Idea Transcript
Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung
Michaela Lichti
Funktionales Denken fördern Experimentieren mit gegenständlichen Materialien oder Computer-Simulationen
Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung Reihe herausgegeben von J. Roth, Landau, Deutschland S. Schuler, Landau, Deutschland
In der Reihe werden exzellente Forschungsarbeiten zur Didaktik der Mathematik an der Universität Koblenz-Landau publiziert. Sie umfassen das breite Spektrum der Forschungsarbeiten in der Didaktik der Mathematik am Standort Landau, das in der einen Dimension von empirischer Grundlagenforschung bis hin zur fachdidaktischen Entwicklungsforschung und in der anderen Dimension von der Unterrichtsforschung bis hin zur Hochschuldidaktischen Forschung reicht. Dabei wird das Lehren und Lernen von Mathematik vom Kindergarten über alle Schulstufen und Schulformen bis zur Hochschule und zur Lehrerbildung beleuchtet. In jedem Fall wird konzeptionelle Arbeit mit qualitativen und/oder quantitativen empirischen Studien verbunden. In der Reihe erscheinen neben Qualifikationsarbeiten auch Publikationen aus weiteren Landauer Forschungsprojekten.
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15787
Michaela Lichti
Funktionales Denken fördern Experimentieren mit gegenständlichen Materialien oder Computer-Simulationen Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Jürgen Roth
Michaela Lichti Landau, Deutschland Diese Arbeit ist zugleich eine Dissertation am Fachbereich 7: Natur- und Umweltwissenschaften der Universität Koblenz-Landau.
Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://extras.springer.com. Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung ISBN 978-3-658-23620-5 ISBN 978-3-658-23621-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23621-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Spektrum © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Spektrum ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Für meine Eltern
Danksagung Eine Dissertationsschrift zu erstellen hat in gewisser Weise große Ähnlichkeit mit einem Marathonlauf. Man beginnt hochmotiviert, hat im Verlauf der Strecke mit Schwierigkeiten zu kämpfen, lernt und erfährt viele neue Dinge, erlebt einen steten Wechsel von Höhen und Tiefen, um am Ende erschöpft aber glücklich im Ziel anzukommen. Entsprechend gestaltete sich auch die Entstehung dieser Arbeit. Ohne Unterstützung auf der ganzen Strecke und ganz besonders dann, wenn Schwierigkeiten aus dem Weg und Tiefen überwunden werden mussten, hätte sie nicht entstehen können. Mein herzlicher Dank gilt daher meinem Doktorvater Prof. Dr. Jürgen Roth, der mich zu jeder Zeit mit Rat und Tat unterstützte, mit dem jede Art des Diskurses möglich war und der immer darauf bestand, dass jede Entscheidung letztendlich bei mir lag. Durch seine aufmerksame und konstruktiv kritische Betrachtungsweise besonders der fachdidaktischen Facetten meines Projekts hat er maßgeblich zu dessen Gelingen beigetragen. Eine solch umfassende und wertschätzende Betreuung kann man sich nur wünschen. Mein Dank gilt außerdem Frau Prof. Dr. Bärbel Barzel für die vielfältigen Interpretationsansätze der Ergebnisse meiner Studien, die sich im Gespräch mit ihr ergaben und von denen diese Arbeit profitiert hat. Sie gab mir die Möglichkeit, Inhalte und Ergebnisse diskursiv zu erörtern, und erstellte das Zweitgutachten dieser Arbeit. Bei Herrn Prof. Dr. Manfred Schmitt möchte ich mich dafür bedanken, dass ich von seiner Fähigkeit profitieren konnte, sowohl methodologische als auch inhaltliche Schwierigkeiten, mit denen man sich sehr lange schwer getan hat, in prägnanter Art und Weise aus dem Weg räumen zu können. Er erstellte das Drittgutachten dieser Arbeit. Mein Dank gilt außerdem den Mitgliedern des DFG-Graduiertenkollegs „Unterrichtsprozesse“. Das Kolleg gab mir als Lehrerin die Möglichkeit, vielfältige Einblicke in die Wissenschaft zu erlangen und mich nach und nach mit ihr vertraut zu machen. Hervorheben möchte ich Dr. Heidrun Ludwig, die mir in jeder Situation unterstützend zur Seite stand, und Dr. Axel Zinkernagel, durch den ich meine Freude an Statistik entdecken konnte. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen aus dem Graduiertenkolleg und dem Institut für Mathematik. Dr. Tobias Rolfes war immer zur Stelle, wenn sich ein methodisches Problem auftat. Ich habe maßgeblich von seinen Erfahrungen aus der Promotionszeit profitiert, er hat mir einige Irrwege erspart. Marie-Elene Bartel, Susanne Digel, Florian Gigl, Rita Hofmann, Anna Noll und Svenja Matheis standen für jede Diskussion zur Verfügung und haben mich nicht nur in der Entstehung meiner Arbeit, sondern auch auf persönlicher Ebene immer unterstützt. Meine „Hiwi-ne“ Anna Hautz hat ebenfalls zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Sie hat mir tatkräftig bei allen Erhebungen und der qualitativen Auswertung geholfen. Der größte Dank gilt meiner Familie. Meine Eltern Sigrid und Norbert Scheuring und mein Bruder Matthias standen immer hinter mir und haben nie an mir gezweifelt. Sie haben
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Danksagung
sich, obwohl fachfremd, auf jede Diskussion über die Inhalte meiner Arbeit eingelassen und mich dadurch immer ein Stückchen weitergebracht. Ich konnte in jeder Situation auf ihre Unterstützung zählen. Mein Ehemann Markus Lichti hat wohl am meisten dazu beigetragen, dass ich diese Arbeit fertigstellen konnte. Ohne seine Unterstützung und seine Geduld, wenn unsere Wohnung mal wieder in Artikeln und Notizzettel versank, wäre ich mit dem Schreiben noch nicht fertig. Ihm ist das Meisterstück gelungen, mich neben aller Unterstützung immer auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn das Vorhaben „Promotion“ mal wieder drohte, alles andere in den Hintergrund zu drängen. Danke!
Kleinniedesheim, 21.6.2018
Geleitwort In ihrer Dissertationsschrift setzt sich Michaela Lichti mit der Frage auseinander, wie der Einstieg in die konsequente Förderung funktionalen Denkens, eines für den Alltag und den Mathematik-unterricht gleichermaßen wesentlichen Teilaspekts des mathematischen Denkens, zu Beginn der Jahrgangsstufe 7 möglichst effektiv gelingen kann. Um eine Aussage über die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler im funktionalen Denken treffen zu können, musste Michaela Lichti die Aspekte des Funktionalen Denkens nach Vollrath (1989) zunächst theoriegeleitet operationalisieren, wobei sie zwischen einem praxisorientierten und einem normativen Definitionsansatz unterscheidet. Insbesondere auch der Aspekt Funktion als Objekt bzw. Sicht als Ganzes wird differenziert diskutiert und erstmalig so operationalisiert, dass ein empirischer Zugriff darauf möglich wird. Die so gefassten Aspekte funktionalen Denkens ordnet Michaela Lichti anschließend in die aktuelle mathematikdidaktische Diskussion zu Grundvorstellungen im deutschsprachigen Raum, die Theorie von concept image und concept definition nach Tall und Vinner (1981) sowie die Diskussion um concept und conception (u.a. Sfard 1991) ein. Dadurch gelingt ihr eine differenzierte theoretische Sicht auf die Frage des Zusammenhangs zwischen den Aspekten des funktionalen Denkens nach Vollrath (normative Grundvorstellungen, Teil der concept definition) und Schülervorstellungen (individuelle Grundvorstellungen, concept image). Dabei werden sowohl die Bedeutung wesentlicher Repräsentationsformen von funktionalen Zusammenhängen herausgearbeitet als auch typische (Schüler-)Fehlvorstellungen zusammengestellt. Auf dieser theoretischen Grundlage hat Michaela Lichti einen für den Beginn der Jahrgangsstufe 7 geeigneten Test entwickelt, pilotiert, psychometrisch ausgewertet und aufgrund dieser Auswertung angepasst. Bei der Item-Entwicklung wird theoretisch begründet und von Experten validiert, warum ein Item jeweils einem Aspekt des funktionalen Denkens zugeschlagen wird. Insgesamt wurde nicht nur darauf geachtet, die drei Aspekte des funktionalen Denkens nach Vollrath (1989) über die Items abzudecken, sondern auch darauf eine möglichst ausgewogene Zusammenstellung von genutzten Repräsentationsformen und -wechseln in den Items abzubilden. Anhand einer Studie konnte Frau Lichti zeigen, dass der Test geeignet ist um funktionales Denken von Schülerinnen und Schülern der 6. und 7. Jahrgangsstufe mit guter Auflösung (mit Blick auf die Schwierigkeitsabstufung der Items) zu messen. Darüber hinaus deuten die Ergebnisse dieser Studie darauf hin, dass funktionales Denken sich psychometrisch als eindimensionales Konstrukt darstellt. Dies wird diskutiert und reflektiert, wie in Folgeuntersuchungen vorgegangen werden kann, um die Frage der Dimensionalität des funktionalen Denkens noch feiner auflösen und ggf. messen zu können. Michaela Lichti setzt in ihrer vorliegenden Arbeit auf das Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen als Methode zur Förderung funktionalen
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Geleitwort
Denkens. Sie begründet das mit Vorteilen des Experimentierens mit gegenständlichen Materialien und getrennt davon mit Vorteilen des Experimentierens mit Computer-Simulationen, die in der Literatur genannt werden, stellt Zugänge zum Experimentieren im Mathematikunterricht aus der Literatur zusammen und arbeitet theoretisch heraus, wie Schülerinnen und Schüler sich die jeweiligen gegenständlichen bzw. computergestützten Materialien – im Sinne der Instrumental Genesis – aneignen und zu eigenen Werkzeugen weiterentwickeln. Aus den genannten Theoriebausteinen hat Michaela Lichti ein Modell zur Förderung funktionalen Denkens durch (1) Experimente mit Computer-Simulationen auf der Basis des dynamischen Mathematik-Systems GeoGebra bzw. (2) Experimente mit gegenständlichen Materialien entwickelt und testet diese beiden theoretisch gewinnbringenden Zugangsweisen empirisch gegeneinander. Zu diesem Zweck hat sie Lernumgebungen für beide Zugangsweisen konzipiert und entwickelt, die theoretisch vielversprechend und unterrichtspraktikabel sind sowie die Vorteile der jeweiligen Medien möglichst optimal zum Tragen bringen, aber dennoch im wesentlichen strukturgleich sind, um fair gegeneinander getestet werden zu können. Diese Lernumgebungen bildeten die Grundlage einer Interventionsstudie in der überprüft wird, inwiefern die beiden Förderansätze das funktionale Denken schulen und welche Fähigkeiten durch welchen Ansatz besonders gefördert werden. Dazu werden zunächst das Konzept und die Entwicklung der Experimentier-Lernumgebungen mit den jeweiligen Materialien sowie Aufgabenstellungen beschrieben, begründet und auf der Grundlage der Ergebnisse einer Vorstudie weiterentwickelt. Dabei war immer im Blick, dass über das gewählte Setting einerseits die gesetzten Forschungsfragen zuverlässig aufgeklärt werden können und andererseits die ökologische Validität mit Blick auf die Unterrichtsrealität gewahrt bleibt. Die Erhebungs- und Auswertungsmethoden zur Durchführung der Studie werden zielgerichtet ausgewählt und beschrieben. Die notwendigen Voraussetzungen zur Anwendung der zum Teil komplexen statistischen Verfahren werden jeweils sorgfältig überprüft und die Auswertung sowie die resultierenden Ergebnisse nachvollziehbar dargestellt. Es ist bemerkenswert, in welch hohem Maße beide Experimentalgruppen ihre Fähigkeiten zum funktionalen Denken durch die relativ kurze Intervention von vier Schulstunden steigern konnten. Darüber hinaus ist die Leistungssteigerung der Experimentalgruppe, die mit Computer-Simulationen gearbeitet hat noch einmal beträchtlich höher als die der Experimentalgruppe, die mit gegenständlichen Materialien gearbeitet hat. Frau Lichti gibt sich aber nicht mit diesem Ergebnis zufrieden, sondern versucht auch die Gründe für diese unterschiedliche Leistungssteigerung zu identifizieren. Um die Denk- und Arbeitsprozesse der Schüler/innen der beiden Experimentalgruppen fassen zu können, untersucht sie folgerichtig je eine Aufgabe aus der Intervention und aus dem Nachtest zum funktionalen Denken, in der die Schüler/innen die Lösung der Aufgaben schriftlich begründen mussten, im Sinne der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring. Auch hier gibt sich Frau Lichti nicht mit einem einstufigen Prozess zufrieden, sondern validiert ihr Vorgehen immer wieder über Expertenratings und setzt so einen zyklischen Forschungsprozess systematisch um. Die Ergebnisse dieses qualitativen Teils der Untersuchung deuten klar darauf hin, dass die zur Förderung des funktionalen Denkens eingesetzten
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Medien unterschiedlich stark auf die Entwicklung der verschiedenen Aspekte des funktionalen Denkens wirken. Gegenständliche Materialien scheinen den Fokus der Schülerinnen und Schüler stärker auf reale Situationen und Zustände zu lenken, während Computer-Simulationen die Perspektive deutlicher in Richtung des Denkens und Argumentierens mit graphischen Darstellung und dem Änderungsverhalten beeinflussen. Dieses Buch ist wegen der Ergebnisse und der daraus resultierenden klaren Aussage bzgl. der Art und Weise, wie funktionales Denken im Mathematikunterricht gewinnbringend gefördert werden kann, in vielfältiger Weise beachtenswert. Es liefert fundierte theoretische Auseinandersetzungen und sorgfältig geplante sowie umgesetzte empirische Studien, die neue Erkenntnisse für die Forschung im Bereich des Funktionalen Denkens bringen und Perspektiven für die weitere Forschung eröffnen. Konkrete Ergebnisse sind nicht nur der empirisch validierte Leistungstest zu funktionalen Denken für die 6. und 7. Jahrgangsstufe, sondern insbesondere auch für den Mathematikunterricht direkt umsetzbare Vorschläge – einschließlich der dazu notwendigen Unterrichtsmaterialien – um den Einstieg in das Arbeiten mit funktionalen Zusammenhängen gewinnbringen zu gestalten.
Landau, 26.07.2018 Jürgen Roth
[Wecken Sie das Interesse Ihrer Leser mit einem passenden Zitat aus dem Dokument, oder verwenden Sie diesen Platz, um eine Inhaltsverzeichnis Kernaussage zu betonen. Um das Textfeld an einer beliebigen Stelle auf der Seite zu platzieren, ziehen 1 Sie Einleitung .............................................................................................................................. 1 es einfach.] 2 Theoretischer Hintergrund .................................................................................................... 5 2.1 2.2
Der Funktionsbegriff ............................................................................................... 5 Funktionales Denken ............................................................................................... 8 2.2.1 Ein praxisorientierter Definitionsansatz ........................................................ 8 2.2.2 Ein normativer Definitionsansatz................................................................. 10 2.2.3 Funktionales Denken entwickeln .................................................................. 16 2.2.4 Funktionales Denken - Ansätze zusammenbringen ...................................... 18 2.2.5 Die Bedeutung von Repräsentationsformen ................................................. 20 2.2.6 Fehlvorstellungen ......................................................................................... 24 2.2.7 Funktionales Denken im schulischen Kontext .............................................. 27
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien & Computer-Simulationen .. 30 2.3.1 Experimentieren im mathematischen Kontext .............................................. 30 2.3.2 Experimentieren mit gegenständlichen Materialien .................................... 33 2.3.3 Experimentieren mit Computer-Simulationen .............................................. 37 2.3.4 Instrumental Approach ................................................................................. 41
2.4
Theoriebausteine zusammenfügen......................................................................... 46
3 Ziele und Forschungsfragen ................................................................................................ 49 4 Methoden ............................................................................................................................. 51 4.1
Item-Response Theorie .......................................................................................... 51 4.1.1 Das dichotome Rasch-Modell ...................................................................... 52 4.1.2 Das mehrdimensionale Rasch-Modell ......................................................... 56 4.1.3 Verwendung eines Hintergrundmodells ...................................................... 57
4.2
Modellvergleich ..................................................................................................... 57
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen - Studie I ............................. 61 5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items ................... 62 5.1.1 Operationalisierung ..................................................................................... 62 5.1.2 Konstruktion der Items ................................................................................. 68 5.1.3 Die Items……………………………………………………………………………72 5.1.3 Testdesign…………………………………………………………………………103
XIV
Inhaltsverzeichnis
5.2
Rahmeninformationen ......................................................................................... 106
5.3
Auswertungsmethoden ........................................................................................ 106
5.4
Ergebnisse Studie I .............................................................................................. 113 5.4.1 Die Raschskalierbarkeit des Tests.............................................................. 113 5.4.2 Ergebnisse: Funktionales Denken messen ................................................ 125 5.4.3 Ergebnisse: Funktionales Denken verstehen ............................................. 129
5.5
Reproduktion der Ergebnisse ............................................................................... 130
5.6
Diskussion............................................................................................................ 133
6 Funktionales Denken fördern - Studie II ........................................................................... 137 6.1
Gestaltung der Intervention ................................................................................. 138 6.1.1 Grundlegende Gestaltungskriterien und inhaltliche Kontexte ................... 138 6.1.2 Die Kontexte ............................................................................................... 141 6.1.3 Gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen ....................... 145 6.1.3 Aufgabenentwicklung ................................................................................. 160
6.2
Rahmeninformationen ......................................................................................... 175
6.3
Erhebungsmethoden ............................................................................................ 178
6.4
Auswertungsmethoden ........................................................................................ 183
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern ........................................................... 187 6.5.1 Überprüfung der Rasch-Skalierbarkeit, Studie II ...................................... 187 6.5.2 Der Einfluss der Prädiktoren ..................................................................... 191 6.5.3 Ergebnisse des Experimentalgruppenvergleichs - mixed ANOVA ............. 195 6.5.4 Ergebnisse der Analyse der Kontrollgruppe .............................................. 198
6.6
Diskussion............................................................................................................ 199
7 Auf der Suche nach Gründen - qualitative Ergebnisse quantitativ beleuchtet .................. 203 7.1
Qualitative Inhaltsanalyse .................................................................................... 203
7.2
Durchführung der qualitativen Inhaltsanalyse ..................................................... 205
7.3
Ergebnisse und Diskussion .................................................................................. 215 7.3.1 Viele Gefäße - Ergebnisse .......................................................................... 215 7.3.2 Viele Gefäße - Diskussion .......................................................................... 221 7.3.3 Rennwagen b - Ergebnisse ......................................................................... 223 7.3.4 Rennwagen b – Diskussion ......................................................................... 230
7.4
Quantitatives qualitativ beleuchtet – Ergebnisse zusammenbringen................... 230
8 Überprüfung qualitativ generierter Hypothesen mittels quantitativer Daten .................... 233 8.1
Der Zuwachs der mittleren Lösungsraten ............................................................ 233
Inhaltsverzeichnis
8.2
XV
Ergebnisse, Analyse und Interpretation ............................................................... 234 8.2.1 Stärkere Zunahme der Lösungsrate – Die Items der Materialgruppe ....... 240 8.2.2 Stärkere Zunahme der Lösungsrate - Die Items der Simulationsgruppe ... 244 8.2.3 Computer-Simulationen und gegenständliche Materialien – Änderung der Lösungsraten im Vergleich .................................................................. 250
8.3
Differential Item Functioning (DIF) in den Experimentalgruppen ..................... 252
8.4
Der Einfluss der Repräsentationsformen ............................................................. 255
9 Funktionales Denken fördern - Gesamtdiskussion............................................................ 261 Anhang…. ............................................................................................................................. 267 A1
Item-Kennwerte des drei-dimensionalen Modells, Studie I ................................ 267
A2
Überprüfung der Voraussetzungen, multiple Regression, Studie I ..................... 269
A3
Einfluss der Prädiktoren, Studie I ........................................................................ 270
B
Zuweisung sämtlicher Aufgaben zu Aufgabentyp, Aspekt funktionalen Denkens und Repräsentationsform ...................................................................... 272
C1
Wright Maps, Studie II ........................................................................................ 278
C2
Überprüfung der Voraussetzungen, multiple Regression Studie II ..................... 280
D
Veränderung der Lösungsraten aller Items von Vor- zu Nachtest ...................... 282
Literaturverzeichnis .............................................................................................................. 285
Online stehen zur Verfügung: Kapitel6_S.145_Arbeitsheft der Materialgruppe Kapitel6_S.138_Datenblatt der Materialgruppe Kapitel6_S.138_Hilfekarten der Materialgruppe Kapitel6_S.145_Arbeitsheft der Simulationsgruppe Kapitel6_S.138_Datenblatt der Simulationsgruppe Kapitel6_S.138_Hilfekarten der Simulationsgruppe
Die Simulationen sind zu finden unter: https://www.geogebra.org/m/VqVxutUB
Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1 Repräsentationsformen von Funktionen............................................................ 21 Tabelle 2.2 Arbeitsschritte beim Wechsel zwischen Repräsentationsformen ...................... 22 Tabelle 4.1 ETS DIF-Kategorien ......................................................................................... 54 Tabelle 5.1 Tätigkeiten zugeordnet zu Aspekten des funktionalen Denkens ........................ 63 Tabelle 5.2 Überblick über die Fähigkeiten zur Beherrschung der drei Aspekte ................ 69 Tabelle 5.3 Zusammenstellung der Items ............................................................................. 73 Tabelle 5.4 Verteilung der Items auf unterschiedliche Item-Blöcke .................................. 103 Tabelle 5.5 Aufbau der Testhefte im Multi-Matrix-Design ................................................ 104 Tabelle 5.6 Anzahl der Items pro Testlet unterteilt nach Aspekten .................................... 104 Tabelle 5.7 Informationskriterien des 1- und 2-dim. Modells zur Testvalidierung. .......... 109 Tabelle 5.8 Cut-off Werte für die Überprüfung der Rasch-Skalierbarkeit ........................ 110 Tabelle 5.9 Item-Kennwerte der 1. Studie .......................................................................... 115 Tabelle 5.10 Item-Kennwerte Rennwagen b und b‘ ............................................................. 121 Tabelle 5.11 Variance Inflation Factors (VIF), Studie I ...................................................... 127 Tabelle 5.12 Regressionskoeffizienten β mit Standardfehlern, Studie I ............................... 128 Tabelle 5.13 EAP-Reliabilität für den Modellvergleich....................................................... 129 Tabelle 5.14 Latente Korrelationen und Standardabweichungen der 3-dim. Modelle ........ 129 Tabelle 5.15 Informationskriterien der geschätzten Modelle für den Modellvergleich ....... 130 Tabelle 5.16 EAP/PV-Reliabilität Studie II, Vortest ............................................................ 131 Tabelle 5.17 Latente Korrelationen und Standardabweichungen Studie II, Vortest ........... 131 Tabelle 5.18 Informationskriterien Studie II, Vortest .......................................................... 131 Tabelle 5.19 EAP-Reliabilität Studie II, Nachtest................................................................ 132 Tabelle 5.20 Latente Korrelationen und Standardabweichungen, Studie II, Nachtest ........ 132 Tabelle 5.21 Informationskriterien Studie II, Nachtest ........................................................ 132 Tabelle 6.1 Kompetenzen im Mathematikunterricht .......................................................... 161 Tabelle 6.2 Die verwendeten Aufgabentypen ..................................................................... 163 Tabelle 6.3 Schwierigkeitsintervalle zur Verteilung der Items auf Item-Sets A und B ...... 178 Tabelle 6.4 Verteilung der Items auf die Testhefte für Studie II, ....................................... 179 Tabelle 6.5 Verteilung der Daten auf virtuelle Personen .................................................. 183 Tabelle 6.6 Verteilung der Daten auf zwei Dimensionen................................................... 184 Tabelle 6.7 Item-Kennwerte von Studie II .......................................................................... 188 Tabelle 6.8 Fixierte Item-Schwierigkeiten ......................................................................... 191
XVIII
Tabellenverzeichnis
Tabelle 6.9 Einfluss der Prädiktoren auf das funktionale Denken, Vortest ....................... 193 Tabelle 6.10 Einfluss der Prädiktoren auf das funktionale Denken, Nachtest .................... 195 Tabelle 6.11 Überprüfung der EG auf Normalverteilung in 10 Sets an PV ........................ 196 Tabelle 6.12 Varianzhomogenität in Vor- und Nachtest in den EG..................................... 197 Tabelle 6.13 Ergebnisse der mixed ANOVA, gepoolte Ergebnisse ...................................... 197 Tabelle 6.14 Überprüfung der Ergebnisse der KG auf Normalverteilung .......................... 199 Tabelle 7.1 Kategorien Viele Gefäße, erster Materialdurchgang ..................................... 210 Tabelle 7.2 Kategorien Viele Gefäße, zweiter Materialdurchgang ................................... 210 Tabelle 7.3 Kategoriensystem Viele Gefäße, ..................................................................... 211 Tabelle 7.4 Kategoriensystem Rennwagen b, erster Materialdurchgang .......................... 212 Tabelle 7.5 Kategoriensystem Rennwagen b,..................................................................... 213 Tabelle 7.6 Intercoder-Reliabilität Viele Gefäße ............................................................... 215 Tabelle 7.7 Auftreten der Kategorie Kausal ...................................................................... 217 Tabelle 7.8 Auftreten der Begründungstypen nach Experimentalgruppen ........................ 218 Tabelle 7.9 Vergleich der Kategorien-Häufigkeiten nach Experimentalgruppen (1) ........ 219 Tabelle 7.10 Vergleich der Kategorien-Häufigkeiten nach Experimentalgruppen (2) ........ 220 Tabelle 7.11 Vergleich von Zustand und Veränderung........................................................ 220 Tabelle 7.12 Intercoder-Reliabilitäten Aufgabe Rennwagen ............................................... 223 Tabelle 7.13 Begründungstypen Aufgabe Rennwagen b ...................................................... 224 Tabelle 7.14 Begründungstypen Aufgabe Rennwagen Materialgruppe............................... 225 Tabelle 7.15 Begründungstypen Aufgabe Rennwagen, Simulationsgruppe ......................... 225 Tabelle 7.16 Vergleich der Häufigkeiten Aufgabe Rennwagen ........................................... 226 Tabelle 8.1 Abnahme der Lösungsraten, Item Rennwagen a ............................................. 235 Tabelle 8.2 Items mit größerer Zunahme der Lösungsrate in der Materialgruppe ........... 238 Tabelle 8.3 Items mit größerer Zunahme der Lösungsrate in der Simulationsgruppe ...... 239 Tabelle 8.4 Ergebnisse der DIF-Analyse hinsichtlich der Experimentalgruppen ............. 253 Tabelle 8.5 Klassifizierung der Items und Abschneiden der EG........................................ 255 Tabelle 8.6 Gesamtanzahlen der Klassifizierung der Items nach EG................................ 257 Tabelle 10.1 Item-Kennwerte des 3-dim. Modells................................................................ 267 Tabelle 10.2 Ergebnisse der multipl. Regression Studie I,, 3-dim_between ........................ 270 Tabelle 10.3 Ergebnisse der multipl. Regression Studei I, 3-dim_within ............................ 271 Tabelle 10.4 Zuordnung der Interventionsaufgaben (Material) zu Aufgabentyp, Aspekt und Repräsentation .............................................................................. 272 Tabelle 10.5 Zuordnung der Interventionsaufgaben (Simulation) zu Aufgabentyp, Aspekt und Repräsentation .............................................................................. 275 Tabelle 10.6 Veränderung der mittleren Lösungsraten von Vor- zu Nachtest..................... 282
Abbildungsverzeichnis Abbildung 2.1 Waagrechte Abhängigkeit von Größen am Bsp. Tabelle ............................. 11 Abbildung 2.2 Senkrechte Abhängigkeit von Größen am Bsp. Tabelle............................... 12 Abbildung 2.3 Veranschaulichung der drei Aspekte funktionalen Denkens ........................ 13 Abbildung 2.4 Zentrale Grundvorstellungen und Verfahren zum Thema Funktionen ........ 23 Abbildung 2.5 Transformation eines Artefakts in ein Instrument am Bsp. Holzwürfel ....... 42 Abbildung 2.6 Transformation eines Artefakts in ein Instrument am Bsp. Button .............. 44 Abbildung 2.7 Modell zur Förderung funktionalen Denkens ............................................... 46 Abbildung 4.1 ICCs für i = 0,1,2 ......................................................................................... 53 Abbildung 5.1 Item Temperatur ........................................................................................... 70 Abbildung 5.2 Item Bleistift e) ............................................................................................. 70 Abbildung 5.3 Item Bremsweg ............................................................................................. 74 Abbildung 5.4 Item Unwetter ............................................................................................... 75 Abbildung 5.5 Item Transport .............................................................................................. 76 Abbildung 5.6 Item Bußgelder ............................................................................................. 78 Abbildung 5.7 Item Punkte ................................................................................................... 78 Abbildung 5.8 Item See. ....................................................................................................... 79 Abbildung 5.9 Item Rennwagen ........................................................................................... 81 Abbildung 5.10 Item Fahrrad ................................................................................................ 83 Abbildung 5.11 Item U-Bahn. ................................................................................................ 84 Abbildung 5.12 Item Größe .................................................................................................... 85 Abbildung 5.13 Item Erzählung ............................................................................................. 87 Abbildung 5.14 Item Fahrzeug............................................................................................... 88 Abbildung 5.15 Item Ballon ................................................................................................... 89 Abbildung 5.16 Item Zugfahrt ................................................................................................ 90 Abbildung 5.17 Item Igel ........................................................................................................ 91 Abbildung 5.18 Item Heimweg ............................................................................................... 92 Abbildung 5.19 Item Bleistift ................................................................................................. 93 Abbildung 5.20 Item Würfel ................................................................................................... 94 Abbildung 5.21 Item Kerze..................................................................................................... 96 Abbildung 5.22 Item Gefäße füllen ........................................................................................ 97 Abbildung 5.23 Item Badewanne ........................................................................................... 98
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 5.24 Item Geschwindigkeit ................................................................................... 99 Abbildung 5.25 Item Tabelle ................................................................................................ 100 Abbildung 5.26 Item Autofahrt............................................................................................. 100 Abbildung 5.27 Item Tabelle Änderung ............................................................................... 101 Abbildung 5.28 Item Unterteilung ....................................................................................... 101 Abbildung 5.29 Item Kerze brennt ....................................................................................... 102 Abbildung 5.30 Item zur Abfrage des Leseverhaltens ......................................................... 105 Abbildung 5.31 Lösung zum Item Bleistift c) ...................................................................... 107 Abbildung 5.32 Das Item U-Bahn a ..................................................................................... 118 Abbildung 5.33 Expected Scores Curve, Item U-Bahn a).................................................... 118 Abbildung 5.34 Expected Scores Curve, Item Tabelle-Änderung ....................................... 120 Abbildung 5.35 Expected Scores Curve, Item Geschwindigkeit .......................................... 122 Abbildung 5.36 Graphik des Items Fahrzeug....................................................................... 123 Abbildung 5.37 Expected Scores Curve, Item Bleistift b ..................................................... 124 Abbildung 5.38 ICCs aller nach der Analyse in Studie I verwendeten Items ...................... 125 Abbildung 5.39 Wright Map Studie I. .................................................................................. 126 Abbildung 6.1 Simulation zum nicht ausgewählten Kontext Würfel versenken ................ 145 Abbildung 6.2 Umfangsbestimmung mittels Kreise abwickeln ......................................... 147 Abbildung 6.3 Oberfläche der Simulation Kreise abwickeln, Graphikfenster 1 ................ 148 Abbildung 6.4 Simulation Kreise abwickeln mit zweitem Graphikfenster ........................ 149 Abbildung 6.5 Material zum Kontext Würfel bauen, 125 Holwürfel ................................. 151 Abbildung 6.6 Oberfläche der Simulation Würfel bauen, Graphikfenster 1 ...................... 151 Abbildung 6.7 Oberfläche der Simulation Würfel bauen ................................................... 152 Abbildung 6.8 Oberfläche Simulation Würfel bauen mit zweitem Graphikfenster ........... 153 Abbildung 6.9 Gegenständliche Materialien zum Kontext Gefäße füllen .......................... 154 Abbildung 6.10 Zweites Material zum Kontext Gefäße füllen............................................. 155 Abbildung 6.11 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 1 ...................................................... 156 Abbildung 6.12 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 1 mit Graphikfenster ....................... 156 Abbildung 6.13 a) Gefäße füllen, stückweise lineare Füllkurve; b) exakte Füllkurve ......... 157 Abbildung 6.14 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 2 ...................................................... 158 Abbildung 6.15 Material zum Kontext Bleistifte spitzen...................................................... 159 Abbildung 6.16 Oberfläche zur Simulation Bleistifte spitzen .............................................. 160 Abbildung 6.17 Beispielaufgabe Schätzen aus dem Kontext Würfel bauen ........................ 167 Abbildung 6.18 Beispielaufgaben Experimentieren (i), Kontext Würfel bauen .................. 168 Abbildung 6.19 Beispielaufgaben Experimentieren (ii), Kontext Würfel bauen ................. 170
Abbildungsverzeichnis
XXI
Abbildung 6.20 Hilfekarte der Materialgruppe zum Einzeichnen von Punkten .................. 171 Abbildung 6.21 Beispielaufgabe Nacharbeiten (i), Kontext Würfel bauen ......................... 172 Abbildung 6.22 Beispielaufgaben Nacharbeiten (ii), Kontext Würfel bauen ...................... 173 Abbildung 6.23 Beispielaufgabe Nacharbeiten(iii), Kontext Bleistifte spitzen ................... 174 Abbildung 6.24 Beispielaufgabe Nacharbeiten (iv), Kontext Bleistifte spitzen ................... 175 Abbildung 6.25 Items zum Interesse am Experimentieren, gegenständl. Materialien ........ 180 Abbildung 6.26 Items zum Interesse an Computern ............................................................ 181 Abbildung 6.27 Items zum Interesse an Computer-Simulationen........................................ 181 Abbildung 6.28 Items zur Einstellung zum Mathematikunterricht ...................................... 182 Abbildung 6.29 Items zur Messung der Motivation während der Intervention, .................. 182 Abbildung 6.30 Item zur Erfassung des Leseverhaltens ...................................................... 182 Abbildung 6.31 Verteilung der ICC, Studie II ..................................................................... 190 Abbildung 6.32 Zuwachs des funktionalen Denkens von Vor- zu Nachtest ........................ 198 Abbildung 7.1 Adaptiertes Modell zur induktiven Kategorienbildung .............................. 204 Abbildung 7.2 Aufgabe Viele Gefäße ................................................................................. 207 Abbildung 7.3 Aufgabe Rennwagen b, in Anlehnung an PISA 2000 (2013) ..................... 208 Abbildung 7.4 Begründungstypen zur Aufgabe Viele Gefäße. .......................................... 216 Abbildung 8.1 Graphik zur Aufgaben Rennwagen a.......................................................... 235 Abbildung 8.2 Abbildung aus der Aufgabe Würfel, Item Nr. 18 ....................................... 240 Abbildung 8.3 Graphik des Items Transport ...................................................................... 241 Abbildung 8.4 Item Punkte ................................................................................................. 241 Abbildung 8.5 Aufgabenstellung des Items Heimweg ....................................................... 242 Abbildung 8.6 Graphik des Items Erzählung ..................................................................... 243 Abbildung 8.7 Graphik des Items U-Bahn ......................................................................... 243 Abbildung 8.8 Graphik des Items Zugfahrt ........................................................................ 243 Abbildung 8.9 Graphik zum Item Bleistift ......................................................................... 244 Abbildung 8.10 Tabelle zum Item Ballon ............................................................................ 245 Abbildung 8.11 Tabelle zum Item Kerze .............................................................................. 245 Abbildung 8.12 Aufgabenstellung des Items Badewanne .................................................... 246 Abbildung 8.13 Graphik zur Aufgabe Kerze brennt ............................................................ 246 Abbildung 8.14 Graphik zum Item Größe ............................................................................ 247 Abbildung 8.15 Graphik zum Item Igel ................................................................................ 247 Abbildung 8.16 Graphik zum Item Unterteilung ................................................................. 247 Abbildung 8.17 Graphik zum Item Bremsweg ..................................................................... 248 Abbildung 8.18 Graphik zu Item Kerze ................................................................................ 248
XXII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 8.19 Situative Beschreibung von Item Fahrzeug, .............................................. 249 Abbildung 8.20 Abstrakte Darstellung des Gefäßes aus Item Gefäße füllen b .................... 249 Abbildung 10.1 Plot zur Überprüfung der Linearität und Homoskedastizität Studie I ........ 269 Abbildung 10.2 Q-Q Plot der Fehlervariablen., Studie I. ..................................................... 269 Abbildung 10.3 Wright Map der Vortest-Ergebnisse aus Studie II...................................... 278 Abbildung 10.4 Wright Map der Nachttest-Ergebnisse aus Studie II. ................................. 279 Abbildung 10.5 Überprüfung von Linearität und Homoskedastizität Studie II, VT ............ 280 Abbildung 10.6 Überprüfung von Linearität und Homoskedastizität Studie II, NT. ........... 280 Abbildung 10.7 Q-Q Plot der Fehlervariablen, Studie II, VT .............................................. 281 Abbildung 10.8 Q-Q Plot der Fehlervariablen, Studie II, NT .............................................. 281
[Wecken Sie das Interesse Ihrer Leser mit einem passenden Zitat aus dem Dokument, oder verwenZusammenfassung den Sie diesen Platz, um eine Kernaussage zu betonen. Um das Textfeld an einer Stelle Diese Arbeit setzt beliebigen sich mit der Frage auseinander, wie man das das funktionale Denken, das auf großer der Seite zu platzieren, von Relevanz für denziehen Mathematikunterricht wie auch den Alltag ist, von Beginn an Sie es einfach.] möglichst effektiv und umfassend fördern kann. Gegeneinander getestet wurde dazu der Einsatz von gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen im Rahmen von Experimenten. Zunächst wird der notwendige theoretische Hintergrund dargestellt. Hierzu wird das Verständnis von den Begrifflichkeiten Funktion und funktionales Denken erläutert. Es folgt eine Betrachtung von Experimenten im Mathematikunterricht sowie die Zusammenstellung der Vorteile von gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen. Die Charakteristika des funktionalen Denkens, von Experimenten, gegenständlichen Materialien und ComputerSimulationen werden abschließend mittels des Instrumental Approach miteinander vernetzt. Ihr Einsatz zur Förderung des funktionalen Denkens wird so begründet. Basierend auf einer Operationalisierung der Struktur funktionalen Denkens wird die Entwicklung eines Tests zu dessen Messung (Studie I) vorgestellt. Dieser zielte auch darauf ab, die theoretisch angenommene dreidimensionale Struktur des funktionalen Denkens (vgl. Vollrath, 1989) psychometrisch nachzuweisen. Es entstand ein reliabel messender und als valide anzusehender Test. Es zeigte sich, dass funktionales Denken psychometrisch als eindimensionales Konstrukt aufzufassen ist. Es schließt sich die Darstellung einer Interventionsstudie, die Experimente, gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen umfasst, zur Förderung des funktionalen Denkens an (Studie II). Es zeigte sich, dass beide Medien einen signifikanten Zuwachs des funktionalen Denkens hervorriefen, wobei der durch Simulationen erzeugte Zuwachs signifikant stärker ausfiel als der durch gegenständliche Materialien hervorgebrachte. Abschließend wird eine qualitative Inhaltsanalyse von schriftlich vorliegenden Schülerdokumenten aus der Intervention vorgestellt, die durch erneute Betrachtung quantitativer Daten unterfüttert wird. Es stellte sich heraus, dass gegenständliche Materialien und ComputerSimulationen unterschiedliche Aspekte des funktionalen Denkens zu beeinflussen scheinen. Dies führte zu der Schlussfolgerung, dass eine gemeinsame und aufeinander abgestimmte Verwendung von gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen als effektivste und umfassendste Methode angesehen werden sollte, um funktionales Denken zu fördern.
Kapitel 1
1
Einleitun g
Einleitung
Funktionale Zusammenhänge sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Man trifft auf den Zusammenhang von Temperatur und Zeit, wenn eine Tasse Kaffee abkühlt, auf den Zusammenhang von Preis und Volumen, wenn man tankt, oder auf den Zusammenhang von Geschwindigkeit und zurückgelegter Strecke, wenn man im Auto auf dem Weg zur Arbeit ist. Funktionale Zusammenhänge gibt es überall, meist ohne dass man sich dessen bewusst ist. Weit offensichtlicher stellen funktionale Zusammenhänge einen entscheidenden Bestandteil des Mathematikunterrichts dar. Sie sind bereits in der Grundschule von Bedeutung, etwa wenn Schülerinnen und Schüler sich mit Zahlenfolgen und so mit dem Zusammenhang zwischen einzelnen Folgenglieder auseinandersetzen. Sie finden sich in der Unterstufe wieder, z. B. wenn der Zusammenhang von Seitenlänge und Flächeninhalt eines Quadrates betrachtet wird, und ab der Mittelstufe sind sie expliziter Bestandteil des Mathematikunterrichts. Nach dem Einstieg in funktionale Zusammenhänge in Jahrgangsstufe 7 wird der Begriff Funktion in der Regel in Klasse 8 eingeführt. Fragt man Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 9, die sich schon geraume Zeit mit funktionalen Zusammenhängen auseinandergesetzt haben, was sie unter dem Begriff Funktion verstehen, eröffnet sich ein weites Spektrum an Antworten. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler nennt direkt die ihnen bekannte symbolische Darstellung für lineare Zusammenhänge f(x) = mx + b. Andere sprechen von einer Rechenregel, einer Vorschrift oder einer Formel zum Ausrechnen. Konkreter sind Formulierungen wie diese, die sich als Antworten einer Schülerinnen- und Schülerbefragung in Jahrgangsstufe 9 zum Thema Was ist eine Funktion? ergaben. „Eine Gleichung, um Punkte in einem Koordinatensystem zu finden“ „Damit kann man einen Graphen ausrechnen“ „Eine Funktion ist etwas, was man mit einer Variablen ausrechnet (x). Damit kann man die Zusammenhänge aller Zahlen ausdrücken.“ Dass es bei Funktionen auch irgendwie um Zusammenhänge geht, kommt nur selten zum Tragen. Diese kleine Auswahl an Antworten von Schülerinnen und Schülern macht außerdem eines sehr schnell klar: Schülerinnen und Schüler haben sehr unterschiedliche Vorstellung davon, was eine Funktion ist oder was sie beschreibt. Ihnen fehlen in Teilen auch die Begrifflichkeiten, um dies in Worte zu fassen. Sie stürzen sich auf Formalismen wie die Funktionsvorschrift und verknüpfen Repräsentationsformen in unangemessener Weise. Wenn dies das Ergebnis von mehreren Jahren Mathematikunterricht ist, der Funktionen und funktionale Zusammenhänge sowohl implizit als auch explizit thematisiert hat, stellt sich unweigerlich die Frage, wie man die Vorstellung der Schülerinnen und Schüler vom Begriff Funktion, ihr Wissen um funktionale
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1 Einleitung
Zusammenhänge, den adäquaten Umgang mit diesen und somit ihr funktionales Denken verbessern kann. Das Ziel des dieser Arbeit zugrundeliegenden Projekts bestand daher darin, eine adäquate Förderung des funktionalen Denkens von Beginn an (Ende Jahrgangsstufe 6) zu entwickeln und ihre Wirksamkeit zu evaluieren. Hierzu wurde zunächst das funktionale Denken messbar gemacht. Es wurde des Weiteren nach entscheidenden Elemente gesucht, die im Rahmen der angestrebten Förderung zum Einsatz kommen sollten. Als solche identifiziert wurden unterschiedliche Medien, gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen, die beide eine Reihe an Vorteilen mit Blick auf die Förderung des funktionalen Denkens mit sich bringen. An die entsprechend durchgeführte Intervention schloss sich eine quantitative Analyse der Testergebnisse zur Bestimmung der Wirksamkeit der Förderung an. Es folgte eine qualitative Untersuchung, um zu evaluieren, ob konkreter gefasst werden konnte, welche Eigenschaften der Medien Fortschritte hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte des funktionalen Denkens generiert haben könnten. Schlussendlich konnte eine empirisch fundierte Empfehlung ausgesprochen werden, wie die Förderung des funktionalen Denkens von Schülerinnen und Schülern am Ende von Jahrgangsstufe 6 gestaltet werden sollte, um einen möglichst großen und umfassenden Effekt zu erzeugen. Zur Darstellung dieses Prozesses wird in Kapitel 2 als erstes der relevante theoretische Hintergrund vorgestellt. Dieser umfasst zum einen die Begrifflichkeiten Funktion und funktionales Denken, zum anderen geht er auf die ausschlaggebenden Vorteile ein, die gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen für die Förderung des funktionalen Denkens mit sich bringen. Ebenfalls erläutert wird das angestrebte Setting des Experimentierens, in das die beiden Medien eingebunden wurden. Der zu erwartende Einfluss von Experimenten, die mit gegenständlichen Materialien und mit Computer-Simulationen durchgeführt werden, auf das funktionale Denken wird abschließen mittels der Theorie des Instrumental Approach begründet. Darauf aufbauend werden in Kapitel 3 die Forschungsfragen explizit gemacht, die sich aus dem übergeordneten Ziel ergaben. Sie umfassten die Messbarkeit und Dimensionalität des funktionalen Denkens, die Wirksamkeit von gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen zu dessen Förderung sowie die Frage nach Unterschieden in der Art der Einflussnahme beider Medien auf das funktionale Denken. Kapitel 4 widmet sich der übergeordnet zur quantitativen Auswertung der Daten verwendeten Methode. Es handelte sich dabei um die Item-Response Theorie (IRT), die in den für diese Arbeit relevanten Aspekten dargestellt wird. Es folgt mit Kapitel 5 die Beschreibung der ersten Studie, deren Ziel die Entwicklung eines Tests zur Messung des funktionalen Denkens und die Überprüfung der psychometrischen Dimensionalität dieses Konstruktes darstellte. Vorgestellt werden die einzelnen Schritte der Testentwicklung beginnend bei der theoriebasierten Operationalisierung des funktionalen Denkens und der sich anschließenden Itemkonstruktion. Anschließend werden die zu Beginn in der Jahrgangsstufe 7 durchgeführte Erhebung sowie deren Auswertungsschritte beschrieben.
1 Einleitung
3
Schließlich folgt die Vorstellung und Diskussion der Ergebnisse bezüglich der Güte des entwickelten Testinstruments sowie der Dimensionalität des Konstruktes. Mit Kapitel 6 schließt sich die zweite Studie an, deren Ziel das Erstellen, die Durchführung und Analyse der Wirksamkeit einer Förderung des funktionalen Denkens mit gegenständlichen Materialien und ComputerSimulationen Ende Jahrgangsstufe 6 war. Zunächst wird der Gestaltungprozess der zu diesem Zweck entwickelten Intervention detailliert beschrieben, indem auf die ausgewählten inhaltlichen Kontexte (Zusammenhang von Umfang und Durchmesser eines Kreises, von der Anzahl kleiner Würfel, die die Kante eines großen Würfels bilden, und der Gesamtanzahl der zum Bau des großen Würfel notwendigen kleinen Würfel, von Füllmenge und Füllhöhe eines Glases, von Spitzbewegungen und Bleistiftlänge) und die verwendeten Medien sowie die Aufgabenentwicklung eingegangen wird. Es folgen Informationen über das Studiendesign und die Durchführung. Es schließt sich die Beschreibung der über die bereits beschriebenen Verfahren hinausgehenden Auswertungsmethoden (Plausible Values, mixed ANOVA) an. Der Ergebnisteil präsentiert die Wirksamkeit von gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen zur Förderung des funktionalen Denkens und vergleicht diese miteinander. Die Diskussion der Ergebnisse der zweiten Studie leitet zu Kapitel 7 über, das sich damit befasst, die quantitativ gefunden Ergebnisse mittels einer qualitativen Analyse zu unterfüttern und zu erklären. Dargestellt wird zunächst der hierzu verwendete Ansatz der qualitativen Inhaltsanalyse. Deren Anwendung auf die zur Verfügung stehenden Daten aus der Interventionsstudie wird im Anschluss daran konkret beschrieben. Dazu wurden zwei Aufgaben und deren Antworten aus dem Pool an schriftlich vorliegen Schülerantworten, die im Rahmen der Intervention entstanden, ausgewählt und mittels induktiver Kategorienbildung auf Besonderheiten und Unterschiede zwischen den Experimentalgruppen aus der Interventionsstudie untersucht. Die Ergebnisse werden präsentiert und diskutiert, neue Fragen und Hypothesen werden aufgeworfen. Die Überprüfung dieser neu aufgeworfenen Fragen und Hypothesen wird in Kapitel 8 vorgestellt. Unter erneuter Betrachtung der quantitativen Daten wurden die Hypothesen dazu auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht. Es erfolgten ein Vergleich von Vor- und Nachtestlösungsraten hinsichtlich einzelner Items, der eine noch bessere Verzahnung von qualitativen und quantitativen Ergebnissen ermöglichen sollte, sowie eine DIF-Analyse der Nachtestergebnisse hinsichtlich der Experimentalgruppen. Es schließt sich mit Kapitel 9 die Verknüpfung aller Ergebnisse sowie deren Gesamtdiskussion an, auf die aufbauend eine empirisch fundierte Empfehlung für eine adäquate Förderung des funktionalen Denkens in Klasse 6 ausgesprochen wird.
Kapitel 2 Theoretischer Hintergrund
2 2.1
Theoretischer Hintergrund Der Funktionsbegriff „Für die moderne Mathematik ist neben dem Zahlbegriff der Funktionsbegriff der wichtigste.“ (Büchter & Henn, 2010, S. 25)
Der Funktionsbegriff ist einer der wichtigsten Begriffe der Mathematik. Die Funktion wird als „fundamentale Idee“ der Mathematik bezeichnet (Bruner, 1966, S. 18; Hischer, 2012, S. 128129) und anderen Orts sogar personifiziert, wenn von „verschiedene[n] Gesichter[n] einer Funktion“ (Leuders & Prediger, 2005, S. 4) die Rede ist. Damit kennzeichnet den Funktionsbegriff seine Relevanz für die Mathematik und eine besondere Vielgestalt, die sich in der Umschreibung „viele Gesichter“ (Leuders & Prediger, 2005, S. 4) andeutet. Diese Vielgestalt zeigt sich zum einen in den unterschiedlichen Repräsentationsformen, in denen eine Funktion dargestellt werden kann. Zum anderen wird sie auf der Ebene des Begriffsverständnisses deutlich. Dieses lässt sich als dual beschreiben, da der Funktionsbegriff als etwas aufzufassen ist, das „between the product and the process itself“ (Sfard, 1991, S. 14) eingeordnet werden muss. Damit kommt dem Funktionsbegriff eine Doppelrolle zu, weil eine Funktion sowohl als ein Produkt, das einen Zustand beschreibt, als auch gleichzeitig als der Prozess erkannt werden kann, mit dem man zu diesem Zustand gelangt. Zugleich lässt sich die Besonderheit und Komplexität des Funktionsbegriffs erfassen, wenn man die Notwendigkeit, ein Objekt – die Funktion – in komplementärer Weise zugleich als Produkt und als Prozess auffassen und verstehen zu können, als Anforderung an das Begriffsverständnis ansieht. Die Relevanz des Funktionsbegriffs für die Mathematik, die sich mit Blick auf seine Vielgestalt erahnen lässt, wird entsprechend vielfältig formuliert. Dass seine Bedeutung für die Algebra dem der negativen Zahlen für die Subtraktion gleichkommt (Sfard, 1991, S. 14), stellt sich dabei als äußerst eindrücklich dar. Aber auch über die Grenzen der Mathematik hinaus ist der Funktionsbegriff von zentraler Bedeutung, da Funktionen aus unserem Alltag nicht wegzudenken sind (Barzel, 2000, S. 39). Als Beispiel sei auf den Abkühlvorgang einer Tasse Kaffee verwiesen, der uns regelmäßig begegnet. Dieser Zusammenhang zwischen Zeit und Temperatur lässt sich funktional beschreiben, aber den wenigsten ist dies bewusst (Hischer, 2012, S. 157). Dieses Beispiel verdeutlicht außerdem, dass der Funktionsbegriff nicht nur in unserem Alltag eine entscheidende Rolle spielt, sondern dass Funktionen auch in den Naturwissenschaften relevant sind (Den Abkühlvorgang würde man sicher der Physik zuordnen.). Gleiches gilt für die Politik, auch hier sind funktionale Zusammenhänge von Bedeutung. Mittels Funktionsgraphen werden Zusammenhänge beschrieben, die es dann zu interpretieren gilt. Man denke beispielhaft an das Bevölkerungswachstum in Abhängigkeit von der Zeit. Bevor es allerdings zu der Interpretation eines
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2 Theoretischer Hintergrund
graphisch dargestellten Zusammenhangs kommen kann, muss gelernt werden, wie Graphen zu lesen sind. Diese Kompetenz sollte im Mathematikunterricht erworben werden, womit sich der Kreis schließt. Entsprechend scheint sich die Bedeutung des Funktionsbegriffs, wenn man genau hinsieht, in nahezu allen Lebenslagen zu zeigen, denn „Funktionen … sind überall“ (Hischer, 2012, S. 157). Der Funktionsbegriff ist damit relevant und wesentlich für unterschiedlichste Bereiche sowohl der Wissenschaft als auch des Alltags. Was man aber genau unter Funktion zu verstehen hat, bleibt bis hierher offen. Es wird in der Literatur sogar eine „Uneinheitlichkeit der Definition“ (Hischer, 2012, S.128-129) mit Blick auf gängige Sprech- und Schreibweisen konstatiert und festgestellt, dass „niemand … erklären [kann], was eine Funktion ist“ (Hermann Weyl, 1885-1955, zitiert nach Höfer, 2008, S. 11). Eine scheinbar offen zutage tretende Uneinigkeit hinsichtlich dieser Begrifflichkeit gipfelt damit sogar in der Unmöglichkeit, den Begriff Funktion mit Worten zu erfassen. Um den Funktionsbegriff und seine inhaltliche Bedeutung an dieser Stelle dennoch greifbar zu machen, scheint es daher notwendig, bestehende und gegebenenfalls uneinheitliche Definitionen nebeneinander zu stellen, um so entscheidende Gemeinsamkeiten ausmachen zu können. Betrachtet man den Begriff Funktion zu diesem Zweck aus historischer Perspektive1, findet sich seine erstmalige Erwähnung im mathematischen Sinne bei Leibniz im Jahre 1673. Im Folgenden erfährt der Begriff durch Johann Bernoulli im Jahre 1718 seine erste Definition: “On appelle fonction d’une grandeur variable, un quantité composée de quelque manière que ce soit de cette grandeur variable et de constants.”2 (Bernoulli, 1742, S. 241) Cantor (1898) gibt den Inhalt dieser Definition einer Funktion nach Bernoulli wieder als „Ausdruck, der auf irgendeine Weise aus der veränderlichen Grösse und Constanten zusammengesetzt sei“ (Cantor, 1898, S. 439) und erklärt, Bernoulli nehme damit eine Unterscheidung von variabler Größe und der „Funktion dieser variablen Größe“ vor (Cantor, 1898, S. 144). Durch Leonhard Euler (1707-1783) wird diese Art des Funktionsbegriffs im Folgenden erweitert. Er formuliert einen algebraischen und einen geometrischen Funktionsbegriff.
1 2
Zu einer detaillierten Betrachtung des Funktionsbegriffs aus historischer Sicht sei auf Hischer (2012), Zur Geschichte des Funktionsbegriffs, sowie auf Greffrath et al. (2016), S. 23ff verwiesen. Übersetzung: Unter einer Funktion einer veränderlichen Größe versteht man einen Ausdruck, der auf irgendeine Weise aus der veränderlichen Größe und einer Konstanten zusammengesetzt ist.
2.1
Der Funktionsbegriff
7
„Functio quantitatis variabilis, est expressio analytica quomodocumque composita ex illa quantitate variabili, et numeris seu quantitatibus conflantibus.”3 (Euler, 1748, S. 4) „… curva quaecumque libero manus ductu descripta“4 (Euler, 1768, S. 32) Im Jahre 1837 formuliert Dirichlet, dass „jedem x ein einziges, endliches y entsprechen soll“ (nach Hischer, 2012, S. 148). Die Eindeutigkeit der Zuordnung erhält in dieser Formulierung zum ersten Mal Bedeutung und findet sich fortan in unterschiedlich exakter Darstellung in den folgenden Jahren immer wieder, wenn der Begriff Funktion definiert wird. Die Eindeutigkeit lässt sich von da an als gemeinsamer Nenner verschiedener Definitionen des Funktionsbegriffs ausmachen (vgl. Büchter, 2013, S. 8). Beispielhaft sei auf Neher (2018) für eine solche Definition verwiesen. „Gegeben sei eine Menge 𝐷 ⊆ ℝ sowie eine Vorschrift 𝑓, die jedem 𝑥∈ 𝐷 genau ein 𝑦 ∈ ℝ zuordnet. Dann heißt 𝑓 reellwertige oder reelle Funktion. Man schreibt dafür 𝑓: 𝐷 → ℝ, 𝑥 ⟼ 𝑓(𝑥) 𝑜𝑑𝑒𝑟 𝑦 = 𝑓(𝑥), 𝑥 ∈ 𝐷.“ (Neher, 2018, S. 127) Ein anderer Ansatz, den Begriff Funktion zu charakterisieren, arbeitet mengenbasiert. Es wird eine Relation von einer Definitionsmenge aus in eine Wertemenge definiert, die rechtseindeutig und linkstotal ist (vgl. hierzu die Ausführungen von Hischer, 2012, S. 165ff.) Hierbei handelt es sich um einen Ansatz, der mittels der Rechtseindeutigkeit den Aspekt der Eindeutigkeit ebenfalls beinhaltet Als „modernes Konzept“ des Funktionsbegriffs benennen Vinner und Dreyfus (1989) das Dirichlet-Bourbaki-Concept. „A correspondence between two nonempty sets that assigns to every element in the first set (the domain) exactly one element in the second set (the codomain).” (Vinner & Dreyfus, 1989, S. 357). Wie unschwer zu erkennen ist, handelt es sich hierbei um die uns aus der Schule vertraute Definition einer Funktion, wie sie sich z. B. im Mathematiklehrbuch Neue Wege 8 (Lergenmüller & Schmidt, 2010) findet.
3
Übersetzung: Die Funktion einer veränderlichen Zahlengröße ist ein analytischer Ausdruck, der auf irgendeine Weise aus jener veränderlichen Zahlengröße, aus Zahlen oder konstanten Zahlengrößen zusammengesetzt worden ist.
4
Übersetzung: …eine beliebige, mit freier Führung der Hand ( = frei Hand) beschriebene Kurve
8
2 Theoretischer Hintergrund
„Eine Zuordnung, bei der jedem x-Wert genau ein y-Wert zugeordnet wird, nennen wir Funktion.“ (Lergenmüller & Schmidt, 2010, S. 52) Die Definition des Funktionsbegriffs, die sich an das Dirichlet-Bourbaki-Concept anlehnt, wurde entsprechend im Rahmen dieser Arbeit verwendet, da sie den Aspekt der Eindeutigkeit aufgreift und als gängig und damit als für den Unterricht relevant bezeichnet werden kann. 2.2
Funktionales Denken „Funktionales Denken ist eine Denkweise, die typisch für den Umgang mit Funktionen ist.“ (Vollrath, 1989, S. 6)
Mit dieser auf den ersten Blick etwas vage anmutenden Definition und der Umschreibung „Denken in Zusammenhängen“ (Vollrath, 1986b, S. 59) schließt Vollrath inhaltlich an die bereits 1905 im Rahmen der Meraner Vorschläge unter Felix Klein beginnende Geschichte des funktionalen Denkens an. Man forderte die „Erziehung zur Gewohnheit des Funktionalen Denkens“ (Gutzmer, 1908, S. 53). Infolge dessen wurde der Funktionsbegriff in der Schule vorrangig anschaulich vermittelt, die graphische Darstellbarkeit wurde zu einem zentralen Merkmal (Höfer, 2008, S. 24). Nachdem im Zuge der Neuen Mathematik der 60er Jahre das funktionale Denken dann zunächst in den Hintergrund der Mengentheorie rückte (vgl. Krüger, 2000, S. 299), was die Definition des Funktionsbegriffs mittels einer Relation zwischen Mengen zur Folge hatte (vgl. Abschnitt 2.1), begann Vollrath in den 80er Jahren, das funktionale Denken wieder in den Mittelpunkt des Interesses zu stellen. Er sah die Gefahr, dass die für ein Verständnis und das Arbeiten mit Funktionen notwendigen Intuitionen durch den Schwerpunkt, den der Unterricht auf eine präzise Definition legte, überlagert würden (vgl. Vollrath, 1989, S. 10). Er setzte es sich daher zum Ziel, „herauszufinden, welche Beiträge dieses [funktionale] Denken zur menschlichen Erkenntnis liefert, welche Bedeutung es für die Bildung des Menschen hat, wie es sich unter verschiedenen Bedingungen entwickelt und wie es sich im Mathematikunterricht entfalten kann.“ (Vollrath, 1989, S. 7) Die entsprechende Denkweise, das funktionale Denken im Kontext des Mathematikunterrichts, wird bis heute vielfältig charakterisiert. 2.2.1
Ein praxisorientierter Definitionsansatz
Das funktionale Denken, das auch als „Denken in funktionalen Zusammenhängen“ (Büchter, 2011, S.9) beschrieben wird, fußt auf dem Verständnis gerade dieser Zusammenhänge und zeigt
2.2
Funktionales Denken
9
sich in unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dabei ist es wohl als grundlegend anzusehen, dass zunächst Abhängigkeiten zwischen Größen bewusst erkannt werden und entsprechend bei der Lösung von Aufgaben zum Einsatz kommen (Oehl, 1965, S. 244). Die Funktion soll so unter Verwendung der durch sie beschriebenen Abhängigkeit nutzbar gemacht werden (Oehl, 1965, S. 244). Dieses Nutzbarmachen von Funktionen, das einen adäquaten Umgang mit diesen erfordert, der wiederum auf Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissen beruht (Höfer, 2008, S.12), verdeutlicht die Vielschichtigkeit funktionalen Denkens. Diese zeigt sich auch in der bereits angesprochenen Vielgestalt des Funktionsbegriffs. Denn neben der zielführenden Nutzung erkannter Abhängigkeiten, die zur Aufgaben- und Problemlösung führen kann, lässt sich funktionales Denken auch am Umgang mit unterschiedlichen Darstellungsformen, in denen eine Funktion auftritt, festmachen (Barzel, Hußmann & Leuders, 2005, S. 21). Ein souveräner Umgang mit Funktionen zeigt sich dabei darin, dass erkannt wird, dass verschiedene Darstellungsformen verschiedene Stärken besitzen (Barzel et al., 2005, S. 20). Dies bedeutet, dass man begreift, dass „mit jeder Darstellungsart unterschiedliche Aspekte der Situation fokussiert werden können“ (Barzel et al., 2005, S. 20). Dieser adäquate Umgang mit verschiedenen Repräsentationsformen wird herangezogen, um das funktionale Denken zu beschreiben (vgl. Barzel et al., 2005, S. 21; Nitsch, 2015, S. 110ff): Ist man in der Lage, unterschiedliche Repräsentationsformen zu lesen und zu interpretieren? Ist man in der Lage, zwischen Repräsentationsformen zu wechseln? Kann man diese ineinander überführen? Wenn sich diese Fragen mit ja beantworten lassen, ist dies als Hinweis dafür zu werten, dass die Fähigkeit, im mathematischen Sinne funktional zu denken, vorliegt. In Anlehnung an die Vielgestalt von Funktionen, die sich in ihren Repräsentationsformen verdeutlicht, muss auch die Vielgestalt, die sich in unterschiedlichen Funktionsklassen manifestiert, berücksichtigt werden. Denn auch ein adäquater Umgang mit diesen scheint wesentlich für ein Verständnis funktionaler Zusammenhänge (Barzel et al., 2005, S. 21) und damit für das funktionale Denken. Als zentral dabei darf allerdings nicht „die einfache algebraische Handhabbarkeit“ (Barzel et al., 2005, S. 20), die sich aus einem am Kalkül orientierten Vorgehen ergibt, angesehen werden. Entscheidend ist es hingegen, die Relevanz der einzelnen Funktionsklassen zu erkennen, um sie als Modell für reale Situationen verwenden zu können (Barzel et al., 2005, S. 20). Eine Verbindung zwischen funktionalen Zusammenhängen und Gegebenheiten der Realität zu erfassen ist damit ebenfalls ein entscheidender Bestandteil funktionalen Denkens. Aber auch entsprechende Verbindungen zu anderen Teilgebieten der Mathematik aufbauen zu können stellt sich als relevant dar, da das funktionale Denken auch in diesen oft implizit zur Geltung kommt (vgl. Büchter, 2011, S. 9). Büchter verweist hierzu beispielhaft auf Aufgaben zu Füllvorgängen, die sich vor der Behandlung funktionaler Zusammenhänge mit der Frage nach dem Zusammenhang zwischen vorgegeben Teilmengen und einer Gesamtmenge befassen. Es zeigt sich darin wiederholt, dass die Fähigkeit, aktiv mit funktionalen Zusammenhängen umgehen zu können, das funktionale Denken maßgeblich charakterisiert. Dieser angemessene Umgang mit Funktionen wird daher auch explizit als Beschreibung funktionalen Denkens angeführt. Äußerst konkret formuliert Vollrath (1986a), dass funktionales Denken dann vorliegt, wenn...
10
2 Theoretischer Hintergrund
„Dependences between variables can be stated, postulated, produced, and reproduced.” “Assumptions about the dependence can be made, can be tested, and if necessary can be revised.” (Vollrath, 1986a, S. 387)
Funktionales Denken wird damit als die Fähigkeit beschrieben, mit Zusammenhängen auf zwei Ebenen arbeiten zu können: Zunächst stehen die konkreten Abhängigkeiten von Variablen im Mittelpunkt. Können Schülerinnen und Schüler diese in angemessener Weise verwenden, d. h. können sie diese benennen, aufstellen und erzeugen? Auf der nächsten Ebene liegt ein abstrakteres Vorgehen vor: Können die Schülerinnen und Schüler über den Zusammenhang als Ganzes sprechen? Können sie Vermutungen über den Zusammenhang anstellen, diese überprüfen und gegebenenfalls überarbeiten? Nimmt man all diese Ansätze zusammen, funktionales Denken zu charakterisieren, findet es sich im Verständnis funktionaler Zusammenhänge, das daran gemessen werden kann, ob der zugrundeliegende Zusammenhang erkannt wird und ob die verschiedenen Repräsentationsformen, die charakteristisch für den Funktionsbegriff sind, angemessen verwendet und ineinander überführt werden können. Dabei stellt die Fähigkeit zur Bezugnahme auf Gegebenheiten und Probleme der Realität einen weiteren entscheidenden Faktor dar. Es handelt sich damit um eine Beschreibung funktionalen Denkens, die als sehr praxisorientiert anzusehen ist, da funktionales Denken damit beobachtbar wird. 2.2.2
Ein normativer Definitionsansatz
Durch Vollrath selbst erfährt seine Definition des funktionalen Denkens als „Denkweise, die typisch für den Umgang mit Funktionen ist“ (Vollrath, 1989, S. 6) eine Präzisierung, die als normative Beschreibung zu bewerten ist. Was charakterisierend für das Arbeiten mit Funktionen und damit typisch für funktionales Denken ist, wird in drei Aspekte (vgl. Vollrath, 1989, S. 8) unterteilt. Im Folgenden werden diese als Zuordnungsaspekt (Vollrath, 1989, S. 8), als Aspekt des Änderungsverhaltens (Vollrath, 1989, S. 12) und als der Aspekt Funktion als Objekt bzw. die Sicht als Ganzes (Vollrath, 1989, S. 15) bezeichnet. Diese Aspekte sind bis heute als grundlegend für die Definition funktionalen Denkens anzusehen und finden sich in unterschiedlicher Ausprägung und Bezeichnung immer wieder zu dessen Beschreibung oder Charakterisierung. Unter anderem werden sie unter Bezugnahme auf Vollrath (1989) als Grundvorstellungen des Konzepts Funktion bezeichnet (vgl. Greefrath, Oldenburg, Siller, Ulm & Weigand, 2016, S. 46; vom Hofe & Blum, 2016, S. 248; sowie den Abschnitt Grundvorstellungen). Die Tatsache, dass man die Aspekte nach Vollrath inzwischen als Grundvorstellungen ansieht, und damit als „inhaltliche Deutung eines Begriffs, die diesem Sinn gibt“ (Greffrath et al, 2016, S. 17), betont deren Relevanz. Da die Bedeutung der Aspekte dementsprechend nicht gering zu schätzen ist, werden sie nun zunächst getrennt voneinander betrachtet, auch wenn sie sich inhaltlich schwer trennen lassen (Hoffkamp, 2012, S. 51).
