Parkettierungen der Ebene -- Von Escher über Möbius zu Penrose

Ziel des Buches ist das Studium von Symmetrien und Parkettierungen, die Künstler und Mathematiker schon seit langer Zeit interessieren. Berühmte Beispiele sind die von den Arabern in der Alhambra geschaffenen Werke und die Bilder des holländischen Malers Maurits Escher. Die Mathematiker haben sich erst im 19. Jahrhundert des Themas intensiv angenommen. Dabei führt die Visualisierung der mathematischen Zusammenhänge zu sehr ansprechenden Bildern. Drei Ansätze werden in diesem Buch beschrieben. In Teil I wird dargestellt, dass es 17 prinzipiell verschiedene Möglichkeiten von Parkettierungen der Ebene gibt, die so genannten "Ebenen Kristallgruppen". Ergänzend dazu werden Ideen von Harald Heesch beschrieben, der zeigte, wie diese theoretischen Ergebnisse praktisch umgesetzt werden können: Er gab einen Katalog von 28 Verfahren an, die man selbst - sozusagen auf den Spuren von Escher - kreativ zur Schaffung künstlerisch anspruchsvoller Parkettierungen verwenden kann. Bei den entsprechenden Untersuchungen für die komplexe Ebene in Teil II werden Bewegungen durch bijektive holomorphe Abbildungen ersetzt. Das führt in die Theorie der Gruppen von Möbiustransformationen: Kleinsche Gruppen, Schottkygruppen usw. Dort gibt es auch interessante Verbindungen zur hyperbolischen Geometrie. Schließlich wird in Teil III noch ein dritter Aspekt des Themas behandelt, die Penroseparkettierungen. Dabei geht es um Ergebnisse aus den siebziger Jahren, als erstmals einfach zu beschreibende und beweisbar nichtperiodische Parkettierungen der Ebene angegeben wurden. Der Inhalt Teil I: Escher über die Schultern gesehen- Teil II: Möbiusstransformationen - Teil III: Penroseparkettierungen Der Autor Prof. Dr. Ehrhard Behrends, Freie Universität Berlin, Fachbereich Mathematik und Informatik, ist Autor zahlreicher mathematischer Lehrbücher und populärwissenschaftlicher Bücher.

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Ehrhard Behrends

Parkettierungen der Ebene Von Escher über Möbius zu Penrose

Parkettierungen der Ebene

Ehrhard Behrends

Parkettierungen der Ebene Von Escher über Möbius zu Penrose Mit zahlreichen farbigen Abbildungen

Ehrhard Behrends Fachbereich Mathematik und Informatik Freie Universität Berlin Berlin, Deutschland

ISBN 978-3-658-23269-6 https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2

ISBN 978-3-658-23270-2 (eBook)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichenund Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Ulrike Schmickler-Hirzebruch Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit drei speziellen Aspekten des Themas „Parkettierungen der Ebene“, die einen interessanten mathematischen Hintergrund haben. Dabei versteht man unter einer Parkettierung eine lückenlose und überlappungsfreie Überdeckung der Ebene, bei der die einzelnen Bausteine durch ein „einfaches“ Bildungsgesetz – etwa durch die Wirkung einer Bewegungsgruppe – auseinander hervorgehen. Im ersten Teil geht es um die Geometrie der Ebene. Wir betrachten Bewegungen der Ebene, die Abstände erhalten und studieren dann Objekte, die unter gewissen Bewegungen invariant sind: Das führt zum Begriff der Symmetrie. Als ganz einfaches Beispiel zur Illustration könnte man etwa den Buchstaben „M“ betrachten: Wenn man ihn an der Mittelsenkrechten spiegelt, geht er in sich über. Weit interessanter sind natürlich Beispiele aus der Architektur (Rotations- und Spiegelsymmetrie) oder der Kunst: Allgemein bekannt sind die Bilder des holländischen Grafikers Maurits Cornelis Escher, der sich von den Mustern in der Alhambra in Granada inspirieren ließ und dann verschiedene Aspekte der Symmetrie in seinen Grafiken meisterhaft realisierte. Wir werden Escher sozusagen „über die Schulter sehen“ und diejenigen mathematischen Ergebnisse und Konstruktionsverfahren herleiten, die er Kraft künstlerischer Intuition finden konnte, ohne jemals eine mathematische Ausbildung gehabt zu haben.

Eine Rosette aus dem Museum für angewandte Kunst in Wien V

VI

Vorwort

Im zweiten Teil wird das Thema Symmetrie aus Sicht der Funktionentheorie interpretiert. Die natürlichen „Bewegungen“ der komplexen Zahlenkugel sind diejenigen, die erstens holomorph und zweitens bijektiv sind. Sie sind leicht zu beschreiben, sie haben die Form z 7! .az C b/=.cz C d /, wobei a; b; c; d komplexe Zahlen mit ad  bc ¤ 0 sind. Heute werden sie Möbiustransformationen genannt. Wir werden Möbiustransformationen klassifizieren und sehen, wie sie und die von ihnen erzeugten Gruppen zu interessanten Parkettierungen der Ebene Anlass geben.

Eine Visualisierung einer speziellen Möbiustransformation

Der dritte Teil schließlich ist Penrose-Parkettierungen gewidmet. Da geht man von zwei einfach zu beschreibenden Dreiecken aus, bei deren Seitenverhältnissen die Zahl des goldenen Schnitts eine wichtige Rolle spielt. Wenn man beliebig viele von dieses Dreiecken zur Verfügung hat und einige Anlegeregeln postuliert, so zeigt sich: Man kann die Ebene auf überabzählbar prinzipiell verschiedene Weisen mit diesen Dreiecken parkettieren, aber keine dieser Parkettierungen ist periodisch, kann also nicht durch eine nichttriviale Translation in sich überführt werden. Dadurch wird das jahrzehntelang offene Problem gelöst, ob es im Fall einer Parkettierung mit gewissen Bausteinen auch eine periodische Parkettierung mit diesen Bausteinen geben muss.

Eine Penroseparkettierung (Ausschnitt)

Vorwort

VII

Das Buch ist sehr ausführlich geschrieben und deswegen nicht nur als Vorlage für eine Vorlesung oder ein Seminar, sondern auch zum Selbststudium geeignet. Durch zahlreiche Bilder werden die mathematischen Sachverhalte visualisiert, und die Leserinnen und Leser werden vielleicht angeregt, ein Bild à la Escher selbst herzustellen, ein attraktives Bild unter Verwendung einer Gruppe von Möbiustransformationen selbst zu erzeugen oder sich an einer Penroseparkettierung zu versuchen. Im Rahmen von Proseminaren und Seminaren habe ich die verschiedenen Aspekte des Themas „Parkettierungen“ mehrfach aufgegriffen, und im Wintersemester 2017/18 gab es eine Vorlesung dazu, die mit dem Titel des vorliegenden Buches angekündigt wurde. In ihr habe ich viele Anregungen von den Teilnehmern erhalten, denen ich an dieser Stelle herzlich danken möchte. Berlin, Deutschland 2018

Ehrhard Behrends

Inhaltsverzeichnis

1

Teil I

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Escher über die Schulter gesehen

2

Symmetrien und Fundamentalbereiche . . . . . . . . . . . . 2.1 Was ist Symmetrie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Welche Bewegungen gibt es? . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Gruppen von Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Diskontinuierliche Gruppen und Fundamentalbereiche

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3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene . . . . . . . . . . . . . 3.1 Wie viele verschiedene Gruppen von Bewegungen gibt es? . . . . . . . . . 3.2 Endliche Gruppen von Bewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Die Untergruppe der Translationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die 7 Friesgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 F1 : nur Translationen .nnnn/ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 F11 : nur Spiegelungen vom Typ 1 (j nnn) . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 F12 : nur Spiegelungen vom Typ 2 (nj nn) . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 F13 : echte Gleitspiegelungen (nnnj ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 F2 : nur Rotationen (nnj n) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.6 F21 : Rotationen, Typ-1- und Typ-2-Spiegelungen (jjj n) . . . . . . 3.4.7 F22 : echte Gleitspiegelungen, Typ-2-Spiegelungen und Rotationen (njjj ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.9 Klassifikation: Ein Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.10 Hinweise für Künstler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Die kristallographische Restriktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Translationen, Spiegelungen: 4 Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Translationen, 2-Rotationen, Spiegelungen: 5 Gruppen . . . . . . .

27 27 33 38 41 45 46 47 48 50 51 52 53 53 55 55 56 58 71 IX

X

Inhaltsverzeichnis

3.5.4 3.5.5 3.5.6 3.5.7 4

Translationen, 3-Rotationen, (Gleit-)Spiegelungen: 3 Gruppen Translationen, 4-Rotationen, Spiegelungen: 3 Gruppen . . . . . Translationen, 6-Rotationen, Spiegelungen: 2 Gruppen . . . . . Klassifikation: Ein Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Die Heesch-Konstruktionen . . . . . . . . . . . 4.1 Gitter und Netze . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Heesch-Konstruktionen: Motivation . 4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

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79 86 91 93

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Literatur zu Teil I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

Teil II

Möbiustransformationen

5

Möbiustransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Komplexe Zahlen: einige Erinnerungen . . . . . . . . . . . . . 5.2 Möbiustransformationen: Definitionen und erste Ergebnisse 5.3 Möbiustransformationen und Kreise . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Fixpunkte von Möbiustransformationen . . . . . . . . . . . . 5.5 Konjugierte Möbiustransformationen . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g . . . . . . . . . . . . . 5.7 Charakterisierung: der allgemeine Fall . . . . . . . . . . . . . 5.8 Wunschzettel/Visualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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147 147 149 153 159 161 162 170 175

6

Gruppen von Möbiustransformationen . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Erste Beispiele für Gruppen von Möbiustransformationen . 6.2 Fundamentalbereiche und diskrete Gruppen . . . . . . . . . . 6.3 Spezielle Möbiustransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Hyperbolische Geometrie I: die obere Halbebene H 6.4.2 Hyperbolische Geometrie II: der Einheitskreis U . . 6.5 Die modulare Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Gruppen mit zwei Erzeugern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Schottkygruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Das Mysterium des parabolischen Kommutators . . . . . . . 6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.1 Die isometrischen Kreise . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.2 Die Limesmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.9.3 Ein Fundamentalbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.10 Parabolische Kommutatoren: Konstruktion . . . . . . . . . . .

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179 180 181 184 193 194 200 201 206 208 221 229 229 233 237 241

Literatur zu Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Inhaltsverzeichnis

Teil III 7

XI

Penroseparkettierungen

Penroseparkettierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Nichtperiodische Parkettierungen: Das Problem 7.2 Die „goldenen“ Penrose-Dreiecke . . . . . . . . . 7.3 Welche Parkettierungen sind möglich? . . . . . . 7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen . . . . . . . 7.5 Isomorphien von Penroseparkettierungen . . . . . 7.6 Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur zu Teil III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

1

Einleitung

Meine Spezialgebiete sind eigentlich Funktionalanalysis und Wahrscheinlichkeitstheorie, doch immer einmal wieder waren auch die Themen „Parkettierungen“ und „Symmetrie“ ein Interessenschwerpunkt. Es fing vor mehreren Jahrzehnten mit der im Freundeskreis gestellten Frage an: „Du bist doch Mathematiker. Wie kann man eigentlich selber ein Tapetenmuster entwerfen?“ Darum hatte ich mich nie vorher gekümmert, und ich fand es faszinierend zu lernen, wie man alle prinzipiell verschiedenen derartigen Muster klassifizieren kann: Das sind die 17 ebenen Kristallgruppen, die im Englischen übrigens „wallpaper groups“ (Tapetengruppen) heißen. Es gibt auch künstlerisch anspruchsvolles Anschauungsmaterial, denn in den Werken des holländischen Grafikers Maurits Cornelis Escher sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden. In Hinblick auf die Ausgangsfrage war es für mich auch interessant zu erfahren, dass es einen von Heinrich Heesch gefundenen vollständigen Katalog von Herstellungsverfahren gibt, der einem gestattet, sich selber kreativ am Tapetendesign zu versuchen. Den nächsten Anstoß gab es irgendwann in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends, als ich auf das Buch „Indra’s Pearls – The Vision of Felix Klein“ von Mumford, Series und Wright aufmerksam wurde. Mir ist keine andere Quelle bekannt, in der man auf vergleichbare Weise angeregt wird, anspruchsvolle Mathematik durch äußerst attraktive Bilder zu illustrieren. Ich selbst programmiere sehr gern und verstehe mathematische Sachverhalte oft viel besser, wenn es eine geeignete Visualisierung des mathematischen Hintergrunds gibt1 . Einige Jahre später wurde durch einen Zeitungsartikel mein Interesse an PenroseParkettierungen geweckt. Da ich im Rahmen meiner Aktivitäten, der interessierten Öffentlichkeit die Faszination der Mathematik näherzubringen, immer auf der Suche 1

Bei einem Reiseführer könnte das Motto lauten: „Man sieht nur, was man weiß“. Um zu verdeutlichen, was ich meine, könnte man das – stark vereinfachend – zu „Man weiß nur, was man sieht“ abwandeln. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_1

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2

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Einleitung

nach visuell attraktiv umsetzbaren mathematischen Sachverhalten war, habe ich mich in das Thema eingearbeitet. Wir haben dann auch ziemlich viele recht große Penrosefliesen herstellen lassen, die mehrfach bei passenden Gelegenheiten (Lange Nacht der Wissenschaften, Tag der Mathematik, . . . ) eingesetzt wurden. Es gab jeweils einen dem Kenntnisstand der Hörer angepassten Vortrag, und danach konnte man versuchen, die recht komplizierten Anlegeregeln à la Penrose selbst umzusetzen.

Beginn einer Penroseparkettierung (Lange Nacht der Wissenschaften Berlin, 2008)

Nun zum Inhalt. Teil I hat die Überschrift „Escher über die Schulter gesehen“, und das ist so gemeint: Wir wollen die Mathematik, die Parkettierungen der Ebene zugrunde liegt, so weit verstehen, dass wir – im Prinzip – bei ausreichender künstlerischer Begabung Bilder à la Escher herstellten könnten. Um dieses Ziel zu erreichen, gehen wir in den folgenden Schritten vor. Zunächst kümmern wir uns in Kapitel 1 um Grundlegendes: Was ist eine Symmetrie? Wie kann man die Bewegungen der Ebene klassifizieren? Welche Symmetriegruppe hat ein vorgelegtes Bild? Welche Parkettierungen durch so genannte „Fundamentalbereiche“ werden durch Symmetriegruppen erzeugt? In Kapitel 2 nehmen wir uns Charakterisierungen vor: Welche Symmetriegruppen sind zu erwarten, wenn es keine oder eine ein- bzw. zweiparametrige Familie von Translationen gibt? Dabei beschränken wir uns auf diskrete Gruppen, das sind solche, bei denen sich die Bewegungen, die zu Symmetrien führen, „nicht zu nahe“ kommen. Der Fall, in dem es keine nichttrivialen Translationen gibt, ist recht einfach. Da kann es nur Rotationen um ganzzahlige Teiler von 360 Grad und Spiegelungen geben (Leonardos Theorem). Interessanter ist schon die Charakterisierung der sieben Friesgruppen, da gibt es eine eindimensionale Schar von Translationen. Deutlich aufwändiger ist dann die Behandlung des Falles, in dem es zwei linear unabhängige Translationen in der Grup-

1

Einleitung

3

pe gibt. Durch eine sorgfältige Analyse der dann möglichen Translationen kann gezeigt werden, dass es 17 prinzipiell verschiedene Möglichkeiten gibt, das sind die 17 ebenen Kristallgruppen. (Vorher musste natürlich geklärt werden, was „wesentlich verschieden“ in diesem Zusammenhang heißen soll.) Ausgangspunkt dieser Untersuchungen ist ein wichtiges Lemma, die kristallographische Restriktion: An möglichen Rotationen sind nur solche um ganzzahlige Vielfache von 180 Grad, 120 Grad, 90 Grad, 72 Grad und 60 Grad zu erwarten. Das schränkt die Anzahl der zu untersuchenden Fälle drastisch ein. Charakterisierungen sind zwar von sehr großem theoretischen Interesse, doch wüsste man auch gern, wie man das praktisch ausnutzen kann. Um allen künstlerisch Interessierten die Möglichkeit zu geben, selber praktisch tätig zu werden, beschreiben wir in Kapitel 3 die Heesch-Konstruktionen: Auf 28 wesentlich verschiedene Weisen gelangt man zu Parkettierungen, die sich aus den ebenen Kristallgruppen ergeben. Vorbereitend dazu kümmern wir uns um Gitter und Netze, die ermöglichen so etwas wie eine kombinatorische Analyse der hier relevanten Anlegemöglichkeiten.

Die Netze .4; 4; 3; 3; 3/ und .6; 3; 3; 3; 3/

Hier ist als Beispiel eine Illustration zur zehnten Heeschkonstruktion:

Die Parkettierung, die zur 10. Heeschkonstruktion gehört

4

1

Einleitung

In Teil II untersuchen wir Möbiustransformationen und Gruppen solcher Transformationen. Kapitel 4 beginnt mit einer Erinnerung an einige Fakten im Zusammenhang mit komplexen Zahlen und komplexwertigen Funktionen. Dann werden Möbiustransformationen eingeführt. Die Notwendigkeit, diese Abbildungen und Gruppen solcher Abbildungen zu studieren, ergab sich bei den Bemühungen, mehrwertige holomorphe Funktionen besser zu verstehen. Es folgen die ersten wichtigen Ergebnisse: Wie sind Möbiustransformationen charakterisiert? Wie kann man sie aus einfachen Transformationen zusammensetzen? Wie werden Kreise unter Möbiustransformationen abgebildet? . . . Das wird auch schon Anlass zu interessanten Bildern geben.

Kreise, transformiert mit einer Möbiustransformation

Nach einer Untersuchung der möglichen Fixpunkte von Möbiustransformationen folgt dann eine Charakterisierung: Es gibt neben der Identität vier wesentlich verschiedene Typen: parabolische, elliptische, hyperbolische und loxodromische Transformationen. Durch viele Bilder wird illustriert, wie man sie sich vorstellen kann.

Eine loxodromische Transformation

1

Einleitung

5

Das alles sind notwendige Vorbereitungen, um in Kapitel 5 mit dem Studium von Gruppen von Möbiustransformationen zu beginnen. Da sind zunächst diejenigen Transformationen, die eine spezielle Teilmenge der komplexen Ebene – etwa die obere Halbebene – invariant lassen. Wir nutzen die Gelegenheit für einen Exkurs in die hyperbolische Geometrie. Da sehen Geraden und Dreiecke sehr ungewöhnlich aus, und auch für die Winkelsumme im Dreieck muss man eine neue Formel herleiten.

Geraden und Dreiecke in der hyperbolischen Geometrie

Wir lernen auch einige wichtige Eigenschaften der modularen Gruppe kennen, und wir erzeugen eine bekannte Parkettierung nach Wahl eines Fundamentalbereichs.

Eine durch die modulare Gruppe induzierte Parkettierung von H

Danach studieren wir Schottkygruppen. Das sind Gruppen mit zwei Erzeugern, bei denen die Wirkungen der auftretenden Transformationen noch vergleichsweise einfach beschrieben werden können. Als Gruppen sind es freie Gruppen, und als kleinste invariante Menge erhält man das Cantor-Diskontinuum. Besonders interessant wird es, wenn die Schottkykreise sich berühren, dann gibt es interessante zusammenhängende Limesmengen. Der mathematische Hintergrund ist interessant: Man muss garantieren, dass der Kommutator der Erzeuger eine parabolische Transformation ist. Wir haben dann genügend viele interessante Beispiele zur Illustration, um uns dem allgemeinen Fall zuzuwenden: Was lässt sich über allgemeine Kleinsche Gruppen aussagen?

6

1

Einleitung

Es stellt sich heraus, dass die zu den Transformationen gehörigen isometrischen Kreise eine besondere Rolle spielen, damit lassen sich Strukturaussagen über die Limesmenge und mögliche Fundamentalbereiche beweisen. Anschließend nehmen wir das Problem der parabolischen Kommutatoren noch einmal auf: Wie kann man Beispiele finden? Eine fundamentale Rolle spielt dabei die MarkovIdentität, damit ist es möglich, viele Familien von Beispielen anzugeben. Für die Limesmengen ergeben sich dann interessante fraktale Gebilde.

Einige Limesmengen

Teil III ist dem Studium von Penroseparkettierungen gewidmet. Kapitel 6 beginnt mit einer Präzisierung der Problemstellung und einem kurzen historischen Abriss. Dann stellen wir die Grundbausteine vor, es sind Dreiecke, bei deren Definition der goldene Schnitt eine wichtige Rolle spielt.

Die Penrosedreiecke

Das wird ergänzt um die Anlegeregeln. Sie sind ein bisschen gewöhnungsbedürftig, durch geeignete, an den Dreiecken angebrachte Markierungen kann man sie sich aber leicht merken. Dann wird es ein bisschen technisch: Welche Parkettierungen sind aufgrund der Anlegeregeln überhaupt möglich? Bemerkenswerter Weise kann man die möglichen Konstruktionen durch geeignete 0-1-Folgen codieren (so genannte Indexfolgen). Das Hauptergebnis besagt dann, dass zulässige Parkettierungen durch Penrosedreiecke einerseits und

1

Einleitung

7

Indexfolgen andererseits in einer eineindeutigen Beziehung stehen und dass Translationssymmetrie niemals zu erwarten ist. Anschließend kümmern wir uns um die Frage, wie viele verschiedene Penroseparkettierungen es gibt. Mit Hilfe der Beschreibung durch Indexfolgen ist es möglich zu zeigen, dass man überabzählbar viele wesentlich verschiedene derartige Parkettierungen finden kann, wobei sich der Unterschied erst dann zeigt, wenn man die vollständigen Parkettierungen kennt: „Im Kleinen“ sind Penroseparkettierungen nicht voneinander zu unterscheiden. Das Buch ist sehr ausführlich geschrieben. Für Leserinnen und Leser, die die grundlegenden Vorlesungen erfolgreich absolviert haben, sollte es auch zum Selbststudium geeignet sein. An allen dafür geeigneten Stellen wurde versucht, die mathematischen Tatsachen durch Bilder zu illustrieren2 . Und alle sind nochmals eingeladen, „von Hand“ oder mit Computerhilfe selber tätig zu werden, um durch Visualisierung den mathematischen Hintergrund besser zu verstehen.

2

Die hier enthaltenen Bilder sind selbst aufgenommen bzw. mit dem Programm „Delphi“ erzeugt worden.

Teil I Escher über die Schulter gesehen

2

Symmetrien und Fundamentalbereiche

Zweifellos ist Maurits Cornelis Escher die Hauptperson des ersten Teils dieses Buches. Escher lebte von 1898 bis 1972. Nach seinem Studium bereiste er mehrfach Italien und Spanien, besonders beeindruckten ihn die Werke maurischer Künstler in der Alhambra in Granada. Anfangs lag der Schwerpunkt seiner Werke auf mediterranen Landschaftsbildern, später kamen „unmögliche“ Bilder und – durch die Bilder der Alhambra angeregte – flächenfüllende Parkettierungen dazu. Escher war ein erfolgreicher Künstler. Eine besonders wichtige Rolle spielte für ihn der 1954 in Amsterdam organisierte Weltkongress der Mathematiker. Die sich dabei ergebenden Treffen waren für beide Seiten sehr beeindruckend. Die Mathematiker konnten kaum glauben, dass ein Künstler ohne mathematische Ausbildung Kraft seiner Intuition so tief in das Thema „Symmetrie“ eingedrungen war. Und Escher war überrascht zu erfahren, dass seine zeitaufwändig durch Versuch und Irrtum gefundenen Konstruktionen Teil einer mathematisch schon vollständig ausgearbeiteten Theorie waren. Escher hat es einmal sehr poetisch ausgedrückt: Er hat sich im „Garten“ der Mathematik mühsam einen Weg durch das Unterholz gebahnt ohne zu wissen, dass es zu seinem Ziel auch schon hervorragend vorbereitete Wege gab. Das vorliegende Kapitel enthält einige notwendige Vorbereitungen, die zur Präzisierung und zur Beantwortung der Frage „Wie viele wesentlich verschiedene ebene Symmetriegruppen gibt es?“ erforderlich sind.

2.1

Was ist Symmetrie?

Klar ist, dass ein Kreis oder ein Quadrat „irgendwie symmetrisch“ sind. Doch was soll das genau heißen? Dazu sind zunächst zwei Fragen zu klären:  Was ist ein Bild?  Was ist eine Bewegung? © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_2

11

12

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

Wir werden ausschließlich Bilder in der Ebene betrachten. In der einfachsten Version geht es um ein schwarz-weiß-Bild B, das kann mit einer Teilmenge B  R2 identifiziert werden. Wenn man es etwas genauer machen möchte, kann man auch noch die Graustufen berücksichtigen, dann ist ein Bild eine Abbildung  vom R2 nach Œ0; 1, und .x/ gibt an, in welcher Graustufe x gefärbt ist (irgendwo zwischen .x/ D 0 für tiefschwarz und .x/ D 1 für weiß). Man kann auch noch Farben berücksichtigen, die wir als RGB-Farben im Zahlenwürfel W WD f0; : : : ; 255g3 darstellen, wobei die drei Zahlen für die jeweiligen Rot-, Grün- und Blau-Anteile stehen. Es ist üblich, sie hexadezimal darzustellen, zum Beispiel als $0B12FF (dann ist 0BHex D 11 der Rotanteil, 12Hex D 18 der Grünanteil, FFHex D 255 der Blauanteil). Es ist $000000 tiefschwarz und $FFFFFF weiß.

Definition 2.1.1

Ein Bild ist eine Abbildung  W R2 ! f0; : : : ; 255g3 . Die Interpretation: x ist gemäß .x/ (RGB-Code) gefärbt.

So ein Bild kann man drehen, spiegeln, verschieben usw. Wir wollen nur garantieren, dass gegenseitige Abstände erhalten bleiben:

Definition 2.1.2

Unter einer Bewegung verstehen wir eine bijektive Abbildung T auf dem R2 , die abstandserhaltend ist. Das bedeutet, dass kT x  T yk D kx  yk für alle x; y gilt1 . (ii) Ist T eine Bewegung und  W R2 ! f0; : : : ; 255g3 ein Bild, so kann man es gemäß T transformieren. T ./ soll das durch

(i)

  T ./.x/ WD  T 1 .x/ definierte Bild sein. (iii) T heißt eine Symmetrie für , wenn T ./ D  ist.

Bemerkungen 1. Die Definition von T ./ ist gewöhnungsbedürftig, weil auf der rechten Seite T 1 auftritt. So wird aber garantiert, dass das Bild genauso bewegt wird, wie durch T vorgegeben: Wenn T um eine Einheit nach rechts verschiebt, so wird das Bild um eine Einheit nach rechts verschoben usw. 1 Dabei bezeichnet kx  yk den üblichen (euklidischen) p Abstand zwischen x und y: Hat x bzw. y die Koordinaten x1 ; x2 bzw. y1 ; y2 , so ist kx  yk WD .x1  y1 /2 C .x2  y2 /2 .

2.2 Welche Bewegungen gibt es?

13

2. Man kann sich „Symmetrie“ etwas vereinfacht dadurch vorstellen, dass man das Bild je einmal auf zwei (unendlich groß gedachte) durchsichtige Folien malt. Symmetrien sind dann die verschiedenen Möglichkeiten, die Bilder übereinanderzulegen. Beispiele 1. Ist  eine konstante Abbildung, ist der R2 also mit nur einer Farbe eingefärbt, so sind alle T Symmetrien. 2. Die Symmetrien einer Geraden bestehen (neben der Identität) aus  allen Translationen, die parallel zu dieser Geraden sind;  dazu der Spiegelung an dieser Geraden;  dazu allen Spiegelungen an zur Geraden orthogonalen Geraden;  dazu allen Kombinationen dieser Abbildungen 3. Bei einem Kreis sind alle Drehungen um den Mittelpunkt Symmetrien. Dazu kommen noch die Spiegelungen an Geraden, die durch den Mittelpunkt gehen. 4. Die identische Abbildung ist immer eine Symmetrie, und manchmal gibt es keine weiteren. (Wenn das Bild zum Beispiel der Buchstabe F ist. Überhaupt ist es hilfreich, sich die Symmetrien der verschiedenen Buchstaben klarzumachen.) Mit S; T sind offensichtlich auch S 1 und S ı T Symmetrien eines Bildes, sie bilden damit eine Untergruppe der Gruppe bijektiven Abbildungen auf R2 : Das ist die Symmetriegruppe des Bildes. In vielen Fällen wird es bei uns um Bilder gehen, die eigentlich ganz R2 einnehmen, von denen man aber natürlich nur einen Ausschnitt darstellen kann. Da muss man sich das Bild „auf die gleiche Weise“ fortgesetzt denken. Man denke etwa an einen Ausschnitt aus einem unendlichen Schachbrettmuster.

2.2 Welche Bewegungen gibt es? Beispiele für Bewegungen sind schnell gefunden:

Definition 2.2.1

(i) (ii)

Sei a 2 R2 ein Vektor. Mit Ta werden wir die Translation x 7! a C x um den Vektor a bezeichnen. Sei ˛ 2 R. Die Rotation um den Winkel ˛ (mit dem Nullpunkt als Drehpunkt) wird durch die Abbildung R˛ beschrieben.

x y

! D

cos ˛

 sin ˛

sin ˛

cos ˛

!

x y

!

14

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

(ii)0 Ist nicht der Nullpunkt, sondern ein beliebiger Punkt x0 der Drehpunkt, so führt das auf die Rotation R˛;x0 .x/ WD R˛ .x  x0 / C x0 : (iii) Es sei ˇ 2 R. Mit Gˇ bezeichnen wir die Gerade, die durch den Nullpunkt geht und mit der positiven Richtung der x-Achse den Winkel ˇ einschließt: Gˇ D f.t cos ˇ; t sin ˇ/> j t 2 Rg. (Dabei steht .a; b/> für den Spaltenvektor mit den Einträgen a; b). Will man ein x an dieser Geraden spiegeln, so geht das durch die Abbildung Sˇ

x y

! D

!

cos.2ˇ/

sin.2ˇ/

sin.2ˇ/

 cos.2ˇ/

x y

! :

(Dass die Spiegelung Sˇ wirklich diese Form hat, kann man dadurch einsehen, dass man die Bilder der Einheitsvektoren berechnet. Oder dadurch, dass man 0 die Spiegelung an Sˇ in der Form Rˇ ı S0 ı Rˇ schreibt, wo S0 D 10 1 der x-Achse bedeutet. Dabei muss man sich noch an die Formeln sin.2ˇ/ D 2 cos ˇ sin ˇ und cos.2ˇ/ D cos2 ˇ  sin2 ˇ erinnern.) (iii)0 Nun wollen wir an der um einen Vektor g0 verschobenen Gerade Gˇ spiegeln. Diese Spiegelung kann explizit als x 7! Sˇ .x  g0 / C g0 dargestellt werden. Schreibt man sie als x 7! g0  Sˇ g0 C Sˇ x, so ist s WD g0  Sˇ g0 offensichtlich ein Vektor mit Sˇ s D s. Und umgekehrt gilt das auch: Ist s mit Sˇ s D s vorgelegt, so ist x 7! s C Sˇ x die Spiegelung an der um s=2 verschobenen Geraden. Das folgt daraus, dass alle Punkte s=2 C x mit Sˇ x D x, d. h. alle Punkte der verschobenen Geraden Gˇ , unter x 7! s C Sˇ x fixiert werden. Wir schreiben Sˇ;s für so eine Spiegelung2 . 00 (iii) Eine Gleitspiegelung Sˇ;s;b ist eine Spiegelung des Typs Sˇ;s , verknüpft mit einer nichttrivialen Translation um den Vektor b ¤ 0, wobei b in Richtung der Geraden zeigt, an der gespiegelt wird. Es ist also ein b ¤ 0 mit Sˇ b D b gegeben,und dann ist Sˇ;s;b WD Tb ı Sˇ;s .

Wir werden immer voraussetzen, dass Sˇ s D s gilt. Es ist die Spiegelung an der zu s=2 orthogonalen Geraden.

2

2.2 Welche Bewegungen gibt es?

15

Bemerkung Es ist zu beachten, dass wir bei der Definition von Translationen und Rotationen auch triviale Fälle zugelassen haben: Die Identität ist eine Translation um den Nullvektor und eine Rotation um ein Vielfaches von 2. Bei Gleitspiegelungen verlangen wir allerdings, dass es keine Spiegelungen sind. Und so kann man sich diese Abbildungen vorstellen:

Das Original und die Anwendung einer Translation, einer Rotation und einer Gleitspiegelung

Satz 2.2.2

Alle Abbildungen Ta ; R˛;x0 ; Sˇ;s;b sind Bewegungen.

Beweis (i) Es ist kTa x  Ta yk D k.a C x/  .a C y/k D kx  yk. Die Abbildung Ta ist sicher bijektiv, denn Ta ist offensichtlich invers zu Ta . (ii) Sei x D .x; y/> . Es ist dann  > kR˛ xk2 D k x cos ˛  y sin ˛; x sin ˛ C y cos ˛ k2 D .x cos ˛  y sin ˛/2 C .x sin ˛ C y cos ˛/2 D x2 C y2 D kxk2 : Und damit ist auch kR˛ x  R˛ yk D kR˛ .x  y/k D kx  yk. Beachte noch, dass R˛ invers zu R˛ ist. (ii)0 Es ist doch R˛;x0 x D R˛ x C x0  R˛ x0 . Der Translationsvektor x0  R˛ x0 hebt sich bei der Differenzbildung weg. (iii) Dass stets kSˇ xk2 D kxk2 gilt, ist wie in (i) direkt auszurechnen, und wie in (i) folgt daraus die Isometrie dieser Abbildung. Sˇ ist zu sich selbst invers. (iii)0 Sˇ;s entsteht aus Sˇ durch eine Translation.  (iii)00 Hier kommt nur eine weitere Translation hinzu.

16

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

Wir wollen Bewegungen etwas einheitlicher beschreiben. Dazu definieren wir:

Definition 2.2.3

Eine reelle 2  2-Matrix OD

a11

a12

a21

a22

!

heißt orthogonal, wenn die Spalten orthogonale Einheitsvektoren sind, wenn also 2 2 2 2 C a12 D a21 C a22 D 1; a11 a12 C a21 a22 D 0 a11

gilt.

Lemma 2.2.4

O sei orthogonal. (i) (ii) (iii) (iv) (v) (vi)

Auch die Zeilenvektoren sind normalisiert und orthogonal, die Determinante ist 1 oder 1. x 7! Ox ist eine Bewegung. Ist det O D 1 und ist O nicht die Einheitsmatrix, so gibt es ein ˛ 2 R mit O D R˛ , und umgekehrt ist jedes R˛ orthogonal mit Determinante 1. Ist det O D 1, so gibt es ein ˇ 2 R mit O D Sˇ , und umgekehrt ist jedes Sˇ orthogonal mit Determinante 1. Das Produkt orthogonaler Abbildungen ist orthogonal.  ˛  sin ˛  und die Spiegelung Wie bisher stellen wir die Rotation R˛ durch cos sin ˛ cos ˛   cos.2ˇ/ sin.2ˇ/ Sˇ durch sin.2ˇ/  cos.2ˇ/ dar. Dann gilt: R˛ ı R˛0 D R˛C˛0 ; R˛ ı Sˇ D S˛=2Cˇ ;

Sˇ1 ı Sˇ2 D R2.ˇ1 ˇ2 / : Sˇ ı R˛ D Sˇ˛=2 :

Beweis (i) Die Voraussetzung besagt, dass O > O D Id. Also ist x 7! Ox surjektiv und folglich – da R2 endlichdimensional ist – auch injektiv. x 7! O > x ist also die inverse Abbildung zu x 7! Ox, und deswegen gilt auch OO > D Id. Folglich sind die Zeilenvektoren normalisiert und orthogonal. Es ist 1 D det Id D det.OO > / D det O det O > D .det O/2 , und das zeigt, dass det O 2 f1; 1g.

2.2 Welche Bewegungen gibt es?

17

(ii) Für beliebige x ist kOxk2 D hOx; Oxi D hx; O > Oxi D hx; xi D kxk2 : Wegen der Linearität von O folgt daraus die Behauptung. (iii) Offensichtlich sind alle R˛ orthogonal mit Determinante 1. Umgekehrt: Die erste Spalte von O muss wegen (ii) ein Einheitsvektor sein, wir schreiben ihn als .cos ˛; sin ˛/> . Bezeichnet man die Komponenten der zweiten Spalte mit a; b so folgt aus den Bedingungen (Spalten sind orthogonale Einheitsvektoren, Determinante 1), dass a2 C b 2 D 1; a cos ˛ C b sin ˛ D 0; b cos ˛  a sin ˛ D 1: Dieses Gleichungssystem hat nur eine Lösung, nämlich a D  sin ˛, b D cos ˛. (iv) Der Beweis ist wie in (iii): Schreibe die erste Spalte von O als .cos 2ˇ; sin 2ˇ/> und schließe aus den Bedingungen, dass die zweite Spalte gleich .sin 2ˇ;  cos 2ˇ/> sein muss. (v) Offensichtlich folgt aus O1 O1> D O2 O2> D Id, dass auch .O1 O2 /.O1 O2 /> D Id gilt. (vi) Das ist leicht unter Verwendung der Matrixrechenregeln und der Additionstheore me für Sinus und Cosinus zu verifizieren.

Satz 2.2.5

Ist T eine Bewegung, so gibt es a 2 R2 und eine orthogonale Matrix O mit T x D a C Ox für alle x. Dabei sind a und O eindeutig bestimmt.

Beweis Dass a und O eindeutig bestimmt sind ist klar, denn a D T 0, und Ox D T x  a. Sei zunächst T eine Isometrie, die .0; 0/> , .1; 0/> und .0; 1/> fixiert. Sei  die >Vektoren  > > .a; b/ beliebig und .c; d / WD T .a; b/ . Aus der Isometriebedingung folgt: a2 C b 2 D c 2 C d 2 , denn der Abstand zu .0; 0/> bleibt erhalten; .a  1/2 C b 2 D .c  1/2 C d 2 , denn der Abstand zu .1; 0/> bleibt erhalten; a2 C .b  1/2 D c 2 C .d  1/2 , denn der Abstand zu .0; 1/> bleibt erhalten. Das sind drei Gleichungen für c; d , die die einzige Lösung c D a und d D b haben. T muss also die Identität sein. Jetzt gehen wir von einem T aus, das .0; 0/> und .0; 1/> fixiert. Wir schreiben T ..0; 1/> / als .c; d /> . Aus der Isometriebedingung folgt, dass sowohl c 2 C d 2 D 1 als auch .c  1/2 C d 2 D 2 gilt. Das impliziert c D 0 und d D ˙1. Im Fall d D 1 muss T aufgrund des vorigen Beweisteils die Identität sein. Falls d D 1 ist, gehen wir zu S0 ı T

18

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

über, wobei wieder S0 die Spiegelung an der y-Achse bezeichnet. S0 ı T fixiert dann drei Punkte wie im ersten Teil des Beweises, ist also die Identität. Im allgemeinen Fall wähle eine Translation Ta und eine Rotation R˛ , so dass T 0 WD R˛ ıT ıTa die Punkte .0; 0/> und .0; 1/> fixiert. (Verschiebe zunächst um T 0 und drehe dann T ..1; 0/>  T 0/ – ein Vektor der Länge 1 – so, dass er mit .1; 0/> zusammenfällt.) Dann ist T 0 oder S0 ıT 0 die Identität, und das heißt T D Ta ıR˛ oder T D S0 ıTa ıR˛ , und das ist die Verknüpfung einer orthogonalen Transformation mit einer Translation. 

Satz 2.2.6

T sei eine Bewegung, T x D a C Ox. Es tritt genau einer der folgenden Fälle ein: (i) a D 0 und O D Id: Dann ist T die identische Abbildung. (ii) a ¤ 0 und O D Id: Dann ist T die Translation Ta . (iii) O ¤ Id und det O D 1: Dann ist T eine Rotation. Genauer: O kann als R˛ für ein ˛ … 2Z geschrieben werden, Id  R˛ ist invertierbar, und mit x0 WD .Id  R˛ /1 a ist T D R˛;x0 . (iv) O ¤ Id und det O D 1: Dann ist T eine Spiegelung oder eine Gleitspiegelung. Genauer: Wir schreiben a als a D s C b, wo Os D s und Ob D b. (Setze s D .a  Oa/=2, b D .a C Oa/=2. Wegen Lemma 2.2.4 (v) ist O von der Form Sˇ . Es gilt also O 2 D Id, und daraus folgt dass s; b die behaupteten Eigenschaften haben.) Ist b D 0, so ist T die Spiegelung Sˇ;s , und andernfalls handelt es sich um die Gleitspiegelung Sˇ;s;b .

Beweis (i) und (ii) sind klar. (iii) Wegen det O D 1 und O ¤ Id ist O D R˛ für ein geeignetes ˛ 2 R n 2Z. Wir wollen ein x0 so finden, dass a C Ox D R˛;x0 x für alle x gilt, d. h. a D x0  R˛ x0 D .Id  R˛ /x0 . Nun hat Id  R˛ die Determinante .1  cos ˛/2 C sin2 ˛ D 2  2 cos ˛. Diese Zahl ist nach Voraussetzung von Null verschieden, und deswegen lässt sich x0 auf eindeutige Weise zu a bestimmen.  (iv) Das ist aufgrund der Definitionen von Sˇ;a1 und Sˇ;a1 ;a2 klar. Aufgrund des vorstehenden Satzes ist es leicht, Verknüpfungen von Bewegungen zu klassifizieren:  Sind T1 ; T2 Translationen, so ist T1 ı T2 ebenfalls eine (evtl. triviale) Translation.  Sind T1 ; T2 Rotationen, so ist T1 ı T2 eine Translation oder ebenfalls eine (evtl. triviale) Rotation.  Sind T1 ; T2 Spiegelungen, so ist T1 ı T2 die Identität, eine Translation oder eine Rotation.

2.3 Gruppen von Bewegungen

19

 Sind T1 ; T2 Gleitspiegelungen, so ist T1 ı T2 die Identität, eine Translation oder eine Rotation.  Das Produkt aus einer Translation mit einer Rotation ist eine Rotation.  Das Produkt aus einer Translation mit einer Spiegelung ist eine Spiegelung oder eine Gleitspiegelung.  Das Produkt aus einer Translation mit einer Gleitspiegelung ist eine Spiegelung oder eine Gleitspiegelung.  Das Produkt aus einer Rotation mit einer Spiegelung ist eine Spiegelung oder eine Gleitspiegelung.  Das Produkt aus einer Rotation mit einer Gleitspiegelung ist eine Spiegelung oder eine Gleitspiegelung.  Das Produkt aus einer Spiegelung mit einer Gleitspiegelung ist eine Translation oder eine Rotation. (Es geht auch detaillierter: R˛ ı R˛0 D R˛C˛0 , usw.)

2.3

Gruppen von Bewegungen

Verknüpfungen und Inverse von Bewegungen sind Bewegungen, und die Identität gehört auch dazu. Daraus folgt, dass die Menge aller Bewegungen mit der Abbildungsverknüpfung als innerer Komposition eine Untergruppe der bijektiven Abbildungen auf dem R2 ist. Wir werden diese Untergruppe im Folgenden mit G0 bezeichnen, und uns werden – motiviert durch Symmetriegruppen – Untergruppen von G0 interessieren. Wir erinnern noch einmal an eine Definition aus Abschnitt 2.1: Ist  ein Bild, so ist die Symmetriegruppe von  die Menge aller Symmetrien von , d. h. die Menge aller Bewegungen, die  invariant lassen (vgl. Definition 2.1.2). Das ist offensichtlich eine Untergruppe von G0 , wir schreiben dafür G . Nicht alle Untergruppen sind Symmetriegruppen:

Satz 2.3.1

Es gibt eine Untergruppe von G0 , die nicht die Form G hat.

Beweis Sei G die Untergruppe aller Translationen in G0 . Nun sei ein Bild  W R2 ! f0; : : : ; 255g3 so vorgelegt, dass alle Translationen Symmetrien sind. Dann ist  notwendig eine konstante Abbildung, und deswegen gibt es noch viel mehr Symmetrien (alle Rotationen, Spiegelungen, Gleitspiegelungen). G kann also nicht die Symmetriegruppe  von  sein.

20

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

In den meisten Fällen gibt es zu einem Bild einen natürlichen Kandidaten für die Symmetriegruppe, und es ist nicht schwierig nachzuweisen, dass es sich wirklich um die Symmetriegruppe handelt. Manchmal ist die Situation nicht so klar, zur Illustration betrachten wir ein Beispiel im Eindimensionalen, also in R. Zunächst mache man sich klar, dass die Bewegungen3 genau die Abbildungen Ta W x 7! x C a (Translation um a) und Sb W x 7! 2b  x (Spiegelung an b) sind. (Zum Beweis ist es hilfreich, vorbereitend nachzuweisen, dass eine Bewegung, die 0 und 1 fixiert,pdie Identität p sein muss.) S Nun betrachten wir die Menge M WD q2Q fq; q C 2; q C 3g. Wir behaupten, dass die Symmetriegruppe aus den Translationen Ta mit rationalen a besteht. Diese Bewegungen sind offensichtlich Symmetrien. Es ist noch zu zeigen:  Ist eine Translation Ta Symmetrie, so ist a rational.  Es gibt kein b, für das Sb Symmetrie ist. p p Beide Aussagen folgen daraus, dass die Zahlen 2 und 3 irrational sind. Betrachten wir 0 2 M ist a 2pM . Falls a rational ist, p ist alles gezeigt. Es etwa eine Symmetrie Ta . Wegen p 2 (oder a D q C 3) für ein q 2 Q sein. 2p2 M impliziert könnte aber auch a D q C p p p p dann a C 2 D q C2 2 2 M , d. h. q C2 2 müsste von der Form r; r C 2 oder r C 3 für r sein. In allen Fällen ergibt sich ein Widerspruch zur Irrationalität von p p ein rationales 2 und 3. Bei den noch fehlenden Aussagen argumentiert man analog. Ab hier sei G eine Untergruppe von G0 . Mit T; B 2 G ist dann auch die mit B konjugierte T -Transformation B ı T ı B 1 in G . Das hat weitreichende Folgerungen:

Satz 2.3.2

(i)

Es seien B und T in G , dabei sei B als B W x 7! c C V x und T als T W x 7! a C Ox mit c; a 2 R2 und orthogonalen V; O geschrieben (vgl. Satz 2.2.5). Schreibt man dann S WD B ı T ı B 1 als S W x 7! a0 C O 0 x, so gilt a0 D c  VOV > c C V a; O 0 D VOV >

(ii) Ist speziell T D Ta eine Translation (gilt also O D Id), so ist S die Translation x 7! V a C x. (iii) Ist speziell B D Tc eine Translation (gilt also V D Id), so ist S die Bewegung S W x 7! c  Oc C a C Ox. (iv) Enthält G eine Spiegelung Sˇ und eine Translation Ta , so enthält G auch die Spiegelung x 7! a  Sˇ a C Sˇ x. (v) G enthalte die Rotation R˛;x0 W x 7! x0  R˛ x0 C R˛ x mit Rotationszentrum x0 und die Translation Ta . Dann enthält G auch die Rotation R˛;aCx0 .

3

Also die abstandserhaltenden Transformationen.

2.3 Gruppen von Bewegungen

21

Beweis (i) Das ist leicht direkt auszurechnen: a0 C O 0 x D B ı T ı B 1 x   D B ı T V >x  V >c   D B a C OV > x  OV > c D VOV > x C c  VOV > c C V a; es gilt also a0 D c  VOV > c C V a und O 0 D VOV > . (ii) und (iii) folgen direkt aus (i). (iv) Es ist Ta ı Sˇ ı Ta W x 7! a  Sˇ a C Sˇ x, wobei für s WD a  Sˇ a offensichtlich die Beziehung Sˇ s D s gilt. Ta ı Sˇ ı Ta ist also wirklich eine Spiegelung. (v) Wegen (iii) ist S W x 7! .a  R˛ a/ C .x0  R˛ x0 C R˛ /x; und .a  R˛ a/ C .x0  R˛ x0 / kann man als .a C x0 /  R˛ .a C x0 / schreiben.



Die folgende Definition wird eine wichtige Rolle bei der Analyse von Bewegungsgruppen spielen:

Definition 2.3.3

(i)  sei die Menge der a 2 R2 , für die Ta zu G gehört. Offensichtlich ist  eine additive Untergruppe des R2 . (ii) Sei ˛ 2 R n 2Z ein Drehwinkel. Unter ˛ verstehen wir die Menge aller x0 2 R2 , für die R˛;x0 in G liegt. Das ist also die Menge aller Rotationszentren zu den ˛-Rotationen in G .

Je nachdem, wie G vorgelegt ist, kann  sehr unterschiedlich sein: Es ist möglich, dass  nur aus der Null besteht oder mit dem R2 übereinstimmt. In den uns hauptsächlich interessierenden Fällen wird  ein Punktgitter sein und typischerweise so wie in den nachstehenden Beispielen aussehen:

Zwei Beispiele für typische 

22

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

Satz 2.3.4

Es sei R˛ 2 G für ein ˛ 2 R n 2Z. (i) Es gilt ˛ C  D ˛ sowie R˛ ./ D . (ii) Es ist .Id  R˛ /˛ D  und folglich gilt ˛ D .Id  R˛ /1 . (iii) Konkret ist .Id  R˛ /1 x D .Id  R˛ /x=.2  2 cos ˛/. Für einige konkrete Werte4 von ˛ bedeutet das:  ˛ D : Es ist .Id  R /1 x D x=2.  ˛ D 2=3: Es ist .Id  R2=3 /1 x D .x  R2=3 x/=3.  ˛ D =2: Es ist .Id  R=2 /1 x D .x  R=2 x/=2.  ˛ D =3: Es ist .Id  R=3 /1 x D x  R=3 x.

Beweis (i) Die Aussage ˛ C   ˛ ist eine Umformulierung von Satz 2.3.2 (v), und die Beziehung ˛  ˛ C  ist wegen 0 2  klar. Sei nun a 2 . Die Bewegung R˛ ı Ta ı R˛ gehört zu G , es ist die Translation TR˛ a . Das zeigt R˛ ./  . Analog beweist man R˛ ./  , und durch Anwendung von R˛ auf diese Beziehung folgt noch   R˛ .). (ii) Es sei x0 2 ˛ , d. h. R W x 7! x0  R˛ x0 C R˛ x liegt in G . Dann liegt auch R ı R˛ in G , und R ı R˛ D Tx0 R˛ x0 , d. h. .Id  R˛ /x0 2 . Das beweist .Id  R˛ /˛  . Ist umgekehrt a 2  vorgegeben, so liegt Ta ı R˛ W x 7! a C R˛ x in G . Schreibe a als a D x0  R˛ x0 : Das geht, da Id  R˛ bijektiv ist (vgl. Satz 2.2.6 (iii)). Dann ist x0 2 ˛ , also a 2 .Id  R˛ /˛ . (iii) Aus der Matrixdarstellung von R˛ folgt sofort, dass R˛ C R˛ D .2 cos ˛/ Id. Daraus schließen wir .2  2 cos ˛/Id D .Id  R˛ /.Id  R˛ /; und diese Gleichung impliziert sofort die Behauptung.



Und was passiert, wenn G Spiegelungen oder Gleitspiegelungen enthält?

Satz 2.3.5

Es sei die Spiegelung Sˇ oder die Gleitspiegelung G W x 7! b C Sˇ x in G . (Im zweiten Fall ist also Sˇ b D b). Dann gilt Sˇ ./ D .

Beweis Es reicht, sich auf Gleitspiegelungen zu konzentrieren und dabei eventuell b D 0 zu setzen. Wir wenden Satz 2.3.2 an: Mit G; Tc 2 G ist auch G ı Tc ı G 1 in der Gruppe, 4

Warum ausgerechnet diese Werte betrachtet werden, wird in Abschnitt 3.5 klar werden.

2.3 Gruppen von Bewegungen

23

und G ı Tc ı G 1 x D Sˇ c C x: Es ist also G ı Tc ı G 1 D TSˇ c . Das beweist Sˇ ./  , und da Sˇ2 die Identität ist, gilt  sogar Sˇ ./ D .

Satz 2.3.6

Es seien Sˇ eine Spiegelung und b 2 R2 , und B bezeichne die Bewegung B W x 7! b C Sˇ x. (i) Je zwei der Aussagen B 2 G , b 2  und Sˇ 2 G implizieren die dritte. (ii) Es gelte zusätzlich Sˇ b D b sowie b ¤ 0, d. h. B ist eine Gleitspiegelung. B liege in G . Dann ist 2b 2 . Es sind zwei Fälle möglich: Fall 1: Es ist sogar b 2 . Dann ist Sˇ 2 G , und B D Tb ı Sˇ . So eine Gleitspiegelung soll eine unechte Gleitspiegelung genannt werden. Fall 2: b … . Dann kann B in G nicht in eine Translation und eine Spiegelung zerlegt werden. Wir werden B in diesem Fall eine echte Gleitspiegelung nennen5 . Beweis (i) Der erste Teil folgt aus B ı Sˇ D Tb und B D Tb ı Sˇ . (ii) Das folgt aus B 2 D T2b .



Abschließend untersuchen wir den Fall, dass Rotationen und Spiegelungen gleichzeitig zu G gehören: Satz 2.3.7 G enthalte eine Spiegelung S D Sˇ;s W x 7! s C Sˇ x und eine ˛-Rotation mit

Rotationszentrum x0 . (i) Dann enthält G auch die ˛-Rotation mit Rotationszentrum Sx0 . (ii) Ist ˛ speziell von der Form 2=n für ein n 2 N, so enthält G auch die ˛Rotation mit Rotationszentrum Sx0 . Beweis (i) Wir beachten, dass Sˇ ı R˛ ı Sˇ D R˛ (vgl. Lemma 2.2.4 (vi)), insbesondere ist Sˇ ı R˛ s D Sˇ ı R˛ ı Sˇ s D R˛ s, denn Sˇ s D s. Setze a D x0  R˛ x0 , die fragliche Rotation hat also die Form R W x 7! a C R˛ x. Dann ist S ı R ı S W x 7! s C Sˇ a C Sˇ R˛ s C R˛ x: 5

Man beachte: Ob eine Gleitspiegelung echt ist oder nicht, hängt von G ab.

24

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

Die Behauptung läuft dann auf die Gleichung s C Sˇ a C Sˇ R˛ s D .s C Sˇ x0 /  R˛ .s C Sˇ x0 / hinaus, und das ist unter Verwendung der Vorbereitungen, der Identität Sˇ ıR˛ D R˛ ıSˇ und der Gleichung Sˇ s D s leicht zu verifizieren. (ii) Rotationszentren für ˛ 0 -Rotationen sind auch Rotationszentren für k˛ 0 -Rotationen.  Beachte, dass hier ˛ D .n  1/˛ modulo 2.

2.4 Diskontinuierliche Gruppen und Fundamentalbereiche Mal angenommen man weiß, dass ein Bild eine Spiegelung an einer Geraden G als Symmetrie hat. Dann kann man es doch rekonstruieren, wenn man es nur auf der einen Seite von G kennt. Das gleiche gilt, wenn eine Rotation um 180 Grad eine Symmetrie ist und der Drehpunkt auf G liegt.

Ein Fundamentalbereich (rot) für eine Spiegelung oder für eine Rotation

Noch weniger Information ist nötig, wenn es als Symmetrie eine Rotation um einen 45Grad-Winkel gibt, denn dann reicht schon der Bereich zwischen zwei Halbgeraden mit Innenwinkel 45 Grad aus, um alles über das Bild zu erfahren.

Ein Fundamentalbereich (rot) für eine 45-Grad-Rotation

2.4 Diskontinuierliche Gruppen und Fundamentalbereiche

25

Als letztes vorbereitendes Beispiel nehmen wir an, dass es Translationssymmetrien für zwei Translationen in linear unabhängige Richtungen gibt. Dann reicht es schon, das Bild für die Punkte in einem Parallelogramm zu kennen.

Ein Fundamentalbereich (rot) für eine von 2 Translationen erzeugte Gruppe

Allgemein stellt sich das folgende Problem: Es sei G die Symmetriegruppe eines Bildes; G ist also eine Untergruppe der Bewegungen, und jedes T 2 G führt das Bild in sich über. Suche dann eine „möglichst kleine“ Teilmenge F  R2 , so dass [ R2 D T .F /: T 2G

Das würde dann bedeuten: Wenn man den F -Ausschnitt des Bildes kennt, so kann man das gesamte Bild rekonstruieren. In den vorstehenden Beispielen haben wir solche F gefunden:  Spiegelung an einer Geraden G und 180-Grad-Rotation mit Drehpunkt auf G: Die Punkte auf der einen Seite von G (einschließlich G);  45-Grad-Rotation: Die Punkte in einem 45-Grad-Winkelraum;  Zwei Translationen: Die Punkte in einem Parallelogramm. S Die Beispiele zeigen schon, dass man es in der Bedingung R2 D T 2G T .F / nicht oder nur sehr gekünstelt erreichen kann, dass es sich um eine disjunkte Vereinigung handelt, dass also F wirklich kleinstmöglich gewählt wurde. (Im letzten Beispiel etwa könnte man einige Stücke aus den Seiten des Parallelogramms entfernen.) Auch kann es vorkommen, dass – wie beim Kreis – alle Rotationen Symmetrien sind, und da könnte man als F eine Halbgerade wählen6 . Das ist nicht wünschenswert, denn die Einschränkung des Bildes 6

Noch extremer wäre es, wenn alle Bewegungen als Symmetrien auftreten, dann wäre sogar ein einpunktiges F möglich

26

2 Symmetrien und Fundamentalbereiche

auf F sollte einen für das Bild charakteristischen Ausschnitt darstellen. Aus diesem Grund definiert man:

Definition 2.4.1

Eine Gruppe von Bewegungen G heißt diskontinuierlich (oder diskret), wenn es ein x0 und ein " > 0 mit der folgenden Eigenschaft gibt: Ist T 2 G und T ¤ Id, so ist kx0  T x0 k  ".

Die Symmetriegruppen eines Kreises oder einer Geraden sind damit nicht diskontinuierlich, aber die Bilder, die uns hier interessieren werden, haben diskontinuierliche Symmetriegruppen. Dann haben wir auch eine Chance, Bereiche F zu finden, die „sehr klein“ sind und typische Aspekte des Bildes wiedergeben:

Definition 2.4.2 Sei G eine Symmetriegruppe. Eine Teilmenge F  R2 heißt Fundamentalbereich für G , wenn gilt:

 F ist abgeschlossen und F ist der Abschluss des Inneren von F . Meist nimmt man – um Pathologien zu vermeiden – auch an, dass F zusammenhängend oder sogar einfach zusammenhängend ist. S  R2 D T 2G T .F /.  Sind S; T 2 G mit S ¤ T , so schneiden sich S.F / und T .F / höchstens im Rand von S.F /.

Hat man einen Fundamentalbereich F für eine Gruppe von Bewegungen gefunden, kann man kreativ sein und eigene Bilder erzeugen. Man muss nur F künstlerisch interessant gestalten und dann alle Bewegungen der Gruppe darauf wirken lassen. Das entstehende Bild hat (mindestens) die vorgelegte Gruppe als Symmetriegruppe.

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Zunächst klären wir, was wir in diesem Buch darunter verstehen wollen, dass zwei Bewegungsgruppen „im Wesentlichen gleich“ sind. Und dann werden die diskreten Gruppen in Abhängigkeit von der Reichhaltigkeit der enthaltenen Translationsuntergruppe charakterisiert:  Fall 1: Es gibt keine nichttrivialen Translationen (Leonardos Theorem, Abschnitt 3.2).  Fall 2: Es gibt eine eindimensionale Schar von Translationen (die sieben Friesgruppen, Abschnitt 3.4).  Fall 3: Es gibt eine zweidimensionale Schar von Translationen (die siebzehn ebenen Kristallgruppen, Abschnitt 3.5).

3.1 Wie viele verschiedene Gruppen von Bewegungen gibt es? Mathematiker versuchen in allen Theorien, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Hier ist die Frage: Wie viele wesentlich verschiedene Symmetriegruppen gibt es? Dazu muss man sich entscheiden, was es bedeutet, dass zwei Symmetriegruppen „im Wesentlichen gleich“ sind. Wir diskutieren mehrere Ansätze. Versuch 1: identische Untergruppen der Gruppe der Bewegungen G1 und G2 seien Untergruppen der Gruppe der Bewegungen. Sie sollen nur dann „gleich“ heißen, wenn sie identisch sind. Das ist nicht besonders sinnvoll. So wären etwa die Symmetriegruppen nichtparalleler Geraden verschieden, doch ist es naheliegend, sie zu identifizieren, wenn man das Wesentliche herausarbeiten möchte. Versuch 2: Gruppenisomorphie Als anderes Extrem könnte man zwei Symmetriegruppen G1 und G2 als „gleich“, betrachten, wenn sie als Gruppen isomorph sind, wenn es also eine Bijektion ˚ von G1 nach G2 mit der Eigenschaft ˚.S ı T / D ˚.S/ ı ˚.T / (alle S; T ) gibt. Dann müsste man Spiegelungen mit Rotationen um 180 Grad identifizieren, und © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_3

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

die von einer Translation erzeugte Untergruppe wäre gleichwertig zu der, die von einer Gleitspiegelung erzeugt wird (beide sind unendlich und zyklisch, also isomorph). Doch wir empfinden diese Bewegungen als verschieden. Versuch 3: Konjugierte Untergruppen Es hat sich in der Gruppentheorie bewährt, zwei Elemente g1 ; g2 einer Gruppe .G; ı/ als „im wesentlichen gleich“ anzusehen, wenn sie zueinander konjugiert sind, wenn es also ein h so gibt, dass g2 D hıg1 ıh1 . Und zwei Untergruppen U1 ; U2 von G heißen konjugiert, wenn U2 D gıU1 ıg 1 WD fgıuıg 1 j u 2 U1 g. In so einem Fall unterscheiden sich U1 ; U2 nicht sehr, da insbesondere u 7! g ı u ı g 1 ein Gruppenisomorphismus von U1 nach U2 ist. Deswegen definieren wir versuchsweise:

Definition 3.1.1

(i) Zwei Bewegungen S; T heißen konjugiert, wenn es eine Bewegung B so gibt, dass S D B ı T ı B 1 . Das ist offensichtlich eine Äquivalenzrelation. (ii) G1 und G2 seien Untergruppen der Gruppe der Bewegungen. Sie sollen konjugiert heißen, wenn es eine Bewegung B so gibt, dass G1 D B ı G2 ı B 1 WD fB ı T ı B 1 j T 2 G2 g:

Welche Eigenschaften bleiben beim Konjugieren erhalten?

