererseits wäre zu fragen, welche Auswirkungen die stetig wachsende Kommerzialisierung mittels Praktiken wie Vorbestellungsboni oder Free-to-Play- und Pay-to-Win-Mechaniken für das Gelingen der Spielpraxis selbst hat. Gibt es dadurch nicht nur mehr, sondern auch bessere, spielerisch innovative Spiele? Zweitens wird zunehmend eine ›Verspielung‹ (›Gamification‹) der Arbeitswelt konstatiert. Lästige und langweilige Arbeitsabläufe sollen durch die in Computerspielen erprobten Mechanismen von spielerischer Herausforderung und Belohnung angenehmer und unterhaltsamer gestaltet werden. Stellt eine solche Entwicklung die kluge Ausbreitung selbstzweckhafter (bzw. zumindest als solche empfundener) Tätigkeit dar? Oder wäre es klug, die Grenze zwischen Spiel und Arbeit klarer aufrechtzuerhalten, etwa um eine, zumindest prinzipiell nicht ausgeschlossene, umgekehrte Unterwanderung des Spiels durch die Arbeit auszuschließen? Drittens und letztens sei noch das Feld des didaktischen Einsatzes von Spielen – die Gamification des Lernens, wenn man so will – erwähnt. Wie klug oder unklug ist es im Hinblick auf das Lernen bestimmter Inhalte oder – dieser Fall scheint noch virulenter – das Erlernen bestimmter Praktiken auf Computerspiele zurückzugreifen? Ein besonders interessantes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Einsatz von Computerspielen bei der Ausbildung und Betreuung (z. B. in psychotherapeutischer Hinsicht) von Soldaten (vgl. Mead 2013). Klugheit, dies sei
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abschließend noch einmal erinnert, zielt bei der Reflexion solcher Phänomene auf etwas anderes als die durch instrumentelle Rationalität zu legitimierende Effizienz und Effektivität einer Praxis. Der Klugheit geht es vielmehr um die Stabilität und das Gelingen einer Praxis und letztlich der Lebenspraxis als solcher und nicht um die effektivste Auswahl von Mitteln für beliebige Zwecke.
4. Moralphilosophische Perspektiven auf das Computerspiel(en) Wenden wir uns nun den moralischen Fragen zu, die man im Hinblick auf das Computerspiel in seinen verschiedenen ludischen Dimensionen aufwerfen kann. Zu Beginn müssen wir aber auf das Problem des Amoralismus eingehen. In seinem Buch Homo Ludens hat der niederländische Kulturtheoretiker Johan Huizinga überzeugend dargelegt, dass das Spiel aus einem temporären Austritt (räumlich und/oder ideell verstanden) aus dem Kreis des Gewöhnlichen, Üblichen und Normalen besteht (vgl. insbes. Huizinga 2015, 15–22). »In der Sphäre eines Spiels«, schreibt Huizinga, »haben die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung« (ebd., 21). Weil das Spiel ein temporäreres Refugium vor der herrschenden Normalität darstellt, gilt nach Huizinga, dass die »Spielbetätigung [...] an sich jenseits von Gut und Böse ist« (ebd., 19). Dies ist die These des ludischen Amoralismus. Ihm zufolge gelten moralische Kategorien nur für die außerspielerische Realität, aber nicht für die Wirklichkeit des Spiels. Um mögliche Missverständnisse zu vermeiden, sei erwähnt, dass sich der ludische Amoralismus vom Amoralismus unterscheidet, wie er in der philosophischen Ästhetik diskutiert wird. Dort nämlich geht es um die Frage, ob (und gegebenenfalls wie) sich der moralische Wert eines Kunstwerks auf seinen ästhetischen Wert auswirkt. Der kunsttheoretische Amoralist vertritt dabei die These, dass der moralische und der ästhetische Wert eines Kunstwerks völlig unabhängig sind (vgl. Misselhorn 2014 für einen Überblick über die ästhetische Moralismus-Amoralismusdebatte). Doch zurück zum Amoralismus in Spielen. Er stellt eine besondere Herausforderung für die Ethik der Computerspiele dar, weil er gerade diejenige Frage, die viele Spieler und Theoretiker am meisten zu interessieren scheint, nämlich die moralische Zulässigkeit von virtuellen Gewalttaten und Verbrechen, für unzulässig erklärt. Der Amoralist wird bei jedem Versuch, die Ausführung virtueller Handlung moralisch zu bewerten, darauf pochen, dass es ›nur ein Spiel sei‹ und daher die moralischen Kategorien von ›gut‹ und ›schlecht/ böse‹ nicht greifen. Der Großteil der Fachliteratur zur Ethik der Computerspiele hat mit dem Problem des Amoralismus zu kämpfen. Was den Kampf dabei erschwert, ist, dass das Problem des Amoralismus zum einen nur selten direkt angesprochen und zum anderen nicht deutlich zwischen den verschiedenen ludischen Dimensionen unterschieden wird (vgl. Ostritsch 2017 für den Versuch, diese beiden Fehler zu vermeiden). Wenn wir im Folgenden die beiden populärsten moralphilosophischen Debatten rekonstruieren, bewegen wir uns im Hinblick auf unsere Übersichtstabelle vor allem im Feld der moralischen Beurteilung der Ausführung virtueller Handlungen. Wir werden aber im Zuge unserer Kritik der beiden Debatten auch in den Bereich der Spiele als rechnerbasierte, interaktive Zeichensysteme vorstoßen.
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Die erste große moralphilosophische Debatte dreht sich um die Frage, ob es moralisch verwerflich ist, gewalthaltige Computerspiele zu spielen (vgl. McCormick 2001) – das akademische Pendant zur von Politikern in regelmäßigen Abständen aufgewärmten ›Killerspiele‹-Debatte. Was – wenn überhaupt etwas – ist moralisch verwerflich daran, gewalthaltige Computerspiele zu spielen, d. h. virtuelle Gewalttaten, genauer: virtuelle Verbrechen, zu begehen? Wie gesagt, unterscheidet das Gros der Fachliteratur nicht zwischen den oben eingeführten ludischen Dimensionen. So changiert die Frage nach der moralischen Zulässigkeit von Computerspielen zwischen a) der spielerischen Interaktion zwischen realen Personen, b) der realen Spieler-Spiel-Interaktion und c) der Ausführung virtueller Handlungen, wobei letztere mit Abstand die dominierende ist. Die Debatte besteht nun zum Großteil darin, die klassischen ethischen Theorien der Pflichtenethik (Kantianismus), des Utilitarismus und der Tugendethik (Aristotelismus) am Gegenstandsbereich des Spielens gewalthaltiger Computerspiele durchzuexerzieren (vgl. McCormick 2001 und Schulzke 2010). Bezugnahmen auf andere Theorien, etwa Humes Sentimentalismus (vgl. Wonderly 2007) oder Baudrillards Entwertungstheorie der ›Simulacra‹ (vgl. Waddington 2007), kommen vor, sind aber eher die Ausnahme. Wir wollen uns daher auf die computerspielethische Auseinandersetzung mit den drei Großen beschränken. Die Ausbeute dieser Debatte ist eher ernüchternd. Entweder greifen die klassischen Moraltheorien nicht, insofern sie – Wasser auf die Mühlen des Amoralisten – nur für reale und nicht für virtuellfiktionale Zusammenhänge ›gemacht‹ sind. So greift beispielsweise die kantische Moralphilosophie, in der letztlich alles auf der Pflicht zur Erhaltung und Förderung der Autonomie von realen Personen gründet, in Bezug auf die reale Interaktion zwischen Personen in spielerischen Zusammenhängen, ist aber im Bereich von bloß virtuellen Handlungen gegenstandlos. Oder aber, das ist nun die andere Möglichkeit, die klassischen Moraltheorien greifen nur im Falle, dass die Ausführung virtueller Handlungen bestimmte Wirkungen auf die außerspielerische Realität hat. So gilt dem Utilitarismus zufolge, dass virtuelle Handlungen genau dann moralisch falsch sind, wenn ihre Ausführung Folgen nach sich zieht, die für die Glücksmaximierung der Betroffenen nicht optimal nützlich sind. Oder deutlich gröber formuliert: Wenn der gesamtgesellschaftliche Schaden, der aus dem Spielen von Computerspielen entsteht, größer ist als der Nutzen, dann ist Spielen moralisch falsch. Die Details der konkreten Nutzenkalkulation seien dem Utilitaristen überlassen. Das zentrale Problem ist das folgende: Bevor wir uns an eine solche Kalkulation (die natürlich auch alle positiven Effekte des Computerspielens miteinzurechnen hätte!) machen könnten, müsste allererst der empirische Nachweis erfolgen, dass es eine kausale (und nicht etwa nur korrelative) Verbindung vom Konsum gewalthaltiger Computerspiele (als Ursache) hin zu realer Gewalt (als Wirkung) gibt (wobei eigentlich zu ergänzen wäre, dass es nur um moralisch problematische Gewalt geht, denn offenkundig ist nicht jede Form von Gewalt moralisch problematisch). Die Unterstellung einer solcher kausalen Verbindung steckt hinter dem bereits erwähnten Killerspiele-Vorwurf: Wer im Shooter auf virtuelle Menschen schießt, der erschießt auch in Wirklichkeit Menschen – und zwar, weil er zuvor im virtuellen ›geübt‹ hat. Der empirische Beweis für eine derartig steile These ist – der gesunde Menschenverstand dürfte wenig überrascht sein – aber nicht vor-
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handen. Im Gegenteil, wer die Entwicklung der Anzahl der Computerspieler mit der Anzahl realer Gewalttäter vergleicht, wird höchstens eine umgekehrt proportionale Korrelation finden (vgl. Ferguson 2010). Auch vorsichtigere Varianten dieser These fahren nicht wirklich besser. So sind selbst die psychologischen Metastudien, die sich auf den Konnex von Spielekonsum und kurzfristiger Aggressionssteigerung beschränkt haben, nicht eindeutig (vgl. ebd. sowie Schulzke 2010, 131–135). Dies bedeutet aber nicht, dass jegliche negativen Effekte für den Spieler im Feld der Spieler-Spiel-Interaktion geleugnet werden sollen. Wir haben bereits die legitime Sorge um problematische Effekte des Spielekonsums im klugheitsethischen Abschnitt angesprochen. Die dort genannten Punkte kehren nun auch in moralischer Perspektive wieder. So sind mögliche Erholungs- bzw. Verwahrlosungseffekte nicht nur relevant für die Frage des guten Lebens, sondern besitzen auch eine moralische Dimension. Wer seine eigenen intellektuellen oder leiblichen Fähigkeiten durch eine Spielesucht verkümmern lässt, handelt – z. B. im Rahmen von Kants Deontologie – nicht nur unklug, sondern pflichtwidrig und damit unmoralisch (vgl. Kant 1911, 422 f.). Ob solche Zusammenhänge generell oder nur in Einzelfällen bestehen, ist aber Sache der Empirie, nicht der Philosophie. Aufgrund der soeben genannten Probleme und Limitierungen von Kantianismus und Utilitarismus hat sich die Tugendethik nach aristotelischem Muster als bevorzugte moralphilosophische Position in Bezug auf Computerspiele etabliert (vgl. McCormick 2001 und Coeckelbergh 2007). Von solchen Ansätzen wird die aristotelische Lehre, die zuvorderst eine Klugheits- und Glücksethik und nur abkünftigerweise eine Moralphilosophie enthält, selektiv rezipiert. Eine solche abstrahierende Anwendung ist natürlich legitim, sollte sich aber ihres eigenen Abstraktionscharakters bewusst sein. Der tugendethische Ansatz basiert auf dem Gedanken, dass das Spielen von Computerspielen insofern moralisch verwerflich ist, als bestimmte extreme Haltungen und Handlungen eingeübt und dadurch habitualisiert werden, die der charakterlichen Beschaffenheit eines tugendhaften (und wir ergänzen: dadurch glücklichen!) Menschen widersprechen. Wenn diese Argumentation, wie bei Matt McCormick (ders. 2001) der Fall, einfangen soll, warum das Spielen gewalthaltiger Computerspiele moralisch problematisch ist, fährt sie nicht besonders gut. Denn gewalttätige Handlungen sind ebenso wenig wie aggressive Haltungen nach aristotelischer Auffassung pauschal ethisch zu verurteilen (vgl. Schulzke 2010, 130). Nicht die Affektarmut (wie bei den Stoikern) zeichnet den Tugendhaften aus, sondern die rationale Affektkontrolle, die einen Affekt genau in dem von einer Situation benötigen Maße zulässt. Aggressionen im Krieg sind aristotelisch betrachtet ebenso ethisch zu befürworten wie Zorn angesichts eines ungesühnten Unrechts (vgl. Aristoteles 1985, 1115a–b bzw. 1126a). Außerdem gilt es zu bedenken, dass Aristoteles selbst über bestimmte ethisch relevante Effekte fiktionaler Darstellungen, nämlich in Bezug auf die Tragödie, geschrieben hat und hierbei einen für die Seele des Betrachters positiven Reinigungseffekt, die Katharsis, behauptet hat (vgl. Aristoteles 1994, Kap. 6, 1449b sowie Schulzke 2010, 133). Das Hauptproblem des aristotelischen Ansatzes in Bezug auf Computerspiele ist nun aber im Grunde dasselbe wie das des Utilitarismus: Alles steht und fällt mit der letztlich empirischen Frage, ob spielerisch fingierte Haltungen und Handlungen überhaupt irgendeinen (und wenn ja, welchen) Einfluss auf die reale Charakterbildung und damit das seelische Wohl des Spielers haben. Das so-
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eben in Bezug auf die aristotelische Tugendethik Gesagte gilt übrigens auch für den Versuch, Kants Ausführungen zum moralischen Umgang mit Tieren auf Computerspiele anzuwenden (vgl. McCormick 2001, 282–284; Waddington 2007, 124–125; Schulzke 2010, 128–130). Mit Blick auf Tiere, die als nicht vernunftbegabte Wesen keinen Personenstatus haben und daher auch nicht Träger moralischer Rechte sind, hat Kant argumentiert, dass Brutalität gegenüber Tieren moralisch nicht erlaubt sei, weil der Mensch dadurch verrohen könnte, was sich wiederum negativ auf die rechte Bildung vernünftiger und damit moralisch zulässiger Handlungsgrundsätze (›Maximen‹) auswirken könnte. Die Übertragung auf das Spielen gewalthaltiger Computerspiele besagt dementsprechend, dass virtuelle Gewalttaten zwar nicht per se, aber im Hinblick auf mögliche charakterliche Verrohungseffekte moralisch problematisch seien. Auch hier gilt wieder: Wenn derartige moralisch relevante Verrohungseffekte bestehen würden, würde eine kantische Kritik an Computerspielen greifen. Ob die besagten Effekte bestehen, ist eine empirische Frage, auf die, wie bereits gesagt, bisher keine Antwort vorliegt, die uns geneigt machen sollte, das Spielen von Computerspielen deshalb moralisch zu verurteilen. Das Scheitern, das Spielen bestimmter Computerspiele als moralisch problematisch einzustufen, lässt sich in Bezug auf die drei klassischen ethischen Ansätze von Utilitarismus, Tugendethik und Kantianismus auf den gemeinsamen Nenner bringen, dass sie nur unter der Bedingung einer empirisch zu erforschenden (aber bisher nicht belegten) Kausalverbindung zwischen dem Spielen von Computerspielen (als Vollzug virtueller Handlungen) und realen, moralphilosophisch problematischen Effekten greifen. Solange wir das Spielen von Computerspielen aber bloß in Form spielinterner Handlungen betrachten, scheint der Amoralist recht zu haben: Unsere Moraltheorien sind für die außerspielerische Realität gemacht und kommen innerhalb der Spielwelt nicht zum Zug. Es gibt nun aber einen weiteren Ansatz, der unabhängig von der Frage nach den realen Auswirkungen des Spielkonsums auf den Charakter tugendethische Bedenken für das Spielen von gewalthaltigen oder anderweitig prima facie moralisch bedenklichen Computerspielen anführt. Stephanie Patridge (dies. 2011) hat dafür argumentiert, dass das Spielen bestimmter Computerspiele nicht deshalb falsch ist, weil es problematische reale Konsequenzen hat, sondern weil sich daran ein bereits im Vorfeld moralisch problematischer Charakter ausdrückt oder offenbart. Patridges Beispiel ist das japanische Spiel RapeLay, in dem der Spieler die Rolle eines Sexualstraftäters übernimmt. Das Spielziel besteht darin, eine Mutter und ihre beiden Töchter zu belästigen und sich an ihnen zu vergehen. Unsere Reaktion auf jemanden, der dieses Spiel spielt, sei nicht die Sorge, dass er dadurch seinen Charakter verderben könnte, sondern vielmehr, dass er bereits einen moralisch abartigen Charakter hat: Wer an solchen Darstellungen Spaß habe, mit dem könne etwas nicht stimmen (vgl. Patridge 2011, 305 f.). Ein solcher tugendethischer Expressivismus hat nun aber die Schwierigkeit, dass er nur unter der Bedingung zu überzeugen weiß, dass wir dem Spieler eine ganz bestimmte Art von Spaß als Spielmotivation unterstellen können. Es reicht nämlich nicht, dass wir ›Spaß‹ am Spiel in dem Sinne haben, dass es unsere Aufmerksamkeit bindet, uns fesselt oder fasziniert. Denn dies gilt offenbar für alle möglichen Medien, die moralisch problematische Inhalte darstellen und zwar ohne, dass wir aufgrund eines solchen
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grundsätzlichen Interessenehmens am fiktional Dargestellten auf einen moralisch problematischen Charakter schließen würden. Wer Brett Easton Ellis’ Roman American Psycho (ders. 1991) liest (oder die Verfilmung anschaut), dem unterstellen wir nicht automatisch eine moralisch problematische Lust an der Darstellung von Morden, auch wenn er durch die Rezeption dieses Werkes ganz offenbar ein Gefallen im Sinne eines grundsätzlichen Interesses zur Schau stellt. Wir müssen also unterscheiden zwischen Spaß in einem starken Sinn und einem, moralisch unproblematischen, schwachen Sinn von Spaß als ›Interesse nehmen‹ (vgl. Ostritsch 2017). Wie Garry Young in einer Verfeinerung dieser von mir eingeführten Unterscheidung vorgeschlagen hat, sind wir sogar erst dann berechtigt, das Spielen von Computerspielen aus expressivistischen Gründen für moralisch bedenklich zu erklären, wenn eine sogenannte Substitutionsmotivation vorliegt, d. h. wenn eine moralisch verwerfliche virtuelle Handlung aus der Motivation heraus ausgeführt wird, das reale Verlangen nach dem realen Pendant dieser virtuellen Handlung zu befriedigen (vgl. Young 2017). Aus der bloßen Tatsache, dass jemand ein bestimmtes Computerspiel spielt (d. h. bestimmte virtuelle Handlungen ausführt), lässt sich eine solche Motivation aber offenkundig nicht ableiten. Der Amoralismus weiß sich also auch in diesem Fall zu behaupten. Denn wenn es keine zwingende Verbindung zwischen dem Spielen von Computerspielen (d. h. der Ausführungen virtueller Handlungen) und dem realen Charakter des Spielers gibt, dann kann es, wenn überhaupt etwas beim Konsum von Computerspielen moralisch problematisch ist, nicht das Spielen als Ausführung virtueller Handlungen per se sein. Wir können und müssen an dieser Stelle aber unterscheiden zwischen einem schwachen und einem starken Amoralismus. Der schwache Amoralismus erklärt nur eben jene Verbindung von Spielen qua Ausführung virtueller Handlungen einerseits und deren moralische Beurteilbarkeit andererseits für unzulässig. Ein starker Amoralismus würde hingegen erklären, dass alle Aspekte des Spielens außerhalb des Kreises moralischer Beurteilbarkeit sind. Die relative Wahrheit des Expressivismus liegt darin, den starken Amoralismus durch die Möglichkeit einer Verbindung zwischen realen und daher moralisch bewertbaren Gefühlen bzw. Gesinnungen und fiktionalen Spielehandlungen widerlegt zu haben. Es gibt dabei aber keine logisch zwingende Verbindung zwischen moralisch verwerflichen (realen) Gefühlen beim Spielen einerseits und bestimmten virtuellen Handlungen (z. B. virtuellem Mord) andererseits. Der Schluss von letzteren auf erstere ist daher nicht ohne Weiteres möglich! Das Problem des schwachen Amoralismus steht im Grunde auch bei der zweiten großen moralphilosophischen Debatte um das sogenannte ›Gamer’s Dilemma‹ im Zentrum. Aufgeworfen hat das Dilemma Morgan Luck (ders. 2009). Es basiert auf den gegenläufigen Intuitionen zu virtuellem Mord einerseits und virtueller Pädophilie andererseits. Während wir (d. h. der Großteil der Spieler) bei virtuellem Mord gewillt sind, im Sinn des schwachen Amoralismus zu urteilen, dass eine solche Tat qua virtuelle moralisch nicht zu verurteilen ist, verhalten sich die Dinge bei virtueller Pädophilie anders. Akte virtueller Pädophilie scheinen, selbst wenn sie nur virtuell sind, bei Spielern moralische Abscheu auszulösen. Aus diesen unterschiedlichen Intuitionen und der wenig kontroversen Annahme, dass wir gleiche Fälle auch gleich
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beurteilen müssen, folgt nun das Dilemma: Wenn wir keine moralisch relevanten Unterschiede zwischen virtuellem Mord und virtueller Pädophilie benennen können, müssen wir entweder virtuellen Mord für moralisch unzulässig oder aber virtuelle Pädophilie aus Gründen des schwachen Amoralismus für moralisch zulässig erklären. Keine der bisherigen Versuche, das Dilemma durch den Aufweis eines moralisch relevanten Unterschieds zwischen virtuellem Mord und virtueller Pädophilie zu lösen, konnte restlos überzeugen (vgl. Luck 2009; Bartel 2012 und Luck/Ellerby 2013). Eine andere, bessere argumentative Route hat Rami Ali (ders. 2015) genommen. Ali sucht nicht nach einem moralisch relevanten Unterschied zwischen den beiden zur Frage stehenden virtuellen Handlungen, sondern argumentiert gegen den universellen Charakter der beiden dem Dilemma zugrundeliegenden Intuitionen. Genauer betrachtet sei es weder der Fall, dass alle Fälle von virtuellem Mord moralisch unproblematisch, noch der Fall, dass alle Fälle von virtueller Pädophilie moralisch verwerflich seien (vgl. Ali 2015, 268). Was zähle, sei der spielerische Gesamtkontext. Bei Spielen, die starke narrative Züge haben (›storytelling games‹), gelte, dass es nicht auf die Repräsentation bestimmter virtueller Verbrechen allein ankommt, sondern auf a) deren inakzeptable Darstellungsweise (z. B. Fetischisieren von Gewaltakten) bzw. b) eine durch die Erzählung ausgedrückte moralisch problematische Sichtweise. Wenn aber weder eine inakzeptable Darstellungsweise vorliege noch eine unmoralische Sichtweise zum Ausdruck gebracht werde, gebe es keinen Grund die Repräsentation virtueller Pädophilie anders zu behandeln als die Repräsentation virtuellen Mordes (vgl. Ali 2015, 271–273). In sogenannten Simulationsspielen, die (ganz oder größtenteils) ohne Narration auskommen, sei es aber anders, weil hier die narrative Kontextualisierung fehle, so dass die virtuellen Handlungen als Ausdruck der realen und somit moralisch beurteilbaren Wünsche des Spielers gelten müssten (vgl. Ali 2015, 273). Auch wenn wir den letztgenannten Punkt mit Verweis auf unsere obigen Ausführungen zum Expressvismus in dieser generalisierenden Form zurückweisen müssen, stecken doch wichtige Erkenntnisse in Alis Überlegungen. Eines der wichtigsten Gedanken, die sich aus Alis Antwort auf das ›Gamer’s Dilemma‹ ergeben, ist die moralische Irrelevanz bloßer Repräsentationen: Der Umstand, dass in einem Spiel bestimmte Handlungen, die, wenn sie real wären, als unmoralisch zu gelten hätten, repräsentiert sind, sagt noch nichts über die moralische Zulässigkeit oder Unzulässigkeit solcher Repräsentationen aus. Daher muss auch eine interessante Überlegung von Patridge (dies. 2011) zurückgewiesen werden. Sie argumentiert, dass bestimmte Repräsentationen eine unumstößliche soziale Bedeutung (›incorrigible social meaning‹) haben und zwar unabhängig davon, ob sie in einem realen oder spielerischen Kontext verwendet werden. Spiele, die Repräsentationen mit unumstößlicher und dabei Anstoß erregender sozialer Bedeutung beinhalten (z. B. stereotype Darstellung von Schwarzen aus Zeiten der Sklaverei), unterlägen diesbezüglich auch einer moralischen Beurteilbarkeit (vgl. Patridge 2011, 307 f.). Dieser Gedanke kann nicht überzeugen, weil es denkbar ist, dass derartige Repräsentationen in Werken (ob in Spielen, Filmen oder Büchern ist im Grunde egal) vorkommen, die wir nicht als Unterstützung (und vielleicht sogar als Kritik) der mit solchen anstößigen Repräsentationen verbundenen Zustände auffassen würden. Man denke in diesem Zusammenhang an Werke, in denen Hakenkreuze (was könnte anstößiger sein!) vorkommen, die wir aber alles andere als nazistisch
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bezeichnen würden, wie z. B. Roman Polanskis Der Pianist oder – einem deutlich trashigeren Register entnommen – das Spiel Wolfenstein: The New Order (wobei zu ergänzen ist, dass in der deutschen Fassung Hakenkreuze aufgrund ihres Status als verfassungswidrige Symbole entfernt wurden; bei Computerspielen gilt nämlich noch nicht die Kunstfreiheit). Wir sehen also: Repräsentationen allein sind moralisch nicht entscheidend. Worauf es vielmehr ankommt, ist, in welchem spielerischen Gesamtkontext diese Repräsentationen stehen. Was zählt, ist also das Spiel als interaktiver Zeichenzusammenhang, innerhalb dessen es zu bestimmten virtuellen Handlungen kommt. Weiter oben haben wir bereits dem Expressivismus eine relative Wahrheit zugeschrieben, insofern er gegen den starken Amoralismus aufzeigt, dass es unter Umständen zu realen und daher auch moralisch bewertbaren Gefühlen bzw. Gesinnungen beim Spielen von Computerspielen kommen kann. Nun können wir erkennen, dass es einen weiteren Pfad vom Spiel zur moralischen Bewertbarkeit gibt: Insofern es sich bei Spielen um interaktive Zeichenzusammenhänge handelt, ist es nicht ausgeschlossen, dass sie, statt eine bestimmte Welt (Handlungen und Charaktere) nur zu repräsentieren, sie zudem auch eine bestimmte normative und evaluativ strukturierte Weltanschauung vertreten und dem Spieler nahelegen, sie auch für die reale Welt zu übernehmen. Eine solche Position habe ich selbst unter dem Titel ›endorsement-view‹ vertreten (vgl. Ostritsch 2017). Diese Position widerspricht, wie schon der wohlverstandene Expressivismus, nur dem starken und nicht dem schwachen Amoralismus. Denn einer moralischen Beurteilung unterstehen nicht virtuelle Handlungen als solche, sondern die Spiele, in denen sie vorkommen. Die Spiele sind aber nur insofern legitimer Gegenstand moralischer Urteile, insofern sie als Zeichen auch über eine ›konative‹ (vgl. Jakobson 1960) bzw. appellative Dimension verfügen, die sich auf die reale, außerspielerische Lebensführung des Spielers bezieht. Insbesondere zwei Fragen ergeben sich im Hinblick auf die Position des endorsement-view. Erstens ist zu fragen, worin die moralische Verantwortung des Spielers im Umgang mit Computerspielen besteht, die sich aufgrund ihrer konativen bzw. appellativen Dimension als moralisch problematisch erweisen. Aus dem schwachen Amoralismus folgt, dass es nicht verwerflich sein kann, solche Spiele einfach nur zu spielen. Denn daraus allein lässt sich weder etwas in Bezug auf eine moralisch problematische Motivation des Spielers (das ist das Thema des Expressivismus) noch etwas in Bezug auf sein Verhältnis zu den vom Spiel befürworteten Normen und Werten schließen. Die Verantwortung des Spielers besteht vielmehr darin, in emotionaler und kognitiver Hinsicht angemessen auf das von ihm gespielte Spiel zu reagieren, d. h. bestimmte über die konative Zeichenebene transportierte Weltanschauungen als moralisch problematisch zu erkennen und sie daher abzulehnen. Zweitens stellt sich die Frage, wie man den moralischen Status eines Computerspiels objektiv bestimmen soll. Ist eine solche Bestimmung nicht immer willkürlich bzw. relativ zu den kontingenten Geschmacksurteilen von Individuen bzw. gesellschaftlichen Gruppen (so Young 2017)? Zunächst ist bezüglich dieses Problems festzuhalten, dass die Tatsache, dass kein ausnahmsloser Konsens über den moralischen Status eines Spiels besteht, keinen guten Grund dafür darstellt zu denken, dass es keinen objektiven moralischen Status gibt. In keinem Lebensbereich (auch nicht in der Wissenschaft) führt Dissens zum Zweifel an einer überindividuellen Wahrheit.
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Im Gegenteil, ein solcher Dissens ist ja ein Dissens darüber, wer objektiv gesehen recht hat und hat daher eine zu erkennende Wahrheit zur Voraussetzung. Wie aber verfahren wir in Streitfällen, um den moralischen Status eines Werks zu bestimmen? Insofern wir es bei Computerspielen mit komplexen (d. h. aus weiteren Zeichen bestehenden) interaktiven Zeichengebilden zu tun haben, gilt dasselbe wie bei anderen komplexen Zeichengebilde wie Filmen oder Büchern auch: Die einzelnen Zeichen, aus denen das komplexe Zeichengebilde besteht, müssen in ihrem Zusammenhang gedeutet werden – und zu dieser Deutung gehört dann eben auch die Berücksichtigung der konativen (appellativen) Zeichenfunktion. Eine Unterscheidung, die für die Bestimmungen der von einem Werk konativ vertretenen (und nicht nur repräsentierten) normativ-evaluativen Weltanschauung enorm wichtig ist, lässt sich einem Aufsatz von Kendall Walton (ders. 1994) entnehmen. Walton hat darin darauf hingewiesen, dass man differenzieren muss zwischen den innerhalb einer fiktionalen Welt vertretenen Moralvorstellungen und den moralischen Wahrheiten, die in der fiktionalen Realität gelten. So ist zu unterscheiden zwischen der Tatsache, dass im Mafia-Filmklassiker Der Pate bzw. der Spielreihe Mafia die moralische Weltanschauung der Mafia porträtiert wird und der Behauptung, dass die mafiösen Moralvorstellungen innerhalb der fiktionalen Welt wahr (d. h. objektiv gut) sind. Während Walton daran zweifelt, dass es überhaupt möglich ist, dass es fiktionale moralische Wahrheiten gibt, die von den außerfiktionalen moralischen Wahrheiten abweichen, sollen hier zwei von Walton diskutierte Punkte für die gegenteilige These angeführt werden, nämlich dass fiktionale und reale moralische Wahrheiten voneinander abweichen können. Im Rahmen unseres Problems, wie man den moralischen Status eines Computerspiels im Rahmen des endorsement-view bestimmen kann, kann uns dies insofern weiterhelfen, als von der Realität abweichende moralische Wahrheiten in fiktionalen Werken ein starkes Indiz dafür sind, dass diese eine unmoralische Weltanschauung nicht nur repräsentieren, sondern nahelegen. Es gibt nun insbesondere zwei Verfahren, die geeignet scheinen, solche abweichenden fiktionalen moralischen Wahrheiten zu erzeugen. Erstens ist darauf zu verweisen, was man in Erzähltexten eine auktoriale oder allwissende Erzählinstanz nennt. Per definitionem gilt, dass alles, was ein verlässlicher auktorialer Erzähler ausspricht, innerfiktional wahr ist. Es ist nicht überzeugend, wenn Walton behauptet, dieses auktoriale Deklarationsprinzip fiktionaler Wahrheit gelte nicht für von der Realität abweichende fiktionale moralische Wahrheiten (vgl. Walton 1994, 39). Walton verweist hier auf die unwillkürliche Weigerung des Lesers, solche deklarierten fiktionalen Wahrheiten auch nur im Modus des Als-ob für die Dauer der Lektüre aufrechtzuerhalten (ebd.). Eine solche moralische Abwehrreaktion ist aber gerade der Indikator dafür, dass der Rezipient ein bestimmtes Werk so erlebt, dass es eine unmoralische Weltsicht nicht nur repräsentiert, sondern sie durch ihre Erhebung zur innerfiktionalen Wahrheit ihm zur Übernahme für die außerfiktionale Realität nahelegt. Dies scheint zumindest eine plausible Erklärung für das Zustandekommen einer imaginativen Blockade zu sein. Nun gibt es im Film und auch im Computerspiel, das stark mit filmischen Mitteln arbeitet, keinen auktorialen Erzähler, wie wir ihn aus Texten kennen. Allerdings gibt es funktionale Äquivalente, die z. B. aus ex-
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tradiegetischen Stimmen, aus der Bildsprache, der musikalischen Untermalung bzw. der Kombination dieser Elemente bestehen. Das zweite Verfahren zur Erzeugung von der Realität abweichender fiktionaler moralischer Wahrheiten besteht in der Verwendung paratextueller bzw. paradiegetischer, d. h. außerhalb der fiktionalen Welt situierter Zeichen wie z. B. den Titel, ein Vorwort, eine Gattungsbezeichnung etc. (vgl. Genette 2001). So stellt etwa die Widmung ›Dem Führer Adolf Hitler in liebevoller Verehrung zugeeignet‹ ein paratextuelles Element dar, das auch die Deutung der werkimmanenten Zeichen und ihrer möglichen konativen (appellativen) Funktion beeinflussen kann. Betrachten wir kurz ein filmisches und dann ein spielerisches Beispiel für diese beiden Verfahren. Suchen wir zunächst nach dem funktionalen Äquivalent für den auktorialen Erzähler. Veit Harlans Film Jud Süß dreht sich inhaltlich gesehen darum, wie das Württemberger Volk erkennt, dass der Jude Joseph Süß Oppenheimer – und zwar, weil er Jude ist – ein gieriger, verräterischer, unzüchtiger, geradezu diabolischer Unhold ist, der die brave Volksgemeinschaft der Württemberger ins Unglück stürzt. Hingerichtet wird Süß letztendlich aber nicht wegen seiner zahllosen Verbrechen und auch nicht wegen der, zu ihrem Selbstmord führenden, Vergewaltigung des Mädchens Dorothea. Vielmehr ist es der geschlechtliche Akt allein (ob mit oder ohne Zustimmung der Frau, ist letztlich nicht ausschlaggebend), der in den Augen der Württemberger ein mit der Todesstrafe zu ahndendes Verbrechen darstellt. So zitiert Dorotheas Vater das »alte Reichskriminalgesetz«, wo »für alle Ewigkeit« stehe: »Wo aber ein Jude mit einer Christin sich fleischlich vermenget, soll er durch den Strang vom Leben zum Tode gebracht werden«. Keine Figur (außer der Antagonist selbst) widerspricht der Strafe oder der Urteilsbegründung; es gibt kein filmisches Element, welches das entsprechende Gesetz, dem als ›ewigem‹ zugleich überpositivmoralischer Charakter unterstellt wird, konterkarieren würde. Im Gegenteil, die Urteilsbegründung wird gleich noch einmal wiederholt, während die Szene aus dem Beratungszimmer des Gerichts zur Verlesung des Urteils auf dem Exekutionsplatz überblendet. Es spricht viel dafür, dass es die sprachlich wie bildlich inszenierte universelle Übereinstimmung aller als moralisch integer porträtierten Figuren innerhalb der fiktionalen Realität ist, die in Jud Süß das funktionale Äquivalent zu einem auktorialen Erzähler bildet. Der Zuschauer muss daher geradezu zwangsläufig annehmen, dass es innerhalb der fiktionalen Welt von Jud Süß eine moralische Wahrheit darstellt, dass sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Christen verwerflich sind. Eine solche verkehrte moralische Realität in der Fiktion wird vom (heutigen) Zuschauer aber nicht nur als moralisch neutrale Repräsentation von Unmoral, sondern als Ausdruck einer verwerflichen realen Weltanschauung aufgefasst. Der konative (appellative) Charakter der verkehrten innerfiktionalen moralischen Wahrheit wird verstärkt durch die paratextuelle Einleitung in den Film und die finale Szene. Zu Beginn von Jud Süß wird folgender Text eingeblendet: »Die im Film geschilderten Ereignisse beruhen auf geschichtlichen Tatsachen«. Der fiktionale Charakter des Werks wird dadurch natürlich nicht aufgehoben, aber zumindest insofern destabilisiert, dass von Anfang an die außerfiktionale Zeichenebene ins Bewusstsein des Zuschauers gerufen wird. Das Ende des Filmes treibt den konativen Aspekt des Films auf die Spitze: Nach der Exekution von Süß wird vom Vater der ›geschändeten‹ Dorothea ein Judenbann verkündet. Währenddessen zoomt die Kamera langsam auf
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sein Gesicht heran, bis es das gesamte Bild einnimmt. In Richtung Kamera blickend spricht Dorotheas Vater die den Film beschließende Warnung aus: »Mögen unsere Nachfahren an diesem Gesetz ehern festhalten, auf dass ihnen viel Leid erspart bleibe [...].« Der transfiktionale Appellcharakter ist überdeutlich: Angesprochen wird der Zuschauer in seiner außerfiktionalen Lebenswirklichkeit. Er soll verstehen, dass der soeben von ihm gesehene Film nicht bloße Fiktion ist, sondern sowohl in faktischer wie normativer Hinsicht Realitätsbezug hat. Verwandte Analysen sind nun auch für Computerspiele möglich. Ein funktionales Äquivalent zur Verkündung moralischer Wahrheiten durch einen auktorialen Erzähler sind extradiegetische Moralbewertungssysteme. Bekannt ist z. B. das in vielen Spielen der Fallout-Spielreihe, z. B. Fallout 3, vorkommende ›Karmasystem‹. Jede virtuelle Handlung – Diebstahl, Hilfe, Mord etc. – wird vom Karmasystem des Spiels als gut oder böse bewertet. Diese Bewertung schlägt sich dann zwar auch diegetisch, also innerhalb der fiktionalen Spielwelt, nieder, indem computergesteuerte Spielfiguren je nach Karmastatus anders auf die vom Spieler gesteuerte Figur reagieren. Das Karmasystem selbst ist aber eine extradiegetische Instanz, die die moralischen Wahrheiten der fiktionalen Welt festlegt bzw. unfehlbar erkennt. Da die fiktionalen Moralwahrheiten im Großen und Ganzen denen der realen Welt entsprechen – Mord ist böse, Helfen ist gut –, gibt es auch keine ernsthaften Diskussionen darüber, ob Fallout 3 ein unmoralisches Spiel ist, obwohl es mit zu seinen Hauptreizen gehört, dass der Spieler auch (virtuell) Böses tun kann. Stünde das Karmasystem im Widerspruch zu den moralischen Wahrheiten der Wirklichkeit, dann wäre die Lage anders: Ein Spiel, das ohne satirische Brechung virtuelle Morde als ›gut‹ und virtuelle Hilfeleistung als ›böse‹ bewerten würde, erschiene uns sehr wohl als unmoralisches Spiel. Eine eben solche verkehrte moralische Welt finden wir, wenn auch ohne explizites Karmasystem, im Spiel Hatred. Auf paratextueller Ebene weist schon der Titel die Richtung. Im Spiel selbst geht es darum, aus isometrischer Perspektive einen Amokläufer zu steuern und jeden zu töten, der einem begegnet, auch und vor allem Zivilisten. Eine der zentralen Spielmechaniken besteht darin, die Lebensenergie der Spielfigur durch das Auslösen brutaler Exekutionsszenen aufzufüllen. Die Narration erfolgt über Videosequenzen, in denen immer der namenlose Täter, obwohl sichtbar, aus dem Off spricht und von seinem Hass auf die Menschheit und seiner Freude am Morden berichtet. Seine Stimme ertönt auch am Ende des Spiels aus dem Off, als die Figur bereits verstorben und somit intradiegetisch nicht mehr vorhanden ist. Der Gesamtzusammenhang zwischen zentralen Gameplaymechaniken (d. h. Interaktionsweisen mit dem Spiel), der eindimensionalen Narration und paratextuellen Markern wie dem Titel legt den Schluss nahe, dass in der fiktionalen Welt von Hatred verkehrte – geradezu diabolische – moralische Wahrheiten gelten: Der Spieler kann nicht nur in die Rolle eines Amokläufers schlüpfen, sondern Massenmord wird von allen extradiegetischen Instanzen des Spiels als ›gut‹, Mitleid und Gnade hingegen als ›schlecht‹ bewertet. Gerade wegen dieser fiktionalen Verkehrung moralischer Wahrheit können wir Hatred als zutiefst unmoralisches Spiel, als Verherrlichung (und nicht nur als Darstellung) des Bösen bezeichnen. Nachdem wir nun ausführlich über die Ausführung virtueller Handlungen und Computerspiele als rechnerbasierte, interaktive Zeichensysteme aus moralischer Sicht diskutiert haben, wollen wir abschließend noch auf die übrigen ludischen
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Aspekte eingehen. In den meisten Punkten können wir uns damit begnügen, auf die bereits oben ausgeführten klugheitsethischen Überlegungen zu verweisen. In Bezug auf die reale Interaktion zwischen Spieler und Spiel scheint es keine moralische Frage zu geben, die das Gelingen der Spielpraxis als solche zum Gegenstand hat. Moralisch zu berücksichtigen sind lediglich die Themen, die die Lebensführung im Ganzen betreffen: Wir können also analog zur klugheitsethischen Perspektive die Fragen aufwerfen, inwieweit das Spielen von Computerspielen Effekte wie Sucht oder soziale Isolation zeitigt; Effekte, die auch aus moralischer Sicht problematisch sein könnten, z. B. weil sie zu pflichtwidrigem Verhalten des Subjekts gegen sich selbst führen. Wenn es um die Rolle von Spielen in nicht-spielerischen Bereichen der Gesellschaft geht, dann scheint zu gelten, dass die Klugheitsethik relevanter ist als die Moralphilosophie. Denn die hier auftretenden Themen, z. B. die Spieleindustrie als ökonomische Größe, Gamification (in) der Arbeitswelt, Spiele als didaktische Mittel, scheinen primär Herausforderungen für das Nachdenken über das gute Leben zu stellen. Eine dezidiert moralphilosophische Untersuchung ist zwar nicht ausgeschlossen, scheint aber, zumindest der Tendenz nach, etwas weit hergeholt. Ähnliches trifft auch auf das Gamedesign zu. Eine ausdrücklich moralphilosophische Perspektive scheint, ganz im Gegensatz zur klugheitsethischen, eher uninteressant bzw. trivial zu sein. Was, außer dem Gebot ›Stelle keine Spiele her, die unmoralische Weltanschauungen vertreten!‹, wäre hier zu sagen? Dafür scheint umgekehrt die Frage nach Repräsentation und ›endorsement‹ von Werten und Normen durch Spiele vor allem aus moralphilosophischer und weniger aus klugheitsethischer Perspektive interessant. Bleibt ganz zuletzt noch die Dimension der moralischen Bewertung der spielerischen Interaktion zwischen realen Personen. Gefragt wird, ob es moralische Grenzen des spielerischen Umgangs miteinander gibt. Wann, wenn überhaupt, kommt der ludische Amoralismus an seine Grenzen, wenn wir die spielerische Interaktion zwischen realen Personen betrachten? Auch hier muss die Antwort lauten: Wenn der Spieler die Grenzen des Spielerischen, d. h. genauer: des einvernehmlichen Miteinander-Spielens, überschreitet (z. B. durch Beleidigungen). Die diesbezüglich wohl interessantesten Beispiele sind Fälle, in denen es innerhalb der virtuellen Realität zu Übergriffen auf Spieler-Avatare kommt, die aber von den betroffenen Spielern als reale und somit moralisch problematische Übergriffe erfahren werden. Solche Umschlagsbewegungen vom Spielerisch-Virtuellen ins Außerspielerisch-Reale finden statt, wenn die zunächst nur virtuellen Übergriffe mit den zwischen den Spielern vereinbarten Regeln brechen. Eine solche Überlagerung von virtuellen und realen Übergriffen hat als vielleicht erster Julian Dibbell beschrieben. In seinem Aufsatz A Rape in Cyberspace (ders. 1999) beschreibt Dibbell, wie es Anfang der 1990er im rein textbasierten Online-Community-Spiel LambdaMOO zu einer virtuellen (d. h. in diesem Fall ausschließlich textlich vollzogenen) Vergewaltigung kam und welche verstörenden Auswirkungen dies auf die Mitglieder der Community hatte. Ein ähnliches Phänomen gab es in jüngster Zeit im Online-Modus des Spiels GTA V, nachdem Hacker das Spiel dahingehend manipuliert hatten, dass sie die Avatare ihrer Mitspieler – gegen deren Willen und entgegen der eigentlichen im offiziellen Code festgelegten Spielregeln – zu (virtuellen) sexuellen Handlungen zwingen konnten. Derartige, letztlich reale Interaktionen zwischen Personen sind natürlich auch realiter moralisch zu evaluieren.
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5. Schlussbemerkung Die hier vorgelegte Übersicht über die Ethik der Computerspiele hätte ihren Zweck erfüllt, wenn sie dem Leser das Thema ›Computerspiele‹ als ein stark in sich differenziertes Forschungsfeld, das sowohl für die Klugheitsethik als auch die Moralphilosophie interessante Probleme und Fragen aufwirft, vermittelt hätte. In klugheitsethischer Sicht scheinen die Fragen nach der Beschaffenheit kluger Spiele, kluger Spieler und ihres Beitrags zum guten Leben am bedeutendsten. Aus moralphilosophischer Perspektive muss sich die zukünftige Forschung sowohl die Wahrheit als auch die Grenzen des ludischen Amoralismus klarmachen, um ausgehend davon eine ethische Hermeneutik der Computerspiele (insbesondere als Ermittlung der von ihnen vertretenen moralischen Weltanschauungen) zu erarbeiten. Literatur
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Spiele
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Handeln Fabian Börchers
1. Zum handlungsphilosophischen Interesse: die Doppelnatur des Computerspielens Sich dem Phänomen des Computerspielens aus der Perspektive der philosophischen Handlungstheorie zu nähern, kann einem zunächst nicht besonders vielversprechend vorkommen. Und dies aus zwei Gründen: Zum einen scheint sich der universalistische Anspruch der Handlungstheorie nicht besonders gut mit dem Studium eines Partikularbereichs menschlichen Tuns zu vertragen. Denn die Handlungstheorie ist jener Bereich der Philosophie, der zu erklären versucht, wie man das Phänomen des menschlichen Handelns als solches verstehen kann. Das heißt in der Philosophie des Handelns wird der Frage nachgegangen, auf welche Weise wir am besten verstehen können, dass Handlungen sich von anders gearteten Bewegungen unseres Körpers (etwa dem Lidschlussreflex oder der peristaltischen Bewegung des Darms) einerseits aber auch von der Art des zielgerichteten Verhaltens, zu dem Tiere in der Lage sind, unterscheiden. Handlungstheorie, so kann man das auch beschreiben, ist eine Form der Anthropologie: Sie beschreibt eine spezielle Weise, in der sich unsere Charakteristik als vernünftiges Tier ausbuchstabieren lässt. Sofern es nun in diesem Unterfangen Ergebnisse vorzuweisen gibt, wird man sagen, werden diese eben für alle menschlichen Handlungen gleichermaßen gelten und folglich trivialerweise auch für die Handlung des Computerspielens. Mit Handlungstheorie über Computerspiele nachzudenken wäre damit ein reiner Anwendungsfall, ein Wiederfinden des allgemein schon Beschriebenen im Besonderen – und damit wenig geeignet, etwas über die Spezifik von Computerspielen zu verraten. Zum anderen aber kann man eine philosophische Reflexion auf das Handeln auch prinzipiell für ungeeignet zum Erfassen des Phänomens des Computerspiels halten. Und zwar nicht deswegen, weil sie zu allgemein wäre, um das Spezifische des Phänomens zu erfassen, sondern weil Computerspiele in ihrem Kern gar keine echten Handlungen beinhalten und damit nicht in den Themenbereich der Disziplin fallen. Computerspiele, so meint man dann, zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass man in ihnen nicht wirklich etwas tut: Man rast über halsbrecherische Rallypisten (obgleich man ruhig auf dem Sofa sitzt), man prügelt sich auf Hinterhöfen (obwohl man nicht mehr tut, als ein paar Finger zu krümmen) oder läuft dreimal hintereinander in den eigenen Tod (und das kann man nun wirklich nicht als echte Handlung tun). Wenn es also eine Disziplin gibt, die verstehen kann, was in Computerspielen Eigentümliches passiert, kann es gerade nicht die Handlungstheorie sein. Beide Einwände, so wie sie hier präsentiert wurden, sind einander der Stoßrichtung nach entgegengesetzt. Und gerade weil sie das sind und weil sie prima facie nicht unplausibel klingen, zeigen sie auf, wieso Computerspiele vielleicht doch ein Phänomen von genuin handlungsphilosophischem Interesse sind. Denn der erste Einwand geht ja (vielleicht, wie man nun meinen kann, vorschnell) davon aus, dass
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man selbstverständlich in Computerspielen handelt, und meint nur, dass eben daran nichts Besonderes ist. Und man möchte dem folgen: Was, wenn nicht Handlungen, vollzieht man denn, wenn man Computer spielt? Und wenn es keine Handlungen sind, wie könnte man das, was man da macht, sonst beschreiben, welchen Platz sollte das in unserem Leben haben? Der zweite Einwand wiederum weist darauf hin, dass, was immer man im Computerspiel tut, in irgendeinem fundamentalen Sinn nicht wirklich ist und in diesem Sinn tatsächlich nicht den Platz in unserem Leben einnehmen kann, den wirkliche, handfeste Tätigkeiten in unserem Leben einnehmen. Was immer wir im Computerspiel tun, es geschieht eben nur im Spiel und nicht ›im Ernst‹ oder ›in Wirklichkeit‹. Dieser Doppelcharakter des Computerspiels, dass sein Vollzug wesentlich mit Handlungen zu tun hat und es selbst doch auf irgendeine Weise der Wirklichkeit enthoben scheint, ist nun selbstverständlich nicht ohne Beachtung geblieben, sondern er stellt vielmehr einen der Haupttopoi der sich entwickelnden wissenschaftlichen Beschäftigung mit Computerspielen dar. In einem der einflussreichsten Beiträge zur Debatte werden sie daher als ›half real‹ bezeichnet (vgl. Juul 2005). Dass diese Doppelnatur tatsächlich etwas ist, das charakteristisch gerade für Computerspiele ist, wird deutlich, wenn man einen kurzen Vergleich mit zwei anderen, in vielerlei Hinsicht ähnlichen Formen von spielerischem Verhalten, nämlich dem Schauspiel eines Theaterschauspielers und dem freien oder Vorstellungsspiel eines Kindes, vornimmt. In allen diesen drei Arten des Spiels kann man sagen, dass man irgendeine Form von wirklichen Handlungen unternehmen muss, um auf diese Weise zu spielen, dass aber der Witz von dem, was getan wird, d. h. dessen Bedeutung, nur klar wird, wenn man zu Beschreibungen greift, welche die tatsächliche Wirklichkeit verlassen und in irgendeinem Sinne erdacht, fiktiv sind: Das Kind mag mit einem echten Stock echte Disteln köpfen, aber die Hydra bekämpft es nur in seiner Vorstellung, der Schauspieler zückt den Requisitendolch und macht eine Armbewegung, aber Cäsar ersticht er nur ›im Spiel‹, und ich, wenn ich endlich Dagoth-Ur besiegen will, drücke jede Menge reale Tasten auf Tastatur und Maus, aber der Kampf findet im Computerspiel statt und nicht auf dem Schreibtisch. Und doch ist von diesen drei ähnlichen Fällen der Fall des Computerspiels darin besonders, dass in ihm das, was nicht ›in der Realität‹ getan wird, in einem deutlich robusteren Sinn doch tatsächlich getan wird als in den anderen beiden Fällen. Man kann sich das provisorisch klar machen, indem man an die jeweils kontrastiven Fälle des Scheiterns denkt, in denen das entsprechende Tun eben nicht oder nur mangelhaft vollzogen wird. Im Fall des spielenden Kindes lässt sich diese Unterscheidung von gelingendem und misslingendem Tun überhaupt nicht scharf treffen: Natürlich kann das Kind sich vorstellen, dass es daran scheitert, die Hydra zu erschlagen (»Immer neue Köpfe – wir müssen uns zurückziehen, Zeus stehe uns bei!«), aber dann ist es eben das, was das Kind spielt – es spielt ein Scheitern und scheitert nicht im Spielen. Alternativ könnte das Kind daran scheitern, das Erschlagen der Hydra zu spielen (entweder, weil es feststellt, dass es doch nicht so genau weiß, wie es sich eine Hydra überhaupt vorzustellen hat oder vielleicht, weil es vom nervenden Nachbarsjungen abgelenkt wird), aber auch das ist ein Fall, den man nicht im Sinn hat, wenn man fragt, ob das Kind auch daran hätte scheitern können, die Hydra zu erschlagen. Für diese Unterscheidung gibt es einfach nicht den nötigen
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Widerstand einer unabhängigen Welt innerhalb der Vorstellung des Kindes, die der Kontrolle des Kindes enthoben wäre. Beim Schauspieler sieht es dagegen ähnlich aber gewissermaßen andersherum aus: Denn auch der Schauspieler kann zwar daran scheitern, die Handlung seiner Rolle tatsächlich zu vollführen (entweder, weil er der Rolle ›nicht gewachsen‹ ist und eine miserable schauspielerische Leistung abliefert, oder aber, weil er zum Beispiel ausrutscht, sich den Arm bricht und die Vorstellung unterbrochen werden muss), aber ob die Handlung innerhalb der Rolle gelingt, ob Cäsar wirklich ermordet wird oder nicht, das liegt nicht am Handlungserfolg des Schauspielers, sondern am Stück (und gegebenenfalls am Regisseur). Schlägt dieses Handeln fehl, dann nicht, weil der Schauspieler schlecht gehandelt hat, sondern weil er ein schlechtes Handeln erfolgreich gespielt hat. Im Gegensatz zum Kind hat der Schauspieler gewissermaßen zu wenig Macht über die Welt, in der er in seiner Rolle unterwegs ist, um einen Fehler zu begehen. Beim Computerspiel gibt es hingegen einen wohldefinierten Sinn, in dem man in seinem Handeln scheitern kann, und es gibt glasklare Kriterien, die man anlegen kann, um zu sehen, ob dies passiert ist (vgl. auch Juul 2013): Wenn ich Dagoth Ur besiegen will, dann muss ich das herstellen, was der Spielmechanismus von Morrowind als den Fall des Besiegens festlegt (reichlich profan: den Gesundheitswert von Dagoth Ur auf 0 bringen) und ich muss in einer großen Reihe von Schritten jeweils eine der Möglichkeiten ergreifen, die das Spiel mir bietet, dies zu erreichen. Tue ich das nicht, so wird die Handlung nicht gelingen – und ziemlich sicher wird mir das auch etliche Male passieren, bis ich wirklich Erfolg habe. Es ist dieser vollkommen handfeste Sinn, in dem ich genauso gut (oder sogar mit größerer Wahrscheinlichkeit) und nach objektiven Kriterien, die sich meiner Macht entziehen, auch hätte Dagoth Ur nicht besiegen können, der es vollkommen akzeptabel erscheinen lässt, auf meine stolze Verkündigung, ihn endlich erledigt zu haben, mit »Wirklich?« oder »Im Ernst?« zu reagieren, selbst wenn es Dagoth Ur selbstverständlich nicht in Wirklichkeit gibt und meine Handlung nur in einem Spiel, nämlich auf dem Computer geschah. Was immer der ontologische Status einer Computerspielhandlung sein mag, es scheint mindestens einen Sinn zu geben, in dem man dem Tun innerhalb eines Computerspiels problemlos den Status einer echten Handlung zuzuschreiben bereit ist. Wenn man das aber ist, dann ergeben sich sofort eine ganze Reihe weiterer Fragen: Wie verhalten sich diese Handlungen ›innerhalb‹ eines Spiels zu den Handlungen, die man in ihrem Zusammenhang (um etwas absichtlich Vages zu sagen) außerhalb des Spiels unternimmt, wie eben dem Drücken von Tasten auf der Tastatur? Kann man überhaupt sagen, dass beide Arten von Handlungen in gleichem Maße meine Handlungen sind (sollte man nicht sagen, dass nicht Fabian Börchers, sondern vielmehr die Spielerfigur – Der Neverarine – Dagoth Ur erschlagen hat?)? Wie fügen sich die Handlungen im Spiel in das übrige Handlungsgeflecht ein, das mein Leben ausmacht? Ich kaufe Gemüse, um Essen kochen zu können, ich koche, um meine Tochter satt zu bekommen oder vielleicht, um Freunde zu beeindrucken. Aber wozu ist das Töten von Dagoth Ur in meinem Leben gut? Kann es überhaupt in meine realen Lebensvollzüge eingebettet werden? Es sind Überlegungen dieser Art, die meines Erachtens rechtfertigen, den vollen Apparat der Handlungstheorie auf das Computerspiel loszulassen. Ich möchte daher
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im folgenden Abschnitt zunächst eine Einführung in einige wesentliche Ergebnisse der Philosophie des Handelns geben (2. a–f), um anschließend einige Aspekte aufzuzeigen, in denen diese Ergebnisse für das Phänomen des Computerspielens aufschlussreich sein können (3.–4.).
2. Einige grundlegende Überlegungen der Philosophie des Handelns Selbstverständlich gibt es nicht die Philosophie des Handelns im Sinne einer weitgehend akzeptierten Lehrmeinung mit einem festen Bestand an wohletablierten Einsichten – so wenig, wie es so etwas in irgendeinem anderen Bereich der Philosophie gibt. Tatsächlich ist in der Philosophie des Handelns sogar intern umstritten, wie ihr Projekt, das ich eingangs als das Verständlichmachen der praktisch-tätigen Weise unseres Menschseins bezeichnet habe, aufzufassen ist: Muss dies so verstanden werden, dass man in der Handlungstheorie eine besondere Sorte von Ursachen zu identifizieren versucht (also zum Beispiel besondere Geisteszustände), durch welche Handlungen im Unterschied zu anderen Körperbewegungen hervorgerufen werden, und sie dadurch als vernünftig auszuzeichnen? Oder geht es vielmehr darum, Handlungen durch eine ganz eigene Form der Erklärung verständlich zu machen, die sich von der kausalistischen, mit der andere Bewegungsarten im Naturgeschehen beschrieben werden, grundlegend unterscheidet? Dieser Konflikt, der die moderne handlungsphilosophische Debatte seit ihren Anfängen durchzieht, auch wenn sich insbesondere in jüngerer Zeit nicht alle ihrer Teilnehmer dessen bewusst sind, macht es schwer, für den gegenwärtigen Zweck so etwas wie eine unbelastet-neutrale Darstellung handlungstheoretischer Überlegungen zu geben (vgl. von Wright 1974 für eine klassische Darstellung des Konflikts, Davidson 1985a für eine extrem einflussreiche Zurückweisung dessen, dass man hier einen Konflikt sehen sollte, und Ford 2015 für eine aktuelle Wiedererinnerung an die grundverschiedenen Möglichkeiten, das Projekt der Handlungsphilosophie zu deuten). Im Folgenden werde ich Überlegungen anführen, die sich eng an die G. E. M. Anscombes (vgl. Anscombe 2010) anlehnen, die in den letzten Jahren eine produktive Wiederentdeckung erfahren haben. Diese Überlegungen fallen im angedeuteten Konflikt prinzipiell auf die Seite derjenigen, die meinen, dass eine Handlungserklärung als Vernunftausweis eine Erklärung eigener Art darstellt, die im gleichen Maße zu erläutern ist, wie das zu erklärende Phänomen besser in den Blick kommt. Aber Anscombes Überlegungen stellten zugleich in der Mitte des letzten Jahrhunderts überhaupt den Startschuss für eine ausführlichere Beschäftigung mit dem Begriff der Handlung dar und insbesondere durch ihre Aufnahme und Interpretation durch Donald Davidson sind sie in verschiedenen Deutungen und Modifikationen quer durch die Debatte wirksam. Es steht also zu hoffen, dass die im Folgenden dargestellten Ergebnisse mindestens für den hiesigen Zweck einen verhältnismäßig breiten Konsens ausdrücken. Einige Stellen möglichen Widerspruchs werde ich andeuten und im Übrigen wird eine sich erst entwickelnde Diskussion zu zeigen haben, inwiefern handlungsphilosophische Streitigkeiten auf das Ringen um eine richtige Auffassung des Computerspielens durchschlagen oder nicht.
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In diesem Sinne möchte ich nun sechs wesentliche Punkte einer Analyse des Handlungsbegriffs à la Anscombe vorstellen. a) Beschreibungsrelativität. Handlungen sind immer unter bestimmten Beschreibungen zu betrachten. Um Anscombes berühmtestes Beispiel zu bemühen (vgl. ebd., 62): Jemand kann so beschrieben werden, dass er pumpt, oder so, dass er seinen Arm auf und ab bewegt, oder so, dass er den Hebelmechanismus der Pumpe in Bewegung setzt, oder so, dass er die Zisterne eines Hauses mit Wasser versorgt und dadurch mittels eines unbemerkt eingespeisten Gifts die Bewohner vergiftet. Alle diese Beschreibungen erfassen (sofern sie denn zutreffend sind), was diese Person tatsächlich tut. Indem sie die eine Handlung durchführt, die sie durchführt, tut sie all das, was durch diese unterschiedlichen Beschreibungen erfasst wird, zugleich. Das heißt nicht, dass jeder von uns, indem er handelt, unendlich viele Handlungen durchführt, sondern nur, dass die Idee einer Handlung als eines zählbaren Ereignisses jenseits von bestimmten Beschreibungen keinen Sinn macht: Es gibt nicht so etwas wie blanke, unbeschriebene Handlungen, sondern Handlungen werden erst durch ihre vielfältigen Beschreibungen erfasst. Damit soll nun selbstverständlich keineswegs gesagt sein, dass die Handlung unter all diesen Beschreibungen ihrer Absicht nach verständlich wird. Im Gegenteil: Nur unter manchen der möglichen zutreffenden Beschreibungen wird die Handlung absichtlich sein, unter den allermeisten Beschreibungen, insbesondere den fernerliegenden, ist sie dagegen unabsichtlich. So kann es sein, dass der Pumpende beim Pumpen interessante Schattenfiguren auf die Wand hinter sich wirft, ohne überhaupt etwas davon zu merken (und doch ist das etwas, was er tut) oder es kann sein, dass ich (um ein anderes Beispiel von Anscombe aufzugreifen), eine Handlung unter der Beschreibung ›dieses Brett hier sägen‹ absichtlich tue, während ich dieselbe Handlung unter der ebenfalls zutreffenden Beschreibung ›Schmidts Brett sägen‹ unabsichtlich tue, einfach weil ich mir nicht dessen gewahr bin, dass dies hier Schmidts Brett ist (und nicht etwa meines). Was aber nicht der Fall sein kann, wenn wir es überhaupt mit dem Phänomen einer Handlung im vollen Sinn zu tun haben, ist, dass es gar keine Beschreibung gibt, unter der die Handlung absichtlich vollzogen wird, denn Absichtlichkeit, das heißt das spezifisch vernünftige Abzielen auf etwas im Tun, ist eben das, was das Phänomen des Handelns als solches ausmacht. Fehlte jegliche Absicht, hätte man es mit Bewegungen zu tun, die entweder gar nicht meiner bewussten Kontrolle unterliegen oder lediglich Schrumpfformen des Handelns darstellen, wie zum Beispiel das Wippen mit dem Fuß beim Lösen einer Rechenaufgabe. b) Der spezielle Sinn der Warum-Frage. Zu sagen, dass Handlungen absichtlich vollzogen werden, ist also eine Erläuterung dessen, was es heißt, dass wir in ihnen unsere Vernunft ausüben: Handlungen sind das vernünftig praktische Streben danach, gewisse Ziele zu erreichen. Absichtlichkeit lässt sich daher, in anderer Terminologie, auch als eine bestimmte (nämlich eine vernünftige) Art der Zielgerichtetheit bzw., was nochmal das Gleiche sagt, durch ihre spezifische Form von Teleologie fassen. Die Einschränkung auf eine ›bestimmte Art‹ oder ›Form‹ von Zielgerichtetheit/ Teleologie ist dabei nötig, weil es selbstverständlich auch andere Formen zielgerichteter Bewegungen gibt. Schon das Wachsen von Pflanzen zum Licht lässt sich als
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zielgerichtet auffassen, insofern es der Selbsterhaltung des Organismus dient; ganz sicher aber kann man eine Art der Zielgerichtetheit im Verhalten höherer Tiere beobachten: Eine Katze kann offensichtlich darauf aus sein, einen Vogel zu fangen (und wenn sie daneben springt, hat sie ihr Ziel nicht erreicht). Wenn wir nun den Sprung der Katze dennoch nicht als Handlung in unserem Sinn auffassen wollen, müssen wir mehr dazu sagen, wie hier eine Unterscheidung getroffen werden kann. Das heißt, wir müssen jene spezifische Art der Zielgerichtetheit, die als vernünftig gelten soll, weiter erläutern. Anscombe hat sich dem Problem auf für die weitere Handlungstheorie dann grundlegende Weise genähert, indem sie den spezifischen Sinn von Zielgerichtetheit daran gebunden hat, dass auf die Handlung ein »bestimmter Sinn« (ebd., 23) der Warum-Frage anwendbar ist. Das heißt, dass von Handelnden eine besondere Art von Erklärung eingefordert werden kann, durch die ihr Handeln für uns in einem ebenfalls bestimmten Sinn verständlich, nämlich nachvollziehbar, gemacht wird. Eine üblich gewordene Weise, die Anforderung, die durch diese spezielle WarumFrage aufgeworfen wird, begrifflich einzufangen, ist, dass durch sie nach Gründen gefragt wird, die eine Handlung in einem sehr basalen Sinn (den Davidson treffend aber natürlich für sich genommen nicht sonderlich informativ ›Rationalisierung‹ genannt hat; vgl. Davidson 1985a) rechtfertigen – und nicht nach Ursachen, die das Zustandekommen einer Bewegung lediglich von außen erklären. Wer zum Beispiel auf die Frage, warum er eine erratische Armbewegung gemacht hat, mit »Weil ich diese nervtötende Fliege vertreiben will« antwortet, der gibt eine Begründung im gemeinten Sinn. Wer dagegen mit »Ich habe mich total verjagt, als plötzlich dieser Typ angefangen hat zu telefonieren« oder gar mit »Ich weiß auch nicht, ich habe das in letzter Zeit manchmal, ich sollte dringend mal zum Neurologen« antwortet, der bedeutet damit nicht nur, dass er auf die gemeinte Form von Warum-Frage keine Antwort hat, sondern er weist implizit zurück, dass sie überhaupt Anwendung findet. Er kann (und will) sein Tun nicht als Handeln verständlich machen. c) Teleologische Ordnung. Auf diese Weise lässt sich negativ erhellen, was mit einer Antwort auf Anscombes Warum-Frage und damit einer Charakterisierung einer Handlung als Vernunftausübung nicht gemeint ist. Solange man jedoch keine positive Erläuterung gegeben hat, wie eine adäquate Antwort tatsächlich aussehen kann, sind all die Begriffe wie ›Grund‹, ›Rechtfertigung‹ oder ›Rationalisierung‹, die wir bisher zur Charakterisierung von Handlungserklärungen gegeben haben, nicht mehr als uneingelöste Versprechen auf eine solche. Ein erster Schritt hin zu einer positiven Charakterisierung lässt sich gehen, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, dass durch die spezielle Warum-Frage und ihre Beantwortung durch Gründe die Absichtlichkeit des Handelns als eine spezielle Form der Zielgerichtetheit einer Bewegung erläutert werden soll. Durch die Antwort auf die Warum-Frage muss also deutlich werden, inwiefern durch die Handlung etwas erreicht werden soll – die Verständlichkeit der Handlung muss dadurch gegeben werden, dass das, was getan wird, auf eine bestimmte Weise aufgefasst wird: nämlich so, dass es als Tun hin auf ein Ziel verstanden wird. Das zu begreifen, die Bewegung auf diese Weise neu zu betrachten, muss der Verständnisgewinn sein, der mit der Antwort auf die Warum-Frage einhergeht.