2.2
Funktionales Denken
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Der Zuordnungsaspekt Der Zuordnungsaspekt, der auch als fundamental bezeichnet wird (Malle, 2000b, S. 8), umfasst, dass „jedem x … genau ein f(x) zugeordnet [wird]“ (Malle, 2000b, S. 8; Vollrath, 1989, S. 8; Vollrath, 2014, S. 121). Die Funktion wird lokal betrachtet. Als zentral anzusehen sind die Abhängigkeit der beiden verwendeten Größen voneinander und die Eindeutigkeit der Zuordnung (Vollrath, 1989, S. 8). Bezogen auf die tabellarische Darstellung eines funktionalen Zusammenhangs handelt es sich um die waagerechte Abhängigkeit von Größen (vgl. Abbildung 2.1), die sich aus dieser Darstellung ergibt (Vollrath, 1989, S. 8). Dass man „unter einer „Funktionsuntersuchung“ die Untersuchung einer Abhängigkeit“ versteht (Malle, 2000a, S. 62), zeigt die Bedeutung des Zuordnungsaspekts auf. Aber auch durch die weit verbreitete Verwendung der Dirichlet-Bourbaki-Definition von Funktionen (Vinner & Dreyfus, 1989, S. 359), die maßgeblich auf dem Aspekt der eindeutigen Zuordnung fußt, wird diese deutlich. Thompson (1994, S. 30) betont diesbezüglich, dass die gegenwärtige Definition von Funktionen die Zuordnung über das Änderungsverhalten stelle, was kritisch zu sehen sei. Blickt man nun auf die verschiedenen Repräsentationsformen und nimmt nicht nur die tabellarische Darstellung, die Vollrath beispielhaft aufgreift, in den Blick, lässt sich der Zuordnungsaspekt in allen Formen wiederfinden (vgl. Hußmann & Laakmann, 2011, S. 10; Nitsch, 2015, S. 101). x
y = 2x
1
2
2
4
3
6
4
8
Abbildung 2.1 Waagrechte Abhängigkeit von Größen am Bsp. Tabelle
Dies stellt sich mit Blick auf seine Behandlung im Unterricht als Vorteil dar: Wertepaare werden aus Graphen abgelesen (vgl. Abbildung 2.3) und in Tabellen identifiziert (Abbildung 2.1), einander zugeordnete Werte werden aus einer situativen Beschreibung entnommen oder durch Einsetzen eines Wertes in eine Funktionsgleichung erzeugt. Die Verknüpfung und der Wechsel zwischen den Repräsentationsformen werden damit auch unter Fokussierung auf diesen Aspekt möglich. Berücksichtigt man die praxisorientierte Beschreibung funktionalen Denkens, die maßgeblich auf der Verknüpfung unterschiedlicher Repräsentationsformen beruht, stellt sich dies als ein nicht zu vernachlässigender Vorteil dar. Die normative Beschreibung funktionalen Denkens lässt sich so sehr gut mit der praxisorientierten vernetzen. Der Aspekt des Änderungsverhaltens Der Aspekt des Änderungsverhaltens, der auch als Kovariationsaspekt bezeichnet wird (Malle, 2000b, S. 8), umfasst, wie sich die Änderung einer unabhängigen Größe auf die Änderung der
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2 Theoretischer Hintergrund
von dieser abhängigen Größe auswirkt (Vollrath, 1989, S. 12; Vollrath, 2014, S. 121). Bei der bereits zur Klärung des Zuordnungsaspekts verwendeten Repräsentationsform Tabelle verbleibend, handelt es sich um den „senkrechten Zusammenhang“ (Vollrath, 1989, S. 12), da zunächst die Änderung einer jeden Größe für sich betrachtet wird (Abbildung 2.2). Vollrath betont, dass „dieses Betrachten von Änderungen und ihren Wirkungen charakteristisch für das funktionale Denken zu sein [scheint]“ (Vollrath, 1989, S. 12). Mit Blick auf einen verständnisfördernden Zugang zu funktionalen Zusammenhängen stellt sich dieser Aspekt daher als zentral und für das Arbeiten mit Funktionen als unentbehrlich dar (Malle, 2000b, S. 8). Trotzdem wird wiederholt festgestellt, dass gerade dieser Aspekt im Bewusstsein der Schülerinnen und Schüler als „unterentwickelt“ (Malle, 2000b, S. 8) zu bewerten sei. Dem entsprechend ist von einem „begrifflichen und gedanklichen Ringen um Bestand und Änderung“ (Hoffkamp, 2012, S. 55) die Rede, das sich im Erfassen und Beschreiben von Änderung auf situativer Ebene zeigt (Hoffkamp, 2012, S. 55). x
y = 2x
1
2
2
4
3
6
4
8
Abbildung 2.2 Senkrechte Abhängigkeit von Größen am Bsp. Tabelle
Die Empfehlungen gehen sogar dahin, den Funktionsbegriff mittels des Änderungsverhaltens einzuführen und die Zuordnung erst zu thematisieren, wenn dies notwendig wird (Thompson, 1994, S. 31). Betrachtet man auch an dieser Stelle, welche Repräsentationsformen geeignet sind, um sich mit dem Änderungsverhalten auseinanderzusetzen, das als Steigung, Änderungsrate (vgl. Rolfes, Roth & Schnotz, 2013, S. 835) oder auch in Form der absoluten Änderung thematisiert werden kann, findet sich ein Zugang zu diesem Aspekt in jeder Darstellungsform (Hußmann & Laakmann, 2011, S. 10). Lediglich hinsichtlich der situativen Beschreibung herrscht diesbezüglich Uneinigkeit, sodass die situative Beschreibung von diesem Aspekt teilweise ausgeschlossen wird (vgl. Nitsch, 2015, S. 101). Da es sich aber nicht als unwahrscheinlich darstellt, dass basierend auf einer situativen Beschreibung eine Änderungsrate (z. B. ein Höhenzugewinn beim Klettern in einem bestimmten Zeitraum) ermittelt werden kann, scheint dieser Ausschluss unbegründet. Betrachtet man die tabellarische Darstellung, tritt das Änderungsverhalten verstärkt in Form der Änderungsrate und der absoluten Änderung auf, mit Blick auf die symbolische Form lassen sich Änderungsrate und absolute Änderung ebenfalls gut thematisieren. Hinsichtlich der graphischen Repräsentation wird zusätzlich die Steigung des Graphen mit Blick auf das Änderungsverhalten bedeutsam. Dabei kann die Steigung qualitativ und quantitativ betrachtete werden. In Abbildung 2.3 wird diesbezüglich verdeutlicht, welche Änderung der x-Werte zu welcher Änderung der y-Werte führt.
2.2
Funktionales Denken
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Der Aspekt Funktion als Objekt – Die Sicht als Ganzes Betrachtet man eine Funktion als Ganzes, nimmt man nicht mehr nur einzelne Wertepaare oder Teilbereiche in den Blick, sondern man erweitert diesen auf die Menge aller Wertepaare (Vollrath, 2014, S. 120). Anders formuliert ermöglichen Funktionen es in ihrer jeweiligen Darstellung, den durch sie beschriebenen Vorgang als Ganzes zu betrachten (Leuders & Prediger, 2005, S. 3). Der Aspekt Funktion als Objekt umfasst somit, dass eine Funktion als Ganzes und damit als eigenständiges Objekt wahrgenommen werden kann. Die durch den funktionalen Zusammenhang „vorgenommene Zuordnung wird zum Objekt“ (Vollrath, 1989, S. 15). Wenn Höfer (2008) nun anmerkt, dass der „[Aspekt Funktion als Objekt] im Vergleich zu den Aspekten Zuordnung und Änderungsverhalten … schwer zu fassen [ist]“ (Höfer, 2008, S. 25), bedarf es konkreter Beispiele, um zu erklären, was unter dem Aspekt Funktion als Objekt zu verstehen und wo er zu finden ist.
Abbildung 2.3 Veranschaulichung der drei Aspekte funktionalen Denkens nach Vollrath (1989) an der Repräsentationsform Graph
Allgemein lässt sich feststellen, dass vielfach von einem manipulierbaren Objekt gesprochen wird (vgl. DeMarois & Tall, 1999, S. 285, Sfard, 1991, S. 31). Wird die Funktion als solches erkannt und entsprechend eine Aktion auf sie angewendet, liegt eine Wahrnehmung der Funktion als Objekt vor. Ähnlich gelagert sind die Ausführungen von Breidenbach, Dubinsky, Hawks & Nichols (1992), die formulieren, dass es zunächst möglich sein müsse, eine Funktion als Prozess zu erkennen. Wenn es dann gelinge, auf diesen Prozess eine Aktion anzuwenden, würde er “encapsulated to become an object” (Breidenbach et al., 1992, S. 250). Ausgehend von diesen Annahmen liegt es nahe, dass häufig die symbolische Form von Funktionen als besonders geeignet angesehen wird, den Aspekt Funktion als Objekt greifbar zu machen (Nitsch, 2015, S. 100). Begründet wird dies damit, dass man die symbolische Form wie ein Objekt behandeln kann, indem man Funktionen in dieser Gestalt z. B. addiert oder subtrahiert. Ein
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2 Theoretischer Hintergrund
solches Vorgehen verlangt nach einer Sicht auf Funktionen als Ganzes (Greefrath et al., 2016, S. 50), da es sich dabei um Operationen, im Sinne von Breidenbach et al. (1992) um Aktionen auf Funktionen handelt (Vollrath 2014, S. 120). Der Aspekt Funktion als Objekt rückt so besonders in die Oberstufe und in den Bereich der Analysis (vgl. Greefrath et al., 2016, S. 49). Es scheint allerdings zu eng gefasst, ihn nur dort zu vermuten. Betrachtet man die Beispiele, die Greffrath et al. (2016, S. 49) ausgerichtete auf den Unterricht der Analysis zur Verdeutlichung des Aspekts Funktion als Objekt anführen, findet sich zunächst, dass der Abkühlvorgang einer Tasse Tee mittels einer Exponentialfunktion modelliert werden kann. Aber kann man nicht auch berechtigter Weise von einem Verständnis des Aspekts Funktion als Objekt sprechen, wenn Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, zu erkennen, dass ein solcher, über die Zeit verlaufender Prozess graphisch darstellbar ist? Wenn sie einen Vorgang in seiner Gesamtheit in einem Graphen wiedererkennen oder zu einem vorgegebenen Graphen eine entsprechende Geschichte erfinden? Ein weiteres Kriterium, dass diesen Aspekt fassbar machen soll, besteht darin, dass man einer als Objekt wahrgenommenen Funktion Eigenschaften zuschreiben kann (Greefrath et al., 2016, S. 49). Beispielhaft sei die Existenz von Nullstellen oder Extrema genannt. Diese Eigenschaften lassen sich aber auch anhand von Graphen oder sogar Tabellen erkennen, eine Funktionsgleichung ist nicht erforderlich. Ebenso stellt es sich mit dem Wissen dar, dass lineare Funktionen eine Gerade als Graphen aufweisen (vgl. Abbildung 2.3). Dies zu erfassen sollte Schülerinnen und Schülern der Klasse 8 bereits ohne weiteres möglich sein. Der auf die Mathematik der Oberstufe eingeschränkte Blick scheint daher als Rahmen für den Aspekt Funktion als Objekt zu klein gewählt. Zu einem vergleichbaren Schluss kommt auch vom Hofe (2004). Er unterscheidet daher „zwei Aspekte des objektartigen Umgangs mit Funktionen“ und stellt einen manipulierenden Umgang einem reflektierenden gegenüber (vom Hofe, 2004, S. 53). Unter manipulierendem Umgang versteht er dabei, dass die als Objekt aufgefasste Funktion verändert, manipuliert werden kann; beispielsweise durch die Variation von Parametern, die sich auf die graphische Repräsentation auswirkt. Ebenso formuliert Müller (2014), dass durch Manipulation von Parametern die Objektvorstellung entsteht (Müller, 2014, S. 33). Auf der anderen Seite steht der reflektierende Umgang, der die Funktion, die als Ganzes vorliegt, wieder in ihre Einzelteile zerlegt, wenn „zwischen einer objektartigen Repräsentation der Funktion – also der Tabelle, der Gleichung oder dem Graphen – und dem funktionalen Zusammenhang, der dem jeweiligen Objekt zugrunde liegt“ (vom Hofe, 2004, S. 53) eine Beziehung hergestellt wird. Dies bedeutet, dass beispielsweise die Änderungsrate in einer Tabelle oder in einer situativen Beschreibung ermittelt und in einem Graphen identifiziert werden muss oder dass einzelne Wertepaare in unterschiedlichen Repräsentationsformen verortet werden müssen, um Beziehungen zwischen ihnen herstellen zu können. Es zeigt sich, dass aus dieser Perspektive neben der symbolischen auch die tabellarische und graphische Repräsentationsform den Aspekt Funktion als Objekt notwendig und damit sichtbar machen. Entsprechend als relevant für alle Darstellungsformen von Funktionen erfassen Hußmann & Laakmann (2011) den Aspekt Funktion als Objekt (S. 10, vgl. hierzu den Abschnitt Operationalisierung).
2.2
Funktionales Denken
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Es ist also möglich, hinsichtlich des Aspekts Funktion als Objekt alle Repräsentationsformen zu berücksichtigen. Dies macht in der Regel aber auch Repräsentationswechsel vonnöten. Gerade diese Repräsentationswechsel sind aus Sicht von Hußmann & Laakmann (2011) besonders geeignet, um das Objekt Funktion zu erkennen, da mit dem Repräsentationswechsel auch ein Perspektivwechsel einhergehe (Hußmann & Laakmann, 2011, S. 6-7). Nitsch (2015) gibt konkret an, um welche Repräsentationswechsel es sich ihrer Auffassung nach dabei handelt. Sie benennt den Wechsel zwischen situativer Beschreibung und graphischer Darstellung und den Wechsel zwischen symbolischer Form und situativer Beschreibung jeweils in beide Richtungen (Nitsch, 2015, S. 103). In der Darstellungsform situative Beschreibung und in der Tabelle allein sieht sie kein Potenzial für den Objektaspekt (Nitsch, 2015, S. 101). Da Vollrath (1989) aber formuliert, dass sich funktionales Denken darin offenbare, ob man das Ganze der Funktion in „unterschiedlichen Darstellungsformen“ erfassen könne (Vollrath, 1989, S. 16), scheint eine solche strikte Einschränkung nicht zielführend. Mit Blick auf diese Zusammenstellung, in Anlehnung daran, dass Vollrath keine Einschränkungen bezüglich seiner Definition hinsichtlich der Repräsentationsform oder der Jahrgangsstufen vornimmt, und bezugnehmend auf die Charakterisierung von vom Hofe (2004), schien es für diese Arbeit zielführend, den Aspekt Funktion als Objekt in folgender Weise zu fassen: Der Aspekt Funktion als Objekt zeigt sich zum einen darin, dass eine Funktion als Objekt behandelt, d. h. manipuliert und entsprechend mit Aktionen versehen wird. Zum anderen wird er deutlich, wenn eine Funktion in einzelne Bestandteile zerlegt wird, um Verbindungen zum zugrundeliegenden Zusammenhang zu identifizieren und zu untersuchen. Dabei wird keine Repräsentationsform ausgeschlossen. Grundvorstellungen Die auf Vollrath zurückgehenden Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt werden in der neueren Literatur als Grundvorstellungen bezeichnet (vgl. z. B. Greefrath et al., 2016, S. 46; vom Hofe & Blum, 2016, S. 248; Roth & Siller, 2016, S. 3). Unter Grundvorstellungen versteht man inhaltliche Vorstellungen bzw. Deutungen, die abstrakte Begriffe wie funktionales Denken veranschaulichen und ihnen Sinn geben (Greefrath et al., 2016, S. 17). Eine Verbindung zwischen Mathematik und Anwendungssituation wird durch sie möglich (Roth & Siller, 2016, S. 3; Siller & Roth, 2016, S. 5). Man unterscheidet primäre und sekundäre Grundvorstellungen. Primäre Grundvorstellungen basieren auf Handlungserfahrungen (Greefrath et al., 2016, S. 19), sekundäre Grundvorstellungen werden mittels mathematischer Darstellungsmittel repräsentiert und verbinden so „einen mathematischen Begriff mit bestehenden Vorstellungen und Darstellungen weiterer mathematischer Begriffe“ (Greefrath et al., 2016, S. 19). Sie müssen zunächst erworben und dann vertieft werden (Roth & Siller, S. 3). Des Weiteren wird differenziert in individuelle Grundvorstellungen und normative Grundvorstellungen. Die individuellen Grundvorstellungen sind solche, die Schülerinnen und Schüler eigenständig entwickeln. Es handelt sich um jene Vorstellungen, die Teil ihres concept image (Tall & Vinner, 1981, S. 152; vgl. hierzu den Abschnitt 2.2.3) sind. Normative Grundvorstellungen hingegen sind solche, die aus fachdidaktischer Perspektive (concept definition, Tall & Vinner,
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2 Theoretischer Hintergrund
1981, S. 152) als „tragfähige inhaltliche Basis“ (Roth & Siller, S.3) eines mathematischen Konzepts angesehen werden. Sie werden entsprechend auch als universelle Grundvorstellungen bezeichnet (Greefrath et al., 2016, S. 18). Die auf Vollrath (1989) zurückgehenden Aspekte sind folglich als normative Grundvorstellungen aufzufassen. Die Grundvorstellungen Zuordnung, Änderungsverhalten und Sicht als Ganzes (Roth & Siller, 2016, S. 4) frühzeitig durch inhaltliches Verständnis anzubahnen, das aus konkreten Situationen erwächst, gilt als entscheidend für das Ziel, ein Verständnis funktionaler Zusammenhänge und funktionales Denken zu generieren (Roth & Siller, 2016, S. 3). 2.2.3
Funktionales Denken entwickeln Concept Image und Concept Definition
Das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern entsteht nicht plötzlich. Es durchläuft einen Entwicklungsprozess. Aufgrund ihres Umgangs mit Funktionen und basierend auf den mathematischen aber auch alltäglichen Erfahrungen zu dieser Thematik entwickeln Schülerinnen und Schüler so mit der Zeit ein bestimmtes Konzept, eine bestimmte Vorstellung von dem mathematischen Begriff Funktion (Thompson, 1994, S. 22). Diese Vorstellung muss von den formal definierten mathematischen Konzepten unterschieden werden (Tall & Vinner, 1981, S. 151), wobei nicht vergessen werden darf, dass auch unseren formalen Definitionen eine „variety of personal mental images“ (Tall & Vinner, 1981, S. 151) vorausgeht. Zur Unterscheidung von formalen Konzepten und persönlichen Vorstellungen werden die Begrifflichkeiten concept image und concept definition verwendet (Tall & Vinner, 1981, S. 152; Thompson, 1994, S. 25ff). Concept image Das concept image umfasst alles, was Schülerinnen und Schüler mit dem Begriff Funktion verbinden. Damit sind jede Art mentaler Repräsentation und alle Eigenschaften gemeint, die Schülerinnen und Schüler mit dem Begriff Funktion verknüpfen, sowie alle Handlungen, die ihnen diesbezüglich bewusst sind und die sie entsprechend bereits mehrfach gesehen oder selbst ausgeführt haben (vgl. Tall & Vinner, 1981, S. 152). Bildlich gesprochen handelt es sich um alle die Dinge, die Schülerinnen und Schülern bei der Nennung des Begriffs Funktion in den Sinn kommen (Thompson, 1994, S. 25). Das concept image entwickelt sich im Laufe von Jahren und verändert sich immer dann, wenn die Schülerinnen und Schüler neue individuelle Erfahrungen mit dem Gegenstand, in diesem Fall der Funktion, machen (Tall & Vinner, 1981, S. 152). Es umfasst entsprechend auch alle Fehlvorstellungen, die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Zeit entwickelt haben. Die Zusammenstellung von allen diesen Aspekten, die Schülerinnen und Schüler mit dem Begriff Funktion verbinden, ist ihr persönliches concept image (Vinner & Dreyfus, 1989, S. 356).
2.2
Funktionales Denken
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Concept definition Die concept definition umfasst die allgemein akzeptierte Definition, die einen Begriff abgrenzt und erklärt (vgl. Tall & Vinner, 1981, S. 152; Thompson, 1994, S. 25). Hierbei wird der Begriff dahingehend differenziert, dass zwischen einer personal und einer formal concept definition unterschieden wird. Die formal concept definition ist diejenige Definition, die von der “mathematical community at large” (Tall & Vinner, 1981, S. 152) akzeptiert wird. Die personal concept definition hingegen ist diejenige, die Schülerinnen und Schüler als Definition tatsächlich verwenden (Tall & Vinner, 1981, S. 152). Diese muss nicht notgedrungen mit der allgemein gültigen Definition übereinstimmen. Studien zeigen, dass Lernende meist auf Basis ihres concept image mit dem Begriff der Funktion umgehen und dieses getrennt von der bestehenden formal concept definition betrachten (vgl. Thompson, 1994, S. 24ff). Ein Zusammenführen von image und definition in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler könnte Verständnis generieren, wenn sich in diesem Fall das concept image an die concept definition angleichen würde (Thompson, 1994, S. 25ff). Dabei ist es als echte Herausforderung didaktischer Natur anzusehen, weitere Begrifflichkeiten und Aspekte in ein bereits bestehendes Netz, das ein concept image für Funktionen formt, zu integrieren (vgl. Fest & Hoffkamp, 2013, S. 180-181). Es bleibt somit die Frage, wie ein „well-formed concept image of function“ (Thompson, 1994, S. 26) auszusehen hat und wie man es generieren kann. Concept und conception Der Begriff concept wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet. An anderer Stelle steht er dem Begriff der conception gegenüber. Sfard (1991) erklärt concept als einen Begriff, der immer dann zum Tragen kommt, wenn es sich um eine mathematische Idee in ihrer offiziellen Form handelt (Sfard, 1991, S. 3), wohingegen conception alle die Assoziationen umfasst, die vom concept hervorgerufen werden (Sfard, 1991, S. 3). In ihrer Darstellung steht concept damit für die offizielle Definition, zu der jeder eine ganz persönliche Vorstellung, eine conception, entwickelt. Die conception entspricht somit dem concept image in der Vorstellung nach Tall & Vinner (1981) und das concept der concept definition. Leinhardt, Zaslavsky & Stein (1990) verwenden den Begriff conception in gleicher Weise wie Sfard und sehen in der Entwicklung einer conception sogar das Ziel des Unterrichtens (Leinhardt et al., 1990, S. 6), wobei das Ziel entsprechend eine adäquate conception und damit ein adäquates concept image sein muss. Thompson (1994) verwendet den Begriff conception, um die verschiedenen Stadien, innerhalb derer Schülerinnen und Schüler mit Funktionen umgehen, zu unterteilen, und unterscheidet dabei action conception, process conception und object conception of function (Thompson, 1994, S. 26ff, ebenso Breidenbach et al., 1992; Dubinsky & Harel, 1992). Im Stadium der action conception verstehen Schülerinnen und Schüler eine Funktion als Aufforderung, einen Wert auszurechnen. Der Rezeptgedanke steht im Mittelpunkt. Haben die Schülerinnen und Schüler das Stadium der process conception erreicht, sind sie in der Lage, die Funktion als Repräsentation dessen zu sehen, was man als Ergebnis herausbekäme, wenn man rechnen würde. Diese Betrachtungsweise von Funktionen, die nicht leicht für Schülerinnen und Schüler
18
2 Theoretischer Hintergrund
zu erreichen ist, ermöglicht es, nicht nur einzelne Werte, sondern ein Kontinuum in den Blick zu nehmen (Thompson, 1994, S. 27). Diese Fähigkeit geht einer object conception voraus, die Thompson (1994) als „ability to reason about operations on sets of functions“ (S. 39) beschreibt. Alle drei conceptions erinnern somit stark an die Aspekte, die Vollrath (1989) als typisch für funktionales Denken benennt: Im Rahmen der action conception arbeitet man auf der Zuordnungsebene. Ein Wert, der eingesetzt wird, führt durch Berechnung zu einem anderen, der diesem dadurch zugeordnet ist. Es handelt sich um den Zuordnungsaspekt. Gleiches gilt für die process conception. Thompson (1994) spricht in diesem Kontext von „correspondence between two sets“ (S. 29), was zur Vorstellung des Aspekts des Änderungsverhaltens insofern passt, dass die Änderung einer abhängigen Variablen auf Basis der Änderung der Ausgangsvariablen im Mittelpunkt steht. Der Aspekt Funktion als Objekt und object conception entsprechen sich offensichtlich. Auch Sfard (1991) unterteilt den Umgang mit Funktionen in unterschiedliche conceptions, die sich ebenfalls gut an Vollraths Vorstellungen anbinden lassen. So spricht sie von structural and operational conception. Operational conception (Sfard, 1991, S. 4) umfasst dabei den Umgang mit Funktionen im Sinne von Prozessen. Structural conception bedeutet, die Funktion als Objekt in den Blick zu nehmen. Hierunter versteht Sfard einen höheren Level des Verständnisses. Sie beschreibt, dass diese Stufen unabdingbar aufeinander aufbauen bzw. zusammenhängen und wesentlich sind für ein angemessenes Mathematikverständnis (Sfard, 1991, S. 5). Des Weiteren weist sie darauf hin, dass es für Schülerinnen und Schüler ein Problem darstellt, Funktionen als eigenständige Objekte zu betrachten, nachdem sie eben diese in der Regel zuvor nur als Kochrezepte angesehen und als solche benutzt haben (Sfard, 1991, S. 5). Sfard geht auf diesen Verständnisvorgang ein, indem sie drei Stufen beschreibt, die man zu durchlaufen hat, wenn man auf dem Weg ist, ein mathematisches Konstrukt, insbesondere das der Funktion, zu verstehen. Die erste Stufe des Verstehens benennt sie als interiorization. Hierunter fasst sie das Verstehen des Begriffs Variable und das Anwenden der Formel, die durch die Funktion geliefert wird, um eine neue, abhängige Variabel zu erzeugen (Sfard, 1991, S. 19). Diese Vorstellung erinnert erneut stark an den Zuordnungsaspekt nach Vollrath. Die zweite Stufe ist die condensation (Sfard, 1991, S. 19). Im Rahmen der condensation wird eine Funktion immer mehr als Ganzes betrachtet, man kann sie zeichnen, kombinieren und hat nicht mehr nur Einzelwerte im Blick. Diese Stufe lässt sich als Vorstufe zum Objektaspekt auffassen. Die dritte Stufe wird als reification bezeichnet. Befindet man sich in seinem Verständnis auf diesem Level, wird das bisher erworbene Wissen und Verständnis angewendet, um ein noch höheres Level zu erreichen. Im Kontext Funktion bestünde reification z. B. darin, Funktionen im Rahmen von Differentialgleichungen als Unbekannte und damit als eigenständige Objekte zu betrachten (Sfard, 1991, S. 20). 2.2.4
Funktionales Denken - Ansätze zusammenbringen
Funktionales Denken mittels eines praxisorientierten und eines Aspekt-orientiert normativen Ansatzes zu charakterisieren, lässt ich schwer trennen, da sich der praxisorientierte Umgang
2.2
Funktionales Denken
19
mit Funktionen auf die drei von Vollrath (1989) benannten Aspekte zum funktionalen Denken zurückführen lässt. Die Arbeit mit Variablen, sei es beim Erkennen von Abhängigkeiten, bei der Interpretation einzelner Wertepaare oder bei der Verknüpfung verschiedener Repräsentationsformen mittels solcher, beinhaltet bzw. gründet sich auf den von Vollrath beschriebenen Zuordnungsaspekt. Betrachtet man den Aspekt des Änderungsverhaltens, zeigt sich dieser z. B., sobald eine Steigung interpretiert oder eine Änderungsrate bestimmt wird oder wenn ein Vergleich von verbal beschriebenen Situationen z. B. hinsichtlich der Geschwindigkeit, mit der sich ein Zustand ändert, angestellt werden soll. Der Aspekt Funktion als Objekt spielt immer dann eine Rolle, wenn z. B. ein Repräsentationswechsel vorgenommen werden muss, der Situationen in ihrer Gesamtheit zugrunde legt. Auch die vorgestellten Konzepte concept definition und concept image zur Entwicklung des funktionalen Denkens, die überleiten zur Definition von action, process und object conception sowie zur Darstellung von interiorization, condensation und reification, lassen sich, wie beschrieben, auf die Aspekte nach Vollrath beziehen. Man kann daher zusammenfassend feststellen, dass die vorgestellte Vielzahl an Möglichkeiten, den Umgang von Schülerinnen und Schülern mit Funktionen und damit ihr funktionales Denken greifbar zu machen, in jedem Fall auf die Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt nach Vollrath (1989) zurückgeführt oder doch zumindest eng damit in Verbindung gebracht werden kann. Dieser normative Ansatz der Charakterisierung funktionalen Denkens stellte daher die Grundlage dieser Arbeit dar. Des Weiteren wurden die Repräsentationsformen und die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler, mit diesen umzugehen und zwischen ihnen hin und her zu wechseln, als wesentlich erfasst. Da es sich hierbei um beobachtbare Kriterien für das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern handelt und eines der Ziele dieser Arbeit die Messung funktionalen Denkens war, wurde auch diese Beschreibung des funktionalen Denkens der Arbeit zugrunde gelegt. Um diese Beschreibungen funktionalen Denkens inhaltlich zusammenbringen zu können, musste im Folgenden erfasst werden, an welchen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Repräsentationsformen sich ein Verständnis der drei Aspekte nach Vollrath festmachen lässt, da so beobachtbare, praxisnahe Charakteristika funktionalen Denkens mit dessen normativer Beschreibung vernetzt werden konnten (vgl. hierzu besonders den Abschnitt Operationalisierung). Die nächsten Abschnitte behandeln entsprechend die Bedeutung der unterschiedlichen Repräsentationsformen funktionaler Zusammenhänge sowie häufig auftretende Fehlvorstellungen.
20
2.2.5
2 Theoretischer Hintergrund
Die Bedeutung von Repräsentationsformen „Das Denken in Funktionen zeigt sich vor allem in der Fähigkeit, flexibel zwischen verschiedenen Darstellungsformen einer Funktion wechseln zu können.“ (Barzel et al., 2005, S. 20)
Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Repräsentationsformen wechseln zu können, lässt sich, wie bereits geschildert, nutzen, um funktionales Denken bzw. ein Verständnis des Funktionsbegriffs zu charakterisieren (vgl. Hußmann und Laakmann, 2011, S. 3). Des Weiteren handelt es sich hierbei um ein Kriterium, das es ermöglicht, konkrete Aussagen darüber treffen zu können, ob und wie gut Schülerinnen und Schüler in der Lage sind im mathematischen Sinne funktional zu denken. Denn die Fähigkeit des Repräsentationswechsels lässt sich beobachten. Entsprechend wird dieser Wechsel auch zu den „Big Ideas“ 5 gezählt (Siller, 2011, S. 511). Betrachtet man die unterschiedlichen Repräsentationsformen im Einzelnen, handelt es sich um die verbale, graphische, tabellarische bzw. numerische und symbolische bzw. algebraische Darstellung eines funktionalen Zusammenhangs (vgl. z.B. Büchter & Henn, 2010; Duval, 1999). Ein konkretes Beispiel liefert Tabelle 2.1 in Anlehnung an Büchter & Henn (2010, S. 35). Unterschiedliche Darstellungsformen haben dabei ihre eigenen Vor- und Nachteile, die in Abhängigkeit von der Art der gegebenen Daten zum Tragen kommen (Büchter & Henn, 2010, S. 35ff). Es lässt sich bereits erahnen, dass der Darstellungswechsel bzw. die Verwendung der geeignetsten Darstellung den Schülerinnen und Schülern Schwierigkeiten bereiten kann. Eine allgemeinere Unterscheidung von Darstellungsformen liegt vor, wenn differenziert wird, ob eine solche „sprachlich (geschrieben oder gesprochen, in Formel- oder natürlicher Sprache), bildlich oder auch handelnd [ist]“ (Dreher, 2013, S. 216). Im Rahmen dieser Arbeit wird immer auf die in Tabelle 2.1 dargestellte Unterteilung Bezug genommen. Außerdem werden die Bezeichnungen tabellarisch und symbolisch anstelle von numerisch und algebraisch verwendet. Je nach gefordertem Darstellungswechsel und abhängig von der Art des betrachteten Zusammenhangs sind unterschiedliche Schritte vonnöten, um einen solchen Darstellungswechsel vornehmen zu können. Tabelle 2.2 fasst beispielhaft die Aktionen für einen Repräsentationswechsel im Bereich linearer Zusammenhänge zusammen. Die Tabelle verdeutlicht am Beispiel linearer Funktionen, welche Repräsentationsformen zu unterscheiden sind und welche Fähigkeit notwendig ist, um die wiederholt geforderte Umsetzung der einzelnen Repräsentationsformen ineinander (Barzel et al., 2005, S. 21; Hußmann & Laakmann, 2011, S. 3; Siller, 2011, S. 511) leisten zu können.
5
„Unter dem Begriff „Big Ideas“ im Projekt ABCmaths werden Ideen bzw. Vorstellungen verstanden, welche sich durch die gesamte Schulmathematik ziehen und die Möglichkeit bieten, Lerngelegenheiten curricular und sinngenerierend zu strukturieren, sowie dazu beitragen, das Verstehen und das Kommunizieren dieses Wissens in einem allgemeineren Zusammenhang zu fördern.“ (Siller, 2011, S. 511)
2.2
Funktionales Denken
21
Tabelle 2.1 Repräsentationsformen von Funktionen (in Anlehnung an Büchter & Henn, 2010, S. 36)
Repräsentationsform Verbal
Beispiel Verbale Situationsbeschreibung (ggf. auch Bilder etc.) „Gouda kostet heute 0.79 € je 100 g. Möchten Sie ihren Käse aufgeschnitten bekommen, berechnen wir dafür einmalig 0.20 €“
Tabellarisch/ Numerisch
Gewicht
100 g
200 g
500 g
1000 g
Preis
0.99 €
1.78 €
4.15 €
8.10 €
Graphisch
Symbolisch/Algebraisch
f(x) = 0.0079x + 0.02, x in Gramm
Die Fähigkeiten, die Schülerinnen und Schüler dabei aufbringen müssen, erstrecken sich vom mathematischen Terme Umformen bis hin zum kontextgebundenen Interpretieren und lassen sich auf die Aspekte nach Vollrath zurückführen. So setzt die Umsetzung graphisch verbal voraus, dass die Schülerinnen und Schüler einen Zusammenhang in seiner Gänze erfassen, was an das Verständnis des Aspekts Funktion als Objekt erinnert, aber auch den Aspekt des Änderungsverhaltens beinhaltet, sobald die Steigung bzw. das Änderungsverhalten relevant wird. Der Wechsel tabellarisch graphisch/verbal beinhaltet das Verständnis des Zuordnungsaspekts, da der Zusammenhang zwischen zwei Werten erfasst und dann graphisch oder interpretativ umgesetzt werden muss. Das Änderungsverhalten tritt erneut auf, wenn mittels Differenzengleichheit neue Tabellenzeilen erzeugt werden sollen (tabellarisch tabellarisch). Die Fähigkeiten, die von den Schülerinnen und Schülern beim Repräsentationswechsel verlangt werden, sind damit offenkundig sehr vielschichtig und bergen dementsprechend eine Vielzahl an Schwierigkeiten (vgl. Dreher, 2013, S. 216; Nitsch 2015, S. 112ff). Daher wird der Repräsentationswechsel auch als „Verständnishürde“ bezeichnet (Dreher, 2013, S. 216). Es wird deutlich, dass für das Denken in Funktionen und einen adäquaten Wechsel zwischen Repräsentationsformen die Entwicklung tragfähiger Grundvorstellungen notwendig ist (Hußmann & Laakmann, 2011, S. 2).
22
2 Theoretischer Hintergrund
Tabelle 2.2 Arbeitsschritte beim Wechsel zwischen Repräsentationsformen am Beispiel linearer Funktionen, aus Hußmann & Laakmann, 2011, S. 7. Ähnliche Darstellungen finden sich auch bei Barzel & Ganter, 2010, S. 16; Leuders & Prediger, 2005, S. 6.
Wechsel von/nach
verbal
symbolisch
Anhand von Punkten Werte finden und/oder der Steigung einen Graphen skizzieren
Steigung und y-Achsenabschnitt entnehmen oder algebraisch berechnen
Interpretieren
Verschieben Drehen
y-Achsenabschnitt und Steigung oder zwei Punkteablesen, dann einen Funktionsterm aufstellen
Zahlenwerte hinsichtlich charakteristischer Eigenschaften interpretieren
Zwei Punkte einzeichnen und eine Gerade hindurchlegen
Bedeutung der Steigung m und des y-Achsenabschnitts interpretieren
Kenngrößen als y- Wertepaare syste- Terme umformen Achsenabschnitt und matisch berechSteigung einzeich- nen nen, dann die Gerade zeichnen
grafisch
symbolisch
tabellarisch
Umformulieren verbal
tabellarisch
graphisch
oder Punkte systematisch ablesen und in eine Tabelle eintragen Weitere Tabellenzeilen erzeugen (mithilfe von Differenzenoder Quotientengleichheit)
Aus Punkten die Steigung m ermitteln oder an Einerschritten ablesen y-Achsenabschnitt ermitteln oder anhand des Funktionswertes zu x = 0 ablesen
Anmerkung. Kursiv gedruckt sind die für diese Arbeit relevanten Wechsel. Der Wechsel zur symbolischen Form wird ausgespart, da wir uns in Jahrgangsstufe 6 befinden.
Mittels einer globalen Landkarte zum Thema Funktionen fasst Schmitt (2003, S. 22) zusammen, welche Grundvorstellungen dafür zentral sind. Abbildung 2.4 adaptiert diese Landkarte. Die Schülerinnen und Schüler müssen demnach, bevor sie Repräsentationswechsel durchführen können, die Aspekte Zuordnung und Änderungsverhalten, die Schmitt in Anlehnung an Vollrath (1989) mittels vertikaler und horizontaler Sichtweise in einer Tabelle beschreibt, sowie die Abhängigkeit zwischen Größen, die grundlegend für funktionale Zusammenhänge ist, als Grundvorstellungen durchdrungen haben (vgl. hierzu vom Hofe, 2016, S. 248). Daneben stehen grundlegende Verfahren, wie Daten erheben, darstellen und interpretieren, die mit der Entwick-
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Funktionales Denken
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lung der notwendigen Grundvorstellungen einhergehen sollten. Erst durch die Verbindung dieser beiden Bereiche wird es möglich, entsprechende Repräsentationswechsel durchzuführen, beispielsweise die Deutung einer Füllkurve hinsichtlich des verwendeten Gefäßes. Grundvorstellungen entwickeln Zuordnungsaspekt (horizontal) Abhängigkeit Änderungsverhalten (vertikal)
Grundlegende Verfahren Daten erheben Daten darstellen Daten interpretieren Abbildung 2.4 Zentrale Grundvorstellungen und Verfahren zum Thema Funktionen (in Anlehnung an Schmitt, didaktische Landkarte der Mathematik, 2003, S. 22)
Neben der offensichtlichen Fülle an Fähigkeiten, Grundvorstellungen und Verfahren, die für Repräsentationswechsel benötigt werden, stellt es sich zudem als problematisch dar, dass für Schülerinnen und Schüler verschiedene Repräsentationsformen recht unverbunden nebeneinander existieren, eine Lehrperson aber oft „ohne Vorwarnung zwischen ihnen wechselt“ (Dreher, 2013, S. 218). Dabei sollte den Schülerinnen und Schülern eigentlich die Möglichkeit gegeben werden, alle Darstellungsweisen zu erkunden und sich damit vertraut zu machen (Hußmann & Laakmann, 2011, S. 7), um die Verbindungen, die zwischen ihnen bestehen, erfassen zu können. Nur so ist es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass verschiedene Repräsentationsformen unterschiedliche Merkmale ein und derselben Situation betonen (Barzel et al., 2005, S. 21). Unterschiedliche Situationen, die unterschiedliche Darstellungen fordern, sind damit notwendig und müssen Teil des Unterrichts sein (Dreher, 2013, S. 218). Ein Reduzieren der Darstellungsformen ist nicht wünschenswert. Verschiedene Repräsentationsformen zwingen Schülerinnen und Schüler geradezu, unterschiedliche Blickwinkel auf Funktionen einzunehmen (Doorman, Drijvers, Gravemeijer & Boon, 2012, S. 1246). Unterschiedliche Blickwinkel wiederum führen zu einem tieferen Verständnis, was das Ziel eines jeden Mathematikunterrichts sein sollte. Es scheint also mit Blick auf die Bedeutung der unterschiedlichen Repräsentationsformen für das funktionale Denken unausweichlich, Möglichkeiten zu schaffen, in denen Schülerinnen und Schüler sich mit diesen auseinandersetzen und Erfahrungen machen können, die ihnen helfen, die einzelnen Darstellungen miteinander zu verknüpfen, um so ihr funktionales Verständnis voranzutreiben.
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2.2.6
2 Theoretischer Hintergrund
Fehlvorstellungen
So, wie unterschiedliche Vorstellungen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern aufeinandertreffen und zu großen Problemen im Lehr-Lernprozess führen können (Skemp, 1976, S. 23), lassen sich auch eingeschränkt auf den Verständnisprozess der Schülerinnen und Schüler Fehlvorstellungen ausfindig machen, die verdeutlichen, wie steinig der Weg zu einem Verständnis funktionaler Zusammenhänge sein kann. Unter Fehlvorstellungen versteht man zunächst Schülervorstellungen, die Teil des concept image der Schülerinnen und Schüler sind. Werden diese nun mit dem allgemein anerkannten concept definition kontrastiert, können sich echte Widersprüche ergeben, sodass die Schülervorstellungen als Fehlvorstellungen wahrgenommen werden. Diese Fehlvorstellungen entwickeln sich bewusst und unbewusst im Unterricht und im Alltag (Leinhardt et al., 1990, S. 5). Die Fragen, die es zu klären gilt, sind, wie diese Fehlvorstellungen hinsichtlich funktionaler Zusammenhänge aussehen und was ihre Entwicklung im Unterricht wie auch im Alltag auslöst. Da dieser Arbeit eine Fokussierung auf die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern am Ende der Jahrgangsstufe 6 zugrunde liegt, wird die symbolische Repräsentationsform im Folgenden nicht thematisiert. Denn Schülerinnen und Schüler werden in Anlehnung an den Lehrplan (Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jungend und Kultur Rheinland-Pfalz (MBWJK), 2007, S. 55) erst gegen Ende der Jahrgangsstufe 7 bzw. zu Beginn von Jahrgangsstufe 8 mit der symbolischen Form funktionaler Zusammenhänge konfrontiert. Eine Einführung in die symbolische Darstellungsform ginge weit über das mit diesem Projekt verfolgte Ziel hinaus. Die wohl am häufigsten auftretenden Fehlvorstellungen, die sich im Umgang mit funktionalen Zusammenhängen im Rahmen graphischer Repräsentationsformen ergeben, sind interval/point confusion, slope/height confusion und iconic interpretations (vgl. Leinhardt et al., 1990, S. 5-6). Bei iconic interpretations handelt es sich um den Graph-als-Bild-Fehler (Janvier, 1978, S. 23ff; Ostermann et al., 2015, S.55). Dieser gilt als „eine der bekanntesten und weit verbreitetsten Fehlvorstellungen im Bereich der graphischen Interpretation“ (Nitsch, 2015, S. 143). Er tritt auf, „wenn einerseits nicht hinreichend zwischen Situation und grafischer Darstellung differenziert wird und andererseits keine Situation-zu-Bild-Übersetzung gelingt“ (Hußmann & Laakmann, 2011, S. 4). Er lässt sich auf alltägliche Einflüsse zurückführen. Beispielsweise könnte die Art, wie Schülerinnen und Schüler Bilder „lesen“, das heißt, wie sie diese wahrnehmen, deuten und interpretieren, dafür maßgeblich mit verantwortlich sein (Leinhardt et al., 1990, S. 5). Schülerinnen und Schüler sehen den Graphen in einem solchen Fall als Abbild der Situation und nicht als eine Darstellung bestehender Abhängigkeiten (Ostermann et al., 2015, S. 55). Des Weiteren verdeutlicht der Graph-als-Bild-Fehler besonders eindrücklich, dass die drei grundlegenden Aspekte, mit denen Vollrath funktionales Denken beschreibt, den Schülerinnen und Schülern erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Wären ihnen Zuordnungsaspekt, Änderungsverhalten und Objektaspekt vertraut und verständlich, könnte diese massive Fehlinterpretation eines Graphen nicht auftreten. Denn wenn Schülerinnen und Schüler ein Verständnis für die Eindeutigkeit einer Zuordnung entwickelt hätten, wenn ihnen die Abhängigkeit von
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Funktionales Denken
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Größen, die dadurch bedingte Änderung und ein entsprechendes Erfassen der Gesamtsituation verständlich wären, würden sie auf Widersprüche aufmerksam werden, sollten sie einen Graphen bildlich interpretieren oder einen funktionalen Zusammenhang als Bild wiedergeben wollen. Die interval/point confusion bezeichnet den Hang der Schülerinnen und Schüler, einzelne Punkte eines Graphen anstelle von Intervallen in den Blick zu nehmen (Leinhardt et al., 1990, S. 37). Bezieht man an dieser Stelle die Aspekte funktionalen Denkens nach Vollrath mit ein, müsste man vermuten, dass es Schülerinnen und Schülern deutlich leichter fällt, mit dem Zuordnungsaspekt umzugehen, als mit dem Änderungsverhalten oder dem Aspekt Funktion als Objekt, deren Betrachtung im Mittelpunkt stünde, wenn nicht einzelne Punkte fokussiert würden. 6 Den Fokus fälschlicher Weise auf Funktionswerte statt auf die Veränderung zu legen ist der Fehler, der im Rahmen der slope/height confusion (McDermott, Rosenquist & Lee, 1987, S. 504) auftritt. Die Schülerinnen und Schüler vermischen in diesem Fall die Steigung eines Graphen an einer Stelle mit dem Funktionswert an dieser Stelle. Es gelingt ihnen nicht, „die Änderungsgrate vom aktuellen Bestand einer Größe zu unterscheiden“ (Roth, 2005, S. 107). Es scheint eine Vermischung von Zuordnungsaspekt und Änderungsverhalten vorzuliegen. Mit Blick auf graphische Darstellungen zeigen Schülerinnen und Schüler des Weiteren eine Vorliebe für linearen Graphen (illusion of linearity, vgl. De Bock, Van Dooren, Janssens & Verschaffel, 2007). Außerdem scheinen geglättete Kurven ihren Erwartungen zu entsprechen und die jeweilige Situation für sie zu vereinfachen (Ostermann et al., 2015, S. 55). Es deutet sich darin der Wunsch der Schülerinnen und Schüler an, dass Graphen stetig verlaufen (Tall & Bakar, 1991, S. 108) und in Folge dessen werden Graphen, die begrenzt sind oder Sprungstellen besitzen, nicht als zu einer Funktion gehörig aufgefasst (Tall & Bakar, 1991, S. 106). Es scheint sich dabei um eine graphische Darstellung zu handeln, die Schülerinnen und Schüler so nicht erwarten, wenn sie auf ihr concept image zurückgreifen. Dass Schülerinnen und Schüler konstante Funktionen in ihrer Darstellung nicht als Funktionen wahrnehmen (Tall & Bakar, 1991, S. 109), lässt sich gegebenenfalls ebenso erklären. Mit Gewohnheit und einem daraus resultierenden concept image lässt sich eventuell auch begründen, dass Schülerinnen und Schüler Graphen öfter als angebracht durch den Ursprung verlaufend zeichnen (Ostermann et al., 2015, S. 55) und Skalen als im Ursprung startend interpretieren. Neben diesen sich auf die graphische Repräsentationsform beziehenden Fehlvorstellungen lassen sich noch weitere benennen, die nicht an diese Darstellungsform gebunden sind. So vermeiden Schülerinnen und Schüler es beispielsweise, mit negativen Werten aus dem Definitionsbereich zu arbeiten (Ostermann et al., 2015, S. 55) und der Aspekt der Zuordnung birgt die Problematik, dass sie die Forderung nach der Eindeutigkeit einer Funktion nicht fassen können
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Es sei an dieser Stelle auf die Ergebnisse der qualitativen Analyse von Studie II (vgl. Kapitel 7 und 8) verwiesen, die hierzu Erkenntnisse lieferte.
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2 Theoretischer Hintergrund
(Barzel, 2000, S. 39), die Verwechslung von Achsen oder Spalten einer Tabelle fügt sich daran entsprechend an. Für diese Vielzahl an Fehlvorstellungen lassen sich übergeordnet zwei Begründungsansätze nennen, auf die im Folgenden eingegangen wird. Eine Erklärung des Auftretens einer jeden Fehlvorstellung scheint nur sinnvoll unter Bezugnahme auf konkrete Aufgaben und Situationen. Eine Fehlvorstellung kann zum einen durch Übergeneralisierung eines anderen, richtigen Konzepts entstehen (Leinhardt et al. 1990, S. 5). Dieses Konzept kann bereits im Unterricht erworben worden sein oder aber auf Erfahrungen aus dem Alltag fußen. Diese Erfahrungen und ihr Einfluss stellen den zweiten wesentlichen Auslöser für Fehlvorstellungen dar (Leinhardt et al., 1990, S. 5; Lengnink, 2005, S. 14). Und gerade für Fehlvorstellungen im Bereich des funktionalen Verständnisses scheinen Alltagserfahrungen von besonderer Relevanz zu sein. Denn funktionale Zusammenhänge finden sich in vielerlei Gestalt im Alltag der Schülerinnen und Schüler wieder und auch die Darstellungsarten von Funktionen sind in einer Vielzahl von Kontexten allgegenwärtig. Dies kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie einen Darstellungswechsel ausgehend von einer Situationsbeschreibung vornehmen sollen. Denn die notwendige Umsetzung der realen und damit nicht innermathematischen Situation in eine solche erfordert einen zusätzlichen Abstraktionsschritt (Vogel, 2006, S. 5). Es fällt den Schülerinnen und Schülern dabei schwer, den Bezug zwischen realer Situation und mathematischer Darstellung in einer Funktion zu sehen (Barzel, 2000, S. 39). Dass das Wissen aus dem Alltag mit mathematischen Vorstellungen kollidieren kann, wird dabei verschieden begründet. Zunächst besteht die Problematik darin, dass im Alltag Veränderung oft mit „Vorhersagbarkeit“ verbunden wird (Lengnink, 2005, S. 14). Da besonders Veränderung ein Aspekt von großer Bedeutung für die Thematik funktionaler Zusammenhänge ist, stellt es sich als wenig verwunderlich dar, dass sich gerade dieser Aspekt als verstärkt problematisch erweist, zu dem bei Lernenden reichhaltige Erfahrungen aus dem Alltag vorliegen (Lengnink, 2005, S. 14). Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass diese von den Schülerinnen und Schülern alltäglich erlebten Veränderungen und damit Abhängigkeiten oft kausal begründet sind (Lengnink, 2005, S. 17). Beispielsweise besteht ein funktionaler Zusammenhang zwischen Lebensalter und Körpergröße. Das Lebensalter liefert aber, schaut man sich verschiedene ausgewachsene Personen an, keinen Grund für deren Größe. Die damit zwischen Alltagswissen und mathematischer Vorstellung auftretende Diskrepanz sollte unbedingt in den Blick genommen werden. Dabei muss darauf geachtete werden, dass zur Lösung der aufgrund dieser Begebenheiten auftretenden Verständnisschwierigkeiten „lebensweltliche Vorstellungen der Lernenden nicht abgeschnitten werden“ (Lengnink, 2005, S. 18). Eine konkrete Auseinandersetzung mit der Problematik scheint stattdessen angezeigt. Zusammenfassend findet sich damit eine Vielzahl an Fehlvorstellungen, die Schülerinnen und Schüler daran hindern, adäquat mit Funktionen umzugehen bzw. sogar umgehen zu lernen. Diese Fehlvorstellungen sind in der Regel Teil des concept image, das die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Zeit zum Thema Funktionen und funktionalen Zusammenhängen bewusst oder auch unbewusst entwickelt haben und das maßgeblich und in Teilen auch negativ
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Funktionales Denken
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durch ihre Alltagserfahrungen beeinflusst wird. Denn diese Alltagserfahrungen liefern neben funktionalen auch damit eventuell nicht vereinbare, kausale Zusammenhänge. 2.2.7
Funktionales Denken im schulischen Kontext „Ich will nicht, dass Schüler angewandte Mathematik lernen, sondern lernen, wie man Mathematik anwendet.“ (Freudenthal, 1974, zitiert nach Engel & Sproesser, 2013, S. 149)
Die Bedeutung funktionaler Zusammenhänge für den Mathematikunterricht ist unbestritten, die Schwierigkeiten der Schülerinnen und Schüler mit der Thematik sind offenkundig, die Ideen zur und die Kritik an der Umsetzung des Themas im Unterricht vielseitig. Es seien an dieser Stelle nur einige genannt. Höfer (2008) rät dazu, dass „Funktionenlehre in der Schule (…) das Verständnis für den Funktionsbegriff und das funktionale Denken fördern [muss].“ (S. 29-32). Vinner und Dreyfus (1989) gehen davon aus, dass die gängigen Definitionen und damit die formalen Darstellungsweisen die Schülerinnen und Schüler in ihrer Vorstellung einschränkten und es ihnen deshalb schwerfalle, Funktionen als solche zu erkennen (S. 365). Vom Hofe (2003) äußert sich entsprechend, wenn er formuliert, dass „formale Verfahren … sinnvollerweise erst dann eingeführt [werden], wenn die … erforderliche Verständnisgrundlage gelegt wurde und … es der konkrete Umgang mit der Mathematik erfordert“ (Vom Hofe, 2003, S. 8). Weiter führt er aus, dass diese Verständnisgrundlage nicht mittels Formalismen gelegt werden könne. Es scheint damit Einigkeit in Bezug auf die Notwendigkeit zu herrschen, den Schülerinnen und Schülern ein grundlegendes Verständnis für funktionale Zusammenhänge mitzugeben. Im Folgenden soll daher ein Eindruck vermittelt werden, wie diese Forderung in die Lehrpläne und Bildungsstandards aktuell Eingang findet. Funktionale Zusammenhänge zählen seit den von der Kultusministerkonferenz (KMK) herausgegebenen Bildungsstandards aus dem Jahre 2003 zu den fünf mathematischen Leitideen, wobei eine „Leitidee … Inhalte verschiedener mathematischer Sachgebiete [vereinigt] und … ein mathematisches Curriculum spiralförmig [durchzieht].“ (KMK, 2004, S. 11). Die KMK stellt die folgenden Punkte unter dieser Leitidee L4 Funktionale Zusammenhänge zusammen (KMK, 2004, S.11-12): (L4) Leitidee Funktionaler Zusammenhang Die Schülerinnen und Schüler
nutzen Funktionen als Mittel zur Beschreibung quantitativer Zusammenhänge, erkennen und beschreiben funktionale Zusammenhänge und stellen diese in sprachlicher, tabellarischer oder graphischer Form sowie gegebenenfalls als Term dar,
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2 Theoretischer Hintergrund
analysieren, interpretieren und vergleichen unterschiedliche Darstellungen funktionaler Zusammenhänge (wie lineare, proportionale und antiproportionale), lösen realitätsnahe Probleme im Zusammenhang mit linearen, proportionalen und antiproportionalen Zuordnungen, interpretieren lineare Gleichungssysteme graphisch, lösen Gleichungen, und lineare Gleichungssysteme kalkülmäßig bzw. algorithmisch, auch unter Einsatz geeigneter Software, und vergleichen ggf. die Effektivität ihres Vorgehens mit anderen Lösungsverfahren (wie mit inhaltlichem Lösen oder Lösen durch systematisches Probieren), untersuchen Fragen der Lösbarkeit und Lösungsvielfalt von linearen und quadratischen Gleichungen sowie linearen Gleichungssystemen und formulieren diesbezüglich Aussagen, bestimmen kennzeichnende Merkmale von Funktionen und stellen Beziehungen zwischen Funktionsterm und Graph her, wenden insbesondere lineare und quadratische Funktionen sowie Exponentialfunktionen bei der Beschreibung und Bearbeitung von Problemen an, verwenden die Sinusfunktion zur Beschreibung von periodischen Vorgängen, beschreiben Veränderungen von Größen mittels Funktionen, auch unter Verwendung eines Tabellenkalkulationsprogramms, geben zu vorgegebenen Funktionen Sachsituationen an, die mit Hilfe dieser Funktion beschrieben werden können.
Es handelt sich um eine Vielzahl von Aspekten, die den Schülerinnen und Schülern in angemessener Form im Laufe des Mathematikunterrichts der Mittelstufe vermittelt werden sollten und die auf das funktionale Denken abzielen, wie Vollrath (1989) es beschreibt. Dass das von so vielen geforderte grundlegende Verständnis funktionaler Zusammenhänge implizit mitschwingt, ist zu hoffen, da es explizit aus keiner Formulierung ableitbar ist. Die Vielzahl an Aspekten, die hier formuliert werden, um die Leitidee funktionale Zusammenhänge möglichst umfassend greifbar zu machen, muss allerdings auch kritisch betrachtet werden, da diese Fülle an Aspekten und Repräsentationsformen eine Überforderung darstellen könnte (Fest & Hoffkamp, 2013, S. 177). Um dieser Leitidee gerecht werden zu können, muss entsprechend daran gearbeitet werden, die wesentlichen Aspekte und Repräsentationen in den Unterricht zu integrieren, bevor die Schülerinnen und Schüler mit dieser Vielfalt konfrontiert werden (Fest & Hoffkamp, 2013, S. 177). Diese Forderung leitet zur entscheidenden Frage über, „wie diese Kompetenzen im Unterricht erworben werden können“ (Weigand, 2004, S. 3). Betrachtet man, um eine Antwort zu finden, den Lehrplan für Gymnasien des Landes Rheinland-Pfalz, der sich auf die Leitideen der zugrundeliegenden Bildungsstandards bezieht (MBWJK, 2007, S. 5), stellt man fest, dass Leitidee L4 Funktionaler Zusammenhang sich in
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Funktionales Denken
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sämtlichen Jahrgangsstufen wiederfindet, was ihrer in den Bildungsstandards vermittelten Stellung gerecht zu werden scheint. Nimmt man die Vorgaben für die einzelnen Klassenstufen in den Blick, fällt auf, dass diese Thematik in sämtliche aufgeführte Teilbereiche der Mathematik hineinreicht. Beginnen wir mit der Orientierungsstufe. Die Leitidee funktionaler Zusammenhang wird nicht explizit behandelt. In sämtlichen anderen Leitideen wird stattdessen auf sie verwiesen und eine mögliche Verknüpfung nahegelegt. Bereits im Themengebiet Natürliche Zahlen wird der funktionale Zusammenhang in der Analyse und dem Fortsetzen von Zahlenfolgen gesehen. Auch das Lösen einfacher Gleichungen mittels Ausprobieren oder Umkehrung der Rechenoperationen wird als Anknüpfungspunkt genannt (MBWJK, 2007, S. 18). Dies schließt inhaltlich an die Berechnung von einfachen Flächen und Umfängen an, die durch Veränderung von Maßen ein gutes Beispiel für einen funktionalen Zusammenhang darstellen. Auch die Berechnung von Anteilen, Ganzen und Bruchteilen bietet die Möglichkeit, funktionale Zusammenhänge aufzugreifen. Die beginnende Arbeit mit Koordinatensystemen bringt erste Einblicke in den Zusammenhang zweier Variablen, die einander zugeordnet werden (MBWJK, 2007, S. 319). Auch wenn im Rahmen der Entnahme und Interpretation von Informationen aus Datendarstellungen Manipulationsmöglichkeiten aufgezeigt werden, wird die Thematik funktionale Zusammenhänge wieder relevant (MBWJK, 2007, S. 34, es findet sich an dieser Stelle eine Auflistung aller Themengebiete der Orientierungsstufe, die funktionalen Zusammenhang thematisierbar machen). Für die Jahrgangsstufen 7 und 8 wird die Leitidee funktionaler Zusammenhang explizit behandelt, wobei sie in „Zuordnungen und Funktionen“ und „Terme und Gleichungen“ unterteilt wird (MBWJK, 2007, S. 55). Der Schwerpunkt im Bereich Zuordnungen und Funktionen liegt darauf, diese in unterschiedlichen Sachsituationen kennenzulernen und damit zu arbeiten. Es wird auf die Verwendung verschiedenster Darstellungsformen Wert gelegt. Ebenfalls Erwähnung findet die dynamische Beziehung zwischen den auftretenden Variablen. Des Weiteren werden die linearen Funktionen in ihren Eigenschaften und Darstellungen eingeführt. In Jahrgangsstufe 9 wird auf das bereits erworbene Wissen zum Themenbereich Funktionaler Zusammenhang aufgebaut. Schwerpunkt bilden nun die nicht-linearen Funktionen, insbesondere die quadratischen (MBWJK, 2007 S. 99). Der Aspekt der Modellierung, der Einfluss von Parametern und spezifische Eigenschaften der bekannten Funktionstypen sind zentral. Die Jahrgangsstufe 10 erweitert die Kenntnisse der Schülerinnen und Schüler um Potenz-, Exponential- und Logarithmusfunktionen sowie um die trigonometrischen Funktionen, sodass mit Abschluss der 10. Klasse eine gute Basis für die Analysis in Jahrgangsstufe 11 gelegt sein sollte (MBWJK, 2015, S. 22ff und 40ff). Die Bedeutung und die Vielschichtigkeit des funktionalen Zusammenhangs werden folglich sowohl in den Bildungsstandards als auch im Lehrplan der Sekundarstufe I des Landes Rheinland-Pfalz deutlich. Mit Blick auf das National Council of Teachers of Mathematics (NCTM, 2000) erweist sich die Thematik auch als weltweit in ihrer Bedeutung erkannt.
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2 Theoretischer Hintergrund
„[Pupils have to] understand patterns, relations, and functions; represent and analyze mathematical situations and structures using algebraic symbols; use mathematical models to represent and understand quantitative relationships; [and] analyze change in various contexts” (NCTM, 2000) Die Bedeutung funktionaler Zusammenhänge ist somit unbestritten, auf nationaler wie auf internationaler Ebene. Wie aber kann es dann zu solchen Fehlvorstellungen der Schülerinnen und Schüler kommen, wie in Abschnitt 2.2.6 beschrieben? Fehlen hier vielleicht explizite Aufforderungen zu einem verständnisbildenden Vorgehen im Unterricht? Wirft man einen Blick in die gängigen Schulbücher, um zu erfahren, wie das Thema funktionale Zusammenhänge in der Regel eingeführt und wie es im Fortschreiten des Unterrichts behandelt wird, stellt man fest, dass nach kurzen, auf Verständnis ausgerichteten Anfangseinheiten, oft Formalismus und Rezeptgedanke die Oberhand gewinnen. Eventuell mangelt es an Gelegenheiten, funktionale Zusammenhänge zu erfahren, sodass Möglichkeiten geschaffen werden müssen, dies zu tun. Experimentelle Lernumgebungen stellen sich dafür als besonders geeignet dar (vgl. Abbildung 2.4, Landkarte zu funktionalen Zusammenhänge, Schmitt, 2003, S. 22; außerdem Barzel, 2014; Ganter, 2013; Vollrath, 1978). Die Wahl der im Rahmen der Experimente verwendeten Medien spielt dabei eine besondere Rolle. 2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
Experimente stellen eine gute Möglichkeit dar, funktionales Denken zu fördern. Allerdings kann man diese sowohl unter Verwendung von gegenständlichen Materialien als auch Computer-Simulationen durchführen. Dieser Abschnitt befasst sich daher mit dem Experimentieren im Mathematikunterricht im Allgemeinen und speziell mit dem Experimentieren im Kontext funktionaler Zusammenhänge (2.3.1). Daran anschließend werden die Vorteile und Besonderheiten der beiden Medien, gegenständliche Materialien (2.3.2) und Computer-Simulationen (2.3.3), die dabei zum Einsatz kommen können, vorgestellt und diskutiert. Die Einordnung beider Medien in den Ansatz des Instrumental Approach bildet den Abschluss dieses Abschnitts (2.3.4). 2.3.1
Experimentieren im mathematischen Kontext “Experimente können an vielen Stellen den Unterricht bereichern und Mathematik handlungsorientiert und lebendig erfahrbar machen.“ (Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 11)
Beim Experimentieren handelt es sich „um explorative Untersuchungen von Phänomenen mit dem Ziel des Auffindens von Zusammenhängen, der Generierung neuen Wissens“ (vgl. Baconsche Experimente, Leuders & Phillip, 2012, S. 76). Als Teil des Unterrichts verfolgt das Experiment des Weiteren immer eine „Vermittlungsabsicht im Lehr-Lernzusammenhang“ (Ganter, 2013, S. 31). Unabhängig davon, ob es sich um den Mathematikunterricht oder eine
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
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Naturwissenschaft handelt, lässt sich ein Experiment dabei allgemein beschreiben als ein „durch Hypothesen geleitetes, planvolles und kontrolliertes Handeln mit Objekten zum Zweck der Erkenntnisgewinnung durch Beobachtung“ (Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 4). Die einzelnen Schritte (entnommen aus Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 4), die dem Experimentieren zugrunde liegen, sind auf Basis dieser Definition: 1. 2. 3. 4. 5. 6.
Die Frage finden Eine Hypothese aufstellen Ein Experiment planen Ausführen, beobachten und dokumentieren Die Ergebnisse auswerten Die Ergebnisse interpretieren
Der erste Schritt, das Finden der Frage, kann auch durch das Vorgeben der Frage ersetzt werden (Barzel, Büchter & Leuders, 2007, S. 70). Hierbei spielen die Rahmenbedingungen des Unterrichts eine entscheidende Rolle. Der zweite Schritt ist die Hypothesenbildung. Man unterscheidet drei Arten von Hypothesen (vgl. dazu Leuders, Naccarella & Philipp, 2011, S. 223): Zum einen die beispielorientierte Hypothese, die nach der Betrachtung von Beispielen formuliert wird, zum anderen die Adhoc-Hypothese, die intuitiv aufgestellt wird, und solche, die sich in keine der beiden Gruppen einordnen lassen. Im Rahmen des Mathematikunterrichts erscheint es sinnvoll, Hypothesen als Aussagen oder Vermutungen zu verstehen, „die noch begründet bzw. geprüft werden müssen und die auf Gegebenheiten aus der Betrachtung von Beispielen, Vorwissen oder Intuition beruhen können“ (Leuders et al., 2011, S. 223). An die Hypothesenbildung schließt sich ein „planvolles und kontrolliertes Handeln“ an (Leuders et al., 2011, S. 223), dessen Gelingen mit Blick auf die Situation des Unterrichts in der Hand der Lehrperson liegt. Die Lehrperson muss die dazu nötige Organisation leisten. Denn „jeder gute Mathematikunterricht [hält] eine Balance zwischen Instruktion (durch den Lehrer) und Konstruktion (durch den Schüler)“ (Engel & Sproesser, 2013, S. 158). Das gewünschte explorative Vorgehen der Schülerinnen und Schüler muss also immer unter Berücksichtigung ihres Alters und der Zwänge, die sich aus der Unterrichtssituation ergeben (z. B. zeitliche Einschränkung), angelegt und gegebenenfalls durch die Lehrperson vorgegeben werden. Sind die Rahmenbedingungen hinreichend berücksichtigt, können zunächst aufgestellte Hypothesen mittels Experimenten überprüft werden. Zur Durchführung des Experiments bedarf es der nötigen Objekte und Handlungen. Bei diesen Objekten kann es sich um mathematische Objekte, Zusammenhänge oder reale Phänomene handeln (Barzel et al., 2007, S. 70). Die Handlungen bestehen aus der Planung einer Untersuchung, dem Ausführen, Beobachten, Vermuten, Konkretisieren und Überprüfen (Barzel et al., 2007, S. 70). Diesen Vorgang gilt es zu dokumentieren und auszuwerten (vgl. Schritt 4-5, Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 4). Ziel ist die Beantwortung einer „vorgegebene[n] oder erarbeitete[n] Fragestellung“ (Barzel et al., 2007, S. 70) mittels der Interpretation der Ergebnisse (Schritt 6, Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 4). Im Rahmen der Auswertung von Experimenten ist darauf zu achten, dass „… die Abstraktion behutsam … [geschieht], da tragfähige
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2 Theoretischer Hintergrund
inhaltliche Vorstellungen eine notwendige Voraussetzung für kompetenten (und in der Regel abstrakten) Umgang mit abstrakten Begriffen sind“ (Büchter & Henn, 2010, S. 30). Das Ziel, vom Experiment auf die abstrakte mathematische Darstellung zu schließen, kann also nur langsam erreicht werden. Entscheidend ist dabei, dass die Schülerinnen und Schüler tatsächlich handeln, dass sie mit den ihnen zur Verfügung stehenden Objekten experimentieren, um daran Beobachtungen tätigen. Nur dann ist ein Erkenntnisgewinn möglich und der Vermittlungsabsicht wird Genüge getan. Dazu sollte zum einen darauf geachtet werden, dass das zu lösende Problem die Mathematik auch wirklich erfordert (Freudenthal, 1974, S. 126). Zum anderen sollten die den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellten Objekte, der Aufbau und die Durchführung des Experiments „einfach und unkompliziert [sein]. Die Versuche können so auch bei einem normalen Tagesablauf im Mathematikunterricht eingesetzt werden“ (Beckmann, 2007, S. 44). Die Darstellung des Experimentierens umfasst in der vorgestellten Form viele Teilschritte. Roth (2014) präsentiert eine Zusammenstellung der Phasen des Experimentierens im Unterricht auf Grundlage von De Jong 2005, Reid, Zhang & Chen 2003, Swaak & de Jong 1996 und Tesch & Duit 2004, die den Vorgang des Experimentierens konkreter fasst und abgrenzt (Roth, 2014, S. 37): (1) Der Prozess der Wissensaneignung beginnt mit dem Aufstellen von Hypothesen auf der Basis einer konkreten Situation (Vorbereitung des Experimentierens). (2) Anschließend werden diese Hypothesen in neuen Situationen in Form von Experimenten getestet (Experimentieren). (3) Abschließend werden neue Erkenntnisse durch reflektierendes Abstrahieren und Integrieren der beim Experimentieren gemachten Erfahrungen generiert (Nachbereitung des Experimentierens) In dieser Darstellung besteht Experimentieren aus dem Überprüfen der Hypothesen. Die Hypothesenbildung und die Interpretation der Ergebnisse fallen unter Vor- und Nachbereitung des Experiments. Es findet damit eine Schwerpunktsetzung statt, die auf dem Handeln der Schülerinnen und Schüler liegt. Diese Schwerpunktsetzung stellte im Rahmen dieses Projekts ebenfalls den wesentlichen Aspekt des Experimentierens dar. Experimente zu funktionalen Zusammenhängen Grenzt man das weite Feld der Experimente konkret auf Experimente zu funktionalen Zusammenhängen ein, beschreibt Beckmann (2007, S. 45) eine Reihe von Arbeitsschritten, welche die Schülerinnen und Schüler dabei durchlaufen sollten:
Kennenlernen der Bestandteile des Experiments Erkennen, welche Größen sich verändern lassen Auswählen zweier voneinander abhängiger Größen
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
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Hypothesenbildung Abhängigkeit beobachten: Verändern von x bewirkt Änderung von y Feststellen der funktionalen Abhängigkeit: y ist eine Funktion von x Erstellen einer systematischen Messreihe Auswerten, um welchen Funktionstyp es sich handelt (dies kann auch qualitativ zum Beispiel am Graphen erfolgen) Untersuchen, welche Abhängigkeit interessiert, y = f(x) oder x = f(y) Ergebnisse für Voraussagen nutzen
Die hier zugrundeliegende Durchführungsstruktur entspricht der allgemeinen Darstellung von Ludwig & Oldenburg (2007, S. 4). So finden sich die Hypothesenbildung, das Probieren, Beobachten und Auswerten in beiden Darstellungen. Der wesentliche Unterschied liegt darin, dass Ludwig und Oldenburg (2007) annehmen, dass die Schülerinnen und Schüler das Experiment selbst entwickeln, Beckmann (2007) die Experimente hingegen vorgibt. Mit Blick auf die Realisierbarkeit im Mathematikunterricht stellt sich dies als sinnvolle Alternative dar, wenn man von Projektunterricht und ähnlichen Konzepten absehen möchte. Nimmt man die Definition von Roth (2014) als Bezugsrahmen, fallen unter das Experimentieren zu funktionalen Zusammenhängen basierend auf der Darstellung nach Beckmann (2007, S. 45) damit die Schritte
Abhängigkeiten beobachten Feststellen der funktionalen Abhängigkeit Erstellen einer systematischen Messreihe
Diese drei Schritte wurden im Rahmen dieses Projekts daher als maßgeblich angesehen, wenn Experimente zur Förderung des funktionalen Denkens thematisiert und erstellt wurden 2.3.2
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien7 „Die reale Welt ist für das Verstehen des Funktionsbegriffs sehr bedeutend, weshalb es nahe liegt, den Erwerb des Funktionsbegriffs durch Modelle und Experimente aus der realen Welt zu unterstützen“ (Barzel & Ganter, 2010, S. 16)
Unter einem Experiment mit gegenständlichen Materialien soll im Rahmen dieser Arbeit verstanden werden, dass konkret mit gegenständlichen Materialien gearbeitet wird, um funktionale
7
Wenn in diesem Abschnitt von Experimenten die Rede ist, sind ausschließlich solche gemeint, die mit gegenständlichen Materialien durchgeführt werden. Die hier zugrunde gelegten Quellen sprechen oftmals von Experimenten, ohne die Unterscheidung zu Experimenten mit anderen Medien treffen zu müssen. In allen Fällen werden Experimente in der Realität mit gegenständlichen Materialien beschrieben.
