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Carsten Reinemann · Angela Nienierza Nayla Fawzi · Claudia Riesmeyer Katharina Neumann
Jugend – Medien – Extremismus Wo Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen und wie sie ihn erkennen
Jugend – Medien – Extremismus
Carsten Reinemann · Angela Nienierza Nayla Fawzi · Claudia Riesmeyer Katharina Neumann
Jugend – Medien – Extremismus Wo Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen und wie sie ihn erkennen
Carsten Reinemann Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Claudia Riesmeyer Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Angela Nienierza Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Katharina Neumann Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Nayla Fawzi Ludwig-Maximilians-Universität München München, Deutschland
Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://www.springer.com/978-3-658-23728-8 ISBN 978-3-658-23728-8 ISBN 978-3-658-23729-5 https://doi.org/10.1007/978-3-658-23729-5
(eBook)
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Verantwortlich im Verlag: Barbara Emig-Roller Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Inhalt Inhalt Inhalt
1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Forschungsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Struktur der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Projektgeber und Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten . . . . . . . . 9 2.1 Politischer Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.2 Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.3 Extremismus im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.3.1 Ziele und Strategien extremistischer Akteure im Internet . . . . 20 2.3.2 Umfang extremistischer Inhalte im Internet . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3.3 Kontakt mit extremistischen Inhalten im Internet . . . . . . . . . . 32 2.3.4 Wirkungen extremistischer Inhalte im Internet . . . . . . . . . . . . 33 2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.4.1 Angebotsorientierte Strategien: Regulierung, Löschung, Sperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.4.2 Rezipientenorientierte Strategien: Politik- und Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4.2.1 Politikkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.4.2.2 Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.4.2.3 Die Rolle der Sozialisationsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . 48 2.4.3 Kombinierte Strategien: Gegenrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 2.5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
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Inhalt
3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts . . . . . 3.1 Theoretisches Modell und Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Anlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Umgang mit forschungsethischen Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Teilstudie I: Wie häufig, wo und warum kommen Jugendliche mit Extremismus in Kontakt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.1 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.2 Untersuchungsanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.3 Operationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.3.1 Extremismusbezogene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 4.3.2 Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4.3.3 Individuelle und soziale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick . . . . . . . . . . 77 4.4.1 Individuelle und soziale Merkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.4.2 Genereller Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 4.4.2.1 Kontakt mit verschiedenen Typen von Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.4.2.2 Kontaktpunkte mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.4.3 Letzter medialer Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . 91 4.4.4 Einflussfaktoren auf den generellen Kontakt mit Extremismus (multivariate Analyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4.4.5 Extremismusbezogene Kompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4.4.5.1 Extremismusbezogene Politikkompetenz . . . . . . . . . . 101 4.4.5.2 Extremismusbezogene Medienkompetenz . . . . . . . . . 105 4.4.5.3 Einflussfaktoren auf die extremismusbezogene Medienkompetenz (multivariate Analyse) . . . . . . . . . 106 4.5 Ergebnisse II: Vier Typen des medialen Kontakts mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.5.1 Kontakt mit Extremismus im Vergleich der vier Typen von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.5.1.1 Medialer Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.5.1.2 Letzter medialer Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . 112 4.5.1.3 Nicht-medialer Kontakt mit Extremismus . . . . . . . . . 114 4.5.2 Individuelle und soziale Merkmale der vier Typen von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4.5.2.1 Soziodemographie, soziale Deprivation und Diskriminierungserfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
Inhalt
4.5.2.2 Mediennutzung und allgemeine Medienkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.3 Allgemeine Politikkompetenz und Gespräche über Politik und Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.4 Politische Selbstverortung, Politikverdrossenheit und Institutionenvertrauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.5 Ungleichwertigkeitsvorstellungen, Autoritarismus und Gewaltakzeptanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3 Extremismusbezogene Kompetenzen der vier Typen von Jugendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3.1 Extremismusbezogene Politikkompetenz . . . . . . . . . . 4.5.3.2 Extremismusbezogene Medienkompetenz . . . . . . . . . 4.5.4 Einflussfaktoren auf die Zugehörigkeit zu den vier Typen (multivariate Analyse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Teilstudie II: Wie und warum unterscheiden sich Jugendliche in ihrer Kompetenz, extremistische Online-Inhalte zu erkennen? . . . . . . 5.1 Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Anlage der Teilstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Leitfadenkonstruktion und Primäraufgaben . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Sample und Rekrutierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Durchführung und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Einflüsse der Merkmale der Jugendlichen auf die Wahrnehmung der Online-Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.1 Kontakttyp 1: „Die Unbedarften“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.2 Kontakttyp 2: „Die Informierten“ . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.3 Kontakttyp 3: „Die Reflektierten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1.4 Kontakttyp 4: „Die Gefährdeten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Einflüsse inhaltlicher Merkmale auf die Wahrnehmung der Online-Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.1 Online-Inhalt 1: Kommentar Rechtsextremismus „Deutschland“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.2 Online-Inhalt 2: Kommentar religiöser Extremismus „Leid der Muslime“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.3 Online-Inhalt 3: Post Rechtsextremismus „Kinderlachen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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119 123 125 130 134 134 139 141 145 149 149 150 150 154 155 157 158 158 161 165 168 172 172 174 175 VII
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Inhalt
5.3.2.4 Online-Inhalt 4: Post religiös begründeter Extremismus „Winterhilfe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.5 Online-Inhalt 5: Meme Rechtsextremismus „Flucht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2.6 Online-Inhalt 6: Meme religiöser Extremismus „Ausbeutung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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6 Teilstudie III: Wie gut und woran erkennen Jugendliche potentiell extremistische Online-Inhalte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Erkenntnisinteresse und Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Anlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Variation des Online-Inhalts (unabhängige Variablen) . . . . . 6.2.2 Messung der Wahrnehmung des Online-Inhalts (abhängige Variablen I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Messung der Wirkungen des Online-Inhalts (abhängige Variablen II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Messung möglicher individueller Rezipientenmerkmale (Moderatoren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.5 Rekrutierung und Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.6 Charakteristika der Stichprobe und Prüfung der Randomisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Die Unterschiede der Memes (Manipulation Check) . . . . . . 6.3.2 Wahrnehmung des Memes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Wirkung des Memes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Wirkung der Wahrnehmung des Memes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7 Zusammenfassung, Einschränkungen und Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Einschränkungen und Anregungen für künftige Forschung . . . . . . 7.3 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
217 217 226 229
185 185 188 189 194 195 197 198
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251
Einleitung 1 Einleitung
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1.1 Problemstellung 1.1 Problemstellung
Rechtsextreme Hass-Botschaften bei Facebook, dschihadistische Propaganda-Videos bei YouTube, Legitimierung von Gewalt auf linksextremem Internetseiten. Online-Medien bieten ihren Nutzern sowohl Anonymität, als auch die Möglichkeit, Nachrichten rasch, zielgruppengenau, wenn nötig persönlich oder viral zu verbreiten. Dies macht sie für extremistische Gruppierungen zu einem optimalen Ort, um ihre Botschaften und Weltanschauungen zu verbreiten, Menschen zu radikalisieren oder gar zu rekrutieren (z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger, Frischlich & Bente, 2017). Die wichtigste Zielgruppe extremistischer Radikalisierungs- und Rekrutierungsaktivitäten sind Jugendliche, deren Identität und politische Einstellungen sich noch in der Entwicklung befinden, die angesichts vielfältiger Entwicklungsaufgaben Identitätskrisen durchleben, und die für Einflüsse von Gruppenbindungen und charismatischen Führern besonders anfällig sind (z. B. Dienstbühl & Weber, 2014; Glaser & Schneider, 2012; zum Unterschied von Radikalisierung und Rekrutierung: Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017, S. 34–35). Auch Medieneinflüsse spielen hier eine wichtige Rolle, wobei dem Internet und mobilen Endgeräten heute eine besondere Bedeutung zukommt. Verschiedene Studien zum Medienumgang Jugendlicher zeigen, dass das Internet in dieser Altersgruppe das mit Abstand am häufigsten genutzte Medium ist, auch wenn für aktuelle Nachrichten über Deutschland und die Welt die Bedeutung traditioneller Medien und hier insbesondere die des Fernsehens nach wie vor hoch ist (z. B. Knop, Hefner, Schmitt & Vorderer, 2015; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest [mpfs], 2016). Vor allem soziale Netzwerke wie YouTube und Facebook sowie Messenger- bzw. Fotodienste wie WhatsApp, Instagram und Snapchat werden intensiv genutzt. Dabei nimmt die Beliebtheit von Facebook zwischen 12 und 19 Jahren zu, während die Beliebtheit von YouTube in den älteren Gruppen eher abnimmt (mpfs, 2016). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Reinemann et al., Jugend – Medien – Extremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23729-5_1
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1 Einleitung
Die Tatsache, dass Jugendliche mittlerweile „always on“ sind, machen sich extremistische Gruppierungen unterschiedlichster Couleur zunutze und versuchen, die Jugendlichen mit zielgruppenspezifischen Kommunikationsstrategien anzusprechen (z. B. Beyersdörfer, Ipsen, Eisentraut, Wörner-Shappert & Jellonnek, 2017; Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017). Dabei kann man davon ausgehen, dass sich verschiedene Formen von Extremismus (z. B. Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus) zwar in ideologischer Hinsicht in vielen Punkten unterscheiden, ihnen aber bestimmte Merkmale gemein sind. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist, dass sich alle politischen Extremismen gegen die Werte und Prinzipien der offenen Gesellschaft und des demokratischen Verfassungsstaats richten (z. B. Pfahl-Traughber, 2014a, S. 164). Zu diesen Werten und Prinzipien zählen beispielsweise die Vorstellung von der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, der Schutz von Minderheiten, Rechtsstaatlichkeit, Volkssouveränität und die Idee der friedlichen Regelung gesellschaftlicher Konflikte mit den Mitteln des Mehrheitsentscheids und der Kompromissfindung. Je nach ideologischer Grundausrichtung lassen sich dennoch verschiedene Extremismusformen unterscheiden. Im Netz sind rechts- und linksextremistische Gruppierungen ebenso aktiv wie islamistische bzw. dschihadistische Bewegungen. Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamophobie sind nur einige Beispiele der Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die sich in extremistischen Online-Inhalten manifestieren. Hinzu kommen die Ablehnung und der Kampf gegen die Verfahrensweisen und Institutionen der freiheitlichen Demokratie sowie in der Regel auch die Elemente der Befürwortung, Akzeptanz oder Forderung nach Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele (z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017). Im Kontext der Bemühungen extremistischer Akteure, Jugendliche im Netz zu erreichen, zeigt sich häufig eine Vermischung extremistischer Inhalte mit Elementen der Jugendkultur, die medienwirksam aufbereitet werden (z. B. Beyersdörfer et al., 2017). Diese Adaption birgt neben der gesteigerten Attraktivität für Jugendliche noch ein weiteres Risiko: Extremistische Inhalte sind oftmals nicht mehr auf Basis formaler Elemente eindeutig als solche erkennbar, was die schleichende Ausbreitung extremistischer Positionen im Netz, den Aufbau eines Netzwerkes aus radikalisierten Sympathisanten sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder ebenfalls begünstigen kann. Dabei gehen Extremisten durchaus professionell vor: Sie analysieren FacebookProfile, um Jugendliche zu identifizieren, die für die jeweilige Ideologie offen sein könnten, um sie im Anschluss gezielt zu kontaktieren und für die Szene anwerben zu können (z. B. Beyersdörfer et al., 2017; Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017). Grund genug für die Wissenschaft, sich damit zu beschäftigen, wie Extremisten Jugendliche erreichen und welche Folgen dies hat.
1.2 Forschungsdefizite
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1.2 Forschungsdefizite 1.2 Forschungsdefizite
Neben Politik und Sicherheitsbehörden, Institutionen der Extremismusprävention und der Medienpädagogik beschäftigen sich auch die Sozialwissenschaften zunehmend mit den Aktivitäten extremistischer Gruppierungen im Internet sowie den Möglichkeiten, diesen entgegen zu wirken (im Überblick z. B. Briggs & Feve, 2013; Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017; Silverman, Stewart, Christopher J., Amanullah, Zahed & Birdwell, 2016). Allerdings wird beklagt, dass es noch immer zahlreiche Wissenslücken gibt, die es erschweren, die relevanten Prozesse und Phänomene fundiert zu beschreiben und zu erklären. Die vorliegende Studie fokussiert auf fünf Defiziten, die aus Sicht der Kommunikationswissenschaft besonders relevant sind und die verhindern, dass das Potential kommunikationswissenschaftlicher Konzepte für die Präventionsarbeit voll ausgeschöpft wird. Diese Defizite bilden den Ausgangspunkt des Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse in diesem Bericht dokumentiert werden. Vor dem Hintergrund dieser Defizite war es die Grundidee des Projekts, zu einem tiefer gehenden Verständnis davon beizutragen, wo und wie Jugendliche mit extremistischen Botschaften in Kontakt kommen, wie sie diese wahrnehmen, bewerten und auf sie reagieren, um so einen Beitrag zur Weiterentwicklung von Präventionsmaßnahmen zu leisten.
Forschungsdefizit 1: Die Intensität des Kontakts mit Extremismus Ein erstes wichtiges Forschungsdefizit ist, dass bislang kaum umfassende Erkenntnisse dazu vorliegen, wie häufig Jugendliche in Deutschland überhaupt mit extremistischen Botschaften konfrontiert werden und welche Typen von Extremismus dabei eine Rolle spielen. Die bisherige Forschung hierzu hat sich vor allem auf Hasskommentare konzentriert und dazu einige, aber nicht allzu differenzierte Befunde vorgelegt (z. B. Hawdon, Oksanen & Räsänen, 2015; Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen [LfM], 2017). Doch nur, wenn wir mehr über die Intensität des Kontakts wissen, lässt sich die Bedeutsamkeit des Themas Online-Extremismus für die Gesamtheit der Jugendlichen richtig einschätzen. Die Häufigkeit des Kontakts jugendlicher mit extremistischen Botschaften zu untersuchen, ist deshalb ein wichtiges erstes Anliegen dieser Studie.
Forschungsdefizit 2: Die Bedeutung verschiedener Kommunikationskanäle Ähnliches gilt für die Frage nach den Wegen, auf denen Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen: Während eine Reihe inhaltsanalytischer Arbeiten zu verschiedenen Formen extremistischer Propaganda vorliegt (z. B. im Überblick 3
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1 Einleitung
Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017), wurde die tatsächliche Relevanz verschiedener Kanäle, über die extremistisches Gedankengut verbreitet wird, bislang kaum aus Nutzersicht untersucht (eine Ausnahme: Costello, Hawdon, Ratliff & Grantham, 2016). Zwar liegt der Fokus unseres Projekts auf der Bedeutung von Online-Medien und insbesondere von sozialen Netzwerken. Deren Relevanz als Quelle extremistischer Botschaften lässt sich aber nur dann valide einschätzen, wenn auch die möglichen Einflüsse weiterer möglicher Kontaktpunkte einbezogen werden. Dazu zählen beispielsweise die Berichterstattung der Nachrichtenmedien, der öffentliche Raum und das unmittelbare soziale Umfeld der Jugendlichen, also Familie, Freunde und die Schule (z. B. Awan, Hoskins & O’Loughlin, 2011; Neumann & Baugut, 2017). Denn auch hier werden – wenn auch zuweilen nur eher indirekt – Informationen über extremistische Ideen und Akteure vermittelt. Insbesondere die Bedeutung des sozialen Umfelds und dessen Wechselwirkungen mit der Online-Umgebung werden in neueren Veröffentlichungen denn auch als besonders bedeutsam für Radikalisierungsprozesse hervorgehoben. Das Internet wird dabei mehr und mehr nicht als alleinige Ursache von Radikalisierung gesehen, wohl aber als ein möglicher Beschleuniger und Katalysator entsprechender Prozesse (z. B. Archetti, 2015, S. 51; Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Winter, 2015, S. 6). Eine bessere Kenntnis der Rolle verschiedener Kanäle bzw. Kontaktpunkte für die Konfrontation mit Extremismus erscheint deshalb auch für die Präventionsarbeit und medienpädagogische Maßnahmen relevant.
Forschungsdefizit 3: Die Wahrnehmung extremistischer Inhalte Ebenfalls sehr wenig ist darüber bekannt, wie Jugendliche extremistische Inhalte im Netz wahrnehmen, ob sie sie überhaupt erkennen, wie sie sie bewerten und von welchen Faktoren diese Prozesse abhängen. Diese Fragen sind deshalb von besonderer Bedeutung, da extremistische Akteure nicht zuletzt aufgrund der stärkeren Bemühung um die Verhinderung und Löschung strafrechtlich relevanter Inhalte im Internet dazu übergehen, ihre Botschaften eher subtil und verdeckt zu vermitteln. Bei diesen sogenannten Verschleierungs- oder „Wolf-im-Schafspelz“-Strategien werden Botschaften und Angebote so gestaltet, dass die im Hintergrund stehende Gesinnung nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist (z. B. Rieger, Frischlich & Bente, 2013). Dies kann z. B. dann der Fall sein, wenn der Urheber nicht erkennbar ist, keine extremistischen Symbole vorhanden sind oder nur wenige oder abgeschwächte Botschaften verwendet werden. Dabei werden beispielsweise aktuelle, in den Medien intensiv diskutierte Themen genutzt, um extremistische Ideen in soziale Netzwerke zu tragen (z. B. Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017; Neumann, 2014). Inwieweit Jugendliche in der Lage sind, solche eher subtilen Botschaften extremistischer Akteure zu erkennen und wie groß insgesamt ihre extremismusbezogenen
1.2 Forschungsdefizite
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Kompetenzen sind, darüber wissen wir bislang allerdings kaum etwas. Diese Frage war deshalb ein weiteres Erkenntnisinteresse unseres Projekts.
Forschungsdefizit 4: Die Wirkung extremistischer Inhalte Während Medieneinflüsse auf höheren Radikalisierungsstufen bereits in verschiedenen Studien untersucht wurden, sind propagandistische Erstwirkungen bei Jugendlichen bislang nur selten untersucht worden (dazu z. B. Neumann & Baugut, 2017; Rieger et al., 2017). Es stellt sich deshalb auch die Frage, ob und wie sich die Konfrontation mit extremistischen Akteuren und Botschaften auf Jugendliche auswirkt. Diese Frage kann im Rahmen dieser Studie nur in Ansätzen untersucht werden, liegt ihr Fokus doch vor allem auf der Frage des Kontakts und der Wahrnehmung von Extremismus. Dennoch kann sie nicht völlig ausgeblendet werden und wird deshalb im Weiteren ebenfalls eine Rolle spielen. Eine wesentliche Frage ist in diesem Zusammenhang, was Jugendliche dazu motivieren kann, selbst auf extremistische Botschaften im Netz zu reagieren, insbesondere, wenn sie aus ihrem persönlichen Umfeld kommen. Zwar finden sich in der Literatur und in Handreichungen von Institutionen der Extremismusprävention zahlreiche Vorschläge für den Umgang mit extremistischen Botschaften und Strategien (im Überblick z. B. Braddock & Horgan, 2015; Briggs & Feve, 2013; Silverman et al., 2016). Auch gibt es einige Befunde dazu, wie oft Jugendliche mit kritischen Kommentaren auf Hassbotschaften reagieren (z. B. LfM, 2016). Dennoch wissen wir bislang zu wenig darüber, was insbesondere Jugendliche zu Gegenrede motiviert und welche Auswirkungen Gegenrede hat, wenn sie von Jugendlichen wahrgenommen wird. Das Projekt möchte deshalb auch einen Beitrag leisten, dieses Forschungsdefizit zu reduzieren.
Forschungsdefizit 5: Die Einflüsse individueller Merkmale und des sozialen Umfelds In der Radikalisierungsforschung werden verschiedene Faktoren diskutiert, die Jugendliche mehr oder weniger anfällig für das Gedankengut, die Botschaften und Angebote von Extremisten machen (z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Rieger et al., 2017). So weist die Literatur beispielsweise darauf hin, dass unter anderem männliche Jugendliche, Jugendliche mit geringem Selbstwert und unsicherer Identität, Jugendliche mit Deprivationserfahrungen und Jugendliche, die auf der Suche nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe sind, besonders empfänglich für extremistische Propaganda sein könnten (z. B. Archetti, 2015; Sageman, 2004; Wiktorowicz, 2005). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob diese Faktoren auch für die Erklärung des Kontakts mit Extremismus, für sein Erkennen und die 5
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1 Einleitung
Motivation zu Gegenrede eine Rolle spielen. Welche individuellen Prädispositionen und welche Merkmale des sozialen Umfeldes das Risiko eines Kontakts mit Extremismus bzw. die Fähigkeit zu seinem Erkennen beeinflussen, wurde deshalb ebenfalls systematisch untersucht.
1.3
Struktur der Darstellung
1.3
Struktur der Darstellung
Der folgende Bericht folgt einer klassischen Struktur. Kapitel 2 beschäftigt sich einerseits mit dem Phänomen des Extremismus und den Internetaktivitäten extremistischer Gruppierungen. Andererseits geht es darum zu verdeutlichen, wieso Jugendliche gerade im Internet von extremistischen Botschaften erreicht werden können und an welchen Stellen Prävention ansetzen kann. In Kapitel 3 werden vor diesem Hintergrund zunächst die Forschungsfragen des Projekts spezifiziert, um dann das der Untersuchung zugrundeliegende theoretische Modell sowie die auf mehreren Methoden basierenden Anlage der Untersuchung vorzustellen. In den folgenden Abschnitten des Kapitels 4 werden schließlich die Methoden und Ergebnisse der aufeinander aufbauenden einzelnen Untersuchungen (Repräsentativbefragung, qualitative Befragung, kontrollierte Rezeptions- und Wirkungsstudie) geschildert. Der Bericht endet mit einer zusammenfassenden Beantwortung der Forschungsfragen, einer Diskussion der Befunde sowie Handlungsempfehlungen, die sich aus den Ergebnissen der Untersuchung ableiten lassen. Sämtliche in der Untersuchung verwendeten Fragebögen finden sich im Online+ Anhang.
1.4
Projektgeber und Danksagungen
1.4
Projektgeber und Danksagungen
Der vorliegende Band stellt den Abschlussbericht des von der Landesanstalt für Medien NRW (LfM) finanzierten Projekts „Extremismus in sozialen Medien“ dar. Die Laufzeit des Projektes umfasste den Zeitraum von April 2016 bis September 2017. Bei der Durchführung des Projekts und der Erstellung des Abschlussberichts wurden wir tatkräftig von unseren studentischen Hilfskräften Alina Semmer, Jessica Kühn, Annemarie Eschbaumer, Lara Kobilke und Anna-Luisa Sacher unterstützt. Die Teilprojekte 2 und 3 wurden im Rahmen von zwei Lehrveranstaltungen des Bachelorstudiengangs „Kommunikationswissenschaft“ an der LMU München durchgeführt. Die qualitativen Leitfadeninterviews wurden durchgeführt von Maria Binica, Elena Johanna Petznik, Anna Viola Kiehl, Hakan Murat Isiklilar, Gabriel
1.4 Projektgeber und Danksagungen
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Wonn, Magdalena Maria Kellermann, Amelie Teresa Sittenauer, Franziska Josephine Spiecker, Julia Maria Nageler, Amelie Lucia Pfeiffer, Charlotte Elisabeth Braatz, Kaja Maxine Schultz, Toni Alois Kiening, Elisabeth Ries, Mira Priscilla Dönges, Jasmin Eva Wölpel, Selin Ramona Ashagimina, Julia Maria Klotz, Ramona Elisabeth Steer, Susanne Alexandra Schmid, Sarah Litterst und Lena Theune. Bei der Konzeption des Experiments halfen Alexandra Danner, Nina Daxberger, Ina Effenberger, Lilli Fischer, Gianluca Fraccalvieri, Sarah Gaspers, Danya He, Alexandra Karrasch, Simon Maiwald, Louisa Möllmann, Julia Maria Nageler, Michaela Plattner, Anna-Luisa Sacher, Pauline Sawatzki, Franziska Spiecker, Elena Stenzel, Christina Strack, Julia Weinzierler, Anna Würfl und Gabriel Wonn. Wir danken außerdem unserem Kollegen Dr. Philip Baugut für seine hilfreichen Anregungen während der Projektphase. Basierend auf seinen eigenen Forschungsprojekten zum Thema Extremismus konnte er fruchtbare Impulse liefern.
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Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
2.1
Politischer Extremismus
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Politischer Extremismus
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Ohne im Rahmen dieses Berichts eine umfangreiche Diskussion des durchaus kontrovers diskutierten Begriffs Extremismus führen zu können (dazu z. B. Flümann, 2015; Pfahl-Traughber, 2014c, S. 19), ist es dennoch notwendig, das hier zugrundeliegende Verständnis von Extremismus zu klären. Zunächst gehen wir davon aus, dass es verschiedene Typen politischer Extremismen gibt (z. B. religiös begründeter Extremismus, Rechtsextremismus, Linksextremismus). Diese unterscheiden sich zwar in vielfacher Hinsicht, haben aber auf einer abstrakten ideologischen Ebene auch Merkmale gemein. Dies bedeutet allerdings keine Gleichsetzung im Hinblick auf ihr Gefährdungspotential für die Demokratie, ihr Gewaltpotential oder eine wie auch immer geartete moralische Bewertung ihrer Vorgehensweisen und Ziele (z. B. Pfahl-Traughber, 2014c, S. 20–21). Auch sollen damit bestehende Unterschiede weder negiert noch relativiert werden. Dennoch ist die Identifikation von Gemeinsamkeiten extremistischer Vorstellungen nicht zuletzt deshalb wichtig, um die Frage zu beantworten, worin eigentlich ihre Attraktivität für Jugendliche und junge Erwachsene besteht, was die Ursachen für Radikalisierungsprozesse sind und wo die Möglichkeiten einer generellen fokussierten Prävention liegen. Wir folgen dabei zunächst dem Argument, dass sich alle Extremismen unabhängig von der jeweiligen ideologischen Positionierung gegen die Minimalbedingungen einer offenen Gesellschaft und eines modernen, demokratischen Verfassungsstaats richten (Pfahl-Traughber, 2010). Unter Extremismus kann man deshalb solche Einstellungsmuster, Aktivitäten, Akteure, Gruppen und Organisationen fassen, die den demokratischen Verfassungsstaat mit seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung rigoros ablehnen und ihn zugunsten eines autoritären Staates oder einer staatenlosen Gesellschaft abschaffen möchten (Negativ-Definition; z. B. Flümann, 2015, S. 1; Pfahl-Traughber, 2010, S. 9, 2014c, S. 16). Zu den wesentlichen Werten, Ideen und Prinzipien dieser Grundordnung, die im Grundgesetz veran© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Reinemann et al., Jugend – Medien – Extremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23729-5_2
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
kert und in Urteilen des Bundesverfassungsgerichts weiter ausformuliert wurden, zählen in Deutschland beispielsweise die prinzipielle Gleichheit und Freiheit aller Menschen – die ihren Ausdruck in den Menschenrechten findet – Volkssouveränität, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus, der Schutz von Minderheiten und das Prinzip der Gewaltenteilung (z. B. BVerfGE, 1952). Verschiedene Extremismen ähneln sich jedoch nicht nur darin, wogegen sie sich prinzipiell richten. Es lassen sich weitere Gemeinsamkeiten benennen (Positiv-Definition). Pfahl-Traughber (2010) listet acht solcher Gemeinsamkeiten auf: (1) einen exklusiven Erkenntnisanspruch („Wir besitzen ein „höheres Wissen“), (2) einen dogmatischen Absolutheitsanspruch („Wir haben recht und daran gibt es keinen Zweifel“), (3) ein essentialistisches Deutungsmonopol („Nur wir erfassen das wahre Wesen der Dinge“), (4) holistische Steuerungsabsichten („Wir wollen die ganze Gesellschaft völlig kontrollieren“), (5) ein deterministisches Geschichtsbild („Die menschliche Entwicklung läuft in eine vorgegebene Richtung und wir kennen sie“), (6) eine identitäre Gesellschaftskonzeption („Wir wollen eine politisch bzw. religiös einheitliche, homogene Gesellschaft“ ), (7) ein dualistischer Rigorismus im Denken („Es gibt nur Gut oder Böse, Freund oder Feind“) und (8) die fundamentale Verwerfung des Bestehenden („Es muss sich alles ändern“). Betrachtet man diese Ansprüche extremistischer Ideologien, dann wird klar, dass sie schnell mit den Ideen der Freiheit und Gleichheit von Menschen, sowie mit den Prinzipien des Pluralismus und der Vorstellung demokratischer Entscheidungsfindung durch Mehrheitsentscheidung und Kompromiss in Konflikt geraten. Zudem kann man erkennen, dass es sich bei extremistischen Weltanschauungen um fundamentalistische Ideologien handelt, auf deren Basis negative Emotionen gegen bestimmte Gruppen oder Institutionen entstehen und auch Gewalt gerechtfertigt werden kann (dazu mit Bezug auf den Rechtsextremismus Frindte & Geschke, 2016). Was aber ebenso deutlich wird, ist, dass sich der extremistische Charakter einer Gruppe, Person oder Botschaft auf Basis dieser Definitionen oftmals nicht so einfach erkennen lässt, wenn man diesen beispielsweise in den Medien begegnet. Dies gilt insbesondere dann, wenn Botschaften kurz sind und man nur auf wenig Vorwissen oder Kontextinformationen zurückgreifen kann. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es zwischen den verschiedenen Extremismusformen natürlich auch erhebliche Unterschiede. Die verschiedenen Ideologien liefern dabei als gruppenspezifische Bezugssysteme Orientierung in einer komplexen Welt, indem sie menschliches Handeln, gesellschaftliche Prozesse in Vergangenheit und Gegenwart erklären sowie Prognosen und Handlungsempfehlungen für die Zukunft formulieren (z. B. Frindte & Geschke, 2016, S. 152–153). Besonders relevant ist dabei die Unterscheidung zwischen Rechtsextremismus, Linksextremismus und religiösem Extremismus, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll.
2.1 Politischer Extremismus
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Es kann dabei hier weder um eine umfassende Darstellung der Aktivitäten von Extremisten unterschiedlicher Couleur oder der Strukturen der verschiedenen Szenen gehen, noch um die detaillierte Aufarbeitung der Forschung zu extremistischen Einstellungsmustern in der Gesamtbevölkerung oder bei Jugendlichen. Vielmehr soll hier vor allem deutlich gemacht werden, welche prinzipiellen Charakteristika die verschiedenen Ideologien aufweisen.
Rechtsextremismus Das Phänomen des Rechtsextremismus ist von den hier behandelten Extremismen in Deutschland sicher am besten erforscht, auch wenn selbst hinsichtlich seiner Definition noch keine völlige Einigkeit herrscht (im Überblick z. B. Frindte, Geschke, Haußecker & Schmidtke, 2016). Der Begriff wird dabei sowohl im Zusammenhang mit Einstellungs- und Verhaltensmustern, als auch für Akteure und Organisationen verwendet, deren Basis entsprechende Einstellungen bilden. In der sogenannten „Konsens-Definition“ wird Rechtsextremismus als Einstellungsmuster charakterisiert, dessen verbindendes Element Ungleichwertigkeitsvorstellungen bilden und das insgesamt sechs Dimensionen umfasst: Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus (z. B. Frindte et al., 2016). Andere Autoren, wie etwa Jaschke (2001) betonen in ihren Definitionen, was die so skizzierten rechtsextremen Einstellungsmuster im Hinblick auf die Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates bedeuten, nämlich unter anderem eine Ablehnung des Gleichheitsgebots der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die Ablehnung des Wertepluralismus einer liberalen Demokratie und das Bemühen, Demokratisierung rückgängig zu machen (Jaschke, 2001, S. 30). Neuere, sozialpsychologisch orientierte Konzeptionen von Rechtsextremismus gehen über die bloße Auflistung von Einstellungsdimensionen hinaus. So schlagen Frindte und Geschke (2016) vor, Rechtsextremismus als militante, fundamentalistische Ideologie der Ungleichwertigkeit zu definieren, durch die negative Intergruppen-Emotionen und eine erhöhte Akzeptanz, Bereitschaft bzw. Ausübung von Gewalt legitimiert werden können. Der Ansatz von Frindte und Geschke (2016) hat den Vorteil, dass er vor dem Hintergrund dieser Definition nicht nur eine deskriptive Beschreibung von Dimensionen leistet, sondern einen umfassenden, kohärenten theoretischen Rahmen entwirft, in dem erklärt werden kann, was die Ursachen, Folgen und Funktionen der entsprechenden Einstellungsmuster sind. Dabei spielen insbesondere Fragen der sozialen Identität und der Identifikation mit Bezugsgruppen (z. B. Szene, Partei, Bewegung, Nation) eine zentrale Rolle. Zudem kann der starre Rahmen der Konsensdefinition angepasst werden, wenn etwa – wie es seit einiger Zeit in ganz Europa geschieht – bestimmte Gruppen (Muslime) andere Gruppen 11
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(Ausländer) als bevorzugtes Ziel negativer Einstellungen, Intergruppen-Emotionen und Gewalt ablösen.
