Idea Transcript
Susanne Keuchel Bünyamin Werker Hrsg.
Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunstund Kulturschaffende Innovative Ansätze und Erkenntnisse Band 1 Praxis
Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunstund Kulturschaffende
Susanne Keuchel · Bünyamin Werker (Hrsg.)
Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunstund Kulturschaffende Innovative Ansätze und Erkenntnisse Band 1 Praxis
Herausgeber Susanne Keuchel Remscheid, Deutschland
Bünyamin Werker Remscheid, Deutschland
Die in diesem Band dargestellten Weiterbildungskonzepte wurden im Rahmen der Förderrichtlinie des Ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) „Förderung von Entwicklungs- und Erprobungsvorhaben zur pädagogischen Weiterbildung von Kunst- und Kulturschaffenden“ entwickelt, erprobt und evaluiert.
ISBN 978-3-658-20711-3 (eBook) ISBN 978-3-658-20710-6 https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhalt Susanne Keuchel und Bünyamin Werker Einführung……………………………………………………………………....1
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Spartenspezifische Weiterbildungen………………………...9
Michael Dartsch und Christian Rolle KOMPÄD. Eine Weiterbildung für Komponistinnen und Komponisten.………….…...11 Rose Eickelberg und Barbara Stiller „Musik erleben. Musik vermitteln“. Kulturelle Bildung aus musikalischer Sicht an der Hochschule für Künste Bremen…………………….………………………….27 Kristin Westphal und Teresa Bogerts „Kunst_Rhein_Main“. Weiterbildung an der Schnittstelle von Kunst und Bildung unter besonderer Berücksichtigung zeitgenössischer Theater‐, Tanz‐ und Performancekunst.…………………………………………………47 Ricarda Schuh „Kinder_Kunst_Räume“. Kunst für Kinder wirksam machen……………………………………………71
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Inhalt
Matthias Krebs und Marc Godau Weiterbildung in der Digitalen Gesellschaft. Zur Theorie und Konzeption des „Zertifikatskurses tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“………………...………93
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Handlungsfeldbezogene Weiterbildungen……….….….121
Marion Kußmaul „aesth paideia“ – Eine dialogisch‐forschende Weiterbildung. Zur Professionalisierung von Kunst‐ und Kulturschaffenden für die Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit……...…………………...123 Mona Jas und Andreas Knoke „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“………………...………157 Elke Josties, Stefanie Kiwi Menrath und Kristin Werschnitzke Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings als reflexive Praxis…..……183 Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch „d.art“ – Pädagogische Weiterbildung vom Standpunkt der Kunst‐ und Kulturschaffenden…………………………………………………...…..205
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Weiterbildungen mit Querschnittsperspektiven………227
Susanne Keuchel und Nadine Rousseau „Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“. Kulturpädagogische Grundlagen für neue Herausforderungen in einer heterogenen Gesellschaft……………………...…………………… 229 Verzeichnis der Autor*innen…………………………...…………………….253
Einführung Susanne Keuchel und Bünyamin Werker Kulturelle Bildung wird als ein unverzichtbarer Beitrag zur Persönlich‐ keitsentwicklung betrachtet, der vor dem Hintergrund einer globalisierten und zunehmend digitalisierten Welt für Kinder und Jugendliche an Be‐ deutung gewinnt, um den gesellschaftlichen Herausforderungen, z. B. dem Umgang mit kultureller Vielfalt, begegnen zu können. Vielen Kulturschaffenden, die Kindern und Jugendlichen die Möglich‐ keit eröffnen wollen, künstlerisch ästhetische Erfahrungen zu machen, fehlt es an einer entsprechenden pädagogischen Qualifizierung. Der vorliegende Band beschäftigt sich mit innovativen Ansätzen, die Kunst‐ und Kulturschaffenden helfen sollen, sich das notwendige Hand‐ werkszeug für die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im weiten Handlungsfeld Kultureller Bildung anzueignen. Die hier dargestellten Weiterbildungsansätze sind im Kontext einer Förderrichtlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zu Entwicklungs‐ und Erprobungsvorhaben zur pädagogischen Weiterbildung von Kunst‐ und Kulturschaffenden entstanden. Über drei Jahre hinweg (2015 bis 2017) wurden pädagogische Weiterbildungen für Kunst‐ und Kulturschaffende entwickelt und wissenschaftlich begleitet. Die Weiterbildungsteilnehmenden waren Kunst‐ und Kulturschaffende, die neben ihrer künstlerisch‐kulturellen Tätigkeit mit Kindern oder Ju‐ gendlichen pädagogisch arbeiten wollen. Die Vorstellung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleituntersuchung finden sich in Band 2 „For‐ schung zum pädagogisch‐künstlerischem Wissen und Handeln“. Die ent‐ wickelten Weiterbildungskonzepte werden in diesem Band vorgestellt. Das erste Kapitel dieses Bandes widmet sich spartenspezifischen Weiter‐ bildungen in den Bereichen Musik, Tanz, Theater und Performance. Im ersten Beitrag stellen Michael Dartsch und Christian Rolle das Weiterbil‐ dungskonzept KOMPÄD vor, das im Feld der Kompositionspädagogik © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_1
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einen verstärkten Bedarf an Qualifikation für Komponist*innen in der pä‐ dagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bedient. Das vorge‐ stellte Projekt verfolgt dabei vor allem die Ziele, bei den teilnehmenden Komponist*innen pädagogisches Denken anzuregen und die Fähigkeit auszubilden, das eigene didaktische Handeln zu reflektieren. Als eine blei‐ bende zentrale Herausforderung beschreiben die Autoren das in der Pra‐ xis spannungsreiche Verhältnis von Kunst und Pädagogik. Dies betrifft auf der einen Seite, das künstlerische Komponieren im pädagogischen Setting der Schule als eine fruchtbare Arbeit mit den Schüler*innen zu verstehen, die nicht nur der Instruktion bedarf, sondern auch offene Erfahrungs‐ räume bietet. Und auf der anderen Seite steht die Herausforderung, das oft pädagogische enge Setting des Schulunterrichts mit der eigenen künst‐ lerischen Kompositionsleistung als bereichernd zu verstehen und daran die Schüler*innen auch teilhaben zu lassen. Das Angebot „Musik erleben, Musik vermitteln“, das Rose Eickelberg und Barbara Stiller vorstellen, richtet sich in erster Linie an Berufsmusi‐ ker*innen, die in außerschulischen Handlungsfeldern Kultureller Bildung tätig werden wollen. Dabei verfolgt die Weiterbildung im Wesentlichen das Ziel, das Handlungsrepertoire der Teilnehmenden für das Handlungs‐ feld der Kulturellen Bildung zu erweitern und neben der Aneignung von Methoden der partizipativen sowie praktischen Vermittlung musikali‐ scher Inhalte einen reflektierten Qualitätsbegriff der eigenen künstleri‐ schen Vermittlungsarbeit zu entwickeln. Beide Autorinnen zeigen auf, dass der partizipative Ansatz des Weiterbildungskonzepts den Bedarfen der Musiker*innen durchaus entspricht, die beruflichen Strukturen der Be‐ rufsmusiker*innen aber oft dem Bedürfnis nach Weiterbildung eher ent‐ gegenstehen, anstatt sie zu befördern. Im Beitrag von Kristin Westphal und Teresa Bogerts bearbeitet das Wei‐ terbildungskonzept „Kunst_Rhein_Main“ die im Projektalltag oft aufkom‐ menden Problematiken einer eher intuitiv vollzogenen Pädagogik seitens der Künstler*innen in ihrer künstlerischen Arbeit mit Kindern und Ju‐ gendlichen. Die Autorinnen machen darauf aufmerksam, dass viele Künstler*innen im Ablauf von Projekten mit der alltäglichen Organisation oft allein gelassen werden und nur selten die Möglichkeit finden, die
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eigene Vermittlungsarbeit in einem institutionellen Rahmen zu reflektie‐ ren. Den Ausgangspunkt der Weiterbildung gründen die Auseinanderset‐ zungen der Teilnehmenden mit zeitgenössischen künstlerischen Verfah‐ rensweisen aus Tanz, Theater und Performance mit ihren impliziten bil‐ denden und pädagogischen Dimensionen. Letztlich wird auch die Frage nach der Qualität künstlerischer Arbeit in Bezug auf das Handlungsfeld der Kulturellen Bildung gestellt. Die Weiterbildung „Kinder_Kunst_Räume“ zielt auf professionelle Bil‐ dende Künstler*innen ab, die im Feld der Kulturellen Bildung künstlerisch mit Kindern arbeiten wollen. Im Rahmen der Qualifizierung geht es vor allem darum, den teilnehmenden Künstler*innen die Möglichkeit zu bie‐ ten, sich im Praxisfeld der Kulturellen Bildung zu orientieren. Vor dem Hintergrund der Anerkennung von Kindern als Expert*innen ihrer Le‐ benswelt und den damit verbundenen Bildungsprozessen sollen die Teil‐ nehmenden einen Zugang zu kindlichen Aneignungs‐ und Ausdrucksfor‐ men entwickeln. Ricarda Schuh verweist in ihrem Beitrag auf Herausforde‐ rungen, die eine pädagogische Planung in der Arbeit der Künstler*innen mit den Kindern mit sich bringt. Schließlich bleibt die Erkenntnis, dass nicht nur eine gute pädagogische Qualifizierung der Künstler*innen ge‐ winnbringend ist, sondern dass auch die institutionellen Rahmenbedin‐ gungen eine wertschätzende Atmosphäre zwischen Künstler*innen, Kin‐ dern und Pädagog*innen – in diesem Beitrag sind es Erzieher*innen – ge‐ währleisten müssen. Ein wertschätzendes Setting bildet die Grundlage für fruchtbare Bildungsprozesse ästhetischer Art. Der „Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bil‐ dung“ richtet sich an Musiker*innen ohne musikpädagogische Hochschul‐ ausbildung, die aber eine pädagogische Tätigkeit in der Kulturellen Bil‐ dung anstreben. Ausgehend vom postulierten Bedeutungswandel vom Wissen als Wahrheit hin zum Wissen als Ressource orientiert sich die Wei‐ terbildung am Ansatz der Wissensgenerierung von Gemeinschaften. In ih‐ rem Beitrag rekurrieren die Autoren Matthias Krebs und Marc Godau auf die Theorie der Community of Practice. Lernen im Kontext von Weiterbil‐ dung findet demnach nicht mehr im formalen Rahmen statt, der eher in‐ tentional, vorstrukturiert und curricular angelegt ist. Das vorgestellte
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Fortbildungskonzept setzt im Sinne des situierten Lernens auf einen Pro‐ zess der zunehmenden Enkulturation in Lerngemeinschaften. Die Mit‐ gliedschaft in einer solchen Gemeinschaft ist freiwillig, informell und nicht fremdbestimmt. Auch wenn der „Zertifikatskurs tAPP“ nicht als Community of Practice bezeichnet werden kann, versucht er die Teilnehmenden für eine solche Wissensgemeinschaft zu sensibilisieren. Insofern ist der Kurs so angelegt, nachhaltige, selbstorganisierte Lernkontexte zu schaffen und zu fördern, die über den zeitlich begrenzten Kurs hinausgehen. Kursele‐ mente – wie die Integration von Facebook‐Gruppen, Blogs als Tool zur Wissensentwicklung und das Barcamp als Plattform für alle – sprechen für eine stärkere Digitalisierung von Weiterbildung im Kontext Kultureller Bildung. Im zweiten Kapitel versammeln sich Aufsätze zu Weiterbildungen, die bestimmte Handlungsfelder wie das der Ganztagsschule, der lokalen Bil‐ dungslandschaften oder in außerschulischen Kontexten kultureller Ju‐ gendbildung fokussieren. Wie lassen sich vor dem Hintergrund aktueller Bildungskonzepte der Frühpädagogik ästhetisch‐künstlerische Verfahrensweisen auf die Le‐ benswelten von Kindern angemessen beziehen? Dies ist eine der zentralen Fragen, die sich Marion Kußmaul im Rahmen ihres Beitrags stellt. Das Kon‐ zept der forschenden Weiterbildung „aesth paideia“ widmet sich in zwei Weiterbildungsphasen der theoretischen Verortung des eigenen künstleri‐ schen Tuns und der Ableitung didaktisch‐konzeptioneller Relevanzen für die kulturelle Bildungsarbeit in frühpädagogischen Kontexten (Phase 1) und der konkreten Planung, Durchführung und Reflexion ästhetischer Praxis im Handlungsfeld frühkindlicher Kultureller Bildung in Kinderta‐ gesstätten (Phase 2). Das Verständnis der Aisthesis als Wurzel und Kno‐ tenpunkt kindlicher ästhetischer Erfahrung und künstlerisch‐ästhetischer Verfahrensweisen bildet dabei die Basis für das Konzept „Ästhetischer Forschung“, das sich wie ein roter Faden durch die gesamte Weiterbildung zieht. Mit diesem dialogischen Verfahren forschenden Lernens verwehrt sich dieses Weiterbildungskonzept einer reinen Pädagogisierung der Künste wie auch einer nur diskursiv, additiv und modularisiert ausgerich‐ teten Weiterbildungsdidaktik.
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Ausgehend von der Feststellung, dass sowohl die Ganztagsschulen als auch lokale Bildungslandschaften zentrale Handlungsfelder der Kulturel‐ len Bildung darstellen, verweisen Mona Jas und Andreas Knoke in ihrem Beitrag auf die damit verbundene notwendige Kompetenz des interpro‐ fessionellen Arbeitens, die Kunst‐ und Kulturschaffende in der Zusam‐ menarbeit mit den Pädagog*innen der genannten Handlungsfelder auf‐ weisen sollten. Insofern zielt die Weiterbildung „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“ darauf ab, die Qualität der Kooperation zwischen Kulturschaffenden und Pädagog*innen bei gemeinsamen Bildungsange‐ boten in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften zu verbes‐ sern. Dabei basiert der Kompetenzkurs auf einem Verständnis von Kultu‐ reller Bildung als Teil der Allgemeinbildung, die sich insbesondere auf künstlerische Bildungsprozesse bezieht, die sich sowohl im Alltagsleben, im Rahmen von Subkulturen als auch in professionellen klassischen Kul‐ turorten manifestieren. Am Ende ihres Beitrags formulieren die Autor*in‐ nen vier Thesen zur zukünftigen Entwicklung von Weiterbildungen für Kunst‐ und Kulturschaffende. Der Beitrag der Autorinnen Elke Josties, Stefanie Kiwi Menrath und Kristin Werschnitzke widmet sich dem Weiterbildungskonzept ARTPAED, das sich auf das offene Setting der non‐formalen und informellen kulturel‐ len Jugendbildung ausrichtet. Entgegen dem fachlichen Diskurs in der kul‐ turellen Jugendbildung, der derzeit stärker auf die Kooperation von Kultur‐ schaffenden und Schulen fokussiert, zielt das vorgestellte Weiterbildungs‐ konzept auf den außerschulischen Kontext kultureller Jugendbildung ab, der insbesondere durch die freiwillige Teilnahme der Jugendlichen und dem kollaborativen Aushandeln von Zielen und Inhalten mit den Jugend‐ lichen gekennzeichnet ist. Gerade die Heterogenität der vielen außerschu‐ lischen Bildungsträger und die damit verbunden institutionellen Rahmen‐ bedingungen sind vielen Kunst‐ und Kulturschaffenden wenig bekannt. Dies führt oft zu Missverständnissen zwischen den unterschiedlichen Akteuren von Projekten wie auch zu Behinderungen von Arbeitsprozes‐ sen während der Projektphasen. Aber auch die Komplexität jugendlicher Lebenswelten ist vielen Kunst‐ und Kulturschaffenden fremd. Hier setzt die Weiterbildung an, um den Teilnehmenden den Blick auf die Vielfalt
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jugendlicher Lebenswelten und auf die informellen Orte jugendlicher Identitätsentwicklung zu öffnen. Die Weiterbildung „d.art“ will Kunst‐ und Kulturschaffende dazu be‐ fähigen, ästhetische Bildungsprojekte im Handlungsfeld der Ganztags‐ schule durchzuführen. Ausgehend von einem Bildungsverständnis, das Bildung als Selbst‐ und Fremdverständigung des Menschen mit sich und seiner gesellschaftlichen Umwelt deutet, weisen die Autoren Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch darauf hin, dass Kunst‐ und Kultur‐ schaffende in der pädagogischen Arbeit mit Schüler*innen bzw. Jugendli‐ chen vor unterschiedlichen Herausforderungen stehen. Hierzu zählt vor allem die Diskrepanz, zwischen dem eigenen künstlerischen Anspruch und dem lebensweltlichen Ausdrucksanliegen der Jugendlichen zu ver‐ mitteln. Hinzu kommen die institutionellen formalen Rahmenbedingun‐ gen der Ganztagsschule, die oft dem Anspruch der Offenheit von ästheti‐ schen Bildungs‐ und Erfahrungsprozessen entgegenstehen oder diese zu‐ mindest behindern. Das Projekt „d.art“ zielt in seinem Schwerpunkt daher auf eine intensive Reflexion der teilnehmenden Künstler*innen zu ihrem biografisch gewachsenen Lehr‐Lernverständnis im Rahmen ästhetischer Bildungsprojekte und ihrem pädagogischen Selbstverständnis in Bezug auf jugendliche Lebenswelten und dem Projektraum Ganztagsschule ab. Der Band schließt mit dem dritten Kapitel zu einer künstlerisch‐ pädagogischen Weiterbildung, die auf eine Querschnittsperspektive von pädagogischen Settings zielt und damit sowohl spartenspezifisch als auch handlungsfeldorientiert ausgerichtet ist. Die deutsche Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren grundle‐ gend gewandelt. Sie ist in ihrer Bevölkerungszusammensetzung, in ihren politischen Einstellungen, in ihren kulturellen Ausdrucksformen deutlich vielfältiger geworden. Prozesse der Globalisierung und Digitalisierung von Lebens‐ und Arbeitswelten tun ihr Übriges, die komplexe Vielfalt der Gesellschaft zu potenzieren. In Ihrem Beitrag stellen Susanne Keuchel und Nadine Rousseau die Frage, was Kulturpädagog*innen, Künstler*innen oder Kulturschaffende brauchen, um dem beschriebenen gesellschaftli‐ chen Wandel, der zweifellos auch in den Handlungsfeldern der Kultu‐ rellen Bildung wirkt, in ihrer alltäglichen Arbeit mit Kindern und
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Jugendlichen angemessen zu begegnen. Auf die Beantwortung dieser Frage zielt das Fortbildungskonzept „DiKuBi“ („Diversitätsbewusste Kul‐ turelle Bildung“) ab. Im Rahmen der Fortbildung geht es weniger darum, Methodenbausteine im Umgang mit gesellschaftlicher Heterogenität (Ge‐ schlecht, Kultur, Ethnie, Alter, sexuelle Orientierung usw.) zu vermitteln, als vielmehr an der Persönlichkeitsentwicklung der Teilnehmenden anzu‐ setzen. Im Fokus stehen Haltung und Positionierung der Teilnehmenden im Kontext der Diversität. Dabei gilt es auch, die eigene Rolle als pädago‐ gische Begleiter*innen zum Thema zu machen, zu hinterfragen, zu reflek‐ tieren. Insgesamt wird in diesem Beitrag deutlich, dass im Handlungsfeld der Kulturellen Bildung aufgrund der hohen Komplexität gesellschaftli‐ cher Pluralitätsprozesse reines Fachwissen nicht mehr ausreicht. Es bedarf einer diversitätsbewussten Haltung, die Diversität als positive Ressource begreift und damit offene Möglichkeitsräume schafft, um mit Irritationen des Differenten produktiv umgehen zu können. Künstlerisch‐ästhetische Erfahrungen können diesen Lernprozess positiv befördern.
1 Spartenspezifische Weiterbildungen
KOMPÄD1 Eine Weiterbildung für Komponistinnen und Komponisten2 Michael Dartsch und Christian Rolle
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Ziele und Strukturen
KOMPÄD ist ein Weiterbildungsangebot für Komponist*innen, die sich eine zusätzliche Qualifikation für ihre pädagogische Arbeit wünschen. Ge‐ nau genommen war KOMPÄD ein Forschungsprojekt zur Entwicklung und Evaluation einer solchen kompositionspädagogischen Weiterbildung. Unterstützt wurde das Vorhaben vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen einer Förderrichtlinie, mit der die Er‐ arbeitung und Erprobung von Konzepten zur pädagogischen Weiterbil‐ dung von Kunst‐ und Kulturschaffenden angestoßen werden sollte. In en‐ ger Kooperation haben sich Jeunesses Musicales Deutschland (JMD), die Universität zu Köln, die Hochschule für Musik Saar und die Folkwang Universität der Künste einer Zielgruppe zugewandt, für die es derzeit kaum pädagogische Qualifikationsangebote gibt. Zumindest in Deutsch‐ land gibt es bislang keinen Studiengang für Kompositionspädagogik, nur vereinzelt didaktische Lehrveranstaltungen in Kompositionsstudiengän‐ gen. Die wenigen kompositionspädagogischen Angebote in Musiktheorie‐ 1 Der Text stellt die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Beitrags dar, der für den 2016 von der Jeunesses Musicales herausgegebenen Band zum Symposion „Musik erfin‐ den“ entstanden ist. Wir danken der Jeunesses Musicales für die Genehmigung der Wie‐ derverwendung. 2 Damit sind auch jene Personen angesprochen, die sich nicht zu den zwei konventionellen Geschlechtern zählen. Im Folgenden werden die Geschlechter mit einem Genderstern‐ chen geschrieben.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_2
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Curricula und die für Studierende musikpädagogischer Fächer eher sel‐ tene Möglichkeit, Komponieren zu einem persönlichen Schwerpunkt zu machen, hinterlassen eine Lücke, die es nach Ansicht der Kooperations‐ partner zu schließen gilt.3 Kompositionspädagogische Praxis, in der mit Kindern und Jugendli‐ chen gearbeitet wird, findet sich dagegen an vielen Orten: in Schulen, sei es im Unterricht oder im Ganztagsbereich, an Konzerthäusern, oft in Ko‐ operationen, selbstverständlich an vielen Musikschulen. Und kompositi‐ onspädagogische Modelle für diese unterschiedlichen institutionellen Kontexte gibt es inzwischen zahlreiche, auch wenn hier und da noch Nach‐ holbedarf bestehen mag, so etwa für den Musikunterricht an allgemeinbil‐ denden Schulen, für den sicherlich noch mehr gute Materialien und Pra‐ xiskonzepte entwickelt werden könnten. Die vielen guten Beispiele zeigen gleichzeitig, wie groß der Bedarf an spezifischen Aus‐ und Weiterbil‐ dungsangeboten ist, die Komponist*innen genauso wie Musikpädagog*in‐ nen auf die Arbeit mit komponierenden und improvisierenden Kindern und Jugendlichen vorbereiten. Mit KOMPÄD soll ein Angebot geschaffen werden, das die unter‐ schiedlichen Anforderungen in den Blick nimmt, vor die sich pädagogisch tätige Komponist*innen in verschiedenen Praxiskontexten gestellt sehen, weil sich das Arbeitsfeld wandelt und weil kaum jemand sein Leben lang nur in einem Bereich tätig sein wird. KOMPÄD möchte die wechselseitige Vernetzung zwischen denjenigen, die kompositionspädagogisch arbeiten, sowie mit den Institutionen, in denen diese Arbeit stattfindet, fördern. KOMPÄD verfolgt nicht das Ziel, aus Komponist*innen Lehrer*innen zu machen, aber es möchte sie zum pädagogischen Denken anregen und – in Verbindung mit der Vermittlung grundlegenden methodischen Hand‐ werkszeugs – die Fähigkeit zur didaktischen Reflexion des eigenen Han‐ delns fördern. KOMPÄD will insbesondere die Herausforderungen in den Blick nehmen, die sich in der Zusammenarbeit von Kunstschaffenden und 3 Erwähnenswert, weil eine der wenigen Ausnahmen, ist die Möglichkeit an der Folkwang Universität der Künste, ein zweites Hauptfach mit der Unterrichtsqualifikation „Musik‐ theorie/Kompositionspädagogik“ als Schwerpunkt zu wählen, siehe www.folkwang‐ uni.de/home/wissenschaft/studiengaenge/musikpaedagogik, letzter Zugriff: 15.11.2017.
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Lehrkräften ergeben, denn die kompositionspädagogische Praxis lebt in vielen Fällen von genau dieser Kooperation. Es gibt deshalb noch eine zweite Zielgruppe für das Weiterbildungsangebot: An den Workshops sollten – zumindest phasenweise – auch Lehrkräfte aus Schulen und Mu‐ sikschulen sowie Musik‐(Theater‐)pädagog*innen von Konzert‐ und Opernhäusern teilnehmen können, damit ein Austausch stattfinden kann und die unterschiedlichen Perspektiven zusammenfinden. Das Entwicklungs‐ und Forschungsprojekt KOMPÄD lief im Septem‐ ber 2014 an und endete nach drei Jahren im August 2017. Bis dahin fanden zwei Durchläufe mit einmal 14 und einmal neun Komponist*innen sowie – beim zweiten Mal – mit drei Musikpädagog*innen statt. Ein For‐ schungsteam übernahm die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation der Entwicklung und Erprobung. Die Universität zu Köln, von wo aus das Vorhaben geleitet wurde, stellte dafür zwei Wissenschaftliche Mitarbeite‐ rinnen ein. Verena Weidner war mit für die Entwicklung des Programms zuständig, Julia Weber für die Evaluation. Beide arbeiteten eng mit dem Projektteam zusammen, zu dem die beiden Autoren dieses Beitrags gehör‐ ten, darüber hinaus Matthias Schlothfeldt und Philipp Vandré sowie Ulrich Wüster als Geschäftsführer von JMD und damit als Verantwortli‐ cher für die Durchführung des Weiterbildungsangebots an der Musikaka‐ demie Schloss Weikersheim. Dazu kam ein großer Kreis an Expert*innen, die die Entwicklung und die Evaluation des Programms unterstützten. Das waren in Theorie und Praxis der Kompositionspädagogik erfahrene Kolleg*innen wie Silke Egeler‐Wittmann (Leininger‐Gymnasium Grün‐ stadt), Matthias Handschick (Hochschule für Musik Saar), Katharina Loock (ehemals Deutsche Oper Berlin), Renate Reitinger (Hochschule für Musik Nürnberg), Hans Schneider (ehemals Hochschule für Musik Frei‐ burg) und Johannes Voit (Pädagogische Hochschule Karlsruhe), außerdem zur Beratung in Fragen der Evaluation Andreas Lehmann‐Wermser (Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover) und Franziska Perels (Universität des Saarlands). Das erste Jahr des Förderzeitraums war der Entwicklung des Weiter‐ bildungsprogramms gewidmet, wofür – neben zahlreichen Arbeitstreffen – im Februar 2015 ein Symposium in Saarbrücken veranstaltet wurde, an
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dem neben Vertreter*innen des genannten Expertenteams auch die Kom‐ ponist*innen und Kompositionspädagog*innen Burkhard Friedrich, Da‐ vid Graham, Astrid Schmeling und Helmut Schmidinger teilnahmen. Grundlage der Entwicklung war eine sorgfältige Bedarfsanalyse, für die eine Vielzahl von Interviews mit (potenziellen) Teilnehmer*innen und Ex‐ pert*innen aus dem Feld geführt wurde. Im zweiten und dritten Jahr des Förderzeitraums fanden die beiden Erprobungsdurchläufe des Pro‐ gramms statt, das begleitend evaluiert und ständig weiterentwickelt wurde. Die Weiterbildung erstreckte sich jeweils über etwa acht bis neun Monate, die drei Phasen umfassten. Der erste Durchlauf begann im Okto‐ ber 2015 mit einer siebentägigen Akademiephase in Schloss Weikersheim, in der die teilnehmenden Komponist*innen in zahlreichen Workshops, Vorträgen, Diskussionen und Reflexionsrunden zusammenarbeiteten. Zwischen November 2015 und Mai 2016 fanden Praxisprojekte statt, in de‐ nen die Teilnehmer*innen ganz unterschiedliche kompositionspädagogi‐ sche Vorhaben verfolgten. Bei Bedarf gab es vorab Unterstützung bei der Suche nach geeigneten Möglichkeiten zur Durchführung, d. h. nach wohn‐ ortnahen Institutionen wie Schulen, Musikschulen oder Musikvermitt‐ lungsprogrammen. Die Planung und Durchführung der eigenen pädago‐ gischen Praxis wurden darüber hinaus von jeweils einer*m Mentor*in – nach spezifischer Ausrichtung des Projekts und nach geografischen Ge‐ sichtspunkten zugeteilt – begleitet. Die erste Erprobung endete mit einer zweiten, diesmal dreitägigen Präsenzphase im Mai 2016 in der Akademie in Weikersheim, bei der Erfahrungsaustausch und Reflexion im Mittel‐ punkt standen. Die Komponist*innen hatten die Möglichkeit, ein Zertifikat zu erwerben, mit dem die erfolgreiche Teilnahme bestätigt wird. Gefordert wurde dafür – neben einer Projektskizze vorab und der geeigneten Doku‐ mentation des durchgeführten Praxisprojekts – eine überzeugende Präsen‐ tation und Reflexion der eigenen Arbeit im Rahmen der zweiten gemein‐ samen Akademiephase. In ähnlicher Weise, mit einigen Änderungen auf Basis der gründlichen Evaluation des ersten Durchlaufs, begann im Herbst 2016 eine zweite Erprobungsphase. Den Abschluss bildete eine Tagung im Juni 2017 an der Universität zu Köln, auf der Ergebnisse präsentiert und Möglichkeiten der Weiterführung diskutiert wurden.
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Die Projektstruktur von KOMPÄD ist vielschichtig. Dies resultiert aus der Beteiligung verschiedener institutioneller und persönlicher Koopera‐ tionspartner aus Forschung und Praxis an der Entwicklung, Erprobung und Evaluation des Weiterbildungsprogramms sowie der Symposien. Darüber hinaus ist die Publikationen der Ergebnisse aufwendig, zum ei‐ nen durch die wissenschaftliche Begleitung und eine daraus hervorge‐ hende Qualifikationsarbeit, zum anderen durch die Einbindung in das Netzwerk der BMBF‐Förderrichtlinie, die einen Austausch zwischen den Projekten zur Entwicklung von Weiterbildungsprogrammen für Kunst‐ schaffende in ganz unterschiedlichen Feldern vorsah. KOMPÄD ist aber auch deshalb vielschichtig, weil verschiedene Zielgruppen und Praxisfel‐ der angesprochen werden. Es geht um Musikunterricht, musikalische Ar‐ beitsgemeinschaften (AGs) und Projekte an allgemeinbildenden Schulen und im Vorschulbereich; es geht um Praxen der Musikvermittlung an Konzerthäusern, Opernhäusern oder im Rahmen von Festivals; und es geht um Elementare Musikpädagogik (EMP), Musiktheorie‐ und Kompo‐ sitionsunterricht an Musikschulen. Kompositionspädagogische Praxisfel‐ der reichen von Klangexperimenten in der Elementaren Musikpraxis in Kindertagesstätten (Kitas) und einfachen musikalischen Gestaltungsauf‐ gaben im Musik‐ oder im Instrumentalunterricht über größere Gruppen‐ kompositionen und Songwriting bis hin zum Unterricht im Fach Kompo‐ sition an Musikschulen und Hochschulen. Berührt sind Praxen der Grup‐ penimprovisation genauso wie Response‐Projekte und die kreative Ausei‐ nandersetzung mit Musiktheorie in Schule wie Musikschule. KOMPÄD ist offen für verschiedene musikalisches Genres und Kompositionstechniken, richtet sich sowohl an beruflich Komponierende wie an Studierende im Fach Komposition und bezieht darüber hinaus Musikpädagog*innen ein, die mit Kindern und Jugendlichen komponieren und das häufig in Koope‐ ration mit professionellen Komponist*innen tun.
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Inhalte und Arbeitsformen
Von zentraler Bedeutung für das Projekt KOMPÄD war von Anfang an die Frage nach den Inhalten der Weiterbildung. Bei dem erwähnten Ex‐ pert*innen‐Symposion zu Beginn der Projektlaufzeit wurden aus diesem Grund Kompetenzfelder gesammelt, die spezifische Anforderungen an Kompositionspädagog*innen widerspiegeln. Im Überblick kristallisierten sich dabei die folgenden Kategorien heraus: Kompositionsdidaktik im engeren Sinne An erster Stelle ist das Kompetenzfeld der Kompositionsdidaktik im enge‐ ren Sinne zu nennen. Hierunter fallen kompositionsdidaktische Methoden ebenso wie ausgearbeitete Modelle – etwa solche, in denen die Erarbeitung einer Komposition als Prozess mit fest definierten aufeinanderfolgenden Phasen konzipiert wird. Weiter müssen Kategorien zur Verfügung stehen, anhand derer Kompositionen in verschiedenen Stadien der Entstehung be‐ urteilt werden können. Schließlich bedarf es geeigneter Ansätze zur Aus‐ differenzierung und Weiterentwicklung kompositorischer Arbeiten und Fähigkeiten. Didaktische Reflexion Wer kompositionspädagogisch tätig sein möchte, sollte zur Reflexion aus einer originär didaktischen Perspektive in der Lage sein. Dies beginnt bei der Analyse von Rahmenbedingungen und Ausgangssituationen für Un‐ terricht oder Projekte. Sodann gilt es, Ziele in den Blick zu nehmen, wobei zwischen kurzfristig erreichbaren Zielen von Unterrichtseinheiten und Leit‐ oder Richtzielen, wie sie etwa für Projektanträge zu formulieren sind, zu unterscheiden ist. Gewissermaßen den Kern der didaktischen Reflexion stellt die Verlaufsplanung dar, die paradoxerweise auch eine wichtige Grundlage für das spontane Eingehen auf Erfordernisse der Situation und der Schüler*innen darstellt. Nicht zuletzt sollte auch die Auswahl von Me‐ dien und Materialien gut überlegt sein.
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Improvisation/Musizieren Ein erster Zugang zum Erfinden von Musik kann sich über die Improvisa‐ tion ergeben. Elemente, die hier gefunden und erprobt werden, können später zur Grundlage von Kompositionen werden. Die Fähigkeit zu musi‐ kalischer Interaktion scheint deshalb auch für Kompositionspädagog*in‐ nen erstrebenswert. So lässt sich die musikalische Produktivität durch Imi‐ tieren, Variieren und Kontrastieren im Medium der Musik wirksam anre‐ gen. Hierfür müssen förderliche Settings inszeniert und Formen der Ge‐ staltung initiiert werden. Basis der musizierenden Annäherung an das Komponieren ist sicher das Hören, das so weit wie möglich entwickelt sein sollte. Gerade um den Schritt zum Komponieren anzubahnen, sollte das Musizieren in Phasen der Reflexion münden, für die eine eigene, auf die musikalischen Prozesse bezogene Reflexionsfähigkeit erforderlich ist. Berufsfeld Nicht zu vernachlässigen sind Kenntnisse bezüglich des Berufsfelds. Kom‐ positionspädagog*innen sollten über die Institutionen des Bildungs‐ und Kulturbereichs informiert sein, mit denen sich Kooperationen ergeben können. Sie sollten die Abläufe in diesen Institutionen – etwa in Tagesein‐ richtungen für Kinder und in Schulen – kennen, um diese in der Planung berücksichtigen zu können. Ebenso wichtig scheint es, mit den spezifi‐ schen Ziel‐ und Altersgruppen in verschiedenen Sektoren des Berufsfelds vertraut zu sein, um die Herangehensweise entsprechend wählen zu kön‐ nen. Von praktischer Relevanz ist außerdem die Frage der Ansprechpart‐ ner*innen in den verschiedenen Bereichen des Berufsfelds. Management Eine erste zentrale Anforderung besteht im Zeitmanagement. Leitend sind hier Fragen nach Zeitpunkten und Fristen, die die Arbeit gleichsam vor‐ strukturieren. Darüber hinaus ist der gesamte Bereich des Projektmanage‐ ments entscheidend für die Verwirklichung kompositionspädagogischer Pläne und Konzepte. Gerade wenn die Form des Projekts gewählt wird, stellt sich die Frage nach der Ermöglichung von Nachhaltigkeit. Eine
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wichtige Voraussetzung liegt in der Finanzierung. Den Fragen danach, welche Quellen und Förderoptionen hier hilfreich sein können, ist daher genügend Raum zu geben. Sozialkompetenzen Mit Menschen zu arbeiten, erfordert in jedem Fall auch Sozialkompeten‐ zen – dies gilt umso mehr, wenn es sich um pädagogische Tätigkeiten han‐ delt. Als Dreh‐ und Angelpunkt auch der kompositionspädagogischen Ar‐ beit erweist sich die Kommunikation. Nur mit dem Medium Kommunika‐ tion können Informationen und Rückmeldungen ausgetauscht werden. Eine besondere Herausforderung liegt darin, mit Motivation umzugehen. Gerade auch, wenn es hieran mangelt, werden Fähigkeiten zum sogenann‐ ten Classroom‐Management unverzichtbar. Um die eigene Arbeit weiter‐ zuentwickeln, ist es schließlich angezeigt, Distanz zu sich selbst und zu den Schüler*innen einzunehmen, sich selbst, die anderen und die Qualität der Beziehungen zu reflektieren und die Interaktionen zu analysieren. Für die Arbeit an den genannten Bereichen kamen in der ersten Akade‐ miephase unterschiedliche Arbeitsformen zum Einsatz: In Workshops und Seminaren sollten alle Teilnehmenden gemeinsam re‐ levante Erfahrungen machen, Informationen erhalten und Fragen disku‐ tieren. In Tutorien konnten Einzelne mit Dozent*innen ihrer Wahl in einen Dia‐ log treten und sich beraten lassen (One‐to‐One) oder sich in einer Klein‐ gruppe zusammenfinden und ein Thema ihrer Wahl mit jemandem aus der Gruppe der Dozent*innen besprechen. Plenumsrunden ohne ausgesprochenen Lehrstoff dienten der Verarbei‐ tung von Erfahrenem und Gelerntem ebenso wie dem gegenseitigen Aus‐ tausch unter den Teilnehmenden. Immer wieder stand auch Zeit für die freie Arbeit zur Verfügung, in der insbesondere die Planung der eigenen Praxisprojekte, die die zweite Phase der Weiterbildung darstellten, vorangetrieben werden konnte. Es ergab sich ein dezidierter Ablaufplan (siehe Abb. 1).
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In den folgenden sieben Monaten sollten die Projekte, an deren Kon‐ zeption in der ersten Phase gearbeitet worden war, in der Praxis durchge‐ führt werden. Dabei wurden die Teilnehmenden von einer*m Mentor*in unterstützt und besucht. In der dritten Phase, die wieder als Präsenzphase an der Akademie in Weikersheim stattfand, stellten die Teilnehmenden die von ihnen durch‐ geführten Projekte unter Einbezug von Visualisierungen vor. Es schlossen sich Roundtable‐Diskussionen über aufkommende Fragen an. Wichtig war im ganzen Verlauf der Weiterbildung die Befragung der Teilnehmen‐ den zu Zwecken der Evaluation. Ein größerer evaluativer Block mit an‐ schließender Rückmeldung an das Team der Dozierenden sowie die Über‐ reichung der Zertifikate beschlossen die Phase. Die Ergebnisse der Evaluation führten dazu, dass in der Konzeption des zweiten Durchgangs der Weiterbildung gegenüber dem ersten Durch‐ gang einige Änderungen vorgenommen wurden. Fielen Einzelberatungen dort in freie Zeiten, so waren nun eigene Zeiträume im Stundenplan hier‐ für – sowie auch für die im ersten Durchgang in ihrer Bedeutung unter‐ schätzten Peer‐to‐Peer‐Beratungen – vorgesehen. Als Grundgedanke war der Stundenplan nun dadurch gekennzeichnet, dass Dozierende die abends mit den Teilnehmenden im Seminar erarbeiteten Inhalte am nächs‐ ten Morgen in praktischen Übungen umsetzten. Dies galt auch für den Be‐ reich Projektmanagement, in den eine „Schreibwerkstatt“ integriert war. Zusätzlich gab es Zeiträume für Unterrichtsversuche in der Gruppe, die dem Üben und Vertiefen dienten. Als inhaltliche Erweiterung kam die mu‐ sikalische Arbeit mit Apps hinzu. In die Planung der dritten Phase wurden außerdem die Themen „Präsentationen“ und „Kontakte mit Kulturinstitu‐ tionen“ als Roundtables aufgenommen. Insgesamt konnten auf diese Weise schließlich die Aufgaben und Rollen innerhalb des Teams der Do‐ zierenden von vornherein klarer definiert werden, was sich als wichtiger Faktor für den Erfolg herausstellte.
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Michael Dartsch und Christian Rolle
Tag 1 16:00 bis 18:00 Uhr
Begrüßung und Einführung, Kurzvorstellung der Praxisprojekte, Evaluation I
19:00 bis 21:00 Uhr
Komponieren in der Gruppe I – spielerische Warm‐ups
Tag 2 09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
Allgemeindidaktische Kategorien und ihre Bedeutung für die Kompositionspädagogik
16:00 bis 18:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum
19:00 bis 21:00 Uhr
Leiten offener Gestaltungsprozesse
Tag 3 09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
Feedback zu Schülerarbeiten
14:00 bis 16:00 Uhr
„Response“ – Kompositionsprojekte an der Schnittstelle zwischen Konzerthaus und Schule
16:00 bis 18:00 Uhr
Grundlagen des Projektmanagements
19:00 bis 21:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum
Tag 4
09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
Komponieren mit Kindern – Teil I
14:00 bis 16:00 Uhr
Komponieren mit Kindern – Teil II
16:00 bis 18:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum
19:00 bis 21:00 Uhr
Eigene und fremde Werke als Ausgangspunkte
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KOMPÄD
Tag 5 09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
Kompositionspädagogik: Berufsfelder – Ziele – Beispiele
14:00 bis 16:00 Uhr
Unterrichtsevaluation durch Schüler*innen
16:00 bis 18:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum
19:00 bis 21:00 Uhr
„Echtzeitkomponieren I“
Tag 6 09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
„Echtzeitkomponieren II“
14:00 bis 16:00 Uhr
Sprechen über Musik
16:00 bis 18:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum (Thema: „System Schule“)
19:00 bis 21:00 Uhr
„Klang und Mikroskop“ – Hörübungen – Arbeit mit Schulklassen
Tag 7 09:00 bis 10:00 Uhr
Freies Arbeiten
10:00 bis 12:00 Uhr
„Vom inneren Ohr zur Hand“ – Zeichen und Symbole – Von der Arbeit mit Grundschüler*innen
14:00 bis 16:00 Uhr
Freies Arbeiten mit Tutorium/Forum (Thema: „Erfahrungen mit ‚Response‘‐Projekten“, Evaluation II)
16:00 bis 18:00 Uhr
Präsentation der Projekt‐Konzepte
19:00 bis 21:00 Uhr
Präsentation der Projekt‐Konzepte
Tag 8 09:00 bis 10:00 Uhr
Informationen und Erfahrungen aus den Projekten „Klangnetze“ und „Klangserve“
10:00 bis 12:00 Uhr
Rückblick und Ausblick
Abb. 1: Ablaufplan der ersten Akademiephase von KOMPÄD
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Michael Dartsch und Christian Rolle
Herausforderungen und offene Fragen
Die Erfahrungen aus der bisherigen Projektarbeit machen deutlich, vor welchen Herausforderungen und offenen Fragen die Entwicklung eines kompositionspädagogischen Weiterbildungsprogramms steht. Einige Ge‐ sichtspunkte seien an dieser Stelle hervorgehoben.
3.1
Kunst und Pädagogik
Immer wieder erweist sich das Verhältnis von künstlerischer und pädago‐ gischer Praxis als spannungsreich. Da sind auf der einen Seite die häufig erwähnten Schwierigkeiten, das kreative Moment kompositorischen Han‐ delns in seinem Verhältnis zu musikalischem Handwerkszeug und musi‐ kalischen Traditionen zu lehren, d. h. Wege zu finden, die Vermittlung von musikbezogenem Wissen und kompositionstechnischen Fähigkeiten mit der Offenheit für Neues und der Möglichkeit zur Verletzung von Re‐ geln zu versöhnen. Das ist eine Herausforderung, die auch dann noch bleibt, wenn das pädagogische Setting von Aufgaben der Prüfung und Be‐ notung entlastet wird. Lösungen zu finden und die Spannung für die kom‐ positionspädagogische Praxis, in der beides zusammenkommt, erträglich zu machen, wird manches Mal – das zeigen die Bedarfsanalyse und die Erfahrungen in der Erprobung – durch Vorstellungen und Überzeugun‐ gen erschwert, die insbesondere für Kooperationsprojekte ein großes Prob‐ lem darstellen. Gemeint sind Bilder von Pädagogik, an denen (nicht nur) Komponist*innen bewusst oder unbewusst ihr Handeln in solchen Vorha‐ ben ausrichten. Dazu gehören oft genug die Vorstellung von Unterricht als Instruktion – ohne Möglichkeiten der Differenzierung – und die Annahme, dass mit Störungen zu rechnen ist. Die Aufgabe der Pädagog*innen be‐ steht darin, angesichts unkalkulierbarer Ereignisse die Kontrolle zu behal‐ ten. Die gelegentlich tiefsitzende Vorstellung, dass Schule und Unterricht wohl notwendige, aber eigentlich „abscheuliche“ Mechanismen der Frei‐ heitsberaubung sind, führt zu zwiespältigen Verhaltensmotivationen: gleichzeitig nicht so wie Pädagog*innen sein zu wollen und doch genauso handeln zu müssen. Der Druck, als Künstler*in und Laie pädagogisch tätig sein zu müssen, kann dazu führen, dass die Betroffenen die ungeliebte
KOMPÄD
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Rolle der Lehrkraft besonders gründlich zu erfüllen versuchen. Umge‐ kehrt finden sich unter den Lehrkräften häufig genug Vorstellungen von (richtigem, künstlerischem) Komponieren nicht so sehr als Tätigkeit, son‐ dern als Ereignis der Inspiration, die wenigen besonders begnadeten Men‐ schen vorbehalten ist. Musikpädagog*innen halten in solchen Fällen das, was sie selbst tun, wenn sie Töne zu Musikstücken zusammensetzen, nicht wirklich für Komponieren, weshalb sie es im Grunde ihren Schüler*innen noch weniger zutrauen und kompositionspädagogische Anstrengungen letztlich für vergeblich, bestenfalls für das Bemühen um die Entdeckung von Talenten halten. Die Konflikte, die sich aus diesen Bildern von Kunst und Pädagogik und den gegenseitigen Zuschreibungen in Kooperations‐ projekten ergeben, lassen sich erahnen.
3.2 Zielgruppen und Organisationsstrukturen Wer braucht eine kompositionspädagogische Weiterbildung? An wen soll sich das Angebot richten? In den Erprobungsphasen war die Zahl der Be‐ werber*innen geringer als ursprünglich erwartet, obwohl die Teilnahme kostenlos war. Die Gründe lassen sich durch die Evaluation nur schwer erfassen, da Interviews vor allem mit den Teilnehmenden geführt wurden. Ein Grund lag vermutlich in der Organisation der bundesweit ausge‐ schriebenen Weiterbildung mit zwei längeren Präsenzphasen in Schloss Weikersheim, das nicht leicht zu erreichen ist. Ein offeneres Modell, das verschiedene frei wählbare Bausteine zu verschiedenen Zeiten an unter‐ schiedlichen Orten vorsieht, könnte die Nachfrage erhöhen. Eine solche Modularisierung des Curriculums erfordert allerdings eine strukturelle Modifikation und braucht institutionelle Partner an anderen Orten. Die Frage ist, ob und wie eine Erweiterung der Zielgruppe, die mit dem kom‐ positionspädagogischen Weiterbildungsangebot angesprochen werden soll, zu leisten wäre und welche Konsequenzen das für Inhalte und Orga‐ nisation haben müsste. In den Erprobungen waren die Teilnehmer*innen fast ausschließlich Komponist*innen sogenannter Neuer Musik, d. h. Ab‐ solvent*innen (oder noch Studierende) von Kompositionsstudiengängen an deutschen Musikhochschulen, in denen die Tradition des Komponie‐ rens von Kunstmusik fortgeschrieben wird und in denen die Produktion
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Michael Dartsch und Christian Rolle
von Popmusik, Songwriting oder das Schreiben von Filmmusik eine un‐ tergeordnete Rolle spielen. Das ist die Gruppe von Kunstschaffenden, aus der sich das Personal für kompositionspädagogische Projekte an Schulen, Musikschulen und Konzerthäusern in den vergangenen Jahrzehnten vor‐ wiegend rekrutierte. Um ein fruchtbares Weiterbildungsangebot zu ent‐ wickeln, mit dem auch andere Komponierende und kreativ Musikschaf‐ fende, wie Songwriter*innen, Musikproduzent*innen oder DJ*anes, ange‐ sprochen werden könnten, wäre eine erneute Bedarfsanalyse nötig; und sollte es tatsächlich einen Bedarf geben, bliebe die Frage, ob und ggf. wie ein Angebot für eine so heterogene Zielgruppe mit derart unterschiedli‐ chen Voraussetzungen, Kompetenzen und Interessen geschaffen werden kann. Zweifellos ein Desiderat ist der Einbezug von Musikpädagog*innen in ein künftiges Weiterbildungsangebot zur Kompositionspädagogik. Denn nicht nur Komponist*innen profitieren von pädagogischer Qualifizierung und Professionalisierung, sondern umgekehrt gibt es zahlreiche Musik‐ lehrkräfte (an allgemeinbildenden Schulen wie an Musikschulen), die un‐ erfahren sind im Komponieren und in dieser Hinsicht eine Weiterbildung gebrauchen können. Da die BMBF‐Förderrichtlinie, die dem KOMPÄD‐ Vorhaben zugrunde lag, in erster Linie die pädagogische Weiterbildung von Kunstschaffenden im Auge hatte, wurden Musikpädagog*innen nur eingeschränkt berücksichtigt, d. h. nur wenige hatten die Gelegenheit, an der jeweils ersten Akademiephase teilzunehmen. Schon dabei zeigte sich der Gewinn, den beide Seiten davon haben, wenn sie nicht in unterschied‐ lichen Angeboten fort‐ und weitergebildet werden, sondern sich gemein‐ sam qualifizieren. Auf diese Weise ließe sich nicht nur die Zielgruppe für ein künftiges KOMPÄD‐Angebot erweitern und die Nachfrage erhöhen, sondern es entstünde die Möglichkeit, schon im Rahmen der Weiterbil‐ dung in multiprofessionellen Teams die Fähigkeiten zur Kooperation zu erwerben, die in kompositionspädagogischen Projekten an Schulen, Mu‐ sikschulen oder Konzerthäusern so wichtig sind. Zu überlegen ist schließlich, ob das Angebot nicht am besten als Wei‐ terbildungsstudiengang an einer Musikhochschule etabliert werden sollte. Damit könnten die vorhandene Expertise, das damit verbundene Ansehen
KOMPÄD
25
bei den Zielgruppen und die bestehenden Organisationsstrukturen ge‐ nutzt werden. Andererseits wären die Vorgaben für die Akkreditierung von Studiengängen, etwa im Hinblick auf Modularisierung und die Vergabe von Leistungspunkten, zu beachten.
3.3
Nachhaltigkeit
KOMPÄD ist durch den Wunsch nach Nachhaltigkeit geprägt, d. h. es soll eine Fortbildungsmaßnahme etabliert werden, die sich über den Förder‐ zeitraum hinaus als fester Bestandteil des Qualifizierungsangebots für Kunst‐ und Kulturschaffende (und darüber hinaus) bewährt und die Ko‐ operation der im Feld der Kompositionspädagogik Tätigen verbessert. Doch selbst wenn die wissenschaftlich begleitete Konzeptentwicklung und die Evaluation einen bleibenden Beitrag zur kompositionspädagogi‐ schen Theoriebildung und Modellentwicklung leisten können, ist doch al‐ les andere als klar, ob die finanziellen Ressourcen vorhanden sein werden, das Weiterbildungsprogramm längerfristig in einer Qualität, in einem Umfang und zu einem Preis anzubieten, der es der häufig freiberuflich und ohne sichere regelmäßige Einkünfte tätigen Zielgruppe ermöglicht teilzunehmen. Nach Abschluss des Förderzeitraums durch das BMBF muss ein nicht nur qualitativ gutes, sondern auch einigermaßen kosten‐ günstiges Angebot konzipiert werden und es müssen Institutionen gefun‐ den werden, die bereit sind, das Vorhaben dauerhaft mit zu unterstützen, beispielsweise durch die Vergabe von Stipendien. JMD ist zwar an den Zielen der Maßnahme interessiert, doch fehlen in Weikersheim die Res‐ sourcen, um das Weiterbildungsangebot KOMPÄD zu einer eigenen dau‐ erhaften Aufgabe zu machen. Möglicherweise kann eine der beteiligten Hochschulen, vielleicht die Folkwang Universität der Künste in Essen, die Aufgabe übernehmen und einen Weiterbildungsstudiengang ins Leben rufen, der gemeinsam mit den KOMPÄD‐Partnern konzipiert und über den Förderzeitraum hinaus kooperativ fortgeführt wird. Auf diese Weise ließe sich das Programm konzeptionell weiterentwickeln, an sich verän‐ dernde Bedingungen anpassen und – hoffentlich – finanzieren. Zur Nach‐ haltigkeit des Vorhabens sollen in jedem Fall die „Handreichungen zur Kompositionspädagogik“ beitragen, die frei online zugänglich sind
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Michael Dartsch und Christian Rolle
(www.kompaed.de) und unter Federführung der Universität zu Köln auch in Zukunft weiter ergänzt werden.
„Musik erleben. Musik vermitteln“ Kulturelle Bildung aus musikalischer Sicht an der Hochschule für Künste Bremen Rose Eickelberg und Barbara Stiller Das Weiterbildungsangebot „Musik erleben. Musik vermitteln“ richtet sich an Berufsmusiker*innen mit künstlerischen Studienabschlüssen, die in Berufsorchestern, ‐chören und freischaffenden Ensembles arbeiten. Die Teilnehmer*innen werden für das Feld der Kulturellen Bildung im Bereich der außerschulischen Musikvermittlung und Konzertpädagogik weiterge‐ bildet. Dabei handelt es sich um eine Zielgruppe, für die der Besuch be‐ rufsbegleitender Weiterbildungen eher untypisch ist. Ziel ist es, mit dem Angebot einen umfassenden kulturellen Bildungsprozess anzustoßen, der das Bewusstsein und damit das Handlungsrepertoire der Teilnehmenden verändert und erweitert. Das kulturelle Bildungsverständnis ist in diesem Fall ein vorrangig partizipatives: Im Sinne einer sich kontinuierlich auf‐ wärts schraubenden Qualitätsentwicklungsspirale ist das Weiterbildungs‐ konzept so angelegt, dass alle an dem Projekt Beteiligten – Lehrende, Ler‐ nende, wissenschaftlich Begleitende und das Publikum als Partner – von Beginn an aktiv in den Qualitätsentwicklungsprozess involviert sind. Im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten sind die Weiterbildungsteil‐ nehmenden aufgefordert, sich aktiv einzubringen, Verantwortung zu übernehmen und damit zur Schließung einer signifikanten Forschungslü‐ cke beizutragen. Aus ihren Antworten lassen sich Ergebnisse von gleich‐ ermaßen hoher bildungs‐ wie arbeitsmarktpolitischer Relevanz für die Be‐ rufsgruppe der künstlerisch Musikschaffenden erwarten.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_3
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Rose Eickelberg und Barbara Stiller
Voraussetzungen und Strukturen für die Entwicklung von Angeboten der Kulturellen Bildung und Musikvermittlung für Berufsorchester, Chöre und professionelle Ensembles
Strukturen für die wissenschaftliche Weiterbildung existieren für berufs‐ tätige Musiker*innen bislang nahezu nicht. Umso komplexer gestaltet sich die Frage, wie sich für dieses Teilnehmerfeld verlässliche Strukturen im Sinne des berufsbegleitenden lebenslangen Lernens für den Bereich der außerschulischen Musikvermittlung und Konzertpädagogik schaffen las‐ sen. Als Zielgruppe wurden professionelle Musiker*innen angesprochen, welche spielend, singend oder dirigierend in Berufsorchestern, ‐chören und freischaffenden Ensembles künstlerisch arbeiten. Alle Pro‐ band*innen zeichnet ein Interesse an vermittelnden Tätigkeiten zwischen dem künstlerischen Geschehen auf der Bühne und den musikalischen Be‐ dürfnissen einzelner Publikumszielgruppen aus. Ihrer konzeptionellen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Ob individuell als Einzelperson in Kooperation mit Bildungsinstitutionen wie Kindertageseinrichtungen (Kitas) oder Schulen oder im Rahmen der Tätigkeit für einen ganzen Klangkörper – im Zentrum steht jeweils der Dialog zwischen Bühne und Auditorium, zwischen Künstler*innen und Publikum. Wie sich die Idee entwickelt hat und welche Hürden es zu überwinden galt, um ein spezifi‐ sches Angebot für diese Zielgruppe zu schaffen und damit einen Beitrag zur Kulturellen Bildung für das Genre der sogenannten klassischen Musik zu leisten, soll im Folgenden detaillierter beschrieben werden.
2
Potenzielle Arbeitsfelder
Junge Menschen aktiv ins künstlerische Geschehen einbinden und die Fas‐ zination von live gespielter Musik für alle erlebbar machen – fast alle pro‐ fessionellen Orchester, Chöre und Ensembles haben inzwischen musikver‐ mittelnde Angebote in ihrem ständigen Programm. Spätestens seit „Rhythm
„Musik erleben. Musik vermitteln“
29
is it!“1, dem durch die Kinoverfilmung bekannt gewordenen Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker, boomen partizipative Angebote und Projekte zur Musikvermittlung. Im interdisziplinären Dialog entstehen sparten‐ übergreifend neue konzeptionelle Ansätze für Kitas und Schulen, für The‐ ater und Konzerthäuser bis hin zu Stadtteilzentren, Off‐Kultureinrichtun‐ gen oder Flüchtlingsunterkünften. Neben den klassischen Formaten wie Kinder‐, Jugend‐ und Familienkonzerte, Schulprojekte und Workshops zu spezifischen Themen, wie beispielsweise Improvisationsorchester, Musik erfinden oder Instrumentenbau, gibt es je nach Institution und Region ein breites Spektrum an Angeboten. Diejenigen, die dafür verantwortlich agie‐ ren, sind jedoch nur in den seltensten Fällen hauptberufliche Konzert‐ oder Musikpädagog*innen. Viele der Aufgaben werden von Musiker*innen der Orchester und Ensembles selbst übernommen. Entscheidende konzeptio‐ nelle Impulse kommen dabei seit Ende der 1990er Jahre aus dem anglo‐ amerikanischen Raum. Hier sind die Orchester bereits seit den 1960er Jah‐ ren unter dem Druck finanzieller Kürzungen verstärkt gefordert, durch spezielle Angebote in Form sogenannter Outreach‐Projekte in die Kultu‐ relle Bildung breiter Bevölkerungsschichten zu investieren. Leonard Bernstein gilt hier mit seinen Konzerten für junge Leute als Pionier unter den Musikvermittler*innen (vgl. Bernstein 1963 und 1999). Trotz dieser Impulse können die Konzepte und Formate nur als Anregung dienen und hierzulande nur selten eins zu eins übernommen werden. Dies unter‐ streicht der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung Gerald Mertens (2005: 11) in seinem Artikel „Zwischen Bildungsauftrag und Fei‐ genblatt“: „Man kann zwar bestimmte Modellstrukturen oder Programme übernehmen und weiterentwickeln, entscheidend jedoch ist und bleibt die konkrete Umsetzung vor Ort, im Konzert, im Workshop, in der Schule oder im Kindergarten. Und genau an dieser entscheidenden Schnittstelle ist eine ebenso große Professionalität gefragt wie bei der eigentlichen künstlerischen Darbietung: Es geht immer mehr um professio‐ nelle Musikvermittlung.“
1 Tanzprojekt der Berliner Philharmoniker mit dem Choreografen Royston Maldoom, das im April 2003 aufgeführt wurde. Der gleichnamige Film erschien 2005 in den Kinos.
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Rose Eickelberg und Barbara Stiller
Dabei dürfte die Betonung auch im Jahre 2018 nach wie vor auf „immer mehr“ liegen, denn die Notwendigkeit und der Wert einer entsprechenden Professionalisierung sind damals wie heute nicht allen Beteiligten und Verantwortlichen hinreichend bewusst.
3
Strukturelle Herausforderungen
Oftmals ist die Umsetzung von Projekten der Musikvermittlung für die Institutionen und Ensembles mit nur knappen zur Verfügung stehenden Kapazitäten eine Herausforderung. Dies bestätigt erneut Mertens (2012: 554‐555): „Nur ausnahmsweise wurden für diese neuen Aktivitäten auch neue Personalstellen z. B. für Konzertpädagogen und Musikvermittler bzw. Sachkostenbudgets geschaf‐ fen. Vereinzelt werden Programme über Sponsoren, Freundesvereine, philharmoni‐ sche Gesellschaften o. ä. finanziert. Ganz überwiegend jedoch erfolgt die Finanzie‐ rung aus den laufenden Etats der Konzerthäuser und Orchester sowie unter hohem, teilweise ehrenamtlichen Einsatz einzelner, besonders engagierter Orchester‐ und Ensemblemitglieder. Gerade bei den Orchestern spielen die Musiker in der Musik‐ vermittlung die Hauptrolle.“
Solange der Kulturauftrag der Orchester auf politischer Ebene nicht offizi‐ ell mit einem entsprechend erhöhten Finanzbudget zu einem Bildungsauf‐ trag erweitert wird, werden mangelnde Ressourcen in den Kulturinstitu‐ tionen ein Grundproblem für Aktivitäten der Musikvermittlung und Kul‐ turellen Bildung bleiben. Die Zuschreibung und damit auch die Zuteilung finanzieller Mittel müsste in Bezug auf kooperative schulische Aktivitäten zwischen einem Orchester und einer Schule in der geteilten Verantwor‐ tung zwischen den Ministerien von Kultur und Bildung und in Bezug auf frühkindliche Bildung zwischen den Ressorts Kultur, Familie, Kinder und Soziales liegen. Ein oftmals ohnehin finanziell nur knapp ausgestatteter Kulturetat wird diesen Anforderungen allein nicht zuverlässig gerecht werden können. Vor diesem Hintergrund sehen sich die Geschäftsleitun‐ gen der Chöre und Orchester gezwungen, alle Aufwendungen für Mu‐ sikvermittlung aus dem regulären Betrieb querzufinanzieren, sofern sie nicht – wie beispielsweise die Berliner Philharmoniker – über externe
„Musik erleben. Musik vermitteln“
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Drittmittelgeber und institutionsnahe Sponsoren für diesen Bereich verfü‐ gen. Dies schließt auch Aufwendungen für Fort‐ und Weiterbildung der Ensemblemitglieder ein bzw. aus. Hinzu kommt, dass das Arbeitsfeld der Musikvermittlung und Konzertpädagogik für Musiker*innen noch ein re‐ lativ junges ist und entsprechende Strukturen zur berufsbegleitenden (Weiter‐)Qualifizierung sowohl in den Kulturinstitutionen selbst, aber auch in den Ausbildungsinstitutionen wie den Musikhochschulen noch im Aufbau begriffen sind. Bei der Einstellung neuer Musiker*innen spielen diese Qualifikationen an Theatern und Orchestern bis heute nahezu keine Rolle, und nur langsam entwickelt sich der Bereich der Musikvermittlung an den Musikhochschulen zu einem verbindlichen Bestandteil des Curri‐ culums grundständiger Studiengänge.
4
Weiterbildung für Musiker*innen: Strukturelle Voraussetzungen müssen geschaffen werden
Da der „Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern“ (TKV) Tätigkei‐ ten, die über das reine Spielen eines Instruments hinausgehen, bisher we‐ der definiert noch vorsieht, ist es für fest angestellte Musiker*innen vieler‐ orts nahezu unmöglich, sich in der Kulturellen Bildung zu engagieren und dafür zu professionalisieren.2 Sowohl die berufliche Weiterbildung gene‐ rell als auch die vielfältigen und in der Vorbereitung zeitintensiven Tätig‐ keiten der Musikvermittlung, wie beispielsweise Konzeptionierung, Gruppenanleitung, Moderation etc., sind tariflich weder vorgesehen noch etabliert. Bislang beruhen sie vielerorts auf rein ehrenamtlichem Engage‐ ment und persönlichem Einsatz über den ohnehin vollen Arbeitsalltag mit unregelmäßigen Dienstzeiten hinaus. Lifelong Learning findet für Musi‐ ker*innen traditionell und bis heute rein individuell in Form täglichen Übens im künstlerischen Bereich, nicht jedoch für Vermittlungstätigkeiten statt. Zwar bieten die Landes‐ und Bundesakademien für Kulturelle 2 Vgl. die alphabetische Aufstellung der deutschen Kulturorchester mit Einstufung und Planstellen unter: www.dov.org/tl_files/pdf/Infos%20&%20Publikationen/Einstufung% 202012.pdf, letzter Zugriff: 15.11.2017.
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Rose Eickelberg und Barbara Stiller
Bildung ein breites Kursangebot zu diversen Themen rund um aktuelle musikpädagogische Fragestellungen und musikpraktische Tools an, ge‐ dacht ist dieses Kursangebot aber vor allem für Lehrpersonen, Instrumen‐ talpädagog*innen, Chorleiter*innen und Kita‐Personal.3 Dies sind Ziel‐ gruppen, unter denen sich professionelle Orchestermusiker*innen ohne pädagogische Grundqualifikation nicht wiederfinden, sodass solche inho‐ mogenen Ausschreibungen den spezifischen Anforderungen der hoch spezialisierten Musiker*innen nur schwer gerecht werden. Explizite Kurse zur Musikvermittlung oder Kurse für Mitglieder von Orchestern, Chören oder für Solist*innen spielen kaum eine Rolle. Berufsbegleitende Studiengänge rund um das weite Feld der Musik‐ vermittlung existieren im deutschsprachigen Raum zwar vereinzelt, sind aber nicht mit dem beruflichen Alltag von Musiker*innen in professionel‐ len Ensembles zu vereinen, denn nur wenige können es sich leisten, aus freiwilligem Interesse die Arbeitszeit so zu reduzieren, dass sie an einem solchen Studium teilnehmen können. Auch die Möglichkeit des staatlich anerkannten Bildungsurlaubs ist weder allen Musiker*innen bekannt noch bei den Arbeitgebern etabliert. Darüber hinaus führt das Thema bei den Verantwortlichen innerhalb der Kulturbetriebe oft zu massiven Wider‐ ständen innerhalb des Kollegiums und der Geschäftsleitung. Zu Zeiten knapper Kassen besteht finanziell und personell kein Spielraum, um Kol‐ leg*innen, die sich für das Feld der Musikvermittlung weiterbilden möch‐ ten und dafür Bildungsurlaub beanspruchen müssen, zu ersetzen. Weiter‐ bildung wird als individuelle Aktivität gesehen und gilt damit als „Luxus“, der im privaten Bereich bzw. in der Freizeit stattzufinden hat. Die Anerkennung der Bremer Weiterbildung als Bildungsurlaub ver‐ schaffte einigen Musiker*innen erst die nötige gesetzliche Grundlage bei der innerbetrieblichen Durchsetzung. Dennoch muss erwähnt werden, dass die Bedingungen für die Genehmigung und Anerkennung von Bildungsurlaub in jedem Bundesland anders sind und längst nicht allen Teilnehmenden wurde die Weiterbildung betriebsintern als solcher an‐ erkannt.4 Obwohl ein Großteil der Teilnehmenden erwähnte, sich 3 Vgl. www.musikakademien.de, letzter Zugriff: 15.11.2017. 4 Vgl. www.kmk.org, letzter Zugriff: 15.11.2017.