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2 Theoretischer Hintergrund
Zusammenhänge zu erkunden und diesbezüglich neue Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Art des Experimentierens kann dabei als einer der Grundpfeiler des Mathematikunterrichts beschrieben werden (Lengnink & Leuders, 2008, S. 6). Dieser Pfeiler, der durch die KMK beispielsweise im Lehrplan Verwendung findet, wenn von einem experimentellen Zugang zur Kreiszahl Pi (KMK, 2004, S. 46), zur Volumenbestimmung (KMK, 2004, S. 46) oder zur Drehung und Verschiebung (KMK, 2004, S. 53) Gebrauch gemacht wird, bringt eine Reihe an Vorteilen von genereller sowie konkret auf funktionale Zusammenhänge ausgerichteter Natur mit sich. Ein offensichtlich hervortretender Vorteil besteht in der Erlebbarkeit und damit der Möglichkeit, mathematische Inhalte, insbesondere funktionale Zusammenhänge wortwörtlich begreifen zu können. Die Schülerinnen und Schüler erhalten durch ein solches Setting die Gelegenheit, funktionale Zusammenhänge am eigenen Leib zu erfahren (Barzel, 2000, S. 39). Damit wird der Unterricht an vielen Stellen bereichert, denn die dem Thema zugrundeliegende Mathematik wird „handlungsorientiert und lebendig erfahrbar“ (Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 11). Mathematik in einer solchen Form erleben zu können erweist sich dabei als von großer Bedeutung für jede Art von grundlegendem Verständnis, das es zu erzeugen gilt (Brauner, 2013, S. 31). Entsprechend kann durch Experimente die Entwicklung des funktionalen Denkens positiv beeinflusst werden (Barzel & Ganter, 2010, S. 14). Schülerinnen und Schülern wird so die Möglichkeit gegeben, die unterschiedlichen Aspekte funktionaler Zusammenhänge im Sinne Vollraths (1989) zu erleben (Barzel, 2010, S. 13). Man denke daran, wie greifbar der Zuordnungsaspekt wird, wenn man die einander zugeordneten Objekte vorliegen hat und anfassen kann; welche Bedeutung das Änderungsverhalten erhält, wenn man den Anstieg von beispielsweise Wasser direkt vor sich sieht und sogar selbst hervorruft; oder welchen Eindruck es hinterlassen muss, wenn man einen gerade durchgeführten Füllprozess in seiner Gänze in einem Graphen wiedererkennt. Auch die verbale Auseinandersetzung mit einem entsprechenden Experiment und seinen inhaltlichen Zusammenhängen mit dem Alltag beeinflusst die Entwicklung des funktionalen Denkens positiv (Beckmann, 2007, S. 45). Die aktive, beinahe als körperlich zu bezeichnende Beschäftigung mit beispielsweise Graphen zu funktionalen Zusammenhängen scheint des Weiteren zu bewirken, dass die Schülerinnen und Schüler ein „Gefühl für Diagramme entwickeln“ (Beckmann, 2007, S. 51). Ein ähnlicher Effekt scheint vorzuliegen, wenn eine vielfältige Deutung graphisch und tabellarisch dargestellter Zusammenhänge durch die Schülerinnen und Schüler in Folge des Experimentierens mit gegenständlichen Materialien festgestellt (Barzel & Ganter, 2010, S. 18) und besonders hervorgehoben wird, dass durch das Experimentieren „viele Lernprozess und eigenständige Gedanken zu Abhängigkeiten zwischen Größen ausgelöst [werden]“ (Barzel & Ganter, 2010, S. 18). Die Möglichkeit, dass die Schülerinnen und Schüler in den ihnen durch das Experimentieren zur Verfügung gestellten Freiräumen eigenständig mit funktionalen Zusammenhängen in Kontakt kommen können, eröffnet ihnen nicht nur eigene Erfahrungen, sondern führt auch dazu, dass es zu einer größeren Nachhaltigkeit des Gelernten kommt. Hierin besteht neben der Erlebbarkeit funktionaler Zusammenhänge ein weiterer entscheidender Vorteil, der aus dem Ansatz gegenständlicher Materialien erwächst. Es ist davon auszugehen, dass sich durch Experimente zum Funktionsbegriff mathematische Arbeitsweisen besser einprägen (Vollrath, 1978,
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
35
S. 93) und Schülerinnen und Schüler auch nach längerer Zeit entsprechende Inhalte mit den durchgeführten Experimenten verbinden (Barzel & Ganter, 2010, S. 18). Das Verständnis der Schülerinnen und Schüler scheint sich durch die Arbeit mit gegenständlichen Materialien besonders gut zu festigen (Leinhardt, 1990, S. 26). Diese positiven Auswirkungen auf das Verständnis mathematischer Inhalte und auf das funktionale Denken im Speziellen begründen sich möglicherweise darin, dass den Schülerinnen und Schülern so ein authentischer Zugang zur jeweiligen Thematik eröffnet wird. Ein Herantasten an den mathematischen Inhalt wird möglich (Lengnink & Leuders, 2008, S. 1). Die Eigenaktivität unterstützt die Nachhaltigkeit des Gelernten und bewirkt dessen Festigung (Affolter, 2005, S. 11; Leinhardt et al. 190. S. 26). Dieser Aspekt stellt sich als umso bedeutsamer dar, da die Befürchtung besteht, dass gerade der Begriff der Funktion für die Schülerinnen und Schüler unzugänglich und unverstanden bleibt, wenn versucht wird, die Funktion und das funktionale Denken „allein kognitiv“ zu vermitteln (Barzel, 2010, S. 10). Die Aufgabe des Mathematikunterrichts muss dementsprechend darin gesehen werden, Schülerinnen und Schülern Erfahrungen zu eröffnen, statt sie mit Formalismen zu erschrecken (Tall & Bakar, 1991, S. 105), was mittels des Einsatzes von gegenständlichen Materialien in einer experimentellen Umgebung gelingen kann. Konkret auf das Thema Funktionen bezogen bedeutet dies, dass man Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geben muss, das zugrundeliegende Konzept „in Aktion“ zu erleben (Tall & Bakar, 1991, S. 111). Dem „Erkunden von Phänomenen“ und dem „Entdecken und Untersuchen von Zusammenhängen“ wird so ein besonders großer Stellenwert zugeschrieben (Ganter, 2013, S. 35-40). Da beim Experimentieren mit gegenständlichen Materialien eine wesentliche Aufgabe der Schülerinnen und Schüler in der Übersetzung zwischen Realität und Mathematik besteht (vom Hofe, 2003, S. 5), wird durch diese Art des Arbeitens zusätzlich dem Bezug zur Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler Rechnung getragen. Dessen Berücksichtigung ist einfach möglich und ebenfalls zu den Vorteilen der Verwendung von gegenständlichen Materialien zu zählen. Denn leider muss man feststellen, dass Schülerinnen und Schüler oft nicht wahrnehmen, wie eng verbunden und bedeutsam mathematische Inhalte mit und für ihren Alltag sind (Mitchell, 1993, S. 427). Schülerinnen und Schülern ist das Vorhandensein dieses Bezugs viel zu selten bewusst. Dies ist gerade für das Verständnis des Funktionsbegriffs als beinahe tragisch zu beschreiben, da der Alltag so viele Möglichkeiten bietet, funktionale Zusammenhänge zu erleben. Eine Verwendung von „Experimente[n] aus der realen Welt“ (Barzel & Ganter, 2010, S. 16) liegt daher besonders für die Förderung des funktionalen Denkens nahe. Oft geschieht dies im Mathematikunterricht nur durch ein Verpacken der mathematischen Situationen in eigens dafür erstellte Textaufgaben. Die Durchführung von realen Experimenten könnte hier Abhilfe schaffen, wenn man die Art der zur Verfügung gestellten Daten berücksichtigt. Reale Daten und reale Phänomene scheinen ausschlaggebend zu sein (Engel & Sproesser, 2013, S. 149 -50) und lassen sich durch Experimente leicht erzeugen. Basierend auf entsprechenden Daten und Situationen kann die Frage nach der Mathematik aus dem Material erwachsen, die Mathematik muss nicht mehr in das Material eingekleidet werden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Bearbeitung realer Probleme für Schülerinnen und Schüler auch eine Herausforderung darstellt (Engel & Sproesser, 2013, S. 154-155). Zu begreifen, dass eine
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2 Theoretischer Hintergrund
Messung im Rahmen eines Experiments selten die exakten Daten liefern wird, die einem Zusammenhang zugrunde liegen, und dass dementsprechend Unterschiede zwischen den Ergebnissen des Experiments und den theoretisch zu erwartenden Werten bestehen, ist für Schülerinnen und Schüler gewiss nicht trivial. Dies ist ein Punkt, der bei der Arbeit mit gegenständlichen Materialien bedacht werden muss. Im gleichen Zuge ermöglichen es diese realen Probleme, die einen Bezug zum Alltag liefern, dass die Schülerinnen und Schüler, die zunächst auf alltägliche Weise über ein alltägliches Problem kommunizieren, feststellen, dass ein „präzises mathematisches Funktionskalkül“ vonnöten ist (Herget, Mallite & Richter, 2000, S. 19). Verbindet man die Experimente mittels der verwendeten gegenständlichen Materialien mit Alltagserfahrungen der Schülerinnen und Schüler, liegt darin eine besondere Chance. Das Angebot von Verknüpfungsmöglichkeiten mit ihrer tatsächlichen Lebenswelt kann es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, tiefer und vor allem nachhaltiger in eine für sie eigentlich abstrakte Materie wie den funktionalen Zusammenhang vorzudringen. Dabei wird die Notwendigkeit des Kalküls deutlich, das ab einem gewissen Punkt ebenso vermittelt werden muss wie das grundlegende Verständnis. Außerdem ermöglichen es der Bezug zu Alltagssituationen und die Verwendung realer Daten den Schülerinnen und Schülern die Grenzen der Mathematik aufzuzeigen und ihnen einen kritischen Blick auf die Dinge nahezubringen, da „mathematisches Modell und Realität … nicht identisch [sind]. Das ist vielleicht die wichtigste Lektion, wenn Schülerinnen und Schüler lernen, wie man Mathematik auf Probleme dieser Welt anwendet“ (Engel & Sproesser, 2013, S. 146). Zusätzlich zu den inhaltlichen Vorteilen, die das Experimentieren mit gegenständlichen Materialien im Unterricht besonders für das Verständnis funktionaler Zusammenhänge mit sich bringt, trägt deren Einsatz zur Motivation der Schülerinnen und Schüler bei (Vollrath, 1978, S. 93). Es muss allerdings bedacht werden, dass die Verwendung von Material mit einem großen Organisationsaufwand verbunden ist. Je nach Sozialform, in der der Unterricht durchgeführt werden soll, muss eine große Menge an Material beschafft werden. Die Schülerinnen und Schüler müssen während des Experimentierens beaufsichtigt sowie betreut werden, was bei 30 Kindern durchaus eine Herausforderung sein kann. Besonders mit Blick auf jüngere Kinder ist dies zu berücksichtigen. Zudem steht im Schulalltag nicht immer die Zeit für Experimente zur Verfügung, man ist an den Stundenplan gebunden, was den Einsatz entsprechender Methoden erschwert. Zusammenfassend bieten gegenständliche Materialien, eingesetzt im Rahmen von Experimenten, Schülerinnen und Schülern die Chance, funktionale Zusammenhänge sowohl hinsichtlich der Zuordnung, des Änderungsverhaltens und der Sicht als Ganzes wortwörtlich zu erleben und ein Gespür für diese zu entwickeln, indem sie sich mit Situationen und Phänomen, die ihnen aus dem Alltag vertraut sind, konkret auseinandersetzen (Barzel, 2010, S. 13). Ihr Einsatz führt zu nachhaltigen Lernerfolgen hinsichtlich funktionaler Zusammenhänge und bedeutet Motivation und Eigenständigkeit. Der Alltag der Schülerinnen und Schüler kann mit in das Klassenzimmer gebracht werden und in diesem Zuge ist eine kritische Betrachtung der Mathematik möglich. Denn inwiefern Alltagserfahrungen und ihre mathematische Darstellung sich decken und sich unterscheiden, inwiefern Widersprüche zwischen ihnen bestehen und wie
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
37
diese erklärbar sind, kann mit dem Ziel, funktionale Zusammenhänge begreifbar zu machen, aufgegriffen werden. Gegenständliche Materialien stellen damit eine gut begründbare Möglichkeit dar, funktionales Denken in all seinen Aspekten zu erfassen und zu fördern. 2.3.3
Experimentieren mit Computer-Simulationen „Computergestützte Visualisierungen können das Lernen von Mathematik beflügeln.“ (Danckwerts, Vogel & Maczey, 2000, S. 342)
Im Rahmen dieser Arbeit werden Computer-Simulationen als Teil des zu ihrer Gestaltung verwendeten Computertools angesehen. Dabei ermöglicht die Simulation es zum einen, einen sonst realen Ablauf von Geschehnissen in eventuell didaktisch reduzierter Art und Weise auf den Bildschirm zu verlagern, zum anderen lässt sich der Aufbau einer graphischen Repräsentation für die Schülerinnen und Schüler in simulierter Form übernehmen. Zur Gestaltung der Simulationen wurde in diesem Projekt das Dynamische Mathematik System (DMS, auch bezeichnet als Multi-Repräsentations-System, vgl. Barzel & Weigand, 2008) GeoGebra (https://www.geogebra.org/) gewählt. Die Vorteile, die die Nutzung solcher Simulationen mit sich bringt, sind entsprechend eng mit den Vorteilen der Oberfläche von GeoGebra, dem DMS, mit dem sie gestaltet werden, verknüpft. Es sei hier angemerkt, dass anstelle der Begrifflichkeit ComputerSimulation auch von interaktivem Arbeitsblatt, dynamischem Arbeitsblatt oder Applet gesprochen wird (zur genauen Trennung der Begrifflichkeiten vgl. Roth, 2015, S. 4-6). Im Folgenden werden die Vorteile von Simulationen eingebunden in ein DMS wie GeoGebra für den Mathematikunterricht und insbesondere für die Förderung des funktionalen Denkens vorgestellt. Das NCTM liefert mit seinen Principles and Standards for School Mathematics hinsichtlich der Verwendung von Technologie im Mathematikunterricht die folgende Leitlinie: „Technology is essential in teaching and learning mathematics, it influences the mathematics that is taught and enhances students‘ learning" (NCTM, 2000. S. 24). Die KMK-Bildungsstandards (2004) fordern in vergleichbarer Weise den Einsatz elektronischer Medien, denn „Schülerinnen und Schüler sollen … Mathematik als anregendes, nutzbringendes und kreatives Betätigungsfeld erleben, in dem auch Hilfsmittel, insbesondere elektronische Medien entsprechend sinnvoll eingesetzt werden“ (KMK, 2004, S. 6). Generell werden Technologie und entsprechend auch Computerwerkzeuge und Simulationen somit nicht nur als wünschenswert, sondern als essentiell angesehen. Konkret ergibt sich eine Vielzahl an Vorteilen, die deren Nutzung mit sich bringt. Ein zunächst praxisorientierter Vorteil findet sich hinsichtlich der unterrichtlichen Durchführbarkeit. Mit Blick auf die zuvor (Abschnitt 2.3.2) geschilderten Probleme, die auftreten können, wenn man Experimente mit gegenständlichen Materialien im Unterricht durchführt, lässt sich feststellen, dass Simulationen zum Einsatz kommen können, wenn Realexperimente, die sich z. B. als teuer oder gefährlich erweisen, scheitern (Ludwig & Oldenburg, 2007, S. 11). Dank der Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesellschaft
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2 Theoretischer Hintergrund
(https://www.bmbf.de/de/bildung-digital-3406.html) sollte inzwischen jede Schule die entsprechende Ausstattung besitzen oder zumindest auf dem Weg dorthin sein, so dass es ermöglicht wird, ein solches Computerwerkzeug problemlos im Schulkontext zu nutzen. Dank der Simulation spart man Zeit, die auf das Bereitstellen des Materials sowie die Durchführung des realen Experiments verwendet werden müsste, das mit ca. 30 Schülerinnen und Schülern, die alle gleichzeitig enaktiv arbeiten, nicht immer reibungslos abläuft. Bei all der Erleichterung, die sich hinsichtlich der Durchführbarkeit ergibt, ist es jedoch entscheidend, dass die Simulation nicht nur ein Vorführobjekt ist (Vollrath & Roth, 2012, S. 164). Die Schülerinnen und Schüler sollen aktiv damit arbeiten und lernen, sie eigenständig und reflektiert zu verwenden (Vollrath & Roth, 2012, S. 169). Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Schülerinnen und Schüler mit einer Simulation bzw. einem Computerwerkzeug angemessen umzugehen lernen, liegt in der Hand der Lehrperson und ihrer Unterrichtsplanung (Vollrath & Roth, 2012, S. 169). Die Bedeutung eines DMS wie GeoGebra ist für die Vermittlung eines mathematischen Inhalts keine geringfügige. Es birgt die Möglichkeit, mit Funktionen zu experimentieren (Greefrath, 2010, S. 21), Funktionen zu erkunden und tragfähige Grundvorstellungen zu entwickeln (Elschenbroich, 2011, S. 83). Daher lässt sich ohne Weiteres postulieren, dass „[t]ools matter: they stand between the user and the phenomenon to be modeled, and shape activity structures“ (Hoyles & Noss, 2003, S. 341). Die Simulation kann damit „Mittler“ zwischen Schülerinnen und Schülern und einem zu untersuchenden Phänomen werden (Danckwerts et al., 2000, S. 345). Neben der Bezeichnung „Mittler“ finden sich für Computerwerkzeuge wie es die Art Simulation ist, die im Rahmen diese Projekts Verwendung fand, auch die Bezeichnungen „Experimentierumgebung“ und „Denkzeug“ (Vollrath & Roth, 2012, S. 174). Nimmt man diese drei Begriffe zusammen, ermöglicht eine Simulation es den Schülerinnen und Schülern, sich mit einem mathematischen Gegenstand mittels virtueller Experimente vertraut zu machen und sich dem mathematischen Inhalt zu nähern. Die Simulation als Mittler fungiert dabei in Art einer Brücke und liefert derweil Unterstützung für kognitive Prozesse. Auf ein gutes Computerwerkzeug kann man entsprechend als Schülerinnen und Schüler wie auch als Lehrperson bei Bedarf einfach zurückgreifen, es ist ein „Lernwerkzeug“ (Elschenbroich, 2011, S. 72), das flexibel zur Anwendung kommen kann. Es erleichtert den Schülerinnen und Schülern die Arbeit mit dem Lernstoff und unterstützt ihre Aktivität. Vollrath und Roth sprechen in Bezug auf Computerwerkzeuge gar von „Universalwerkzeugen“, die der Anwender gezielt verwenden kann (Vollrath & Roth, 2012, S.162-163). Es kommt zu einer Entlastung des Nutzers, in unserem Fall der Schülerinnen und Schüler, sodass deren Aufmerksamkeit sich auf andere Aspekte richten kann. Diese Aspekte können dabei die für die Lehrperson, die die Lernumgebung gestaltet, wesentlichen sein wie z. B. „Aspekte der Planung, Interpretation, Analyse und Argumentation“ (Vollrath & Roth, 2012, S. 163). Ein weiterer Vorteil, durch den sich ein Computerwerkzeug auszeichnet, stellt dessen Unmittelbarkeit dar. Unmittelbarkeit bedeutet, dass Vermutungen im Rahmen der so zur Verfügung gestellten Experimentierumgebung sofort geprüft und falls notwendig auch korrigiert werden können (Vollrath & Roth, 2012, S. 162). Für Schülerinnen und Schüler wird auf diese Weise sofort ersichtlich, zu welchen Veränderungen im Sachverhalt ihre Aktionen führen. Es
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
39
wird sofort offenbar, was sich verändert, wenn sie etwas verändern. Die bewusste Manipulation von Größen, die Beobachtung und auch die Interpretation des Resultats, die als „systematische Variation“ (Roth, 2008a, S. 17) bezeichnet wird, sind ein Weg, mathematisches Verständnis zu fördern (Roth, 2008a, S. 17) und damit auch Einfluss auf das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler zu nehmen. Denn durch bewusste Veränderung einzelner Parameter und die Möglichkeit, Veränderungen unmittelbar zu interpretieren und Rückschlüsse auf die vorgenommene Änderung ziehen zu können, werden „funktionale Zusammenhänge direkt erfahrbar“ (Vollrath & Roth, 2012, S.162). Dabei wird des Weiteren eine Betonung der „dynamischen Komponente funktionalen Denkens“ ermöglicht (Hoffkamp, 2012, S. 51). Man denke hierbei an die Änderung verschiedener Parameter mit Hilfe eines Computerwerkzeugs, die die Möglichkeit eröffnet, Veränderungen und Abhängigkeiten direkt sowie simultan und damit auf einer ganz anderen Ebene wahrzunehmen als im realen Experiment. Damit zeigen sich besonders mit Blick auf den Aspekt des Änderungsverhaltens positive Effekte (Doorman et al., 2012, S. 1249), denn das Computerwerkzeug macht die für das Verständnis funktionaler Zusammenhänge so grundlegenden Abhängigkeiten direkt sichtbar. Durch Variation der entsprechenden Parameter werden Veränderungen der unabhängigen Größe und die damit zusammenhängenden Veränderungen der abhängigen Größe erkennbar. Vollrath und Roth sprechen von „dynamischem ‚Vorführen‘ “ (Vollrath & Roth, 2012, S. 163), wenn auf diese Weise Veränderungen dargestellt werden. Daran schließt sich der Vorteil an, dass mittels eines solchen Computerwerkzeugs problemlos eine Vielzahl an Beispielen generiert werden kann, anhand derer sich der Einfluss von Parametern untersuchen lässt. Die leichte Generierbarkeit einer Vielzahl von Beispielen stellt sich als förderlich für das funktionale Denken dar (Barzel, Hußmann & Leuders, 2009, S. 40): Man stelle sich etwa eine große Anzahl an Geraden vor, die hinsichtlich ihrer Steigung untersucht und verglichen werden können und deren Verwendung so zu Erkenntnissen über das Änderungsverhalten führt. Hierin findet sich ein Vorteil der Simulation gegenüber der Verwendung von gegenständlichen Materialien, denn um eine Vielzahl an Beispielen zu generieren, steht bei der Arbeit mit gegenständlichen Materialien meist nicht genügend Zeit zur Verfügung. Ein mögliches Risiko könnte im Gegenzug darin bestehen, dass Schülerinnen und Schüler in der Vielzahl an selbstgenerierten Beispielen den Überblick verlieren. Nimmt man funktionale Zusammenhänge noch konkreter in den Blick, lassen sich eine Reihe weiterer Möglichkeiten nennen, Computerwerkzeuge nutzbringend zu deren Vermittlung einzusetzen. Denn Computerwerkzeuge, insbesondere ein DMS wie GeoGebra, und die darin implementierten Simulationen ermöglichen es, zwischen den einzelnen Repräsentationsformen Tabelle, Graph und Formel einfach und schnell hin und her zu springen (Doorman et al., 2012, S. 1249). Roth (2008a) spricht daher von einem „Multi-Repräsentations-System“ (Roth, 2008a, S. 17, vgl. auch Balacheff & Kaput, 1996, S. 471). Ein solches System bietet die Möglichkeit, alle Darstellungsformen einer Funktion parallel zueinander sichtbar zu machen, was als Unterschied zum sonstigen Vorgehen im Mathematikunterricht anzusehen ist, da Sachverhalte dort oft hintereinander statt nebeneinander präsentiert werden. Da der Wechsel zwischen den Re-
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2 Theoretischer Hintergrund
präsentationsformen, wie in Abschnitt 2.2.1 ausgeführt, einen positiven Einfluss auf die Grundvorstellungen von funktionalen Zusammenhängen haben kann bzw. die Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler diesbezüglich als Indikator für funktionales Denken betrachtet wird, sollte der Einsatz von Computerwerkzeugen diese Repräsentationswechsel durch Visualisierung erleichtern und damit auch das funktionale Denken positiv beeinflussen können (Fest & Hoffkamp, 2013, S. 177). Gerade auch jüngere Kinder können daher von einem solchen Computerwerkzeug profitieren, da die händische Übersetzung von beispielsweise Tabelle in Graph, welche sicher sehr wertvoll für das Verständnis funktionaler Zusammenhänge ist, ausgesprochen hohe Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler stellt. Eventuell bietet ein Computerwerkzeug wie GeoGebra mit seinem Multi-Repräsentations-System diesbezüglich eine Möglichkeit, um auch in unteren Jahrgangsstufen, bevor funktionale Zusammenhänge im Unterricht explizit behandelt wurden, funktionales Denken zu fördern (de Beer, Gravemeijer & van Eijck, 2015, S. 981). Ein weiterer Vorteil ist die Interaktivität, die ein solches Computerwerkzeug und integrierte Simulationen mit sich bringen. Funktionale Zusammenhänge können ohne negative Konsequenzen für die Schülerinnen und Schüler erforscht und Kontrollmöglichkeiten genutzt werden (Greefrath, 2010, S. 22). Die Verknüpfung von Interaktivität und Visualisierung, die ein solches Computerwerkzeug bietet (Greefrath, 2010, S. 21), liefert so eine „optimale Darstellung des Sachverhalts“ (Vollrath & Roth, 2012, S. 163-164). Aber auch hierbei kommt die Lehrperson, die die Lernumgebung mittels des Computerwerkzeugs gestaltet, erneut zum Einsatz. Es ist entscheidend, Fokussierungshilfen (Roth, 2005, S. 121, Roth, 2008b, S. 30f) in angemessener Weise zu implementieren, um die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler auf die entscheidenden Aspekte zu lenken. Unter Fokussierungshilfen versteht man dabei eine Schwerpunktsetzung innerhalb der Simulation beispielsweise durch Farbgebung oder Linienstärke, durch die Einschränkung von Variationsmöglichkeiten oder durch das Ein-und Ausblenden von bestimmten Elementen der Simulation (Roth, 2005, S. 122). Je nach Vollständigkeit der so gemachten Vorgaben lässt sich der Anspruch der Simulation an die Schülerinnen und Schüler und der Grad ihres selbstständigen Arbeitens beeinflussen. Dies bedeutet, dass die Interaktivität bewusst eingeschränkt werden kann mit dem Ziel, den Fokus der Schülerinnen und Schüler auf ausgewählte Schwerpunkte zu legen (vgl. hierzu Fest & Hoffkamp, 2013, S. 183184). Während Interaktivität, Dynamik und Visualisierung immer wieder aufgeführte Vorteile von Simulationen und DMS wie GeoGebra sind, muss zu bedenken gegeben werden, dass es dadurch auch zu einer Überfrachtung an Bildern kommen kann und eine Beschleunigung im Voranschreiten im Unterricht erzeugt wird, die den Schülerinnen und Schülern unter Umständen die Chance raubt, wirklich zu verstehen (Barzel et al., 2009, S. 39). Ein weiteres Risiko lässt sich hinsichtlich der dem Thema funktionale Zusammenhänge eigenen Algorithmen konstatieren. Das DMS GeoGebra bietet die Möglichkeit, sich vom Kalkül und den Algorithmen frei zu machen. Eine klassische Kurvendiskussion ist nicht mehr notwendig, verwendet man ein DMS. Dies bringt für Schülerinnen und Schüler sicher eine Erleichterung mit sich, birgt aber auch die Gefahr, dass das Verständnis der zugrundeliegenden Algorithmen zu kurz kommt
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
41
(Barzel et al, 2009, S. 38). Es muss also abgewogen werden, zu welchem Zweck und in welcher Situation ein DMS wie GeoGebra bzw. Simulationen zum Einsatz kommen. Abschließend muss festgehalten werden, dass die Nutzung von Computerwerkzeugen im Unterricht „besondere konzeptionelle Ansprüche“ (Danckwerts et al., 2000, S. 342) mit sich bringt. Die Lernumgebung muss so gestaltet sein, dass die Schülerinnen und Schüler sich vorrangig auf die Analyse und Interpretation ihrer Ergebnisse konzentrieren können. Um dies zu ermöglichen kann bzw. sollte die Lehrperson Strukturierungs- bzw. Fokussierungshilfen in die jeweilige Lernumgebung einfügen. So kann die Konzentration der Schülerinnen und Schüler auf die entsprechend relevanten Aspekte des mathematischen Inhalts oder auf dessen Analyse und die daran anknüpfende Argumentation gerichtet werden (Vollrath & Roth, 2012, S. 170). Besonders mit Blick auf ein selbstständiges Arbeiten der Schülerinnen und Schüler, das das Ziel der Verwendung von Computerwerkzeugen und Simulationen sein sollte, ist es notwendig, Fokussierungshilfen, Reflexionsphasen und eine schriftliche Sicherung in den Aufbau bzw. die Strukturierung der Arbeitsaufträge einzuflechten (Vollrath & Roth, 2012, S. 171). Es sei angemerkt, dass alle drei Merkmale im Rahmen der Nutzung von Simulationen während des Experimentierens zur Förderung des funktionalen Denkens vertreten sein müssen, um einen größtmöglichen Effekt zu erzielen. Basierend auf dieser Zusammenstellung lässt sich der Einsatz von Computer-Simulationen im Rahmen von Experimenten zur Förderung des funktionalen Denkens gut begründen. 2.3.4
Instrumental Approach
Der Instrumental Approach geht auf die Ideen von Vygotsky (1930/1985) zurück. Vygotsky definiert das Zusammenspiel von Problemlösen und den damit einhergehenden mentalen Prozessen als Instrumentellen Akt (Vygotsky, 1930, S. 309). Dieser Instrumentelle Akt hängt maßgeblich von Instrumenten ab, die sowohl materiell als auch kognitiv zu verstehen sind. Diese Instrumente nehmen aktiv Einfluss auf die mentalen Prozesse, die während des Problemlösens ablaufen (Vygotsky, 1930, S. 309). Die Theorie Vygotskys wird von Verillon & Rabardel (1995) und Rabardel (2002) in der Folge weiterentwickelt. Sie konkretisieren, wie der Begriff Instrument verstanden werden muss, und nehmen dazu eine Unterscheidung von Artefakt (Artifact) und Instrument (Instrument) (Verillon & Rabardel, 1995, S. 84ff) vor. In ihrer Darstellung entsteht das Instrument aus einem Artefakt, wenn dieses im Kontext einer konkreten Aufgabe unter Verwendung dazu relevanter mentaler Schemata zur Lösung der Aufgabe verwendet wird (Rabardel, 2002, Verillon & Rabardel, 1995). Im Folgenden wird dieser Transformationsprozess, der als Instrumental Genesis bezeichnet wird (Rabardel, 2002, S. 101), sowohl konkret am Beispiel eines gegenständlichen Materials als auch am Beispiel eines Elements aus einer Simulation beschrieben.
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2 Theoretischer Hintergrund
Der Instrumental Approach mit gegenständlichen Materialien Abbildung 2.5 zeigt die Instrumental Genesis eines gegenständlichen Materials. Eine Vielzahl kleiner Holzwürfel ist in diesem Beispiel das Artefakt, das in ein Instrument transformiert werden muss. Damit sind die kleinen Würfel zunächst ein beliebiges Objekt. Sie haben für Schülerinnen und Schüler unterschiedlichste und bis zu diesem Zeitpunkt noch beliebige Bedeutungen (Spielen, Punkte zählen, Stapeln etc.). Damit aus dieser Beliebigkeit eine Konkretheit erwachsen kann, ist es notwendig, den Schülerinnen und Schülern eine entsprechende Aufgabe zu präsentieren, die es mit dem Artefakt zu lösen gilt. In diesem Fall könnte man den Schülerinnen und Schülern die Frage stellen, aus wie vielen kleinen Holzwürfeln ein großer Würfel mit einer Kantenlänge von drei kleinen Würfeln besteht. Die Würfel erhalten so durch die Aufgabenstellung eine Bedeutung. Sie sollen zum Ausprobieren, konkret zum Zusammenbauen eines großen Würfels verwendet werden. Entsprechend beeinflussen aber auch die Würfel die Aufgabe: Durch sie wird eine enaktive Bearbeitung der Aufgabe erst möglich. Stünde ein anderes Artefakt zur Verfügung, beispielsweise eine Abbildung, würde dies zu anderen Lösungsschritten führen. Während die Würfel als Artefakt Bedeutung durch eine konkrete Aufgabenstellung erhalten, müssen des Weiteren mentale Schemata, die sich auf die Verwendung des Artefakts und die Lösung der Aufgabe beziehen, abgerufen werden (Drijvers & Gravemeijer, 2005, S. 166). Damit hängt die Art der gewählten Schemata sowohl vom Artefakt als auch von der Aufgabe ab. Das Artefakt kleine Würfel verlangt danach, zusammengesetzt zu werden.
Instrument = Mentale Schemata Zusammenbauen, zählen…
Artefakt
Aufgabe Gesamtanzahl der Würfel bei Kantenlänge 3?
Abbildung 2.5 Transformation eines Artefakts in ein Instrument am Beispiel kleiner Holzwürfel, in Anlehnung an Drijvers & Gravemeijer (2005, S. 166)
Die Schülerinnen und Schüler müssen damit auf Schemata zurückgreifen, die sich damit befassen, kleine Würfel so zusammenzusetzen, dass ein großer Würfel entstehen kann (z. B. ebene
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
43
Unterlage, genaues Übereinandersetzen, in Schichten vorgehen). Die Aufgabe hingegen lässt sie auf das Konzept Würfel zugreifen, die Schülerinnen und Schüler müssen berücksichtigen, dass die Kanten eines Würfels alle gleichlang sind. Die Kombination aus Aufgabe und Würfeln kann des Weiteren zu unterschiedlichen Lösungsstrategien führen. Die Schülerinnen und Schüler könnten z. B. die Würfel nach der Fertigstellung des großen Würfels zählen, um die Aufgabe zu lösen. Das Schema Zählen, das bis dahin entwickelt wurde, kommt zum Einsatz und beeinflusst damit auch die Interpretation und den Inhalt der Aufgabe. Denn ein anderes, eventuell weiter entwickeltes Schema würde gegebenenfalls zu einer anderen Interpretation führen: Das Wissen um den vorhandenen kubischen Zusammenhang könnte die rechnerische Lösung des Problems nahelegen, die Aufgabe würde kaum als Anregung, Würfel zusammenzusetzen, verstanden. Nimmt man hingegen an, dass die Schülerinnen und Schüler erst im Laufe der Bearbeitung begreifen, dass jede Lage des großen Würfels mit Kantenlänge drei aus der gleichen Anzahl an kleinen Würfel besteht und diese entsprechend mit drei multipliziert werden muss, oder aber dass sie den kubischen Zusammenhang erkennen, liegt eine Weiterentwicklung ihrer Schemata vor. Diese Weiterentwicklung wird vollzogen, während die Schemata verwendet werden (Drijvers & Trouche, 2008, S. 377). Betrachtet man diesen komplexen Vorgang insgesamt, stellt man fest, dass zum einen die kleinen Würfel Einfluss auf die Lösungsstrategien und damit auf die mentalen Schemata nehmen. Dieser Vorgang wird als Instrumentation Process (Rabardel, 2002, S. 103) bezeichnet. Zum anderen erfährt aber offensichtlich auch das Artefakt, die kleinen Würfel, eine Beeinflussung. Wenn Schülerinnen und Schüler z. B. nicht mehr einzelne Würfel zusammensetzen, sondern die einzelnen aus Würfeln zusammengesetzten Lagen betrachten oder sogar dazu übergehen, nur noch solche Lagen zu bauen, adaptieren sie das Artefakt unter Verwendung bereits bestehender Schemata, Konzepte und persönlicher Präferenzen. Dieser Vorgang wird daher als Instrumentalization Process bezeichnet (Rabardel, 2002, S. 103). Diese beiden Prozesse werden zur Instrumental Genesis zusammengefasst (Rabardel, 2002, S. 101), die damit den Vorgang, dass ein Artefakt zum Instrument wird, beschreibt. In diesem Beispiel bedeutet dies, dass durch das Zusammenspiel von kleinen Würfeln, der Frage nach der Gesamtzahl der Würfel und den bereits vorhandenen Schülerschemata hinsichtlich des zugrundeliegenden Zusammenhangs die Möglichkeit entsteht, dass ein Instrument gebildet wird, das die Entwicklung des funktionalen Denkens fördern kann. Es ermöglicht eine Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Schemata in Richtung des kubischen Zusammenhangs und gibt eventuell die Möglichkeit, die diskrete Natur der Würfel zu berücksichtigen. Der Instrumental Approach mit Computer-Simulationen Der auf Vygotsky zurückgehende Ansatz des Instrumentellen Akts wird von Artigue (1997), Guin & Trouche (1999), Trouche (2000) und Lagrange (2000) auf Digitale Medien übertragen, die im Laufe der Zeit für die Mathematikdidaktik eine immer größere Bedeutung gewonnen haben. In Anlehnung daran lässt sich erläutern, inwiefern ein DMS wie GeoGebra oder auch einzelne Teile davon als Artefakt angesehen werden können und eine Instrumental Genesis durchlaufen, um zum Instrument zu werden. Abbildung 2.6 verdeutlicht diesen Vorgang unter
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2 Theoretischer Hintergrund
Bezugnahme auf das Beispiel Button, der ein häufig in der Oberfläche von GeoGebra verwendetes Objekt ist. In Abhängigkeit von der Vertrautheit der Schülerinnen und Schüler mit der Oberfläche von GeoGebra stellt dieser Button für sie möglicherweise einfach eine bunte Fläche, eine Beschriftung oder einen Knopf zum Drücken dar. Erst in Verbindung mit der gestellten Aufgabe, den Bleistift zu spitzen und dessen neue Länge zu ermitteln, erhält der Button eine konkrete Bedeutung. Durch ein Anklicken des Buttons kann man einen simulierten Bleistift spitzen, eine Reduktion der Länge erfolgt. Um den Spitzvorgang entsprechend durchführen zu können, sind erneut mentale Schemata vonnöten, die durch das Artefakt, den Button, und die Aufgabe aufgerufen werden. Der Button greift dabei auf Schemata zu, die sich mit dessen allgemeiner Verwendung befassen. Die Schülerinnen und Schüler greifen auf ihr vorhandenes Wissen zurück, dass das Anklicken eines Buttons irgendeine Art von Veränderung bewirkt, die es zu erfassen gilt.
Instrument = Mentale Schemata Buttons muss man drücken. Was ändert sich, wenn…?
Artefakt
Aufgabe Spitze den Bleistift und ermittle seine neue Länge!
Abbildung 2.6 Transformation eines Artefakts in ein Instrument am Beispiel eines Buttons aus GeoGebra, in Anlehnung an Drijvers & Gravemeijer (2005, S. 166)
Die Aufgabe lenkt ihre Aufmerksamkeit und damit die Wahl der Schemata auf den Bleistift, dessen Länge sich den Erwartungen entsprechend verkürzen sollte. Sollten nun noch keine Schemata zur Verwendung des Buttons vorliegen, würde dies dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler erst herausfinden müssten, wie der Button zu verwenden ist. Eine Weiterentwicklung der Schemata hinsichtlich der GeoGebra-Oberfläche würde ablaufen. Genauso könnten Schülerinnen und Schüler, die mit der Buttonfunktion vertraut sind, statt einzelne Bleistiftlängen anzusteuern, direkt versuchen herauszufinden, wie kurz der Bleistift überhaupt werden kann. Sie würden den Button daher mehrfach, eventuell auch schnell hintereinander drücken und so eine Vorstellung von Veränderung erhalten. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Aufgabe auch durch mentale Schemata beeinflusst werden. Denn wenn
2.3
Experimentieren mit gegenständlichen Materialien und Computer-Simulationen
45
das Ermitteln einzelner Längen den Schülerinnen und Schülern nicht aufschlussreich genug erscheint, könnten sie die Veränderung in ihrer Gesamtheit betrachten wollen. Es wird deutlich, dass sich Instrumentation und Instrumentalization auch mit Blick auf ein virtuelles Artefakt zeigen. Die Instrumental Genesis wird vollzogen. Das Artefakt Button wird in Verbindung mit der Aufgabenstellung und bereits vorhanden Schemata zu einem Instrument, das geeignet ist, das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler weiterzuentwickeln. Beispielsweise können die Schülerinnen und Schüler feststellen, dass jedem Anklicken des Buttons die gleiche Reduktion der Bleistiftlänge folgt, sie können bemerken, dass jeder Klick zu genau einer neuen Länge führt. Die Schemata hinsichtlich linearer Zusammenhänge könnten so erweitert werden. Der Instrumental Approach in der Anwendung Sowohl die Verwendung von gegenständlichen Materialien als auch von Computer-Simulationen zeigt, dass Schülerinnen und Schüler und Artefakte sich gegenseitig beeinflussen. Daher sollten Lehrpersonen ihren Schülerinnen und Schülern ein Orchestra of Instruments zur Verfügung stellen. Darunter wird ein „kohärentes System von Instrumenten“ (Drijvers & Trouche, 2008, S. 377) verstanden, das die Bedingungen, die die Lernumgebung mit sich bringt, mit einschließt. Diese umfassen auch die Zwänge, die durch den schulischen Rahmen entstehen, und in unserem Fall die mathematische Situation, in der man sich befindet. Des Weiteren hängt die Auswahl der Artefakte von den Zielen und den Präferenzen der Lehrperson ab. Unter Verwendung des Instrumental Approach lassen sich, wie in der Einzelbetrachtung der Settings bereits angeklungen, Aufgaben zum Experimentieren, gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen verbinden, um das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Im Zuge dessen muss daher entschieden werden, welche Artefakte mit welchen Aufgaben zusammengebacht werden müssen, um die entsprechenden Prozesse zu induzieren, die im Rahmen der Instrumental Genesis zur Entwicklung des funktionalen Denkens führen können. Dies beinhaltet daher neben der Wahl der Artefakte auch die Gestaltung von entsprechenden Aufgaben. In unserem Fall bedeutet dies, dass die Aufgaben so zu gestalten sind, dass sie die Schülerinnen und Schüler durch die unterschiedlichen Experimente leiten und darauf abzielen, ihnen die unterschiedlichen Aspekte funktionalen Denkens und den adäquaten Umgang mit Repräsentationsformen zu vermitteln, während sie den Schülerinnen und Schülern die Umwandlung der Artefakte in Instrumente ermöglichen. Dazu müssen bereits vorhandene mentale Schemata zum funktionalen Denken aufgerufen werden, die in Anbetracht der von uns fokussierten Jahrgangsstufe 6 als implizit anzusehen sind. Die bereits vorhandenen Schemata, die Schülerinnen und Schüler aus ihrem Alltag mit Blick auf funktionale Zusammenhänge mitbringen, können entsprechend verwendet und erweitert werden. Sichergestellt werden muss zum einen, dass die Aufgaben und die Medien, die als Artefakte verwendet werden, entsprechend ineinandergreifen und die jeweiligen Voraussetzungen, die ein Orchestra of Instruments bedingen, angemessen berücksichtigt werden. Zum anderen ist es unumgänglich, dass Artefakte und Aufgaben anschlussfähig an die bereits bestehenden mentalen Schemata sind, so dass es weder zu einer Unter- noch zu einer Überforderung der Schülerinnen und Schüler kommt und
46
2 Theoretischer Hintergrund
stattdessen eine Weiterentwicklung ihres funktionalen Denkens tatsächlich erreicht werden kann. 2.4
Theoriebausteine zusammenfügen
Anmerkung. Z: Zuordnung, Ä: Änderungsverhalten, O: Funktion als Objekt, G: Graph, T: Tabelle, S: situative Beschreibung
Abbildung 2.7 Modell zur Förderung funktionalen Denkens durch Experimente mit Computer-Simulationen und gegenständlichen Materialien mittels Instrumental Genesis
Das Modell in Abbildung 2.7 verdeutlicht, wie die zuvor einzeln beschriebenen Theoriebausteine ineinandergreifen. Auf dieser Basis kann empirisch untersucht werden, was eine Lernumgebung, die auf Experimenten fußt, zur Förderung des funktionalen Denkens leisten kann. Es wird möglich herauszufinden, welche Zugangsweise – gegenständliche Materialien oder
2.4
Theoriebausteine zusammenfügen
47
Computer-Simulationen – den größeren Lernerfolg verspricht. Des Weiteren können die Prozesse, die während der Instrumental Genesis ablaufen, analysiert werden, um auch diesbezüglich Aussagen über die jeweilige Zugangsweise zu generieren. Das Modell geht dabei von einer detaillierten Beschreibung des funktionalen Denkens aus (Abschnitt 2.2), die einem praxisorientierten (Umgang mit Repräsentationsformen) und einem normativen Ansatz (Zuordnung, Änderungsverhalten, Funktion als Objekt) folgt, sowie vom concept image der Schülerinnen und Schüler. Das concept image der Schülerinnen und Schülerinnen beinhaltet dabei zum Zeitpunkt vor der Intervention lediglich implizit im Unterricht und im Alltag erworbene Vorstellungen zu funktionalen Zusammenhängen. Darunter sind auch solche, die aus Sicht der concept definition als Fehlvorstellungen charakterisiert werden müssen. In dieser Situation stellen sich Experimente, wie in 2.3.1 dargelegt, als erfolgversprechender Weg dar, das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Des Weiteren lässt sich der Einsatz von Computer-Simulationen und gegenständlichen Materialien mittels entsprechender Aufgaben, die die Struktur funktionalen Denkens sowie die relevanten Repräsentationsformen (Tabelle, Graph und situative Beschreibung) berücksichtigen, aufbauend auf theoretisch fundierte Überlegungen (2.3.2 und 2.3.3) als zielführend begründen. Eingebettet wird das Experimentieren, das auf entsprechenden Aufgaben und den beiden Medien basiert, in die Instrumental Genesis. Diese lässt eine Wirkung der gewählten Zugangsweisen auf das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler und entsprechend die Entwicklung neuer, adäquater Schemata erwarten. Der entsprechend erhoffte Zuwachs des funktionalen Denkens kann zunächst gemessen werden. Hierzu lässt sich ein Test konstruieren, der ebenfalls die theoretisch herausgearbeitete Struktur des funktionalen Denkens nutzt und Aussagen über die Güte der Intervention und Antworten auf die Frage, ob mit gegenständlichen Materialien oder Computer-Simulationen experimentiert werden sollte, ermöglicht. Erwartet wird, dass das funktionale Denken sich hinsichtlich der Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt als auch mit Blick auf das Verständnis einzelner Repräsentationsformen und den Wechsel zwischen ihnen weiter entwickelt, so dass eine beginnende Angleichung von concept image und concept definition zu beobachten ist. Ob sich Unterschiede in der Wirksamkeit der beiden Zugangsweisen auf das funktionale Denken zeigen, kann ebenso ermittelt werden wie Unterschiede auf Prozessebene, die sich in der Bearbeitung der Experimente und der Aufgaben im Rahmen der Instrumental Genesis ergeben. Auf Grundlage des so erstellten Modells wurde im Rahmen dieses Projekts ein Test zur Messung des funktionalen Denkens entwickelt, eine Intervention gestaltet und durchgeführt sowie eine Analyse der Prozesse, die zur Entwicklung funktionalen Denkens führten, betrieben. Richtunggebend waren für diese einzelnen Schritte die Forschungsfragen, die sich aus dem in Anlehnung an die Theorie erstellten Modell ergaben. Diese werden in Kapitel 3 vorgestellt.
Kapitel 3 Ziele und Forschungsfragen
3
Ziele und Forschungsfragen
Das übergeordnete Ziel dieses Projekts war es, das funktionale Denken von Sechstklässlern zu fördern, um so eine Grundlage für den Unterrichtsstoff der folgenden Schuljahre schaffen zu können. Hierbei sollte ein grundlegendes Verständnis von funktionalen Zusammenhängen im Mittelpunkt stehen und nicht die symbolische Darstellungsweise, die den Schülerinnen und Schülern früh genug begegnet. Um dieses Ziel erreichen bzw. das Erreichen des Ziels überprüfen zu können, war es erforderlich, zunächst einen Test zu entwickeln, der das funktionale Denken von Sechstklässlern messbar machte und dabei die theoretischen Charakteristika funktionalen Denkens berücksichtigte. Im nächsten Schritt musste eine Intervention gestaltet werden, im Rahmen derer das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler gefördert werden konnte. Diese Intervention sollte auf Experimenten fußen, zu deren Durchführung sowohl gegenständliche Materialien als auch Computer-Simulationen in getrennten Settings Verwendung fanden. Die aus der Intervention bzw. aus dem Test gewonnen Daten sollten Aufschluss darüber geben, ob bzw. wie und eventuell auch warum sich das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Intervention veränderte. Aus diesem übergeordneten Ziel leiteten sich die folgenden Forschungsfragen ab.
(1) Funktionales Denken messbar machen Wie kann das funktionale Denken von Sechst- bzw. Siebtklässlern gemessen werden?
(2) Funktionales Denken verstehen lernen Lassen sich die theoretischen Charakteristika des funktionalen Denkens, die Unterteilung in die Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt, psychometrisch als drei Dimensionen dieses einen Konstrukts nachweisen?
(3)
Funktionales Denken fördern gegenständliche Materialien oder Computer-Simulationen? a. Führt die Verwendung von gegenständlichen Materialien bzw. Computer-Simulationen, eingesetzt zur Förderung des funktionalen Denkens von Sechstklässlern, zu einer signifikanten Verbesserung ihres funktionalen Denkens?
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Lichti, Funktionales Denken fördern, Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23621-2_3
50
3 Ziele und Forschungsfragen
b. Erzeugen der Einsatz von gegenständlichen Materialien bzw. Computer-Simulationen signifikant unterschiedlich große Effekte auf das funktionale Denken von Sechstklässlern? c. Finden sich Erklärungsansätze, die auf den in der Intervention verwendeten Medien beruhen, für einen gegebenenfalls quantitativ messbaren Unterschied des Zuwachses des funktionalen Denkens zwischen den Experimentalgruppen?
Kapitel 4 Methoden
4
Methoden
Methodische Grundlagen, die für die Auswertung sowohl der ersten als auch der zweiten Studie relevant waren, werden an dieser Stelle vorab beschrieben. Methoden, die nur im Rahmen einer der beiden Studien zum Tragen kamen, werden jeweils im entsprechenden Kapitel behandelt. 4.1
Item-Response Theorie
Die Item-Response Theorie (IRT) (z.B. DeMars, 2010; Rost, 2004, Yen & Fitzpatrick, 2006) verbindet die auf Testitems gelieferten Antworten (item responses) mit Personenfähigkeiten (bezeichnet als latent trait oder latente Variablen), durch die sich das Antwortverhalten erklären lässt (Hartig & Goldhammer, 2010, S. 3). Der Zusammenhang zwischen der latenten Variable und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines bestimmten Antwortverhaltens wird mit probabilistischen Modellen beschrieben, weshalb auch von probabilistischer Testtheorie gesprochen wird (Hartig & Goldhammer, 2010, S. 3). Um das Antwortverhalten einer Testperson zu modellieren, wird eine Wahrscheinlichkeitsfunktion in Abhängigkeit von der Personenfähigkeit und der Item-Merkmale (Item-Schwierigkeit, -Trennschärfe und Ratewahrscheinlichkeit) verwendet (Rost, 2006, S. 262ff). 𝒑(𝒙𝒗𝒊 = 𝟏) = 𝒇(𝜽𝒗 , 𝝈𝒊 ) (Lewin, 1963)
(4.1)
In (4.1) gibt die Funktion f in Abhängigkeit von der Personenfähigkeit 𝜃𝑣 einer Person v und der Schwierigkeit 𝜎𝑖 eines Items i die Wahrscheinlichkeit an, dass dieses Item i von der Person v korrekt beantwortet wird (𝑥𝑣𝑖 = 1). Man spricht von einem 1-parametrischen logistischen (1PL) Modell. Möglich wäre auch die zusätzliche Einbeziehung der Trennschärfe (2PL Modell) und der Ratewahrscheinlichkeit (3PL Modell). Die IRT macht es so möglich, individuelle Kompetenzen mit spezifischer Aufgabenschwierigkeit zu vergleichen (Hartig & Goldhammer, 2010, S. 3). Im Rahmen dieser Arbeit wurde das 1PL Modell verwendet. Die Personenfähigkeit 𝜃 und die Item-Schwierigkeit 𝜎, die für die Modellierung des 1PL Modells relevant sind, werden in Logit (vgl. Rost, 2004, S. 116ff) angegeben. Die LogitEinheit ist ein abstraktes, gemeinsames Maß für Item- und Personenparameter. Sie wird auch als „Pseudomaßeinheit“ bezeichnet (Woitkowski, 2015, S. 90) und ergibt sich aus dem logarithmierten Wettquotienten (Rost, 2004, S. 117). 𝐥𝐧
𝒑(𝒙𝒗𝒊 =𝟏)
)
(4.2)
𝒑(𝒙𝒗𝒊 =𝟎)
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Lichti, Funktionales Denken fördern, Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23621-2_4
52
4 Methoden
In (4.2) handelt es sich bei p um die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Person 𝜈 ein Item 𝑖 korrekt (𝑥𝑣𝑖 = 1) bzw. falsch (𝑥𝑣𝑖 = 0) löst. Der Wettquotient drückt das Verhältnis von Lösungswahrscheinlichkeit zu Gegenwahrscheinlichkeit aus und beschreibt damit „die Chance …, dass eine Person gegen das Item ‚gewinnt‘ “ (Rost, 2004, S. 117). Durch die Logit-Transformation wird der nur im Intervall [0, +∞) angesiedelte Wert des Wettquotienten symmetrisch auf das Intervall (−∞, +∞ ) abgebildet. Das bedeutet, dass die positive Zahlengerade auf die reellen Zahlen in Gänze abgebildet wird. Der Lösungswahrscheinlichkeit 0.5 wird damit der Nullpunkt der Logit-Darstellung zugeordnet. Diese Transformation macht es möglich, den folgenden Zusammenhang aufzustellen (Rost, 2004, S. 118): 𝒑(𝒙
=𝟏)
𝐥𝐧 𝒑(𝒙𝒗𝒊 =𝟎) = 𝜽𝒗 − 𝒊 .
(4.3)
𝒗𝒊
Mit (4.3) wird ein gemeinsames Ablesen der Parameter 𝜃 und auf der x-Achse (joint scale, vgl. Hartig & Goldhammer, 2010, S. 3) eröffnet. Mittels Logit wird damit ein linearer Zusammenhang von Personenfähigkeit 𝜃𝑣 und Itemschwierigkeit 𝑖 beschrieben. 4.1.1
Das dichotome Rasch-Modell
Das für diese Arbeit relevante Testmodell ist das dichotome Rasch-Modell (Rasch, 1960). Es handelt sich um eines der am häufigsten angewendeten Modelle (Rost, 2006, S. 254) der IRT. Es setzt ein dichotomes Antwortverhalten voraus. Ein Item wird somit falsch oder richtig beantwortet, es gibt keine Abstufungen. Die für dieses Modell verwendete Funktion, die das zu erwartende Antwortverhalten modelliert und in ihrer graphischen Darstellung auch als Item Characteristic Curve (ICC) bezeichnet wird (Hartig & Goldhammer, 2010, S. 9), stellt sich wie folgt dar (vgl. Rasch, 1960; Rost, 2004, S. 119; Rost, 2006, S. 264):
𝒑=
𝒆𝜽−𝝈𝒊 𝟏 + 𝒆𝜽−𝝈𝒊
(4.4)
Hierbei steht in (4.4) wie auch in (4.1) für die Personenfähigkeit und 𝑖 für die Schwierigkeit eines Items i. Die Funktion liefert entsprechend die Wahrscheinlichkeit p, mit der ein Item i mit Schwierigkeit 𝑖 in Abhängigkeit von der Fähigkeit gelöst wird. Betrachtet man die ICCs des dichotomen Rasch-Modells beispielhaft für die Schwierigkeitsparameter i = 0, 1, 2, weisen sie den in Abbildung 4.1 zu sehenden Verlauf auf.
4.1
Item-Response Theorie
53
Abbildung 4.1 ICCs für i = 0,1,2
Aus Abbildung 4.1 wird ersichtlich, dass die ICCs zu unterschiedlichen Item-Schwierigkeiten parallel verschoben sind, weshalb man auch von der „parallelen Item-Funktion“ spricht (Rost, 2004, S. 115). Die gestrichelt dargestellte ICC verdeutlich, dass die Wahrscheinlichkeit, ein Item i mit Schwierigkeitsparameter i = 1 zu lösen, genau dann bei 50 % liegt, wenn die Fähigkeit 𝜃v einer Person v den Wert 1 Logit aufweist. Nimmt die Personenfähigkeit zu, steigt auch die Wahrscheinlichkeit, die Aufgabe richtig zu beantworten. Nimmt der Fähigkeitswert ab, sinkt diese Wahrscheinlichkeit. i beschreibt des Weiteren den Wendepunkt der ICC (Hartig & Goldhammer, 2010, S. 10). Nimmt die Schwierigkeit eines Items zu, wandert die Kurve in Richtung der positiven x-Achse, nimmt Schwierigkeit ab, in Richtung der negativen. Ein aus der graphischen Darstellung ersichtlicher Vorteil dieses Modells ist die gleichzeitige Abbildung von Item- und Personenparametern auf einer Achse. Dies ermöglicht Aussagen über den Zusammenhang von Item-Schwierigkeit, Personenfähigkeit und Lösungswahrscheinlichkeit (Brand, 2014, S. 124; Hartig & Goldhammer, 2010, S. 5ff). Ein weiterer Vorteil des Rasch-Modells besteht darin, dass die Fähigkeitswerte über die Gesamtheit der Personen und Items geschätzt werden können, auch wenn nicht alle Personen alle Items bearbeitet haben (Dorschu, 2013, S. 56). Dies ermöglicht es, in Form eines MultiMatrix-Designs (Frey, Hartig & Rupp, 2009, S. 44ff) deutlich mehr Items zur Messung einer latenten Fähigkeit zu verwenden, als von einer Person in einem bestimmten zeitlichen Rahmen bearbeitet werden können. Beispielsweise PISA nutzt diesen Vorteil (Prenzel, 2013, S. 323ff; Reiss, Sälzer & Schiepe-Tiska, 2016, S. 398ff). Die Parameterschätzung (Item-Schwierigkeit und Personenfähigkeit) erfolgt in der Regel mit der Maximum-Likelihood-Methode (ML-Methode). Diese beruht auf der Likelihood-
54
4 Methoden
Funktion, der Wahrscheinlichkeitsfunktion der gesamten Datenmatrix. Für das Rasch-Modell ergibt sich (vgl. Rost, 2004, S. 123): 𝑵
𝒌
𝑳 = ∏∏ 𝒗=𝟏 𝒊=𝟏
𝒆𝒙𝒗𝒊 (𝜽𝒗 −𝝈𝒊) 𝟏+𝒆
(4.5)
(𝜽𝒗 −𝝈𝒊)
Hierbei werden in (4.5) die Wahrscheinlichkeiten über alle Zeilen (≜ Personen) und Spalten (≜ Items) miteinander multipliziert. Rost (2004) definiert die Funktion folgendermaßen: „Die Likelihood-Funktion beschreibt die Wahrscheinlichkeit der Daten in Abhängigkeit von den Modellparametern unter der Annahme, dass das Modell gilt“ (S. 112). Dementsprechend werden im Rahmen der Parameterschätzung die Parameter gewählt, die mit dem Maximum der Likelihood-Funktion zusammenfallen. Außerdem verwendet man diese Funktion nicht nur zur Parameterschätzung. Sie dient auch dem Modellvergleich. Je höher im Vergleich der Wert ist, den die Likelihood-Funktion annimmt, desto besser passt das Modell auf die Daten (Rost, 2004, S. 331ff). Grundannahmen und Modellpassung Das Rasch-Modell tätigt eine Reihe verschiedener Grundannahmen, die erfüllt sein müssen, um eine latente Fähigkeit mittels des Modells skalieren zu können. So wird zunächst vorausgesetzt, dass die Daten nur eine latente Fähigkeit erfassen, man spricht von der Eindimensionalität des zu messenden Konstrukts (Dorschu, 2013, S. 67; Hartig & Goldhammer, 2010, S. 3). Ebenso vorausgesetzt wird die Stichprobenunabhängigkeit (Differential Item Functioning (DIF), vgl. Strobl, 2010, S. 22ff; Tristan, 2006; Zumbo, 1999, S. 12ff). Unter Stichprobenunabhängigkeit versteht man, dass zwei Probandengruppen gleicher Fähigkeit ein Item mit gleicher Wahrscheinlichkeit lösen. Items müssen in unterschiedlichen Personengruppen gleichermaßen „funktionieren“. Tabelle 4.1 ETS DIF-Kategorien nach Tristan (2006, S. 1070)
ETS DIFKategorie
Deutung
DIF-Größe in Logit
C
moderat bis groß
|DIF| ≥ 0.64
B
gering bis moderat
0.64 > |DIF| ≥ 0.43
A
vernachlässigbar
|DIF| < 0.43
Anmerkung. ETS: Educational Testing Service
Die sogenannte DIF-Analyse kann je nach Interessenslage z. B. anhand der Trennung der Geschlechter durchgeführt werden. Die Analyse liefert den Unterschied der Schwierigkeitswerte einzelner Items mit Blick auf zwei Personengruppen. Diese Unterschiede sind, wie in Tabelle
4.1
Item-Response Theorie
55
4.1 dargestellt, einzuordnen. Demzufolge sollten Items, deren DIF-Werte betragsmäßig größer als 0.64 sind und signifikant werden, in ihrer Verwendung überdacht werden. Eine weitere Grundannahme ist die lokale stochastische Unabhängigkeit der Items. Die Beantwortung eines Items durch eine Person darf nur vom Item und der Fähigkeit der Person abhängen, die als relevant angesehen wird. Dies ist beispielsweise nicht gegeben, wenn zwei Items logisch voneinander abhängen, weil sie z. B. aufeinander aufbauen. Von lokal abhängig spricht man in diesem Fall, da man die Fähigkeit θ einer Person konstant hält (θ = g) und die Beantwortung der Items unter dieser Prämisse betrachtet. Dies lässt sich anhand des Multiplikationssatzes (4.6) der Wahrscheinlichkeitsrechnung verdeutlichen. Nur, wenn dieser erfüllt ist, sind Items lokal stochastisch unabhängig voneinander (vgl. Rost, 2004, S. 69; Bühner, 2010, S. 304). 𝒑(𝒙𝒗𝒊 = 𝟏 𝒖𝒏𝒅 𝒙𝒗𝒋 = 𝟏|𝜽 = 𝒈) = 𝒑(𝒙𝒗𝒊 = 𝟏|𝜽 = 𝒈) ∙ 𝒑( 𝒙𝒗𝒋 = 𝟏|𝜽 = 𝒈)
(4.6)
Gleichung (4.6) gilt nur für eine konstante Fähigkeit θ und beschreibt, dass die Wahrscheinlichkeit, zwei Items i und j richtig zu beantworten, dem Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten, ein jedes dieser Items korrekt zu beantworten, entspricht. Denn Korrelationen zwischen Items sollten sich allein durch die latente Fähigkeit erklären lassen (Bühner, 2010, S. 304ff). Zur Überprüfung der lokalen stochastischen Unabhängigkeit betrachtet man die Residualkorrelationen aller Items in Form einer Q3-Statistik (Robitzsch, 2015, S. 59; Yen, 1984, S. 125ff). Die korrelierten Residuen berechnen sich aus der Differenz des beobachteten Antwortverhaltens und des vom Modell erwarteten. Liegen diese Korrelationen - das Residuum eines jeden Items wird mit jedem anderen korreliert - im Intervall (-0.2, 0.2) ist die Situation unproblematisch (Eckes, 2015, S. 7; Little, 2014, S. 162). Bei Werten außerhalb dieses Bereichs ist die lokale stochastische Unabhängigkeit nicht zwangsläufig gewährleistet. Diese vom Rasch-Modell vorausgesetzte Eigenschaft der Items führt zum bereits weiter oben beschriebenen Vorteil, dass auch bei fehlender Beantwortung einzelner Items durch einzelne Personen die Schätzung der Parameter über alle Personen erfolgen kann (Dorschu, 2013, S. 56). Eine weitere Voraussetzung des Rasch-Modells ist die Annahme, dass alle Items die gleiche Trennschärfe aufweisen. Als Trennschärfe bezeichnet man die Steigung des linearen Teils der ICC (vgl. Abbildung 4.1). Da die ICCs je nach Schwierigkeit des Items lediglich in Richtung der negativen oder positiven x-Achse verschoben werden, muss diese Steigung für alle Kurven gleich sein. Ein Item mit hoher Trennschärfe bringt die Eigenschaft mit sich, dass es Personen unterschiedlicher Fähigkeitswerte besonders gut voneinander unterscheidet (Rost, 2004, S. 98). Trennschärfekoeffizienten mit einem positiven Wert größer als 0.25 (Adams & Wu, 2002, S. 102) bzw. größer als 0.30 (Döring & Bortz, 2016, S. 478) werden dabei als mittelmäßig akzeptiert. Die Verwendung von Items, die eine geringere Trennschärfe aufweisen, muss überdacht werden. Es gilt dabei immer abzuwägen, ob der Ausschluss eines jeweiligen Items nicht eventuell zu Lasten der Inhaltsvalidität (Bühner, 2010, S. 49) oder eines breiten Spektrums an Schwierigkeitsparametern geht (Brand, 2014, S. 134). Wünschenswert ist eine gleichmäßige und breite Verteilung der Item-Schwierigkeiten, um Personenfähigkeiten möglichst differenziert erfassen zu können.
56
4 Methoden
Einen der entscheidenden Hinweise auf die Güte der Modellpassung liefert die FIT-Statistik (Bond & Fox, 2015, S. 356) und ist damit ebenfalls ein Teil der Grundannahmen des RaschModells. Die FIT-Statistik zeigt auf, inwiefern die empirischen Daten den vom Modell angenommenen Daten entsprechen (Rost, 2004, S. 96). FIT-Werte von 1.0 sind daher als ideal zu bezeichnen. Werte über 1 verweisen auf einen Underfit. Bildlich gesprochen bedeutet dies, dass die sich aufgrund der Daten ergebende Kurve flacher als die vom Modell erwartete Kurve verläuft. Werte unter 1 verweisen hingegen auf einen Overfit. Die Kurve auf Datenbasis verläuft steiler als erwartet (vgl. Wright & Linacre, 1994, S. 370). Man unterscheidet dabei INFIT und OUTFIT. Der INFIT berücksichtigt besonders Antwortmuster von Items, die in ihrer Schwierigkeit zur Fähigkeit der Personen passen. Der OUTFIT hingegen betrachtet die Antwortmuster, die entstehen, wenn man Items, deren Schwierigkeiten weit von der Fähigkeit der Personen entfernt liegen, auf ihre Modellpassung untersucht (Wright & Linacre, 1994, S. 370). In der Regel wird vorrangig der INFIT, auch bezeichnet als weigthed mean square, als Maß für die Passung der Daten an die Modellkurven verwendet (OECD, 2012, S. 134). In welchem Bereich die FIT-Werte akzeptiert werden, wird diskutiert. PISA 2000 akzeptiert FIT-Werte im Intervall [0.8, 1.2] (Adams & Wu, 2002, S. 105; Bond & Fox, 2015, S. 356). Wrigth & Linacre (1994, S. 370) empfehlen Werte aus dem Intervall [0.7, 1.3]. Aber es sind auch noch größere Intervalle denkbar (vgl. z.B. [0.60; 1.40], Bei Yu Tan & Yates, 2007, S. 476). Smith, Schumacker & Bush (1998, S. 78) empfehlen eine Abhängigkeit der Cut-off-Werte von der jeweiligen Stichprobengröße. Sie benennen 1 ±
2 √𝑁
als Cut-off-Wert für den INFIT und 1 ±
6 √𝑁
als Cut-
off-Wert für den OUTFIT. Als problematisch werden in jedem Fall FIT-Werte angesehen, die außerhalb des gewählten Intervalls liegen und signifikant werden. In der hier vorgestellten Arbeit wurden Werte aus dem Intervall [0.8, 1.2] als akzeptabel betrachtet. Der overall Modellfit, den ein Testinstrument erreicht, lässt sich anhand des Standardized Root Mean Square Residual (SRMR) beschreiben. Liegt dieser Wert unter 0.08 spricht man von einem guten Modellfit (Hu & Bentler, 1999, S. 1), ab 0.10 und kleiner gilt er als akzeptabel. 4.1.2
Das mehrdimensionale Rasch-Modell
Das mehrdimensionale Rasch-Modell stellt eine Alternative zum eindimensionalen dar. Es bietet die Möglichkeit, zu überprüfen, ob sich theoriegleitet festgelegte Dimensionen in einem Datensatz wiederspiegeln (Prenzel, 2013, S. 332). Mit anderen Worten lässt sich so untersuchen, ob verschiedene latente Fähigkeiten das Antwortverhalten beeinflussen. Hierzu wird jedes Item prä-experimentell einer Dimension (between-item-multidimensionality) oder auch mehreren Dimensionen (within-item-multidimensionality) mittels Gewichten qij zugeordnet (Rost, 2006, S. 268). Diese Gewichte werden in der sogenannten Q-Matrix zusammengefasst (Rost, 2004, S. 254). Die qij finden sich als zusätzlicher Parameter in der bereits vom RaschModell bekannten Antwortfunktion wieder (Rost, 2004, S. 261):
4.2
Modellvergleich
57
𝒉
𝒑=
𝒆∑𝒋=𝟏 𝒒𝒊𝒋 𝜽𝒋 −𝝈𝒊 𝒉
𝟏 + 𝒆∑𝒋=𝟏 𝒒𝒊𝒋 𝜽𝒋 −𝝈𝒊
(4.7)
Für jede Dimension wird eine spezielle Personenfähigkeit 𝜃j geschätzt, die je nach Gewichtung qij in die Gleichung eingeht. Die Gewichte qij können dabei aus ganzzahligen oder rationalen Zahlen bestehen (vgl. Rost 2004, S. 254). Der Schwierigkeitsparameter i der Items verändert sich über die verschiedenen Dimensionen hinweg nicht. Mittels Modellvergleich kann herausgefunden werden, ob ein Modell, das mehrere Dimensionen annimmt, besser auf die Daten passt als ein Modell, das eine andere Anzahl an Dimensionen zugrunde legt. 4.1.3
Verwendung eines Hintergrundmodells
Die IRT ermöglicht es, zur Schätzung von Fähigkeitswerten nicht nur die Ergebnisse eines Tests zu berücksichtigen, sondern auch die mit Hilfe von erhobenen Prädiktoren zusätzlich ermittelten Informationen über bspw. Schülerinnen und Schüler miteinzubeziehen. Diese Informationen gehen in das sogenannte Hintergrundmodell (Hartig et al., 2006, S. 30) ein, was es ermöglicht, die zu schätzende Fähigkeit im Zusammenhang mit diesen Hintergrundvariablen zu bestimmen. Es kommt zu einer Erweiterung des Rasch-Modells mittels latenter Regressionsanalyse (vgl. z. B. Prenzel et al., 2004, S. 380ff). Der Einfluss der Prädiktoren auf die zu schätzende Fähigkeit wird bestimmt. Damit nimmt das Hintergrundmodell Einfluss auf die Aposteriori-Verteilung der latenten Fähigkeit einer jeden Person, die es zu untersuchen gilt. Je mehr Informationen das Hintergrundmodell beinhaltet, die Unterschiede in der untersuchten Fähigkeit erklären können, desto geringer wird die Streuung der A-posteriori-Verteilung der Fähigkeit einzelner Personen (vgl. Hartig & Kühnbach, 2006, S. 31). Da diese Schätzung auf latenter Ebene geschieht, ist sie als messfehlerfrei anzusehen (Hartig, Jude & Wagner, 2007, S. 38; Hartig & Kühnbach, 2006, S. 30). Die latente Fähigkeit, die im Zentrum des Interesses steht, wird genauer erfasst (Ziepprecht, 2016, S. 184). Da Varianz aufgeklärt wird, verbessert sich des Weiteren die EAP-Reliabilität des Tests (Ziepprecht, 2016, S. 184). 4.2
Modellvergleich
Der Vergleich verschiedener Modelle geschieht unter Verwendung der sogenannten Informationskriterien. Man unterscheidet das Akaike Information Criterion (AIC, Akaike, 1987), das Bayes Information Criterion (BIC, Schwarz, 1978), das bias corrected Akaike Information Criterion (AICc, Sugiura, 1987), das sample size adjusted Bayes Information Criterion (saBIC, Sclove, 1987) und das Consistent Akaike Information Criterion (CAIC, Bozdogan, 1987). Alle Kriterien basieren auf der Log-Likelihood (LL), dem logarithmierten (ln) Maximum der Likelihood-Funktion, welche zur Schätzung der Fähigkeits- bzw. Schwierigkeitsparameter verwendet wird. Da die Likelihood-Funktion eine Wahrscheinlichkeit zwischen 0 und 1 angibt, ist die
58
4 Methoden
Log-Likelihood immer ein Wert LL < 0. Da die Modellpassung als besser gilt (vgl. Abschnitt 4.1), je größer das Maximum der Likelihood-Funktion ausfällt, wird die LL als besser angesehen, je kleiner sie betragsmäßig ist. Außer der LL werden noch andere Informationen in den Modellvergleich miteinbezogen: die für das Modell geschätzte Parameteranzahl p und die Stichprobengröße N. Anhand dieser Informationen lässt sich zuordnen, welches Informationskriterium zur angestrebten Modellwahl bemüht werden sollte. Das AIC (4.8) berücksichtigt die LL und die Anzahl der geschätzten Parameter p, nimmt jedoch die Stichprobengröße N nicht in den Blick. (4.8)
𝑨𝑰𝑪 = −𝟐𝑳𝑳 + 𝟐𝒑
Dies wirkt sich auf seine Verwendung aus. Für sehr große Stichproben erweist es sich als inkonsistent, es kommt zum Underfit, weshalb in solchen Fällen auf das CAIC (vgl. (4.9)) zurückgegriffen werden sollte (Hancock & Samuelsen, 2008, S. 319–320; Rost, 2004, S. 344). Für kleine Stichproben hingegen wird auf das AICc (vgl. (4.10)) verwiesen. Dieses sollte ver𝑁
wendet werden, bis gilt 𝑝 > 40 (Gernand, 2009, S. 4). Das AIC selbst bringt bei kleinen Stichproben einen Overfit mit sich. Beide Alternativvarianten des AIC verwenden die Stichprobengröße N zur Korrektur des ursprünglichen Terms. (4.9)
𝑪𝑨𝑰𝑪 = −𝟐𝑳𝑳 + [𝐥𝐧(𝑵) + 𝟏]𝒑
Das CAIC (4.9) fällt im Vergleich zum AIC größer aus, da ln(N) ab N > 3 bereits größer als 1 ist. Dem Underfit wird entgegengewirkt.