Linksextremismus Obwohl die Verwendung des Begriffs Linksextremismus zuweilen kritisch gesehen wird, weil eine Gleichsetzung vor allem mit dem Rechtsextremismus befürchtet wird, werden wir ihn hier nicht zuletzt aufgrund der oben skizzierten prinzipiellen Gemeinsamkeiten verwenden. Eine darüber hinaus gehende Gleichsetzung ist damit nicht verbunden. Festzuhalten ist zunächst, dass die Forschung zum Linksextremismus in Deutschland im Vergleich zu der zum Rechtsextremismus weniger umfangreich ist. Dies gilt insbesondere für das Thema Linksextremismus und Jugendliche (für Ausnahmen siehe Neu, 2012; Schultens & Glaser, 2013). Dies wird von Teilen der Forschung kritisch gesehen und bemängelt, es gäbe gegenüber dem Linksextremismus keine so einheitliche politische und gesellschaftliche Ablehnung wie gegenüber dem Rechtsextremismus (vgl. Bergsdorf & van Hüllen, 2011, S. 182; Schroeder & Deutz-Schroeder, 2015). Das umfassendste Überblickswerk zu linksextremen Gruppierungen und Ideologien in Deutschland stammt von Armin Pfahl-Traughber (2014c). Dort werden auch die unterschiedlichen Spielarten des Linksextremismus diskutiert, was an dieser Stelle nicht möglich ist. Gemeinsam ist den Anhängern linksextremistischer Strömungen, dass sie den demokratischen Verfassungsstaat ablehnen und eine „herrschafts- und klassenlose Gesellschaft“ anstreben, in der das Ideal der Gleichheit der Menschen möglichst umfassend verwirklicht ist (Pfahl-Traughber, 2014c, S. 24). Zuweilen wird allein das Vorliegen bestimmter wirtschaftspolitischer Vorstellungen, also etwa eine massive Kapitalismuskritik, als Hinweis auf eine linksextreme Positionierung verstanden. Allerdings wird allein die Ablehnung eines bestimmten Wirtschaftssystems meist nicht als ausreichend betrachtet, um einen Akteur oder eine Ideologie als extremistisch zu klassifizieren. Denn wer ein Wirtschaftssystem verändern möchte, greift damit nicht zwingend das bestehende politische System an. Dies wird beispielsweise auch daran ersichtlich, dass kapitalismuskritische Positionen in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet sind (z. B. Schroeder & Deutz-Schroeder, 2015), aber sehr viel weniger Menschen die parlamentarische Demokratie abschaffen wollen (z. B. Decker, Kiess & Brähler 2016). Problematischer wird es bei der Forderung nach einem bestimmten Wirtschaftssystem, das mit den Prinzipien des Grundgesetzes kollidiert, also etwa der Forderung nach einer völligen staatlichen Kontrolle des gesamten Wirtschaftslebens. Zwar ist das Grundgesetz im Hinblick auf das Wirtschaftssystem eher neutral, aber die Betonung und Gewährleistung individueller Freiheitsrechte spricht eher dagegen, dass eine umfassende, zentral gesteuerte Planwirtschaft mit dem Grundgesetz
2.1 Politischer Extremismus
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vereinbar wäre (dazu Papier, 2007). Dennoch sehen die meisten Autoren andere als wirtschaftspolitische Kriterien, anhand derer sich unterscheiden lässt, ob eine Position oder ein Akteur verfassungskonform und links oder linksextremistisch ist. So vertritt Flümann (2015, S. 76) die Ansicht, dass das „antidemokratische, extremistische Moment“ linksextremistischer Einstellungen und Akteure vor allem in einer „antipluralistischen Überhöhung des Ethos menschlicher Fundamentalgleichheit“ liege (S. 76). Dies bedeutet, dass linke Vorstellungen einer Betonung der Gleichheit dann ins Extremistische umschlagen können, wenn sie dazu führen, dass der Wert der Gleichheit gegenüber dem der Freiheit absolut gesetzt wird. Denn dann gilt das Ideal der Gleichheit mehr als die Rechte des Einzelnen, steht die Gemeinschaft über dem Individuum. Andere vertreten die Ansicht, dass Linksextremismus dort beginne, wo die eigenen Ziele und Vorstellungen absolut gesetzt werden und als Rechtfertigung dienen, die Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates (zumindest zeitweise) außer Kraft zu setzen und Gewalt zumindest billigend in Kauf zu nehmen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang etwa auf die Geschichte des Linksterrorismus sowie die gewaltbereite autonome Szene in Deutschland (z. B. Flümann, 2015; Pfahl-Traughber, 2014c). Auf Basis solcher Überlegungen definiert Pfahl-Traughber linksextremistische Einstellungen, Handlungen und Akteure als solche die (1) der Gleichheit eine herausgehobene Position zuweisen, (2) sich bei der Erreichung ihrer Ziele gegen die Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates richten und dabei (3) auch bereit sind, Gewalt zu akzeptieren, zu befürworten oder auszuüben (Pfahl-Traughber, 2014c, S. 23). Ähnlich argumentiert Flüman, dass Linksextremisten, „ohne Rücksicht auf Mindestanforderungen einer Demokratie, insbesondere auf den Schutz individueller Menschenrechte und grundsätzlicher demokratischer Spielregeln, nach einer sozial homogenen Gemeinschaft“ streben (Flümann, 2015, S. 76).
Religiös begründeter Extremismus (Islamismus, Dschihadismus) Obwohl sicherlich die meisten Religionen die Basis religiös begründeten Extremismus bilden können, steht in Deutschland und Europa der sich auf den Islam berufende Extremismus spätestens seit dem 11. September 2001 im Mittelpunkt des Interesses. Er wird als eine Spielart des politischen Extremismus verstanden, die religiös begründet ist bzw. in der der Bezug zur Religion die wichtigste Rolle spielt. Die Begriffe Islam, Islamismus, Salafismus oder Dschihadismus werden dabei in Öffentlichkeit und Medien oftmals nicht trennscharf, sondern zuweilen synonym verwendet werden, obwohl sich die Vorstellungen, Handlungsweisen und insbesondere die Gewaltbereitschaft der verschiedenen Ideologien bzw. Gruppen teilweise deutlich unterscheiden. 13
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Zunächst gilt es, den Islam vom Islamismus zu unterscheiden. Dabei kann man den Islam als religiöse Vorstellungswelt und Lebensweise verstehen, die zunächst einmal nicht über den Bereich der Religion hinausgeht. Von Islamismus spricht man hingegen in Bezug auf Bestrebungen, in denen Politik und Gesellschaft strikt nach den Maßgaben der Religion gestaltet werden sollen. Dem entsprechend bezeichnet Precht (2007) den Islamismus als politische Ideologie, die einer säkularen Gesellschaftsordnung wiederspricht. Aber auch Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit werden abgelehnt, Individualität und Menschenrechte religiösen Vorstellungen bzw. ihrer jeweiligen Auslegung untergeordnet. Allerdings sind, so wird immer wieder betont, nicht alle Islamisten gewaltorientiert, was ihre pauschale Klassifizierung als extremistisch dann fragwürdig erscheinen lässt, wenn man Gewaltbereitschaft als zentrales Kriterium für Extremismus ansieht (Pfahl-Traughber, 2014a, 50ff.; Precht, 2007). Der Salafismus wiederum ist eine Spielart des (sunnitischen) Islamismus, in der sich ebenfalls unterschiedliche Strömungen identifizieren lassen. Salafisten beziehen sich auf ein vermeintlich „Goldenes Zeitalter“ des Islam, das sie wiederherstellen möchten (z. B. Ceylan & Kiefer, 2013, S. 42; Pfahl-Traughber, 2015). Die Anhänger des Salafismus deuten Schriften und Taten Mohammeds nach eigenen Bekunden wortwörtlich, fordern u. a. eine strikte Geschlechtertrennung sowie eine völlige Anpassung des gesellschaftlichen, religiösen und politischen Lebens an ihre Auslegung des Islam (z. B. Krämer, 2005, S. 284; Pfahl-Traughber, 2014a, 2014b, S. 52, 2015). Wie Salafisten ihre Doktrin verbreiten und umsetzen wollen, unterscheidet sich allerdings je nach Strömung stark (Neumann, 2013): Während sich der puristische Salafismus in seinen Aktivitäten auf das religiöse Leben und die Religion selbst bezieht, bemüht sich der politische Salafismus, auch politischen Einfluss zu gewinnen, jedoch auf weitgehend gewaltlosem Weg. Anders ist dies im dschihadistischen Salafismus, zu dem beispielsweise der IS (Daesh) gezählt werden kann und der zuweilen auch schlicht als Dschihadismus bezeichnet wird. Er zeichnet sich durch eine besonders rigide und doktrinäre Auslegung des Salafismus aus und versucht, seine Ziele auch mit massiver Gewalt zu erreichen (z. B. Baehr, 2012; Pfahl-Traughber, 2014b, S. 52; Seesemann, 2015). „Ungläubige“ und „Abtrünnige“ – Angehörige anderer Religionen und Atheisten, nicht-salafistische Sunniten, Schiiten – werden nicht als gleichwertig betrachtet, dem „Westen“ wird unterstellt, er führe „einen Krieg gegen den Islam“ (Biene, Daase, Junk & Müller, 2016; Seesemann, 2015). Damit handelt es sich beim Islamismus vor allem in seinen gewaltbereiten Varianten letztlich ebenfalls um eine Ideologie der Ungleichheit, die negative Emotionen gegen Fremdgruppen fördert und die Akzeptanz, Bereitschaft und Ausübung von Gewalt fördern und legitimieren kann.
2.2 Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen
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Definition: Extremismus
Auf Basis unserer Diskussion fassen wir unter den Begriff des politischen Extremismus im Folgenden Einstellungsmuster, Verhaltensweisen, Personen oder Gruppen, die im Hinblick auf ihre Ziele eine Gesellschaftsordnung anstreben, die zentralen Werten und Prinzipien eines modernen demokratischen Verfassungsstaates widerspricht und/oder im Hinblick auf die Mittel zur Erreichung ihrer Ziele bereit sind, diese zentralen Prinzipien zumindest zeitweise außer Kraft zu setzen, insbesondere dadurch, dass sie Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung akzeptieren, befürworten oder anwenden.
2.2
Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen
2.2
Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen
Digitale Medien sind heute ein wichtiger und immer wichtiger werdender Bestandteil der Lebenswelt von Jugendlichen und spielen in der alltäglichen Freizeitgestaltung eine große Rolle. Laut der aktuellen JIM-Studie (2017) besitzt mit rund 97 Prozent quasi so gut wie jeder Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren in Deutschland ein Smartphone mit Internetzugang (mpfs, 2017, S. 8) und über zwei Drittel (69 Prozent) steht ein eigener Laptop oder PC zur Verfügung. Insgesamt leben mittlerweile fast alle Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren in einem Haushalt der über einen Internetzugang (98 Prozent) und Computer oder Laptop verfügt (98 Prozent) (mpfs, 2017, S. 6). Auch mit Blick auf die gesamte Mediennutzung von Jugendlichen nehmen digitale Angebote eine große Rolle ein. Handy und Internet nutzen neun von zehn Jugendlichen täglich, über die Hälfte sieht sich jeden Tag Online-Videos an (mpfs, 2017, S. 13). Dabei fällt der größte Anteil der Onlinenutzung von Jugendlichen auf kommunikative Aspekte (z. B. E-Mail, Chat, Messenger-Dienste und Online-Communities). Mit Blick auf extremistische Online-Inhalte bedeutet dies, dass junge Menschen heute über diverse Kanäle und in ganz unterschiedlichen medialen Kontexten mit extremistischen Botschaften und Akteuren in Berührung kommen können. Im Vergleich zu Zeiten, in denen das Internet und vor allem soziale Medien noch nicht so verbreitet waren, haben sich die Möglichkeiten von Extremisten, Jugendliche zu erreichen, deshalb vervielfacht. Vertreter von Sicherheitsbehörden, Jugendschutz organisationen und Wissenschaftler haben in den vergangenen Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass extremistische Akteure diese teils noch relativ 15
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
neuen Kontaktwege mittlerweile gezielt nutzen, um ein vorwiegend jugendliches Publikum mit ihren demokratie- und menschenfeindlichen Ideologien zu erreichen. Da Kinder und Jugendliche das Internet immer früher auch unabhängig von der Kontrolle der Eltern nutzen, kann man davon ausgehen, dass viele mediale Kontakte mit extremistischen Inhalten dem sozialen Umfeld von Kindern und Jugendlichen verborgen bleiben.
Die Nutzung sozialer Medien Besonders einfach und weit verbreitet ist der Kontakt über soziale Medien. Sie gehören unter Jugendlichen in Deutschland zu den beliebtesten Internetangeboten und werden von ihnen intensiv genutzt (mpfs, 2017). Besonders populär ist aktuell die Videoplattform YouTube. 88 Prozent der Jugendlichen nutzen sie mindestens mehrmals wöchentlich und mehr als die Hälfte (63 Prozent) schauen sich sogar täglich Videos über YouTube an (mpfs, 2017, S. 43). Dabei interessieren sich die jungen Nutzer vor allem für Musikvideos, die als Kontaktmöglichkeit mit extremistischen Botschaften besonders zu berücksichtigen sind. Denn sowohl in der rechten als auch in der islamistischen und salafistischen Szene spielt Musik als Einstieg in die entsprechende extremistische Erlebnisweilt eine bedeutende Rolle (Inan, 2017, S. 109; Pfeiffer, 2016, S. 270). Doch auch mit anderen extremistischen Videoinhalten können Jugendliche über die beliebte Plattform in Kontakt kommen. Denn direkt nach Suchmaschinen stellt YouTube für junge Nutzer die zweitwichtigste Online-Informationsquelle dar. Über die Hälfte der Jugendlichen nutzen mindestens wöchentlich Videos auf YouTube, um sich über Themen zu informieren (mpfs, 2017, S. 47). Videos mit Bezug zu aktuellen Nachrichten gehören für fast ein Drittel der jugendlichen YouTube-Nutzer zum alltäglichen Videorepertoire (mpfs, 2017, S. 4 4). Daneben sind auch andere Social-Media Angebote vor allem für ältere Jugendliche zu einer wichtigen Nachrichtenquelle geworden. Zwei Fünftel der 18–19-Jährigen (42 Prozent) nutzen Facebook und Twitter regelmäßig, um sich über Nachrichten und das aktuelle Geschehen in aller Welt zu informieren (mpfs, 2017, S. 47). Das bedeutet: Wer seine Botschaften in diese Netzwerke einspeisen kann, der erreicht Jugendliche in einem Umfeld, in denen aktuelle gesellschaftliche Informationen nicht untypisch sind und nicht sofort als unpassend auffallen würden. Insgesamt sind Social-Media Angebote wie der Messenger-Dienst WhatsApp, Facebook und die Foto- und Video-App Instagram unter jungen Menschen gegenwärtig äußerst beliebt (mpfs, 2017, S. 35): 89 Prozent aller Jugendlichen der 12- bis 19-Jährigen versenden und/oder bekommen täglich Nachrichten über WhatsApp. Das liegt natürlich in erster Linie an der Kurznachrichtenfunktion der App, die überwiegend zur regelmäßigen Kommunikation mit Freunden, Klassenkamera-
2.2 Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen
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den und der Familie genutzt wird. Instagram, Snapchat und Facebook spielen im Alltag der Jugendlichen ebenfalls eine bedeutsame Rolle und werden von vielen Jugendlichen mindestens mehrmals pro Woche genutzt (mpfs, 2017, S. 35).
Mobile Internetnutzung Insgesamt hat sich die Nutzungsdauer des Internets in der Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt und liegt aktuell bei durchschnittlich 221 Minuten (mpfs, 2017, S. 30). Dieser Anstieg ist nicht zuletzt der Ausdifferenzierung der technischen Zugangswege der Online-Nutzung geschuldet. Die Online-Kommunikation nimmt im Alltag vor allem jüngerer Nutzer eine herausragende Stellung ein, sie sind „always on“. Immer mehr Kommunikation findet mittels mobiler Endgeräte statt. 81 Prozent der jugendlichen Internetznutzer geben an, am häufigsten mit dem Smartphone online zu gehen (mpfs, 2017, S. 27). Generell ist die Online-Nutzung jedoch schwer mit der Nutzungsdauer anderer Medien zu vergleichen, da sich das Involvement zwischen den einzelnen Funktionen und Anwendungen stark unterscheidet. Beim „Online-Sein“ geht es jungen Nutzern heute überwiegend darum, zu jeder Zeit potentiell wichtige Daten abrufen und empfangen zu können. Sie wollen „permanently online, permanently connected (POPC)“ (Vorderer, 2015, S. 260) sein. Für extremistische Gruppierungen, die Jugendliche mit ihren Botschaften über das Internet erreichen wollen, bedeutet dies, dass sie dies potentiell an jedem Ort und zu jeder Zeit tun können – sofern die Jugendlichen ihr Mobilgerät angeschaltet und Netzzugang haben. Das mobile Internet wird dabei vor allem für die interpersonale Kommunikation genutzt. Messenger-Dienste und soziale Netzwerke gehören zu den meistgenutzten Apps und beliebtesten Funktionen mobiler Endgeräte (Feierabend, Plankenhorn & Rathgeb, 2016, S. 591). In Deutschland kommt WhatsApp aufgrund seiner Beliebtheit und der Möglichkeiten zur eigenständigen Erstellung und Verbreitung von Inhalten hier eine besondere Bedeutung zu (Feierabend et al., 2016, S. 593). Über die Gruppierungsfunktionen des Messenger-Dienstes lässt sich der Freundes- und Bekanntenkreis systematisch nach bestimmten Kriterien sortieren und Bilder-, Video- und Textnachrichten an eine festgelegte Zahl von Kontakten versenden. Jugendliche sind über diesen Weg heute sehr viel leichter auch persönlich jederzeit zu erreichen, ohne dass Eltern, Freunde oder Lehrer etwas davon mitbekommen müssen (zum Monitoring der Online-Aktivitäten von Jugendlichen durch ihre Eltern z. B. Livingstone, Haddon, Görzig & Ólafsson, 2011, 103f.). Dabei müssen sich Empfänger und Sender einer Botschaft nicht zwingend persönlich kennen. Eine WhatsApp-Gruppe kann beispielsweise aus Mitgliedern eines ganzen Sportvereins, Schuljahrgangs oder gar der gesamten Schule bestehen. Viele dieser Gruppen sind so gestaltet, dass jedes Gruppenmitglied weitere Kontakte hinzufügen kann. 17
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Extremistische Akteure können sich diese mobile und persönliche Erreichbarkeit ebenfalls zu Nutze machen, um ihre Ideologie in den Netzwerken von Jugendlichen zu verbreiten und dabei von der prinzipiellen Glaubwürdigkeit von Nachrichten, die die Jugendlichen über diesen eher persönlichen Kanal erreichen, profitieren.
Aktive und passive Internetnutzung Insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um Hasskommentare im Internet wurde in den vergangenen Jahren die Frage diskutiert, welche Bedeutung individuelle Reaktionen der Nutzer in diesem Zusammenhang spielen können oder sollen. Die prinzipielle Möglichkeit, im Netz selbst aktiv zu werden und extremistischen Botschaften eigene Kommentare und Reaktionen entgegen zu setzen, führte hier zu Forderungen, die Nutzer sollten sich selbst viel stärker in dieser Richtung engagieren. Allerdings legt das grundsätzliche Niveau der Aktivität beispielsweise auf sozialen Netzwerken nahe, dass entsprechende Initiativen es schon deshalb schwer haben könnten, weil Jugendliche üblicherweise nur sehr begrenzt selbst als Produzenten von „User-Generated-Content“ auftreten. Bei Facebook und Twitter beschränkt sich die Mehrheit der jugendlichen User auf Lesen und Zuschauen und selbst bei Instagram gibt mehr als ein Drittel an, die App überwiegend passiv zu nutzen (mpfs, 2017, S. 37). Angesichts dessen ist es vermutlich nicht zu erwarten, dass sich viele Jugendliche in sozialen Medien aktiv gegen extremistische Inhalte wehren, zumal sie den extremistischen Charakter einer Botschaft zunächst einmal erkennen müssen und sich dann auf eine unter Umständen unangenehme Auseinandersetzung einlassen müssen. Erfolgversprechender ist es möglicherweise, zunächst darauf hinzuarbeiten, dass entsprechende Inhalte zumindest erkannt, nicht weiterverbreitet oder gemeldet werden.
Die Nutzung traditioneller Medien Trotz der großen Bedeutung der mobilen und stationären Internetnutzung spielen auch klassische journalistische Medien wie Fernsehen und Radio im Alltag von Jugendlichen weiterhin eine bedeutende Rolle – zumal deren Angebote ja auch über Mediatheken, Streaming-Dienste, Webseiten und Auftritte in sozialen Medien online genutzt werden können (mpfs, 2017). Vor allem Nachrichten und Informationen über das aktuelle Geschehen erhalten Jugendliche nach wie vor in starkem Maße über traditionelle journalistische Medienangebote, auch wenn der Anteil der jüngeren Altersgruppe, die überhaupt tagesaktuelle Nachrichten nutzt, im Vergleich zu den älteren Generationen deutlich niedriger liegt (z. B. Schneller, 2017). Dabei schätzen Jugendliche das Fernsehen nach wie vor als ebenso bedeutend für ihre politische Meinungsbildung ein wie das Internet, gefolgt von Zeitungen und dem
2.2 Internet und klassische Medien in der Lebenswelt von Jugendlichen
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Radio (z. B. Hasebrink & Schmidt, 2013, S. 6; dazu auch Engel & Rühle, 2017). Und auch für die jüngere Generation gilt, dass sich nur eine Minderheit ausschließlich im Internet mit tagesaktuellen Informationen versorgt. So gibt die aktuelle Allensbacher Werbeträger Analyse (AWA) den Anteil der 14-bis 29-Jährigen, die sich „gestern“ ausschließlich im Internet tagesaktuell informiert haben, mit 23 Prozent an, während 36 Prozent sowohl in traditionellen Medien als auch im Internet und 40 Prozent sogar nur in traditionellen Medien informiert haben (Schneller, 2017). Diese Befunde sind aus zwei Gründen bedeutsam: Zum einen zeigen sie, dass die traditionellen Medien auch für die Jüngeren nach wie vor eine wichtige Rolle spielen, gerade im Bereich der aktuellen Information. Zum anderen sind die traditionellen Medien damit ein weiterer Kanal, auf dem Jugendliche mit extremistischen Botschaften in Kontakt kommen (Neumann, 2019, im Erscheinen). Denn Medien berichten natürlich auch über Terrorismus, Extremismus sowie die gesellschaftlichen Probleme, die Extremisten in ihrer Propaganda aufgreifen (z. B. Flümann, 2015; Frindte & Haußecker, 2010). Dabei wirkt die massenmediale Berichterstattung einerseits in extremistische Szenen hinein, andererseits versuchen Extremisten aber auch, die massenmediale Berichterstattung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren (z. B. Neumann & Baugut, 2017). In der Radikalisierungsforschung wird deshalb auch die These vertreten, dass Radikalisierungsprozesse nur zu verstehen sind, wenn man sowohl die extremistische Propaganda, als auch die Berichterstattung der Medien über diese Propaganda und die dahinterstehende Ideologie einbezieht (Awan et al., 2011, S. 124). Die Rolle der Medienberichterstattung ist dabei durchaus zwiespältig. Sie kann einerseits für die Gefahren von Extremismus sensibilisieren und durch die in der Regel stattfindende journalistische Einordnung und Benennung von Akteuren oder Positionen als extremistisch zur Entstehung und Verbesserung extremismusbezogener Kompetenzen beitragen. Sie fördert vermutlich insbesondere die Kenntnis von aktuell bedeutsamen extremistischen Strömungen, Akteuren und Strategien. Andererseits kann Berichterstattung aber auch Interesse oder gar Begeisterung wecken, insbesondere dann, wenn Bildmaterial, Ansichten und Inszenierungen von Extremisten ohne Einordnung eher unreflektiert weitervermittelt werden. Deshalb sollte die aktuelle Berichterstattung als Kontaktpunkt mit Extremismus unbedingt beachtet werden.
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Mediale Lebenswelten Jugendlicher als Raum für den Kontakt mit Extremismus Jugendliche in Deutschland wachsen heute in einem medialen Umfeld auf, das eine Vielzahl möglicher Kontaktpunkte zu extremistischen Inhalten und Akteuren bietet. Diese Kontaktpunkte finden sich sowohl im Internet als auch in traditionellen Medien und umfassen sowohl Inhalte, die direkt und unvermittelt von extremistischen Personen und Gruppierungen stammen, als auch die mediale Berichterstattung über Extremismus. Die aktuelle Berichterstattung ist bedeutsam, weil sie einerseits Interesse für Extremismus wecken, aber auch extremismusbezogene Kompetenzen fördern kann. Jugendliche haben heute aber nicht nur deutlich mehr Möglichkeiten, durch passive Nutzung auf extremistische Botschaften zu stoßen, sie können durch ihre hohe digitale Erreichbarkeit von extremistischen Akteuren auch direkt kontaktiert und angesprochen werden. Bislang ist jedoch wenig darüber bekannt, in welchem Ausmaß dieser Kontakt tatsächlich zustande kommt und welche Jugendlichen besonders gefährdet sind.
2.3
Extremismus im Internet
2.3
Extremismus im Internet
2.3.1 Ziele und Strategien extremistischer Akteure im Internet Die diversen Möglichkeiten, junge Menschen über digitale Medien zu kontaktieren, werden von extremistischen Akteuren zunehmend dazu verwendet, ihre Ideologien zu propagieren, demokratiefeindliche Botschaften zu verbreiten und zu Hass und Gewalt gegen bestimmte Gruppen aufzurufen (z. B. Schmitt, Ernst, Frischlich & Rieger, 2017). Die Möglichkeit, Beiträge anonym zu veröffentlichen und zu verbreiten, bietet für Extremisten einen besonderen Vorteil, da sie die Identifizierung von Urhebern strafrechtlich relevanter Inhalte deutlich erschwert. Inhalte dieser Art sind gegenwärtig ganz unterschiedlichen Formen von Extremismus zuzuordnen. In Deutschland haben Sicherheitsbehörden und Jugendschutzorganisationen lange Zeit vor allem vor rechtsextremen und islamistischen Angeboten gewarnt (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017; Glaser, Herzog, Özkilic & Schindler, 2015), aber spätestens nach den Ereignissen während des G20-Gipfels in Hamburg und mit dem Verbot der Webseite linksunten.indymedia sind auch die Aktivitäten linksextremer Gruppierungen verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
2.3 Extremismus im Internet
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Extremistische Akteure nutzen die Anwendungsmöglichkeiten digitaler Medien auf vielfältige Weise. In erster Linie ist das Internet für sie zu einem bedeutsamen Zugang zu potentiellen Unterstützern und Anhängern geworden (z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017). Dabei werden klassische Ansprache- und Rekrutierungsstrategien, beispielsweise das Ansprechen vor Schulen, in Sportvereinen, Gemeinden oder Fußgängerzonen, zwar nicht ersetzt, jedoch um zahlreiche Kontakt- und Verbreitungsmöglichkeiten ergänzt. Vor allem soziale Medien bieten aus Sicht von Extremisten diverse Vorteile, die ihnen bei der Erfüllung ihrer Kernziele Mobilisierung, Propaganda, Rekrutierung und Radikalisierung helfen (Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Schmitt et al., 2017; Weimann & Jost, 2015). Zuallererst ermöglichen sie, kostenlos eigene Inhalte zu veröffentlichen und damit zumindest potentiell eine fast unbegrenzte Zahl an Rezipienten zu erreichen. Form und Umfang dieser Inhalte sind dabei fast keine Grenzen gesetzt und mittlerweile können auf vielen großen Plattformen wie Facebook oder Twitter auch unterschiedliche Dateiformate erstellt oder hochgeladen werden. Wie alle Internetnutzer haben somit auch extremistische Akteure die Möglichkeit, ohne besondere technische Kenntnisse Blogs anzulegen, Ton-, Bild- und Videomaterial hochzuladen und mit anderen Nutzern zu teilen, sowie Inhalte zu verlinken. Gleichzeitig ermöglicht die Netzwerkstruktur vieler sozialer Medienangebote, Gleichgesinnte in der ganzen Welt zu finden und sich mit ihnen zu vernetzen (Weimann & Jost, 2015).
Mobilisierung Ein Kernziel digitaler Aktivitäten extremistischer Akteure ist die Mobilisierung und Vernetzung bereits radikalisierter Anhänger und Sympathisanten. Vor allem soziale Medienangebote wie Facebook, Twitter und YouTube dienen als Instrumente, um Informationen schnell und effektiv auszutauschen (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017). Innerhalb sozialer Netzwerke können sich Anhänger und Mitglieder beispielsweise in offenen oder geschlossenen Gruppen selbst organisieren, gegenseitig über aktuelle Aktivitäten informieren und durch entsprechende Propagandainhalte und Diskussionen das eigene ideologische Weltbild aufrechterhalten und bestärken. Anhänger und Sympathisanten helfen zudem dabei, entsprechende Inhalte weiter zu verbreiten, indem sie diese mit ihren eigenen Kontakten teilen. Diese Aktivisten haben so die Möglichkeit, sich allein aufgrund ihrer Online-Aktivitäten als Teil einer Bewegung zu fühlen, selbst wenn sie ansonsten passiv bleiben (etwa die sogenannten „Jihobbyists“; z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017). Hier kommt extremistischen Akteuren das Grundprinzip sozialer Netzwerke zu Gute, das darauf basiert, dass sich Menschen mit möglichst vielen weiteren Nutzern vernetzen und Inhalte und Informationen relativ einfach mit diesen Nutzern teilen können. Dabei ist die Verbreitung je nach Plattform jedoch nicht nur auf die eigenen sozialen 21
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Kontakte begrenzt. Über Suchfunktionen und die Verwendung von Schlagworten (sogenannte Hashtags) können Inhalte auf Plattformen wie Twitter, YouTube, aber auch in Facebook praktisch von jedem anderen Nutzer gefunden und rezipiert werden. Der Mikroblogging-Dienst Twitter wird auf diese Weise beispielsweise regelmäßig für Echtzeitinformationen während Veranstaltungen und Demonstrationen genutzt oder um auf Inhalte auf anderen Plattformen und Webseiten zu verlinken. Laut Weimann (2015) ist Twitter innerhalb der islamistischen Szene mittlerweile zum Hauptknotenpunkt für die Verbreitung von Links geworden, die Nutzer zu Inhalten auf diversen anderen Plattformen weiterleiten (Weimann & Jost, 2015, S. 377–378). Vor allem das Ausmaß, in dem der sogenannte Islamische Staat (IS) Twitter nutzt, sei bislang beispiellos. Einzelne Twitter-Accounts mit Zehntausenden Abonnenten werden von unterschiedlichen Medien-Abteilungen der Terrororganisation geführt und betreut, darunter auch Profile, die sich speziell an ein nicht-arabischsprachiges Publikum richten und über die Propagandamaterialien in (unter anderem) Englisch, Französisch, Deutsch, Dänisch und Russisch verbreitet werden (Weimann & Jost, 2015, S. 378). Über diese und ähnliche Weiterleitungsfunktionen sozialer Netzwerke können sich Inhalte, die nur von einer überschaubaren Zahl von Extremisten veröffentlicht werden, dennoch rasend schnell verbreiten und Nutzer auf der ganzen Welt erreichen. Insgesamt haben sich die Reichweite und die Effektivität extremistischer Aktivitäten durch soziale Medien somit dramatisch erhöht. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht verweist in diesen Zusammenhang beispielsweise darauf, dass Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube innerhalb der rechtsextremistischen Szene vor allem als geeignete Instrumente eines schnellen und effektiven Informationsaustausches betrachtet werden (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017). Trotz der von den Plattformbetreibern praktizierten Ahndung von Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen, die die vorübergehende Sperrung oder Löschung von Profilen, Gruppen oder einzelnen Beiträgen zur Folge haben können, würde Facebook von den entsprechenden Akteuren weiterhin präferiert (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S. 62). Ein weiterer Kommunikationsschwerpunkt liegt laut Aussage von Sicherheitsbehörden aktuell vor allem im Bereich mobiler und verschlüsselter Instant Messenger, wie z. B. Telegram (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S. 62). Digitale Kommunikationsangebote haben somit einen nachhaltigen Einfluss auf die Strukturen extremistischer Gruppierungen und Bewegungen: Pfeiffer (2016) verweist beispielsweise darauf, dass sich die rechtsextremistische Szene in Deutschland durch die neuen Möglichkeiten der digitalen Medien deutlich gewandelt hat und nunmehr vorwiegend von losen Strukturen geprägt sei, die von den überregionalen Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeiten digitaler Medien profitieren
2.3 Extremismus im Internet
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(Pfeiffer, 2016). Aber auch die weltweite Mobilisierung islamistischer Akteure wäre ohne digitale und soziale Medien in der aktuellen Form wohl kaum möglich.