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Was damit gemeint ist, wird klar, wenn man sich erneut die unter a) eingeführte Beschreibungsvielfalt von Handlungen vor Augen führt: In Anscombes Beispiel des pumpenden Mannes lassen sich vier Beschreibungen ein und derselben Handlung isolieren: (1) Jemand bewegt den Arm hoch und runter, (2) dieser jemand pumpt, (3) dieser jemand füllt den Wasserspeicher des Hauses auf, (4) dieser jemand vergiftet die Bewohner des Hauses. Vorausgesetzt, dass alle vier Beschreibungen zutreffend sind und dass die Handlung unter allen vier Beschreibungen absichtlich ist, d. h. dass alle vier Beschreibungen als Antworten auf die Warum-Frage taugen, dann kann man den Fortschritt von (1) zu (4) als Fortschritt innerhalb einer Ordnung immer weiter gehender Erläuterungen auffassen, in dessen Verlauf jeweils eine im Verhältnis engere oder ärmere Beschreibung durch eine im Verhältnis reichere oder weitere Beschreibung ersetzt wird: Wenn jemand den Arm auf und ab bewegt und ich frage »Warum?«, so wird diese Frage beantwortet, indem mir das Auf-und-abBewegen als ein Pumpen verständlich gemacht wird. Wenn ich nun frage, warum dieser jemand pumpt, so wird mir diese Handlung verständlich gemacht, indem ich das Pumpen als ein Teilakt des Auffüllens des Wasserspeichers verstehe und von diesem weiß ich wiederum, als was ich es aufzufassen habe, wenn ich es als Teil der Ermordung der Hausbewohner auffasse. Durch jeden dieser Übergänge wird mir die Handlung in der engeren Beschreibung als Teil oder Phase einer umfassenderen Handlung verständlich, die der Handelnde dabei ist zu vollziehen, indem er die Handlung in der engeren Beschreibung vollzieht. Jemand pumpt, indem er den Arm auf und ab bewegt. Damit wird andersherum die Handlung gemäß der engeren Beschreibung als etwas verständlich, das vollzogen wird, um die Handlung gemäß der weiteren Beschreibung zu vollziehen. In einer erneuten terminologischen Wendung, kann man diesen Zusammenhang nun so beschreiben, dass zwischen den verschiedenen Auffassungen der Handlung Zweck-Mittel (oder Teil-Ganzes) Verhältnisse herrschen: Das Armheben ist Mittel zum Zweck des Pumpens. Aber es ist wichtig, dass hier kein Übergang von einer Handlung zu einem externen Zweck geschieht, sondern die interne Struktur einer Handlung beleuchtet wird. Der Umstand, dass sich die Handlung in Anscombes Beispiel durch die wohlgeordnete Reihe einander umfassender Beschreibungen (1) bis (4) fassen lässt, ist Ausweis der speziellen teleologischen Struktur einer absichtlichen Handlung. Insofern nun selbstverständlich noch weitere Zwischenglieder eingefügt werden können und sich potentiell noch unabsehbar viele weiter gefasste Beschreibungen als (4) und vielleicht auch engere Beschreibungen als (1) finden lassen, lässt sich eine Handlung in ihrer vernünftigen Absichtlichkeit als die Einheit dieser Reihe einander umfassender Phasen beschreiben, die zueinander in ›um-zu‹ bzw. ›indem‹-Verhältnissen stehen und deren Beschreibungen jeweils durch die Iteration der Warum-Frage generiert werden (vgl hierzu die enorm einflussreichen Ausführungen in Thompson 2011, Teil 2). Eine Handlung ist damit also beschrieben als eine Bewegung, welche eine bestimmte Warum-Frage zulässt, durch deren Beantwortung sie, wenn auch nach allem, was wir gesagt haben, nicht abschließend, verständlich gemacht wird. Der Verständniszuwachs entsteht dabei dadurch, dass wir die Beschreibung, unter der uns die Handlung gegeben ist, hin zu einer umfassenderen Beschreibung überschreiten, welche uns die Handlung in ihrer engeren Beschreibung als Teil oder Phase im teleologischen Kontext einer weiter gefassten Handlung erkenntlich macht. Handlungs-
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erklärungen geschehen daher nicht durch einen Blick zurück auf die psychologische Vorgeschichte der Handlung im Sinne von ›mentalen Ursachen‹ (vgl. erneut Davidson 1985a und, für eine ganze Auslegungstradition in dessen Folge, Mele 1992), sondern durch eine Weitung des Blicks auf den teleologischen Kontext, in dem die Handlung gemäß der betrachteten Beschreibung steht. d) Praktisches Wissen. Damit ist eine positive Erläuterung des Vernunftcharakters von Handlungen gegeben. Sie kann jedoch nicht für sich alleine stehen. Dass sie das nicht kann, sieht man schon daran, dass in der teleologischen Ordnung der Handlungsbeschreibungen nur solche Beschreibungen auftauchen können, gemäß derer die Handlung absichtlich vollzogen wird. Würde man in diese Reihe eine Beschreibung der Handlung einfügen, die dieses Kriterium nicht erfüllt – etwa, um ein Beispiel von Davidson (vgl. Davidson 1985a) zu variieren, dass der Pumpende durch seine Bewegungen ein paar Vögel aufscheucht, die in der Nähe gepickt haben – dann könnte diese (obgleich zutreffende) Beschreibung der Handlung nicht als Antwort auf die Warum-Frage gelten (denn der Pumpende hatte ja nicht vor, die Vögel aufzuscheuchen) und sie würde die Ordnung der ›Indem‹/›um-‹ -Verhältnisse sprengen. Wenn man aber von vornherein die Einschränkung macht, dass in der durch (1)–(4) verdeutlichten Ordnung nur ›absichtliche‹ Beschreibungen auftauchen dürfen, dann muss man bereits über ein gewisses Verständnis verfügen, wodurch diese ›absichtlichen‹ Beschreibungen sich auszeichnen, wenn die Erläuterung der Warum-Frage über die (1)–(4)-Ordnung nicht doch leerlaufen soll. Ein Teil dieses Verständnisses hat sich bereits in der Auswahl der Beispiele für ›unabsichtliche‹ Handlungsbeschreibungen in a) manifestiert: Denn sowohl der Fall, in dem ich unabsichtlich Schmidts Brett säge, als auch der Fall, in dem ich beim Pumpen Schattenfiguren an die Wand werfe, sind jeweils Fälle, in denen mein Handeln unabsichtlich ist, weil ich nicht um diesen Aspekt meines Handelns weiß. Wissen scheint also Bedingung dafür zu sein, dass ich etwas absichtlich tue: Was ich nicht weiß, kann ich nicht beabsichtigen. Doch ist diese Bedingung nicht hinreichend. Denn man kann sich den Fall desjenigen, der pumpt und Schatten wirft, auch so vorstellen, dass ihm durchaus aufgefallen ist, dass er diese Schatten wirft, während er pumpt, dass er aber dennoch nicht das Schattenwerfen beabsichtigt, sondern eben das Pumpen, und das Schattenwerfen für ihn nicht mehr als eine unbeabsichtigte (und vielleicht amüsante) Begleiterscheinung ist (vgl. Anscombe 2010, 63). Wenn man sich den Fall so denkt, ist Wissen vorhanden und dennoch keine Absichtlichkeit. Allein am Wissen in einem breit verstandenen Sinn kann die Absicht also nicht hängen. Anscombe hat deswegen die von Aristoteles stammende Idee eines spezifisch praktischen Wissens herangezogen, das sie kontroverser Weise als einen besonderen Fall von Wissen »ohne Beobachtung« (ebd., 28) charakterisiert. Wenn man etwas absichtlich tut, dann weiß man um dieses Tun nicht, weil man beobachtet, dass man dies tut. Das heißt man muss nicht erst herausfinden, was man tut, sondern man weiß dies eben, insofern man eine Absicht geformt hat. Wenn man beabsichtigt, zu einem bestimmten Ort, etwa eine U-Bahn-Station, zu laufen (um eine Erläuterung Richard Morans (vgl. Moran 2004) aufzunehmen), dann findet man sich nicht auf der Straße und versucht durch Beobachtung der vorbeistreichenden Ortsmerkmale und der eigenen Schritte herauszufinden, wohin man auf dem Weg ist, sondern all die Beobachtungen, die
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man anstellt, unternimmt man mit dem Wissen, dass sie einem helfen, eben zu jener U-Bahn-Station zu gelangen, zu der zu gehen man beabsichtigt. Und sollte man, wie es ja gelegentlich vorkommt, sich plötzlich doch einmal unterwegs finden, ohne zu wissen, was man hier draußen eigentlich tut, dann eben genau deswegen, weil einem für einen Moment entfallen ist, was man eigentlich vorhatte – der Verlust des Wissens und der Verlust der Absicht gehen hier Hand in Hand. Dieses Beispiel macht zugleich schon deutlich, dass ›Wissen ohne Beobachtung‹ hier nicht so verstanden werden soll, dass dieses Wissen gänzlich unabhängig von Beobachtung ist (auch, wenn manche von Anscombes eigenen Beispielen hier manchmal unglücklicherweise ein solches Verständnis nahelegen). Vielmehr wird in den allermeisten Fällen eine Beobachtung der Umgebung und der eigenen Bewegungen nötig sein, um eine absichtliche Handlung zu vollziehen (weder geht es darum, mit geschlossenen Augen zur U-Bahn zu gehen, noch muss jemand in der Lage sein, sich vorzunehmen, ein Brett zu sägen, ohne sich zu vergewissern, dass überhaupt ein Brett vorhanden ist). Man kann sogar, wie dies Anton Ford (vgl. Ford 2013) kürzlich getan hat, dafür argumentieren, dass ein Handeln ohne Einfluss der Sinnlichkeit schlichtweg nicht möglich ist. Der Gedanke ist vielmehr, dass praktisches Wissen nicht aus Beobachtung entspringt, seine Quelle nicht in der Beobachtung der Welt hat, und zwar deswegen nicht, weil praktisches Wissen, wie Anscombe mit Bezug auf Thomas von Aquin schreibt, »die Ursache dessen, was es versteht«, ist (Anscombe 2010, 135). Das Fassen einer Absicht, so muss dies gedeutet werden, setzt eine Handlung in die Welt, von deren Verlauf in ihren einzelnen Phasen ich genau deswegen weiß, weil es diese Phasen in ihrem speziellen Zusammenhang nur insofern gibt, als sie von dem Wissen, um was es mir in meinem Handeln geht, um was für ein Handeln es sich handelt, zusammengehalten werden. Etwas zu beabsichtigen heißt damit, eine bestimmte Form von Wissen davon zu haben, was das, was man tut, ist, welche Bedeutung es hat – und dieses Wissen ist damit konstitutiv für das absichtliche Handeln. Oder noch einmal anders gesagt: Praktisches Wissen besteht eben darin, die Warum-Frage im Sinne einer weiteren Beschreibung der Handlung beantworten zu können (vgl. hierzu auch Rödl 2011, Kap. 2). Gerade diese letzte Bemerkung macht deutlich, dass die Idee eines praktischen Wissens, auch wenn man die Überzeugung teilt, dass sie wesentliches Merkmal des Handelns ist (es gibt kein Handeln, wenn man nicht unter mindestens manchen Beschreibungen weiß, dass man es tut), nicht dazu geeignet ist, den Begriff der Absichtlichkeit oder der Handlung zu fundieren. Denn natürlich versteht man die Idee eines genuin praktischen Wissens letztlich in genau dem Maße, wie einem der spezielle Sinn der Warum-Frage und geeignete Antworten auf diese klar werden. Sie klärt uns weiter über den speziellen Sinn der Warum-Frage auf. Gleichzeitig hat sie aber durchaus produktive Konsequenzen für unser Verständnis von Handlungsbeschreibungen. Denn wenn es stimmt, dass es kein absichtliches Handeln ohne diese bestimmte Form des Wissens gibt, dann scheiden all jene Beschreibungen eines Tuns als absichtliche Beschreibungen aus, die dieses Tun so fassen, dass der Handelnde um sein Tun unter dieser Beschreibung entweder nicht wissen kann oder dies nur durch Beobachtung tun kann. Und zu solchen Beschreibungen gehören zum Beispiel die komplizierten physiologischen Prozesse in unserem Nervensystem (inklusive Gehirn) oder unseren Muskeln, die unser Handeln begleiten. Weit davon entfernt,
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dass mein Handeln ›eigentlich‹ im Feuern meiner Neuronen oder im Kontraktieren von Muskelfasern besteht, sind dies genau keine Dinge, die ich absichtlich tue, eben weil ich höchstens durch Beobachtungswissen von ihnen weiß. Es stimmt zwar, dass ich lernen kann, wie ich diese Dinge bewirken kann, so wie ein Bodybilder lernen kann, durch welche Maschinen er einen bestimmten Muskel trainieren kann, doch ist dies eher ein Fall der indirekten Manipulation des eigenen Körpers denn der unmittelbarste Sinn absichtlichen Handelns. Die unmittelbar absichtliche Handlung des Bodybuilders ist es, den Hebel der Fitnessmaschine zu bewegen und er tut dies, weil er beigebracht bekommen hat, dass so bestimmte Muskelfasern kontraktiert verwendet und dadurch Muskeln trainiert werden. Aber obgleich es stimmt, dass er den Hebel nur ziehen kann, weil seine Muskelfasern (und Nervenzellen etc.) bestimmte Dinge tun, taucht diese Beschreibung nicht in der teleologischen Ordnung der Indem/Um-zu-Beschreibungen auf, es sei denn als das, was im Sinne einer Folge durch das eigene Handeln bewirkt werden soll (vgl. hierzu auch v. Wright 1974, Kap. III). Die unbewussten Prozesse im eigenen Körper sind mir, in nicht wasserdichter Metaphorik ausgedrückt, zu nah, als dass ich sie absichtlich tun könnte. e) Fähigkeiten. Damit ist zugleich ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen: Während man auf der Grundlage des Gesagten zumindest argumentieren kann, dass es so etwas wie ›kleinstmögliche‹ Beschreibungen gibt (ungefähr in der ›Größenordnung‹ von Körperbewegungen), bei deren Unterschreitung wir den Bereich dessen, was wir absichtlich tun können, verlassen, und die man in diesem Sinne ›Basishandlungen‹ nennen könnte (vgl. Danto 1965 für eine klassische Diskussion des Begriffs, Lavin 2012 für eine jüngere Kritik), so gibt es keine ähnlich scharfe Grenze nach oben, wie weit man absichtlich in seinem Handeln in die Welt ausgreifen kann. Das eigene Handeln umfasst typischerweise deutlich mehr als bloß die Bewegung des eigenen Körpers: Die Person in Anscombes Beispiel bewegt nicht nur den Arm auf und ab, sondern sie bewegt auch den Hebel der Pumpe, versorgt das Haus mit Wasser und vergiftet die Bewohner. Und all das macht sie im genau gleichen Sinne mit Absicht, wie ihre Armbewegung. Wie das Beispiel des Bodybuilders nahelegen sollte, kann es sogar sein, dass man gewisse Körperbewegungen nur oder besser ausüben kann, indem man Dinge außerhalb des eigenen Körpers in Bewegung setzt. Es kann zum Beispiel sein, dass der Bodybuilder bestimmte komplizierte Körperbewegungen nicht anders auszuführen weiß, als dass er bestimmte Hebel an der Maschine bewegt. Diese scheinbar selbstverständliche Beobachtung hat nicht allen Philosophen eingeleuchtet. Davidson etwa hat dafür argumentiert, dass alles, was über Körperbewegungen hinausgeht, letztlich nur die beabsichtige Folge von Handlungen sein kann, während die Handlung selbst sich auf die Körperbewegung beschränkt, auch wenn sie in Hinblick auf ihre Folgen beschrieben werden kann (z. B. als Pumpen). In konsequenter Verfolgung dieser Linie und im direkten Gegensatz zu den vorangegangenen Ausführungen hier, analysiert er etwa den Fall des Schuhzubindens so, dass in diesem nur die Fingerbewegungen unsere Handlungen sind und die Bewegungen der Schnürsenkel deren Folgen und zwar auch dann, wenn wir unsere Fingerbewegungen nicht anders zu beschreiben vermögen denn als ›genau in der Weise, die erforderlich ist, um mir die Schnürsenkel zuzubinden‹ (vgl. Davidson 1985b, 84).
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Der leitende Gedanke von Beschränkungen dieser Art ist zumeist, dass unser Handeln nur das umfassen darf, was unserer direkten Kontrolle unterliegt, weil wir andernfalls in unserem Status als Handelnde immer davon abhängig wären, dass die Umstände uns günstig gewogen sind und uns nicht dazwischenfunken: Wenn jemand den Arm ausstreckt, um das Fenster zu öffnen, dies jedoch nicht gelingt, weil das Fenster klemmt, so hat er immer noch gehandelt, aber sein Handeln war eben kein Fensteröffnen. Und da derlei stets passieren kann, müssen wir nach diesem Gedanken eben immer streng zwischen dem unterscheiden, was wir tatsächlich tun und dem, was wir, wenn alles glatt läuft, bewirken können. Treffen wir diese Unterscheidung nicht, so das Argument, können wir im Prinzip nie wissen, ob wir es mit einer Handlung zu tun haben, ehe sie vollständig vollbracht ist. Dies hinge von der zufälligen Verfasstheit der Welt ab. Dieser Gedanke führt, wenn man ihn zu Ende denkt, zu kuriosen Konsequenzen. Denn erstens kann man durchaus der Meinung sein, dass der Hebel der Pumpe oder das zu öffnende Fenster in einem vollkommen verständlichen Sinn so direkt und unmittelbar unserer Kontrolle unterliegen, wie eben etwas direkt unserer Kontrolle unterliegen kann (wir können beides direkt bewegen). Zweitens aber sind auch Körperbewegungen keineswegs davor gefeit, aufgrund von intervenierenden Umständen zu scheitern. Man muss nur an eingeschlafene Beine, Bänderrisse oder einfach nur die Intervention eines anderen, der unseren Arm festhält, denken. Es ist daher kein Zufall, dass in einer zugespitzten Version dieses Gedankens das, was wir tatsächlich eigentlich selber tun können, auf nicht mehr hinausläuft, als lediglich den Versuch zu unternehmen, eine körperliche Handlung auszuführen (vgl. Hornsby 1980, die freilich inzwischen diesen Gedanken verworfen hat) oder als eine Absicht im Geiste zu formen (vgl. Broome 2013, Kap. 14) und dann darauf zu hoffen, dass man damit ein sich wie geplant entwickelndes Geschehen in Gang gesetzt hat. Handelnde Wesen wären damit im Endeffekt geistige Etwasse, welche in ihrem praktischen Tun nichts anderes machen, als die körperliche Welt von außen anzustoßen – eine Sichtweise, die für gewöhnlich mit Descartes assoziiert wird und von der man sich, auch als Vertreter des hier skizzierten Gedankens, üblicherweise zugleich routinemäßig distanziert, ohne zu bemerken, dass man sich ihr selbst in letzter Konsequenz verschreibt. Ein solcher Ansatz erscheint genau dann zwingend, wenn man keinerlei Möglichkeit hat, zwischen dem Fall zu unterscheiden, in dem man absichtlich etwas tut – und zwar auch dann, wenn es auf unerwartbare und außergewöhnliche Weise schiefläuft – und dem Fall, in dem man wirklich maximal darauf hoffen kann, dass man etwas bewirkt, was dem eigenen Handeln entzogen ist. Diese Unterscheidung ist die Unterscheidung zwischen Handlungen, die ein Handelnder tatsächlich zu vollziehen befähigt ist (vgl. Aristoteles Met. IX, Kern 2006, Kap. VI), für welche er über das nötige knowledge how (vgl. Ryle 1969, Kap. 2) verfügt (auch dann, wenn die Umstände so ungünstig sind, dass er in diesem bestimmten Fall an der vollständigen Ausübung der Fähigkeit gehindert wird) und solchen Dingen, die ihm höchstens durch Glück oder Zufall gelingen können. Der Unterschied ist dieser: Wenn jemand etwas im Sinne einer erlernten Fähigkeit vollbringen kann, dann bedarf es des Verweises auf besondere Umstände, um zu erklären, warum die Handlung in diesem Fall nicht gelungen ist (der Boden war glitschig, die Tür unvorhersehbarer Weise verschlossen,
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der Handelnde war abgelenkt etc.), während andersherum für denjenigen, der ein Ergebnis erreicht, obgleich er zu der dazugehörigen Handlung nicht befähigt ist, besondere Umstände angeführt werden müssen, um das Erreichen des Ergebnisses (den Glückstreffer) zu erklären. Entsprechend kann man sagen, dass derjenige, der über das entsprechende knowledge how verfügt, auch dann handelt, wenn die Handlung durch ungünstige Umstände misslingt (es ist dann eben eine misslungene Handlung), während derjenige, der nicht über das einer Handlungsbeschreibung entsprechende knowledge how verfügt, nicht im Sinne dieser Beschreibung handelt, auch wenn die Handlung scheinbar glückt. Der Automechaniker repariert auch dann, wenn das Auto sich letztlich (vielleicht wegen fehlender Ersatzteile) als nicht reparabel erweist, während derjenige, der (möglicherweise entgegen seinem Selbstverständnis) von Autos und ihrer Mechanik keine Ahnung hat, auch dann nicht zutreffend als jemand, der absichtlich ein Auto repariert, beschrieben werden kann, wenn sein Tun durch Zufall dazu führen sollten, dass das Auto wieder fährt. Über eine bestimmte Fähigkeit zu verfügen, ist Bedingung dafür, dass jemandem eine Handlungsbeschreibung als absichtlich zugerechnet werden kann und dies zeigt sich unter anderem daran, dass derjenige, der über die entsprechende Fähigkeit verfügt, im typischen Fall in der Lage ist, informativ zu erläutern, warum er die entsprechende Handlung durchgeführt hat. Auch Fähigkeiten bzw. knowledge how und Begründungen gehen Hand in Hand. f) Der Wert von Handlungen. Damit ist ein recht umfassendes Panorama des Phänomens des vernünftigen Handelns gemalt. Aber man kann der Meinung sein, dass es in einem entscheidenden Punkt noch nicht vollständig ist. Denn bislang wurden Handlungen als vernünftig beschrieben, indem sie als ein Tun charakterisiert wurden, von dem der Handelnde in genau dem Maße weiß, als er dieses Tun stets insofern erläutern kann, dass er eine umfassendere Beschreibung desselben Tuns geben kann, die deutlich macht, welchem weiter gefassten Handeln das Tun als Mittel zum Zweck dient (etwas, was er nur kann, wenn er über das entsprechende knowledge how verfügt, um diese weitergefasste Handlung zu vollbringen). Doch kann, so mag man einwenden, diese Art von Begründung unmöglich endlos wiederholt werden, soll sie überhaupt als Begründung funktionieren: Irgendwann muss man die Warum-Frage so beantworten, dass nicht auf eine weitere Handlung verwiesen wird, die wiederum für eine weitere Handlung gut ist, sondern so, dass die Antwort aus sich selbst heraus klarmacht, warum man die Handlung vollzogen hat. An irgendeinem Punkt möchte man nicht wissen, welchem weiteren Tun eine Handlung dient, sondern warum so etwas zu tun etwas ist, was zu tun wert ist. Ein Argument dieser Art wurde zuerst von Aristoteles formuliert, der in Buch 1 der Nikomachischen Ethik argumentiert, dass zwar jede Handlung zunächst nach einem Gut im Sinne dessen, was jeweils erreicht werden soll, strebt, welches wiederum für etwas anderes da sein kann, dass aber am Ende deutlich werden muss, inwiefern eine Handlung als ein Beitrag zu dem gelten kann, was er eudaimonia, das Glück oder auch das gute Leben, nennt (vgl. EN I, 1097b). In Fortführung dieser Überlegungen bei Aristoteles (und verwandter Überlegungen bei Platon) ist auch in der modernen Philosophie des Handelns verschiedener Denkrichtungen der Gedanke verbreitet, dass alles Handeln, wie es im Englischen
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heißt, under the guise of the good vollzogen wird, also so, dass das Handlungsziel als etwas Gutes wahrgenommen wird. Diesen Gedanken kann man aber sehr verschieden auslegen. Man kann ihn so auslegen, dass mit dem Guten eine bestimmte Sorte von Handlungszielen bezeichnet ist, die sich durch eine bestimmte Charakteristik, nämlich ihre Eigenschaft des Gutseins, zusammenfassen lassen und die (und nicht etwa andere) anzustreben unsere Pflicht als Vernunftwesen ist. In einer extremen Interpretation kann man dann dahin gelangen, Güte als eine abstrakte, quantifizierbare Größe (wie etwa Wohlergehen) zu betrachten, die es dann im Handeln zu maximieren gilt. In schwächeren Versionen geht man zwar davon aus, dass Güte eine gemeinsame Eigenschaft von Handlungszielen ist, deutet dies aber nicht so, dass die einzelnen Fälle von Güte im strengen Sinn untereinander verrechenbar sind. Doch selbst in dieser weniger strengen Variante ist dieser Gedanke vielen extrem unplausibel vorgekommen: Zu offensichtlich scheint er der psychologischen Realität zu widersprechen, in der wir durchaus Dinge absichtlich tun, von denen wir selbst niemals denken würden, dass sie zu tun gut ist (vgl. Stocker 1979 für eine klassische Kritik, Setiya 2007 für eine jüngere Elaboration). Zu behaupten, dass wir immer auf das Gute aus sind, scheint vielmehr eine unzulässige Vermengung von moralphilosophischer Forderung und handlungstheoretischer Analyse zu sein (vgl. Anscombe selbst in 2010, 112 f., Vogler 2002 und, aus einer anderen Richtung, Velleman 2000). Es gibt jedoch noch eine andere Weise, Aristoteles’ Behauptung zu lesen; eine Weise, auf die er selbst hindeutet, wenn er schreibt, dass die Glückseligkeit, wie Rolfes übersetzt, nicht »von gleicher Art« ist wie die anderen Güter, nach denen man strebt (EN I, 1097b). Nach einem solchen, alternativen Verständnis bezeichnet das Gutsein keine Eigenschaft von bestimmten Handlungen oder Handlungszielen, auf die es uns am Ende ankommt, sondern die Behauptung, dass eine Handlung als solche aufs Gute zielt, ist nichts weiter als die Forderung, dass eine Handlung, um als Handlung gelten zu können, dem Handelnden selbst und anderen verständlich gemacht werden können muss. Es ist erneut die Forderung der Warum-Frage, allerdings so gewendet, dass ihre Beantwortung für sich selber stehen muss, weil alles, was man nun noch Weiteres zur Begründung der Handlung sagen könnte, keine Begründung dieser Handlung darstellen würde, sondern eine Erläuterung der Weise zu Leben darstellen müsste, in der diese Handlung ihren Platz hat, was eine Frage anderen Typs wäre. Nach dieser alternativen Lesart verweist also das Aufs-Gute-gerichtet-Sein jeder Handlung nicht auf eine inhaltliche Beschaffenheit, die unsere letzten Ziele interessanterweise allesamt auszeichnet, sondern es ist die Formbestimmung einer Handlung als Vernunftausübung, die, egal welches Ziel sie zum Inhalt hat, dieses Ziel in irgendeiner Weise als etwas ausweisen können muss, das insofern verständlich ist, als klar ist, welchen Platz es innerhalb unserer Lebensführung einnehmen kann. Die Armbewegung eines Fußgängers mag unverständlich sein und dadurch verständlich werden, dass man sie als Signal an einen Autofahrer versteht und dieses wiederum dadurch, dass der Autofahrer dazu bewegt werden soll, seine Vorfahrt zu nutzen und das wiederum mag verständlich werden, als der Versuch, eine unübersichtliche Verkehrssituation aufzulösen etc. – aber spätestens an dem Punkt, an dem man eine Beschreibung gibt, nach der Unfälle vermieden und das heißt die Gesundheit von
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Beteiligten gewahrt werden soll, geht man dazu über, die Erläuterungsart zu wechseln: Man macht nun klar, was der Witz eines Signales in unserer Art und Weise, die städtische Fortbewegung zu organisieren, ist. Hier weiter zu fragen kann nur bedeuten, unvertraut mit unserer Lebensform zu sein. Obgleich also das Streben nach dem Guten in dieser Lesart formal, d. h. als die selbstbewusst-vernünftige Art zu streben (und nicht inhaltlich als das Streben nach etwas Bestimmtem) verstanden wird, ist diese Lesart dennoch nicht leer, wie man es ihr vorwerfen könnte. Es sind durchaus gehaltvolle Bedingungen an sie geknüpft. Deren wichtigste ist diese: Etwas ist letztlich nur dann als Handlungsziel verständlich, wenn es als etwas verständlich gemacht werden kann, das, wie Anscombe es unter Vermeidung der Rede vom Guten ausdrückt, erstrebenswert ist (vgl. Anscombe 2010, 112). Und das bedeutet, dass wir mit einer Erklärung solange unzufrieden sein und Zusatzerläuterungen einfordern werden (war die Person sich über die Umstände ihres Handelns vielleicht im Unklaren, wenn nicht, was hat sie geritten?), bis wir immerhin eine Ahnung davon bekommen, wieso man das Getane irgendwie als angemessene Art des Handelns ansehen kann. Wert- und Sinndimension fallen in diesem formalen Sinn zusammen. Eine Handlung als sinnvoll zu erfahren, bedeutet ihren Wert zu begreifen. Daraus ergibt sich, dass das, was manchen als die fundamentale Begründung einer Handlung gilt, nämlich ›ich tue dies, weil ich es will‹, in Wirklichkeit gar keine Begründung und im Unterschied zur ähnlich klingenden Bemerkung ›weil es mir Spaß macht‹ nicht einmal die Schrumpfform einer solchen ist, sondern lediglich die formale Andeutung darstellt, dass die fragliche Handlung von der Art ist, dass man eine Begründung geben könnte. ›Weil ich es will‹ beantwortet die Warum-Frage nicht, sondern deutet an, dass sie zulässig ist (und wahrscheinlich auch, dass man von ihr genervt ist). ›Weil es mir Spaß macht‹ hingegen gibt eine Antwort, jedoch eine, die in vielen Fällen weiterentwickelt werden muss, um einsichtig zu sein. Von beiden Fällen gilt es nach dem Gesagten nun wiederum den Fall zu unterscheiden, in dem wir auf die Warum-Frage erwidern, dass wir die Handlung um ihrer Selbst willen vollziehen (vgl. Aristoteles, EN V, 1140b). Hier bestätigen wir nicht die Angemessenheit der Warum-Frage oder deuten eine Antwort an, sondern wir sagen, dass es keine weitere Antwort gibt, weil wir davon ausgehen, dass der Platz der Handlung in unserer Vorstellung von einem guten Leben evident ist.
3. Erste Auswertung und Problembeschreibung: Was sind handlungsphilosophische Probleme des Computerspielens? Damit ist über die sechs durcheinander erläuterbaren Aspekte: (a) Beschreibungsrelativität, (b) Warum-Frage, (c) teleologische Ordnung, (d) praktisches Wissen, (e) Handlungsfähigkeit und (f) Wert der Handlung eine halbwegs belastbare Bestimmung menschlichen Handelns gegeben – freilich (und bewusst so) ohne ein einziges Wort zu Computerspielen zu verlieren. Denn die bisherige Darstellung sollte sich neutral zur Frage verhalten, ob das Computerspielen durch die genannten Charakteristika gefasst und erhellt wird. Das muss sich nun ändern.
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Einige unmittelbare Erträge lassen sich dabei rasch zusammentragen: Wenn die Überlegungen des vorangegangenen Abschnitts überzeugt haben, dann ist es klar, dass alle Überlegungen, die darauf hinaus gehen, das Problem des ungeklärten Wirklichkeitscharakters von Computerspielen reduktiv zu klären, indem behauptet wird, dass man, wenn man Computer spielt, in einem eigentlichen Sinn oder ›in Wirklichkeit‹ nicht mehr tut, als mit dem Programm-Code zu interagieren oder Nullen und Einsen zu verschieben oder physikalische Zustände im Prozessor und den Speicherchips des Computers zu verändern, von vornherein hoffnungslos sind. Zum einen deswegen, weil der Witz unserer Erläuterungen gerade war, dass es keine einzelne ausgezeichnete Beschreibungsweise einer Handlung, durch die ihre Wirklichkeit exklusiv beschrieben würde, gibt. Zum anderen aber, weil die genannten zu privilegierenden Beschreibungsebenen in den allermeisten Fällen gerade nicht die sind, unter denen unser Tun als absichtliches verständlich wird: Sofern wir nicht Programmierer beim Bug-fixing oder Chipentwickler beim Messdaten-Erheben sind, werden wir von diesen Aspekten unseres Tuns keine Ahnung haben, und BugFixing und Chipausmessen sind gerade keine typischen Spielhandlungen. Ähnliches dürfte sogar noch für die meisten Controllerbewegungen (von einigen bewussten Eingabekombinationen, etwa bei klassischen Beat-em-ups oder natürlich bei Texteingaben, einmal abgesehen) gelten, die uns, im Sinne unserer Überlegungen zu Handlungsaspekt d) ›zu nah‹ sind, als dass wir um ihre Ausführung wüssten und die wir nicht anders hervorzubringen wüssten, als dass wir eben die Handlung im Computerspiel, die wir durch sie vollführen, ausführen. Sofern all diese angedeuteten reduktiven Beschreibungen von Spiel-Handlungen den Sinn haben, die Wirklichkeit unseres Handelns beim Spielen vor der Unwirklichkeit des Spiels zu bewahren, kann man sagen, dass diese Strategie nicht aufgeht und im Gegenteil die Wirklichkeit unseres absichtlichen Handelns beim Computerspielen erst gar nicht in den Blick gerät, wenn man nicht auf Beschreibungen dieser Handlungen zurückgreift, die von Vokabular Gebrauch machen, das durch das Spielgeschehen selbst zur Verfügung gestellt wird. Damit allerdings wird die Frage dringlich, welche Art von Beschreibung aus dem Spielgeschehen denn tatsächlich geeignet ist, unser Tun als absichtlich zu charakterisieren. Nach dem Gesagten lässt sich dies reformulieren als die Frage danach, unter welchen Beschreibungen wir von unseren Spielhandlungen wissen, so dass wir sie im Sinne von Anscombes WarumFrage beantworten, d. h. in eine teleologische Ordnung bringen können, die sich in einem weiten Sinn als erstrebenswert ausweist. Damit sind zwei Aspekte einer handlungstheoretischen Untersuchung des Computerspielens benannt, die sich grob als die Frage nach der semantischen Tiefe von Computerspielbeschreibungen und die Frage nach dem Wert bzw. der Bedeutung von Computerspielhandlungen umreißen lassen. Beide sollen im Folgenden vorgestellt werden.
4. Die semantische Tiefe von Computerspielhandlungen Wenn Computerspielhandlungen nicht unter solchen Beschreibungen als absichtlich verständlich werden, nach denen wir in ihnen mit dem Programmcode oder der Hardware des Computers interagieren, und sie weiterhin in ihrem absichtlichen
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Charakter nicht primär dadurch erfasst werden, dass wir Körper- oder ControllerBewegungen vollziehen, als was vollziehen wir sie dann absichtlich? Der erste Schritt zu einer Antwort muss hier darin bestehen, anzuerkennen, dass es in einem wesentlichen Sinn keine einheitliche Antwort gibt: Computerspiele sind ein sehr vielfältiges Phänomen, das so verschiedene Dinge wie Adaptationen von Brett- und Kartenspielen, Karaoke- und Fitnessspiele, Arcade-Actionspiele, klassische Textadventure und Online-Rollenspiele umfasst. Nichts kann einem daran liegen, hier künstlich zu vereinheitlichen (nützliche Sammlungen und Sortierungsversuche finden sich u. a. in Juul 2005, 2016; Tavinor 2009; Feige 2015). Aber für den hiesigen Zweck kann es helfen, sich das Feld zu ordnen, indem der Blick auf zwei typische Fälle gelenkt wird: Auf das ›abstrakte‹ Geschicklichkeits- oder Puzzle-Spiel wie Tetris oder Breakout und das in einer ausgefeilten Spielwelt platzierte Action-, Abenteuer- oder Rollenspiel, das durch so diverse Fälle wie X-Wing, Day of the Tentacle, Bioshock und eben Morrowind exemplifiziert wird. Beide Typen von Spiel unterscheiden sich in dem, was hier probeweise als ›semantische Tiefe‹ bezeichnet werden soll (und was ungefähr dem entspricht, was Theoretiker wie Jesper Juul oder Grant Tavinor als Grad der Fiktionalisierung beschreiben würden): im Umfang und der Art, in dem das Spiel selbst Beschreibungsweisen von Spielhandlungen generiert, die sich von einer externen Beschreibung der Handlung unterscheiden. Tetris ist in diesem Sinne semantisch flach. Was man in dem Spiel tut (herunterfallende Klötze drehen und möglichst in Lücken schon gestapelter Klötze versenken, damit diese zum Verschwinden gebracht werden), ist, um eine eingängige Formulierung zu verwenden, schlicht das, was man eben tut: Das Spiel bietet keine andere Beschreibungsweise an als diejenige, zu der man greift, um das zu beschreiben, was auf dem Bildschirm, wie man sagen könnte, ›unmittelbar‹ zu sehen und als solches verständlich ist. Natürlich ist eine solche Charakterisierung mit Vorsicht zu genießen – jemand, der noch im Geist des reduktionistischen Projekts befangen ist, könnte einwenden, dass auch Formulierungen wie ›Klötze drehen‹ nicht buchstäblich beschreiben, was wir tatsächlich tun, weil es sich ja nicht um Klötze, sondern um farbige Formen auf dem Bildschirm handelt, die auch nicht tatsächlich fallen, sondern sich von oben nach unten bewegen und auch nicht gedreht werden, sondern sich diskret in vier verschiedene Ausrichtungen bringen lassen etc. Doch erstens ist nicht klar, wo dieses Projekt der Besserwisserei enden soll (die Formen bewegen sich in diesem Sinne ja auch nicht, sondern Pixel verändern ihre Farbe), zweitens sind so nicht die Beschreibungen getroffen, unter denen wir unser Tun sinnvoll finden, und drittens wären davon auch ganz unspielerische Arbeitsverrichtungen auf dem Computer (das ›Drücken‹ von ›Tasten‹ in der Word-Bedien›leiste‹ mit der Maus) betroffen, deren produktiver Sinn in unserer Lebenswelt außer Frage steht – von ähnlichen Phänomenen in Bereichen, die nichts mit dem Computer zu tun haben ganz zu schweigen (bewegen wir wirklich Bauern beim Schach, versenken wir wirklich Heringe beim Zelten?). Kurz: Die Beschreibungen, die sich anbieten, um unser Tetris-Spielen zu charakterisieren, scheinen uns nicht (oder jedenfalls nicht weit) aus unserer Lebenswelt herauszuführen und dem korrespondiert, dass wir die oben herausgearbeiteten Charakteristika von Handlungsbeschreibungen problemlos auf unsere Tetris-Spielhandlungen anwenden können: Wir können ›absichtliche‹ Beschreibungen von ›unabsichtlichen‹ unterscheiden (das Versenken des T-Steins in eine Lücke vs. das
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Verbauen eines Schachts durch einen falsch abgesenkten Stein oder das Generieren von Prozessorabwärme). Wir können Tetris-Handlungen unterscheiden, die zu vollziehen wir die Fähigkeit erlernt oder nicht erlernt haben, so dass sie uns nur zufällig glücken können (z. B. eigentlich schon aufgesetzte Steine im letzten Moment noch zu verschieben, um eine seitliche Lücke zu füllen). Und wir können problemlos teleologische Ordnungen von einander erläuternden Beschreibungen generieren und zwar – und das ist entscheidend – sowohl innerhalb des Spielgeschehens (ich rotiere den T-Stein, weil ich dabei bin diese Lücke zu füllen, ich fülle diese Lücke, weil ich dabei bin, einen Schacht für den I-Stein zu schaffen, ich schaffe einen Schacht für den I-Stein, um vier Reihen auf einmal abzuräumen etc.) als auch zwischen spielbezogenen und körperlichen Beschreibungen (ich bewege meinen Finger, weil ich die rechte Pfeiltaste drücke, ich drücke die rechte Pfeiltaste, weil ich den T-Stein rotiere, ich rotiere den T-Stein, weil ich dabei bin, diese Lücke zu füllen etc.). Tetris scheint einer handlungstheoretischen Erfassung keine besonderen Hindernisse entgegenzustellen – nicht mehr jedenfalls als andere Aktivitäten, die wir auf dem Computer machen oder andere Geschicklichkeits- oder Knobelspiele, die wir ohne Computer spielen (vgl. auch Tavinor 2009, Kap. 3). Die Sache wird komplizierter, wenn man zu Spielen übergeht, deren Spielhandlungen Beschreibungen erlauben, die über das, was man gewissermaßen (im vorgestellt problematischen Sinn) auf der Oberfläche des Spiels ›eben tut‹ hinausgehen, indem sie den Handlungen Bedeutungen zuschreiben, die sich nur aus dem Kontext der durch das Spiel gebildeten Spielwelt ergeben und die sich in diesem Sinne nicht einfach in unsere Lebenswelt einfügen lassen. Der Schritt in diese Form der semantischen Tiefe kann dabei recht subtil und für das Spielgeschehen eher unbedeutend sein (während man im Arcade-Klassiker Breakout semantisch flach mithilfe eines Balls, den man mit einem Schläger im Spiel halten muss, Steine auf dem Bildschirm zerschlägt, ist der Schläger im ebenfalls klassischen Breakout-Klon Arkanoid ein Raumschiff, die Steine sind eine intergalaktische Barriere etc.), recht schnell aber kommt man bei der Beschreibung der Spielhandlungen nicht mehr ohne die Verwendung dieser semantisch tiefen Beschreibungen aus. Schon bei einer typischen Rennsimulation wird das, was man als Spieler tut, nur unter Beschreibungen der Art ›das Lenkrad bewegen‹, ›das Auto nach rechts steuern‹, ›früh in die Kurve gehen‹ oder ›dem Baum ausweichen‹ als absichtliche Handlung verständlich. Nur unter Verwendung dieses Vokabulars wird die vom Spieler aufgebrachte Mühe und Lebenszeit begreiflich gemacht – und das seltsamerweise, obgleich nichts von dem ›in Wirklichkeit‹ geschieht. Inwiefern hier etwas seltsam ist, erkennt man gut, wenn man die Warum-Frage durch die Beschreibungsebenen verfolgt. Denn natürlich ist an Aussagen wie ›Ich bewege meinen Arm, weil ich den Joystick nach rechts drücke und ich drücke den Joystick nach rechts, weil ich ein Rennspiel spiele‹ nichts Außergewöhnliches. Unter diesen Beschreibungen verhält sich die Begründung ganz so wie ›Ich drücke die Taste, weil ich Klavier spiele‹ oder ›Ich trete den Ball, weil ich Fußball spiele‹. Andererseits ist an der ›spielinternen‹ Begründungskette ›Ich lenke nach rechts, weil ich dem Baum ausweiche‹ an sich nichts Seltsames (blendet man einmal aus, dass der Wirklichkeitscharakter dieses Geschehens vielleicht noch ungeklärt ist). Aber wenn man diese beiden Begründungsketten verbindet – und das muss man, wie
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hier argumentiert wurde – dann erhält man die Seltsamkeit, dass man die Arm- und Joystickbewegung vor dem Computer damit erläutert, dass man einem Baum im Computerspiel ausweicht und hier scheint ein Sprung in den Realitätsebenen stattzufinden, über den es sich lohnt, Genaueres zu sagen. Zunächst dieses: Dass man es hier mit einer Seltsamkeit zu tun zu haben scheint, kann nicht bedeuten, dass der Verweis auf das Umfahren des Baumes nicht tatsächlich die richtige Erklärung der Armbewegung darstellt. Ganz wie bei Tetris sind die Bedingungen des praktischen Wissens und das Vorhandensein eines entsprechenden Know-Hows erfüllt: Ich kann sagen, warum ich die Bewegung ausführe, die ich ausführe, und ich kann unterscheiden, was ich mit dem Auto im Spiel tatsächlich anstellen kann und was mir nur aus Zufall glückt. In all diesen Dingen funktioniert die Handlungserklärung normal. Gleichzeitig sieht man, wo die Irritation sitzt: Denn natürlich habe ich nicht das Vermögen, ein echtes Rennauto in der entsprechenden Weise zu steuern, sondern nur das Vermögen, ein Rennauto in diesem Spiel so zu steuern. Das Spielhandeln ruft zu seiner Erklärung notwendig Vokabular auf, das auf Begriffe, Tätigkeiten und Fähigkeiten verweist, die ihren primären Ort in der außerspielerischen Wirklichkeit haben, oder sich zumindest von solchen ableitet. Man würde nicht verstehen, was ich spielend tue, gäbe es keine Vertrautheit mit den entsprechenden Aktivitäten in der Welt jenseits des Spiels – und doch ist die Spielhandlung keine von diesen Aktivitäten, sondern eben eine andere Aktivität in unserer Lebenswelt: das Spielen eines bestimmten Computerspiels. Diese Eigenschaft, einen Raum von Aktivitäten eigener Art zu schaffen, welche zugleich ihrem Sinn nach Aktivitäten von außerhalb dieses Raums aufrufen, ist für sich genommen keine Besonderheit des Computerspiels. Wie aus verschiedenen Traditionslinien heraus argumentiert wurde (vgl. z. B. Huizinga 1987; Wittgenstein 1984; Rawls 1955) ist es ein bestimmendes allgemeines Merkmal von Spielen, dass durch sie ein Komplex aufeinander bezogener Handlungsweisen erst geschaffen wird (man kann nicht im relevanten Sinn ein Tor schießen oder im Abseits stehen, ohne Fußball zu spielen) und es ist darüber hinaus ein Merkmal z. B. eines Großteils von zeitgenössischen Brettspielen (aber auch von einigen historischen Spielen und Spielen ohne Brett), dass diese Spielhandlungen eine ›außerspielerische‹ Beschreibung erhalten (man kauft Straßen in Monopoly, baut welche in Die Siedler von Catan etc.). Während aber dieser Verweis in Brettspielen aufgrund der geringen Regelkomplexität weitgehend abstrakt oder symbolisch bleibt, daher prinzipiell häufig austauschbar ist und leicht ignoriert werden kann bzw. mit der Zeit, wie etwa bei Schach, als semantische Tiefendimension verschwindet, ermöglichen die technischen Besonderheiten des Computerspiels einen deutlich umfassenderen Sinnimport von außerspielerischen Handlungsweisen auf solche im Spiel. So ist es unter anderem, um nur Andeutungen für genauere Analysen zu geben, durch die Vielfältigkeit von Eingabemöglichkeiten und die Art und Weise, wie die Spielwelt nicht als bloß einzuhaltendes Regelwerk, sondern als quasi naturgesetzliche Umgebung sinnlich konkret erfahrbar präsentiert wird, möglich, Handlungen aus der Lebenswelt auf eine Weise in ›ähnliche‹ oder vielleicht besser strukturanaloge Handlungen im Spiel zu übersetzen, die deutlich über das, was ein übliches Brettspiel vornimmt, hinaus geht. Diese Übersetzbarkeit (die im gelungenen Fall mancher Genres einen geradezu mimetischen Charakter annehmen kann) führt dazu, dass sich teleologische Ketten
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von ursprünglich realen Handlungsbeschreibungen des Spiels deutlich detaillierter in Spielhandlungen wiederfinden lassen: Ich kann eben im Rennspiel tatsächlich Dinge tun, die sich als Beschleunigen bis zum letzten Moment, Fuß vom Gas nehmen, Bremsen bis kurz vor dem Einlenken, Einschlagen des Lenkrads etc. verstehen lassen und die mindestens zum Teil, etwa dem Lenken nach links und rechts, sogar grobe räumliche Entsprechungen zu entsprechenden realen Handlungen haben. Wenig von dem dürfte sich in einem Renn-Brettspiel finden. Weiterhin wird dadurch, dass mir durch das Spiel eine ›solide‹ Spielwelt präsentiert wird, die in großem Umfang meiner direkten Kontrolle und Einsicht entzogen sein kann, zugleich der Raum für ein breites Spektrum von Fehlern (›physisches‹ Scheitern durch Ungeschicklichkeit oder durch Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, unabsichtliches Handeln aus Unwissenheit um gewisse Gegebenheiten der Spielwelt – vgl. Juul 2013) eröffnet. Insofern der Kontrast von Gelingen und Scheitern wesentliches Merkmal der logischen Charakteristik von teleologischen Ordnungen ist (erst das Setzen eines Ziels eröffnet die Möglichkeit des Verfehlens), kann man gerade auch an der Reichhaltigkeit der Arten des Fehlens bemessen, in welchem Umfang Computerspielhandlungen realen Handlungen ähneln. Schließlich können Computerspiele durch verschiedene Möglichkeiten der erzählerischen Formung des Spielgeschehens (rahmende Hintergrundgeschichte, erläuternde Texte im Spiel, Dialog mit Nichtspielercharakteren etc.) selbst eine beständige Interpretation der Spielhandlungen als semantisch tief vornehmen, die über das unmittelbare Spielgeschehen auch deutlich hinausgehen kann (man erschlägt z. B. nicht nur ein besonders starkes Monster, sondern rettet dadurch die Welt). All dieses zusammengenommen trägt entscheidend dazu bei, dass nicht nur in vielen Computerspielen auf semantisch tiefe Beschreibungen von Spielhandlungen nicht verzichtet werden kann, sondern dass zudem in den Computerspielhandlungen die realen Handlungen, denen sie entsprechen, tatsächlich wiedererkannt werden können. Gerade diese Nähe lässt aber zugleich die Differenz zwischen spiel- und lebensweltlichen Handlungen deutlich hervortreten: Denn insofern jede Übersetzung von Letzteren in Erstere notwendig unvollständig bleibt (sowohl aufgrund des Charakters von analogischen Übertragungen als auch aufgrund der Eigengesetzlichkeit von Spielmechanismen, die gerade keine vollständige Imitation der Wirklichkeit verlangen), kommt man bei Aufschlüsselung der Spielhandlungen stets an den Punkt, an dem die semantisch tiefe Beschreibung der Spielhandlung das Vorhandensein einer Fähigkeit impliziert, die der Spieler nicht nur als reale Person vielleicht nicht besitzt (was im Übrigen irrelevant ist), sondern die sich auch nicht als Fähigkeit des Spielers, das Spiel zu spielen, ausbuchstabieren lässt. Um beispielsweise in einem Rollenspiel wie Ultima Underworld eine Tür mit einem Dietrich zu knacken – eine Handlung, die real eine durchaus spezifische Fähigkeit voraussetzt – muss ich nicht mehr tun als einmal mit der Maus zu klicken. Einen Schritt weiter geht System Shock, indem es die Fähigkeit, eine Tür zu hacken, dadurch in eine Fähigkeit, das Spiel zu spielen, zu übersetzen versucht, dass es das Hacken durch ein Minispiel simuliert, das vage Ähnlichkeit damit hat, einen geschlossenen Stromkreis herzustellen. Aber es ist natürlich offengelassen, wie sich dieses Minispiel im Sinne eines tiefen Verständnisses der Spielwelt zur Handlung des Türhackens verhält: wie man zum Beispiel ›Zugang‹ zu diesem Minispiel erhält (als Spielhandlung:
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ein Mausklick, aber dieser muss in einem tiefen Sinn ja bedeuten, sich irgendwie Zugang zur Steuerungselektronik der Tür zu verschaffen), was genau das Minispiel im Sinne der Türsteuerung bewirkt usw. Es ist klar, dass in beiden Spielen, Ultima Underworld und System Shock, die Fähigkeit, ein Schloss zu knacken, auf irgendeiner Beschreibungsebene nicht mir als Spieler, sondern der Spielerfigur in ihrer jeweiligen Eigenschaft als gewiefter Abenteurer bzw. Meisterhacker zukommt. Und dies ist systematisch so: Der Übersetzungscharakter von lebensweltlichen Handlungen in Spielhandlungen, der für eben jenen Sinnimport notwendig ist, welcher es ermöglicht, tiefe Beschreibungen von Spielhandlungen zu geben, setzt voraus, dass es eine Repräsentation von mir als Handelnden im Spiel gibt – die Spielerfigur – die in einem entsprechend semantisch tiefen Sinn über die Fähigkeiten und das praktische Wissen verfügt, die zum Vollbringen der Handlungen unter diesen tiefen Beschreibungen notwendig sind. Insofern diese Fähigkeiten solche zu Handlungen in der Spielwelt sind, sind sie nicht meine Fähigkeiten als Spieler, sondern tatsächlich Fähigkeiten der Spielfigur. Insofern diese Fähigkeiten aber ausgeübt werden, indem ich selbst Spielhandlungen begehe und dafür meine Fähigkeit ausübe, dieses spezielle Computerspiel zu spielen, stellen sie eine Repräsentation meines eigenen Handlungsvermögens im Spiel dar. Diese eigentümliche Differenz zwischen mir als Spieler und meiner Spielerfigur kommt auf eine andere Weise noch einmal deutlicher in den Blick, wenn man auf die Wissensdifferenz von Spieler und Spielfigur blickt. Wie oben ausgeführt wurde, kann die Handlung nur unter solchen Beschreibungen absichtlich sein, unter denen man von ihr weiß, und dieses Wissen setzt ein Wissen um die Umstände des Handelns voraus. Dieses Wissen kann aber zwischen Spieler und Spielerfigur sehr unterschiedlich ausfallen – im deutlichsten Fall etwa, weil der Spieler das Spiel nicht zum ersten Mal spielt (oder weil er aus anderen Quellen von einer überraschenden Wendung im Handlungsverlauf erfahren hat). So kann ich etwa meine Spielerfigur Roger Wilco spaßeshalber in ihr Verderben schicken, weil ich die Todesmeldungen in Space Quest IV so amüsant finde, ohne dass Roger Wilco deswegen als lebensmüde gelten müsste. Oder ich kann über viele Stunden die erste Kampagne von Windchaser spielen, selbst wenn ich als Spieler schon weiß, dass die Spielerfigur Joan gerade nicht, wie er denkt, den Frieden in der Spielwelt wiederherstellt, sondern durch seine (und also meine) Handlungen diese gerade der Vernichtung entgegenbringt. Trotzdem gilt auch in diesem Fall: Was ich absichtlich, d. h. wissentlich tue, muss mir, um mir als Handlung verständlich zu sein, in seiner semantisch reichen Beschreibung so gegeben sein, wie es der Spielerfigur verständlich ist. Ich kämpfe im Windchaser-Beispiel für den Frieden, indem ich mich auf die Suche nach einer mythischen Super-Waffe mache (die dann die Welt vernichten wird). Es ist nur freilich unter einer weiteren Beschreibung zugleich so, dass ich für den Frieden deswegen kämpfe, weil ich das Spiel Windchaser spiele, das in seiner ersten Hälfte eben darin besteht, die mythische Superwaffe um des Weltfriedens wegen zu finden und dadurch unabsichtlich die Vernichtung der Spielwelt herbeizuführen. Beim Computerspielen kann man also absichtlich etwas unabsichtlich tun und zwar genau deswegen, weil meine Handlungen im Spiel als Handlungen der Spielerfigur durch die Art und Weise, wie die Spielwelt der Spielerfigur zugänglich ist, bestimmt werden. Wenn man sagt, dass man absichtlich etwas Unabsichtliches tut, ist dies also keine
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Paradoxie, denn es findet ein Wechsel der Beschreibungsebenen statt. Aber es ist ein charakteristisches und bemerkenswertes Merkmal semantisch tiefer Computerspiele, dass dieser Ebenenwechsel in den Begründungsketten meiner Spielhandlungen notwendig ist und so reibungslos vonstattengeht.
5. Sinn und Wert von Computerspielhandlungen Im vorangegangenen Abschnitt ging es um verschiedene Varianten der instrumentellen Rechtfertigung von Computerspielhandlungen – sowohl durch den Gang in das Spiel hinein (indem spielexterne Beschreibungen meiner Handlungen durch Beschreibungen im Vokabular des Spielgeschehens gerechtfertigt werden) als auch innerhalb des Spiels (indem verschiedene Beschreibungen meiner Handlung im Vokabular des Spielgeschehens in Indem/Um-zu-Verhältnisse gebracht werden). Die zuletzt angestellte Beobachtung, dass man Handlungen unter der Beschreibung des Spielgeschehens wiederum durch ›Ich mache das, weil ich das Computerspiel XY spiele‹ erklären kann, zeigt zudem, dass man die teleologische Rechtfertigung auch so fortsetzen kann, dass man aus dem Spielgeschehen wieder ›heraus‹ tritt und innerspielerische Beschreibungen durch lebensweltliche Beschreibungen erklärt. Dies wirft die Frage auf, ob mit diesem Zug eine abschließende Erklärung meiner Spielhandlungen gegeben ist, ob mit dieser Erklärung also alles gesagt ist, was ich zur Rechtfertigung meiner Spielhandlungen vorzubringen habe. Diese Frage hat wiederum zwei Aspekte: Ich kann damit erstens (a) wissen wollen, wie sich Erklärungen der Art ›weil ich ein Spiel spiele‹ wiederum in einen weiteren Kontext von Handlungserklärungen einbetten lassen – kann ich also mehr dazu sagen, warum ich das Spiel spiele? Und ich kann damit zweitens (b) wissen wollen, ob durch den Verweis auf das Spielen des Spiels bereits eine vollständige Rechtfertigung meines innerspielerischen Handelns gegeben ist. a) Der erste Aspekt der Frage scheint mir dabei der im Prinzip leichter zu beantwortende zu sein, obgleich er besonders viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Spiele sind seit jeher heiße Kandidaten für selbstzweckhafte Handlungen und dies zusammen mit der Eigengesetzlichkeit von Spielen und verschiedenen weiteren Beobachtungen dazu, dass Spiele durch einen Abstand zu anderen Praktiken gekennzeichnet sind (was Huizinga am eindrücklichsten durch sein Wort vom ›Zauberkreis‹ ausgedrückt hat, vgl. 1987, 18) hat manche Theoretiker dazu bewogen, Spiele (oder jedenfalls als Spiele ernst genommene Spiele) aus der instrumentellen Einbettung in weitere Lebensvollzüge herauszunehmen (vgl. Caillois 1982, Kap. 1). Diese Idee haben nun andere unter Verweis auf solche Phänomene wie das Glücksspiel und den Profisport zurückgewiesen oder zumindest stark eingeschränkt. Juul (Juul 2005, 36) etwa schreibt, dass die Bedeutung von Spielen für unser übriges Leben mindestens nicht fest gegeben, sondern ›verhandelbar‹ ist (was wiederum zu schwach zu sein scheint, denn es gibt Kontexte, da gibt es schlichtweg nichts zu verhandeln). Tatsächlich aber scheint diese Debatte um ein unnötig starkes Verständnis von selbstzweckhaften Handlungen zu kreisen. Denn erstens kann der Hinweis, dass wir gewisse Handlungsweisen um ihrer selbst willen vollziehen, nicht bedeuten, dass wir sie
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nicht unter manchen Umständen genauso gut um etwas anderen willen vollziehen können. Zweitens kann schon gar nicht gemeint sein, dass sich solche Handlungen nicht irgendwie in die Zwänge unseres Lebens einpassen müssen und in diesem Sinne keine Konsequenzen haben – allein schon die Endlichkeit unseres Seins sorgt dafür, dass alles, was wir machen, anderes ausschließt und gelegentlich daran gemessen werden muss (Kitharaspielen mag Selbstzweck sein, aber wenn die Perser vor den Toren stehen oder das Baby schläft, sollte man wahrscheinlich davon ablassen). Drittens schließlich muss keineswegs geleugnet werden, dass es allerlei unklare oder changierende Mischmotivationen gibt, bei denen man etwas um seiner selbst willen und dann doch für etwas anderes tut. Alles, was gefordert ist, um selbstzweckhafte Handlungen zu verstehen, ist, dass es Handlungsbeschreibungen gibt, die wir, sofern nichts dagegen spricht, bereit sind, als abschließende Antwort auf die Warum-Frage zu akzeptieren. Das scheint nun in der Tat bei einigen Spielen, insbesondere den wohletablierten wie Schach oder Fußball, der Fall zu sein – und vielleicht gilt dies im Abstrakten auch für die Idee des Spielens als solcher. Aber damit kann nicht gemeint sein, dass jedes Spiel als Antwort auf die Warum-Frage taugt. Dies liegt schlichtweg daran, dass jederzeit neue Spiele vielfältigster Art erfunden werden können, mit denen keine Vertrautheit vorausgesetzt werden kann und bei denen, weil ja nicht alle Spiele gelungen sind, nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Beschäftigung mit ihnen als wertvoll erschließen lässt. Die Antwort auf die Warum-Frage »Weil ich x spiele« lässt also in vielen Fällen die Rückfragen »Und das soll ein Spiel sein?« oder »Und was soll der Witz daran sein?« zu. Auf solche Rückfragen wird man dann typischerweise so antworten müssen, dass man aufzeigt, inwiefern die entsprechende Aktivität unterhaltend ist oder schlicht Spaß macht. Und was immer man dafür tun muss – es zeigt sich, dass die Verständlichkeit der Aktivität des Spielens von einer näheren Charakterisierung des Spiels abhängt. b) Dies bringt uns in den Bereich des zweiten Aspekts der Frage, ob der Verweis auf das Spielen eines bestimmten Spiels die Warum-Frage abschließend beantwortet: den nämlich, ob dadurch bereits im vollen Sinn erklärt ist, warum man die Handlung gemäß einer dem Spielgeschehen entnommenen Beschreibung ausführt. Bei Spielen, die nur semantisch flache Beschreibungen zulassen, ist dies tatsächlich so: Wenn ich Tetris spiele, dann ist das umfassende Ziel aller meiner innerspielerischen Handlungen, Tetris zu spielen und das heißt, Tetris richtig oder gut zu spielen – jedes Drehen und Verschieben eines Steines dient diesem Zweck und wird durch diesen verständlich. Zwar kann ich beim Spielen Fehler machen und dann bedarf die Erklärung der fehlerhaften Handlung des Rekurses auf äußere Ursachen wie etwa meine Abgelenktheit, Ungeschicktheit etc. (vgl. oben 2. e)) oder ich kann an das Tetris-Spielen äußerliche Motive herantragen (etwa, wenn ich die Klötze nicht platziere, um effektiv Lücken zu schließen, sondern um Space-Invaders-Figuren nachzubauen) – doch sind dies nicht die grundlegenden Fälle des Spielens von Tetris. Im zweiten Fall spiele ich nicht eigentlich Tetris, sondern ein anderes Spiel mit Tetris und im ersten Fall spiele ich zwar Tetris und in einem Sinn können die Handlungen auch genau dadurch erklärt werden, doch spiele ich es mangelhaft und genau in diesem Mangel können sie nicht vollständig durch das Ziel erklärt werden, auch wenn der Mangel
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als Mangel wiederum nur durch das umfassende Ziel des Tetris-Spielens verstanden werden kann. Bei semantisch tiefen Spielen sieht dies jedoch anders aus: Insofern diese Spiele Beschreibungen der Spielhandlungen zulassen, die ihrem Sinngehalt nach über das bloße ›ich mache etwas von dem, was man macht, um Spiel XY zu spielen‹ hinausgehen, sind sie für ihre Verständlichkeit darauf angewiesen, dass wir diesen Sinngehalt nachvollziehen können, indem wir verstehen, wozu die Handlung unter dieser reichen Beschreibung gut sein soll. Das ist schon bei relativ einfachen Fällen wie Rennspielen der Fall: Dass ich bremse und in die Kurve einlenke, wird dadurch verständlich, dass ich erstens heil aus dieser Sache rauskommen will (obgleich dieser Aspekt in Rennspielen für gewöhnlich deutlich zurückgenommen wird), und zweitens dass ich, wenn möglich, das Rennen gewinnen will – und das verstehen wir nur, insofern wir ein Verständnis davon haben, was Autorennen oder wenigstens allgemein Wettrennen sind, sowie von der Anerkennung und dem Triumphgefühl, die mit dem Gewinn eines Rennens verbunden sind. Doch genauso gilt dies für komplexe und deutlich weiter von unserer Lebenswelt entfernte Fälle, wie das eingangs aufgerufene Morrowind-Beispiel: Wenn am Ende des Spiels die Aufgabe darin besteht, den göttliche Macht usurpierenden und von dieser korrumpierten ehemaligen Stammesführer Dagoth Ur von seiner überweltlichen Macht- und Lebensquelle, dem ›Herz von Lorkhan‹, zu trennen und zu töten, um ihn davon abzuhalten, Pest und Verderben über die Spielwelt ›Tamriel‹ zu bringen, dann habe ich mir das Verständnis dieser Handlung über wahrscheinlich hunderte von Spielstunden, durch unzählige Gespräche mit Spielfiguren und durch die Lektüre von etlichen Büchern innerhalb der Spielwelt erarbeitet und bin im Laufe dieser Arbeit durch das gewonnene Verständnis erst in die Lage gekommen, diese Handlung tatsächlich auszuführen. Ich brauche also ein gehöriges Maß an Verständnis der Spielwelt, um die Bedeutung meiner Handlung als ›die Rettung von Tamriel‹ ihrem Sinn nach zu verstehen und als solche bewusst zu vollziehen. Gleichzeitig ist dieses Wissen um die Spezialmythologie des Spiels und das Verständnis um das, was als Spieler von mir erwartet wird, selbstverständlich nicht unabhängig von einerseits meiner Vertrautheit mit den inzwischen ziemlich geronnenen Topoi und Konventionen des Fantasy-Genres, andererseits diese wiederum nicht, ohne eine Grundvertrautheit mit den Mythologien, Heldenepen und religiös-messianischen Erzählungsmustern unserer (mindestens westlichen) Kulturtradition. Erst vor diesem dreifachen Hintergrund kann der Sinn einer Spielhandlung wie dem Entthronen eines falschen Gottes mittels magischer Gegenstände und Rituale seinem Sinn nach mindestens rudimentär verständlich werden, obgleich es Handlungen dieser Art in unserer Lebenswelt schlichtweg nicht gibt und nicht geben kann. Man käme keine drei Schritte in der Rahmengeschichte von Morrowind voran, wenn man nicht über diesen Sinnhorizont verfügen würde. Nicht nur aber setzt das Vollziehen der entsprechenden Spielhandlung und der unzähligen Schritte hin zu dieser ein theoretisch-nachvollziehendes Verständnis ihres Sinns voraus – insofern als es eine Handlung ist, die ich vollziehen muss, muss dieser Sinn auch praktisch als das Gut, auf das mein Handeln gerichtet ist, aufgenommen werden: Ich muss es, indem ich es verfolge, zu meinem Gut machen. Nichts anderes heißt es schließlich, dass die entsprechende Beschreibung meiner Handlung zu einer zutreffenden Antwort auf die Warum-Frage werden kann.
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Es ist exakt dieser grundlegende Zusammenhang: dass mein Spielhandeln, um als das spezifische Spielhandeln, das es ist, verständlich zu sein, in irgendeinem Sinn ein praktisches Aufnehmen der Werte darstellen muss, aus denen es im Sinne der Spielwelt vollzogen werden soll, der die notorische Frage nach der moralischen Signifikanz von Computerspielen überhaupt erst adressierbar und möglicherweise auch drängend macht. Denn was für das Töten Dagoth Urs gilt, das gilt prinzipiell auch für die zahlreichen kriminellen Akte in der Grand Theft Auto Reihe und – deutlich verstörender – für das Erschießen von Kriegsgefangenen in Commando Libya oder für die Vergewaltigungsakte in RapeLay. Nun ist das praktische Akzeptieren eines Guts im Spiel offensichtlich nicht das praktische Akzeptieren des entsprechenden Guts im wirklichen Leben – denn das praktische Akzeptieren eines Gutes ist Handeln und das entsprechende Handeln ist ja ein Spielhandeln und kein außerspielerisches Handeln. Und genauso wenig folgt aus diesem spielerischen Akzeptieren eines Guts, dass ich dieses Gut in einem theoretischen Sinn für etwas tatsächlich Gutes im wirklichen Leben halte, dass ich also denken würde, dass jemand so etwas wirklich tun sollte (und im Fall von z. B. Morrowind wäre ja auch nicht klar, was das eigentlich heißen sollte). Das praktische Anerkennen geschieht vielmehr in meiner Rolle als Spielfigur und vor dem Hintergrund meiner Auffassung davon, was das Spielgeschehen von dieser fordert. Entsprechend gibt es eine ganze Reihe von Distanzierungsmöglichkeiten von diesen Handlungen – sowohl von der Seite des Spielers (etwa, wenn er die Rolle im Spiel sehr ernst nimmt und damit als eigenständig von sich abtrennt oder aber umgekehrt, sich gar nicht inhaltlich auf das Spiel einlässt und es nur beispielsweise als Geschicklichkeitsaufgabe oder Effektspektakel betrachtet – oder sei es nur durch ein Signalisieren, dass er etwas schwer Verdauliches vor sich hat, etwa durch ein einfaches ›Boah – krass!‹) als auch des Spiels selbst, das sein Geschehen als mehr oder weniger ernst zu nehmend präsentieren oder durch entsprechende Rahmungen zurücknehmen kann. Was jedoch bleibt, ist, dass die entsprechende Handlung eine Handlung ist, die ich als Spieler unternehme, deren Sinn sich mir, um als entsprechende Handlung zu gelten, mindestens bis zu einem gewissen Punkt erschlossen haben muss und deren Ausführung mir im entsprechenden Spielkontext womöglich Vergnügen bereitet hat. Es mag Spiele geben, bei denen schon das nicht mehr akzeptabel zu sein scheint. Aber unabhängig davon ist es gerade dieses Potential von Computerspielen, dass sie mir durch mein Handeln aufzeigen, was für Handlungen ich prinzipiell nachzuvollziehen in der Lage bin, das sie auch zu einem Medium der Selbsterkenntnis macht, denn Computerspiele bieten mir damit auch die Möglichkeit, etwas über mich selbst zu lernen.
5. Zusammenfassung Damit lässt sich sagen: Computerspielhandlungen sind wirkliche Handlungen. Sie erfüllen alle Kriterien, die für menschliches Handeln herausgearbeitet wurden. Wie alle Handlungen gibt es von ihnen Beschreibungen, unter denen sie absichtlich sind und solche, unter denen sie unabsichtlich sind, wobei zwischen ersteren
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teleologische Rechtfertigungsbeziehungen herrschen. Computerspielhandlungen können sowohl unter Bezugnahme auf das Spielgeschehen als auch ohne eine solche beschrieben werden und beide Beschreibungen können absichtlich sein. Rechtfertigungsbeziehungen können sowohl innerhalb der beiden Beschreibungsebenen bestehen als auch zwischen diesen. Wenn jedoch Beschreibungen im Sinne des Spielgeschehens ihrem Gehalt nach über die Beschreibung einer Aktivität auf dem Computer hinausgehen, wird zur Beschreibung der Handlung eine Differenzierung zwischen Spieler und der Spielerfigur nötig, wobei Letzterer eigene Fähigkeiten und eigenes praktisches und theoretisches Wissen zugeschrieben werden müssen. Diese Differenz, obgleich sie nichts daran ändert, dass die Handlungen, die ich im Spiel vollziehe, meine Handlungen sind, ermöglicht zugleich, dass ich Dinge absichtlich tue, obgleich ich weiß, dass sie instrumentell oder ihrer Zielsetzung nach unangemessen oder schlecht sind. Es ist die Möglichkeit dieser Differenz und das reflexive Potential, das mit ihr einhergeht, das Computerspielhandlungen aus handlungsphilosophischer Perspektive interessant macht und in der ihr ästhetisches Potential zu vermuten ist. Literatur
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Spiele
Arkanoid. Taito, 1986. Bioshock. 2K, 2007. Breakout. Atari, 1976. Commando Libya. Robert Pfitzner, 1986. Day of the Tentacle. Lucas Arts, 1993. Die Siedler von Catan. Klaus Teuber, Cosmos, 1995. Grand Theft Auto (Reihe). DMA Design/Rockstar North, Rockstar Games, 1997–2013. Monopoly. Charles Darrow (orig. Elizabeth Magie), Parker, 1935. RapeLay. Illusion Soft, 2006. Space Invaders. Taito, 1978. Space Quest IV. Sierra On-Line, 1991. System Shock. Looking Glass Technologies, Origin Systems, 1994. Tetris. Alexei Paschitnow, 1984. The Elder Scrolls III: Morrowind, Bethesda Game Studios, Bethesda Softworks, 2002. Ultima Underworld: The Stygian Abyss. Blue Sky Productions, Origin Systems, 1992. Windchaser. Chimera Entertainment, dtp entertainment, 2008. X-Wing. Lucas Arts, 1993.