„Musik erleben. Musik vermitteln“
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unentgeltlich, in der Freizeit, zum Wohle des Betriebs und aus gesell‐ schaftlichem Engagement weiterbilden zu wollen, mangelte es Einigen an Unterstützung in ihrem beruflichen Umfeld. In vielen Fällen bezahlten sie selbst private Aushilfen für den Orchesterdienst, um die Weiterbildung besuchen zu können und beklagten Schwierigkeiten, zu den Präsenzzeiten freigestellt zu werden. Neben den strukturellen Herausforderungen be‐ richteten mehrere Teilnehmende der Bremer Weiterbildung „Musik erle‐ ben. Musik vermitteln“, dass es innerhalb ihres Kollegiums sowie aufsei‐ ten ihrer Hausleitung grundlegende Akzeptanzprobleme gab. Hier scheint die Bandbreite zwischen Ablehnung und Unterstützung innerhalb der ein‐ zelnen Kulturinstitutionen sehr groß zu sein. Manche fördern und unter‐ stützen das Engagement der Musiker*innen auf alle erdenkliche Weise, andere behindern es oder versagen die Unterstützung soweit, dass ein En‐ gagement nicht möglich ist. Kollegiale Unterstützung und Solidarität sind für das Thema jedoch von essenzieller Bedeutung, um berufliche Weiter‐ bildung in Kulturinstitutionen zukünftig überhaupt etablieren zu können. Die wichtige Rolle der Leitungsebenen belegt auch die Studie „Exchange. Die Kunst Musik zu vermitteln“ von Constanze Wimmer aus dem Jahr 2010: „Einig sind sich alle Interviewten, dass ein wesentlicher Faktor für den Erfolg eines Musikvermittlers oder Konzertpädagogen die uneingeschränkte Wertschätzung der Leitung ist. Sie wird als wesentlicher eingeschätzt als die Positionierung innerhalb des Organigramms [eines Orchesters, Anm. R. E., B. S.]: Es ist immer die Frage, was von oben gewollt wird. Für ein Orchester der Stadt muss klar sein, dass Musikver‐ mittlung gewollt wird, und dieser Wille muss auf allen Ebenen präsent sein, von der Intendanz über den Chefdirigenten bis zu den Musikern – dann ist Musikvermitt‐ lung viel leichter zu transportieren.“ (Wimmer 2010: 80)
Die Kausalitäten sind einfach aufzuzeigen: Kann ein Orchester seine Ver‐ ankerung in der Stadt und Region durch Angebote in der Musikvermitt‐ lung stärken, wächst auch die innerbetriebliche Unterstützung.5 Dass eine 5 So fördern die Orchestermitglieder mit ihrer Mitgliedschaft in der Philharmonischen Ge‐ sellschaft des Philharmonischen Orchesters Lübeck auch Musikvermittlungsprojekte und ‐aktivitäten und unterstützten die Teilnahme eines Orchestermitglieds an der
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Rose Eickelberg und Barbara Stiller
gute Verankerung des eigenen Betriebs in der Region wichtiger denn je geworden ist, dringt vielerorts erst nach und nach zu den Musiker*innen selbst durch. Bisher waren für den Bereich, der vielerorts auch Education‐ Abteilung oder Audience Development genannt wird, allein die Leitungs‐ ebenen zuständig und verantwortlich. Ein Bewusstsein dafür, selbst für sein Publikum mitverantwortlich zu sein, ist aber Voraussetzung und Mo‐ tivation, sich weiterzubilden, um bei konzertpädagogischen Angeboten dieselbe Professionalität erreichen zu können wie auf dem Konzertpo‐ dium. „Wenn es nicht fürs Orchester reicht, kannst Du ja immer noch un‐ terrichten“ – dieses Bonmot sitzt noch immer fest in den Köpfen vieler Be‐ rufsmusiker*innen. Kein Wunder also, dass diejenigen, die sich in der Mu‐ sikvermittlung engagieren, mitunter wenig Zuspruch bei einigen ihrer Kolleg*innen finden (vgl. Eickelberg 2012: Kap. 3.4.3). Es gibt auch gegen‐ teilige Beispiele, in denen Musiker*innen von allen Seiten Unterstützung erfahren. Immer mehr Orchester bilden professionelle „Education‐ Teams“, die zumindest partiell auch fortgebildet werden sollen. Zu dieser Entwicklung beigetragen haben sicherlich prominente Vorbilder, wie bei‐ spielsweise die von dem Pianisten Lars Vogt ins Leben gerufene Initiative „Rhapsody in School“6.
5
Probandenakquise
Aufgrund der mangelnden Weiterbildungsstrukturen und ‐traditionen spielte die aufwendige persönliche Akquise durch eine Mitarbeiterin, wel‐ che selbst Mitglied eines Berufsorchesters ist, eine große Rolle bei der Teil‐ nehmergenerierung (siehe Abb. 1). Darüber hinaus wurden verschiedene Kanäle genutzt, um das Angebot bekannt zu machen. Sowohl im ersten als auch im zweiten Durchgang wurde ein großer Teil der Teilnehmenden durch die persönliche Akquise auf die Weiterbildung aufmerksam. Ein Bremer Weiterbildung (vgl. www.philharmonischegesellschaftluebeck.de, letzter Zugriff: 15.11.2017). 6 Rhapsody in School – ein ehrenamtliches Musikvermittlungsprojekt von Künstler*innen für Schüler*innen, initiiert von Lars Vogt (vgl. www.rhapsody‐in‐school.de, letzter Zu‐ griff: 15.11.2017).
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„Musik erleben. Musik vermitteln“
weiterer bewarb sich auf die Anzeige in der monatlich erscheinenden Zeit‐ schrift „Das Orchester“7. Im zweiten Durchgang wurden Musiker*innen auch von Teilnehmer*innen des ersten Durchgangs angeworben. Weitere Details sind der Abbildung 1 zu entnehmen.
Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden? Flyer 5% 3%
10%
Plakat
22%
Persönliche Ansprache 5% Internet 55%
Anzeige ʺDas Orchesterʺ DOV*
Abb. 1: „Wie wurden Sie auf uns aufmerksam?“ Erster Durchgang 2015/16 (n=25) Weniger erfolgreich hingegen war die großflächige Verschickung von Pla‐ katen und Flyern ausschließlich an Chöre, Orchester, Musikhochschulen und Musikverbände ohne persönlichen Kontakt. Hier liegt die Vermutung nahe, dass das Material vielerorts gar nicht erst ausgehängt wurde. Stich‐ proben bestätigten diese These. Einiges musste doppelt verschickt werden, weil die erste Sendung auf Nachfrage nicht mehr auffindbar war. An vielen Theatern und Orchestern ist es leider nicht gelungen, das Weiterbildungs‐ angebot dem Orchester persönlich vorzustellen, da innerhalb der Leitungs‐ ebene (Dirigent*innen, Orchesterinspektor*innen, Geschäftsleitungen) und/ 7 Vgl. www.das‐orchester.org, letzter Zugriff: 15.11.2017.
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Rose Eickelberg und Barbara Stiller
oder den Orchestergremien wie dem Orchestervorstand kein Interesse be‐ stand und/oder der Dienstplan keinen Freiraum (zehn Minuten vor der Pause oder am Ende einer Probe) dafür bot. Andernorts sahen die profes‐ sionellen Konzertpädagog*innen des Hauses weder eine Notwendigkeit noch die Motivation seitens der Musiker*innen, sich weiterzubilden, da „sie selbst ja für die Konzepte und Unterstützung sorgen würden“8. Auch in solchen Fällen kam eine persönliche Vorstellung der Weiterbildung vor dem Orchester nicht zustande. Die Akquise von freischaffenden Musi‐ ker*innen fiel aus anderen Gründen ebenfalls nicht leicht. Da sie oft ein‐ zeln agieren, sind sie schwerer zu erreichen als in den Kulturbetrieben. Viele Musiker*innen sahen sich trotz Interesses aufgrund der Dienstbelas‐ tung, der mangelnden Unterstützung der Geschäftsleitung oder aus Angst vor dem Verlust von Engagements bzw. dadurch entstehende finanzielle Engpässe nicht in der Lage, an der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten und damit für die Proband*innen kos‐ tenfreien Weiterbildung teilzunehmen. Dies zeigt einmal mehr, welche Hürden im Bereich des Lifelong Learnings innerhalb der Kulturbetriebe noch zu nehmen sind.
6
Charakteristika der Zielgruppe
Abhängig von ihrem Instrument und der Art des Studiums arbeiten viele Musiker*innen sehr konform in Gruppen und sind besonders in Orches‐ tern und Chören stark an hierarchische Strukturen gewöhnt. Sie zeichnen sich durch große Disziplin sowie einen hohen künstlerischen Anspruch gegenüber ihrem Umfeld aus, den sie selbst seit frühester Kindheit und in ihrem beruflichen Alltag verinnerlicht haben (vgl. Langendörfer 2007: 17), denn „diese Zweifel, ob die eigene Qualität ausreicht, um dem Erwar‐ tungsdruck gerecht werden zu können und im Konkurrenzkampf zu be‐ stehen, sind von der Kindheit an sehr reale Begleiter des Musizierens“ (Möller/Popova 2011: 41ff.). Geniales Künstlertum sowie Perfektion sind bis heute das vorherrschende Ideal. Historisch ist die Ausbildung an 8 Ergebnis eines Telefonats mit einer Konzertpädagogin eines norddeutschen Orchesters.
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einem Meister‐Schüler*innen‐Verhältnis orientiert, was die innere päda‐ gogische Haltung vom ersten Instrumentalunterricht bis zum Meisterkurs charakterisiert. Einzelunterricht und das damit verbundene Maß an indi‐ vidueller Zuwendung durch die Lehrperson sind ein wesentlicher Be‐ standteil dieser Ausbildung. Dadurch sind Musiker*innen an andere Lehr‐ Lernstrukturen weniger gewöhnt und finden mitunter schwerer als Absol‐ vent*innen anderer Studiengänge Zugang zu „klassischen“ Unterrichts‐ formen in Großgruppen, in Seminareinheiten sowie in der eigenverant‐ wortlich zu gestaltenden Kleingruppenarbeit und im Frontalunterricht. Die Arbeitszeiten der fest angestellten Musiker*innen gibt der oft sehr kurzfristig mitgeteilte Dienstplan vor. Sie sind – obgleich in der jeweiligen Länge festgelegt – unregelmäßig, überwiegend morgens und abends, über sieben Tage die Woche inklusive aller Wochenend‐ und Feiertage verteilt. Abhängig vom Bundesland wird die Spielzeit von allen Musiker*innen ei‐ nes Chors oder Orchesters jeweils gleichzeitig mit einer sechswöchigen Sommerpause beendet. Diese Strukturen sind für Einzelne unverrückbare Vorgaben, sodass alle fest angestellten Musiker*innen nicht im Jahres‐, sondern im Spielzeitrhythmus planen. Eine berufsbegleitende Weiterbil‐ dung muss diese Strukturen kennen und berücksichtigen, denn auch zahl‐ reiche selbstständige Musiker*innen sind gezwungen, sich innerhalb die‐ ser Vorgaben zu bewegen. Freischaffende Musiker*innen sind gewohnt, ihr Berufsfeld eigenverantwortlich zu organisieren und diverse Tätigkei‐ ten rund um das reine Proben und Spielen auszuüben. Ob Moderations‐ texte, Publikumsgespräche, Networking, Werbung oder spartenübergrei‐ fendes Agieren, die Freiberufler*innen können auf diese Gewohnheiten im Gegensatz zu ihren festangestellten Kolleg*innen bezüglich der Planung und Durchführung von eigenen Musikvermittlungsprojekten oftmals mit einer größeren Selbstverständlichkeit zurückgreifen. Dahingegen können Musiker*innen eines größeren Betriebs die Infrastruktur und Ressourcen ihres Arbeitgebers nutzen, inklusive Publikationskanäle, Sekretariat, Aus‐ stattung, Technik und nicht zuletzt Musikerkolleg*innen sowie Künst‐ ler*innen anderer Sparten, die bestenfalls für eigene Vermittlungsprojekte gewonnen werden können. In Berufsorchestern und ‐chören sind für die Musiker*innen im Rahmen ihrer „normalen“ Tätigkeit fast alle Details
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vorgegeben. Ein Teilnehmer der Bremer Weiterbildung berichtete, dass sein Alltag durch Setzungen geprägt sei, schließlich sei festgelegt „was ich spiele, wie ich spiele, wann, wo und in welcher Kleidung“. Es herrscht überwiegend Aufgabenteilung durch Spezialist*innen für alle anfallenden Tätigkeiten und alle Organisation rund um das Musizieren vor. Umso mehr genießen die Musiker*innen durch die Weiterbildung die neu erleb‐ ten Freiräume in der Musikvermittlung, die sie sich teilweise auch erst für sich selbst erschließen müssen.
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Angebotsinhalte in Übereinstimmung mit der Motivation und den Erwartungen der Zielgruppe
Wie die begleitende Evaluation gezeigt hat, überschneiden sich unter den Teilnehmenden die Motivationen zum Engagement im Bereich der Musik‐ vermittlung und zur Teilnahme an der Weiterbildung. Die individuellen Beweggründe sowie Gewohnheiten und Herangehensweisen der Berufs‐ gruppen untereinander sind aber verschieden und geprägt durch ihr ak‐ tuelles, berufliches Umfeld. Allen Teilnehmenden gemein sind eine hohe intrinsische Motivation sowie der Wunsch nach gesellschaftlichem Enga‐ gement in Verbindung mit dem Bestreben, „etwas zurückgeben zu wol‐ len“. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Interesse an einer Vermitt‐ lung der eigenen Leidenschaft. Fast immer lagen Schlüsselerlebnisse im Bereich der Musikvermittlung dem Engagement in diesem Bereich zu‐ grunde, aber auch die Notwendigkeit zu Audience Development spielte bei Befragungen unter den Teilnehmenden eine große Rolle. Fast alle wünschten sich eine generelle, fundierte Professionalisierung im Bereich der Musikvermittlung, die Erweiterung der eigenen musikpraktischen Fertigkeiten sowie einen Zuwachs an Methodenvielfalt. Über diese Tools erhofften sie sich neue Anregungen und hatten ein großes Interesse an ei‐ nem strukturierten Austausch innerhalb der Gruppe (siehe Abb. 2). Die Gruppe der freischaffenden Musiker*innen hat insbesondere im zweiten Durchgang, in dem sie zahlenmäßig nahezu mit ca. 40 Prozent ver‐ treten war, Interesse daran gezeigt, sich über eine Weiterqualifizierung ein zweites Standbein aufzubauen und auf diese Weise ihre Möglichkeiten im
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Bereich der Publikumsgenerierung, des sogenannten Audience Develop‐ ment, zu erweitern. Stimmbildung Percussion Verbindung von… Individuelle… Moderation und… Ausführung und… Konzeption und…
trifft zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft nicht zu k.A.
Musikalische Arbeit… Didaktische… 0% 20% 40% 60% 80% 100%
Abb. 2: Weiterbildungsinhalte: Wünsche der Teilnehmer*innen Dies hat bei einigen auch mit der Schwierigkeit zu tun, eine Festanstellung zu bekommen: „Besonders die geringen Berufschancen machen es unab‐ dingbar, bereits während des Studiums nach Alternativen zur Orchester‐ laufbahn mit Festanstellung zu suchen. Eine Solistenlaufbahn einzuschla‐ gen, ist häufig noch unrealistischer als eine Bewerbung um einen Platz im Orchester.“ (Ebd.: 43) Da es innerhalb der Kulturbetriebe kaum Möglich‐ keiten zu finanziellen Anreizen oder beruflichem Aufstieg gibt, war hier keine besondere Motivation seitens der fest angestellten Musiker*innen zu beobachten, sich für das Feld der Musikvermittlung weiterzuqualifizieren. Darüber hinaus wurden die Möglichkeiten zum eigenständigen und krea‐ tiven Handeln sowie zur individuellen Persönlichkeitsentwicklung als Motivation für die Teilnahme an der Weiterbildung genannt.
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Leitbild, Ziele, Inhalte und Strukturen der Weiterbildung
Das Leitbild der Weiterbildung ist das einer sich ständig nach oben fortspinnenden Qualitätsspirale, in der sich verschiedene Fachgebiete der Musikvermittlung mit musikpraktischen Tools und Möglichkeiten zur praktischen Erprobung abwechseln. Begleitet wird der Qualitätsentwick‐ lungsprozess von einem kritischen, reflexiven Diskurs über die eigene Tä‐ tigkeit, aber auch über allgemeine Themen zur Kulturellen Bildung und Musikvermittlung sowie der kontinuierlichen Möglichkeit zu Beratung und Austausch. Auf diese Weise sollte jede*r Teilnehmer*in die Chance erhalten, das eigene Handlungsrepertoire in der Kulturellen Bildung zu erweitern, musikalische Inhalte partizipativ und praktisch vermitteln zu kön‐ nen, Kooperationen zwischen Kultur‐ und Bildungsinstitutionen an‐ zuberaumen, eigene Schwerpunkte zu entdecken, um neue Ideen und Vorstel‐ lungen für die eigene spätere Arbeit gewinnen können, für sich einen individuellen, reflektierten Qualitätsbegriff zu fin‐ den. Als zentrale Ausgangspunkte dienen die individuelle musikalische Künst‐ lerpersönlichkeit, die ursprüngliche Tätigkeit sowie das eigene berufliche Umfeld.
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Durchführungsdetails
Die unregelmäßigen Arbeitszeiten inklusive der Kopplung der Spielzeit‐ pause an die Sommerferien der jeweiligen Bundesländer stellten das Pro‐ jektteam vor einige strukturelle Planungsherausforderungen. Erprobt und
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in zwei Durchgängen evaluiert wurde ein Rhythmus aus monatlichen, ein‐ und zweitägigen Workshops, die ergänzt wurden durch mehrtätige Inten‐ sivphasen (Winter‐ und Sommerakademie) sowie mediengestützte Selbst‐ lernphasen bzw. selbstständig zu erledigende Aufgaben und ver‐ pflichtende Hospitationen. Künstlerisch‐praktische und theoriebasierte Lehrveranstaltungen waren eng miteinander verzahnt und fanden an je‐ dem Präsenztag im Wechsel von Seminareinheiten, Plenumsveranstaltun‐ gen und Kleingruppenangeboten statt. Ein individuelles Beratungsange‐ bot – telefonisch, per Mail oder persönlich durch das Projektteam – stand allen Teilnehmenden zur individuellen Feedbackkonferenz als kontinuier‐ licher Bestandteil des gesamten Weiterbildungsangebots zur Verfügung. Höhepunkt und Abschluss der Weiterbildung bildete ein eigenes Musik‐ vermittlungsprojekt der Teilnehmenden, welches in Kleingruppen durch‐ geführt und durch das Projektteam beratend begleitet wurde (Worked Based Learning).
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Partizipative, flexible Gestaltung der Weiterbildung
Es war ein wesentliches Anliegen des Projektteams, die Teilnehmenden, welche während der beiden ersten vom BMBF geförderten Durchgänge als Proband*innen agieren durften, in Form eines kontinuierlichen iterativen Prozesses in die Gestaltung und Weiterentwicklung der Weiterbildung einzubeziehen. Nur so schienen, eine passgenaue inhaltliche und struktu‐ relle Anpassung an die Bedürfnisse und Wünsche der Teilnehmenden möglich und kurzfristig gewünschte und benötigte Inhalte integrierbar zu sein. Anfangs kollidierte dieses Vorgehen mitunter mit den Gewohnheiten vieler Musiker*innen, Inhalte und Ablauf der gesamten Weiterbildung be‐ reits vor Beginn im Detail zu kennen, um langfristig planen und ein Rest‐ risiko minimieren zu können. Dennoch gelang es, die Teilnehmenden von der Wichtigkeit dieser Strukturen zu überzeugen, sodass sie sich im wei‐ teren Verlauf ausschließlich von den Vorteilen überzeugen konnten. Um renommierte Gastdozent*innen mit zentralen Inhalten rechtzeitig einla‐ den zu können, war eine grobe Vorausplanung des inhaltlichen und zeit‐ lichen Ablaufs nötig, der aber genügend Freiraum zur weiteren
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Ausgestaltung ließ. Innerhalb des fünfköpfigen Projektteams, welches in einem gemeinsamen Raum in der Hochschule für Künste (HfK) Bremen angesiedelt ist, erfolgte ein kontinuierlicher Austausch zwischen Künstle‐ rischen und Wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sowie der Projektlei‐ tung. Die Resultate konnten somit sehr unmittelbar und direkt in die wei‐ tere Planung der Weiterbildung einfließen. Wiederholt wurde an das Projektteam der Wunsch nach einzeln zu be‐ suchenden Workshops gerichtet, die leichter in den Berufsalltag zu in‐ tegrieren wären. Hier besteht sichtlich Bedarf an Kurzzeitformaten, dem zukünftig neben dem bereits erprobten Format der Weiterbildung ergän‐ zend nachgegangen werden soll. Der Projektleitung war es während der Erprobung jedoch ein Anliegen, die Musiker*innen in einer festen Kohorte an der Weiterbildung teilnehmen zu lassen, obwohl es Anfragen gab, nur einzelne Workshops besuchen zu dürfen. Im Sinne des fortlaufenden Qua‐ litätsentwicklungsprozesses wurde in der Erprobungsphase an der Ko‐ horte festgehalten. Nur so schien ein geschützter Raum in Form einer fes‐ ten Gruppe gegeben zu sein, um den oftmals allzu kritischen Blick, wel‐ cher unter professionellen Musiker*innen erfahrungsgemäß selbst inner‐ halb einer vertrauten Gruppe für Zurückhaltung in den praktischen Work‐ shops sorgt, behutsam aufbrechen zu können.
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Fazit mit Ausblick
Da es für die Zielgruppe keine Vorbilder und vergleichbaren Konzeptio‐ nen oder Weiterbildungen gibt, sind die Herausforderungen strukturell und inhaltlich divers. Das Teilnehmerfeld ist an berufsbegleitender Wei‐ terbildung sehr interessiert, aber das berufliche Umfeld steht diesem Inte‐ resse strukturell derzeit vielerorts noch entgegen. Die HfK Bremen hat sich für diesen Bereich eine besondere künstlerisch‐wissenschaftliche Expertise aufgebaut, mit der sie dieser Diskrepanz langfristig nachkommen möchte. Eine abschließende Aufbereitung der von der wissenschaftlichen Beglei‐ tung erhobenen Daten ist dafür unerlässlich. Beobachtungen und Evalua‐ tionen wurden bereits während der Weiterbildung mit Vorannahmen aus
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einer breit angelegten Bedarfsanalyse abgeglichen. Die daraus entstandenen konzeptionellen Konsequenzen wurden herausgearbeitet und hinterfragt. Am Ende bleibt die Frage, was die insgesamt 50 Teilnehmenden kon‐ kret gelernt haben. Auswertungen aus schriftlichen Erhebungen und aus einzeln sowie in Kleingruppen geführten Interviews ergeben ein breites Spektrum. Zentrale Aussagen sollen die Ausführungen beenden: Die Teil‐ nehmenden sagen selbst, sie hätten neue Herangehensweisen und Metho‐ den für vielfältige musikvermittelnde Aktivitäten kennengelernt, die ihnen ein breites Spektrum an Möglichkeiten eröffnen. Dadurch haben sie neue Perspektiven in ihrer Arbeit entdeckt und können ihre Musik dem Publikum nahebringen. Mit diesem gehen sie gern in den Austausch und sind imstande, flexibel auf dessen Impulse zu reagieren. Durch die Fähig‐ keit, die eigene Arbeit in der Musikvermittlung reflektieren zu können, hat sich die Qualität der Projekte verbessert. Die Teilnehmenden können ihre Vorstellungen für eigene Musikvermittlungsprojekte für unterschiedliche Zielgruppen entwickeln und diese selbstständig umsetzen. Anderen Künsten gegenüber sind sie aufgeschlossen. Insgesamt sind sie sich ihrer Grenzen bewusst und wissen, wann sie wofür Unterstützung benötigen und wo sie diese ggf. bekommen. Einige geben an, ihre Projekte gut vor Dritten vertreten zu können. Das Forschungsvorhaben wurde seinem Namen auf verschiedenen Ebenen gerecht: Weder gab es für das Format der Weiterbildung Vorbilder oder vergleichbare Konzeptionen noch war akademische Weiterbildung für das Teilnehmerfeld etabliert. Aufgrund der extremen Effizienz‐ und Outputorientierung der Zielgruppe musste ein Format entwickelt werden, welches schnelle Erfolge in Kombination mit einem kontinuierlichen Qua‐ litätsentwicklungsprozess zuließ. Rezepthaftigkeit war von Einzelnen be‐ sonders in der Anfangsphase durchaus gewünscht, wurde seitens der Leh‐ renden aber nicht immer für sinnvoll befunden. Am Ende bewährte sich der bei Teilnehmenden wie Lehrenden vom ersten bis zum letzten Mo‐ ment spürbare Mut, binnen kurzer Zeit ganz neue Studienstrukturen zu schaffen, für die Hochschulen in anderen Fällen mitunter viele Jahre benö‐ tigen.
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Ein großes Ziel wäre erreicht, wenn der Zugang zu wissenschaftlicher Weiterbildung für interessierte und engagierte Musiker*innen für das weite Feld der Musikvermittlung im Sinne des lebenslangen Lernens er‐ leichtert werden könnte. Dies setzt folgende Änderungen voraus: 1) Musikvermittlung und Angebote zur Kulturellen Bildung müssten als zentrale Aufgabenfelder selbstverständlicher Teil der Arbeit von Berufsmusiker*innen werden. 2) Lebenslanges Lernen müsste im Rahmen wissenschaftlicher Weiter‐ bildung als gesellschaftlicher Prozess Eingang in die Arbeitsfelder der freien und fest angestellten Musiker*innen finden. 3) Berufsbegleitende Weiterbildung müsste formal in die Strukturen und Arbeitsverträge für Mitarbeiter*innen von Kulturinstitutionen sowie von Orchestern und Theatern integriert werden. 4) Zielgruppenspezifische Weiterbildungsangebote müssten entwi‐ ckelt, strukturell angepasst und zugängig gemacht werden. 5) Die Kulturinstitutionen müssten in ihrer Rolle als Arbeitgeber finan‐ zielle Hilfen und Unterstützung für die Integration von lebenslan‐ gem Lernen in ihren Betrieb erhalten. 6) Über den Mehrwert von Weiterbildung müsste ein Diskurs angesto‐ ßen werden, der es den Kulturinstitutionen ermöglicht, diesen ge‐ genüber der Politik und der Bevölkerung zu rechtfertigen. 7) Finanzielle Anreize und vertraglich vereinbarte Finanzierungszusa‐ gen müssten zur Steigerung der Motivation und zum Engagement für die Übernahme musikvermittelnder Tätigkeiten geschaffen werden. Bei fest angestellten Musiker*innen gibt es strukturell wenig Möglichkei‐ ten eines beruflichen Aufstiegs innerhalb eines Betriebs und nahezu keine finanziellen Anreize. Dennoch haben sich in einigen Ensembles Musi‐ ker*innen feste Positionen erarbeitet und im Rahmen einer Dienstentlas‐ tung die Leitung des Bereichs der Musikvermittlung übernommen. Belast‐ bare Zahlen existieren nicht, aber bereits wenige bekannte Fälle könnten Vorbilder für andere Berufsorchester, ‐chöre und die Mitglieder freischaf‐ fender Ensembles sein …
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Literatur Bernstein, Leonard (1963): Freude an der Musik. München: DTV. Bernstein, Leonard (1999): Konzerte für junge Leute. Die Welt der Musik in 15 Kapiteln. Mün‐ chen: C. Bertelsmann Jugendbuch. Eickelberg, Rose (2012): Chancen und Grenzen der Mitwirkung von Orchestermusikern bei konzertpädagogischen Aktivitäten des eigenen Orchesters. (Unveröffentlichte Diplom‐ arbeit, einsehbar an der Hochschule für Künste Bremen). Langendörfer, Franziska (2007): Stress im Orchester: Aufführungsangst, Arbeitsbedingungen und Persönlichkeitseigenschaften professioneller Orchestermusiker. Dissertation an der Johann Wolfgang von Goethe Universität Frankfurt a. M. [www.deutsche‐digi tale‐bibliothek.de/binary/CKC2EAWDBTH7GH7N6HDBRV5I7IOATRGP/full/1.pdf, letzter Zugriff: 02.06.2017]. Mertens, Gerald (2005): Zwischen Bildungsauftrag und Feigenblatt. In: Das Orchester, 1, S. 11‐17. Mertens, Gerald (2012): Konzerthäuser und Orchester als Orte kultureller Bildung. In: Bock‐ horst, Hildegard/Reinwand, Vanessa‐Isabelle/Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch Kulturelle Bildung. München: kopaed, S. 553‐557. Möller, Helmut/Popova, Deniza (2011): Der Hürdenlauf zum Orchestermusiker Sozialisa‐ tion, Ausbildung und Berufseinstieg. In: Musikphysiologie und Musikermedizin, 18 (2), S. 41ff. Wimmer, Constanze (2010): Exchange. Die Kunst Musik zu vermitteln. Salzburg: Stiftung Mozarteum [www.kunstdervermittlung.at, letzter Zugriff: 27.05.2017].
„Kunst_Rhein_Main“ Weiterbildung an der Schnittstelle von Kunst und Bildung unter besonderer Berücksichtigung zeitgenössischer Theater‐, Tanz‐ und Performancekunst Kristin Westphal und Teresa Bogerts
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Warum und wozu eine pädagogische Weiterbildung für Kunstschaffende
In einer Vielzahl an Projekten entwickeln Kunst‐ und Kulturschaffende im institutionellen Bildungsbereich bisher innovative Konzepte mit einem of‐ fenen interkulturellen Verständnis, ohne in der Regel besondere pädago‐ gische Vorkenntnisse zu haben. Auf der einen Seite ermöglichen die Kunstschaffenden Kindern und Jugendlichen, Räume für ästhetische und soziale Erfahrungen, Austausch und Experiment zu erobern und ermäch‐ tigen sie, sich als selbstbewusste Akteure in künstlerische und kulturelle Bereiche, wie dem Theater, Tanz oder der Performancekunst etc., vorzu‐ wagen. Zugleich sind sie bei der Planung und Umsetzung von Projekten häufig auf sich allein gestellt. Fragen und Probleme, die sich in der Ver‐ mittlung einer künstlerischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen von pädagogischer Seite einstellen, werden eher intuitiv gelöst; Fragen zur Kommunikation und Kooperation, die im Umgang mit der jeweiligen In‐ stitution entstehen, bleiben meist dem Zufall überlassen. Zu beobachten ist, dass in der Regel die Kunstschaffenden eine enorme Flexibilität mit‐ bringen müssen, um in den verschiedenen Kontexten und innerhalb von institutionellen, politischen, programmatischen Strukturvorgaben – wie beispielsweise mit den verschiedenen Zielgruppen und Altersgruppen, den räumlichen, zeitlichen, materiellen Vorgaben – nicht nur den eigenen © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_4
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künstlerischen, sondern auch den von außen kommenden Anforderungen gerecht zu werden. Auch gab es bislang keinen institutionell verankerten Raum für eine Reflexion der eigenen künstlerischen Konzeption und der Verortung der Rolle und Position als Kunstschaffende in den jeweiligen Bildungskontexten und der Kulturellen Bildung. Vor diesem Hintergrund ist das pädagogische und wissenschaftlich fundierte Weiterbildungsprogramm „Kunst_Rhein_Main“ konzipiert worden, welches freiberuflich tätige Kunstschaffende aus dem Feld der Darstellenden Künste für eine künstlerische Arbeit in Bildungskontexten qualifizieren und stärken soll. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundvorhaben wurde im Zeitraum von 2014 bis 2017 von der Tanzplattform Rhein‐Main (Künstlerhaus Mousonturm) und FLUX. Theater+Schulen als interne Kooperations‐ partner erprobt und von der Universität Koblenz‐Landau wissenschaftlich begleitet. Der erprobte Weiterbildungsansatz von „Kunst_Rhein_Main“ hebt zum einen auf das Zeitgenössische und Spartenübergreifende im Feld der Darstellenden Künste ab und nimmt zum anderen zeitgenössische künstlerische Vermittlungskonzepte und Verfahrensweisen aus Tanz, Theater und Performance zum Ausgangspunkt für eine pädagogische Qualifizierung. Die Annahme, dass in der Begegnung mit den Künsten po‐ tenziell bildende Erfahrungen ermöglicht werden können, spricht dabei ebenso dafür, die pädagogische Qualifizierung von den künstlerischen Verfahrensweisen her zu konzipieren, wie auch die Aufforderung des Rats für Kulturelle Bildung (2015: 40), den spezifisch künstlerischen Gegenstän‐ den, den Inhalten und ihren Qualitäten nachzugehen. Der vorliegende Beitrag begründet den Ansatz der pädagogischen Weiterbildung und reflektiert die Rolle der wissenschaftlichen Begleitfor‐ schung für die Entwicklung eines Weiterbildungskonzepts.
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Zur Bedeutung des Zeitgenössischen in Theater, Tanz und Performance
„Künstler können Kunst. Das bedeutet keineswegs, dass sie Kunst auch lehren können“, ist eine Behauptung des Rats für Kulturelle Bildung (2013: 39; vgl. Liebau/Zirfas 2009). Doch geht es wirklich darum, Kunst zu lehren, wenn Kunstschaffende künstlerisch mit Kindern und Jugendlichen in Bil‐ dungskontexten tätig werden? Die Diskurse innerhalb der ästhetischen Bildung wie auch der Theater‐ und Tanzpädagogik reflektieren seit eini‐ gen Jahren verstärkt neue Formen einer künstlerischen Praxis, die andere Kommunikationsweisen und neue Formen der Teilhabe und Wis‐ sens(v)ermittlung in der künstlerischen Arbeit mit Kindern und Jugendli‐ chen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung eröffnen. Sie lösen sich von dem Paradigma der Belehrung, um sich vielmehr dem Lernen durch ästhetische und soziale Erfahrungen von Theater, Tanz, Performance mit Kindern und Jugendlichen zuzuwenden. Das umfasst sowohl die Kunst‐ schaffenden als auch die Kinder, wenn ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Persönlichkeiten in die gemeinsame künstlerische Arbeit einfließen (vgl. Deck/Primavesi 2014; Westphal/Zirfas 2014). Wir gehen davon aus, dass die Auseinandersetzung mit zeitgenössi‐ schen und neueren ästhetischen Verfahrensweisen in der künstlerischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ein enormes Bildungs‐ und Lernpo‐ tenzial in sich birgt (vgl. Westphal 2015: 354). Vor diesem Hintergrund macht der Weiterbildungsansatz von „Kunst Rhein‐Main“ besonders zeit‐ genössische künstlerische Verfahrensweisen aus Tanz, Theater und Per‐ formance zum Ausgangspunkt für eine Qualifizierung an der Schnittstelle von Kunst und Bildung. Unter dem Zeitgenössischen von Theater, Tanz und Performance in der künstlerisch‐pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verstehen wir eine künstlerische Praxis, die Fremdheits‐ und Differenzerfahrungen durch Irritation, Unter‐ brechung und Experiment ermöglicht;
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einen Anspruch auf Selbstreflexion erhebt und es ermöglicht, Kriterien und Maßstäbe bezüglich dessen, was Tanz, Theater und Performance sein kann, gemeinsam auszuhandeln; sich zum klassischen Kunsttheater dramatischer Prägung im Sinne einer Illusion und Einfühlung, zum Genie‐ und Originali‐ tätsanspruch sowie zum Anspruch einer ästhetischen Vollkom‐ menheit abgrenzt; sich einem Spielgeschehen in seiner Gegenwärtigkeit zuwendet; sich durch Mehrdeutigkeit, Mehrperspektivität und Polyvalenz sowie durch eine über das kognitive Verstehen hinaus entfaltete Sinnlichkeit qualifiziert; klassische Seh‐, Hör‐, Fühl‐, Geschmacks‐ und Denkgewohnhei‐ ten befragt, das Verhältnis von Zuschauer*in und Akteur sowie von Produktion und Rezeption neu auslotet und die gewohnten Stätten ihres Wirkens und Aufführens verlassen kann; Theater, Tanz und Performance nicht nur für Kinder und Jugend‐ liche praktiziert, sondern auch mit ihnen als Ko‐Produzent*innen; Kindern und Jugendlichen Wege bahnt, sich ausgehend von ih‐ ren eigenen Spiel‐ und Artikulationsweisen und ihrer Lebenswelt mit den Künsten auseinanderzusetzen; andere Spielweisen eröffnet, neue Teilhabemodelle erprobt und Kunst als gemeinsamen Erkundungs‐ und Rechercheprozess al‐ ler Beteiligten mit offenem Ausgang versteht.1
Diskurse zu Kunst und Bildung beschreiben seit jeher das Verhältnis als ein Spannungsgefüge in den unterschiedlichsten Ausprägungen. In jüngs‐ ter Zeit hat sich dieses Gefüge unter den Vorzeichen eines Paradigmen‐ wechsels in beiden Bereichen verschoben und ausdifferenziert, ohne jedoch aufgehoben worden zu sein. Theater‐ und Tanzräume als Erfahrungs‐ und Bildungsräume zu verstehen, bringt im Gegenteil das spannungsreiche Verhältnis von Körper und Raum/Institution, von Kunst und Bildung und 1 Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder allgemeingültige Fixierung und ist orientiert an aktuellen Diskursen innerhalb der ästhetischen und Kul‐ turellen Bildung sowie der Theaterwissenschaft.
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ihrer Vermittlung in pädagogischen und kulturellen Kontexten selbst zur Sprache. Ein solches Verständnis macht die Aspekte dieses Spannungsge‐ füges – das besonders in temporären Kunstprojekten zutage tritt, in denen Kunstschaffende als Gäste fungieren – vielmehr sichtbar und produktiv zugleich, statt sie zu nivellieren (vgl. Westphal 2018).
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Zielsetzung und didaktischer Ansatz der Weiterbildung
Zentrales Anliegen des Weiterbildungsprogramms „Kunst Rhein‐Main“ ist von daher, der Qualität der beschriebenen zeitgenössischen Verfahrens‐ weisen und ihren bildenden bzw. pädagogischen Dimensionen nachzuge‐ hen.2 Die Weiterbildung fokussiert eine Auseinandersetzung mit zeitge‐ nössischen Verfahrensweisen, ihren Bildungspotenzialen und pädagogi‐ schen Implikationen sowie ihrer Übertragbarkeit auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in den Bildungszusammenhängen der teilneh‐ menden Kunstschaffenden. Zudem stehen Fragen nach der Qualität künst‐ lerischer Arbeit im Mittelpunkt, was unter den Künsten vor dem Hinter‐ grund der Kulturellen Bildung zu verstehen ist und welche ästhetischen Erfahrungen initiiert werden können. Dabei geht es nicht darum, aus Kunstschaffenden Lehrpersonen zu machen, sondern sie vielmehr darin zu bestärken, von der Kunst ausgehend Verfahrensweisen zu entwickeln, um durch ihre künstlerische Arbeit eine Brücke in Bildungskontexte zu be‐ reiten. Die Weiterbildung gibt den Kunstschaffenden Impulse, spezifisch künstlerische Herangehensweisen in Bildungskontexten zu entwickeln. Kunstschaffende zu stärken, heißt dann: zum einen auf eine Professionali‐ sierung in künstlerisch‐pädagogischer Weise und zum anderen in struk‐ tureller Hinsicht auf Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen einer gelingenden künstlerischen Praxis in Bildungskontexten hinzuwirken. Die Konzeption einer pädagogischen Weiterbildung, die an zeitgenös‐ sischen Verfahrensweisen in Theater, Tanz und Performance ansetzt, hat 2 Wie sich dieses Anliegen im Speziellen realisiert, wurde in folgendem Artikel am Beispiel einer konkreten Weiterbildungsveranstaltung analysiert, vgl. Westphal/Bogerts 2017a.
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auch Auswirkungen auf die Formulierung einer Didaktik von Kunst und Bildung. Birgit Engel und Katja Böhme (2015) sprechen von einer Didaktik, die einer Logik des Unbestimmten folgt, Mira Sack (2011) spricht von einer Didaktik der Ungewissheit, Johannes Bilstein, Bettina Dornberg und Winfried Kneip (2007) von einem Curriculum des Unwägbaren. Wir lehnen uns an diese Didaktikverständnisse an, insofern mit Blick auf die künstle‐ rischen Verfahrensweisen von einem Experimentieren der Schüler*innen, von einem ergebnisoffenen szenischen Forschen, von einer Prozessorien‐ tierung gegenüber einer eher ergebnisorientierten Vorgehensweise, von einer künstlerischen Arbeitsweise, die auf Zumuten und Unterstützen zu‐ gleich setzt etc., ausgegangen wird. All die genannten didaktischen An‐ sätze wissen den Rätselcharakter und die Fremdheitspotenziale im Künst‐ lerischen sowie die Eigenlogik künstlerischen Arbeitens zu bewahren und setzen sich von der Logik einer insbesondere schulischen Praxis ab, die auf einen linear angelegten und zu messenden Lernprozess abzielt und die „gewöhnlich auf Bekanntmachung des Unbekannten, auf Aufklärung des Unklaren, auf Stimmigmachen des Unstimmigen, auf Vertrautmachen des Fremden“ (Rumpf 1996: 472), auf Erklärung, auf Perfektionierung des Unvollkommenen, auf Einordnung des Singulären unter etwas Allgemei‐ nes, auf die Beurteilung des zunächst nicht geheuer Erscheinenden aus ist (vgl. Westphal/Bogerts 2017a).
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Kulturelle Bildung als Antwortgeschehen
Wir folgen einem Verständnis des Rats für Kulturelle Bildung (2015: 81), das Kulturelle Bildung insbesondere als die Allgemeinbildung durch spe‐ zifische ästhetische Erfahrungen definiert. Verfolgt wird hiermit eine en‐ gere Anbindung an die Künste, die je ein besonderes Erfahrungsfeld be‐ deuten. In unserem Fall geht es darum, eine tänzerische, theatrale oder performative Praxis an der Schnittstelle zwischen Kunst und Bildung quer zur Fixierung von Identitäten oder Gewissheiten – sowohl mit Blick auf Bildung als auch Kunst – zu denken, sie nicht nur als eine künstlerische Praxis allein, sondern auch in ihren Wechselwirkungen mit kulturellen,
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pädagogischen, politischen oder institutionellen Kontexten zu verstehen (vgl. Westphal 2017; Westphal/Bogerts 2017a). Untersuchungen kultureller Praxen innerhalb der pädagogischen Phä‐ nomenologie und Anthropologie weisen aus, dass Kulturelle und im en‐ geren Sinne ästhetische Bildung nicht in erster Linie als eine Aktivität, son‐ dern auch als ein Widerfahrnis bzw. als ein Antwortgeschehen zu betrach‐ ten ist (vgl. Westphal/Zirfas 2014). Die phänomenologische Perspektive, Bildung als responsives Antwort‐ geschehen vor dem Hintergrund einer leiblichen Verwicklung in Lebens‐ welten zu begreifen, rüttelt an der Vorstellung eines Bildungsverständnis‐ ses, das Bildung als bloßen Aneignungsprozess begreift, der dem Subjekt mehr oder weniger äußerlich, weil rational, bleibt. Das Subjekt gerät viel‐ mehr in der phänomenologischen Betrachtungsweise in eine gedoppelte Position: Das Subjekt ist ein aktives Selbst, sofern es Antworten hervor‐ bringt, in dem es sich leiblich‐konkret auf das andere einlässt. Zugleich ist es jedoch auch Teil eines Kontexts, dem es sich erfahrend überlässt und über den es nicht vollständig verfügt und im Unterschied zu traditionellen Bildungstheorien darauf abhebt, dass das Subjekt gerade nicht auf sich selbst zurückkommt (vgl. ebd.). Kein Mensch handelt, denkt oder fühlt al‐ lein aus sich selbst heraus. Handlungen, Erfahrungen und Sprache sind im „Zwischenreich der Interaktionen bzw. in den Zwischenwelten der Me‐ dien“ (Lippitz 2001: 147) und Künste angesiedelt. Sinn artikuliert sich als Differenzgeschehen (vgl. ebd.). Alterität und Fremdheit als Struktur von Bildung erlaubt es – so Wilfried Lippitz –, neu und anders über Pädagogik zu denken und den pädagogischen Umgang mit den Heranwachsenden als ein offenes Geschehen zu gestalten und zu erfahren. Dieser Zugang in der Pädagogik korrespondiert mit der Vorstellung eines schöpferischen Tuns in den Künsten und eines Subjektverständnisses, wie wir es derzeit an vielen Performancemodellen mit Kindern beobachten können (vgl. Bilstein 2013; Westphal 2012; Deck/Primavesi 2014). Hervorzuheben ist außerdem, dass im Laufe des 20. Jahrhunderts die Kindheitsforschung dazu beigetragen hat, eine andere Perspektive auf das Kind und auf das Generationsverhältnis einzunehmen (vgl. Muchow/ Muchow 2012; Westphal/Jörissen 2013; Scholz 1994). In den Blick kommen
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zunehmend das Kind und seine konkreten sprachlichen, sinnlich‐leiblichen und symbolischen Ausdrucks‐, Spiel‐ und Artikulationsweisen (vgl. Lippitz 1999; Meyer‐Drawe/Waldenfels 1988; Meyer‐Drawe 2006; Schäfer 1997). Spielräume des Erkennens finden im Ausgesetzt‐Sein mit den Prozessen der Sozialisation, der Natur und Kultur statt (vgl. Merleau‐Ponty 1994: 180). Leitend ist u. a. die Erkenntnis, dass „die Erziehung von Beginn an nur im Horizont eines zukünftigen unberechenbaren Überschrittenwerdens geschehen kann. Selbst wenn sie auf eine Bildung des Selbst abzielt, die geradezu mit seiner Selbstbildung sollte zusammenfallen können, wird sie niemals an die unbestimmte, nicht vorwegzunehmende und sich schon in ihr vor‐ bereitende Zukunft des Selbst heranreichen […].“ (Liebsch 2007: 60f.)
Diese Unbestimmbarkeit erlaubt das Generationsverhältnis nur als Mög‐ lichkeitsraum zu thematisieren. Für die Reflexion einer pädagogischen Praxis sind wir mit Maurice Merleau‐Ponty herausgefordert, das Kind als anderen von daher zu verstehen, wie man ihm einerseits begegnet und an‐ dererseits nachzuvollziehen, wie dem Kind die wahrgenommene Welt be‐ gegnet, so wie sie sich ihm darstellt (vgl. ebd.). Im Folgenden werden in Orientierung an diese Theoreme Qualitätskri‐ terien ausgeführt, wie sie für unsere wissenschaftliche Begleitung leitend gewesen sind.
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Qualitätskriterien
Im Unterschied zu Konzepten, die sich ausschließlich am Qualitätskrite‐ rium Kompetenz orientieren, geht es im Weiterbildungsansatz „Kunst Rhein‐Main“ bei der Bestimmung und Beforschung gelingender Bildungs‐ prozesse um den Referenzrahmen der ästhetischen Bildung unter beson‐ derer Berücksichtigung zeitgenössischer Tanz‐, Theater‐ und Perfor‐ mancekunst. Vor dem Hintergrund ergibt sich ein offener Katalog an Qualitätskriterien, der dem künstlerisch‐pädagogischen Weiterbildungs‐ modell sowie der Beforschung der Praxis der Teilnehmenden zugrunde liegt:
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Aisthesis: Sinnlich‐körperliche Wahrnehmung Da Kulturelle und ästhetische Bildung mit der sinnlichen Wahrnehmung eng verknüpft ist, wird die Einbindung sinnlich‐leiblicher Erfahrungen als ein wichtiges Qualitätskriterium betrachtet (vgl. Bilstein 2013: 61). Gerade durch Theater, Tanz und Performance kann ein Bewusstsein dafür ge‐ schaffen werden, welche fundamentale Bedeutung der Leib bzw. Körper nicht nur als Voraussetzung für einen Zugang zur Welt und dem Selbst hat, sondern auch beim Hervorbringen von Tanz, Theater und Perfor‐ mancekunst im Sinne einer Verkörperung in Zeit und Raum beteiligt ist. Werden ausgehend von den Künsten der Leibbezug und seine „sinnlichen und praktischen Erfahrungs‐ und Handlungsmöglichkeiten“ mitgemeint (Rat für Kulturelle Bildung 2014: 24), verliert sich oftmals der Einbezug sinnlich‐körperlicher Wahrnehmung insbesondere in schulischen Kontex‐ ten. Anerkennung und Begeisterung Diese beiden Qualitätskriterien lassen sich sowohl vonseiten der Kunst‐ schaffenden als auch vonseiten der Zielgruppe umreißen. Mit Blick auf die Kunstschaffenden geht es darum, der Zielgruppe eine anerkennende Grundhaltung gegenüber den Künsten zu vermitteln, indem sie die Ziel‐ gruppe befähigt, kunstbezogene Kenntnisse zu erlangen, eigene Stand‐ punkte zu beziehen sowie Probeprozesse und Aufführungen zu reflektie‐ ren. Die Entstehung einer solch anerkennenden Haltung gegenüber den Künsten ist auch in enger Verbindung mit Begeisterung sowie Inspiration, Motivation und Wertschätzung zu sehen (vgl. Bilstein 2013: 63). Insbeson‐ dere Begeisterung kann bei der Zielgruppe dadurch ausgelöst werden, dass im Umgang mit den Künsten außeralltägliche Phänomene erlebt wer‐ den, die in der Auseinandersetzung existenziell und emotional berührend sind (vgl. Rat für Kulturelle Bildung 2014: 24). Erfahrung von selbsttätig künstlerischem Schaffen Die Erfahrung von selbsttätig künstlerischem Schaffen eröffnet der Ziel‐ gruppe eine Vielfalt von ästhetischen Erfahrungen und die Auseinan‐
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dersetzung mit dem Selbst und der Welt. Daher gilt es, für eine qualitativ hochwertige kulturelle Projektpraxis eine dafür benötigte Offenheit und entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Sensibilität für künstlerische Prozesse Gegenüber dem seit dem 17. Jahrhundert – kunsthistorisch betrachtet – vermittelten Verständnis, das Werk in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens zu stellen, heben zeitgenössische künstlerische Verfahrenswei‐ sen die Bedeutsamkeit des Prozesses und somit das Werden des Produkts hervor. Ein Aufmerksam‐Werden und eine Sensibilisierung für Prozesse oder Entwicklungswege künstlerischen Schaffens können daher als zent‐ rale Qualitätsfaktoren für Kulturelle Bildung angesehen werden (vgl. Bilstein 2013: 62). Freiheit für Wahl‐ und Entscheidungsmöglichkeiten Mit Blick auf den künstlerischen Schaffensprozess, in den sich die Ziel‐ gruppe begibt, ist die Freiheit für Wahl‐ und Entscheidungsmöglichkeiten existenziell. Künstlerische Prozesse sind ohne aktives Treffen einer Aus‐ wahl oder von Entscheidungen nicht vorstellbar, nur derart kann über Verstehen und Schaffen zu „gegenstandsbezogener Kritikfähigkeit, Ent‐ scheidung und Ausschluss“ (Rat für Kulturelle Bildung 2014: 24) gelangt werden. Zudem spielt die Freiheit für Wahl‐ und Entscheidungsmöglich‐ keiten, die der Zielgruppe gegeben wird, in der Ausgestaltung kultureller Bildungsangebote seitens der Kunstschaffenden eine große Rolle. Für eine gelingende kulturelle Praxis ist es daher wichtig, Partizipation, Verant‐ wortung und Mitbestimmung der Zielgruppe am und im Projektverlauf zu ermöglichen. Künste sind dialektische Orte der Distanzierungen und Bezugnahmen, in denen wir auch ein kritisches Verhältnis zur partizipati‐ ven Wirklichkeit lernen können. Insofern kann das Feld der Kulturellen Bildung kritisch‐experimentelle, recherchierende Formen der Aushand‐ lung und Umsetzung von Partizipation einüben und praktizieren (vgl. Zirfas 2018).
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Erfahrung von Kontingenz: Neues, Fremdes, Möglichkeiten In den Künsten können auf besondere Art Kontingenz und Emergenz er‐ fahren werden. Die „Erfahrungen des Zufalls und der unendlichen Zahl an Möglichkeiten“ (Rat für Kulturelle Bildung 2014: 24) auf der einen und die Erfahrung des Unkalkulierbaren, Unvorhersehbaren, Unbestimmten auf der anderen Seite ermöglichen die Eröffnung neuer Horizonte – der‐ gestalt Seh‐ und Hörgewohnheiten befragt werden und zu potenziell neuen Sichtweisen auf die Welt und das Selbst führen können. Dabei spie‐ len Erfahrungen von Frustration, Überraschung, Widerständigkeit, Schei‐ tern oder gar Überforderung als Störfaktor einer sozialen und ästhetischen Praxis eine wichtige und konstruktive Rolle für ein Nachdenken und Fan‐ tasieren über Kunst und Welt, über Eigenes und Fremdes, über Produk‐ tion und Rezeption (vgl. Westphal 2014a und b; Liebert/Westphal 2015). Erfahrung von Ganzheit und Aufmerksamkeit Die Erfahrung von Ganzheit zielt mit Blick auf die Künste auf die Tatsache, dass „das einzelne Kunstwerk mehr als die bloße Summe seiner Teile“ (Bilstein 2013: 63) ist und auf die Bedeutsamkeit jedes Details – wie in un‐ serem Fall einer Proben‐ und Aufführungspraxis in Theater, Tanz und Per‐ formance – geltend zu machen ist. Die Qualität des Verhältnisses von Pro‐ zess und Produkt erschließt sich somit nur in seiner Ganzheit. Aufmerksamkeit fokussiert hingegen insbesondere die vertiefende und konzentrierte Auseinandersetzung mit den Künsten im künstlerischen Schaffensprozess seitens der Zielgruppe. Dadurch wird Qualität im Be‐ reich der Kulturellen Bildung schließlich auch durch die Schaffung von „Sensibilität und Aufmerksamkeit für Ganzheiten und Atmosphären“ (ebd.) bestimmt.
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Qualifikationsziele der Weiterbildung
Grundlegend hebt das Programm für eine Weiterbildungsmodellierung darauf ab, Kunstschaffende in der Wahrnehmung ihrer spezifischen Rolle in Bildungskontexten zu stärken; den Stellenwert einer künstlerischen Arbeit innerhalb der Kom‐ plexität in (semi‐)formalen Bildungskontexten zu verstehen; eine Auseinandersetzung mit der eigenen künstlerisch‐pädagogi‐ schen Konzeption anzuregen; sich im Kontext der Kulturellen und ästhetischen Bildung veror‐ ten zu können; grundlegende Begrifflichkeiten und Ansätze einer theoriegeleite‐ ten Praxis unterscheiden und für die eigene Konzeption anwen‐ den zu können; ästhetische und soziale Wirkweisen von Tanz, Theater und Per‐ formance zu reflektieren; Bildungsdimensionen von zeitgenössischem Tanz, Theater und Performance zu kennen und auf die eigene Arbeit bezogen zu re‐ flektieren; zeitgenössische Verfahrensweisen in Tanz, Theater und Perfor‐ mance kennenzulernen, einzuordnen und für einen adressaten‐ bezogenen Einsatz in didaktisch‐methodischer Perspektive zu re‐ flektieren und anzuwenden; Kooperationsmodelle kennenzulernen und für die eigene Praxis zu reflektieren; Bedingungen für ein Gelingen einer künstlerischen Praxis in Bil‐ dungskontexten zu befragen und auf die eigene Praxis bezogen zu reflektieren.
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Inhaltliche Perspektiven der Weiterbildung
In der Ausgestaltung des Programms für eine Weiterbildung kommen drei Perspektiven zum Tragen: Kulturelle und ästhetische Bildung Fragen zum Kunst‐ und Bildungsverständnis, zur Wertschätzung und Anerkennung, zur Qualität von Bildungsangeboten Kultu‐ reller Bildung; Eigensinnigkeit und Qualität der Künste. Erziehungswissenschaftliche Expertise Vermittlung von Erkenntnissen zu Wahrnehmungs‐, Artikulati‐ ons‐ und Spielweisen von Kindern und Jugendlichen; Selbst‐ und Weltbildung; Leiblichkeit/Zeitlichkeit/Räumlichkeit; Lebenswel‐ ten von Kindern und Jugendlichen. Vermittlung von innovativen künstlerischen Verfahrensweisen unter didaktisch‐methodischen Gesichtspunkten Verhältnis von kollektiven Formen versus individuellen Formen; offenen und gebundenen Formen; Instruktion als künstlerisches und pädagogisches Format zwischen Anweisung und Anleitung und Formaten von Vorstellungsprozessen; Selbst‐ und Fremd‐ beobachtung; Techniken zur Wahrnehmung und Aufmerksam‐ keit; Spannungsverhältnis einer prozessorientierten gegenüber einer produktorientierten Vorgehensweise; zur Rolle des Kunst‐ schaffenden; Formen der Kooperation und Kollaboration; Diffe‐ renzierung künstlerischer Praktiken als Wissensproduktion.
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Formate: Inspiration, Reflexion, Transformation und Vernetzung
In die Programmatik und Hintergründe der Weiterbildung einführend be‐ ginnt das Weiterbildungsprogramm mit einem Vortrag (Kristin Westphal), der sich mit der Frage auseinandersetzt, inwieweit insbesondere die Per‐ formancekünste neue Formen der Bildung und des Lernens mit sich füh‐ ren. Daran schließt sich ein Workshop der Choreografin und Tanzvermitt‐ lerin Wiebke Dröge an, der mit einem performativen Format die eigene Positionierung als Gastkünstler*in im Spannungsgefüge von Kunst und Bildung(‐sinstitution) befragt und Reflexionen zum eigenen Bildungs‐ und Kunstverständnis einleitet. Im weiteren Programmverlauf werden Workshop‐Formate zu künstle‐ rischen Verfahrensweisen oder Vermittlungskonzepten wechselweise aus den Bereichen Tanz, Theater und Performance mit wissenschaftlichen Vor‐ trägen verknüpft und kombiniert. In den Workshops steht die Erprobung zeitgenössischer Verfahrens‐ weisen und Vermittlungskonzepte für eine künstlerische Arbeit mit Kin‐ dern und Jugendlichen und ihre Übertragbarkeit auf die jeweiligen Ar‐ beitszusammenhänge der Teilnehmenden im Vordergrund. Zum Tragen kommen in diesem Format Themen wie beispielsweise mit Kindern und Jugendlichen künstlerisch experimentiert, performativ gearbeitet, sze‐ nisch geforscht, zeitgenössisch getanzt und improvisiert werden kann. Die Referent*innen sind namhafte Kunstschaffende oder Kollektive aus den Bereichen Tanz, Theater und Performance. Die Performancekünstlerinnen Eva Meyer‐Keller und Hanna Sybille Müller stellen etwa eine Verfahrens‐ weise vor, in der sich Kinder experimentierend und künstlerisch forschend mit Katastrophen‐Phänomenen und ihrer Inszenierung in Performances auseinandersetzen. Graham Smith, der Leiter der Sparte Junges Thea‐ ter/Junger Tanz am Freiburger Theater, präsentiert in Anlehnung an sein Konzept „Learning by Moving“ Prinzipien einer tänzerisch‐improvisato‐ rischen Arbeit mit verschiedenen Altersgruppen. Ole Frahm und Torsten Michaelsen vom Performancekollektiv LIGNA führen in ihre kollektiv‐ interventionistische und mediengestützte Arbeitsweise ein und befragen
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dabei das Verhältnis von Kollektiv und Einzelnem*r. Der Choreograf und Tanzvermittler Felix Berner vom Staatstheater Mainz stellt tanztheatrales Arbeiten mit Jugendlichen vor. Im Workshop von Veit Sprenger vom Per‐ formancekollektiv Showcase Beat Le Mot stehen Performancestrategien und ‐regeln in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im Fokus. Nicht zuletzt wird intergenerationales Arbeiten in Tanzprojekten im Workshop der Choreografin und Tanzvermittlerin Claudia Hanfgarn veranschau‐ licht. Die Vorträge der Weiterbildung greifen Themen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung sowie Vermittlung auf. Sie schaffen einen Denk‐ raum für die Kunstschaffenden, in dem Diskurse eröffnet, Theorie‐ und Praxisverhältnisse befragt und Reflexionen zur eigenen Praxis und künst‐ lerisch‐pädagogischen Konzeption über die Einführung von Begrifflich‐ keiten angeregt werden. Die Referent*innen sind renommierte Wissen‐ schaftler*innen aus den verschiedenen Disziplinen der Theater‐, Tanz‐, Kunst‐ und Erziehungswissenschaft. Johannes Bilstein führt in seinem Vortrag beispielsweise in die Diskurstraditionen der musischen, ästheti‐ schen und Kulturellen Bildung ein und beschäftigt sich insbesondere mit den Paradoxien der Kulturellen Bildung. Welche gegenwärtigen Prinzi‐ pien und Tendenzen einen zeitgenössischen Kunstbegriff prägen und wie sich diese in aktuellen Aufführungen und Performances der Darstellenden Künste artikulieren, wird in einem Vortrag von Gerald Sigmund aufge‐ zeigt. Ingrid Hentschel referiert darüber, wie sich Kindheitsvorstellungen im zeitgenössischen Theater wiederfinden und wie diese das eigene künst‐ lerische Handeln bestimmen können. Der Vortrag von Jörg Zirfas beleuch‐ tet das Phänomen der Partizipation in der Kulturellen Bildung und be‐ schäftigt sich in diesem Kontext auch mit Formen einer verordneten, disziplinierenden, instrumentalisierenden oder kontrollförmigen Partizi‐ pation. Mit einem weiteren künstlerisch‐reflexiven Format wird das Kunst‐ und Bildungsverständnis der Teilnehmenden, ihre Positionierung an der Schnittstelle von Kunst und Bildung sowie ihre spezifische Rolle als Kunstschaffende in Bildungskontexten thematisiert. Die Referent*innen sind namhafte Persönlichkeiten, die selbst an der Schnittstelle von Kunst,
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Wissenschaft und Pädagogik arbeiten – wie etwa Sibylle Peters vom Ham‐ burger Forschungstheater des FUNDUS Theaters, Melanie Hinz (Perfor‐ mancekollektiv Fräulein Wunder AG) oder Mira Sack.
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Die wissenschaftliche Begleitforschung und ihre Rolle und Bedeutung für die Erprobung und Konzipierung des Weiterbildungsmodells
Zum Gelingen des Verbundvorhabens trugen auf einer ersten Ebene die wissenschaftliche Begleitung der Weiterbildungserprobung und auf einer zweiten Ebene die wissenschaftliche Begleitung ausgewählter Weiterbil‐ dungsteilnehmenden in ihren künstlerischen Projekten im Bildungskon‐ text bei. 1) Untersuchungsebene: Die wissenschaftliche Begleitung des Erpro‐ bungsprozesses der Weiterbildung umfasste sowohl die Dokumen‐ tation und Auswertung der einzelnen Weiterbildungsveranstaltungen als auch eine Rückkopplung der Ergebnisse an die Verbundpartner im Sinne einer prozessorientierten und responsiven Verfahrens‐ weise, die Austausch und Änderungen im Hinblick auf das Weiter‐ bildungsprogramm permanent ermöglichte. Zur Anwendung kamen Methoden wie die teilnehmende Beobachtung, qualitative Fragebogenerhebungen nach jeder Weiterbildungsveranstaltung und leitfadengestützte Interviews zum Programminhalt der Weiter‐ bildung mit ausgewählten Weiterbildungsteilnehmenden. 2) Untersuchungsebene: Die wissenschaftliche Begleitung ausgewählter Weiterbildungsteilnehmenden im Feld diente dazu, Erkenntnisse über die gegenwärtige künstlerische Praxis im Bildungskontext zu gewinnen und davon ausgehend Rückschlüsse auf das Weiterbil‐ dungsmodell ziehen zu können. Zur Anwendung kamen Methoden wie die teilnehmende Beobachtung innerhalb der besuchten Projekt‐ einheiten und leitfadengestützte Interviews mit den
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Kunstschaffenden zu ihren Kunst‐ und Bildungsverständnissen, ih‐ ren Arbeitsweisen und zu projektbezogenen Problemstellungen.3 Die Besonderheit der teilnehmenden Beobachtung als Methode liegt vor allem darin, dass „jedes Datum in einer (Erhebungs‐)Situation das Ergeb‐ nis eines gemeinsamen Herstellungsprozesses der an der Situation Betei‐ ligten ist“ (Mey 2000: 12). Das heißt, dass der*die Beobachter*in also nicht gänzlich außen vor bleibt, sondern vor dem Hintergrund des Wissens und der Wahrnehmung der Situation an dem Deutungsprozess beteiligt ist. In der Kombination mit der Methode des leitfadengestützten Interviews ergibt sich ein umfassender Blick auf die künstlerische Projektpraxis in Wort und Tat. Die in den Interviews geäußerten künstlerischen und päda‐ gogischen Vorstellungen und Verständnisse ließen sich in den beobachte‐ ten Projekteinheiten sehr gut an der Interaktion und Kommunikation der Kunstschaffenden mit der jeweiligen Zielgruppe überprüfen. Gerold Scholz (2012: 119) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Kontrolle der Daten“. Darüber hinaus entschied man sich für die Anwendung der teilnehmenden Beobachtung, da in der Auffassung Christian Lüders (2003: 151) „durch die Teilnahme an Face‐to‐Face‐Interaktionen bzw. die unmittelbare Erfahrung von Situationen Aspekte des Handelns und Den‐ kens beobachtbar werden, die in Gesprächen und Dokumenten – gleich welcher Art – über diese Interaktionen bzw. Situationen nicht in dieser Weise zugänglich wären“. Das hat sich im Forschungsprozess von „Kunst_Rhein_Main“ bestätigt, dergestalt die Differenz zwischen Wort und Tat erst zu tieferen Einsichten in eine künstlerische Praxis und ihrer Problemstellungen führen konnte.