𝑨𝑰𝑪𝒄 = −𝟐𝑳𝑳 + 𝟐𝒑 +
𝟐𝒑(𝒑 + 𝟏) 𝑵−𝒑−𝟏
Das AICc (4.10) hingen fällt geringer aus als das AIC, da
2𝑝(𝑝+1) 𝑁−𝑝−1
(4.10) für kleine N negativ wird. Der
Overfit wird bereinigt. Das BIC (4.11) berücksichtigt von Vornherein die Stichprobengröße N. 𝑩𝑰𝑪 = −𝟐𝑳𝑳 + 𝐥𝐧(𝑵) 𝒑
(4.11)
Dies führt dazu, dass große Stichproben (bereits ab N > 8) „bestraft“ werden (Gernand, 2009, S. 7), da ln(N) > 2. Schwarz sieht hierin den Vorteil des BIC gegenüber dem AIC (vgl. Schwarz, 1978, S. 463). Auch zum BIC existiert eine Alternative: das saBIC (4.12). Dieses wird empfohlen, wenn die Parameterzahl p groß ist oder die Stichprobe sehr klein wird. Denn wie im Fall des AIC kommt es bei kleinen Stichproben zum Overfit (Yang, 2006, S. 1093).
4.2
Modellvergleich
59
𝑵+𝟐 𝒔𝒂𝑩𝑰𝑪 = −𝟐𝑳𝑳 + 𝐥𝐧 ( )𝒑 𝟐𝟒
(4.12)
Allgemein gilt, dass das AIC das jeweilige Modell bevorzugt, das den geringsten Informationsverlust mit sich bringt, es sucht so das beste Modell. Das BIC hingegen sucht das Modell, das den geringsten Informationsverlust aufweist und gleichzeitig am sparsamsten ist. Informationskriterien können nur im Vergleich mehrerer Modelle interpretiert werden. Es gilt das Modell als besser, dessen jeweilige Informationskriterien die kleinsten Werte aufweisen (Rost, 2004, S. 339ff). Für eine Differenz ≤ 2 hat das entsprechende Modell keinen Vorteil, eine Differenz 4 ≤ ≤ 7 deutet einen mittleren Vorteil an, ab ≥ 10 spricht man von einem großen Vorteil (Burnham & Anderson, 2004, S. 271). Im Rahmen dieses Projekts wurden aufgrund der jeweiligen Stichprobengrößen in Studie I und II sowie der Anzahl der zu schätzenden Parameter das AICc und das saBIC zum Modellvergleich verwendet.
Kapitel 5 Fun ktionales Den ken messbar machen und verstehen lernen – Stu die I
5
Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Um sämtliche Forschungsfragen (vgl. Kapitel 3), mit denen sich dieses Projekt auseinandersetzte, beantworten zu können, war es erforderlich, einen Test zur Messung des funktionalen Denkens zu entwickeln. Dieser Test musste unterschiedlichen Anforderungen genügen. Zunächst sollte er das funktionale Denken von Sechstklässlern des Gymnasiums messbar machen und damit einsetzbar sein, bevor Schülerinnen und Schüler im Unterricht explizit Bekanntschaft mit funktionalen Zusammenhängen machen (vgl. Forschungsfrage 1). Dies implizierte, dass die syntaktische Repräsentationsform funktionaler Zusammenhänge nicht Teil des Tests sein durfte. Die graphische, tabellarische und situative Repräsentationsform und besonders die Aufforderung zum Wechsel zwischen diesen Formen mussten hingegen Verwendung finden. Des Weiteren ergaben sich aufgrund des Alters der betreffenden Schülerinnen und Schüler besondere Anforderungen an die sprachliche und inhaltliche Gestaltung der Testaufgaben. Da mittels des Tests zudem nicht nur die Messung funktionalen Denkens ermöglicht, sondern auch eine Überprüfung der psychometrischen Unterteilung funktionalen Denkens in die drei Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt durchgeführt werden sollte (vgl. Forschungsfrage 2), die theoretisch angenommen wird (Breidenbach et al., 1992; Malle, 2000b; Thompson, 1994; Vollrath, 1989), musste der Test alle drei Aspekte in gut trennbarer Form und möglichst dargestellt in allen möglichen Repräsentationsformen beinhalten. Die Sichtung der bereits existierenden Tests zu funktionalem Denken unter Berücksichtigung der so benannten Anforderungen ergab, dass diese Testinstrumente für die Zwecke dieses Projekts nur in Teilen als geeignet anzusehen waren. Eines der aktuellsten Instrumente zur Messung funktionalen Denkens wird von Nitsch (2015) verwendet. Der Test beschreibt funktionales Denken mittels des Wechsels zwischen Repräsentationsformen und zielt durch seine Ausrichtungen vorrangig auf Fehlvorstellungen hinsichtlich funktionaler Zusammenhänge und damit bezüglich des funktionalen Denkens ab. Es schien ungünstig, einen Test zur Messung des funktionalen Denkens zu verwenden, der explizit Fehlvorstellungen in besonderem Maße zu provozieren sucht. Angelegt ist der Test des Weiteren für die Jahrgangsstufen 9,10 und 11 und damit wenig für unsere Zwecke (Jahrgangsstufe 6) geeignet. Rolfes (2017) konstruiert einen Test für die 6. Und 7. Jahrgangstufe, der die Effizienz von Tabellen, Graphen und Balkendiagrammen für die Lösung von Aufgaben zu funktionalen Zusammenhängen in den Blick nimmt. Er unterscheidet qualitatives und quantitatives funktionales Denken. Die Berücksichtigung der Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Objektaspekt wird hinsichtlich der Konstruktion der Items bzw. der Auswertung nicht thematisiert. Damit schien auch dieser Test für unsere Zwecke nicht geeignet. Das am besten zu unserem Vorhaben passende Testinstrument ist der von Ganter (2013) im Rahmen ihrer Dissertation entwickelte Test zum Zuordnungsaspekt und zum Aspekt des Änderungsverhaltens. Dieser Test richtet sich an Schülerinnen und Schüler der Hauptschule in
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Lichti, Funktionales Denken fördern, Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23621-2_5
62
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Jahrgangsstufe 7. Er spart den Objektaspekt funktionalen Denkens aus, trennt aber erfolgreich Zuordnung und Änderungsverhalten in unterschiedliche Dimensionen des einen Konstrukts funktionalen Denkens (Ganter, 2013, S. 234), da eine Korrelation unter 0.8 zwischen beiden Facetten festgestellt wird. Eine genaue Analyse der Items ergab, dass diese sich mit Ausnahme von vier Items inhaltlich auf die im Rahmen der Dissertation durchgeführte Intervention beziehen. Eine wirkliche Vergleichbarkeit von Effekten wäre nur zu erlangen, wenn auch die in diesem Projekt zu planende Intervention die entsprechenden Kontexte beinhalten würden. Diese stellten sich allerdings nicht alle als geeignet für den Vergleich von Simulationen und gegenständlichen Materialien dar. Die Items des Tests, die sich nicht auf die Inhalte der Intervention beziehen, rücken des Weiteren den Graph-als-Bild-Fehler in den Fokus. Auch dies schien für unsere Zwecke in diesem besonderen Maße nicht dienlich. In seiner Gesamtheit schien der Test in seiner vorliegenden Form daher nicht geeignet, um in dieser Studie zum Einsatz kommen zu können. Er wurde aber inhaltlich als maßgebliche Grundlage verwendet. Des Weiteren wurden zwei Items (Item Rennwagen a und b) in entsprechender Form in den für diese Studie entwickelten Test aufgenommen. Diese Items sind ebenfalls Teil der Tests von Nitsch. Ein Zusammenbringen aller Ergebnisse wäre entsprechend auf Basis dieser Items möglich. Ein Test für Jahrgangsstufe 6 an Gymnasien, der funktionales Denken anhand verschiedener Repräsentationsformen und bezugnehmend auf die drei Aspekten nach Vollrath untersucht und dabei eine mögliche Trennung der drei Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt in einzelne Dimensionen des latenten Konstrukts ins Auge fasst, ohne dabei die syntaktische Repräsentationsform funktionaler Zusammenhänge zu berücksichtigen, lag somit bis zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung nicht vor. Dies machte die Entwicklung eines Instruments nötig. 5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
Der Abschnitt Konstruktion des Messinstruments umfasst zunächst den Schritt der Operationalisierung der drei Aspekte funktionalen Denkens (5.1.1). Es schließt sich daran die Konstruktion und detaillierte Beschreibung der Testitems an (5.1.2). Des Weiteren werden das Testheft-Design und die Auswahl der Prädiktoren besprochen (5.1.3). 5.1.1
Operationalisierung
Um eine Trennung der drei Aspekte funktionalen Denkens vornehmen zu können, wurden diese Aspekte zunächst theoriegeleitete operationalisiert. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, einzelne Items eindeutig einem der drei Aspekte zuweisen zu können. Hierzu wurden die theoretischen Bausteine mit den Fähigkeiten, die zur Lösung entsprechender Aufgaben notwendig erschienen, zusammengebracht. Des Weiteren wurde die Fähigkeit, unterschiedliche Repräsentationsformen zu verwenden und zwischen diesen zu wechseln, als ausschlaggebend für funktionales Denken erkannt. Daher war ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden musst, dass die zu konstruierenden Items diese Fähigkeiten erforderten. Ob eine strikte Trennung der
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
63
Aspekte überhaupt möglich ist oder ob nicht eine Abhängigkeit zwischen diesen besteht, bspw. in der Form, dass sie aufeinander aufbauen, wurde im Rahmen der Auswertung untersucht. Zur Operationalisierung der drei Aspekte wurde zusätzlich auf ein Expertenrating zurückgegriffen, das die Passung von Operationalisierung und Testitems überprüfte. Auf Basis dieses Expertenratings konnten die Vorgehensweisen konkreter gefasst werden, die sich als nötig erwiesen, um einzelne Items, die einen der drei Aspekte wiederspiegelten, lösen zu können. Diese Fähigkeiten wurden damit sowohl theoretisch hergeleitet (vgl. z.B. Nitsch, 2015, S. 101-104, Hußmann & Laakmann, 2011, S. 10) als auch im Gespräch mit Experten ermittelt. Tabelle 5.1 Tätigkeiten zugeordnet zu Aspekten des funktionalen Denkens und den relevanten Repräsentationsformen, Hußmann & Laakmann, 2011, S. 5.
Repräsentationsform Aspekt
graphisch
tabellarisch
situativ
Zuordnung
Einem Wert auf der ersten Achse wird ein Wert auf der zweiten Achse zugeordnet.
Einem Wert in der ersten Spalte wird ein Wert in der zweiten Spalte zugeordnet.
Dekodieren von Informationen zu Zuordnungen
Unterteilung in Abschnitte mit unterschiedlichem Änderungsverhalten
Paarweiser Vergleich hinsichtlich der Änderung
Dekodieren von Informationen zum Änderungsverhalten
Mit graphischen Merkmalen die Funktion als Ganzes oder für Teilbereiche typisieren
Differenzen-, Quotienten-, Produktgleichheit o.ä. aus Wertepaaren bestimmen
Dekodieren der Informationen zum Gesamttypus.
Änderungsverhalten
Objekt
Zur besseren Nachvollziehbarkeit des Vorgehens wird daher im Folgenden kurz auf die Theorie eines jeden Aspekts und auf die zur Lösung passender Aufgaben benötigten Fähigkeiten eingegangen. Für eine umfassende Darstellung der den Aspekten zugrundeliegenden Theorie sei auf den Abschnitt 2.2 Funktionales Denken verwiesen. Schlussendlich wird die verwendete Operationalisierung vorgestellt. Vorangestellt sei an dieser Stelle in Anlehnung an Hußmann & Laakmann (2011) eine Zusammenstellung der verschiedenen Tätigkeiten, die im Rahmen eines jeweiligen Aspekts und unter Berücksichtigung der Repräsentationsform vorstellbar sind (vgl. Tabelle 5.1). Auf diese Zusammenstellung wird im Laufe der Herleitung der Operationalisierung immer wieder Bezug genommen.
64
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Der Aspekt Zuordnung Im Zentrum der Definition des Zuordnungsaspekts stehen der Zusammenhang zwischen zwei Variablen und die Eindeutigkeit der so beschriebenen Zuordnung (vgl. z. B. Vinner & Dreyfus, 1989, S. 359; Vollrath, 1989, S. 8). Das Vervollständigen und Identifizieren von Wertepaaren stellen sich damit als maßgebliche Fähigkeiten dar, um entsprechende Aufgaben lösen zu können. Unter dem Vervollständigen eines Wertepaares wird dabei verstanden, dass nur ein Wert des Wertepaares vorgegeben ist und der fehlende Wert unter Verwendung einer Tabelle, eines Graphen oder einer situativen Beschreibung ermittelt werden muss. Das Identifizieren eines Wertepaares hingegen umfasst, dass beide Werte des Wertepaares bekannt sind und dieses Wertepaar in einer Tabelle oder auf einem Graphen identifiziert werden muss. Beispielsweis die Aufgabe, zu überprüfen, ob ein vorgegebenes Wertepaar auf einem ebenfalls vorgegebenen Graphen liegt (vgl. Item Punkte, S. 78), müsste mittels der Identifikation des Wertepaares im Koordinatensystem und gegebenenfalls auf dem Graphen gelöst werden. Beide Vorgänge erfordern das Erkennen eines zugrundeliegenden Zusammenhangs und die Berücksichtigung seiner Eindeutigkeit. Da sich dieser Prozess mit allen relevanten Repräsentationsformen initiieren lässt (Graph, Tabelle, situative Beschreibung) (vgl. Tabelle 5.1), werden als Fähigkeiten, die konkret zur Bearbeitung von Aufgaben des Aspekts Zuordnung benötigt werden, die folgenden benannt:
Vervollständigung eines Wertepaares auf der Grundlage eines Graphen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung Identifikation eines Wertepaares auf einem Graphen oder aus einer Tabelle Ermittlung eines Wertepaares durch Verwendung einer situativen Beschreibung
Alle drei Punkte lassen sich auch im Rahmen von Repräsentationswechseln betrachten. So können Wertepaare aus einer Tabelle auf einem Graphen identifiziert werden, eine an eine situative Beschreibung gebundene Frage kann mittels einzelner Werte oder eines Wertepaares aus einem Graphen oder einer Tabelle beantwortet werden. Jeglicher Repräsentationswechsel zwischen einem Graphen, einer Tabelle und einer Situationsbeschreibung scheint den Einsatz des Zuordnungsaspekts bei entsprechender Fragestellung zu ermöglichen. Operationalisierung des Zuordnungsaspekts. Der Zuordnungsaspekt umfasst, dass jedem x genau ein y zugeordnet wird. Er tritt in Aufgaben zutage, die schwerpunktmäßig die Vervollständigung von Wertepaaren auf Basis eines Gra-
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
65
phen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung verlangen oder fordern, dass vorgegebene Wertepaare auf einem Graphen, in einer Tabelle oder im Rahmen einer situativen Beschreibung identifiziert werden.8 Der Aspekt Änderungsverhalten Zur Erfassung des Änderungsverhaltens liegt der Fokus klar auf der Änderung zweier Größen in Abhängigkeit voneinander (vgl. z. B. Vinner & Dreyfus, 1989, S. 360; Vollrath, 1989, S. 12). Die Änderung zweier voneinander abhängiger Größen lässt sich in unterschiedlichen Formen darstellen. Es kann sich um die absolute Änderung, die Änderungsrate oder um die Steigung handeln, wenn man einen Graphen betrachtet. Alle drei Erscheinungsformen beziehen sich dabei auf ein bestimmtes Intervall, das betrachtet wird. Diese Einschränkung ergab sich aufgrund des Expertenratings. Es zeigte sich, dass eine Abgrenzung des Aspekts Änderungsverhalten zum Aspekt Funktion als Objekt entscheidend davon abhängt, ob die Funktion in einem bestimmten Intervall untersucht werden muss oder ob keine Fokussierung der Schülerinnen und Schüler auf ein solches Intervall vorliegt. In diesem Fall würde die Funktion als Ganzes in den Mittelpunkt rücken. Als Ausnahmen wurden Aufgaben identifiziert, die einzig über die Steigung eines Graphen, die mit Blick auf die graphische Repräsentationsform als Ausdruck des Änderungsverhaltens bedacht werden muss, gelöst werden können. In diesem Fall hat die Steigung und damit das Änderungsverhalten mehr Anteil an der Lösung der Aufgabe als die Betrachtung des Graphen in Gänze.9 Man stelle sich zwei Geraden vor, die jeweils den Zusammenhang von zurückgelegtem Weg in Abhängigkeit von der Zeit abbilden. Um die Frage „Wer oder was ist schneller?“ zu beantworten, genügt ein Blick auf die Steigung. Wer oder was den dargestellten Weg zurücklegt, wo der Weg beginnt oder in welchen Einheiten Weg und Zeit gegeben sind, ist irrelevant. Hinsichtlich der Steigung wird nur der Graph als Repräsentationsform verwendet, da Steigung in qualitativer Art und Weise erfasst werden soll. Diese qualitative Wahrnehmung tritt deutlich weniger klar zutage, wenn eine Tabelle oder eine situative Beschreibung vorliegt. Das Änderungsverhalten lässt sich in allen drei relevanten Repräsentationsformen erkennen (vgl. Tabelle 5.1). Es ist möglich, eine absolute Änderung basierend auf einem Graphen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung zu bestimmen. Gleiches gilt für die Änderungsrate. Des Weiteren scheint ein Verständnis von Änderung auch maßgeblich für den Wechsel zwischen sämtlichen Repräsentationsformen zu sein. So kann beispielsweise eine Gerade erstellt werden, nachdem einer Tabelle die Änderungsrate entnommen wurde oder indem eine
8
Es sei an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen, dass die symbolische Darstellung nicht Teil der Operationalisierung war, da Jahrgangsstufe 6, für die der Test konstruiert wurde, mit dieser noch nicht in Berührung gekommen ist. 9 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur Itemkonstruktion.
66
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
situative Beschreibung entsprechend interpretiert wird. Die Vielgestalt, in der das Änderungsverhalten auftreten kann, schlägt sich folglich in einer Vielzahl an Fähigkeiten nieder, die Schülerinnen und Schüler zur Bearbeitung entsprechender Aufgaben benötigen.
Untersuchung einer Funktion, dargestellt als Graph, Tabelle oder situative Beschreibung, in einem vorgegebenen Intervall auf ihre Steigung/Änderungsrate/absolute Änderung hin Untersuchung einer Funktion, dargestellt als Graph, Tabelle oder situative Beschreibung, in mehreren vorgegebenen Intervallen auf ihre Steigung/Änderungsrate/absolute Änderung hin Untersuchung verschiedener Funktionen, dargestellt als Graph, Tabelle oder situative Beschreibung, in einem vorgegebenen Intervall auf ihre Steigung/Änderungsrate/absolute Änderung hin Vergleich ausschließlich der Steigung verschiedener Graphen miteinander Vergleich ausschließlich der Steigung eines Graphen in verschiedenen Intervallen miteinander Identifikation eines Intervalls mit vorgegebener Breite als Teil eines Graphen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung, in dem eine bestimmte Änderung vorliegt Zerlegung eines Graphen oder einer tabellarischen Darstellung in Abschnitte mit unterschiedlicher Steigung bzw. Änderungsrate
Operationalisierung des Aspekts Änderungsverhalten. Der Aspekt Änderungsverhalten zeigt sich in der Auseinandersetzung mit der Änderung einer unabhängigen Variablen (x) und der daraus resultierenden Änderung einer abhängigen Variablen (y). Er ist grundlegend für die Bearbeitung von Aufgaben, zu deren Lösung die absolute Änderung, die Steigung oder die Änderungsrate (1) einer Funktion in einem festen Intervall oder (2) einer Funktion in mehreren Intervallen oder (3) mehrerer Funktionen in einem festen Intervall überprüft werden müssen. Speziell Aufgaben in graphischer Darstellung, zu deren Lösung einzig die Steigung entscheidend ist, sind dem Aspekt Änderungsverhalten zuzuordnen. Der Aspekt Funktion als Objekt Der Aspekt Funktion als Objekt stellt sich als der komplexeste der drei Aspekte dar (vgl. die Ausführungen unter 2.2.2). Was befähigt Schülerinnen und Schüler, eine Funktion als Ganzes zu betrachten und ihren Objektcharakter wahrzunehmen? Woran kann man von außen erkennen, dass sie dazu in der Lage sind? Ist es überhaupt möglich, dass Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 6 einen funktionalen Zusammenhang in dieser Art und Weise erfassen? Es scheint, dass der Objektcharakter am besten greifbar wird, wenn man die symbolische Form verwendet (vgl. Abschnitt 2.2.2). Denn Funktionsvorschriften kann man z. B. addieren oder subtrahieren, man kann sie wie ein Objekt benutzen (vgl. z.B. Breidenbach et al., 1992, S. 250).
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
67
Aber woher kommt der Blick auf das Ganze? Hierzu ist es erforderlich, mehr als einzelne Wertepaare in den Blick zu nehmen (Vollrath, 1989, S. 15). Damit ergibt sich, dass der Objektaspekt in Aufgaben deutlich wird, die den Wechsel zwischen Repräsentationsformen erfordern und dabei die Verwendung unterschiedlichster Merkmale, wie z. B. von Steigung oder Änderungsrate und verschiedenen Wertepaaren nötig machen. Die Übertragung einer Situationsbeschreibung in ihrer Gesamtheit auf eine graphische Repräsentation bietet diese Anforderungen. Es müssen unterschiedliche Fähigkeiten zur Anwendung kommen, um einen solchen Blick zu entwickeln. Dabei wird eine Funktion aber nicht nur als Gesamtheit gesehen, sondern auch wieder dekonstruiert, um einzelne Facetten in unterschiedlichen Darstellungen wiedererkennen zu können (vgl. vom Hofe, 2004, S. 54). Es darf des Weiteren keine Einschränkung beispielsweise auf ein Intervall vorliegen. Die Schülerinnen und Schüler müssen der vermeintlich ganzen Funktion gegenüber stehen. Darauf aufbauend ergeben sich die folgenden Fähigkeiten, die als Indizien für einen sich langsam entwickelnden Blick auf die Funktion als Ganzes bzw. als Objekt gewertet werden können.
Zuordnung unterschiedlicher Repräsentationsformen eines Zusammenhangs zueinander, wobei unterschiedliche Merkmale, d. h. nicht nur der Aspekt der Änderung oder einzelne Punkte, vonnöten sind, um eine Verbindung herzustellen (bzgl. des Herstellens einer Verbindung vgl. vom Hofe, 2004, S. 54) Wechsel zwischen den Repräsentationsformen Graph, Tabelle und Situationsbeschreibung, wobei unterschiedliche Aspekte, d.h. nicht nur der Aspekt der Änderung oder einzelne Punkte, vonnöten sind, um eine Verbindung herzustellen Bestimmung eines gesuchten Intervalls, dessen Breite nicht vorgegeben ist, sodass die Betrachtung des zugrundeliegenden Zusammenhangs in seiner Gänze innerhalb der jeweiligen Darstellung Graph oder Tabelle notwendig wird
Operationalisierung des Aspekts Funktion als Objekt. Der Aspekt Funktion als Objekt ist für die Lösung von Aufgaben relevant, die sich auf die Funktion als Ganzes beziehen. Unterschiedliche Merkmale der Funktion sind notwendig, um sie einordnen und in Beziehung zu anderen Darstellungsformen setzen zu können. Diesem Aspekt zuzuordnende Aufgaben verlangen die Verknüpfung verschiedener Repräsentationsformen in ihrer Gesamtheit (Graph, Situationsbeschreibung, Tabelle). Zur Lösung der Aufgaben müssen verschiedene Gesichtspunkte (einzelne Wertepaar, Steigung/Änderungsrate, situative Beschreibung) zugleich beachtet werden. Ebenfalls hier einzuordnen sind Aufgaben, die die Bestimmung eines Intervalls fordern, dessen Breite nicht bekannt ist. Hierzu muss die Funktion in ihrer Gänze in der jeweiligen Darstellungsform in den Blick genommen und analysiert werden.
68
5.1.2
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Konstruktion der Items
Die Konstruktion der Items basierte auf bereits validierten Aufgaben aus PISA (OECD PISA, 2013), VERA 8 (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) und TIMSS (Baumert et al., 1998). Die Items werden im Rahmen der jeweiligen Studien dem funktionalen Zusammenhang/Verständnis zugeordnet. Auch der Test von Ganter (2013) wurde berücksichtigt. Aufgaben, die aus dieser Zusammenstellung von bestehenden Tests entnommen wurden, wurden in den meisten Fällen adaptiert. Dies war zum einen aus den in der Einleitung dieses Kapitels aufgeführten Gründen nötig. Zum anderen sollten die einzelnen Aspekte funktionalen Denkens in jedem Item möglichst eindeutig erkennbar sein, was eine Adaption meist unumgänglich machte. Im Zuge der Darstellung der am Ende tatsächlich in den Test übernommenen Aufgaben wird genau erläutert, welche Aufgaben aus welchen Gründen und auf welche Art angepasst wurden. Zusätzlich zu den adaptierten Items wurden in Anlehnung an diese auch neue Items entwickelt. Insgesamt wurden so im ersten Schritt zunächst 45 Items adaptiert bzw. neu erstellt. Auf Basis der erstellten Operationalisierung (vgl. Abschnitt 5.1.1) und den damit zur Bearbeitung entsprechender Aufgaben identifizierten relevanten Fähigkeiten (vgl. Tabelle 5.2) wurden zwölf dieser 45 Items dem Zuordnungsaspekt zugewiesen, 21 Items dem Änderungsverhalten und zwölf Items dem Objektaspekt. Die größere Menge an Items zum Änderungsverhalten begründete sich darin, dass dieser Aspekt in einer Vielzahl von verschiedene Situationen zum Tragen kommen kann. Er musste als Steigung, Änderungsrate oder absolute Änderung in Bezug auf Tabellen, Graphen und situative Beschreibungen berücksichtigt werden (vgl. Tabelle 5.2 sowie Abschnitt 5.1.1). Um die gemäß der Operationalisierung vorgenommene Zuweisung der Aufgaben10 zu den einzelnen Aspekten überprüfen zu können, wurden die Items gemäß der Operationalisierung von Experten (N = 5) geratet und diskutiert. Es handelte sich um Promovenden der Mathematikdidaktik sowie Mathematiklehrerinnen und -lehrern. Das Rating erwies sich bei acht von zwölf Zuordnungsaufgaben als eindeutig, bei den verbleibenden vier Items entschied sich die Mehrheit der Rater für diesen Aspekt. Bei elf von 21 Aufgaben, die für den Aspekt Änderungsverhalten konstruiert wurden, stimmten alle Rater dieser Zuweisung zu, bei sieben Items entschied sich die Mehrheit für diesen Aspekt, bei den verbleibenden drei Items weniger. Diese drei Items wurden daher genauer betrachtet. Hinsichtlich des Aspekts Funktion als Objekt zeigte sich ein ähnliches Bild wie für den Zuordnungsaspekt: Das Rating fiel für sieben der zwölf Items zum Aspekt Funktion als Objekt eindeutig aus, bei fünf von zwölf dieser
10
Es handelte sich hierbei um eine Vorversion der oben dargestellten Operationalisierung: Der Zuordnungsaspekt tritt in Aufgaben zutage, die sich mit genau einem Wertepaar beschäftigen, welches entweder als Punkt, als Wertepaar in einer Tabelle oder im Rahmen eines Sachkontexts auftritt. Das Änderungsverhalten ist grundlegend für die Lösung von Aufgaben, welche die absolute Änderung, die Steigung oder die Änderungsrate zum Thema haben oder mindestens zwei Wertepaare (Darstellung als Punkte, in einer Tabelle oder in situativer Beschreibung) bzw. feste Intervalle in den Blick nehmen. Der Objektaspekt erfordert es, einen ganzen Graphen anstelle von einzelnen Intervallen oder die Beschreibung eines Zusammenhangs in seiner Gesamtheit in den Blick zu nehmen.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
69
Items entschied sich die Mehrheit der Rater für den intendierten Aspekt. Es bestand damit vorwiegend eine große Unsicherheit mit Blick auf die Aufgaben zum Änderungsverhalten. Diese begründete sich der Einschätzung der Rater nach in der nicht immer eindeutig möglichen Abgrenzung zum Zuordnungsaspekt bzw. zum Aspekt Funktion als Objekt. Dies wurde genauer betrachtet. Tabelle 5.2 Überblick über die Fähigkeiten zur Beherrschung der drei Aspekte funktionalen Denkens nach Vollrath (1989)
Aspekt
Zuordnung
Änderungsverhalten
Erforderliche Fähigkeiten Vervollständigen eines Wertepaares durch Verwendung eines Graphen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung. Identifizieren eines gegebenen Wertepaares auf einem Graphen, in einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung. Verwenden der absoluten Änderung, der Steigung oder der Änderungsrate (1) einer Funktion in einem abgeschlossenen Intervall oder (2) einer Funktion in verschiedenen abgeschlossenen Intervallen oder (3) verschiedener Funktionen in einem abgeschlossenen Intervall. Verwenden ausschließlich der Steigung eines Graphen, um eine Aufgabe zu lösen.11 Verschiedene Aspekte einer Funktion zur gleichen Zeit bedenken (einzelne Wertepaare, Steigung oder Änderungsrate, situative Beschreibung), um sie zu beschreiben oder mit anderen Repräsentationsformen in Verbindung zu bringen.
Objekt
Unterschiedliche Repräsentationsformen im Ganzen miteinander in Verbindung setzen (Graph, Tabelle, situative Beschreibung) Ein Intervall unbekannter Größe in Bezug zu einem Graphen, einer Tabelle oder einer situativen Beschreibung bestimmen.
Aufgaben, die die Berechnung der Änderungsrate mittels zweier Wertepaare (quantitatives Vorgehen) in einem festen Intervall zum Thema hatten, erwiesen sich als problematisch. Es erschien fraglich, ob diese Aufgaben tatsächlich das Verständnis des Änderungsverhaltens ansprechen. Es wurde vermutet, dass Schülerinnen und Schüler bei der Lösung solcher Aufgaben lediglich ihr Wissen um den Zuordnungsaspekt nutzen würden, um erst die relevanten Werte zu identifizieren und diese im Folgenden lediglich zu subtrahieren. Als Beispiel sei hier das Item Temperatur angeführt, das nicht in den Corpus der verwendeten Items übernommen
11
Hier wird nur der Graph als Repräsentationsform verwendet, da es sich um die qualitative Wahrnehmung der Steigung handelt. Diese qualitative Wahrnehmung tritt deutlich weniger klar zutage, wenn eine Tabelle oder eine situative Beschreibung vorliegt.
70
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
wurde. Schülerinnen und Schüler könnten diese Aufgabe lösen, indem sie die Temperaturwerte zu den jeweiligen Tageszeiten korrekt ablesen (Zuordnungsaspekt) und deren Differenz bilden würden. Es wäre nicht erforderlich, über die Änderung der Temperatur nachzudenken. Um wie viel Grad Celsius ändert sich die Temperatur von Mittwoch 9:00 bis Mittwoch 18:00 Uhr? Temperaturen in Grad Celsius 6:00 Uhr
9:00 Uhr
12:00 Uhr
15:00 Uhr
Montag Dienstag
15° 15°
17° 15°
20° 15°
21° 10°
18:00 Uhr 19°
Mittwoch
8°
10°
14°
13°
15°
Donnerstag
8°
11°
14°
17°
20°
9°
Abbildung 5.1 Item Temperatur, angelehnt an Baumert et al. 1998, S. 40
Aufgaben dieser Art wurden daher ausgeschlossen oder so umformuliert bzw. überarbeitet, dass der Fokus der Schülerinnen und Schüler auf die Änderung hin gerichtet wurde oder aber eine Verwendung konkreter Differenzen wegen nicht detailliert genug dargestellter Graphiken unmöglich wurde. Beispielhaft sei hier auf das Item Größe c verwiesen (vgl. Item Nr. 10, S. 85). Mit Blick auf die Trennung vom Aspekt des Änderungsverhaltens und dem Aspekt Funktion als Objekt wurden Probleme bei Aufgaben deutlich, welche die Steigung eines Graphen in seiner Gesamtheit in den Blick nehmen. Steht in solchen Aufgaben der Objektaspekt im Vordergrund, da der ganze Graph betrachtet werden muss, oder ist es doch das Änderungsverhalten, da es sich vorrangig um eine Frage der Steigung handelt? Man betrachte beispielsweise das Item Bleistift e) (Abbildung 5.2).
e) Welcher Bleistift wurde mit dem schärferen Spitzer gespitzt? Abbildung 5.2 Item Bleistift e)
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
71
Die Schülerinnen und Schüler könnten diese Aufgabe lösen, indem sie durch bloßes „Hinschauen“ herausfinden, welcher Graph steiler fällt. Sie würden sich also ausschließlich mit der Steigung befassen, andere Aspekte könnten, müssten aber nicht beachtet werden. Daher wurde entschieden, dass Aufgaben, zu deren Lösung ausschließlich der Aspekt der Steigung vonnöten ist, nicht unter den Aspekt Funktion als Objekt fallen, auch wenn es sich um die Steigung des gesamten Graphen, z. B. einer Geraden handelt. Denn auch ohne eine Vorstellung vom Graphen als Objekt zu haben, können solche Aufgaben auf eine Frage wie „Welcher Graph ist steiler?“ reduziert werden und fallen damit dem Aspekt des Änderungsverhaltens zu. Ein weiteres Problem, dass im Rahmen des Expertenratings aufkam, verkörperten Aufgaben, zu deren Lösung in besonderem Maße auch andere Fähigkeiten benötigt wurden als funktionales Denken. Als solche wurden zum einen Aufgaben identifiziert, die nur mithilfe einer Rechnung gelöst werden können. Um sicher zu stellen, dass eine falsche Lösung tatsächlich auf mangelndes funktionales Verständnis zurückzuführen sein würde, wurde zu diesen Aufgaben die Angabe eines Rechenwegs verlangt (vgl. hierzu z.B. Item Unwetter, S. 75). Zum anderen fielen in diese Gruppe Items, die in hohem Maße Wissen aus anderen Bereichen der Mathematik erfordern. Beispielhaft sei hier auf das Item Abstand auf dem Wasser, welches im Rahmen der VERA 8-Erhebung 2011 verwendet und für diesen Test zunächst in Erwägung gezogen wurde, verwiesen (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1, Abstand auf dem Wasser, 2011). Dieses Item setzt viel geometrisches Wissen voraus. Aufgrund der beschriebenen Erkenntnisse wurden insgesamt elf Items ausgeschlossen oder einem anderen Aspekt zugeordnet, als zunächst vermutet. Es verblieben neun Items zum Zuordnungsaspekt, 15 Items zum Aspekt Änderungsverhalten und zehn Items zum Aspekt Funktion als Objekt. Die Interrater-Reliabilität (N = 5) mit Blick auf diese Items lag bei κ = 0.7112. Nach Erfassen der soeben beschriebenen Probleme wurde die Operationalisierung der drei Aspekte entsprechend ausgeschärft, um im nächsten Schritt größere Eindeutigkeit zu erlagen. Die endgültige Fassung der Operationalisierung findet sich in Abschnitt 5.1.1. Die Ausschärfung geschah ausgehend von den Aufgaben, die von allen Experten eindeutig einem Aspekt zugewiesen werden konnten, und durch die Bezugnahme auf die Fähigkeiten, die für die Lösung gerade dieser Aufgaben als notwendig identifiziert wurden. Auf Grundlage der neuen Operationalisierung und den Ergebnissen aus dem Expertenrating wurden weitere Items entwickelt. Insgesamt standen im Anschluss 51 Items zur Verfügung, von denen 15 auf den Zuordnungsaspekt, 16 auf den Aspekt Funktion als Objekt und 22 auf den Aspekt Änderungsverhalten abzielten. Auch diese wurden einem Rating mittels der unter 5.1.1 dargestellten Operationalisierung unterzogen (N = 2), das zu einer guten Interrater-
12
Es handelt sich hierbei um Fleiss‘ Kappa (Fleiss, 1971), das die Übereinstimmung zwischen mehr als zwei Ratern angibt. Es wird vergleichbar zu Cohens Kappa interpretiert. Ab 0.60 ist die Übereinstimmung als akzeptabel zu bezeichnen.
72
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Reliabilität von κ = 0.8613 führte. Mittels kommunikativer Validierung (Groeben & Scheele, 2010, S. 154) wurde Einigkeit hinsichtlich der Items geschaffen, die zunächst nicht übereinstimmend einem Aspekt zugewiesen werden konnten. 5.1.3
Die Items
Im Folgenden werden alle Items vorgestellt, die im Test Verwendung fanden. Sollten die Items aus bekannten Studien wie PISA, TIMSS und VERA 8 adaptiert worden sein, wird genau erläutert, welche Veränderungen vorgenommen wurden und warum dies geschah. Es sei an dieser Stelle nochmals hervorgehoben, dass diese Veränderungen sich aus den Anforderungen an die Items im Rahmen dieser Studie ergaben und nicht als Resultat einer Bewertung oder Verbesserung gesehen werden dürfen. Die Zuweisung eines jeden Items zu einem der drei Aspekte wird deutlich gemacht. Diese wird mittels der Fähigkeiten, die zur Lösung der Aufgabe benötigt werden, begründet. Auch die Verwendung unterschiedlicher Repräsentationsformen wird entsprechend berücksichtigt. Vorangestellt wird eine Aufstellung aller Items, die ihre Zuweisung zu den einzelnen Aspekten funktionalen Denkens sowie zu den jeweiligen Repräsentationsformen und –wechseln (vgl. Tabelle 5.3), zusammenfasst. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Repräsentationswechsels unterschieden wurde, ob dieser auf der Verknüpfung zweier vorgegebener Repräsentationsformen eines funktionalen Zusammenhangs beruhte oder mittels eigenständigem Erstellen einer Repräsentationsform durchgeführt werden musste. Als Beispiel für den ersten Fall sei auf die Frage nach dem Zeitpunkt, zu dem zwei Kerzen die gleiche Höhe haben, verwiesen. Diese Frage muss mittels eines Graphen der Situation beantwortet werden (vgl. Item Kerze b, S. 96). Es ist entsprechend notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler einen Repräsentationswechsel vornehmen, um die Formulierung gleiche Höhe mit dem Schnittpunkt zweier Geraden verbinden zu können. Hierbei muss auf beide Formen, die situative Beschreibung und den Graphen zurückgegriffen werden. Anders gestaltet es sich, wenn nicht nur einzelne Merkmale im Rahmen eines Repräsentationswechsels verwendet werden können, sondern die Gesamtheit der Darstellungen. Wenn beispielsweise die Verknüpfung einer situativen Beschreibung mit ihrer graphischen Darstellung in Gänze gefordert wird, handelt es sich um einen Wechsel, der nicht auf eine Verknüpfung reduziert werden kann (vgl. Item Fahrrad, S. 83). Ebenso stellt es sich dar, wenn die Schülerinnen und Schüler zu einer vorgegebenen Darstellungsform eine andere vollständig eigenständig erstellen müssen (vgl. Item Badewanne, S. 98). Die zuletzt beschriebenen beiden Anforderungen stellten sich als deutlich herausfordernder dar, als die zuerst beschriebene. Da dieser Test für Schülerinnen und Schüler Ende Jahrgangsstufe 6 entwickelt wurde, die sich bis dahin nicht oder nur kaum mit Zuordnungen geschweige denn mit funktio-
13
Cohens Kappa (1968) gibt die Übereinstimmung zwischen zwei Ratern an. Es wird ab κ > 0.75 als gut bewertet (vgl. hierzu z. B. Wirtz, M. & Caspar, F., 2002).
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
73
nalen Zusammenhängen befasst hatten, wurden alle drei Vorgehensweisen als Repräsentationswechsel gewertet. In Tabelle 5.3 wird dennoch deutlich gemacht, ob für einen Wechsel die Verknüpfung einzelner Merkmale (+) oder die Verknüpfungen in Gänze bzw. das eigeständige Erstellen (=>) notwendig waren. Tabelle 5.3 Zusammenstellung der Items hinsichtlich abgedeckter Aspekte / Repräsentationsformen
Item
Aspekt
Repräsentations- Item form/ wechsel
Aspekt
Repräsentationsform/-wechsel
Bremsweg a Bremsweg b
Z Z
G+S G+S
Igel c Heimweg
Ä O
G+S S => G
Bremsweg c
Ä
G+S
Bleistift a
O
S => G
Unwetter
Z
S
Bleistift b
Z
G+S
Transport a
Z
G+S
Bleistift c
Ä
G+S
Transport b
Z
G+S
Bleistift d
O
S => G
Transport c
Ä
G+S
Bleistift e
Ä
G+S
Bußgelder
Z
T+S
Bleistift f
Z
G+S
Punkte
Z
G
Würfel a
Z
S
See
O
S => G
Würfel b
Z
S
Rennwagen a
Ä
G+S
Würfel c
Ä
S
Rennwagen b
O
S => G
Kerze a
Z
G+S
Fahrrad
O
S => G
Kerze b
Z
G+S
U-Bahn a
Z
G+S
Kerze c
Ä
G+S
U-Bahn b
Ä
G+S
Kerze d
Ä
G+S
Größe a
O
G+S
Kerze e
O
T+S
Größe b
Ä
G+S
Gefäße füllen
O
S => G
Größe c
Ä
G+S
Badewanne
O
S => G
Erzählung
O
S => G
Geschwindigkeit
Ä
G+S
Fahrzeug
O
S => G
Tabelle
Ä
T
Ballon a
O
T+S
Autofahrt
Z
G+S
Ballon b
Ä
T+S
Tabelle Änderung
Ä
T
Zugfahrt a
Ä
G+S
Unterteilung
Ä
G
Zugfahrt b
Ä
G+S
Kerze brennt a
Ä
G+S
Igel a
Ä
G+S
Kerze brennt b
O
S => G
Igel b
Ä
G+S
Anmerkung. Z: Zuordnung; Ä: Änderungsverhalten; O: Funktion als Objekt; G: Graph, S: Situationsbeschreibung; T: Tabelle; +: Repräsentationswechsel durch Verknüpfung einzelner Merkmale gefordert; => Repräsentationswechsel in Gänze oder durch eigenes Erstellen gefordert.
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5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Die Adaptierten Items 1. Bremsweg; (a) Zuordnung, (b) Zuordnung, (c) Änderungsverhalten Die Graphik zeigt, wie lang der Bremsweg eines Autos bei einer bestimmten Geschwindigkeit ist.
a. Ein Auto bremst. Es braucht 50 m bis zum Stillstand. Wie schnell ist es ungefähr gefahren?
□ 25 km/h □ 62 km/h □ 71 km/h □ 111 km/h b. Ein Auto fährt 80 km/h. Wie lang ist sein Bremsweg ungefähr?
□ 65 m □ 70 m □ 85 m □ 90 m c. Die Länge des Bremswegs ändert sich um 20 m…
□ von 10 km/h bis 30 km/h □ von 20 km/h bis 50 km/h □ von 0 km/h bis 50 km/h Abbildung 5.3 Item Bremsweg, adaptiert nach TIMSS (Baumert et al., 1998, S. 45 ff)
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
75
Die Aufgabe Bremsweg bestand aus drei Items (Abbildung 5.3). Die zugrundgelegte Aufgabe (vgl. Baumert et al., 1998, S. 45ff) wurde zunächst hinsichtlich der Achseneinteilung der Graphik verändert. Die Ordinate wurde äquidistant unterteilt. Dies sollte zu einem besseren Verständnis der Aufgabe durch die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 6 führen. Da das Ziel des zu konstruierenden Tests darin bestand, funktionales Denken zu messen, schien eine Irritation, die durch eine nicht äquidistante Achseneinteilung hätte hervorgerufen werden können, nicht wünschenswert. Des Weiteren wurde der Graph an einen realen Bremsprozess angepasst, der sich über 𝑠(𝑣) =
𝑣² 108
𝑚 ℎ²
, 𝑣 𝑖𝑛
𝑘𝑚 ℎ
beschreiben lässt. Die Zahlwerte in den Antwort-
möglichkeiten der Items wurden entsprechend geändert. Nötig war diese Adaption, da im Originalitem ab 80 km/h eine lineare Fortsetzung des Graphen vorlag. Durch diesen linearen Verlauf sollte es den Schülerinnen und Schülern im Rahmen einer Aufgabe ermöglicht werden, Werte zu extrapolieren. Da diese Extrapolations-Aufgabe in ein Zuordnungs-Item umgewandelt wurde (Item 1b), war die Fortführung des Graphen in linearer Form unnötig. Die Aufgabe wurde zusätzlich um ein Item zum Änderungsverhalten (c) erweitert. Die Items 1a und 1b verlangten die Vervollständigung eines Wertepaares durch Verwendung des Graphen. Dementsprechend wurden beide Items dem Aspekt Zuordnung zugewiesen. Das Item 1c war durch die Analyse des Änderungsverhaltens der Funktion in einem festen Intervall zu lösen. Daher wurde es als Item zum Änderungsverhalten angesehen. Alle drei Items setzten voraus, dass ein Graph korrekt gelesen und interpretiert werden kann. Des Weiteren war die Verknüpfung des Graphen mit einer vorgegebenen Situation hinsichtlich eines entscheidenden Merkmals erforderlich (Zuordnung von Geschwindigkeit und Bremsweg in beide Richtungen, Änderung des Bremswegs in Abhängigkeit der Geschwindigkeit). 2. Unwetter (Zuordnung) Die Aufgabe Unwetter (Abbildung 5.4) wurde dahingehend adaptiert, dass die ursprüngliche Situationsbeschreibung verkürzt wurde, um die Schülerinnen und Schüler nicht vom Kern der Aufgabe abzulenken. Faustregel: Der Schall des Donners bei Gewitter braucht ungefähr 3 Sekunden, um einen Kilometer zurückzulegen. Wie weit ist das Gewitter entfernt, wenn du den Donner nach 4,5 Sekunden hörst? Gib einen Rechenweg an!
Abbildung 5.4 Item Unwetter. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Gewitter (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
Die zur Lösung der Aufgabe relevanten Informationen wurden so ins Zentrum gerückt (Zeit, die der Schall des Donners für 1 km benötigt). Auf die Vorgabe eines Antwortsatzes mit Einheit
76
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
wurde verzichtet, da so die Einheit der Lösung nicht bereits mitgeliefert wurde. Es wurde erwartet, dass die selbstständige Verwendung der Einheiten durch die Schülerinnen und Schüler eventuell Aufschluss über deren Verständnis vom Zusammenhang der zur Verfügung gestellten Daten liefern würde. Ein Rechenweg wurde verlangt, um im Rahmen der Auswertung Schwierigkeiten im Rechnen nicht mit Schwierigkeiten des funktionalen Denkens zu verwechseln. Das Item Unwetter konnte durch die Vervollständigung eines Wertepaares unter Verwendung der zur Verfügung stehenden situativen Beschreibung gelöst werden. Daher wurde dieses Item dem Zuordnungsaspekt zugewiesen. Es bezog sich rein auf die Repräsentationsform situative Beschreibung. 3. Transport; (a) Zuordnung, (b) Zuordnung, (c) Änderungsverhalten In Aufgabe Transport (Abbildung 5.5) wurde zunächst die Achseneinteilung der Graphik zu Gunsten besserer Lesbarkeit verfeinert.
a. Eine Tonne Ware wird 400 km weit transportiert. Wie teuer ist dieser Transport mit dem LKW?
b. Die Kosten eines Transports liegen für 200 km bei 450 € je Tonne. Womit wird die Ware transportiert? __________________________________________________________________
c. Bei welchem Transportmittel nehmen die Kosten je Tonne am schnellsten zu? __________________________________________________________________ Abbildung 5.5 Item Transport. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Güterverkehr (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
77
Des Weiteren wurde der Begriff Binnenschiff durch Schiff ersetzt, da nicht zu erwarten war, dass Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse eine konkrete Vorstellung vom Begriff Binnenschiff haben würden. Das erste Item der Originalaufgabe wurde übernommen, statt nach den Kosten mit der Bahn wurde nach denen mit dem LKW gefragt, um eine Dopplung zu Item 3b zu vermeiden. Es wurde auf die Vorgabe von der Einheit der Antwort verzichtet, da dies einen starken Hinweis darauf beinhalten hätte, auf welcher Achse nach dem passenden Wert zu „suchen“ ist. Das zweite Item der Originalaufgabe wurde durch ein Item, das konkreter auf den Zuordnungsaspekt abzielte, ersetzt (3b). Außerdem wurde die Aufgabe um ein Item zum Änderungsverhalten erweitert. Item 3a verlangte die Vervollständigung eines Wertepaares durch Verwendung des Graphen, Item 3b konnte durch die Identifikation eines Wertepaares auf einem Graphen gelöst werden. Damit waren beide Items dem Zuordnungsaspekt zugehörig. Item 3c ließ sich durch den Vergleich einzig der Steigungen der drei Geraden lösen, daher wurde es als Item des Änderungsverhaltens verwendet. Erneut waren die Repräsentationsform Graph und deren Verknüpfung mit einer situativen Beschreibung von grundlegender Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler mussten in der Lage sein, sowohl die Darstellungen für sich zu verstehen aber auch die Verbindung zwischen ihnen herzustellen. Diese Verbindung fußte auf dem Verständnis der Zuordnung von Transportweg und Kosten sowie einer Vorstellung davon, wie im Graphen die Formulierung am schnellsten sichtbar wird. 4. Bußgelder (Zuordnung) Im Item Bußgelder (Abbildung 5.6) wurden die ursprünglich verwendeten Werte der Bußgeldtabelle durch die Werte des Jahres 2016 (http://www.bussgeldkataloge.eu/deutschland/geschwindigkeit.html) für Tempoüberschreitungen außerhalb von Ortschaften ersetzt. Als Distraktor wurde statt einer Spalte mit alten Bußgeldern das zu erwartende Fahrverbot eingefügt. Dies diente der Vereinfachung. Denn Ziel auch dieses Items war es, das Verständnis des Zuordnungsaspekts zu testen. Eine zusätzliche, gut gefüllte Zahlenspalte hätte eventuell zu Fehlern geführt, die auf Flüchtigkeit und nicht auf einem mangelnden Verständnis des Zuordnungsaspekts beruht hätten. Auf die Vorgabe von Auswahlantworten wurde verzichtet, da das Ergebnis eindeutig aus der Tabelle abzulesen war. Das Item Bußgelder konnte gelöst werden, indem ein Wertepaar durch die Verwendung einer Tabelle vervollständigt wurde. Es handelte sich daher um ein Item zum Zuordnungsaspekt. Hier fand vorrangig die Repräsentationsform Tabelle Verwendung. Die Schülerinnen und Schüler mussten demonstrieren, dass sie mit dieser Darstellung adäquat umgehen und Werte ermitteln können. Des Weiteren war die Tabelle in eine situative Beschreibung eingebunden, die die Schülerinnen und Schüler entsprechend berücksichtigen mussten. Eine Verknüpfung zwischen den beiden Repräsentationsformen war insofern herzustellen, dass die Schülerinnen und Schüler ausgehend von der situativen Frage auf die richtigen Informationen zugreifen mussten. Anmerkung: Die Durchführung von Studie I ergab, dass die Spalte Fahrverbot der Tabelle die Schülerinnen und Schüler trotz der Absicht, genau dies zu verhindern, sehr irritierte
78
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
und zu unnötigen Fehlern führte, die nicht auf mangelndes funktionales Denken zurückzuführen waren. Daher wurde diese Spalte in Studie II vollkommen ausgespart. Das sind die Bußgelder für Geschwindigkeitsüberschreitungen außerhalb von Ortschaften. Geschwindigkeitsüberschreitung
Bußgeld
Fahrverbot
von 21 bis 25 km/h
70 €
von 26 bis 30 km/h
80 €
von 31 bis 40 km/h
120 €
von 41 bis 50 km/h
160 €
1 Monat
von 51 bis 60 km/h
240 €
1 Monat
von 61 bis 70 km/h
440 €
2 Monate
Mehr als 70 km/h
600 €
3 Monate
Jemand fährt auf einer Landstraße statt der erlaubten 80 km/h ganze 108 km/h. Mit welchem Bußgeld muss er jetzt rechnen? Gib eine Begründung an!
Abbildung 5.6 Item Bußgelder. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Geschwindigkeitsüberschreitung (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
5. Punkte (Zuordnung) Welche der vier Punkte A, B, C und D liegen auf diesem Graphen?
□ 𝑨(𝟏𝟎|𝟖) □ 𝑩(𝟐𝟎|𝟏𝟎) □ 𝑪(𝟒𝟎|𝟑𝟎) □ 𝑫(𝟔𝟎|𝟒𝟓)
Abbildung 5.7 Item Punkte. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Aufgabe zur Proportionalen Zuordnung (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
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Das Item Punkte (Abbildung 5.7) wurde dahingehend adaptiert, dass auf eine zusätzliche Beschreibung der Graphik verzichtet wurde, da diese nicht nötig erschien. Um in den Lösungsmöglichkeiten nur Zehner in der x-Koordinate angeben zu können und trotzdem annehmbare y-Werte zu erhalten, wurde die Gerade verschoben. Keiner der zur Wahl stehenden Punkte verleitete so durch Andersartigkeit zum Raten. Die Formulierung „gehört zu“, die in der Originalfrage verwendet wurde, wurde durch „liegt auf“ ersetzt. Dieses Item konnte durch die Identifikation von Wertepaaren auf einem Graphen gelöst werden. Somit wurde es als ein Item des Zuordnungsaspekts behandelt. Das Item verwendete ausschließlich die Repräsentationsform Graph und zielte damit auf die Fähigkeit ab, mit dieser adäquat zu arbeiten. 6. See (Objekt) Im Item See (Abbildung 5.8) wurde zunächst das Iglu, um das Paul im Originalitem herumlaufen sollte, durch einen kreisrunden See ersetzt, da ein Iglu nicht notgedrungen kreisrund sein muss. Dies setzt die Aufgabe jedoch voraus.
Paul läuft im Abstand von ungefähr einem Meter um einen kreisförmigen See herum. Welcher Graph passt am besten, um diese Bewegung darzustellen?
Abbildung 5.8 Item See. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Im Kreis laufen (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
80
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Da der Graph, der die korrekte Lösung darstellen sollte, im Originalitem ungünstiger Weise durch einen quadratischen Zusammenhang anstelle eines Sinuszusammenhangs dargestellt wurde, wurden sämtliche, als Lösung zur Verfügung gestellten Graphen überarbeitet. So konnte auch die relativ offensichtlich falsche vierte Lösungsmöglichkeit des Originalitems (eine diagonal durch den 1. Quadranten verlaufende Schlangenlinie) durch eine wahrscheinlicher anmutende ersetzt werden. Diese griff die Idee auf, dass Paul in Bögen um den See herumläuft (Lösung 3). Auf die für Sechstklässler verwirrende Bezeichnung von Entfernung mit d(t) und Zeit mit t wurde verzichtet. Dieses Item forderte von den Schülerinnen und Schülern, eine situative Beschreibung in ihrer Gesamtheit in einen Graphen zu überführen. Es genügte nicht, sich mit dem Änderungsverhalten zu befassen, man musste den Start- und Endpunkt im Blick haben und sich bewusst machen wie Zeit und Weg zusammenhängen. Daher wurde dieses Item dem Objektaspekt zugewiesen. Relevant waren die Repräsentationsformen Graph und situative Beschreibung, die hier miteinander verbunden werden mussten. Die Umsetzung der Situationsbeschreibung in eine graphische Darstellung wurde als besonders herausfordernd angesehen. Sich eine Bild der relevanten Strecke zu machen würde sich gewiss auch für Schülerinnen und Schüler aus anderen Jahrgangsstufen als nicht trivial darstellen. 7. Rennwagen; (a) Änderungsverhalten, (b) Objekt Die Aufgabe Rennwagen (Abbildung 5.9) wurde zunächst hinsichtlich ihrer graphischen Darstellung überarbeitet. Die zusätzlichen Markierungen auf der x-Achse bei 0.5 km, 1.5 km und 2.5 km wurden entfernt. Sie waren für die Interpretation des Graphen nicht von Bedeutung und irritierten gegebenenfalls durch ihre exponierte Stellung. Des Weiteren wurden nicht alle Fragen übernommen. Ausgewählt wurden die, die am besten zur theoretisch hergeleiteten Operationalisierung der Aspekte Änderungsverhalten und Funktion als Objekt passten. Berücksichtigt werden musste bei Item 7b), dass der dargebotene Graph bei genauerer Betrachtung nicht vollständig zu der als korrekt gedachten Lösung Rennbahn B passt. Man betrachte nur die Länge der geraden Streckenabschnitte vor und direkt nach dem Start. Dies schlug sich in der Art der Auswertung nieder: Die Auswertung des Items b) geschah zunächst auf zwei Ebenen. Ebene 1: „EinE SchülerIn entscheidet sich für Lösung B, C, oder D“ wurde als richtig gewertet. Ebene 2: „EinE SchülerIn entscheidet sich für B“ wurde als richtig gewertet. Das Item fungierte damit zunächst als zwei Items (b und b‘). Alle Probleme, die diese Art der Kodierung mit sich brachte, werden im Abschnitt Auswertung (5.3) thematisiert und diskutiert. Da dieses Item sich besonders gut anbot, um Verbindungen zwischen den Studien von Nitsch (2015) und Ganter (2013) herstellen zu können und des Weiteren eines der wohl bekanntesten veröffentlichten PISA-Items ist, wurde davon abgesehen, die Lösung Rennbahn B zu bearbeiten. Stattdessen wurde die beschriebene Kodierung gewählt.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
81
Dieser Graph zeigt, wie sich die Geschwindigkeit eines Rennwagens während seiner zweiten Runde auf einer drei Kilometer langen, flachen Rennstrecke verändert. Geschwindigkeit in km/h
Entfernung zum Start in km
a) Was kannst du über die Geschwindigkeit des Wagens zwischen den Markierungen von 2,6 km und 2,8 km sagen?
□ Die Geschwindigkeit des Wagens bleibt konstant. □ Die Geschwindigkeit des Wagens nimmt zu. □ Die Geschwindigkeit des Wagens nimmt ab. □ Die Geschwindigkeit des Wagens kann anhand des Graphen nicht bestimmt werden. b) Auf welcher der fünf Rennstrecken (man betrachtet sie von oben) ist der Wagen gefahren?
□A □B □C □D □E Abbildung 5.9 Item Rennwagen, in Anlehnung an Item M159, Geschwindigkeit eines Rennwagens, PISA 2000 (OECD, 2013)
82
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Item 7a verlangte von den Schülerinnen und Schülern die Steigung eines Graphen in einem festen Intervall zu überprüfen. Damit gehörte es zu den Items des Aspekts Änderungsverhalten. Das Item 7b hingegen konnte nur gelöst werden, wenn verschiedene Darstellungsformen miteinander verglichen und ineinander überführt wurden. Es war notwendig, die Steigung in verschiedenen, selbstgewählten Intervallen zu berücksichtigen, den Starpunkt in den Blick zu nehmen und sich über das Konzept Autofahren (Beschleunigen und Bremsen) Gedanken zu machen. Daher wurde dieses Item dem Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen. Offensichtlich waren erneut die Repräsentationsformen Graph und situative Beschreibung grundlegend. Hierbei ergab sich die zusätzliche Schwierigkeit, dass die situative Beschreibung nicht verbal, sondern in Form von Abbildungen von Rennbahnen aus der Vogelperspektive vorgenommen wurde. Ein zusätzlicher Abstraktionsschritt erschwerte so gegebenenfalls die Lösung dieses Items. 8. Fahrrad (Objekt) Das Item Fahrrad (Abbildung 5.10) wurde hinsichtlich seiner Aktualität überarbeitet (Euro statt DM). Außerdem wurden die Graphiken in ihrer Deutlichkeit verbessert, da im Original keine Zweierschritte auf der Ordinate ablesbar waren, obwohl diese für die Lösung der Aufgabe den Ausschlag gaben. Innerhalb der Graphen wurde deutlich gemacht, welche Werte einer bestimmten Dauer zugeordnet wurden. Die Eindeutigkeit der Zuordnung war zuvor nicht ersichtlich, da es in der ursprünglichen Graphik möglich war, einer Dauer zwei Preise zuzuordnen. Zur Lösung dieses Items mussten zwei Faktoren berücksichtigt werden: Der Grundpreis und die Zunahme des Preises für das Leihen eines Fahrrads pro Stunde. Darauf aufbauend musste die situative Beschreibung mit einer graphischen Darstellung verbunden werden. Dass die aus Sicht der Schülerinnen und Schüler eventuell ungewöhnlichste Lösung, Möglichkeit 2 (vgl. die Ausführungen zu Fehlvorstellungen in 2.2.6) die korrekte darstellte, war wahrscheinlich ein zusätzlicher Schwierigkeitsfaktor. Da hier die Verbindung der situativen Beschreibung und dem Graphen durch die Betrachtung in ihrer komplexen Gesamtheit erzeugt werden musste, wurde das Item zum Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen. Die entscheidenden Repräsentationsformen waren entsprechend Graph und Situationsbeschreibung, wobei erneut auf die ungewöhnliche Form des korrekten Graphen aufmerksam gemacht werden muss. Hier stellte sich gegebenenfalls nicht nur die Vernetzung der beiden Darstellungsformen als grundlegend dar, sondern zunächst vorrangig die Fähigkeit, die aus Sicht der Schülerinnen und Schüler ungewöhnliche Treppenfunktion korrekt zu lesen und zu interpretieren.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
83
In einem Park werden Fahrräder vermietet. Die erste Stunde (oder ein Teil davon) kostet 5 € und jede weitere angefangene Stunde kostet 2 €. Welches Diagramm zeigt dies?
Abbildung 5.10 Item Fahrrad, in Anlehnung an TIMSS (Baumert et al., 1998, S. 51)
9. U-Bahn; (a) Zuordnung, (b) Änderungsverhalten Zunächst wurde die Graphik der Aufgabe U-Bahn (Abbildung 5.11) überarbeitet. Die horizontale Strecke, die ursprünglich das Bahnsteigniveau verdeutlichte, wurde entfernt, da sie zur Lösung der Aufgabe nicht nötig erschien und der Eindruck entstand, es handelte sich um eine Art zweite Abszisse. Außerdem wurde die Abszissenskalierung verkleinert (Zweier- statt Dreierschritte) und die Rolltreppe auf eine Tiefe von 22 m verlegt, um besser ablesbare Werte zu generieren und nicht in Dreierschritten auf der Ordinate voranschreiten zu müssen. Der Begriff Niveau wurde durch Höhe ersetzt, um keine Verwirrung in den 6. Klassen zu erzeugen. Auf das erste Originalitem wurde verzichtet, das zweite wurde an die neuen Werte angepasst (Item 9a). Das dritte Originalitem wurde vereinfacht: Es wurde zum einen darauf verzichtet, dass Mark an einer bestimmten Stelle die Rolltreppe nicht weiter hoch laufen kann. Zum anderen entfiel das Skizzieren des Graphen zu Marks Fahrt. Stattdessen wurde nach der Steigung der Geraden gefragt, die entstehen würde, wenn er während der Fahrt durchgängig liefe.
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5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Item 9a verlangte von den Schülerinnen und Schülern ein Wertepaar unter Zuhilfenahme eines Graphen zu vervollständigen. Es wurde daher zum Aspekt Zuordnung zugewiesen. Item 9b zielte hingegen darauf ab, einzig die Steigung eines Graphen in den Blick zu nehmen. Es wurde dem Änderungsverhalten zugewiesen. Auch hier handelte es sich um die Verknüpfung von graphischer Darstellung und Situationsbeschreibung. Eine maßgebliche Schwierigkeit in 9a bestand darin, im negativen Wertebereich arbeiten zu müssen, 9b verlangte die korrekte Umsetzung der Begrifflichkeit hoch laufen in schneller nach oben kommen und damit in steilere Gerade.
In einer U-Bahnstation befindet sich ein Bahnsteig genau 22 m unter der Straße. Nach oben gelangt man mit einer Rolltreppe. Sarah stellt sich unten auf die Rolltreppe und lässt sich hochfahren. Das Diagramm stellt dar, wie tief sie zu jedem Zeitpunkt noch unter der Erde ist.
a) Wie lange dauert es, bis Sarah 14 m über dem Bahnsteig ist?
b) Sarahs Bruder Mark betritt zusammen mit ihr die gleiche Stufe der Rolltreppe. Er bleibt aber nicht stehen, sondern läuft die Rolltreppe hoch. Der Graph, der zu Marks Fahrt passt, ist
□ …steiler als der von Sarah. □ …flacher als der von Sarah. □ …hat keine Steigung. Abbildung 5.11 Item U-Bahn. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Rolltreppe (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
85
10. Größe; (a) Objekt, (b) Änderungsverhalten, (c) Änderungsverhalten Im folgenden Graphen ist die durchschnittliche Körpergröße von Mädchen und Jungen in den Niederlanden abgebildet.
D Durchschnittliche Größe Jungen 1998 G D Durchschnittliche Größe Mädchen 1998 G
Jahre
a) In welchem Lebensabschnitt sind Mädchen durchschnittlicher größer als Jungen?
b) Welchen Aussagen kannst du aufgrund des Graphen zustimmen?
□ Mädchen wachsen ab dem 12. Lebensjahr von Jahr zu Jahr langsamer. □ Jungen wachsen zwischen dem 15. und 16. Lebensjahr schneller als Mädchen. □ Jungen wachsen ab dem 19. Lebensjahr deutlich schneller als Mädchen. c) In welchem dieser Intervalle wachsen die Jungen im Durchschnitt am schnellsten?
□ Von 14 bis 15 Jahre □ Von 16 bis 17 Jahre □ Vonan19dasbisPISA 20 Jahre Abbildung 5.12 Item Größe, in Anlehnung (2000) Item Größer werden (M150) (OECD, 2013, S. 19)
Die Graphik der Aufgabe Größe (Abbildung 5.12) wurde gänzlich übernommen, jedoch wurden die Begriffe Jungen und Mädchen anstelle von weiblichen und männlichen Jugendlichen verwendet, was näher am Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler einer 6. Klasse zu liegen schien. Lediglich das 3. Originalitem wurde übernommen (hier das erste) und an den
86
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Sprachgebrauch der Schülerinnen und Schüler angepasst. Es wurden neue Items eingefügt, die das Änderungsverhalten in den Blick nahmen (10b und c). Das Item 10a verlangte in dieser Form von den Schülerinnen und Schülern, den ganzen Graphen in den Blick zu nehmen und ein Intervall von zunächst unbestimmter Größe zu bestimmen. Außerdem musste die situative Beschreibung des Zusammenhangs mit seiner graphischen Darstellung verknüpft werden. Daher wurde dieses Item dem Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen. Item 10b und 10c konnten gelöst werden, indem man die Steigung der Graphen in unterschiedlichen, vorgegebenen Intervallen verglich. Daher wurden beide Items zur Erfassung des Änderungsverhaltens verwendet. Es stand die Verknüpfung des Graphen und der Situation hinsichtlich des Merkmals Änderung im Zentrum. Die Begriffe schneller und langsamer wachsen mussten zur Lösung beider Items mit der Steigung der beiden angebotenen Graphen in den jeweiligen Intervallen verknüpft werden. Anmerkung: Mit Blick auf Studie II wurde in Item 10c nach der Auswertung von Studie I das Wort Intervall durch Zeitraum ersetzt. 11. Erzählung (Objekt) An der Graphik des Items Erzählung (Abbildung 5.13) wurde zunächst die Achsenbeschriftung entfernt und durch neutrale Bezeichnungen ersetzt. Andernfalls hätten sich zwei Lösungen aufgrund der Einheiten direkt ausschließen lassen. Es wäre kein funktionales Verständnis zur Lösung notwendig gewesen. Da Originalantwort 1 einen Graph-als-Bild-Fehler provozierte, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei anderen Items (Rennwagen b, See) würde beobachtet werden können, wurde auf diese Lösungsmöglichkeit verzichtet. Denn es sollte auch ermittelt werden können, wie Schülerinnen und Schüler antworten, wenn sie nicht durch eine „offensichtlich richtige“ Antwort verleitet würden. Damit verblieben drei Antworten zur Auswahl. Die originale Antwortmöglichkeit 2 wurde so verändert, dass auch ohne Verwendung der nicht mehr vorhandenen Achsenbeschriftung erkennbar wurde, dass dies die falsche Erzählung zum Graphen war. Hierzu wurde die Zusatzinformation „Schließlich steigt der Wert weiter, aber schwächer als zu Beginn“ eingefügt. Die übrigen Lösungen wurden beibehalten. Da das Item von Schülerinnen und Schülern verlangte, unterschiedliche Darstellungen – Graph und situative Beschreibung – zu verknüpfen, und dazu sowohl Informationen über die Änderungsrate als auch zu einzelnen Wertepaaren verwendete sowie Änderungsraten in unbekannten Intervallen verglichen werden mussten, wurde dieses Item dem Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen. Aufgrund der Komplexität der anzustellenden Verknüpfung wurde hier auch ein deutlicher Repräsentationswechsel als maßgeblich für die Lösung erkannt.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
87
Eine der folgenden Erzählungen wird hier graphisch dargestellt. Welche passt?
□ □ □
Lars ist auf dem Weg zur Schule. Unterwegs fällt ihm ein, dass er seinen Taschenrechner vergessen hat. Er läuft zurück nach Hause, nimmt den Taschenrechner und muss sich jetzt sehr beeilen, damit er noch pünktlich zur Schule kommt.
Lisa und Sven machen eine Radtour. Nach einiger Zeit hat Sven eine Panne und sie müssen sein Rad reparieren. Für den Rest der Strecke fahren beide mit höherer Geschwindigkeit, um die versäumte Zeit aufzuholen.
Herr Heuer kauft Aktien. Zuerst steigt der Wert der Aktien sehr stark an. Dann verändert er sich eine Zeit lang nicht. Schließlich steigt der Wert weiter, aber schwächer als zu Beginn. Herr Heuer könnte die Aktien mit Gewinn verkaufen.