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Arbeit Anne Dippel
1. Das Spiel im Zeitalter automatisierter Reproduzierbarkeit Als Walter Benjamin die Analyse des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit vornahm, war diese technische Reproduzierbarkeit in den Anfängen und die kapitalistische Produktionsweise mit dem Fordismus in eine neue Phase eingetreten. Benjamin richtete, in Anlehnung an Karl Marx, seine Untersuchungen so ein, dass sie prognostischen Wert bekamen. Er ging auf die Grundverhältnisse der technischen Produktion ein und stellte sie so dar, dass sich aus ihnen ergab, was man künftighin dem Kapitalismus noch zutrauen könne. Es ergab sich auch in seiner Analyse, dass man durch ihn nicht nur eine zunehmend verschärfte Ausbeutung aller Arbeitenden erwarten musste, dass er nicht allein bei der Herstellung von Bedingungen haltmachen würde, die die Abschaffung ihrer Selbst möglich machen, sondern dass das Kunstwerk selbst, in Zeiten der technischen Reproduktion seine Aura verlöre; seine Einzigartigkeit, aus der Tradition heraus geboren, aufgeben müsse (in intertextueller Anlehnung an Benjamin 1996, 313). Nach allem, was sich ereignet hat, hat Benjamin mit seiner Analyse in weiten Teilen Recht behalten. In dem vorliegenden Artikel möchte ich ausgehend vom Begriff der Arbeit in Anlehnung an Benjamin eine Analyse des Spiels in Zeiten automatisierter Reproduzierbarkeit vornehmen und fragen, ob das Spiel seine Aura verliert; seine Unbeschwertheit, aus der Sache selbst heraus geboren, aufgeben muss. Während Spiele in der Moderne als Verkörperung von Freizeit und Unterhaltung zum Gegenbegriff für Arbeit wurden, ist die kapitalistische Produktionsweise mit dem Neoliberalismus weiter fortgeschritten und wiederum in eine neue Phase eingetreten. In Anlehnung an Benjamin und an Marx lege ich die Studie so an, dass sie einen diagnostischen Wert erlangt und dem Leser erlaubt, über die hier gezogenen Schlüsse hinaus eigene Prognosen zu entwickeln. In der Analyse der Bedeutung von Arbeit im Computerspiel zeigt sich nämlich, ebenso wie Benjamin durch die Untersuchung der Arbeit am Beispiel des Kunstwerks zeigen konnte, dass die Ausbeutung der Arbeitenden eine neue Dimension erlangt, dass der Kapitalismus nun Bedingungen hergestellt hat, die die Abschaffung des selbstbestimmten Arbeitens nicht bloß vollenden und die Idee der selbstverwalteten Gemeinschaft grundständig korrumpieren; während das Kunstwerk zur bedeutendsten Währung in Zeiten des globalen Finanzhandels geworden ist, mithin für die kaum bezahlbare Einzigartigkeit steht, läuft das Spiel Gefahr, seine vergemeinschaftend-wie-selbstverwirklichende Wirkung zu verlieren (vgl. Schiller 1963; Hamayon 2016), inflationär zu sein; seine unwiederholbare Einzigartigkeit des Erlebens und eben auch genussorientierte Befriedigungsfunktion, aus dem Wechselspiel von Natur und Kultur heraus geboren, aufzugeben. Ob Computerspiele als Kunstwerke begriffen werden können (vgl. Jayemanne 2017, sowie Feige in diesem Band), soll dabei im Folgenden nicht im Zentrum der Argumenta-
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tion stehen. Vielmehr möchte ich in Anlehnung an Miriam Hansen argumentieren (vgl. Hansen 2004), dass Spiele, so wie Film selbst, eine neue Form von Aura schaffen, indem sie – insbesondere mit Blick auf virtuelle Realitäten – den Spielraum der Imagination und der Erfahrung erweitern. Darauf aufbauend teste ich, ob die Gedankenbewegungen Benjamins in seinem Aufsatz zum Kunstwerk in Zeiten technischer Reproduzierbarkeit zur Analyse des Spiels in Zeiten automatisierter Reproduzierbarkeit tragen, und zur Sondierung der Frage nach der Arbeit in der heutigen Zeit im Verhältnis zum Spiel geeignet sind. Das Verhältnis von Arbeit und Computerspiel in Zeiten der Automatisierung scheint mir ein ideales Reflexionsterrain für eine kulturelle Gegenwartsbestimmung zu bieten, weil in diesem Bereich alle Aspekte der postfordistischen Arbeitsorganisation zu beobachten sind, das Computerspiel einerseits industrielle Massenware darstellt, andererseits in Form des Indie Games Kunstwerkstatus erlangen kann und stets den medialen Bedingungen der Digitalität unterworfen ist. Durch den Dialog mit der von Immanuel Kant und Friedrich Schiller herrührenden philosophischen Auseinandersetzung mit dem Spiel sollen im Folgenden insbesondere Walter Benjamin, aber auch Hannah Arendt, Hans-Georg Gadamer, Johan Huizinga, Marie Jahoda, Karl Marx und Herbert Marcuse erhellen, wie ernst es mit dem Spiel wird, wenn man von ihm ausgehend die conditio humana im Verhältnis zur Arbeit bedenkt. In diesen Tagen wird der Begriff der Arbeit im Blick auf die Leistungen von Robotern, Algorithmen und künstlichen Intelligenzen einer Revision unterzogen (vgl. Fuchs 2014; Piketty 2014; Schröter 2012). Debatten über bedingungsloses Grundeinkommen diskutieren eine Welt ohne Arbeit für Menschen, tragen zur gegenwärtigen Konfusion bei, in der Roboter mit Menschen, künstliche Intelligenz mit menschlicher Intelligenz, digitale Prozesse mit menschlichem Bewusstsein und verschiedene computierende Modelle (vgl. Murray 2017) miteinander verwechselt zu werden scheinen. Eine ähnliche Debatte entspinnt sich um die Frage des Spielens. Während Spielen bei Tieren oftmals als reines Funktionsverhalten betrachtet worden ist (vgl. Bateson 1972; Tomasello 1999, 91, gegenteilig Huizinga 1992) und dem Menschen vorrangig die Qualität des Spielens in Abgrenzung zu Tieren zugestanden wurde (vgl. Bally 1956), wird das Spiel heute als Ausdruck der Freude und des Spaßes selbst von manchen Forschern sogar als universales Naturphänomen angesehen. Es reiht sich in das Konzept eines neodarwinistischen Naturbildes ein, das aus dem Wechselspiel von Zufall und Regeln unsere Welt in einem perfekten Spiel erschaffen hat, dessen Entwicklerinnen und Entwickler uns – sofern sie existierten – verborgen bleiben (vgl. Graeber 2014). Wettkämpfe zwischen künstlichen Intelligenzen und Menschen, wie das 2015 ausgetragene Go-Match zwischen Lee Sedol und Alpha Go, haben darüber hinaus die Frage aufkommen lassen, ob künstliche Intelligenzen spielen und wenn ja, worin ihre ganz eigene Art des Spielens sich vom Menschen unterscheidet. Denn Alpha Go entschied sich für Züge, die in ihrer Risikofreudigkeit unmenschlich wirkten. In Anbetracht des Umstands, dass künstliche Intelligenzen kein Bewusstsein für den Tod besitzen und damit auch eine andere Position zum Risiko in der Welt einnehmen können, im Grunde eine bisher rein göttliche, soll hier angenommen werden, dass Künstliche Intelligenzen im Besonderen und Roboter im Allgemeinen ein nicht-existentielles Verhältnis zur Arbeit zugeschrieben werden
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kann. Arbeit definiert in diesem Fall vielmehr eine Funktion ihrer Existenz an sich, stellt somit eine unhintergehbare raison d’être dar – schließlich wurden Maschinen eben genau dafür geschaffen, Arbeit abzunehmen oder zu erleichtern (vgl. Giedion 1982). So könnte Arbeit auch nicht zur Frage für intelligente Algorithmen selbst werden, weil sie a priori Teil ihrer Vorrichtung ist. Freilich erhält aber genau aus diesem Grund die Arbeit des Menschen durch die Frage der Maschinenarbeit neuen Sinn. Der Mensch hat sich, so könnte man anthropologisch argumentieren, durch sie ein »metaphorisches Gegenstück« (Lévi-Strauss 1973, 238) geschaffen, ein Differenzdispositiv, das in Zeiten, da die herkömmlichen Grenzbestimmungen zwischen Menschen und anderen Lebewesen fragwürdig geworden sind, im selbst Geschaffenen das Andere zu spiegeln erlaubt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat der Kapitalismus eine digitale Infrastruktur erhalten und zeigt auf allen Ebenen Symptome eines inzwischen algorithmisierten Mediensystems. Die Automatisierung ermöglicht maschinelle Produktionsdispositive, in denen Dinge intelligent durch Rückkopplungsmechanismen und digitale Kommunikationsnetze miteinander verbunden sind, weite Teile des Finanzmarkts sind automatisiert und selbst Spiele sind heute nicht notwendig an die Existenz eines Spielers gebunden, wie das Phänomen von Idle Games beweist (vgl. Fizek 2018). Arbeiterinnen und Arbeiter in den Werkshallen von Amazon bis Volkswagen sind in ›seamful spaces‹ (vgl. Vertesi 2014) eingetaktet. Sie werden von zuverlässig arbeitenden Algorithmen kontrolliert, sind mit reibungslos sich selbst wiederholenden Automaten synchronisiert. Nie zuvor scheint die Produktionsweise systematischer und panoptischer reguliert worden zu sein, als heute. Das agonale Prinzip marktwirtschaftlichen Wettbewerbs hat jetzt ein perfektes Regelsystem erhalten. Es bildet die Grundlage des ludischen Kapitalismus im Zeitalter der Globalisierung.
2. Spielen als Verwandlung der erschütterndsten Erfahrung in Gewohnheit Marx kümmerte sich um das Spiel nicht. Ihm gehörte es – ganz in der Tradition von Aristoteles – der Welt der Freizeit an. Arbeit war für den Philosophen eine Praxis der Produktion. Sie verfolgt ein Ziel außerhalb ihrer jeweiligen existentiellen Tätigkeit, war ihm zentrale Kategorie menschlichen Handelns in der Welt. In dieser Sichtweise hat das Spiel als alternative Erfahrung von Welt in den Mußestunden außerhalb der Arbeit seinen Platz. In der Tradition marxistischen Denkens bleibt das Spiel daher lange methodologisch unterreflektiert, dient maximal dazu, den Freiraum des Selbst zu öffnen und das Erlebnis von Gemeinschaft zu stiften (vgl. Marcuse 1965). Erste Ansätze zu einer marxistisch inspirierten Reflexion über das Spiel liefert Benjamin in seiner Kritik »Spielzeug und Spielen« (Benjamin 1928). Nicht bloß formuliert Benjamin darin die Frage der klassenspezifischen Eigenschaften von Spielzeug, sondern bedenkt auch die Bedeutung der genealogischen Konstanz, des Einübens in die Traditionen von Gesellschaft durch Kinderspiele, bindet die Klassenfrage an die Frage materieller Kultur und setzt damit Spielen und Spielzeug als zentrale Dynamiken und Objekte, die historische Kontinuität katalysieren. Spielen, nach Benjamin, bedeutet von jeher eine Einübung in Kultur, das Kind ahmt den Erwachsenen nach,
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der Erwachsene ahmt die existentiellen Auseinandersetzungen nach, die Wiederholung eröffnet sowohl den Spielraum für Veränderung, als auch die Einübung in Gewohnheit. Spielzeug zeigt sich somit als Dinghaftes, das durch ökonomische und technische Kultur der Kollektiva geformt ist, spiegelt gleichsam Werte, Normen und Traditionen, verfestigt sie durch die inhärente Logik der Wiederholung. Regeln und Rhythmen, so Benjamin, regieren die Welt der Spiele, das ›Gesetz der Wiederholung‹ findet sich ebenso im Reich des Spiels, wie im Reich der Erinnerung. Eben dadurch, dass das Spielzeug ein Ort der Krise des Kindes in die Eingewöhnung der gesellschaftlichen Umstände darstellt, befreit sich das Kind durch die Imagination von dem reinen Mimicry, die Wiederholung bedeutet eben eine Iteration in die Veränderung mit eingeschlossen ist. Das Spiel der Kinder und die meisten Computerspiele heute erfüllen den im wirklichen Leben unerfüllbaren Wunsch, eine Sache mehr als einmal verrichten zu können. Spielen erlaubt, »bevor wir im Außerunssein der Liebe in das Dasein und den oft feindlichen, nicht mehr durchdrungenen Rhythmus eines fremden menschlichen Wesens eingehen«, durch das »Spiel mit Unbelebtem in der einfachsten Form« mit »ursprünglichen Rhythmen zu experimentieren« (Benjamin 1928, 131). Mehr noch – es sei das Spiel selbst, was auf die Arbeit und das Sterben vorbereitet, indem sein Wesen gerade nicht aus dem ›So-tun-als-ob‹ oder ›immer-wieder-tun‹ bestünde, sondern eben in der »Verwandlung der erschütterndsten Erfahrung in Gewohnheit« (ebd.). Nicht die Nachahmung (Mimicry) stellt für Benjamin also das Eigentliche des Kinderspiels dar, sondern die Metamorphose des außergewöhnlichen Ereignisses in ein alltägliches Erleben durch die Erfahrung der Wiederholung. Damit wird die Wiederholung als grundlegendes Gesetz des Spiels zu einer Bewegung der Differenz, die es erlaubt sich in der Prozesshaftigkeit des Daseins einzurichten. Der Erwachsene, so Benjamin, löst sich von dem ›Nochmal‹ des Spiels und verwandelt die Erfahrung in eine Geschichte. An dieser Stelle lassen sich Parallelen zur Erfahrung der Arbeit und des Computerspiels in Zeiten der automatisierten Reproduktion ziehen. Die Arbeit als Form innerer Erfüllung im Jetzt, durch die der Mensch seinen Platz in der Gesellschaft ebenso wie sein tägliches Brot sichert, rückt in der Alltagserfahrung des Einzelnen durch die stete Wiederholung im postfordistischen Arbeitskontext außer Erfahrungsweite, das Computerspiel rückt diese Erfahrung jedoch in den Erwartungshorizont, verändern sich doch hier Status und Position des Einzelnen – gerade wenn er oder sie mit anderen zusammen in MMORPGs gemeinsam spielt (vgl. Koselleck 1989). In dieser Situation wird der Erfahrungsraum durch die Vorstellung gerahmt, dass das Leben selbst – bis zum existentiellen Game Over, das nun einmal alle treffen wird – aus differentiellen Wiederholungen besteht und ein Spiel ist, das gleichsam eine ›Überraschungs-Lootbox‹ bereithält, mit der wir unser Glück versuchen können. Die von Jacques Derrida beschriebene différance der symbolischen Zuschreibung (vgl. Derrida 1988) hat eine existentielle Dimension erhalten: Während sich in der Postmoderne der Sinn stets verschiebt und als ›differentielle Reproduktion‹ (vgl. Rheinberger 2001) selbst überhaupt erst denkbar wird, bekommt der Alltag durch die lebensweltlichen Bedingungen des informationsbasierten Industriezeitalters mit seiner materialistischen Prägung den Anschein, bloß ein Spiel zu sein, in dem sich
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der tiefere Sinn nicht finden lässt, während das Spiel sowohl Realitätserfahrungen verspricht, als auch Realitätsflucht erlaubt. Die Ähnlichkeit zwischen Spiel und menschlichen Bestrebungen sich durch Arbeit in ihren jeweiligen Erfahrungsräumen einzurichten, um Erinnerung an das Vergangene zu verstetigen und Erwartungshorizont des Zukünftigen verständigen zu können (vgl. Koselleck 1989), trugen jedoch erst im Anschluss an die kulturtheoretischen Analysen Michel Foucaults zur Disziplinargesellschaft (vgl. Foucault 2008) zu einem neuen Verständnis von Arbeit und Spiel bei. Insbesondere die von Gilles Deleuze und Felix Guattari vorangetriebene Durchdringung der Kontrollgesellschaft (1997) förderte ein genaueres Bild vom Zusammenhangs zwischen Kontrolle, Bürokratie und Spiel zutage (vgl. Graeber 2015). Sie ermöglichte darüber hinaus die Verflechtungen von Kontrollgesellschaft, Computerspielen und einem auf Zufallsprinzipien aufbauenden Kapitalismus zu erhellen (vgl. Galloway 2004; Möring/ Leino 2015). Die kapitalistische Wertschöpfungskette scheint in Zeiten des Neoliberalismus durch die digitalen Aufschreibesysteme mit dem Zusammenfall klar getrennter Bereiche menschlichen Tuns in einen Zustand geraten, in der Arbeit und Freizeit, Öffentlichkeit und Privatheit (vgl. Flusser 2006), Produktion und Reproduktion (vgl. Feher 2009) verschmelzen. Gleichzeitig differenziert sich die arbeitsteilige Gesellschaft mit ihren modularisierten Lebensentwürfen weiter aus. Computerspiele tragen dabei auf symbolischer und sozialer Ebene zur Stabilisierung des gegenwärtigen Wirtschaftssystems bei. Sie gewöhnen an die herrschende Gesellschaft und üben in ihre Praktiken ein. Hinzu tritt ihr Status als gewaltige Kapitalmaschinen: Große Computerspielproduktionen sind so aufwendig und kostspielig in ihrer Herstellung wie Hollywoodfilme. Die Spielkonsolen in unzähligen Haushalten erweitern das vom Fernseher etablierte Wahrnehmungsregime um eine ludische Institution der Disziplinierung. Sie verkörpern den Zeugcharakter des Spielens in Zeiten der automatisierten Reproduktion, gemeinden Spiele somit in das Reich der digitalen Dinge und die dadurch sich vervielfachenden digitalen Objekte (vgl. Hui 2016) ein. Das Computerspiel webt einerseits an der Matrix des Kapitalismus fort und wirkt andererseits an der Entstehung einer globalen Kultur, schafft Erlebnisräume und Erfahrungswelten, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg Menschen miteinander verbinden. Techniken des Spiels, Spielweisen und -formen entstehen somit nicht nur im Kontext einer Kultur, sondern schaffen sie auch. Dabei bedienen sie sich nach Roger Caillois vierer universal zu findender Grundprinzipien des Spiels: Agon (Wettkampf), Mimikry (Nachahmung), Alea (Zufall) und Ilinx (Rausch) (2001). Vom koreanischen Go bis zur Niantic-Produktion Pokémon Go: Die meisten Spiele besitzen Konjunkturen, fallen aus dem kollektiven Gedächtnis oder erleben im Verlauf ihrer Existenz eine Umgestaltung des Regelapparates. Nur wenige Spiele, wie etwa Mühle, Mancala oder Pachresi überdauern den Lauf ganzer Kulturen und ihrer Macht- und Sozialgefüge. Das altnordische Hnefatafl etwa wurde vom indischen Schachspiel abgelöst und ist nahezu in Vergessenheit geraten. Das koreanische Go erfährt in digitalen Zeiten eine globale Blüte, die Niantic-Produktion Pokémon Go ist die digitale Adaption eines analogen Kartenspiels. Spiel ist daher im wortwörtlichen Sinne Brauchtum, das so-
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lange es von der Gesellschaft gebraucht wird, deren Bräuche spiegelt, existiert und mit ihrem Wandel auch dem Vergessen anheim fallen kann. Das Spiel in, an und mit Computern erhält durch sein Wesen – »der Verwandlung der erschütterndsten Erfahrung in Gewohnheit« (Benjamin 1928, 131) – den Status eines Mediums. Menschen üben in und mit ihm Arbeitsdisziplin und Arbeitsweisen, internalisieren gesellschaftliche Werte, Normen und Ziele. Aktionsspiele etwa erlauben es, zeitkritische, sekundengenaue Verhaltensweisen zu verinnerlichen, Strategiespiele, konstellationskritische Taktiken einzuüben und Abenteuerspiele, entscheidungskritische Momente zu erleben (vgl. Pias 2000). Das Computerspiel findet somit seinen funktionalen, sogar existentiellen Platz in einer arbeitsteiligen Welt, deren Alltag für die meisten Arbeitenden zwar all diese Erlebnisse bereithält, jedoch ontologisch besehen keine Bedeutung mehr besitzt. Verweist das Spiel zwar zunächst auf das Sein an sich, läuft es durch die Verschränkung mit Arbeitswelten Gefahr, zu einem dystopischen Mechanismus reduziert zu werden, der die Selbstentfremdung des Einzelnen noch verstärkt. Denn die Arbeitsbedingungen selbst heben das Produkt im Moment der Vollendung auf. Der Wert der Tätigkeit ist zu einem Versprechen geworden, das in der Zukunft erfüllt werden könnte. Informationsbasierte Arbeitszusammenhänge ähneln mehr und mehr experimentellen Versuchen naturwissenschaftlicher Kunstrealitäten im Labor, in denen die ›differentielle Reproduktion‹ das Neue, das eigentliche Produkt bloß als Moment des Arbiträren zulässt und dabei die Lebenswelt und Arbeitszeit selbst einen scheinludischen Charakter erhält. Der Zufall, nicht das Vermögen dominiert die Welt der Arbeit. Das probabilistische Lottoprinzip wird genau dort zum Lebensmotto, wo einst die Tätigkeit das nachhaltig Gültige geschaffen hat. Mit dem Siegeszug der Innovationsagenturen und Gedankenfabriken insbesondere im Silicon Valley in Kalifornien hat die rein auf abstrakte Werte zielende Logik pekuniärer Gratifikation und utilitaristischen Funktionalismus die gesamte Arbeit erfasst. Symptomatisch treten daher neue Formen der Sinnsuche als Gegenbewegungen dieses Nihilismus auf den Plan, sei es durch religiöse oder nationale Fanatismen – denn wo die Arbeit keinen Sinn mehr stiftet und das Spiel als Ersatzbefriedigung an alles Erschütternde gewöhnt, sehnen sich die Menschen nach dem Erhabenen, suchen sie einen Sinn, sofern sie sich nicht vom Geld befriedigt fühlen. Seit nun beinahe drei Jahrzehnten ist das Finanzwesen automatisiert und in den letzten Jahren sind die westlichen Gesellschaften an einen Punkt gelangt, den Hannah Arendt schon 1958 prognostizierte: Die Arbeit der Menschen ist bedroht (vgl. Arendt 1970). Spieltheoretische Narrative schaffen dazu die passenden Anwendungsvorschriften (vgl. von Neumann/Morgenstern 1944; Nash 1950). Deren Ursprungsgeschichte vom Menschen als egozentrischem, selbstbezogenen Welteroberer, der dem Nächsten ein Feind im schöpferischen Prozess der kreativen Destruktion ist und Rational-Choice-basierter Wettkampf, nicht Kollaboration, seinen Platz in der Welt sichert, verträgt sich perfekt mit dem Evolutionismus (vgl. Osborne/Rubinstein 1990). Das gegenwärtige Wirtschaftssystem wird hier gleichsam als naturalistische Notwendigkeit etabliert. So gerät in Vergessenheit, dass Arbeit über die Sicherung existentieller Bedürfnisse eine sinnstiftende Funktion besitzt. Sie dient dazu, einen Platz in der Welt zu fin-
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den. Sie schafft Produkte, deren tieferer Sinn ein sozialer ist. Sie sichert den Ort des Einzelnen in und den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Durch die Produktion von Arbeit hat das Selbst an der Gesellschaft Anteil. Erst durch diese Handlung wird der Einzelne überhaupt zum Selbst, der sich von Anderen unterscheidet und in einem Verhältnis steht (vgl. Marcuse 1965). Arbeit, die in alltäglichen Kontexten Vergemeinschaftung stiftet, und Spiel, das in rituellen Kontexten Gruppenzusammenhalt stärkt (vgl. Hamayon 2016) oder eine alternative Form von Realitätserfahrung liefert (vgl. Puett 2017), haben somit einen Zweck, der für die Menschen selbst unhintergehbar bleibt, weil sie in Gemeinschaften mit ihren Spiel- und Arbeitstraditionen hineingeboren werden. Erst vor diesem Hintergrund sind Arbeit und Spiel in einem Kontinuum als gegensätzliche Pole zu begreifen und können als interferierende Modi menschlicher Praxis verstanden werden (vgl. Dippel/Fizek 2018). Und genau aus diesem Grund wird Arbeit oftmals als negative Umkehrung des mit Ritualen verwobenen Ludus gedacht. Wir alle spielen Theater, denkt Erving Goffman (2009) und Victor Turner liefert dafür Erklärungsmodelle (2009). Roberte Hamayon beobachtet am Beispiel von Zirkumpolarkulturen, dass das Spiel als Teil von Ritualen rhythmisierte Realitäten schafft, die Vergemeinschaftung bewirken (2016). Dabei steht mehr das Spiel als das Spielen selbst im Zentrum – jener Ausdruck von Überschuss an Handlung, von ludischer Lust an Reflexion und Verausgabung. Aber Spiel ist dem Menschen nicht allein zu Eigen, sondern erscheint der Natur an und für sich zu eignen (vgl. Graeber 2014); für den Menschen eine essentielle »Form der Wahrnehmung« zu sein (Bee 2017, 181). Insofern ist das Spiel als Medium, Ausdrucksform und Weise von Welt an sich eine ontologische Kategorie, in der sich Arbeit als eine ihm gegenstrebige Praxis zu entfalten vermag (vgl. Dippel 2018). Während das Spiel nämlich ohne die Arbeit definiert werden kann, kommt die Arbeit ohne eine Definition des Spiels als ihrem Negativum kaum aus. Hinzu tritt, dass Spiel als gemeinschaftliches Handeln nicht nur vergesellschaftend wirkt, sondern sich der Einzelne durch Arbeit in der Gemeinschaft seinen Stand verschafft. Wenn sich die Produktion indessen in einer stetigen Reproduktion des immer Gleichen aufhebt und der Alltag in Wiederholungen ergeht, die in Allegorien grundlegender Computerspielmechaniken wie Game Over, Restart und Leveling Up beschreibbar werden, verliert Arbeit mit jedem sich selbst nichtenden Arbeitsschritt in dem Augenblick da sie ausgeführt wird ihre sinnstiftende Bedeutung. Die verkörperte Erfahrung von Sinn durch Arbeit geht verloren. Sie erscheint einzig als Wette auf die Zukunft (vgl. Fehler 2009; Möring/Leino 2015) oder als Phantasma einer imaginierten Gemeinschaft (vgl. Anderson 1996) am Horizont der selbstverlorenen Arbeitenden auf. Desgleichen verliert sich das Spielen in den speicherbaren Spielfortschritten selbst. Das Leben kann auf Pause gestellt, von einem bloß chronologisch differenten Punkt ein zweites Mal erlebt werden. Die Bedeutung der Handlung löst sich im Akt der Wiederholung ohne eine existentielle Verschiebung von Erfahrung auf. Somit verliert das Spiel im digitalen Dispositiv metaphorisch verstanden seine Aura der Vergemeinschaftung im Moment des Spielens selbst. Kurz gefasst: Alle spielen Pokémon Go, aber jeder blickt alleine auf das Gerät in seiner Hand. So kam es etwa direkt nach der Veröffentlichung des Spiels zu denkwürdigen Szenen, in denen Massen von Menschen durch Parks und über Straßen zogen, ohne
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von ihren Geräten aufzuschauen oder den Nachbar anzusehen. Manche verirrten sich dabei sogar auf Truppenübungsplätze oder gerieten in Gefahr auf Minenfelder zu laufen. Die Mechanisierung hat, wie Benjamin zeigte, zum Verschwinden der Aura des einzigartigen Kunstwerks beigetragen. Die Automatisierung stellt die Unverwechselbarkeit des Einzelnen als Teil einer Gemeinschaft in Frage, lässt sein oder ihr spezifisches Talent zu einer schnell berechenbaren algorithmischen Etüde künstlicher Intelligenzen verkümmern, macht alle auf eine bisher nie vorhersehbare Weise gleich. Sie führt zu einer Scheinindividuierung, in der sich das Selbst nicht im gemeinschaftlichen Zusammenhang ausbilden kann, sondern darin spürt genau das Gleiche zu tun, aber glaubt, es ein bisschen anders zu machen. Somit wird der Erfahrungsraum informationsbasierter Gesellschaften dem von traditionellen Kulturen ähnlicher, als demjenigen der klassischen vorindustrialisierten Moderne, die, dem Imperativ der Aufklärung folgend, den Auftrag der Individuierung als gesellschaftlichen Imperativ setzte. Das informationsbasierte Individuum erfährt seine eigenen Wünsche, die sich nicht durch Konsum oder Religion stillen lassen, als etwas, das in den Statistiken gar nicht erfasst wird. Es liegt dabei nahe, von einer Narzissisierung (vgl. Turkle 1995, 2011) der Gesellschaft zu sprechen, in der sich Menschen in Ichblasen begegnen und dabei nur ihre eigene Meinung verstärkt finden. Eine Arbeit am Eigen-Sinn und am Selbst wird auf diese Weise zum subversiven Privileg einiger weniger, die sich auf Indie Game Plattformen als Spielerinnen oder Spieler, Entwicklerinnen oder Entwickler finden und während der Downloads noch Zeit zum Denken finden. Wurden im 20. Jahrhundert die großen Theorien über den homo faber und den homo oeconomicus entwickelt, erfährt daher mit dem automatisierten Zeitalter nicht ohne eine gewisse Zwangsläufigkeit gerade der von Johan Huizinga beschriebene homo ludens größere Aufmerksamkeit (1992). Sogar eine ganze Disziplin, die Games Studies, hat sich im Windschatten der Computerspiele formiert und Game Designer verkünden das neue Jahrhundert des Spiels (vgl. Zimmerman 2014). Arbeit und Spiel scheinen mehr und mehr in einen Zustand der Superposition zu gelangen. Dabei wird der homo ludens oftmals im Kern zu einem homo oeconomicus, der das Spiel zu seinen Zwecken instrumentalisiert. Der homo oeconomicus hat sich in der Neuzeit im Grunde stets als ein homo ludens verhalten, wird es aber eben jetzt erst offenkundig. So droht der digitale Kapitalismus in Verbund mit den digitalen Maschinen das Spiel zu einem totalitären Instrument eines deterministisch gesetzten Zufalls werden zu lassen, während das Computerspiel für die Massen in tayloristisch standardisierten und fordistisch automatisierten Produktionsprozessen entsteht. Die bisher nie vollendete Professionalisierung des Spiels befreit den Menschen so in einer gottlosen Welt von seiner selbstgewählten Selbstbestimmung. Mit der Digitalisierung sind Computerspiele zur mythopoietischen Ausdrucksform geworden. Götter und Helden haben in ihnen einen Platz gefunden, Animismus und Magie beseelen vermehrt das Denken über Medien ebenso wie die Narrative von Spielen; wo die Natur ein Spiel aus Regeln ist, deren Wesen vom Zufall bestimmt wird, wo Empathie durch elektromagenetisch gespeicherte Reaktionen und Romantik durch algorithmische Manipulationen bestimmt werden, sind Götter und Geister nah.
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Spiele, seit jeher eingebunden in Rituale, zentral für jegliche Formen der Vergemeinschaftung (vgl. Turner 2009), sind jedoch vor allem in der neoliberalen Ordnung domestiziert worden und werden, für die Zwecke des Kapitalismus dressiert, selbst zu Domestizierungsmaschinen. Sie dienen dem Einüben von Arbeitsdisziplinen und -weisen mit dem Computer (vgl. Pias 2000), erden selbstentfremdete Weltlosigkeit und nützen den scheinindividuierten Menschen für ihre ›neoliberale Selbst-Stilisierung‹ (vgl. Möring/Leino 2015).
3. Ludische Modulation Die Automatisierung von Produktionsabläufen lässt daher die Frage nach der spezifisch menschlichen Form von Spiel und Arbeit in neuem Licht erscheinen. Gewinnstreben und Ausbeutungsmechanismen aber haben sich seit den Analysen von Marx zur Produktionsweise – und den anfänglich intertextuell paraphrasierten Überlegungen Benjamins zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – in der bisherigen Analyse des Verhältnis von Arbeit und Computerspiel als stabil erwiesen. Ein wichtiger Bestandteil zum Verständnis dieser Prozesse bilden Computerspiele – insbesondere ihre sich in alle Bereiche ausbreitende Logik, ihre Mechaniken, Narrationen, ihre Räumlichkeit, die in ihnen unmittelbare Verschränkung von Wiederholungserfahrung. Durch die Möglichkeit, den Augenblick immer wieder neu zu erleben (mit Ausnahme sogenannter ›Perma-Death-Spiele‹, die keine Wiederholung zulassen), und damit selbst zur dauerhaften Schein-Ewigkeit werden zu lassen, vertiefen Computerspiele ihre ohnehin schon immersive Qualität, in denen die Spielenden einen Flowzustand erleben (vgl. Csikszentmihalyi 1975), der somit eine quasireligiöse Dimensionalität erhält. Computerspiele heben hierdurch die Erinnerung auf und eröffnen die unmittelbare Erfahrung dessen, was Augustinus im Moment der Meditation und des Gebetes als höchsten Ausdruck des präsentischen Erlebnisses von Ewigkeit beschrieb, denn der Augenblick kennt hier kein Ende. Im ontologischen Sinne erfährt der Mensch im Dispositiv des Computerspiels dadurch die Gabe der Zeit an sich selbst in dem Augenblick, da er sie verspielt. Eben weil eine Instanz des Ichs darum weiß, dass das Spiel daseinsgebundener Zeitvertreib ist. Die Konzepte des gespeicherten Spielfortschritts, des Game Overs und Neustarts, des Leveling Ups werden dabei zu rhythmischem Maß, wirken über die verkörperte Spielerfahrung, via Joysticks, Gamepads und Konsolen auf das existentielle Erleben von Dasein an sich. Die symbolische Überdeterminiertheit der Computerspielwelten entlastet vom sinnentleerten Alltagseinerlei, weil sie den lebensweltlichen Erfahrungsraum für einen Moment vergessen lässt. Hier macht die Arbeit Spaß, macht die mechanische Wiederholung Sinn, weil der Spielstand gespeichert wird, das Erinnern einen Platz auf der Magnetkarte besitzt, das Neue als Differenz erscheint, das Spiel nie ganz das Gleiche ist, wie das, was es eben noch war. So schreiben sich Computerspiele als Modus von Welterlebnis in die Wirklichkeit außerhalb des Spiels ein, erlauben es, über den Alltag in Computerspielmetaphern zu sprechen, werden semantisch wirkmächtig. Sie verschaffen dem Ich in einem entfremdeten Dasein einen leicht
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zugänglichen Erfahrungsraum mit einem überschaubaren Erwartungshorizont, der sich nicht wie der des Menschen im Alltag entzieht, sondern de facto erreicht werden kann. Dieser Erwartungshorizont ist dadurch, dass er erreichbar wurde, ontologisch weltlos und erlangt gerade deshalb für das Ontische einen Gehalt, weil er die Menschen im digitalen Raum einer neoliberal entgrenzten Welt determiniert, ihnen einen Halt verspricht und ein Ziel vor Augen führt, das sie auch erreichen können. Das Vertraute des Computerspiels lässt für einen Moment die Unsicherheit einer von Updates, Neuerscheinungen, und mit unzähligen Objekten und unvorhersehbaren Begegnungen mit Menschen erfüllten Welt vergessen. Hierin können Anzeichen einer noch zu analysierenden Aura des Computerspiels gefunden werden. Computerspiele dürfen auch nicht in der gleichen Weise frustrieren, wie das alltägliche Arbeitsleben es tut. Deshalb sind einige Egoshooter in mobilen Spielen mit einem größeren Spielraum ausgestattet und es werden Fehlermargen eingebaut. In Celeste (2018), einem von Matt Thorson und Noel Berry entwickelten PlattformVideospiel, kontrollieren die Spieler einen Charakter namens Madeline. Das Mädchen muss seinen Weg einen Berg hoch finden und dabei viele tödliche Hindernisse umgehen. Zeitkoordination spielt hier eine wichtige Rolle. Damit Spieler im Verlauf nicht frustriert werden, ist eine Fehlermarge von einigen Pixeln einprogrammiert worden. Die ludische Simulation wird somit weniger rigide als die physikalische Realität der Simulation selbst. Bis zur Etablierung von Computerspielen war das Spiel in den arbeitsbasierten Gesellschaften für viele in die Krabbelecke geschoben oder fand seinen Platz zum Beispiel in Skatrunden, Schachturnieren oder in mondänen Casinos, diente mehr dem geselligen Miteinander als der Selbstverwirklichung. Dass Spiel der Einübung von Kultur dient, wie Benjamin am Beispiel des Spielzeugs schon dachte, wurde für pädagogische Maßnahmen durch Friedrich Fröbel oder Maria Montessori für die Kindererziehung als Werkzeug erkannt (vgl. Scheuerl 1994). Erst der Computer brachte, etwa durch die frühen Windows-Spiele wie Solitär, ein Einüben von Körperpraxen für Erwachsene. Während die Arbeitenden in ihrer Freizeit oder beim Warten auf die Bahn spielen, normalisieren sie im Umgang mit den digitalen Geräten eine ›prothetische Hexis‹, um Marshall McLuhan (1999) und Pierre Bourdieu (1997, 187) zusammenzubringen: Der Mensch als angebliches Mängelwesen erlernt einen sozialen und kulturellen Habitus, der weite Teile seines eigentlichen Menschseins, nämlich das Aushalten der Langeweile, die Erkenntnis von Mustern, das Finden von Unvorhergesehenem, nun in gebannter Form erfährt. Dadurch werden die drei anthropologischen Dimensionen des Spiels, in der sich Gesellschaft überhaupt erst entwickelt und die unabhängig von Arbeit und Medien auf den Menschen wirken, im Computerspiel aufgehoben: Als Medium vermittelt es erstens zwischen Ich und Wir, tariert des Weiteren das scheinbar naturhafte Verhältnis von Zufall und Regeln aus und zeigt drittens die Variabilität von Ding-UmweltRelationen in einer virtuellen Welt auf, die das Reale spontanistisch zu verdrängen vermag (vgl. Dippel 2018). Somit ermöglicht das Computerspiel einen Erfahrungsraum, der sich, auf den Gesetzen der Physik bauend, einzig mit Kultur erklären lässt. Die Behauptung übrigens, dass es sich bei der ubiquitären Nutzung des Begriffs Spiel – etwa durch Wittgenstein (1953), durch Popper (1935) oder durch Berne (1992) – um bloße rhetorische Semantiken handeln könne (vgl. Sutton-Smith 1997),
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während zugleich in den Börsensälen und Bankhäusern mit größtem Ernst Kapitalismus zelebriert wird, als ob die dort gehandelten Indizes unbeschwerte Chips wie in den heißen Nächten in der Spielbank von Monte-Carlo seien, stützt nur einen weit verbreiteten neoliberalen Verblendungszusammenhang. Schon Hans-Georg Gadamer verwies darauf, dass es am Ende überhaupt sinnlos sei, zwischen eigentlichem und symbolischem Gebrauch zu unterscheiden, weil Sprache in diesem Moment eine Abstraktion leistet, die Gegenstand der Reflexion werden muss, wenn Sprache Grundlage von Welterfahrung ist (1990, 108). Gerade weil insbesondere seit den Schriften Sigmund Freuds auf die Entschlüsselung selbstentbergender Signifikanten Wert gelegt wird, erscheint eine oftmals auftretende Infantilisierung des Spiels und die Bagatellisierung der Allgegenwärtigkeit des Begriffs symptomatisch, nicht jedoch nützlich für das Verständnis der Bedeutung von Spiel und Spielen. Dass Geldbank und Spielbank auf ähnlichen Prinzipien des Zufalls und der Theorie aufbauen, haben zunächst Julian Kücklich (2006) und dann insbesondere Christian Fuchs zum Anlass genommen, über das Phänomen des ›playbouring‹ zu schreiben und deutlich zu machen, dass das Denken von Marx in Zeiten digitaler Arbeit auch weiterhin größte Aktualität besitzt (2014) und durch das gegenwärtige soziopolitische Dispositiv ermöglicht wird (vgl. Möring/Leino 2015). Und obwohl schon Kant (1998) und Schiller (1963) in ihren Überlegungen frühe Vertreter des sich im Keimstadium befindenden heutigen ludischen Dispositivs waren, lässt sich in ihrem Denken noch erkennen, dass das Spiel mehr ist und immer mehr sein wird, als das, wozu es im Rahmen einer Kontrollgesellschaft gestutzt wird: Es ist Möglichkeitsraum von Welt, ein Prinzip der Freiheit und des Zwangs zugleich, Überschuss und Regulation in eins – unvorhersehbar und doch sich stets wiederholend. Spiele werden häufig als regelbasierte Strukturen, die ein eigenes Ziel in sich tragen, mit der Existentialität nicht interferieren und in diesem Rahmen Freiheit erlauben, dargestellt (vgl. Huizinga 1992; Sicart 2014). Dabei zählt insbesondere der Umstand, dass die Entscheidungen in Spielen reversibel sind, dass man neu beginnen kann. Oft gerät allerdings die Ernsthaftigkeit des Spiels für den Einzelnen, seine Existentialität wie sie Dostojewskis Spieler (2011) ebenso wie die Protagonisten in Sartres Das Spiel ist aus (1952) bezeugen, in Vergessenheit. Schon Michail Bachtin merkt in seinem Werk über Rabelais und seine Zeit an, dass diese Definition von Spielen als leichte Unterhaltung eine sehr moderne Definition ist (vgl. Bachtin 1995, 276). Er verweist darauf, dass das Spiel in der frühen Neuzeit mit der Philosophie gleichgesetzt war. Zu diesem Umstand mag sicherlich beigetragen haben, dass die Welt durch göttliche Ordnung vorherbestimmt schien. In dem Maße, da soziale Ordnungsbildung, Kontrolle, Selbstorganisation und Effizienzdenken das Wesen der Arbeit in einer technisierten Zeit bestimmten und der Zufall anstelle göttlicher Bestimmung trat, vermehrten sich indes Theorien, die Spielformen dressieren und das Wesen des Spiels in Abgrenzung und Antagonismus zur Arbeit setzten. Dass Arbeit und Spiel jedoch keine Antagonisten per se sind, da das eine Modus der Existenz, das Andere Modus der Erfahrung darstellt, wird in der Anthropologie seit den frühen 1980er Jahren widerlegt (vgl. Stevens 1980; Malaby 2009). Und doch lässt sich in der Lebenswelt beobachten, dass Arbeit und Spiel miteinander interferieren. Damit ist nicht die Profisportlerin oder der Profisportler gemeint, für den das Spiel Arbeit geworden ist. Die beiden Begriffe sind keine ›sym-
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metrischen Ergänzungsbegriffe‹, die spiegelbildlich ihre Erfahrungs- und Existenzweisen aufeinander zuordnen (vgl. Koselleck 1989, 355). Man sieht in dem jeweilig anderen das Ganze als Differenz und erkennt doch, dass beide Handlungen aus ähnlichen Entitäten zusammengesetzt zu sein scheinen. Die Präsenz des Spiels und der Arbeit wird je anders erfahren. Wie Vorzeichen in der Musik, wie Dur oder Moll versetzen sie in unterschiedliche Stimmungen, stellen ungleiche Seinsweisen dar. Sie bedingen sich nicht wechselseitig, sondern beschreiben unterschiedliche Existenzweisen, gründen ihre Identität als jeweilig distinkte Kategorien in Raum und Zeit, die jedoch im Moment der Erfahrung gleichzeitig erlebt werden können. Die Erfahrung somit bildet die Grenze und den Unterschied von Arbeit und Spiel. Obwohl beides einverleibte Begriffe sind, die von Einübungen bestimmt werden, ist Arbeit von Dauer und Ende bestimmt, das Spiel indes erfüllt sich in der Wiederholung und Begrenztheit der Dauer. Eine Analyse ihrer Verschränkung unterliegt einer notwendigen Unschärfe, weil sich entweder Arbeit oder Spiel beschreiben lässt, obwohl beide zusammenwirken können und doch unabhängig voneinander sind. Seit den 2000ern firmiert der Begriff der ›Gamification‹ (vgl. McGonigal 2011; Zichermann/Lindner 2012) als ein ökonomisierendes Schlagwort, das die Laborisierung des Spiels und die Ludifizierung der Arbeit (vgl. Dippel/Fizek 2017) als eine alltägliche Anwendungsstrategie für den Produktionsprozess nutzbar werden lässt. Das Phänomen entfaltete sich in etwa nach der ersten geplatzten Dotcomblase 1999 und steht im geopolitischen Zusammenhang eines durch Globalisierung und Digitalisierung des Finanzmarktes vertieften Auseinanderklaffens von Produktionsmitteln und Produktionsbedingungen, sowie der damit einhergehenden voranschreitenden Abkopplung von Geld und Kapital durch materielle Wertmaßstäbe. Management-Strategien in einer posttayloristischen Welt etablieren ludische Strukturen der Spieltheorie im Arbeitskontext, um die Effizienz von Unternehmen zu erhöhen (vgl. Osborne/Rubinstein 1990; Boisot/Nordberg/Yami/Nicquevert 2011; Dippel 2017). Während in Zeiten Benjamins durch Theorien und Praxen wie die von Frederick Winslow Taylor und Henry Ford die Kompetenz der Arbeiter durch Manager verwaltet wurden, zeichnet sich das postfordistische Arbeitssystem dadurch aus, dass auch Manager und viele andere Berufe der institutionalisierten Bürokratie durch Bots und Optimierungsalgorithmen ersetzt werden können. Die von Georg Simmel beschriebenen grauen Agentenberufe der Geldwirtschaft (vgl. Simmel 1996) werden dezimiert, die Arbeit selbst wird durch automatisierte Kontrollmechanismen reguliert. Wie digitale Tulpen sprießen die Bitcoins, neue Blasen wachsen und platzen unaufhörlich. Und wie in Videospielwelten, wo Risiken zu einem Game Over führen, das doch nur Neubeginn zeitigt, werden Entscheidungen relativ, erscheinen Finanzkrisen und Haussen an der Börse als bloße Effekte einiger menschlicher Spieler und vieler Bots, in der Hoffnung auf den großen Gewinn. Im Notfall trägt oftmals die Kommune, der Nationalstaat die durch das automatisierte Finanzwesen angehäuften Schuldenberge, während die Kaufkraft der Einzelnen stetig nachzulassen scheint. Das Computerspiel wird von diesen Kräften einverleibt. In dieser wachsenden existentiellen Unsicherheit sind für die Spieler Computerspielwelten verlässliche Residuen. Das Spiel substituiert die Arbeitswelt, in der prinzipiell alles möglich ist und jede Form angenommen werden kann. So lassen
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sich auch optimierte Arbeitszusammenhänge überleben, wie gegenwärtig etwa die in Amazons Werkshallen, und algorithmische Effizienzdispositive ertragen, die jeden Spielraum schließen, wie diejenigen in Amazons Büroetagen. Der globalen Unsicherheit der Welt mit ihren für Viele bedrohlichen Migrationen von Menschen und Waren steht die gelenkte Freiheit der Computerspiele gegenüber, wo Zirkulation von Entitäten nach vorhersehbaren Mustern abläuft und das Ereignis Vorhersehbarkeit verspricht und Behaglichkeit ausstrahlt. Zwischen Weltflucht und Realitätsersatz scheint somit im Computerspiel ein Ort auf, in dem selbst sinnlose, repetitive arbeitsähnliche Abläufe sinnstiftend wirken, weil das Spiel für die Spielenden den Anschein eines nicht-selbstentfremdeten Arbeitens aufrechterhält. Das marktwirtschaftliche Dispositiv, in dem sich Computerspiele heute entfalten, führt Strategie und Logik voraussetzende Kriegsspiele, pekuniär-abstrakter und mathematischer Spieltheorie verschriebene Systematiken und das etwa dem Minenwesen ebenso wie dem Casino verpflichtete Prinzip des Zufalls zu einer Kapitalmaschinerie zusammen. In der digitalisierten Ökonomie erlangt das Spiel Seriosität und Produktivität, ist Zeitvertreib und Langeweiletöter, erlöst von Kreativität und rahmt die Entscheidung. Zuletzt verwandelt es sich in einen Bestandteil der Infrastruktur des Kapitalismus. Auch daher wird das Spiel in Form des Computerspiels zum zentralen Narrativ auf der großen Bühne der Wirtschaft und auch der Politik, prägt gleichermaßen Vorstellungs- und Begriffswelten im Alltag Die digitalisierte Welt scheint heute in einem gesellschaftlichen Zustand gefangen, der einigen wenigen das Gefühl der Macht verleiht und Geld verspricht, ihnen den Glauben schenkt, Herr über das Spiel zu sein, vielleicht weil sie Algorithmen programmieren oder erfolgreich an der Börse spekulieren, obwohl eben gerade sie und mit ihnen die Big Players am Korrumpiertesten von allen, am meisten vom Kapital versklavt wirken und der Fetischisierung in einer entfremdeten weltlosen Digitalwelt der Arbeit erlegen sind. Materialismus etabliert sich als allumfassende Devise für die Identifikation von Stand und Klasse. Fußballspielerinnen und -spieler, Schauspieler und -spielerinnen, Königinnen und Könige erscheinen in den sozialen Medien und der Presse als Stars von gleichem Rang. Religiöse Praktiken werden den Arbeitsprozessen ebenso einverleibt wie das Spiel, der Hausmann geht zum Yogakurs und die Ärztin beginnt mit der Achtsamkeits-Meditation im buddhistischen Zentrum. Die schaffenden Bürgerinnen und Bürger spielen abends am Computer und gehen morgens an den Computer. Ob im Home Office oder am Büroplatz ihre Rolle einem kleinen Rädchen in einem großen Getriebe gleicht, im Spiel können sie alle Fußballstars, Actionhelden und Champions sein.
4. Maxima Labora Computerspiele sind vielgestaltig, können als Medium und Technik, Kunst und Gestalt, Bürokratie und Architektur, Werkzeug und Lebenswelt, Dispositiv und Diskurs wirkmächtig werden (vgl. Scholz 2013; Rey 2014; Fuchs 2015). Sie entziehen sich im Gegensatz zu analogen Spielen klarer Grenzbestimmungen, die einen magischen Kreis umschließen (vgl. Raczkowski 2017); auch hierin scheint die Aura des Spiels auf. Ihre Präsenz, ihre Inhalte, Strukturen und Formen geben Aufschluss über die
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Lage der Arbeit in Zeiten der automatisierten Reproduzierbarkeit und lassen in dieser Welt auf eine andere Welt hoffen. Durch sie hat sich nicht bloß das ästhetische Repertoire in Zeiten der Automatisierung neu ausgerichtet, sondern Menschen können durch sie eine neue Positionierung zur Arbeit finden. Spiele vervielfältigen sich im Computer in rasender Geschwindigkeit – und sind, wie ich im Folgenden an einigen Beispielen zeigen werde, nicht bloß vielgestaltig, sondern erlauben eine Pluralisierung von Handlungsmöglichkeiten, dienen als Überlebensstrategie, Fluchtpunkt, ebenso wie letztes I-Tüpfelchen der Ausbeutung des von Marx und Benjamin beschriebenen Systems des Kapitalismus. Denn durch Spiele vermag ein auf Gewinnmaximierung ausgelegtes System nicht bloß die Angebote des Spielens zu vervielfältigen, sondern, wie schon angedeutet, die Ressourcen menschlicher Freiheit und ihres Vergemeinschaftungspotentials zu mobilisieren. In den 2000er Jahren arbeiteten Menschen in Indien oder China für einen Hungerlohn im Spiel World of Warcraft und betrieben das sogenannte ›Goldfarming‹ (vgl. Nakamura 2013), damit reiche Spieler im Westen ihre Spielfiguren aufwerten konnten und den arbeits- und zeitraubenden Prozess des ›Grindens‹ von Statuspunkten oder virtuellem Geld umgehen konnten. Heute werden wie im Fall von Pokémon Go illegale Bots eingesetzt, die es erlauben, die repetitiven Aufgaben in vielen Spielen zu umgehen. ›Cheaten‹ hat viele Gesichter. Der unfaire Vorteil im Spiel stellt in der Arbeitswelt inzwischen eine Form der Subversion dar, um die Regeln, von erbarmungslosen Algorithmen bewacht, zu umgehen. Bei Amazon und Uber gelingt es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu cheaten, indem sie sich taktisch aus- und einloggen. So erhalten sie sich einen Grad an Restfreiheit aufrecht, der durch die Arbeitskontexte versagt werden soll. – Erst im Betrug, erst in der List zeigt sich, wie schon Jakob in der Bibel und Odysseus bei Homer bewiesen haben, dass zum Spielen immer auch das Entkommen aus dem Regelwerk hinzugedacht werden muss. Die jüngste Entwicklung der Ausbeutung von Menschen durch Spiel ist die Etablierung von sogenannten Lootboxen, also virtuelle Kisten in Computerspielen, die durch spezifische Handlungen von Spielerinnen und Spielern sowohl freigeschaltet, als auch gefunden oder käuflich erworben werden können und dabei Teil von sogenannten ›Pay-To-Win-Systemen‹ sind, die von einigen Behörden, wie etwa in den Niederlanden, als Glücksspiele innerhalb von Spielen gewertet werden (vgl. Netherlands Gaming Authority 2017). Während die Durchdringung von Arbeitswelt und Spielwelt in kommerziellen Computerspielen einem vorläufig neuen Höhepunkt zustrebt, entwickeln sich jedoch zeitgleich Computerspiele in der Indie Szene, werden auf Computermessen wie der ›A Maze‹ ausgestellt und verwandeln sich in soziale Happenings und Game Jams, die mit Witz und Ironie die Vermarktungsstrategien umgehen und den Spielenden selbst oftmals verdeutlichen, dass sie die Welt gerade durch ludisches Handeln verwandeln können. In Spielen wie Anamorphine, das den Spieler durch die Erinnerungen eines Mannes namens Tyler führt und dabei die Grenzen geistiger Stabilität exploriert, dem Comedy-Game Genital Jousting, das den Spieler auf ein vor sich hin kriechendes Genital reduziert und dabei jede gesellschaftliche Interaktion ironisiert oder dem Abenteuerspiel Attentat 1942, das Geschichte im Spiel mit dem Medium des Comics verschränkt, deutet sich an, welche sinnstiftenden Funktionen Computerspiele er-
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langen können. Auch wenn Computerspiele mechanische Handlungen einfordern, die als Mimesis von Arbeitswelt dem Kapitalismus dienen und das Gefühl der ›Workification‹ vermitteln (vgl. Rauch 2017), als ›Fabriken der Zukunft‹ aufscheinen (vgl. Fizek 2015), während sie den Einzelnen von sich selbst erlösen, entstehen auf Online-Plattformen wie ›Steam‹ Communities um Computerspiele, die fernab der großen Marktführer dazu beitragen, an Utopien zu bauen, die eine andere Welt als die des optimierten playbouring global Citizens versprechen. Im Folgenden möchte ich die Gegenwartsdiagnose schlaglichtartig vertiefen und beispielhaft erörtern, wie die Arbeit am Computerspiel selbst zu einer bedeutenden Größe im ökonomischen System geworden ist. Ermöglichen die bisher dargelegten Ausführungen den Schluss, dass die Dichotomie von Arbeit und Spiel eine moderne Polarität beschreibt, soll nun die Interferenz von Arbeit und Spiel in postfordistischen Produktionszusammenhängen genauer in den Blick genommen werden. Im Anschluss daran möchte ich die Diagnose ins Utopische dehnen und fragen, welche Möglichkeiten mit dem Computerspiel gegeben sind, die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen auszuspielen und an neuen wirtschaftliche Ordnungen mitzubauen. Level 1: Arbeit am Spiel. Ähnlich wie beim Film und beim Sport sind auch im Computerspiel jede und jeder, die den Leistungen anderer beiwohnen, halbe Fachfrauen und -männer. Menschen können daher nicht bloß potentielle Spielerinnen und Spieler, sondern im Sinne von Joseph Beuys auch Spieleentwicklerinnen und -entwickler sein. Alle Menschen kennen das Spiel, es ist jedem Einzelnen zu eigen und während Kinder die Welt sprachlich noch nicht zu fassen vermögen, oder ihre Sprache der Welt noch zu sehr ein Eigenes gegenüberstellt, so können sich alle in ihr spielerisch doch eine Heimat suchen. Computerspiele haben dabei eine Veränderung mit sich gebracht: Während die Entwicklung von Spielen über die längste Zeit menschlicher Geschichte etwas war, das insbesondere Kinder und Mütter und einigen spielversessenen Männern in besonders für sie zugänglichen Etablissements überlassen war, hat mit dem Zeitalter der Mechanisierung von Arbeit das Spiel geschlechtliche, altersbezogene und soziale Schranken übersprungen und darüber hinaus zur Entwicklung neuer Berufe, wie etwa dem der Spieleentwicklerin beziehungsweise des Spieleentwicklers beigetragen. In den 1970er Jahren entstanden die ersten Computerspielkonsolen. Von Tennis for Two, dessen Entwicklung als Gag in einem Forschungslabor in der Freizeit einiger Protonerds entwickelt wurde, bis zu The Witcher 3, an dem 1500 Menschen mitgearbeitet haben und das in etwa 270 Millionen Euro kostete, beileibe nicht das teuerste Spiel aller Zeiten, war es ein weiter Weg mit rasanter Professionalisierung. Er setzte einige technische Neuerungen voraus, die unmittelbar Einfluss auf die gesamte Gesellschaft nahmen. Internet und personale Computer, verbesserte CPUs, Grafikkarten, Prozessoroptimierungen und Breitbandausbau, die Entwicklung von Rollenspielen sind ludisch beeinflusst. Spiele haben Soft- und Hardware für die Masse leistungsfähiger gemacht. Interne und externe Infrastruktur von Spielen entwickelte sich dabei mit. Es entstanden Mechaniken und Narrative, die den Siegeszug der Computerspiele überhaupt zu einem solchen werden ließen. Noch 1961 hieß es in den Ergebnissen der »Proceedings of the Western Joint Computer Conference«
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in der Zeitschrift Management Games and Computers über die Devise, wie ein Spiel zu programmieren sei: A game must be simple to play. This does not mean that it needs to be easy to make good decisions, but the participants should not have to devote considerable time and energy to learning the rules. It requires skill and experience to abstract from the real world those elements of major importance so that a playable game will result. It is here that a programmer must work closely with the team that is building a game, and vice versa, the team should get the programmer into the act as early as possible. Skillful programming can do much to simplify the mechanics of play for the participants. A good program facilitates the manner in which the players submit their decisions, and attempts to set up procedures which will keep clerical errors to a minimum, and even possibly have the computer edit the decisions for obvious errors. (Kibbee 1961, 11)
Heute werden zur Entwicklung komplexer Spiele abertausende Menschen in Computerspielfirmen beschäftigt, die oftmals in prekären Arbeitssituationen unter hohem Zeitdruck und mit geringem Lohn an den Spielen arbeiten. In Kanada und Frankreich bilden sich derzeit Computerspiel-Protestbewegungen und Gewerkschaften, wie etwa die Entertainment Software Association of Canada (vgl. Statt 2018), um die Probleme der Spielindustrie anzugehen und für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und –nehmer einzutreten. Während die kreativen Berufe Automatisierung erfahren und junge Programmierende Spielmodding betreiben, um ihren Traum zu verwirklichen, später einmal selbst in der Spielindustrie arbeiten zu können, ist die Formierung von Gewerkschaften ein weiteres Zeichen der Gründerzeitstimmung im digitalen Kapitalismus, die die Logik des Marktes bändigen möchten und dem digitalen Fließband, an dem die jungen Programmiererinnen und Programmierer, Public Relations-Arbeiterinnen und -Arbeiter stehen, ein soziales Angesicht verleihen wollen. Level 2: Arbeit im Spiel. Spiele schaffen Realitätssysteme, die die Arbeitsbedingungen auszuhalten ermöglichen, weil sie auch die letzten Ressourcen der Menschen in einem allumfassenden existentiellen Spiel der Arbeit mobilisieren können (vgl. Yee 2006; Fuchs 2014). Wenn pro Jahr mehr als 1,3 Milliarden Menschen ihre Freizeit mit Computerspielen verbringen, handelt es sich somit nicht alleine um eine sinnstiftende Beschäftigung. Im Rahmen einer vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderten Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen konnte gezeigt werden, dass exzessives Computerspielverhalten Arbeit ist und sich in Computerspielen der Geist des Kapitalismus spiegele (vgl. Bleckmann/Jukschat/Kruse 2012). Mithilfe narrativer Interviews einer qualitativen empirischen Forschung konnten das Autorenteam am Beispiel von World of Warcraft aufzeigen, wie sich bei der Analyse der Spielenden des Spiels alle fünf Erfahrungskategorien von Arbeit wiederfinden lassen, wie sie von Marie Jahoda aufgestellt worden sind: 1. Die Auferlegung einer festen Zeitstruktur, 2. Die Ausweitung der Bandbreite sozialer Erfahrungen in Bereiche hinein, die weniger stark emotional besetzt sind als das Fami-
Arbeit 139 lienleben, 3. Die Teilnahme an kollektiven Zielsetzungen oder Anstrengungen, 4. Die Zuweisung von Status und Identität durch die Erwerbstätigkeit und 5. Die verlangte regelmäßige Tätigkeit. (Jahoda 1983, 99)
Paula Bleckmann, Nadine Jukschat und Jan Kruse kommen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass Computerspiele als Arbeitssimulatoren begriffen werden müssten. Nachdem der Referenzwert von Arbeit – die ökonomische Notwendigkeit und die Bearbeitung realer Materialitäten – durch den homo faber selbst abgeschafft worden sei, wäre die totalisierende Bedeutung von Arbeit überhaupt erst möglich geworden; hier diene das Computerspiel als Simulationsmaschine, wobei sich Spielerinnen und Spieler darin in einer Matrix simulierter Arbeit verstrickten (vgl. Bleckmann/Jukschat/Kruse 2012, 252). Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang sogar vom Computerspiel als ›postmodernem Arbeitslager‹ und urteilen, dass die Funktionsprinzipien der modernen Disziplinarmacht Computerspiel mit seinen softwaregesteuerten Formatierungsprozessen dazu beitrügen ein Subjekt zu schaffen, das den Anforderungen neoliberal-globalisierter kapitalistischer Gesellschaften gewachsen sei (ebd.). Im Anschluss daran übernimmt dieses Subjekt nicht allein die Sorge um sich im Spiel, sondern durch das Spiel in neoliberalen Welten hält es sich von der Suche nach selbstverwirklichenden Möglichkeiten die Welt zu gestalten selbst ab. Eine optimierte postfordistische Arbeitsanordnung wiederholt sich im Alltag. Das Selbst, angepriesen als das, was es zu finden, was es durch ›Selfies‹ aufzunehmen und zu bestätigen, was es in Computerspielen mit selbstgewählten Namen und selbstgebauten Charakteren zu verwirklichen gilt, scheint im Warencharakter aufgegangen. Game Over – Restart. Perfektionierte Hand-Auge Koordination und spezifischer ›Style‹ ermöglichen einigen Wenigen sogar Ruhm und finanzielles Einkommen, wie Twitch TV-Kanäle und Spielerviten von Youtubestars verdeutlichen. Darstellung und Performanz kann sofort in Produktion und Konsumption umgesetzt werden. Benjamin verweist schon in seinem Essay zum Kunstwerk darauf, dass durch die »Repräsentation des Menschen durch die Apparatur [...] dessen Selbstentfremdung eine höchst produktive Verwertung erfahren« hat (Benjamin, 1996, 332 f.). Das Spiegelbild des Schauspielers, so Benjamin, werde vor die Masse getragen, der Starkultus konserviere nicht allein jenen Zauber der Persönlichkeit, welcher schon längst im fauligen Schimmer ihres Warencharakters besteht, sondern sein Komplement, der Kultus des Publikums, befördert zugleich die korrupte Verfassung der Masse, die der Faschismus an die Stelle ihrer klassenbewussten zu setzen sucht. (Ebd.)
Mit dem Aufkommen von Gaming-Stars, die durch harte Arbeit vom Sofa aus die große Bühne des Internets bespielen, ist das Spiel somit vollständig im Zeitalter des Kapitalismus angekommen und der Spieltrieb erscheint repressiv entsublimiert. Dystopisch formuliert unterwirft das Computerspiel in diesem Szenario jegliche Handlung unter die Logik einer auf Selbstentfremdung ausgelegten Arbeit und ermöglicht dem Konsum und der damit verbundenen Fetischisierung alles Lebenden und nicht Lebenden auch den letzten Winkel des noch so zart aufflackernden Ichs zu erobern, dessen Selbstbestimmung sogleich erlischt. Das Computerspiel dient
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gleichsam als Blueprint, das eine ähnliche allegorische Macht wie etwa der Text, das Buch, der Film und der Code erhält, die sich als Meister-Metaphern zur Beschreibung von Welt etablierten: »Dem Verlauf des Bitcoins zu folgen, ist derzeit so spannend wie ein Computerspiel [...]«, beginnt die Reportage des TagesschauSprechers über die rasanten Entwicklungen der virtuellen Währung kurz vor Weihnachten 2017 (22.12.2017). Mehr als 1,3 Milliarden Menschen weltweit spielen Computer und die Branche wächst. Die Spielindustrie ist innerhalb weniger Jahre zu einem ebenso wichtigen Zweig der Unterhaltungsindustrie geworden wie die Filmbranche. Seit einigen Jahren findet in Köln die größte Computerspielmesse Deutschlands statt. Die Bundeskanzlerin besucht sie. Die Wahlprogramme versprechen bei der Bundestagswahl 2017 Investitionen in den Computerspielmarkt, auf dem Deutschland bisher ein ganz kleiner Player ist. Die Spielindustrie gibt Ausdruck über Machtverhältnisse in der Welt. Firmen finanzieren sich über In-Game-Purchases und In-Game-Advertisements. Aussteller und begeisterte Spieler kommen hier ebenso zusammen, wie Spielproduzenten und –designer. In den vergangenen Jahren hat sich ein weiterer Aussteller einen Platz gesichert: Die Bundeswehr. Hier rekrutiert sie in Zeiten digitaler Kriegsführung, seit die Wehrpflicht nicht mehr allgemein verbindlich ist, ihre neuen Soldaten. Drohnenkriege, Netzkriege, überhaupt ganz neue Formen des Krieges ermöglicht die Digitalisierung und dabei nützt das Computerspiel dem ältesten Handwerk, das sich seit jeher dem Spiel zu strategischen Zwecken bedient hat (vgl. Hilgers 2008). Vorreiter in dieser Angelegenheit war die US Armee. Mittels America’s Army, das von dem Militär selbst produziert wurde, rekrutierte sie über Jahre hinweg Soldaten. Dabei sollte nicht das Töten, sondern das Erlebnis soldatischen Zusammenhalts im Vordergrund stehen (vgl. Allen 2017). In Zeiten zunehmend automatisierten Krieges ist das Dispositiv soldatischer Arbeit nahezu deckungsgleich in der Simulationswelt von Computerspielen nachvollziehbar – bloß dass das eine zu schweren Traumata, das andere zu durchspielten Nächten führt. Studien deuten darauf hin, dass es sich dabei jedoch nicht herzlose Soldaten entwickeln, sondern die Anzahl von psychisch Erkrankten beim Drohnendienst hoch zu sein scheint (vgl. Chatterjee 2011). Dabei steht der Krieg in einer kapitalistischen Ordnung in enger Beziehung zur Frage der Arbeit. Benjamin merkte zum Verhältnis von ökonomischen Bedingungen und Krieg schon an: Wird die natürliche Verwertung der Produktivkräfte durch die Eigentumsordnung hintangehalten, so drängt die Steigerung der technischen Behelfe, der Tempi, der Kraftquellen nach einer unnatürlichen. Sie findet sie im Kriege, der mit seinen Zerstörungen den Beweis dafür antritt, daß die Gesellschaft nicht reif genug war, sich die Technik zu ihrem Organ zu machen, daß die Technik nicht ausgebildet genug war, die gesellschaftlichen Elementarkräfte zu bewältigen. (Benjamin 1996, 346)
Level 3: Arbeit mit dem Spiel. Computerspiele erlauben Arbeit. Sie können, ebenso wie sie für die Sache des Krieges oder für den wirtschaftlichen Gewinn eingesetzt werden, auch für das größere Allgemeinwohl zum Einsatz gelangen. Sie kommen heute im therapeutischen Bereich, etwa bei der Pflege von Patienten zum Einsatz, werden für die Reha nach schweren Hirnverletzungen hergenommen, und dienen
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dazu, die kognitiven Leistungen von alten Menschen zu steigern. Auch wenn sie für einen sozial erwünschten oder moralisch verträglichen Zweck eingesetzt werden, hat sich dabei jedoch an der zweckrationalen Verwendung des Spiels nichts geändert. Nach wie vor werden sie in der Pädagogik für Kinder eingesetzt. Von pädagogischen über wissenschaftlichen bis hin zu therapeutischen Zielsetzungen erlauben sie einen Zeitvertreib, der zugleich sinnvolle Tätigkeit zu sein verspricht. Auf Plattformen wie etwa der Zooinverse Plattform sind Spiele online zugänglich, die jedem Internetnutzenden die Möglichkeit geben, für wissenschaftliche, soziale oder kulturelle Projekte seinen Spieltrieb einzusetzen. Das erste solcher Spiele war das 2008 entwickelte Spiel FoldIt, das – so wie sein Nachfolgespiel EteRNA ermöglichte, durch die kollektive Anstrengung von 100.000 Spielenden eine stabile Struktur für die synthetische Herstellung von RNA im Labor herzustellen. In SuperBetter lernen Spieler mit Depression und Selbstwertgefühlen umzugehen, um ihren Zustand zu optimieren, auch wenn sie von Krankheiten gezeichnet sind. In Higgs Hunters trainieren die Spieler durch ihre Mustererkennung selbst Machine Learning Algorithmen, die die Detektion von Analysen im Large Hadron Collider (LHC) des Centre Européen de la Recherche Nucléaire (CERN) vereinfachen (vgl. Dippel 2017). So verschmelzen Ensembles von Menschen und Maschinen zu ›playbouring cyborgs‹ (vgl. Dippel/Fizek 2017–2018), um wissenschaftlichen Erkenntnissen zu dienen, die der Allgemeinheit zugute kommen. Arbeit und Spiel interferieren hier. Das autotelische Erlebnis des Einzelnen kommt einem kollektiven Exotelischen zugute. Algorithmen von heute bilden diese neue Infrastruktur, die Arbeitskräfte der Arbeiter- und Mittelklasse überflüssig macht. Während sie durch Bergbau und Minenwesen Fabrikhallen und Industriekomplexe geschaffen haben, tragen künstliche Intelligenzen, Datenminen und technologische Innovationen zur Auflösung dieser Klassen bei. Ingenieure lassen Tunnel graben, die dafür notwendige Arbeitskraft ist größeren Teils automatisiert. Es wird der Ruf nach einer Menschenquote laut (vgl. Kannenberg 2017). Das Bewusstsein von Subjekten erlebt eine Verwandlung, weil es nicht mehr Menschen gehört, die als nur als Individuen analysiert, sondern qua prothetischer Hexis als Teil einer optimierenden und optimierten Netzwerkstruktur betrachtet werden können. Darüber hinaus nähert die ständige Verbesserung von Computerleistungen den Traum der Menschheit, das Kommende vorhersehbar werden zu lassen und die Realität zu einer vorherberechenbaren Gewissheit zu reduzieren, wie sie in regelbasierten Spielsimulationen als Phantasma grundständig eingebaut ist. Daher steht in diesen Tagen die conditio humana buchstäblich auf dem Spiel und wird durch Technologie wie durch Biologie in Frage gestellt. Körper und Geist werden in größerem Zusammenhang begriffen. Die Implementierung von Simulationen in den Alltag (vgl. Turkle 2009) und die Multiplizierung von ›sociotechnical Imaginaries‹ (vgl. Jasanoff/Kim 2009) lässt eine neue automatisierte Aufklärung am Horizont erkennen. Während sich die Mittelklasse mit der Industrialisierung als Konnektoren der neuen technologischen Infrastruktur im 19. Jahrhundert etablierte (vgl. Williams 2008, 81), löst sie sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf. Zumindest, wenn man den schnellgeschriebenen perfekten Essays für die verwissenschaftlichten Massen Glauben schenkt, führt eine auf Silizium gebaute Medialität (vgl. Parikka 2015) zu
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einem Verschwinden der Mittelklasse. Für sie erscheint 2017 ein Buch mit dem Titel The Vanishing Middle Class (Temin 2017). Können sich Menschen durch Technologie transzendieren und durch künstliche Intelligenz zu einer ewig lebenden Singularität evoluieren? Werden sie einem Alien begegnen, das ihre Fragen beantwortet und ihre unerträgliche Neugierde befriedigt? Oder werden sie ihr ›multispecies entanglement‹ (vgl. Helmreich/Kirksey 2010) im ›Cthulhucene‹ (vgl. Haraway 2016) akzeptieren und die dualistische Trennung zwischen Körper und Geist aufgeben (vgl. Viveiros de Castro 2014)? Die Verbesserung von künstlichen Intelligenzen nährt die liberale Phantasie, dass Menschen sich von ihrer eigenen Bedingung in der Welt zu sein, lösen werden – dass sie aufhören zu arbeiten und nur noch spielen, sich in ungewisser Zukunft im besten Fall zum Homo automaton sapiens entwickeln. Heute wird die Aneignung von Welt schon vielfach an algorithmische Artefakte ausgesourct (vgl. Arendt 1970; Srnicek/Williams 2016) und sogar die dem Menschen eignende Form des Spiels, Ausdruck existentieller Freiheit (vgl. Bally 1966), scheint nicht mehr bloß den Lebewesen zu eignen. Alle und alles spielen Spiele, die Natur ist die größte Spielerin. Homo sapiens digitalis scheint daher in eine Identitätskrise geraten. Die Untersuchung des Ludischen stellt indessen eine mögliche Renaissance des Utopischen in Aussicht. Vielleicht führen Computerspiele zum nächsten Level der Subversion, lassen die Exploration neuer Welten zu. In Anbetracht des hier elaborierten Zustands von Arbeit und Spiel in Zeiten automatisierter Reproduktion, braucht es mehr ›Ludopien‹, so wie sie etwa auf der Plattform Molle Industria oder in der koreanischen Indie Game Produktion Little Brothers 2984 sichtbar werden.