3 Da das Verbundprojekt zum Zeitpunkt der Verschriftlichung dieses Artikels noch nicht abgeschlossen war, fokussieren sich die im Folgenden vorgestellten Ergebnisse der bei‐ den Untersuchungsebenen auf die Phase des ersten Erprobungsdurchgangs.
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Ergebnisse der Untersuchungsebene 1 Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Erprobungsprozes‐ ses zeigen, dass die Weiterbildung „Kunst Rhein‐Main“ nach ihrer Erpro‐ bung folgende Ziele erreichen konnte: Eine Stärkung der Teilnehmenden in der Wahrnehmung ihrer spezifischen Rolle als freie Kunstschaffende, die in Bildungskon‐ texten tätig sind. Die Anregung einer Auseinandersetzung mit der eigenen künst‐ lerisch‐pädagogischen Konzeption sowie das Anstoßen von Ver‐ gewisserungs‐, Erweiterungs‐ und Weiterentwicklungsprozessen bezüglich der eigenen künstlerisch‐pädagogischen Arbeitsweisen bei den Teilnehmenden durch die Workshops der Weiterbildung. Eine Initiierung von Positionierungen zu den Vortragsinhalten sowie eine Schärfung von Begrifflichkeiten und Zusammenhän‐ gen von Kunst und Bildung bei den Teilnehmenden durch die Vorträge der Weiterbildung. Eine gegenseitige Bereicherung und Erweiterung der Arbeitswei‐ sen der Teilnehmenden sowie eine Initiierung von spartenüber‐ greifenden Kollaborationen in den Praxisfeldern der Teilnehmen‐ den durch den zeitgenössisch und spartenübergreifend angeleg‐ ten Weiterbildungsansatz. Auf der Basis der Auswertungen trug die wissenschaftliche Begleitung über den gesamten Erprobungsprozess durch Empfehlungen und Anre‐ gungen zur Schärfung und Optimierung des Weiterbildungskonzepts bei. So wurde im Prozess beispielsweise eine Erweiterung des Modells um Re‐ flexions‐ und Austauscheinheiten empfohlen, die sich an die praktischen und theoretischen Inhalte der Weiterbildung anschließen und sich mit Ein‐ heiten zur innovativen und spartenübergreifenden Konzept‐ und Projekt‐ entwicklung verbinden lassen. Auch eine im Rahmen der Weiterbildung kommunizierte Möglichkeit zur Erprobung dieser entwickelten Konzept‐ und Projektideen in den Kontexten der Träger wurde den Verbundpart‐ nern vorgeschlagen.
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Ergebnisse der Untersuchungsebene 2 An dieser Stelle können die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung der künstlerisch‐pädagogischen Praxis der Weiterbildungsteilnehmenden nur ausschnitthaft angeführt werden:4 Im Feld konnte erstens ein großer Weiterbildungsbedarf hinsichtlich zeitgenössisch‐innovativer künstlerisch‐pädagogischer Verfahrensweisen und Vermittlungskonzepte ermittelt werden. Bei der Beobachtung der Praxis trat offen zutage, dass innovative Ansätze, wie in der Weiterbildung etwa von LIGNA, Eva Meyer‐Keller und Hanna Sibylle Müller oder Sibylle Peters vorgestellt, selten ausgemacht werden konnten. Vor diesem Hintergrund erwies sich der Weiterbildungsansatz von „Kunst Rhein‐ Main“, innovative künstlerische Verfahrensweisen unter pädagogischen Gesichtspunkten zu vermitteln und somit eine Perspektive von den Küns‐ ten auf Bildung einzunehmen, als wichtig und zukunftsweisend. Der Ansatz ermöglichte es zudem, gegenüber dem pädagogischen Be‐ reich bestehende Ressentiments abzubauen, ein Bewusstsein für die bil‐ denden Potenziale und pädagogischen Implikationen der Künste bei den Teilnehmenden zu schaffen und einen Diskurs darüber in der Weiterbil‐ dung zu etablieren. Zugleich offenbarte sich bei der Begleitung im Feld ein Bedarf an grundlegenden Pädagogikkenntnissen bei den Weiterbildungsteilneh‐ menden: Nahezu alle begleiteten Teilnehmenden verfügten über nur ge‐ ringe pädagogische Fachkenntnisse. Dem konnte auf theoretischer wie re‐ flexiv‐praktischer Ebene durch die verschiedenen Formate der Weiterbil‐ dung begegnet werden. Die wissenschaftliche Begleitung der Praxis konnte verschiedene für die Weiterbildung auf unterschiedlichen Ebenen relevante Themen iden‐ tifizieren und analysieren: bei den Kunstschaffenden implizit vorhandene Pädagogik‐ und Bildungsverständnisse 4 Umfassendere Darstellungen finden sich in Westphal/Bogerts (2017b) und Kristin Westphal et al. (2018).
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die eigene Haltung bzw. Positionierung gegenüber der Bildungs‐ institution der Umgang mit bereits vorhandenen Kunstverständnissen der Zielgruppen die Ausgestaltung des Verhältnisses von Prozess und Produkt in den Projekten der Umgang mit offenen und gebundenen Formen der Vermitt‐ lungspraxis der Umgang mit verschiedenen Ziel‐ und Altersgruppen der Umgang mit Erwartungen seitens der Eltern und der päda‐ gogischen Fachkräfte in den künstlerischen Projekten die Auseinandersetzung mit Paradoxien, die sich zeigen, wenn das System Kunst auf das System Schule trifft die Auseinandersetzung mit funktionsspezifischen Mechanismen von Bildungsinstitutionen und deren Kooperationsvorstellungen mit Kunstschaffenden
Diese Themen wurden mit der Empfehlung an die Verbundpartner über‐ mittelt, spezifische diskursive, reflexive und praktische Einheiten im Pro‐ gramm dafür zu schaffen. Weitere Schwerpunkte der Untersuchung konzentrierten sich auf der Basis ästhetischer und pädagogischer Qualitätskriterien auf die Praxis der Kunstschaffenden im Bildungskontext und damit verbundener Problem‐ stellungen und Herausforderungen aus künstlerischer und pädagogischer Sicht. Außerdem stehen die Gelingensbedingungen von Kooperationen zwischen Kunstschaffenden und Bildungsinstitutionen unter Berücksich‐ tigung der Vermittlungstätigkeit von Zwischeninstanzen – wie Tanzplatt‐ form Rhein‐Main oder FLUX – im Fokus. Auf beiden Untersuchungsebenen konnten auf Basis der Forschungs‐ ergebnisse Rückschlüsse auf eine Programmatik des Weiterbildungsmo‐ dells rekrutiert und darüberhinausgehend zugleich ein umfangreiches empirisches Material erhoben werden, dessen Auswertung für Diskurse im Kontext zur Forschung Kultureller und ästhetischer Bildung von Rele‐ vanz ist (vgl. Westphal/Bogerts 2017b).
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Die wissenschaftliche Begleitung als Tool der Weiterbildung
Im Verlauf des Erprobungsprozesses zeigte sich ein signifikanter Neben‐ effekt der wissenschaftlichen Begleitung: Auf dem Weg zur Professionali‐ sierung und Stärkung der Weiterbildungsteilnehmenden stellte sich die wissenschaftliche Begleitforschung als wichtiges Instrument zur Anre‐ gung von Reflexionsprozessen bei den Teilnehmenden heraus. Der Einsatz offener Fragebögen zu den jeweiligen Weiterbildungsver‐ anstaltungen bewirkte eine vertiefende Reflexion der einzelnen Weiterbil‐ dungsschwerpunkte und ‐inhalte bei den Teilnehmenden. Auch die Be‐ gleitung der Teilnehmenden im Feld konnte Reflexionsprozesse für die eigenen künstlerisch‐pädagogischen Arbeitsweisen anstoßen und die Im‐ pulse, die das Weiterbildungsprogramm geben konnte, verstärken. Die Qualität zeichnete sich dahingehend aus, dass im Anschluss der teilneh‐ menden Beobachtungen die wissenschaftliche Begleitung im Gespräch mit den Kunstschaffenden das Projektgeschehen aus einer eher von außenste‐ henden Perspektive spiegeln konnte. Die auf einem Leitfaden basierenden Interviews konnten die Kunstschaffenden zudem zum Verbalisieren, Be‐ schreiben und Reflektieren eigener Vorgehensweisen, Konzeptionierun‐ gen und Problemstellungen herausfordern. Die wissenschaftliche Beglei‐ tung der Praxis vor Ort erwies sich somit für die Erprobung des Weiterbil‐ dungsmodells „Kunst Rhein‐Main“ und für die daran Teilnehmenden als ein besonderer Gewinn, indem sie über das Weiterbildungsangebot hin‐ ausgehend zur Professionalisierung und Stärkung der Kunstschaffenden beitragen konnte.
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„Kinder_Kunst_Räume“ Kunst für Kinder wirksam machen Ricarda Schuh Ein Freitag im Juni 2016 in Berlin. Die Weiterbildung des zweiten Moduls „Übergang Kindertageseinrichtung (Kita) – Grundschule“ hatte soeben begonnen. 14 Künstler*innen diskutierten kontrovers bei gefühlten 35 Grad Kunstbegriffe. „Wer bin ich als Künstler*in?“ Dies darzustellen, war für die Künstler*innen eine leichte Übung trotz der hohen Temperaturen. Wer sie als Künstler*innen im pädagogischen Praxisfeld mit Kindern sind, wollten wir mit ihnen im nächsten halben Jahr herausfinden. Welchen Herausforderungen werden Pädagog*innen und Künstler*innen begeg‐ nen in diesem von unterschiedlichen Arbeitsrealitäten, Erfahrungen, wechselseitigen Erwartungen und Wahrnehmungsgewohnheiten gepräg‐ ten Spannungsfeld „künstlerische Bildung“? Welche Balanceakte erwarteten uns als entwickelnde, durchführende und vermittelnde Institution, die Künstler*innen befähigen möchte, künst‐ lerische Bildungsangebote für Kinder zu entwickeln und durchzuführen, die durch einen originär künstlerischen Zugang geprägt sind? „Künstler*innen begründen fast nichts in ihrer Arbeit, Pädagog*innen fast alles.“ (Notiz Ricarda Schuh nach einer Praxisreflexion) „Vermögen braucht Vertrauen.“ (Fazit der Künstlerin Gesa Vögele am Ende der Wei‐ terbildung)
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Die Weiterbildung „Kinder_Kunst_Räume“
Das praxisorientierte Weiterbildungsangebot wurde als Verbundprojekt der Universität Erfurt und der Stiftung SPI Berlin zwischen 2014 und 2017 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_5
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in Berlin und Erfurt entwickelt und erprobt. Es wurde als Modellprojekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Gemeinsam wurden das Weiterbildungskonzept, das Curriculum und das Zertifikat entwickelt. Zentrales Ziel der Weiterbildung ist es, Bildende Künstler*innen zu be‐ fähigen, in pädagogischen Kontexten künstlerische Bildungsangebote zu implementieren, die durch einen originär künstlerischen Zugang Bil‐ dungs‐ und Entwicklungsprozesse der beteiligten Kinder aufgreifen und unterstützen. Als Ausbildungsinstitut für Pädagog*innen interessiert uns besonders, wie Kinder und Künstler*innen in der künstlerischen Bildungspraxis in eine Interaktion miteinander finden können, sodass Bildungschancen und gegenseitige Inspiration entstehen. Ferner wollen wir erfahren, wie sich die Zusammenarbeit von pädagogischem Fachpersonal (Erzieher*innen und Lehrer*innen) und Künstler*innen im Kontext von Kita und Schule für die beteiligten Kinder förderlich gestalten lässt. Die ersten beiden Module mit den Schwerpunkten „Kita“ und „Über‐ gang Kita –Grundschule“ wurden von der Stiftung Sozialpädagogisches Institut (SPI), Geschäftsbereich Fachschulen, Qualifizierung und Professio‐ nalisierung, in Berlin durchgeführt, das dritte Modul mit dem Schwer‐ punkt „Hort der Grundschule“ von der Universität Erfurt in Thüringen und Sachsen. In meinen Ausführungen beziehe ich mich auf die von der Stiftung SPI durchgeführten Module. Drei unabhängig voneinander zu belegende Weiterbildungsmodule mit jeweils 160 Stunden plus 145 Stunden Selbststudium vermitteln päda‐ gogische Kompetenzen zur künstlerischen Bildungsarbeit in der Kita, am Übergang von der Kita zur Grundschule oder im Hort der Grundschule. Dabei wechseln sich vier Seminar‐ und drei Praxisphasen ab. Die Module wurden in der Modellprojektphase durch die Universität Erfurt wissenschaftlich evaluiert. Responsive Evaluationen fanden jeweils zu Beginn der folgenden Seminarphase statt. Dies ermöglichte es den Künstler*innen, eine weitere Fremdperspektive auf das eigene Handeln in der pädagogischen Situation zu beziehen.
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Der öffentlichen Abschlusspräsentation und dem Kolloquium kommen besondere Bedeutung zu. Künstler*innen sind hierbei gefordert, sich öf‐ fentlich als Künstler*in in der künstlerischen Bildung zu positionieren, diese Position mit künstlerischen Mitteln darzustellen sowie die eigenen Lernprozesse abschließend darzulegen. Bei erfolgreichem Abschluss stellt ein Zertifikat die Kompetenzziele dar: als Bildende*r Künstler*in künstlerische Bildungsangebote methodisch‐didaktisch planen, durchführen und reflektieren können Beobachtungsmethoden kennen, anwenden und angebotsbezo‐ gen auswerten können pädagogische Angebote selbst evaluieren, Erfahrungen kontext‐ bezogen einordnen und für die professionelle Weiterentwicklung nutzen können Die Befähigung zur künstlerischen Bildungsarbeit mit Kindern wird im Zertifikat durch eine differenzierte Beschreibung der personalen und der fachlichen Kompetenzen für Bildungseinrichtungen nachvollziehbar. Um die Anschlussfähigkeit der Weiterbildung im Rahmen non‐formaler Bildung anzubahnen, orientiert sich das Zertifikat in seinen Kompetenz‐ beschreibungen am Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (DQR), Niveau‐Stufe 5: „Über Kompetenzen zur selbstständigen Planung und Bearbeitung umfassender fachlicher Aufgabenstellungen in einem komplexen, spezialisierten, sich verändernden Lernbereich oder be‐ ruflichen Tätigkeitsfeld verfügen.“ (BMBF 2016) Mit den von der Stiftung SPI durchgeführten Modulen „Kita und Über‐ gang Kita –Grundschule“ fokussiert die Weiterbildung zentrale Felder frühkindlicher Bildung. Die Aufgaben der Kita „Bildung, Erziehung und Betreuung“ weisen die Kita als sozialpädagogische Institution und Bil‐ dungseinrichtung aus. Die für die Kitas verpflichtenden Bildungspläne bzw. ‐programme beinhalten den Bildungsbereich kulturell‐künstlerische Bildung, in dem die Arbeit der Künstler*innen in Modul 1 verortet ist.
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Mit dem zweiten Weiterbildungsmodul „Übergang Kita – Grund‐ schule“ wurde ein anderer Bildungsauftrag an Künstler*innen formuliert: Mit künstlerischer Bildungsarbeit soll die Bewältigung des häufig als kri‐ senhaft erlebten Übergangs unterstützt werden. Die erste Praxisphase fand folglich in der Kita mit Vorschulkindern statt, die beiden folgenden im Schulkontext direkt nach der Einschulung in der ergänzenden Förde‐ rung und Betreuung oder im Unterricht.
2
Pädagogische Leitgedanken (Auszug)
Die Beteiligten erkennen das Kind als Gestaltende im ko‐konstruktiven Prozess an. Bildung ist in diesem Sinne ein aktiver Prozess, in dem das Kind mit allen Sinnen und seiner gesamten Körperlichkeit gemeinsam mit anderen seine Welt wahrnimmt, mit ihr in Beziehung tritt, sie reflektiert und gestaltet. In der durchgängigen Übereinstimmung von Inhalt und Form kommt dies in der didaktisch‐methodischen Orientierung der Weiterbildung von Anfang an zum Tragen, indem Teilnehmer*innen sich Inhalte aktiv gestal‐ tend aneignen, z. B. in Präsentationen eigenständig erarbeiteter Inhalte. Ein weiterer Aspekt didaktisch‐methodischer Überlegung beinhaltet die Inklusion, verstanden als die Anerkennung der Verschiedenheit aller be‐ teiligten Akteure: Kinder, Künstler*innen, pädagogische Fachkräfte und andere im Sozialraum Tätige, z. B. Eltern. Sie sollen in den Stand gesetzt sein, ihre individuellen Beiträge zu leisten. Sie sollen einbezogen werden und es soll ihnen ermöglicht werden, aus ihren unterschiedlichen Perspek‐ tiven zu antworten und in Dialog zu treten. Die Dozent*innen regen des‐ halb Perspektivwechsel an und etablieren ein dialogisches und handlungs‐ orientiertes Prinzip in den Seminar‐ und Praxisphasen. So wird im offenen Austausch das Spezifische der von Künstler*innen angeregten und struk‐ turierten künstlerischen Bildung herausgearbeitet. Es werden Begründun‐ gen dafür entwickelt, warum es notwendig ist, Zielstellungen offen zu ge‐ stalten und so der Performativität des gesamten Lernprozesses Raum zu geben.
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„Die Künstler*innen werden herausgefordert, ihre künstlerische Praxis als Bildungspraxis zu reflektieren und Kinder als Expert*innen ihrer Lebenswelten und Bildungsprozesse anzuerkennen. Kinder in ihren künstlerischen Ausdrucksformen anzuregen und zu begleiten, wird in der Weiterbildung als ein dialogischer Prozess verstanden, bei dem für Kinder und Künstler*innen gegenseitige Inspiration und Neuerfahrungen entste‐ hen können.“1
2.1 Seminarinhalte Die Seminarinhalte greifen die Kompetenzen als Künstler*innen auf und vermitteln Wissen hinsichtlich des Bildungsverständnisses, des Bildungs‐ kontextes und der Zielgruppe Kinder. Sie ermöglichen es den Künstler*in‐ nen, sich im jeweiligen Praxisfeld zu orientieren, einen Zugang zu kind‐ lichen Aneignungs‐ und Ausdrucksformen zu entwickeln, die eigene künstlerische Bildungsarbeit in den Kontext von Bildungsaufgaben ein‐ zuordnen, sich mit ihrer eigenen Kunstpraxis und ‐strategie hinsichtlich möglicher Transfers in die künstlerische Bildungsarbeit mit Kindern aus‐ einanderzusetzen und im Rahmen von Fallanalysen und Kollegialen Bera‐ tungen Erfahrungen im Praxisfeld kontextbezogen auszuwerten. Eine Ver‐ ständigungsebene mit dem pädagogischen Fachpersonal wird über die Auseinandersetzung mit Bildungstheorien, Ansätzen der Kulturellen Bil‐ dung in Bildungsplänen und ‐programmen und Konzepten der beteiligten Praxispartner angebahnt. Eine wichtige Bedeutung kommt der Verschrän‐ kung von handlungsorientierten Seminarinhalten mit der durch Do‐ zent*innen begleiteten Planung, Durchführung und Reflexion künstleri‐ scher Bildungsangebote zu. Der Transfer in die eigene künstlerische Bil‐ dungspraxis wird herausgefordert durch einen multiperspektivischen Blick auf die eigene Praxis vor Ort.
1
Auszug aus dem von der Stiftung SPI und der Universität Erfurt gemeinsam entwickel‐ ten Curriculum, Stand: 02.12.2016.
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2.2 Handlungsorientierte Methoden Als wirksam erwiesen sich Methoden, die performativ, handlungsorien‐ tiert und gestaltend ausgerichtet sind, beispielsweise Erprobungen im „Schonraum“ der vertrauten Lerngruppe der Künstler*innen. Die an‐ schließende Diskussion im Plenum ermöglichte eine erfahrungsbasierte Auseinandersetzung mit theoretischen Grundlagen. 1) Theorie‐Praxis‐Transfers konnten im Vorbereiten von Impulsrefera‐ ten (kognitive Ebene) und der Weiterbearbeitung der Inhalte hin zu performativen Präsentationen unter Einbeziehung von frei gewähl‐ ten Materialien angeregt werden. Dies ermöglichte es den Künst‐ ler*innen, Bezüge zur eigenen künstlerischen Praxis herzustellen. 2) Biografische Ansätze, gekoppelt an theaterpädagogische und perfor‐ mative Methoden, haben sich als wirkungsvoll erwiesen, beispiels‐ weise um Parallelen zwischen kindlichen und künstlerischen Weltaneignungs‐, Gestaltungs‐ und Reflexionsprozessen für die künstlerische Bildungspraxis als Handlungsoption herauszuarbeiten oder den eigenen Körper bewusster als Medium in künstlerischen Vermittlungsprozessen wahrzunehmen. 3) Aus dem Verständnis als Künstler*in und Kunstvermittler*in griffen Dozent*innen auf eigene künstlerische Zugänge zurück und boten diese als Aneignungsfeld den Teilnehmer*innen an. Dies garantierte Authentizität und bot den anderen teilnehmenden Künstler*innen die Möglichkeit der Übertragung in die eigene künstlerische Bil‐ dungsarbeit.
2.3
Praxisphasen
Die von einer*m Dozenten*in begleiteten Praxisphasen umfassen jeweils acht Stunden für die Durchführung künstlerischer Bildungsangebote. Diese werden in der Regel in Teams aus je drei bis vier Künstler*innen ge‐ leistet. Die Praxisphasen bieten mit drei unterschiedlichen Schwerpunkten ein Erprobungs‐ und Erfahrungsfeld für die Künstler*innen: Die erste
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Praxisphase ermöglicht Künstler*innen eine Annäherung an das Praxisfeld und deren Akteure im Rahmen wahrnehmender Beobachtung und Durch‐ führung erster darauf bezugnehmender künstlerischer Interventionen mit Kindern. In der zweiten Praxisphase führen die Künstler*innen ein lebens‐ welt‐ und sozialraumorientiertes inklusives Vorhaben künstlerischer Bil‐ dung durch. Die dritte Praxisphase nimmt die Durchführung und Refle‐ xion eines Angebots künstlerischer Medienbildung in den Blick. Die Vorbesprechungen und Reflexionen mit den praxisbegleitenden Dozent*innen und dem beteiligten pädagogischen Fachpersonal bestäti‐ gen sich als wichtiger Bestandteil der Weiterbildung. Die Durchführungen können im Diskurs fachlich ausgewertet, mit anderen überdacht und an‐ schließend für weitere Planungen als Handlungsoptionen genutzt werden. Ergänzt wurden die Reflexionen in der Modellphase durch die von der Universität Erfurt durchgeführten Videobeobachtungen und responsiven Evaluationen, die jeweils zu Beginn der nächsten Seminarphase im Ple‐ num stattfanden. Dies ermöglichte es den Künstler*innen, weitere Fremd‐ perspektiven in ihre Reflexionen einzubeziehen und Ansätze der anderen Künstler*innen kennenzulernen. In den von der Stiftung SPI verantworteten Modulen 1 („Kita“) und 2 („Übergang Kita – Grundschule“) waren vier Dozent*innen tätig, die fach‐ lich an der Schnittstelle von Kunst und Pädagogik erfahren sind. Zwei der Dozent*innen sind selbst Künstler*innen. Sie sind kompetent in der Beglei‐ tung von Erzieher*innen und Künstler*innen in der pädagogischen Praxis, in der Vermittlung von pädagogischen Seminarinhalten, der künstleri‐ schen Bildungsarbeit, der Kunstvermittlung und ‐didaktik. Die Dozent*in‐ nen führten die Seminare durch, begleiteten die Künstlerteams in den drei Praxisphasen, gaben Feedback zu Planung, Durchführung und Reflexion und führten die Fallanalysen durch – quasi in Personalunion. So konnten Erfahrungen, Beobachtungen, aber auch Irritationen ad hoc in den Seminarphasen aufgegriffen und für die Bildungsprozesse der Künstler*innen produktiv genutzt werden. Beispielsweise wurden im Ver‐ lauf Instrumente zur Deutung kindlichen Verhaltens angeboten, da es in der Praxis immer wieder zu Irritationen kam. Es entstand eine Arbeitsbe‐ ziehung, die es den Künstler*innen erlaubte, Irritationen zuzulassen und
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konflikthaft erlebte Erfahrungen zu äußern und zu verarbeiten. Inhalte und Methoden der Seminare erlebten die Künstler*innen als förderlich, da die Dozent*innen als überzeugende, authentische Vertreter*innen ihres Fachgebiets wahrgenommen wurden.
2.4
Zielgruppe Bildende Künstler*innen
Das Angebot richtet sich an professionelle Bildende Künstler*innen, die keine pädagogische Ausbildung abgeschlossen und ihren Arbeitsschwer‐ punkt in der künstlerischen Tätigkeit haben. Deren besondere Kompeten‐ zen, mit ergebnisoffenen Prozessen umzugehen, gewohnte Sichtweisen auf die Welt zu hinterfragen, experimentell zu handeln und Irritationen als produktiv zu erfahren, kann Selbstbildungs‐ und Entwicklungspro‐ zesse von Kindern unterstützen. Trotz gemeinsamer Zugangsvoraussetzungen haben wir es dennoch mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun, die sich in ihren künstlerischen Denk‐ und Praxisformen sehr individuell zeigt. Die teilnehmenden Künst‐ ler*innen kamen aus den Kunstsparten Malerei, Grafik, Bildhauerei, Ob‐ jektkunst, Skulptur, Installation, Performance, Environment, Zeichnung, Fotografie, Animationsfilm, Grafik und Klangkunst. Zu finden waren zu‐ dem werkorientierte, interdisziplinäre, experimentelle oder konzeptio‐ nelle Ansätze.
2.5
Künstlerische Bildung in der frühen Kindheit
Bildung in der frühen Kindheit vollzieht sich als Selbstbildung in ko‐kon‐ struktiven Settings, ist geprägt von Prozesshaftigkeit, Dialog und ganz‐ heitlicher ästhetischer Erfahrung2 (vgl. Schäfer 2001: 77). Das künstlerische 2 Vgl. Gerd Schäfer (2001: 77): „Erste Erfahrungen differenzieren die Ausgangspunkte sei‐ ner Weltwahrnehmung und ‐verarbeitung. Daraus entwickeln sich verschiedene Formen des Welt‐ und des Selbstverständnisses, welche die Grundlage des kindlichen Bildungs‐ prozesses ausmachen. Dabei benutzt das Kind die Mittel, die ihm seine Umwelt vorgibt, wie ein Bastler die Materialien in seinem Sinne verwandelt, die ihm zur Hand sind. Selbstbildung erfolgt daher im Rahmen der Möglichkeiten, die dem Kind von außen zu‐ getragen werden. Doch ist das Kind nicht diesen Bedingungen einfach ausgeliefert, sondern ‚entscheidet‘ (Entscheidung begriffen als ein – beim Kind – vorwiegend nicht rationaler
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Handeln von Künstler*innen kann für Kinder, insbesondere auch in Situ‐ ationen des Übergangs, modellhaft sein, wenn sie angeregt werden, selbst erfundene ästhetische Sprachen zu schaffen. Das für unsere kooperierenden Kitas in Berlin verpflichtende Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege definiert den Bil‐ dungsbereich Kunst mit: Bildnerisches Gestalten, Musik, Theaterspiel. Die Autor*innen stellen die besondere Bedeutung der Künste für kindliche Bil‐ dungsprozesse dar: „Besonders in den Künsten werden die verschiedenen Sinne eines Menschen ange‐ regt und so sind künstlerisch‐kreative Tätigkeiten hervorragend geeignet, sich selbst und die Welt kennen zu lernen: Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, neu zu verstehen, ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden. […] Das Besondere an dieser ästhetisch‐künstlerischen Erkundung der Welt ist ihr in hohem Maß emotionaler Zu‐ gang.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2014: 119)
Der Thüringer Bildungsplan sieht die Verknüpfung von Selbst‐ und Welt‐ bezügen im Rahmen einer erfahrungsbasierten Bildung als zentral an, da sie sinnliche und Empfindungen ansprechende Prozesse einbezieht: „In der künstlerisch‐ästhetischen Bildung werden Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung von Selbst‐ und Weltbezügen durch eine Verknüpfung von sinnlichen Erfahrungen mit inhaltlichen Auseinandersetzungen un‐ terstützt.“ (TMBJS 2015: 222) Die Künste als ein besonderer Ausdruck der Kultur sollten selbstver‐ ständlicher Bereich in der frühkindlichen Bildung sein. Kunst in seinen Er‐ scheinungen kennenzulernen, als Strategie und Anlass von Selbst‐ und Weltreflexion zu schätzen und sich selbst handelnd und gestaltend zu er‐ fahren, bedarf eines frühen Zugangs zur Kunst und deren Akteuren. Wir denken die Künste in Bildungskontexten nicht funktionell, sondern schät‐ zen die experimentellen Impulse, die von Künstler*innen und einer von Prozess des Wählens) über sein Selbstwerden nach Maßgabe seiner subjektiven Welt‐ und Selbstdeutungen. Dieses Bild des aktiven, sich im Rahmen seiner Lebensbedingungen selbst entwickelnden Kindes, setzt voraus, das Kind von Anfang an als ein auswählendes und damit seine Welt‐ und Selbsterfahrungen (be)deutendes und gestaltendes Indivi‐ duum zu betrachten.“
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ihnen initiierten künstlerischen Bildungsarbeit ausgehen. Wenn wir be‐ rücksichtigen, dass das Herstellen einer Beziehungsebene und eines Dia‐ logs gerade für Kinder von besonderer Bedeutung ist, kommt den Künst‐ ler*innen als erlebbare, künstlerisch handelnde Persönlichkeiten eine wichtige Bedeutung zu. Vanessa‐Isabelle Reinwand‐Weiß stellt dies im Kontext Kultureller Bil‐ dung dar: „Das Pilotprojekt ‚Zeig mal – lass hören!‘ [und] viele weitere Praxisbeispiele und pä‐ dagogische Forschungen zeigen, dass die Bezugs‐ bzw. Vermittlungsperson ein zent‐ rales, wenn nicht das wichtigste Element im frühkindlichen (kulturellen) Bildungs‐ prozess darstellt. Das bedeutet, dass besonders auf die Prozessqualität, d. h. die per‐ sonellen Interaktionen in der Bildungsinstitution, Wert gelegt werden muss, wenn frühe Bildungsprozesse gelingen sollen.“ (Reinwand 2010: 5f.)
3
Wie wird Kunst für Kinder wirksam? Ausgewählte Erkenntnisse
3.1 Prozessorientierung und Spiel in der künstlerischen Bildung „Spiel ist die Hauptaneignungstätigkeit der Kinder. Spiel ist eine selbstbe‐ stimmte Tätigkeit, in der die Kinder ihre Lebenswirklichkeit konstruieren und rekonstruieren.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissen‐ schaft 2014: 38) Das Kind spielt nicht wegen des Ergebnisses, sondern genießt die sich entfaltende Spieldynamik, die es im Prozess erlebt. Das Kind hört nicht auf zu spielen, wenn es gestaltet. Die von den Künstler*innen initiierte künst‐ lerische Bildungsarbeit greift dies auf und ist in der Regel prozessorien‐ tiert. Im besten Fall entwickelt sich eine Dramaturgie in der Interaktion, ein Wechselspiel zwischen Initiieren, Begleiten, Impuls geben, Irritieren, Spiegeln und Verbalisieren des Geschehens und den „Antworten“ der Kinder. Wie kann Kunst für Kinder wirksam werden? Das Bedingungsgefüge für eine gelingende künstlerische Bildungsarbeit ist ohne die Künstler*innen als
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erlebbare, künstlerisch handelnde Persönlichkeiten nicht zu denken. Auch deren individuelle künstlerischen Denk‐ und Praxisformen sind von der Person nicht zu lösen. Wie vor diesem Hintergrund künstlerische Bil‐ dungspraxis wirksam für Kinder werden kann, soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden.
3.2 Experimentelles Handeln anregen Die Künstlerin Lin Haas erarbeitete über die drei Praxisphasen offene Settings, die das experimentelle Handeln der Kita‐Kinder herausforderte. Dies entspricht ihrer eigenen Kunstpraxis: „Es geht um größtmögliche Freiheit und permanentes Ausloten, wo der Weg weiter‐ geht – wo es sich stimmig anfühlt. Und mit dieser Freiheit auch umgehen zu können. Es ist etwas Grundsätzliches, was ich Kindern mitgeben möchte – ein Freiheitsgefühl. Die Freiheit zu denken und zu agieren, auch konträr zu gängigen Vorstellungen.“ (Lin Haas, Abschlussbericht 2014)
Dies wurde in ihrem abschließenden Angebot, dem „Malen mit Wasser“, besonders sichtbar. In der Abschlusspräsentation ließ sie das interessierte Publikum und anwesende Kinder daran teilhaben. Ein Setting aus einer 15 Quadratmeter großen Stoff‐Malfläche und unterschiedlichen Werkzeu‐ gen, die den Kindern aus dem Alltag bekannt sind – wie Spülbürste, Koch‐ löffel, Stöckchen, Strohhalm, Kamm – sowie mit Wasser und Farben, ist vorbereitet. Die Künstlerin beginnt, in Anwesenheit der ersten Kinder und Erwachsenen, für sich das „Malen mit Wasser“ zu erproben. Nach und nach gesellen sich die ersten anderen dazu, untersuchen die Werkzeuge und beginnen mit dem Eintauchen und Tropfen‐Lassen der Farben, dem Spritzen mit Wasser und dem Nachsinnen, wie der Stoff sich verändert. Die Künstlerin beobachtet und bleibt weitgehend bei dem, was sie selbst tut. Präsent und nahezu wortlos setzt die Künstlerin unaufdringlich Im‐ pulse: Sie schiebt hier ein Werkzeug in die Nähe einer Kinderhand, fährt mit dem Kamm durch die entstehende Farbfläche eines anderen. Die Künstlerin greift nach unterschiedlichen Werkzeugen, erprobt diese für sich und wird von den anwesenden Kindern sehr genau beobachtet. Sie zeigt im eigenen Tun Möglichkeiten auf und ist an den eigenen Wirkungen, die sie
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auslöst und bei anderen beobachtet, offensichtlich interessiert. Diese Haltung motiviert die Kinder zum Experimentieren und ist gleichzeitig eine Einladung, die eigenen Wirkungen auf das Material zu verfolgen. Bei einer Begegnung mit der Künstlerin zwei Jahre nach Abschluss sagt sie: „Ich freue mich jedes Mal, wenn Kinder den von mir angebotenen Rahmen verlassen und in das Experiment finden, dass sie selbst interessiert.“
3.3 Ich und Welt gestaltend in Beziehung setzen Die eigene Kunstpraxis einer Künstlerin in, Modul 1 („Kita“), thematisiert die „individuellen Mythologien“. Sie greift für sie bedeutsame Fragen auf: „Womit identifiziere ich mich? Was macht mich besonders? Was für symbolträchtige Gegenstände, Objekte und Erinnerungstücke sind mir wichtig?“ (Abschlussbericht der Künstlerin 2014)
Der Künstlerin gelang der Transfer in die künstlerische Bildungsarbeit, in‐ dem sie Kinder anregte, sich mit eigenen Präferenzen und persönlichen Vorlieben auseinanderzusetzen. Nach einem Besuch im Berliner Museum der Dinge bot die Künstlerin an, eigene „Ich‐Museen“ in vorbereiteten ca. 40 mal 40 Zentimeter großen Mikro‐Räumen zu gestalten. Es entstanden sehr individuelle Objekte, in denen die Kinder zum Teil Abbildungen von für sie wichtigen Gegenständen, aber auch originale persönliche Gegen‐ stände inszenierten. Die authentische Neugier der Künstlerin beflügelte auch die Neugier der Kinder – in diesem Fall – auf sich selbst. „Ja, ich habe es genossen, die ‚kindlichen Denkmodelle‘ und ‚ästhetischen Praktiken‘ wahrzunehmen bzw. jede einzelne von diesen Praktiken! Da es um die Entdeckung der individuellen Welten ging, war es mir ein Vergnügen, jeden Mikro‐Raum und jede Vision und ‚kindliche‘ Geschichte entdecken zu dürfen.“ (Abschlussbericht der Künstlerin 2014)
3.4 Gegenseitige Inspiration erleben Die Gestaltungsprozesse von Kindern irritierten und inspirierten die Künstler*innen gleichermaßen. Überzeugungen und Routinen in der eige‐ nen Kunstpraxis der Künstler*innen wurden in der Begegnung mit
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Kindern erschüttert, gleichzeitig auch als Inspiration erlebt. Dies stellte im Kolloquium eine Künstlerin sinngemäß dar: „Ich habe für meine eigene Kunstpraxis die Regel entwickelt, nichts zu verdecken, wenn ich gestalte. Alles soll sichtbar bleiben. Ich muss spüren, wann etwas ‚fertig‘ ist. Nun beobachtete ich bei einem Jungen, wie dieser ein für mich ‚fertiges‘ Objekt so lange weiterbearbeitete, bis am Ende die ursprüngliche Gestaltung nicht mehr sichtbar war. Ich entdeckte im Gespräch mit ihm, dass für dieses Kind das, was da verdeckt wurde, als ‚Geheimnis‘ zwischen uns weiterbestand. Dies war für das Kind das Wesentliche! Diese Beobachtung regt mich an, mein eigenes künstlerisches Vor‐ gehen und meine Gestaltungsroutinen zu überdenken. Das künstlerische Handeln dieses Kindes war für mich sehr attraktiv.“
3.5 Symbolhaftes Aufgreifen der Übergangsthematik in Modul 2 Die Kinder bearbeiten in diesem Alter in selbst organisierten sogenannten Symbolspielen (u. a. Fantasie‐ und Rollenspielen) Themen, die sie bewe‐ gen, symbolhaft, drücken ihre Wünsche aus und reflektieren ebenso ihre Lebenssituation. Im So‐tun‐als‐ob ihres Spiels können sie Handlungsopti‐ onen entwickeln, ohne vorerst reale Folgen befürchten zu müssen. Zwei Beispiele sollen dazu dienen, das symbolhafte Aufgreifen der Übergangs‐ thematik in der künstlerischen Bildungspraxis darzustellen. 3.5.1 Aufbruch in unbekannte Welten Das Künstlerinnenteam, u. a. mit Gunilla Jähnichen, griff mit Vorschulkin‐ dern in der Kita das Thema „Aufbruch“ auf. Ein Raumschiff soll in unbe‐ kannte Welten starten. Sie fragten: „Auf was müssen wir uns vorberei‐ ten?“, „Was brauchen wir auf der Reise in unbekannte Welten vermut‐ lich?“, „Wem werden wir begegnen?“ Das bildnerische Gestalten von Flugobjekten, fremden Spezies (Aliens) und notwendiger Ausrüstung wa‐ ren zentral. Die symbolhafte Bearbeitung des Themas ließ den Kindern Raum, mit eigenen Fantasien zu antworten und sich gestaltend im Dialog mit dem Übergang auseinanderzusetzen.
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3.5.2 Superkind – Superkraft Das Künstlerteam, u. a. mit Sabine Fassl, bot im Schulkontext das Thema „Superhelden“ an. Diese verfügen über besondere Fähigkeiten und Instru‐ mente, mit denen sie Abenteuer erfolgreich bestehen. Die Künstlerinnen griffen damit Beobachtungen in der Pausenzeit auf: Das Tauschen von „Helden“‐Sammelbildchen. Sie boten den Kindern einen Zugang für die Situation des Übergangs: Welche Superkräfte brauchst du als Schulkind? Die Künstlerinnen wählten einen performativen Einstieg, indem sie sich selbst, ausgestattet mit besonderen Körperteilen, vorstellten: Eine „Gehirn‐ Mütze“ mit Notizen gegen Vergesslichkeit, ein weiteres Bein, um zügig zur Schule zu kommen etc. Die Kinder fanden anschließend einen Einstieg über Material, das sie zum bildnerischen Gestalten von eigenen Instru‐ menten für besondere Fähigkeiten herausforderte.
3.6
Wie Präsentationen für Bildungsprozesse von Kindern bedeutsam werden
Präsentationen sind selbstverständliche Etappen in den Künsten. Formate wie Ausstellung, Performance oder Aufführung veröffentlichen Kunst für ein Publikum, das nicht am Erarbeitungsprozess beteiligt war. Künst‐ ler*innen erprobten unterschiedliche Präsentationsformen mit den betei‐ ligten Kindern, beispielsweise das Vorstellen von Prozessen und Zwi‐ schenergebnissen in der vertrauten Kindergruppe. Inwiefern sind Präsen‐ tationen für die Selbstbildungs‐ und Entwicklungsprozesse von Kindern bedeutsam? Der Dialog über die eigene Gestaltung, ihre Gedanken und Gefühle während des Prozesses war für Künstler*innen eine der wichtigsten Me‐ thoden, um mit den Kindern ihre Welt zu verstehen und mit ihnen ihre Ausdrucks‐ und Gestaltungsprozesse und ihre Haltungen nachzuvollzie‐ hen. Gleichzeitig hilft das Sprechen über den eigenen Gestaltungsprozess in einem wertungsfreien, von Interesse geprägten Raum den Kindern, Klarheit über ihre eigene Praxis und ästhetischen Erfahrungen zu entwi‐ ckeln. Es hebt das Erlebte in einen kommunikativen Raum.
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Präsentationen, die für Eltern, andere Kinder und pädagogisches Fach‐ personal geöffnet wurden, erweiterten die Dialog‐Ebene in die Öffentlich‐ keit der Einrichtung. Kinder genießen es sichtlich, andere an ihren Gestal‐ tungen teilhaben zu lassen. Ich erlebte beispielsweise die Lust der Kinder an der eigenen Autorenschaft: Kinder der Reinhardswald‐Grundschule la‐ sen stolz ihre selbstgestalteten Bilderbücher anderen Kindern, der Künst‐ lerin, den Lehrer*innen und dem Schulleiter vor und traten über ihre Er‐ lebnisse im Prozess in Dialog. Die Ausstellung der oben beschriebenen „Ich‐Museen“ für Eltern, Er‐ zieher*innen und andere Kinder gab allen Gelegenheit, im Dialog gewahr zu werden, warum die inszenierten Gegenstände individuell bedeutsam sind. Kinder, Erzieher*innen und Eltern können ihre Wahrnehmungen und Gestaltungen miteinander in Beziehung setzen und sich neu und an‐ ders kennenlernen. Georg Peez gibt Hinweise, wie im Dialog sinnliche Eindrücke zu ästhetischen Erfahrungen werden: „Deshalb ist die ästhetische Erfahrung und mit ihr die ästhetische (Selbst‐)Bildung durch zwei Hälften ein und derselben Medaille gekennzeichnet: Zum einen sollte sie auf die sinnlichen Anteile der Wahrnehmungen und Empfindungen gerichtet sein. Zum anderen sollten dem Spüren und Erfahren Sinn gegeben werden. Es geht um Erkunden, Ins‐Bewusstsein‐Rufen, Gewahrwerden. […] Erst wenn wir uns einer sinnlichen Wahrnehmung bewusst werden, wenn wir ihr gewahr werden, wenn wir die Wahrnehmung mit anderen Wahrnehmungen und Empfindungen in Beziehung setzen und auslegen, dann verhalten wir uns nicht nur sinnlich, sondern ästhetisch.“ (Peez 2003)
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Herausforderung offene pädagogische Planung
Die Planung als wichtiger Teil eines didaktisch‐methodischen Vorgehens innerhalb einer pädagogischen Situation wurde von einigen Teilneh‐ mer*innen kritisch infrage gestellt. Künstler*innen nahmen an, eine Ziel‐ setzung würde eine festgelegte Richtung vorgeben und damit künstleri‐ sche Prozesse zu sehr einschränken. In den Durchführungen wurde schnell deutlich, dass das Nicht‐Nachdenken über Rahmenbedingungen, Zeit, Setting, Raumvorbereitung, Aufgabenteilung in den Künstlerteams etc. schnell zur Überforderung der Künstler*innen und Kinder führte. In
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den Reflexionen wurde deutlich, dass Unsicherheiten bezüglich der Pla‐ nungsebene in einer offenen pädagogischen Planung bestanden. So wurde von einigen „Planung“ und „Zielsetzung“ mit „Ergebnisorientierung“ gleichgesetzt. Welches Bedingungsgefüge Gestaltungs‐ und Ausdrucks‐ prozesse von Kindern fördert, wurde erst sukzessive für Künstler*innen sichtbar. Wie können beispielsweise Arrangements aussehen, in denen Kinder selbstständig und selbsttätig im Dialog mit anderen Kindern und mir als Künstler*in experimentierend und gestaltend tätig werden können?
4.1 Herausforderung „Freiheit“ herstellen Künstler*innen stellen für ihre eigene künstlerische Arbeit meist keine be‐ wussten Regeln auf. Bei genauerem Hinsehen trifft „Regellosigkeit“ aber nicht zu. In Reflexionen regten die Dozent*innen an, welche Regeln und Bedingungen sie selbst in künstlerischen Prozessen beflügeln und inwie‐ fern diese in die künstlerische Bildungsarbeit transformiert werden könn‐ ten. Die Erwartung der Künstler*innen, Kinder seien „frei“ in ihren Hand‐ lungen und Entscheidungen, wurde auf verschiedenen Ebenen enttäuscht. Selbst unter dreijährige Kinder haben sich mit Situationen und Materialien verbundene Regeln und Routinen gerade eben angeeignet und sind stolz, diese anwenden zu können. Die Künstler*innen waren gefordert, in der pädagogischen Situation die kindlichen Routinen und von ihnen gelebten Regeln wahrzunehmen, diese in Angeboten didaktisch‐methodisch zu be‐ rücksichtigen, sie ggf. mit den Kindern handelnd zu hinterfragen, zu er‐ weitern oder umzudeuten. Künstlerische Impulse und damit verbundene Irritationen mussten in ihren Engen und Weiten so gesetzt sein, dass sie von den Kindern positiv erlebt und von ihnen selbst weiterverfolgt wer‐ den konnten. Dazu gehörte auch die Entwicklung von Entlastungsstrate‐ gien für Kinder. Die Künstlerin Fabrizia Vanetta erlebte, wie trotz sichtlichem Interesse der Kinder an der zeichnerischen Gestaltung eines persönlichen Fantasie‐ Haustiers der Prozess ins Stocken kam. In ihrer eigenen Kunstpraxis sucht sie Impulse in künstlerischen Darstellungen anderer Künstler*innen. Sie bot also eine Vielzahl von künstlerischen Tierdarstellungen an, die die Kinder interessiert betrachteten und einen Dialog zwischen ihr und den
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Kindern über Lieblingshaustiere ermöglichte. Anschließend, vor leeren Blättern und vorbereitetem Zeichenmaterial sitzend, kommentierten die Kinder die Situation: „Aber ich kann das nicht malen!“ Die Künstlerin wusste, dass die Kinder kompetent mit Scheren umge‐ hen konnten und kopierte jene Darstellungen, die sich für das Collagieren gut eignen. Das bewirkte eine Entlastung vom eigenen erlebten „Unver‐ mögen“ und die Kinder fanden zurück in den Prozess. Hier wird außer‐ dem deutlich: Die Kinder haben auch im Kita‐Alter bestimmte Vorstellun‐ gen von einem „guten Ergebnis“. Die Kinder konnten über den „Umweg“ der Collage ungehindert ihrem Interesse folgen. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, in denen Kinder einen Perfektionsanspruch deutlich machten. Andere forderten Künstler*innen direkt auf, ihnen auch so ein … zu ma‐ chen. „Du kannst das doch viel besser!“ Alle Künstler*innen waren gefordert, flexibel Umwege zu suchen, um die Motivation im Prozess zu erhalten, ein selbstständiges Gestalten zu er‐ möglichen und gleichzeitig eigene Zugänge im künstlerischen Prozess pro‐ duktiv zu nutzen.
4.2 Herausforderung Erwartungen im Praxisfeld Die Pädagog*innen in Kitas und Schulen wurden vor Beginn der Praxis‐ phasen über Ziele und Inhalte informiert. Ausgehend vom oben beschrie‐ benen Aneignungsbegriff sollte deutlich werden, dass es nicht um das landläufig gute Ergebnis und vordergründig die Entwicklung von Gestal‐ tungskompetenzen gehen sollte. Gleichwohl formulierten einige Päda‐ gog*innen die Erwartung, dass am Ende eines künstlerischen Gestaltungs‐ prozesses etwas Vorzeigbares stehen solle, das den Eltern präsentiert werden könnte. Diesem eher traditionellen Werkbegriff begegnen wir in der Erzieherausbildung sehr häufig. Vielleicht werden zeitgenössische Kunstbegriffe als wenig zugänglich erlebt und aus diesem Grund kindli‐ che Gestaltungsprozesse mit dem Begriff „Basteln“ gerahmt? Mit Basteln verbanden Künstler*innen eine Abwertung ihrer Arbeit. Wie reagierten Künstler*innen auf die Erwartung z. B. eines Ergebnisses? Vor dem Hintergrund der eigenen Unsicherheit und gefühltem Anpas‐ sungsdruck als „Gast“ planten einige Künstler*innen zu Beginn Vorhaben
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ergebnisorientiert, sodass kaum Entscheidungs‐ und Gestaltungsräume für die Kinder entstanden. Sie erlebten sich dann als autoritär und un‐ flexibel, was ihrem eigenen Anspruch an ein gelungenes Vorhaben wider‐ sprach. Mit zunehmender Sicherheit, wachsender Beziehung und Vertrauen zwischen Künstler*innen, pädagogischem Fachpersonal und Kindern gelang es, sich flexibler stattfindenden Prozessen zu öffnen, sich von den Kindern inspirieren zu lassen und offenere Settings zu wagen. Unsicherheiten bestanden im Praxisfeld auch in Bezug auf die Profes‐ sion als Künstler*in. Die Künstlerin Julia Krafft wählte beispielsweise zum Einstieg die Gestaltung von Hohlkörpern mit Ton. Der begleitende Erzie‐ her zeigte sich vorerst ablehnend. Ob die Künstlerin nicht ein anderes Ma‐ terial wählen könne. Arbeiten mit Ton könne sie selbst leisten, da sie eine entsprechende Fortbildung gemacht hätte. In der Durchführung und de‐ ren gemeinsamer Reflexion erkannten die Beteiligten die besondere Pro‐ zessqualität in der künstlerischen Bildungspraxis der Künstlerin, die die Er‐ zieherin anerkennen konnte. Grundlegend für die künstlerische Bildungspraxis vor Ort war die wertschätzende Haltung, Offenheit und Neugier von Künstler*innen und Pädagog*innen. Die Erzieher*innen sind die Bezugspersonen der Kinder. Wenn Pädagog*innen den Kontakt zwischen Kindern und Künstler*innen offensiv anbahnten, gegenüber Kindern ihre Wertschätzung deutlich machten, die Künstler*innen aktiv unterstützten, ihre Irritation und Kritik in den Reflexionen wertschätzend ausdrückten, war dies wichtige Voraus‐ setzung für das Gelingen der Vorhaben.
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Resümee und Ausblick
Die Relevanz Kultureller Bildung für Kinder bildet sich in Bildungspro‐ grammen und ‐plänen der am Verbundvorhaben beteiligten Länder und den Konzeptionen und Lehrplänen der Einrichtungen ab. Zentrales Stich‐ wort ist neben Kultureller Bildung die Sozialraumorientierung, die die Öff‐ nung der Einrichtung für externes, nicht explizit pädagogisches Personal einschließt. Hemmnisse finden sich in der Praxis in der Bereitschaft,
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Künstler*innen als explizit nicht pädagogisches Personal zu akzeptieren und deren Profession anzuerkennen. Trotz guter Kontakte der Stiftung zu Kitas gelang es in Modul 1 „Kita“ nur in wenigen Fällen, Künstlerteams mit drei bis vier Künstler*innen wie geplant in den Einrichtungen zu platzieren. Die meisten Einrichtungen öff‐ neten sich zögerlich für eine*n Künstler*in, maximal für zwei Künstler*in‐ nen. Etwas anders stellte sich die Situation in Modul 2 „Übergang Kita – Grundschule“ dar. Mit diversen Projekten und Programmen in Berlin, z. B. „Kultur macht Schule!“ oder „Kulturagenten für Kreative Schulen“ ist die sozialräumliche Öffnung von Schulen für Künstler*innen bereits gut geeb‐ net. Positive Erfahrungen mit externen Künstler*innen waren vielfach vor‐ handen und die Koppelung an die Übergangsgestaltung erwies sich für die Schulleitungen, Lehrer*innen und Erzieher*innen als attraktiv. Praxis‐ stellen, die bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Künstler*in‐ nen hatten, waren eher geneigt, diese fortzusetzen. Die Empfehlung zur Implementierung und Ausgestaltung multipro‐ fessioneller Teams und multiprofessionellen Arbeitens in Kitas des Deut‐ schen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e. V. können für eine sozialräumliche Öffnung von Kita richtungsweisend sein. Danach ist die Haltung der unterschiedlichen Akteure im Arbeitsbereich entscheidend. Stichworte sind hier: Wissen um und Vertrauen in das eigene und das Selbstverständnis der jeweils anderen Profession, gegenseitige Anerken‐ nung der Kompetenzen, Neugier und Offenheit (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. 2016: 13). Welche Maßnahmen sind sinnvoll, interprofessionelle Kompetenzen zu fördern, gegenseitige Akzeptanz und Anerkennung zwischen Künst‐ ler*innen und pädagogischem Fachpersonal zu erhöhen und sich im bes‐ ten Fall als wichtige gegenseitige Ergänzung zu erachten, um den an sie gestellten Bildungsauftrag zu erfüllen? Projekte der Kulturellen Bildung für Kinder mit externen Partnern (Museen, Theater, Kulturinstitutionen etc.) sind im SPI bereits seit 2007 ein Schwerpunkt im 4. Semester der Erzieherausbildung. Die punktuelle Ver‐ netzung zur ebenfalls vom SPI angebotenen Weiterbildung „Theaterpä‐ dagogische Qualifikation/Spielleitung (BuT)“ ist ebenfalls etabliert. Als
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Fachschule für staatlich anerkannte Erzieher*innen haben wir aktuell die Aufgabe, auf Grundlage des neuen Berliner Rahmenlehrplans Staatliche Fachschule für Sozialpädagogik ein neues Curriculum zu entwickeln. Die dort verankerte Orientierung an Lernfeldern und Lernsituationen bietet die Chance, Kontakte und Kooperationen mit Künstler*innen als nicht ex‐ plizit pädagogische Profession bereits während der Ausbildung noch stär‐ ker in den Blick zu nehmen. Künstler*innen und Erzieher*innen in Ausbil‐ dung sollten sich in Aus‐ und Weiterbildung im Rahmen gemeinsamer Vorhaben begegnen können. Das Arbeiten in interprofessionellen Tan‐ dems und das wechselseitige Überlassen der „Führung“ ließe eine gegen‐ seitige Annäherung und interdisziplinäres Lernen zu, bei gleichzeitiger Anerkennung unterschiedlicher Professionen, Ausgangslagen und Vorge‐ hensweisen. Claudia Kokoschka benennt die Erzieher*innen, von denen die Initia‐ tive zu kulturellen Bildungsangeboten im Vorschulalter primär ausgeht. Sie beschreibt weitere Ansätze, die in der Ausbildung verankert werden könnten: „Erforderlich sind beispielsweise Kenntnisse der Kulturlandschaft der eigenen Kom‐ mune, das Wissen über Ansprechpartner und Zugangsmodalitäten, der Kontakt zu Künstlerinnen und Künstlern sowie die Motivation, sich auf neue Projektformen und Kooperationen einzulassen und andere ästhetische Arbeits‐ und Sichtweisen kennen zu lernen. Ziel einer solchen Ausbildung ist die möglichst nachhaltige Kooperation von Kultureinrichtungen und Künstlerinnen und Künstler mit Erzieherinnen und Einrichtungen im Vorschulbereich.“ (Kokoschka 2010: 10)
Noch einmal zur Sozialraumorientierung in der künstlerischen Bildung. Die Öffnung von Kitas und Schulen in den umgebenden Sozialraum, bei‐ spielsweise durch das Einbeziehen originär künstlerischer Arbeitsräume, z. B. Ateliers, die Verortung der künstlerischen Bildungsarbeit in öffentli‐ chen Räumen, z. B. im Rahmen ortsspezifischer Kunstprojekte, kann wei‐ tere Bildungspotenziale entfalten. Aus systemischer Perspektive kann dies auch dem erlebten oben beschriebenen Erwartungsdruck auf Künstler*in‐ nen in pädagogischen Kontexten entgegenwirken und weitere Potenziale für Kinder entfalten. Darüber hinaus hat das Sichtbarmachen kindlichen Handelns und Denkens in der Öffentlichkeit auch gesellschaftliche
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Bedeutung: Kinder sind wochentags zwischen 08:00 und 16:30 Uhr aus dem Stadtbild Berlins weitgehend verschwunden. Kindheit ist in Kita und mit der Einführung des Ganztags in Schulen nahezu komplett institutio‐ nalisiert. Nicht pädagogische Welten und Kontexte werden von Kindern immer weniger erfahren. Hier liegt eine wichtige Aufgabe von Erzie‐ her*innen und Lehrer*innen. Sie sollten Zugänge schaffen und zwischen den „pädagogischen Welten“ und anderen, nicht pädagogischen Bezugs‐ punkten von Welt – den Künsten, ihren Akteuren und Orten – vermitteln können. Teilhabe von Kindern kann nur entstehen, wenn Kinder Bezüge zwi‐ schen dem Ich und der Welt in vielfältigen Kontexten, auch den nicht explizit pädagogischen, herstellen können. Grundlage von Selbstwirksam‐ keitserfahrungen, Teilhabe und Mitbestimmung von Kindern sind Erfah‐ rungen in möglichst vielen gesellschaftlich‐kulturellen Kontexten. Kinder müssen wahrnehmen können, dass diese Welt für sie bedeutsam ist und ihre Äußerungen, Meinungen und Haltungen gehört und gesehen wer‐ den. Künstler*innen können dies auf ästhetische Weise ermöglichen.
Literatur BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) (2016): Deutscher Qualifikationsrah‐ men [www.dqr.de/content/2315.php, letzter Zugriff: 12.04.2017]. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (2016): Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Implementierung und Ausgestaltung multiprofessioneller Teams und multiprofessionellen Arbeitens in Kindertageseinrichtungen (Kitas) [www.deutscher‐verein.de/de/uploads/empfehlungen‐stellungnahmen/2016/dv‐34‐ 14‐multiprofessionelle‐teams.pdf, letzter Zugriff: 01.10.2016]. Kokoschka, Claudia (2010): Mit Kunst in die Kitas. Das Dortmunder Modell kultureller Bil‐ dung im Vorschulbereich. In: Magazin Kulturelle Bildung. Reflexionen, Argumente, Impulse, 6: Kulturelle Bildung von Anfang an, S. 9‐11. Peez, Georg (2003): Ästhetische Erfahrung. Strukturelemente und Forschungsaufgaben im erwachsenenpädagogischen Kontext [www.georgpeez.de/texte/kade.htm, letzter Zu‐ griff: 07.07.2016]. Reinwand, Vanessa‐Isabelle (2010): Der Anfang ist die Hälfte vom Ganzen. In: Magazin Kul‐ turelle Bildung. Reflexionen, Argumente, Impulse, 6: Kulturelle Bildung von Anfang an, S. 4‐6.
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Schäfer, Gerd (2001): Prozesse Frühkindlicher Bildung [www.hf.uni‐koeln.de/data/eso/File/ Schaefer/Prozesse_Fruehkindlicher_Bildung.pdf, letzter Zugriff: 01.12.2016]. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft (2014): Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege. Berlin: das netz. TMBJS (Thüringer Ministerium für Bildung Jugend und Sport) (2015) Thüringer Bildungs‐ plan bis 18 Jahre [www.thueringen.de/mam/th2/tmbwk/bildung/bildungsplan/thurin ger_bildungsplan‐18_web.pdf, letzter Zugriff: 03.02.2017).
Weiterbildung in der Digitalen Gesellschaft Zur Theorie und Konzeption des „Zertifikatskurses tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“ Matthias Krebs und Marc Godau Angesichts der exponentiellen Entwicklung moderner Kommunikations‐ technologien, die zum Treiber der kulturellen, sozialen und technologi‐ schen Entwicklung in fast allen gesellschaftlichen Bereichen geworden ist, sind Wissensformen gefragt, die sich in neuen und unvorhersehbaren, Selbstorganisation und Kreativität fordernden Situationen bewähren. Ge‐ fordert sind Bildungsangebote, die immer weniger bloßes Faktenwissen und immer mehr kreatives Handlungswissen einschließen (vgl. Erpen‐ beck/Sauter 2013: v; Neuweg 2004). Im Zuge dessen werden in der Erwachsenen‐ und Weiterbildung zu‐ nehmend Ansätze diskutiert, die Wissen in einen direkten Zusammen‐ hang mit einer konkreten Praxis stellen und nicht als etwas rein Kognitives, Feststehendes und allgemein Fixierbares, sondern in Gemeinschaftspro‐ zessen eingebettet verstehen. Im Unterschied zum formalen Lernen wird hier nicht gezielt und bewusst, sondern durch Tätigkeiten und Handeln in der Arbeits‐ und Lebenswelt gelernt (vgl. Dehnbostel 2015). Die allge‐ meine Nutzung von digitalen Technologien wie Social Media und Cloud‐ Computing in Verbindung mit Mobilgeräten unterstützt diese Trends auf qualitativ neue Weise. Die Etablierung eines solchen Lernens stellt in einem formalen Kursan‐ gebot eine besondere Herausforderung dar, wobei vor allem die Dimensio‐ nen der Selbstorganisation und der gemeinsamen Praxis zu gewährleisten sind. So kann es zu dem enttäuschenden Phänomen kommen, dass institu‐ tionell bereitgestellte Community‐Projekte und Kommunikationsmöglich‐ © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_6
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keiten von den Kursteilnehmenden nicht angenommen werden. Für die Ent‐ wicklung von Bildungsangeboten wird es daher von Bedeutung sein, For‐ men der Lernorganisation zu entwickeln und zu kultivieren, die der Ei‐ gendynamik der Praxis und den Bewegungsformen eines teilhabenden Lernens in seiner Verflechtung mit dem persönlichen medienvermittelten Lerngeschehen angemessen sind (vgl. Bliss/Johanning/Schicke 2006: 13). Wie aber lässt sich an Prozesse praxisgebundener Wissenskonstruktion im Rahmen von institutionalisierten Weiterbildungsangeboten lernförder‐ lich anschließen? Das soll im folgenden Beitrag anhand des Konzepts der Community of Practice zunächst wissenssoziologisch und lerntheoretisch verortet werden, um anschließend Konsequenzen am Konzept des „Zerti‐ fikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“ zu exemp‐ lifizieren.
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Die Ausgestaltung von Weiterbildung durch ihre Anbieter geht einher mit der Entwicklung einer mehr oder weniger dezidierten Theorie über ihre Vermittlungsinhalte und ‐wege. In einer solchen Selbstbeschreibung wer‐ den zum einen handlungsleitende Überzeugungen transparent, die eine nach außen ersichtliche Unterscheidung gegenüber anderen Anbieter er‐ möglichen, und sie artikuliert nicht zuletzt eine dezidierte Ansprache von Zielgruppen. Zum anderen sind solche Offenlegungen zugleich Reflexio‐ nen der eigenen Ziel‐ und Wertbezüge in der Weiterbildungsorganisation, wodurch eigene Widersprüche, blinde Flecken, Tabus, Nivellierungsnot‐ wendigkeiten usw. beobachtet werden können und insgesamt organisati‐ onales Lernen angebahnt werden kann. Materialisiert finden sich diese Vorstellungen etwa im Curriculum und werden durch eine durch empiri‐ sche Forschung gestützte Lerntheorie fundiert. Diese geben Auskunft darüber, was in der Weiterbildungsorganisation als Wissen verhandelt, wie es bewertet und schließlich wie es erzeugt oder verändert, also wie gelernt wird. Versteht man weiter die derzeitige Gesellschaft als Wissensgesellschaft, so meint das einen Wandel der Bedeutung von Wissen – technologischem
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Wissen und Handlungskompetenz.1 Dabei artikuliert sich Wissen viel‐ mehr als Ressource denn als Wahrheit. „Wissen ist nun dadurch charakte‐ risiert, dass es (a) kontinuierlich revidiert, (b) permanent als verbesse‐ rungswürdig angesehen, (c) prinzipiell nicht als Wahrheit, sondern als Ressource betrachtet wird und (d) untrennbar mit Nicht‐Wissen gekoppelt ist“ (Willke 2011: 28). Für die Unternehmens‐ und Organisationsentwick‐ lung – zu denen auch Aus‐ und Weiterbildungen zählen – hat sich in der Folge ein breiter Diskurs etabliert, in dem Fragen des Managements und Transfers von Wissen fokussiert werden (vgl. u. a. Höhne 2003; Molzber‐ ger 2008). In ökonomischer Perspektive ist zu ergänzen, „dass Wissen ei‐ nen immer wichtigeren Wettbewerbsvorteil in der Wirtschaft darstellt“ (North/Franz/Lembke 2004: 41; Probst/Raub/Romhardt 2012). Dass die heutige Gesellschaft zentral von Digitalität geprägt ist, sollte kaum bestritten werden. Digitale, computerbasierte Technologien prägen den Alltag, prägen Kultur insgesamt und bringen neue Subjekte hervor (vgl. Jörissen 2017). Digitalkultur ist dabei aufs Engste verknüpft mit Ge‐ meinschaft. In ambivalenter Freiheit gestalten ihre Mitglieder in loser Hie‐ rarchie ihre Bedeutungsrahmen und Normen. Ambivalent ist die Freiheit, weil sie eine technologisch vermittelte (über Free Software, Social Media, Commons usw.) Mitgestaltung von Kultur durch ihre vernetzten Subjekte erlaubt, aber zugleich die Subjekte vor diesem Horizont zwingt, sich zu vernetzen und daran weiterhin aktiv (via Bloggen, Re‐/Posten, Tweeten, Liken usw.) teilzuhaben (vgl. Stalder 2016). In einer solchen Situation sind traditionelle Lebensläufe, die einem li‐ nearen Modell der (hoch‐)schulischen Ausbildung für eine bis zur Rente ausgeübte Berufspraxis entsprechen, kaum bis gar nicht mehr denkbar. Bildungspolitisch ist das gekoppelt an normative Ansprüche des Lebens‐ langen Lernens, das anders als in früheren Gesellschaftsformen einer 1 Es finden sich unterschiedliche Konzepte von Wissensgesellschaft; sie beschreiben den Relevanzverlust der Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts und den Bedeu‐ tungsgewinn von Bereichen, die mit Wissen im weitesten Sinne zu tun haben. Auffällig ist besonders die politische Debatte, die im Wesentlichen ökonomisch konnotiert ist und den Stellenwert von wissensintensiven Gütern und Dienstleistungen in der Wertschöp‐ fung hervorhebt (vgl. etwa Engelhardt/Kajetzke 2010).