Abbildung 5.13 Item Erzählung. Ideen zu diesem Item, teilweise auch einzelne Aufgabenelemente wurden aus der Aufgabe Geschichte zur Graphik (https://www.iqb.hu-berlin.de/vera/aufgaben/ma1) des Instituts zur Qualitätsentwicklung des Bildungswesens (IQB) entnommen.
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5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Die selbstentwickelten Items Es folgt nun die Vorstellung der selbst entwickelten Items. Dementsprechend wird zu jedem Item lediglich erläutert, welche Fähigkeiten zu seiner Lösung relevant erschienen und welchem Aspekt es zugewiesen wurde. 12. Fahrzeug (Objekt) Dieses Weg-Zeit-Diagramm stellt den Abstand eines Autos zu einem Betrachter dar. Welchen dieser Vorgänge beschreibt es?
□ Ein Fahrzeug wird schneller □ Ein Fahrzeug wird langsamer □ Ein Fahrzeug fährt auf den Betrachter zu □ Ein Fahrzeug fährt vom Betrachter weg Abbildung 5.14 Item Fahrzeug
Zur Lösung des Items Fahrzeug (Abbildung 5.14) mussten Schülerinnen und Schüler zunächst die Verknüpfung der beschriebenen Situation mit der graphischen Darstellung bewältigen. Dazu mussten die Informationen über den Abstand eines Autos zu einem Betrachter mit den Angaben Strecke und Zeit im Diagramm verknüpft werden. Im nächsten Schritt war es erforderlich, die abgebildete Gerade angemessen zu interpretieren: Was sagt eine fallende Gerade aus, wenn sie einen Abstand beschreibt? Was bedeutet es, dass die Gerade nicht im Ursprung beginnt? Es mussten somit die Steigung der Geraden und einzelne Punkte verwendet werden. Ebenso relevant war es, die Achsenbeschriftung zu betrachten und zu verstehen, in welcher Form der Abstand zum Betrachter hier auftrat. Aufgrund der Vielschichtigkeit des Ablaufs wurde dieses Item dem Aspekt Funktion als Objekt zugeordnet. Außerdem wurde offensichtlich ein Repräsentationswechsel zwischen situativer Beschreibung und Graph verlangt. 13. Ballon; (a) Objekt, (b) Änderungsverhalten Item Ballon a) (Abbildung 5.15) erforderte es, die Tabelle in ihrer Gesamtheit in den Blick zu nehmen. Nur durch die Betrachtung aller absoluten Änderungen konnte die Frage beantwortet werden, wie lange der Ballon in maximaler Höhe fährt.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
Die Tabelle beschreibt die Fahrt in einem Heißluftballon.
89
Zeit (min)
a) Wie lange fährt der Ballon mindestens in maximaler Höhe?
b) In welchem Zehnminutenintervall steigt oder sinkt er am stärksten?
Höhe (m)
0
0
10
550
20
800
30
800
40
800
50
800
60
630
70
300
80
90
90
0
Abbildung 5.15 Item Ballon
Basierend auf den ermittelten absoluten Änderungen musste die Bestimmung eines Intervalls bisher unbekannter Größe erfolgen. Das Item Ballon a) wurde daher dem Objektaspekt zugewiesen. Item Ballon b) verlangte den Vergleich des Änderungsverhaltens in Intervallen vorgegebener Größe. Es wurde daher dem Aspekt Änderungsverhalten zugeordnet. Auch hier war die Verknüpfung verschiedener Repräsentationsformen von Bedeutung. Die Schülerinnen und Schüler mussten zunächst erfassen, wie sich ein Flug in maximaler Höhe über längere Zeit auswirkt (keine Höhenänderung) und worin sich das stärkste Steigen oder Sinken in der Tabelle erkennen lässt. Anmerkung. Mit Blick auf Studie II wurde in Item 13b aufgrund der Ergebnisse von Studie I die Formulierung der Frage geändert. Es stellte sich heraus, dass die Schülerinnen und Schüler die oder-Formulierung als und-Formulierung auffassten. Die neue Frage lautete daher: In welchem Zeitraum verändert der Ballon seine Höhe am stärksten? 14. Zugfahrt; (a) Änderungsverhalten, (b) Änderungsverhalten Sowohl Item Zugfahrt a als auch Item Zugfahrt b (Abbildung 5.16) waren durch die Betrachtung der Steigung des Graphen lösbar. Die Schülerinnen und Schüler mussten zunächst korrekt interpretieren, dass sich das Halten des Zuges in einem konstanten Funktionsabschnitt, also in einer Änderungsrate von Null ausdrückt (Repräsentationswechsel). Dann mussten sie die entsprechenden Bereiche markieren. Die Aussage am schnellsten musste mit am steilsten verbunden werden, sodass im nächsten Schritt Intervalle von unterschiedlicher Steigung miteinander verglichen werden konnten. Dementsprechend wurden beide Items dem Aspekt Änderungsverhalten zugewiesen.
90
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
a) Markiere mit einem bunten Stift im Graphen, wann der Zug gehalten hat. b) In welchem Zeitraum ist der Zug am schnellsten gefahren?
Abbildung 5.16 Item Zugfahrt
15. Igel; (a-c) Änderungsverhalten Item Igel a (Abbildung 5.17) erforderte die Betrachtung der Steigung in einem bekannten Intervall. Die Schülerinnen und Schüler mussten den Graphen ab der Stelle 2 betrachten und die richtige Schlussfolgerung auf Grundlage des zunächst konstant verlaufenden Graphen ziehen. Das Item war nach der Lokalisation der entsprechenden Stelle allein durch Betrachtung der Steigung lösbar. Inhaltich erforderte es einen Repräsentationswechsel, da der konstante Verlauf der Geraden auf die gegebene Situation übertragen werden musste. Item Igel b verlangte von den Schülerinnen und Schülern den Vergleich der Steigung von vier Graphen in einem festen Intervall. Nachdem Minute 4 und 5 ausgemacht wurden, konnten die Schülerinnen und Schüler auf Grundlage des unterschiedlichen Ansteigens der Graphen Aussagen über die Geschwindigkeit der Igel anstellen. Item Igel c ließ sich ebenfalls durch Betrachtung der Steigung des Graphen in einem halb offenen Intervall lösen. Die Interpretation des fallenden Graphen führte allerdings diesmal nicht auf die Geschwindigkeit, sondern auf die Richtung, in die der Igel läuft. Auch für diese Deutung war ein Repräsentationswechsel von Graph zu Situation notwendig, der auf dem Merkmal der Steigung fußte. Alle drei Items wurden entsprechend dem Aspekt Änderungsverhalten zugeordnet.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
91
Vier Igel veranstalten ein Wettrennen. Das Ziel ist 7 m vom Start entfernt. Die Grafik zeigt den Verlauf des Rennens.
a) Was genau macht Igel 2 nach zwei Minuten zunächst? _______________________________________________________ b) Welcher Igel läuft zwischen der 4. und 5. Minute am langsamsten? _______________________________________________________ c) Was bedeutet es, dass der Graph von Igel 4 ab der 5. Minute fällt? ________________________________________________________
Abbildung 5.17 Item Igel
16. Heimweg (Objekt) Um das Item Heimweg (Abbildung 5.18) lösen zu können, mussten die Schülerinnen und Schüler die situative Beschreibung des funktionalen Zusammenhangs in eine graphische Darstellung umsetzen. Hierzu mussten sie die Informationen über Zeit und zurückgelegten Weg aus dem Text in Wertepaaren zusammenfassen und diese in ein Koordinatensystem eintragen und z. B. überlegen, was es für die Steigung des Graphen bedeutet, dass Tim nicht weiterläuft. Die Verknüpfung einer Situation als Ganzes mit der entsprechenden Repräsentation als Graph war zentral. Somit wurde dieses Item dem Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen und beinhaltete deutlich einen Repräsentationswechsel durch eigenständiges Erstellen einer weiteren Repräsentationsform.
92
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Tim ist auf dem Heimweg. Er hat 20 Minuten Zeit, dann gibt es Mittagessen. Für die ersten 500 Meter braucht er 10 Minuten. Er trödelt. Dann schaut er auf die Uhr und beeilt sich. Die nächsten 500 Meter schafft er in 5 Minuten. Dann muss er sich seinen Schuh binden. Das dauert eine Minute. Die letzten 200 Meter legt er in 3 Minuten zurück. Gerade noch pünktlich… Erstelle einen Graphen, der die Situation beschreibt, indem du der Zeit den zurückgelegten Weg zuordnest.
Abbildung 5.18 Item Heimweg
17. Bleistift; (a) & (d) Objekt, (b) & (f) Zuordnung, (c) & (e) Änderungsverhalten Die sechs Items der Aufgabe Bleistift (Abbildung 5.19) umfassten alle drei Aspekte. Dem Zuordnungsaspekt wurden Bleistift b und f zugeordnet, da jeweils die Vervollständigung eines Wertepaares mittels des gegebenen Graphen vonnöten war. Ziel war jeweils die Ermittlung von Spitzumdrehungen oder der Länge des Bleistifts. Die Items Bleistift c und e ließen sich lösen, indem man die Änderungsrate bzw. die Steigung der Graphen betrachtete. Zur Lösung von Item c war es notwendig, die Formulierung am meisten geschrumpft mit dem stärkeren Fallen der entsprechenden Gerade zu verbinden. Eine weitere Lösungsmöglichkeit wäre durch die Betrachtung der absoluten Änderung möglich. Item e) erforderte die Interpretation des Einflusses, den ein schärferer Spitzer auf den Verlauf des jeweiligen Graphen hätte (Repräsentationswechsel). Beide Items wurden daher zum Aspekt des Änderungsverhaltens zugeordnet.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
93
Die Graphik stellt dar, wie zwei unterschiedlich lange, aber gleichdicke Bleistifte mit verschiedenen Spitzern gespitzt werden.
a) Ein dritter Bleistift ist 9 cm lang. Er ist genauso dick wie Bleistift 1 und wird mit demselben Spitzer gespitzt. Zeichne den zu diesem Vorgang passenden Graphen in das Koordinatensystem! b) Welcher Bleistift war nach 80 Drehungen noch 7 cm lang? ________________________________________________________________ c) Welcher Bleistift ist nach 80 Drehungen am meisten geschrumpft? ________________________________________________________________ d) Stell dir vor, du hast Bleistift 2 mit 40 Drehungen gespitzt. Jetzt fällt er dir runter, du trittst darauf und ein Stück von 3 cm bricht ab. Danach spitzt du ihn wie gehabt weiter. Zeichen zu diesem Vorgang den Graphen in das Koordinatensystem! e) Welcher Bleistift wurde mit dem schärferen Spitzer gespitzt? _________________________________________________________________ f) Nach wie vielen Spitzumdrehungen war Bleistift 2 vollkommen „aufgespitzt“?
Abbildung 5.19 Item Bleistift
94
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Die Items Bleistift a und d verlangten die Berücksichtigung sowohl von der Steigung der gegebenen Graphen und von Wertepaaren sowie einen Darstellungswechsel zwischen situativer Beschreibung und graphischer Darstellung. In beiden Fällen musste eine neue Situation hinsichtlich der Bleistiftlänge antizipiert und umgesetzt werden. Die Formulierungen mit demselben Spitzer und spitzen wie gehabt mussten als Hinweis erkannt werden, dass die zu erzeugenden Graphen mit derselben Steigung wie der Ursprungsgraph verlaufen müssen. Beide Items wurden dem Aspekt Funktion als Objekt zugewiesen. 18. Würfel; (a) Zuordnung, (b) Zuordnung, (c) Änderungsverhalten
5 kleine Würfel
a) Stell dir vor, du hast einen großen Würfel, der eine Kantenlänge von 5 kleinen Würfeln hat. Aus wie vielen kleinen Würfeln besteht der große Würfel?
□ 25 □ 50 □ 100 □ 125 b) Ein solch großer Würfel besteht aus 27 kleinen Würfeln. Aus wie vielen kleinen Würfeln besteht eine Kante?
c) Stell dir vor, du hast einen solchen Würfel mit einer Kantenlänge von 4 kleinen Würfeln. Du verringerst die Kantenlänge um 2. Wie viele Würfel brauchst du jetzt nicht mehr? Gib eine Rechnung an!
Abbildung 5.20 Item Würfel
Die Items Würfel a und Würfel b (Abbildung 5.20) konnten gelöst werden, indem man das jeweilige Wertepaar mittels Verwendung der gegebenen Situation vervollständigte. Hierzu
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
95
mussten die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass es sich um einen kubischen, diskreten Zusammenhang handelt, welcher der Kantenlänge, die durch eine Würfelanzahl ausgedrückt wurde, die Gesamtanzahl kleiner Würfel, aus denen der große Würfel sich zusammensetzt, zuordnet. Diese Items wurden daher dem Zuordnungsaspekt zugewiesen. Erschwerend musste hierbei nicht nur eine verbal vorliegende situative Beschreibung verwendet werden, auch die Abbildung, die zur Verdeutlichung des aus kleinen Würfeln zusammengesetzten großen Würfels gedacht war, musste Berücksichtigung finden (Abbildung 20). Item Würfel c bezog sich auf die absolute Änderung der Würfelanzahl in einem festen Intervall [2,4]. Es handelte sich daher um ein Item zum Änderungsverhalten. Es wurde allerdings festgestellt, dass dieses Item zunächst in hohem Maße ein Verständnis des Zuordnungsaspekts erforderte. Aufgrund des Expertenratings wurde entschiedenen, dass dieses Item den Fokus dennoch auf Änderung legte. Es war nicht offensichtlich, welche Differenz betrachtet werden musste, sodass die Schülerinnen und Schüler sich zwingend mit der Änderung befassen mussten. Die Auffälligkeiten, die sich möglicherweise auf diesen Umstand zurückführen ließen, werden in Kapitel 8 analysiert. 19. Kerze; (a) & (b) Zuordnung, (c) & (d) Änderungsverhalten, (e) Objekt Die Items Kerze a und b (Abbildung 5.21) konnten durch Vervollständigung der Wertepaare bzw. durch Ermitteln eines Schnittpunktes unter Verwendung der Graphen gelöst werden. Die Schülerinnen und Schüler mussten hierzu zum einen den richtigen Wert aus dem Graphen ablesen und zum anderen die Formulierung gleich groß mit dem Schnittpunkt der beiden Geraden assoziieren. Hierin bestand der notwendige Repräsentationswechsel. Beide Items wurden daher zum Zuordnungsaspekt zugeordnet. Die Items Kerze c und d hingegen erforderten die Betrachtung der absoluten Änderung der Kerzenhöhe bzw. die Fähigkeit, die Dicke der Kerzen mit der Steigung der Geraden in Verbindung zu bringen, womit beide zum Aspekt Änderungsverhalten zugeordnet wurden und erneut ein Repräsentationswechsel zwischen Situation (dicker) und deren Ausdruck im Graphen (flacher) vorlag. Das Item Kerze e konnte durch Identifikation eines Intervalls unbestimmter Größe und anhand der absoluten Änderung ermittelt werden. Hierzu mussten alle Wertepaare der Tabelle und die jeweiligen Änderungen der Kerzenhöhe abhängig von der Zeit betrachtet werden. Dieses Item gehörte dementsprechend zum Aspekt Funktion als Objekt. Auch hier musste zunächst begriffen werden, dass sich die Situation „Kerze ist aus“ darin zeigt, dass sich die y-Werte, durch die die Höhe der Kerze beschrieben wird, nicht ändern.
96
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
a) Wie groß war Kerze 1 nach 4 Minuten?
b) Wann waren die Kerzen gleichgroß?
c) Welche Kerze hat nach 2 Minuten am meisten von ihrer Länge verloren? ______________________________________________________________ d) Welche Kerze war dicker? Begründe! ______________________________________________________________ Zeit (min) e) Die Werte in der Tabelle beschreiben, wie eine Kerze abbrennt. Wie lange war die Kerze zwischenzeitlich mindestens aus?
Abbildung 5.21 Item Kerze
Höhe der Kerze (cm)
0
10
5
8
10
6
15
6
20
6
25
6
30
4
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
97
20. Gefäße füllen (Objekt) Das Item Gefäße füllen (Abbildung 5.22) erforderte einen Darstellungswechsel zwischen einer situativen Beschreibung, die durch die abstrakte Abbildung von zwei Gefäßen konkret mit Inhalt gefüllt wurde. Die vorgestellte Situation und deren graphische Darstellung sowie die richtige Deutung der dargestellten Graphen mit Blick auf einzelne Punkte sowie die Steigung, die sich aus der Form der Gefäße ergibt, mussten dazu berücksichtigt werden. Hier abgebildet siehst du zwei Gefäße. Stell dir vor, beide werden mit Wasser befüllt. Das Wasser wird gleichmäßig hineingegossen. Die Graphen beschreiben, wie sich die Wasserhöhe im Gefäß im Lauf der Zeit verändert. Welcher Graph passt zu welchem Gefäß? Schreibe die Nummer des passenden Gefäßes unter den richtigen Graphen.
Gefäß 1
Abbildung 5.22 Item Gefäße füllen
Gefäß 2
98
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Es galt, die Gesamtsituation zu erfassen und sie in einem der Graphen wiederzuerkennen. Das Item wurde somit zum Aspekt Funktion als Objekt zugeteilt. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass dieses Item als zwei Items codiert wurde. Jedes Gefäß zählte als ein Item (vgl. Abschnitte 5.3 und 5.4). 21. Badewanne (Objekt) Bert will baden. Er lässt zunächst zwei Minuten lang Wasser in die Wanne laufen. Weil das Telefon klingelt, dreht er das Wasser ab. Er führt ein dreiminütiges Gespräch. Daraufhin lässt er weitere drei Minuten Wasser in die Wanne. Jetzt ist es zu viel. Also lässt er eine Minute lang wieder Wasser ablaufen. Das Wasser läuft viel schneller ab, als es in die Wanne hineinläuft. Skizziere zu diesem Vorgang einen möglichen Graphen!
Abbildung 5.23 Item Badewanne
Item Badewanne (Abbildung 5.23) erforderte einen Darstellungswechsel, für den man Änderungsrate bzw. Steigung und einzelne Wertepaare bzw. Punkte berücksichtigen musste, ohne dass Ordinatenwerte vorgegeben waren. Die entscheidenden Informationen mussten aus der Situationsbeschreibung entnommen und entsprechend verarbeitet werden. Es galt, die Gesamtsituation des Badewannenfüllvorgangs graphisch umzusetzen. Es handelte sich daher um ein Item zum Aspekt Funktion als Objekt, das das eigenständige Erstellen eines Graphen verlangte. Besonders die angemessene Umsetzung der in der Situation beschriebenen Änderungsraten in die entsprechenden Steigungen des zu zeichnenden Graphen schien relevant.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
99
22. Geschwindigkeit (Änderungsverhalten) Das Item Geschwindigkeit konnte durch Betrachtung der Steigung des vorgegebenen Graphen in einem festen Intervall gelöst werden. Durch die korrekte Interpretation der negativen Steigung im Intervall [3,4] oder auch der absoluten Änderung in diesem Intervall unter Einbeziehung der Achsenbeschriftung ließen sich die falschen Antworten ausschließen. Die negative Formulierung sollte die Schülerinne und Schüler dazu motivieren, alle Antworten bewusst zu durchdenken. Dieses Item gehörte zu den Items des Änderungsverhaltens.
Welche Aussagen stimmen für die Zeit zwischen der 3. und 4. Minute nicht?
□ Das Fahrzeug steht. □ Das Fahrzeug wird langsamer. □ Das Fahrzeug wird schneller. □ Das Fahrzeug fährt rückwärts. Abbildung 5.24 Item Geschwindigkeit
23. Tabelle (Änderungsverhalten) Das Item Tabelle (Abbildung 5.25) bot prinzipiell die Möglichkeit, es sowohl über den waagrechten als auch über den senkrechten Zusammenhang (vgl. Vollrath, 1989) zu lösen. Konstruiert wurde es als Item zum Änderungsverhalten, da davon ausgegangen wurde, dass es für Schülerinnen und Schüler offensichtlicher sein würde, in der linken Spalte den Zuwachs um 1 in jedem Schritt und entsprechend in der rechten Spalte den Zuwachs um jeweils 2 zu erkennen. Das Erkennen des zugrundliegenden Zusammenhangs f(x) = 2x+1 erschien schwieriger und als Vorgehen der Schülerinnen und Schüler weniger wahrscheinlich. Im ersten Fall würde das Item entsprechend durch Ermittlung der Änderungsrate und darauf basierender Generierung eines neuen Wertes gelöst werden. Würde hingegen der zugrundeliegende Zusammenhang genutzt
100
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
werden, handelte es sich um ein waagerechtes Vorgehen, der Zuordnungsaspekt käme zum Tragen. Da sich im Rahmen des Expertenratings die Einschätzung, dass die Schülerinnen und Schüler senkrecht vorgehen würden, bestätigte, wurde dieses Item entsprechend für Änderungsverhalten verwendet. Es bezog sich ausschließlich auf ein korrektes Verständnis der Repräsentationsform Tabelle. Setze die Tabelle in gleicher Weise fort!
x
y
0
1
1
3
2
5
3
7
4
9
5
11
6
13
7
15
8 Abbildung 5.25 Item Tabelle
24. Autofahrt (Zuordnung)
Der Graph stellt eine Autofahrt dar. Welche Strecke hat das Auto um 14:30 Uhr zurückgelegt?
Abbildung 5.26 Item Autofahrt
Bei Item Autofahrt (Abbildung 5.26) handelte es sich um ein Item zum Zuordnungsaspekt. Die Lösung lag in der Vervollständigung eines Wertepaares. Die Schülerinnen und Schüler mussten den Graphen verwenden, um den fehlenden Wert zu ermitteln.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
101
25. Tabelle Änderung (Änderungsverhalten) Das Item Tabelle Änderung (Abbildung 5.27) erforderte es, unterschiedlicher Änderungsraten durch Vergleich der absoluten Änderung in jeder Zeile der Tabelle zu erkennen. Daher wurde es dem Aspekt Änderungsverhalten zugeordnet. Es verlangte die angemessene Verwendung der Form Tabelle. Allerdings war es notwendig, dass die Schülerinnen und Schüler von der Formulierung „unterschiedlich schnell ändern“ auf unterschiedlich große Änderungsraten schlossen. Markiere mit einem farbigen Stift in der Tabelle, ab wo sich die y-Werte jeweils unterschiedlich schnell ändern. x 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
y 2 4 6 8 11 14 17 20 22 24 26
Abbildung 5.27 Item Tabelle Änderung
26. Unterteilung (Änderungsverhalten) Unterteile den Graphen mit einem farbigen Stift in Abschnitte mit unterschiedlicher Steigung!
Abbildung 5.28 Item Unterteilung
102
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Das Item Unterteilung (Abbildung 5.28) konnte ausschließlich über die Auswertung der Steigung des abgebildeten Graphen gelöst werden. Diese musste in verschiedenen Intervallen des Graphen als unterschiedlich erkannt werden. Es wurde zu den Items des Änderungsverhaltens zugeordnet und beschränkte sich auf die Repräsentationsform Graph. 27. Kerze brennt; (a) Änderungsverhalten, (b) Objekt Der Graph stellt dar, wie eine Kerze abbrennt.
a) Was kannst du im Zeitraum zwischen der 3. und 7. Minute über die Kerze sagen? ____________________________________________________________________ ____________________________________________________________________ b) Nimm an, die Kerze sei 2 cm höher gewesen. Sie brennt genauso ab, wie zuvor. Zeichne oben in das Koordinatensystem den Graphen, der diesen Vorgang beschreibt. Abbildung 5.29 Item Kerze brennt
Item Kerze brennt a (Abbildung 5.29) erforderte die Interpretation der Steigung des gegebenen Graphen in einem festen Intervall und war zu lösen, indem die Schülerinnen und Schüler erkannten, dass der konstante Verlauf des Graphen dafür steht, dass die Kerze aus ist (Repräsentationswechsel). Es wurde den Items des Änderungsverhaltens zugeordnet. Item Kerze brennt b hingegen erforderte ein Verständnis und das Übertragen der in diesem Graphen ersichtlich werdenden Steigung, die mit der Formulierung brennt genauso verknüpft werden musste. Außerdem musste ein Wertepaar vervollständigt werden, um den Startpunkt des zu erstellenden Graphen herauszufinden. Ein Darstellungswechsel musste vorgenommen werden, da die situative Beschreibung unter Verwendung des bekannten Graphen in einen neuen überführt werden musste. Dementsprechend gehörte dieses Item zum Aspekt Funktion als Objekt.
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
5.1.3
103
Testdesign
Die soeben beschriebenen Items bildeten die Grundlage der Testhefte, die im nächsten Schritt erstellt wurden. Zunächst wurden die Items dazu in vier Blöcke unterteilt (vgl. Tabelle 5.4). Tabelle 5.4 Verteilung der Items auf unterschiedliche Item-Blöcke, Zuordnung der Items zu den verschiedenen Aspekten
Block A
Block B
Block C
Transport a-c, (Z, Z, Ä) Bremsweg a-c (Z, Z, Badewanne (O) Ä) Bußgelder (Z) Fahrrad (O) Gewitter (Z) Erzählung (O) U-Bahn a-b, (Z, Ä)
Block D Rennwagen a-b, b‘, (Ä, O, O) Geschwindigkeit (Ä)
Igel a-c, (Ä, Ä, Ä)
Fahrzeug (O)
Größe a-c, (O, Ä, Ä)
Tabelle (Ä)
Ballon a-b, (O, Ä)
See (O)
Tabelle Änderung (Ä)
Autofahrt (Z)
Heimweg (O)
Zugfahrt a-b, (Ä, Ä)
Würfel bauen c (Ä)
Punkte (Z)
Kerze brennt a-b (Ä, Unterteilung (Ä) O) Kerze a-b, (Z, Z)
Gefäße füllen a-b (O, Bleistift a (O) O) Kerze c-e, (Ä, Ä, O)
Würfel bauen a, b (Z, Bleistift b-f, (Z, Ä, O, Z) Ä, Z)
Z: 3 Items
Z: 4 Items
Z: 3 Items
Z: 5 Items
Ä: 6 Items
Ä: 5 Items
Ä: 5 Items
Ä: 6 Items
O: 5 Items
O: 4 Items
O: 4 Items
O: 3 Items
Anmerkung. Z = Zuordnungsaspekt, Ä = Änderungsverhalten, O = Funktion als Objekt
Jeder Block enthielt eine sich annähernd entsprechende Anzahl an Items zu allen drei Aspekten. Da manche Items auf ein und derselben Graphik beruhten, konnten die Aufgaben nicht vollständig gleich bezüglich der Aspekte verteilt werden, ohne unnötig viele Doppelungen in den Heften zu erzeugen. Die Verteilung auf die unterschiedlichen Repräsentationsformen gelang weniger deckend. Es standen insgesamt nur sechs Items zur Darstellungsform Tabelle zur Verfügung. Der Graph und die situative Beschreibung schienen eher geeignet, um ein qualitatives Verständnis funktionaler Zusammenhäng zu überprüfen. Im nächsten Schritt wurden diese Blöcke miteinander kombiniert (Multi-Matrix-Design, vgl. Dorschu, 2013, S. 56; Hartig & Kühnbach, 2006, S. 29), sodass vier Testhefte (1a, 2a, 3a, 4a) entstanden (Tabelle 5.5). Die Items wurden in jedem Testhefte derart angeordnet, dass jeweils Items zu unterschiedlichen Aspekten aufeinander folgten. Zudem wurde die Reihenfolge der Items eines jeden Hefts umgekehrt. So entstand je ein weiteres Testheft (1a‘, 2a‘, 3a‘, 4a‘). Auf diese Weise sollten Reihenfolgeneffekte z. B. aufgrund von Erschöpfung ausgeschlossen werden. Offensichtlich hingen alle Testhefte durch die Überlappung jeweils eines Item-Blocks miteinander zusammen (vgl. Tabelle 5.5).
104
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Tabelle 5.5 Aufbau der Testhefte im Multi-Matrix-Design
Testheft
Block
Block
Testheft 1a
A
B
Testheft 2a
B
Testheft 3a
Block
Block
Block
C C
Testheft 4a
D D
A
Dieses Testdesign hatte den Vorteil, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler alle Items bearbeiten mussten. Ihnen wurde nur ein Teil der Items vorgelegt (Hartig & Kühnbach, 2006, S. 29). Dank der Verwendung des unter Abschnitt 4.1 beschrieben Rasch-Modells im Rahmen der Auswertung konnten dennoch die Fähigkeitswerte aller Schülerinnen und Schüler mit Blick auf alle Items geschätzt werden (Martin, Mullis & Kennedy, 2007, S. 153). Die Schülerinnen und Schüler mussten daher nicht 53 Items sondern maximal 28 Items bearbeiten (vgl. Tabelle 5.6), was die Durchführung der Testung in einer Schulstunde (45 min) ermöglichte. Die latente Fähigkeit funktionales Denken konnte trotzdem über 53 Items bestimmt werden. Tabelle 5.6. Anzahl der Items pro Testheft unterteilt nach Aspekten
Testhefte
Zuordnung
Änderungsverhalten
Objekt
Total
1a, 1a‘
7 Items
11 Items
9 Items
27 Items
2a, 2a‘
7 Items
10 Items
8 Items
25 Items
3a, 3a‘
8 Items
11 Items
7 Items
26 Items
4a, 4a‘
8 Items
12 Items
8 Items
28 Items
Prädiktoren Folgende Informationen wurden zusätzlich als mögliche Prädiktoren erhoben, da von einem Einfluss von ihnen auf das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler ausgegangen wurde.
Alter Geschlecht Mathematiknote im letzten Zeugnis Deutschnote im letzten Zeugnis Zuhause gesprochene Sprache Nachhilfe in Mathematik Leseverhalten (4-stufige Likert-Skala, Abbildung 5.30)
5.1
Konstruktion des Messinstruments – Operationalisierung und Items
Du liest Bücher…
oft
manchmal
selten
105
nie
Abbildung 5.30 Item zur Abfrage des Leseverhaltens
Besonders relevant erschienen die Mathematiknote und Nachhilfe in Mathematik als mögliche Prädiktoren. Diese sollten einen Hinweis auf die generellen mathematischen Fähigkeiten geben, welche die Schülerinnen und Schüler besaßen. Es wurde vermutet, dass Schülerinnen und Schüler mit besseren mathematischen Fähigkeiten eine größere Fähigkeit zum funktionalen Denken aufweisen würden, als solche, denen Mathematik schwerer fiel. Eine Korrelation der Fähigkeit funktionales Denken mit der Mathematiknote konnten daher auch zur Validierung des Tests herangezogen werden. Leider war es aufgrund der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich, die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gesondert zu erheben. Die Wahl fiel daher aus rein pragmatischen Gründen auf die Mathematiknote. Ein Zusammenhang, der sich zwischen Mathematiknote und funktionalem Denken ergeben würde, sollte daher weitestgehend als Indiz gewertet werden. Denn die Mathematiknote ist als Indikator für die mathematischen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern umstritten (vgl. z.B. Hochweber, 2010). Ähnliches galt für die Verwendung der Deutschnote als Indikator für die sprachlichen Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern. Betrachtete man Deutschnote, Leseverhalten und zuhause gesprochene Sprache und ihren möglichen Zusammenhang mit der Performanz der Schülerinnen und Schüler in den vorgestellten Items, war davon auszugehen, dass Muttersprachler wie auch Schülerinnen und Schüler mit guter Deutschnote oder hohem Leseverhalten die Aufgaben, die stellenweise sehr reich an Text waren, besser würden lösen können und entsprechend einen höhere Wert im funktionalen Denken erreichen würden. Das Geschlecht wurde kontrolliert, um eine DIF-Analyse auf Basis dieses Aspekts durchführen zu können, da Gendereffekte nichts Seltenes im Mathematikunterricht sind14 und erfasst werden sollten. Entsprechend wurde auch ein Zusammenhang von Geschlecht und Fähigkeit erwartet. Ein Einfluss des Alters wurde hingegen nicht erwartet, da die Erhebung innerhalb einer Jahrgangsstufe stattfand. Diese Information wurde der Vollständigkeit halber mit erhoben.
14
Vergleiche hierzu z. B. die Ergebnisse der PISA Erhebung 2015, die darauf hindeuten, dass es einen großen Unterschied zwischen den mathematischen Kompetenzen von Mädchen und Jungs in Deutschland gibt (Reiss, Sälzer & Schiepe-Tiska, 2016, S. 234ff).
106
5.2
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Rahmeninformationen Stichprobe und Durchführung
Ziel der zweiten Studie dieses Projekts, die in Kapitel 6 vorgestellt wird, war es, herauszufinden, ob das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern der 6. Jahrgangsstufe mit Hilfe von Experimenten, die auf gegenständlichen Materialien oder Computer-Simulationen beruhen, unterschiedlich gut gefördert werden kann. Der im Rahmen der hier beschriebenen ersten Studie konstruierte Test musste daher in der Lage sein, das funktionale Denken von Sechstklässlerinnen und Sechstklässlern nach der geplanten Intervention zu dessen Förderung richtig abzubilden. Um keine Deckeneffekte aufgrund eines zu leichten Tests befürchten zu müssen, wurde der Test dementsprechend in Jahrgangsstufe 7 zu Beginn des 2. Halbjahres im Februar 2016 pilotiert. Alle teilnehmenden Klassen hatten bis zu diesem Zeitpunkt proportionale Zuordnungen, aber noch keine formalen Aspekte linearer Funktionen im Unterricht behandelt. Deshalb wurde davon ausgegangen, dass die Schülerinnen und Schüler auf einem ähnlichen Stand im funktionalen Denken anzusiedeln waren, wie es die Sechstklässler Ende des Schuljahres nach der geplanten Intervention sein würden. Die Untersuchung der Trennbarkeit der Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt erschien in dieser Jahrgangsstufe genauso möglich wie in jeder anderen, da nicht davon auszugehen war, dass das Konstrukt seine Gestalt ändert. Die Stichprobe hatte eine Größe von N = 221 und setzte sich aus 112 Schülerinnen und 109 Schülern aus vier Gymnasien aus Rheinland-Pfalz zusammen. Der Altersdurchschnitt lag bei M = 12.48, (SD = 0.56). Erhebungsmethode Ziel der Testkonstruktion war die Erstellung eines Instruments zur Erfassung des funktionalen Denkens in Jahrgangsstufe 6. Des Weiteren sollte es zur Überprüfung der möglichen Dreidimensionalität dieses Konstrukts verwendet werden können. Entwickelt wurde hierzu ein PaperPencil-Test. Die Testentwicklung wurde in Abschnitt 5.1 detailliert dargestellt. Durchgeführt wurde der Test von den entsprechend instruierten Lehrpersonen innerhalb einer Schulstunde (45 min). Es lag ein Erhebungsmanual vor, das das Vorgehen standardisierte. 5.3
Auswertungsmethoden Kodierung der Fragebögen
Die Schülerantworten wurden basierend auf der mathematisch korrekten Lösung als richtig (1) oder falsch (0) kodiert, es gab keine Abstufungen. Der Test lieferte somit dichotome Daten. Fehlende Daten, die sich aufgrund des Multi-Matrix-Designs ergaben, wurden als NA erfasst. Da sämtliche den Test durchführende Lehrpersonen angaben, dass alle Schülerinnen und Schüler, wie erwartet, genug Zeit hatten, um sämtliche Aufgaben zu bearbeiten, wurden alle nicht bearbeiteten Items als falsch gewertet und mit 0 kodiert. Besonderheiten ergaben sich in der Kodierung der Items Rennwagen b) und Gefäße füllen.
5.3
Auswertungsmethoden
107
Das Item Rennwagen b) (vgl. Item 7b, S. 81) wurde als zwei Items angesehen und entsprechend kodiert. Es wurde zunächst unterschieden, ob die Schülerinnen und Schüler eine der Rennstrecken B, C oder D (richtig) oder eine der Rennstrecken A oder E (falsch) gewählt hatten. Die Auswahl der Bahnen B, C oder D ließ darauf schließen, dass die Schülerinnen und Schüler den dargestellten funktionalen Zusammenhang begriffen hatten, wohingegen die Wahl von A und E deutlich machte, dass hier der Zusammenhang nicht verstanden worden war und die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einen Graph-als-Bild-Fehler begangen hatten. Als zweites Item wurde kodiert, ob die Schülerinnen und Schüler sich für Lösung B (richtig) oder eine der anderen (falsch) entschieden hatten. Diese Aufgliederung in zwei Items erschien deshalb gewinnbringend, da die korrekte Lösung B nicht vollends als passende Rennstrecke anzusehen war. Das erste Teilstück von Rennstrecke B nach dem Startpunkt ist im Vergleich zum dargestellten Graphen zu lang. Dementsprechend waren Schülerinnen und Schüler vielleicht durch diese Darstellung dazu gebracht worden, C oder D zu wählen, was allerdings nichts über mangelndes funktionales Verständnis aussagen würde. Denn die Wahl der Bahnen C und D ließ genauso wie die Wahl der Bahn B den Schluss zu, dass die Schülerinnen und Schüler den Graphen korrekt im Hinblick auf die Anzahl der notwendigen Kurven interpretiert und damit den dargestellten funktionalen Zusammenhang begriffen hatten. Im Rahmen der Auswertung wurde entschieden, welche Art der Kodierung schlussendlich zu verwenden war. Es war abzusehen, dass die beschriebene Vorgehensweise lokal stochastisch abhängige Items liefern würde. Das Item Gefäße füllen (vgl. Item 20, S. 97) wurde ebenfalls als zwei Items gewertet. Die Zuordnung des jeweils richtigen Graphen zu einem der beiden Gefäße zählte als ein Item. Auch hier war davon auszugehen, dass die beiden Items lokal stochastisch abhängig waren, da das Konzept des Gefäße Füllens für die Lösung beider Aufgaben relevant war und sich bei falscher Wahl einer Lösung eventuell auch die richtige Wahl für das zweite Gefäß ausschloss. Dies wurde in der Auswertung berücksichtigt. Im Laufe der deskriptiven Datenanalyse zeigte sich des Weiteren eine Schwierigkeit hinsichtlich des Items Bleistift d) (vgl. Item 17d, S. 93). Die richtige Lösung (gestrichelt dargestellt in Abbildung 5.31) beinhaltet eine Sprungstelle.
Abbildung 5.31 Lösung zum Item Bleistift d)
108
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Da diese von nur zwei der 221 Schülerinnen und Schüler korrekt eingezeichnet worden war und alle anderen die beiden Punkte mit einer senkrechten Linie verbunden hatten, wurde dieses Item als richtig kodiert, wenn der Graph mit Ausnahme der Sprungstelle korrekt eingezeichnet vorlag. Das Item wurde weiterhin als ein Item zum Aspekt Funktion als Objekt betrachtet. Gütekriterien Bevor der Test zur Messung des funktionalen Denkens oder zur Untersuchung der Dimensionalität funktionalen Denkens verwendet werden konnte, musste sichergestellt werden, dass die Gütekriterien erfüllt waren, die als wesentliche Indikatoren für einen guten Test angesehen werden (Bühner, 2010, S. 34ff). Objektivität Eine Anleitung zur Durchführung des Tests, die jede Lehrperson während der Erhebung zu befolgen hatte, sollte die Durchführungsobjektivität gewährleisten (Bühner, 2010, S. 34). Im Rahmen dieser Anleitung wurde dargestellt, wie der inhaltliche und zeitliche Ablauf der Erhebung auszusehen hatten. Der zeitliche Rahmen zur Testdurchführung wurde auf 45 Minuten festgesetzt, wobei 5 Minuten auf die Verteilung der Testhefte entfielen und weitere 5 Minuten auf das Ausfüllen der Zusatzfragen (Prädiktoren). Die Auswertung der Items wurde von einer Person durchgeführt, die Kodierung der Lösungen basierte darauf, ob sie mathematisch richtig oder falsch waren. Auch bei der Kodierung der offenen Antwortformate existierte immer nur eine mathematisch korrekte Lösung. Die Auswertungsobjektivität sollte sichergestellt sein. Reliabilität Die Reliabilität des Tests zum funktionalen Denken wurde über die EAP/PV-Reliabilität (Expected-A-Posteriori/Plausible Values - Reliabilität) bestimmt. Sie verwendet die Varianz der Fähigkeit zwischen Personen und die (Fehler-)Varianz innerhalb einer Person (Rost, 2004, S. 382) und ist ein Maß für die innere Konsistenz des Tests. Sie ist generell mit Cronbachs vergleichbar (Rost, 2004, S. 382) und wird dementsprechend interpretiert. Das optimierte Rasch-Modell (1_dim-Modell) des Tests, das zur Messung des funktionalen Denkens verwendet wurde, erreichte eine EAP/PV-Reliabilität von EAP/PV = 0.77 (vgl. hierzu Abschnitt 5.4.3), was für einen Paper-Pencil-Test als durchaus akzeptabel anzusehen ist (Cronbach, 1951; Schecker, 2014, S. 5). Validität Da die Items auf Grundlage einer umfassenden Operationalisierung der verschiedenen Aspekte funktionalen Denkens entstanden (vgl. Abschnitt 5.1.1) und in Anlehnung an Items aus LargeScale-Studien wie PISA, TIMSS und VERA8 konstruiert wurden, die sich mit funktionalen Zusammenhängen auseinandersetzen, wurde davon ausgegangen, dass die Inhaltsvalidität gewährleistet war. Zur Stützung dieser Annahme wurde anhand der verwendeten Items aus PISA, TIMSS und VERA8 die konvergente Validität überprüft. Hierzu wurden die Fähigkeitswerte
5.3
Auswertungsmethoden
109
der Schülerinnen und Schüler mittels eines zweidimensionalen Modells geschätzt, das zunächst annahm, dass die bereits erprobten, übernommenen Items aus anderen Studien und die selbstentwickelten Items unterschiedliche Konstrukte messen würden. Ziel war es zu zeigen, dass ein eindimensionales Modell, das die beiden Itemgruppen zusammenfasste, die bessere Modellpassung zu den Daten aufwies. Als Schlussfolgerung sollte man davon ausgehen können, dass die übernommenen und selbstentwickelten Items das gleiche Konstrukt erfassten. Das Maß der Adaptation der Items wurde dabei berücksichtigt. Diese Analyse wurde sowohl mit allen Items als auch getrennt nach den vermuteten Untergruppen der Items zu Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt durchgeführt. Die drei Aspekte waren zwar in vergleichbaren Verhältnissen in den selbst erstellten und den übernommenen Items vorhanden, jedoch schien es notwendig, die Vergleichbarkeit der Items auch den Aspekten nach zu verifizieren. Die auf latenter Ebene ermittelten Korrelationskoeffizienten, die sich für die getrennt betrachteten Untergruppen zwischen selbstentwickelten und übernommenen Items ergaben, lagen für den Zuordnungsaspekt bei r = 0.947, für das Änderungsverhalten bei r = 0.802 und für den ObjektAspekt bei r = 0.924. Betrachtete man die Items ohne Berücksichtigung der Aspekte in der Unterteilung in übernommene und selbst erstellte, fand sich r = 0.943. Damit waren alle Korrelationen als hoch anzusehen, was den Schluss nahelegte, dass die übernommenen und selbst erzeugten Items dasselbe erfassten und gemeinsam betrachtet werden sollten. Der Vergleich der Informationskriterien (siehe Tabelle 5.7), der insgesamt acht verschiedenen Modelle beinhaltete, ergab, dass mit Blick auf die Sparsamkeit die jeweils eindimensionalen Modelle gewählt werden sollten (vgl. hierzu Abschnitt 4.2, Modellvergleich). Tabelle 5.7 Informationskriterien des 1- und 2-dim. Modells zur Testvalidierung. ∆ :Differenz, die sich aus den IC des 1-dim. Modells und des 2-dim. Modells ergibt: ∆ = IC1dim – IC2dim
Aspekt
IC
1-dim. (gemeinsame Betrachtung der übernommenen und selbstentwickelten Items)
2-dim. (Trennung der übernommenen und ∆ selbstentwickelten Items) 5407 -3 5391 -1
Über alle Aspekte
AICc saBIC
5404 5390
< <
Zuordnung
AICc saBIC
1237 1238
< <
1238 1239
-1 -1
Änderungsverhalten
AICc saBIC
2429 2429
< <
2431 2431
-2 -2
Objekt
AICc saBIC
1849 1850
< <
1853 1854
-4 -4
Anmerkung. IC: Informationskriterien
Die übernommenen und neu entwickelten Items sollten daher sowohl auf der Ebene der Aspekte als auch dann, wenn das Verständnis von funktionalen Zusammenhängen insgesamt betrachtet
110
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
wird, dasselbe messen. Abschließend wurde die Kriteriumsvalidität anhand der erhobenen Mathematiknote der Schülerinnen und Schüler überprüft, die als Maß für deren mathematische Fähigkeiten verwendet wurde. Es fand sich eine mittlere Korrelation von r = -0.47, p < 0.001, die nahe legte, dass ein Zusammenhang von mathematischen Fähigkeiten und dem hier gemessenen Konstrukt bestand. Die Konstruktvalidität (Hartig, Frey & Jude, 2012; Kallus 2010; Lienert & Raatz 1998) wurde überprüft, indem die Dimensionalität funktionalen Denkens untersucht wurde (vgl. Abschnitt Modellvergleich). Die Fähigkeit des funktionalen Denkens – Schätzen des Rasch-Modells Nach einer deskriptiven Betrachtung der Daten, die wegen Boden- bzw. Deckeneffekten zum Ausschluss von zwei Items bzw. zu einer angepassten Kodierung des Items Bleistift d führte, wurde im ersten Schritt der Auswertung sowohl ein ein- (bezeichnet als 1-dim_a) als auch ein dreidimensionales (bezeichnet als 3-dim_a) Rasch-Modell mittels der Software R (R Core Team, 2013) unter Verwendung des Packages TAM (Kiefer, Robitzsch & Wu, 2016) geschätzt. Tabelle 5.8 Cut-off Werte, die im Rahmen der Analyse auf Rasch-Skalierbarkeit verwendet wurden
Kriterium
Cut-off-Werte
INFIT
Werte aus dem Intervall [0.8 , 1.2] akzeptabel, (Bond & Fox, 2015; Wilson, 2005; Wright & Linacre, 1994)
OUTFIT
Werte aus dem Intervall [0.8 , 1.2] akzeptabel, (Bond & Fox, 2015; Wilson, 2005; Wright & Linacre, 1994)
Trennschärfe DIF Lok. stochastische Unabhängigkeit
Werte > 0.25 akzeptabel, (Adams & Wu, 2002 ) |DIF| ≥ 0.64 problematisch (Tristan, 2006) Q3-Statistik: Werte im Intervall (-0.2 , 0.2) unproblematisch, (Eckes, 2015; Little, 2014)
Es wurde die Modellpassung beider Modelle geprüft. Hierzu wurden die unter Abschnitt 4.1. vorgestellten Voraussetzungen (vgl. ergänzend Tabelle 5.8), die für die Verwendung des Rasch-Modells erfüllt sein müssen, auf ihre Gültigkeit hin untersucht. Miteinbezogen in die Analyse wurden ebenso die für jedes Item geschätzten Schwierigkeitsparameter. Die einzelnen Kriterien waren im Falle der Nicht-Eindeutigkeit mit Blick auf den möglichen Ausschluss eines Items gegeneinander abzuwägen. Es wurde kein Item beibehalten, dass das ein- oder dreidimensionale Modell benachteiligt hätte. Zunächst wurden die FIT-Werte der beiden Modelle betrachtet und gemäß der Cut-offWerte beurteilt. Im nächsten Schritt wurde die Trennschärfe untersucht. Items mit einer Trennschärfe kleiner als 0.25 wurden ausgeschlossen, wenn nicht andere Kriterien deutlich für ihren Erhalt sprachen. Zudem wurde eine DIF-Analyse unter Berücksichtigung des Geschlechts
5.3
Auswertungsmethoden
111
durchgeführt. Der Theorie entsprechend wurden Items mit einem DIF-Wert größer als 0.64 genauer betrachtet. Abschließend wurde eine Q3-Statistik berechnet, um ungewollte Abhängigkeiten, die nicht auf das Konstrukt funktionales Denken zurückzuführen waren, aufzudecken. Des Weiteren wurde der Overall-Modellfit mittels SRMR bestimmt. Die so durchgeführte Analyse führte zum Ausschluss von sieben Items. Es verblieben nach diesem Schritt 44 Items. Es wurden zwei weitere Rasch-Modelle geschätzt (1-dim_b, 3-dim_b), um zu überprüfen, ob der Ausschluss der Items zielführend war. Die Selektion der Items führte zur Verbesserung der Modellpassung. Nachdem der Ausschluss der Items damit hinsichtlich beider Modelle für gut befunden worden war, wurde basierend auf den verbliebenen 44 Items und einem Hintergrundmodell ein weiteres eindimensionales Modell geschätzt (bezeichnet mit 1-dim), das im Folgenden zur Beschreibung des funktionalen Denkens verwendet wurde. Die Frage nach der Dimensionalität des Konstrukts wurde nach der Schätzung von zwei weiteren dreidimensionalen Modellen (3-dim_between und 3-dim_within) unter Verwendung des Hintergrundmodells auf Basis der entsprechenden Informationskriterien beantwortet. Verwendung des Hintergrundmodells Wie unter 4.1.3 vorangestellt ermöglicht es die IRT, zur Schätzung der Fähigkeitswerte von Schülerinnen und Schülern neben Testergebnissen auch Zusatzinformationen zu berücksichtigen, die mittels eines Hintergrundmodells (Hartig et al., 2006, S. 30) in die Raschanalyse eingehen. Eine latente Regressionsanalyse erweitert die Rasch-Analyse. Die im Abschnitt 5.2 vorgestellten Prädiktoren wurden für dieses Hintergrundmodell wie folgt berücksichtigt. Die Mathematiknote und Deutschnote wurden aufgenommen, wie sie gewöhnlich gegeben werden (Noten von 1 bis 6). Entsprechend wurde ein negativer Zusammenhang erwartet, wenn bei besserer Note auch ein höherer Fähigkeitswert erreicht würde. Für die zuhause gesprochene Sprache wurde festgehalten, ob Schülerinnen und Schüler zuhause Deutsch sprachen oder nicht. Sollte sich die Vermutung bestätigen, dass die Schülerinnen und Schüler, die zuhause Deutsch sprachen, bessere Fähigkeitswerte erzielten, würde sich dies in einem positiven Zusammenhang mit diesem Prädiktor zeigen. Das Leseverhalten wurde, wie beschrieben, mit einer vierstufigen Likert-Skala erhoben. Es wurde ein positiver Zusammenhang erwarten, falls Schülerinnen und Schüler, die viel lasen, besser abschnitten. Die Inanspruchnahme von Nachhilfe wurde lediglich mit 0 (ja) und 1 (nein) aufgenommen. Ein positiver Zusammenhang würde auf eine höhere Fähigkeit hindeuten, wenn keine Nachhilfe genommen wurde. Das Geschlecht wurde ebenfalls mit 0 (Jungen) und 1 (Mädchen) kodiert. Demensprechend würde ein positiver Zusammenhang auf bessere Leistungen der Mädchen hindeuten.
112
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Modellvergleich Nach der Selektion der betreffenden 7 Items wurde wie im Abschnitt Rasch-Skalierbarkeit zuvor bereits erklärt, unter Verwendung des Hintergrundmodells ein eindimensionales RaschModell für die verbliebenen 44 Items geschätzt. Es handelte sich um das optimierte RaschModell, da die Itemselektion zu einer verbesserten Passung des Modells auf die Daten führte. Dieses optimierte, eindimensionale Modell (bezeichnet als 1-dim-Modell) wurde in seiner Passung mit zwei dreidimensionalen Modellen verglichen. Diese zwei dreidimensionalen Modelle, deren Struktur sich auf Grundlage der Theorie ergab, wurden dazu im nächsten Schritt geschätzt. Wie bereits zuvor ausführlich dargelegt (vgl. Abschnitt 2.2), wird funktionales Denken theoretisch unterteilt in die drei wesentlichen Aspekte Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt. Zu untersuchen galt es, ob sich diese Trennung auch psychometrisch bestätigen ließ. Da es möglich war, diese drei Aspekte als drei getrennte Dimensionen funktionalen Denkens oder aber als aufeinander aufbauend anzusehen, wurden beide Vorstellungen in ihrer Passung auf die Daten hin überprüft. Hierzu wurde als erstes ein dreidimensionales Modell geschätzt, das die drei Aspekte als getrennte Dimensionen auffasste. Hierzu wurde jedes Item gemäß der zugrundeliegenden Operationalisierung durch die im Abschnitt 4.2 Modellvergleich beschriebenen Gewichte qij ∈ {0,1} prä-experimentell genau einem Aspekt, genau einer Dimension, zugewiesen. Es handelte sich damit um ein Modell mit between-item-dimensionality. Dieses Modell wird im Folgenden mit 3-dim_between bezeichnet. Das zweite dreidimensionale Modell berücksichtigte, dass die einzelnen Aspekte aufeinander aufbauen könnten. Basierend darauf wäre es nicht möglich, Änderungsverhalten zu verstehen, ohne den Zuordnungsaspekt verstanden zu haben, und ein Verständnis des Objektaspekts wäre ohne den Zuordnungsaspekt und das Änderungsverhalten nicht zu erwarten. Daher wurde ein Item, das basierend auf der erstellten Operationalisierung den Aspekt Funktion als Objekt wiederspiegelte, sowohl der Dimension Objekt, Änderungsverhalten als auch Zuordnung zugewiesen. Ein Item das das Änderungsverhalten prüfte, wurde dem Änderungsverhalten und der Zuordnung zugeordnet, Items des Zuordnungsaspekts wurden nur dieser Dimension zugeschrieben. Die Gewichte entstammten dabei der Menge qij ∈ {0, 0.33, 0.5, 1}. Wenn zur Lösung eines Items alle drei Aspekte notwendig schienen, wurden diese entsprechend alle mit 0.33 gewichtete. Es wurde davon ausgegangen, dass sie nicht ebenso viel Fähigkeit zu den Einzelaspekten forderten wie ein Item, das nur einen Aspekt abdeckte. Entsprechend wurden Items, die zwei Aspekte abdeckten, mit den Gewichten 0.5 in diesen Aspekten versehen (vgl. hierzu Carstensen & Rost, 2000, S. 15ff). Es handelte sich um ein Modell mit within-item-dimensionality, weshalb dieses Modell im Folgenden mit 3-dim_within bezeichnet wird. Es schloss sich der Modellvergleich der Modelle 1-dim, 3-dim_between und 3dim_within an. Er wurde mittels der unter Abschnitt 4.2 beschriebenen Informationskriterien AICc, saBIC, BIC und AIC durchgeführt. Das Modell mit den niedrigsten Informationskriterien gilt als das am besten passendste. Die Ergebnisse gaben Aufschluss über die psychometrische Struktur funktionalen Denkens.
5.4
5.4
Ergebnisse Studie I
113
Ergebnisse Studie I
Die Ergebnisse dieser Studie deuteten darauf hin, dass funktionales Denken psychometrisch als ein eindimensionales Konstrukt anzusehen ist. Daher werden die Ergebnisse der Analyse der Daten auf Rasch-Skalierbarkeit, die sowohl für ein ein- als auch für ein drei-dimensionales Modell durchgeführt wurden, im Folgenden nur mit Blick auf das eindimensionale Modell vorgestellt und besprochen. Die Ergebnisse der Analyse des dreidimensionalen Modells auf RaschSkalierbarkeit finden sich in tabellarischer Form im Anhang (vgl. Anhang A1). Auch der Einfluss des Hintergrundmodells wird nur mit Blick auf das empirisch anzunehmende eindimensionale Konstrukt funktionales Denken berichtet und interpretiert. Die Ergebnisse, die sich für die dreidimensionalen Modelle ergaben, finden sich ebenfalls im Anhang (Anhang A3). Deskriptive Analyse der Daten Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler (N = 221, 109 Jungen, 112 Mädchen), mit einem mittleren Alter von M = 12.48 (SD = 0.56) erreichten über alle Items hinweg eine mittlere Lösungsrate von 62 %. Es zeigten sich Decken- und Bodeneffekte. Daher wurden zwei Items basierend auf ihren Lösungsraten direkt aus dem Pool an Items entfernt und gingen nicht in die weitere Analyse ein. Es handelte sich um das Item Transport c mit einer Lösungsrate von 96 % und um das Item Tabelle mit einer Lösungsrate von 93 %. Ein weiteres Item, Bleistift d, wurde neu kodiert (vgl. Abschnitt 5.3). Damit wurde die ursprüngliche Lösungsrate dieses Items von 2 % verbessert auf 28 %. Die Verteilung der erhobenen Prädiktoren zeigte, dass fünf von 221 teilnehmenden Schülerinnen und Schülern zuhause kein Deutsch sprachen. Die Mathematiknote lag im Mittel bei M = 2.79 (SD = 0.97), die Deutschnote bei M = 2.69 (SD = 0.82). Die Schülerinnen und Schüler gaben im Durchschnitt ein Leseverhalten von M = 3.05 (SD = 0.94) an. 27 von 221 Schülerinnen und Schülern nahmen Nachhilfe in Mathematik. 5.4.1
Die Raschskalierbarkeit des Tests
Die Schätzung des 1-dim_a-Modells lieferte eine EAP/PV-Reliabilität von EAP/PV1-dim_a = 0.730. Das 1-dim_a-Modell erreichte einen Overall-Fit von SRMR = 0.106, der noch als akzeptabel zu bezeichnen war. Die Analyse der FIT-Werte ergab für den OUTFIT einen Mittelwert von M = 0.997 (SD = 0.131). Der Mittelwert der INFIT-Werte lag bei M = 0.997 (SD = 0.069). Die Trennschärfe erreichte ein Mittel von M = 0.36 (SD = 0.11) mit einem Minimum von min = 0.014 und einem Maximum von max = 0.563. Da die Trennschärfe eines jeden Items idealerweise einen Wert größer als 0.25 annehmen sollte, wurde die Trennschärfe der einzelnen Items genauer untersucht. Die DIF-Analyse unter Berücksichtigung des Geschlechts ergab, dass 14 Items signifikante DIF-Werte mit |DIF| > 0.64 aufwiesen (vgl. Tabelle 5.9, |DIF|). Wenn sich auch andere Kriterien des jeweiligen Items als problematisch darstellten, wurde die-
114
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
ses Item aussortiert. Wenn lediglich der DIF-Wert als kritisch anzusehen war, wurde abgewogen, ob das Item entfernt werden sollte.15 Relevant für die jeweilige Entscheidung war zum einen, dass die Entfernung eines Items zu einer geringeren Gesamtzahl an Items führen würde. Man verlöre so eine Reihe von Item-Schwierigkeiten und würde auf die Möglichkeit, funktionales Denken in all seinen Stadien abbilden zu können, gegebenenfalls verzichten. Des Weiteren würde eine geringere Anzahl an Items zu einer geringeren Reliabilität (Cho et al., 2016, S. 577) führen. Zum anderen durfte nicht aus dem Blick verloren werden, dass das Hauptinteresse dieser Untersuchung auf der Messung funktionalen Denkens der Population und nicht von Subpopulationen lag. Die Relevanz der DIF-Werte in diesem Kontext musste daher unter Berücksichtigung dieses Ziels bewertet werden. Die Q3-Statistik wies eine mittlere Residual-Korrelation von M = -0.027 (SD = 0.130) auf. Der Mittelwert lag nahe Null, so dass sich insgesamt sagen ließ, dass funktionales Denken die wesentliche Fähigkeit zu sein schien, die zur Lösung der Items benötigt wurde. Bei genauerer Betrachtung fielen dennoch Items auf, deren Residuen stärker korrelierten (vgl. Tabelle 5.9, Spalte Q3). Diese Abhängigkeiten wurden untersucht und führten zum Ausschluss weiterer Items, wenn auch andere Kriterien gegen ein solches Item sprachen. Detaillierte Analyse: Item-Selektion Basierend auf den Item-Kennwerten, die in Tabelle 5.9 dargestellt sind, wurde hinsichtlich eines jeden Items untersucht, ob es den Anforderungen der Rasch-Skalierung genügte und dementsprechend im Pool der Items verbleiben konnte. Insgesamt wurden sieben Items auf dieser Grundlage ausgeschlossen (fett gedruckt in Tabelle 5.9). Im Folgenden wird der Selektionsprozess detailliert auf Itemebene beschrieben. Des Weiteren wird dargestellt, welche Gründe identifiziert wurden, aus denen die jeweiligen Items nicht zur Messung funktionalen Denkens verwendet werden sollten. Im Anschluss wird erläutert, warum andere Items, deren Item-Informations-Kriterien ebenfalls in Teilen als problematisch anzusehen waren, trotzdem beibehalten wurden.
15
How to handle DIF-items ist keine einfache Frage. Cho et al. (2016, S. 575) beschreiben beispielsweise basierend auf einem Review von 27 Artikeln der American Psychology Association Journals, dass es fünf gängigen Praktiken gibt, wie mit DIF umzugehen ist. Sie benennen die prozentuale Häufigkeit dieser Praktiken in Bezug auf die untersuchten Artikel: Items eliminieren (30%), kein Vorgehen benennen (33%), die Items trotzdem verwenden DIF (26%), Multigroup-Analysis (7%) und DIF modellieren (4%).
5.4
Ergebnisse Studie I
115
Tabelle 5.9 Item-Kennwerte der 1. Studie, Grundlage für die Analyse auf Rasch-Skalierbarkeit
|DIF|
Q3a
i
Itemname
A
OUTFIT
INFIT
TS
Transport a Transport b *
Z Z
1.106 1.058
0.997 1.012
0.256 0.288
0.560 0.754*
-2.161 -1.707
0.296 0.258
Bußgelder
Z
0.909
0.956
0.437
0.561
-1.033
0.221
Erzählung
O
1.009
1.017
0.269
0.527
-1.995
0.280
Igel a
Ä
0.947
0.980
0.409
0.424
-0.937
0.218
Igel b
Ä
0.956
0.993
0.354
0.489
-1.459
0.242
Igel c
Ä
0.884
0.891
0.521
0.487
-0.753
0.212
Ballon a
O
1.020
1.038
0.334
0.138
1.043
0.221
Ballon b
Ä
0.926
0.956
0.462
0.456
0.673
0.210
Heimweg*
O
1.088
1.064
0.310
0.742*
-0.078
0.202
Würfel a
Z
0.992
1.015
0.374
0.425
-0.708
0.213
Gefäße füllen a*
O
0.856
0.887
0.563
0.163
0.56
-0.200
0.202
Gefäße füllen b*
O
0.813
0.888
0.522
0.434
0.56
-1.133
0.225
Bremsweg a
Z
1.267*
1.058
0.229
0.452
-1.604
0.256
Bremsweg b
Z
0.971
1.010
0.351
0.266
-1.357
0.242
Bremsweg c*
Ä
0.918
0.955
0.474
0.875**
0.487
0.210
Unwetter*
Z
0.937
0.992
0.315
0.671*
-2.134
0.299
Fahrzeug
O
1.183
1.014
0.344
0.082
1.002
0.224
See
O
1.043
1.024
0.379
0.134
0.443
0.210
Zugfahrt a
Ä
0.834
0.933
0.445
0.237
-1.516
0.252
Zugfahrt b
Ä
0.943
0.958
0.464
0.440
0.130
0.208
Punkte
Z
0.847
0.965
0.369
0.826*
-2.047
0.291
Bleistift a
O
0.877
0.933
0.493
0.174
0.760
0.216
Kerze a*
Z
1.030
1.013
0.362
0.172
0.54
-0.997
0.223
Kerze b*
Z
1.059
0.999
0.362
0.190
0.54
-1.146
0.226
Kerze c
Ä
1.014
1.020
0.389
0.581
-0.929
0.207
Badewanne
O
1.060
1.051
0.317
0.504
-0.530
0.209
Fahrrad *
O
1.100
1.098
0.266
0.285
0.018
0.204
U-Bahn a
Z
1.203
1.080
0.215
0.702*
1.079
0.226
U-Bahn b
Ä
0.689
0.919
0.417
0.191
-2.400
0.328
Größe a
O
1.039
1.048
0.313
0.002
-0.943
0.220
Größe b
Ä
1.040
1.042
0.340
0.603
-0.232
0.205
Größe c
Ä
0.912
0.966
0.365
0.306
-1.885
0.275
Tabelle Änderung
Ä
1.181
1.141
0.188
0.051
0.569
0.210
-0.44
SE
116
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
|DIF|
Q3a
i
Itemname
A
OUTFIT
INFIT
TS
Kerze brennt a* Kerze brennt b
Ä O
0.936 0.911
0.916 0.940
0.415 00.427
1.045** 0.234
-1.811 -1.421
0.269 0.243
Würfel b*
Z
1.121
1.046
0.309
0.905*
0.396
0.207
Würfel c
Ä
0.738
0.884
0.515
0.105
1.930
0.274
Rennwagen a*
Ä
1.135
1.072
0.242
0.289
-0.683
0.207
Rennwagen b
O
0.985
0.967
0.433
1.401** 0.60
0.535
0.205
Rennwagen b‘
O
0.876
0.954
0.429
1.364** 0.60
1.444
0.240
Geschwindigkeit
Ä
1.296***
1.232***
0.014
0.279
-0.189
0.200
Autofahrt
Z
1.117
1.061
0.157
0.154
-2.244
0.303
Unterteilung
Ä
1.002
0.989
0.392
0.249
-0.929
0.204
Kerze d
Ä
0.952
0.947
0.432
0.104
-1.030
0.217
Kerze e*
O
1.116
1.044
0.241
0.828*
-0.201
0.240
Bleistift b
Z
1.269
1.085
0.165
0.060
-1.710
0.211
Bleistift c*
Ä
0.887
0.932
0.446
0.763*
-1.351
0.233
Bleistift d *
O
0.853
0.909
0.523
0.670*
1.025
0.219
Bleistift e*
Ä
0.994
0.990
0.394
0.521
-0.556
0.205
Bleistift f
Z
0.946
0.950
0.422
0.180
-1.143
0.223
-0.44
SE
Anmerkung: A: Aspekt, TS: Trennschärfe, i = Item-Schwierigkeit, SE: Standardfehler Item-Schwierigkeit, Z = Zuordnung, Ä = Änderungsverhalten, O = Objekt, fett gedruckte Itemnamen: nach der Analyse ausgeschlossene Items, fett gedruckte Werte: problematisch bezüglich der Cut-Off-Werte. * am Namen kennzeichnet Items mit nur einem problematischen Wert, die entsprechend nicht ausgeschlossen wurden; * innerhalb der Werte: * p < 0.0, ** p < 0.01 a Da die Q3-Statistik eine Matrix mit 51 x 51 Einträgen ist, werden hier nur die deutlich kritischen Werte abgedruckt.
Item Bremsweg a (vgl. S. 74) Item Bremsweg a wies einen erhöhten OUTFIT von 1.267 auf und eine niedrige Trennschärfe von 0.229. Es schien daher nicht geeignet, zwischen Personen mit unterschiedlich ausgeprägter Fähigkeit zu differenzieren. Es handelte sich um ein eher leichtes Item mit einer Schwierigkeit von -1.604 Logit, was sich auch in der Lösungshäufigkeit von 80.56 % wiederspiegelte. Die Lösung dieses Items erforderte es von den Schülerinnen und Schülern unter Verwendung eines Graphen, der den Zusammenhang von Bremsweg (in m) und Geschwindigkeit (im km/h) abbildete, ausgehend vom Bremsweg 50 m die zuvor gefahrene Geschwindigkeit zu ermitteln. Es stellte sich heraus, dass dieses Item auf Grundlage des Schwierigkeitswertes zwar als leicht anzusehen war, dass die Lösungsrate jedoch nicht, wie entsprechend zu erwarten gewesen wäre, mit wachsender Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler auch immer weiter zunahm.
5.4
Ergebnisse Studie I
117
Schülerinnen und Schüler, die einen verhältnismäßig hohen Wert im funktionalen Denken erreichten, lösten das Item trotzdem falsch. Betrachtet wurde daher die Verteilung der Antworten auf die unterschiedlichen zur Wahl stehenden Lösungen. Aufgrund des Multi-Matrix-Designs bearbeiteten 108 Schülerinnen und Schüler dieses Item. Davon beantworteten 87 das Item richtig und ordneten dem vorgebebenen Bremsweg eine Geschwindigkeit von 71 km/h zu. Fünf Schülerinnen und Schüler beantworteten das Item gar nicht, neun entschieden sich für die Antwort 25 km/h, vier für die Antwort 62 km/h und letztlich drei für die Antwort 111 km/h. Es gab somit eine Tendenz, sich für die Antwort 25 km/h zu entscheiden. Auffällig daran war, dass vorrangig Schülerinnen und Schüler, die einen hohen Fähigkeitswert erreichten, diese Antwort wählten. Nur drei dieser neun Schülerinnen und Schüler hatten einen Fähigkeitswert kleiner als 0 Logit. Was veranlasste also Schülerinnen und Schüler, die deutlich schwerere Items korrekt lösen konnten, zu diesem Fehler? Als eine mögliche Erklärung wurde in Erwägung gezogen, dass eventuell gerade Schülerinnen und Schüler mit einem hohen Fähigkeitswert daran gewöhnt waren, einen vorgegebenen Wert auf der x-Achse zu identifizieren und den zugeordneten Wert mittels des Graphen und der Ordinate zu finden. Ginge man so vor, ergäbe sich als Wert 25 km/h. Die falsche Einheit, km/h, blendeten die Schülerinnen und Schüler gegebenenfalls aus und entschieden sich aufgrund von Gewohnheit oder aber auch Unachtsamkeit für die falsche Antwort. Nahm man die Fähigkeitswerte der anderen Schülerinnen und Schüler, die dieses Item falsch beantworteten, in den Blick, schien sich diese Vermutung zu bestätigen. Von diesen zwölf erreichten nur vier einen Fähigkeitswert größer als 0 Logit. Die verbleibenden acht Schülerinnen und Schüler wählten eventuell weder die korrekte Lösung noch die vielleicht auf Gewohnheit zurückzuführende, da ihnen die Fähigkeit fehlte, überhaupt eine der beiden Lösungen zu ermitteln. Wäre die Lösung 25 km/h nicht Teil der Auswahl gewesen, hätten womöglich einige der neun Schülerinnen und Schüler, die sich für diese Lösung entschieden, ihren Fehler bemerkt. Item U-Bahn a (vgl. S. 84) Das Item U-Bahn a (Abbildung 5.32) wies einen leicht erhöhten, nicht signifikanten OUTFIT von 1.203 und eine geringe Trennschärfe von 0.215 auf. Die Schwierigkeit wurde mit 1.079 eingeschätzt, es handelte sich also um ein eher schwieriges Item. Zusätzlich fand sich ein erhöhter DIF-Wert. Für Mädchen stellte sich dieses Item als 0.702 Logit schwerer dar als für Jungen. Betrachtete man die theoretische Modellkurve im Vergleich zu den empirisch gewonnenen Daten (Abbildung 5.33), stellt man einen Einbruch des Scores bei einer Fähigkeit zwischen 0 und 0.25 Logit fest (durchgezogener Graph in Abbildung 5.33). Erst danach ist war Ansteigen des Scores mit zunehmender Personenfähigkeit zu verzeichnen. Die inhaltliche Analyse des Items ergab, dass die Schülerinnen und Schüler viele Schritte unternehmen mussten, um zu einer Lösung zu gelangen. Nicht alle diese Schritte ließen sich aber als funktionales Denken beschreiben. So mussten die Schülerinnen und Schüler zunächst umsetzen, was es bedeutete, sich 14 m über dem Bahnsteig zu befinden, da die Beschriftung der y-Achse bei -22 begann (vgl. Abbildung 5.32).
118
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Wie lange dauert es, bis Sarah 14 Meter über dem Bahnsteig ist? Abbildung 5.32 Das Item U-Bahn a
Score
Es genügte nicht, den Wert 14 auf der y-Achse zu ermitteln und die zugehörige Zeit abzulesen. Die Schülerinnen und Schüler mussten die Werte -22 und 14 auf die korrekte Weise verknüpfen und durften sich nicht verrechnen.