5. Ludopia – Et labora pereat in ars, mundus fiat Die Frage der Arbeit erlaubt es, in Zeiten der Automatisierung und den vielversprechenden Entwicklungen künstlicher Intelligenzen die darunter schlummernde, sich grundsätzlicher Beantwortung entziehende Frage nach dem Menschen neu zu justieren. Ausgangspunkt bildet dabei die Rechenmaschine selbst – ist doch in sie die Frage nach der menschlichen Arbeit und durch ihre Existenz, ihre Möglichkeiten, die Frage nach der conditio humana des Menschen eingeschrieben. Während das totalitäre Denken eine Ästhetisierung der Politik betreibt, lässt sich im Anschluss an Benjamin ein Computerspiel denken, das – so wie für ihn die Kunst – politisiert ist. Wie im letzten Abschnitt angedeutet, brauchen wir neue Spiele, Ludopien, die eine Arbeit am Selbst erlauben, ein Tun in der Welt ermöglichen und nicht bloß Wertlogiken wiederholen, Effizienzsteigerungen nützen und die Masse mit den Opiaten digitaler Medien sedieren. Marcuse legt pointiert dar, dass sich Arbeit – vom Spiel ausgehend – durch drei wesentliche Aspekte her definieren lässt: Dauer, Ständigkeit und Lastcharakter (vgl. Marcuse 1965, 565). Es sind diese drei wesentlichen Aspekte, die Zeichen der automatisierten Computerspiele selbst geworden sind und nicht mehr der Arbeit allein, sondern auch dem Computerspiel eignen (vgl. Bleckmann/Jukschat/Kruse 2012). Des Spiels potentielle Unendlichkeit zeigt sich zuerst in virtuellen Welten von World of Warcraft, seine Produktivität wohl am Positivsten in Citizen Science Games,
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sein Lastcharakter deutet sich schon darin an, dass die meisten Spiele selbst großer Übung bedürfen und von ihren Entwicklern so gestaltet wurden, dass Spieler sie zuweilen auch als Fron erleben, so etwa im Fall der Candy Crush Saga oder anderen Spielen, die darüber hinaus noch ein hohes Suchtpotential besitzen. Könnte es sein, dass Spiele also selbst nicht bloß den Zustand von Gesellschaft in der heutigen Zeit offenbaren, sondern sich in ihnen Modalitäten der Arbeit andeuten, die einerseits den Zustand des kapitalistischen Systems beschreiben, andererseits die Utopie einer anderen Welt als mögliche Wirklichkeit in Aussicht stellen? Wäre im besten Fall eine ökologische Ökonomie denk- und lebbar in der es einen voll automatisierten Kommunismus gäbe, der die gerechte Verteilung von Ressourcen und Kapital für Menschen regelte? Was kann einer maschinisierten Matrix-Dystopie gegenübergestellt werden? Welche Utopie erkennt an, dass Menschen offensichtlich selbst nicht in der Lage sind, eine gerechte Welt aus eigenem Übereinkommen zu gestalten, ohne sie und sich selbst zu entmündigen? Wie lassen sich die technologischen Neuerungen und die sozialen Kräfte in Einklang bringen? Die Realität erlaubt wenig Hoffnung: In der gamifizierten Welt erleben wir heute keinen PlattformKooperativismus, der alle Nutzer zu Produzenten und Anteilseignern ihrer eigenen Produktion werden lässt. Und doch eröffnet das Spiel andere Welten zu denken – in denen weder schöne neue Welten, noch destruktive Gleichschaltungsphantasien ihren Raum erhalten, sondern sich auch auf eine andere Gesellschaft hoffen lässt. Zu Beginn des fordistischen Zeitalters versprachen sich liberale Denker wie Edward Keynes von der mechanisierten Reproduktion eine Welt ohne Arbeit. Gleichzeitig verwies im Rahmen marxistischer Theoriebildung Herbert Marcuse darauf, dass der Mensch erst durch Arbeit seinen Platz in der Welt und mit anderen findet. Im Gegensatz zum Spiel richtet sich der Mensch bei der Arbeit nach den Gegenständen, während eben diese Bindung an die Gegenstände im Spiel aufgehoben sind. Menschen erlangen also im Umgang mit Welt im Rahmen gesetzter Regeln Freiheit (vgl. Marcuse 1965, 561 f.). Das darin implizierte Verhältnis von Arbeit und Spiel hat sich in Zeiten der Automatisierung verkehrt. Durch digitale Plattformen sind Menschen nun in Spielwelten zu Hause, die je nach Ausrichtung des Spiels von der Bindung an eine virtuelle Welt im Falle von ›MMORPG’s‹ (Massively multiplayer online role-playing games) bis hin zum laborisierten Spiel im Fall von ›Citizen Science Games‹ ausgesetzt sind. Ihre Situation im Verhältnis zur Welt lässt sich somit in der gegenwärtigen Situation als eine durch und durch an Gegenstände und Kapital gebundene beschreiben. Symptomatisch hierfür mag als jüngstes Phänomen, die sogenannten ›Idle Games‹ gelten, in denen Menschen selbst gar nicht mehr spielen, sondern das Spielerlebnis an den Computer delegiert wird (vgl. Fizek 2018) und Maschinen spielen (vgl. Wiemer 2017). Was also tun Menschen überhaupt in einer Zeit, in der Arbeit und Spiel ihnen gar nicht mehr zu eignen scheint, sondern sogar der Spieltrieb selbst ausgelagert wird? Die Verschränkung von Arbeit und Spiel im menschlichen Tun einerseits, wie die Delegation von Arbeit (und Spiel) an digitale Automata andererseits sind paradoxerweise zum alltäglichen Zustand in der westlichen Wohlstandswelt geworden. Heute scheint sich Arbeit nämlich in dem Maße zu multiplizieren, wie sie durch die Automatisierung dem Menschen abhanden kommt. Für liberale Denker arbeitet das Geld und nicht der Mensch, Informatiker sind davon überzeugt, ihre Algorithmen
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arbeiten, und alles zusammen genommen, arbeiten die meisten Menschen immer mehr, ohne dass sich das Versprechen des Fordismus auf eine Welt ohne Arbeit auch nur andeutungsweise im Postfordismus einlösen würde. Auch wenn die Automatisierung ersehnte Entlastung mit sich bringt, wirkt es, als ob die meisten Menschen trotzdem einfach nur immer mehr arbeiten. Technik wurde in der Geschichte in erster Linie für das verwendet, was den Mächtigen nützt und dient. Auch wenn der Kapitalismus die Realität diktiert, rücken die digitalen technischen Innovation und monetäre Dispositive auch produktive Konzepte des digitalisierten Kommunismus (vgl. Frase 2011) in den Bereich des Möglichen (vgl. Heidenreich 2017), die aus den hedonistischen und spekulativrealistischen Ichschleifen herausführen können – eingedenk der bitteren Lehren von 40 Jahren real existierendem Sozialismus, sowie 20 Jahren Social-Media-Öffentlichkeit und der trübenden Erkenntnis, dass Massen lenk- und die Menschen tatsächlich unverbesserbar zu sein scheinen. Was Arbeit in Zeiten automatisierter Reproduzierbarkeit für die Menschen weiterhin bedeuten kann, ist damit der ihr innewohnende Anstoß zum Weitermachen, zum gemeinschaftlich verträglichen Selbstverwirklichen. In diesem Zusammenhang sollte das vergemeinschaftend-wie-selbstverwirklichende Potential von Spielen in digitalen Zeiten gestärkt werden. Es braucht Arbeit, nicht Arbeit am Kapital, sondern Arbeit an Kultur, am Umgang mit Natur, am Selbst und der Gemeinschaft, an Empathie und an Reflexion, am Miteinander und der Umwelt und insbesondere Arbeit am Spiel. Literatur
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Politik 149
Politik Wulf Loh
1. Einleitung An der Schnittstelle zwischen Computerspielen und Politik lassen sich vier primäre Themenfelder ausmachen, die prima facie für eine philosophische Untersuchung von Interesse sind. Zunächst einmal könnte man über Computerspielpolitik sprechen, d. h. das Politikfeld ›Computerspiele‹, in dem politische Zielsetzungen, Normen und Handlungen debattiert, Entscheidungen getroffen und diese auch konkret in Rechtsnormen umgesetzt werden. Computerspielpolitik in diesem Sinne ist ein Unterressort der Medien- bzw. der Kulturpolitik. Urheberrechts- und Weiterverwertungsfragen, Fragen der Kulturförderung, aber auch die Frage der Altersfreigabe und Indizierung von Computerspielen gehören hier hinein. Aus moralischer Perspektive ist in diesem Zusammenhang bspw. die Überlegung virulent geworden, sogenannte ›Killerspiele‹ zu verbieten (s. Kap. »Ethik«). Als zweites könnte man die Politisierung der Spieler-Community in den Blick nehmen. Es geht in diesem Themenbereich nicht so sehr um die vorherrschenden politischen Überzeugungen oder das allgemeine Wahlverhalten innerhalb der demographischen Gruppe der Gamer. Vielmehr meint ›Politik‹ in diesem Zusammenhang die »ethisch-politischen Selbstverständigungsdiskurse« (Habermas 1999, 284) innerhalb der Gaming-Community, mit denen sie über sich selbst als soziale Praxis reflektiert. Hier werden zum einen Rollenidentitäten kollektiv verhandelt (Was macht uns als Gamer aus?), zum anderen »standards of excellence« (MacIntyre 1985, 187) für diese Rollenidentitäten gesetzt (Was ist eine gute Gamerin?). Politisch wird ein solcher Diskurs dann, wenn er nicht nur innerhalb der Gruppe geführt wird, sondern von einer gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit rezipiert wird, wie dies bspw. für die ›Gamergate‹-Affäre gilt, die durch frauenfeindliche Kommentare gegen bestimmte Frauen in der Computerspieleindustrie unter dem Hashtag #gamergate begann, dann sich aber schnell als Debatte um Sexismus und Medienethik ausbreitete (vgl. Ip 23.10.2014; Wofford 25.10.2014). In diesem Fall geht es nicht mehr nur um die sozialen Normen innerhalb einer bestimmten Gruppe, die die Gruppenidentität und damit auch die individuelle Identität ihrer Mitglieder betrifft. Vielmehr wird der gruppeninterne Diskurs als paradigmatischer Fall einer gesamtgesellschaftlichen Kontroverse über bestimmte ethisch-politische Rahmenbedingungen wahrgenommen und als solcher auch auf dieser Ebene verhandelt. Dabei gerät gleichzeitig die gesamte Gruppe und ihre Gruppenidentitäten in den Fokus einer größeren, politischen Öffentlichkeit. Diese beiden, jede für sich genommen sehr interessanten Fragen werde ich hier jedoch nicht weiterverfolgen. Dafür gibt es je unterschiedliche Gründe: Im Fall der Computerspielpolitik gerät der philosophische Zugriff auf den Begriff ›Politik‹ aus dem Fokus. Das liegt daran, dass ›Computerspielpolitik‹ vor allem politikwissenschaftliche Fragen der Kompromissfindung und Umsetzung zuvor schon gesell-
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schaftlich debattierter ethischer Probleme in Bezug auf Computerspiele berührt. Diese Probleme fallen aus philosophischer Perspektive primär in den Bereich der normativen Ethik (s. Kap. »Ethik«), und nicht in den Phänomenbereich des philosophischen Politikbegriffs. Umgekehrt betrifft die Politisierung der Gaming-Community zwar Fragen der Sozial- und der politischen Philosophie. Es geht hier wie gesehen um Identität, Rollenzuschreibungen, Selbstverständigungsdiskurse, Ein- und Ausschluss. Demgegenüber wird mit der Spieler-Community aber nicht das Computerspiel selbst in den Blick genommen, sondern soziale Gruppenphänomene im Einflussbereich von Computerspielen. Zwar beziehen sich die Mitglieder dieser Gruppe konstitutiv auf Computerspiele, aber das philosophische Untersuchungsobjekt sind in diesem Fall nicht mehr Computerspiele selbst, sondern vielmehr die jeweilige Gruppe, die durch Computerspiele – bzw. unter Umständen auch ein einzelnes Spiel – sozial integriert wird. Dagegen lassen sich zwei weitere Bereiche in der Schnittmenge von ›Politik‹ und ›Computerspiele‹ ausmachen, die für eine genuin philosophische Untersuchung prädestiniert sind. Zum einen die Darstellung und Vermittlung von Politik in Computerspielen, d. h. die Repräsentation des politischen Prozesses und politischer Werte (z. B. Gleichheit, Freiheit, Demokratie, Solidarität) in Spielen. Dazu gehört auch die Darstellung von Legitimationsmechanismen und -strategien, Aushandlungsprozessen, Machtverteilungen und -ungleichgewichten usw. Als zumeist auch narratives Medium (vgl. Tavinor 2009, Kap. 6) vermitteln Computerspiele bestimmte gesellschaftliche Werte (vgl. Trifonas 2010) – in dem für diese Untersuchung interessanten Fall bestimmte Sichtweisen auf Politik und politische Werte. Damit leisten sie, wie andere Medien auch, einen Beitrag zur politischen Bildung (vgl. Scholz 2014). Aus diesem Grund liegt der philosophische Fokus im Bereich ›Politik in Computerspielen‹ nicht primär auf deskriptiven medientheoretischen Analysen darüber, wie Politik in Computerspielen dargestellt wird. Vielmehr soll hier untersucht werden, welche Auswirkungen diese Darstellungen auf die Vermittlung spezifisch politischer (im Unterschied zu moralischen) Werte haben können. Zum anderen lässt sich ein Bereich ausmachen, in dem umgekehrt der Versuch unternommen wird, vermittels Computerspielen ein spielerisches Element in die Politik zu tragen. Mit der Idee der Gamifizierung politischer Partizipation (vgl. McGonigal 2011; Thiel/Reisinger/Röderer/Fröhlich 2016) soll das Interesse an politischen Zusammenhängen spielerisch geweckt und so Bürgerbeteiligung gestärkt werden. Ähnlich der Belohnungssysteme gängiger Fitness- und Abnehm-Apps wird versucht, über eine Anreizstruktur in Form von Punkten, Medaillen, Abzeichen, Level usw. verschiedene spielpsychologische Mechanismen anzusteuern, bspw. Wettkampf-, Status-, Herausforderungs- oder auch Selbstentfaltungsmechanismen. Auf diese Weise soll das Interesse der Spielerinnen geweckt und eine zusätzliche Motivationsquelle bereitgestellt werden, die ihnen dabei hilft, auch wenig intrinsisch motivierende Aufgaben über einen längeren Zeitraum zu erfüllen. Während das Ausnutzen derartiger spielpsychologischer Mechanismen bei Diäten, Fitnessprogrammen, der Raucherentwöhnung etc. zunächst einmal unproblematisch zu sein scheint, bleibt in Bezug auf politische Partizipation zu fragen, ob hier nicht
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unzulässigerweise in die politische Autonomie der Akteure eingegriffen wird, und bspw. die Spieler ohne ihr Wissen manipuliert werden. Um diese beiden Bereiche näher beleuchten zu können, ist zuvor jedoch zumindest eine näherungsweise Bestimmung des Computerspielbegriffs vonnöten. Nur mit einer hinreichend genauen Phänomenbeschreibung lässt sich der Einfluss von Computerspielen auf die politische Autonomie der Bürgerinnen und Bürger, d. h. auf ihr Verständnis von Politik und ihre Bereitschaft zur politischen Partizipation, adäquat untersuchen. Da ich hier nicht in die Debatte um die Ontologie von Computerspielen einsteigen kann, bediene ich mich im Folgenden der Einfachheit halber der von Sebastian Ostritsch und Jakob Steinbrenner in diesem Band vorgeschlagenen vier notwendigen Bedingungen von Computerspielen (s. Kap. »Ontologie«, S. 68): Computerspiele zeichnen sich erstens durch »regelbasierte Interaktivität (Gameplay)« aus, verfügen zweitens über »Input- und Outputelemente (mit einem Schwerpunkt auf der Ausgabe visueller Zeichen)«, basieren drittens auf einem »Computerprogramm, auf der die Gesamtheit der im Spiel möglichen Interaktionen superveniert, ohne darauf reduzierbar zu sein«, welches viertens wiederum zu seiner Ausführungen einer »Hardware in Form eines Rechners« bedarf. Diese vier Bedingungen sind einerseits weit genug, um nicht nur klassische desktop- bzw. konsolenbasierte Spiele zu erfassen, sondern auch interaktive Partizipationsformen, die sich lediglich einer digitalen Plattform (d. h. eines Rechners, zumeist in Form eines Smartphones) bedienen, um Spielelemente in den politischen Prozess einzuführen. Andererseits sind sie jedoch konkret genug, um andere, nicht-computerbasierte Formen politischer Bildung bzw. politischer Motivationsförderung auszuschließen. Gleichzeitig lassen sie genug Raum, um Computerspiele sowohl unter primär narratologischen als auch ludologischen Gesichtspunkten zu untersuchen und so den für die frühen Games Studies konstitutiven »Streit zwischen Ludologen und Narratologen« (GamesCoop 2012, 9) gar nicht erst aufkommen zu lassen. Besonders Letzteres wird uns im Folgenden noch beschäftigen, bezieht sich doch der Bereich ›Politik in Computerspielen‹ vor allem auf den narrativen Aspekt von Computerspielen, während der Bereich ›Gamifizierung von Politik‹ primär auf den spielerischen Aspekt verweist.
2. Politik in Computerspielen Auch wenn Narrativität weder eine notwendige noch hinreichende Bedingung für Computerspiele darstellt – es sei denn, man sieht auch in der reinen Abfolge der oftmals sehr repetitiven Spielhandlungen eine Form von »kinetischem Narrativ« (Poole 2000, 108) – erzählt doch eine beträchtliche Zahl von Computerspielen eine interaktive Geschichte, in der die Spielerin oder mehrere Spieler in die Rolle von Protagonisten schlüpfen (vgl. Tavinor 2009, Kap. 6). Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Computerspiele lediglich ein anderes Medium bereitstellen, um eine weitgehend chronologische Geschichte zu erzählen, die mit einigen interaktiven Elementen versehen ist; auch wenn diese narrative Form in einigen Genres wie bspw. Adventures – man denke dabei an Monkey Island oder Myst – dominiert. Narrative werden darüber hinaus in Computerspielen eingesetzt, um das Spiel in einem erzäh-
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lerischen Hintergrunde zu situieren, Spielmechaniken zu erklären und Handlungsoptionen oder Gameplay-Elemente zu motivieren. In einigen dieser Narrative spielt Politik eine Rolle, entweder als zentrales, plottreibendes Element, oder aber zumindest als Hintergrundkulisse, vor der sich das eigentliche Spielgeschehen entfaltet. Bspw. geben klassische Strategiespiele wie Command&Conquer, Heroes of Might and Magic oder Age of Empires einen Hintergrundkontext vor, der den als Spielinhalt gesetzten kriegerischen Konflikt einrahmt. Dieser Kontext ist jedoch zumeist austauschbar und erfüllt lediglich einen atmosphärischen Zweck. In einigen Fällen werden hierdurch Elemente der Spielmechanik motiviert, wie z. B. bestimmte Arten von Militäreinheiten o. Ä. Gleiches gilt für viele Egoshooter wie Counter-Strike oder Far Cry. Sie benutzen politische Krisen, Failed states oder Nachkriegsgesellschaften, um eine Kulisse aufzubauen und die Spielmechanik zu situieren. Dagegen setzen einige große Online-Multiplayerspiele (MMOG) wie bspw. Eve Online oder World of Warcraft nicht nur Politik als Szenerie ein, sondern implementieren sie in Form von Diplomatie, Kooperation oder als plottreibendes Element in das Gameplay. Eine Reihe von Rollenspielen wie bspw. die Reihen The Witcher, Final Fantasy oder Gothic gehen noch einen Schritt weiter und entfalten ein Narrativ in Form einer zentralen Handlung, in dem u. a. Intrigen, Putschversuche, Aufstände und Revolutionen die Geschichte vorantreiben. Durch sie werden die Protagonisten in die Handlungsstränge des zentralen Plots in Form von Hauptquests verwickelt. Ähnliches gilt für einige Actionspiele wie die Spielreihen Assassins Creed, Grand Theft Auto oder Batman. Auch hier wird eine interaktive Geschichte erzählt, in der der Spieler als Protagonist eine zentrale Rolle spielt und diese durch seine Handlungen mehr oder weniger beeinflussen kann. Gerade im sogenannten ›Indie-Bereich‹ finden sich viele Spiele, die realpolitische Ereignisse als zentrales Narrativ verhandeln, man denke nur an Oiligarchy, 1979 Revolution: Black Friday oder Escape from Woomera. Da es jedoch in diesem Beitrag um den Einfluss von politischen Narrativen auf die Politikvorstellungen der Spielerinnen geht, werde ich Spiele mit geringem Verbreitungsgrad außen vor lassen, da die in ihnen entwickelten Narrative nicht genug Breitenwirkung erzeugen können. Noch stärker in das Gameplay eingebunden sind Politikelemente in Spielen wie denen der Reihe Civilization, in denen nicht nur Diplomatie einen erheblichen Anteil an der Spielmechanik hat. Daneben wirken sich auch andere steuerbare Elemente wie bspw. die Wahl des eigenen politischen Systems (Monarchie, Demokratie, Kommunismus usw.) in Form von Produktivität und außenpolitischen Optionen direkt auf das Spielergebnis aus. Hier werden politische Zusammenhänge für das Gameplay operationalisiert und so für die Spielerin spielmechanisch erfahrbar. Aus dem Narrativ ›Politik‹ wird so ein ludisches Element des Spiels als Spiel. Dies wird uns später noch beschäftigen. In allen diesen Fällen wird ein bestimmtes Bild des Politischen vermittelt, sei es als atmosphärische Hintergrundkulisse, sei es in zentraler plottreibender Funktion, oder sei es sogar als Teil der Spielmechanik. Problematisch kann diese Vermittlung dann werden, wenn hier ein krudes, einseitiges und eindimensionales Bild des politischen Geschehens vorherrscht. Denn in unseren modernen, »zu hundert Prozent mediengesättigten Gesellschaften« (Bell 2015) geschieht die Sozialisation in
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die Gesellschaft zu einem nicht unerheblichen Teil über Medien und die in ihnen reproduzierten Narrative. »Digital culture has become the means for enacting forms of public pedagogy through which we learn to read and engage others and the world around us« (Trifonas 2010, 180). Computerspiele machen zwar nur einen Teil des täglich konsumierten MedienMixes aus, gewinnen jedoch zunehmend an Bedeutung. Laut einer Bitkom-Studie spielen in Deutschland über 90% aller Kinder zwischen zehn und 18 Jahren Computerspiele, je nach Kohorte bis zu zwei Stunden täglich (vgl. Holdampf-Wendel/ Shahd/Hampe 2014). Einem vielfach zitierten Wall-Street-Journal Artikel zufolge haben die Spielerinnen von World of Warcraft zwischen 2004 und 2012 nach Hochrechnungen insgesamt ca. 50 Milliarden Stunden im Spiel verbracht. Und viele der AAA-Spiele, also derjenigen Computerspiele mit sehr großem Entwicklungsbudget, übertreffen in ihren Entwicklungskosten den durchschnittlichen Hollywood-Blockbuster (vgl. The Economist 25.9.2014). Insbesondere Kinder und Jugendliche nehmen also immer mehr gesellschaftlich relevantes Wissen – und damit auch politisches Wissen – über Computerspiele auf. Diese Art des informellen Lernens bildet somit einen wichtigen Aspekt der öffentlichen Erziehung (public pedagogy), durch die in Form eines Sozialisationsmechanismus (vgl. Hayes/Gee 2010, 180) die Regeln der sozialen Praktiken einer Gesellschaft, die prävalenten Wertesets und Weltbilder vermittelt werden (vgl. Berger/Luckmann 1967). Dies gilt jedoch nicht nur für den Aneignungs- bzw. Sozialisationsprozess: Auch erwachsene Spieler korrigieren oder reproduzieren ihre geteilte ›Lebenswelt‹ (vgl. Habermas 1995a) in – häufig impliziter – Auseinandersetzung mit den Darstellungen von Politik, des politischen Prozesses und der Zielvorstellungen politischer Akteure, denen sie ausgesetzt sind. Diese Darstellungen erschöpfen sich dabei in vielen Computerspielen in vergleichsweise kruden Vorstellungen von Hinterzimmerpolitik, die den politischen Aushandlungsprozess als rein strategische Kommunikation (vgl. Habermas 1995b) – inklusive Manipulation, Täuschung und Drohung – zwischen eindimensional von persönlichem Machtstreben motivierten Akteuren karikiert. Macht wird so zum Selbstzweck narzisstisch überzeichneter Akteure, der nur in Konkurrenz zu anderen erreicht werden kann. In diesem Nullsummenspiel schmieden die Akteure rein strategische Allianzen und versuchen mit allen Mitteln, bis hin zu verdeckter oder offener Gewalt, den politischen Gegner zu übervorteilen, zu manipulieren und zu besiegen. Speziell der politische Betrieb wird in Computerspielen oftmals als Vulgärvariante eines Hobbesschen Kriegs aller gegen alle dargestellt – egal, ob es sich um Reproduktionen quasi-mittelalterlicher Feudalsysteme, Monarchien antiken Zuschnitts oder auch moderne Demokratien handelt. Diesen Rahmenbedingungen entsprechend werden die Akteure vielfach holzschnittartig in narzisstische risikofreudige Charaktere einerseits und autoritäre risikoaverse Charaktere andererseits eingeteilt, die entweder ihre Machtposition ausbauen wollen oder versuchen, innerhalb des Systems zu bestehen. Diese Art der Darstellung des Politischen ist – wie in anderen Medien auch – dabei dem dem jeweiligen Spiel zugrundeliegenden Narrativ geschuldet, das häufig polarisierte Ausgangssituationen, Zuspitzungen und Konflikte für den narrativen Spannungsbogen braucht.
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Natürlich bedienen sich nicht alle Spiele derartig eindimensionaler Darstellungen des Politischen. Dennoch lässt sich hier ein gewisses vorherrschendes Narrativ ausmachen, speziell in Spielen mit hoher Verbreitung (AAA Games). Trotz einer solchen hobbesianisch anmutenden Hintergrundkulisse, so ein möglicher Einwand, vermitteln viele Spiele ganz zentral Werte wie bspw. Kooperation, Vertrauen, Diversifizierung von Fähigkeiten, den Wert von politischen Bündnissen oder u. U. sogar das Vermeiden aggressiver Spielzüge, die dem Hintergrundmotiv andere soziale Normen entgegensetzen (vgl. Turkle 1995). Derartige Normen qualifizieren und moderieren jedoch häufig gerade nicht das Hintergrundnarrativ institutionalisierter Politik, im Gegenteil. Nicht selten wird dadurch ein –auch bei Populisten beliebtes – Narrativ zwischen einem wertbasierten, sozial und kooperativ ausgerichteten ›Wir‹ (in Populismen verschiedener Provenienz gern ›das Volk‹) und einem korrupten, auf Eigennutz fokussierten, strategisch agierenden ›Die anderen‹ (von Populisten zumeist als ›Die da oben‹ oder ›die Politiker‹ identifiziert) aufgemacht. An dieser Stelle werden die potentiellen Gefahren solcher verkürzter Darstellungen des politischen Betriebes sichtbar. Wenn diese ein einseitiges Bild politischer Institutionen und des politischen Prozesses vermitteln, besteht die Gefahr, dass sie zu einer allgemeinen Politikverdrossenheit beitragen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie unbewusst das Vertrauen in Berufspolitiker untergraben, indem sie diese zumeist als korrupt, skrupellos und ausschließlich eigeninteressiert darstellen. Der Umstand, dass »demokratische Politik einen berechtigten Konflikt widerstreitender Interessen« (Volk 25.2.2017) einfangen und über Aushandlungs- und Kompromissprozesse in Gesetze gießen muss, kann auf diese Weise leicht als prinzipienloses ›Geschacher‹ missinterpretiert werden. Selbst wenn die in vielen Computerspielen vorherrschenden Darstellungen von Politik nicht mitursächlich verantwortlich für das momentan schon bestehende Misstrauen in die politische Klasse besonders unter jungen Europäern sind (vgl. SINUS 2017), könnte ein solches Misstrauen im schlimmsten Fall durch sie noch medial verstärkt werden. In Kombination mit dem ohnehin schon problematischen »Praxisentzug« (Arendt 1970, 80) der Bürgerinnen in modernen Massendemokratien, die nicht mehr direkt am politischen Prozess beteiligt sind und daher diese Prozesse und deren Schwierigkeiten nicht selbst unmittelbar erfahren, resultiert hieraus möglicherweise eine übertrieben negative Wahrnehmung etablierter demokratischer Institutionen, die Populismen von links wie rechts Vorschub leisten kann (vgl. Müller 2016, 42). Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass mit der Desavouierung des demokratischen Aushandlungsprozesses über kurz oder lang der Wert von Demokratie selbst in Misskredit gerät. Im Ergebnis bilden womöglich Computerspiele einen unter vielen Kausalfaktoren für die momentan beobachtbare Tendenz, dass die Bürgerinnen moderner repräsentativer Demokratien ihre demokratischen Partizipationsrechte immer seltener wahrnehmen und damit ihre eigene politische Autonomie zunehmend aufgeben (vgl. Habermas 1998, Kap. 3). Wenn aber Zustimmung zu demokratischen Institutionen und die Partizipation an und in ihnen – mindestens in Form der Wahlbeteiligung zu den nationalen Parlamentswahlen – rückläufig ist, so verliert Demokratie einerseits als Reservoir für Solidarität zwischen Fremden, die als Autoren von Gesetzen ein gemeinsames Pro-
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jekt gleichberechtigt verwalten, ihre sozialintegrative Wirkung. Zum anderen hängt an dieser Zustimmung und Partizipation auch die Legitimität der Institutionen und der gewählten Vertreterinnen. Wer wie Trump – und andere Präsidenten vor ihm – nicht von der Mehrheit der Wahlbevölkerung gewählt wurde, dem hängt ein legitimatorischer Makel an. Denn der Verdacht lässt sich nicht mehr beseitigen, dass eine Minderheit von Wahlbürgern über die schweigende Mehrheit entscheidet, die ja möglicherweise eine ganz andere Wahl getroffen hätte. Dann aber wäre nicht mehr jede Stimme bzw. jedes Interesse gleich berücksichtigt, sondern die Stimmen der Minderheit hätten mehr politisches Gewicht als die der Mehrheit. Potentiell führt also die eindimensionale Darstellung von Politik in Computerspielen als öffentlicher Form der politischen Bildung zu nachhaltiger Enttäuschung und zu Misstrauen des Elektorats gegenüber der politischen Klasse, die sich in mangelnder Zustimmung und Partizipation ausdrücken können. Hieraus ergeben sich vier demokratietheoretische Problemlagen: 1. Die Gefahr der Selbstaufgabe individueller politischer Autonomie der Bürger als demokratische Autoren der sie betreffenden Gesetze. 2. Die Erosion der sozialintegrativen Wirkung von Demokratie und damit eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und Fragmentierung. 3. Die Unterminierung des demokratischen Gleichheitsprinzips, wenn die Wahlbeteiligung bestimmte Prozentzahlen unterschreitet. 4. Der Zulauf zu populistischen Protestparteien, die damit ihre häufig antiliberale und antidemokratische Politik öffentlichkeitswirksam propagieren, in den politischen Diskurs einspeisen oder in Regierungsbeteiligung umsetzen können. Allerdings ließe sich an dieser Stelle einwenden, dass, selbst wenn das mangelnde Politikvertrauen teilweise auch auf die mediale Vermittlung bestimmter Politikvorstellungen zurückgeführt werden kann, Computerspiele in dieser Vermittlung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Andere Medien erreichen erstens einen deutlich höheren Verbreitungsgrad und zeichnen zweitens ein teilweise viel zynischeres Bild des politischen Geschehens. So ist bspw. die Fernsehserie House of Cards sicher nicht dazu angetan, das Vertrauen in demokratisch gewählte Vertreter zu erhöhen. Und Game of Thrones muss sich, was eine bestimmte Vorstellung von Machtpolitik mit allen Mitteln angeht, nicht hinter den hier erwähnten Spieletiteln verstecken, im Gegenteil. Ganz zu schweigen von den Politikbetrieb satirisch kommentierenden Filmen wie Wag the dog oder gar Brettspielen wie Junta, auch wenn hier der Verbreitungsgrad deutlich geringer ist als bei den großen amerikanischen Serien. Gerade die letztgenannten Beispiele machen darauf aufmerksam, dass in der satirischen Überzeichnung gleichzeitig eine Distanzierung von den dargestellten Inhalten stattfindet, die die Medienkonsumentin im besten Fall nachvollziehen können sollte. Unter anderem hierfür sind Altersfreigaben gedacht. Kompetente Mediennutzer sind, so die Hoffnung, in der Lage, zwischen den jeweils repräsentierten Politikvorstellungen zu unterscheiden und dem Umstand, ob mit dieser Repräsentation die ernsthafte Absicht verfolgt wird, den realen Politikbetrieb abzubilden, ob also die Repräsentation die wahrhaftige Überzeugung der Computerspieldesigner widerspiegelt (vgl. Walton 1994). Problematisch wären einseitige Politikdarstellungen also nur dann, wenn die Mediennutzerinnen nicht in der Lage wären, diese Unterscheidung vorzunehmen. Dies hängt einerseits von der jeweiligen Medienkompetenz ab,
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andererseits aber auch von dem medialen Erzeugnis selbst: »Sometimes a piece of fiction is not merely fictional because, on a pragmatic level, it also endorses a normative view about the real world« (Ostritsch 2017, 124). Im letzteren Fall soll durch das mediale Erzeugnis eine bestimmte Weltsicht vermittelt werden, je nach Intention und eingesetzter Mittel lässt sich hier im Extremfall sogar von Propaganda sprechen (vgl. Stanley 2015). Dieser zweite Fall des ›Endorsement‹ soll hier nicht weiter untersucht werden. Vielmehr werde ich im Rest des Abschnittes überlegen, ob und inwieweit Computerspiele aufgrund ihrer speziellen Immersivität und ihrer Interaktivität (vgl. Grau 2005; Neitzel 2012) in besonderer Weise die Medienkompetenz der Nutzerinnen vor eine Herausforderung stellen, indem sie Distanzierungsfähigkeit der Nutzer vom fiktionalen Geschehen negativ beeinflussen. Ein solches Argument wird bspw. in der Debatte um das Verbot sogenannter ›Killerspiele‹ angeführt (s. Kap. »Ethik«, S. 85 ff.). Erstens führe die Immersivität als »Phänomen einer scheinbar unreflektierten Rezeption und/oder des Eskapismus« (Neitzel 2012, 76), die Computerspielen in besonderer Weise zu eigen sei, dazu, dass die Spielerin zunehmend Schwierigkeiten habe, die fiktional vorgegebenen Handlungsmuster von einer äußeren Realität zu trennen. Und zweitens verstärke die Interaktivität des fiktionalen Geschehens in Computerspielen – bspw. durch das aktive Abfeuern der virtuellen Waffe in Egoshootern im Gegensatz zum passiven Konsum von Gewalt in anderen Medien – den Lerneffekt und damit die Übernahme von Handlungsmustern (vgl. Vorderer 2006). Hier sind jedoch Zweifel angebracht. Was die besondere Immersivität von Computerspielen angeht, so ist es zwar richtig, dass Computerspiele durch die technologisch immer bessere audiovisuelle Darstellung bis hin zur zunehmenden Nutzung von Virtual-Reality-Technologien schon heute, spätestens aber in absehbarer Zukunft, audiovisuelle und sensomotorische Immersionseffekte erzielt, die anderen Medien abgehen (werden) (vgl. Heim 1998; Grau 2001). Auf der anderen Seite wird Immersion nicht nur audiovisuell und sensomotorisch erzeugt, sondern je nach Medium in erheblichem Maße auch durch die Anregung der Fantasie und Imagination des Medienkonsumenten bzw. durch die Konfrontation mit spielerischen Herausforderungen (vgl. Ermi/Mäyrä 2005). Entscheidend für den Immersionseffekt sei eine emotionale Involvierung (vgl. Ryan 2001), die nicht unbedingt auf audiovisuellen oder sensomotorischen Involvierungsangeboten beruhen müsse. Gerade für das informelle Lernen von allgemeinen Vorstellungen über Politik spielt die sensomotorische Immersivität von Computerspielen eher eine untergeordnete Rolle. Hier besteht nicht die – anders als für ›Killerspiele‹ zuweilen behauptet – Gefahr, dass bestimmte Tötungshandlungen so oft und so realistisch simuliert werden, dass sie ins motorische Gedächtnis übergehen und die Tötungshemmung heruntersetzen könnten (vgl. Mead 2013). Computerspiele verfügen über eine Reihe von Involvierungsstrategien (vgl. Neitzel 2012, 85), die in ihrer Gesamtheit möglicherweise eine höhere Immersion der Spielerin erreichen können als andere Medien. Dies ist jedoch weder zwingend noch für den Bereich informeller politischer Bildung entscheidend. Auch mit Blick auf das vermeintlich sehr viel höhere Ausmaß an Interaktivität, das Computerspiele im Allgemeinen gegenüber anderen Medien auszeichnet, sind – wenigstens in Bezug auf das informelle Lernen lebensweltlicher Sinnzusammen-
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hänge – Zweifel angebracht. Zwar ermöglichen Computerspiele eine Form ›erlebten Handelns‹ (vgl. Venus 2012), indem sie über ein Interface Eingriffe in den Spielbzw. Narrationsverlauf vorsehen (vgl. Neitzel 2006; Kolb/Leschke/Schemer-Reinhard 2008), mit dem der Spieler eine intrafiktionale Handlungsautonomie innerhalb des Mediums ›Computerspiel‹ erhält, die in anderen Medien wie Filmen, Büchern etc. nicht möglich sind. Doch auch die scheinbar passive Rezeption von Gemälden, Büchern oder Filmen bedarf einer »active imaginative and cognitive ›construction‹ of a mental text by the reader in the role of meaning maker« (Trifonas 2010, 180). Es muss also zwischen zwei Formen der Interaktivität unterschieden werden: »interactivity in a figural sense« als Interpretationsarbeit semiotischer Repräsentationen, und »interactivity in a literal sense« als Möglichkeit der Manipulation dieser Repräsentationen und der Kontrolle der narrativen Dynamik (Ryan 2001, 16 f.). Nur dem zweiten Verständnis nach, also der Interaktivität im Wortsinn, haben Computerspiele anderen Medien etwas voraus. Doch gerade in ihrer oben angesprochene Funktion als Hintergrundkulisse interagiert die Spielerin gar nicht in dieser zweiten Weise mit den vom jeweiligen Computerspiel propagierten Darstellungen von Politik. Vielmehr interpretiert sie die zumeist audiovisuellen Zeichen und konstruiert aus ihnen einen Bedeutungszusammenhang – sie interagiert also im figurativen Sinn mit ihnen, nicht im Wortsinn. Ähnliches gilt für Vorstellungen von Politik, die einen bestimmten Plot vorantreiben sollen. Auch hier interagieren die Spieler vor allem im figurativen Sinn. Erst wenn der Spieler mit auf diesem Plot basierenden Handlungsoptionen konfrontiert wird, ändert sich der Interaktivitätsmodus. Dann erst wird die Darstellung von Politik zum manipulierbaren Teil einer »interaktiven Fiktion« (Tavinor 2009, 23), in die der Spieler verändernd eingreift. Je mehr Freiheitsgrade den Spielerinnen in Bezug auf die Gestaltung politischer Zusammenhänge zur Verfügung stehen, umso stärker ist das »aktionale Involvierungsangebot« (Neitzel 2012, 86–88), das mit dem Spiel verbunden ist, und damit auch die Interaktivität im Wortsinn. Sie reicht – wie oben angesprochen – über Gameplay-Mechanismen bei Spielen wie Civilization bis hin zur intersubjektiven Selbstkonstruktionen von ›Politik‹ zwischen den Spielern, bspw. in Form diplomatischer Beziehungen zwischen Klans, Gilden, Rassen, Nationen, Fraktionen etc. in Strategie-MMOGs wie Eve Online. Mit dieser Form der Interaktivität geht eine ›immersive Didaktik‹ (vgl. Bopp 2006) einher. Damit ist zunächst gemeint, dass Lerninhalte mehr oder weniger geschickt in den vermeintlich selbstgewählten Handlungsablauf integriert und so der Reflexion des Spielers entzogen werden können. Die Spielerin merkt selbst nicht mehr, dass sie in ihrer Interaktion, in ihrem Handlungs- und Autonomieerleben innerhalb der interaktiven Fiktion des Spiels etwas lernt. Standardmäßig betreffen die Beispiele einer solchen immersiven Didaktik die Steuerung und das Gameplay eines Spiels, bspw. in Form von Tutorials, die aber so geschickt in das Spiel integriert sind, dass sie als solche nicht sofort erkennbar werden. Aus der sogenannten Serious-Games-Forschung, also der Erforschung von Computerspielen mit nicht rein unterhaltendem Charakter (vgl. Dörner/Göbel/Effelsberg/Wiemeyer 2016; Strahringer/Leyh 2017) ist bekannt, dass Spiele geeignet sind, den Lernerfolg zu erhöhen. Dies gilt für die untersuchten Studien jedoch primär für die Inhalte, die auch gelernt werden sollten, die also als Lernziel operational
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definiert wurden. Darüber hinaus wird der Lernerfolg vor allem der Kombination verschiedener Involvierungsstrategien zugeschrieben (vgl. Breitlauch 2012), von audiovisuellen und sensomotorischen Involvierungen wie Dreidimensionalität und Taktilität, über Belohnungssysteme und zu meisternde Herausforderungen, bis hin zu narrativen und emotionalen Involvierungen. Zu prüfen bliebe erstens, ob das phänomenale Handlungserleben in der Interaktion mit einzelnen Elementen des Spiels allein ein erhöhtes Lernergebnis zeitigen kann, bspw. aufgrund der erlebten gesteigerten Selbstwirksamkeit (vgl. Bandura 1997), ob zweitens dieses verbesserte Lernen auch implizit für nicht als Lernziel definierte Lerninhalte zutrifft, und ob sich dies drittens auch auf das Erleben politischer Zusammenhänge und implizit reproduzierter Politikvorstellungen übertragen lässt. Die bisherige Untersuchung der Computerspielen in besonderem Maße zugeschriebenen Elemente der Immersivität und Interaktivität zeigt also ein ambivalentes Bild: Hinsichtlich ihres Potentials, vermittels informellem Lernen besonders eindrücklich lebensweltliche Sinnzusammenhänge zu stiften und so stärker als andere Medien Einfluss auf die Überzeugungen der Spielerinnen bezüglich des politischen Betriebs zu nehmen, lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Lediglich im Bereich der Interaktivität, also der aktionalen Involvierung, haben Computerspiele möglicherweise anderen Medien, speziell den klassischen Massenmedien wie Büchern, Filmen, Rundfunk und Fernsehen, etwas voraus. Damit lässt sich für diesen ersten Teil der Darstellung von Politik in Computerspielen festhalten, dass diese das medial vermittelte öffentliche Lernen von Politikvorstellungen in zunehmendem Maße mitprägen. Die gesellschaftlichen Überzeugungen über politische Prozesse und Akteure, den politischen Betrieb und den Wert von Demokratie und politischer Gleichheit, die hier sozialisiert und reproduziert werden, können unter Umständen negative Auswirkungen auf die Partizipation als Bürger am politischen Prozess haben und damit vier Problematiken nach sich ziehen: Erstens die mögliche Selbstbeschneidung der individuellen politischen Autonomie, zweitens die Gefahr einer Erosion der sozialintegrativen Wirkung von Demokratie, drittens das Aushöhlen des demokratischen Gleichheitsprinzips in Wahlen und Abstimmungen und viertens die Stärkung antiliberaler und antidemokratischer populistischer Protestparteien. Allerdings lässt sich nicht feststellen, dass Computerspiele hier lebensweltliche Sinnstiftungen vornehmen, die in einem stärkeren Maße soziale Normen und Überzeugungen vermitteln als dies in anderen Medien geschieht. Computerspiele verwenden eine Vielzahl von Involvierungsstrategien (vgl. Neitzel 2012, 85), die jedoch auch in anderen Medien zum Tragen kommen, wenn auch möglicherweise nicht in dieser Fülle und Kombination. Diese Strategien werde ich im nächsten Abschnitt genauer untersuchen, um das Potential von Computerspielen für die Erhöhung von politischer Partizipation auszuloten. Als Ursache für den umgekehrten Mechanismus stellen sie nach meinem Dafürhalten keine quantitativ deutlich höhere – und schon gar nicht qualitativ verschiedene – Gefahr dar als andere Medien.
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3. Gamifizierung der Politik Im ersten Abschnitt wurde die Darstellung politischer Praxis in Computerspielen in den Blick genommen, in diesem Abschnitt soll es dagegen um die Einführung von Spielelementen in die politische Praxis gehen. Überspitzt formuliert: Statt also Politik in Computerspielen zu untersuchen, stehen jetzt die Wirkungen von Computerspielen in der Politik im Fokus. Genauer sollen die im ersten Abschnitt angesprochenen Involvierungsstrategien von Computerspielen nun nicht als Problematik, sondern als Möglichkeit analysiert werden, Motivation und Leistungsbereitschaft im Bereich politischer Partizipation zu steigern bzw. aufrecht zu erhalten. Derartige Versuche werden ganz allgemein als ›Gamification‹ bzw. ›Gameful Design‹ bezeichnet, d. h. als »the use of game design elements in non-game contexts« (Deterding/Dixon/Khaled/ Nacke 2011, 1). Bezogen auf politische Partizipation lautet dann zumeist das Ziel: »to integrate game elements in participation systems« (Thiel/Reisinger/Röderer/ Fröhlich 2016, 33). Die Problematik von Gamification-Strategien, die es gilt, hier zu untersuchen, liegt darin begründet, dass derartige Involvierungsstrategien die Spieler quasi unbemerkt an das Spiel binden und auf diese Weise dahingehend manipulieren könnten, sich politisch zu beteiligen. Damit könnte, so ein erster Verdacht, unter Umständen die politische Autonomie, die die Spielerin als Bürgerin in politischen Partizipationsprozessen ausübt, quasi hinterrücks wieder konterkariert werden, wenn mithilfe von Spielelementen Involvierungsangebote gemacht werden, die paternalisierend in ihre Bereitschaft und ihren ausdrücklichen Willen zur Partizipation eingreifen. Das heißt, dass mithilfe dieser Spielelemente die Präferenzstruktur und Handlungen einer Person dahingehend verändert werden, dass sie ihrem eigenen Interesse vermeintlich besser entsprechen. Ich werde dazu später noch mehr sagen, um die Tragweite dieser Problematik angemessen einschätzen zu können, müssen wir uns zunächst diese Involvierungsstrategien genauer ansehen. Im ersten Abschnitt habe ich schon einige dieser Strategien von Computerspielen kurz vorgestellt. Während dort jedoch die narrative Struktur des Computerspiels im Fokus stand, d. h. die narrative Ausgestaltung von politischen Prozessen, ist für Gamification-Mechanismen vor allem das ludische Element von Computerspielen zentral (vgl. Tavinor 2009, 21–23; Trifonas 2010, 183). Spieler werden vor Herausforderungen gestellt, mit Punkten, Ranglisten, Abzeichen, Level-ups usw. belohnt oder durch Handlungsoptionen interaktiv in das Spielgeschehen einbezogen (vgl. McGonigal 2011). Die im Bereich der Gamification zur Anwendung kommenden Involvierungsstrategien sind fast ausschließlich Teil des Gameplays im engeren Sinn, d. h. der Spielmechanik, der Ziele und Herausforderungen sowie der Manipulationsmöglichkeiten und Freiheitsgrade der Spielerin. In dieser Unterscheidung liegt auch die für die Zwecke dieser Untersuchung verwendete Differenzierung zwischen ›Gamification‹ bzw. ›Gameful Design‹ auf der einen, und ›Serious Games‹ auf der anderen Seite (vgl. Dörner/Göbel/Effelsberg/ Wiemeyer 2016; Strahringer/Leyh 2017). Letztere werden zumeist als »full games dedicated to serious or real world objectives« (Tondello 2015) definiert, in denen durch Informationsbereitstellung sowie das Erlernen bzw. Einüben neuer Verhaltensweisen in einer Simulationsumgebung Wissen und Fähigkeiten über realweltli-
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che Zusammenhänge vermittelt werden. Gleichzeitig soll aber auch in vielen Serious Games konkret Einfluss auf diese Problemlagen genommen werden. Häufig sind Serious Games in komplexe Narrative eingewoben, wie bspw. das interaktive OnlineSpiel World Without Oil, in dem ein Peak-Oil-Szenario spielerisch sehr plastisch dargestellt wird. Über dieses Hintergrundnarrativ werden die Mitspieler angehalten, in ihrem täglichen Leben Öl einzusparen und im Spiel darüber zu berichten. Anders als bei den klassischen Gamification-Strategien im Bereich des Self-Tracking, der Ernährungs-und Gesundheits-Apps oder sogar der Raucherentwöhnung, bei denen primär Spielelemente – wie oben schon angesprochen, zumeist in Form von Herausforderungen, Belohnungen und einer sozialen Wettbewerbs- aber auch Unterstützungskomponente – die Involvierung der Spielerinnen gewährleisten sollen, geschieht die Involvierung bei Serious Games zunächst einmal über die narrativen Elemente. Zwar wird der Spieler auch vor Herausforderungen gestellt (»Spare in deinem realen Leben möglichst viel Energie ein!«), aber diese sind für die initiale Involvierung nicht entscheidend. Dies ist für den Kontext dieser Untersuchung deshalb wichtig, da bei Serious Games die Problematik eines versteckten, manipulativen Paternalismus sehr viel geringer ist. Durch die offensichtliche äußere Gestaltung als Spiel (und nicht bspw. als Online-Partizipationsplattform), sowie die Involvierung durch ein zumeist deutlich erkennbares Hintergrundnarrativ ist dem Spieler von vorneherein einigermaßen klar, dass es sich hier um ein Spiel handelt. Mit diesem Wissen kann er eine wohlinformierte Entscheidung treffen, an diesem Spiel teilzunehmen und ist sich auch – mindestens implizit – der Involvierungsmechanismen bewusst, die Spielen zu eigen sind. Um die Problematik eines ungerechtfertigten und kontraproduktiven Paternalismus in Gamifizierungsaspekten besser einschätzen zu können, ist es nötig, hier kurz auf diese Involvierungsmechanismen einzugehen. Britta Neitzel unterscheidet in diesem Zusammenhang neun Involvierungsangebote des Computerspiels: aktionale, ökonomische, temporale, sensomotorische, visuelle, räumliche, emotionale, soziale und narrative Involvierung (vgl. Neitzel 2012, 85). Während über sensomotorische, visuelle und räumliche Involvierung vor allem ein »Gefühl der körperlichen Anbindung ans Spiel« (Neitzel 2012, 101) hergestellt wird, beruht die emotionale Involvierung als Empathie und Identifikation mit Akteuren und narrativen Gehalten – bzw. die Projektion auf sie – vor allem auf der Imagination der Spielenden. Letztere wird zu großen Teil durch das vom Spiel konstruierte Narrativ geweckt. Dagegen versuchen aktionale Involvierungsstrategien, den Spieler durch die Möglichkeit, einzugreifen und den Spielverlauf zu manipulieren, an das Spiel zu binden. Ob dies psychologisch durch das Stellen vor Herausforderungen und ein damit verbundenes Erleben der eigenen Selbstwirksamkeit geschieht oder durch die motivierende Verkürzung von Handlungsketten, der sogenannten »Instant Gratification« (Sailer 2016, Kap. 4), ist für die weitere Untersuchung nicht entscheidend. Wichtig ist jedoch, dass es sich hier um eine Involvierung handelt, die als Spielelement verstanden werden kann – auch wenn aktionale Involvierung unter Umständen auch in anderen Medien wie interaktiven Büchern, Filmen etc. vorkommt – und in Gamification-Strategien Anwendung findet. Gleiches gilt für die ökonomische Involvierung, bei der über die Belohnung der Spielerin für die Erfüllung bestimmter Aufgaben im Spiel eine Bindung an das Spiel
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erzeugt wird. Punkte, Highscores, Spielgeld, Gegenstände, Abzeichen, die Verbesserung des Spielercharakters, das Freispielen neuer Bereiche oder Level im Spiel, usw. stellen die klassischen Mechanismen einer »reward-based gamification« (vgl. Nicholson 2013; Thiel/Reisinger/Röderer/Fröhlich 2016, 51) dar. Bei dieser wird das spielerische Element von Herausforderung und Belohnung – häufig auch in Verbindung mit sozialem Status innerhalb der Spielergemeinde (Highscores, Charakterstufen) – verwendet, um den Spieler zum Weiterspielen zu motivieren. Zusätzlich zu diesen beiden Involvierungsstrategien, die oft primär mit dem Begriff der Gamification verbunden werden, lassen sich auch temporale Involvierungsangebote in Form von (zeitlich begrenzten) Zielen in Gamification-Strategien finden, die auch prinzipiell als Spielelemente zu charakterisieren sind. Zwar beinhalten sie immer auch entweder ein narratives (»Rette die Prinzessin!«) oder ökonomisches (»Löse das Rätsel!«) Element. Dennoch liegt diesen Zielen häufig ein zeitlicher Aspekt zugrunde: Herausforderungen müssen in einer vorgegebenen (Real- oder Spiel-)Zeit gemeistert werden, Aktionen zu festgelegten Realzeiten koordiniert werden, und schließlich verstreicht in den meisten MMOG die Zeit unabhängig davon, ob sich die Spieler in das Spiel einloggen oder nicht. Daraus ergibt sich eine besondere »sense of urgency« (McGonigal 2011, 263), die die Spieler für die Zeitspanne der Aufgabe bzw. des Plots einbinden soll. Schließlich ist der Versuch sozialer Involvierung nicht zu unterschätzen. Weiter oben habe ich schon kurz den Aspekt des sozialen Status innerhalb eines Spiels bzw. einer Spielgemeinde angesprochen. Aber nicht nur der Wettbewerb mit anderen Spielerinnen oder die Selbstdarstellung der eigenen Erfolge innerhalb wie außerhalb des Spiels, sondern auch die Notwendigkeit der Koordination oder sogar Kooperation, die Möglichkeit, anderen Spielern zu helfen oder auch schlicht die soziale Interaktion mit anderen in Bezug auf ein gemeinsames Thema kann dazu beitragen, Spieler an ein Spiel zu binden. Um eine solche Involvierung jedoch als Spielelement – und damit als Gamification-Strategie – verstehen zu können, muss sie vom Spieldesign angelegt und gewünscht sein. Außerhalb des Spiels stattfindende soziale Interaktionen über bzw. wegen des Spiels wie sie bspw. durch Fanseiten, Cons, Cosplay usw. realisiert werden, sind nicht spielimmanent konzipiert und damit nicht Teil einer Gamification-Strategie. Aus diesen Involvierungsangeboten lassen sich verschiedene Spielelemente ableiten, die als Gamification-Strategien verwendet werden. Einige davon habe ich oben schon angesprochen. In ihrer Metastudie zu Gamification-Ansätzen im Bereich der politischen Partizipation führen Thiel et al. neun Mechanismen auf, denen sie im Verlauf der Studie begegnet sind: »Achievement, points, status, expression, feedback, personalization, challenge, competition, time constraint« (Thiel/Reisinger/Röderer/ Fröhlich 2016, 44 f.). Die meisten dieser Mechanismen habe ich weiter oben schon im Hinblick auf die von ihnen verwendeten Involvierungsstrategien vorgestellt. Bisher nicht genannt wurde ›expression‹, d. h. die kreative Selbstentfaltung, sowohl bei der Lösungssuche für spezifische Herausforderungen, als auch in der kreativen Umdefinition der Spielziele (bspw. ›pacifist runs‹, also das Durchspielen des Spiels, ohne einen einzigen Gegner zu töten) oder in zieloffenen Spielen wie Open-Worldund Sandbox-Spielen bzw. speziellen Spielmodi wie bspw. dem ›creative mode‹ bei Minecraft. Dieser Mechanismus wird als Teil der aktionalen Involvierung auch als
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Gamification-Strategie eingesetzt, bspw. bei der Verwendung der Spielereihe SimCity in Hochschulkursen zur Städteplanung (vgl. Gaber 2007). ›Feedback‹ bezieht sich dagegen auf explizit designte Benachrichtigungen zu bestimmten Handlungen oder Lösungen. Auch hier wird die ökonomische Involvierung genutzt, aber im Gegensatz zu Punkten, Abzeichen etc. auf einer stärker textuell-narrativen Ebene. ›Personalization‹ schließlich kennzeichnet die Möglichkeit, Spielerprofile, Avatare oder auch individuelle Bereiche der Spielwelt nach eigenen Vorstellungen zu individualisieren. Auch dieses Spielelement fällt in den Bereich der aktionalen Involvierung, da hier Selbstentfaltung und Authentizität angesprochen werden. Pointiert fasst Jane McGonigal die hier vorgestellten Gamification-Strategien zusammen: »By creating a sense of urgency, presenting a clear challenge, and adding a layer of social competition, the game turns what would otherwise feel like an ordinary, mundane effort to do a bit of good into an extraordinary effort« (McGonigal 2011, 263). Während im Bereich der Fitness-, Gesundheits-, Produktivitäts- und sogar Finanz-Apps der jeweilige Anwendungsraum einigermaßen offensichtlich ist, stellt sich im Bereich der Politik jedoch die Frage, wozu diese Gamification-Strategien eingesetzt werden sollen. Neben politischer Bildung in Form von EdutainmentSpielen, die als Serious Games – wie gerade ausgeführt – aus dem Untersuchungsbereich herausfallen, werden Spielelemente vor allem im Bereich der politischen Partizipation eingesetzt (vgl. Thiel/Reisinger/Röderer/Fröhlich 2016). So soll mehrerlei erreicht werden: 1. Erstens soll die politische Autonomie der Bürgerinnen demokratischer Gemeinwesen auf verschiedenen Ebenen erhöht und so das Versprechen der Demokratie, dass die Adressaten der Gesetze auch gleichzeitig deren Autoren sein sollen, eingelöst werden. 2. Zum zweiten soll dadurch eine demokratische »Bürgersolidarität unter Fremden« (Habermas 2011, 49) gestärkt werden, die einer ökonomisch-gesellschaftlichen Vereinzelung entgegenwirken und die sozialintegrative Wirkung von Demokratie als gleichberechtigtes Projekt der Bürger entfalten kann. 3. Drittens hat demokratische Deliberation mindestens auf kommunaler Ebene nach wie vor eine ›epistemische Funktion‹ (vgl. Habermas 2008): Die demokratische Selbstverwaltung über Städtebauprojekte oder kommunale Budgetierung ist gerade unter den Bedingungen eingeschränkten Expertenwissens auch auf die Expertise der Bürgerinnen (als Expertinnen wie Betroffene) angewiesen. 4. Schließlich wird viertens angesichts stagnierender oder rückgängiger Wahlbeteiligung in vielen etablierten Demokratien die Politikverdrossenheit zu einem Legitimitätsproblem für die gewählten Vertreter. Um diese zu festigen, ist eine Erhöhung der Beteiligung an Abstimmungen vonnöten. Die mangelnde Partizipationsbereitschaft in etablierten Massendemokratien mag vielfältige Ursachen haben (vgl. Loh 14.9.2017), die Erklärungen der GamificationBefürworter sind eindeutig: »Democracy has a remarkable ability to be fantastically boring, bitterly painful, and utterly pointless. This ability is so incredible that, in mere hours, democracy can transform a thousand passionate activists into a room full of lifeless faces and empty chairs« (Lerner 2014, 1). Anders gesagt: Wenn es gelingt, so die Hoffnung der Gamification-Befürworter, die demokratischer Par-
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tizipation inhärente Mühsal, Monotonie und Unergiebigkeit zu überwinden, dann werden mehr Bürger an politischen Prozessen partizipieren. Damit könnten die oben genannten vier Desiderata wenigstens teilweise eingelöst werden. Damit ist auch die Zielstellung von Gamification im Bereich politischer Partizipation zu unterscheiden von ›Change Games‹ wie World Without Oil. Während Letzteres darauf abzielt, eine Veränderung von Verhaltensweisen hinsichtlich wichtiger (durchaus auch politischer) Themen zu erreichen, soll im ersteren Fall die Bürgerbeteiligung in Bezug auf politische Entscheidungsprozesse erhöht werden. Partizipation ist also nicht nur politisch in dem Sinn, dass sie sich auf wichtige kollektive – kommunale, gesellschaftliche oder sogar globale – Anliegen bezieht und so eine intersubjektiv geteilte »Sorge um die Welt« (Arendt 1993, 24) zum Ausdruck bringt, wie in den Change Games. Vielmehr ist die Partizipation selbst auch auf institutionelle Veränderungen, d. h. politische Entscheidungen, die dann in Rechtsnormen gegossen werden, bezogen. Es geht also um die institutionelle Ausgestaltung unserer sozialen Wirklichkeit, nicht um eine Veränderung persönlichen Verhaltens (weniger Energieverbrauch). Thiel et al. charakterisieren mit Blick auf die von ihnen untersuchten Plattformen mit Gamifizierungselementen sieben verschiedene Arten der Partizipation, die alle eines oder mehrere der oben genannten Desiderata einlösen kann: »Tell, Ask, Discuss, Decide, DIY, Vote/Sign and Civic Learning« (Thiel/Reisinger/Röderer/Fröhlich 2016, 40 f.). Während es bei ›Tell‹ um die Bereitstellung von Informationen durch administrative Behörden oder politische Akteure geht, wird bei der Form ›Ask‹ Bürgerexpertise, politische Meinungen oder allgemeines Feedback eingeholt. In der Partizipationsform ›Discuss‹ werden diese beiden Formen kombiniert, um einen Dialog, bestenfalls eine Deliberation der Bürger untereinander, zu ermöglichen. ›Decide‹ gibt den Bürgerinnen zusätzlich die Option, bestimmte politische Entscheidungen auf der Plattform selbst zu treffen. ›Vote/Sign‹ stellt eine Spezialform dieser Partizipationsmöglichkeit der Entscheidung dar, bei der nach festen Regeln stattfindende Abstimmungen vorgesehen sind. Die Partizipationsform ›Civic Learning‹ soll die Partizipierenden nicht nur aufklären, sondern sie zu Experten ausbilden, um dann eine qualifiziertere Partizipation an gleicher oder anderer Stelle zu ermöglichen. Warum sollte es nun problematisch sein, wenn eine Plattform eine oder mehrere der oben genannten Gamification-Strategien einsetzt, um die Benutzer stärker in die Plattform zu involvieren und die jeweils von der Plattform vorgesehen Partizipation zu erhöhen? Wie schon oben angesprochen, könnte es sich dabei um manipulative Strategien handeln, die in vier Hinsichten problematisch sind: 1. Sie konstituieren eine Form ›strategischen Handelns‹, das im Widerspruch zu dem Ideal der deliberativen Bürgerbeteiligung als ›kommunikatives Handeln‹ steht (vgl. Habermas 1995b). Anders gesagt: Im politischen Diskurs versuchen die Bürgerinnen, einander zu überzeugen, nicht zu manipulieren. Eine Plattform, die bewusst oder unbewusst Manipulationsstrategien anwendet, verliert den Zuspruch der Bürger und erreicht letztlich das Gegenteil des intendierten Ziels (vgl. Lerner 2014, 20). 2. Gamifizierungsstrategien könnten aufgrund ihres möglicherweise manipulativen Charakters die individuelle Autonomie der Partizipierenden in paternalisieren-
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der Weise untergraben. Als »self-authenticating sources of valid claims« (Rawls 2001, 23) geben sich Individuen selbst hinreichende Gründe für ihr Handeln, welche – in bestimmten Grenzen – auch politische Institutionen anerkennen müssen. Sofern sich jedoch Partizipationsplattformen über diese Gründe hinwegsetzen, indem sie versuchen, in manipulativer Weise plattformeigene Gründe (die Gründe des Programmierteams oder des Betreibers der Plattform) als die Gründe der Partizipierenden auszugeben, handeln sie in Bezug auf Letztere unter Umständen paternalistisch. 3. Analog dazu kann möglicherweise auch die politische Autonomie der Partizipierenden verletzt werden. Zwar übt die Bürgerin diese Autonomie vor allem in ihrer Funktion als Autorin – und nicht als Adressatin – der sie betreffenden Gesetze aus. Aber zu dieser Autonomie gehört auch, sich in einer wohlinformierten Zustimmung gegen die Autorenschaft, und damit Teilnahme an der politischen Aushandlung, zu entscheiden. Damit ist kein vollständiger Rückzug von allen politischen Beteiligungen gemeint, der tatsächlich zum Verlust der politischen Autonomie führte. In jeweils einzelnen Fällen kann aber eine Enthaltung, eine vote blanche o.Ä. durchaus Ausdruck der wohlüberlegten politischen Autonomie sein. 4. Die politische Autonomie der Partizipierenden kann unter Umständen auch durch die Externalisierung der motivationalen Disposition eingeschränkt werden. Bei der Nutzung von Gamifizierungselementen besteht die Gefahr, dass die intrinsische Motivation zu partizipieren durch eine extrinsische Motivation ersetzt wird (vgl. Osterloh/Frost/Frey 2002), wenn es den Nutzerinnen nicht mehr primär darum geht, zu partizipieren, sondern um das Erlebnis der Involvierungen und das Erhalten der damit verbundenen Belohnungen. In diesem Fall könnte die politische Autonomie – als intrinsische Motivation zu politischen Beteiligung – durch die Vertauschung der motivationalen Präferenzstruktur herabgesetzt werden, sofern der Wunsch nach politischer Selbstbestimmung nur noch instrumentell auf die Involvierungen der Gamification-Aspekte gerichtet ist. Im Zusammenhang mit den Punkten zwei und drei besteht die Möglichkeit, dass die e-Partizipationsplattform bzw. ihre Betreiber sich des Paternalismus schuldig machen. Damit ist eine handlungswirksame Einmischung in die Präferenzstruktur und Handlungen einer Person gemeint, »defended or motivated by a claim that the person interfered with will be better off or protected from harm« (Dworkin 2017). Paternalistisch handelt also, wer nicht nur in die Handlungsfreiheit eines anderen dergestalt eingreift – bspw. durch Manipulation oder Zwang –, dass der andere seine Präferenzen ändert, eine bestimmte Handlung nicht oder eine andere als die eigentlich intendierte ausführt. Darüber hinaus muss dieses Eingreifen im perzipierten Interesse des anderen liegen, also nach Auffassung des Paternalisierenden ›das Beste‹ für den Paternalisierten sein. Auch wenn die paternalisierende Instanz also wohlmeinend ist und – tatsächlich oder vermeintlich – im besten Interesse der paternalisierten Person handelt, wird hier deren freie Willensentscheidung und das eigene Ausrichten an selbstgewählten Zielen und Zwecken eingeschränkt (vgl. Frankfurt 1971). Zwar mag es sein, dass die politische Beteiligung an dem jeweiligen Projekt nicht nur im gesellschaftlichen Interesse liegt (Sicherstellung der sozialintegrativen und epistemischen Funktion
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von Demokratie, Erhöhung der Legitimität demokratischer Institutionen und Vertreter), sondern auch im wohlverstandenen Eigeninteresse des Einzelnen (Ausübung politischer Autonomie). Doch dieser Umstand rechtfertigt nicht das manipulative Unterlaufen dessen jeweiliger Lebenspläne, Priorisierungen und Handlungsentscheidungen. Auf einen solchen generalisierten Paternalismusvorwurf ist in der Debatte mit einer Differenzierung in verschieden schwerwiegende Formen des Paternalismus geantwortet worden (vgl. Dworkin 2017): starker, schwacher und libertärer Paternalismus – das sogenannte ›Nudging‹ (vgl. Thaler/Sunstein 2009). Unter starkem Paternalismus ist die Ausrichtung der Präferenzstruktur bzw. der Handlungen des Paternalisierten an Gründen zu verstehen, die nach Meinung des Paternalisiernden für ihn gelten müssten. Bspw. könnte er die Zigaretten seiner Partnerin verstecken, weil er der Überzeugung ist, es wäre das Beste für sie, mit dem Rauchen aufzuhören – völlig unabhängig davon, wie sie das selbst sieht. Dagegen kann man von schwachem Paternalismus sprechen, wenn der Paternalisierende weiß, dass die Gründe, die er für seine Manipulationen oder seinen Zwang anlegt, von der paternalisierten Person geteilt werden. In unserem Beispiel wäre dies der Fall, wenn seine Partnerin wiederholt zum Ausdruck gebracht hätte, dass sie sehr gern mit dem Rauchen aufhören würde, es einfach nur nicht schafft. Sie autorisiert ihn jedoch nicht explizit, ihre Zigaretten zu verstecken – in diesem Fall wäre überhaupt nicht mehr von Paternalismus zu sprechen. Die schwache Form des Paternalismus scheint prima facie weniger schwerwiegend, da hier nicht durch Handlungen eine gegenteilige Präferenzstruktur, mithin andere Gründe, zum Ausdruck gebracht werden, als sie der Paternalisierende anlegt. Vielmehr teilt die paternalisierte Person die Gründe, leidet lediglich an mangelnder Selbstwirksamkeit, d. h. sie ist willensschwach (vgl. Davidson 1985). Schließlich besteht laut dem libertären Paternalismus keine problematische Einschränkung der Autonomie der paternalisierten Person, wenn durch die Veränderung der Präsentation der Handlungsoptionen eine vorhersehbare Veränderung der Handlungen zustande kommt, ohne dass eine Handlungsoption verboten wird oder die ökonomischen Anreize signifikant verändert werden (vgl. Thaler/Sunstein 2009). Es wird also weder Zwang ausgeübt, noch werden die Handelnden durch starke Anreize in ihrer eigenen Präferenzstruktur stark beeinflusst. Ein klassisches Beispiel für diese Art von ›Nudges‹ ist die Opt-in/Opt-out Wahlarchitektur, wie sie sich bei der Organspende beobachten lässt. Während in Deutschland potentielle Organspender aktiv ihre Teilnahme signalisieren und einen Organspende-Ausweis ausfüllen müssen (Opt-in), müssen in anderen Ländern Spende-Unwillige aktiv ihre Teilnahme verneinen (Opt-out). Vorhersehbar ist die Zahl der Spendewilligen in Ländern mit Opt-out-System deutlich höher als in Ländern mit Opt-in-System. Dabei wurde weder Zwang ausgeübt, noch eine der Optionen verboten oder stark ökonomisch bevorzugt. Was bedeuten diese Unterscheidungen nun für die Gamifizierung politischer Partizipation? Zunächst einmal scheint klar, dass ein starker Paternalismus die Autonomie des Einzelnen in unzulässiger Weise untergräbt, auch wenn sich hierdurch unter Umständen gesellschaftlich vorteilhafte Effekte erzielen ließen. Jedoch spielt diese starke Variante des Paternalismus für den hier untersuchten Bereich von Par-
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tizipationsplattformen nur eine untergeordnete Rolle. Um sich im Sinne des starken Paternalismus schuldig zu machen, müsste eine Partizipationsplattform nicht nur verbergen, dass hier Gamification-Elemente verwendet werden, sondern auch eine Bürgerin gegen ihren erklärten Willen auf die Plattform locken bzw. die jeweilige App installieren und dann mithilfe von Spielelementen als aktionalen Involvierungsstrategien derartig manipulativ beeinflussen, dass diese keine Wahl hat, als sich gegen ihren Willen auf der Plattform an einem bestimmten politischen Prozess zu beteiligen. Dies scheint nicht nur hinsichtlich des Designs von e-Partizipationsangeboten einigermaßen unwahrscheinlich, sondern auch mit Blick auf das zu erreichende Ziel politischer Partizipation fragwürdig und hochgradig unerwünscht. Zwar ist politische Beteiligung nicht notwendig an die explizite Zustimmung der Partizipierenden gekoppelt, wie das Beispiel der Wahlpflicht in einigen Demokratien zeigt. Gerade im Fall der Partizipationsangebote, die mithilfe von Gamification gestärkt werden sollen, ist zumindest die freiwillige Grundintention, sich zu beteiligen, eine rechtliche Vorbedingung, die u. a. in expliziten Einwilligungen zur Verarbeitung personenbezogener Daten zum Ausdruck kommt (Art. 7 EU-DSGVO). Wir haben es hier also höchstens mit Formen von schwachem Paternalismus zu tun, bei denen die Ziele der Partizipierenden mindestens im Hinblick auf den Wunsch der Partizipation mit den Zielen der Plattformbetreiber, App-Entwickler etc. übereinstimmen. Dies zeigen die Partizipierenden durch den freiwilligen Besuch der Seite, das Herunterladen der App, explizite Einwilligungen etc. an. Trotz dieser Übereinstimmung könnten die Partizipierenden im weiteren Verlauf der Interaktion unzulässig in ihrer individuellen wie politischen Autonomie eingeschränkt werden. In der Theorie können sich die Partizipierenden zwar jederzeit dazu entscheiden, die Partizipation zu beenden. Aber es ist ja gerade der Sinn von Gamifizierungsstrategien, dies hinauszuzögern oder zu verhindern. Unter Umständen können die oben vorgestellten Involvierungsangebote starke psychologische Effekte zeitigen, die von Gamedesign Theoretikern auch allseits bekannt sind und explizit eingesetzt werden (vgl. Lerner 2014, Kap. 3). In diesem Fall handelte es sich um eine Form des schwachen Paternalismus, die nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Involvierungsstrategien den Spielern bekannt sind, damit diese eine wohlinformierte Entscheidung treffen können, sich von ihnen beeinflussen zu lassen. Um beim obigen Beispiel des Rauchens zu bleiben: Wenn der Paternalist seine Partnerin ohne ihre wohlinformierte Zustimmung hypnotisieren lässt, damit sie das Rauchen aufgibt, stellt dies einen unzulässigen Eingriff in ihre Autonomie dar, selbst wenn er mit Sicherheit weiß, dass sie gern mit dem Rauchen aufhören würde. Wenn sie sich jedoch eingehend über die Vor- und Nachteile der Hypnose informiert hat und explizit den Wunsch geäußert hat, mithilfe von Hypnose das Rauchen aufzugeben, stellt sich die Sache anders dar. In diesem Fall kann es mit ihrer Autonomie vertretbar sein, wenn er sie hypnotisieren lässt, auch wenn für diese spezielle Instanz keine explizite Einwilligung vorliegt. Während dies für die Hypnose ein wenig kontraintuitiv erscheinen mag, weil Hypnose ohne explizite direkte Einwilligung einigermaßen schwer vorstellbar ist, leuchtet dies mit Blick auf Gamification-Strategien stärker ein. Solange sich die Nutzer von Partizipationsangeboten darüber im Klaren sind (also eine wohlinformierte
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Entscheidung vorliegt), dass mit der Nutzung Involvierungen einhergehen, die sie möglicherweise motivational stark an die Weiternutzung binden können (sie also analog zur Hypnose nicht mehr ohne Weiteres die Nutzung einstellen können), ist diese Form des schwachen Paternalismus gerechtfertigt. Die wohlinformierte Entscheidung rückt diese Fälle in die Nähe der Autorisierung als explizite, spezifisch für diese Instanz gegebene Einwilligung. Auch wenn die Nutzerin keinen Haken in einer Box setzt: »Mir ist bewusst, dass dieses Angebot Spielelemente enthält, die mich motivational stark an das Angebot binden können«, und damit ihre explizite Einwilligung gibt, kann die Entscheidung, das Angebot in Kenntnis dieser Spielelemente und der damit einhergehenden Involvierungen zu nutzen, als analog zu einer Autorisierung gewertet werden. Auch bei regulären Computerspielen wird implizit davon ausgegangen, dass die Spieler durch ihre Nutzung des Spiels eine wohlinformierte Entscheidung bezüglich der Involvierungen, die mit Spielen potentiell einhergehen, treffen. Hier ist die Anforderung an die wohlinformierte Entscheidung jedoch nicht so hoch, da sie mit den Spielelementen des Computerspiels nicht dazu gebracht werden sollen, etwas anderes zu tun, zu dem sie sonst vielleicht nicht derart motiviert wären. Mehr noch, die Involvierungen des Spiels sind genau der Grund, aus dem die Spielerinnen das Spiel spielen, und nicht ein zusätzliches Element, das lediglich ihre motivationale Disposition erhöhen soll, etwas anderes zu tun als zu spielen. Wie hoch die Hürde der wohlinformierten Entscheidung anzusetzen ist, hängt entscheidend davon ab, wie stark die psychomotivationalen Effekte der Involvierungen tatsächlicher Gamification-Strategien im Bereich politischer Partizipation sind. Dies ist eine empirische Frage, die sich schon in Bezug auf reguläre Computerspiele nur sehr schwer beantworten lässt und vermutlich stark auf die individuelle Persönlichkeitsstruktur und den individuellen sozialen Hintergrund ankommt (Vorderer 2006). Umso schwieriger stellt sich eine spezifische Evaluation der Gamifizierungselemente hinsichtlich ihrer psychomotivationalen Auswirkungen dar, auch wenn es eine Reihe von Studien gibt, die einen positiven motivationalen Effekt von Gamification nachweisen (vgl. Hamari/Koivisto/Sarsa 2014; Sailer 2016). Besonders jedoch im Bereich der Gamifizierung politischer Partizipation existieren bisher nur sehr wenige Projekte, die sich empirisch evaluieren ließen. Von den 130 in der Metastudie von Thiel et al. untersuchten Projekten im Bereich e-Partizipation setzen nur acht Gamifizierungsstrategien in dem hier definierten Sinn ein. Die große Masse der gescannten Projekte betreffen laut Thiel et al. dagegen Serious Games im Bereich der politischen Bildung. Eine kurze Auseinandersetzung mit diesen Projekten zeigt, dass die hier eingesetzten Gamifizierungsstrategien zwar verschiedene Arten von ökonomischen Involvierungen verwenden und aus diesem Grund als durchaus komplex zu bezeichnen sind (vgl. Thiel/Reisinger/Röderer/Fröhlich 2016, 51). Vornehmlich handelt es sich dabei jedoch um eine ›reward-based gamification‹ (vgl. Nicholson 2013) in Form von Punkten, Rangabzeichen und High-Score-Tabellen. Lediglich eine Minderheit von Gamifizierungen basieren auf aktionaler Involvierung, indem bspw. die Partizipierenden eigene Themen in die Debatte einbringen und kreativ mit den politischen Herausforderungen umgehen können (vgl. Poplin 2014).