Lemma 3.1.2

(i)

(ii) (iii) (iv) (v) (vi)

Die Bewegungen S; T seien konjugiert. a) S ist genau dann die Identität, wenn T die Identität ist. b) S ist genau dann eine Translation, wenn T eine Translation ist. Die Translationsvektoren haben dann die gleiche Länge. c) S ist genau dann eine Rotation, wenn T eine Rotation ist. d) S ist genau dann eine Spiegelung, wenn T eine Spiegelung ist. e) S ist genau dann eine Gleitspiegelung, wenn T eine Gleitspiegelung ist. Zwei Translationen sind genau dann konjugiert, wenn die Translationsvektoren die gleiche Länge haben. Zwei Rotationen R˛;x0 ; R˛0 ;x00 sind genau dann konjugiert, wenn ˛ D ˛ 0 oder ˛ D ˛ 0 gilt. Je zwei Spiegelungen sind konjugiert. Zwei Gleitspiegelungen sind genau dann konjugiert, wenn die Translationsvektoren die gleiche Länge haben. Paarweise nicht konjugiert sind die Identität, eine Translation, eine Rotation, eine Spiegelung, eine Gleitspiegelung.

3.1 Wie viele verschiedene Gruppen von Bewegungen gibt es?

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Beweis (i) S und T seien Bewegungen: Sx D a0 CO 0 x, T x D aCOx. Zum Konjugieren verwenden wir eine beliebige Bewegung B, also eine Abbildung B W x 7! c C V x mit einem orthogonalen V (die Inverse ist durch B 1 x D V > x  V > c gegeben). Gilt dann S D B ı T ı B 1 , so folgt: a0 C O 0 x D B ı T ı B 1 x   D B ı T V >x  V >c   D B a C OV > x  OV > c D VOV > x C c  VOV > c C V a; es gilt also O 0 D VOV > und a0 D c  VOV > c C V a. Nun beweisen wir die Aussagen a) bis e). Da „Äquivalenz“ eine symmetrische Relation ist, muss jeweils nur eine Richtung gezeigt werden. a) b)

c)

Ist T D Id, so ist O die Einheitsmatrix und a D 0. Dann ist auch O 0 D Id und a0 D 0. Ist T eine nichttriviale Translation, so ist O D Id und a ¤ 0. Es folgt O 0 D Id und a0 D V a ¤ 0, d. h., auch S ist eine Translation. Beachte noch, dass V eine Isometrie ist und folglich ka0 k D kV ak D kak gilt. Ist T eine nichttriviale Rotation, so ist O D R˛ ¤ Id. Wir unterscheiden zwei Fälle. Erstens könnte det V D 1 sein, dann ist V von der Form R˛0 . Es ist folglich wegen der Formeln in Lemma 2.2.4 (vi) O 0 D R˛0 R˛ R˛0 D R˛ , d. h. auch S ist eine Rotation. Im Fall det V D 1 ist V D Sˇ , und dann ist, wieder wegen Lemma 2.2.4 (vi), VR˛ V 1 D VR˛ V D Sˇ R˛ Sˇ D Sˇ S˛=2Cˇ D R2.ˇ.˛=2Cˇ// D R˛ :

d, e) T sei eine Spiegelung oder Gleitspiegelung, d. h., es ist det O D 1. Nach dem Determinantenproduktsatz ist auch det VOV 1 D 1, d. h., auch S ist Spiegelung oder Gleitspiegelung. Nun sei T eine Spiegelung, d. h. Oa D a. Wir behaupten, dass dann auch O 0 a0 D a0 gilt. Wirklich ist (unter Verwendung von Oa D a und von O 2 D Id, da es sich um eine Spiegelung handelt)   O 0 a0 D VOV > c  VOV > c C V a D VOV 1 c  c  V a D a0 : (ii) Haben a ¤ 0 und a0 ¤ 0 die gleiche Länge, so muss man nur V so wählen, dass a D V a. Das ist immer möglich. 0

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

(iii) Es sei T x D aCR˛ x und Sx D a0 CR˛ x. Wir konjugieren T mit einer Translation Tc mit einem noch unbekannten c. Das Ergebnis: c  R˛ c C a C R˛ x. Damit das gleich S ist, muss a0 D c  R˛ c C a sein. Doch das ist zu erreichen: Setze c D .Id  R˛ /.a0  a/. (Beachte, dass Id  R˛ invertierbar ist; vgl. Satz 2.2.6 (iii).) Ganz analog geht man vor, wenn Sx D a0 C R˛ x. Da konjugiert man T mit B W x 7! c C Sˇ x, wobei Sˇ irgendeine Spiegelung ist; c ist noch frei. Es ist dann (wegen Sˇ R˛ Sˇ D R˛ , vgl. Lemma 2.2.4 (iv)) B ı S ı B 1 x D c C Sˇ a  R˛ c C R˛ x: Diesmal muss man c so wählen, dass c  R˛ c C Sˇ a D a0 . Das geht, da Id  R˛ invertierbar ist. Dass umgekehrt ˛ 0 D ˙˛ bei konjugierten Rotationen sein muss, haben wir schon weiter oben im Beweis von (i)c gesehen. (iv) S sei eine beliebige Spiegelung. Wir zeigen, dass sie zu S0;0 konjugiert ist. Das reicht, da „. . . ist konjugiert zu . . . “ eine Äquivalenzrelation ist. S hat die Form x 7! s C Sˇ x, wo Sˇ s D s. Wenn wir mit der Translation Tc mit einem noch freien c konjugieren, so erhalten wir aufgrund der obigen Rechenregeln die Abbildung x 7! s C c  Sˇ c C Sˇ x. Die spezielle Wahl c WD s=2 führt zu x 7! Sˇ x. Wenn wir noch Sˇ mit einer Rotation R˛ konjugieren, so ergibt sich mit Lemma 2.2.4 (vi) die Abbildung S˛Cˇ , die Wahl ˛ D ˇ führt also zu S0 D S0;0 . (v) S D Sˇ;s;b sei eine Gleitspiegelung, es ist also Sˇ s D s und Sˇ b D b. Wie bei Spiegelungen können wir mit einer Translation konjugieren und damit s D 0 erreichen.  wird weiter konjugiert. Wir konjugieren mit Rˇ , und da Sˇ b D b gilt, folgt  Sˇ;0;b S0 Rˇ b D Rˇ b: S0 Rˇ b D Sˇ=2 b; Rˇ b D Rˇ Sˇ b D Sˇ=2Cˇ b D Sˇ=2 b: Der Vektor b0 WD Rˇ b zeigt also in Richtung der x-Achse. Konjugiert man mit Sˇ;0;b mit S0;0 , so erhält man Sˇ;0;b , und eine nochmalige Konjugation mit Rˇ führt zu S0;0;b0 . Zusammen: Sˇ;s;b ist konjugiert zu S0;0;˙b0 , wobei ˙b0 Vektoren in Richtung der xAchse sind, die die gleiche Länge wie b haben. Daraus folgt die Behauptung. (vi) Das folgt aus den konkreten Transformationsformeln, die am Anfang des Beweises gezeigt wurden. Durch Konjugation wird aus O die Transformationsmatrix V ı O ı V 1 . Deswegen kann – z. B. – eine Translation nicht zu einer Spiegelung konjugiert werden  usw. Man kann diese Ergebnisse so zusammenfassen: Jede Bewegung ist zu genau einer der im folgenden Katalog enthaltenen Transformationen konjugiert (e bezeichnet den Vektor .1; 0/> , also den Einheitsvektor in Richtung der positiven x-Achse): fIdg [ fT t e j t > 0g [ fR˛ j 0 < ˛  g [ fS0;0 g [ fS0;0;t e j t > 0g:

3.1 Wie viele verschiedene Gruppen von Bewegungen gibt es?

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Dieser Ansatz sieht auf den ersten Blick sehr vielversprechend aus. Wenn mehrere Bewegungen beteiligt sind, werden aber noch zu viele Situationen als verschieden gezählt, die eigentlich identifiziert werden sollten. Nehmen wir etwa zwei Translationen Ta1 und Ta2 . Werden die mit der gleichen Bewegung konjugiert, so werden es Translationen mit Translationsvektoren V a1 und V a2 . Aus orthogonalen Translationsvektoren werden also auch nach dem Konjugieren orthogonale Richtungen. Sinnvoller wäre es, wenn nur die Information „zwei Translationsrichtungen“ erhalten bliebe. Versuch 4: die „richtige“ Definition Nach den vorstehenden Versuchen, die richtige Definition von „gleich“ für Transformationsgruppen zu finden, geben wir nun die für unsere Zwecke passende Version an: Definition 3.1.3 G1 und G2 seien Untergruppen der Gruppe der Bewegungen. Sie sollen äquivalent heißen, wenn es einen Gruppenisomorphismus ˚ von G1 nach G2 so gibt, dass für T 2 G1 gilt:

T T T T

ist genau dann eine Translation, wenn ˚.T / eine Translation ist. ist genau dann eine Rotation, wenn ˚.T / eine Rotation ist. ist genau dann eine Spiegelung, wenn ˚.T / eine Spiegelung ist. ist genau dann eine Gleitspiegelung, wenn ˚.T / eine Gleitspiegelung ist.

Aufgrund der in Lemma 3.1.2 zusammengestellten Ergebnisse ist klar, dass konjugierte Untergruppen auch äquivalent sind. Die Umkehrung muss aber nicht gelten: Je zwei Gruppen, die von zwei Translationen mit linear unabhängigen Vektoren erzeugt sind, sind äquivalent; konjugiert sind sie aber nur dann, wenn die beiden Translationsvektoren der einen Gruppe durch eine orthogonale Transformation in die Translationsvektoren der anderen Gruppe überführt werden können. Als erste Anwendung unseres Ansatzes zeigen wir zur Illustration: Satz 3.1.4 Sei G eine nichttriviale zyklische diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen1.

Dann liegt bis auf Äquivalenz genau einer der folgenden Fälle vor: G hat zwei Elemente. Dann wird G von einer Spiegelung oder einer Rotation um den Winkel  erzeugt. (ii) G ist endlich mit mehr als zwei Elementen. Dann gibt eine Rotation um den Winkel 2=n, so dass G D fId; R; R2 ; : : : ; Rn1 g. (iii) G ist unendlich, und es gibt eine Translation T mit G D fId; T; T 2 ; : : :g. (iv) G ist unendlich, und es gibt eine Gleitspiegelung G mit G D fId; G; G 2 ; : : :g.

(i)

1

G wird also von einem einzigen Element erzeugt.

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Beweis Zunächst sei G endlich. Die einzigen Bewegungen endlicher Ordnung sind Rotationen um einen Winkel der Form 2=n (Ordnung n) und Spiegelungen (Ordnung 2). So folgen die ersten beiden Aussagen. Und ist G unendlich, so kommen als Erzeuger nur Translationen und Gleitspiegelungen in Frage, denn eine von einer Rotation erzeugte unendliche zyklische Gruppe kann nicht  diskontinuierlich sein. Es ist leicht einzusehen, dass diese Gruppen auch alle als Symmetriegruppen konkreter Bilder auftreten können:

Symmetriegruppen: Id und eine Rotation; Id und eine Spiegelung

Symmetriegruppen: 3- und 4-fach Rotationen

Symmetriegruppen: von Translationen erzeugt (Ausschnitt)

Symmetriegruppen: von Gleitspiegelungen erzeugt (Ausschnitt)

3.2 Endliche Gruppen von Bewegungen

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3.2 Endliche Gruppen von Bewegungen Wir nehmen an, dass G eine endliche Gruppe von Bewegungen ist, die nicht nur aus der Identität besteht. Welche Möglichkeiten gibt es? Es ist offensichtlich, dass G keine Translationen und keine Gleitspiegelungen enthalten kann, denn die würden unendliche Untergruppen erzeugen. Es lässt sich aber mehr sagen:

Lemma 3.2.1 G sei endlich.

(i) Enthält G die Rotationen R˛;x0 , R˛0 ;x00 mit ˛; ˛ 0 … 2Z, so ist x0 D x00 . (ii) Enthält G Spiegelungen Sˇ;s und Sˇ;s0 (es wird also an parallelen Geraden gespiegelt), so ist s D s0 . (iii) Enthält G eine Spiegelung und eine Rotation, so liegt das Rotationszentrum auf der Spiegelachse.

Beweis (i) S WD R˛;x0 und T WD R˛0 ;x00 seien vorgelegt, o. B. d. A. sei x00 D 0. Die zweite Rotation ist also R˛0 . Dann ist S ı T ı S 1 ı T 1 x D x C .Id  R˛0 / ı .Id  R˛ /x0 : Da Id  R˛ und Id  R˛0 invertierbar sind, wäre das im Fall x0 ¤ 0 eine nichttriviale Translation in G . (ii) Es ist Sˇ;s0 ı Sˇ;s x D .s0  s/ C x, und da es keine nichttrivialen Translationen geben soll, muss a0 D a sein. (iii) Es sei T eine Rotation. O. B. d. A. sei 0 das Rotationszentrum, d. h. es ist T D R˛ , wobei ˛ … 2Z. Weiter sei S WD Sˇ;s eine Spiegelung, es gilt also Sˇ s D s. Es ist zu zeigen, dass s D 0 gilt. Dazu berechnen wir T ı S ı T 1 ı S ı T 2 , wieder wird Lemma 2.2.4 (vi) wichtig:   T ı S ı T 1 ı S ı T 2 x D T ı S ı T 1 ı S R2˛ x   D T ı S ı T 1 s C Sˇ R2˛ x   D T ı S ı T 1 s C SˇC˛ x   D T ı S R˛ s C R˛ SˇC˛ x   D T ı S R˛ s C SˇC˛=2 x   D T s C Sˇ R˛ s C Sˇ SˇC˛=2 x   D T s C Sˇ R˛ s C R˛ x D R˛ s C R˛ Sˇ R˛ s C R˛ R˛ x D R˛ s C S˛Cˇ s C x

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Nun ist S˛Cˇ D R2˛ Sˇ , also S˛Cˇ s D R2˛ s, d. h. die fragliche Abbildung ist die Translation um den Vektor R˛ .Id  R˛ /s. Wäre s ¤ 0 so wäre dieser Vektor von Null verschieden. (Da Id  R˛ invertierbar ist.) Hier noch ein alternativer Beweis: Das gespiegelte Rotationszentrum ist nach Satz 2.3.7 ein Rotationszentrum zu einer zur Gruppe gehörigen Rotation. Wegen Teil (i) dieses Satzes muss x0 mit seinem Spiegelbild übereinstimmen, dieser Vektor liegt also auf der  Spiegelachse.

Definition 3.2.2

(i) Für n 2 N sei Cn die zyklische Gruppe der Ordnung n; man kann Cn durch die Rotationen R2k=n , k D 0; n  1, als Gruppe von Bewegungen realisieren. Es ist auch die Symmetriegruppe eines regelmäßigen n-Ecks n , das so zu einer Figur 0n ergänzt wurde, dass die Rotationssymmetrien zwar erhalten bleiben, aber die Spiegelungen wegfallen. (Vgl. die nachstehenden Bilder.) (ii) Die dihedrale Gruppe Dn ist für n  2 die Symmetriegruppe eines regelmäßigen n-Ecks n .  D1 ist die aus einer Spiegelung bestehende Symmetriegruppe, zum Beispiel die Symmetriegruppe zum „punktierten“ Intervall 0 im übernächsten Bild.  D2 ist die Symmetriegruppe eines Intervalls, besteht also aus einer Spiegelung und einer Rotation.  Dn enthält die Identität, Rotationen um 2k=n (k D 1; : : : ; n  1) und n Spiegelungen.

Hier sind einige Bilder dazu:

Beispiele zu den Symmetriegruppen C2 ; C3 ; C4 ; C5 ; C12

Beispiele zu den Symmetriegruppen D1 ; D2 ; D3 ; D4 ; D12

3.2 Endliche Gruppen von Bewegungen

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Hauptergebnis dieses Abschnitts ist der Satz 3.2.3 (Leonardos Theorem)

Jede endliche Gruppe von Bewegungen ist äquivalent zu einer Symmetriegruppe Cn oder einer Symmetriegruppe Dn . Beweis Sei G eine nichttriviale endliche Gruppe von Bewegungen. Fall 1: G enthält neben der Identität nur Rotationen Wegen Lemma 3.2.1 (i) ist der Drehpunkt für alle Rotationen identisch. O. B. d. A. sei er der Nullpunkt, es geht also um Rotationen des Typs R˛ . Mal angenommen, als ˛-Werte kommen die Zahlen ˛1 ; : : : ; ˛k 2 0; 2Œ vor. ˛ sei der kleinste dieser Werte. Notwendig (da R˛ endliche Ordnung hat) ist ˛ von der Form 2=n. Wir behaupten, dass alle ˛1 ; : : : ; ˛k Vielfache von ˛ sind. Dazu betrachten wir die Zahlen 0; ˛; 2˛; : : : ; .n1/˛; 1. Würde ein ˛k nicht in dieser Liste auftreten, läge es zwischen l˛ und .l C 1/˛ für ein geeignetes l, doch dann wäre R.lC1/˛ R˛1k D R.lC1/˛˛k eine Rotation mit einem kleineren Drehwinkel als ˛ im Widerspruch zur Wahl von ˛. Zusammen heißt das: G ist die zyklische Gruppe Cn und folglich äquivalent zur Symmetriegruppe von 0n (vgl. die vorstehende Definition). Fall 2: G enthält neben der Identität lediglich eine Spiegelung. Dann ist G zyklisch mit Ordnung 2 und äquivalent zur D1 . Fall 3: G enthält neben der Identität mindestens zwei Spiegelungen. Wir wählen zwei verschiedene Spiegelungen S1 und S2 . Die Spiegelachsen können wegen Lemma 3.2.1 (ii) nicht gleichzeitig verschieden und parallel sein. Sie schneiden sich also irgendwo – o. B. d. A. im Nullpunkt – und haben verschiedene Anstiegswinkel ˇ1 ; ˇ2 , etwa 0  ˇ1 < ˇ2 < . Es ist aber Sˇ1 ı Sˇ2 D R2.ˇ1 ˇ2 / (Lemma 2.2.4 (iv)), d. h. G enthält auch eine nichttriviale Rotation2 . Alle Rotationen in der Untergruppe der Rotationen haben 0 als Rotationszentrum. Nach dem ersten Teil des Beweises (Fall 1) gibt es ˛ D 2=n, so dass die Rotationen in G genau aus den Rk˛ (k D 1; : : : ; n  1) bestehen. Wir behaupten, dass G zur Gruppe Dn äquivalent ist. Wir legen n so wie in den Bildern, die Ecken des n-Ecks sind die n-ten Einheitswurzeln. Nun sei S 2 G eine beliebige Spiegelung, etwa x 7! a C Sˇ x. Notwendig ist a D 0: Wäre a ¤ 0, so wäre Sˇ1 ı S die Rotation x 7! Sˇ a C R2.ˇ1 ˇ/ (Lemma 2.2.4 (iv)). Das Rotationszentrum wäre von Null verschieden. Es gibt aber auch eine Rotation mit Rotationszentrum 0 in G , und das kann wegen Lemma 3.2.1 (i) nicht sein. Wir haben also gezeigt, dass G nur Spiegelungen des Typs Sˇ enthält, etwa die Sˇ1 ; : : : ; Sˇk mit 0  ˇ1 <    < ˇk < . Das sind k verschiedene Spiegelungen, und deswegen sind Sˇ1 ı Sˇj (j D 2; : : : ; k) k  1 verschiedene Rotationen. Das zeigt k  n. Umgekehrt: Sˇ1 ; R˛ ı Sˇ1 ; R2˛ ı Sˇ1 ; : : : ; R.n1/˛ ı Sˇ1 2

Das ist bemerkenswert: Zwei nichttriviale Spiegelungen als Symmetrie erzwingen eine Rotationssymmetrie.

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

sind n verschiedene Spiegelungen, es ist also n  k. So folgt k D n, und die Spiegelungen in G müssen die Bewegungen Rj˛ ı Sˇ1 D Sˇ1 Cj˛=2 (j D 0; : : : ; n  1) sein. Es fehlt noch der Nachweis, dass G und die Symmetriegruppe G 0 von n äquivalent sind. Wähle irgendeine Spiegelung S 0 in G 0 . Die Elemente von G sind die 2n Bewegungen Id; R˛ ; : : : ; R.n1/˛ ; S WD Sˇ1 ; R˛ ı S; : : : ; R.n1/˛ ı S. Die Abbildung ˚ von G nach G 0 wird so definiert: Id 7! Id; R˛ 7! R˛ ; Rj˛ ı S 7! Rj˛ ı S 0 : Es ist leicht zu sehen, dass ˚ alle geforderten Eigenschaften hat (bijektiv, Gruppenmorphismus, Rotationen auf Rotationen, Spiegelungen auf Spiegelungen). Folglich sind die  Gruppen äquivalent. Zur Illustration sind nachstehend die Symmetriegruppen für die Buchstaben des deutschen und des russischen Alphabets zusammengestellt:

Deutsch. grau: trivial; rot: D1 ; grün: C2 ; blau: D2

Russisch. grau: trivial; rot: D1 ; grün: C2 ; blau: D2

Und hier die Symmetriegruppen einiger Verkehrszeichen:

Triviale Symmetriegruppe. (Ohne Text hätte das Stoppschild die D8 als Symmetriegruppe.)

Symmetriegruppe D1

3.2 Endliche Gruppen von Bewegungen

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Symmetriegruppen C3 und D3

Bei diesem Schild ist die Symmetriegruppe unendlich (viele Rotationen und Spiegelungen)

Beispiele für die hier behandelten Symmetriegruppen lassen sich auch in der Natur finden: Blumen, Seesterne, Kleinstlebewesen, . . . Die endlichen Symmetriegruppen werden manchmal auch Rosettengruppen genannt: Rosetten sind in der Architektur kunstvoll gestaltete runde Fenster (zum Beispiel an Kirchen oder Rathäusern), die oft interessante Symmetrien aufweisen.

Rosetten an Kirchenfenstern

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Eine Rosette aus dem Museum für angewandte Kunst in Wien

Bei all diesen Gruppen sind Fundamentalbereiche F leicht zu finden. Im Fall von Translationen und Gleitspiegelungen kann man einen Streifen wählen, der so breit ist wie die Translationsweite und der senkrecht auf der Translationsrichtung steht. Bei den Cn bzw. Dn ist ein Winkelraum mit der Spitze im Rotationszentrum und dem Öffnungswinkel 2=n (bzw. =n geeignet). F kann man ganz beliebig gestalten und dann alle Bewegungen der Gruppe darauf wirken lassen. An den Rändern von F muss man allerdings ein bisschen aufpassen. Wird dort gespiegelt, so kann man das durch das Bild berücksichtigen: Zum Beispiel wird ein Halbkreis dann zu einem Vollkreis. Wird der Rand allerdings zu einem anderen Randstück rotiert, so sollten die Stücke zueinanderpassen. Ein Pfeilende auf der einen Seite könnte durch eine Pfeilspitze am anderen Ende fortgesetzt werden.

3.3 Die Untergruppe der Translationen Sei G eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen (vgl. Definition 2.4.1) und T die Untergruppe der Translationen in G . Sie spielt eine wichtige Rolle. Falls T trivial ist (also nur aus Id besteht), so haben wir die zugehörigen Gruppen bereits vollständig in Satz 3.2.3 charakterisiert. Es gibt noch zwei weitere Möglichkeiten für T , die wir in den nächsten beiden Sätzen beschreiben.

Satz 3.3.1 G sie eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen. Ist T nichttrivial und sind die a für die Ta 2 G jeweils linear abhängig, so ist T zyklisch: Es gibt ein Ta0 2 T ,

so dass T D fTna0 j n 2 Zg.

3.3 Die Untergruppe der Translationen

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Beweis Aufgrund der Voraussetzung kann man a ¤ 0 so wählen, dass jede Translation T 2 T die Form T t a mit einem t 2 R; t ¤ 0 hat. Die Menge W der auftretenden t ist dann eine abgeschlossene Untergruppe von R (sonst wäre T nicht diskontinuierlich), und es folgt, dass W als t0 Z für ein geeignetes t0 ¤ 0 geschrieben werden kann. (Wähle t0 als  das kleinste strikt positive Element von W .) Setze a0 WD t0 a. In Definition 2.3.3 hatten wir schon  als die Menge der a mit Ta 2 G eingeführt. Wir nehmen nun an, dass T nichttrivial ist und dass auch nicht die vorstehende Situation vorliegt: Es gibt also linear unabhängige Vektoren in . Wir definieren dann: Definition 3.3.2

Zwei linear unabhängige Vektoren a0 , b0 heißen eine Basis von , wenn  D fTna0 Cmb0 j m; n 2 Zg. Nach Definition 2.3.3 hatten wir schon zwei Beispiele für  skizziert. Man kann in beiden Fällen leicht verschiedene Basen angeben.

Beispiele für Basen in Translationsgittern

Doch wie kann man Basen finden? Das nachstehende Lemma stellt ein nützliches Kriterium bereit: Lemma 3.3.3

Es seien linear unabhängige a0 , b0 2  so gegeben, dass das erzeugte Parallelogramm P WD fsa0 C tb0 j 0  s; t  1g außer den Vektoren 0; a0 ; b0 ; a0 C b0 (das sind die Ecken von P ) keine Elemente aus  enthält. Dann ist a0 , b0 eine Basis von . b0

0

Das Parallelogramm P

a0 + b 0

a0

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Beweis Sei 0 WD fTna0 Cmb0 j m; n 2 Zg. Es ist 0  , und wir behaupten die Gleichheit. Sei dazu a 2 . Da a0 , b0 linear unabhängig sind, können wir a als s 0 a0 C t 0 b0 schreiben, wo s 0 ; t 0 2 R. Wählt man m; n 2 Z mit s 0  m; t 0  n 2 Œ0; 1, so ist  a  ma0  nb0 2 P \ , also in f0; a0 ; b0 ; a0 C b0 g: Es folgt a 2 0 .

Lemma 3.3.4 G sei wieder diskontinuierlich, und  enthalte linear unabhängige Vektoren. Wähle

a0 2  n f0g mit minimaler Norm und anschließend b0 mit minimaler Norm in  n Za0 . (Solche Vektoren gibt es, denn andernfalls wäre die Gruppe nicht diskontinuierlich.) Dann ist a0 ; b0 eine Basis von .

Beweis Die Vektoren sind offensichtlich linear unabhängig. Wie eben bezeichnen wir mit P das aufgespannte Parallelogramm, und wir behaupten, dass die Voraussetzungen des vorstehenden Lemmas erfüllt sind. Dazu werden wir zeigen: Ist x ein beliebiger Punkt in P , so gilt minfkxk; kx  a0 k; kx  b0 k; kx  .a0 C b0 /kg < kb0 k:

( )

Wir nehmen an, dass . / schon bewiesen ist und geben ein x 2  \ P vor. Liegt x auf der Strecke von 0 nach a0 , so muss x D 0 oder x D a0 gelten, denn andernfalls wäre a0 nicht mit minimaler Norm gewählt gewesen. In allen anderen Fällen sind x und a0 linear unabhängig, d. h. kxk  kb0 k nach Wahl von b0 . Kann kxa0 k < kb0 k sein? xa0 gehört zu , und deswegen gibt es nur dann keinen Widerspruch zur Wahl von b0 , wenn xa0 D 0, d. h. x D a0 . Ganz analog folgt aus kx  b0 k < kb0 k bzw. kx  .a0 C b0 /k < kb0 k, dass x D b0 bzw. x D a0 Cb0 gilt. Zusammen würde also folgen: P \ D f0; a0 ; b0 ; a0 Cb0 g, es sind also die Voraussetzungen des vorigen Lemmas erfüllt. Zum Beweis von . / sei x D sa0 C tb0 2 P mit 0  s; t  1 vorgelegt. Zunächst sei s C t  1, x liegt also in dem von 0; a0 ; b0 aufgespannten Dreieck.

Die Fälle s C 1 < 1 und s C t D 1

Ist sogar s C t < 1, so folgt kxk D ksa0 C tb0 k  ska0 k C tkb0 k  .s C t/kb0 k < kb0 k:

3.4 Die 7 Friesgruppen

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Im Fall s C t D 1 liegt x auf der Verbindungsstrecke von a0 nach b0 . Da a0 ; b0 linear unabhängig sind, folgt aus der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung, dass ka0  b0 k < ka0 k C kb0 k. Andererseits ist ka0  b0 k D ka0  xk C kx  b0 k, da sich Abstände auf einer Strecke addieren. Wäre nun ka0  xk; kx  b0 k  kb0 k, so folgte 2kb0 k  ka0  xk C kb0  xk D ka0  b0 k < ka0 k C kb0 k und damit der Widerspruch kb0 k < ka0 k. Im Fall 1  s C t  2 liegt x in dem von a0 ; b0 ; a0 C b0 aufgespannten Dreieck, und  man kann analog argumentieren.

Satz 3.3.5 G sei diskontinuierlich, und es gebe Translationen in linear unabhängige Richtun-

gen. Dann existiert eine Basis a0 ; b0 von .

Beweis Das folgt aus den beiden vorstehenden Lemmata.



Korollar 3.3.6 G sei eine diskontinuierliche Gruppe, und es gebe in G eine Rotation R˛ mit ˛ ¤ .

Dann gibt es eine Basis a0 ; b0 , wobei a0 minimale Norm hat und ka0 k D kb0 k gilt.

Beweis Man konstruiere a0 wie vorstehend. Man kann dann wegen Satz 2.3.4 b0 D R˛ a0 wählen: Das sind aufgrund der Voraussetzung an ˛ linear unabhängige Vektoren mit glei cher Norm.

3.4 Die 7 Friesgruppen In diesem Abschnitt studieren wir so genannte Friesgruppen, da wird T von einer einzigen Translation erzeugt. Ein Fries ist übrigens ein architektonisches Schmuckelement, mit dem Häuserfassaden verschönt werden. Da muss man sich das Bild allerdings in Gedanken in beiden Richtungen ins Unendliche fortgesetzt denken.

Ein Fries

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Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Ähnliche Symmetrien kann man an Zäunen, Treppen, usw. entdecken, auch da muss man die Fortsetzung ins Unendliche geeignet interpretieren.

Weitere Beispiele für Friese

Für den Rest des Kapitels sei G eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen, für die T die von einer Translation Ta0 erzeugte zyklische Gruppe ist. Wir zeigen zunächst, dass G nur „sehr einfache“ Bewegungen enthalten kann:

Lemma 3.4.1

(i) Enthält G eine Rotation R˛;x0 , so ist ˛ D . (ii) Enthält G eine Spiegelung, so zeigt die Spiegelachse in Richtung a0 oder in die dazu orthogonale Richtung. Im ersten bzw. zweiten Fall soll die Spiegelung vom Typ 1 bzw. vom Typ 2 heißen. (iii) Enthält G eine Gleitspiegelung, so zeigt die Spiegelachse in Richtung a0 .

Beweis (i) G enthalte eine Rotation x 7! a C R˛ x. Wir konjugieren Ta0 mit dieser Abbildung und erhalten wegen Satz 2.3.2, dass G auch die Translation TR˛ a0 enthalten muss. TR˛ a0 liegt aber nur dann in fTna0 j n 2 Zg, wenn n D  ist. (ii) S W x 7! s C Sˇ x sei eine Spiegelung (es gilt also Sˇ s D s). Es folgt wieder (nach Konjugieren von Ta0 mit S) aus Satz 2.3.2, dass G die Translation TSˇ a0 enthalten muss. Das geht aber nur dann, wenn Sˇ a0 D a0 oder Sˇ a0 D a0 , wenn also die Richtung der Spiegelachse parallel zu a0 oder senkrecht dazu ist. (iii) Sei T W x 7! b C s C Sˇ x eine Gleitspiegelung: Sˇ s D s, Sˇ b D b, b ¤ 0. T 2 ist die Translation T2b , 2b ist also von der Form na0 , wobei n ¤ 0. Aus Sˇ b D b und n ¤ 0  folgt dann Sˇ a0 D a0 . Gibt es in G eine Spiegelung S vom Typ 1, so gibt es natürlich auch Gleitspiegelungen (alle Tna0 ıS mit n 2 Z; n ¤ 0). Es kann aber auch vorkommen, dass es Gleitspiegelungen

3.4 Die 7 Friesgruppen

43

gibt, die nicht diese Form haben. Wir werden sie echte Gleitspiegelungen nennen, sie sind in Satz 2.3.6 schon eingeführt worden3 . Für G können die folgenden vier Fragen mit j D „ja“ oder n D „nein“ beantwortet werden: Gibt es in G eine Spiegelung vom Typ 1 ? Gibt es in G eine Spiegelung vom Typ 2 ? Gibt es in G eine Rotation? Gibt es in G eine echte Gleitspiegelung? Es gibt 24 D 16 mögliche Antworten, aber nur 7 können vorkommen, und die werden eine vollständige Klassifizierung ermöglichen. Satz 3.4.2

(i) Die 16 möglichen Antworten auf die 4 Fragen sind nachstehend aufgeführt. Die mit einem „*“ gekennzeichneten können nicht vorkommen: nnnn

nnnj

j nnn j nnj



nnj n

nnjj

nj nn

nj nj

njj n

njjj









jjj n

jjjj

j nj n

j njj

jj nn

jj nj

(ii) Für jede Friesgruppe G tritt genau einer der 7 möglichen Fälle ein. Beweis (i) nnjj : Wenn eine Rotation und eine Gleitspiegelung mit Spiegelachse G (nach Lemma 3.4.1 in Richtung von a0 ) enthalten sind, so auch eine Spiegelung oder Gleitspiegelung in einer zu G orthogonalen Achse, denn eine R -Rotation dreht die Spiegelachse um =2 (vgl. Lemma 2.2.4 (vi)). Das kann aber keine Gleitspiegelung mit von Null verschiedenem Vorschub sein, denn daraus würde bei zweimaliger Anwendung eine Translation in eine zu a0 orthogonalen Richtung entstehen. So etwas gibt es aber nicht. Das Produkt ist also eine Spiegelung vom Typ 2. nj nj : Das Produkt von zwei Spiegelungen oder Gleitspiegelungen mit orthogonalen Spiegelachsen ist eine R -Rotation. nj nj würde also njjj implizieren. njj n : Das Produkt aus einer Spiegelung mit Spiegelgerade G und einer Rotation ist eine Spiegelung an einer zu G orthogonalen Geraden. njj n impliziert also jjj n. j nnj : Im vorvorigen Beweisteil wurde begründet, dass die Gleitspiegelung nicht echt sein kann. j nj n , j njj : Vgl. das Argument zu njj n . jj nn , jj nj : Das Produkt von Spiegelungen an orthogonalen Geraden ist eine R Rotation. jjjj : Vgl. das Argument zu j nnj .  (ii) Das ist klar, da es sich um eine vollständige Fallunterscheidung handelt Achtung: Es soll noch einmal betont werden, dass es von G abhängt, ob eine Gleitspiegelung echt ist oder nicht.

3

44

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Wir werden nun zeigen, dass für jeden der 7 möglichen Fälle bis auf Äquivalenz genau ein G möglich ist. In diesem Sinn kann man dann sagen, dass es genau 7 Friesgruppen gibt. Wir behandeln die 7 Fälle in der folgenden Reihenfolge:  nnnn: Es gibt nur Translationen.  j nnn: Es gibt eine Typ-1-Spiegelung, aber keine Typ-2-Spiegelungen, Rotationen, und echten Gleitspiegelungen.  nj nn: Es gibt eine Typ-2-Spiegelung, aber keine Typ-1-Spiegelungen, Rotationen, und echten Gleitspiegelungen.  nnnj : Es gibt eine echte Gleitspiegelung, aber keine Typ-1- und Typ-2-Spiegelungen und keine Rotationen.  nnj n: Es gibt eine Rotation, aber weder Spiegelungen noch Gleitspiegelungen.  jjj n: Es gibt eine Rotation, Typ-1- und Typ-2-Spiegelungen, aber keine echte Gleitspiegelung.  njjj : Es gibt eine Rotation, eine echte Gleitspiegelung und eine Typ-2-Spiegelung, aber keine Typ-1-Spiegelung. Es ist dann klar, dass Bewegungsgruppen, die zu verschiedenen Zeilen gehören, nicht äquivalent sein können. Wir müssen also für den Beweis der Aussage „Bis auf Äquivalenz gibt es genau sieben Friesgruppen“ nur zeigen:  Für jeden der sieben Fälle lässt sich ein Beispiel angeben. Das wird recht einfach sein: Wir werden ein Bild angeben, für das die Symmetriegruppe die entsprechenden Eigenschaften hat.  Erfüllen zwei Bewegungsgruppen die gleichen Bedingungen (gilt etwa nnj n), so sind sie äquivalent. Um die zweite Aussage zu beweisen, zeigen wir, dass sich für die vorgelegte Gruppe in jedem Fall ein vollständiger Katalog der enthaltenen Bewegungen sowie die Gruppentafel der Verknüpfungen aufstellen lässt. Sind zwei entsprechende Gruppen gegeben, so geben die zugehörigen Kataloge Anlass zu einer Bijektion. Bei der werden Translationen auf Translationen, Spiegelungen auf Spiegelungen usw. abgebildet, und da die Gruppentafeln identisch sind, ist es auch ein Gruppenisomorphismus. Manchmal wird es bequem sein, die Gruppe vor der Untersuchung geeignet zu konjugieren. Wenn man etwa weiß, dass eine Rotation enthalten ist, so konjugiere man so, dass eine Rotation um den gleichen Winkel um den Nullpunkt zu G gehört: Das geht wegen Lemma 3.1.2 (iii). Dieser Vorbereitungsschritt ist für unsere Untersuchungen legitim, denn konjugierte Untergruppen sind äquivalent.

3.4 Die 7 Friesgruppen

45

3.4.1 F1 : nur Translationen .nnnn/ Das ist der einfachste Fall: Es gibt ein a0 ¤ 0, so dass G D T D fTna0 j n 2 Zg: G enthält also keine Rotationen, Spiegelungen oder Gleitspiegelungen.

Der offizielle Name F1 . (Für die Friesgruppen und die im nächsten Kapitel behandelten ebenen Kristallgruppen gibt es Bezeichnungen, die allgemein verwendet werden. Sie gehen auf den ungarischen Mathematiker Fejes Tóth zurück.) Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Jede Gerade, die parallel zu a0 ist, wird invariant gelassen. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Ein solches G besteht aus den Tn WD Tna0 mit n 2 Z, und die Gruppenverknüpfungen sind durch Tn ı Tm WD TnCm gegeben. Ist ein anderer Kandidat die Menge der Tn0 D Tna00 mit der gleichen Gruppentafel, so liefert Tn 7! Tn0 eine Gruppenisomorphie, und die ist sogar eine Äquivalenz, da Translationen auf Translationen abgebildet werden und andere Bewegungstypen nicht vorkommen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe Das nachstehende Beispiel haben wir schon in Abschnitt 3.1 kennen gelernt.

Die Symmetriegruppe ist vom Typ F1

Visualisierung Um mögliche Translationen zu visualisieren, werden wir kleine Kreise verwenden (der gegenseitige Abstand entspricht dem Vektor a0 ). Man beachte, dass der Nullpunkt an jeder beliebigen Stelle eingezeichnet werden könnte, da es nur auf die Verschiebung ankommt. In den folgenden Abschnitten wird er immer „geeignet“ platziert werden, etwa in ein Rotationszentrum oder in eine Spiegelachse.

Nur Translationen

46

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.4.2 F11 : nur Spiegelungen vom Typ 1 (jnnn) Der offizielle Name F11 . Die Analyse Seien S1 ; S2 Typ-1-Spiegelungen in G . Wegen Lemma 3.4.1 zeigen die Spiegelachsen in die gleiche Richtung (Richtung a0 ), etwa in Richtung der Geraden Gˇ . Es ist also S1 W x 7! s1 C Sˇ x mit Sˇ s1 D s1 und S2 W x 7! s2 C Sˇ x mit Sˇ s2 D s2 . Dann ist S1 ı S2 die Translation Ts1 s2 . Der Vektor s1  s2 ist also von der Form na0 mit n 2 Z. Da es Typ-1-Spiegelungen sind, ist Sˇ .s1  s2 / einerseits gleich s1  s2 (denn a0 wird fixiert) und andererseits gleich .s1  s2 /, d. h., es ist s1 D s2 : Es gibt nur eine einzige Spiegelung, wir nennen sie S. Folglich besteht, mit Tn WD Tna0 , G aus den folgenden Bewegungen: Translationen

Tn mit n 2 Z

Spiegelungen, Typ 1

S

Spiegelungen, Typ 2

;

-Rotationen

;

Gleitspiegelungen

Tn ı S (nicht echt) mit n 2 Z; n ¤ 0

Die Gruppentafel ist leicht zu ermitteln: Tn ı Tm D TnCm ; .Tn ı S/ ı Tm D Tm ı .Tn ı S/ D TnCm ı S: G ist also als Gruppe isomorph zur additiven Gruppe Z2  Z.

Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Es gibt genau eine derartige Gerade: Die zu S gehörige Spiegelgerade wird von allen T 2 G in sich überführt. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Sind G , G 0 derartige Gruppen, so stelle die Gruppenelemente wie oben beschrieben dar: als Tn ; Tn ı S in G und als Tn0 ; Tn0 ı S 0 in G 0 . Bilde dann G bijektiv auf G 0 durch Tn 7! Tn0 und Tn ı S 7! Tn0 ı S 0 ab. Da Translationen (bzw. Spiegelungen bzw. Gleitspiegelungen) in Translationen (bzw. Spiegelungen bzw. Gleitspiegelungen) abgebildet werden und die Gruppentafeln für beide Gruppen die gleichen sind, ist diese Abbildung nicht nur ein Gruppenisomorphismus, die Gruppen sich sogar äquivalent. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind nur Typ-1-Spiegelungen und Translationen

3.4 Die 7 Friesgruppen

47

Visualisierung Die Spiegelachse ist als durchgezogene graue Gerade gekennzeichnet. Die a mit Ta 2 G können, wie schon erwähnt, beliebig verschoben werden4 . Sie sind auf der Spiegelachse eingezeichnet.

Nur Spiegelungen vom Typ 1

3.4.3 F12 : nur Spiegelungen vom Typ 2 (njnn) Der offizielle Name F12 . Die Analyse S1 ; S2 2 G seien Spiegelungen vom Typ 2. Die Spiegelachsen müssen parallel sein, denn nach Lemma 3.4.1 sind beide orthogonal zu a0 . Schreibe S1 W x 7! s1 C Sˇ x und S2 W x 7! s2 C Sˇ x, wobei Sˇ s1 D s1 und Sˇ s2 D s2 . Es ist dann S1 ı S2 die Translation Ts1 s2 , und folglich ist s1 s2 von der Form na0 für ein n 2 Z. Fixiert man also irgendeine Typ-2-Spiegelung S W x 7! s C Sˇ x, so sind alle anderen Typ-2-Spiegelungen von der Form x 7! s C na0 C Sˇ x. Umgekehrt gilt das auch: Wegen Sˇ a0 D a0 sind die Bewegungen Sn W x 7! s C na0 C Sˇ x für beliebige n 2 Z Typ-2-Spiegelungen. Die .s C na0 /=2 liegen dann auf den Spiegelachsen. Es sind Punkte auf einer Geraden, die orthogonal zu den Spiegelachsen ist. Mit Tn WD Tna0 besteht also G aus den folgenden Elementen: Translationen

Tn mit n 2 Z

Spiegelungen, Typ 1

;

Spiegelungen, Typ 2 Sn mit n 2 Z -Rotationen

;

Gleitspiegelungen

;

Die Gruppenoperationen: Sn ı Sm D Tnm ; Tn ı Tm D TnCm ; Tn ı Sm D SnCm ; Sn ı Tm D Snm : Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Jede Gerade in Richtung a0 ist unter allen T 2 G invariant. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Wenn zwei derartige Gruppen G und G 0 vorgelegt sind, fixiere man jeweils eine Typ-2-Spiegelung S bzw. S 0 . Durch die obigen Gruppen-Rechenregeln wird dann ein Isomorphismus von G nach G 0 induziert. Die 4

Statt fa j Ta 2 G g könnte man auch die fcCa j Ta 2 G g mit einem beliebig gewählten c skizzieren.

48

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Gruppen sind dann sogar äquivalent, denn der Isomorphismus bildet Translationen in Translationen und Spiegelungen in Spiegelungen ab. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind nur Typ-2-Spiegelungen und Translationen

Visualisierung Wir haben a0 in Richtung der x-Achse gewählt. Die Spiegelachsen sind dann senkrecht und parallel im Abstand ka0 k=2.

Nur Spiegelungen vom Typ 2

3.4.4 F13 : echte Gleitspiegelungen (nnnj ) Der offizielle Name F13 . Die Analyse Wir wissen schon (Lemma 3.4.1), dass alle Gleitspiegelachsen in Richtung a0 zeigen. Nun seien G1 W x 7! s1 C b1 C Sˇ x, G2 W x 7! s2 C b2 C Sˇ x Gleitspiegelungen in G . Es ist Sˇ b1 D b1 , Sˇ s1 D s1 und Sˇ b2 D b2 , Sˇ s2 D s2 . Auch ist Sˇ a0 D a0 . Wir beachten noch, dass G21 die Abbildung x 7! s2  b2 C Sˇ x ist. G1 ı G21 hat dann die Form x 7! b1 C s1  b2  s2 C x. Es ist eine Translation, und folglich ist b1 C s1  b2  s2 D na0 für ein n 2 Z. Wendet man Sˇ auf diese Gleichung an und zieht die Gleichung davon ab, so folgt .s1  s2 /  .s1  s2 / D 2.s1  s2 / D 0, es ist also s1 D s2 , und damit gilt b1  b2 D na0 . Fixiere nun eine echte Gleitspiegelung G W x 7! sCbCSˇ x in G . Es ist G 2 D T2b , und diese Translation kann als Tna0 geschrieben werden. Notwendig ist n D 2k C 1 ungerade, denn im Fall n D 2k wäre b D ka0 , und Tka0 ı G wäre eine Typ-1-Spiegelung in G . Es ist also n D 2k C 1. Setze GO WD G ı Tka0 ı G W x 7! s C bO C Sˇ x; wobei bO D a0 =2. Wir haben gezeigt: Alle anderen Gleitspiegelungen haben die Form x 7! na0 C s C bO C Sˇ x. Umgekehrt gilt das auch: Für beliebige n 2 Z ist Tna0 ı GO W x 7! na0 C s C bO C Sˇ x eine echte Gleitspiegelung. (Es ist eine Gleitspiegelung, und alle Gleitspiegelungen in G sollen nach Voraussetzung echt sein.)

3.4 Die 7 Friesgruppen

49

O so besteht also G aus den folgenden Setzt man Tn WD Tna0 und Gn WD Tna0 ı G, Bewegungen: Translationen

Tn mit n 2 Z

Spiegelungen, Typ 1

;

Spiegelungen, Typ 2

;

-Rotationen

;

Gleitspiegelungen

Gn mit n 2 Z (echt)

Die Gruppenverknüpfungen lauten: Tn ı Tm WD TnCm ; Tn ı Gm D Gm ı Tn D GnCm ; Gn ı Gm D TnCmC1 : Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Die Gleitspiegelachse von GO ist die eindeutig bestimmte Gerade, die unter allen T 2 G invariant bleibt. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent G und G 0 seien Gruppen des hier betrachteten Typs. Wähle Ta0 2 G bzw. Ta00 2 G 0 , so dass die Translationen in G bzw. G 0 gerade die Tna0 bzw. die Tna00 sind. Suche dann – wie oben beschrieben – Gleitspiegelungen GO 2 G bzw. GO 0 2 G 0 mit GO 2 D Ta0 bzw. .GO 0 /2 D Ta00 . Bilde G bijektiv nach G 0 ab durch Tna0 7! Tna00 ; Tna0 ı GO 7! Tna00 ı GO 0 . Wegen der in beiden Gruppen gleichen Gruppenrechenregeln wird dann eine Gruppenisomorphie zwischen G und G 0 induziert. Und die ist eine Äquivalenz, da Translationen auf Translationen und Gleitspiegelungen auf Gleitspiegelungen abgebildet werden. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind nur echte Gleitspiegelungen und Translationen

Visualisierung Bei Gleitspiegelungen wird die Spiegelachse durch eine gestrichelt gezeichnete Gerade dargestellt, der Vorschub ist durch kurze Querstriche markiert.

Nur Gleitspiegelungen

50

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.4.5 F2 : nur Rotationen (nnjn) Der offizielle Name F2 . Die Analyse G enthält eine Rotation um den Winkel . Wenn wir G geeignet konjugieren, können wir annehmen, dass R 2 G , denn je zwei Rotationen um den gleichen Winkel sind konjugiert. Das verändert unser Klassifikationsproblem nicht, denn konjugierte Gruppen sind äquivalent (vgl. Abschnitt 3.1). R hat das Rotationszentrum 0. Alle Tna0 ı R (n 2 Z) liegen auch in G , und diese Rotationen haben die Rotationszentren na0 =2 (Satz 2.3.2). Mehr Rotationen gibt es auch nicht: Ist R W x 7! a C R x eine Rotation in G , so ist R ı R die Translation Ta , und deswegen ist a von der Form na0 . Zusammen heißt das, dass – mit Tn WD Tna und Rn W x 7! na0 C R x – die Gruppe G aus den folgenden Elementen besteht5 : Translationen

Tn mit n 2 Z

Spiegelungen, Typ 1

;

Spiegelungen, Typ 2

;

-Rotationen

Rn mit n 2 Z

Gleitspiegelungen

;

Die Gruppenoperationen lauten: Tn ı Tm D TnCm ; Tn ı Rm D RnCm ; Rn ı Tm D Rnm ; Rn ı Rm D Tnm : Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Die einzige invariante Gerade ist die Gerade durch die Rotationszentren. Nimmt man R 2 G an, so ist das die Gerade durch 0 in Richtung a0 . Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Da argumentieren wir wie in den vorigen Beispielen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die F2

Visualisierung Wir kennzeichnen Rotationen durch eine Raute.

Rotationszentren und Translationen für die F2 5

Möglicherweise muss vorher konjugiert werden um R 2 G zu erreichen.

3.4 Die 7 Friesgruppen

51

3.4.6 F21 : Rotationen, Typ-1- und Typ-2-Spiegelungen (jjjn) Der offizielle Name F21 . Die Analyse Wie im vorigen Unterabschnitt beginnen wir damit, dass wir durch Konjugieren erreichen, dass R zu G gehört: Das wird die Untersuchungen vereinfachen. Weiter sei S W x 7! s C Sˇ x eine beliebige Typ-1-Spiegelung. Es ist also Sˇ s D s, und Sˇ a0 D a0 . Wir behaupten, dass s D 0 gilt. Dazu betrachten wir zunächst die Spiegelung S 0 WD R ı S ı R W x 7! s C Sˇ x und dann das Produkt S ı S 0 W x 7! s C Sˇ .s C Sˇ x/ D 2s C x. Das ist eine Translation, es ist also 2s D na0 für ein geeignetes n 2 Z. Es folgt 2s D 2Sˇ s D nSˇ a0 D na0 D 2s, d. h. s D 0 wie behauptet. Es ist also S WD Sˇ 2 G , und aus Abschnitt 3.4.2 wissen wir, dass es nur eine einzige Typ-1-Spiegelung gibt. Wir betrachten nun S WD S ı R . Das ist eine Typ-2-Spiegelung, denn die Spiegelachse ist senkrecht zur Spiegelachse von S. Zusammen mit den Ergebnissen aus den Abschnitten 3.4.3 und 3.4.5 zeigt das, dass G genau aus den folgenden Bewegungen besteht: Tn mit n 2 Z

Translationen

S

Spiegelungen, Typ 1 Spiegelungen, Typ 2

Sn

WD Tn ı S mit n 2 Z

-Rotationen

Rn WD Tn ı R mit n 2 Z

Gleitspiegelungen

Gn WD Tn ı S mit n 2 Z; n ¤ 0 (unecht)

Die Gruppen-Rechenregeln sind in den vorigen Abschnitten schon aufgeführt bzw. leicht usw. aus den in Abschnitt 2.2 bewiesenen Formeln herzuleiten. Etwa Rn ı Sm D Snm Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Es gibt genau eine Gerade, die invariant gelassen wird: Die Spiegelachse der Typ-1-Spiegelung. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Die gleiche Argumentation wie in den vorigen Fällen führt zum Ziel. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Symmetriegruppe ist die F21

52

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung

Rotationen und Spiegelungen vom Typ 1 und 2

3.4.7 F22 : echte Gleitspiegelungen, Typ-2-Spiegelungen und Rotationen (njjj ) Der offizielle Name F22 . Die Analyse Wieder soll R zu G gehören. Wir wählen eine beliebige echte Gleitspiegelung G W x 7! s C b C Sˇ x in G . (Es ist Sˇ b D b; Sˇ s D s; Sˇ a0 D a0 .) R ı G ı R ist die Gleitspiegelung G 0 W x 7! s  b C Sˇ x, und mit G ı G 0 erhalten wir die Translation T2s . Da die zu G gehört, folgt wie im vorigen Abschnitt, dass s D 0. Es ist also G W x 7! b C Sˇ x in G , und wie in Abschnitt 3.4.4 dürfen wir – nach Multiplikation mit einer geeigneten Translation – annehmen, dass 2b D a0 gilt. Setze S WD G ı R , das ist die Typ-2-Spiegelung x 7! b C SˇC=2 . Aus den Überlegungen in den Abschnitten 3.4.3, 3.4.4 und 3.4.5 folgt nun, wie alle Elemente aus G aussehen: Translationen

Tn mit n 2 Z

Spiegelungen, Typ 1

;

Spiegelungen, Typ 2

Tn ı S mit n 2 Z

-Rotationen

;

Gleitspiegelungen

Tn ı G mit n 2 Z (echt)

Die Gruppenoperationen sind wieder mit den Formeln aus Abschnitt 2.2 leicht herzuleiten. Es gibt Geraden, die unter G invariant gelassen werden Die Spiegelgerade der Gleitspiegelungen ist die einzige invariante Gerade. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das kann völlig analog zu der Argumentation in den vorigen Abschnitten gezeigt werden. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Symmetriegruppe ist die F22

3.4 Die 7 Friesgruppen

53

Visualisierung

Echte Gleitspiegelungen, Typ-2-Spiegelungen und Rotationen

3.4.8 Zusammenfassung Man kann die vorstehenden Ergebnisse so umformulieren:  Sei G0 die Gruppe aller Bewegungen auf dem R2 . Betrachte in der Menge aller Untergruppen die Teilmenge aller diskontinuierlichen Untergruppen. Diese Menge zerfällt in 3 disjunkte Teile, je nachdem, ob die jeweilige Untergruppe der Translationen trivial ist oder von einer oder von zwei unabhängigen Translationen erzeugt wird.  Betrachte speziell diejenigen diskontinuierlichen Untergruppen, bei denen die Translationen von einer einzigen Translation erzeugt werden. Führe eine Äquivalenzrelation ein: Äquivalenz bedeutet die Existenz einer Gruppenisomorphie, die Translationen (Rotationen, Spiegelungen, Gleitspiegelungen) in Translationen (Rotationen, Spiegelungen, Gleitspiegelungen) überführt.  Dann gibt es genau sieben Äquivalenzklassen, und in jeder liegt eine Symmetriegruppe.  In jedem Fall gibt es eine Gerade, die unter allen Bewegungen der Gruppe in sich übergeführt wird6 .

3.4.9 Klassifikation: Ein Test Nachstehend sind mit einem Bild des Autors dieses Buches sieben Friese erzeugt worden. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind herzlich eingeladen, diese Friese zu klassifizieren: Um welchen der 7 Typen handelt es sich jeweils? Die Lösungen findet man am Ende von Abschnitt 3.4.10.

6

Man hätte alternativ also auch definieren können: Eine Friesgruppe ist eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen, für die es eine Gerade gibt, die unter allen Bewegungen der Gruppe invariant ist.

54

Bild 1

Bild 2

Bild 3

Bild 4

Bild 5

Bild 6

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

55

Bild 7

3.4.10 Hinweise für Künstler Wie kann man ein Muster erzeugen, dessen Symmetriegruppe einen der sieben möglichen Typen von Friesgruppen hat? Man fixiere irgendeine Friesgruppe G . Dann muss man in zwei Schritten vorgehen. Zunächst muss man einen Fundamentalbereich F zu G wählen, also eine abgeschlossene S Teilmenge des R2 , so dass erstens T 2G T .F / D R2 und dass sich zweitens T .F / und F für T 2 G ; T ¤ Id höchstens in Randpunkten schneiden. Wir wollen annehmen, dass F durch Geradenstücke G1 ; : : : ; Gl begrenzt ist. Dann muss man analysieren, durch welche Gruppenoperationen ein Gi in ein Gj übergehen kann: durch eine Translation? Rotation? Spiegelung? Gleitspiegelung? Dann kann F beliebig ausgemalt werden. Im Innern von F gibt es keine Einschränkungen, am Rand muss man aufpassen. Geht etwa ein P 2 Gi durch eine Translation oder eine Rotation in ein Q 2 Gj über, so muss das Bild in P in Q fortgesetzt werden. Ist etwa in P das Ende eines Pfeiles zu sehen, so muss in Q die Pfeilspitze erscheinen. Ist aber P 2 Gi durch eine Spiegelung nach Q 2 Gj transformiert, so muss bei P die eine Hälfte eines symmetrischen Musters (etwa die Hälfte eines lachenden Gesichts) zu sehen sein, dessen andere Hälfte bei Q zu finden ist. Die Lösungen zum Klassifizierungsproblem in Abschnitt 3.4.9 Bild 1:F2 Bild

5:F13

Bild 2:F22

Bild 3:F12

Bild 6:F1

7:F21

Bild

Bild 4:F11

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen Ähnlich wie bei den Friesgruppen wollen wir nun eine vollständige Charakterisierung derjenigen diskreten Bewegungsgruppen der Ebene herleiten, bei denen es zwei linear unabhängige Translationsrichtungen gibt. Die Beweise sind deutlich aufwändiger als im Fall von endlichen Gruppen und im Fall der Friesgruppen. Eine fundamentale Rolle spielt die

56

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

so genannte kristallographische Restriktion, die wir im ersten Unterabschnitt beweisen: Es sind im hier betrachteten Fall nur „wenige“ Rotationswinkel für Rotationen in der Gruppe möglich. Dann werden verschiedene Fälle systematisch untersucht: Was lässt sich aussagen, wenn es nur Translationen und Spiegelungen gibt? Was ändert sich, wenn auch 2Rotationen möglich sind? Oder 3-, 4- oder 6-Rotationen? Schlüssel zur Charakterisierung ist in jedem dieser Fälle eine sorgfältige Analyse der Eigenschaften der Translationsgitter.

3.5.1 Die kristallographische Restriktion Wir beweisen nun ein zentrales Ergebnis, durch das eine übersichtliche Klassifizierung der diskontinuierlichen Gruppen überhaupt erst möglich wird. Es besagt, dass in solchen Gruppen Rotationen a C R˛ nur für „sehr wenige ˛“ möglich sind. Als Vorbereitung zeigen wir:

Lemma 3.5.1 Es sei G eine Gruppe von Bewegungen, ˛ 2 R n 2Z und x0 ; y0 Rotationszentren zu ˛-Rotationen in G . Die Abbildungen S W x 7! a C R˛ x und T W x 7! a0 C R˛ x gehören also zu G , wo a WD x0  R˛ x0 und a0 WD y0  R˛ y0 .

Dreht T mit Zentrum y0 um ˛, so muss T 1 mit Zentrum y0 um ˛ drehen, d. h. T x D .y0  R˛ y0 / C R˛ x. 1

(i) Auch Sy0 ist ein ˛-Rotationszentrum einer Rotation in G . (ii) T 1 x0 ist ein ˛-Rotationszentrum für eine Rotation in G . Beweis (i) R WD S ı T ı S 1 gehört zu G . Wir behaupten, dass R eine ˛-Rotation mit Rotationszentrum Sy0 ist. Zunächst berechnen wir dazu R explizit. Setzt man die Definitionen für S und T ein, so folgt R W x 7! a  R˛ a C R˛ a0 C R˛ x, es handelt sich also um eine ˛-Rotation. Wir müssen zeigen, dass Sy0  R˛ Sy0 D a  R˛ a C R˛ a0 : Wirklich ist Sy0  R˛ Sy0 D x0  R˛ x0 C R˛ y0  R˛ .x0  R˛ x0 C R˛ y0 / D x0  2R˛ x0 C R˛ y0 C R2˛ x0  R2˛ y0 D x0  R˛ x0  R˛ .x0  R˛ x0 / C R˛ .y0  R˛ y0 / D a  R˛ a C R˛ a0 : (ii) Das folgt aus (i), da ˛-Rotationszentren auch ˛-Rotationszentren sind.



3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

57

Satz 3.5.2 G sei eine Gruppe von Bewegungen, und ˛ sei von der Form 2=n für ein n 2

f2; 3; : : :g. Ist dann n D 5 oder n > 6, so gilt: Sind x0 ; y0 ˛-Rotationszentren für Rotationen in G mit x0 ¤ y0 , so gibt es ˛-Rotationszentren x00 ; y00 mit x00 ¤ y00 für Rotationen in G mit kx00  y00 k < kx0  y0 k: Es gibt also keinen kleinsten Abstand für ˛-Rotationszentren.

Beweis Wähle Rotationszentren x0 , y0 , der Abstand sei l. Trage über der Strecke von x0 nach y0 weitere Strecken der Länge l ab: bei x0 im Winkel ˛ gegen den Uhrzeigersinn, bei y0 im Winkel ˛ mit dem Uhrzeigersinn. Die Endpunkte der neu eingezeichneten Strecken sind die Punkte x 00 ; y 00 des vorigen Lemmas:

In rot: x 0 und y 0 ; in blau: x 00 und y 00

Und ihr Abstand ist kleiner als l, falls n D 5 oder n > 6. Das ist aufgrund der nachstehenden Bilder klar: Dargestellt sind die Fälle n D 5 und als Beispiel die Fälle n D 7 und  n D 12.