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Bewahrung die Dynamisierung des Wissens entgegensetzt. Hervorge‐ bracht wird damit ein permanent unfertiges Subjekt, das sich selbstorga‐ nisiert über verschiedene Medien Wissen aneignet (vgl. Bollweg 2008: 18; Klingovsky 2009). Lebenslanges Lernen ist somit nicht nur eine Möglich‐ keit durch Weiterbildungen, Open Educational Resources usw. individu‐ elle gesellschaftliche Gestaltungsräume auszuweiten, sondern zugleich Bedingung der Möglichkeit, überhaupt an aktuellen sozialen Entwicklun‐ gen Anteil nehmen zu können (vgl. Dellorie 2016).2 Auch für Weiterbil‐ dungsinstitutionen ist längst klar, dass Digitaltechnologien Anteil an der Ausgestaltung von Wissen und der alltäglichen Unternehmenspraxis neh‐ men. So müssen sie Strategien entwickeln, um ihre Vormachtstellung in der Weitergabe und Produktion von Wissen zu erhalten.
1.1 Was meint Wissen? Vor der Folie sozialkonstruktivistischer sowie systemtheoretischer Theo‐ rien wird davon ausgegangen, dass Wissen nicht objektiv existiert und nicht direkt instruktional vermittelt respektive „transportiert“ werden kann. Im Gegensatz zu objektivistischen Vorstellungen betont das die ak‐ tive Konstruktion von Wirklichkeit, woran immer sowohl Menschen als auch Organisationen, Communities und Technologien beteiligt sind. In der Klärung des Wissensbegriffs ist es zunächst notwendig, Wissen von Daten und Informationen zu unterscheiden. Die oftmals mit der Infor‐ mationstheorie zusammenhängende Verortung von Wissen grenzt Wissen gegenüber Informationen und Daten ab (vgl. Böhm 2000: 30ff.), wobei Wis‐ sen an oberster Stelle der Begriffshierarchie steht. Daten (z. B. Einträge) sind zunächst beobachtete Unterschiede. Eingeschlossen ist damit, dass nur beobachtbare Phänomene – sei es durch Mikroskope, Computerpro‐ gramme etc. oder mit unseren Augen und Ohren – als Daten gezählt werden können. Informationen wiederum stellen beobachtete Unterschiede mit Neuigkeitswert bzw. kontextualisierte Daten dar, die also in Verbindung 2 Lebenslanges Lernen bezieht sich nur zu einem vergleichsweise geringen Teil auf z. B. die Teilnahme an formalen Weiterbildungskursen, sondern schließt auch die aktive Par‐ tizipation an kulturellen Wissensressourcen und gesellschaftlicher Wissenskommunika‐ tion ein (vgl. BLK 2004: 14f.).
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mit einer konkreten Situation stehen. Anders formuliert sind Informatio‐ nen Unterschiede, die einen Unterschied machen (vgl. Bateson 1987: 123), das alltägliche Aha‐Erlebnis, die herausstechende Stimme innerhalb einer Menschenmenge, das vom Computer vom Rauschen identifizierbare Sig‐ nal usw. Dagegen wird Wissen als vernetzte, als in der Praxis bewährte Infor‐ mationen betrachtet. Wissen wird gewusst, muss erinnert werden, ist be‐ kannt und ist zudem bewertet bzw. sozial als Wissen legitimiert. Wissen beschreibt damit nichts, das außerhalb sozialer Zusammenhänge an sich wahr ist. Wissen ist emergentes Ergebnis kommunikativer Konstruktion. Im Prozess der Wissenskonstruktion werden Bedeutung und Bedeutsam‐ keiten bzw. Relevanzen ausgehandelt (vgl. Willke 2011). Diese einführende Bestimmung von Daten, Information und Wissen soll einen nicht abgeschlossenen, aber für die folgenden Ausführungen ausreichenden theoretischen Rahmen bilden.
1.2 Wissensformen Die Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen nach Michael Polanyi (1985/2016) spielt als Erklärungsmodell, Wissen zu erschließen und für andere zugänglich zu machen, eine herausragende Rolle. Der ex‐ plizite Wissensaustausch schließt die eigene Sprache oder das eigene (ko‐ difizierte) Vokabular einer Person sowie in physikalischen oder materiel‐ len Objekten verkörperte Formen des Wissens ein. Dies können z. B. Be‐ richte, Vorträge, Handbücher, Datenbanken u. v. a. m. sein (hier geht es um Know‐what). Implizites Wissen beschreibt dagegen die praktischen Fertigkeiten oder Kenntnisse, die es erlauben, effizient und effektiv zu ar‐ beiten (also Know‐how). Wissen, das im Können verankert ist, etwas, das wir einfach tun, ohne immer über den detaillierten Lösungsweg nachden‐ ken zu müssen. Dieses Wissen ist häufig kompliziert zu formulieren und daher im Sinne von Wissensmanagement für andere schwer zu dokumen‐ tieren.3 3 Das Ziel von Wissensmanagements ist es, durch Interventionen das in Organisationen verteilte Wissen in Wettbewerbsvorteile umzusetzen. In Organisationen führt
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Damit wird heutzutage davon ausgegangen, dass ein Großteil, wenn nicht der größte Teil des Wissens implizit, tacit, schweigend ist.4 Das hat zur Folge, dass wir über unser implizites Wissen nur mit mühevoller Ex‐ plizierung bis niemals wissen können, woher und warum wir wissen (z. B. wie und warum wir vom Fahrrad beim Fahren nicht herunterfallen). Das Konzept der Wissensspirale (vgl. Nonaka/Takeuchi 1995) erweitert dieses Modell und bezieht sich vor der Folie des Meister*in‐Novizen*in‐ Prinzips auf verschiedene Bewegungen der Wissensumwandlung. In ei‐ nem spiralförmigen Prozess interagieren implizites und explizites Wissen stetig miteinander und beziehen ausgehend vom Individuum verschie‐ dene Gruppen und schließlich die gesamte Organisation mit ein. In der Konsequenz gilt es für die Erwachsenenbildung, „solche Lernarrange‐ ments zu erfinden und umzusetzen, wo nicht ausschließlich explizites Wissen erworben wird, sondern solche, in denen das neu hinzukommende (explizite) Wissen sich mit dem bereits vorhandenen (impliziten) Wissen verbinden kann. Erst dann wird neues Wissen nicht ‚träges Wissen‘ blei‐ ben.“ (Baumgartner/Gruber‐Muecke 2017: 65)
1.3 Wissensvermittlung Die Diskussion um die Bedeutung von Wissen in der gegenwärtigen Ge‐ sellschaft ist ursprünglich eine Auseinandersetzung mit dem Lernen Er‐ wachsener und der Frage des Verhältnisses von informellen und formalen Kontexten (vgl. Molzberger 2008).5 Trotz unabgeschlossener Begriffsdefi‐ nition wird damit zumeist auf das Lernen in formalen Bildungseinrichtun‐ gen im Kontrast zum Lernen in Beruf und Freizeit rekurriert (vgl. Wissensmanagement zuweilen im Zuge von Qualitätsmanagement‐Standardisierun‐ gen lediglich zur Ansammlung von Information, zur Häufung von Dokumenten, in denen das darin Zusammengetragene keine weitere Relevanz für die Praxis der Orga‐ nisation hat (vgl. Borowsky 2000; Bliss/Johanning/Schicke 2006: 3f.). 4 Im häufig zur Veranschaulichung verwendeten Bild des Eisbergs stellt das explizite Wis‐ sen den oberen, über dem Wasser befindlichen Teil, das implizite den weit größeren, nicht sichtbaren Teil unter der Oberfläche dar (vgl. Kraus et al. 2017). 5 Neben der Bedeutung für die Organisationsentwicklung nimmt das Thema informelles Lernen vor allem in der Debatte um das Lebenslange Lernen eine Rolle ein (vgl. BLK 2004; Dellorie 2016).
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Dehnbostel 2015). Formalität meint hiernach intentionales, vorstrukturier‐ tes, curricular angebundenes und zumeist zertifiziertes Lernen. Dagegen schließt Informalität neben bewusst zeitintensivem und zielorientiertem Lernen auch beiläufig‐inzidentelles, implizites, nicht strukturiertes Lernen und Erfahrungsprozesse ein. Seit einigen Jahren wird dafür insbesondere die Rolle von Kollaboration in sozialen, technologievermittelten Netzwer‐ ken hervorgehoben (vgl. Kahnwald 2013). Obwohl nicht explizit konstruktivistisch, ist die Theorie des situierten Lernens (vgl. Lave/Wenger 1991) für unsere Zwecke von entscheidender Bedeutung. Ausgangspunkt ist einerseits die Kritik an kognitivistischen Theorien, die Wissen in Köpfen von Menschen verorten, und andererseits die Kritik an einer dekontextualisierten Betrachtung von Wissen. Als Gegenkonzept schlagen Vertreter*innen des situierten Lernens ei‐ nen sozialen Lernbegriff vor, der Lernen als Partizipation bzw. „chang‐ ing participation in the practices of one or more communities“ (Wenger/McDermott/Snyder 2002: 53) konzeptualisiert. Lernen ist dem‐ nach kein passives Aufnehmen oder Aneignen, sondern aktives Handeln in authentischen Situationen (vgl. Konrad 2014: 19ff.). Dabei werden die aktive Interpretation des erkennenden Subjekts, der individuelle Prozess der Konstruktion von Sinn und Bedeutung sowie die damit einhergehende individuelle (Re‐)Konstruktion von Wissen betont.6 Damit grenzt sich die Theorie von der Vorstellung des Lernens als Aneignung ab und versteht Lernen im Unterschied dazu als einen Prozess der zunehmenden Enkultu‐ ration in einer Praxisgemeinschaft.
1.4 Lerngemeinschaften Da Wissen „nicht schlicht als vollständig objektivierbarer Gegenstand betrachtet werden kann, sondern als an Personen, an Interaktionen, an Beziehungen sowie an soziale Kontexte gebundene Ressource behandelt werden sollte“ (Bettoni/Clases/Wehner 2004: 320), nehmen wissens‐ 6 Letzteres wendet sich insgesamt gegen lehrgangsartiges Lernen von Faktenwissen, des‐ sen fehlende Einbettung in eine Praxis als „träges Wissen“ (vgl. Renkl 2010) bezeichnet wird.
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soziologische Ansätze Abstand von rein instruktionalen Lerndesigns. Ei‐ genverantwortung, Problemorientierung, Kooperation, das Anknüpfen an bereits Gelerntes und die damit einhergehende ständige Rekonstruktion und Erweiterung des eigenen (Handlungs‐)Wissens sind wichtige Merk‐ male des Lernprozesses. Vergemeinschaftete Wissensgenerierung bildet sich entsprechend durch eine Praxis des Teilnehmens, der Partizipation heraus, die nicht per se schon eine formale Struktur aufweist und auch nicht gänzlich von außen formalisiert und gesteuert werden kann. „Als eine sich selbst organisierende und sich verändernde Praxis ist sie viel‐ mehr Quelle für ein soziales Lerngeschehen, das zwischen denjenigen Ge‐ stalt annimmt, die an einer Gemeinschaft teilhaben.“ (Bliss/Johan‐ ning/Schicke 2006: 1) Dies legt eine Neuausrichtung von Weiterbildungs‐ maßnahmen nahe, in denen herausfordernde Situationen von den Beteilig‐ ten gemeinsam erlebt, unterschiedliche Erfahrungen ausgetauscht werden können und darüber diskutiert werden kann, wie man diese verbessern könnte. Das umfasst auch ergebnisoffene, wenig steuer‐ und messbare Ler‐ narrangements, welche die Grenzen zwischen Lernendem und Lehrendem sowie zwischen privatem und beruflichem bzw. informellem und formel‐ lem Lernen auflösen. Hervorzuheben ist, dass die Gestaltung einer lebendigen Lerngemein‐ schaft letztlich immer auf der freiwillig gestaltenden Teilhabe ihrer Mit‐ glieder beruht. Dies schließt auch Lerngemeinschaft als Teil eines didakti‐ schen Settings ein. Das Spannungsverhältnis zwischen prinzipieller Selbst‐ organisation auf der einen Seite und institutioneller Gründung und Unter‐ stützung andererseits prägt letztlich alle Gestaltungsaufgaben in Bezug auf Lerngemeinschaften. Hinzu kommt, dass der mit der Einrichtung von Lerngemeinschaften angestrebte individuelle Nutzen transparent zu ma‐ chen ist (vgl. Arnold 2003), wird die Initiierung einer Lerngemeinschaft in einer Weiterbildung angestrebt. Selbstbestimmung bei der Kooperation und bei der Wahl von Lerninhalten sowie das Angebot vielfältiger Partizi‐ pationsformen können zwar ebenfalls keine gemeinschaftlichen Praktiken erzwingen, sie schaffen aber förderliche Bedingungen für die Initiierung und Weiterentwicklung von Lerngemeinschaften. Unterstützende, koordi‐ nierende Strukturen und adäquate Kommunikationsformen können durch
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den Einsatz von Moderator*innen und Trainer*innen geschaffen werden (vgl. Witt/Czerwionka/Mengel 2007). Starre Steuerungsmechanismen ste‐ hen der notwendigen Eigendynamik dieser Organisationsform jedoch ent‐ gegen. Dabei steht insbesondere die Bewältigung konkreter Lebenssituation im Blick und beschränkt sich somit nicht auf simulierte Praxis eines ange‐ strebten Berufsfelds (vgl. Arnold 2003: 257). Daraus leitet sich nicht zuletzt die Forderung ab, die Kursgestaltung weniger an der potenziellen zukünf‐ tigen Arbeitswelt zu orientieren als vielmehr die Lebenswelt der Teilneh‐ menden zu thematisieren und einzubeziehen. Um erfolgreich zu sein, müssen die Mitglieder lernen, mit den verschie‐ denen Gruppenmitgliedern umzugehen, sich zu respektieren, wertzuschät‐ zen und verschiedene Sichtweisen zu einem gemeinsamen „Werk“ zusam‐ menzuführen. Zum einen geht es dabei darum, verschiedene Wissensstände und Expertisen der Mitglieder einzubinden (Diversity of Expertise, vgl. van der Vegt/Bunderson 2005), und zum anderen führt gerade diese Diversität auch zu der Erkenntnis, dass das kollektive Wissen immer größer ist als das individuelle, weshalb wiederum jede*r auf das Wissen der anderen angewiesen ist (Ressourceninterdependenz, vgl. Fischer/Waibel 2002: 43).
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Bedingt durch die hohe Veränderungsdynamik von Wissen und immer kürzere Innovationszyklen technologischer Entwicklung besteht für die Unternehmens‐ und Organisationsentwicklung ein breiter Diskurs. Popu‐ lär geworden ist in diesem Zusammenhang das Konzept der Community of Practice („CoP“, vgl. Lave/Wenger 1991), das auf der Theorie des situierten Lernens aufbaut. Etienne Wenger (1998: 1) beschreibt CoPs als „groups of people who share a concern or a passion for something they do and learn how to do it better as they interact regularly“. Zur Abgrenzung von ande‐ ren Formen sozialer Kooperation (z. B. Abteilungen, Teams, Netzwerke)7 7 Communities of Practice sind trotz teilweise synonymer Verwendung abzugrenzen von Gruppen und Netzwerken. Während Gruppen sich vor allem durch ihre Personennähe und einem Wir‐Gefühl beschreiben lassen, sind Netzwerke Beziehungsgeflechte, in
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werden drei Kernelemente hervorgehoben, die wechselseitig miteinan‐ der in Beziehung stehen und im Gleichgewicht stehen sollten (vgl. Wenger/McDermott/Snyder 2002: 27ff.). Das betrifft den Wissensbereich (Domain), die Gemeinschaft (Community) und die Praxis (Practice). Der Wissensbereich ist eine Sammlung von Themen, Schwerpunkten und Problemen, die für die Mitgliedschaft in der CoP von Bedeutung sind und das Hauptanliegen der Gemeinschaft bilden. Der Wissensbereich stellt ein Zentrum dar, um das sie sich formiert und kann sich in gemein‐ sam gemachten Erfahrungen und Erlebnissen widerspiegeln, in erlernten sozialen Ritualen und Verhaltensweisen oder einem Projektziel. Darin wird im Rahmen eines gemeinsamen Unterfangens (joint enterprise), für das sich das Engagement lohnt, in ko‐konstruktiven Prozessen Wissen und Bedeutung ausgehandelt. Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft ist gekenn‐ zeichnet durch die persönlichen und institutionellen Beziehungen zwi‐ schen den Mitgliedern und beinhaltet Form und Ausmaß der Interaktio‐ nen (Regelmäßigkeit, Häufigkeit, unter Anwesenden, via Skype, Forums‐ beiträge etc.), die Entwicklung der individuellen und kollektiven Identitä‐ ten, die Räume der Begegnung bis hin zur Atmosphäre bei On‐ oder Off‐ line‐Interaktionen etc. Die Praxis umfasst Erfahrungen, Standards, Ideen, Dokumentationen und Ansätze, die von allen Mitgliedern der Gemein‐ schaft geteilt werden (vgl. ebd.). Jeder Mensch ist Mitglied einer Vielzahl solcher Gemeinschaften, die ihm mehr oder weniger bewusst sind.8 Kennzeichen dieser Gemeinschaf‐ ten sind, dass sie als selbsttätige, organisationsbezogene Lern‐ und Wis‐ senssysteme konzipiert sind (vgl. Wenger 1998). Bei CoPs handelt es sich also um den Versuch, die Anatomie der Verzahnung individueller
denen schwache und starke Verbindungen zwischen Knotenpunkten ausgemacht wer‐ den können. 8 Emiliy Webber (2016: 4) unterscheidet vier Formen von Communities: Communities of Interest (= Menschen, die sich eine Leidenschaft teilen), Communities of Place (= Men‐ schen, die lokal miteinander verbunden sind), Communities of Action (= Menschen, die aufgrund eines bestimmten Ereignisses zusammentreffen) und Communities of Practice.
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Lernprozesse mit denjenigen der Weiterentwicklung der Gemeinschaft, in die sie eingebettet sind, aufzuzeigen und zu fördern.9 Die freiwillige, informelle und nicht fremdbestimmte Mitgliedschaft wird als ein zentrales Prinzip von Wissensgemeinschaften angesehen (vgl. Bullinger 2002: 23), die durch die Art und Weise, wie diese sich einbringen (können), lebt. Die Teilhabe und individuelle Entwicklung in einer CoP erklären Jean Lave und Etienne Wenger (1991) mit dem Konzept der legi‐ timierten periphären Partizipation. Beschrieben wird damit das schrittweise, durch eigenes Handeln hervorgerufene Hineinwachsen in die Gemein‐ schaft. Im Unterschied zu anderen sozialen Lerntheorien heben sie Lernen damit als wachsende Partizipation an der Gemeinschaft hervor, wobei die Lernergebnisse generell nicht isoliert existieren, sondern grundsätzlich Teil des sozialen Systems sind, durch das ihnen erst eine bestimmte Be‐ deutung zukommt. Dabei geht es nicht allein um die Aneignung von Fach‐ wissen und Know‐how, sondern vor allem auch von Werten und Normen der Community: „[…] participating with others in practice becomes the fundamental project subjects engage in, crafting identities of participation is a social process, and becoming more knowledgeably skilled is also an aspect of participation in social practice.“ (Lave 1997: 129) Zur Veran‐ schaulichung dieses Prozesses werden in der folgenden Grafik (siehe Abb. 1) fünf Möglichkeiten dargestellt, an einer CoP zu partizipieren.
9 Einige Autor*innen verwenden die Begriffe Wissensgemeinschaften und Communities of Practice synonym (vgl. North/Franz/Lembke 2004). In diesem Beitrag fokussiert der Begriff Wissensgemeinschaft die Wissensentwicklung und den Wissensaustausch und der Begriff CoP die Entwicklung einer geteilten sozialen Praxis.
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Abb. 1: Konzept der CoP: Partizipationsformen und Entwicklungsbahnen (vgl. Wenger 1998: 153ff.). Die in der Abbildung dargestellten Entwicklungsbahnen (vgl. Wenger 1998: 154f.) veranschaulichen, wie Mitglieder je nach Interessenlage und Teilnahmedauer partizipieren. So kann man in einer Community eine zentral‐gestaltende Position ansteuern, in einer anderen Community hin‐ gegen eher passiv‐tangential teilnehmen oder auch quer vermittelnd zu anderen CoP agieren. Im Laufe der Zeit finden auch ständig Positionsver‐ schiebungen statt. Durch die stete Mitglieder‐ und Positionsfluktuation werden immer neue Aspekte eingebracht, daher stellt eine solch partizipa‐ tive Form des Lernens kein eindimensionales Entwicklungsgeschehen oder einen bloßen Anpassungsprozess dar. Die verschiedenen Hinter‐ gründe und Intentionen der Teilnehmenden sind also sowohl der Grund für den dynamischen Charakter von CoP als auch der Auslöser von Lern‐ prozessen. Wichtig ist, dass Teilnehmende sich diesen Gemeinschaften in der Regel nicht anschließen, um explizit etwas zu lernen: Sie lernen, um als vollwertige Mitglieder an Gemeinschaften teilzuhaben (vgl. Krisper‐ Ullyett/Harnoncourt/Meinl 2005: 414).
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Folgt man Jean Lave und Etienne Wenger (1991: 59ff.) ist der Prozess der Integration von neuen Mitgliedern in die Gemeinschaft jedoch nicht als „Ausbildung“ im Sinne eines eindimensionalen Entwicklungsgesche‐ hens oder eines Anpassungsprozesses zu verstehen. Nicht nur die „Ein‐ steiger*innen“ und ihr Wissen, an der Praxis teilzuhaben, verändern sich, auch die soziale Praxis der Gemeinschaft selbst entwickelt sich und die veränderte Konstellation der „Neuen“. Das verdeutlicht, wie Wissen in der CoP als dynamisch gekennzeichnet ist. So stellen neue Mitglieder Möglichkeiten der Innovierung der Praxis dar, die einer einseitigen Kon‐ servierung entgegenwirken können. Gleichzeitig wird deutlich, dass in ei‐ ner sich verändernden Gemeinschaft jede*r in einem bestimmten Ausmaß als „Einsteiger*in“ gesehen werden muss. Dies weist auf ein verändertes Rollenverständnis hin.
1.6 Online‐Communities Der breite Diskurs seit den späten 1990er Jahren um CoP wurde ergänzt durch die Thematisierung der sozialen Plattformen im Netz, auf denen Personen Informationen teilen und sich zumeist problemorientiert mit an‐ deren austauschen (vgl. North/Franz/Lembke 2004: 37). Neben textbasier‐ ten Foren haben sich aktuell Facebook, YouTube, Snapchat, Instagram, Twitter, LinkedIn etc. als Wissensplattformen mit ganz unterschiedlichen Kommunikationsformen und Regeln etabliert. Mobile Apps lösen den Zu‐ gang zum Netz über den Desktop‐Browser ab und tragen zur Verschmel‐ zung der digitalen Welt mit dem Alltag bei. Außerdem finden Virtual‐ und Augmented‐Reality‐Angebote immer mehr Verbreitung als Werkzeuge von Wissenskonstruktion in informellen Kontexten (vgl. Fehling 2017).10 Im Gegensatz zu institutionalisierten Lernplattformen von Bildungsan‐ bieter*innen stehen bei diesen partizipativen Technologien die Aktivitäten der Akteur*innen und ihre Kommunikation im Vordergrund und nicht 10 Sie eröffnen immersive Erlebniswelten, in denen die Nutzer*innen das Geschehene nicht „von außen“ – externen Beobachter*innen gleich – filmisch wahrnehmen, sondern sich in künstliche Welten begeben, in denen sie interaktiv mit der „virtuellen Realität“ bzw. virtuell erweiterten Realität experimentieren können.
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Dokumente und Lernmaterialien.11 Sie erlauben das Verlinken und Inte‐ grieren externer Quellen (andere Plattformen, Foren, Webseiten) und un‐ terstützen zudem die Zusammenarbeit, die Entwicklung von neuen Be‐ kanntschaften und den Aufbau sozialer Gruppen. So stellen sie einen Rah‐ men für die Entwicklung von Wissen in sozialen Kontexten dar (vgl. Czauderna 2014), und immer mehr Kursteilnehmende sind auch bereits gewohnt, mit ihnen zu arbeiten. Laut Michael Kerres, Tobias Hölterhof und Axel Nattland (2011) werden soziale Online‐Plattformen (Social Media) zunehmend als Orte wahrgenommen, denen eine ähnlich hohe Verbindlichkeit und emotionale Qualität zugeschrieben wird, wie sie in anderen lebensweltlichen Kontexten erfahren werden. Mit zunehmender Digitalisierung geht insgesamt eine Entwicklung zu informellen Bildungsangeboten auf Online‐Plattformen einher (vgl. Kuh‐ len 2013; vgl. Erpenbeck/Sauter 2013). Dieser Trend lässt sich aktuell be‐ sonders deutlich an Online‐Bildungsangeboten für Fremdsprachen und z. B. Klavierunterricht beobachten. Interaktive soziale Online‐Plattformen werden zunehmend auch in Schule und Weiterbildung integriert (vgl. Wampfler 2017).12 Besondere Stärken zeigt die Integration von Social Media vor allem dort, wo eine enge persönliche Beziehung zwischen den Teilnehmenden besteht. Präsenzveranstaltungen haben einen zentralen Wert für das persönliche Kennenlernen (Kick‐off) und für gemeinsame Er‐ fahrungen. Online‐Plattformen hingegen bieten vielfältige Kollaborations‐ und Dokumentationsmöglichkeiten. Ein integriertes Lernarrangement umfasst vielfältige Formen der offenen Zusammenarbeit und verbindet auf diese Weise authentische Praxis mit einer reflexiven Lernkultur in den Präsenzphasen. Um dies zu unterstützen, wird es zukünftig wichtig sein, dass sich Weiterbildungsanbieter*innen – auch im Netz – als Expert*innen 11 Traditionelle Lernplattformen (LMS = Learning Management Systeme) wie Moodle wer‐ den häufig für das Einstellen und Verteilen von Dokumenten und Lernressourcen ge‐ nutzt (vgl. Petschenka/Engert 2011). Seltener gelingt es, darauf eine soziale Lernsituation zu gestalten. LMS sind daher eher als Lehrplattformen zu bezeichnen. 12 Dabei muss hervorgehoben werden, dass es sich bei organisierten Online‐Bildungsange‐ boten wie MOOCs (Massiv Open Online Courses) nicht a priori um Wissensgemeinschaf‐ ten handelt. Der Wissensaustausch in offenen Gemeinschaften kann nur teilweise und nur unter bestimmten Bedingungen auf solche Kurse übertragen werden.
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positionieren und sozial‐kommunikative Kompetenzen entwickeln (vgl. Witt/Czerwionka/Mengel 2007: 19ff.).
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Die dargelegten konzeptionellen Überlegungen fanden Eingang in die for‐ schungsbasierte Weiterbildungsentwicklung in dem zwischen 2014 bis 2017 laufenden Projekt TOUCH:MUSIC13. Dieses befasste sich mit der Ent‐ wicklung und Erprobung einer technologiebasierten Bildungsmaßnahme im Rahmen von drei Durchgängen vom „Zertifikatskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung“. Die Weiterbildung wurde formativ evaluiert, wobei in Form einer forschungsmethodisch geleiteten Selbstirri‐ tation beständig Konfliktpunkte herausgearbeitet, weiterbildungspädago‐ gische Konsequenzen abgeleitet und Lösungen teilweise bereits in den fol‐ genden Kursveranstaltungen umgesetzt wurden (vgl. Godau/Krebs 2017; Godau 2018). Die Weiterbildung richtete sich primär an Musiker*innen, die über keine abgeschlossene musikpädagogische Hochschulausbildung verfü‐ gen, aber eine im weitesten Sinne (musik‐)pädagogische Tätigkeit im Be‐ reich der Kulturellen Bildung anstreben. Ziele des Kurses waren zum ei‐ nen die Entwicklung der notwendigen Kompetenzen, um musikbezogene Bildungsangebote mit Musikapps im Nachmittagsbereich initiieren und realisieren zu können (schulischer Ganztag, Kulturvermittlung, sozialpä‐ dagogische Kontexte etc.).14 Dabei orientierte sich die Qualifikationsmaß‐ nahme an musik‐, medien‐ und kulturpädagogischen Fragestellungen. Zum anderen war es Ziel, die Teilnehmer*innen für Wissensgemeinschaften zu 13 Das Projekt TOUCH:MUSIC wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und im Verbund von der Universität der Künste Berlin (Forschungs‐ stelle Appmusik) und der Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel durch‐ geführt. 14 Der Zertifikatskurs wurde entwickelt, um auf die Situation vieler freischaffender Musi‐ ker*innen zu reagieren, die ihren Lebensunterhalt ohne Festanstellung mit kleineren Anstellungsverhältnissen und selbstständigen Projekten in verschiedenen kulturpädago‐ gischen Kontexten verdienen müssen, jedoch keine musikpädagogische Qualifikation vorweisen können.
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sensibilisieren und ihnen dadurch nachhaltig Lernmöglichkeiten zu eröff‐ nen. Vor der Folie beständiger Reflexion individueller Fähigkeiten und Be‐ tonung der Selbstorganisation sollten Selbstlernkompetenzen gefördert werden, um „in offenen, unüberschaubaren, komplexen, dynamischen und zuweilen chaotischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu handeln.“ (Erpenbeck/Sauter 2013: 32) Der Zertifikatskurs setzte sich aus vier fünftägigen Präsenzphasen zu‐ sammen, in denen die Teilnehmenden Veranstaltungen zu verschiedenen Themenbereichen besuchten (Musiklernen, Medienlernen, Kulturelle Bil‐ dung als pädagogische und als Evaluationspraxis), die ein breites Spek‐ trum an methodischen Zugängen abbildeten. Zwischen den Präsenzpha‐ sen wurden theoretische Aufgaben im Selbststudium bearbeitet und ei‐ gene Praxisprojekte durchgeführt, um im Rahmen des Kurses möglichst gleich im Kontext des Berufsfelds zu agieren und nicht nur über das Be‐ rufsfeld etwas zu erfahren.
2.1 Weiterbildung als Community of Practice? Trotz der Dominanz an gemeinsamer Praxis und der Sensibilisierung der Teilnehmer*innen für Wissensgemeinschaften im „Zertifikatskurs tAPP“ unterscheidet sich diese Weiterbildung von einer CoP. Weiterbildungen sind keine CoPs, sondern Organisationen bzw. formale Lernkontexte, in denen das Lehren und Lernen der Beteiligten (Kursteilnehmende, Do‐ zent*innen und Kursleitende) anhand zumeist curricular festgeschriebe‐ ner Ziele organisiert wird (vgl. Godau/Krebs 2017). Dennoch ergeben sich aus der Theorie der CoP wichtige Hinweise, die auch in die Planung von Weiterbildungsmaßnahmen einfließen können. Allen voran steht eine grundsätzliche Ausrichtung der Weiterbildung auf eine ermöglichungsdidaktische Lehr‐Lernkultur, die sich von quasi‐ mechanistischen erzeugungsdidaktischen Positionen abgrenzt (vgl. Arnold 2007; Schüßler/Kilian 2017). Insbesondere geht es darum, während der Weiterbildung durch geeignetes Design der Lehr‐Lernformate – besten‐ falls über die zeitlichen Begrenzungen des Kurses hinaus – förderliche Strukturen zu schaffen. Diese Formate sollen die Teilnehmer*innen unter‐ stützen, selbstorganisiert an authentischen Problemen zu lernen und die
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nachhaltige Entwicklung einer gemeinsam geteilten, informellen Praxis begünstigen (vgl. ebd.; vgl. auch Bliss/Johanning/Schicke 2006). Das erfor‐ dert für die Kursplanung, dass sie möglichst anpassungsfähig gehalten wird. Flexibilität hieß etwa innerhalb des „Zertifikatskurses tAPP“ ein Open Curriculum sowie die Einbeziehung der Teilnehmer*innen in die Planung nachfolgender Phasen durch Reflexionsveranstaltungen. Dazu gehörten aber auch radikal geöffnete Veranstaltungen wie BarCamps und Konzerte, in denen sowohl die Musiker*innen, die Dozent*innen sowie Ex‐ terne selbst gewählte Themenbereiche und künstlerische Ergebnisse prä‐ sentieren und diskutieren konnten.15
2.2 Strukturelle Beschreibung von Kursformaten Bei der Konzeption der Formate des Zertifikatskurses waren folgende Prinzipien der Pflege von CoPs ausschlaggebend, die eine Gemeinschafts‐ entwicklung unterstützen: 1) „Design for evolution. 2) Open a dialogue between inside and outside perspectives. 3) Invite different levels of participation. 4) Develop both public and private community spaces. 5) Focus on value. 6) Combine familiarity and excitement. 7) Create a rhythm for the community.“ (Wenger/McDermont/Snyder 2002: 51) Dies meint eine Ausrichtung an evolutionären, sich selbst entwickelnden Prozessen, in denen interne wie externe Perspektiven reflektiert werden und öffentliche sowie private Räume angemessen zur Geltung kommen. Das schließt auch Vernetzungen mit ein. Ein Schlüssel erfolgreicher Kulti‐ vierung liegt weiter darin, verschiedene Grade der Partizipation zuzulas‐ sen und in der Wertigkeit, die Relevanz der Lernprozesse in diskursiver 15 Die Bereicherung durch Perspektivenvielfalt und das Potenzial der anderen Teilnehmen‐ den und Gäste wurde dabei unmittelbar erlebbar und zu geschätzten Lernressourcen.
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Form auszuhandeln. Zudem wirken ein angemessenes Verhältnis bekann‐ ter, vertrauter und routinisierter Phasen gegenüber neuen, anregenden und irritierenden Phasen typischen Problemen einer Gemeinschaftsent‐ wicklung entgegen. Und schließlich trägt ein an der Community orientier‐ ter Rhythmus an Aktivitäten, der weder zu langsam, noch zu schnell vo‐ ranschreitet, zu einem guten Arbeitsklima bei. Vor dieser Folie werden im Folgenden drei Formate skizziert.16 a) Integration von Facebook‐Gruppen Die Nutzung von Facebook‐Gruppen zählt noch zu den weniger verbrei‐ teten Verfahren der Unterstützung von Communities in institutionellen Bildungskontexten (Kent/Leaver 2014). Während sich die allgemeine In‐ teraktion auf der Plattform Facebook in der Regel auf die Beziehungs‐ pflege und die Unterhaltung bezieht, werden Facebook‐Gruppen dazu verwendet, um sich themenzentriert zu vernetzen und auszutauschen. Nutzer*innen können vielen gleichzeitig angehören. Es gibt sowohl offene als auch geschlossene und versteckte Facebook‐Gruppen, zu denen man eingeladen werden muss. Voraussetzung zur Teilnahme ist ein persönli‐ ches Profil. Für den „Zertifikatskurs tAPP“ wurde in jedem einzelnen der Kurs‐ durchgänge eine geschlossene Facebook‐Gruppe eingerichtet, zu der all diejenigen Zugang hatten, die am Kurs teilnahmen (alle Weiterbildungs‐ teilnehmer*innen und Dozierenden). Die Online‐Plattform wurde genutzt, um über Kursdetails wie Orte oder Zeiten zu informieren oder Kursveran‐ staltungen zu reflektieren. Darüber hinaus bot die Facebook‐Gruppe Ge‐ legenheiten, Probleme außerhalb von Präsenzveranstaltungen kollabora‐ tiv zu lösen. Dazu zählten Fragen zu Apps für bestimmte Zielstellungen oder zu technischen Problemen sowie Absprachen zur gegenseitigen Un‐ terstützung bei Praxisprojekten und zur Gerätebeschaffung. Außerdem 16 Weitere Formate waren u. a. Praxisprojekte als authentische Probleme, Ensemblephasen und öffentliche Konzerte, selbstorganisierte Phasen, Pflichtseminare in wechselnden Kleingruppen mit anschließendem Austausch sowie die gemeinsame Konzeption, Durchführung, Reflexion und Dokumentation von Schulprojekten in Präsenzphasen.
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präsentierten sich die Teilnehmenden gegenseitig die Blogartikel ihrer in‐ dividuellen Praxisprojekte und gaben sich Feedback. Um den Teilnehmenden einen über den Kurs hinausgehenden Aus‐ tausch zu ermöglichen, wurden sie von der Kursleitung auch in andere Facebook‐Gruppen zum Thema Musik mit Apps eingeladen. Ziel war es, damit einen erweiterten informellen Austausch z. B. mit Appentwick‐ ler*innen, Medienpädagog*innen und Musiker*innen anzuregen. Im Jahr 2016 wurde darüber hinaus eine neue öffentliche Facebook‐ Gruppe „Netzwerk tAPP – Musik mit Apps in Bildungskontexten“ einge‐ richtet, die eine Zusammenkunft von aktuellen Kursteilnehmer*innen, Alumnis und Dozent*innen aller Durchgänge sowie externer Personen (weitere Akteure sowie Vertreter*innen von Kultur‐ und Bildungsinsti‐ tutionen) erlaubt, die sich mitunter nicht persönlich kennen. Diese Öff‐ nung schafft eine Struktur zum kollektiven Erfahrungsaustausch zum Weiterbildungsthema, die über die zeitlichen, räumlichen sowie persona‐ len Grenzen der Weiterbildung hinausreicht. Herausforderungen der Integration von Facebook‐Gruppen in die Kurse lagen darin, dass einige Teilnehmende kein Profil auf der Plattform besaßen und auch nicht extra einrichten wollten, und andere nur über we‐ nig sozial‐kommunikative Kompetenzen im Social Web verfügten. Zwar bietet Facebook den Vorteil, dass die Teilnehmenden kontinuierlich auf dem Laufenden gehalten werden können, da die Plattform mehrheitlich täglich von ihnen genutzt wird, jedoch gerät die Funktionalität der Face‐ book‐Gruppe an ihre Grenzen, wenn es um kollaborative Arbeitsformen in Projekten geht.17 b) Der Blog als Tool zur Wissensentwicklung Blogs sind ein bekanntes Tool der Konstruktion, Präsentation und des Transfers von Wissen (vgl. Hecker‐Stampehl 2013; Powell/Jacob/Chapman 17 So ist die zeitlich strukturierte Stream‐Darstellung der Beiträge nicht geeignet für pro‐ jektbezogene Kommunikation mit parallel unterschiedlichen thematischen Schwerpunk‐ ten, z. B. von temporären Expertengruppen. Dafür sind projektspezifische Online‐Platt‐ formen wie SLACK besser geeignet.
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2012). Autor*innen können unterschiedliche Beitragsformen (kurze und ausführliche Texte, Linksammlungen, Fotoserien oder Video‐ und Audio‐ beiträge) wählen und miteinander kombinieren. Die integrierte Kommen‐ tarfunktion fördert die aktive soziale Aushandlung in Form von Kritik und Ergänzung auch durch Externe. Im Rahmen der Weiterbildung „Zertifikatskurs tAPP“ wurde ein Blog eingerichtet, um einerseits ein partizipatives Angebot zu schaffen und an‐ dererseits Kursergebnisse nachhaltig als Beispiele für Musik‐ und Kultur‐ pädagog*innen verfügbar zu machen. Indem die Inhalte des Blogs sowohl von den Dozent*innen als auch von den Kursteilnehmenden publiziert wurden, versammelte sich in der Folge eine große Bandbreite an unter‐ schiedlichen Inhalten: darunter Seminarmaterialien, Reflexionen zu Pra‐ xisprojekten und App‐Vorstellungen. Dabei wurden auf dem Blog unter‐ schiedliche Expertisen sichtbar, die auch die Struktur im Kurs und der Ge‐ meinschaft verändern. Beim Schreiben der Beiträge unterstützten sich die Teilnehmer*innen und Dozierenden in einem kursinternen Review‐Ver‐ fahren. Die Kriterien wurden in Präsenzphasen kollektiv entwickelt. Mit jedem Kursdurchgang und mit jeder Phase kamen neue Autor*in‐ nen dazu und es entstand eine große Anzahl an Blogbeiträgen. Um die Sichtbarkeit von musikalisch‐kulturellen Bildungsprojekten, in denen Apps integriert sind, insgesamt zu erhöhen, wurde der Blog ab 2017 als zentrale Community‐Webseite positioniert.18 Im Zuge dessen wurden ne‐ ben Kursdozent*innen und (ehemaligen) ‐teilnehmer*innen auch externe Musiker*innen sowie Vertreter*innen von Kultur‐ und Bildungsinstitutio‐ nen eingeladen, ihre entsprechenden Bildungsangebote auf dem Blog zu präsentieren. Gleichzeitig verbinden sich damit die Ziele, die Vernetzung zu erleichtern, in Form von Beiträgen diverse Expertisen und Perspektiven im Sinne eines gemeinsamen „Wissensspeichers“ (Praxisprojektideen, Workshop‐Materialien, App‐Empfehlungen etc.) zu versammeln und für alle Interessierten eine Übersicht (Monitoring) über die vielen Projekten an unterschiedlichen Orten und in verschiedenen Kontexten anzubieten. 18 Unter der Adresse www.musik‐mit‐apps.de findet sich heute die Webseite vom „Netz‐ werk tAPP – Musik mit Apps in Bildungskontexten“, das deutschlandweit Akteure, die im Bereich künstlerisch‐kreativer Arbeit mit Musikapps aktiv sind, vereint.
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Auch nach dem offiziellen Projektende werden Beiträge (Ende 2017 waren insgesamt 124 Artikel erreichbar) und neue Profile von Akteur*innen ver‐ öffentlicht, die in dem Feld aktiv sind. Herausforderungen bei der Integration des Blogs in die einzelnen Kurs‐ durchgänge bestanden darin, dass die meisten Teilnehmer*innen kaum Erfahrungen im Schreiben von Blogtexten sowie der Produktion von pas‐ senden Videos und Fotos zur Veröffentlichungen im Netz hatten. Darum wurde die Produktion von Blogbeiträgen selbst Bestandteil des Kurses. Dazu zählten Fragen zu Textaufbau, Suchmaschinenoptimierung bis hin zu Dateiformaten. c) BarCamps als Unkonferenz und Plattform für alle Vor dem Hintergrund der Thematik des vorliegenden Artikels haben sich BarCamps als vielversprechendes, offenes Lernformat in der Weiterbildung gezeigt.19 BarCamps sind aus der Tradition von Webforen entstanden. Als sogenannte Unkonferenz wird im Gegensatz zu konventionellen Konfe‐ renzen die aktive Aushandlung von Bedeutung durch die Entdifferenzie‐ rung von Vortragenden und Publikum befördert. Ausgehend davon, dass Wissen nicht an Autoritäten gebunden ist, wird ein Austausch auf Augen‐ höhe angestrebt. Ein weiteres zentrales Moment ist die Wertschätzung von Diversität und die unterschiedlichen Expertisen der Teilnehmenden. Die BarCamps im Rahmen des „Zertifikatskurses tAPP“ hatten das Thema „Musik mit Apps in Bildungskontexten“. Sie fanden in verschiede‐ nen Präsenzphasen in zwei Durchgängen statt; so entwickelte sich eine ge‐ wisse Kontinuität. Zu diesen öffentlich angekündigten und beworbenen Veranstaltungen kamen Leute mit diversen Perspektiven und Hintergrün‐ den zusammen und es stand allen Gästen sowie den Kursteilnehmenden und Dozent*innen frei, eine eigene Session anzubieten. Dabei hatten die eher spontanen Sessions weniger den Charakter von Wissenspräsentation im Sinne eines Vortrags als vielmehr den eines offenen Austauschs. Das 19 Eine ausführliche Darstellung zum Thema BarCamps integriert in Fort‐ und Weiterbil‐ dungsangebote findet sich unter: www.forschungsstelle.appmusik.de/barcamp‐vielver sprechendes‐kursformat‐fuer‐weiterbildungs‐und‐fortbildungsangebote.
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Lernen mit‐ und voneinander führte zu neuen Kontakten und kooperati‐ ven Projekten. Wer eine Session vorschlug, beschrieb das Thema für den Sessionplan und es war jener*m überlassen, ob er*sie etwas zu einer Prob‐ lemstellung präsentieren, eine Diskussion führen wollte oder mit anderen die Zeit nutzen wollte, um gemeinsam eine Lösung/Antwort zu finden. Welches Thema aus den parallel stattfindenden Sessions die Teilnehmen‐ den wählten, war ihnen überlassen. Auch wie sie sich in den Sessions ein‐ brachten, war freiwillig. Dies unterstützte das Hineinwachsen. Die meisten Sessions wurden von Kursteilnehmenden gehostet. Dies ermöglichte, ihre eigenen Kompetenzen als Stärken zu reflektieren und zu präsentieren. Externe brachten ihr Wissen zum Thema aus unterschiedli‐ chen Kontexten, z. B. Theaterpädagogik, Klangkunst und Veranstaltungs‐ technik, ein und verbreiterten den Diskurs. Bei den BarCamps wurde auch dazu aufgerufen, unter einem bestimmten Hashtag aus den Sessions Ergeb‐ nisse und Diskussionsbeiträge im Social Web zu verbreiten (insbesondere Twitter und Instagram). Damit sollten in die Diskussionen auch Nichtan‐ wesende einbezogen werden, was überraschend gut gelang und wodurch wiederum neue Perspektiven für die thematische Auseinandersetzung ge‐ wonnen werden konnten. Herausforderungen betrafen den Aufwand zur Veranstaltungsorgani‐ sation und zur öffentlichen Ankündigung der BarCamps, um möglichst viele Externe zu gewinnen. Außerdem hatten viele der Gäste keine Erfah‐ rung mit dem gleichberechtigten Prinzip des Austauschs auf Augenhöhe und waren es nicht gewohnt, sich aktiv einzubringen.
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Fazit
Digitalkultur, der Bedeutungswandel von Wissen als Wahrheit hin zu Wissen als Ressource und der Imperativ des Lebenslangen Lernens zählen zu Merkmalen der aktuellen (Wissens‐)Gesellschaft. Das wirkt sich nicht nur auf Gestaltungsräume und die Anforderungen der an ihr partizipie‐ renden und miteinander vernetzten Menschen aus, sondern hat weitrei‐ chende Konsequenzen für das Bildungssystem. Gefordert sind Aus‐ und Weiterbildungsformate, die gesellschaftsweite Veränderungen nicht nur
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aufzeigen, sondern Menschen dabei unterstützen, nachhaltig Lernmög‐ lichkeiten zu öffnen und Orientierung in beruflichen Verhältnissen zu fin‐ den, die auf keine lange Tradition blicken oder die es noch gar nicht gibt. In unserem Artikel wurde in das Konzept der Weiterbildung „Zertifi‐ katskurs tAPP – Musik mit Apps in der Kulturellen Bildung” eingeführt, das sich konsequent dem Ansatz zur Wissensgenerierung in Gemeinschaf‐ ten verschreibt. Dabei handelt es sich um eine vierphasige Weiterbildung für Musiker*innen, die für die musikalische Kulturarbeit mit Smarttechno‐ logien qualifiziert werden sollen. Zudem folgt der Kurs dem Anspruch, nachhaltige Strukturen zu schaffen, die ein Lernen neben und nach der Weiterbildung im Sinne einer Wissensgemeinschaft ermöglicht. Ein definiertes Ende der Kompetenzentwicklung gibt es hinsichtlich der freiwilligen Mitgliedschaft in einer Wissensgemeinschaft nicht. Mit dem Abschlusszertifikat erhielten die Teilnehmenden eine Würdigung und ei‐ nen formalen Beleg ihrer im Kurs erbrachten Leistungen. Darüber hinaus kann die Wissensgenerierung auf der im Kurs erarbeiteten Infrastruktur jederzeit weitergeführt und auch auf neue Ziele hin ausgerichtet werden.20 Aber Veränderungen gehen nicht nur aufseiten der Kursteilnehmen‐ den im Rahmen ihrer Möglichkeiten damit einher, als „Einsteiger*innen“ an der Praxis teilzunehmen. Vielmehr verändert sich mit ihnen als „Neue“ die gesamte soziale Praxis. Wird innerhalb eines didaktischen Designs die Teilhabe an Wissensgemeinschaften angestrebt, so besteht daher nicht al‐ lein die besondere Herausforderung, Praxen teilhabenden Lernens mit in‐ stitutionalisierten Formen des Lernens in Beziehung zu bringen (vgl. Bliss/Johanning/Schicke 2006: 13). Auch sollte die Weiterbildungsinstitu‐ tion selbst Teil der Wissensgemeinschaft sein, für die sie zu qualifizieren anpeilt. Hierin bieten sich zugleich Gelegenheiten des Lernens der Weiter‐ bildungsinstitution, denn auch sie kann sich auf diese Weise effektiv weiter‐ entwickeln: Es kann von einer Praxis gemeinsamen Lernens gesprochen werden, in der sowohl die Kursleitenden als auch die Teilnehmenden ge‐ meinsam immer weiterlernen. Vor diesem Hintergrund bieten sich 20 Im Nachgang an diese Ausführungen gilt es, ähnliche Weiterbildungen, die sich konse‐ quent öffnen, im Rahmen formativer und summativer Evaluation zu erforschen, um zu ergründen, wie es ihnen gelingt, an Wissensgemeinschaften anzuschließen.
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einerseits Wissensgemeinschaften den Weiterbildungsinstitutionen als Entwicklungsmöglichkeit an. Andererseits gilt es auf gesellschaftliche Ent‐ wicklungen zu reagieren und Mittel und Wege zu finden, um passende Gemeinschaften zu identifizieren und sich kontinuierlich zu engagieren, um relevant zu bleiben. Die Integration digitaler Technologien spielt bei diesen Gemeinschaftsprozessen eine entscheidende Rolle.
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Handlungsfeldbezogene Weiterbildungen
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1.ȱ
ZurȱerstenȱOrientierungȱ
ImȱVorfeldȱseiȱbemerkt,ȱdassȱdasȱForschungsprojektȱ„aesthȱpaideia“ȱeineȱ Professionalisierungȱ derȱ KunstȬȱ undȱ Kulturschaffendenȱ (folgendȱ KünstȬ ler*innenȱ genannt)ȱ fürȱ dieȱ Kulturelleȱ Bildungȱ inȱ derȱ frühenȱ Kindheitȱ inȱ VerbindungȱundȱinȱforschenderȱZusammenarbeitȱmitȱPädagog*innenȱvorȬ sieht.ȱ Dasȱ findetȱ seineȱ Begründungȱ aufȱ verschiedenenȱ Ebenen.ȱ „aesthȱȱ paideia“ȱgehtȱbeispielsweiseȱgrundsätzlichȱnichtȱvonȱeinemȱLehrbildȱderȱ Absolutsetzungȱ vonȱ Inhaltenȱ undȱ derȱ Deutungshoheitȱ seitensȱ derȱ DoȬ zent*innenȱaus;ȱd.ȱh.,ȱwenngleichȱbeideȱDozent*innenȱeineȱprofessionelleȱ ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 1ȱȱ „aesthȱpaideia“ȱistȱeinȱForschungsprojektȱderȱAliceȱSalomonȱHochschuleȱ(ASH)ȱBerlinȱ undȱverstehtȱsichȱalsȱeineȱdialogischȬforschendeȱWeiterbildungsentwicklungȱzurȱProfesȬ sionalisierungȱvonȱKunstȬȱundȱKulturschaffendenȱfürȱdieȱKulturelleȱBildungȱinȱderȱfrüȬ henȱKindheitȱinȱZusammenarbeitȱmitȱPädagog*innen.ȱDasȱProjektȱwirdȱvonȱMarionȱKußȬ maulȱ undȱ Christianȱ Widdascheckȱ gemeinsamȱ geleitet.ȱ Dieȱ wissenschaftlicheȱ Expertiseȱ zurȱinhaltlichenȱKonzeptionȱundȱDidaktikȱderȱWeiterbildungȱwurdeȱvonȱMarionȱKußȬ maulȱ‚eingebrachtȱundȱmaßgeblichȱverantwortet.ȱSieȱistȱdaherȱdieȱalleinigeȱAutorinȱdesȱ vorliegendenȱBeitrags.ȱDerȱvorliegendeȱBeitragȱ„‚aesthȱpaideia‘ȱ–ȱ EineȱdialogischȬforȬ schendeȱ Weiterbildungsentwicklung“ȱ fandȱ in:ȱ Kettel,ȱ Joachimȱ (Hg.)ȱ (2017):ȱ MisȬ sing_LINKȱ 2016.ȱ Übergangsformenȱ vonȱ Kunstȱ undȱ Pädagogikȱ inȱ derȱ Kulturellenȱ BilȬ dung.ȱKünstlerischeȱKunstpädagogikȱimȱKontext.ȱOberhausen,ȱS.ȱ393Ȭ415,ȱseineȱErstverȬ öffentlichung.ȱ
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_7
ȱ
MarionȱKußmaulȱ
ExpertiseȱinȱdenȱKünstenȱsowieȱinȱderȱPädagogikȱaufweisen,ȱsoȱsehenȱsieȱ sichȱ nichtȱ alsȱ dieȱ einzigȱ relevantenȱ InhaltsȬȱ undȱ Verfahrensgeber*innen,ȱ sondernȱlegenȱaufȱdasȱPraxisȬȱundȱTheoriewissenȱderȱTeilnehmendenȱbeiȬ derȱProfessionen,ȱderȱKünstler*innenȱsowieȱPädagog*innen,ȱWert.ȱFolglichȱ istȱ dasȱ Forschungsprojektȱ zurȱ Entwicklungȱ einerȱ Weiterbildungȱ dialoȬ gischȬforschendȱinȱWechselbeziehungȱzuȱdenȱExpertisenȱderȱKünstler*inȬ nenȱ undȱ Pädagog*innenȱ angelegt.ȱ Denȱ Künstler*innenȱ vermittelnȱ sichȱ dadurchȱpädagogischȱrelevanteȱParadigmenȱfürȱdieȱUmsetzungȱkulturelȬ lerȱ Bildungsarbeitȱ mitȱ jungenȱ Kindernȱ nichtȱ alleinȱ diskursivȱ bestimmtȱ durchȱdieȱDozent*innen,ȱsondernȱvorȱallemȱauchȱüberȱdieȱdifferentenȱPäȬ dagogikkonzepteȱderȱeinzelnenȱKindertageseinrichtungenȱ(Kitas)ȱundȱdasȱ PraxiswissenȱderȱjeweiligenȱPädagog*innen,ȱdieȱanȱderȱWeiterbildungȱteilȬ haben.ȱ Gleichesȱ giltȱ umgekehrt.ȱ Dieȱ Pädagog*innenȱ lernen,ȱ durchȱ dieȱȱ gemeinsameȱ Weiterbildungȱ praxisȬtheorieȬverknüpftȱ dieȱ Bedeutungȱ desȱ genuinenȱWissensȱderȱKünsteȱundȱkünstlerischeȱVerfahrensweisenȱfürȱdieȱ BildungȱinȱderȱfrühenȱKindheitȱeinzuschätzen.ȱInȱdemȱZusammenhangȱistȱ dieȱ Erhebungȱ desȱ Movensȱ derȱ ästhetischȬkünstlerischenȱ VerfahrensforȬ menȱseitensȱderȱKünstler*innenȱsowieȱdieȱErhebungȱdesȱHandlungsȬȱundȱ BildungswissensȱderȱPädagog*innenȱinȱderȱ„ÄsthetischenȱPraxis“ȱalsȱbeȬ deutsamerȱBezugspunktȱderȱWeiterbildungsdidaktikȱzuȱsehen.ȱȱ Desȱ Weiterenȱ strebtȱ „aesthȱ paideia“ȱ eineȱ Qualifizierungȱ derȱ KünstȬ ler*innenȱsowieȱderȱPädagog*innenȱzurȱKulturellenȱBildungȱinȱAnerkenȬ nungȱihrerȱjeweiligenȱprofessionellenȱVerortungenȱdeswegenȱan,ȱweilȱsieȱ eineȱprofessionelleȱZusammenarbeitȱbeiderȱmitdenkt.ȱDiesesȱBildungszielȱ mitzuverfolgen,ȱbegründetȱsichȱu.ȱa.ȱinȱderȱErkenntnis,ȱdassȱjungeȱKinderȱ inȱ ihrenȱ Bildungsbemühungenȱ derȱ Fürsorgeȱ undȱ einerȱ kontinuierlichenȱ Beziehungȱ (vgl.ȱ Dreierȱ 2012)ȱ bedürfen.ȱ Einemȱ nachhaltigenȱ BildungsanȬ spruchȱfolgend,ȱimpliziertȱdiesȱeineȱKulturelleȱBildungȱinȱderȱfrühenȱKindȬ heit,ȱdieȱnichtȱvorrangigȱeinȱsepariertesȱProjektȱdenkt,ȱdasȱalleinȱdurchȱdieȱ Künstler*innenȱerbrachtȱwird,ȱsondernȱeineȱlängerfristigȱangelegteȱProjektȬ arbeitȱ inȱ professionellerȱ gegenstandsbezogenerȱ Zusammenarbeitȱ vonȱ Künstler*innenȱundȱPädagog*innenȱwünscht.ȱȱ UndȱletztlichȱliegtȱderȱAnstoß,ȱbeideȱBerufsgruppenȱgleichermaßenȱanȱ derȱWeiterbildungȱpartizipierenȱzuȱlassen,ȱinȱderȱleitendenȱHypotheseȱvonȱ
„aesthȱpaideia“ȱ
ȱ
ȱ
„aesthȱ paideia“,ȱ dassȱ esȱ eineȱ bildungstheoretischȱ relevanteȱ ScharnierȬ stelleȱ zwischenȱ denȱ Verfahrensweisenȱ derȱ Künste,ȱ imȱ Speziellenȱ denȱ zeitgenössischenȱKünsten,ȱundȱdenȱBildungsweisenȱdesȱKindesȱgibt.ȱDieȬ serȱhypothetischeȱGrundgedankeȱbildetȱzugleichȱgenerellȱdasȱzentraleȱinȬ haltlicheȱMovensȱvonȱ„aesthȱpaideia“.ȱErȱinduziertȱeineȱWeiterbildungsdiȬ daktikȱzurȱKulturellenȱBildung,ȱdieȱkeineȱPädagogisierungȱderȱKünsteȱsoȬ wieȱ keineȱ ausschließlichȱ diskursiveȱ oderȱ additiveȱ Bildungserweiterungȱ derȱ Künstler*innenȱ umȱ dasȱ pädagogischeȱ KnowȬhowȱ verfolgt,ȱ sondernȱ denȱBerührungspunktȱderȱexistenziellenȱDimensionȱdesȱÄsthetischenȱpraȬ xisȬtheorieȬreflexivȱinȱAnspruchȱnimmt.ȱInȱVerbindungȱdazuȱistȱimȱSinneȱ einesȱ Brückenschlagsȱ zwischenȱ Kunstȱ undȱ Pädagogikȱ auchȱ dieȱ BezugȬ nahmeȱaufȱdasȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“ȱnachȱHelgaȱKämpfȬJanȬ senȱzuȱsehen.ȱEsȱbildetȱalsȱImpulsgeberȱdenȱKernȱundȱdenȱOrientierungsȬ rahmenȱderȱVermittlungspraxisȱderȱWeiterbildungȱ„aesthȱpaideia“.ȱ FolgendȱmöchteȱichȱdasȱForschungsprojektȱ„aesthȱpaideia“ȱinȱBerückȬ sichtigungȱderȱsoebenȱdargelegtenȱPositionȱvorstellen.ȱZuȱBeginnȱwerdeȱ ichȱinȱ dieȱgrundlegendenȱ inhaltlichenȱParameterȱ derȱ Weiterbildungȱ einȬ führen.ȱInȱdemȱZusammenhangȱgeheȱichȱinȱAnbetrachtȱderȱzentralenȱHyȬ potheseȱ „aesthȱ paideias“ȱ undȱ damitȱ einhergehendȱ derȱ „aesthȬpaideia“Ȭ Annahmeȱaus,ȱdassȱsichȱdieȱAnfänglichkeitȱ–ȱundȱdamitȱdasȱWieȱdesȱkindȬ lichenȱBildungshandelnsȱinȱderȱAisthesisȱverortenȱundȱebensoȱdasȱÄstheȬ tischeȱundȱdieȱKünsteȱsichȱdortȱentfaltenȱ–ȱkurzȱaufȱdieȱAisthesisȱein.ȱDaranȱ anknüpfendȱ werdeȱ ichȱ dasȱ Konzeptȱ „Ästhetischeȱ Forschung“ȱ (KämpfȬȱ Jansenȱ2001)ȱinȱseinenȱKerndimensionenȱundȱRelevanzenȱfürȱdieȱVermittȬ lungspraxisȱerläuternȱundȱdieȱ„Graphie“ȱ(Sabischȱ2007)ȱ–ȱalsȱKnotenpunktȱ inȱdemȱKonzeptȱ–,ȱinȱihrerȱBedeutungȱfürȱdieȱErkenntnisȬȱundȱBildungsȬ bewegungȱ imȱ Kontextȱ derȱ angestrebtenȱ Qualifizierungȱ verdeutlichen.ȱ Schließlichȱerkläreȱichȱzusammenfassend,ȱinȱBezugnahmeȱaufȱeineȱGrafikȱ zumȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“,ȱdieȱWirkweisenȱdesȱZusammenȬ spielsȱvonȱdemȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“ȱundȱderȱ„Graphie“.ȱFolȬ gend,ȱ imȱ Anschlussȱ anȱ einenȱ strukturellenȱ Überblickȱ derȱ Weiterbildungȱ „aesthȱ paideia“,ȱ geheȱ ichȱ chronologischȱ insbesondereȱ aufȱ dieȱ WeiterbilȬ dungsphaseȱIȱinȱihrenȱtheoretischenȱsowieȱpraktischenȱSetzungenȱundȱdieȱ sichȱ daranȱ anschließendenȱ BildungsȬȱ undȱ Erkenntnisbezügeȱ imȱ Kontextȱ
ȱ
MarionȱKußmaulȱ
desȱ Qualifizierungszielsȱ ein.ȱ Dieȱ zweiteȱ Weiterbildungsphaseȱ wirdȱ vorȱ demȱHintergrundȱnurȱkurzȱbeschrieben.ȱInȱmanchenȱBezugsfeldernȱsetzeȱ ichȱzurȱbesserenȱAnschaulichkeitȱFotosȱein,ȱdaȱsieȱerkenntniserweiterndȱäsȬ thetischeȱErfahrungszusammenhängeȱaufzeigenȱkönnen.ȱUndȱabschließendȱ nehmeȱichȱnochmalsȱinȱBegründungȱdesȱdialogischȬforschendenȱBildungsȬ ansatzes,ȱderȱdieȱKünstler*innenȱsowieȱdieȱPädagog*innenȱinȱihrerȱProfesȬ sionȱberücksichtigt,ȱzusammenfassendȱBezugȱaufȱdieȱSpezifikȱderȱWeiterȬ bildungsdidaktikȱvonȱ„aesthȱpaideia“.ȱȱ
2.