Personenfähigkeit Abbildung 5.33 Expected Scores Curve, Item U-Bahn a). Dargestellt wird der Zusammenhang zwischen Personenfähigkeit und Score, sowohl auf Basis der Modellannahmen (theoretische Modellkurve, gestrichelt) als auch auf Basis der empirischen Daten (durchgehend). Der Graph zu den empirischen Daten entsteht, indem die 221 Teilnehmer ihrer Fähigkeit nach geordnet und dann in 10 Untergruppen geteilt werden. Der Mittelwert der Fähigkeit einer jeden Gruppe wird auf der xAchse abgetragen, der Mittelwert des erreichten Scores auf der y-Achse.
5.4
Ergebnisse Studie I
119
Wenn sie die Tiefe von -8 m bestimmt hatten, folgte die eigentliche Bestimmung der zugeordneten Größe mittels des Graphen. Erschwerend kam hinzu, dass die Aufgabe reich an Text war und es den Schülerinnen und Schülern eventuell einiges abverlangte, die im Text beschriebene Situation mit der ungewöhnlichen graphischen Darstellung zu verknüpfen. Sie hatten bis dahin womöglich kaum mit Koordinatensystemen mit negativem Wertebereich gearbeitet. Die Analyse der Schülerantworten gab Aufschluss über die Problematik, die der Aufgabe zugrunde lag und sich erst ab einem im Durchschnitt hohen Fähigkeitswert löste. Insgesamt gaben 30 von 109 Schülerinnen und Schülern, die diese Aufgabe bearbeiteten, die korrekte Antwort 1.25 min. 26 Schülerinnen und Schüler lasen die Aufgabe falsch oder verstanden die Formulierung über dem Bahnsteig nicht. Sie gaben als Lösung einen Wert deutlich über 2 min an, den sie durch Extrapolation des Graphen ermittelt hatten. Sie suchten nach einer Zeit zur Höhe 14 m. Des Weiteren gaben 32 Schülerinnen und Schüler als Antwort 0.75 min an. Sie unterließen es, die 14 m auf die Gesamttiefe von -22 m aufzuaddieren, und lasen das Ergebnis in einer Tiefe von -14 m ab. Es ließ sich vermutet, dass sie diesen Schritt schlicht vergaßen oder aber dass ihnen dessen Notwendigkeit nicht bewusst war. Wenige Schülerinnen und Schüler (10) gaben Antworten, die eventuell auf Rechenfehler oder Ungenauigkeiten zurückgeführt werden konnten. Unter Berücksichtigung dieser verschiedenen Lösungen bestätigte sich die Vermutung über die zur Lösung dieser Aufgabe nötigen Fähigkeiten. Die Schülerinnen und Schüler mussten zunächst die Aufgabe verstehen. Die Frage, auf welcher Höhe sich der Bahnsteig befand, war dabei nicht als trivial anzusehen. Gelang ihnen dies nicht, verwendeten sie die positive Achse zur Lösung. Der zweite Schritt bestand darin, zu begreifen, dass die 14 m zur Gesamttiefe hinzuaddiert werden mussten. Lasen die Schülerinnen und Schüler ihrer Routine entsprechend den vorgegebenen Wert einfach auf der y-Achse ab, ermittelten sie die Dauer der Fahrt in einer Tiefe von -14 m. Erst, wenn beide Schritte korrekt durchgeführt wurden und es nicht zu einem Rechenfehler oder einer Ungenauigkeit kam, lösten die Schülerinnen und Schüler diese Aufgabe entsprechend korrekt. Dass beide Aspekte Berücksichtigung finden mussten, bevor die Aufgabe entsprechend gelöst werden konnte, erklärte damit eventuell das eher plötzlich beginnende Ansteigen der Kurve der empirischen Daten in Abbildung 5.33. allerdings nicht den vorangehenden Einbruch. Die unterschiedlich gelagerte Schwierigkeit, die das Item für Mädchen und Jungen erzeugte, erschloss sich an dieser Stelle nicht. Eventuell konnten sich Jungen leichter in die Situation hineindenken, vielleicht war es für die Mädchen aber auch aufgrund des bereits Erlernten eine Art Routine, den Wert 14 auf der y-Achse zu suchen, was allerdings nicht zum Ziel führte. Item Tabelle Änderung (vgl. S. 101) Das Item Tabelle Änderung wies sowohl einen erhöhten IN- (1.141) als auch OUTFIT (1.181) auf. Beide Werte fielen zwar nicht aus dem Intervall [0.8, 1.2] hinaus, mussten aber mit Blick auf die schwierige Trennschärfe berücksichtigt werden. Die graphische Überprüfung des FITs bestärkte diesen Eindruck. Wie Abbildung 5.34 zeigt, wichen die theoretische Modellkurve (gestrichelt) und die empirischen Daten deutlich voneinander ab. Zudem erkannte man, dass
120
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Score
der Score (durchgezogen) ab einer Fähigkeit von ca. -0.5 rapide auf 0.2 sank, nachdem er zunächst auf 0.7 angestiegen war. Erst mit einer Fähigkeit von ca. 0.5 Logit stellte sich wieder eine Zunahme des Scores ein. Hinzu kam die sehr geringe Trennschärfe von 0.188, die das Item als unbrauchbar erscheinen ließ. Zur Lösung dieses Items mussten die Schülerinnen und Schüler eine Wertetabelle auf Unterschiede bezüglich der Änderungsrate hin untersuchen. Sie mussten die absolute Änderung von Zeile zu Zeile in den Blick nehmen. Eine genauere Betrachtung der Rohdaten legte nahe, dass die Schülerinnen und Schüler hierzu auch absolut in der Lage waren, dass sie aber den zweifachen Wechsel der Änderungsrate, den die Aufgabe beinhaltete, nicht bemerkten. Sie beendeten ihre Analyse, nachdem sie den ersten Wechsel gefunden hatten (47 von 109 Schülerinnen und Schülern). Es wurde vermutet, dass dies den Einbruch der Lösungsrate insofern erklären konnte, dass die Schülerinnen und Schüler, die sich ihrer Sache weniger sicher waren, die ganze Tabelle untersuchten, um nichts zu übersehen. Solche mit einem höheren Fähigkeitswert hingegen waren eventuell zu schnell der Meinung, sie hätten die Aufgabe gelöst. Nahm man an, dass mit einer noch höheren Fähigkeit eine Zunahme der Sorgfalt einhergeht, konnte dies den späteren erneuten Anstieg der Lösungsrate erklären.
Personenfähigkeit Abbildung 5.34 Expected Scores Curve, Item Tabelle-Änderung
Item Rennwagen b (vgl. S. 81) Item Rennwagen b verlangte von den Schülerinnen und Schülern einem Graphen, der die Geschwindigkeit (im km/h) der gefahrenen Strecke (in km) zuordnet, die korrekte Rennbahn, auf der der Rennwagen fährt, zuzuweisen. Dieses Item, das bereits in der Konstruktionsphase des Tests wegen der offensichtlichen lokalen stochastischen Abhängigkeit von Item Rennwagen b‘ als kritisch angesehen wurde, zeigte die erwartete Anhängigkeit mit einer Korrelation der Residuen von 0.60. Der Unterschied der Items b und b‘ lag lediglich in der Art der Kodierung,
5.4
Ergebnisse Studie I
121
welche Lösungen als korrekt angesehen wurden. Zudem fand sich ein besonders hoher DIFWert zu Gunsten der Jungen. Für Mädchen stellte sich dieses Item als 1.401 Logit schwerer dar. Die Schwierigkeit des Items auf die ganze Stichprobe hin lag bei 0.535. Die FIT-Werte (OUTFIT= 0.985, INFIT= 0.967) und auch die Trennschärfe (0.433) des Items waren hingegen gut. Da dieses Item als Alternative zu Item Rennwagen b‘ verwendet wurde, bzw. da der Unterschied lediglich in der Auswertung bestand (Rennwagen b: Antwort B, C, D gelten als richtig, Rennwagen b‘: nur Antwort B ist richtig), musste überprüft werden, welche Art der Kodierung im Rahmen dieses Tests mehr Informationen liefern würde. Betrachtet wurden deshalb die Kennwerte beider Items im Vergleich (Tabelle 5.10). Die Kennwerte unterschieden sich kaum voneinander, auch der hohe DIF-Wert fand sich in beiden Fällen. Deutlich verschieden war aufgrund der Kodierung die Schwierigkeit, die den Items zugewiesen wurde. Da ungern auf ein schwieriges Item verzichtet werden sollte, wurde entschieden, dass Item in seiner ursprünglichen Auswertungsform zu verwenden. Daher wurde Item Rennwagen b ausgeschlossen. Tabelle 5.10 Item-Kennwerte Rennwagen b und b‘
Aspekt
OUTFIT
INFIT
TS
|DIF|
Q3
SE
Rennwagen b
O
0.985
0.967
0.433
1.401
.600
.535
.205
Rennwagen b‘
O
0.876
0.954
0.429
1.364
.600
1.444
.240
Itemname
Anmerkung. TS: Trennschärfe, : Item-Schwierigkeit, SE: Standardfehler der Item-Schwierigkeit
Der deutlich erhöhte DIF-Wert musste weiter kritisch im Auge behalten werden. Wie bereits im Abschnitt 5.3 erläutert, ist es fern von trivial, adäquat mit den Ergebnisse einer DIF-Analyse umzugehen. Eine mögliche Erklärung für das „unterschiedliche Funktionieren“ des Items bei Mädchen und Jungen könnte allerdings in diesem Fall der Kontext gewesen sein. Jungen haben in Klasse 7 eventuell eine deutlich bessere Vorstellung vom Autofahren und den Anforderungen, die eine kurvenreiche Strecke an einen Fahrer stellt, als die meisten Mädchen. Man konnte dagegenhalten, dass auch Item Rennwagen a sich auf diesen Kontext bezog und hier ein DIFWert von nur 0.289 auftrat. Dann musste allerdings auch festgehalten werden, dass Item Rennwagen a im Gegensatz zu Rennwagen b und b‘ ausschließlich mit Hilfe des Graphen zu lösen war und eine Verwendung des Kontexts nicht zwingend erforderlich. Item Geschwindigkeit (vgl. S. 99) Das Item Geschwindigkeit mit einer Schwierigkeit von -0.189 hatte signifikant erhöhte FITWerte (INFIT= 1.232, OUTFIT= 1.296), die nicht im Intervall [0.8, 1.2] enthalten waren. Betrachtete man die Expected Scores Curve im Vergleich zu den empirischen Daten (vgl. Abbildung 5.35), wurde die nicht vorhandene Passung deutlich. Der Verlauf der Kurve der empirischen Daten zeigte, dass sich dieses Item sehr inkonsistent über die Fähigkeit hin verhielt. Der
122
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Score
Score schien in Abhängigkeit von der Fähigkeit zu alternieren und nahm trotz zunehmender Fähigkeit immer wieder ab. Außerdem lag die Trennschärfe des Items bei nur 0.014 und war dementsprechend nahezu nicht vorhanden. Dieses Item musste zwingend ausgeschlossen werden.
Personenfähigkeit Abbildung 5.35 Expected Scores Curve, Item Geschwindigkeit
Trotzdem stellte sich die Frage, warum sich dieses Item als so ungeeignet zur Messung funktionalen Denkens darstellte. Ein möglicher Grund wurde in dem für die Schülerinnen und Schüler ungewöhnlichen Label der y-Achse vermutet. Schülerinnen und Schüler sind in der Regel daran gewöhnt, dass auf der x-Achse die Zeit und auf der y-Achse die zurückgelegte Strecke abgetragen wird. In diesem Fall wurde jedoch die Geschwindigkeit auf der y-Achse verortet (vgl. Abbildung 5.36). Die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler bestand darin festzustellen, welche Aussagen für die Zeit zwischen der 3. und 4. Minute nicht stimmen. Sollten die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe unaufmerksam gelesen haben, hätten sie das Item gegebenenfalls mit Blick auf einen Weg-Zeit-Zusammenhang beantwortet, der gar nicht vorkam. In diesem Fall hätte dieses Item Sorgfalt oder Genauigkeit anstelle von funktionalem Denken gemessen. Insgesamt bearbeiteten 113 Schülerinnen und Schüler das Item im Rahmen des Multi-Matrix-Designs. 61 Schülerinnen und Schüler lösten es korrekt, 52 lösten es falsch. Von diesen 52 sahen 35 Schülerinnen und Schüler Antwort d) Das Fahrzeug fährt rückwärts als korrekte Aussage für das Intervall [3,4] an. Dieses Ergebnis unterstützte die Vermutung, dass die für die Schülerinnen und Schüler eventuell ungewohnte y-Achsen-Bezeichnung nicht korrekt wahrgenommen wurde. Zudem wählten 25 von diesen 35 Schülerinnen und Schülern zusätzlich Antwort b) Das Fahrzeug wird langsamer als richtig aus.
5.4
Ergebnisse Studie I
123
Abbildung 5.36 Graphik des Items Fahrzeug
Es schien, als hätten die Schülerinnen und Schüler auf der einen Seiten die Achsen-Beschriftung gelesen und entsprechend geschlussfolgert, dass das Fahrzeug langsamer werden muss. Auf der anderen Seite hielten sie es offenbar für plausibel, dass das Fahrzeug außerdem rückwärtsfährt. Möglicherweise ließe sich dies als eine Fehlinterpretation des Graphen und im weitesten Sinne als Graph-als-Bild-Fehler deuten: Wenn ein Graph steigt, fährt ein Auto aus Sicht der Schülerinnen und Schüler vorwärts, wenn er fällt, muss es rückwärtsfahren. Eventuell lag in dieser Verbindung von zunächst richtigem Verständnis der Aufgabe und sich daran anschließender fehlerhafter Interpretation des Graphen der Grund dafür, dass dieses Item in keiner Weise gemessen hat, was es messen sollte. Item Autofahrt (vgl. S. 100) Das Item Autofahrt erreichte eine Schwierigkeit von -2.244, es war damit sehr leicht. Des Weiteren bot es wegen seiner schlechten Trennschärfe von 0.157 kaum die Möglichkeit, Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Fähigkeit zu unterscheiden. Dies war der Hauptgrund, aus dem das Item entfernt wurde. Es schien keinen Informationszugewinn zu ermöglichen. Zog man in Betracht, dass es zur Lösung des Items lediglich notwendig war, die Uhrzeit 14:30 auf der x-Achse zu ermitteln und den zugehörigen Funktionswert 200 km abzulesen, stellte sich dieses Item gegebenenfalls einfach als zu leicht dar und hätte auch bereits im Rahmen der Analyse von Deckeneffekten auffallen können.
124
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Score
Item Bleistift b (vgl. S. 93)
Personenfähigkeit Abbildung 5.37 Expected Scores Curve, Item Bleistift b
Das Item Bleistift b fiel durch einen deutlich erhöhten, allerdings nicht signifikanten OUTFIT von 1.269 auf. Ebenso war die Trennschärfe von 0.165 maßgeblich zu gering. Es handelte sich um ein sehr leichtes Item mit einer Schwierigkeit von -1.71. Die Lösungsrate (vgl. Abbildung 5.37) schwankte in Abhängigkeit von der Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler ab einer Fähigkeit von ca. -0.8 Logit. Es war keine durchgängig positive Entwicklung in Abhängigkeit von der Fähigkeit auszumachen, soweit dies bei einem so leichten Item zu erwarten war. Die inhaltliche Analyse des Items offenbarte, dass die Problematik eventuell durch eine unpräzise Formulierung hervorgerufen wurde. Beantwortet werden musste die Frage, welcher Bleistift nach 80 Umdrehungen noch 7 cm lang war. Zur Lösung mussten die Schülerinnen und Schüler zwei Geraden verwenden, welche die beiden Spitzvorgänge beschrieben. Das Problem bestand nun eventuell darin, dass beide Bleistifte nach 80 Umdrehungen noch 7 cm langwaren, aber nur Bleistift 2 exakt diese Länge hatte. Vielleicht waren Schülerinnen und Schüler durch diese Ungenauigkeit verwirrt oder sie untersuchten, nachdem sie Bleistift 1 als noch 7 cm lang identifiziert hatten, den Graphen zu Bleistift 2 nicht weiter. Trotz kritischer Kennwerte nicht ausgeschlossene Items Einige Items zeigten jeweils nur einen als problematisch zu beurteilenden Wert. Es handelte sich entweder um einen auffälligen DIF-Wert, eine Auffälligkeit in der Q3-Statistik oder einen zu geringe Trennschärfe (Itemname gekennzeichnet mit * in Tabelle 5.9). Diese Items wurden nicht aus der Menge der Items eliminiert, da der jeweils einzelne auffällige Wert ein solches Vorgehen nicht rechtfertigte. Problematisch hinsichtlich der Q3-Statistik erwiesen sich die Items Gefäße füllen a und b sowie Kerze a und b und Fahrrad und Bleistift e, eine zu geringe Trennschärfe zeigte lediglich
5.4
Ergebnisse Studie I
125
Rennwagen a. Items, die ausschließlich einen kritischen DIF-Wert zeigten, waren die Items Transport b, Heimweg, Bremsweg c, Unwetter, Punkte, Kerze brennt a, Würfel b, Kerze e, Bleistift c und d. Diese Entscheidung, wie auch das Beibehalten der zuvor benannten Items, wurde mit Bedacht und mit Blick auf das Ziel der Studie, die Messung funktionalen Denkens in der Population und nicht in Subgruppen, sowie hinsichtlich der Stichprobengröße von N = 221 getroffen. Denn “statistical power plays havoc on your ability to detect effects” (Cho et al., 2016, S.13). Die kritisch einzuschätzenden DIF-Werte könnten z. B. rein zufällig entstanden sein. Außerdem musste berücksichtigt werden, dass ein Teil der Items, die kritische Werte, insbesondere kritische DIF-Werte aufwiesen, aus Large-Scale-Studien wie PISA, TIMSS oder VERA 8 stammten (Items Unwetter, Punkte). Diese getesteten Items aufgrund von Ergebnissen auszuschließen, die sich mit 221 Schülerinnen und Schülern ergaben, wäre nicht zielführend gewesen. Entsprechend fiel auch die geringe Trennschärfe von Rennwagen a nicht ins Gewicht. Des Weiteren war zum Zeitpunkt dieser Analyse bereits klar, dass sich an diese erste Studie eine weitere anschließen würde, in der der Test erneut zum Einsatz käme. Sollte sich mit Blick auf die diesmal beibehaltenen Items erneut zeigen, dass einzelne Kennwerte wie DIF oder Trennschärfe problematisch wären, könnten Items auch dann noch ausgeschlossen werden. Sie an dieser Stelle bereits zu eliminieren hätte die Chancen, funktionales Denken in seiner Gesamtheit zu erfassen, deutlich geschmälert. Ergebnisse: Funktionales Denken messen
Lösungswahrscheinlichkeit
5.4.2
Personenfähigkeit Abbildung 5.38 ICCs aller nach der Analyse in Studie I verwendeten Items, mit denen funktionales Denken gemessen wurde.
126
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Logit
Personenfähigkeit
Es verblieben nach der Überprüfung der Rasch-Skalierbarkeit 11 Items für den Aspekt Zuordnung, 19 Items für den Aspekt Änderungsverhalten und 14 Items für den Aspekt Funktion als Objekt. Wie die ICCs verdeutlichen (vgl. Abbildung 5.38), deckten die Items einen breiten Bereich an Personenfähigkeit ab und lagen dicht beieinander. Es handelte sich damit um Items mit einer Vielzahl an Schwierigkeiten. Dies wurde auch deutlich, wenn man die zugehörige WrightMap betrachtete (vgl. Abbildung 5.39). Die Schülerfähigkeit wurde in einem breiten Bereich von den Items erfasst. Lediglich im oberen Fähigkeitsbereich ab 0.75 Logit ergaben sich Lücken in der Verteilung der Items. Es schien möglich, funktionales Denken mittels dieses Tests differenziert zu erfassen. Die Schätzung des 1-dim_b- Modells nach Ausschluss der betreffenden Items führte zu einer besseren EAP/PV-Reliabilität von EAP/PV = 0.741. Der OverallModellfit verbesserte sich gering auf SRMR = 0.101.
Items Abbildung 5.39 Wright Map Studie I, 44 Items. Nebeneinander aufgetragen werden die Verteilung der Personenfähigkeit sowie die Schwierigkeit der Items. Diese werden mit der Nummer, mit der sie in die Auswertung eingingen, verortet: Das jeweilige Item wird mit einer fünfzigprozentigen Wahrscheinlichkeit (probability level 0.5) bei entsprechender Fähigkeit korrekt (.1 in der Nummerierung der Items) gelöst.
Es folgte die Schätzung des 1-dim-Modells unter Verwendung des eingeschränkten Itempools und des Hintergrundmodells. Diese Schätzung führte zu einer Reliabilität von EAP/PV = 0.774. Dieses 1-dim-Modell wurde verwendet, um funktionales Denken als eindimensionales Konstrukt zu beschreiben. Es war Teil des angestrebten Modellvergleichs. Die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler, die sich mittels dieses Modells ergaben, waren normalverteilt (W = 0.994, p = 0.635) mit M = -0.581 Logit (SD = 0.779).
5.4
Ergebnisse Studie I
127
Mit den zuvor ausgewählten Prädiktoren fanden sich in Teilen, nicht aber so deutlich wie erwartet, Zusammenhänge mit der Fähigkeit des funktionalen Denkens der Schülerinnen und Schüler. Bevor diese näher betrachtet werden, sei angemerkt, dass zunächst überprüft wurde, ob die Voraussetzungen zur Durchführung einer multiplen Regression erfüllt waren, die durch Verwendung des Hintergrundmodells zugleich mit der Rasch-Skalierung auf latenter Ebene durchgeführt wurde. Hierzu wurde untersucht, ob die Annahme der (1) Unabhängigkeit der Fehler, (2) der Normalverteilung der Fehlervariablen, (3) der Homoskedastizität und (4) der Linearität erfüllt waren und keine Multikollinearität vorlag (vgl. hierzu Eid et al., S. 577ff, Field, 2012, S. 292ff). Die Überprüfung der Unabhängigkeit der Fehler mittels Durbin-WatsonTest lieferte DW = 1.753, p = 0.056. Damit waren die Regressionsresiduen zwischen den Schülerinnen und Schülern unabhängig voneinander (Eid et. al, 2013, S. 577). Die Überprüfung der Homoskedastizität und Linearität geschah zunächst graphisch (vgl. Anhang A2). Zusätzlich wurde ein Breusch-Pagan-Test BP(5 6) = 6.576 5.591, p = 0.254 0.71 zur Überprüfung der Homoskedastizität durchgeführt. Beide Voraussetzungen schienen erfüllt, die Varianz der Residuen für jede Ausprägung der Prädiktorvariablen stellte sich als gleich dar (Field, 2012, S. 272) Auch die Normalverteilung der Fehlervariablen ließ sich visuell bestätigen (vgl. Q-Q Plot der Residuen, Anhang A2). Die durchgeführte Überprüfung der Multikollinearität mittels Analyse der Varianz-Inflation (vgl. Field S. 276 und S. 299 zur Berechnung) zeigte, dass der bestehende Zusammenhang zwischen den Prädiktoren die Regression nicht negativ beeinflusste. Es ergaben sich Variance Inflation Factors (VIF), die deutlich kleiner als zehn waren (vgl. Tabelle 5.11). Tabelle 5.11 Variance Inflation Factors (VIF) der verwendeten Prädiktoren
VIF
Note Mathematik
Nachhilfe
Leseverhalten
Note Deutsch
Zuhause gesprochene Sprache
Geschlecht
1.574
1.168
1.057
1.502
1.012
1.084
Es ließ sich folgern, dass die Prädiktoren in dieser Form verwendet werden konnten und die Schätzung des funktionalen Denkens durch Verwendung des Hintergrundmodells genauer wurde. Der Einfluss der Prädiktoren verteilte sich dabei wie in Tabelle 5.12 dargestellt. Das gewählte Modell (Tabelle 5.12) erreichte eine Varianzaufklärung von 46.41 % (F(6, 214) = 30.89, p < 0.001)). Es fehlten somit noch weitere Prädiktoren, die die untersuchte Fähigkeit voraussagen konnten. Einzeln betrachtet zeigte die Mathenote den größten Einfluss (β = - 0.538***). Geschlecht folgt den Erwartungen entsprechend mit β = - 0.201***. Nachhilfe schließt sich mit einem Einfluss von β = - 0.175** und die zu Hause gesprochene Sprache mit β = 0.121* an. Der Einfluss des Leseverhaltens und der Deutschnote erwiesen sich als nicht signifikant. Offensichtlich spielte die Mathematiknote, die als Hinweis auf die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler verwendet worden war, eine wesentliche Rolle in der Vorhersage der zu erwartenden Fähigkeit des funktionalen Denkens. Betrachtete man die B-Koeffizienten, erreichten Schülerinnen und Schüler, wenn sich die Note in Mathematik um
128
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
eine Note verbesserte, einen um 0.432 Logit höheren Fähigkeitswert im funktionalen Denken. Der Einfluss des Geschlechts (β = - 0.201***) war geringer anzusetzen als der der Mathematiknote, der Unterschied zu Gunsten der Jungen in der Fähigkeit des funktionalen Denkens belief sich dennoch auf 0.313 Logit. Nachhilfe spielte eine vergleichsweise geringe Rolle (β = - 0.174), der Unterschied in der Fähigkeit zwischen Schülerinnen und Schülern, die Nachhilfe erhielten bzw. nicht erhielten, lag dabei bei 0.415 Logit. War die zuhause gesprochene Sprache Deutsch, bewirkte dies einen um 0.630 Logit höheren Fähigkeitswert. Dabei ist anzumerken, dass die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die zu Hause kein Deutsch sprachen, sehr gering war (gar kein Deutsch: 5 von 221). Tabelle 5.12 Regressionskoeffizienten β mit Standardfehlern (se) sowie aufgeklärte Varianz des 1-dim. RaschModells zur Schätzung funktionalen Denkens
B
SE B
95% Konfidenz-intervall
β
Signifikanz
̅ ²= 0.4491 R² = 0.4641, R Intercept
0.000
(0.337)
[-0.664, 0.665]
0.000
Note in Mathematik
-0.432
(0.050)
[-0.531, -0.333]
-0.538
***
< 0.001
Nachhilfe Mathematik
-0.415
(0.128)
[-0.668, -0.162]
-0.175
**
0.002
Leseverhalten
0.061
(0.043)
[-0.023, 0.145]
0.074
0.423
Note in Deutsch
0.011
(0.059)
[-0.104, 0.127]
0.012
0.347
Zuhause Sprache
0.630
(0.263)
[0.111, 1.149]
0.121
*
0.018*
-0.313
(0.081)
[-0.472, -0.153]
-0.201
***
< 0.001
Geschlecht
gesprochene
0.999
Anmerkung. B: Regressionskoeffizient; SE B: Standardfehler von B; β standardisierter Regressionskoeffizient; * p < .05, ** p < .01, *** p < .001.
Dies erklärte den vergleichsweise kleinen Einfluss (β = 0.121**). Das Leseverhalten und die Deutschnote schienen mangels Signifikanz nicht von Relevanz zu sein. Dies deutete darauf hin, dass die sprachliche Barriere, die aufgrund der an Text reichen Aufgaben vermutet wurde, eventuell nicht als so bedeutsam zu bewerten war, wie zunächst vermutet. Da auf Grundlage der Daten keine eindeutige Aussage möglich war, musste dies in der sich anschließenden 2. Studie erneut untersucht werden.
5.4
5.4.3
Ergebnisse Studie I
129
Ergebnisse: Funktionales Denken verstehen
Unter Verwendung eines Hintergrundmodells lieferten die drei geschätzten Modelle 1-dim, 3dim_between und 3-dim_within folgende EAP/PV-Reliabilitäten (Tabelle 5.13), latente Korrelationen zwischen den Dimensionen (Tabelle 5.14) und Informationskriterien (Tabelle 5.15). Das 1-dim-Modell wies mit EAP/PV = 0.774 eine gute Reliabilität auf, das 3-dim_betweenModell erreichte ebenfalls eine akzeptable Reliabilität in allen Dimensionen, das 3-dim_withinModell hingegen zeichnete sich lediglich in Dimension 1 (Zuordnung) durch eine gute Reliabilität (EAP/PV = 0.723) aus, die Dimensionen 2 und 3 stellten sich als wenig reliabel dar. Tabelle 5.13 EAP-Reliabilität für den Modellvergleich
EAP/PV-Reliabilität Dimension 1
Dimension 2
Dimension 3
1-dim-Modell
0.774
-
-
3-dim_between-Modell
0.725
0.722
0.738
3-dim_within-Modell
0.726
0.602
0.435
Anmerkung. Dimension 1: Zuordnung, Dimension 2: Änderungsverhalten, Dimension 3: Funktion als Objekt.
Die latenten Korrelationen der einzelnen Dimensionen des 3-dim_between-Modells waren hoch, die latenten Korrelationen zwischen den Dimensionen des 3-dim_within-Modells hingegen mittlere und negativ (vgl. Tabelle 5.14). Tabelle 5.14 Latente Korrelationen und Standardabweichungen der 3-dim. Modelle
Latente Korrelationen und Standardabweichungen (in der Diagonalen) between Modell Dim 1
Dim 2
Dim 1
0.500
Dim 2
0.720
0.850
Dim 3
0.897
0.754
within Modell Dim 3
Dim 1
Dim 2
Dim 3
0.502
0.477
0.468
1.792
0.473
-0.357
0.938
Der Modellvergleich führte zu dem Ergebnis, dass die Informationskriterien des 1-dim-Modells in allen Fällen geringer ausfielen, als die Informationskriterien der 3-dim-Modelle. Die mittleren bis hohen Korrelationen zwischen den einzelnen Dimensionen des 3-dim_between-Modells verstärkten diesen Eindruck. Die mäßig bis schlechte Reliabilität des 3-dim_within-Modells in
130
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Verbindung mit den mittleren bzw. negativen Korrelationen zwischen den einzelnen Dimensionen ließen vermuten, dass dieses Modell das Konstrukt funktionales Denken, das es hier zu beschreiben galt, sehr schlecht abbildete. Diese Ergebnisse deuteten darauf, dass funktionales Denken empirisch als ein eindimensionales Konstrukt zu betrachten ist. Sowohl die Differenzen AICc = -37 bzw. AICc = -38 als auch die Differenzen saBIC = -9 bzw. saBIC = -12 verwiesen deutlich auf einen Vorteil des 1-dim-Modells gegenüber den 3-dim.-Modellen (Tabelle 5.15). Tabelle 5.15 Informationskriterien der geschätzten Modelle für den Modellvergleich
AICc
saBIC
AICc
saBIC
AIC
BIC
1-dim-Modell
5354
5334
5323
5496
3-dim_between-Modell
5391
5343
5329
5560
-37
-9
3 dim_within-Modell
5392
5346
5331
5562
-38
-12
Anmerkung. = (IC des 1-dim. Modells) - (IC des 3-dim. Modells)
5.5
Reproduktion der Ergebnisse
Im Rahmen von Studie II (vgl. Kapitel 6) wurde der in diesem Kontext verwendete Test genutzt, um das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern vor und nach einer Intervention zum funktionalen Denken zu messen. Anhand der Testdaten aus Vor- und Nachtesterhebung wurde versucht, die in Studie I vorgestellten Ergebnisse zu reproduzieren. Durchgeführt wurde Studie II im Juli 2016 in Klassen der Jahrgangsstufe 6 (M = 11.80, SD = 0.57). Die Stichprobe umfasste N = 282 Schülerinnen und Schüler. Diese waren im Mittel ein halbes Jahr jünger als die Schülerinnen und Schüler aus Studie I und hatten vor der Studie deutlich weniger Wissen über funktionale Zusammenhänge als die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 7. Es wurde davon ausgegangen, dass dieser Unterschied mittels der Intervention ausgeglichen würde. Unter anderem deshalb wurde dieser Test in Klasse 7 validiert. Ziel war es, zu verhindern, dass nach der Intervention in Klasse 6 Deckeneffekte entstehen würden. Da die Struktur funktionalen Denkens nicht vom Lernstand der Schülerinnen und Schüler abhängen sollte, wurden die Daten aus Studie II zur Reproduktion der Ergebnisse von Studie I genutzt. Berichtet werden nun die EAP/PV-Reliabilitäten der einzelnen Modelle unterteilt nach Vor- und Nachtest, die latenten Korrelationen der Dimensionen sowie die Informationskriterien. Die Ergebnisse der Analyse des Vortests verwiesen auf vergleichbare Reliabilitäten wie in Studie I (Tabelle 5.16). Ebenso stellte es sich mit Blick auf die latenten Korrelationen zwischen den angenommenen Dimensionen (Tabelle 5.17) und die Informationskriterien (Tabelle 5.18) dar. Die Hinweise für die Eindimensionalität des Konstruktes funktionales Denken erhärteten sich.
5.5
Reproduktion der Ergebnisse
131
Tabelle 5.16 EAP/PV-Reliabilität Studie II, Vortest
EAP/PV- Reliabilität Dimension 1
Dimension 2
Dimension 3
1-dim-Modell
0.807
3-dim_between-Modell
0.792
0.778
0.756
3-dim_within-Modell
0.714
0.379
0.150
Anmerkung. Dimension 1 steht betreffend des 1-dim-Modells für das Konstrukt funktionales Denken, mit Blick auf die 3-dim. Modelle steht Dimension 1 für den Aspekt der Zuordnung. Dimension 2 und 3 sind nur für die dreidimensionalen Modelle relevant und stellen den Änderungsaspekt (2) und den Objekt-Aspekt dar (3).
Tabelle 5.17 Latente Korrelationen und Standardabweichungen Studie II, Vortest, between und within-Modelle
Latente Korrelationen und Standardabweichungen (in der Diagonale) Vortest between Modell Dim 1
Dim 2
Dim 1
1.051
Dim 2
0.811
0.736
Dim 3
0.912
0.855
within Modell Dim 3
Dim 1
Dim 2
Dim 3
0.980
0.777
0.076
0.960
0.115
0.018
1.011
Tabelle 5.18 Informationskriterien Studie II, Vortest, Vergleich von 1- und 3-dim. Modellen
AICc
saBIC
8160
- 27
- 17
8292
- 160
- 150
AICc
saBIC
AIC
BIC
1-dim-Modell
7940
7942
7920
8095
3-dim_between Modell
7967
7959
7930
3-dim_within Modell
8100
8092
8063
Anmerkung. = (IC des 1-dim. Models) - (IC des 3-dim Models).
Zum gleichen Ergebnis kam die Analyse der Nachtestdaten. Die Reliabilitäten (Tabelle 5.19) stellten sich dar wie in Studie I, die latenten Korrelationen zwischen den angenommenen Dimensionen (Tabelle 5.20) und die Informationskriterien (Tabelle 5.21) verwiesen auf das eindimensionale Modell zur Beschreibung des funktionalen Denkens.
132
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
Tabelle 5.19 EAP-Reliabilität Studie II, Nachtest
EAP-Reliabilität Dimension 1
Dimension 2
Dimension 3
1-dim. Modell
0.807
3-dim_between Modell
0.736
0.743
0.784
3-dim_within Modell
0.641
0.438
0.203
Anmerkung. Dimension 1 steht betreffend des 1-dim-Modells für das Konstrukt funktionales Denken, mit Blick auf die 3-dim. Modelle steht Dimension 1 für den Aspekt der Zuordnung. Dimension 2 und 3 sind nur für die dreidimensionalen Modelle relevant und stellen den Änderungsaspekt (2) und den Objekt-Aspekt dar (3).
Tabelle 5.20 Latente Korrelationen und Standardabweichungen, Studie II, Nachtest, between- und within-Modell
Korrelationen und Standardabweichungen (in der Diagonale), Nachtest between Modell Dim 1
Dim 2
Dim 1
0.706
Dim 2
0.749
0.762
Dim 3
0.735
0.860
within Modell Dim 3
Dim 1
Dim 2
Dim 3
0.780
0.864
0.080
1.072
0.070
0.046
1.002
Tabelle 5.21 Informationskriterien Studie II, Nachtest, Vergleich von 1- und 3-dim. Modellen AICc
saBIC
8137
- 43
- 33
8281
- 186
- 176
AICc
saBIC
AIC
BIC
1-dim. Modell
7902
7904
7882
8057
3-dim_between Modell
7945
7937
7908
3-dim_within Modell
8088
8080
8051
Anmerkung. = (IC odes 1-dim. Models) - (IC des 3-dim Models)
Der Modellvergleich mittels Informationskriterien bestätigte damit das Ergebnis aus Studie I. Erneut stellte sich funktionales Denken mit Blick auf die Informationskriterien in Vor- und Nachtest von Studie II deutlich als eindimensionales Konstrukt dar (vgl. Tabellen 5.18 und 5.21). Die latenten Korrelationen zwischen den einzelnen Dimensionen der dreidimensionalen
5.6
Diskussion
133
Modelle verwiesen ebenfalls auf eine schlechte Passung des within-Modells und auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Dimensionen des between-Modells (vgl. Tabellen 5.17 und 5.20). 5.6
Diskussion
Die Ergebnisse von Studie I deuten darauf hin, dass der hier vorgestellte Test, ausgewertet unter der Annahme, dass funktionales Denken als eindimensionales Konstrukt aufzufassen ist, valide ist und in seiner Gestalt reliabel misst. Alle Aspekte des funktionalen Denkens werden mittels entsprechender Items abgebildet, die unterschiedlichen Repräsentationsformen und der Wechsel zwischen ihnen werden ebenfalls berücksichtigt. Lediglich die Form Tabelle kommt in Teilen zu kurz. Sowohl in Jahrgangsstufe 6 (Reproduktion der Ergebnisse, Vortest W = 0.991, p = 0.065; Nachtest W = 0.995, p = 0.563) als auch in Jahrgangsstufe 7 sind die von den Schülerinnen und Schülern erreichten Fähigkeitswerte normalverteilt (W = 0.993, p = 0.511). Der Test scheint angemessen für ihren Lernstand und ihr Alter. Aufgrund der hohen Korrelationen, die zwischen den aus anderen Studien verwendeten Items zu funktionalen Zusammenhängen und den neu entwickelten bestehen, lässt sich schlussfolgern, dass funktionales Denken, der Umgang mit funktionalen Zusammenhängen, gemessen wird. Der Einfluss der ausgewählten Prädiktoren bestätigt durch die Varianzaufklärung, die der Mathematiknote zukommt, diesen Eindruck. Damit stellt sich der entwickelte Test als geeignet dar, das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 6 in angemessener Art und Weise zu erfassen (Forschungsfrage 1). Die Ergebnisse von Studie I deuten des Weiteren darauf hin, dass funktionales Denken empirisch als eindimensionales Konstrukt zu betrachten ist (Forschungsfrage 2). Die Informationskriterien des 1-dim-Modells sind in alle Fällen kleiner, wenn nicht sogar deutlich kleiner (Differenz größer 10) als die entsprechenden Kriterien der beiden dreidimensionalen Modelle. Auch die Korrelationen zwischen den einzelnen Dimensionen des 3-dim_between Modells sind als Indiz dafür zu werten, dass man von einem eindimensionalen Konstrukt sprechen sollte. Der Versuch, dieses Ergebnis mittels der Vor- und Nachtestdaten von Studie II zu reproduzieren, gelang. Erneut stellt sich das 1-dim-Modell als am geeignetsten dar, funktionales Denken abzubilden, wofür sowohl die Informationskriterien als auch die latenten Korrelationen zwischen den Dimensionen des 3-dim_between Modells sprechen. Die latenten Korrelationen des 3dim_within Modells legen hingehen erneut nahe, dass diese Art funktionales Denken zu beschreiben sich als ungeeignet darstellt. Dieses Ergebnis sollte dazu anregen, weiter über das Konstrukt funktionales Denken nachzudenken. Eine psychometrische Trennung in drei theoriebasierten Aspekte lässt sich nicht bestätigen, der Zusammenhang der Aspekte in der Form, dass das Änderungsverhalten auf den Zuordnungsaspekt aufbaut und der Objektaspekt auf die anderen beiden, ebenfalls nicht. Der Einfluss der Hintergrundvariablen auf die einzelnen Dimensionen (Anhang A3) und auch die in Teilen mittleren Korrelationen (Tabellen 5.14, 5.17, 5.20) sowohl im between- als auch im within-Modell liefern allerdings Hinweise darauf, dass innerhalb dieser Dimension trotzdem
134
5 Funktionales Denken messbar machen und verstehen lernen – Studie I
unterschiedliche Fähigkeiten zum Einsatz kommen. Eine Vermutung geht daher dahin, dass jedes Item gezielt auf den Anteil der drei Aspekte hin untersucht werden sollte, um diesen in ein entsprechendes Modell übernehmen zu können. Hierbei könnte ein within-Modell zum Einsatz kommen, dass die Anteile der unterschiedlichen Aspekte speziell hinsichtlich eines jeden Items vorgibt und keine Gleichverteilung annimmt. Des Weiteren sollte eventuell davon abgesehen werden, zu vermuten, dass die Aspekte sukzessive aufeinander aufbauen. Sicher könnte auch ein Item konstruiert werden, das nur die Aspekte Zuordnung und Funktion als Objekt nicht aber das Änderungsverhalten berücksichtigt. Zu weitreichend scheint es, nicht mehr von den unterschiedlichen Aspekten Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt sprechen zu wollen, weil sich deren empirische Trennbarkeit nicht zeigte. Besonders wenn man bedenkt, dass beispielsweise Ganter (2013) die Trennbarkeit von Zuordnungsaspekt und Änderungsverhalten nachweisen kann. Eine genauere Betrachtung der dazu von Ganter verwendeten Items ergab, dass diese einen besonderen Fokus auf dynamische Prozesse (Kugelbahn, Graphen laufen) legen. Die in Studie I genutzten Items hingegen fokussieren eher statisch zu beschreibende Änderungen. Eventuell führt diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung dazu, dass eine Trennung sich in einem Fall als möglich und in dem anderen als nicht möglich erweist. Denn eine dynamische Änderung von einer Zuordnung abzugrenzen stellt sich als offensichtlicher dar, als sie von einer statischen Änderung zu unterscheiden. Unter Berücksichtigung dieses Aspekts scheint es notwendig, zu überdenken, ob Ansätze eventuell als passender anzusehen sind, die funktionales Denken schwerpunktmäßig mittels der Fähigkeit des Wechselns zwischen Repräsentationsformen beschreiben (vgl. z.B. Nitsch, 2015, S. 110ff) oder es in qualitatives und quantitatives Verständnis unterteilen (Rolfes, 2017, S. 96ff) und entsprechend dynamische und statische Komponenten berücksichtigen. Gerade wegen all der Fragen, die die vorgestellten Ergebnisse aufwerfen, sollten sie kritisch unter Einschränkungen betrachtet werden. Vorausgesetzt werden muss zunächst, dass die verwendete Operationalisierung tatsächlich die drei Aspekte funktionalen Denkens erfasst und dass die Items, die entsprechend konstruiert wurden, diese Aspekte abbilden und damit funktionales Denken messbar gemacht wurde. Denn trotz der aus der Theorie abgeleiteten Operationalisierung, der Anlehnung an bereits validierte Items und das zweimalig durchgeführte Expertenrating, besteht die Möglichkeit, dass der Test in Teilen etwas Anderes erfasst als beabsichtigt, oder gegebenenfalls nicht alle Facetten funktionalen Denkens abbildet. Beispielsweise ist die Zahl der Tabellen-Items, die in der abschließenden Version des Tests vorhanden ist, deutlich kleiner als die Zahl der Items, die sich mit Graphen und Situationsbeschreibungen befassen. Gleiches gilt für die bewusst ausgesparte symbolische Form funktionaler Zusammenhänge. Auch das verwendete Antwortformat ist eventuell kritisch zu betrachten. Sind Items, die in Single- oder Multiple-Choice Format gestaltet sind (14 von 44 Items), geeignet, um funktionales Denken zu erfassen? Was würde passieren, wenn man den Schwerpunkt deutlicher auf offene Formate legte? Mit Blick auf die Anzahl der Items ist des Weiteren festzuhalten, dass dieser Test sehr umfangreich ist. Könnte man die Zahl der Aufgaben auf 10 begrenzen, so dass der Test innerhalb von ca. 10 min durchführbar wäre, könnte er in ganz anderer Weise und
5.6
Diskussion
135
deutlich reibungsloser im Unterricht eingesetzt werden. Er wäre so eine direkte Hilfe für Lehrpersonen in ihrer Diagnose und für Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbsteinschätzung. Die Entwicklung einer Kurz-Skala sollte dementsprechend erfolgen. Mit Blick auf die Dimensionalität des Konstrukts muss man sich die Frage stellen, ob andere Auswertungsmethoden nicht auch oder sogar besser geeignet gewesen wären, um diese Frage beantworten zu können. Eventuell böten sich Strukturgleichungsmodelle an dieser Stelle an. Hierzu müsste man den Test allerdings ohne das verwendete Multi-Matrix-Design durchführen. Trotz aller Einschränkungen und der sich ergebenden Fragen kann man festhalten, dass basierend auf den Ergebnissen der beschriebenen Studie ein valider und reliabel messender Test zur Erfassung funktionalen Denkens in seiner Vielschichtigkeit der theoretischen Aspekte (Zuordnung, Änderungsverhalten und Funktion als Objekt) und unter Berücksichtigung praktisch beobachtbarer Fertigkeiten (Repräsentationswechsel) entstanden zu sein scheint. Aus Forschungsperspektive bietet dieser Test die Möglichkeit, zu untersuchen, in welcher Form man Einfluss auf das funktionale Denken von Schülerinnen und Schülern, das nun messbar ist, nehmen kann. Auch, wenn der syntaktische Aspekt ausgespart wurde, sollte der Test in höheren Jahrgangsstufen einsetzbar sein, da ein grundlegendes Verständnis funktionaler Zusammenhänge, wie es hier getestet wird, für jede Jahrgangsstufe relevant ist und sich, blickt man auf die Vielzahl an Fehlvorstellungen (Abschnitt 2.2.6), kaum als zu einfach erweisen sollte. Aus der Lehrer- und Schülerperspektive stellt der Test ein Instrument dar, das sowohl Schülerinnen und Schülern als auch Lehrpersonen dabei helfen kann, den aktuellen Stand ihres oder des funktionalen Denkens ihrer Schülerinnen und Schüler zu ermitteln. Da der Test die einzelnen Aspekte funktionalen Denkens abdeckt, bietet er gegebenenfalls auch Hinweise darauf, worauf im Unterricht ein Fokus zu legen wäre, auch wenn eine empirische Trennung der Dimensionen nicht angezeigt ist. Der Test stellte sich damit als geeignet dar, um im Folgenden den Einfluss einer Intervention mittels gegenständlicher Materialien und Computer-Simulationen auf das funktionale Denken zu ermitteln.
Kapitel 6 Fun ktionales Den ken fördern – Stud ie II
6
Funktionales Denken fördern – Studie II
Ziel der zweiten Studie dieses Projekts war die Förderung des funktionalen Denkens (vgl. Kapitel 1 und 3). Im Zentrum stand dabei ein grundlegendes Verständnis funktionaler Zusammenhänge, da das „Denken in Funktionen … vor der Einführung der Funktionsdefinition [beginnt]“ (Leuders & Prediger, 2005, S. 7). An diesem Punkt, dem „intuitiven Kern des Funktionsbegriffs“ (Leuders & Prediger, 2005, S. 7) setzte die in diesem Projekt angedachte Förderung an. Wie im Theorieteil (Kapitel 2) bereits dargelegt wurde, fanden unterschiedliche Medien dabei Verwendung: Sowohl gegenständliche Materialien sollten zum Experimentieren genutzt werden als auch Computer-Simulationen, die mittels GeoGebra erzeugt wurden. In Anlehnung an die Theorie bringen beide Medien zur Förderung des funktionalen Denkens ganz eigene Vorteile mit sich (vgl. Abschnitte 2.3.2 und 2.3.3) und sind entsprechend zu diesem Zweck geeignet. Es stellte sich allerdings die Frage, ob die beiden Medien unterschiedlich große Effekte auf das funktionale Denken, wie es in der Schule gefordert und durch den in Studie I entwickelten Test abgebildet wird, haben würden. Des Weiteren musste, sollten sich Unterschiede feststellen lassen, untersucht werden, was mögliche Ursachen dafür sein könnten, die sich auf die Medien zurückführen ließen. Um diese Fragen beantworten zu können, musste zunächst entschieden werden, wie die angedachte Förderung geschehen konnte und auf welche Schülergruppe sie sich beziehen sollte. Es schien angebracht, dass die Schülerinnen und Schüler, deren funktionales Denken es zu fördern galt, im schulischen Kontext noch nicht mit funktionalen Zusammenhängen oder Formen von Zuordnungen in Kontakt gekommen waren. Diese Voraussetzung sollte es ermöglichen, funktionales Denken von Beginn an zu fördern und Fehlvorstellungen, die unabhängig vom Unterricht bereits entwickelt wurden oder den Schülerinnen und Schülern sehr nahelagen, zu identifizieren. Des Weiteren war davon auszugehen, dass Fehlvorstellungen sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht manifestiert hatten oder im Idealfall noch nicht bestanden. Daher wurde die Studie am Ende der sechsten Jahrgangsstufe durchgeführt. Da Zuordnungen erst in Jahrgangsstufe 7 thematisiert werden (vgl. MBWJK, 2007, S. 57), konnte davon ausgegangen werden, dass die Schülerinnen und Schüler, die an der Intervention teilnahmen, noch kein zum allgemein anerkannten concept definition von funktionalen Zusammenhängen inkompatibles concept image (Tall & Vinner, 1981) entwickelt hatten. Die Förderung sollte im Rahmen einer Intervention von vier Schulstunden durchgeführt werden. Bevor diese allerdings in den Unterricht an Schulen implementiert werden konnte, musste festgelegt werden, aus welchen Bausteinen die Intervention bestehen und welchen Kriterien sie genügen sollte. Im Folgenden wird diese Intervention daher in ihrem Aufbau, den Einzelbausteinen und ihren Entwicklungsschritten, die eine Pilotierung des gesamten Materials umfasste, beschrieben. Vorweggenommen sei zum besseren Verständnis an dieser Stelle, dass die Schülerinnen
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 M. Lichti, Funktionales Denken fördern, Landauer Beiträge zur mathematikdidaktischen Forschung, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23621-2_6
138
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
und Schüler in der Intervention eigenständig und in Einzelarbeit mit den Materialien bzw. Simulationen arbeiteten. Dies ergab sich zum einen, da der Faktor Lehrperson nicht zu unterschätzen ist und Effekte dieser Art ausgeschlossen werden sollten. Zum anderen hätte eine Form der Partner- oder Gruppenarbeit die Stichprobe, die zur Verfügung stand, mindestens halbiert. Auch dies sollte umgangen werden. 6.1
Gestaltung der Intervention
Die wesentlichen Bestandteile der Intervention waren gegenständliche Materialien, ComputerSimulationen und Aufgaben. Diese drei Bausteine bedingten sich gegenseitig und wurden inhaltlich durch die übergeordnete Thematik funktionale Zusammenhänge beeinflusst. Unter Berücksichtigung dieser Bausteine und der übergeordneten Thematik wurden Kriterien festgelegt, denen die Intervention genügen sollte. Ebenfalls Teil der Intervention waren Hilfekarten (vgl. Online-Material), die im Zweifel von den Schülerinnen und Schülern am Pult abgeholt werden konnten und Hinweise zur Lösung enthielten, sowie ein Datenblatt (vgl. Online-Material), auf dem die Messwerte der verschiedenen Experimente in tabellarischer Form notiert wurden. Auf die Gestaltung von Hilfekarten und Datenblatt wird im Folgenden nur am Rande eingegangen. 6.1.1
Grundlegende Gestaltungskriterien und inhaltliche Kontexte
Als Kriterien, die die Abhängigkeit der drei Bausteine voneinander verdeutlichen, ergaben sich die folgenden. Vergleichbarkeit Unabhängig davon, mit welchem Medium die Schülerinnen und Schüler arbeiteten, sollten die Handlungsschritte, die sie zur Lösung einer Aufgabe ausführten, möglichst identisch sein. Wenn die Schülerinnen und Schüler z. B. ein reales Glas sukzessive mit Wasser füllen und dann den Füllstand messen mussten, sollten diese beiden Schritte in der Simulation genauso notwendig und entsprechend durchführbar sein, um die Vergleichbarkeit der Settings herzustellen. Bezieht man den Instrumental Approach mit ein (Abschnitt 2.3.4) sollten unterschiedliche Artefakte zu Instrumenten transformiert werden. Dabei sollte die Verwendung der Artefakte durch dieselben Aufgaben gesteuert werden, so dass trotz unterschiedlicher Medien dasselbe Ziel verfolgt werden konnte. Die Verwendung unterschiedlicher Medien würde vergleichbar, während der Transformationsprozess sich unterscheiden würde. Vorteile der Medien nutzbar machen Trotz der angestrebten Vergleichbarkeit durften die unterschiedlichen, aber für das Erlernen des funktionalen Denkens vorteilhaften Eigenschaften, die für beide Medien jeweils typisch sind (vgl. Abschnitt 2.3.2 und 2.3.3), nicht völlig ausgeschlossen werden. Mit Blick auf die gegenständlichen Materialien handelte es sich zum Beispiel um das enaktive Arbeiten und im wörtlichen Sinne „Begreifen“ der Zusammenhänge. Wenn die Schülerinnen und Schüler im
6.1
Gestaltung der Intervention
139
Rahmen der Intervention einander zugeordnete Werte ermitteln mussten, konnten sie die ihnen zur Verfügung gestellten Materialien entsprechend anfassen und damit arbeiten. Sie mussten diese Werte in eine Tabelle eintragen und einen Graphen erstellen. Der so mittels Tabelle und einem Graphen dargestellte Zusammenhang konnte ihnen dadurch, dass sie ihn selbst und aktiv erzeugten, besonders deutlich werden. Jeden Punkt, den sie in ein Koordinatensystem eintrugen, konnten sie währenddessen mit der zugehörigen, selbst erlebten Situation verbinden. Schülerinnen und Schüler, die hingegen mit Simulationen arbeiteten, konnten z. B. das Multi-Repräsentations-System nutzen. Sie hatten die Möglichkeit, eine Simulation der zugrundeliegenden Situation mit einer Simulation der graphischen Repräsentationsform zu verknüpfen. Sie konnten in zwei nebeneinander befindlichen Graphikfenstern beobachten, wie zu einer sich verändernden Situation der zugehörige Graph entstand. Durch die Forderung, die Vorteile der einzelnen Medien zu nutzen, wurden daher trotz aller angestrebter Vergleichbarkeit Unterschiede generiert. Da es das Ziel dieser Studie war, Ergebnisse mit einer hohen Relevanz für den Unterricht zu generieren, waren diese Unterschiede und damit die Vorteile der Medien aber als wichtiger anzusehen als ein Angleichen der Settings. Im Unterricht werden diese Medien schließlich wegen ihrer ganz eigenen Vorteile verwendet. Ein Vergleich, der diese damit entscheidenden Aspekte ausgeklammert hätte, hätte keine Aussagekraft für den Einsatz der Medien im Unterricht. Die ökologische Validität wurde als entscheidender angesehen als die methodologisch sicher wünschenswerte noch stärkere Vergleichbarkeit der Settings. Da entschieden wurde, dass die sich so ergebenden Unterschiede ganz bewusst Eingang in die Intervention finden sollten, muss an dieser Stelle noch einmal explizit auf den wesentlichsten Unterschied, der sich aus der Arbeit mit der graphischen Repräsentationsform ergab, eingegangen werden. Die Schülerinnen und Schüler, die mit gegenständlichen Materialien arbeiteten, erstellten ihre Graphen eigenhändig, sie hatten die Chance, jeden Punkt, den sie zeichneten, mit der von ihnen durchgeführten Handlung zu vernetzen. Die Schülerinnen und Schüler, die mit Simulationen arbeiteten, beobachteten stattdessen, wie der jeweils zugehörige Graph entstand. Sie konnten von der 1-1-Übersetzung profitieren und bereits korrekt erstellte Graphen kennenlernen. Es wurde vermutet, dass die Schülerinnen und Schüler der Materialgruppe daher Vorteile haben könnten hinsichtlich der geförderten Fähigkeit, Graphen zu erstellen, wohingegen die Simulationsgruppe eventuell einen größeren Lernfortschritt in der Interpretation ihnen vorgestellter Graphen erreichen würde. Um diesbezüglich einen Ausgleich zu schaffen, wurde darauf geachtet, dass die Aufgaben, die sich an das Arbeiten mit Material und Simulation anschlossen, von den Schülerinnen und Schüler in beiden Gruppen forderten, Graphen zu zeichnen und vorgegebene Graphen zu analysieren. Mit Blick auf die Materialgruppe gelang dieser Ausgleich besser. Sie mussten innerhalb von fünf Aufgaben vorgegebene Graphen verwenden. Die Simulationsgruppe hingegen wurde nur einmal zum Zeichnen aufgefordert. In der Analyse der Daten wurde daher besonderes Gewicht auf die Ergebnisse zum Umgang mit graphischen Repräsentationen gelegt. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass im Erstellen und im Interpretieren von Graphen aber eventuell auch in anderen Facetten des Umgangs mit ihnen durch die Gestaltung des Settings Unterschiede auftreten würden.
140
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Durchführbarkeit Der Faktor Durchführbarkeit bezog sich zunächst auf das Arbeiten mit gegenständlichen Materialien. Da die Studie in Jahrgangsstufe 6 angesiedelt war, musste bedacht werden, ob die zur Verfügung gestellten Materialien für Schülerinnen und Schüler im Alter von 11-12 Jahren geeignet waren. Beispielsweise hätte man mittels einer brennenden Kerze gut den Zusammenhang von Zeit und verbleibender Länge der Kerze ermitteln können. Es war jedoch fraglich, ob brennende Kerzen das passende Objekt für Experimente in Klasse 6 gewesen wären, besonders da jedes Kind mit einer eigenen Kerze hätte arbeiten müssen. Die Durchführbarkeit erwies sich als ebenfalls relevant für die Gestaltung der Simulationen. Diese mussten möglichst selbsterklärend und intuitiv zu bedienen sein, da die Schülerinnen und Schüler ohne Unterstützung durch eine Lehrperson damit arbeiten sollten. Relevant war die Durchführbarkeit auch für die Aufgabengestaltung. Die Aufgaben mussten so formuliert und strukturiert werden, dass sie eine einfach zu verstehende Anleitung zur Nutzung der Medien lieferten und die Schülerinnen und Schüler sie eigenständig bearbeiten konnten. Des Weiteren durfte die syntaktische Form als Repräsentationsform nicht verwendet werden. Dies begründete sich darin, dass das Ziel die Förderung eines grundlegenden und als qualitativ zu bezeichnenden funktionalen Denkens war und die Schülerinnen und Schüler im Unterricht aufgrund der Jahrgangsstufe noch keinen Kontakt mit der symbolischen Form funktionaler Zusammenhänge gemacht hatten. Es wäre verfehlt gewesen, anzunehmen, dass innerhalb einer vierstündigen Intervention auch diese Repräsentationsform eingeführt und verstanden werden könnte. Überführbarkeit Überführbarkeit umfasst, dass es möglich sein musste, einen gewählten Kontext, der sich mit gegenständlichen Materialien gut experimentell umsetzen ließ, auch in eine Simulation zu überführen und entsprechend darzustellen. Es stellte sich also zum einen die Frage, ob es möglich war, die benötigte Simulation zu programmieren, und zum anderen spielte an dieser Stelle die Durchführbarkeit wieder eine Rolle: War die Simulation dann noch selbsterklärend? Gleiches galt auch für die Überführbarkeit einer Simulation in ein gegenständliches Experiment. Beispielsweise ließ sich das Versinken eines Würfels im Wasser gut simulieren und auf diese Weise konnten Daten generiert werden. Ein echtes Experiment hierzu schien jedoch nicht durchführbar zu sein (vgl. hierzu den Kontext Würfel versenken, S. 145). Verschiedene funktionale Zusammenhänge Inhaltlich erschien es wichtig, dass nicht nur lineare Zusammenhänge, die zu Beginn im Mathematikunterricht schwerpunktmäßig thematisiert werden, behandelt wurden. Es schien motivational ein Vorteil zu sein, wenn auch komplexere Zusammenhänge Berücksichtigung fanden oder sogar am Anfang standen (vgl. de Beer, Gravemeijer & van Eijck, 2015, S. 984). Des Weiteren wurde bezweifelt, dass eine Fokussierung auf lineare Zusammenhänge genügend Einblick in den Aspekt des Änderungsverhaltens liefern würde. Quadratische oder kubische Zusammenhänge sollten daher ebenfalls thematisiert werden wie auch diskrete Zuordnungen. Ziel
6.1
Gestaltung der Intervention
141
war es, den Schülerinnen und Schüler auf diese Weise einen Einblick und eine Art „Gefühl“ für unterschiedliche Arten von funktionalen Zusammenhägen zu ermöglichen. Durch das Nebeneinanderstellen verschiedener Zusammenhänge sollte sowohl das Verständnis von Zusammenhängen als auch deren Vielfallt deutlich werden. Äquivalente oder identische Aufgaben Mit Blick auf die Aufgaben war es entscheidend, dass sie äquivalent oder wenn möglich identisch gestaltet wurden. Eine Vergleichbarkeit der beiden Settings konnte nur so gewährleistet werden. Äquivalent bezog sich dabei auf die Formulierung der Aufgaben, aber vor allem auf die Handlungen, die die Schülerinnen und Schüler durchführen mussten, um die jeweiligen Aufgaben zu lösen. Diese Handlungsäquivalenz war mit Blick auf die durchzuführenden Experimente wesentlich, wobei klar war, dass im Rahmen der Instrumental Genesis völlig unterschiedliche Prozesse ablaufen würden, wenn aus den verschiedenen zur Verfügung gestellten Artefakten Instrumente würden. Diese Prozesse beträfen allerdings nicht die sich daran anschließende Handlung, die trotz möglicher Unterschiede in der Transformation äquivalent und damit vergleichbar bleiben würde. Die Auswirkung der sich unterscheidenden Transformationsprozesse im Rahmen der Instrumental Genesis wurde allerdings relevant, als nach Gründen für verschieden große Effekte auf das funktionale Denken gesucht wurde (vgl. Kapitel 7). Die unter Vorteile des Mediums nutzbar machen dargelegten Argumente gelten an dieser Stelle erneut, wenn es um Aufgaben geht, die unter Berücksichtigung von Vorteilen der Medien unterschiedlich gestaltet werden mussten. Im Folgenden wird nun der Auswahlprozess der benötigten Kontexte basierend auf den gerade vorgestellten Kriterien dargelegt. Auch eine Vernetzung mit der Definition funktionalen Denkens nach Vollrath (1989) wird vorgenommen. 6.1.2
Die Kontexte
Die Theorie liefert eine Vielzahl von erprobten Kontexten, die verwendet werden, um das funktionale Verständnis von Schülerinnen und Schülern zu fördern. Die im Folgenden dargestellten Kontexte erschienen als geeignet, um im Rahmen der geplanten Intervention funktionales Denken mittels gegenständlicher Materialien und Computer-Simulationen zu fördern. Es wird kurz unter Bezugnahme auf die zuvor aufgeführten Kriterien dargestellt, warum sie als geeignet angesehen wurden. Einer der wohl bekanntesten Kontexte, der ausgewählt wurde, ist „Gefäße füllen“ (Barzel, 2010, S. 7; de Beer et al., 2015, S. 984ff; Ganter, 2013, S. 134). Im Rahmen dieses Kontexts sollten die Schülerinnen und Schüler den Zusammenhang zwischen der in ein Gefäß gefüllten Menge Wasser und dem dazugehörigen Füllstand des Gefäßes erfassen. Sie sollten begreifen, dass bei gleichmäßiger Einfüllgeschwindigkeit die Geschwindigkeit, mit der das Wasser ansteigt, von der Form des Gefäßes abhängt. Des Weiteren bestand die Möglichkeit zu antizipieren, wie ein Graph, der den Zusammenhang Füllmenge – Füllstand eines bestimmten Gefäßes abbildet, verlaufen würde (Affolter, 2005, S. 9). Dieser Kontext bot zudem die Möglichkeit,
142
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
alle drei Aspekte nach Vollrath in den Blick zu nehmen. Der Zuordnungsaspekt konnte bedient werden, wenn die Schülerinnen und Schüler sich damit beschäftigten, welcher Füllstand welcher Füllmenge zugeordnet wird. Das Änderungsverhalten konnte relevant werden, wenn man sich mit der Frage beschäftigen musste, wie schnell oder langsam das Wasser in einem bestimmten Teil des Gefäßes wohl ansteigt und warum sich die Steiggeschwindigkeit in manchen Fällen verändert. Ließe man die Schülerinnen und Schüler Füllkurven den jeweiligen Gefäßen zuordnen, müssten sie sich mit der Funktion als Ganzem auseinandersetzen. „Gefäße füllen“ als ein Experiment mit gegenständlichen Materialien konnte des Weiteren ohne Probleme von Sechstklässlern durchgeführt werden. Einer „Überschwemmung“ konnte man leicht mit Schüsseln und Küchenpapier entgegenwirken. Außerdem handelte es sich um ein Experiment, an dem Schülerinnen und Schüler aufgrund des Faktors Wasser in der Regel viel Freude haben. Die funktionalen Zusammenhänge, die sich mit Hilfe von Gefäßen abbilden ließen, waren des Weiteren vielfältig - man denke an einfache lineare Zusammenhänge, die ein zylindrisches Wasserglas erzeugen würde, oder quadratische, die durch ein kegelförmiges Gefäß entstehen. Diese Vielfalt sprach ebenfalls für diesen Kontext. Außerdem war es gut möglich, den Füllprozess mit Hilfe einer Simulation wiederzugeben. Die Gefäße konnten als zweidimensionale Formen in die Oberfläche von GeoGebra eingebettet, der schrittweise Füllvorgang konnte simuliert werden wie auch ein stetiger Füllvorgang, der die Geschwindigkeit des Wasseranstiegs verdeutlichte. Ebenfalls als geeignet stellte sich der Kontext „Bleistiftspitzen“ (Klapp, 2015, S. 22-23) dar. Die Schülerinnen und Schüler wurden mit dem Zusammenhang zwischen den Umdrehungen, die man beim Spitzen eines Bleistifts leistet, und der verbleibenden Länge des Stifts konfrontiert. Es handelte sich damit um einen linearen Zusammenhang, der mit Blick darauf, dass die Sechstklässler noch keine Erfahrung mit Zuordnungen und Funktionen gemacht hatten, in jedem Fall thematisiert werden musste. Die Aspekte nach Vollrath (1989) ließen sich erneut gut einbinden. Dieser Kontext bot die Möglichkeit, den Zuordnungsaspekt zu behandeln, da einer jeden Anzahl an Spitzumdrehungen eine bestimmte Länge zugeordnet wird. Des Weiteren erhielten Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit zu erkennen, dass die Stiftlänge (relativ) gleichmäßig abnimmt. Der Aspekt der Änderungsrate kam so zum Tragen. Da dieser Kontext die Möglichkeit eröffnete, zu begreifen, dass eine gleichmäßige Änderung einen linear verlaufenden Graphen mit sich bringt, was allerdings nicht für alle Schülerinnen und Schüler intuitiv zu sein scheint (Klapp, 2015, S. 23), wurde auch der Blick auf die Funktion als Ganzes gefordert. Dieser Kontext schien außerdem gut geeignet für Schülerinnen und Schüler der 6. Klasse. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit spitzen fast alle Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 6 täglich einen Stift. Es konnte so eine Anbindung des mathematischen Inhalts an die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler stattfinden. Die Durchführung des gegenständlichen Experiments ließ entsprechend keine Schwierigkeiten erwarten. Die Darstellung des Kontexts mit GeoGebra erwies sich ebenfalls als einfach. Der Bleistift ließ sich, ähnlich wie die Gefäße, als zweidimensionales Objekt in die Oberfläche einfügen, der Spitzvorgang mit einer bestimmten Anzahl an Bewegungen konnte nachgeahmt werden.
6.1
Gestaltung der Intervention
143
Als dritter Kontext wurde der Zusammenhang zwischen Kreisdurchmesser und Kreisumfang gewählt (Neumann, 2011, S. 10; Vollrath, 1989, S. 21). Auch hierbei handelte es sich um einen linearen Zusammenhang, der als Änderungsrate die Kreiszahl π liefert. Dieser Zusammenhang bot die Möglichkeit, den Schülerinnen und Schülern den Zuordnungsaspekt begreifbar zu machen, da jedem Durchmesser genau ein Umfang zugewiesen wird. Das Änderungsverhalten konnte durch die konstante Änderungsrate verdeutlicht werden und der Objektaspekt kam erneut zum Tragen, wenn die Schülerinnen und Schüler realisierten, dass der Graph der Funktion eine Gerade ist. Dieser Kontext konnte durch das Ausmessen von Kreisscheiben bzw. zur Bestimmung des Umfangs durch das Entlangrollen einer Kreisscheibe an einem Lineal leicht in die Arbeit mit gegenständlichen Materialien umgesetzt werden. Die Durchführung des Experiments sollte für eine 6. Klasse unproblematisch sein. Die Umsetzung des „Kreise-Abwickeln” in eine Simulation war ebenfalls möglich, da man den Kreis mittels Simulation „dazu bringen konnte“, seinen Umfang abzuwickeln. Angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass es sich um den zweiten linearen Zusammenhang der Auswahl handelte. Es schien zielführend, diesen Zusammenhang dennoch als Kontext zu wählen, da lineare Zusammenhänge die ersten sind, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler im Unterricht explizit befassen. Wenn sie sich im Rahmen der Intervention, die eine Einführung in funktionale Zusammenhänge darstellen sollte, vertieft damit auseinandersetzen mussten, schien dies entsprechend weder unerwartet noch unnötig. Des Weiteren bestand die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler die Gerade, die als graphische Repräsentation des Zusammenhangs „Bleistifte spitzen“ entsteht, auf die Form des Bleistifts zurückführen würden. Dass aber auch etwas offenkundig Rundes, wie der Kreis, einen linearen Zusammenhang beinhaltet, wäre für sie möglicherweise überraschend. Es wurde als förderlich angesehen, zwei lineare Zusammenhänge zu kontrastieren. Beispielsweise ließe sich nach der Behandlung des Zusammenhangs von Umfang und Durchmesser die Frage anschließen, was entsprechend im Fall des Bleistiftspitzens zusammenhängt. Der Zusammenhang zwischen der Anzahl an kleinen Würfeln, die die Kante eines großen Würfels bilden, und der Gesamtanzahl an kleinen Würfeln, die zum Bau des großen Würfels notwendig sind, stellte den vierten Kontext dar. Dieser Kontext ist vergleichbar mit dem Zusammenhang zwischen Kantenlänge und Fläche eines Quadrats, den beispielsweise Ganter (2013, S. 134) verwendet. Die Entscheidung fiel auf diesen diskreten, kubischen Zusammenhang, da er eine Erweiterung der bisher verwendeten Zusammenhänge darstellte und da kubische Zusammenhänge bei Schülerinnen und Schülern immer wieder Erstaunen auslösen. Denn die zugeordneten Werte verändern sich so viel schneller als bei linearen Zusammenhängen. Erneut ließen sich Zuordnung und Änderungsverhalten gut thematisieren. Die Schülerinnen und Schüler konnten feststellen, dass zu jeder Kantenlängte gegeben durch eine Anzahl kleiner Würfel genau eine Gesamtanzahl an kleinen Würfeln vorliegt (Zuordnungsaspekt), dass aber die Änderungsrate in jedem Schritt eine andere ist (Änderungsverhalten). Dies im Kontrast zu einem linearen Zusammenhang zu sehen und zu begreifen, dass Zusammenhänge sich nicht immer gleichmäßig verändern, schien äußerst relevant. Auch hier bot die Verknüpfung mit der graphischen Darstellung des Weiteren die Behandlung des Aspekts Funktion als Objekt an. Um
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
diesen Zusammenhang experimentell untersuchen zu können, konnten kleine Holzwürfel verwendet werden, aus denen der jeweils größere Würfel gebaut werden konnte (Beckmann, 2007, S. 50). Daher wurde vom Kontext „Würfel bauen“ gesprochen. Der Zusammenhang, der so thematisiert wurde, war diskret. Dies bot eine zusätzliche Möglichkeit, funktionale Zusammenhänge zu beleuchten. Es entstand ein einfach umsetzbares Experiment mit gegenständlichem Material, das sich mit GeoGebra ebenfalls gut visualisieren ließ. Um zu verdeutlichen, dass tatsächlich ein Auswahlprozess stattfand, der die beschriebenen Kontexte lieferte, wird nun überblicksartig eine Reihe weiterer, in Erwägung gezogener Kontexte vorgestellt und begründet, warum diese nicht ausgesucht wurden, Teil der Intervention zu sein. „Graphen laufen“ beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Abstand zu einem festen Punkt und der Zeit, in der dieser Abstand erzeugt wird. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich dazu auf den Punkt zu und davon wegbewegen und der sich so ergebende Graph wird aufgezeichnet (Ganter, 2013, S. 134ff). Es handelt sich damit um ein sehr schönes und aktives Experiment, aber leider war es in Einzelarbeit, die für diese Interventionsstudie notwendig war, mangels Platz für 30 laufende Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum nicht umsetzbar. Die Durchführung mit GeoGebra hingegen wäre prinzipiell möglich gewesen. Es stellte sich aber die Frage, ob durch die Aufzeichnung des Abstands zum Punkt, die mittels eines Positionsloggers geschehen müsste, die Arbeit mit den gegenständlichen Materialien nicht bereits eng, vielleicht auch zu eng, mit der simulierten Situation verknüpft worden wäre. Genauso könnte man auch in Frage stellen, ob man reales „Hin- und Herlaufen“ tatsächlich vergleichbar durch die Bewegung eines Punktes auf einem Bildschirm ersetzen kann. Kerzen abbrennen (Ganter, 2013, S. 134; Malle, 2000a, S. 64) behandelt den Zusammenhang zwischen Brenndauer und Kerzenhöhe. Prinzipiell bot dieser Kontext dieselben Vorteile wie das Bleistiftspitzen, jedoch erschien es nicht sinnvoll, ca. 30 Sechstklässler alle mehr oder weniger gleichzeitig mit einer brennenden Kerze arbeiten zu lassen. Des Weiteren spielte der Zeitaspekt eine Rolle. Kerze abbrennen hätte mehr Zeit benötigt und sich deutlich weniger aktiv gestaltet. Die Arbeit mit einer Kugelbahn (Barzel & Ganter, 2010, S. 16ff; Ganter, 2013, S. 134) hätte sich besonders angeboten, um das Änderungsverhalten zu untersuchen (Ganter, 2013, S. 135). Jedoch kam der Aspekt der Zuordnung vergleichsweise kurz. Des Weiteren hätten in der Durchführung der geplanten Intervention alle Schülerinnen und Schüler mit einer eigenen Kugelbahn arbeiten müssen, was nicht umsetzbar war. Ein weiterer Zusammenhang wird durch das Würfel Versenken beschrieben. Wie steigt der Wasserspiegel in einem Gefäß, wenn man einen Würfel nach und nach darin versinken lässt? Ein spannender Zusammenhang, der sich sehr gut mit GeoGebra hätte umsetzen lassen (vgl. Abbildung 6.1). Die Umsetzung als Experiment mit Materialien wäre jedoch mit zu viel Aufwand und Materialeinsatz verbunden gewesen, um sie innerhalb einer nur vierstündigen Intervention mit ca. 30 Schülerinnen und Schüler gleichzeitig ohne Anleitung durch eine Lehrperson umsetzen zu können.