Identifizierung und zielgruppenspezifische Ansprache Doch soziale Medien bergen im Vergleich zu den Anfängen der digitalen Kommunikation ein Potential, das über den Aufbau interner Kommunikationsnetzwerke hinausgeht. So werden die beliebtesten sozialen Medienangebote von Extremisten heute nicht nur zur Kommunikation mit Gleichgesinnten und Anhängern genutzt, sondern vor allem auch, um neue Anhänger zu finden und ihre Ideologie mit möglichst großer Reichweite zu verbreiten (z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Schmitt et al., 2017). Um das zu bewerkstelligen, sind extremistische Einzelpersonen oder Gruppierungen mit eigenen Profilen auf unterschiedlichen Plattformen aktiv, wo sie eigene Inhalte hochladen, auf Inhalte und Webseiten aus der Szene verlinken, und die Beiträge anderer Nutzer kommentieren und weiterleiten (Beyersdörfer et al., 2017). Zudem können vor allem soziale Netzwerke wie Facebook dabei helfen, Nutzer zu identifizieren, die für ihre Ideologie besonders empfänglich sind. Mit ähnlichen Strategien wie Werbetreibende können sich auch extremistische Akteure die öffentlich zugänglichen Daten von Usern zu Nutze machen und sie zum Beispiel auf Basis ihres Nutzerprofils (z. B. Angaben zur Religion, Herkunft, politischer Ansicht, Alter), ihrer Gruppenmitgliedschaften oder der Inhalte, die sie teilen oder liken, ausfindig machen und zielgruppengerecht adressieren. Jugendliche und junge Erwachsene sind eine besonders wichtige Zielgruppe extremistischer Propaganda und Rekrutierungsversuche (Glaser & Frankenberger, 2016; Weimann & Jost, 2015). Das liegt unter anderem daran, dass sie in ihrer sozialen Identität und politischen Einstellungen noch nicht so gefestigt sind wie Erwachsene und ein erhöhtes Orientierungsbedürfnis besitzen. Aufgrund ihrer intensiven Nutzung sozialer Medien wie Facebook, WhatsApp, Instagram oder YouTube sind sie für Extremisten über eine Vielzahl unterschiedlicher Kanäle zu erreichen. Inhalte, die über diese Plattformen verbreitet werden, begegnen Jugendlichen in alltäglichen Rezeptionssituationen. Dabei hat sich die Nutzung digitaler Medien durch extremistische Akteure in den vergangenen Jahren zunehmend auch inhaltlich an diese spezielle Zielgruppe angepasst (Beyersdörfer et al., 2017; Frankenberger, Glaser & Hofmann, 2015) und knüpft im virtuellen Raum an traditionelle Werbestrategien an. Vor allem mit Blick auf die rechte Szene warnen Experten der Extremismusprävention schon seit längerem vor der „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ (Pfeiffer, 2016, S. 263), die Jugendliche mit einem modernen Erscheinungsbild ansprechen und in ihrer Lebenswelt abholen soll. Dazu gehört eine Vielzahl jugendgerechter Unterhaltungsangebote, die über mediale Angebote hinausgehen. Das können indirekt oder direkt politisch aufgeladene Veranstaltungen 23
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wie Demonstrationen, Konzerte oder Ausflüge sein (Pfeiffer, 2016, S. 264). Diese Angebote sollen den Jugendlichen ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, sie zum Teil der Gruppe machen. Die interaktive Erscheinungsform sozialer Medien bietet hier die ideale Verknüpfung zwischen realweltlichen Begegnungen und Aktionen und einer jugendaffinen digitalen Erlebniswelt, die für jugendliche Nutzer einen niedrigschwelligen Einstieg in extremistische Kreise bietet.
Musik als niedrigschwelliger Einstieg Musik ist sowohl in der rechten als auch islamistischen Szene eines der wichtigsten Instrumente, um Jugendliche anzusprechen (Inan, 2017, S. 109; Pfeiffer, 2016, S. 270). In digitaler Form und über soziale Medien lässt sie sich heute denkbar einfach verbreiten und zusätzlich optisch entsprechend aufbereiten. Diese Rolle übernehmen heute vor allem Videoplattformen wie YouTube, hier lassen sich entsprechende Titel direkt mit passendem Bild- oder Videomaterial unterlegen. Die Videos werden schließlich mit bestimmten und meist harmlosen und unverdächtigen Begriffen (sogenannten Tags) verschlagwortet (Frankenberger et al., 2015, S. 5). Suchen Nutzer nach diesen Begriffen, tauchen die entsprechenden Videos in der angezeigten Trefferliste auf. Dabei ist der extremistische Hintergrund der Lieder nicht immer sofort zu erkennen. Hinweise auf die dahinterliegende extremistische Ideologie zeigen sich meist erst bei genauerer Betrachtung der Liedtexte oder der Quelle. Damit eignet sich Musik besonders gut als niedrigschwelliger Einstieg in die jeweilige extremistische Szene, die den Weg zum Kontakt mit weiteren digitalen Inhalten ebnen kann (Wörner-Shappert, 2009, S. 99). Die Texte transportieren mehr oder weniger offene ideologische Botschaften, bedienen Stereotype, kreieren Feindbilder und transportieren teilweise sogar Gewaltphantasien. In rechtsextremen Liedern findet beispielsweise häufig eine Verehrung und Stilisierung des Deutschen Volkes statt. Gleichzeitig werden bestimmte Gruppen, wie Ausländer, Flüchtlinge, Linke, Regierungsvertreter oder Homosexuelle als Feindbilder propagiert, gegen die es mit Gewalt und Härte vorzugehen gilt (Wörner-Shappert, 2009, S. 100). Zusätzlich beinhalten Lieder aus der rechten Szene häufig geschichtsrevisionistische Elemente und eine Verherrlichung des Nationalsozialismus. Verpackt werden diese Botschaften in Musikstücken unterschiedlicher Genres. Vorwiegend findet man jedoch den berühmten „Rechtsrock“ und mittlerweile verstärkt auch Rap und Hip-Hop-Stücke, beispielsweise von dem Szenerapper MaKss Damage (Baum, 2015) oder dem Rapper Komplott1, der quasi 1
Der Rapper Komplott ist Teil der Identitären Bewegung „Kontrakultur Halle“. Die Ideen und Argumentationen der Identitären werden vor allem in seinem Song „Europa“ verarbeitet. Dort heißt es u. a. „Wir müssen uns wehren, sonst ist es zu spät, denn unsere Gegner
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den Soundtrack zur Identitären Bewegung (IB) liefert und in seinen düsteren YouTube-Videos vor dem Untergang des Abendlandes warnt und für die Beibehaltung der völkischen Reinheit plädiert (Walter, 2017). Auch islamistische Akteure stellen durch die Produktion und Verbreitung von Musikstücken einen Bezug zur jugendlichen Lebenswelt her und versuchen auf diesem Weg Heranwachsende an Kernelemente ihre Ideologie (z. B. Feindbilder und Märtyrerverehrung) heranzuführen (Lemieux & Nill, 2011, S. 148). Neben Hip-Hop-Stücken wird hier vor allem auf die traditionellen Naschids (A-cappella-Gesänge mit religiösen Inhalten) zurückgegriffen (Glaser & Frankenberger, 2016, S. 10; Inan, 2017, S. 109). Veröffentlicht werden sie häufig von Islamisten, aktuell v. a. von Anhängern des sogenannten Islamischen Staats, die aus westlichen Ländern in Krisengebiete ausgewandert sind und sich dort terroristischen Bewegungen angeschlossen haben. In den Texten dieser Naschids wird für den Heiligen Krieg geworben und sie werden häufig dazu verwendet, Videos und Bilder aus Kampfgebieten zu unterlegen. Ein besonders interessantes Beispiel für die Anknüpfung dieser traditionellen Gesänge an die Lebenswelt von Jugendlichen stellt der Fall Denis Cuspert da. Unter dem Künstlernamen Deso Dogg war er vor seiner Konvertierung zum Islam als Rapper bekannt (Inan, 2017, S. 110). Im Zuge seiner Radikalisierung innerhalb der salafistischen Szene wurde seine Bekanntheit dazu genutzt, weitere Jugendliche anzuwerben (ebd.). Es lässt sich also festhalten, dass Musik, unabhängig vom Extremismustyp, ein wichtiger Baustein extremistischer Propagandastrategien zu sein scheint, mit der nicht nur bereits extremistisch-orientierte Jugendliche und Szenemitglieder angesprochen werden, sondern alle, die für die Form oder Inhalte empfänglich sind. Besonders in der Kombination mit ansprechenden Videoinhalten und mittels der Verbreitung über die Infrastruktur sozialer Videoplattformen wie YouTube kann extremistische Musik unter Jugendlichen einen niedrigschwelligen Einstieg in eine extremistische Szene und deren Gedankenwelt darstellen. Auch wenn bisher kaum empirische Befunde zur tatsächlichen Reichweite und Wirkung extremistischer Musik vorliegen, gehen Experten aus der Extremismusforschung und -prävention davon aus, dass extremistische Musik sowohl beim Einstieg in die Szene eine Rolle spielt als auch dazu führt, dass sich extremistische Einstellungsmuster bei gefährdeten Jugendlichen manifestieren (Wörner-Shappert, 2009, 101ff.)
vernichten die ethnokulturelle Kontinuität.“ Der Clip wurde auf YouTube mittlerweile fast 300.000 Mal abgerufen (https://www.YouTube.com/watch?v=nmPGguKbixY). 25
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Jugendliche Lebenswelt und Verschleierungstaktiken Mit der steigenden Zahl extremistischer sozialer Medienangebote geht auch eine zunehmende Professionalisierung entsprechender Inhalte einher. Propagandavideos versuchen nicht selten mit ihrer Produktionsqualität zu überzeugen und verwenden häufig Stilelemente und Optik herkömmlicher Action-Filme (Weimann & Jost, 2015, S. 381). Generell gilt: technisch und gestalterisch sind extremistische Seiten, Videos und Bilder auf die Nutzungsgewohnheiten der jungen Zielgruppe zugeschnitten und bedienen sich jugendaffiner Stilmittel, wie Memes oder GIFs2. Diese Formate sind darauf angelegt, sich aufgrund ihrer geglätteten und unverdächtigen Optik und einfacher inhaltlicher Claims möglichst viral zu verbreiten (Beyersdörfer et al., 2017, S. 7). Beyersdörfer et al. (2017, S. 18) beschreiben die Bilder, die sich häufig bekannter Grafiken und popkultureller Referenzen bedienen, deshalb treffend als „Ideologiehäppchen zum Teilen“. Extremistische Akteure passen sich dabei geschickt an aktuelle Trends an und gestalten Angebote, die der gegenwärtigen Netzkultur entsprechen. Beispielsweise sind einige Akteure aus der rechten Szene zurzeit auf der Foto-Plattform Instagram aktiv und verbreiten dort ästhetisch inszenierte Bilder der eigenen Person, die sich rein optisch kaum von den Aufnahmen derzeit beliebter Mode- und Lifestyle-Blogger unterscheiden. Aber auch in der islamistischen Szene sind Bilder ein wichtiges Propagandamittel, vor allem über Twitter und Facebook verbreitet werden und sich auch hier in erster Linie an junge Menschen richten (Klausen, 2015, S. 20). Um das jugendliche Publikum nicht sofort abzuschrecken, greifen extremistische Akteure häufig auf unterschiedliche Verschleierungstaktiken zurück. Beispielsweise lassen sie Elemente ihrer jeweiligen extremistischen Ideologie in entsprechenden Gruppen oder Inhalten nur untergeordnet auftauchen und verwenden in ihren Texten unverdächtige und unbesetzte Begriffe. In der rechten Szene zeigt sich dieser Trend derzeit besonders deutlich bei der Identitären Bewegung (IB), bei der das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem aktuellen Bericht „Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen“ sieht (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S. 63). Im Gegensatz zur traditionellen rechten Szene, die überwiegend aus Kameradschaften und regionalen Gruppen entstanden ist und erst nach und nach auch online aktiv geworden ist, handelte es sich bei der IB von Beginn an um eine vorwiegend im digitalen Raum aktive Gruppierung, die mit einer besonders „durchgestylten Optik“ (Beyersdörfer et al., 2017, S. 7) und popkulturellen Referenzen ganz gezielt junge Menschen ansprechen und zum Mitmachen animieren will. 2 Mit dem Begriff GIF (Graphics Interchange Format) bezeichnet man ein Bildformat, das innerhalb der meisten Webbrowser als kurze Animation abgespielt werden kann, die sich fortwährend wiederholt.
2.3 Extremismus im Internet
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Mittlerweile ist die Gruppe nicht mehr ausschließlich im Internet aktiv, sondern fiel zuletzt regelmäßig durch öffentlichkeitswirksame Aktionen auf (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, 62f.). Mit Bild- und Videomaterial dieser Aktionen inszenieren sie sich in den sozialen Netzwerken als rebellische Jugendbewegung und werben so weiter um neue Anhänger. Dabei vermeiden sie belastete Begriffe der traditionellen rechten Szene und verbreiten ihre fremdenfeindliche Ideologie stattdessen mit neuen Ausdrücken wie „der große Austausch“, warnen vor einer „Verdrängung der einheimischen Bevölkerung“ und fordern „Remigration“ (Identitäre Bewegung Deutschland e. V.). Gleichzeitig werben sie dafür, Begriffe wie „ethnokulturelle Identität“ und „Heimatliebe“ (wieder) positiv zu besetzen (Beyersdörfer et al., 2017). Darüber hinaus spielt für die IB Interaktivität und der Austausch mit anderen Nutzern eine große Rolle und sie diskutieren in sozialen Medien bereitwillig über ihre Ideologie. Ihre Botschaften können sich so in den sozialen Netzwerken schnell und weit verbreiten (Beyersdörfer et al., 2017, S. 11). Akteure aus der salafistischen und islamistischen Szene arbeiten ebenso mit unverfänglichen Formulierungen und einer Aufmachung, die die dahinterstehende Ideologie auf den ersten Blick nicht erkennen lässt (Glaser & Frankenberger, 2016, S. 9). Vor allem bildliche Darstellungen sind hier von großer Bedeutung. Die Gestaltung von Propagandavideos des sogenannten „Islamischen Staats“ ist an die Sehgewohnheiten der vornehmlich jugendlichen Zielgruppe angepasst und auch sie werden überwiegend über soziale Medien, v. a. Videoplattformen und mobile Chatprogramme, wie WhatsApp oder Telegram, verbreitet (ebd., S. 10). Inhaltlich liefern diese Videos häufig ein idealisiertes Bild dschihadistischer Kriegshandlungen und glorifizieren islamistische Terroristen und Attentäter als heroische Märtyrer (ebd.). Dabei soll subtil vermittelt werden, der dschihadistische Kampf gegen Ungläubige und Feinde des Islams sei wesentlicher Teil einer gewissenhaften Religionsausübung. Eine Vorstellung, die auch in selbstproduzierten salafistischen Comics3 auftaucht, die über YouTube und Facebook verbreitet werden und Jugendliche subtil radikalisieren soll. Zusätzlich versuchen extremistische Akteure, ihre Ideologie durch vermeintlich harmlose Themen möglichst verdeckt zu transportieren, um auch auf diese Weise ihre Reichweite zu erhöhen. Mit Gruppen und Seiten in sozialen Netzwerken oder Blogs, die auf den ersten Blick scheinbar thematisch ausgerichtet sind, und nicht selten bewusst das Erscheinungsbild traditioneller Nachrichtenseiten kopieren, versuchen sie das Interesse junger Nutzer zu wecken. Das können einerseits Themen 3 Zum Beispiel die Comicserie „Supermuslim“, in der ein vermeintlicher muslimischer Superman gewaltsam gegen die Feinde des Islams kämpft und zur Rückbesinnung auf vermeintliche muslimische Werte aufruft Glaser und Frankenberger (2016, S. 10). 27
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aus der Lebenswelt von Jugendlichen sein, wie Fußball, Musik, Mode oder Humor, die auf scheinbar thematisch ausgerichteten Gruppenseiten in sozialen Netzwerken präsentiert werden (Beyersdörfer et al., 2017, S. 12). Rechtsextremistische Akteure vereinnahmen beispielsweise häufig die Themen Tier- und Naturschutz (ebd.). Für Jugendliche ohne entsprechende Vorkenntnisse kann es u. U. schwierig sein, den ideologischen Hintergrund dieser Seiten zu erkennen. Häufig wird auch auf emotional aufgeladene Themen zurückgegriffen, von denen sie annehmen, dass sie Jugendliche besonders gut mobilisieren. Im Bereich Rechtsextremismus zeigt sich das beispielhaft an den Themen Asyl und Migration sowie Kindesmissbrauch. Salafistische Akteure greifen hingegen häufig den fortlaufenden Konflikt zwischen Israel und Palästinensern auf, oder verweisen auf Konflikte und Krisen, bei denen überwiegend muslimische Bevölkerungsgruppen betroffen sind (siehe Abbildung 1 für Beispiele). Das Ziel, bestimmte Themen zu emotionalisieren, geht häufig damit einher, bestimmte Feindbilder zu konstruieren und Stimmung gegen die entsprechenden Institutionen, Gruppen oder Personen zu machen. Sowohl für Salafisten und Islamisten als auch für Rechtsextreme und Linksextremisten sind die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre Repräsentanten in Form von Regierung, Legislative und Exekutive ein zentraler Gegner. Konkret richtet sich die Propaganda von Salafisten und Islamisten vor allem gegen die USA, Europa, Juden und Nicht-Muslime. In der gegenwärtigen rechtsextremen Szene werden insbesondere Muslime, Migranten und Asylsuchende sowie Regierungsvertreter und traditionelle journalistische Nachrichtenmedien (Stichwort: Lügenpresse) zu Feinden stilisiert, indem ihnen vorgeworfen wird, eine Bedrohung für das deutsche Volk zu sein und dieses abschaffen zu wollen. Das Feindbild linksextremer Gruppen ist demgegenüber in erster Linie „das System“, der Kapitalismus, Konzerne sowie der Staat mit seinen Repräsentanten, insbesondere der Polizei. Im Zusammenhang mit extremistischen Ideologien werden bestimmten Akteuren oder Akteursgruppen dabei häufig Verschwörungen unterstellt, deren Ziel es sei, die jeweils eigene Gruppe (z. B. die Muslime oder das deutsche Volk) zu bekämpfen. Einerseits soll bei den Rezipienten der Propaganda dadurch ein Bedrohungsgefühl evoziert werden, das einen Nährboden für weitere Elemente der extremistischen Ideologie bietet. Andererseits dient die Abwertung anderer Gruppen gleichzeitig dazu, die eigene aufzuwerten. Gerade bei jungen Menschen mit Deprivations- und/oder Diskriminierungserfahrungen kann eine solche Strategie erfolgreich sein. Extremistische Gruppierungen bieten ihnen an, ein Teil einer besonderen Gruppe zu sein (z. B. Glaser & Frankenberger, 2016). Im schlimmsten Fall führen diese sogenannten „Wolf-im-Schafspelz“-Taktiken nicht nur dazu, dass Jugendliche auf extremistische Inhalte stoßen, ohne die dahinterliegende gefährliche Ideologie oder Quelle zu erkennen. Sie können auch
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dazu führen, dass sie die entsprechenden Inhalte anschließend positiv bewerten („Liken“), unkritisch mit weiteren Nutzern teilen und somit dazu beitragen, dass sich die Reichweite dieser Inhalte weiter erhöht. Jugendliche ohne extremistischen Hintergrund können so an extremistische Ideen und Argumente herangeführt und gleichzeitig als Distributoren dieser Inhalte instrumentalisiert werden (Glaser & Frankenberger, 2016).
Abb. 1 Beispiele für nicht sofort als extremistisch erkennbare Online-Inhalte Quellen: https://www.facebook.com/genislam1/photos/a.512243892228291.1073741828.40 6703356115679/1200734366712570/?type=3&theater; abgerufen am 17.07.2018 https://www.facebook.com/genislam1/photos/a.512243892228291.1073741828.40670335611 5679/791796604273017/?type=3&theater; abgerufen am 17.07.2018 https://www.facebook.com/StacheldrahtzieherSDZ/photos/a.1392039420858256.1073741828. 1392032197525645/1433164523412412/?type=3&theater; abgerufen am 16.7.2018 https://www.facebook.com/justnationalistgirls/photos/a.291511341012228.1073741827. 291474584349237/441920822637945/?type=3&theater; abgerufen am 17.07.2018
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2.3.2 Umfang extremistischer Inhalte im Internet Aussagen darüber, wie viele extremistische Inhalte in sozialen Medien zu finden sind, lassen sich mit Blick auf die Vielzahl unterschiedlicher Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten nur schwer treffen. Auch für einzelne Plattformen liegen bisher keine öffentlich zugänglichen empirischen Befunde systematischer Analysen zu tatsächlichen Reichweiten vor. Anhaltspunkte für die Breite und Vielfalt an Inhalten liefern jedoch Beobachtungen von Institutionen wie jugendschutz. net, denen jugendgefährdende Inhalte gemeldet werden können sowie aktuelle Berichte von Sicherheitsbehörden, wie der jährliche Verfassungsschutzbericht. Aus Sicht des Jugendschutzes, der Medienpädagogik und der Extremismusprävention sind ohnehin vor allem diejenigen Angebote von Bedeutung, die auf den großen Social-Media Plattformen zu finden sind, da diese von extremistischen Akteuren häufig gezielt für den Erstkontakt mit Jugendlichen genutzt werden. Bekannt ist, dass viele zentrale extremistische Personen und Gruppierungen heute über Profile und Gruppenseiten in sozialen Netzwerken wie Facebook verfügen und dort regelmäßig Inhalte veröffentlichen und verbreiten (Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017). Zwar geht v. a. Facebook in den vergangenen Jahren immer härter gegen offen extremistische Profile vor und hat wiederholt entsprechende Nutzerprofile und Gruppen gelöscht. Diese tauchen allerdings entweder kurze Zeit später unter neuem Namen wieder auf oder weichen auf weniger restriktive Netzwerke, wie den russischen Dienst VK.com oder der recht neuen rechtskonservativen Plattform gab.ai, aus. Durch gleichzeitige Nutzung ganz unterschiedlicher Plattformen und die Produktion und Verbreitung unterschiedlicher Formate soll ein möglichst breites jugendliches Publikum erreicht werden (Glaser & Frankenberger, 2016). Die Strategie, möglichst viel Content über diverse Plattformen zu verbreiten, spiegelt sich auch in dem aktuellen Bericht von jugendschutz.net wider, der allerdings keine Zahlen zu linksextremistischen Angeboten ausweist.
Rechtsextremismus Die Zahl der Hinweise auf rechtsextremistische Online-Inhalte, die jugendschutz. net erhalten hat, ist seit 2014 kontinuierlich angestiegen. Bei den registrierten Verstößen gegen den Jugendschutz aus dem Jahr 2016 (N = 1.678) handelte es sich überwiegend um Angebote mit volksverhetzenden Inhalten (51 %) oder strafbaren rechtsextremen Symbolen (24 %). Bei fast allen registrierten Verstößen (98 %) handelte es sich um Inhalte oder Angebote, die auf den drei größten sozialen Medienplattformen Facebook (52 %), YouTube (23 %) und Twitter (21 %) zu finden waren. Diese Zahlen sagen allerdings wenig über die Reichweite solcher Inhalte aus und lassen keine Rückschlüsse darauf zu, wie häufig Jugendliche tatsächlich
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in Kontakt mit rechtsextremen Online-Angeboten kommen. Für einzelne Beiträge konnte jugendschutz.net anhand von Zugriffszahlen, Nutzerfeedback (z. B. Likes) oder Verlinkungen relativ hohe Reichweiten feststellen. Dabei sind vor allem Inhalte zum Thema „Kriminalität von Flüchtlingen“ und provozierende Videoclips in jugendlicher Aufmachung bei Nutzern besonders beliebt (jugendschutz.net, 2017a).
Linksextremismus Da linksextremistische Aktivitäten, anders als dies im Rechtextremismus und Islamismus der Fall ist, nicht von Institutionen wie jugendschutz.net beobachtet werden und entsprechende wissenschaftliche Studien bisher fehlen, ist man bei der Beurteilung linksextremer Internetaktivitäten fast ausschließlich auf die Berichte des Verfassungsschutzes angewiesen (eine Ausnahme: van Hüllen, 2014). Allerdings finden sich auch hier keine konkreten Angaben zu Reichweiten oder Zugriffszahlen entsprechender Inhalte (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017). Nach Einschätzung des Berichts werden allerdings nur wenige Internetangebote außerhalb ihrer „lokalen, regionalen oder ideologischen Zusammenhänge“ von einer größeren Zahl von Nutzern wahrgenommen (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, 115ff.), weshalb auch Linksextremisten verstärkt soziale Medien nutzen, um Szene und Sympathisanten zu erreichen (van Hüllen, 2014). Das wohl mit Abstand wichtigste Forum der linksextremen Szene indymedia.linksunten wurde allerdings im Sommer 2017 verboten, was vermutlich nicht zuletzt eine Reaktion auf die Rolle der Plattform im Zusammenhang mit den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg war. In der Begründung des Bundesinnenministeriums wurde darauf verwiesen, dass auf der Open-Posting-Plattform immer wieder zu Gewalt gegen Polizisten und politische Gegner sowie zu Angriffen auf Infrastruktureinrichtungen aufgerufen worden sei. Ansonsten lässt sich auf Basis öffentlich zugänglicher Quellen nichts Genaueres über die Reichweite linksextremistischer Angebote sagen.
Religiös begründeter Extremismus (Islamismus) Auch für die Dimension und Reichweite islamistischer Angebote spielen reichweitenstarke Plattformen wie Facebook und YouTube eine große Rolle. Seit 2012 hat jugenschutz.net über 1.000 Verstöße gegen den Jugendschutz registriert. Auch hierbei ging es vor allem um die Verbreitung verbotener Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Aus Sicht des Jugendschutzes ist islamistische Propaganda zudem unter anderem wegen der teils drastischen Gewaltdarstellungen problematisch, mit denen eigene Gewalthandlungen legitimiert werden sollen (Glaser & Frankenberger, 2016, S. 10). Unter den gemeldeten Inhalten finden sich jedoch auch Fälle, in denen der Krieg in Form des bewaffneten Dschihad verherrlicht wurde, sowie 31
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
volksverhetzende Äußerungen, die sich vor allem gegen Juden, Ungläubige und Homosexuelle richten.
2.3.3 Kontakt mit extremistischen Inhalten im Internet Insgesamt ist es wichtig zwischen Angebot, tatsächlicher Reichweite und Rezeption sowie der Wirkung extremistischer Inhalte zu unterscheiden. Nicht alles, was an extremistischen Inhalten existiert und digital zur Verfügung steht, wird auch rezipiert. Wie alle digitalen Angebote konkurrieren auch extremistische Inhalte mit einer riesigen Masse an digitalen Inhalten um die Aufmerksamkeit der Nutzer. Die technologischen Strukturen digitaler Medien können die Reichweite extremistischer Inhalte jedoch erhöhen. Um die Sichtbarkeit ihrer Materialien zu erhöhen, versehen extremistische Akteure ihre Inhalte häufig mit harmlosen Schlagworten (Tags) und verwenden populäre Hashtags (Beyersdörfer et al., 2017, S. 18; Frankenberger et al., 2015, S. 5). Das können neben aktuellen Ereignissen und Themen, die junge Menschen besonders interessieren, auch Namen berühmter Personen sein. Suchen Jugendliche über die Plattformen nach diesen Begriffen oder nutzen andere Inhalte zu diesen Themen und Personen, werden ihnen die extremistischen Inhalte ebenfalls angezeigt. Insgesamt fehlen bisher jedoch empirische Befunde, die Rückschlüsse auf die tatsächliche Reichweite extremistischer Online-Inhalte zulassen. Erste Hinweise liefern jedoch Studien, die sich mit dem Thema Hassrede und Hasskommentare beschäftigen. Sie sind deswegen relevant, weil die Definitionen von Hassrede und Extremismus insoweit eine große Schnittmenge aufweisen, als dass in beiden Fällen die pauschale Abwertung von Gruppen bzw. von Individuen aufgrund der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen ein wesentliches Element bilden (z. B. Erjavec & Kovačič, 2012; Hawdon et al., 2015).4 Dies widerspricht dem demokratischen Gleichheitsprinzip. So ergab beispielsweise eine repräsentative, international ver4 Erjavec & Kovacic (2012: 900) definieren Hate Speech wie folgt: „Hate speech refers to an expression that is abusive, insulting, intimidating, harassing, and/ or incites to violence, hatred, or discrimination. It is directed against people on the basis of their race, ethnic origin, religion, gender, age, physical condition, disability, sexual orientation, political conviction, and so forth“. Eine ähnliche Definition hat auch Facebook (k. D.) als: „Inhalte, die Personen basierend auf tatsächlicher oder empfundener Rasse, Ethnizität, nationaler Herkunft, Religion, Geschlecht, soziokulturellem Geschlecht oder soziokultureller Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Behinderung oder Krankheit angreifen.“
2.3 Extremismus im Internet
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gleichende Befragung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (15 bis 30 Jahre) in Finnland, den USA, Großbritannien und Deutschland (Hawdon et al., 2015), dass in Deutschland 31 Prozent der Befragten in den letzten drei Monaten „hateful or degrading writings or speech online, which inappropriately attacked certain groups of people or individuals“ gesehen hatten. Damit begegneten die deutschen Befragten solchen Inhalten im Ländervergleich am seltensten. Die meisten davon stießen auf solche Inhalte bei Facebook (61 %), YouTube (48 %) und Twitter (21 %). Weitere Befragungen in Deutschland haben sich in den vergangenen Jahren mit der Frage beschäftigt, wie häufig Internetnutzer mit „Hasskommentaren“ konfrontiert werden und wie sie darauf reagieren. So kam eine repräsentative Befragung der LfM NRW unter Internetnutzern 2016 zu dem Ergebnis, dass 26 Prozent der Befragten häufig oder sehr häufig Hasskommentare im Internet sehen, unter den 14- bis 24-Jährigen waren es sogar 54 Prozent. Auf die Frage, was sie tun würden, wenn sie einen Hasskommentar im Internet wahrnehmen, antworteten dabei 49 Prozent, sie würden den Kommentar ignorieren und neun Prozent gaben an, sie wüssten nicht, wie sie reagieren würden (LfM, 2017; auch bitkom.com, 2015). Offen ist bei den genannten Studien allerdings häufig, was genau die Befragten unter Hasskommentaren verstehen und inwieweit diese Kommentare inhaltlich extremistisch sind oder von Extremisten stammen, oder ob in den Augen der Befragten z. B. auch Cybermobbing (Fawzi, 2015) darunter fällt. Jedoch lassen Befunde aus den USA, in denen zumindest auch nach Extremismus gefragt wurde, vermuten, dass die Mehrheit der jungen Nutzer bereits Kontakt mit extremistischen Inhalten hatte. In einer quantitativen Befragung von Costello et al. (2016) gaben fast zwei Drittel der Befragten an, schon einmal mit „extremistischen Hassinhalten“ in Kontakt gekommen zu sein, wobei dieser Kontakt am häufigsten über eine der großen sozialen Medienplattformen wie Facebook (48 %), YouTube (30 %) und Twitter (19 %), zustande kam (Costello et al., 2016, 316). Die Befunde zeigten zudem, dass Nutzer in vielen Fällen nicht gezielt, sondern zufällig auf solche Inhalte gestoßen sind.