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Die Struktur der hier untersuchten Projekte legt nahe, dass es sich bei den verwendeten Gamifizierungsstrategien um Involvierungen handelt, die den Nutzer nicht in einer Art und Weise psychomotivational beeinträchtigen, dass dieser Beeinträchtigung eine explizite Autorisierung oder aber wohlinformierte Entscheidung vorangehen müsste, wie oben diskutiert. Im Gegenteil, der einigermaßen offen zutage tretende Spielaspekt und der Wettbewerbscharakter kann unter Umständen einige Partizipierende abschrecken (vgl. Marczweski 2016; Preist/Massung/Coyle 2014). Endgültig lässt sich anhand der Datenlage jedoch nicht entscheiden, ob die bislang eingesetzten Gamifizierungsstrategien eher als Nudges zu charakterisieren sind oder als schwache Formen von Paternalismus. Zwar gehen mit ihnen weder Zwang oder verdeckte Manipulation einher. Im Gegenteil, die Nutzer melden sich aus freien Stücken auf der Plattform an und die Spielelemente sind einigermaßen offensichtlich erkennbar. Dennoch könnten die Gamifizierungselemente eine starke Veränderung der Anreizstruktur beinhalten, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie auf einer wohlinformierten Entscheidung über das Angebot und der sie beinhaltenden Involvierungen beruht, wie oben angesprochen. Diese Einzelfallentscheidung kann jedoch in den bislang untersuchten Fällen positiv ausfallen, da einerseits die Involvierungen höchstwahrscheinlich nicht so stark sind, dass eine wohlinformierte Entscheidung analog zur Autorisierung notwendig wäre. Andererseits machen es die bislang sehr expliziten Gamifizierungselemente in Form von Punkten, Ranglisten etc. vergleichsweise einfach, die Gamifizierungsstrategie als solche zu erkennen. Dies vereinfacht eine wohlinformierte Entscheidung erheblich. Dennoch bleibt diese daran gebunden, dass sich die Nutzerinnen der Angebote überhaupt bewusst sind, dass hier eine Gamifizierungsstrategie eingesetzt wird und was diese bewirken kann.
4. Konklusion Die beiden hier angestellten Untersuchungen bilden zwei Seiten einer Medaille. Dies gilt nicht nur in begrifflicher Hinsicht, in der Zuspitzung der Untersuchungsgegenstände als ›Politik in Computerspielen‹ und ›Computerspiele in der Politik‹. Auch mit Blick auf die diesen Untersuchungsgegenständen inhärenten Problematiken ergibt sich ein komplementäres Bild. In beiden Fällen steht die Bürgerbeteiligung im Vordergrund: Während im ersten Fall der Darstellung von politischen Prozessen, Akteuren und Institutionen in Computerspielen die Sorge um die negativen Auswirkungen auf die demokratische Partizipation thematisiert wurde, soll im zweiten Fall mithilfe von Spielelementen in politischen Partizipationsprozessen genau diese Partizipation gestärkt und unterstützt werden. Dies könnte jedoch – so die Befürchtung hier – aufgrund des Manipulationspotentials von Gamification-Strategien die Autonomie der Partizipierenden untergraben. Damit ist drittens die für beide Untersuchungen entscheidende Gemeinsamkeit benannt: die Immersionseffekte, oder besser Involvierungen, die Computerspiele als Spiele gleichermaßen wie als narrative Fiktionen bereithalten. Letztlich besteht die befürchtete Konsequenz für politische Partizipation in beiden Fällen darin, dass diese Involvierungen – gewollte oder ungewollte – Manipulationen der Spieler dar-
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stellen könnten. Im ersten Fall der verzerrten und eindimensionalen Darstellung von Politik in Computerspielen könnte dies, so die Befürchtung, langfristig zu einem Vertrauensverlust des Elektorats gegenüber der politischen Klasse, politischen Institutionen und Prozessen führen, der sich u. U. in einem Rückgang der Zustimmung und Partizipation ausdrückt. Mit einem solchen Rückgang sind potentiell vier Gefahren für die Demokratie verbunden: Die Selbstaufgabe politischer Autonomie, der Verlust der sozialintegrativen Wirkung von Demokratie, die Unterminierung des demokratischen Gleichheitsprinzips, sowie der Zulauf zu antiliberalen und demokratiefeindlichen Protestparteien. Dagegen sollen im zweiten Fall genau diese möglichen Wirkungen von Politikverdrossenheit und mangelnder politischer Partizipation durch Gamifizierungselemente abgemildert oder sogar umgekehrt werden. Aufgrund der intendierten Beeinflussung durch die eingesetzten Involvierungsstrategien resultieren diese Versuche jedoch möglicherweise in unzulässiger Manipulation und Paternalisierung der Nutzerinnen von e-Partizipationsangeboten. Daraus ergeben sich analog vier potentielle Gefahren, diesmal jedoch nicht nur für die Demokratie, sondern auch für den Nutzer als autonomes Individuum: Die Gamifizierung politischer Partizipation könnte einerseits die individuelle (Problematik 2), andererseits die politische Autonomie (Problematik 3) der Partizipierenden in unzulässiger Weise untergraben und dadurch möglicherweise das Vertrauen der Nutzer verspielen (Problematik 1). In Kombination mit der Möglichkeit der Vertauschung intrinsischer und extrinsischer Motivation (Problematik 4) könnte so letztlich das Gegenteil des intendierten Ziels erreicht werden. In beiden Fällen hängt die Tragweite der potentiellen Gefahren also eng mit der psychomotivationalen Wirkung der Involvierungen zusammen, die Computerspiele bereithalten. Während im ersten Fall die umfassende Einbeziehung verschiedener Involvierungsstrategien, die anderen Medien in dieser Bündelung abgeht, den besonderen Stellenwert von Computerspielen ausmacht, ist im zweiten Fall vor allem die unterschwellige Verbindung von ernsthaften (Partizipation) und spielerischen (Gamification) Elementen problematisch. In beiden Fällen hängt also die Evaluation der autonomie- und demokratietheoretisch problematischen Aspekte von Computerspielen an empirischen Erkenntnissen über die psychologische Wirkung dieser Involvierungen. Die Erforschung ist hier nicht abgeschlossen, aber analog zur Debatte um ›Killerspiele‹ lassen sich bisher kaum Hinweise finden, dass die in Computerspielen anzutreffende Ballung von Involvierungen tatsächlich zu einer derart gesteigerten Immersivität führt, dass die hier besprochenen negativen Effekte in jedem Fall bzw. signifikant stärker als in anderen Medien auftreten. Wenn das stimmt, geht von Computerspielen aus demokratietheoretischen Gesichtspunkten keine erhöhte Gefahr aus. Die durch sie im Sinne einer ›public pedagogy‹ sozialisierten Darstellungen von Politik sind sicherlich mitunter einseitig und zweifelhaft, dies gilt jedoch in gleichem Maße für andere Medien. Mit Blick auf die Gamifizierungsstrategien in politischen Partizipationsangeboten hängt es vor allem vom Einzelfall ab, ob die individuelle und politische Autonomie des Nutzers eingeschränkt wird. Sofern Gamification nicht lediglich werbewirksamer ›Bullshit‹ für Marketingabteilungen darstellt (vgl. Bogost 9.8.2011), sondern damit tatsächlich messbare Involvierungen einhergehen, kommt es entscheidend auf die Stärke der
170 Wulf Loh
Involvierung und deren Präsentation an. Hier lassen sich vor dem Hintergrund der Debatte um zulässige und unzulässige Formen von Paternalismus bestimmte Ausgestaltungen als unter Autonomiegesichtspunkten problematisch ausweisen. In der Praxis spielen diese jedoch in dem relativ neuen Feld der Gamifizierung politischer Partizipation bislang nur eine untergeordnete Rolle. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Computerspiele unbestreitbar Einfluss auf unsere Vorstellungen von Politik, aber auch die politischen Prozesse und unsere Partizipationsbereitschaft nehmen können. Mit Blick auf die steigende Zahl an Spielen und Spielern, des Wachstums des Marktes, der technologischen Entwicklung hin zu mehr Interaktivität, stärkerer audiovisueller und sensomotorischer Involvierung, sowie auch der thematischen Expansion von Computerspielen ist davon auszugehen, dass sich dieser Einfluss noch vergrößern wird. Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt also bislang kaum demokratie- und autonomietheoretisch problematische Einflussnahmen auf die Politik bzw. unsere Bereitschaft zur politischen Partizipation feststellbar sind, heißt das nicht, dass dies so bleiben muss. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, diese Diskussion weiterzuführen, die psychomotivationalen Effekte noch besser zu erforschen und die verwendeten Involvierungsstrategien im Blick zu behalten, damit Computerspiele auch in Zukunft keinen unzulässigen Einfluss auf unsere politischen Entscheidungen und unsere Partizipationsbereitschaft nehmen. Literatur
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Spiele
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III Philosophische Ästhetik
Kunst 177
Kunst Daniel Martin Feige
1. Einleitung Die noch vor zehn Jahren anhand des polemischen Schlagworts der ›Killerspiele‹ hitzig geführten Debatten um die gesellschaftliche Rolle von Computerspielen haben sich in den letzten Jahren deutlich abgekühlt. Nachdem 2003 die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien nach dem Amoklauf von Erfurt wider Erwarten den Taktik-Shooter Counterstrike nicht auf den Index gesetzt hat, hat der Vorsitzende des deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, Computerspiele 2008 dadurch öffentlich geadelt, dass er sie in den Rang von ›Kulturprodukten‹ erhoben hat (vgl. Zimmermann 2008). Vor zehn Jahren noch undenkbar ist der 2016 erschienene vierte Teil der Doom-Serie unter dem schlichten Titel Doom ebenso unaufgeregt wie in weiten Teilen auch positiv in den Feuilletons großer deutscher Tageszeitungen besprochen worden – die SZ etwa hat ihm am 20. Mai 2016 fast eine ganze Seite gewidmet. Spätestens für die Generation, die Mitte der 1970er Jahre geboren worden ist, waren Computerspiele ein prägender Faktor in der Jugend, so dass es wenig verwundert, dass sie heute in weiten Teilen ein unproblematischer Bestandteil der Alltagskultur geworden sind. Eine andere Frage freilich, die das Computerspiel seit seiner Entstehung begleitet, hat sich damit aber noch nicht erledigt: Die Frage, ob das Computerspiel ein kunstfähiges Medium ist. Wenn man diese Frage stellt, so würde eine Bejahung natürlich nicht bedeuten, dass man alle Computerspiele in den Rang eines Kunstwerks erhebt. So wenig, wie jeder Film, jedes Bild, jede Fotographie, jedes Musikstück und jedes Buch ein Kunstwerk ist, so wäre auch nicht jedes Computerspiel ein Kunstwerk. Die Kontroverse entzündet sich vielmehr mit Blick auf die Frage, inwieweit das Computerspiel, obzwar zweifelsohne ein ästhetisches Medium, überhaupt ein kunstfähiges Medium ist (vgl. zu dieser Differenz Feige 2015, Einleitung. Zum Zusammenhang von Computerspiel und Kunst auch Schwingeler 2014). Der Sinn dieser Frage scheint mir zwischen den einseitigen Beiträgen der Vertreter der Games Industrie, die aufgrund vager und wenig aussagekräftiger Analogien zu etablierten Künsten Computerspiele vorschnell der Kunst zuschlagen, und den nicht minder einseitigen Beiträgen nur vermeintlicher Hüter der etablierten Kunst, die Computerspielen ohne sie zu kennen den Kunststatus einfach absprechen, tendentiell verloren gegangen zu sein. Auch die Stimme der Spielenden ist hier nur bedingt hilfreich: Die Gaming Community äußert sich in Forenbeiträgen immer wieder lautstark dahingehend, dass Games klarerweise Kunstwerke sein müssten, da sie ja mit ihnen starke Erfahrungen machen würden und Games irgendwie in ihrem Leben wertvoll wären. Selbst wenn beides der Fall sein mag, zeigt ein Verweis auf diese Tatsachen weniger, dass es sich bei Computerspielen um Kunstwerke handelt. Vielmehr zeigt der Verweis, dass man nicht so recht weiß, was Kunst ist.
178 Daniel Martin Feige
Unter kritischem Rückgriff auf diese Debatten möchte ich im Folgenden aus philosophischer Perspektive die Frage systematisch noch einmal stellen, ob und inwiefern Computerspiele Kunstwerke sein können. Meine Überlegungen gliedern sich in drei Teile. Im ersten Teil (I.) werde ich die erwähnten Debatten exemplarisch anhand einer vieldiskutierten Kontroverse zwischen dem Filmkritiker Roger Ebert und der Spieleproduzentin Kellee Santiago rekonstruieren und zugleich zeigen, dass hier etwas grundsätzlich schief läuft. Im zweiten Teil (II.) werde ich daraufhin eine systematische Explikation des Kunstbegriffs vorschlagen, die zunächst ohne Bezug auf Computerspiele auskommt. Im dritten und letzten Teil (III.) meiner Überlegungen werde ich die sich aus dieser Perspektive ergebenden Konsequenzen mit Blick auf einige Computerspiele durchspielen. Man würde mein Vorgehen missverstehen, wenn man es so deuten würde, dass ich mich mit einer philosophischen ›Definition‹ – oder etwas ähnlichem – in die Debatte um den Kunstcharakter von Computerspielen einschalte, die ich dann noch auf Computerspiele anwende. Ich beanspruche vielmehr überhaupt erst einmal über den Kunstbegriff nachzudenken, der in entsprechenden Debatten zumeist gedankenlos verwendet wird. Zugleich behaupte ich, dass wir keines anderen oder neuen Kunstbegriffs angesichts von Computerspielen gegenüber demjenigen bedürfen, über den wir verfügen. Schließlich behaupte ich, dass er aufgrund seiner intrinsischen Offenheit uns prinzipiell vor keine Probleme stellt, wenn es darum geht, einige Computerspiele auch in das Reich der Kunst einzugemeinden.
2. Eine Kontroverse Roger Ebert, bekanntermaßen bis zu seinem Tod 2013 Filmkritiker der Chicago Sun und 1975 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet, hat sich im Anschluss an eine Besprechung der durchaus miserablen Verfilmung des Computerspiels Doom (GB/ CS/D/US 2005, R.: Andrzej Bartkowiak) im Jahre 2005 zu dem folgenreichen Statement hinreißen lassen, dass Computerspiele aus prinzipiellen Gründen keine Kunstwerke sein können. Die Reaktionen aus dem Internet waren harsch, aber Ebert blieb bei seiner Auffassung auch angesichts der Tatsache, dass er nicht allein mit der anonymen Spielergemeinschaft zu kämpfen hatte, sondern auch von prominenter Seite Widerrede erhielt. So widersprach ihm Clive Barker – im Metier des Horror nicht allein als Kurzgeschichtenautor und Regisseur bekannt, sondern auch maßgeblich verantwortlich für ein exzellentes und ein anständiges Computerspiel, nämlich Undying und Jericho – widersprach ihm öffentlich vehement. Nachdem die Kontroverse sich nicht gelöst, sondern sich eher totgelaufen hatte, wurde sie durch einen Vortrag von Kellee Santiago, ihres Zeichens damals Produzentin bei thatgamecompany, auf der USC Conference 2009 wiederbelebt. Genauer geschah das durch Roger Eberts Antwort auf diesen Vortrag ein Jahr später. Santiago behauptet in dem Vortrag nicht allein, dass Computerspiele bereits Kunst seien, sondern nennt auch drei Computerspiele, die ihrer Auffassung nach diese These bestätigen. Zu den zitierten Spielen gehört das 2008 veröffentlichte Independent Game Braid, das im Gefolge mit vielen Preisen ausgezeichnet worden ist. Auch denjenigen, die wenig Erfahrung mit Computerspielen haben, dürfte Super Mario Bros. etwas sagen. Zunächst sieht Braid nicht viel anders aus als eine weitere Iteration eines entspre-
Kunst 179
chenden Jump n Run-Spiels. Auf den ersten Blick stechen gleichwohl neben den markant mit Streichern instrumentierten Kompositionen die wie gemalt wirkenden Hintergründe sowie im ersten Ausschnitt die markant platzierte Rahmenerzählung, die am Ende des Spiels aufgegriffen wird und dem Spielgeschehen eine unerwartete Deutung gibt, hervor. Was von den Spielenden wie Kritikern an Braid aber vor allem wertgeschätzt worden ist, ist die ungewöhnliche Spielmechanik: Auf Knopfdruck wird das Geschehen zurückgespielt. Man könnte sagen, dass hier das Prinzip, dass man einen Zug zurücknehmen kann, von Rundenstrategiespielen auf ein Jump n Run übertragen worden ist – wodurch es sich natürlich vollkommen ändert. Braid erweist sich letztlich damit weniger als ein klassisches Jump n Run als vielmehr als ein zeitkritisches Puzzlespiel. Und man kann glaube ich nicht bestreiten, dass es ein durchaus gutes Spiel ist, das zumindest auch dann ästhetisch prägnant ist, wenn man das Ästhetische nicht auf das Aussehen verkürzt, sondern auch Aspekte wie die Eleganz des Gameplays hier gelten lässt. Aber handelt es sich bei ihm um ein Kunstwerk? Kellee Santiago schlägt es im Rahmen folgender Beschreibung der Kunst zu: »You can’t die. You can always rewind time and make up for your mistakes. So these mechanics along with the visuals, the audio and the story told in between levels [...]. So the game engages the player. When I play this game it makes me think of my own history, and my mistakes in the past and could we go back and actually ever make up for what’s happened« (vgl. https:// www.youtube.com/watch?v=6GjKCnPQlSw, letzter Zugriff 19.7.2017). Roger Ebert zeigte sich wenig begeistert von Santiagos Deutung; lapidar hält er fest: »I [am not] persuaded that I can learn about my own past by taking back my mistakes in a video game. [The] story told between the game levels [...] exhibits prose on the level of a wordy fortune cookie«. Der systematische Punkt, den er macht, ist dabei folgender: »An obvious difference between art and games is that you can win a game. It has rules, points, objectives, and an outcome. Santiago might cite an immersive game without points or rules, but I would say then it ceases to be a game and becomes a representation of a story, a novel, a play, a dance, a film. Those things you cannot win; you can only experience them« (vgl. http://www.rogerebert.com/rogers-journal/ video-games-can-never-be-art, letzter Zugriff 19.7.2017). Santiago legte daraufhin ebenfalls noch einmal nach und hielt – zu Recht – fest, dass Ebert scheinbar kaum Computerspiele gespielt habe. In ähnlich lapidarem Tonfall wie Ebert hielt sie fest: »[I]t’s time to move on from any need to be validated by old media enthusiasts. [...] Art is in the eye of both the creator and the beholder. And as those two groups of people grow and change, so will the definition and perception of art« (vgl. http://thatgamecompany.com/general/right-moving-on-myresponse-to-ebert/, letzter Zugriff 19.7.2017). In Wahrheit ist diese Antwort aber nichts anderes als ein autoritärer Gesprächsabbruch. Der erste Satz ist eine reine Immunisierung gegenüber dem Argument von Ebert, wenn sie ihm abspricht, Computerspiele überhaupt angemessen in den Blick zu nehmen. Der zweite Satz kann das Versprechen nicht einlösen, die Notwendigkeit zu zeigen, dass Computerspiele Kunstwerke sind, sein können oder sein werden. Erstens handelt es sich bei der Alternative, die ihr Statement impliziert – Künstler und Publikum bestimmen zusammen, was Kunst ist – um ein verzeichnetes, weil additives Verständnis beider Rollen. Zweitens ist es ein illegitimer Schachzug aus dem Streit um die Definition
180 Daniel Martin Feige
der Kunst auf die Seitenlinie auszuscheren und sich damit als bloßer Betrachter der Situation zu gerieren ohne noch länger Argumente zu bringen. Drittens ist der letzte Satz bloß prophetisches Sprechen, weil auch Kellee Santiago nicht wissen kann, wie wir über Kunst in fünfzig Jahren sprechen werden und ob Computerspiele ein Bestandteil dessen sein werden, worüber wir hier sprechen. Aus der Tatsache, dass der Kunstbegriff und die Gegenstände, die unter ihn fallen, in Veränderung begriffen sind, folgt offensichtlich noch nicht, dass Computerspiele unzweifelhaft Kunst sind oder sein werden. (vgl. als systematische Grundlagen für diese Argumente etwa Levinson 2002 und Danto 1964). Was läuft hier schief in der Debatte? Ich denke auf beiden Seiten Verschiedenes, obzwar ich unverhohlen der Auffassung bin, dass im direkten Vergleich Roger Ebert eher im Recht ist als Santiago – auch wenn es vielleicht interessant ist anzumerken, dass er später seine Position mit dem Verweis darauf, dass er tatsächlich kaum Computerspiele gespielt habe, kaum welche kenne und er keineswegs ein Prophet sei, revidiert hat. Das Problem der Kontroverse ist Folgendes: Santiago beschreibt in ihrem Statement letztlich gar nicht das Spiel Braid, sondern hat bloß eine Assoziation angesichts des Spielens von Braid. Natürlich ist diese durch die Rahmenhandlung des Spiels gedeckt. Aber der entscheidende Punkt ist: Wenn man Braid als Kunstwerk behandeln wollte, so würde es gerade darin scheitern, dass es ein entsprechendes Thema – eine Reflexion auf die temporale Struktur unseres Handelns und die Tatsache, dass wir in unserem Leben in vielfältiger Weise Schuld gegenüber anderen auf uns laden – bloß als äußeren wie äußerlichen Kontext des Spielens präsentiert. Braid verhandelt nämlich gar nicht das Thema der Verantwortlichkeit unseres Handelns gegenüber anderen. Braid artikuliert das Thema, das Santiago interpretativ in das Spielgeschehen hineinliest, als Thema, das auf der Ebene des Spielens letztlich gar nicht eingeholt wird; das eigentliche Spielgeschehen ist daran orientiert, in – je nach Deutung – ästhetisch ansprechender oder kitschiger Kulisse zeitkritische Rätsel zu lösen. Braid ist in dieser Hinsicht ein nur vermeintlich ›tiefes‹ Spiel, denn die ›Tiefe‹ hat bei ihm nichts mit dem zu tun, was an der ›Oberfläche‹ des Spiels geschieht. Es ist ein Puzzlespiel mit einem originellen Twist im Gameplay – aber es ist kein Puzzlespiel, das dadurch, dass wir dieses Spiel spielen, etwas über uns in dem, was wir sind, zeigt. Kurz gesagt: Es reicht nicht, ein Puzzlespiel oder Jump n Run äußerlich mit einem künstlerischen Look auf zu hübschen, um es ins Register der Kunst zu verschieben (Es ist nicht ohne Ironie, dass mit Brian Moriarty ausgerechnet ein Spieledesigner Ebert verteidigt hat, der mit Spielen wie Wishbringer und Loom sich selbst für Spiele verantwortlich zeichnet, denen gemeinhin durchaus ein künstlerischer Anspruch zugesprochen worden ist. Vgl. http://www.gamasutra.com/view/news/123860/Opinion_Brian_Moriartys_ Apology_For_Roger_Ebert.php, letzter Zugriff am 19.7.2017. Ich danke Andreas Rauscher für den Hinweis auf diesen Text). Dass Braid in Sachen Gameplay und manifesten ästhetischen Eigenschaften so markant auseinanderfällt und man entsprechend Form und Inhalt so deutlich voneinander unterscheiden kann, zeigt, dass es zumindest im Register betrachtet ein kolossal missglücktes Spiel wäre. Wahrscheinlich sollten wir es aber weniger als privatives Kunstwerk behandeln, sondern vielmehr als ein cleveres Computerspiel, dessen manifeste ästhetische Eigenschaften eben das sind, was sie sind: Letztlich wiederum clever darin, dass sie
Kunst 181
unter merkantilen Gesichtspunkten ein gutes Verkaufsargument für dieses Spiel sind (vgl. dazu Feige 2017). Diese Kritik an Santiagos Deutung heißt nun aber nicht, dass Roger Ebert vollkommen im Recht wäre. Es stellt bereits eine illegitime Verkürzung des Spielbegriffs dar, wenn man ihn so versteht, dass Regeln, Ziele und Gewinnen notwendige Bedingungen für ihn wären. Dazu muss man gar nicht an Wittgensteins Lektion mit Blick auf die Frage der Definition dessen, was Spiele sind, denken (vgl. Wittgenstein 2003, 56–59) – es reicht auch schon an die ästhetische Tradition von Kant über Schiller bis zu Gadamer zu erinnern, die den Spielbegriff gerade nicht so verstanden haben, dass er sich anhand von Regeln, Zielen und vor allem dem Gewinnen oder Verlieren definieren ließe. Kurz gesagt: Der Gedanke ist irreführend, dass etwas, das man nicht gewinnen kann, schon deshalb aufhören würde, ein Spiel zu sein und einem anderen ästhetischen Medium als dem Computerspiel zuzurechnen wäre. Flower, ein Spiel von Santiagos Company, das gerade dadurch bekannt geworden ist, dass es primär vom Spielfluss lebt und nicht vom Erreichen von Zielen, von Levels usw., würden wir eben anders als Ebert sagt, dennoch keinen Tanz nennen – auch wenn es vielleicht viele Eigenschaften des Tanzes metaphorisch exemplifizieren mag. Aber dennoch hat Ebert letztlich meines Erachtens Recht darin, dass ein Spiel, bei dem es bloß ums Gewinnen geht und den möglichst effizienten Einsatz von Ressourcen, erst einmal mit Kunst nichts zu tun hat. Schach und Fußball sind zweifelsohne ästhetische Praktiken, aber keine künstlerischen Praktiken. Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich kann etwa das Schachspiel oder Schachspielen in unterschiedlicher Weise Teil eines Kunstwerks werden, wie etwa in Marcel Duchamps und John Cages Performance Reunion. Und natürlich können Regeln Teil eines Kunstwerks werden wie etwa im Fall von John Zorns Game Pieces. Selbst noch in dem Fall, in dem etwa ein Künstler der concept art einfach ein in seinen visuellen und haptischen Eigenschaften von sonstigen Schachbrettern ununterscheidbares Schachbrett ausstellt oder dazu auffordert, es im Museum oder sogar im öffentlichen Raum seiner üblichen Verwendung nach zu gebrauchen, handelt es sich nicht länger um ein bloßes Schachbrett bzw. um ein bloßes Spielen; als Kunstwerk handelt es sich hier um eine andere Art von Gegenstand, angesichts dessen wir ganz andere Beschreibungen geben müssen und sich andere Fragen stellen – die Frage etwa, worum es hier eigentlich geht, die sich angesichts der Performance von Cage und Duchamp stellt, die sich aber sicher nicht in derselben Weise beim Betrachten eines Schachturniers stellt (vgl. in diesem Sinne auch Danto 1981, Kapitel 1). Was könnte es heißen, ein Computerspiel nicht deshalb zu spielen, um es zu gewinnen? Es kann auf jeden Fall nicht heißen, dass man Computerspiele, die eigentlich eine kompetitive Spielmechanik haben, gegen den Strich derart spielt, dass man sich jetzt kontemplativ an ihnen erfreut. Anhand des Begriffs der ›ästhetischen Einstellungv sind entsprechende Versuche meines Erachtens in der angloamerikanischen Ästhetik vernichtend kritisiert worden (vgl. Dickie 1964). Kunst ist nicht einfach das, was wir als Kunst betrachten – auch wenn das nicht heißt, dass es Kunst geben könnte, ohne dass wir sie jemals als Kunst betrachten. Man kann sich darin täuschen, etwas als Kunst zu behandeln. Anders gesagt: In einem First Person Shooter wie Call of Duty: Modern Warfare 2 stehenzubleiben und die Wand anzustarren macht ein solches Spiel bestimmt nicht zur Kunst. Und Spiele subversiv gegen den
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Strich zu spielen hat auch noch nicht per se etwas mit Kunst zu tun. Was es demgegenüber heißen könnte, dass Computerspiele Kunstwerke sind, möchte ich nun im zweiten Teil in systematischer Weise derart klären, dass ich die Kunst als ein Reflexionsgeschehen erläutern werde. Im dritten Teil werde ich die im Folgenden entwickelte Perspektive dann an einigen Computerspielen verdeutlichen.
3. Eine begriffliche Explikation Mit Ebert und Santiago habe ich nicht etwa deshalb begonnen, um mir einfache Gegner zu suchen. Vielmehr taucht in ihren Diskussionsbeiträgen durchaus in unterschiedlicher Weise ein Gedanke auf, der es mir Wert zu sein scheint, weiter verfolgt zu werden. Santiago und Ebert sind nämlich beide der Meinung, dass uns Kunst etwas über uns als diejenigen, die wir sind, zeigen kann. Beide missverstehen diesen Gedanken aber derart, dass es in der Kunst um die Artikulation tiefer Themen gehen würde. Denken wir kurz an einige Kunstwerke. Etwa an das Album Meditations von John Coltrane, 1966 bei Impulse erschienen. Auch wer keinen Jazz hört, dem dürfte das Schlagwort des Free Jazz etwas sagen und man kann sich vielleicht grundsätzlich vorstellen, worum es hier geht. Worüber sollte diese Musik sein? (Dass es sich bei der Alternative zwischen einem Formalismus und einem Inhaltismus in der Musikästhetik um eine falsche Alternative handelt, hat Richard Eldridge im Ausgang von Hegel überzeugend gezeigt; vgl. Eldridge 2007). Man kann hier viele Beschreibungen geben: Spiritualität; Ordnung angesichts des Chaos; vor allem aber: das über der Band schwebende Spiel Coltranes, das in seiner Klarheit und Einfachheit ein Kontrast zu dieser darstellt usw. Charakteristisch ist aber, dass alle diese Beschreibungen solange nicht allein unbefriedigend, sondern kategorial verfehlt sind, wie sie etwas meinen, das auch unabhängig von der Art und Weise, was hier in der Kollektivimprovisation geschieht, gekennzeichnet werden könnte. Denken wir an Piet Mondrians Broadway Boogie Woogie aus den Vierzigerjahren des letzten Jahrhunderts. Zwar mag man die dort sichtbare Choreographie von Farben, Linien und Flächen schon aufgrund des Titels für eine Allegorie des Lebens in der modernen Großstadt halten. Sogar die Struktur des Stadtplans von Manhattan wie auch für eine Übertragung musikalischer Verfahrensweisen – Groove und Rhythmus, Strenge und Relaxtheit zugleich – mag man hier erkennen. Aber auch hier gilt: Was immer dieses Werk auszudrücken vermag – es ist nicht anders zu haben als in der Art und Weise, wie es das betreffende ausdrückt. Denken wir schließlich an einen herkömmlichen Roman, etwa Gabriel Garcia Marquez Die Liebe in den Zeiten der Cholera. Man kann zwar sagen, dass es in diesem Roman nicht allein um eine Verhandlung der Geschichte Kolumbiens geht, sondern vor allem auch um eine unerfüllte und unbedingte Liebesbeziehung, die sich wieder erwarten dann doch noch erfüllt, als das betreffende Paar in hohem Alter ist. Aber auch ein Roman ist niemals sein Plot – etwas, das in verschiedenen Romanen, auch Filmen, Theaterstücken usw. verkörpert sein kann. Vielmehr ist er letztlich nichts anderes als die Art und Weise, wie er etwas erzählt. Diese drei genannten Werke sollen hier keineswegs zum Paradigma der Kunst erhoben werden. Ebensowenig geht es mir um eine empirische These zu Gegenständen
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der Kunst. Ich möchte vielmehr durch sie auf einen schlichten Umstand stoßen: Das, was man den Gehalt von Kunstwerken nennen könnte, ist nicht anders als in der Art und Weise zu haben, auf die es das Kunstwerk durch seine Form, d. h. eine eigensinnige Konstellation von Elementen, artikuliert. Gelungene Kunstwerke zeigen uns nicht einen Inhalt, der unabhängig von der Art und Weise, wie er uns gezeigt wird, rekonstruierbar wäre. Sie zeigen uns nur etwas, insofern sie sich selbst zeigen. Das aber heißt zugleich, dass Kunstwerke gar keinen Inhalt in einem herkömmlichen Sinne haben – nämlich etwas, das man paraphrasieren kann und in eigenen Worten derart wiedergeben kann, dass die Erfahrung des Kunstwerks nicht länger notwendig wäre, um diesen Inhalt zu erfassen. Kunstwerke sind Gegenstände eines anderen Verstehens als das beim Verstehen satzförmiger Aussagen, d. i. propositionaler Inhalte der Fall ist. Das gilt selbst noch für darstellende Gemälde. Der amerikanische Ästhetiker Monroe Beardsley hat einmal gesagt, dass das Gemälde einer Kreuzigung nur dann ein schönes Gemälde sein könne, wenn es das Gemälde einer schönen Kreuzigung sei oder andere Partien des Gemäldes als die Kreuzigung schön seien (vgl. Beardsley 1962, 628). Zu einer solchen These kann man nur kommen, wenn man Gemälde als mehr oder weniger transparente Repräsentationen eines Inhalts begreift. Arthur C. Danto hat auf Beardsleys Äußerung ebenso lapidar wie überzeugend geantwortet: Kreuzigungen sind üblicherweise ziemlich ungeheuerliche Ereignisse (vgl. Danto 1981, 234 ff.). Beardsley Satz ist einfach unsinnig. Wenn wir hier überhaupt von einem schönen Gemälde sprechen sollten, so sprechen wir niemals über das, was ein Gemälde darstellt. Selbst noch für den Fall, dass wir es nicht wie bei Mondrian mit einem abstrakten Gemälde zu tun haben, sondern mit einem herkömmlichen darstellenden Gemälde, ist das Werk niemals das, was als Inhalt der Repräsentation angegeben werden kann. Kurz gesagt: In der Art und Weise, wie es Ebert und Santiago vorschwebt, haben Kunstwerke schlicht und einfach keinen Inhalt. Das liegt daran, dass Kunstwerke je singuläre Gegenstände des Verstehens sind (vgl. dazu Feige 2018, Kapitel 4). Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich gibt es Künste, Stile, Gattungen und Traditionen (vgl. weitergehend dazu Carroll 2009, Kapitel III.3). Aber in der Kunst fallen die einzelnen Gegenstände, die diese exemplifizieren, nicht einfach unter Künste, Stile, Gattungen und Tradition im Sinne eines vorgängig gegebenen Allgemeinen. Wer die Improvisation von Coltrane gehört hat, kann sich nicht das Anhören weiterer Improvisationen sparen, um diese zu beurteilen; wer den Mondrian gründlich betrachtet hat, kann damit noch nichts über die anderen Bilder Mondrians sagen; wer Die Liebe in den Zeiten der Cholera gelesen hat, kann sich deshalb noch nicht das Lesen von 100 Jahre Einsamkeit sparen. Ein Kunstwerk zu verstehen, heißt sich auf es in seiner Singularität einzulassen. Das ist im Verstehen etwa philosophischer Texte anders. Denn hier geht es um Gedanken, die zwar nicht unabhängig vom Text in einem Reich idealer Gegenstände existieren, die zu verstehen aber durchaus heißt, sie in eigenen Worten wiederzugeben und ihre Konsequenzen mit Blick auf Kontexte auszubuchstabieren, die im Text nicht schon angelegt waren. Philosophisches Verstehen wie auch das Verstehen von Sachtexten drückt sich kurz gesagt in Paraphrasen und damit in Übersetzungsleistungen aus. Wer nur im Wortlaut des gelesenen Textes den Gedanken referieren kann, hat ihn noch gar nicht verstanden. Das ist in der Kunst anders. Kunstwerke sind selbstgenügsam dahingehend, dass sie zu verstehen allein heißt, sie hinsichtlich ihrer Form
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mit Körper und Geist nachzuvollziehen. Was immer die Tiefe der Kunst sein mag ist etwas, das nur auf der Ebene der Erfahrung ihrer Oberfläche zu haben ist. Ein Kunstwerk zu verstehen heißt damit, es auf der Ebene seiner Form nachzuvollziehen. Die Redeweise von der Form eines Kunstwerks bedarf der Erläuterung. Form meint die je eigensinnige Aushandlung von Elementen in einem Werk (vgl. dazu Adorno 1973, etwa 205 ff.). Gesten, Bewegungen, Geräusche, Schnitte, Schritte, Töne, Pixel, Worte, Kapitel, Passagen, Melodien, Sequenzen, Farben, Klänge und Schnitte – oder was auch immer sich jeweils als Element eines Kunstwerks qualifiziert – gewinnen in der Kunst derart Eigensinn, dass sie aus dem Kunstwerk heraus konstituiert werden. Gebraucht der Text von Marquez Worte der Alltagssprache, so hat man ihn doch noch nicht verstanden, wenn man alltagssprachliche Äußerungen verstanden hat. Denn Marquez erfindet in und durch sein Schreiben gewissermaßen die Worte neu, wie Coltrane in und durch sein Spielen musikalische Klänge und Rhythmen neuerfindet und Mondrian durch seine Art zu Malen den Sinn von Farbe und Fläche neubestimmt. Kurz gesagt: Die Redeweise von einer Form des Kunstwerks drückt den Gedanken aus, dass die Elemente des Werks holistisch und nicht atomistisch konstituiert sind. Eine atomistische Konstitution bzw. eine »legozentristische« (Gabriel 2016, 168) Theorie des Kunstwerks würde davon ausgehen, dass es schon vor dem Kunstwerk Elemente geben würde, die in ihrem Sinn bestimmt sind und aus dem es bloß zusammengebaut wäre. Eine holistische Perspektive klagt hingegen ein, dass der Sinn eines jeden Elements nur aus dem Kontext der anderen Elemente zu verstehen ist und – genauer – dass jedes Element dasjenige ist, das es ist, durch seinen Zusammenhang zu allen anderen Elementen des entsprechenden Werks (vgl. dazu weitergehend auch Bertram 2014, Kapitel 3). Der Farbauftrag im Werk Mondrians exemplifiziert eine andere Dynamik als im Werk Van Goghs; der Sinn der Materialien der Musik hat sich von Duke Ellington zu John Coltrane gewandelt. Es gibt somit keine Syntax des Werks, keine kleinsten gegebenen Elemente. Es gibt vielmehr nur eine – nicht in einem temporalen, sondern in einem logischen Sinne – gleichursprüngliche Pluralität von Elementen. Deshalb kann man Kunstwerke auch nur anhand dessen messen, was sie jeweils selbst etablieren und leisten; Kriterien, die gerade nicht länger kunstwerkübergreifende Geltung haben (In dieser Weise ist bereits Kants paradoxe Rede von Regeln des Kunstwerks, die gleichwohl nur in und durch das einzelne Werk verkörpert werden, zu verstehen; vgl. Kant 1974, § 44). Auch wenn alle künstlerische Erarbeitung von Elementen immer schon auf frühere solcher Erarbeitungen antwortet; auch wenn Kunstwerke in Traditionen, Stile und Gattungen fallen, stellen sie, wenn sie gelingen, immer einen Bruch zu dem dar, was vorher war. Bevor ich nun abschließend einen intensiveren Blick auf einige Computerspiele werfen werde, noch eine Bemerkung zur Pointe bzw. zum Sinn, die unsere Erfahrung solch eigensinniger Konstellationen von Elementen zeitigt (vgl. dazu auch Feige 2015, Kapitel 4). Ebert und Santiago haben nämlich recht mit dem Gedanken, dass Kunstwerke uns etwas über uns zeigen. Wie die voranstehende Analyse deutlich gemacht hat, darf das aber gerade nicht so verstanden werden, dass Kunstwerke Erkenntnisse vermitteln oder Instanzen der Schulung unserer ethischen oder politischen Sensibilitäten wären. Solche Instrumentalisierungen, wenn auch nicht prinzipiell zu verurteilen, gehen den Sinn des Begriffs der Kunst nicht an. Noch
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sind Kunstwerke, die politische Themen aufgreifen, nicht einfach eine Verlängerung einer politischen Agenda, sondern müssen vielmehr als Neuverhandlungen des Politischen verstanden werden. Dass wir uns in und durch die Kunsterfahrung selbst gegenübertreten heißt, dass Kunsterfahrungen als ein Reflexionsgeschehen zu deuten sind. Die selbstgenügsame Erfahrung von Kunstwerken hat entsprechend für diejenigen, die an ihr partizipieren bzw. die sie machen, durchaus einen Sinn – den Sinn, dass sie sich in ihnen und durch sie selbst gegenübertreten im Lichte der eigensinnigen Formgebungsprozesse der Kunst. Sich selbst im Lichte des Kunstwerks gegenüberzutreten heißt aber nicht, dass wir hier etwas über uns erfahren würden, was wir unabhängig von dieser Erfahrung auch anders haben könnten (Hegel hält auf der Produktionsseite analog fest: Die Dichter und Künstler haben nicht etwa »Vorstellungen und Lehren[, die] bereits vor der Poesie in abstrakter Weise des Bewußtseins als allgemeine religiöse Sätze und Bestimmungen des Denkens vorhanden gewesen [wären] [...] erst in Bilder eingekleidet und mit dem Schmuck der Dichtung äußerlich umgeben [...], sondern die Weise des künstlerischen Produzierens war die, dass jene Dichter, was in ihnen gärte, nur in dieser Form der Kunst und Poesie herauszuarbeiten vermochten«, Hegel 1986, 141). Kunstwerke sind just darin Gegenstände der Erfahrung, dass das nicht möglich ist. Damit ist die Kunsterfahrung als performative Transformation unserer selbst zu deuten. Transformation just darin, weil Erfahrungen etwas sind, was man macht und was in bestimmter Weise auch mit einem gemacht wird, dessen Gehalt aber nicht antizipierbar ist; performativ darin, dass diese Transformation nichts anderes meint, als just das Werk in seiner eigensinnigen Konstellation von Elementen nachzuvollziehen. Wenn wir etwa sagen, Marquez’ Roman verhandele eine Form unerfüllter Liebe, die wir aus unserem eigenen Leben kennen, so darf das eben nicht so verstanden werden, dass wir den Sinn dieser Aussage schon vor dem Lesen des Romans verstanden hätten. Mit der Redeweise eines Reflexionscharakters der Kunst meine ich also nichts anderes als das, was es heißt, die eigenlogische wie eigensinnige Konstitution von Kunstwerken nachzuvollziehen; ich meine damit also keine gegenüber diesem Nachvollzug eigenständige und von ihm unterschiedene Leistung. Computerspiele können fesselnd oder langweilig sein, ihr Aussehen kann markant oder austauschbar daher kommen, ihre Steuerung flüssig oder sperrig, das Gamedesign elegant oder plump. All das gehört zu den ästhetischen Eigenarten von Computerspielen – aber als solche haben sie mit Kunst im just skizzierten Sinne noch nicht notwendigerweise etwas zu tun. Anders gesagt: Auch wenn zweifelsohne jedes Computerspiel ästhetische Eigenarten hat, ist die Frage, inwieweit es sich bei ihm um einen Gegenstand handelt, der in den Bereich der Kunst gehört, nicht schon dadurch beantwortet, das man auf derartige ästhetische Eigenarten verweist. Was es heißen könnte, dass Computerspiele Kunstwerke sind, wenn man sie ausgehend von der eben entwickelten Grundbestimmung der Kunst als einer eigensinnigen Praxis der Reflexion zu deuten versucht, möchte ich jetzt abschließend im Rahmen einiger kursorischer Bemerkungen zu einigen Computerspielen zeigen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Nichts läge mir ferner, eine philosophische ›Theorie‹ hier auf einen Gegenstand, nämlich ›Computerspiele‹, anzuwenden. Was ich vielmehr versuchen will, ist den Sinn der Frage, ob es sich bei Computerspielen um Kunstwerke handeln kann, anhand einiger Computerspiele auszuweisen – und damit auch die in
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diesem Beitrag investierte Perspektive. Ich spare hier bewusst solche Spiele aus, die relativ unzweideutig in den Kunstkontext gehören – wozu sicherlich paradigmatisch so etwas wie Sod, eine Modifikation der Wolfenstein-Expansion Spear of Destiny des Künstlerkollektivs Jodi, wie auch die Painstation, eine interaktive Installation von Tilman Reiff und Volker Morawe, gehören. Ich spare sie auch deshalb aus, weil mir angesichts solcher Werke nicht zuletzt unklar erscheint, ob wir sie überhaupt Computerspiele nennen würden, oder nicht das erste ein Werk der Multimedia-Kunst und das zweite eine interaktive Installation ist. Zudem gibt es auch im Bereich der analogen Brettspiele zumindest einige verwandte Fälle wie etwa Brenda Romeros Spiel Train.
4. Eine materiale Exemplifikation Zu den bekanntesten wie sicherlich auch elegantesten Computerspielen gehört Tetris. Und schon relativ früh ist versucht worden, es explizit oder implizit in den Status eines Kunstwerks zu erheben. Wenn allerdings die im letzten Teil entwickelte Perspektive überzeugend war, so handelt es sich hierbei um ein problematisches Manöver. Anders als Theoretiker*innen, die behauptet haben, Tetris sei eine kinetische Skulptur oder Ausdruck der gegenwärtigen amerikanischen Arbeitswelt, da auch sie einen Hang zum Ordnen und Sortieren habe (vgl. in diesem Sinne Murray 1997), scheint mir eine Eingemeindung dieses Spiels in die Kunstwelt eher schwierig; im ersten Fall handelt es sich um eine Assoziation aufgrund von Ähnlichkeiten – wie der jüngst verstorbene Philosoph Hilary Putnam festgehalten hat, gilt leider: Alles ähnelt alles anderem in unendlich vielen Hinsichten (vgl. Putnam 1982, 94). Im zweiten Fall wird eine entsprechende Deutung behauptet, ohne auf das eigentliche Spielgeschehen Bezug zu nehmen, genau wie Santiago es mit Braid getan hat. Das heißt gleichwohl keineswegs, dass Tetris ein schlechtes Spiel ist. Denn durch schlichtes wie elegantes Gameplay ebenso wie durch seinen markanten graphischen Stil kann es durchaus als gelungener ästhetischer Gegenstand verstanden werden. Aber es ist wahrscheinlich, dass es nicht im kategorialen Rahmen der Kunst behandelt werden sollte. Spielen wir Tetris, so spielen wir kein Spiel, das uns im Akt des Spielens uns selbst thematisch werden lässt oder das durch seine kinetische Form den Kunstbegriff herausfordern würde. Wir spielen vielmehr ein intelligentes und dabei zweifelsohne auch ästhetisch wegweisendes Spiel. Dass ein Spiel kein Kunstwerk ist, heißt also nicht, dass es deshalb als Spiel missglückt wäre. Denn es gibt offensichtlich verschiedene Hinsichten, in denen etwas gelungen oder misslungen sein kann. Wenn die bislang entwickelten kunsttheoretischen Überlegungen überzeugend waren, so besteht der Kunstcharakter von Computerspielen nämlich nicht in ihrem Aussehen oder in ihren relationalen ästhetischen Eigenschaften (vgl. dabei als Verteidigung eines Begriffs von Ästhetik, der sich radikal von der sensualistischen Tradition abgrenzt Shelley 2012). Der Kunstcharakter von Computerspielen besteht vielmehr darin, dass wir uns im Spielen dieser Spiele selbst durchspielen; dass wir uns im Lichte des Aushandlungsgeschehens, das das Spiel ist, selbst neu aushandeln. Und dass ein Computerspiel als Kunstwerk gelingt, muss heißen, dass es etwas verhandelt, was nur in und durch die Form dieser Verhandlung zu haben ist. Die Form
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dieser Aushandlung heißt im Bereich des Computerspiels natürlich vor allem auch: Dass wir das Spiel spielen müssen, um es zu verstehen. Ohne mich damit auf eine ludologische Definition des Spiels festzulegen, ist es doch so, dass man ein Spiel nur dann verstanden hat, wenn man es gespielt hat. Das heißt freilich nicht, dass ein Computerspiel schon deshalb ein Kunstwerk wäre, dass es selbstreflexiv verfasst wäre. Schließlich kann eine solche Selbstreflexivität auch eine leere Geste sein. Wenn The Operative: No One Lives Forever eine ironische Aneignung der Ikonographie und Musik der Agentenfilme der 1960er und 1970er Jahre darstellt und Grand Theft Auto: Vice City selbiges mit Gangsterfilmen der 1980er Jahre macht, so hat das zunächst einmal mit Kunst noch nicht unbedingt etwas zu tun. Dasselbe gilt für die Spiele Evoland und Evoland 2, die im Medium des Computerrollenspiels zugleich die Geschichte dieses Genres in und durch das Spielen thematisieren. Gegenüber einer leeren Selbstreflexion, die sich darin erschöpft, dass der Spieler sich daran erfreut, erkannt zu haben, worauf sich das entsprechende Computerspiel bezieht, fangen Computerspiele dort an Kunstwerke zu sein, wo eine entsprechende reflexive Thematisierung der eigenen Verfahrensweisen dem Spieler in und durch das Spielen des Spiels eine Aussicht auf sich selbst eröffnet. Wie ich in der kritischen Diskussion der Positionen von Ebert und Santiago festgehalten habe, darf das aber gerade nicht so verstanden werden, dass es um eine Artikulation ›tiefer‹ Themen gehe. Exemplarisch geht das etwa im Reboot von Tomb Raider schief. Dass man Tomb Raider im Register der Kunst behandelt, ist weniger abwegig als das bei den Vorgängerspielen zu tun (das schmälert ihre popkulturelle Relevanz freilich nicht und sabotiert auch nicht Projekte wie dasjenige von Astrid Deuber-Mankowsky, das Lara Croft vor allem unter gendertheoretischer Perspektive diskutiert hat. Vgl. Deuber-Mankowsky 2001). Denn das Studio Crystal Dynamics hat mit dem Spiel den Versuch unternommen, eine Art Adoleszenz-Drama oder ein Analogon zu einem Entwicklungsroman zu erzählen. In den Vorgängerspielen kennt Lara Croft keine Entwicklung; sie ist gewissermaßen als Person fertig und reagiert auf Probleme, die sich ihr stellen, immer in derselben Weise – schießen, springen, klettern, Schalter umlegen usw. Anders gesagt: Was man hier spielt, hat in bestimmter Hinsicht mit einer Person gar nichts zu tun. Das Reboot versucht hingegen zu zeigen, wie Lara Croft zu dem wurde, was sie ist. Wenn man es im Register der Kunst betrachten wollte, scheitert es aber just darin: Eine solche Entwicklung wird bloß vom Spiel behauptet, zeigt sich auf der Ebene des Spielens als Spielens aber überhaupt nicht. In einer prägnanten interaktiven Sequenz zu Beginn, in der Lara Croft fast von einem Peiniger vergewaltigt zu werden droht, bringt sie zum ersten Mal einen Menschen um. Eine nicht-interaktive Sequenz zeigt daraufhin, dass es sich dabei um eine Grenzerfahrung und einen Schock für sie gehandelt hat. Aber – und das ist der Punkt: Sobald das Spiel daraufhin wieder interaktiv wird, hat sie keine Skrupel mehr, ihre männlichen Widersacher abzumurksen. Zudem ist dieses Töten, auch wenn man am Ende mehr Waffen und Fähigkeiten hat als am Anfang, am Ende prinzipiell genauso wie am Anfang. Kurz gesagt: Lara Crofts Entwicklung zu der Grabjägerin, die sie ist, und auch die moralischen Konflikte, die das beinhaltet, thematisiert das Spiel nur im Sinne einer äußeren wie äußerlichen Zutat. Vom Spielgeschehen selbst wird beides gar nicht ratifiziert. Als ein weiterer Fall eines nur vermeintlich tiefen Spiels wäre Assassins Creed ebenso wie seine unüberschaubar
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vielen Nachfolger zu diskutieren. Handelt es sich hier vom technischen Produktsniveau um Triple A-Titel, ist nicht allein überraschend, dass die Handlung selbst in einem B-Klasse Science-Fiction-Film der 1970er Jahre unfreiwillig komisch gewesen wäre: Der Barkeeper Desmond Miles erlebt mittels eines technischen Geräts die genetischen Erinnerungen seiner Vorfahren. Man sollte dem Spiel vielleicht keinen Strick daraus drehen, dass dieses Szenario selbst im Lichte der derzeit vieldiskutierten Fragen der Epigenetik einfach albern ist. Assassins Creed ist ein Kandidat, im Register der Kunst betrachtet zu werden, da es mit seiner aufwendigen Inszenierung des 12. Jahrhunderts und dem Thema der Kreuzzüge durchaus das Potential gehabt hätte, dass sich die Spielenden mit sich selbst hinsichtlich der problematischen wie relevanten historisch-kulturellen Grundlagen ihrer eigenen Lebensform im Spielen hätten auseinandersetzen können. Aber diese Beschreibung ist völlig fehl am Platz: Im Register der Kunst betrachtet scheitert das Spiel schlichtweg daran, dass sein Open-World-Gameplay letztlich keinerlei Bezug zu der kurz angedeuteten Handlung hat. Das eigentliche Spielgeschehen lässt sich sehr sauber von der Rahmenhandlung trennen, sie ist eine bloß äußere wie äußerliche Zutat. Eine Form der Selbstthematisierung, um die es mir geht, findet sich hingegen etwa im ersten Teil der God of War Serie. Das 2005 auf der Playstation 2 erschienene Spiel God of War ist eine ästhetisch markante Hollywood-Phantasie des antiken Griechenlands. Das Spiel beginnt mit einem Suizidversuch des Protagonisten, dem Spartaner Kratos. Er wird allerdings von Athene vor dem Tod bewahrt und von ihr gegen den Kriegsgott Ares in den Kampf geschickt. Wenn er am Ende seinen Platz im Olymp einnimmt, so bringt ihm auch das keine Linderung. Denn: Wie man erst recht spät im Spielverlauf erfährt, hat Kratos im Blutrausch und letztlich durch die Macht, die Ares ihm verliehen hat, als er ihn in einer Schlacht vor dem Tod bewahrte und fortan seinen Dienst einforderte, seine eigene Frau und Tochter erschlagen. Seinen Spitznamen – Geist von Sparta – hat er durch die helle Färbung seiner Haut erhalten. Sie kommt dadurch zustande, dass sich die Asche seiner toten Frau und Tochter auf seine Haut gelegt haben, so dass sich seine Schuld gewissermaßen in seine Haut eingeschrieben hat. Die Pointe dieser nicht-interaktiven Zwischensequenz, in der das Schicksal von Kratos enthüllt wird, ist mit Blick auf das Spielgeschehen folgende: Was vormals wie Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele erschien – nämlich rohe Gewalt – wird jetzt als Quelle seines Leidens ausgewiesen. Das wesentliche Moment des Spielprinzips, mehr oder weniger elegante und effektiv und dabei zumeist recht blutig möglichst viele gegnerische Spielfiguren zu beseitigen, wird dadurch immanent attackiert, dass es als Form der Selbstzersetzung des Protagonisten thematisiert wird. Man kann sich allerdings darüber streiten, ob God of War im Register der Kunst betrachtet letztlich überzeugt, weil es dieses Motiv, die immanente Selbstzersetzung des Protagonisten, die es zugleich als eine Form spielbarer Tragödie qualifiziert, dahingehend nicht konsequent genug zu Ende denkt, dass der Protagonist im Anschluss an diese Erkenntnis just die Mittel weiter einsetzt, die Ausdruck seiner Selbstzersetzung sind. (Man könnte hier im Geiste Hegels von einer Tragödie im Sittlichen sprechen: Im Schicksal von Kratos kommt es zu einem substanziellen Konflikt zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Gesetz. Das geschieht in dem Spiel derart, dass Kratos im Namen der göttlichen Macht das menschliche Gesetz verletzt und seine Familie tötet. Natürlich ist das im Spiel weitaus weniger kon-
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sequent ausbuchstabiert als in Sophokles Antigone, dem für Hegels Überlegungen paradigmatischen Drama; vgl. dazu Hegel 1986b, 328 ff.) Aber auch dann, wenn er Ares als Endgegner am Ende beseitigt und dessen Platz im Olymp betritt, leistet das Spiel in und durch diese narrative Wendung, die eben keine rein narrative Wendung mehr ist, sondern vielmehr die Spielenden als Spielenden attackiert, eine Thematisierung der Lebensform dieser Spielenden: Die ästhetisierte Gewalt und gewalttätige Ästhetik wendet sich in diesem Moment gegen sich selbst; die bisherigen Spielhandlungen werden schal – sie sind nicht so sehr das Mittel zum Erreichen eines Ziels, sondern der anhaltende Blutrausch ist vielmehr die Genese des ganzen Problems des Protagonisten. Zu den wenigen innerhalb der Philosophie bislang ernsthaft diskutierten Computerspielen gehört das vor zehn Jahren erschienene Computerspiel Bioshock (vgl. dazu etwa Tavinor 2009). In Bioshock findet sich der Protagonist nach einem nur vermeintlich zufälligen Flugzeugabsturz in der Unterwasserstadt Rapture wieder, die vom Milliardär Andrew Ryan als gesellschaftliche Utopie wissenschaftlicher, künstlerischer wie ökonomischer Freiheit realisiert worden ist. Als der Spieler die Szenerie betritt, hat sich diese vermeintliche Freiheit bereits in ihr Gegenteil verkehrt: Die von ethischen Fragen bereinigte wissenschaftliche Forschung hat dazu geführt, dass sich die Bewohner zügellosen Experimenten der Selbstoptimierung in Form genetischer Veränderungen hingegeben haben. Entstellt und dem Wahnsinn anheimgefallen greifen sie den Spieler an. Rapture ist dabei eine Art idiosynkratischer Zeitkapsel, die retro-futuristische Züge trägt: Sind die Räume, Möbel und Kleidungsstücke weitestgehend dem Art Deco-Stil der 1930er Jahre entnommen, so passen die Möglichkeiten der genetischen Modifikation der eigenen Spielfigur nicht dazu. Der Spieler erkundet das Areal nicht allein deshalb, weil er hier unter Wasser ist, fast wie ein Höhlenforscher (Markus Rautzenberg hat dieses Moment der Erkundung zu einem wesentlichen Moment des Computerspiels erklärt; vgl. Rautzenberg 2014), der sich auf die Suche nach einer untergegangenen Zivilisation gemacht hat; vielmehr gehört zu diesem Erkunden auch, dass er das, was sich in Rapture zugetragen hat, allein durch das Hören von Audiologs seiner früheren Bewohner nachvollzieht. Das Studio Irrational Games, das sich für Bioshock verantwortlich zeigt, greift hier auf ein Verfahren zurück, dass bereits in System Shock und im ebenfalls von Irrational Games stammenden Nachfolger System Shock 2 zum Einsatz kommt. Die Erkundung der Orte des Spiels gehorcht damit nicht allein oder vornehmlich der räumlichen Logik des Spielens von First-Person-Shootern, bei der es darum geht, möglichst schnell und effizient möglichst viele Gegner auszuschalten. Bioshock ist nicht deshalb relevant, weil es durch sein grundlegendes Setting schon die Frage nach der Dialektik von Freiheit und Unfreiheit stellt; der Name Andrew Ryan ist eine wenig subtile Anspielung auf Ayn Rand. Erst recht ist es nicht deshalb relevant, weil es die Spielenden im Fortgang der Handlung zu irgendwie tiefen moralischen Entscheidungen nötigen würde. Im Verlauf des Spiels treffen die Spielenden immer wieder auf sogenannte Little Sisters, die genetisch verwertbares Material aus herumliegenden Leichen extrahieren. Sie werden von Hünen in Taucheranzügen bewacht, sogenannten Big Daddys. Haben die Spielenden eine solchen Big Daddy besiegt, können sie sich entscheiden, ob sie die Little Sister entweder befreien oder ›ernten‹. Verschiedentlich ist diese Entscheidung für ein moralisch
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tiefliegendes Dilemma gehalten worden. Das aber ist grotesk, denn beide Seiten der Entscheidung erweisen sich als dialektisch identisch: Sie führen jeweils zu einem gesicherten Outcome derart, dass entweder die eine Endsequenz oder die andere Endsequenz nach dem Ende des Spiels (sic!) zu sehen ist. Noch das Befreien gehorcht damit der Logik des ›Erntens‹. Der Gedanke, dass man im Computerspielen anders als bei anderen Medien selbst handeln würde und dabei die Konsequenzen des eigenen Handelns vor Augen geführt bekommen würde, gehört, wie nicht zuletzt das in dieser Frage diskutierte Bioshock zeigt, eher ins Marketing als in eine ernstzunehmende Theorie des Computerspiels. Diskussionswürdig scheint mir das Spiel vielmehr aus dem Grund zu sein, dass es sein eigenes Sein als Computerspiel immanent attackiert. Bioshock ist nicht allein ein First-Person-Shooter, sondern im Medium des First-Person-Shooters zugleich ein Spiel über das Spielen von Computerspielen und die immanent kapitalistische Struktur eines solchen Spielens im Sinne der Ideologie des Libertarianismus. Es fällt als Spiel gewissermaßen unter das, was es kritisiert, wenn es in ihm weiterhin darum geht, Ressourcen möglichst effizient zu nutzen und Feinde zu eliminieren. Bioshock ist nicht allein im Medium einer ästhetisch verkörperten Reflexion auf die Defekte der Libertarianismus zugleich eine Reflexion unserer Praktiken der Selbstoptimierung. Vielmehr taucht im Spielgeschehen selbst ein gegenwendiges Moment dadurch auf, dass noch das Spielen selbst nicht länger als zweckfrei verstanden wird. Nachdem der Spieler die Unterwasserstadt Rapture erreicht hat, wird er direkt per Funk von einer Figur namens Atlas kontaktiert, die ihm Missionen in den Mund legt. Nach und nach erfährt er, dass in den Ruinen von Rapture ein Machtkampf zwischen dem Begründer Andrew Ryan und einem Verbrecher namens Frank Fontaine herrscht. Als er kurz vor Schluss auf Ryan trifft, muss er ihn töten. Das tut er nicht aus freien Stücken: Atlas entpuppt sich als Frank Fontaine, der den Spieler genetisch darauf programmiert hat, immer dann, wenn er eine Phrase mit »Would you kindly« beginnt, just genau das zu tun, was er ihm aufträgt. So kann sich der Spieler dann auch nicht dagegen wehren, Ryan zu töten, der selbst die Phrase benutzt um im Sinne seiner libertaristischen Überzeugung zu beweisen, dass man einen freien Willen hat. Sein Tod ist dialektisch; er zeigt, dass er Unrecht hatte. Mit dieser Wendung wird die gesamte Logik des Spielens von First-Person-Shootern und Computerspielen insgesamt gegen sich selbst gewendet. Denn natürlich beginnt auch Bioshock mit einem ›Tutorial‹, bei dem Atlas alias Frank Fontaine den Spieler nach und nach in innerdiegetischer Verkleidung an die Spielmechanismen heranführt und seine Anweisungen immer mit besagtem Satz beginnen lässt. In gewisser Weise unterschreibt Bioshock damit eine These zum politisch prekären Charakter von Computerspielen dadurch, dass es sie gerade durchstreicht. Die entsprechende Wendung ist deshalb kein rein narrativer Twist, gleich des abgenutzten Motivs des unzuverlässigen Erzählers, sondern vielmehr eine Wendung, die sein Sein als Spiel attackiert. Ob Bioshock letztlich insgesamt gelingt, diese Versprechen einzulösen; ob es ihm gelingt ein paradoxes Computerspiel gegen das Spielen selbst zu sein, mag dahingestellt sein. Dass die Spielenden sich in und durch das Spielen gewissermaßen selbst durchspielen – das lässt es in einem begrifflichen Sinne in das Reich der Kunst einrücken.