Es gibt keinen kleinsten Abstand der Rotationszentren, falls n D 5 oder n > 6

Es bleiben die Fälle n D 2; 3; 4; 6. Da führt der Übergang von x 0 ; y 0 zu x 00 ; y 00 nicht zu einem Widerspruch. Das ist klar für n D 2. Im Fall n D 3 wird der Abstand nicht verkleinert, im Fall n D 4 bleibt er gleich, und im Fall n D 6 ist x 00 D y 00 .

58

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Der Übergang von x 0 ; y 0 zu x 00 ; y 00 in den Fällen n D 3, n D 4 und n D 6

Satz 3.5.3 (Kristallographische Restriktion) G sei eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen. Gibt es dann eine ˛-Rotation in G , so ist ˛ 2 f; 2=3; 2=4; 2=6g. Es sind also nur 2-, 3-, 4- und 6-Rotationen

möglich.

Beweis Das folgt unmittelbar aus dem vorstehenden Satz: Ist G diskontinuierlich, so ist mit  auch ˛ D .Id  R˛ /1  diskret, und folglich wird der kleinste Abstand der  Rotationszentren realisiert.

Satz 3.5.4 G sei eine diskontinuierliche Gruppe von Bewegungen.

(i) Enthält G eine 4-Rotation, so enthält G keine 3- und keine 6-Rotationen. (ii) Enthält G eine 3-Rotation oder eine 6-Rotation, so enthält G keine 4-Rotationen.

Beweis Beachte nur: Gibt es 4- und 3-Rotationen (oder 4- und 6-Rotationen), so gibt es auch 12-Rotationen. Und so etwas kann wegen des vorstehenden Satzes in diskontinuier lichen Gruppen nicht sein.

3.5.2

Translationen, Spiegelungen: 4 Gruppen

Wir beginnen nun mit einer systematischen Diskussion der ebenen diskontinuierlichen Bewegungsgruppen. In diesem ersten Unterabschnitt behandeln wir Gruppen, die nur Translationen und eventuell Spiegelungen enthalten: Es gibt also keine Rotationen. Der Aufbau ist in allen Fällen der gleiche. Neben allgemeinen weiteren Vorbereitungen behandeln wir die folgenden Punkte:  Welche Eigenschaft hat die Gruppe?  Wie wird sie offiziell bezeichnet?

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

   

59

Was muss man wissen, um diesen Fall erfolgreich analysieren zu können? Durch die Eigenschaft ist die Gruppe bis auf Äquivalenz eindeutig bestimmt. Es gibt Beispiele dafür, die sogar Symmetriegruppen sind. Wie kann man Gruppen dieses Typs visualisieren?

Die Strategie entspricht der bei den Friesgruppen verwendeten:  Stelle nach Wahl einer geeigneten Basis des Translationsgitters einen Katalog der in der Gruppe enthaltenen Bewegungen zusammen.  Berechne die Gruppentafel. Sind dann zwei Gruppen mit den gleichen Eigenschaften gegeben, so nutze man den Katalog zur Definition einer Bijektion. Da die Gruppentafeln übereinstimmen, wurde eine Gruppenisomorphie erzeugt, und da Translationen auf Translationen, Spiegelungen auf Spiegelungen usw. abgebildet werden, liegt sogar eine Äquivalenz vor. Manchmal wird es auch wie im Fall der Friesgruppen bequem sein, zuerst geeignet zu konjugieren. Wenn man zum Beispiel weiß, dass eine 3-Rotation enthalten ist, so darf man o. B. d. A. annehmen, dass R2=3 2 G . Am Ende wird gezeigt sein, dass es genau 17 paarweise verschiedene Möglichkeiten für diskrete Bewegungsgruppen mit zwei linear unabhängigen Translationsrichtungen gibt. Gruppe 1 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen. Die offizielle Bezeichnung W1 oder p1. Die Analyse Mit den Bezeichnungen aus Abschnitt 3.3 ist G D T . Setzt man Tm;n WD Tma0 Cnb0 für m; n 2 Z (wobei a0 ; b0 eine Basis von  bezeichnet), so besteht G aus den folgenden Bewegungen: Translationen

Tm;n mit m; n 2 Z

Spiegelungen

keine

Rotationen

keine

Gleitspiegelungen

keine

Und die Gruppentafel sieht, wie leicht zu sehen, so aus: Tm1 ;n1 ı Tm2 ;n2 D Tm1 Cm2 ;n1 Cn2 : Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Sind G ; G 0 Gruppen mit der hier betrachteten Eigenschaft, so wähle Basen a0 ; b0 und a00 ; b00 in den zugehörigen Translationsgittern. Tma0 Cnb0 7! Tma00 Cnb00 ist dann eine Gruppenisomorphie von G nach G 0 . Die Gruppen sind dann auch äquivalent, da Translationen auf Translationen abgebildet werden.

60

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind nur Translationen

Visualisierung Wie bei Friesgruppen verwenden wir kleine rote Kreise für die Elemente aus , Geraden für Spiegelachsen, gestrichelte Linien für Gleitspiegelachsen und eine Raute für Rotationszentren von R -Rotationen. Später brauchen wir noch Dreiecke (für 3-Rotationen), Vierecke (für 4-Rotationen) und Sechsecke (für 6-Rotationen). Eigentlich müsste man dann zum Beispiel ein Sechseck, eine Raute und ein Dreieck ineinanderschachteln, denn Zentren für 6-Rotationen sind auch Zentren für 2- und 3-Rotationen. Wir werden aber im Interesse der Übersichtlichkeit nur das Sechseck zeichnen.

Das Translationsgitter (Gruppe 1)

Vorbereitungen Was passiert, wenn es neben Translationen auch Spiegelungen oder Gleitspiegelungen, aber keine Rotationen gibt? Dann müssen alle Spiegel- oder Gleitspiegelachsen in die gleiche Richtung zeigen, denn andernfalls könnte man durch Multiplikation eine Rotation erzeugen. Wir gehen nun davon aus, dass unsere diskontinuierliche Gruppe G eine Spiegelung enthält. Wenn wir G geeignet konjugieren, können wir annehmen, dass ein Sˇ in G liegt (wegen Lemma 3.1.2). Das werden wir tun, denn uns interessiert ja nur eine Charakterisierung bis auf Äquivalenz. Wir beginnen damit, dass wir ein a0 2  mit minimaler Norm wählen. Dann gibt es drei Möglichkeiten: 1. Es ist Sˇ a0 D a0 . 2. Es ist Sˇ a0 D a0 . 3. Es gilt weder 1. noch 2.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

61

Fall 1: Es ist Sˇ a0 D a0 . Wir wählen b0 2  n Za0 mit minimaler Norm. Dann ist a0 ; b0 aufgrund von Lemma 3.3.4 eine Basis von . Zwei Fälle sind möglich: Fall 1a: b0 steht senkrecht auf a0 . Dann ist Sˇ b0 D b0 . Folglich sind alle durch x 7! nb0 C Sˇ definierten Bewegungen Sn Spiegelungen in G , und alle Spiegelungen in G haben diese Form. (Ist nämlich S W x 7! s C Sˇ x in G , so ist S ı Sˇ D Ts , d. h., s 2 . Aber s steht wie der Vektor b0 senkrecht auf der Spiegelachse, es muss also s D nb0 für ein geeignetes n 2 Z sein, denn a0 ; b0 ist eine Basis von .) Außerdem gibt es die unechten Gleitspiegelungen Gm;n W x 7! ma0 C nb0 C Sˇ . Fall 1b: b0 steht nicht senkrecht auf a0 . Wenn wir ggfs. von b0 zu b0 übergehen, können wir annehmen, dass der Winkel zwischen a0 und b0 kleiner als =2 ist:

a0 und b0 schließen einen spitzen Winkel ein. Spiegelachse: grau

(Achtung: Es wird gleich gezeigt werden, dass eine Situation wie im Bild nicht auftreten kann. Aber im Augenblick wissen wir es noch nicht besser.) Notwendig sind b0 und b00 WD Sˇ b0 linear unabhängig. (Man beachte, dass b00 2  wegen Satz 2.3.5.) Wir behaupten, dass b0 Cb00 D a0 . Auf jeden Fall liegt b0 Cb00 auf der Spiegelachse, ist also von der Form na0 für ein n 2 N. (n D 0 und negative n kommen nicht in Frage, da der eingeschlossene Winkel spitz ist.) Wäre n  2, hätte b0  a0 eine kleinere Norm als b0 : Widerspruch.

n D 2; 3; : : : führen zu einem Widerspruch. Man sieht die Fälle n D 2 und n D 3. Der Vektor b C b0 ist jeweils blau eingezeichnet

62

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Mit a0 ; b0 ist auch b0 ; b00 eine Basis von . Zusammen: Im Fall 1b kann man eine Basis von  so wählen, dass die Spiegelachse die Diagonale in einer Masche des Translationsgitters ist. Fall 2: a0 steht senkrecht auf der Spiegelachse7 . Es ist also Sˇ a0 D a0 . Wähle b0 mit minimaler Norm in  n Za0 . Wieder ist a0 ; b0 aufgrund von Lemma 3.3.4 eine Basis von , und wieder sind zwei Fälle möglich: Fall 2a: Sˇ b0 D b0 . b0 liegt also auf der Spiegelachse. Das entspricht dem Fall 1a, wobei die Rollen von a0 und b0 vertauscht sind. Insbesondere sind die Spiegelungen die Abbildungen x 7! na0 C Sˇ x und die unechten Gleitspiegelungen sind die Bewegungen x 7! mb0 C na0 C Sˇ x.

Das Bild zum Fall 2a

Fall 2b: b0 liegt nicht auf der Spiegelachse. Evtl. muss man von b0 zu b0 , Sˇ b0 oder Sˇ b0 übergehen; dann darf man annehmen, dass b0 nach rechts oben und a0 nach oben zeigt.

Das Bild zum Fall 2b (noch vorläufig!)

Sei b00 WD Sˇ b0 . Wir behaupten: b0  b00 D a0 . b0  b00 ist ein zur Spiegelachse orthogonaler Vektor in , hat also die Form na0 für ein n 2 N. Und wie im Fall 1b zeigt man, dass n  2 zu einem Widerspruch führen würde, denn dann hätte b0  a0 eine kleinere Norm als b0 . Es muss also so aussehen wie folgt

Das typische Bild zum Fall 2b: b0 und b00 bilden eine Basis 7

O. b. d. A. soll die Achse waagerecht sein und a0 soll nach oben zeigen.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

63

Wählt man b0 und b00 als Basis, so ist die Spiegelachse die Diagonale einer rhombischen Translationsmasche. Fall 3: a0 liegt schräg zur Spiegelachse. b0 WD Sˇ a0 hat die gleiche Norm wie a0 , folglich ist (wegen Lemma 3.3.4) a0 ; b0 eine Basis von . Auch in diesem Fall ist also die Spiegelachse die Diagonale einer rhombischen Translationsmasche. Damit ist gezeigt:

Satz 3.5.5

Sei Sˇ 2 G . Dann sind zwei Fälle möglich: (i) Man kann eine Basis a0 ; b0 von  so wählen, dass Sˇ a0 D a0 und Sˇ b0 D b0 . (Der Rechteckfall.) b0

0

a0

Der typische rechteckige Fall

Oder: (ii) Es gibt eine Basis a0 ; b0 von  so, dass a0 C b0 zur Spiegelachse gehört und a0  b0 senkrecht dazu steht. (Der rhombische Fall.) b0

0 a0

Der typische rhombische Fall

64

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Satz 3.5.6

Sei Sˇ 2 G , und es gebe keine Rotationen in G . (i)

Im Rechteckfall wähle eine Basis a0 ; b0 von  wie im vorigen Satz. Wir behaupten: a) Die Translationen in G sind genau die Abbildungen Tn;m W x 7! na0 C mb0

.mit n; m 2 Z/:

b) Die Spiegelungen sind genau die Abbildungen Sn W x 7! nb0 C Sˇ x

.mit n 2 Z/:

c) Die unechten Gleitspiegelungen sind genau die Abbildungen Gn;m WD Tn;m ı Sˇ

.mit n; m 2 Z/:

d) Es gibt keine echten Gleitspiegelungen. (ii) Im rhombischen Fall wähle gemäß Satz 3.5.5 eine Basis a0 ; b0 von  mit Sˇ .a0 C b0 / D a0 C b0 und Sˇ .b0  a0 / D .b0  a0 /. Die Elemente aus G können dann so beschrieben werden: a) Die Translationen in G sind genau die Abbildungen Tn;m W x 7! na0 C mb0

.mit n; m 2 Z/:

b) Die Spiegelungen sind genau die Abbildungen Sn W x 7! n.b0  a0 / C Sˇ x

.mit n 2 Z/:

c) Die unechten Gleitspiegelungen sind genau die Abbildungen  WD x 7! n.b0  a0 / C m.a0 C b0 / C Sˇ x Gn;m

.mit n; m 2 Z/:

d) Die echten Gleitspiegelungen sind genau die Abbildungen  GQ n;m WD x 7! b0 C n.b0  a0 / C m.a0 C b0 / C Sˇ x

.mit n; m 2 Z/:

(iii) G und G 0 seien diskontinuierliche Gruppen, die beide eine Spiegelung Sˇ bzw. Sˇ0 enthalten. Liegt in der einen der Rechteckfall und in der anderen der rhombische Fall vor, so können sie nicht äquivalent sein.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

65

Beweis (i) a) ist klar, da a0 ; b0 eine Basis ist. b) Die Sn D Tnb0 ı Sˇ liegen in G , und es handelt sich um Spiegelungen, da Sˇ .nb0 / D nb0 . Sei umgekehrt S eine Spiegelung in G . Die Spiegelachse von S muss parallel zu der von Sˇ sein, da andernfalls eine Rotation in G wäre. S kann also als x 7! sb C Sˇ x mit Sˇ s D s geschrieben werden. Es ist Sˇ ı S D Ts , d. h. s 2 . Deswegen ist s D tb0 mit einem geeigneten t 2 R. Notwendig ist t eine ganze Zahl n, denn andernfalls gäbe es einen Widerspruch zur Konstruktion von b0 . (Wäre etwa s D 2;7b0 , so wäre 3b0  s ein Element aus , das orthogonal zur Spiegelachse von Sˇ zeigt und eine kleinere Norm als b0 hat.) Folglich ist S D Sn . c) Das ist klar, da die Spiegelungen schon charakterisiert sind. d) Angenommen, es gäbe eine echte Gleitspiegelung G in G . Die Spiegelachse muss wieder parallel zu der von Sˇ sein, d. h. G W x 7! s C b C Sˇ x, wobei Sˇ s D s und Sˇ b D b. Das Produkt G ıSˇ ist die Translation TsCb , es ist also sCb 2 . Wir schreiben s C b D na0 C mb0 . Notwendig ist dann s D na0 und b D mb0 , denn s und a0 zeigen in Richtung der Spiegelachse, und b und b0 sind orthogonal dazu. Das zeigt, dass G D Gn;m eine nicht echte Gleitspiegelung ist. (ii) a) Das ist richtig, da a0 ; b0 eine Basis ist.  b) Es ist klar, dass alle Sn D Tn.b0 a0 / ıSˇ Spiegelungen in G sind, denn Sˇ n.b0 a0 / D n.b0  a0 /. Für die Umkehrung bemerken wir zunächst, dass zwischen 0 und dem Vektor b0  a0 kein Element aus  liegt. Wäre b WD t.b0  a0 / für ein t 2 0; 1Œ in , so wäre auch b0  b in , und kb0  bk < kb0 k im Widerspruch zur Konstruktion von b0 . Das impliziert, dass die zur Spiegelachse orthogonalen Elemente aus  gerade die n.b0  a0 / mit n 2 Z sind. Sei nun S ein Spiegelung in G , diese Abbildung ist wieder als s C Sˇ x mit einem zur Spiegelachse von Sˇ orthogonalen s schreibbar. Wegen S ı Sˇ D Ts ist s 2 , und aus der vorstehenden Beobachtung folgt, dass s D n.b0  a0 / für ein geeignetes n 2 Z. Es ist  also S D Sn . c) Das ist klar, da wir die Spiegelungen schon kennen. d) Wir behaupten zunächst, dass G W x 7! b0 C Sˇ x eine echte Gleitspiegelung in G ist. Sicher ist es eine Gleitspiegelung, aber sie ist auch echt. Andernfalls könnte man sie  als Sn;m schreiben. Dann wäre aber b0 D n.b0  a0 / C m.a0 C b0 /; also m  n D 0 und n C m D 1. Das geht aber nicht für ganze Zahlen n; m.  Damit ist schon gezeigt, dass alle GQ n;m echte Gleitspiegelungen sind. Sei umgekehrt GQ eine echte Gleitspiegelung. Die Spiegelachse ist notwendig parallel zu der von Sˇ , wir schreiben G als G W x 7! s C b C Sˇ x, wobei Sˇ s D s und Sˇ b D b. Wegen G ı Sˇ D TsCb liegt s C b in , folglich kann s C b als na0 C mb0 mit n; m 2 Z dargestellt werden, und dieser Vektor hat die Form n0 .b0  a0 / C m0 .a0 C b0 / C b0 ,  wobei n0 ; m0 2 Z und  2 f0; 1g. Im Fall  D 0 wäre G D Gn0 ;m0 , diese Gleitspiegelung  wäre also nicht echt, und im Fall  D 1 gilt G D GQ n0 ;m0 .

66

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

(iii) Wenn G und G 0 äquivalent sind und G eine echte Gleitspiegelung enthält, so enthält auch G 0 eine echte Gleitspiegelung. Eine Gleitspiegelung G 2 G ist nämlich genau dann unecht, wenn sie als Produkt einer Translation Tb und einer Spiegelung S in G mit S ıTb D Tb ı Sgeschrieben werden kann. Die Behauptung folgt nun daraus, dass die eine Gruppe echte Gleitspiegelungen ent hält, die andere aber nicht. Gruppe 2 Die Eigenschaft Es gibt neben den Translationen Spiegelungen und echte Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W11 oder cm. Die Analyse Aufgrund des vorigen Satzes liegt der rhombische Fall vor. Wir können eine Basis a0 ; b0 wie in Satz 3.5.5 wählen und die Translationen, Spiegelungen, echten und unechten Gleitspiegelungen dann mit Hilfe von Satz 3.5.6 (ii) explizit angeben. Die Gruppentafel ist leicht zu ermitteln, da wir die konkreten Darstellungen haben. So ist etwa   Tn;m ı Tn0 ;m0 D TnCn0 ;mCm0 , und Sn ı Sn0 D Tn0 n;nn0 usw. (Manchmal muss man etwas aufpassen: Zum Beispiel ist Tn;m ı Sk eine Spiegelung bzw. eine echte bzw. eine unechte Gleitspiegelung, je nachdem, ob n  m gleich Null bzw. ungleich Null und gerade bzw. ungleich Null und ungerade ist.) Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent G und G 0 seien derartige Gruppen, wir nehmen an, dass beide Sˇ enthalten (was nach Konjugation immer zu erreichen ist). Wähle Basen a0 ; b0 bzw. a00 ; b00 wie vorstehend beschrieben und stelle die Gruppenelemente explizit dar. Bilde dann die Gruppen bijektiv aufeinander ab: die Translationen durch Tma0 Cnb0 7! Tma00 Cnb00 , und analog die Spiegelungen und Gleitspiegelungen. Da aufgrund der Konstruktion die Gruppenoperationen in beiden Gruppen die gleichen sind, ist es ein Gruppenisomorphismus, und da Translationen bzw. Spiegelungen bzw. . . . auf Translationen bzw. Spiegelungen bzw. . . . abgebildet werden, handelt es sich um eine Gruppenäquivalenz. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind Translationen, Gleitspiegelungen und echte Gleitspiegelungen

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

67

Visualisierung a

b

a Translationsgitter. b: Symmetrieachsen (Gruppe 2)

Gruppe 3 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen und Spiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W12 oder pm. Die Analyse Diesmal sind wir im Rechteckfall. Nach Wahl einer geeigneten Basis von  können wir alle Elemente der Gruppe mit Satz 3.5.6 (i) explizit beschreiben. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Wir gehen ganz ähnlich vor wie im Fall der vorigen Gruppe: Bewegungen identifizieren, Gruppentafeln berechnen und diese Beschreibung zur Definition einer Abbildung nutzen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind Translationen, Spiegelungen und unechte Gleitspiegelungen

68

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung a

b

a Translationsgitter. b Symmetrieachsen (Gruppe 3)

Weitere Vorbereitungen Wir müssen noch den Fall betrachten, dass die diskontinuierliche Gruppe G nur echte Gleitspiegelungen enthält. Dazu fixieren wir eine echte Gleitspiegelung, und nach Konjugation der Gruppe können wir annehmen, dass sie die Form G W x 7! v0 C Sˇ x hat, wo Sˇ v0 D v0 und v0 ¤ 0. Sei a0 das kürzeste von Null verschiedene Element in  mit der Eigenschaft Sˇ a0 D a0 . Der Vektor 2v0 ist ein Kandidat, und nach Komposition mit einer geeigneten Translation dürfen wir annehmen, dass 2v0 D a0 gilt. Wähle weiter ein b0 , das unter den Elementen aus  n Za0 die kleinste Norm hat. Wir beachten, dass Sˇ b0 2  (Satz 2.3.5). Folgende Fälle sind zu unterscheiden: Fall 1: b0 steht nicht senkrecht auf a0 . Fall 2: b0 steht senkrecht auf a0 . Hier sind zwei Unterfälle zu unterscheiden: Fall 2a: a0 ; b0 ist eine Basis von . Fall 2b: a0 ; b0 ist keine Basis von .

Satz 3.5.7 Sei G eine diskontinuierliche Gruppe, die keine Rotationen und Spiegelungen, aber

echte Gleitspiegelungen enthält. (i) Mit den vorstehenden Bezeichnungen kann nur Fall 2a eintreten. (ii) Die Bewegungen in G lassen sich dann wie folgt beschreiben: a) Die Translationen in G sind genau die Abbildungen Tn;m W x 7! na0 C mb0

.mit n; m 2 Z/:

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

69

b) Die echten Gleitspiegelungen sind genau die Abbildungen GQ n;m WD x 7! v0 C na0 C mb0 C Sˇ x

.mit n; m 2 Z/:

Beweis (i) Angenommen, wir sind in Fall 1. Ohne Einschränkung zeigt a0 nach rechts und b0 nach rechts oben. Notwendig ist dann b0 C Sˇ b0 D a0 , denn b0 C Sˇ b0 hat die Form na0 für ein n 2 N, und könnte man ein a0 abziehen, wäre b0 nicht minimal gewesen. b0 ; Sˇ b0 ist eine Basis von , denn jedes von 0; b0 ; Sˇ b0 ; b0 C Sˇ b0 verschiedene a 2  im von b0 ; Sˇ b0 aufgespannten Parallelogramm würde einen Widerspruch zur Minimalität von b0 implizieren. b0 ; b 0 WD Sˇ b0 sind also eine rhombische Basis von . Wir könnten dann Spiegelungen in G finden. Aus b0 C b 0 D a0 folgt   b0 C b 0 D .b0  v0 /; Sˇ .b0  v0 / D Sˇ b0  2 d. h. b0  v0 steht senkrecht auf der Spiegelachse. Und deswegen ist Tb0 ı G 1 W x 7! b0  v0 C Sˇ x eine Spiegelung in G . (G wurde bei den Vorbereitungen eingeführt.) Auch der Fall 2b kann nicht eintreten. In diesem Fall muss es ein von den Ecken verschiedenes a 2  in dem von a0 ; b0 aufgespannten Rechteck geben. Das kann aber nur der Mittelpunkt des Rechtecks, also c0 WD .a0 C b0 /=2 sein: Alle anderen würden einen Widerspruch zur Wahl von a0 und b0 implizieren.

Eine rhombische Basis im Fall 2b

Dann liegt wieder der rhombische Fall vor: c0 ; c00 WD Sˇ c0 ist eine Basis von . Wie eben bei der Diskussion von Fall 1 würde folgen, dass es Spiegelungen in G gibt. (ii) Wir sind also in Fall 2a, und deswegen ist Teil a) der Aussage klar. Zum Beweis von b) beachten wir zunächst, dass alle GQ n;m echte Gleitspiegelungen sind: Das liegt daran, dass v0 nicht zu  gehört. Sei nun G 0 eine beliebige Gleitspiegelung in G . Die Spiegelachse muss in Richtung der Spiegelachse von Sˇ zeigen, denn andernfalls gäbe es eine nichttriviale Rotation. G 0 hat also die Form G 0 W x 7! s C b C Sˇ x, wobei Sˇ s D s und Sˇ b D b. G 0 ı G D TsCbCv0 , d. h. s C b C v0 2 . Deswegen gibt es geeignete

70

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

m; n 2 Z mit s C b C v0 D na0 C mb0 , also s C b D .n  0;5/a0 C mb0 . Nun zeigt s in Richtung b0 und b in Richtung a0 , es ist also s D mb0 und b D .n  0;5/a0 . Das zeigt,  dass G 0 D GQ n1;m . Gruppe 4 Die Eigenschaft Es gibt neben den Translationen nur echte Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W13 oder cg. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Aufgrund der vorstehenden Untersuchungen sind nach Wahl einer kanonisch gewählten Basis alle Translationen und die echten Gleitspiegelungen explizit angebbar. Die Gruppentafeln sind identisch, und damit kann man zwischen zwei Gruppen dieses Typs eine Äquivalenz definieren. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

In der Symmetriegruppe sind nur Translationen und echte Gleitspiegelungen. Die Spiegelachsen gehen durch die F -Ketten und parallel dazu zwischen den Ketten

Visualisierung a

b

a Translationsgitter. b Symmetrieachsen (Gruppe 4)

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

71

3.5.3 Translationen, 2-Rotationen, Spiegelungen: 5 Gruppen Gruppe 5 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen und 2-Rotationen. Die offizielle Bezeichnung W2 oder p2. Die Analyse Da wir nur an einer Charakterisierung modulo Äquivalenz interessiert sind, dürfen und werden wir annehmen, dass R 2 G . Wegen Satz 2.3.4 ist dann  D =2, und damit können alle Rotationen und Translationen explizit beschrieben werden:  Die Translationen sind die Tna0 Cmb0 mit m; n 2 Z, wobei a0 ; b0 eine Basis von  ist.  Die Rotationen sind die Tna0 Cmb0 ı R˛ mit n; m 2 Z. Dazu ist zu beachten: Ist x0 ein 2-Rotationszentrum, so hat T die Form x 7! .x0  R x0 / C R x D 2x0 C R x; und die 2x0 für x0 2 =2 sind genau die Punkte aus . Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Sind G und G 0 mit den obigen Eigenschaften vorgelegt, konjugiere so, dass R zu beiden gehört. Stelle dann die Translationen und 2Rotationen wie vorstehend dar und bilde auf naheliegende Weise G bijektiv auf G 0 ab. Die Gruppenoperationen bleiben erhalten, und Translationen bzw. Rotationen gehen in Translationen bzw. Rotationen über. Die Gruppen sind also äquivalent. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe.

In der Symmetriegruppe sind nur Translationen und 2-Rotationen

72

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung Wie bisher stellen wir Zentren von 2-Rotationen durch Rhomben dar:

Translationsgitter und die Rotationszentren (Gruppe 5)

Vorbereitungen Wir müssen das Zusammenspiel von 2-Rotationen und Spiegelungen detaillierter untersuchen. Gegeben sei also eine diskontinuierliche Bewegungsgruppe G , die ˇ-Spiegelungen und 2-Rotationen enthält. Die erste Konjugation Wie vorher schon mehrfach ausgenutzt, erreichen wir durch Konjugation, dass Sˇ zu G gehört. Es gibt auch noch eine Rotation R um den Winkel , wir schreiben sie als R W x 7! a0 C R x. Den Vektor a0 können wir in zwei Anteile zerlegen, der eine liegt auf der Spiegelachse, der andere ist orthogonal dazu: a0 D c C d mit Sˇ c D c und Sˇ d D d. Die zweite Konjugation Wir konjugieren die Gruppe mit Td=2 . Das berührt Sˇ nicht, denn Td=2 ı Sˇ ı Td=2 .x/ D Sˇ x. Und aus R wird Td=2 ı R ı Td=2 .x/ D 2d=2 C a0 C R x D c C R x: (Anders ausgedrückt: O. B. d. A. dürfen wir annehmen, dass a0 orthogonal zur Spiegelachse zeigt.) R W x 7! c C R x und Sˇ liegen also in G . Beachtet man noch, dass Sˇ ı R ı Sˇ die Rotation R0 W x 7! c C R x ist und dass R ı R0 D T2c gilt, so folgt 2c 2 . Wir fassen zusammen:

Lemma 3.5.8

Eine Gruppe G mit den hier relevanten Eigenschaften ist konjugiert zu einer Gruppe, die Sˇ und c C R enthält, wobei Sˇ c D c sowie 2c 2  gilt.

Es ist möglich, dass nicht nur 2c 2 , sondern sogar c 2  gilt. Dann ist Tc ıR D R , wir dürfen dann sogar davon ausgehen, dass Sˇ und R in G liegen.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

73

Vergessen wir für den Augenblick, dass es Rotationen gibt. Da Sˇ zu G gehört, wissen wir aus dem vorigen Abschnitt, dass es zwei verschiedene Möglichkeiten gibt:  Es gibt eine Basis a0 ; b0 von  mit Sˇ a0 D a0 und Sˇ b0 D b0 . (Der Rechteckfall.) Oder:  Es gibt eine Basis a0 ; b0 von  mit Sˇ .a0 Cb0 / D a0 Cb0 und Sˇ .a0 b0 / D .a0 b0 /. (Der rhombische Fall.) Betrachten wir zunächst den rhombischen Fall. 2c gehört zu  und ist orthogonal zur Spiegelachse, kann also für ein geeignetes m 2 Z als 2c D m.b0  a0 / geschrieben werden. Ist m gerade, so gehört c zu , und wir dürfen R 2 G annehmen. Ist m D 2k C1 ungerade, so verknüpfe man R mit Tk.b0 a0 / , d. h. wir können sogar annehmen, dass c D .b0  a0 /=2 gilt. In der nachstehenden Skizze ist c für diesen Fall eingezeichnet (c … ):

c liegt orthogonal zur Spiegelachse

In diesem Fall führen wir eine dritte Konjugation durch, wir konjugieren mit Tz , wo z WD .a0 C b0 /=4. Dadurch wird Sˇ in sich übergeführt (denn Sˇ z D z), und aus R wird x 7! Tz ı R ı Tz D c  2z C R x D a0 C R x: Es folgt, dass R D Ta0 ı Tz ı R ı Tz zu G gehört. Falls also eine Spiegelung in G existiert, sind – modulo Konjugation – drei Fälle zu berücksichtigen:  Fall 1: Sˇ ; R im rhombischen Fall.  Fall 2: Sˇ ; R im rechteckigen Fall.  Fall 3: Sˇ und cCR in G im rechteckigen Fall, wobei Sˇ c D c sowie 2c 2 ; c … . Und was weiß man, wenn keine Spiegelung zu G gehört, sondern (neben R -Rotationen) nur Gleitspiegelungen? Wir haben schon in Abschnitt 3.5.2 vor der Diskussion der Gruppe 4 festgestellt, dass notwendig der rechteckige Fall vorliegen muss und dass man nach geeigneter Konjugation davon ausgehen kann, dass es eine Basis a0 ; b0 von  mit den folgenden Eigenschaften gibt: Sˇ a0 D a0 ; Sˇ b0 D b0 , und die echten Gleitspiegelungen werden durch x 7! a0 =2 C a C Sˇ x (a 2 ) beschrieben.

74

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Sei (mit v0 WD a0 =2) G die echte Gleitspiegelung x 7! v0 C Sˇ x und R W a0 C R eine 2-Rotation in G . Schreibe wie eben a0 als c C d mit Sˇ c D c und Sˇ d D d. Konjugiere die Gruppe noch einmal mit Td=2 . Dann ist  Td=2 ı G ı Td=2 x D Gx und  R0 x WD Td=2 ı R ı Td=2 x D 2d=2 C a0 C R x D c C R x. Wegen Sˇ c D c ist R00 x WD G ı R0 ı G 1 x D c C R x in G , und R0 ı R00 D T2c . Wieder ist also 2c 2 . Angenommen, es wäre sogar c 2 . Dann wäre R D Tc ı R0 ein Gruppenelement und folglich – wegen R˛ ı Sˇ D SˇC˛=2 – auch R ı G W x 7! v0 C SˇC=2 x. Das ist aber eine Spiegelung, denn v0 steht senkrecht auf der Spiegelachse von SˇC=2 . Und Spiegelungen gibt es nach Voraussetzung nicht. Also ist c von der Form .k C 0;5/b0 für ein k 2 Z, und nach Komposition mit Tkb0 dürfen wir c D b0 =2 annehmen. Jetzt ist R ı Gx D .b0 =2 C R / ı .a0 =2 C Sˇ /x D .b0 C a0 /=2 C SˇC=2 ; und das ist eine echte Gleitspiegelung. Es folgt leicht:

Satz 3.5.9

Gibt es keine Spiegelungen, sondern nur echte Gleitspiegelungen, so liegt der rechteckige Fall vor, und nach Wahl einer geeigneten Basis a0 ; b0 von  sind alle echten Gleitspiegelungen in G von der Form x 7! a0 =2 C a C Sˇ (Gleitspiegelachse Richtung ˇ) oder x 7! .b0 C a0 /=2 C a C SˇC=2 (Gleitspiegelachse Richtung ˇ C =2) für a 2 .

Beweis Es ist schon gezeigt, dass alle x 7! a0 =2 C Sˇ x und alle x 7! .a0 C b0 /=2 C SˇC=2 x echte Gleitspiegelungen sind. Damit sind auch alle x 7! a C a0 =2 C Sˇ x und alle x 7! a C .a0 C b0 /=2 C SˇC=2 x für a 2  echte Gleitspiegelungen. Sei eine weitere echte Gleitspiegelung G vorgelegt. Als Spiegelrichtung kommen nur die Richtungen ˇ und ˇ C =2 in Frage, denn jede andere Richtung würde zu einer Rotation mit einem anderen Drehwinkel als  Anlass geben. Sei etwa Gx D a0 CSˇ x. (Der Fall ˇ C=2 kann analog behandelt werden.) Schreibe wieder a0 D c C d, wo c bzw. d ein Vielfaches von a0 bzw. b0 sind. G 2 D T2c impliziert dann 2c 2 , und wie oben folgt nach Komposition mit einer Translation, dass G o. B. d. A. die Form Gx D a0 =2 C d C Sˇ x hat. Führt man zuerst x 7! a0 =2 C Sˇ x aus, so folgt noch d 2 , und damit ist G schon im Katalog der  bekannten echten Gleitspiegelungen enthalten. Insgesamt haben wir also vier mögliche Fälle zu diskutieren. Man muss sie nur durch einfach zu findende Eigenschaften charakterisieren.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

75

Gruppe 6 Die Eigenschaft Es gibt Translationen, Spiegelungen in orthogonale Richtungen und 2Rotationen. Manche der Rotationszentren liegen nicht auf einer Spiegelachse. Die offizielle Bezeichnung W21 oder cmm. Die Analyse Die vorstehende Analyse zeigt, dass nur der rhombische Fall in Frage kommt. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt wieder aus der vorstehenden Analyse. Alle vorkommenden Bewegungen (2-Rotationen, Translationen, echte und nicht echte Gleitspiegelungen) können nach Wahl einer geeigneten Basis von  explizit beschrieben werden. Das induziert dann bei zwei Gruppen mit der gleichen Eigenschaft eine Gruppenisomorphie, die sogar eine Äquivalenz ist. Es ist noch zu beachten dass es Spiegelachsen nur in Richtung ˇ und ˇ C =2 geben kann, denn andernfalls würde eine Rotation von einem um  verschiedenen Drehwinkel erzeugt werden. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 6

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 6)

76

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Gruppe 7 Die Eigenschaft Es gibt Translationen, Spiegelungen in orthogonale Richtungen und 2Rotationen. Alle Rotationszentren liegen auf einer Spiegelachse. Die offizielle Bezeichnung W22 oder pm. Die Analyse Nur ein einziger der vier möglichen Fälle erfüllt diese Bedingung: Es ist der rechteckige Fall mit c 2 . Und wieder ist alles explizit beschreibbar. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt aus der Möglichkeit, die Gruppe nach geeigneter Konjugation explizit zu beschreiben. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 7

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 7)

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

77

Gruppe 8 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen, 2-Rotationen, Spiegelungen, echte und nicht echte Gleitspiegelungen; Alle Spiegelachsen sind parallel. Die offizielle Bezeichnung W23 oder pmg. Die Analyse Nun sind wir im Rechteckfall mit c … . Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das ergibt sich wieder aus der Möglichkeit, alle auftretenden Bewegungen nach Wahl einer geeigneten -Basis zu katalogisieren. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 8

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 8)

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3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Gruppe 9 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen, 2-Rotationen und echte Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W24 oder pgg. Die Analyse Die entsprechende Gruppe entspricht dem letzten der oben diskutierten vier Fälle. Alle Rotationen, Translationen und echten Gleitspiegelungen sind explizit bekannt. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Man verwende die gleiche Strategie wie vorstehend. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 9

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 9)

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

79

3.5.4 Translationen, 3-Rotationen, (Gleit-)Spiegelungen: 3 Gruppen Gruppe 10 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen und 3-Rotationen. Die offizielle Bezeichnung W3 oder p3. Die Analyse Sei G eine diskontinuierliche Gruppe mit diesen Eigenschaften. Nach Konjugation dürfen wir annehmen, dass R2=3 zu G gehört. Das hat eine wichtige Konsequenz:  ist ein Gitter aus gleichseitigen Dreiecken. (Begründung: Wähle a0 in  n f0g mit minimaler Norm. Setze b0 WD R2=3 a0 . Auch b0 hat minimale Norm, und a0 ; b0 sind linear unabhängig. Wegen Lemma 3.3.4 ist dann a0 ; b0 eine Basis von , deren Maschen aus Rauten mit Öffnungswinkel 60 Grad und 120 Grad bestehen.) In Satz 2.3.4 haben wir die Rotationszentren schon charakterisiert: Es sind die Punkte aus  zusammen mit den Mittelpunkten der im Raster entstehenden gleichseitigen Dreiecke. (Genauer: Wenn man ein Raster aus gleichseitigen Dreiecken hat und für irgendeinen Rasterpunkt x den Wert .x  R2=3 x/=3 ausrechnet, so erhält man den Höhenschnittpunkt eines der Dreiecke.) Aus R2=3 2 G folgt auch noch, dass die Rotationen in G genau die Bewegungen x 7! a C R˙2=3 x sind: Dass das alles Rotationen sind, ist klar, und ist R eine Rotation in G , so ist R nach Voraussetzung eine Rotation um ˙2=3, also von der Form Rx D a C R˙2=3 . Und wegen R ı R 2=3 D Ta ist a 2 . Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Sind G ; G 0 Gruppen dieses Typs, so konjugiere beide zunächst so, dass R2=3 dazugehört. Wähle dann Basen a0 ; b0 bzw. a00 ; b00 des Translationsgitters wie vorstehend beschrieben. Dann lassen sich alle Translationen und 3-Rotationen mit Hilfe dieser Basen ausdrücken: Die Translationen bzw. Rotationen in G sind die Tna0 Cmb0 bzw. die Tna0 Cmb0 ı R˙2=3 mit n; m 2 Z. Bilde schließlich G bijektiv auf G 0 unter Verwendung dieser Darstellung ab: Tna0 Cmb0 7! Tna00 Cmb00 usw. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 10

80

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung

Das Translationsgitter und die Rotationszentren (Gruppe 10)

Weitere Vorbereitungen Was passiert, wenn G neben 3-Rotationen zusätzlich Spiegelungen und/oder echte Gleitspiegelungen enthält? Dass es nur echte Gleitspiegelungen gibt, ist nicht möglich: Bei der Diskussion von Gruppe 4 haben wir gesehen, dass das nur im Fall rechteckiger Translationsgitter eintreten kann. Sei S 2 G eine Spiegelung, S W s C Sˇ x. Nach einer ersten Konjugation von G können wir annehmen, dass Sˇ zu G gehört. Sˇ lässt  invariant, und das -Gitter besteht aus gleichseitigen Dreiecken (s.o.). Es gibt aber nur zwei Richtungen, die diese Bedingung erfüllen: Fall 1 Die Spiegelgerade verläuft durch Dreiecksseiten. Wenn man sich die ˇ-Richtung waagerecht vorstellt, sieht es also so aus:

Gˇ und  im Fall 1

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

81

Wir wählen in diesem Fall eine -Basis a0 ; b0 wie folgt:

Gˇ und eine -Basis im Fall 1

Fall 2 Die Spiegelgerade schneidet einige Dreiecksseiten orthogonal in der Mitte. Wieder stellen wir uns die Spiegelgerade Gˇ waagerecht vor, typischerweise ist die Situation dann so:

Gˇ und  im Fall 2

In diesem Fall werden wir mit der folgenden -Basis arbeiten:

Gˇ und eine -Basis im Fall 2

82

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Satz 3.5.10

Nach (eventuell) einer weiteren Konjugation von G dürfen wir annehmen, dass Sˇ ; R2=3 2 G .

Beweis Zurzeit wissen wir nur, dass Sˇ und eine 3-Rotation R W x 7! a0 C R2=3 x zu G gehören. Fixiere ein von Null verschiedenes g in der Spiegelgeraden Gˇ . Wir wollen mit Ta konjugieren, wobei a D tg mit t 2 R. Dann ist Ta ı Sˇ ı Ta D Sˇ und Ta ı R ı Ta x D a0 C t.g  R2=3 g/ C R2=3 x. Da g und g  R2=3 g linear unabhängig sind, können wir t 2 R so wählen, dass a00 WD a0 C t.g  R2=3 g/ in Gˇ liegt. Wenn wir also mit T t a für dieses t konjugieren, so liegen Sˇ und die Rotation R0 W x 7! a00 C R2=3 x mit a00 2 Gˇ in G. Mit R0 gehört auch R00 WD Sˇ ı R0 ı Sˇ W x 7! a00 C R2=3 x zu G , denn wegen Lemma 2.2.4 (vi) ist Sˇ ı R2=3 ı Sˇ D R2=3 . Es folgt R0 ı R00 .x/ D a00 C R2=3 a00 C x, d. h. a00 C R2=3 a00 2 . Wir behaupten, dass das a00 2  impliziert, und dann wäre auch R2=3 D Ta00 ıR00 2 G wie behauptet. Wir diskutieren Fall 1 und Fall 2 gesondert: Fall 1: Schreibe a00 D ta0 für ein geeignetes t 2 R: So sehen alle Elemente aus Gˇ aus. Es ist R2=3 a0 D b0  a0 und folglich a00 C R2=3 a00 D ta0 C t.b0  a0 / D tb0 : Dieser Vektor gehört genau dann zu , wenn t 2 Z, es war also a00 D ta0 2 . Fall 2: Diesmal schreiben wir a00 D t.a0 C b0 /. Im vorliegenden Fall ist R2=3 b0 D a0  b0 und R2=3 a0 D b0 . Das impliziert   a00 C R2=3 a00 D t.a0 C b0 / C t .a0  b0 /  b0 D t.2a0  b0 /: Das ist genau dann ein Element von , wenn t 2 Z. Es folgt wieder a00 2  und damit  R2=3 2 G . Gruppe 11 Die Eigenschaft Es gibt Translationen und außer 3-Rotationen keine weiteren Rotationen. Außerdem gibt es Spiegelungen und Gleitspiegelungen, und alle Rotationszentren liegen auf einer Spiegelachse. Die offizielle Bezeichnung W31 oder p3m1. Die Analyse Wir können wegen des vorigen Satzes o. B. d. A. voraussetzen, dass R2=3 und Sˇ zu G gehören. Die Menge 2=3 der Rotationszentren kennen wir schon, diese Menge besteht aus  und den Mittelpunkten der erzeugten Dreiecke.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

83

Welche Spiegelrichtungen kann es geben? Sicher die Richtungen ˇ, ˇ C =3 und 2 ı Sˇ . Weitere ˇ C 2=3, denn diese Richtungen gehören zu Sˇ , R2=3 ı Sˇ und R2=3 Richtungen sind nicht möglich, denn dann würden Rotationen existieren, die keine 3Rotationen sind. Es folgt, dass wir uns im Fall 2 befinden, denn im Fall 1 liegen nicht alle Rotationszentren auf einer Spiegelachse. Sei S W x 7! sCSˇ eine Spiegelung in G mit Spiegelachsenrichtung ˇ. Wegen S ıSˇ D Ts ist s 2 , und s steht senkrecht auf Gˇ , ist also ein ganzzahliges Vielfaches von a0 b0 . Es folgt: Die Spiegelachsen Richtung ˇ verlaufen parallel zu Gˇ und gehen durch die Punkte n.a0  b0 /=2 für n 2 Z. Genauso lassen sich die Spiegelachsen in Richtung ˇ C =3 und ˇ C 2=3 explizit beschreiben, und auf diese Weise hat man einen Katalog aller Spiegelungen und nicht echten Gleitspiegelungen. Wie sieht es mit echten Gleitspiegelungen in G aus? Wir werden zur Identifizierung hier erstmals eine Strategie vorstellen, die auch in den späteren Abschnitten eine wichtige Rolle spielen wird. Wir verfahren wie folgt: Die Situation Gegeben sind eine Spiegelrichtung ˇ und eine ˛-Rotation. Wir nehmen an, dass Sˇ und R˛ zu G gehören und dass wir schon eine Basis a0 ; b0 von  identifiziert haben. Das Problem: Wie sehen die Gleitspiegelungen G 2 G in Richtung ˇ aus? Der erste Schritt Wir schreiben G als G W x 7! sCbCSˇ x (mit Sˇ s D s und Sˇ b D b). Dabei wissen wir noch nicht viel über s und b. Aber es ist G 2 D T2b , und folglich gilt 2b 2 . b kann also „einfach“ durch a0 ; b0 ausgedrückt werden. Und s ebenfalls: Man sucht sich den kürzesten Vektor v in , der orthogonal zur Spiegelachse ist, und kann (evtl. nach Übergang von G zu Tnv ı G für ein geeignetes n 2 Z) s o. B. d. A. als tv mit einem t 2 Œ0;5; 0;5 schreiben. Der zweite Schritt Wir betrachten G ı R˛ , das ist eine Spiegelung oder Gleitspiegelung, die Spiegelachse geht in Richtung ˇ  ˛=2. Für uns ist nur der Vorschub interessant: Das ist derjenige Vektor, der entsteht, wenn man s C b orthogonal auf die neue Spiegelachse projiziert. Um das zu berechnen, bestimme man zunächst die Projektionen von a0 ; b0 . Das Finale Die Projektion von s C b kann nun wegen der Vorbereitungen und der Linearität der Projektion explizit in der Form A.t/a0 C B.t/b0 angegeben werden, wobei A; B einfache Funktionen von t sind. Aber G ı R˛ gehört zu G , das Doppelte des Vorschubs muss also in  liegen. Das bedeutet 2A.t/; 2B.t/ 2 Z, und daraus kann dann das t leicht ermittelt werden. Im vorliegenden Fall wenden wir diese Strategie so an. G W x 7! s C b C Sˇ x (mit Sˇ s D s und Sˇ b D b) sei eine echte Gleitspiegelung mit Spiegelachse in Richtung ˇ in G . Für den Vorschub b muss 2b 2  gelten, d. h. wir dürfen (evtl. nach Abzug eines Vielfachen von a0 C b0 ) annehmen, dass b D .a0 C b0 /=2. (Beachte, dass b … , denn die Gleitspiegelung soll echt sein.) Und s steht senkrecht auf Gˇ , ist also schreibbar als

84

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

t.a0  b0 /, wobei (evtl. nach Abzug eines Vielfachen von a0  b0 ) angenommen werden darf, dass t 2 Œ0;5; 0; 5. Wir betrachten nun GıR2=3 , das ist eine Spiegelung oder Gleitspiegelung mit Spiegelachse Richtung ˇ  =3 (Lemma 2.2.4 (vi)). Um zu entscheiden, um was es sich handelt, berechnen wir die orthogonale Projektion P von s C b auf Gˇ=3 , das ist der Vorschub von G ı R2=3 . Es ist P a0 D 0 und P b0 D b0  a0 =2 : Dazu muss man nur elementare Eigenschaften gleichseitiger Dreiecke ausnutzen. So folgt   a0 C b0 P .s C b/ D P t.a0  b0 / C D .0;5  t/.b0  a0 =2/: 2 Das Doppelte dieses Vorschubvektors, also .0;5  t/.2b0  a0 / muss zu  gehören. Das ist für t 2 Œ0;5; 0; 5 nur dann möglich, wenn t D ˙0;5, wenn also s C b 2 fa0 ; b0 g. Echte Gleitspiegelungen in Richtung ˇ haben also die Form x 7! a0 C .na0 C mb0 / C Sˇ x oder x 7! b0 C .na0 C mb0 / C Sˇ x: Die Spiegelachsen gehen durch .0;5 C m/a0 (m 2 Z) und treffen die Punkte .0;5 C n/b0 (n 2 Z). Gleitspiegelachsen in Richtung ˇ C=3 und ˇ C2=3 werden analog behandelt. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt wie üblich aus der Möglichkeit der expliziten Beschreibung aller enthaltenen Bewegungen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 11

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

85

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 11)

Gruppe 12 Die Eigenschaft Es gibt Translationen und außer 3-Rotationen keine weiteren Rotationen. Außerdem gibt es Spiegelungen und Gleitspiegelungen, aber nicht alle Rotationszentren liegen auf einer Spiegelachse. Die offizielle Bezeichnung W32 oder p31m. Die Analyse Diesmal liegt Fall 1 vor. Die 3-Rotationen kennen wir schon, und wieder gibt es nur drei Spiegelachsenrichtungen: ˇ, ˇ C =3 und ˇ C 2=3. Die zu Gˇ orthogonalen Vektoren sind in diesem Fall die ganzzahligen Vielfachen von 2b0  a0 und damit sind alle Spiegelachsen und Spiegelungen identifiziert, die zur Richtung ˇ gehören. Auch sind dann alle nicht echten Gleitspiegelungen bekannt. Für die Beschreibung der echten Gleitspiegelungen gehen wir ähnlich vor wie bei Gruppe 11. Ist G eine echte Gleitspiegelung, so hat sie o. B. d. A. die Form x 7! a0 =2 C t.2b0  a0 / mit einem t 2 Œ0;5; 0;5. Diesmal gilt für die Projektion P auf die Spiegelachse Gˇ=3 : P a0 D .a0  b0 /=2, P b0 D .b0  a0 /=2. Folglich ist der Vorschub von G ı Sˇ gleich   P a0 =2 C t.2b0  a0 / D .1=4  3t=2/.a0  b0 /: Und wieder muss das Doppelte des Vorschubs, also .1=2  3t/.a0  b0 /, zu  gehören, und das ist für die t 2 Œ0;5; 0;5 nur für t D ˙0;5 möglich. Als einfachste echte Gleitspiegelungen erhalten wir also x 7! b0 C Sˇ x sowie x 7! a0  b0 C Sˇ x, und daraus können alle anderen leicht konstruiert werden (weiterer Vorschub na0 , weitere Verschiebung orthogonal zu Gˇ : m.b0  a0 /.) Die Spiegelachsen echter Gleitspiegelungen gehen damit durch die Punkte .0;25 C m=2/.a0  b0 / (n; m 2 Z). Gleitspiegelachsen in Richtung ˇ C =3 und ˇ C 2=3 werden analog identifiziert.

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3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Haben G , G 0 die hier geforderten Eigenschaften, so induziert der Katalog der auftretenden Bewegungen eine GruppenÄquivalenz. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 12

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 12)

3.5.5 Translationen, 4-Rotationen, Spiegelungen: 3 Gruppen Gruppe 13 Die Eigenschaft Es gibt Translationen und 4-Rotationen, aber keine Spiegelungen oder Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung oder p4. Die Analyse Es kann nur 2- und 4-Rotationen geben (Satz 3.5.4), und wir nehmen – nach Konjugation – wieder an, dass R2=4 2 G . Eine Basis von  ist schnell gefunden: Wähle a0 mit minimaler positiver Norm in  und setze b0 WD R2=4 a0 (vgl. Lemma 3.3.4).

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

87

Dann kennen wir aufgrund von Satz 2.3.4  und alle 2- und 4-Rotationszentren: Es sind die Punkte aus =2. Man kann es sich so vorstellen wie weiter unten bei der Visualisierung skizziert. Alles (4-Rotationen, 2-Rotationen, Translationen) ist explizit unter Verwendung von a0 ; b0 angebbar: Die Translationen sind die Tma0 Cnb0 , und die Rotationen sind genau die Verknüpfungen von Translationen mit Potenzen von R2=4 . Die Gruppentafel ist leicht zu erstellen. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt wieder daraus, dass wir einen Katalog aller Bewegungen in G haben, der nur a0 ; b0 verwendet. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 13

Visualisierung Nachstehend sind das Translationsgitter und die Rotationszentren skizziert. Rauten sind 2er-Zentren, kleine Quadrate 4er-Zentren. (Beachte: 4er Zentren sind gleichzeitig 2er-Zentren.)

Das Translationsgitter und die Rotationszentren für die Gruppe 13

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3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Weitere Vorbereitungen Was lässt sich aussagen, wenn G neben Translationen, 2- und 4-Rotationen weitere Bewegungen enthält? Es muss dann eine Spiegelung oder eine echte Gleitspiegelung geben. Wir wählen eine feste Translationsmasche, die von a0 und b0 aufgespannt wird. Diese Vektoren sind orthogonal und haben die gleiche Länge. Sei Gˇ eine dabei auftretende Spiegel- oder Gleitspiegelachse. Da Sˇ die Menge  invariant lässt (Satz 2.3.5), gibt es nur die folgenden Möglichkeiten für die Richtungen möglicher Symmetrieachsen8 :  Die Spiegelachse verläuft parallel zu einem Basisvektor, etwa parallel zu a0 .  Die Spiegelachse verläuft parallel zur Winkelhalbierenden zwischen den Basisvektoren. Nun machen wir uns die folgende Tatsache zunutze: Ist S Spiegelung oder Gleitspiegelung k (k D 0; 1; 2; 3) Spiegelungen oder Gleitspiegelungen in Richtung ˇ, so sind die S ı R2=4 in alle Richtungen ˇCk=4. In jedem der beiden Fälle ist also eine Spiegelrichtung dabei, die parallel zu a0 ist. Das bedeutet, dass wir nur zwei Fälle systematisch untersuchen müssen: Fall 1 Gˇ ist parallel zu a0 , und Gˇ ist die Spiegelachse einer Spiegelung. (Wir stellen uns Gˇ wieder waagerecht vor.) Es gibt also neben R2=4 auch eine Spiegelung S W x 7! s C Sˇ x in G , wo Ss D s. Da s senkrecht auf Gˇ steht, gilt s D tb0 für ein t 2 R. Zur Ermittlung von t wenden wir die in Abschnitt 3.5.4 unter „Gruppe 11“ beschriebene Strategie an. Wir betrachten S ı R2=4 . Das ist eine Gleitspiegelung mit Spiegelachse in Richtung ˇ  2=8 (45 Grad von links oben nach rechts unten). Für die Projektion P auf diese Spiegelachse (den Vorschub der zugehörigen Gleitspiegelung) gilt P a0 D .a0  b0 /=2 und P b0 D .b0  a0 /=2. Der Vorschub ist also t.b0  a0 /=2, und da das Doppelte des Vorschubs zu  gehören muss, folgt t 2 Z, d. h. s 2 . Dann aber ist auch Sˇ D Ts ı S 2 G . Es folgt, dass man die Spiegelungen (und damit die unechten Gleitspiegelungen) mit Spiegelachse in Richtung ˇ explizit beschreiben kann: Es sind die ma0 C nb0 C Sˇ . Die Spiegelachsen gehen durch nb0 =2 für n 2 Z. Und welche echten Gleitspiegelungen in dieser Richtung, also Abbildungen der Form G D sCbCSˇ mit Sˇ s D s und Sˇ b D b gibt es? Das Doppelte des Vorschubs, also 2b, muss zu  gehören; und wenn die Gleitspiegelung echt ist, muss b …  sein. Es ist also (evtl. nach Kombination mit Tna0 für ein geeignetes n 2 Z) b D a0 =2. Und s können wir als tb0 schreiben, wobei o. B. d. A. t 2 Œ0;5; 0;5 gilt. Wie eben gehen wir zu G ı R2=4 über. Der Vorschub dieser Gleitspiegelung ist P .s C b/ D .1=2  t/.a0  b0 /=2. Das Doppelte muss in  sein, und das geht nur für t D ˙1=2, d. h. im Fall sCb D .a0 ˙b0 /=2. 8

Wohlgemerkt: Das gilt nur für die Richtungen. Die wirklichen Spiegelgeraden können dazu parallelverschoben sein.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

89

Kann es gleichzeitig Spiegelungen und echte Gleitspiegelungen geben? Dann wären Sˇ und G W x 7! .a0 ˙b0 /=2CSˇ x in G , also auch GıSˇ D T.a0 ˙b0 /=2 . Es würde .a0 ˙b0 /=2 2  folgen, ein Widerspruch. Kurz: Spiegelungen und echte Gleitspiegelungen können im hier betrachteten Fall nicht koexistieren. Fall 2 Gˇ ist parallel zu a0 , und es gibt keine Spiegelung, deren Spiegelachse parallel zu Gˇ ist. Dann muss es eine echte Gleitspiegelung geben, und wir wissen schon, wie die explizit beschrieben werden kann. Zusammen heißt das: Entweder gibt es mit Spiegelachsen parallel zu a0 nur Spiegelungen und nicht echte Gleitspiegelungen oder nur echte Gleitspiegelungen. Gruppe 14 Die Eigenschaft Es gibt Translationen und 4-Rotationen. Parallel zu den Seiten des minimalen Translationsquadrats gibt es nur Achsen von Spiegelungen und nicht echten Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W41 oder p4m. Die Analyse Wir sind also in Fall 1. Alle Spiegelungen mit Spiegelachse parallel zu a0 k können explizit beschrieben werden, und durch Multiplikation mit R2=4 (k D 1; 2; 3) erhält man die Spiegelungen in Richtung der anderen möglichen Achsen: In Richtung ˇ C =2 gibt es wieder nur Spiegelungen und nicht echte Gleitspiegelungen, in den Richtungen ˇ ˙ =4 gibt es Spiegelungen und sowohl echte als auch nicht echte Gleitspiegelungen. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt wie bisher aus der Möglichkeit, alle Elemente derartiger Gruppen explizit nach Wahl einer -Basis zu beschreiben. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 14

90

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 14)

Gruppe 15 Die Eigenschaft Es gibt Translationen und 4-Rotationen. Parallel zu den Seiten des minimalen Translationsquadrats gibt es nur Achsen von echten Gleitspiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W42 oder p4g. Die Analyse Diesmal sind wir in Fall 2: nur echte Gleitspiegelungen mit Spiegelachse parallel zu a0 . Wieder ist alles explizit beschreibbar. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Da argumentieren wir wie bisher. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 15

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

91

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 15)

3.5.6 Translationen, 6-Rotationen, Spiegelungen: 2 Gruppen Gruppe 16 Die Eigenschaft Es gibt nur Translationen, 2-, 3- und 6-Rotationen. Die offizielle Bezeichnung W6 oder p6. Die Analyse Man darf o. B. d. A. annehmen, dass R2=6 2 G . Da dann auch 2-Rotationen 3 2 ) und 3-Rotationen (R2=6 ) zu G gehören, können alle Bewegungen und (nämlich R2=6 Rotationszentren aus schon bekannten Ergebnissen abgelesen werden. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Man muss bei zwei Gruppen mit dieser Eigenschaft nur durch Konjugation erreichen, dass R2=6 dazugehört und dann jeweils Basen von  wählen, die einen Winkel von 60 Grad einschließen. Dann gibt es – indiziert durch die Basen – identische Kataloge aller Bewegungen in beiden Gruppen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 16

92

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Visualisierung Man sieht die 6-, 3- und 2-Rotationszentren: Sechsecke, Dreiecke, Rauten. 3- und 2-Zentren, die auch 6-Zentren sind, wurden nicht eingezeichnet.

Das Translationsgitter und die Rotationszentren für die Gruppe 16

Gruppe 17 Die Eigenschaft Es gibt Translationen, 2-, 3- und 6-Rotationen sowie Spiegelungen. Die offizielle Bezeichnung W61 oder p6m. Die Analyse Es ist verführerisch, die Ergebnisse aus den Abschnitten 3.5.3 und 3.5.4 auszunutzen, denn mit R2=6 gibt es ja auch 2- und 3-Rotationen. Es ist aber bequemer, die in den vorigen Abschnitten verwendeten Techniken noch einmal anzuwenden. Starte also mit einer Basis a0 ; b0 von , wobei a0 minimale Norm hat und b0 aus a0 durch eine 60-Grad-Rotation gegen den Uhrzeigersinn entsteht. Nun gebe es eine Spiegel- oder Gleitspiegelachse Richtung ˇ. Da  unter Sˇ invariant sein muss, kommen nur wenige Richtungen in Frage, und Drehungen der erlaubten Spiegelachsen um 30 Grad führen auch zu erlaubten Spiegelachsen. (Dazu muss man nur mit R2=6 multiplizieren.) Und das heißt, dass eine zulässige Spiegelachse parallel zu a0 verläuft. Wie sehen dann mögliche Spiegelungen aus? Wieder wenden wir die bei der Analyse von Gruppe 11 beschriebene Strategie an. Es müssen Bewegungen des Typs S D t.2b0  a0 / C Sˇ sein, wo wir t 2 Œ0;5; 0;5 erreichen können. Gehen wir zu S ı R2=6 über, so ist das eine Spiegelung in Richtung ˇ  =6, und das Doppelte des Vorschubs liegt genau dann in , wenn t D 0. Das heißt, es war S D Sˇ , und folglich sind alle Spiegelungen in dieser Richtung durch n.2b0  a0 / C Sˇ (mit n 2 Z) gegeben. Wir analysieren nun echte Gleitspiegelungen. Sie können – mit einem t im Intervall Œ0;5; 0;5 – in die Form G D a0 =2 C t.2b0  a0 / C Sˇ gebracht werden. Der doppelte Vorschub für G ı R2=6 ist genau dann in , wenn t D ˙1, d. h. es ist S D a0  b0 C Sˇ oder S D b0 C Sˇ . Zusammen heißt das:  Liegt eine Spiegelung in G , so auch echte Gleitspiegelungen, und alle sind bekannt.  Liegt eine echte Gleitspiegelung in G , so auch Spiegelungen, und alle sind bekannt.