2.3.4 Wirkungen extremistischer Inhalte im Internet Zudem lässt sich nur bedingt vom Kontakt mit bzw. der Rezeption von extremistischen Online-Botschaften auf deren Wirkung schließen. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die Frage, ob extremistische Inhalte zu einer kognitiven oder verhaltensmäßigen politischen Radikalisierung beitragen können. Als politische Radikalisierung kann man mit McCauley und Moskalenko (2008, S. 416) Veränderungen von Vorstellungen, Emotionen und Verhaltensweisen verstehen, die zu einer zunehmenden Rechtfertigung von Intergruppen-Gewalt führen 33
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
und die Opferbereitschaft für eine Gruppe erhöhen. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass man von Radikalisierung bereits dann sprechen kann, wenn sich nur Vorstellungen, Einstellungen und Emotionen verändern, ohne dass selbst Gewalt ausgeübt wird bzw. dass man zwischen „gewalttätiger“ und „nicht-gewalttätiger“ Radikalisierung unterscheiden muss (z. B. Neumann, 2013; Neumann & Stevens, 2011). Dementsprechend ist Radikalisierung auch nicht zwingend gleichbedeutend mit einer Rekrutierung für die Mitgliedschaft in einer extremistischen Bewegung oder Organisation oder die Teilnahme an Terroraktivitäten. Einzelne Autoren sind sogar der Ansicht, dass die zu starke Fokussierung auf die gewalttätige Radikalisierung in manchen Ländern dazu geführt hat, dass im Bereich der Prävention falsche Wege eingeschlagen wurden, weil man sich nicht um die eigentlichen Ursachen, sondern eher um die Symptome des Extremismus gekümmert habe (z. B. Russell & Saltman, 2014, S. 3). Auch wenn es ganz unterschiedliche, empirisch unterschiedlich stark fundierte Radikalisierungsmodelle gibt (z. B. Decker, Kiess & Brähler, 2016; Hasebrink & Schmidt, 2013; Schneller, 2017), so wird Radikalisierung in der Regel als Prozess verstanden und die Forschung hat gezeigt, dass es bestimmte Prädispositionen und Lebenslagen gibt, die Menschen anfälliger für Radikalisierung machen (Schneller, 2017). Dazu zählen soziale Erfahrungen wie Ausgrenzung, Deprivation, Diskriminierung und familiäre Konflikte, Persönlichkeitsfaktoren wie Risikobereitschaft, Gewaltakzeptanz und Autoritarismus sowie die Suche nach Identität und Orientierung (z. B. Gabriel & Keller, 2014; Leonhard, 2016; Pisoiu, 2013). Verschiedene Arten von Medien können dabei vermutlich auf allen Stufen eines Radikalisierungsprozesses eine Rolle spielen, die theoretische Ausarbeitung und empirische Untersuchung der verschiedenen Einflussprozesse steht aber noch am Anfang (für eine Ausnahme Neumann & Baugut, 2017). Ähnliches gilt auch für die spezielle Bedeutung des Internets und sozialer Medien für Radikalisierung und Rekrutierung. Auch hier ist die Befundlage noch sehr dünn (Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017; Salzborn & Maegerle, 2016, S. 228). Experten aus der Extremismusprävention weisen in diesem Zusammenhang häufig darauf hin, dass der Einfluss der virtuellen Lebenswelt nur schwer von der Offlinewelt zu trennen sei und eine solche Aufspaltung mit Blick auf eine umfassende Analyse der Einflussfaktoren innerhalb eines Radikalisierungsprozesses zudem wenig sinnvoll sei. Fälle, in denen sich Einzelpersonen ausschließlich online radikalisiert haben, sind – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – kaum dokumentiert. In der Regel scheinen hier digitale und reale Kommunikation Hand in Hand zu gehen, wobei den sozialen Medien gerade beim Erstkontakt mit extremistischen Inhalten oder Akteuren eine bedeutende Rolle zugeschrieben wird. So kann auf das kritische Kommentieren eines geposteten Beitrags über Asylbewerber schnell eine Einladung in eine ideolo-
2.3 Extremismus im Internet
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gische Facebook-Gruppe folgen und darin wiederum die Einladung zur Teilnahme an einem Stammtisch oder einer Protestaktion. Eine ähnliche Kette ist auch mit salafistischem Hintergrund denkbar. Empirisch hat die Forschung erst begonnen, solche Wirkungszusammenhänge zu untersuchen (Neumann, 2019, im Erscheinen). Deshalb ist auch unklar, ob eine aktive Suche nach extremistischen Inhalten im Internet typischerweise vor oder erst nach einer ersten, initialen Radikalisierung stattfindet (Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017, S. 36). Dafür, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene für extremistische Propaganda empfänglich sind, spricht hingegen vieles. Zum einen beginnen sich politische Einstellungen in dieser Lebensphase erst allmählich herauszubilden und sind noch nicht so gefestigt wie im Erwachsenenalter. Darüber hinaus ist diese Lebensphase durch Identitätsfindung und die Suche nach Orientierung geprägt. Extremistische Akteure versuchen diese Unsicherheiten und Entwicklungsphasen direkt zu adressieren, indem sie Jugendlichen sinnstiftende und einfache Weltbilder vermitteln. Regeln, Struktur und ein dichotomes Weltbild können Jugendlichen Orientierung liefern und ein positives Gefühl der Gruppenzugehörigkeit auslösen (Schmitt et al., 2017, S. 4). Aktuelle Befunde liefern Hinweise darauf, dass die Suche und Fundierung sozialer Identität für die Akzeptanz fundamentalistischer Ideologien tatsächlich eine wichtige Rolle spielt (Frindte & Geschke, 2016, 186f.). Auch Analysen der deutschen Sicherheitsbehörden, legen nahe, dass das Internet eine besondere Bedeutung für die Radikalisierung Jugendlicher hat (Bundeskriminalamt, 2016). Für den Nachweis tatsächlicher Wirkungszusammenhänge zwischen extremistischen Online-Inhalten und der Ausbildung extremistischer Einstellungen fehlen bisher jedoch eindeutige Belege. Auch ihre Rolle innerhalb von Radikalisierungsprozessen ist empirisch noch nicht belegt. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wissen wir jedoch, dass auch Medieninhalte die Entstehung von Einstellungen und Verhalten beeinflussen können (Schemer, 2012; Slater, 2007). Ob und wie stark Medieninhalte wirken, hängt jedoch auch immer von individuellen Prädispositionen, vom sozialen Umfeld des Rezipienten sowie von der jeweiligen Rezeptionssituation ab (Valkenburg & Peter, 2013). Sicher ist jedoch, dass die Rezeption extremistischer Inhalte nicht automatisch zu einer Übernahme der darin vermittelten Ideologie führt. Rieger et al. (2013) konnten anhand einer experimentellen Studie zeigen, dass Betrachter extremistischer Propagandavideos in erster Linie ablehnend reagieren und diese sowohl als wenig interessant als auch wenig überzeugend bewerteten. Gleichzeitig zeigte sich jedoch auch, dass die Stärke der Abwertung extremistischer Propaganda von soziodemographischen Faktoren (z. B. einer niedrigen formalen Bildung) und bestimmten Voreinstellungen wie Gewaltakzeptanz und einer positiven Einstellung gegenüber Autoritarismus abhing (Rieger et al., 2013, S. 92). 35
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2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Doch auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass extremistische Online-Inhalte allein zu einer Selbstradikalisierung der Nutzer führen, sind sie dennoch vermutlich in der Lage, bereits bestehende Einstellungen zu festigen und zu verstärken. Hierbei scheinen digitale Medien eine bedeutende Rolle einzunehmen. Aus der kommunikationswissenschaftlichen Forschung wissen wir, dass Rezipienten dazu tendieren, sich bevorzugt Inhalten und Angeboten zuzuwenden, die ideologisch mit ihren eigenen Einstellungen übereinstimmen. Dieses Phänomen der selektiven Zuwendung ist für die Nutzung verschiedener Medieninhalte belegt (vgl. Knobloch-Westerwick, 2014). Auch bei der Ausbildung sozialer Netzwerke zeigt sich häufig diese Tendenz, sich Menschen mit ähnlichen politischen Einstellungen und weiteren Ähnlichkeiten zur eigenen Person zuzuwenden. Auf diese Weise können Nutzer in sogenannten Echokammern landen, in denen sie überwiegend mit homogenen Meinungen und Einstellungen in Berührung kommen, die ihre eigenen Einstellungen bestätigen und festigen. Im schlimmsten Fall kann eine solche Kommunikationsstruktur zu einer Extremisierung der eigenen Einstellungen beitragen (Stroud, 2010). Die zahlreichen Personalisierungstechnologien sozialer Medienangebote können dieses Phänomen dramatisch verstärken. Die Auswahl bestimmter Medieninhalte wird hier zusätzlich durch Algorithmen gesteuert, die Nutzern basierend auf ihren Prädispositionen, ihrem sozialen Netzwerk und vorangegangenem Nutzungsverhalten sowie auf den Rezeptionsmustern ähnlicher Online-Nutzer bestimmte Inhalte präsentieren, während ihnen Inhalte zu anderen Themen oder inkonsistenten Einstellungen verborgen bleiben. Dieses Vorgehen der Plattformen dient vor allem dem Zweck, ihre Nutzer mit Beiträgen zu versorgen, die sie besonders interessieren, um somit die Nutzungszeit zu erhöhen und höhere Werbeeinnahmen generieren zu können. Wenn es dabei jedoch um extremistische Inhalte geht, können diese unbewussten Selektionsmechanismen schnell zu einer extremistischen „Filterblase“ (Pariser, 2011) führen, bei denen Nutzer immer wieder entsprechende Inhalte präsentiert bekommen. Für YouTube konnte dieser Mechanismus bereits empirisch beobachtet werden (O’Callaghan, Greene, Conway, Carthy & Cunningham, 2014). Dies ist besonders problematisch, da die Selektionsmechanismen solcher Empfehlungsalgorithmen vor allem medienunerfahrenen Nutzern meist nicht bewusst sind.
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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Extremistische Online-Strategien und ihre Wirkungen Extremistische Personen und Gruppierungen versuchen auf vielen verschiedenen Wegen, ihre Botschaften über Online-Medien zu verbreiten. Dabei spielen soziale Netzwerke, die Orientierung der Inhalte an der Lebenswelt und den Vorlieben von Jugendlichen sowie verdeckte Strategien eine wichtige Rolle. Von Bedeutung ist die Ausbreitung extremistischer Online-Inhalte vor allem deshalb, weil die Gefahr kognitiver und gewaltsamer Radikalisierungsprozesse besteht, für die Jugendliche vermutlich besonders anfällig sind. Jedoch fehlen bislang Erkenntnisse darüber, wie oft Jugendliche überhaupt mit welchen Arten von Extremismus in Kontakt kommen und wo dies genau geschieht.
2.4
Strategien gegen Extremismus im Internet
2.4
Strategien gegen Extremismus im Internet
In Politik, Forschung und Sicherheitsbehörden werden verschiedene Strategien diskutiert, um den Aktivitäten extremistischer Akteure im Internet entgegenzuwirken. Der Kampf gegen Online-Extremismus ist dabei im besten Fall nur ein Teil umfassenderer Maßnahmen von Extremismusprävention, die sich nicht nur auf die Bekämpfung von Symptomen fokussieren, sondern auch deren gesellschaftliche, soziale, ökonomische und psychologische Ursachen in den Blick nehmen. Dazu zählen auf der individuellen Ebene unter anderem Programme, in denen versucht wird, Jugendliche mit Deprivations- und Diskriminierungserfahrungen oder einer unsicheren Identität gezielt zu unterstützen und ihren Selbstwert und ihre Empathiefähigkeit zu steigern (z. B. Feddes, Mann & Doosje, 2015; im Überblick: Radicalisation Awareness Network, 2014). Davon unterschieden werden müssen Programme zur Deradikalisierung, die nicht vor oder zu Beginn eines Radikalisierungsprozesses ansetzen, sondern in späteren Phasen ansetzen (etwa die Aussteigerorganisation EXIT). Betrachtet man den Teilbereich der Bekämpfung des Online-Extremismus, dann wird in der Regel zwischen angebotsorientierten und rezipientenorientierten Strategien oder auch „harten“ und „weichen“ Maßnahmen unterschieden. Bei angebotsorientierten Strategien geht es vornehmlich darum, zu verhindern, dass extremistische Inhalte überhaupt ins Internet gelangen oder sie möglichst schnell wieder von dort zu entfernen. Dies geschieht beispielsweise mittels der Löschung, Filterung oder dem Verbergen von Angeboten sowie der Sperrung von Accounts. Inwieweit diese Maßnahmen tatsächlich effektiv sind, wird kontrovers diskutiert (dazu z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017, 53f). Rezipienten-orientierte 37
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Strategien setzen dagegen am Ende des Rezeptionsprozesses an und verfolgen den Ansatz, Internetnutzer für die Gefahren extremistischer Botschaften zu sensibilisieren und sie durch die Vermittlung von Politik- und Medienkompetenz zu immunisieren (dazu z. B. Meleagrou-Hitchens & Kaderbhai, 2017, 59f). Schließlich kann man die Förderung sogenannter Counterspeech (Gegenrede) als eine Kombination dieser beiden Strategien betrachten. Denn hier wird der Versuch unternommen, Akteure der Zivilgesellschaft und einfache Nutzer dazu zu bewegen, extremistischen Inhalten eigene, nicht-extremistische Botschaften entgegen zu setzen. So werden einerseits die Nutzer sensibilisiert, andererseits aber auch das Angebot der Inhalte im Netz verändert.
2.4.1 Angebotsorientierte Strategien: Regulierung, Löschung, Sperrung Aufgrund der Strukturen und Merkmale sozialer Medien, wie ihre Schnelllebigkeit und die direkte Verbreitung und Verfügbarkeit von Inhalten auch über Ländergrenzen hinweg, ist es häufig nicht möglich, mit rechtlichen Mitteln gegen entsprechende strafbare Inhalte vorzugehen. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Betreiber sozialer Medienangebote bislang weitgehend autonom über die Entfernung extremistischer und anderweitig problematischer Inhalte entschieden haben. Die Löschpraxis und das fehlende Engagement der reichweitenstärksten Anbieter wie Facebook, Twitter und YouTube geriet dabei in den vergangenen Jahren zunehmend in die Kritik. Große Plattformbetreiber und Internetfirmen sind deshalb in den vergangenen Jahren auch selbst aktiv geworden, um vor allem terroristische Inhalte von ihren Angeboten zu entfernen. Dazu zählt beispielsweise die „Jigsaw-Initative“ von Googles Mutterkonzern Alphabet, in deren Rahmen beispielsweise Projekte wie „Abdullah X“, das „AVE Network“ und „The Redirect Method“ entwickelt und getestet wurden. Dabei wurden beispielsweise im Redirect-Projekt Nutzer identifiziert, die auf Basis ihrer Online-Suchen als mögliche Sympathisanten des IS gelten konnten. Diesen Nutzern wurden dann mittels des Adword-Algorithmus Werbung für Anti-IS-Online-Inhalte zugespielt (Jigsaw, 2016; The Redirect Method, 2016). Trotz dieser sicher lobenswerten Initiativen gilt nach wie vor, dass Betreiber wie Facebook, YouTube oder Twitter in der Regel nur dann gegen extremistischen Content aktiv werden, wenn ihnen entsprechende Inhalte von Institutionen oder anderen Nutzern gemeldet werden. Im Idealfall setzt jede Meldung schließlich einen Überprüfungsvorgang in Gang. Bislang orientierte sich die Überprüfung der gemeldeten Inhalte in Deutschland jedoch in erster Linie meist an den Richtlinien
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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der entsprechenden Plattformen, die jedoch nicht immer mit den in Deutschland geltenden strafrechtlichen Regelungen übereinstimmen. Auch die Effektivität dieser plattforminternen Überprüfungsprozesse scheint bis dato fragwürdig: Zu Beginn der Jahres 2017 veröffentlichte jugendschutz.net eine Analyse der Geschwindigkeit, mit denen Facebook, YouTube und Twitter auf Beschwerden reagierten (jugendschutz.net, 2017b). Für den Test wurden zunächst strafbare Beiträge (§§ 130 und 86a StGB) ermittelt und diese von einem neutralen User-Account den einzelnen Plattformen gemeldet. Im Anschluss wurde die Auffindbarkeit der entsprechenden Beiträge in regelmäßigen Zeitabständen (jeweils nach 24 Stunden, 48 Stunden und einer Woche) überprüft. Dabei zeigte sich, dass YouTube innerhalb einer Woche immerhin 90 Prozent der gemeldeten Inhalte löschte oder sperrte, bei Facebook waren es nur 39 Prozent und Twitter reagierte sogar nur auf 1 Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte. Erst nach weiteren Maßnahmen (z. B. Meldung des Beitrags durch einen akkreditierten Account oder Direktkontakt per E-Mail) wurden die meisten der Beiträge schließlich gelöscht. Auch wenn es bei dem Test nicht explizit um extremistische Inhalte ging und eine ähnliche aktuelle Analyse der EU zu einem etwas optimistischeren Fazit kommt (EU-Kommission, 2017) Die Befunde zeigen, dass die bisherige Regulierungspraxis, die vor allem in den Händen der Plattformbetreiber liegt, unzulänglich ist und selbst strafbare extremistische Inhalte trotz Meldung oftmals weiter sichtbar bleiben und sich ungehindert weiterverbreiten können. Ein anderer Weg zur Regulierung des Angebots sind Maßnahmen des Jugendmedienschutzes. So kann die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) Webseiten mit jugendgefährdenden Inhalten indizieren, wenn die Betreiber den Zugang für Jugendliche durch bestimmte Beschränkungen nicht verhindern (Günther, 2009, 72f.). Institutionen wie jugendschutz.net sammeln Beschwerden von Nutzern und leiten diese mit der Bitte um Löschung der betroffenen Inhalte an Plattformbetreiber weiter. Doch auch dieses Vorgehen basiert in erster Linie auf der Beteiligung von Usern und kann der Masse an extremistischen Inhalten in sozialen Medien kaum gerecht werden. Um der fehlenden Transparenz und mangelnden Effektivität der Plattformen im Umgang mit extremistischen Inhalten und Hate Speech entgegenzutreten, wurde in Deutschland mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) nun erstmals ein politisches Instrumentarium geschaffen, das die Betreiber sozialer Netzwerke bei der Löschung rechtswidriger Inhalte stärker in die Pflicht nimmt. Es trat im Oktober 2017 in Kraft und verlangt von großen sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube und Twitter, gemeldete Inhalte, die offensichtlich rechtswidrig sind, innerhalb von 24 Stunden zu löschen sowie weitere rechtswidrige Inhalte innerhalb von 7 Tagen nach Eingang der Beschwerde zu entfernen oder zu sperren (Bundesministeriums 39
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der Justiz und für Verbraucherschutz, 2017). Darüber hinaus müssen die Anbieter sozialer Netzwerke ihren Umgang mit Beschwerden und ihre Löschpraxis über rechtswidrige Inhalte transparent machen. Bei Nichtbeachten drohen den Plattformen Bußgelder. Davon betroffen sind jedoch weiterhin nur strafbare Inhalte. Subtil vermittelte extremistische Inhalte können in sozialen Netzwerken weiterhin ungehindert zirkulieren und Jugendliche und junge Erwachsene dort mit ihnen in Kontakt kommen. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die gegenwärtig verfügbaren Mittel zur Regulierung und Löschung extremistischer Inhalte kaum ausreichen, um ihre Dimension und Reichweite effektiv einzudämmen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass vor allem Jugendliche und junge Erwachsene auch weiterhin in sozialen Medien mit solchen Inhalten in Kontakt kommen können. Somit stellt sich die Frage, welche weiteren Präventions- und Gegenmaßnahmen im Umgang mit extremistischen Online-Inhalten erfolgreich sein können.
2.4.2 Rezipientenorientierte Strategien: Politik- und Medienkompetenz 2.4.2.1 Politikkompetenz Man kann annehmen, dass politische Kompetenzen, eine positive Identifikation mit den Ideen einer demokratischen Gesellschaft und Vertrauen in ihre Institutionen von zentraler Bedeutung dafür sind, wie Jugendliche extremistische Botschaften wahrnehmen, wie sie sie bewerten und welche Wirkungen sie entfalten können. Nicht zuletzt deshalb ist die frühzeitige Entwicklung einer positiven Grundhaltung gegenüber dem politischen System, seinen Werten und Institutionen für die Sicherung der Stabilität einer Demokratie von herausragender Bedeutung. Es kann dabei auch für eine demokratische Gesellschaft nicht nur darum gehen, das Interesse für Politik zu wecken oder politisches Wissen und Kompetenzen zu vermitteln. Vielmehr muss sie ein Interesse daran haben, dass Kinder und Jugendliche neben Kritikfähigkeit prinzipiell positive Einstellungen zu den Werten, Normen und Verfahren einer demokratischen Ordnung entwickeln (z. B. Deutsche Vereinigung für politische Wissenschaft, 2017; Gerdes & Bittlingmayer, 2016, S. 45; Oesterreich, 2002, S. 225). Werden diese Ziele erreicht, dann dürfte extremistische Propaganda kaum auf fruchtbaren Boden fallen. Es ist deshalb notwendig, an dieser Stelle einen kurzen Blick darauf zu werfen, wie politisches Interesse, Kompetenzen und Einstellungen Jugendlicher in Deutschland ausgeprägt sind und welche Instanzen Einfluss auf ihre Entwicklung nehmen.
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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Politisches Interesse, das Vertrauen zum politischen System und politische Überzeugungen beginnen sich schon in der Kindheit zu entwickeln (van Deth, Abendschön, Rathke & Vollmar, 2007). Insbesondere der frühen Jugendphase wird für ihre Entwicklung und Festigung eine besondere Bedeutung beigemessen (z. B. Reinders, 2016). Zwar haben viele Jugendliche bereits im Alter von 14 Jahren Vertrauensurteile gegenüber politischen Institutionen und bestimmte politische Einstellungen entwickelt (z. B. Hooghe & Wilkenfeld, 2008, S. 166). Allerdings sind diese Einstellungen in der Regel wenig reflektiert. Es ergibt sich deshalb insbesondere in der frühen Jugendphase die Notwendigkeit, politische Kompetenzen und positive Einstellungen gegenüber der Demokratie aktiv zu fördern und damit Extremismus entgegen zu wirken (z. B. Kalina, 2014; Reinders, 2016).
Politisches Interesse Das grundsätzliche politische Interesse ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass man sich mit Politik beschäftigt und politische Sachverhalte einordnen und bewerten kann. Es ist deshalb positiv zu bewerten, dass für Deutschland derzeit eine Repolitisierung der Jugendlichen diagnostiziert wird. So nahm nach Befunden der Shell-Studie der Anteil der Jugendlichen, der angab, sich politisch zu interessieren, zwischen 2002 und 2015 von 34 auf 46 Prozent zu. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass sich etwas mehr als die Hälfte der Jugendlichen nicht sonderlich für Politik interessiert (z. B. Shell Deutschland, 2015b). Allerdings muss man dabei bedenken, dass Jugendliche offenbar vor allem an die klassische, institutionalisierte Politik denken, wenn sie nach „Politik“ gefragt werden (Lange, Onken & Slopinski, 2013, S. 32). Es wird deshalb von zahlreichen Autoren die These vertreten, dass bei vielen Jugendlichen nur auf den ersten Blick politisches Desinteresse herrscht. Denn fragt man nach bestimmten Themen, die Jugendliche nicht unbedingt mit dem Begriff „Politik“ in Verbindung bringen, die aber ohne Zweifel politisch sind, dann wird ein sehr viel höheres Interesse erkennbar. Einen erheblichen Einfluss auf die Intensität des politischen Interesses haben dabei unter anderem Alter, Geschlecht, die formale Bildung bzw. der Bildungshintergrund des Elternhauses sowie der Migrationshintergrund der Jugendlichen. Das politische Interesse Jugendlicher steigt mit dem Alter, Jungen geben in der Regel ein höheres Interesse an als Mädchen, Jugendliche aus bildungsnahen Milieus sind interessierter als solche aus bildungsfernen Milieus und Jugendliche, deren Elternteile nicht in Deutschland geboren wurden, interessieren sich weniger (z. B. Gille, Rijke & Décieux, 2016; Shell Deutschland, 2015b). Diese Differenzen legen nahe, dass sich auch die Kompetenzen beim Erkennen und der Wahrnehmung extremistischer Akteure und Botschaften zwischen den Jugendlichen unterscheiden werden. 41
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Politische Kompetenzen Obwohl politische Sozialisation bereits im Kindesalter beginnt, entwickeln sich die für die Einordnung politischer Fragestellungen notwendigen Fähigkeiten erst im Laufe des Jugendalters, wobei die Schule eine herausragende Rolle einnimmt (van Deth et al., 2007, 207f). Dabei liegen verschiedene Vorschläge zur Definition, zu möglichen Dimensionen und zu der Messung von Politikkompetenz vor, die hier nicht im Detail diskutiert werden können (dazu z. B. May, 2007). Massing (2012) schlägt beispielsweise vor, zwischen politischen Einstellungen und Motivation, Fachwissen, politischer Handlungs- und politischer Urteilsfähigkeit zu unterscheiden. Relevant für unsere Fragestellung, die sich unter anderem auf das Erkennen und die Bewertung extremistischer Akteure und Botschaften in medialen Kontexten richtet, sind in erster Linie die politische Urteilsfähigkeit und die politischen Einstellungen. Demnach besitzt ein Jugendlicher dann eine hohe politische Urteilskompetenz, wenn er in der Lage ist politische Programme, Überzeugungen sowie politische Akteure zutreffend einzuschätzen oder auch ein normatives Urteil zu diesen abzugeben. Bereits Beobachtungen im Zusammenhang mit der Erhebung des politischen Interesses unter Jugendlichen zeigen allerdings, dass gerade jüngere, weniger interessierte und Jugendliche aus bildungsfernen Familien oft allein schon nicht in der Lage sind, die politische Dimension von Themen zu erkennen, für die sie sich eigentlich interessieren (z. B. Calmbach & Kohl, 2011, S. 11; Schneekloth, 2015). Geht es um komplexere Urteile, dann zeigen sich zum Teil erhebliche Defizite. So stellten Deutz-Schroeder et al. (2012) in einer Befragung von Jugendlichen fest, dass es für viele ausgesprochen schwer war, politisches Wissen und Einstellungen für die Beurteilung konkreter Einzelfragen, Situationen oder fiktiver politischer Systeme nutzbar zu machen und zu erkennen, wo Bedrohungen für die Prinzipien einer freiheitlich demokratischen Ordnung liegen. Auch diese Befunde deuten darauf hin, dass man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass insbesondere extremistische Botschaften, die einen eher subtilen Charakter haben, von Jugendlichen als solche erkannt werden.
Politische Einstellungen Politisches Wissen bzw. politische Kompetenzen tragen tendenziell zu einer besseren Bewertung der Demokratie, weniger Politikverdrossenheit und zum Teil auch zu einem höheren Vertrauen in politische Institutionen bei (z. B. Oesterreich, 2002). Dennoch ist anzunehmen, dass politische Einstellungen einen erheblichen eigenständigen Effekt auf die Bewertung und die Wirkungen extremistischer Inhalte durch Jugendliche haben. Betrachtet man diese, stellt man zunächst fest, dass die
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große Mehrheit der Jugendlichen in Deutschland die Idee der Demokratie befürwortet – ohne dass wir allerdings genau wissen, was die Jugendlichen eigentlich im Einzelnen mit dem Begriff „Demokratie“ verbinden. Dagegen besteht – wie bei Erwachsenen auch – eine größere Skepsis gegenüber dem realen Funktionieren der Demokratie und vor allem gegenüber Leistungen von Parteien und Politikern. So gaben 2015 73 Prozent der Jugendlichen an, sie seien mit der Demokratie in Deutschland zufrieden (Shell Deutschland, 2015b). Das bedeutet allerdings, dass immerhin ein Viertel der Jugendlichen sich nicht zufrieden zeigte. Auch die Zustimmung zu Grundprinzipien der Demokratie wie Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, das Recht auf Opposition und die Notwendigkeit von Kompromissen sind unter Jugendlichen hoch. Differenzen ergeben sich allerdings bei Jugendlichen mit unterschiedlicher Bildung und in verschiedenen Altersgruppen. Wiederum sind es die höher Gebildeten und hier auch jüngere Jugendliche, die sich durch eine stärkere Unterstützung des politischen Systems und ein höheres Systemvertrauen auszeichnen. Zudem gibt es deutliche Differenzen zwischen Ost und West, wobei Jugendliche im Osten deutlich unzufriedener mit der Demokratie sind als im Westen (z. B. Gille et al., 2016; Shell Deutschland, 2015b). Neben der grundsätzlichen Zufriedenheit mit der Demokratie und ihrem Funktionieren kann auch die Selbsteinschätzung Hinweise auf das Potential extremistischer Botschaften liefern. Dabei stellt man zunächst fest, dass sich 20 Prozent der 15- bis 25-Jährigen nicht auf einer Links-Rechts-Skala einschätzen können oder wollen. Dieser Anteil ist unter den 15- bis 17-Jährigen mit knapp einem Drittel am höchsten, was auch zeigt, dass die entsprechenden Einstellungen noch nicht ausgeprägt sind. Auf den jeweils zwei extremsten Punkten der Skala ordnen sich immerhin 12 (links außen) bzw. 3 Prozent (rechts außen) ein (Shell Deutschland, 2015b, 167ff.). Dabei ist ein deutlicher Zusammenhang von Bildungsposition, politischem Interesse und politischer Positionierung erkennbar: Je höher Bildungsgrad und politisches Interesse, umso eher sehen sich Jugendliche auf der linken Seite des politischen Spektrums. Je geringer Bildung und Interesse, umso eher verorten sich Jugendliche auf der rechten Seite der Skala oder geben überhaupt keine Positionierung an. Die politische Positionierung hängt auch deutlich mit der Demokratie-Zufriedenheit zusammen: Vor allem die Jugendlichen, die sich am äußersten rechten Rand verorten, zeichnen sich durch eine vergleichsweise hohe Distanz zur Demokratie aus (z. B. Shell Deutschland, 2015b, 157ff.; dazu auch Bergmann, Baier, Rehbein & Mößle, 2017). Gemessen an der Rechts-Links-Skala stellen Jugendliche mit extremen politischen Positionen damit zwar nur eine Minderheit dar, aber ihre Zahl ist nicht zu vernachlässigen. Auch andere Befunde verweisen darauf, dass die Zahl der Jugendlichen mit einem geschlossen extremistischen Weltbild eher gering ist (z. B. Bergmann et 43
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al., 2017; Schultens & Glaser, 2013). Allerdings zeigen verschiedene Studien auch, dass bestimmte problematische Meinungen zum Teil von einem erheblichen Anteil der Jugendlichen geteilt werden. Dazu zählen beispielsweise Elemente bestimmter Ungleichwertigkeitsvorstellungen, die sich in der pauschalen Abwertung von Ausländern oder Menschen anderer Religion, Hautfarbe, sexueller Orientierung etc. zeigen (z. B. Baier, Pfeiffer, Simonson & Rabod, 2009; Bergmann et al., 2017), aber auch Autoritarismus und Einstellungen zu Gewalt (z. B. Baier et al., 2009). So geben in der aktuellen Shell-Studie immerhin 14 Prozent der Jugendlichen an, es gebe Konflikte, die nur mit Gewalt ausgetragen werden könnten. Deutliche Vorbehalte finden sich bei einem Teil der Jugendlichen beispielsweise auch gegenüber Migranten, dem Islam und Zuwanderung, wobei die Ablehnung in den östlichen Bundesländern, bei Jugendlichen auf der rechten Seite des politischen Spektrums, solchen mit einer niedrigeren Bildungsposition und Jugendlichen aus prekären Milieus ausgeprägter ist (z. B. Shell Deutschland, 2015b; Zick, Küpper, Krause & Berghan, 2016). Vor dem Hintergrund der anhaltenden Aktivitäten des religiös begründeten Extremismus ist darüber hinaus festzustellen, dass sich auch bei einem Teil der jungen Muslime problematische Einstellungsmuster nachweisen lassen, etwa im Hinblick auf Demokratiedistanz, die Abwertung anderer Religionen, bezüglich des Verhältnisses von Staat und Religion sowie bezüglich der Rechtfertigung bzw. Ausübung von Gewalt. Dabei zeigt sich etwa ein Zusammenhang von Religiosität und Demokratiedistanz (z. B. Bergmann et al., 2017; Brettfeld & Wetzels, 2007; Pollack, Müller, Rosta & Dieler, 2016). Insgesamt deuten die skizzierten Befunde darauf hin, dass es unter den Jugendlichen in Deutschland durchaus Gruppen gibt, die aufgrund ihres mangelnden Vertrauens in das politische System und weiterer Einstellungskomponenten eine potentielle Zielgruppe für Extremisten darstellen und bei denen entsprechende Botschaften möglicherweise nicht sofort auf rigorose Ablehnung stoßen werden. Maßnahmen gegen Extremismus müssen deshalb auch bei den Sozialisationsinstanzen ansetzen, die eine Einfluss auf die Entwicklung politischer Kompetenzen und Einstellungen haben.