InhaltlicheȱGrundlegungȱderȱȱ Weiterbildungskonzeptionȱ„aesthȱpaideia“ȱ
Dieȱ Schlüsselpositionȱ derȱ Weiterbildungsdidaktikȱ vonȱ „aesthȱ paideia“ȱ liegtȱinȱderȱKorrespondenzȱkindlicherȱWahrnehmungsȬ,ȱHandlungsȬȱundȱ BildungsweisenȱzuȱdenȱVerfahrensweisenȱderȱKünste,ȱvorȱallemȱderȱzeitȬ genössischenȱ Künsteȱ undȱ zurȱ Dimensionȱ desȱ Ästhetischen.ȱ Ausgehendȱ undȱ bezugnehmendȱ aufȱ dieȱ Besonderheitȱ kindlichenȱ Bildungshandelns,ȱ dasȱ ästhetischȱ motiviert,ȱ multiȬȱ undȱ transmodalȱ organisiertȱ istȱ undȱ sichȱ performativȱimȱModusȱvonȱSpielȱalsȱeinȱspezifischerȱUmgangȱmitȱWirkȬ lichkeitȱzeigt,ȱstehtȱdasȱWieȱästhetischȬkünstlerischerȱZugangsweisenȱundȱ ihrȱspezifischerȱEigensinnȱanȱErkenntnispraxisȱimȱZentrumȱderȱProfessioȬ nalisierung.ȱ
2.1ȱ
Aisthesisȱ–ȱWurzelȱvorreflexiverȱErkenntniswegeȱ
VorȱdemȱHintergrundȱderȱinhaltlichenȱGrundideeȱgiltȱes,ȱdenȱUrsprungsȬ ortȱdesȱÄsthetischen,ȱdieȱAisthesis,ȱfürȱeineȱKulturelleȱBildungȱinȱdenȱBlickȱ zuȱnehmen.ȱMitȱGertȱSelleȱ(1998)ȱwerdenȱwirȱdaraufȱverwiesen,ȱdassȱäsȬ thetischeȱ Bildungsprozesseȱ mitȱ einerȱ sinnlichenȱ Empfindung,ȱ dieȱ inȱ dieȱ AufmerksamkeitȱeinesȱSubjektsȱtritt,ȱbeginnen.ȱEmpfindungȱistȱgedeutetȱ alsȱetwas,ȱdasȱnochȱkeineȱIdentifikationȱinȱsichȱträgt,ȱetwas,ȱdasȱvorȱeinerȱ reflexivenȱWahrnehmungȱentspringt.ȱSieȱbildetȱSelleȱzufolgeȱdieȱBasis,ȱaufȱ derȱimȱZusammenspielȱderȱSinneȱüberȱkomplexeȱWahrnehmungsprozesseȱ sinnbildendeȱ Gestaltungsbewegungenȱ angestoßenȱ werden.ȱ Dieseȱ
„aesthȱpaideia“ȱ
ȱ
ȱ
Sichtweiseȱ weistȱ Parallelenȱ zuȱ derȱ phänomenologischenȱ BetrachtungsȬ weiseȱ auf,ȱ dieȱ inȱ derȱ anthropologischenȱ Bedingtheitȱ desȱ leibsinnlichenȱ ZurȬWeltȬSeinsȱ(MerleauȬPontyȱ1974)ȱeinȱgestaltendȬreflexivesȱVerhältnisȱ desȱ Menschenȱ zurȱ Weltȱ begründetȱ siehtȱ undȱ eineȱ sinnlicheȱ ErkenntnisȬ weise,ȱwieȱsieȱAlexanderȱGottliebȱBaumgartenȱinȱseinerȱ„Aesthetica“ȱaufȬ nimmt,ȱberücksichtigt.ȱUnterȱdieserȱPerspektiveȱwirdȱfürȱdenȱDiskursȱeiȬ nerȱästhetischȬkünstlerischenȱBildungspraxisȱdieȱBedeutungȱpräsentativȬ leiblicherȱWahrnehmungsȬȱundȱArtikulationsweisenȱvirulent,ȱdieȱesȱgilt,ȱ fürȱdieȱBildungȱimȱAllgemeinenȱundȱinsbesondereȱfürȱdieȱKulturelleȱBilȬ dungȱinȱderȱfrühenȱKindheitȱzuȱreflektieren.ȱAisthesisȱalsȱWurzelȱderȱäsȬ thetischenȱErfahrungȱundȱderȱKünsteȱbildetȱfürȱ„aesthȱpaideia“ȱdaherȱexȬ plizitȱ dieȱ Anknüpfungsstelle,ȱ anȱ derȱ sichȱ sowohlȱ dieȱ kindlichenȱ HandȬ lungsweisenȱ alsȱ auchȱ dieȱ künstlerischenȱ Verfahrensweisenȱ kreuzenȱ undȱ dasȱKonzeptȱderȱ„ÄsthetischenȱForschung“ȱdazuȱdieȱVerbindungȱzuȱeinerȱ ästhetischȬkünstlerischenȱDidaktikȱderȱfrühenȱKindheitȱschlägt.ȱȱ
2.2ȱȱ DasȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“ȱȱ Dasȱ Konzeptȱ „Ästhetischeȱ Forschung“ȱ verstehtȱ sichȱ alsȱ einȱ dialogischesȱ Verfahrensprinzipȱ „forschendenȱ Lernens“ȱ zwischenȱ Alltag,ȱ Kunstȱ undȱ Wissenschaft.ȱMitȱdemȱBegriffȱdesȱÄsthetischenȱnimmtȱKämpfȬJansenȱinȱihȬ remȱForschungskonzeptȱdenȱspezifischenȱModusȱleibsinnlicherȱZugangsȬȱ undȱErkenntnisweisenȱauf,ȱdieȱdasȱEmpfinden,ȱemotionaleȱDispositionenȱ undȱ assoziativeȱ Vorgehensweisenȱ berücksichtigen.ȱ Dasȱ gesamteȱ ForȬ schungsprinzipȱbestimmtȱsichȱsubjektorientiertȱundȱgibtȱüberȱdieȱIntegraȬ tionȱsubjektiverȱAnteileȱimȱForschungsprozessȱbewusstȱindividuellenȱFraȬ gengenerierungenȱ zuȱ einerȱ Sache,ȱ inȱ Formȱ beziehungsstiftenderȱ SinnsuȬ che,ȱRaum.ȱȱ Dieȱ Vernetzungȱ vonȱ vorwissenschaftlichen,ȱ künstlerischenȱ undȱ wisȬ senschaftlichenȱVerfahrensweisenȱzeigtȱzudemȱeinenȱperformativenȱundȱ zieldynamischenȱ Verfahrensimpetusȱ desȱ Forschensȱ undȱ darinȱ einenȱ erȬ weitertenȱErkenntnisbegriffȱan.ȱMitȱBezugȱhieraufȱverweistȱKämpfȬJansen,ȱ inȱDifferenzȱzurȱkantischenȱÜberzeugung,ȱaufȱeineȱErkenntnisbildung,ȱdieȱ dasȱ„Andereȱderȱ Vernunft“ȱ inȱseinemȱ ästhetischenȱ Erkenntnisvermögenȱ gleichwertigȱ derȱ diskursivenȱ Erkenntnisweiseȱ berücksichtigt.ȱ Dasȱ heißt,ȱ
ȱ
MarionȱKußmaulȱ
dasȱ Konzeptȱ greift,ȱ nebenȱ derȱ subjektorientiertenȱ Ausrichtungȱ desȱ ForȬ schungsprozesses,ȱimȱSpeziellenȱmitȱdenȱkünstlerischenȱVerfahrensȬȱundȱ BildungsweisenȱundȱderȱdarinȱangelegtenȱsingulärenȱErkenntnispraxisȱbeȬ wusstȱdieȱerweiterndeȱErkenntnisperspektiveȱdesȱÄsthetischenȱauf.ȱDemȱ angeordnet,ȱbegründetȱsichȱinȱderȱVerschränkungȱderȱvielfältigenȱHandȬ lungsȬȱ undȱ Erkenntnisweisenȱ zwischenȱ Alltag,ȱ Kunstȱ undȱ Wissenschaftȱ ebensoȱ dieȱ Inanspruchnahmeȱ einesȱ erweitertenȱ Kunstbegriffs,ȱ wieȱ erȱ inȱ denȱzeitgenössischenȱKünstenȱangezeigtȱist.ȱUnterȱdenȱdiesenȱPrämissenȱ weistȱdasȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“ȱeineȱIdealisierungȱausschließȬ lichȱ wissenschaftlicherȱ Erkenntnisgewinnungȱ sowieȱ eineȱ eindeutigeȱ ErȬ schließungsrichtungȱvonȱKognitionȱundȱEmotionȱinȱihrerȱHierarchisierungȱ zurückȱundȱwünschtȱdasȱErkenntnisbildȱeinerȱ„subjektivenȱObjektivität“.ȱ ErkenntnisȬȱsowieȱbildungstheoretischȱbedeutsamȱistȱinȱdemȱZusammenȬ hang,ȱ dassȱ sichȱ überȱ dieȱ ästhetischȬforschendeȱ Verfahrensweiseȱ einȱ ErȬ kenntnisprozessȱ zuȱ dreiȱ Seitenȱ hin,ȱ demȱ Selbstȱ (Subjekt),ȱ demȱ GegenȬ standsbereichȱ (Objekt)ȱ sowieȱ derȱ Handlungserfahrungȱ derȱ eigenenȱ ErȬ kenntnisfähigkeitȱimȱSinneȱderȱErhellungȱintersubjektiverȱInterdependenȬ zenȱmotiviert.ȱȱ WasȱistȱunterȱdenȱdreiȱVerfahrensweisenȱundȱStrategienȱ(hierȱanalytischȱ getrennt)ȱzuȱverstehen?ȱ Alltagȱ–ȱvorwissenschaftliche,ȱanȱAlltagserfahrungenȱorientierteȱVerfahrenȱ fragenderȱundȱentdeckenderȱUmgangȱmitȱDingen,ȱMaterialȱundȱ PhänomenenȱalltäglicherȱErfahrung:ȱSichȬWundern,ȱHinterfraȬ gen,ȱStaunen,ȱleibsinnliches,ȱlangsamesȱErkundenȱ handelnderȱUmgangȱmitȱDingen:ȱSammeln,ȱOrdnen,ȱArrangieȬ ren,ȱPräsentierenȱ ästhetischeȱPraktiken:ȱhandwerklicheȱundȱtechnischeȱVerfahren,ȱ Kleben,ȱMontieren,ȱAusschneiden,ȱNähenȱetc.ȱ FragenȱnachȱdenȱnächstenȱSchritten:ȱOrganisationȱundȱPlanungȱ BezugnahmeȱzurȱAlltagsbezüglichkeitȱdesȱGegenstandsbereichsȱȱ Kunstȱ–ȱkünstlerischeȱVerfahrenȱundȱKunstkonzepteȱimȱBereichȱaktuellerȱKunstȱ
„aesthȱpaideia“ȱ
ȱ
ȱ
irritierenderȱundȱunorthodoxerȱUmgangȱmitȱdenȱAlltagsdingenȱ undȱMaterial:ȱerstesȱGewahrwerden,ȱheterogeneȱWahrnehȬ mungskontexteȱ traditionellȱästhetischȬkünstlerischeȱVerfahren:ȱMalen,ȱFotografieȬ ren,ȱDrucken,ȱexperimentelleȱPraxis,ȱSkizzieren,ȱModellieren,ȱvisuȬ elleȱKonzepteȱ BezugnahmeȱzuȱdenȱzeitgenössischenȱKünsten,ȱKunstpraxisȱeinȬ zelnerȱKünstler*innenȱ Objektarrangement,ȱGegenstandsverfremdung,ȱKlangelemente,ȱ Spracheȱ Wissenschaftȱ–ȱwissenschaftlicheȱMethodenȱ wissenschaftlicheȱHerangehensweisen:ȱBefragen,ȱErforschen,ȱReȬ cherchieren,ȱAnalysieren,ȱKategorisieren,ȱDokumentieren,ȱArchiȬ vieren,ȱKonservieren,ȱPräsentieren,ȱKommentierenȱ Einordnen,ȱVergleichen,ȱreflexivesȱInȬBeziehungȬSetzenȱallerȱZuȬ gangsweisenȱ AuseinandersetzungȱmitȱdenȱfürȱdenȱGegenstandsbereichȱreleȬ vantenȱDisziplinenȱ AufnahmeȱvonȱamȱÄsthetikȬDiskursȱangelehntenȱDisziplinen:ȱ Philosophie,ȱAnthropologie,ȱSozialwissenschaftenȱetc.ȱ ReflexionȱderȱDifferenzȱvonȱkünstlerischerȱundȱwissenschaftliȬ cherȱHerangehensweiseȱ ȱ NichtȱnurȱinȱderȱVerfahrensweiseȱundȱdenȱdifferentenȱDiskurszugängen,ȱ sondernȱauchȱinȱdemȱWieȱderȱBezugnahmeȱzumȱGegenstandsbereichȱzeiȬ genȱdieȱdreiȱVerfahrensformenȱverschiedeneȱAkzentuierungen,ȱdieȱfürȱdieȱ Erkenntnisweiseȱ undȱ denȱ Forschungshabitusȱ bedeutsamȱ sind.ȱ Währendȱ sichȱ dieȱanȱdemȱ Alltagȱ orientiertenȱ Verfahrenȱzuȱderȱ SacheȱimȱRaumȱinȱ einemȱ sozialenȱ Selbstverständnisȱ bewegen,ȱ d.ȱh.,ȱ dieȱ Weiseȱ derȱ BezugȬ nahmeȱeineȱdurchȱsichȱselbsterklärendeȱist,ȱsetzenȱsichȱdieȱwissenschaftliȬ chenȱsowieȱdieȱkünstlerischenȱVerfahrensformenȱinȱDistanzȱzuȱeinerȱSaȬ che,ȱwobeiȱsichȱdieȱWeiseȱderȱDistanznahmeȱjeȱunterscheidet.ȱDieȱWissenȬ schaftȱ nimmtȱ eineȱ reflexiveȱ Distanzȱ mitȱ demȱ Anspruchȱ einerȱ
ȱ
MarionȱKußmaulȱ
erklärenden,ȱ rationalȬbegrifflichȬlogischenȱ Betrachtungȱ überȱ etwasȱ auf,ȱ währendȱdieȱkünstlerischenȱStrategienȱeineȱreflexiveȱDistanzȱimȱPrinzipȱ derȱ Transformation,ȱ eineȱ Klärungȱ imȱ Raumȱ von,ȱ mitȱ oderȱ inȱ undȱ nichtȱ überȱetwas,ȱinȱAnspruchȱnehmen.ȱȱ ZusammengefasstȱbedeutetȱdasȱKonzeptȱ„ÄsthetischeȱForschung“ȱkeinȱ formalesȱMethodenangebot,ȱsondernȱistȱüberȱdieȱSetzungȱvonȱForschungȱ mitȱheterogenenȱAnteilenȱzwischenȱWahrnehmung,ȱErfahrungȱundȱWisȬ sen,ȱdasȱeinȱkomplexesȱGewebeȱanȱErkenntnistätigkeitȱanregt,ȱalsȱeinȱdyȬ namischȬdialogischesȱHandlungskonzeptȱzuȱverstehen.ȱ
2.3ȱ
Dieȱ„Graphie“ȱȱ
Dieȱ „Graphie“ȱ istȱ eineȱ bildungsbegleitendeȱ prozessualeȱ AufzeichnungsȬȱ undȱDokumentationspraxisȱundȱbildetȱdenȱerkenntnistheoretischenȱKnoȬ tenpunktȱimȱKonzeptȱderȱ„ÄsthetischenȱForschung“.ȱImȱUnterschiedȱzuȱ einerȱreinȱtextuellenȱNiederschriftȱumfasstȱsieȱmedialeȱModiȱwieȱZeichnen,ȱ Malen,ȱ Schreiben,ȱ Kritzeln,ȱ Bilder,ȱ Fotografieren,ȱ Gedichteȱ schreiben,ȱ Skizzenȱherstellenȱetc.ȱAlsȱAufzeichnungspraxis,ȱdieȱjeglicheȱGedankenȬ,ȱ EmotionsȬȱ undȱ Wissensbewegungen,ȱ auchȱ dasȱ ErgriffenȬSeinȱ vonȱ etwasȱ multimedialȱzuȱeinemȱfokussiertenȱGegenstandsbereichȱaufnimmt,ȱimpliȬ ziertȱsieȱeineȱperformativeȱSchreibweise.ȱInȱihremȱEntwurfscharakterȱgibtȱ sieȱ denȱ prozessualen,ȱ diskontinuierlichenȱ Bildungsbewegungenȱ einesȱ MenschenȱRaumȱundȱbedeutetȱgleichsamȱmittelsȱdesȱprozessoffenenȱOsȬ zillierensȱundȱFesthaltensȱeigenerȱGedankenȬȱundȱHandlungsfacettenȱeineȱ ästhetischeȱ Erfahrungsorganisation.ȱ Alsȱ einȱ unaufhörlichȱ bewegterȱ GeȬ dankeneinfallsȬ,ȱ ArtikulationsȬȱ undȱ Reflexionsraumȱ zeigtȱ sichȱ dieȱ „GraȬ phie“ȱselbstȱalsȱeinȱästhetischerȱGestaltungsort,ȱinȱdem,ȱentlangȱderȱSpurenȱ eigenerȱ Aufmerksamkeiten,ȱ neueȱ Erkenntnisrichtungenȱ aufgenommenȱ werdenȱkönnen.ȱDieȱeinzigenȱverbindlichenȱAnhaltspunkteȱinȱderȱ„GraȬ phie“ȱsindȱderȱTagȱundȱdieȱZeitȱalsȱOrientierungsrahmen.ȱDaranȱausgeȬ richtet,ȱermöglichtȱdieȱ„Graphie“ȱimȱNachgangȱalsȱMediumȱderȱReflexion,ȱ denȱ persönlichenȱ Relevanzrahmenȱ eigenerȱ Bildungsprozesseȱ mitȱ Bezugȱ aufȱdenȱgewähltenȱGegenstandsbereichȱzuȱerschließen.ȱZuȱallererstȱistȱsieȱ jedochȱalsȱeineȱPraxisȱderȱReflexionȱmitȱundȱnichtȱüberȱetwasȱzuȱverstehen.ȱ Dieȱ„Graphie“ȱbietetȱsichȱvorȱdemȱHintergrundȱbesondersȱalsȱeinȱMediumȱ
ȱ
„aesthȱpaideia“ȱ
ȱ
imȱRahmenȱ„forschendenȱLernens“ȱan,ȱwieȱesȱmitȱdemȱKonzeptȱ„ÄsthetiȬ schenȱForschung“ȱangezeigtȱist.ȱInȱdemȱFormatȱderȱdoppeltenȱReflexionȱ liegtȱdieȱBesonderheitȱanȱErkenntnisbildung,ȱdieȱimȱästhetischenȱForschen,ȱ ähnlichȱautoethnographischerȱForschungsansätzeȱ(Ellisȱ2004),ȱrelevantȱistȱ undȱimȱRahmenȱunsererȱforschendenȱWeiterbildungȱ„aesthȱpaideia“ȱeineȱ zentraleȱStellungȱeinnimmt.ȱ ȱ
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ȱȱ
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ȱ
Abb.ȱ 1:ȱ Auszügeȱ ausȱ einemȱ „GraphieȬWerkstattȬTagebuch“ȱ (Jeanetteȱ Heeneȱ2015)2ȱ
ȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱȱ 2ȱȱ SämtlicheȱFotografienȱdiesesȱArtikelsȱstammenȱvonȱMarionȱKußmaul.ȱ
132 2.4
Marion Kußmaul
Erläuterungen zur „Ästhetischen Forschung“ in Verbindung zur „Graphie“
Mit der folgenden Grafik wird zum Verständnis des dialogisch‐forschen‐ den Prinzips der Weiterbildungsdidaktik nochmals zusammenfassend in Verbindung zu der Notationspraxis „Graphie“ dargelegt, wie sich unter dem Paradigma des Konzepts „Ästhetische Forschung“ ein dynamisch‐ prozessorientierter (Weiter‐)Bildungsprozess (selbst‐)reflexiv zu drei Sei‐ ten hin entwerfen kann (siehe Abb. 2).
Abb. 2: Bildungsbewegung „Ästhetische Forschung“ (Marion Kußmaul 2010) In der (Fremd‐)Begegnung ereignen sich Empfindungen sowie Wahrneh‐ mungen und merken Erinnerungen und Wissensbruchteile auf, die dem Selbst – wenn wir nicht von einem identitätsphilosophischen Bildungs‐ prinzip ausgehen – eher widerfahren, denn intentional bestimmt sind. Als nicht identische Erfahrung, die die Paradoxie einer Indifferenz‐Differenz‐ Erfahrung auslöst, stößt sie die Erkenntnis‐ und Sinnsuche des Subjekts an. Die in Gang gesetzte fragende Suchbewegung wird durch die beschrie‐ benen Erkenntnis‐ und Handlungsweisen der drei Bezugsgrößen Alltag,
„aesth paideia“
133
Kunst und Wissenschaft begleitet und weiterbewegt. Das geschieht nicht in Form einer additiven Abarbeitung, sondern in einer sich im Prozess ge‐ genseitig bewegenden Erkenntniszugkraft, durch die das Subjekt sich an‐ treibt und angetrieben wird, seinen generierten Fragen entlang, jeweils die relevante Perspektive aufzunehmen. Die prozessuale Aufzeichnungspraxis „Graphie“ wird dabei zum Dreh‐ und Angelpunkt aller in der Erkenntnis‐ bewegung einfließenden Aspekte, über deren Reflexion im Nachgang die intersubjektiven und medialen Interdependenzen in ein klärendes Ver‐ hältnis hinsichtlich des Forschungsprozesses zur Sache als auch zum Selbst überführt werden. Im Gewahrwerden und in der Reflexion der eigen‐motivierten Erkenntnisgenerierung ermöglicht das Konzept „Ästhe‐ tische Forschung“ den Forschenden, ein substanzielles Verständnis zu dem Gegenstandsbereich sowie eine autobiografische Recherche in Grenz‐ erweiterung zu sich selbst nahe zu legen, die zugleich eine Reflexion der historischen, kulturellen und politischen Dimensionen miteinschließt. Für das Forschungsprojekt „aesth paideia“ bildet das Konzept „Ästhe‐ tische Forschung“ in Verzahnung zur „Graphie“ den zentralen didakti‐ schen Referenzpunkt, über den sich die Weiterbildung dialogisch‐forschend konstituiert und den Teilnehmer*innen ermöglicht, selbst forschend‐ partizipativ an der Weiterbildung teilnehmen zu können. In diesem Kon‐ text verhilft die „Graphie“ allen Beteiligten, die vielfältigen Aspekte und Bezugsräume von Theorie und Praxis, prozessual in Verknüpfung zu den Reformulierungen seitens der Dozent*innen, aufnehmen und die eigenen (Weiter‐)Bildungsbewegungen sowohl ästhetisch begleitend als nachgän‐ gig reflektierend erhellen zu können. Über die Funktion hinaus, die eigene Professionalisierung zur ästhetisch‐künstlerischen Praxis in der Bildung frühe Kindheit konturieren zu können, fungiert sie – wie schon erwähnt – zugleich als Medium zur Reflexion der Weiterbildung „aesth paideia“.
3
Zum strukturellen Aufbau der Weiterbildungskonzeption „aesth paideia“
Die Weiterbildung richtet sich an acht Künstler*innen sowie vier Päda‐ gog*innen und findet in zwei Weiterbildungszyklen – der Weiterbildungs‐
134
Marion Kußmaul
phase I und Weiterbildungsphase II – an 17 Veranstaltungstagen, die in der Regel auf zwei aufeinanderfolgende Tage hin konzipiert sind, in einem Zeitraum von zehn Monaten statt. Sie schließt zwei exemplarische Pra‐ xiserprobungen an der Hochschule und eine längerfristige Praxispro‐ jektphase in einer Kita (zehn bis zwölf halbe Tage) mit ein.
3.1
Weiterbildungsphase I (Aufbau)
Ästhetische Praxis
„Ästhetische Praxis I–VI“ / Selbsterfahrung Erhebung erster didaktischer Implikationen
Theorie‐Bausteine
das Konzept „Ästhetische Forschung“ die Theorie zur prozessualen Aufzeichnungspraxis „Graphie“ ästhetische Theorien, zeitgenössische Künste – erweiterter Äs‐ thetik‐ und Kunstbegriff Phänomenologie der Wahrnehmung – Leiblichkeit und Erfah‐ rungskonzepte in der Aisthesis Wahrnehmungs‐ und Symboltheorien – Besonderheit Symboli‐ sierungshandeln frühe Kindheit performative Pädagogik – performative Bildungstheorie ästhetische Erfahrung in der (frühen) Kindheit – kindliche Bil‐ dungsprozesse/Wahrnehmungsdispositionen pädagogische Konzepte frühe Kindheit (u. a. Bedeutung der Ate‐ lierista im pädagogischen Kita‐Alltag am Beispiel Reggio) und ihre bildungstheoretischen Begründungslinien das bildungstheoretische Konzept von Bildung zwischen Soziali‐ sation und Spiel Beobachtungskonzepte: Wahrnehmende und teilnehmende Be‐ obachtung – teilnehmende Erfahrung
„aesth paideia“
135
Exemplarische Praxistransferentwicklung und ‐umsetzung
Ableitung didaktisch‐konzeptioneller Relevanzen für die ästhe‐ tisch‐künstlerische und kulturelle Bildungsarbeit mit Kindern
Kolloquium
Reflexionsarbeit I: Praxis‐Theorie‐Reflexion Weiterbildungsphase I
3.2 Weiterbildungsphase II (Aufbau) Konzeption und Durchführung eines längerfristigen Praxisprojekts in einer Kindertagesstätte Sie beinhaltet folgende Aspekte: Hospitationen seitens der Künstler*innen in den Einrichtungen der teilnehmenden Pädagog*innen Kolloquium zur Konzeptentwicklung Praxistransfer: Durchführung eines langfristigen Projekts in der Kita Zwischenkolloquium nach zwei bis drei Tagen Projektpraxis Reflexionstag Praxisprojekt in Verschränkung zu Weiterbil‐ dungsphase I: Reflexionsarbeit II, Theorie‐Praxis‐Schnittfläche der Weiterbildungsphasen I und II, Professionsbild und Bedeu‐ tung der Zusammenarbeit Künstler*innen und Pädagog*innen im Kontext ästhetisch‐künstlerische und Kulturelle Bildung frühe Kindheit Kompendium zur Projektantragskultur und Kontaktdaten zur re‐ gionalen/überregionalen Trägerlandschaft und Projektinitiativen Kulturelle Bildung, Stiftungen und Kita‐Trägern
Gesamtreflexion Weiterbildungsphase I und II
136
Marion Kußmaul
4
Nähere Erläuterungen zu den Weiterbildungsphasen I und II von „aesth paideia“
4.1
Zur Verbindung der inhaltlich‐strukturellen Elemente der Weiterbildung
Die Weiterbildung „aesth paideia“ erhebt, wie eingangs beschrieben, den Anspruch einer Professionalisierung zur Kulturellen Bildung in der frü‐ hen Kindheit für die Künstler*innen und im Hinblick auf eine professions‐ übergreifende Zusammenarbeit ebenso für die Pädagog*innen. Der Ge‐ genstand der Weiterbildung wird partizipativ‐dialogisch, in Verschrän‐ kung zu der „Ästhetischen Praxis“, den verschiedenen Theoriediskursen (siehe oben) und dem Praxistransfer erhoben und in zwei Reflexionsarbei‐ ten forschend reflektiert und fundiert. Einen bedeutsamen Bestandteil der Weiterbildungsdidaktik bildet hierzu die dialogisch‐reflexive sowie theo‐ riegeleitete Reformulierung seitens der Dozent*innen, die vorrangig in Be‐ zugnahme auf die „Ästhetische Praxis“ und den offenen Diskussionsforen erhoben wird. Sie ist weniger als ein klassisches Prinzip der Feedback‐ schleife zu verstehen, denn als eine – der Bildungsintention der Weiterbil‐ dung folgend – modulierende Erkenntnisführung für die Teilnehmer*in‐ nen zu begreifen. Die Verfahrensweise der Reformulierung zeigt zugleich den forschenden Impetus der Weiterbildung an, die den forschenden In‐ terferenzraum aller Beteiligten und damit das Fundament einer partizipa‐ tiven Bildung, das ein sozialtechnisches Format von Teilhabe negiert, be‐ rücksichtigt. In Verknüpfung dieses Selbstverständnisses ist zugleich die inhaltliche sowie strukturelle Verschränkung der Weiterbildungsdidaktik mit der elementarpädagogischen Vermittlungspraxis zu betrachten. Eine weitere didaktische Säule der Weiterbildung stellt die exemplari‐ sche Praxiserprobung an der Hochschule und, darauf basierend, eine län‐ gerfristige Praxisprojektphase in der Kita dar. Beide Praxiserprobungen werden praxis‐theorie‐reflexiv in Verzahnung der anderen Weiterbil‐ dungselemente begleitet. Im gesamten Weiterbildungsverlauf bildet die „Graphie“ – wie beschrieben – den erkenntnistreibenden und leitenden Referenzrahmen für alle Teilnehmer*innen. Jede Weiterbildungsphase
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findet im Sinne einer Professionalisierungsentwicklung ihren Abschluss in einer Hausarbeit als Reflexionsarbeit.
4.2 Weiterbildungsphase I Die „Ästhetische Praxis“ Der Weiterbildungsbaustein „Ästhetische Praxis“ bildet in Bezugnahme auf das Konzept „Ästhetische Forschung“ und im Anspruch der Grundle‐ gung einer ästhetisch‐performativen Bildungspraxis den Schwerpunkt der Weiterbildungsphase I. Er verfolgt hauptsächlich drei Intentionen: Die eine ist, Künstler*innen über die „Ästhetische Praxis“ das Movens ihrer künstlerischen Verfahrensweisen und deren grundlegenden Merk‐ male, vor allem ihre elementaren ästhetischen Dimensionen und Hand‐ lungsprinzipien, selbstwahrnehmend reflexiv erheben zu lassen. Diese In‐ tention legt das Fundament, erfahrungsgebunden, in Verschränkung zu theoretischen Perspektiven, erste didaktische Implikationen und Begrün‐ dungslinien in Relevanz für eine aisthetisch begründete Bildungspraxis ab‐ leiten zu können. Eine weitere Intention der „Ästhetischen Praxis“ ist, auf der Basis der differenten ästhetischen und künstlerischen Handlungspra‐ xen von Künstler*innen und Pädagog*innen, d. h. mit Blick auf die Gren‐ zen und Weiten der jeweiligen Handlungsweisen, eine Ausdifferenzie‐ rung bildungstheoretischer Indikatoren für eine Kulturelle Bildung in der Kindheit zu erhalten. Und die dritte Intention ist, das Konzept „Ästheti‐ sche Forschung“ exemplarisch in seinen Impulssetzungen und seiner di‐ daktischen Brücke zwischen Kunst und Pädagogik zu erfahren. Dieses Motiv bildet die Voraussetzung, das Prinzip der ästhetischen Felderkun‐ dung, den ästhetisch‐performativen Handlungsimpetus sowie die dem Konzept unterliegende Erkenntnisbildung in ihren Bedeutungen für die Entwicklung einer kulturellen Bildungspraxis in der frühen Kindheit er‐ fassen zu können. In der Weiterbildung „aesth paideia“ wird für die „Ästhetische Praxis“ exemplarisch das Material Papier als zu erkundender Gegenstandsbereich gesetzt, anhand dessen über sechs didaktische Phasen die drei Intentionen aufgenommen werden. Neben dem Prinzip der Felderkundung wird die
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aisthetisch‐ästhetische Perspektive des Materialzugangs betont, um – wie in dem Kapitel „Aisthesis – Wurzel vorreflexiver Erkenntniswege“ ange‐ sprochen – für die Grundmotive künstlerischer Verfahrensweisen in Kor‐ respondenz zu den kindlichen Wahrnehmungs‐ und Bildungsweisen zu sensibilisieren. Im Laufe der sechs Phasen der „Ästhetischen Praxis“ wer‐ den sukzessiv aufbauend weitere relevante didaktische Valenzen, die sich in Bezug auf das Konzept „Ästhetische Forschung“ ableiten lassen, erhoben. Das generelle Anliegen der „Ästhetischen Praxis“ ist somit vordergrün‐ dig, die in der Wahrnehmung sich eröffnenden Erkenntnis‐ und Bildungs‐ prozesse sowie das ästhetisch motivierte Symbolisierungshandeln in und um Phänomene aufzuschließen, um letztlich in Verbindung zu künstleri‐ schen Verfahrensweisen und ästhetisch‐künstlerischer Gestaltungskrite‐ rien einen Praxistransfer zur Kulturellen Bildung in der frühen Kindheit eröffnen zu können. Folgende sechs Phasen bestimmen die „Ästhetische Praxis“. Sie neh‐ men verschiedene didaktische Parameter in den Blick, um im Respekt di‐ daktischer Komplexität einzelne didaktische Wirkaspekte hervorheben zu können: das Material Papier Variationen an Papiermaterial Erweiterung Wasser, Kohle – Geräte, Werkzeug Fokus Kunstsparten – Pädagogik/Zusammenarbeit Papier – Material – Körper – Raum – Bewegung Bezugnahme Alltag – Wissenschaft Zu Beginn geht es um die Entfaltung aisthetisch‐ästhetischer Handlungs‐ weisen an nur einer Art Papiermaterial. Diese Vorgehensweise fordert in Konzentration ein Sich‐Einlassen zu einer Einzigartigkeit und Eigenheit einer Sache heraus, um über diese Begegnungsweise die Vielfalt an Phä‐ nomenen derselben und die daran gebundenen Erfahrungsweisen sowie Bildungswirkungen zu entdecken. Die Zugabe von weiteren Papierarten ermöglicht in der gleichen Weise ein erweiterndes Entdecken mannigfaltiger Phänomene um Papier herum
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und damit vertiefende Einsichten in den Sachgegenstand sowie in die äs‐ thetisch‐künstlerischen Handlungsverfahren damit. Beispielsweise hinter‐ lässt das Knüllen verschiedenartiger Papiere differente Spuren und For‐ men sowie Reaktion beim Loslassen, das wiederum weiteres Handeln an‐ regen kann, je nach Aufmerksamkeitshaltung der*des Handelnden selbst. Mit dem Hinzufügen von Materialien wie z. B. Zeichenkohle oder Was‐ ser wird ein Medium außerhalb von Papier aufgenommen und zwischen die unmittelbare Interaktion Mensch zu Papier gelegt. Die darüber diffe‐ renten Handlungsbewegungen zum Papier eröffnen – über die erste und zweite Praxis hinaus – ebenfalls weitere Erkenntnisverdichtungen. In der Verhältnisbeziehung – wie etwa Wasser zu Papier, Papier zu Wasser – wird beispielsweise die Verwobenheit von ästhetischen, naturwissen‐ schaftlichen und kulturgeschichtlichen Zugängen erfahrbar. Ähnliches gilt für die zusätzliche Nutzung von Werkzeugen und Gerä‐ ten. Über die Verfahrensweise, ein Medium wie z. B. einen Kopierer oder einen Fotoapparat einzubeziehen, erwirkt sich eine mediale Reflexion, die gleichermaßen erkenntniserweiternde Perspektiven auf das Material Pa‐ pier und die Handlungen ermöglicht. Alle vier Praxen eröffnen den Blick auf das Verhältnisgefüge von Ma‐ terial, Körper, Raum und Bewegung, mit dem weiterführend die variable Wirksamkeit der beteiligten Medien und die Performativität ästhetischen Bildungshandelns angesprochen und in ihrer Bedeutung für eine ästheti‐ sche Vermittlungspraxis reflektiert wird. Mit der Zusammenarbeit von zwei Künstler*innen und einer*m Päda‐ gogin*en werden des Weiteren die spartenspezifischen Handlungsweisen der Künste in ihrem ästhetischen Erfahrungskonzept und die jeweiligen ästhetischen und künstlerischen Gestaltungskriterien, die den Sparten zu‐ grunde liegen, thematisiert. In Bezug auf die pädagogische Perspektive werden darauf aufbauend sparten‐ und bildungsbereichsoffene didakti‐ sche Größen für eine ästhetisch‐künstlerische Vermittlungspraxis in der frühen Kindheit herausgearbeitet. Und letztlich wird im Sinne der ästhetisch‐forschenden Felderkundung – eingewoben in die „Ästhetische Praxis“ – das Erkenntnisfeld Papier um die vorwissenschaftliche und wissenschaftliche Verfahrensweisen er‐
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weitert, um ebenso hierüber Impulse für eine prozessuale Didaktik Kultu‐ reller Bildung in der frühen Kindheit zu erhalten. Mit der sukzessiven Einführung der verschiedenen Elemente durch die sechs Phasen der „Ästhetischen Praxis“ wird der Anspruch erhoben – über die einzelnen konturierten Perspektiven hinaus – für die Komplexität di‐ daktischer Valenzen, die in einem Bildungsprozess virulent sind, zu sen‐ sibilisieren und diese für eine Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit zu bedenken.
Abb. 3: Nur ein Papier …
Abb. 4: Verschiedene Papierarten – Handlungsformen und ‐spuren
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Abb. 5: Handlungsweisen mit verschiedenen Papierarten im Raum
Abb. 6: Papier, Raum und Bewegung
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Abb. 7: Papier mit weiterem Material: Kohlestifte und Wasser Die in der „Ästhetischen Praxis“ dargelegten ästhetisch‐forschenden Feld‐ erkundungen zum Material Papier und die darauf fußende praxis‐theorie‐ reflexive Entfaltung von didaktischen Implikationen bilden in Bezug‐ nahme auf das kindliche Bildungshandeln, das sich wesentlich an der Le‐ benswelt und an ihren Phänomenen orientiert, die Grundlage, um ein äs‐ thetisch‐künstlerisches Bildungsfeld entwerfen zu können. Hierbei kön‐ nen von den Künstler*innen sowie den Pädagog*innen die Valenzen von Material, Ort, Raum, Atmosphäre, Bewegungen, Farbe, Licht, Interaktion sowie die Materialanordnungen im Raum, die Menge und Art und Weise der Inszenierung und die Impulsbewegungen und ‐setzungen, die sowohl gestaltet inszeniert als auch im Prozess dialogisch antwortend sein kön‐ nen, bewusst als didaktische Größen berücksichtigt werden. Desgleichen ist es ihnen möglich, die didaktischen Parameter wie Prozess‐ und Ereig‐ nisorientierung, Instruktion und Offenheit, Intention und Erkenntnisraum
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Spiel, welche ebenso über die „Ästhetische Praxis“ erhoben wurden, für den Praxistransfer Kultureller Bildung und die Bildungsfeldentwicklung zu bedenken. Mit dem zentralen Weiterbildungsbaustein der Ästhetischen Praxis werden die „aesth‐paideia“‐Künstler*innen und ‐Pädagog*innen in An‐ erkennung eines aisthetisch‐leibsinnlichen Erkundens wieder an den Ausgangspunkt ästhetischer Erfahrungen, die Aisthesis in ihrem Pathos (Wadenfels 2002) geführt. Im Gewahrwerden anfänglicher Wahrneh‐ mungs‐ und Gestaltungsbewegungen erkennen die Beteiligten den exis‐ tenziell konstitutiven Ursprungsraum ästhetisch‐künstlerischer Bildung in der frühen Kindheit. Und, aufbauend auf den erhobenen didaktischen Größen, sind im Speziellen die Künstler*innen aufgrund ihrer künstleri‐ schen Expertise dann – in Verbindung mit pädagogischen Ansprüchen und theoretischer Begründungsführung – in der Lage, ästhetisch‐künstle‐ rische Projekte der Kulturellen Bildung in der Kita zu konzeptionieren und umzusetzen. Theorie‐Einbindung – Theorie‐Praxis‐Reflexion Zu Beginn werden die Teilnehmer*innen theoretisch in das Konzept „Äs‐ thetische Forschung“ und die prozessuale Aufzeichnungspraxis „Graphie“ eingeführt. Ansonsten werden alle unter der Weiterbildungsphase I auf‐ genommenen Theoriebausteine sukzessive in Verbindung zu den Refor‐ mulierungen aus der „Ästhetischen Praxis“ und den Diskussionsforen so‐ wie in Form eines interaktiven Vortrags eingeführt. Auf alle Theorieele‐ mente im Einzelnen inhaltlich näher einzugehen, würde hier den Rahmen sprengen. Ich gehe davon aus, dass ihre Relevanzen aus dem gesamten inhaltlichen Anspruch heraus verstehbar werden. Daher nur kurz: Die äs‐ thetischen Theorien, der Blick auf die zeitgenössischen Künste und den erweiterten Kunstbegriff sowie die phänomenologischen Perspektiven werden in Korrespondenz zum Konzept „Ästhetische Forschung“ und dem kindlichen Bildungshandeln aufgenommen und führen zugleich in das Verständnis grundlegender Bildungsparameter des Ästhetischen ein. Erweiternd finden Theorien zur Wahrnehmung, zur ästhetischen Erfah‐ rung sowie zum Symbolisierungshandeln in der frühen Kindheit und zu
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Symboltheorien im Allgemeinen ihren Eingang und werden in Relevanz zum Praxistransfer bedacht. Des Weiteren wird der Fokus auf den Gegen‐ stand einer performativen Bildungstheorie und Pädagogik gelegt, und da‐ ran angebunden auf die didaktischen Valenzen – wie oben genannt – so‐ wie auf den ästhetisch‐performativen Handlungsmodus für eine kultu‐ relle Bildungspraxis in der Elementarpädagogik. Mit der Einführung in aktuelle Bildungskonzepte der Frühpädagogik und die ihnen unterliegenden differenten bildungstheoretischen Begrün‐ dungslinien werden nochmals die Möglichkeiten und die Grenzen sowie die Relevanzen ästhetisch‐künstlerischer Verfahrensweisen in der frühen Kindheit markiert. Vor dem Hintergrund wird das Konzept „Ästhetische Forschung“ in seiner didaktischen Impulssetzung sowie das Professions‐ bild der Künstler*innen validiert, um hiernach fundiert konzeptionelle Grundfiguren für einen Praxistransfer entwickeln zu können. Von dieser Seite her erhält auch der bildungstheoretische Blick auf das Beziehungs‐ verhältnis Sozialisation und Spiel seine Bedeutung. Die Einführung in Be‐ obachtungskonzepte wie das „wahrnehmende Beobachten“ (Schäfer 2011) und die „teilnehmende Erfahrung“ (Beekman 1987) begründet sich in der Anforderung, dialogisch‐sensibel‐reflexiv auf das Handeln der Kinder antworten sowie übergreifend eine Praxis‐Theorie‐Reflexion für die Kon‐ zeptionsentwicklungen aufnehmen zu können. Exemplarischer Praxistransfer an der Hochschule Innerhalb der ersten Weiterbildungsphase wird zum Ende hin ein weiteres Qualifizierungselement, ein exemplarischer Praxistransfer, der in zwei halbtägige Praxiseinheiten eingeteilt ist, aufgenommen. Im Schutzraum der Hochschule entwickeln exemplarisch vorerst ausschließlich die Künst‐ ler*innen auf der Grundlage ihrer gewonnenen Erkenntnisse für die Kin‐ der aus den Kitas der teilnehmenden Pädagog*innen ein ästhetisch‐künst‐ lerisches Bildungsfeld. Die Pädagog*innen nehmen an dieser Stelle eine Beobachtungsfunktion ein. Anhand der wahrnehmenden Beobachtung und den in der Weiterbildung entwickelten Beobachtungskriterien sich‐ ten die Pädagog*innen den gesamten exemplarischen Praxisverlauf. Die Künstler*innen selbst greifen vor allem in Relevanz für die zu setzenden
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Handlungsimpulse im Feld, aber auch für eine Reflexion im Nachgang, das Beobachtungsverfahren der „teilnehmenden Erfahrung“ nach Ton Beekman auf. Auf der Grundlage der ästhetisch‐forschenden Felderkundung zu ei‐ nem gewählten Gegenstandsbereich, ähnlich der „Ästhetischen Praxis“ zum Papier, entwerfen die Künstler*innen nun einen ästhetischen Erfah‐ rungsraum als Bildungsfeld. Den Künstler*innen ist es freigestellt, wel‐ chen Gegenstand sie wählen. Sinnvollerweise ist es ein Thema, das sich aus der Felderkundung zum Material Papier herauskristallisiert hat, wie beispielsweise das Fliegen, Licht‐Schatten‐Spiele oder das Bauen im Raum. Die Entwicklung eines ästhetisch‐künstlerischen Bildungsfelds im‐ pliziert eine ästhetisch‐performative Vermittlungspraxis und fordert einen adäquaten bildungsbegleitenden Dialog an Impulssetzungen heraus. Die Felderkundung über das Konzept „Ästhetische Forschung“ ermöglicht den Künstler*innen im Interesse der Kinder professionell eine ästhetisch‐ dialogische Kommunikation in Bezug auf den Gegenstandsbereich verfol‐ gen und Kindern zu einer Ausdifferenzierung ästhetischer Erkenntniswei‐ sen verhelfen zu können. Unter der Voraussetzung ist es den Künstler*in‐ nen dann möglich, sich – wie für eine Kulturelle Bildung in der Elemen‐ tarpädagogik gefordert – mit den Kindern in eine gemeinsam geteilte und dennoch ungleiche Erfahrung zur Sache und damit in eine gemeinsame lebendige Bildungsbewegung begeben zu können und den heterogen‐ singulären Handlungsweisen des Kindes in der Sphäre überlagerter Be‐ deutungsfelder – im Sinne einer „offenen Dichte“ (Kußmaul 2017) zur Sache – Raum zu geben.
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Ästhetisch‐performatives Bildungsfeld im exemplarischen Praxistransfer
Abb. 8: Bildungsfeld „nur Papier“
Abb. 9: Kindliches Handeln im Bildungsfeld „nur Papier“
Abb. 10: Kindliche Bewegung im Bildungsfeld „nur Papierʺ
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Die erste halbtägige Praxiserprobung wird anhand der Beobachtungen sei‐ tens der Pädagog*innen und der teilnehmenden Erfahrungen seitens der Künstler*innen vor dem Hintergrund der unten angegebenen Fragen hin‐ sichtlich von Gelungenem und Stolpersteinen reflektiert. Darauf aufbau‐ end wird die konzeptionelle Umsetzung der zweiten Praxiseinheit für den zweiten Tag modifiziert. Im Zentrum der Beobachtung stehen folgende Fragen: Welche Phänomene mit Papier entwickelten sich und wurden aufgegriffen? Welche Handlungspraxen waren erkennbar? Wie kamen Körper, Raum, andere Materialien, Werkzeuge … andere Kinder, andere Felder ins Spiel? Welche Themen/Verdichtungen/Spiele haben sich ergeben? Beispiele Ausdauer/Konzentration Sprunghaftigkeit um thematisch Ähnliches Bezugnahme (siehe oben) Durch welche Impulssetzungen wurde dies unterstützt? Material – Gegenstände – Werkzeug Raum – Atmosphäre etc. Interaktion der Kinder Impulssetzungen Künstler*in: Gesten, Vormachen, Wiederholun‐ gen, Bestätigungen, Neusetzungen, gestalterische Hervorhebun‐ gen etc. Wo und welche Schwierigkeiten/Unsicherheiten traten auf … in Bezug auf die Intention des Felds? in der Begleitung? in der Impulssetzung – verbal – nonverbal – paraverbal – medial? in der Anfangs‐/Endgestaltung? in Bezug auf den Raum? in der pädagogischen Haltung?
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Nach den beiden halbtägigen Erprobungen der exemplarischen Praxis‐ phase folgt ein weiterer ganztägiger Weiterbildungstag. Er dient der ge‐ samten Reflexion der Praxisphase in Abwägung der Erkenntnisse aus der „Ästhetischen Praxis“, den Theorie‐Elementen sowie den dialogischen Re‐ formulierungen, um das Professionsbild der Künstler*innen, aber auch das der Pädagog*innen an sich sowie im Hinblick auf ihre Zusammenar‐ beit zu schärfen. Kolloquium – Reflexionsarbeit Nach einer längeren Sommerpause findet ein Kolloquium statt. Grundlage dieses Weiterbildungstags bildet die Reflexionsarbeit, die von den Künst‐ ler*innen sowie den Pädagog*innen in Reflexion der Weiterbildungs‐ phase I auf Basis ihrer „Graphie“ erstellt wurde. Maßgeblicher Inhalt der Reflexion ist der Blick auf die eigene Bildungsbewegung, und daran ge‐ bunden die Klärung des eigenen Professionsverständnisses in Bezug auf die kulturelle Bildungsarbeit mit den Kindern. Ziel der Reflexionsarbeit ist es, die eigene professionelle Entwicklung, die durch die Weiterbildung angestoßen wurde, zu reflektieren und durch die Versprachlichung erweiternd zu klären. Ausgangspunkt der Reflexion bilden die Aufzeichnungen in der „Graphie“, in die idealerweise folgende Bausteine der Weiterbildung eingeflossen sind: Theorie „Ästhetische Praxis“ unsere Reformulierungen Diskussionen exemplarische Praxiseinheiten mit den Kindern informeller Austausch Auf der Grundlage stehen im Zentrum der Reflexionsarbeit die Frage da‐ nach: Warum braucht es Künstler*innen in der Kita? und die bildungstheo‐ retische Begründung der Notwendigkeit. Ein Sinnbild dazu ist: Wie be‐ gründe ich beispielsweise die freie gestalterisch‐künstlerische Arbeit mit Toilettenpapier?
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1) Für die Künstler*innen ist dabei die Bedeutung der künstlerischen Expertise und Sparte sowie die Dimension der ästhetischen Erfah‐ rung (in ihrer Begründung der Aisthesis) sowie die aus den Künsten abgeleiteten Verfahrensformen für eine Kulturelle Bildung in der frü‐ hen Kindheit explizit zu berücksichtigen, auch im Hinblick auf die Verortung eines bildungsbereichsoffenen Bildungsansatzes. 2) Für die Pädagog*innen gilt spezifisch in dem Kontext, den Fragen nachzugehen, inwieweit sich durch die Weiterbildung ihre pädagogi‐ sche Einstellung zur Bildungspraxis in der frühen Kindheit verändert hat. Und welche Konsequenzen sich hieraus für ihre pädagogische Praxis (beispielsweise Zusammenarbeit, Zeit‐ und Raumgestaltung, Materialanschaffung, Personalbildung, Fortbildung etc.) im Hinblick auf eine Öffnung zur Kulturellen Bildung ergeben. 3) Zudem soll über die folgenden Fragen nachgedacht werden: Welche Elemente oder welches Zusammenspiel der Weiterbildungselemente waren besonders hilfreich? Wo hat es geholpert? Wo war gerade das Holpern für den Erkenntnisprozess wichtig? Was fehlt noch? Und wie konnten die zentralen, bedeutsamen Erkenntnisse, die von den Teilnehmenden in der Weiterbildung erarbeitet wurden oder sich ge‐ bildet haben, aufgenommen werden? Zur Form der Arbeit: ca. sieben Seiten Text, insgesamt maximal 15 Seiten Begrifflichkeit, Form‐/Inhaltsverhältnis der Sache entsprechend bestimmen Spiel mit Formulierung – Poesie – Diskurs Spiel mit Grafiken, Schrift und Bild Mit dem Kolloquium zur Reflexion der Arbeiten nehmen die Dozent*in‐ nen folgende Aspekte auf:
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ein Feedback zur Weiterbildung an sich inhaltliche Fragen/Verständnisprobleme, die in einem übergrei‐ fenden Themenspeicher, wie beispielsweise „Die polyvalente Be‐ deutung des Konzepts ‚Ästhetische Forschung‘“ oder „Die Schnittfläche von kindlichen Bildungsprozessen zu den ‚zeitge‐ nössischen Künsten‘“ oder auch „Die Phänomenologie der Wahr‐ nehmung und das Erfahrungskonzept in der Aisthesis“ mit dem Fokus auf die Frage Warum Künstler*innen in die Kita? aufge‐ nommen und erarbeitet werden Diskussion zu Präsentationsformaten unter Berücksichtigung von inhalts‐ und formalästhetischen Aspekten, auch in Relevanz einer Dokumentations‐ und Präsentationspraxis im Kontext von Bewerbungen
Weiterbildungsphase II
Praxisprojektphase Die Weiterbildungsphase II knüpft an der Weiterbildungsphase I an. Im Zentrum der Phase stehen die Konzeption und die Durchführung eines längerfristigen Praxisprojekts in einer Kita, welches vor dem Hintergrund der Reflexionsarbeit in spezieller Berücksichtigung des exemplarischen Praxistransfers entwickelt wird. Die gesamte Praxisprojektphase wird von den Dozent*innen und der Weiterbildungsgruppe eng begleitet. Es werden vier Dreierteams (zwei Künstler*innen und ein*e Päda‐ goge*in) gebildet, die in den Einrichtungen der Pädagog*innen ein Pra‐ xisprojekt von zehn bis zwölf Tagen umsetzen. Die Künstler*innen ma‐ chen sich im Vorfeld der Konzeptionsentwicklung über Hospitationen mit der jeweiligen Kita‐Kultur und der Kindergruppe, die die*den Pädago‐ gen*in bestimmt, vertraut. Die Hospitationen dienen zudem dazu, aktuelle Interessenslagen der Kinder zu eruieren, die die Grundlage für ein Pro‐ jektthema bilden. Daran anschließend werden auf der Basis ästhetischer Forschung im Team erste Konzeptideen entwickelt, die eine Felderkun‐ dung sowie erste Ideen eines Transfers in ein Bildungsfeld und Entwürfe ästhetisch‐künstlerischer Handlungsverfahren umfassen. Diese Konzept‐
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ideen werden dann im Zwischenkolloquium der Weiterbildung nochmals diskutiert und weiterentwickelt. Nachfolgend obliegt dem Team eigen‐ ständig die weitere Ausdifferenzierung und Durchführung des Praxispro‐ jekts. Während der ersten Tage der konkreten Projektdurchführung in der Kita werden im Sinne einer fachlichen Begleitung alle Teams je an einem Praxistag von den Dozent*innen besucht, um vor Ort eine gemeinsame Re‐ flexion hinsichtlich der Praxisumsetzung zu erarbeiten. Zugleich werden von den Dozent*innen generell gültige Gelingens‐ und Problemgrößen er‐ hoben, um an dem Weiterbildungstag des Zwischenkolloquiums, das mittig in der Praxisprojektphase liegt, über einen fachlichen Austausch eine weitere konzeptionelle Konturierung und Ausdifferenzierung des Praxisprojekts zu ermöglichen. Nach der gesamten Praxisprojektphase erstellen die Künstler*innen und Pädagog*innen eine weitere Hausarbeit, die dieses Mal den Fokus auf die Reflexion der Praxisprojektphase legt und in Weiterentwicklung eine Projektpräsentation im Bewerbungsformat zum Ziel hat. Auf der Basis der Reflexions‐ und Präsentationsarbeit wird an einem weiteren Weiterbil‐ dungstag die gesamte Praxisprojektphase in Verschränkung zur Weiter‐ bildungsphase I reflektiert, und der damit eröffnete Themenspeicher in‐ haltlich thematisch im Gesamtteam aufgearbeitet. Erst am Ende der Phase II der Weiterbildung, aufbauend auf alle Bil‐ dungsbausteine geht es um Fragen der Projektantragskultur, des Navigie‐ rens im Dschungel der Projektinitiativen zur Kulturellen Bildung, der Ver‐ mittlung von Kontaktdaten regionaler/überregionaler Träger und deren Funktionen sowie des Einblicks in Stiftungen und in die Kitaträgerkultur.
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Zur Evaluation
Die forschende Weiterbildung „aesth paideia“ wird von zwei Evaluations‐ formaten begleitet. Neben dem in der qualitativen Sozialforschung be‐ kannten Evaluationsformat der dokumentarischen Methode nach Ralf Bohnsack (2007), das von einer externen Person durchgeführt wird, ist das qualitative Format einer „reflexiv begleitenden Evaluation“ das intern
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geführt wird, für „aesth paideia“ bestimmend. Ersteres wird in allen Stu‐ fen über die Leitfadenentwicklung, die Durchführung von zwei Gruppen‐ interviews (vor und nach der Weiterbildung) bis zur Auswertung und Analyse verantwortet (Nentwig‐Gesemann). Das zweite Format wird pa‐ rallel, analog zum gesamten dialogisch‐forschend ausgerichteten Weiter‐ bildungsprinzip, von der Projektleitung Marion Kußmaul und Christian Widdascheck in der Begründungslinie der bourdieusche Position zum „methodologischen Relationalismus“ (Wacquant 1996) realisiert. Die Do‐ zent*innen werten die während der laufenden Weiterbildung erhobenen Mitschriften, Audio‐, Videoaufnahmen, Feldbeobachtungen, Fotografien, analytischen Auswertungsgespräche mit den Teilnehmer*innen sowie das Beobachtungsmaterial methodisch‐dialogisch selbstreflexiv und reflexiv zum Inhaltsgegenstand aus – sowohl während des Weiterbildungsprozes‐ ses als auch im Nachgang. Das ermöglicht zum einen, reformulierend‐ forschend die inhaltliche Setzung der Weiterbildung „aesth paideia“ un‐ mittelbar auszudifferenzieren und zum anderen in Verbindung mit der Analyse der externen Evaluation im Nachgang, eine weitergehende Refle‐ xion zu generieren und eine Konturierung des Weiterbildungsformats mit Blick auf eine Verstetigung umzusetzen.
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Schluss
Im Zentrum der vorliegenden Ausführungen zu dem Forschungsprojekt „aesth paideia“ liegt seine Weiterbildungsdidaktik, die dem Gegenstand entsprechend selbst in der Logik des Ästhetischen partizipativ dialogisch‐ forschend – in Verschränkung zu den Ansprüchen einer Kulturellen Bil‐ dung in der frühen Kindheit – angelegt ist. Die Aisthesis und die in der ästhetischen Erfahrungsstruktur gründenden Erkenntnisweisen bilden den Kern‐ und Bezugspunkt aller beteiligten Größen, die in der Weiterbil‐ dungsdidaktik aufgenommen sind und die die Künste, das kindliche Bil‐ dungshandeln, das Konzept „Ästhetische Forschung“, die Ästhetik des Performativen und letztendlich auch den Kulturbegriff berühren. Der Bil‐ dungsdialog zwischen der Weiterbildungsdidaktik und den Ansprüchen einer Elementardidaktik Kulturelle Bildung gestaltet sich dabei sehr
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komplex. Es ist ein sich gegenseitig anstoßendes Erkenntnisgefüge, das – unter dem Postulat einer subjektorientierten, ästhetisch‐forschenden Bil‐ dung – des Verfahrens der reflexiv‐responsiven Reformulierungen zwi‐ schen selbsterfahrener „Ästhetischer Praxis“, der Theorie und dem Praxis‐ transfer bedarf. Das Sujet an sich verbietet, wie andernorts erwähnt, eine rein diskursiv ausgerichtete und additiv ergänzende und modularisierte Weiterbildungsdidaktik und beansprucht daher für sich selbst einen ästhe‐ tisch‐forschenden Modus. Die Weiterbildung „aesth paideia“ zeigt für die Kulturelle Bildung in der frühen Kindheit auf, dass es nicht eines spezifisch pädagogischen Wis‐ sens bedarf, das die Künstler*innen dazuzulernen haben, sondern sich die Künstler*innen sowie die Pädagog*innen jeweils von ihrer professionellen Deutungsfläche aus an die Schnittfläche eines ästhetisch begründeten Bil‐ dungsbegriffs heranbewegen. Die „Ästhetische Praxis“ findet hier ihren Ankerpunkt. Vor dem Hintergrund geht es vorrangig nicht um die Inten‐ tion, in der frühkindlichen Kulturellen Bildung zu den Künsten hin zu bil‐ den, sondern in, mit und durch die Künste bzw. mithilfe ihrer ästhetischen Erfahrungsgrundlegung die Interferenzen von Lebenswelt, Kultur und den Künsten in den Blick zu nehmen und zu bilden. Hieraus und mit Be‐ zug auf ein dynamisch‐dialogisch forschendes Lernen erklärt sich auch die Relevanz und die Mittelstellung des Konzeptes „Ästhetische Forschung“ als Verfahrensimpuls in der Weiterbildungs‐ und der Praxisdidaktik „aesth paideia“. Kunst und Alltag oder Haiku in der Kita ermöglichen, das Fenster (neu) zu entdecken (Sahuquillo/Markulin 2016).
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„Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“ Mona Jas und Andreas Knoke
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Kunst‐ und Kulturschaffende in der Kulturellen Bildung – eine Bestandsaufnahme1
Nachdem Anfang der 2000er Jahre in den bundesdeutschen Bildungsde‐ batten zunächst die Leistungen der Schüler*innen in den sogenannten Kernfächern im Mittelpunkt standen, hat die Kulturelle Bildung etwa Mitte der 2000er Jahre in den bildungs‐ und kulturpolitischen sowie erzie‐ hungswissenschaftlichen Diskussionen sukzessive wieder an Stellenwert gewonnen (Bildungsinitiative Kinder zum Olymp! 2013; KMK 2002: 2; Deutscher Bundestag 2005: 24, 297). In den fachlichen und bildungspolitischen Diskursen besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass die Verbesserung von Bildungs‐ und Teilhabechancen nur mittels einer gemeinsamen Bildungsverantwortung und interprofessionellen Zusammenarbeit von Akteuren gelingen kann (Deutscher Städtetag 2007: 2; Bleckmann/Durdel 2009: 12), d. h., wenn for‐ male, non‐formale und informelle Bildungsprozesse sowie entsprechende Bildungsangebote in ein Gesamtkonzept integriert werden. Der Ausbau und die Qualitätsentwicklung von Ganztagsschulen und lokalen Bil‐ dungslandschaften sind Ausdruck dieser Entwicklung. Vor diesem Hin‐ tergrund wurde in zahlreichen Modellprojekten und Initiativen auch die systematische Kooperation zwischen den Bereichen Kultureller Bildung und Schule in den letzten zehn Jahren gefördert (Kelb 2014a: 9; Busch 1 Die folgende Bestandsaufnahme orientiert sich am gemeinsamen Konzept der Verbund‐ partner Bundesvereinigung Kulturelle Kinder‐ und Jugendbildung (BKJ), Deutsche Kin‐ der‐ und Jugendstiftung (DKJS) und Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Für eine ausführliche Darstellung vgl. auch Kathrin Hohmaier und Karsten Speck (2017).
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_8
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2006: 4). Damit verbunden haben einerseits die Träger der Kulturellen Bil‐ dung die Bedeutung gemeinsamer Bildungskonzepte und Bildungsver‐ antwortung für die Verbesserung der kulturellen und sozialen Teilhabe und der Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen anerkannt (BMFSFJ 2013: 19). Andererseits wurden durch Praxis, Politik und For‐ schung die besonderen Potenziale der Künste und der Kulturellen Bildung für neue Lernkulturen und ganzheitliche Bildungsprozesse in Ganztags‐ schulen und Bildungslandschaften vor allem unter dem Aspekt der kultu‐ rellen Teilhabe von benachteiligten Kindern und Jugendlichen zutage ge‐ bracht (Kelb 2014b: 71‐74) und entsprechende Akteure mit ihren Angebo‐ ten strukturell entwickelt und Wirkungen anerkannt (Schorn 2013). An Ganztagsschulen und in lokalen Bildungslandschaften werden nochmals besondere Anforderungen an die interprofessionelle Koopera‐ tion gestellt, da hier mehrere Berufsgruppen an einem Ort aufeinander‐ treffen, es einen relativ hohen Spezialisierungsgrad und bestimmte Berufs‐ kulturen bei den beteiligten Berufsgruppen gibt, eine Abstimmung der ge‐ genseitigen Handlungsvollzüge erforderlich ist sowie längerfristige und umfassendere Berührungspunkte bestehen. Dies gilt besonders für die Kulturelle Bildung: Unstrittig ist in der Fachdiskussion daher, dass syste‐ matische Fortbildungen für Kunst‐ und Kulturschaffende in der kulturel‐ len Kinder‐ und Jugendbildung benötigt werden. Die spezifischen – auf die unterschiedlichen Bereiche der Künste bezogenen – Ausbildungspro‐ file und Berufsbiografien der Kunst‐ und Kulturschaffenden sind inhalt‐ lich sehr heterogen. Wissen und Praxis zu pädagogischen Vermittlungs‐ kontexten und Bedürfnissen und Lebenslagen von Kindern und Jugendli‐ chen sind dabei jedoch nicht Teil der Studiengänge und Ausbildungen. Dem stehen vielfältige Arbeitsorte und ‐settings in der Kulturellen Bildung gegenüber und mit ihnen unterschiedlichste Bildungsverständnisse und ‐rahmenbedingungen. Der für das Gelingen solcher Ansätze an Ganztagsschulen und in loka‐ len Bildungslandschaften zentrale Aspekt der Interprofessionalität bezieht sich vor allem auf die Zusammenarbeit von Kunst‐ und Kulturschaffenden mit Pädagog*innen. Diese Zusammenarbeit ist sowohl in Bezug auf die konzeptionelle Gestaltung als auch die pädagogische und ästhetisch‐
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künstlerische Praxis im Umfeld von Ganztagsschulen und Bildungsland‐ schaften grundlegend. Sie ist zugleich aber auch anspruchsvoll und setzt voraus, dass Kunst‐ und Kulturschaffende – über ihre jeweilige fachliche Professionalität hinaus – ihre Haltungen kritisch reflektieren, sich mit me‐ thodisch‐didaktischen Fragen auseinandersetzen und vor allem interpro‐ fessionelle Kompetenzen entwickeln, die eine enge und abgestimmte Zu‐ sammenarbeit im Sinne einer Ko‐Konstruktion überhaupt erst ermögli‐ chen.
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Der „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“
Der „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“ war eine modulare, nicht‐spartenbezogene Weiterbildung zur Entwicklung methodisch‐didak‐ tischer und interprofessioneller Kompetenz von Kunst‐ und Kulturschaf‐ fenden, die gemeinsam mit Pädagog*innen kulturelle Bildungsangebote an Ganztagsschulen oder in lokalen Bildungslandschaften umsetzen. Ge‐ fördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wurde er von 2014 bis 2017 als Verbundprojekt der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder‐ und Jugendbildung (BKJ), der Deutschen Kinder‐ und Jugendstiftung (DKJS) und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg entwickelt und erfolgreich erprobt.
2.1 Rahmen des „Kompetenzkurses“ Basierend auf den eingangs zusammengefassten Befunden, dass ein Bil‐ dungserfolg für alle Kinder und Jugendliche nur gelingen kann, wenn un‐ terschiedliche Professionen mit ihrem spezifischen Wissen und ihren je‐ weils besonderen Kompetenzen erfolgreich kooperieren und gemeinsam Verantwortung für die Qualität von Bildungsangeboten übernehmen, be‐ stand ein zentrales Anliegen des „Kompetenzkurses“ darin, die Qualität von Kooperationen zwischen Akteuren der Kulturellen Bildung einerseits und von Ganztagsschulen oder aus lokalen Bildungslandschaften anderer‐ seits zu verbessern.
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Ziele des „Kompetenzkurses“ Die pädagogische Weiterbildung zielte darauf, Kunst‐ und Kulturschaf‐ fende in ihrer eigenen künstlerischen und kulturellen Kompetenz anzu‐ sprechen und diese für die Entwicklung und Umsetzung kultureller Bil‐ dungsprojekte in ihrer Wirksamkeit zu öffnen. Dabei ging es darum, die künstlerische Expertise – bzw. die künstlerisch‐kulturellen Kompetenzen – mit den im Umfeld dieser Vorhaben vorhandenen pädagogischen Kom‐ petenzen, Logiken und Ressourcen in einer Weise zu verknüpfen, sodass die kulturellen Bildungsangebote zielgenau auf die Bedürfnisse von Kin‐ dern und Jugendlichen in Ganztagsschulen und Bildungslandschaften ausgerichtet sind. Auf Modellebene war es ein explizites Ziel des „Kompetenzkurses“, eine innovative, wissenschaftlich fundierte und praxisorientierte Weiter‐ bildung zu entwickeln und zu erproben, um die methodisch‐didaktischen und interprofessionellen Kompetenzen bei Kunst‐ und Kulturschaffenden zu fördern und sie somit für die konstruktive Zusammenarbeit mit päda‐ gogischen Fachkräften zu qualifizieren. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten weitere Professionalisierungen von Kunst‐ und Kulturschaffenden in der Kulturellen Bildung, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung der Wirksamkeit von Weiterbildungsangeboten, unterstützen und berei‐ chern. Ein Anliegen der Verbundpartner bestand zudem darin, mit Ex‐ pert*innen einer begleitenden Expertenrunde2 und den Teilnehmenden 2 Ulrich Baer (Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW), Christina Biundo (Kunstfähre); Martina Bracke, (Koordinationsbüro Kulturelle Bildung Dortmund), Bernd Fiehn (Robert Blum Gymnasium Berlin), Prof. Dr. Max Fuchs (Uni‐ versität Duisburg‐Essen), Maria Gebhardt (SCHULE:KULTUR), Prof. Dr. Uwe Hameyer (Institut für Pädagogik, Lehrstuhl Schulpädagogik der Universität Kiel), Prof. Dr. Elke Josties (Alice Salomon Hochschule Berlin), Christian Kammler (Philipps‐Universität Marburg), Martina Kessel (Bundesverband Tanz in Schulen e. V.), Anja Krüger (Landes‐ vereinigung kulturelle Bildung e. V. Niedersachsen), Rosemarie Lange (Oberschule an der Lehmhorster Straße), Prof. Dr. Andreas Lange (Pädagogischer Förderkreis für Aus‐ bildung und Unterricht e. V.), Antje Lielich‐Wolf (kunstunddialog), Ute Reeh (Beirat Schulkunst), Vanessa‐Isabelle Reinwand‐Weiss (Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel), Gabrielle Roentgen (Bildungsbüro Aachen), Claudia Schönherr‐Heinrich
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zu untersuchen, welche Erwartungen und Anforderungen an Ganztags‐ schulen und in lokalen Bildungslandschaften an Kunst‐ und Kulturschaf‐ fende gestellt werden und wie sie diesen mittels Weiterbildung gerecht werden können. So sollte dazu beigetragen werden, methodisch‐didakti‐ sche Qualität und Kooperationsqualität zwischen Kunst‐ und Kulturschaf‐ fenden mit pädagogischen Fachkräften bundesweit zu reflektieren und zu verbessern. Dabei sollten die Erfahrungen und die Ergebnisse, wie z. B. das Wissen um die im Kurs erworbenen Kompetenzen3, das entwickelte Curriculum und entstandene Arbeitsmaterialien, in einen Transfer mün‐ den, etwa indem eine Online‐Arbeitshilfe (BKJ/DKJS 2016), eine Fachpub‐ likation (Heber/Jas 2017) und eine Abschlusstagung umgesetzt wurden. Das Ziel der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation, die bei der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in der Verantwortung von Karsten Speck und Kathrin Hohmaier lagen, war es, empirisch abgesi‐ cherte Erkenntnisse zur Wirksamkeit der Weiterbildungsangebote sowie zur Professionalisierung von Kunst‐ und Kulturschaffenden in der Kultu‐ rellen Bildung zu gewinnen. Als Ergebnis sollte ein theoretisch fundiertes, wissenschaftlich evaluiertes und tragfähiges Weiterbildungskonzept für Kunst‐ und Kulturschaffende in Ganztagsschulen und lokalen Bildungs‐ landschaften entstehen, das als Regelangebot der BKJ und ihrer Mitglieds‐ organisationen dienen, von den durch die DKJS gemeinsam mit Bundes‐ ländern eingerichteten Serviceagenturen „Ganztägig lernen“ oder von anderen Trägern genutzt werden kann. Zielgruppen des „Kompetenzkurses“ Der „Kompetenzkurs“ wandte sich bundesweit an freischaffende Kunst‐ und Kulturschaffende. Der Begriff Kunst‐ und Kulturschaffende bezog sich dabei entsprechend der zugrunde liegenden Förderrichtlinie auf (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin), Martin Tasch (Er‐ wachsenenbildung, Weiterbildung und Medienbildung, Universität Potsdam), Antje Tschirner (Künstlerin), Dr. Angelika Tischer (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin), Dorothée Zombronner (Künstlerin). 3 Vgl. selbsteingeschätzte Kompetenzen zum pädagogischen und kunstdidaktischen Wis‐ sen Kathrin Hohmaier und Karsten Speck (2017).