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

93

Man kann also davon ausgehen, dass Sˇ 2 G , und damit sind alle Spiegelungen und Gleitspiegelungen in die möglichen Richtungen ˇCk=6 (k D 0; : : : ; 5) explizit beschreibbar. Je zwei Gruppen dieses Typs sind äquivalent Das folgt aus den vorstehenden Überlegungen. Es gibt ein Beispiel, und das ist sogar eine Symmetriegruppe

Die Symmetriegruppe ist die Gruppe 17

Visualisierung a

b

a Translationsgitter und die Rotationszentren. b Symmetrieachsen (Gruppe 17)

3.5.7 Klassifikation: Ein Test Nachstehend sieht man 17 Bilder, die jeweilige Symmetriegruppe ist eine der ebenen Kristallgruppen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, sind eingeladen, die jeweils richtige Gruppe zu identifizieren. Die richtigen Lösungen finden Sie am Ende dieses Abschnitts.

94

Beispiel 1

Beispiel 2

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

Beispiel 3

Beispiel 4

95

96

Beispiel 5

Beispiel 6

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

Beispiel 7

Beispiel 8

97

98

Beispiel 9

Beispiel 10

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

Beispiel 11

Beispiel 12

99

100

Beispiel 13

Beispiel 14

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

3.5 Die 17 ebenen Kristallgruppen

Beispiel 15

Beispiel 16

101

102

3

Die diskontinuierlichen Symmetriegruppen der Ebene

Beispiel 17

Haben Sie die jeweils richtige Symmetriegruppe gefunden? Vergleichen Sie: 1

2

3

4

5

6

7

8

9

Gruppe

W3

W21

W13

W24

W1

W11

W22

W61

W4

Beispiel

10

11

12

13

14

15

16

17

W6

W62

W32

W41

W23

W31

W2

W12

Beispiel

Gruppe

4

Die Heesch-Konstruktionen

Der deutsche Mathematiker Heinrich Heesch (1906–1995) hat die Frage untersucht, wie man die vorstehenden theoretischen Ergebnisse konkret umsetzen kann. Was muss man tun, um ein Bild mit vorgelegter Symmetriegruppe zu entwerfen? Heesch, der übrigens auch bahnbrechende Fortschritte zur Lösung des Vierfarbentheorems gemacht hat, gab in dem Buch „Flächenschluss“ (von 1963, zusammen mit O. Kienzle) eine Liste von 28 Konstruktionsmöglichkeiten für Fundamentalbereiche an. Er verpackte die Frage allerdings in ein Ingenieurproblem: Welche Formen lassen sich ohne Verschnitt aus einem Blech stanzen? Im vorliegenden Kapitel wollen wir diese Heesch-Konstruktionen beschreiben. Wir beginnen mit wichtigen Vorbereitungen in Abschnitt 4.1, dadurch wird die Anzahl der Situationen, die man untersuchen muss, wesentlich eingeschränkt. In Abschnitt 4.2 wird skizziert, wie man zu den Konstruktionen kommt, wir studieren exemplarisch einige Beispiele. Und in Abschnitt 4.3 folgt dann eine systematische Zusammenstellung der Verfahren. In dem empfehlenswerten Buch „Heinrich Heesch“ von Hans-Günther Bigalke erfährt man viel über die Höhen und Tiefen von Heeschs Leben. Seine Kindheit und Jugendzeit bis zum Abitur (1925) verbrachte er in Kiel. Er war ein guter Schüler, und schon früh zeigte sich, dass er auch musikalisch begabt war: Er spielte hervorragend Geige. Er studierte dann in München, sein Hauptfach war Physik, insbesondere Atomphysik. Parallel dazu setzte er seine musikalische Ausbildung fort, er wurde schon in jungen Jahren Konzertmeister für Violine. Dann ging er zum Promovieren nach Zürich. Das Thema seiner Dissertation stammte aus der Kristallographie, es ging um ein Klassifizierungsproblem. So hatte er seinen Schwerpunkt von der Physik in die Mathematik verlagert. Er publizierte seine Ergebnisse und war in der mathematischen Welt als begabter Nachwuchswissenschaftler anerkannt. 1930 ging er als Assistent von Hermann Weyl nach Göttingen, dem damaligen Mekka der Mathematik in Deutschland. Eigentlich hätte nun der nächste Schritt einer akademischen Standardkarriere in Angriff genommen werden müssen, die Habilitation. Doch inzwischen hatten die National© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_4

103

104

4 Die Heesch-Konstruktionen

sozialisten die Macht übernommen, und das führte zu dramatischen Veränderungen an den Hochschulen. Viele Wissenschaftler (auch Hermann Weyl) verließen Deutschland, und angehende Habilitanden sollten mehrwöchige Wehrerziehungslager und ideologische Schulungen absolvieren. Heeschs Habilitation wurde nicht empfohlen, und er verließ die Hochschule. Seine wirtschaftliche Situation war über viele Jahre kritisch, für längere Zeit musste er von seinen Eltern finanziell unterstützt werden. Seine Spezialkenntnisse über Parkettierungen sollten sich aber für ihn sehr günstig auswirken. Die Interpretation von Parkettierungen als die Möglichkeit des verlustlosen Stanzens von Blechen wurde als kriegswichtig angesehen. Er musste nicht an die Front, vielmehr arbeitete er als Berater für Industrieunternehmen. In der Nachkriegszeit war er dann „Privatgelehrter“ in Kiel, wo er auch zeitweise als Lehrer an einem Gymnasium arbeitete. Es gab zwei Schwerpunkte in seinem wissenschaftlichen Leben. Zum einen verfolgte er weiter die Parkettierungsprobleme. Darüber habilitierte er auch 1957 und konnte so an der Universität Hannover als Privatdozent Fuss fassen. Der größte Teil seiner wissenschaftlichen Anstrengungen in diesen Jahren wurde allerdings der Lösung des Vierfarbenproblems gewidmet: Kann man jede Landkarte so mit vier Farben einfärben, dass benachbarte Länder verschieden gefärbt sind? Er entwickelt die meisten derjenigen Methoden, mit denen das Vierfarbenproblem dann 1977 von Appel und Haken gelöst wurde. Computer spielten in diesem Beweis eine wesentliche Rolle, und Heesch stand kurz vor einer endgültigen Lösung. Er konnte die Deutsche Forschungsgemeinschaft aber nicht davon überzeugen, ihm die notwendige Rechenzeit zu finanzieren. Das Kapitel beginnt mit dem Studium von Gittern und Netzen, sie ermöglichen so etwas wie eine kombinatorische Begründung der später zu beschreibenden „Baupläne“. Wir motivieren kurz, wie sich aus Netzen Konstruktionsvorschriften ergeben, danach werden die 28 Heeschkonstruktionen erläutert und durch Beispiele illustriert.

4.1

Gitter und Netze

Im vorigen Kap. 3 spielte die Menge  der a 2 R2 mit Ta 2 G eine wichtige Rolle. Wenn G die Symmetriegruppe zu einem Bild F ist, so reicht es offensichtlich, den Ausschnitt von F in einer Translationsmasche zu kennen, um F rekonstruieren zu können. Meist reicht sogar viel weniger, wenn nämlich G nicht nur Translationen enthält. Wir haben gesehen, dass es gar nicht so viele prinzipiell verschiedene  gibt. Je nach Gruppe kann auftreten:     

das allgemeine Gitter Za C Zb; das rhombische Gitter (die Maschen sind rhombenförmig); das rechteckige Gitter; das quadratische Gitter; das hexagonale Gitter (die Maschen sind gleichseitige Dreiecke).

4.1 Gitter und Netze

105

Hier sind sie noch einmal zusammengestellt:

Das allgemeinste Gitter und ein rhombisches Gitter

Das rechteckige Gitter und das quadratische Gitter

Das hexagonale Gitter

Dann weiß man zum Beispiel: Wenn das Bild 6-Rotationen als Symmetrien haben soll, so muss das Translationsgitter hexagonal sein. Diese Information reicht natürlich nicht aus, um sehr allgemeine Fundamentalbereiche zu konstruieren. Da wollen wir allzu pathologische Beispiele nicht zulassen, es geht ja um praktisch umsetzbare Ergebnisse1 . Deswegen vereinbaren wir: 1

Zur Erinnerung: Bei Heesch/Kienzle war das Ziel, Werkstücke verlustlos aus Blech zu stanzen.

106

4 Die Heesch-Konstruktionen

Wir wollen beschränkte F  R2 so konstruieren, dass gilt:  F ist abgeschlossen, einfach zusammenhängend, und F ist der Abschluss des Inneren.  Der Rand von F ist eine stückweise glatte Kurve.  F ist Fundamentalbereich zu einer der 17 ebenen Kristallgruppen. Am Ende soll ein Verfahren zur Konstruktion solcher F bei vorgegebener Symmetriegruppe stehen. Angenommen, wir haben so ein F . Durch Wirkung der Gruppenoperationen auf F wird doch die Ebene lückenlos ausgefüllt, und Überlappungen gibt es nur an den Rändern. Das hat die folgende Konsequenz: Man kann den Rand von F so als Folge aufeinanderfolgender Kurvenstücke 0 ; : : : ; r1 schreiben, dass gilt:  Zu jedem i gibt es ein j , so dass i durch ein geeignetes T 2 G (mit T ¤ Id) in j überführt wird.  Bezeichnet man die Endpunkte von i mit Pi ; Pi C1 (es ist also P0 D Pr ), so stoßen an den Pi mehrere Kopien von F zusammen (es sind mindestens 3). Der Fundamentalbereich F gibt also Anlass zu einer Folge v0 ; : : : ; vr1 : Dabei steht vi für die Anzahl der F -Kopien, die bei Pi zusammenkommen. Stellt man sich von den F -Kopien nur die Ränder vor, so ist vi die Anzahl der „Kanten“, die bei Pi zusammentreffen. Betrachten wir als Beispiel ein unendlich ausgedehntes quadratisches Raster, so sind alle Ta mit a 2 Z2 Symmetrien. Man kann ein Quadrat F als Fundamentalbereich wählen, die vier Seiten sind die 0 ; : : : ; 3 , und die Folge der Vielfachheiten ist 4; 4; 4; 4. Dieses „graphentheoretische Kondensat“ der Pflasterung der Ebene durch Kopien von F heißt ein Netz. Präzise:

Definition 4.1.1

Ein Netz ist ein unendlicher Graph in der Ebene, bei der die Maschen durch Bewegungen auseinander hervorgehen. Wenn man die Ecken durchläuft (im Uhrzeigersinn oder im Gegen-Uhrzeigersinn), so gibt ein Netz Anlass zu einer endlichen Folge v0 ; : : : ; vr1 : Die Zahl r ist die Anzahl der Ecken in einer Masche, und vi 2 f3; 4; : : :g gibt an, wie viele Kanten in der i-ten Ecke zusammenkommen. (Da man bei jedem Punkt der Masche anfangen kann, die vi aufzuführen, und da man die Ecken links- oder rechtsherum durchlaufen kann, ist die Folge v0 ; : : : ; vr1 nur bis auf zyklische Permutation und Umkehrung der Reihenfolge eindeutig.)

4.1 Gitter und Netze

107

Als Beispiele betrachten wir ein .6; 6; 6/-Netz und ein .4; 3; 4; 3; 3/-Netz:

Ein .6; 6; 6/-Netz und ein .4; 3; 4; 3; 3/-Netz

Zunächst geht es darum zu verstehen, was für Netze überhaupt auftreten können. Überraschender Weise gibt es für die Zahlen v0 ; : : : ; vr1 nur wenige Möglichkeiten:

Satz 4.1.2 (Laves)

Es gilt r1 X 1 r D  1: v 2 i D0 i

Beweis Der Beweis beruht auf dem Eulerschen Polyedersatz: Ist eine Fläche in der Ebene durch einen umrandenden Streckenzug gegeben und unterteilt man die Fläche durch endlich viele Strecken in Teilflächen, so gilt: (Anzahl der Ecken) minus (Anzahl der Kanten) plus (Anzahl der Teilflächen) gleich Eins. Kürzt man die fraglichen Anzahlen durch E; K; F ab, so gilt also E  K C F D 1. Nun stellen wir uns vor, dass wir ein Netz vorgelegt haben. Wir betrachten einen riesigen, aus N Maschen bestehenden Ausschnitt, der durch einen beinahe kreisförmigen Streckenzug berandet wird. Für diesen Teil ist offensichtlich F D N . Jede Kante (mit Ausnahme der Kanten am Rand) ist von zwei Flächen begrenzt, und jede Fläche hat r Kanten. In guter Näherung darf also K durch rN=2 ersetzt werden. Und wie viele Ecken gibt es? An der jeweils i-ten Ecke einer Masche treffen vi Flächen zusammen, Ecken dieses Typs gibt es also N=vi , und die Gesamtzahl ist N.1=v0 C1=v1 C   C1=vr1 /. Auch hier haben wir ein bisschen vereinfacht, denn das gilt nur für die Ecken im Innern unseres Netzausschnitts. Zusammen heißt das aufgrund der Eulerformel

N

r1 X 1 Nr  C N E  K C F D 1: v 2 i D0 i

108

4 Die Heesch-Konstruktionen

P r 1 Nach Teilen durch N ist also r1 i D0 vi  2 C 1 beliebig nahe bei 0, und das beweist die Behauptung. Im Beweis wurde allerdings ein bisschen vereinfacht. Bei einer genaueren Analyse müsste man berücksichtigen, dass man p es so einrichten kann, dass die Größenordnung der Anzahl der Randmaschen gleich N ist. (Man denke an ein M  M -Quadrat aus  quadratischen Maschen. Da ist N D M 2 , und es gibt 4M  4 Randmaschen.) Der Satz von Laves eröffnet die Möglichkeit, systematisch alle Kandidaten zu finden. Eine unmittelbare Folgerung ist, dass r höchstens gleich 6 sein kann: Es gilt doch vi  3, also ist die links stehende Summe höchstens gleich r=3: X 1 r r  ; 1D 2 v 3 i D0 i r1

und das impliziert r  6. Und dann kann man mit Computerhilfe alle Tupel v0 ; : : : ; vr1 mit r  6 und v0  v1      vr1 finden, welche diese Bedingung erfüllen. Es zeigt sich:  Im Fall r D 3 sind möglich: .6; 6; 6/

.8; 8; 4/

.10; 5; 5/ .12; 6; 4/ .12; 12; 3/

.15; 10; 3/ .18; 9; 3/ .20; 5; 4/ .24; 8; 3/ .42; 7; 3/  Im Fall r D 4 sind möglich: .4; 4; 4; 4/

.6; 4; 3; 4/ .6; 4; 4; 3/

.6; 6; 3; 3/ .12; 4; 3; 3/

 Im Fall r D 5 sind möglich: .4; 4; 3; 3; 3/ und .6; 3; 3; 3; 3/.  Im Fall r D 6 ist nur .3; 3; 3; 3; 3; 3/ möglich. Um konkrete Netze zu diesen Zahlen zu finden, müssen Permutationen der vorstehenden Tupel natürlich auch berücksichtigt werden, mit .6; 6; 3; 3/ also auch .6; 3; 3; 6/, .3; 6; 3; 6/ usw. Doch welche dieser geordneten Tupel können durch Netze realisiert werden? Bei denen, für die es nicht geht, muss ein Beweis geführt werden, und bei den anderen ist ein Beispiel zu geben. Exemplarisch zeigen wir:

Satz 4.1.3

Es gibt kein .6; 6; 3; 3/-Netz.

4.1 Gitter und Netze

109

Beweis Angenommen, man würde doch ein .6; 6; 3; 3/-Netz finden. Wir zeichnen eine beliebige Masche F ein (siehe das nachstehende Bild) und betrachten die Masche F 0 , die an die 6-6-Kante angrenzt.

Es gibt kein 6633-Netz

Notwendig liegt gegenüber eine 3-3-Kante, doch wie kann es nach unten und links weitergehen? Die zu F 0 an der unteren 3-6-Kante benachbarte Masche F 00 müsste nach der 6 im Uhrzeigersinn eine 6-Verzweigung haben, und da, wo das „?“ steht, sollte eine 3 stehen. Das kann aber nicht sein. Wenn nämlich die zu F 0 an der 3-3-Kante benachbarte Masche mit F 000 bezeichnet wird, so bleiben für die restlichen Ecken von F 000 nur die Verzweigungsanzahlen 6 und 6. An der Ecke mit dem „?“ kann aber nicht gleichzeitig  eine 6 und eine 3 stehen. Und das Positive? Es gibt (bis auf zyklische Permutation und Inversion der vi ) genau 11 Netze, nämlich: Für r D 3 die Netze .6; 6; 6/; .12; 6; 4/; .12; 12; 3/; .8; 8; 4/. Für r D 4 die Netze .4; 4; 4; 4/; .6; 3; 6; 3/; .6; 4; 3; 4/. Für r D 5 die Netze .4; 3; 4; 3; 3/; .4; 4; 3; 3; 3/; .6; 3; 3; 3; 3/. Für r D 6 das Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Hier folgen Beispiele (zwei kennen wir schon):

Die Netze .6; 6; 6/ und .12; 6; 4/

110

Die Netze .12; 12; 3/ und .8; 8; 4/

Die Netze .4; 4; 4; 4/ und .6; 3; 6; 3/

Die Netze .6; 4; 3; 4/ und .4; 3; 4; 3; 3/

Die Netze .4; 4; 3; 3; 3/ und .6; 3; 3; 3; 3/

4 Die Heesch-Konstruktionen

4.2 Die Heesch-Konstruktionen: Motivation

111

Das Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/

4.2 Die Heesch-Konstruktionen: Motivation Unter Verwendung der Ergebnisse des vorigen Abschnitts sollen nun Fundamentalbereiche konstruiert werden. Man weiß doch:  Ist F ein Fundamentalbereich, so geben die T .F / mit T 2 G Anlass zu einem Netz. Schreibt man also die Randstücke von F als 0 ; : : : ; r1 , so ist 3  r  6, und für jedes i gibt es eine Gruppenoperation T und ein j mit T .i / D j .  Es gibt zwei unabhängige Translationsrichtungen, so dass die Ebene durch Translationen einer Menge F 0 in diese Richtungen lückenlos gefüllt wird. Dabei ist F 0 die Vereinigung gewisser T .F /. Mal angenommen, ein i geht durch eine Translation Ta in ein j über. Dann können i und j im Rand von F nicht direkt benachbart sein. Andererseits gibt es in vielen Fällen keine weiteren Einschränkungen, man definiert:

Definition 4.2.1

Es seien P1 ; P2 verschiedene Punkte der Ebene. Eine freie Linie von P1 nach P2 ist dann eine stetige überschneidungsfreie Kurve von P1 nach P2 .

Hier wollen wir nur Kurven zulassen, die nicht zu pathologisch sind: Wir werden uns auf Linien beschränken, die in irgendeinem künstlerischen oder technischen Zusammenhang relevant sein könnten, und da reicht es völlig aus, wenn wir nur stetige stückweise glatte Kurven zulassen.

112

4 Die Heesch-Konstruktionen

Und was ist zu beachten, wenn auf i eine Drehung um  angewendet wird? Dann muss doch i beim Drehen um den Mittelpunkt um 180 Grad in sich übergehen. Das führt zu

Definition 4.2.2

Es seien P1 ; P2 verschiedene Punkte der Ebene. Eine C -Linie2 von P1 nach P2 ist dann eine freie Linie, die zusätzlich die folgende Eigenschaft hat: Dreht man sie um .P1 C P2 /=2 um den Winkel , so geht sie in sich über.

Hier sind einige Beispiele für C -Linien:

Beispiele für C -Linien

Und nun kann es losgehen. Als einführendes Beispiel nehmen wir an, dass G nur Translationen enthält und dass der Fundamentalbereich das Netz .4; 4; 4; 4/ erzeugt. Dann wird F aus vier Randstücken 0 ; 1 ; 2 ; 3 bestehen, und 0 (bzw. 1 ) wird durch eine Translation in 1 (bzw. 2 ) überführt. Anders ausgedrückt: Man kann vier Punkte frei wählen, die ein Parallelogramm aufspannen und kann sich dann zwei freie Linien aussuchen. Durch Verschieben wird der Fundamentalbereich einer Gruppe erzeugt, die nur aus Translationen besteht. Hier ein Beispiel:

Zwei freie Linien erzeugen einen Fundamentalbereich

2

Das „C“ soll an „center“ erinnern.

4.2 Die Heesch-Konstruktionen: Motivation

113

Lässt man die Translationen darauf wirken, so entsteht die folgende Parkettierung3 :

Die davon erzeugte Parkettierung

Das ist auch schon die erste Heeschkonstruktion, man bezeichnet sie mit T T T T . Das „T “ steht für Translation, allgemeiner durchläuft man die Kanten des Fundamentalbereichs und beschreibt durch einen Buchstaben, welche Gruppenoperation darauf wirkt. Folgende Abkürzungen werden verwendet: „T “ „C “ „C3 “ „C4 “ „C6 “ „G“

für „Translation“; für „Drehung um 180 Grad, also eine 2-Rotation“; für „3-Rotation“; für „4-Rotation“; für „6-Rotation“; für „Gleitspiegelung“.

Für ein weiteres Beispiel nehmen wir an, dass es um das Netz .6; 6; 6/ geht. F besteht dann aus drei Randstücken, und die kann man alle als C -Linien zwischen drei frei gewählten Punkten konstruieren. Ein möglicher Fundamentalbereich könnte dann so aussehen4 :

Drei C -Linien erzeugen einen Fundamentalbereich

3

Damit es etwas interessanter aussieht, sind hier und in den folgenden Beispielen die Kopien des Fundamentalbereichs unterschiedlich gefärbt. 4 Die Mittelpunkte der C -Linien sind rot markiert.

114

4 Die Heesch-Konstruktionen

Es wird bequem sein, so viele der erlaubten Gruppenoperationen anzuwenden, dass ein F 0 entsteht, dass man nur noch verschieben muss, um die Ebene zu füllen. So ein F 0 wollen wir eine Translationsmasche nennen. Im vorliegenden Fall müssen wir nur F an irgendeinem Drehzentrum einer C -Linie drehen. Nachstehend sieht man die so entstehende Translationsmasche und die zugehörige Parkettierung (die Translationsvektoren sind auch eingezeichnet):

Die Translationsmasche und die Parkettierung

Das war die Heeschkonstruktion Nummer 3, man kürzt sie als C C C ab. Spiegelungen treten in den Heeschkonstruktionen nicht auf: Spiegelsymmetrien müssen durch spezielle Wahlen der auftretenden freien Linien und C -Linien ermöglicht werden. Heesch hat dann systematisch untersucht, welche Buchstaben aus der Menge fT; C; C3 ; C4 ; C6 ; Gg für die i in 0 ; : : : ; r1 eingesetzt werden können, wenn man weiß, dass eines der weiter oben gefundenen 11 Netze zugrundeliegt. Das können wir hier nicht reproduzieren, die Herleitung wäre sehr umfangreich und würde viele weitere Vorbereitungen erfordern.

4.3

Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

Nun werden die Heeschkonstruktionen systematisch beschrieben, wir folgen der Darstellung im Buch von Heesch-Kienzle.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

115

Die Heeschkonstruktion 01 Name T T T T . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Wähle Punkte A und B beliebig und dann eine freie Linie zwischen A und B (vgl. das nachstehende Bild). Verschiebe sie zu einer Linie von C nach D, der Verschiebungsvektor ist beliebig. Wähle eine zweite freie Linie von A nach C (die linke Begrenzungslinie) und verschiebe sie so, dass sie B mit D verbindet. Damit ist der Fundamentalbereich schon fertig. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Eine. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 01: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 01: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p1; zur Notation vgl. Abschnitt 3.5. Bei spezieller Wahl der freien Linien (spezielle Winkel zwischen den Kanten, symmetrische Linien) können hier und in den folgenden Beispielen auch größere Gruppen als Symmetriegruppen auftreten.

116

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 02 Name T T T T T T . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Drei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Wähle A und B beliebig und dann eine freie Linie zwischen A und B. Verschiebe sie zu einer Linie von C nach D, der Verschiebungsvektor ist beliebig. Wähle dann – mit einem beliebigen Punkt E – eine freie Linie von A nach C und verschiebe sie so, dass sie D und F verbindet. (E wandert also nach D und A nach F ). Nun verbinde mit einer dritten freien Linie E und C , die dann noch zu einer Verbindungslinie von B nach F verschoben werden muss. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Eine. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 02: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 02: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Auch hier ist die Symmetriegruppe im allgemeinen Fall die p1.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

117

Die Heeschkonstruktion 03 Name C C C . Das zugrunde liegende Netz .6; 6; 6/. Was kann man vorgeben? Drei C -Linien. Konstruktionsbeschreibung Wir zeichnen drei beliebige Punkte A, B und C in die Ebene und verbinden A und B, B und C , C und A jeweils durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 03: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 03: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p2.

118

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 04 Name C C C C . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Vier C-Linien. Konstruktionsbeschreibung Diesmal zeichnen wir vier Punkte A, B, C und D in die Ebene und verbinden A und B, B und C , C und D, D und A jeweils durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 04: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 04: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p2.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

119

Die Heeschkonstruktion 05 Name T C T C . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie, zwei C-Linien. Konstruktionsbeschreibung Es beginnt wie bei T T T T mit einer freien Linie von A nach B, die zu einer Linie von C nach D verschoben wird. Dann werden A und D sowie B und D jeweils mit einer C -Linie verbunden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 05: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 05: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p2.

120

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 06 Name T T T T . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie, drei C-Linien. Konstruktionsbeschreibung Zeichne eine freie Linie von A nach B und verschiebe sie zu einer Linie von C nach D. Wähle einen beliebigen weiteren Punkt E und verbinde dann A und C , B und E, E und D jeweils mit einer C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 06: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 06: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p2.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

121

Die Heeschkonstruktion 07 Name T C C T C C . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie, vier C-Linien. Konstruktionsbeschreibung Zeichne eine freie Linie von A nach B und verschiebe sie zu einer Linie von C nach D. Wähle zwei beliebige weitere Punkte E und F verbinde dann A und E, E und C , B und F, F und D jeweils mit einer C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Eine. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 07: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 07: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p2.

122

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 08 Name C3 C3 C3 C3 . Das zugrunde liegende Netz .6; 3; 6; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Zeichne eine freie Linie von A nach B und drehe sie um 120 Grad um B; der Endpunkt der gedrehten Linie ist C . Spiegele B an der Geraden AC , das wird Punkt D. Ziehe dann eine zweite freie Linie von A nach D und drehe sie (um D) um einen Winkel von 120 Grad. Dadurch sind dann D und C verbunden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Drei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 08: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 08: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p3.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

123

Die Heeschkonstruktion 09 Name C3 C3 C3 C3 C3 C3 . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Drei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Drehe die freie Linie von A nach B um 120 Grad um A nach C . Wähle einen beliebigen Punkt D und zeichne eine freie Linie von C nach D, die dann um D um 120 Grad nach E gedreht wird. Bestimme F so, dass ADF ein gleichseitiges Dreieck bildet. Dann ist noch eine freie Linie von E nach F zu zeichnen, die um F um 120 Grad nach B gedreht wird. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Drei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 09: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 09: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p3.

124

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 10 Name C C3 C3 . Das zugrunde liegende Netz .12; 12; 3/. Was kann man vorgeben? Eine C -Linie und eine freie Linie. Konstruktionsbeschreibung Es beginnt mit einer freien Linie von A nach B, die um B um 120 Grad nach C zu drehen ist. Verbinde dann A und C mit einer C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Sechs. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 10: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 10: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p6.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

125

Die Heeschkonstruktion 11 Name C C6 C6 . Das zugrunde liegende Netz .6; 6; 6/. Was kann man vorgeben? Eine C -Linie und eine freie Linie. Konstruktionsbeschreibung Die Anleitung ist wie im vorstehenden Fall, doch ist diesmal nur um 60 Grad zu drehen. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Sechs. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 11: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 11: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p6.

126

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 12 Name C3 C3 C6 C6 . Das zugrunde liegende Netz .6; 3; 6; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Ziehe eine freie Linie von A nach D und drehe sie um 120 Grad um D nach C . Wähle B so, dass die Punkte A, B und C ein gleichseitiges Dreieck bilden. Zeichne eine freie Linie von A nach B und drehe sie um 60 Grad um B nach C . Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Sechs. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 12: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 12: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p6.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

127

Die Heeschkonstruktion 13 Name C C3 C3 C6 C6 . Das zugrunde liegende Netz .6; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Es beginnt mit einer freien Linie von A nach B, die um A um 120 Grad nach C zu drehen ist. Nun ist ein beliebiger Punkt D zu wählen, und B und D sollen mit einer freien Linie verbunden werden. Diese freie Linie wird dann um 60 Grad um D nach E gedreht, und zum Abschluss sind E und C mit einer C -Linie zu verbinden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Sechs. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 13: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 13: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p6.

128

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 14 Name C C4 C4 . Das zugrunde liegende Netz .8; 8; 4/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Es ist so ähnlich wie in den Anleitungen 10 und 11, aber diesmal ist der Drehwinkel 90 Grad. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 14: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 14: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p4.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

129

Die Heeschkonstruktion 15 Name C4 C4 C4 C4 . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Die Punkte A, B, C und D bilden die Ecken eines Quadrats, die Linien entstehen so: Von A nach B ist eine freie Linie gezogen, die um B nach D gedreht wird, und die freie Linie von A nach C wird um C ebenfalls nach D gedreht. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 15: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 15: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p4.

130

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 16 Name C C4 C4 C4 C4 . Das zugrunde liegende Netz .4; 3; 4; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Die Konstruktion beginnt mit einer freien Linie von A nach B, die um B um 90 Grad nach C gedreht wird. Dann wird ein weiterer Punkt D gewählt und mit A mit einer freien Linie verbunden. Diese Linie ist um 90 Grad um D zu drehen, der Endpunkt ist der Punkt E. Verbinde noch E und C durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 16: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 16: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die p4.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

131

Die Heeschkonstruktion 17 Name G1 G1 G2 G2 . Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Nun kommen Gleitspiegelungen ins Spiel. Zeichne eine freie Linie von A nach B und führe mit ihr eine Gleitspiegelung durch. Die Gleitspiegelachse G muss den gleichen Abstand zu A und B haben. Nach der Gleitspiegelung soll A mit dem neuen Punkt C verbunden sein. Wähle D so, dass die Strecke AD senkrecht auf G steht und verbinde B und D mit einer freien Linie, die dann durch eine Gleitspiegelung (an einer zu G parallelen Achse) D und C verbindet. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 17: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 17: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pg.

132

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 18 Name T G1 G1 T G2 G2 . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Drei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Wir beginnen mit einer freien Linie von B nach D, die zu einer Verbindungslinie von C nach E verschoben wird. Wähle dann einen Punkt A auf der Mittelsenkrechten der Strecke BC und verbinde A und B durch eine freie Linie. Durch eine Gleitspiegelung wird daraus eine Verbindung von A nach C . Auf der rechten Seite wird das wiederholt: Punkt F auf der Mittelsenkrechten von DE wählen, mit B durch eine freie Linie verbinden und dann die Figur durch eine Gleitspiegelung schließen. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 18: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 18: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pg.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

133

Die Heeschkonstruktion 19 Name T GT G. Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Der Anfang ist so wie im allerersten Beispiel: Eine freie Linie von A nach B wird durch Verschiebung zu einer Verbindung von C nach D. Nun werden A und C mit einer freien Linie verbunden, die dann durch Gleitspiegelung eine Verbindungslinie von B nach D wird. Dazu muss die Spiegelachse den gleichen Abstand zu A und D haben. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 19: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 19: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pg.

134

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 20 Name T G1 G2 T G2 G1 . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Drei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Die Linien zwischen A und B sowie C und D entstehen wie im vorigen Beispiel. Jetzt wird ein willkürlicher Punkt E gewählt und mit A durch eine freie Linie L verbunden. L soll nun so durch eine Gleitspiegelung verschoben werden, dass L danach bei B anschließt; der (noch) freie Endpunkt ist F . Die Gleitspiegelachse soll senkrecht zur Strecke AC stehen, sie muss den gleichen Abstand zu E und B haben. Nun wird F durch eine freie Linie mit D verbunden, durch Gleitspiegelung wird daraus eine Verbindungslinie von E nach C . (Die neue Gleitspiegelachse ist parallel zur ersten, sie hat den gleichen Abstand zu C und F .) Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Zwei. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 20: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 20: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pg.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

135

Die Heeschkonstruktion 21 Name C GG. Das zugrunde liegende Netz .6; 6; 6/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung A und B werden durch eine freie Linie verbunden. Irgendeine Gerade, die zu A und B den gleichen Abstand hat, wird als Gleitspiegelachse verwendet, die freie Linie wird daran so transformiert, dass eine Verbindungslinie von B nach C entsteht. A und C werden noch durch eine C -Linie verbunden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 21: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 21: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

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4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 22 Name C C GG. Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie und zwei C -Linien. Konstruktionsbeschreibung Die ersten drei Punkte A, B und C entstehen so wie im vorigen Beispiel. Diesmal kommt noch ein weiterer beliebiger Punkt D dazu, wir verbinden A und D und D und C jeweils mit einer C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 22: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 22: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

137

Die Heeschkonstruktion 23 Name T C T GG. Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Wie schon mehrfach vorher wird eine freie Linie von A nach B durch Verschiebung zu einer Verbindungslinie von C nach D. Auf der Mittelsenkrechten der Strecke BD wird E gewählt und mit einer freien Linie zunächst mit B verbunden und dann durch Gleitspiegelung zu einer Verbindung von E nach D. Es bleibt nur noch, A und C mit einer C -Linie zu verbinden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 23: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 23: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

138

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 24 Name T C C T GG. Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und zwei C -Linien. Konstruktionsbeschreibung Die ersten Schritte – bis zur Verbindung von A mit C – sind wie im vorigen Beispiel. Nun wird noch ein weiterer Punkt F gewählt, und A und F sowie F und C werden jeweils durch eine C -Linie verbunden. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 24: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 24: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

139

Die Heeschkonstruktion 25 Name C GC G. Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Eine freie Linie und zwei C -Linien. Konstruktionsbeschreibung Die freie Linie von A nach B wird durch Gleitspiegelung zu einer Verbindung von C nach D. Die Gleitspiegelachse hat den gleichen Abstand zu A und D. Verbinde noch A und C sowie B und D jeweils durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 25: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 25: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

140

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 26 Name G1 G2 G1 G2 Das zugrunde liegende Netz .4; 4; 4; 4/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien. Konstruktionsbeschreibung Die Punkte A, B, C , D sind die Ecken eines Rechtecks. Eine freie Linie von A nach B verbindet nach Gleitspiegelung die Punkte C und D, und eine weitere freie Linie von A nach C liefert nach Gleitspiegelung eine Verbindung von B nach D. Die beiden Gleitspiegelachsen sind orthogonal und parallel zu den Rechteckseiten. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 26: Fundamentalbereich und Translationsmasche

die zugehörige Parkettierung

Heesch 26: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

4.3 Die Heesch-Konstruktionen: 28 Verfahren

141

Die Heeschkonstruktion 27 Name C G1 G2 G1 G2 . Das zugrunde liegende Netz .4; 3; 4; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und eine C -Linie. Konstruktionsbeschreibung Die Punkte A, B, C , D und die Verbindungslinien von A nach B und C nach D entstehen wie im vorletzten Beispiel 25. Nun wird B mit D durch eine freie Linie L verbunden. Jetzt wird es etwas komplizierter: Man muss eine Gleitspiegelung suchen, die L so transformiert, dass die Linie danach bei A anschließt (der Endpunkt soll E heißen). Dazu muss die Gleitspiegelachse senkrecht zu der aus dem ersten Schritt sein. Verbinde noch E und C durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 27: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 27: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

142

4 Die Heesch-Konstruktionen

Die Heeschkonstruktion 28 Name C G1 C G2 G1 G2 . Das zugrunde liegende Netz .3; 3; 3; 3; 3; 3/. Was kann man vorgeben? Zwei freie Linien und zwei C -Linien. Konstruktionsbeschreibung Es beginnt wieder wie in Beispiel 25: Die Verbindung von C nach D entsteht durch Gleitspiegelung (Achse: G) aus einer freien Linie von A nach B. Wähle nun ein freie Linie von B nach D und transformiere sie durch Gleitspiegelung zu einer Linie von E nach F . Die Gleitspiegelachse steht dabei senkrecht auf G. Verbinde noch A und E sowie F und C durch eine C -Linie. Anzahl der Kopien des Fundamentalbereichs in der Translationsmasche Vier. Der Fundamentalbereich und die Translationsmasche

Heesch 28: Fundamentalbereich und Translationsmasche

Die zugehörige Parkettierung

Heesch 28: Die Parkettierung

Die Symmetriegruppe Im allgemeinen Fall ist die Symmetriegruppe die pgg.

Literatur zu Teil I

Es folgen einige ausgewählte Literaturangaben zu Teil I (Escher): Literatur, die bei der Vorbereitung dieses Buches eine besondere Rolle gespielt hat. Behrends, Ehrhard: Escher über die Schulter gesehen. In „Pi und Co – Kaleidoskop der Mathematik“, Springer, 2016. Herausgegeben von E. Behrends, P. Gritzmann, G. Ziegler, 2. Auflage, etwa 420 Seiten. In diesem Artikel wurden die Heeschkonstruktionen schon ausführlich beschrieben. Bigalke, Hans-Günther: Heinrich Heesch: Kristallgeometrie, Parkettierungen, Vierfarbenforschung. Birkhäuser, 1988. Eine empfehlenswerte Biographie. Heesch, Heinrich und Kienzle, Otto: Flächenschluss. Springer, 1963. Ein Klassiker: Hier beschreiben Heesch und Kienzle die Heesch-Konstruktionen für Ingenieure. Martin, George E.: The Foundations of Geometry and the Non-Euclidean Plane. Springer, 1975. Für Interessenten der nichteuklidischen Geometrien. Martin, George E.: Transformation Geometry (an Introduction to Symmetry). Springer, 1982. Ein Standardwerk zur Geometrie der Ebene. Man findet auch eine recht knappe Herleitung der Friesgruppen und der ebenen Kristallgruppen.

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144

4

Literatur zu Teil I

Schattschneider, Doris: M. C. Escher – Visions of Symmetry. Freeman and Company, 1990. Sehr empfehlenswert: Alles über Escher und sein Werk, aus Sicht einer Mathematikerin für interessierte Laien geschrieben Ernst, Bruno: Abenteuer mit unmöglichen Figuren. Taco Verlag, 1987. Hier wird ein anderer Aspekt von Eschers Werk behandelt: die unmöglichen Figuren. Es ist noch darauf hinzuweisen, dass das Internet eine reichhaltige Quelle für Informationen rund um das Thema „Symmetrie“ ist. Ganz besonders möchte ich die Internetseiten iOrnament: https://itunes.apple.com/de/app/iornament/id534529876?mt=8 iOrnament Crafter: https://itunes.apple.com/de/app/iornament-crafter-3d-bastelnmuster-und-mehr/id1183533412?mt=8 meines Kollegen Jürgen Richter-Gebert aus München empfehlen.

Teil II Möbiustransformationen

5

Möbiustransformationen

Im zweiten Teil des Buches studieren wir Möbiustransformationen1 . Sie sind nach August Ferdinand Möbius (1790–1868) benannt. Er war Direktor der Sternwarte Leipzig und als Mathematiker und Astronom Professor an der dortigen Universität. Auch das Möbiusband, eine nicht orientierbare Fläche im R3 , trägt seinen Namen. Es wurde 1858 unabhängig von ihm und Johann Benedict Listing beschrieben. In diesem und im folgenden Kapitel werden – nach einer kurzen Erinnerung an einige Fakten aus der Funktionentheorie – Möbiustransformationen definiert und untersucht. Möbiustransformationen sind spezielle Abbildungen der komplexen Ebene in sich, sie entsprechen den Bewegungen der Ebene im vorigen Kapitel2 . Wir studieren zunächst einige grundlegende Eigenschaften solcher Transformationen. Ziel des vorliegenden Kapitels ist eine vollständige Charakterisierung: Man kann sie in vier Klassen einteilen, die elliptischen, hyperbolischen, parabolischen und loxodromischen Transformationen. Die wichtigeren und interessanteren Ergebnisse stehen dann im nächsten Kapitel. Insbesondere werden wir Zusammenhänge zur hyperbolischen Geometrie untersuchen und Analogien zu „klassischen“ Parkettierungen der Ebene à la Escher in dieser Geometrie beschreiben.

5.1

Komplexe Zahlen: einige Erinnerungen

Für die folgenden Überlegungen spielen nur vergleichsweise grundlegende Eigenschaften der komplexen Zahlen und der zwischen Mengen von komplexen Zahlen definierten Funktionen eine Rolle. Viele der Definitionen und Ergebnisse lernt man schon in der Ana1

In der klassischen Literatur heißen sie auch „gebrochen lineare Transformationen“, heute spricht man fast ausschließlich von Möbiustransformationen. 2 Das ist allerdings nur ein sehr vager Vergleich. Sowohl Bewegungen der Ebene als auch Möbiustransformationen sind durch gewisse Invarianzeigenschaften charakterisiert, und später werden uns wieder diskrete Gruppen solcher Abbildungen interessieren. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_5

147

148

5

Möbiustransformationen

lysis kennen, einige Sätze aus der Funktionentheorie werden als Bausteine übernommen werden. Die Menge C der komplexen Zahlen Man kann sich C als die kartesische Ebene R  R vorstellen, und darauf eine Addition und eine Multiplikation durch die folgenden Formeln definieren: .x; y/ C .x 0 ; y 0 / WD .x C x 0 ; y C y 0 /;

.x; y/  .x 0 ; y 0 / WD .xx 0  yy 0 ; xy 0 C yx 0 /:

Wenn man .0; 1/ als i bezeichnet und .x; y/ stets als x C iy notiert, so muss man sich nur merken: Gerechnet wird wie mit reellen Zahlen, und falls irgendwo i 2 steht, kann man dafür 1 einsetzen. Dann gelten in C die Körperaxiome, und es lässt sich zeigen, dass C nicht angeordnet p werden kann. jx Ciyj wird als x 2 C y 2 definiert, und dann erhält man durch d.z; w/ WD jz  wj eine Metrik, die Anlass zu einer Konvergenzdefinition gibt. C wird dadurch zu einem vollständigen metrischen Raum. O von C C O ist als C [ f1g definiert. Umgebungen von 1 sind Die Vervollständigung C O die 1 und das Komplement einer Kreisscheibe mit Zentrum 0 alle Teilmengen U  C, enthalten: Es soll ein R > 0 geben, so dass fz j jzj > Rg  U . Eine Folge .zn / komplexer Zahlen ist dann offensichtlich genau dann gegen 1 konvergent, wenn es zu jedem R > 0 ein n0 gibt, so dass jzn j > R für n  n0 . Anschaulich gesprochen, sind alle Punkte „weit draußen“ 1 nahe, und deswegen hat O als Kugel vorzustellen: C wird „hochgebogen“ und oben durch 1 es sich bewährt, sich C zu einer Kugel ergänzt. Differenzierbare Funktionen Ist O eine offene Teilmenge von C, z0 2 O und f W O ! C eine Funktion, so heißt f bei z0 differenzierbar mit Ableitung f 0 .z0 /, wenn stets f .zn /  f .z0 / ! f 0 .z0 / zn  z0 für Folgen .zn / mit zn ! z0 ist, wobei zn ¤ z0 für alle n gelten soll. Differenzierbarkeit wird also genau so definiert wie in R. Eine bei allen z0 2 O differenzierbare Funktion heißt analytisch oder auch holomorph. Überraschender Weise verhalten sich holomorphe Funktionen viel „regulärer“ als differenzierbare Funktionen, die auf Teilmengen von R definiert sind. Hier einige Beispiele für dieses Phänomen:  Stimmen holomorphe Funktionen auf O auf einer Folge .zn / überein, die einen Häufungspunkt in O hat, so sind sie identisch, falls O zusammenhängend ist.  Ist f W C ! C holomorph und beschränkt, so ist f konstant (Satz von Liouville).  Holomorphe Funktionen sind beliebig oft differenzierbar und an jeder Stelle lokal in eine Potenzreihe entwickelbar.

5.2 Möbiustransformationen: Definitionen und erste Ergebnisse

149

Unter Verwendung naheliegender Rechenregeln für 1 kann man die algebraischen und O erweitern. So ist a=1 WD topologischen Definitionen sowie „Differenzierbarkeit“ auf C O mit 1 2 O offen und 0, 1 C a WD a C 1 WD 1 für alle a 2 C usw. Und ist O  C f W O ! C eine Funktion, so heißt f bei 1 stetig/differenzierbar, wenn z 7! f .1=z/ O n f0g differenzierbar. bei 0 stetig/differenzierbar ist. So ist etwa 1=z überall auf C

5.2 Möbiustransformationen: Definitionen und erste Ergebnisse Dieses Kapitel beruht auf den in der folgenden Definition beschriebenen Abbildungen. Für a; b; c; d 2 C soll eine Abbildung Ma;b;c;d durch z 7!

az C b cz C d

definiert werden. Damit im Nenner nicht stets 0 steht, sollten nicht c und d gleichzeitig Null sein. Auch wäre der Fall ad D bc uninteressant, denn dann wäre die Abbildung konstant mit dem Wert a=c bzw. b=d 3 . Kurz: Wir werden verlangen dass ad  bc ¤ 0, dann sind beide Forderungen erfüllt. Es ist auch klar, dass man die gleiche Abbildung erhält, wenn man a; b; c; d durch ka; kb; kc; kd für ein beliebiges k ¤ 0 ersetzt. Wählt man k so, dass k 2 .ac  bd / D 1 gilt, so ist das keine Einschränkung. Wir definieren:

Definition 5.2.1

(i) Es seien a; b; c; d 2 C mit ac  bd ¤ 0. Unter der zugehörigen Möbiustransformation versteht man die Abbildung Ma;b;c;d W z 7!

az C b : cz C d

(ii) Die Möbiustransformation heißt normalisiert, falls ad  bc D 1 gilt. O zu wählen: Es ist sinnvoll, den Definitionsbereich und den Bildbereich als C  Ist c ¤ 0, so sei Ma;b;c;d .d=c/ WD 1 und Ma;b;c;d .1/ WD a=c.  Im Fall c D 0 (dann ist a ¤ 0 ¤ d ) sei Ma;b;c;d .1/ WD 1. Wir werden viele Beispiele näher kennen lernen, zunächst denke man an einfache Funktionen wie z; 2z C i; iz; 1=z; : : : Sei etwa d ¤ 0. Aus ad D bc folgt d.az C b/ D b.cz C d / für alle z, also .az C b/=.cz C d / D b=d für alle z ¤ d=c. Und ist c ¤ 0, so folgte aus c.az C b/ D a.cz C b/, dass .az C b/=.cz C d / D a=c für diese z gilt.

3

150

5

Möbiustransformationen

Lemma 5.2.2

Möbiustransformationen können invertiert werden: Die Abbildung Md;b;c;a W z 7!

dz  b cz C a

ist invers zu Ma;b;c;d .

Beweis Sei M WD Ma;b;c;d und MO WD Md;b;c;a . Es ist zu zeigen, dass stets M ıMO .z/ D z und MO ı M.z/ D z gilt. Wir rechnen so: M ı MO .z/ D

dzb Cb a czCa dzb c czCa Cd

a.dz  b/ C b.cz C a/ c.dz  b/ C d.cz C a/ z.ad  bc/ D ad  bc D z: D

Es sind noch die Sonderfälle zu betrachten. Sei etwa c ¤ 0. Dann ist MO .a=c/ D 1 und M.1/ D a=c, es ist also wirklich M ı MO .a=c/ D a=c. Und MO .1/ D d=c, es gilt also auch M ı MO .1/ D 1. Und im Fall c D 0 bilden M und MO den Wert 1 auf sich ab.  Ganz analog zeigt man, dass MO ı M.z/ D z für alle z gilt. Bemerkungen 1. Es folgt, dass mit Ma;b;c;d auch die inverse Abbildung normalisiert ist. 2. Auch Md;b;c;a ist invers zu Ma;b;c;d . Manchmal ist es wichtig, die richtige inverse Abbildung zu wählen. Die Gesamtheit der Möbiustransformationen bildet eine Gruppe:

Satz 5.2.3

(i) Mit M WD Ma;b;c;d und MO WD Ma0 ;b 0 ;c 0 ;d 0 ist auch MO ı M Möbiustransformationen. Sind beide normalisiert, so auch das Produkt. (ii) Die Gesamtheit der Möbiustransformationen bildet eine Untergruppe der GrupO nach C O (mit der Abbildungsverknüpfung pe der bijektiven Abbildungen von C als Gruppenmultiplikation).

5.2 Möbiustransformationen: Definitionen und erste Ergebnisse

151

Beweis (i) Für beliebige z gilt M ı MO .z/ D

0

0

0

0

zCb a ca0 zCd 0 C b zCb c ca0 zCd 0 Cd

a.a0 z C b 0 / C b.c 0 z C d 0 / c.a0 z C b 0 / C d.c 0 z C d 0 / z.aa0 C bc 0 / C .ab 0 C bd 0 / D : z.ca0 C dc 0 / C .cb 0 C dd 0 /

D

Dann ist noch zu beachten, dass .aa0 C bc 0 /.cb 0 C dd 0 /  .ab 0 C bd 0 /.ca0 C dc 0 / D .ad  bc/.a0 d 0  b 0 c 0 / gilt. Wenn also ad  bc; a0 d 0  b 0 c 0 ungleich Null (oder sogar gleich Eins) sind ist auch .aa0 C bc 0 /.cb 0 C dd 0 /  .ab 0 C bd 0 /.ca0 C dc 0 / ungleich Null (oder sogar gleich Eins).  (ii) Das folgt aus (i) und Lemma 5.2.2. Als Nebenresultat können wir einen interessanten Zusammenhang zu Matrizen festhalten. Bezeichnet man mit SL.2;  C/ die  komplexen 2  2-Matrizen mit Determinante 1 und betrachtet man die Abbildung ac db 7! Ma;b;c;d , so ist das ein Gruppenmorphismus von SL.2; C/ auf die normalisierten Möbiustransformationen. Deswegen ist es aufgrund von elementaren Sätzen über Matrizen nachträglich auch nicht überraschend, dass Inverse und Produkte normalisierter Transformationen wieder normalisiert  sind. Der Kern dieser  a 0 Abbildung besteht, wie leicht zu sehen, aus den Matrizen 0 1=a mit a ¤ 0. Aus dem Satz folgt, dass alle Ma;b;c;d injektiv sind, wenn man ihren Definitionsbereich auf C (mit – möglicherweise – der Ausnahme d=c) einschränkt, und sie sind dort offensichtlich auch holomorph. Durch diese Eigenschaft sind sie auch schon charakterisiert:

Satz 5.2.4

O !C O holomorph und injektiv 4 . Dann ist f eine MöbiustransformaEs sei f W C tion.

Beweis Zunächst sei f .0/ D 0 und f .1/ D 1. f ist also eine ganze Funktion, d. h. f kann als überall konvergente Potenzreihe f .z/ D a1 z C a2 z 2 C    geschrieben werden. Wäre f kein Polynom, so wäre 1 eine wesentliche Singularität. Nach dem Satz von Casorati-Weierstraß würde dann jede Umgebung von 1 auf eine in C dichte Teilmenge abgebildet werden, f wäre also bei 1 nicht stetig. f ist also ein Polynom. Doch das 4

Zur Erinnerung: Holomorphie bei 1 soll bedeuten, dass z 7! f .1=z/ bei 0 holomorph ist.

152

5

Möbiustransformationen

einzige injektive Polynom hat wegen des Fundamentalsatzes der Algebra die Form a1 z mit a1 ¤ 0. Im allgemeinen Fall verknüpfen wir f mit Möbiustransformationen M1 ; M2 so, dass für M1 ı M2 ı f die Voraussetzungen des ersten Beweisteils erfüllt sind. Das ist dann, wie schon gezeigt, eine Möbiustransformation M , und wir erhalten f D M21 ı M11 ı M . Das ist aufgrund der schon bewiesenen Ergebnisse wieder eine Möbiustransformation. Um M1 ; M2 zu definieren, setzen wir z0 WD f .1/ und w0 WD f .0/, und wir betrachten die folgenden Fälle: Fall 1: z0 D 1; w0 2 C. Setze M1 D Id und M2 .z/ D z  w0 . Fall 2: z0 2 C; w0 D 1. Setze M1 D Id und M2 .z/ D 1=.z  z0 /. Fall 3: z0 ; w0 2 C. Setze M1 .z/ D z  1=.w0  z0 / und M2 .z/ D 1=.z  z0 /. Es ist zu beachten, dass wegen der Injektivität von f der Fall z0 D w0 nicht vorkom men kann. Schreibt man Ma;b;c;d im Fall c ¤ 0 als az C b .a=c/.cz C d / C .b  ad=c/ D cz C d cz C d a b  ad=c D C ; c cz C d so sieht man, dass Ma;b;c;d aus einfachen Bausteinen zusammengesetzt ist:

Lemma 5.2.5

(i) Sei c ¤ 0. Dann kann man Ma;b;c;d als Ma;b;c;d D M5 ı M4 ı M3 ı M2 ı M1 schreiben; dabei sind M1 ; M2 ; M3 ; M4 ; M5 die folgenden Möbiustransformationen: M1 .z/ WD czI 1 M3 .z/ WD I z

M2 .z/ WD z C d I   ad M4 .z/ WD b  zI c

M5 .z/ WD

(ii) Im Fall c D 0 ist Ma;b;c;d D M2 ı M1 , wobei M1 .z/ WD

a zI d

M2 .z/ WD z C

b : d

a C z: c

5.3 Möbiustransformationen und Kreise

153

Das bedeutet, dass man zum Verständnis allgemeiner Eigenschaften von Möbiustransformationen nur die Abbildungen z 7! ˛z; z 7! z C ˇ; z 7!

1 z

(mit ˛; ˇ 2 C; ˛ ¤ 0) studieren muss. Zum Beispiel folgt noch einmal sofort, dass alle O sind. Ma;b;c;d bijektive Abbildungen auf C

5.3

Möbiustransformationen und Kreise

Kreise spielen beim Studium von Möbiustransformationen einen besondere Rolle. Es ist O kann man sich doch Geraden als dabei sinnvoll, auch Geraden als Kreise aufzufassen: In C Kreise vorstellen, die durch 1 gehen. Wir werden folgende Bezeichnungen verwenden:

Definition 5.3.1

(i) Es sei z0 2 C und r > 0. Dann ist der Kreis um z0 mit dem Radius r definiert durch Kz0 ;r WD fz 2 C j jz  z0 j D rg: Für jeden Kreis sind z0 und r eindeutig festgelegt. (ii) Sei G eine Gerade in C, die nicht durch Null geht. Es gibt dann ein eindeutig bestimmtes z0 2 C; z0 ¤ 0, so dass G als Gz0 ;iz0 WD fz0 C tiz0 j t 2 Rg geschrieben werden kann. Geraden, die durch Null gehen, schreiben wir als G0;z1 WD R z1 ; wobei z1 ¤ 0. In allen Fällen sind also w0 ; w0 C w1 verschiedene Punkte der Geraden Gw0 ;w1 , die sie eindeutig festlegen. Ganz allgemein verstehen wir (falls z1 ¤ 0) unter Gz0 ;z1 die Gerade z0 C R z1 .

Wir behaupten, dass Möbiustransformationen Kreise und Geraden in Kreise und Geraden überführen. Wegen Lemma 5.2.5 müssen wir das nur für die dort aufgeführten einfachen Transformationen nachweisen:

154

5

Möbiustransformationen

Lemma 5.3.2

(i)

Sei M.z/ WD ˛z mit ˛ ¤ 0. Dann gilt M.Kz0 ;r / D K˛z0 ;j˛jr ; M.Gz0 ;z1 / D G˛z0 ;˛z1 :

(ii) Sei M.z/ WD z C ˇ mit ˇ 2 C. Dann gilt M.Kz0 ;r / D Kz0 Cˇ;r ; M.Gz0 ;z1 / D Gz0 Cˇ;z1 : (iii) Sei M.z/ D 1=z. (iii.1) Ist K D Kz0 ;r und liegt 0 nicht auf dem Rand von K, so ist M.K/ wieder ein Kreis: Der Mittelpunkt ist w0 WD z0 =.z0 z0  r 2 / und der Radius ist r 0 WD jr=.z0 z0  r 2 /j: (iii.2) Ist K D Kz0 ;r ein Kreis und liegt 0 auf dem Rand von K (gilt also jz0 j D r), so ist M.K/ die Gerade Gw0 ;w1 mit w0 WD 1=.2z0 /, w1 WD iz0 . (iii.3) Sei G D Gz0 ;z1 eine Gerade, die nicht durch 0 geht. Dann ist M.G/ ein Kreis. Genauer: Schreibt man G in der Form fw0 C tiw0 j t 2 Rg mit einem eindeutig bestimmten w0 ¤ 0, so ist der Mittelpunkt von M.G/ gleich 1=.2w0 / und der Radius gleich 1=j2w0 j. (iii.4) Ist G D G0;z1 eine durch Null gehende Gerade, so ist M.G/ die Gerade G0;1=z1 .

Beweis (i), (ii) und (iii.4) sind klar. (iii.1) Sei z 2 Kz0 ;r , es gilt also .z  z0 /.z  z0 / D r 2 . Es ist zu zeigen, dass 

1 z0  z z0 z0  r 2



1 z0  z z0 z0  r 2



 D

r z0 z0  r 2

2 :

Wir formen diese Gleichung äquivalent um, indem wir sie mit zz.z0 z0  r 2 /2 multiplizieren (nach Voraussetzung ist diese Zahl von Null verschieden). Dann wird daraus    .z0 z0  r 2 /  z0 z .z0 z0  r 2 /  zz0 D r 2 zz: Ausrechnen ergibt: .z0 z0  r 2 /2 C z0 z0 zz  .z0 z0  r 2 /2 Re.z0 z/ D r 2 zz:

5.3 Möbiustransformationen und Kreise

155

.z0 z0  r 2 / kann gekürzt werden, es bleibt .z0 z0  r 2 / C zz  2 Re.z0 z/ D 0; und das ist .z  z0 /.z  z0 / D r 2 in Verkleidung. Damit ist M.K/  Kw0 ;r 0 bewiesen. Und umgekehrt gilt das auch: Ist w 2 Kw0 ;r 0 , so ist w 2 M.K/. Dazu zeigt man 1=w 2 K, was sich mit einer analogen Rechnung leicht verifizieren lässt. (iii.2) Zunächst sei z0 reell. Wir geben z mit jz  z0 j D r D jz0 j vor und untersuchen 1=z. Nach Voraussetzung ist .z  z0 /.z  z0 / D z0 z0 , also zz D 2 Re zz0 D 2z0 Re z. Folglich gilt für den Realteil von 1=z: Re

  1 1 1 1 D C z 2 z z zCz D 2zz 2 Re z D 4z0 Re z 1 D : 2z0

(Man beachte, dass z0 reell ist.) Folglich gibt es ein t 2 R mit 1=z D 1=.2z0 / C itz0 . / C itz0 , dass j1=z Umgekehrt gilt für alle z D 1=.2z0   z0 j D jz0 j, denn es ist, wie nach Multiplikation mit 1=.2z0 / C itz0 1=.2z0 /  itz0 leicht zu verifizieren, 

1 1=.2z0 C itz0 /  z0



1 1=.2z0  itz0 /  z0

 D z02 :

Wenn z0 nicht reell ist, nutzen wir Teil (i) des Lemmas aus. Für ein geeignetes ˛ ist der Mittelpunkt von ˛K reell. Folglich ist das Bild von ˛K unter 1=z eine Gerade, und dieses Bild ist das 1=˛-fache des Bildes von K. (iii.3) Das kann auf (iii.2) zurückgeführt werden. Wir schreiben G in der Form Gw0 ;w1 mit w0 WD 1=.2z0 /, w1 WD i z0 , d. h. ˇ ˇ 1 ˇ GD C itz0 ˇ t 2 R : 2z0 

In (iii.2) haben wir gezeigt, dass G D M.Kz0 ;jz0 j / gilt, und deswegen – da M zu sich  selbst invers ist – folgt M.G/ D Kz0 ;jz0 j wie behauptet. Wir wollen diese Ergebnisse nun illustrieren. Man sieht jeweils den Einheitskreis (grau) und dazu einige Geraden und Kreise in verschiedenen Lagen (blau). Das jeweilige Bild unter der Abbildung z 7! 1=z ist rot eingezeichnet.

156

5

Möbiustransformationen

Ein Kreis mit Zentrum in R und ein Kreis mit Zentrum auf der imaginären Achse

Ein Kreis, der beinahe durch Null geht und ein Kreis durch Null

Eine Gerade durch Null und eine, die nicht durch Null geht

Zum Ende dieses Abschnitts behandeln wir noch einige Ergänzungen zum Thema „Kreise“. Kreise, die sich schneiden Angenommen, man will mehrere Kreise unter einer Möbiustransformation M abbilden. Seien etwa K1 ; K2 Kreise, die sich unter einem Winkel ˛ im Punkt z0 schneiden: Die Fälle ˛ D 0 und ˛ D =2 sind dabei besonders wichtig. Dann werden sich auch die (verallgemeinerten) Kreise M.K1 / und M.K2 / in M.z0 /

5.3 Möbiustransformationen und Kreise

157

unter dem Winkel ˛ schneiden. Die Begründung: Ist eine Abbildung f bei z0 holomorph mit von Null verschiedener Ableitung f 0 .z0 /, so kann f lokal bei z0 durch z 7! f .z0 / C f 0 .z0 /.z  z0 / ersetzt werden, und die Multiplikation mit f 0 .z0 / entspricht einer Drehstreckung. Das zeigt insbesondere:

Satz 5.3.3

Sind K1 ; K2 Kreise oder Geraden oder sonstige Kurven, die sich orthogonal (oder allgemeiner unter einem Winkel ) schneiden, so schneiden sich auch M.K1 / und M.K2 / für jede Möbiustransformation M orthogonal (oder unter dem gleichen Winkel ).