2.4.2.2 Medienkompetenz Medienkompetenz gilt als Schlüsselqualifikation (Kultusministerkonferenz, 2012), als „gesellschaftliche Querschnittsaufgabe“ (Schneider & Fasco, 2016, S.8), als „important prerequisite“ für eine Chancen reflektierende und Risiken minimierende Mediennutzung (UNESCO, 2016) und als Ergänzung „traditioneller Kulturtechniken“ (Kultusministerkonferenz, 2012, S. 4). Welche Fähigkeiten Medienkompetenz umfasst und wer diese wie vermitteln soll, ist in der Literatur nicht einheitlich definiert. Auch besteht nach wie vor erhebliche Uneinigkeit darüber, welche Ansätze zur
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Konzeption und Vermittlung von Medienkompetenz am sinnvollsten sind (Potter & Thai, 2016, S. 2). Prinzipiell können zwei Definitionsrichtungen unterschieden werden: Einerseits fokussieren einige (Kommunikations-)Wissenschaftler die negativen Effekte der Mediennutzung, vor denen Medienkompetenz einen Schutz bieten könne (z. B. EU Kids Online, 2014; Potter, 2010). Beispielsweise führen Knop et al. (2015) 19 Risiken auf, die von der Ablenkung durch die Handynutzung über fehlende Privatsphäre-Einstellungen bis hin zu Mobbing, Sexting oder einer Abhängigkeit vom Smartphone reichen. Ein möglicher Kontakt mit politischem Extremismus ist dabei nicht unter den Risiken, die dabei abgefragt wurden. Andererseits betonen Autoren die Chancen der Mediennutzung, die wiederum durch eine medienkompetente Mediennutzung ermöglicht werden (z. B. Hobbs, 2011; für den deutschen Sprachraum z. B. Baacke, 1999; Groeben, 2002). Demnach wäre Medienkompetenz eine Möglichkeit, Rezipienten zu ermächtigen, in vielfältiger Weise entsprechend der Bedürfnisse und Entwicklungsaufgaben mediale Informations- und Unterhaltungsangebote zu nutzen. Damit verbunden ist zudem die Hoffnung, dass eine medienkompetente Mediennutzung dabei helfen könne, digitale Ungleichheiten zu verstehen und zu überwinden (Zillien & Hargittai, 2009): Je medienkompetenter ein Rezipient ist, desto mehr kann er von seiner Mediennutzung profitieren. Mehr noch: Mit Medienkompetenz wird die Hoffnung verbunden, durch eine medienkompetente Mediennutzung kulturelle Teilhabe (cultural citizenship, Klaus & Lünenborg, 2004) zu ermöglichen und bürgerschaftliche Kompetenzen (civic competence, European Council, 2006) zu erwerben. Damit wird Medienkompetenz nicht nur als Kulturtechnik verstanden, sondern als Komponente eines lebenslangen Lernens, das alle Generationen gleichermaßen tangiert (European Council, 2006). Medienkompetenz im Sinne eines Empowerments ist eine Voraussetzung für kulturelle, politische und gesellschaftliche Partizipation und Engagement sowie für eine Beteiligung am gesellschaftlichen Diskurs. Es liegt nahe, dass man zu einer solchermaßen verstandenen Medienkompetenz auch die Fähigkeit zählen kann, extremistische Medienbotschaften oder die medialen Strategien extremistischer Akteure zu erkennen und kritisch zu hinterfragen. Dem „patchwork of ideas“ (Potter, 2010, S. 676) ist gemein, dass alle Definitionsversuche beim kritischen Denken ansetzen (u. a. Baacke, 1996; Groeben, 2004; Hobbs, 2011; Livingstone, 2004). Kritisches Denken wird als Schlüsselqualifikation für die Reflektion möglicher Risiken und eine an den Chancen orientierte Mediennutzung gesehen. Diese Fähigkeit zur kritischen Mediennutzung ist unmittelbar mit demokratietheoretischen Überlegungen verbunden, wobei Information (Buckingham, 2007, S. 45), Wissen (Potter, 2010, S. 680) und analytische Fähigkeiten (Koltay, 2011, S. 217) Bestandteil von Medienkompetenz sind. Information und Wissen sind notwendig, um Zugang zu Medienangeboten zu finden, diese zu analysieren, 45
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zu evaluieren und eigene Medieninhalte (z. B. in Form eines Facebook-Profils) zu kreieren (Livingstone & Helsper, 2010, S. 311). Die Forschung zeigt jedoch (z. B. Livingstone, 2014), dass Fehlstellen in der Medienkompetenz nicht zwingend in dem Bewusstwerden des Wissens liegen, sondern auch in der an den Wissenserwerb sich anschließenden medienkompetenten Handlung und damit in der Transformation des Medienkompetenz-Wissens in die Handlung. Wissen führt beispielsweise nicht automatisch zu einer kritischen Mediennutzung oder zu einer Verhaltensänderung (Martens, 2010, S. 13). Es reicht also nicht aus, nur das Wissen zu fokussieren, sondern es muss immer auch die Handlungskomponente bei der Untersuchung von Medienkompetenz und deren Vermittlung in den Blick genommen werden (Pfaff-Rüdiger & Riesmeyer, 2016; Riesmeyer, Pfaff-Rüdiger & Kümpel, 2016).
Dimensionen von Medienkompetenz Unser Forschungsprojekt folgt dieser Sichtweise auf Medienkompetenz und erweitert das Konzept um die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen (Paus-Hasebrink, 2010a, 2010b) und ihre Entwicklungsaufgaben (Arnett, 2007; Havighurst, 1956). Kinder und Jugendliche gelten demnach dann als medienkompetent, wenn sie in der Lage sind, durch die Mediennutzung ihre Entwicklungsaufgaben erfolgreich zu erfüllen, über die Konsequenzen und Risiken ihrer Mediennutzung zu reflektieren und ihr Wissen in Handeln umzusetzen (Pfaff-Rüdiger, Riesmeyer & Kümpel, 2012). Demnach besteht Medienkompetenz aus Fähigkeiten, die sich unter den Bereichen Sach-, Selbst- und Sozialkompetenzen subsummieren lassen: In demokratietheoretischer Tradition wird Medienkompetenz an Wissen gebunden und damit an die Hoffnung, dass das Wissen über Risiken dazu führen könnte, Risiken zu vermeiden (Livingstone & Helsper, 2010, S. 313). Sachkompetenz umfasst das Wissen über den technischen, ökonomischen und rechtlichen Mediensystemkontext, aber auch über Medieneffekte und den gesellschaftlichen Medienkompetenzdiskurs. Um dieses Wissen in konkretes Handeln zu überführen, ist Selbstkompetenz notwendig, die auf die individuelle Wahrnehmung von Medienbotschaften ausgerichtet ist (Was macht die Botschaft mit mir?). Selbstkompetenz setzt sich aus reflexiven, motivationalen, emotionalen und kreativen Fähigkeiten zusammen. Dagegen ist die Sozialkompetenz auf das soziale Gegenüber ausgerichtet: Das Wissen muss nicht nur für das eigene Handeln umgesetzt werden, sondern auch in soziale Verantwortung, denn nur so ist das Ziel von Medienkompetenz, ein gesellschaftlich-handlungsfähiges Subjekt zu werden (Groeben, 2004, S. 39), erreichbar. Sozialkompetenz besteht aus interaktiven (Partizipation), integrativen (Kommunikation), vermittelnden und moralischen Fähigkeiten (Pfaff-Rüdiger et al., 2012, S. 46).
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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Diese Konzeption von Medienkompetenz ist bewusst breit fokussiert. Die Medienkompetenz ist hier nicht medienspezifisch definiert (z. B. als social media literacy; Livingstone, 2014), sondern als Konzept, das verschiedene allgemeingültige, gesellschaftlich normierte und akzeptierte Fähigkeiten und Verhaltensweisen vereint. Um ein Beispiel zu nennen: Um die Zuschreibung, die Medien würden unwahr berichten („Lügenpresse“-Vorwurf), einordnen zu können, sind keine medienspezifischen Fähigkeiten notwendig, denn der Vorwurf wird in allen Medien und in verschiedenen Medienkanälen verbreitet. Soll jemand solche Vorwürfe einordnen und sich eine eigene Meinung bilden können, sind umfassende Fähigkeiten nötig: Wissen über Medien und Medienstrukturen (Sachkompetenz), aber auch reflexive, motivationale und emotionale Fähigkeiten (Selbstkompetenz) sowie Sozialkompetenzen, so dass jemand sich in andere Rezipienten hineinversetzen, sich mit ihnen austauschen und Kenntnisse vermitteln kann. Er sollte einschätzen können, was seine Handlung (oder Äußerung) bei anderen bewirken kann.
Medienkompetenz und Extremismus Das Beispiel richtet den Blick auf die gesellschaftliche, politische und kulturelle Dimension von Medienkompetenz. Als medienkompetent würde man demnach Jugendliche bezeichnen, die extremistische Medienbotschaften oder Kommunikationsstrategien erkennen, bewerten und einordnen können. Im besten Fall reagieren sie dann so, wie man es von einem Bürger erwarten würde, der seine politischen Rechte, Pflichten und Möglichkeiten kennt (Livingstone, Mansell, Couldry & Carr, 2015). Hobbs und Moore (2013) definieren diese Fähigkeiten als Möglichkeit, gesellschaftliche Probleme und Gefahren wahrzunehmen und Verantwortung bei der Problemlösung zu übernehmen. Sie stellen damit auch die Verbindung zwischen Medien- und Politikkompetenz her. Norris (2001) betont die Bedeutung von Medien (und deren medienkompetenter Nutzung) für den politischen Sozialisationsprozess, die politische Partizipation und das gesellschaftliche Engagement, das – so die Annahme – durch Mediennutzung mobilisiert bzw. verstärkt werden könne (Mobilisierungshypothese bzw. Verstärkerhypothese). Medienkompetenz wird daher als Schlüsselqualifikation und Strategie gegen die Wirkung von extremistischen Botschaften verstanden, die alle drei genannten Bereiche tangiert: Sachkompetenz ist notwendig zum Erkennen extremistischen Gedankengutes, Selbstkompetenz, um dieses Gedankengut zu reflektieren und damit den Rekrutierungsbemühungen extremistischer Gruppen nicht zu erliegen. Das Handeln und damit die interpersonale Anschlusskommunikation unter dem Fokus der sozialen Verantwortung gegenüber Dritten betreffen die Sozialkompetenz. Die Verbindung zwischen Medienkompetenz und Extremismus schätzt Groeben (2002, S. 189) als „gesellschaftlich höchst bedeutsam ein“ (189): In welchem Ausmaß besteht 47
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beispielsweise eine Verbindung zwischen der reflexiven Selbstkompetenz und der „Handlungsbereitschaft und -kompetenzen, z. B. im Bezug darauf, ob bestimmte kritische Bewertungen (etwa hinsichtlich rechtsradikaler Inhalte im Internet) auch zu Protest-Handlungen führen sollten“ (Groeben, 2002, S. 190)?
2.4.2.3 Die Rolle der Sozialisationsinstanzen Wenn politisches Interesse, politische Kompetenzen, eine positive Identifikation mit den Werten und Verfahrensweisen der Demokratie und Medienkompetenz tatsächlich einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie Jugendliche extremistische Akteure und Botschaften erkennen, wahrnehmen und bewerten, dann stellt sich die Frage, wie bzw. von wem diese Fähigkeiten gefördert werden können. Wie eine Vielzahl von Untersuchungen gezeigt hat, gehen entsprechende Einflüsse von allen Sozialisationsinstanzen (Arnett, 1995; EU Kids Online, 2014) aus, allen voran vom Elternhaus und den Gleichaltrigen, aber auch von der Schule, den Medien und Instanzen der Präventionsarbeit. Diese Sozialisationsinstanzen vermitteln im Zuge des Sozialisationsprozesses einerseits Fähigkeiten für politische und gesellschaftliche Partizipation und Engagement (Politikkompetenz), andererseits Fähigkeiten und Normen für die Mediennutzung (Medienkompetenz, Süss, 2010). Kinder und Jugendliche erwerben so im Idealfall „skills necessary to function as members of their social group“ (Grusec, 2002), wobei sich die sozialen Gruppen und die in den Gruppen akzeptierten Verhaltensweisen im Laufe des Sozialisationsprozesses ändern. Welche Instanzen besonders einflussreich sind, kann sich abhängig von den zu bewältigenden Entwicklungsaufgaben und den Grundbedürfnissen einerseits zu verschiedenen Zeitpunkten des Jugendalters, andererseits aber auch zwischen den Jugendlichen mit dem jeweils individuellen Lebenswelthintergrund stark unterscheiden. So nimmt die Bedeutung der Eltern im Laufe der Zeit prinzipiell ab, die Bedeutung von Gleichaltrigen und Medien dagegen zu. Zudem gibt es Jugendliche, für die Gleichaltrige schon in der frühen Jugendphase eine große Bedeutung haben und die Eltern schnell als wichtigsten Bezugspunkt ablösen. Auch die Rolle von Bildungseinrichtungen und Medien kann sich im Laufe der Zeit und individuell stark unterscheiden. Dabei gilt: Die Einflüsse der verschiedenen Instanzen können nicht isoliert betrachtet werden, da sie sich gegenseitig ergänzen oder aber widersprechen können (z. B. Arnett, 1995, 2007; EU Kids Online, 2014; Shehata & Amnå, 2017).
Elternhaus Dem Elternhaus kommen im Sozialisationsprozess zwei für diese Studie relevante Aufgaben zu: Es ermöglicht einerseits den Zugang zu Medientechnologien und vermittelt grundlegende Fähigkeiten und Normen der Mediennutzung (Sach-, Selbst-
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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und Sozialkompetenz). Andererseits hat das Elternhaus erheblichen Einfluss darauf, ob und wenn ja welche politischen Vorstellungen sich konkret ausprägen. Man kann davon ausgehen, dass sich politische Grundüberzeugungen und Parteipräferenzen der Eltern in vielen Fällen auf die Jugendlichen übertragen. So stellt Fend (2009) fest, dass knapp drei Viertel der Jugendlichen im Alter von etwa 16 dieselbe Partei wie ihre Eltern wählen würden (S. 93). Eine Abweichung der Parteipräferenz von der ihrer Eltern findet sich vor allem bei Jugendlichen, die sich stark für Politik interessieren. Aber nicht nur die konkrete Ausprägung politischer Einstellungen, auch das grundsätzliche Interesse für Politik, politische Kompetenzen, politische Gespräche und die Intensität politisch orientierter Mediennutzung werden in der Familie geprägt, wobei sich die Jugendlichen am Vorbild der Eltern orientieren. Wie stark politische Interessen und politische Kommunikation ausgeprägt sind, hängt wiederum unter anderem vom Bildungshintergrund und dem sozioökonomischen Status der Eltern ab (z. B. Fend, 2009, S. 93).
Gleichaltrige und Freundeskreis (Peergroup) Mit Voranschreiten des Jugendalters und dem Bewältigen neuer Entwicklungsaufgaben steigt die Bedeutung von Gleichaltrigen im Sozialisationsprozess. Basierend auf dem bereits vorhandenen Wissen (z. B. Sachkompetenz) werden im Freundeskreis Normen für die Interaktion in der Gruppe (Sozialkompetenz) entwickelt, die zum Teil auf den aus dem Elternhaus vermittelten Normen aufbauen, diese an die soziale Gruppe adaptieren oder aber gemeinsam neu gesetzt werden (Sozial- und Selbstkompetenz, beispielsweise hinsichtlich der Nutzung von WhatsApp (Riesmeyer & Karnowski, 2016). Neben dem Aushandeln von Normen für die Interaktion in der Gruppe kann der Freundeskreis auch eine Rolle bei der Entwicklung eines politischen Wertesystems als Entwicklungsaufgabe der Jugendphase spielten und dies, obwohl „Politik“ für die meisten Jugendlichen kein Hauptbestandteil ihrer Lebenswelt ist, weil sie mit einer Vielzahl von Entwicklungsaufgaben konfrontiert sind, die es zu bewältigen gilt (Havighurst, 1956; Reinders, 2016). Dementsprechend wird in den meisten Peergroups in der Regel nur wenig über Politik gesprochen. Ausnahmen sind Jugendliche, die bereits ein starkes politisches Bewusstsein entwickelt haben und sich beispielsweise einer Partei, einer Protestgruppe oder einer – auch extremistischen – Szene angeschlossen haben (Pfaff, 2012, S. 174). Die Radikalisierungsforschung legt hier nahe, dass Peers einen wesentliches Elemente für den Erfolg extremistischer Botschaften darstellen können (Caiani & Della Porta, 2010; Logvinov, 2012; Neumann & Frindte, 2002). Dies kann durchaus bereits in der frühen Jugendphase geschehen, wenn etwa im Zuge des Wechsels auf eine weiterführende Schule Gleichaltrige eine neue, größere Rolle spielen und so der erste Kontakt zu einer solchen Szene entsteht. Generell gilt 49
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deshalb, dass auch Gleichaltrige Einfluss auf politische Orientierungen, Interesse und Partizipationsbereitschaft ausüben. So bestehen positive Wechselwirkungen zwischen der Intensität politischer Gespräche im Freundeskreis und dem politischen Interesse (z. B. Böhm-Kasper, 2006, S. 365; Fend, 2009, S. 92–94) sowie politischen Wissen von Jugendlichen (Ekström & Östman, 2013; Hively & Eveland, 2009; Oesterreich, 2002, S. 93).
Schule Neben Eltern und Freundeskreis hat auch die Schule erheblichen Einfluss auf die Vermittlung von Medienkompetenz, das politische Interesse, politische Kompetenzen und Wissen sowie die politische Partizipation der Jugendlichen. Dabei sind es vor allem die explizite Thematisierung von Politik und politische Diskussionen in der Schule, die sich positiv oder – bei ihrem Fehlen – negativ auswirken (z. B. Böhm-Kasper, 2006, S. 365; Schulz, Ainley, Fraillon, Kerr & Losito, 2010; Torney-Purta, Lehmann, Oswald & Schulz, 2001). Inwiefern Elemente einer demokratischen Schulkultur oder ein diskursiver Unterrichtsstil einen eigenständigen positiven Einfluss ausüben, scheint dagegen nicht eindeutig geklärt (z. B. Böhm-Kasper, 2006, S. 365). Zudem wirkt sich politische Bildung in der Schule auf die Einstellungen der Jugendlichen aus. So beeinflusst der Umgang der Lehrer mit rechtsextremen Positionen in ihrer Schülerschaft das Vorkommen fremdenfeindlicher, antisemitischer und gewaltbezogener Einstellungen (z. B. Torney-Purta et al., 2001). Angesichts der aktuellen Entwicklungen wird dabei derzeit intensiv debattiert, wie in der Schule rassistischen, fremdenfeindlichen, salafistischen oder antisemitischen Haltungen unter Jugendlichen entgegengewirkt werden kann und welche Rolle dabei die Vermittlung von Menschenrechten und Demokratie spielen sollte (z. B. Brumlik, 2016, S. 647–649). Trotz der möglichen positiven Effekte politischer Bildung in Schulen, die auch bei den Schülerinnen und Schülern greifen kann, in deren Elternhaus Politik keine Rolle spielt und familiäre Debatten dort sogar fördern kann (McDevitt & Chaffee, 2002, S. 280), werden die entsprechenden Potentiale der Schule in Deutschland offenbar nicht ausreichend genutzt. Die Kritik an Umfang und Art der politischen Bildung ist erheblich (z. B. Detjen, 2015; im Überblick Kalina, 2014). Erst kürzlich forderte die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW) angesichts von zunehmendem Populismus und Extremismus eine intensivere politische Bildung in der Schule (Deutsche Vereinigung für politische Wissenschaft, 2017). Inhaltlich bemängelt wird dabei nicht nur die Theorielastigkeit des Unterrichts, sondern auch die Bevorzugung der Vermittlung von Strukturen gegenüber der Diskussion aktueller Themen (Reheis, 2014, S. 45).
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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Auch hinsichtlich der Medienkompetenzvermittlung bleiben Schulen oft hinter dem Potential, das sie im Rahmen des Sozialisationsprozesses nutzen könnten. Schulen sind nicht (nur) in der Pflicht, Sachkompetenz zu vermitteln. Vielmehr sollten sie ein Ort sein, in dem Selbst- und Sozialkompetenz als allgemeingültige Fähigkeiten auf Medien bezogen werden. Dies könnte verstärkt durch den Einbezug von Medien bzw. die Thematisierung der Bedeutung von Medien im Unterricht erfolgen. In der Regel ist diese Aufgabe jedoch nicht in den Lehrplänen fest (z. B. über ein Schulfach) verankert, sondern eine Querschnittsaufgabe aller Schulfächer. Damit ist die Umsetzung an die zeitlichen und inhaltlichen Möglichkeiten in den Schulen gebunden, die zudem durch die infrastrukturellen Bedingungen beeinflusst werden. Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften fordern daher seit langem, der Digitalisierung der Gesellschaft auch in der Schule Rechnung zu tragen, diese mit der benötigten Technik auszustatten und Lehrer zu schulen (z. B. Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, 2017).
Instanzen der Präventionsarbeit Zu den für die Entwicklung von extremismusbezogenen Kompetenzen bedeutsamen Instanzen gehören auch jene Akteure bzw. Organisationen, die in der Präventionsarbeit tätig sind – also beispielsweise in der politischen Bildung oder der Medienkompetenzförderung. Aufgrund des Bildungsförderalismus kommt diese Aufgabe vor allem landesweit organisierten Einrichtungen zu. Die Förderung der politischen Bildung zur Stärkung der Politikkompetenz übernehmen beispielsweise die Landeszentralen für politische Bildung. Sie schulen u. a. Multiplikatoren, die an Bildungseinrichtungen über extremistische Erscheinungsformen, Präventions- und Interventionsformen informieren können (Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen, 2016) oder aber sie entwickeln Unterrichtseinheiten, die Lehrer und Sozialpädagogen nutzen können. Die Förderung von Medienkompetenz ist u. a. Aufgabe der Landesmedienanstalten der einzelnen Bundesländer. Diese entwickeln in Zusammenarbeit mit Trägern der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit Weiterbildungsangebote für Multiplikatoren (Lehrer, Eltern, Schüler) und Unterrichtskonzepte. Die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (2017) fokussiert in ihrem Leitbild Medienkompetenz und betont deren Bedeutung a) für den Schutz vor Risiken während der Mediennutzung, b) für die (politische) Bildung und c) die Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen. Nur wer Medien kompetent nutze, so die Landesanstalt, können an Diskussionsprozessen über gesellschaftliche Werte und politische Ziele teilhaben. Mit dieser Zielsetzung setzt die Landesanstalt für Medien eine Verbindung zwischen der oben beschriebenen Politik- und Medienkompetenz, deren Bestandteile gemeinsam als extremismusbezogene Kompetenzen 51
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helfen, extremistische Akteure und Botschaften zu erkennen, wahrzunehmen und zu bewerten.
Medien Schließlich beeinflussen auch vor allem politische Medieninhalte – etwa Nachrichten – das politische Interesse, die politischen Kompetenzen und Einstellungen von Jugendlichen (z. B. Kruikemeier & Shehata, 2016; Shehata & Amnå, 2017). Dabei bestehen zahlreiche Wechselwirkungen zwischen den Kommunikationsprozessen in den Sozialisationsinstanzen, beispielsweise der interpersonalen Kommunikation über Politik und der politischen Mediennutzung: Je mehr in Familie und Freundeskreis über politische Themen gesprochen wird, umso eher werden entsprechende Medieninhalte genutzt und umgekehrt (z. B. Shehata & Amnå, 2017). Zudem fördert das politische Interesse in der Familie die politische Mediennutzung innerhalb des Elternhauses, so dass Kindern und Jugendlichen auch implizit vermittelt wird, dass Politik wichtig ist. Sie nutzen daraufhin auch selbst verstärkt politische Medieninhalte und entwickeln ein höheres politisches Interesse (z. B. Shehata & Amnå, 2017).
2.4.3 Kombinierte Strategien: Gegenrede Der Begriff Gegenrede (engl. Countering, Counterspeech, Counter-Messaging) wird für eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Aktivitäten und Initiativen verwendet, die sich durch ihre Träger, Ziele und Verfahrensweisen deutlich unterscheiden (z. B. Briggs & Feve, 2013; Schmitt et al., 2017). Außerhalb des Internets sind solche Initiativen schon länger bekannt, etwa aus Handreichungen für Situationen, in denen Menschen rechtsextremem oder fremdenfeindlichen Argumenten begegnen (z. B. „Argumente gegen den Hass“, Bundeszentrale für politische Bildung, 1993). Gemeinsam ist diesen Bemühungen, dass sie nicht an der Angebotsseite extremistischer Kommunikation ansetzen, sondern zunächst auf der Nachfrageseite, bei den Rezipienten. Dadurch, dass die entsprechenden Botschaften jedoch oftmals öffentlich sichtbar sind, verändern sie für die Nutzer auch die Angebotsseite, da extremistische Botschaften durch nicht-extremistische ergänzt oder attackiert werden. Intensiv diskutiert werden die Möglichkeiten der Gegenrede auch im Zusammenhang mit dem Phänomen der Hassrede, die nicht immer, jedoch vermutlich in vielen Fällen, Ausdruck extremistischer Einstellungen ist und zum Teil auch auf die Initiative extremistischer Gruppierungen zurückgeht (z. B. Erjavec & Kovačič, 2012; Hawdon et al., 2015). Im Zusammenhang mit unserem Projekt sind dabei vor allem alternative Narrative und Gegennarrative von besonderem Interesse. Mit alternativen Narrativen
2.4 Strategien gegen Extremismus im Internet
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wird nicht direkt auf extremistische Botschaften oder Akteure reagiert. Vielmehr geht es darum, mögliche Sympathisanten extremistischer Botschaften und die „schweigende Mehrheit“ dadurch zu beeinflussen, dass man z. B. auf gemeinsame Werte und Ziele sowie alternative Sichtweisen auf und Lösungen für Probleme verweist, die auch von Extremisten thematisiert werden (z. B. Briggs & Feve, 2013). Mit Gegen-Narrativen oder Gegenrede sind dagegen in der Regel Botschaften gemeint, mit denen versucht wird, extremistische Botschaften explizit zu entlarven, zu diskreditieren oder zu delegitimieren. Dabei wird eine Vielzahl unterschiedlicher Strategien diskutiert, wie eine solche Gegenrede konkret aussehen sollte. Die Zahl systematischer Untersuchungen zu diesem Thema ist sehr überschaubar (dazu Benesch, Ruths, Dillon, Saleem & Wright, 2017, S. 5–6; Brown, 2016). So wissen wir bislang viel zu wenig darüber, in welchen Situationen Nutzer auf extremistische oder hasserfüllte Posts reagieren, welche Merkmale der Posts dabei eine Rolle spielen und welche Gegenstrategien unter welchen Bedingungen bei welchen Zielgruppen erfolgversprechend sind (z. B. Czopp, Monteith & Mark, 2006; Dickter, 2012; Dickter & Newton, 2013; Schieb, Preuss & Mike, 2016). Zudem weisen aktuelle Studien darauf hin, dass auch Online-Gegenrede wiederum extremistische Reaktionen provozieren kann, die eben jene Stereotype reproduziert, die mit der Gegenrede eigentlich bekämpft werden sollen (Schmitt et al., 2017). In ihrer unmittelbarsten Form ist Gegenrede eine direkte Reaktion auf eine extremistische Online-Botschaft (z. B. ein Video, einen Kommentar, ein Meme) (z. B. Bartlett & Krasodomski-Jones, 2015, S. 5; Benesch, Ruths, Dillon, Saleem & Wright, 2016; Benesch et al., 2017). Diese Reaktionen können von einfachen Nutzern, zivilgesellschaftlichen Akteuren oder auch den Betreibern von Internetangeboten ausgehen. Soziale Netzwerke und Online-Nachrichtenseiten setzen verstärkt auf Gegenrede und fordern ihre Nutzer zum Teil dazu auf, selbst gegen Extremismus und Hassrede aktiv zu werden (z. B. Facebooks Online Civil Courage Initiative, 2016). Damit setzen sie sich zuweilen dem Vorwurf aus, sich aus der eigenen Verantwortung stehlen zu wollen. Welche Formen von Gegenrede sind möglich? Bei Facebook beispielsweise kann Gegenrede etwa in einem schriftlichen Kommentar zu einem Post, einem negativen Emoticon, dem Teilen einer Gegenrede, dem Melden eines Beitrags oder in einer persönlichen Nachricht geäußert werden. Nur ein Teil dieser Varianten von Gegenrede ist dabei öffentlich sichtbar und man kann davon ausgehen, dass nicht allen Nutzern die Möglichkeiten entsprechender Reaktionen bewusst sind (z. B. Van Cleemput, Vandebosch & Pabian, 2014). Zudem erscheint die Zahl derjenigen, die zur Gegenrede bereit sind, eher überschaubar. In einer repräsentativen Befragung aus dem Jahr 2016 gaben zwar immerhin 20 Prozent der Befragten an, überhaupt schon einmal einen „Hasskommentar“ gemeldet zu haben und weitere 53
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20 Prozent, auf einen „Hasskommentar“ kritisch geantwortet zu haben, wobei die Werte bei den 14- bis 24-Jährigen mit 34 bzw. 27 Prozent deutlich höher lagen. Diese Altersgruppe war auch diejenige, die einen Hasskommentar bzw. seinen Verfasser am ehesten schon einmal bei einem Portal gemeldet hat. 34 Prozent gaben an, dies schon einmal getan zu haben. Dass sie dagegen auch künftig kritisch auf einen Hasskommentar antworten würden, dies sagten dagegen nur ganze zwei Prozent aller Befragten (LfM, 2016). Zu ähnlichen Befunde kam eine Befragung aus dem Jahr 2015. Auch hier gaben nur wenige Nutzer, die nicht direkt von einem Hasskommentar betroffen waren an, dagegen argumentiert zu haben (7 %). Die häufigste Reaktion war nach Angaben der Nicht-Betroffenen eine Meldung an den Betreiber eines Netzwerkes (16 %). Die häufigste Reaktion war allerdings das Nichtstun (77 %) (bitkom.com, 2015). Dies ist umso bemerkenswerter als gerade die direkten und öffentlich sichtbaren Formen der Gegenrede mehrere Vorteile haben: Neben der Vermeidung von Zensur kann die öffentliche Gegenrede nicht nur den Absender eines extremistischen Inhalts erreichen, sondern eine größere Öffentlichkeit. So kann ein Gegengewicht zu extremistischen Botschaften entstehen und dem Eindruck entgegengewirkt werden, extremistische Meinungen seien in der Mehrheit. Zudem können bestehende gesellschaftliche Normen und Werte bekräftigt und eventuellen Opfern von Hassbotschaften Beistand geleistet werden. Selbst wenn man die Wahrscheinlichkeit, bereits radikalisierte Menschen durch öffentliche Gegenrede von ihren Überzeugungen abzubringen als gering einschätzt, erscheint sie schon mit Blick auf mögliche Sympathisanten, politisch-weltanschaulich Indifferente und weniger politisch kompetente Nutzer sinnvoll zu sein. In der überschaubaren Literatur und in Handreichungen zum Thema werden verschiedene Möglichkeiten diskutiert, wie eine entsprechende Reaktion konkret aussehen kann (z. B. Benesch et al., 2017; Briggs & Feve, 2013; Silverman et al., 2016). Die entsprechenden Empfehlungen sind allerdings unterschiedlich konkret und sie widersprechen sich teilweise sogar, was vermutlich damit zu tun hat, dass Unklarheit über Ziele und Zielgruppen herrscht und eine systematische Evaluation von Methoden und Strategien oftmals nicht stattfindet. Eine der Möglichkeiten, die in der Literatur empfohlen werden, besteht darin, einen Online-Inhalt überhaupt als „extremistisch“, „hasserfüllt“ oder „diskriminierend“ erkennbar zu machen, indem er ausdrücklich als solcher bezeichnet wird („labeling“; Benesch et al., 2017, S. 3–4). Insbesondere im Fall eher subtiler Botschaften, deren extremistischer Charakter oder Absender nicht ohne weiteres sofort zu erkennen ist, erscheint eine solche kommunikative Markierung eine Botschaft sinnvoll. Gerade wenn ein Inhalt eines extremistischen Absenders sich nicht explizit gegen eine bestimmte Gruppe richtet oder ausdrücklich zu Gewalt aufruft, ist ihr Erkennen als problematisch oder als
2.5 Zwischenfazit
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Ergebnis einer extremistischen Haltung vermutlich schwer. Darauf deuten Befunde hin, die nahelegen, dass Hasskommentare als umso gravierender eingestuft werden, je eher sie zu Gewalt aufrufen und je eher sie gegen Gruppen agitieren (z. B. Gerstenfeld, Grant & Chiang, 2003). Allerdings besteht das Problem bei Hassrede im Internet darin, dass sie sich oftmals nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen abstrakte Gruppen oder Institutionen richtet. Dies reduziert vermutlich die Wahrnehmung als Hilfesituation und reduziert die Wahrscheinlichkeit für Gegenrede. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass eine bereits erfolgte Gegenrede die Wahrscheinlichkeit weiterer Interventionen eher reduziert (Czeranski et al., 2017).