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Künstler*innen und Kulturvermittler*innen, d. h. in Kunst und Kultur professionell Tätige, die weder eine pädagogische oder kulturvermit‐ telnde Ausbildung, eine Qualifizierung über bisherige Weiterbildung oder entsprechende Berufs‐ und Praxiserfahrung hatten. Eine Öffnung des Kurses für Pädagog*innen, die als Kooperations‐ partner an Ganztagsschulen oder in lokalen Bildungslandschaften agieren, war durch die Ausrichtung der Förderrichtlinie nicht möglich. Konkret nahmen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bisher wenig erfahrene Kunst‐ und Kulturschaffende teil, die noch nicht, sehr vereinzelt oder erst seit Kurzem an Ganztagschulen oder in lokalen Bil‐ dungslandschaften tätig waren bzw. die Absicht hatten, ein Kulturprojekt in Kooperation mit Pädagog*innen durchzuführen. Für die Aufnahme in den Kurs war es ein Kriterium, dass die Bewerber*innen die gesellschaft‐ liche Bedeutung von Kunst/Kultur und Bildung reflektierten. Natürlich waren zudem das Interesse an der Auseinandersetzung mit den (verän‐ derten) Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sowie der Wunsch, mit ihnen im Rahmen von kulturellen Kooperationsprojekten an Ganz‐ tagsschulen und in lokalen Bildungslandschaften arbeiten zu wollen, wichtige Voraussetzungen für die Teilnahme am „Kompetenzkurs“. Über die Netzwerke der BKJ und der DKJS sowie weitere Partner von Bundes‐ und Fortbildungsprogrammen war eine gute Erreichbarkeit der Zielgruppe gesichert. Über 300 Interessierte wandten sich mit einem Mo‐ tivationsschreiben an die Initiatoren, in welchem sie ihre künstlerische Ex‐ pertise, ihre konkreten Qualifizierungsbedarfe und erste Praxisideen for‐ mulierten. Umfang, Inhalte und Aufbau des „Kompetenzkurses“ Bundesweit wurden zwischen 2014 und 2017 innerhalb von drei Durch‐ gängen insgesamt 80 Kunst‐ und Kulturschaffende – entsprechend der oben dargelegten Kriterien – ausgewählt und für die methodisch‐didakti‐ sche und interprofessionelle Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in kul‐ turellen Kooperationsprojekten an Ganztagsschulen und in lokalen Bil‐ dungslandschaften qualifiziert. Der erste Durchgang (1A) fand 2015 statt und umfasste fünf Module mit Input‐, Praxis‐ und Reflexionsphasen. Zwei
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weitere Durchgänge (2B) und (2C) fanden 2016 parallel statt, beinhalteten jeweils vier Module, die weitgehend die Themen des ersten Durchgangs umfassten, aber jeweils leicht veränderte didaktische Variationen enthielten. Aus den Zielen und Zielgruppen der Weiterbildung ergaben sich fol‐ gende inhaltliche Schwerpunkte, die in den Modulen und in begleitenden Arbeitsmaterialien behandelt wurden (siehe Abb. 1). Modul 1
Spezifika der Adressat*innen (z. B. Sozialisation und Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen; Interessen, Motivationen, Bedürfnisse; Bil‐ dungs‐ und Kulturerfahrungen; Zielgruppenansprache, ‐beteiligung)
Modul 2
Pädagogische Settings, Professionen und Theorien (z. B. formale, non‐ formale, informelle Bildung; pädagogische Professionen, kulturelle Ar‐ beitszusammenhänge und ihr Bildungsverständnis)
Modul 3
Kulturpädagogische Methodik und Didaktik (z. B. geeignetes Methoden‐ repertoire, didaktisches Dreieck; künstlerisches Handeln, ästhetische Bil‐ dung, kulturpädagogische Prinzipien und Qualität, eigenständige und kooperative Settings)
Modul 4
Rahmenbedingungen in Ganztagsschulen/Bildungslandschaften (z. B. vertiefende Kenntnis über Handlungsfelder Ganztagsschule/Bildungs‐ landschaften, interprofessionelle Kompetenz, Ge‐ und Misslingensbedin‐ gungen von Kooperationen)
Modul 5
Haltungen und Einstellungen (z. B. künstlerisches Selbstverständnis ver‐ sus pädagogische Haltung für die kulturelle Projektarbeit, Selbstreflexion und ‐evaluation)
Abb. 1: Inhaltliche Schwerpunkt der Module 1 bis 5 Die Module wurden durch Input‐, Praxis‐ und Reflexionsphasen und ins‐ gesamt 80 Weiterbildungs‐ und Beratungsstunden strukturiert. Die Ver‐ bundpartner bezogen weitere Fachkräfte und Wissenschaftler*innen im Rahmen von Expertenworkshops in die Entwicklung und Fortschreibung von Konzept, Curriculum und Materialien ein, um eine kontinuierliche in‐ terdisziplinäre, fachliche Begleitung und Beratung im Verbundvorhaben zu erhalten sowie den späteren Transfer zu fördern.
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Die Kooperationspartner des Verbunds und ihre Expertisen Die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder‐ und Jugendbildung (BKJ), die Deutsche Kinder‐ und Jugendstiftung (DKJS) und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg haben den „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Kooperation“ im Rahmen eines Verbundprojekts gemeinsam mit und für die teilnehmenden Kunst‐ und Kulturschaffenden entwickelt, erprobt und in einem weiteren Schritt evaluiert und transferiert. Dabei brachten sie so‐ wohl bei der Entwicklung als auch bei der Umsetzung der Weiterbildung ihre jeweiligen unterschiedlichen Expertisen ein. Die BKJ verfügt über eine langjährige Expertise in Theorie und Praxis der kulturellen Kinder‐ und Jugendbildung und der kulturpädagogischen Weiterbildung. Sie hat Zugang zu Kunst‐ und Kulturschaffenden wie Künstler*innen und Kulturvermittler*innen. Zur methodisch‐didaktischen Qualifizierungserfahrung der BKJ gehören z. B. die Entwicklung von Fort‐ und Weiterbildungscurricula, interprofessionelle Weiterbildungen mit Kunst‐/Kulturschaffenden und Pädagog*innen, die Entwicklung von Ar‐ beitshilfen und Materialien sowie Qualitäts‐ und Kooperationstableaus zwischen Kultur und Schule. Die DKJS verfügt mit Blick auf den „Kompetenzkurs“ über eine beson‐ dere Expertise im Bereich Ganztagsschulen und lokale Bildungslandschaf‐ ten sowie zur Kulturellen Bildung an Schulen. Um den Bildungsbereich zu stärken, fachliche Orientierung zu bieten und Verantwortungspartner‐ schaften zu stiften, entwickelt und realisiert die DKJS seit über 20 Jahren Unterstützungs‐ und Qualifizierungsansätze, die vor allem auf die Refle‐ xion von pädagogischen Haltungen, auf praxisbezogene Professionalisie‐ rung und die Entwicklung von fachlichen, methodischen und kooperati‐ ven Kompetenzen von Pädagog*innen zielen. Die Universität Oldenburg brachte durch das Team unter Leitung von Karsten Speck erziehungswissenschaftliches Wissen und Erfahrungen in der Begleitung und Evaluation von Bildungs‐ und Sozialprogrammen ein. Dazu gehören beispielsweise das Programm des Europäischen Sozial‐ fonds (ESF) „Projekte zur Vermeidung von Schulversagen und Senkung des vorzeitigen Schulabbruchs“ in Sachsen‐Anhalt, das bundesweite Ganztagsschulprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen.“ oder die
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Evaluation und Qualitätsentwicklung des Programms „Sozialgenial – Schüler engagieren sich in Nordrhein‐Westfalen“. Zudem konnten Ergeb‐ nisse und Instrumente aus zahlreichen Studien im Ganztags‐ und Kultur‐ bereich einbezogen werden.
2.2 Verortung der Weiterbildung im pädagogischen Feld4 Obwohl sich der Forschungsstand zu den Rahmenbedingungen und Ef‐ fekten Kultureller Bildung in den vergangenen Jahren verbessert hat (Rittelmeyer 2014a: 29‐44), ist der wissenschaftliche Erkenntnisstand zur pädagogischen Umsetzung sowie vor allem zum Erfolg von Weiterbil‐ dungskonzepten für Kunst‐ und Kulturschaffende sehr gering. Basierend auf den Ergebnissen einer Bedarfsanalyse – im Vorfeld durch die Universität Oldenburg erstellt (Hohmaier/Speck 2017) – wurde daher eine praxisorientierte Konzeptentwicklung und Durchführung einer nicht spartenbezogenen Weiterbildung mit einem modularen Aufbau im Sinne eines Spiralcurriculums verabredet, bei der Input‐, Selbststudium‐, (be‐ gleitete) Praxis‐ und Reflexionsphasen gut aufeinander abgestimmt inei‐ nandergriffen. Der „Kompetenzkurs“ stützte sich dabei auf ein Lernver‐ ständnis, welches dem subjektwissenschaftlichen Lernansatz verpflichtet ist, den Klaus Holzkamp (1995) aus einer differenzierten Kritik an beha‐ vioristischen Lerntheorien heraus entwickelte. Expansives Lernen kommt diesem Ansatz zufolge nicht durch Vermittlung, sondern durch subjektive Begründungen des Lernsubjekts zustande. Dazu musste die Weiterbil‐ dung an den individuellen Begründungen (z. B. Kooperation mit Schulen) und Kontexten (z. B. Sparten, Rahmenbedingungen) anschließen und ak‐ tive Lernsettings mit Handlungsorientierung, Teilnehmerorientierung, In‐ teressen‐ und Problembezug, Methodenoffenheit, Selbsttätigkeit und Gruppenbezug ermöglichen (ebd.). Zudem war im Rahmen der Weiterbil‐ dung mit Blick auf den interprofessionellen Schwerpunkt der Einbezug unterschiedlicher Professionen und Perspektiven notwendig. Eine weitere 4 Die folgende Einordnung orientiert sich am gemeinsamen Konzept der Verbundpartner BKJ, DKJS und Universität Oldenburg (für eine ausführliche Darstellung vgl. auch Hohmaier/Speck 2017).
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wichtige theoretische Grundlage für das gesamte Vorhaben bildeten ins‐ besondere die kulturpädagogischen Theorieansätze, die von Max Fuchs (2005), Wolfgang Zacharias (2001a) und Georg Peez (2005) entwickelt wor‐ den sind. Und auch die Theoriekonzepte der Berufskultur (vgl. Terhart 1996) und der interprofessionellen Kompetenz, welche auf die Förderung der Bereitschaft und Fähigkeit abzielen, das eigene Handeln mit dem von anderen Berufsgruppen abzustimmen, waren für das Kooperationsvorha‐ ben zentral (vgl. Steiner 2010; Speck/Olk 2011; Speck/Olk/Stimpel 2011a und b; Speck et al. 2011). Während die kultur‐ und erwachsenenpädagogi‐ schen Theorieansätze stärker methodisch‐didaktische Fragen betonen, ste‐ hen bei den Theoriekonzepten der Berufskultur und der interprofessionel‐ len Kompetenz vor allem Fragen der Kooperation im Mittelpunkt des In‐ teresses. Herangezogen wurden ferner soziologische und empirische Be‐ funde zu den Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen (Shell Deutsch‐ land Holding 2010) sowie auch zu ihren Bildungsbiografien (Bildungsbe‐ richterstattung) und ihrer Kulturnutzung (Keuchel/Larue 2012).
2.3 Künstlerisch kulturelles Bildungsverständnis der Weiterbildung Die Konzeption der Weiterbildung fußt auf einem Verständnis von Kultu‐ reller Bildung, welches eng mit kultureller Teilhabe verknüpft ist und – 1948 als ein Menschenrecht formuliert – einen grundlegenden Bestandteil von Allgemeinbildung darstellt (Vereinte Nationen 1948). Dabei werden drei Dimensionen der Kulturellen Bildung unterschieden, die sich gegen‐ seitig ergänzen: die Erarbeitung von künstlerischen Werken als künstleri‐ sche Bildung, der Dialog mit künstlerischen Arbeiten (wie Büchern, Fil‐ men, Ausstellungen, Konzerten) als ästhetische Bildung und die Ausei‐ nandersetzung mit künstlerischen Methoden. Der Begriff und das Verständnis der Kulturellen Bildung selbst wurden in Deutschland seit den 1970er Jahren entwickelt. Die bis dahin miteinan‐ der konkurrierenden Bereiche der Bildenden, Darstellenden und Musi‐ schen Künste wurden zusammenzugefasst und ihr Potenzial für ein „kul‐ turelles Lernen“ (Hoffmann 1979: 273) diskutiert. Dabei ging es vor allem darum, der Forderung nach einer „Kultur für alle“ eine Grundlage zu
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schaffen, der sich auch der „Kompetenzkurs“ verpflichtet sieht. Der „Kom‐ petenzkurs“ basiert auf einem „weiten“ und facettenreichen Konzept der Kulturellen Bildung, welches sich auf künstlerische Bildungsprozesse be‐ zieht, die sowohl von der Alltags‐ über Sub‐ und Breiten‐ bis hin zur soge‐ nannten Hochkultur angeregt werden. Kulturelle Bildung umfasst in die‐ sem Sinne die vielfältigen Zugangsweisen zur Welt in ihren ästhetisch‐ künstlerischen Ausdrucksformen und Angeboten und ist Teil der Allge‐ meinbildung. Eine prozesshafte, ergebnisoffene und bewegliche Kultu‐ relle Bildung, verstanden als Möglichkeit der Persönlichkeitsbildung mit sozialen Auswirkungen, kann sich nach diesem Verständnis entwickeln, wenn die beteiligten Felder und ihre Akteure kommunikative Strategien entwickeln, die die Teilnehmenden ins Zentrum des Denkens und Han‐ delns stellen. Die aktive Kommunikation ermöglicht die soziale und nach‐ haltige Wirksamkeit künstlerischer Prozesse. Wenn Kinder und Jugendliche sich mit künstlerischen Werken aktiv auseinandersetzen und dabei mit Kunst‐ und Kulturschaffenden sowie Pä‐ dagog*innen zusammenarbeiten, erlangen sie nicht nur Wissen und Er‐ kenntnisse (UNESCO 2006: 9). Indem sie Kunstformen erforschen, indem sie selbst künstlerisch tätig werden – also ästhetisch‐künstlerische Pro‐ zesse erfahren und selbst aktiv mitgestalten sowie diese reflektieren – und ihnen die Beziehung zwischen den Künsten und Geschichte bewusst wird, erlangen sie vielmehr neue Fähigkeiten und Handlungsoptionen. Idealerweise entstehen neue Perspektiven und Gelegenheiten, (Um‐) Welt nach eigenen Vorlieben, Bedürfnissen, Ansichten und ästhetischen Idealen zu begreifen und zu gestalten. Dies sind wichtige Grundlagen für partizipative Kunst‐ und Kulturprojekte sowie für künstlerische Lehr‐ und Lernformate (BKJ/DKJS 2016: 18, 23). Symbole und Zeichen in ihrer Vielfalt und Mehrdeutigkeit ermöglichen eine forschende Betrachtung der Welt. In ästhetischen Wahrnehmungs‐ prozessen entwickelt sich ästhetische Erfahrung. Diese kann im Rahmen der Kulturellen Bildung mit künstlerischen Ausdrucks‐ und Gestaltungs‐ prozessen verbunden werden. Bewusste Reflexionen, ob in Alltagssituati‐ onen, in Jugend‐ und Subkulturen oder in der Auseinandersetzung mit Kunstobjekten, bilden weitere Elemente. In ihnen öffnen sich vielfältige
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Zugangsweisen zur Welt und zur Persönlichkeitsbildung mit, durch und in den Künsten. Ein Anliegen der Weiterbildung war es daher auch, ein Verständnis von Kultureller Bildung als einen Ansatz zu vermitteln, der es jedem Menschen ermöglicht, sich über Kunst und Kultur zu entfalten und gestaltend an Gesellschaft teilzuhaben (BKJ 2011: 9). Ziel von Kultu‐ reller Bildung ist damit die Entwicklung von eigenem subjektiven Aus‐ drucksvermögen, und ihr zentrales Anliegen besteht darin, Kinder und Ju‐ gendliche zur Teilhabe an Kultur und Gesellschaft zu befähigen. Ein sol‐ ches Konzept der Kulturellen Bildung geht mit einer kritischen pädagogi‐ schen und gesellschaftspolitischen Haltung einher. Durch die Prinzipien der Kulturellen Bildung – z. B. Partizipation und Fehlerfreundlichkeit – können eingeübte Lernmethoden und Handlungsmaximen infrage gestellt werden. Das sind die Voraussetzungen für umfassende Selbstbildungs‐ prozesse, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Selbstwirksam‐ keit zu erfahren und Selbstkonzepte zu entwickeln (Zacharias 2001b: 85‐99; Rittelmeyer 2014b: 19, 26).
2.4 Methodische Herangehensweise Die Weiterbildung verknüpfte unterschiedliche curriculare und metho‐ disch‐didaktische Bausteine zu einem Gesamtkonzept. Präsenzzeiten im Rahmen der Module dienten dabei der Aneignung fachlicher Kenntnisse, der Erprobung methodisch‐didaktischer Ansätze sowie der Reflexion von Praxiserfahrungen, der kollegialen Beratung und dem Coaching der Teil‐ nehmenden. Sie wurden durch Arbeitsphasen des Selbststudiums flankiert, die mittels begleitender Arbeitsmaterialien die Präsenzzeiten vor‐ und nachbereiteten und zur Vertiefung der für die eigene Praxis relevanten In‐ halte beitrugen. Die Teilnehmenden der Weiterbildung erhielten zudem Feldforschungs‐ und Praxisaufträge, welche allgemeine und auf die Situa‐ tion vor Ort zugeschnittene Fragestellungen umfassten und für die wis‐ senschaftliche Begleitung und Evaluation genutzt wurden. Mittels Stake‐ holder‐ und Sozialraumanalysen, durch Hospitationen und Experteninter‐ views erforschten die Teilnehmenden die Kooperations‐ und Projektbedin‐ gungen für Kulturelle Bildung in ihrem Umfeld, lernten die Anforderungen in Ganztagsschulen, in lokalen Bildungslandschaften und bei Kulturträgern
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kennen und reflektierten ihre eigene Rolle. Von den Verbundpartnern wur‐ den zudem eine begleitende kollegiale Beratung und ein Coaching für die Teilnehmenden bereitgestellt. Die Leitung der Präsenzzeiten übernahmen die Projektverantwortli‐ chen der BKJ und DKJS, die zudem arbeitsteilig für die Konzeption, Ein‐ führung, Vertiefung, Zusammenfassung und Auswertung der einzelnen Module verantwortlich waren. Um dem interprofessionellen und mehr‐ perspektivischen Ansatz gerecht zu werden, wurden in alle Module sowie zu den weiteren thematischen Schwerpunkten jeweils externe Referent*in‐ nen einbezogen. Dabei handelte es sich um Kunst‐ und Kulturschaffende mit langjähriger Erfahrung, Jugendsoziolog*innen, Kulturagent*innen (Forum K&B 2015: 133‐141), Erziehungswissenschaftler*innen, Kulturpä‐ dagog*innen sowie Expert*innen von Ganztagsschulen oder Verantwort‐ liche aus lokalen Bildungslandschaften.
2.5 Exemplarischer Ablauf der Weiterbildung und zeitliche Struktur (Durchgang 1A) In der ersten Phase der Weiterbildung erfolgte zunächst im Rahmen eines Selbststudiums der Teilnehmenden die Vorbereitung auf das erste Modul anhand von Materialien und dafür vorbereiteten Fragestellungen (BKJ/DKJS 2016: 6‐14). Die sich daran anschließende erste Präsenzphase – drei Tage, davon ein Tag mit externer*m Referentin*en – beinhaltete den Auftakt und das erste Modul: „Spezifika der Adressat*innen“. Es umfasste Inputphasen durch Expert*innen und anhand von Materialien sowie mo‐ derierte Austausch‐ und Erprobungsphasen. Die Teilnehmenden erhielten nach der ersten Präsenzphase den Feldforschungsauftrag, eine Stakeholder‐ und Sozialraumanalyse mittels Hospitation und Experteninterviews durchzuführen und mithilfe von Materialien und vorbereiteten Fragestel‐ lungen auszuwerten (ebd.: 59). Darauf folgte anhand von Materialien und Fragestellungen eine zweite Phase des Selbststudiums zur Vorbereitung auf die beiden Module „Päda‐ gogische Settings, Professionen und Theorien“ und „Kulturpädagogische Methodik und Didaktik“, die ebenso wieder als Präsenzphase – drei Tage, davon ein Tag mit externer*m Referentin*en stattfanden und moderierte
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Reflexions‐ und Austauschphasen sowie Inputphasen durch Expert*innen bzw. anhand von Materialien umfassten. Im Anschluss an diese Präsenz‐ phase wurden die Teilnehmenden aufgefordert, im Rahmen eines Praxis‐ und Feldforschungsauftrags mithilfe von Materialien und vorbereiteten Fragestellungen (ebd.: 54‐63) die Entwicklung, Planung und organisatori‐ sche Vorbereitung eines kulturellen Bildungsprojekts in einer Ganztags‐ schule oder lokalen Bildungslandschaft anzugehen. Hieran schlossen sich im vierten Modul regionale Netzwerktreffen in Kleingruppen an, die zu „Rahmenbedingungen in Ganztagsschulen/Bil‐ dungslandschaften“ Coaching‐Besuche und Beratungen ermöglichten und Raum für kollegiale Beratungen und Austausch zur Projektpraxis gaben. In der abschließenden Phase des Selbststudiums stand die Auswertung und Reflexion des Praxisprojekts anhand von Materialien und vorbereite‐ ten Fragestellungen im Zentrum. Dies bildete die Grundlage für eine letzte Präsenzphase im fünften Modul, bei dem es um „Haltungen und Einstel‐ lungen“ ging und das drei Tage – davon zwei Tage mit externer*m Refe‐ rentin*en – umfasste.
2.6 Veränderungen und Anpassungen des Curriculums Die konkrete Dauer und Kombination der Module waren ebenso wie die inhaltlich‐methodische Ausgestaltung im Rahmen der dem „Kompetenz‐ kurs“ vorgelagerten Entwicklungsphase erarbeitet worden. Dieses Kon‐ zept wurde zunächst in einem ersten Durchgang mit der ersten Gruppe 1A – so wie unter 2.4. und 2.5. dargestellt – erprobt. Auf der Grundlage von Rückmeldungen der Teilnehmenden, Ergebnissen der teilnehmenden Beobachtung, von Evaluierungsdiskussionen und ‐bögen sowie Anregun‐ gen der Expertenrunde wurden anschließend konzeptionelle Veränderun‐ gen am Curriculum vorgenommen, welche dem in der Förderrichtlinie und zuvor im Antrag formulierten Entwicklungs‐ und Erprobungsauftrag entsprachen. Die zentralen Entwicklungsfragen für den zweiten und dritten Erpro‐ bungsdurchgang waren: Mit welchen Methoden konnte künstlerische Ex‐ pertise – bzw. konnten die künstlerisch‐kulturellen Kompetenzen – mit den im Umfeld dieser Vorhaben vorhandenen pädagogischen Kompetenzen,
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Logiken und Ressourcen in einer Weise so verknüpft werden, dass die kul‐ turellen Bildungsangebote auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendli‐ chen in Ganztagsschulen und Bildungslandschaften zielgenau ausgerich‐ tet waren? Wie ließen sich also die Kompetenzen und Ressourcen von „Einzelpersonen“ mit systemischen und Strukturfragen im Bereich der Kooperationen verbinden? Zugleich bestand eine weitere Herausforde‐ rung darin, den Fragen von Teilnehmenden des ersten Durchgangs nach Finanzierungsmöglichkeiten, bestehenden Strukturen, Rahmenbedingun‐ gen und dem Wert des freischaffenden Arbeitens im Bildungsbereich ei‐ nen Raum zu geben und sie offensiv zu thematisieren. Die bedarfsorientierten Modifikationen der beiden parallelen Durch‐ gänge 2B und 2C umfassten zum einen inhaltliche Konkretisierungen und Weiterentwicklungen, eine unterschiedliche Gewichtung von Präsenzpha‐ sen und Phasen des Selbststudiums sowie veränderte Feld‐ und For‐ schungsaufträge. Auch wurden Struktur, Umfang und zeitliche Verortung des Coachings und der kollegialen Beratung geprüft und verändert. Zum anderen konnten Variationen in Bezug auf den Vermittlungsansatz, also die methodische Ausgestaltung der Weiterbildung vorgenommen wer‐ den. Konkret entwickelte sich aus der Kombination instruktiver und prob‐ lemorientierter Ansätze im ersten Durchgang 1A ein stärker problemori‐ entiert – also eher auf die selbstständige Erarbeitung von Themen und Fra‐ gestellungen – ausgerichteter Durchgang 2B und ein stärker auf instruk‐ tive Lernansätze – also eher auf Impulse und Vorträge – ausgelegter Durchgang 2C. Damit sollte die Möglichkeit geschaffen werden, diese zweiten Durchgänge vor allem miteinander, aber auch mit den Erfahrun‐ gen des ersten Durchgangs vergleichen zu können (siehe unten 3.1 Er‐ kenntnisse). Die Teilnehmer*innen der beiden zweiten Durchgänge wurden in ihren Praxisprojekten stärker unterstützt und Praxisprojekte bei Bedarf vermit‐ telt. Die Projektleitungen führten intensiver gezielte Beratungen und Coachings für laufende Projekte durch. Strukturell wurden die Inhalte aus den bisherigen fünf Modulen zu vier Modulen zusammengefasst, indem die Inhalte des dritten Moduls mit in das erste und zweite Modul einflos‐ sen. Dadurch konnten der Zeitraum zur Umsetzung der Praxisprojekte
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verlängert und zugleich die Betreuung in der Umsetzung erhöht und stär‐ ker gesteuert werden. Inhaltlich wurde ein zusätzlicher regionaler Semi‐ nartag zum Thema „Ohne Moos nix los“ im Rahmen des dritten Moduls angeboten, der mit externen Expert*innen die Grundlagen des Fundrai‐ sings, der Finanzakquise und des Projektmanagements vermittelte. Dar‐ über hinaus stellten die Projektleitungen künstlerische Methodiken für spezifische Projektzusammenhänge zur Verfügung und die Reflexion der eigenen künstlerischen Haltung erhielt im abschließenden vierten Modul einen besonderen Schwerpunkt.
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Erkenntnisse und Herausforderungen bei der Umsetzung des didaktischen Konzepts
3.1 Gesamteinschätzung aus der Perspektive der wissenschaftlichen Begleitung und der Projektreferent*innen „Dass ich da so ein Aha‐Erlebnis hatte, dass der eigentliche Sinn, wenn ich mit Bil‐ dungseinrichtungen und mit Schülern und Kindern arbeiten will, das Besondere ist eigentlich die Zusammenarbeit mit ‘ner Pädagogin. Das war für mich wirklich so das, wo ich jetzt so einen Punkt dranmachen kann. Das fand ich jetzt echt interessant.“ (Teilnehmerin in Gruppendiskussion; Hohmaier/Speck 2017)
Die hohen Bewerberzahlen und die große Verbindlichkeit bei der Teil‐ nahme belegten sowohl einen großen Bedarf als auch eine starke Motiva‐ tion der Teilnehmenden, an einer Weiterbildung mit dem Fokus auf me‐ thodisch‐didaktischen und interprofessionellen Kompetenzen teilzuneh‐ men. Konkrete Tools für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen waren besonders nachgefragt – ebenso die angebotenen Arbeitsblätter, Metho‐ densammlungen und die Ende 2016 veröffentlichten Arbeitsmaterialien.5 Die Ergebnisse der Evaluation durch die Universität Oldenburg und die 5 Die folgende Einordnung orientiert sich am gemeinsamen Konzept der Verbundpartner BKJ, DKJS und Universität Oldenburg (für eine ausführliche Darstellung vgl. auch Hohmaier/Speck 2017).
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Auswertung der Feedback‐Fragebögen zeigen, dass die Kunst‐ und Kul‐ turschaffenden sowohl ihr kooperationsbezogenes als auch methodisch‐ didaktisches Wissen nach der Teilnahme am „Kompetenzkurs“ als deutlich höher einschätzen (siehe Abb. 2 und 3). Auch die Passung der Inhalte und Vermittlungsformen mit den Bedarfen der Teilnehmenden sowie der Ge‐ brauchs‐ und Transferwert wurden positiv bewertet. Die Vielfalt der um‐ gesetzten Praxisprojekte legt zudem den Schluss nahe, dass das inhaltliche Konzept und der Vermittlungsansatz anschlussfähig zu unterschiedlichen Ansätzen und Vorhaben sind.
Abb. 2: Subjektive Einschätzung des eigenen methodisch‐didaktischen Wissens nach Teilnahme (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Hohmaier/Speck 2017)6
6 Veröffentlicht im Rahmen der Abschlussveranstaltung des „Kompetenzkurses Kultur‐ Bildung‐Kooperation“, Berlin.
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Abb. 3: Subjektive Einschätzung des eigenen kooperationsbezogenen Wissens nach Teilnahme (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Hohmaier/Speck 2017)7
3.2 Rückmeldungen zu eher problem‐ bzw. instruktionsorientierten Fortbildungsansätzen Aus der Kombination aus instruktiven und problemorientierten Ansätzen im ersten Durchgang wurden, wie oben ausgeführt, ein eher problemori‐ entierter (Durchgang 2B) und ein eher instruktiv ausgerichteter Vermitt‐ lungsansatz (Durchgang 2C) entwickelt (siehe auch oben unter 2.6). Die unten abgebildeten Rückmeldungen (siehe Abb. 4 und 5) zeigen beispiel‐ haft, dass von den Gruppen der beiden zweiten Durchgänge die spezifi‐ schen Anliegen des „Kompetenzkurses“ – z. B. einen Überblick über die Leitideen von Ganztagsschule gewinnen oder eine Idee erhalten, wie eine Stakeholder‐Analyse für die eigene Arbeit verwendet werden kann – durchaus unterschiedlich wahrgenommen wurden. 7 Veröffentlicht im Rahmen der Abschlussveranstaltung des „Kompetenzkurses Kultur – Bildung – Kooperation“, Berlin.
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Abb. 4: Subjektive Einschätzung des eigenen Überblicks über Leitideen von Ganztagsschulen nach Teilnahme (Kursinterne Evaluation 2012. Konzept und Entwicklung BKJ/DKJS, Modifikation und Auswertung Carl von Ossietzky Universität Oldenburg) Insgesamt weisen die Ergebnisse darauf hin, dass für die Konzeption von Weiterbildungen eine gezielte Mischung verschiedener Ansätze und Me‐ thodiken – und zwar in Bezug zu den jeweiligen Inhalten – maßgeblich für die Wahrnehmung der Teilnehmenden ist, „etwas gelernt“ zu haben. Da die Gruppen jeweils nicht mehr als 25 Personen umfassten und die Form der Erhebung nicht noch einmal wiederholt wurde, bilden die Ergebnisse jedoch eher eine Tendenz ab. Eine vertiefte Untersuchung in einem eige‐ nen Forschungsvorhaben hierzu erscheint sinnvoll.
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Abb. 5: Subjektive Einschätzung der eigenen Idee von Verwendungsmög‐ lichkeiten der Stakeholder‐Analyse in der eigenen Arbeit nach Teilnahme (Kursinterne Evaluation 2012. Konzept und Entwicklung BKJ/DKJS, Mo‐ difikation und Auswertung Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
4
Fazit: Potenziale auf der einen Seite – Handlungsbedarf auf der anderen
Mit dem Konzept des Curriculums wurde ein klares, handhabbares und motivierendes Weiterbildungskonzept entwickelt, welches für einen wei‐ teren Transfer geeignet ist. Die Weiterbildung stieß auf große Resonanz und Nachfrage der Akteure im Feld der Kulturellen Bildung. Verschie‐ dene Seiten (z. B. Schulaufsichten, Weiterbildung, Universitäten) signali‐ sierten ihr Interesse sowohl am Ansatz als auch am Umsetzungskonzept. Mit Blick auf eine notwendige Qualitätsentwicklung im Bereich der Kulturellen Bildung an Ganztagsschulen oder in lokalen Bildungsland‐ schaften konnte die Weiterbildung vor allem unter dem Aspekt von ge‐ lingender Kooperation einen wertvollen Beitrag leisten. Insbesondere die Bedeutung von Bildungspartnerschaften und Kooperationen zwischen
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Partnern verschiedener Institutionen erfuhren hohe Wertschätzung durch die teilnehmenden Kunst‐ und Kulturschaffenden. Durch gezielte Anspra‐ che, Methodik und Netzwerkarbeit konnten im Rahmen der Weiterbil‐ dung individuelle berufliche Lebenswegplanungen der Teilnehmenden gefördert und unterstützt werden. Die Weiterbildung leistete darüber hin‐ aus eine Form der Berufsfeldentwicklung im professionellen und zeitge‐ nössischen Kontext von Kunst, Bildung und Kultur. Auch gelang es, zu einer bundesweiten Vernetzung von Akteuren der Kulturellen Bildung beizutragen. Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation beförderte durch ihre professionelle, unabhängige und externe Beratung bei der Konzeptent‐ wicklung und Durchführung entscheidend die Qualitätsentwicklung der Weiterbildung. Zudem bereicherten die Beratung und die Empfehlungen einer externen Expertenrunde mit Vertreter*innen aus Wissenschaft, Ver‐ waltung und Praxis die Ausgestaltung des „Kompetenzkurses“. Dem Anspruch einer möglichst hohen Prozessorientierung bei der Ent‐ wicklung der Weiterbildung wurde durch die Veränderung und Anpas‐ sung des Spiralcurriculums (problemorientiert versus instruktiv) sowie durch Modifikationen aufgrund von Rückmeldungen und Feedbacks der Teilnehmenden (z. B. zusätzliches Netzwerktreffen zu Projektmanage‐ ment und Akquise) entsprochen. Zum Fachtag „Perspektive Künste – Ar‐ beitsfeld Kulturelle Bildung“ (Mai 2017) mit insgesamt 18 Referent*innen meldeten sich über 120 Interessierte an und gaben der Veranstaltung ein positives Feedback. Die entstandene Publikation „Arbeitshilfe Perspektive Kunst – Arbeitsfeld Kulturelle Bildung. Texte, Materialien, Methoden für Kulturschaffende“ ist stark nachgefragt. Zum Zeitpunkt der Erstellung des vorliegenden Textes ist eine Neuauflage in Arbeit. Eine Herausforderung in allen drei Durchgängen war die Arbeit mit Gruppengrößen von 25 bis 30 Teilnehmenden. Mit zusätzlichen zeitlichen und personellen Ressourcen hätten die Kunst‐ und Kulturschaffenden mit ihren individuellen Potenzialen noch intensiver beraten und unterstützt werden können. Dennoch war die Auseinandersetzung in der Gruppe ins‐ gesamt fruchtbar und wichtig. Sie benötigte vor allem eine besondere Sen‐ sibilität für die Zielgruppe der Kunst‐ und Kulturschaffenden sowie die
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fachliche Expertise in Bezug auf künstlerische Haltung, Kooperationsmög‐ lichkeiten, Bildungskonzepte und Professionalisierung. Eine weitere Optimierungsmöglichkeit besteht in der Schaffung eines qualitätsvollen Rahmens für die Praxisprojekte. So wäre es neben dem Kennenlernen von „Good Practice“ wünschenswert, die Praxisprojekte über den Zeitraum der Weiterbildung hinaus noch punktuell begleiten zu können, um die unterschiedlichen Qualitäten bei der Entfaltung der in der Weiterbildung erworbenen Kompetenzen in Ganztagsschulen und lokalen Bildungslandschaften nachhaltiger zu unterstützen. Auch eine engmaschi‐ gere Begleitung der Praxisprojekte wäre sicher von Vorteil, um eine inter‐ professionelle Zusammenarbeit zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Und eine qualitätsvolle Dokumentation der einzelnen Praxisprojekte in hochwertigen, künstlerischen Formaten hätte der Weiterbildung eine grö‐ ßere Sichtbarkeit verleihen und gleichzeitig die Teilnehmenden auf ihrem weiteren beruflichen Weg unterstützen können. Abschließend muss darauf hingewiesen werden, dass die Arbeits‐ marktbedingungen im Feld der Kulturellen Bildung für Kunst‐ und Kul‐ turschaffende an Ganztagsschulen oder in lokalen Bildungslandschaften noch stark in Entwicklung begriffen sind. Im Sinne eines Modell‐ und For‐ schungsprojekts konnte mit der Weiterbildung sicherlich wichtiges und wertvolles Wissen generiert werden. Es wurden aber gleichzeitig auch Ak‐ teure für die Arbeit in einem Umfeld qualifiziert, das kaum über etablierte und verbindliche Unterstützungsstrukturen verfügt und ihnen häufig nur mangelhafte Rahmenbedingungen bietet (freiberufliche Tätigkeit, gerin‐ ger Stundensatz, fehlende Einbindung, Dienstleistungsmentalität).
5
Ausblick: Vier Thesen für die Zukunft
Welche Einsichten aus dem „Kompetenzkurs Kultur – Bildung – Koopera‐ tion“ können zukünftige Qualifizierungsangebote im Hinblick auf Koope‐ ration noch stärker in den Blick nehmen und warum? Die Beteiligten des Kooperationsbündnisses haben im Dialog mit der Expertenrunde die fol‐ genden vier Thesen formuliert, die als Anregungen für die Zukunft von Weiterbildungen für Kunst‐ und Kulturschaffende dienen sollen:
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These 1: Kunst‐ und Kulturschaffende brauchen ein erweitertes Selbstver‐ ständnis und Kompetenzprofil, um an (Ganztags‐)Schulen und in Bil‐ dungslandschaften arbeiten zu können und mit ihrer Expertise zur Bildung und Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beizutragen. Ein solches Profil sollte gelingende Kooperationen im Bildungsbereich ermöglichen und zu methodisch‐didaktischem Arbeiten befähigen. Dafür ist Weiterbil‐ dung notwendig. These 2: Eine Weiterbildung für Kunst‐ und Kulturschaffende muss in der Konzeption und Umsetzung eine künstlerische Expertise beinhalten und Anschlussmöglichkeiten für die Teilnehmenden an ihr eigenes ästhetisches Schaffen bieten. So werden die besonderen Potenziale der Künste und der Kulturellen Bildung in einen Transfer gebracht. Kunst‐ und Kulturschaf‐ fende können in ihrer spezifischen künstlerischen Qualität für Kooperati‐ onen gestärkt werden. These 3: Wenn Kooperationen im Sinne von Bildungspartnerschaften ge‐ lingen sollen, benötigen Kunst‐ und Kulturschaffende sowie Akteure aus Schule und Bildungslandschaft gemeinsame Fortbildungen und professi‐ onsübergreifende Qualifizierungsveranstaltungen. So können die unter‐ schiedlichen Perspektiven gleichberechtigt einbezogen und in Beziehung zueinander gesetzt, Rollenverständnisse reflektiert, Netzwerke aufgebaut und interprofessionelle Kompetenzen gestärkt werden. These 4: Der „Kompetenzkurs“ konnte einen Beitrag zu gelingenden Ko‐ operationen leisten, darüber hinaus müssen allerdings übergreifende Ver‐ änderungsprozesse angestoßen werden: Fortbildung und Kooperation sollten Gegenstand einer breit angelegten fachlichen, kultur‐ und bil‐ dungspolitischen Debatte sein. Zudem braucht es flankierende Maßnah‐ men zur Veränderung der Rahmenbedingungen (bildungs‐ und kulturpo‐ litische Maßnahmen, Tandem‐Fortbildung, Schulentwicklung, Öffnung, Qualität, Fonds/Finanzierung). So ermöglichen bildungspolitische Maß‐ nahmen die Verbesserung von Arbeitsbedingungen für Kunst‐ und Kul‐ turschaffende. Die Schulentwicklung und die Öffnung der Schulen
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können gefördert werden, denn Qualität ist an strukturelle Bedingungen geknüpft.
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Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings als reflexive Praxis Elke Josties, Stefanie Kiwi Menrath und Kristin Werschnitzke Dieser Beitrag thematisiert eine Besonderheit des Weiterbildungskon‐ zepts von ARTPAED1: Die Heterogenität des Handlungsfelds der Offe‐ nen Settings2 der kulturellen Jugendbildung, die Vielfalt seiner Akteure und ihrer Ziele spiegelt sich in einem reflexiven Format der Weiterbil‐ dungsdidaktik wider. Im ersten Teil des Beitrags werden Ziele und Inhalte der Weiterbildung und ihre Bedeutung für die Modulthemen erläutert und begründet. Im zweiten Teil werden dann am Beispiel der Prozessbe‐ gleitung von Praxisprojekten der teilnehmenden Kunst‐ und Kulturschaf‐ fenden und der Rolle der Gastdozent*innen reflexive Formate in der Di‐ daktik der Weiterbildung analysiert.
1 Von 2014 bis 2017 erarbeiteten und erprobten die WeTeK Berlin gGmbH und die Alice Salomon Hochschule Berlin ein praxisorientiertes spartenoffenes Konzept einer Weiter‐ bildung für Kunst‐ und Kulturschaffende in Arbeitsfeldern der kulturellen Jugendbil‐ dung. Das Vorhaben wird von der Alice Salomon Hochschule wissenschaftlich begleitet und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Schwerpunkt „Förderung von Entwicklungs‐ und Erprobungsvorhaben zur pädagogischen Weiterbil‐ dung von Kunst‐ und Kulturschaffenden“ unterstützt. 2 Der Begriff Offene Settings fungiert im Forschungs‐ und Entwicklungsprojekt ARTPAED zunächst als Arbeitsbegriff. Auch im Kontext Kultureller Bildung ist dieser Begriff bis‐ lang noch nicht etabliert. Als heuristischer Begriff ermöglicht Offene Settings daher, neue Perspektiven auf die Gemeinsamkeiten künstlerischer und pädagogischer Arbeitsweisen zu entwickeln, um erweiterte Handlungsoptionen und die weitere Praxisentwicklung in den Feldern außerschulischer kultureller Jugendbildung zu ermöglichen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_9
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Einführung: Weiterbildungskonzept ARTPAED Ziel der Weiterbildung ARTPAED ist es, Kunst‐ und Kulturschaffende al‐ ler Sparten für die Arbeit in Offenen Settings der außerschulischen kultu‐ rellen Jugendbildung zu qualifizieren. Kulturelle Jugendbildung fokus‐ siert derzeit stark auf Kooperationen von Schulen mit Künstler*innen und Kulturinstitutionen. Das Weiterbildungskonzept ARTPAED zielt hingegen darauf, die Handlungspotenziale der Offenen Settings auszuloten und weiterzuent‐ wickeln. Unter Offenen Settings werden Räume informeller und non‐for‐ maler kultureller Jugendbildung verstanden, die von freiwilliger Teil‐ nahme und kollaborativem Aushandeln ihrer Inhalte und Zielsetzungen gekennzeichnet sind. Zentrale Aspekte des Weiterbildungskonzepts sind die Auseinander‐ setzung mit pädagogischen und künstlerischen Fachdiskursen zu kultu‐ reller Jugendbildung, die Entwicklung und Erprobung transdisziplinärer Handlungsmethoden der kulturellen Jugendbildung, die Förderung inter‐ disziplinärer Kooperationen und die Einbindung von Kunst‐ und Kultur‐ schaffenden in regionale Bildungspartnerschaften. Kunst‐ und Kulturschaf‐ fende erhalten einen Überblick über aktuelle Herausforderungen an kultu‐ relle Jugendbildung wie Teilhabegerechtigkeit, Partizipation und Diversi‐ tät und setzen sich mit der Komplexität jugendlicher Lebenswelten und Kulturen auseinander. Das Weiterbildungskonzept soll den Blick auf informelle Orte und For‐ men jugendlicher Identitätsentwicklung, ästhetischer Selbst‐ und Weltver‐ ständigungsprozesse und jugendkulturelle Praxen und Szenen schärfen. Gleichfalls geht es darum, Sicherheit im Umgang mit den institutionellen Bedingungen von unterschiedlichen außerschulischen Bildungsträgern zu schaffen. Kunst‐ und Kulturschaffende sollen in ihrer Kompetenz gestärkt werden, adressatengerechte, partizipative und diversitätssensible Lernan‐ gebote zu entwickeln und Lernprozesse in der kulturellen Bildungsarbeit mit Jugendlichen anzuregen. Regelhafter Teil der Weiterbildungen in der Erprobungsphase sind daher Praxisprojekte der Künstler*innen, die in un‐ terschiedlichen außerschulischen Kontexten Kultureller Bildung umge‐ setzt und in der Weiterbildung reflexiv begleitet werden.
Kulturelle Bildung in Offenen Settings als reflexive Praxis
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Entsprechend der Heterogenität der informellen und non‐formalen, au‐ ßerschulischen Kontexte der Kulturellen Bildung verfolgt die Weiterbildung ARTPAED ein situatives Qualitätsverständnis von Kultureller Bildung (vgl. Honig 2004): Aus den jeweiligen Projekten, ihrem Setting und inhaltlichen Zielsetzungen, aber auch den Aushandlungsprozessen der beteiligten Künstler*innen, Teilnehmer*innen und Netzwerkpartner ergeben sich die pädagogischen und ästhetisch‐künstlerischen Qualitätsmerkmale. Sie be‐ ziehen sich auf Bildungsprozesse, ästhetisch‐künstlerische Produkte, Re‐ zeption und Nachhaltigkeit Kultureller Bildung und sind situativ immer neu auszuhandeln. Diese Offenheit verfolgt ARTPAED auch in der pädagogischen Kon‐ zeption der Weiterbildung, insbesondere durch den Einbezug unter‐ schiedlicher Partner aus lokalen Bildungslandschaften (im spezifischen Fall die Stadt und Region Berlin) als Gastdozent*innen. Die Vielfalt von Haltungen, Positionen und Qualitätsverständnissen sowie ihre Situations‐ abhängigkeit wird den Teilnehmer*innen von ARTPAED nahegebracht und so ein Verständnis von Kultureller Bildung als reflexiver Praxis mit interdisziplinären Theoriebezügen angeregt. Teil 1: Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings – Vielfalt der Teilnehmer*innen und Akteure 1.1
Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings – Modulthemen
Kulturelle Jugendbildung Das Weiterbildungskonzept von ARTPAED basiert auf einer pädagogi‐ schen Perspektive der kulturellen Jugendbildung in Offenen Settings, in die durch die Kursleitung der Weiterbildung eingeführt wird (vgl. aus‐ führlich Josties/Menrath 2017). Es werden Einblicke in Diskurse zu Kultu‐ reller Bildung und in die Jugendbildungsforschung gegeben, die für die Arbeit in Offenen Settings relevant sind. Dazu gehören auch Einblicke in die pädagogische Bildungsforschung und Theorien der Jugendphase so‐ wie aktuelle Studien über jugendliche Lebenswelten und Jugendbildung,
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die vertiefend im Einführungsmodul der Weiterbildung thematisiert wer‐ den. Urbanes Lernen und ästhetisch‐künstlerische Raumaneignung Ein wesentliches Modulthema von ARTPAED führt die Kunst‐ und Kul‐ turschaffenden an ein äußerst heterogenes Praxisfeld: die Stadt als Lebens‐ und Lernraum von Jugendlichen.3 Ein Hintergrund kultureller Jugendbil‐ dung im Kontext von Urbanem Lernen4 ist, dass die Stadt Orte und Ni‐ schen alltagskultureller Praktiken von Jugendlichen bietet, aber auch Frei‐ räume und Experimentierräume für ästhetische und künstlerische Praxis, die allerdings immer weiter eingeschränkt werden. Urbanes Lernen setzt voraus, dass Jugendliche als Autoritäten und Ex‐ pert*innen in eigener Sache einbezogen werden und Anregungen geben, stadträumliche und lebensweltorientierte künstlerische Interventionen ge‐ meinsam mit Kunst‐ und Kulturschaffenden zu entwickeln. Künstleri‐ sches Handeln birgt das Potenzial, den Alltag zu transzendieren, daher sollten Künstler*innen sich mit den Lebenslagen, soziokulturellen Orien‐ tierungen und biografischen Hintergründen ihrer Adressat*innen ausei‐ nandersetzen. In der Pädagogik lässt sich im Kontext Urbanen Lernens auf die Per‐ spektive der Sozialräumlichen Jugendarbeit (Deinet 2009) verweisen. Demnach werden Sozialräume auch als subjektive Aneignungs‐ und Bil‐ dungsräume begriffen (vgl. ebd. 2016). Mit einem weiten Verständnis von „Raum als Dimension und Medium von Bildung“ (Krinninger/Schubert 2009: 17‐38) weist sie Schnittmengen mit künstlerischen Vermittlungsan‐ sätzen Urbanen Lernens auf (vgl. Schuster 2014). Ebenso gibt es Parallelen zu (stadt‐)ethnologischen Feldforschungsan‐ sätzen, die als Methoden der Recherche und Intervention fruchtbar
3 Da die Weiterbildung ARTPAED speziell für den urbanen Raum entwickelt wurde, wer‐ den ländliche Regionen nicht explizit thematisiert. Offene Settings sind jedoch auch in diesem Kontext relevant – hier gäbe es weitere Entwicklungsbedarfe. 4 Zum Begriff des Urbanen Lernens siehe Marion Thuswald (2010).
Kulturelle Bildung in Offenen Settings als reflexive Praxis
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gemacht werden.5 Wie bei allen Modulen der Weiterbildung, werden exemplarisch anregende künstlerische Projektbeispiele einbezogen – hier vor allem das JugendKunst‐ und Kulturhaus Schlesische27 in Berlin Kreuzberg. Jugendkulturarbeit Kulturelle Bildung in Offenen Settings kann an die Erfahrungen und Qua‐ litätsentwicklung von pädagogischer Jugendarbeit anknüpfen. Ein wichti‐ ger Strang der Weiterbildung ist es, auf Offene Settings der Jugendkultur‐ arbeit (Josties 2010) aufmerksam zu machen. Jugendkulturarbeit folgt ei‐ nem Verständnis von Bildung, das selbstorganisiertes ästhetisch‐gestalte‐ risches Handeln und Lernen vorwiegend in Gleichaltrigengruppen mit ei‐ nem starken lebensweltlichen Bezug in den Mittelpunkt rückt. Jugendkul‐ turarbeit ist grundsätzlich zieloffen. Die Teilnahme ist freiwillig. Es gibt keine Curricula. Ästhetisch‐kulturelle Selbstbildung ist von zentraler Be‐ deutung. Sie vollzieht sich unmittelbar, situativ und performativ in alltäg‐ lichen Kontexten (Sturzenhecker 2012: 743‐746). Solcherart informelles und non‐formales Lernen, das nicht vorrangig und gezielt für (hoch‐)schu‐ lische und berufliche Karrierezwecke instrumentalisiert wird, nimmt im Alltag von Kindern und Jugendlichen zunehmend weniger Zeit und Raum ein. Welche Rolle können in solchen selbstbestimmten ästhetischen Bil‐ dungsprozessen Pädagog*innen und Künstler*innen spielen? Gastrefe‐ rent*innen aus der Praxis der Jugendkulturarbeit, aber auch Künstler*innen mit Erfahrungen der Arbeit in Offenen Settings geben hier Anregungen bei ARTPAED. Wie Prozesse der Rückmeldung und Reflexion, aber auch der Gestaltung, Weiterentwicklung und Transformation angeregt werden können, ist außerdem Thema in der Prozessbegleitung der Praxisprojekte (vgl. Teil II des Beitrags).
5 Vgl. z. B. Anja Schwanhäußer (2016); siehe auch www.etaboeklund.de, letzter Zugriff: 17.12.2017.
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Jugendszenen – Each One Teach One Im Kontext szeneorientierter Jugendkulturarbeit (Josties 2008) überneh‐ men junge Szeneakteure im Sinne des Prinzips „Each One Teach One“ (Eberhard/Ruile 2013) selbst maßgeblich die Vermittlung künstlerisch‐ gestalterischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Sie gehören den lokalen und gleichzeitig global vernetzten Jugendszenen an und sind in ihrem jeweiligen künstlerischen Genre anerkannte Akteure. In der Weiterbildung ARTPAED werden szeneorientierte kulturelle Jugendbildung und die Möglichkeiten mit Szenemitgliedern in der kulturellen Bildungsarbeit zu kooperieren u. a. am Beispiel der Arbeit des Archivs der Jugendkulturen in Berlin the‐ matisiert (Archiv der Jugendkulturen o. J.). 1.2
Kulturelle Jugendbildung in Offenen Settings – Zentrale Herausforderungen und Querschnittsthemen
Partizipation fördern und sichern Die Förderung der Partizipation von Jugendlichen ist stets handlungslei‐ tend und zentrales Qualitätskriterium von Jugendkulturarbeit (vgl. Hand‐ buch Qualitätsmanagement der Berliner Jugendfreizeiteinrichtungen 2012: 70). Partizipation hat auch in den Künsten, vor allem in sozial und politisch motivierten künstlerischen Vermittlungspraxen eine vielfältige Tradition (vgl. Rollig/Sturm 2002; May 2015).6 Ergebnisse pädagogischer empirischer Studien und fachlicher Diskurse über die Partizipation Ju‐ gendlicher lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Partizipations‐ angebote sollten „stärker als bisher die persönliche Lebenssituation und die Verschiedenheit der Jugendlichen“ berücksichtigen (Winklhofer/Zin‐ ser 2008: 89). Hier zeigt sich die Bedeutsamkeit der Vermittlung pädagogi‐ scher Theorien zur Lebensphase Jugend, ihrer gesellschaftlichen Konstruk‐ tion, ihre spezifischen Entwicklungsphasen, Bildungskontexte und Heraus‐ forderungen (z. B. Hurrelmann/Quenzel 2013; von Bingel/Nordmann/ 6 Auch in der Zeitschrift „Kunstforum International“, Band 240/2016: „Get Involved“ wird die Tradition von Partizipation als künstlerischer Strategie rekonstruiert und kritisch dis‐ kutiert.
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Münchmeier 2008; Walther 2008). In unserer Weiterbildung wird dieses Thema eng mit der Reflexion der Expertise von Gastreferent*innen mit Praxiserfahrungen in der Offenen Jugendarbeit (siehe Teil II des Beitrags) und mit der Methode der Biografiearbeit verknüpft. Bedeutsamkeit von Biografiearbeit Biografiearbeit ist ein pädagogisches Verfahren zur Selbstbeschreibung der eigenen, auch eigensinnigen Lebensgeschichte, mit dem Ziel, Lebens‐ verläufe zu rekapitulieren, aber auch biografisches Lernen zu ermögli‐ chen. Als künstlerische Recherchemethode produziert das Biografieren dokumentarisches Material, über das die künstlerische Arbeit in der Kul‐ turellen Bildung mit der Lebenswirklichkeit der Zielgruppe verschränkt werden kann. Diese biografische Arbeitsweise erproben und reflektieren die Kunst‐ und Kulturschaffenden in der Weiterbildung ARTPAED am ei‐ genen Beispiel und am Beispiel der Arbeit eines Jugendclubs am Theater an der Parkaue7 in Berlin. Konflikte und Machtstrukturen in Offenen Settings Zum Weiterbildungskonzept gehören reflektierende Dialoge der Kunst‐ und Kulturschaffenden mit Pädagog*innen, die in der Kulturellen Bildung in Jugendkulturzentren langjährig erfahren sind. Sie sind gefordert, „schwierige, konfliktreiche Situationen im offenen Bereich“ (Senatsver‐ waltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2012: 65f.) zu bewältigen sowie Machtstrukturen und Ausgrenzungsmechanismen unter Kindern und Jugendlichen zu erkennen, zu problematisieren bzw. zu verhindern.8 In der Weiterbildung werden diese und andere Herausforderungen der Arbeit mit Gruppen sowohl im Modul „Kommunikation & Gruppenpro‐ zesse“ als auch in der reflexiven Praxisbegleitung der Künstler*innen und anhand von Fallbeispielen aus ihren Praxisprojekten thematisiert. 7 Zur Arbeit der Jugendclubs im Theater an der Parkaue, siehe www.parkaue.de/ projekte/#theaterclubs, vgl. auch www.joanna‐praml.de, letzter Zugriff: 17.12.2017. 8 Zur Herausforderung gendersensibler kultureller Jugendbildung vgl. z. B. Judith Müller (2013).
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Diversity‐Perspektive Pädagogische Jugendarbeit zielt darauf, Benachteiligungen und Diskri‐ minierungen von Jugendlichen aufzudecken und ihnen entgegenzuwir‐ ken. Kulturelle Bildung kann sich auf eine kritische diversitätsbewusste Kinder‐ und Jugendarbeit beziehen (vgl. Josties 2016: 16) und in ihrer konzeptionellen Ausrichtung folgende Herausforderungen und Per‐ spektiven beachten: In der Arbeit mit Jugendlichen gilt es, das spezifisch Gewordene/das spezifische Werden von Subjekten im Jugendalter wahr‐ zunehmen und anzuerkennen. Einerseits ist es wichtig, das Bedürfnis Ju‐ gendlicher nach Eindeutigkeit und Positionierung ernst zu nehmen und für dessen Ausdruck Gelegenheit zu geben, andererseits sollten aber auch ästhetisch‐kulturelle Experimentierräume für Uneindeutigkeiten und Überkreuzungen geschaffen werden. Essenzialisierende Zuschreibungen gilt es aufzudecken und zu hinterfragen; Klischees lassen sich gerade in der ästhetisch‐künstlerischen Praxis auch brechen. Die Entwicklung einer kritischen Diversity‐Perspektive ist sowohl Querschnittsthema als auch Inhalt eines zentralen Weiterbildungsmoduls von ARTPAED. Hier wird der Selbstreflexion der eigenen Position der Kunst‐ und Kulturschaffen‐ den und der Sensibilisierung für Diversity im Handlungsfeld der kulturel‐ len Jugendbildung Raum gegeben und mit Expert*innen der diskriminie‐ rungskritischen Bildungsarbeit, z. B. des Jüdischen Museum Berlin9, ko‐ operiert. Vielfalt der Akteure in Offenen Settings Nicht nur die Gruppen von Teilnehmenden in Projekten Kultureller Bildung in Offenen Settings sind heterogen; die Praxisfelder in Offenen Settings sind so unterschiedlich, dass Kunst‐ und Kulturschaffende es auch mit einer Vielfalt an möglichen Kooperationspartnern zu tun haben. Die in Berlin mittlerweile fast vollständige Übertragung bisher kommunal organisierter und finanzierter Jugendeinrichtungen an freie Träger der Jugendhilfe führt dazu, dass sich die Offene Kulturelle Kinder‐ und Jugendarbeit neu 9 Zur diskriminierungskritischen Bildungsarbeit im Jüdischen Museum Berlin vgl. Diana Dressel (2016).
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aufstellt. Gesetzlich gerahmt und verankert im § 11 des SGB VIII – Kinder‐ und Jugendhilfe, differenziert sie sich konzeptionell wie institutionell aus. Im (Jugend‐)Strafvollzug, in Unterkünften für Geflüchtete, in internatio‐ nalen Jugendbegegnungen und Jugendaustauschprogrammen, in der Straßensozialarbeit ebenso wie in Projekten der beruflichen Orientierung und der Jugendberufshilfe sind Künstler*innen mittlerweile häufig pro‐ jekt‐ oder programmbezogen eingebunden. Mit dem verstärkten Engagement von Kulturinstitutionen bei kulturpä‐ dagogischen Angeboten treten neue und zusätzliche Akteure in Jugendar‐ beit, Schule und Kindertagesstätten als Partner auf. Die außerschulischen wie schulischen Einrichtungen sind daher gehalten, Kooperationen an‐ und aufzunehmen, Netzwerke und Bildungspartnerschaften zu entwickeln. Hier treten Kunst‐ und Kulturschaffende in ein Netzwerk mit Akteuren aus der Jugendarbeit, Jugendszenen, Bildungs‐ und Kultureinrichtungen. Die Förderung von kulturellen Bildungsprojekten auf Bundes‐ wie Landesebene und durch Stiftungen steht oft in Verbindung mit der Auf‐ forderung, die Projekte träger‐ und arbeitsfeldübergreifend zu gestalten. Obwohl Kooperationsverbünde als Gestaltungs‐ und Handlungsmodell anerkannt sind, werden jedoch die entstehenden Kooperationskosten – auch für die Kunst‐ und Kulturschaffenden – bislang leider nicht aner‐ kannt oder berücksichtigt. Das Weiterbildungskonzept ARTPAED greift diese Veränderungen auf. Die Weiterbildungsmodule führen an die unterschiedlichen Orte der kulturellen Jugendarbeit. Mitarbeiter*innen von Jugendkulturzentren wie anderen außerschulischen Einrichtungen erläutern vor Ort institutionelle, konzeptionelle, räumliche wie finanzielle Voraussetzungen einrichtungs‐ bezogener, stadtteil‐ oder szeneorientierter, inklusiver wie internationaler Arbeit. Die spezifischen Bedingungen, denen Projekte der Kulturellen Bil‐ dung in der außerschulischen Jugendarbeit – in Absetzung von Schule und Kindertagesstätte (Kita) etwa – unterliegen, sind notwendiges Handlungs‐ wissen, um als Künstler*in in arbeitsteiligen Kooperationen die eigene Po‐ sition zu behaupten. Kooperationen auch als Handlungs‐ und machtvolles Aushandlungs‐ feld – zuweilen konkurrierender Institutionen – zu verstehen, verschafft,
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ganz im Sinne des hier vertretenen situativen Qualitätsverständnisses, er‐ weiterten Zugang zu Ressourcen und fördert interdisziplinäre Arbeitswei‐ sen. Diese Perspektive gibt dem Handlungsfeld Kulturelle Bildung in Of‐ fenen Settings, und nicht zuletzt – für Künstler*innen nicht unwesentlich – auch dem Arbeitsmarkt Kulturelle Bildung Gestalt. Teil 2: Reflexive Formate in der Weiterbildungsdidaktik ARTPAED Die Heterogenität des Handlungsfelds Offene Settings, seiner Teilneh‐ menden und Akteure spiegelt sich in der Weiterbildungsdidaktik von ARTPAED wider. Exemplarisch wird im Folgenden die Bedeutung von zwei reflexiven didaktischen Formaten aus der Weiterbildung ARTPAED vorgestellt und begründet.
2.1
Reflexive Begleitung der Praxisprojekte
Wichtiger Bestandteil der Weiterbildung sind Praxisprojekte der Teilneh‐ mer*innen, die in Kooperation mit Jugend‐, Bildungs‐ und Kultureinrich‐ tungen umgesetzt werden. Die Weiterbildung bietet auch die Option, dass Künstlergruppen gemeinsam ein interdisziplinäres Projekt umsetzen – ei‐ nige haben Tandems gebildet, in einem Fall eine große Gruppe, die ge‐ meinsam ein Ferienprojekt im Setting Offene Jugendarbeit konzipierte und realisierte. Grundsätzlich entwickeln die Künstler*innen ihre Pra‐ xisprojekte eigenständig. In Form von Prozessbegleitung und Beratung unterstützt das ARTPAED‐Team die Teilnehmer*innen bei der Suche nach Kooperationspartnern, der Konzeptentwicklung und ggf. bei der Antrag‐ stellung auf finanzielle Förderung. Neben einer Vorstellung des Stands der Projektarbeiten während der Weiterbildung werden in verabredeten Einzelterminen zur individuellen Prozessbegleitung vor allem persönliche Fragen zur eigenen Rolle, zur Kommunikation mit den jeweiligen Adres‐ satengruppen und zur Anleitung von Gruppenarbeiten thematisiert. Darüber hinaus werden die Künstler*innen während der Weiterbil‐ dung – in der Regel im Modul „Kommunikation & Gruppenprozesse“ – in das Format der „Kollegialen Beratung“ eingeführt, einer Methode zur Begleitung und Reflexion im Team. Dieses Format wurde von den
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Künstler*innen sehr interessiert aufgegriffen. Themen waren beispiels‐ weise: Wie finde ich den Einstieg, wenn ich mit einer großen Gruppe von über 20 Jugendlichen arbeite? Wie reagiere ich darauf, wenn Jugendliche im Rahmen von Biografiearbeit persönliche Belastungen zum Ausdruck bringen? Wie steuernd und weitgehend sollte ich als Künstler*in in ge‐ stalterische Prozesse eingreifen? Darf ich selbst mitgestalten oder etwas mitbearbeiten? Die Künstler*innen üben hier, sich gegenseitig kollegialen Rat zu geben. Im abschließenden Modul der Weiterbildung präsentieren die Künst‐ ler*innen ihre Praxisprojekte mit Fokus auf ihr individuelles Profil der Vermittlung. Hierzu erhalten sie sowohl von der Gruppe der Teilnehmen‐ den als auch vom ARTPAED‐Team direktes Feedback im Plenum. Die schriftlichen Abschlussarbeiten sind in Form einer Reflexion der eigenen Praxisprojekte zu erbringen. Dabei geht es um eine thematisch fokussierte, kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Praxis anhand eines exemp‐ larischen Aspekts, einer inhaltlichen Frage‐ oder Problemstellung, einer Beobachtung o. ä. Auf für die Themenwahl einschlägige Fachliteratur (u. a. Fachtexte auf einer digitalen Plattform) sollte in der Reflexion Bezug genommen werden. Zu den schriftlichen Reflexionen wird ein individuel‐ les Feedback vonseiten der wissenschaftlichen Leitung angeboten.10 Im Folgenden werden exemplarisch drei Praxisreflexionen vorgestellt, in denen Künstler*innen die Herausforderungen des Arbeitens in Offenen Settings aus unterschiedlichen Perspektiven reflektieren.11 Freiwilligkeit der Teilnahme der Jugendlichen und notwendige Flexibilität der Künstler*innen Eine Bildende Künstlerin arbeitete 2016 zusammen mit einer Kollegin in Offenen Settings der Jugendarbeit Berlins zum Thema „Jugendprotest (‐Geschichten)“. Angestrebt war die Kooperation mit einem offenen Mäd‐ chentreff. Die Künstlerin reflektierte in ihrem Praxisbericht die 10 Die erfolgreiche Teilnahme an der Weiterbildung, die Realisierung und Präsentation ei‐ nes Praxisprojekts und die schriftlichen Praxisreflexionen sind Grundlage der Anerken‐ nung von zehn ECTS‐Punkten durch die Alice Salomon Hochschule Berlin. 11 Die drei Fallbeispiele sind aus Gründen des Datenschutzes anonymisiert.