6.1
Gestaltung der Intervention
145
Aufbauend auf die ausgewählten Kontexte wurden Experimente mit Materialien und Simulationen und dazu passende Aufgaben entwickelt. Es muss an dieser Stelle betont werden, dass es keine Reihenfolge gab, in der diese Entwicklung ablief. Die Gestaltung der Experimente mit gegenständlichen Materialien beeinflusste die Art der Simulationen, die Möglichkeiten, die GeoGebra bietet, wirkten sich wiederum auf die Verwendung der gegenständlichen Materialien aus. Gleiches galt für die Aufgabenentwicklung, die maßgeblich Einfluss auf die beiden Medien hatte, da die Aufgaben sich so weit wie möglich entsprechen mussten, um Simulationen gegen Materialien testen zu können.
Abbildung 6.1 Simulation zum nicht ausgewählten Kontext Würfel versenken
Im Folgenden wird das Resultat dieses Entwicklungsprozesses beschrieben, der eine Vorstudie umfasste, in der die Schülerinnen und Schüler bei ihrer Arbeit in den jeweiligen Settings gefilmt wurden. Dargestellt wird jeder Kontext mit Blick auf die Simulationen und gegenständlichen Materialien. Wesentliche Erkenntnisse aus der Vorstudie fließen ein und werden kenntlich gemacht. Die Gestaltung der Aufgaben wird im Anschluss daran an verschiedenen Beispielen verdeutlicht, da es sich in der Summe um zu viele Aufgaben handelt, als dass man alle thematisieren könnte (Die Interventionshefte stehen in Gänze in digitalem Format online zur Verfügung). 6.1.3
Gegenständliche Materialien und Computer-Simulationen
Bevor die unterschiedlichen Medien in ihrer Gestaltung beschrieben werden, sei nochmals darauf hingewiesen, dass trotz der Bemühungen, die Nutzung der Materialien bzw. Simulationen eng aneinander anzugleichen, beide Weisen zu arbeiten ganz eigene Vorteile und damit Unterschiede mit sich bringen. Bei aller notwendigen Vergleichbarkeit durften diese Vorteile nicht
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
nivelliert werden, da jede Zugangsweise für sich betrachtet durch sie wertvoll wird. Sie nicht zu nutzen hätte zwar eventuell zu einer höheren Vergleichbarkeit im Rahmen der Interventionsstudie geführt, wäre aber auf Kosten der aus unserer Sicht unabdingbaren ökologischen Validität gegangen. Diese muss gegeben sein, um Unterrichtsforschung betreiben zu können (Eid et al., 2013, S. 35) und für den Unterricht nutzbare Ergebnisse zu generieren. Vorgestellt werden im Folgenden die Kontexte in der bewusst ausgewählten Reihenfolge, in der sie auch in der Intervention zum Einsatz kamen. Der Einstieg geschah über einen linearen Zusammenhang. Es war davon auszugehen, dass dieser als leicht einzustufender funktionaler Zusammenhang die Möglichkeit bieten würde, verstärkt auf das Verständnis grundlegender Aspekte wie die Eindeutig der Zuordnung, die inhaltliche Bedeutung von Punkten und das Änderungsverhalten einzugehen. Die Wahl fiel auf den Kontext Kreise abwickeln, da der „AHA“-Effekt, der durch die Schätzung eines Umfangs zu einem gegebenen Radius erzeugt werden kann, deutlicher ausfallen sollte, als es beim Kontext Bleistifte spitzen (Kontext 4) zu erwarten war. Es folgte der kubische, diskrete Kontext Würfel bauen, da hier eine deutliche Kontrastierung zum linearen Zusammenhang des Kontexts Kreise abwickeln möglich schien. Der Kontext Gefäße füllen wurde an die dritte Stelle gesetzt, da nach eingehender Betrachtung der Eindeutigkeit der Zuordnung und der Abhängigkeit von Größen eine Schwerpunktverschiebung hin zur verstärkten Bearbeitung und dem Verständnis des Änderungsverhaltens geschehen konnte. Der Kontext Bleistifte spitzen an vierter Stelle diente der Wiederholung. Er bot die Möglichkeit, im Kontext Kreise abwickeln erworbenes Wissen erneut anzuwenden und dabei sowohl das Änderungsverhalten als auch die Funktion als Objekt aufzugreifen. Kontext Kreise abwickeln Ziel des Kontexts Kreise abwickeln war es, den Zusammenhang von Umfang und Durchmesser eines Kreises begreifbar zu machen. Die Schülerinnen und Schüler sollten verstehen, dass Durchmesser und Umfang in einem festen Verhältnis zueinander stehen und dass die Kenntnis über dieses Verhältnis es ermöglicht, zu einem gegebenen Umfang den Durchmesser zu ermitteln und umgekehrt. Des Weiteren sollten sie Bekanntschaft mit der graphischen Darstellung eines linearen Zusammenhangs machen und den gleichmäßigen Zuwachs einer Größe, hier am Beispiel Durchmesser – Umfang, mit der Form einer Gerade verknüpfen. Gegenständliche Materialien Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten mit Holzscheiben, deren Durchmesser und Umfang zu messen waren. Entscheidend dabei war, dass die Schülerinnen und Schüler lediglich ein unbiegsames Lineal zur Verfügung gestellt bekamen. Dies stellte noch kein Problem dar, als der Durchmesser festgestellt werden sollte. Für die Ermittlung des Umfangs aber ergab sich hier durchaus eine Schwierigkeit. Die Schülerinnen und Schüler wurden daher durch einen entsprechenden Arbeitsauftrag dazu aufgefordert, die Holzscheibe am Lineal entlang zu rollen, bis sie eine Umdrehung geschafft hatten (Abbildung 6.2). Sie mussten den Umfang des Kreises „abwickeln“. Zur Orientierung befand sich eine kleine Kerbe im Rand der Holzscheibe. Dass an
6.1
Gestaltung der Intervention
147
dieser Stelle der Einsatz eines unbiegsamen Lineals nötig war, wurde auf Grundlage der Ergebnisse der Vorstudie deutlich. Die Schülerinnen und Schüler wickelten das zunächst zur Verfügung gestellte biegsame Lineal um die Holzscheibe herum anstatt sie daran entlang zu rollen. Da vergleichbare Settings kreiert werden sollten und in der Simulation der Kreis ebenfalls seinen Umfang „abwickelte“, wurde auf die unbiegsamen Lineale zurückgegriffen.
Abbildung 6.2 Umfangsbestimmung mittels Kreise abwickeln
Das so induzierte Vorgehen sollte den Zusammenhang zwischen Durchmesser und Umfang ausgesprochen greifbar machen. Durch das Rollen der Scheiben wurde hervorgehoben, dass der Umfang eines Kreises deutlich länger ist als sein Durchmesser. Die Schülerinnen und Schüler konnten die Diskrepanz zum von ihnen eventuell erwarteten Wert sowohl visuell als auch haptisch wahrnehmen. Die Vorteile, die gegenständliches Material mit sich bringt, wurden so genutzt. Der fokussierte Zusammenhang konnte wortwörtlich begriffen werden. Die von den Schülerinnen und Schülern auf diese Weise ermittelten Wertepaare wurden nach ihrer Sammlung in einer Tabelle zur Erstellung eines Graphen genutzt. Auch hier konnten die Schülerinnen und Schüler eine besondere Verbindung zwischen ihren Daten und den einzuzeichnenden Punkten schaffen, was eventuell zu einer besseren Memorierung führte. Des Weiteren erhielten sie einen Taschenrechner, um basierend auf den Werten aus ihrer Tabelle 𝜋 zu bestimmen. Die sich anschließenden Aufgaben ließen sich durch Anwendung der gewonnenen Erkenntnisse lösen. Auf die Nummerierung der Holzscheiben musste auf Grundlage der Vorstudie im Aufgabenheft explizit hingewiesen werden. Die Schülerinnen und Schüler nahmen in der Vorstudie zum Teil an, dass die vermerkte Nummer dem Durchmesser der Scheibe entsprechen würde, was nicht der Fall war. Simulation Die Simulation zum Kontext Kreise abwickeln (Abbildung 6.3) musste es ermöglichen, dass die Schülerinnen und Schüler die einander zugeordneten Werte Durchmesser und Umfang durch „Abwickeln eines Kreises“ ermitteln konnten. Der Vorgang des Abwickelns, den die Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit mit gegenständlichem Material durchführten, musste daher simuliert werden. Des Weiteren mussten die ermittelten Zahlenwerte von Durchmesser
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
und Umfang mit den abgebildeten Längen des Durchmessers bzw. des Umfangs in ihrer simulierten Darstellung gut verknüpft und die Wertepaare in ihrer graphischen Darstellung als Punkte und als Teil eines Graphen zu erfassen sein.
Abbildung 6.3 Oberfläche der Simulation Kreise abwickeln, Graphikfenster 1
Details dieser Simulation, die zur allgemeinen Orientierung dienten, waren der „alles neu“Button, der „Start“-Button, der Schieberegler und die Möglichkeit, das Zuordnungsfenster zu öffnen. Der „alles neu“-Button ermöglichte es den Schülerinnen und Schülern, sowohl den Wert für den Durchmesser auf 0 cm als auch den rollenden Kreis wieder auf den Ausgangspunkt zurückzusetzen. Diese Option sollte sich als hilfreich erweisen, wenn die Schülerinnen und Schüler beispielsweise den Faden verlieren sollten oder systematisch vorgehen wollten. Außerdem bestand die Möglichkeit, auf einfache Weise von den Schülerinnen und Schülern zu verlangen, die Simulation wieder in den Anfangszustand zurückzusetzen, was zum Beispiel relevant werden konnte, wenn die Schülerinnen und Schüler beobachten sollten, wie ein Graph sich Schritt für Schritt aufbaute. Dieser Button war dementsprechend Teil aller Simulationen dieser Studie. Er wird im Weiteren nicht mehr thematisiert. Der „Start“-Button startete die Simulation, er ersetzte das „Play“-Zeichen, das GeoGebra automatisch erzeugt, wenn man eine animierte Simulation einbindet. Da die Schülerinnen und Schüler GeoGebra bis auf wenige Ausnahmen nicht kannten, wurde die Bedienung der Simulation so erleichtert. Gleiches galt für den „Stopp“-Button, der in anderen Simulationen ebenfalls verwendet wurde. Die Verwendung einer Check-Box links neben dem Begriff „Zuordnung“ öffnete ein zusätzliches Graphikfenster (vgl. Abbildung 6.4). Diese Art der Darstellung ermöglichte es, die Schülerinnen und Schüler schrittweise durch die Simulation und damit auch durch die Aufgaben und den implizierten Verständnisprozess zu leiten. Dieses Gestaltungsmerkmal fand sich ebenfalls in allen Simulationen dieser Studie und wird im Folgenden nicht mehr expliziert werden. Lediglich die Begrifflichkeit Zuordnung wird im Verlauf der Intervention zu Graphik verändert, da bezüglich der Begrifflichkeit ein Lernfortschritt erwartet
6.1
Gestaltung der Intervention
149
wurde. Außerdem muss festgehalten werden, dass das Zusatzfenster geöffnet wurde, indem das Häkchen in der Check-Box Zuordnung entfernt wurde. Dies war im Nachhinein als kontraintuitiv zu bezeichnen. Im Rahmen der Studie lag die Simulation leider so vor, inzwischen wurde sie dahin verändert, dass das Häkchen gesetzt und nicht entfernt werden muss.
Abbildung 6.4 Simulation Kreise abwickeln mit zweitem Graphikfenster
Neben diesen allgemeinen Eigenschaften wies die Simulation Kreise abwickeln auch spezielle auf. Zunächst fanden sich im oberen Drittel der Oberfläche Buttons, anhand derer die Schülerinnen und Schüler einstellen konnten, welchen Durchmesser der Kreis, den sie betrachten wollten, haben sollte. Durch Klicken auf „Durchmesser - 1“ oder „Durchmesser + 1“ ließ sich dieser variieren. Um die Verknüpfung zwischen dem gewählten Wert und der Darstellung des Durchmessers innerhalb der Abbildung des rollenden Kreises zu verbessern, wurde der Wert des Durchmessers in derselben Farbe angegeben, in der er im Kreis eingezeichnet war (Fokussierungshilfen, Roth 2005, S. 121; Roth, 2008b, S. 30ff). Gleiches galt für den Umfang, der zum einen auf dem angedeuteten Lineal (der x-Achse) abzulesen war und wegen der notwendigen Genauigkeit zusätzlich angezeigt wurde, sobald der Kreis in seiner Gänze abgewickelt war. Durch ein Klicken auf „Start“ starteten die Schülerinnen und Schüler die Simulation und beobachteten, wie der Umfang abgewickelt wurde. Somit ermöglichte dieser Teil der Simulation es, einzelne Durchmesser dem jeweiligen Umfang zuzuordnen und eine Vorstellung der zugehörigen Längendifferenz zu erhalten. Was bei der Arbeit mit gegenständlichen Materialien aufgrund des enaktiven Vorgehens erreicht wurde, sollte im Rahmen der Simulation damit durch die Möglichkeit des Beobachtens und eine angepasste Farbgebung ersetzt werden. Durch Öffnen des zweiten Graphikfensters wurde den Schülerinnen und Schülern die graphische Darstellung des Zusammenhangs vorgestellt (vgl. Abbildung 6.4). Während die Schülerinnen und Schüler, die mit Materialien arbeiteten, zunächst durch Messungen Werte ermittelten und diese selbstständig in ein Koordinatensystem eintrugen, wodurch eine starke Beziehung zwischen dem eingezeichneten Punkt und den dazugehörigen Werten entstehen konnte, wurde dieser Zusammenhang in der Simulation durch das gleichzeitige Erscheinen der
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Punkte im rechten Fenster und dem fertig abgewickelten Kreis sowie der aufeinander abgestimmten Farbgebung betont. Des Weiteren wurde das Wertepaar, das sich aus den zuvor beobachteten Werten zusammensetzte, neben dem eingezeichneten Punkt eingeblendet. Die Verknüpfung zwischen Situation und graphischer Darstellung sollte so verstärkt werden. Durch ein Häkchen, dass durch Klicken neben dem Wort Graph im 2. Fenster gesetzt werden konnte, wurde zusätzlich zu den Punkten der Graph der zugrundeliegenden linearen Funktion sichtbar. Auch hier mussten die Schülerinnen und Schüler beobachten, während die Schülerinnen und Schüler der Materialgruppe die Verbindungslinie selbstständig zeichneten. Zur Frage, ob diese Verbindungslinie richtig ist und sinnhafter Weise eingezeichnet werden darf, gab es spezielle Arbeitsaufträge. Eine Veränderung, die sich hinsichtlich dieser Simulation auf Basis der Vorstudie ergab, war die Beseitigung von Ungenauigkeiten. Die Werte des Umfangs, die in beiden Fenstern angegeben wurden, entsprachen sich nicht, da mit unterschiedlich genauen Näherungen von π gerechnet worden war. Kontext Würfel bauen Der Kontext Würfel bauen umfasste den Zusammenhang zwischen der Anzahl kleiner Würfel, die die Kante eines großen Würfels bilden, und der Gesamtanzahl kleiner Würfel, die zum Bau des großen Würfels benötigt werden. Im Rahmen dieses Settings wurde daher von kleinen Einheitswürfeln gesprochen, die die Kante eines großen Würfels bzw. den großen Würfel selbst bilden. Diese Darstellung des Kontexts sollte es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, einen kubischen, diskreten Zusammenhang kennenzulernen. Ziel war es zum einen zu erkennen, dass Zusammenhänge nicht linear sein müssen. Besonders durch den Kontrast zum vorangehenden Kontext Kreise abwickeln sollte dies gelingen. Zum andern sollte den Schülerinnen und Schülern bewusst werden, dass Zusammenhänge sich in der Art ihrer Definitionsmenge unterscheiden können, wobei die Gegenüberstellung von Kreisen und Würfeln ebenfalls helfen sollte. Es sollte einfach zu erkennen sein, dass man ohne weiteres zu einem Durchmesser von 2.5 cm einen Kreis zeichnen kann, dass es aber nicht möglich ist, aus kleinen Würfeln mit Kantenlänge 1 einen großen Würfel mit Kantenlänge 2.5 zu erstellen. Gegenständliche Materialien Für die Arbeit mit gegenständlichen Materialien erhielten die Schülerinnen und Schüler 125 kleine Holzwürfel (Abbildung 6.5) mit einer Kantenlänge von zwei Zentimetern. Die Kantenlänge wurde ihnen als eine Längeneinheit vorgestellt, die kleinen Würfel als Einheitswürfel. Ihre Aufgabe bestand darin, herauszufinden, wie viele Einheitswürfel nötig sind, um einen Würfel mit einer „Kantenlänge“ von beispielsweise drei Einheitswürfeln zu bauen.
6.1
Gestaltung der Intervention
151
Abbildung 6.5 Material zum Kontext Würfel bauen, 125 Holwürfel
Ziel war es, dass die Schülerinnen und Schüler durch das Zusammenbauen der kleinen Würfel erlebten, dass für jeden neuen großen Würfel immer mehr und unterschiedlich viele kleine Würfel hinzukommen müssen. Die Abgrenzung zum linearen Zusammenhang sollte so greifbar werden. Des Weiteren bot die Zuordnung von Würfelanzahlen zueinander die Möglichkeit, das diskrete Element dieses Zusammenhangs zu thematisieren. Es war einfach nicht möglich, 2.5 Würfel als Kantenlänge zu benutzen. Die Schülerinnen und Schüler nutzten im Anschluss an die Werteermittlung die generierten Daten, um den zugehörigen Graphen eigenständig zu erstellen. Im Zentrum stand dabei die Frage, ob die einzelnen Punkte miteinander verbunden werden dürfen. Simulation Die Simulation Würfel bauen bot, wie auch die gegenständlichen Materialien die Möglichkeit, die einander zugeordneten Würfelanzahlen herauszufinden. Hierzu starteten die Schülerinnen und Schüler mittels des Start-Buttons die Simulation und beobachteten, wie sich kleine Würfel zu einem großen Würfel zusammensetzten (Abbildung 6.6).
Abbildung 6.6 Oberfläche der Simulation Würfel bauen, Graphikfenster 1
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Es bestand die Möglichkeit, die Würfel zu zählen. Um der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen, konnten die Schülerinnen und Schüler die Simulation stoppen (Stopp-Button) und mittels des Schiebereglers selbst vor und zurückspulen. Außerdem ließ sich der Würfel drehen (Drehen-Button) und in einer beliebigen Position anhalten (blauer Stopp-Button), um den Würfelaufbau aus einer anderen Perspektive zu beobachten. Durch das Auswählen von beispielsweise Check-Box „Würfel 3“ auf der linken Seite des Graphikfensters erschien ein gestrichelter Würfelumriss, der andeutete, wann der Würfel mit der Kantenlänge 3 vollständig zusammengesetzt sein würde (vgl. Abbildung 6.7). Dieses Vorgehen sollte helfen, nicht den Überblick über die Größe des bereits aufgebauten Würfels zu verlieren.
Abbildung 6.7 Oberfläche der Simulation Würfel bauen, ausgewählt: Würfel mit Kantenlänge 3
In der Version der Vorstudie verschwanden alle anderen Auswahlmöglichkeiten, wenn man sich für einen Würfel, z. B. Würfel 3, entschieden hatte. Dies wurde abgeändert, da es die Schülerinnen und Schüler verwirrte. Man konnte entsprechend in der Intervention auch alle Würfel zugleich auswählen. Leider wurde erst in Studie II ersichtlich, dass die Schülerinnen und Schüler erwarteten, dass der Würfel aufhören würde, sich weiter zusammenzubauen, wenn der gewählte Würfelumriss gefüllt war. Rückblickend wäre dies eine sinnvolle Erweiterung der Simulation gewesen, da dadurch eine deutlich stärkere Anbindung an die Materialsituation gelungen wäre. Außerdem wäre die Komplexität, die sich in dieser Simulation durch den dreidimensional umgesetzten Kontext ergab, reduziert worden. In einer neuen Version sollte die Simulation entsprechend verändert werden. Farblich waren die kleinen Würfel in einem einheitlichen Grau gehalten, um auch hierbei möglichst dicht an den holzfarbigen Würfeln des Arbeitens mit Material zu bleiben. Um zu verdeutlichen, welche Würfel die Würfelkante bildeten, waren diese rot umrandet (Abbildung 6.7). Die graphische Darstellung wurde wie bereits beim Kontext Kreise abwickeln mittels eines zweiten Graphikfensters präsentiert (vgl. Abbildung 6.8).
6.1
Gestaltung der Intervention
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Abbildung 6.8 Oberfläche Simulation Würfel bauen mit zweitem Graphikfenster
Anstatt die Punkte selbst in ein Koordinatensystem einzuzeichnen und auf diese Weise den Zusammenhang zwischen den ermittelten Werten und ihrer Verortung im Koordinatensystem zu erkennen und zu verinnerlichen, beobachteten die Schülerinnen und Schüler im zweiten Graphikfenster, wie die Punkte entstanden, während die einzelnen Würfel sich zusammensetzten. Sobald der Würfel mit Kantenläge 2 gänzlich zusammengesetzt war, erschienen der zugehörige Punkt und das entsprechende Wertepaar im Koordinatensystem. Farblich wurde hervorgehoben, dass auf der x-Achse die Kantenlänge (rot) abgetragen wurde und auf der y-Achse die Gesamtanzahl der Würfel (grau). Auch in diesem Fall wurde die Frage nach einer möglichen Verbindungslinie zwischen den Punkten gestellt, um auf die diskrete Zuordnung hinzuweisen. Da die Würfel auch in diesem Setting nicht manipuliert werden konnten, waren nur ganzzahlige Kantenlängen möglich. Kontext Gefäße füllen Hinter dem Namen Gefäße füllen verbirgt sich der Zusammenhang zwischen der Füllmenge in ml und dem Füllstand in cm eines Gefäßes, z. B. eines Glases oder einer Vase. Ziel dieses Kontexts war es, dass die Schülerinnen und Schüler Bekanntschaft mit einem Zusammenhang machen konnten, der weder linear noch kubisch war. Sie sollten verstehen, dass der Füllstand in der Abhängigkeit von der Füllmenge auch von der Form des Gefäßes abhängt und dass die Geschwindigkeit, mit der sich der Füllstand entsprechend verändert, durch die Form bedingt wird. Hierzu sollten die Schülerinnen und Schüler durch das Füllen von Gefäßen mit einer bestimmten Menge an Wasser die zugehörige Füllhöhe ermitteln, sich mit dem zugehörigen Graphen auseinandersetzen und verstehen, warum man die einzelnen Punkte, die jeweils für das Wertepaar aus Wassermenge und zugeordneter Füllhöhe stehen, in diesem Fall verbinden darf. Außerdem sollten die Schülerinnen und Schüler ein Gespür dafür entwickeln, wie sich unterschiedliche Gefäßformen auf die Geschwindigkeit des Ansteigens des Wassers auswirken.
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Gegenständliche Materialien Die Schülerinnen und Schüler erhielten ein Cocktailglas, einen Messbecher mit einem maximalen Volumen von 100 ml, ein Lineal, das direkt bei 0 cm begann, so dass man es im Glas aufsetzen konnte, und eine Flasche mit Wasser (Abbildung 6.9). Sie mussten in jedem Schritt 40 ml Wasser in das Glas füllen und den neuen Füllstand messen. Auf diese Weise generierten sie Wertepaare. In diesem Fall schien es maßgeblich, dass die Schülerinnen und Schüler im Anschluss mit einem korrekten Graphen weiterarbeiten würden. Daher wurden sie zum Vergleichen ihrer Daten mit einem solchen Graphen aufgefordert (vgl. Abschnitt Aufgaben). Wesentlich war, dass die Schülerinnen und Schüler feststellten, dass die Veränderung des Füllstands nicht gleichmäßig geschieht. Sie sollten herausfinden, dass die Form des Glases einen entscheidenden Einfluss hat. Besonders relevant schien hierbei die Beschäftigung mit einem korrekten Graphen, da darin der nicht lineare Zusammenhang besonders gut sichtbar werden konnte. Der Frage, ob die einzelnen Punkte verbunden werden dürfen, wurde ebenfalls nachgegangen. Als Konsequenzen aus der Vorstudie wurden bezüglich dieses Kontexts die Arbeitsaufträge zur Verwendung des Materials ausgeschärft. So mussten die Schülerinnen und Schüler explizit darauf hingewiesen werden, dass das biegsame Lineal, das sie zum Messen des Füllstands benutzen sollten, möglichst senkrecht und ohne Bogen gehalten werden musste. Die Biegsamkeit des Lineals ergab sich, da es bei 0 cm beginnen musste. Dies war nur mittels laminiertem Papier zu realisieren.
Abbildung 6.9 Gegenständliche Materialien zum Kontext Gefäße füllen
Das zweite Experiment zum Gefäße füllen befasste sich konkret mit der Steiggeschwindigkeit des Wassers in Abhängigkeit von der Gefäßform. Hierzu erhielten die Schülerinnen und Schüler zwei Wassergläser von unterschiedlichem Durchmesser und verschiedener Höhe (Abbildung 6.10).
6.1
Gestaltung der Intervention
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Abbildung 6.10 Zweites Material zum Kontext Gefäße füllen
Sie füllten durch gleichmäßiges Eingießen Wasser in die Gläser und beobachteten, wie das Wasser jeweils darin anstieg. Die Schülerinnen und Schüler hatten so die Möglichkeit, die Unterschiede der beiden Gläser physisch zu erfassen und sie mit der Steiggeschwindigkeit des Wassers in Verbindung zu bringen. Durch das Skizzieren zugehöriger Graphen sollte die Geschwindigkeit mit der Steigung der gezeichneten Geraden verknüpft werden. Simulation 1 Der Kontext Gefäße füllen verwendete zwei Simulationen. Die erste Simulation ermöglichte es den Schülerinnen und Schülern, ein geschwungenes Glas mittels Anklicken des Buttons „20 ml“ mit Wasser zu füllen (Abbildung 6.11). Die zunächst gewählte Füllmenge von 40 ml wurde reduziert, um die Anzahl der Füllvorgänge in Simulation und Materialgruppe vergleichbar zu halten. Der Button war farblich wie das ansteigende Wasser in Blau gestaltet, um hier eine deutliche Verknüpfung zu ermöglichen. Aus Platzgründen, die sich durch die Fenstergröße in GeoGebra ergaben, wurde in der Simulation kein Cocktailglas verwendet, es handelte sich um ein großes Glas ohne Stiel und Fuß. Da das Gefäß einen vergleichbaren Zusammenhang wie das gegenständliche Material lieferte, sollte hierdurch aber kein Problem entstanden sein. Denn Ziel dieses Kontextes war es, den Schülerinnen und Schülern ein Gespür für den Einfluss der Gefäßform auf die Steiggeschwindigkeit bzw. die Veränderung des Füllstandes zu vermitteln. Da den beiden angebotenen Gefäßen qualitativ gesehen ein vergleichbarer Zusammenhang zugrunde lag, sollte dieses Ziel nicht beeinträchtigt worden sein. Mittels eines animierten Lineals, das sich durch Anklicken und ziehen bewegen ließ, konnten die Schülerinnen und Schüler die Füllhöhe des Gefäßes auf dem Bildschirm messen. Es handelte sich um das gleiche Vorgehen wie bei der Arbeit mit gegenständlichen Materialien.
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Abbildung 6.11 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 1
Durch Öffnen des Graphikfensters wurde die Darstellung des Glases mit der des Graphen verbunden. Wenn die Schülerinnen und Schüler ein Häkchen bei „Punkte“ setzten, wurde zu jedem Füllstand bei erneutem Füllen des Gefäßes ein Punkt erzeugt (Abbildung 6.12). Durch setzen eines Häkchens bei „Graph“ wurden die Punkte verbunden. Auch in dieser Simulation wurde versucht, die simulierte Situation und deren graphische Repräsentation mit der Hilfe von Farbe zu vernetzen.
Abbildung 6.12 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 1 mit Graphikfenster
Der Graph und die Punkte waren im gleichen Blau wie das Wasser gehalten, lediglich die Deckkraft des Wassers war heruntergesetzt, um es durch das Lineal hindurchscheinend gestalten zu
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Gestaltung der Intervention
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können. Die Schülerinnen und Schüler hatten außerdem die Möglichkeit, durch die gestrichelten Linien x- und y-Koordinate zu erfassen, die ihren Messwerten entsprachen. Kritisch anzumerken ist, dass es sich bei dem zu sehenden Graphen nicht um die exakte Kurve des Füllvorgangs, sondern um den stückweise linearen Graphen (Abbildung 6.13a) handelte. Dieser entsprach der exakten Kurve (Abbildung 6.13b) allerdings in hohem Maße. a)
b)
Abbildung 6.13 a) stückweise lineare Füllkurve; b) exakte Füllkurve
Die Schülerinnen und Schüler verwendeten ihn immer nur in Verbindung mit den eingetragenen Punkten. Es wurde aus rein pragmatischen Gründen auf die Implementation der exakten Kurve verzichtet. Ziel der Aufgabe war es, den Schülerinnen und Schülern ein Gespür dafür zu vermitteln, in welcher Art und Weise die Form des abgebildeten Gefäßes Einfluss auf das Ansteigen des Wassers nimmt. Der qualitative Zusammenhang von kleiner werdendem Durchmesser des Gefäßes und höherer Anstiegsgeschwindigkeit war entscheidend. Mit Blick auf die beiden Darstellungen in Abbildung 6.13 scheint es mehr als unwahrscheinlich, dass die Wahl der deutlich schneller und weniger aufwendig zu programmierenden Oberfläche die Schülerinnen und Schüler daran gehindert hat, dieses Ziel zu erreichen. Simulation 2 Die zweite Simulation des Kontexts Gefäße füllen (Abbildung 6.14) bot die Möglichkeit, den Durchmesser des Glases mittels der Buttons -1 und +1 zu verändern. Mit dem Start-Button starteten die Schülerinnen und Schüler die Simulation, das Wasser wurde gleichmäßig in das Gefäß gefüllt. Sie konnten zunächst erproben, wie sich die Veränderung des Durchmessers auf die Steiggeschwindigkeit auswirkte. Im nächsten Schritt beobachteten sie durch Auswahl von Graph im ebenso wie in Simulation 1 gestalteten Graphikfenster die jeweils zugehörigen Geraden. Ziel war es, dass sie die Verknüpfung von „größerer Durchmesser – schnellerer Anstieg – steilere Gerade“ leisten konnten. Es fällt auf, dass die Schülerinnen und Schüler hier auf mehr
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Gläser als in der realen Situation zugreifen konnten. Die Befürchtung, die sich in der Vorstudie bestätigte, ging dahin, dass der Querschnitt des Glases, der mit dem Durchmesser in Zusammenhang gebracht werden sollte, für die Schülerinnen und Schüler schwierig zu erfassen war. Daher wurden mehrere Gläser angeboten, um sicherzustellen, dass den Schülerinnen und Schülern die Unterschiede bzw. die dargestellte Situation bewusst wurden.
Abbildung 6.14 Oberfläche Simulation Gefäße füllen 2
Kontext Bleistifte spitzen Als letzter Kontext der Intervention wurde den Schülerinnen und Schülern erneut ein linearer Zusammenhang vorgestellt. Es handelte sich um den Zusammenhang von der Anzahl der Drehungen beim Spitzen eines Bleistifts und der verbleibenden Länge des Stifts. Das Wissen, dass die Schülerinnen und Schüler im ersten Kontext erworben haben sollten, wurde aufgegriffen und so vertieft. Die Schülerinnen und Schüler wurden erneut aufgefordert, Werte zu generieren. Des Weiteren wurde durch die Einführung unterschiedlich scharfer Spitzer das Thema Geschwindigkeit aufgegriffen und sowohl graphisch als auch tabellarisch angewendet. Bisher Gelerntes konnte genutzt werden. Damit war dieser Kontext im Wesentlichen auf Anwendung ausgerichtet. Vorteilhaft erschien dies auch deshalb, weil zu erwarten war, dass die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Intervention unterschiedlich schnell arbeiten würden – unabhängig von der Art des verwendeten Mediums. Der letzte Kontext stellte so zwar eine Vertiefung des Erlernten dar, vermittelt dabei aber kaum zusätzliches neues Wissen. Langsamere Schülerinnen und Schüler sollten so in jedem Fall die Chance haben, alles, was im Bereich funktionalen Denkens zu diesem Zeitpunkt für sie als wesentliche Grundlage anzusehen war, kennenzulernen. Die Vorstudie zeigte nämlich, dass die zu erwartenden Unterschiede in time on task nicht wie erwartet ausgelöst durch das verwendetet Medium auftraten. Die Schülerinnen und Schüler, die Simulationen nutzten, verwendeten die gleiche Zeit auf die Arbeit an den Aufgaben wie die, die mit Material arbeiteten. Erwartet worden war, dass die Arbeit mit Material
6.1
Gestaltung der Intervention
159
deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Dieses unerwartete Ergebnis näher zu untersuchen und in den Blick zu nehmen, wie die Schülerinnen und Schüler die ihnen zur Verfügung gestellte Zeit konkret nutzten, wäre sicherlich spannend und gewinnbringend. Hier zeigten sich gegebenenfalls Möglichkeiten für Folgeuntersuchungen. Auf Basis der Vorstudie ergab sich, dass drei Kontexte gut in 2 Zeitstunden (120 min) bearbeitet werden konnten. Den Schülerinnen und Schülern in Studie II standen 4 Schulstunden à 45 min (180 min) zur Verfügung. Gegenständliche Materialien Für diesen Kontext standen den Schülerinnen und Schülern ein Bleistift, ein Spitzer und eine Schüssel zur Verfügung (Abbildung 6.15).
Abbildung 6.15 Material zum Kontext Bleistifte spitzen
Die Schülerinnen und Schüler sollten den Zusammenhang von „Spitzumdrehungen“ und verbleibender Bleistiftlänge erarbeiten, indem sie den Bleistift mit jeweils 30 Umdrehungen spitzten und dann seine Länge maßen. Die Schüssel diente dem Zweck hineinzuspitzen. Die Schülerinnen und Schüler mussten in diesem Fall ausschließlich die sich ergebenden Wertepaare notieren, der zugehörige Graph wurde danach vorgegeben. Der Graph beruhte auf Werten, die durch eine eigene, im Vorhinein durchgeführte Messung entstanden waren. Dies war eine Konsequenz aus der Vorstudie, die zeigte, dass die von den Schülerinnen und Schülern ermittelten Daten des Realexperiments in Teilen sehr ungenau ausfielen. Die sich ergebenden Graphen der Vorstudie waren nicht zwingend als Geraden zu erkennen. Um diesem Problem, das das Verständnis hätte behindern können, entgegenzuwirken, wurde der entsprechende Graph im Rahmen der Aufgaben vorgegeben. Simulation Die Simulation zum Kontext Bleistifte Spitzen (Abbildung 6.16) ermöglichte es den Schülerinnen und Schülern, den Stift zu spitzen, indem sie durch Drücken des Buttons „Spitzen“ direkt 30 Spitzumdrehungen durchführten und dann die Länge des Stiftes auf der y-Achse ablasen. Auch hier waren, wie bei der Arbeit mit den Materialien, keine Zwischenschritte möglich. Den
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Schülerinnen und Schülern wurden wie bereits im Kontext Kreise abwickeln die exakten Werte angezeigt, da ein genaues ablesen wegen der Größe der Skala schwer möglich war. In dieser Simulation wurden den Schülerinnen und Schülern beide Graphikfenster zugleich präsentiert, da es sich um den als Wiederholung gestalteten Kontext handelte. Den Schülerinnen und Schülern sollten das Vorgehen und der Aufbau der Simulationen inzwischen bekannt sein, sodass sie die Möglichkeiten der Oberfläche nicht überfordern sollte. Des Weiteren wurden den Schülerinnen und Schülern in diesem Fall die Punkte direkt präsentiert. Da die Materialgruppe ihre Wertepaare nicht selbstständig einzeichnen musste, wurde darauf verzichtet, der Simulationsgruppe nach der Ermittlung der Wertepaare das schrittweise Entstehen des Graphen zu zeigen.
Abbildung 6.16 Oberfläche zur Simulation Bleistifte spitzen
Fokussierungshilfen in Form von Farbgebung und Verbindungslinien zwischen den Fenstern kamen wiederholt zum Einsatz. Die Auswahlmöglichkeiten „Graph“ und „Spitzer 2“ im rechten Graphikfenster bezogen sich auf Aufgaben, die zur Vertiefung dienten, und fanden sich in Papierform in den Aufgaben zu den gegenständlichen Materialien wieder. Die einzige Veränderung im Anschluss an die Vorstudie bezüglich dieser Simulation war die Skalierung der x-Achse. In der Vorstudie waren 20er Schritte abgetragen worden, was zur Unübersichtlichkeit führte, da dies nicht den 30er Schritten des Spitzens entsprach. 6.1.3
Aufgabenentwicklung
Abseits von mathematischen Inhalten sollten Aufgaben das nachhaltige Lernen fördern, ein hohes Aktivierungspotenzial besitzen, sowohl schwächere als auch stärkere Schülerinnen und Schüler ansprechen, sie dazu befähigen, Strategien zu entwickeln und anzuwenden, und verschiedene Wege zulassen, um zur Lösung zu kommen (Bruder et al., 2016, S. 24-25). Gerade
6.1
Gestaltung der Intervention
161
Aufgaben, die zum Erkunden und Entdecken anhalten – das entspricht dem Zweck der im Rahmen dieser Intervention verwendeten Aufgaben – sind dabei zum einen zugänglich und zum anderen aber auch herausfordernd (Büchter & Leuders, 2014, S. 118). Büchter und Leuders (2014) benennen des Weiteren Bedeutsamkeit und Authentizität als wesentliche Kriterien (S. 119). Sie beschreiben damit, dass Aufgaben zur „Konkretisierung eines allgemeinen mathematischen Konzepts“ (S. 119) beitragen müssen und so die „Entwicklung oder die Anwendung von Mathematik wider[spiegeln]“ (S. 119). Auch formale Aufgabenkriterien sind bei der Gestaltung von Aufgaben relevant. Hierzu zählen basierend auf einer nachträglichen Analyse von PISA-Items (vgl. Prenzel et. al., 2002, S. 126) äußere Merkmale wie z. B. die Länge des Aufgabentextes, welches Antwortformat erwünscht ist, ob zusätzliche graphische oder bildliche Informationen vorliegen und welche Art Output generiert werden muss. Im Rahmen dieser Studie wurden Aufgaben verstanden als „Aufforderungen zum Ausführen von Lernhandlungen“ (Bruder, Leuders & Büchter, 2016, S. 18). Diese Handlungen sollten dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler zentrale mathematische Kompetenzen weiterentwickelten, wie sie in den Bildungsstandards festgelegt werden (KMK, 2004). Es handelt sich dabei um die Tabelle 6.1 zusammengestellten Kompetenzen. Bei der Aufgabenkonzeption musste entsprechend bedacht werden, welche Kompetenz mittels der jeweiligen Aufgabe gefördert werden sollte. Tabelle 6.1 Kompetenzen im Mathematikunterricht, (KMK, 2004, S. 13ff)
Kompetenz K1
Mathematisch argumentieren
K2
Probleme mathematisch lösen
K3
Mathematisch modellieren
K4
Mathematische Darstellungen verwenden
K5
Mit Mathematik symbolisch, formal und technisch umgehen
K6
Mathematisch kommunizieren
Konkret bestand das Ziel darin, Aufgaben zu entwickeln, die die Schülerinnen und Schüler dazu auffordern würden, sich auf unterschiedliche Art und Weise und auf unterschiedlichem Niveau mit der Thematik funktionale Zusammenhänge auseinanderzusetzen. Dazu mussten die Aufgaben die drei Aspekte funktionalen Denkens berücksichtigen und einer zielführenden Progression folgen. Dementsprechend mussten auch Aufgaben zu den drei von der KMK (2004, S. 13) benannten Anforderungsbereichen vorliegen:
Reproduzieren (I) Zusammenhänge herstellen (II) Verallgemeinern und Reflektieren (III)
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Außerdem war es notwendig, dass die Aufgaben der Intervention die Schülerinnen und Schüler zum Arbeiten motivierten, da sie die Grundlage der durchgeführten Einzelarbeit darstellten und keine zusätzliche Aktivierung durch einen Betreuer oder eine Lehrperson hinzukam. Die Aufgaben mussten entsprechend 180 min Einzelarbeit anleiten. Die Berücksichtigung der formalen Aspekte wie z. B. der Textmenge musste wegen des Alters und der erwarteten Lesefähigkeit der Schülerinnen und Schüler (Klasse 6) ebenfalls im Blick behalten werden. Besonders die Aufgabenformulierung musste angemessen sein. Auch das erwünschte Antwortformat war zwingend zu berücksichtigen. Es war davon auszugehen, dass Aufgaben, die Begründungen und freies Schreiben erforderten, ein größeres Verständnis der behandelten Zusammenhänge generieren würden. Allerdings musste auch hier die Balance gewahrt werden, da Teilen der Schülerinnen und Schüler aus Jahrgangsstufe 6 das Schreiben großer Textmengen eventuell noch schwer fiel. Zusammenfassend mussten die für die Intervention zu gestaltenden Aufgaben die zuvor genannten inhaltlichen und formalen Kriterien erfüllen und zugleich durch ein Experiment sowie dessen Auswertung und Interpretation führen. Da die Schülerinnen und Schüler in unserer Intervention in Einzelarbeit arbeiteten und es keine Betreuung durch eine Lehrperson gab und da des Weiteren ein zeitlicher Rahmen bestand und die Schülerinnen und Schüler trotzdem Einblick in vier verschiedene funktionale Zusammenhänge erhalten sollten, mussten die Aufgaben zum einen stark leiten und auf das Wesentliche fokussieren. Zum anderen mussten sie möglichst viel Eigenarbeit ermöglichen bzw. fordern. In Anlehnung an die Beschreibung des Experimentierens, die sich aus Roth (2014) und Beckmann (2007) für die Arbeit an funktionalen Zusammenhängen ergab, mussten die Aufgaben die Schülerinnen und Schüler daher zunächst dazu anregen, Hypothesen zu bilden. Um das Vorgehen der Schülerinnen und Schüler diesbezüglich zu steuern, wurde von ihnen verlangt, Schätzungen zu dem jeweiligen Zusammenhang vorzunehmen. Diese Schätzungen konnten später von ihnen überprüft und Ergebnisse entsprechend reflektiert werden. Ausgeschlossen wurde so, dass die Schülerinnen und Schüler eine Hypothese generierten und untersuchten, die sich als nicht zielführend für das Verständnis funktionaler Zusammenhänge erwies. Im sich anschließenden Schritt musste das Experiment durchgeführt werden. Die Schülerinnen und Schüler mussten beobachten, welche Größen voneinander abhängen, sie mussten eine systematische Messreihe erstellen und diese in einen Graphen umsetzen. Im Anschluss war es erforderlich, die Schülerinnen und Schüler durch Aufgaben dazu anzuleiten, ihre Ergebnisse zu reflektieren, neu gewonnenes Wissen anzuwenden und den Transfer über das durchgeführte Experiment hinaus zu leisten. Als Obergruppen wurden daher Aufgaben zur Vorbereitung, Aufgaben zum Experimentieren und Aufgaben zur Nachbereitung benannt. Diese Aufgabentypen wurden wiederum in Untergruppen (vgl. hierzu Tabelle 6.2) unterteilt und weitestgehend bezogen auf alle Kontexte verwendet. Dabei kam es jedoch zu einer Schwerpunktsetzung. Die Kontexte Kreise abwickeln und Würfel bauen, die im Verlauf der Intervention zuerst behandelt wurden, befassten sich verstärkt mit den Aufgabentypen zum Vorbereiten und Experimentieren sowie zum Nachbereiten (i) und (ii). Denn es erschien zunächst wesentlich, die Art des Zusammenhangs zu begreifen und zu verstehen, welche Informationen eine graphische Repräsentationsform beinhaltet und wie Punkte und eine mögliche
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Gestaltung der Intervention
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Verbindungslinie aufzufassen sind. Die Kontexte Gefäße füllen und Bleistifte spitzen hingegen setzten einen Schwerpunkt auf Nachbereiten (iii) und (iv), da zu erwarten war, dass die Schülerinnen und Schüler nach der Behandlung zweier sehr verschiedener Kontexte genug Grundwissen erworben haben würden, um sich tiefergehend mit funktionalen Zusammenhängen in Form von Anwendung und Transfer zu befassen. Tabelle 6.2 Die verwendeten Aufgabentypen
Aufgaben zum… Vorbereiten Experimentieren
(i) Schätzen und Vermuten (i) Messreihen erstellen und in einer Tabelle festhalten (ii) Den zugehörigen Graphen erstellen / beobachten (i) Die Bedeutung von Punkten und Graphen erkennen
Nachbereiten
(ii) Die Art des Zusammenhangs begreifen (iii) Anwenden der Ergebnisse konkret bezogen auf das Experiment (iv) Transfer der Ergebnisse auf andere Situationen zum gleichen Kontext
Neben der Berücksichtigung dieser inhaltlichen Aspekte musste außerdem erreicht werden, dass die Aufgaben in beiden Settings (Material vs. Simulation) äquivalent oder im Idealfall identisch aufgebaut und formuliert waren, um Vergleichbarkeit zu schaffen. Ein weiteres, nicht inhaltlich zu wertendes Gestaltungsmerkmal, das sich im Anschluss an die Vorstudie ergab, war die Verwendung des fiktiven Bären Herr Bommel. Diesem sollten die Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Aufgaben bei der Lösung unterschiedlicher Probleme helfen. Mittels dieses Bären wurde in jeden Kontext zunächst inhaltlich eingeführt. Es wurde ein kurzes Problem in den Raum gestellt. Daran an knüpften sich die Aufgaben der Schülerinnen und Schüler. Die Verwendung dieser Rahmengeschichte war eine Konsequenz aus der Vorstudie, denn in der ersten Version der Aufgaben war in die einzelnen Kontexte mittels einfacher Beschreibungen und rhetorischer Fragen eingeleitet worden. Dies führte bei den Schülerinnen und Schülern jedoch zu Verwirrung, da sie zum Teil begannen, diese Fragen zunächst zu beantworten. Unter diesem Gesichtspunkt wurde die Rahmengeschichte gestaltet. Die Vorstudie führte ebenfalls dazu, dass die Anzahl der Aufgaben zum Schätzen und Vermuten sowie zur Anwendung reduziert wurden. Es stellte sich heraus, dass die Schülerinnen und Schüler hierauf im Vergleich zu anderen wesentlichen Gesichtspunkten zu viel Zeit verwendeten. Verlauf, Progression und Aufgabenbeispiele konkret Um nun einen Eindruck der verwendeten Aufgaben vermitteln zu können, wird im Folgenden zunächst der grobe Verlauf und die damit einhergehende Progression eines jeden Kontexts un-
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
abhängig vom verwendeten Medium dargestellt. Es wird dabei auf die Änderungen in den Aufgaben, die sich hinsichtlich der Ergebnisse der Vorstudie ergaben, eingegangen. Dann wird zu jedem Aufgabentyp ein Beispiel vorgestellt. Mit Blick auf die gerade beschriebene Schwerpunktsetzung der Kontexte wird es sich um Beispiele aus dem Kontext Würfel bauen und Bleistifte spitzen handeln. So kann sowohl der Fokus, der bei Würfel bauen auf dem Verständnis von Zusammenhang und Graph liegt, als auch der Schwerpunkt von Anwendung und Transfer, der bei Bleistifte spitzen besteht, thematisiert werden. Auch die Relevanz der Aufgaben für die Entwicklung des funktionalen Denkens wird erläutert. Da ein wesentlicher Aspekt bei der Gestaltung der Aufgaben die Vergleichbarkeit zwischen den Settings war, werden die entsprechenden Aufgaben aus beiden Settings vorgestellt und verglichen, inwiefern diese sich entsprachen bzw. voneinander abwichen. Da es nicht möglich ist, alle Aufgaben, die Teil der Intervention waren, in dieser Weise vorzustellen, findet sich im Anhang eine Tabelle, die jede Aufgabe den für den Erfolg der Intervention wesentlichen Kriterien Aufgabentyp und Aspekte des funktionalen Denkens sowie den wesentlichen Repräsentationsformen und -wechseln zuordnet (vgl. Anhang B). Verlauf und Progression Der Verlauf des Kontexts ‚Kreise abwickeln‘ Nachdem die Frage nach der Verpackung einer Geschenkdose aufgeworfen wurde, begann der Kontext Kreise abwickeln mit der Schätzung von Umfang und Durchmesser von Kreisen. Es schloss sich das Experiment zur Generierung von passenden Wertepaaren an. Im nächsten Schritt wurde thematisiert, was das Besondere an den einander zugeordneten Werten ist, es sollten diesbezüglich Vermutungen angestellt werden. Daran anschließend wurde π näherungsweise als entscheidender Faktor ermittelt und die eigenen Vermutungen reflektiert. Des Weiteren wurden die Wertepaare in ihre graphische Repräsentationsform überführt, um daran zu thematisieren, welche Informationen in einem einzelnen Punkt dieses Zusammenhangs stecken. Es wurde auf die Sinnhaftigkeit der Verbindung der Punkte eingegangen und der Verlauf des Graphen analysiert und beschrieben. Besonders die Sinnhaftigkeit der Verbindungslinie herauszuarbeiten stellte sich als schwierig dar. Basierend auf den Ergebnissen der Vorstudie wurde eine schrittweise Hinführung formuliert. Zunächst mussten die Schülerinnen und Schüler analysieren, welche Informationen ein beliebiger Punkt, der zwischen zwei von ihnen ermittelten Punkten zu liegen kam, beinhaltete und ob diese Informationen inhaltlich als sinnvoll zu bezeichnen war. Von dieser Erkenntnis ausgehend sollten sie über die Verbindungslinie zwischen den Punkten nachdenken. Rückblickend war dieser Ansatz erfolgreicher als der zuvor gewählte, der direkt nach der Verbindungslinie fragte. Trotzdem hatten die Schülerinnen und Schüler deutliche Schwierigkeiten zu erkennen, dass eine Verbindungslinie aus einzelnen Punkten besteht, was der entscheidende Schritt hätte sein müssen. Zur Reflektion über diese Verbindungslinie sollten die Schülerinnen und Schüler in der Version der Vorstudie den entstanden Graphen beschreiben. Da es ihnen aber sehr schwer fiel, Eigenschaften einer „Linie“ zu benennen, wurden ihnen daher die Eigenschaften „steigen, gleichmäßig und gerade“ vorgestellt und erfragt,
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Gestaltung der Intervention
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warum diese Begriffe ihren Graphen beschreiben. Es schlossen sich an diese Verständnisaufgaben im letzten Teil Anwendungsaufgaben an, die die Bestimmung von Umfang und Durchmesser beinhalteten. Der Verlauf des Kontexts ‚Würfel bauen‘ Der Kontext Würfel bauen wurde am Beispiel der Zusammensetzung eines Zauberwürfels eingeleitet. In der Vorstudie wurden zusätzlich Würfel thematisiert, die innen hohl sind. Als Einstieg erwies sich dieses Problem als zu weitgreifend. Es wurde als Transferaufgabe in den entsprechenden Aufgabenblock am Ende des Kontexts verlagert. Zunächst mussten die Schülerinnen und Schüler schätzen, wie viele kleine Würfel man benötigen würde, um Würfel einer bestimmten Kantenlänge zusammenzusetzen. Es folgte das Experiment, um die notwendigen Daten zu erzeugen, sowie das Zeichnen bzw. die Betrachtung des zugehörigen Graphen. Thematisiert wurden die Bedeutung eines Punktes und die Sinnhaftigkeit, die Punkte, die auf Basis der ermittelten Wertepaare gezeichnet worden waren, zu verbinden. Hier mussten die Schülerinnen und Schüler unter Berücksichtigung der Vorstudienerfahrungen ganz gezielt auf die nicht gegebene Sinnhaftigkeit von zerteilten Würfeln hingewiesen werden. Rückblickend wurde ihnen diese auch bewusst. Dass aber dementsprechend eine Verbindungslinie der Punkte für diesen Zusammenhang nicht als korrekt angesehen werden konnte, wurde ihnen dennoch meist nicht klar. Es folgten Anwendungsaufgaben, die auf die absolute Änderung abzielten und nach und nach auf ein Begreifen des kubischen Zusammenhangs hinführten. Hierzu wurden die Wertepaare sowie die Änderungsrate dieses Kontexts mit denen des Kontexts Kreise abwickeln verglichen. Durch die Kontrastierung des kubischen und des linearen Zusammenhangs sollten deren Eigenheiten deutlicher hervortreten. Dieser Vergleich fand Eingang in die Aufgaben, nachdem die Schülerinnen und Schüler in der Vorstudie die Besonderheit der kubischen Zuordnung nicht erkannt hatten. Zusätzlich musste dieser Unterschied nun auch in der graphischen Darstellung untersucht werden. Es schlossen sich erneut Aufgaben zur Anwendung und zum Transfer an, die das Anfangsbeispiel des Zauberwürfels mit integrierten. Verlauf Kontext Gefäße füllen 1 und 2 Der Kontext Gefäße füllen wurde mittels Fragen zum Füllstand eines Cocktailglases motiviert. Die Schülerinnen und Schüler erkundeten den zugrundliegenden Zusammenhang durch Ermittlung der entsprechenden Wertepaare. Im Anschluss nutzten sie die Ergebnisse, um Interpolationsaufgaben zu lösen. Es folgte eine Transferaufgabe, die auf die Auswirkungen der Gefäßform auf den Füllstand eines Gefäßes abzielte. Dann wurde schwerpunktmäßig der Graph verwendet. Da es entscheidend war, dass die Schülerinnen und Schüler der Materialgruppe in diesem Fall mit einem korrekten Graphen arbeiteten, wurde ihnen, wie auch der Simulationsgruppe, der korrekte Graph vorgegeben. Es erschien wichtiger, dass sie mit einem Graphen, der das unterschiedliche Änderungsverhalten abbildete, arbeiten würden, als das sie ihn erneut erstellten. Dies hatten sie zuvor bereits zweimal getan. Sie wurden daher explizit zum Vergleichen ihrer Wertepaare mit dem korrekten Graphen aufgefordert. Man hätte die korrekte Lösung auch auf
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
einer Hilfekarte zur Verfügung stellen können. die Gefahr war aber zu groß, dass die Schülerinnen und Schüler diese an dieser entscheidenden Stelle nicht nutzen würden. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass ein Großteil der Schülerinnen und Schüler den Graphen dennoch selbst gezeichnet hatte. Sie hatten die Arbeitsaufträge nicht korrekt gelesen und verwendeten das Koordinatensystem des Folgeexperiments zu diesem Zweck. Somit konnten sie auf einen eigenen und den korrekten Graphen zurückgreifen. Im Anschluss wurde die Sinnhaftigkeit der Verbindungslinie zwischen den Punkten erneut thematisiert. Die folgenden Aufgaben setzten den Schwerpunkt auf die Verknüpfung zwischen der Steigung des Graphen und der Form des Gefäßes. Um weiter am Thema Steigung und damit an der Steiggeschwindigkeit des Wassers zu arbeiten, kam die zweite Simulation bzw. das zweite Material zum Einsatz. Die Schülerinnen und Schüler untersuchten zunächst Wassergläser mit unterschiedlichem Durchmesser und stellten Vermutungen an, wie sich das Ansteigen des Wassers in ihnen unterscheiden würde. Durch Durchführen des Experiments ermittelten sie, dass das Wasser umso schneller steigt, je schmaler das Glas ist. Diese Erkenntnis wurde mit der Steigung der zugehörigen Graphen verknüpft. Hierzu musste die Materialgruppe die zu den Situationen zugehörigen Geraden skizzieren, die Simulationsgruppe beobachtete deren Entstehung. Es folgte eine Transferaufgabe, in der die Schülerinnen und Schüler verschiedene Graphen verschiedenen Gefäßen zuordnen und ihre Wahl begründen mussten. Über alle Aufgaben dieses Kontexts hinweg stellte sich in der Vorstudie heraus, dass die Wortwahl in Teilen Probleme bereitete. Der synonyme Gebrauch von Füllstand und -höhe führte zu Verwechslungen mit der Höhe des Glases. Daher wurde konsequent Füllstand verwendet oder direkt auf das Wasser Bezug genommen. Der Verlauf des Kontexts ‚Bleistifte spitzen‘ Der Kontext Bleistifte spitzen bot den Schülerinnen und Schüler zum Abschluss der Intervention die Gelegenheit, ihr bereits erlangtes Wissen über lineare Zusammenhänge erneut anzuwenden und so zu vertiefen. Nachdem die Schülerinnen und Schüler nach jeweils 30 Spitzumdrehungen die Länge ihres Bleistifts erneut bestimmt und die Wertepaare des relevanten Zusammenhangs generiert hatten, mussten sie eigenständig den diesem Kontext zugrundeliegenden Zusammenhang in Worte fassen. Dann mussten sie auf Basis ihrer gemessenen Werte Interpolationsaufgaben lösen. In einem weiteren Schritt wurde die Frage aufgeworfen, wie viele Punkte man kennen muss, um eine Gerade, wie sie in diesem Fall entstand, zeichnen zu können. Im Anschluss musste erläutert werden, warum zwei Punkte für den Graphen, der den Füllprozess im Glas beschrieb, nicht ausreichen würden. Ein weiterer Block an Aufgaben befasste sich mit dem Einfluss des Spitzers auf das Ergebnis. Die Verwendung eines schärferen Spitzers würde dazu führen, dass der Stift schneller kürzer würde. Das Änderungsverhalten war für diesen Kontext damit zentral. Basierend auf ihren Erkenntnissen mussten die Schülerinnen und Schüler zunächst Graphen für verschiedene Spitzer skizzieren und dann weitere Anwendungsund Transferaufgaben lösen.
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Gestaltung der Intervention
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Beispiele für die verschiedenen Aufgabentypen Vorbereiten (i) Aufgaben zum Schätzen und Vermuten. Aufgaben zum Schätzen und Vermuten ersetzten den Schritt des Hypothesenbildens, der der Durchführung eines Experiments in der Regel vorauszugehen hat (vgl. Abschnitt 2.3.1). Da die Schülerinnen und Schüler die vorgegebene Zeit von vier Schulstunden angemessen nutzen sollten, war es nötig, sie anhand der Aufgaben durch die einzelnen Kontexte und Stationen des Experimentierens zu leiten. Es mussten dementsprechend Vorgaben gemacht werden, um zu verhindern, dass die Schülerinnen und Schüler bereits mit einem ungeeigneten Fokus in die Bearbeitung der Aufgabe bzw. die Arbeit mit den Medien einstiegen. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich im Rahmen dieser Schätzaufgaben zunächst eigene Gedanken über den zugrundeliegenden Zusammenhang machen. Ihre Überlegungen mussten notiert werden, um im Nachhinein Widersprüche und damit eventuelle Fehlvorstellungen aufdecken zu können. Beispielhaft sei hier die Schätzaufgabe zum Kontext Würfel bauen vorgestellt. Die Schülerinnen und Schüler mussten schätzen, wie viele kleine Würfel notwendig wären, um aus ihnen einen großen Würfel mit der Kantenlänge 3 Würfel bzw. 5 Würfel bauen zu können (Abbildung 6.17). Ziel dieser Aufgabe, die in beiden Settings identisch vorlag, war es, die Schülerinnen und Schüler zunächst selbst darüber nachdenken zu lassen, wie sich die Gesamtanazahl kleiner Würfel, aus der ein großer bestünde, bei zunehmender Kantenlänge, gegeben durch eine Anzahl kleiner Würfel, verändert. Gegenständliche Materialien & Simulationen Schätze: Wie viele kleine Würfel benötigt man, um… …einen Würfel mit einer Kantenlänge von 3 kleinen Würfeln zu bauen?
…einen Würfeln mit einer Kantenlänge von 5 kleinen Würfeln zu bauen?
Abbildung 6.17 Beispielaufgabe Schätzen aus dem Kontext Würfel bauen
Da sie zuvor den linearen Zusammenhang von Umfang und Durchmesser eines Kreises bearbeiten sollten, lag es nahe, dass sie auch hier einen linearen Zusammenhang vermuten würden. Während des folgenden Experiments sollte ihnen daher umso deutlich bewusst werden, dass die Verlängerung der Kantenlänge um einen Würfel nicht jedes Mal zur Zunahme der Gesamtanzahl kleiner Würfeln um die gleiche Anzahl von Würfeln führt. Diese Aufgabe zeigte im Verlauf der Intervention sehr deutlich, auf welchem unterschiedlichen Lernstand sich die Schülerinnen und Schüler aus verschiedene Klassen und Schulen zu diesem Zeitpunkt befanden. Ein Teil der Schülerinnen und Schüler hielt diese Aufgabe für anspruchsvoll, schätzte und benötigte
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
die Würfel bzw. die Simulation, um die korrekte Antwort herauszufinden. Andere hingegen erfragten während der Intervention, ob sie die Ergebnisse direkt aufschreiben dürften, „das sei doch einfach. Man müsste Länge mal Breite mal Höhe rechnen“. Inhaltlich zielte diese Aufgabe auf den Zuordnungsaspekt ab, den zu begreifen im Kontext eines kubischen Zusammenhangs deutlich anspruchsvoller schien als bei einem linearen. Dieser Aufgabe einen Anforderungsbereich zuzuweisen war trotzdem nicht einfach. In Abhängigkeit des Vorwissens der Schülerinnen und Schüler, das sich, wie gerade beschrieben, als sehr unterschiedlich darstellte, handelte es sich entweder um eine Aufgabe zur Reproduktion, zur Anwendung oder zum Transfer. Wenn die Schülerinnen und Schüler sich im Unterricht eingehend mit Volumen und dessen Darstellung mit Einheitswürfeln befasst hatten, handelte es sich um Reproduktion, da sie das Ergebnis kannten. Sollten sie sich nur noch an das zugrundeliegende Prinzip erinnern, wäre es eine Anwendung. Hatten sie keine Erfahrung mit Volumina, könnten sie versuchen, ihr Wissen von Flächen zu übertragen. Es würde sich um eine Transferaufgabe handeln. Experimentieren (i) Messreihe erstellen. Gegenständliche Materialien Hol die Tüte mit den Holzwürfeln aus der Kiste. Material: viele, kleine Würfel Baue aus den kleinen Würfeln nacheinander einen großen Würfel mit einer Kantenlänge von 1, 2, 3, 4 und 5 kleinen Würfeln und notiere in der Tabelle „Würfel“ auf deinem Datenblatt, wie viele Würfel man insgesamt bei einer bestimmten Kantenlänge benötigt. Simulationen Öffne Simulation 2. Wähle im linken Fenster aus, welchen Würfel du „bauen“ willst. Würfel 3 hat z. B. eine Kantenlänge von 3 kleinen Würfeln. Wenn du jetzt auf „Start“ klickst, füllt sich der große Würfel mit kleinen Würfeln. Mit „alles neu“ kannst du die Zahl der Würfel wieder auf „Null“ setzen. Durch Ziehen am Schieberegler kannst du den Würfel selbst zusammenbauen“. Wenn du auf „Drehen“ klickst, dreht sich der Würfel. Probiere es einfach aus! „Baue“ auf dies Weise aus den kleinen Würfeln alle möglichen großen Würfel und trage die Werte auf deinem Datenblatt in die Tabelle „Würfel“ ein (Würfel pro Kante – Gesamtwürfelanzahl). Beginne mit 1 kleinen Würfel als Kantenlänge. Abbildung 6.18 Beispielaufgaben Experimentieren (i), Kontext Würfel bauen
Dieser Aufgabentyp beinhaltete deutliche Unterschiede zwischen den beiden Settings. Das Beispiel (Abbildung 6.18) wurde wieder dem Kontext Würfel bauen entnommen. Es zeigte sich,
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Gestaltung der Intervention
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dass aufgrund der Erklärungen, die notwendig waren, damit die Schülerinnen und Schüler Material bzw. Simulation angemessen verwenden konnten, Unterschiede in der Länge und in der Komplexität der Aufgabenstellungen entstehen mussten. Diese Aufgabe diente dazu, die Schülerinnen und Schüler durch das Experiment hindurch zu führen. Offensichtlich war die zur Simulation gehörende Aufgabenstellung deutlich länger als die der Materialgruppe. Dies begründete sich darin, dass den Schülerinnen und Schülern zunächst die wesentlichen Eigenschaften der Simulation erklärt werden mussten, um so sicherzustellen, dass sie das Experiment adäquat durchführen konnten. Die Beschreibung des materialbasierten Experiments fiel dagegen recht einfach aus, da das notwendige Vorgehen als intuitiv zu bezeichnen war. Die Unterschiede in den Formulierungen des letzten Teils des Arbeitsauftrags, der mit „Baue“ beginnt, begründeten sich darin, dass die Schülerinnen und Schüler der Simulationsgruppe innerhalb der Simulation auf die Würfel mit Kantenlängen 1, 2, 3, 4, 5 hingewiesen wurden. Ein Verweis im Aufgabentext wäre redundant gewesen. Der Hinweis, mit Würfel 1 zu beginnen war für die Simulationsgruppe hingegen wichtig, da die Simulation schnell über den Zustand von einem Würfelchen hinaus war und die Gefahr bestand, dass den Schülerinnen und Schülern die Zuordnung 1-1 so nicht bewusst wurde. Dies war bei den Schülerinnen und Schülern der Materialgruppe nicht zu befürchten. Der Unterschied in Länge und Komplexität der Aufgabenstellung wurde dadurch aufgefangen, dass die Materialgruppe damit befasst war, die Würfel entsprechend zusammenzusetzen, während die Simulationsgruppe zunächst las und dann mit der Simulation gegebenenfalls schneller als mit dem Material arbeiten konnte. Nach Beendigung dieser Aufgabe sollten beide Gruppen die zu ermittelnden Werte in der passenden Tabelle auf ihrem Datenblatt notiert haben. Auf dem Datenblatt befanden sich sowohl vorbereitete Tabellen als auch Koordinatensysteme. Mit Blick auf das funktionale Denken war hier zunächst der Zuordnungsaspekt besonders wichtig. Aber auch die Verknüpfung des gesamten Bauprozesses mit der Gesamtheit der gesammelten Werte in der Tabelle war von Bedeutung und ließ eine Anbahnung des Aspekts Funktion als Objekt zu. Die Schülerinnen und Schüler bewegten sich hierbei im Anforderungsbereich II. Sie griffen auf ihre Erfahrungen im Experimentieren zurück, ermittelten Werte durch Messen und erstellten eine Wertetabelle. Sie reduzierten den realen Kontext auf diese Weise auf wenige mathematische Daten, so dass man von der Kompetenz Mathematisch Modellieren (K3) sprechen konnte. Außerdem wurde die Tabelle, eine mathematische Darstellung, verwendet (K4). Änderungen aufgrund der Vorstudienerfahrung ergaben sich hinsichtlich dieses Aufgabentyps mit Blick auf das Datenblatt. Viele Schülerinnen und Schüler hatten in der Vorstudie Schwierigkeiten, die richtigen Werte der unabhängigen Variabel in die Tabelle zu schreiben. Viele schrieben immer nur das, was an Menge hinzukam, in die nächste Zeile und nicht die Gesamtmenge des z. B. Wassers. Daher wurden in allen Tabellen, sowohl in der Material- als auch der Simulationsgruppe, die ersten Werte der unabhängigen Variablen vorgegeben.