Kunst 191
Literatur
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Affekt Bernd Bösel / Sebastian Möring
1. Einführung Eine Überblicksdarstellung zu Affekt und Computerspiel sieht sich vor allem zwei Erschwernissen ausgesetzt: (1.) Die Affizierungskraft des Mediums ist Gegenstand langanhaltender und immer wieder aufflammender Kontroversen, die um die angebliche negative Auswirkung vieler Computerspiele auf das soziale Verhalten der Spieler*innen, ihre Empathiefähigkeit, ihre emotionale Selbstregulation sowie das affektive Suchtpotential kreisen. Befürworter*innen des Mediums widersprechen der (letztlich auf Platons Mimesis-Theorie zurückweisenden) These, dass Gewaltdarstellungen im Spiel zu außerludischer Gewaltbereitschaft führen, bekanntermaßen mit einer impliziten oder expliziten Katharsis-Theorie der kontrollierten Affektabfuhr. Dem Vorwurf des Empathieverlusts durch exzessives und aggressives Spielverhalten, der in der Medienpsychologie ohnehin umstritten ist (vgl. Happ/Melzer 2014), wird seit einigen Jahren verstärkt die Entwicklung empathiefördernder Spiele entgegengehalten (vgl. Calvo/Peters 2014, 213–215). Diese Beispiele mögen hinreichen, um die Affizierungskraft von Computerspielen zu belegen, ungeachtet, welche Haltung dazu eingenommen wird. Diesem naheliegenden Befund steht nun eine auffallende Vernachlässigung der affektiven bzw. emotionalen Komponente von Computerspielen in den Game Studies selbst gegenüber. Für ein Medium, das dermaßen konstitutiv auf Emotionalität gegründet ist – und sei es auch nur eine vage emotionale Komponente wie Spaß, Vergnügen oder Unterhaltung – ist dies zunächst überraschend. Ein Grund dafür mag sein, dass die Computerspielforschung zur Zeit ihrer Etablierung zu Beginn des Jahrhunderts die Theoriewürdigkeit ihres Gegenstands zunächst fernab des bloßen Amüsementverdachts erweisen wollte. Daraus würde sich zumindest erklären, wieso die einschlägigen Handbücher eigene Einträge zu Affekt und Emotion immer noch hartnäckig verweigern (vgl. Beil/Hensel/ Rauscher 2018; Wolf/Perron 2014; Fromme/Unger 2012), wenngleich in den letzten Jahren vermehrt Einzelarbeiten zu Emotionen und Computerspielen vorgelegt wurden. Bernard Perron und Felix Schröter stellen in der Einleitung zu Video Games and the Mind. Essays on Cognition, Affect and Emotion (2016) zwar fest, dass bereits die frühesten bekannten wissenschaftlichen Arbeiten zur Computerspielforschung (vgl. Malone 1981; Loftus/Loftus 1983; Crawford 1984; Buckles 1985) sowie spätere wegweisende Arbeiten (vgl. Laurel 1993; Murray 1997; Poole 2000) Emotionen als einen zentralen Faktor der Anziehungskraft von Computerspielen thematisierten. Mit der Steigerung des Interesses an Zusammenhängen von Narrationen und Computerspielen korreliert ihrer Beobachtung zufolge eine Zunahme der Aufmerksamkeit für das Thema Emotionen im Computerspiel: »it is when the discourse of video games and narrative became more important that video game emotions began to be a pivotal topic in game studies and design research« (2016, 4). Nichtsdestotrotz bemängeln sie: »What was true for film then is sadly still true for games today: video
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game emotions and affects have rarely been examined in detail. This is why the medium’s ›emotional appeal and power‹ remains one of the major hurdles that have to be overcome – not only by game studies scholars but also by the game designers and practitioners« (Perron/Schröter 2016, 1). (2.) Diese rezente (und immer noch zaghafte) Zuwendung zur Affektivität des Spiels steht im Zusammenhang mit dem in der Philosophie sowie den Kultur- und Sozialwissenschaften allgemein beobachtbaren Trend zur Auseinandersetzung mit Affekten und Emotionen, die zur Ausrufung wahlweise eines affective turn (vgl. Clough 2007) oder eines emotional turn Anlass gaben. Bezüglich der Grundbegriffe herrscht in den entsprechenden Diskursen allerdings keinerlei Einigkeit, und dieser Befund lässt sich ebenso auf die inzwischen vorliegenden Arbeiten zu Affekten, Gefühlen, Emotionen und Atmosphären in Computerspielen übertragen. Je nachdem, von welchem Theoriehintergrund aus die Brücke zwischen dem Affektiven und dem Ludischen geschlagen wird, rücken ganz unterschiedliche Phänomene in den Blick. ›Emotion‹ kann dann wahlweise die körperliche Affizierung meinen (die von ihrem Bewusstwerden als ›Gefühl‹ strikt zu trennen wäre), oder gerade umgekehrt die bewusste emotionale Erfahrung, die kognitive Aspekte wie Intentionalität und Narrativität umfasst. Für den Begriff ›Affekt‹ gilt in etwa dasselbe. Das Desiderat einer Systematik ist hierbei wohl ebenso wenig einzulösen wie im allgemeinen Strom der Beschäftigung mit dem Affektiven insgesamt. Es muss daher eine heuristische Vorgangsweise gewählt werden, die zur Verdeutlichung terminologische Schwerpunkte setzt, indem sie Emotionen, Atmosphären und Affekte in den Game Studies getrennt voneinander betrachtet. Dabei wird allerdings nicht zu verhindern sein, dass bestimmte Aspekte, die von manchen Theorien ausdrücklich den Emotionen zugeschlagen werden, andernorts bei den Affekten wiederkehren und umgekehrt. Dennoch wird sich anhand dieser Reihenfolge eine gewisse Ausweitung des Untersuchungsfeldes rekonstruieren lassen.
2. Emotionen in Game Studies In den frühen Arbeiten (ab den 2000er Jahren), die sich dezidiert Emotionen in Computerspielen widmen, wurden vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten, die von Computerspielgegner*innen (Mimesistheorie) und von Computerspielbefürworter*innen (Karthasistheorie) leidenschaftlich geführt wurden, vor allem Aggressionsgefühle und vermeintlich negative Emotionen wie Furcht in Computerspielen in den Blick genommen. Die Computerspielforschung hat sich in dieser frühen Phase vor allem um eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Konsolidierung des Gegenstandes bemüht. Dies erklärt das verstärkte Interesse an empfundenen Emotionen beim Computerspielen und deren Voraussetzungen im Computerspielartefakt: »Almost all videogame scholars are interested in videogames’ ability to generate emotions« (Frome 2007, 831). Für Diane Carr ist Computerspielen immer schon eine »emotional and affective experience« (Carr 2006, 59). Angst und Furcht spielen hier neben anderen Emotionen eine herausragende Rolle und werden häufig als Beispiele für Emotionen beim Computerspielen angeführt. Michael Balint folgend hebt der Kulturwissenschaftler Mark Butler vor allem die Angstlust als Motivation her-
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vor, um Spiele des Survival-Horror-Genres zu spielen (vgl. Butler 2007, 183). Butler schreibt dementsprechend von »erlebte[n] Angstzustände[n]«, die Spieler*innen aufgrund der körperlichen Involviertheit beim Spielen erfahren (ebd., 106). Beispielhaft führt er die Dunkelheit einer virtuellen Kathedrale an, die einem Spieler einen »Kick« (ebd., 107) gibt, weil das spärliche Licht etwa unbehagliche Fratzen zum Vorschein bringt. Derartige Szenarien sind in Computerspielen wie Doom 3, Call of Cthulhu: Dark Corners of the Earth, Resident Evil, Dead Space und F. E. A. R. zu finden, wobei das letztgenannte Spiel die Emotion sogar programmatisch im Namen trägt. Es ist freilich nicht so, dass ausschließlich Aggressionsgefühle beim Computerspielen hervorgerufen werden. Aber insbesondere das Survival-Horror-Genre erfährt aufgrund seines bestimmten emotionalen Versprechens unter Spieler*innen wie Wissenschaftler*innen eine große Beliebtheit und deshalb werden speziell diesem Genre ganze Sammelbände und Monographien gewidmet (vgl. Neitzel/Bopp/ Nohr 2004; Perron 2009; Perron 2012; Perron 2018). Aus Sicht der Philosophie hingegen ist es nicht verwunderlich, dass Furcht und Angst früh im Zentrum der Betrachtung von Gefühlen im Computerspiel standen, denn Angst und Furcht werden als Grundgefühle verstanden, »die in allen menschlichen Kulturen auftreten und zu allen Zeiten bekannt waren. [...] So gehört die Angst zu den wenigen Gefühlen, denen die Philosophie seit jeher größte Aufmerksamkeit geschenkt hat« (Demmerling/Landweer 2007, 62). Vor dem Hintergrund, dass Kulturen sich immer in ihren Spielen spiegeln (vgl. Huizinga 2004; Caillois 1958; Fink 1960), verwundert es auch nicht, dass zentrale menschliche Gefühlslagen in Spielen und Computerspielen aufgegriffen werden. Freilich kennt die Emotionsforschung im Computerspiel nicht allein Stimmungen der Angst und Emotionen der Furcht. In den Game Studies wird etwa auf die grundlegenden Emotionen Paul Ekmans (Freude, Trauer, Ekel, Furcht, Zorn, Überraschung, Anteilnahme (interest) sowie Verachtung (contempt) bezuggenommen oder es wird aus methodologischen Gründen von sehr breiten Emotionsbegriffen wie demjenigen von António Damásio ausgegangen (vgl. Frome 2007, 831–832). Der Band Game Love. Essays on Play and Affection (Enevold/MacCallum-Stewart 2015) widmet sich der Bedeutung der Liebe, ihrer Repräsentation und Simulation im Computerspiel sowie ihrem Ausdruck in computerspielbezogenen Praktiken wie dem Programmieren und Cosplay. In diesen Beiträgen wird Liebe nicht ausschließlich als Gefühl, sondern auch als sozial konstruierter Begriff verstanden. Die Beiträge reichen von der Gefühlsbeschreibung des Sich-Verliebens in einen Spielcharakter (Annika Wearn), über die Analyse der Simulation und Darstellung von Liebe in klassischen Rollenspielen (Ian Sturrock) sowie Untersuchungen des Ausdrucks einer Liebe zu Computerspielwelten etwa in der Verkleidungspraxis des Cosplays (Nicole Lamerichs), hin zu alternativen Darstellungen von Liebe in metaphorischen Artgames (Sebastian Möring) sowie einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Phänomenen der Computerspielsucht im Sinne einer überhandnehmenden Liebe (Rune Nielsen). Außerdem werden die verschiedenen Affekte, Emotionen und Stimmungen nicht nur ihren aisthetischen Qualitäten nach unterschieden. Gerade in Bezug auf das Computerspielen werden Emotionen nach den verschiedenen medialen Dimensionen des Computerspiels unterschieden, denen sie zugerechnet werden. Hier zeigt
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die Forschungslage vor allem kognitionspsychologische und phänomenologische Ansätze. Bernard Perron (vgl. Perron 2005) unterscheidet dem Psychologen und Filmwissenschaftler Ed Tan folgend zwischen fiction emotions, die sich auf die Erzählebene von Computerspielen beziehen, von artifact emotions, die sich aus einer Wertschätzung der Machart eines Computerspiels ergeben, sowie den gameplay emotions, die sich aus dem Widerspiel von Herausforderungen ergeben, die ein Spiel an die Spieler*innen stellt, und den Fähigkeiten der Spieler*innen diese Herausforderungen zu meistern. Jonathan Frome bezieht sich auf dieselben Emotionstypen wie Perron, fügt jedoch noch die »ecological emotions« hinzu (Frome 2007, 833). Mit diesen meint er Emotionen, die daher rühren, dass Spieler*innen das, was bei einem Survival-Horror-Spiel geschieht, so wahrnehmen, als würde es sich in ihrer physischen realweltlichen Umwelt ereignen. Hinzukommend unterscheidet Frome diese vier Emotionstypen danach, ob sie als (teilnehmende*r) Beobachter*in einer computerspielenden Person (›over the shoulder gameplay‹) erfahren werden oder aus der Perspektive der ersten Person, also der Perspektive der Spielenden selbst. Einen phänomenologischen Ansatz verfolgt Olli Leino in Emotions in play: On the constitution of emotion in solitary computer game play (2010). Leino arbeitet Perrons und Schröters weiter oben genannter These entgegen, der zufolge die Zunahme der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Emotionen in Computerspielen mit einer Zunahme des wissenschaftlichen Interesses an narrativen Strukturen in Computerspielen korreliert. Leino geht es nicht um die Emotionen, die beim Spieler*innensubjekt etwa qua Empathie für Spielcharaktere erzeugt werden. Mithilfe phänomenologischer Ansätze von Edmund Husserl, Jean-Paul Sartre, Robert C. Solomon und Dan Zahavi sowie ludologischen Ansätzen erarbeitet Leino ein Modell von Emotionen im Computerspiel, welches die Erfahrung der Bedingungen und Strukturen eines Spiels von einem Spieler*innensubjekt in das Zentrum rückt. Das Computerspiel wird dabei immer als von eine*r Spieler*in gespieltes Spiel aus der Perspektive der ersten Person gedacht (vgl. Leino 2009a). Leino verfolgt zudem einen intentionalen Ansatz. Das bedeutet, seine Überlegungen fußen auf der Grundannahme, dass ein*e Spieler*in zunächst ein Interesse daran hat, ein bestimmtes Spiel zu spielen und ergo Spieler*in dieses Spiels zu sein und zu bleiben. In vielen Computerspielen konstituiert sich das Spieler*innensubjekt durch die stete Möglichkeit seiner Unmöglichkeit. Mit anderen Worten ist die Existenz des Spieler*innensubjektes als Spieler*in von Tetris an das erfolgreiche Meistern dieses Spiels gebunden und steht damit selbst immer auf dem Spiel (vgl. Gadamer 1999). Leino nennt dies in Anlehnung an Sartres Conditio Humana die gameplay condition eines Computerspiels (vgl. Leino 2009b). So gründet für Leino die Furcht vor einem Game Over von Tetris in diesem Umstand, dass die Spieler*in eigentlich um ihr weiteres Dasein als Spieler*in desselben Spiels fürchtet. Leino folgert draus: ein*e Spieler*in interpretiert/empfindet ein ›Barnacle‹ (ein bedrohliches Alien) im First-Person-Klassiker Half-Life deshalb als furchtbar, weil es das Spieler*innen-Sein der Spieler*in gefährdet. Nach den zuvor beschriebenen kognitionspsychologischen Ansätzen könnte das Barnacle mindestens dreierlei Emotionen auslösen: 1) fiction oder narrative emotion, weil es furchterregend dargestellt wird, hässlich ist und abstoßend wirkt, 2) ecological emotions, weil Spieler*innen glauben könnten, das Barnacle sei Teil ihrer tatsächlichen Um-
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welt, und schließlich 3) gameplay emotions, weil das Barnacle eine Herausforderung für die Spieler*innen darstellt, die das Risiko des Scheiterns in sich trägt. Leinos phänomenologischer Ansatz konzentriert sich demzufolge vor allem auf das, was die kognitionspsychologischen Ansätze als gameplay emotion bezeichnen. Seine Stärke liegt darin, dass er den Spieler*innen eine Intention und den Emotionen eine Intentionalität unterstellt, die notwendig ist, um im Computerspiel die Ursache von bestimmten Emotionen zu finden. Ein Computerspiel kann auch mit einer ›Ist-mir-egal-Haltung‹ seitens der Spieler*innen erfolgreich gespielt werden, es würde dann aber vermutlich andere Gefühlslagen evozieren. Diese Möglichkeit wird von den kognitionspsychologischen Ansätzen nicht reflektiert. Sie laufen Gefahr, alle während des Computerspielens seitens der Spieler*innen auftretenden Emotionen dem Spiel ursächlich zuzurechnen. Für Leino aber sind alle anderen Emotionen, welche beim Spielen zwar gespürt werden, aber nicht auf spielinterne Strukturen, Mechaniken und Dynamiken zurückführbar sind, negierbar (vgl. Leino 2007). Als provozierendes Beispiel diskutiert Leino sexualisierte Versionen von Tetris, wie etwa Sex Tetris, deren Spielmechaniken denen der bekannten Game Boy-Version von Tetris ähneln. Der Unterschied besteht darin, dass die Tetrominos von Sex Tetris nicht aussehen wie nüchterne geometrische Blöcke, sondern Menschen in deutlich sexualisierten Haltungen darstellen. Dass ein*e Spieler*in von dieser Darstellung affiziert werden kann, ist für Leino möglich, aber negierbar, da dieser Affekt für das erfolgreiche Spielen von Sex Tetris keine Relevanz hat. Insofern spielen auch Stimmungen, die auf die audiovisuelle Gestaltung von Computerspielen zurückzuführen sind, für Leino keine Rolle. Gegen Leinos Sichtweise ist einzuwenden, dass Computerspiele multimediale Artefakte sind und ihr Emotionalisierungsangebot deshalb nicht auf die Spielstrukturen reduziert werden kann. In einer weiteren phänomenologischen Untersuchung hat Sebastian Möring die Bedingungen der Möglichkeit untersucht, nach denen Computerspiele Furcht evozieren können (2010). In der Arbeit wurden zentrale Strukturen des Daseins aus Martin Heideggers Fundamentalontologie (2006) in Actioncomputerspielen identifiziert und es wurde für eine grundlegende Furchtstruktur dieser Spiele analog zu Heideggers Furchtstruktur argumentiert. Vor diesem Hintergrund erscheinen die aktuelle Version des First-Person-Survival-Horror-Klassikers Doom und die vermeintlich harmlose Game Boy-Version von Tetris vergleichbar, welche sonst so gut wie nie in Aufsätzen zu Emotionen im Allgemeinen und zur Furcht im Besonderen im Computerspiel vergleichend behandelt werden. Beide Spiele laufen stets Gefahr in ihrer Fortsetzung unterbrochen zu werden, wenn entweder die abträglichen Untoten aus Doom dem Spieler*innen-Avatar zu oft zu nahe kommen oder wenn die gestapelten Tetrominos die obere Spielfeldbegrenzung berühren. Diese beschriebenen Spielzustände sind zu Recht negativ konnotiert, denn sie bedeuten ein mögliches Ende des gespielten Spiels. Deshalb ist der Versuch des erfolgreichen Spielens immer auch ein Verhandeln des für die Furchtstruktur beider Spiele wesentlichen Spielraums, der zwischen abträglichen Spielobjekten und -ereignissen und bedrohten Spielobjekten und -ereignissen in Abhängigkeit vom Spielerfolg kontrahiert oder expandiert (vgl. Möring 2010; 2017).
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3. Atmosphären Es lässt sich noch eine weitere Gefühlskategorie aufrufen, die vor allem in den deutschen Game Studies eine Rolle spielt: die Atmosphäre (vgl. Huberts/Standke 2014). Im Rückgriff auf neophänomenologische Ansätze der Atmosphärentheorie (Schmitz 2016; Böhme 2014) wird dabei auf das Design digitaler Landschaften fokussiert, das nach ähnlichen Prinzipien vorgeht wie die Gestaltung von Landschaftsgärten, die den Besucher*innen »in ihrer Rhythmik von Atmosphären oder Stimmungen Bewegungsmuster und Handlungsoptionen in zum Teil multikursalen Wegesystemen vorgeben« (Bonner 2018, 136). Digitale Spiellandschaften bieten ähnlich wie klassische Gärten Ausblicke und Ruhezonen, die zum verweilenden Genießen und Träumen einladen. Darüber hinaus wurden die Themenparks der Disney Company als Inspirationen für die atmosphärische Gestaltung sogenannter Open-WorldSpiele mit ihrer räumlichen Rhythmisierung anhand von »landmarks«, »paths« und »epic vistas« genannt (ebd., 139–140). Computerspiele wie die wiederholt genannten Survival-Horror-Spiele Doom, Call of Cthulhu und Silent Hill, aber natürlich auch Produkte anderer Spielgenres werden damit als immer auch mehr oder weniger gestimmte Räume analysierbar. Aus dieser Perspektive wird der Multimedialität von Computerspielen Rechnung getragen. Mit Gernot Böhme (2014, 24) lässt sich den Computerspieledesigner*innen eine hohe Investitionsbereitschaft zur »ästhetischen Arbeit« an der audiovisuellen und insbesondere atmosphärischen Gestaltung attestieren. In Doom stützen sich die »MeisterInnen der Atmosphärenerzeugung [...] auf Konventionen aus dem HorrorfilmGenre und verteilen entsprechende Requisiten effektvoll im Level« (Möring 2017). Sie platzieren etwa tote Körper, Blutlachen und setzen eine spärliche Beleuchtung bewusst ein, um die Level von Doom in eine Horrorstimmung zu versetzen. Dies führt für den Fall von Doom zu der paradoxen Beobachtung, dass die Spieler*innen zunächst erfolgreich mit der Furchtstruktur des Gameplays umgehen müssen (d. h. alle Monster in einem Level eliminieren), so dass sie sprichwörtlich genug Raum haben um ihre ungeteilte Aufmerksamkeit der unheimlichen Atmosphäre des Spiels zuwenden zu können. Erst, wenn alle Monster in einem Level eliminiert sind, wechselt das Spiel vom Modus des First-Person Shooters in den Modus eines sogenannten Walking-Simulators. Nach Christian Huberts besteht der zentrale Reiz von Walking-Simulatoren wie Firewatch oder Gone Home, also Spielen, die nicht plötzlich enden und keine gameplay condition aufweisen, in den Atmosphären, die sie produzieren (vgl. Huberts 2016). Allgemein zeichnet sich das Adventure-Genre durch eine hohe Abhängigkeit von wirkungsvoll gestalteten, suggestiven, mysteriösen und auch unheimlichen Atmosphären aus, wie etwa die in den 1990er Jahren überaus erfolgreiche Myst-Reihe sowie die Monkey Island-Reihe. In beiden Fällen wurden dabei Versatzstücke aus der Abenteuer- und Science-Fiction-Literatur remediatisiert, was keineswegs nur narrative Elemente und Figuren betrifft, sondern vielleicht sogar primär deren atmosphärische Chronotopoi (vgl. Bachtin 2008), von denen hier wohl nicht zufällig immer wieder die Insel zum Einsatz kommt. Andere klassische Chronotopoi (nicht nur) im Adventure-Spiel umfassen die Höhle, den Wald sowie die Ruine mit ihren je eigenen spezifischen, genretypischen Atmosphären.
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4. Affekte Terminologisch bereitet ›Affekt‹ im Deutschen seit dem Einsetzen des »affective turn« (Clough 2007) höchste Schwierigkeiten. Denn während das aus dem Lateinischen stammende Lehnwort ›Affekt‹ in der Neuzeit als zunächst sehr allgemeine Bezeichnung für Gemütsbewegungen gebräuchlich war, dann seit Kant im Gegensatz zur längerfristigen Leidenschaft auf eher kurzfristige Gefühle festgelegt und unter anderem in den Theorien Nietzsches, Husserls und Freuds zu einem psychischen Grundphänomen erhoben wurde, ist die erstaunlich späte Hochkonjunktur des englischen Lehnworts affect seit den 1990er Jahren mit diversen posthumanistischen, poststrukturalistischen und postpsychoanalytischen Konzeptionen angereichert (vgl. Angerer/Bösel/Ott 2014). Der Unterschied zwischen dem deutschen ›Affekt‹ und dem englischen affect liegt vereinfacht gesagt darin begründet, dass affect nicht mehr als einer Person oder auch nur einem Lebewesen zugehörig gedacht wird. Das (im Deutschen nicht reproduzierbare) Singularetantum affect bezeichnet einen präpersonalen (also unterhalb der Ebene von Strukturen der Persönlichkeit operierenden) Intensitätsstrom, der unbelebte und belebte Körper miteinander verbindet und in Letzteren psychophysischen Erregungen veranlasst (die man im Deutschen Affizierungen nennen kann), von denen nur ein Teil dem Bewusstsein als Gefühle überhaupt zugänglich ist (vgl. Massumi 2002). Ein noch kleinerer Anteil der bewusst empfundenen Gefühle wird als eine bestimmte Emotion wie Furcht, Freude, Staunen, Hoffnung, Liebe, Hass etc. identifiziert, womit sich freilich stark kulturell geprägte Konnotationen miteinschreiben. Die anglophone Tradition des affective turn (die ihrerseits keinen festen Block bildet und sehr divergierende, einander auch vehement widersprechende Standpunkte umfasst) legt zumindest da, wo sie dem Denken von Gilles Deleuze, Félix Guattari und Brian Massumi folgt, hohen Wert auf die Kritik solcher Emotionszuschreibungen und hält dagegen an der destrukturierenden und desubjektivierenden Kraft körperlicher Affizierungen in ihrer jeweiligen Singularität und Ereignishaftigkeit fest. Der Gewinn dieser prozessualen Sicht auf affect bzw. affective events ist die Möglichkeit, eingeschliffene Diskurse bezüglich des Affektiven aufzubrechen oder gänzlich zu umgehen. Betont wird dabei der Überschuss, der in jedem Affektereignis virtuell enthalten ist und der durch seine Identifikation als eine bestimmte Emotion übersehen, ignoriert und verleugnet zu werden droht. Riskiert wird damit freilich zugleich umgekehrt, dass eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit dem Emotionsvokabular und anderen Formen der Repräsentation von Affizierungen völlig aus dem Blick gerät. Die kritische Historisierung dieser Repräsentationen ist nun aber gerade Aufgabe der Emotionshistorie, die damit einen anderen Ansatz verfolgt als die poststrukturalistische Affekttheorie. Deshalb scheint es auch geboten, wenn man die wissenschaftspolitische Rhetorik der cultural turns (vgl. Bachmann-Medick 2006) überhaupt noch bedienen will, von zwei verschiedenen Wenden zu sprechen, denn der affective turn teilt in seinem poststrukturalistischen Strang so gut wie nichts mit dem emotional turn der Geschichts- und auch mancher Kulturwissenschaften (vgl. Bösel 2017). Wie bereits deutlich wurde, ist die Computerspielforschung bislang weitgehend dem emotional turn gefolgt, was sich terminologisch am Festhalten am Emotions-
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begriff zeigt. Demgegenüber sind seit einigen Jahren aber auch dezidiert affekttheoretische Ansätze auf dem Vormarsch. So hat etwa Serjoscha Wiemer die Kinotheorie von Deleuze auf die Analyse des Horror-Spiels Silent Hill 2 angewendet und dabei das Wechselspiel von Aktionsbildern und Affektbildern herausgearbeitet, das dem Spiel seine charakteristische Wirkung verleiht. Im Aktionsbild bleibt die Kausalkette von Aktion und Reaktion intakt, was den Spielenden erlaubt, sich anhand ihrer sensomotorischen Aktivität »als regierendes Subjekt für die Bildveränderungen« zu erfahren (Wiemer 2014, 215). Dem Aktionsbild setzt Deleuze das Affektbild entgegen, das mit eben dieser Logik bricht bzw. sie für eine bestimmte Dauer außer Dienst stellt. In Silent Hill 2 wird dies, so Wiemer, in mehrfacher Weise herbeigeführt: durch räumliche Desorientierung, durch einen »Exzess des Aktionsbildes«, der zu seinem Zusammenbruch führt (ebd., 209), sowie durch die körperliche Affizierung der Spielenden durch die audiovisuelle Choreographie des Spiels sowie die taktile Anbindung ihrer Körper an den Controller. Hierbei werde ein spezifischer Affekt-Körper konstituiert, der sich durch Unabgeschlossenheit auszeichnet (vgl. ebd., 200) und in seiner relativen Ohnmacht eine »Auflösung des selbstsicheren Subjekts« im Sinne einer Desubjektivierung bewirke (ebd., 210). Ein anderes Beispiel für die Produktivität der Übertragung der zeitgenössischen Affekttheorien auf die Computerspielanalyse hat Pasi Väliaho (2014) im Fokus auf Call of Duty 3: Modern Warfare vorgelegt. Ohne auf die in diesem Spiel repräsentierten Emotionen einzugehen, gilt sein Interesse ebenfalls der somatischen Affizierungsebene, die sich bereits in der Art und Weise äußert, wie der Spieler*innenkörper durch den Spielvollzug in Bewegung versetzt und in Erregung (arousal) gehalten wird. Durch die Wahl eines First-Person-Shooter-Spiels rückt dabei eine Affizierungskette in den Blick, die die Erfahrung einer ununterbrochenen Bedrohung implementiert, gekoppelt mit einer »affektiven Unmittelbarkeit« von Lust im Fall, dass die/der Spieler*in eine*n Gegner*in tötet, und von Schmerz im umgekehrten Fall, dass die Spielfigur getötet wird (Väliaho 2014, 35). Vor allem aber werden die FirstPerson-Shooter-Spielenden daraufhin trainiert, die auf sie zukommenden Gefahren schneller als im Sekundentakt zu antizipieren, was jede kritische Distanzierung verunmögliche: »there is no time to think about what is in the image, no time to reflect« (ebd., 41). Damit arbeite das Genre einer performativen Subjektivierung zu, die sich mit neoliberalen Anrufungen konstanter Konkurrenzfähigkeit decke. Diese »affektive Naturalisierung von Gefahr« konstituiert, so Väliaho, ein psychosomatisches Milieu der Angst (anxiety) und des permanenten Stresses (ebd., 49), das eine Auseinandersetzung mit Emotionalität auf der repräsentativen Ebene systematisch unterläuft. Diese im Kontext einer Kritik der biopolitischen Dimension von Bildschirmen verfasste Analyse kommt damit bei einem affektiven Konformismusverdacht an, während Wiemers Pointe die Herausarbeitung affektiver Fluchtlinien ist. Ebenfalls in expliziter Anknüpfung an affekttheoretische Ansätze in poststrukturalistischer Philosophie und den Cultural Studies versucht Aubrey Anable die Analyse von »affective assemblages« (Anable 2018, 38), die den Spieler*innenkörper mit seinen sensomotorischen Fähigkeiten ebenso umfasst wie den Bildschirm, Controller, Code, etc., mit einer kontextsensitiven Interpretation des von einem Spiel auf der narrativen und repräsentativen Ebene Verhandelten zu verbinden. Dabei wendet
Affekt 201
sie sich bezeichnenderweise einem ganz anderen Gerne zu als Väliaho und Wiemer, nämlich dem Abenteuerspiel Kentucky Route Zero und stellt die leitende Frage: »What kind of an affective and historical (dis)orientation does an adventure game provide in the present?« (ebd., 17). Der Einbezug der Desorientierung als eine zentrale Erfahrung in diesem Genre spannt ein gänzlich anderes affektives Milieu auf als die konstante Todesbedrohung im Shooter-Game. Während dieses nämlich die Erste-Person-Perspektive typischerweise durch ein in Echtzeit mitlaufendes MappingInterface konterkariert und damit eine Orientierung im Raum trotz anhaltenden Bewegungsstresses erlaubt, entzieht das notorisch langsam ablaufende Abenteuergenre den Spielenden durch die Verrätselungsstruktur jede Gewissheit. Die sich ihren Weg freischießenden Spielenden wissen jederzeit, was sie zu tun haben und dass sie es schnell zu tun haben, während die explorierenden Spielenden kaum jemals wissen, was zu tun ist, für diese Ungewissheit aber jede Menge Zeit haben. Damit wird nun aber gerade jene ›time to reflect‹ gegeben, die dem First-Person-Shooter konstitutiv verweigert wird. Diese Zeitgabe wird von Spielen wie Kentucky Route Zero in mehrfacher Weise selbstreflexiv genutzt, indem es insbesondere auch die Geschichte des Computerspiels mitverhandelt (vgl. Anable 2018, 25–34). Über diese konkrete Analyse hinaus ist Anable darin recht zu geben, dass die Analyse von Computerspielen eine (in dieser Form noch ausstehende) Affekttheorie benötigt, die zugleich die historische, biologische, technologische und soziale Dimension berücksichtigt (ebd., 23) und die Spiele damit als »affektive Systeme« (ebd., xii) bzw. als »structures of feeling« (Williams 1977) sinnvoll interpretieren kann.
5. Ausblick: Affektpoetik des Computerspiels Die hier versammelten Ansätze zu Affekten, Emotionen und Atmosphären in Computerspielen konzentrierten sich aus heuristischen Gründen auf bestimmte Spiele bzw. Spielgenres. Deutlich wurde, zu welch unterschiedlichen Schlussfolgerungen bezüglich der jeweiligen Affektangebote die Autor*innen dabei kamen. Andere Genres wie etwa die Flug-, Fahrzeug-, oder Wirtschaftssimulationen kamen dabei noch gar nicht zur Sprache. Daraus lässt sich ein Desiderat der Game Studies formulieren, nämlich ein Überblick über die charakteristischen affektiven und emotionalen Qualitäten der unterschiedlichen Computerspielgenres. Was in der Literaturwissenschaft bezüglich der literarischen Emotionen bereits geleistet wurde (vgl. Meyer-Sickendiek 2005), könnte auch für die Computerspielforschung aufschlussreich sein, nämlich eine tentativ so zu nennende ›Affektpoetik des Computerspiels‹. Während für Genres wie das Survival-Horror-Game die basale Gefühlsstruktur bereits im Namen vermittelt wird, sind die typischen affektiven Qualitäten, die Adventure Games bieten, wie gesehen bereits weniger scharf umrissen; für Simulationsspiele dürfte das umso mehr gelten. Die Erfahrung von Simulationen wie Euro Truck Simulator 2 kann aus stundenlangem Gleichmut bestehen, solange die Spieler*innen einfach stoisch Waren durch Europa transportieren und keine Unfälle provozieren. Das Gleiche gilt für Zug- und Flugsimulatoren. Eine solche Affektpoetik wäre freilich gut beraten, sich nicht auf die vermeintlich sichere neuropsychologische Annahme von Basisemotionen zurückzuziehen, für die dann jeweils ein Genre zuständig wäre;
202 Bernd Bösel / Sebastian Möring
wenn sie nicht hinter die inzwischen wie gesehen ja mehrfach unternommenen Versuche, zeitgenössische Affekttheorien mit den Ansätzen der Game Studies zu verbinden, zurückfallen will, müsste sie sich der Herausforderung stellen, spielmechanische und prozedurale Aspekte mit somatischen, narrativen, soziokulturellen und auch historischen Aspekten zu verbinden. Literatur
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Bild 205
Bild Thomas Hensel
1. Das Bild als Ferment des Computerspiels Die Bildlichkeit des Computerspiels ist erst relativ spät in den Blick der Game Studies geraten. Nachdem das Computerspiel lange schon als technisches Artefakt, als narratives Medium und als spielerische Performanz diskursiviert war, wurde erst 2011 ein iconic turn der Game Studies zu proklamieren (vgl. Hensel 2011b) und damit die Bildlichkeit oder Ikonizität des Computerspiels zu akzentuieren versucht. Anknüpfend an Studien zu dessen Raumhaltigkeit und Perspektivität (vgl. unter anderem Wolf 2001; Rumbke 2005; Stockburger 2006; Nitsche 2008; Schwingeler 2008; Walz 2010; Beil/Schröter 2011; sowie Günzel 2009; 2010; 2012; 2014) sind seither in den die Game Studies inspirierenden Disziplinen wie der Medien- und der Kunstwissenschaft Untersuchungen zu Aspekten von Bildlichkeit des Computerspiels erschienen, die sich mit dem Avatar einer zentralen, ikonisch figurierten Schnittstelle zwischen Spiel- und Spielerwelt (vgl. Beil 2012) oder mit der Architektur einem wesentlichen Konstituens der Spielwelt (vgl. Bonner 2014) widmen. Ursachen für die lange währende Ignoranz der Bildlichkeit lassen sich viele ausmachen. Sie liegen zum einen in der Tradition der Medienwissenschaft, in deren Domäne das Computerspiel gewöhnlich zu fallen pflegt, und zum anderen in der Bewertung des Computerspiels als digitales, interaktives Medium begründet: Wie auch in anderen Kultur- und Geisteswissenschaften, in Film- und Fernsehwissenschaft beispielsweise, herrschte in einer literaturwissenschaftlich geprägten Medienwissenschaft bis in die 1990er Jahre hinein die »semiologisch-strukturalistische Maxime« (Krämer/Bredekamp 2003, 11) vor, nach der Kultur als Text verstanden werden sollte. Noch im Schatten des linguistic turn etabliert, suchten die jungen Game Studies ihren Gegenstand dementsprechend primär unter Gesichtspunkten der Narration zu interpretieren und betrachteten die Bildlichkeit des Computerspiels bestenfalls als Illustration von originär textuellen Sinnbezügen. Eine Medienwissenschaft, die sich daneben in Anlehnung an die Ingenieurwissenschaften etablieren konnte, befragte das Computerspiel alternativ auf seine technisch-apparativen Entstehungs- und Möglichkeitsbedingungen hin und war ebenfalls nicht am Bild als einem ›weichen‹ Oberflächenphänomen interessiert (ähnlich argumentieren in Bezug auf die theoretische Auseinandersetzung mit dem Film Röttger und Jackob 2006, 572 f.). Ein dritter Grund für die Blindheit der Game Studies gegenüber dem Computerspielbild mag schließlich darin zu sehen sein, dass das lange Zeit vorherrschende Konzept von Medien als Einzelmedien nicht mehr einhellig zu überzeugen vermag. Angesichts einer allfälligen Hybridisierung von Medien und eines sich weiter und tiefer vernetzenden Mediensystems wird in dieser Perspektive sogenannten Einzelmedien wie dem Computerspiel mitunter deren traditionelle Einheit als Gegenstand der Medienwissenschaft abgesprochen (vgl. zum Beispiel Leschke 2010). Demnach würde mit
206 Thomas Hensel
einer Orientierung am Einzelmedium Computerspiel auch die Frage nach einem spezifischen Computerspielbild obsolet werden. Betrachtet man andererseits die Würdigung des Computerspiels als digitales, interaktives Medium, dann fallen nicht selten Klischees auf: In einer gängigen Deutung wird das Computerspielbild als Epiphänomen gestiegener Rechenleistung verstanden (vgl. beispielsweise Newman 2002) und simplifizierend in die Geschichte eines Fortschritts »von einer ursprünglich abstrakten Darstellung zu einer immer konkreteren Simulation von Realitätseindrücken« (Felzmann 2010, 199; zu einer Kritik dieser Position vgl. Beil 2009 sowie ders. 2012, 23) eingeschrieben. Damit geht eine unter umgekehrtem Vorzeichen stehende Argumentation einher, die die Ikonizität des Computerspiels gegen seine Interaktivität ausspielt und als ein Handicap geringschätzt. So formuliert etwa Daniel Cermak-Sassenrath (2010, 315 ff.): Die Erfahrung mit Computerspielen weist [...] darauf hin, daß eine realitätsnahe (etwa graphische) Darstellung keine Voraussetzung und kein Ersatz für Spiel ist und dafür noch nicht einmal in allen Fällen hilfreich. [...] Entscheidend für das Erlebnis des Computerspielers scheint in erster Linie das zu sein, was er tun kann und was passiert; die Darstellung ist [...] nicht unwichtig aber [sic!] deutlich zweitrangig [...]. Interaktivität ist weder eine Frage der Computergraphik noch einer realistischen Abbildung der Welt. Es geht bei Interaktion um die Vermittlung von Handlungsmöglichkeiten gegenüber dem user, und realistische Graphik ist dafür keine Voraussetzung [...]. Die Graphik hat die Interaktivität nicht bedingt; umgekehrt war das Streben nach photorealistischer Abbildung lange Zeit ein Hindernis auf dem Weg zu Interaktivität[.]
Mit derselben Stoßrichtung, aber apodiktischer formulieren eher ludulogisch orientierte Autoren wie etwa James Newman (2002): »when playing videogames, appearances do not matter« – oder polemischer Markku Eskelinen (2001), der einer Fokussierung auf das Bild wohl ebenso wie jener auf die Narration eine klare Absage erteilen würde: [S]tories are just uninteresting ornaments or gift-wrappings to games, and laying any emphasis on studying these kinds of marketing tools is just a waste of time and energy. It’s no wonder gaming mechanisms are suffering from slow or even lethargic states of development, as they are constantly and intentionally confused with narrative or dramatic or cinematic mechanisms[.]
Der dieser Ablehnung des Bildes zugrunde liegende Schematismus tritt deutlich zutage, wenn man ein prominentes historisches Paradigma der Medienwissenschaft betrachtet, die sogenannte Interaktivitäts-Matrix (Abb. 1) (vgl. Halbach 1994, 173). Hier erscheinen Bilder, etwa Gemälde oder Plastiken, als veritable Antipoden der Video- oder Computerspiele, mithin als etwas, das hinsichtlich seiner ›Interaktivität‹ und ›Lebendigkeit‹ gleichsam auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe stehengeblieben ist. Es ist vielfach versucht worden, diesen Gemeinplatz zu widerlegen, indem auf andere Konnotationen des Begriffs hingewiesen wurde: nicht auf physische oder physikalische Interaktion, sondern auf die Aktivität des Kognitionsaktes. So moniert
Bild 207
Abb. 1: Interaktivitäts-Matrix (Quelle: Halbach, Wulf R.: Interfaces. Medien- und kommunikationstheoretische Elemente einer Interface-Theorie. München 1994, 173).
etwa Lev Manovich (1997, 125 f.) die mit der Fixierung auf physische Interaktion einhergehende Verkürzung des Konzepts und gibt zu bedenken, dass [d]ie gesamte klassische und um so mehr die moderne Kunst [...] bereits ›interaktiv‹ [war], da sie einen Zuschauer voraussetzte, der fehlende Informationen (beispielsweise Ellipsen in der literarischen Erzählung, fehlende Teile eines Gegenstands in der modernen Malerei) ergänzte und seine Augen (die Komposition in der Malerei und im Film) oder seinen ganzen Körper (für die Wahrnehmung von Skulptur und Architektur) bewegen mußte. Die interaktive Computerkunst versteht ›Interaktion‹ wörtlich, indem sie diese auf Kosten der psychischen Interaktion mit einer rein physikalischen Interaktion zwischen einem Benutzer und einem Kunstwerk (das Drücken eines Knopfes) gleichsetzt[.] (Das Klischee der Interaktivitäts-Matrix widerlegt auch Matussek 2004.)
Selbstverständlich ließe sich dieser Argumentation umgekehrt ein mangelndes Verständnis des Interaktivitätskonzepts vorwerfen: Argumentiert die Interaktivitäts-Matrix im Falle von Tafelbildern mit dem Fehlen physikalischer Interaktivität, so betonen Kritiker dieser Auffassung wie Manovich einseitig lediglich die psy-
208 Thomas Hensel
chische Interaktivität. Tatsächlich kann sogar ein Tafelbild interaktiv nicht nur im psychischen, in einem die Wahrnehmung des Betrachters aktivierenden Sinne sein, sondern auch in einem physikalischen (vgl. Hensel 2011a). Ein Denken des Bildes, wie es in der Interaktivitäts-Matrix ausgestellt ist, greift also zu kurz.
2. Das Computerspiel als Handlungsform des Bildes Eine Beschäftigung mit dem Computerspielbild setzt zunächst voraus, den prinzipiellen Status des sogenannten digitalen Bildes zu klären (Mit ›digitalem‹ Bild ist im vorliegenden Kontext das rechnergenerierte, nicht das digitalisierte Bild bezeichnet. Vgl. zum Folgenden auch Hensel 2018). Dessen Codebasiertheit, welche die Differenz von Bild, Schrift und Zahl unterläuft und es auf der Ebene seiner Maschinenlesbarkeit bedeutungsindifferent sein lässt, wirft die Frage auf, wie sich codierte Bilder von traditionellen Bildformen unterscheiden – zumal sich, wie oben mit Blick auf die Interaktivitäts-Matrix bereits angedeutet, mehr Gemeinsamkeiten ergeben als gemeinhin angenommen. Nachdem in der Medienwissenschaft der ontologische Status digitaler Bilder grundlegend problematisiert und ihre Existenz unter den Verdacht eines »unangebrachte[n] Essentialismus« (Pias 2003, Absatz 50; vgl. auch Kittler 1993 oder Hagen 2002) gestellt worden ist, hat sich in jüngster Vergangenheit eine Sichtweise etabliert, die diese gleichsam ikonoklastische Position durch ein Konzept des ›doppelten Bildes‹ (vgl. Nake 2005) abfedert: Es sieht so aus, als würde das digitale Bild eine Doppelexistenz führen, zum einen als Bildschirmerscheinung und zum anderen als Zeichensatz. Das heißt, dass man auf zwei ganz verschiedenen Ebenen Zugriff auf dasselbe Bild hat. Die Erscheinung und die Speicherung des Bildes fallen auseinander. Sie haben eine Doppelnatur[.] (Grube 2006, 186 f.; vgl. auch Nake 2005, 47; Nake/Grabowski 2005, 144; Manovich 2002, 46 und 289; Kogge 2004, 313; Hinterwaldner 2010, 110–116)
Demnach ist das digitale oder Computerbild »immer zugleich binärer Code und Bildschirmerscheinung« (Wenzel 2003, 639), setzt sich aus einer manipulierbaren, maschinenlesbaren Unterfläche und einer sichtbaren Oberfläche zusammen. Letztere ist notwendig, insofern die Interaktivität des operativen, digitalen Bildes als ihre Möglichkeitsbedingung eine graphische, als Bild adressierbare Benutzeroberfläche voraussetzt, durch die hindurch eine komplexe technische Struktur allererst steuerbar wird (vgl. Nake 2005, 49; Manovich 2002, 290; Groh 2007, 15). Daraus ergibt sich nicht zuletzt, dass digitale Bilder, wie bereits angedeutet, auch in der Tradition nicht-digitaler Bilder zu verstehen sind, denn sie präsentieren sich dem Betrachter gegenüber zuallererst als sichtbare Ereignisse und sprechen damit dieselben Wahrnehmungsbedingungen des Betrachters an, die auch für das traditionelle Bild von Bedeutung sind. Im Unterschied zu weiten Teilen der medientheoretischen Debatte müssen deshalb die sichtbaren Artikulationsformen der codierten Bildinformationen, d. h. die sichtbaren Oberflächen der [...] digitalen Bilder zur Sprache kommen, die in der direkten Kontinuität zu denjenigen der traditionellen Bilder
Bild 209 stehen. Kurz gesagt: Auch die technisch avancierten Verfahren sind durch eine Bildlichkeit [...] im traditionellen Sinne geprägt, wenn Bildsignale und Codierungen – in welcher Form auch immer – in eine medial konkretisierte Sichtbarkeit überführt werden[.] (Spies 2007, 156)
Gerade die Ikonizität des digitalen Bildes und damit auch des Computerspiels wird unhintergehbar, sobald man ein wesentliches Desiderat der Game Studies ernst nimmt: deren »Hinwendung zum bis dato immer noch stark vernachlässigten Handlungsbegriff« (Neitzel/Nohr 2010, 431). Will man das Computerspiel als eine »Handlungsform« (ebd.) begreifen, dann drängt sich mehr noch als die räumliche seine zeitliche Dimension in den Vordergrund. So schlagen Dominic Arsenault und Bernard Perron unter Verweis auf Letztere vor, das Bild des magischen Zirkels durch das einer magischen Spirale zu ersetzen: »We should not forget that the temporal dimension of gameplay prevails on its spatial characterization. Therefore, the figure of the circle should make us think about an ongoing process more than an enclosed space. It is much more relevant to conceptualize the cognitive frame of gameplay as a cycle: the magic cycle« (Arsenault/Perron 2009, 113). Der in Rede stehende Prozess des Gameplay wird üblicherweise aus einer spielerzentrierten Perspektive gedacht: Ein Computerspiel sei interaktiv in dem Sinne, dass ein Spieler agiert und das Spiel auf diesen Input reagiert (vgl. ebd., 119). Ausgehend von Tom Heatons (2006) Differenzierung des Gameplay in ›units of interaction‹ setzen Arsenault und Perron dem Konzept einseitiger Kausalität das Modell einer auf Wechselseitigkeit basierenden Reaktionskette (›chain of reactions‹) entgegen, in der sowohl Spieler wie auch Spiel aufeinander reagieren. Im Unterschied zu jenem traditionellen spielerzentrierten Modell ist dieses spieler- und spielzentriert – was Arsenault und Perron veranlasst, ›Interaktivität‹ konsequent durch das Konzept ›Inter(re)aktivität‹ zu ersetzen: But we would argue that a video game is rather a chain of reactions. The player does not act so much as he reacts to what the game presents to him, and similarly, the game reacts to his input. If the player stumbles upon a blocked door, he can react by looking around, with the game reacting to the manipulation of the joystick by panning the virtual camera around; if he sees a crowbar on the floor, he can again react by picking it up and smashing the door. The entire game system and the events have been programmed and are fixed, and the designer has tried to predict the gamer’s reactions to these events and develop the game (in part through artificial intelligence programming) to react in turn to some of the gamer’s reactions. While we are not arguing here for a change of terminology, this temporal divide between the authorial figure and the gamer would place the video game more along the way of inter(re)activity than interactivity. Consequently, our model could be said to be as much gameplay-centric as gamer-centric[.] (Arsenault/ Perron 2009, 119 f.; Hervorhebungen im Original; kritisch erörtert die Vorstellung von ›Interaktivität‹ etwa auch Mertens 2004)
Bemerkenswerterweise billigen die Autoren, indem sie Inter(re)aktivität als eine Art Konversation betrachten, dem Spiel den »first turn to ›speak‹ (its primordial speech)« (Arsenault/Perron 2009, 120) zu und laden es derart mit Handlungspo-
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tentialen, Wirkungsmacht, Aktivität auf. Davon ausgehend soll im Folgenden eine ebenfalls spieler- und spielzentrierte Perspektive entwickelt werden, in der beide, Spieler und vor allem das Spiel indessen nicht mehr nur als reagierend, sondern mehr noch als agierend verstanden werden können. Die Bedeutung der Bildlichkeit als eines das Computerspiel konstituierenden Merkmals – verstanden als eine aktive, agierende Handlungsform – lässt sich durch einen Rekurs auf die für die Game Studies fruchtbar gemachte Handlungstheorie des Literatur- und Kommunikationstheoretikers Kenneth Burke aufweisen (vgl. Venus 2007): Laut Burke sind fünf sogenannte ›motives‹ notwendige und hinreichende Möglichkeitsbedingungen einer jeden Handlung: a) Handlungsvollzug (act), b) situative Umstände der Handlung (scene), c) Handlungsträger (agent), d) Handlungsmittel (agency) und e) Handlungsabsicht (purpose). Diese Beweggründe können für jede Handlung völlig unterschiedlich interpretiert werden, müssen aber bei jeder Handlung sämtlich vorliegen: Men may violently disagree about the purposes behind a given act, or about the character of the person who did it, or how he did it, or in what kind of situation he acted; or they may even insist upon totally different words to name the act itself. But be that as it may, any complete statement about motives will offer some kind of answers to these five questions: what was done (act), when or where it was done (scene), who did it (agent), how he did it (agency), and why (purpose)[.] (Burke 1969, XV; Hervorhebung im Original)
Mag man Bildlichkeit intuitiv lediglich dem Beweggrund scene zuordnen, lassen sich tatsächlich doch ausnahmslos alle fünf Systemstellen durch das Bild besetzen, was im Folgenden stellvertretend für zahlreiche Spiele an dem Puzzle-Plattformer Contrast demonstriert sei. (Burke (1969, XX) selbst führt diese handlungstheoretische Polysemie eines Begriffs am Beispiel von ›Krieg‹ vor: »War may be treated as an Agency, insofar as it is a means to an end; as a collective Act, subdivisible into many individual acts; as a Purpose, in schemes proclaiming a cult of war. For the man inducted into the army, war is a Scene, a situation that motivates the nature of his training; and in mythologies war is an Agent, or perhaps better a super-agent, in the figure of the war god«.) In Contrast kontrolliert der Spieler in einer ästhetisch von Belle Époque und Art Nouveau inspirierten Noir-Atmosphäre einen Avatar mit dem sprechenden Namen ›Dawn‹, der in der Lage ist, sowohl als dreidimensionale Figur als auch als zweidimensionales Schattenbild zu agieren. Mit Hilfe dieses Charakters muss der Spieler Rätsel lösen, die ein wiederholtes Shiften zwischen 3D-Welt und 2D-Schattenbild erfordern. So gilt es im ersten Akt des Spiels in einem Kino einen Zugang zur Vorführkabine zu finden, was den Spieler vor die Aufgabe stellt, Dawn vom Foyer des Lichtspieltheaters aus die Empore erreichen zu lassen. Da keine Treppe gangbar ist, müssen zur Bewältigung des Niveauunterschieds drei im Foyer befindliche Pappaufsteller so arrangiert werden, dass deren Schattenbilder auf der Foyerwand Dawn im Schattenmodus als Plattformen das Hinaufspringen und damit den Levelfortschritt ermöglichen (Abb. 2a und 2b).
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Abb. 2a: Contrast (Focus Home Interactive 2013, O: Compulsion Games) (Quelle: Archiv des Verfassers).
Abb. 2b: Contrast (Focus Home Interactive 2013, O: Compulsion Games) (Quelle: Archiv des Verfassers).
In diesem Spielabschnitt lässt sich gemäß Burke (a) als Vollzug das Manipulieren des Schattenbildes betrachten. Die (b) situativen Umstände dieses Spiels mit einem Bild sind mit dem Foyer eines Kinos oder ›Lichtspieltheaters‹ bezeichnet, das hier als ein auf eine Projektionsfläche hin geordneter Projektionsraum fungiert, wie ihn beispielsweise bereits Samuel van Hoogstraten in seiner Einführung in die hohe Schule der Malkunst (Rotterdam 1678) als ein ›Schattentheater‹ imaginiert hat (vgl. beispielsweise Bredekamp 2004, 72 f.). Als (c) Handlungsträger ist der graphische Stellvertreter des Spielers, der Avatar, adressierbar und als (d) Handlungsmittel erstens die Ikonen oder, anders gewendet, ›Abziehbilder‹ der Filmgeschichte zeigenden Pappaufsteller und zweitens das Computerspielbild selbst. Letzteres besteht aus der
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Komposition der Aufsteller im Foyer oder Projektionsraum, die dem verschiedene Positionen ausprobierenden Avatar so lange ein Feedback gibt, bis dieser die Pappbilder samt deren Schatten optisch schließlich zum gewünschten, ›gangbaren‹ Schattenbild zu arrangieren vermocht hat. (e) Handlungsabsicht ist es damit, die Schattenbilder der Pappbilder so zueinander zu positionieren, dass dem seinerseits als Schattenbild agierenden Avatar das Erreichen des höher gelegenen Raums ermöglicht wird. Schattenbild, Lichtspieltheater/Projektionsraum mit Projektionsfläche, graphischer Stellvertreter, Pappbild und Komposition, für das Schattenbild des graphischen Stellvertreters ›gangbares‹ Schattenbild der Pappbilder: Im Falle von Contrast vermögen jene Modalitäten von Bildlichkeit im Rahmen einer handlungstheoretischen Annäherung an das Computerspiel sämtliche Systemstellen der Burkeschen Pentade zu besetzen – der Anspruch des Bildes, nicht nur ästhetische Zutat, sondern ein Ferment des Computerspiels zu sein (vgl. zur Begrifflichkeit in allgemein kulturhistorischer Perspektive Bredekamp 2010, 32), hat damit sein Manifest gefunden (ein anderes Beispiel erläutert Hensel 2011a, 55). Contrast erweist sich also als hochgradig selbstreflexiv, insofern es seine Bildlichkeit ins Spiel bringt und in einem Projektionsraum als grundlegend für seine Medialität regelrecht ausstellt (zur Selbstreflexivität des Computerspiels vgl. unter anderem Neitzel 2008 und Rapp 2008). Dabei ist signifikant, dass diese Bildlichkeit tief in Kunstgeschichte und Kunsttheorie wurzelt. Bereits der eingangs erwähnte kategoriale Status des digitalen Bildes als doppeltes Bild gründet auf Leon Battista Albertis paradigmatischer Definition des Bildes in De pictura: zum einen nämlich Schnitt durch den Sehkegel respektive die Sehpyramide zu sein, der das Bild als mathematisch konstruierbar denken lässt (Unterfläche), zum anderen als finestra aperta zu fungieren, dessen Rahmen ikonische Differenz und dadurch die Medialität der Bildkonstruktion erst eigentlich feststellt (Oberfläche). Auch die wichtigste Figur des Computerspiels, der Avatar, lässt sich gleichsam »›von der Seite her‹« (Mersch 2008b, 305) über den Umweg der Kunsttheorie fassen. De facto nämlich spielt das ontologisch verunsichernde Schattenspiel von Contrast nicht nur auf Platons Höhlengleichnis, sondern auch auf eine der bedeutsamsten antiken Ursprungslegenden des Bildes an: auf die Geschichte des korinthischen Töpfers Butades, dessen Tochter die Schatten ihres scheidenden Geliebten auf einer Wand mit Linien nachgezeichnet haben soll, worauf ihr Vater diesen Umriss mit Ton aufgefüllt und dergestalt ein plastisches Abbild geschaffen habe. Mit diesem Mythos findet der Avatar in seiner ontologischen Uneindeutigkeit, der Paradoxie einer »doppelten Adressierung [...] als einem in und außerhalb der Diegese Handelnden« (Neitzel 2008, 152), in der am Schatten aufzuweisenden Dialektik von »Anwesenheit seiner Projektion« und »Abwesenheit des Körpers« (Stoichita 1999, 7) seine Blaupause (auf diese Dialektik weist mit Blick auf Echochrome auch Meinrenken (2018) hin; zur Theorie des Avatars vgl. grundlegend Klevjer 2006). Auch lässt sich die bildtheoretische Paradoxie des Mythos, die Gestaltwerdung einer Umrisszeichnung oder das Umschlagen des Flächenbilds in ein Raumbild (vgl. Hensel 2009, 162 f.) – eine Paradoxie, die Contrast mit dem Shiften der Avatarfigur zwischen 2D und 3D performiert –, unmittelbar zur Kennzeichnung des per definitionem zwischen (zweidimensionaler) Spielwelt und (dreidimensionaler) Spielerwelt stehenden Avatars heranziehen.
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Tatsächlich also, so lässt sich festhalten, verdanken sich strukturelle Konstituenten des analysierten Spielabschnitts von Contrast einer reflektierten Auseinandersetzung mit den Strukturmerkmalen bildkünstlerischer Werke, mit Bildtheoremen aus Kunstgeschichte und -theorie, und es steht zu vermuten, dass dies auch für andere Computerspiele zutrifft (de facto ist den meisten neu erscheinenden Spielen, seien es Art Games oder Commercial Games, eine solche Reflexion eigen; Contrast kann insofern in seiner Verdichtung und Zuspitzung als ein exponiertes Exemplar verstanden werden, ist aber vom Prinzip her keine Ausnahme; vgl. Hensel 2012).