Strategien gegen Online-Extremismus und dessen Wirkungen Neben Maßnahmen, die das Angebot und die Erreichbarkeit extremistischer Online-Inhalte eindämmen sollen, wird die Stärkung von Politik- und Medienkompetenz als eine der wichtigsten Maßnahmen zur Verhinderung negativer Auswirkungen extremistischer Internetaktivitäten diskutiert. Dabei geht es einerseits um die Stärkung politischen Wissens und politischer Urteilsfähigkeit sowie die Förderung positiver Einstellungen gegenüber der freiheitlichen Demokratie. Andererseits geht es um die Förderung von Medienkompetenz, die dazu beitragen soll, dass extremistische Medieninhalte erkannt und angemessen auf sie reagiert wird. Vermittelt werden können diese Fähigkeiten vor allem von Schule, Elternhaus, Instanzen der Präventionsarbeit und Medien.
2.5 Zwischenfazit 2.5 Zwischenfazit
Eine große Zahl verschiedener extremistischer Akteure versucht heute, über eine Vielzahl von Online-Kanälen und mit den unterschiedlichsten offenen und verdeckten Mitteln, Jugendlichen ihre Botschaften zu vermitteln. Aufgrund ihrer fast permanenten Nutzung auch mobiler Endgeräte können Jugendliche deshalb zumindest potentiell nicht nur auf einer bislang ungekannten Vielzahl von Wegen, sondern zudem auch fast jederzeit mit extremistischen Einstellungen und Botschaften in Kontakt kommen, die direkt von extremistischen Akteuren stammen. Darüber hinaus bietet die alltägliche journalistische Berichterstattung weitere Möglichkeiten, extremistischen Akteuren, Botschaften und Einstellungen zu begegnen (Abbildung 2).
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Abb. 2
2 Jugendliche als Zielgruppe extremistischer Online-Aktivitäten
Mediale Kontaktpunkte mit Extremismus in der Lebenswelt von Jugendlichen
Eigene Darstellung
2.5 Zwischenfazit
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Wenn Extremisten ihre Kommunikation immer professioneller gestalten, sich dabei an jugendkulturellen Erfahrungswelten orientieren, jugendspezifische Sichtweisen und Problemlagen aufgreifen und ihre Botschaften auch subtil und verdeckt vermitteln, kann man nicht davon ausgehen, dass Jugendliche extremistische Akteure und Botschaften sofort und problemlos als solche identifizieren können. Vielmehr ist diese Fähigkeit von der Politik- und Medienkompetenz der Jugendlichen abhängig, die von Familie, Gleichaltrigen, Schule und Institutionen der politischen und Medienbildung beeinflusst wird. Zudem werden Wahrnehmung und Wirkung extremistischer Botschaften vermutlich von weiteren Merkmalen wie der persönlichen und sozialen Situation sowie politischen Einstellungen beeinflusst, die auch als Einflussfaktoren auf Radikalisierungsprozesse gelten. Allerdings sind zahlreiche Fragen offen. So wissen wir bislang kaum etwas darüber, wie oft Jugendliche wo mit Extremismus in Kontakt kommen, wie genau sie zu diesen Kontakten kommen, ob und wie sie extremistische Botschaften erkennen und welche Wirkungen diese Botschaften haben. Dies war der Anlass für das Projekt, das diesem Bericht zugrunde liegt.
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3
Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts 3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts
3.1
Theoretisches Modell und Forschungsfragen
3.1
Theoretisches Modell und Forschungsfragen
Als Grundlage der Untersuchung dient ein integratives theoretisches Modell, in das Ansätze und Erkenntnisse der Medienrezeptions- und Medienwirkungsforschung, der Forschung zu Medienkompetenz, zum Thema Online-Medien und Jugendliche sowie zum Themenfeld Online-Medien und Extremismus eingeflossen sind (Abbildung 3). Wesentliche für unser Projekt relevante Erkenntnisse waren Gegenstand des vorherigen Kapitels. Die dargestellten Forschungsfragen setzen an den einzelnen Phasen des im Folgenden skizzierten Prozesses an und greifen dabei verschiedene Forschungsdefizite und Fragekomplexe auf. Ausgangspunkt des Modells sind die Jugendlichen selbst mit ihren individuellen und sozialen Prädispositionen einschließlich der Einflüsse der verschiedenen Sozialisationsinstanzen. Diese Prädispositionen beeinflussen einerseits die grundsätzlichen Muster der Mediennutzung und andererseits die Politik- und Medienkompetenz der Jugendlichen. Im Zusammenspiel mit den Prädispositionen wirken sich diese Faktoren vermutlich darauf aus, wie häufig Jugendliche in Kontakt mit extremistischen Botschaften kommen. Findet ein solcher Kontakt statt, stellt sich die Frage nach der Wahrnehmung extremistischer Botschaften, also danach, ob extremistische Botschaftselemente und Akteure als solche erkannt und wie sie bewertet werden. Das Erkennen und die Art der Bewertung der Botschaften dürften dann im nächsten Schritt darüber entscheiden, welche Wirkungen des Kontakts mit extremistischen Botschaften auftreten. Diese Reaktionen können dann ihrerseits wieder auf die vorderen Stufen des Prozesses zurückwirken. Gegenstrategien und Präventionsmaßnahmen können an verschiedenen Stellen dieses Rezeptionsprozesses ansetzen, etwa bei der medienpädagogischen Förderung von Medienkompetenz und der politischen Bildung, die das Erkennen und Bewertung extremistischer Botschaften sowie entsprechendes Handeln fördern sollten. Grundsätzlichere Maßnahmen zur Prävention von Extremismus und der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Reinemann et al., Jugend – Medien – Extremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23729-5_3
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Abb. 3
3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts
Theoretisches Modell zur Rezeption extremistischer Botschaften
Eigene Darstellung
3.1 Theoretisches Modell und Forschungsfragen
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Verhinderung von Radikalisierung können jedoch bereits auf der Ebene der individuellen und sozialen Merkmale sowie den Sozialisationsinstanzen ansetzen.
Fragekomplex 1: Die Intensität des Kontakts mit Extremismus Allgemein wird angenommen, dass Jugendliche aufgrund der intensiven Online-Aktivitäten von Extremisten und ihrer permanenten eigenen Mediennutzung heute sehr viel häufiger mit extremistischen Akteuren und Botschaften in Kontakt kommen. Allerdings wissen wir bislang kaum etwas darüber, inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, wie häufig Jugendliche also mit welchen Arten von Extremismus in Kontakt kommen. Daraus ergeben sich die ersten Fragestellungen des vorliegenden Projekts: ▶▶ Forschungsfrage 1.1: Wie häufig kommen Jugendliche mit extremistischen Akteuren und Botschaften in Kontakt? ▶▶ Forschungsfrage 1.2: Welchen Typen von Extremismus begegnen Jugendliche am häufigsten? Welche Bedeutung haben Rechtsextremismus, Linksextremismus und religiös begründeter Extremismus?
Fragekomplex 2: Die Bedeutung verschiedener Kommunikationskanäle Ebenfalls weitgehend offen ist, über welche Kommunikationskanäle Jugendliche mit Extremismus in Kontakt kommen. Wir wissen kaum etwas darüber, wie groß die Bedeutung medialer Kanäle im Vergleich zu direkten Einflüssen aus dem sozialen Umfeld ist, welche Bedeutung das Internet und soziale Medien gegenüber der Berichterstattung von Nachrichtenmedien hat, noch darüber, wie oft Jugendliche Medienangebote nutzen, die direkt von extremistischen Gruppierungen stammen. Die Beantwortung dieser Fragen ist wichtig, da man nur durch den Vergleich unterschiedlicher Kommunikationskanäle die Bedeutung des Internets und Sozialer Netzwerke adäquat einschätzen kann. Wir stellen deshalb die folgenden Forschungsfragen: ▶▶ Forschungsfrage 2.1: Wie häufig kommen Jugendliche in medialen und nicht-medialen Kommunikationskanälen mit extremistischen Akteuren und Botschaften in Kontakt? ▶▶ Forschungsfrage 2.2: Welche Bedeutung haben dabei unterschiedliche Arten von Medien, insbesondere das Internet und soziale Medien im Vergleich zur Nachrichtenberichterstattung der traditionellen Medien? ▶▶ Forschungsfrage 2.3: Werden Jugendliche auch von medialen Angeboten erreicht, die direkt von extremistischen Akteuren stammen?
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3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts
Fragekomplex 3: Die Wahrnehmung extremistischer Botschaften (extremismusbezogene Kompetenz) Der Bereich der Wahrnehmung bezieht sich auf die Umstände unter denen Jugendliche extremistische Inhalte als solche erkennen und die Frage, wie sie Botschaften bzw. deren Quellen (Akteure) in der Folge bewerten. Es geht also um die Frage, welche extremismusbezogenen Kompetenzen die Jugendlichen haben. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Frage der Verschleierung extremistischer Botschaften gelegt werden („Wolf-im-Schafspelz“-Strategie), die im Kontext sozialer Online-Netzwerke besonders relevant ist. In diesem Zusammenhang ergeben sich folgende Fragen: ▶▶ Forschungsfrage 3.1: Welche kommunikativen Strategien extremistischer Akteure kennen Jugendliche? ▶▶ Forschungsfrage 3.2: Welche Botschaften bzw. Quellen werden von Jugendlichen als extremistisch erkannt? ▶▶ Forschungsfrage 3.3: Wie werden als extremistisch erkannte und nicht als extremistisch erkannte Botschaften bzw. Quellen von Jugendlichen bewertet?
Fragekomplex 4: Die Wirkung extremistischer Botschaften Das Spektrum möglicher Wirkungen extremistischer Botschaften auf Jugendliche ist sehr breit und reicht von Ablehnung und Reaktanz über die schleichende Veränderung von Einstellungen bis zu Radikalisierungsprozessen. Das vorliegende Projekt konzentriert sich auf einige wenige Indikatoren von Wirkungsprozessen und fokussiert dabei insbesondere die Frage, unter welchen Bedingungen die Wahrnehmung extremistischer Botschaften Anlass für interpersonale Anschlusskommunikation, weiterführende Informationssuche und die eigene Bereitschaft zur Gegenrede ist. Konkret geht es um folgende Fragen: ▶▶ Forschungsfrage 4: Unter welchen Bedingungen führt der Kontakt mit extremistischen Botschaften zu interpersonaler Anschlusskommunikation, Informationssuche und Gegenrede?
Fragekomplex 5: Die Einflüsse individueller Merkmale und des sozialen Umfelds Individuelle Merkmale und das soziale Umfeld prägen alle Stufen von Medienselektions- und Wirkungsprozessen (z. B. Slater, 2007; Valkenburg & Peter, 2013). Deshalb können ohne deren Berücksichtigung auch der Kontakt mit sowie die Wahrnehmung und Wirkung von extremistischen Botschaften auf Jugendliche nicht
3.1 Theoretisches Modell und Forschungsfragen
63
befriedigend beschrieben und erklärt werden. Im Projekt soll deshalb eine Reihe von Merkmalen berücksichtigt werden, von denen man aufgrund der relevanten Literatur einen Einfluss auf die Rezeption und Wirkung extremistischer Botschaften erwarten kann. Dazu zählen individuelle Merkmale wie soziodemographische Charakteristika (z. B. Alter, Geschlecht, Bildung, Migrationshintergrund etc.), Merkmale der sozialen Lage (z. B. Deprivations- und Diskriminierungserfahrungen), persönlichkeitsbezogene Merkmale (z. B. Gewaltakzeptanz, Autoritarismus), politisches Interesse und Einstellungen sowie Muster der Mediennutzung. ▶▶ Forschungsfrage 5.1: Welche individuellen Merkmale von Jugendlichen beeinflussen die Intensität des Kontakts mit extremistischen Akteuren und Botschaften sowie deren Wahrnehmung und Wirkungen? Ebenfalls berücksichtigt werden Einflüsse der Sozialisationsinstanzen, etwa im Hinblick auf die subjektive Bedeutung der verschiedenen Bezugsgruppen (Familie, Gleichaltrige, Schule, Vereine), die Geborgenheit innerhalb des sozialen Umfelds (Deprivation) sowie die interpersonale Kommunikation über Politik und die Gefahren von Extremismus in der Familie, unter Freunden, in der Schule und in Vereinen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich folgende Forschungsfrage: ▶▶ Forschungsfrage 5.2: Welche Merkmale des sozialen Umfelds von Jugendlichen beeinflussen die Intensität des Kontakts mit extremistischen Akteuren und Botschaften sowie deren Wahrnehmung und Wirkungen? Darüber hinaus wollen wir die Strukturen des Kontakts mit extremistischen Botschaften zum Ausgangspunkt der Erstellung einer Typologie machen, die innerhalb der Gesamtgruppe der Jugendlichen verschiedene Segmente identifiziert, die sich in der Intensität und der Art des medialen Kontakts mit Extremismus unterscheiden. Sollte sich ergeben, dass Intensität und Art des Kontakts mit anderen individuellen und sozialen Merkmalen der Jugendlichen zusammenhängt, dann wäre dies nicht nur theoretisch, sondern auch im Hinblick auf die Extremismusprävention ein besonders wichtiges Ergebnis unserer Analysen. Wir stellen deshalb als letztes die Fragen: ▶▶ Forschungsfrage 5.3: Kann man unterschiedliche Typen von Jugendlichen identifizieren, die sich in der Intensität und Art des Kontakts ihres Kontakts mit Extremismus unterscheiden? ▶▶ Forschungsfrage 5.4: Unterscheiden sich diese Typen von Jugendlichen auch in weiteren individuellen und sozialen Merkmalen? 63
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3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts
3.2
Anlage der Untersuchung
3.2
Anlage der Untersuchung
Um die skizzierten Forschungsfragen zu beantworten, haben wir uns im Sinne der Triangulation für ein Mehr-Methoden-Design entschieden, bei dem qualitativen und quantitativen Teilstudien ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. Die einzelnen Fragestellungen werden dabei in der Regel nicht nur durch ein Teilprojekt beantwortet, sondern durch die Kombination und Gesamtbetrachtung der Befunde unterschiedlicher Untersuchungsschritte. Sämtliche Fragebögen finden sich im Online+ Anhang. Teilprojekt 1 besteht aus einer repräsentativen Befragung von Jugendlichen, deren Ziel es ist, einen möglichst umfassenden Überblick darüber zu bekommen, wie häufig Jugendliche mit extremistischen Inhalten in Kontakt kommen, welche Kanäle dabei eine Rolle spielen und wie sich dieser Kontakt erklären lässt. Aufbauend auf den Ergebnissen dieser quantitativen Befragung wurden in Teilprojekt 2 qualitative Leitfadeninterviews mit Jugendlichen geführt. Diese Interviews dienten einerseits dazu, die Befunde der ersten Teilstudie zu validieren, andererseits aber auch näheren Aufschluss darüber zu geben, wie Jugendliche extremistische Inhalte konkret wahrnehmen, ob sie extremistische Botschaften also erkennen und wie sie sie bewerten. Teilprojekt 3 unserer Untersuchung bildet eine kontrollierte Rezeptions- und Wirkungsstudie, bei der Jugendliche mit verschleierten extremistischen Inhalten konfrontiert und zu diesen befragt werden. Das experimentelle Design dieser Teilstudie ermöglicht uns, Wirkungsmechanismen zu identifizieren, die dem Erkennen und Bewerten solcher Inhalte zu Grunde liegen. In den ersten beiden Teilstudien haben wir uns auf die Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen konzentriert. Wir halten diese Eingrenzung aus mehreren Gründen für sinnvoll. Zum einen zeigen Studien, dass eine Ideologisierung häufig mit etwa 14 Jahren einsetzt, was mit dem Übergang in weiterführende Schulen erklärt wird und der dadurch verbundenen Herausbildung neuer Freundeskreise (Decker, Kiess & Brähler, 2014; Peucker, Gaßebner & Wahl, 2001). Es ist somit davon auszugehen, dass Jugendliche oftmals in diesem Alter erstmals mit extremistischen Botschaften in Berührung kommen. Außerdem beträgt das rechtliche erforderliche Mindestalter, um sich bei den meisten sozialen Netzwerken zu registrieren, 13 Jahre (z. B. Facebook oder Instagram). Auch die Nutzungshäufigkeit vieler Social Media-Angebote fällt in der Altersgruppe der 14- bis 19-Jährigen deutlich höher aus als in der Gruppe der 12- bis 13-Jährigen (mpfs, 2017, S. 36). Zum anderen findet politische Sozialisation vornehmlich in der Jugendphase statt (Hurrelmann & Quenzel, 2013), „daher [ist diese Phase] die zu untersuchende Altersspanne, wenn Ursachen und Bedingungsfaktoren für Rechtsextremismus – im Hinblick auf Erkenntnisse für die Prävention – analysiert werden sollen“ (Burkert, 2012, S. 170).
3.2 Anlage der Untersuchung
65
Abbildung 4 stellt das Forschungsdesign des gesamten Projekts schematisch dar und verdeutlicht, welche Forschungsfragen durch welche Teilprojekte beantwortet werden sollen . Das methodische Vorgehen der einzelnen Teilstudien wird im jeweiligen Ergebnisteil detailliert beschrieben .
Abb. 4
Anlage der Untersuchung
Eigene Darstellung 65
66
3 Theoretisches Modell, Forschungsfragen und Anlage des Projekts
3.3
Umgang mit forschungsethischen Fragestellungen
3.3
Umgang mit forschungsethischen Fragestellungen
Aufgrund der Befragung Minderjähriger sowie des Themenfelds „Extremismus“ kann das Projekt forschungsethische Bedenken hervorrufen . Dies war dem Projektteam bewusst und wurde mit mehreren Maßnahmen abgefedert: (1) Es wurden in keiner der Teilstudien extremistische Botschaften verwendet, die explizit zu Gewalt aufrufen, Darstellungen von Gewalt enthalten oder als Volksverhetzung zu klassifizieren wären . Dies wäre schon deshalb unangemessen, weil vor allem die Wirkung eher verschleierter Botschaften im Mittelpunkt der Untersuchung stand . (2) In allen verwendeten Fragebögen und Leitfäden wurden jugendspezifische Fragemodelle verwendet, die speziell für Untersuchungen mit Jugendlichen konzipiert bzw . mit Jugendlichen getestet wurden . (3) Das Untersuchungsdesign sowie alle verwendeten Erhebungsinstrumente und Stimuli wurden vor Beginn der jeweiligen Datenerhebung der zuständigen Ethikkommission an der Sozialwissenschaft lichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt und von dieser für unbedenklich eingestuft (siehe Online+ Anhang) . (4) Im unmittelbaren Anschluss an die Durchführung der drei Erhebungen wurde von den Studienleitern bzw . Interviewern ein sogenanntes Debriefing durchgeführt, in dem das Untersuchungsdesign erklärt, die Problematik extremistischer Online-Botschaften erläutert und auf entsprechende Informationsangebote hingewiesen wurde . Allen Teilnehmern der Studien wurde zudem ein Informationsblatt mit weiterführenden Informationen und Hinweisen auf Beratungs- und Meldestellen zum Thema Extremismus und soziale Medien ausgehändigt . Darüber hinaus erfolgte die Teilnahme an allen Teilstudien freiwillig und nach vorherigem Einverständnis der Teilnehmer . Die Teilnehmer wurden vorab über den Ablauf der entsprechenden Erhebung aufgeklärt und darauf hingewiesen, die Befragung jederzeit abbrechen zu können . Bei minderjährigen Teilnehmern wurde zudem vorab das Einverständnis eines Erziehungsberechtigten eingeholt .
Teilstudie I: Wie häufig, wo und warum kommen Jugendliche mit Extremismus in Kontakt?
4
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
4.1 Erkenntnisinteresse 4.1 Erkenntnisinteresse
Im ersten Teil unseres Projekts wollen wir ein repräsentatives Bild davon bekommen, wie häufig Jugendliche in Deutschland in Kontakt mit extremistischen Botschaften kommen, auf welchen Kanälen dies geschieht, welche Extremismusformen dabei eine Rolle spielen und welche extremismusbezogenen Kompetenzen Jugendliche haben. Außerdem wollen wir diesbezügliche Unterschiede zwischen den Jugendlichen erklären. Wir haben die Jugendlichen deshalb nach einer Vielzahl weiterer individueller, sozialer und lebensweltlicher Merkmale gefragt sowie Indikatoren für ihre allgemeine Politik- und Medienkompetenz, ihre politischen Einstellungen sowie ihre Mediennutzung ermittelt. Die Befunde zu Art und Intensität des Kontakts mit Extremismus werden wir zur Erstellung einer Typologie nutzen, die verschiedene Gruppen von Jugendlichen im Hinblick auf ihre Erreichbarkeit und Anfälligkeit für extremistische Botschaften unterscheidet.
4.2 Untersuchungsanlage 4.2 Untersuchungsanlage
Die empirische Basis unserer Analyse ist eine repräsentative Face-to-Face-Befragung, deren Grundgesamtheit in Deutschland lebende, 14- bis 19-jährige Jugendliche darstellen, die Deutsch sprechen. Eine Face-to-Face-Befragung ist aus mindestens drei Gründen die beste Option: Erstens ist der jüngste Teil der Zielgruppe kaum durch Online-Befragungen erreichbar, weil die Teilnahmebereitschaft gering und die Gruppe in Online-Panels nur sehr schwach vertreten ist. Zweitens bestehen erhebliche Zweifel an der Repräsentativität von Online-Befragungen, insbesondere bei Jugendlichen. Drittens sollen den Jugendlichen extremistische Akteure und Aussagen zur Beurteilung vorgelegt werden. Die persönliche Interviewsituation erlaubt es in © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 C. Reinemann et al., Jugend – Medien – Extremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23729-5_4
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68
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
diesem Fall am besten, ein unmittelbares Debriefing vorzunehmen und auf Informationsangebote der Extremismusprävention hinzuweisen (siehe Online+ Anhang). Die Befragung wurde vom 15. August bis zum 20. September 2016 vom, auf Kinder und Medien spezialisierten, Marktforschungsinstitut IconKids (München) durchgeführt, das über umfangreiche Erfahrungen in diesem Bereich verfügt und die Erhebung mit einem erfahrenen Stab speziell geschulter jugendlicher Interviewer durchgeführt hat. Da es sich bei den Befragten zumindest teilweise um Minderjährige handelte, wurden vor dem Interview die Eltern oder Erziehungsberechtigten in einem Schreiben über das Forschungsprojekt informiert und im Anschluss um ihr Einverständnis gebeten. Nur wenn sowohl die Erziehungsberechtigten als auch die Jugendlichen selbst ihr schriftliches Einverständnis abgaben, wurden die Jugendlichen befragt. Alle Interviews wurden anonymisiert erfasst. Die Befragten hatten die Möglichkeit, das Interview jederzeit abzubrechen. Da der Kontakt von Jugendlichen mit extremistischen Inhalten mittels einer Befragung gemessen werden sollte, mussten wir zunächst sicherstellen, dass sich unser Verständnis von Extremismus mit dem der Befragten deckt. Deshalb führten wir zu Beginn der Fragebogenkonzeption mehrere kleine Vorerhebungen durch, die uns einen besseren Eindruck darüber vermittelten, was Jugendliche unterschiedlicher Alters- und Bildungsgruppen tatsächlich unter dem Begriff „Extremismus“ verstehen. Zum einen besuchten wir mehrere Mittelschulen und ein Gymnasium in München5. In einer von der Projektgruppe gestalteten Schulstunde wurden Schüler unterschiedlicher Altersstufen zu ihrem Verständnis von „Extremismus“ und nach ihren Erfahrungen mit extremistischen Botschaften befragt. Zum anderen wurden fünf informelle Interviews mit Experten aus der medienpädagogischen Praxis, der Extremismusprävention, Vertretern eines großen Internetunternehmens, sowie einer staatlichen Sicherheitsbehörde6 geführt. Ziel dieser leitfadengestützten Gespräche war es, eine bessere Einschätzung der gegenwärtigen Online-Aktivitäten extremistischer Gruppierungen, einen Überblick über die Vielfalt unterschiedlicher extremistischer Inhalte und ihrer Verbreitungswege sowie ein besseres Verständnis des Umgangs Jugendlicher mit solchen Inhalten zu erlangen. 5 Bei den Schulen handelt es sich um das Luitpoldgymnasium (8. Klasse), die Guardini-Mittelschule (9. Klasse), sowie die Mittelschule an der Situlistraße (9. Klasse) in München. 6 Interviewt wurden Dr. Götz Nordbruch (Ufuq), Flemming Ipsen (jugendschutz.net, Bereich Rechtsextremismus) und Patrick Frankenberger (jugendschutz.net, Bereich Islamismus), Christina Dinar (Amadeu Antonio Stiftung), sowie Experten aus dem Bereich „Rechtsextremismus“ und „Islamismus“ vom Landesamt für Verfassungsschutz Bayern. Ergänzt wurden diese Gespräche durch zwei informelle Gespräche mit Mitarbeitern eines großen Internetunternehmens, denen jedoch Anonymität zugesichert wurde.
4.3 Operationalisierung
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Die Ergebnisse der Vorerhebungen bestätigten die Vermutung, dass nicht alle Jugendlichen der entsprechenden Altersgruppe den Begriff „Extremismus“ kennen bzw. kein Verständnis seiner genauen Bedeutung besitzen. Die Erhebung des Kontakts mit Extremismus und der Kompetenz, extremistische Inhalte, Botschaften und Strategien zu erkennen, stellte bei der Konzeption des Fragebogens somit eine besondere Herausforderung dar. Dieses Problem wurde durch die Kombination mehrerer methodischer Elemente gelöst, wobei insbesondere die Fragebogendramaturgie, also die Reihenfolge der Fragen, sowie die Verwendung von vorgegebenen Definitionen eine wichtige Rolle spielten: Dabei wurden den Jugendlichen zunächst verschiedene extremistische und nicht-extremistische Aussagen sowie extremistische und nicht-extremistische Organisationen, Gruppen und Personen vorgelegt. Diese sollten im Hinblick auf ihre Nähe zu den Werten und Prinzipien des Grundgesetzes beurteilt werden, ohne dass zuvor eine Definition von Extremismus gegeben worden war. Diese war jedoch später notwendig, wenn nach dem Kontakt mit extremistischen Botschaften und Einstellungen gefragt wurde, um einen einheitlichen Bezugspunkt für die Antworten der Jugendlichen herzustellen. Die Definition, die den Jugendlichen vorgelegt wurden, lautete: „Manche der Aussagen und Organisationen, die eben vorkamen, kann man als ‚extremistisch‘ bezeichnen. Unter ‚Extremismus‘ versteht man Einstellungen oder Aktivitäten, die sich gegen die im Grundgesetz festgelegten Ideen und Werte in Deutschland richten, also z. B. gegen die Freiheit und die Gleichheit aller Menschen. Manche extremistischen Organisationen wollen ihre Ziele auch mit Gewalt durchsetzen. Hast Du verstanden, was mit Extremismus gemeint ist?“ Zusätzlich wurde noch nach der Bekanntheit verschiedener Kommunikationsstrategien und verschiedener relevanter Institutionen der Präventionsarbeit (z. B. „jugendschutz.net“) gefragt. Die einzelnen Elemente werden im Folgenden dargestellt.
4.3 Operationalisierung 4.3 Operationalisierung
4.3.1 Extremismusbezogene Kompetenzen Die Fähigkeit zur Einschätzung des extremistischen Charakters von Akteuren und Botschaften stellt für uns ein zentrales Element extremismusbezogener Politikkompetenz dar. Um diese zu ermitteln, wurden den Jugendlichen erstens 13 extremistische 69
70
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
und nicht-extremistische Aussagen sowie in einer weiteren Frage 13 extremistische und nicht-extremistische Organisationen, Gruppen und Personen vorgelegt. Die Jugendlichen sollten dann die Nähe dieser Botschaften und Akteure zu den Werten und Ideen des Grundgesetzes mit Hilfe einer visualisierten Leiterskala einschätzen. Die entsprechende Frage zu den Akteuren lautete: „Die Regeln, nach denen wir in Deutschland zusammenleben, sind ja zum Beispiel im Grundgesetz festgehalten. Ich lese Dir jetzt ein paar Namen von Personen, Organisationen und Gruppen vor, und Du sagst mir bitte mit Hilfe dieser Leiterskala von 1 bis 10, ob Du glaubst, dass diese nah an den Ideen des Grundgesetzes sind oder weit davon entfernt. Du wählst also einen Wert zwischen 1 und 10 aus, ok? Wenn Du eine Person oder Organisation nicht kennst oder sie nicht einordnen kannst, dann sag es einfach.“ Für die Aussagen wurde eine analoge Frage gestellt. Auf diese Weise ließ sich erfassen, ob extremistische Botschaften und Akteure von den Jugendlichen auch als solche erkannt werden. Neben dem Erkennen extremistischer Akteure und Botschaften als Indikatoren für die extremismusbezogene Politikkompetenz der Jugendlichen wurde auch Indikatoren für die extremismusbezogene Medienkompetenz erhoben. Dazu wurde zum einen das Wissen über häufige Propagandastrategien extremistischer Gruppierungen abgefragt. Hierzu wurden die Befragten gebeten, das Vorkommen unterschiedlicher Strategien auf einer fünfstufigen Häufigkeitsskala (1 = nie, 5 = sehr häufig) einzuschätzen. Insgesamt wurde den Teilnehmern eine Liste mit zwölf unterschiedlichen Strategien vorgelegt, darunter z. B. „Extremistische Gruppen stellen sich in sozialen Netzwerken als cool und modern dar.“ und „Extremistische Gruppen schaffen Feindbilder, um Angst vor der Zukunft zu wecken.“ Die Gesamtheit der Antwortoptionen haben wir zu einem Summenindex zusammengefasst, der das Wissen über extremistische Kommunikationsstrategien widerspiegelt, dazu wurde die Ausprägungen „nie“ und „weiß nicht“ zur Ausprägung „nicht bekannt“ (Wert = 0) und alle weiteren Antwortoptionen zu „bekannt“ (Wert = 1) zusammengefasst (Wertebereich 0–12; M = 8.53; SD = 3.51). Zudem wurde die Bekanntheit einiger Institutionen der Extremismusprävention ermittelt, darunter jugendschutz.net und der Verfassungsschutz. In der vorgelegten Liste befand sich auch eine fiktive Organisation.
4.3 Operationalisierung
71
4.3.2 Kontakt mit Extremismus Intensität des Kontakts mit unterschiedlichen Extremismustypen Um herauszufinden, ob sich der Kontakt von Jugendlichen zwischen den unterschiedlichen Extremismusformen unterscheidet, stellten wir die Frage, wie häufig sie in letzter Zeit mit rechtsextremistischen, linksextremistischen und religiös-extremistischen Einstellungen und Botschaften in Kontakt gekommen sind. Die Kontakthäufigkeit konnten die Befragung für jedes Item auf einer fünfstufigen Skala mit den Ausprägungen „nie“ (1), „selten“, „manchmal“, „häufig“, „sehr häufig“ (5) angeben. Da wir davon ausgingen, dass dieses Urteil den Jugendlichen möglicherweise schwerfallen würde, wir aber genau an dieser Unsicherheit interessiert waren, wurde neben der Skala auch die Möglichkeit gegeben, mit weiß nicht zu antworten. Dies wurde bei allen weiteren Fragen nach dem Kontakt ebenfalls so gehandhabt. Dennoch sind die Antworten gerade auf diese Frage mit einer gewissen Unsicherheit verknüpft, da wir keine Definition der verschiedenen Typen von Extremismus vorgegeben haben und deshalb zunächst nicht völlig sicher sein können, was die Jugendlichen jeweils mit den Begriffen verbunden haben.