Beweis Die Begründung wurde im Wesentlichen schon vorstehend gegeben. Es ist allerdings noch der Fall zu untersuchen, dass M beim Schnittpunkt z0 singulär ist, wenn also cz0 C d D 0 gilt. Dann wird der Schnittpunkt auf 1 abgebildet. Man vereinbart: Der O ! C O bei 1 ist der Schnittwinkel zweier Kurven K1 ; K2 unter einer Abbildung f W C O O O Schnittwinkel von M .K1 / und M .K2 / unter z 7! f .1=z/, wo M die Möbiustransforma tion z 7! 1=z bezeichnet. Die Aussage ist für diesen Fall leicht zu ergänzen. Wie kann man den Bildkreis schnell berechnen? Wenn man die vorstehenden Ergebnisse für Computersimulationen anwenden möchte, stellt sich die Frage, wie man schnell und zuverlässig M.K/ aus K bzw. M.G/ aus G für Kreise K und Geraden G ermittelt. Ich selbst habe gute Erfahrungen mit den folgenden beiden Möglichkeiten gemacht:  Eine Gerade oder ein Kreis ist doch durch drei verschiedene darauf liegende Punkte eindeutig bestimmt. Man schreibe also zwei Programme: Das erste erzeugt drei verschiedene Punkte auf der vorgelegten Gerade bzw. dem vorgelegten Kreis. Und das zweite bestimmt zu drei verschiedenen Punkten z1 ; z2 ; z3 den Kreis K bzw. die Gerade G mit z1 ; z2 ; z3 2 K bzw. 2 G. Dann muss man nur so verfahren: Sind K oder G vorgegeben, so finde mit Programm 1 geeignete z1 ; z2 ; z3 , die darauf liegen. Berechne die Werte M.z1 /; M.z2 /; M.z3 / und wende darauf Programm 2 an.  M kann doch als Verknüpfung von sehr einfachen Transformationen (Translation, Drehstreckung) und z 7! 1=z geschrieben werden (vgl. Lemma 5.2.5). Die komplizierteste ist 1=z, dafür haben wir konkrete Formeln bewiesen, um die Transformation von Kreisen und Geraden zu beschreiben. Und für die „einfachen“ Transformationen ist offensichtlich, wie die Transformationsformeln für Kreise und Geraden aussehen (sie bilden auch Kreise in Kreise und Geraden in Geraden ab). Interessante Kreismuster Bildet man (verallgemeinerte) Kreise, die sich berühren oder unter einem Winkel ˛ schneiden unter einer Möbiustransformation ab, so werden sich, wie wir gezeigt haben, die (verallgemeinerten) Bildkreise auch berühren bzw. unter dem Winkel ˛ schneiden. Das kann man sich zunutze machen, um attraktive Bilder zu erzeugen.

158

5

Möbiustransformationen

Hier die Idee: Schritt 1: Man denke sich ein Muster aus Kreisen und Geraden aus, das leicht realisiert werden kann, etwa durch Geraden und Kreise mit gleichem Radius in der Ebene. Hier einige Beispiele, bei denen die Kreise auch verschiedenfarbig gezeichnet wurden:

Zwei „einfache Kreismuster“ in der Ebene

Schritt 2: Bilde alle Kreise und Geraden unter einer frei gewählten Möbiustransformation ab. So sind die folgenden Bilder entstanden:

Kreise, transformiert mit 1=z

Kreise, transformiert mit einer komplizierteren Möbiustransformation

5.4 Fixpunkte von Möbiustransformationen

5.4

159

Fixpunkte von Möbiustransformationen

Fixpunkte spielen bei der Analyse von Möbiustransformationen eine große Rolle. Ein O wird ein Fixpunkt einer Möbiustransformation M genannt, wenn M.z/ D z gilt. z 2C So gilt etwa    

Jedes z ist Fixpunkt für z 7! z (die identische Abbildung). 0 und 1 sind Fixpunkte für z 7! .2 C i/z. 1 ist der einzige Fixpunkt von z 7! z C 1. 1 und 1 sind die Fixpunkte von z 7! 1=z.

Diese Beobachtungen sind Spezialfall des folgenden Satzes:

Satz 5.4.1

M D Ma;b;c;d sei eine normalisierte Möbiustransformation (es gilt also ad  bc D 1). Die folgenden Fälle sind möglich: (i) M ist die Identität. Dann sind alle z Fixpunkte. (ii) Es ist c ¤ 0 und a C d 2 f2; 2g. Dann gibt es genau einen Fixpunkt, nämlich .a  d /=2c. (iii) Es ist c ¤ 0 und aCd … f2; 2g. Dann gibt es genau zwei Fixpunkte, nämlich .a  d / ˙

p

.a C d /2  4 : 2c

(iv) Es ist c D 0, es ist also M.z/ D .a=d /z C b=d . Wenn b D 0 ist und M nicht die Identität sein soll, muss a=d ¤ 1 sein. (Notwendig ist auch a=d ¤ 0.) Es gibt zwei Fixpunkte, nämlich 0 und 1. (v) Es ist c D 0, wieder ist also M.z/ D .a=d /z C b=d . Wenn b ¤ 0 ist, sind zwei Fälle möglich:  Es kann a=d D 1 sein. Dann ist 1 der einzige Fixpunkt.  Ist a=d ¤ 1, so gibt es die Fixpunkte 1 und b=.b  a/.

Beweis Alles folgt sofort aus der expliziten Lösungsformel für quadratische Gleichun gen. Wir formulieren noch das

Korollar 5.4.2

Gilt M.z/ D z für drei paarweise verschiedene z, so ist M die Identität.

160

5

Möbiustransformationen

Es hat eine wichtige Konsequenz: Sind sowohl z1 ; z2 ; z3 als auch w1 ; w2 ; w3 paarweise O so kann man genau eine Möbiustransformation finden, die diese verschiedene Punkte in C, Punkte ineinander überführt:

Satz 5.4.3

Es gibt genau ein M mit M.zi / D wi (i D 1; 2; 3). Beweis Die Eindeutigkeit ist klar: Sind M; MO Transformationen mit M.zi / D MO .zi / D wi , so hat M 1 ı MO die drei Fixpunkte zi ; aufgrund des vorstehenden Korollars ist M 1 ı MO die Identität, es folgt M D MO . Zum Nachweis der Existenz betrachten wir zunächst den Fall w1 ; w2 ; w3 D 0; 1; 1. Zunächst seien alle zi in C. Die Möbiustransformation MŒz1 ;z2 ;z3  .z/ WD

.z  z1 /.z2  z3 / .z  z3 /.z2  z1 /

hat offensichtlich die gewünschten Eigenschaften. Ist ein zi , etwa z3 , gleich 1, so bildet MŒz1 ;z2 ;1 .z/ WD

z  z1 z2  z1

wie gefordert ab. Im allgemeinen Fall setzt man 1 ı MŒz1 ;z2 ;z3  : M WD MŒw 1 ;w2; w3 



Eine wichtige Rolle spielen im Folgenden zwei Beobachtungen:  Transformationen, bei denen die Fixpunkte in f0; 1g liegen, sind besonders einfach zu beschreiben.  Man kann jede Möbiustransformation so „umschreiben“, dass die Fixpunkte in f0; 1g liegen. Die erste Beobachtung wird im nächsten Satz präzisiert:

Satz 5.4.4

(i) M D Ma;b;c;d habe als Fixpunktmenge f0; 1g. Dann ist c D b D 0, d. h. M.z/ D .a=d /z, wobei a=d ¤ 0.Umgekehrt gilt das auch. (ii) M D Ma;b;c;d habe als Fixpunktmenge f1g. Dann ist c D 0, a=d D 1 und b ¤ 0. Umgekehrt gilt das auch.

5.5 Konjugierte Möbiustransformationen

161

Beweis Das folgt sofort aus Satz 5.4.1.



Zusammen: Die M , für die die Fixpunkte gleich f0; 1g oder gleich f1g sind, sind entweder von der Form ˛z mit ˛ … f0; 1g oder von der Form z C ˇ mit ˇ ¤ 0.

5.5

Konjugierte Möbiustransformationen

Wir beginnen mit einer Erinnerung an die Lineare Algebra: Zwei n  n-Matrizen T; TO können als „gleichwertig“ angesehen werden, wenn TO D ST S 1 für eine invertierbare Matrix S gilt: T hat die gleichen Eigenwerte wie TO , T ist genau dann singulär, wenn T 0 singulär ist, usw. Allgemein betrachtet man in einer Gruppe G konjugierte Elemente x; gxg 1 als „sehr nahe verwandt“. Ähnlich wie im Fall der Bewegungen der Ebene definieren wir:

Definition 5.5.1

Zwei Möbiustransformationen M; MO heißen zueinander konjugiert, wenn es eine Möbiustransformation G mit MO D GM G 1 gibt.

„Zueinander konjugiert“ ist offensichtlich eine Äquivalenzrelation, und für so gut wie alle der uns interessierenden Eigenschaften gilt, dass konjugierte Transformationen beide diese Eigenschaft haben oder keine von beiden. Das illustrieren wir an einigen Beispielen im folgenden

Lemma 5.5.2

M und MO D GM G 1 seien zueinander konjugiert. (i) Sei n 2 N. Dann ist M n D Id genau dann wenn MO n D Id. (ii) M kommutiert genau dann mit einer Abbildung N , wenn MO mit GNG 1 kommutiert. O Dann ist M.K/ D K genau dann, wenn (iii) Sei K eine Teilmenge von C. 0 0 0 O M .K / D K (mit K WD G.K/). Insbesondere ist G.z0 / genau dann ein Fixpunkt für MO , wenn z0 ein Fixpunkt für M ist. Es folgt auch, dass M und MO die gleiche Anzahl von Fixpunkten haben. (iv) Sind M und MO konjugiert, so auch M 1 und MO 1 (sogar unter der gleichen Abbildung G).

Beweis (Klar)



162

5

Möbiustransformationen

Satz 5.5.3

Es seien M D Ma;b;c;d und G D M˛;ˇ;;ı normalisierte Möbiustransformationen und MO D GM G 1 . Schreibe MO in der Form MO .z/ D .Az C B/=.C z C D/. (i) Es gilt dann A D ˛ıa  ˛ˇc C ıb  ˇd , B D ˇıa C ı 2 b  ˇ 2 c  ˇıd , C D ˛ˇa C ˛ 2 c   2 b C ˛d , D D ˇa C ˛ˇc  ıb C ˛ıd . (ii) A C D 2 f.a C d /; a C d g.

Beweis (i) Es sind zwei Tatsachen zu kombinieren:  G 1 kann als Mı;ˇ;;˛ geschrieben werden (Lemma 5.2.2).  Ma0 ;b 0 ;c 0 ;d 0 ı Ma00 ;b 00 ;c 00 ;d 00 D Ma00 a0 Cb 00 c 0 ;a00 b 0 Cb 00 d 0 ;c 00 a0 Cd 00 c 0 ;c 00 b 0 Cd 00 d 0 (vgl. Satz 5.2.3). Daraus ergeben sich die behaupteten Formeln. (ii) A C D D ˛ıa  ˛ˇc C ıb C ˇd  ˇa C ˛ˇc C ıb C ˛ıd D a.˛ı  ˇ/ C d.˛ı  ˇ/ D a C d: Hat man sich allerdings für G 1 D als Mı;ˇ;;˛ entschieden (eine gleichberechtigte  zweite Möglichkeit), so folgt A C D D .a C d /.

5.6

Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g

Wir werden hier zeigen, dass es bis auf Äquivalenz genau vier Typen von Möbiustransformationen gibt, die nicht die Identität sind. In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf den Fall, dass die Fixpunkte in f0; 1g liegen. Sei M D Ma;b;c;d eine solche Transformation, wir wollen sie als normalisiert annehmen. Es ist also M.z/ D .a=d /z C .b=d /, wobei ad D 1 gilt.

Lemma 5.6.1

Es seien a; d 2 C mit ad D 1. (i) (ii) (iii) (iv)

Es gilt genau dann a=d D 1, wenn a C d 2 f2; 2g a=d liegt genau dann in 0; C1Œ n f1g, wenn a C d 2 1; 2Œ [ 2; C1Œ. Es gilt genau dann ja=d j D 1 und a=d ¤ 1, wenn a C d 2 2; 2Œ. Für die Zahl ˛ WD a=d gilt stets ˛ C 1=˛ D .a C d /2  2.

5.6 Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g

163

Beweis (i) a=d D ad D 1 impliziert a2 D 1, also a D 1 oder a D 1. Im ersten Fall ist d D 1, im zweiten d D 1. Umgekehrt: Ist etwa a C d D 2, so folgt a C 1=a D 2, d. h. .a  1/2 D 0. Das bedeutet a D 1 D d . Ganz analog impliziert a C d D 2, dass a D 1 D d . 2 (ii)pSei a=d D mit p 0 < < C1, ¤ 1. Wegen ad D 1 ist ap D . Es pist also also a ¤ ˙1. Im ersten Fall ist a C d D C 1= > 2, a D oder a D  , p p im zweiten a C d D   1= < 2. (Wir haben ausgenutzt, dass x C 1=x auf 0; C1Œ das Minimum 2 hat, das nur bei x D 1 angenommen wird; das lässt sich leicht mit elementarer Analysis beweisen. Umgekehrt: Sei etwa

p WD a C d reell und größer als 2. Dann ist a C 1=a D , und das impliziert a D . ˙ 2  4/=2. Es folgt p 2 

˙ 2  4 2 a=d D a D > 0: 4 Der Fall a C d < 2 kann analog behandelt werden. (iii) Schreibe a=d als e i  mit einem  2 0; 2Œ. Aus ad D 1 folgt dann a2 D e i  , also a D ˙e i =2 . Damit ist d D ˙e i =2 D a, und das impliziert a C d D 2 Re a 2 2; 2Œ (denn =2 2 0; Œ). Umgekehrt sei a C d D a C 1=a 2 2; 2Œ. Dann ist a nicht reell, denn für reelle x ist x C 1=x  2. Schreibe a als re i  . Notwendig ist r D 1, denn andernfalls wäre a C 1=a keine reelle Zahl. (Der Imaginärteil ist nämlich gleich .r  1=r/ sin , und sin  ¤ 0.) Aus a D e i  folgt d D e i  , also a=d D e 2i  . Wäre e 2i  D 1, so folgte a D d D 1 oder a D d D 1, also a C 1=a … 2; 2Œ. (iv) Ausgeschrieben, besagt die Formel doch a d C D .a C d /2  2; d a und das folgt nach Multiplikation mit ad sofort aus ad D 1.



Nun können wir alle Möglichkeiten für eine Möbiustransformation M D Ma;b;c;d zusammenstellen, für die die Fixpunkte in f0; 1g liegen:  Fall 1: M hat nur den Fixpunkt 1, ist also von der Form M.z/ D z C ˇ für ein ˇ ¤ 0. Das ist genau dann der Fall, wenn a=d D 1 gilt, wenn also a C d 2 f2; 2g. Wir nennen M dann parabolisch. (Für allgemeine Transformationen vgl. Definition 5.7.1.)  Fall 2: M hat die Fixpunkte 0; 1, ist also von der Form M.z/ D ˛z für ein ˛ ¤ 1. Fall 2a: ˛ ist reell und positiv (und natürlich ¤ 1). Das ist aufgrund des vorstehenden Lemmas genau dann der Fall, wenn a C d 2 1; 2Œ [ 2; C1Œ. M heißt dann hyperbolisch. Fall 2b: Es ist j˛j D 1 (und weiterhin ¤ 1). Das ist genau dann der Fall, wenn a C d 2 2; 2Œ. M heißt dann elliptisch.

164

5

Möbiustransformationen

Fall 2c: ˛ ist weder positiv noch hat ˛ Betrag Eins. Es gilt also ˛ D re i  , wo r > 0, r ¤ 1 und  kein Vielfaches von 2 ist. Das ist genau dann der Fall, wenn a C d nicht reell ist. M heißt dann loxodromisch. Wir wollen nun die wesentlichen Aspekte dieser Transformationen zusammenstellen. Der parabolische Fall M W z 7! z C ˇ verschiebt einen Punkt z um ˇ, wobei alle ˇ ¤ 0 zugelassen sind. Im folgenden Bild ist das angedeutet, Punkte am Ende einer Pfeilspitze werden auf das nächste Ende der Pfeilspitze abgebildet:

Eine typische parabolische Transformation mit Fixpunkt 1

Es gilt dann offensichtlich Satz 5.6.2

(i) Invariante (verallgemeinerte) Kreise sind alle Geraden der Form z0 C R ˇ. (ii) Die zu den invarianten (verallgemeinerten) Kreisen orthogonalen (verallgemeinerten) Kreise sind alle Geraden der Form z0 C R iˇ. (iii) lim M n z D lim M n z D 1 für alle z. Im folgenden Bild sind einige invariante (verallgemeinerte) Kreise und dazu orthogonale (verallgemeinerte) Kreise eingezeichnet:

Parabolisch: invariante Kreise (dunkelgrau) und orthogonale Kreise (hellgrau)

5.6 Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g

165

Der hyperbolische Fall M W z 7! ˛z mit einem ˛ ¤ 1 und ˛ > 0 verändert nur die Entfernung zum Nullpunkt. Die Wirkung dieser Abbildung kann man sich so vorstellen:

Eine typische hyperbolische Transformation mit Fixpunkten 0 und 1. (Im Beispiel ist ˛ > 1)

Im Fall 0 < ˛ < 1 würden die Abstände zu 0 verkleinert werden. die Pfeilspitzen würden also zum Nullpunkt zeigen. Die Größe von ˛ legt fest, wie groß die Streckung oder Stauchung jeweils ist. Es gilt dann offensichtlich

Satz 5.6.3

(i)

Invariante (verallgemeinerte) Kreise sind alle Geraden durch Null, also Geraden der Form R z0 . (ii) Die zu den invarianten (verallgemeinerten) Kreisen orthogonalen (verallgemeinerten) Kreise sind die Kreise mit Mittelpunkt 0. (iii) Ist ˛ > 1 so ist lim M n z D 1 und lim M n z D 0 für alle z ¤ 0. Für ˛ < 1 ist es umgekehrt.

Im folgenden Bild sind einige invariante (verallgemeinerte) Kreise und dazu orthogonale (verallgemeinerte) Kreise eingezeichnet:

Hyperbolisch: invariante Kreise (dunkelgrau) und orthogonale Kreise (hellgrau)

166

5

Möbiustransformationen

Der elliptische Fall M W z 7! ˛z mit einem ˛ ¤ 1 und j˛j D 1 dreht einen Punkt, der Drehpunkt ist der Nullpunkt. Ist ˛ D e i  , so kann die Drehung nach links gehen (falls 0 <  < ), nach rechts gehen (falls  <  < 0) oder einer Spiegelung entsprechen (falls ˛ D 1). Die Wirkung dieser Abbildung kann man sich so vorstellen:

Zwei typische elliptische Transformationen mit Fixpunkten 0 und 1 und verschiedenen ˛

Im rechten Bild gibt es eine Besonderheit: Nach 6 Schritten ist jeder Punkt wieder bei sich selbst angelangt, es gilt also M 6 D Id. Allgemein: Ist ˛= rational, so ist M k D Id für ein geeignetes k 2 N. Es gilt dann offensichtlich

Satz 5.6.4

(i) Invariante Kreise sind alle Kreise mit Mittelpunkt 0. (ii) Die zu den invarianten Kreisen orthogonalen (verallgemeinerten) Kreise sind die Geraden durch Null, also Geraden der Form R z0 . (iii) Außer für z D 0 und z D 1 ist keine Folge .M n z/ konvergent.

Im folgenden Bild sind einige invariante (verallgemeinerte) Kreise und dazu orthogonale (verallgemeinerte) Kreise eingezeichnet:

Elliptisch: invariante Kreise (dunkelgrau) und orthogonale verallgemeinerte Kreise (hellgrau)

5.6 Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g

167

Der loxodromische Fall Es handelt sich um Abbildungen M W z 7! ˛z, wo j˛j ¤ 1 und ˛ … RC , also um Drehstreckungen oder Drehstauchungen. Typischerweise sieht eine loxodromische Transformation so aus:

Eine typische loxodromische Transformation mit Fixpunkten 0 und 1 und j˛j > 1

Je nachdem, ob j˛j < 1 oder > 1 gilt, laufen die Spiralen nach außen oder nach innen. Es gilt dann

Satz 5.6.5

(i) Invariante Kreise gibt es nicht (wohl aber invariante Spiralen). (ii) Ist j˛j > 1 so ist lim M n z D 1 und lim M n z D 0 für alle z ¤ 0. Für j˛j < 1 ist es umgekehrt.

Im folgenden Bild sind einige invariante Spiralen eingezeichnet:

Loxodromisch: invariante Spiralen

Es folgen noch zwei Schlussbemerkungen. 1. Eine Möbiustransformation M ist invertierbar, folglich wird durch fM n j n 2 Zg eine Gruppe von Abbildungen erzeugt. Schreibt man Mn WD M n , so ist n 7! Mn

168

5

Möbiustransformationen

ein auf Z definierter Gruppenhomomorphismus. Interessanterweise kann er zu einem auf R definierten Gruppenhomomorphismus fortgesetzt werden. M t wird also für alle t 2 R definiert, und M n D Mn für alle n: Die M t interpolieren zwischen den Mn . Wir illustrieren das an den Möbiustransformationen mit Fixpunkten in f0; 1g, durch Konjugiertenbildung kann man das auf alle M ausdehnen. Parabolisch. M sei durch M W z 7! z C ˇ definiert. Definiere M t durch z 7! z C tˇ für t 2 R. Hyperbolisch. Es ist M W z 7! ˛z mit einem reellen positiven ˛. Mit  WD log ˛ setzen wir M t .z/ WD e t  z für t 2 R. (Es gibt allerdings noch andere Möglichkeiten. Wähle ein k 2 N und setze M t .z/ WD e t C2k t i z. Die Orbits kreisen dann auf Spiralen gegen 0 oder 1.) Elliptisch. Diesmal ist M W z 7! ˛z mit einem ˛ vom Betrag 1. Schreibe ˛ D e i  und setze M t .z/ WD e i t  z für t 2 R. Wieder gibt es mehrere sinnvolle Möglichkeiten, die M t zu definieren, da ja ˛ auch als ˛ D e i.C2k/ (für beliebige k 2 Z) geschrieben werden kann. Loxodromisch. M ist von der Form z 7! ˛z, wobei ˛ D re i  mit r > 0, r ¤ 1, e i  ¤ 1. Schreibe  WD log r und setze M t .z/ WD e t .Ci /z für t 2 R. Auch in diesem Fall gibt es viele weitere Möglichkeiten. Stellt man sich diese Bahnen auf der Zahlenkugel vor, so gilt: Parabolisch. Alle Bahnen bilden Kreise, die durch den Nordpol gehen. Hyperbolisch. Die Bahnen verlaufen entlang der Längengrade (alle von Nord nach Süd oder alle umgekehrt). Elliptisch. Die Bahnen verlaufen auf den Breitengraden Loxodromisch. Die Bahnen laufen spiralförmig: aus dem Südpol heraus und in den Nordpol hinein oder umgekehrt. 2. Wir untersuchen noch, wie viele „wirklich verschiedene“ Möbiustransformationen mit Fixpunkten in f0; 1g existieren. Wir definieren: Für ˇ ¤ 0 sei Tˇ .z/ WD z C ˇ. (Eine Translation, die typische parabolische Transformation.) Und für ˛ ¤ 0 bezeichnen wir mit M˛ die Abbildung z 7! ˛z. (Diese Multiplikationsoperatoren enthalten die hyperbolischen, die elliptischen und die loxodromischen Tansformationen.)

Satz 5.6.6

(i) Kein Tˇ ist zu irgendeinem M˛ konjugiert. (ii) Je zwei Tˇ ; Tˇ0 sind konjugiert. (iii) M˛ und M˛0 sind genau dann konjugiert, wenn ˛˛ 0 D 1 oder ˛ D ˛ 0 gilt.

Beweis (i) Konjugierte Transformationen haben die gleiche Anzahl von Fixpunkten. Tˇ hat einen, die M˛ haben zwei oder unendlich viele. (Man kann das Ergebnis auch auf Satz 5.5.3 zurückführen: Beim Konjugieren bleibt die Spur a C d bis auf das Vorzeichen erhalten.)

5.6 Charakterisierung: Fixpunkte in f0; 1g

169

(ii) Sei G.z/ WD z mit einem  ¤ 0. Dann ist GTˇ G 1 .z/ D G.z= C ˇ/ D z C ˇ; d. h. GTˇ1 G D Tˇ . Deswegen sind alle Tˇ ; Tˇ0 konjugiert. (iii) Gilt ˛˛ 0 D 1, so ist M˛0 D M˛1 D M1=˛ . Diese zwei Transformationen sind durch G.z/ D 1=z konjugiert: GM˛ G 1 D 1=.˛=z/ D

1 z D M˛0 .z/: ˛

Nun seien umgekehrt M˛ ; M˛0 konjugiert. (Ziel: ˛˛ 0 D 1 oder ˛ D ˛ 0 ). Es gibt also G D Ma;b;c;d mit GM˛ D M˛0 G, d. h. a˛z C b az C b D ˛0 c˛z C d cz C d für alle z. Fall 1: c D 0. Wir wissen dann, dass stets az C b a˛z C b D ˛0 d d gilt, und es ist a ¤ 0 ¤ d . Ist b ¤ 0, so setze z D 0. Es folgt b=d D ˛ 0 b=d , also ˛ 0 D 1. Es ist daher GM˛ D G, d. h. M˛ D Id, d. h. ˛ D 1. Ist dagegen b D 0, so heißt das a˛z=d D ˛ 0 az=d , und das ist nur für ˛ D ˛ 0 möglich. Fall 2: c ¤ 0. Sei zunächst a ¤ 0. Wir lassen z gegen 1 gehen, es folgt ˛a=c D ˛ 0 a=c, also ˛ D ˛ 0 . a D 0 heißt, dass stets b b D ˛0 c˛z C d cz C d gilt, und es ist b ¤ 0. Im Fall d D 0 folgt b=.c˛z/ D ˛ 0 b=.cz/, also ˛˛ 0 D 1. Im Fall d ¤ 0 setzen wir z D 0 und erhalten b=d D ˛ 0 b=d , also ˛ 0 D 1. Wie oben folgt, dass  auch ˛ D 1 ist.

Korollar 5.6.7

Es seien M; MO konjugierte Transformationen mit Fixpunktmenge f0; 1g oder f1g. Dann sind beide parabolisch, oder beide hyperbolisch, oder beide elliptisch oder beide loxodromisch5

5

Dieses Ergebnis gilt ganz allgemein für beliebige Möbiustransformationen: s.u., Korollar 5.7.2.

170

5

5.7

Möbiustransformationen

Charakterisierung: der allgemeine Fall

Wir kombinieren die folgenden Ergebnisse:  Wir können Möbiustransformationen charakterisieren, wenn die Fixpunkte in f0; 1g liegen.  Jede Möbiustransformation ist konjugiert zu einer Möbiustransformation mit Fixpunkten in f0; 1g  Die Zahl a C d ist – bis auf den Faktor ˙1 – eine Invariante unter Konjugation (Satz 5.5.3).

Definition 5.7.1

M D Ma;b;c;d sei eine normalisierte Möbiustransformation, die nicht die Identität ist. Wir nennen M    

parabolisch, wenn a C d 2 f2; 2g; hyperbolisch, wenn a C d 2 1; 2Œ [ 2; C1Œ; elliptisch, wenn a C d 2 2; 2Œ loxodromisch, wenn a C d … R.

Diese Eigenschaften sind wohldefiniert, denn es ist egal, ob man sich M als Ma;b;c;d oder als Ma;b;c;d vorstellt. Auch stimmen die Bezeichnungen mit denen des vorigen Abschnitts überein, wenn die Fixpunkte von M in f0; 1g liegen. Es ist klar, dass jedes von der Identität verschiedene M zu genau einer der vier Klassen gehört. Satz 5.5.3 hat folgende Konsequenz:

Korollar 5.7.2

M und MO seien konjugierte Transformationen. Dann ist M genau dann parabolisch bzw. hyperbolisch bzw. elliptisch bzw. loxodromisch, wenn MO parabolisch bzw. hyperbolisch bzw. elliptisch bzw. loxodromisch ist.

Um sich ein Bild von diesen speziellen Möbiustransformationen machen zu können, suchen wir uns zunächst eine zu M konjugierte Möbiustransformation MO , die ihre Fixpunkte in f0; 1g hat: Fall 1: M hat nur einen Fixpunkt . Wähle z1 ; z2 , so dass z1 ; z2 ; paarweise verschieden sind. Bestimme dann G mit der Eigenschaft z1 ; z2 ; 7! 0; 1; 1 (Satz 5.4.3). MO WD GM G 1 hat dann den einzigen Fixpunkt 1. Fall 2: M hat die zwei Fixpunkte 1 ; 2 . Wähle z1 , so dass z1 ; 1 ; 2 paarweise verschieden sind. Bestimme dann G mit der Eigenschaft z1 ; 1 ; 2 7! 1; 0; 1. MO WD GM G 1 hat dann die beiden Fixpunkte 0; 1.

5.7 Charakterisierung: der allgemeine Fall

171

Dann wissen wir schon, wie MO aussieht. Es gibt die folgenden Möglichkeiten6 : MO ist parabolisch, also von der Form Tˇ Folglich ist M D G 1 Tˇ G für ein geeignetes G. Typischerweise lässt sich M dann dadurch visualisieren, dass man die Bilder des vorigen Abschnitts mit G 1 transformiert. Hier ist es umgekehrt gemacht worden. Es wurde eine Möbiustransformation G gewählt und dann M durch GTˇ G 1 definiert. Eingezeichnet sind die Bilder unter G der invarianten Teilmengen (parallele Geraden) und der orthogonalen „Kreise“ (ebenfalls parallele, zu den ersten Geraden orthogonale Geraden). Zunächst aber eine eingefärbte Illustration des Falls, wo 1 der einzige Fixpunkt ist. Die Abbildung verschiebt nach rechts oben, das ist dargestellt durch drei Punkte z; M z; M 2 z (schwarz, grau, grau):

Eine parabolische Transformation mit dem einzigen Fixpunkt 1 (mit Farben „dekoriert“)

Durch Transformation erhält man ein typisches Bild, wenn es einen einzigen endlichen Fixpunkt gibt. Man muss nur die Geraden unter G abbilden, das werden im Allgemeinen Kreise sein:

Eine typische parabolische Transformation mit einem einzigen endlichen Fixpunkt (eingefärbt) 6

Für die Bezeichnungen vgl. den vorigen Abschnitt.

172

5

Möbiustransformationen

Man sieht:  Einige invariante Kurven für M (dunkelgrau). Das sind in diesem Fall bis auf eine Ausnahme Kreise. Die Ausnahme ist eine Gerade durch den Fixpunkt.  Die zu den invarianten Kurven orthogonalen Kreise (hellgrau).  Die Wirkung von M (qualitativ): Der schwarze Punkt wird unter M auf den nächsten grauen und dann auf einen weiteren grauen abgebildet. Man kann sich die Wirkung von M als einen großen Strudel vorstellen, der Teilchen auf Kreisen treibt, die durch den Fixpunkt gehen. Die Drehrichtung ist auf den oberen Kreisen gegen den Uhrzeigersinn und auf den unteren Kreisen mit dem Uhrzeigersinn (und auf der einzigen Geraden von links nach rechts.) Oder umgekehrt. Die ganze Wahrheit ist allerdings etwas komplizierter, die Dynamik auf der Geraden, die von allen Fixkreisen berührt wird, ist etwas verwickelt. Als typisches Beispiel einer parabolischen Transformation betrachten wir die Transformation M.z/ WD z=.z C 1/. Der Nullpunkt ist doppelter Fixpunkt, und R ist eine invariante Gerade. Typischerweise werden also die z unter M auf Kreisen herumgeführt, die ihre Mittelpunkte auf iR haben und R bei 0 tangieren. Alle Bewegungen auf den Kreisen erfolgen im Uhrzeigersinn, die Dynamik auf der invarianten Geraden R entspricht M W t 7! t=.1 C t/. Hier eine Tabelle: t M.t /

11 1;1

1;1 11

1 1

0:5 1

0:1 1=9

0 0

0;1 1=11

1 0:5

2 2=3

100 100=101

Stellt man sich R als Kreis vor (unten ist die Null, oben ist 1), so passiert also Folgendes:  Alle Punkte werden im Uhrzeigersinn gedreht, die Null ist fixiert.  Liegt P im Uhrzeigersinn weiter als Q, so ist M.P / weiter als M.Q/.  Den bemerkenswertesten Sprung gibt es bei 1, da geht es gleich zum Punkt 1. MO ist hyperbolisch, also von der Form M˛ für ein ˛ 2 0; C1Œ n f1g Typischerweise kann man sich M dann so vorstellen:

Eine typische hyperbolische Transformation mit zwei endlichen Fixpunkten (eingefärbt)

5.7 Charakterisierung: der allgemeine Fall

173

Man sieht:  Die invarianten Teilmengen (dunkelgrau).  Die orthogonalen Kreise (hellgrau).  Die Wirkung von M (schwarz-grau-grau): Punkte werden vom rechten Fixpunkt auf Kreisbögen „eingesaugt“. M wirkt also, als ob es eine mächtige Quelle und eine mächtige Senke gäbe, die alles auf Kreisbögen aus der Quelle anzieht. Interessant ist die Wirkung von M auf der Verbindungsgeraden zwischen den Fixpunkten: Liegt der Punkt zwischen den Fixpunkten, so wandert er geradlinig von einem Fixpunkt zum anderen, andernfalls macht er den Umweg über 1. MO ist elliptisch, also von der Form M˛ für ein ˛ ¤ 1 mit j˛j D 1 Typischerweise kann man sich M dann so vorstellen:

Eine typische elliptische Transformation mit zwei endlichen Fixpunkten (eingefärbt)

Man sieht:  Die invarianten Teilmengen (dunkelgrau).  Die orthogonalen Kreise (hellgrau).  Die Wirkung von M (schwarz-grau-grau): Punkte wandern auf Kreisbögen um die Fixpunkte. Es gibt also zwei „Wirbel“, um jeden Fixpunkt einen. Um den einen laufen sie linksherum, um den anderen im Uhrzeigersinn. (Und recht kompliziert auf der Geraden, die orthogonal auf der Verbindungsstrecke der Fixpunkte steht; vgl. die entsprechende Diskussion für den parabolischen Fall.) Diese Gerade schneidet übrigens die Verbindungslinie der Fixpunkte in der Mitte orthogonal (vgl. das nächste Korollar).

174

5

Möbiustransformationen

MO ist loxodromisch, also von der Form M˛ mit ˛ … RC , j˛j ¤ 1 Diese Transformationen führen zu den interessantesten Bildern. Hier zwei Beispiele:

Zwei typische loxodromische Transformation zu verschiedenen ˛ und zwei endlichen Fixpunkten (eingefärbt)

Man sieht:  Die invarianten Teilmengen (dunkelgrau).  Die transformierten Bilder einiger Kreise (hellgrau).  Die Wirkung von M (schwarz-grau-grau): Punkte wandern auf Kreisbögen um die Fixpunkte. Es gibt also zwei „Wirbel“, um jeden Fixpunkt einen. Der linke Fixpunkt wirkt in den Beispielen als „Quelle“, der rechte als „Saugstelle“. Je nach ˛ laufen die Wirbel links oder rechts herum, und sie können auch verschieden stark sein. Eine Abbildung z 7! ˛z hat im loxodromischen Fall keine orthogonalen Kreise. Trotzdem werden alle Kreise jzj D r von den invarianten Bahnen t 7! z0 exp t. C i/ unter dem gleichen Winkel geschnitten: Zur Zeit t werde der Punkt P WD z0 exp t. C i/ erreicht. Er liegt auf dem Kreis mit Radius jP j, die Richtung der Kreistangente ist iP . Die Kurve selbst hat dort den Geschwindigkeitsvektor . C i/P . Beachte noch, dass der Winkel zwischen zwei komplexen Zahlen z; w gleich  ist, wenn z=w als re i  mit reellem  geschrieben ist. Hier geht es um den Quotienten . C i/=i D   i, und der ist von P unabhängig. Das gilt wegen Satz 5.3.3 dann auch für die transformierten Kreise und Bahnen. Wir haben gesehen, dass für das qualitative Verhalten einer normalisierten Möbiustransformation M D Ma;b;c;d nur der Typ und im Fall einer nichtparabolischen Transformation auch die Zahl ˛ von Bedeutung sind. ˛ ist allerdings nicht eindeutig bestimmt, statt ˛ kann man auch 1=˛ betrachten. (Welche dieser Zahlen auftritt, hängt davon ab, wie man die Fixpunkte nummeriert). ˛ heißt der Multiplikator von M . Wir behaupten:

5.8 Wunschzettel/Visualisierung

175

Lemma 5.7.3

(i)

Wählt man ein ˛O mit ˛O 2 D ˛, so gilt ˛O C

1 2 fa C d; .a C d /g: ˛O

(ii) ˛ C 1=˛ D .a C d /2  2. (iii) M habe zwei verschiedene Fixpunkte. Dann gilt M.z/  1 z  1 D˛ ; M.z/  2 z  2 wobei 1 ; 2 die Fixpunkte von M bezeichnet.

Beweis (i) M hat – bis auf Vorzeichen – das gleiche a C d wie die Transformation ˛z, da beide Transformationen konjugiert sind. (Vgl. Satz 5.5.3.) Die muss allerdings normalisiert, etwa als ˛=.1= O ˛/ O dargestellt werden, damit das stimmt. Es folgt die Behauptung. (ii) Das ergibt sich durch Quadrieren der Formel in (i). (iii) Sei G.z/ D .z  1 /=.z  2 /. Diese Möbiustransformation bildet 1 in 0 und 2 in 1 ab, und damit haben wir konjugiert: GM G 1 hat die Fixpunkte 0 und 1 und ist folglich von der Form M˛ . Ausgeschrieben heißt das GM D M˛ G, und das ist eine  Umformulierung der Behauptung.

Korollar 5.7.4

M sei elliptisch. Dann ist die Gerade, die auf auf dem Mittelpunkt der Strecke von 1 nach 2 auf dieser Strecke senkrecht steht, eine invariante Menge für M .

Beweis Die fragliche Gerade ist durch fz j jz  1 j D jz  2 jg gegeben, und mit z hat wegen j˛j D 1 auch M.z/ die Eigenschaft, dass die Abstände zu 1 und 2 gleich sind. 

5.8

Wunschzettel/Visualisierung

Wunschzettel Die im vorigen Abschnitt erfolgreich eingesetzten Ideen ermöglichen es uns, „maßgeschneiderte“ Möbiustransformationen zu konstruieren. Parabolisch: Es gibt einen einzigen Fixpunkt z0 . Ist der gleich 1, so kann man z 7! z Cˇ mit einem beliebigen ˇ ¤ 0 vorgeben. Wenn z0 endlich ist, braucht man noch die Information, in welcher Richtung die Gerade von z0 nach 1 laufen soll. Mal angenommen, sie soll in Richtung w0 laufen, sie geht also durch z0 und z0 C w0 .

176

5

Möbiustransformationen

G.z/ WD 1=.z  z0 / bildet doch z0 nach 1 und 1 nach 0 ab. Die Gerade durch z0 und z0 C w0 und 1 soll also zur Geraden von 0 nach 1 werden. Das ist die Gerade ˇR. Es reicht also, ˇ so zu wählen, dass G.z0 C w0 / D 1=w0 D ˇ. Kurz: Die gesuchte Möbiustransformation ist G 1 T1=w0 G. Nichtparabolisch: Wir konzentrieren uns auf den Fall, dass beide Fixpunkte, 1 und 2 , endlich sind. Man wünscht sich also 1 und 2 und den Multiplikator ˛ 2 C n f1g. G.z/ WD .z  1 /=.z  2 / bildet 1 und 2 auf 0 und 1 ab, und GM G 1 darf man sich (für das noch unbekannte M ) als M˛ wünschen. Es folgt, dass M D G 1 M˛ G das Verlangte leistet. Visualisierung Es ist hilfreich, die Wirkung einer Möbiustransformation M zu visualisieren. Man geht dabei so vor:  M normalisieren, also für ad  bc D 1 sorgen. Aus a C d kann man dann schon den Typ ablesen.  Die Fixpunkte 1 und 2 bestimmen. Fall 1: Es gibt nur einen Fixpunkt 0 . Transformiere zu GM G 1 , wo G die Transformation G.z/ D 1=.z  0 / ist. Das muss eine Transformation Tˇ sein, denn der einzige Fixpunkt ist 1. Zeichne „viele“ Geraden z0 C Rˇ ein, das sind Beispiele für invariante Teilmengen von Tˇ . Transformiere die Geraden zurück, indem eine Gerade K in die Gerade oder den Kreis G.K/ abgebildet wird. Das ergibt das typische parabolische Muster, bei dem sich viele Kreise in einem einzigen Punkt (dem einzigen Fixpunkt) tangential berühren. Nachstehend findet man eine Visualisierung von M.z/ D z=.2z C 1/ (0 ist doppelter Fixpunkt) und M.z/ D 3z=.4z  1/ (0:5 ist doppelter Fixpunkt):

Zwei typische parabolische Transformationen

Fall 2: Es gibt zwei verschiedene Fixpunkte. Man transformiere sie so, dass die Fixpunkte 0 und 1 werden und lese den Multiplikator ˛ aus a C d ab (˛ C 1=˛ D .a C d /2  2). Zeichne in C Kreise und von 0 ausgehende Geraden (oder, im loxodromischen

5.8 Wunschzettel/Visualisierung

177

Fall, invariante Spiralen) und transformiere sie zurück. Zeichne noch für einen oder mehrere z die Folge z; M z; M 2 z ein. Hier einige Beispiele:

  Die elliptische Transformation .1 C i /z C 1 =.0:5iz C 1  i /

  Die hyperbolische Transformation .2 C i /z C 2 =.2z C 2  i /

   Die loxodromische  Transformation .1:018 C 0:005i /z C 0:123 C 0:169i = .0:132 C 0:091i /z C 0:983 C 0:027i

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Die Gesamtheit aller Möbiustransformationen bildet eine Gruppe. In gewisser Weise spielen sie für C die gleiche Rolle wie die Bewegungen der Ebene für R2 aus dem ersten Teil. Uns werden Untergruppen mit speziellen Eigenschaften interessieren. Wie in der euklidischen Theorie dürfen sich die Elemente „nicht beliebig nahe kommen“. Genauer: Ist G eine Gruppe von Möbiustransformationen, so heißt G diskontinuierlich (oder auch diskret), wenn es ein z0 und eine Umgebung U von z0 so gibt, dass M z0 … U für alle M 2 G n fIdg. Man spricht dann auch von einer Kleinschen Gruppe. Solche Gruppen sind nach Felix Klein (1849–1925) benannt1 , der Gruppen dieses Typs intensiv untersucht hat. Im Gegensatz zum euklidischen Fall kann man sie nicht einfach charakterisieren. Wir werden hier einige Spezialfälle Kleinscher Gruppen näher studieren, die sich als besonders interessant herausgestellt haben. Historischer Ausgangspunkt waren spezielle Fragen aus der Theorie komplexer analytischer Funktionen. Die Suche nach dem Verständnis mehrwertiger Funktionen (wie Wurzeln oder Logarithmen) führt auf die Frage, wie meromorphe Funktionen f aussehen  können, die auf einem Gebiet G  C definiert sind und für die f .z/ D f .M.z// für alle M aus einer gewissen Gruppe G von Möbiustransformationen gilt. Gäbe es nun ein z 2 G, so dass fM z j M 2 G g einen Häufungspunkt w in G hat, so wäre f konstant gleich f .w/. (Gilt nämlich f .w/ D f .wn / für eine gegen w konvergente Folge .wn /, so muss f konstant sein; vgl. Abschnitt 5.1.) Um solche trivialen Fälle auszuschließen, beschränkt man sich auf das Studium diskreter Gruppen. 1

Übrigens ein mathematischer Ur-Ur-. . . -Urgroßvater des Autors.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_6

179

180

6.1

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Erste Beispiele für Gruppen von Möbiustransformationen

Die Gesamtheit aller Möbiustransformationen bildet eine Gruppe. Uns werden „kleine“ Untergruppen G interessieren, die oft schon zu recht komplizierten Problemen Anlass geben. Und manchmal lassen sich unsere Ergebnisse in attraktive Bilder übersetzen. Hier sind einige Beispiele: 1. Fixiere ein Möbiustransformation M und betrachte GM D fM n j n 2 Zg;

die von M erzeugte zyklische Gruppe. Sie kann nur im elliptischen Fall endlich sein. O und definiere 2. Fixiere   C G D fM j M./ D g;

das ist die Menge der Transformationen M , die  in sich überführen. Die Spezialfälle  D U WD fz j jzj < 1g und  D H WD fz j Im z > 0g werden wir im nächsten Abschnitt genauer studieren. Für einpunktige  geht es um Möbiustransformationen, die alle den gleichen Fixpunkt haben. 3. Ist M eine Menge von Möbiustransformationen, so soll G .M/ die von M erzeugte Untergruppe bezeichnen. Beispiel 1 betrifft den Fall, dass M nur aus einer einzigen Transformation besteht, doch schon für zweielementige M kann ein sehr kompliziertes Gebilde entstehen. Hier ein einfaches konkretes Beispiel. z0 ; w0 2 C seien vorgegeben, diese Zahlen sollen R-linear unabhängig sein. (Es soll also nicht die eine ein reelles Vielfaches der anderen sein.) M1 bzw. M2 sei die Transformation z 7! z C z0 bzw. z 7! z C w0 . Ist dann Gz0 ;w0 die von M1 ; M2 erzeugte Untergruppe, so ist leicht zu sehen, dass Gz0 ;w0 genau aus den Transformationen z 7! z C nz0 C mw0 mit n; m 2 Z besteht. (Allgemeiner gilt: Kommutieren M1 ; M2 , so besteht die von M1 ; M2 erzeugte Untergruppe genau aus den M1n M2m mit n; m 2 Z.) Wie im ersten Kapitel gilt auch hier, dass man Untergruppen konjugieren kann und dass die konjugierte Untergruppe als „im Wesentlichen gleich“ der Untergruppe angesehen werden kann, von der ausgegangen wurde. Genauer: Ist G eine Untergruppe der Gruppe der Möbiustransformationen und G eine feste Möbiustransformation, so definiere G G G 1 WD fGM G 1 j M 2 G g:

6.2 Fundamentalbereiche und diskrete Gruppen

181

Es gilt dann zum Beispiel:  G ist genau dann endlich, wenn G G G 1 endlich ist.  G besteht genau dann nur aus elliptischen Transformationen, wenn G G G 1 diese Eigenschaft hat.  G ist genau dann diskret, wenn G G G 1 diskret ist.  G ist genau dann kommutativ, wenn G G G 1 kommutativ ist. O invariant, so lassen alle GM G 1 die Menge  Lassen alle M 2 G eine Menge   C G invariant.  ...

6.2 Fundamentalbereiche und diskrete Gruppen Sei G eine Gruppe von Möbiustransformationen. Ähnlich wie im Fall der Bewegungen im O finden, so dass die Mengen ersten Kapitel würden wir gern „einfache“ Bereiche F  C O ohne Überlappungen und lückenlos ausfüllen. So ein F M.F/ für M 2 G die Menge C soll dann ein Fundamentalbereich genannt werden. Auch ohne eine ganz exakte Definition gilt dann sicher:  Mit F ist auch jedes M.F/ für M 2 G Fundamentalbereich.  Ist F Fundamentalbereich für G und konjugiert man G mit einer Transformation G (geht also zu GO D fGT G 1 j T 2 G g über), so ist G 1 .F/ Fundamentalbereich für GO . (Denn z 2 GT G 1 .F/ ist gleichwertig zu G 1 z 2 T .G 1 .F//.) Wir betrachten einige Beispiele: 1. Sei T .z/ WD ˛z mit j˛j ¤ 1 und GT die von T erzeugte zyklische Gruppe; T ist also hyperbolisch oder loxodromisch. Für jedes r > 0 ist dann der Kreisring F aller z, für die jzj zwischen r und j˛jr liegt, ein Fundamentalbereich. Im nachstehenden Bild sieht man ein rot eingezeichnetes Beispiel zusammen mit einigen grünlich gekennzeichneten T n .F/. Auch ist zu sehen, was aus F nach einer Konjugation wird.

Ein Fundamentalbereich für G (erzeugt von z 7! ˛z) und eine konjugierte Gruppe

182

6

Gruppen von Möbiustransformationen

2. Sei T .z/ WD z C ˇ mit ˇ ¤ 0; T ist also parabolisch. Wähle zwei parallele Geraden in C, so dass die eine unter T in die andere überführt wird und bezeichne als F die Punkte auf oder zwischen diesen Geraden. Das ist ein Fundamentalbereich für GT .

Ein Fundamentalbereich für G (parabolisch zyklisch) und eine konjugierte Gruppe

3. Nun sei T z D ˛z mit einem ˛ auf dem Rand des Einheitskreises: T ist elliptisch. „Vernünftige“ Fundamentalbereiche existieren genau dann, wenn ˛ D e i  als Argument ein rationales Vielfaches von  hat, wenn also T n D Id für ein geeignetes n 2 N ist. Im folgenden Beispiel ist ˛ 8 D 1.

Ein Fundamentalbereich für G (elliptisch zyklisch) und eine konjugierte Gruppe

6.2 Fundamentalbereiche und diskrete Gruppen

183

4. Jetzt betrachten wir die Gruppe, die aus allen Translationen Tnˇ1 Cmˇ2 besteht (m; n 2 Z), wobei ˇ1 ; ˇ2 über R linear unabhängig sein sollen. Als Fundamentalbereich kann man dann ein Parallelogramm wählen, das von ˇ1 ; ˇ2 erzeugt wird: F D fsˇ1 C tˇ2 j 0  s; t  1g:

Ein Fundamentalbereich für G (2 parabolische Erzeuger) und eine konjugierte Gruppe

5. Die vierelementige Gruppe f˙z; ˙1=zg ist isomorph zur Kleinschen Vierergruppe. Hier ist ein Fundamentalbereich:

Ein Fundamentalbereich für G (Vierergruppe) und eine konjugierte Gruppe

Es ist zu betonen, dass man in jedem dieser Beispiele auch viel kompliziertere Fundamentalbereiche definieren kann. Doch was ist ein Fundamentalbereich, wenn man diesen Begriff präzise definieren möchte?

184

6

Gruppen von Möbiustransformationen

O die disjunkte Vereinigung der T .F/, Erster Versuch F heißt Fundamentalbereich, wenn C T 2 G ist. So etwas gibt es stets: Nenne z; w äquivalent, wenn es ein T mit T z D w gibt und wähle mit dem Zornschen Lemma F so, dass aus jeder Äquivalenzklasse genau ein Element enthalten ist. Diese F werden im Allgemeinen sehr chaotisch aussehen, oft nicht einmal messbar sein. Zweiter Versuch F heißt Fundamentalbereich, wenn F offen ist und die M.F/ erstens O beliebig nahe kommen. In den vorstehenden Beidisjunkt sind und zweitens jedem z 2 C spielen könnte man jeweils das Innere der vorgeschlagenen F wählen. Allerdings haben dann manche G keine Fundamentalbereiche (wie die meisten Gruppen, die von elliptischen Transformationen erzeugt werden.) Dritter Versuch F heißt Fundamentalbereich, wenn F abgeschlossen ist, F D .F o / gilt2 , verschiedene M.F/ sich höchstens in Randpunkten schneiden und die M.F/ die Menge O ausfüllen. Bei dieser Definition gibt es schon bei hyperbolischen und loxodromischen C Transformationen Probleme, denn der Nullpunkt liegt für kein n in T n .F/ für unsere Fundamentalbereiche. Zusammen: Man muss sehr sorgfältig definieren, und auch dann ist nicht zu erwarten, dass es stets Fundamentalbereiche gibt. Wir werden das Thema später noch einmal aufgreifen, da wollen wir „möglichst gute“ Fundamentalbereiche für beliebige diskrete Gruppen von Möbiustransformationen finden. (Vgl. Abschnitt 6.9.3.)

6.3

Spezielle Möbiustransformationen

Manchmal ist es interessant zu wissen, welche Möbiustransformationen spezielle Teilmengen von C invariant lassen. Wichtig sind besonders die folgenden Fälle:  U D fz j jzj < 1g. Für welche M gilt M.U/ D U, welche M lassen den Einheitskreis invariant?  H WD fz j Im z > 0g. Welche M lassen die obere Halbebene invariant?3 Der Einheitskreis Sei K der Rand des Einheitskreises, also K D fz j zz  1 D 0g. Wir behaupten: Lemma 6.3.1

Für A; B; C 2 C ist fz j Azz C Bz C Bz C C D 0g genau dann gleich K, wenn A D C ¤ 0 und B D 0.

F ist also der Abschluss des Inneren von F ; solche Mengen heißen regulär abgeschlossen. Es folgt übrigens leicht aus Stetigkeitsgründen: Ist M.U / D U , so ist jM.z/j D 1 für jedes z mit jzj D 1. Und aus M.H/ D H folgt M.R [ f1g/ D R [ f1g.

2 3

6.3 Spezielle Möbiustransformationen

185

Beweis Eine Beweisrichtung ist klar. Umgekehrt seien A; B; C so, dass durch diese Zahlen der Einheitskreis beschrieben wird. Setzt man z D 1 und z D 1 ein, so folgt A C B C B C C D A  B  B C C D 0, es ist also B C B D 0: B ist rein imaginär. Nun setzen wir i und i ein, das ergibt A C i.B  B/ C C D A  i.B  B/ C C D 0. Also ist auch B  B D 0, und das beweist B D 0. Wir setzen noch einmal 1 ein und erhalten A D C . Dabei kommt A D 0 nicht in Frage, sonst würde durch die Gleichung die ganze Ebene definiert. Teilt man durch A, so  entsteht die Gleichung zz  1 D 0.

Satz 6.3.2

(i) Für ein normalisiertes M D Ma;b;c;d gilt genau dann M.K/ D K und M.U/ D U, wenn b D c und d D a und aa  cc D 1, wenn also M von der Form M.z/ D

az C c cz C a

mit jaj2  jcj2 D 1 ist. (ii) Für ein normalisiertes M D Ma;b;c;d gilt genau dann M.K/ D K und M.U/ D fjzj > 1g, wenn b D c und d D a und aa  cc D 1, wenn also M von der Form M.z/ D

az  c cz  a

mit jcj2  jaj2 D 1 ist.

2 2 Beweis (i) Angenommen, es ist M.z/ D azCc czCa mit jaj  jcj D 1. M liegt also in normalisierter Darstellung vor. Sei nun z mit z 2 K beliebig. Dann ist

az C c az C c  cz C a cz C a jaz C cj2 : D jcz C aj2

M.z/M.z/ D

Es ist az C c D z.a C cz/, und deswegen ist jaz C cj D ja C czj D ja C czj D ja C czj:

186

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Das impliziert M.z/M.z/ D 1, M bildet also K in K ab. Wegen Lemma 5.2.2 ist M 1 D Ma;c;c;a , das ist eine Transformation mit der gleichen Struktur (es ist nur a durch a und c durch c zu ersetzen). Folglich ist M 1 .K/  K, und das beweist M.K/ D K. Es ist auch jM.0/j D jc=aj, und diese Zahl ist wegen jaj2  jcj2 D 1 kleiner als Eins: fjzj  1g wird also unter M in sich abgebildet. Für den Beweis der Umkehrung nehmen wir an, dass M.K/ D K gilt, wo M D Ma;b;c;d normalisiert ist. Es ist M 1 D Md;b;c;a . Aus fz j zz D 1g wird also fz j M 1 .z/M 1 .z/ D 1g, und das bedeutet dz  b dz  b D1  cz C a cz C a oder .dz  b/.dz  b/ D .cz C a/.cz C a/ bzw. Azz C Bz C Bz C C D 0 mit A D d d  cc, B D bd C ca und C D bb  aa. Lemma 6.3.1 garantiert dann A D C ¤ 0 D B. Fall 1: c D 0 oder d D 0. Dann wäre M im Wesentlichen von der Form z 7! 1=z oder z 7! z C ˇ. Das kann nicht sein, wenn M die Menge U in sich abbilden soll. Fall 2: c; d ¤ 0. B D 0 besagt b=c D a=d DW . Setzt man das in A D C ein, so folgt d d  cc D .d d  cc/; also j j D 1. Auch ist 1 D ad  bc D .d d  cc/, muss also reell sein, und das impliziert 2 f1; 1g. Wäre D 1, so folgte d d cc D 1, und die Singularität d=c (die nach 1 abgebildet wird) läge in fjzj  1g. Das widerspricht der Voraussetzung, und deswegen ist D 1. Es folgt b D c und d D a. (ii) In diesem Fall werden wir auf D 1 geführt, es gilt also b D c und d D a. 

Wir kennen jetzt alle M mit M.U/ D U, offensichtlich bilden sie eine Gruppe. Aus der konkreten Beschreibung dieser M ergeben sich interessante Folgerungen:

6.3 Spezielle Möbiustransformationen

187

Satz 6.3.3

Sei M eine Möbiustransformation mit M.U/ D U. Dann ist M nicht loxodromisch: Es kommen nur parabolische, elliptische und hyperbolische Transformationen in Frage. (ii) Ist so ein M parabolisch, so liegt der Fixpunkt auf dem Rand von U. (iii) Ist M hyperbolisch, so liegen beide Fixpunkte auf dem Rand von U. (iv) Ist M elliptisch, so liegt ein Fixpunkt im Innern von U und der andere außerhalb von U. Der Rand von U ist ein Fixkreis für M .

(i)

Beweis (i) Das folgt sofort aus a C d D a C a D 2 Re a 2 R. Es ist auch heuristisch klar, wenn man die Bilder der verschiedenen Typen vor Augen hat. (ii) Es ist a C a D 2 (o. B. d. A.), also Re a D 1. Ist c D 0, so geht das nur für a D 1 und M wäre die Identität. Also können wir c ¤ 0 annehmen. Der Fixpunkt ist durch D

Im a ad D 2c c

gegeben. Für den Betrag folgt j j2 D

.Im a/2 jaj2  .Re a/2 jaj2  1 D D D 1: jcj2 jcj2 jcj2

(iii) Wir wollen annehmen, dass c 2 RC gilt. (Das können wir, indem wir mit z 7! e i  z konjugieren, einer Transformation, die U invariant lässt.) Betrachte etwa 1 , wobei wir die Formeln für die Fixpunkte ausnutzen: p i  2 Im a C .2 Re a/2  4 1 D ; 2c wobei der Ausdruck unter der Wurzel positiv ist. Folglich ist j 1 j2 D

 1  1 4.Im a/2 C 4.Re a/2  4 D 2 .jaj2  1/ D 1: 2 4c c

(iv) Es ist 1;2 D Folglich ist

ad ˙

p .d C a/2  4 : 2c

 ˇ ˇ ˇ .a  a/2  .a C a/2  4 ˇ ˇ ˇ j 1 2 j D ˇ ˇ 4c 2 ˇ ˇ ˇ 1  aa ˇ ˇ D ˇˇ c2 ˇ D 1:

188

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Da M elliptisch ist, gilt a C d D 2 Re a 2 2; 2Œ, d.h .a C d /2  4 ist eine negative p reelle Zahl  . Folglich ist der Zähler in der Formel für 1;2 gleich p i.2 Im a ˙ /. Hätten 1 ; 2 beide Betrag Eins, so folgte Im a D 0 sowie jcj D 1  .Re a/2 , d. h. 1  .Re a/2 D 1  jaj2 D jcj2 . Zusammen mir der Forderung 1  jaj2 D jcj2 würde  c D 0 folgen, M wäre dann wieder die Identität. Und so kann man sich diese Transformationen vorstellen:

Eine typische parabolische Transformation, die U invariant lässt

Eine typische elliptische Transformation, die U invariant lässt

6.3 Spezielle Möbiustransformationen

189

Eine typische hyperbolische Transformation, die U invariant lässt

Die obere Halbebene H Welche M lassen H invariant? Ruft man sich die Wirkung der verschiedenen Typen von Transformationen in Erinnerung, so vermutet man:  Loxodromische Transformationen sind nicht zulässig.  Parabolische Transformationen sind möglich, wenn der Fixpunkt in R liegt und die von den Kreisen tangierte Gerade gleich R ist.  Bei den elliptischen Transformationen muss für die Fixpunkte 1 D 2 gelten.  Die hyperbolischen Transformationen müssen beide Fixpunkte in R haben. Das ist auch schon fast die ganze Wahrheit. Zunächst beweisen wir:

Satz 6.3.4

Die normalisierte Möbiustransformation Ma;b;c;d lässt H genau dann invariant, wenn a; b; c; d 2 R. Beweis Eine Richtung ist leicht: Sind alle Koeffizienten reell, so ist M.R [ f1g/ D R [ f1g, und i wird auf ca C bd C i.ad  cb/ ca C bd C i .ai C b/.ci C d / ai C b D D D ci C d c2 C d 2 c2 C d 2 c2 C d 2 abgebildet, eine Zahl mit positivem Imaginärteil. Aus Stetigkeitsgründen ist also M.H/ D H. Für den Beweis der Umkehrung ist es günstig, H in U zu transformieren. Das leistet die Cayleytransformation C .z/ WD .z i/=.z Ci/. Es ist C .H/ D U. C bildet nämlich die Punkte 0; 1; C1 in Punkte aus fz j jzj D 1g ab, das Bild von R ist also der Einheitskreis; und i wird auf 0 abgebildet. Das zeigt, dass C .H/ D U gilt.

190

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Um C normalisiert darzustellen, wählen wir  2 C mit 2 D 1=.2i/, es ist dann Cz D

z  i z C i

in normalisierter Darstellung. Ein normalisiertes M D Ma;b;c;d mit M.H/ D H sei vorgelegt. Es ist zu zeigen, dass a; b; c; d reell sind. Konjugieren wir M mit C , so ist MO D C M C 1 eine Transformation, die U invariant lässt. Wir schreiben sie mit geeigneten A, B, C , D in der Form .Az C B/=.C z C D/. Es gilt dann wegen Satz 6.3.2 D D A und B D C . Wir können aber A; B; C; D mit Satz 5.5.3 explizit bestimmen. Es ist ˛ D , ˇ D i,  D  und ı D i zu setzen. Ein kleine Rechnung, bei der mehrfach 2 D 0;5i ausnutzen ist, ergibt A D 0;5.a C ib  ic C d /; B D 0;5.a  ib  ib  d /; C D 0;5.a C ib C ic  d /; D D 0;5.a  ib C ic C d /: Die Bedingungen A D D; B D C liefern a C ib  ic C d D a C ib  ic C d ; a  ib  ib  d D a C b  ic  d : Wenn man diese Gleichungen zueinander addiert bzw. voneinander subtrahiert und dann durch 2 teilt, so erhält man a  ic D a  ic bzw. d C ib D d C ib. Für reelle a; b; c; d ist das sicher erfüllt, aber – überraschender Weise – auch nur dann. Aus der ersten Gleichung folgt nämlich a  a D 2i Im a D i.c  c/ D 2 Im c. Für reelle x; y kann aber x D iy nur dann gelten, wenn x D y D 0, und deswegen muss  Im a D Im c D 0 sein. Genauso zeigt man b; d 2 R. Es folgt

Satz 6.3.5

Sei M D Ma;b;c;d eine normalisierte Transformation, die H invariant lässt (die a; b; c; d sind also reell). Die folgenden Fälle sind möglich, falls M nicht die identische Abbildung ist: (i) (i)0

a C d 2 f2; 2g, und c D 0. Dann ist M von der Form z 7! z C ˇ mit ˇ 2 R : Es handelt sich um eine Translation parallel zur x-Achse. a C d 2 f2; 2g, und c ¤ 0. M ist dann parabolisch, und der einzige Fixpunkt d=c liegt in R.