3. Das Computerspiel als doppelter Bildakt Versucht man, vor diesem Horizont die Eigenart des Computerspielbildes zu bestimmen, so hilft der Umweg über das Computerbild. Im Unterschied etwa zum Bildschirm- oder zum filmischen Bewegungsbild ist dieses wie oben bemerkt ein errechnetes und lässt sich in Echtzeit interaktiv manipulieren. Es ist damit ein Spezifikum der Bildlichkeit im Rechner, dass diese sowohl repräsentationalistisch als auch performativ zu verstehen ist: »In hypertexts all kinds of signs become programmable as icons, i.e. as signifiers, which at the pragmatic level produce, with a mouse-click, a connection to what they designate that is no longer merely symbolic, but real« (Sandbothe 2005, 162). Das Computerbild ist demgemäß sichtbare Manifestation eines digitalen, operativen Codes, der die Trennung von Ausführung (Aktion) und Darstellung (Repräsentation) unterläuft. Man vollzieht etwas im Gebrauch dieser Bilder, die sich damit als Bildakte erweisen – in Analogie zu John L. Austins Theorie der Sprechakte (vgl. Austin 1962; Hensel 2002; zur Theorie des Bildakts vgl. grundlegend Bredekamp 2015, der die Bedeutung von Bildakt weiter als Austin fasst). Austin unterschied zwischen konstativen und performativen Äußerungen, die er ›Sprechakte‹ nannte (die performativen Äußerungen oder Sätze charakterisiert Austin wie folgt: »[D]as Äußern des Satzes ist, jedenfalls teilweise, das Vollziehen einer Handlung«, Austin 2002, 28. Austin modifizierte im Fortgang seiner Überlegungen die Theorie der Sprechakte, wie dies nach ihm auch John Searle und andere taten. In unserem Zusammenhang interessiert indessen nur der im vorstehenden Zitat angesprochene Aspekt. Die Diskussion um den Sprechakt zeichnet beispielsweise Seja 2009 nach). Eine konstative Äußerung ist eine deskriptive Aussage, mit der eine Feststellung getroffen wird; eine performative Äußerung hingegen stellt nichts fest, sondern ist der faktische Vollzug eben jener Objekte und Handlungen, die sie bezeichnet – sie »konstituiert, was sie konstatiert« (Krämer/Stahlhut 2001, 37). In der performativen Äußerung wird somit die vertraute Unterscheidung zwischen Darstellungsmittel und Dargestelltem, zwischen Wort – oder Bild – und Sache außer Kraft gesetzt. Wie das Computerbild ist auch das Computerspielbild ein Bildakt (= Performativität erster Ordnung), sozusagen ein momenthaft erspieltes Bild, das nur im Augenblick seines Vollzugs existiert (vgl. Bausch/Jörissen 2005, insbesondere 347 und 362). Wie unterscheidet sich nun das Computerspielbild vom Computerbild? Da das Computerspielbild eine Untermenge der Computerbilder bildet, ist es ebenfalls ein doppeltes Bild. Darüber hinaus aber ermöglicht das Computerspielbild einen dop-
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pelten inter(re)aktiven Bildakt (= Performativität zweiter Ordnung): einen Bildakt, der sich im Sinne Mike Sandbothes im Zusammenspiel von Unter- und Oberfläche ereignet, und einen solchen, der allein auf der Oberfläche stattfindet. Während der erstgenannte, wie bereits erläutert, als Spezifikum des Computerbildes generell (und nur des Computerbildes) angesprochen werden muss, ist der Bildakt auf der Oberfläche auch anderen Bildern eigen (denen wiederum keine Unterfläche im Sinne einer manipulierbaren, maschinenlesbaren eignet), vornehmlich solchen der bildenden Kunst (vgl. Bredekamp 2015). In Contrast besteht dieser Bildakt darin, dass sich der Avatar aus einem zweidimensionalen Schattenbild in eine dreidimensionale Figur verwandeln kann (et vice versa), das Schattenbild mithin das konstituiert, was es konstatiert. Unterstrichen wird diese in actu-Leistung durch die Wahl der Pappaufsteller: Während zwei der Stellvertreter an die SchauspielerInnen Fred Astaire und Louise Brooks erinnern, ist die dritte Figur als Graf Orlok oder Nosferatu identifizierbar und verweist damit auf das gleichnamige expressionistische Filmkunstwerk par excellence: Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens von Friedrich Wilhelm Murnau (D, 1922). In Murnaus Nosferatu kommt dem Schatten des Vampirs bekanntlich eine eigenständige Handlungsmächtigkeit zu, die auch hier das Schattenbild als einen Bildakt adressierbar macht. Solche Bildakte auf der Oberfläche oder »kulturellen Ebene« (Manovich 2002, 46) lassen sich in etlichen anderen Computerspielen und deren Paratexten finden. So entpuppt sich in Braid das als Puzzleteil fungierende zweidimensionale Bild einer Tischplatte als dreidimensionales Parcourselement. In The Legend of Zelda: Ocarina of Time ist es ein Gegner, der aus einem Gemälde herauszureiten vermag, und in Crush eine ›gemalte‹ Kugel, die beim Umschalten von der 2D- in die 3D-Ansicht aus ihrem Gemälde herausrollt. In einer langen transmedialen Motivtradition stehend, tritt in Cryostasis. Sleep of Reason eine Filmfigur aus einer Kinoleinwand heraus, um leibhaftig zu werden (vgl. Hensel 2015); und umgekehrt entgrenzt im Trailer von Anno 1404 die virtuelle Kamera ein Tafelbild, durch das sie wie durch ein Albertisches Fenster hindurchfliegt, um in die dahinter liegende lebendige Natur einzutauchen. In Resident Evil 4 schließlich, um ein letztes der zahlreichen Beispiele zu nennen, wird eine steinerne Statue wie die elfenbeinerne Schöpfung Pygmalions lebendig oder zerspringt eine zweidimensionale, gemalte Weinflasche auf einem Stillleben paradoxerweise in gläserne Scherben, sobald der Spieler auf sie schießt (vgl. Hensel 2011a, 2014). Gerade das letztgenannte Beispiel macht einmal mehr deutlich, dass besagte Bildakte sich auch in und durch andere bildkünstlerische Medien realisieren lassen: Eine ›unmögliche‹, von einer Leinwand realiter heruntergenommene Weinflasche findet sich ebenfalls im frühen Animationsfilm, in James Stuart Blacktons The Enchanted Drawing (USA, 1900) (vgl. Crafton 1993, 52 f.; sowie Nead 2007, 94 f.). Und in verwandter Manier lässt René Magritte in der Malerei (Le Bon Sens, 1945) ein Tableau zu einem Tablett werden, auf oder in dem die Bildobjekte, eine Porzellanschale mit Obst, in Realobjekte rückübersetzt scheinen (vgl. Konersmann 1991, 19 und Abb. 8). Implizit an Austin anknüpfend nannte Michel Foucault diese künstlerische Strategie eine ›List‹, die darin bestehe, »ein Bild mit dem zu vermengen, was es darstellen soll« (Foucault 1997, 47; vgl. auch Prange 2001). Bildakte auf der ›kulturellen Ebene‹ finden sich also auch, aber nicht nur im Computerspiel. Die besondere Eigenschaft des Computerspiels aber macht es aus, dass dieser Typ
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Bildakt mit jenem erstgenannten, kulturelle und algorithmische Ebene miteinander verschaltenden Bildakt zusammenkommen kann, der Inter(re)aktivität in Echtzeit erlaubt und somit jedes Gameplay erst eigentlich ermöglicht. Das Computerspielbild kann ein doppelter Bildakt sein – und unterscheidet sich darin von allen anderen Bildformen, seien sie errechnet oder nicht –, muss dies aber nicht. So existieren Computerspiele, die auf ihrer Oberfläche frei von Bildakten sind, kann ein solcher Bildakt doch – wenn nicht wie bei Contrast oder den anderen aufgeführten Beispielen zum Spielprinzip selbst erhoben – eine störende Irritation des Gameplay bedeuten, indem er Repräsentation und Präsentation verschränkt. Tatsächlich treten Bildakte auf der Oberfläche des Computerspiels immer dann auf, wenn dieses selbstreflexiv oder opak wird, sprich seine Bildlichkeit als eine seiner Bedingungen bildlich thematisiert (vgl. zum Konzept der Opazität Marin 2004; Alloa 2011a, 2011b; Rautzenberg/Wolfsteiner 2010; sowie Rautzenberg 2012; und zu dessen Übertragung auf das Computerspiel Hensel 2011a; sowie Schwingeler 2014). Bildreflexive Computerspiele wie Contrast stellen damit die ikonische Differenz ihrer (Oberflächen-)Bilder aus und dürfen nicht zuletzt deshalb als »zehnte Kunst« (Alain und Frédéric Le Diberder, zit. nach Mersch 2008a, 19) apostrophiert werden. (Nach Gottfried Boehm (1994, 29 und 35) gewinnt die Denkfigur der ›ikonischen Differenz‹ an starken Bildern, sprich an Kunstbildern: »Ein starkes Bild lebt aus eben dieser doppelten Wahrheit: etwas zu zeigen, auch etwas vorzutäuschen und zugleich die Kriterien und Prämissen dieser Erfahrung zu demonstrieren«; vgl. auch ders. 2011; sowie Richtmeyer 2014.) Insofern lässt sich Contrast exemplarisch als ein Spiel zwischen Darstellung und Selbstbewusstsein der Darstellung verstehen, in dem die Problematisierung der Repräsentation selbst zu einem produktiven Moment der Darstellung erhoben wird. Das Computerspiel zeichnet sich auf diese Weise nicht nur durch seine Narrativität oder Ludizität aus, sondern auch und gerade durch seine Ikonizität, die jene anderen Eigenschaften von Fall zu Fall in sich zu integrieren vermag. Es gilt somit das Bild nicht nur als eine Funktion des Narrativen oder Ludischen zu verstehen, sondern umgekehrt das Narrative oder Ludische auch als eine Funktion des Bildes. Eine Pointe dieses Ansatzes ist es, dass das Medium Bild die Spielherausforderungen entgegen dem gängigen Klischee nicht nur konturiert und kontextualisiert, sprich rahmt (vgl. Mersch 2008a, 33), sondern vielmehr das Bild selbst die Spielherausforderung ist. Und mehr noch: Nicht nur wird das Bild gespielt – das Bild spielt auch. (Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete Fassung von Hensel 2018, 47–62.) Literatur
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Raum 221
Raum Stephan Günzel
1. Einleitung Es ist kein Zufall, dass die wissenschaftliche Erforschung von Computerspielen durch die sogenannten Game Studies – emblematisch in der Gründung des gleichnamigen Onlinejournals im Jahr 2000 durch den norwegischen Literaturwissenschaftler Espen Aarseth – seit Anbeginn die Räumlichkeit von Spielen in den Blick nimmt (vgl. Günzel 2010). Denn ein ›Spatial Turn‹ als Wende zum Raum, wie er sich in den Kulturwissenschaften seit den späten 1980er Jahren vollzieht (vgl. Günzel 2017a), kommt in der Erforschung digitaler Spiele dabei nicht ›unter anderem‹ vor, sondern ist vielmehr für deren Verständnis konstitutiv, da ihr Design in erster Linie auf der Gestaltung von audiovisueller, physischer und narrativer Räumlichkeit beruht. Im vorliegenden Beitrag wird somit nicht allein der Diskurs der internationalen Spieleforschung hinsichtlich ›Raum‹ vorgestellt, sondern auch der Bezug des Game Designs zur philosophischen Auseinandersetzung mit (digitalen) Spielen behandelt. – In Übereinstimmung mit Hegels populärem Dämmerungsflug-Topos der Eule Minervas zeigt sich zunächst auch im Bereich der Computerspiele, dass Philosophie immer erst dann einzusetzen scheint, wenn die Tatsachen bereits geschaffen sind: Die philosophische Auseinandersetzung mit Computerspielen beginnt entsprechend spät, zu einem Zeitpunkt als die Game Studies schon etabliert sind, die sich ihrerseits auf das bereits vorhandene Game Design beziehen. Als ein Beleg können entsprechende Konferenzreihen dienen: So findet 1987 die erste Game Developers Conference (GDC) für Spieleentwickler statt, während Spieleforscher sich ab 2003 auf den Treffen der Digital Games Research Association (DiGRA) austauschen und erst mit dem Jahr 2007 die philosophische Tagungsreihe The Philosophy of Computer Games (PCG) etabliert wird, welche vor allem traditionelle Themen der Philosophie im Blick auf digitale Spiele behandelt (vgl. Sageng/Fossheim/Larsen 2012). Dabei sind jene Bereiche sowohl personell wie sachlich nicht strikt voneinander zu trennen: So findet sich eine philosophische Argumentation in den Game Studies oder praktische Bespiele des Designs in diesen sowie in der Philosophie. Entsprechend ist auch das Verhältnis von Philosophie und Computerspielen kein streng nachgeordnetes, sondern es sind – in Anlehnung an die drei grundsätzlichen Aspekte der Kunst- und Designforschung (vgl. Frayling 1993/94) – drei Beziehungen möglich: Philosophie über, für und durch Computerspiele. Für die erste Variante einschlägig sind Arbeiten, welche zumeist in kulturpessimistischer Absicht Computerspiele aufgrund der von ihnen bereitgestellten ›virtueller Realität‹ als Gefahr thematisieren, indem sie über sie oder ihre Folgen urteilen (vgl. von Barloewen 1998). Für die zweite Variante solche, welche ein philosophisches Theorem als dezidierten Ausgangspunkt für das Game Design nutzen; so etwa, wenn David Humes Theorie ›komplexer Ideen‹ anhand eines Puzzle-Spiels nachvollziehbar gemacht wird (Gualeni 2011). Für die dritte Variante repräsentativ sind schließlich Arbeiten, welche
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philosophische Fragestellungen anhand von Spielen expliziert sehen, wie etwa Positionen der Bewusstseinsphilosophie (vgl. Cogburn/Silcox 2009) oder Ethik (vgl. Sicart 2009), die – oftmals im Blick auf ein entsprechend spieleaffines Publikum – durch Computerspiele erklärt werden. Im Folgenden sind vor allem die beiden letzten Verhältnissen genutzt, um den Aspekt des Raums in Bezug auf Computerspiele herauszuarbeiten: Eingedenk der Unumgehbarkeit einer – gleich wie rudimentär ausgeführten – räumlichen Gestaltung können digitale Spiele als Umsetzung von Raumtheorien verstanden werden, auch wenn diese nicht bewusst den Ausgangspunkt für die entsprechende Gestaltung bilden; das heißt: Auch ohne die auktoriale Intention (›Philosophie für Computerspiele‹) können Spiele als eine Erfahrbarmachung von Konzepten des Raums aus der Geschichte der Philosophie – zu der bis in die Neuzeit die Physik noch als Teildisziplin gehört – begriffen werden (›Philosophie durch Computerspiele‹). Selbstredend impliziert oder resultiert dann aus einem solchen ›Bottom-up‹-Ansatz auch immer eine Meta-Perspektive (›Philosophie über Computerspiele‹). Dass die Philosophie ein solch vielschichtiges Verhältnis zu Computerspielen unterhält, liegt unter anderem in einer Wesensverwandtschaft begründet: Ebenso wie sich das Design von Computerspielen als eine Kunst der Welterzeugung verstehen lässt (vgl. Wolf 2012), geht es in einer philosophischen Theorie nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um die weltinterpretierenden Kategorien (vgl. Goodman 1993) – in diesem Fall: ein Verständnis von Räumlichkeit. Derartige Raumverständnisse können aber auch erlebt und so in Praktiken unabhängig von ihrer Wahrheit akzeptiert werden. Das heißt, so wie der Weltentwurf eines Computerspiels von den Spielern ›akzeptiert‹ wird, werden auch philosophische Welterzeugungen in ihrer Vielzahl im Alltag von Menschen ›gelebt‹: Beispielsweise wird Newtons Konzept des ›absoluten Raums‹, der alle ›relativen Räume‹ umfasst, von der heutigen Naturwissenschaft, die sich auf der Suche nach einer Einheitstheorie des Universums befindet, allein noch als ein Spezialfall der relativistischen Raumzeit-Physik angesehen. Als philosophische Beiträge besitzen beide Raumtheorien jedoch gleichermaßen Gültigkeit, insofern sie als ›Tiefenontologien‹ (vgl. Werlen 1999) dem Handeln von Menschen zugrunde liegen können. (So findet sich etwa in der alltäglichen Vorstellung häufig die newtonsche Annahme, Räume seien ›Behälter‹ für Dinge.) In dieser Weise können durch Computerspiele historische oder der geltenden Naturlehre widerstreitende Raumtheorien erfahrbar werden und in der Folge unter Rückgriff auf die jeweils zugrundeliegende, immanente Philosophie beschrieben werden. Bevor dieser spezifische Ansatz zum Raumverständnis näher vorgestellt wird, sollen die entsprechenden Grundlagen der drei für eine Beschreibung von Computerspielen maßgeblichen Bereiche von Philosophie, Game Studies und Game Design in ihren zeitgenössischen Grundlagen skizziert werden und ein historischer Abriss über die an der Erforschung beteiligten Disziplinen in ihrer fachlichen Spezifizität gegeben sein.
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2. Philosophische Grundlage: Irrealität der Zeit Die klassische Auseinandersetzung mit Raum in der Philosophie stand stets im Verhältnis zu derjenigen mit Zeit, wobei dieser meist ein höherer Realitätsgrad zugesprochen wird (vgl. Günzel 2016). Maßgeblicher Grund war eine vermeintliche Unanschaulichkeit der Zeit, deren Beschreibung als schlechthin intelligibles Element – sozusagen als dem ›Medium der Seele‹ – anhand räumlicher Metaphern ihr Wesen grundsätzlich verfehle. So hat Immanuel Kant (vgl. 1993, A33/B50) prominent im Rahmen seiner transzendentalen Ästhetik die ›Linie‹ als Veranschaulichung von Zeit zwar bemüht, um die ›reine Form‹ derselben zu illustrieren, jenes ›Bild‹ aber zugleich als eine falsche Vorstellung disqualifiziert. Von der Zeit darf man sich nach Kant überhaupt keine Vorstellung machen. Mit dem frühen Henri Bergson wird diese Setzung gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Glaubensgrundsatz der modernen Zeitphilosophie, wenn dieser folgert, dass objektive Zeit nur diejenige der (lineare) Bewegung von Gegenständen durch den Raum ist, während die subjektive Zeit der ursprünglichen Erfahrung als sogenannte Dauer (frz. durée) rein innerlich erfahren werde. Bergsons (1994, 71) entsprechender Schluss lautet: »[V]om Raume [entlehnt man notwendig] all die Bilder [...], durch die man das Gefühl beschreibt, das das reflektierte Bewußtsein von der Zeit [...] hat: die reine Dauer muß also etwas andres [sic] sein« (Hervorhebung St.G.). Schon kurz nach Bergson wird durch die sprachanalytischen Philosophie mit John McTaggart jedoch die irrationale Grundlage des traditionellen Zeitdenkens aufgezeigt: Der Ausgangspunkt für McTaggarts Kritik findet sich schon bei dem spätantiken Kirchenvater Augustinus (2009, XI/20) angelegt, der treffend beschreibt, dass die nichtpräsenten Dimensionen der Zeiterfahrung immer nur in Form der ›Vergegenwärtigung‹ zu haben sind: »Weder Vergangenheit noch Zukunft gibt es, sondern es gibt eine Gegenwart der vergangenen Dinge, ferner eine Gegenwart der gegenwärtigen Dinge, schließlich eine Gegenwart der zukünftigen Dinge. Diese drei Zeitformen nehmen wir in unserem Geiste wahr, aber sonst nirgendwo«. – Das heißt: Zukunft wird jetzt imaginiert, Vergangenheit jetzt erinnert. Augustinus’ Einsicht unausgesprochen folgend erklärt McTaggart (vgl. 2007), dass jedwede Konzeption von Zeit daher eine Relation rekurriere voraussetzt: entweder ›früher-später‹ oder ›Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft‹. Letzte wird dabei in der ersten vorausgesetzt, da der Unterschied von ›früher‹ und ›später‹ sich aus der Bestimmung von Vergangenheit und Zukunft ableitet. Wenn diese Relation aber wiederum nur in Form der Vergegenwärtigung (ist gewesen/wird sein) ›existiert‹, dann ist Zeit folglich nicht real; oder anders gesagt: Wenn das ›irreale‹ Element (die Gegenwart als schlechthin Unzeitliches) hieraus eliminiert wird, bleibt eine bloße Reihe übrig – eine reine Ordnung, die nur in den Relationen von Ereignissen besteht; sozusagen die kantische ›Linie‹ ohne Richtungsvorgabe. (Nicht zuletzt bedeutet auch schon das Wort ›Zeit‹, von ahd. zit, das ›Unterteilte‹, und auch time, vom lateinischen tempus, hat einen räumlichen Sinn, nämlich den von ›Spanne‹.) Während die sprachanalytische Philosophie mit Fritz Mauthner (vgl. 1980) gleich zu Anfang des 20. Jahrhunderts daraus die Konsequenz zieht, eine Unterscheidung zwischen Zeit und Raum sei bloß ein sprachlicher Effekt (des Gebrauchs von Verben bzw. Substantiven) und daher philosophisch nicht weiter begründbar, wird seitens
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der phänomenologischen Philosophie die unhintergehbare Realität des Raums weitgehend akzeptiert. So revidiert schon der späte Bergson (vgl. 1991) seine Auffassung von Erfahrung einer ›reinen Zeit‹ und interpretiert sie als diejenige der Räumlichkeit des Gedächtnisses. Daran anschließend bezeichnet schließlich Martin Heidegger (1993, 329) die drei Zeitlichkeitsformen folgerichtig als »Ektasen«, das heißt, als Dimensionen des (räumlichen) ›Hinausstehens‹ (von griech. stásis für ›stehen‹) aus der Gegenwart. Spätestens mit der Dekonstruktion Jacques Derridas (vgl. 1987) wird die vorgängige Verräumlichung sodann nicht nur der Zeit, sondern letztlich jedweder Sinnerfassung behauptet: Gerade anhand der durch Kant gescholtenen ›Bilder‹ kann sich die Insistenz des Räumlichen aufzeigen, insofern durch den Gebrauch von Metaphern (von gr. meta-phoreo für ›hinübertragen‹) eine dezidiert räumliche Praxis zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten: Noch bevor die Game Studies zur Jahrtausendwende den Raum als zentrale ›Größe‹ des Spieldesigns ausmachen, wird sich die Philosophie Ende des 20. Jahrhunderts der Realität des Räumlichen – und der Irrealität der Zeit – bewusst. (Dass sich diese weitgehend durchgesetzt hat, zeigt auch das vorliegende philosophische Handbuch, in dem es ganz selbstverständlich keinen eigenen Eintrag über Zeit gibt.)
3. Spieletheoretische Grundlage: Eintritt in den Cyberspace Just in den Jahren des philosophischen Umdenkens bildet sich auch durch den Einbruch der Computertechnologie in die Lebenswelt ein neues Raumbewusstsein diesseits der Philosophie aus: Der Romanautor William Gibson spricht erstmals 1982 in Burning Chrome epochemachend vom ›Cyberspace‹ – einem reinen Raum (engl. space) der Steuerung (griech. kybernesis). Als Vorbild dienen Gibson (vgl. 2011) die Spielhallen mit ihren Automaten, welche nicht von ungefähr Aufschriften wie ›Computer Space‹ oder ›Space Invaders‹ tragen. Die Namen reflektieren zwar auch die Begeisterung in der Computerspielkultur für Science-Fiction sowie den historischen Hintergrund des Kalten Krieges mit dem Wettlauf um die Vormachtstellung im ›Outer Space‹, hebt aber insbesondere die Eigenart des neuen Mediums hervor: Video- und Computerspiele machen immaterielle (Bild-)Räume erfahrbar. Ohne auf die philosophische Debatte der modernen Zeitphilosophie einzugehen, hat der dänische Literaturwissenschaftler Jesper Juul (vgl. 1998) im Rahmen seiner Masterarbeit in kongenialer Weise darauf hingewiesen, dass Spielen immer jetzt stattfindet: Auch wenn Computerspiele eine vergangene oder zukünftige Umgebung aufweisen, das Handeln in Echtzeit oder rundenbasiert erfolgt, können die Nutzer ihre Eingaben am Spielgerät immer nur in der Gegenwart tätigen. So gesehen ist Zeit für Computerspiele allenfalls als Aspekt einer ihnen beigeordneten Erzählung relevant. Neben dem eingangs erwähnten Aarseth ist Juul ein Protagonist der fortan sich selbst so bezeichnenden Ludologie (vgl. Frasca 2003), in welcher der Unterschied von ›Spiel‹ zu ›Literatur‹ – als dem vorrangigen Gegenstand der dadurch distanzierten ›Narratologen‹ – stark gemacht wird. Die Erfahrungsweise eines Buches ist nach Juul allein die Erkundung einer feststehenden Vergangenheit (das heißt, der Ablauf der Geschichte steht schon vor der
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Lektüre schon fest). – Wie im damaligen Diskurs üblich, werden die Nutzer von Computerspielen dabei mit den Autoren von Texten gleichgesetzt, welche die Geschichte im Moment ihres Erzähltwerdens verändern oder die Erzählung überhaupt erst in Gang halten. (Tatsächlich trifft Juuls Behauptung streng genommen auf jedes Medium zu, sobald die Rezipientensicht eingenommen wird; denn auch die Aktivität des ›Lesens‹ kann immer nur gegenwärtig erfolgen und sind auch die Abläufe eines Computerspiels – sofern es sich nicht um ein prozedurales Design in Form der fortlaufenden Generierung einer Welt handelt – vorher (fest-)›geschrieben‹. Hieraus folgt allerdings nicht, dass sein Hinweis auf die untergeordnete Rolle der Zeitlichkeit in Computerspielen hinfällig ist, sondern, dass auch in der Literatur ein Vorrang des Räumlichen zu konstatieren wäre.) Sechs Jahre nach Juuls Paukenschlag hat dann der US-amerikanische Medienwissenschaftler Henry Jenkins den Schluss gezogen, dass die Aufgabe der Computerspielentwickler nicht allein darin besteht, Geschichten zu erzählen, sondern vorrangig darin, Welten und Räume zu kreieren: »Game designers don’t simply tell stories«, so Jenkins (2004, 212), »they design worlds and sculpt spaces«. – Mit Juul ließe sich von hieraus behaupten: Alles was in Computerspielen überhaupt als Zeit (der Erzählung) in Erscheinung treten kann, sind räumliche Konfigurationen, oder anders gesagt: Zeit ist nichts mehr und nichts weniger als der Unterschied zwischen zwei Zuständen und deren Differenzerfahrung daher notwendig eine räumliche. Was Raum hier ›Zeit werden‹ lässt, ist – im Sinne McTaggarts – die Richtung, in der die Zustände geordnet sind. Aarseth (vgl. 2008) bezeichnet Computerspiele daher auch als grundsätzlich ›ergodisch‹, da deren Rezeption im Verrichten von Arbeit (griech. ergon) entlang eines Weges (griech. hodos) besteht.
4. Technologische Grundlage: Spielraumgeschichte In der Tat zeigt die Entwicklung der Computerspiele, dass deren gesamte Geschichte in der Entfaltung, Entdeckung oder Umwandlung von Räumlichkeit besteht: Grob gesprochen verläuft diese von einer zweidimensionalen Darstellung, in der die durch X- und Y-Koordinaten definierten Bildpunkte auf dem Bildschirm eine Fläche gestalten, zu einer dreidimensionalen Darstellung, in der Tiefeneffekte eine weitere Dimension von Raum suggerieren und als Illusion der Z-Achse berechnet werden (vgl. Wolf 2009). Entsprechend liegt der Dreh- und Angelpunkt der Computerspielgeschichte in der Mitte der Neunzigerjahre, als die Echtzeitgenerierung von Polygondarstellungen möglich wird (vgl. Kücklich 2004) und zugleich die Steuerung von einer (Cursortasten am Keyboard/Steuerkreuz am Controller) auf zwei Instanzen (das diskrete Tastengeviert [W][A][S][D] für die Körperbewegung und das kontinuierlich variierbare Eingabegerät der Computermaus für das Waffenauge) verlegt werden, so dass anstelle von ehedem vier nun sechs Freiheitsgrade der Interaktion gegeben sind. Die Steuerung, mit der die Leib- und Geistkontrolle auf die beiden Hände der Spieler verteilt wird, ist bis heute der Konsens für die Navigation in der zentralsten aller Raumformen, die in der Computerspielgeschichte auftritt: derjenigen der FirstPerson- oder im Deutschen sogenannten Ego-Shooter (vgl. Günzel 2012), welche
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in den 1990er Jahren zumeist als ›3D-Spiele‹ firmieren, auch wenn sie nur selten auf den seinerzeit für die meisten Nutzer unerschwinglichen stereoskopischen Ausgabegeräten gespielt werden. Neben dem bekannten Spiel Quake von 1996 (das sich entsprechend von seinen Vorläufern Doom aus dem Jahr 1993 und Wolfenstein 3D aus dem Jahr zuvor absetzt), ist es vor allem das weniger bekannte Descent von 1995, mit dem der ›ganze Raum‹ spielbar wird: Gesteuert wird hier von den Spieler ein Raumschiff innerhalb eines dreidimensionalen Labyrinths, wobei die Bewegung in alle sechs Richtungen und die Drehung um die drei Kardinalachsen sowie ein Umschalten zwischen dem Blick nach vorn und hinten möglich ist. Zu den entscheidenden Einschnitten ›1971‹ (mit Computer Space) und ›1995‹ (mit Descent) ist noch das Jahr ›2007‹ oder vielmehr ›2005‹ zu erwähnen, in dem Portal bzw. der Vorläufer Narbacular Drop veröffentlicht werden. Tatsächlich dauerte es weitere zwei Jahrzehnte, bis die kontinuierlich erweiterten Möglichkeiten der Raumdarstellung und -bewegung mit kinematographischen Effekten ausgestattet sind und der filmische Realismus der Spiele schließlich zu einer Sättigung, wenn nicht schon beim Publikum, so doch bereits bei den Kreativen und Kritikern führt. Beeinflusst durch die einsetzende philosophische Reflexion wird die eigentliche Stärke virtueller Welten nun keineswegs mehr in der bloßen Nachahmung der Wirklichkeit gesehen, sondern in dem Aufzeigen von (Denk-)Möglichkeiten (vgl. Hensel/ Neitzel/Nohr 2015). Seitdem wird vor allem seitens unabhängiger Entwicklern das Konkurrenzmedium Film nicht mehr als Maßstab für die Spieleproduktion genommen, sondern es erfolgt gewissermaßen eine Besinnung auf die ursprüngliche Idee Gibsons: den Nutzern einen ›reinen‹ Raum der Steuerung bereitzustellen. Portal etwa lässt mit Hilfe der namensgebenden Portale die (Denk-)Möglichkeit einer vierten Raumdimension (neben Länge, Breite, Höhe) spielbar werden. In den Termini der nichteuklidischen Geometrie wird Raum dabei auf sich zurückgefaltet, ohne dass dazu eine erkennbare Krümmung dargestellt wird (da diese ja selbst nur in der vierten Dimension sichtbar wäre.) Gleichermaßen davon inspiriert wie dazu gegenläufig versuchen sich nachfolgende Spiele – so etwa Echochrome von 2008 oder das daran angelehnte Monument Valley von 2014 – an einer Rücknahme der 3D-Illusion, indem sie den Widerstreit zwischen spielbarer Fläche und sichtbarer Tiefe durch Gestaltparadoxien hervorheben (vgl. Beil 2009). Aktuell ersetzt das in der Entwicklung befindliche Manifold Garden das nur punktuelle Rücklaufen des Raums von Portal durch eine fortlaufende Iteration desselben. Gewissermaßen in Verschränkung beider Ansätze verfolgt der seit vielen Jahren unvollendete Plattformer Miegakure die Strategie, die drei darstellbaren Dimensionen des Raums als den Ausschnitt einer vierdimensionalen Welt zu behandeln, so dass die Spieler genötigt werden, die jeweils unsichtbare Dimension gegen eine der drei sichtbaren auszutauschen. Superhot von 2016 schließlich zeigt die direkte Abhängigkeit der Zeitvorstellung von räumlichen Konstellationen, wenn darin ein Fortschritt der ›Zeit‹ nur erfolgt, wenn die Spieler räumlich aktiv werden. (Selbst bei Braid von 2008, dessen Prinzip gemeinhin als ›zeitmanipulativ‹ beschrieben wird, besteht die Herausforderung letztlich darin, räumliche Konstellationen oder Spieldurchläufe ineinandergreifen zu lassen.)
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5. Disziplinäre Spezifika der Erforschung von Computerspielräumlichkeit Abfolge und disziplinäre Unterschiede in der computerspielbezogenen Raumforschung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zunächst widmet sich seit den frühen 1990er Jahren die Theaterwissenschaft dem Computerspiel als virtuellem Raum, wobei der Schwerpunkt auf der Inszenierung bzw. dem Erzählen liegt. In der Folge wendet sich die Filmwissenschaft dem Komplex mit verändertem Interesse zu, indem zum einen der Versuch einer strengeren Formalisierung der Raumdarstellungsweisen vorgenommen, zum anderen die Rezipientensicht über die Frage nach der Immersion betont wird. Daneben beginnt die Architekturtheorie die Zurichtung der Spielräume näher zu befragen und das Erzählen mittels Spiel auf diese zurückzuführen. Innerhalb der ›ludologischen‹ Spieleforschung wird Raum schließlich ab der Jahrtausendwende zum eigentlichen Untersuchungsobjekt digitaler Spiele, während die kritisierte Literaturwissenschaft im Gegenzug versucht, die konkreten Strukturen des Erzählraums darzulegen und sie als Grundlage für ein Eintauchen in die Spielewelt aufzuweisen. Vergleichsweise spät folgen dann im Blick auf die eigentliche Spieleentwicklung Publikationen zur computerspezifischen Gestaltung der Spielräume, während (regelrecht abseits der bisherigen Diskussionen) die vor allem im deutschsprachigen Bereich anzutreffende Medienwissenschaft die Räume digitaler Spiele ausgehend von Diskursen, Dispositiven und Praktiken untersucht. Theaterwissenschaft. Den Weg für eine gezielte Auseinandersetzung mit Computerspielen anhand ihrer Räumlichkeit hat die Künstlerin Brenda Laurel 1991 mit ihrer Arbeit Computers as Theater bereitet. Damaliger Anlass für ihr Buch war das Aufkommen der ersten Virtual Reality-Systeme (mit stereoskopischen Videobrillen), die den umfassenden Eintritt in eine digital generierte Umgebung möglich machen sollten. In diesem Zuge deutet Laurel (vgl. 2014) das Verhältnis von Zuschauer und Schauspieler auf der Bühne als das einer Interface-Beziehung: Je nach Theateraufbau kann die Schnittstelle entsprechend anders ausfallen und sich ein distanzierendes oder einbeziehendes Verhältnis einstellen. Computerspiele – wie zum Beispiel das Point-and-Click Adventure The Secret of Monkey Island von 1990 – werden von Laurel zwar nur neben anderen Anwendungen, wie vor allem virtuellen Welten, erwähnt, die Aufmerksamkeit auf ›Games‹ als Raum ist jedoch unweigerlich angebahnt. Vertieft wird Laurels ›theatrales‹ Verständnis von Spielen durch einen weiteren Meilenstein der Forschung: dem Buch der US-amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Janet Murray über Hamlet on the Holodeck von 1997, das im Untertitel The Future of Narrative in Cyberspace heißt. Im Näheren erweitert Murray (vgl. 2017) Gibsons Zentralbegriff zu dem des ›Cyberdramas‹, womit insbesondere Computerspiele zu einem neuen Genre von Literatur erklärt werden. Filmwissenschaft. Das Verdienst, die erste Arbeit über die Räumlichkeit von Computerspielen im Speziellen veröffentlicht zu haben, kommt dem Filmwissenschaftler und Enzyklopädisten der Geschichte und Systematik digitaler Spiele zu: Mark Wolf. Er steht in der Tradition der formalen Filmanalyse (vgl. Bordwell 1985), wo-
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mit Computerspiele von ihrer räumlichen Darstellungsweise aus begriffen werden. In seinem bahnbrechenden Aufsatz Inventing Space von 1997 legt Wolf eine idealtypische, mithin transzendentale Entwicklungsgeschichte der Computerspiele vor, die nicht allein an der Erweiterung der dargestellten Dimensionen geknüpft ist, sondern an dem Verhältnis des Bildes zu seinem ›Außerhalb‹. Hierbei wird Wolfs theoretische Herkunft deutlich: Mehr noch als in der Malerei und auch noch der Fotographie spielt der Bereich des sogenannten Offscreen in der Kinematographie eine erhebliche Rolle (vgl. Burch 1981). Da es sich hier um Bewegungsbilder handelt, kann etwas, das außerhalb des Rahmens, aber innerhalb der filmischen Erzählwelt – dem sogenannten diegetischen Raum (vgl. Souriau 1951) – liegt, zu einem bestimmten Zeitpunkt des Geschehens in den Onscreen-Bereich wechseln (und diesen anschließend wieder verlassen) oder können akustische Hinweise aus dem visuellen ›Off‹ zu einer Erweiterung des sichtbaren Bildraums führen. Computerspiele entwickeln sich für Wolf (2001) demnach entlang der Bedingungen der Möglichkeit wie ansichtiger und unansichtiger Raum zueinander im Verhältnis stehen. In den frühen Arcadegames ist der Bildausschnitt starr wie in der Fotographie, allerdings mit dem Unterschied, dass einzelne Objekte, wie etwa der Tischtennisball in Pong die Grenze des Rahmens zur Seite verlassen können und auch hier schon eine rudimentäre Einbeziehung des Offs erfolgt. Asteroids von 1979 lotet sodann die Möglichkeit aus, dass die Objekte den Bildraum nicht nur nach oben und unten verlassen, sondern wieder auf der gegenüberliegenden Seite eintreten können: In einer Art zweidimensionalen Vorwegnahme von Portal ist der Onscreen damit hier sein eigener Offscreen. In späteren Arbeiten widmet sich Wolf (2011) dann insbesondere den Möglichkeiten zwischen einzelnen (Onscreen-) Räumen Anschlüsse herzustellen. Heute noch relevant an Wolfs Pionierarbeit sind aber vor allem die Paradoxien und Grenzen, die sich aus seinem Ansatz ergeben. In einem Textadventure wie Zork von 1980, das ohne jedwede Bildräumlichkeit auszukommen scheint, kann der gesamte diegetische Raum als im Off liegend gedeutet werden, weicht man jedoch von der Fixierung auf das sichtbare Bild ab, ließe sich das Spiel paradoxal auch als ein stetiger Wechsel von On und Off im On deuten, weil Sehbeschreibungen (die das Programm ausgibt) und Bewegungsbeschreibungen (welche die Spieler tätigen) den imaginierten Raum in vergleichbarer Weise mobilisieren wie die Kameraführung. – Die Grenze von Wolfs Ansatz besteht schließlich in der Notwendigkeit für Computerspiele ein doppeltes Außerhalb anzusetzen: einmal das visuelle, ein anderes Mal das interaktive Off: So besteht das Phänomen der ›unsichtbaren Wand‹, wie es sich in offenen Spielwelten (so etwa in FarCry von 2004) findet, in einer Begrenzung der Bewegung innerhalb des sichtbaren Onscreen-Bereichs, oder sind auch Beschränkungen der Bewegung auf die Fläche innerhalb früher First-Person-Shooter wie Doom letztlich mit Wolf als interaktive Offscreens zu verstehen. In ganz anderer Ausrichtung hat sich nach Wolf die Filmerin Alice McMahan (2003) dem Raum der Spiele gewidmet: Unter dem Eindruck der Annährung zeitgenössischer ›3D-Spiele‹ an den Spielfilm, fokussiert sie im Anschluss an die Präsenzforschung (vgl. Steuer 1992) auf das fortan als Immersion (von lat. Immersio für ›ich tauche ein‹) bezeichnete Phänomen des ›In-Seins‹. Wie für den formalistischen Ansatz steht auch für die Immersionsforschung zunächst der sichtbare Raum im
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Vordergrund, wenngleich Computerspiele fast immer auch eine Audiokomponente haben, die gerade im Hinblick auf die Raumwirkung wesentlich einfacher als die von der Leistung der verwendeten Grafikkarte abhängige Perspektivdarstellung zu einem ›festen‹ (griech. steréos) Eindruck der virtuellen Welt führen können. McMahan klärt vor allem zwei seither in der Immersions-Debatte stets wiederkehrende Verwechslungen auf: zum einen die von psychischer und perzeptiver Immersion, zum anderen die von bildlicher und sozialer Immersion. Während letzter Aspekt vor allem für die Beurteilung eines grafisch wenig überzeugenden Spiels als ›realistisch‹ ausschlaggebend sein kann, ist erster Aspekt für die Raumwirkung von Computerspielen entscheidend: Eine psychische Immersion kann, muss aber nicht eintreten, eine perzeptiven Immersion ist unabhängig davon gegeben oder nicht gegeben. – Anders gesagt: Das Eintauchen in die Lektüre eines Buches oder den Sozialverbund einer Gilde kann nicht am Medium festgemacht werden, sondern hängt von der mentalen Disposition der Rezipienten ab. Dass bei einer Videobrille mit panoramatischer (nicht augmentierter) Darstellung die außerbildliche Wirklichkeit nicht mehr gesehen werden kann, ist hingegen eine technische Tatsache, die a priori eine perzeptuelle Immersion herbeiführt (vgl. Wiesing 2005b). Da die meisten ›3D-Spiele‹ aber an einem monoskopischen Bildschirm gespielt werden, ist der entscheidende Faktor von Computerspielräumlichkeit – und das ist die eigentliche Aussage von McMahans Beitrag – nicht Immersion, sondern Präsenz. Die Anwesenheit oder auch Sichtbarkeit räumlicher Tiefe in einem zentralperspektivischen Bild ist dabei keine Frage der Interpretation, wie oftmals im Rekurs auf die Kritik des Kunstwissenschaftlers Erwin Panofskys fälschlicher Weise (vgl. Rehkämper 2002) behauptet wird, sondern eine der Illusion: Der Effekt lässt sich nicht ›übersehen‹. Ist er gegeben, kann dann sowohl das psychische oder auch perzeptive Eintauchen in den virtuellen Raum durch subjektives Vergessen bzw. objektive Überwältigung erfolgen. So gesehen besteht die Besonderheit von First-Person-Shootern auch gar nicht in einer ›immersiveren‹ Wirkung als andere Spielgenres, sondern in der Zuschreibung der Perspektive zum Betrachter. Diese vom Spielfilm als ›Pointof-View (POV) Shot‹ vorgezeichnete Sichtweise (vgl. Galloway 2006) wird – anders als im Falle der ›passiven‹ Rezeption des nur bewegten Kinobildes, wo die POV-Einstellung eine Ausnahme bleibt – im Spiel weitgehend akzeptiert, da die Bewegung der Kamera von den Betrachtern verändert werden kann (vgl. Schwingeler 2008), wobei eine solche Erfahrung im Umgang mit Computerspielperspektiven wieder Rückwirkung auf die Darstellungsweise von Filmen hat (vgl. Beil 2010). Architekturtheorie. Die erste Verbindung zwischen dem Gestalten von Bauwerken und demjenigen virtueller Räume hat erstmals Celia Pearce 1997 in ihrem Interactive Book hergestellt. Beeinflusst von ihrem Vater, der bei dem revolutionären Konstrukteur Richard Buckminster Fuller studiert hatte, bezeichnet sie bereits die analoge Konstruktion von Räumen als eine ›narrative Kunst‹. In der Folge seien virtuelle Welten und Computerspiele ›spatial media‹, die ›narrative environments‹ (vgl. Pearce 1997, 442 ff. und 329 ff.) aufweisen. Unter ›Narration‹ (von lat. narrare für ›erzählen‹, im Sinne von ›aufzählen‹) wird in der Architektur dabei vor allem eine vorgegebene Abfolge von baulichen Elementen verstanden, deren ›Nacheinander‹ von den Planern bewusst angelegt wurde (vgl. Psarra 2009). (Im Sinne McTaggarts
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wäre dies die räumliche Ordnung, versehen mit einer Richtung – alias ›Zeit‹ –, oder im Sinne von Schellings Formel wäre Architektur ›erstarrte Musik‹, sofern eine Tonfolge als reiner Ausdruck eines Verlaufs verstanden wird.) Ohne Pearce zu erwähnen, übernimmt dann der oben zitierte Jenkins ihre Idee und setzt Computerspiele – in Anlehnung an das architektonische Prinzip der Themenparks (vgl. Carson 2000) – mit ›spatial storytelling‹ gleich. Kanonisch geworden ist dabei seine Unterscheidung von vier Möglichkeiten des räumlichen Designs: ›evocative spaces‹ (ein Raum ›ruft‹ die Erinnerung an eine Geschichte oder einen Film ›hervor‹), ›enacting stories‹ (eine Erzählung wird in einem gegeben Raum improvisiert), ›embedded narratives‹ (Elemente des Spielraums lassen sich zu einer Erzählung zusammensetzen) und ›emergent narratives‹ (eine Erzählung kann sich spontan aus dem Raum ergeben). Bei beiden architektonischen Ansätzen bleibt jedoch ein Missverständnis bezüglich einer Narration oder im Näheren der ›Story‹ bestehen: Diese wird – sofern nicht selbst durch einen Sprecher verkündet – von den Betrachtern oder Spielern über den Film bzw. das Game erzählt. Als solche liefern sie zunächst nur den ›Plot‹, das heißt, eine Abfolge von Handlungen. Räume oder ihre Bestandteile erzählen von sich aus nicht(s). – ›Saxa non loquuntur‹! Stets sind es Menschen, die eine Geschichte über (den Raum der) Ereignisse erzählen. Analog zur Kritik der Ludologie am literaturwissenschaftlichen Ansatz wird daher mittlerweile auch seitens der Architektur als das verbindende Element am Spieldesign das Regelhafte angesehen (vgl. Walz 2010). Spieleforschung. Auf den ersten Blick überraschend wurde die ludologische Computerspielforschung selbst von Literaturwissenschaftlern begründet. Diese suchten zunächst weniger, wie man mit Juul meinen könnte, nach einem Gegenentwurf zu gängigen Erzähltheorien, sondern nach den spezifischen Grundlagen des Mediums innerhalb dieser. So nimmt es denn kaum Wunder, dass die ›heilige Schrift‹ der Ludologie, veröffentlicht von Juuls Lehrer Aarseth im Jahr 1997, den Titel Cybertext trägt. Wie ebenfalls schon erwähnt, ist die wichtige Einsicht hier nicht, dass Computerspiele ›bewegliche Texte‹ sein können, sondern die Bestimmung der Spiele anhand ihrer Räumlichkeit als Ergodik. Verweist Aarseth hier anhand des ›Weges‹ nur ganz allgemein auf die ›Erstreckung‹ des Spiel(en)s, so macht er sich schon ein Jahr später daran, dem neuen Forschungsbereich eine dezidiert auf den Raum ausgerichtete Methode zu geben. Mit dem zunächst online publizierten, dann drei Jahre später in Print als deutsche Übersetzung erschienenen Text über Allegories of Space legt Aarseth den bis heute vielleicht wichtigsten Text zur Thematik vor. Darin emanzipiert Aarseth (vgl. 2001) die entstehenden Game Studies gänzlich von der Literaturwissenschaft, indem er auf den Vordenker der sozialwissenschaftlichen Wende zum Raum Bezug nimmt: dem französischen Urbanisten Henri Lefebvre. Dieser hatte mit seiner Theorie der gesellschaftlichen Erzeugung von Raum im Jahr 1974 ein dynamisches Verständnis desselben vorgebracht und damit das philosophische Schisma von Zeit und Raum überwunden. Zunächst in Vergessenheit geraten, war Lefebvres Theorie durch eine Publikation des kritische Geographen Edward Soja (vgl. 2005) kurz vor Aarseths Beitrag wieder in die Diskussion zurückgekehrt.
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Nach Lefebvre (vgl. 2006) verändert sich Raum aufgrund eines dialektischen Spannungsverhältnisses zwischen der Wahrnehmung gegebener Räumlichkeit und der Vorstellung möglicher Räumlichkeit, die er als ›Raumrepräsentation‹ bezeichnet. Gesellschaften können entsprechend über die daraus resultierende Synthese symbolischer Räume (der sogenannten Repräsentationsräume) definiert werden. Lefebvre selbst ließ das Symbolische des Raums weitgehend unterbestimmt und auch Aarseth bezeichnet diesen Aspekt nur als ›assoziative‹ Komponente von Raum, wenngleich er den titelerklärenden Hinweis gibt, dass Computerspielräume als ›Allegorien‹ immer vom ›realen Raum‹ differierten. Entsprechend dem diskreten Wesen des Computers sind diese nach Aarseth vielmehr topologisch organisiert. – Kurz gesagt, beruht eine virtuelle Welt demnach wie das Schachbrett auf einem Relationssystem distinkter Feldern – und dargestellte ›Landschaften‹ oder ›Environments‹ (als Raumrepräsentationen) sind eben nur ›Verschleierungen‹ des wirklichen Raums. Aarseth hat in seinen vielen weiteren Beiträgen, welche die Räumlichkeit von Computerspielen behandeln, den Bezug zu Lefebvre fallen gelassen und stattdessen einen Gegenentwurf zur filmformalistischen Klassifikation vorgelegt. Den Grundstock hierzu legt er zusammen mit Solveig Marie Smedstad und Lise Sunnanå (vgl. 2003) auf der ersten DiGRA-Konferenz in Utrecht, wo die Autorinnen den Raum digitaler Spiele als durch drei Grundbegriffspaare bedingt definieren: einer überblickendenden gegenüber einer beweglichen ›Perspektive‹, einer geometrischen gegenüber einer topologischen ›Topographie‹ sowie einer statischen gegenüber einer dynamischen ›Umwelt‹. Die später weiter differenzierte und auch leicht modifizierte Unterteilung (vgl. Elverdam/Aarseth 2007) ermöglicht es, jedes Computerspiel in seiner Räumlichkeit hinreichend zu bestimmen. Egoshooter etwa weisen eine bewegliche Perspektive in einer geometrischen Topographie mit zumeist statischer Umgebung auf. Das Topologische wird hier also streng ludisch nur noch im Sinne einer Handlungsregel verstanden (das heißt: eine kontinuierliche Bewegung im Spielraum ist nicht möglich) und nicht mehr im Sinne der Digitalität des Rechners. Ohne Lefebvre zu erwähnen, geht auch Juul (vgl. 2005) auf das Spannungsfeld von realem und repräsentiertem Raum ein, wenn er Computerspiele in seiner Dissertation – in Anlehnung an den Egoshooter Klassiker Half-Life aus dem Jahr 1998 – als ›halb-real‹ bezeichnet. Real an Spielen seien die Regeln (oder deren Verbindlichkeit) und diese damit der eigentliche Gegenstand der Ludologie, während fiktional die darin gezeigten Welten oder Charaktere sind. Unter Bezugnahme auf das Standardwerk des Game Designs von Katie Salen und Eric Zimmerman (vgl. 2004) führt Juul den neuen Forschungszweig somit auf den kulturwissenschaftlichen Anfang der Spieleforschung bei dem niederländischen Anthropologen Johan Huizinga und seiner Schrift über den Homo ludens zurück, der das Wesen menschlichen Zusammenlebens bereits als stets regelgeleitet beschrieb. Salen und Zimmerman nehmen eine bei Huizinga (1956, 27) nur als Beispiel für ein Spiel genannte Form und erheben diese zur Matrix jeden Spieldesigns: den Magic Circle oder ›Zauberkreis‹ (niederl. tovercirkel). Computerspiele erzeugten solcherart, so Juul, einen streng abgegrenzten Raum der Regeln, die ›nach eigenen Gesetzen‹ funktionieren, in dem die Außenwelt allenfalls als Projektion oder fiktionaler Gehalt eingegangen ist (vgl. Günzel 2009).
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Literaturwissenschaft. Dass der Kampf der Ludologen gegen die Narratologie zunächst vor allem ein rhetorisches Unterfangen war, um sich Gehör zu verschaffen, denn dass es sich um eine in der Sache begründete Verwerfungslinie handelt, zeigt sich daran, dass die eigentlich narratologischen Beiträge zum Computerspiel erst mit Entstehung der Game Studies verfasst werden. Im Blick auf die oben vorgestellten Ansätze der Theaterwissenschaft und Architektur kann vielmehr eine Abkehr vom ehemals vorherrschenden Paradigma des Textes (als Äquivalent von ›Welt‹) konstatiert werden. Im Wesentlichen liegt dies an dem anderen Schlagwort der 1990er Cyberspace-Jahre, dem Hypertext, der in der Medienforschung als Wesensmerkmal des World Wide Webs galt und dem aufgrund seines Verweisungssystems räumliche Eigenschaften zugesprochen wurden (vgl. Bolter 2001). Hauptvertreterin der Computerspielnarratologie ist Marie-Laure Ryan, die sich in ihrem Standardwerk Narrative as Virtual Reality bereits zwei Jahre vor McMahan mit der Frage der Immersion beschäftigt. Als bemerkenswerter Befund Ryans (vgl. 2001) kann gewertet werden, dass für sie die (Erzähl-)Perspektive der ersten Person gerade nicht als Garant für das Eintauchen in eine fiktionale Welt angesehen werden kann, sondern vor allem die freie indirekte Darstellung (vor allem die Vergangenheitsform der dritten Person Singular mit lokaler Deixis, so beispielsweise: »wie könnte sie hier jemals leben, dachte x«). Der erste einschlägige Beitrag eines narratologischen Verständnisses digitaler Räume stammt jedoch aus der deutschsprachigen Semiotik und wurde von der heute in Maastricht lehrenden Karin Wenz in ihrer Dissertation vorbereitet. Wenz (vgl. 1997), die auch für die Übersetzung von Aarseths Levebvre-Artikel verantwortlich zeichnet, schließt hierbei an Derridas Idee einer Verräumlichung durch die Schrift an und begreift die bis dahin nur unklar mit Text identifizierte ›Welt‹ als narrativen Raum. So wird der Weg für eine Auseinandersetzung mit Erzählperspektiven unabhängig von der Immersionsthematik ermöglicht. Zusammengefasst werden die Methoden der narratologischen Analyse, wie sie vor allem durch Gerard Genette (vgl. 2010) in Auseinandersetzung mit Franz Stanzel (vgl. 2008) systematisiert wurden (vgl. Korbel 2009), schließlich durch Britta Neitzel (vgl. 2005), welche über die sichtbare Perspektive des Computerspiels hinaus die Handlungsperspektive interaktiver Medien berücksichtigt: Entsprechend hat ein sogenannter Third-Person-Shooter wie Max Payne von 2001 durch die virtuelle Kamera nach wie vor einen subjektiven Point of View, aber die Handlungsperspektive ist semisubjektiv, da die Figur in den Bildraum eingerückt ist. Ferner ist nach Neitzel zu unterscheiden zwischen der Perspektive und der Fokalisierung. Letztere bezeichnet das Wissen über einen Sachverhalt: So werden die meisten Egoshooter zwar in subjektiver Perspektive gespielt, durch eine Minimap (zumeist als Radar am Bildrand dargestellt) wird jedoch Wissen über den eigenen Standort in Bezug auf die Gegner vermittelt. Das Spiel wäre entsprechend semisubjektiv fokalisiert, wenngleich subjektiv perspektiviert. Entgegen der gerade gegenwärtigen noch anhaltenden Konjunktur des Immersionsversprechens durch VR-Technologie seitens der Spieleindustrie wird von der neueren Computerspielnarratologie das ehemals für die Theoriebildung zentrale Konzept des Eintauchens fallengelassen und die Erfahrung des erzählten und er-
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spielten Raums nurmehr im Sinne einer Beteiligung (engl. involvement) interpretiert (vgl. Calleja 2011, 83–92). Spieleentwicklung. Seitens des Game Developments gibt es bereits sehr früh Arbeiten über ›Kunst‹ der Spielgestaltung (vgl. Crawford 1984). Generell halten sich die Urheber der Spiele aber bedeckt, was eine Theoretisierung des Mediums angeht. Dennoch finden sich gerade zum Thema des Raums eine Reihe von Arbeiten, die sich ausgehend von bestehenden Designmöglichkeiten an einer solchen versuchen. Ein Vordenker dieses Ansatzes ist der Brite Steven Poole (vgl. 2000, 125–148), der in seiner Publikation Trigger Happy eine kurze Raumgeschichte vor dem Hintergrund der Hardwareentwicklung vorlegt. Auf die Frage nach der Immersivität von Computerspielen gibt der Erfinder des Multi User Dungeons, Richard Bartle (vgl. 2004, 154–157), eine knappe aber unerwartete Antwort: Das Eintauchen in die Spielwelt findet nur dort statt, wo die Nutzer ihre Spielfigur nach eigenen Vorstellungen gestalten können und so selbst zum Teil des virtuellen Raums werden. Im Fahrwasser einer durch Wolf inspirierten formalen Analyse von Spielräumen sind darüber hinaus die mittlerweile zum Erliegen gekommenen Arbeiten der Game Ontology Group zu nennen, die erstmals hinreichend und systematisch zwischen der visuellen Repräsentation von Raum und den Freiheitsgraden der Interaktion unterscheiden (vgl. Fernandez-Vara et al 2005). Sie bereiten ferner eine Betrachtung kleinster räumlicher Spieleinheiten vor (vgl. Zagal et al. 2008), denen sich in jüngster Zeit Alison Gazzard (vgl. 2013) widmet, wenn diese die Labyrinth-Strukturen in Computerspielen untersucht und so Aarseths Konzept einer ergodischen Räumlichkeit am konkreten Game Design expliziert. Medienwissenschaft. Seitens der an Marshall McLuhans (vgl. 1994, 21–43) Grundsatz von der eigentlichen ›Inhaltsleere‹ jeglichen Mediums und der Vorrang einer Wirkung der verwendeten Kommunikationsform – ›das Medium ist (selbst) die Botschaft‹– orientierten Medienwissenschaft werden Spiele fast durchweg unter Verdacht gestellt. Wie schon in der Auseinandersetzung mit dem Film vorgezeichnet (vgl. Winkler 1982), wird dazu der Apparat, die Ideologie oder zugehörigen Praktiken eines Mediums fokussiert. Gerade im Blick auf ›3D‹-Spiele folgt die medienwissenschaftliche Einschätzung dem zentralen Beispiel McLuhans, wonach die Botschaft der Zentralperspektive durch den Kubismus dekonstruiert und die Raumillusion der Lüge gestraft wurde (vgl. Groys 2000, 88–101). Eine grundsätzlich skeptische Haltung gegenüber den ›Neuen Medien‹ zeigt sich schon bei der ersten Behandlung räumlicher Navigation im Cyberspace durch den ›McLuhan des 21. Jahrhunderts‹, Lev Manovich (vgl. 2000), der in einer heute krude anmutenden Gegenüberstellung von Doom und dem CD-ROM-Spiel Myst mit Panofsky (vgl. 1998, 694) jenem eine bloße Aggregathaftigkeit des Raums attestiert, während allein dieses den Anspruch eines systemischen Raums erfülle. Als ›Aggregat‹ oder Ansammlung bezeichnet Panofsky die antike, von Aristoteles im Rahmen seiner Physik wiedergegebene Vorstellung, der Raum sei aus einzelnen Orten (gr. topoi) zusammengesetzt, gegenüber der neuzeitlichen ›System‹-Annahme eines durchgängigen, zunächst ›leeren‹ Raums. – Tatsächlich bietet Myst aber alles andere als die Erfahrung eines homogenen Raum, da es sich dabei um ein aus einzelnen
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Standbildern bestehendes Grafikadventure handelt, in dem die User nichts anderes zu tun haben, als versteckte Hyperlinks ausfindig zu machen, deren Aktivierung das nächste Bild vom Datenträger aufruft. Freilich wirken diese Bilder ›glatter‹ (und damit fotorealistischer) als die Pixelgrafiken früher Egoshooter, in denen die Objekte als Sprites nicht mit dem dargestellten Raum verbunden scheinen, aber auf diskrete Technologien beruhen letztlich nicht nur diese, sondern alle digitalen Spiele, womit Manovich zufolge ein systemischer Raum a priori nur analog hervorgebracht werden kann. Eine ähnliche Herabstufung des zentralperspektivischen Spielgenres legt die soziologische Geschlechterforschung an den Tag, welche First-Person Shooter grundweg als männlich codierte Raumkisten einstufen, die bloß »Freiheistphantasien organisier[en]« (Funken/Löw 2002, 88). Bestätigung findet diese Skepsis gegenüber dem räumlichen Illusionismus des Computerspiels zeitgleich in der von Friedrich Kittlers (vgl. 1986, 149) Annahme einer Herkunft aller Unterhaltungsgeräte aus dem Militärwesen inspirierten Untersuchung von Claus Pias (vgl. 2002), dessen Genealogie der Computerspiele zufolge es außerhalb der Möglichkeiten von ›Action‹ (zeitkritisch), ›Adventure‹ (entscheidungskritisch) und ›Strategie‹ (konfigurationskritisch) keine originären Spielgenres – wie etwa das ›raumkritische‹ Perspektivbild – geben kann: Doom sei demnach nicht wirklich verschieden von PacMan und letztlich auch nur ein Mittel zur Konditionierung der Nutzer auf visuelle Reize. Der Mitbegründer der AG-Games in der deutschen Gesellschaft für Medienwissenschaft, Rolf Nohr (vgl. 2008), verweist schließlich auf den generellen Trend in Computerspielen, ihren artifiziellen Charakter durch die realistische Bildgebung zu verschleiern.
6. Repräsentationsräume des Computerspiels Wie eingangs bereits erläutert, zeigt sich unter gegenwärtigen Bedingungen mindestens zweierlei: Zum einen, dass Raum ein konstitutiver Aspekt des Computerspiels ist, und zum anderen, dass das Interesse der Philosophie des Computerspiels nicht in der Suche nach einer (physikalisch-mathematischen) Wahrheit des Raums besteht, sondern in der Erzeugung unterschiedlicher Vorstellungen davon. Genau aus diesem Grund kommt der Raumtheorie Henri Lefebvres sowohl in der Philosophie, wie auch in der Computerspielforschung eine Sonderrolle zu: Lefebvre verfolgt mit der Annahme einer (sozialen) Produktion des Raums keinen Anspruch auf die Wahrheit einer Beschreibung, sondern lässt eine Pluralität von Räumen zu, die aber zugleich an konkrete (Re-)Präsentationen gebunden sind. Computerspiele sind aufgrund ihrer Entwicklungsgeschichte, die sich direkt an der fortlaufenden Raumerweiterung – im audiovisuellen und interaktiven Bereich zugleich – ablesen lässt (vgl. Rumbke 2005 und Mertens 2007), daher prädestiniert, als Repräsentationen unterschiedlicher Raumtheorien interpretiert zu werden. Damit unterscheidet sich die hier vorgebrachte Lesart Lefebvres jedoch deutlich von der bisher in den Game Studies üblichen: Seit Aarseth den Ansatz Lefebvres für die Game Studies erschlossen hat, wurden ›Repräsentationen‹ vorrangig mit einem ›Mangel an Sein‹ des virtuellen Raums assoziiert. Neben Aarseth, für den Videospie-
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le nur Allegorien des ›wirklichen‹ Raums sind, hat etwa Shawn Miklaucic (vgl. 2006) im Blick auf SimCity von 1989 die Behauptung aufgestellt, dass diese durchgängig in der räumlichen Draufsicht gespielte Aufbausimulation sich durch die Abwesenheit jedweder ›gelebten Räumlichkeit‹ auszeichnet. Selbst Untersuchungen, die aus rein analytischen Gründen auf die Unterscheidung der drei Raummodalitäten eingehen, sehen in den Bildschirmereignissen nur den Aspekt einer Raumrepräsentation erfüllt (vgl. Nitsche 2008, 16 f., und Stockburger 2009), gegenüber dem sich die Spieler vor den Monitoren im eigentlich Raum der Praxis befinden. Hierdurch erfolgt ein unausgesprochener Schulterschluss zwischen möglichkeitsorientierter Designtheorie und skeptischer Medienwissenschaft. Dabei zeigt schon ein Blick auf den bis heute zumeist vernachlässigten Aspekt der kartographischen Darstellungen (vgl. Eichhorn 2007), dass Computerspiele nicht per se nur ›Raumrepräsentationen‹ sind, sondern solche innerhalb derselben vorkommen können, so dass digitale Spiele vielmehr an sich bereits als Repräsentationsräume zu begreifen sind. Der ›gelebte Raum‹ von SimCity besteht gerade im Interagieren aus nichtfokalisierter Position heraus. (Was auch durch den Umstand bestätigt wird, dass es über die Primäransicht hinaus auch noch einen Kartenmodus zur Orientierung im Gesamtraum des Spiels gibt.) Eingedenk der Schwierigkeit, bereits bei Lefebvre zwischen beiden Formen von Repräsentation hinreichend zu differenzieren, kann eine ursprünglich semiotische Unterscheidung herangezogen werden, die von Nelson Goodman (vgl. 1998, 15–17 und 59–63) populär gemacht wurde: der Unterschied von Denotation und Exemplifikation mittels Bilder (vgl. Wiesing 2005a). Erste Form der Repräsentation ist asymmetrisch, zweite symmetrisch. Eine Denotation erfolgt demnach nur in eine Richtung: vom Bezeichnenden zum Bezeichneten. Computerspielräume als solche aufzufassen, läuft schlechtweg darauf hinaus, sie als Chiffren der Wirklichkeit zu deuten, gegenüber der sie immer minderwertig sein werden. Computerspiele hingegen als bereits ›gelebte Räume‹ zu verstehen, insofern sie das Resultat eines Prozesses sind, bei dem bestimmte Weltvorstellungen sich mit einer Praxis des Spielens verschränken, die von Regelsystemen bereitgestellt werden, eröffnen eine neue philosophische Sichtweise auf Computerspiele; nämlich: sie selbst als Elemente einer Menge zu verstehen, die durch sie exemplifiziert werden. So repräsentieren Egoshooter freilich den Raum (auch) als ›Schachtel‹ (vgl. Einsteins 1988, 92), aber das ist kein Ausdruck einer ontologischen Minderwertigkeit, sondern die spezifische Darstellungsleistung. Computerspiele machen solcherart Raumkonzepte erfahrbar, die anderweitig nur über theoretische Konstrukte (den Raumrepräsentationen im Sinne Lefebvres) zugänglich sind (vgl. Günzel 2017b). Eben hierin besteht die philosophische Relevanz von Computerspielen für die Raumtheorie: Sie können – absichtlich wie unabsichtlich – als Beispiele für theoretisch konkurrierende Deutungen des Raums angesehen werden. Tetris von 1984 etwa ist als konkrete Raumrepräsentation vergleichsweise uninteressant, weil die vermittelte Erzählung von einem Trinkgefäß handelt, das am Überlaufen gehindert werden soll. Als Repräsentationsraum aber führt das Spiel vor, wie eine Welt aussieht und sich ›anfühlt‹, die nach der antiken Naturvorstellung organisiert ist: Jedem Objekt ist eine Stelle zugewiesen, die dann sein Ort ist und unterschiedlichen Gegenständen zukommen kann. Ein Ort weist aber immer ein Objekt auf, und sei es
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auch das ›Objekt‹ der Luft (die antike Naturvorstellung kennt kein Vakuum). Mit Panofsky gesprochen wäre erst dieser Raum aggregathaft, derjenige der Zentralperspektive, welcher auf der Physik Newtons beruht jedoch systemisch – unabhängig von der zugrundeliegenden Hardware. Zork von 1980 wie auch vergleichbare Textadventure können wiederum als Exemplifikationen eines relationalen Raums verstanden werden, in dem nicht die Ausdehnung, das Volumen oder der Abstand zwischen zwei Punkten entscheidend ist, sondern nur ihre Nachbarschaft oder Verbundenheit. Dass Spiel macht einen Raum erfahrbar, wie er zunächst von Gottfried Wilhelm Leibniz und später von der Graphentheorie der Nichteuklidischen Geometrie mit Leonhard Euler und anderen als die mathematische ›Wahrheit‹ desselben ausgegeben wurde. Die Nutzer müssen eine möglichst geringe Zahl an Verbindungswegen ausfindig machen, die sie zum Endpunkt der Spielwelt führt. Im Anschluss hieran sind die eingangs erwähnten 4D-Spiele zu sehen, die entsprechend nachfolgende Theorien der Mathematik erfahrbar machen. Die von Aarseth ganz pauschal in Anspruch genommenen ergodischen Räume sind im Besonderen mit Spielen wie der Freerunning-Simulation Mirror’s Edge von 2008 zum Ausdruck gebracht. Jene Theorie des Wege- oder hodologischen Raums geht auf den Psychologen Kurt Lewin (vgl. 1934) Anfang des 20. Jahrhunderts zurück und beschreibt in seinen Augen die einzig zutreffende lebensweltliche Erfahrung von Räumen in Form ihrer sukzessiven Erschließung. Tatsächlich zeigen Untersuchungen über den Stadtraum (vgl. Lynch 1965), dass die – durch SimCity exemplifizierte – Übersicht immer Teil der wirklichen Raumerfahrung sein kann. Aber auch das interessiert an dieser Stelle nicht für die Philosophie des Computerspiels: Entscheidend ist abermals der Umstand, dass sie eine besondere Raumerfahrung ermöglichen, über deren Ausschließlichkeit kein abschließendes Urteil getroffen ist. Zuletzt schließlich können die Räume der – wie schon die Narratologie feststellte – zu Unrecht als Perspektive der dritten (und das heißt: vollständig distanzierten) Person beschriebenen Spiele in ihrer hybriden Fokalisierung als Veranschaulichung und gleichfalls Nachvollziehbarmachung eines psychopathogenen Raums angesehen werden. So hat der Phänomenologe Karl Jaspers (1973, 77 f.) anfang des letzten Jahrhunderts mit der Heautoskopie eine besondere Art des Außer-sich-Seins beschrieben, bei welcher der eigene Leib nicht nur von außen gesehen (Autoskopie), sondern zugleich noch von Innen erlebt wird: »Heautoskopie nennt man die Erscheinung, dass der Mensch seinen Leib in der Außenwelt als einen zweiten wahrnimmt, sei es in eigentlicher Wahrnehmung, sei es in bloßer Vorstellung, im Wahn, in leibhaftiger Bewusstheit«. – Dies ist die Beschreibung des Wahrnehmungsraums, welche als Verbindung von subjektivem Sehpunkt und semisubjektivem Handlungspunkt in Erscheinung tritt. Das heißt nicht, dass bei der Nutzung von Tomb Raider eine Psychose eintreten muss, wohl aber, dass es eine Möglichkeit gibt, diese Raumerfahrung ein Stück weit nachvollziehen zu können und deren Existenz im Sinne einer alternativen Raumtheorie zu akzeptieren.
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Film 241
Film Andreas Rauscher
1. Einleitung Die philosophische Auseinandersetzung mit Videospielen und Filmen hat sich in den 2010er Jahren zu einem festen Bestandteil der Game Studies und der Filmwissenschaft entwickelt, von Sammelbänden zur Philosophie des Rollenspiels Dungeons and Dragons bis hin zur Philosophie des Neo-Noir (vgl. Conard 2007). Die diskutierten Perspektiven beschränken sich jenseits dieser Beispiele jedoch nicht länger auf den illustrativen Gebrauch von Filmen und Games zur Erläuterung klassischer philosophischer Fragen, der meistens noch im Mittelpunkt der populärwissenschaftlichen Einführungen stand. Vielmehr rückt die Frage in den Mittelpunkt, inwiefern Filme und Spiele sich an philosophischen Diskursen beteiligen, wie beispielsweise die Matrix-Filme (1999–2003) an der Diskussion über Simulationen und Simulakren. Neu begründete Reihen wie FilmDenken (Engell/Fahle/Hediger/Voss 2015) betrachten auch im deutschsprachigen Bereich die medienphilosophischen Kontexte des Films. Bände wie Martin Seels Die Künste des Kinos (Seel 2013) entwerfen ästhetische Perspektiven auf das Kino als Kunstform und im anglo-amerikanischen Sprachraum haben sich unterschiedlichste Reihen mit filmphilosophischer Ausrichtung etabliert, von der von William Irwin begründeten Philosophy and Popular Culture-Reihe bis hin zu Journals wie Film-Philosophy und Cinema – Journal of Philosophy and the Moving Image. Im Idealfall fordern die Filme selbst die Philosophie heraus, sich mit diesen zu befassen, indem sie in filmischer Form über die Darstellung von Erinnerungen, die Erfahrung einer fragmentarischen Wirklichkeit und die Grenzen des Menschlichen nachdenken. Dieser Ansatz bestimmt die Auswahl der Bände in der Reihe Philosophers on Film, die Themenbände zu Filmen wie Vertigo (Makkai 2013), Memento (Kania 2009) und Blade Runner (Coplan/Davies 2015) hervorbrachte. Noch einen Schritt weiter gehen jene Ansätze, die, wie Stephen Mulhall am Beispiel der Alien-Reihe (Mulhall 2001) in Nachfolge der populären Film-Philosophen Stanley Cavell (vgl. Cavell 1971, 1981) und Gilles Deleuze (vgl. Deleuze 1989, 1991) davon ausgehen, dass Filme selbst Philosophie betreiben können. Im Bereich der Videospiele setzen vergleichbare Prozesse gegenwärtig mit der jährlich veranstalteten International Philosophy of Computer Games Conference, einzelnen Sammelbänden zur Aesthetics of Video Games (vgl. Robson/Tavinor 2018) und zur Philosophie einzelner Videospiele ein, wie beispielsweise dem dystopischen Science-Fiction-Spiel Bioshock (vgl. Cuddy/Irwin 2015), das in den Game Studies eine ähnliche Position wie die Matrix-Trilogie für philosophische Diskurse in der Filmwissenschaft einzunehmen beginnt. Diese philosophischen Prozesse entstehen aus einem produktiven dialektischen Wechselspiel zwischen Form und Inhalt. Film-Philosophie hat sich international neben der traditionellen Filmtheorie als eigene prominente Form des systematischen Nachdenkens über Filme etabliert (vgl. Shaw 2008; Livingstone/Plantinga 2008; Col-
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man 2014) und die Game Studies vertiefen kulturwissenschaftliche philosophische Perspektiven, die das Videospiel in einer umfassenderen Tradition des Spiels als Kulturform (vgl. Adamowsky 2000), als ästhetisches Objekt (vgl. Feige 2015) und als Gedankenexperiment betrachten.
2. Vernachlässigte Familienbande: Games und Film Umso mehr erstaunt es angesichts dieser zunehmenden Ausdifferenzierung, dass die naheliegenden Familienähnlichkeiten zwischen Filmen und Videospielen in diesen Diskursen bisher wenig Beachtung finden. Zwar widmen sich immer wieder einzelne Monographien den Wechselspielen zwischen Filmen und Videospielen (vgl. King/Krzywinska 2002; Kallay 2013; Papazian/Sommers 2013; DIF/Lenhardt/ Rauscher 2015). Eine umfassendere theoretische Aufbereitung lässt hingegen nach wie vor auf sich warten. Offensichtlich haben sich die Enttäuschungen noch nicht gelegt, nachdem die in den 1990er Jahren sehr hoch gesteckten Erwartungen gegenüber den Neue Medien, wie sie in Janet Murrays Hamlet on the Holodeck (Murray 1998) zum Ausdruck kommen, sich nicht erfüllt haben. Darüber hinaus besteht von Seiten kulturkonservativer Cineasten nach wie vor eine gewisse Skepsis gegenüber Videospielen, die sich beispielsweise in den Vorbehalten des Kritikers Roger Ebert gegenüber dem Videospiel als Kunstform prominent artikulierten (vgl. Ebert 2010). Umgekehrt warnten die ganz auf die Besonderheiten der Spiele konzentrierte Ludologen und andere Vertreter der Game Studies vor einem ›cinema envy‹ (vgl. Zimmerman 2002), die angesichts einiger allzu weit ausholender Begrifflichkeiten in der Theorie der Neuen Medien durchaus nachvollziehbar erscheint. So entwirft Berys Gaut in seiner 2010 erschienen Philosophy of Cinematic Art einige interessante Ansätze zu Filmsprache und Realismus, zur Autorschaft und zur Erzählung im digitalen Zeitalter. Allerdings besteht ein wesentliches Problem seines Modells darin, dass er seinem Begriff des interactive digital cinema sämtliche Videospiele bis hin zu Online-Rollenspielen unterordnet (vgl. Gaut 2010, 11). Ein derart pauschalisierender Ansatz würde nicht nur die Vorbehalte der Ludologen bestätigen, er würde auch implizieren, dass die Unterschiede zwischen einem Online-Rollenspiel wie World of Warcraft, dem zugrunde liegenden Strategiespiel Warcraft und dessen Verfilmung durch Duncan Jones im gleichnamigen Film (2016) vernachlässigbar wären. Jay David Bolter und Richard Grusin entwickeln in ihrer Studie Remediation (2000) einen differenzierteren Blick, indem sie sich überwiegend auf die Remedialisierungsprozesse in Videospielen konzentrieren. Interaktive Filme versuchen das Gefühl zu vermitteln, man befände sich in einem Film (vgl. Bolter/Grusin 2000, 99). Computer-Rollenspiele würden hingegen versuchen, die Anzeichen für ihre Medialität zu verbergen. Bolter und Grusin beziehen sich in ihren Ausführungen überwiegend auf filmisch inspirierte Adventure-Spiele wie Myst und The Last Express. Obwohl die Integration der Videospiele in ihr weiter gefasstes Modell des als Hypermediacy ausgestellten und als Immediacy verborgenen medialen Transfers schlüssig erscheint, könnten dennoch die Erfordernisse der einzelnen Genrekontexte eine stärkere Gewichtung erfahren. Rollenspiele können wie die Elder ScrollsReihe mit Oblivion und Skyrim eine nahezu meditative explorative Beschäftigung
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ermöglichen, in der die Medialität nahezu vollständig verschwindet, sie können aber auch wie das Independent-Rollenspiel Legend of Grimrock in einer Art ludischen Minimalismus sich ganz auf den taktischen Gebrauch von Statistiken und die remedialisierten Würfel-Gefechte analoger Rollenspiele fokussieren. Generell übersehen einige Medientheorien gerne die spezifischen Besonderheiten ihres Untersuchungsgegenstandes, wie beispielsweise dass selbst der vermeintliche interaktive Film immer noch über einen ausgeprägt hohen Anteil an Spiel-Elementen verfügt, die nicht immer zu seinen ästhetisch gelungensten Elementen gehören. Am effizientesten bedenkt der Medientheoretiker Lev Manovich in seiner Language of New Media (2001) die Formen der Synergien zwischen Filmen und Videospielen. Für Videospiele betrachtet er Navigable Spaces (vgl. Manovich 2001, 244 ff.) und generell für die Neuen Medien die Datenbank als narratives Konzept (vgl. Manovich 2001, 218 ff.) als maßgeblich. Für den digitalen Film nennt er eine Aufwertung des zuvor in der klassischen Filmtheorie übergangenen Bereichs der Animation als ausschlaggebend (vgl. Manovich 2001, 300 ff.). Die von Manovich getroffenen Beobachtungen und daraus abgeleiteten Begrifflichkeiten bieten eine hilfreiche Grundlage für die Diskussion der ästhetischen und strukturellen Synergien zwischen Videospielen, Animation und Realfilm. Wie der Medienwissenschaftler Phillip Bojahr jedoch berechtigt einwendet, konzentriert sich Manovich sehr stark auf den Bereich der klassischen Filmtheorie: »Trotz seines Anspruchs, das digitale Feld in seiner Breite zu besprechen, bleibt Manovich stets im Kern auf das Filmische fixiert« (Bojahr 2015, 187). Manovichs These, dass der Realismus nur noch eine Unterabteilung der Animation sei, erscheint vor dem Hintergrund eines filmischen Abbild-Realismus weitaus provokanter, der aus Naivität oder normativen Geschmacksurteilen heraus den Bereich der Animation über Jahrzehnte skeptisch gegenüberstand und diesen vernachlässigt hat. In der Anwendung seiner Thesen auf die Game Studies wäre es hingegen erforderlich über die üblichen Verdächtigen Doom und Myst hinaus weitere Beispiele in den Blick zu nehmen, um das Vokabular der Analyse zu präzisieren. Manovichs Unterscheidungen bezüglich einer räumlichen, einer stilistischen und einer ontologischen Montage (vgl. Manovich 2001, 152–159), die verschiedene Medien kombinieren kann, sind erhellend, beziehen sich aber überwiegend auf Beispiele aus der Avantgarde- und der traditionellen Filmgeschichte, vom Kamera-Auge Dziga Vertovs über den tschechischen Trickfilm- und Phantastik-Pionier Karel Zeman bis hin zu Peter Greenaways postkinematographischen Datenbanken. Der folgende Artikel skizziert verschiedene Perspektiven für eine weitere mögliche Annäherung zwischen Filmen und Games hinsichtlich philosophischer Fragen. In einem ersten Schritt werden die ästhetischen Probleme im Transfer zwischen den beiden Medien näher betrachtet. Als ein mögliches im Middle-Ground zwischen Analyse und weiter gefasster Begriffsarbeit verankertes Konzept wird der Begriff der cineludischen Form erläutert. Hinsichtlich der Mise-en-scène und des Gebrauchs der filmischen Mittel ermöglicht die Betrachtung der medienübergreifenden Formen ästhetische und dramaturgische Austauschprozesse zwischen Filmen und Spielen auf einer abstrakteren Ebene in den Blick zu nehmen (vgl. auch Leschke/ Venus 2007).