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Herausforderung durch ein zentrales Prinzip der Offenen Jugendarbeit, die Freiwilligkeit der Teilnahme. In der Anfangsphase des auf acht Monate angelegten künstlerischen Projekts sollte es einen einführenden Ferien‐ workshop geben. Die Teilnehmerinnenakquise erwies sich als schwierig und die Bitte der Künstlerinnen um eine Voranmeldung der interessierten Mädchen als nicht umsetzbar. Das eher experimentell‐künstlerische und mit großem Gestaltungsspielraum formulierte Projektkonzept ließ sich den Mädchen nicht leicht vermitteln. Schließlich gelang es den Künstlerin‐ nen, eine Gruppe von Mädchen für die Beteiligung an der Projektplanung zu gewinnen. Hierbei brachten die Mädchen ihre gewünschten jugendkul‐ turellen Formate, wie z. B. das „Cheerleading“, ein. Doch trotz der gemein‐ samen Planung war eine langfristig kontinuierliche Arbeit mit einer festen Gruppe nur mit Einschränkungen möglich. Es konnte vorkommen, dass parallel laufende alternative Angebote im Mädchentreff vorgezogen wur‐ den oder die Mädchen lieber „chillen“, spielen oder erzählen wollten. Die Künstlerinnen waren gefordert, sich auf eine fluktuierende Teilnehmerin‐ nenzahl und ‐zusammensetzung einzulassen. Im weiteren Projektverlauf suchten die beiden Künstlerinnen schließlich noch mit einem nahegelege‐ nen Jugendkulturzentrum die Kooperation, durch die sich die Teilnehme‐ rinnenakquise weniger schwierig gestaltete. Als besonders intensiv erwies sich die Arbeit in einem offen gehaltenen Setting eines sechswöchigen Sommerferienprogramms. Auf einem öffentlichen Platz mit Sport‐ und Grünfläche wurden hauptsächlich Sport und Spiele angeboten. In diesem Setting fanden die beiden Künstlerinnen einen Ort, an dem sie kontinuier‐ lich mit einer engagierten und motivierten Gruppe Kinder und Jugendli‐ cher künstlerisch arbeiten konnten, die meisten von ihnen Romnija. Die Teilnehmenden interessierten sich nicht allzu sehr für das von den Künst‐ lerinnen eingebrachte Projektthema „Proteste“ in der deutschen Ge‐ schichte, allerdings durchaus für Protest aus ihrer Perspektive – gegen Kinderarbeit, kleine Wohnungen u. a. – und für Fragen nach Identität und Transkulturalität, worauf die Künstlerinnen etwa in der Arbeit mit Colla‐ gen und Graffitis eingingen. Im Feld der Offenen Settings waren die Künstlerinnen in sehr starkem Maße gefordert, flexibel zu arbeiten –
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bezogen auf die Wahl der Orte, die Adressatengruppen, auf die Projekt‐ themen und künstlerischen Ausdrucksmittel. Bei künftigen Projektvorhaben wollen sie unter dem Aspekt der Nach‐ haltigkeit weiterhin mit der engagierten Kerngruppe der Romnija und den bewährten neuen Kooperationspartnern im Jugendkulturzentrum zusam‐ menarbeiten. Aber sie wissen, Flexibilität ist stets gefordert. Zur mangelnden Anerkennung partizipativer Formate in Kunst‐ und Kultur‐Institutionen Mittlerweile wird in den meisten Kunst‐ und Kulturinstitutionen der An‐ spruch formuliert, partizipative Vermittlungsformate zu entwickeln und zu realisieren. Ein Musiker, der in einem Künstlerteam eng mit einer Spiel‐ stätte kooperiert, deren Fokus auf zeitgenössischen, innovativen und in‐ ternationalen künstlerischen Produktionen liegt, reflektiert hierzu eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität am Beispiel eines Projekts zur Vermittlung experimenteller Musik. Die Spielstätte verfolgt das Kon‐ zept der „Koproduktion“, in dem Jugendliche und Künstler*innen nicht nur gemeinsam experimentieren, sondern forschend einen offenen Pro‐ zess der künstlerischen Produktion und Stückentwicklung bestreiten sol‐ len. Die Spielstätte kooperiert bereits seit Jahren mit einer benachbarten Gesamtschule. Schüler*innen der 8. und 10. Klasse nahmen an dem acht‐ wöchigen Musikworkshop teil, der in eine Präsentation und Installation an der Spielstätte münden sollte. Bei der Klasse waren gewisse Ermü‐ dungserscheinungen bezogen auf experimentelle künstlerische Projekte zu beobachten. Auch waren sie im Vorfeld nicht in die Planung des Vor‐ habens einbezogen. Aus Sicht des Musikers wirkten zudem schulische Strukturen einschränkend: Schulpflicht, nicht flexible und knappe Zeitvor‐ gaben, Leistungsdruck (Kompositionen der Schüler*innen sollten benotet werden), Kommentierungen und Rollenzuschreibungen der Schüler*in‐ nen durch beteiligte Lehrer*innen. Die Präsentation der experimentellen Musik wurde von einigen Lehrern*innen und Eltern der Schüler*innen eher mit Befremden kommentiert. Bemerkenswert ist die Einschätzung des Musikers, dass vonseiten der Spielstätte die Wertschätzung der Ver‐ mittlungsarbeit, die zwar einerseits als „Chefsache“ deklariert, aber
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andererseits nur als „Begleitprogramm“ bezeichnet wird, eher gering sei: Zwar liefen kontinuierlich Vermittlungsprojekte und es gebe Festange‐ stellte für diesen Arbeitsbereich, jedoch würden die Präsentationen der Schüler*innen zumeist gar nicht von anderen Mitarbeiter*innen des Hau‐ ses zur Kenntnis genommen. Im Gegenteil würden Installationen der Ju‐ gendlichen als zu laienhaft abgewertet und ungern in zentralen Bereichen ausgestellt. Der Anspruch der Koproduktion und die Realität der man‐ gelnden Anerkennung der künstlerischen Beiträge Jugendlicher klaffen auseinander. In seinem Fazit fordert der Musiker u. a. nicht nur die stär‐ kere Einbeziehung von Jugendlichen bereits in die Planung von Projekt‐ vorhaben sowie eine möglichst große Abkopplung von gewohnten Schul‐ strukturen, sondern auch den solidarischen Einsatz von Künstler*innen – nicht nur in der direkten, partizipativen Vermittlungsarbeit, sondern in‐ dem sie bessere Strukturen für Kooperationen und Anerkennung von Ver‐ mittlungsarbeit einfordern. „Zwischen Kulturen (künstlerisch) vermitteln“? Problematische kulturelle Zuschreibungen und Dilemmata für Künstler*innen in ihrer Vermittlungstätigkeit Eine Migrantenselbstorganisation beauftragte eine Fotografin – vermittelt über ein jugendkulturelles Projekt – in den Winterferien für ihre jugendli‐ chen Mitglieder einen Workshop zum Thema „Brücke zwischen den Kul‐ turen“ zu veranstalten. Gemeint waren die „deutsche Kultur“ und die „Herkunftskultur“ der Vereinsmitglieder, eine ethnisch verfolgte Gruppe aus Asien. Der Verein setzt sich zum Ziel, seine in Deutschland geborenen Kinder und Jugendlichen mit Schrift, Sprache, Werten und Kultur dieser ethnischen Gemeinschaft vertraut zu machen, diese in Berlin zu pflegen und die Zusammengehörigkeit der Community zu stärken. Die Jugendli‐ chen nahmen – so hieß es – freiwillig an dem Workshop teil, doch die Workshop‐Leiterin bezweifelt, ob – durch die Anwesenheit und Kontrolle eines Sprachlehrers – die Teilnahme wirklich freiwillig war. Die 18 Ju‐ gendlichen im Alter von 13 bis 17 Jahren arbeiteten motiviert und enga‐ giert mit. Für eine kleine Fotoausstellung wurden Selbstporträts aufge‐ nommen. Die Jugendlichen präsentierten ihre Herkunftskultur, indem
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sie in traditioneller Kleidung posierten, obwohl im Herkunftsland ihrer Eltern sicherlich auch andere Kleidungsstile verbreitet sind, wie die Foto‐ grafin vermutete. Die Präsentation der deutschen Kultur zeigte die Ju‐ gendlichen hingegen in vielfältigen, jugendkulturellen Stilen und Aus‐ drucksweisen. Die Fotografin bearbeitete die thematische Vorgabe und den Verlauf ih‐ res Workshops (selbst‐)reflexiv. Ausgehend von einer kritischen Diversity‐ Perspektive und einem Verständnis von Kultur als ein Prozess, der durch das Handeln der Individuen immer wieder verändert und neu definiert wird, hinterfragt sie ein Alltagsverständnis von Kultur, das von einer Un‐ veränderbarkeit und von isolierten, nicht vermischten verschiedenen Kul‐ turen ausgeht. Der Fokus der Jugendlichen, die ihre fotografischen Motive selbst bestimmen konnten, lag auf einem statischen Verständnis von Kul‐ tur und Unterschieden zwischen der als eher traditionell markierten Her‐ kunftskultur und der moderneren deutschen Kultur. Trotz einer Einfüh‐ rung in künstlerische Fotografie und ihre vielfältigen Möglichkeiten, gän‐ gige Bilder zu durchbrechen produzierten die Jugendlichen eher klischee‐ hafte Bilder, die solche Unterschiede verstärkten und den Blick auf ver‐ schränkte oder transformative Perspektiven erschwerten. Für eine kriti‐ sche Auseinandersetzung mit den Fotos und mit der Ausstellung fehlten der geeignete Rahmen und auch die Zeit. Die Fotografin empfand Unbe‐ hagen, fühlte sich jedoch nicht dazu befugt, die stark folkloristische Prä‐ sentation der „anderen Kultur“ zu hinterfragen, weil sie selbst nicht dieser migrantischen Community angehörte und zu wenig über deren Her‐ kunftsland wusste. Sie hätte besser bereits vor Beginn der Workshop‐ Arbeit mit der Migrantenselbstorganisation über ihre Bedenken zur the‐ matischen Vorgabe sprechen müssen resümierte die Fotografin. Und sie hätte während des Workshop‐Verlaufs von vorneherein mehr Zeit und Raum für reflexive Gespräche über die Fotoarbeit mit den teilnehmenden Jugendlichen einplanen müssen. Das Setting war insgesamt durch die Migrantenselbstorganisation, vertreten durch den permanent anwesenden Sprachlehrkraft der Jugendlichen, geprägt. Für die Fotografin war es eine Herausforderung, sich in diesem Kontext diversitätssensibel zu positionie‐ ren.
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Diese drei Fallbeispiele aus der Praxis spiegeln exemplarisch die Hete‐ rogenität des Felds Offene Settings wider. Sie zeigen, wie die teilnehmen‐ den Kunst‐ und Kulturschaffenden zur Entwicklung einer reflexiven Hal‐ tung herausgefordert werden. Um sich im Feld zu positionieren, unter‐ stützt ARTPAED diese Entwicklung: durch die Vermittlung von pädago‐ gischen Kompetenzen, durch das Einüben in kollegialer Beratung, mit dem Angebot individueller Prozessbegleitung und schließlich durch das Feedback auf die Präsentationen und schriftlichen Reflexionen der Pra‐ xisprojekte, die sowohl selbstreflexive als auch themen‐ bzw. problemfo‐ kussierte Elemente enthalten.
2.2
Gastbeiträge von Expert*innen
Im folgenden abschließenden Abschnitt soll der Fokus auf ein weiteres re‐ flexives Format der Weiterbildungsdidaktik von ARTPAED gelegt wer‐ den: Gastbeiträge von Expert*innen aus dem Feld der Offenen Settings. Innerhalb des didaktischen Handelns beantwortet dieses Format Pro‐ grammplanungsfragen von Weiterbildung, die nicht auf der konkrete Lernprozesse strukturierenden Mikroebene und auch nicht auf der Mak‐ roebene, sondern auf der „mesodidaktischen“ (Reich‐Claassen/von Hip‐ pel 2010: 1005) Ebene angesiedelt sind: an welchen Orten für welche Adressat*innen und mit welchen Dozent*innen wird eine Weiterbildung durchgeführt? Gastbeiträge von Expert*innen werden bei ARTPAED sowohl an ex‐ ternen Lernorten als auch durch Einladung der Expert*innen an einen internen Weiterbildungsort durchgeführt. Der Besuch von externen Pra‐ xisorten der kulturellen Jugendbildung – unterschiedliche Jugendkultur‐/ Kunst‐ und Freizeitzentren – hat den Vorteil, dass sie einen konkreten Bezug zum Handlungsfeld der Offenen Settings herstellen: Den teilneh‐ menden Kunst‐ und Kulturschaffenden bieten sie informelle Kontakt‐ möglichkeiten zu möglichen Auftraggeber*innen und einen Einblick in die Strukturen vor Ort. Als Gastdozent*innen bei ARTPAED werden die nicht hauptamtlichen Mitarbeitenden bezeichnet, die mehrstündige oder ganztägige Modulteile bei ARTPAED übernehmen. Sie kommen aus den unterschiedlichen Praxis‐
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und Theoriefeldern der Offenen Settings: Sozialpädagog*innen und Sze‐ neangehörige (aus jugendkulturellen Szenen), Wissenschaftler*innen (u. a. aus Pädagogik, Soziologie, Ethnologie, Stadtforschung) sowie Künstler*in‐ nen (mit langjähriger Erfahrung in der Kulturellen Bildung). Die Vielfalt an Dozent*innen bietet den teilnehmenden Kunst‐ und Kul‐ turschaffenden im Fortbildungsverlauf eine Vielzahl an Identifikations‐ und Reibungsflächen. In den Weiterbildungsmodulen von ARTPAED konnten unterschiedliche Interaktionen zwischen diesen Dozentengrup‐ pen und Teilnehmenden beobachtet werden:12 Sozialpädagog*innen bzw. Jugendarbeiter*innen Eine für pädagogische Reflexionen wichtige Gruppe an Gastreferent*in‐ nen kommt aus der Sozialpädagogik bzw. Jugendarbeit mit dem Fokus Kulturarbeit. Ihre pädagogischen Grundsätze, insbesondere die Aufgabe, Jugendlichen neue Horizonte zu eröffnen, werden von den teilnehmenden Kunst‐ und Kulturschaffenden offen aufgenommen. Sie bieten allerdings auch Reibungsflächen, z. B. in Diskussionen darüber, inwieweit in der Kulturellen Bildung Anregung und Öffnung ausreichen oder ob es zu Ver‐ änderung oder gar Intervention bei den Adressat*innen kommen soll. Die Kunst‐ und Kulturschaffenden sehen gesellschaftliche und politische The‐ men in ihrer kulturellen Bildungsarbeit eher implizit verhandelt und dis‐ kutieren kontrovers, ob und wie sie diese explizit machen wollen. Auto‐ nomes Handeln jenseits von extern vorgegebenen (Bildungs‐)Zielen und Selbstbestimmung sehen viele eher in der Rolle als Künstler*in denn als Pädagoge*in realisierbar.
12 Die wissenschaftliche Begleitung arbeitete in den Weiterbildungsmodulen mit teilneh‐ mender Beobachtung im Sinne von ethnografischer Forschung; die für die vorliegende Analyse genutzten exemplarischen Szenen stammen aus allen drei Weiterbildungs‐ durchgängen von ARTPAED 2015‐2017. Beim Erstellen der Feldprotokolle waren auch die studentischen Mitarbeitenden Doerthe Bandt, Sinja Krüger und Paul Stenzel beteiligt.
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Referent*innen mit wissenschaftlicher Positionierung Vor allem Referent*innen mit wissenschaftlicher Positionierung bieten Möglichkeiten, normative Setzungen der Kulturellen Bildung zu hinterfra‐ gen. Einerseits können sie explizit auf das „Normativitätsproblem“ als theo‐ retische Fragestellung in der Pädagogik verweisen oder auf die Transdis‐ ziplinarität – und damit auch die Heterogenität im Berufsethos der ver‐ schiedensten in der Kulturellen Bildung beteiligten Akteure hinweisen; oft bieten Gäste in ihrem Auftreten in der Weiterbildung aber auch ein Life‐ Modell dafür, wie man mit allzu dezidierten Rollenerwartungen und ‐zuschreibungen umgehen kann: den reflexiven Blick auf das Feld zu‐ rückwerfen, statt sich vom Handlungsdruck überwältigen zu lassen. Durch solche „strukturellen Doppeldecker“ ermöglicht es das Format, als „Gastbeitrag“ (insbesondere von reflexiv geschulten Theoretiker*innen) die vielfältigen Arbeitshaltungen in der Kulturellen Bildung offen und im Spiel zu halten. Gastbeiträge aus dem (Theorie‐)Feld der Stadtforschung und Ethnolo‐ gie eröffnen bei ARTPAED außerdem einen zusätzlichen Diskursraum, in dem sich pädagogische und künstlerische Ansätze der Offenen Settings treffen: Das Urbane Lernen ist ein relativ neues Praxisgebiet der Kulturel‐ len Bildung, in dem der sozialräumliche Ansatz der Sozialen Arbeit (hier vor allem der Jugendarbeit), die Kunstproduktion im öffentlichen Raum und die Stadtforschung aufeinandertreffen. Einige Kunst‐ und Kultur‐ schaffende bei ARTPAED sehen den Begriff des Urbanen Lernens als „Chance“, gerade da ihm bislang eine klare Definition fehlt: während Kul‐ turelle Bildung durch die Fokussierung auf meist eher jüngere Zielgrup‐ pen und institutionalisierte Orte abgesteckt erscheint, bietet das Urbane Lernen ein offenes Thema: am urbanen Raum haben unterschiedliche (auch ältere) Gruppen ein Interesse, sie partizipieren darin an vielfältigen, auch weniger institutionalisierten Orten. Die Gastdozent*innen aus dem Bereich Urbanes Lernen haben oft interdisziplinäre Berufsbiografien und bieten damit den Teilnehmenden eine Identifikationsfläche im „dritten Raum“ jenseits von Kunst und Pädagogik.
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Künstler*innen Eine ebenfalls bedeutsame Gruppe an Gastdozent*innen bei ARTPAED sind Künstler*innen mit langjähriger Erfahrung in der Kulturellen Bil‐ dung. Diese Dozent*innen lösen selten Irritationen aus – vielleicht aus dem einfachen Grund, dass sie demselben Milieu entstammen wie die teilneh‐ menden Kunst‐ und Kulturschaffenden, und dass innerhalb eines „geteil‐ ten“ sozialen Raums Kommunikationen einfacher zu bewerkstelligen ist (Reich‐Claassen/von Hippel 2010: 1011). Bei ARTPAED bringt diese Gastdozentengruppe starke Anleitungspositionen ein, wie z. B. einen Fo‐ kus auf Authentizität als Person oder Singularität ihrer Positionen: Ihr Vermittlungsansatz in der Kulturelle Bildung setzt so manchmal explizit auf Auseinandersetzung und Streit statt auf harmonisierende Glättung. Jugendszeneakteure In ihren Haltungen sehr aufschlussreich für die Teilnehmenden sind auch die Gastreferent*innen aus Jugendszenen: Szenemitglieder, die sich aus den Peer‐to‐Peer‐Learning‐Prozessen heraus professionalisiert haben und in Kreativworkshops nun zwischen pädagogischem Auftrag und Szene‐ loyalität pendeln. Wie positionieren sie sich, um gleichzeitig Begeisterung für Jugendszenen zu wecken, diesen aber auch nicht in allen Haltungen und Praxen (ihren Machtstrukturen, z. B. Rassismen und [Gender‐]Diskri‐ minierungen) kritiklos gegenüberzustehen? Insgesamt bietet das Format „Gastbeitrag“ in der Weiterbildung ARTPAED den Teilnehmenden die Möglichkeit, sich durch Vergleich und Reibung mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen. Von den Gastdo‐ zent*innen wird eine Vielfalt an Haltungen geboten, als Vorbild oder als Abgrenzungsfläche. Für die Programmgestaltung der Weiterbildung ist die Arbeit mit Gastdozent*innen auch insofern von Vorteil, als dadurch flexibel auf neue Feldentwicklungen reagiert werden kann: so hatten sich in der Laufzeit der drei Erprobungsdurchgänge von ARTPAED, insbeson‐ dere nach dem Sommer der Migration 2015, sehr differenzierte Diskussio‐ nen zum Thema „‚Arbeit mit Geflüchteten“ in der Kulturellen Bildung
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entwickelt; diese konnten durch einschlägig qualifizierte Gastdozent*in‐ nen aktuell in die Weiterbildung einbezogen werden. Um Kontroversen und Irritationen als Differenzerfahrungen in der Weiterbildung auch nachhaltig produktiv werden zu lassen, benötigt das Format des Gastbeitrags allerdings unbedingt eine Supportstruktur durch eine sensible und kontinuierliche Kursleitung. Durch Versprachlichung werden die Lernprozesse reflexiv und insgesamt nachhaltiger (Schüßler 2008: 14f.). Dass die Gastbeiträge durch die Kursleitung moderiert werden, ist umso wichtiger, da Gastdozent*innen zwar Expert*innen ihres jeweili‐ gen Arbeitsgebiets, aber meist keine professionellen Erwachsenenbild‐ ner*innen sind. Sie benötigen Unterstützung u. a. bei didaktischen Forma‐ ten, der Einschätzung spezifischer Gruppendynamiken und der Ziel‐ gruppe. Gastdozent*innen bei ARTPAED spiegeln die Heterogenität der Offe‐ nen Settings wider, fordern die teilnehmenden Kunst‐ und Kulturschaf‐ fenden zur Entwicklung einer reflexiven Haltung heraus und sichern die Anbindung des Weiterbildungskonzepts an aktuelle Entwicklungen im Handlungsfeld.
3
Ausblick
Offene Settings bergen aufgrund ihrer Heterogenität spezifische Potenzi‐ ale wie Herausforderungen. Für die Weiterbildung ARTPAED in der Kul‐ turellen Bildung bedeutet das, strukturell einen Fokus auf reflexive didak‐ tische Formate zu legen: in der Praxisbegleitung und durch die bewusste Einbeziehung von unterschiedlichen Akteuren und Gastdozent*innen. Darüber hinaus spielen die biografische Selbstreflexion und Diversity‐ Sensibilierung eine zentrale Rolle in der Weiterbildung, beide Aspekte konnten hier jedoch nicht weiter vertieft werden. Als wesentliche Qualifikation nehmen Kunst‐ und Kulturschaffende die Fähigkeit zur reflexiven Selbstpositionierung mit, die sie darin be‐ stärkt, gemäß einem situativen Qualitätsverständnis in kollaborativen Aushandlungsprozessen mit Jugendlichen unterschiedliche Formate der Kunst‐ und Kulturvermittlung zu entwickeln und zu realisieren. In den
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außerschulischen Offenen Settings kristallisiert sich in besonderem Maße eine strukturelle Heterogenität heraus, die jedoch auch für andere Hand‐ lungsfelder der Kulturellen Bildung eine zentrale Herausforderung dar‐ stellt.
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„d.art“ Pädagogische Weiterbildung vom Standpunkt der Kunst‐ und Kulturschaffenden Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch
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Bildungsverständnis und Leitideen der Weiterbildung „d.art“
Das Projekt „d.art“ umfasste zwei Teilprojekte: erstens die Entwicklung eines Konzepts für die pädagogische Weiterbildung von Kunstschaffen‐ den und zweitens die Evaluation der Bildungs‐ und Lernprozesse, welche die Kunstschaffenden im Verlauf der Weiterbildung durchliefen. Die pädagogische Weiterbildung „d.art“ soll die Kunstschaffenden be‐ fähigen, ästhetische Bildungsprojekte durchzuführen. Da der Begriff Kul‐ turelle Bildung unbestimmt ist und für uns ästhetische Erlebnisse und Er‐ fahrungen den Ausgangspunkt der Bildungsprojekte darstellen, sprechen wir im Folgenden von ästhetischer Bildung und ästhetischen Bildungsprojek‐ ten. Die Weiterbildung „d.art“ zielt erstens auf die Ausbildung einer pä‐ dagogischen Beziehungskompetenz. Zweitens fokussierten wir in der Weiterbildung den schulischen Bereich der Ganztagsschule. Wir reflektier‐ ten die institutionellen Umstände der Schule, d. h. zeitliche und räumliche Umstände, Machtstrukturen, Lehr‐ und Lernkulturen wie auch finanzielle Voraussetzungen und nicht zuletzt die Lebenswelt der 8‐ bis 15‐Jährigen, welche die Teilnehmenden der von den Kunstschaffenden durchgeführten ästhetischen Bildungsprojekte waren. Die von den Kunstschaffenden geplanten ästhetischen Bildungsprojekte sollten die Lebenswelt der Jugendlichen aufgreifen, den Schüler*innen neue © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_10
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Perspektiven auf ihre Lebenswelt eröffnen und die Routinen und Selbst‐ verständlichkeiten des Alltags „entselbstverständlichen“. Die ästhetischen Bildungsprojekte sollten den Schüler*innen durch künstlerisches Schaffen ihre eigene Lebenswelt im neuen Licht ästhetisch erfahren lassen. Die Weiterbildung spricht Kunst‐ und Kulturschaffende aller Kunst‐ sparten an. Die Teilnehmenden der Weiterbildung „d.art“ kamen aus ver‐ schiedenen Darstellenden und Bildenden Künsten. Kunstschaffende kommen mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen über das Verhältnis von Kunst und Pädagogik in die Weiterbildung. Sie haben in der Regel eine künstlerische Ausbildung und jahrelange Erfah‐ rungen als Kunstschaffende. Hinsichtlich pädagogischer Vorstellungen und Konzepte brachten die Teilnehmenden ganz überwiegend Erfahrun‐ gen in der Rolle als Schüler*innen oder Studierende mit, aber weniger ei‐ gene Erfahrungen als Lehrende. Dies war den Projektumständen geschul‐ det: als Zielgruppe waren nur Kunstschaffende ohne pädagogische Aus‐ bildung zugelassen. Im Rahmen der Evaluationsuntersuchung haben wir für diese Gruppe der Kunstschaffenden drei typische pädagogische Bedeutungs‐ und Be‐ gründungs‐zusammenhänge rekonstruiert, die deren künstlerisch‐päda‐ gogischen Positionierungen deutlich machen (vgl. Ittner/Ludwig 2018): 1) Die sinnlich‐diskursive Bedeutungsstruktur beschreibt das Span‐ nungsverhältnis zwischen einer Initiierung selbstzweckhafter ästhe‐ tischer Erlebnisse bei Schüler*innen einerseits und einer diskursiven Reflexion der Lebenswelt durch alle Beteiligten andererseits. 2) Die gegenständlich‐operative Bedeutungsstruktur beschreibt die Spannung zwischen der Gebundenheit an die Anforderungen und die Qualitätsmaßstäbe der Kunst einerseits und die Offenheit für die lebensweltlichen Bezüge der Schüler*innen andererseits. 3) Die Bedeutungsstruktur Gewissheit‐Kontingenz bezeichnet die Spannung zwischen einem Wissen um notwendige pädagogische Abfolgen und Handlungsweisen einerseits und dem Wissen um Kontingenz, Offenheit, Widersprüchlichkeit pädagogischen Han‐ delns andererseits.
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Innerhalb der Spannungsverhältnisse dieser drei Bedeutungsstrukturen positionieren sich Kunstschaffende in ihrem künstlerisch‐pädagogischen Denken. Die Positionierungen liegen mehr oder weniger nahe an dem ei‐ nen oder dem anderen Pol. Transformationen der zu Beginn der Weiter‐ bildung vorhandenen künstlerisch‐pädagogischen Bedeutungs‐ bzw. Be‐ gründungszusammenhänge stellen sich als Transformation der einzelnen Positionierungen dar. Die Kenntnis dieser Positionierungen hilft Weiter‐ bildner*innen, sich für die typischen künstlerisch‐pädagogischen Bedeu‐ tungen und Handlungsbegründungen zu sensibilisieren, um deren Trans‐ formationsprozesse zu reflektieren und unterstützen zu können. Die drei Bedeutungsstrukturen weisen auf die Tiefe der Lern‐ und Bil‐ dungsprozesse bei den Kunstschaffenden hin und damit auf deren Identi‐ tätsrelevanz. Beispielsweise ist es für Kunstschaffende nicht einfach, ihre durch Expertise begründeten Anforderungen an ihre künstlerische Tätig‐ keit gegenüber lebensweltlichen Ausdrucksanliegen der Jugendlichen zu‐ rückzunehmen. Kunst‐ und Kulturschaffende stehen manchmal vor einem biografischen Umbruch und suchen Orientierung in der neuen Rolle als künstlerisch‐pädagogisch Handelnde im Kontext Schule. „Ich bin als Künstler gescheitert“, sagte ein Teilnehmer zu Beginn der Weiterbildung in seiner künstlerischen Selbstvorstellung. Aus der erwachsenenpädago‐ gischen Lern‐ und Professionsforschung geht hervor, dass die Reflexion der eigenen Biografie entscheidend ist, wenn es darum geht, sich auf Ver‐ mittlungsprozesse und auf den Bildungsgedanken einzulassen. Eigene künstlerische Tätigkeiten und biografische Erfahrungen mit pädagogi‐ schem Handeln, wie z. B. in der Schule, Universität oder Berufsausbil‐ dung, sind zentrale Bezugspunkte für die künstlerisch‐pädagogische Po‐ sitionierung und für die Ausgestaltung der neuen Rolle. Die Weiterbildung von Kunstschaffenden berührt andererseits grund‐ legende Fragen des Verhältnisses von Kunst und Bildung. Dazu gehört die Frage nach dem Verhältnis von ästhetischem Erlebnis in der Kunst und dessen begrifflicher Reflexion. Wie ist dieses Verhältnis zu bestimmen, ohne die Komplexität und Besonderheit des Kunsterlebnisses zu zerstören und gleichzeitig eine verallgemeinernde Erfahrung zu gewinnen? Wie
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sind ästhetische Erfahrungen möglich, die im Alltag oder in diskursiven Bildungsprozessen nur schwer gegeben sind (vgl. Mollenhauer 1996)? Kunst bietet die Möglichkeit ästhetischen Erlebens und ästhetischer Er‐ fahrung als Reflexion des Erlebten. Dies haben die Kunstschaffenden durch ihre eigene künstlerische Praxis vielfach selbst erlebt. In dieser künstlerischen Praxis sind sie Expert*innen, nicht aber in der Vermittlung dieses Verhältnisses von ästhetischer Idee, ästhetischem Ereignis und des‐ sen Reflexion, wie es der Anspruch ästhetischer Bildung ist (vgl. Ludwig 2017). Damit ist die Stelle benannt, an der die pädagogische Weiterbildung „d.art“ ihr eigenes Verständnis von Lernen und ästhetischer Bildung dar‐ zulegen hat. Damit wären die zwei zentralen Ausgangspunkte der Weiter‐ bildung gekennzeichnet: die künstlerisch‐pädagogischen Bedeutungs‐ bzw. Begründungszusammenhänge der teilnehmenden Kunstschaffen‐ den, an denen sich jede Weiterbildung zu orientieren hat, und das Bil‐ dungsverständnis, das im Weiterbildungsangebot „d.art“ zum Ausdruck kommt. Bildung verstehen wir als Selbst‐ und Fremdverständigung des Men‐ schen mit sich und seiner gesellschaftlichen Umwelt. Diese Verständi‐ gungsprozesse werden immer dann erforderlich, wenn die gegebenen ei‐ genen Bedeutungshorizonte für eine Verständigung nicht mehr ausrei‐ chen (vgl. Ludwig 2006 und 2014a). Kunstschaffende, die eine pädagogi‐ sche Weiterbildung besuchen, möchten ganz überwiegend ihre vorhande‐ nen pädagogischen Bedeutungshorizonte so weiterentwickeln, dass sie sich in Projekten ästhetischer Bildung handlungsfähiger fühlen. Bildungs‐ prozesse sind so gesehen immer Selbstbildungsprozesse, weil sie der Mensch nur an sich selbst vollziehen kann. Niemand kann gebildet wer‐ den. Dieses Bildungsverständnis setzt sich im Begriff der ästhetischen Bil‐ dung fort. Unter ästhetischer Bildung verstehen wir im Anschluss an Eckart Liebau und Jörg Zirfas (2008: 11) „diejenigen Prozesse und Resul‐ tate von reflexiven und sehr informativen Praxen […], die sich aus der Auseinandersetzung mit Kunstvermittlern und aus ästhetisch qualifizier‐ ten Gegenständen und Formen ergeben.“ Aus der Perspektive der sich bil‐ denden Menschen formuliert: Ästhetische Bildung umfasst die „Lern‐ und Auseinandersetzungsprozesse des Menschen mit sich, seiner Umwelt und
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der Gesellschaft im Medium der Künste und ihrer Hervorbringungen“ (Ermert 2008: 7). Weil der Ausgangspunkt für Lern‐ und Bildungsprozesse regelmäßig eine eingeschränkte Denk‐ und Handlungsfähigkeit des Menschen ist, sollte diese Handlungsproblematik auch den Ausgangspunkt für das pä‐ dagogische Arbeitsbündnis darstellen. Dies ist eine zentrale Leitidee des Weiterbildungskonzepts: Es orientiert sich an den künstlerisch‐pädagogi‐ schen Standpunkten entlang der drei Bedeutungsstrukturen und den mit diesen Standpunkten verbundenen Irritationen und Handlungsproblema‐ tiken. Sie bilden den Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit und Refle‐ xion der verschiedenen künstlerisch‐pädagogischen Selbstverständnisse und nicht die Vermittlungsanliegen der Weiterbildner*innen. Wir wollen keine Antworten auf nicht gestellte Fragen geben. Wir haben aber ande‐ rerseits auch ein Vermittlungsanliegen: Es besteht darin, dass sich die Kunstschaffenden über ihre eigenen künstlerisch‐pädagogischen Positio‐ nen, d. h. über ihr Selbstverständnis bewusster werden und dass sie Wege finden, mit der prinzipiellen Nichtsteuerbarkeit und Widersprüchlichkeit pädagogischer Prozesse umzugehen. Dieses Vermittlungsanliegen stellt eine identitätsrelevante Reflexions‐ und Lernanforderung dar, die von Kunstschaffenden deshalb auch ganz oder teilweise zurückgewiesen wird. In diesen Fällen ist die aktuelle Irritation durch die eingeschränkte Hand‐ lungsfähigkeit in pädagogischen Handlungssituationen weniger groß als die durch deren Reflexion und den Lernprozess erwartete Irritation. Die Bildungs‐ und Lernprozesse in der Weiterbildung stehen, neben der aktu‐ ellen Lehr‐, Lernsituation als Lernkontext, in einem engen biografischen Bezug. Ob und wie jemand lernt, steht im Kontext seiner Biografie, ein‐ schließlich der sie rahmenden Lebenslage und sozialen Position (vgl. Holzkamp 1993: 263ff.). Die Kunstschaffenden erleben auf diese Weise in der Weiterbildung ei‐ gene Widerstände und Lerninteressen im Spannungsfeld von Fremd‐ und Selbststeuerung. Sie sind aufgefordert, das Verhältnis von Fremd‐ und Selbststeuerung nicht nur in den pädagogischen Fragestellungen ihrer ge‐ planten ästhetischen Bildungsprojekte zu reflektieren, sondern auch
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entlang ihres eigenen lernenden bzw. lernwiderständigen Zugangs dazu in der Weiterbildung. Die Weiterbildung soll erstens eine inhaltlich‐thematische Lernleistung unterstützen, die sich auf die Gestaltung der ästhetischen Bildungspro‐ jekte richtet und in diesem Zusammenhang das eigene künstlerisch‐päda‐ gogische Selbstverständnis hinterfragt. Zweitens soll sie auf der Prozess‐ ebene die Reflexion des eigenen Lernens der Kunstschaffenden anregen, damit die Kunstschaffenden selbst empfinden und erfahren können, wie sich Bildungsprozesse als Selbst‐ und Fremdverständigungsprozesse an‐ fühlen, die sie ihrerseits in ihren Kunstprojekten von den Schüler*innen erwarten. Die Erwartungen, die mit der Weiterbildung an die Kunstschaf‐ fenden gestellt werden, umfassen demnach anspruchsvolle und in der bis‐ herigen Lernbiografie meist unbekannte Reflexionsleistungen, die in zwei Richtungen gehen: Erstens in Richtung einer Reflexion des zukünftigen Lehr‐/Lernverhältnisses im ästhetischen Bildungsprojekt und zweitens in Richtung einer Reflexion des selbst erfahrenen Lehr‐ bzw. Lernverhältnis‐ ses in der Weiterbildung.
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Unser Vermittlungsanspruch: Die Entwicklung eines künstlerisch‐pädagogischen Selbstverständnisses
Wir forcieren mit der Weiterbildung die Entwicklung eines künstlerisch‐ pädagogischen Selbstverständnisses, mit dem entlang der Spannungsver‐ hältnisse auf der pädagogischen Beziehungsebene begründete Entscheidun‐ gen getroffen werden können. Wir möchten Kunst‐ und Kulturschaffende so unterstützen, dass sie die prinzipielle Nichtsteuerbarkeit und Wider‐ sprüchlichkeit pädagogischer Prozesse für die Unterstützung von Selbst‐ bildungsprozessen nutzen können. Unser Vermittlungsanliegen war es, deutlich zu machen, dass es keine für alle pädagogischen Situationen gül‐ tige pädagogische Handlungsweise gibt. Pädagogisches Handeln verlangt vielmehr eine permanente Selbst‐ und Fremdverständigung der künstle‐ risch‐pädagogisch Handelnden über das pädagogische Arbeitsbündnis. Aufgabe der Kunstschaffenden ist es, die Sinnfiguren der Jugendlichen immer wieder neu zu verstehen und das Arbeitsbündnis entsprechend
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auszurichten. Das hermeneutische Potenzial für das Verstehen der Situa‐ tion besteht aus Einfühlungsvermögen in die Besonderheit der Situation und dem beschriebenen Hintergrundwissen, das die Identifikation der all‐ gemeinen Strukturen im besonderen Fall erlaubt und in der Weiterbildung in Form der klassischen pädagogischen Antinomien angeboten wird (vgl. Helsper 1996). Bildungsarbeit in und mit Gruppen stellt spezifische Herausforderun‐ gen. Werden sie ignoriert, kann ästhetische Bildung scheitern. Die Weiter‐ bildung „d.art“ konzentriert sich deshalb auf die pädagogische Beziehung, die wir entlang pädagogischer Spannungsverhältnisse, wie z. B. Interes‐ sen, Vertrauen, Macht, Nähe/Distanz, fassen (vgl. ebd. 2000). Die pädagogische Weiterbildung „d.art“ ist ausdrücklich keine Weiter‐ bildung zum*r Pädagogen*in. Künstler*innen bleiben hier Künstler*innen, die einen eigenen pädagogischen Standpunkt finden. Die Künstler*innen sollen die Möglichkeit zur individuellen Selbstverständigung auf der pä‐ dagogischen Beziehungsebene bekommen. Insbesondere der Aspekt der konkreten Inhaltsaufbereitung und Vermittlung aus methodischer Sicht wird hier gerade nicht bearbeitet. Er soll durch künstlerisch‐ästhetisches Tun und Forschen realisiert werden. Deshalb kann auf die entsprechenden pädagogischen Praktiken und eine spezifische Didaktik verzichtet wer‐ den. Dort, wo sonst die Methoden stehen, stehen bei uns die ästhetischen Angebote der Künstler*innen als ein spezifischer Weltzugang. Sie ergeben eine je individuelle künstlerisch‐ästhetische Didaktik, die sich von Künst‐ ler*in zu Künstler*in unterscheidet und einzigartig ist. Wir gehen in der Weiterbildung davon aus, dass der künstlerische Prozess, in dem die Künstler*innen Expert*innen sind, die zentrale methodische Grundlage für den Bildungsprozess der Schüler*innen ist. Die Künstler*innen vermit‐ teln ein Erkenntnisverfahren und einen spezifischen Weltzugang, doch erst die Schüler*innen selbst schaffen die Erkenntnisse im Projekt. Detailliertere Beschreibungen zur Weiterbildung und ihren didakti‐ schen Begründungen finden sich als Videocast und Konzeptband auf der Homepage.1 1 Siehe www.uni‐potsdam.de/dart/index.html, letzter Zugriff: 17.12.2017.
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Der Ablauf der Weiterbildung
Im nachfolgenden Kapitel erläutern wir, wie die Weiterbildung gestaltet worden ist. Die Weiterbildung besteht aus drei mehrtägigen Workshops (insgesamt zehn Tage) sowie zwei Praxistagen an Schulen zwischen den Workshops. In der Zeit zwischen Workshops und Praxistagen werden die Teilnehmer*innen darüber hinaus individuell in ihrem Lernprozess be‐ gleitet und beraten.
3.1 Die drei Workshops Im Auftaktworkshop (fünf Tage) schauen die Künstler*innen auf die ei‐ gene Biografie und berufliche Praxis zurück und auf das erste Praxispro‐ jekt voraus. Der Auftaktworkshop bearbeitet den Eintritt der Künstler*in‐ nen in das pädagogische Handlungsfeld Schule. Demnach besteht die An‐ forderung an die Künstler*innen das Verhältnis zwischen ihrer bisherigen Beschäftigung mit der eigenen Kunst und die zukünftige Arbeit mit den Schüler*innen als eine pädagogische Beziehung kennenzulernen. Dabei rückt die Frage ins Zentrum, was pädagogisches Handeln eigentlich aus‐ zeichnet. Im ersten Workshop steht deshalb die Entwicklung des eigenen Kunstprojekts in einer Ganztagsschule im Vordergrund. In mehreren Schritten nähern sich die Künstler*innen dieser Praxisphase an. Dabei um‐ kreisen sie die Frage, was ihr künstlerisches Selbstverständnis ist und wel‐ ches Bildungspotenzial hier enthalten ist, welche Ziele sie mit dem Projekt verfolgen und wie sich ihre eigenen Vorstellungen mit den Interessen der Schüler*innen verbinden lassen. Am ersten Tag wird die Weiterbildungskonzeption vorgestellt sowie mit der Arbeit an der sogenannten Lernfigur begonnen. Hierbei treten die in der Biografie erfahrenen Vorstellungen von Pädagogik in den Vorder‐ grund. Am zweiten Tag stellen sich die Künstler*innen gegenseitig als Künstler*innen vor (Themenfeld I) und wenden sich danach ihrem Bil‐ dungsverständnis und ihrer Projektidee zu. Entlang der Fragen, was Bildung, Kulturelle Bildung und ästhetische Wahrnehmung im Projekt be‐ deuten kann (Themenfeld II), nähern sie sich diesem multiplen Aspekt pä‐ dagogischen Handelns. Am Vormittag des dritten Tages werden das
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Themenfeld IV bearbeitet und eine Projektschule besucht. Dort erkunden die Künstler*innen den Ort des ersten Projekttages. Es gilt, ein „Feeling“ für die Schulatmosphäre zu bekommen, die Schüler*innen und Lehrer*in‐ nen kennenzulernen und den Projekttag vorzubereiten. Am Ende des drit‐ ten Tages wird die Frage nach der Projektplanung thematisiert. Hier wird zuerst geklärt, wie das Projekt aufgebaut sein kann, entlang welcher Pha‐ sen es vollzogen wird und wie eine typische Anfangssituation gestaltet werden kann. Damit wird am dritten Tag die Grundlage für eine ausführ‐ liche Projektskizze gelegt. Die Projektplanung umfasst auch den gesamten vierten Tag. Am Abschlusstag stehen die sogenannten Spannungsfäden im Vordergrund (Themenfeld III). Hier geht es darum, die verschiedenen Antinomien kennenzulernen, die pädagogisches Handeln auszeichnen (vgl. ebd. 2002). Entlang dieser Heuristik sollen die Künstler*innen in der Weiterbildung ihr eigenes Handeln im Projekt reflektieren und begründen können. Nach dem Auftaktworkshop findet der erste Praxistag statt. Die Künst‐ ler*innen erproben nun ihr zuvor geplantes Projekt an einem Gymnasium und haben die Möglichkeiten, diese eindrücklichen Erfahrungen in einer individuellen Beratung durch die Lernprozessbegleitung zu reflektieren. Nach dieser ersten Praxisphase wird der Zwischenworkshop (zwei Tage) angeboten. Er ist der Sattelpunkt der Weiterbildung. Hier laufen die Fäden der einzelnen Lernprozesse der Teilnehmenden, wie sie bereits in der Lernprozessbegleitung angeklungen sind, im Workshop wieder zu‐ sammen. Nach den Erfahrungen des Praxistages ist die Anforderung der Weiterbildung, gegenüber den anderen Kunstschaffenden den eigenen pä‐ dagogischen Blick zu beschreiben und zu reflektieren. Um diese Reflexion zu unterstützen, geht es auf der Angebotsseite darum, in das gruppenför‐ mige Format einer VIVA‐Fallberatung einzutreten. Die VIVA‐Fallbera‐ tung ist ein rekonstruktives pädagogisches Beratungsformat und eignet sich für Lernberatungs‐ und Lernbegleitungsprozesse in Gruppen, aber auch im Zweiergespräch (vgl. Ludwig 2014b u. 2012b). Dazu bedarf es konkreter Praxisfälle und Handlungsproblematiken. Konkret geht es da‐ rum, die individuellen Erfahrungen und Lernprojekte in die Öffentlichkeit des Workshops zurückzuholen, um im Sinne des Lernens aus Differenzen
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auch den anderen Teilnehmenden die Gelegenheit zu geben, die Erfahrun‐ gen der Kolleg*innen für sich selbst nutzen zu können. Darüber hinaus wird in diesem Workshop auch auf den zweiten Praxistag vorausgeblickt. Dieser Praxistag ist vorzubereiten und die Erfahrungen aus dem ersten Praxistag ebenfalls zur Verbesserung der eigenen Planung einzubeziehen. Nun folgt die zweite Praxisphase, in der die Künstler*innen ihr modi‐ fiziertes Projekt an einer anderen Schulform wiederholen können. Auch in dieser Zeit steht ihnen vor und nach dem Praxistag zur Reflexion des Pro‐ jekts die Lernprozessbegleitung zur Verfügung. Der „Abschluss‐Workshop“ (drei Tage) reflektiert die Erfahrungen des zweiten Praxistages und fasst die gewonnenen Erkenntnisse der Teilneh‐ menden während der Weiterbildung zusammen. Der Workshop findet nach dem zweiten Praxistag statt. Gerade die ausgedehnte Länge der „d.art“‐Weiterbildung sichert das Verhältnis von Selbstverständigungs‐ prozessen der Teilnehmenden einerseits und der Umsetzung in die Praxis andererseits. Auf ihrer ganz eigenen Bildungsreise sammelten die Teilneh‐ mer*innen zahlreiche Erfahrungen, haben ein Praxisprojekt geplant und zweimal erprobt, haben sehr intensiv an ihrem pädagogischen Selbstver‐ ständnis gearbeitet (vgl. „Lernbegleitung“, Kap. 4.2) und sich mit zahlrei‐ chen Aspekten des pädagogischen Handelns auseinandergesetzt (vgl. „Themenfelder“, Kap. 4.1). Weil das Weiterbildungsprojekt für die Gruppe an dieser Stelle ein Ende nimmt, ist es wichtig, dass sich die ver‐ schiedenen inhaltlichen Klammern der Weiterbildung, die in den ersten beiden Workshops geöffnet wurden, auch wieder schließen. Das eigene Lernprojekt soll zum Ende gebracht werden, obgleich das Lernen im An‐ schluss an die Weiterbildung selbstverständlich weitergehen wird. Die Teilnehmenden sollen sich erstens im Abschluss‐Workshop ihrer Lernpro‐ zesse vergewissern. Zweitens sollen sie offene Fragen, an denen Interesse zur Weiterarbeit besteht, mit nach Hause nehmen; und es soll nicht zuletzt gefeiert werden, dass man ein Praxisprojekt zweimal erfolgreich absolviert hat. Für all diese Anstrengungen erhalten die Teilnehmer*innen ein Zerti‐ fikat. Aber nicht nur der soziale Aspekt der Weiterbildung ist von außer‐ ordentlicher Wichtigkeit. Die Gruppe ist an dieser Stelle der Weiterbildung stark zusammengewachsen. Interessengruppen, Freundschaften und
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Beziehungen haben sich ergeben, die weit über diese Weiterbildung hin‐ ausreichen. Es entstand beispielsweise das Netzwerk „Kunst‐bewegt‐ Bildung“2.
3.2 Die Praxistage Die beiden Praxistage erfolgen nach Möglichkeit einige Wochen nach den jeweiligen Workshops (Auftakt‐ und Zwischenworkshop) in einer Ganz‐ tagsschule. Im Idealfall finden die beiden Praxistage an unterschiedlichen Schultypen (z. B. Gymnasium und Gesamtschule) statt, damit die Künst‐ ler*innen die Chance erhalten, unterschiedliche Schulkulturen und ‐formen kennenzulernen und vergleichen zu können. Der Projekttag mit den Künstler*innen ist für die Schulen ein großes Ereignis und mit einem ho‐ hen organisatorischen Aufwand verknüpft. Am Projekttag selbst kommen dann die Künstler*innen noch vor Schulbeginn in die Schule und bereiten ihren Raum vor. Die eigentliche Projektzeit war auf 09:00 bis 14:00 Uhr be‐ grenzt. Somit hatten die Künstler*innen ausgesprochen wenig Zeit, um die oftmals sehr kompakten Projekte durchzuführen. Doch mehr Zeit steht im Schulkontext in der Regel auch nicht zur Verfügung, sodass die Künst‐ ler*innen wertvolle Erfahrungen über die Rhythmisierung des Alltags in der Institution Schule sammeln konnten. Die Projekttage müssen nicht im laufenden Schulbetrieb stattfinden. Auf diese Weise steht mehr Zeit für Projekte zur Verfügung. Im direkten Anschluss an das Projekt erfolgt eine kurze Auswertungsrunde, in der die Künstler*innen sich über das Erlebte verständigen können. Hierbei ist es wichtig, die Erfahrungen des Tages als wertvollen Schatz für den Weiterbildungszusammenhang individuell zu dokumentieren. Dazu leiten die Dozent*innen eine einstündige Diskussi‐ onsrunde noch an der Schule, in der Künstler*innen ihre wesentlichen Ein‐ drücke beschreiben und diese im Lerntagebuch festhalten. Außerdem ist es für die Künstler*innen wertvoll, in dieser Runde die Erfahrungen der Kolleg*innen wahrzunehmen. Gerade für das Gruppen‐ und Zusammen‐ gehörigkeitsgefühl war es von hohem Wert, dass die Künstler*innen ge‐ meinsam an einer Schule arbeiteten. 2 Siehe www.kunstbewegtbildung.de, letzter Zugriff: 17.12.2017.
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3.3 Die Beratungsphase Die Beratungsphase liegt zwischen den Workshops und ist eng mit dem Praxistag und den dort gemachten Erfahrungen verbunden. Sie wird von uns als sogenannte Lernprozessbegleitung (LPB) verstanden und nimmt als zweite Säule der „d.art“‐Weiterbildung neben den Workshops die zent‐ rale didaktische Position ein. Die Lernprozessbegleitung bildet folglich das „Herzstück“ der Weiterbildung, weil hier die Lernprozesse aus den Workshops und den Praxisprojekten vom Standpunkt der Teilnehmenden zusammengeführt werden können. Die Künstler*innen werden durch die Lernprozessbegleitung unterstützt, sich selbst und die Welt in einer erwei‐ terten Sichtweise zu verstehen (vgl. Ludwig 2016). Mit der LPB soll ein Bildungsprozess in Gang gebracht werden. Die individuellen Gespräche in der LPB bieten die Möglichkeit, auf die Interessen und Lernhindernisse so einzugehen, wie es im regulären Geschehen des Workshops nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Einzelgespräche der LPB bieten einen ge‐ schützten Raum, die jeweils individuellen Lernproblematiken intensiver zu reflektieren und einen eigenen Lernfokus zu setzen. So können die ei‐ genen Lerninteressen und ‐schwierigkeiten als Ausgangspunkt für das Lernen in der gesamten Weiterbildung verfügbar gemacht und deren Po‐ tenziale und Widerstände genutzt werden. Das Prinzip der rekonstrukti‐ ven pädagogischen Beratung (vgl. Ludwig 2014b) innerhalb der Lernpro‐ zessbegleitung ist nicht, die „Psyche“ oder „Persönlichkeitsstruktur“ des Teilnehmenden zu verstehen und in den Mittelpunkt des Beratungsge‐ sprächs zu stellen. Erstes Ziel ist vielmehr, die jeweilige soziale Lernsitua‐ tion der Weiterbildung und der in ihr wirkenden Handlungs‐ und Lern‐ begründungen der Lernenden zu rekonstruieren und dem Ratsuchenden verfügbar zu machen. Die Lernprozessbegleitung erhält genaueren Ein‐ blick in die Begründungsstrukturen der Teilnehmenden und kann so – ge‐ rade auch auf der Workshop‐Ebene – den inhaltlichen Vermittlungspro‐ zess auf die subjektiven Interessen beziehen. Für die Teilnehmenden ent‐ stehen Lerneffekte, die in der Vielfalt der durch die Beratung eingebrachten Sichtweisen und Interpretationsangebote liegen. Daraus können sie Strate‐ gien für die Bewältigung der eigenen Handlungs‐ und Lernproblematik ab‐ leiten und einen weiteren Lernweg wählen. Je nach dem individuellen
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Bedarf der Künstler*innen finden die Gespräche zur Lernprozessbeglei‐ tung als Telefonat oder in direktem Kontakt in den Praxisphasen statt. Die Teilnehmenden können so oft sie wollen eine Beratung nutzen. Die Frage nach einer angemessenen Beratungssituation ist dabei sehr wesentlich. Hierbei geht es auch darum zu bestimmen, wie eine solches Beratungsset‐ ting strukturiert sein muss, um die nötige Distanz zu den reflektierten As‐ pekten der Lernprozessbegleitung zu schaffen (vgl. Ludwig 2012a).
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Inhalte und Formate
Die pädagogische Weiterbildung umfasst zwei Perspektiven und didakti‐ sche Bewegungen. Die erste Perspektive ist die des Lehrangebots. Entlang von vier Themenfeldern bekommen die Teilnehmenden wissenschaftlich fundiertes pädagogisches Wissen auf Basis des aktuellen Forschungs‐ stands angeboten, das zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen künstlerisch‐pädagogischen Vorstellungen anregen und die vorhandenen Deutungsschemata irritieren soll. Die Themenfelder sollen Gegenhorizonte im Sinne neuer Perspektiven zu den vorhandenen pädagogischen Vorstel‐ lungen der Künstler*innen bilden. Mit diesem neuen Wissen können die Künstler*innen ihre eigene Perspektive auf pädagogisches Handeln hin‐ terfragen und weiterentwickeln. Lehren und Lernen sind zwei unterschiedliche Prozesse. Ob und inwie‐ fern die Künstler*innen dieses neue Wissen aus den Themenfeldabschnit‐ ten aufgreifen und sich aneignen, bleibt offen und ist die zweite und zu‐ gleich dominante Perspektive in der Weiterbildung. Die Weiterbildung fo‐ kussiert die Begleitung der individuellen Aneignungs‐ und Lernprozesse, nicht das inhaltliche Lehrangebot. Diese zweite Perspektive auf das Lernen und die Aneignung wird vor allem mithilfe von Formaten zur Lernbegleitung methodisch bearbeitet. Dabei rückt die eigene Sichtweise des*r Künstlers*in auf sein*ihr pädagogisches Handeln in den Fokus. Der Wechsel von der Leh‐ rendenperspektive zur Aneignungsperspektive ist das zentrale didakti‐ sche Prinzip der Weiterbildung. Bildungsprozesse sind als Selbst‐ und Weltverständigungsprozesse immer auch Prozesse der Distanznahme. Deshalb wird in dieser
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Weiterbildung den Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben, sich von den Alltagserfahrungen zu entfernen und „von außen“ auf den eigenen Lebenszusammenhang zu schauen. Das künstlerisch‐pädagogische Selbstverständnis der Künstler*innen soll entlang von vier Themenfeldern weiterentwickelt werden. Das von den Weiterbildenden eingeführte pädagogische Wissen wird von den Künstler*innen kritisch hinterfragt, die Passung in die eigenen Deutungs‐ schemata geprüft und das neue Wissen ggf. transformiert und „passend gemacht“ oder auch verworfen.
4.1 Die Inhalte Die Weiterbildung „d.art“ besteht aus vier Themenfeldern, die sich auf un‐ terschiedliche Weise der eigenen künstlerisch‐pädagogischen Praxis der Künstler*innen, ihrer Beziehung zu den Schüler*innen und ihrem Arbei‐ ten in der Schule nähern. Diese Themenfelder bieten Stoff und Anregung für den gemeinsamen Erfahrungsaustausch und der Erarbeitung indivi‐ dueller pädagogischer Konzepte im Spannungsfeld von Organisation und kreativer pädagogischer Interaktion sowie im Spannungsfeld von Selbst‐ und Fremdbestimmung. Themenfeld I: Das künstlerische Selbstverständnis Die Teilnehmenden haben in diesem Themenfeld die Möglichkeit, ihre ei‐ gene Arbeit den anderen Künstler*innen zu präsentieren und von anderen gespiegelt zu bekommen, was ihre künstlerische Spezialität auszeichnet. So lernen sich die Teilnehmer*innen auch als Künstler*innen ganz neu kennen. Eine wesentliche Ressource der Weiterbildung sind die Kontakte zu den Kolleg*innen und das Kennenlernen über Spartengrenzen hinweg. In der Weiterbildung kommen Künstler*innen aller Couleur zu Wort.3 In der jeweiligen Workshop‐Situation dieses Themenfelds geht es somit um die künstlerische Person selbst. Die Aussprache ihres Selbstverständnisses gegenüber anderen ist ein Mittel, um sich der eigenen Botschaft zu nähern 3 Vgl. www.kunstbewegtbildung.de, letzter Zugriff: 17.12.2017.
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und kein Mittel zur Selbstdarstellung. Alles spitzt sich auf die Frage zu: Was bedeutet mir meine Kunst? Es wird vonseiten der Dozent*innen eine analytische Trennung zwischen der Reflexion des Selbstverständnisses und der Anforderungen vorgenommen, die die Schulwirklichkeit an den Künstler*innen ausrichtet. Nur, wenn die Potenziale der eigenen Kunst als spätere Bildungspotenziale (vgl. Themenfeld II) den Künstler*innen klar vor Augen treten, können sie diese für die Kunstprojekte mit den Schü‐ ler*innen nutzen. Themenfeld II: Das Verständnis von ästhetischer Bildung Mithilfe dieses Themenfelds sollte es den Künstler*innen gelingen, ein ei‐ genes Bildungsverständnis für das Projekt formulieren zu können, aus dem sich die Projektidee und der konkrete Entwurf des Projekts ergeben. Das Kunstprojekt soll die Lebenswelt der Schüler*innen im Medium der Kunst zur Sprache bringen. Das ist die wesentliche Anforderung der Wei‐ terbildung. Im zweiten Schritt sollte dann auch über diesen Prozess und seine Produkte gesprochen werden. Damit tun sich die Künstler*innen häufig sehr schwer. Wenn ich als Künstler*in pädagogisch handele, dann zeige ich einerseits meine Vorstellungen von Kunst und was sie generell leisten kann: die Welt und mich selbst besser zu verstehen und anderer‐ seits darüber hinaus mein Geschick, Kunst zu machen. Dafür muss ich die Frage geklärt haben, wie ich mich als Künstler*in verstehe und meine ei‐ gene Kunst wahrnehme (vgl. Themenfeld I). Außerdem muss ich mich für die pädagogische Frage öffnen, was ich von meinem künstlerischen Tun in das pädagogisch‐künstlerische Tun mit den Schüler*innen integrieren kann (Themenfeld III). Bevor ich jedoch mit der Projektentwicklung und Projekterprobung starten kann, muss ich reflektieren, was die Schüler*in‐ nen an meiner Kunst interessieren könnte und was sie mit mir machen wol‐ len. Die Künstler*innen sollen in diesem Themenfeld vermittelt bekom‐ men, wie wertvoll es sein kann, „in das Boot der Schüler*innen zu steigen“ – und eben nicht, sie „in das eigene Boot zu holen“. Es geht zum einen darum zu zeigen, vorzumachen und künstlerische Ideen zu geben und ei‐ nen eigenen Standpunkt zu offerieren und zum anderen die Schüler*innen
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und ihre Standpunkte zu verstehen, ihre Probleme und Interessen aufzu‐ greifen. Themenfeld III: Didaktische Herausforderungen des pädagogischen Handelns Das Themenfeld III dient erstens der Planung eigener Projekte ästhetischer Bildung und zweitens der Entwicklung pädagogischer Reflexionskompe‐ tenz mit Blick auf die in den Projekten aufgebauten pädagogischen Bezie‐ hung. Es besteht für die Teilnehmenden die Möglichkeit, die flüchtigen Momente aus der eigenen Projektpraxis für die weitere pädagogische Ar‐ beit zu deuten und die darin gemachten Erfahrungen für die weitere Tä‐ tigkeit zugänglich zu machen. Dieses Themenfeld ist somit auf der Ebene des pädagogischen Handelns angesiedelt. Die Thematisierung der päda‐ gogischen Beziehung rückt in den Fokus. Das Vermittlungsarrangement zwischen den Kunst‐ und Kulturschaffenden und den Kindern und Ju‐ gendlichen erfordert Kompetenzen, die gerade an dieser Stelle erworben werden. Es gibt keine Selbstverständlichkeit in einer pädagogischen Situ‐ ation. Pädagogisches Handeln gilt als nicht standardisiertes Handeln und unterliegt einem sogenannten Technologiedefizit (Luhmann/Schorr 1982). Ziel ist, dass die Teilnehmer*innen dieses komplexe Verständnis pädago‐ gischen Handelns kennenlernen sollen, dass jenseits einer funktional‐ instruktiven Logik liegt und stattdessen von den Lerninteressen der Schü‐ ler*innen ausgehend ästhetische Bildungsprojekte gestalten will. Die Künst‐ ler*innen sollen demnach ihr je eigenes pädagogisches Handeln unabhängig von bestimmten Vermittlungsmethoden finden. Die Künstler*innen ent‐ wickeln somit am Ende der Weiterbildung ein künstlerisch‐experimentelles Konzept, indem es darum geht, sich hinsichtlich bestimmter Spannungsfel‐ der und Fragestellungen begründet zu positionieren und zu handeln. Am Ende sollen die Künstler*innen didaktisch denken können. Sie sollen ge‐ rade auf die Unsicherheit pädagogischen Handelns in Form der pädago‐ gischen Spannungsverhältnisse aufmerksam gemacht werden. Die Bereit‐ schaft, sich auf das Unbekannte und das nicht Geplante der Situation mit den subjektiven Bedeutungen der Schüler*innen einzulassen, steht im Zentrum der Weiterbildung.
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„d.art“
Themenfeld IV: Die Schule als Projektraum Im Themenfeld IV ist die Frage leitend, wie das eigene Kunstprojekt zu einem Bildungsprojekt werden kann und wie dieses Bildungsprojekt mit dem System Schule kompatibel wird. Die Schule ist ein besonderer Raum für Projekte künstlerisch‐kreativen Arbeitens. Er schließt viele Personen mit unterschiedlichen Rollen ein: Schüler*innen, Lehrer*innen, Schullei‐ tungen, Eltern. Hinzu kommen unterschiedliche Schulkulturen und Ver‐ waltungsstrukturen. Dies beinhaltet gegenseitige Erwartungen. Dieses Themenfeld fragt nach den besonderen Bedingungen, Anforderungen und Schwierigkeiten des Projektraums Schule für die jeweils eigene pädago‐ gisch‐ künstlerische Arbeit. Für das Themenfeld IV ist es wichtig, den Strukturplatz, den die Künstler*innen von „d.art“ her haben, genau fest‐ zulegen: außerunterrichtliche Angebote an Ganztagsschulen. Durch die Projektplatzierung außerhalb des Unterrichts werden bestimmte Implika‐ tionen, die der Unterricht bereithält, abgefedert. Im ersten Durchgang der Erprobungsphase gerieten die Künstler*innen vermehrt in das Span‐ nungsfeld von Organisation und pädagogisch‐künstlerischem Handeln, weil sie nicht an diesem „eigentlichen“ Strukturplatz waren, sondern Ver‐ tretungs‐ oder Hilfslehrerpositionen hatten und so unmittelbarer mit den organisationalen Erfordernissen verknüpft waren. Sie mussten oftmals ihre Position als Künstler*innen opfern und waren dann „nur noch“ Werk‐ lehrer*innen.