6.3 Spezielle Möbiustransformationen

191

(ii) ja C d j > 2 und c D 0. M ist hyperbolisch mit Fixpunkten b=.d  a/ und 1 (es ist a ¤ d ). M hat die Form z 7! az=d C b=d , wobei a=d D a2 > 0. Invariante Geraden sind alle Geraden durch den endlichen Fixpunkt. (ii)0 ja C d j > 2 und c ¤ 0. M ist hyperbolisch, die Fixpunkte 1;2 D

.a  d / ˙

p

.a C d /2  4 2c

liegen in R. (iii) ja C d j < 2 und c D 0. Das kann nicht vorkommen, denn es gibt keine reellen Zahlen a; d mit ad D 1 und ja C d j < 2. (iii)0 ja C d j < 2 und c ¤ 0. M ist elliptisch mit Fixpunkten 1;2 D

ad ˙i

p 4  .a C d /2 : 2c

Dabei ist 1 D 2 . R ist invariante Gerade für M . (iv) M ist nicht loxodromisch.

Beweis Das folgt sofort aus den bisherigen Ergebnissen über parabolische, hyperbolische  und elliptische Transformationen. Man kann sich diese Transformationen so vorstellen (der schwarze Punkt wird in die anderen transformiert):

Eine typische parabolische Transformation (Fixpunkt D 1), die H invariant lässt

192

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Eine typische parabolische Transformation (Fixpunkt endlich), die H invariant lässt

Eine typische hyperbolische Transformation mit nur einem endlichen Fixpunkt, die H invariant lässt

Eine typische hyperbolische Transformation mit zwei endlichen Fixpunkten, die H invariant lässt

6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie

193

Eine typische elliptische Transformation mit endlichem Fixpunkt, die H invariant lässt

6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie Geometrie wird seit Jahrtausenden betrieben. Schon die Ägypter konnten viele praktische geometrische Probleme lösen, die sich bei den Pyramidenbauten oder aus der Notwendigkeit ergaben, die Felder nach den Nilüberschwemmungen neu zu vermessen. Für die Wissenschaftsgeschichte ist aber von besonderer Bedeutung, dass die Geometrie das erste Gebiet der Mathematik ist, für das eine Axiomatik entwickelt wurde. Ausgeführt wurde das in Euklids „Elementen“, ein Werk, das das Wissen der damaligen Zeit zusammenfasste und das um 300 v. Chr. entstand. Für viele Jahrhunderte – bis in die Neuzeit hinein – wurden die „Elemente“ für den Mathematikunterricht herangezogen. Der axiomatische Zugang galt als vorbildlich. Euklid beginnt mit Begriffsbestimmungen, etwa „Ein Punkt ist etwas, was keine Teile hat“. Dann folgen die eigentlichen Axiome, zum Beispiel: „Durch je zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade“. Es findet sich auch das so genannte Parallelenaxiom: „Zu jeder Geraden G und zu jedem Punkt P , der nicht auf G liegt, gibt es genau eine Parallele zu G durch P “. (Dabei heißen zwei Geraden parallel, wenn sie sich nicht schneiden.) Diese Axiome sind so etwas wie ein Konzentrat der Lebenserfahrung, und deswegen ist es kaum überraschend, dass die Konsequenzen, also die Sätze der Geometrie, sehr gut für die Lösung konkreter Probleme angewendet werden können. Schon früh stellte man sich die Frage, ob Euklids Axiomensystem wirklich minimal ist oder ob gewisse Axiome aus anderen folgen und deswegen weggelassen werden können. Insbesondere gilt das für das Parallelenaxiom. Es war für die Fachwelt eine Sensation, als sich im 19. Jahrhundert herausstellte, dass es Geometrien gibt, in denen das Parallelenaxiom nicht gilt: Solche Geometrien heißen nichteuklidische Geometrien. Als Entdecker der ersten Beispiele gelten die Mathematiker Bolyai (1802–1860) und Lobatschewski (1792– 1856), doch stellte sich später heraus, dass auch Gauß (1777–1855) ganz ähnliche Ideen hatte4 . 4

Er hat sie allerdings nie veröffentlicht, da er den Mathematikern seiner Zeit nicht zutraute, derart revolutionäre neue Entwicklungen zu akzeptieren.

194

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Hier wollen wir ein spezielles Beispiel einer nichteuklidischen Geometrie kennenlernen, die hyperbolische Geometrie.

6.4.1 Hyperbolische Geometrie I: die obere Halbebene H Man kann die hyperbolische Geometrie ganz abstrakt entwickeln, aber wenn man an die euklidische Geometrie der Ebene glaubt, kann man sich ein „konkretes“ Bild machen: Man kann sie – nach einer Idee von Poincaré – in H oder in der Einheitssphäre U visualisieren. Grundlegende Definitionen Zu Beginn steht eine Festlegung, was man unter „Punkt“, „Gerade“, „zwischen“ usw. verstehen möchte. Und dann kann man nachprüfen, welche geometrischen Axiome erfüllt sind. Punkte. In dem Modell, das wir hier betrachten werden, verstehen wir unter Punkten die Elemente aus H. Geraden. Eine Gerade ist entweder eine zu R senkrechte Halbgerade (also eine Menge fz 2 H j Re z D cg für ein c 2 R) oder ein Halbkreis mit Mittelpunkt in R (d. h. eine Menge des Typs fz 2 H j jz  cj D rg mit c 2 R; r > 0). Nachstehend sieht man einige Geraden. (Um die Skizze etwas attraktiver zu machen, sind die Zwischenräume gefärbt worden.)

Einige Geraden in H

Einige weitere Definitionen sind dann naheliegend, etwa:    

Zwei Geraden schneiden sich, wenn sie mindestens einen Punkt gemeinsam haben. Zwei Geraden heißen parallel, wenn sie sich nicht schneiden. Eine Strecke ist das Stück zwischen zwei Punkten auf einer Geraden. Ein Dreieck ist eine Menge, die von Strecken zwischen drei Punkten begrenzt wird, die nicht auf einer Geraden liegen. (Man lässt auch Dreiecke zu, bei denen eine Ecke 1

6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie

195

ist. Die sehen dann so aus: Seitlich gibt es zwei zur x-Achse senkrechte Geraden, und unten schließt sich ein Stück eines Halbkreises mit Mittelpunkt auf der x-Achse an.)  Der Winkel zwischen zwei Geraden, die sich in z schneiden, ist der Winkel zwischen den Tangenten an diese Geraden bei z.

Einige Strecken in H

Einige Dreiecke in H

Dann lassen sich unschwer viele Ergebnisse herleiten. Einige kennen wir aus der euklidischen Geometrie, einige haben dort keine Entsprechung. Zum Beispiel:  Durch je zwei verschiedene Punkte geht genau eine Gerade.  Zwei nicht identische Geraden haben höchstens einen Schnittpunkt.  Ist z ein Punkt, der nicht auf einer Geraden G liegt, so gehen unendlich viele Parallelen zu G durch z. Längen Nun wollen wir Entfernungen messen. Wir verfahren in zwei Schritten. Zunächst definieren wir die Länge von Kurven. Allgemein betrachten wir dazu auf einer offenen Teilmenge U des Rn eine Gewichtsfunktion  W U ! 0; 1Œ. Die Zahl .x/ misst, wie anstrengend es ist, sich im Bereich x voranzubewegen. Und ist Rdann  W Œ0;1 ! U eine Kurve5 , so wird ihre (durch  gewich1 tete) Länge als L./ WD 0 k 0 .t/k .t/ dt definiert. (k 0 .t/k steht für die Länge des 5

Alle auftretenden Funktionen sollen stückweise glatt sein.

196

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Geschwindigkeitsvektors bei t.) Ist etwa  konstant gleich Eins, so ergibt sich die übliche Kurvenlänge. Dann bestimmt man, für zwei vorgegebene Punkte P und Q in U , das Infimum der Kurvenlängen über alle Kurven von P nach Q. Das ist der Abstand von P nach Q. Manchmal gibt es genau eine Kurve, durch die der kleinste Abstand realisiert wird. Sie heißt dann eine Geodätische. Zurück zu H. Da ist die relevante Gewichtsfunktion z 7! 1= Im z. Das bedeutet anschaulich, dass es in der Nähe der x-Achse besonders anstrengend ist, voranzukommen. Deswegen ist es plausibel, dass man bei zwei Punkten aus H mit dem gleichen Imaginärteil nicht parallel zur x-Achse gehen sollte, um möglichst günstig von einem zum anderen zu kommen. Besser ist es sicher, eine „Schlenker nach oben“ zu machen. Hier zunächst ein einfaches Beispiel. Wie weit ist es zum Beispiel von z D x C iy1 nach w D x C iy2 , wenn z; w übereinander liegende Punkte sind (d. h. y1 < y2 )? Als Kurve betrachten wir die Verbindungsstrecke, also  W Œ0; 1 ! H, definiert durch t 7! z C t.w  z/. Das führt auf Z1 L./ D 0

jw  zj dt D Im.z C t.w  z//

Z1

y2  y1 dt D log.y2 =y1 /; y1 C t.y2  y1 /

0

und kleinere Werte sind offensichtlich nicht zu erzielen. Sei nun M D Ma;b;c;d eine Möbiustransformation, die H invariant lässt: Die a; b; c; d sind also reell, und es gilt ac  bd D 1. M lässt Abstände invariant:

Satz 6.4.1

M erhält Kurvenlängen: Ist  eine Kurve in H, so haben  und M ı  die gleiche Länge. Es folgt, dass M eine Isometrie ist.

Beweis Das Ergebnis lässt sich aus dem Transformationssatz für Integrale herleiten. Wir wollen hier – wie früher bei Beweisen weit verbreitet – infinitesimal argumentieren. Sei z D x C iy 2 H beliebig und z 2 C „sehr“ klein. Die Strecke von z nach z C z wirde dann mit j zj=y gewichtet. Nun betrachten wir das Bild dieser Strecke unter M , es ist (in guter Näherung) die Strecke von M.z/ nach M.z/ C M 0 .z/ z. Die Länge ist also jM 0 .z/j j zj= Im M.z/: Wir behaupten, dass dieser Wert mit j zj=y übereinstimmt, dass also jM 0 .z/j= Im M.z/ D 1=y

6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie

197

gilt. Wirklich ist ˇ ˇ ˇ ˇ 1 1 ˇD ˇ jM .z/j D ˇ ˇ 2 .cz C d / jcx C d j2 0

sowie az C b cz C d .az C b/.cz C d / D Im jcz C d j2 .ax C b C iay/.cx  icy C d / D Im jcz C d j2 aycx  aycx C y.ad  bc/ D jcz C d j2 y D : jcz C d j2

Im M.z/ D Im

Hier war wichtig, dass a; b; c; d reell sind. Der Zusatz ist klar.



Das eröffnet eine Möglichkeit, Abstände bequem zu berechnen. Sind z; w beliebig vorgegeben, so wähle eine (H invariant lassende) Möbiustransformation M so, dass M z; M w den gleichen Realteil haben. Der Abstand ist dann, wie vor wenigen Zeilen gezeigt, leicht zu berechnen. Flächen Längen bei z haben wir mit 1= Im z gewichtet. Deswegen ist es plausibel, Flächenmessung lokal mit 1=.Im z/2 zu wichten: Ist G eine Teilmenge von H, so definieren wir die Fläche von G als Z Z Z Z 1 1 dx dy D dx dy: F .G/ WD .Im z/2 y2 G

G

(Man kann sich vorstellen, dass H eine Landschaft ist, in der wir ein Grundstück G erwerben wollen. Der Quadratmeterpreis variiert stark, er hängt invers quadratisch vom Abstand zur x-Achse ab. F .G/ kann dann als Grundstückswert interpretiert werden.) Beispiele: 1) G werde begrenzt durch die drei euklidischen Geraden fRe z D ag; fRe z D bg und fIm z D cg, wo a; b; c 2 R, a < b und c > 0. Dann ist Zb Z1 F .G/ D a

c

1 dy dx D y2

Zb a

1 dy D c.b  a/: c

198

6

Gruppen von Möbiustransformationen

2) Diesmal betrachten wir das Gebiet G, das durch die euklidischen Geraden fRe z D ag; fRe z D bg und den Halbkreisbogen fjzj D 1g begrenzt wird. Es soll dabei 1 < a < b < 1 sein. Dann ist Zb Z1 F .G/ D a

p

1x 2

1 dy dx D y2

Zb a

1 p dx D arcsin.b/  arcsin.a/: 1  x2

Schreibt man a als cos  und R b als cos und macht dann die Substitution x D cos t, so wird daraus das Integral  t dt D   .

Ein spezielles Dreieck in H

Satz 6.4.2

Möbiustransformationen, die H invariant lassen, sind flächenerhaltend.

Beweis Sei M eine derartige Möbiustransformation. Ein infinitesimales Flächenstück G bei z D x C iy wird doch (euklidisch interpretiert) um jM 0 .z/j2 vergrößert oder verkleinert. Aus dem Beweis des vorigen Satzes folgern wir, dass diese Zahl den Wert 1=jcz C d j4 hat. Der Imaginärteil von M.z/ ist gleich y=jcz C d j2 , und deswegen ist j Gj=y 2 (bis auf einen infinitesimalen Fehler) gleich jM. G/=.Im M.z//2 . Die abge bildete Fläche wird also genauso gezählt wie das Original.

6.4 Exkurs: hyperbolische Geometrie

199

Damit sind die wichtigsten Ergebnisse bereit gestellt, um den folgenden überraschenden Satz zu beweisen:

Satz 6.4.3

Sei D ein hyperbolisches Dreieck mit den Innenwinkeln ˛; ˇ; . Dann ist F .D/ D   .˛ C ˇ C /: Insbesondere ist die Winkelsumme im Dreieck immer kleiner als .

Beweis Die Beweisidee besteht darin, die Aussage zunächst für ein einfaches Beispiel zu beweisen: für ein Dreieck wie oben in Beispiel 2 (eine Ecke in 1). Das ist ein Dreieck mit den Winkeln 0;   und . Dort ist die Fläche wirklich gleich 

 D   .  / C

 C0 :

Dort stimmt die Aussage also. Hier sieht man dieses Dreieck, wobei wir ˛ D    und ˇ D gesetzt haben. Das sind die richtigen Winkel, dazu muss man nur überlegen, dass der linke untere (bzw. rechte untere) Punkt des Dreiecks gleich a D e i  (bzw. gleich b D e i ) ist.

Ein spezielles Dreieck in H

200

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Dann werden gewisse Dreiecke betrachtet, bei denen alle Ecken im Endlichen liegen. Im folgenden Beispiel geht es um das Dreieck mit den Ecken in a; b; c. Die Aussage stimmt für das Dreieck mit Ecken in 1; a; b und im Dreieck mit Ecken in 1; c; b. Und daraus folgt sie durch Differenzbildung auch für das Dreieck mit den Ecken in a; b; c.

Dreiecksfläche durch Differenzbildung berechnen

Schließlich wird der vorstehende Satz herangezogen, um den allgemeinen Fall zu lösen. Dabei ist zu beachten, dass Möbiustransformationen als holomorphe Abbildungen winkel erhaltend sind.

6.4.2

Hyperbolische Geometrie II: der Einheitskreis U

Wir haben schon in Abschnitt 6.3 ausgenutzt, dass die Cayleytransformation C die obere Halbebene H auf das Innere des Einheitskreises U abbildet. Deswegen kann man durch Konjugation alles, was man für H entwickelt hat, auf U übertragen. Insbesondere gilt das für die hyperbolische Geometrie. In der U-Variante gilt:  Die Punkte sind die Elemente aus U.  Die Geraden sind die Kreisbögen, die orthogonal auf den Rand treffen zusammen mit den Geraden durch den Mittelpunkt.

6.5 Die modulare Gruppe

201

Hier sieht man einige Geraden, Strecken und Dreiecke

Einige Geraden, Strecken und Dreiecke in U

Nach geeigneter Definition von Entfernungen, Winkeln und Flächen kann man den Dreiecksflächeninhalt wieder einfach durch   .˛ C ˇ C / bestimmen und nachweisen, dass Möbiustransformationen, die U invariant lassen, Längen und Flächen erhalten. Das soll hier nicht weiter ausgeführt werden.

6.5

Die modulare Gruppe

Die Gruppe SL.2; Z/ wird auch als Modulgruppe oder modulare Gruppe bezeichnet. Je nachdem, ob man mit Matrizen oder mit Möbiustransformationen rechnet, geht es um Matrizen mit ganzzahligen Einträgen oder um Transformationen M˛;ˇ;;ı mit ganzzahligen ˛; ˇ; ; ı 6 . Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts spielt sie eine wichtige Rolle in der Zahlentheorie. Sie lässt H invariant, wir wollen einige Eigenschaften diskutieren. Sie wurde wichtig beim Studium von elliptischen Funktionen. Das sind meromorphe Funktionen f , für die es ein von einer Basis a0 ; b0 erzeugtes Gitter gibt, so dass f periodisch auf diesem Gitter ist: f .z C na0 C mb0 / D f .z/ für alle n; m 2 Z. Zwei Gitter, die von a0 ; b0 bzw. a00 ; b00 erzeugt werden, heißen äquivalent, wenn sie durch eine Drehstreckung auseinander hervorgehen, wenn es also ein a 2 C so gibt, dass a00 Z C b00 Z D a.a0 Z C b0 Z/:

6 Im zweiten Fall ist eigentlich, genau genommen, die Faktorgruppe PSL.2; Z/ D SL.2; Z/=f˙Idg relevant.

202

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Offensichtlich reicht es, sich auf Gitter der Form Z C wZ mit w 2 H konzentrieren, und es stellt sich die Frage: Wann sind solche Gitter Z C wZ und Z C w0 Z äquivalent. Hier braucht man die Modulgruppe:

Satz 6.5.1

Die von Z C wZ und Z C w0 Z erzeugten Gitter (mit w; w0 2 H) sind genau dann äquivalent, wenn es eine Möbiustransformation M˛;ˇ;;ı mit ˛; ˇ; ; ı 2 Z und ˛ı  ˇ D 1 so gibt, dass w0 D M w gibt. Beweis Wir nehmen zunächst an, dass Z C wZ D a.Z C w0 Z/ für ein a ¤ 0. Das impliziert .w 0 ; 1/> D aM.w; 1/> für eine ganzzahlige Matrix M mit den Einträgen ˛; ˇ; ; ı. Ganz analog muss a.1; w/> D N.1; w 0 /> für eine Matrix N mit ganzzahligen Einträgen gelten. Es ist dann .w 0 ; 1/> D MN.w 0 ; 1/> . Da 1; w 0 über R linear unabhängig sind, folgt MN D Id, und deswegen ist die Determinante von M in f1; 1g. Sie ist sogar gleich 1. Teilt man nämlich die zwei Gleichungen der Matrixgleichung .w 0 ; 1/> D aM.w; 1/> durcheinander, so folgt w 0 D M˛;ˇ;;ı w, und da w und w 0 in H liegen, kann man daraus auf det M > 0 schließen. Zum Beweis schreiben wir w D x C iy und rechnen wie im Beweis von Satz 6.4.1: Im w 0 D Im M˛;ˇ;;ı w D

y.˛ı  ˇ/ : jw C ıj2

Da die linke Seite und y positiv sind, muss auch ˛ı  ˇ > 0 gelten. Und nun sei umgekehrt w 0 D M˛;ˇ;;ı w für ein M˛;ˇ;;ı mit ˛; ˇ; ; ı 2 Z und ˛ı  ˇ D 1. Setze a WD 1=.w C ı/. Für die Matrix M mit den Einträgen ˛; ˇ; ; ı gilt dann  .w 0 ; 1/> D aM.w; 1/> , und das impliziert sofort Z C w0 Z D a.Z C wZ/. Eine andere Motivation ergab sich beim Studium von quadratischen Formen mit ganzzahligen Koeffizienten. Etwa: Welche ganze Zahlen sind in der Form 5x 2  12xy C y 2 mit x; y 2 Z schreibbar? Allgemein sei B eine 2  2-Matrix mit ganzzahligen Einträgen, und wir untersuchen die hx; Bxi für x 2 Z2 . Ist A 2 SL.2; Z/, so durchläuft Ax ganz Z2 , d. h. statt hx; Bxi kann man auch hAx; BAxi D hx; A> BAxi untersuchen. Oder anders ausgedrückt: B kann durch A> BA ersetzt werden, und dadurch wird Problem evtl. vereinfacht.     Sei etwa B die Einheitsmatrix und A D 21 11 . Dann ist A> BA D 53 32 . So wird das Problem „Finde für vorgelegtes c alle ganzzahligen Lösungen von 5x 2 C 6xy C 2y 2 D c“ zurückgeführt auf „Finde für vorgelegtes c alle ganzzahligen Lösungen von x 2 C y 2 D c“. Für d D 157 etwa findet man die Lösung .11; 6/> , und A.x; y/> D .11; 6/> liefert .x; y/ D .5; 3/. Dieses Tupel löst 5x 2 C 6xy C 2y 2 D 157.

6.5 Die modulare Gruppe

203

Es seien S; T die folgenden Elemente der SL.2; Z/: 1 1

SD

!

0 1

0

und T D

1

!

1 0

:

Sie entsprechen den Möbiustransformationen z 7! z C 1 bzw. z 7! 1=z. Wir behaupten:

Satz 6.5.2

S; T erzeugen die Gruppe SL.2; Z/.

Beweis Wir bemerken zunächst, dass für alle M D

MS D

a

aCb

c

cCd

! ;

MT D

b

a

d

c



a b c d

 gilt:

! ;

MS 1 D

a

ba

c

d c

! :

Nun sei M 2 SL.2; Z/ beliebig vorgegeben. Mit M bezeichnen wir die Menge der Transformationen, die aus M dadurch entstehen, dass man von rechts beliebig oft Elemente aus fS; T; S 1 ; T 1 g heranmultipliziert. Es wird reichen zu zeigen, dass Id 2 M, denn dann kann M als Produkt von Potenzen der Elemente aus fS; T; S 1 ; T 1 g geschrieben   0 0 werden. 0 In einem ersten Schritt definieren wir 2 N0 als das minimale ja j der ac 0 db 0 2 M.  0 Wir behaupten, dass D 0 gilt, d. h. dass es ein c00 db 0 in M gibt. Zum Beweis wählen  0 0 wir ein M 0 D ac 0 db 0 2 M mit ja0 j D und nehmen an, dass > 0 gilt. (Ziel: Es folgt ein Widerspruch.) Fall 1: jb 0 j < ja0 j. Das kann nicht sein, denn M 0 T liegt in M, und diese Matrix hätte links oben das Element b 0 , also ein betragsmäßig kleineres Element als . Fall 2: jbj  ja0 j. Auch das führt zu einem Widerspruch. Haben a0 ; b 0 das gleiche (bzw. verschiedenes) Vorzeichen, so wende man S (bzw. S 1 ) evtl. auch mehrfach von rechts auf M 0 an. So entstünde ein Element Fall 1 zutrifft.  2 aus  M, für das  5 1 0 0 2 .) (Ist etwa M D , so ist M S D 2  0 0 b 0 Es gibt also ein M D c 0 d 0 in M. Notwendig ist b 0 c 0 D 1. Fall 1: Es ist b 0 D 1, c 0 D 1. Wieder kann man durch mehrmalige Multiplikation von M 0 mit S oder S 1 erreichen, dass d 0 zu Null wird, und das bedeutet T 2 M und folglich Id D T 4 2 M. Fall 2: Es ist b 0 D 1, c 0 D 1. Diesmal folgt wie eben T 2 M, und wegen T 2 D Id  ist auch T 2 M und damit Id 2 M.

204

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir noch einen Fundamentalbereich der Modulgruppe identifizieren. Wir setzen F WD fz 2 H j 0;5  Re z  0;5; jzj  1g und behaupten:

Satz 6.5.3

F ist Fundamentalbereich für die auf H operierende Modulgruppe.

Beweis Wir müssen zeigen:  0 0 a) Für jedes z 2 H gibt es ein ac 0 db 0 2 SL.2; Z/ mit Ma0 ;b 0 ;c 0 ;d 0 z 2 F. b) Die durch die T 2 SL.2; Z/ verschobenen Kopien von F schneiden sich nicht im Innern. Sei z 2 H vorgegeben. Wir bestimmen c; d 2 Z so, dass jcz C d j strikt positiv und minimal ist. Notwendig sind dann  c; d teilerfremd, und wir können a; b 2 Z so wählen, dass ad  bc D 1. Setze M D ac db . Diese Matrix gehört zur SL.2; Z/, und für jedes   bCmd m 2 Z ist S m M D aCmc . Dabei ist erstens aufgrund unserer Wahl von c; d c d ˇ ˇ ˇ .a C mc/ z C .b C md / ˇ ˇ  1: ˇ jMaCmc;bCmd;c;d zj D ˇ ˇ cz C d Zweitens ist MaCmc;bCmd;c;d z D mCMa;b;c;d z, und deswegen kann man durch geeignete Wahl von m erreichen, dass der Realteil von MaCmc;bCmd;c;d z zwischen 1=2 und 1=2 liegt. Es ist dann jMaCmc;bCmd;c;d zj  1 und 0;5  Re MaCmc;bCmd;c;d z  0;5; d. h. MaCmc;bCmd;c;d z 2 F. Im zweiten Teil des Beweises müssen wir zeigen, dass sich nichttrivial transformierte Blder von F nicht im Innern schneiden. Zu zeigen ist also: Ist Ma;b;c;d eine Möbiustransformation mit a; b; c; d 2 Z und ad  bc D 1, so dass ein z 2 F 0 existiert, für das auch M z zu F 0 gehört, so ist M D Id. Seien derartige M und z D x C iy vorgegeben. Wir p beachten, dass die unteren Ecken von F den kleinsten Imaginärteil haben, es ist also t  3=2 für alle s C it 2 F. Insbesondere gilt p 3 y  Im M z D : 2 jcz C d j 2 Andererseits ist jcz C d j2  j Im.cz C d /j2 D c 2 y 2 , und es folgt p 3 y 1 y 1 2  2 2 D 2  2p :  2 2 jcz C d j c y c y c 3 Das beweist c 2  4=3, also c 2 f0; 1; 1g.

6.5 Die modulare Gruppe

205

Sei zunächst c D 0. Es ist dann, wegen ad D 1, die Möbiustransformation von der Form w 7! w C m für ein m 2 Z. Nur für m D 0, also M D Id, ergibt sich kein Widerspruch. Es bleibt der Fall c D ˙1, und o.B.d.A. dürfen wir c D 1 annehmen. (Sonst erweitern wir mit 1.) M ist also von der Form M w D .aw C b/=.w C d /. Wie groß kann d sein? Für ˛; ˇ  0 gilt doch stets ˛ 2 C ˇ 2  2˛ˇ, das folgt aus .˛  ˇ/2  0. Also ist jz C d j2 D jx C d j2 C jyj2  2jx C d jy und damit p 3 y y 1   D : 2 jc C d j2 2jx C d jy 2jx C d j p Das impliziert 3jx C d j  1, und wegen jxj  0;5 bleiben nur die Möglichkeiten d D 0 und d D ˙1. Zunächst nehmen wir d D 0 an. Notwendig ist dann b D 1, es handelt sich also um die Transformation a  1=w, und es ist sicher nicht möglich, dass z und a  1=z zum Inneren von F gehören. (Das ist leicht durch Fallunterscheidung a D 0 bzw. a ¤ 0 einzusehen.) Wir müssen noch den Fall d D ˙1 untersuchen. Da ist jz C d j2 D .x ˙ 1/2 C y 2 , also jz C d j2  0;25 C y 2 , denn jxj  0;5. Folglich ist p 3 y y  2  Im M z D : 2 2 jz C d j y C 0;25 So kommt die Funktion .y/ WD y=.y 2 C 0;25/ ins Spiel, die uns nur im Bereich y  p p sie streng monoton fallend (die Ableitung ist negativ), p und bei p3=2 interessiert. Dort ist 3=2 hat sie den Wert 3=2. Die einzige Möglichkeit für y ist also y D 3=2, doch  dann liegt z nicht im Innern von F. Wie H durch die T .F/ gefüllt wird, wenn T die Modulgruppe durchläuft, kann man am nachstehenden Bild sehen:

Ein Fundamentalbereich der Modulgruppe (F ist oben in der Mitte)

206

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Natürlich kann man den Fundamentalbereich auch farblich etwas interessanter gestalten oder Bilder einbauen:

Eine durch die modulare Gruppe induzierte Pflasterung von H

Alles kann man natürlich durch Konjugation mit der Cayley-Transformation in die UWelt verlagern (vgl. Abschnitt 6.4.2). Dann ergibt sich unter Verwendung des konjugierten Fundamentalbereiches F eine Parkettierung von U, die nachstehend in zwei Varianten zu sehen ist:

Eine durch die modulare Gruppe induzierte Pflasterung von U

6.6 Gruppen mit zwei Erzeugern Wir unterbrechen kurz das Studium von Möbiustransformationen, um an einige Begriffe und Fakten aus der Gruppentheorie zu erinnern. Am einfachsten sind zyklische Gruppen G, da gibt es ein g, so dass G mit fg n j n 2 Zg übereinstimmt. Sie sind immer kommutativ, und sie können endlich oder abzählbar sein.

6.6 Gruppen mit zwei Erzeugern

207

Man sagt auch, dass sie von einem Element erzeugt werden. Der abzählbare Fall, zum Beispiel Z, spielt eine besondere Rolle, denn alle zyklischen Gruppen entstehen aus so einer Gruppe durch Quotientenbildung nach einem geeigneten Normalteiler. Die im vorigen Abschnitt behandelte modulare Gruppe ist, wie wir gesehen haben, eine Gruppe mit zwei Erzeugern. Allgemein heißen g1 ; : : : ; gk Erzeuger einer Gruppe .G; ı/, wenn G die kleinste Untergruppe ist, die diese Elemente enthält. Es ist nicht schwer zu sehen, dass jedes Element von G dann als Produkt h1 ı    ı hr geschrieben kann, wobei r 2 N und hi 2 fg1 ; : : : ; gk ; g11 ; : : : ; gk1 g. Wenn es solche g1 ; : : : ; gk gibt, heißt die Gruppe endlich erzeugt. Gruppen mit zwei Erzeugern sind offensichtlich der nächst einfache Fall nach den zyklischen Gruppen. Wir werden in den folgenden Abschnitten an Beispielen von Gruppen von Möbiustransformationen sehen, dass sie schon zu extrem schwierigen Problemen Anlass geben. Ähnlich wie bei zyklischen Gruppen, wo Z in gewisser Weise die allgemeinste derartige Gruppe ist (jede andere ist Quotient), gibt es auch bei Gruppen mit k Erzeugern eine „besonders allgemeine“. Man nennt sie die freie Gruppe mit k Erzeugern. Wir wollen ihre Eigenschaften am Beispiel k D 2 beschreiben. Zunächst zur Definition. Unter F2 , der freien Gruppe mit 2 Erzeugern, verstehen wir  die Menge der aus den Symbolen a; A; b; B gebildeten endlichen Worte, in denen niemals aA, Aa, bB, oder Bb auftritt,  zusammen mit dem Symbol e. Hier sieht man einige Elemente: abbaBBBBB; e; Ba; bbbbbbbbbAAbABa; : : : Nicht zu F2 gehören etwa aabBaaA oder eA. Die Gruppenoperation kann man sich leicht merken. „Heimlich“ ist A D a1 und B D b 1 , und e ist das neutrale Element. Formal definiert man:  e ı x D x ı e D x für beliebige x.  Sind x; y beliebige Elemente von F2 , so schreibe man zur Definition von x ı y die zugehörigen endlichen Worte zunächst nebeneinander. Und dann wird vereinfacht, alle Buchstabenkombinationen aA, Aa, bB oder Bb werden weggelassen, diese Aktion muss ggfs. mehrfach wiederholt werden. Bleibt am Ende nichts übrig, so soll e das Ergebnis sein. Dann lässt sich zeigen, dass die Gruppenmultiplikation erstens wohldefiniert ist und zweitens F2 wirklich zu einer Gruppe macht. So ist etwa a ı A D e, aabA ist invers zu aBAA usw. Und F2 wird von den zwei Elementen a; b erzeugt.

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6

Gruppen von Möbiustransformationen

Jeder Quotient von F2 nach einem Normalteiler ist auch von zwei Elementen erzeugt (vielleicht sogar von einem), man braucht ja nur die Elemente Œa; Œb im Quotienten zu betrachten. Bemerkenswerter Weise gilt auch die Umkehrung:

Satz 6.6.1

Sei .G; ı/ eine Gruppe, die von den Elementen g; h erzeugt wird. Dann ist G als Gruppe isomorph zu einer Quotientengruppe von F2 .

Beweis Definiere  W F2 ! G durch e 7! eG , a 7! g, b 7! h und für die anderen Elemente von F2 so, dass  ein Gruppenmorphismus wird: A 7! g 1 ; B 7! h1 ; aabABa 7! gghg 1 h1 g; usw.  ist dann ein wohldefinierter Gruppenmorphismus, der nach Voraussetzung (g; h erzeugen G) auch surjektiv ist. Nach dem Homomorphiesatz ist G isomorph zum Quoti enten von F2 nach dem Kern von . Auf diese Weise kann man Gruppen mit maßgeschneiderten Eigenschaften konstruieren, zum Beispiel eine, die von g; h erzeugt wird und wo zusätzlich g 7 D e und ghg D h2 gilt. Da betrachtet man in F2 den von a7 und abaBB erzeugten Normalteiler N und geht zu F2 =N über. Es sollte auch klar sein, wie man die Konstruktion auf mehr als zwei (sogar auf beliebig viele) erzeugende Elemente verallgemeinern kann. Das führt zu den freien Gruppen mit k Erzeugern, wobei k eine beliebige Kardinalzahl sein kann. Bisher haben wir bei den Möbiustransformationen als Untergruppen nur zyklische Gruppen und die modulare Gruppe kennen gelernt. Die ist nicht frei, da es nichttriviale Relationen zwischen den Erzeugern gibt, etwa (mit den im entsprechenden Kapitel eingeführten Bezeichnungen) T 4 D Id oder .ST /3 D Id.

6.7 Schottkygruppen Die modulare Gruppe wurde von zwei Abbildungen erzeugt (z 7! z C 1 und z 7! 1=z). Wir studieren nun weitere Gruppen von Möbiustransformationen mit zwei Erzeugern, dabei werden sich die Transformationen vergleichsweise einfach veranschaulichen lassen. Benannt sind sie nach Friedrich Schottky (1851 – 1935), der sie erstmals 1879 beschrieben hat.

6.7 Schottkygruppen

209

Zur Vorbereitung fixieren wir zwei Kreise7 K1 ; K2 in der Ebene, etwa die hier abgebildeten (K1 links, K2 rechts):

Zwei Kreise in der Ebene

Der linke habe den Mittelpunkt m1 und den Radius r1 , der rechte den Mittelpunkt m2 und den Radius r2 . Wir verlangen nur, dass sich die Kreise nicht schneiden, dass also jz1  z2 j > r1 C r2 gilt. Wir suchen uns eine Möbiustransformation M , die Folgendes bewirkt. Erstens bildet sie den Rand von K1 auf den von K2 ab. Es gibt dann noch zwei Möglichkeiten: Das Innere von K1 kann auf das Innere oder das Äußere von K2 abgebildet werden. Wir wünschen uns die zweite Möglichkeit, das bedeutet, dass die Polstelle von M in K1 liegt. Ein Beispiel für so ein M ist schnell gefunden8, wir setzen M z WD

r1 r2 m2 z C .r1 r2  m1 m2 / D C m2 : z  m1 z  m1

Wirklich liegt die Polstelle bei m1 2 K1 , und aus jz  m1 j D r1 folgt ˇ ˇ  ˇ ˇ r1 r2 ˇ C m2 m2 ˇˇ jM z  m2 j D ˇ z  m1 ˇ ˇ ˇ r1 r2 ˇ ˇ ˇ Dˇ z  m1 ˇ D r2 I der Rand von K1 geht also in den Rand von K2 über. 7

Unter „Kreisen“ verstehen wir hier die ganzen Kreisscheiben, also nicht nur den Rand. Je nachdem, welcher Punkt aus K1 nach 1 abgebildet wird, hat man noch einen weiteren Wunsch frei. 8

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6

Gruppen von Möbiustransformationen

Um M besser zu verstehen, betrachten wir zwei „Testkreise“: einen grauen und einen hellgrünen:

Zwei Testkreise: grau und hellgrün

Der graue liegt im Innern von K1 , muss also ins Äußere von K2 abgebildet werden. Der hellgrüne schneidet in das Äußere und das Innere von K1 , das Bild muss also auch das Äußere und das Innere von K2 berühren. Das ist wirklich so, im nächsten Bild sieht man das Bild unter M vom grauen (bzw. hellgrünen) Kreis als schwarzen (bzw. dunkelgrünen) Kreis eingezeichnet:

Die Bilder unter M der Testkreise: schwarz und dunkelgrün

Und wie wirkt M 1 ? Offensichtlich wird der Rand von K2 auf den Rand von K1 abgebildet, und das Innere bzw. Äußere von K2 landet im Äußeren bzw. Inneren von K1 . Hier sieht man die Wirkung von M 1 auf unsere Testkreise:

6.7 Schottkygruppen

211

Die Bilder unter M 1 der Testkreise: wieder schwarz und dunkelgrün

Auch ein Fundamentalbereich F zu der von M erzeugten Gruppe ist schnell gefunden: Man kann die Komplementärmenge der beiden Kreise wählen. Hier sieht man F (hellgrün) und daneben F zusammen mit M.F / (blau) und M 1 .F / (rot). a

b

a der Fundamentalbereich F ; b F und M.F / (blau) und M 1 .F / (rot)

Man beachte, dass auch der blaue und der rote Bereich jeweils die Komplementärmenge zu zwei Kreisscheiben (im vorher weißen Bereich) sind. Das kann man iterieren. Die M n .F / liegen für n 2 N alle in K2 , die M n .F / in K1 , und lässt man n gegen unendlich laufen, ist bis auf zwei Punkte (die Fixpunkte von M ) die ganze komplexe Ebene ausgefüllt. Soweit die Vorbereitung. Bei einer Schottkygruppe werden nun zwei der vorstehend beschriebenen Konstellationen gleichzeitig betrachtet. Genauer gibt es  vier paarweise disjunkte Kreise K1 und K2 sowie K10 und K20 ;  eine Möbiustransformation M , die den Rand von K1 auf den Rand von K2 und das Innere von K1 auf das Äußere von K2 abbildet;  eine Möbiustransformation M 0 , die den Rand von K10 auf den Rand von K20 und das Innere von K10 auf das Äußere von K20 abbildet. Die zugehörige Schottkygruppe G ist dann die von M; M 0 erzeugte Untergruppe der Möbiustransformationen.

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6

Gruppen von Möbiustransformationen

Aufgrund unserer Vorbereitungen wissen wir, wie die M; M 0 auf unsere Kreise wirken: M bildet K10 , K20 und K2 auf das Innere von K2 ab; der Rand von K1 wird auf den Rand von K2 abgebildet. M 1 bildet K10 , K20 und K1 auf das Innere von K1 ab; der Rand von K2 wird auf den Rand von K1 abgebildet. M 0 bildet K1 , K2 und K20 auf das Innere von K20 ab; der Rand von K10 wird auf den Rand von K20 abgebildet. M 01 bildet K1 , K2 und K10 auf das Innere von K10 ab; der Rand von K20 wird auf den Rand von K10 abgebildet. Visualisieren kann man das so. Zunächst sehen wir die vier Kreise, links als gewöhnliche Kreise und rechts graphisch leicht bearbeitet: a

b

a Die Startkreise einer Schottkygruppe (in b graphisch bearbeitet)

Und dann die Bilder der 4 Kreise unter den 4 Möbiustransformationen M; M 1 ; M 0 ; M 01 (in rot):

Die Bilder der 4 Kreise unter M; M 1 ; M 0 ; M 01 (rot)

6.7 Schottkygruppen

213

Das kann man iterieren. Bildet man alle bisher konstruierten Kreise noch einmal unter M; M 1 ; M 0 ; M 01 ab, so entsteht folgendes Bild:

M; M 1 ; M 0 ; M 01 werden noch einmal angewendet (neue Kreise in gelb)

Und noch einmal:

M; M 1 ; M 0 ; M 01 werden noch einmal angewendet (neue Kreise in hellgrün)

Das kann man auch anders ausdrücken. Jedes Element der von M; M 0 erzeugten Gruppe ist doch von der Form M1 ı    ı Mk , wo Mi 2 fM; M 1 ; M 0 ; M 01 g und k 2 N. (Wenn M und M 1 oder M 0 und M 01 nebeneinanderstehen, kann man beide natürlich auch weglassen.) In den vorigen Bildern wurden alle Gruppenelemente mit k  3 auf alle Kreise angewendet, zunächst war k  1, dann k  2 und schließlich k  3. Im letzten Bild sind die Kreisbilder allerdings schon so winzig, dass die Radien in vielen Fällen kleiner sind als die Auflösung des Bildes.

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6

Gruppen von Möbiustransformationen

Das kann man natürlich fortsetzen, zu k D 4; 5; 6 usw. Die Kreise werden immer kleiner und ziehen sich für k ! 1 auf einzelne Punkte zusammen. Das wollen wir gleich etwas präziser formulieren. Vorher bemerken wir noch, dass auch für die hier betrachtete Schottkygruppe leicht ein Fundamentalbereich gefunden werden kann, man muss nur die Komplementärmenge der vier Kreise wählen:

Ein Fundamentalbereich (hellgrün) zur hier betrachteten Schottkygruppe

Und wenn man den Fundamentalbereich unter M; M 1 ; M 0 ; M 01 abbildet, ergibt sich folgendes Bild:

M; M 1 ; M 0 ; M 01 wirken auf diesen Fundamentalbereich

6.7 Schottkygruppen

215

Im nächsten Schritt (bei Anwendung von M 2 usw.) würden die weißen Lücken durch ähnliche Formen gefüllt werden, und was schließlich übrig bleibt, ist eine ziemlich komplizierte Teilmenge von C, auf die wir weiter unten eingehen wollen. Wir brauchen einige Vorbereitungen. Zunächst betrachten wir die spezielle Möbiustransformation p 1 C u2 z C u p Mu z WD uz C 1 C u2 für u 2 R. Sie bildet wegen Satz 6.3.2 U auf sich ab, und da die Einträge reell sind, gilt M z D M z. Es folgt, dass ein Kreis in U mit Mittelpunkt auf R in einen Kreis abgebildet wird, für den der Mittelpunkt auch in R liegt. Wir behaupten, dass man mit u solche Kreise fast beliebig verschieben kann:

Lemma 6.7.1

Sei K ein Kreis mit Mittelpunkt m 2 R und Radius r im Innern von U. Dann gibt es ein u 2 R, so dass Mu K ein zum Einheitskreis konzentrischer Kreis im Innern von U ist. Beweis Sei s WD m  r; t WD m C r, also 1 < s < t < 1. Das sind die Punkte, an denen der Kreis die reelle Achse schneidet. Wir wollen ein u so finden, dass Mu s C Mu t D 0. Aufgrund der Vorbemerkung ist dann Mu K ein Kreis mit Mittelpunkt 0, er hat also die gewünschten Eigenschaften. Die Gleichung Mu s D Mu t ist gleichwertig zu p sCt 2u 1 C u2 : D st C 1 1 C 2u2 Der rechts stehende Ausdruck geht gegen ˙1 für u ! 1. So ein u kann also gefunden werden, wenn die links stehende Zahl betragsmäßig kleiner als 1 ist. Das ist genau dann der Fall, wenn .s C t/2 < .1 C st/2 , also genau dann, wenn s 2 C t 2 < 1 C s 2 t 2 . Das gilt aber: Es ist nur zu beachten, dass sich die Geraden x 7! s 2 C x und x 7! 1 C s 2 x erst bei  x D 1 schneiden. Bei t 2 gilt also noch die echte Ungleichung.

Lemma 6.7.2

Es seien D und E konzentrische Kreisscheiben, so dass D im Innern von E liegt. Bezeichnen r; r 0 die Radien, so gilt also r < r 0 . Nun sei M eine Möbiustransformation ohne eine Singularität in E. Die Radien der Kreise M.D/; M.E/ sollen s; s 0 genannt werden. Wir behaupten, dass s=s 0  r=r 0.

216

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Beweis M kann ja aus Translationen, Drehstreckungen und 1=z aufgebaut werden. Für Translationen und Drehstreckungen ist die Aussage klar. Es bleibt der Fall 1=z zu untersuchen. Nach geeigneter Skalierung ist der Mittelpunkt von D und E gleich m > 0, und es ist r 0 D r mit einem  > 1, wobei m  r > 0. Wir bilden die Kreise unter 1=z ab. Die Punkte m  r und m C r aus D werden auf 1=.m ˙ r/ abgebildet, der Radius der Bildkugel ist also   1 1 r 1 : D 2  2 mCr mr m  r2 Ganz analog ist der Radius der Bildkugel von E gleich   1 1 1 r :  D 2 2 m C r m  r m  2 r 2 Für die Quotienten der Radien der Bilder gilt also s r m2  2 r 2 1 1 m2  2 r 2 r D 2  < D 0: D 0 2 2 2 s m r r  m r  r



Satz 6.7.3

Es seien D und E Kreisscheiben, so dass D im Innern von E liegt. Dann gibt es ein L < 1 mit der folgenden Eigenschaft: Ist M eine Möbiustransformation, die in E keine Singularität hat, so ist der Quotient „Radius von M.D/ durch Radius von M.E/“ kleiner oder gleich L.

Beweis Transformiere zunächst E; F durch Drehen und Verschieben so, dass E der Einheitskreis ist und D ein Kreis mit Mittelpunkt auf der rellen Achse. Verschiebe dann mit Hilfe des vorigen Lemmas so, dass die Kreise konzentrisch werden. Die resultierende Transformation heiße M1 , und L < 1 sei das Verhältnis der Radien. Nun sei M wie im Satz vorgelegt. Wir schreiben M als das Produkt der Möbiustransformationen MM11 und M1 . Dann folgt: Verhältnis der Kreisradien M.D/ und M.E/ D Verhältnis der Kreisradien MM11 M1 .D/ und MM11 M1 .E/  Verhältnis der Kreisradien M1 .D/ und M1 .E/ (Lemma 6.7.2) D L (Definition).  Damit ist der Satz bewiesen. Wir wollen das vorstehende Ergebnis auszunutzen, um die Beobachtung zu erklären, dass die Bildkreise „schnell immer kleiner“ werden. Dazu führen wir zunächst einige Bezeichnungen ein. Die Kreise K1 ; K2 ; K10 und K20 sollen jetzt DA ; Da ; DB ; Db heißen, und aus M; M 1 ; M 0 ; M 01 wird a; A; b; B . (Ab hier folgen wir der im Buch von Mumford et al. vorgeschlagenen Nomenklatur, die sehr suggestiv ist.) Damit ist garantiert: Die nichtsingulären Bilder der Transformation T 2 fa; A; b; Bg liegen in DT . So ist etwa M auf

6.7 Schottkygruppen

217

K1 singulär, und die anderen Kreisscheiben werden nach K2 abgebildet. Deswegen heißt M jetzt a, und K2 wird Da genannt. Sind c1 ; : : : ; ck 2 fa; A; b; Bg, so soll Dc1 ;:::;ck den Kreis c1    ck1 Dk bezeichnen. So ist etwa DaBaaBA D aBaaB.DA/. Wir werden nur solche c1 ; : : : ; ck betrachten, bei denen an keiner Stelle a; A oder b; B nebeneinander auftreten, denn wir wollen im nichtsingulären Bereich bleiben. Die Dc1 ;:::;ck sind folglich gerade die Kreise, die wir (für nicht zu große k) in den vorstehenden Bildern eingezeichnet haben. Wie verhalten sich nun ihre Radien mit wachsendem k ? Schreibe r.Dc1 ;:::;ck / für den Radius von Dc1 ;:::;ck . Wir beachten:    

a bildet D˛ für ˛ D a; b; B ins Innere von Da ab; A bildet D˛ für ˛ D A; b; B ins Innere von DA ab; b bildet D˛ für ˛ D a; A; b ins Innere von Db ab; B bildet D˛ für ˛ D a; b; B ins Innere von DB ab.

Folglich gibt es ein L < 1, durch das das Verhältnis der Radien (kleinerer Kreis durch größerer Kreis) für diese 12 Situationen abgeschätzt werden kann. Sei noch R das Maximum der Radien der D˛ . Dann können wir durch einen Teleskoptrick den vorigen Satz anwenden. Etwa r.DaBab / D r.aBaDb / r.aBaDb / r.aBDa / r.aDB / r.Da / D r.aBDa / r.aDB / r.Da / r.aDb / r.BDa / r.aDB /  r.Da / r.Da / r.DB / r.Da /  L3 R: (Der Satz wurde angewendet, als das aB bzw. a in Zähler und Nenner weggelassen wurde). Und ganz analog kann man zeigen, dass r.Dc1 ;:::;ck /  Lk R für alle der hier betrachteten c1 ; : : : ; ck gilt. Die Radien gehen also, wie aufgrund der Bilder vermutet, „schnell“ gegen Null, sogar geometrisch schnell. Wir wollen noch untersuchen, was für k ! 1 passiert. Zunächst erinnern wir an den Cantorschen Durchschnittssatz: Ist .M; d / ein vollständiger metrischer Raum, und sind E1 E2    nichtleere abgeschlossene Teilmengen, T deren Durchmesser gegen Null geht, so besteht Ei aus genau einem Punkt. Hier wenden wir diesen Satz wie folgt an. Wählt man Folgen c1 ; c2 ; : : : in fa; A; b; Bg so, dass alle Dc1 ;:::;ck zulässig definiert sind, so bezeichnen wir mit Ek die zu Dc1 ;:::;ck gehörige Kreisscheibe. Nach Konstruktion gilt E1 E2    : So ist etwa DaaBa D aaB.Da /  aa.DB / D DaaB , da B.Da /  DB . Die Durchmesser der Ek gehen (geometrisch schnell) gegen Null, und deswegen gibt es genau einen Punkt zc1 ;c2;::: , der in allen Ek liegt.

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6

Gruppen von Möbiustransformationen

Diese Punkte heißen Limespunkte der von a; b (also M1 ; M2 ) erzeugten Gruppe von Möbiustransformationen G , und die Gesamtheit der Limespunkte wird als Limesmenge bezeichnet. Wir werden sie L nennen. L hat einige bemerkenswerte Eigenschaften: Satz 6.7.4

Für die Limesmenge L gilt: (i) (ii) (iii) (iv) (v)

L ist nicht leer und abgeschlossen, und L ist invariant unter allen M 2 G (d. h. M.L/  L). L enthält die Fixpunkte aller nichttrivialen M 2 G , und die Gesamtheit dieser Fixpunkte ist dicht in L. L ist die kleinste invariante Menge: Ist K nichtleer, abgeschlossen und gilt M.K/  K für alle M 2 G , so ist L  K. L ist überabzählbar. Weiter oben hatten wir einen Fundamentalbereich F definiert (das KompleS ment der Kreise). L ist das Komplement von M 2G M.F /.

Beweis (i) Sei Ck die Vereinigung über alle zulässigen Dc1 ;:::;ck . (Hier interpretieren wir T die D’s als Kreisscheiben.) Das ist eine abgeschlossene Menge, und L D k Ck . Sei nun zc1 ;c2;::: 2 L und M D c10    cr0 ein beliebiges Element aus G . Betrachte die Folge c10 ; : : : ; cr0 ; c1 ; c2 ; : : :. Sie muss evtl. „bereinigt“ werden (aA weglassen usw.), das Ergebnis soll d1 ; d2 ; : : : heißen. Dann ist M zc1 ;c2 ;::: D zd1 ;d2 ;::: . (ii) M D c1 ; : : : ; ck 2 G n fIdg sei vorgegeben. Dann ist für jedes z der Limes von M n z für n ! 1 gleich zc1 ;:::;ck ;c1 ;:::;ck ;::: 2 L. Dieser Limes ist der attrahierende Fixpunkt (außer, wenn z der andere Fixpunkt ist). Ersetzt man M durch M 1 , so zeigt das, dass auch der zweite Fixpunkt in L liegt. (i) In Teil (i) haben wir schon gesehen, dass L invariant ist. Sei nun K eine weitere invariante Menge, z 2 K und zc1 ;c2 ;::: 2 L. Die Mc1 ;:::;cn z konvergieren für n ! 1 gegen zc1 ;c2 ;::: , und alle Mc1 ;:::;cn z liegen in K. Da K abgeschlossen ist, folgt zc1 ;c2 ;::: 2 K. Das beweist L  K. (iv) Die Elemente von L können doch mit den erlaubten Folgen c1 ; c2 ; : : : identifiziert werden. Davon gibt es höchstens so viele, wie R Elemente hat, aber auch mindestens so viele, denn alle Folgen, die nur aus a’s und b’s bestehen, sind enthalten.  (v) Das ist klar.

Korollar 6.7.5 (i) G ist isomorph zur freien Gruppe in zwei Erzeugern. (ii) G ist eine diskrete Gruppe. (iii) Kein U 2 G ist elliptisch.

6.7 Schottkygruppen

219

Beweis (i) Es seien c1 ; c2 ; : : : ; ck und d1 ; d2 ; : : : ; dr zwei verschiedene zulässige Folgen (sie enthalten also kein ˛˛ 1 ). Dann sind auch die Möbiustransformationen c1 c2    ck und d1 d2    dr verschieden, denn man findet Punkte, die auf verschiedene Elemente abgebildet werden. (So ist etwa abAB ¤ abAb, denn ein z, das außerhalb aller Kreise liegt, wird unter abAB nach DabAB und unter abAb nach DabAb abgebildet, und DabAB und DabAb sind disjunkt.) Deswegen ist die Abbildung c1    ck (aufgefasst als Möbiustransformation) 7! c1    ck (aufgefasst als Element von F2 ) von G nach F2 bijektiv. Es ist auch klar, dass es sich um einen Gruppenmorphismus handelt. (ii) Das ist klar, denn es gibt viele Punkte, die keine Limespunkte sind. (Zum Beispiel werden Punkte, die außerhalb der vier Kreisscheiben liegen, unter allen nichttrivialen Transformationen der Gruppe in eine der vier Kreisscheiben abgebildet.) (iii) Sei M D c1 ; : : : ; ck 2 G beliebig. Für jedes z ist dann M n z für n ! 1 gegen zc1 ;:::;ck ;c1 ;:::;ck ;::: konvergent. Bei elliptischen Transformationen ist .M n z/ aber nur für die  Fixpunkte konvergent. Wie kann man sich die Limesmenge L vorstellen? Exakt wird das nicht gehen, da eine diskrete Wolke von Punkten in jeder noch so feinen Auflösung eines Bildes keine Spuren hinterlässt. Approximativ geht es aber, es gibt sogar drei Möglichkeiten: Darstellung 1: Bestimme die Dc1 ;:::;ck für alle zulässigen c1 ; : : : ; ck und ein „genügend großes“ k. Zeichne dann die Vereinigung dieser Kreisscheiben. L ist eine Teilmenge, und wenn k groß genug ist, handelt es sich um eine gute Approximation. Darstellung 2: Rechne für „viele“ M 2 G die Fixpunkte aus und trage sie als Punkte in ein Bild ein. Aufgrund Teil (ii) des vorigen Satzes ist das eine Approximation von L. Darstellung 3: Suche irgendeinen Fixpunkt z0 für ein beliebiges M 2 G n fIdg. Der liegt in L und wird gezeichnet. Definiere dann z2 ; z3 ; : : : rekursiv durch znC1 D M zn , wobei M jeweils durch Zufall in G gewählt wurde. Zeichne eine genügend große Anzahl dieser zn . Alle zn leben in L, und wenn n groß genug ist, sollte L gut approximiert werden. Die auf diese Weise erzeugten Bilder sind kaum voneinander zu unterscheiden. Hier sieht man ein approximatives Bild von L, das gemäß Möglichkeit 1 entstanden ist9 :

Ein approximatives Bild der Limesmenge nach Strategie 1 9

Die Kreise Dc1 ;:::;ck sind eingefärbt worden.

220

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Schlussbemerkungen 1. Insgesamt ist aufgrund unserer Ergebnisse eine Gruppe G vom Schottkytyp recht gut verstanden. Man weiß, wie die M 2 G auf der Limesmenge L und auf dem KompleS ment, der Vereinigung der Bilder der Fundamentalbereiche (also der Menge T 2G ) wirken. Und als Gruppe ist G recht einfach, es ist die freie Gruppe F2 . 2. Statt mit zwei Paaren von Kreisen anzufangen, kann man auch k entsprechende Paarungen paarweise disjunkter Kreise vorgeben. Die obigen Ergebnisse sind leicht zu übertragen. Die von den zugehörigen Möbiustransformationen erzeugte Gruppe ist isomorph zur freien Gruppe mit k Erzeugern. Die Limesmenge ist immer isomorph zum Cantordiskontinuum, und als Fundamentalbereich kann man das Komplement der 2k Kreise wählen. 3. Hier noch eine ganze Klasse von weiteren Beispielen. Es sei 0 < s < t < 1. Wir betrachten die folgenden vier Kreise10 : K1 WD K.t Cs/=2;.t s/=2 ; K2 WD K.t Cs/=2;.t s/=2 ; K10 WD K.1=s1=t /=2;.1=sC1=t /=2 ; K10 WD K.1=s1=t /=2;.1=sC1=t /=2 : Und das sind die zugehörigen Transformationen, durch die die Kreise „gepaart“ werden: M1 z D

.s C t/z  2st .s C t/z C 2 ; M10 z D : 2z C .s C t/ 2stz C .s C t/

Die Kreise liegen also symmetrisch zur reellen und zur imaginären Achse, man kann sie sich so vorstellen:

Ein weiteres Beispiel für Schottkykreise

Und dann kann man wieder die von M1 ; M10 erzeugte Gruppe G betrachten. Diesmal sehen die Bilder der Kreise unter den Transformationen der Gruppe (nach Einfärben) so aus:

Die Bilder der Schottkykreise 10

Kz;r bezeichnet den Kreis mit dem Mittelpunkt z und dem Radius r

6.8 Das Mysterium des parabolischen Kommutators

221

Sie werden immer kleiner, und wählt man die auftretenden Möbiustransformationen mit reellen Koeffizienten, ziehen sich die Kreise auf Punkte der reellen Achse zusammen. Die Limesmenge ist dem Cantordiskontinuum sehr ähnlich:

Die Limesmenge, approximativ

Und als Fundamentalbereich F wählen wir wieder das Komplement der vier Kreisscheiben. Man sieht F und darunter das Bild von F unter den ersten Transformationen: a

b

Fundamentalbereich (a, hellgrün) und das Bild unter einigen Transformationen (b)

Es hat sich also erwartungsgemäß nichts Wesentliches geändert.

6.8

Das Mysterium des parabolischen Kommutators

Bisher haben wir disjunkte Schottkykreise betrachtet. Was passiert, wenn wir so vergrößern, dass sie sich gerade berühren11 ? Im Prinzip ändert sich zunächst nichts, außer, dass wir nicht mehr garantieren können, dass die Radien der Bildkreise gegen Null gehen. Hier ein Beispiel:

Ein Beispiel mit sich berührenden Kreisen 11

Im Buch von Mumford et al. heißen sie „kissing Schottky disks“.

222

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Die ersten Bildkreise und die Limesmenge

Wir würden aber gerne erreichen, dass die Limesmenge „zusammenwächst“. Was ist dafür zu tun? Wir betrachten das folgende Bild:

Was muss man tun, damit die Limesmenge „zusammenwächst“?

Mit den schon vorher verwendeten Bezeichnungen gilt:  Die Transformationen a und A paaren die Kreise DA (links) und Da (rechts). a bildet also das Innere bzw. Äußere von DA auf das Äußere bzw. Innere von Da ab.  Die Transformationen b und B paaren die Kreise DB (oben) und Db (unten). b bildet also das Innere bzw. Äußere von DB auf das Äußere bzw. Innere von Db ab. Wir analysieren nun die Wirkung von A auf die Kreise DA ; Db ; DB . (Auf Da wird A nicht angewendet.) DA und Db berühren sich im Punkt R (blau), und deswegen ist es nicht überraschend, dass sich auch die Bildkreise unter A tangential berühren (blauer Punkt). Ebenso: DA und DB berühren sich im Punkt P (rot), und deswegen ist klar, dass das auch für die Bildkreise unter A gilt (roter Punkt). Schließlich ist klar, dass A.Q/ (gelb) und A.S/ (grau) auf den grünen Kreis abgebildet werden, denn Da und DA werden durch a und A gepaart.