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Die Varianten der cineludischen Form werden in drei Schritten betrachtet, die zugleich eine medienhistorische Perspektive eröffnen: Die erste Ebene betrifft die Mikroeinheit in sich geschlossener Standardsituationen mit klar vorgegebenen Zielen, die durch Wiederholung und Variation definiert werden. Sie bilden einen Brückenschlag zwischen den im Kino der 1980er Jahre wieder entdeckten ausgestellten filmischen Attraktionen und den geschlossenen Spielabläufen damaliger Arcade-Spiele, die nach einem eindeutigen Regelprinzip im Sinne des Begriffs ludus organisiert sind. Die zweite Ebene nimmt die Verknüpfung derartiger Situationen zu einem in Spielen häufig non-linear organisierten navigierbaren Handlungsverlauf in den Blick. Die Speicheroptionen der Home-Computer und Konsolen ermöglichen nicht nur umfassendere Spielkonzepte mit variablen Abläufen und diversen Abschnitten, Adventures und Rollenspiele verwandeln auf dieser Basis filmisch inspirierte Genre-Settings in konfigurierbare Spielräume, die performative Freiräume im Sinne des Begriffs Play/Paidia ermöglichen. Die dritte Ebene behandelt schließlich die neuere Tendenz zu Weltentwürfen, die nicht mehr alleine als vorbereitetes Setting, sondern als eigendynamische Open-World funktionieren. Das von Huizinga geprägte Bild des Spielraums als abgegrenzten magischen Kreis weicht in diesem Zusammenhang einer Montage aus unterschiedlichen Arealen und Ebenen.
3. Ästhetische Annäherungen der Attraktionen Simon Egenfeldt-Nielsen, Susana Tosca und Jonas Heide Smith zählen in ihrer Einführung Understanding Video Games neben der Repräsentation und der Geographie eines Spiels auch die Regeln, das Gameplay und die Anzahl der Spieler zu den zentralen Elementen einer Game-Ästhetik (vgl. Egenfeldt-Nielsen et al. 2008, 97). Insbesondere die frühen Arcade-Spiele zu Filmen, die häufig lediglich auf einer einzelnen Sequenz aus der filmischen Vorlage basieren, verdeutlichen in ihrer zirkulären Rundenstruktur die Bedeutung der Regeln und des Gameplays. In Steven Lisbergers Cyber-Abenteuer Tron (1982) nimmt die Geschichte um eine Gruppe idealistischer Freiheitskämpfer, die in einer magisch-elektronischen Welt hinter den Bildschirmen gegen die totale Überwachung des Master-Control-Programmes rebellieren, erst ihren Verlauf, nachdem die Protagonisten um den Helden Flynn (Jeff Bridges) aus der virtuellen Gladiatoren-Arena entkommen sind. Die in dieser ausgetragenen Wettkämpfe wie das ikonische, auf dem Spiel Snake basierende Light-Cycle-Rennen oder ein Duell mit Diskus-Scheiben über einem gefährlichen Abgrund verdeutlichen pointiert die Unterschiede zwischen filmischen und ludischen Abläufen auf der Mikroebene. Im Film tauchen sowohl das Rennen, als auch das Diskus-Duell in kurzen Sequenzen als Attraktionsmomente auf, in den Arcade-Spielautomaten Tron und Disks of Tron bilden sie hingegen den Dauerzustand, ohne dass die Spieler wie die Protagonisten dem magischen Kreis entkommen könnten. Ausgesprochen produktiv korrespondieren zyklische Arcade-Szenarien, deren ludische Herausforderungen und Hindernisse sich auf einen Blick erkennen lassen, mit dem auf exponierten Schauwerten basierenden Cinema of Attraction. Der Filmwissenschaftler Tom Gunning beobachtete in seinem 1986 veröffentlichten gleichna-
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migen Aufsatz eine Rückkehr zu den ausgestellten Besonderheiten des frühen Kinos. Die erste Star Wars-Trilogie (1977–1983) und die ersten beiden Indiana Jones-Filme (1981, 1984) inspirierten Standardsituationen, die sich aufgrund ihrer Übersichtlichkeit und Abgeschlossenheit bestens für die Umsetzung als Game-Level, Brettspiel oder Arcade-Spiel eigneten (zum Konzept der Standardsituation, vgl. Koebner et al. 2016, 9–10, bzw. in der Anwendung auf Videospiele: vgl. Rauscher 2012). Standardsituationen bieten insbesondere im Genrekontext eine aussagekräftige Verbindung zwischen Filmen und Videospielen hinsichtlich der Zielvorgaben und Handlungsoptionen, die, obwohl es sich um abenteuerliche Cliffhanger-Situationen handelt, den Spielern entsprechend vertraut vorkommen. Bis heute werden die einschlägigen Sequenzen um Raumschlachten und Hindernisrennen aus den Filmen von Lucas und Spielberg immer wieder als Modell für das Arrangement und die Herausforderungen einzelner Spielabschnitte genutzt. Die Schlacht um den Todesstern in Star Wars IV – A New Hope (1977) gibt mit den einzelnen Angriffswellen der imperialen Jäger und dem als einzige verwundbare Stelle der Raumstation zu treffenden Lüftungsschacht einen mustergültigen Level-Aufbau vor, der 1982 von Atari in einem stilprägenden Star Wars-Arcade-Automaten umgesetzt wurde. In späteren Star Wars-Spielen wie Super Star Wars und Lego Star Wars – The Original Trilogy wurde die Situation des Kampfs um den Todesstern erneut aufgegriffen, diesmal jedoch als Teil einer weiter gefassten Abfolge von Herausforderungen, die die Dramaturgie des gesamten Films abbildeten. In diesem Fall entspricht die ludische Passage durch die filmische Welt einer Schienenfahrt durch einen Themen Park. Der Medienwissenschaftler Michael Nitsche diskutiert in seiner Studie Video Game Spaces die Diskrepanz zwischen der Welterfahrung und der stark begrenzten Handlungsfreiheit: »The world might appear to be accessible but can be navigated only in the confines of a very limited set track [...] The track turns into something like an adventure obstacle course« (Nitsche 2008, 175). Derartige Kombinationen aus Einschienenbahn und Trimm-Dich-Pfad finden sich in zahlreichen CD-RomSpielen wie Rebel Assault oder in dem Arcade-Automaten Dragon’s Lair, der voraufgezeichnete animierte Passagen von einer Laserdisc abspielte. Sie repräsentieren zu ihrer Entstehungszeit den State-of-the-Art der grafischen Darstellungsmöglichkeiten, verdeutlichen aber auf längere Sicht auch die spielerischen Beschränkungen. Insbesondere frühe Videospiel-Umsetzungen zu Filmen scheiterten häufig daran eine den filmischen geprägten Erwartungshaltungen angemessene spielerische Erfahrung zu bereiten. 1985 realisierte das britische Software-Studio CRL Group ein Spiel zu Ridley Scotts Blade Runner (1982), in dem die Spieler in einem ActionSzenario Jagd auf regelmäßig auf der Spielkarte auftauchende Replikanten machten. Für ein Action-Spektakel mit Sylvester Stallone wäre dieses Gameplay durchaus angemessen, von den philosophischen Ansätzen des Films fehlte im Unterschied zum 1997 realisierten Adventure-Spiel jegliche Spur. Die sowohl für den im Film von Harrison Ford gespielten Replikantenjäger Deckard und seinen Namenspatron Descartes, als auch für die gesamte Konstruktion der beiden Blade Runner-Filme maßgebliche Kategorie des Zweifels fand keinen Eingang in das Spielkonzept. Würde der Spieler oder die Spielerin zu der Erkenntnis gelangen, dass die Jagd auf die menschenähnlichen Replikanten verwerflich ist, würde das Spiel im Unterschied zum
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Adventure, in dem in einer Variante wie in Ridley Scotts Film der Protagonist sich selbst als künstliches Wesen entpuppen kann, keine andere Option übrig bleiben als das Spiel abzubrechen. In den diffizileren Adaptionsprozessen zwischen Filmen und Videospielen gerieten meistens die Ansprüche der Spielmechanik und des Gamedesigns in Vergessenheit. Die im wahrsten Sinne des Wortes medienarchäologischen Ausgrabungsarbeiten in der Wüste von New Mexico, bei denen 2014 die 1983 vergrabenen, nicht verkauften Exemplare des desaströs gefloppten Videospiels zu Steven Spielbergs E. T. – The Extra Terrestrial geborgen wurden, die damals das Schicksal der renommierten Firma Atari besiegelten, gelten vielen Beobachtern als Warnung vor vorschnellen Übertragungen erfolgreicher filmischer Marken. Doch worin bestand überhaupt das entscheidende ästhetische Defizit der E. T.Adaption? Der Medientheoretiker Ian Bogost stellt in seinem Buch How to Do Things with Video Games 2013 die provokante These auf, dass die für Spielbergs Film prägende emotionale Erfahrung von Einsamkeit im Spiel von Howard Warshaw durchaus transportiert würde: »It was a film about alienation, not about aliens. Warshaw’s videogame respected this core principle, whether or not it meant to. In the game, the player cannot easily predict the topology of the virtual landscape, and he or she often falls into wells. Once at the bottom of a well, the player can use E. T.’s ability to levitate to rise up and continue« (Bogost 2011, 20–21). Auch wenn sich über das tatsächliche Gelingen oder Scheitern des E. T.-Videospiels weiterhin vortrefflich streiten lässt, formuliert Bogost eine interessante Herausforderung. Seine Ausführungen verweisen auf die Frage, worin denn genau die ästhetischen Qualitäten eines Videospiels bestehen. Kann ein unausgewogen entworfenes Spiel dennoch eine interessante Erfahrung mit Erkenntnisgewinn bereiten? Das E. T.-Videospiel skizziert ein (über-?)ambitioniertes Designkonzept, das für die damaligen Spiele untypische emotionale Erfahrungen in den Mittelpunkt rückte, die sehr gut mit den Themen des zugrunde liegenden Films korrespondiert hätten, wäre es denn halbwegs spielbar entworfen worden. Der kognitivistisch orientierte Philosoph Murray Smith schlägt eine Unterscheidung zwischen dem künstlerischen und epistemischen Wert eines Films vor (vgl. Shaw 2008, 107). Dieser Differenzierung setzt Daniel Shaw entgegen, dass der epistemische Wert eines Films sich durchaus auch auf dessen künstlerischen Wert auswirken kann: »The epistemic value of a film can make a significant contribution to its artistic value« (Ebd.). Ein sehr gutes Beispiel wäre etwa der Film The Butterfly Effect (2004), der thematisch ein philosophisch interessantes Problem der Chaostheorie aufgreift, dieses jedoch hinter einer filmisch mäßigen Inszenierung verbirgt. Im Spiel verkompliziert sich das Verhältnis zwischen Erkenntnisgewinn und Ästhetik noch zusätzlich, indem die gelingende Erfahrung zu einem maßgeblichen Anteil von der Performance des Spielers oder der Spielerin abhängt. Der gelungene Transfer zwischen spielerischen und filmischen Formen knüpft an eine Fragestellung an, die Felicity Colman als grundlegend für die Filmtheorie ausmacht. Ausgehend von der Frage nach den konstituierenden Elementen des Kinos ergibt sich für sie die Frage nach dessen Formen, »what are the forms of cinema?« (Colman 2014, 5). Die filmischen Formen, die im Kino von den Regisseuren durch die gewählte Inszenierung bestimmt werden, lassen sich in zahlreichen Spielen durch die Spieler
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selbst konfigurieren. Unterschiedliche Spielkonzepte können im Sinne einer ludischen Montage kombiniert werden. Die von Jesper Juul in seinem Classical Game Model genannten verhandelbaren Konsequenzen (vgl. Juul 2005, 44) müssen am Ende eines Levels nicht in einem festen Spielergebnis resultieren, sie können auch eine neue Spielphase einleiten, deren Voraussetzungen von den Handlungen aus dem vorangegangenen Spielabschnitt bestimmt werden.
4. Konfigurationen des Genre-Settings als reflexive Spiel-Handlung Im Rollenspiel und im Adventure kann durch die Langzeitwirkung ludischer Konfigurationen eine dramaturgische Struktur entstehen, in der die einzelnen erzählerischen Bausteine und Tropen selbst zu Spielzügen werden. Eine ausgereifte Variante zur Adaption filmischer Dramaturgien in Adventure-Form findet sich in den Spielen des von George Lucas gegründeten Labels LucasArts (anfangs Lucasfilm Games). Die Spiele zu den Filmen Labyrinth (1986) und Indiana Jones and the Last Crusade (1989) gingen über einfache Adaptionen hinaus, indem sie auf raffinierte Weise die eigene Medialität reflektierten. Das auf Jim Hensons gleichnamigem Fantasy-Film Labyrinth basierende Spiel beginnt als Text-Adventure, in dem der Spieler oder die Spielerin sich Zutritt zu einer Vorführung des Films verschaffen muss. So bald Hindernisse wie die Kartenkontrolle und ein aufdringlicher Nerd auf der Text-Ebene überwunden sind, wechselt das Spiel mit Beginn der Filmvorführung auf die Ebene eines Grafik-Adventures. Der von David Bowie gespielte Schurke des Films erscheint als Pixel-Portrait und zieht die Spieler auf die andere Seite der Leinwand. Innerhalb der filmischen Welt müssen sie nun in einem Grafik-Adventure durch das Lösen von Puzzle-Aufgaben den Ausweg aus dem magischen Labyrinth finden. Etwas weniger experimentell als das Spiel mit den medialen Ebenen in Labyrinth gestaltete sich Indiana Jones and the Last Crusade, das als Umsetzung des gesamten Films jedoch eine nachhaltigere Wirkung auf das gesamte Adventure-Genre ausübte. Die für ein Arcade-Spiel relevanten Set Pieces werden ausgespart, indem sie außerhalb des Bildrahmens verlegt werden und im Anschluss ein sichtlich erschöpfter, völlig durchnässter oder ganz mit Schutt bedeckter Indiana Jones ins Bild stolpert, um das ausgesparte filmische Attraktionsmoment zusammen zu fassen. Die Auswahlmöglichkeiten, die verschiedene Strategien zur Lösung des Spiels zulassen, ermöglichen Variationen, die im Film kaum vorstellbar wären. Unter anderem lässt sich ein Nazi-Schloss infiltrieren, in dem sich Indiana Jones als Händler für modische Lederjacken ausgibt und fünfzig Mark Vorauszahlung für eine exklusive Bestellung von den Wachsoldaten kassiert. Auffällig erscheint an den LucasArts-Adventures, dass der Attraktionsmoment in der Konfiguration der Genre-Syntax, sowie der Narration und im Unterschied zu den Arcade- und Action-Games gerade nicht in den ausgestellten Schauwerten besteht. Die spielerischen Standardsituationen werden in LucasArts-Adventures wie Maniac Mansion, Indiana Jones und der Monkey Island-Reihe mit Hilfe einer ludischen Montage zu ausgefeilten selbstironischen Genre-Szenarien ausgebaut. Durch Einschübe werden die Spieler in Zak McKracken gewarnt, dass die gegnerischen Aliens
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gerade an den gleichen Handlungsort wie der ermittelnde Avatar aufgebrochen sind und in The Secret Monkey Island erzeugt die durch eine eingespielte Sequenz weiter gegebene Information, dass der böse Geisterpirat Le Chuck sich an die Fersen des von uns gespielten tollpatschigen Helden Guybrush geheftet hat, für zusätzliche Spannung. Neben der Adaption filmischer Formen wie der Montage und der Mise-en-scène, die in ihrer überbordenden Fülle an Details auch an Animationsfilme und Comic-Panels erinnert, entfalten die LucasArts-Adventures ein gewisses Potential in Sachen Genrereflexion. Analog zu einer scharfsinnigen Parodie werden Stereotypen des Genres kenntlich gemacht, indem beispielsweise in den Monkey Island-Spielen die Duelle zwischen den Piraten nicht durch Geschicklichkeit im Umgang mit dem Degen, sondern durch die Auswahl der besten Beleidigung entschieden werden. Im Unterschied zu den vorgegebenen Herausforderungen und Hindernissen erlaubt das Ausspielen einer Figur in Adventures und Rollenspielen eine eigene Agency, die Janet Murray als »the satisfying power to take meaningful action and see the results of our decision and choices« (Murray 1997, 126) definiert.
5. Ästhetische Eigenverantwortung und die Ethik der Navigation Felicity Colman betont, dass sich die Grammatik der filmischen Formen auf andere Medien übertragen lässt: »Like all grammars, film theory forms part of the system of rules that govern a language, and is thus applicable to a wider range of media forms« (Colman 2014, 9). In den elaborierteren Spielen, die seit den frühen 1990er Jahren den Spielern eine Navigation durch dreidimensionale Welten ermöglichen, sorgt diese Übertragbarkeit für ein reflexives Potential, das von den Spielern selbst genutzt werden muss. Wie in einem Aktionstheater, in dem einzelne vorbereitete Komparsen und Requisiten auf die Nutzung durch die Mitspieler warten, werden Möglichkeiten zur Performance geschaffen, die in Erfahrungen mit einem unterschiedlichen Gehalt resultieren. Zu Beginn des Shooters Half-Life 2 hängt es beispielsweise zu einem wesentlichen Anteil von den Aktionen des Spielers oder der Spielerin ab, ob das Unrecht in der totalitären Modellstadt City 17 überhaupt wahrgenommen wird. Ganz der Devise des Regisseurs Jean-Luc Godard folgend, dass jede Kamerafahrt eine moralische Entscheidung sei, entscheiden die Spieler in ästhetischer Eigenverantwortung über die Ausrichtung des Blicks. Ob ihnen die Misshandlung der Passanten in den dunklen Ecken des Bahnhofs, an dem der Protagonist Gordon Freeman zu Beginn des Spiels eintrifft, auffällt, hängt nicht zuletzt von ihrem eigenen Umgang mit den filmischen Mitteln ab. Eine in diversen dystopischen Gesellschaftsbildern der Science-Fiction verhandelte Standardsituation wird in Half-Life 2 nicht einfach illustriert und auch nicht in einen regelgeleiteten Spielablauf mit klarem Ziel verwandelt, sondern der Spieler oder die Spielerin muss sich selbst zu den Ereignissen positionieren. Diese Freiheit in der Ausrichtung der ästhetischen Wahrnehmung ergänzt sich mit der Vorstellung des Begriffs Play/Paidia, der im Unterschied zum reglementierten und zielgerichteten Game/Ludus einen freieren Umgang mit den Prozessen im Spiel ermöglicht, oder wie Brian Upton in seiner 2015 veröffentlichten Studie
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Aesthetics of Play anmerkt: »Play is free movement within a system of constraints« (Upton 2015, 14). In Rollenspielen und Adventures, die durch die Speicherfunktion der HomeComputer und später auch der Konsolen umfangreichere Spielwelten anbieten können, beschränkt sich der Aktionsradius der Spieler nicht mehr auf die übersichtliche Rahmung eines einzelnen Spielfeldes. Stattdessen können die verfügbaren Spielprinzipien von explorativ über sozial bis hin zu kämpferisch reichen, die Umgebung und die darin vorhandenen Personen und Objekte werden eigenständig befragt und untersucht. In ihrem Einführungsband Understanding Video Games nennen Simon Egenfeldt-Nielsen, Susana Tosca und Jonas Heide Smith neben den Regeln, den kulturellen Kontexten und der Ontologie der Spielwelt den Faktor Play als »human experience of the game« (Egenfeldt-Nielsen et al 2008, 10) als grundlegendes Element der spielerischen Erfahrung. Im Gegensatz zu den streng reglementierten Bewegungen eines Arcade-Games oder eines interaktiven Films wird in diesem Spielmodus die Kontrolle über die filmischen Gestaltungsmittel in die Hände der Spieler gelegt. Die in Echtzeit berechneten dreidimensionalen Räumlichkeiten der Videospiele, die parallel zu ihrer Darstellung navigiert werden, erfüllen jenseits kontrovers diskutierter Immersions-Spekulationen über ein mögliches Holodeck (vgl. Murray 1997, zur Kritik am Begriff der Immersion vgl. Calleja 2008, Neitzel 2018) indirekt das Ideal des Filmtheoretikers André Bazin (vgl. Bazin 2015). Stets gab dieser der ohne Unterbrechung durch einen Schnitt realisierten Kamerafahrt, wie sie sich in den Plansequenzen von Orson Welles und Jean Renoir findet, den Vorzug gegenüber der assoziativen künstlerischen Trickkiste der sowjetischen Montagekunst. Doch in der Echtzeit-Animation der Videospiele erweitert sich das Möglichkeitsspektrum der bei Bazin noch ganz auf die Erfassung und Repräsentation der äußeren Wirklichkeit konzentrierten diegetischen Welten um phantastische und surreale Handlungsräume, die mit der detailverliebten Genauigkeit eines neorealistischen Films erkundet werden können. In Spielen wie dem bis hin zur cartoonhaften Abstraktion stilisierten Action-Adventure Psychonauts oder der Comic-Adaption XIII, die innerhalb des Spielbildes mit Panel-Unterteilungen arbeitet, verwandelt sich die von Filmtheoretikern wie Leo Braudy geprägte Metapher des Films als Fenster zur Welt in einen Rahmen (vgl. Braudy 1976). Im Unterschied zur klassischen Filmtheorie dient dieser jedoch nicht als Behälter eines in sich geschlossenen arrangierten Bildes. Wie in den hybriden Mischformen aus Spielfilm und Animation, in denen wie in Walt Disneys Mary Poppins (1964) Bilder oder wie in Who Framed Roger Rabbit? (Falsches Spiel mit Roger Rabbit, 1988) die animierte Toon Town von dem realen Detektiv Eddie Valiant (Bob Hoskins) betreten werden, lassen sich selbst abstrakte Comicwelten durch den Rahmen als Portal erkunden. Die zeitliche Erfahrung der Spiele wird an die jeweiligen Erfordernisse des Settings und des Genres angepasst. Jesper Juul unterscheidet in seiner Studie Half-Real zwischen ›Real Time‹ und ›Game Time‹ (vgl. Juul 2005, 141–156). Im Vergleich zu einem Film, der, selbst wenn dessen Ablauf pausiert wird, immer einer durch die Laufzeit vorgegebenen Zeitstruktur entsprechen wird, lassen sich im Spiel die zeitlichen Abläufe manipulieren. In einigen Spielen wird die zeitliche Erfahrung sogar selbst in das Gameplay integriert. In Prince of Persia – The Sands of Time können Spieler mit einem magischen Dolch die Zeit zurückdrehen. Die Spielsteuerung regt
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offen dazu an, über die gestalterische Bedeutung der Zeitlupe für die Choreographie von Action-Sequenzen und die Nähe des Spielablaufs zu musikalischen Rhythmen nachzudenken. Die 2010 realisierte gleichnamige Verfilmung des Videospiels beinhaltet zwar ebenfalls die Manipulation der Zeit, sie wird jedoch auf der Leinwand einfach als narrative Sequenz ausgeführt, ohne dass die Zuschauer in irgendeiner Weise die Erfahrung der Zeit und deren Rhythmus selbst beeinflussen könnten. In dem Coming-of-Age-Adventure Life is Strange lassen sich tragische Vorkommnisse wie die Ermordung einer Mitschülerin durch die außergewöhnliche Fähigkeit der Protagonistin die Zeit zu manipulieren rückgängig machen. Der Einfluss der Spieler auf die Zeit reflektiert in Life is Strange nicht wie in Prince of Persia – Sands of Time die formale Struktur des in Bewegung zu versetzenden Bildes, sondern nutzt die Zeit als Aufhänger für ein moralisches Dilemma und Introspektion. Die Beeinflussung der Zeit in Life is Strange konfrontiert die Spieler mit Problemen, die immer wieder in der Science-Fiction aufgegriffen werden. Das Verhältnis zwischen Schicksal und individueller Entscheidungsgewalt findet sich in Filmen wie Richard Kellys Donnie Darko (2001) und Duncan Jones Source Code (2011), sowie in zahlreichen Star Trek-Episoden. Die Problematisierung des Eingriffs in die Geschichte gehört zu jenen wiederkehrenden Themen, die für Stephen Mulhall und Daniel Shaw andeuten, dass mit Genrekonzepten philosophische Fragestellungen verbunden sein können. Je nach Komplexität des Settings und des Gameplays setzen sich diese Genre-Reflexionen transmedial im Austausch zwischen Filmen und Videospielen fort. Neben der umfassenden Frage nach den Gattungen und Genres, die seit Aristoteles die Philosophie beschäftigt und sich von den ideologischen Strukturen der Classical Hollywood-Narrationen bis hin zur Dekonstruktion nach Jacques Derrida fortsetzt, ergeben sich, wie Mulhall in seiner Studie On Film am Beispiel der AlienReihe verdeutlicht, auch philosophische Fragestellungen und Reflexionsprozesse, die mit einzelnen Genres und Reihen verbunden sind. Während Prince of Persia ein formales Spiel um die Manipulation der Zeit entfaltet, knüpft Life is Strange bewusst an einen Motivkomplex der Science-Fiction an und delegiert die Entscheidungsgewalt an die Spieler. Im Unterschied zur ironischen Dekonstruktion der Handlungsmuster des Abenteuerfilms und B-Science-Fiction-Films in den LucasArts-Adventures ermöglicht das Ausspielen einer Rolle und deren performative Ausgestaltung im Action-Adventure einen ausgeprägten Grad an Handlungsmöglichkeiten. Das Cyperpunk-Spiel Deus Ex lässt sich sowohl sehr zurückhaltend ohne aggressive Gewaltanwendung spielen, als auch auf konfrontative Weise als Action-Spektakel umsetzen. Der Gehalt eines Spiels ergibt sich in diesen Fällen zu einem entscheidenden Anteil aus dem Verhalten der Spieler. Das Genre-Setting und dessen Parameter ermöglichen in Kopplung mit der Dramaturgie der räumlichen Anordnung Anschlusspunkte zu den medienübergreifenden philosophischen Diskursen eines Genres. Ein wesentliches Kriterium für einen gelungenen Transfer in der transmedialen Reflexion über Genreformen besteht darin, dass die verhandelten Themen eben nicht nur durch das im Spiel präsentierte Ambiente behauptet und illustriert werden. Vielmehr müssen sie, damit es nicht zu überambitionierten Fehlkonzeptionen wie dem E. T.-Videospiel kommt, die Thematik in den Handlungsverlauf und die ästhetische Erfahrung des Spiels integrieren. Pointierte Beispiele finden sich in der Science-Fiction-Game-Reihe Portal, in der das an den psychopathischen Computer
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HAL aus Stanley Kubricks 2001 – A Space Odyssey (2001 – Odyssee im Weltraum, 1968) angelehnte System GlaDOS von den Spielern durchschaut werden muss. An einem zentralen Wendepunkt des Spiels müssen die Spieler sich den scheinbaren Spielanweisungen durch die im Sinne von Michel Chions Acousmêtre allgegenwärtige Stimme des Systems widersetzen, um nicht der zynischen Logik der künstlichen Intelligenz, die sich unmittelbar auf das Spielgeschehen auswirkt, zum Opfer zu fallen. Das Misstrauen gegenüber den an ein ausuferndes Tutorial erinnernden Anweisungen von GlaDOS wird durch die Mise-en-scène verstärkt. Der Slogan, »the cake is a lie«, der sich als warnendes Graffiti an einer Wand findet, entwickelte sich neben dem mit einem Herz versehenen ›Companion Cube‹ zu einem der Markenzeichen des Spiels.
6. Continental Divide Während die Merkmale eines Genres bezüglich des Zeicheninventars und ihrer Syntax als Untersuchungsgegenstand an Traditionen der analytischen Philosophie und der Semiopragmatik anknüpfen, richtet sich die Perspektive der kontinental geprägten Philosophie auf weiter gefasste Zusammenhänge und Begrifflichkeiten. Felicity Colman stellt fest, dass Filmtheorie und Film-Philosophie um die gleichen Gegenstände, »the historical screen and cinematically generated conditions« (Colman 2009, 5), kreisen. Als gemeinsame Fragestellung beschäftigten sie, »the shared exploration of the questions of what cinema is, the nature of cinema, the historical event of cinema and film forms« (ebd.). Bezüglich der filmischen Formen, deren cineludische Anschlussstellen bisher im Mittelpunkt dieser Ausführungen standen, lassen sich die Synergien zwischen Filmen und Videospielen im Kontext der analytischen Philosophie diskutieren. Im anglo-amerikanischen Diskurs gilt in diesem Bereich neben der Auseinandersetzung mit der formalen Beschaffenheit des Mediums Film insbesondere der von Theoretikern wie Noel Carroll, Murray Smith, David Bordwell und Kristin Thompson beförderte Diskurs um kognitive Ansätze in der Filmwissenschaft als relevant (vgl. u. a. Bordwell/Carroll 1996). In leicht polemischen Aufsätzen erteilten die Kognitivisten und Neoformalisten den weit ausholenden Grand Theories der kontinentalen Philosophie, insbesondere jenen psychoanalytischer Prägung, eine Absage. Doch wie Stanley Cavell als einer der Pioniere der Film-Philosophie mit seinen Untersuchungen zur Comedy of Re-Marriage und dem filmischen Blick auf die Welt in The World Viewed demonstriert hat (vgl. Cavell 1971, 1981), besteht ein gewisser Reiz der philosophischen Betrachtung von Filmen in der Auseinandersetzung mit Themen, die über die reine filmische Informationsvermittlung, die narrative Beschaffenheit der Plot-Strukturen, die Konfiguration der Zeichenstrukturen und die Komposition des filmischen Raums hinausgehen. Ähnliches gilt auch für die philosophische Beschäftigung mit Videospielen, in der die erste Auseinandersetzung mit den ludischen Mechanismen und den Genrestrukturen häufig die Ausgangsbasis für weiter gefasste Problemstellungen bildet. Mit den Kino-Bänden von Gilles Deleuze über das Bewegungs- und Zeitbild entstanden im Kontext des französischen Poststrukturalismus schließlich sogar phi-
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losophische Ansätze (vgl. Deleuze 1989, 1991), deren Denkmuster sich unmittelbar aus den Filmen selbst ergeben. Felicity Colman betont, dass die kontinentale Philosophie sich weniger mit der Frage nach den filmischen Formen und den spezifischen Besonderheiten des Kinos befasst, sondern diese in einem weiter gefassten politischen und medientheoretischen Kontext diskutiert: »As a politically creative philosophy, continental thinking is concerned with the analysis of such operational methods, as it is a philosophy concerned with the description of experience, the terms of human agency and interdisciplinary methods of enquiry, and the outcomes of the scale of human endeavors, thus making it arguably a more sympathetic method for the practice of film-philosophy« (Colman 2009, 13). Insbesondere die kontinentale Film-Philosophie im medienwissenschaftlichen Kontext, die diese als eine Geschichte der gegenseitigen Herausforderungen des Films durch das Denken und umgekehrt begreift, bemüht sich um eine »Geschichte der Medienverbünde«, die »den Horizont der klassischen Werkgeschichte als auch den der erweiterten Stilgeschichte der New Film History« übersteigt und die Filmgeschichte »in eine Genealogie der zeitgenössischen Medien« einbettet (Hediger 2017, 34). Die Perspektive einer weiter gefassten Mediengeschichte erscheint bezüglich der Frage, wo sich das aus der Verankerung des Vorführsaals entkoppelte Kino und die mobilisierten Videospiele hinbewegen, vielversprechend. Allerdings können sich die Fragestellungen der Film- und der Medienphilosophie auf sehr unterschiedliche Erkenntnisinteressen richten.
7. Das Spiel als Fenster zur Open-World Die in sich geschlossenen ludischen Formen der Action- und Arcade-Spiele korrespondieren mit Einheiten wie der Standardsituation, sind häufig im begrenzten Areal einer Arena oder eines Levels angesiedelt und lassen sich mit dem Begriff des Regel geleiteten und auf ein Ziel ausgerichtetes Game (Ludus) beschreiben. Die navigierbaren Räume und Genre-Settings der offener ausgerichteten Action-Adventures und Rollenspiele ermöglichen hingegen bis zu einem gewissen Grad die Kontrolle über die filmisch-ästhetischen Mittel und die performative Ausgestaltung einer Rolle. Durch die von den Spielern vorgenommene Konfiguration lassen sich Genrekonventionen spielerisch variieren und neue Konstellationen schaffen, die einen eigenständigen Blick auf die innerhalb der Simulation erzeugte Spielwelt etablieren. Das Fenster zur Welt der klassischen Filmtheorie richtet sich als Interface auf einen Bereich der nicht mehr nur alleine betrachtet wird, sondern sich vielmehr wie eine unabgeschlossene Animation bearbeiten und gestalten lässt. Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger bezeichnet diese Verführung zum Eingreifen als prometheischen Impuls: »World-Building nach den eigenen Wünschen – dieser auf dem mythischen Prometheus, der Menschen schuf ›nach seinem Bilde‹, basierende Gedanke begleitete die Produktion audiovisueller Medien von Anfang an« (Stiglegger 2015, 29). Doch ganz im Sinne der für Spiele zentralen Herausforderungen und Hindernisse verwandelt sich die Spielwelt nicht in beliebig gestaltbare Materie, sondern vielmehr funktioniert sie wie ein Rollenspielsystem nach implementierten Regeln und Mechanismen. Die Spielerfahrung in einer Open-World kann in einer produktiven
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Kollision zwischen den Bedürfnissen der Spieler und den Herausforderungen der Designer resultieren. Die ästhetische Erfahrung lässt sich nicht wie in einem Storyorientierten Game of Progression von vornherein als Auswahl zwischen verschiedenen Handlungsoptionen erkennen (vgl. Juul 2005, 67 ff.), vielmehr ergeben sich einige Situationen erst aus dem zufälligen Zusammenspiel eines Game of Emergence. Das Spiel-System als Welterfahrung wäre die am weitesten gefasste Ebene des hier vorgestellten dreistufigen Modells. Sie kann in einer räumlichen Gegenüberstellung unterschiedlicher Spielprinzipien sowohl abgegrenzte Game-orientierte Bereiche wie Arenen und Parcours, als auch durch Quests strukturierte narrative Instanzen enthalten. In einer Abwandlung der Idee des Filmkritikers Andrew Sarris (vgl. Sarris 1992), dass sich ein Auteur bei der Inszenierung eines Films in ein Verhältnis zur dargestellten Welt setzen muss, erfordern die Open-World-Strukturen, dass sich die Spieler zur erfahrenen Welt positionieren. Der überstrapazierte Bezug auf den Tod des Autoren wird in diesen Situationen nicht weiter helfen, nachdem es zu den Besonderheiten einiger Spielkonzepte gehört, dass nicht nur die Kontrolle über die ästhetischen Mittel, sondern auch die Entfaltung der emergenten Erzählstrukturen den Spielern überantwortet werden. Für die philosophische Reflexion ergeben sich aus den bisher diskutierten Strukturen, der geschlossenen ludischen Herausforderung einer Standardsituation, den verzweigten erzählerischen Pfaden der zu konfigurierenden Genre Settings und den offenen Strukturen der simulierten Spielwelten, drei unterschiedliche Ebenen, auf denen die Analyse ansetzen kann: 1. Im Kontext des klar abgegrenzten Spielfelds im Sinne eines Game/des Ludus lässt sich das Spiel als Metapher für weiter gefasste Zusammenhänge verstehen. Beispielsweise dient ein Schachspiel in den X-Men-Filmen (seit 2000) als Metapher für die konkurrierenden Positionen zum Verhältnis zwischen Menschen und Mutanten. Die ehemaligen Weggefährten und späteren Konkurrenten, der militante Separatist Magneto und der um Integration bemühte Idealist Professor Xavier liefern sich über Jahrzehnte und verschiedene Besetzungen ihrer Rollen hinweg ein Schachturnier. Ein ähnliches spielerisches Sinnbild findet sich in Blade Runner (1982), wenn sich der Replikant Roy Batty durch einen Schachzug Zugang zur Schaltzentrale der Tyrell Corporation verschafft. Als Symptom für die Wiederentdeckung des Cinema of Attraction im Lauf der 1980er Jahre lassen sich hingegen jene Sequenzen der Hindernis-Parcours verstehen, die wie in Star Wars oder Indiana Jones and the Temple of Doom ihre unmittelbare Adaption als Arcade-Spiele vorprägen. Die cineludische Form funktioniert auf dieser Ebene als in sich geschlossene szenische Einheit mit vorgegebenen Zielen und Handlungsoptionen. 2. Der Kontext des Play/Paidia zielt hingegen auf die eigene Ausgestaltung der Handlungen und die Konfiguration der vorgefundenen Settings ab. Genrekonventionen können erfüllt oder durchkreuzt werden. Die reflexive Ebene richtet sich auf die Bedeutung des Spiels als eine beeinflussbare Abfolge von Handlungen und Situationen. Genremechanismen können wie in den Adventures des Labels LucasArts ironisch kommentiert werden oder sie erweisen sich wie in der 1998 erschienen Adaption zu Blade Runner und den Rollenspielen des Studios Bioware als ethische Exploration eines Szenarios. Die philosophische Ebene der Spiele ergibt sich nicht
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alleine auf der symbolischen Ebene, die Schach als Spiel der Könige oder die Arcade-Spiele als kulturelle Zeichen einer beschleunigten postmodernen Gesellschaft deuten würde. Vielmehr werden als Alternativen innerhalb der von Genre-Settings bestimmten Simulation tradierte Stoffe und Figurenentwicklungen konfiguriert und in neuen Konstellationen durchgespielt. Die in den 2000er Jahren populären MindGame-Movies wie The Sixth Sense (1999) und Memento (2000) würden auf der filmischen Reflexionsebene ebenso gut in diese Kategorie passen wie auch die HolodeckEpisoden der Star Trek-Serien, die sich gerade nicht durch die perfekte Immersion als Eintauchen in die virtuelle Welt auszeichnen, sondern in der Regel durchspielen, was passiert, wenn eine Genre-Fiktion aus den vertrauten Bahnen ausbricht und einen Reflexionsprozess über die Syntax des Genres erzwingt. Die philosophischen Fragestellungen richten sich in diesem Bereich auf die Konstruktion eines was-wärewenn-Zustandes, der alternative Abläufe und Variationen zu bekannten Situationen hervorbringen kann. Auf dieser Ebene operiert die cineludische Form als offene Struktur, die analog der Spielsituation in einem Pen-and-Paper-Rollenspiel oder in einem Improvisationstheater ausgehend von einzelnen, aufeinander folgenden Situationen oder einem Setting unterschiedliche Handlungsoptionen mit erst zu erspielendem Ausgang ermöglicht. 3. Die dritte Ebene ergänzt sich hingegen mit Espen Aarseths Definition des Computerspiels als ›the art of simulation‹ (vgl. Aarseth 2004), indem sich die Aufmerksamkeit auf den Zugang zu der simulierten Welt richtet, die zugleich innerhalb einer Open-World-Struktur unterschiedliche Spielformen und Konzepte enthält. In diesem Kontext lässt sich der philosophische Diskurs in der simulierten Welt selbst aushandeln und ist nicht nur in diese indirekt durch das Setting oder den symbolischen Mehrwert der Handlungsoptionen eingeschrieben. Die cineludische Form existiert in ihr als Möglichkeit, die von den Spielern eigenständig zur Anwendung gebracht werden muss, und nicht von vornherein durch den Szenenaufbau oder das Genre vorgegeben ist. Diese drei Ebenen der cineludischen Form ergänzen sich mit drei unterschiedlichen Ebenen der Film-Philosophie. Josef Rauscher benennt diese in einem Aufsatz über die Arbeiten des Regisseurs Jean-Luc Godard: Hinsichtlich der Filmphilosophie muss immer wieder in Bezug auf das generelle Verhältnis von Philosophie und Film mit Nachdruck eine Unterscheidung ins Bewusstsein gehoben werden, die sich vielleicht am Besten in der formelhaften Kennzeichnung: in, an und über Film(en) philosophieren, zum Ausdruck bringen lässt [...] Im Film filmisch zu philosophieren ist, was den Regisseur betrifft, die anspruchsvollste Weise. Es bedeutet, dass der Filmemacher selbst im Film mittels der gesamten filmischen Mittel eine philosophische Frage behandelt, originär durch das Medium Film. Zunächst klingt das vielleicht ganz selbstverständlich, aber wenn man sich verdeutlicht, dass Philosophieren im Film auch einfach abgebildet werden kann, indem Philosophen ihre Fragen und Positionen artikulieren, wird die Anspruchs-Dimension eines filmischen Philosophierens im und durch den Film deutlicher [...] Das Philosophieren ist so im anspruchsvollsten Fall des filmischen Philosophierens nicht ein Weltereignis, das der Film wie alles andere, beispielsweise politische Reden, Kunstmanifestationen usw. abbilden kann, sondern filmisches Vollzugsgeschehen. Film als Philosophie ist genauso wie Film als Kunst jen-
Film 255 seits des Abbildens, sei es von Philosophie(gesprächen) oder von Kunst(werken), möglich. (Rauscher 2010, 63–64).
Die unmittelbar abbildende Ebene findet sich in Godards Film Socialisme (2008), in dem der französische Philosoph Alain Badiou vor einem leeren Saal auf einem Kreuzfahrtschiff eine Vorlesung halt. Die Partizipation an einem philosophischen Diskurs wird hingegen realisiert, wenn die Handlung des Films ein philosophisches Thema aufgreift. Neben der bereits erwähnten Matrix-Trilogie findet sich ein weiteres prägnantes Beispiel in Ben Wheatleys Verfilmung des J. G. Ballard-Romans High-Rise (2016). In einer nahen dystopischen Zukunft hat sich die Kluft zwischen den Klassen verschärft und spiegelt sich in Weiterführung der urbanen Struktur in Fritz Langs Metropolis (1927) in der Architektur eines Hochhauses wider. Die horizontale Variante dieser metaphorischen Anordnung findet sich in dem koreanisch-französischen Film Snowpiercer (2013), in dem sich die letzten Überlebenden einer neuen Eiszeit in einem streng nach hierarchischen Abteilen geordneten Zug auf einer endlosen Fahrt durch das Nichts versammelt haben. Szenarien dieser Art verweisen auf ein besonderes philosophisches Potential einzelner Genres wie der Science-Fiction, die mit spezifischen Diskursen und Problemen verbunden sind. Das Videospiel Beneath a Steel Sky greift eine ähnliche, in das Stadtbild eingeschriebene Gesellschaftsstruktur wie in Metropolis und High-Rise auf. Der philosophische Prozess der gesellschaftskritischen Reflexion ergibt sich während der Passage durch die einzelnen Handlungsräume und deren symbolische Architektur, er wird nur bedingt im Spiel selbst ausformuliert. Der wesentliche Transfer ist von den Spielern selbst zu leisten. Die komplexeste Variante wäre jedoch, wenn ein Film oder ein Spiel einen philosophischen Prozess nicht nur abbildet oder kommentiert, sondern sich selbst an diesem beteiligt und ihn weiter ausformuliert. Diese Art von FilmPhilosophie kann, wie Gilles Deleuze in seinen Bänden zum Bewegungs- und zum Zeitbild verdeutlicht hat, im Fall von Alfred Hitchcocks Vertigo und im italienischen Neorealismus durch die Bilder des Films selbst erfolgen. Sie kann jedoch auch in Essay-Filmen wie Jean-Luc Godards epochalen Histoire(s) du Cinéma (1998) oder Slavoj Zizeks The Pervert’s Guide to Cinema (2006) als Nachdenken über Film in Bildern praktiziert werden. Auf dieser Ebene der Film-Philosophie ergänzen sich Form und Inhalt zu einem filmischen Gedanken-Experiment. Im Bereich der Videospiele wären Titel wie Bioshock, das durch die raffinierte Verknüpfung von Gameplay und Inhalt über die einfache Illustration einer Kritik an der Philosophie des Objektivismus hinausgeht, und The Stanley Parable, in dem der Spieler oder die Spielerin den Konflikt um eine vorgegebene Narration selbst im Kampf gegen den Erzähler austrägt, Beispiele für diese dritte Ebene. Das Spiel Bioshock formuliert durch die im Spiel enthaltenen Details, die auf die Hintergrundgeschichte des gescheiterten Unterwasser-Utopias Rapture verweisen, eine durch Anspielungen und die Namensgebung einiger Charaktere relativ deutlich gekennzeichnete Kritik an der objektivistischen Philosophie der Schriftstellerin Ayn Rand, die auf einem radikal individualistischen Weltbild beruht. Dass sich das Spiel aber nicht auf einen philosophischen Themen-Park beschränkt, sondern einen eigenen Beitrag zum Diskurs über die Abgründe des Objektivismus leistet, ergibt sich aus der Verknüpfung von inhaltlicher Thematik und formaler Gameplay-Mechanik.
256 Andreas Rauscher
Dass sich die Spieler entgegen den Versprechungen einer nach eigenen Vorstellungen umsetzbaren Agency gar nicht der Manipulation durch den Despoten Ryan entziehen können, bewirkt eine als Genre-Reflexion ausgesprochen raffinierte Wendung. Deren besondere Finesse beschränkt sich nicht alleine auf die Handlungsebene, auf der das narrative Motiv lediglich eine weitere Variation eines seit den Tagen von Dr. Mabuse und anderen Meistern der Manipulation altvertrauten Genrestandards darstellen würde. Dass sich das Interface als unzuverlässige Prothese erweist (vgl. Beil/Rauscher 2017) und einem dadurch die zuvor durchgehend praktizierte ästhetische Eigenverantwortung entzieht, schafft nicht nur eine Konfiguration des Genre-Settings im Sinne der zweiten Ebene, sondern reflektiert zugleich auf eine für die dritte Ebene charakteristische Weise das Verhältnis des Interfaces zur simulierten Welt. Wie Daniel Martin Feige treffend bemerkt, liegt die ästhetische Leistung und das mit dieser verbundene philosophische Potential von Bioshock nicht im Plot Twist, sondern in der reflexiven Komponente des Gamedesigns: »Das ästhetisch eigentlich relevante an Bioshock besteht aber darin, dass es sein eigenes Sein als Videospiel immanent attackiert. Bioshock ist nicht allein ein First-Person-Shooter – auch wenn es das freilich auch ist [...] –, sondern zugleich ein Spiel über das Spielen von Videospielen. Bioshock regt im Medium einer ästhetisch verkörperten Reflexion auf die Defekte des Libertarianismus zugleich eine Reflexion auch auf unsere Praktiken der Selbstoptimierung an« (Feige 2018, 216). In einem Aufsatz über die Parallelen und Differenzen zwischen Cinema and Game Spaces stellt Thomas Elsaesser die Frage: »Or just maybe cinema and games – assuming that one is translating images into actions, the other actions into images – are the recto and verso of each other, and headed for the same destination after all?« (Elsaesser 2017, 74). Wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, finden sich derartige Bezüge durchaus und werden angesichts der durch mobile Geräte beförderten Bilderwanderung, die den Film aus dem Kontext des Kinos und das Videospiel von der Konsole und dem stationären Home-Computer lösen, noch stärker hin zu hybriden Räumen befördert. Allerdings sollten auch die Lektionen aus den Sackgassen der Diskussion um die Neuen Medien gezogen werden. Die philosophischen Diskurse zwischen Filmen und Videospielen vollziehen sich im besten Sinne einer Level-Architektur auf unterschiedlichen Ebenen mit unterschiedlichen Problemstellungen und differierenden Lösungsansätzen. Literatur
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Filme
Alien (GB 1979, Ridley Scott). Aliens – The Return (Aliens – Die Rückkehr, USA 1986, James Cameron). Alien 3 (USA 1992, David Fincher). Alien – Resurrection (USA 1997, Jean-Pierre Jeunet). Blade Runner (USA 1982, Ridley Scott). Blade Runner 2049 (USA 2016, Denis Villeneuve). The Butterfly Effect (USA 2004, Eric Bress, J. Mackye Gruber). Donnie Darko (USA 2001, Richard Kelly). E. T. – The Extra-Terrestrial (E. T. – Der Außerirdische, USA 1982, Steven Spielberg). Film Socialisme (F 2008, Jean-Luc Godard). High-Rise (GB 2016, Ben Wheatley). Indiana Jones and the Temple of Doom (Indiana Jones und der Tempel des Todes, USA 1984, Steven Spielberg). Indiana Jones and the Last Crusade (Indiana Jones und der letzte Kreuzzug, USA 1989). Labyrinth (USA 1986, Jim Henson). Mary Poppins (1964). Matrix, Matrix Reloaded, Matrix Revolutions (USA 1999, 2003, Lana und Andy Wachowski). Memento (USA 2000, Christopher Nolan). Metropolis (D 1927, Fritz Lang). Raiders of the Lost Ark (Indiana Jones – Jäger des verlorenen Schatzes, USA 1981, Steven Spielberg). The Sixth Sense (USA 1999, M. Night Shyamalan). Snowpiercer (GB/Südkorea 2013, Joon-ho Bong). Source Code (USA 2011, Duncan Jones).
Film 259 Star Wars Episode IV – A New Hope (Star Wars Episode IV/Krieg der Sterne – Eine neue Hoffnung, USA 1977, George Lucas). Star Wars Episode V – The Empire Strikes Back (Star Wars Episode V – Das Imperium schlägt zurück, USA 1980, Irvin Kershner). Star Wars Episode VI – Return of the Jedi (Star Wars Episode VI – Die Rückkehr der JediRitter, USA 1983). Tron (USA 1982, Steven Lisberger). 2001 – A Space Odyssey (2001 – Odyssee im Weltraum, USA/GB 1968, Stanley Kubrick) Vertigo (USA 1958, Alfred Hitchcock). Who Framed Roger Rabbit? (Falsches Spiel mit Roger Rabbit, USA 1988, Robert Zemeckis). X-Men (USA, seit 2000, Reihe).
Spiele
Beneath a Steel Sky. Revolution Software, 1994. Bioshock (Reihe). 2K, 2007–2013. Blade Runner. Westwood Studios, 1997. Disks of Tron. Bally Midway, 1983. Doom (Reihe). Id Software, 1993–2017. Dragon’s Lair. Rick Dyer, Don Bluth, 1984. Dungeons and Dragons (Reihe). Gary Gygax, Dave Arneson, 1974. E. T. – The Extra-Terrestrial. Atari, 1982. Half-Life 2. Valve Corporation, 2004. Indiana Jones and the Last Crusade. Tiertex Design Studios, 1989. Labyrinth: The Computer Game. Lucasfilm Games, 1986. Legend of Grimrock. Almost Human, 2012. Lego Star Wars II: The Original Trilogy. Traveller’s Tales, 2006. Life is Strange. Dontnod Entertainment, 2015. Maniac Mansion. Lucasfilm Games, 1987. Myst. Cyan, 1993. Portal (Reihe). Valve Corporation, 2007–2011. Prince of Persia: The Sands of Time. Ubisoft Montreal, 2003. Psychonauts. Double Fine Productions, 2005. Star Wars. Atari, 1982. Star Wars: Rebel Assault. LucasArts, 1993. Super Star Wars. Sculptured Software, 1991. The Elder Scrolls IV: Oblivion. Bethesda Game Studios, 2006. The Elder Scrolls V: Skyrim. Bethesda Game Studios, 2011. The Last Express. Smoking Car Productions, 1997. The Secret of Monkey Island (Reihe). Lucasfilm Games, 1990–2010. The Stanley Parable. Galactic Café, 2013. Tron. Bally Midway, 1982. Warcraft (Reihe). Blizzard Entertainment, 1994–2003. World of Warcraft. Blizzard Entertainment, 2004. XIII. Ubi Soft Paris, 2003. Zak McKracken. Lucasfilm Games, 1988.
Autorinnen und Autoren Natascha Adamowsky ist Professorin für Medienwissenschaft im Bereich der Digitalen Medientechnologien an der Universität Siegen. Arbeitsschwerpunkte: Medienästhetik und Wissenskultur, practice as research/theory as practice (Epistemologie der Partizipation) und Mediengeschichte. Fabian Börchers ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Freien Universität Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die philosophische Handlungstheorie, verschiedene Fragen der philosophischen Anthropologie und der Philosophie des Geistes sowie die philosophische Ästhetik. Besonders beschäftigt ihn die Frage nach Charakter und Einheit der Vernunft sowie der Möglichkeit, auf diese zu reflektieren. Bernd Bösel Dr. phil., ist akademischer Mitarbeiter am Lehrstuhl Medientheorie der Universität Potsdam und unterricht im Studiengang »Europäische Medienwissenschaft« (in Kooperation mit der FH Potsdam). Er war Koordinator des DFG-Netzwerks »Affect- and Psychotechnology Studies« (Laufzeit 2015–2017). Arbeitsschwerpunkte: Technikphilosophie, Affektive Medien, Genealogie der Psychotechniken. Anne Dippel Dr., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Volkskunde an der Friedrich Schiller-Universität Jena sowie Kulturanthropologin, Historikerin und Medientheoretikerin. Derzeit befasst sie sich mit ludischen, medientheoretischen und kosmologischen Dimensionen der Hochenergiephysik am CERN. Daniel Martin Feige ist Juniorprofessor für Philosophie und Ästhetik unter besonderer Berücksichtigung des Designs an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen an der Schnittstelle von Ästhetik und theoretischer Philosophie. Stephan Günzel ist Professor für Medientheorie an der University of Applied Sciences Europe (UE) und derzeit Gastprofessor für Medienwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. An der UE hat er den Studiengang Game Design gegründet, nachdem er zuvor das Zentrum für Computerspielforschung der Universität Potsdam koordinierte. Dort entstand seine Habilitationsschrift Egoshooter. Das Raumbild des Computerspiels. Thomas Hensel ist Professor für Kunst- und Designtheorie an der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Pforzheim sowie Mitglied der Faculty des Certified Program »Visual Competencies« der Donau-Universität Krems und Direktor des Institute for Human Engineering & Empathic Design Pforzheim (HEED). Er ist Träger des Aby M. Warburg-Förderpreises des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg 2012. Wulf Loh hat Philosophie, Politikwissenschaft und Völker- und Europarecht in Heidelberg, Bologna und der FU Berlin studiert. Seine Dissertation zu einer normativen Rekonstruktion des Völkerrechts hat er am Graduiertenkolleg »Verfassung jenseits des Staates« begonnen und am Institut für Philosophie der Universität Stuttgart abgeschlossen, wo er seit 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter ist. Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Rechts-, Sozialund politische Philosophie, Fragen der Digitalisierung – und natürlich Computerspiele. Sebastian Möring Dr., lehrt Game Studies im Kooperationsstudiengang Europäische Medienwissenschaft an der Universität Potsdam und an der Fachhochschule Potsdam und koordiniert das DIGAREC – Zentrum für Computerspielforschung. Seine Forschung umfasst die Philosophie des Computerspiels, Computerspielfotographie sowie medienästhetische und medienökologische Zugänge zum Computerspiel. Britta Neitzel Dr. phil. habil., Medienwissenschaftlerin. Vielfältige Publikationen zu Computerspielen, Gründerin der AG-Games. Arbeitsschwerpunkte: Performativität und Medien, Mediale Orte, Kulturgeschichte der Spiele und Computerspiele.
262 Autorinnen und Autoren Sebastian Ostritsch Dr., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Stuttgart und am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Universität Tübingen. Seine Forschungsinteressen liegen u. a. im Deutschen Idealismus (Hegel), der Philosophie der Zeit und Ewigkeit sowie der Ethik des Computerpiels. Andreas Rauscher PD Dr. habil., ist Akademischer Oberrat für Medienästhetik an der Universität Siegen. Vertretungsprofessuren an den Universitäten Freiburg, Mainz und Kiel. Freier Journalist (epd Film, Testcard) und wissenschaftlicher Kurator der Ausstellung Film & Games für das Frankfurter Filmmuseum (2015). Markus Rautzenberg ist Professor für Philosophie am Fachbereich Gestaltung der Folkwang Universität der Künste Essen. Arbeitsschwerpunkte: Medienphilosophie, philosophische Ästhetik und Kunsttheorie, Bildtheorie. Jakob Steinbrenner Apl. Prof. Dr., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Universität Stuttgart. Arbeitsschwerpunkte: Sprachphilosophie, Ontologie, Bild- und Kulturwissenschaft, Kunst- und Zeichentheorie.
Personenregister A
Aarseth, Espen 45, 66, 69, 221, 224–225, 230–234, 236, 254 Alberti, Leon Battista 214 Alcorn, Allan 70 Ali, Rami 89 Anable, Aubrey 200–201 Anscombe, Gertrude Elizabeth Margaret 6, 100–106, 110–111 Arendt, Hannah 124, 128, 154 Ariès, Philippe 32 Aristoteles 48, 82, 86–87, 104, 108–109, 125, 233, 250 Arsenault, Dominic 209 Astaire, Fred 214 Augustinus 131, 223 Austin, John L. 213–214
B
Bachtin, Michail 133 Badiou, Alain 255 Balint, Michael 194 Barker, Clive 178 Barthes, Roland 49 Bartle, Richard 233 Bataille, Georges 4, 13–15 Bateson, Gregory 4, 16–20 Battista Alberti, Leon 212 Baudrillard, Jean 85 Bazin, André 249 Beardsley, Monroe 183 Bee, Julia 129 Bell, Christopher 152 Benjamin, Walter 6, 11, 34, 123–126, 128, 130–132, 134, 136, 139–140, 142 Bergson, Henri 223–224 Berne, Eric 132 Berry, Noel 132 Beuys, Joseph 137 Blackton, James Stuart 214 Bleckmann, Paula 139 Boehm, Gottfried 215 Bogost, Ian 246 Böhme, Gernot 198 Bojahr, Phillip 243
Bolter, Jay David 242 Bonner, Marc 198 Bopp, Matthias 157 Bordwell, David 47, 251 Bourdieu, Pierre 132 Bowie, David 247 Braudy, Leo 249 Bredekamp, Horst 205 Bremond, Claude 49 Brooks, Louise 214 Burke, Kenneth 210–212 Butler, Mark 194–195 Buytendijk, Johannes 38
C
Cage, John 181 Caillois, Roger 25, 33 Cardano, Gerolamo 32 Carr, Diane 194 Carroll, Lewis 16 Cavell, Stanley 241, 251 Cermak-Sassenrath, Daniel 206 Chion, Michel 251 Claessens, Dieter 38 Clough, Patricia 199 Colman, Felicity 246, 248, 251–252 Coltrane, John 182–184
D
Damásio, António 195 Danto, Arthur Coleman 56, 183 Davidson, Donald 100, 102, 104, 106 Deleuze, Gilles 16, 127, 199–200, 241, 251, 255 Demmerling, Christoph 195 Derrida, Jacques 126, 224, 232, 250 Descartes, René 107, 245 Deuber-Mankowsky, Astrid 34, 187 de Vaucanson, Jacques 33 Dibbell, Julian 94 Dostojewski, Fjordor 133 Droz, Jaquet 33 Duchamp, Marcel 19, 181 Dworkin, Gerald 164
264 Personenregister
E
Ebert, Roger 6, 178–184, 187, 242 Egenfeldt-Nielsen, Simon 244, 249 Ekman, Paul 195 Eldridge, Richard 182 Ellington, Duke 184 Ellis, Brett Easton 88 Elsaesser, Thomas 256 Epimenides 20 Eskelinen, Markku 206 Euler, Leonhard 236
F
Feige, Daniel Martin 256 Felzmann, Sebastian 206 Fermat, Pierre 32 Fludernik, Monika 50–51 Ford, Anton 105 Ford, Harrison 245 Ford, Henry 134 Foucault, Paul-Michel 12, 127, 214 Frege, Friedrich Ludwig Gottlob 20 Freud, Sigmund 18, 133, 199 Fröbel, Friedrich 28, 132 Frome, Jonathan 194, 196 Fuchs, Christian 133 Fuller, Richard Buckminster 229
G
Gabriel, Markus 184 Gadamer, Hans-Georg 4, 21–24, 124, 133, 181 Gaut, Berys 242 Gazzard, Alison 233 Genette, Gérard 43, 50, 232 Gibson, William 224, 226–227 Godard, Jean-Luc 248, 254–255 Goffman, Erving 18, 129 Goodman, Nelson 5, 55, 57, 235 Greenaway, Peter 243 Greimas, Julien Algirdas 49 Grotowski, Jerzy 38 Grube, Gernot 208 Grusin, Richard 242 Guattari, Felix 127, 199 Gumbrecht, Hans-Ulrich 37 Gunning, Tom 244
H
Habermas, Jürgen 149, 153, 162 Hamayon, Roberte 129 Hansen, Miriam 124 Harlan, Veit 92 Heaton, Tom 209 Hediger, Vinzenz 252
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1–2, 14–15, 73, 182, 185, 188–189, 221 Heidegger, Martin 4, 13, 15, 197, 224 Heide Smith, Jonas 244, 249 Henson, Jim 247 Herman, David 50 Hitchcock, Alfred 255 Hobbes, Thomas 153–154 Hofmannsthal, Hugo von 38 Huberts, Christian 198 Huizinga, Johan 3, 13–14, 25, 65, 73, 84, 130, 231, 244 Hume, David 85, 221 Husserl, Edmund Gustav Albrecht 196, 199
I
Irwin, William 241
J
Jahoda, Marie 124, 138–139 Jaspers, Karl 236 Jean Paul 28 Jenkins, Henry 225, 230 Jones, Duncan 242, 250 Joyce, James 66 Jukschat, Nadine 139 Juul, Jesper 69, 98, 112, 117, 224–225, 230–231, 247, 249
K
Kant, Immanuel 2–3, 11, 13–14, 21–22, 25, 27, 33, 85–87, 124, 133, 181, 184, 199, 223–224 Kelly, Richard 250 Keynes, Edward 143 Kibee, Joel M. 138 Kittler, Friedrich 12, 234 Kleist, Heinrich von 28 Kojéve, Alexandre 14 Krämer, Sybille 21, 205, 213 Kruse, Jan 139 Kubrick, Stanley 251 Kücklich, Julian 133
L
Landweer, Hilge 195 Lang, Fritz 255 Laplace, Pierre-Simon 32 Latour, Bruno 13 Laurel, Brenda 227 Le Diberder, Alain 215 Le Diberder, Frédéric 215 Lefebvre, Henri 230–231, 234–235 Leibniz, Gottfried Wilhelm 20, 236 Leino, Olli Tapio 196–197
Personenregister 265 Lerner, Josh 162 Lévi-Strauss, Claude 125 Lewin, Kurt 236 Lisberger, Steven 244 Locke, John 27–28 Lucas, George 245, 247 Luck, Morgan 88 Luhmann, Niklas 18–19, 46
M
MacIntyre, Alasdair 149 Magritte, René 214 Mallarmé, Stephane 19 Manovich, Lev 207, 214, 233–234, 243 Marcuse, Herbert 124, 142–143 Marquez, Gabriel Garcia 182, 184–185 Marx, Karl 6, 123–125, 131, 133, 136 Massumi, Brian 199 Mauss, Marcel 14 Mauthner, Fritz 223 McCormick, Matt 85–87 McGonigal, Jane 161–162 McIver Lopes, Dominic 67 McLuhan, Marshall 132, 233 McMahan, Alice 228–229, 232 McTaggart, John 223, 225, 229 Meinrenken, Jens 212 Meister, Jan-Christoph 49–50 Merlin, John Joseph 33 Mersch, Dieter 212 Miklaucic, Shawn 235 Mondrian, Piet 182–184 Montessori, Maria 132 Morans, Richard 104 Morawe, Volker 186 Morgenstern, Oskar 32 Moriarty, Brian 180 Möring, Sebastian 197 Mulhall, Stephen 241, 250 Murnau, Friedrich Wilhelm 214 Murray, Janet 45, 227, 242, 246, 248, 251
N
Nake, Frieder 208 Neitzel, Britta 49, 156–157, 160, 209, 212, 232 Neumann, John von 29, 32 Newman, James 206 Newton, Isaac 222, 236 Nicholson, Scott 161, 167 Nietzsche, Friedrich Wilhelm 14, 199 Nitsche, Michael 245 Nohr, Rolf F. 209, 234 Novalis 28
O
Oerter, Rolf 47 Ostritsch, Sebastian 151, 156
P
Panofsky, Erwin 229, 233, 236 Pascal, Blaise 32 Patridge, Stephanie 87, 89 Pearce, Celia 229–230 Perdomo, Daniel 72 Perron, Bernard 193–194, 196, 209 Pestalozzi, Johann Heinrich 33 Pfeiffer, Karl Ludwig 35 Pias, Claus 49, 208, 234 Platon 108, 193, 212 Plessner, Helmut 37 Polanski, Roman 90 Poole, Steven 151, 233 Popper, Karl 132 Propp, Vladimir 47, 49 Proust, Marcel 43 Putnam, Hilary 186
R
Rand, Ayn 189, 255 Rauscher, Andreas 180 Rauscher, Josef 254–255 Rautzenberg, Markus 189 Rawls, John 164 Reiff, Tilman 186 Renoir, Jean 249 Romero, Brenda 186 Rousseau, Jean-Jacques 27 Russel, Bertrand 20 Ryan, Marie-Laure 157, 232
S
Sailer, Michael 160 Salen, Katie 231 Sandbothe, Mike 213–214 Santiago, Kellee 6, 178–184, 186–187 Sarris, Andrew 253 Sartre, Jean-Paul 133, 196 Schechner, Richard 37 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 230 Schiller, Friedrich 2–3, 13–14, 21–22, 25, 27–28, 33, 124, 133, 181 Schlegel, Friedrich 28 Schleiermacher, Friedrich 28, 33 Schramm, Helmar 29 Schröter, Felix 193–194, 196 Schwartzman, Helen 35 Scott, Ridley 245–246 Searle, John 213 Sedol, Lee 124
266 Personenregister Seel, Martin 241 Shakespeare, William 67 Shaw, Daniel 246, 250 Simmel, Georg 134 Smedstad, Solveig Marie 231 Smith, Murray 246, 251 Soja, Edward 230 Solomon, Robert C. 196 Spielberg, Steven 245–246 Spies, Christian 209 Stahlhut, Marco 213 Stallone, Sylvester 245 Stanzel, Franz 232 Steinbrenner, Jakob 151 Stiglegger, Marcus 252 Stoichita, Victor I. 212 Sunnanå, Lise 231
T
Tan, Ed 196 Tavinor, Grant 69–70, 112, 157 Taylor, Frederick Winslow 134 Thiel, Sarah-Kristin 159, 161, 163, 167 Thomas von Aquin 105 Thompson, Kristin 251 Thon, Jan-Noël 50 Thorson, Matt 132 Tondello, Gustavo 159 Tosca, Susana 244, 249 Trifonas, Peter 153, 157 Trump, Donald 155 Turner, Victor 129
U
Upton, Brian 248–249
V
Väliaho, Pasi 200–201 van Gogh, Vincent 184 van Hoogstraten, Samuel 211 Venus, Jochen 157 Vertov, Dziga 243
W
Walton, Kendall 91 Warshaw, Howard 246 Weber, Max 14–15 Welles, Orson 249 Wenzel, Horst 208 Wenz, Karin 232 Wheatley, Ben 255 Wiemer, Serjoscha 200–201 Wittgenstein, Ludwig 13, 20, 47, 64–65, 70, 132, 181 Wolf, Mark J.P. 227–228, 233
Y
Young, Garry 88
Z
Zahavi, Dan 196 Zeman, Karel 243 Zimmerman, Eric 231, 242 Zimmermann, Olaf 177 Zizek, Slavoj 255 Zorn, John 181