Mediale und nicht-mediale Kommunikationskanäle Im Anschluss gaben die Jugendlichen Auskunft darüber, über welche medialen und non-medialen Kanäle sie in letzter Zeit mit extremistischen Einstellungen, Inhalten oder Botschaften in Kontakt gekommen sind. Um die Belastung für die befragten Jugendlichen hierbei so gering wie möglich zu halten, haben wir bewusst darauf verzichtet, hierbei zwischen den drei oben genannten Extremismusformen zu unterscheiden und haben stattdessen nach extremistischen Botschaften oder Einstellungen allgemein gefragt. Zur Beurteilung stand den Jugendlichen jeweils die bereits erwähnte, fünfstufige Häufigkeitsskala zur Verfügung. Da der Fokus der Studie auf dem medialen Kontakt mit extremistischen Inhalten liegt, sollte dieser Bereich möglichst differenziert abgefragt werden. Deshalb wurden nuanciert einzelne Medientypen und Medienangebote erhoben. Zunächst fragten wir die Jugendlichen, wie häufig sie in letzter Zeit im Fernsehen, im Radio, in Zeitschriften oder Zeitungen sowie auf Online-Nachrichtenseiten oder Apps auf extremistische Einstellungen, Inhalte oder Botschaften gestoßen sind. Die vier Angebotstypen haben wir für weiterführende Analysen zu einem Mittelwertindex zusammengefasst, der einen Indikator für den Kontakt mit Extremismus über traditionelle Medien und Berichterstattung darstellt (Wertebereich 1–5; M = 2.06; SD = .90; Cronbachs α = .830).
71
72
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
In Hinblick auf den Kontakt über soziale Medien sollten die Jugendlichen die Häufigkeit für unterschiedliche Typen sozialer Netzwerke einschätzen. Hier haben wir uns bewusst dagegen entschieden, ausschließlich nach einzelnen Angeboten wie Facebook oder YouTube abzufragen. Stattdessen haben wir den Jugendlichen Items mit entsprechenden Kategorien sozialer Medienangebote vorgelegt und jeweils ein oder zwei populäre Beispiele genannt (z. B. „auf Videoplattformen, z. B. YouTube“). Mit dem Wissen um die Beliebtheit und Nutzungsintensität einzelner Plattformen lassen sich hier dennoch Rückschlüsse auf die Bedeutung einzelner Angebote ziehen. Für weitere Berechnungen wurde aus den einzelnen Items ebenfalls ein Mittelwertindex gebildet, der die Intensität des Kontakts mit Extremismus in sozialen Medien widerspiegelt (Wertebereich 1–5; M = 1.61; SD = .74; Cronbachs α = .785). Neben extremistischen Inhalten, auf die Jugendliche während ihrer Online-Aktivitäten vermutlich eher zufällig stoßen, interessierten wir uns auch dafür, wie häufig Jugendliche Angebote nutzen, die direkt von extremistischen Akteuren betrieben und produziert werden. Deshalb fragten wir die Jugendlichen auch danach, wie häufig sie in letzter Zeit in Online-Angeboten extremistischer Organisationen oder Personen (z. B. Webseite, YouTube-Kanal, Blog), auf extremistische Einstellungen, Inhalte oder Botschaften gestoßen sind (1 = nie, 5 = sehr häufig). Des Weiteren war es für die Einordnung der Befunde zum medialen Kontakt besonders wichtig zu ermitteln, wie häufig die Jugendlichen in ihrem sozialen Umfeld mit extremistischen Einstellungen und Äußerungen in Kontakt kommen. Um das herauszufinden, haben wir die Jugendlichen gebeten, uns wieder auf der fünfstufigen Skala (1 = nie, 5 = sehr häufig) anzugeben, wie häufig sie auf der Straße (z. B. bei einer Demonstration oder an einem Infostand), in einem Verein, einer Gemeinde oder Partei in der sie Mitglied sind, in der Schule, in ihrem Freundeskreis oder in ihrer Familie mit extremistischen Einstellungen in Kontakt gekommen sind, die von einer Person oder Gruppe geäußert wurden.
Letzter Kontakt mit Extremismus (Last-Contact-Methode) Um uns ein noch genaueres Bild davon zu verschaffen, mit welcher Art extremistischer Inhalte die Jugendlichen in Medien konkret in Kontakt kommen, auf welchen Wegen diese Kontakte zustande kommen und inwieweit sich das Verständnis der Jugendlichen mit unserem Verständnis von Extremismus deckt, haben wir zusätzlich die „Last-Contact-Methode“ eingesetzt. Im Rahmen dieser, vom Projektteam entwickelten, Methode wurden die Jugendlichen gebeten, sich an den letzten Kontakt mit Extremismus in einem bestimmten Medientyp zu erinnern. Da wir an bestimmten Medienangeboten besonders interessiert waren und zudem die Möglichkeit bestand, dass die Jugendlichen über mehrere Arten von Medien gleich häufig mit Extremismus in Kontakt kommen, aber nicht nach mehreren letzten
4.3 Operationalisierung
73
Kontakten gefragt werden konnte, wurde für die Last-Contact-Methode festgelegt, nach welcher Art von Medienangebot bevorzugt gefragt werden sollte . Sofern die Jugendlichen angegeben hatten, zumindest selten auf Online-Angeboten extremistischer Organisationen oder Personen mit Extremismus in Kontakt gekommen zu sein, wurde nach diesen gefragt (Priorität 1) . War dies nicht der Fall und die Jugendlichen hatten aber über soziale Medien Kontakt, wurde nach diesen gefragt (Priorität 2) . War auch dies nicht der Fall und die Jugendlichen hatten mindestens selten über ein traditionelles Medien- oder Nachrichtenangebot Kontakt, so wurde danach gefragt (Priorität 3) . Hatte ein Jugendlicher in keinem der drei Medientypen Kontakt mit Extremismus, wurde die Last-Contact-Methode übersprungen .
Abb. 5
Schematische Darstellung der Last-Contact-Methode
Eigene Darstellung
55 Prozent der Jugendlichen gaben schließlich an, sich an ihren letzten medialen Kontakt mit Extremismus erinnern zu können . Sie wurden dann gebeten, kurz zu beschreiben, worum es dabei ging . Im Anschluss wurde nach den näheren Umständen des Kontakts gefragt . Hier wollten wir zunächst erfahren, wie die Jugendlichen auf den Inhalten gestoßen waren, also z . B . ob sie gezielt danach gesucht hatten, ob jemand anderes den Inhalt gepostet hatte, ob der Inhalt von einem Freund weitergeleitet wurde oder ob die Jugendlichen eher zufällig (beim Surfen) 73
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4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
oder der routinemäßigen Mediennutzung darauf gestoßen waren. Im nächsten Schritt wollten wir wissen, wo sie den Inhalt rezipierten (z. B. Facebook, YouTube, Fernsehnachrichten etc.) und warum sie den Inhalt als extremistisch beschreiben würden. Dazu wurde den Jugendlichen eine Liste mit Merkmalen vorgelesen, die kennzeichnend für extremistische Botschaften sein können (z. B. „Wurde zu Gewalt aufgerufen?“, „Wurde gegen Gruppen gehetzt oder diese abgewertet?“). Die Jugendlichen sollten dabei angeben, welche dieser Merkmale auf den zuletzt gesehenen Inhalt zutrafen. Die einzelnen Befragungsschritte der Last-Contact-Methode sind in Abbildung 5 schematisch dargestellt.
4.3.3 Individuelle und soziale Merkmale Individuelle Merkmale Im Hinblick auf die individuellen Merkmale der Jugendlichen haben wir eine ganze Reihe soziodemografischer Merkmale erhoben. Dazu zählen Geschlecht, Alter, Herkunft (Ost-/Westdeutschland und Migrationshintergrund), formale Bildung sowie die Religionszugehörigkeit. Der genaue Wortlaut der einzelnen Fragen sowie die jeweils verwendeten Skalen können dem Fragebogen im Online+ Anhang entnommen werden. Um zu prüfen, ob und welche individuellen Merkmale der Jugendlichen einen Einfluss auf ihren Kontakt mit extremistischen Online-Inhalten und ihre extremismusbezogenen Kompetenzen haben, wurden verschiedene weitere Merkmale erfasst. Dazu gehörten zunächst Merkmale, die weitere Rückschlüsse auf die Politik- und Medienkompetenz der Jugendlichen ermöglichen. Darunter fällt das politische Interesse, zu dem wir die Jugendlichen fragten: „Wie stark interessierst Du Dich ganz allgemein für das aktuelle Geschehen in Deutschland und der Welt?“ Die Befragten hatten die Möglichkeit, auf einer fünfstufigen Skala von 1 „überhaupt nicht“ bis 5 „sehr stark“ zu antworten (M = 3.22, SD = 1.0). Außerdem wurden die Jugendlichen gebeten, ihr politisches Wissen selbst einzuschätzen. Dazu wurden sie gebeten, eine Reihe von Aussage zu beurteilen, etwa „Ich könnte anderen erklären, was eine Demokratie von einer Diktatur unterscheidet“. Ihre eigene Kompetenz konnten die Jugendlichen dabei anhand einer fünfstufigen Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 „trifft voll und ganz zu“ beurteilen. Die Antwortoptionen ließen sich zu einem Mittelwertindex zusammenfassen (Wertebereich 1–5; M = 3.22; SD = .995; Cronbachs α = .90). Zudem interessierten wir uns für die Rolle der unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen bei der Vermittlung politischer Kompetenzen an die Jugendlichen. Um einen Eindruck von ihrer Vermittlungsleistung zu bekommen, haben wir die Jugendlichen deshalb gebeten anzugeben, wie
4.3 Operationalisierung
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häufig sie in verschiedenen sozialen Kontexten (Familie, Freunde, Schule, Verein/ Gemeinde/Partei) Gespräche über das aktuelles Geschehen führen (Wertebereich 1 = nie bis 5 = mehrmals täglich; M = 2.83, SD = .91, Cronbachs α = .802). Aus den Variablen zum politischen Interesse, politischen Wissen und den Gesprächen über aktuelles Geschehen im sozialem Umfeld wurde ein Summenindex gebildet, der einen Indikator für die allgemeine politische Kompetenz der Jugendlichen darstellt (Wertebereich 1 bis 16; M = 10.12, SD= 2.14, Cronbachs α = .67). Um die Häufigkeit des Kontakts mit Extremismus zudem mit potentiellen Kontaktmöglichkeiten in Relation setzen zu können, wurden schließlich zum einen die individuelle Mediennutzung über aktuelles Geschehen erfasst, in dem die Nutzungshäufigkeit für neun Nachrichtenmedien mit einer sechsstufigen Skala abgefragt wurde (Wertebereich 1 = nie, 6 = mehrmals täglich, M = 2.95, SD = .80, Cronbachs α = .757). Zum anderen wurden die Jugendlichen auch zu ihrer Nutzungshäufigkeit verschiedener sozialer Medienangebote befragt (Wertebereich 1 = nie, 6 = mehrmals täglich, M = 3.82, SD = .95, Cronbachs α = .652). Die allgemeine Medienkompetenz der Jugendlichen wurde ebenfalls ermittelt, und zwar mit einem Fokus auf digitale Medien. Dazu haben wir die Jugendlichen in acht Items um eine Selbsteinschätzung ihrer Internetnutzungskompetenz gebeten, die die vier Dimensionen (1) Technische Expertise, (2) Reflexion und kritische Analyse, (3) Interaktion sowie (4) Selbstregulation abdecken (vgl. Riesmeyer & Fawzi, 2016; Stodt, Wegmann & Brand, 2015). Die einzelnen Items wurden als Aussagen formuliert und konnten jeweils auf einer fünfstufigen Skala (1 = trifft überhaupt nicht zu, 5 = trifft voll und ganz zu) beurteilt werden. Ein Beispiel für eine der verwendeten Aussagen ist: „Ich finde online immer die Information, die ich suche.“ Aus den Items wurde ein Mittelwertindex gebildet (Wertebereich 1–5; M = 3.64, SD = .61, Cronbachs α = .62). Da wir auf Basis der Befunde der Extremismus- und Radikalisierungsforschung davon ausgehen, dass der Kontakt mit und die Wahrnehmung extremistischer Botschaften und Akteure auch von politikbezogenen Einstellungsmustern der Jugendlichen abhängt, haben wir unterschiedliche Indikatoren für diese Einstellungen erhoben. Dazu zählt zunächst die politische Selbstverortung, die mittels einer klassischen, elfstufigen Links-Rechts-Skala erhoben wurde (Wertebereich von 0 = ganz links bis 10 = ganz rechts; M = 4.27, SD = 1.86). Außerdem haben wir zwei Fragen gestellt, mit denen die Politikverdrossenheit und das Institutionenvertrauen der Jugendlichen ermittelt werden sollte. Mit sieben Items und einer fünfstufigen Zustimmungsskala (1 = stimme überhaupt nicht zu, 5 = stimme voll und ganz zu) haben wir ermittelt, wie stark die Jugendlichen ihren Einfluss auf die Politik bzw. die Responsivität von Politik einschätzen (Einflussüberzeugung, efficacy). Außerdem haben wir nach dem Vertrauen in sechs Institutionen gefragt (u. a. Bundesregierung, 75
76
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
Medien, Polizei). Die Jugendlichen konnten die Institutionen auf einer ebenfalls fünfstufigen Skala einstufen, die von 1 = „sehr wenig Vertrauen“ bis 5 = „sehr viel Vertrauen“ reichte. Zudem haben wir verschiedene Ungleichwertigkeitsvorstellungen ermittelt, z. B. Einstellungen zu Ausländern, bestimmten Religionsgruppen und dem Verhältnis von Männern und Frauen sowie die Neigung zu Autoritarismus. Insgesamt wurden den Jugendlichen 15 Aussagen vorgelegt, die sie auf einer fünfstufigen Zustimmungsskala beurteilen sollten (1 = stimme überhaupt nicht zu, 5 = stimme voll und ganz zu). Aus sechs der Items konnte ein Mittelwertindex gebildet werden, der Xenophobie und Islamophobie der Jugendlichen widerspiegelt (z. B. „In Deutschland gibt es zu viele Muslime.“; Wertebereich 1 bis 5; M = 1.85, SD = 1.09, Cronbachs α = .867). Ein Index aus fünf weiteren Items umfasst die Abwertung anderer Religionen und Traditionalismus bzw. Männlichkeitsvorstellungen der Befragten (z. B. „Meine Religion ist anderen Religionen überlegen.“; vgl. Heitmeyer, 2005, Wertebereich 1–5; M = 1.69, SD = 1.05, Cronbachs α = .805). Der dritte Mittelwertindex beschreibt den Grad des Autoritarismus der Befragten. Hierzu wurden drei Items zusammengefasst, darunter „Der Mensch ist ein Herdentier und braucht einen Führer“ (Wertebereich 1 bis 5; M = 2.57, SD = .95, Cronbachs α = .721). In vielen Definitionen und Analysen von Extremismus und Radikalisierung spielen Gewaltakzeptanz und die Ausübung von Gewalt eine bedeutende Rolle. Man kann deshalb annehmen, dass die Befürwortung von Gewaltausübung oder die Bereitschaft, selbst Gewalt auszuüben, die Wahrscheinlichkeit eines Kontakts mit extremistischen Inhalten verstärkt. Um die Gewaltakzeptanz der Jugendlichen zu messen, wurden ihnen deshalb vier Aussagen vorgelegt, die sie wieder auf einer fünfstufigen Zustimmungsskala bewerten sollten, so z. B. die Aussage „Gegen die Ungerechtigkeit in Deutschland würde ich auch mit Gewalt kämpfen“ (1 = stimme überhaupt nicht zu, 5 = stimme voll und ganz zu) (z. B. Sturzbecher, Kleeberg-Niepage & Hoffmann, 2012). Auch die einzelnen Items dieses Konstrukts ließen sich zu einem Mittelwertindex zusammenfassen, der die generelle Gewaltakzeptanz der Befragten widergibt (Wertebereich 1–5; M = 2.29, SD = 1.46, Cronbachs α = .912).
Merkmale des sozialen Umfelds Im Hinblick auf den sozialen Kontext bzw. dessen Wahrnehmung haben wir einerseits zwei Fragen gestellt, die Rückschlüsse darauf zulassen, wie die Jugendlichen in ihr soziales Umfeld und die Gesellschaft eingebunden sind. Dazu haben wir zum einen die wahrgenommene soziale Deprivation ermittelt (sechs Items, Rippl & Baier, 2005; z. B. „Ich fühle mich als vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft“; Wertebereich 1 = trifft überhaupt nicht zu bis 5 trifft voll und ganz zu; M = 1.76, SD = .68, Cronbachs α = .752). Außerdem interessierten uns auch persönliche
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
77
Diskriminierungserfahrungen (vier Items, Brettfeld & Wetzels, 2007; z. B. „Bist du wegen Deiner Religion, Deiner Herkunft, Deiner Hautfarbe oder anderer Deiner Eigenschaften schon einmal benachteiligt worden?“; Wertebereich 1 = ja, 0 = nein; M= 0.22, SD = .29, Cronbachs α = .721). Zudem interessierten wir uns in diesem Zusammenhang für die Rolle der unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen bei der Vermittlung extremismusbezogener Kompetenzen. Da anzunehmen ist, dass die Thematisierung der Gefahren von Extremismus die Aufmerksamkeit und Kritikfähigkeit der Jugendlichen gegenüber extremistischen Online-Inhalten erhöht, wollten wir zudem wissen, wie häufig die Befragten innerhalb dieser unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen in letzter Zeit über die Gefahren von Extremismus gesprochen haben. Aus drei der abgefragten Instanzen (Familie, Freundeskreis, Schule) wurde ebenfalls wieder ein Mittelwertindex zur Häufigkeit Gespräche über die Gefahren von Extremismus gebildet (Wertebereich 1 = nie bis 5 = mehrmals täglich; M = 3.24, SD = 1.25, Cronbachs α = .823)
4.4
Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
4.4
Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
Die Ergebnisse der Repräsentativbefragung werden in zwei Schritten vorgestellt. Zunächst geben wir für wesentliche Befunde einen Überblick über die Gesamtheit der Jugendlichen. Im zweiten Schritt betrachten wir vier unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen, die sich in der Intensität und Art des medialen Kontakts mit Extremismus unterscheiden (Kontakttypen).
4.4.1 Individuelle und soziale Merkmale Soziodemographie Insgesamt wurden schließlich 1.061 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 19 Jahren befragt. Die Befragten waren im Durchschnitt 17 Jahre alt. Die Verteilung der Bildungsabschlüsse, die politische Positionierung und weitere soziodemographische Variablen entsprechen in ihrer Verteilung weitgehend den Daten der aktuellen Shell Jugendstudie (2015a), was auf eine hohe Repräsentativität und Qualität der vorliegenden Daten schließen lässt (Abbildung 6).
77
78
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
&
#"
$%
# #
6 Merkmale der Stichprobe Abb.
Anmerkung: Angaben in Prozent. Basis: Alle Befragten (n = 1.061). 1Anteil der Befragten, die selbst im Ausland geboren wurden, deren Mutter im Ausland geboren wurde und/oder deren Vater im Ausland geboren wurde.
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
79
Nutzung von sozialen Netzwerken und Mediennutzung zur aktuellen Information Viele Befürchtungen über negative Auswirkungen extremistischer Online-Aktivitäten auf Jugendliche gehen von der Beobachtung aus, dass Heranwachsende soziale Medien intensiv nutzen. Wir haben deshalb ihre Nutzungsintensität unterschiedlicher Angebote bei den Jugendlichen erfragt. Dabei zeigt sich, dass die Jugendlichen keineswegs alle sozialen Netzwerke mit gleicher Häufigkeit nutzen. Nimmt man eine zumindest tägliche Nutzung als Maßstab, dann liegt WhatsApp deutlich vorn. Fast alle Jugendlichen nutzen den Messengerdienst jeden Tag (91 %). Es folgen Facebook (67 %) und dann, mit deutlichem Abstand, YouTube (34 %) und Snapchat (28 %) sowie Instagram (22 %) und Twitter (18 %). Der Messengerdienst Telegram, der von Sicherheitsbehörden als besonders problematisch angesehen wird (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2017, S. 166), nutzen immerhin fünf Prozent der Jugendlichen. Von einer permanenten Erreichbarkeit Jugendlicher durch jeden einzelnen dieser Kanäle kann also nur bedingt die Rede sein. Auf WhatsApp allerdings trifft dies zu (Abbildung 7). Und wie häufig nutzt Du folgende soziale Netzwerke und Internet-Angebote? 100
80
60
40
91 67
20
0
34
28
22
18
Instagram
Twitter
5 WhatsApp
Facebook
YouTube
Snapchat
Telegram (Messenger)
Abb. 7 Nutzung sozialer Netzwerke durch Jugendliche Anmerkung: Anteil aller Befragten, die die genannten Angebote mehrmals täglich oder einmal täglich nutzen. Basis: Alle Befragten (n = 993 – 1.049). 79
80
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
Betrachtet man darüber hinaus, auf welchen Wegen sich Jugendliche über das aktuelle Geschehen in Deutschland und der Welt informieren, dann wird deutlich, wie vielfältig und unterschiedlich ihre Medienrepertoires ausfallen. Geht man davon aus, welche Medien von den Jugendlichen mindestens täglich als Informationsquellen genutzt werden, dann zeigt sich zunächst, dass auch hier soziale Netzwerke für einen großen Teil der Jugendlichen eine wesentliche Rolle spielen. Fast die Hälfte der Jugendlichen (44 %) greift zur Information auf Nachrichten zurück, die ihre Freunde in sozialen Netzwerken teilen, und 10 Prozent der Jugendlichen sehen sich dazu täglich Videos auf YouTube an. Nur relativ wenige Jugendliche nutzen ebenso häufig die diversen Online-Angebote von Nachrichtenmedien (16 %) und Email-Portalen (14 %). Darüber hinaus spielen für eine größere Zahl von Jugendlichen Nachrichten im Fernsehen (25 %), im Radio (22 %) und in der Presse eine Rolle (13 %). Insgesamt wird deutlich, dass nur ein Teil der Jugendlichen das aktuelle Geschehen intensiv verfolgt. Für viele ist aktuelle Information weniger eine tägliche Routine als eine sporadische Angelegenheit (Abbildung 8).
Wie häufig nutzt Du folgende Medienangebote, um dich über das aktuelle Geschehen in Deutschland und der Welt zu informieren? 0
20
Nachrichten, die deine Freunde in sozialen Netzwerken teilen
16
Nachrichten auf E-Mail-Portalen
14
Tageszeitungen und Zeitschr iften
13
mind. einmal täglich
3 10 3
15
14
50
18
42 51
7 24
mind. einmal pro Woche
14
21 20
20
7
15
24
34
7
9
50
10
YouTube-Kanäle
100
58
22
Inter netseiten, Facebookseiten oder Apps von Nachr ichtensendungen oder …
80
34
25
Radionachrichten
Satir e-Sendungen
60
44
Fernsehnachrichten
Ausländische Medien
40
16 35
80 31
42
seltener als einmal pro Woche
nie
Abb. 8 Mediennutzung Jugendlicher zur aktuellen Information Anmerkung: Anteil aller Befragten, die die genannten Angebote mehrmals täglich, einmal täglich, mehrmals pro Woche, etwa einmal pro Woche, seltener als einmal pro Woche oder nie nutzen. Basis: Alle Befragten (n = 993 – 1.049).
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
81
Wichtige Bausteine zur Erlangung extremismusbezogener Kompetenzen können Gespräche über das aktuelle Geschehen im Allgemeinen und die Gefahren von Extremismus im Speziellen sein, die die Jugendlichen in ihrem persönlichen Umfeld führen. Hier stellt sich zunächst die Frage, wo Jugendliche die Ideen und Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft vermittelt bekommen. Insgesamt ist dabei die Schule der Ort, an dem sich die Jugendlichen am häufigsten über das aktuelle politische Geschehen austauschen (nie: 5 %, mindestens einmal pro Woche: 69 %; M = 3.2), dicht gefolgt vom Elternhaus (nie: 10 %; mindestens einmal pro Woche: 69 %; M = 3.1) und dem Freundeskreis (nie: 10 %; mindestens einmal pro Woche: 61 %; M = 2.9). Für diejenigen Jugendliche, die aktuell eine Schule besuchen, ist sie auch der Ort, an denen Jugendliche am häufigsten über die Gefahren von Extremismus sprechen (nie: 7 %; mindestens manchmal: 70 %; M = 2.95), dicht gefolgt von der Familie (nie: 16 %; mindestens manchmal: 57 %; M = 2.64) und dem Freundeskreis (nie: 20 %; mindestens manchmal: 45 %; M = 2.40). Die klassischen Sozialisationsinstanzen spielen bei der Vermittlung politischer und extremismusbezogener Kompetenzen Wie häufig wurde in letzter Zeit in deinem persönlichen Umfeld über die Gefahren von Extremismus gesprochen? 0
10
im Schuluntericht
40
60
selten
90
100
7
16
20
35
40
33
21
80
27
31
manchmal
70
23
36
14
6
50
43
21
in deinem Freundeskreis
häufig/sehr häufig
30
27
in deiner Familie
in einem Verein, einer Religionsgemeinschaft oder Partei, in der Du Mitglied bist
20
nie
Abb. 9 Gespräche über Extremismus im sozialen Umfeld Anmerkung: Alle Befragten, die bei den Sozialisationsinstanzen nicht mit „trifft nicht zu“ geantwortet haben (z. B. Jugendliche, die nicht mehr zur Schule gehen). Basis: Alle Befragten (n = 735 – 1.055). 81
82
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
für die meisten Jugendlichen somit zwar eine große Rolle, demgegenüber steht jedoch auch ein beachtlicher Anteil an Jugendlichen, die sich hier nie oder nur selten austauschen (Abbildung 9). Auch die allgemeine Medienkompetenz kann eine Schlüsselqualifikation für das Erkennen und damit gegen die Wirkung extremistischer Botschaften sein. Insgesamt schätzen die Befragten ihre Medienkompetenz relativ hoch ein (M = 3.64). Als besonders kompetent sehen sich die Jugendlichen darin, online immer die Informationen zu finden, die sie suchen, 72 Prozent stimmen dieser Aussage zu. Die meisten Jugendlichen geben zudem an, sich Gedanken darüber zu machen, was sie posten und welche Auswirkungen das auf andere haben kann (64 %). Knapp zwei Drittel halten sich zudem für gut informiert, wie sie ihre eigene Privatsphäre schützen können (63 %). Doch gerade wenn es darum geht, die Glaubwürdigkeit von Informationen im Internet einzuschätzen und Unwahrheiten zu erkennen, gibt es viele Jugendliche, die sich dazu nicht ausreichend kompetent einschätzen.
Nun geht es noch etwas genauer um das Internet. Wie sehr treffen folgende Aussagen auf Dich zu? 0
20
40
Ich finde online immer die Informationen, die ich suche.
60
80
72
Ich bin gut darüber informiert, wie man seine Privatsphäre in sozialen Netzwerken schützt.
64
Ich mache mir Gedanken darüber, was ich im Internet poste und welche Auswirkungen das für andere haben könnte.
63
Ich kann Informationen auf Internetseiten mühelos hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit einschätzen.
55
Ich merke sehr schnell, wenn jemand im Internet nicht die Wahrheit sagt.
53
Abb. 10 Medienkompetenz der Jugendlichen Anmerkung. Anteil der Befragten, die mit trifft eher zu oder trifft voll und ganz zu geantwortet haben. Prozentangaben. Basis: Alle Befragten (n = 1.001 – 1.042).
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
83
Knapp ein Drittel der Jugendlichen stimmen der Aussage, dass sie Informationen auf Internetseiten mühelos hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit einschätzen können, nur teilweise zu und 12 Prozent stimmen der Aussage sogar (eher) nicht zu. Genauso viele Jugendliche halten sich auch beim Erkennen von Unwahrheiten im Internet nicht für ausreichend kompetent. Jeder fünfte Jugendliche (19 %) weiß zudem nicht, mit wem er sprechen soll, wenn er im Internet auf ein Problem stößt. Gerade beim Kontakt mit extremistischen Inhalten können diese Kompetenzbereiche jedoch von Bedeutung sein (Abbildung 10). Auch ihre politische Kompetenz schätzen die meisten Jugendlichen recht hoch ein. 57 Prozent der Befragten stimmen zu, dass sie wichtige politische Fragen gut verstehen und einschätzen können (trifft (eher) nicht zu: 16 %; M = 3.55) und 55 Prozent trauen sich eine aktive Beteiligung an einem Gespräch über politische Fragen zu (trifft (eher) nicht zu: 21 %; M = 3.45). Schließlich geben drei Viertel der Jugendlichen an, die Grundwerte unseres Zusammenlebens, wie sie im Grundgesetz stehen, zu kennen (trifft (eher) nicht zu: 7 %; M = 4.0).
4.4.2 Genereller Kontakt mit Extremismus Wie stellt sich nun vor diesem Hintergrund der Kontakt mit Extremismus dar? Zur Erinnerung: Vor der ersten Frage zu diesem Themenkomplex legten wir den Jugendlichen eine Definition von Extremismus vor, um einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu schaffen. 95 Prozent der Jugendlichen gaben nach dieser Definition an, verstanden zu haben, was mit Extremismus gemeint ist. Dennoch wurden in den weiteren Analysen alle Jugendlichen berücksichtigt. Im nächsten Schritt wurde nach der Häufigkeit der Begegnung mit rechtsextremistischen, religiös-extremistischen oder linksextremistischen Einstellungen und Botschaften gefragt – wobei nicht zusätzlich definiert wurde, was darunter zu verstehen ist. Dabei spielte es keine Rolle, ob der Kontakt im öffentlichen Raum, in direkten Begegnungen oder einem medialen Kanal stattfand. Die Voraussetzung dafür, dass die Jugendlichen einen Kontakt angaben, ist demnach, dass sie ein subjektives Verständnis von dem hatten, was Extremismus ist, und glaubten, diesen wahrgenommen zu haben. Man kann deshalb davon sprechen, dass – da wir auf Selbstauskünfte angewiesen sind – hier in erster Linie der bewusste Kontakt mit Extremismus gemessen wurde. Im Anschluss daran fragten wir danach, wie häufig die Jugendlichen auf welchen Wegen bzw. Kanälen mit extremistischen Einstellungen, Inhalten oder Botschaften in Berührung kommen.
83
84
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
4.4.2.1 Kontakt mit verschiedenen Typen von Extremismus Es zeigt sich, dass knapp die Hälfte der Jugendlichen in letzter Zeit zumindest manchmal bewusst mit mindestens einer der genannten Extremismusformen in Kontakt gekommen ist. 13 Prozent sagten, dies sei häufig, und fünf Prozent, dies sei sehr häufig der Fall gewesen. Zwei Fünftel der Jugendlichen nahmen zumindest manchmal rechtsextremistische Einstellungen und Botschaften wahr, ein Drittel religiös-extremistische und ein Fünftel linksextremistische. Bei allen drei Typen von Extremismus liegt der Anteil derjenigen, die häufig oder sehr häufig mit ihnen konfrontiert werden bei nicht mehr als 11 Prozent (Abbildung 11).
Wie häufig bist du in letzter Zeit in Kontakt gekommen mit…? 100
80
59
60
40
20
0
5 40 3 7
30
sehr häufig häufig
manchmal
13 33 4 7 22
21 1 4
40
17
… rechtsextremistischen … religiös-extremistischen … linksextremistischen Einstellungen und Einstellungen und Einstellungen und Botschaften Botschaften, z.B. Botschaften islamistische
gesamt
Abb. 11 Kontakt Jugendlicher mit verschiedenen Typen von Extremismus Anmerkung: Anteil aller Befragten, die selten oder manchmal (dunkel) und häufig oder sehr häufig (hell) mit den jeweiligen Extremismusformen in Kontakt gekommen sind. Basis: Alle Befragten (n = 1.061).