6.8 Das Mysterium des parabolischen Kommutators

223

Damit die Limesmenge später zusammenhängt, müssten aber die Kreise A.DB / und A.Db / bis an Db oder DB heranreichen. Das ist zum Beispiel dadurch sichergestellt, dass wir A.Q/ D P und A.S/ D R fordern. Ganz analog würden die Bedingungen a.P / D Q; a.R/ D S; B.R/ D P; B.S/ D Q; b.P / D R; b.Q/ D S garantieren, dass die Kreisreihe der D˛;ˇ (mit ˛; ˇ 2 fa; A; b; Bg, ohne ˛ˇ D Id) auch in den Da ; Db ; DB nicht auseinanderreißt. Das wird dann auch in den D˛;ˇ; usw. erfüllt sein, und deswegen sollte die Limesmenge zusammenhängend sein. Von den acht Bedingungen sind einige entbehrlich, so folgt etwa aus A.S/ D P , dass a.P / D S gilt, denn A D a1 . Es bleiben also 4 wesentliche Bedingungen. Sie haben eine interessante Konsequenz für den Kommutator von a und b 12 : abAB.S/ D abA.Q/ D ab.P / D a.R/ D S: S muss also ein Fixpunkt von abAB sein!   Wendet man auf diese Gleichung B an, so folgt BabA B.S/ D B.S/, d. h. Q ist Fixpunkt von BabA, dem Kommutator von B und a. Analog zeigt man: P ist Fixpunkt von ABab, und R ist Fixpunkt von bABa. Betrachten wir als Beispiel den Berührpunkt zweier Kreise, an den von der einen Seite nach und nach die Kreise Da , Da;b , Da;b;A , Da;b;A;B heranreichen: Das Muster a; b; A; B wiederholt sich immer wieder. Deswegen ziehen sich die Kreise auf za;b;A;B;a;b;A;B;::: zusammen, das ist der attrahierende Fixpunkt von abAB. Und wenn abAB parabolisch wäre, wäre das der einzige Fixpunkt. Und von der anderen Seite entstehen die Kreise Db , Db;a , Db;a;B , Db;a;B;A : Diesmal wiederholt sich das Muster b; a; B; A, und deswegen ziehen sich diese Kreise auf den attrahierenden Fixpunkt von baBA zusammen. Nun ist aber baBA D .abAB/1 , und deswegen würde die zweite Kreisfamilie gegen den Limes der ersten konvergieren, wenn wir abAB als parabolisch voraussetzen. Das soll noch einmal hervorgehoben werden:  Es gilt lim M n z D lim M n z für parabolische Transformationen M und jedes z.  baBA D .abAB/1 .  Wenn also abAB parabolisch ist, wachsen die Kreise höherer Ordnung an der Stelle zusammen, wo sich Da und Db berühren. Weitere Wünsche braucht man übrigens nicht, denn dann müssen auch die Abbildungen BabA; ABab; bABa parabolisch sein: Sie entstehen aus abAB durch Konjugation. (So ist etwa BabA D B.abAB/B 1/.) Der Kommutator zweier Elemente x; y in einer Gruppe ist das Element xyx 1 y 1 . Er ist ein Maß dafür, ob x; y kommutieren.

12

224

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Das formulieren wir als Wünsche auf einem Wunschzettel:  Die Kreise sollen sich berühren, und die Berührpunkte sollen Fixpunkte der Kommutatoren sein.  Die Kommutatoren sind parabolisch. Wenn das erfüllt ist, wachsen die Kreise wirklich zusammen. Hier ist ein Beispiel13 . Man sieht zunächst die vier Kreise und die 12 Kreise D˛;ˇ (˛; ˇ 2 fa; b; A; Bg und ˛ˇ ¤ Id):

Die vier sich berührenden Kreise und die Kreise D˛;ˇ mit ˛ˇ ¤ Id

Und hier die D˛;ˇ; und die D˛;ˇ;;ı , wobei in ˛; ˇ;  und in ˛; ˇ; ; ı nirgendwo Transformation und Inverse nebeneinander stehen:

Dazu die Kreise der dritten und vierten Generation 13

Wie man unseren Wunschzettel erfüllen kann, wird im nächsten Abschnitt diskutiert werden.

6.8 Das Mysterium des parabolischen Kommutators

225

Hier noch ein Detail:

Ein Detail: Der parabolische Kommutator bewirkt das Zusammenwachsen

Man ahnt schon – und das stimmt dann auch –, dass die Limesmenge ein Kreis ist. Aus dem „Staub“ der Limesmenge im vorigen Abschnitt ist also eine zusammenhängende Menge geworden. So wie etwa aus dem Cantordiskontinuum (alle Zahlen in Œ0; 1, für die in der Dreierdarstellung die 1 fehlt) das ganze Intervall wird, wenn man alle Entwicklungen im Dreiersystem betrachtet. Es ist noch eine Feinheit zu beachten. Eine parabolische Möbiustransformation kann doch Spur 2 oder 2 haben. Hier wünschen wir uns, dass die Spur 2 ist. Andernfalls sind die a; b; A; B für unsere Zwecke nicht zu gebrauchen. Das liegt an dem folgenden

Satz 6.8.1

(i) Die a; b; A; B seien gemäß Wunschzettel konstruiert. Dann haben a und b keinen gemeinsamen Fixpunkt. (ii) S; T seien normalisierte Möbiustransformationen. Ist die Spur des Kommutators ST S 1 T 1 gleich 2, so haben S und T einen gemeinsamen Fixpunkt.

Beweis (i) Da berührt Db im Schnittpunkt von Dab und Db , und Da berührt DB im Schnittpunkt von DaB und DB . Deswegen berührt Da;a die Kreise Db und DB nicht. Der attrahierende Fixpunkt von a liegt in Daa , also nicht in Db , wo der attrahierende Fixpunkt von b liegt. Analog: Der andere Fixpunkt von a liegt in DA;A , und dieser Kreis trifft weder Db noch DB . (ii) Die fragliche Eigenschaft (gemeinsame Fixpunkte, parabolisch) ist invariant unter Konjugation, und deswegen müssen wir nur zwei Fälle unterscheiden.

226

6

Gruppen von Möbiustransformationen

azCb Fall 1: T z D czCd , und Sz D ˛z. Wir setzen beide Transformationen als normalisiert voraus, es ist also ad  bc D 1, und S muss schwerfällig als Sz D z=.1=/ geschrieben werden, wobei  so gewählt ist, dass 2 D ˛. Eine längere Rechnung zeigt dann, dass die 2 Spur von ST S 1 T 1 den Wert 2  bc   1 hat. 2  Falls diese Spur also gleich 2 ist, muss bc   1 D 0 gelten. Das kann nur passieren, wenn b D 0 oder c D 0 oder ˛ D  2 D 1. In allen Fällen haben S und T einen gemeinsamen Fixpunkt: Ist b D 0, so ist 0 gemeinsamer Fixpunkt, ist c D 0, so ist 1 gemeinsamer Fixpunkt, und im dritten Fall ist S D Id. azCb , und Sz D z C ˇ. Wieder muss lange gerechnet werden, VorsichtsFall 2: T z D czCd maßregeln bei S sind diesmal nicht erforderlich. Die Spur von ST S 1 T 1 ergibt sich zu 2Cˇ 2 c 2 . Wenn die Spur gleich 2 ist, muss also ˇ 2 c 2 D 0 gelten, und das impliziert ˇ D 0 oder c D 0. Im ersten Fall ist S D Id, im zweiten Fall ist 1 gemeinsamer Fixpunkt. 

Aufgrund dieses Ergebnisses aktualisieren wir unseren Wunschzettel:  Die Kreise sollen sich berühren, und die Berührpunkte sollen Fixpunkte der Kommutatoren sein.  Die Kommutatoren sind parabolisch mit Spur 2. Es folgt eine erste Klasse von Beispielen, im übernächsten Abschnitt werden wir das Thema noch einmal aufgreifen. Hier ist das „Rezept14 “: p p  Fixiere positive reelle Zahlen y; v mit yv > 1 und setze x WD 1 C y 2 , u D 1 C v 2 . Bestimme ein C 1=k/ D 1=.yv/.  positives k mit 0;5.k x y u i kv  Setze a WD iv=k u und b WD y x . Lemma 6.8.2

(i) Diese Matrizen erzeugen normalisierte Möbiustransformationen. (ii) Dabei paart a die Kreise mit Zentren ˙iku=v und Radius k=v, und b paart die Kreise mit Zentren ˙x=y und Radius 1=y. Die Kreise tangieren sich. (iii) Der Kommutator ist parabolisch mit Spur 2. Beweis (i) Das ist klar. (ii) Das folgt schnell aus der konkreten Konstruktion. Um z. B. zu zeigen, dass sich die Kreise berühren, muss man beweisen, dass der Abstand der Zentren gleich der Summe der Radien ist, also etwa ˇ ˇ ˇ iku x ˇ 1 k ˇ ˇ ˇ v  yˇ D v C y: Das ist, nach Quadrieren, gleichwertig zu  2 ku x2 1 2k k2 C 2 D 2C C 2: v y y yv v 14

Ich habe es aus dem Buch von Mumford et al., S. 170, übernommen.

6.8 Das Mysterium des parabolischen Kommutators

227

Schreibt man da u2 D 1 C v 2 und x 2 D 1 C y 2 , so reduziert sich das auf die Gleichung k 2 C 1 D 2k=.yv/ bzw. auf k C 1=k D 2=.yv/. Das ist nach Voraussetzung richtig. (iii) Später (in Satz 6.10.1) werden wir zeigen, dass man nur nachweisen muss, dass .Sp.a//2 C.Sp.b//2 C.Sp.ab//2 D Sp.a/ Sp.b/ Sp.ab/ gilt. (Sp.M / bezeichnet die Spur einer Matrix.) Im vorliegenden Fall ist nachzuprüfen, ob  2   4u2 C 4x 2 C 2ux C yvi.k  1=k/ D 4ux 2ux C yvi.k  1=k/ gilt. Das lässt sich zu4  y 2 v 2 .k  1=k/2 D 4v 2 y 2 und weiter zur Gleichung 4 D 2 umformen. Nun ersetzt man yv durch 2=.k C 1=k/ und erhält y 2 v 2 4 C .k  1=k/  2 4.k C 1=k/ D 4 4 C .k  1=k/2 . Und dass das stimmt, lässt sich leicht ausrechnen.  Man kann natürlich auch k;p y > 0 vorgeben, pdie anderen Größen ergeben sich dann wie folgt: v D 2=.k C 1=k/, u D 1 C v 2 , x D 1 C y 2 . Hier sieht man die Schottkykreise und ihre Bilder unter „häufiger“ Anwendung von a; b; A; B (also eine Approximation der Limesmenge), zunächst für k D y D 1:

Die Kreise und eine Approximation der Limesmenge im Fall k D y D 1

Es wird interessanter für andere Werte von k; y, etwa für k D 0;2 und y D 1;5:

Die Approximation der Limesmenge im Fall k D 0;2 und y D 1;5

228

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Die Limesmenge sieht in diesem Fall so aus:

Die Limesmenge im Fall k D 0;2 und y D 1;5

Die Beispiele zeigen, dass die Limesmenge immer „fraktaler“ werden kann. Sie ist aber immer noch eine geschlossene Kurve, die entstehenden Gruppen gehören deswegen zu den verallgemeinerten Fuchsschen Gruppen. Nachstehend sieht man die sich ergebenden Limesmengen bei einem „Spaziergang“ durch den Parameterraum der k; y:

Die Limesmengen für k D 1, k D 0;8 und k D 0;6; stets ist y D 1;4

Die Limesmengen für k D 0;4, k D 0;2 und k D 0;1; stets ist y D 1;4

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

229

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen Wir haben einige Beispielklassen Kleinscher Gruppen G kennengelernt. Doch welche allgemeinen Eigenschaften gibt es, wie kann man sich die durch die Transformationen so einer Gruppe induzierten Transformationen vorstellen? Vereinfacht ausgedrückt, wird sich folgendes zeigen. Wie in den vorigen Abschnitten bei den Schottkygruppen gibt es einen Fundamentalbereich F: Die M.F/ mit M 2 G O „bis auf eine kleine Ausnahmemenge“. Sie kann eine sehr interessante parkettieren C fraktale Struktur haben, wir werden das im nächsten Abschnitt näher untersuchen. Auf der Limesmenge operiert G recht chaotisch. Wir werden so vorgehen: Nach einer allgemeinen Vorbereitung untersuchen wir spezielle Kreise, die hier eine wichtige Rolle spielen werden: die isometrischen Kreise von Möbiustransformationen. Die Gesamtheit dieser Kreise hat im Fall einer Kleinschen Gruppe ganz spezielle Eigenschaften, insbesondere motivieren sie uns zur Definition der Limesmenge und eines Kandidaten für einen Fundamentalbereich. Zunächst eine kurze Vorbereitung. Wir fixieren eine beliebige Kleinsche Gruppe G . Dann gibt es doch ein z0 und eine Umgebung U von z0 , so dass M z0 für alle nichttrivialen M 2 G nicht in U liegt. Wir wissen, dass für Strukturuntersuchungen eine Untergruppe beliebig konjugiert werden kann, man darf also von G zu fGM G 1 j M 2 G g übergehen, wobei G eine beliebige Möbiustransformation ist. Davon bleiben die wesentlichen Gruppeneigenschaften unberührt. Wir dürfen und werden o.B.d.A. annehmen, dass z0 D 1 gilt, dazu muss man G nur so wählen, dass Gz0 D 1. Es folgt dann:  Es gibt ein R > 0, so dass jM.1/j  R für alle M 2 G n fIdg. Das heißt: Ist M D Ma;b;c;d 2 G n fIdg, so ist ja=cj  R. insbesondere ist stets c ¤ 0 für diese M .  1 ist kein Fixpunkt für die M 2 G n fIdg. Das soll für die nachfolgenden Untersuchungen stets erfüllt sein.

6.9.1 Die isometrischen Kreise Manche Kreise haben für eine Möbiustransformation M eine besondere Bedeutung. Wir wissen schon: Ist f W C ! C holomorph, so ist f bei einem z0 für „kleine“ w gut durch f .z0 C w/ f .z0 / C f 0 .z0 /w zu approximieren. Folglich bleibt „im Kleinen“ die absolute Größe von Vektoren (oder allgemeiner Figuren) genau dann erhalten, wenn jf 0 .z0 /j D 1 gilt.

230

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Speziell für (o. E. normalisierte) Möbiustransformationen M D Ma;b;c;d bedeutet das:  Ist c D 0, so ist M.z/ D .a=d /z C b=d . Damit ist M 0 der konstante Vektor a=d , und deswegen ist M bei allen z isometrisch (wenn ja=d j D 1) oder bei keinem (wenn ja=d j ¤ 1).  Ist c ¤ 0, so ist .cz C d /a  c.az C b/ 1 D : M 0 .z/ D 2 .cz C d / .cz C d /2 M ist also genau bei den z mit jcz C d j D 1 lokal isometrisch. Das ist ein Kreis um d=c mit dem Radius 1=jcj. Er heißt der zu M gehörige isometrische Kreis. Wir bezeichnen ihn mit IM , und statt I.M 1 / werden wir kürzer IM0 schreiben. Der Radius ist im Fall c ¤ 0 immer positiv.

Lemma 6.9.1

Es sei M D Ma;b;c;d normalisiert dargestellt, und c ¤ 0. (i) Die Singularität d=c von M ist der Mittelpunkt von IM . Bei Punkten innerhalb von IM wird lokal gestreckt, bei Punkten außerhalb lokal gestaucht. (ii) Für die Kreise IM und IM0 gilt: Beide Kreise haben den Radius 1=jcj, und es gilt M.IM / D IM0 . Beweis (i) Das ist klar, denn der lokale Vergrößerungsfaktor ist 1=jcz C d j2 . (ii) Wegen Lemma 5.2.2 ist M 1 D Md;b;c;a , K 0 ist also der Kreis mit dem Radius 1=jcj und dem Mittelpunkt a=c. Die Behauptung läuft damit darauf hinaus, aus jcz Cd j D 1 auf jcM.z/  aj D 1 zu schließen. Dazu verwenden wir die aus der Analysis bekannte Formel .M 1 /0 .M.z// D 1=M 0 .z/, sie impliziert 1=.cM.z/a/2 D .cz Cd /2 und damit die Behauptung. Man mache sich klar, dass die Aussage auch daraus folgt, dass M auf K  isometrisch ist: Dann muss M 1 auf K 0 auch isometrisch sein. IM und IM0 können sehr unterschiedlich zueinander liegen: Sie können identisch sein, sie können sich schneiden oder disjunkt sein. Für M z D M0;1;1;0 z D 1=z ist IM D IM0 der Einheitskreis, im Fall M0;1;1;1 schneiden sich die Kreise, und M0;1;1;2;1 führt zu disjunkten isometrischen Kreisen.

IM (rot) und IM0 (blau) für M0;1;1;1 und M0;1;1;2;1

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

231

Es wird sehr wichtig sein, sich die Wirkung von M auf diese Kreise vorzustellen. M bildet doch den Rand von IM auf den Rand von IM0 ab, und das Bild des Zentrums von IM ist 1. Das Bild der Kreisscheibe IM unter M muss folglich das Äußere von IM 0 sein, und das Bild des Äußeren von IM ist notwendig das Innere von IM 0 . Entsprechend wirft M 1 das Innere (bzw. Äußere) von IM0 auf das Äußere (bzw. Innere) von IM . Es verhält sich also ähnlich wie bei den gepaarten Schottkykreisen, die wir ganz beliebig vorgeben konnten. Bisher haben wir die IM für einzelne M definiert. Jetzt wollen wir untersuchen was passiert, wenn man alle M aus unserer Kleinschen Gruppe G betrachtet. (Man beachte, dass wir G so vorbereitet haben, dass stets c ¤ 0 gilt, die IM also für alle M ¤ Id definiert sind.) Als Vorbereitung rechnen wir nach, wie sich die isometrischen Kreise beim Komponieren der zugehörigen Abbildungen verhalten. Es seien M D M˛;ˇ;;ı und N D Ma;b;c;d normalisierte Möbiustransformationen. Wir nehmen an, dass für N; M und MN der isometrische Kreis definiert ist, d. h. es gilt c ¤ 0 ¤  sowie a C ıc ¤ 0. Insbesondere ist M ¤ N 1 .

Lemma 6.9.2

Die Mittelpunkte von IM bzw. IM0 bzw. IN bzw. IN0 bzw. IMN sollen mit gM bzw. 0 bzw. gN bzw. gN0 bzw. gMN und die Radien von IM bzw. IN bzw. IMN mit rM gM bzw. rN bzw. rMN bezeichnet werden. Dann gilt: (i) rMN D rM rN =jgN0  gM j. (ii) jgMN  gN j D rN2 =jgN0  gM j. (iii) Es gilt für alle Mittelpunkte g, dass jgj  R. Und IM liegt im Kreis um den Nullpunkt mit dem Radius 3R.

Beweis (i) Explizit ist doch, nach Berechnung von MN , rM D

1 ; jj

0 D gM

˛ ; 

rN D

1 ; jcj

rMN D

1 ja C ıcj

sowie ı gM D  ; 

d gN D  ; c

gN0 D

a ; c

Es folgt 1 ja C ıcj 1 D jcj  ja=c C ı=j rM rN : D 0 jgN  gM j

rMN D

gMN D 

b C ıd : a C ıc

232

6

Gruppen von Möbiustransformationen

(ii) Aufgrund der vorstehenden Formeln ergibt sich gMN  gN D 

b C ıd d  C D : a C ıc c c.a C ıc/

So folgt jgMN  gN j D

rMN rN r2 D 0 N : rM jgN  gM j

(iii) Wegen gM D M 1 .1/ ist jgM j  R. So folgt rN2 D jgMN  gN j jgN0  gM j  4R2 ; also rN  2R für beliebige N .



Das Lemma hat weitreichende Folgerungen für die isometrischen Kreise, die zu den Transformationen unserer Kleinschen Gruppe G gehören:

Satz 6.9.3

Wie am Anfang vereinbart, sei jM.1/j  R für ein geeignetes R und alle nichttrivialen M 2 G . (i) Für alle M 2 G mit M ¤ Id ist rM  2R und jgM j  R. (ii) Für M; N 2 G n fIdg und M ¤ N gilt gM ¤ gN . Es folgt: Mit G ist auch die Menge fgM j M 2 G ; M ¤ Idg der Mittelpunkte der isometrischen Kreise unendlich. (iii) Für jedes " > 0 gibt es nur endlich viele M 2 G n fIdg mit rM > ".

Beweis (i) Sei MQ 2 G . Dann ist MQ .gMQ / D 1, also MQ 1 .1/ D gMQ . Folglich ist jgMQ j  R für alle MQ 2 G . Aus dem vorigen Lemma folgern wir für M 2 G n fIdg: 2 D jgMN  gM j jgN0  gM j  4R2 ; rM

d. h. rM  2R. (ii) Ist M ¤ N , so ist MN 1 ¤ Id, wir können also das vorige Lemma auf die Transformationen M; N 1 anwenden. Es folgt jgN  gM j D .rN0 /2 =jgMN 1  gN0 j > 0:

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

233

(iii) Sei " > 0, und IM ; IN 0 seien verschiedene isometrische Kreise mit rM ; rN0 > ". Dann ist MN ¤ Id (andernfalls wäre IM D IN0 ) und folglich jgN0  gM j D

rM rN "2 > : rMN 2R

gN0 ; gM liegen aber in der Kreisscheibe mit dem Radius R, und deswegen muss die Anzahl  endlich sein. Als Folgerung ergibt sich: Korollar 6.9.4

Ist I1 ; I2 ; : : : eine Folge von paarweise verschiedenen isometrischen Kreisen zu Elementen aus G , so gehen die Radien gegen Null.

6.9.2 Die Limesmenge Nach wie vor ist G eine Kleinsche Gruppe, für die die Beträge der M.1/ (mit M 2 G , M ¤ Id) nach oben beschränkt sind. Wir nennen ein z0 einen Limespunkt von G , wenn z0 Häufungspunkt der Mittelpunkte der isometrischen Kreise zu den M 2 G ist15 . L, die Limesmenge von G , bezeichnet die Gesamtheit der Limespunkte. (Eigentlich müsste man „Limespunkt in Bezug auf G “ o.ä. sagen und LG schreiben. Da G fixiert ist, sind Verwechslungen aber nicht zu befürchten.) Im folgenden Bild sind für eine Schottkygruppe mit parabolischem Kommutator „viele“ Zentren von Isokreisen eingezeichnet. Es gibt einige isolierte Punkte, und man sieht, dass L aus den Punkten auf dem Kreis besteht:

Mittelpunkte der Isokreise und Häufungspunkte Zur Erinnerung: z0 heißt Häufungspunkt einer Teilmenge D von C, wenn für jedes " > 0 ein z 2 D mit 0 < jz0  zj  " existiert. Die Gesamtheit der Häufungspunkte einer Menge ist stets abgeschlossen.

15

234

6

Gruppen von Möbiustransformationen

L ist immer abgeschlossen und im Fall endlicher Gruppen leer. Für unendliche Mengen folgt aus Satz 6.9.3 (ii), dass es Limespunkte gibt. In den schon behandelten Beispielen gilt:  L kann einpunktig sein (z. B. für die von einer parabolischen Transformation erzeugte zyklische Gruppe).  L kann zweipunktig sein (z. B. für die von einer hyperbolischen Transformation erzeugte zyklische Gruppe).  L kann überabzählbar sein (z. B. im Fall von Schottky-Gruppen). (Diese Aussagen sind leicht einzusehen. Im Fall von Schottkygruppen hatten wir Limespunkte etwas anders definiert, die Definition ist aber äquivalent.) Die systematische Untersuchung von L beginnt mit dem

Lemma 6.9.5

z0 ; z1 ; z2 2 C seien paarweise verschieden, und z0 2 L. Dann gibt es zu jedem " > 0 ein MQ 2 G , so dass 0 < jz0  MQ z1 j  " oder 0 < jz0  MQ z2 j  ".

Beweis Sei " > 0 vorgegeben, o.B.d.A. seien alle Abstände jzi  zj j (i ¤ j ) größer als 2". Wähle paarweise verschiedene Mittelpunkte isometrischer Kreise gn mit gn ! z0 . Wegen Korollar 6.9.4 gehen die Radien gegen Null, wir finden also ein M 2 G , für das der isometrische Kreis ganz in der Kreisscheibe um z0 mit dem Radius " enthalten ist. Insbesondere ist rM  ". Auch IM0 hat Radius rM , aufgrund unserer Voraussetzung können z1 ; z2 nicht beide in 0 IM liegen. Sei etwa z1 … IM0 . Dann wird z1 unter N WD M 1 nach IM abgebildet, es ist also jN z1  z0 j  ". Ist N z1 ¤ z0 , so ist die Aussage mit MQ D N bewiesen. Es könnte aber N z1 D z0 sein. z0 liegt nicht in IM0 D IN , der Punkt z0 wird also unter N in IN0 D IM abgebildet, und deswegen ist jN z0  z0 j  ". Wegen N z1 D z0 kann z0 kein Fixpunkt von N sein, es gilt also sogar 0 < jN z0  z0 j D jN 2 z1  z0 j  ", die Behauptung ist also mit MQ D N 2 gezeigt.  Wir nehmen an, dass G unendlich viele Elemente enthält und L folglich nicht leer ist.

Satz 6.9.6

(i) Ist M 2 G , so ist gM … L. (ii) L ist abgeschlossen und invariant unter allen M 2 G . (iii) Für jedes M 2 G ist der Abstand von gM zu L strikt positiv. Es folgt, dass L kein Inneres hat.

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

235

(iv) K  C sei abgeschlossen und invariant unter allen M 2 G . Enthält K mindestens zwei Elemente, so ist L  K. (v) Enthält L mehr als zwei Elemente, so ist L eine perfekte Menge, jedes z 2 L liegt also im Abschluss von L n fzg. Insbesondere ist L überabzählbar.

1 Beweis (i) Andernfalls gäbe es paarweise verschiedene n mitMn .1/ D gMn ! gM .  M 1 Die Transformation M ist bei gM singulär, es folgt M Mn .1/ ! 1. Das widerspricht der Tatsache, dass die MMn1 .1/ durch R beschränkt sind. (ii) Es seien z0 2 L und M 2 G . Nach dem ersten Teil ist M stetig bei z0 . Wähle paarweise verschiedene Mittelpunkte isometrischer Kreise gn mit gn ! z0 . Wir schreiben gn D Mn .1/ für geeignete Mn 2 G . Es ist dann M.gn / D MMn .1/, und diese Zahlen konvergieren gegen M z0 . Da die MMn paarweise verschieden sind, beweist das M z0 2 L. (iii) Das folgt aus den beiden vorhergehenden Aussagen: Mittelpunkte isometrischer Kreise kommen den z0 beliebig nahe, gehören aber mitsamt einer Umgebung nicht dazu. (iv) Es seien z1 ; z2 zwei verschiedenen Punkte aus K und z0 2 L. Wäre z0 … K, so könnte man ein " > 0 so wählen, dass jz  z0 j > " für alle z 2 K. Wir wenden das vorstehende Lemma auf z0 ; z1 ; z2 an. Das verschafft uns ein M 2 G , so dass jM z1 z0 j  " oder jM z2  z0 j  ". Es wäre also M z1 … K oder M z2 … K. Das widerspricht der Invarianz von K unter den M 2 G . (v) Sei z0 2 L. Wir wählen z1 ; z2 2 L und wenden das vorstehende Lemma mehrfach an. Wir starten mit einem "0 > 0. Für ein geeignetes M1 2 G ist 0 < jM1 z1  z0 j  "0 oder 0 < jM1 z2  z0 j  "0 . Sei etwa 0 < jM1 z1  z0 j  "0 . Setze "1 WD jM1 z1  z0 j=2 und wende das Lemma noch einmal an. So entstehen M1 ; M2 ; : : :, für die Mn z1 oder Mn z2 immer näher an z0 heranrückt. Wegen Teil (i) gehören die Mn z1 bzw. Mn z2 zu L, d. h. z0 ist Häufungspunkt von Elementen von L. Wir skizzieren noch, warum L dann überabzählbar sein muss. Starte mit z0 ¤ z1 in L und wähle disjunkte abgeschlossene "1 -Umgebungen U0 ; U1 . Wähle in U0 zwei verschiedene z00 ; z01 aus L und dazu disjunkte abgeschlossene "2 -Umgebungen U00 ; U01  U0 ; entsprechend werden z10 ; z11 und Umgebungen U10 ; U11  U1 gewählt. Das wird fortgesetzt, es entstehen nichtleere abgeschlossene Mengen Ui1 i2 :::ik mit k 2 N und i1 ; : : : ; ik 2 f0; 1g. Bilde noch f0; 1gN dadurch nach L ab, dass i1 i2 : : : das eindeutig bestimmte Element im Durchschnitt der Ui1 :::ik , k 2 N zugeordnet wird. L ist abgeschlossen, der Durchschnitt enthält wirklich genau ein Element nach dem Cantorschen Durchschnittssatz, und die Abbildung ist injektiv. Zusammen: L enthält mindestens  so viele Elemente wie f0; 1gN , und das sind überabzählbar viele.

Wir wollen noch begründen, dass die hier gegebene Definition für Limesmengen im Fall von Schottkygruppen mit der in Abschnitt 6.7 gegebenen übereinstimmt. Dazu muss

236

6

Gruppen von Möbiustransformationen

man sich daran erinnern, dass es in Schottkygruppen keine elliptischen Transformationen gibt und diese Tatsache dann mit dem folgenden Satz kombinieren:

Satz 6.9.7 Sei G diskret und M 2 G ein Element, das nicht elliptisch ist. Dann gehören die

Fixpunkte von M zu L.

Beweis Die Aussage ist invariant unter Konjugation, und deswegen reicht es, die Aussage für Transformationen M zu zeigen die aus z 7! z C ˇ oder z 7! ˛z durch p Konjugation w entstanden sind. Dabei konjugieren wir mit G D . w w w / wobei w WD 1= 2. Es ist dann w w G 1 D . w w /. Fall 1: M z D z C ˇ für ein ˇ ¤ 0. Eine kurze Rechnung zeigt, dass n

GM G

1

D

nˇ 2  nˇ 2

1

!

nˇ 2

1C

nˇ 2

:

Alle GM n G 1 sind also verschieden, und der isometrische Kreis dieser Transformation hat den Mittelpunkt 1  2=.nˇ/. Diese Zahlen konvergieren gegen 1, und das ist auch der Fixpunkt von GM G 1 . Fall 2: M z D ˛z für ein ˛ mit j˛j ¤ 1. Wir schreiben M normalisiert als .z=.1=// für ein  mit 2 D ˛ und konjugieren M n wieder mit G: G

n

0

0

1=n

! G

1

D

!

.n C 1=n /=2

.n  1=n /=2

.n  1=n /=2

.n C 1=n /=2

:

Der isometrische Kreis zum konjugierten M n hat also Radius 2=jn  1=n j und Mittelpunkt.n  1=n /=.n C 1=n /. Für n ! ˙1 gehen diese Mittelpunkte gegen  ˙1, die Fixpunkte von GM G 1 . Nun können wir auch begründen, warum die Bedingung in Teil (ii) des Satzes, dass K mindestens zwei Elemente hat, nicht weggelassen werden kann. Man denke etwa an die zyklische Gruppe, die von einer hyperbolischen Transformation M erzeugt wird. Die Fixpunkte von M seien 1 und 2 . Dann ist L D f 1 ; 2 g, und K WD f 1 g ist unter allen Gruppenelementen M n ; n 2 Z invariant. Auch ist in (iii) wichtig, dass L mehr als zwei Elemente enthält. L kann nämlich auch einpunktig oder zweipunktig sein, wie das Beispiel zyklischer Gruppen zu parabolischen und hyperbolischen Transformationen zeigt. Und dann ist L natürlich nicht perfekt.

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

237

6.9.3 Ein Fundamentalbereich G sei wie vorstehend gegeben: G ist diskret, und die jM.1/j für M 2 G n fIdg sind durch

eine Zahl R beschränkt. Wie könnte man nun einen Fundamentalbereich finden, also eine O „möglichst gut“ O für welche die M.F/ mit M 2 G die Menge C Teilmenge F von C, zerlegen. Unser Ziel wird bescheiden sein: Wir wollen F so finden, dass die M.F/ mit M 2 G erstens paarweise disjunkt sind und dass zweitens ihre Vereinigung dicht liegt16 . O finden, dass alle M z mit Wir stellen uns zunächst die Frage: Wie kann man ein z 2 C M 2 G verschieden sind. Mal angenommen, es gibt ein M 2 G n fIdg, so dass z weder im isometrischen Kreis IM von M noch in dem Kreis IM0 von M 1 liegt. Dann wird doch M z (bzw. M 1 z) nach IM0 (bzw. IM ) abgebildet, also bestimmt nicht auf z. Möchte man das für alle M sicherstellen, so muss z außerhalb aller isometrischen Kreise liegen. Das motiviert die folgende

Definition 6.9.8

Wir bezeichnen mit F das Komplement der Vereinigung aller IM zu den M 2 G n fIdg.

Aufgrund der vorstehenden Überlegungen ist dann klar, dass F zu allen M.F/ mit M ¤ Id disjunkt ist, und damit haben auch M.F/ und N.F/ für M ¤ N keine gemeinS samen Punkte. Im Fall der Schottkygruppen ist IM übrigens als Vereinigung endlich vieler Kreisscheiben abgeschlossen, das hier definierte F muss aber nicht mit dem bei Schottkygruppen behandelten übereinstimmen. F ist auch groß: Da alle IM in fjzj  3Rg liegen, enthält F alle z mit jzj > 3R. Hier ist unser Hauptergebnis:

Satz 6.9.9

F ist ein Fundamentalbereich für G im folgenden Sinn: Die M.F/ sind paarweise S O disjunkt, und M 2G M.F/ liegt dicht in C. S Beweis Angenommen, der Abschluss der Menge M 2G M.F/ würde ein z0 nicht enthalten. Wegen 1 2 F ist dabei z0 2 C. Wähle eine Kreisscheibe Q mit Mittelpunkt z0 und 16

Wie man etwas mehr erreichen kann, wird im Buch von Ford beschrieben

238

6

Gruppen von Möbiustransformationen

S Radius r > 0, so dass Q und M 2G M.F/ keine gemeinsamen Punkte haben. Natürlich S sind dann auch N.Q/ und M 2G M.F/ disjunkt. Unser Ziel: Unter den N.Q/ gibt es Kreise mit beliebig großem Radius, und das widerspricht der Tatsache, dass F alle z mit jzj > 3R enthält. Zunächst bemerken wir, dass kein gM in Q liegt, denn gM D M 1 .1/, und 1 2 F. (Folglich kann auch kein Limespunkt im Innern von Q liegen.) Andererseits gilt z0 … F, die Zahl z0 liegt also in einem zu einer Transformation M1 gehörenden isometrischen Kreis I1 mit Radius r1 und Mittelpunkt g1 . Die Situation ist also so, wie im folgenden Bild dargestellt:

Der Kreis IM (blau) und der Kreis Q (grau)

Es ist r < jg1  z0 j  r1 . Was passiert nun, wenn man M1 auf Q anwendet? Erstens S ist Q2 WD M1 .Q/ wieder ein Kreis, und zweitens ist Q1 zu M 2G M.F/ disjunkt. Was passiert mit den Radien? Als Beispiel zur Illustration betrachten wir M1 D 1=z. Da ist I1 der Einheitskreis, und als Q wollen wir uns eine Kreisscheibe mit Mittelpunkt z0 2 0; 1 und Radius r < z0 vorstellen. Der Bildkreis geht dann durch die Punkte 1=.z0 ˙ r/, hat also den Radius r=.z02  r 2 /  r=.1  r 2 /. Im allgemeinen Fall ergibt sich: Der Radius von Q2 ist nach unten abschätzbar durch r2 WD

rr12 r D :  r2 1  .r 2 =r12 /

r12

Dabei ist r1  2R, also gilt r2  kr, wo k WD 1=.1  r 2 =4R2 / > 1. Wendet man diese S Idee noch einmal an, so findet man ein M2 , so dass U3 WD M2 U2 erstens zu M 2G M.F/ disjunkt ist und zweitens einen Radius von mindestens kr1  k 2 r hat. Im n-ten Schritt ist S dann eine zu M 2G M.F/ disjunkte Kreisscheibe mit Radius (mindestens) k n r gefunden. Das geht nicht, denn k n r wird beliebig groß. Dieser Widerspruch beweist die Behauptung. 

6.9 Die Struktur Kleinscher Gruppen

239

Es folgen noch drei Beispiele. Zunächst betrachten wir die von einer elliptischen Transformation der Ordnung 6 erzeugte endliche Gruppe. Sie ist so transformiert, dass 1 kein Fixpunkt ist. Hier sieht man die isometrischen Kreise:

Isometrische Kreise zu einer zyklischen Gruppe mit 6 Elementen

Die Vereinigung aller Kreise wird schon durch die Vereinigung von 2 Kreisen realisiert. Das Komplement ist unser Fundamentalbereich F. Man sieht ihn im folgenden Bild (rot) zusammen mit den M.F/ für die nichttrivialen M der Gruppe:

Der zugehörige Fundamentalbereich (rot)

Es folgt ein Beispiel einer nichtkommutativen Gruppe, der so genannten anharmonischen Gruppe. Eigentlich besteht sie aus den Transformationen Id;

z;

1 ; z

1  z;

1 ; 1z

z1 ; z

z ; z1

sie wurde aber konjugiert, um 1 nicht als Fixpunkt zu haben. Im folgenden Bild sieht man die isometrischen Kreise und den Fundamentalbereich F:

240

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Isometrische Kreise und Fundamentalbereich (rot) zur anharmonischen Gruppe

Die Bilder beider Gruppen sind nicht zu unterscheiden, die algebraische Struktur (kommutativ, nicht kommutativ) ist im Fundamentalbereich nicht verschlüsselt. Und hier noch ein Beispiel für eine unendliche nichtkommutative Gruppe. Wir betrachten die Schotttkygruppe zur folgenden Kreispaarung:

Die Kreise einer Schottkygruppe

Im nächsten Bild sieht man die isometrischen Kreise zu den Schottkykreisen. Sie sind teilweise anders als die Schottkykreise. (Das ist auch zu erwarten, wenn die gepaarten Kreise unterschiedlich groß sind: Isometrische Kreise zu M und M 1 haben immer den gleichen Radius.)

Die Kreise einer Schottkygruppe und die isometrischen Kreise der zugehörigen Transformationen

6.10 Parabolische Kommutatoren: Konstruktion

241

Anschließend wurden zusätzlich isometrische Kreise zu allen M1 M2 (links) und allen M1 M2 M3 (rechts) ausgerechnet: a

b

Die isometrischen Kreise einer Schottkygruppe zu den M1 M2 (a) und den M1 M2 M3 (b)

Schließlich kann ein Fundamentalbereich gefunden werden: Das Komplement der Vereinigung der isometrischen Kreise (im folgenden Bild links). Zum Vergleich ist ein anderes Beispiel für einen Fundamentalbereich eingezeichnet (rechts): Das Komplement der Vereinigung der Schottkykreise. a

b

Fundamentalbereiche: Komplement der isometrischen Kreise (a) und Komplement der Schottkykreise (b)

6.10

Parabolische Kommutatoren: Konstruktion

Wie erhält man Transformationen, für die der Kommutator Spur 2 hat? Dazu wird es hilfreich sein, zunächst einige Formeln für Spuren herzuleiten. Für eine 2  2-Matrix oder eine Möbiustransformation M werden wir mit Sp.M / die Spur von M bezeichnen. Da der Übergang Matrix ! Transformation ein Gruppenmorphismus ist, lassen sich alle Gleichungen, die für Matrizen bewiesen wurden, für Transformationen übertragen.

242

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Satz 6.10.1

M; N; a; b seien normalisierte 2  2-Matrizen, A WD a1 ; B WD b 1 . (i) Es gilt Sp.MN / C Sp.M 1 N / D Sp.M / Sp.N /. (ii) Sp.abAB/ D .Sp.a//2 C .Sp.b//2 C .Sp.ab//2  Sp.a/ Sp.b/ Sp.ab/  2 (Markovidentität). (iii) Es gilt genau dann Sp.abAB/ D 2, wenn .Sp.a//2 C.Sp.b//2 C.Sp.ab//2  Sp.a/ Sp.b/ Sp.ab/ D 0, wenn also bei bekannten Sp.a/; Sp.b/ die Spur von ab einer gewissen quadratischen Gleichung genügt.

Beweis (i) Das lässt sich direkt ausrechnen. Schreibe M D   h f Dann ist M 1 D g , und es folgt e



e f g h



und N D



i j k l

 .

Sp.MN / C Sp.M 1 N / D .ei C f k/ C .gj C hl/ C .hi  f k/ C .gj C el/: Das stimmt mit Sp.M / Sp.N / D .e C h/.i C l/ überein. (ii) Wir nutzen die vorstehende Formel für verschiedene M; N aus: (1) Für M D a; N D b folgt Sp.ab/ C Sp.Ab/ D Sp.a/ Sp.b/. (2) Für M D a; N D bAB folgt Sp.abAB/ C Sp.AbAB/ D Sp.a/ Sp.bAB/. (3) Für M D Ab; N D AB folgt Sp.AbAB/ C Sp.B 2 / D Sp.Ab/ Sp.AB/. (4) Für M D N D B folgt Sp.B 2 / C Sp.Id/ D .Sp.B//2 . .5/

Das kombinieren wir noch mit den bekannten Gleichungen Sp.MN / D Sp.NM /, .6/

.7/

Sp.M / D Sp.NMN 1 /; wir beachten auch, dass Sp.M / D Sp.M 1 / für normalisierte .8/

2  2-Matrizen gilt, so dass Sp.AB/ D Sp.ab/. Es folgt .2/

Sp.abAB/ D Sp.a/ Sp.bAB/  Sp.AbAB/ .6/

D Sp.a/ Sp.A/  Sp.AbAB/

.7/

D .Sp.a//2  Sp.AbAB/

.3/

D .Sp.a//2 C Sp.B 2 /  Sp.Ab/ Sp.AB/

.4/

D .Sp.a//2 C .Sp.B//2  Sp.Id/  Sp.Ab/ Sp.AB/

.7/

D .Sp.a//2 C .Sp.b//2  2  Sp.Ab/ Sp.AB/

.1/

D .Sp.a//2 C .Sp.b//2  2  .Sp.a/ Sp.b/  Sp.ab// Sp.AB/

.8/

D .Sp.a//2 C .Sp.b//2  2  .Sp.a/ Sp.b/  Sp.ab// Sp.ab/

D .Sp.a//2 C .Sp.b//2 C .Sp.ab//2  Sp.a/ Sp.b/ Sp.ab/  2: (iii) Das folgt sofort aus (ii).



6.10 Parabolische Kommutatoren: Konstruktion

243

Durch die Spurformel ist es wesentlich einfacher, Transformationen a, b zu finden, für die der Kommutator parabolisch mit Spur 2 ist17 . Das Problem Angenommen, wir wollen geeignete Matrizen a; b finden, für die die Spuren vorgegebene Werte ta ; tb 2 C haben. In einem ersten Schritt muss dann tab , die Spur von ab, richtig gewählt werden: Aufgrund der Markovgleichung muss tab Lösung der quadratischen Gleichung x 2  ta tb x C ta2 C tb2 D 0 sein. So ein tab wird also immer existieren, und im Allgemeinen gibt es sogar zwei Lösungen. Nun machen wir den ganz allgemeinen Ansatz ! ! E F A B ; bD aD G H C D mit A; B; C; D; E; F; G; H 2 C. Damit die Spuren und Determinanten dieser Matrizen den richtigen Wert haben, muss AD  BC D EH  F G D 1;

ta D A C D;

tb D E C H

gelten. Das sind vier (lineare und quadratische) Bedingungen im C 8 , in der Konkurrenz ist also noch eine vierdimensionale Hyperfläche von Elementen .A; B; C; D; E; F; G; H / im C 8 . Mit diesen a; b kann ab ausgerechnet werden. Nach dem Determinantenproduktsatz ist die Determinante gleich Eins, die Spur soll aber auch noch den richtigen Wert tab haben. Wir müssen also zusätzlich tab D Sp.ab/ D AE C BG C CF C DH verlangen. Zusammengefasst heißt das: Wenn nach Wahl von ta ; tb ein passendes tab berechnet wurde, sind im C 8 noch 5 Nebenbedingungen zu erfüllen, um geeignete a; b zu finden. Es sollte also 8  5 D 3 zusätzlich zu den ta ; tb frei zu wählende Parameter geben. Eine konkrete Konstruktion Fünf nichtlineare Gleichungen in acht Unbekannten sind nicht leicht zu bearbeiten. Deswegen gehen wir etwas anders vor. Wir definieren zunächst a; b als ! ! Bz0 F t tb sta ; bD : aD G .1  t/tb C =z0 .1  s/ta 17

Damit ist die Frage allerdings noch nicht beantwortet, ob durch a und b auch eine diskrete Gruppe erzeugt wird und man deswegen mit einer interessanten Limesmenge rechnen kann. Das muss im Einzelfall immer gesondert nachgeprüft werden.

244

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Dabei gilt:  Die vier Zahlen s; t; B; F 2 C n f0g sind frei gewählt, der Wert von z0 wird später festgesetzt.  Die Spuren von a bzw. b sind dann sicher ta bzw. tb , und die Zahlen C und G werden so bestimmt, dass die Determinanten von a und b gleich Eins werden18 .  Schließlich wird für z0 ein Wert eingesetzt, durch den die Spur von ab gleich tab wird. Das läuft auf eine quadratische Gleichung für z0 hinaus:   .BG/z02 C st ta tb C .1  s/.1  t/ta tb  tab z0 C CF D 0: Es gibt also immer eine Lösung. (Es sieht so aus, dass wir nun vier freie Parameter s; t; B; F haben, es sollten aber doch nur drei sein. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch, denn durch die Wahl von z0 wird im .s; t; B; F /-Raum eine dreidimensionale Fläche definiert.) Man kann es auch nach Wahl von ta ; tb und der Bestimmung von tab ganz anders machen. Diesmal setzen wir so an: ! ! tb  t F ta  s Bz0 : ; bD aD G t C =z0 s Dabei sind s; t; B; F frei gewählt, C; G ergeben sich durch die Bedingung, dass die Determinanten gleich Eins sein sollen, und z0 wird durch Lösen einer quadratischen Gleichung so bestimmt, dass die Spur von ab gleich tab ist. Spezialfälle Beispiel 1 Es geht wie üblich los: Man sucht sich beliebige ta ; tb 2 C und bestimmt dann ein tab als Lösung der quadratischen Gleichung x 2  ta tb x C ta2 C tb2 D 0. Wir betrachten im ersten der allgemeinen Ansätze den Spezialfall s D t D 1=2. Dann kann man konkrete Werte für die Matrixeinträge finden.  Definiere eine Zahl z0 durch z0 D

.tab  2/tb : tb tab  2ta C 2tab

 Setze dann aD

18

ta 2 .ta tab 2tb 4i /z0 2tab 4

ta tab 2tb C4i .2tab C4/z0 ta 2

! ;

bD

tb 2i 2 tb 2

    Explizit heißt das C D s.1  s/ta2  1 =B und G D t .1  t /tb2  1 =F .

tb 2 tb C2i 2

! :

6.10 Parabolische Kommutatoren: Konstruktion

245

Die Matrix ab stellt sich als bemerkenswert einfach heraus, es ist nämlich ab D

tab 2 2z0 tab 2

tab 2 .tab C2/z0 2

! :

Um das alles einzusehen, muss sehr viel gerechnet werden. Dass die Determinante von b gleich Eins ist, ist klar, bei der entsprechenden Rechnung für a spielt schon die Gleichung 2  ta tb tab C ta2 C tb2 D 0 eine Rolle, und beim Nachweis der restlichen Behauptungen tab wird sie auch noch mehrfach herangezogen. Dieses „Rezept“ findet man im Buch von Mumford et al. auf Seite 229. Beispiel 2 Bei dieser Variante19 darf man sich auch wieder zwei komplexe Zahlen ta ; tb wünschen: Das sollen später einmal die Spuren von a und b werden. Die Spur von ab muss dann wegen der Markovidentität Lösung der quadratischen Gleichung x 2  ta tb x C ta2 C tb2 D 0 sein, wenn wir a; b mit den gewünschten Eigenschaften finden wollen. Wähle so eine Lösung und nenne sie tab . Geeignete Matrizen a; b werden mit dem obigen zweiten allgemeinen Ansatzes durch spezielle Wahl der freien Parameter so gefunden. Wir setzen aD

ta  tb =tab

2 ta =tab

ta

tb =tab

! ;

bD

tb  ta =tab

2 tb =tab

tb

ta =tab

! :

Es ist offensichtlich, dass die Spuren von a und b den gewünschten Wert haben. Dass die Determinanten gleich Eins sind, folgt daraus, dass tab die richtige quadratische Gleichung löst. So ist zum Beispiel die Determinante von a gleich   tb ta tab  ta2  tb2 tb tb t2  2a D ; ta  2 tab tab tab tab 2 . (Für b geht es genauso.) und der Zähler ist nach Konstruktion gleich tab 2  ta tb tab C ta2 C tb2 D 0 folgt auch Unter mehrmaliger Verwendung der Gleichung tab

ab D

tab

1=tab

tab

0

! ;

und deswegen hat ab wirklich die Spur tab . 19

Im Buch von Mumford et al. wird sie Jørgensen zugeschrieben.

246

6

Gruppen von Möbiustransformationen

Dadurch, dass man – anders als in Abschnitt 6.8 – nun auch mit komplexen Einträgen arbeiten kann, werden die Limesmengen viel interessanter. Hier sieht man einige Beispiele, die mit den im ersten Ansatz beschriebenen Verfahren erzeugt wurden:

Mit den hier beschriebenen Verfahren erzeugte Limesmengen

Bei den Bildern der Limesmengen, die gemäß Beispiel 1 erzeugt wurden, fällt auf, dass sie alle punktsymmetrisch sind. Das liegt an den folgenden Tatsachen:

Satz 6.10.2

Es sei G eine diskrete Gruppe von Möbiustransformationen mit Limesmenge L. Konjugiert man G zu GG D fGM G 1 j M 2 G g, so gilt: Die Limesmenge von GG ist gleich G.L/. (ii) G sie eine Gruppe, die von Transformationen a0 ; b0 erzeugt wird. Weiter sei G eine Transformation, so dass Ga0 G 1 , Gb0 G 1 , Ga01 G 1 , Gb01 G 1 in G liegen. Dann ist GL D L. (iii) Wir setzen nur voraus, dass Ga0 G 1 und Gb0 G 1 in G liegen, doch es soll G 1 D G sein. Auch dann gilt GL D L. (i)

Beweis (i) folgt (zum Beispiel) daraus, dass die Limesmenge die kleinste invariante Men ge ist. (ii) gilt weil dann G mit GG übereinstimmt, und (iii) ist offensichtlich. Das ist hier so anzuwenden. G sei gemäß Beispiel 1 konstruiert. G wird auch von a0 WD a und b0 WD ab erzeugt. Die Elemente auf der Diagonale dieser Matrizen sind jeweils identisch. Wenn wir Gz D z setzen, so ist G 1 D G und es gilt Ga0 G.z/ D a01 sowie Gb0 G.z/ D b01 . Deswegen muss L gleich L sein.

Literatur zu Teil II

Es folgen einige ausgewählte Literaturangaben zu Teil II (Möbiustransformationen). Anderson, James W.: Hyperbolic Geometry. Springer, 2005. Wer das Thema „Hyperbolische Geometrie“ vertiefen möchte, kann hier fündig werden. Ford, Lester R.: Automorphic Functions. Chelsea Publishers, 1951. In diesem Buch ist die Theorie allgemeiner Kleinscher Gruppen gut dargestellt. Fricke, Robert – Klein, Felix: Vorlesungen über die Theorie der Automorphen Funktionen. Teubner-Verlag, 1897. Ein Klassiker: Hier findet man alles, was man am Ende des 19. Jahrhunderts über automorphe Funktionen wusste. Koecher, Max – Krieg, Aloys: Elliptische Funktionen und Modulformen. Springer, 2. Aufl., 2007. Hier werden elliptische Funktionen unter Verwendung der Theorie diskreter Gruppen von Möbiustransformationen behandelt. Lehner, Josef: Discontinuous Groups and Automorphic Functions. AMS Publications, Mathematical Surveys, 1963. In diesem Buch erfährt man, warum diskrete Gruppen von Möbiustransformationen für die Theorie komplexer Funktionen wichtig sind. D. Mumford, David – Series, Caroline – Wright, David: Indra’s Pearls – The Vision of Felix Klein. Cambridge University Press, 2002. Dieses sehr empfehlenswerte Buch war der Auslöser für meine intensive Beschäftigung mit Kleinschen Gruppen. 247

248

6

Literatur zu Teil II

Needham, Tristan: Visual Complex Analysis. Clarendon Press, 1997. Die Theorie komplexer Funktionen wird in diesem Buch mit vielen Illustrationen verständlich dargestellt. Weigert, Elias: Visual Complex Functions. Birkhäuser 2013. Auch in diesem Buch wird der Versuch unternommen, neue Möglichkeiten zur Veranschaulichung komplexer Funktionen zu finden.

Teil III Penroseparkettierungen

7

Penroseparkettierungen

Im vorliegenden dritten Teil dieses Buches studieren wir Penroseparkettierungen. Bisher standen Gruppen von Bewegungen der Ebene im Vordergrund: Im ersten Teil waren es Gruppen von Isometrien, im zweiten Teil Gruppen von Möbiustransformationen. In beiden Fällen spielte der Begriff des Fundamentalbereichs eine wichtige Rolle: Das war eine Teilmenge der Ebene, auf die man nur alle Transformationen der Gruppe anwenden musste, um die Ebene zu parkettieren. Hier geht es nun um die Frage, was man über Parkettierungen aussagen kann, wenn gewisse „Grundformen“ F1 ; : : : ; Fk  R2 gegeben sind. Kann man dann den R2 als S n2N Gn schreiben, wobei jedes Gn nach Anwenden geeigneter Translationen, Drehungen oder Spiegelungen aus einem der F1 ; : : : ; Fk hervorgeht und sich die Gn höchstens am Rand schneiden, so spricht man von einer Parkettierung. (Eine Präzisierung wird im ersten Abschnitt dieses Kapitels nachgetragen.) Jeder der in Teil 1 gefundenen Fundamentalbereiche gibt Anlass zu einer Parkettierung mit nur einer einzigen Grundform. Eine Parkettierung wird periodisch genannt, wenn es ein von Null verschiedenes x so S gibt, so dass die Zerlegung R2 D n2N Gn invariant unter der von der Translationen Tx erzeugten Bewegungsgruppe ist. Für viele Jahre war es ein offenes Problem, ob bei vorgelegten F1 ; : : : ; Fk eine periodische Parkettierung existieren muss, wenn es überhaupt eine Parkettierung gibt. Die Antwort ist „nein“. Es gibt viele Gegenbeispiele, die mit Abstand bekanntesten stammen von Roger Penrose aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die wichtigsten Ideen im Zusammenhang mit Penroseparkettierungen sollen in diesem Kapitel studiert werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_7

251

252

7

Penroseparkettierungen

Eine Penroseparkettierung

Penroseparkettierungen sind nach dem englischen Mathematiker und Physiker Roger Penrose (geb. 1931) benannt. Penrose lernte übrigens 1954 die Hauptperson aus dem ersten Teil dieses Buches, Maurits Escher, auf dem Mathematikerkongress in Amsterdam kennen. Er fand die „unmöglichen“ Figuren Eschers besonders interessant, und in Zusammenarbeit mit seinem Vater Lionel Penrose schrieb er wissenschaftliche Arbeiten darüber. (Das eigentlich von Oscar Reutersvard 1934 beschriebene unmögliche Dreieck ist heute als Penrosedreieck bekannt.) Sein wissenschaftlicher Ruf begründet sich besonders durch seine Arbeiten zur allgemeinen Relativitätstheorie und zur Kosmologie. Penroseparkettierungen untersuchte er in den Siebzigern des vorigen Jahrhunderts, später wurde auch ein Zusammenhang zu (dreidimensionalen) Quasi-Kristallen entdeckt: Das sind Kristalle, die den Raum nur auf nichtperiodische Weise füllen.

7.1

Nichtperiodische Parkettierungen: Das Problem

Um das in der Einleitung geschilderte Problem zu präzisieren, stellen wir uns einen Fliesenleger vor, dem eine Fliesenform oder eine gewisse Anzahl von verschiedenen Fliesenformen zur Verfügung stehen. Es könnten zum Beispiel quadratische Fliesen sein, die alle die gleiche Kantenlänge haben (ein einziger Typ), oder quadratische und dreieckige Fliesen, wobei sich zwei Dreiecke zu einem Quadrat zusammensetzen lassen (zwei Typen), oder . . . Von jeder der Fliesenformen sollen beliebig viele Exemplare zur Verfügung stehen, und es stellt sich die Frage, ob damit die ganze Ebene lückenlos und überlappungsfrei ausgelegt werden kann. Zwei Besonderheiten sind allerdings zu beachten. Erstens ist es – anders als bei wirklichen Fliesen aus dem Baumarkt – erlaubt, die Fliesen auch umzudrehen. Und zweitens wird gefordert, dass zwei Fliesen an einer Kante zusammenstoßen, die bei beiden die gleiche Länge hat. Wenn man das schafft, so soll das eine zulässige .F1 ; : : : ; Fk /Parkettierung heißen, wobei die F1 ; : : : ; Fk die verwendbaren Fliesenformen sind.

7.1 Nichtperiodische Parkettierungen: Das Problem

253

Es ist offensichtlich, dass es im Fall „k D 1 und F1 D Quadrat“ eine zulässige .F1 /Parkettierung gibt, man braucht ja nur an ein in alle Richtungen ausgedehntes Schachbrettmuster zu denken, bei dem alle Felder die gleiche Farbe haben. Und auch bei der Wahl „k D 2 und F1 D Quadrat, F2 D halbes Quadrat“ gibt es zulässige .F1 ; F2 /Parkettierungen. Nachstehend sieht man ein Beispiel1 .

Eine Parkettierung mit zwei Grundformen

Mal angenommen, wir haben eine zulässige .F1 ; : : : ; Fk /-Parkettierung gefunden. Manchmal ist es dann so, dass man sie durch nichttriviales Verschieben mit sich zur Deckung bringen kann. Das ist bei unserem Schachbrettmuster dann der Fall, wenn man horizontal und vertikal um eine ganzzahlige Quadratlänge verschiebt, im vorstehenden Beispiel der .F1 ; F2 /-Parkettierung sind Verschiebungen um plus oder minus 2 Quadratlängen, plus oder minus 4 Quadratlängen, . . . in horizontaler Richtung zulässig. Wenn es so eine Verschiebung gibt, heißt die Parkettierung periodisch. Es kann nun sein, dass es für die Fliesen F1 ; : : : ; Fk auch nichtperiodische Parkettierungen gibt. Das ist schon bei unserem zweiten Beispiel der Fall. Die aus zwei Dreiecken zusammengelegten Quadrate sind im „Schachbrett“ nur so zu verteilen, dass das Gesamtmuster durch keine Verschiebung in sich übergehen kann. Etwa so, wie im nachstehenden Bild.

Eine nichtperiodische Parkettierung mit den gleichen Grundformen 1

Genau genommen könnte man auch wieder das Schachbrett auslegen, denn es ist ja nicht verlangt, dass alle Fliesenformen verwendet werden müssen.

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7

Penroseparkettierungen

Anders ausgedrückt heißt das, dass es manchmal sowohl periodische als auch nichtperiodische Parkettierungen geben kann. Es war aber lange offen, ob das immer so sein muss, wenn es überhaupt zulässige Parkettierungen gibt. Wir formulieren die Frage als Klassisches Parkettierungsproblem (Hao Wang): Angenommen, es gibt eine zulässige .F1 ; : : : ; Fk /-Parkettierung. Muss es dann notwendig auch eine derartige periodische Parkettierung geben? 1966 gab Robert Berger ein aus 20.526 Fliesen bestehendes Gegenbeispiel an. Ein deutlich einfacheres Beispiel wurde 1971 von Raphael Robinson gefunden:

Zu diesen Grundformen gibt es nur nichtperiodische Parkettierungen

Darauf wollen wir in dieser Arbeit nicht weiter eingehen. Vielmehr werden wir eine Variante analysieren, die Penrose-Dreiecks-Parkettierungen, die von Roger Penrose in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vorgeschlagen wurden. Auch da geht es um spezielle Fliesenformen, die Regeln für das Anlegen sind aber modifiziert. Und da wird sich ergeben: Es gibt zwei Formen F1 ; F2 , so dass es zulässige Parkettierungen gibt, doch alle diese Parkettierungen sind aperiodisch. Penrose hat sich mehrfach mit dem Problem der aperiodischen Parkettierungen beschäftigt. Seine Forschungen waren auch physikalisch motiviert, denn gewisse kristallartige Strukturen (Quasi-Kristalle) sind aperiodisch aufgebaut. In dieser Arbeit wollen wir uns nur um die Dreiecksparkettierungen kümmern. (Einige Literaturangaben, in denen man die anderen Ansätze und weitere Informationen zu aperiodischen Parkettierungen findet, sind im Literaturverzeichnis zusammengestellt.) Hier die Übersicht über die folgenden Abschnitte: 2. Die Penrose-Bausteine 3. Falls es Penrose-Parkettierungen gibt . . .

7.2 Die „goldenen“ Penrose-Dreiecke

4. 5. 6. 7.

255

Indexfolgen erzeugen Parkettierungen Isomorphien von Penroseparkettierungen Charakterisierung von Penroseparkettierungen Einige Ergänzungen

Es sollte betont werden, dass hier kaum neue Ergebnisse zu finden sind. Das Ziel besteht darin, die Resultate vollständig und möglichst verständlich darzustellen.

7.2 Die „goldenen“ Penrose-Dreiecke Als Fliesenformen treten im Folgenden nur zwei Typen von Dreiecken auf, die beide mit dem goldenen Schnitt zu tun haben. Zur Erinnerung: Man sagt, dass zwei positive Zahlen a; b mit a < b im Verhältnis des goldenen Schnitts stehen, wenn b aCb D a b gilt. Es lässt sich dann leicht beweisen, dass b D a gelten muss, wobei die „goldene Zahl“ (auch „Zahl des goldenen Schnitts“) p 1C 5 D 1;618 : : :

D 2 ist. hat viele bemerkenswerte Eigenschaften. So spielt bei der Konstruktion eines Fünfecks mit Zirkel und Lineal eine wichtige Rolle, es gibt einen interessanten Zusammenhang zur Folge der Fibonaccizahlen usw. Die Penrosedreiecke vom Typ 1: Formen und Farben Wir beginnen mit den folgenden Bausteinen:

Das sind zwei Dreiecke, deren Größen wie folgt aufeinander abgestimmt sind:  Das linke ist gleichseitig und hat nur spitze Winkel. Die kleinste Seite hat die Länge a, und die zwei anderen Seiten die Länge a. Wir wollen es Dg1 .a/ nennen. (Die „1“ erinnert daran, dass wir Dreiecke vom Typ 1 beschreiben, und das „g“ ist die Abkürzung von „groß“.)