4.2
Die Formate der Lernbegleitung
Die Weiterbildung „d.art“ basiert auf der Didaktik vom Subjektstand‐ punkt (vgl. Ludwig/Rihm 2013). Ausgangspunkt für die pädagogischen Handlungen im Rahmen der Weiterbildung sind die Subjektstandpunkte der einzelnen Künstler*innen mit ihren individuellen Lern‐ und Hand‐ lungsproblematiken. Für deren Bearbeitung stellt „d.art“ verschiedene Lernbegleitungsformate zur Verfügung, die im nachfolgenden Kapitel charakterisiert werden. Die in der Auseinandersetzung mit dem inhaltli‐ chen Angebot der Themenfelder und auch an den Praxistagen entstande‐ nen Irritationen, Orientierungsbedürfnisse und Handlungs‐ und Lern‐
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Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch
problematiken werden in diesen Lernbegleitungsformaten beratend auf‐ gegriffen, bearbeitet und aufgezeichnet. Ausgangspunkt ist nur das, was die Künstler*innen in die Lernbegleitung einbringen und was sie beschäf‐ tigt. Die gruppenförmige VIVA‐Fallberatung im Zwischenworkshop, die kontinuierliche Lernprozessbegleitung als Einzelberatung (LPB) über die gesamte Weiterbildung hinweg sind intensive Beratungsformate, um die Anfragen und Interessen der Teilnehmenden umfänglich zu verstehen und zu bearbeiten. Der Subjektstandpunkt der Teilnehmenden wird so in die Weiterbildung eingebracht. Die Arbeit mit dem Lerntagebuch und mit der sogenannten Lernfigur sind Dokumentationsformate in allen Work‐ shops, die einen breiten Raum geben, die individuellen Sichtweisen der Künstler*innen auf ihr pädagogisches Handeln festzuhalten. Die Doku‐ mentationen sind eine wichtige Grundlage für die Lernbegleitung. 4.2.1 Dokumentationsformate: Lerntagebuch und Lernfigur Wenn man gelernt hat, weiß man nicht mehr, wie es vorher war. Es fällt oftmals schwer, den eigenen Lern‐ und Bildungsprozess nachzuvollzie‐ hen. Für diese Herausforderungen haben wir in der „d.art“‐Weiterbildung für den persönlichen Gebrauch das Lerntagebuch eingeführt und für die öffentliche Diskussion des eigenen Lern‐Standpunkts die Lernfigur. Diese beiden Methoden bieten eine ausführliche Möglichkeit zurückzublicken und den eigenen Lernprozess für sich und vor anderen nachzuvollziehen. So wird die Differenzerfahrung des „Vorher – Nachher“, aber auch des „Mein Standpunkt – Dein Standpunkt“ über die Zeit hinweg verdeutlicht. Die Teilnehmenden setzen sich mit dem eigenen pädagogischen Selbstver‐ ständnis und den Angeboten der anderen auseinander. Die Teilnehmenden haben so die Möglichkeit, das Angebot offen für sich zu reflektieren. Lerntagebuch und Lernfigur sollen dabei helfen, den eigenen Weg durch die Weiterbildung zu protokollieren und ggf. auch für die Lernbegleitung verfügbar zu halten. Das bedeutet, dass alles, was die Künstler*innen bewegt, interessiert und irritiert, aufgezeichnet werden kann und so den eigenen Lernprozess transparent macht. Diese Formate helfen dabei, die eigenen Lern‐ und Entwicklungsprozesse während der Weiterbildung zu dokumentieren und die individuellen Aktivitäten,
„d.art“
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Überlegungen und Erkenntnisse herauszustellen. Der eigene Zugang zur Weiterbildung und die individuellen Lernprozesse lassen sich anhand die‐ ser Dokumentation nachvollziehen und reflektieren. Wir geben immer ausreichend Zeit in den Workshops, um Notizen zu machen und beenden die Workshops mit der Lernfigur; wir fragen in den Beratungen ausdrück‐ lich nach den eigenen Aufzeichnungen. Die Wege und Irrwege des eige‐ nen Erkenntnisprozesses treten so vor Augen. Ideen und Ergebnisse über‐ dauern das Praxisprojekt und können auch später immer wieder zurate gezogen werden. Durch diese Dokumentationsmethoden werden der ei‐ gene Lernprozess und die Aneignungsperspektive der Teilnehmenden un‐ mittelbar in die Weiterbildung eingebracht. So wird deutlich, dass der we‐ sentliche Gegenstand der Weiterbildung das eigene pädagogische Selbstver‐ ständnis ist. Die Reflexion dieses Aneignungsprozesses ist das primäre Ziel der Weiterbildung. Regelmäßig werden die (Zwischen‐)Ergebnisse des eige‐ nen Lernprozesses im Lerntagebuch und in der Lernfigur dokumentiert. So können die Teilnehmer*innen ihre neuen Erkenntnisse und auch An‐ fragen festhalten und darstellen. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Lerninteressen im Lernprozess wird an dieser Stelle transparent und öf‐ fentlich in die Weiterbildung eingebracht. Die Teilnehmer*innen werden aufgefordert, ihr eigenes künstlerisch‐pädagogisches Selbstverständnis zu begründen und darzustellen. Das professionelle Handeln der Weiterbild‐ ner*innen besteht hierbei im Beratungshandeln ganz im Sinne eines Ver‐ stehens des Subjektstandpunkts der Künstler*innen. Lerntheoretischer Hintergrund dieser Didaktik vom Subjektstand‐ punkt der Lernenden aus ist die Lerntheorie Klaus Holzkamps (1993). Demnach entwickelt sich der Lernprozess als eine Lernschleife, die in Handlungsproblematiken und Irritationen ihren Ausgangspunkt nimmt, sich von der Irritation reflexiv distanziert und so in eine neue Selbstver‐ ständigung führt, um wieder Handlungsfähigkeit zu erlangen. Diese ver‐ schiedenen Lernschleifen werden als Selbstverständigungsprozess doku‐ mentiert (Lerntagebuch und Lernfigur) und beratend unterstützt. Entlang der unterschiedlichen Lernfiguren wird deutlich, wie unter‐ schiedlich die einzelnen künstlerisch‐pädagogischen Selbstverständnisse
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Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch
sind – und auch ihre jeweils unterschiedliche Begründetheit. Es wird deut‐ lich, dass das eine Thema „pädagogisches Handeln“ ein hoch differenter Lerngegenstand ist. Durch die Lernfigur sollen die Subjektperspektiven, die sich meist nur schwer festhalten lassen und in der Lehr‐Lernsituation verflüchtigen, für alle transparent und nachvollziehbar gemacht werden. 4.2.2 Beratungsformate: Die gruppenförmige VIVA‐Fallberatung und die kontinuierliche individuelle Lernprozessbegleitung Die Praxisprojekte sind der zentrale Ort, an dem Handlungs‐ und Lern‐ problematiken der Kunstschaffenden entstehen. Es gilt, diese individuel‐ len Erfahrungen beratend aufzugreifen (Ludwig 2014b). Als didaktisches Format wurde dazu die gruppenförmige VIVA‐Fallberatung gewählt. Die Künstler*innen sollen in der Fallberatung spezifische Handlungssituatio‐ nen und ‐probleme präziser und differenzierter verstehen lernen und Lö‐ sungen entwickeln. Es sollen die je eigenen Vorstellungen der pädagogi‐ schen Beziehung thematisiert, reflektiert und problematisiert werden. In‐ dividuelle Erlebnisse aus den Praxisprojekten, konturiert als Fall, werden im Zwischenworkshop gesammelt, einzelne ausgewählt und im Plenum bearbeitet. Diese besonderen Fälle werden mit allgemeinem pädagogi‐ schem Wissen in der Gruppe so reflektiert, dass die komplexe Handlungs‐ situation und ihr Verlauf tiefer verstanden werden. Dazu gilt es in einem ersten Schritt, die Fälle der Künstler*innen zu sammeln und anschließend in einer emphatischen und analytischen Weise in der Gruppe zu bearbei‐ ten. Am Ende sollten die zentralen Handlungsgründe und Strukturen des Falls hervortreten sowie neue Handlungsoptionen deutlich werden (vgl. Ludwig 2012b). Diese Form der Fallarbeit ist das Kernstück des Zwischen‐ workshops. Die individuelle Lernprozessbegleitung fokussiert im Vergleich zur Gruppenberatung nicht nur die Erfahrungen aus den Praxisphasen, son‐ dern auch irritierende Workshop‐Inhalte, welche die Künstler*innen über den Workshop hinaus bewegen. Auch hier wird nach dem VIVA‐Bera‐ tungskonzept verfahren. In diesen Einzelgesprächen werden Praxiserfah‐ rungen sowie Workshop‐Inhalte als Lern‐ und Handlungsproblematiken identifiziert und aufgegriffen. Das bedeutet, dass hier die Inhalte der
„d.art“
225
Weiterbildung aus der Sicht der einzelnen Lernproblematik bearbeitet werden. Besonders auf diesen Handlungs‐ und Lernproblematiken, die sich während der Schulpraxisphasen ergeben, liegt ein besonderes Augen‐ merk. Die Künstler*innen haben in der Lernprozessbegleitung genügend Raum, um ihrem individuellen Anliegen nachzugehen. Die in diesem Zu‐ sammenhang offerierten Interpretationsangebote der Beratenden bieten neue Perspektiven auf die eigene Welt‐ und Selbstverständigung und das eigene künstlerisch‐pädagogische Handeln.
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Joachim Ludwig, Henry Utech und Markus Tasch
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3
Weiterbildungen mit Querschnittsperspektiven
„Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ Kulturpädagogische Grundlagen für neue Herausforderungen in einer heterogenen Gesellschaft Susanne Keuchel und Nadine Rousseau Aufgrund der zunehmenden Heterogenität innerhalb der Gesellschaft, be‐ günstigt durch die fortschreitende Globalisierung, Medialisierung, Indivi‐ dualisierung, Mobilität und Migration, entstand innerhalb der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW (in Folge Aka‐ demie der Kulturellen Bildung genannt) der Wunsch, diversitätsbewusste Ansätze innerhalb der Kulturellen Bildung zu erproben. Es wurde ein ent‐ sprechender Antrag im Rahmen des Förderschwerpunkts „Förderung von Entwicklungs‐ und Erprobungsvorhaben zur pädagogischen Weiterbil‐ dung von Kunst‐ und Kulturschaffenden“ beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gestellt. Das hier geförderte Projekt „DiKuBi – Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ wurde von der Akademie der Kulturellen Bildung, unter Leitung von Prof. Dr. Susanne Keuchel, innerhalb eines Verbundprojekts mit dem Arbeitsbereich Erwachsenenbildung/Weiterbildung des Instituts für Er‐ ziehungswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms‐Universität Müns‐ ter, unter Leitung von Prof. Dr. Halit Öztürk, innerhalb eines Zeitraums von dreieinhalb Jahren durchgeführt. Als die Akademie der Kulturellen Bildung im Jahr 2013 den Antrag für die Fortbildungsentwicklung „Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ schrieb und 2014 mit der Konzeption der Fortbildung begann, standen viele kritische Fragen im Raum: Braucht die Kulturelle Bildung eine solche spezifische Fortbildung oder ist Kulturelle Bildung nicht per se auch inter‐ kulturelle Bildung? Damals wurde im deutschen Fachdiskurs auch eher © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3_11
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Susanne Keuchel und Nadine Rousseau
von inter‐, trans‐ oder postmigrantischen Ansätzen gesprochen (vgl. Keu‐ chel 2015: 50; Terkessidis 2002; Welsch 1995: 39ff.; Yildiz/Hill 2015). Die handlungsneutrale Perspektive der Diversität (vgl. Keuchel 2016: 21) wurde zu diesem Zeitpunkt sehr selten aufgegriffen. Kritisch wurde auch die Frage gestellt, ob eine diversitätsbewusste und hier eine diskriminie‐ rungskritische Perspektive nicht eher Aufgabe der politischen Bildung und Teil von Empowerment‐Strategien sei und diesbezüglich schon ein ausreichend erprobtes Angebot vorläge. Heute, nur drei bis vier Jahre später, ist das Thema Diversität in der Kulturellen Bildung im öffentlichen Diskurs angekommen und wird als dringender Bedarf diskutiert (vgl. Heinrich 2017). Kultur und Kulturelle Bildung werden in der aktuellen gesamtgesellschaftlichen Lage als wich‐ tiges Fundament für gesellschaftlichen Zusammenhalt angesehen (vgl. Keuchel 2017). Im Folgenden werden das „DiKuBi“‐Konzept, seine Entste‐ hung, Notwendigkeiten, Erfahrungen und Neuerungen des Konzepts vor‐ gestellt und eine erste abschließende Bilanz gezogen.
1
Zur Notwendigkeit der Entwicklung eines Fortbildungskonzepts „DiKuBi“
Die gesamtgesellschaftliche Lage hat sich aufgrund gesellschaftlicher Plu‐ ralisierungsprozesse (vgl. Beck 1986) in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Entwicklungen – wie Deutschland als Einwanderungsge‐ sellschaft (vgl. Hell 2005), Digitalisierung (vgl. Zacharias 1991), aber auch die Ausdifferenzierung von Milieus (vgl. Keuchel 2015: 51) und sozialen Klassen, von Jugend‐ und Subkulturen im Kontext der Individualisierung (vgl. Beck 1986), das Auseinanderdriften von Arm und Reich (vgl. Nacht‐ wey 2016; vgl. von Below 2002) – sind Tendenzen, die zu einer größeren Vielfalt an Meinungen, Einstellungen und Lebensweisen in der Gesell‐ schaft führen. Neu ist, dass in breiten Teilen der Gesellschaft extremistische Ideen und Überzeugungen Einzug halten und rassistische Meinungen öffentlich Anerkennung finden: Rechtspopulistische Ansichten werden salonfähig (vgl. Collard 2016), Jugendliche radikalisieren sich für ihre vermeintlichen
„Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“
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religiösen Überzeugungen, menschenfeindliche Aussagen finden immer mehr Zustimmung (vgl. Universität Bielefeld 2012). Was ist nun im Angesicht dieser Entwicklung Aufgabe der Kulturellen Bildung? Neben dem Anspruch, kulturelle Teilhabe für alle zu ermögli‐ chen, setzt sich die Kulturelle Bildung auch das Ziel, emanzipatorisch zu wirken. Kulturelle Bildung, wie sie sich in den 1968er Jahren als Neue Kul‐ turpädagogik – die sich als Bildung in Kultur vollziehe statt der Alten, die zu Kunst erziehe (vgl. Liebau/Zirfas 2004) – etablierte, vertritt den An‐ spruch der Subjektstärkung und der Selbstbildung. Dieser Anspruch, auf Selbstbildung zu setzen und hier auch auf eine jugendkulturelle Lebens‐ weltorientierung (vgl. Braun/Schorn 2012), wurde zu einer Zeit formuliert, in der aufgrund einer wesentlich normativen Gesellschaftsstruktur weit‐ gehend homogene Gruppenkonstellationen mit sehr ähnlichen kulturellen Erfahrungen und Werten vorlagen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob diese Ansätze heute noch übertragbar sind und ob es nicht notwendig ist, um Selbstbildungsprozesse innerhalb von Gruppen zu initiieren, im Vorfeld ein demokratisches Werteverständnis und Regelwerk zu vermitteln bzw. auszuhandeln. Des Weiteren könnte auch kritisch die jugendliche Lebens‐ weltorientiertheit hinterfragt werden: Ist es sinnvoll, in einer zunehmend fragmentierten – und auch milieu‐ghettoisierten – Gesellschaft, die zudem vermehrt von kommerziellen Kulturangeboten dominiert wird, aus‐ schließlich an der Lebensweltorientierung anzusetzen oder müsste es hier nicht vielmehr um Lebensweltöffnungen und das Kennenlernen alternati‐ ver Lebenswelten gehen? Internationalität, im Sinne einer Einbeziehung von Künstler*innen und Kunstwerken aus anderen Kulturräumen, nimmt in der kulturellen Bil‐ dungspraxis bisher einen geringen Stellenwert ein, das belegt eine empiri‐ sche Analyse von rund 460 Best‐Practice‐Projekten (vgl. Keuchel 2016: 10). In der Praxis werden Menschen mit Migrationshintergrund überdies oft auf ihre familiäre Herkunft reduziert, stereotypisiert, und in „bewusst in‐ terkulturell ausgerichteten Bildungsangeboten häufig ungewollt zu exoti‐ schen fremdländischen Entdeckungen ein(ge)laden“ (vgl. Terkessidis 2002).
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Susanne Keuchel und Nadine Rousseau
Was bedeuten diese Beobachtungen und der gesellschaftliche Wandel ganz konkret für Kulturpädagog*innen, für Künstler*innen und für Mul‐ tiplikator*innen in ihrer alltäglichen Arbeit und in der Auseinanderset‐ zung mit den Lebenswelten derer, die sie erreichen wollen? Und was be‐ deutet dies für die Grundprinzipien der Kulturellen Bildung? Müssen diese, wie sie in den 1968er Jahren entwickelt wurden, in Teilen überdacht werden (vgl. Keuchel 2015)? Oder steckt hier möglicherweise ein besonde‐ res Potenzial, das es herauszuarbeiten gilt für eine zunehmend diverse Ge‐ sellschaftsstruktur? Diese Fragen bildeten den Hintergrund für die Idee, sich mit einem Fortbildungskonzept „DiKuBi“ auseinanderzusetzen.
2
Zur Fortbildungsstruktur
Das „DiKuBi“‐Fortbildungskonzept, wie es im Rahmen des BMBF‐Förder‐ schwerpunkts erprobt wurde, strukturierte sich in drei Kurswochen, mit einer Praxisprojekterprobung zwischen der zweiten und dritten Kurswo‐ che (s. Abb. 1). 1. Phase: 2. Phase: 3. Phase: zwei Kurswochen selbstgesteuerte eine Kurswoche praktische Erprobung Grundlagen zu Umsetzung eines Gemeinsame Ana‐ persönlicher, päda‐ individuellen Pra‐ lyse und Reflexion des Praxisprojekts gogischer und xisprojekts zur An‐ künstlerischer wendung Ebene Abb. 1: Fortbildungsstruktur (Keuchel/Öztürk 2014)
„Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“
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Die Kurseinheiten fanden in der Akademie der Kulturellen Bildung statt. Die Praxisprojekte entwickelten die Teilnehmenden innerhalb der zweiten Kurswoche und führten diese vor der dritten Kurswoche innerhalb ihrer eigenen Arbeitskontexte vor Ort durch, sodass die dritte und letzte Kurs‐ woche für die Präsentation und Reflexion der Projekte genutzt werden konnte. Aufgrund des Pionierfelds der Diversität wurde die Zwischenschal‐ tung einer Praxisphase als besonders wichtig erachtet. Hier sollte real er‐ probt werden, ob die im Rahmen der Fortbildung entwickelten diversitäts‐ bewussten Konzepte auch wirklich heterogenen Zielgruppenkonstellatio‐ nen gerecht werden bzw. diversitätsbewusste Haltungen und den Um‐ gang mit Diversität fördern. In der Zusammensetzung der Fortbildungsteilnehmenden wurde da‐ rauf geachtet, dass es sich ebenfalls um sehr heterogene Zielgruppen han‐ delte. Parameter der Heterogenität waren neben Geschlecht, Alter und der Erfahrung mit „interkulturellen“ Projekten auch herkunftsbezogene Fak‐ toren wie Nationalität und Migrationshintergrund wie auch die Herkunft aus dem ländlichen bzw. städtischen Raum sowie aus diversen Bundes‐ ländern. Darüber hinaus war die Einbindung von Künstler*innen und Kulturschaffenden unterschiedlicher Kunstsparten ein Teilnahmekrite‐ rium. So konnte auch innerhalb der Fortbildung der Umgang mit Diversi‐ tät erprobt werden. In der letzten der drei Fortbildungserprobungen wurde mit einer alter‐ nativen Fortbildungsteilnehmer*innen‐Konstellation gearbeitet. Es wur‐ den ausschließlich Künstler*innen und Kulturschaffende einer konkreten Region eingebunden, um hier gemeinsame Kooperationskonzepte in der Praxisphase vor Ort zu erforschen und auch die Zusammenarbeit und Ver‐ netzung in der Region untereinander zu fördern. Hierzu wurde bewusst eine ländliche Region einbezogen, in der bisher keine Kooperationskon‐ zepte konkret bezogen auf Diversitätsperspektiven existierten. Wert wurde zudem auf einen gewissen Grad der Heterogenität der Do‐ zent*innen gelegt. Es sollte hier nicht nur eine Sichtweise bzw. Perspektive zum Tragen kommen. Entsprechend gab es eine*n verantwortlich Dozie‐ rende*n für die gesamte Fortbildungsphase von drei Kurswochen. Diese*r
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Susanne Keuchel und Nadine Rousseau
übernahm zwar eine moderierende und reflektierende Rolle, wurde je‐ doch flankiert von verschiedenen Dozent*innen aus Wissenschaft, Praxis und verschiedenen Künsten.
3
Zu den Zielen, Inhalten und Methoden der Fortbildung
Gehen Fortbildungen oftmals von einem nachweisbaren Kompetenzge‐ winn aus, ist Ziel und Ansatz von „DiKuBi“ primär die Persönlichkeits‐ entwicklung der Teilnehmenden, hier die Stärkung einer inneren Haltung und die eigene Positionierung im Kontext von Diversität. Authentizität, Wertschätzung und Offenheit, die Fähigkeit Irritationen auszuhalten, die eigenen Handlungen und Bewertungen zu reflektieren, sind Fähigkeiten, die im Umgang mit heterogenen Gruppen als Schlüssel angesehen wer‐ den: „Da es im Zuge der Auseinandersetzung mit Diversität keine ‚richtige‘ oder ‚falsche‘ Lösungsstrategie bezogen auf konkrete Handlungssituationen gibt, wurden hier auch keine Kompetenzmodelle entwickelt. Statt klar messbarer Lernziele stehen da‐ her die Bewusstseinsbildung für das Thema Diversität sowie die Stärkung einer ei‐ genen Haltung diesbezüglich im Fokus. Gleichzeitig arbeiten die Teilnehmenden der Weiterbildung an ihrem Selbstvertrauen und an der Empathie‐Entwicklung für an‐ dere.“ (Keuchel/Dunz 2015: 189)
Ausgehend von der persönlichen Haltung wird der Blick in einem zweiten Schritt auch auf pädagogische Prozesse und künstlerisches Handeln ge‐ richtet. So entsteht eine vielschichtige Auseinandersetzung mit Diversität auf drei Ebenen – der persönlichen, der pädagogischen und der künstleri‐ schen Ebene (siehe Abb. 2).
3.1 Diversitätsbewusstsein auf persönlicher Ebene Inhaltlich werden zunächst aktuelle Grundlagen und Diskurse dargelegt und ein gemeinsamer Wissensstand hergestellt. Die Teilnehmenden setzen sich mit Kulturbegriffen (vgl. Keuchel/Wagner 2012), sozialen Kategorien von Diversität, mit Konstruktions‐ und Diskriminierungsmechanismen
„Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“
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(vgl. Feagin/Booher‐Feagin 2005) sowie Identitätskonzepten (vgl. Delia‐ nidou 2010) auseinander. Die Fortbildung macht etwa darauf aufmerksam, wie Darstellungen von Diversität in der Öffentlichkeit und in den Medien die Wahrnehmung beeinflussen und die Wirklichkeit mitgestalten. Dem‐ gegenüber steht die Bewusstmachung der vielen verschiedenen kulturel‐ len Hintergründe und Facetten, die individuelle Identitäten ausmachen. Die persönliche Entwicklung wird dabei durch Übungen und Metho‐ den angeregt, die Perspektivwechsel ermöglichen, die Selbstreflexion an‐ regen und für Zugangsbarrieren und Diskriminierungen im Alltag sensi‐ bilisieren. Gleichzeitig können alternative Handlungsoptionen auspro‐ biert sowie neue Kommunikationsmuster trainiert werden. Grundlage für diese Übungen sind, wie schon dargelegt, die aktuellen theoretischen Grundlagen rund um das Thema Diversität, wie Identitäten, Stereotype, Diskriminierungskonzepte, Transkulturalität oder beispielsweise post‐ migrantische Positionierungen. Dabei wird keiner der auch kontrovers diskutierten Diskurse als ein ausschließlicher gesetzt. Vielmehr werden diese vorgestellt und praktisch erfahrbar gemacht, sodass die Teilnehmen‐ den hier selbst eine Haltung entwickeln können, welche Theorien für sie praktikabel und anwendbar erscheinen.
3.2 Diversitätsbewusstsein auf pädagogischer Ebene Als zweite Ebene der Reflexion beschäftigen sich die Teilnehmenden in der Fortbildung mit dem Umgang heterogener Gruppen in der pädagogi‐ schen Arbeit. In Bezug auf die Entwicklung des Praxisprojekts für den ei‐ genen Arbeitskontext werden konkrete Hilfestellungen für die Planung und Umsetzung gegeben. Hierbei stehen nicht die thematischen Inhalte der Projekte im Vordergrund, sondern vielmehr das „Wie?“ der Umset‐ zung. Dazu fokussieren die Teilnehmenden die Bedarfe und Bedürfnisse der anvisierten Zielgruppen sowie möglichen Zugangsbarrieren oder sen‐ sible Punkte. Rahmenbedingungen, wie die institutionelle Anbindung und die Kooperationspartner, die räumliche Situation, zeitliche Einheiten, das Material und die Arbeitsweisen, werden im Hinblick auf die Zielgrup‐ pen analysiert. Für die konkrete Umsetzung zeigt die Weiterbildung Mög‐ lichkeiten auf, wie Personen gewonnen werden können und wie eine
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diversitätsbewusste Gruppenumgangskultur etabliert werden kann. Dies gilt auch für das Verhandeln von Regeln und Grenzen für die gemeinsame Arbeit. Zur Professionalisierung der Vermittelnden gehört darüber hinaus die Sensibilisierung für eine diskriminierungssensible und diversitätsbe‐ wusste Sprache und Ansprache von Kindern, Jugendlichen und Erwach‐ senen in der pädagogischen Arbeit (vgl. Leiprecht 2008). Neben der Fähig‐ keit Sprachmuster zu reflektieren wird deutlich, dass die Verwendung ei‐ ner diversitätsbewussten Sprache Übung bedarf. Zur Entwicklung des Be‐ wusstseins dafür, „dass in einer Gruppe die individuellen Sichtweisen der Einzelnen unabhängig von ihrer Kultur sein können, regt die Fortbildung zu einer wertschätzenden, kultursensiblen Umgangs‐ und Gesprächskul‐ tur an“ (Keuchel/Dunz 2015: 191). Die letzte Kursphase dient vornehmlich der Reflexion der Praxispro‐ jekte. Die gewonnenen praktischen Erfahrungen können unmittelbar in die Teilnehmendengruppe der Fortbildung zurückgespiegelt und im kol‐ legialen Austausch gemeinsam reflektiert werden, unter folgenden Frage‐ stellungen: Hat sich die Sicht auf die eigene Arbeit und die eigene Ziel‐ gruppe durch die Fortbildung verändert? Hat es Schwierigkeiten in Bezug auf die Umsetzung des in der Fortbildung konzipierten Projekts gegeben? Welche Erfolge gab es? Und welche Strategien und Maßnahmen haben zu einer erfolgreichen Umsetzung beigetragen? In Bezug auf die eigene Rolle ist von Interesse, ob sich die Teilnehmen‐ den anders wahrgenommen haben und ob sie (sprachliche) Muster oder Verhaltensweisen festgestellt haben, an denen sie weiterhin arbeiten möchten. Während der gesamten Weiterbildung setzen sich die Teilnehmenden immer wieder mit ihrer Rolle als pädagogische Begleiter*innen im Bil‐ dungsprozess auseinander. Ausgangspunkt der Selbsterfahrung ist die Arbeit am Thema Identität. Die eigene Biografie, individuelle Stärken und Lebenswelten, Wünsche und Fiktionen verweisen auf die Mehrdimensio‐ nalität und Individualität von Identitätskonstruktionen und ebnen so den Weg für den Transfer in die pädagogische Arbeit. Durch die bewusst ge‐ wählte spielerische und künstlerisch‐kreative Auseinandersetzung mit Diversität werden Unsicherheiten und Missverständnisse abgebaut und es
„Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“
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werden die Fähigkeiten unterstützt, mit Andersartigkeit und Abweichun‐ gen besser umzugehen sowie Gruppendynamiken besser zu verstehen und zu steuern. Ergänzend zu fachlichen Diskursen findet die praktische Vermittlung von Spielen, Übungen und Methoden statt, die sich in der inklusiven und diversitätsbewussten Kulturellen Bildung bewährt haben. Teilweise stam‐ men diese aus dem interkulturellen Training (vgl. Nohl 2006), teilweise aus der kreativen Gruppenarbeit bzw. aus der performativen Pädagogik. Die angewandten Formen wurden in der Erwachsenenbildung bzw. der kreativen Arbeit mit Kinder‐ und Jugendgruppen vorab schon vielfältig erprobt. Mit zahlreichen Methoden für Gruppenprozesse erhalten die Teil‐ nehmenden so ein Grundgerüst an Instrumenten, die sie in der pädagogi‐ schen Arbeit einsetzen können. Obgleich die Weiterbildung an der inneren Haltung der Vermittelnden ansetzt, wird der Transfer der vorgestellten Inhalte und praktischen Übun‐ gen mitgedacht und diskutiert. So gehört zu jeder thematischen Einheit auch die Auswertung dieser auf der Meta‐Ebene. Die Übungen und Me‐ thoden werden im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit für verschiedene Al‐ tersklassen, Gruppengrößen und Lernkontexte analysiert sowie mögliche Varianten und Veränderungen besprochen. Grenzen und Herausforde‐ rungen für Gruppen sind besonders im Kontext von Diversität sensibel zu behandeln, da negative Erfahrungen zu Widerständen oder zur Verstär‐ kung von Vorurteilen führen können. Durch das partizipative Vorgehen bei der Auswertung auf der Meta‐ Ebene integriert die Weiterbildung ein forschendes Element, das der Pio‐ nierarbeit im Feld der diversitätsbewussten Kulturellen Bildung in beson‐ derer Weise Rechnung trägt.
3.3 Diversitätsbereicherung auf der künstlerischen Ebene Die kreativ‐künstlerischen Ansätze der Weiterbildung stellen in mehrfacher Hinsicht eine Besonderheit der Weiterbildung dar: In produktiv gestalterischen Prozessen werden ästhetische Perspektiv‐ wechsel initiiert, die zur Reflexion der eigenen künstlerischen Systeme und der entsprechenden pädagogischen Vermittlung führen. In der
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Rezeption vielfältiger subkultureller, internationaler oder transkultureller Ausdrucks‐formen wird der Blick auf Künstler*innen, Kulturräume und Kunstwerke geweitet. Beispiele aus verschiedenen Sparten (z. B. afro‐ kosmopolitische Literatur, arabische Klangkombinationen, Dramaturgie und Bildgestaltung des indischen oder nigerianischen Films, Mode und Design etc.) diskutieren die Teilnehmenden im Hinblick auf ihr Irritationspotenzial sowie ihre Bewertung als Kunst; sie setzen sich mit den Rezeptionsgewohnheiten und mit der Macht der Bewertung auseinander. Es wird ein Bewusstsein für Exotismus und auch Zuschreibungen gegenüber Kunstwerken und Künstler*innen bestimmter Länder geschaffen. Dabei wird deutlich, wie häufig Kunst‐, Kulturgüter und ‐praktiken im Kontext eines Euro‐ und Nordamerikazentrismus stehen (vgl. Keuchel 2015: 46ff.). Diese kritische Beleuchtung des individuellen Rezeptionsverhaltens wird einerseits auf die eigene Arbeit und andererseits auf die Bedeutung für institutionelle und strukturelle Kontexte übertragen. Für die Künstler*innen sollen dabei die eigenen, verschiedenen kultu‐ rell‐künstlerischen Hintergründe klarer und die eigenen künstlerischen Regeln bewusster werden. Dadurch werden neue Impulse gesetzt und die Diversität in der eigenen Arbeit künstlerisch‐ästhetisch erfahrbar gemacht. Zum anderen werden als Pionierarbeit der Fortbildung im Rahmen in‐ dividueller Freiräume in einem weiteren Schritt experimentelle Techniken des inter‐ und transkulturellen Trainings in ästhetische und künstlerische Erfahrungsprozesse transformiert. Ausgangspunkt dazu ist die Auseinan‐ dersetzung mit verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen, wie Tanz, Bildende Kunst, Schauspiel, Literatur etc. Bleibt interkulturelles Training meist auf Übungen zum interkulturellen Umgang beschränkt, werden innerhalb dieser Pionierarbeit durch künstlerische Prozesse Erfah‐ rungsräume geschaffen, in denen unterschiedliche Inhalte mit den Mitteln der Kulturellen Bildung erlebbar gemacht bzw. künstlerisch‐ästhetische Gestaltungsprozesse initiiert werden. Ausgangspunkt können Ansätze und Übungen aus sehr unterschiedlichen Bereichen sein – wie etwa dem Anti‐Bias‐Training, der transkulturellen Theaterpädagogik, der Bildenden Kunst oder dem interkulturellen Training –, die in einen stärkenorientier‐ ten und künstlerisch‐ästhetischen Gestaltungsprozess übersetzt werden.
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Durch die Freiheit im Erleben und die gemeinsame Reflexion wird ein Be‐ wusstsein künstlerischer Vielfalt und transkultureller Ausdrucksformen geschaffen, das auch Veränderungen in der eigenen künstlerischen Per‐ spektive und kreativen Arbeit unterstützt. Ebenen
Themenfelder Theorie und Praxis
Persönliche Ebene:
Grundlagen und Dis‐ kurse zu kultureller Diversität
Pädagogische Ebene: Handlungsstrategien
Künstlerische Ebene: Ästhetischer Perspek‐ tivwechsel und Trans‐ formation
Kulturbegriffe (Diskurs und Konzepte) Diversität (und Differenzkategorien) Identitätskonzepte, Lebenswelten Konstruktions‐ und Diskriminierungsmechanismen Reflexion zur kulturellen Bildungsarbeit im Kontext von Diversität im eigenen Umgang, im Umgang mit Ziel‐ gruppen sowie im Umgang mit den Künsten Übungen des inter‐/transkulturellen Trainings subjektorientierte Bildung: Identitätskonstruktionen und individuelle kulturelle Prägungen praxisorientierte Handlungsstrategien: didaktischer Transfer, Methoden und Beispiele Thematisierung außereuropäischer sowie zeitgenössi‐ scher jugend‐ und subkultureller Kunstformen und Äs‐ thetiken, Entwicklung ästhetischer und künstlerischer Diversitäts‐ erfahrungen: Transformation der Techniken des inter‐/transkulturellen Trainings in ästhetische und künstlerisch‐kreative Erfahrungsprozesse verschiedener Kunstsparten
Abb. 2: Themenfelder des Fortbildungskonzepts „DiKuBi“ (Keuchel/ Dunz 2015).
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Erprobungsprozess: Anpassungen und Neuausrichtung des Fortbildungskonzepts
Im Rahmen der Projektförderung wurden für die Entwicklung des Fort‐ bildungskonzepts drei Erprobungen des zuvor konzipierten Curriculums vorgesehen, um im Prozess notwendige Modifikationen aufgrund der Er‐ gebnisse der begleitenden Evaluation vornehmen zu können. Die Evaluation im Rahmen von „DiKuBi“ fand hier sowohl prozessbe‐ gleitend (formativ) als auch zusammenfassend (bilanzierend) statt. So konnte einerseits eine direkte Rückkopplung der Ergebnisse in die Kurs‐ wochen bzw. Erprobungen stattfinden und andererseits eine kontinuierli‐ che Weiterentwicklung des Angebots im Erprobungsverlauf gewährleistet werden. Spezifische Erkenntnisse brachte die Evaluation bereits nach den einzelnen Kurswochen ein, insbesondere zu den Rahmenbedingungen, zur Zufriedenheit mit Dozent*innen, zur inhaltlich‐methodischen Her‐ angehensweise, zur Arbeits‐ und Gruppenatmosphäre, zur Zeitplanung und Strukturierung der Kursinhalte sowie zur Integration, Vorbereitung und Durchführung der Praxisprojekte. Teilweise fanden diese Erkennt‐ nisse bereits in der darauffolgenden Kurswoche ihre Umsetzung, teilweise erst in der nachfolgenden Erprobung (vgl. Öztürk/Reiter/Humt 2016). Zugleich leistete die Evaluation eine systematisch und empirisch ge‐ stützte Erfolgskontrolle des Gesamtprojekts. Das Evaluationsdesign stützte sich dabei auf das Vier‐Ebenen‐Modell von Donald L. Kirkpatrick (vgl. 1994/2006), das zwischen folgenden Ebenen unterscheidet: Reaction: Teilnehmendenzufriedenheit Learning: Lernerfolg, Verarbeitung der Lerninhalte Behavior: Anwendung des Erlernten Results: Gesamtergebnis, Ertrag für die Organisation Die Datenerhebung fand in drei Phasen statt: Input/Kontext, Prozess und Output/Transfer. Es kamen verschiedene Methoden der Datenerhebung zum Einsatz wie Online‐Fragebögen, leitfadengestützte Interviews und Projektsteckbriefe.
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Der Lernerfolg der Teilnehmenden wurde in den jeweiligen Berichten nach einer Erprobung dargestellt, wobei sich der Lernerfolg vornehmlich auf die persönliche wie pädagogische Ebene im Sinne einer veränderten Sichtweise und Haltung – konkret in Bezug auf migrationsbedingte Diver‐ sität – fokussierte. Empirisch war nur schwierig zu erfassen, wie und in welchen Facetten sich die Haltung der Einzelnen verändert hat. Deutlich zeigte sich dagegen ein größeres Verständnis von diversitätsbewusster Kultureller Bildung hinsichtlich der Merkmale der Teilnehmer*innen‐ Orientierung, der didaktischen Kompetenz, des Perspektivwechsels sowie der Selbst‐ und Fremdwahrnehmung (vgl. Öztürk/Reiter/Humt 2016: 4). In der Gesamtbewertung der Fortbildung erwies sich insgesamt eine hohe Zufriedenheit der Teilnehmenden mit den Inhalten, Methoden und den Rahmenbedingungen von „DiKuBi“. Auch die hohe gesellschaftliche Relevanz sowie die Einflussnahme auf die eigene Arbeit wurden von den Teilnehmenden bestätigt. Darüber hinaus gab es Hinweise, das methodi‐ sche Repertoire in allen künstlerischen Disziplinen auszubauen und eine entsprechende Sammlung von Einheiten, Übungen und Methoden anzu‐ legen und entsprechend ihrer Inhalte zu strukturieren. Zudem wünschten sich Teilnehmende die Möglichkeit, die eigene Praxis kontinuierlich, auch über die Fortbildung hinaus, reflektieren zu können. Im Prozess kam es zu personellen Veränderungen, die dazu führten, dass alle drei Fortbildungserprobungen von unterschiedlichen für die je‐ weilige Fortbildung verantwortlichen Dozent*innen begleitet wurden. Durch diese Veränderung zeigte sich sehr deutlich, dass die Ausgestaltung der Themenfelder und auch die Begleitung der Gruppe sehr stark von der Persönlichkeit, dem Stil und der Expertise der jeweilig verantwortlichen Dozent*innen abhängig ist. Mit der Auswahl und der Verknüpfung von Methoden und Inhalten setzten die Dozent*innen besondere Akzente. Zu‐ sätzlich wurden in allen drei Erprobungen unterschiedliche Gastdo‐ zent*innen eingesetzt, die wiederum eigene Schwerpunkte wählten. Letztlich nahm die Zusammensetzung der Teilnehmenden an der Fort‐ bildung ebenfalls Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung. So waren etwa in der zweiten Fortbildungsgruppe sehr viele Teilnehmer*innen aus der Bil‐ denden Kunst vertreten, die sich im Verlauf eine intensivere Arbeit mit
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dieser Kunstsparte wünschten. Im Sinne des Werkstattcharakters wurde diesen Wünschen entsprochen, mit dem Resultat, dass sehr interessante und vertiefende Auseinandersetzungen stattfanden. Auch die Fortbildungsgruppe der dritten Erprobung unterschied sich gemäß dem Antrag von den vorherigen aufgrund ihrer regionalen Aus‐ richtung, hier der Region Sauerland. Auch dies führte zu inhaltlichen Ver‐ änderungen. So nahmen hier sowohl die Vernetzung der Teilnehmenden für das Praxisprojekt als auch die Thematisierung von Strukturen und Be‐ sonderheiten im ländlichen Kontext eine besondere Rolle ein. Für die Evaluation stellte der Wechsel der hauptverantwortlichen Do‐ zent*innen auf der einen Seite eine Herausforderung dar, da die Persön‐ lichkeiten der Dozent*innen in die Bewertung einflossen und so einen direkten Vergleich der Fortbildungsphasen erschwerten. Kontinuierliche Inhalte jedoch, die trotz des Dozentenwechsels gleichermaßen positiv her‐ vorgehoben wurden, konnten auf der anderen Seite als „richtige“ und re‐ levante für die Fortbildung herausgearbeitet werden. Ein weiterer Vorteil der personellen Wechsel ergab sich für die Entwicklung des Modulhand‐ buchs, das auch hier aufgrund der Vielfalt und der gleichzeitigen Prüfung durch die Evaluation besonders ausführlich gestaltet werden konnte. Im Prozess und auch durch die begleitende Evaluation wurde zudem deutlich, dass die Teilnehmenden für die Entwicklung eines Praxisprojekts mehr Unterstützung benötigten. So wurde bereits in der zweiten Erpro‐ bung ein ganzer Tag zur Projektentwicklung und Planung mit Unterstüt‐ zung einer*s Gastdozierenden umgesetzt. Die Durchführung der Pra‐ xisprojekte zwischen der zweiten und der dritten Kursphase gestaltete sich dennoch teils schwierig, da der Zeitraum oft zu kurz war, um etwa För‐ dergelder zu akquirieren, Kooperationspartner oder Teilnehmende zu fin‐ den. Der ursprünglich vorgesehene Ansatz, die Projekte im Rahmen der eigenen Arbeit stattfinden zu lassen, war für viele Teilnehmende schwie‐ rig, da sie sich nur selten in festen oder regelmäßigen Gruppenkontexten bewegten. Gleichwohl tendierten die Teilnehmenden dazu, das Praxispro‐ jekt beizubehalten und lediglich den Zeitraum zwischen den Kursphasen zu verlängern. In der Praxis zeigte sich bei vielen, welche Herausforderungen
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in der tatsächlichen Umsetzung auftauchen können und wie wichtig der kollegiale Austausch darüber in der Gruppe ist.
5
Module und Methodensammlung
Im Verlauf der Erprobungen und durch die Erkenntnisse der Evaluation wurde deutlich, wie sehr sich die Teilnehmenden der Fortbildung Orien‐ tierung im komplexen Themenfeld der diversitätsbewussten Kulturellen Bildung wünschen. In der Konzeptionsphase der Fortbildung und im Durchführungsprozess wurde immer wieder im Team intensiv diskutiert, welche Fragestellungen und welche Perspektiven die Kulturelle Bildung im Diversitätsdiskurs einnehmen kann und was das Besondere an einer diversitätsbewussten Kulturellen Bildung ist. Modul 1
Modul 2
Modul 3
Modul 4
Sensibilisieren für Diversität – Per‐ spektiven M1.1 Begriffe, Dis‐ kurse und Konzepte
Künstlerische Aus‐ drucksformen von Differenz M2.1 Transkulturali‐ tät
Künstlerische Aus‐ einandersetzung mit Diversität M3.1 Bildende Kunst
Praxiserfah‐ rung/Praxisprojekt
M1.2 Differenzkate‐ gorien
M2.2 Empowerment durch künstlerische Mittel M2.3 Kunst außer‐ halb des westlichen Kanons
M3.2 Darstellende Kunst
M4.2 Diversitätsbe‐ wusste pädagogi‐ sche Praxis M4.3 Reflexion
M1.3 Perspektiv‐ wechsel M1.4 Lebenswelten
M3.3 Tanz/Choreo‐ grafie M3.4 Sprache/ Literatur
M4.1 Konzeption diversitätsbewusster Praxisprojekte
Abb. 2: Überblick zur Struktur des Modulhandbuchs Vor diesem Hintergrund wurde ein Modulhandbuch entwickelt, das die Themenblöcke strukturiert und in einen didaktisch‐logischen Aufbau bringt. So wurde ein Basismodul gestaltet, das einen adäquaten Einstieg in
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das Themenfeld der Diversität liefern soll. In diesem Basismodul geht es um eine Auseinandersetzung mit Begriffen und Konzepten der Kulturel‐ len Bildung zur Herstellung eines gemeinsamen Kenntnisstands in der Teilnehmendengruppe. Weiterhin ist die Beschäftigung mit Identitätskon‐ struktionen und sozialen Differenzkategorien (vgl. Huxel 2014) integriert. Impliziert wurden auch die Beschäftigung mit struktureller Diskrimi‐ nierung, Zuschreibungen und Zugangsbarrieren sowie die Auseinander‐ setzung mit verschiedenen Lebenswelten im Sinne von Perspektivwechseln. Das zweite Modul bezieht sich auf künstlerische Ausdrucksformen von Differenz. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit Transkulturalität (Welsch 1992), Empowerment‐Ansätzen (vgl. Herriger 2014) und jugend‐ kulturellen sowie mit Kunstformen außerhalb des westlichen Kanons. Im dritten Modul wird eine Perspektive aus Sicht der künstlerischen Disziplinen eingenommen. Leitfrage dabei ist: Welche Gestaltungsräume eröffnen sich in der jeweiligen Kunst, die ein Erleben von Diversität er‐ möglichen und wie kann dieses Erleben reflektiert und im Gesamtkontext eingeordnet werden? Das vierte Modul bezieht sich auf die Praxisanwendung von diversi‐ tätsbewusster Kultureller Bildung in heterogenen Gruppen. Hier wird eine diversitätsbewusste, diskriminierungssensible und barrierefreie Pro‐ jektkonzeption in den Blick genommen. Weiterhin stehen Themen wie Sprache bzw. Ansprache von Teilnehmenden, Moderationsmethoden, Konfliktbearbeitung, Gruppenumgangskultur sowie Rolle und Haltung der Anleitenden im Fokus. Methodisch werden entweder die Inhalte mit den Mitteln der Kulturel‐ len Bildung bearbeitet, eine Auseinandersetzung über das sinnliche Erle‐ ben und das eigene Gestalten angeregt oder es steht, wie in Modul drei und teils auch in zwei, der künstlerische Prozess mit seiner Qualität, als Reflexionsfläche für innere Haltungen zu stehen, im Vordergrund. Auf Grundlage dieser Struktur wurden die Methoden, Übungen und Einheiten aus den drei Erprobungen der Fortbildung gesammelt. Diese wurden so aufbereitet, dass Dozent*innen oder Trainer*innen sie sich an‐ eignen und durchführen können. Zu der Aufbereitung gehört auch, die
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Auswertungs‐ und Reflexionsebene einzubeziehen sowie Hinweise zur Verknüpfung mit anderen Themenkomplexen zu geben. Da mit „DiKuBi“ Pionierarbeit geleistet wurde und die Akademie der Kulturellen Bildung den Bereich diversitätsbewusste Kulturelle Bildung auch weiterhin als Entwicklungsfeld betrachtet, ist diese Sammlung als dynamische Zusammenstellung in Form einer „DiKuBi“‐Kartei konzipiert worden, die in den nächsten Jahren stetig wachsen, konstant überarbeitet und weitergeführt werden soll. Perspektivisch soll ein Pool an Einheiten entstehen, den sich Trainer*innen und Dozent*innen entsprechend ihrer eigenen Zugänge nutzbar machen können.
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Ausblick – Zur Verstetigung des Fortbildungskonzepts „Dikubi“
Im Rahmen der Entwicklung und Evaluierung des Fortbildungskonzepts wurde deutlich, dass es kaum Methoden, didaktische Grundlagen und auch Dozent*innen und Trainer*innen gibt, die an der Schnittstelle von Kultureller Bildung und Diversität arbeiten. Es musste daher innerhalb der Fortbildungserprobung viel inhaltliche Pionierarbeit geleistet werden. So wurden letztlich in der „DiKuBi“‐Fortbildungskonzeption nicht nur be‐ stehende Grundlagen und Methoden der kulturellen Bildungspraxis in ein didaktisches Konzept integriert, sondern auch erstmals Kenntnisse und Methoden innerhalb der Fortbildungskonzeption mit den Teilnehmer*in‐ nen generiert. Dabei wurde auch deutlich, dass es einen großen Bedarf gibt, diese Kenntnisse und Methoden weiter auszubauen. Dies spiegelten sowohl die Befragungen der Teilnehmenden aller drei Fortbildungserpro‐ bungen wider als auch die der begleitenden Expertengruppen und die Ge‐ spräche mit Vertreter*innen von Kommunen, die parallel zur Entwicklung von „DiKuBi“ stattfanden. Daher werden neben der Übernahme des Fort‐ bildungskonzepts „DiKuBi“ in das bestehende Akademieprogramm paral‐ lel weitere Implementierungen des Ansatzes „DiKuBi“ in Gestalt neuer For‐ mate erprobt.
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6.1 Netzwerk und Trainer*innen‐Ausbildung Wie vorausgehend dargestellt, zeigte sich in den Erprobungen vonseiten der Teilnehmenden sehr stark der Bedarf an einer weiterführenden konti‐ nuierlichen Reflexion der eigenen Haltung sowie an kollegialer Beratung zu Erfahrungen aus der Praxis. Zugleich wurde der Wunsch formuliert, die spezifische kulturelle Bildungsperspektive auf Diversität systematisch im Kontext von Fortbildungsmodulen weiterzuentwickeln. Daher gründete die Akademie der Kulturellen Bildung, unterstützt durch die Förderung des Landes Nordrhein‐Westfalen, das Netzwerk „Diversitätsbewusste Kulturelle Bildung“ für eine Fortführung und Un‐ termauerung der Arbeitsergebnisse. Ziel des Netzwerks ist es, über ein jährlich stattfindendes Netzwerktreffen an der Akademie der Kulturellen Bildung eine Anlaufstelle für die Absolvent*innen der Fortbildung zu schaffen, um kontinuierlich an dem Thema weiterzuarbeiten. Darüber hinaus können sich Absolvent*innen der Fortbildung bewer‐ ben, an einer fünftägigen Trainer*innen‐Ausbildung für „Diversitätsbe‐ wusste Kulturelle Bildung“ teilzunehmen, die sie ermächtigt, speziell in‐ nerhalb der Schnittstelle Kulturelle Bildung und Diversität selbstständige Fortbildungsangebote in der Erwachsenenbildung durchzuführen.
6.2 Entwicklung neuer Fortbildungsformate Nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Fluchtsituation seit dem Jahr 2015 haben unterschiedliche Vertreter*innen von Institutionen und Kommunen schon während der Erprobung des Fortbildungskonzepts „DiKuBi“ deutli‐ ches Interesse signalisiert, dieses für ihre personellen Ressourcen zu nutzen. Entsprechend entwickelte die Akademie der Kulturellen Bildung gemein‐ sam mit der Stadt Mülheim an der Ruhr die Adaption des Fortbildungs‐ konzepts „DiKuBi“ für kulturelle Institutionen und verschiedene Berufs‐ gruppen der Kulturellen Bildung in Form eines Pilotvorhabens. Im Rahmen der Pilotentwicklung wurde das dreiwöchige Kurspro‐ gramm sowohl auf die Rahmenbedingungen der Kommune als auch auf die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst. So entstand ein Fortbil‐ dungsformat, in dem drei zweitägige Kurstage angeboten wurden und
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zwischen der zweiten und der dritten Kurswoche ein gemeinsames Pra‐ xisprojekt von den Teilnehmenden in einer städtischen Einrichtung durch‐ geführt wurde. Die Inhalte der Fortbildung orientierten sich am Basismodul, wurden jedoch an Situationen aus dem Arbeitsalltag der Teilnehmenden und ihrer jeweiligen Erfahrungen im Feld der Kulturellen Bildung und der Reflexion ihrer Praxis adaptiert. Entsprechend wurden Übungen und Arbeitshilfen ebenfalls auf den jeweiligen Arbeitskontext abgestimmt, sodass die Teil‐ nehmenden konkrete Hilfsmittel an die Hand bekamen. Die Kombination aus der Arbeit an der eigenen Haltung und konkreten Hilfestellungen wurde innerhalb der Piloterprobungen als sehr positiv von den Teilneh‐ menden bewertet.
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Fazit – Zu den Chancen einer diversitätsbewussten kulturellen Bildungspraxis
Innerhalb der Erprobung des Fortbildungskonzepts wurde im Rahmen des begleitenden Diskurses sehr deutlich, welches Potenzial speziell an der Schnittstelle von Diversität und Kultureller Bildung liegt. Dieses kann sowohl für die kulturelle Bildungspraxis im Speziellen positiv entfaltet werden als auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt allgemein. Bezogen auf die kulturelle Bildungspraxis wurde in den Gesprächen mit den Teilnehmenden, aber auch innerhalb der begleitenden fachlichen Dis‐ kurse deutlich, dass bei dem Komplexitätsgrad der gesellschaftlichen Her‐ ausforderungen bzw. den Anforderungen, die heterogene Gruppen an das Fachpersonal stellen, alleiniges kulturpädagogisches Fachwissen nicht mehr ausreicht. Bei der Pluralität der Lebenswelten, die heute in Bildungs‐ kontexten aufeinandertreffen, ist das Fachpersonal bezogen auf die viel‐ fältigen kulturellen Hintergründe und Lebenswelten junger Menschen in der Entwicklung lebensweltorientierter Vermittlungsansätze vielfach überfordert. Es bedarf hierzu einer Haltung, Irritationen aushalten, erste Eindrücke und schnelle Urteile reflektieren und Konfliktsituationen er‐ gründen zu können, ohne vorschnelle Kulturalisierungen vorzunehmen.
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Dies gilt besonders für die zunehmende Heterogenität von Werten in unserer Gesellschaft. Nicht zuletzt die Zusammenarbeit mit Geflüchteten aus Ländern mit anderen politischen und teils auch religiösen Haltungen oder die Arbeit mit rechtspopulistischen Jugendlichen erfordert eine zu‐ nehmende Auseinandersetzung der Kulturellen Bildung mit Werten. Im Sinne des humanistischen Bildungsideals, das eng verbunden ist mit „für den Humanismus zentralen Ideen, wie die der Menschenwürde, ‐freiheit und ‐perfektibilität“ (Assis/Chen 2009/2015: 118), liegt ein Wertekonsens mit dem der Menschenrechtskonvention nahe. Auch hier gilt es, kulturelle Bildungsakteure im Umgang mit heterogenen Zielgruppen mit unter‐ schiedlichen Wertvorstellungen zu stärken und entsprechende Orientie‐ rungsrichtlinien für die Praxis zu entwickeln. Ein wesentlicher Vorteil der diversitätsbewussten Kulturellen Bildung liegt hier im Vergleich zu anderen Fortbildungskonzepten, beispielsweise aus der Wirtschaft oder Entwicklungshilfe, darin, dass neue ressourcen‐ und stärkenorientierte Perspektiven auf das manchmal „anstrengende“, weil sehr komplexe und herausfordernde Themenfeld der Diversität ge‐ schaffen werden. Viele Ansätze im Feld machen eher defizitorientiert be‐ stehende Vorurteile der Teilnehmenden sichtbar. Auch verpflichten sich bestehende Fortbildungskonzepte aus anderen Handlungsfeldern oftmals einem einzigen theoretischen Ansatz, wie dem der Interkulturalität oder dem der Transkulturalität. Die Multiperspektivität der Künste – die nicht differenzieren zwischen „richtig“ oder „falsch“, sondern verschiedene Perspektiven auf Phänomene eröffnen – bietet nicht nur Freiräume, sich selbst bezogen auf verschiedene Theoriekonzepte zu positionieren, son‐ dern zugleich interessante alternative Ansätze, Diversität als positive – und nicht negative – Ressource erfahrbar zu machen. Zusätzlich eröffnet die Kulturelle Bildung die Möglichkeit, dies nicht nur auf der kognitiven Ebene, sondern auch ästhetisch zu erleben. Im Sinne einer Persönlichkeits‐ entwicklung wird direkt an der Haltung des*r Einzelnen angesetzt und Raum gelassen für die spielerische Gestaltung einer eigenen Positionie‐ rung. Damit werden Chancen eröffnet, mit Diversität spielerisch gestal‐ tend und eigenverantwortlich umzugehen und so als positive individuelle und im besten Fall gesellschaftliche Bereicherung zu erleben. Dadurch
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kann gesellschaftlicher Zusammenhalt gestärkt werden (vgl. Keuchel 2017).
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Verzeichnis der Autor*innen Bogerts, Teresa, M. A., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich 1 Bildungswissenschaften an der Universität Koblenz‐Landau, Campus Koblenz in den Forschungsprojekten „Kunst_Rhein_Main“ (BMBF, 2014 bis 2017). Sie arbeitet außerdem mit an dem Projekt „Jedem Kind seine Kunst“ (MWWK Rheinland‐Pfalz), unter der Leitung von Prof. Dr. Kristin Westphal, und ist Mitglied des Instituts für performative Lern‐ und Ver‐ mittlungsforschung (IPLV). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten zählen: Äs‐ thetik und Bildung, Kulturelle Bildung, qualitative Bildungsforschung, zeitgenössische Kunst‐ und Theaterwissenschaft, insbesondere Interven‐ tions‐ und Performancekunst. Dartsch, Michael, Prof. Dr. paed., Diplom‐Pädagoge, ist Professor für Mu‐ sikpädagogik an der Hochschule für Musik Saar. Seine Arbeitsschwer‐ punkte sind: Elementare Musikpädagogik, Musiklernen, Musikalische Bil‐ dung und Instrumentaldidaktik. Er hat zahlreiche Publikationen veröf‐ fentlicht und ist Träger des; Landespreises Hochschullehre. Darüber hin‐ aus gibt er Konzerte und produziert Aufnahmen als Geiger. Eickelberg, Rose, studierte Klassisches Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Tanz Köln und Elementare Musikpädagogik an der Hoch‐ schule für Künste Bremen. Seit 2002 ist sie Schlagzeugerin bei den Bremer Philharmonikern. An der Hochschule für Künste Bremen arbeitet sie dar‐ über hinaus als künstlerische Mitarbeiterin.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 S. Keuchel und B. Werker (Hrsg.), Künstlerisch-pädagogische Weiterbildungen für Kunst- und Kulturschaffende, https://doi.org/10.1007/978-3-658-20711-3
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Verzeichnis der Autor*innen
Godau, Marc, Prof. Dr., ist Professor für Musikpädagogik und ihre Didak‐ tik an der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam sowie Wissenschaft‐ licher Mitarbeiter an der Universität Erfurt. Er ist Mitgründer der Forschungsstelle Appmusik an der Universität der Künste Berlin und des Kulturangebots app2music e. V. Schwerpunkte seiner Forschung sind technologievermitteltes Musiklernen in informellen und formalen Kontex‐ ten, Materialität musikpädagogischer Praxis, Professionalisierung und hochschulische Innovationen. Jas, Mona, Prof. Dr., Professorin, Künstlerin, leitet die (Ver‐)Mittlung der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst. Zuvor war sie Programmlei‐ terin für den „Kompetenzkurs Kultur‐Bildung‐Kooperation“ in der Deut‐ schen Kinder‐ und Jugendstiftung (DKJS). Sie verbindet ihre künstlerische Arbeit mit Lehre, Forschung und Qualifizierung im Bereich der Kunstver‐ mittlung. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die (Ver‐)Mittlung mit künstleri‐ schen Verfahren. Sie ist Honorarprofessorin der Weißensee Kunsthoch‐ schule Berlin. Josties, Elke, Prof. Dr., Erziehungswissenschaftlerin, ist seit 2003 Profes‐ sorin für Theorie und Praxis Sozialer Kulturarbeit (Schwerpunkt Musik) an der Alice Salomon Hochschule (ASH). Sie hat außerdem die wissen‐ schaftliche Leitung des Weiterbildungskonzepts ARTPAED inne. Zu ihren Forschungsgebieten zählen u. a. Jugendkulturarbeit, Musik in der Sozialen Kulturarbeit und Community Music. Keuchel, Susanne, Prof. Dr., ist promovierte Musikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW sowie Vorsitzende des Instituts für Bildung und Kultur. Sie ist zudem Honorarprofessorin am Institut für Kulturpolitik der Universi‐ tät Hildesheim sowie Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstel‐ lende Kunst in Hamburg.
Verzeichnis der Autor*innen
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Knoke, Andreas, Diplom‐Pädagoge, ist Leiter der Programmabteilung der Deutschen Kinder‐ und Jugendstiftung (DKJS). Zuvor war er dort verant‐ wortlich für den Themenbereich „Kita und Schule gestalten“ und Leiter mehrerer Stiftungsprogramme. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Frühe Bildung, Schulentwicklung und Steuerung im Bildungssystem. Krebs, Matthias, ist Diplom‐Musik‐ und Medienpädagoge, Physiker und Opernsänger. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Univer‐ sität der Künste (UdK) Berlin und leitet dort die Forschungsstelle Appmu‐ sik (Institut für digitale Musiktechnologien in Forschung und Praxis) so‐ wie das Lehrforschungsprojekt DigiMediaL – Profilbildung für Musik, Schauspiel und Bühne. Seit 2009 beschäftigt er sich mit der systematischen Erfassung von Formen musikalischer Praxis mit digitalen Musiktechnolo‐ gien, insbesondere mit dem Phänomen Appmusik sowie den daraus resul‐ tierenden pädagogischen Implikationen. Aktuell forscht Krebs im Ver‐ bundprojekt MuBiTec zu Fragestellungen ästhetischer Erfahrungsmöglich‐ keiten und der Kompetenzentwicklung in appmusikalischen (Bildungs‐) Kontexten. Kußmaul, Marion, ist akademische Mitarbeiterin an der Universität Pots‐ dam der Humanwissenschaftlichen Fakultät/Departement Lehrerbildung – Studienbereich Ästhetische Bildung – Kunst. Sie ist maßgeblich für die wissenschaftliche Entwicklung und Inhaltssetzung des Forschungspro‐ jekts „aesth paideia“ verantwortlich. Ludwig, Joachim, Prof. Dr. phil. habil., Erziehungswissenschaftler, ist Pro‐ fessor für Erwachsenenbildung/Weiterbildung und Medienpädagogik an der Universität Potsdam. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen: Bil‐ dungsprozess‐ und pädagogische Lernforschung, ästhetische Bildung und professionelles pädagogisches Handeln mit dem Schwerpunkt Beratung.
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Verzeichnis der Autor*innen
Menrath, Stefanie Kiwi, Dr. des., Ethnologin, Kulturvermittlerin, war 2014 bis 2017 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Alice Salomon Hoch‐ schule (ASH) Berlin im Projekt ARTPAED. Sie betreibt Forschung zu Ju‐ gendkulturen und Popmusik, Kultureller Bildung, Diversity und Trans‐ kulturalität sowie Künstlerischer Praxis/Forschung. Rolle, Christian, Prof. Dr. phil., ist Professor für Musikpädagogik an der Universität zu Köln. Außerdem hat der den Vorsitz beim Bundesverband Musikunterricht Saar inne und ist Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Musikpädagogische Forschung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: kompa‐ rative Musikpädagogik, musikalisches Urteilsvermögen, Musikpraxis mit digitaler Technologie. Rousseau, Nadine, arbeitet an der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW zum Schwerpunktthema Diversität in der Entwicklung und Begleitung innovativer Fortbildungsformate. Als Kulturwissenschaftlerin im Kontext von Interkulturalität arbeitete sie bis‐ her in der Begleitung gesellschaftlicher Transformationsprozesse und in‐ terkultureller, künstlerischer Begegnungen. Schuh, Ricarda, studierte Erziehungswissenschaften und Theaterwissen‐ schaften/kulturelle Kommunikation. Seit 2006 ist sie Dozentin an der Stif‐ tung SPI mit dem Schwerpunkt Spiel‐ und Theaterpädagogik an der Fachschule für Erzieher*innen sowie seit 2012 Kursleitung der Theater‐ pädagogischen Qualifikation/Spielleitung (BuT). Von 2014 bis 2017 war sie Leiterin des Teilprojekts Stiftung SPI „Kinder_Kunst_Räume“ – Wei‐ terbildung für Bildende Künstler*innen zur künstlerischen Bildungsarbeit in der Kita, am Übergang Kita – Grundschule und im Hort der Grund‐ schule (BMBF). Als freischaffende Künstlerin arbeitet sie außerdem in den Bereichen Tanztheater und Performance in interdisziplinären Kunst‐ und Kunstvermittlungsprojekten mit Jugendlichen und Erwachsenen.
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Stiller, Barbara, Prof. Dr., studierte Elementare Musikpädagogik und Vio‐ line für Diplommusiklehrer*innen an der Hochschule für Musik in Ham‐ burg sowie Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 2002 ist sie Professorin für Elementare Musikpädagogik und Instrumentalpäda‐ gogik an der Hochschule für Künste in Bremen. In ihren Forschungsarbei‐ ten beschäftigt sie sich mit Fragen zur Qualitätsentwicklung an den Schnittstellen von Musikpädagogik, Kultureller Bildung und Musikver‐ mittlung. Tasch, Markus, Diplom‐Pädagoge, war von 2013 bis 2017 Wissenschaftli‐ cher Mitarbeiter an der Professur für Erwachsenenbildung/Universität Potsdam. In dieser Zeit begleitete er als Koordinator das Projekt „d.art“. Seit Juli 2017 arbeitet er als Personalentwickler für den Internationalen Bund (IB) e. V. in Schwerin. Utech, Henry war im Projekt „d.art“ Dozent und Lernbegleiter. Von 2013 bis 2017 war er Mitarbeiter an der Professur für Erwachsenenbildung/Uni‐ versität Potsdam (u. a. im BMBF‐Projekt „transform“). Er arbeitet freibe‐ ruflich an der Konzeption und Begleitung pädagogischer Weiterbildungen für Projekte der Kulturellen Bildung. Werker, Bünyamin, Dr. phil., ist Studienleiter der Akademie der Kulturel‐ len Bildung des Bundes und des Landes NRW in Remscheid. Der promo‐ vierte Erziehungswissenschaftler war mehrere Jahre als Wissenschaftli‐ cher Mitarbeiter am Deutschen Jugendinstitut sowie am Lehrstuhl Allge‐ meine Erziehungswissenschaft und Historische Bildungsforschung der Technischen Universität (TU) Dortmund tätig. Dort lehrte und forschte er zu Angeboten, Formaten und Förderung der Kulturellen Jugendbildung in NRW sowie zu Ästhetischer und Kultureller Bildung, Jugendkultur und Erinnerungskultur. Durch eigenes künstlerisches Schaffen bringt Werker langjährige Praxiserfahrung direkt an der Basis der Jugendkulturarbeit mit.
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Werschnitzke, Kristin, Pädagogin, war von 2014 bis 2017 Projektkoordi‐ natorin bei WeTeK gGmbH im Projekt ARTPAED. Sie ist Dozentin an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie Wissenschaftliche Mitar‐ beiterin der Humboldt Universität zu Berlin im Projekt PiCarDi. Westphal, Kristin, Prof. Dr. phil. habil., ist Professorin an der Universität Koblenz‐Landau, Campus Koblenz Fachbereich 1 Bildungswissenschaften IfGP. Sie hat die wissenschaftliche Leitung des Zentrums für zeitgenössi‐ sches Theater und Performancekunst im Studiengang Darstellendes Spiel inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Pädagogische Anthropologie und Phänomenologie; Ästhetik und Bildung, Erziehen und Bilden in der Kind‐ heit. Forschungsarbeiten im Bereich der Kulturellen Bildung hat sie u. a. zu „Kunst_Rhein_Main“ (BMBF 2014‐2017) sowie „Generation K: Kultur trifft Schule“ (MWWK Rheinland‐Pfalz/Stiftung Mercator 2017‐2019) vor‐ gelegt. Sie ist außerdem Mitherausgeberin der Reihe „Räume der Pädago‐ gik“ des Beltz‐Juventa‐Verlags sowie der Reihe „Theater. Tanz. Perfor‐ mance“ des Athena‐Verlags.