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Experimentieren (ii) Graphen zeichnen/beobachten. Graphen zeichnen bzw. beobachten beinhaltete den wohl wichtigsten Unterschied zwischen den beiden Experimentalgruppen (Abbildung 6.19). Die Schülerinnen und Schüler der Materialgruppe mussten unter Verwendung von Hilfekarten (vgl. als Beispiel Abbildung 6.20) die Wertepaare, die sie soeben ermittelt hatten, eigenhändig als Punkte auf ihrem Datenblatt in ein Koordinatensystem, dessen Achsen bereits beschriftet waren, einzeichnen. Die Schülerinnen und Schüler der Simulationsgruppe hingegen mussten beobachten, wie die Punkte in einem weiteren Graphikfenster ihrer Simulation simultan zum zusammengebauten Würfel einer bestimmten Größe angezeigt wurden. Es war davon auszugehen, dass die Schülerinnen und Schüler beim Einzeichnen der zuvor selbstständig ermittelten Werte einen guten Bezug zwischen deren Inhalt und ihrer Darstellung im Koordinatensystem herstellen würden. Hingegen bestand die Gefahr, dass die Schülerinnen und Schüler der Simulationsgruppe trotz der verwendeten Fokussierungshilfen weniger über die die Punkte und ihren Inhalt nachdenken würden. Daher wurde an dieser Stelle nicht nur gefordert, sich die Simulation anzusehen, sondern die Informationen, die in einem solchen Punkt stecken, zu verbalisieren. Es sollte so verhindert werden, dass die Materialgruppe im Hinblick auf das Zeichnen und Erfassen der Bedeutung einzelner Punkte besondere Vorteile erlangen würden. Gegenständliche Materialien Trag deine Werte aus der Tabelle nun in das Koordinatensystem auf dem Datenblatt ein! Simulationen Klicke auf „alles neu“. Entferne dann in Simulation 2 das Häkchen bei „Graphik“ und setze dafür ein Häkchen bei „Punkte“ (rechtes Fenster). Starte die Simulation erneut. Welche Informationen stecken in jedem der Punkte im rechten Fenster in Bezug auf die Würfel? Anmerkung. Nach Durchführung der Intervention wurde die Simulation dahingehend verändert, dass das Häkchen bei Graphik nun gesetzt werden muss, um das 2. Fenster sichtbar zu machen. Abbildung 6.19 Beispielaufgaben Experimentieren (ii), Kontext Würfel bauen
In anderen Kontexten schien der Vorteil eher bei der Simulationsgruppe zu liegen, da es sich nicht um diskrete Zuordnungen handelte und das Verbinden der Punkte miteinander durch die Simulation besser an die simulierte, reale Situation angebunden werden konnte, als im realen Experiment an die tatsächlich reale Situation. Inhaltlich stand hier wie bereits während des Experiments selbst zunächst der Zuordnungsaspekt im Mittelpunkt. Die Punkte in ihrer Gesamtheit zu betrachten und zu realisieren, dass auf diese Weise der ganze Bauprozess abgebildet wird, bereitete wieder den Aspekt Funktion als Objekt vor. Beide Aufgaben waren dem Anforderungsbereich II zuzuweisen. Die Materialgruppe nutzte ihr Wissen über Punkte und Koordinatensysteme (eventuell aufgefrischt durch eine Hilfekarte, vgl. Abbildung 6.20), um so die Punkte in das Koordinatensystem einzutragen. Die Schülerinnen und Schüler der Simulationsgruppe mussten ihre soeben gemachten Erfahrungen über den Zusammenhang von Anzahl der
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Gestaltung der Intervention
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kleinen Würfel an der Kante und Gesamtanzahl der kleinen Würfel, die den großen Würfel bilden, nutzen, um die Bedeutung der im Koordinatensystem erscheinenden Punkte zu ermitteln.
Abbildung 6.20 Hilfekarte der Materialgruppe zum Einzeichnen von Punkten in ein Koordinatensystem
Die Kompetenzen, die zum Einsatz kamen, unterschieden sich daher. Die Materialgruppe musste mathematische Darstellungen verwenden (K4). Es wurde implizit angenommen, dass ihr dabei der „Inhalt“ eines Punktes bewusst werden konnte. Die Simulationsgruppe musste ebenfalls die mathematische Darstellung Graph verwenden und dabei kommunizieren bzw. gegebenenfalls argumentieren (K6 und K1). Die Schülerinnen und Schüler wurden dazu „gezwungen“, sich die Bedeutung der Punkte bewusst zu machen, um so eine Angleichung der Gruppen zu erzeugen. Nacharbeiten (i) Punkte und Graph verstehen Dieser Aufgabenkomplex lag in beiden Settings identisch vor mit Ausnahme des Verweises zu Beginn der Aufgabe auf den eigenen Graphen bzw. das Koordinatensystem auf dem Bildschirm. Ziel dieses Komplexes war es in diesem Fall (Abbildung 6.21), die Schülerinnen und Schüler dafür zu sensibilisieren, dass es sich um einen diskreten Zusammenhang handelte. Da die Formulierung diskret für die Altersstufe zu weitgreifend und wegen des Settings der Einzelarbeit ohne Betreuung unangemessen erschien, wurde nach der Sinnhaftigkeit, die Punkte zu verbinden, gefragt (Abbildung 6.21). Hierzu wurde ein im Koordinatensystem eingezeichneter Punkt, dessen Inhalt als unmöglich zu beurteilen war, thematisiert. Das zugrundeliegende Wertepaar (2.5|15.63) sollte den Schülerinnen und Schülern im Vergleich mit den realen Würfeln bzw. den Würfeln der Simulation vor Augen führen, dass es nicht möglich war, einen (Holz)Würfel zu halbieren oder in sonstiger Weise zu zerteilen. Die Verbindungslinie der Punkte, die damit viele solcher „unsinnigen“ Punkte beschreiben würde, sollte als ebenfalls „unsinnig“ entlarvt werden.
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6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Gegenständliche Materialien & Simulationen Hier siehst du wieder einen Ausschnitt aus der graphischen Darstellung. Es gibt hier einen Punkt, den du in deinem Graphen nicht eingezeichnet hast (Material) / der nicht in dem Koordinatensystem auf deinem Bildschirm erscheint (Simulation). Markiere ihn farbig!
Der Punkt ist (2,5 | 15,63). Welche Informationen in Bezug auf den großen bzw. die kleinen Würfel stecken darin? Warum ist dieser Punkt inhaltlich nicht sinnvoll? Entscheide und begründe nun, ob es sinnvoll ist, die Punkte mit einander zu verbinden. Abbildung 6.21 Beispielaufgabe Nacharbeiten (i), Kontext Würfel bauen
Es zeigte sich leider im Verlauf der Intervention, dass die Schülerinnen und Schüler zwar begriffen, dass ein solcher Punkt keine korrekten bzw. möglichen Informationen beinhaltet, es war ihnen jedoch nicht möglich, von dieser Erkenntnis auf die Verbindung zwischen den Punkten zu schließen. Man hätte an dieser Stelle noch deutlicher auf die Bedeutung der Verbindungslinie und deren Zusammenhang mit einzelnen Punkten eingehen müssen. Eventuell war aber auch die Verortung dieses diskreten Kontexts an Position zwei innerhalb der Intervention verfrüht und seine Verwendung wäre am Ende zielführender gewesen. Die Komplexität des Inhalts lässt bereits erahnen, dass es hier ganz deutlich um das Verständnis des Aspekts Funktion als Objekt ging. Den Prozess als Ganzes in seiner diskreten Natur zu erfassen, wäre das Ziel des Aufgabenblocks gewesen. Diese Aufgabe verlangte von den Schülerinnen und Schülern die Anwendung bereits erworbener Fähigkeiten und ebenso den Transfer. Zunächst galt es, einen Punkt zu identifizieren und dessen inhaltliche Bedeutung zu erklären (Anforderungsbereich II). Im nächsten Schritt musste der Inhalt des Punktes bewertet werden. Dies galt es des Weiteren zu erklären und zu begründen (Anforderungsbereich III). Entsprechend der Anforde-
6.1
Gestaltung der Intervention
173
rungsbereiche wurde eine Vielzahl an Kompetenzen gefordert. Zunächst mussten die Schülerinnen und Schüler die Darstellung Graph verwenden (K4), in Teilen modellieren (K3), wenn sie den Punkt wieder mit Inhalt füllten, des Weiteren argumentieren (K1) und entsprechend kommunizieren (K6). Diese Aufgabe war ein Teil des Aufgabenkomplexes, der im Anschluss an die Vorstudie entwickelt wurde, um die Schülerinnen und Schüler zur Frage hinzuführen, ob es sinnvoll ist, einzelne Wertepaare in der Gestalt von Punkten miteinander zu verbinden. Nacharbeiten (ii) Zusammenhang begreifen Aufgaben, die darauf abzielten, den jeweiligen Zusammenhang greifbarer zu machen, hatten vielerlei Gesichter. Gegenständliche Materialien Schau dir deine graphische Darstellung nochmal an. Welches/welche der drei Wörter von vorhin (steigen, gleichmäßig, gerade) beschreiben die Lage der Punkte nicht? Erkläre, warum das so ist! Simulationen Schau dir die graphische Darstellung zu den Würfeln nochmal an (rechtes Fenster in der Simulation). Welches/welche der drei Wörter von vorhin (steigen, gleichmäßig, gerade) beschreiben die Lage der Punkte nicht? Erkläre, warum das so ist! Abbildung 6.22 Beispielaufgaben Nacharbeiten (ii), Kontext Würfel bauen
Sie nahmen zum einen den Zusammenhang als Ganzes in den Blick, wie in der hier vorgestellten Aufgabe (Abbildung 6.22), und gingen damit über das erste Verstehen des Zusammenhangs hinaus. Zum anderen beinhalteten sie ganz grundsätzliche Fragen, wie beispielsweise, welche Größen einander zugeordnet werden. Sie deckten damit alle Anforderungsbereiche ab und ließen sich jeweils einer bestimmten Schwierigkeit zuordnen. Die in Abbildung 6.22 dargestellte Aufgabe forderte die Schülerinnen und Schüler in fast identischer Weise in beiden Experimentalgruppen dazu auf, die graphische Darstellung des Zusammenhangs Würfel bauen mit der des Zusammenhangs Kreise abwickeln zu vergleichen. Auf den Graphen des Zusammenhangs Kreise abwickeln hatten zuvor die drei Begriffe steigen, gleichmäßig und gerade zugetroffen. Ziel war es, den Schülerinnen und Schülern den kubischen Zusammenhang im Vergleich zum linearen vor Augen zu führen und die Unterschiede zu verdeutlichen. Dabei stand der Objektaspekt im Fokus, aber auch das Änderungsverhalten wurde thematisiert, wenn die Frage der gleichmäßigen Steigung in den Mittelpunkt rückte. Diese Aufgabe entsprach dem Anforderungsbereich II. Die Schülerinnen und Schüler mussten ihre Erkenntnisse über die Bedeutung der Begriffe steigen, gleichmäßig und gerade, die sie im vorherigen Kontext gemacht hatten,
174
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
anwenden und basierend darauf neu entscheiden. Sie mussten erneut mit mathematischen Darstellungen arbeiten (K4), argumentieren und kommunizieren (K1 und K6). Diese Aufgabe wurde im Anschluss an die Vorstudie eingefügt, da die Schülerinnen und Schüler den Unterschied zwischen dem zuerst bearbeiteten linearen Zusammenhang und dem hier präsentierten kubischen auch auf graphischer Ebene vor Augen haben sollten. Der zunächst angestellte Vergleich der absoluten Änderung in jedem Schritt hatte sich als einseitig und nicht zielführend erwiesen. Nacharbeiten (iii) Anwenden Anwendungsaufgaben beinhalteten immer einen konkreten Bezug zum zuvor durchgeführten Experiment. Es mussten die entstandenen Graphen oder Wertetabellen genutzt werden, um Werte zunächst abzulesen und im nächsten Schritt zu inter- oder extrapolieren. Gegenständliche Materialien & Simulationen Wie viele Zentimeter wird der Bleistift zwischen der 80. und 140. Spitzbewegung (ungefähr, Material) kürzer? Beschreibe, wie du vorgegangen bist! Abbildung 6.23 Beispielaufgabe Nacharbeiten(iii), Kontext Bleistifte spitzen
Auf Basis dieser Werte musste dann z. B. wie in diesem Beispiel (Abbildung 6.23) die absolute Änderung der Bleistiftlänge in einem Intervall von Spitzbewegungen, die so nicht durchgeführt wurden, bestimmt werden. Diese Aufgaben waren in der Regel identisch in beiden Settings, da sie sich auf die Ergebnisse des Experiments bezogen und nicht mehr Teil der sich unterscheidenden Durchführung waren. Ziel war es, so die Relevanz der erworbenen Daten zu erhöhen und zu verdeutlichen, dass deutlich mehr Informationen darin stecken, als man zunächst wahrnimmt. In diesem konkreten Beispiel wurde inhaltlich auf den Aspekt der Zuordnung und den des Änderungsverhaltens abgezielt. Auch hier stand, wie die Zuteilung der Aufgabe bereits anzeigt, die Anwendung (Anforderungsbereich II) im Zentrum. Die Schülerinnen und Schüler mussten ihre erhobenen Daten bzw. den Graphen verwenden, um zu einem Ergebnis zu gelangen (K4). Des Weiteren mussten sie ihr Vorgehen erklären (K6). Nacharbeiten (iv) Transfer Transferaufgaben blieben inhaltlich im jeweiligen Kontext, gingen jedoch über die konkrete Verwendung der Ergebnisse aus dem jeweiligen Experiment hinaus. So mussten in diesem Beispiel (Abbildung 6. 24) die Zusammenhänge zwischen Güte des Spitzers und der Geschwindigkeit, mit der die Länge der Bleistifte abnimmt, erkannt und zur Anwendung gebracht werden. Basierend auf diesem Wissen, das zuvor erworben worden war, konnten die Schülerinnen und Schüler begründen, welcher Bleistift warum mit dem schärfsten Spitzer gespitzt wurde. Diese Aufgabe thematisierte schwerpunktmäßig das Änderungsverhalten in Form der Geschwindigkeit, mit der die Länge eines Bleistifts abnimmt. Auch der Aspekt Funktion als Objekt kam zum Tragen, da die Geraden jeweils als ein ganzer „Spitzprozess“ verstanden werden
6.2
Rahmeninformationen
175
mussten. Diese Aufgabe, die dem Bereich Transfer zuzuordnen war, verlangte es von den Schülerinnen und Schülern, eine Vielzahl an Kompetenzen zusammenzubringen. Sie mussten die mathematische Darstellung korrekt verwenden (K4) und entsprechend interpretieren, d.h. auf die Realität zurückführen, indem sie die Steigung der Geraden mit der Schärfe eines Spitzers zusammenbrachten (K3). Des Weiteren mussten sie ihre Erkenntnisse argumentativ verarbeiten (K1) und entsprechend kommunizieren (K6). Sie mussten das ihnen gestellte Problem mathematisch, d.h. über den Steigungsvergleich lösen (K2). Gegenständliche Materialien & Simulation In Herr Bommels Schublade finden sich noch mehr Spitzer und Bleistifte. Er spitzt direkt drauf los. Stellt sich die Frage: Welcher Spitzer spitzt am besten? Stelle eine Rangfolge auf und begründe deine Entscheidung!
Abbildung 6.24 Beispielaufgabe Nacharbeiten (iv), Kontext Bleistifte spitzen
6.2
Rahmeninformationen Stichprobe und Zeitpunkt der Erhebung
Die Stichprobe von Studie II umfasste 282 Schülerinnen und Schüler aus der sechsten Jahrgangsstufe. Die Wahl des Zeitpunktes zur Durchführung der Studie fiel auf die letzten drei Schulwochen vor den Sommerferien im Schuljahr 2015/16. Die Wahl begründete sich vorrangig darin, dass die angedachte Förderung des funktionalen Denkens stattfinden sollte, bevor die Schülerinnen und Schüler im Unterricht konkret mit Zuordnungen in Kontakt kamen. Da dies ab Jahrgangsstufe 7 der Fall ist (MBWJK, 2007, S. 55), musste die Intervention in Jahrgangsstufe 6 durchgeführt werden. So konnte auch zugleich eine Grundlage für den Unterricht der 7. Jahrgangsstufe geschaffen werden. Die letzten drei Schulwochen erwiesen sich außerdem als
176
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
günstig für die Durchführung, da zu diesem Zeitpunkt die Zeugnisse in Jahrgangsstufe 6 bereits verteilt waren. Die Schulen waren bereit, Unterrichtszeit zur Verfügung zu stellen, da kein zeugnisrelevanter Unterricht ausfallen musste. Dies bedeutete aber auch, dass viele der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler bereits mit dem vergangenen Schuljahr abgeschlossen hatten, was sowohl positive als negative Konsequenzen mit sich hätte bringen können. Zum einen wäre es möglich gewesen, dass Schülerinnen und Schüler eher weniger bereit gewesen wären, sich über fünf Schulstunden hinweg mit einem mathematischen Thema auseinanderzusetzen. Zum anderen hätte sich die Abgrenzung vom alltäglichen Unterricht aber auch positiv auf die Motivation und die Einstellung gegenüber der behandelten Mathematik auswirken können. Um eventuelle Effekte dieser Art erfassen zu können, wurde als Prädiktor die Motivation der Schülerinnen und Schüler während der Intervention post-hoc erhoben (vgl. Abschnitt 6.3). Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler stammten aus fünf unterschiedlichen Gymnasien. Es handelte sich um drei Schulen aus dem eher ländlichen Raum und zwei Stadtschulen. Die 282 Schülerinnen und Schüler verteilten sich mit N1 = 32, N2 = 23, N3 = 115, N4 = 64 und N5 = 48 auf diese fünf Schulen. Mit Blick auf die ungleichmäßige Verteilung ging Schule Dummy-codiert als Prädiktor in das Hintergrundmodell mit ein (vgl. Abschnitt 6.4). Die Kontrollgruppe setzte sich ausschließlich aus Schule 5 zusammen (N5 = 48). Dies hatte organisatorische und ethische Gründe. Zum einen war es nicht möglich, alle teilnehmenden Klassen in drei Gruppen zu unterteilen und parallel an der Studie teilnehmen zu lassen, was im Sinne der Randomisierung notwendig gewesen wäre. Zum anderen erschien es nicht gerecht, dass 2/3 der Schülerinnen und Schüler einer jeden Klasse an einer Intervention zum funktionalen Denken hätten teilnehmen dürfen, 1/3 hingegen nicht. Eine Durchführung der Intervention im Nachhinein mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern war aufgrund der zeitlichen Einschränkung auf die drei Wochen vor den Sommerferien nicht möglich, eine Teilnahme an der Intervention zu Beginn des neuen Schuljahrs ebenfalls nicht, da die Schülerinnen und Schüler nach Klasse 6 auf neue Klassen verteilt wurden. Außerdem sollten viele Klassen direkt nach den Sommerferien in das Thema proportionale Zuordnungen einsteigen. Eine Unterscheidung des Einflusses der Intervention und des Unterrichts wäre nicht möglich gewesen. Daher verfolgte die Verwendung der Kontrollgruppe ausschließlich das Ziel, herauszufinden, ob die Schülerinnen und Schüler bereits durch die Bearbeitung der Testaufgaben eine signifikante Förderung ihres funktionalen Denkens erfahren würden. Es wurde kein weiterer Vergleich mit den anderen Gruppen angestrebt. Dies schien eine vertretbare Lösung zu sein. Die Interventionsgruppen bestanden damit aus insgesamt 234 Schülerinnen und Schülern, die sich auf die beiden Experimentalgruppen Computer-Simulationen (Sim) und gegenständliche Materialien (Mat) mit NSim = 123 und NMat = 111 verteilten. Die Differenz von 12 Schülerinnen und Schülern zwischen den Experimentalgruppen ergab sich aufgrund von Schülerinnen und Schülern, die entweder am Vor-oder Nachtest nicht teilgenommen oder einen der beiden Tests nicht verwertbar bearbeitet hatten. Außerdem hatte eine Schule ungünstiger Weise parallel zur Interventionsstudie einen weiteren Termin für einen Teil einer 6. Klasse angesetzt, sodass einige Schülerinnen und Schüler keinen Nachtest absolvieren konnten. Diese spontan auftretenden bzw. nicht
6.2
Rahmeninformationen
177
mitgeteilten Eventualitäten konnten bei Planung der Randomisierung nicht berücksichtigt werden. Die unterschiedliche Gruppengröße wird im Rahmen der Auswertung thematisiert. Die Stichprobe setzte sich des Weiteren aus 167 Jungen und 115 Mädchen zusammen. Betrachtet man ausschließlich die Experimentalgruppen, handelte es sich um 146 Jungen und 88 Mädchen. Der Altersdurchschnitt der Gruppe lag bei M = 11.80 (SD = 0.57). Durchführung Da die Möglichkeit bestand, dass der Vortest einen deutlichen Einfluss auf das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler ausüben würde, wurde er eine Woche vor Durchführung der Intervention in den Unterricht der Schülerinnen und Schüler implementiert, um in allen Gruppen den gleichen Abstand zwischen Vortest und Intervention zu schaffen. Der Test wurde jeweils von einer Lehrperson auf Basis eines Manuals, das sowohl den zeitlichen Rahmen als auch die genaue Verfahrensweise vorgab, durchgeführt. Basierend auf diesen Daten wurde zugewiesen, welche Schülerinnen und Schüler welchen Nachtest bekommen würden. Der Test war wie bereits in Studie I in einem Multi-Matrix-Design gestaltet, was die Verlinkung der Items in Vor- und Nachtest nötig machte. Zur Durchführung der Intervention wurde jede Klasse zufällig in zwei Hälften geteilt. Zur gleichen Zeit nahm die eine Hälfte an der Intervention mit gegenständlichen Materialien, die andere an der Intervention mit Computer-Simulationen teil. Durchgeführt wurde die Intervention von zwei Personen, die abwechselnd die Simulations- bzw. Materialgruppe betreuten. So sollten Effekte aufgrund der Durchführungsleitung ausgeschlossen werden. Außerdem gab es einen entsprechenden Durchführungsleitfaden, der die Vergleichbarkeit gewährleistete. Von dieser war auch deshalb auszugehen, da alle Schülerinnen und Schüler in Einzelarbeit und ohne inhaltliche Betreuung durch die Durchführungsleitung arbeiteten. Der Ablauf der Intervention stellte sich unabhängig vom Medium wie folgt dar. Zunächst wurde ein Intelligenztest durchgeführt (mini-q16). Im nächsten Schritt wurden die Schülerinnen und Schüler mit dem Arbeitsmaterial vertraut gemacht. Jeder Schülerin und jedem Schüler der Materialgruppe stand eine eigene Materialkiste zur Verfügung, die alles beinhaltete, was zur Durchführung der verschiedenen Experimente benötigt wurde. Außerdem lag den Schülerinnen und Schülern ein Arbeitsheft vor. In der Simulationsgruppe erhielt jede Schülerin und jeder Schüler einen Laptop, auf dem die Simulationen zur Verfügung gestellt wurden. Die Laptops wurden gemeinsam gestartet und das Starten der verschiedenen Simulationen erläutert. Sonst erfolgte keine Erklärung. Auch dieser Gruppe lag ein Arbeitsheft vor. Die Arbeitshefte der Gruppen enthielten die sich entsprechenden Aufgaben, lediglich das Medium, mit dem die Schülerinnen und Schüler arbeiteten, wurde ausgetauscht. In jedem Aufgabenheft fand sich des
16
Vgl. Baudson & Preckel (2016). mini-q: Intelligenzscreening in drei Minuten. Diagnostica, 62(3), 182-197. An dieser Stelle sei Frau Prof. Dr. Baudson ein herzliches Dankeschön ausgesprochen, dass sie uns den mini-q zur Verfügung stellte! Dieses Intelligenzscreening benötigt lediglich 5 min in der Durchführung und stellte sich als ein ideales Mittel dar, um auch bei begrenztem Zeitrahmen die Intelligenz der Teilnehmer dieser Studie zu erfassen.
178
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Weiteren ein Datenblatt. Dieses wurde verwendet, um die im Experiment ermittelten Werte tabellarisch zusammenzustellen und die Graphen zu zeichnen. Nach der Einführung begannen die Schülerinnen und Schüler mit der Einzelarbeit. Sie hatten zur Bearbeitung aller Aufgaben und Experimente vier Schulstunden Zeit (180 min). In dieser Zeit konnten sie zu einer Vielzahl der Aufgaben auf Hilfekarten zurückgreifen, wenn sie Schwierigkeiten bei der Lösung hatten. Aufgaben, zu denen Hilfekarten vorlagen, waren durch ein Fragezeichen am Seitenrand gekennzeichnet. Da davon auszugehen war, dass manche Schülerinnen und Schüler früher fertig sein würden, gab es für diese Schülerinnen und Schüler Zusatzaufgaben, die keinen Bezug zu funktionalen Zusammenhängen aufwiesen (Knobelrätsel). Nach Abschluss der 4. Schulstunde nahmen die Schülerinnen und Schüler nach einer kurzen Pause am Nachtest teil, für dessen Bearbeitung 40 weitere Minuten zur Verfügung standen. Die unterschiedlichen Prädiktoren wurden im Rahmen von Vor- und Nachtest abgefragt. 6.3
Erhebungsmethoden Erfassung des funktionalen Denkens
Zur Erfassung des funktionalen Denkens wurde der im Rahmen von Studie I (Kapitel 5) entwickelte Test in einer überarbeiteten Form genutzt. Hierzu wurden die Items, die sich in Studie I als geeignete erwiesen hatten, wieder verwendet. Das Testdesign gestaltete sich derart, dass diese Items in vergleichbarer Schwierigkeit auf zwei Item-Sets (A und B) verteilt wurden. Die Schwierigkeitswerte hierzu wurden den Ergebnissen von Studie I entnommen und zu diesem Zweck in vier Gruppen unterteilt (vgl. Tabelle 6.3). Tabelle 6.3 Schwierigkeitsintervalle zur Verteilung der Items auf Item-Sets A und B
Schwierigkeit
Schwierigkeitsparameter (Logit)
Leicht
< -1
Leicht - Mittel
-1 ≤ < 0
Mittel - Schwer
0 ≤ ≤ 1
Schwer
>1
Die Item-Sets A und B wurden durch Ankeritems (AI) miteinander verbunden. Bei den Ankeritems handelte es sich um solche, bzw. mindestens eines, das einen mittleren Schwierigkeitswert mit Bezug auf das jeweilige Intervall annahm. Wie bereits in Studie I wurde der Test im Multi-Matrix-Design gestaltet. Dies ermöglichte es, alle Items aus Studie I zu verwenden, ohne dass alle Items auch von allen Schülerinnen und Schülern bearbeitet werden mussten. Es ergab sich die in Tabelle 6.4 dargestellte Verteilung der Items auf die Item-Sets A, B und AI (für die exakten Schwierigkeitswerte vgl. Ergebnisse Studie I, Tabelle 5.9). Tabelle
6.3
Erhebungsmethoden
179
6.4 ist zu entnehmen, welches Item zu welchem Item-Set bzw. zu den Ankeritems zugeordnet wurde. Test A bestand damit aus insgesamt 27 Items (Set A + Ankeritems), Test B aus 26 (Set B + Ankeritems). Die Reihung eines jeden Hefts wurde umgekehrt, um Reihenfolgeneffekte zu vermeiden. Es lagen somit vier Testversionen vor, die als Vor- und Nachtest verwendet wurden. Tabelle 6.4 Verteilung der Items auf die Testhefte für Studie II, Benennung der Ankeritems
Item-Schwierigkeit Leicht
Leicht /Mittel I-S
Mittel /Schwer I-S
Schwer
I-S
I-S
Transport a Transport b
AI AI
Igel a Igel c
A A
Ballon b Bremsweg c
B AI
Ballon a Würfel c
B B
Erzählung
B
Heimweg
A
See
B
Fahrzeug
AI
Bußgelder
A
Gefäße füllen a
B
Zugfahrt b
A
Rennwagen b
AI
Igel b
A
Kerze c
B
Bleistift a
A
Bleistift d
A
Gefäße füllen b
B
Kerze d
B
Fahrrad
AI
Bremsweg b
AI
Badewanne
AI
Würfel b
A
Unwetter
A
Größe a
A
Zugfahrt a
A
Größe b
A
Punkte
B
Würfel a
B
U-Bahn b
AI
Rennwagen a
AI
Größe c
A
Unterteilung
A
Kerze brennt b
B
Kerze e
B
Bleistift f
B
Bleistift e
A
Kerze a
B
Kerze b
B
Bleistift c
A
Gesamt 17
4 AI
Gesamt 14
2 AI
Gesamt 7
2 AI
Gesamt 5
2 AI
6A
7A
3A
1A
7B
5B
2B
2B
Anmerkung. I-S: Item-Set; A: Items-Set A; B: Item-Set B, AI: Ankeritems; aus der Gruppe der leichten Items werden 4 (AI) gewählt, da sich diese Itemgruppe über einen deutlich größeren Bereich an Schwierigkeitswerten erstreckte. Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass es sich hier um nur 43 Items handelt, in Studie 1 allerdings noch 44 Items zur Verfügung standen. Durch einen Schreibfehler innerhalb der FIT-Werte (der Infit fiel aufgrund dessen aus dem vorgegebenen Intervall heraus) wurde das Item Kerze brennt a) leider aus dem Itempool für Studie II entfernt und taucht hier ungünstiger Weise nicht mehr auf.
180
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Die Verwendung der Hefte in der Durchführung gestaltete sich derart, dass Schülerinnen und Schüler, die im Vortest Heft A bearbeitet hatten, im Nachtest Heft B erhielten. So bearbeiteten sie lediglich die Ankeritems zweimal. Zwei der Ankeritems (Fahrzeug und Rennwagen b) wurden um ein Begründungsfeld erweitert. Die von den Schülerinnen und Schülern formulierten Begründungen sollten die Möglichkeit geben, mögliche unterschiedliche Auswirkungen der beiden in der Intervention verwendeten Medien auf die mathematische Argumentationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu untersuchen und so eventuell Informationen über die Prozesse, die im Rahmen der Förderung des funktionalen Denkens abliefen, zu erhalten. Prädiktoren Die Testhefte beinhalteten zusätzlich zu den Items zum funktionalen Denken Skalen zur Erfassung von Zusatzinformationen, die als Prädiktoren im Rahmen des erneut verwendeten Hintergrundmodells des Rasch-Modells zum Einsatz kamen. Der Vortest fragte neben dem Alter der Schülerinnen und Schüler und ihrem Geschlecht das Interesse der Schülerinnen und Schüler mit Material zu experimentieren (Abbildung 6.25), ihr Interesse an Computern (Abbildung 6.26), ihr Interesse mit Computer-Simulationen zu arbeiten (Abbildung 6.27) sowie ihre Einstellung zum Mathematikunterricht ab (Abbildung 6.28). Die verwendeten Skalen wurden zum Teil adaptiert (Interesse am Experimentieren, ComputerSimulationen) oder gänzlich übernommen (Einstellung zum Mathematikunterricht, Interesse an Computern). Im Nachtest wurden des Weiteren die letzte Zeugnisnote in Mathematik, die letzte Zeugnisnote in Deutsch, die zuhause gesprochene Sprache, ob eine Schülerin oder ein Schüler Nachhilfe in Mathematik nahm, das Leseverhalten (Abbildung 6.30) und die Motivation während der Intervention (post hoc) abgefragt. Die Skala zur Erhebung der Motivation wurde dabei selbstentwickelt (Abbildung 6.29). Interesse am Experimentieren mit Materialien (nach Ganter, 2013, S. 114) Stimmt gar nicht
Stimmt eher nicht
Stimmt eher
Mit Materialien experimentieren finde ich sehr interessant. Ich experimentiere auch in meiner Freizeit gerne mit Materialien. Es ist mir wichtig, im Experimentieren mit Materialien besser zu werden. Abbildung 6.25 Items zum Interesse am Experimentieren mit gegenständlichen Materialien
Stimmt ganz genau
6.3
Erhebungsmethoden
181
Interesse an Computern (Hertel (2014). Skalenhandbuch PISA 9, S. 155, Freude und Interesse am Arbeiten mit dem Computer, Cronbachs = 0.77) Stimmt gar nicht
Stimmt eher nicht
Stimmt eher
Stimmt ganz genau
Es ist mir wichtig, mit dem Computer zu arbeiten. Es macht wirklich Spaß, mit dem Computer zu spielen oder zu arbeiten. Ich benutze den Computer, weil ich daran interessiert bin. Wenn ich am Computer arbeite, vergesse ich die Zeit. Abbildung 6.26 Items zum Interesse an Computern
Interesse an Computer-Simulationen (nach Ganter, 2013, S. 114) Stimmt gar nicht Computer-Simulationen zu benutzen finde ich sehr interessant. Ich benutze auch in meiner Freizeit gerne Computer-Simulationen. Es ist mir wichtig, in der Nutzung von Computer-Simulationen besser zu werden. Abbildung 6.27 Items zum Interesse an Computer-Simulationen
Stimmt eher nicht
Stimmt eher
Stimmt ganz genau
182
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Einstellung zum Mathematikunterricht (Ramm (2006), Sub-Skala aus PISA 2003: Dokumentation der Erhebungsinstrumente, Motivation im Mathematikunterricht, Cronbachs = 0.92, http//daqs.fachportal-paedagogik.de/search/show/instrument/2852_40) Stimmt gar nicht
Stimmt eher nicht
Stimmt eher
Stimmt ganz genau
Ich mag Bücher über Mathematik. Ich freue mich auf meine Mathematikstunden. Ich mache Mathematik, weil es mir Spaß macht. Mich interessiert das, was ich in Mathematik lerne. Abbildung 6.28 Items zur Einstellung zum Mathematikunterricht
Post-hoc gemessene Motivation bezogen auf die Intervention (selbstentwickelt) Stimmt gar nicht
Stimmt eher nicht
Stimmt eher
Stimmt ganz genau
Das Experimentieren in den letzten 4 Stunden hat mir Spaß gemacht. Ich würde gerne weiter an den Aufgaben arbeiten. Die vergangen 4 Schulstunden sind schnell vergangen. Abbildung 6.29 Items zur Messung der Motivation während der Intervention, post-hoc
Leseverhalten Du liest Bücher… oft
manchmal
selten
nie
Abbildung 6.30 Item zur Erfassung des Leseverhaltens
Gesondert wurde die Intelligenz der an der Intervention teilnehmenden Schülerinnen und Schüler erhoben. Hierzu wurde der mini-q (Baudson & Preckel, 2016) verwendet.
6.4
6.4
Auswertungsmethoden
183
Auswertungsmethoden Kodierung der Fragebögen
Die Kodierung der Fragebögen geschah auf Grundlage der mathematisch-korrekten Lösung der Items. In Vor- und Nachtest wurden richtige Antworten mit (1), falsche Antworten mit (0) kodiert. Missings aufgrund des Multi-Matrix-Designs wurden als NA behandelt. Es unterschied sich die Behandlung nicht bearbeiteter Items in Vor- und Nachtest. Es stellte sich heraus, dass viele Schülerinnen und Schüler den Vortest nicht beenden konnten, da ihnen die Zeit fehlte. Daher wurden alle nicht bearbeiteten Aufgaben, die sich an die letzte bearbeitete anschlossen, als NA kodiert. Alle nicht bearbeiteten Items, die sich zwischen der ersten und letzten bearbeiteten Aufgabe befanden, hingegen als falsch (0). Durch die Verwendung des Rasch-Modells konnten die Fähigkeitswerte der Schülerinnen und Schüler auch für nicht bearbeitete Items bestimmt werden, so dass die in nicht genügendem Maße vorhandene Arbeitszeit den Schülerinnen und Schülern nicht zum Nachteil gereichte. Im Nachtest hingegen zeigte sich wie bereits in Studie I, dass alle Schülerinnen und Schüler den Test beenden konnte. Dementsprechend wurden nun alle nicht bearbeiteten Aufgaben als falsch kodiert (0). Die sich darin zeigende Parallele zu Studie I deutete darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 6 nach der Intervention einen ähnlichen Lernstand im funktionalen Denken erreicht hatten, wie ihn die Schülerinnen und Schüler der Jahngansstufe 7 Ende des 1. Halbjahres zeigten. Dies entsprach unseren Annahmen. Die Fähigkeit funktionales Denken – Schätzen des Rasch-Modells in Studie II Wie bereits im Rahmen von Studie I wurde das funktionale Denken mittels IRT und unter Verwendung der Software R (R Core Team, 2013) und des Package TAM (Kiefer et al., 2016) geschätzt. Zur Auswertung der dichotomen Daten aus Vortest und Nachtest wurden die beiden Datensätze zunächst zu einem Datensatz verbunden, indem die Datensätze untereinander gesetzt wurden (vgl. Tabelle 6.5). Tabelle 6.5 Verteilung der Daten auf virtuelle Personen
Personen ID
Daten
1
Vortest
… 282 1‘ … 282‘
Nachtest
184
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Man spricht von der Methode der virtuellen Personen (vgl. zB. Hartig & Kühnbach, 2006, S. 33). Man nimmt dabei an, dass eine Person, die den Nachtest bearbeitet hat, aufgrund der dazwischen liegenden Intervention als eine andere anzusehen ist als die, die den Vortest bearbeitet hat. Aus der vorliegenden Stichprobe von N = 282 wurde so zunächst eine Stichprobe der Größe N = 564. Eine Verknüpfung der Daten auf diese Weise führt dazu, dass die Fähigkeitswerte der Schülerinnen und Schüler in Vor- und Nachtest auf der gleichen Skala abgebildeten werden und so direkt vergleichbar sind. Basierend auf diesem Datensatz wurde die Raschskalierbarkeit der Daten mittels Schätzung eines dichotomen eindimensionalen Rasch-Modells (Modell_1a) überprüft. Zugrunde gelegt wurden die aus Studie I bekannten Kriterien (vgl. Tabelle 5.8). Ausgehend von dem sich daraus ergebenden optimierten Datensatz wurde ein zweites Rasch-Modell berechnet (Modell_1b). Aus diesem Rasch-Modell wurden die Item-Schwierigkeiten i gewonnen, die im nächsten Schritt fixiert wurden. Denn es folgte die Einbeziehung eines Hintergrundmodells mittels eines Teils der in Abschnitt 6.3 vorgestellten Prädiktoren, das eine genauere Schätzung der Fähigkeitsparameter bewirkt, aber in keinen Einfluss auf die Schwierigkeitsparameter der Items haben soll. Diese Schätzung geschah nun nicht mehr mittels virtueller Personen. Die Daten aus Vor- und Nachtest wurden entsprechend nicht mehr als Daten von unterschiedlichen Personen betrachtet, sondern nebeneinander angeordnet und als zwei Dimensionen (Dimension 1 = Vortest, Dimension 2 = Nachtest) angesehen (vgl. Tabelle 6.6). Tabelle 6.6 Verteilung der Daten auf zwei Dimensionen zur Trennung von Vor- und Nachtest
Personen ID
Daten
Daten
1
VT
NT
…
VT
NT
282
VT
NT
Auf diese Weise war es möglich, mit einem zweidimensionalen Rasch-Modell (Modell_2) vergleichbare Fähigkeitswerte zu schätzen, die unterschiedliche Gruppenzugehörigkeit zu berücksichtigen und ungewollte Abhängigkeiten zu vermeiden (vgl. zu diesem Verfahren in Gänze Hartig & Kühnbach, 2006, 42-43). Diese Modellschätzung lieferte die Grundlage für die anzustellenden Vergleiche zwischen Vor- und Nachtest-Ergebnissen unter Einbeziehung der Experimentalgruppen. Vergleich der Experimentalgruppen Plausible Values Jeder Personenparameter, d.h. jeder Fähigkeitswert, der geschätzt wurde, wurde mittels eines EAP (expected a posteriori)-Schätzers bestimmt. Zu jedem zu schätzenden Personenparameter wird dabei a posteriori eine Verteilung bestimmt, deren Mittelwert als Repräsentant des Personenparameters Verwendung findet (Rost, 2004, S. 315ff). Vernachlässigt wird hierbei jedoch
6.4
Auswertungsmethoden
185
die Streuung der Werte der Verteilung um den Mittelwert. Um diesem Problem begegnen zu können, werden Plausible Values (Mislevy, Beaton, Kaplan & Sheehan, 1992, S. 155ff) verwendet. Hierbei handelt es sich um zufällig aus der Verteilung des Fähigkeitsparameters einer jeden Person gezogene Werte. In den meisten Fällen werden fünf solche Werte verwendet (Hartig & Kühnbach, 2006, S. 31). Nicht so allerdings in PISA 2015. Hier werden zehn Plausible Values für jeden erfassten Kompetenzbereich gezogen (Reiss, Sälzer & Schiepe-Tiska, 2016, S. 418). Damit werden die Zusatzinformationen mitberücksichtigt, die das im Rahmen der Raschanalyse verwendete Hintergrundmodell mit in die Schätzung einbringt und damit Einfluss auf die Streuung der Fähigkeitswerte hat (Hartig & Kühnbach, 2006, S. 31). Je umfassender das Hintergrundmodell definiert wird, desto genauer wird die Schätzung der Personenparameter (Hartig & Kühnbach, 2006, S. 31.). Analysen wie beispielsweise auf Mittelwertunterschiede hin müssen dann mit jedem Set an Plausible Values durchgeführt werden. Die Ergebnisse der Einzelanalysen werden zu einem Ergebnis zusammengefasst. Dies geschah in diesem konkreten Fall über die F-Werte der zum Gruppenvergleich verwendeten gemischten Varianzanalyse. Diese wurden mittels der Packages mice (van Buuren & Groothuis-Oudshoorn, 2011) und miceadds (Robitzsch, Grund & Henke, 2017) unter Verwendung der Mittelwerte der durch die ANOVA bestimmten F-Werte und die Schätzung des mittleren Zuwachses der Varianz sowie einer darauf aufbauenden D2-Statistik gepoolt (für Details siehe Enders, 2010, S. 239ff.). Hintergrundmodell Um ein möglichst umfassendes Hintergrundmodell gestalten zu können, wurde eine Vielzahl der erhobenen Zusatzinformationen (vgl. Abschnitt 6.3) als Prädiktoren darin aufgenommen. Es handelte sich um Alter, Geschlecht, Mathematik- und Deutschnote, Intelligenz, Schule (Dummy-codiert), zu Hause gesprochene Sprache, Einstellung zu Computern und Interesse am Experimentieren mit Material, die Einstellung gegenüber Computer-Simulationen und die Zugehörigkeit zur Interventionsgruppe. Entsprechend der Ausführungen zu Studie I wurde erneut angenommen, dass die Mathematiknote als Indikator für die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler gewertet werden konnte. Diese wiederum sollten das funktionale Denken der Schülerinnen und Schüler entsprechend vorhersagen können. Die gleiche Annahme bestand für Nachhilfe in Mathematik. Die Deutschnote, das Leseverhalten und die zuhause gesprochene Sprache wurden erneut verwendet, um der an Sprache reichen Gestaltung des Tests Rechnung zu tragen. Außerdem ergaben sich diesbezüglich nicht eindeutige Ergebnisse in Studie I, sodass eine erneute Betrachtung dieser möglichen Prädiktoren sinnvoll schien. Das Interesse an Material und Computer- bzw. -Simulationen erschien aufgrund der die Intervention bestimmenden Medien wichtig, bedingt durch die Thematik stellte sich auch die generelle Einstellung zum Mathematikunterricht als möglicherweise bedeutsam dar. Das Geschlecht erwies sich bereits in Studie I als wichtig und musste entsprechend betrachtete werden.
186
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Gemischte Varianzanalyse - Mixed ANOVA Basierend auf den Ergebnissen des zwei-dimensionalen Rasch-Models (Modell_2), das die Fähigkeitswerte der Schülerinnen und Schüler im funktionalen Denken vor und nach der Intervention lieferte, wurden 10 Sätze Plausible Values (vgl. Abschnitt Plausible Values) gezogen. Jeder dieser 10 Datensätze wurde zunächst auf die Erfüllung der Vorrausetzungen Normalverteilung und Varianzhomogenität für die Durchführung einer gemischten Varianzanalyse (mixed ANOVA) untersucht (Field et al., 2012, S. 613ff). Die Normalverteilung wurde mittels des Shapiro-Wilk-Tests (Field et al., 2012, S. 182ff) durchgeführt, für die Überprüfung der Varianzhomogenität wurde Levene’s Test (Field et al., 2012, S. 186ff) bemüht. Die Voraussetzung der Spherizität, die Gleichheit der Varianzen der Differenzen zwischen einzelnen Treatments (vgl. Field et al., 2012, S. 551), war in diesem Fall nicht relevant, da sie bei nur zwei Experimentalgruppen kein Problem darstellt. Nach Überprüfung der Voraussetzungen wurde die mixed ANOVA mit dem R-Package ez (Lawrence, 2016, https://cran.r-project.org/web/packages/ez/ez.pdf) durchgeführt. Es wurde eine Typ 3 ANOVA mit orthogonalen Kontrasten verwendet, da die Größe der beiden Experimentalgruppen sich unterschied (Field et al., 2012, S. 475-476, S. 569). Die mixed ANOVA wurde auf jeden der 10 Datensätze von Plausible Values angewendet, wobei der Zeitpunkt (vor oder nach der Intervention) als within-Faktor gesetzt wurde, die Zugehörigkeit zur Experimentalgruppe als between-Faktor. Auf diese Weise wurde die Fähigkeit funktionales Denken der Schülerinnen und Schüler in Vor- und Nachtest getrennt nach Experimentalgruppen verglichen. Zur Klärung etwaiger Haupteffekte wurde ein post-hoc mehrfach-Vergleich mit Bonferroni-Korrektur (Field, 2012, S. 428-429) durchgeführt. Die Ergebnisse der mixed ANOVA, die sich auf Grundlage der 10 Datensätze an Plausible Values ergaben, wurden unter Verwendung der R-Packages mice (van Buuren & Groothuis-Oudshoorn, 2011) und miceadds (Robitzsch et al., 2017) gepoolt. Hierzu wurden die F-Werte der 10 Analysen verwendet (vgl. Abschnitt Plausible Values). Als Effektstärken wurden das partielle p² (Eid et al., 2013, S. 454) und Cohens d (Eid et al., 2013, S. 216) berechnet. Auswertung der Ergebnisse der Kontrollgruppe Da die Kontrollgruppe nicht Teil der Randomisierung sein konnte, wurde sie aus dem Gruppenvergleich ausgeschlossen. Ein weiterer Nachteil für die Analyse wäre der beträchtliche Größenunterschied zwischen Kontrollgruppe und Experimentalgruppen gewesen. Außerdem war die Kontrollgruppe mit einem deutlich höheren Fähigkeitswert in den Vergleich gestartet. Dieser bedingte sich eventuell dadurch, dass es sich um Schülerinnen und Schüler einer Privatschule mit altsprachlichem Schwerpunkt handelte. Um herauszufinden, ob ein Testeffekt vorlag, wurde auf die Ergebnisse der Kontrollgruppe aus der Schätzung des 2-dim. Rasch-Modells (Modell_2dim) nach Überprüfung der Voraussetzung der Normalverteilung ein Wilcoxon-Signed-Rank-Test angewendet (vgl. Field et al., 2012, S. 668ff).
6.5
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern
187
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern Deskriptiv
Insgesamt nahmen an der zuvor beschriebenen Interventionsstudie 282 Schülerinnen und Schüler teil, davon waren 167 Jungen und 115 Mädchen. Das Alter der Schülerinnen und Schüler lag im Mittel bei M = 11.80 Jahren (SD = 0.58). Die Mathematiknote der Schülerinnen und Schüler lag im Mittel bei M = 2.71 (SD = 1.04), die Deutschnote bei M = 2.66 (SD = 0.79). 232 Schülerinnen und Schüler sprachen zuhause ausschließlich Deutsch, 36 Schülerinnen und Schüler sprachen Deutsch und eine Fremdsprache, 14 Schülerinnen und Schüler sprachen zuhause ausschließlich eine Fremdsprache. Das Leseverhalten der Schülerinnen und Schüler lag im Mittel bei M = 3.08 (SD = 0.94) gemessen auf einer vierstufigen Likert-Skala (1: ich lese nie; 4: ich lese oft). Nachhilfe in Mathematik erhielten 24 der 282 Schülerinnen und Schüler. Im Rahmen der Intervention (Mat: Materialgruppe, Sim: Simulationsgruppe) verteilten sich die Schülerinnen und Schüler mit NMat = 111 und NSim = 123 auf die beiden Experimentalgruppen. Alle Schülerinnen und Schüler (N = 234) bearbeiteten im Schnitt 3.73 Kontexte zu funktionalen Zusammenhängen. Den Kontext Kreise abwickeln bearbeiteten alle Schülerinnen und Schüler, den Kontext Würfel bauen 232 von 234 Schülerinnen und Schüler, den Kotext Gefäße füllen 1 noch 228 Schülerinnen und Schüler. Gefäße füllen 2 wurde nur von 200 Schülerinnen und Schülern behandelt, mit dem Kontext Bleistifte spitzen befassten sich 175 Schülerinnen und Schüler. Von insgesamt 60 (Materialgruppe) bzw. 62 (Simulationsgruppe, Unterschied ergibt sich aufgrund der Nutzung der Simulation, mehrerer Teilschritte, vgl. Anhang B) einzelnen Aufgaben wurden im Mittel M = 46.53 (SD = 13.58) bearbeitet. Dafür benötigten dies Schülerinnen und Schüler im mittel M = 161.13 (SD = 19.07) Minuten. Die Schülerinnen und Schüler der Materialgruppe erreichten eine mittlere Bearbeitungszeit von M = 160.41 (SD = 18.47) Minuten, die Simulationsgruppe von M = 161.79 (SD = 19.66) Minuten. Verglich man unabhängig von der Richtigkeit der Lösungen, wieviel Items des Vorund Nachtests die Schülerinnen und Schüler jeweils bearbeitet hatten, zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen Vor- und Nachtest in allen drei Gruppen. Die Schülerinnen und Schüler der Kontrollgruppe konnten die Zahl der bearbeiteten Items von durchschnittlich M = 23.07 auf M = 24.93 (t(47) = -3.163, p = 0.003**) steigern, die Materialgruppe erreichte im Vortest M = 23.28, im Nachtest M = 24.75 bearbeitete Items (t(110) = -4.605, p < 0.001), die Simulationsgruppe startete bei durchschnittlich M = 22.76 und endete bei M = 25.04 bearbeiteten Items im Mittel (t(122) = - 7.342, p < 0.001). 6.5.1
Überprüfung der Rasch-Skalierbarkeit, Studie II
Im Folgenden werden die Item-Kennwerte des eindimensionalen Modells (Modell_1a), das mit virtuellen Personen (N = 564) geschätzt wurde, vorgestellt (Tabelle 6.7). Diese Kennwerte wurden zur Analyse auf Rasch-Skalierbarkeit und für den eventuellen Ausschluss von einzelnen
188
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Items verwendet. Der Overall-Modellfit des Modells lag bei SRMR = 0.068, was als gut zu bewerten war. Tabelle 6.7 Item-Kennwerte von Studie II für die Analyse auf Rasch-Skalierbarkeit
Itemname
OUTFIT
INFIT
TS
|DIF|
Q3a
i
SE
Transport a Transport b
0.887 0.940
0.938 0.949
0.419 0.431
0.108 0.048
-1.343 -0.983
0.111 0.102
Bußgelder
0.936
0.969
0.450
0.186
-0.543
0.136
Erzählung
1.039
1.057
0.297
0.125
-1.155
0.150
Igel a
0.962
0.976
0.454
0.148
0.297
0.129
Igel b
0.945
0.970
0.439
0.305
-0.524
0.135
Igel c
0.911
0.928
0.509
0.164
0.114
0.129
Ballon a
1.124
1.07
0.320
0.085
0.722
0.131
Ballon b
0.988
0.997
0.415
0.420*
0.970
0.135
Heimweg
0.948
0.948
0.472
0.005
-0.111
0.132
Würfel a
0.943
0.988
0.346
0.002
-1.435
0.159
Gefäße füllen a
0.912
0.929
0.496
0.079
0.573
0.234
0.129
Gefäße füllen b
0.879
0.915
0.501
0.230
0.573
-0.406
0.133
Bremsweg b
1.005
0.988
0.356
0.336
-1.401
0.114
Bremsweg c
1.141*
1.110**
0.284
0.013
-0.097
0.093
Unwetter
1.042
1.026
0.273
0.725*
-1.869
0.192
Fahrzeug
1.143
1.058
0.304
0.100
1.505
0.109
See
1.265*
1.112
0.224
0.473
1.373
0.146
Zugfahrt a
0.897
0.922
0.474
0.093
-0.719
0.141
Zugfahrt b
0.923
0.947
0.493
0.234
0.604
0.132
Punkte
1.063
1.03
0.343
0.127
-0.682
0.138
Bleistift a
0.870
0.912
0.518
0.121
1.106
0.138
Kerze a
0.979
0.997
0.401
0.074
-0.707
0.142
Kerze b
0.922
0.960
0.407
0.246
-1.134
0.154
Kerze c
0.985
0.831
0.417
0.419
-0.193
0.131
Badewanne
0.921
0.945
0.410
0.273
-0.047
0.091
Fahrrad
1.309***
1.247***
0.132
0.556*
0.642
0.093
U-Bahn b
0.900
0.990
0.352
0.428
-1.541
0.120
Größe a
1.108
1.047
0.349
0.144
-0.485
0.137
Größe b
1.088
1.072
0.350
0.444
0.387
0.132
Größe c
0.793
0.920
0.466
0.579*
-1.230
0.156
Kerze brennt b
0.964
0.982
0.437
0.121
-0.249
0.311
0.132
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern
Itemname
OUTFIT
INFIT
189
TS
|DIF|
Q3a
i
SE
Würfel b Würfel c
0.866 0.916
0.903 0.938
0.527 0.471
0.319 0.235
-0.212 1.074
0.130 0.136
Rennwagen a
1.145**
1.116***
0.297
0.133
0.088
0.093
Rennwagen b‘
1.128
1.047
0.292
0.277
1.852
0.115
Unterteilung
0.943
0.956
0.486
0.295
0.322
0.129
Kerze d
0.999
0.990
0.410
0.176
-0.466
0.134
Kerze e*
0.926
0.926
0.496
0.898*
0.853
0.134
Bleistift c
0.867
0.947
0.459
0.309
-0.757
0.141
Bleistift d
0.740*
0.880
0.534
0.070
1.785
0.157
Bleistift e
1.076
1.071
0.329
0.584*
-0.126
0.132
Bleistift f
0.938
0.960
0.459
0.470*
-0.109
0.132
0.311
Anmerkung. TS: Trennschärfe, i: Item-Schwierigkeit, SE: Standardfehler der Item-Schwierigkeit fett markiert: kritische Werte in Anlehnung an die verwendeten Cut-off Werte (vgl. Tab. 5.8) a Im Rahmen der Q3-Statistik werden alle Werte über 0.3 als möglicherweise kritisch angegeben. * p < 0.05, ** p < 0.01, ***p < 0.001
Basierend auf den Kennwerten aus Tabelle 6.7 ergab sich, dass IN- bzw. OUTFIT von lediglich drei Items kritisch zu betrachten waren, da sie aus dem Intervall [0.8, 1.2] herausfielen und zusätzlich signifikant wurden: Item See (OUTFIT= 1.265), Item Fahrrad (OUTFIT= 1.309, INFIT= 1.247) und Item Bleistift d (OUTFIT= 0.740). Im Mittel lag der INFIT bei M = 0.983 (SD = 0.116) und der OUTFIT bei M = 0.991 (SD = 0.073). Die Trennschärfe aller Items lag im Durchschnitt bei M = 0.404. Auch diesbezüglich waren die Items See (0.224) und Fahrrad (0.132) auffällig, da sie deutlich bzw. sehr deutlich unter dem angestrebten Wert von 0.25 lagen. Betrachtete man die Ergebnisse der DIF-Analyse über den Faktor Geschlecht (NMädchen = 228, EAP/PVMädchen = 0.736, NJungen = 336, EAP/PVJungen = 0.797), fielen die Items Unwetter (0.725) und Kerze e (0.898) als Items mit großem DIF-Wert auf. Die Q3-Statisktik deutete auf Abhängigkeiten zwischen den Items Gefäße füllen a und b hin, die aber bewusst in dieser Form verwendet wurden. Die Auswertung ergab, dass die Items See und Fahrrad aufgrund ihrer Kennwerte ausgeschlossen werden mussten. Ausschlaggebend war die Kombination aus schlechten FIT-Werten und geringen Trennschärfen. Mit Blick auf die Items Unwetter und Kerze e schien der erhöhte DIF-Wert nicht ausreichend, um auf sie zu verzichten. Entsprechend konnte auch Item Bleistift d nicht wegen eines leicht erniedrigten OUTFITS ausgeschlossen werden. Mögliche inhaltliche Ursachen, die den Ausschluss der Items Fahrrad und See bedingt haben könnten, wurden in den Fehlvorstellungen gesehen, die sie mit den vorgegebenen Lösungen gegebenenfalls ansprachen. Als korrekte Lösung des Items Fahrrad musste die graphische Darstellung einer Treppenfunktion erkannt werden. Treppenfunktionen entsprechen in der Regel in keiner Weise dem concept image, das Schülerinnen und Schüler von Funktionen haben (vgl. Abschnitt 2.2.6, Fehlvorstellungen). Da die Schülerinnen und Schüler in der Intervention auch nicht mit solchen in Verbindung kamen, lag die Vermutung nahen, dass sie die richtige
190
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Lösung kategorisch ausschlossen. Eventuell führte dies zu Problemen mit diesem Item. Das Item See war zum einen sehr komplex und zum anderen eines der wenigen Items, die einen Graph-als-Bild Fehler nahelegten. Eventuell lag darin der Grund, dass die Schülerinnen und Schüler nicht auf ihr eigentliches Können zurückgreifen konnten.
Abbildung 6.31 Verteilung der ICC über den Fähigkeitsbereich [-4,4]
Nach Ausschluss der betreffenden zwei Items wurde das Modell erneut geschätzt (Modell_1b). Seine EAP/PV-Reliabilität lag bei EAP/PV = 0.791, der Overall-Modellfit SRMR bei 0.063. Abbildung 6.31 zeigt die Verteilung der verbliebenen 41 Items über die Personenfähigkeit. Sie deckten einen breiten Bereich an Fähigkeit ausgesprochen dicht ab, es lagen Items mit einer Vielzahl an Schwierigkeiten vor. Zum gleichen Ergebnis kam die Betrachtung der Wright Maps zu Vor- und Nachtest. Es fand sich die entsprechen Anzahl an Items in angemessener Verteilung über die Personenfähigkeit (vgl. hierzu Anhang C1). Das so optimierte Modell (Modell_1b) passte deutlich besser auf die Daten, als das zunächst geschätzte Modell (Modell_1a). Dies ließ sich anhand der Informationskriterien beider Modelle zeigen (AICcModell_1a = 16867 gegenüber AICcModell_1b = 15738 mit =1129, saBICModell_1a = 16911 gegenüber saBICModell_1b = 15779 mit = 1132). Die Informationskriterien von Modell_1b waren deutlich kleiner als die von Modell_1a, der Ausschluss der beiden Items stellte sich als erfolgreich dar. Basierend auf Modell_1b wurden die Item-Schwierigkeitsparameter festgesetzt, die im nächsten Schritt für die Berechnung des 2-dimensionalen Modells (Modell_2), das die Fähigkeitswerte der Schülerinnen und Schüler in Vor- und Nachtest lieferte, benötigt wurden (vgl. Tabelle 6.8).
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern
191
Tabelle 6.8 Fixierte Item-Schwierigkeiten, die zur Berechnung des zweidimensionalen Modells (Modell_2) verwendet wurden
i
SE
i
SE
Transport a Transport b
-1.604 -1.239
0.112 0.103
Kerze a Kerze b
-0.962 -1.395
0.143 0.155
Bußgelder
-0.785
Erzählung
-1.418
0.137
Kerze c
-0.441
0.132
0.151
Badewanne
-0.287
Igel a
0.092
0.070
0.130
U-Bahn b
-1.806
0.121
Igel b
-0.766
0.136
Größe a
-0.728
0.138
Igel c
-0.116
0.130
Größe b
0.160
0.133
Ballon a
0.492
0.133
Größe c
-1.485
0.157
Ballon b
0.745
0.137
Kerze brennt b
-0.499
0.133
Heimweg
-0.346
0.133
Würfel b
-0.461
0.131
Würfel a
-1.703
0.160
Würfel c
0.863
0.138
Gefäße füllen a
-0.006
0.130
Rennwagen a
-0.150
0.094
Gefäße füllen b
-0.658
0.134
Rennwagen b‘
1.653
0.116
Bremsweg b
-1.663
0.115
Unterteilung
0.095
0.130
Bremsweg c
-0.338
0.094
Kerze d
-0.719
0.132
Unwetter
-2.134
0.193
Kerze e
0.626
0.135
Fahrzeug
1.296
0.110
Bleistift c
-1.004
0.142
Zugfahrt a
-0.965
0.142
Bleistift d
1.587
0.159
Zugfahrt b
0.383
0.134
Bleistift e
-0.344
0.133
Punkte
-0.940
0.139
Bleistift f
-0.109
0.132
Bleistift a
0.885
0.139
Itemname
Itemname
Anmerkung.: i = Item-Schwierigkeit, SE: Standardfehler
Die Schätzung von Modell_2 zur Berechnung der Fähigkeitswerte der Schülerinnen und Schüler in Vor- und Nachtest wies sehr gute Reliabilitäten auf (Vortest: EAP/PV = 0.869, Nachtest: EAP/PV = 0.871) auf. Die latente Korrelation zwischen den beiden Dimensionen lag bei r = 0.883. Das Modell_2 passte noch deutlich besser auf die Daten als das Modell_1b. Auch dies wurde aufgrund der Informationskriterien deutlich (AICcModell_2 = 15273 gegenüber AICcModell_1b = 15738 mit = 465, saBICModell_2 = 15278 gegenüber saBICModell_1b = 15779 mit = 501). 6.5.2
Der Einfluss der Prädiktoren
Die Skala zur Erfassung der Einstellung der Schülerinnen und Schüler zum Mathematikunterricht erwies sich als reliabel mit Cronbachs = 0.89. Es ergab sich eine mittlere Einstellung
192
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
der Schülerinnen und Schüler zum Mathematikunterricht von M = 2.5 (SD = 0.85). Das Interesse der Schülerinnen und Schüler gegenüber Computern lag bei M = 2.8 (SD = 0.66) und war mäßig reliabel mit = 0.68. Die Skala zur Erfassung des Interesses an der Arbeit mit Materialien lag im Mittel bei M = 2.6 (SD = 0.68) und zeigte eine ebenfalls mäßige Reliabilität von = 0.68. Das Interesse an der Arbeit mit Computer-Simulationen lag bei M = 2.5 (SD = 0.81) und hatte eine Reliabilität von = 0.79. Die post-hoc erhobene Motivation der Schülerinnen und Schüler während der Intervention belief sich auf M = 2.8 (SD = 0.87) mit = 0.84. Die Intelligenz der Schülerinnen und Schüler wurde mit dem mini-q (Baudson & Preckel, 2016) erfasst. Der mini-q liefert ein Intelligenzscreening auf einer Skala von Rohwerten von 0 bis 64, die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler erreichten im Mittel einen Wert von M = 37.10 (SD = 10.94). Die Intelligenz stellte sich als normalverteil dar (W = 0.994, p = 0.278). Des Weiteren zeigten sich diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Experimentalgruppen. (t(220.71) = -1.112, p = 0.268). Das verwendete Hintergrundmodell lieferte die Ergebnisse einer latenten Regression. Die Ergebnisse werden getrennt nach Vor- (Tabelle 6.9) und Nachtest (Tabelle 6.10) vorgestellt. Bevor diese näher betrachtet werden, sei angemerkt, dass zunächst überprüft wurde, ob die Voraussetzungen zur Durchführung einer multiplen Regression erfüllt waren. Hierzu wurde wieder untersucht, ob die Annahmen der (1) Unabhängigkeit der Fehler, der (2) Normalverteilung der Fehlervariable, der (3) Homoskedastizität und der (4) Linearität erfüllt waren und keine Multikollinearität vorlag (vgl. hierzu Eid et al., S. 577ff, Field et al., 2012, S. 292ff). Die Multikollinearität der Prädiktoren konnten auf Basis der Variance Inflation Factors (VIF) ausgeschlossen werden. Alle VIF lagen im Intervall [1.111, 5.901] unter 10 und gaben damit keinen Anlass zur Besorgnis (vgl. Field et al., S. 276 und S. 299 zur Berechnung). Die Überprüfung der Unabhängigkeit der Fehler mittels Durbin-Watson-Test lieferte für den Vortest DW = 2.051, p = 0.844 und für den Nachtest DW = 2.046, p = 0.862. Damit waren die Regressionsresiduen zwischen den Schülerinnen und Schülern unabhängig voneinander (Eid et. al, 2013, S. 577). Die Überprüfung der Linearität und Homoskedastizität geschah graphisch (Anhang C2) und mittels Breusch-Pagan-Test. Beide Verfahren führten dazu, dass die Voraussetzungen als erfüllt galten. Der Breusch-Pagan-Test lieferte im Vortest BP(16) = 17.232, p = 0.371 und im Nachtest BP(16) = 19.487, p = 0.244. Damit stellte sich die Varianz der Residuen als für jede Ausprägung der Prädiktorvariablen als gleich dar (Field et al., 2012, S. 272) Auch die Normalverteilung der Fehlervariablen ließ sich visuell bestätigen (vgl. Q-Q Plot, Anhang C2). Im Vortest wurde durch das gewählte Hintergrundmodell eine Varianzaufklärung von insgesamt 56 % erreicht (vgl. Tabelle 6.9).
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern
193
Tabelle 6.9 Einfluss der Prädiktoren auf das funktionale Denken, Vortest
B
SE B
KI
β
p
0.300 0.025
̅ ²= 0.534, p < 0.001 R² = 0.560, 𝐑 Intercept Intelligenz Mathematiknote
0.936 0.009
0.902 0.004
[-0.840, 2.711] [0.001, 0.017]
0.111*
-0.424
0.053
[-0.516,-0.332]
-0.509***
Deutschnote
0.028
0.062
[-0.094 0.150]
0.025
< 0.001 0.653
Leseverhalten
0.136
0.041
[0.055, 0.217]
0.148**
0.001
Sprache
0.119
0.171
[-0.217, 0.455]
0.030
0.487
Schule 1
0.340
0.145
[0.054, 0.627]
0.194*
0.020
Schule 3
-0.087
0.168
[-0.418, 0.244]
-0.032
0.604
Schule 4
0.337
0.160
[0.021, 0.653]
0.163*
-0.375
0.085
[-0.542, -0.207]
-0.213***
Einstellung zum Matheunterricht Einstellung zu Computern
0.113
0.049
[-0.015, 0.210]
0.110*
0.023
0.067
0.068
[-0.067, 0.201]
0.052
0.323
Interesse Arbeit mit Simulationen Interesse Arbeit mit Material Alter
0.145
0.055
[0.035, 0.254]
0.136*
0.010
-0.093
0.058
[-0.207, 0.021]
-0.073
0.109
-0.070
0.065
[-0.198, 0.057]
-0.047
0.278
Simulationsgruppe
-0.506
0.170
[-0.841, -0.171]
-0.290**
0.003
Materialgruppe
-0.450
0.175
[-0.794, -0.105]
-0.254*
0.011
Schule, Dummy codiert
Geschlecht
0.037 < 0.001
Anmerkung. KI = 95% Konfidenzintervall, p = Signifikanz, B: Regressionskoeffizient, β: standardisierter Regressionskoeffizient, SE B: Standardfehler des Regressionskoeffizienten * p < 0.05, ** p < 0.01, *** p < 0.001
Besonders auffällig stellte sich der Einfluss der Mathematiknote auf die Leistung der Schülerinnen und Schüler (β = -0.509***) dar. Die Schülerinnen und Schüler erreichten einen höheren Fähigkeitswert des funktionalen Denkens mit Zunahme der Mathematiknote, die als Maß für die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler verwendet wurde, der bei 0.424 Logit lag, wenn sie mit einer Mathematiknote besser bewertet wurden. Einen ebenfalls deutlichen Zusammenhang wiesen die Intelligenz (0.111*) und unseren Erwartungen gemäß auch das Leseverhalten mit den Leistungen der Schülerinnen und Schüler auf (β = 0.148**). Dies stärkte die Hypothese, dass die in Teilen an Text sehr reichen Aufgaben in ihrer Gestaltung mit den Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler zu Lösung der Aufgaben zusammenhingen. Nicht gestützt wurde diese Hypothese allerdings durch den Einfluss der Deutschnote, die als
194
6 Funktionales Denken fördern – Studie II
Prädiktor nicht signifikant wurde. Es zeigte sich des Weiteren, dass die Schule berücksichtigt werden musste und dass auch Geschlecht einen Einfluss hatte. Jungen schnitten im Vortest um 0.375 Logit besser ab als Mädchen. Außerdem fand sich, dass das Interesse an der Arbeit mit Simulationen im Vortest mit der erreichten Fähigkeit im funktionalen Denken zusammenhing. Eventuell ließ sich dies damit begründen, dass Schülerinnen und Schüler, die neugierig und motiviert waren, mit einem neuen Unterrichtsmaterial zu arbeiten, entsprechend motivierter an eine neue Testsituation wie diese herangingen. Die signifikanten Koeffizienten der Experimentalgruppen Simulation und Material kamen Zustande, da deren Fähigkeitswerte im Hintergrundmodell mit denen der Kontrollgruppe verglichen wurden.17 Da die Kontrollgruppe bereits im Vortest signifikant besser abschnitt als die Experimentalgruppen, erklärte die Zuweisung zu den Experimentalgruppen Varianz bzw. wurden die Gruppen als Prädiktor signifikant. Der Unterschied zur Fähigkeit der Kontrollgruppe belief sich auf -0.506 bzw. -0.450 Logit. Im Nachtest (vgl. Tabelle 6.10) erreichte das Modell eine Varianzaufklärung von insgesamt 59.9 %. Es zeigte sich ein Zuwachs des Einflusses der mathematischen Fähigkeiten (β = 0.570***) sowie der Intelligenz (β = 0.131**). Auch die Bedeutung des Leseverhaltens nahm zu (β = 0.185***), was mit Blick auf die Situation erklärt werden konnte. Die Schülerinnen und Schüler absolvierten den Nachtest im Anschluss an eine vierstündige Intervention und mussten sich erneut mit den an Text reichen Aufgaben auseinandersetzen. Es stellte sich nicht als überraschend dar, das Schülerinnen und Schüler, die häufiger lasen, dieser Anforderung besser gerecht wurden. Mit Blick auf dieses Ergebnis sollte überlegt werden, wie sich der Test weniger Text reich gestalten ließe. Eine gekürzte Version scheint erstrebenswert. Der Effekt des Geschlechts ging im Nachtest wenig zurück, der Unterschied zwischen Jungen und Mädchen betrug 0.316 Logit. Hinzu kam ein Einfluss des Alters, der allerding minimal war (β = 0.083*). Eventuell zeigte sich daran, dass jüngere Schülerinnen und Schüler eher dazu bereit oder aber motiviert waren, auch nach vier Stunden Intervention einen zusätzlichen Test zu bearbeiten. Man konnte ebenfalls feststellen, dass der Unterschied der Experimentalgruppen zur Kontrollgruppe nahezu verschwunden war. Die Simulationsgruppe stellte sich nun um 0.010 Logit besser, die Materialgruppe nur noch 0.164 Logit schlechter dar. Man konnte unter der Annahme, dass die Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler der Kontrollgruppe sich nicht veränderten, schlussfolgern, dass die Schülerinnen und Schüler der Experimentalgruppen in der Intervention deutlich an funktionalem Denken dazugewonnen hatten.
17
Die Berücksichtigung der Kontrollgruppe im Rahmen der Raschanalyse und Bestimmung der Fähigkeitswerte stellt kein Problem dar. Lediglich im Rahme der mixed ANOVA sollte sie keine Verwendung finden .
6.5
Ergebnisse: Funktionales Denken fördern
195
Tabelle 6.10 Einfluss der Prädiktoren auf das funktionale Denken, Nachtest
B
SE B
KI
β
p
0.011 0.006
̅ ²= 0.575, p < 0.001 R² = 0.599, R Intercept Intelligenz Mathematiknote
2.193 0.010
0.860 0.004
[0.502, 3.886] [0.003, 0.018]
0.131**
-0.474
0.045
[-0.562, -0.386]
-0.570***
Deutschnote
0.017
0.059
[-0.099, 0.133]
0.015