256

7

Penroseparkettierungen

 Das rechte Dreieck ist ebenfalls gleichseitig, hat aber einen stumpfen Winkel. Die lange Seite hat die Länge a , die kurzen die Länge a. Der Name: Dk1 .a/. (Dabei steht „k“ – natürlich – für „klein“.) Es wird wichtig sein, bei diesen Dreiecken Vorder- und Rückseite unterscheiden zu können. Dazu könnte man Markierungen anbringen, wir wollen die Unterscheidung aber durch Farben vornehmen: Dg1 .a/ ist auf der einen Seite hell- und auf der anderen dunkelblau, bei Dk1 .a/ verwenden wir die Farben hell- und dunkelgrün. Es wird vereinbart, die jeweils hellere Seite die „Vorderseite“ und die dunklere die „Rückseite“ zu nennen. So sehen die Dreiecke also jetzt von vorn (links) und von hinten (rechts) aus:

Die Penrosedreiecke vom Typ 1: Anlegeregeln und Markierungen Nun sollen die erlaubten Anlegeregeln formuliert werden. Wir nennen die Seiten von Dg1 .a/ (von vorn gesehen) im Anti-Uhrzeigersinn A, B und C ; dabei ist A die kurze Seite. Und die Seiten von Dk1 .a/ werden mit A0 , B 0 und C 0 bezeichnet; wieder ist das Dreieck von vorn zu sehen, wieder ist die Reihenfolge im Anti-Uhrzeigersinn, und wieder beginnen wir „unten“, also diesmal mit der langen Seite. Das sieht dann so aus:

Nun stellen wir uns vor, dass beide Dreieckstypen in beliebiger Anzahl zur Verfügung stehen, wir wollen die Ebene damit lückenlos und überlappungsfrei bedecken. Wie bisher wird verlangt, dass immer zwei Kanten gleicher Länge zusammenstoßen2 . Zusätzlich gibt es die Anlegeregeln für Dreiecke vom Typ 1: Man darf  bei beiden Dreiecken und an irgendeiner Seite ein Dreieck des gleichen Typs anlegen, wenn man es vorher umgeklappt hat (also hellgrün an dunkelgrün oder hellblau an dunkelblau); 2

Wenn wir an das Zusammenlegen keine weiteren Bedingungen stellen, ist das Parkettieren kein Problem. Man könnte zum Beispiel je zwei Dk1 .a/-Dreiecke zu einem Parallelogramm aneinanderlegen und dann damit ganz einfach eine Parkettierung herstellen.

7.2 Die „goldenen“ Penrose-Dreiecke

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 die Seite A an die Seite C 0 legen, wenn beide Dreiecke von vorn oder beide von hinten zu sehen sind;  die Seite B an die Seite A0 legen, wenn beide Dreiecke von vorn oder beide von hinten zu sehen sind. Und weitere Anlegemöglichkeiten sind ausdrücklich verboten. Hier sehen wir ein Beispiel, bei dem diese Regeln beachtet wurden:

In manchen Fällen gibt es nur eine einzige Wahl. Man kann zum Beispiel an B nur durch Umklappen fortsetzen. Später werden wir sehen, dass noch weitere „Zwänge“ eingebaut sind, die man beachten muss, wenn man die Ebene parkettieren möchte. Es ist allerdings ziemlich mühsam, wollte man nun wirklich anfangen zu parkettieren und dabei alle Regeln beachten. Eine Hilfe könnten Markierungen an den Dreiecksseiten sein3 . Zum Beispiel könnte man an den Seiten kleine graue Halbkreise wie im nächsten Bild anbringen (auf der Rückseite sollen die Halbkreise an den gleichen Stellen zu finden sein) und dann verlangen, dass beim Anlegen stets Halbkreise zu Vollkreisen ergänzt werden müssen.

Es ist nicht schwer zu sehen, dass Anlegen genau dann erlaubt ist, wenn die Seitenmarkierungen zusammenpassen. Penrose löst das Problem etwas anders. Bei dieser Variante werden an den Ecken der Dreiecke Markierungen in Form von kleinen weißen und schwarzen Kreissegmenten angebracht. Von vorne sieht das so aus (bei den Rückseiten werden an entsprechenden Ecken die gleichen Farben verwendet): 3

Die Möglichkeit, die Bedingungen so wie bei den obigen Robinsonkacheln durch geeignet gezackte Dreiecksseiten zu erzwingen, scheidet aus. Denn nur bei einer gezackten Kante wird das Anlegen einer umgeklappten Fliese des gleichen Typs nie möglich sein.

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7

Penroseparkettierungen

Die Anlegeregeln kann man sich auch damit einfacher merken, man muss nur das Farbgebot beachten: Es dürfen Dreiecke nur dann zusammengelegt werden, wenn die Farben an den Enden der gemeinsamen Seite übereinstimmen. Damit ist wirklich alles, was in den oben formulierten Anlegeregeln steht, erlaubt. Leider gibt es einen kleinen Schönheitsfehler, denn es ist zu viel erlaubt! Die folgenden Muster wären auch zulässig, sollten es aber nach den Regeln nicht sein:

Um das zu verhindern, wird das Farbgebot um das Parallelogrammverbot ergänzt: Dreiecke des Typs Dg1 .a/, die beide von vorn oder beide von hinten zu sehen sind, dürfen nie an der weiß-weißen-Kante zu einem Parallelogramm zusammengelegt werden. Und gleiches gilt für die schwarz-schwarze Kante von Dk1 .a/. (Parallelogramme, die durch Umklappen entstehen, sind aber erlaubt.) Wir werden hier auf die Markierungen verzichten. Es ist aus verschiedenen Gründen sinnvoller, direkt mit Anlegever- und geboten zu arbeiten. Unser Ziel wird sein zu zeigen, dass man die Ebene mit den Penrosedreiecken auf zulässige Weise parkettieren kann und dass alle diese Parkettierungen aperiodisch sind. Der Nachweis dieser Aussagen ist überraschend schwierig. Schon für den ersten Teil braucht man eine durchdachte Strategie, einfaches Drauflos-Parkettieren dürfte regelmäßig schnell zu einer Situation führen, in der es auf zulässige Weise nicht weitergeht. Im Beweis werden wir noch eine Variante der Fliesenformen benötigen, die Hauptidee wird darin bestehen, zwischen den schon definierten und den neuen Formen Beziehungen herzustellen. Die Penrosedreiecke vom Typ 2 Das ist eine etwas andere Situation. Es gibt zwar auch zwei Dreiecke, die sehen aber diesmal so aus:

7.3 Welche Parkettierungen sind möglich?

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Wir wollen sie Dg2 .a/ und Dk2 .a/ nennen. Das erste hat einen stumpfen Winkel, zwei Seiten der Länge a und eine Seite der Länge 2 a, es ist damit als Dreieck identisch mit Dk1 . a/. Das zweite ist das gleiche wie Dg1 .a/. Es gibt eine Vorder- und eine Rückseite, die unterscheidbar sind; hier haben wir sie hell- und dunkelgrau (für Dg2 .a/) bzw. hell- und dunkelrot (für Dk1 .a/) eingefärbt. Die Kanten von Dg2 .a/ sollen wie im nachstehenden Bild mit E; F; G bezeichnet sein, die von Dk2 .a/ mit E 0 ; F 0 ; G 0 . Achtung: Im Bild sind die Dreiecke von vorn zu sehen, von hinten – dann sind sie dunkelgrau und dunkelrot – müssten die Bezeichnungen von F und G sowie von F’ und G’ vertauscht werden.

Und wieder gibt es Anlegeregeln, diesmal die Anlegeregeln für Dreiecke vom Typ 2. Man darf:  Dreiecke nur an gleich langen Seiten zusammenlegen;  bei beiden Dreiecken und an irgendeiner Seite ein Dreieck des gleichen Typs anlegen, wenn man es vorher umgeklappt hat4 ;  die Seite F an die Seite G 0 legen, wenn eines der Dreiecke von vorn und das andere von hinten zu sehen ist;  die Seite G an die Seite F 0 legen, wenn beide Dreiecke von vorn oder beide von hinten zu sehen sind. Und weitere Anlegemöglichkeiten sind wieder ausdrücklich verboten.

7.3

Welche Parkettierungen sind möglich?

Nun kann die Analyse beginnen. Wir vergessen für den Augenblick alles, was zu Dreiecken vom Typ 2 gesagt wurde und kümmern uns um das Problem, ob man die Ebene mit Dreiecken des Typs 1 zulässig parkettieren kann. Die Antwort ist ja noch offen, wir wollen aber versuchen, durch „Rückwärtsrechnen“ zu einer Lösung zu kommen. Dazu nehmen wir einmal an, dass wir eine Parkettierung P vorgelegt bekommen; ob das wirklich realistischerweise passieren könnte, muss dabei erst einmal offen bleiben. Wir sehen also eine Menge Dreiecke vom Typ 1, von vorne und von hinten. Die Kantenlänge der kleineren Kante in Dg1 .a/, die Zahl a, ist eigentlich unerheblich. Es wird nichts verändern, wenn wir mit a D 1 arbeiten, wir also die Dg1 .1/ und Dk1 .1/ vor uns sehen. Als Beispiel könnte man an das Muster zu Beginn des Kapitels denken, das wir hier noch einmal abbilden: 4

Das ist also genau so wie bei Typ 1. Hier darf man hellgrau an dunkelgrau und hellrot an dunkelrot anlegen.

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7

Penroseparkettierungen

Wenn man lange genug draufschaut, stellt man fest, dass nicht alle erlaubten Anlegeregeln verwendet wurden. Eigentlich wäre es nämlich zulässig gewesen, dass das Dreieck Dk1 .1/ (von vorn gesehen) mit der Kante C 0 an eine umgeklappte Version von Dk1 .1/ bei B 0 gelegt wird:

Das kommt aber in dem Bild wohl nicht vor. Wirklich gilt: Lemma 7.3.1

Ist P eine zulässige Parkettierung der Ebene mit Dreiecken vom Typ 1, so wurden niemals zwei Dk1 .1/-Dreiecke verschiedener Farbe (also eins von vorn, eins von hinten zu sehen) bei einer C 0 -Kante zusammengelegt.

Beweis Angenommen, man würde irgendwo so etwas finden. Die einzige zulässige Fortsetzung an der G 0 -Kante des hellgrünen Dreiecks wäre so:

Doch dann geht es nicht mehr weiter, denn kein Dreieck passt in die Lücke!



7.3 Welche Parkettierungen sind möglich?

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Da es für die C 0 -Kante von Dk1 .1/ aber nur zwei erlaubte Möglichkeiten des Anlegens gab, wird es immer die andere sein. Anders ausgedrückt: Wo immer man in der Parkettierung ein Dk1 .1/-Dreieck von vorn sieht, wird an der C 0 -Kante ein Dg1 .1/-Dreieck (von vorn zu sehen) an der A-Kante angelegt sein; und entsprechend sind umgedrehte Dk1 .1/Dreiecke bei der C 0 -Kante immer mit umgedrehten Versionen von Dg1 .1/ an ihrer A-Kante zusammengelegt. Das hat eine wichtige Konsequenz. Wenn wir uns solche „Zwangs-Ehen“ als neue Einheiten vorstellen, so sind das Dg2 .1/-Dreiecke5 . Es werden gewisse Dg1 .1/-Dreiecke beim Zusammenfassen übrig bleiben. Wenn wir sie als Dk2 .1/-Dreiecke auffassen, so heißt das, dass jetzt die Ebene lückenlos mit Typ-2-Dreiecken gefüllt ist. Es ist nun ganz wichtig zu bemerken, dass das auch eine zulässige Parkettierung ist, wenn wir bei einem zusammengelegten Dg1 -Dk1 -Paar diejenige Seite „vorn“ nennen, bei der beide Teile von vorn zu sehen sind. Und bei den neuen Dk2 -Dreiecken ist wieder hellblau die vordere Seite. Davon kann man sich leicht überzeugen, das Ergebnis wird aber weiter unten in Satz 7.3.3 noch einmal in etwas größerer Allgemeinheit bewiesen werden. Das heißt: Wenn es eine zulässige Parkettierung durch Dreiecke vom Typ 1 gibt, so auch eine durch Dreiecke vom Typ 2. Es ist naheliegend, diese Idee fortzusetzen. Dazu schauen wir uns noch einmal die Dreiecke vom Typ 2 an und versuchen, auch hier „Zwangs-Ehen“ zu finden. Davon gibt es mehrere. Zum Beispiel ist klar, dass an die F -Kante eines von vorn zu sehenden Dg2 .1/-Dreiecks nur die F -Kante eines Dreiecks des gleichen Typs – allerdings von hinten gesehen – angelegt werden kann, denn alle anderen Kanten wären zu kurz. Uns interessiert aber eine andere Zwangskombination. Wir behaupten:

Lemma 7.3.2

Ist P eine zulässige Parkettierung der Ebene mit Dreiecken vom Typ 2, so wurden niemals zwei Dk2 .1/-Dreiecke verschiedener Farbe (also eins von vorn, eins von hinten zu sehen) bei einer F 0 -Kante zusammengelegt.

Beweis Angenommen, man würde so eine Konstellation finden:

5

Hier muss man sich daran erinnern, dass 2 D C 1 gilt.

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7

Penroseparkettierungen

Da es an den E 0 -Kanten, nur eine einzige Anlegemöglichkeit gibt, geht es notwendig so weiter:

Und das ist wieder eine Sackgasse, denn in der unteren Lücke kann nichts angelegt wer den. Das bedeutet, dass von den zwei Möglichkeiten, wie es mit der F 0 -Kante weitergehen könnte, eine ausscheidet. Man kann also sicher sein, dass an der F 0 -Kante eines Dk2 .1/-Dreiecks stets ein Dg2 .1/-Dreieck mit seiner G-Kante angelegt ist, wobei eines der Dreiecke von vorn und das andere von hinten zu sehen ist. So eine Zusammenlegung ist aber ein Dg1 . 2 /-Dreieck, das liegt an der Gleichung 2 C D 3 . Außerdem können wir bemerken, dass Dg2 .1/-Dreiecke auch Dk1 . 2 /-Dreiecke sind. Wenn wir also die eben behandelten Zwangspaare (Dk2 .1/ umgedreht an Dg2 .1/, wobei F 0 an G) als neue Fliese betrachten, so haben wir wieder eine Parkettierung mit Penrose-Fliesen vom Typ 1 erhalten, wobei sich die Längeneinheit um den Faktor 2 vergrößert hat. Auch diese Parkettierung ist – wie wir gleich sehen werden – wieder zulässig, wenn wir „vorne“ und „hinten“ richtig definieren, so dass wir die ersten beiden Schritte wiederholen können. So erhalten wir nach und nach immer gröbere Penrose-Parkettierungen, die abwechselnd vom Typ 1 und Typ 2 sind6 . Im nachstehenden Bild sieht man einen Ausschnitt aus einer Parkettierung und daneben den ersten Vergröberungsschritt; im nächsten Schritt würden dann – unter anderem – die beiden im zweiten Bild durch Punkte markierten Dreiecke zu einem neuen großen Typ-1Dreieck zusammengesetzt7 . 6 7

Der Fachausdruck für dieses Verfahren ist Deflation. Achtung: Das wäre dann die Ansicht von hinten!

7.3 Welche Parkettierungen sind möglich?

263

Damit das Verfahren niemals abbricht, muss noch die Zulässigkeit der jeweils neuen Parkettierung gezeigt werden. Das ist der entscheidende Schritt, um Penrose-Parkettierungen vollständig analysieren zu können.

Satz 7.3.3

(i) Gegeben seien Penrose-Dreiecke vom Typ 1; wir verwenden die oben eingeführten Bezeichnungen. Wir fügen ein Dg1 .a/-Dreieck an der A-Seite mit einem Dk1 -Dreieck an der C 0 -Seite zusammen: Das ist ein Dg2 .a/-Dreieck. Das ist – per definitionem – „von vorn“ zu sehen, wenn beide Teildreiecke von vorn zu sehen sind. Entsprechend interpretieren wir ein Dg1 -Dreieck als Dk2 -Dreieck, wobei sich die Definition von „vorn“ nicht verändert. Hier sehen wir die Vorderseiten der so gebildeten Dreiecke vom Typ 2.

Und dann gilt: Legt man diese Dreiecke genau dann zusammen, wenn für die Typ-1-Teile die Typ-1-Anlegeregeln erfüllt sind, so entspricht das den Anlegeregeln der Dreiecke vom Typ 2 für die neu gebildeten Dreiecke. (ii) Gegeben seien Penrose-Dreiecke vom Typ 2; wir verwenden auch hier die oben eingeführten Bezeichnungen. Wir fügen ein von hinten gesehenes Dg2 .a/Dreieck an der F -Seite mit einem von vorn gesehenen Dk2 .a/-Dreieck an der G 0 -Seite zusammen: Das ist die Vorderseite eines Dg1 . 2 a/-Dreiecks. Entsprechend interpretieren wir ein Dg2 -Dreieck als Dk1 . 2 a/-Dreieck, wobei sich die

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7

Penroseparkettierungen

Bedeutung von „vorn“ und „hinten“ nicht ändert. Hier sehen wir die Vorderseiten der so gebildeten Dreiecke vom Typ 1.

Und dann gilt: Legt man diese Dreiecke genau dann zusammen, wenn für die Typ-2-Teile die Typ-2-Anlegeregeln erfüllt sind, so entspricht das den Anlegeregeln der Dreiecke vom Typ 1 für die neu gebildeten Dreiecke.

Beweis Zur Erinnerung notieren wir noch einmal die Anlegeregeln in etwas kürzerer Schreibweise: „v“ steht für „verschieden“, also eines der Dreiecke soll von vorn, das andere von hinten zu sehen sein; entsprechend kürzen wir „gleich“ mit „g“ ab. Die Regeln lauten dann:  Typ 1: A-A-v, B-B-v, C -C -v, A0 -A0 -v, B 0 -B 0 -v, C 0 -C 0 -v, A-C 0 -g, B-A0 -g; und alles andere ist verboten.  Typ 2: E-E-v, F -F -v, G-G-v, E 0 -E 0 -v, F 0 -F 0 -v, G 0 -G 0 -v, F -G 0 -v, G-F 0 -g; und alles andere ist verboten. Es wurde weiter oben auch schon bewiesen, dass bei Parkettierungen der Ebene die eigentlich erlaubten Regeln A0 -A0 -v und F 0 -F 0 -v nicht verwendet werden dürfen, wenn man nicht in eine Sackgasse kommen möchte. (i) Bei den neu entstandenen Dreiecken entsprechen sich A und E 0 , B und F 0 , C und 0 G , F und C , G und A0 . Und E ist durch die Aneinanderlegung von B 0 und B erzeugt worden. Die „Färbung“ ist so: Für Dk2 .a/ wird die Färbung von Dg1 .a/ übernommen, und Dg2 .a/ ist genau dann von vorn zu sehen, wenn beide „Bausteine“ Dk1 .a/ und Dg1 .a/ von vorn zu sehen sind. Es ist dann klar, dass die Anlegeregeln E-E-v, F -F -v, G-G-v, E 0 -E 0 -v, F 0 -F 0 -v, und 0 G -G 0 -v erlaubt sind. Aus C -C 0 -v folgt F -G 0 -v, und dass G-F 0 -g legitim ist, folgt aus B-A0 -v. Und alles andere ist verboten! G-G 0 -g zum Beispiel deswegen, weil A0 -A0 -g tabu ist. Und das Verbot F -G 0 -g entspricht dem Verbot C -C 0 -g. Und so weiter. (ii) Dieser Beweis verlangt etwas mehr Aufmerksamkeit, weil man ganz genau auf die Färbung achten muss: „Vorn“ für das neue Dk1 . 2 a/ ist das gleiche wie „vorn“ für das alte Dg2 .a/, aber „vorn“ für das neue Dg1 . 2 a/ entsteht, wenn man ein von hinten gesehenes Dg2 .a/ an ein von vorn gesehenes Dk2 .a/ fügt. Es sind dann wieder genau die gewünschten  Regeln erlaubt. Zum Beispiel A-C 0 -g wegen G-F 0 -g und B-A0 -g wegen E-E-v.

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen

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Damit sind wir einen entscheidenden Schritt weiter, denn mit den vorstehenden Überlegungen eröffnet sich die Möglichkeit, Dreiecke des Typs 1 auf zulässige Weise so zusammenzulegen, dass die überdeckte Fläche beliebig groß wird. Von diesen „beliebig großen zulässig überdeckten Flächen“ bis zu eine Parkettierung des R2 wird es dann nur noch ein kleiner Schritt sein.

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen Bis jetzt ist immer noch nicht klar, ob es überhaupt zulässige Parkettierungen der Ebene gibt. Jetzt wollen wir unsere bisherigen Überlegungen sozusagen rückwärts lesen, um durch Abwechseln zwischen immer größer werdenden Dreiecken vom Typ 1 und Typ 2 die Ebene zu überdecken. Der erste Schritt: Die Standard-Dreiecke Wir konstruieren eine Folge von Dreieckspaaren: ein Paar vom Typ 1, ein Paar vom Typ 2, ein (größeres) Paar vom Typ 1, ein (noch größeres) Paar vom Typ 2 usw. Bei dieser Konstruktion erinnern wir uns an die „Zwänge“, die wir im vorigen Kapitel entdeckt haben: Dk1 .a/ wird immer auf ganz spezielle Weise mit Dg1 .a/ zusammengelegt, und das gleiche gilt für Dk2 .a/, das immer mit Dg2 .a/ auf zulässige Weise kombiniert wird. Nun geht es los. Wir starten mit zwei von vorne gesehenen Dreiecken Dg1 .1/ und Dk1 .1/; wir wollen sie D.0; 0/ und D.0; 1/ nennen:

Die Dreiecke D.1; 0/ und D.1; 1/ entsprechen dann denjenigen, die bei unserer obigen Analyse nach der ersten „Zwangsheirat“ entstanden sind. D.1; 1/ ist also einfach das Dreieck D.0; 0/, und D.1; 0/ entsteht durch spezielles Zusammenlegen der Dreiecke der vorigen Stufe:

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Penroseparkettierungen

Und so geht es weiter. D.2; 0/ wird durch die „Zwangs-Ehe“ von D.1; 0/ und D.1; 1/ gebildet8 , und D.2; 1/ ist mit D.1; 0/ identisch. Auf diese Weise entstehen immer größere Dreieckspaare D.k; 0/ und D.k; 1/, die abwechselnd vom Typ 1 (für gerades k) und vom Typ 2 (für ungerades k) sind. Hier sehen wir weitere Paare (k D 2; 3; 4; 7; das letzte ist verkleinert wiedergegeben):

Der zweite Schritt: Indexfolgen Durch die vorstehende Konstruktion können nun schon beliebig große zulässig überdeckte Bereiche erzeugt werden, und man könnte den Eindruck haben, dass man auf dem besten Wege wäre, die ganze Ebene zu überdecken. Es gibt aber leider ein Problem, denn beim Übergang von den D.k; 0/; D.k; 1/ zu den D.k C 1; 0/; D.k C 1; 1/ wird nicht immer nur angelegt, bei den ungeraden k werden ja auch Dreiecke gespiegelt. Diese Schwierigkeit ist aber leicht zu beheben. Wir betrachten irgendeine Folge .Ik /kD0;1;2;::: , die nur aus Nullen und Einsen besteht (und für die wir gleich noch eine weitere Bedingung fordern werden). Das könnte zum Beispiel die Folge 0; 1; 0; 0; 1; 0; : : : sein. 8

Es ist an dieser Stelle wichtig, dass wir nicht versehentlich Vorder- und Rückseite vertauschen: Wir müssen D.1; 0/ umdrehen und D.1; 1/ dann anlegen, nicht umgekehrt!

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen

267

Wir markieren eines der beiden Standard-Dreiecke D.0; 0/; D.0; 1/ auf beiden Seiten mit einem roten Punkt, und zwar D.0; 0/, wenn I0 D 0 ist und D.0; 1/ im Fall I0 D 1. Jetzt gehen wir zu den D.1; 0/; D.1; 1/ über. Eigentlich gäbe es jetzt in beiden Dreiecken einen roten Punkt, wir wollen aber nur einen. Ist I1 D 0, so bleibt der Punkt bei D.1; 0/ und der andere wird gelöscht, und für I1 D 1 überlebt der Punkt nur bei D.1; 1/. Nun sollte es weitergehen, es gibt aber eine Besonderheit: Wenn D.1; 1/ markiert ist (also im Fall I1 D 1), so hat in der nachfolgenden Stufe nur das Dreieck D.2; 0/ einen Punkt. Falls dann I2 D 1 erlaubt wäre, würde der auch noch gelöscht werden und es wäre gar nichts mehr markiert. Das erzwingt eine Zusatzbedingung an die Folge .Ik /: Auf eine 1 muss immer eine Null folgen. Dann heißt .Ik / eine Indexfolge. Damit können wir dann wirklich in jeder Stufe genau ein Dreieck markieren: Bei IkC1 D 1 wandert der Punkt nach D.kC1; 1/, und für IkC1 D 0 nach D.kC1; 0/. Und der Punkt sitzt immer bei demjenigen Dreieck, das wir am Anfang markiert hatten. Hier ein Beispiel für Markierungen, wenn wir uns etwa für die Indexfolge 0; 1; 0; 0; : : : entschieden haben:

Man sieht, dass das markierte kleine Dreieck mit größer werdendem k immer wieder verschoben und gedreht – und eventuell sogar gespiegelt – werden muss, es sollen doch aber durch zulässiges Anlegen immer größere Bereiche der Ebene überdeckt werden, um am Ende eine Parkettierung zu erhalten. Doch das lässt sich leicht korrigieren. Wir erhalten wirklich eine Anleitung für das zulässige Überdecken beliebig großer Bereiche:  Wähle eine Indexfolge .Ik /kD0;::: .  Markiere D.0; I0 / (wenigstens in Gedanken) mit einem roten Punkt auf beiden Seiten.  Verfolge dann den roten Punkt in den D.k; 0/; D.k; 1/: Der rote Punkt ist immer bei D.k; Ik / im anfangs markierten Teildreieck.  Überdecke damit immer größere Teile der Ebene. Es geht los mit D.0; I0 /. Und hat man sich schon bis zum k-ten Schritt vorgearbeitet, so soll man das markierte große Dreieck D.k C 1; IkC1 / so drehen und evtl. umklappen, dass das markierte kleine Ausgangsdreieck an der gleichen Stelle liegt und von der gleichen Seite zu sehen ist wie unser Startdreieck D.0; I0 /.  Am Ende kann der rote Punkt wieder entfernt werden. Der hatte ja nur die Funktion, uns eine Hilfestellung bei der Konstruktion zu geben.

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Penroseparkettierungen

Wenn man das wirklich ohne den Umweg über die Standard-Dreiecke und ohne rote Punkte durchführen will, braucht man eine gute geometrische Vorstellungskraft. Die Anlegeschritte, bei denen IkC1 D 1 ist, sind zwar trivial, weil nichts passiert, aber bei den IkC1 D 0 sind für große k in jedem Einzelschritt riesige Dreiecke anzulegen, die aus vielen Bausteinen Dk1 .1/ und Dg1 .1/ zusammengesetzt sind. Hier sieht man noch zwei Beispiele. In der oberen Reihe ist der Beginn des zulässigen Musters zu sehen, das zur Indexfolge 0; 0; 1; 0; : : : gehört, und darunter wurde mit 1; 0; 1; 0; : : : gearbeitet.

Schritt 3: Indexfolgen erzeugen stets Parkettierungen Es ist naheliegend zu hoffen, dass man so zu einer Parkettierung der Ebene mit Penrosedreiecken des Typs 1 kommt: Setze bei gegebener Indexfolge das Erzeugen der immer größeren Dreiecke ins Unendliche fort; die Vereinigung aller dieser Dreiecke soll V heißen. Falls dann V D R2 ist, haben wir eine Parkettierung gefunden. Leider gibt es Fälle, bei denen V eine echte Teilmenge des R2 ist! Im Fall .Ik / D .0010001000100010 : : :/ ist V ein 36ı -Segment, und bei der Wahl .Ik / D .00000000 : : :/ ist V ein Halbraum. Hier sehen wir Ausschnitte, das linke Muster setzt sich nach unten immer weiter fort, das rechte nach links unten:

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen

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Das ist aber wirklich alles, was passieren kann:

Satz 7.4.1

Für V gibt es nur drei Möglichkeiten:  V D R2 , oder  V ist ein 36ı -Segment, oder  V ist ein Halbraum.

Beweis Mal angenommen, V wäre die ganze Ebene. Dann sind wir fertig. Wenn das nicht der Fall ist, gibt es einen Punkt x, der nicht in V liegt. Wir gehen von x aus in Richtung V , bis wir auf den Rand von V stoßen9 . y 2 V soll der zu x nächste Punkt sein, mit D bezeichnen wir ein Dreieck des Typs 1, in dem y liegt (D ist also ein Dg1 .a/ oder ein Dk1 .a/). Es gibt nun mehrere Möglichkeiten: Fall 1: y ist eine Ecke von D und es gibt kein anderes Dreieck der Parkettierung, das y enthält. Das wird dann notwendig eine Ecke mit einem Winkel von 36ı sein, denn bei Ecken mit 72ı und 108ı wird im Lauf der Konstruktion immer wieder angelegt. (Zum Beispiel ist die 108ı -Ecke in einem D.k; 1/ im nächsten Anlegeschritt, also bei DkC1;0 , garantiert verschwunden.) Wir verlängern nun, von y ausgehend, die an y anstoßenden Kanten so lange, wie wir in V bleiben. Behauptung: Man kann sie unbegrenzt verlängern. Würde man nämlich 9

Wenn man es mathematisch etwas strenger machen möchte, muss man bemerken, dass V als Vereinigung von nichtüberlappenden Dreiecken, die in nur zwei Versionen zur Verfügung stehen, notwendig abgeschlossen ist. Außerdem ist V konvex, weil in jedem Schritt immer größere Dreiecke erzeugt wurden. Damit gibt es zu x einen Punkt bester Approximation in V .

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Penroseparkettierungen

wieder an eine Ecke von V kommen, könnte es aufgrund der bisherigen Überlegungen nur mit einem Knick von 36ı weitergehen und dann wäre V beschränkt, was ja offensichtlich nicht stimmt. Zusammen heißt das: In diesem Fall ist V ein 36ı -Segment. Fall 2: Bei y stoßen zwei Ecken verschiedener kleiner Dreiecke zusammen. Würde V bei y eine Ecke haben, so wäre das die Ecke eines D.k; 0/ oder eines D.k; 1/, und das würde mit dem gleichen Argument wie eben dazu führen, dass nur ein Winkel von 36ı in Frage kommt. Dann kann y aber nicht in zwei Dreiecken liegen, und es bleibt nur die Möglichkeit, dass y keine Ecke von V sein kann. Der Rand von V geht also nach beiden Richtungen von y ausgehend noch weiter. Kommt er in einer Richtung bis zu einer Ecke von V , so setzen wir die Analyse an dieser Ecke fort und folgern, dass V ein 36ı -Segment ist. Bleibt noch der Fall, dass es in beiden Richtungen beliebig weit weitergeht, dass also y auf einer Geraden G und V auf der einen Seite dieser Geraden liegt. Würde V diese Seite nicht ausfüllen – wäre also V kein Halbraum – gäbe es dort einen Punkt x 0 , der nicht zu V gehört. Wir beginnen unsere Analyse von dort aus noch einmal mit der Wahl eines so nahe wie möglich bei x 0 liegenden Punktes y 0 in V . Das weitere Vorgehen kann dann sicher nicht zeigen, dass V ein 36ı -Segment ist, denn so ein Segment könnte nicht G als Randgerade enthalten. Es bleibt nur, dass y 0 auf einer Randgeraden von V liegt. Die muss notwendig parallel zu G sein, da es andernfalls einen Schnittpunkt gäbe und V müsste doch ein Segment sein. Auch das geht aber nicht: V wäre der Bereich zwischen zwei parallelen Geraden im Widerspruch zu der Tatsache, dass V Dreiecke mit beliebig großem Durchmesser enthält. 

Nun ist es leicht, in allen Fällen Parkettierungen zu erhalten. Bedenkt man, dass man Dreiecke immer durch Umklappen aneinanderlegen kann und dass – wegen der Symmetrie der Anlegebedingungen – eine zulässig zusammengesetzte Menge von Fliesen auch dann zulässig bleibt, wenn man sie umdreht, so können wir unser Verfahren so abschließen:  Ist V ein 36ı -Segment, so spiegle es neunmal an der Spitze; das ist eine Parkettierung aus zehn 36ı -Segmenten.  Ist V ein Halbraum, so spiegle V an der begrenzenden Geraden, um eine Parkettierung des R2 zu erhalten. Wir können nun also sicher sein, dass es zulässige Penrose-Parkettierungen gibt. Unser Konstruktionsverfahren zeigt sogar mehr: Jede Indexfolge gibt Anlass zu einer solchen Parkettierung. Die Frage, ob die alle verschieden sind, wird im nächsten Abschnitt beantwortet. Vorher gibt es noch

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen

271

Eine Ergänzung: Alle Parkettierungen entstehen so Wir starten wieder mit einer zulässigen Parkettierung P der Ebene aus Typ-1-Dreiecken. Wir fixieren irgendein Dreieck D und nennen es D0 . Nach Vergröberung liegt D in einem Dreieck des Typs 2: Das soll D1 heißen. Wir fahren entsprechend fort: D liegt in immer größeren Dreiecken einer Parkettierung, wobei sich Typ 1 und Typ 2 abwechseln. Die Dreiecksfolge soll D0 ; D1 ; D2 ; : : : heißen. Angenommen, D0 war ein Dg1 , das von vorn zu sehen ist10 . Wir schreiben IQ0 WD 0, im Fall D0 D Dk1 hätten wir IQ0 WD 1 geschrieben. Und dann schauen wir nach, in was für einem Typ Dreieck der ersten Vergröberung unser D0 liegt. War es ein Dg2 .1/, setzen wir IQ1 WD 0, andernfalls definieren wir I1 WD 1. So geht das immer weiter. Die .Dk / erzeugen eine Indexfolge, und aufgrund unserer Konstruktionsvorschrift, die wir in diesem Abschnitt erläutert haben, ist Dk gerade das im k-ten Schritt auftretende Dreieck. Natürlich hängt die so entstehende Folge .IQk / von der Wahl von D0 ab. Betrachten wir zum Beispiel das 36ı -Segment, das vor Satz 7.4.1 abgebildet ist. Wählt man D0 als das Dreieck mit dem roten Punkt, so ist .IQk / D .00100010001 : : :/; das ist ein Spezialfall der allgemeineren Aussage, dass das Dreieck mit dem Punkt, das unter Verwendung von .Ik / zu einer Parkettierung führen soll, immer zu .IQk / D .Ik / führt, wenn man es als Startdreieck D0 wählt. Entscheidet man sich aber, als D0 das hellblaue Dreieck etwas darunter zu wählen, kommt .IQk / D .0100000001001 : : :/ heraus. Klar ist dann, dass die Indexfolgen von der Stelle ab übereinstimmen, wo das Dreieck mit dem Punkt und das gewählte D0 im gleichen Dreieck der wachsenden Dreiecksfolge liegen. Diese wichtige Beobachtung notieren wir als

Satz 7.4.2

Sei V der durch eine Indexfolge .Ik / überdeckte Bereich. Wählt man dann irgendein Parkettierungsdreieck D in V und konstruiert die Folge .IQk / wie vorstehend beschrieben, so stimmen .Ik / und .IQk / von einer Stelle an überein. Genauer gilt: Ist D im Dreieck des k0 -ten Konstruktionsschritts enthalten, so stimmen .Ik / und .IQk / spätestens ab der Stelle k0 überein.

Zurück zur Parkettierung P , der Dreiecksfolge .Dk / und der Indexfolge .IQk /, die sich nach Wahl von D0 ergeben haben. Wir definieren wieder V als die Vereinigung der Dk . Wir wissen dann schon wegen Satz 7.4.1, dass es für V drei Möglichkeiten gibt: ein 36ı Segment, ein Halbraum oder die ganze Ebene. Im letzten Fall ist nichts weiter zu tun, P ist dann wirklich durch die Indexfolge .Ik / erzeugt worden. Was aber ist, wenn V zu klein ist? Wir wissen zwar, dass wir aus V im ersten Fall durch neun sukzessive Spiegelungen Haben wir uns für ein von hinten zu sehendes Dg1 entschieden, so betrachten wir die Spiegelung von P : die Parkettierung wird also von hinten angesehen. Die ist „gleichwertig“ zu P , mehr dazu in Abschnitt 5.

10

272

7

Penroseparkettierungen

und im zweiten Fall durch eine einzige Spiegelung eine Parkettierung erhalten können, doch ist zunächst nicht klar, dass die mit P übereinstimmen muss. Dass das doch der Fall ist, ist der Inhalt von

Satz 7.4.3

Wir verwenden die vorstehenden Bezeichnungen und behaupten: (i) Ist V ein 36ı -Segment, so entsteht P durch neunfaches Spiegeln an den Kanten dieses Segments. (ii) Ist V ein Halbraum, so entsteht P durch Spiegeln von V an der begrenzenden Geraden.

Beweis Wir beweisen zunächst (ii), die Grenzgerade soll mit G bezeichnet werden. Mal angenommen, wir könnten folgende Aussage beweisen: Hilfssatz: Sei D ein Dreieck in V , das mit einer Kante K an G anstößt. Dann ist P so über V hinaus fortgesetzt worden, dass D bei K umgeklappt wurde11 . Dann ist bei allen Randdreiecken von V klar, wie es dort mit P weitergeht. Das gleiche Ergebnis kann aber nach zweifacher Vergröberung auf größere Randdreiecke angewendet werden: Auch die wurden umgeklappt, und das hat schon für viel mehr Ausgangsdreiecke von V zur Folge, dass wir sie an G gespiegelt in P wiederfinden. Wenn wir diese Überlegung mit weiteren Vergröberungen wiederholen, haben wir schließlich ganz V ausgeschöpft. Alles in V findet sich also gespiegelt in P wieder. V zusammen mit der Spiegelung an G füllt aber die ganze Ebene aus. Es fehlt noch der Beweis des Hilfssatzes. Der ist leider ein bisschen technisch, wir müssen sechs Fälle unterscheiden. Ohne Einschränkung der Allgemeinheit soll D von vorn zu sehen sein. Fall 1: D ist ein von vorn zu sehendes Dk1 -Dreieck und liegt mit der C 0 -Kante an. Dieser Fall ist leicht zu erledigen, denn er kommt nicht vor: In einer Parkettierung der Ebene wird so ein Dreieck immer in der ersten Vergröberung zu einem Dg2 -Dreieck. Das würde aber aus V hinausführen, soll aber nach Konstruktion Teilmenge sein. Fall 2: D ist ein von vorn zu sehendes Dk1 -Dreieck und liegt mit der B 0 -Kante an. Auch das ist leicht, nämlich an dieser Kante gibt es als einzige erlaubte Anlegeregel das Umklappen. Fall 3: D ist ein von vorn zu sehendes Dk1 -Dreieck und liegt mit der A0 -Kante an. Das ist etwas schwieriger. Wir sehen hier links im Bild D und G (V ist also die obere Halbebene), und wir wollen, dass D in P umgeklappt wurde. Wir müssen folglich aus11

Anders ausgedrückt: Mindestens bei D muss umgeklappt werden, um P zu erhalten.

7.4 Indexfolgen erzeugen Parkettierungen

273

schließen, dass hier die erlaubte Regel B-A0 -g verwendet wurde, es also auf der anderen Seite von G so weitergeht wie im rechten Bild:

Mal angenommen, das wäre doch der Fall. Wir behaupten, dass dann recht bald G beim Parkettieren links von D überschritten werden muss. Wir verfolgen P in Richtung links unten. Da muss ein dunkelblaues Dg1 .1/ anliegen. Doch wie soll es weitergehen? Möglichkeit 1: Es liegt ein dunkelgrünes Dk1 .1/ an. Das erzwingt – zusammen mit dem Anlegezwang oben links bei D – die folgende Konstellation, in der in der Lücke oben links nicht mehr angelegt werden kann.

Möglichkeit 2: Es liegt ein hellblaues Dg1 .1/ an. Dann muss man gleich ein weiteres (dann dunkelblaues) Dg1 .1/ anlegen (nächstes Bild links), und wieder haben wir zwei Wahlmöglichkeiten. Man könnte es mit einem dunkelgrünen Dk1 .1/ versuchen. Dann muss man aber G überschreiten, weil an der F 0 -Kante nur umgeklappt werden darf. Oder wir können mit zwei Dg1 .1/-Dreiecken (eins hell-, eins dunkelblau) weitermachen (rechts):

Das ist auch wieder eine Sackgasse, denn nichts passt in die Lücke! Damit ist bewiesen, dass das Dreieck notwendig an der A0 -Kante gespiegelt werden muss. Fall 4: D ist ein von vorn zu sehendes Dg1 -Dreieck und liegt mit der C -Kante an. Das ist wieder leicht, denn bei einer C -Kante ist nur spiegeln erlaubt.

274

7

Penroseparkettierungen

Fall 5: D ist ein von vorn zu sehendes Dg1 -Dreieck und liegt mit der A-Kante an. Theoretisch gäbe es zwei Möglichkeiten: Spiegeln oder Anlegen an ein Dk1 bei der A0 Kante. Die zweite scheidet aus, denn dann wäre D schon im ersten Vergröberungsschritt in einem Dg2 -Dreieck gelandet, das D enthält und folglich nach V hineinschneidet. Fall 6: D ist ein von vorn zu sehendes Dg1 -Dreieck und liegt mit der B-Kante an. Mal angenommen, es ginge auf der anderen Seite mit einem Dk1 -Dreieck DQ weiter, das bei D mit der A0 -Kante anliegt. Das kann wegen Fall 3 nicht sein, wenn wir das gleiche Argument noch einmal aus der Sicht von DQ wiederholen. Damit ist der Beweis von (ii) abgeschlossen. Die Aussage (i) wird nun ganz analog bewiesen: Die an die Schenkel der Sektoren angrenzenden Dreiecke müssen gespiegelt sein, und man erhält durch Übergang zu Vergröberungen immer mehr notwendig gespiegelte Teile von V , die nach und nach V ausschöpfen. Links und rechts des 36ı -Segments befinden sich also gespiegelte Versionen von V , und wenn wir das noch einige Male wiederholen, ist ganz P aus V durch Spiege lungen erzeugt12 . Damit ist gezeigt, dass man es gar nicht anders machen kann, als wir es bei der Erzeugung von Parkettierungen durch Indexfolgen gemacht haben. Oder anders ausgedrückt: Alle Penrose-Parkettierungen entstehen durch unser Verfahren. Insbesondere kommt nachträglich heraus, dass es drei unterschiedliche Klassen dieser Parkettierungen gibt:  Solche, bei denen V ein 36ı -Segment ist und die Parkettierung durch neunmaliges Spiegeln von V entsteht.  Solche, bei denen V ein Halbraum ist und nur einmal gespiegelt werden muss.  Solche, bei denen V schon die ganze Ebene ist. Wir wollen für den Rest der Arbeit vereinbaren, dass wir in diesen Fällen die Parkettierung zehnteilig, zweiteilig bzw. einteilig nennen.

7.5

Isomorphien von Penroseparkettierungen

In allen Bereichen der Mathematik muss man sich Gedanken über eine passende Definition von Gleichheit machen. Eine geometrische Konstruktion zum Beispiel wird doch dadurch nicht wesentlich anderes, dass man alles um 30ı dreht, und um in der Mengenlehre zu erläutern, was eine dreielementige Menge ist, sollte man f1; 2; 3g genauso verwenden dürfen wie f10; 20; 30g. 12

Genau genommen müsste man das Dreieck an der Spitze des Segments extra behandeln, die hier verwendeten Techniken führen aber auch hier schnell zum Ziel. Insbesondere wird hier noch einmal Fall 3 des Hilfssatzes wichtig. Dieses Ergebnis garantiert, dass es an der Spitze eines 36ı -Segments garantiert durch Spiegelung weitergeht, wenn die Spitze durch ein Dk1 -Dreieck gebildet wurde.

7.5 Isomorphien von Penroseparkettierungen

275

Isomorphien Im Zusammenhang mit Parkettierungen ist es naheliegend, Situationen als „gleich“ anzusehen, die durch Bewegungen der Ebene auseinander hervorgegangen sind13 . Zwei Parkettierungen sollen isomorph heißen, wenn sie sich nur durch eine Bewegung der Ebene unterscheiden. Es ist zum Beispiel klar, dass zwei Parkettierungen, die von der gleichen Indexfolge erzeugt wurden, die aber an anderen Stellen der Ebene begonnen wurden, isomorph sind: Durch die Lage des ersten Dreiecks und die Indexfolge liegt ja alles fest. Die Bewegung, die das eine Startdreieck in das andere überführt, bildet damit die ganze erste Parkettierung auf die zweite ab. Symmetrien von Parkettierungen In diesem Zusammenhang sind auch diejenigen Bewegungen der Ebene von Interesse, die eine vorgelegte Parkettierung P in sich überführen. Man spricht dann von Symmetrien. Bei den Konstruktionen des vorigen Abschnitts haben wir gesehen, dass P möglicherweise Spiegelsymmetrien haben kann (falls V ein Halbraum ist), oder dass Spiegelsymmetrien und Rotationssymmetrien um Vielfache von 72ı mitunter zulässig sind (wenn V ein 36ı -Segment ist). Dass man eine Parkettierung durch Verschiebung in sich überführen kann, haben wir aber noch nicht festgestellt. Dass das wirklich nie vorkommt, dass also alle Penrose-Parkettierungen aperiodisch sind, ist Teil des folgenden

Satz 7.5.1

Sei P eine Penroseparkettierung und  W R2 ! R2 eine Bewegung der Ebene, die P in sich überführt. Ist P eine zehnteilige Parkettierung, so ist  eine Rotation um ein Vielfaches von 72ı um die gemeinsame Spitze der Teilsegmente, eventuell gefolgt von einer Spiegelung. (ii) Ist P zweiteilig, so ist  die Identität oder die Spiegelung an der Geraden, die den Halbraum  begrenzt. (iii) Für einteilige P ist  notwendig die Identität.

(i)

Es folgt, dass die Symmetriegruppe von P (das ist die Zusammenfassung aller Symmetrien von P ) immer eine Untergruppe derjenigen Bewegungen der Ebene ist, die ein regelmäßiges Fünfeck in sich überführen. Und es folgt auch, dass Translationen niemals Symmetrien sein können. Oder anders ausgedrückt: Alle Penroseparkettierungen sind aperiodisch.

13 Also durch Drehungen, Verschiebungen, Spiegelungen oder eine Kombination dieser Operationen.

276

7

Penroseparkettierungen

Beweis Ist D ein Dk1 .1/-Dreieck in P , so sind wir sicher, dass an seiner C 0 -Kante ein Dg1 .1/-Dreieck mit seiner A-Kante angelegt sein wird, und beide werden von vorn oder beide von hinten zu sehen sein. An .D/ wird damit das -Bild des entsprechenden Dreiecks angelegt, und das bedeutet, dass  auch die erste Vergröberung von P in Dreiecke vom Typ 2 in sich überführt. Gleiches gilt für die nächste Vergröberung, in der Zwangsvereinigungen F -G 0 -v stattfinden und analog in allen weiteren Vergröberungsschritten. Wir fixieren nun irgendein Dreieck D in P , nennen es D0 und konstruieren die D1 ; D2 ; : : : wie oben in Abschnitt 4. V soll wieder die Vereinigung der Dk sein. Bezeichne mit DQ das Dreieck .D/. Ganz analog konstruieren wir, von DQ 0 WD DQ ausgehend, die aufsteigende Dreiecksfolge .DQ k /. Aufgrund unserer Vorüberlegung wissen wir dann, dass DQ k D .Dk / gilt. Mal angenommen, DQ würde in V liegen. Dann würde doch DQ für genügend großes k in Dk enthalten sein. Da andererseits die DQ k allein aus den Eigenschaften von P konstruiert wurden, wäre auch DQ k D Dk . Und das bedeutet, dass .Dk / D Dk für genügend große k sein muss. Das geht aber nur dann, wenn  die Identität oder eine Spiegelung an einer Symmetrieachse von Dk ist. Da diese Symmetrieachsen für wachsende k aber unterschiedlich sind, scheidet die zweite Möglichkeit aus:  ist also die identische Abbildung. Das beweist bereits (iii), denn dann ist die Bedingung DQ  V immer erfüllt. Wir beweisen nun (i). Da wir die Struktur von P kennen, wissen wir, dass wir DQ durch geeignete Bewegung , die eine Drehung um ein Vielfaches von 72ı (eventuell gefolgt von einer Spiegelung an einer der Sektorkanten) ist, nach V abbilden können. ı ist also eine Bewegung, die P invariant lässt, und zusätzlich wird D nach V abgebildet. Damit wissen wir, dass ı  die Identität sein muss, selbst war also aus 72ı -Drehungen und eventuell einer Spiegelung zusammengesetzt. Der Beweis von (ii) ist ganz analog, eventuell muss man diesmal spiegeln, um die  Bedingung „DQ  V “ zu erfüllen. Wie viele wesentlich verschiedene Penrose-Parkettierungen gibt es? Wir wissen inzwischen, dass zu jeder Indexfolge .Ik / eine Penroseparkettierung gehört. Davon gibt es eine ganze Menge, man kann die Bausteine „0“ und „10“ auf ganz beliebige Weise hintereinander anordnen. Das zeigt, dass man überabzählbar viele Möglichkeiten hat, so eine Folge zu wählen. Doch sind die so entstehenden Parkettierungen „verschieden“? Wir wollen in diesem Zusammenhang „verschieden“ natürlich als „nicht isomorph“ interpretieren. Das wichtigste Ergebnis in diesem Zusammenhang ist dann der

Satz 7.5.2

Es seien P bzw. PQ Penroseparkettierungen, die von Indexfolgen .Ik / bzw. .IQk / erzeugt wurden. Dann sind P und PQ genau dann isomorph, wenn die Indexfolgen von einem Index an übereinstimmen.

7.5 Isomorphien von Penroseparkettierungen

277

Beweis Mal angenommen, die Indexfolgen stimmen von der Stelle k0 an überein, es sei etwa Ik0 D IQk0 D 0. Wir rufen uns in Erinnerung, wie wir P konstruiert hatten: Im k0 ten Schritt wurde D.k0 ; 0/ so gedreht und eventuell gespiegelt, dass der rote Punkt mit dem am Anfang ausgewählten Dreieck zur Deckung kam. Gleiches passierte bei PQ . Und deswegen gibt es eine Bewegung der Ebene, die das k0 -te Dreieck bei der Konstruktion von P mit dem zur Deckung bringt, das wir im k0 -ten Schritt bei der Konstruktion von PQ verwendet haben. Da die folgenden Indizes übereinstimmen, wird die gleiche Bewegung auch alle folgenden Dreiecke – und damit die Vereinigung – in sich überführen. Eventuell notwendige Drehungs- und Spiegelungsschritte (bei zehnfach und zweifach symmetrischen Parkettierungen) werden dann ebenfalls bei P und PQ gleichzeitig vorgenommen. Das bedeutet, dass beide Parkettierungen isomorph sind. Für den zweiten Beweisteil gehen wir davon aus, dass P und PQ isomorph sind. Die „Startdreiecke“ sollen mit D und DQ bezeichnet werden, V und VQ seien die jeweilige Vereinigung der in beiden Situationen zu konstruierenden aufsteigenden Dreiecke, und es soll zunächst einmal angenommen werden, dass der Isomorphismus  das Dreieck D in VQ abbildet. Bezeichnet man die in der Konstruktion auftretenden Teildreiecke mit D0 , D1 ; : : : (für P ) bzw. DQ 0 ; DQ 1 ; : : : (für PQ ), so muss – da VQ die Vereinigung der DQ k ist – das Dreieck DO WD .D/ in einem DQ k0 liegen, wenn k0 nur groß genug ist. Nun haben wir in Satz 7.4.2 schon bemerkt, dass das eine wichtige Folgerung hat: Wir können DQ k0 auch dadurch erhalten, indem wir mit .D/ starten. Und nennen wir die sich dabei ergebende Indexfolge .IOk /, so gilt:  IOk D Ik für alle k (vgl. den Beweis von Satz 7.5.1).  Für k  k0 ist IOk D IQk (da ab k0 die konstruierten Dreiecke übereinstimmen). Falls also .D/ in VQ liegt, sind wir fertig, denn dann stimmen wirklich die Ik und die IQk von einer Stelle an überein. Bei zehn- oder zweifachen Penrose-Parkettierungen führen wir bei Bedarf nach  noch eine weitere Bewegung aus (Spiegelung, Drehung um ein Vielfaches von 72ı ). Dann wird P immer noch in PQ übergeführt, aber wir können zusätzlich erreichen, dass D nach VQ abgebildet wird. Und da die Aussage (die Indexfolgen stimmen ab einer Stelle überein) für diesen Fall schon bewiesen ist, ist die Behauptung  auch für solche Situationen gezeigt. Als wichtige Folgerung erhalten wir

Satz 7.5.3

Es gibt überabzählbar viele, paarweise nicht isomorphe Penrose-Parkettierungen.

Beweis Jede Indexfolge .Ik / erzeugt eine Parkettierung P.Ik / , und Isomorphie liegt genau dann vor, wenn die Indexfolgen von einer Stelle an übereinstimmen. Identifiziert man also

278

7

Penroseparkettierungen

zwei Indexfolgen, wenn die entstehenden Parkettierungen isomorph sind, so zerfällt die überabzählbare Menge aller Indexfolgen in Teilbereiche, die jeweils abzählbar sind: Jeder Teilbereich wird von den Folgen gebildet, die sich von einer festen Folge an höchstens endlich vielen Stellen unterscheiden. Dann muss aber die Anzahl der Teilbereiche überabzählbar sein, denn andernfalls ergäbe sich aufgrund des Satzes „abzählbar mal abzählbar  gleich abzählbar“ ein Widerspruch.

7.6 Ergänzungen Hier sammeln wir noch einige Ergebnisse und Bemerkungen, die im Zusammenhang mit Penrose-Parkettierungen von Interesse sind, 1. Die hier verwendeten „goldenen“ Dreiecke lassen sich alle am Fünfeck wiederfinden. Dem durch die Diagonalen des Fünfecks gebildete Stern („Drudenfuß“) wurde früher Zauberkraft zugeschrieben, er konnte angeblich böse Geister abwehren.

2. Wer selbst mit solchen Parkettierungen experimentieren möchte, braucht „viele“ Dg1 .1/- und Dk1 .1/-Dreiecke. Was „viel“ im Einzelfall bedeutet, hängt davon ab, bis zu welcher Länge der Indexfolgen man sich vorarbeiten möchte. Für den Einkaufszettel sind dann die Anzahlen wichtig. Nennen wir ak bzw. bk die Anzahl der großen bzw. kleinen Dreiecke, die man für das Legen des großen Standard-Dreiecks im k-ten Schritt braucht. So gilt sicher a0 D 1 und b0 D 0. Die Anlegevorschriften liefern die Rekursionsgleichung akC1 D ak C bk ; bkC1 D ak ; und daraus folgt schnell, dass immer akC2 D akC1 C ak gilt. Die Folge .ak / beginnt also mit 1; 1; 2; 3; 5; 8; 13; 21; : : : Das ist die Folge der Fibonaccizahlen, von der man weiß, dass die Quotienten zweier aufeinanderfolgender Glieder recht schnell gegen den goldenen Schnitt konvergieren. Für

7.6 Ergänzungen

279

uns heißt das: Wenn man n Dk1 -Dreiecke kaufen möchte, so sollten es etwa 1:62  n Dg1 Dreiecke sein, damit es am Ende (wenigstens so ungefähr) aufgeht. 3. Speziell für diesen Zweck hergestellte Penrose-Dreiecke wurden seit dem Jahr der Mathematik 2008 mehrfach bei Veranstaltungen für die Öffentlichkeit eingesetzt. Nach einem einleitenden Vortrag konnte man sich darin versuchen, einige der immer größer werdenden Dreiecke nachzulegen, die von vorgegebenen Indexfolgen erzeugt werden. Hier ein Bild von „Tag der Mathematik 2008“ an der FU Berlin.

4. Wir beginnen mit der Beobachtung, dass unabhängig vom Startdreieck und bei jeder Wahl der Indexfolge spätestens im vierten Konstruktionsschritt beide Seiten beider Dreiecke zu sehen sind. Das hat eine interessante Konsequenz. Wir stellen uns irgendeine Indexfolge .Ik / vor und verfolgen die wachsenden Dreiecke bis zum k0 -ten Konstruktionsschritt. Dann sehen wir ein Muster M . Dieses M wird dann ein Standarddreieck D.k0 ; 0/ (falls Ik0 D 0) oder ein D.k0 ; 1/ (falls Ik0 D 1) sein, das evtl. noch gedreht und/oder gespiegelt werden musste. Das hängt davon ab, wo der rote Punkt ist. Nun betrachten wir eine andere Indexfolge .IQk /. Im k0 -ten Schritt sieht man ebenfalls ein gedrehtes oder eventuell gespiegeltes D.k0 ; 0/ oder D.k0 ; 1/, aber nach spätestens

280

7

Penroseparkettierungen

vier weiteren Schritten enthält das dann entstandene Dreieck (evtl. bis auf eine Drehung) aufgrund der Vorbemerkung das Muster M . Anders ausgedrückt heißt das14 : Es sei M ein beliebig großer, aber beschränkter Teil einer Penroseparkettierung. Dann ist M in jeder Penroseparkettierung wiederzufinden. Etwas „philosophischer“ formuliert könnte man also sagen, dass die interessanten Eigenschaften von Penroseparkettierungen erst dann auftreten, wenn wir unendlich große Bereiche kontrollieren können.

14 Bei zehn- und zweiteiligen Parkettierungen ist eigentlich noch eine kleine Zusatzüberlegung erforderlich.

Literatur zu Teil III

Es folgen einige ausgewählte Literaturangaben zu Teil III (Penroseparkettierungen). Behrends, Ehrhard: Penrose-Parkettierungen mit „goldenen“ Dreiecken. Mitt. Math. Ges. Hamburg 31, 2012, 1–28. Die Ausführungen in Kapitel 6 sind stark an diesen Artikel angelehnt. Gardner, Martin: Mathematical Games. Scientific American 1977/1. Dieser Artikel machte Penrose-Parkettierungen unter Mathematikern bekannt. Gardner, Martin: From Penrose Tiles to Trapdoor Ciphers. The Mathematical Association of America, 1997. Gardner vertieft hier – ohne Beweise – den mathematischen Hintergrund der Penroseparkettierungen. Grünbaum, Branko: Tilings and Patterns. W.H. Freeman and Company, 1987. Ein Klassiker der Parkettierungstheorie, der auch einiges zu Penroseparkettierungen enthält.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2_7

281

Sachverzeichnis

Cn , 34, 112 O 148 C, , 21 ˛ , 22 Dn , 34 Dg1 .a/; Dk1 .a/, 256 Dg2 .a/; Dk2 .a/, 259 F2 , 207 F , 181 Gˇ , 14 G , 180 H, 180, 184 IM ; IM0 , 230 Ma;b;c;d , 149 R˛ , 13 R˛;x0 , 14 Sˇ , 14 Sˇ;s;b , 14 SL.2; Z/, 151, 203 Ta , 13, 38 U , 180, 184 F1 , 45 F11 , 46 F12 , 47 F13 , 48 F2 , 50 F21 , 51 F22 , 52 G , 19 p1, 59 cm, 66 pm, 67 pg, 70 p2, 71 cmm, 75 pmm, 76

pmg, 77 pgg, 78 p3, 79 p3m1, 82 p31m, 85 p4, 86 p4m, 89 p4g, 90 p6, 91 p6m, 92 W1 , 59 W11 , 66 W12 , 67 W13 , 70 W2 , 71 W21 , 75 W22 , 76 W23 , 77 W24 , 78 W3 , 79 W31 , 82 W32 , 85 W4 , 86 W41 , 89 W42 , 90 W6 , 91 W61 , 92

A äquivalente Transformationen, 161 äquivalente Untergruppen, 31 analytisch, 148 anharmonische Gruppe, 239 Anlegeregeln, 256

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Behrends, Parkettierungen der Ebene, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23270-2

283

284 B Basis, 39 Bewegung, 12 Bild, 12

C Cantorscher Durchschnittssatz, 217 Cayleytransformation, 189

Sachverzeichnis hyperbolische Geometrie, 193

I Indexfolgen, 266 isometrischer Kreis, 230

D deutsches Alphabet, 36 dihedrale Gruppe, 34 diskontinuierlich, 179 diskontinuierliche Gruppe, 26 diskret, 179 diskrete Gruppe, 26

K Klassisches Parkettierungsproblem, 254 Klein, Felix, 179 Kleinsche Gruppe, 179 Kleinsche Vierergruppe, 183 konjugierte Bewegungen, 28 konjugierte Transformation, 20 konjugierte Untergruppen, 28 Kreise, 153 kristallographische Restriktion, 58

E elliptisch, 163, 170 endliche erzeugt, 207 endliche Gruppen, 33 Erzeuger, 207 Escher, 11 Eulerscher Polyedersatz, 107

L Laves-Theorem, 107 Leonardos Theorem, 35 Limesmenge, 218, 233 Limespunkt, 218, 233 Liouville, Satz von, 148 loxodromisch, 164, 170

F Fixpunkt, 159 freie Gruppe, 207 freie Linie, 111 Fries, 41 Friesgruppen, 41 Fundamentalbereich, 26, 181

M Markovidentität, 242 modulare Gruppe, 201 Modulgruppe, 201 Möbius, 147 Möbiustransformation, 149 Möbiustransformation, normalisierte, 149

G Gitter, 104 Gleitspiegelung, 14 Gleitspiegelung, echte, 43

N Netz, 106 nichteuklidische Geometrie, 193

H Heesch, Heinrich, 103 Heesch-Konstruktionen, 111, 114 holomorph, 148 hyperbolisch, 163, 170

O orthogonale Matrix, 16

P parabolisch, 163, 170

Sachverzeichnis parabolischer Kommutator, 221, 241 Parallelenaxiom, 193 Penrose, 252 Penrosedreiecke, 255 Penroseparkettierungen, 251 periodische Parkettierung, 251

R Rosetten, 37 Rotation, 13 russisches Alphabet, 36

S Schottky, Friedrich, 208 Schottkygruppe, 208, 211

285 Spiegelung, 14 Symmetrie, 12 Symmetriegruppe, 13, 19

T Translation, 13 Translationsmasche, 114 Translationsuntergruppe, 21, 38

V Verkehrszeichen, 36

Z zyklische Gruppen, 206

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When life gives you a hundred reasons to cry, show life that you have a thousand reasons to smile

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