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
85
4.4.2.2 Kontaktpunkte mit Extremismus Jugendliche können auf ganz unterschiedlichen Wegen und in unterschiedlichen Situationen mit extremistischen Einstellungen, Inhalten und Botschaften in Kontakt kommen. Diese unterschiedlichen Kontaktpunkte und Rezeptionssituationen haben jeweils spezifische Charakteristika, die einerseits die Erkennbarkeit von Extremismus, andererseits das Risiko- bzw. Wirkungspotentials der jeweiligen Begegnungen mit Extremismus beeinflussen dürften. Zum einen können Jugendliche unmittelbare, nicht medial vermittelte Begegnungen mit extremistischen Einstellungen, Ideen und Botschaften haben, etwa in der Familie, unter Freunden, in der Schule oder im öffentlichen Raum (nicht-medialer Kontakt). Diese Begegnungen können etwa darin bestehen, dass Familienmitglieder, Freunde, Mitschüler, Lehrer oder Vereinsmitglieder in Gesprächen extremistische Ansichten vertreten oder dass Jugendliche Parolen, Plakate oder Aufkleber im öffentlichen Raum sehen oder einer Aktion bzw. Demonstration extremistischer Gruppen begegnen. Zum anderen können Jugendliche über die unterschiedlichsten Arten von Medien mit Extremismus in Kontakt kommen (medial vermittelter Kontakt), wobei man zwei Arten von medialen Kontaktpunkten unterscheiden muss: Erstens können Jugendliche in medialen Kontexten mit journalistischer Berichterstattung über Extremismus in Berührung kommen. Das Thema kann Jugendlichen in jeder Art von journalistischem Nachrichtenangebot begegnen, sei es in traditionellen Formaten von Presse, Fernsehen und Radio, sei es in journalistischen Online-Angeboten. Entsprechende Berichte können sich beispielsweise ereignisorientiert mit einzelnen Aktionen von Extremisten bzw. deren Folgen beschäftigen (z. B. Demonstrationen, Anschläge, Gerichtsprozesse) oder aber themenorientiert mit dem Phänomen des Extremismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen, etwa im Zusammenhang mit der Präsentation von Statistiken der Sicherheitsbehörden oder in Hintergrundberichten über bestimmte Gruppen, Organisationen und ihre Mitglieder. Vor dem Hintergrund der Fragestellung dieser Studie sind vor allem zwei Merkmale journalistischer Berichterstattung über Extremismus von Bedeutung, die diese in einem durchaus ambivalenten Licht erscheinen lassen. Problematisch kann Berichterstattung dann sein, wenn sie extremistische Ansichten, Akteure oder Propagandamaterial ungefiltert und unkommentiert verbreitet und sich so von Extremisten instrumentalisieren lässt. In der Regel jedoch – und dies ist der große Vorteil journalistischer Berichterstattung – werden extremistische Akteure und Aktivitäten auch als solche bezeichnet und entsprechend eingeordnet. Extremistische Akteure und Botschaften sind hier für Jugendliche also vermutlich sehr viel einfacher zu erkennen als in anderen Kontexten, in denen eine entsprechende Einordnung fehlt. Jugendliche, die journalistische Berichterstattung über Extremismus nutzen, könne also durchaus auch mit extremistischen Ideen und 85
86
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
Argumenten konfrontiert werden. Sie können jedoch auch extremismusbezogene Kompetenzen erwerben, die unter Umständen weder im Elternhaus noch in der Schule vermittelt werden. Man kann deshalb auch annehmen, dass Jugendliche, die regelmäßig journalistische Berichterstattung nutzen, besser in der Lage sind, Extremismus auch in anderen Situationen und kommunikativen Kontexten zu erkennen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde die Berichterstattung über Extremismus hier als ein möglicher Kontaktpunkt berücksichtigt. Zweitens können Jugendliche in medialen Kontexten mit extremistischen Einstellungen konfrontiert werden, die unmittelbar – d. h. ohne eine journalistische oder sonstige Einordnung – geäußert oder vermittelt werden. Entsprechende Botschaften können in Nutzerkommentaren auf Medienseiten oder Angeboten Sozialer Netzwerke, in WhatsApp-Nachrichten oder auf Webseiten, YouTube-Kanälen, Blogs oder Social Media-Auftritten extremistischer Akteure und Organisationen auftauchen. Aber auch bei der Suche mit Suchmaschinen, der Nutzung von Musik oder Computerspielen können Jugendliche auf extremistische Botschaften stoßen. Das wesentliche Charakteristikum dieser Begegnungen ist, dass eine Einordnung von Akteuren und Botschaften als extremistisch oftmals vermutlich nicht vorhanden ist – es sei denn, es erfolgt ein entsprechender Hinweis, z. B. durch eine Form der Gegenrede, die einen Kommentar ausdrücklich als extremistisch benennt. Oftmals dürfte es aufgrund der fehlenden expliziten Einordnung aber vor allem von den extremismusbezogenen Kompetenzen der Jugendlichen abhängen, ob sie eine entsprechende Botschaft als extremistisch erkennen und entsprechend einordnen. Die Gefahr eines negativen Effekts entsprechender Botschaften dürfte deshalb ungleich höher sein, als es bei der journalistischen Berichterstattung der Fall ist. Methodisch ist es eine erhebliche Herausforderung, die Intensität und Art der Begegnungen mit Extremismus an den jeweiligen Arten von Kontaktpunkten trennscharf zu ermitteln. So können wir beispielsweise im Hinblick auf die sozialen Medien zunächst nicht mit Sicherheit sagen, ob die Jugendlichen hier extremistische Facebook-Kommentare sehen oder ein Meme einer extremistischen Gruppe. Auch ist es denkbar, dass Jugendliche auf sozialen Netzwerken journalistische Berichte über Extremismus nutzen. Allerdings zeigen u. a. die Befunde der JIM-Studie, dass Netzwerke wie Facebook gerade bei jüngeren Jugendlichen nur von einer Minderheit für aktuelle Nachrichten genutzt werden. Ausdrückliche On- und Offline-Nachrichtenangebote dagegen werden sehr viel häufiger genannt werden (mpfs, 2017, 17–18). Das legt nahe, dass Jugendliche weniger an journalistische Berichte denken, wenn sie angeben, auf sozialen Netzwerken Extremismus begegnet zu sein. Auch können wir zunächst nicht mit Sicherheit sagen, ob nicht auch bei Begegnungen mit Extremismus in sozialen Medien eine Einordnung stattfindet, etwa indem Gegenrede geäußert wird. Allerdings dürfte dies weitaus seltener der Fall sein als in
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
87
journalistischer Berichterstattung. Auch wenn wir uns der möglichen Unschärfen und Überschneidungen sehr wohl bewusst sind, kann man die die jeweiligen Kontexte der Begegnungen mit Extremismus etwa so charakterisieren wie in Tabelle 1 vorgeschlagen. Eine genauere Beschreibung der Kontakte wird zudem die Analyse der letzten Kontakte mit Extremismus erlauben. Tab. 1
Charakteristika verschiedener medialer und nicht-medialer Kontaktpunkte mit extremistischen Einstellungen, Akteuren und Botschaften
Mediale Kontakte abseits journalistischer Bericht erstattung Kontaktpunkte Soziale Netzwerke, (Auswahl) Videoplattformen, Chatprogramme, Suchmaschinen, Online-Angebote von Extremisten Formate Kommentare, Posts, persönliche Nachrichten, Videos, Bilder/ Memes, Websites, Suchergebnisse Einordnung als eher Extremismus unwahrscheinlich
Mediale Kontakte in journalistischer Berichterstattung
Nicht-mediale Kontakte im sozialen Umfeld
TV-Nachrichten, Zeitungen/Zeit schriften, Radio, Online-Nachrichten, Nachrichten-Apps
Familie, Freunde, Schule (nicht Unterricht), öffentlicher Raum
Aktuelle Beiträge, Dokumentationen
Gespräche, Plakate, Aufkleber, öffentliche Aktionen, Demonstrationen
sehr wahrscheinlich
eher unwahrscheinlich
Förderung extremismusbezogener Kompetenzen
sehr wahrscheinlich
eher unwahrscheinlich
eher unwahrscheinlich
Eigene Darstellung
Mediale Kontakte mit Extremismus abseits journalistischer Berichterstattung Am häufigsten stoßen Jugendliche in sozialen Netzwerken auf extremistische Einstellungen oder Botschaften. Zehn Prozent der Jugendlichen geben an, hier häufig oder sehr häufig Extremismus zu begegnen, 17 Prozent zumindest manchmal und 22 Prozent nur selten. Das bedeutet gleichzeitig, dass fast die Hälfte der Jugendlichen (47 %) hier nie bewusst mit extremistischen Inhalten konfrontiert wird. Auf Video87
88
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
plattformen (z. B. YouTube) kommen immerhin fünf Prozent der Jugendlichen häufig oder sehr häufig mit Extremismus in Berührung, 12 Prozent zumindest manchmal und 18 Prozent selten. Fast identische Werte ergeben sich für Chatprogramme wie WhatsApp und Songtexte bzw. Musik, etwas geringer sind die Werte für Suchmaschinen. Bei der Interpretation dieser Werte muss man berücksichtigen, dass sich auf den genannten Social-Media Plattformen ganz unterschiedliche Quellen und Angebote finden können, die wir in unserer Befragung nicht gesondert erfassen konnten. So können Jugendliche auf Facebook, YouTube etc. theoretisch auf Berichterstattung traditioneller Medien über Extremismus, aber auch auf Angebote extremistischer Organisationen oder auf extremistische Kommentare von Freunden stoßen. Eindeutiger zu interpretieren sind da die Werte für die Online-Angebote extremistischer Organisationen. Drei Prozent der Jugendlichen geben an, dass sie häufig oder sehr häufig solche Angebote besuchen und weitere acht Prozent begegnen
Wenn Du nun an verschiedene Medien denkst: Wie häufig bist Du dort in letzter Zeit auf solche extremistischen Einstellungen, Inhalte oder Botschaften gestoßen, also z.B. in der aktuellen Berichterstattung der Medien, auf Online-Plattformen oder Webseiten.
in sozialen Netzwerken
10
17
auf Videoplattformen (Youtube)
5
in Chatprogrammen
5
in Songtexten / Musik
3
10
bei der Suche mit Suchmaschinen
3
6
12
3 5
auf Blogs
2 5
sehr häufig/häufig
23
47
18
10
in extremistischen OnlineAngeboten
in Computerspielen
22
20 20
61
4
62
4
61
12
5
75
8
59
14
4 25
65
11 manchmal
4
14
77 selten
nie
6
trifft nicht zu/ weiß nicht / k.a.
Abb. 12 Mediale Kontakte mit Extremismus abseits journalistischer Berichterstattung Anmerkung: Anteil aller Befragten, die nie, selten, manchmal oder (sehr) häufig über den jeweiligen Kanal mit Extremismus in Kontakt gekommen sind. Basis: Alle Befragten (n = 1.061).
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
89
hier zumindest manchmal Extremismus. Das bedeutet gleichzeitig, dass mehr als 85 Prozent solche Angebote nicht besuchen bzw. nicht kennen. Nur in Blogs und Computerspielen kommen die Jugendlichen noch etwas seltener mit extremistischen Inhalten in Berührung (Abbildung 12).
Mediale Kontakte mit Extremismus in journalistischer Berichterstattung Betrachtet man nun die Ergebnisse für die Kanäle, hinter denen sich in der Regel journalistische Berichterstattung über Extremismus verbergen dürfte, so zeigt sich, dass Jugendliche hier am häufigsten mit extremistischen Botschaften oder Organisationen in Berührung kommen. An erster Stelle steht dabei das Fernsehen: 20 Prozent der Jugendlichen begegnen extremistischen Einstellungen oder Inhalten dort (sehr) häufig. 14 Prozent erfahren von extremistischen Botschaften oder Akteuren (sehr häufig) in Zeitschriften oder Zeitungen, neun Prozent im Radio und acht Prozent auf Online-Nachrichtenseiten oder Apps. Allerdings ist auch der Blick auf das andere Ende der Skala bemerkenswert: Denn fast 30 Prozent der Jugendlichen geben an, im Fernsehen nie etwas über Extremismus zu erfahren und diese Werte liegen für Zeitungen und Zeitschriften (40 bzw. 42 %) und die Online-Nachrichtenseiten und Apps sogar noch etwas höher (50 %). Während also viele Jugendliche die Chance haben, von der in journalistischer Berichterstattung
Wenn Du nun an verschiedene Medien denkst: Wie häufig bist Du dort in letzter Zeit auf solche extremistischen Einstellungen, Inhalte oder Botschaften gestoßen, also z.B. in der aktuellen Berichterstattung der Medien, auf Online-Plattformen oder Webseiten.
im Fernsehen
20
14
in Zeitschriften/Zeitungen
im Radio
9
auf Online-Nachrichtenseiten oder Apps
8 0%
sehr häufig/häufig
29
21
18
22
20
18 10%
manchmal
22
selten
30%
3
40
6
42
17
20%
28
6
50 40%
nie
50%
60%
70%
7 80%
90%
100%
trifft ni cht zu/ weiß nicht / k.a.
Abb. 13 Mediale Kontakte mit Extremismus in journalistischer Berichterstattung Anmerkung. Anteil aller Befragten, die nie, selten, manchmal oder (sehr) häufig über den jeweiligen Kanal mit Extremismus in Kontakt gekommen sind. Basis: Alle Befragten (n = 1.061). 89
90
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
üblicherweise stattfindenden Einordnung und Bewertung extremistischer Botschaften und Akteure zu profitieren und ihre extremismusbezogenen Kompetenzen zu verbessern, trifft dies für andere Jugendliche offenbar nicht zu. Sie nutzen die entsprechenden Medien entweder überhaupt nicht oder sind nicht in der Lage, sich an die zweifelsohne stattfindende Berichterstattung zu erinnern (Abbildung 13).
Nicht-mediale Kontakte mit Extremismus Schließlich werfen wir noch einen Blick auf die nicht-medialen Kontakte mit Extremismus. Hier wurden die Jugendlichen gefragt, wie häufig sie „in letzter Zeit“ mitbekommen haben, „dass eine Person oder eine Gruppe eine extremistische Einstellung geäußert, vertreten oder unterstützt hat“. Insgesamt kommen weniger Jugendliche im sozialen Umfeld häufig mit Extremismus in Kontakt als dies in der journalistischen Berichterstattung der Fall ist. Die Gruppe derjenigen, die in ihrem direkten sozialen Umfeld häufig oder sehr häufig extremistischen Einstellungen oder Botschaften begegnet ist auch kleiner als die Gruppe derer, bei denen dies in sozialen Netzwerken der Fall ist. Im Einzelnen zeigen die Daten, dass „die Straße“ der Ort ist, an dem Jugendliche in ihrem sozialen Umfeld am häufigsten mit extremistischen Botschaften in Kontakt kommen (z. B. indem sie Demonstra-
Uns interessiert nun, wie häufig Du in letzter Zeit direkt mitbekommen hast, dass eine Person oder eine Gruppe eine extremistische Einstellung geäußert, vertreten oder unterstützt hat. auf der Straße
4
in der Schule
3
13
28
im Freundeskreis
4
13
26
in Verein / Gemeinde / Partei
3
in deiner Familie
28
7
47 21
10%
20%
35 4
52
17
manchmal
3
54
24
3 6 0%
sehr häufig/häufig
17
13
71 30% selten
40% nie
50%
60%
3 70%
80%
90%
100%
trifft nicht zu/ weiß nicht / k.a.
Abb. 14 Nicht-mediale Kontakte mit Extremismus im sozialen Umfeld
.
Anmerkung: Anteil aller Befragten, die selten oder manchmal, häufig oder sehr häufig (dunkel) oder nie über den jeweiligen Kanal mit Extremismus in Kontakt gekommen sind. Basis: Alle Befragten (n = 1.061)
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
91
tionen, Informationsstände, Plakate, Aufkleber sehen). Es folgen die Schule, der Freundeskreis und Vereine, Gemeinde bzw. Parteien. An all diesen Orten treffen allerdings nur zwischen drei und vier Prozent der Jugendlichen (sehr) häufig auf extremistische Botschaften oder Einstellungen. Knapp jeder Dritte Jugendliche,der noch zur Schule geht, gibt dagegen an, dort nie mit Extremismus in Kontakt zu kommen. Zudem scheidet die Schule natürlich bei all denjenigen als Kontaktpunkt mit Extremismus aus, die die Schule bereits verlassen haben. Im Elternhaus werden 71 Prozent nie mit extremistischen Aussagen konfrontiert. Bei knapp jedem vierten Jugendlichen (23 %) kommt dies selten oder manchmal vor, nur bei drei Prozent (sehr) häufig. Nur eine kleine Minderheit scheint also in einer Familie aufzuwachsen, in denen extremistische Ansichten häufig offen geäußert und als solche wahrgenommen werden (Abbildung 14). ▶▶ Die Hälfte der Jugendlichen hat zumindest manchmal Kontakt mit extremistischen Inhalten oder Botschaften. Kontakte finden nicht nur online über soziale Medien statt, sondern v. a. auch über traditionelle Nachrichtenmedien sowie im unmittelbaren sozialen Umfeld.
4.4.3 Letzter medialer Kontakt mit Extremismus Ein genaueres Bild davon, mit welchen Formen von Extremismus Jugendliche nun genau in Kontakt kommen und welche Inhalte sie tatsächlich als extremistisch betrachten, liefern uns die Ergebnisse der Last-Contact-Methode. Zur Erinnerung: Wir haben die Befragten gebeten, sich ihren letzten Kontakt mit einer extremistischen Botschaft ins Gedächtnis zu rufen und uns kurz zu beschreiben, worum es dabei genau ging. Die Frage nach dem letzten Kontakt bezog sich dabei stets auf einen bestimmten Medientyp. Nach welchem Medientyp konkret gefragt wurde, war wiederum davon abhängig, in welchen Medien die Jugendlichen generell besonders häufig mit Extremismus konfrontiert waren. Zudem wurden nur Jugendliche gefragt, die zuvor angegeben haben, in letzter Zeit mindestens selten mit extremistischen Einstellungen, Inhalten oder Botschaften in Kontakt gekommen zu sein. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten (55 %) konnte sich daraufhin an einen konkreten letzten Kontakt erinnern und war bereit, Auskunft dazu zu geben. Die Beschreibung des letzten Kontakts wurde während des Interviews zunächst offen erfasst und später inhaltsanalytisch ausgewertet. Nach der Beschreibung des letzten Kontakts wurden den Jugendlichen zudem einige Nachfragen zum genauen Kontaktweg, zur Kontaktquelle und zu konkreten extremistischen Merkmalen der Botschaft gestellt. 91
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4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
Betrachtet man die Befunde zum letzten Kontakt mit Extremismus, dann erlauben diese zunächst zwei wichtige Aussagen: Zum einen lässt sich abschätzen, wie gut die Jugendlichen nach der von uns gegebenen Definition verstanden hatten, was mit dem Begriff des „Extremismus“ gemeint ist. Hierzu kann man feststellen: Obwohl man sich bei der Einstufung, die die Jugendlichen getroffen haben, im Falle einzelner Akteure und Botschaften (etwa der AfD) sicher darüber streiten kann, ob diese einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten würde: Insgesamt haben die Jugendlichen den Begriff des Extremismus offenbar gut nachvollziehen können, auch wenn das Spektrum der genannten extremistischen Akteure und Aussagen vielleicht eher eng ist. Dies bedeutet mit Sicherheit für die Jugendlichen, die hier Angaben gemacht haben, vermutlich aber auch für die anderen, dass ihre anderen Angaben zum Kontakt mit Extremismus als valide eingestuft werden können. Zum anderen kann man prüfen, welche Arten von Inhalten die Jugendlichen genau meinten, wenn sie beispielsweise angaben, dass sie mit Extremismus auf Online-Angeboten extremistischer Akteure, auf sozialen Netzwerken oder in der Berichterstattung traditioneller Medien in Kontakt gekommen waren. In den folgenden Abbildungen finden sich dazu typische Zitate aus den offenen Antworten der Jugendlichen. Sie machen deutlich, dass sich manche Jugendliche bei der in der Befragung verlangten Zuordnung des letzten Kontakts eher an der jeweiligen Plattform (z. B. Facebook, YouTube), andere eher am jeweiligen Akteur orientierten (z. B. IS, NPD oder nicht näher bezeichnete „extremistische Gruppen“). Auch ordneten manche Jugendliche ihren letzten Kontakt mit Extremismus den jeweiligen Arten von Medienangeboten nicht genau so zu, wie es im Sinne der Kategorisierung gedacht war, nannten also z. B. einen auf Facebook geteilten Nachrichtenbeitrag als einen Kontakt über soziale Netzwerke. Zudem war in Einzelfällen sichtbar, dass bestimmte Angebote sehr reflektiert aufgesucht wurden, etwa um für ein Referat in der Schule zu recherchieren. Im Wesentlichen bestätigen die offenen Antworten der Jugendlichen aber die Charakteristika, die oben für die verschiedenen medial-vermittelten Begegnungen mit Extremismus benannt wurden: Begegnungen mit den Angeboten extremistischer Akteure kommen offenbar über eine Vielzahl von Wegen auf einer Vielzahl von Plattformen zustande (Abbildung 15). Wenn die Jugendlichen Berührungen mit Extremismus auf sozialen Medien beschreiben, dann wurden vielfach Kommentare z. B. bei Facebook genannt, aber auch von Freunde verlinkte Videos oder gelikte Seiten (Abbildung 16). Hinweise auf einordnende Kommentare, Gegenrede oder Diskussionen um die entsprechenden Inhalte und Botschaften finden sich bei diesen Arten von Kontakten nur in ganz wenigen Einzelfällen. Und schließlich: Wenn die Jugendlichen sich an Kontakte in traditionellen Medien erinnerten, dann nannten sie in der Regel journalistische Formate, in denen über Extremismus berichtet wurde (Abbildung 17).
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
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Abb. 15 Letzte mediale Kontakte mit Extremismus auf Online-Angeboten extremistischer Akteure (Beispiele offener Antworten) Anmerkung: Ausgewählte Zitate aus den offenen Antworten .
Abb. 16 Letzte mediale Kontakte mit Extremismus auf sozialen Netzwerken (Beispiele offener Antworten) Anmerkung: Ausgewählte Zitate aus den offenen Antworten .
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4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
Abb. 17 Letzte mediale Kontakte mit Extremismus in journalistischer Berichterstattung (Beispiele offener Antworten) Anmerkung: Ausgewählte Zitate aus den offenen Antworten .
Letzter Kontakt mit verschiedenen Typen von Extremismus Analysiert man die Typen von Extremismus, die in den Antworten der Jugendlichen offenbar werden, dann zeigt sich, dass es sich bei der Mehrheit der erinnerten Kontakte um Inhalte aus dem Bereich Rechtsextremismus handelte . Fast die Hälfte der Antworten (49 %) ließ sich diesem Bereich zuordnen . Dieser Befund korrespondiert somit mit den Angaben der Befragten zum generellen Kontakt mit verschiedenen Typen von Extremismus . Auch hier gaben die Jugendlichen an, am meisten mit Rechtsextremismus in Kontakt zu kommen, allerdings fiel der Abstand zu den übrigen Extremismusformen dabei deutlich geringer aus . Bei den Antworten zum letzten Kontakt ließen sich hingegen nur 15 Prozent der Antworten unter dem Bereich religiöser Extremismus (islamistisch und salafistisch) zusammenfassen und sogar nur rund ein Prozent ließ sich eindeutig dem linksextremistischen Spektrum zuordnen . Hierbei gilt es jedoch zu beachten, dass sich fast ein Drittel der Antworten (31 %) nicht eindeutig einer bestimmten Form von Extremismus zuordnen ließ . Dies muss jedoch nicht heißen, dass es sich dabei nicht um extremistische Inhalte handelte . Teilweise waren die Antworten der Jugendlichen nicht ausführlich genug, um die Extremismusform eindeutig zu bestimmten . Häufig gaben die Jugendlichen in ihren Antworten nur Hinweise auf eine allgemeine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ohne Bezug zu einer konkreten extremistischen Ideologie . Wenn die Antworten der Jugendlichen Rückschlüsse auf handelnde Personen oder Gruppierungen zuließen, handelte es sich dabei ebenfalls am häufigsten um
4.4 Ergebnisse I: Befunde für alle Jugendlichen im Überblick
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rechtsextreme Akteure (39 %), die in den meisten Fällen von den Jugendlichen jedoch nicht näher spezifiziert wurden. In lediglich fünf Prozent der Fälle wurde die AfD bzw. Vertreter der AfD als extremistische Akteure genannt, weitere 6 Prozent nannten Pegida als handelnden Akteur. 17 Prozent der Befragten erinnerte sich an einen zuletzt gesehenen Inhalt, in dem es um religiös-extremistische Personen oder Gruppierungen ging, wobei es sich dann überwiegend um Anhänger oder Mitglieder des IS (11 %) handelte. Betrachtet man darüber hinaus, auf welche Personen oder Personengruppe sich die Handlungen oder Äußerungen der extremistischen Akteure bezog, dann zeigt sich, dass am häufigsten solche Inhalte erinnert wurden, in denen Ausländer, Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund oder Muslime (36 %) als Ziel extremistischer Handlungen oder Äußerungen vorkamen.
Inhaltliche Merkmale des letzten medialen Kontakts mit Extremismus Doch welche Kriterien müssen für die Jugendlichen erfüllt sein, damit sie einen Inhalt überhaupt als extremistisch einstufen? Um das zu überprüfen, haben
Und weshalb fandest Du den Inhalt "extremistisch"? 80
73 64
60 49
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Es wurde gegen Gruppen gehetzt oder diese abgewertet.
Der Inhalt hat den Ideen des GG widersprochen .
Die Botsch aft kam Es kamen Es wurde zu Gewalt von einer extremistische aufgerufen. extremistischen Gruppen o der Gruppe. Personen d arin vor.
Abb. 18 Merkmale des letzten extremistischen Inhalts in Medien Anmerkung: Prozentwerte. Basis: Alle Befragten, die sich an den letzten Kontakt mit einer extremistischen Einstellung, Inhalt oder Botschaft erinnern konnten (n = 632). 95
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4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus
wir den Befragten eine Liste mit Merkmalen genannt, die kennzeichnend für extremistische Botschaften sein können. Hier zeigt sich erneut, dass die Jugendlichen vor allem solche Inhalte als extremistisch betrachten, in denen gegen bestimmte Gruppen und Minderheiten gehetzt wird (73 %). Als weiteren Indikator gaben zwei Drittel der Jugendlichen an, dass der entsprechende Inhalt den Ideen des Grundgesetzes widersprochen habe. In knapp der Hälfte der Fälle stammte der Inhalt zudem von einer extremistischen Gruppe (49 %) oder es kam eine extremistische Gruppe oder Person darin vor (47 %). In 29 Prozent der zuletzt gesehenen Inhalte wurde außerdem zu Gewalt aufgerufen (Abbildung 18).
Auslöser für den letzten medialen Kontakt mit Extremismus Schaut man sich an, auf welchem Weg der zuletzt gesehene Inhalt zustande gekommen ist, zeigt sich, dass zufällige Rezeption (32 %) und habitualisierte Mediennutzung (31 %) einen großen Anteil daran haben, wie Jugendliche über mediale Kanäle mit
Wie bist Du darauf gestoßen?
21
Ich bin zufällig darauf gestoßen.
Ich nutze das Medium regelmäßig und habe es dadurch entdeckt.
6 8 32
Einer meiner Freu nde hat den Inhalt gepostet oder geliked. Jemand hat mir den Inhalt zugeschickt.
21 Mir hat jemand davon erzählt.
31
Ich habe aktiv danach gesucht.
Eine Gru ppe / Seite / You tube-Kanal/ Medium, das ich geliked habe, hat das gepostet.
Abb. 19 Auslöser des letzten medialen Kontakts mit Extremismus Anmerkung: Prozentwerte. Basis: Alle Befragten, die sich an den letzten Kontakt mit einer extremistischen Einstellung, Inhalt oder Botschaft erinnern konnten und Angaben zum Kontaktweg gemacht haben (n = 598).
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Extremismus in Kontakt kommen. Soziale Hinweise, also Teilen oder Liken eines entsprechenden Inhalts durch einen Freund oder Bekannten (21 %), das Weiterleiten (8 %) oder Erzählen (6 %), machen ein weiteres gutes Drittel der genannten Kontaktwege aus. Über eine aktive Suche der Befragten kam der Kontakt in den seltensten Fällen zustande (2 %). Die große Bedeutung der sozialen Hinweise korrespondiert mit der eben erwähnten hohen Wichtigkeit, die „Nachrichten, die Freunde teilen“ als Quelle aktueller Information für Jugendliche besitzen. Zudem ist sie ein Beleg dafür, dass die neuen Möglichkeiten der schnellen, unkontrollierten digitalen Weiterverbreitung von Informationen für Jugendliche tatsächlich auch ein wesentlicher Weg sind, mit extremistischen Botschaften in Kontakt zu kommen (Abbildung 19).
4.4.4 Einflussfaktoren auf den generellen Kontakt mit Extremismus (multivariate Analyse) Welche individuellen und sozialen Faktoren haben einen Einfluss darauf, wie häufig die Jugendlichen mit extremistischen Inhalten und Botschaften in Kontakt kommen? Um diese Frage zu beantworten, haben wir eine multiple lineare Regression berechnet, in die ein Mittelwertindex7 für die Gesamtintensität des Kontakts als zu erklärende Größe einging. Die Analyse zeigt, dass der bewusste Kontakt mit extremistischen Inhalten durch eine ganze Reihe unterschiedlicher individueller und sozialer Faktoren beeinflusst wird: Je eher die Jugendlichen Empfindungen sozialer Deprivation und Erfahrungen von Diskriminierungen haben, desto eher kommen sie mit Extremismus in Kontakt. Daneben steht die selbstberichtete Kontakthäufigkeit jedoch auch in Zusammenhang mit bestimmten politischen und extremismusbezogenen Kompetenzen. Neben der allgemeinen Medienkompetenz steigerte auch die allgemeine Politikkompetenz die Häufigkeit, mit der die Jugendlichen von Kontakt mit Extremismus berichten. Einen positiven Einfluss auf die angegebene Kontakthäufigkeit hatten darüber hinaus auch die Gespräche über die Gefahren von Extremismus innerhalb der unterschiedlichen Sozialisationsinstanzen. Je häufiger solche Gespräche stattfinden, desto eher berichteten die Jugendlichen einen Kontakt mit Extremismus (Tabelle 2).
7 Der Mittwertindex wurde gebildet aus den drei Variablen zur Intensität des Kontakts mit unterschiedlichen Extremismustypen (Wertebereich: 1–5; M = 2.08; SD = .84; Cronbachs α = .778). 97
98 Tab. 2
4 Teilstudie I: Kontakt mit Extremismus Einflüsse auf die Häufigkeit des generellen Kontakts mit extremistischen Einstellungen und Inhalten (Regressionsmodell)
Konstante 1. Block: Soziodemographie Geschlecht (w = 1, m = 2) Alter Migrationshintergrund (=1) West-Deutschland (=1) Bildung korr. R² 2. Block: Mediennutzung Nachrichtennutzung Soziale Medien korr. R² Δ 3. Block: Prädispositionen und Einstellungen Deprivation Diskriminierungserfahrung Institutionenvertrauen Xenophobie/Islamophobie korr. R² Δ 4. Block: extremismusbezogene Kompetenzen Allg. politische Kompetenz Medienkompetenz Gespräche ü. Extremismus im Umfeld Wissen EX Strategien Wissen EX Akteure korr. R²
Genereller Kontakt mit Extremismus B β SE -0.30 0.32 .045 -.054** -.146* .071 .072 .007
.027 -.109 -.079 .028 .043
.048 .017 .060 .073 .051
-.066 .088** .035***
-.061 .099
.039 .027
.188*** .187* -.086* -.023 .029***
.143 .064 -.075 -.025
.046 .091 .038 .031
.066*** .092 .223*** .037*** .048* .231***
.166 .065 .279 .153 .074
.016 .048 .031 .008 .021
Anmerkung: Ausgewiesen sind Ergebnisse einer linearen Regressionsanalyse. Signifikante positive B-Werte (Fettdruck) zeigen an, dass ein Merkmal es einen positiven Einfluss auf den bewussten Kontakt mit Extremismus hat. Signifikante negative B-Werte (Fettdruck) zeigen an, dass es ein Merkmal einen negativen Einfluss hat. Basis: Alle Befragten (n= 975, ***p